Architekturen des Zuschauens: Imaginäre und reale Räume im Film [1. Aufl.] 9783839412435

Bei der Rezeption von Filmen im Kinosaal kommen zwei ontologisch unterschiedliche Räume ins Spiel: der reale Raum des Ki

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Architekturen des Zuschauens: Imaginäre und reale Räume im Film [1. Aufl.]
 9783839412435

Table of contents :
INHALT
Danksagung
1. Einleitung
2. Die für die Arbeit zentralen Konzepte und Begriffe
2.1. Architektur und Film
2.2. Das Verhältnis zwischen imaginären und realen Räumen
2.3. Illusionsbildung bei der Filmrezeption
2.4. Psychische Räume
2.5. Unterschiedliche Raumbegriffe
2.6. Inszenierungen in Backstage-Filmen
2.7. Die Bedeutung von Atmosphären für die Raumwahrnehmung
2.8. Die kontemplative und erhabene Wahrnehmung
2.9. Zielsetzungen der Arbeit und methodisches Vorgehen
3. Forschungsstand zum Backstage-Film
3.1. Drei Möglichkeiten der Relation von Stage und Backstage
3.2. Der Backstage-Film als reflexives Genre
3.3. Der Backstage-Film in der feministischen Filmtheorie
3.4. Depression und New Deal im Backstage-Film
3.5. Der Backstage-Film im Rahmen der Konsumkultur
3.6. Filmset und Handlung
4. Die Architektur der Kinos: Die Entwicklung von den Nickelodeons zu den Filmpalästen
4.1. Form und Funktion der Nickelodeons
4.2. Die Wirkung der Kinopaläste auf die Filmzuschauer
4.3. Kinopaläste als »Orte der Zerstreuung« (Siegfried Kracauer)
4.4. Die Rückgewinnung der imaginären Räume des Films
5. Imaginäre und reale Räume in ausgewählten Backstage-Filmen
5.1. Die Entwicklung Ziegfelds zum »Glorifier of the American Girl«
5.1.1 Die filmische Darstellung der Weltausstellung
5.1.2 Die Architektur von Bühnen- und Zuschauerraum
5.1.3 Backstage-Räume und ihr Verhältnis zur Bühne
5.1.4 Die Ästhetik der Ziegfeld-Bühne
5.1.5 Das Auflösen der Grenzen zwischen Stage und Backstage
5.2. Die Formensprache in Gold Diggers of 1933: Gesellschaftskritik und das Spiel der Ornamente
5.2.1 Der Einbruch der Realität in den imaginären Raum der Bühne
5.2.2 Inszenierung in den Backstage-Räumen
5.2.3 Inszenierung auf der Stage: der Times Square in »Forgotten Man«
5.2.4 »Pettin’ in the Park«: die Lust am Schauen
5.2.5 Das Spiel der Ornamente in Busby Berkeleys »Shadow Waltz«
5.3. Warenästhetik und Handlungsräume in Ziegfeld Girl
5.3.1 Hollywoods zeitgenössische Veröffentlichungen zur Werbung
5.3.2 Der identifikatorische Blick
5.3.3 Kaufhäuser, Theater- und Kinopaläste als Orte der Konsumkultur
5.3.4 Sheilas Apartment als Raum der Konsumkultur und Konsumkritik
5.3.5 Das Spiel mit Atmosphären in Ziegfeld Girl
5.4. Filmische Mittel bei der Gestaltung von Übergängen in Footlight Parade
5.4.1 Die Inszenierung des Blicks in Footlight Parade
5.4.2 Parallelmontage von Handlungsräumen
5.4.3 Die symbolische Bedeutung der Produktion von prologues
5.4.4 Übergänge in den Musical-Nummern
6. Zusammenfassung und Ausblick: die Architektur des Zuschauens im Kontext der neuen Medien
6.1. Die Ziegfeld-Bühne
6.2. Wechselwirkungen zwischen den Räumen der Stage und der Backstage in Gold Diggers of 1933
6.3. Die Verselbständigung der Choreographien Busby Berkeleys
6.4. Stage- und Backstage-Räume im Rahmen der Konsumkultur und der Handlung
6.5. Konstruktion und Dekonstruktion von Sinnzusammenhängen
6.6. Die Architektur der Kinopaläste
6.7. Realistische und anti-realistische Theorien des Films
6.8. Architektur des Zuschauens und Architekturtheorie
Literatur
Filmographie
Abbildungsverzeichnis

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Nathalie Bredella Architekturen des Zuschauens

2009-08-11 12-23-53 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 02f2217886920942|(S.

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Für meine Eltern

Nathalie Bredella ist Architektin. Sie beschäftigt sich mit Entwurfsprojekten zu urbanen Räumen und digitalen Entwurfsmethoden und forscht zur Konstruktion und Wahrnehmung von Räumen in Architektur, Film und neuen Medien.

2009-08-11 12-23-53 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 02f2217886920942|(S.

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Nathalie Bredella Architekturen des Zuschauens. Imaginäre und reale Räume im Film

2009-08-11 12-23-53 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 02f2217886920942|(S.

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2009 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Filmstill aus: Gold Diggers of 1933 Lektorat & Satz: Nathalie Bredella Korrektorat: Adele Gerdes, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-1243-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

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INHALT Danksagung

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1.

Einleitung

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2.

Die für die Arbeit zentralen Konzepte und Begriffe

13

2.1. Architektur und Film

13

2.2. Das Verhältnis zwischen imaginären und realen Räumen

19

2.3. Illusionsbildung bei der Filmrezeption

21

2.4. Psychische Räume

28

2.5. Unterschiedliche Raumbegriffe

30

2.6. Inszenierungen in Backstage-Filmen

32

2.7. Die Bedeutung von Atmosphären für die Raumwahrnehmung

34

2.8. Die kontemplative und erhabene Wahrnehmung

36

2.9. Zielsetzungen der Arbeit und methodisches Vorgehen

38

3.

Forschungsstand zum Backstage-Film

3.1. Drei Möglichkeiten der Relation von Stage und Backstage

43 44

3.2. Der Backstage-Film als reflexives Genre

47

3.3. Der Backstage-Film in der feministischen Filmtheorie

48

3.4. Depression und New Deal im Backstage-Film

50

3.5. Der Backstage-Film im Rahmen der Konsumkultur

51

3.6. Filmset und Handlung

52

4.

Die Architektur der Kinos: Die Entwicklung von den Nickelodeons zu den Filmpalästen

4.1. Form und Funktion der Nickelodeons

55 58

4.2. Die Wirkung der Kinopaläste auf die Filmzuschauer

61

4.3. Kinopaläste als »Orte der Zerstreuung« (Siegfried Kracauer)

70

4.4. Die Rückgewinnung der imaginären Räume des Films

72

5.

Imaginäre und reale Räume in ausgewählten Backstage-Filmen

5.1. Die Entwicklung Ziegfelds zum »Glorifier of the American Girl«

75 76

5.1.1 Die filmische Darstellung der Weltausstellung

77

5.1.2 Die Architektur von Bühnen- und Zuschauerraum

80

5.1.3 Backstage-Räume und ihr Verhältnis zur Bühne

83

5.1.4 Die Ästhetik der Ziegfeld-Bühne

86

5.1.5 Das Auflösen der Grenzen zwischen Stage und Backstage 93 5.2. Die Formensprache in Gold Diggers of 1933: Gesellschaftskritik und das Spiel der Ornamente

95

5.2.1 Der Einbruch der Realität in den imaginären Raum der Bühne 5.2.2 Inszenierung in den Backstage-Räumen

95 97

5.2.3 Inszenierung auf der Stage: der Times Square in »Forgotten Man« 5.2.4 »Pettin’ in the Park«: die Lust am Schauen

103 106

5.2.5 Das Spiel der Ornamente in Busby Berkeleys »Shadow Waltz« 5.3. Warenästhetik und Handlungsräume in Ziegfeld Girl

107 116

5.3.1 Hollywoods zeitgenössische Veröffentlichungen zur Werbung 5.3.2 Der identifikatorische Blick

116 124

5.3.3 Kaufhäuser, Theater- und Kinopaläste als Orte der Konsumkultur

126

5.3.4 Sheilas Apartment als Raum der Konsumkultur und Konsumkritik 5.3.5 Das Spiel mit Atmosphären in Ziegfeld Girl

132 134

5.4. Filmische Mittel bei der Gestaltung von Übergängen in Footlight Parade

136

5.4.1 Die Inszenierung des Blicks in Footlight Parade

136

5.4.2 Parallelmontage von Handlungsräumen

141

5.4.3 Die symbolische Bedeutung der Produktion von prologues 5.4.4 Übergänge in den Musical-Nummern

6.

Zusammenfassung und Ausblick: die Architektur des Zuschauens im Kontext der neuen Medien

6.1. Die Ziegfeld-Bühne

142 143

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6.2. Wechselwirkungen zwischen den Räumen der Stage und der Backstage in Gold Diggers of 1933 6.3. Die Verselbständigung der Choreographien Busby Berkeleys

153 153

6.4. Stage- und Backstage-Räume im Rahmen der Konsumkultur und der Handlung

154

6.5. Konstruktion und Dekonstruktion von Sinnzusammenhängen

155

6.6. Die Architektur der Kinopaläste

157

6.7. Realistische und anti-realistische Theorien des Films

157

6.8. Architektur des Zuschauens und Architekturtheorie

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Literatur

167

Filmographie

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Abbildungsverzeichnis

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Danksagung Mein Dank gilt insbesondere meinen Betreuerinnen Prof. Dr. Margitta Buchert und Prof. Dr. Christiane Funken für ihre Hilfe, konstruktive Kritik und Anregungen. Danken möchte ich vor allem auch Prof. Dr. Gerd de Bruyn, Prof. Finn Geipel, Prof. Dr. Susanne Hauser und Prof. Hilde Léon für hilfreiche Gespräche und inspirierende Kritik. Im Weiteren bedanke ich mich bei Tim Heide und seinem Lehrstuhl sowie bei meinen Studentinnen und Studenten, mit denen ich das Thema »Film und Architektur« diskutieren konnte, bei Prof. Dr. Harry Francis Mallgrave und Prof. Dr. Shusterman, die es mir ermöglichten, Ideen der Arbeit im Rahmen der Bauhaus Kolloquien in Weimar zu präsentieren, bei denen ich wichtige Denkanstöße für meine Arbeit erhalten habe. Beim DAAD möchte ich mich bedanken, dass er einen Forschungsaufenthalt in den USA ermöglichte, und bei Prof. Diane Lewis, die mich während des Aufenthalts großzügig unterstützte. Bedanken möchte ich mich bei Adele Gerdes und Dr. Sean Novak für die sorgfältige Korrektur des Manuskripts und bei Holger Busse, Susan Draeger, Katrin Lahusen und Carl Zillich für Kritik und Unterstützung. Besonders möchte ich meiner Familie und meinen Eltern für ihre Hilfe und ihr Vertrauen in meine Arbeit danken.

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1. Einleitung Zwischen Architektur und Film gibt es eine enge Beziehung, wenn es um die Konstruktion und Wahrnehmung von Räumen geht. Es besteht jedoch auch ein entscheidender Unterschied: Architektonische Räume sind dreidimensional und der Betrachter kann sich in ihnen bewegen. Filmräume dagegen sind zweidimensional, und der Zuschauer kann sie nicht körperlich betreten. Er befindet sich mit seinem Körper in einem anderen Raum, dem Kino, während er die unterschiedlichsten Räume auf der Leinwand imaginativ betreten kann. Ich suche diesen anthropologisch signifikanten Sachverhalt mit dem Begriff der »Architektur des Zuschauens« zu erfassen.1 Gegenwärtig wird der Begriff »Architektur des Zuschauens« von einigen Medien- und Architekturtheoretikern in Frage gestellt. Sie vertreten die These, dass die neuen Medien und die digitalen Technologien die Differenz zwischen dem Bild eines Gegenstandes und dem Gegenstand selbst einebnen und damit auch die zwischen imaginären und realen Räumen. So heißt es bei Jörg H. Gleiter über die Architekturtheorie heute, dass die digitalen Technologien eine »Liquidierung der Grenze zwischen Objekt und Bilderwelt« (Gleiter 2005: 3) bewirken und dadurch »Formen der Gegenstandslosigkeit« (ebd.: 1) erzeugen. Sind jedoch diese Auffassungen zutreffend? Wie immer man sich zu ihnen verhält, sie zeigen an, dass es sich bei der Architektur des Zuschauens um grundsätzliche Fragen für die Architektur und für das menschliche Selbst- und Weltverständnis handelt. Auf die Frage, ob und gegebenenfalls inwieweit die neuen Medien und digitalen Technologien die Differenz zwischen realen und imaginären bzw. virtuellen Räumen aufheben, werde ich insbe-

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In ihrem Buch The Virtual Window: From Alberti to Microsoft gebraucht Anne Friedberg den Begriff »Architecture of spectatorship«. In ihrem Beitrag zu dem von Gertrud Koch herausgegebenen Band Umwidmungen: Architektonische und kinematographische Räume wird dieser Begriff mit »Architektur des Zuschauens« übersetzt. Unabhängig von dem Begriff »Architektur des Zuschauens« haben sich bereits eine Reihe von Autorinnen und Autoren mit dem Sachverhalt, der mit diesem Begriff angesprochen ist, beschäftigt (vgl. dazu Kapitel 2.2 über das Verhältnis zwischen imaginären und realen Räumen und Kapitel 2.3 über die llusionsbildung bei der Filmrezeption).

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Architekturen des Zuschauens sondere im Schlusskapitel der vorliegenden Arbeit eingehen. Es sei hier jedoch schon angemerkt, dass es zwar zutreffend ist, dass es durch die neuen Medien schwerer wird, die Differenz zwischen dem Bild eines Objekts und dem Objekt selbst zu erfassen, dass aber der Unterschied zwischen beiden für unsere Orientierung in der Welt von entscheidender Bedeutung ist. Doch zunächst gilt es, die Architektur des Zuschauens in ihren vielfältigen Dimensionen bei der Interpretation von Raumkonstruktionen und Raumwahrnehmungen in Backstage-Filmen darzustellen. Der Backstage-Film ist für das Verständnis von imaginären und realen Räumen besonders aufschlussreich, weil das Verhältnis dieser beiden Räume seine Struktur bestimmt und er es aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet. Wie der Name Backstage-Film bereits erkennen lässt, wendet er sich den ›realen‹ Räumen hinter der Bühne zu, aber dies geschieht vor allem deshalb, weil die imaginären Räume der Stage eine besondere Faszination auf die Zuschauer ausüben. Als Backstage-Filme werden die Filme bezeichnet, die die Unterhaltungsindustrie am Times Square in New York im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts darstellen und die in den 1930er und 1940er Jahren produziert worden sind. Zu den Räumen der Backstage gehören aber nicht nur die Probenräume und Büros, in denen über Intentionen und Wirkungen der Bühnenkonstruktionen gesprochen und diskutiert wird, sondern auch die Apartments der Protagonistinnen und Protagonisten sowie Kaufhäuser und Nachtclubs. Ferner gehört zu ihnen der Raum um den Times Square selbst mit seiner Neonreklame als »Great White Way«. Gegen das Vorhaben, das Verhältnis von imaginären und realen Räumen in Backstage-Filmen zu untersuchen, kann der Einwand erhoben werden, dass auch die ›realen‹ Räume der Backstage imaginäre Räume sind, weil sie auf der Leinwand als zweidimensionale Räume erscheinen. Dieser Hinweis ist zwar zutreffend, aber er erfasst nicht, dass es aus der Innenperspektive der Filme um die komplexe Relation zwischen den Räumen der Stage und der Backstage geht und dass sich die Bedeutung dieser Filme aus diesem Verhältnis ergibt. Von den Fragen, die sich aus dieser Relation ergeben, will ich hier einige erwähnen: Kommt in den Räumen der Backstage das zur Geltung, was auf den Räumen der Bühne ausgespart wird? Wie unterscheiden sich Darstellungen der Räume auf der Bühne von denen hinter der Bühne? Werden unterschiedliche filmische und architektonische Mittel eingesetzt, um die beiden unterschiedlichen Räume zu kennzeichnen? Unterscheidet sich das Frauenbild auf der Bühne von dem, das in den Räumen hinter der Bühne zur Darstellung kommt? Stellen die Räume auf der Bühne eine Wunschwelt dar, während in denen hinter der Bühne die Reali-

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Einleitung tät und die Welt des Alltags zur Darstellung kommt? Geht es in den Räumen auf der Bühne um die Überwältigung durch Sinnesreize und in denen hinter der Bühne um das Verstehen von Handlungen? Welche Wirkungen werden auf der Bühne intendiert, und welche kommen tatsächlich zustande? Wird der Mythos der Unterhaltungsindustrie am Times Square in den Räumen auf der Bühne aufgebaut und in denen hinter der Bühne de-mystifiziert? Welche Einsichten ergeben sich für den Filmzuschauer im Gegensatz zum Theaterzuschauer, der nicht hinter die Kulissen schauen kann? Es wird sich zeigen, dass diese Fragen nicht generell für den Backstage-Film beantwortet werden können, sondern dass jeder der ausgewählten Filme seine eigene Sicht- und Darstellungsweise entwickelt. In der vorliegenden Arbeit werde ich vor allem darauf eingehen, wie mit architektonischen und filmischen Mitteln die Räume der Stage und Backstage konstruiert und wie sie zueinander in Beziehung gesetzt werden. Dabei wird deutlich, dass die Bedeutung und Funktion der jeweiligen Räume nicht in ihnen selbst liegt, sondern sich aus ihrem Verhältnis zueinander ergibt. Zudem wird sich zeigen, dass ein und derselbe Raum nicht auf eine Bedeutung und Funktion festgelegt werden kann, sondern dass diese sich im Verlauf des Films verändern. Welche Bedeutung ein Raum erhält, hängt auch, wie wir sehen werden, von dem Vorverständnis der Filmzuschauer ab. An einigen Stellen werde ich näher darauf eingehen, wie es zu unterschiedlichen Interpretationen kommt. Zum Aufbau der Arbeit: In Teil 2 werde ich die für die Arbeit relevanten Konzepte und Begriffe einführen. Zu ihnen gehört die Unterscheidung zwischen realen und imaginären Räumen. Hier ist es sinnvoll, den Begriff der Illusion, der in der Filmtheorie eine wichtige Rolle spielt, genauer zu bestimmen, und ihn von dem Begriff des Imaginativen abzugrenzen. Ferner werde ich die Begriffe Raumwahrnehmung, psychischer Raum, Inszenierung, Atmosphäre und kontemplative bzw. erhabene Wahrnehmung erörtern. Überlegungen zu den Zielsetzungen der Arbeit und zum methodischen Vorgehen schließen diesen Teil ab. In Teil 3 werde ich einen Forschungsüberblick zum Backstage-Film geben, und in Teil 4 die Entwicklung von den Nickelodeons zu den Filmpalästen darstellen und auf die dadurch bedingte Veränderung des Stadtraums eingehen. In Teil 5 werde ich die ausgewählten Filme unter den angegebenen Zielsetzungen interpretieren und im Schlussteil die Erkenntnisse meiner Arbeit und deren Bedeutung für die Architektur darstellen.

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2. Die für die Arbeit zentralen Konzepte und Begriffe

2.1. Architektur und Film Der Film hat mit seinen Mitteln – Kameraeinstellungen, Beleuchtung und Montage – die Möglichkeit, Räume auf unterschiedliche Weise ins Bild zu setzen und neue Räume zu schaffen, die nur auf der Leinwand existieren. Gleichzeitig ist der Film aber auch dafür geeignet, die Welt ›abzubilden‹. So sind Filmemacher in den 1920er Jahren von der Möglichkeit fasziniert, die schnelllebige moderne Großstadt in bewegten Bildern zu erfassen. Der Blick dieser Filme richtet sich auf neue Formen des Verkehrs und die städtebaulichtechnischen Erscheinungsformen (Lichtreklame, Wolkenkratzer). Diese Darstellungen haben auch Rückwirkungen auf die Architektur. Der Architekt Robert Mallet Stevens schreibt aus der Zeit, in der die Backstage-Filme entstanden: »Unzweifelhaft hat das Kino einen markanten Einfluss auf die Architektur, im Gegenzug bringt die moderne Architektur aber ihre künstlerische Seite mit ins Kino ein. Moderne Architektur dient nicht nur dem kinematographischen Szenenaufbau (décor), sondern drückt auch der Inszenierung (miseen-scène) ihren Stempel auf, sie bricht aus ihrem gewohnten Rahmen aus; Architektur ›spielt‹.« (Stevens in Vidler 1992: 25) Mit Recht betont Stevens, dass es sich hier um eine Wechselwirkung zwischen Film und Architektur handelt. Der Film hat einerseits die Fähigkeit, Realität abzubilden, aber gleichzeitig formt er Realität, indem er sie mit seinen Mitteln entwirft. In Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit (1935-1936) sieht Walter Benjamin einen Zusammenhang zwischen der Wahrnehmung der Architektur in der Großstadt und der des Films. Beide Medien werden in einem Zustand der Zerstreuung rezipiert (vgl. Benjamin 1977: 40). Zerstreuung ist für Benjamin die Form der Erfahrung, die zufällig, beiläufig und unbewusst erfolgt. Im Gegensatz zur Betrachtung der Skulptur und der Malerei, die vom Betrachter Sammlung verlangt, ist die Alltagswahrnehmung der in der Großstadt arbeitenden Menschen und des

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Architekturen des Zuschauens Flaneurs durch Zerstreuung gekennzeichnet. Arkaden, Bahnhöfe, Kaufhäuser, Ausstellungshallen verkörpern eine neue Geographie der Moderne. Es sind Orte des Übergangs, des Transits, und der Film ist nicht nur besonders geeignet, das veränderte Sehen, das mit diesen architektonischen Formen verbunden ist, einzufangen, sondern ist mit der schnellen Abfolge von Bildern selbst eine Form der Zerstreuung. Insofern ergibt sich ein inhärenter Zusammenhang zwischen den neuen architektonischen Formen und der Erfindung des Films. Ebenso wie Benjamin sind Siegfried Kracauer (vgl. Kracauer 1977: 311 und Kapitel 4.3) und der Regisseur Sergej Eisenstein (vgl. Eisenstein 1942) von der Dynamik der Großstadt und des urbanen Lebens fasziniert. Für sie gibt es zwischen den Architekturen des Transits und der modernen Unterhaltungsarchitektur Entsprechungen. Beide werden als revolutionär angesehen, weil sie einer neuen Dynamik, die die Welt verändert, Ausdruck verleihen und damit neue ästhetische Erfahrungen ermöglichen. Wiederholt wird auf die Lichtreklame an den Fassaden hingewiesen. In der Nacht scheint es, als lösten sich die Lichter von den Fassaden, so dass diese selbst zu einem Kommunikationsmedium werden. Erich Mendelsohn beschreibt die Wirkung der Lichtreklame am Times Square in New York in Amerika. Bilderbuch eines Architekten 1926 mit folgenden Worten: »Tagsüber füllt sich die Stadt mit Energie, Nachts sprüht sie alles Leben von sich. Im Webnetz der Autolichter, im Lichtruf der Geschäftsreklame, in den Vertikalen der Hochhauslichter.« (Mendelsohn 1926: 25) Die Konturen der Realität lösen sich auf, und das Imaginäre gewinnt an Bedeutung: »Die Konturen der Häuser sind ausgewischt. Aber im Bewusstsein steigen sie noch, laufen einander nach, überrennen sich.« (Ebd.: 44) (S. Abb. 1) Dass eine Verbindung zwischen der Dynamik der Großstadt und des Films hergestellt wird, scheint zunächst überraschend, ist der Filmzuschauer doch an seinen Platz im Kino gebunden. Der Film kann jedoch durch Kameraführung und Montage eine dynamische Raumerfahrung vermitteln. Zunächst will ich jedoch auf die Bedeutung der Bewegung des Körpers für die Raumwahrnehmung hinweisen. August Schmarsow hat bereits Ende des 19. Jahrhunderts die Aufmerksamkeit auf den motorischen Vorgang der Raumdurchschreitung für die Raumwahrnehmung gelenkt (vgl. Schmarsow 1922). Im Vollzug der körperlichen Durchquerung vermittelt sich uns der Raum als eine Folge optischer Eindrücke zu einer Bildsequenz. Raumwahrnehmung bedeutet, dass der Raum körperlich durchlaufen wird, um in seiner räumlichen Präsenz durch verschiedene Lichtverhältnisse, Winkel, Geschoss- und Raumhöhen etc. erfahrbar zu sein. Raum wird als ganzheitliche körperliche Er-

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Konzepte und Begriffe fahrung wahrgenommen. Das wird auch von der Wahrnehmungspsychologie und der Einfühlungsästhetik des 19. Jahrhunderts, wie sie Robert Vischer und Theodor Lipps entwickelt haben, betont. Einfühlung bedeutet nach Lipps, dass dem Betrachter keine objektiv gegebene Wirklichkeit gegenübersteht, sondern dass er sich als »auffassendes Subjekt« in seine Umgebung versetzt und sich in ihr bewegt (vgl. Lipps 1913: 112). Nicht den Dingen selbst kommen bestimmte Bedeutungen und emotionale Qualitäten zu, sondern sie entstehen in ihnen durch die Körper-, Tätigkeits- und Stimmungsgefühle des Betrachters. So wird es möglich, das wahrnehmende Leib-Subjekt als konstitutiven Faktor der Kunst- und Architekturbetrachtung zu verstehen.1 Die phänomenologische Analyse der Raumwahrnehmung macht deutlich, dass der Raum nicht ein Behälter ist, in dem wir uns bewegen und Dinge wahrnehmen, sondern dass wir uns den Raum mit unseren körperlichen Bewegungen erschließen.

Abb. 1. New York Times Square. Erich Mendelsohn (1926). 1

Für eine Diskussion zum Thema der Einfühlung bei der Erfahrung des architektonischen Raums siehe Harry Francis Mallgrave, Eleftherios Ikonomou (Hg.), Empathy, Form and Space. Problems in German Aesthetics, 1873-1893, und Mitchell W. Schwarzer, »The Emergence of Architectural Space: August Schmarsow’s Theory of ›Raumgestaltung‹«. In dem von Robin Curtis und Gertrud Koch herausgegebenen Band Einfühlung. Zu Geschichte und Gegenwart eines ästhetischen Konzepts werden Fragen der Einfühlung ausgehend von Lipps Konzept für zeitgenössische Diskussionen und Konzepte des ästhetischen Erlebens diskutiert.

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Architekturen des Zuschauens Der Film ist in der Lage, dieses dynamische Raumerleben zu steigern. In seinem Essay »Montage and Architecture« aus den späten 1930er Jahren zeigt Sergej Eisenstein im Detail auf, wie der Film mit seinen Mitteln die Zuschauer so einbezieht, dass ihnen eine dynamische Raumerfahrung vermittelt wird. Dabei bezieht er sich auf die Darstellungen von Auguste Choisy über die Akropolis in Athen, die 1899 im Lehrbuch L’Histoire de l’architecture erschienen sind, und empfiehlt, sie mit den Augen eines Filmemachers zu lesen: Daraus ergibt sich, dass der Weg zur Akropolis das perfekte Beispiel für einen prähistorischen Film ist. Die Perspektivzeichnungen Choisys erinnern an filmische Einstellungen und beeinflussen Eisensteins Überlegungen zur Montage, die es ermöglicht, dass sich der immobile Filmzuschauer auf einen imaginären Weg begibt und mehrere Orte und Zeiten durchquert und dabei einzelne Bilder aufeinander bezieht, so dass ein Sinnzusammenhang entsteht: »The Greeks have left us the most perfect example of shot design, change of shot, and shot length […] it is hard to imagine a montage sequence for an architectural ensemble more subtly composed, shot by shot, than the one that our legs create by walking among the buildings of the Acropolis.« (Eisenstein 1989: 117) Eisenstein war auch von Le Corbusier beeinflusst, der, ebenfalls angeregt durch die Lektüre von Choisy, die Gesamtanlage der Akropolis als eine Abfolge von ›Tafelbildern‹ begriff. Dem Betrachter eröffnen sich immer wieder überraschende Perspektiven, weil seine Bewegungen im Raum durch die Architektur gelenkt werden. Le Corbusier setzt jedoch bei seiner Interpretation von Choisys Zeichnungen einen anderen Schwerpunkt als Eisenstein: Einem ›Architektur-Pfad‹ folgend, konzentriert er sich auf die subtilen Körperund Achsenverschiebungen im Lageplan der Akropolis und betont den Vorteil der flexiblen altgriechischen Raum- und Städteplanung gegenüber dem starren Konzept des Historismus (Beaux-Arts). Bei jedem Schritt und bei jedem Perspektivenwechsel werden die einzelnen Baukörper in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander gebracht. Le Corbusiers Konzept der ›promenade architecturale‹ beruht auf Choisys Methode der aufeinander folgenden Perspektiven (vgl. Le Corbusier 1923). Für beide – Le Corbusier und Eisenstein – ist die Akropolis ein prähistorischer Film.2 Durch die Mittel des Films wie Kameraeinstellung und Montage gelingt es dem Film, den Zuschauern den Eindruck zu vermitteln, als bewegten sie sich im Raum. Sie bilden aus den einzelnen Bil-

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Vgl. zu einer ausführlichen Untersuchung über die Beziehung von Le Corbusier und Eisenstein zu den Zeichnungen von Choisy die Bücher von Giuliana Bruno, Atlas of Emotion, und Helmut Weihsmann, Cinetecture: Film, Architektur, Moderne.

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Konzepte und Begriffe dern ein Ganzes, wobei sie auch die Dinge, die jenseits des Bildrahmens liegen, ergänzen. Dabei wird die Zeiterfahrung wichtig. Sie wird als Metrisierung und Rhythmisierung und als Verweildauer oder Geschwindigkeit erfahren (vgl. Koch 2005: 11). Wie der Film mit seinen Mitteln eine Dynamisierung des Raums erreicht und damit den Filmzuschauer nachhaltig affiziert, wird von Erwin Panofsky in seinem Essay »On Movies« von 1936 hervorgehoben: »Es bewegen sich nicht nur die Körper im Raum, der Raum selbst bewegt sich, nähert sich, weicht zurück, dreht sich, zerfließt und nimmt wieder Gestalt an – so erscheint es durch wohlüberlegte Bewegung und Schärfenänderung der Kamera, durch Schnitt und Montage der verschiedenen Einstellungen – nicht zu reden von Spezialeffekten wie Erscheinungen, Verwandlungen, Unsichtbarwerden, Zeitlupen-, Zeitraffer-, Negativ- und Trickaufnahmen. Eine Welt von Möglichkeiten öffnet sich, von denen das Theater niemals träumen kann.« (Panofsky 1993: 23) Entscheidend ist hier die Einsicht, dass der Film, indem er Räume abbildet, neue Räume schafft. Die filmischen Mittel dienen nicht einer objektiven Abbildung, sondern entwerfen Räume. Insofern besteht zwischen Architektur und Film ein dynamisches Verhältnis. Die Schnitttechnik ermöglicht einerseits die Dynamisierung und Verzeitlichung des Raums durch den ständigen Perspektivenwechsel; andererseits entsteht dadurch eine Verräumlichung der Zeit. Panofsky beschreibt, wie damit der Zuschauer ästhetisch in eine ständige Bewegung versetzt wird, während sich sein Auge mit der Kameraperspektive identifiziert. Als sich bewegender Zuschauer, durch Filmsequenz und Schnitttechnik gelenkt, wird er von dem Geschehen ergriffen. Die Kunstgeschichtlerin Regine Prange macht auf die expressionistischen Züge dieser Raumcharakterisierung mit dem Verweis auf den Architekten Bruno Taut aufmerksam: »Die Eigenbewegung des Raumes und seiner Elemente erinnert bis in die Wortwahl hinein an Tauts Filmphantasien ›Der Weltbaumeister‹ (1920) und findet sich noch in Klees Idee einer Genesis des Werkes.« (Prange 1994: 183) Veränderungen von Farbe und Licht führen zu bewegten Formen, die sowohl in der Architektur als auch im Film ihren Ausdruck finden. Nach Prange sind diese Formen schon in Schmarsows dynamischem Raumbegriff angelegt. Die Möglichkeiten der Kamera – Vergrößern, Verkleinern, Dehnen, Strecken, Isolieren und das Entdecken neuer Eigenschaften der Materie in bekannten Strukturen – sind nach Benjamin Mittel der filmischen Raumgestaltung, die Aufschluss über Raum- und Formphantasien geben. Der Film besitzt die unübertreffliche Gabe, das zu erfassen, was Benjamin das »Optisch-Unbewusste« einer Formgestalt nennt (vgl. Benjamin 1977: 36). Für ihn schärft und vertieft die unbewusste Optik des Films unsere Wahrnehmung und

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Architekturen des Zuschauens fördert somit eine Art der Analyse unserer Wahrnehmung, die man mit Freuds »Zur Psychopathologie des Alltagslebens« vergleichen kann. Filmwahrnehmung bedeutet somit nicht nur, dass wir Räume wahrnehmen können, in denen wir uns nicht mit unserem Körper befinden, sondern dass die Filme unseren imaginären Räumen Gestalt verleihen und wir damit Gelegenheit bekommen, uns ihnen aus der Distanz des Filmzuschauers zuzuwenden. In seinem Aufsatz »Die Explosion des Raumes: Architektur und das Imaginäre im Film« gibt Anthony Vidler einen Überblick über die vielfältigen Beziehungen zwischen Architektur und Film. Eine Beziehung ergibt sich für ihn schon dadurch, dass Architekten bei Filmbauten mitwirken, weil sie sich dabei Anregungen für ihre eigene Arbeit als Architekten erhoffen. Dabei ist für sie von besonderem Interesse, dass Räume im Film so entworfen werden, dass sie auf die soziale und psychische Verfassung ihrer Bewohner hinweisen und mannigfache symbolische Bedeutungen annehmen.3 In der Einführung zu der Anthologie Filmarchitektur: Von Metropolis bis Blade Runner betont Dietrich Neumann, dass die Filmarchitektur vielfältige Funktionen erfüllen kann. Sie kann auch als Rezeptionsgeschichte der Architektur gelesen werden (vgl. Neumann 1996: 8). Wichtiger erscheint mir jedoch, dass sie als Wegbereiter für architektonische Trends und als eine Art Experimentierfeld für innovative Ansätze gelten kann. In diesem Sinne sind auch die vielfältigen Bühnenkonstruktionen in Backstage-Filmen relevant. Sie sind Ausdruck einer experimentellen Haltung. Auch wenn es in einigen Fällen darum geht, den Erwartungen der Zuschauer zu entsprechen, werden die Filmzuschauer mit ungewöhnlichen Raumkonstruktionen konfrontiert. In dem von Gertrud Koch herausgegebenen Band Umwidmungen, in dem Beiträge der Tagung »Der Akt der Aufführung im kinematografischen Raum« veröffentlicht sind, wird nicht nur deutlich, wie Räume in der Architektur und im Film sich wechselseitig beeinflussen, sondern auch, wie die Zuschauer an der Sinnbildung beteiligt sind und die einzelnen Bilder zu einer einheitlichen Raumerfahrung synthetisieren. In seinem Aufsatz »Architekturen des Films« interpretiert Martin Seel den Spielfilm als eine architektonische Kunst und hebt die spezifische Räumlichkeit filmischer Bildverläufe hervor. Dabei betont er, dass beide, Architektur und Film, »Künste der Raumbildung« sind, auch wenn in ihnen das Bild jeweils eine unterschiedliche Rolle spielt. Wie die Architektur ist der Film ein Geschehen von

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In ihrem Buch Architekturen aus Zelluloid. Der filmische Blick auf den Raum verfolgt Doris Agotai das Ziel, mit Hilfe filmischer Mittel architektonische Entwürfe und deren Raumwirkungen besser zu verstehen.

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Konzepte und Begriffe und zwischen Räumen und insofern immer das Ereignis eines Raums, der durch Gebäude eröffnet und im Film einer dynamisierten Imagination zugeführt wird (vgl. Seel 2008). Die vorangegangenen Ausführungen haben deutlich gemacht, dass der Begriff Raum Architektur und Film miteinander verbindet und dass der Film durch seine Mittel eine dynamische Raumerfahrung ermöglicht.

2.2. Das Verhältnis zwischen imaginären und realen Räumen Die für die Architektur des Zuschauens konstitutive Unterscheidung zwischen imaginären und realen Räumen beschreibt Josef Früchtl mit folgenden Worten: »Realität, so das Argument, ist definiert durch die subjektive Handlungskompetenz, der Film verweigert sie den rezipierenden Subjekten, also ist das, was er zeigt, seine Welt, nicht real.« (Früchtl 2004: 225) Real sind die Räume, in denen wir körperlich handeln können; imaginäre Räume sind dagegen die auf der Leinwand, die wir physisch nicht betreten können, wie lebensnah sie uns auch erscheinen und wie stark sie uns auch emotional ansprechen. Die imaginären Räume auf der Leinwand sind nicht Wirklichkeit, sondern Darstellung von Wirklichkeit. Daher kann Früchtl sagen: »Der Akt des Wahrnehmens ist real, die Filmbilder (selber) sind wirklich, nicht aber das, was sie zeigen. Die gezeigte, jenseits von Raum und Zeit angesiedelte Wirklichkeit ist anwesend nur in der Imagination, der Phantasie der Zuschauer. Es ist die Verschränkung von Realem und Imaginärem, Wirklichkeit des Wahrnehmungsaktes und Unwirklichkeit des Wahrgenommenen, die Gleichzeitigkeit von (der Form nach) Präsenz und (dem Gehalt nach) Absenz des Filmbildes, die es zu einem imaginären Signifikanten, einem bildhaft idealisierten Bedeutungsträger macht.« (Ebd.: 227) Räume auf der Leinwand wie beispielsweise »das Hochschnellen aus einer Straßenschlucht hinauf auf die Dächer der Wolkenkratzer« existieren nicht außerhalb des Films, aber damit ist ihre Darstellung noch nicht herabgesetzt, sondern sie kann vielmehr unsere volle Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen. In seinem Aufsatz »Art as Dramatization« weist Richard Shusterman darauf hin, dass das englische Wort »to dramatize« bedeutet, wie er dem Lexikon entnimmt, »to ›put something on stage,‹ to take some event or story and put it in the frame of a theatrical performance or the form of a play or scenario. This sense of ›dramatize‹ highlights the fact that art is putting something into a frame, a particular context or stage that sets the work apart from the ordinary stream of life and thus marks it as art.« (Shusterman 2002: 233) Diese Rahmung führt dazu, dass der Rezipient von dem Geschehen physisch ge19

Architekturen des Zuschauens trennt wird, und diese Trennung ist die Voraussetzung dafür, dass er sich in psychischer Hinsicht intensiv auf das Dargestellte einlassen kann, ohne auf seine eigene Sicherheit und seine Interessen zu achten. Das kann auch erklären, warum die imaginären Räume auf der Leinwand als ›wirklicher‹ erfahren werden als reale, in denen wir körperlich anwesend sind. Die von Shusterman entwickelte Auffassung, nach der Kunstwerke etwas auf die Bühne bringen, indem sie sich vom Strom des alltäglichen Lebens abheben und gestalten, wird in BackstageFilmen selbst thematisch. In den Räumen der Backstage wird darüber verhandelt, wie etwas auf die Bühne gebracht und welche Wirkung damit angestrebt werden soll. Insofern ist der Backstage-Film ein reflexives Genre, in dem über Aufführungen reflektiert wird. Die für die »Architektur des Zuschauens« konstitutive Unterscheidung zwischen realen und imaginären Räumen scheint gegenwärtig in Frage gestellt zu werden. In ihrem Buch Ästhetik der Immersion. Raum-Erleben zwischen Welt und Bild. Las Vegas, Washington und die White City beschreibt Laura Bieger ein Phänomen, das die Differenz zwischen realen und imaginären Räumen aufzulösen scheint: immersive Räume. Es handelt sich hier um Räume, »in denen Welt und Bild sich überblenden und wir buchstäblich dazu eingeladen sind, uns in die Welt des Bildes zu begeben und uns in ihr zu bewegen. Und: es sind Räume, in denen sich die Wirklichkeit der Welt und die Wirklichkeit des Bildes in der unmittelbaren Wirklichkeit des Körpers konsolidieren.« (Bieger 2007: 9) Bieger hebt mit Recht die Bedeutung immersiver Räume in unserer Lebenswelt hervor, aber gerade deshalb ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass die Immersion, wie sie sie für Las Vegas beschreibt, für die Rezeption von Filmen nicht gilt. Wie sehr der Filmzuschauer emotional in die dargestellte Welt auf der Leinwand involviert ist, sein Körper befindet sich in einem anderen Raum, und er kann sich mit einem Blick zum Nachbarn vergewissern, dass er sich in diesem Raum und nicht in dem auf der Leinwand befindet. Wenn es nach Früchtl das konstitutive Unterscheidungsmerkmal zwischen realen und imaginären Räumen ist, dass wir nur in jenen handelnd in das Geschehen eingreifen können, scheint diese Unterscheidung nicht mehr für das Internet zu gelten, denn wir können in seinen virtuellen Räumen handeln. Aber auch hier befinden sich die Körper der Benutzer, wie Christiane Funken und Martina Löw verdeutlichen, außerhalb des virtuellen Raums. Die Spieler von Computerspielen gehen nie ganz in den Räumen des Netzes auf. Sie sind nicht im Computer, sondern sitzen vor ihm (vgl. Funken und Löw 2002: 89). Wir können uns im Internet von unserem Körper befreien und eine neue körperlose Identität annehmen, aber nach Shusterman verkennt diese Argumentation, dass wir durch

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Konzepte und Begriffe die Nerven und die Augen unseres zurückgelassenen Körpers die virtuellen Räume wahrnehmen: »Virtual reality is experienced through our eyes, brain, glands, and nervous system. Even in the mediatic fantasy of Gibson’s Neuromancer, cyberspace is savored and suffered sensually through the body (the cyber-cowboy Case emerging physically drained from his escapades in the Matrix).« (Shusterman 2000: 152f.) Die hier angedeutete Diskussion um die Frage nach den imaginären und realen Räumen werde ich am Schluss meiner Arbeit wieder aufgreifen (Teil 6.8). Wolfgang Schivelbusch hat nachdrücklich die Rolle des realen Raums des Kinos für die Erfahrung der imaginären Räume bei der Filmrezeption hervorgehoben: »Erst in der Dunkelheit zeigt sich die Macht des künstlichen Lichtes, ein Stück eigener Realität zu schaffen. […] der Betrachter im Dunkeln ist allein mit sich und dem Lichtspiel, denn im Dunkeln hören die sozialen Beziehungen auf zu bestehen. Dafür öffnet die Dunkelheit umso weiter die Poren der individuellen Wahrnehmung.« (Schivelbusch 1986: 209) Umstritten ist jedoch, wie dieses Verhältnis zwischen imaginären und realen Räumen aus der Perspektive des Zuschauers zu bestimmen ist. Dies wird in dem nächsten Kapitel bei der Auseinandersetzung mit dem Begriff der Illusion besonders deutlich.

2.3. Illusionsbildung bei der Filmrezeption Wiederholt wird in der Geschichte der Filmrezeption davon berichtet, dass Filmzuschauer glauben, nicht Bilder von Menschen und Dingen, sondern diese selbst zu sehen. In dem Film Uncle Josh at the Moving Picture Show (1902) von Edwin R. Porter und Thomas Edison versucht Josh die dargestellten Räume auf der zweidimensionalen Leinwand zu betreten, und muss erleben, dass es ihm nicht gelingt. Das ist für Josh eine desillusionierende Erfahrung. Wird jedoch Filmerfahrung als Illusion im Sinne der Täuschung angemessen erfasst? Glauben wir während der Rezeption, nicht Bilder von Räumen und Menschen, sondern die Räume und Menschen selbst zu sehen, so dass wir desillusioniert sind, wenn sich herausstellt, dass es sich nur um Bilder handelt? In seinem Buch Virtuelle Kunst in Geschichte und Gegenwart. Visuelle Strategien vertritt Oliver Grau die These, dass die Filmzuschauer von den ersten Filmen deshalb so fasziniert waren, weil sie den Eindruck hatten, nicht mit Bildern von Dingen, sondern mit den Dingen selbst konfrontiert zu werden: »So veranlasste die Bewegung des Film-Zuges von ›roher Realität‹ die bestürzten Zuschauer zu panischen Schreien, zur Flucht oder, so zahlreiche Überlieferungen, zur Ohnmacht. Diese Reaktionen waren das Resultat einer 21

Architekturen des Zuschauens erstmals wahrgenommenen Übereinstimmung von Kameraobjektiv und Betrachterauge.« (Grau 2002: 109) Illusion bzw. Immersion bedeutet, dass die Zuschauer glauben, dass der Zug in dem Film der Gebrüder Lumière, Arrivée d’un train en gare Le Ciotat (1895), auf sie zufährt, so dass sie im Extremfall aus dem Kino fliehen. Grau geht von der Vorstellung aus, dass Filmzuschauer die »Architektur des Zuschauens« vergessen, so dass die Illusion entsteht, dass sie körperlich im Filmbild anwesend sind. Da die Zuschauer jedoch eine Distanzierungsfähigkeit entwickeln, müssen Filme wie auch andere Medien, so Grau, ständig nach neuen Möglichkeiten der Illusionsbildung suchen, um die Distanzierungsfähigkeit wieder auszuschalten. Charakteristisch sei deshalb ein »Wettstreit zwischen neuen Illusionsmedien und Distanzierungskräften […], der sich in der europäischen Kunstgeschichte seit dem ausgehenden Mittelalter wieder und wieder manifestiert« (vgl. ebd.: 111). Nach Grau lässt der Film »über das gesamte Jahrhundert in immer neuen Anläufen den Versuch erkennen, die 2D-Leinwandprojektion zu überwinden, um die Suggestionswirkung auf die Betrachter zu intensivieren« (ebd.: 112). Da jedoch in unserer Zeit die Distanzierungskräfte bei den Zuschauern von Filmen gewachsen sind, ruhen für ihn die Hoffnungen auf dem Internet als neuem Medium für die Illusionsbildung (vgl. ebd.: 138ff.). Grau berücksichtigt nicht die grundsätzliche Einsicht, dass Dramatisieren bedeutet, etwas aus dem Lauf der Dinge herauszuheben und auf die Bühne bzw. auf die Leinwand zu bringen, wie wir dies bei Shusterman gesehen haben. Durch diesen Prozess des Dramatisierens entsteht ein imaginärer Raum, der uns ermöglicht, an dem Geschehen intensiv Anteil zu nehmen, gerade weil wir nicht Teil des Geschehens sind. Wenn diese Einsicht in den Bild- und Darstellungscharakter zur ästhetischen Erfahrung gehört, hat der Hinweis, dass es auf der Leinwand gar keine dreidimensionalen Räume gibt, keine entlarvende und desillusionierende Wirkung. Das Wissen um das ›Gemachtsein‹ hebt die Wirkung nicht auf. Das zeigt sich eindringlich bei den Bühnennummern im Backstage-Film. Ihr ›Gemachtsein‹ liegt offen zutage, ohne dass es zu einer desillusionierenden Wirkung auf die Filmzuschauer kommt. Die Apparate-Theorie der 1970er Jahre ging jedoch davon aus, dass die Zuschauer von der Verführungskraft des Kinos befreit werden, wenn aufgedeckt wird, wie mit Hilfe von Apparaten Illusionen erzeugt werden. Für Vinzenz Hediger ist eine solche Auffassung naiv. Der Zuschauer weiß, dass Filme gemacht sind: »Anders als der Zauberer legt der Film seine Tricks stets offen dar, denn der Trick hat auch noch Bestand, wenn er durchschaut ist.« (Hediger 2006: 209) Wie wir sehen werden, informiert die Filmindustrie selbst Zu-

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Konzepte und Begriffe schauer über die technischen Mittel, mit denen Wirkungen erzeugt werden, um deren Interesse an Filmen zu erhöhen. Wenn es offensichtlich ist, dass die Wirkung des Films nicht auf der Illusionsbildung im Sinne der Täuschung beruht, stellt sich die Frage, warum bei der Analyse von Filmen wiederholt auf den Begriff der Illusion zurückgegriffen wird und warum die Geschichte von Zuschauern, die vor den heranfahrenden Zügen aus dem Kino fliehen, immer wieder erzählt wird, obwohl sich für sie keine historischen Belege finden. Hediger vermutet, dass der Erzählende damit zum Ausdruck bringen kann, dass er nicht zu den naiven Menschen gehört, die ein Bild für die Realität halten (vgl. Hediger 2006: 234). Für Karl Sierek erklärt sich die Geschichte von den fliehenden Zuschauern aus dem Kino dadurch, dass die Bilder des Films nicht nur auf unser Bewusstsein, sondern auch auf unseren Körper eine starke Wirkung ausüben und dass diese Geschichten die starke Wirkung von Filmen unterstreichen sollen (vgl. Sierek 2007: 195). Martin Seel bezieht sich ebenfalls auf die Berichte über die Kinoaufführungen der Brüder Lumière am Ende des 19. Jahrhunderts und führt den Begriff der durchschauten und undurchschauten Illusion ein. Bei der durchschauten Illusion staunen die Zuschauer über das Dargestellte; bei der undurchschauten Illusion erschrecken die Zuschauer, weil sie das Dargestellte als reales Geschehen aufnehmen. Das gegenwärtige Action-Kino in den USA, so Seel, arbeitet mit der Ambivalenz zwischen Staunen und Schrecken: Wenn in Spielbergs Lost World (1997) durch akustische Effekte vermittelt wird, dass sich die Dinosaurier aus der Sicht der Zuschauer ›von hinten‹ durch das hohe Gras anschleichen, entsteht der Eindruck, dass das Geschehen sich in der Wirklichkeit des Kinos abspielt. Dennoch werden die Zuschauer nicht aus dem Kino fliehen, weil »das überrumpelnde Ereignis Teil eines eindeutig ästhetischen Wahrnehmungsspiels [ist]« (Seel 2003: 116). Für Anne Friedberg zeigt die Geschichte von dem heranfahrenden Zug die Paradoxie der »Architektur des Zuschauens«. Sie bezieht sich bei ihren Überlegungen auf Tom Gunning, der hervorhebt, dass Filmvorführer Zuschauer dadurch in Erstaunen setzten, dass sie den Übergang von Stasis zur Dynamik hervorhoben. Dabei ging es nicht so sehr darum, Realität vorzutäuschen, als vielmehr darum, den Schock einer geballten Bewegung hervorzurufen (vgl. Friedberg 2006: 156). Nicht die Täuschung, sondern das Hervorrufen bestimmter Effekte steht nach ihrer Sicht im Vordergrund. Nach Früchtl muss der Filmzuschauer nicht vergessen, dass er im Kino sitzt, um von den Wirkungen des Dargestellten beeindruckt zu sein: »Ich weiß (vor der Leinwand oder dem Bildschirm), daß ich Imaginäres wahrnehme, ich weiß, daß ich es bin, der es wahrnimmt, und weiß, daß ich wirklich wahrnehme.« (Früchtl 2004: 229)

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Architekturen des Zuschauens Insofern ist der Begriff der Illusion als Täuschung für das Verständnis von Filmen unangemessen. Wir wissen als Zuschauer, so Früchtl, dass wir »Flüge über das Meer oder den Grand Canyon, das Hochschnellen aus einer Straßenschlucht hinauf auf die Dächer der Wolkenkratzer, das Eintauchen in mikroskopische Bereiche usw.« (ebd.: 230) nicht in einem realen, sondern in einem imaginären Raum erleben. Der Film ist nicht darauf festgelegt, eine reale Welt abzubilden, sondern er kann auch bewusst irreale Welten, die es nur in ihm gibt, zur Darstellung bringen und uns dabei in Erstaunen versetzen. Es zeigt sich hier, dass die Filmzuschauer zwei grundsätzlich unterschiedliche Einstellungen zum Geschehen auf der Leinwand einnehmen können. Beide sind jedoch nicht zutreffend, wenn sie verabsolutiert werden. Die eine Auffassung bejaht den Film, weil er in der Lage ist, die Welt, wie sie außerhalb des Films existiert, wie kein anderes Medium abzubilden und uns nahe zu bringen. Die entgegengesetzte Auffassung betont, dass sich der Film gerade dadurch auszeichnet, dass er mit seinen Mitteln Welten darstellen kann, die es nur auf der Leinwand gibt und die die Filmzuschauer zum Staunen bringen. Ich werde im Schluss meiner Arbeit noch einmal auf diese Thematik zurückkommen, wenn es um eine nähere Bestimmung des Backstage-Films geht. Im Folgenden will ich – und das scheint mir für das Verständnis imaginärer Räume im Film und in der Architektur wichtig – auf Positionen hinweisen, die den aktiven und positiven Charakter von Illusionsbildung hervorheben. Illusion in diesem Sinne bedeutet, dass die Filmzuschauer mitwirken, um aus den zweidimensionalen Bildern auf der Leinwand dreidimensionale Räume entstehen zu lassen. In ihrem Aufsatz »Illusion der Kunst« ist für Andrea Kern Illusionsbildung ein ästhetisches Ideal, das nicht von dem Begriff der Täuschung her verstanden werden kann. Sie orientiert sich bei ihren Ausführungen an Diderot und entwickelt einen normativen Begriff von Illusion. Dabei geht es nicht um Täuschung und Irrtum, sondern um die Kunstfertigkeit, mit der es gelingt, einen intensiven Eindruck hervorzurufen: »Das Gelingen der Illusion ist der Maßstab, an dem sich die Qualität eines Kunstwerks bemisst. Ein Kunstwerk ist dann gelungen, wenn es beim Betrachter eine Illusion bewirkt. Je größer die Illusion beim Betrachter ist, desto gelungener ist das Kunstwerk.« (Kern 2006: 161f.) Man könnte hier jedoch auch den Begriff der gelungenen Darstellung verwenden, um deutlich zu machen, dass nicht etwas vorgetäuscht wird, sondern etwas in Erscheinung tritt, von dem offen bleiben kann, ob es real oder irreal ist. Christiane Voss will in ihrem Aufsatz »Filmerfahrung und Illusionsbildung« Illusion nicht im Sinne der Täuschung verstehen,

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Konzepte und Begriffe sondern orientiert sich bei ihrer Bestimmung der Illusion an Überlegungen von Robert Musil. Es geht bei der Kunst nicht um Täuschung und Irrtum, sondern um das Entstehen einer neuen Wirklichkeit (vgl. Voss 2006: 74-76). Für Musil sind Kunstwerke im Vergleich zu der außerkünstlerischen Wirklichkeit eindrucksärmer und abstrakter, aber dieser Mangel wird dadurch ausgeglichen, dass der Zuschauer die fehlenden Dimensionen von Plastizität und Beweglichkeit projizierend ergänzt und vervollständigt: »Darin ist alle Kunstbetrachtung mehr als eine bloß passive Wahrnehmung, ein kreativ-projizierender Akt und in diesem Sinne illusionsbildend.« (Ebd.: 77) Illusionsbildend bedeutet hier nicht, dass wir einer Täuschung erliegen, sondern dass wir eine Welt in unserer Imagination entstehen lassen, die man als wirklicher erfahren kann als die reale. In Art and Illusion (1960) betont E.H. Gombrich, dass wir bei der Betrachtung von Bildern, die ›in Wirklichkeit‹ aus Strichen, Formen und Farbflecken bestehen, beispielsweise eine Landschaft entstehen lassen. Es kommen somit bei der Rezeption von Bildern zwei Perspektiven ins Spiel. Wir müssen das Bild sowohl unter formalen als auch unter inhaltlichen Perspektiven betrachten, auch wenn wir, wie Gombrich betont, nicht beide zur gleichen Zeit einnehmen können (vgl. Gombrich 2005: 5). Seel betont, dass sich das, was sich im Kunst-Bild zeigt, nur daraus ergibt, wie es sich zeigt (vgl. Seel 2003: 271). Abstrakte Bilder lassen erkennen, dass für Bilder nicht konstitutiv ist, dass sie einen Bezug »auf Gestalten einer realen oder fingierten bildexternen Wirklichkeit voraus[setzen]« (ebd.: 275). Bilder, so Seel, »bieten etwas dar, sie beziehen sich auf etwas, das auf ihrer Fläche sichtbar wird« (ebd.: 258). Es gibt jedoch Bilder, die etwas zusätzlich repräsentieren, und da diese Repräsentation oft sehr eindringlich geschieht, entsteht der Eindruck, dass wir die repräsentierten Dinge wirklich vor uns haben. Das führt zu der Auffassung des Illusionismus. Doch dieser verfehlt, was es bedeutet, ein Bild zu verstehen: »denn nur in sehr seltenen Fällen werden die vom Bild dargebotenen Gegenstände oder Umstände auf Kosten einer Wahrnehmung des Bildmediums (der Bildfläche) wahrgenommen. Und wenn dies geschieht, wird ein Bild gerade nicht als Bild wahrgenommen, sondern als (tatsächliche, außerbildliche) Gegenwart dessen, was im Bild dargestellt wird.« (Ebd.: 279) Der Ball, den wir auf einem Bild sehen, ist weder ein wirklich existierender Ball noch eine Illusion eines Balles. Insofern gehört zum Verstehen eines Bildes die Fähigkeit, »das vom Bild Dargebotene nicht einfach als Gegebenes, sondern als Dargebotenes zu erkennen« (ebd.: 285). Das gilt nicht nur für Bilder, sondern auch für den Film. Wenn in einem Film Vampire auf uns zukommen, haben wir es nicht, so Seel, mit scheinhaften oder illusionären Figuren, sondern mit der Darstellung

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Architekturen des Zuschauens ihrer Bewegung in einem virtuellen Raum zu tun: »Innerhalb der Bildwelt des Kinos kann es vielfach zu undurchschauten oder durchschauten Illusionen kommen, aber diese Bildwelt ist selbst keine illusionäre Welt.« (Ebd.: 115) Auch diese Überlegungen lassen erkennen, dass der Begriff der Illusion im Sinne der Täuschung bei der ästhetischen Wahrnehmung nur sehr vorsichtig gebraucht werden kann. Während wir Bilder als Bilder nur angemessen verstehen können, »wenn die Aufmerksamkeit eine zwischen Bildmedium und Bild-Darbietung ›geteilte‹ Aufmerksamkeit ist, wie groß der Anteil der beiden Aufmerksamkeiten auch jeweils sein mag« (ebd.: 287), liegen bei der Raumerfahrung des Cyberspace keine Bilder vor. Hier handelt es sich um rein visuelle Phänomene: »Im Erscheinungsraum des Cyberspace (der ja prinzipiell nicht allein ein Raum visueller, sondern auch haptischer und akustischer Erscheinungen ist) verliert die Differenz zwischen Bildmedium und Bildinhalt jeden Rückhalt. Erst hier und nur hier wird das Medium unsichtbar. Das Medium ist hier nur ein Programm und eine Apparatur, die zusammen selbständige sinnliche Erscheinungen erzeugen. Die ikonische Differenz verschwindet.« (Ebd.: 288) Aber auch wenn die ikonische Differenz verschwindet, sind wir körperlich nicht in dem virtuellen Raum. Die Architektur des Zuschauens ist weder vom Bild noch vom Cyberspace her zu erfassen, sondern liegt zwischen ihnen. Der Film hat mit dem Bild gemeinsam, dass »er eine auf einer Fläche im Raum sich vollziehende Darbietung ist« (ebd.: 291), aber er besteht nicht aus einer bloßen Abfolge von Bildern; sonst wäre eine Fahrt mit dem Auto entlang von aufgestellten Bildern ein Film (vgl. ebd.: 289). In Anlehnung an Erwin Panofsky betont Seel, dass die entscheidende Differenz zwischen Bild und Film in der »Dynamisierung des Raumes« besteht: »Als grundlegende Operation des Films läßt sich […] die Erzeugung eines virtuellen Bewegungsraumes verstehen. Dabei entsteht eine Differenz zwischen Ereignissen im leiblichen und Ereignissen im bildlichen Raum. Dies ist erneut ein genuines Verhältnis, das weder an die ikonische Differenz des Bildes noch an die situative Differenz des Cyberspace assimiliert werden darf.« (Ebd.: 290f.) Konstitutiv für die Erfahrung von Filmen ist, wie schon oben bei der Architektur des Zuschauens aufgezeigt, »eine Differenz zwischen einem statisch leiblichen und einem dynamischen, nur dem Sehen zugänglichen Raum« (ebd.: 291). Diese Erfahrung der beiden Räume existiert im Cyberspace jedoch nicht mehr. Während ich bei einem Bild auf das Dargestellte im Bildmedium achte, ist diese Zweifachheit »mit dem Eintritt in den Cyberspace simulierter Räume nicht mehr gegeben« (ebd.: 287). Wie sehr uns Filme auch in das Geschehen hineinziehen, wir sind nicht im

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Konzepte und Begriffe Filmraum, sondern vor ihm. Die Räume des Cyberspace werden uns jedoch »in einen virtuellen Raum hineinnehmen, der auf jede Bewegung unseres Körpers mit einer Veränderung seiner Ansichten reagiert« (ebd.). Aber auch hier wissen wir, obwohl sich der Raum durch die Bewegungen unseres Leibes verändert, dass er nicht in diesem Raum anwesend ist. Entscheidend ist hier jedoch für das Verständnis der Filmerfahrung, dass wir unterscheiden können zwischen der Leinwand und dem, was auf ihr präsentiert wird. Ohne die Wahrnehmung dieser Differenz könnten wir keine Bilder sehen (vgl. ebd.: 293). In seiner umfassenden Studie Fetischismus und Kultur. Eine andere Theorie der Moderne zieht Hartmut Böhme den Begriff des Fetischismus heran, um Filmerfahrungen zu verstehen. Er wendet sich gegen die Apparate-Theorie, die glaubt, dass wir vergessen, dass Filme ›gemacht‹ sind, und betont, dass die Fähigkeit des Menschen, sich in imaginäre Räume zu versetzen, kein Defizit, sondern eine Leistung ist. Deshalb kann der Filmzuschauer dem Vertreter der Apparate-Theorie, die ihn aufklären will, entgegenhalten: »Ich weiß das alles wohl – als aufgeklärter Bürger – aber dennoch … gehe ich ins Kino (und lasse mich von Imagines und Imaginationen bezaubern, als sei ich Angehöriger einer Stammeskultur).« (H. Böhme 2006: 478f.) Mit dem Hinweis auf die Stammeskultur will Böhme jedoch nicht zum Ausdruck bringen, dass es sich bei der Filmrezeption um Relikte einer überholten Einstellung handele. Sie ist nicht das Produkt eines zurückgebliebenen Bewusstseins, das der Bildmagie erliegt, sondern ist die Fähigkeit, das Realitätsprinzip vorübergehend auszusetzen. Deshalb wehrt sich Hartmut Böhme gegen die Kulturkritik, die in der Fähigkeit, sich von den im Kino gezeigten Bildern bezaubern zu lassen, nur »Entfremdung und Fetischisierung des Bewusstseins, Passivierung, Illusionierung, Manipulation, Ausbeutung etc.« (ebd.: 479) sieht. Es geht nach seiner Sicht bei der Filmrezeption nicht um »die Ausbeutung prämoderner Residuen«, sondern vielmehr um die Ausdifferenzierung von Fähigkeiten, wie wir sie aus der Religion, den Künsten und den Medien kennen. Dennoch gibt es nach seiner Auffassung ein Problem für den Filmzuschauer: Es besteht darin, dass das Kino als ein einzigartiger Schauplatz »für immersive Erlebnisse von überalltäglichen Gefühlen und Lüsten« den Filmzuschauer nach der Vorstellung »in die Prosa eines durchschnittlichen Alltagslebens entlässt« (ebd.: 480). Insofern gibt es eine Spannung zwischen den imaginären Räumen des Films und den realen, in denen die Zuschauer leben, so dass sie die Fähigkeit ausbilden müssen, zwischen diesen beiden Räumen vermitteln zu können. Die Filmerfahrung kann die lebensweltliche Erfahrung der Filmzuschauer nicht verdrängen, sondern sie muss sie vielmehr in ihren Erlebnis- und Erfahrungshorizont integrieren.

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Architekturen des Zuschauens

2.4. Psychische Räume Der Film ist durch seine Mittel besonders geeignet, Emotionen und Empfindungen von Charakteren in Spielfilmen darzustellen und Emotionen und Empfindungen bei den Zuschauern hervorzurufen. Das hebt bereits Hugo Münsterberg in seiner Studie von 1916 Film: A Psychological Study (dt.: Das Lichtspiel. Eine psychologische Studie) hervor. Eines der wichtigsten Mittel ist für ihn die Großaufnahme, die kaum beobachtbare Gesten herausstellen und damit eindringliche Wirkungen erzielen kann. Es kann somit ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt werden, was sonst auf der Theaterbühne unbeachtet bleiben kann. Die Einsicht über die Wirkungen der Großaufnahme bzw. der Naheinstellung gilt jedoch nicht nur für Gesichter, sondern auch für Ausschnitte aus Räumen. Louis Aragon beschreibt in seinem Essay »On Décor« von 1918, wie der Film mit seinen Mitteln die Möglichkeit besitzt, innere bedrohliche Bedeutungen alltäglicher Objekte durch einfache Naheinstellungstechniken und Kamerawinkel, Licht und Schatten zum Ausdruck zu bringen. Darin besteht für ihn das poetische Potential des Films: »To endow with a poetic value that which does not yet possess it, to willfully restrict the field of vision so as to intensify expression: these are two properties that help make cinematic decor the adequate setting of modern beauty.« (Aragon 1988: 166) Giuliana Bruno weist ebenfalls darauf hin, dass der Film sowohl Emotionen und Affekte der Figuren wiedergeben als auch die Zuschauer emotional affizieren kann (vgl. Bruno 2005: 120). In seinem Buch Kino spüren: Strategien der emotionalen Filmgestaltung vertritt Christian Mikunda die These, dass wir als Zuschauer deshalb ins Kino gehen, weil Filme unsere Emotionen intensivieren und damit unser Lebensgefühl steigern. In einer von Brütsch et al. herausgegebenen umfangreichen Anthologie mit dem Titel Kinogefühle: Emotionalität und Film erforschen die einzelnen Beiträge Kinogefühle aus unterschiedlichen Perspektiven. Dabei zeigt sich, dass einerseits Räume durch die Erfahrungen der Figuren und andererseits Figuren durch Räume charakterisiert werden. In dem Buch Filmarchitektur: Von Metropolis bis Blade Runner hebt Dietrich Neumann diesen Aspekt besonders hervor: »Was viele Architekten damals begeisterte, war die Möglichkeit einer architektonischen Formensprache, die etwa einen Raum einer bestimmten Person, einer Szene, bindend zuordnen konnte und so eine psychologisch aufgeladene, einzigartig bedeutungsvolle Raumkunst schuf.« (Neumann 1996: 7) Auf ähnliche Weise betont der französische Architekt Mallet-Stevens 1929, dass Räume bzw. das Szenenbild der Charakterisierung der Figuren dient: »Das Szenenbild muß den Charakter präsentieren, 28

Konzepte und Begriffe bevor er erscheint, muß seine soziale Stellung verkünden, seine Gewohnheiten, seinen Lebensstil, seine Persönlichkeit.« (MalletStevens in ebd.) In seinem Buch Kino spüren: Strategien der emotionalen Filmgestaltung stellt Mikunda die Frage, warum Menschen ins Kino gehen. Seine Antwort lautet, dass Menschen ins Kino gehen, um sich emotional ansprechen zu lassen und ihr Lebensgefühl zu steigern. Das kann vor allem auch dadurch gelingen, dass der Film die Zuschauer in imaginäre Räume versetzt, in denen sie nicht um ihre Sicherheit bangen müssen, wenn sie gefährliche Situation erleben: »Im ›sicheren‹ Kino, wo man sich den Emotionen auf der Filmleinwand bewußt aussetzt, wird aus dem Gefahrensignal ein als lustvoll erlebter Effekt der Filmsprache.« (Mikunda 1986: 123) Das bedeutet für Mikunda jedoch nicht, dass der Film die Zuschauer in eine Scheinwelt entführt und eine eskapistische und kompensatorische Funktion erfüllt. Kompensatorisch ist er für ihn nur insofern, als wir in einer »kopflastigen Epoche« leben, »wo das Denken und Vorwärtsstreben alles, und das Fühlen und Leben an sich wenig gilt« (ebd.: 224). In seinem Aufsatz »Das Kino und die neue Psychologie« hebt Maurice Merleau-Ponty die Verflechtung von Physischem und Psychischem hervor. Dazu gehört auch, dass die Wahrnehmung nicht atomistisch, sondern ganzheitlich verläuft und dass an ihr nicht nur der visuelle Sinn, sondern alle weiteren Sinne beteiligt sind: »Meine Wahrnehmung ist also nicht die Summe aus visuellen, taktilen und auditiven Gegebenheiten; ich nehme auf ungeteilte Weise mit meinem ganzen Wesen wahr, ich erfasse eine einzige Struktur der Sache, eine einzige Art zu sein, die gleichzeitig zu all meinen Sinnen spricht.« (Merleau-Ponty 1969: 696) Für Merleau-Ponty ist der Mensch auf der Leinwand nicht ein zwei-, sondern ein dreidimensionales Wesen, und das ist keine Illusion im Sinne der Täuschung: »Er [der Film] gibt uns sein Verhalten, sein Betragen; er gibt uns unmittelbar diese besondere Art, in der Welt zu sein, die Dinge und die anderen zu behandeln, was für uns sichtbar ist in den Gesten, dem Blick, der Mimik und was nachdrücklich jede Person, die wir kennen, definiert.« (Ebd.: 701) Damit hängt aufs engste zusammen, dass der Raum im Film nicht der geometrische, sondern der performative Raum ist: »Er ist vielmehr ein Raum, der von mir aus als Nullpunkt der Räumlichkeit erfaßt wird. Ich sehe ihn nicht nach seiner äußeren Hülle, ich erlebe ihn von innen, ich bin in ihn einbezogen. Schließlich ist die Welt um mich herum, nicht vor mir.« (Ebd. 2006: 190) Nach Christine Noll Brinckmann kann der Film erreichen, dass »die Zuschauer sich so stark in die Beobachtung physischer Verrichtungen auf der Leinwand verwickeln, daß ihre eigenen Muskeln

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Architekturen des Zuschauens mitzuspielen beginnen« (Brinckmann 1999: 111). Sie weist auf einige Mittel hin, mit denen der Film diese Wirkungen erzielen kann: »Was dem Kino an realer Aktualität abgeht, wird wettgemacht durch die Möglichkeit, Situationen von allen Seiten zu zeigen und den körperlichen Einsatz der Schauspieler bis ins Einzelne zu verfolgen. Die Distanz, die bei anderen Schaukünsten zum Geschehen auf der Bühne besteht, kann hier durch Nah- und Großaufnahmen aus privilegierten Standpunkten überbrückt werden. Zudem bieten die Dunkelheit des Saales und die Stille im Publikum eine zusätzliche Abschirmung gegen die reale Außenwelt.« (Ebd.: 113) Die intensive Wahrnehmung von imaginären Räumen im Film wird dadurch ermöglicht, dass im Kino die reale Welt weitgehend eingeklammert wird. Aber dieser Unterschied darf nicht dazu führen, dass die Gemeinsamkeiten zwischen der Wahrnehmung imaginärer und realer Räume ignoriert werden. In beiden Fällen wird der Wahrnehmende kreativ-projizierend tätig, und der Filmzuschauer kann nur tätig werden, indem er sein lebensweltliches Vorwissen über Räume in den Rezeptionsprozess einbringt. Nur dadurch wird es auch möglich, dass die Filmzuschauer durch die verfremdete Darstellung von Räumen auf der Leinwand überrascht und irritiert werden können. Die Ausführungen von fast allen Autoren, die ich zur Filmwahrnehmung zitiert habe, betonen die Aktivität des Wahrnehmenden, so dass dieser den Raum nicht als ein Objektives vorfindet, sondern ihn in der Interaktion mit dem, was er vorfindet, entstehen lässt. Das wird durch die Erörterung verschiedener Raumbegriffe noch deutlicher werden.

2.5. Unterschiedliche Raumbegriffe In seinem Buch Die Konstitution der Gesellschaft betont der Soziologe Anthony Giddens, dass wir Raum mit physischen und geometrischen Begriffen nicht ausreichend beschreiben können. Wir können nur erfassen, was eine Wohnung ist, wenn wir ihren jeweiligen spezifischen Gebrauch im menschlichen Handeln kennen (vgl. Giddens 1997: 170). Ein Ort ist für ihn durch eine bestimmte Form der Interaktion gekennzeichnet: »In Orten (›locales‹) wird der Raum als Bezugsrahmen für Individuen verfügbar gemacht, während umgekehrt dieser Interaktionsbezugsrahmen für die Spezifizierung der Kontextualität der Räume verantwortlich ist.« (Ebd.) Martina Löw setzt sich mit Giddens’ Überlegungen zum Raum auseinander und übernimmt einige seiner Überlegungen, aber letztlich distanziert sie sich von seiner Raumtheorie, weil er nach ihrer Auffassung den Raum noch als vorgegebene Umgebung des Menschen versteht. Raum ist für sie eine soziale Konstruktion des Men30

Konzepte und Begriffe schen. So wie die Zeit dadurch entsteht, dass wir mit ihrer Hilfe »die Differenz zwischen Vergangenheit und Zukunft organisieren«, so entsteht der Raum dadurch, dass wir das Nebeneinander von Dingen und Menschen organisieren (vgl. Löw 2001: 9). Wie wir dieses Nebeneinander organisieren, verändert sich geschichtlich. Als ein Beispiel für eine solche Veränderung führt sie die Kommunikation durch neue Medien an. Für Löw entsteht Raum »aus der Anordnung der Menschen und der sozialen Güter«. Er besteht nicht neben den Menschen und sozialen Gütern, sondern wird »in den Handlungsverlauf integriert und damit selbst als ein dynamisches Gebilde gefasst« (ebd.: 13). Der Raum ist nach Löw relativ, wobei relativ jedoch nicht bedeutet, dass jeder Mensch Räume willkürlich konstruieren kann: »Raum konstituiert sich in der Wechselwirkung zwischen Handeln und Strukturen. Damit ist gesagt, daß Räume keineswegs beliebig geschaffen werden, sondern die (An)Ordnungen in der Regel sozial vorstrukturiert sind.« (Ebd.: 191) Zu ihrer Konstitution gehören zwei Aspekte: ein symbolischer und ein materieller. In Anlehnung an Reinhard Kreckel beschreibt sie ein symbolisches Verhalten, »welches an Werten, Normen, Institutionen, Rollenerwartungen etc. orientiert ist und durch Sprache strukturiert wird. Der materielle Aspekt bezeichnet die Wechselwirkung zwischen Handelnden und materieller Umwelt.« (Ebd.: 192) Sie selbst führt als Beispiel an, dass wir eine Treppe nicht als Treppe wahrnehmen, sondern sich diese durch das Material und dessen symbolische Wirkung entfaltet. »Folglich konstituieren sich Räume unterschiedlich, ob eine Marmor- oder eine Holztreppe in die Raumbildung einbezogen ist.« (Ebd.: 193) Was hier über die Treppe gesagt wird, wird nachhaltig bestätigt, wenn wir die Treppe als ein zentrales Strukturmerkmal in den Ziegfeld-Shows verstehen wollen. Vor diesem Hintergrund kann auch verständlich werden, wie Räume in Geschichten aufeinander bezogen werden und dadurch Bedeutungen erhalten. In dem Buch Narratolgy: Introduction to the Theory of Narrative betont Mieke Bal, dass in Geschichten der Gegensatz zwischen Innen und Außen oft eine große Rolle spielt, wobei Innen Schutz und Außen Gefahr bedeuten kann. Diese Bedeutungen liegen jedoch nicht fest, in einem anderen Kontext kann Innen Beschränkung und Gefangenschaft, Außen dagegen Freiheit bedeuten. Auch für ein und dieselbe Person kann sich die Bedeutung eines Raums im Laufe der Geschichte verändern. Oft sind die räumlichen Gegensätze mit psychologischen, weltanschaulichen und moralischen Gegensätzen verbunden. Dann wird der Raum ein wesentliches Moment der Struktur der Geschichte. »For instance high – low, related to favourable – unfavourable, fortunate – unfortunate, is an opposition which Western literature has inherited from biblical

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Architekturen des Zuschauens vision of heaven and hell, and from Latin and Greek mythology. Far – near, open – closed, finite – infinite, together with familiar – strange, safe – unsafe, and accessible – inaccessible are oppositions often encountered.« (Bal 1997: 216) Wir können die Gegensätze nicht verabsolutieren, aber sie sind für die Orientierung unerlässlich und zeigen an, dass Räume nicht nur Behälter, in denen das Geschehen stattfindet, sondern Teil der Handlung sind: »Space thus becomes an ›acting place‹ rather than the place of action.« (Ebd.: 136) Bei meinen Interpretationen der Backstage-Filme wird deutlich werden, dass der Raum selbst ein konstitutives Moment der Handlung ist.

2.6. Inszenierungen in Backstage-Filmen In Backstage-Filmen spielt der Begriff der Inszenierung eine zentrale Rolle. Das ist nicht überraschend, wenn es darum geht, etwas auf der Bühne zur Darstellung zu bringen. Der Begriff der Inszenierung ist mit dem Theater aufs engste verbunden (vgl. Fischer-Lichte 2004: 318ff.). Er spielt aber auch für das Verhalten und Handeln hinter der Bühne eine Rolle. Wie in Soziologie und Kulturwissenschaften wiederholt hervorgehoben wird, müssen wir uns im täglichen Leben inszenieren und Theater spielen, um unsere Ziele zu erreichen. Darauf hat schon Erving Goffman in The Presentation of Self in Everyday Life (1959) hingewiesen. Nicht zufällig lautet der Titel der deutschen Übersetzung: Wir alle spielen Theater. Die Selbstdarstellung im Alltag. In Anlehnung an Goffman hebt Ronald Hitzler hervor, dass wir uns inszenieren bzw. maskieren müssen, weil wir uns nur so anderen verständlich machen können. Inszenierung bzw. Maskierung ist somit nicht Verstellung, sondern eine Grundgegebenheit der ›conditio humana‹. Wir müssen uns maskieren, um von anderen auf eine bestimmte Weise wahrgenommen zu werden, und die anderen müssen sich ebenfalls maskieren. Nur so können wir sie wahrnehmen, wie sie wahrgenommen werden wollen. Maskieren und Inszenieren ist somit die Voraussetzung dafür, dass wir uns verständlich machen und uns verständigen können (vgl. Hitzler 1998: 94). Nach dieser Sicht verbergen wir hinter Masken nicht unser wahres Selbst, sondern erschaffen erst in dem Prozess der Maskierung und Inszenierung unser Selbst: »Wenn die Maske fällt, werden allenfalls andere fremde, befremdliche Eigenschaften sichtbar, die üblicherweise das je gewohnte Sich-Vermitteln und Sich-Verständigen zwischen Menschen (nachhaltig) irritieren.« (Hitzler 1999: 97) Die Gefahr bei dieser Bestimmung ist, dass es nur noch Inszenierungen gibt und dabei das Moment der Verstellung und Täuschung, das in 32

Konzepte und Begriffe manchen Kontexten anklingt, gar nicht mehr erfasst werden kann. Bei der Interpretation des Backstage-Films Gold Diggers of 1933 werde ich darstellen, dass in diesem Film offen bleibt, ob die Protagonistinnen Gold Diggers sind oder ob sie nur vorgeben, Gold Diggers zu sein. Erika Fischer-Lichte betont den Druck, mit dem Einzelne und Kollektive mehr oder weniger stark gezwungen werden, sich in unserer Gesellschaft zu inszenieren: »In allen gesellschaftlichen Bereichen wetteifern einzelne und gesellschaftliche Gruppen in der Kunst, sich selbst und ihre Lebenswelt wirkungsvoll in Szene zu setzen. Stadtplanung, Architektur und Design inszenieren unsere Umwelt als kulissenartiges ›Environment‹, in dem mit wechselnden ›Outfits‹ kostümierte Individuen und Gruppen sich selbst und ihren eignen ›Lifestyle‹ mit Effekt zur Schau stellen. Einkaufen wird hier zum ›Shopping-Erlebnis‹, bei dem der Käufer sich als Akteur durch die verschiedenen Szenarien bewegt, die geschickte MarketingStrategen entworfen haben. Man konsumiert nicht nur, sondern stellt den Konsum zugleich aus und dar.« (Fischer-Lichte 2002: 291) Sicherlich lassen sich solche Momente auch in den BackstageFilmen aufzeigen, aber in ihnen gibt es auch Inszenierungen, die darüber hinausgehen und die Freude an dem Spiel der Erscheinungen in einer intensiv erlebten Gegenwart zum Ausdruck bringen. Seel sieht bei dem weiten Begriff der Inszenierung, wie er gegenwärtig oft verwendet wird, die Gefahr, »dass am Ende jedes Handeln innerhalb wie außerhalb der Kunst als Inszenierung (oder als Element von Inszenierung) erscheint« (Seel 2007: 67). Nach seiner Auffassung kann das Inszenieren vielfältige Funktionen erfüllen, aber die wichtigste besteht für ihn darin, dass man vor einem Publikum etwas sinnlich auffällig macht, so dass wir es als gegenwärtig erleben: »Einfach gesagt – weil es uns nach einem Sinn für die Gegenwart unseres Lebens verlangt; weil wir die Gegenwarten, in denen wir sind, auch als spürbare Gegenwarten erleben wollen.« (Ebd.: 72) Gegenwart bedeutet hier nicht die raumzeitlich vorhandenen Objekte, sondern bezeichnet einen Zustand, in dem die Dinge für uns bedeutsam werden und uns angehen. Inszenierungen »stellen etwas in einer Fülle von Möglichkeiten des Wahrnehmens und Verstehens heraus. Sie machen das in und mit ihnen Geschehende für eine Weile auf eine Weise auffällig, in der es hier und jetzt unübersehbar als gegenwärtig erfahren werden kann.« (Ebd.: 73) Während Seel den Begriff der Inszenierung positiv fasst, indem er betont, dass durch sie unsere Gegenwart spürbar wird und wir sie intensiver erleben, bezieht sie Gernot Böhme auf die Waren- und Konsumästhetik und hebt ihren problematischen Aspekt hervor. Nach seiner Sicht ist die kapitalistische Gesellschaft auf Produktionssteigerung angelegt. Das erfordert, dass das Verlangen der

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Architekturen des Zuschauens Konsumenten auf solche Produkte gelenkt wird, die ihre Bedürfnisse nicht befriedigen, sondern Verlangen nach weiterem Konsum erzeugen: »Solcher Art sind vor allem ästhetische Bedürfnisse: sich schmücken, gesehen werden, in Erscheinung treten, das eigene Lebensniveau durch Ausstattung steigern.« (G. Böhme 2006b: 42) In diesem Zusammenhang werden die Eigenschaften einer Ware, die ihr zum Zwecke ihrer Vermarktung aufgesetzt werden, zu ihrem eigentlichen Gebrauchswert: »Sie dienen der Inszenierung der eigenen Person und der Gestaltung des Lifestyles. Dadurch rückt die Warenästhetik in den Mittelpunkt der Ökonomie, und die Ware selbst ist durch einen neuen Wert charakterisiert, der ein Hybrid aus Gebrauchs- und Tauschwert ist: der Inszenierungswert.« (Ebd.) In der bereits erwähnten Studie Fetischismus und Kultur entwickelt Hartmut Böhme eine differenzierte Auffassung von Konsumkultur und Fetisch, auf die ich hier nicht im Einzelnen eingehen kann. Es sei nur erwähnt, dass er den Begriff des Fetischismus aufwertet, so dass er sich nicht, wie schon oben bei der Auseinandersetzung um den Begriff der Illusion ausgeführt, auf ein zurückgebliebenes Bewusstsein sowie auf Manipulation und Entfremdung reduzieren lässt, sondern auch Teil eines modernen Bewusstseins ist und kreative Momente enthält: »Fetische, Idole und Ikonen des Konsums sind zwar kulturindustrielle Produkte, die der kapitalistischen Verwertung unterliegen; zugleich aber sind sie symbolische Schaltstellen von kulturellen Praktiken, Bedeutungen, Imaginationen, die nicht ökonomisch verrechenbar sind, sondern kulturanalytisch ermittelt und interpretiert werden müssen.« (H. Böhme 2006: 345) Konsum erweist sich als ambivalent. In Backstage-Filmen, die oft im Zeichen der Konsumkultur stehen, kann mit ihm auch gespielt werden. Die hier vorgestellten Begriffe der Inszenierung und des Inszenierungswerts sowie des Fetischismus im Bereich des Konsums sind für das Verständnis der Backstage-Filme relevant, wenn in den Stage- und Backstage-Räumen eine Welt des Luxus entworfen wird, die sowohl für die Protagonisten und Protagonistinnen als auch für Zuschauer und Zuschauerinnen ihren Reiz besitzt.

2.7. Die Bedeutung von Atmosphären für die Raumwahrnehmung In seinem Buch Atmosphäre von 1995 betont Gernot Böhme, dass Atmosphären dadurch gekennzeichnet sind, dass bei ihnen die Trennung zwischen Subjekt und Objekt aufgehoben ist: »Die Atmosphäre ist die gemeinsame Wirklichkeit des Wahrnehmenden und des Wahrgenommenen. Sie ist die Wirklichkeit des Wahrgenomme34

Konzepte und Begriffe nen als Sphäre seiner Anwesenheit und die Wirklichkeit des Wahrnehmenden, insofern er, die Atmosphäre spürend, in bestimmter Weise leiblich anwesend ist.« (G. Böhme 1995: 34) Das bedeutet, dass wir unsere Umwelt nicht nur als Gegenstand der Naturwissenschaften, die eine Trennung von Subjekt und Objekt vornehmen, betrachten können, sondern dass wir uns der Frage zuwenden müssen, wie uns die Dinge bestimmen und welche Stimmungen sie in uns hervorrufen: »denn für die Frage, wie wir in der Umwelt leben, ist letztlich entscheidend, wie wir uns befinden, wie wir uns fühlen, also wie wir unsere Umwelt sinnlich erfahren« (ebd.: 14f.). In dieser Auffassung ist auch eine Kritik an derjenigen enthalten, die besagt, dass wir die Dinge und Räume selbst konstruieren und in sie hineinprojizieren, was wir in ihnen empfinden. Die Räume haben ihre eigene Atmosphäre, sonst könnten sie unsere Gefühle und Stimmung gar nicht beeinflussen: »Wenn ich in einen Raum hineintrete, dann werde ich in irgendeiner Weise gestimmt. Seine Atmosphäre ist für mein Befinden entscheidend. Erst wenn ich sozusagen in der Atmosphäre bin, werde ich auch diesen oder jenen Gegenstand identifizieren und wahrnehmen.« (Ebd.: 15) Wir können einen Raum als heiter oder als bedrückend erfahren, selbst wenn wir bei seinem Betreten nicht heiter oder bedrückt sind. Der Begriff der Atmosphäre ist daher weder nur dem Subjekt, noch aber nur dem Objekt zuzuordnen, sondern einem Zwischenbereich, der sich der Subjekt-Objekt-Spaltung entzieht und eine besondere Einstellung erfordert: »Spürbare Präsenz eines Gegenstandes im Raum setzt auch physikalisch voraus, daß der Gegenstand in irgendeiner Weise das umgebende Medium modifiziert oder moduliert. Die Anwesenheit eines Dinges im Raum wird in dem Maße spürbar, als es im Ganzen oder mit bestimmten Eigenschaften zur Abhebung kommt.« (Ebd.: 140) Diese Auffassung enthält aber auch die Implikation, dass man Räume so entwerfen kann, dass sie eine besondere Atmosphäre ausstrahlen, und das geschieht nach Gernot Böhme vor allem in Bühnenbildern. Man kann das Bühnenbild somit von der Seite des Rezipienten und von der Seite des Produzenten betrachten: »Man kann Atmosphären nämlich nicht bloß von der Seite des Subjekts, d.h. also dadurch, dass man sich ihnen aussetzt, studieren, sondern durchaus auch von der Seite der Objekte her, nämlich der Instanzen, durch die sie erzeugt werden. Das Paradigma für diese Betrachtungsweise liefert das Bühnenbild.« (G. Böhme 2006a: 133) Letztlich geht es jedoch immer um den Betrachter, weil sich auch diejenigen, die das Bühnen- und das Filmbild herstellen, an den angestrebten Wirkungen auf ihn ausrichten. Für Seel sind Atmosphären »ein sinnlich und affektiv spürbares und darin existentiell bedeutsames Artikuliertsein von realisierten oder nicht realisierten Lebensmöglichkeiten« (Seel 2003: 152). Sie

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Architekturen des Zuschauens geben somit einer Situation eine charakteristische Gestalt. Als Beispiele führt er an: »Man denke nur daran, wie eine bestimmte Musik die Atmosphäre in einem Raum, wie eine bestimmte Kleidung den Eindruck einer Person, eine bestimmte Architektur den Gestus einer Stadt verändern kann.« (Ebd.: 152) Soweit stimmen die Auffassungen über die Bedeutung von Atmosphären von Seel und Gernot Böhme in der Bestimmung der Bedeutung von Atmosphären überein. Nach Seel legt Böhme jedoch den Begriff der Atmosphäre der Ästhetik generell zugrunde und versteht sie »als Analyse eines ästhetischen Verspürens, das uns unabhängig von den Graden der Bewußtheit orientiert« (ebd. 152f.). Demgegenüber betont Seel, dass es für die ästhetische Wahrnehmung entscheidend ist, »daß etwas in seinem Erscheinen auffällig wird« (ebd.: 153). Insofern ist für ihn atmosphärisches Erscheinen »ein sinnlich-emotionales Gewahrsein existentieller Korrespondenzen« (ebd.). Im Folgenden beleuchte ich einen weiteren zentralen Aspekt der ästhetischen Wahrnehmung, der besonders bei der Interpretation der abstrakten Choreographien von Busby Berkeley relevant wird.

2.8. Die kontemplative und erhabene Wahrnehmung Seel bezeichnet die kontemplative Wahrnehmung auch als erhabene Wahrnehmung. Um seinen Begriff des Kontemplativen bzw. Erhabenen genauer zu bestimmen, will ich ihn mit dem des Erhabenen bei Kant vergleichen.4 Kant begreift das Erhabene im Gegensatz zum Schönen. Das Schöne ist frei von inhaltlichen Bestimmungen und zeigt sich am reinsten im Ornament: »Das Schöne ist das, was ohne Begriffe, als Objekt eines allgemeinen Wohlgefallens vorgestellt wird.« (Kant o.J.: 80) Dieses Wohlgefallen besteht in der Erfahrung der »Harmonie der Erkenntnisvermögen« (ebd.: 91). Wir erfahren in der ästhetischen Erfahrung, so Kant, dass unsere Erkenntnisvermögen zweckmäßig sind, weil mit ihnen gerade kein bestimmter Zweck verfolgt wird (vgl. ebd.: 50). Das Erhabene dagegen entzieht sich unserem Erkenntnisvermögen. Es ist »zweckwidrig für unsere Urteilskraft, unangemessen unserem Darstellungsvermögen und

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Der Begriff des Erhabenen hat eine lange Geschichte und spielt bei Denkern wie Theodor W. Adorno und Jean-François Lyotard eine zentrale Rolle. Der Bezug auf die Geschichte des Erhabenen und dessen Bedeutung für die gegenwärtige Ästhetik kann hier jedoch nicht erörtert werden. Ich beziehe mich nur auf den Begriff des Erhabenen bei Kant, weil er ihm eine entscheidende neue Bedeutung gibt, die zum Verständnis des Erhabenen bei Seel als Hintergrund, von dem sie sich abhebt, mitgedacht werden muss.

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Konzepte und Begriffe gleichsam gewalttätig für die Einbildungskraft« (ebd.: 135). Während das Schöne dem Menschen angemessen ist, entspringt das Erhabene »einer augenblicklichen Hemmung der Lebenskräfte« (ebd.: 134). Wie kann dieses negative Gefühl, das unser Fassungsvermögen überschreitet, positiv werden und Energien freisetzen? Es kann es dadurch, dass die überwältigenden Mächte, zu denen Naturgewalten wie Orkane, Überschwemmungen und Vulkane gehören, zwar unser sinnliches Selbst zerstören können, aber dabei unser unzerstörbares übersinnliches, intelligibles Selbst wachrufen. Hartmut Böhme sieht die außerordentliche Bedeutung des Erhabenen bei Kant darin, dass die Erfahrung der Schwäche »zum Anlasser eines Prozesses der Selbstbewußtwerdung als intelligibles Vernunft-Subjekt« wird (H. Böhme: 163). Das Erhabene ist daher lustvoll, da es gerade zeigt, dass die Mächte, die das sinnliche Selbst zerstören können, über das übersinnliche Selbst keine Gewalt haben. Der Mensch kann sich somit ganz im Sinne der Philosophie der Aufklärung von allen sinnlichen Gegebenheiten unabhängig machen und sich autonom selbst bestimmen: »Hier wird das Pathos der Aufklärung spürbar – einer Befreiung von naturwüchsigen Mächten, die vor allem durch das Tor der Angst in den Menschen einfallen und ihm die Möglichkeit intellektueller wie praktischer Selbstbestimmung nehmen.« (Ebd.) War die Erfahrung des Erhabenen bei den Denkern vor Kant dadurch gekennzeichnet, dass der Mensch als ein endliches Wesen die naturwüchsigen Mächte nicht nur fürchtete, sondern auch ihre Größe bewunderte, so dass ein ›gemischtes‹ Gefühl entstand, so besteht jetzt die Bedeutung darin, dass sich der Mensch diesen Mächten nicht mehr unterordnet, sondern sich gerade durch sie seiner Autonomie und Stärke bewusst wird.5 Die metaphysische und moralische Dimension in dem Begriff des Erhabenen bei Kant wird von Denkern im 20. Jahrhundert nicht übernommen. Das gilt auch für Seel, der die Begriffe des Schönen und Erhabenen bei Kant aufgreift und ihnen eine neue Bedeutung gibt. Während wir in der korresponsiven Wahrnehmung, 5

H. Böhme stellt der Konzeption des Erhabenen bei Kant die entgegengesetzte Konzeption des Erhabenen bei Novalis gegenüber. Während nach Kant im Erhabenen das intelligible Selbst über die mächtige Natur triumphiert, besteht nach Novalis das Erhabene in der »identitätsauflösende[n] Macht des Anderen« (Böhme 1989: 187). Auch Adorno betont, dass das Erhabene nicht in der Autonomie des Selbst, sondern in der Erfahrung seiner Grenzen besteht: »Weniger wird der Geist, wie Kant es möchte, vor der Natur seiner eigenen Superiorität gewahr als seiner eigenen Naturhaftigkeit. Dieser Augenblick bewegt das Subjekt vom Erhabenen zum Weinen.« (Adorno 1970: 410) Das Erhabene liegt hier nicht in der Überwindung, sondern in der Anerkennung des sinnlichen Selbst.

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Architekturen des Zuschauens die sich am Schönen orientiert, die Dinge existentiell auf uns beziehen, verlieren sie in der kontemplativen bzw. erhabenen Wahrnehmung ihren Sinn. Kontemplativ bzw. erhaben ist die radikale Distanzierung von Vertrautem und Sinnhaftem: »Der Augenblick ästhetischer Kontemplation ist ein Augenblick der rücksichtslosen Aufmerksamkeit für etwas, das durch die Art seiner Wahrnehmung aus jeder denkbaren praktischen und intellektuellen Kontinuität herausgerissen wird.« (Seel 1996b: 134) Das Kontemplative lässt uns somit einen sinnfreien Raum erfahren und ist Befreiung von der Lebenspraxis, in der wir die Dinge auf uns beziehen: »Also können wir Kontemplation auch einfach als interesselose sinnliche Wahrnehmung definieren.« (Seel 1996a: 51) In der Kontemplation lassen wir uns auf die individuelle sinnliche Gestalt von Dingen ein, ohne an ihre Bedeutung für uns zu denken: »Ihr radikaler Sinn für das Besondere beruht in einem eigenartigen Vermögen zur Abstraktion: zur Abstraktion von den Absichten und Affekten, die die Aufmerksamkeit in aller nicht kontemplativen Wahrnehmung lenken.« (Ebd.) Daher kann Seel auch sagen: »Kontemplation ist die ästhetische Scheidung der Sinne vom Sinn.« (Ebd.) In der Kontemplation werden die Dinge um ihrer selbst willen wahrgenommen: »Der Sinn für die phänomenale Schönheit der Dinge verwandelt sich in das erhabene Bewusstsein einer Welt ohne Sinn.« (Ebd.: 47) Dieses Zitat lässt schon anklingen, wie Seel das Erhabene im Gegensatz zum Atmosphärischen bestimmt. Es geht bei ihm nicht um sinnhafte Gestaltung, sondern um sinnabstinente Aufmerksamkeit für das Spiel der sinnlichen Erscheinungen: »Erhaben ist demnach die Erfahrung des reinen Augenblicks – eines Augenblicks, in dem die Kontinuität des Sinns durchbrochen ist, eines Augenblicks, der außerhalb der pragmatisch gerichteten, nach Zukunft und Vergangenheit hin gegliederten Zeit steht. In diesem ästhetischen Augenblick tritt real oder imaginär Gegebenes in sinnfremder Phänomenalität hervor.« (Seel 1996b: 132f.) Ich habe hier die Besonderheit der kontemplativen bzw. erhabenen Wahrnehmung hervorgehoben, weil sie eine Möglichkeit bietet, wie ich zeigen werde, die Choreographien Berkeleys angemessen zu deuten.

2.9. Zielsetzungen der Arbeit und methodisches Vorgehen 2.9.1. Vor dem Hintergrund der in der Einleitung vorgestellten zentralen Konzepte und Begriffe will ich die Zielsetzungen meiner Arbeit über die imaginären und realen Räume in Backstage-Filmen kurz skizzieren. Das Hauptziel der Arbeit ist, an der Schnittfläche zwischen Architektur und Film aufzuzeigen, wie die Räume der 38

Konzepte und Begriffe Stage und der Backstage mit unterschiedlichen architektonischen und filmischen Mitteln entworfen werden und wie die Zuschauer angeregt werden, die jeweiligen Räume aufeinander zu beziehen. Diese allgemeine Zielsetzung führt zu einer Reihe untergeordneter Zielsetzungen: a) Die Ziegfeld-Bühne sucht mit ihrem Material-Exzess den Theaterbesuch auch für die Mittelschichten attraktiv zu machen und die Zuschauer zu überwältigen. Daher stellt sich die Frage, wie die Bühne entworfen wird, welche Materialien und architektonischen Mittel eingesetzt werden, um diese Wirkung zu erzielen, und wie das räumliche Verhältnis zwischen Zuschauer- und Bühnenraum von Ziegfeld konzipiert wird. Für das Verständnis der ZiegfeldBühne in den Filmen The Great Ziegfeld und Ziegfeld Girl gehört aber auch, was in den Räumen der Backstage über die Intentionen und Wirkungen dieser Bühnenräume gesagt wird und wie es entweder bejahend oder kritisch kommentiert wird. Um die ZiegfeldBühne zu verstehen, werde ich daher auch das Verhältnis von Stage und Backstage im Einzelnen untersuchen, um die Wirkung der Bühne auf die Filmzuschauer zu verstehen. Hier wird auch deutlich, dass die Erforschung der Architektur des Zuschauens zwischen dem Theater- und dem Filmzuschauer unterscheiden muss. Dieser ist im Gegensatz zu jenem über das, was in den Räumen der Backstage geschieht, informiert. b) Die Architektur des Zuschauens ist beim Betrachten eines Films dadurch gekennzeichnet, dass imaginärer und realer Raum getrennt sind. Untersucht man jedoch das Verhältnis der imaginären Bühnen-Räume zu denen hinter der Bühne im Backstage-Film, so zeigt sich, dass der Film mit dieser Unterscheidung auch spielen kann. Daher werde ich darauf eingehen, wie einzelne BackstageFilme mit architektonischen und filmischen Mitteln die Unterschiede zwischen beiden Raumcharakteren betonen und wie sie mit ihnen die Unterschiede einebnen, so dass sich imaginäre und reale Räume überlagern. In diesem Zusammenhang ergibt sich auch die Möglichkeit, wie ich bei der Interpretation einer zentralen Szene in Gold Diggers of 1933 zeigen werde, dass in das fiktive Geschehen auf der Bühne eingegriffen werden kann und dass sich daraus komplexe Bedeutungen für das Zusammenspiel von Stage- und Backstage-Räumen ergeben. c) Ich habe zur Begründung für die Beschäftigung mit dem Backstage-Film darauf hingewiesen, dass er wie kein anderes Genre die Möglichkeit bietet, Räume in unterschiedlichen ›Stilen‹ darzustellen. Ich werde verschiedene Stile vorstellen und dabei auch darauf eingehen, dass einerseits die Bühne so gefilmt wird, wie sie die Theaterzuschauer wahrnehmen können, und dass andererseits der

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Architekturen des Zuschauens Filmzuschauer das Bühnengeschehen aus Kameraperspektiven sieht, die kein Theaterzuschauer einnehmen kann. d) Ich werde untersuchen, wie die Backstage-Filme auch in den Dienst der Warenästhetik und der Konsumkultur gestellt werden. Dabei beziehe ich mich auch auf zeitgenössische Schriften (retail tieins und press books), die von den Studios veröffentlicht wurden und Hinweise geben, wie mit Hilfe der Filme der Absatz von Waren erhöht werden kann. Eine genauere Analyse der Backstage-Filme wird jedoch zeigen, dass Backstage-Filme, wie sehr sie auch einem am Konsum orientierten Lebensstil verpflichtet sind, nicht in der Werbung für Waren aufgehen. Ähnliches gilt für den Begriff der Inszenierung und des Inszenierungswerts. Ich werde in diesem Zusammenhang bei der Interpretation von Ziegfeld Girl zeigen, dass ein und derselbe Raum sowohl im Dienste der Wahrenästhetik stehen kann als auch im Dienste der psychischen Charakterisierung der Protagonistin, so dass beide Momente in Spannung zueinander stehen und komplexe Wirkungen hervorrufen können. e) Für die Untersuchung der imaginären und realen Räume in Backstage-Filmen spielt das Frauenbild, das in ihnen entworfen wird, eine entscheidende Rolle. Ich werde daher der Frage nachgehen, ob in den Räumen der Bühne ein anderes Frauenbild entworfen wird als in den Räumen der Backstage. Dazu gehört auch eine kritische Auseinandersetzung mit feministischen Ansätzen zur Filmrezeption. f) Man kann die architektonischen und filmischen Mittel, mit denen die imaginären Räume der Stage und die realen der Backstage entworfen werden, detailliert analysieren, ohne dabei schon ihre Bedeutung zu erfassen, die sich erst aus dem Zusammenspiel der einzelnen Elemente und Räume ergibt. Sie bedarf der Interpretation, und dabei kommen bestimmte Erwartungen und Sichtweisen der Interpretierenden ins Spiel, die die Interpretation lenken. Insofern ist es auch nicht zu erwarten, dass sich alle auf eine Interpretation einigen. Ich werde zeigen, wie es zu unterschiedlichen Interpretationen der imaginären Räume kommt und welche Vorannahmen dabei einfließen. g) In Backstage-Filmen kommt es wiederholt zu Übergängen von Stage und Backstage, aber auch innerhalb der einzelnen Räume kommt es zu Übergängen durch die Montage. Ich werde daher bei der Interpretation von Footlight Parade die Aufmerksamkeit auf Übergänge lenken und dabei besonders herausstellen, ob diese Übergänge so entworfen werden, dass die Zuschauer sie unbemerkt hinnehmen, oder so, dass sie auffällig werden und sie irritieren. h) Wenn auch in der vorliegenden Arbeit das Verhältnis von imaginären und realen Räumen im Backstage-Film im Mittelpunkt steht, so werde ich mich in Teil 4 im Sinne der Architektur des Zu-

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Konzepte und Begriffe schauens dem realen Ort, dem Kino, zuwenden und untersuchen, wie die Entwicklung von den Nickelodeons zu den Kinopalästen die Kino- und Filmerfahrung verändert hat. 2.9.2. Mein methodisches Vorgehen ist phänomenologisch und hermeneutisch orientiert. Es ist an dem ausgerichtet, was Anthony Giddens eine »doppelte Hermeneutik« (vgl. Giddens 1997: 51-56) nennt. Die doppelte Hermeneutik ergibt sich daraus, dass Soziologen und Kulturwissenschaftler nicht wie Naturwissenschaftler sinnfreie Daten unter Begriffe bringen, sondern eine bereits interpretierte Welt verstehen wollen. In dieser Arbeit geht es um die Räume, die in einem Filmgenre entworfen wurden, um bestimmte Bedeutungen und Wirkungen zu erzielen. Deshalb muss auch der Wissenschaftler die Perspektive derjenigen einnehmen, für die diese Räume konstruiert wurden. Das ist die erste Dimension der doppelten Hermeneutik. Die zweite Dimension beginnt damit, dass sich Wissenschaftler und Kritiker Rechenschaft über ihre Interpretation geben und explizit machen, was bei den Zuschauern weitgehend implizit abläuft. Dazu gehört auch, dass sie sich mit Interpretationen anderer Wissenschaftler und Kritiker auseinandersetzen und deren Voraussetzungen zu klären suchen. Insofern kommen auch Konzepte und Begriffe aus unterschiedlichen Disziplinen ins Spiel. In der Einleitung habe ich die zentralen Konzepte und Begriffe, die ich zur Interpretation der ausgewählten Backstage-Filme heranziehe, kurz erläutert und dabei den Rahmen meiner Arbeit und die damit verbundenen Zielsetzungen bestimmt.

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3. Forschungsstand zum Backstage-Film Siegfried Kracauer hat über das Hollywood-Musical geschrieben, dass in ihm die dem Medium Film eigenen Spannungen widergespiegelt werden. Diese Spannungen haben nach seiner Sicht ihren Ursprung in dem Konflikt zwischen der realistischen und der formgebenden Tendenz: »Die realistische Tendenz äußert sich darin, daß das Musical eigensinnig, wenn auch mit halbem Herzen, auf einer Art von Handlung besteht, die Alltagsvorgänge lose miteinander verbindet, während die andere Tendenz für das fortwährende Auftauchen von Songs und anderen Einlagen verantwortlich ist. […] Durch die ihm eigene Struktur illustriert es den ständigen Kampf um die Vorherrschaft zwischen der realistischen Tendenz, die sich in der fadenscheinigen Handlung kundgibt, und der formgebenden Tendenz, die in den Songs ihren natürlichen Ausdruck findet.« (Kracauer 1985: 204) Diese Charakterisierung des HollywoodMusicals bzw. des Backstage-Films bestimmt weitgehend die Forschung. Aus Kracauers Charakterisierung haben sich jedoch auch zwei unterschiedliche Positionen entwickelt. Für die eine ist die Backstage-Handlung im Sinne von Kracauer nur ein fadenscheiniger Vorwand, um Musical-Nummern auf der Bühne lose miteinander verbinden zu können. Das Interesse des Zuschauers besteht nach dieser Sicht an den Musical-Nummern auf der Bühne. Die Gestaltung der Bühne steht im Mittelpunkt und hebt sich von den Räumen hinter der Bühne ab, denen als Hintergrund wenig Beachtung geschenkt wird. Die zweite Richtung betont die Relation zwischen Stage und Backstage. Nach ihrer Sicht werden auf der Bühne illusionäre Räume dargestellt, die die Zuschauer in eine glamouröse Scheinwelt entführen, während in den Räumen hinter der Bühne auf den illusionären Charakter dieser Räume hingewiesen wird. Damit kommt es im Vergleich zur ersten Interpretationsrichtung zu einer anderen Bewertung der Räume auf und hinter der Bühne. Den Räumen hinter der Bühne wird eine demystifizierende und aufklärerische Funktion zugeschrieben. Für beide Positionen lassen sich in dem Genre Beispiele finden. Doch ist die Beziehung zwischen den Stage- und Backstage-Räumen komplexer und lässt sich nicht auf eine der beiden Richtungen reduzieren. In BackstageRäumen kann der Mythos der Bühne auch aufgebaut und erhöht 43

Architekturen des Zuschauens werden; er kann aber auch in ihnen ironisiert werden. Der Schwerpunkt meiner Arbeit wird darin liegen, die Beziehung zwischen Stage und Backstage in ausgesuchten Backstage-Filmen genauer zu bestimmen, wobei berücksichtig wird, dass sowohl die Räume auf der Bühne als auch die hinter der Bühne inszenierte Räume sind, mit denen bestimmte Wirkungen erzielt werden sollen. Dabei werde ich insbesondere die filmischen Mittel herausstellen, mit denen die Architektur dieser Räume entworfen wird. Der Forschungsüberblick lässt erkennen, dass dieser Aspekt in dem Genre bisher so nicht thematisiert worden ist.

3.1. Drei Möglichkeiten der Relation von Stage und Backstage Martin Rubin, der das Format des Backstage-Films in der Tradition der Revue, des Vaudeville und der Burlesque sieht und für den die drei Filme 42nd Street, Gold Diggers of 1933 und Footlight Parade den Höhepunkt dieses Formats darstellen, weist darauf hin, dass in einem Backstage-Film grundsätzlich drei Möglichkeiten bestehen, Stage und Backstage aufeinander zu beziehen. Die Aufmerksamkeit kann sich auf das Spektakel auf der Bühne oder auf das Geschehen hinter der Bühne richten, oder der Blick kann zwischen beiden Positionen hin und her wechseln und sie aufeinander beziehen (vgl. Rubin 1993: 35). Rubin selbst glaubt, dass der Backstage-Film dazu neigt, dass sich die Musical-Nummern gegenüber der BackstageHandlung verselbständigen: »The strong demarcation of the space of the numbers as distinct from that of the offstage narrative is an essential ingredient of Berkeleyesque cinema.« (Ebd.: 36) Damit setzt sich nach seiner Sicht das Musical vom klassischen Hollywood-Kino ab, in dem die realistische Darstellung im Mittelpunkt steht (vgl. ebd.). Das Besondere des Musicals sieht er somit darin, dass es die Vorherrschaft des realistischen Diskurses in Frage stellt. Es gibt in den Musicals etwas, das sich aus der realistischen Sicht als ›unmöglich‹ erweist und nicht integriert werden kann. Er kommt zu folgender Arbeitsdefinition für das Musical: »a musical is a film containing a significant proportion of musical numbers that are ›impossible‹ – that is, persistently contradictory in relation to the realistic discourse of the narrative« (ebd.: 37). Das ist zutreffend, wenn man die verschiedenen Darstellungsarten auf der Bühne mit den verhältnismäßig einheitlichen Darstellungen für das Geschehen hinter der Bühne vergleicht. Andererseits gehört es zu der Konvention des Genres, dass auf der Bühne mit unterschiedlichen Darstellungsarten experimentiert werden kann. Ein Film, der ohne diese Konvention gleichsam in mehreren ›Stilen‹ gefilmt würde, würde eine weit44

Forschungsstand zum Backstage-Film aus größere Irritation hinterlassen als der Backstage-Film, bei dem die Zuschauer erwarten, dass auf der Bühne unterschiedlich gestaltete Räume zur Darstellung kommen, die sie auf unterschiedliche Weise auf die Backstage-Handlung beziehen können. Es mag Nummern geben, die sich nicht in die Backstage-Handlung integrieren lassen, andere dagegen sind sehr wohl für die BackstageHandlung relevant. An einer Kameraeinstellung in der Musical-Nummer »We’re in the Money« in Gold Diggers of 1933 glaubt Rubin aufzeigen zu können, wie sich der Raum der Nummer gegenüber dem der BackstageHandlung verselbständigt. Als sich die Kamera auf Ginger Rogers Gesicht richtet, ist es zunächst unscharf zu sehen, bevor es scharf ins Bild gesetzt wird. Es gibt zwar, erklärt Rubin, auch im realistischen Film solche undeutlichen und verschwommenen Kameraeinstellungen, doch sind sie dort handlungsmotiviert, d.h. sie erfolgen, um anzudeuten, dass eine Figur die Dinge nicht mehr scharf sieht oder ihr Bewusstsein verliert. Doch für die undeutliche Darstellung in »We’re in the Money« gibt es für ihn keine solche Erklärung. Sie erfolgt grundlos und willkürlich und ist für ihn ein Zeichen für die Unabhängigkeit der Kamera von der Erzählung, der sie sich nicht mehr unterordnet: »As such it constitutes something of a declaration of independence for the Berkeleyesque camera, an affirmation of its power to inscribe itself directly into the film as an element of spectacular design.« (Rubin 1993: 43) Das ist sicherlich zutreffend, doch zeigt gerade diese Musical-Nummer, wie die BackstageHandlung in die Bühnenhandlung eingreift. Die Showgirls singen »We’re in the Money«, aber nur in dem Raum auf der Bühne sind sie reich, in den Räumen hinter der Bühne sind sie arm, und auch die Bühnendekoration und die Kostüme der Showgirls sind nicht bezahlt, so dass sie konfisziert werden. Der Film zeigt, wie der Sheriff mit seinen Leuten den imaginären Ort der Bühne betritt, sie die Musical-Nummer unterbrechen und somit die Showgirls arbeitslos werden. Deutlicher kann man nicht zeigen, wie Stage und Backstage ineinander greifen. Vor diesem Hintergrund kann auch die verschwommene Einstellung von Ginger Rogers Gesicht am Anfang der Nummer im Sinne der Handlung gedeutet werden: Sie täuscht sich über ihre Situation, wenn sie singt: »We’re in the Money.« Für Rubin ist, wie gesagt, der Backstage-Film von besonderer Bedeutung, weil die einzelnen Nummern sich nicht in die Backstage-Handlung einordnen lassen, sondern sich verselbständigen und damit den Eindruck des Extravaganten, das nur um seiner selbst willen da ist, vermitteln: »Of crucial importance to the creation of Berkeleyesque spectacle is a sense of gratuitousness, of uselessness, of extravagance, of rampant excess, of over-indulgence, of flaunting, of conspicuous consumption, of display for the sake of

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Architekturen des Zuschauens display, of elements calling attention to themselves rather than serving a higher, all-encompassing concept such as narrative.« (Ebd.: 41) Rubin nennt einige der Mittel, die eingesetzt werden, um die realistische Darstellung aufzubrechen. Dazu gehören »the intrusion into onstage numbers of purely cinematic configurations, such as trick cuts, reverse motion, patterns visible only from certain camera angles etc.« (ebd.: 43). Man könnte nach diesen Überlegungen die Bühnennummern im Sinne der kontemplativen Wahrnehmung als Befreiung von Sinn- und Handlungszusammenhängen deuten, aber eine solche Deutung muss auch wesentliche Aspekte des Backstage-Films übersehen. Dazu gehören in Gold Diggers of 1933 vor allem die Bühnennummern, die sich auf den Zweiten Weltkrieg und die Depression beziehen. Für Arthur Hove sind die meisten der Musical-Nummern nur verständlich, wenn wir sie in den Rahmen der Backstage-Handlung aufnehmen: »Without the story, however, the musical numbers would be meaningless fragments, a visual tuttifrutti with no reason for being other than to show off the director’s imagination and skill.« (Hove 1980: 19) In seinem Buch The American Film Musical hebt Rick Altman hervor, dass die Faszination des Backstage-Films vor allem darin besteht, dass er den Zuschauern den Blick hinter die Bühne verspricht und dass sie somit etwas erfahren, was den Theaterzuschauern verwehrt ist: »In other words, the show musical camera becomes an agent of voyeurism. When we go to the backstage musical we lift a veil; by pulling aside the backdrop or peeking into the wings we are able to satisfy our natural desire to look beyond, behind, and beneath.« (Altman 1987: 207) Damit wird eine Dimension des Backstage-Films angesprochen, die weder in der Definition von Kracauer noch von den bisherigen Positionen erfasst wurde. Das Interesse am Backstage-Film gilt nicht nur den lose verbundenen Bühnennummern, sondern entspringt dem Bedürfnis, hinter die Kulissen zu schauen. Von daher wird es nicht überraschen, dass in den Räumen der Backstage etwas zur Sprache kommt, was auf der Stage ganz anders erscheint. Insofern ist ein Moment der Entlarvung in den Backstage-Film eingebaut, auch wenn sich dieses Moment als ambivalent erweist. Jane Feuer betont ebenfalls, dass Backstage-Filme die Zuschauer faszinieren, weil sie den Blick hinter die Kulissen erlauben. Insofern haben die Räume der Backstage eine demystifizierende Funktion. Aber gleichzeitig betont sie in Anlehnung an Claude LéviStrauss, dass Backstage-Filme wie Mythen strukturiert sind und hinter der scheinbar zufälligen Oberfläche unauflösliche Konflikte thematisieren: »According to Claude Lévi-Strauss, the seemingly random surface structure of a myth masks contradictions which are real and therefore unresolvable.« (Feuer 1977: 315) Der unauflösli-

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Forschungsstand zum Backstage-Film che Konflikt in den Backstage-Filmen besteht für Feuer darin, dass sie den Zuschauern versprechen, ihnen einen Einblick zu geben, was hinter den Kulissen von Hollywood vorgeht, und dass sie gleichzeitig mystifizieren, was sie zu entlarven vorgeben. Während Rubin die Bedeutung des Backstage-Films gerade darin sieht, dass in ihm das Zufällige, Extravagante und Konsequenzlose zum Ausdruck kommt und damit eine Kritik an Sinn- und Handlungseinheiten geübt wird, erkennt Feuer hinter der Oberfläche eine tiefere Struktur, die die einzelnen Teile zu einem Ganzen verbindet.

3.2. Der Backstage-Film als reflexives Genre Für Feuer ist der Backstage-Film vor allem ein reflexives Genre. Dabei ist es ihr bewusst, dass der Begriff der Selbstreflexivität in der Regel nur auf den Experimentalfilm angewendet wird, der die Aufmerksamkeit auf die eigenen Produktionsprozesse lenkt und damit die Erzählstrukturen des klassischen Hollywood-Kinos unterläuft: »Self-reflexivity as a critical category has been associated with films, such as those of Godard, which call attention to the codes constituting their own signifying practices. The term has been applied to aesthetically or politically radical films which react against so-called classical narrative cinema by interrogating their own narrativity. Thus we tend to associate reflexivity with the notion of deconstruction within filmmaking practice.« (Ebd.: 325) Reflexive Filme, so Feuer, lenken die Aufmerksamkeit auf ihre eigene Machart, um somit die Faszination der Handlung, die den Zuschauer einnimmt, aufzuheben. Feuer sieht die Reflexivität vor allem in den Choreographien Berkeleys, in denen der Blick auf die filmischen Mittel bei der Konstruktion phantasievoller Formen gelenkt wird, die sich gegenüber der Backstage-Handlung verselbständigen. Insofern gibt es hier auch Anklänge an die Argumentation von Rubin, der das Extravagante und Konsequenzlose an Backstage-Filmen als Befreiung von der Logik einer sich im Film entwickelnden Geschichte versteht. Wie ich in der Einleitung bei der Auseinandersetzung mit dem Begriff der Illusion gezeigt habe, muss die Einsicht in das ›Gemachtsein‹ eines Films nicht notwendigerweise eine desillusionierende Wirkung besitzen. Das wird an den Stage-Teilen deutlich, die Staunen auslösen, auch wenn ihr ›Gemachtsein‹ unverkennbar ist. In ihrem Aufsatz »Musical, Camp, Queer Underground« sieht Juliane Rebentisch das Musical als »so etwas wie den verdrängten kulturindustriellen Ursprung des Experimentalfilms« (Rebentisch 2003: 63). Anhand der Filme von Kenneth Anger, Jack Smith und Andy Warhol zeigt sie, wie das Musical als ein möglicher kulturindustriel47

Architekturen des Zuschauens ler Fluchtpunkt für den »queeren undergroundfilm« verstanden werden kann. Dabei bezieht sie sich auf den von Susan Sontag geprägten Begriff des Camp, der die Welt als ein ästhetisches Phänomen betrachtet. Als Vorläufer dieser Sichtweise kann bereits der Ästhetizismus am Ende des 19. Jahrhunderts gesehen werden. Rebentisch sieht auch Verbindungen des Camp zur Pop Art und anderen Kunstrichtungen dieser Zeit. Camp ist für Rebentisch »verbunden mit der Sensibilität eines Subjekts, das bestimmte Aspekte am kulturindustriellen Phänomen gleichsam gegen die Oberfläche bloßer Unterhaltung wahrnimmt« (ebd.: 65). Sie sieht in Busby Berkeleys Choreographien in Dames ein psychedelisches Potential, das sie auch in den Kompositionen der Bilder von Kenneth Anger findet. Bei ihm freilich werden die visuellen Exzesse nicht mehr abschwächend in eine Handlung eingeordnet. Sie verselbständigen sich in einem visuellen Delirium zu dunklen Visionen, die nur um der ›queeren‹ ästhetischen Erfahrungen willen existieren. Anger ist nach Rebentisch formal und inhaltlich an der dunklen verdrängten Seite Hollywoods interessiert (vgl. ebd.: 73). Im Zusammenhang mit dem Begriff des Camp schreibt Susan Sontag über den Film Flaming Creatures von Jack Smith: »Flaming creatures is a triumphant example of an aesthetic vision of the world – and such a vision is perhaps always, at its core, epicene. […] What I am urging is that there is not only moral space, by whose laws Flaming creatures would indeed come off badly; there is also aesthetic space, the space of pleasure.« (Sontag 1967: 231) Gegen Sontags Position wendet sich Michael Moon in A Small Boy and Others. Imitation and Initiation in American Culture from Henry James to Andy Warhol. Er kritisiert, dass sie die politischen Bedeutungen und Konsequenzen von Smiths Film verdrängt und verharmlost (Moon 1998: 77f.). Der Backstage-Film ermöglicht durch seine Struktur Reflexionsprozesse, wenn auch, wie sich hier gezeigt hat, ihre Wirkungen umstritten sind.

3.3. Der Backstage-Film in der feministischen Filmtheorie Für Paula Rabinowitz ist der Backstage-Film für eine feministische Kritik an Hollywood-Filmen besonders aufschlussreich, weil er auf der Bühne und in den Räumen hinter der Bühne unterschiedliche Frauenbilder präsentiert. Während auf der Bühne Frauen durch das Zur-Schau-Stellen ihrer Körper »glorifiziert« werden, wird in den Räumen hinter der Bühne gezeigt, wie sie um ihre Existenz kämpfen. Durch die verschiedene Darstellung der Frauen in unterschiedlichen Räumen ermöglicht der Backstage-Film, die Fassade des 48

Forschungsstand zum Backstage-Film Frauenbildes in einer patriarchalischen Gesellschaft zu durchschauen. In den Musical-Nummern treten die Frauen als Hauptfiguren auf, wobei sie gleichzeitig entindividualisiert werden. Und in einigen Choreographien von Berkeley werden sie nicht nur entindividualisiert, sondern auch buchstäblich in einzelne Teile zerlegt und neu zusammengesetzt, um daraufhin wieder zerlegt zu werden (vgl. Rabinowitz 1982: 141f.). Was bei Rubin unter formalen Gesichtspunkten als Spiel mit Formen um ihrer selbst willen und als Überwindung des Erzählkinos beschrieben wird (vgl. 3.1), erscheint bei Rabinowitz als Ausdruck von Männerphantasien, die Frauenkörper beherrschen und kontrollieren wollen. Pamela Robertson greift die feministische Filmkritik auf, nimmt jedoch insofern eine Modifikation vor, als sie betont, dass die Perspektive des feministischen Camp eine Distanz gegenüber dem Dargestellten ermöglicht. In Backstage-Filmen kommen die Frauen zwar als verdinglichte Objekte zur Darstellung, aber diese Darstellung erlaubt es den Frauen, diese als verdinglicht zu durchschauen und sich zu ihnen in Distanz zu setzen: »The knowledge that the female spectator gains about men, money, power, and economics in the primary diegesis provides her with a means to read the spectacles from a feminist camp perspective, one which enables her to recognize herself in the fetishized images but from which she is able to knowingly distance herself.« (Robertson 1996: 69) An dem Film Gold Diggers of 1933 zeigt sie auf, dass sich der Film auf der Handlungsebene an Frauen wendet, die sich mit den ›Gold Diggers‹ identifizieren können. Sie erkennen, wie Frauen in der BackstageHandlung unterdrückt werden und wie sie diese Unterdrückung überwinden. Aber auch die Darstellung der Frauen in den Choreographien Berkeleys hat nach Robertson für die Zuschauerinnen keine mystifizierende, sondern eher eine kritische Wirkung, weil sie mit dem Zur-Schau-Stellen der Frauen auf der Bühne ironisch spielen können. Im Sinne des Camp können sie sich über die stereotype Darstellung lustig machen: »This two-sided view inheres both in the camp spectacle of the numbers and in the activity of the gold diggers, who jokingly and knowingly manipulate their commodity status and further promulgate their commodification.« (Ebd.: 70) Für Lucy Fischer dagegen entsprechen Berkeleys MusicalNummern der Phantasiewelt der Männer. In ihrem Aufsatz »The Image of Women as Image: The Optical Politics of Dames« führt sie aus, dass Berkeley Frauen nicht als Personen mit eigenem Willen, sondern nur als Bilder, als »plastic abstractions« einsetzt (vgl. Fischer 1981: 72). Nach Fischer bringt Berkeley mit seinen Formen das Stereotyp des Weiblichen in seiner reinsten Form zum Ausdruck. Die Showgirls verlieren in seinen Choreographien jegliche

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Architekturen des Zuschauens Individualität und lösen sich in abstrakte Muster auf, um Objekte für Voyeure zu werden. Die Bewegung durch den Berkeley’schen Raum folgt nicht den Bewegungen menschlicher Körper, sondern wird von der Montage bestimmt, die nach eigenen Gesetzen verschiedene Räume so miteinander verbindet, dass die Orientierung im Raum verloren geht: »The mechanics of concealed cuts transport us magically from one locale to another, creating a geography unnavigable by the human body.« (Ebd.: 73) Nach der Sicht von Patricia Mellencamp zielt die BackstageHandlung in Gold Diggers of 1933 auf die Zuschauerinnen, während sich die Musical-Nummern von Berkeley an die männlichen Zuschauer wenden. Die Frauen in der Backstage-Handlung erscheinen unendlich viel interessanter und gewitzter als die Männer, und ihre Beziehungen untereinander sind von Freundschaft und Solidarität bestimmt. Während viele Kritiker in Anlehnung an Kracauer von der fadenscheinigen Backstage-Handlung sprechen, betont Mellencamp die Bedeutung der Backstage-Handlung für die Frauen, während sie auf der Bühne nur als Objekte männlicher Begierde erscheinen. Wenn die drei Frauen am Ende von Gold Diggers of 1933 heiraten, interpretiert Mellencamp das jedoch in dem Sinne, dass sich die Frauen den Männern unterordnen und sich damit dem Bild, wie es auf der Bühne erscheint, annähern. Die Backstage wird zur Stage, und die Männer bzw. ihr Geld setzt sich durch: »Knowledge, which the women have about men, is not power; money is.« (Mellencamp 1990: 181)

3.4. Depression und New Deal im Backstage-Film Hinweise auf die Depression in Backstage-Filmen erscheinen auf den ersten Blick hin überraschend, wenn man davon ausgeht, dass der Backstage-Film eine kompensatorische Funktion erfüllt und eine Scheinwelt aufbauen will, die die reale der Zuschauerinnen und Zuschauer vergessen lassen will. Thomas Schatz erklärt den Bezug auf die Depression mit dem veränderten »Production Code« von 1934: »Just as Warners’ early-30s gangster films were tempered by the revitalized Production Code in 1934, so were Warners’ musicals. Sex and violence were toned down in the studios’ amoral success sagas to the point where both the gangster and musical genres’ social thematics were substantially reformulated.« (Schatz 1981: 190) In seinem Aufsatz »Some Warner Musicals and the Spirit of the New Deal« betont Mark Roth, dass in den Filmen 42nd Street und Footlight Parade Führungspersönlichkeiten und ein starkes Ge50

Forschungsstand zum Backstage-Film meinschaftsgefühl zur Darstellung kommen und damit ein mehr oder weniger deutlicher Verweis auf Frank D. Roosevelt und den New Deal. Er vergleicht das Musical mit dem Gangster-Film: In beiden wird die ökonomische Krise in den Vereinigten Staaten thematisiert, und beide sind als städtische Filme zu begreifen: »Musicals and crime films were the two major film genres to explore this crisis. Each in its own way tried to come to terms with the effects of the worst economic crisis ever experienced by Americans. Both the gangster film and the musical were basically urban. For the gangster, ›making it‹ meant ›making it‹ in Chicago or New York. There was no such thing as being a ›big shot‹ in a small town or rural area. Similarly, success in the theatre meant success in New York.« (Roth 1981: 43f.) Ich werde bei meiner Interpretation darauf eingehen, wie die Bezüge zum New Deal in den Bühnennummern und in der Backstage-Handlung entworfen werden.

3.5. Der Backstage-Film im Rahmen der Konsumkultur In ihrer Dissertation über Cedric Gibbons, den Art Director von MGM, untersucht Christina Wilson die Wirkung der Filmsets und kommt u.a. zu dem Ergebnis, dass sie zum Vorbild von Inneneinrichtungen werden. Damit tritt eine neue Funktion der Sets, nämlich ihre Bedeutung für die Konsumkultur ins Blickfeld. In diesem Zusammenhang ist auch Mary Ann Doanes Essay »The Economy of Desire: The Commodity Form in/of the Cinema« von Bedeutung. Sie verdeutlicht, wie Konsum und Reklame die Form der Wahrnehmung der Filme verändern. Nach ihrer Auffassung löst sich der Blick des Zuschauers in seiner Rolle als Konsument von der Handlung und richtet sich auf die Dinge als Waren. Es entsteht dadurch ein weiterer Text, der den Wunsch nach Besitz von Waren zum Ausdruck bringt (vgl. Doane 1987: 30). Doane betrachtet den Filmrahmen als Schaufenster und sieht in der Verknüpfung von Schauen und Kaufen den Prototyp der Zuschauerin als Konsumentin: »If the film frame is a kind of display window and spectatorship consequently a form of window-shopping, the intimate association of looking and buying does indeed suggest that the prototype of the spectatorconsumer is female.« (Ebd.: 27) Auch Kathy Peiss betont die Rolle der Konsumentinnen, wenn sie darauf hinweist, dass seit dem Bürgerkrieg die Zahlen der Frauen, die einkaufen, kontinuierlich angestiegen und 1915 80 bis 85 Prozent der Käufer in den USA weiblich sind (vgl. Peiss 1986: 148). Ich werde an diese Arbeiten anknüpfen und sie weiterführen, indem ich mit Hilfe zusätzlicher Materialien die Filmsets analysieren werde. Hollywood veröffentlicht press 51

Architekturen des Zuschauens books, die Ratschläge für die Vermarktung von Produkten aus den Filmen geben. Es geht hier um den Inszenierungswert im Rahmen der Warenästhetik. Unter diesem Gesichtspunkt gewinnen die Räume der Kaufhäuser und der Foyers der Filmpaläste an Bedeutung.

3.6. Filmset und Handlung In ihrem Buch Sets in Motion: Art Direction and Film Narrative untersuchen Charles und Mirella Affron die Rolle der Filmarchitektur für die Handlung in Filmen. Die Architektur außerhalb des Films besitzt eine definierbare Funktion, die sich über eine bestimmte Zeit erstreckt und konstruktiven und ökonomischen Gesetzen folgt. Die Filmarchitektur dagegen existiert nur für die Länge der Produktion des Films und gehört zu einer poetischen Realität, die über das Filmbild vermittelt wird. In dem Kapitel »Set as Artifice« weisen beide Autoren darauf hin, dass die Sets auf der Bühne durch ihre Stilisierung unwirklich und phantastisch erscheinen können. Es wird ein mit Ornamenten verzierter Raum erzeugt, der sich nachhaltig in das Gedächtnis der Zuschauer einprägt: »The viewer exits the theater whistling the sets.« (Affron und Affron 1995: 39) Das gilt sowohl für die Räume der Stage als auch der Backstage: »We may be inspired to exit the theatre whistling these sets, but only along with the other tunes – performers, plot, staging – that capture the viewer’s fancy.« (Ebd.: 115) Was immer in den Filmen zur Darstellung kommt, ist auf Wirkung angelegt. Die Bühne in Backstage-Filmen kann für die Zuschauer unterschiedliche Funktionen erfüllen: Sie kann das Thema der Handlung kommentieren (»We’re in the Money« am Anfang von Gold Diggers of 1933); sie kann das Thema des Films illustrieren (die drei MusicalNummern in Footlight Parade) und kann das Bedürfnis der Zuschauer nach phantastischen Bildern und Luxus befriedigen (die Bühnennummern in The Great Ziegfeld und Ziegfeld Girl). Helmut Weihsmann betont die Exotik der Architektur in Backstage-Filmen. Sie ist in seiner Sicht wesentlich dafür verantwortlich, dass der Backstage-Film die Menschen in die Kinos zieht. Im Besonderen hebt er die Treppen der Ziegfeld-Shows, durch die eine Vertikalisierung der Bühne hervorgerufen wird, hervor. Bei den Choreographien Berkeleys weist er darauf hin, dass dessen bewegte Kameraführung ihn von der Bühne, wie wir sie aus den ZiegfeldShows kennen, unabhängig macht und damit dem Filmzuschauer Raumerfahrungen, die dem Theaterzuschauer nicht zugänglich sind, eröffnen kann (vgl. Weihsmann 1988: 160ff.).

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Forschungsstand zum Backstage-Film In seinem Buch Designing Dreams: Modern Architecture and the Movies untersucht Donald Albrecht die Bedeutung und Wirkung der Filmarchitektur anhand ausgewählter Filme vom Anfang des 20. Jahrhunderts. Er geht dabei auch auf die Wirkung der Sets einiger Backstage-Filme ein. Für die Räume der Bühne sind nach seiner Sicht die Konnotationen wichtig, die mit dem Big White Set verbunden sind, während für die Räume der Backstage-Bereiche die Konnotationen wichtig werden, die mit modernen, luxuriösen Bädern, Wohnzimmern und Nachtclubs assoziiert werden. Weihsmann, der die Ästhetik der Bühne in den Vordergrund rückt, sieht die Bedeutung der Räume der Backstage-Filme darin, dass sie den voyeuristischen Blick hinter die Kulissen versprechen und dass sie dieses Bedürfnis auch ironisch kommentieren können: »Der Backstage-Plot vertraut auf die Faszination des voyeuristischen Blicks hinter die Bühnenkulissen: das Entertainment entlarvt sich selbst. Kein anderes Filmgenre hat eine ähnlich intakte Reflexion der eigenen Branche entwickelt. In den besten BackstageRevuen wird demonstriert, daß und wie die Illusionen der Revuenummern (also auch der Höhepunkt im Finale) gemachte Illusionen sind.« (Weihsmann 1988: 158) Auch diese Überlegungen rechtfertigen es, den Backstage-Film als reflexives Genre zu bestimmen. Das wird noch dadurch verstärkt, dass die Filmzuschauer das Verhalten der Theaterzuschauer beobachten und zu ihm Stellung nehmen können. Der Forschungsüberblick hat gezeigt, wie unterschiedlich das Verhältnis von Stage und Backstage gesehen wird. Rubin begreift es als Vorteil, dass sich die Bühnenräume gegenüber den Räumen der Backstage und das Bühnengeschehen gegenüber der BackstageHandlung verselbständigen und jeweils ihrer eigenen Logik folgen. Das gilt zwar für einige Choreographien Busby Berkeleys, kann aber nicht generell für Bühnenummern gelten. Ich werde in meiner Arbeit das besondere Verhältnis dieser Beziehung in den ausgewählten Backstage-Filmen in den Mittelpunkt rücken. Bei der Untersuchung der verschiedenen Funktionen der Räume werde ich zeigen, wie durch filmische Mittel Architektur dargestellt und konstruiert wird, um bestimmte Wirkungen hervorzurufen. Dabei wird deutlich, wie vielfältig die Beziehungen sind, die die Bedeutung von Räumen der Stage und der Backstage bestimmen.

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4. Die Architektur der Kinos: Die Entwicklung von den Nickelodeons zu den Filmpalästen In diesem Teil, in dem die historische Entwicklung von den Nickelodeons zu den Filmpalästen im Mittelpunkt steht, thematisiere ich die realen Räume, in denen sich die Zuschauer befinden, während sie einen Film sehen und sich in imaginäre Räume versetzen. Es geht somit um den Raum, in dem die Zuschauer physisch anwesend sind und der ebenfalls auf die Filmerfahrung einwirkt. Es handelt sich um architektonische Räume im unmittelbaren Sinne, die das Erleben des Stadtraums am Times Square verändern. Das geschieht vor allem durch die Medialisierung der Fassaden, deren Wirkung sich besonders in der Dunkelheit entfaltet (s. Abb. 2). Erich Mendelsohn beschreibt, wie der ›Great White Way‹ seine rauschende Wirkung bei Tag verliert, wenn die Lichter der Reklame ausgeschaltet sind: »Broadway bei Tag. Verliert das Geheimnisvolle, Rauschende, das Gleissende der Nacht. Ist nur ungezügelt, wild überschreit sich selbst.« (S. Abb. 3)

Abb. 2. Great White Way. Times Square (1929). 55

Architekturen des Zuschauens

Abb. 3. New York. Broadway bei Tag. Erich Mendelsohn (1926).

Der Platz, an dem sich der Broadway und die 7th Avenue kreuzen und der 1905 nach der New York Times benannt worden ist, ist das Zentrum für unterschiedlichste Formen der Unterhaltung (s. Abb. 4). Als Knotenpunkt des U-Bahnsystems ist er seit seiner Entstehung ein leicht erreichbarer Ort, an dem sich neben den Theatern auch Radiostationen und die Büros der Tageszeitungen befinden. In der Zeit, in der die Backstage-Filme spielen, ist er der Ort mit der größten Konzentration an Theatern in der Welt. Bevor ich mich den Theater- und Kinopalästen am Times Square zuwende, will ich auf deren Vorgänger, die Nickelodeons, hinweisen und zeigen, wie sich mit der Wandlung von den Nickelodeons zu den Kinopalästen auch deren jeweilige soziale Funktion verändert (Teil 4.1 und 4.2). In Teil 4.3 werde ich Kracauers Deutung der Filmpaläste erörtern und in Teil 4.4 auf die Architektur der Kinos eingehen, die nicht die Wirkung der realen Räume, der Kinopaläste, sondern die der imaginären Räume auf die Zuschauer in den Mittelpunkt stellen wollen.

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Die Architektur der Kinos

Abb. 4. Times Square (1938).

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Architekturen des Zuschauens

4.1. Form und Funktion der Nickelodeons Nickelodeons können als Vorstufe der Kinopaläste des 20. Jahrhunderts angesehen werden. Sie besitzen eine Bühne mit Leinwand, die durch einen Vorhang vom Zuschauerraum getrennt ist. Vor dem Vorhang steht ein Klavier oder befindet sich ein Orchester. Der lange Zuschauerbereich, der sich im hinteren Teil eines langen Raums befindet, ist dicht mit Holzbänken gefüllt. Im vorderen Teil dieses Raums geht auch während der Filmvorführung das Geschäftsleben weiter. An den Fassaden der Nickelodeons ist die Werbung für das Programm angebracht. In dem Buch A tree is a tree beschreibt King Vidor, wie Claude, der Besitzer eines Nickelodeons, seinen Laden zum picture house umbaut: »When motion pictures came along, Claude pushed all of his pianos, drums and fiddles to the front store and built a thin wall across the center. In this partition he constructed a box-office window and two openings, one marked ›Entrance‹ and the other ›Exit‹.« (Vidor 1952: 16) Die ersten Kinos sind umfunktionierte Läden und erst 1905 kreieren John P. Harris und Harry Davis in Pittsburgh den Namen Nickelodeon. Er entsteht aus dem Eintrittspreis für ihre Filmshows von 5 Cent, a nickel, und odeon, die griechische Bezeichnung für ein Gebäude für musikalische Aufführungen. Harris und Davis entwickeln zudem ein Unterhaltungsprogramm, das nicht nur einzelne Filme aneinander reiht, sondern zwischen unterschiedlichen Unterhaltungsformen wechselt. Diese zusammengesetzte Unterhaltung der Nickelodeons wird in der Struktur der Backstage-Filme aufgegriffen, auch wenn sie dort in veränderter Form erscheint. Das Programm besteht aus einer Mischung von Filmvorführungen, live performances und Dia-Projektionen. Für das Unterhaltungsprogramm sind die Reaktionen der Zuschauer von entscheidender Bedeutung. Dabei können auch Projektoren, die von Hand bedient werden, so eingesetzt werden, dass sie Reaktionen beim Publikum hervorrufen. Auch werden aktuelle Nachrichten wie die folgenden auf Dias gezeigt: »›A Women Who Left A Baby Carriage Outside Is Wanted Immediately‹; ›Please Do Not Stamp, The Floor May Cave In‹; ›One Minute Please While The Operator Repairs The Broken Film‹« (Jacobs 1939: 56). In der Regel werden diese ›Nachrichten‹ vom Publikum lautstark kommentiert. Roy Rosenzweig verweist auf den interaktiven Charakter dieser Programme, wenn er schreibt: »Working class audiences at the melodramas, minstrel shows, and burlesque acts of the late nineteenth and early twentieth centuries gave repeated evidence of interactive, lively, and often rowdy public behaviour.« (Rosenzweig 1983: 200) Ein Erzähler, lecturer, der die einzelnen Teile des Programms für das Publikum kommentiert, erzeugt einen zusammenhängenden 58

Die Architektur der Kinos Erzählraum. Die Filme beziehen sich unter anderem auf lokale Vorgänge, so dass mit den Erfahrungen der Zuschauer gespielt werden kann, wenn diese sich in den Kontexten wiedererkennen. Die Nickelodeons, deren Programme von morgens bis Mitternacht laufen, richten sich an Arbeiter mit unterschiedlichsten Einkommen und Arbeitszeiten und werden durch die hohe Frequenz zu einer neuen Institution der Arbeiterklasse: »By accommodating both kinds of schedules and pocketbooks, the movie theater managed to become – like the saloon, the church, and the fraternal lodge – a central working-class institution that involved workers on a sustained and regular basis.« (Ebd.: 195) Generell ist die Entwicklung des Films in den USA, wie Robert Sklar ausführt, auf ein Massenpublikum und damit auch auf die Arbeiterklasse angewiesen und muss in den Filmen auf deren Bedürfnisse und Wünsche eingehen: »As a business, and as a social phenomenon, the motion pictures came to life in the United States when they made contact with working-class needs and desires.« (Sklar 1994: 16) Insofern entsteht aus den Programmen der Nickelodeons eine der ersten Massenunterhaltungsindustrien: »They took hungrily to the movies and turned, by their nickels, an instrument of science and amusement into the first mass entertainment medium.« (Ebd.: 17) In den 1920er Jahren wird das Kino die populärste Form der Unterhaltung der Arbeiterklasse. Mehr als 50 Millionen Zuschauer – die Hälfte der Bevölkerung der USA – besuchen pro Woche die Kinos (vgl. Rosenzweig 1983: 191). Während auf die Gestaltung des Innenraums wenig Wert gelegt wird, ist die Fassade der Nickelodeons das wichtigste und teuerste Element. »Nickel theaters sold their wares to a public walking by, and so soon they developed a myriad of lights with a prominent ticket booth, usually accompanied by a barker, to hawk their latest entertainments.« (Gomery 1992: 19) Um die Aufmerksamkeit der Passanten auf sich zu ziehen, werden bereits Strategien entwickelt, die später die Sichtbarkeit der Kinos im urbanen Raum garantieren: die Architektur der Fassadengestaltung und die Ausgliederung der Tickethäuschen aus der Fassade der Gebäude. Der Unterhaltungsraum wird somit in den Stadtraum hinein geöffnet. Es sind vor allem die ärmeren Bevölkerungsschichten und die Immigranten, die das Publikum der Nickelodeons bilden. »These poorer urban inhabitants embraced the cheap entertainment form, as we can see from the relative growth of the nickelodeon in city after city.« (Ebd.: 21) In seinem Buch The Rise of the American Film (1939) betont Lewis Jacobs, dass die Programme der Nickelodeons nicht nur eine Ware sind, sondern auch eine soziale und pädagogische Bedeutung für ihre Zuschauer besitzen: »The content of American motion pictures since their inception has been, in fact, not only an important historical source but a stimulant and educator to American life it-

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Architekturen des Zuschauens self. Besides offering a social occasion and an emotional experience, they supplied audiences with information and ideas. […] Thus from the outset movies were, besides a commodity and developing craft, a social agency.« (Jacobs 1939: 12) In den Filmen, die in den Nickelodeons gezeigt werden, können sich nach Jacobs die Zuschauer selbst wiedererkennen: »The general figure of adventure comedies was always the common man or woman […]. Such characters were selected because the audiences and film makers alike were themselves of this class, and because of the growing popular interest in the everyday person.« (Ebd.: 17) Auf diese Weise greifen die Filme auf, was die Menschen jeweils bewegt. Zu den sozialen und pädagogischen Aufgaben der Filme gehört nach Rosenzweig, den Einwanderern ›the American way of life‹ nahe zu bringen (vgl. Rosenzweig 1983: 221). In den späteren Filmen kommt jedoch nach Jacobs eine ganz andere Haltung zum Ausdruck. Die Filme wollen die Menschen den Alltag vergessen lassen, und es wird eine illusionäre Welt aufgebaut. Sie führen nicht zur Realität hin, sondern dienen der Flucht aus ihr: »Now films were helping people to forget, helping them to avoid reflection. Knowledge and awareness of the real world were rarely dispensed by the screen. Movies were framed to assist people to escape their personal problems, their frustrations, their unhappiness.« (Ebd.: 415) Das ist jedoch, wie ich in der Einleitung in der Auseinandersetzung mit dem Begriff der Illusion deutlich gemacht habe, eine sehr einseitige Deutung. Die Interpretation der Backstage-Filme wird zeigen, dass sich die Filme nicht auf ihre Kompensationsfunktion reduzieren lassen. Der Status der Nickelodeons verändert sich, als man versucht, sie auch für die Mittelklasse attraktiv zu machen. Dazu gehört, dass die Architektur der Nickelodeons verändert wird. BranchenZeitschriften machen Vorschläge für die Umgestaltung der Architektur der Nickelodeons. In einem Fertigteil-Katalog werden Verkleidungen mit Ornamenten für Fassaden angeboten, und für die Innenräume werden prunkvolle Verkleidungen entwickelt. Die Nickelodeons verändern sich von einfachen Läden und Fassaden zu elaborierten Gebäuden (vgl. May 1980: 148). Durch diese Entwicklungen werden die Kinos zu einem respektablen Ort, an dem sich unterschiedliche Klassen treffen können. Dabei wird auch darauf geachtet, dass man das Verhalten der Zuschauer aus der Arbeiterklasse kontrolliert und so verändert, dass sich die Mittelschicht in den Theatern unbelästigt und entspannt fühlen kann. Rosenzweig hat in seinen Forschungen zum Zuschauerverhalten die Mittel, die zur Disziplinierung des Publikums eingesetzt werden, detailliert beschrieben: »The lavish setting, the militarily attired and drilled ushers, the fixed starting times, the disinfected air, the lighted

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Die Architektur der Kinos clocks, and the ›finely appointed toilet rooms‹ had all made moviegoing a more controlled, structured, anonymous experience. Whereas before patrons might mingle in the aisles, now the nattily attired ushers directed them to a specific seat.« (Rosenzweig 1983: 217) Das Kino wird durch diese Veränderungen zu dem Ort, an dem sich unterschiedliche Klassen treffen können. Dabei geht es nach Miriam Hansen um die Entwicklung einer einheitlichen demokratischen Gesellschaft, in der die Klassenunterschiede der kapitalistischen Gesellschaft durch Teilhabe aller am Konsum eingeebnet werden. Insofern sind für sie die Nickelodeons in ihrer Bedeutung für die amerikanische Gesellschaft nicht zu unterschätzen: »The nickelodeon provided a powerful myth of origin for this ideal, a democratic – and specially American – legitimization for capitalist practices and ideology.« (Hansen 1994: 65)

4.2. Die Wirkung der Kinopaläste auf die Filmzuschauer Die Kinopaläste verdrängen schließlich die Nickelodeons. Ähnlich wie die Nickelodeons vereinen sie verschiedene architektonische Stile. In ihrem Aufsatz »The Movie Palace and the Theatrical Sources of Its Architectural Style« beschreibt Charlotte Herzog die wichtigsten architektonischen Elemente der verschiedenen Unterhaltungsorte, die dem Kinopalast vorausgegangen sind, und folgert, dass die Kinopalast-Architektur eine Art Komposition dieser Elemente darstellt: »The solution it provided was an adaptation of all the functional and iconographic motifs of the earliest motion picture contexts, a composite of the formal and functional advantages of these locales.« (Herzog 2002: 60) Der Kinopalast integriert ferner Elemente des Zirkus und des Jahrmarkts sowie des Designs der VaudevilleHäuser. Die Einflüsse der Letzteren auf die Kinopaläste sieht sie u.a. in den Vordächern der Kinos, die aus Stahl, Kupfer und bemaltem Glas gefertigt sind, in den Eingängen, die elektrisch beleuchtet werden, und in dem klassischen Stil der Innenausstattungen der Foyers und Lounges (vgl. ebd.: 53). Die Räume der Kinopaläste sind darauf ausgerichtet, den Filmzuschauer zu beeindrucken, so dass der Besuch des Gebäudes zum Ereignis (event) wird. Dabei geht es sowohl um die prächtige Ausstattung der Innenräume als auch um die Gestaltung der Fassaden und deren Wirkung nach außen. Das Element, das das Innere der Theater mit dem Außenraum verbindet, ist die Überdachung (Marquee), die sich in den Straßenraum schiebt. Das Vordach und das zurückgesetzte Vestibül definieren eine äußere räumliche Tasche, die zum Inneren des Theaters zu gehören scheint (s. Abb. 5). Wenn 61

Architekturen des Zuschauens die Passanten und potentiellen Zuschauer diesen durch Marquee und Vestibül erzeugten Raum betreten, fühlen sie sich bereits wie im Inneren des Gebäudes (vgl. ebd.: 52). Das Kino erhellt durch die Leuchtreklame ganze Straßenzüge, und an den Eingängen der Kinopaläste entstehen Plätze, die die Menschen anziehen. An diesen Plätzen findet eine Neubestimmung zwischen Innen- und Außenraum statt, die sich dadurch auswirkt, dass der Straßenraum zum Innenraum wird. Es kommt daher zu Beschreibungen, die davon sprechen, dass die hell erleuchteten Kinopaläste als architektonischer Ort die ganze Straße erhellen und sie in das Kino einbeziehen. Die leuchtenden billboards des Great White Way, die die Nacht zum Tag machen, hinterlassen bei vielen Besuchern einen nachhaltigen Eindruck. Der Schriftsteller Meyer Levin beschreibt die Wirkung eines Kinopalastes in folgenden Worten: »Als sie in die State Street einbogen, wurden sie vom Leuchtzeichen des Chicago angestrahlt. Junge, war das ein Zeichen! Es tauchte den ganzen Block in Tageslicht. Acht Stockwerke war es hoch. Dreitausend Leuchtkörper buchstabierten CHICAGO.« (Zitiert in Koch 2005: 13) Auch in den Backstage-Filmen selbst werden wiederholt solche Erfahrungen dargestellt (s. Abb. 6). Bevor die Musical-Nummern beginnen, wird der Blick der Zuschauer auf den Straßenraum mit den Lichtreklamen gelenkt und vor den Eingängen der Theater sind die Menschenmengen zu sehen, die sich in die Theater drängen.

Abb. 5. Midtown Theater. New York (1933).

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Die Architektur der Kinos

Abb. 6. Gold Diggers of 1933. DVD captures.

Als am 14. August 1929 Chorusgirls über einen an der Reklamewand des Astor Theaters angebrachten Laufsteg laufen, wird die Fassade zur Bühne und verändert das Bild der Straße (s. Abb. 7). Dabei entsteht der Eindruck, dass die Frauen auf einer Leinwand zu sehen sind. James Sanders betont die Affinität der so veränderten Straße mit den Bewegungsbildern des Films, in denen ein illusionsartiger Raum erzeugt wird. Die Verbindung von Broadway und Hollywood sieht er in Effekten, die den statischen Raum der Gebäude in Bewegung setzten. »In its wedge of urban space, an outdoor ›theater‹ darkened each evening by the coming of night itself, shimmering screens of light transformed the solid realities of mass and volume into a realm of liquid energy-overscaled images, flowing overhead, in constant motion.« (Sanders 2001: 296) Mendelsohn hat in seinem Buch Amerika: Bilderbuch eines Architekten die Wirkung des Times Square bei Tag und Nacht festgehalten (s. Abb. 1 u. 3). Der Backstage-Film 42nd Street beginnt mit einem Kameraflug entlang des Broadway, anschließend führt uns eine Montage von Straßenschildern von der Ost- zur Westseite der 42nd Street, wo sich die beiden Straßen mit dem Broadway kreuzen. Auch in der Musical-Nummer »42nd Street« kommt der Times Square zur Darstellung. Zunächst werden einzelne Szenen, die am Times Square spielen, aufgeführt. Die nächste Einstellung zeigt Fassaden, die den Times Square einrahmen. Schließlich verwandelt sich der Chorus in tanzende Gebäude. Die Nummer endet mit einem perspektivischen Blick von unten auf ein Hochhaus (s. Abb. 8). Im Innenraum der Theater entsteht ein »Gesamtkunstwerk der Effekte«, das die Zuschauer insofern mit einbezieht, als es bei ihnen ständig neue Erwartungen zu wecken sucht. Samuel Lionel Rothafel, der »Frank Lloyd Wright of the Cinema World«, der kurz Roxy genannt wird, kommt 1913 nach New York und wird dort zum gefeierten Theaterproduzenten. Roxys Erfolgskonzept besteht darin, 63

Architekturen des Zuschauens dass er den Menschen den Besuch von Kinopalästen, in denen sie von prunkvollen Bühnenausstattungen berauscht werden, zu bezahlbaren Preisen ermöglicht. Er selbst beschreibt seine Strategie so, dass alles im Theater darauf ausgerichtet sein muss, dem Zuschauer den Eindruck zu vermitteln, dass er die Person sei, um die sich alles drehe: »All you hear about these days is the everlasting cry of theater managers that they are looking for – what the people want. That idea is fundamentally and disastrously wrong. The people themselves don’t know what they want. They want to be entertained, that’s all. Don’t give the people what they want – give – them something better.« (Rothafel in Hall 1961: 37) Nach seinen Plänen werden mehrere Theater New Yorks umgebaut, unter anderem das Strand, das als Modell für alle zukünftigen Kinopaläste gefeiert wird. Mit diesem Theater eröffnet er eine neue Ära der Kinoarchitektur: mit vergoldeten Wänden, marmornen Böden, Florteppichen, Kristallleuchtern, Kunstwerken an den Wänden, luxuriösen Lounges und komfortablen Sitzgelegenheiten: »Behind the theater there should be an ideal, a living idea. Behind the programs there should likewise be an animate idea. It is that intangible something, that moving spirit, that makes the theater a living factor of local activities and a community center.« (Rothafel 1925: 361) Am 11. April 1914, einen Tag nach der Eröffnung des Strand, beschreibt Victor Watson, Kritiker der New York Times, die Eröffnung als gesellschaftliches Ereignis, ähnlich einer »Presidential reception« (vgl. Watson in Hall 1961: 39f.). Seine Beschreibung lässt erkennen, wie sehr er von dem Prunk beeindruckt ist: »The auditorium, done as a sort of neo-Corinthian temple topped by a vast cove-lit dome, was a revelation. The single balcony swept back in a gentle slope from the loges (fitted out with wicker armchairs) to a broad promenade at the top of the auditorium. The seats both downstairs and up were upholstered in the coziest of Pullman-car plush. Music from a hidden orchestra completed the dream-come-true atmosphere, as the firstnighters took their places for the opening performance in Broadway’s first genuine movie palace.« (Ebd.: 40) In den Filmpalästen können die Zuschauer an dem gleichen Luxus teilhaben, der sonst der Oberschicht vorbehalten ist. Damit stellt sich für die Architekten der Filmtheater die Aufgabe, Illusionsräume zu entwerfen: »For the movie palace architect was an escape artist. It was his mission to build new dream worlds for the disillusioned.« (Ebd.: 94) Sicherlich beschreibt Watson die Pracht der Kinopaläste angemessen, aber fraglich ist sein Deutungsschema für die Zuschauer. Im nächsten Kapitel werde ich zeigen, dass Kracauer die Kinopaläste, die Veranstaltungsorte der Massen, anders sieht.

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Die Architektur der Kinos

Abb. 7. Hollywood Revue. Astor Theater (1929).

Höhepunkt von Roxys Projekten ist das nach ihm benannte Roxy, das als größtes Theater der Welt 1927 mit 6200 Sitzen für 12 Millionen Dollar gebaut wurde. Das Theater ist mit verschiedensten Backstage-Einrichtungen ausgestattet: private Projektionsräume, ein Krankenhaus, ein Sendestudio, Club-Zimmer, eine Bibliothek, Proberäume und Roxys eigenes Apartment (vgl. Stern et al. 1994: 256) (s. Abb. 9). In dem Artikel »Theater Entrances and Lobbies« beschreibt C. Bullock, wie schon beim Betreten des Theaters die Imagination des Zuschauers durch die Atmosphäre angeregt werden soll. Der Architekt muss, so wird gesagt, die Lust des Zuschauers auf Abenteuer und sein Verlangen nach Romantik wecken (vgl. Bullock 1925: 369). Während sich die Zuschauer durch das Gebäude bewegen, wird durch die Abfolge der Räume das Verlangen nach immer neuen Überraschungen aufgebaut und befriedigt. Das geschieht vor allem auch durch Wandbilder, Möbel, künstliche Pflanzen oder Teppiche, wobei der Eindruck einer exotischen Welt noch dadurch gesteigert wird, dass die Zuschauer sich durch Spiegel an den Wandflächen selbst beobachten und sich als Teil dieser Welt sehen können (s. Abb. 10). Hier wird erkennbar, welches Gewicht den Räumen, in denen sich die Zuschauer befinden, zugeschrieben wird, so dass der Eindruck entstehen kann, dass die realen Räume des Kinos bereits mit den imaginären Räumen auf der Leinwand wetteifern.

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Architekturen des Zuschauens

Abb. 8. »42nd Street«. 42nd Street (1933). DVD captures.

Nicht nur auf der Leinwand, sondern in den realen Räumen der Kinos stoßen die Filmzuschauer auf ägyptische Hieroglyphen an den Wänden, auf chinesische Pagoden und mittelamerikanische Tempel. Teilweise entstehen nahtlose Übergänge von Filmmotiven zum Kinointerieur. In den USA entwickelt sich ein Typus von Theatern, die atmospheric theaters, von denen im Laufe der 20er Jahre Hunderte gebaut werden. Sie suggerieren ihrem Publikum, wie es ihr Erfinder, der Architekt John Eberson, ausdrückt, »ein großartiges Amphitheater unter einem vom Mondschein erleuchteten Himmel […] einen italienischen Garten, einen persischen Hof, einen spanischen Patio oder einen mystischen Tempelhof, […] in dem freundliche Sterne blinken und Wolkenfetzen vorüberziehen« (zitiert in Nelle 2005: 272). Im orientalischen Stil sind auch die Foyers ausgestattet. Im Innenraum der Theater wird die Architektur verschiedener historischer Epochen und verschiedenster Länder kopiert, um die Illusion zu erzeugen, dass man sich nicht nur im Film, sondern im Theater selbst in andere Räume und Zeiten versetzen kann (s. Abb. 11). Lewis Mumford beschreibt diese Zielsetzung mit Ironie, wenn er sagt: »with a little architectural hocus-pocus we transport ourselves to another age, another climate, another social régime, and best of all, to another system of aesthetics« (Mumford 1925: 322). Giuliana Bruno betont, dass die Kinos selbst mit dem Film wetteifern, indem sie sehr unterschiedliche Räume mit sehr unterschiedlichen Funktionen enthalten: »The movie palaces both fashioned and featured an articulate social geography, including such essential places as ›cosmetic rooms‹, ›smoking galleries‹, and ›crying rooms‹.« (Bruno 2002: 48) In den Backstage-Filmen werden wiederholt Räume aus den Kinopalästen wie Treppenaufgänge, Garderoben und Foyers gezeigt. Dabei wird die Materialität dieser Räume durch die Beleuchtung besonders hervorgehoben.

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Die Architektur der Kinos

Abb. 9. Roxy Theater. New York (1927).

Abb. 10. Earl Caroll Theater Lounge. New York (1931).

Nach Gomery sind die Kinopaläste in ökonomischer Hinsicht erfolgreich, weil sie ein »Gesamtkunstwerk« aus live performance, neuesten Filmen, prachtvoller Ausstattung und Vermarktung von Konsumgütern darstellen. Kinos sind nicht bloß Orte, in denen Filme gezeigt werden, sie sind Orte, die das Spektakel des Konsums feiern. Ein Viertel bis zu einem Drittel eines zweistündigen Programms ist für Teile außerhalb des Films vorgesehen (vgl. Gomery 1987: 24ff.).

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Architekturen des Zuschauens

Abb. 11. Loew’s Paradise Theater, New York (1929).

Die Architektur der Kinopaläste lässt eine Welt jenseits der Alltagserfahrung der Filmzuschauer entstehen und führt sie bereits in fiktionale Welten, bevor der Film beginnt. Dieser Eindruck wird durch die Kostümierung des Personals im Stil des Dekors noch verstärkt. So wird beispielsweise für den Film Broken Blossms (1919) von D.W. Griffith die ganze Lobby des Kinos mit Rosen dekoriert. In einem anderen Fall wird das Foyer in ein Gefängnis verwandelt und Passanten werden durch gefälschte Polizeitickets mit der Aufschrift »See you in Jail« zum Besuch des gleichnamigen Films motiviert (vgl. Nell 2005: 278). In den Foyers finden bereits vor dem Film Live-Aufführungen statt. Bei der Eröffnung des Capitol 1919 dauerte dieses Programm viereinhalb Stunden. Damit zeichnet sich eine Symbiose von Kino und Film ab, wie sie im Roxy ihren klarsten Ausdruck findet. Das Reich der Träume, das der Film in Aussicht stellt, braucht einen Ort, und dieser ist der Filmpalast. Er wird zur Stätte eines totalen Schauspiels, eines »Gesamtkunstwerks der Effekte« (vgl. Kracauer 1977: 312). In ihrer historischen Untersuchung hat Margaret Knapp die Entwicklung der Theater am Times Square hin zu einem kommer68

Die Architektur der Kinos ziellen Großunternehmen beschrieben. Auf dem Höhepunkt der Expansion in den 20er Jahren produzieren 42 Theater 133 neue Shows (vgl. Knapp 1991: 125). Dabei wird auch die Architektur des Theaterraums weiterentwickelt. Der Wiener Architekt Joseph Urban, der für Florenz Ziegfeld die Bühnenräume entwickelt, entwirft 1926 das Ziegfeld-Theater, in dem Bühnen- und Zuschauerraum nur noch durch einen einfachen Bühnenbogen getrennt sind. In dem elliptischen Auditorium gehen Wand und Decke ineinander über. Die Böden und Sitze sind in Goldtönen gehalten, die in den Wandbemalungen fortgesetzt werden und die Zuschauer umschließen, während die dekorativen Elemente der Fassade so beleuchtet werden, dass sie als Poster des Theaters fungieren (vgl. Carter 1974: 140) (s. Abb. 12). In den 20er und 30er Jahren sind die Kinopaläste, die aus den Nickelodeons hervorgehen, das neue Symbol des Glamours am Times Square. Mit dem Bau des Roxy erreicht der Bau der prachtvollen Kinopaläste, in denen unterschiedliche Formen der Unterhaltung angeboten werden, seinen Höhepunkt. Vor und zwischen den Vorstellungen werden Bühnenshows live gezeigt. Diese Stage-Shows sind erlaborierte Mini-Musicals mit spektakulären Bühnenarchitekturen und Lichteffekten. Samuel Rothafel und Sid Gauman wurden u.a. durch prologues bekannt, deren Produktion in dem BackstageFilm Footlight Parade im Mittelpunkt steht. Mit der Faszination des Tonfilms können die Bühnenspektakel jedoch nicht mehr konkurrieren. Mit der Radio City Music Hall wird 1932 noch einmal ein Supertheater entworfen, aber der Bau fällt einfacher und moderner aus. Es werden nicht mehr prächtige Bauwerke der Vergangenheit nachgeahmt, um die Illusion zu erzeugen, dass Grenzen von Raum und Zeit im Theater aufgehoben sind. Für Rudolph Rosenthal und Helena Ratzka vermittelt die Radio City Music Hall einen ganz anderen Eindruck als den, den die Zuschauer von dem Roxy und anderen Kinopalästen gewohnt sind. Sie finden keine Marmortreppen und Kristallkronleuchter, sondern »a revelation of simplicity and the wizardry of machine-made materials and forms« (zitiert nach Stern et al. 1994: 654) (s. Abb. 13). Zu einer Zeit, als sich die Unterhaltungsindustrie am Times Square verändert, greifen die Backstage-Filme den Mythos des Times Square auf. Knapp schreibt über diesen Vorgang: »Ironically, despite the new kinds of amusements to be found in Times Square, the old image remained practically intact. In a series of backstage films directed by Busby Berkeley, Hollywood defined for the rest of America what Broadway was all about: production numbers of dazzling, almost surreal beauty created by plucky, upbeat youngsters who refused to buckle under the miseries of Depression. In an era of sharply reduced production activity on Broadway itself, the Hol-

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Architekturen des Zuschauens lywood musical kept alive the aura of the Times Square theater district as an enchanted place where talent and hard work could lead to undreamed-of success.« (Knapp 1991: 130) Welche Ästhetik Hollywood entwickelt, um die Unterhaltung am Times Square zu präsentieren, werden die Analysen der einzelnen Filme zeigen; dabei wird auch die Relation zwischen Theater und Film thematisiert.

Abb. 12. Abb. Ziegfeld-Theater, New York (1926). Abb. 13. Radio City Music Hall. New York (1932).

4.3. Kinopaläste als »Orte der Zerstreuung« (Siegfried Kracauer) Die Ausführungen von Siegfried Kracauer zu den Kinopalästen bzw. Lichtspielhäusern in Berlin am Anfang des 20. Jahrhunderts, die sich auch auf die Unterhaltungsindustrie in den USA beziehen lassen, sind ambivalent. Auch er beschreibt die Lichtspielhäuser als ein optisches und akustisches Kaleidoskop. Es entsteht durch das Zusammenspiel zwischen Orchester, Scheinwerfer, Stoffen und Arrangements eine Architektur, die als Vorstufe auf das filmische Ereignis vorbereitet: »Bis zuletzt die weiße Fläche herabsinkt und die Ereignisse der Raumbühne unmerklich in die zweidimensionalen Illusionen übergehen.« (Kracauer 1977: 312)

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Die Architektur der Kinos Das Besondere bei Kracauers Interpretation der Kinopaläste besteht darin, dass er sie als Ausdruck eines neuen Bewusstseins der Massen deutet. Hier schaffen sich nach seiner Sicht die Massen selbst einen für ihre Erfahrungen angemessenen Raum: »Der Gloria-Palast gibt sich als Barocktheater. Die Gemeinde, die nach Tausenden zählt, kann zufrieden sein, ihre Versammlungsorte sind ein würdiger Aufenthalt.« (Ebd.: 311) Er sieht in dem Geschehen in den Kinopalästen ein Gesamtkunstwerk und spricht von dem ›amerikanischen Prinzip der geschlossenen Vorstellung‹, das darin besteht, dass sich einzelne Filme in ein größeres Ganzes einfügen: »Aus dem Kino ist ein glänzendes revueartiges Gebilde herausgekrochen: das Gesamtkunstwerk der Effekte.« (Ebd.: 312) Mit den Kinopalästen schafft sich die Masse ihre eigene Architektur: »Je mehr sich aber die Menschen als Masse spüren, um so eher erlangt die Masse auch auf geistigem Gebiet formende Kräfte, deren Finanzierung sich lohnt. Sie bleibt nicht mehr sich selbst überlassen, sondern setzt sich in ihrer Verlassenheit durch; sie duldet nicht, daß ihr Reste hingeworfen werden, sondern fordert, daß man an gedeckten Tischen serviere.« (Ebd.: 313) Kracauer nennt die neuen Lichtspielhäuser »Paläste der Zerstreuung«, wobei er den Begriff der Zerstreuung nicht abwertend gebraucht: »Man schilt die Berliner zerstreuungssüchtig; der Vorwurf ist kleinbürgerlich.« (Ebd.) Der Begriff der Zerstreuung bringt zum Ausdruck, dass die Gesellschaft in Unordnung geraten ist und dass es keinen inneren Zusammenhang zwischen den Dingen und den Erfahrungen der Menschen gibt. Deshalb handeln diejenigen, die sich der Zerstreuung hingeben, »wahrheitsgemäß«. Damit kritisiert Kracauer die auf Innerlichkeit ausgerichtete bürgerliche Kunst, die nicht das Wesen der Zeit erfassen kann: »Das Berliner Publikum handelt in einem tiefen Sinne wahrheitsgemäß, wenn es diese Kunstereignisse [die der hohen Kunst] mehr und mehr meidet, die zudem aus guten Gründen im bloßen Anspruch stecken bleiben, und dem Oberflächenglanz der Stars, der Filme, der Revuen, der Ausstattungsstücke den Vorzug erteilt.« (Ebd.: 314f.) Die Hingabe an die Oberfläche und das Oberflächliche bringen für Kracauer den wahren Zustand der Gesellschaft zum Ausdruck und fordern somit eine revolutionäre Veränderung der Gesellschaft (vgl. ebd.: 315). Er sieht jedoch auch, dass es in den Kinopalästen Tendenzen gibt, die dazu führen, dass sich die von ihm erhoffte Wirkung nicht einstellen wird: »Denn, rufen sie auch zur Zerstreuung auf, so rauben sie ihr doch sogleich wieder dadurch den Sinn, dass sie die Mannigfaltigkeit der Effekte, die ihrem Wesen nach voneinander isoliert zu werden verlangen, zur ›künstlerischen‹ Einheit zusammenschweißen, die bunte Reihe der Äußerlichkeiten in ein gestalthaftes Ganzes pressen möchten.« (Ebd.) Mit Enttäu-

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Architekturen des Zuschauens schung beobachtet er, dass sich die Kinopaläste den bürgerlichen Theatern angleichen: »Der architektonische Rahmen schon neigt zur Betonung der Würde, die den oberen Kunstinstituten eignete. Er beliebt das Gehobene und Sakrale, als umfinge er Gebilde von ewiger Dauer; noch ein Schritt weiter, und die Weihkerzen leuchten.« (Ebd.) Für Kracauer enthüllen die neuen Lichtspielhäuser den Zerfall der Gesellschaft, aber sie verhüllen ihn auch: »Die Zerstreuung, die sinnvoll einzig als Improvisation ist, als Abbild des unbeherrschten Durcheinanders unserer Welt, wird von ihnen [den Lichtspielhäusern] mit Draperien umhängt und zurückgezwungen in eine Einheit, die es gar nicht mehr gibt.« (Ebd.: 316) Problematisch ist an dem Begriff der Zerstreuung, dass sie auf etwas angewiesen ist, was nicht Zerstreuung ist, um als solche erfahrbar zu sein. In einer Welt, in der es nur Zerstreuung gibt, kann sie nicht erfahren werden. Sie setzt somit die Einheit, gegen die sie sich wendet, voraus.

4.4. Die Rückgewinnung der imaginären Räume des Films Im vorangegangenen Teil habe ich dargestellt, dass die Architektur der Kinopaläste bei den Zuschauern eine Wirkung hervorzurufen sucht, die es mit derjenigen der imaginären Räume auf der Leinwand aufnehmen kann. Der reale Raum des Kinos verdrängt den imaginären auf der Leinwand und hebt somit die Architektur des Zuschauens auf. Wir erleben gegenwärtig eine vergleichbare Entwicklung, die in Las Vegas ihren Höhepunkt findet. Die Besucher, die das Venitian besuchen, sollen sich real in Venedig fühlen. Die Differenz zwischen realem und imaginärem Raum wird eingeebnet. Frederick Kiesler kritisiert die Entwicklung zu den prachtvollen Filmpalästen in den 1920 und 1930er Jahren, weil sie die genuine Erfahrung der imaginären Räume auf der Leinwand beeinträchtigen, und fordert eine Architektur für die Kinopaläste, die sich in den Dienst der Filmerfahrung stellt und die Zuschauer nicht ablenken, sondern höchste Konzentration ermöglichen soll: »I mean that the reflex which the film creates in the psyche of the spectator must make it possible for him to lose himself in imaginary, endless space, to feel himself alone in universal space, even though the projection surface, the screen, implies the opposite: all for one point, the SCREEN.« (Zitiert in Friedberg 2006: 169) Das Film Guild Theater (s. Abb. 14) ist ein einfacher moderner Raum, der sich nicht zwischen den Film und die Zuschauer schiebt (vgl. ebd.: 168f.).

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Die Architektur der Kinos

Abb. 14. Film Guild Theater. New York (1928-30).

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5. Imaginäre und reale Räume in ausgewählten Backstage-Filmen Der Backstage-Film ist eine Form des Musicals. Das Besondere des Genres besteht darin, dass sich seine Struktur aus einer Backstage-Handlung und den Musical-Nummern zusammensetzt. Die Handlung thematisiert die Produktion einer Show im Kontext der Unterhaltungsindustrie und geht auf die Veränderungen von Unterhaltung in Weltausstellungen, Vaudeville-Theatern, Nickelodeons und Kinopalästen ein. Dabei werden Bezüge zu den Orten der Unterhaltung, insbesondere dem Times Square, aufgebaut. In den Musical-Nummern werden aufwändige Bühnenproduktionen mit filmischen Mitteln choreographiert. Diese Räume unterscheiden sich in ihrer Gestaltung von den Handlungsräumen, so dass für das Genre eine zweigeteilte Struktur charakteristisch ist. Der erste Film, der dieses Format etablierte, war der MGM-Film Broadway Melody (1929). Den Höhepunkt erreichte das Genre in den 1930er Jahren mit den Warner-Brothers-Filmen 42nd Street (1933), Gold Diggers of 1933 (1933), Footlight Parade (1933) und Dames (1935). In den 1950er Jahren ging das Backstage-Format in die Formen des integrierten Musicals über, bei denen die Tanz- und Gesangseinlagen von Schauspielern wie Fred Astaire und Ginger Rogers Teil der Handlung sind. Insofern bleibt das Format der Backstage-Filme der 30er Jahre einmalig, da bei ihm eine Trennung zwischen Stage und Backstage besteht, die sich auch schon darin zeigt, dass die Stageund Backstage-Teile von unterschiedlichen Regisseuren gefilmt werden. Die Stage-Teile werden von den Raumvorstellungen Busby Berkeleys geprägt, und die der Backstage-Teile von den Regisseuren Mervin Le Roy, Lloyd Baken und Robert Z. Leonard. Der Stil Busby Berkeleys prägt nach James Monaco das Genre (vgl. Monaco 1996: 304). Einzelne Momente der Raumdarstellungen aus den BackstageFilmen werden aber auch in der Gegenwart aufgegriffen. So finden sich Stilelemente aus Busby Berkeleys Musical-Nummern in heutigen Musikvideos, wie abstrakte Montagen, kaleidoskopartig zersplitterte Bilder, fließende Übergänge von einem Objekt zum nächsten, die Bewegung von Körpern, die nicht mehr den Gesetzen der Schwerkraft unterworfen sind. Die Architektur des überladenen 75

Architekturen des Zuschauens Bühnendekors, wie sie Berkeley in seinen Choreographien entwickelt, ist Vorbild für die bizarren Architekturen in gegenwärtigen Musikvideos (vgl. Bódy, Weibel 1987: 130). In dem Film 8 Mile (2002) von Curtis Hanson, in dem die Geschichte des Rappers Eminem erzählt wird, wird die Musikszene des Hip-Hop im städtischen Kontext Detroits so inszeniert, dass sie soziale und kulturelle Barrieren zu überwinden vermag. Der Erfolg auf der Bühne in Form von Rap Improvisationen ermöglicht es Eminem, in der Wirklichkeit des Lebens bestehen zu können. Anders als Berkeleys Choreographien steht hier nicht so sehr das Visuelle, sondern das Klangliche im Mittelpunkt. Die Backstage-Filme, die für eine detaillierte Interpretation ausgewählt wurden, ermöglichen unterschiedliche Schwerpunktsetzungen. Die Filme The Great Ziegfeld (1936) und Ziegfeld Girl (1941) beziehen sich auf die Theaterindustrie am Times Square Anfang des 20. Jahrhunderts. Ich werde die Aufmerksamkeit auf die gestalterischen Mittel lenken, mit denen auf der Bühne Bedeutungen und Effekte konstruiert werden. In den beiden Filmen werden die ZiegfeldShows so verfilmt, wie sie auch die Theaterzuschauer erleben können. In den Filmen Gold Diggers of 1933 und Footlight Parade gibt es Choreographien, in denen Berkeley mit filmischen Mitteln Räume erzeugt, die nicht mehr von Theater-, sondern nur noch von Filmzuschauern wahrgenommen werden können. Die Backstage-Filme 42nd Street, Gold Diggers of 1933 und Footlight Parade verweisen zwar ebenfalls auf die Unterhaltungsindustrie am Times Square, beziehen sich aber auf eine andere Zeit, nämlich die der Depression und des New Deal. Sie konstruieren in den Backstage-Räumen eine eigene ästhetische Realität, die sich auf Aspekte des Alltags in dieser Zeit bezieht. Die Regisseure der Backstage-Teile dieser Filme sind Mervyn LeRoy und Lloyd Bacon.

5.1. Die Entwicklung Ziegfelds zum »Glorifier of the American Girl« Der Film The Great Ziegfeld, der 1936 von MGM produziert wurde, handelt von dem Theaterproduzenten Florenz Ziegfeld, der die Unterhaltungsindustrie am Anfang des 20. Jahrhunderts in Amerika wesentlich geprägt hat und als »Glorifier of the American Girl« in die amerikanische Geschichte eingegangen ist. Der Film erhebt einen dokumentarischen Anspruch und orientiert sich an Ereignissen, die Ziegfelds Leben und seine Karriere am Broadway bestimmt haben, aber er dokumentiert nicht nur, sondern ist auch am Aufbau des Ziegfeld-Mythos beteiligt. Eine zeitgenössische Rezension

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Imaginäre und reale Räume bezeichnet den Film als »Glorification of the Great Glorifier and of his creation, the Ziegfeld Follies« (Nugent 1936). Ich werde bei meiner Interpretation erstens die Aufmerksamkeit auf die stilistischen Mittel, mit denen Ziegfeld den Bühnenraum entwirft, lenken und die Wirkung der Bühnenarchitektur in den Vordergrund stellen. Zweitens werde ich das Verhältnis der Bühnenarchitektur zu den Räumen hinter der Bühne und zu der Theaterarchitektur am Times Square untersuchen. Die Bildkompositionen seiner privaten Räume und die der Bühne wirken auf unterschiedliche Weise durch die Stilisierung des Dekors und die Lichtgebung. Dabei wird die ästhetische Form der Bühne bei Ziegfeld in den historischen Zusammenhang der Unterhaltungsindustrie am Anfang des 20. Jahrhunderts gestellt.

5.1.1 Die filmische Darstellung der Weltausstellung Der Film beginnt mit dem Blick auf das Feuerwerk, mit dem die Weltausstellung in Chicago 1893 eröffnet wird. Es folgt eine Einstellung, in der das Eingangstor der Ausstellung die Bildfläche füllt (s. Abb. 15.1). Im Vordergrund strömen die Menschen durch das Tor, im Hintergrund sind die Pavillons und ein Riesenrad durch Lichter angedeutet. Die nächste Kameraposition ist hinter dem Tor und zeigt die Gebäude und die Menschen, die sich zwischen den Attraktionen bewegen (s. Abb. 15.2). Der Schriftzug ›Streets of Cairo‹ leuchtet in der oberen Bildhälfte der nächsten Einstellung, in der das Geschehen aus größerer Nähe gezeigt wird. Wir sehen, wie sich Menschen zwischen den Lichterketten bewegen. Die Kamera zeigt zunächst Jack Billings, einen Konkurrenten Ziegfelds, der vor einem Pavillon für seine Show wirbt, und schwenkt dann über die sich bewegende Menschenmenge zu der Leuchtschrift ›Ziegfeld Jr. Presents Sandow‹. In diesen Einstellungen zeigt die Kamera das Geschehen aus leicht erhöhter Position und ermöglicht dem Zuschauer eine Übersicht über den Raum, insbesondere über den Teil, der mit ›Streets of Cairo‹ überschrieben ist und in dem Ziegfeld seine Show präsentiert. Der Film kann hier mit seinen Mitteln, indem er zwischen Totale, Halbtotale und Nahaufnahme wechselt, dem Filmzuschauer die Atmosphäre einer Welt vermitteln, in der Ziegfeld wirkt und aus der er seine Form der Unterhaltung entwickeln wird. Die Effekte der Lichter und die Hinweise auf die vielfältigen Attraktionen erwecken den Eindruck einer lebendigen und faszinierenden Welt.

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Architekturen des Zuschauens

Abb. 15.1-2. Weltausstellung 1893 Chicago. The Great Ziegfeld (1936). DVD captures.

Es wird bei den Bildern über die Weltausstellung nicht nur mit dem Schild ›Streets of Cairo‹ auf Ägypten, sondern auch auf andere exotische Länder wie Algerien, Tunesien und Indien verwiesen. ›Little Vienna‹ wird nicht als Außenraum, sondern als Innenraum gezeigt, in dem der Dekor der Szenerie und die regionalen Kostüme der Personen den Rahmen bilden. Die Bilder der Weltausstellung wirken dadurch, dass architektonische Elemente unterschiedliche Länder heraufbeschwören und damit den Besuchern der Weltausstellung den Eindruck vermitteln, dass alles, was räumlich und auch zeitlich auseinander liegt, von ihnen gleichzeitig wahrgenommen werden kann. Die orientalisch durchsetzte Architektur erzeugt eine Dichte von Effekten, und die verheißungsvolle Unübersichtlichkeit ein latentes Versprechen von Überraschungen und Verbotenem. Dabei spielt das Experimentieren mit der Elektrizität, die diese Welt in einem hellen Licht erscheinen lässt, eine entscheidende Rolle. Die Formensprache der Fassaden greift einerseits die Lichtreklame auf, wie sie sich am Times Square in New York entwickelt hat, und bezieht sich andererseits auf die provisorische Bauweise der Pavillons und die wirkungsvolle Beleuchtung, wie sie in den Amusementparks am Anfang des 20. Jahrhunderts entstand. Rem Koolhaas beschreibt in Delirious New York am Beispiel von Coney Island, wie sich die architektonischen Mittel der Themenparks und die Architektur New Yorks gegenseitig bedingen. Dabei wird sowohl auf die technologisch hoch entwickelte Architektur als auch auf die provisorische Architektur von Weltausstellungen zurückgegriffen (vgl. Koolhaas 1978). Hauptattraktion des Luna Parks ist eine Reise zum Mond inmitten einer im orientalischen Stil angelegten Stadt, deren Silhouetten in Glühbirnen mit verschiedenen Farben leuchten. Im Vergnügungspark Dreamland können die Zuschauer Klein-Venedig mit Markusplatz und den Canale Grande besuchen und das Erdbeben von San Francisco und den Ausbruch des Vesuvs erleben. Spätere Themenparks wie Disney Land greifen diese Entwicklungen 78

Imaginäre und reale Räume auf. Die Gestaltung des urbanen Raums durch Lichtfassaden findet in der Schilderarchitektur von Las Vegas ihren Höhepunkt. Mit möglichst geringem Aufwand werden Effekte gesucht, um unterschiedlichste Orte zu simulieren. Dieses Nebeneinander verschiedener Orte und Zeiten, die den Eindruck der Fülle und Dynamik hervorrufen, bestimmt auch die Bühnenästhetik Ziegfelds und die des Films The Great Ziegfeld. Kehren wir nach diesem Überblick über die verschiedenen stilistischen Einflüsse zu den Szenen am Beginn von The Great Ziegfeld zurück, in denen Ziegfeld auf der Weltausstellung gezeigt wird. Wenn die Kamera die erhöhte Einstellung auf die Weltausstellung verlässt und das Geschehen aus der Nähe betrachtet, richtet sie den Blick auf Florenz Ziegfeld (William Powell), der ›Sandow, the strongest man in the world‹ auf der Weltausstellung präsentiert (s. Abb. 16).

Abb. 16. The Great Ziegfeld (1936). DVD capture.

In Ziegfelds späteren Bühnenshows sind es zwar die Chorusgirls bzw. Ziegfeld-Girls, die wesentlich zur Wirkung des Bühnenraums beitragen, aber schon hier lenkt der spätere »Glorifier of the American Girl« seine Aufmerksamkeit auf den Körper und erkennt dessen Bedeutung für seine Inszenierungen. Dabei ist hier von Belang, dass Ziegfeld nicht wie angekündigt den Fokus auf die Kraft des »strongest man in the world« richtet, sondern auf die sexuelle Ausstrahlung seines Körpers. Zunächst steht Sandow in einem glitzernden Anzug auf einer Treppe und stellt seine Muskeln zur Schau, und diese Vorstellung wird als Familienspektakel präsentiert. Doch diese Bilder werden von anderen überlagert. Sie zeigen, wie Frauen hinter der Bühne die Muskeln des stärksten Mannes der Welt berühren. Es entstehen durch diese Überlagerungen unscharfe Bildausschnitte. Die räumlich figurativen Strukturen lösen sich für Momente auf und erzeugen in ihren Licht- und Schattenkonstruktionen Stimmungen einer phantastischen Welt (s. Abb. 17.1-3). In diesen Szenen bleibt offen, ob die Frauen wirklich die 79

Architekturen des Zuschauens Muskeln des stärksten Mannes berühren oder ob sie sich nur vorstellen, sie zu berühren. Diese Bilder lassen auch erkennen, wie sich am Anfang des 20. Jahrhunderts eine veränderte Einstellung zum Körper entwickelt und wie Ziegfeld den Körper als Attraktion für seine Shows einsetzen wird. In dem sinnlichen Wahrnehmungsangebot verspricht die Weltausstellung Erfahrungen, die auf einem unmittelbarem Erleben unterschiedlichster Räume beruhen. Dabei wird mit der Distanz bzw. dem Distanzverlust gegenüber dem Erlebten gespielt. Bevor ich mich der Ästhetik von Ziegfelds Bühne und dem Wechselspiel zwischen den Bühnen und Backstage-Räumen zuwende, gehe ich auf die Architektur von Bühnen- und Zuschauerraum ein.

Abb. 17. 1-3. The Great Ziegfeld (1936). DVD captures.

5.1.2 Die Architektur von Bühnen- und Zuschauerraum Ziegfeld experimentiert mit unterschiedlichen Bühnenformaten. Auf dem Dachgarten des New Amsterdam Theater entsteht ein Raum, in dem nach den Aufführungen im Theater weitere Shows, die Midnight Frolics, stattfinden. Der Wiener Architekt Joseph Urban, der 1911 in die USA emigrierte, entwirft für diesen Dachgarten einen glitzernden Nachtclub mit gläsernen Balkonen zum Tanzen, Essen, und einer beweglichen Bühne, auf der mit Beleuchtung und Bühnenarchitektur experimentiert werden kann. Generell wurden auf den Dachgärten der New Yorker Theater einem ausgewähltem Publikum neue Formen der Unterhaltung, wie das Variety-Fomat und das Black Musical Theater, präsentiert. Auch werden bereits Filme auf den Dachgärten gezeigt, bevor sie Einzug in den Mainstream der amerikanischen Unterhaltung haben (vgl. Johnson 1985: 165f.). Den Dachgarten des New Amsterdam Theaters nutzt Ziegfeld, um seine Formen der Unterhaltung, die an die der Weltausstellung anknüpfen, weiter zu entwickeln. Die Architektur verbindet sich mit

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Imaginäre und reale Räume den Bühnenbildern, so dass flexible Verbindungen zwischen Performance- und Zuschauerraum entstehen können. Treppen führen zu Glas-Balkonen, und Vorhänge mit Landschaftsmotiven teilen einzelne Bereiche des Raums auf. Zwischen ihnen haben die Chorusgirls spektakuläre Auftritte und steigen über gekurvte Plattformen zum Publikum herab. Teleskopartige Bühnenkonstruktionen, die ausgefahren werden, erzeugen Überraschungseffekte. Kostüme und Dekor sind aufeinander abgestimmt. Es gab eine Tendenz, eine Ziegfeld-Show nach der anderen zu besuchen, und nicht selten trugen die Zuschauerinnen Kleider im Stil der Ziegfeld-Kostüme, so dass sich Schauspielerinnen und Besucherinnen kaum unterscheidbar auf engstem Raum vor der Bühnenszenerie bewegten. Lifestyle und Theateraufführung waren in diesen Events eins (vgl. Innes 2005: 47). Der Raum des Dachgartens wurde für den Film originalgetreu nachgebaut und zeigt die Zuschauer der Midnight Frolics, die mit den Schauspielern interagieren. In den Räumen des Dachgartens knüpft Ziegfeld an seine Shows mit Sandow an. Sie haben den Charakter des Jahrmarkts und des Kabaretts. Darauf weist auch Erenberg hin: »Unlike the more formal theatre and concert hall, the cabaret’s setting and structure encouraged the sharing of vitality and spontaneity between patrons and performers that was once exclusively reserved for the stage and the entertainer. Transferring the performance from the stage floor broke down the formal barriers between the entertainer and his audience by allowing them to mingle freely.« (Erenberg 1981: 113) Urban arbeitet als Architekt, Innenarchitekt und Bühnenbildner in den USA und entwirft für Ziegfeld die Bühnenbilder sowie das Ziegfeld-Theater. In den Entwürfen für Ziegfeld, die von extravaganten Art-Déco-Formen bestimmt sind, arbeitet er vor allem mit Lichtund Farbeffekten. Dabei konstruiert er Bühnenräume, deren Innenwelten in den Zuschauerraum übergehen: »The most striking element in Urban’s work was his use of color. He applied his paint to the canvas by the use of pointillage, a technique employed by many artists of the Impressionist school, but new to scenic design. Avoiding solid colors, in the manner of Monet and Seurat, he achieved magical effects with lightning.« (Carter 1974: 44) Zusätzlich zu den Malereien und Lichteffekten entwirft er die beweglichen Plattformen, die den Raum neu konfigurieren und die Muster der Aufführungen strukturieren. In den 20er Jahren führte die Intention, die Bühne als Bild und als statisch gemalte Bühnenkulisse zu überwinden, zur Einführung dynamischer Bühnenarchitekturen. Frederick Kieslers Konzept für ein Raumtheater (1925) sollte das Wechselspiel zwischen Zuschauern und Schauspielern fördern. Es hatte die Form eines giganti-

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Architekturen des Zuschauens schen Sphäroids aus Glas. Im Inneren waren eine spiralförmige Bühnenkonstruktion und unterschiedlich aufgehängte Plattformen vorgesehen, um mit dieser Raumorganisation einen Austausch zwischen Zuschauer und Schauspieler zu ermöglichen. Statt eines Bühnenbilds sollten an den Innenseiten der Schale Bild- und Filmprojektionen, die auch die Umgebung als Hintergrund einbeziehen sollten, angebracht werden. László Moholy-Nagy entwickelt eine Theorie zum »Theater der Totalität«. Er fordert einen neuen, flexibel erweiterbaren Bühnentyp und schreibt 1925 in seinem Aufsatz »Theater, Zirkus, Varieté«: »Es muß endlich eine Aktivität entstehen, welche die Masse nicht stumm zuschauen läßt, sie nicht nur im Inneren erregt, sondern sie zugreifen, mittun und auf der höchsten Stufe einer erlösenden Ekstase mit der Aktion der Bühne zusammenfließen läßt.« (Moholy-Nagy in Brauneck 1986: 160) Urbans Bühnen-Entwürfe sollten die Zuschauer auf imaginäre Reisen mitnehmen, Architektur und Bühne sollten eins werden in dem Ereignis des Theaters. Bei der Inszenierung auf der Bühne sollen visuelle und performative Elemente zusammenspielen. Er benutzt daher den Begriff mise-en-scène, bei dem das Dramatische mit der Szenerie eins wird. Der Entwurf des Theaters auf dem Dachgarten nimmt Konzepte auf, die die Grenze zwischen Zuschauer und Bühnenraum zu überwinden suchen. Den Zuschauern und Zuschauerinnen soll das Gefühl vermittelt werden, Teil des Glamours auf der Bühne zu sein. Ein weiteres Element der Ziegfeld-Bühne ist, dass sie sich bewegt und zu immer neuen Formen zusammengesetzt werden kann. Sie kann in den Zuschauerraum hineingeschoben werden und damit den Handlungsraum verändern. Im Mittelpunkt meiner Darstellung wird die Bühne der ZiegfeldShows und der Ziegfeld-Girls stehen. Um jedoch die Struktur und die Wirkung, die von der Bühne ausgeht, zu erfassen, muss berücksichtigt werden, wie die Backstage-Räume entworfen sind und was in ihnen über die Bühne gesagt und gezeigt wird, weil dadurch die Wahrnehmung der Bühnenarchitektur durch die Filmzuschauer verändert wird. Deshalb werde ich vor der Darstellung der Bühnenästhetik Ziegfelds auf unterschiedliche Funktionen der BackstageRäume hinweisen.

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Imaginäre und reale Räume

5.1.3 Backstage-Räume und ihr Verhältnis zur Bühne In den Backstage-Räumen wird wiederholt thematisiert, welche Wirkungen auf der Bühne angestrebt werden. Insofern zeigt der Backstage-Film den Filmzuschauern, dass das Geschehen auf der Bühne ›gemacht‹ ist. Es wird somit nicht eine Illusion in dem Sinne angestrebt, dass die Zuschauer vergessen sollen, dass es sich hier um Aufführungen handelt. Eine Szene des Films zeigt Ziegfeld auf dem Höhepunkt seiner Karriere, als vier Shows von ihm erfolgreich am Broadway laufen und er finanziell von seinen Geldgebern unabhängig ist, im Büro seines Theaters. Sein Büro vermittelt den Eindruck, dass dieser Raum das Zentrum darstellt, von dem aus er seine Produktionen leitet. Es ist ein weitläufiger Raum, der im Art-Déco-Stil entworfen ist. Auf der linken Seite steht ein marmorner weißer Schreibtisch, dessen Seiten horizontale Linien strukturieren. Hinter dem Schreibtisch befindet sich ein Fenster, durch dessen Jalousien das Licht gebrochen wird und dadurch Muster bildet, die sich auf den Möbeln und den Besuchern abbilden. Das weiße Licht bestimmt die Stimmung des Raums. Die Art-Déco-Architektur, in der sich Kunst und Technologie verbindet, wird hier eingesetzt, um Ziegfeld als einen Charakter, der für Moderne, Eleganz und Fortschritt steht, zu zeigen. Der geometrische Stil, die gekurvten Formen und das dominierende Weiß verweisen auf die Energie und Eleganz seiner Produktionen. Das Büro ist der ›reale‹ Raum, in dem darüber entschieden wird, wie die imaginären Räume der Bühne entworfen werden (s. Abb. 18). Während die Architektur des Büros eingesetzt wird, um Ziegfeld zu charakterisieren, gibt es auch Backstage-Räume, die nicht so sehr durch ihre Architektur wirken, sondern vielmehr durch die in ihnen geäußerten Worte der Charaktere. In einer Szene, die im Büro des Produzenten Billings spielt, beschreibt Ziegfeld seine Vision der Ziegfeld-Bühne und der Ziegfeld-Girls. An dieser Szene wird besonders deutlich, wie der Backstage-Film durch Ausführungen in den Backstage-Räumen die Wirkung des Bühnengeschehens beeinflussen und steuern kann. Als Ziegfeld das Büro von Jack Billings aufsucht, um ihn zu bewegen, seine neue Show zu finanzieren, werden die Gesichter von Ziegfeld und Billings in der Halbtotale gezeigt, so dass die Filmzuschauer ihre volle Aufmerksamkeit auf Ziegfelds Worte richten können: »I want to star the girls. […] I will have personalities – but there’ll mostly be blondes brunettes. […] I’m gonna call it the Ziegfeld Follies. […] Not the kind of girl show you’ve ever seen before either. While you are using the same scenery you used 20 years ago, 83

Architekturen des Zuschauens woodwings, and flats […]. I want to do a show with silk drapes, with lace, with beautiful girls. I’ll dress them not for the bald-headed men in the front row – but for the women in the last row. […] I want to surround them with glamour glitter, glorify them, glorify, say there is a good word, Jack, glorify. It will look all right too: Glorifying the American Girl. […] I’ll take them from homes, from stores, from offices.« Hier wird mit Worten die Bühne seiner zukünftigen Shows entworfen, und dabei auch die Phantasie der Filmzuschauer angeregt. Sie sollen sich eine Bühne mit Frauen in glamourösen Kostümen vorstellen, deren Bilder gleichzeitig die ihnen vertraute Vorstellung von Bühnenbildern verändern. Aber das Bild, das er von seinen Shows und von den Ziegfeld-Girls entwirft, erschöpft sich nicht in dem, was äußerlich wahrnehmbar ist, sondern es geht um die Adressaten seiner Shows. Sie sollen sich nicht in erster Linie an die Männer, sondern an die Frauen in den Theatern wenden. Er will sie glorifizieren und ihr Bewusstsein verändern. Insofern konzipiert er die Bühne nicht als illusionäre Welt, die von der Realität ablenken soll, sondern das Geschehen auf der Bühne soll die Realität verändern. Für diese Bühnenvision will er Frauen aus allen Lebensbereichen, »from homes, from stores, from offices«, auf die Bühne bringen. Wenn Filmzuschauer die folgenden MusicalNummern unter dieser Perspektive sehen, besitzen sie ein anderes Verständnis als die Theaterzuschauer, die nichts von Ziegfelds Vision erfahren haben. Daraus kann nicht gefolgert werden, dass die Filmzuschauer Ziegfelds Perspektive übernehmen, aber seine Worte sind Teil des Films und gehören zum Ziegfeld-Mythos. Ziegfeld erscheint in dieser Backstage-Szene als derjenige, der die Frauen zu glorifizieren sucht, indem er sie aus ihrem Alltag herausstellt und sie in kostbaren und opulenten Kostümen auf die Bühne bringt. Wie dies im Einzelnen geschieht, werde ich später detailliert darstellen. Es sei hier jedoch schon erwähnt, dass Ziegfeld nicht nur ein Schlagwort, »Glorifying the American Girl«, prägt, sondern dass er es versteht, ihm in seinen Shows Gestalt zu verleihen. Dabei kann zunächst unberücksichtigt bleiben, ob die Ziegfeld-Shows anders interpretiert werden müssen, als Ziegfeld sie intendiert hat (vgl. die feministische Kritik). In einer anderen Backstage-Szene wird ein weiterer Aspekt des Ziegfeld-Mythos beleuchtet. Während seiner Europareise auf der Suche nach Talenten entdeckt Ziegfeld in der Palace Music Hall in London Anna Held. Er sucht sie in der Garderobe auf und versucht sie mit folgenden Worten für seine Shows zu gewinnen: »I’ll sell you to the public, I’ll exploit you from coast to coast, […] I’ll give you the greatest opening night that New York ever had. You’ll see the Goulds, the Astors, the Vanderbilts, Diamond Jim Brady, Lillian Russell.« Szenen wie diese, wenn sie zudem noch durch weitere ver-

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Imaginäre und reale Räume stärkt werden, bleiben dem Filmzuschauer im Gedächtnis und erhalten mehrere Funktionen. Sie dienen einmal der Charakterisierung Ziegfelds, der die High Society durch seine Shows anzieht und dadurch auch zum Erfolg der Schauspielerinnen beiträgt, und erhöhen andererseits für die Filmzuschauer den Wert seiner Shows. Sie sehen nicht nur eine Show, sondern eine Show, die auch die High Society New Yorks besucht. Auch hier zeigt sich, wie die Räume der Backstage dafür eingesetzt werden, den Ziegfeld-Mythos zu steigern.

Abb. 18. u. Abb. 19. The Great Ziegfeld (1936). DVD captures.

Wie Szenen, die vor allem durch die Worte wirken, durch diejenigen, in denen die Bilder die Bedeutung bestimmen, verstärkt werden, zeigt sich in der Szene, die unmittelbar der Garderobenszene folgt. Wir sehen, wie vor dem beleuchteten Eingang des Herald Square Theater in New York nach Ende einer Vorstellung die Kutschen der prominenten Besucher vorfahren und aufgerufen werden: »Mr. Vanderbilts carriage, Ms. Russel’s carriage, […] Mr. Sack’s carriage« etc. (s. Abb. 19). Über dem Eingang des Theaters blinkt Anna Helds Name in Neonlichtern. Hier wird durch das Bild bestätigt, was Ziegfeld in der vorhergehenden Szene nur versprochen hat. In einer Szene im Backstage-Bereich wird durch eine beeindruckende Montage Ziegfeld als dynamischer rastloser Produzent ins Bild gesetzt. Wir sehen einen Zug, der auf die Kamera zufährt, anschließend richtet sich der Blick aus dem Zug auf die Schienen und schließlich auf eine Landschaft, die aus dem Fenster eines fahrenden Zugs aufgenommen wird. Diese Bilder suggerieren, dass Ziegfeld ständig in Bewegung ist. Das nächste Bild zeigt einen Zeitungsartikel, der von Sandows Ankunft in San Francisco berichtet und suggeriert, dass Ziegfeld die Vereinigten Staaten durchquert hat (s. Abb. 20.1-3). Das folgende Bild zeigt vor einem repräsentativen Gebäude eine Kutsche, aus der Ziegfeld steigt. Im nächsten Bild sehen wir ihn am Telefon und anschließend eine Collage von Zeitungen,

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Architekturen des Zuschauens deren Überschriften von Ziegfelds Erfolgen berichten. Die Abfolge der Bilder setzt Ziegfelds Dynamik anschaulich ins Bild.

Abb. 20.1-3. The Great Ziegfeld (1936). DVD captures.

5.1.4 Die Ästhetik der Ziegfeld-Bühne Materialästhetik und Kostüme Die Bühne ist für Ziegfeld ein Schaufenster für eine Welt der Pracht und Schönheit. In einer Pressemiteilung von 1925 schreibt er: »There have been many descriptions of the ›Follies‹, but I think none fits them more accurately than ›life’s Show Window‹.« Und er fügt hinzu, dass er außergewöhnliche und unvergessliche Wirkungen erzielen will, »for as we try to present them with the glorified girls, the galaxies of stars, and the marvelous scenic effects and costumes, we hold up to the world all the elaborateness and beauty that are to be associated with a shop-window of life« (Ziegfeld in Mizejewski 1999: 101). Was Ziegfeld hier als Intention seiner Shows darlegt, wird durch zeitgenössische Kritiken bestätigt. Sie betonen die überwältigende Wirkung der Bühne und Kostüme, wobei auch die Mittel, mit denen die Effekte erzeugt werden, hervorgehoben werden (vgl. New York Evening Journal 1936).1 Das Ziegfeld-Girl gilt heute noch als glamouröse Mode-Ikone und als Symbol der »roaring twenties«. In ihrem Buch Ziegfeld Girl: Image and Icon in Culture and Cinema schreibt Linda Mizejewski über die Ziegfeld-Girls: »American theater’s most enduring showgirl was the Follies Girl from Florenz Ziegfeld Jr.’s renowned revues, which ran on Broadway from 1907 to 1931. […] The name by then was shorthand for glory and glamour: Ziegfeld stars, the Ziegfeld stage, Ziegfeld Girls.« (Mizejewski 1999: 1) Stimmt man dieser Auf1

Es sei hier nur erwähnt, dass Mittel der Ziegfeld-Bühne, wenn auch mit veränderter Bedeutung, in Experimentalfilmen und ›queeren‹ UndergroundFilmen der 50er/60er Jahre eingesetzt wurden. Siehe Kapitel 3.2.

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Imaginäre und reale Räume fassung zu, dass die Zuschauer schon mit bestimmten Erwartungen die Shows besuchen, bedeutet dies für die Interpretation der Bühnenarchitektur und ihrer Ästhetik, dass die Aufmerksamkeit nicht nur auf den Film, sondern auch auf das, was über die Bühnenräume bzw. Filme im Rezeptionskontext geschrieben wird, gelenkt werden muss. Das gilt auch für das Buch von Mizejewski selbst. Es ist Teil des Diskurses über Ziegfelds Bühnenarchitektur. Charakteristisch für Ziegfelds Bühne sind die überdimensional großen Kostüme, die von den Frauen zur Schau getragen werden. Durch das Licht werden die haptischen Qualitäten der Stoffe hervorgehoben und erfahrbar. Die leichten Tüllstoffe, die schimmernden Pailletten und die weichen Federboas strahlen in Weiß, und es scheint, als ginge das Leuchten der Materialien von den Stoffen selbst aus, was durch den schwarzen Hintergrund, vor dem die Frauen auftreten, noch unterstützt wird. Gleichzeitig erzeugen die Formen der Kostüme bei den Zuschauern Erstaunen. Ihre Konstruktionen sind so ausladend, dass sie weitaus größer als die Körper der Frauen sind. Die Wirkung dieser Bilder ist nicht eindeutig zu erfassen. Sie beeindrucken einerseits durch ihre Stilisierung und Übertreibung und wirken nicht selten grotesk.

Abb. 21. The Great Ziegfeld (1936). Press book.

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Architekturen des Zuschauens Die jeweiligen Szenen auf der Bühne wechseln in einem schnellen Rhythmus und überraschen die Zuschauer immer wieder durch die Effekte der Arrangements auf der Bühne. In einer Szene verdeckt eine Wand von Ballons den Blick auf die Bühne, so dass die Zuschauer diese Wand selbst wegziehen müssen, um auf die Bühne schauen zu können, auf der Frauen in weißen Kostümen aus Tüll, Federn und Pailletten stehen. In anderen Szenen bewegt sich die Architektur zu immer neuen Konfigurationen, um visuelle Effekte durch die Formveränderungen zu erzeugen. In der Musical-Nummer »You never looked so beautiful« tritt die Ausstattung durch die Kostüme so sehr in den Vordergrund, dass der Eindruck entsteht, dass es nicht mehr um die Glorifizierung der Frau, sondern um die der Materialien geht. Ein solcher Eindruck wird durch das Programmheft noch bestätigt. In ihm wird ausführlich dargestellt, aus welchen Materialien die Kostüme bestehen. So heißt es über die Nummer »You never looked so beautiful«: »The Lady of Snow, played by Miss Monica Bannister (her costume consists of 3000 yards of white masses of marabou), […] Miss Edna Callaghan, portraying Northern Light (made of 2000 yards of pleated tulle and 700 enormous pearl-shaped crystals. The finished ensemble weighs 102 pounds).« (S. Abb. 21) Affron schreibt über die Wirkung der so ausgestatteten Ziegfeld-Girls: »The showgirl is a walking image, nearly devoured by an absurd costume that is not a dress, that is difficult to wear, that makes her top-heavy, that weighs her down and must be carried up.« (Affron 1982: 138) Die Kostüme selbst werden zu einer Art Architektur aus glamourösen Materialien. Die Frauen treten hinter der Wirkung der Stoffe zurück, sie sind nur noch Träger von Kostümen, die Effekte von Pracht und Luxus zur Schau stellen. Diese Kostüme bedürfen jedoch der Treppe in ihren unterschiedlichen Formen, um zur Geltung zu kommen.

Darstellung und Form der Treppe Auf die Bedeutung der Treppe wird in The Great Ziegfeld wiederholt hingewiesen. Am Beginn des Films heißt es: »There ought to be a lot more steps here. I want this higher.« Und der Film endet mit den Worten, die Ziegfeld vor seinem Tod spricht: »I’ve got to have more steps. I need more steps. I’ve got to get higher, higher.« Der Gang auf der Treppe ist nach Richard Dyer das entscheidende Mittel, mit dem Ziegfeld die Frauen glorifiziert: »The walk-down is the defining motif of the Ziegfeld-Show – it is the moment at which the girls parade themselves and are thus ›glorified‹.« (Dyer 1977: 34) Mit dem Einsatz der Treppe nutzt Ziegfeld Assoziationen und Konnotationen, 88

Imaginäre und reale Räume die mit Treppen in verschiedenen weltlichen und religiösen Kontexten verbunden sind. Im Film wird vor allem mit dem Aufstieg auf der Treppe Erfolg und Glück und mit dem Abstieg Misserfolg und Verzweiflung symbolisiert. Wenn Frauen auf der Bühne Treppen hinauf und hinunter schreiten, kann die Kamera sie, durch die Nahaufnahme, als Individuen, auf die sich alle Blicke richten, charakterisieren. Oft aber lenkt die Kamera den Blick auf die Gruppe von Chorus-Girls, so dass sie als Elemente des Bühnenbilds, zum Beispiel als Elemente von Landschaften oder Blumen oder von abstrakten Formen, erscheinen. Der Ziegfeld-Walk ist eine Art Markenzeichen für seine Produktionen geworden. Die Frauen laufen in kleinen Schritten über die steilen Stufen mit aufrechten Rücken, so dass die Wirkung der Kostüme voll zur Entfaltung kommen kann. Dabei ermöglicht die Treppe den Zuschauern, einen Blick auf alle Frauen zu werfen, die sich unnahbar an ihnen vorbei bewegen. Wie Ziegfeld die Treppe einsetzt, um eine überwältigende Wirkung zu erzielen, wird in der Musical-Nummer »A Pretty Girl Is Like a Melody« besonders sichtbar. In dieser Nummer ist die Treppe das architektonische Element, das die Struktur der Bühne bestimmt, und auf der einzelne Szenen mit großem Aufwand an Materialien dargestellt werden. Richard Watts berichtet im New York Evening Journal, dass Stromberg, der Produzent des Films, sofort die außerordentliche Wirkung der Treppe für »A Pretty Girl Is Like a Melody« erkannt hat, als ihm ein Modell gezeigt wurde: »It was so complete, in fact, that Stromberg recognized at once its extraordinary possibilities as a song, dance and tableau spectacle.« (Watts 1936) Das Bühnenbild besteht aus einer mit Stoff verkleideten Spirale, um die sich eine Treppe nach oben windet. MGM berichtet ausführlich über den Aufwand an Zeit und an Materialien für die Treppenkonstruktion. Es werden hundertfünfzehn Konstruktionspläne gezeichnet, für die Verkleidung der Treppe werden 4300 Yards RayonSeide verbraucht, die Treppe wiegt 100 Tonnen, die Spirale selbst ist 32 Fuß hoch, hat einen Durchmesser von 70 Fuß und besteht aus 175 Treppenstufen, auf denen sich 82 Männer und Frauen bewegen können. Das Zyklorama, das um einen Teil der Treppe gebaut ist, ist 280 Fuß lang, 80 Fuß hoch und blinkt mit 6000 elektrischen Lichtern. Da keine Tonbühne das Set fassen kann, wird ein Zirkuszelt dafür aufgebaut (vgl. ebd.). In der ersten Einstellung ist die Treppe verhüllt. Erst langsam gibt die Kamerafahrt den Blick auf sie frei. Die Zuschauer sehen Frauen, die zu unterschiedlicher Musik, vom Menuett bis zum Jazz, in verschiedenen Kleidern, von Reifröcken bis zu Cat Suits, tanzen. Dann lenkt die Kamera den Blick auf die Spitze der Treppe, wo das

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Architekturen des Zuschauens ›Pretty Girl‹, Audrey Dane (Virginia Bruce), sitzt. Dann fährt sie zurück und zeigt das gesamte Set (s. Abb. 22). Durch das Drehen der Treppe wird ins Bild gesetzt, was der Text des Liedes zum Ausdruck bringt: »a pretty girl who haunts you night and day […] she will leave you and come back again.« Die Frauen verschwinden aus dem Bild und tauchen nach einer Umdrehung wieder auf. Zeitgenössische Kritiken heben hervor, wie sehr die Wirkung seiner Shows vom Erscheinungsbild der Chorusgirls abhängig ist.»For the glorifier built his reputation on the beauty of his girls. He publicized them like stars and spent a fortune on their costumes. Thus, the title, ›A Pretty Girl Is Like a Melody‹ symbolizes perfectly the glamour, femininity and tunefulness of his productions.« (Ebd.) Die dreidimensionale Wirkung der Treppe entsteht besonders durch ihre Drehung und die unterschiedlichen Materialien, deren Formen eine plastische Oberflächenstruktur bilden. Das künstlich grelle weiße Licht wirkt dieser Plastizität jedoch entgegen und ruft nach Albrecht Konnotationen von Überfluss und Luxus hervor (vgl. Albrecht 1986: 133f.). Nach Gibbons wurde diese Form der Bühnenarchitektur, deren Wirkung auf der Beleuchtung beruhte, ›big white set‹ genannt und erzeugte eine Atmosphäre atemberaubenden Glamours. Während zeitgenössische Kritiker hervorheben, wie die Treppe die Schönheit der Frauen zur Geltung bringt, betont Mizejewski, dass sie die Bewegung der Frauen einschränkt und letztlich eine Vergewaltigung des weiblichen Körpers darstellt. Sie zwinge den Körper in eine künstliche Form und ordne ihn der Dekoration bzw. der Architektur des Bühnenbildes unter. Ferner hat für sie der Gang auf der Treppe rassistische Implikationen, da nur weiße Frauen als Ziegfeld-Girls auftreten: »Remember that the walk was an artificial accommodation of the body to architecture, a choreography of gender and class, and, by implication, a racialized choreography, a discipline of both white ›lady‹ and white fashion mannequin.« (Mizejewski 1999: 174) Zudem könne sich nur ein kleiner Teil der Frauen als Ziegfeld-Girl auf der Treppe bewegen: »That her universality is very narrowly defined – as young, white, blond, slender – is given no ironic perspective.« (Ebd.: 167)

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Imaginäre und reale Räume

Abb. 22. The Great Ziegfeld (1936). DVD capture. Abb. 23. The Great Ziegfeld (1936). Press book.

In ihrem Buch Körperbilder betonen Reinhardt Kloos und Thomas Reuter nicht die symbolische Bedeutung der Treppe in den ZiegfeldShows, sondern ihre technische Bedeutung. Sie ermöglicht die Darstellung von Massen auf der Bühne: »Die Gliederung von Massen und ihre geometrische Anordnung ist auf der horizontalen Ebene der Theaterbühne ohne Perspektivenverschiebung für den Zuschauer nicht erkennbar. Die Leistung der Revuetreppe besteht vor allem in der Verlagerung der Bühnenebene in die Vertikale oder – vom Standpunkt der Zuschauer aus gesehen – in der Veränderung der Frontalansicht zur simulierten Ansicht.« (Kloos und Reuter 1980: 62) Diese praktisch-technische Bedeutung der Bühne steht für sie im Mittelpunkt und lässt die symbolischen Bedeutungen der Treppen der Ziegfeld-Bühne zurücktreten: »Mehr als die Vergötterung des Stars, der gleichsam die Himmelsleiter hinab zur Bühne steigt, scheint die Treppenkonstruktion in der Ausstattungsrevue der Möglichkeit zu dienen, Massen ornamental auch für die Bühne zu ordnen, den Fluchtpunkt der ornamentalen Figur durch Drehung der Bühne in die Vertikale, in den Zuschauerraum zu verlegen und somit ein Massenaufgebot von Girls zu präsentieren.« (Ebd.) Die beiden Autoren sehen ihre Auffassung auch dadurch bestätigt, dass die Treppe in den Choreographien von Busby Berkeley, in denen er nicht mehr die Ziegfeld-Bühne abfilmt, verschwindet. Der Film kann im Gegensatz zur Theaterbühne auf die Treppe verzichten, weil er die Bühne um 90 Grad zur senkrechten Leinwand kippen und die Kamera die Frauen von allen Seiten ausgiebig zeigen kann. In einer Sequenz der Musical-Nummer »You never looked so beautiful« wird der kreisförmige Bühnenboden im hinteren Teil der Bühne angehoben, so dass die Chorusgirls im Hintergrund der Bühne sichtbar werden. Während der Nummer dreht sich die Scheibe, so das die Frauen an den Zuschauern vorbeiziehen (s. Abb. 23). Was jedoch auf der Bühne nur mit erheblichem Aufwand

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Architekturen des Zuschauens möglich ist, kann auf der Leinwand leicht durch die Kameraführung erreicht werden.

Das Symbol der Treppe in Backstage-Räumen Die Treppe, Symbol der Ziegfeld-Bühne, spielt in dem Film Ziegfeld Girl auch in den Räumen hinter der Bühne eine zentrale Rolle. Das gilt insbesondere für Sheila (Lana Turner), eine der drei Protagonistinnen des Films. An ihr lässt sich zeigen, wie das architektonische Element der Treppe zur Charakterisierung ihrer Person eingesetzt wird. Die Treppe in ihrem Elternhaus in Brooklyn steht für die Enge, der sie entkommen will. In der ersten Musical-Nummer »You stepped out of a dream«, die sie am Anfang ihrer Karriere zeigt, schreitet sie strahlend auf der Bühne die Treppe hinauf und herab (s. Abb. 24.1). Im Verlauf der Backstage-Handlung erhält die Treppe jedoch zunehmend negative Assoziationen und gegen Ende des Films stürzt sie während einer Musical-Nummer betrunken von der Treppe, was das Ende ihrer Karriere als Ziegfeld-Girl bedeutet. In einer Backstage-Szene steht sie in einem glitzernden Kleid angetrunken am Rand einer Treppe in einem Kasino. Zunächst erinnert sie sich, bevor sie die Treppe hinunter schreitet, an das Bild des Ziegfeld-Girls auf der Treppe. Als die Kamera auf ihr Gesicht zoomt, spricht sie zu sich: »Chin up you glorified girl, stairs are your speciality, shoulders relaxed and don’t forget to smile.« Es gelingt ihr auch, während sie mit erhobenem Kopf strahlend die Treppe hinab schreitet, das Bild des Ziegfeld-Girls auf der Bühne zu verkörpern. Als sie jedoch unten ankommt, sieht sie ihren ehemaligen Freund Gil (James Stewart), der aus Enttäuschung über den Verrat ihrer Liebe zum Bootleger geworden ist. Die negative symbolische Bedeutung der Treppe findet am Ende des Films ihren Höhepunkt. Sheila (Lana Turner) geht krank ins Theater, um Susan (Judy Garland), ihre Freundin, in ihrer Premiere zu sehen. Während der Musical-Nummer »You stepped out of a dream« verlässt sie den Zuschauerraum. Die Kamera zeigt sie im Gang des Theaters, wo sie auf die Treppe zugeht. Sie trägt ein schwarzes Kleid und wird von einem Lichtstrahl beleuchtet. Dann zeigt die Kamera in Nahaufnahme ihr schmerzerfülltes Gesicht. Ihr Blick ist auf den Boden gerichtet, dann hebt sie den Kopf, die Kamera wechselt in die Halbtotale, und wir sehen, wie sie zur Musik der MusicalNummer, die im Theatersaal gespielt wird, die Treppe hinunter schreitet, als seien alle Blicke auf sie gerichtet (s. Abb. 24.2). Am Ende der Treppe verliert sie jedoch ihr Gleichgewicht und greift nach dem Geländer. Dabei zoomt die Kamera auf ihr Gesicht. In der nächsten Einstellung sehen wir in einer halbtotalen Einstellung, 92

Imaginäre und reale Räume wie sie am Ende der Treppe zusammenbricht. Darauf wechselt die Kamera in den Theatersaal. An dieser Szene wird deutlich, wie der Film mit Hilfe architektonischer Elemente Bedeutungen schaffen kann, indem die Bedeutungen aus vorangegangen Kontexten bei den Zuschauern aufgerufen werden. Die Treppe erscheint in ein und demselben Film als Symbol der Enge, des Erfolges und der Verführung. In der Szene, in der Sheila auf der Treppe zusammenbricht, wird besonders deutlich, wie der Film mentale Zustände in räumliche Metaphern übersetzen kann.

Abb. 24.1-2. Ziegfeld Girl (1941). DVD captures.

5.1.5 Das Auflösen der Grenzen zwischen Stage und Backstage Backstage-Filme können aber nicht nur mit den Stage- und Backstage-Räumen spielen, sondern können auch die Grenzen zwischen den beiden Raumarten auflösen. In einer Szene, die am Weihnachtsabend in Ziegfelds Haus spielt, besitzen der barocke Dekor und das weiße Licht des Wohnzimmers bereits eine gewisse Affinität zu seinen Bühnenräumen. Im Vordergrund des Zimmers steht das Puppenhaus, das Ziegfeld seiner Tochter Patricia zu Weihnachten geschenkt hat, und in der Mitte des Raums stehen die Angestellten in schwarzer Kleidung (s. Abb. 25.1). Dann zoomt die Kamera auf Ziegfeld, Patricia und seine Ehefrau Billie, die das Puppenhaus drehen, so dass immer neue Einblicke in sein Inneres möglich werden. Dann wird die Inneneinrichtung des Puppenhauses unscharf, und die Kamera lenkt den Blick auf die drei Personen, die nun als Bewohner des Puppenhauses erscheinen (s. Abb. 25.2). Dieser Übergang vom ›realen‹ in den imaginären und vom imaginären in den ›realen‹ Raum vollzieht sich noch einmal. Ziegfeld und seine Tochter stellen mit Puppen eine Zirkusnummer nach; anschließend sehen wir, wie sich die Puppen in Schauspieler auf einer Bühne verwan-

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Architekturen des Zuschauens deln und wie die beiden im Zuschauerraum des Theaters sitzen und verfolgen, was auf der Bühne geschieht. Diese Verwandlung von realen Räumen in imaginäre und von imaginären in reale kann als ein zentrales Moment der Ästhetik Ziegfelds betrachtet werden. Man kann in The Great Ziegfeld wiederholt feststellen, dass die Backstage-Räume so gefilmt werden, als wären sie Räume der Stage. Das prunkvolle Wohnzimmer am Weihnachtsabend wird so ins Bild gesetzt, als wäre es eine Bühne. In einer Szene, in der Ziegfeld seiner Frau Schmuck schenkt, vollzieht sich ein ständiger Wechsel von Bildern, die bald die Tiefe des Raums und bald die Zweidimensionalität von Bildern betonen. Das gleiche Prinzip wird angewendet, als Ziegfeld einen Kostümball im Astor Hotel besucht. Der Ballsaal erscheint im Wechsel zwischen Großaufnahmen, die die gesamte Halle des Ballsaals erfassen, und Detailaufnahmen, die den Blick auf die tanzenden Paare lenken. Auf diese Weise wird dem Filmzuschauer zunächst die Orientierung im Raum ermöglicht. Die Strukturierung der Räume erfolgt durch die architektonischen Elemente der Säulen und Balkone und der Treppe. Der Effekt eines sich ausdehnenden dynamischen Raums verschwindet jedoch schließlich, wenn die Kamera, die den sich bewegenden Tänzern folgt, die architektonischen Strukturen des Raums in changierende weiß-graue Muster auflöst.

Abb. 25.1-2. The Great Ziegfeld (1936). DVD captures.

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Imaginäre und reale Räume

5.2. Die Formensprache in Gold Diggers of 1933: Gesellschaftskritik und das Spiel der Ornamente 5.2.1 Der Einbruch der Realität in den imaginären Raum der Bühne Der Film Gold Diggers of 1933 beginnt mit der Probe für die Musical-Nummer »We’re in the Money«. Vor dem Bühnenbild aus überdimensionalen Silberdollars tanzt eine Reihe von Chorusgirls in Kostümen aus Münzen. Das Bühnenbild und die Kostüme bringen zum Ausdruck: »We’re in the Money.« (S. Abb. 26) Die erste Einstellung dieser Nummer zeigt das Gesicht des Chorusgirls Fay Fortune (Ginger Rogers) in Nahaufnahme, dann zoomt die Kamera zurück, und wir sehen sie in der Halbtotalen: sie trägt ein Kostüm aus Dollarstücken; es folgt ein Kameraschwenk an einer Reihe von Chorusgirls entlang, die Kamera fährt weiter zurück und zeigt einen Ausschnitt des Bühnenraums. In der Mitte des Bildes steht eine Reihe von Chorusgirls, die überdimensional große Dollarstücke in den Händen halten und mit diesen durch die Bewegung ihrer Arme Muster bilden (s. Abb. 27). Dann erst zeigt die Kamera den gesamten Bühnenraum. Zwischen Kulissen aus monumentalen Dollarzeichen führen kreisförmige Podeste, die treppenartig angeordnet sind, auf den vorderen Teil der Bühne. Die Staffelung der Dollarzeichen nach Größe wird im vorderen Teil der Bühne durch die Kostüme der Frauen, die aus kleineren Dollarstücken bestehen, fortgesetzt. Wenn die Frauen auf der Bühne zu tanzen beginnen, bewegen sie sich zwischen den Dollarstücken und erfüllen mit ihren Bewegungen den Bühnenraum. Die Frauen strukturieren den Raum in einzelne sich bewegende Teile, während die Kulissen der Dollarstücke die Szene monumental dominieren. Der Begriff »Gold Diggers« ist ein Slangausdruck für Frauen, die wissen, wie sie an das Geld der Männer kommen: »We’re in the money. We’re in the money. We’ve got a lot of what it takes to get along.« Paula Rabinowitz schreibt über diese Musical-Nummer: »The number immediately connects money and women through the lyrics and the gaudy costumes of gold coins. The gold diggers theme is established – women and money become commodities to be exchanged in the film, the marketplace and American society.« (Rabinowitz 1982: 144) Die Gold-Digger-Figur ist nach Elizabeth Dalton die Heldin der Warner-Brothers-Filme während der Depression: »she had guts and the ability to defend herself« (Dalton 1972: 15). Der Song am Beginn des Films und die weitere Backstage-Handlung vermitteln die Botschaft, dass Frauen in ökonomischen Krisen wie der

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Architekturen des Zuschauens Depression gar nicht anders können, als durch den Einsatz ihres Körpers an das Geld der Männer zu kommen. Um das zu erreichen, müssen sie sich inszenieren. Das gilt für Stage wie auch für Backstage, so dass die Differenz zwischen beiden Bereichen für Momente zu verschwimmen scheint.

Abb. 26. »We’re in the Money«. Set reference still. Abb. 27. »We’re in the Money«. Gold Diggers of 1933. DVD capture.

Als sich der Sheriff mit seinen in Schwarz gekleideten Männern der Bühne nähert, verändert sich die Stimmung. Die Kamera blickt durch eine Feuertreppe, und die dunklen Treppenstufen unterteilen das Bild in einzelne Streifen. An der Wand bilden sich Schatten ab, und das Bild ist von Schwarz-Weiß-Kontrasten bestimmt (s. Abb. 28.1). Als die Männer die Bühne betreten, wird dies aus erhöhter Kameraperspektive gefilmt, so dass die Zuschauer überblicken können, wie die Männer die Bühnenarchitektur und Kostüme von der Bühne tragen und damit den Bühnenraum auflösen (s. Abb. 28.2). Soweit ich bis jetzt die Nummer »We’re in the Money« beschrieben habe, scheint sie ein realistisches Bild zu zeichnen und sich gegen das Frauenbild, wie es auf der Ziegfeld-Bühne zur Darstellung kommt, zu wenden. Aber auch dieses ›realistische‹, wenn nicht zynische Bild wird auf einer Bühne gezeigt, deren Ausstattung finanziert werden muss. Da jedoch Bühnenarchitektur und Kostüme nicht bezahlt sind, werden der Sheriff und seine Leute beauftragt, sie zu konfiszieren. Indem sie in den Raum der Bühne eindringen, zerstören sie die fiktive Welt, in der die Chorusgirls singen, dass sie reich sind. Im Unterschied zum Film kann man die Theaterbühne betreten, aber in der Regel wird dadurch auch das, was auf ihr dargestellt wird, zerstört. Das wird durch das Eingreifen des Sheriffs mit seinen Leuten deutlich. Ferner wird sichtbar, dass die Chorusgirls auf der Bühne die Rolle von Frauen, die an Geld gekommen sind, spielen, während sie in den Räumen der Backstage arbeitslos 96

Imaginäre und reale Räume sind und nicht wissen, wie sie die Miete bezahlen sollen. Für den Film als Ganzes, der die Beziehung zwischen Stage und Backstage darstellt, bestätigt das Eingreifen des Sheriffs die zentrale Auffassung des Films, dass Frauen in Zeiten der Depression gezwungen sind, als Gold Diggers zu handeln, um zu überleben. Insofern treibt die Aktion des Sheriffs auch die Backstage-Handlung voran. Die Frauen stehen vor der Frage, wie sie an Geld kommen können, um überhaupt wieder auf der Bühne auftreten zu können.

Abb. 28.1-2. Gold Diggers of 1933 (1933). DVD captures.

5.2.2 Inszenierung in den Backstage-Räumen Nachdem das Theater wegen Insolvenz geschlossen worden ist, sehen wir die Protagonistinnen Carol (Joan Blondell), Trixie (Aline MacMahon) und Polly (Ruby Keeler) in ihrem engen Apartment, wo sich die Gespräche um unbezahlte Rechnungen drehen. In dem Apartment dominieren viktorianische Möbel, die dicht aneinander gestellt sind und Enge suggerieren (s. Abb. 29.1). Diese Enge wird durch die nächste Einstellung, die den Frühstückstisch im Licht, das durch einen Schacht fällt, zeigt, noch unterstrichen (s. Abb. 29.2). Die einzelnen Ausschnitte des Apartments, die durch GrauWerte oder Schwarz-Weiß-Kontraste gekennzeichnet sind, werden durch einen langsamen Kameraschwenk verbunden. Von Faye Fortune (Ginger Rogers), einem weiteren Chorusgirl, erfahren die drei, dass eine neue Show produziert werden soll. Jetzt verändert sich der Rhythmus der Schnitte. Die Kamera wechselt schnell zwischen den Gesichtern und unterstreicht ihre Aufregung. Carol wird ausgewählt, den Produzenten Barney (Ned Sparks) davon zu ›überzeugen‹, sie zu engagieren. Dabei überlegen sie, wie sich Carol inszenieren soll, um einen nachhaltigen Eindruck auf ihn zu machen. Faye leiht ihr ihr Kleid mit dem Hinweis: »Don’t forget to

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Architekturen des Zuschauens stand in the light, when you talk to Barney.« Bei seiner Interpretation des Films sieht Rod Buxton in der Gold-Digger-Figur den weiblichen Gegenpart zum Gangster und hebt hervor, dass im Gangsterfilm die Männer gegeneinander kämpfen, während die BackstageFilme die Kämpfe zwischen den Geschlechtern und den sozialen Klassen in den Mittelpunkt rücken: »The economic realities of the Depression and class antagonism are set in a backstage drama and transposed to the arena of sexual conflict rather than the area of violent territorial acquisitions of the gangster genre. Through intersecting planes of dichotomies, conflicts involving relationships between males and females, upper and lower classes, and the individual and society, the film explores the problems endemic to Depression.« (Buxton 1983: 2) Bildlich kommt diese veränderte Haltung auch dadurch zum Ausdruck, dass der Blick der Kamera nicht nur auf die Architektur der Lichter am Times Square, sondern auch auf die Hintertreppen und Hinterhöfe in den Straßen gelenkt wird. Nachdem es den drei Frauen gelungen ist, den Produzenten Barney zu überzeugen, sie zu engagieren, stellt sich heraus, dass ihm das Geld für die Aufführung fehlt. Der Adlige Robert Treat Bradford (Dick Powell), dessen Musik in dem Stück aufgeführt werden soll, ist jedoch bereit, die Produktion zu finanzieren; doch will er, aus Rücksicht auf den Ruf seiner Familie, nicht mit dem Showbusiness in Verbindung gebracht werden. Deshalb weigert er sich auch, für einen erkrankten Schauspieler einzuspringen. Doch Trixie macht ihm klar, was es für die Frauen bedeutet, wenn die Aufführung nicht zustande kommt: »Do you know what this means – if the show doesn’t go on? It means that all those girls, all those poor kids who gave up jobs, and who’ll never get other jobs in these times, all those kids who’ve been living on nothing, starving themselves these five weeks we’ve been rehearsing, hoping for this show to go on, and be a success – They’re depending on you! … God knows what will happen to those girls – They’ll have to do things I wouldn’t want on my conscience.« Während Frauen auf der Bühne in der Regel passiv dargestellt werden, handeln sie in Räumen hinter der Bühne zielstrebig und entschieden. Molly Haskell hebt diese Solidarität der Frauen in dem Genre hervor: »This is one of the few genres and occasions where there is a real feeling of solidarity among women. Although theoretically in competition, they also realize that the cards are stacked against them, that they have this in common, and that they stand a much greater chance of succeeding if they unite.« (Haskell 1987: 145) Als Brads Bruder, J. Lawrence Bradford (Warren William), und der Anwalt der Familie, H. Peabody (Guy Kibbee), hören, dass Brad die Schauspielerin Polly heiraten will, wollen sie dies verhindern. Dabei unterläuft ihnen jedoch ein Irrtum. Sie halten Carol für Polly

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Imaginäre und reale Räume und bieten ihr eine Abfindung an, wenn sie auf die Heirat mit Brad verzichtet. Dabei erwähnt Lawrence, dass die Ehe mit einem Showgirl seine Familie entehren würde: »Showgirls are – are – reputed to be parasites, chislers – gold diggers.« Damit beleidigt er die Showgirls, die sich nun wie Gold Diggers verhalten und die beiden Männer dazu bringen, ihnen Kleider, Hüte, Pelze im Übermaß zu kaufen und sie in Nachtclubs und speak easys einzuladen (s. Abb. 30). Die Räume der Nachtclubs, die Lawrence und Peabody mit Carol und Trixie besuchen, werden so gefilmt, dass sie den Luxus und Glamour dieser Orte für die Zuschauer unterstreichen. Wie auf der Bühne spielt in diesen Räumen das künstliche Licht eine entscheidende Rolle, und es wird mit der Wirkung unterschiedlicher Oberflächen aus abwechselnden Materialien gespielt. In diesen stilisierten Räumen werden die horizontalen und vertikalen Linien durch das Licht betont, während die Kamera in verschiedene Bereiche der Clubs blickt, um immer neue Räume zu eröffnen, und den Blick auf die reflektierenden Materialien der Kleider der Frauen beim Tanzen lenkt. Nachtclubs sind zwar Räume der Backstage, aber sie gleichen den Räumen der Bühne und unterscheiden sich in der Komposition von den Apartments und Hinterhöfen am Anfang des Films. Wie die Foyers der Kinos etablieren sie eine Welt außerhalb des Alltags, die durch die Materialästhetik ihrer Ausstattung besonders geeignet ist, sich zu inszenieren.

Abb. 29.1-2. Gold Diggers of 1933 (1933). DVD captures.

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Architekturen des Zuschauens

Abb. 30.1-2. Gold Diggers of 1933 (1933). DVD captures.

Urban war einer der Architekten, die nicht nur Theater und Bühnen, sondern auch New Yorker Nachtclubs entwarfen. Zwischen beiden Formen gab es eine wechselseitige Beziehung. Wenn in Filmen der Glamour New Yorker Nachtclubs dargestellt werden sollte, wurde oft auf Urbans Art-Déco-Nachtclub »The Park Avenue Restaurant« Bezug genommen (s. Abb. 31). Er diente auch dem Club »Silver Sandal« in dem Film Swingtime als Vorbild.2 Das Park Avenue Restaurant hatte schwarze Wände ohne Dekoration, eine grüne Decke und eine spektakuläre, runde, silberne und verchromte Bar in einer Nische des Clubs, die mit hohen, vertikal verspiegelten Streifen ausgekleidet war. In den Spiegeln, die einen kaleidoskopartig zersplitterten Raumeindruck erzeugten, konnten die Besucher, die der Bar zugewandt saßen, sehen, wer die herauskragende Treppe, deren vergoldeter Handlauf dem eines Ozeandampfers nachempfunden war, hinauf oder hinunter stieg (s. Abb. 32). Neben den Nachtclubs sind es Apartments, in denen Urban einen Lifestyle inszeniert, der dem der Nachtclubs und der Bühne nicht unähnlich ist. Auch das weitläufige Art-Déco-Apartment, das die drei Protagonistinnen nach dem Erfolg der ersten Musical-Nummer bewohnen, nutzen sie zu ihrer Inszenierung als Gold Diggers. Dabei werden die großen Türen, die Bad-, Schlaf- und Wohnzimmer miteinander verbinden, dafür eingesetzt, Blicke freizugeben (s. Abb. 33). Wenn Lawrence und Peabody das Apartment betreten, zeigt ein Kamera2

Über den Einfluss von Joseph Urban und Norman Bel’s Bühnenräumen für den amerikanischen Lifestyle siehe Christoph Innes, Designing Modern America. Broadway to Main Street. Innes beschreibt, wie Urban und Bel Formen ihrer Bühnenentwürfe für das Design der amerikanischen »main street« weiterentwickelten, und somit durch ihre Architektur und ihre Entwürfe für das industrielle Design (Autos, Kühlschränke etc.) die amerikanische Kultur prägten. Sie brachten die Aura des Broadway auf die »main street«.

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Imaginäre und reale Räume schwenk vom Wohnzimmer aus Trixie im Bad und Carol im Schlafzimmer. Nach Albrecht stellen diese Räume eine Reaktion auf die überladenen viktorianischen Räume dar und suggerieren, dass die Frauen in ihnen, von gesellschaftlichen Zwängen befreit, als »bachelor girls« leben können: »A more unusual ›erotic decor‹ strategy involved the use of open planning, which permitted bedrooms to open directly off living rooms.« (Albrecht 1986: 116)

Abb. 31. Park Avenue Restaurant (1931). Joseph Urban.

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Architekturen des Zuschauens

Abb. 32. Park Avenue Restaurant (1931). Joseph Urban.

Florence Jacobowitz and Richard Lippe kritisieren am Feminismus, dass Glamour negativ bewertet und nur im Zusammenhang mit fetischisierenden und objektivierenden Darstellungen von Frauen gesehen wird. Ebenso werfen sie marxistischen Interpretationen vor, dass sie Glamour nur als eine Erfindung des Kapitalismus betrachten, »used to feed the spectator’s envy for a manufactured desire (which is always one step away from fulfillment)« (Jacobowitz und Lippe 1992: 3). Für beide ist Glamour im »women’s film« Ausdruck von Selbstbewusstsein und Macht und richtet sich gegen das Häusliche. (Vgl. die Ausführungen von Hartmut Böhme zum Fetischismus in der Einleitung. Böhme kritisiert ebenfalls die marxistisch ausgerichtete Fetischismusauffassung und betont den ambivalenten Charakter des Fetischismus, der nicht etwas Überholtes darstellt, sondern zur Moderne gehört.) In Gold Diggers of 1933 ermöglicht Erfolg auf der Bühne den Frauen, dass sie unabhängig und selbstbewusst gegenüber den Männern auftreten können. Ihre Unabhängigkeit kommt auch dadurch zum Ausdruck, dass sie in einem glamourösen, großzügigen Apartment leben, in dem sie sich selbstsicher bewegen. Im Verlauf der Szene wechselt die Kamera zwischen der Position hinter den Türen, wo Carol and Trixie ihr Spiel planen, und vor den Türen, wo sie ihre Rolle als Gold Diggers spielen. Die frontale Aufnahme der Szenen, die vor den Türen spielen, verstärkt die theatrale Wirkung. Gleichzeitig wird diese Szene durch das mehrfache Öffnen und Schließen der Türen wie eine Bühnennummer eingerahmt. Durch diese Darstellung wird unterstrichen, dass die drei Protagonistinnen die Rolle von Gold Diggers spielen, um sich an den Männern für ihre geringschätzigen Äußerungen zu rächen.

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Imaginäre und reale Räume

Abb. 33.1-2. Gold Diggers of 1933 (1933). DVD captures.

Am Ende von Gold Diggers of 1933 treffen sich die drei Paare auf der Hinterbühne des Theaters zwischen den Treppen und Beleuchtungsgängen, um sich gegenseitig mitzuteilen, dass sie geheiratet haben. Dabei tragen sie die Kostüme, die sie auch auf der Bühne tragen. Damit wird die Deutung nahe gelegt, dass das Geschehen auf und hinter der Bühne Ähnlichkeiten besitzt und dass sich die drei Frauen auf und hinter der Bühne inszenieren. Ich habe in der Einleitung auf Hitzler hingewiesen, der in Anlehnung an Goffman ausführt, dass wir alle Theater spielen und uns inszenieren müssen, weil wir uns nur dadurch anderen verständlich machen können und wir auch nur dadurch die anderen verstehen. Aber dabei wird vernachlässigt, dass Menschen sich so inszenieren können, dass sie Gefühle vortäuschen, um andere hinters Licht zu führen. Mit dieser Dimension wird in Gold Diggers of 1933 gespielt, wenn die Frauen ihre Liebe vortäuschen, um die Männer bloßzustellen. Ich habe aber auch auf den Begriff des Inszenierens bei Seel hingewiesen, nach dem es beim Inszenieren um das Bedürfnis und die Freude geht, etwas als auffällig darzustellen und damit sicht- und erfahrbar zu machen. Aber auch diese Dimension kommt in Gold Diggers of 1933 zum Ausdruck, so dass der Film nicht auf eine Auffassung von Inszenierung festgelegt werden kann.

5.2.3 Inszenierung auf der Stage: der Times Square in »Forgotten Man« Die Musical-Nummer »Forgotten Man« zeigt die Inszenierung des Straßenraums am Times Square. Hier wird eine Form der Darstellung gewählt, die die verdeckte Seite des Times Square zeigt. Diese Nummer will das Leid, das die Menschen durch die Depression und den Ersten Weltkrieg erfahren haben, zur Darstellung bringen. Bereits am Anfang des Films wird die Depression erwähnt, als Brad 103

Architekturen des Zuschauens davon erzählt, dass er von den Reihen der Arbeitslosen an den Suppenküchen am Times Square zu einem Song inspiriert wurde. Die Gestaltung der Szene erfolgt in Anlehnung an den expressionistischen Stil. Weihsmann hat in seinem Aufsatz »The City in Twighlight: Charting the Genre of the ›City Film‹ 1900-1930« darauf hingewiesen, dass die Stadt in Filmen nicht nur als ein Ort dargestellt wird, an dem die Menschen Zerstreuung und Vergnügen suchen, sondern auch als ein Ort des Schreckens, an dem sich die Menschen bedroht fühlen (vgl. Weihsmann 1997: 12). Dass die Stadt als Ort des Schreckens dargestellt wird, ist weniger überraschend als die Tatsache, dass eine Bühnennummer im Backstage-Film auf die Depression und den Zweiten Weltkrieg Bezug nimmt, besonders im Vergleich zu den Nummern auf der Ziegfeld-Bühne. Das Set von »Forgotten Man« zeigt im Vordergrund eine Straßenecke mit Laterne (s. Abb. 34). Im Hintergrund sind schattenhaft die Umrisse der Hochhäuser, die einander zugeneigt sind, zu sehen. Die einfache Ausrichtung der Architektur durch Senkrechte und Horizontale wird hier gebrochen durch geneigte Dächer und schiefwinklig laufende Linien. Die Architektur vermittelt den Eindruck einer traumhaften, albtraumartigen Umgebung. Das Unheimliche der Szene wird durch die Beleuchtung verstärkt, die einzelne Flächen im Dunkel hervorhebt. Während der Szene zoomt die Kamera auf Carol, die als Prostituierte am Laternenpfahl lehnt und das Lied vom »Forgotten Man« singt. Darauf fährt die Kamera an der dunklen Häuserwand entlang, sie bleibt an Fenstern stehen, hinter denen Frauen mit traurigen Gesichtern zu sehen sind. Eine der Frauen singt eine Version von »Forgotten Man« im Stil des »African American Blues«. Das hochstilisierte Set von Anton Grot mit seiner Hell-DunkelKomposition und seinen starken Schatten erinnert an Darstellungen aus zeitgenössischen Warner-Brothers-Filmen, die im Arbeitermilieu spielen. Nach Albrecht vermittelt der Gangsterfilm Little Caesar von Mervyn Le Roy eine ähnliche Atmosphäre (vgl. Albrecht 1986: 102). Nach Carols Song öffnet sich ein Vorhang, und wir sehen Männer, die umjubelt in den Krieg ziehen. Ein weiterer Vorhang öffnet sich und Verwundete und arbeitslose Männer an Suppenküchen werden gezeigt. Die Dynamik der Bilder hat sich jetzt geändert: Während am Anfang durch die Beleuchtung und die Konturen der Architektur auf das Schicksal einzelner Personen verwiesen wird, folgen jetzt Bilder von marschierenden Männern, die aus verschiedenen Einstellungen – Nahaufnahme, Totale und Halbtotale – gefilmt werden. Die Räume werden weiterhin durch starke SchwarzWeiß-Kontraste strukturiert. Im dramatischen Schlussbild marschieren Männer in einer dreigeschossigen Konstruktion, bis sie

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Imaginäre und reale Räume sich um Carol, die das Lied von dem »Forgotten Man« singt, in pathetischer Pose gruppieren (s. Abb. 35). Diese Szene wird von hinten beleuchtet, so dass sich die Umrisse der Männer und die der Konstruktion in Schwarz vor dem hellen Hintergrund abbilden. Die Nummer »Forgotten Man« bedeutet für Buxton, dass zwar die Probleme der Protagonistinnen in der Backstage-Handlung gelöst sind (die drei Paare haben geheiratet), dass aber diese Nummer am Schluss des Films daran erinnert, dass die sozialen Probleme auf der gesellschaftlichen Ebene weiter bestehen (vgl. Buxton 1983: 7). Mellencamp dagegen weist darauf hin, dass der Szene eine ideologische Funktion zukommt. Nach ihrer Deutung vermitteln die wechselnden Bilder der Szene die Botschaft, dass das soziale Elend derjenigen, die sich an Suppenküchen anstellen müssen, durch den Ersten Weltkrieg und nicht durch die vorherrschende Wirtschaftsordnung verursacht worden sei: »first of marching soldiers, then the wounded, bandaged veterans of World War I, and finally the bread lines and soup kitchens of the post-World War I years, ›explaining‹ the depression by World War I« (Mellencamp 1990: 179). Gegen die Deutung von Mellencamp kann man einwenden, dass der Film Bilder, die auf die Depression und den Ersten Weltkrieg verweisen, nebeneinander stellt und keine kausale Beziehung zwischen ihnen herstellt. Sie erscheinen als Bilder des Leids, die das Bewusstsein der Menschen im Alltag der damaligen Zeit bestimmten. Wie immer man die letzte Nummer »My Forgotten Man« versteht, sie lässt ebenso wie die erste Nummer »We’re in the Money« und die Inszenierungen der drei Protagonistinnen erkennen, wie vielfältig die Beziehungen zwischen Stage und Backstage sind und wie es zu Überlagerungen zwischen beiden Bereichen kommt. Abschließend will ich auf Musical-Nummern hinweisen, die wenig oder gar keinen Bezug zur Backstage-Handlung nehmen, wobei deutlich wird, wie variationsreich die Räume und die Mittel, mit denen sie entworfen werden, sind.

Abb. 34 u. Abb. 35. »Forgotten Man«. DVD captures.

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Architekturen des Zuschauens

5.2.4 »Pettin’ in the Park«: die Lust am Schauen Die Musical-Nummer »Pettin’ in the Park« besteht aus mehreren Sequenzen, die an unterschiedlichen Orten spielen und mit unterschiedlichen filmischen Mitteln gefilmt werden. Es wird zunächst eine Parkbank gezeigt, auf der sich die Protagonisten Brad und Polly umarmen und sich »bad girl« und »bad boy« nennen; es folgt ein Kameraschwenk zu weiteren Paaren auf Parkbänken. Die Kamera wechselt ständig die Richtung beim Filmen dieser Bänke, bald bewegt sie sich von links nach rechts, bald von oben nach unten und bald diagonal, um weitere Paare zu zeigen. Auf diese Weise soll »Pettin’ in the Park« als ein anthropologisches Phänomen ins Bild gesetzt werden. Es gibt in dieser Musical-Nummer aber auch Abfolgen von Bildern, bei denen kein thematisches Interesse vorhanden ist, sondern ein Spiel mit Formen um ihrer selbst willen im Vordergrund steht. Diese Bildsequenzen können als Vorstufen für die abstrakten Choreographien von Busby Berkeley gesehen werden. In der nächsten Sequenz richtet sich der Blick auf einen »Rollerskating Service«. Ein Taxi fährt vor. Polly steigt aus und schließt sich einer Gruppe von Rollschuhfahrern an, die sich zu unterschiedlichen Konfigurationen zusammenfügen. Plötzlich beginnt es zu schneien, und die Kamera lenkt den Blick auf die weiße Fläche, die einen Übergang zu einer Schneeballschlacht bildet. Ein weiterer Ortswechsel erfolgt durch einen Match-Cut, ein Ball rollt auf die Kamera zu, füllt die Bildfläche, um in der nächsten Einstellung aus der Bildfläche in eine Art-Déco-Kulisse zu rollen, in der Frauen und Männer in der Sonne liegen. Dann beginnt es zu regnen, und die Frauen laufen in eine zweigeschossige Konstruktion, um sich hinter Vorhängen ihrer nassen Kleider zu entledigen. Dabei stehen die Frauen hinter einem Vorhang, der so beleuchtet wird, dass Zuschauerinnen und Zuschauer die Frauenkörper als Silhouetten hinter dem Vorhang sehen können. Im letzten Teil der Nummer öffnet ein Zwerg mit kindlichen Zügen den Vorhang, hinter dem sich Frauen in Blechanzügen befinden, und reicht Brad einen Dosenöffner, mit dem dieser den Blechanzug von Polly aufzuschneiden beginnt. Mast interpretiert den Silhouettenvorhang als Metapher für die Filmleinwand, die die dreidimensionalen Frauen als Objekte männlicher Schaulust in zweidimensionale suggestive Formen verwandelt (vgl. Mast 1987: 121). Doch greift er hier nur ein Moment aus der Nummer heraus. Generell scheint es nicht um Themen, auch wenn der Name der Nummer »Pettin’ in the Park« auf eines verweist, sondern um die überraschenden Übergänge von einer Episode zur anderen zu gehen, wobei diese Themen auch parodisiert werden. Wie sind diese verschiedenen Episoden zu verstehen? Geht es in ihnen 106

Imaginäre und reale Räume um ein Spiel mit heterogenen Elementen, die sich nicht auf ein sinnhaftes Ganzes hin ordnen lassen und die Erwartung der Zuschauer auf ein sinnvolles Geschehen unterlaufen und ironisieren? Die Bilder innerhalb der Nummer werden zum Teil ihrer narrativen Funktion enthoben und folgen einer visuellen Logik, die primär auf die wirksame Entfaltung visueller Attraktionen zielt. Die Kamera konstruiert den Raum als ornamentales Ereignis vor allem durch »Top shots«, aber auch vor- und rückwärts laufende Bilder. Es scheint um die Lust am Schauen zu gehen, wie in dem nächsten Teil noch deutlich werden wird.

5.2.5 Das Spiel der Ornamente in Busby Berkeleys »Shadow Waltz« Form und Struktur Die Musical-Nummer »Shadow Waltz« unterscheidet sich von den bis jetzt interpretierten Nummern dadurch, dass sie sich nicht nur von dem Geschehen der Backstage-Handlung löst, sondern generell von jedem Bezug auf eine wiedererkennbare Realität außerhalb der Nummer. Es gibt bei ihr auch weder einen Bezug zu historischen Ereignissen wie bei »Forgotten Man« noch zu einem Thema wie bei »Pettin’ in the Park«. Die abstrakten Choreographien nehmen von der Ziegfeld-Bühne ihren Ausgangspunkt, aber sie lösen sich sehr schnell von diesem Raum und die Kamera nimmt Positionen ein, die von Theaterzuschauern nicht eingenommen werden können. Berkeleys abstrakte Choreographien verlangen eine große Mobilität bei der Kameraführung und schnelle Lichtwechsel. Bei dem high angle oder top shot erhalten die Bodenbeläge eine besondere Bedeutung. Sie sind aus Glas, Eis, Wasser und Plastik, so dass sich in ihnen die Konfigurationen widerspiegeln können (vgl. Barsacq 1976: 135). Berkeleys Choreographien gleichen mit ihren Wiederholungen, Variationen und der Zirkularität der Aktionen in den Tanzbewegungen und den choreographischen Ornamenten dem Bildraum von Musikvideos und computererzeugten Clips in der Gegenwart. Damit nimmt er Möglichkeiten der digitalen Manipulation vorweg (vgl. Weibel 1987: 128). Fischer sieht die Qualität dieser Choreographien darin, dass sie keine Geschichte erzählen und sich nicht auf etwas außerhalb des Films beziehen lassen (vgl. Fischer 2003: 137). Weihsmann betont, dass Berkeley in seinen formalen Experimenten menschliche Geometrien durch die schwebende Kamera in eine Art GlamourSurrealismus verwandelt, in dem sich die Körper der Girltruppen zu 107

Architekturen des Zuschauens delirischen Kaleidoskopen auflösen (vgl. Weihsmann 1988: 160). Nach Mast verwandelt Berkeley die Ziegfeld-Bühne, die er mit »Seminude Descending the Staircase« betitelt, in reine Bewegung: »The staircase could descend – or twirl, rise, and slide – and the camera could descend – or rise, twirl, and glide – while the girls smiled and stood stock still.« (Mast 1987: 116) Berkeley selbst hebt das Moment der Bewegung hervor, wenn er über seine Kameratechnik schreibt: »Ich sag es noch einmal, mein Stil war anders. Meine Kamera war dauernd in Bewegung, weil das ist es, was für mich der Ausdruck von motion picture ist: Bilder in Bewegung.« (Zitiert in Weihsmann 1988: 162) Den Stil des Art-Déco führt er insofern weiter, als seine Choreographien wie animierte Art-DécoSkulpturen wirken.

Montageprinzipien In ihrem Aufsatz »Busby Berkeleys Montageprinzipien« hat Brinckmann die unterschiedlichen Phasen der Musical-Nummer »Shadow Waltz« genauer untersucht. In der ersten Phase von »Shadow Waltz« sehen wir als Zuschauer Dick Powell in einem leuchtend weißen Anzug und Ruby Keeler mit weißblonden Haaren in einem Abendkleid mit schimmerndem metallischem Schmuck (s. Abb. 36.1). Die Grundstruktur dieser ersten Phase besteht darin, dass die beiden Liebenden aus unterschiedlichen Kamerapositionen auf der Bühne gezeigt werden. Die einzelnen Bilder haben kaum Tiefe und wirken flach, fast zweidimensional. Die Kamera folgt zunächst dem Text des Liedes, das als Handlungsgerüst fungiert, um sich dann davon zu lösen, so dass die jeweiligen Bilder eine eigene Dynamik gewinnen. Brinckmann sieht bereits den Beginn der Nummer, mit Schwarz-Weiß-Kontrasten und dem Wechsel von Vorder- und Hintergrund und mit formalen Überraschungen als Ausdruck einer Lust an Variationen (vgl. Brinckmann 2005: 209). Die zweite Phase beginnt mit einem harten Schnitt. Wir sehen eine Frau mit Geige in einem strahlend weißen Art-Déco-Kostüm mit enger metallischer Weste und einem Rock, der aus drei spiralförmig ineinander laufenden steifen Tellern besteht, die mit der Musik gegeneinander wippen (s. Abb. 36.2). Die Kamera fährt kontinuierlich zurück, bis eine geschwungene Treppe, auf der unzählige Frauen stehen und auf illuminierten Violinen spielen, sichtbar wird (s. Abb. 36.3). Anschließend werden aus verschiedenen Perspektiven immer neue Konfigurationen gezeigt, wobei durch die Reifröcke blumenartige Muster, die sich öffnen und schließen, entstehen. Schließlich wird das Bild immer dunkler, bis die Frauen verschwinden und nur noch die illuminierten Violinen sichtbar sind (s. Abb. 108

Imaginäre und reale Räume 36.4). Die Bildwertigkeit hat sich invertiert und die dunklen Geigenhälse stehen jetzt vor einem schwarzen Grund. Die Geigerinnen schwärmen auseinander, und die Komposition wird diffus (vgl. ebd.). Die räumliche Wirkung wird hier durch die geschwungene Treppenkonstruktion geprägt, die von allen Seiten gezeigt wird und die immer neue Räumlichkeiten durch Durchblicke entstehen lässt. Die Kostüme und Bewegungen der Frauen wiederholen die bewegte Form der Treppe. Wenn die Bildwertigkeit invertiert wird, verliert die Darstellung der Räume den Anschein von Dreidimensionalität und geht in eine Variation von zweidimensionalen Mustern über. In einer neuen Einstellung schwebt eine einzelne Geigerin aus dem Dunkel auf die Kamera zu. Für einen Augenblick kehrt das Konkrete zurück. Danach folgt ein neues Motiv. Aus der drehenden Pendelbewegung der Geigerin wird auf einen doppelten Frauenkreis geschnitten, der sich wie ein Kranz weißer Blüten vom samtschwarzen Hintergrund abhebt. Die Kamera zeigt die Komposition aus weiter Distanz, so dass ein klares geometrisches Bild erkennbar ist (s. Abb. 36.5). Ein kurzer Schnitt auf fliegenden Stoff, auf einen seitlich hochgeklappten Tellerrock und die Beine einer Frau durchbrechen diese Geometrie (s. Abb. 36.6). Danach wechselt die Kameraposition und verwandelt den Frauenkreis in geometrische Konfigurationen. Im Folgenden wechselt die Kamera zwischen Gegenständlichem und Abstraktem. Nachdem das Filmbild für einen Moment dunkel ist, werden Frauen gezeigt, die frontal zur Kamera stehen, so dass man die weiße Fülle der hochgeklappten Röcke und die Beine der Tänzerinnen sieht. Da sie am Rand eines Beckens stehen, spiegeln sich ihre Beine auch im Wasser. Wenn das Bild aus der Horizontalen in die Vertikale gekippt wird, entsteht eine fast abstrakte Komposition (s. Abb. 36.7). Die Orientierung im Raum ist für einen Moment aufgehoben. Daraufhin wird das Bild wieder in die Horizontale zurückgeholt, und es zeigt geigende Frauen, die in Gestalt von Seerosen um ein Wasserbecken lagern. Berkeley nutzt hier alle technischen Möglichkeiten, die der Film bietet, um visuelle Effekte hervorzurufen. Durch Kamerawinkel, Wasser- und Spiegelflächen erzeugt er immer wieder neue Raumwahrnehmungen. Weihsmann schreibt über Berkeleys Vorgehensweise: »souveräne Montage, artifizielle Ausleuchtung und Dekoration, geraffte musikalische Einlagen und rhythmisch konzipierte Kamerafahrten von ungewöhnlichen Perspektiven und Tempi prägten seine Arbeit. Berkeley träumte von Tanzszenen, die jeden Raum sprengen sollten.« (Weihsmann 1988: 160) Am Beginn der dritten Sequenz gleitet die Kamera an den Frauen, die am Beckenrand liegen und sich in der schwarzen Wasserfläche spiegeln, entlang. In ihrer Mitte liegt das Liebespaar Ruby Kee-

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Architekturen des Zuschauens ler und Dick Powell, sich umarmend über den Beckenrand und das eigene Spiegelbild gebeugt. Wir glauben zu sehen, wie Dick am Wasser liegend Ruby küsst und eine weiße Blüte ins Wasser fallen lässt, müssen aber erkennen, dass wir nur ihr Spiegelbild gesehen haben, wenn es sich im Wasser auflöst (s. Abb. 36.8). In »Shadow Waltz« arbeitet Berkeley vor allem mit Schnitten. Dabei werden jeweils zwei Elemente kontrastiert, die auf demselben Parameter liegen: zum Beispiel hell und dunkel auf dem Parameter »Lichtintensität,« nah und fern auf dem Parameter »Abstand«. Die Kontrastierung lässt die Grauwerte, die der Einstellung Plastizität geben, verschwinden und verwandelt das dreidimensionale Bild in eine zweidimensionale graphische Komposition. Weitere Gegensatzpaare, mit denen Berkeley arbeitet, sind: Symmetrie/Asymmetrie, der Sprung von einer klaren zu einer diffusen Komposition und der Wechsel zwischen zentripetaler und zentrifugaler Bewegung. Dabei entsteht beim Zuschauer die Erwartung auf neue Schnitte. Dieses Verfahren steht im Gegensatz zum klassischen Hollywoodfilm, wo die Schnitte weitgehend unsichtbar gemacht werden. Die Grenzen des architektonischen Raums werden hier durch die Kameraperspektiven stellenweise aufgehoben. Aus der Bewegung heraus entstehen Räume, die sich ständig in Variationen transformieren. Architektur wird hier mit filmischen Mitteln, die unterschiedlichen Prinzipien folgen, entworfen. Insbesondere die Montage spielt eine entscheidende Rolle, um die Räume zu verbinden.

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Imaginäre und reale Räume

Abb. 36.1-8. »Shadow Waltz«. Gold Diggers of 1933 (1933). DVD captures.

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Architekturen des Zuschauens Deutungen des Spiels der Ornamente in »Shadow Waltz« Wie ist das Spiel der Ornamente zu verstehen, bei dem Frauenkörper zu überraschenden Mustern zusammengeführt werden, und welche Wirkung üben sie auf die Filmzuschauer aus? Das Spektrum der Auffassungen ist sehr weit und lässt erkennen, dass diese Choreographien sehr unterschiedliche Deutungsschemata aufrufen und in sehr unterschiedlichen Sinnzusammenhängen gesehen werden können, wobei auch zu berücksichtigen ist, dass sie im Sinne der Kontemplation und des Erhabenen gerade Sinnzusammenhänge in Frage stellen und von ihnen befreien, so dass das Spiel der Elemente um seiner selbst willen in den Vordergrund tritt. Dyer betont, dass es in den Backstage-Filmen immer um die Darstellung von Sexualität geht, unabhängig von dem, was Ziegfeld über die Glorifizierung der Frau sagt: »Clearly, despite the ›Glorifying the American Girl‹ tag, Ziegfeld was peddling sexuality – but the glorification idea, his use of famous couturiers and chic designers, appeared to elevate his shows above the despised burlesque (which means striptease in American usage).« (Dyer 1977: 35) In ihrem Aufsatz »Visuelle Lust und narratives Kino« interpretiert Laura Mulvey die Darstellung der Frau bei Ziegfeld und Berkeley als Ausdruck männlicher Schaulust, die die Frauen verdinglicht: »In a world ordered by sexual imbalance, pleasure in looking has been split between active/male and passive/female. The determining male gaze projects its fantasy onto the female figure, which is styled accordingly. In their traditional exhibitionist role women are simultaneously looked at and displayed, with their appearance coded for strong visual and erotic impact so that they can be said to connote to-belooked-at-ness. Women displayed as sexual objects is the leitmotif of erotic spectacle: from pin-ups to strip-tease, from Ziegfeld to Busby Berkeley, she holds the look, and plays to and signifies male desire.« (Mulvey 1980: 30ff.) Für Mulvey ist das Kino generell Ausdruck des männlichen Blicks, unabhängig vom Dargestellten und unabhängig vom tatsächlichen Geschlecht der Zuschauer. Die Zuschauerposition ist grundsätzlich eine männlich betrachtende, der sich das Gesehene unterwirft. Die Frauen werden daher im Kino dazu gebracht, ihr Geschlecht zu verleugnen, weil die Zuschauerinnen sich an männlichen Helden ausrichten müssen. Die Frau selbst ist im Film nur passives Blickobjekt. Diese einseitige Auffassung vernachlässigt die identifikatorische Rezeptionshaltung, bei der sich die Zuschauerinnen mit den Figuren identifizieren, die Welt mit deren Augen sehen und mit den Figuren empfinden (zur Kritik an der Auffassung von Mulvey siehe Hartmut Böhme 2006: 476).

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Imaginäre und reale Räume Wie Mulvey betonen auch Kloos und Reuter die Erotik in den Choreographien von Busby Berkeley, begründen sie jedoch mit anderen Argumenten. Die Kamera richte, so die beiden Autoren, den Blick nicht nur auf die Frauenkörper wie bei Ziegfeld, sondern demonstriere ihre Macht, indem sie sie zerlegt und zu Mustern zusammensetzt: »Die rhythmischen Bewegungen des Ornaments visualisieren seine sinnlich-erotische Ausstrahlung, die auch die Fahrten der Kamera prägt: immer wieder machen sie die komplementären Vorgänge des Enthüllens und Eindringens augenfällig.« (Kloos und Reuter 1980: 91f.) Nach Kloos und Reuter ist die Besessenheit Berkeleys von den technischen Mitteln des Films selbst ein erotischer Akt: »Die Durchsetzung noch des wahnwitzigsten Einfalls mit Hilfe solcher Erfindungen und Tricks manifestiert die Unnachgiebigkeit eines von den Potenzen der Technik Besessenen gegenüber dem Zwang der Sachen. Der sichtbare Triumph der dysfunktionalen Idee über die ungläubige, die phantasielose Physis impliziert eine erotische Besetzung der Technik selbst.« (Ebd.: 93) Problematisch ist diese Auslegung, weil sie von der Psyche Berkeleys ausgeht: eines ›von der Technik Besessenen‹, für den die Technik als Herrschaftsinstrument selbst erotisch besetzt ist. Die Wirkung der Nummer auf die Zuschauer wird hier vernachlässigt. Feministische Kritikerinnen betonen, dass es Berkeley primär um den sexistischen Einsatz weiblicher Körper als entindividualisierte und verdinglichte Modelliermasse gehe. Diesen Deutungen wird von Seiten des Camp entgegengehalten, dass es sich in den abstrakten Choreographien Berkeleys um Stilisierungen handelt, die von Zuschauerinnen und Zuschauern als künstliches Spiel betrachtet werden. Susan Sontag bezieht sich in ihrem Essay »Notes on Camp« explizit auf die Musical-Nummern von Busby Berkeley, wenn sie schreibt: »To start very generally: Camp is a certain mode of aestheticism. It is one way of seeing the world as an aesthetic phenomenon. That way, the way of Camp, is not in terms of beauty, but in terms of the degree of artifice, of stylization.« (Sontag 1967: 277) Camp geht es, so Sontag, um die Überwindung von Inhalten zugunsten der Form: »It incarnates a victory of ›style‹ over ›content,‹ ›aesthetics‹ over ›morality,‹ of irony over tragedy.« (Ebd.: 287) Nach Sontag nehmen die Filmzuschauer das Dargestellte nicht ernst und betrachten es mit ironischer Distanz: »Camp sees everything in quotation marks. It’s not a lamp, but a ›lamp‹; not a woman, but ›a woman.‹ To perceive Camp in objects and persons is to understand Being-as-Playing-a-Role. It is the farthest extension, in sensibility, of the metaphor of life as theater.« (Ebd.: 280) Camp strebt eine Ästhetisierung der Lebenswelt an: »Camp taste has an affinity for certain arts rather than others. Clothes, furniture, all the elements of visual décor, for instance, make up a large part of Camp. For

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Architekturen des Zuschauens Camp art is often decorative art, emphasizing texture, sensuous surface, and style at the expense of content.« (Ebd.: 278) Nach der Sicht von Sontag kommt in den abstrakten und dekorativen Mustern von Berkeleys Nummern nicht so sehr der männliche Blick des Enthüllens und Eindringens, sondern die Freude am Spiel mit künstlichen und grotesken Formen zum Ausdruck. Während Sontag das Spielerische, Künstliche und Ironische an den Choreographien von Berkeley hervorhebt, sieht Kracauer in den abstrakten synchronisierten Mustern der Tillergirls die Rationalität der kapitalistischen Produktionsverhältnisse, die den Menschen ihrer Individualität beraubt und sie dem Produktionsprozess unterordnet: »Das Massenornament ist der ästhetische Reflex der von dem herrschenden Wirtschaftssystem erstrebten Rationalität.« (Kracauer 1977: 53) Die Veräußerlichung des Menschen durch die Produktionsprozesse, die zum Selbstzweck werden, werde durch Bewegungen der Tillergirls angemessen zum Ausdruck gebracht. Deshalb haben sie für ihn einen höheren Realitätsgrad als Formen der Kunst, die sich der Innerlichkeit des Menschen zuwenden und so tun, als ob es im Rahmen der kapitalistischen Produktionsprozesse noch eine Innerlichkeit geben könnte. In ihrem Buch Die Herrschaft der Regel geht Bettina Heintz nicht von den Produktionsverhältnissen, sondern von der Technologie aus, und betont deren Freude am Zerlegen und Zusammensetzen nach neuen Regeln. Das Ergebnis eines solchen Prozesses kann eine Maschine, aber auch eine Choreographie sein. Sie spricht daher auch von der Tillerschen ›Girlmaschine‹ und hebt an den Choreographien Symmetrie, Anonymität und Perfektion im Sinne einer Fließbandproduktion hervor (vgl. Heintz 1993: 251). Während Sontag darauf hinweist, dass sich die Choreographien von der Realität lösen und uns in eine ästhetischironische Einstellung und eine Gegenwelt zur bestehenden versetzen, betonen Kracauer und Heintz, dass diese Choreographien zur Darstellung bringen, was die heutige Welt bestimmt, und Einblick in diese Prozesse gewähren. Den Choreographien kommt somit ein Erkenntnisgewinn zu. Sie klären uns über unsere Zeit auf. Im Gegensatz zu den Auffassungen, nach denen Berkeleys Choreographien über unsere Zeit aufklären, betont Leo Braudy, dass sie uns über die engen Grenzen unserer Welt hinausführen. Sie zeigen uns sich ausdehnende Räume und vermitteln einen Sinn für den Überfluss und das Potentielle: »Berkeley’s films show how the stylistic self-consciousness of musicals directly concerns the relation of their art to the everyday world outside the confines of the film. His camera presses relentlessly forward, through impossible stages that open up endlessly, expanding the inner space of film and affirming the capacity of the world of style to mock the narrowness or the ›real‹ world outside the theatre walls, populated by bland tenors, greedy

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Imaginäre und reale Räume producers, and harried directors.« (Braudy 2002: 141) Nach Braudy zeigt Berkeley mit seinem stilistischen Selbstbewusstsein auf, was die künstlichen Welten seiner Choreographien gegenüber der begrenzten Wirklichkeit darstellen können. Aber es stellt sich auch die Frage, wie wir das Spiel der Ornamente, die sich jeder Festlegung auf eine Bedeutung entziehen, aufnehmen. Ich habe in Teil 2.8 bei der Beschreibung der kontemplativen bzw. erhabenen Wahrnehmung bei Seel darauf hingewiesen, dass diese Wahrnehmung uns aus der Lebenswelt, in der wir die Dinge auf uns selbst beziehen, befreit und uns in einen sinnfreien Raum versetzt. Die kontemplative Wahrnehmung ist »ein Augenblick der rücksichtslosen Aufmerksamkeit für etwas, das durch die Art seiner Wahrnehmung aus jeder denkbaren praktischen und intellektuellen Kontinuität herausgerissen wird« (Seel 1996b: 134). Die Dinge haben ihren Sinn verloren, so dass wir nur auf ihre sinnfremden Erscheinungen achten. Was hier als kontemplative Wahrnehmung beschrieben wird, ist geeignet zu erfassen, was wir bei Berkeleys abstrakten Choreographien wahrnehmen. Es entsteht keine Welt, in die wir uns versetzen können, sondern wir können nur gespannt den sich bildenden und sich wieder auflösenden Mustern folgen. Diese Wahrnehmung unterscheidet sich von derjenigen, wie sie Susan Sonntag mit dem Begriff des Camp beschrieben hat. Sontag betont die Souveränität des Betrachters, der ironisch mit dem Dargestellten umgeht. Der Zuschauer als Person tritt jedoch bei dem Spiel der sich bildenden und sich auflösenden Formen in den Hintergrund. Es handelt sich bei den abstrakten Choreographien nicht um einen Handlungsraum. Die Zuschauer verlieren sich in den StageRäumen und überlassen sich dem Spiel der sinnfreien Erscheinungen. Diese bedeutungsfreien Räume sind jedoch in den BackstageFilmen von Handlungsräumen umgeben. Dadurch, dass wir mit den Erfahrungen in diesen Räumen vertraut sind, können uns jene in Staunen versetzen. Insofern ergibt sich ihre Wirkung nur in Relation zu den Handlungsräumen. Auf diesen Zusammenhang weist auch Seel bei der Bestimmung der kontemplativen Wahrnehmung hin: »Wären es nicht die Dinge und Räume des Lebens, die da plötzlich ohne Bedeutung erscheinen, so wäre da keine Sensation, keine Verwunderung, kein Erschrecken. Die Raumkontemplation fände sich in gar keiner Welt wieder. Stattdessen vollzieht sie sich in der befristeten Grenzsituation einer Welt ohne Sinn.« (Seel 1996a: 58f.) Insofern geht es bei der Kontemplation nicht um eine grundsätzliche Kritik am Sinnverstehen, sondern nur um ein Abstandnehmen von ihm: »Sie läßt den Sinn und das Sein zugunsten des Spiels der Erscheinung sein. Sie ist Praxis der Distanz von allen Bezügen der Praxis.« (Ebd.: 245) Die kontemplative Wahrnehmung, bei der die Menschen die Dinge nicht mehr auf sich beziehen können, sondern

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Architekturen des Zuschauens in ihnen die Orientierung verlieren, lässt sich in sehr unterschiedlichen Situationen erfahren. Sie ist in den Backstage-Filmen nicht nur an die abstrakten Choreographien gebunden. Wenn in ihnen der Stadtraum um den Times Square gezeigt wird, vermittelt er ebenfalls den Eindruck eines sinnfreien Raumes mit überraschenden Eindrücken, die sich nicht auf ein Ganzes beziehen lassen.

5.3. Warenästhetik und Handlungsräume in Ziegfeld Girl Ich habe bis jetzt einige Funktionen der Räume auf und hinter der Bühne beleuchtet. In diesem Teil werde ich mich einer neuen Funktion zuwenden. Stage- und Backstage-Räume werden in den Dienst der Werbung und Konsumkultur gestellt. Da aber kein Spielfilm uneingeschränkt in deren Dienst gestellt werden kann, kommt es zu komplexen Beziehungen zwischen unterschiedlichen Funktionen. Bevor ich jedoch die Räume daraufhin untersuche, inwieweit sie zur Werbung für einen am Konsum orientierten Lebensstil und zur Charakterisierung der psychischen Zustände und Emotionen von Charakteren im Rahmen der Handlung eingesetzt werden, werde ich zeitgenössische Veröffentlichungen der Studios analysieren, mit denen für den Verkauf von Waren und die Verbreitung eines am Konsum orientierten Lifestyle in Filmen geworben wird.

5.3.1 Hollywoods zeitgenössische Veröffentlichungen zur Werbung Retail tie-ins Retail tie-ins beruhen auf einem Vertrag zwischen den Herstellern von Kleidern und den Studios in Hollywood. Die neuen Produktionsmechanismen des ready-made clothing mit ihrer Mechanisierung und Rationalisierung ermöglichen es, Kleider so günstig anzubieten, dass viele Frauen sie sich leisten können. Um jedoch den massenproduzierten Kleidern eine besondere Aura zu geben, werden sie nach den Mustern der Kleider der Leinwandstars hergestellt. Zu diesem Zweck schließen Firmen wie Cinema Fashions und Studio Styles Verträge mit den Filmstudios und produzierten retail tie-ins (vgl. Eckert 1978: 6f.; vgl. Doane 1987: 24) (s. Abb. 37.1-4). Der Film eignet sich für die Warenästhetik, weil er die Möglichkeit hat, die begehrten Objekte aus unterschiedlichen Perspektiven zu zeigen und ihnen durch Beleuchtung den Glanz fetischisierter

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Imaginäre und reale Räume Waren zu verleihen. Doane sagt über die Werberhetorik des Films: »The glamour, the sheen of the cinema and its stars metonymically infect the objects of the mise-en-scène.« (Ebd.) Die Anziehungskraft einzelner Darsteller wird auf eine Kette von Produkten ausgedehnt, die den Zuschauern suggerieren, dass sie mit dem Kauf der Waren an deren Lebensstil teilnehmen können. Will Hays hat die Bedeutung der tie-ins des Hollywood-Films für die amerikanische Wirtschaft besonders hervorgehoben: »Motion pictures perform a service to American business which is greater than the millions in our direct purchases, greater than our buildings, […] The industry is a new factor in American economic life and gives us a solid basis of hope for the future by creating an increase in demand for our products. The motion picture carries to every American home, and to millions of potential purchasers abroad, the visual, vivid perception of American manufactured products.« (Zitiert in Eckert 1978: 5) Panofsky hat generell darauf hingewiesen, dass Filme den Geschmack und Lebensstil der Menschen bestimmen: »Der Film bestimmt stärker als jeder andere Einzelfaktor die Meinungen, den Geschmack, die Sprache, die Kleidung, das Benehmen, ja sogar die äußere Erscheinung eines Publikums, das mehr als 60 Prozent der Erdbevölkerung umfaßt.« (Panofsky 1993: 20) Die Filme spielen somit eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung einer Konsumkultur.

Abb. 37.1. The Great Ziegfeld. Press book.

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Abb. 37.2-3. The Great Ziegfeld. Press book. 118

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Abb. 37.4. The Great Ziegfeld. Press book.

Die Inneneinrichtungen von Wohnungen in den Filmen werden zum Vorbild für die Wohnungseinrichtungen der Filmzuschauer. Christina Wilson schreibt, dass sich Filmzuschauer an die Studios wenden, um Anregung für ihre Einrichtungen zu erhalten: »MGM declared that filmgoers were so impressed by the artist’s designs that the studio received hundreds of letters a week seeking decorating advice. MGM’s executives also recognized that the public’s interest in art direction, and in Gibbons’s work in particular, attracted audiences to MGM films.« (Wilson 1998: 3) Cedric Gibbons, der während der 1920er und 1930er Jahre das art department von MetroGoldwyn-Mayer leitete, beeinflusst somit die Trends in der Architektur der Inneneinrichtungen. Dabei spielt die Perspektive, die durch den Film auf die Architektur gerichtet wird, eine entscheidende Rolle. Morton Eustis stellt im Zusammenhang mit Gibbons heraus, dass er die Filmarchitektur aus der Position des Kameramanns entwarf (vgl. Eustis 1937: 786). In seinem Buch Designing Dreams: Modern Architecture and the Movies betont Albrecht, dass Filme die Funktion erfüllen, neue Vorstellungen von Architektur und die mit ihnen verbundenen Lebensstile zu verbreiten. Die Filmstudios sind sich dieser Rolle als Trendsetter bewusst und nutzen sie für die 119

Architekturen des Zuschauens Werbung bestimmter Produkte. Allen berichtet, dass promotional journals der Filmstudios Artikel publizieren, in denen explizit das Potential der Filme für die Steuerung des Konsumverhaltens herausgestellt wurde: »Features like a forecast of spring fashions designed exclusively for Paramount Pictographs and a description of the way in which fashionable women derive ideas for interior decoration by copying the sets presented in films, linked a tradition of imitating theatrical stars to their cinematic descendants.« (Allen 1980: 487) Die Waren sollen mit Emotionen und einem bestimmten Lebensstil verbunden werden (vgl. Eckert 1987: 4). Die Beziehung zwischen Filmarchitektur auf der einen Seite und Konsum und Werbung auf der anderen lässt sich mit Hilfe von set reference stills aus dem Film Ziegfeld Girl näher bestimmen. Die reference stills zeigen die Architektur des Kaufhauses, in dem Sheila (Lana Turner) entdeckt wird: hier dominieren die Schaufenster, hinter denen Parfüm, Schmuck und Hüte ausgestellt sind. In weiteren stills werden hinter Glasscheiben Szenen mit Mannequinpuppen, die für Produkte werben, ausgestellt (s. Abb. 38). Doane betrachtet den Filmrahmen als Schaufenster, das sich besonders an ein weibliches Publikum wendet, und sieht in der Verknüpfung von Schauen und Kaufen die Voraussetzung für den Prototyp der Zuschauerin als Konsumentin: »If the film frame is a kind of display window and spectatorship consequently a form of window-shopping, the intimate association of looking and buying does indeed suggest that the prototype of the spectator-consumer is female.« (Doane 1989: 27)

Abb. 38. Ziegfeld Girl (1941). Set reference still. 120

Imaginäre und reale Räume Press books In den Werbe- und Öffentlichkeitsabteilungen der Filmstudios wird die Vermarktung von Waren so professionalisiert, dass alles Material, das zur Vermarktung der Waren und des Films dient, in einem Buch, dem press book, zusammengestellt und veröffentlicht wird. Die press books von Warner Brothers enthalten Artikel über Werbematerial und Ideen zur Vermarktung der Filme für die Kinobesitzer. In Teilen der Bücher, die mit der Überschrift »Exploitation« betitelt sind, werden einzelne Szenen des Films isoliert und in einem production still dokumentiert, um auf diese Weise eine Verbindung mit den Waren herzustellen. In den press books für den Film The Great Ziegfeld werden unter der Überschrift »Ziegfeld Beauties Glorify Big National Products« auch Schilder für Schreibmaschinen, Autoreifen und elektrische Geräte angeboten, die Ladenbesitzer bestellen und in ihren Schaufenstern aufstellen können (s. Abb. 37.2). Die Hersteller der press books liefern auch Anzeigen, Schaufensterpuppen, Postkarten etc., die die Ladenbesitzer entsprechend ihrer eigenen Situation ergänzen können. Auf einer weiteren Seite wird unter der Überschrift »The Great Ziegfeld was one of the world’s smartest dressers« für Anzüge und unter der Überschrift »Ziegfeld called her the girl with the million dollar leg« für Strümpfe geworben (s. Abb. 37.4). Die press books von Gold Diggers of 1933 und Footlight Parade zeigen, dass Warner Brothers die Charaktere der Filme dazu einsetzt, Waren anzupreisen. James Cagney wirbt für Anzüge mit den Worten: »One of the many stars of Footlight Parade shows what the well-dressed man will wear.« Für den Film Gold Diggers of 1933 können »dealer stills« für Schuhe, Radios, Pelze etc. bestellt werden und bei der Firma American Display cutouts der Chorusgirls, die auf einem Podest stehend beleuchtet werden, um sie in den Foyers der Kino auszustellen (s. Abb. 39). In dem press book von Footlight Parade wird mit folgenden Worten für die Verkleidung der Theaterfassaden mit Hilfe der cutouts geworben: »Make the front glitter with color! Use extra light to spot the cutouts! Bring into play an abundance of colorful pennants and flags, to dress up your front.« Für die Schaufenster kann ein cutout des »Fountain of Youth« aus der Nummer »By the Waterfall« bestellt werden. Gleichzeitig startet in den Zeitungen eine Werbekampagne mit den gleichen Bildern.

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Abb. 39. Gold Diggers of 1933 (1933). Press book.

Der Film 42nd Street wird nicht nur für die Werbung von Waren, sondern auch für die Vermittlung eines politischen Programms eingesetzt. Warner Brothers stellt einen Zug mit dem Namen »Better Times Special« zusammen, um mit dem Film 42nd Street für bestimmte Waren und den New Deal zu werben. Nach Eckert gleicht das Innere des Zugs einer Aneinanderreihung einzelner Filmszenen. Während in dem ersten Waggon die Chorusgirls schlafen, liegt in einem weiteren Waggon Glenda Farrell in ihrem Jantzen swimsuit auf einer Imitation des Strandes von Malibu unter dem kalifornischen Himmel, der mit ultravioletten Lampen der Firma General Electrics beleuchtet wird. Im nächsten Waggon befindet sich eine Ansammlung von elektrischen Geräten der Firma General Electrics. Dieser Waggon gleicht einer Ausstellung elektrischer Geräte, die von Macy’s oder Gimbels in das Zugabteil gebracht worden sind. Im letzten Abteil reist ein weißes Pferd mit, dessen bestickte Satteldecke den Namen »King« trägt (vgl. Eckert 1978: 2f.). Der Zug soll nach seiner Fahrt durch die USA Washington an dem Tag erreichen, an dem Franklin D. Roosevelt seine Antrittsrede hält, und New York an dem Tag, an dem die Premiere von 42nd Street stattfindet. Für Eckert ist 42nd Street in der Tat eine Werbung für den New Deal: »The film, after all, was a boost for the New Deal philosophy of pulling together to whip the depression, and its star, Warner Baxter, played a role that was a patent allegory of F.D.R.« (Ebd.: 3) 122

Imaginäre und reale Räume Der Zug wird von der Firma General Electrics, die Warner Brothers mit Vorrichtungen für Filmrequisiten beliefert, gesponsert und bietet eine ungewöhnliche Werbefläche. Die Stars, die in diesem Zug durch Amerika fahren, berichten im Radio von ihren Erfahrungen, und wenn der Zug in einer größeren Stadt anhält, werden sie zu einem GE-Showroom gebracht, um für elektrische Geräte zu werben. Abends treten sie in Mini-Premieren auf. Bei der Ankunft in New York gibt es einen Empfang am Bahnhof Grand Central Station mit der 42nd Street Property Owners and Merchants Association und ein Verkaufstreffen mit General Electrics im Sam Harris Theater, und anschließend kommt es zur Premiere im Strand Theater. Für Eckert zeigen diese Ereignisse die enge Verbindung von Wirtschaft, politischem Patriotismus und Hollywood. Mit 42nd Street beginnt »the new order of tie-up« (ebd.: 15) von Warner Brothers, ein Prinzip, das in den folgenden Jahren immer weiter ausgefeilt wird (s. Abb. 40).

Abb. 40. 42nd Street (1933). Press book.

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Architekturen des Zuschauens

5.3.2 Der identifikatorische Blick Der Film Ziegfeld Girl stellt dar, wie die drei Protagonistinnen des Films als Ziegfeld-Girls entdeckt werden und welche Bedeutung dieser Erfolg für sie gewinnt. In einer Szene am Anfang des Films, die in der Garderobe vor dem ersten Auftritt der drei Frauen spielt, hält Slayton (Paul Kelly), die rechte Hand Ziegfelds, eine Rede, und stellt dabei heraus, welche Möglichkeiten den Frauen als ZiegfeldGirl offen stehen: »In a few minutes you are going on your first number. Do you know what that means? It means your are a Ziegfeld-Girl, it means you’re gonna have all the opportunities of a lifetime crowded into a couple of minutes, and all the temptations […], some of you are gonna wind up with their names in electric lights, some of you will wind up with a husband and kids, and some of you are gonna wind up, well, not so good.« Wie in The Great Ziegfeld wird auch hier in den Räumen der Backstage für den Zuschauer der Ziegfeld-Mythos aufgebaut. Im Sinne des American Dream wird betont, dass den Ziegfeld-Girls alle Möglichkeiten offen stehen, aber es wird bereits angedeutet, dass sich nicht für alle die mit der Bühne verbundenen Träume erfüllen werden. In der erwähnten Szene sehen wir Slayton im Vordergrund der linken Bildhälfte mit dem Rücken zur Kamera. Um ihn haben sich die Frauen gruppiert und schauen ihn erwartungsvoll an. Als Slayton von dem Ziegfeld-Mythos spricht, richtet sich der Blick der Kamera auf die Gesichter und Reaktionen von Sheila (Lana Turner), Susan (Judy Garland) und Sandra (Hedy Lamarr), so dass die Zuschauer bereits erahnen können, dass es im Film darum geht, wie sich die drei Frauen zum Ziegfeld-Mythos verhalten werden. In der ersten Musical-Nummer in Ziegfeld Girl wechselt die Kamera zwischen der Bühne und den Gesichtern derjenigen, die das Bühnengeschehen betrachten, hin und her. Auf dem Gesichtsausdruck von Susans Vater Pop (Charles Winninger) spiegelt sich Freude und Stolz, als er seine Tochter auf der Bühne sieht und von ihrem schauspielerischen Talent begeistert ist. Auf dem Gesichtsausdruck von Sandras Mann Franz (Philip Dorn), der nicht will, dass seine Frau als Ziegfeld-Girl auftritt, zeigt sich dagegen Distanz und Ablehnung. Sheilas Freund Gil (James Stewart) blickt ebenfalls ablehnend und misstrauisch auf die Bühne. Er befürchtet nicht zu Unrecht, dass Sheila ihn verlassen wird, wenn sie auf der Bühne Erfolg hat. Sheilas Bruder Jerry (Jackie Cooper) dagegen schaut wie Susans Vater mit Begeisterung auf die Bühne, weil er von der Ausstrahlung seiner Schwester beeindruckt ist. Diese Differenzierung unterstreicht, dass der Blick auf die Bühne nicht immer im Sinne von Mulvey ein männlicher Blick noch im Sinne von Doane ein

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Imaginäre und reale Räume weiblicher sein muss, sondern dass die Zuschauer mit jeweils unterschiedlichen Erwartungen auf die Bühne blicken. Während Slayton zu den Frauen spricht, wird in Nahaufnahmen der Gesichter der Chorusgirls Anspannung, Nervosität und Zufriedenheit gezeigt. Die drei Protagonistinnen reagieren auf unterschiedliche Weise auf Slaytons Worte: Sandra (Hedy Lamarr) ist von seinen Worten wenig beeindruckt. Sie nimmt den Ziegfeld-Mythos nicht ernst und sieht in ihrer Rolle als Ziegfeld-Girl lediglich die Möglichkeit, Geld zu verdienen: »I’m going to be a showgirl in the Follies. It’s a little silly, you just put on some beads or something and walk up and down, like this [sie legt sich ein Buch auf den Kopf], that’s all just like that and people pay money to look at you.« Hier wird in einer Backstage-Szene der Ziegfeld-Mythos ironisiert und damit den Zuschauern eine distanzierte Einstellung ermöglicht. Sheila (Lana Turner), die im Mittelpunkt des Films steht, wird nicht zufällig in einem Kaufhaus, in dem sie als Liftmädchen arbeitet, entdeckt. Das gibt dem Film die Möglichkeit, Waren in Kaufhäusern ins Bild zu setzen. Für Sheila bedeutet die Entdeckung als Ziegfeld-Girl die Befreiung aus den beengten Verhältnissen ihres Elternhauses in Brooklyn und das Versprechen von Reichtum und Luxus: »If a girl gets into the Follies, she is made.« Sie verschreibt sich vorbehaltlos dem American Dream von Reichtum und Luxus, trennt sich von ihrem Freund Gil (James Stewart) und wird die Geliebte eines Millionärs. Am Ende des Films zerbricht sie an dem Verrat ihrer Liebe. Die dritte Protagonistin Susan (Judy Garland) kommt aus dem Vaudeville, wo sie mit ihrem Vater auftritt. Ihr Äußeres entspricht nicht dem Bild des Ziegfeld-Girls, doch am Ende des Films wird ihr Name am »Great White Way« leuchten. Ihr Erfolg beruht nicht auf ihrem Äußeren, sondern, wie der Film betont, auf ihrem schauspielerischen Talent. Sie ist die einzige der drei Frauen, die in den Follies bleibt. Wenn es um die Wirkung der drei Protagonistinnen auf die Filmzuschauer geht, fließt auch das Bild ein, das diese bereits von den Schauspielerinnen besitzen. Sie kommen bereits mit gewissen Vorstellungen über die Filmschauspielerinnen ins Kino und erwarten, sie in bestimmten Rollen zu sehen. Von Hedy Lamarr wird gesagt, dass sie vor allem durch die Ausstrahlung ihres Gesichts wirkt; von Lana Turner, dass ihr Gesicht und Körper dem amerikanischen Schönheitsideal entsprechen und die bewundernden Blicke der Zuschauer und Zuschauerinnen auf sich ziehen, und von Judy Garland, dass sie durch ihre Energie und ihr Talent auf und hinter der Bühne wirkt. Insofern spielen die Schauspielerinnen nicht nur Rollen, sondern auch sich selbst. Charles Affron charakterisiert die

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Architekturen des Zuschauens drei Schauspielerinnen mit den Worten: »To draw our gaze, Hedy simply is, Lana shows, Judy performs.« (Affron 1982: 141) Diese Überlegungen scheinen nebensächlich, wenn es um die Konstruktion von Räumen geht, doch haben sie insofern eine Wirkung auf die Raumkonstruktionen, als für die Schauspielerinnen Räume und Situationen geschaffen werden, in denen ihre Erscheinung und ihre Rolle ihren Ausdruck finden. Besonders wichtig für die Konsumkultur und Warenästhetik ist die Darstellung des Kaufhauses, in dem Sheila entdeckt wird, worauf ich im nächsten Teil eingehen werde. Bei der Darstellung der Vaudeville-Räume, in denen Susan (Judy Garland) entdeckt wird, fällt auf, dass sie sich von der Ziegfeld-Bühne radikal unterscheiden. Die Wirkung hängt von der Darstellung der einzelnen Schauspielerinnen ab, wobei bei der Ausstattung der Bühne im Vergleich zur Ziegfeld-Bühne mit einfachen Mitteln gearbeitet wird. Auch wird im Vaudeville ein Publikum gezeigt, das sich von dem in den Ziegfeld-Shows unterscheidet. Dadurch, dass Susan es als Aufstieg begreift, dass sie von Ziegfeld entdeckt wird, suggeriert der Film, dass es eine Hierarchie von Unterhaltungsformen gibt, in der die Ziegfeld-Produktionen ganz oben stehen.

5.3.3 Kaufhäuser, Theater- und Kinopaläste als Orte der Konsumkultur Sheila wird, wie bereits erwähnt, am Anfang des Films in einem Kaufhaus entdeckt, wobei die Aufmerksamkeit nicht nur auf sie, sondern vor allem auch auf die Waren gerichtet wird. Kaufhäuser stellen seit dem 19. Jahrhundert einen halböffentlichen Raum dar, deren Vorläufer die Arkaden waren. Die neuen Räume des Konsums stehen im Zusammenhang der Massenproduktion von Waren und der steigenden Anzahl der potentiellen Käuferinnen. Durch neue Verkaufsstrategien verändert sich auch das Konsumverhalten. Dabei spielt die Gestaltung der Räume eine zentrale Rolle. Die erste Kameraeinstellung in dem Kaufhaus, in dem Sheila arbeitet, zeigt die Tiefe der aufeinander folgenden Räume, die durch Säulen gerahmt sind. Die einzelnen Räume werden von oben beleuchtet, so dass der Eindruck entsteht, als falle das Licht durch ein Glasdach in sie (s. Abb. 41.1). Die Waren werden auf Podesten, Tischen und hinter Schaufenstern so dar- und ausgestellt, dass sie den Blick der Käuferinnen auf sich ziehen. Sitzgelegenheiten vor den Vitrinen laden zum Verweilen ein (s. Abb. 41.2). Gleichzeitig besteht die Möglichkeit, zwischen den Vitrinen und Tischen herumzuschlendern, um sich die Waren ansehen zu können.

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Imaginäre und reale Räume

Abb. 41.1-2. Ziegfeld Girl (1941). Set reference stills.

Nach Dorothy Davis rufen die ausgestellten Waren Wünsche nach Luxus wach und erziehen zu dem Verlangen nach einem konsumorientierten Lebensstil: »The sight of all sorts of items, ornaments, pictures, aspidistras, would suggest ideas they had never thought of, tempt them to a diversity of semi-luxuries, educate them in the pleasantest manner imaginable into wanting a higher standard of living.« (Davis 1966: 291) Jean Baudrillard beschreibt Schaufenster, wie sie auch wiederholt in Ziegfeld Girl gezeigt werden, als Orte der visuellen Betörung und der Verführung (vgl. Baudrillard 1970). Bereits am Ende des 19. Jahrhunderts ist das Schaufenster ein etabliertes Element der Verkaufsstrategien. In einem 1934 für John D. Rockefeller III. geschriebenen Memorandum wird vorgeschlagen, die »Imagination durch theatrale Effekte zu stimulieren«. Jeder noch so triviale Gegenstand erhält durch die Form, wie er ausgestellt wird, eine Bedeutung, die zum Kauf motivieren soll. Die Werbung macht hier Anleihen bei der Unterhaltungsbranche, beim Zirkus und Theater (vgl. Bernay in Nell 2005: 289). Es wird berichtet, dass am Montag mitunter die Schaulustigen vor den Schaufenstern der Kaufhäuser auf den Augenblick warteten, an dem die neuen Dekorationen enthüllt wurden. In einer Schrift von 1901 heißt es: »Die Verkaufsabteilungen sind die Bühne, auf der das Stück aufgeführt wird.« (Vgl. Leach 1993: 76) Geprägt von der Tendenz, die Grenzen zwischen Theater, Design und Architektur aufzuheben, veröffentlicht Frederick Kiesler 1930 sein Buch Contemporary Art Applied to the Store, in dem er die Wirkung der Auslagen in den Schaufenstern in ihrem Verhältnis zur zeitgenössischen Kunst und zur Konsumkultur darstellt. Er sieht in dem Kaufhaus die Möglichkeit, die neuen ästhetischen Prinzipien der zeitgenössischen Kunst der breiten Masse zu vermitteln. Der Gestaltung von Schaufenstern kommt dabei eine zentrale Rolle zu. Waren sollen in kinetisch und mobil wirkenden Bildern, die in ihrer

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Architekturen des Zuschauens Form und Farbe reduziert sind und einem asymmetrischen Bildaufbau folgen, ausgestellt werden (s. Abb. 42.1-2). Die Präsentation folgt den Prinzipien der Schlichtheit, leistet sich gleichzeitig aber räumliche Großzügigkeit als Indikator für Geschmack, Eleganz und Luxus. Durch die formalen Prinzipien von Abstraktion und Asymmetrie will Kiesler eine dramatische Wirkung erzielen. Dabei ist er daran interessiert, die Grenzen zwischen Schaufenster und Straßenraum zu überwinden. Seine Vorstellungen für die Kaufhäuser der Zukunft zeigen interaktive, kinetische Schaufenster, die per Druckknopf den Passanten ausgewählte Waren präsentieren sollen. Es schweben ihm mechanische Verkaufseinheiten – ›sales robots‹ – vor, die den Kunden in kurzen Filmen Waren zeigen und deren Qualitäten und Vorteile erläutern. Für die Dekoration sollen sensitive Paneele, die als Empfänger-Oberfläche fungieren, eingesetzt werden. Er entwickelt hier eine Idee von Schaufenstern, die dem kinetischen Theater gleichen. In seinen Notizen schreibt er: »Warum erzählt das Schaufenster nicht ein Theaterstück anstelle einer Auslage? …. Das Schaufenster als Peepshow-Bühne? Die Straße sei unser Zuschauerraum mit ihrem sich immer aufs Neue verändernden Publikum. Hat noch niemand ein Theaterstück für Handelswaren geschrieben?« (Kiesler o.J.: 3) Kiesler gelingt es, der zeitgenössischen Schaufenstergestaltung etwas von Theatralität zu verleihen, indem er moderne Ästhetik mit Entertainment, Bühnenbild und kommerziellen Interessen kombiniert. Es geht um den Inszenierungswert von Waren, wie ich ihn in der Einleitung dargestellt habe, so dass die Waren im Sinne der korresponsiven Wahrnehmung auch eine existentielle Bedeutung erhalten.

Abb. 42.1. Schaufenster, Saks, New York 1929. Frederick Kiesler.

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Imaginäre und reale Räume

Abb. 42.2. Schaufenster 1927/28. Frederick Kiesler.

In dem Film Ziegfeld Girl spielen Waren zwar nicht die Hauptrolle, aber die Handlung thematisiert Konsum, und in der Architektur werden die Affinitäten zwischen Kaufhäusern auf der einen Seite und Theater- und Kinopalästen auf der anderen betont. Ähnlich wie die Kaufhäuser werden die Theater- und Kinopaläste in Ziegfeld Girl ins Bild gesetzt. In den Foyers der Theater sind Bilder der ZiegfeldGirls in Kleidern ausgestellt, die denen in Warenhäusern und Modejournals gleichen. Auch gibt es Sofas und Sessel, um die Bilder und die Architektur zu betrachten. Jeanne Allen verweist auf einen Artikel des Theatre Management von 1927, in dem empfohlen wird, dass die Filmpaläste besonders auf die Wünsche von Frauen eingehen sollen, und folgert daraus, dass Kaufhäuser und Filmpaläste eine vergleichbare Funktion besitzen (vgl. Allen 1980: 486). Für Hansen hängen Konsumkultur und Unterhaltungsindustrie wesentlich zusammen, wobei Werbung und Kaufhäuser durch die neuen kommerziellen Unterhaltungsformen unterstützt werden: »Centering on modern advertising and the department store, the emerging culture of consumption was flanked by a whole range of 129

Architekturen des Zuschauens new commercial entertainment which flourished around the turn of the century – amusement parks like Coney Island, Vaudeville, cabarets, dance halls and, after a plebeian detour, the cinema.« (Hansen 1990: 53) Mit dem Konsum – 1915 werden 80 bis 85 Prozent der Waren von Frauen gekauft (vgl. Leach 1984: 333) – verändert sich auch die Vorstellung von Weiblichkeit, die bis dahin wesentlich mit dem häuslichen Leben verknüpft war. Jetzt treten Vergnügen, Glamour, Freizeit und Erotik in den Vordergrund. In den Kaufhäusern wird ein öffentlicher Raum geschaffen, der auch eine soziale Funktion erfüllt. Kaufhäuser werden so entworfen, dass sie mit den Klubs der Männer konkurrieren können, dies wird von Lucy Fischer, die sich auf Susan Benson bezieht, nachdrücklich betont: »Not only were merchandise displays gorgeous and extravagant, but so were supplementary sites like the ladies rest rooms – outfitted with plush furniture, thick towels, complimentary stationary, and uniformed maids. Thus, in its atmosphere the department store sought to replicate the posh downtown men’s club, providing an exciting milieu in which the female shopper might safely and respectably pass the day.« (Fischer 2003: 50) Die Räume der Kaufhäuser gleichen in ihrer räumlichen Komposition denen der Theater, und die Foyers sind ähnlich wie die der Kaufhäuser mit Aufzügen, Telefonen, Lounges und Restaurants eingerichtet, und werden mit elektrischem Licht beleuchtet (vgl. Benson 1986: 18ff.). Anne Friedberg hat die neuen Möglichkeiten für Frauen, sich in einem öffentlichen Raum zu bewegen und aufzuhalten, mit dem neuen Warenfetischismus in Beziehung gesetzt. »The flaneuse-asshopper may have had a new mobility in the public sphere and may have been enthralled with the illusion of power in consumer choice, but these freedoms were only possible at a price. Power was obtainable only through a triangulated relation with a commodity-fetish.« (Friedberg 1994: 36) Diese Motive klingen in Ziegfeld Girl an und verbinden sich mit einer Kritik an dem Konsum. Sheila kann sich schließlich die luxuriösen Waren leisten, die sie sich immer gewünscht hat, aber in diesem Augenblick verrät sie ihre Liebe. Ziegfeld Girl bringt ein ambivalentes Verhältnis gegenüber der Konsumkultur und der damit verbundenen Warenästhetik zum Ausdruck. In seinem Buch Künstliche Paradiese betont Florian Nell, dass das Kino der ideale Ort ist, um den Wunsch nach dem Konsum kostbarer Waren zu wecken, und beschreibt anhand des Verkaufs von durchsichtigem Samt, wie das Geschehen auf der Bühne und der Leinwand in den Dienst der Werbung gestellt wird: »Um 1914 durchsichtigen Samt an die Frau zu bringen, ließ man weibliche Stars in durchsichtigem Samt auftreten – in der Öffentlichkeit, auf der Bühne und auf der Leinwand. Darüber hinaus wurden Photos

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Imaginäre und reale Räume von Samtkleidern in Modemagazinen und Zeitungen veröffentlicht. Der Promoter Edward L. Bernays handelt mit verschiedenen Filmpalastketten 1915 ein Abkommen aus, um in 24 ›key cities‹ ein Musical zu inszenieren, das im Rahmen des Programms als zusätzliche Bühnenshow dargeboten wurde, in der alle Darstellerinnen in durchsichtigen Samt gekleidet waren.« (Bernays in Nell 2005: 290) Die Ausführungen zu den retail tie-ins und den press books und diejenigen zu den Kaufhäusern und Theater- und Kinopalästen haben gezeigt, dass der Film für die moderne Konsumgesellschaft eine zentrale Rolle spielt. Es stellt sich jedoch die Frage, wie dieses Phänomen bewertet wird. Nicht wenige Kritiker betonen, dass die Warenästhetik die Menschen in eine illusionäre, eskapistische Welt versetze und sie dadurch hindere, ihr Leben selbstbestimmt zu gestalten. Auf die Ausführungen von Hartmut Böhme zur ambivalenten Bedeutung des Fetischismus habe ich bereits hingewiesen. »Konsumtion ist nicht mehr das manipulierte Anhängsel der Ware, durch welche die elementaren Bedürfnisse der Menschen, die auf Nahrung, Kleidung und Einrichtung angewiesen sind, ausgebeutet werden. Das funktioniert zwar weiterhin, aber die Waren heute, wenn wir sie als Fetische ansprechen, sind nicht bloße Verschleierungen der wahren Produktionsverhältnisse, sondern ›metaphor in fact‹.« (H. Böhme 2006: 348) Es geht nach Böhme darum, den Fetisch Ware als ein Ding zu sehen, mit dem man zwar täuschen und verschleiern kann, das aber »zugleich ein multiples Gewebe aus visuellen, aber auch auditiven, taktilen, olfaktorischen, geschmacklichen wie semantischen Repräsentationen darstellt« (ebd.). Für Böhme umfasst die Kaufhandlung eine Reihe von Erfahrungen, die sich mit dem Begriff der Manipulation und Illusionsbildung nicht angemessen erfassen lassen: »Diese beginnt lange, bevor das Geld klingelt und die Ware seinen Besitzer wechselt: Gelüste erwachen oder werden angeregt, Schlendern in der Mall, narzisstisches Wogen in der appellierenden Flut der lockenden Dinge, visuell-taktiles Prüfen der Angebote, begleitende Phantasien ihres Gebrauchs. Und die Kauflust endet auch nicht mit dem Einordnen der Ware in die private Dingwelt und die wie auch immer freien oder konventionellen Verwendungskulturen des Konsumenten. Émile Zola hat dies schon 1883 im ersten Kaufhausroman der Weltliteratur ›Au Bonheur des Dames‹ meisterhaft geschildert.« (Ebd.: 348f.) Böhme spricht hier von einem ästhetischen Zwischenbereich zwischen Realität und Imagination, der sowohl von der Warenästhetik als auch von dem Begehren der Konsumenten bestimmt ist: »Im Kauf werden differenzierte sinnliche Bedeutungen wie Bedeutung generierende Erfahrungen gemacht, deren Qualität von den Wertrelevanzen, der sinnlichen Kultur, den Codes des Begehrens und der Imagination der Konsumenten abhängen wie von den inszenatorischen Qualitäten

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Architekturen des Zuschauens der Warentempel oder der Waren selbst.« (Ebd.: 349) Dem Fetischismus fällt nach Böhme in einer Gesellschaft, in der die politischen und sozialen Institutionen wenig Überzeugungskraft besitzen, eine verbindende Kraft zu. Er ermöglicht es, »Massenloyalität und Affektbindungen stabil zu halten« (ebd.). Ziegfeld Girl zeigt die Kaufhäuser, Theater- und Kinopaläste, die das Begehren der Filmzuschauer ansprechen, aber der Film enthält auch eine Spielhandlung, in der die Räume nicht Schaufenster der Waren, sondern Metaphern und Symbole des psychischen Zustands der Charaktere darstellen und die zum identifikatorischen Zuschauen motivieren.

5.3.4 Sheilas Apartment als Raum der Konsumkultur und Konsumkritik Sheilas Apartment lässt sich im Sinne der Warenästhetik deuten. In einer Szene wird gezeigt, wie sie vor ihrem Schminktisch sitzt, während im Hintergrund eine Badewanne aus Marmor zu sehen ist. Während sie von dem Schminktisch aufsteht, ihren Bademantel öffnet und zur Badewanne geht, hebt die Kamera die Materialität des Bads hervor: die Marmorflächen, in die Spiegel eingelassen sind, verchromte Armaturen, Glasflaschen und Handtücher. In einem Spiegel, der über der Wanne hängt, sehen die Filmzuschauer, wie Sheila vom Dampf verhüllt ins Bad steigt. Im Spiegel wiederholen sich die Oberflächen des Bads. Die Kamera schwenkt anschließend nach unten zu ihrem Gesicht, das jetzt aus dem Schaum des Wassers schaut, um dann auf die Ausstattung des Bads zurückzukehren (s. Abb. 43). Nach Doane enthalten solche Szenen die Anweisung an weibliche Zuschauer, sich mit ihrem Aussehen und ihrer Erscheinung zu beschäftigen und mit dem Kauf der angebotenen Waren ihr Image und ihre Attraktivität zu steigern: »The woman’s film as a genre, together with the massive extracinematic discursive apparatus, insure that what the woman is sold is a certain image of femininity.« (Doane 1989: 29) Allen hebt an diesen Bildern hervor, dass sie vor allem die Schaulust befriedigen: »Ritualistic moments of narrative stasis permitted voyeuristic access to women bathing and sleeping in the midst of luxurious surroundings.« (Allen 1980: 489) Durch die Ausstattung und Verfilmung werden die sinnlichen Qualitäten der Räume, in denen Sheila sich bewegt, hervorgehoben. Das Apartment ist aber auch Ausdruck eines psychischen Raums, der anzeigt, dass Sheila inmitten des von ihr angestrebten Luxus und ihrer Kleider unglücklich ist. Es wird zwar immer wieder der verführerische Luxus des Apartments ins Bild gesetzt, doch 132

Imaginäre und reale Räume wird durch Sheilas Gestik und Mimik deutlich, dass sie sich an ihm nicht freuen kann. Das wird besonders in der Szene hervorgehoben, in der sie in ihrem Bett liegt und im Hintergrund das weitläufige Apartment mit den barocken Möbeln zu sehen ist. Die Beleuchtung betont seine Helligkeit und die Materialität der glänzenden und durchsichtigen Stoffe. Die Richtung des Blicks, der auf die Tiefe des Bildes gelenkt wird, wird jedoch unterbrochen, als ihr Freund Gil von rechts in die Blickachse tritt. Er setzt sich durch seine dunkle Kleidung von dem Weiß des Raums und Sheilas Kleidung ab (s. Abb. 44). Mit seinem Auftritt verändert sich auch die Schnittfolge. Während der Raum vorher als weitläufig in der Totale zu sehen war, kommt es jetzt zu einer dialogischen Schnittfolge, die Unruhe und Hektik hervorruft. Sheila will Gil zeigen, dass sie in ihrem neuen Luxus glücklich ist, indem sie ihn durch das weitläufige Apartment führt und ihm die Schränke voller Kleider, Pelze, Hüte und Schuhe zeigt. Als sie einen Pelz mit den Worten »Now I can walk on fur« auf den Boden wirft, wendet er sich angewidert ab und verlässt den Raum mit den Worten: »But not on me.« Sheila will ihm nachlaufen, stürzt jedoch über ihren Pelz (s. Abb. 45). Als in einer weiteren Szene ihr Bruder Jeff nach einem Streit ihr Apartment verlassen hat, zählt sie auf, was sie alles besitzt. Als ihr Dienstmädchen Anny sie fragt, was sie macht, schreit sie ihr entgegen: »I’am counting my blessings.« Dabei wird ihr schmerzerfülltes Gesicht in Großaufnahme gezeigt. Nach Dyer enthüllt die Darstellung von Sheilas Apartment, wie der Verlust von Liebe und die Hingabe an den Materialismus zu einem tragischen Ende führen. Auf ähnliche Weise interpretiert Mizejewski Sheilas Apartment: »The narrative didactically drives home the wrong-headedness of Sheila’s superficiality and consumerist excess. Sheila is owned by trinkets and luxuries rather than vice versa.« (Mizejewski 1999: 175)

Abb. 43. Ziegfeld Girl (1941). Set reference still.

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Architekturen des Zuschauens

Abb. 44. u. Abb. 45. Ziegfeld Girl (1941). DVD captures.

Durch die Darstellung des weiten Apartments und der mit Luxuskleidern überfüllten Schränke werden Affinitäten zu den Räumen der Kaufhäuser hergestellt; doch die gleichen Räume werden auch zum Symbol für die psychischen und mentalen Zustände von Sheila und Ausdruck einer Konsumkritik. Dabei kann der Film den Blick durch die Großaufnahme auf architektonische Elemente, die wir in der Realität nicht bewusst wahrnehmen, lenken und die Emotionen der Zuschauer in besonderer Weise ansprechen und sie zu einem intensiven Mitgehen motivieren.

5.3.5 Das Spiel mit Atmosphären in Ziegfeld Girl Wie ich bereits in der Anlehnung an Gernot Böhme ausgeführt habe, haben Räume ihre eigene Atmosphäre, die diejenigen, die sie betreten, in eine bestimmte Stimmung versetzen. Nach der Architektur des Zuschauens können die Zuschauer nicht mit ihrem Körper, sondern nur in ihrer Imagination die dargestellten Räume betreten, aber dennoch können sie gerade durch den Einsatz von Licht, Musik, Kameraführung, den Wechsel von Nah- und Großaufnahme und Montage Atmosphären erzeugen, mit denen sowohl die Emotionen der Charaktere zum Ausdruck gebracht werden als auch Emotionen bei den Zuschauern hervorgerufen werden können. Die Emotionen der Charaktere und diejenigen der Zuschauer sind nicht identisch. Gegen Ende des Films Ziegfeld Girl ist Sheila verzweifelt und wir sehen sie in einer Reihe von Räumen mit einer einengenden Atmosphäre. Sie besucht Gil im Gefängnis, um sich für seine Freilassung einzusetzen, in einem engen Raum in Schwarz-WeißKontrasten. Er enthält nur einen Tisch und zwei Stühle, und vor dem Fenster und der Tür befinden sich Gitterstäbe; im Hintergrund ist ein Wärter zu sehen. Während der Raum und Sheilas Gesten ihre Verzweiflung zum Ausdruck bringen, kann er bei den Zuschauern auch Spannung oder Mitleid hervorrufen. 134

Imaginäre und reale Räume Insgesamt ist für den Film Ziegfeld Girl charakteristisch, dass er schnell wechselnde Atmosphären zur Darstellung bringt. Wenn Sheila in einem Kasino die Treppe hinunter schreitet, ist der Blick von unten auf sie gerichtet und zeigt sie in ihrem glitzernden Kleid im hellen Licht (s. Abb. 46). Wenn sie am Ende der Treppe Gil sieht, erfolgt ein abrupter Atmosphärenwechsel. Nicht mehr das helle Licht, sondern starke Schwarz-Weiß-Kontraste bestimmen die Szene. Anschließend werden die beiden im Park gezeigt, in dem die Gangster auf ihn warten (s. Abb. 47). In einem tristen speakeasy trifft Sheila auf den Boxer Jimmy Walker, wobei die Szene auch dadurch wirkt, dass sich die beiden früher in der Umgebung des Kasinos in einer glamourösen Atmosphäre begegnet sind. Bedeutend für die Wirkung von Ziegfeld Girl ist das breite Spektrum von Räumen mit unterschiedlichen Atmosphären, angefangen von dem Kaufhaus, in dem Sheila entdeckt wird, über den Backstage-Raum, in dem Slayton den Ziegfeld-Girls den Ziegfeld-Mythos darstellt, und den strahlenden Auftritten Sheilas auf den Treppen der Ziegfeld-Bühne, bis hin zu ihrem Apartment, ihren pathetischen Auftritten auf den Stage- und Backstage-Treppen, ihrem Erscheinen im Gefängnis und dem speakeasy. Mit diesen vielfältigen Orten und ihren auffälligen Atmosphären prägt der Film die Raumwahrnehmung seiner Zuschauer. An der Beschreibung von Sheilas Apartment hat sich zudem gezeigt, wie sich in ein und demselben Raum durch leichte Verschiebungen der Perspektive die Atmosphäre verändern kann. Indem die Atmosphären der Räume aufs engste mit den Emotionen der Charaktere zusammenhängen, werden sie sich auch im Laufe der Handlung verändern. Auf die sich verändernde Bedeutung der Treppe in Ziegfeld Girl habe ich bereits hingewiesen. Indem der Film mit seinen Mitteln die Emotionen der Zuschauer lenken kann, kann er mit ihnen auch spielen.

Abb. 46. u. Abb. 47. Ziegfeld Girl (1941). DVD captures.

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Architekturen des Zuschauens

5.4. Filmische Mittel bei der Gestaltung von Übergängen in Footlight Parade In dem Film Footlight Parade werden Übergänge zwischen einzelnen Räumen und Szenen durch spezifische Raumkonstruktionen besonders hervorgehoben. Dabei spielen filmische Mittel eine entscheidende Rolle. Doch bevor ich sie darstelle, will ich auf das Thema des Films hinweisen. Footlight Parade hat Veränderungen der Unterhaltungsindustrie zum Thema. Am Beginn des Films wird erwähnt, dass der Tonfilm den Stummfilm verdrängt habe und dass die Zuschauer nicht mehr ins Theater, sondern in die Kinos gehen. Daher wird der Protagonist des Films, der Musical-Regisseur Chester Kent (James Cagney) arbeitslos. Seine Produzenten Gould und Frazer haben sich dafür entschieden, in ihren Theatern nur noch Filme zu zeigen: »It’s a lot better to fill your theater 10 times a day on 40 cents a ticket than have it half filled once a night.« Doch Chester Kent will sich damit nicht abfinden und will weiterhin live performances, sog. prologues, die vor dem Film gezeigt werden, produzieren. Das kann er jedoch nur, wenn er sie billiger produziert. Deshalb will er sie in einer Art Fließbandarbeit produzieren, d.h. sie sollen, einmal einstudiert, überall in den USA gezeigt werden. Die fließbandartige Produktion von prologues, die im Mittelpunkt des Films Footlight Parade steht, wird von Andrew Bergman wie folgt kommentiert: »He [Kent] uses an example drawn from the business world, now apparently functioning in this last musical of 1933, and says he will merchandise musical prologues in theatres like a chain operation, like a chain of drug stores, he says.« (Bergman 1972: 64) In dem Film ergibt sich folgende paradoxe Situation: in einem Film wird dargestellt, wie prologues in Konkurrenz zum Film produziert werden. Die Filmzuschauer sehen die prologues, die für die Bühne produziert werden, nicht auf der Bühne, sondern auf der Leinwand, und zwar unter dem Einsatz filmischer Mittel, die für die Raumgestaltung bewusst eingesetzt werden, um besondere Effekte, die nur im Film möglich sind, zu erzielen.

5.4.1 Die Inszenierung des Blicks in Footlight Parade Am Beginn des Films wird das Prinzip des »continuity editing« eingesetzt, um es im Verlauf des Films wiederholt zu brechen, um beim Zuschauer Irritationen und Überraschungen hervorzurufen. Die erste Einstellung des Films zeigt in der Totalen den unteren Teil der Ansicht des Times Square Towers, auf dem in Leuchtschrift angekündigt wird, dass der Tonfilm den Stummfilm verdrängt habe (s. 136

Imaginäre und reale Räume Abb. 48). Es folgt eine Nahaufnahme von Chester Kent, der diese Aussage kommentiert, so dass den Filmzuschauern der Eindruck vermittelt wird, dass Footlight Parade etwas mit dem Übergang vom Ton- zum Stummfilm zu tun haben wird (Abb. 49). Der Wechsel von Totale und Nahaufnahme erscheint hier wie eine Einleitung, in der sowohl der Ort als auch das Thema des Films angedeutet werden. Anschließend sehen wir eine Bürotür mit der Aufschrift »Gould und Frazer Productions«: darauf folgt eine Einstellung, die Kent zeigt, wie er die Treppe heraufkommt, durch die Bürotür geht und im Büro mit den Produzenten über die Veränderung der Unterhaltungsindustrie diskutiert. Anschließend verlassen sie das Büro, blicken auf der Straße auf den Eingang eines Kinos und gehen hinein, um sich einen Film anzuschauen. Durch die Montage dieser Einstellungen wird eine räumliche und zeitliche Kontinuität geschaffen, so dass der Eindruck entsteht, dass die Sequenz eine Geschichte erzählt. Die einzelnen so angeordneten Bilder ermöglichen, dass die Filmzuschauer sie mit Hilfe ihres lebensweltlichen Vorwissens zu einem einheitlichen Raum und zu einer einheitlichen Geschichte synthetisieren können. Die einzelnen Bilder zeigen zwar nur Ausschnitte von Räumen und Bewegungen, aber die Zuschauer haben keine Schwierigkeiten, das Nicht-Gezeigte zu ergänzen. Dieses continuity editing beherrscht das Erzähl-Kino und wird auch als klassischer Hollywoodstil bezeichnet. Die Szene wird ohne spürbare Brüche als Einheit wahrgenommen, weil nach der Logik der Handlung geschnitten wird. Dabei werden die Schnitte nicht als solche wahrgenommen. Sie sind wie Satzzeichen in einem Text, die nicht die Aufmerksamkeit auf sich selbst lenken, sondern nur das Verstehen der Handlung und die Sinnbildung erhellen (vgl. Brinckmann 2005: 204). Durch die synthetisierenden Tätigkeiten der Filmzuschauer entsteht aus der Abfolge der Bilder nicht nur eine Geschichte, sondern auch die Illusion eines dreidimensionalen Raums. Auf diese Weise wird auch erreicht, wie David Bordwell betont, dass die Zuschauer Ergänzungen der Bilder vornehmen, an der Handlung Anteil nehmen und Erwartungen aufbauen, wie sich die Handlung weiter entwickeln wird. Zur Rezeption des Films gehören somit auch Deutungshypothesen, die im weiteren Verlauf des Films bestätigt oder korrigiert werden. Bordwell bezieht sich hier auf Julian Hochberg, der hervorhebt, wie der Film die Zuschauer anregt, sich Fragen zu stellen, die er dann im Laufe des Geschehens beantwortet (vgl. Bordwell 1985: 59).

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Architekturen des Zuschauens

Abb. 48. u. Abb. 49. Footlight Parade (1933). DVD captures.

Die Darstellungsweise des continuitiy editing wird in Footlight Parade unterbrochen, wenn es um die filmische Darstellung der fließbandartigen Produktion der prologues geht. Das Set besteht aus mehreren Räumen, die keine Wand auf der vierten Seite haben, an der die Kamera positioniert ist. Man könnte die Konstruktion mit einem Puppenhaus vergleichen oder mit einem Schnitt durch ein Haus. Diese Konstruktion wird bewusst offengelegt, wenn sich die Kamera parallel zu dem Set bewegt und Kent folgt, wie er durch Türen von einem Raum in den anderen geht. Die einzelnen Bilder sind so aufgebaut, dass es im Vorder- und Hintergrund bühnenartige Bereiche gibt, auf denen die Schauspielerinnen proben. Diese sind frontal zur Kamera angeordnet und zeigen, wie Kent sich zwischen diesen gestaffelten Bereichen bewegt (s. Abb. 50). Die Zuschauer überblicken durch diese Kamerafahrt die Konstruktion der Filmarchitektur, wobei der Eindruck vermittelt wird, dass Kent in einer Vielzahl von Räumen tätig ist. In der Regel wird ein solcher Kamerablick bei der Verfilmung von Backstage-Räumen, die dem continuity editing folgen, vermieden. Für die Zuschauer ist dieser Blick daher irritierend und verblüffend, und sie mögen sich die Frage stellen, ob dieser Blick nicht charakteristisch für den Stage-Teil ist. Wenn die Kameraeinstellung erneut wechselt und das Geschehen aus der Perspektive Kents zeigt, wird der Blick der Zuschauer wieder nach dem Prinzip des continuity editing gelenkt. Wenn das Geschehen aus Kents Perspektive gefilmt wird, wird seine scheinbar aussichtslose Situation hervorgehoben. Die Sequenz, die Kent bei der Suche nach neuen Ideen zeigt, beginnt mit einem schwarzen Bild, langsam erhellt sich die Einstellung und wir sehen Kent, nachdem alle das Theater verlassen haben, im Dunkeln in seinem Büro. Als seine Sekretärin noch einmal in das Büro kommt, erhöht sich die Helligkeit des Bildes. Die Kamera fokussiert die beiden und wechselt zwischen Kents und ihrem Gesicht. Kent spricht über seine finanziell schwierige Lage. Dann steht er auf, geht zur Tür und schaltet das Licht an. Im erhellten Raum be138

Imaginäre und reale Räume schreibt er seine Situation: »There’s nothing left in the world. […] We’ve had flowers, pictures, tables, radios, statues, more tables, sofas, pianos.« Auf einer Leuchttafel in Kents Büro sind alle Ideen festgehalten, die schon einmal Thema von prologues waren. Verzweifelt weist er auf die Karte hin, während die einzelnen Themen in Leuchtschrift erscheinen (s. Abb. 51). Diese Szene ist auch als eine Anspielung auf Berkeley, der ebenfalls immer auf der Suche nach Ideen für seine Shows war, gedeutet worden (vgl. Mast 1987: 125).

Abb. 50. Footlight Parade (1933). DVD captures.

Abb. 51. Footlight Parade (1933). DVD captures.

In einer weiteren Szene, die im gleichen Büro spielt, wird durch den Bildaufbau und den Blickwechsel eine ganz andere Stimmung zum Ausdruck gebracht. Es ist morgens. Im Vordergrund ist Kent zu sehen, der, nachdem er die Nacht durchgearbeitet hat, am Schreibtisch eingeschlafen ist. Nachdem seine Sekretärin ihn geweckt hat, beginnt ein hektischer Alltag. Es wird gezeigt, wie er im ständigen Wechsel am Schreibtisch und am Telefon auf neue Entwicklungen des Entertainments reagiert. Er gibt Anweisungen an die Orte, wo seine prologues in den USA aufgeführt werden. Die Zuschauer können auf einer Karte an der Wand, in die die unterschiedlichen Orte, an denen die prologues aufgeführt werden, eingezeichnet sind, verfolgen, von welchem Ort er gerade die neusten Nachrichten erfährt (s. Abb. 52). Damit wird anschaulich ins Bild gesetzt, dass er gleichzeitig vielfältige Fäden in der Hand halten muss, um die Pro139

Architekturen des Zuschauens duktion von prologues am Laufen zu halten. Die Wirkung der Szene in Kents Büro wird noch durch den Vergleich mit dem Büro der Produzenten Gould und Frazer verstärkt. Während in Kents Büro Papiere verstreut auf dem Schreibtisch und dem Boden herumliegen, herrscht in dem der Produzenten kühle Ordnung. Es ist im Art-Déco-Stil mit Holz vertäfelt, und Schreibtisch, Sofa, Sessel und Lampen sind in modernen einfachen Formen gehalten (s. Abb. 53). Die Form des Raums steht für die Macht der Produzenten. Über die symbolische Wirkung der Schreibtische in den Büros schreibt Albrecht: »Often such desks were designed merely to suggest executive authority, and made no pretense of being functional spaces.« (Albrecht 1986: 130) Wichtiger scheint jedoch noch, dass diese Szene zum Ausdruck bringt, dass diejenigen, die die Macht haben, im Vergleich zu Regisseuren wie Kent nicht arbeiten. Durch die Filmarchitektur, Kameraposition und Schnitttechnik wird der Blick der Filmzuschauer so gelenkt, dass die Härte des Showgeschäfts in den frühen 30er Jahren deutlich wird.

Abb. 52. Footlight Parade (1933). DVD captures.

Abb. 53.1-2. Footlight Parade (1933). DVD captures.

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Imaginäre und reale Räume

5.4.2 Parallelmontage von Handlungsräumen Kents Bewegungen und sein schnelles Sprechen zeigen eine hektische und angespannte Atmosphäre. Filmische Mittel, die diese Atmosphäre verstärken, sind schnelle Kamerafahrten und schnelle Schnitte, die eine Vielzahl von Räumen und Parallelhandlungen miteinander verbinden. Diese Verfahren kommen sonst verstärkt in den Darstellungen der Musical-Nummern zur Anwendung. Doch haben sie hier eine andere Funktion. Sie dienen der Charakterisierung des Protagonisten und der zentralen Handlung, der Produktion von prologues. Damit sich Kent durchsetzen kann, muss er den Betrug der Produzenten Gould und Frazer aufdecken, muss seine privaten Probleme klären, sich gegen inkompetente Schauspielerinnen und Schauspieler wehren, die von Gönnern eingeschleust werden, und muss schließlich verhindern, dass die Ideen der prologues von der Konkurrenz kopiert werden. Das sucht er dadurch zu erreichen, dass für mehrere Tage keiner, der an ihrer Produktion beteiligt ist, die Probenräume verlassen darf. Die Parallelmontage betont die Gleichzeitigkeit des vielfältigen Geschehens, wobei stellenweise Szenen auch aufeinander bezogen werden. So kann beispielsweise ein Telefongespräch Anlass sein, von einem Raum zu einem anderen zu schneiden. Auf diese Weise verlieren die Zuschauer trotz der vielfältigen Parallelhandlungen nicht die Orientierung. Die Übergänge von einem Raum zu anderen können grundsätzlich auf zwei verschiedene Weisen gefilmt oder montiert werden. Eisenstein hat das Prinzip der Kontrastmontage aufgebaut, bei der aus dem Zusammenprall zweier, voneinander unabhängiger Einstellungen ein neuer Gedanke, eine neue Bedeutung im Kopf des Zuschauers entstehen soll, indem der Zuschauer sie zueinander in Beziehung setzt und die Kluft zwischen ihnen überbrückt. Gleichzeitig soll er sich bewusst werden, dass die Montage ein Bedeutung erzeugender Vorgang ist und ein Film somit nicht die Welt abbildet, sondern mit Hilfe der Zuschauer eine Welt erzeugt. Der Film erweist sich als ›gemacht‹. Dagegen hat das Hollywood-Kino den »unsichtbaren Schnitt« gesetzt, bei dem die Montage so eingesetzt wird, dass sich die Übergänge als ›natürlich‹ erweisen. Die Übergänge zwischen einzelnen Räumen in Footlight Parade erfüllen verschiedene Funktionen und rufen unterschiedliche Wirkungen hervor. Sie setzen sehr unterschiedlich entworfene Räume zueinander in Beziehung und stellen Beziehungen zwischen den Räumen der Bühne und denen der Backstage her. Oft sind die Übergänge sprunghaft und nicht leicht nachvollziehbar. Sie wirken wie »jump cuts« und »flash backs« und verweisen auf kontemporäre

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Architekturen des Zuschauens Raumerfahrungen, in denen Widersprüchliches sich nicht auflösen lässt.

5.4.3 Die symbolische Bedeutung der Produktion von prologues Kent muss erfahren, dass die prologues, die er herstellt, schnell von der Konkurrenz kopiert werden. Um sich vor Spionage zu schützen, beschließt er, dass alle, die an der Produktion von prologues beteiligt sind, während der Produktion die Proberäume nicht verlassen dürfen. Er begründet seine Entscheidung mit folgenden Worten: »This is war, a blockade, anybody comes in, stays in, this is your last chance to get out, well […] anybody wanna go, all right thanks, this is a large order, three prologues in three days.« Kent wird in diesen Szenen als eine charismatische Führerpersönlichkeit gezeigt, die es versteht, die anderen mitzureißen, indem er die Herstellung der prologues zu einer gemeinsamen Sache, die Opfer verlangt, erklärt. Während seiner Ansprache wechselt die Kamera zwischen dem Zoom auf sein Gesicht und dem auf die Gesichter der Schauspielerinnen und Schauspieler und zeigt damit, dass er mit seinen Worten einen nachhaltigen Eindruck hervorruft. Er ist derjenige, der die anderen mitreißt und an allen Arbeitsvorgängen beteiligt ist. Mit seinen Worten wie auch mit seinem Verhalten macht er deutlich, dass er für sich keine Sonderstellung verlangt. Diesen Aspekt hebt Roth in seiner Interpretation des Films besonders hervor: »Cagney belongs on stage with everyone else, each contributing what he can on the collective effort.« (Roth 1986: 51) Die Herstellung der prologues erhält auf diese Art eine symbolische Bedeutung, wenn man sie auf die politische Situation des New Deal nach der Depression bezieht. Der Film zeigt den Zuschauern, was unter einem charismatischen Führer geleistet werden kann, wenn sich alle bedingungslos für eine gemeinsame Sache einsetzen. Dabei kommt auch eine neue Variante des American Dream zum Ausdruck. Im Gegensatz zum American Dream geht es in Footlight Parade nicht um den Erfolg eines einzelnen Individuums, sondern um den eines Kollektivs. Roth hebt bei seiner Interpretation hervor, dass Footlight Parade neben anderen Filmen dieser Zeit die neue Stimmung, die mit Roosevelt und dem New Deal verbunden ist, zum Ausdruck bringe: »In these films the ›little people‹ who succeed do so only by following the orders of the director. This change represents a major modification of the American Dream. The ideal of individual success has been transformed into an ideal of success through collective effort under

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Imaginäre und reale Räume the guidance of a strong director. The change echoes the new ethic espoused by Roosevelt in his first inaugural address.« (Ebd.: 47f.) Dass Backstage-Filme politisch interpretiert werden, mag zunächst überraschen, da die Unterhaltungsindustrie oft als Ablenkung vom Politischen interpretiert wird. Aber die Backstage-Filme, und darauf habe ich bereits bei der Interpretation von Gold Diggers of 1933 hingewiesen, nehmen sowohl in den Räumen auf der Bühne als auch in denen hinter der Bühne auf die soziale und politische Situation Bezug und knüpfen an Alltagserfahrungen der Zuschauer an. In einem Aufsatz »Dancing and Deconstructing the American Dream« hebt James Hay hervor, wie Backstage-Filme Aspekte der Depression aufgreifen und den ›American Dream of Success‹ als das Ergebnis kollektiver Anstrengung begreifen (vgl. Hay 1985: 100). Wie sich die Einzelnen dem Ganzen in Footlight Parade unterordnen, wird besonders in den Szenen deutlich, in denen die Theaterräume als Schlaf- und Essräume genutzt werden und den Charakter von Kasernenräumen erhalten. Wenn die Kamera die Räume mit den in Reihen angeordneten Betten aus leicht erhöhter Position zeigt, erinnert das an Busby Berkeleys Choreographien. Hier werden jedoch ganz andere Konnotationen wachgerufen, wenn sich die Chorusgirls nicht, wie auf der Bühne, nach geometrischen, an der Architektur ausgerichteten Formen, sondern in einem chaotischen Durcheinander bewegen. Dieses Durcheinander verwandelt sich schließlich unter der Leitung von Kent zur Produktion der einzelnen prologues.

5.4.4 Übergänge in den Musical-Nummern In Footlight Parade werden am Ende der Backstage-Handlung die prologues in verschiedenen Theatern aufgeführt. Der Film zeigt den beleuchteten Straßenraum des Times Square, wo die Chorusgirls in Bussen zu den verschiedenen Theatern gefahren werden. Wenn sie jeweils an dem Theater ankommen, richtet sich der Blick der Kamera auf die Leuchtreklame des Theatereingangs, auf die Taxis vor dem Theater und die Backstage-Räume, in denen die letzten Vorbereitungen vor der Aufführung getroffen werden. Ein top shot auf die Bühne hinter dem Vorhang schließt den Backstage-Teil des Regisseurs Lloyd Bacon ab, dann öffnet sich der Bühnenvorhang und der Blick richtet sich auf die Zuschauer im Saal und kehrt dann auf die Bühne zurück. Innerhalb der Nummern arbeitet Berkeley mit unterschiedlichen räumlichen Übergängen, auf die ich im Folgenden eingehen werde.

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Architekturen des Zuschauens Vom Chaos zur Ordnung in »Shanghai Lil« Die Musical-Nummer »Shanghai Lil« in Footlight Parade beginnt mit dem Blick auf die Bühne eines Theaters, dann erweitert sich der Raum zunächst durch die Kamerabewegung in seitlicher Richtung, quer zur Fläche der Bildleinwand und anschließend in senkrechter Richtung, wobei die Tiefe des Raums betont wird. Schließlich richtet die Kamera die Aufmerksamkeit auf den Raum um eine Bar, die Mittelpunkt der Handlung wird. Auf diese Weise erschließt sich der Raum den Zuschauern schrittweise. Dabei werden bei der Montage die einzelnen Einstellungen und deren räumliche Kompositionen in den Vordergrund gestellt. »Shanghai Lil« stellt skizzenhaft eine Handlung dar: Der Matrose Bill sucht seine Geliebte Shanghai Lil. Kent, der bei einem Gefecht hinter der Bühne auf die Bühne fällt, muss, weil er sich nun auf der Bühne befindet, den Part von Bill übernehmen. So wird er vom Produzenten zum Schauspieler. In dem Wechsel von Nahaufnahme und Totale wird gezeigt, wie der betrunkene Matrose Bill seine Geliebte sucht. Das Schwanken und die Unschärfe der Aufnahmen lassen erkennen, dass die Zuschauer die Welt durch seine Augen sehen. Die Kameraeinstellung wechselt zwischen Einstellungen, die bald die Tiefe, bald die Fläche des Raums unterstreichen. Dann bewegt sie sich weg von dem Geschehen an der Bar und zeigt den ganzen Raum aus der Vogelperspektive. Dabei sehen die Zuschauer auf einem Tisch einen Matrosen, der auf Shanghai Lil anstößt. Als Bill dies bemerkt, beginnt er eine Schlägerei mit dem Matrosen: nach Ende des Kampfes wird der Raum in seiner Größe und Leere sichtbar (s. Abb. 54). Diese Szene wird jedoch abrupt durch eine andere, die in einer ganz anderen Welt spielt, abgelöst: Matrosen und Frauen in chinesischen Kostümen marschieren in verschiedenen Formationen. Mit Hilfe von Plakaten, die sie über ihren Köpfen tragen, bilden sie zunächst die amerikanische Fahne, die sich anschließend in das Gesicht von Roosevelt und schließlich in den ›National Recovery Administration Eagle‹ verwandelt (s. Abb. 54.). Hier wird der Bezug auf zeitgenössische politische Ereignisse, Roosevelt und den New Deal, direkt hergestellt, wobei wohl bei den Zuschauern patriotische Gefühle geweckt werden sollen. So jedenfalls sieht es Roth: »Shot from above, we see hundreds of chorus boys and girls dressed as American sailors form an American flag, superimpose a picture of Roosevelt over it, and then form an NRA eagle and fire guns in salute. This patriotic display is the quintessence of the musical spirit. The musical is patriotic in the sense that it is affirmative and optimistic and tries to create those emotions in its audience.« (Roth 1986: 47)

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Imaginäre und reale Räume Die Interpretation der zwei Teile von »Shanghai Lil« wirft die Frage auf, wie man den Übergang von dem ersten zu dem zweiten Teil interpretiert. Auf den ersten Blick haben die beiden Teile wenig gemeinsam. Die Charaktere sind jeweils verschieden und es gibt keinen Handlungszusammenhang. Roth stellt zwar den Zusammenhang dadurch her, dass er die Suche nach Shanghai Lil, die in einer Schlägerei endet, als Chaos interpretiert und die marschierenden Chorusgirls und -boys als Ordnung und als Umsetzung einer gemeinsamen Sache sieht, um dann beide Teile unter dem Deutungsschema vom Chaos zur Ordnung zueinander in Beziehung zu setzen und sie in einen Sinnzusammenhang zu bringen. Anhand des Übergangs zwischen Teil eins und zwei wird deutlich, dass für den Zuschauer ein Spielraum der Interpretation erzeugt wird. Aus architektonischer Perspektive ist interessant, wie durch die Wechsel im räumlichen Aufbau der Nummer unterschiedliche Elemente wie Fläche und räumliche Tiefe, Schärfe und Unschärfe der räumlichen Konturen, Enge und Weite eingesetzt werden, um Übergänge zwischen unterschiedlichen Raumprinzipien zu entwerfen.

Abb. 54. Footlight Parade (1933). DVD captures.

Fläche und Raum: »Honey Moon Hotel« »Honey Moon Hotel« beginnt auf der Bühne, aber das Geschehen löst sich schnell von der Bindung an den Bühnenraum. Die Nummer spielt mit der Art und Weise, wie wir Raum wahrnehmen. Beim Wahrnehmen schließen wir, wenn wir nur einen Teil sehen, aufs Ganze (vgl. auch die Ausführungen zum continuity editing am Anfang dieses Kapitels). Wenn wir einen ausgestreckten Arm hinter einer Kiste sehen, nehmen wir ohne weitere Überlegung an, dass er zu einem menschlichen Körper gehört. Insofern kann gesagt werden, dass unsere Wahrnehmung immer über das unmittelbar Gesehene hinausgeht. Das geschieht gleichsam automatisch, weil wir die Dinge mit unserem Vorwissen sehen. Man kann jedoch mit diesen automatisierten Erwartungen spielen, indem die Erwartungen nicht eingelöst werden. Am Beginn von »Honey Moon Hotel« sehen die Zuschauer zwei Paar Füße hinter einem Gepäckwagen. Doch 145

Architekturen des Zuschauens wenn die Kamera am Gepäckwagen entlang nach oben schwenkt, sind keine Menschen zu sehen. Schließlich zoomt die Kamera in den Gepäckwagen und löst ihn in einer Fläche auf. In der nächsten Szene vollzieht sich ein entgegengesetzter Vorgang. Aus einer zweidimensionalen Fläche entwickelt sich ein dreidimensionaler Raum. Während die Protagonisten Keeler und Powel auf eine Zeitungsanzeige des »Honey Moon Hotels« schauen, geht die zweidimensionale Fläche der Anzeige in die Dreidimensionalität des Hotelgebäudes über. Ebenso wird der Türsteher auf der Anzeige in eine dreidimensionale Figur überführt und hält Keeler und Powel die Tür auf, als sie das Hotel betreten. Diese Handlung wird jedoch nicht weiter verfolgt. In einer folgenden Szene informieren Angestellte des Hotels die Zuschauer über ihre Tätigkeiten. Dabei richten sie sich an die Filmzuschauer, als wären sie Hotelgäste. Wenn Keeler und Powell hinter der Rezeption verschwinden, löst sich der Raum dadurch auf, dass Postkarten aus den Fächern an der Wand der Rezeption fallen und sich zu einem neuen Bild zusammenfügen, das die Silhouette von Keeler und Powell zeigt (s. Abb. 55). Danach weicht die Kamera von der Fläche zurück, so dass die Filmzuschauer den ganzen Raum mit Treppe, Korridor und Hotelzimmer überblicken. Schließlich entfernt sie sich so weit vom Set, dass das ganze Hotel im Schnitt sichtbar wird. Es werden zwei Stockwerke mit Hotelzimmern gezeigt (s. Abb. 56). Das Fehlen der vierten Wand hebt die Konstruktion des Sets bewusst hervor. Damit wird der Blick in alle Zimmer gleichzeitig möglich, und es entsteht der Eindruck eines Puppenhauses.

Abb. 55. »Honey Moon Hotel«. Footlight Parade (1933). DVD captures.

Abb. 56. Footlight Parade (1933). DVD capture. 146

Imaginäre und reale Räume Transformationen von Räumen: »By the Waterfall« In der Musical-Nummer »By the Waterfall« steht im Mittelpunkt, wie unterschiedliche Räumlichkeiten der Filmarchitektur durch filmische Mittel konstruiert werden, wobei es zu überraschenden Übergängen kommt. Am Anfang der Nummer liegt Scotty auf einer Wiese vor einem Wasserfall. In der nächsten Szene wird dieser so vergrößert, dass er das ganze Bild erfüllt und der Eindruck entsteht, dass er das folgende Geschehen träumt. In dem Wasserfall sitzen Chorusgirls in Gestalt von Nymphen, die den Wasserfall hinunterrutschen oder kopfüber ins Wasser springen (s. Abb. 57.1). Sie werden gezeigt, wie sie sowohl über als auch unter Wasser unterschiedliche Formationen bilden. Ein highangle camera shot hebt hervor, wie sie in dem Becken des Wasserfalls einen Kreis bilden (s. Abb. 57.2). Anschließend fährt die Kamera zurück und enthüllt, dass sich der Wasserfall in ein riesiges Schwimmbecken, das von Sprungtürmen mit Stuck-Ornamenten umgeben ist, verwandelt hat (s. Abb. 57.3). Die Architektur, die Anton Grot für diese Szenen entworfen hat, folgt geometrischen Kompositionen im Sinne der Art-Déco-Ornamente. In Nahaufnahmen werden graphische Kompositionen einem Relief ähnlich gezeigt. Eine Einstellung hebt zwei Chorusgirls im Profil, die spiegelbildlich im Vordergrund des Bildes angeordnet sind, hervor. Durch den schwarzen Hintergrund werden ihre Profile im Vordergrund besonders betont (s. Abb. 57.4). Anschließend folgt wieder ein top shot, um Figurationen auf der Wasseroberfläche zu zeigen (s. Abb. 57.5 u. Abb. 57.6). Mit der nächsten Einstellung wird das Schwimmbad verlassen. Die Chorusgirls bilden jetzt die Architektur eines fünfgeschossigen sich drehenden Brunnens, »the frozen fountain«, ein für die damalige Zeit beliebtes Motiv der ArtDéco-Ornamentik (vgl. Fischer 2003: 138f.) (s. Abb. 57.7). Die einzelnen kreisförmigen Podeste drehen sich in jeweils unterschiedliche Richtungen. In Nahaufnahmen ziehen die Gesichter der Frauen an der Kamera vorbei, bis schließlich die Totale die gesamte Pyramide ins Bild nimmt. Die Chorusgirls, die den Brunnen bilden, erinnern an die Frauen in den Ziegfeld-Shows. Diese werden jedoch nur aus der Perspektive der Theaterzuschauer gezeigt, während in dieser Nummer die Bühnenkonstruktionen auch aus dem top-shot gefilmt werden und somit zu immer neuen graphischen Mustern konfiguriert werden können. Dabei verlieren sie ihre Dreidimensionalität. Am Ende der Szene gewinnen die Bilder jedoch ihre Dreidimensionalität zurück, wenn der Brunnen im Hintergrund und das Schwimmbad im Vordergrund zu sehen sind (s. Abb. 57.8). Berkeley nutzt das Wasser für spezielle Effekte, wenn er die auf der Wasseroberfläche sichtbaren Körperteile der Frauen zu abstrakten Mustern zusammenführt. Dabei helfen ihm Kameraposition und Beleuchtung, wobei die räumliche Orientierung von Oben und Un147

Architekturen des Zuschauens ten aufgehoben wird. Unter dem Wasser geht die Kamera mit den Bewegungen der Nymphen mit, wenn sie aus dem Wasser auftauchen, werden sie von oben gefilmt (vgl. Rubin 1993: 109). Die Wasseroberfläche erscheint hier als der Dreh- und Orientierungspunkt. Charakteristisch für die Darstellung in dieser Nummer ist der Wechsel zwischen den einzelnen Chorusgirls (oft füllt ein Gesicht das ganze Bild aus) und ihrem Auftreten als Teil der Gruppe, in der sie sich immer wieder zu neuen Mustern zusammenfügen. Dabei beeindrucken nicht nur die phantasiereichen Muster, sondern auch die Größe der Szenerie und die dabei verwendete Technik. Diesen Aspekt betont Berkeley selbst: »I designed my set and consulted with the art directors, the engineers, the carpenters, the electricians and told them what I wanted. The mountain wilderness and the pool covered almost an entire sound stage. The pool measured eighty feet by forty, and while the number was being shot we pumped twenty thousand gallons of water a minute over the falls into the pool. I had them build me plate-glass corridors underneath the pool so I could light and shoot it from the bottom. People were constantly visiting the set to see if what they had heard was true. What with all the water pumps, the hydraulic lifts, and the dozens of workmen, someone said the set looked like the engine room of an ocean liner.« (Zitiert in Thomas und Terry 1973: 70f.) Deutlich kommt hier zum Ausdruck, wie Berkeley bei der Konzeption seiner Choreographien die Architektur mit eingeplant hat. Er entwirft eine Architektur, die durch die Kamera aus unterschiedlichen Perspektiven aufgenommen werden kann und bei der sich Dekors überlagern, um größtmögliche Effekte erzielen zu können. In der zitierten Äußerung von Thomas und Terry kommt auch seine Freude an gigantischen Konstruktionen für seine Choreographien zum Ausdruck. Berkeley gelingt es durch das Zusammenspiel von Kameratechnik und Dekor, eine Folge von Räumen zu konstruieren, die ineinander übergehen. Diese Folge basiert auf wiederkehrenden Prinzipien, die ich bei der Interpretation der Musical-Nummer »Shadow Waltz« bereits beschrieben habe. Die Wirkungen dieser Choreographien entstehen vor allem durch den ständigen Wechsel zwischen Nahaufnahme und Totale und zwischen Auf- und Seitenansichten und rufen den Eindruck eines kontinuierlichen Experimentierens mit Formen hervor. In diesen Choreographien entstehen Räume, die über die Bühne hinausgehen. »By the Waterfall« geht zwar von einer Bühnennummer aus, entfernt sich jedoch schnell von ihr, um Räume aufzubauen, die nur in der Phantasie existieren können. Am Ende der Nummer kehrt jedoch das Geschehen auf die Bühne zurück und zeigt Powell. Dadurch entsteht der Eindruck, als hätte er die vorangegangenen Bilder geträumt und kehre somit aus der Welt der Phantasie wieder zu Realität zurück.

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Imaginäre und reale Räume

Abb. 57.1-8. »By the Waterfall«. Footlight Parade (1933). DVD captures. 149

6. Zusammenfassung und Ausblick: die Architektur des Zuschauens im Kontext der neuen Medien Ausgehend von der Architektur des Zuschauens habe ich aus der Innenperspektive ausgewählter Backstage-Filme gezeigt, wie Räume der Stage und Backstage und ihr Verhältnis zueinander mit architektonischen und filmischen Mitteln entworfen werden. Zentrale Erkenntnisse dieser Interpretationen will ich hier kurz zusammenfassen, bevor ich in Teil 6.7 der Frage nachgehe, ob Filme realistisch oder anti-realistisch gedeutet werden sollen, und in Teil 6.8 untersuche, ob die so genannten neuen Medien die Differenz zwischen imaginären und realen Räumen, wie sie der Architektur des Zuschauens zugrunde liegt, auflösen und ob die These zutrifft, dass wir zunehmend in simulierten Räumen leben werden, in denen die Unterscheidung zwischen imaginären und realen Räumen verschwindet.

6.1. Die Ziegfeld-Bühne In Teil 5.1 habe ich bei der Interpretation von The Great Ziegfeld dargestellt, wie Ziegfeld einen neuen Bühneraum entwirft, in dem das Ziegfeld-Girl, das sich in glamourösen Kostümen auf imponierenden Treppen bewegt, im Mittelpunkt steht. Es ist ein Bühnenraum, der durch Glanz und Luxus und die Schönheit der Frauen die Zuschauer zu beeindrucken und überwältigen sucht. Die Treppe steht nicht nur um ihrer symbolischen Bedeutungen willen im Mittelpunkt der Ziegfeld-Bühne, sondern auch wegen ihrer architektonischen Struktur, die es ermöglicht, Frauen in der Vertikalen zu ornamentalen Mustern zu gruppieren, so dass sie von den Theaterzuschauern als Ganzes gesehen werden können. Der Mythos, der sich mit der Ziegfeld-Bühne verbindet, hängt auch wesentlich von den Diskursen ab, in denen über sie gesprochen wird. Der Backstage-Film kann aufgrund seiner Struktur dieser Dimension besonders Ausdruck verleihen, weil er in den Räumen der Backstage Ziegfeld Gelegenheit gibt, seine Vorstellungen 151

Architekturen des Zuschauens und Zielsetzungen zu artikulieren. Vor allem in den Räumen der Backstage erscheint Ziegfeld als »Glorifier of the American Girl«. In ihnen wird ins Bild gesetzt, wie er seine Bühnenräume entwirft, um ein neues Frauenbild zu prägen, und wie er in ständiger Bewegung ist, um seine Vision zu realisieren (vgl. die detailliert beschriebene Montage aus Zeitungsausschnitten, Ziegfeld am Telefon und in Zügen). Die Räume der Backstage zeigen, wie sich Ziegfeld in sehr unterschiedlichen Räumen inszeniert. Die Backstage-Räume bieten aber nicht nur die Möglichkeit, den Ziegfeld-Mythos aufzubauen; sie können ihn auch ironisieren und kritisieren. Das wird besonders in Ziegfeld Girl deutlich. Erinnert sei hier an Szenen, in denen die überhöhte Bedeutung, die Ziegfeld seinen Shows zuschreibt, ironisch unterlaufen wird: als Sheila in ihrem Apartment sich an dem Reichtum, den sie als Ziegfeld-Girl gewonnen hat, nicht erfreuen kann, oder als sie betrunken von der Treppe stürzt. Im Vergleich zu The Great Ziegfeld wird jedoch auch deutlich, dass sich die These nicht halten lässt, dass in den Räumen der Backstage der Mythos, der in den Räumen der Stage aufgebaut wird, de-mystifiziert wird. Auch wird man den Räumen der Stage nicht gerecht, wenn man sie als Illusion im Sinne der Täuschung und Manipulation interpretiert. Im Wechselspiel von Stage und Backstage lässt sich die Ziegfeld-Bühne nicht auf eine Funktion festlegen. Daher ist es von Bedeutung, in jedem Film zu verfolgen, wie die Stage- und Backstage-Räume entworfen und wie sie aufeinander bezogen werden. Der Backstage-Film scheint nur zwei Arten von Räumen zu kennen, nämlich die der Stage und Backstage. In The Great Ziegfeld gibt es jedoch auch Räume, in denen die Grenzen zwischen den beiden Raumarten verschwimmen. Das wird vor allem durch das filmische Mittel der Überblendung und der sich angleichenden mise-en-scène erreicht. Räume, in denen sich Stage und Backstage überlagern, scheinen Ziegfelds Ästhetik zu verkörpern: Die imaginären Räume unserer Vorstellungen sollen in die Realität ausstrahlen und somit die realen Räume verändern, so dass sich in ihnen unsere Wunschvorstellungen erfüllen. Für Ziegfeld ist die Bühne nicht ein Ort der Illusion, an dem die Zuschauer die reale Welt vergessen sollen, sondern eher ein utopischer Raum, in dem vorweggenommen wird, was Realität werden soll. Die Betonung der Schönheit und Erotik der Frau soll das viktorianische Frauenbild im Sinne der Emanzipation verändern. Diese Auffassung ist jedoch von verschiedenen Seiten als bloße Ideologie kritisiert worden. Insbesondere die feministische Kritik hat hervorgehoben, dass auf der Ziegfeld-Bühne die Frau nicht glorifiziert, sondern verdinglicht dargestellt wird. Sie wird auf ihre äußere Erscheinung reduziert und erscheint entindividualisiert als anonymer Teile von Choreographien.

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Im Kontext der neuen Medien

6.2. Wechselwirkungen zwischen den Räumen der Stage und der Backstage in Gold Diggers of 1933 In Gold Diggers of 1933 kommt es wiederholt zu Überschneidungen und Überlagerungen zwischen den Räumen der Stage und Backstage. Der Film beginnt mit der Musical-Nummer »We’re in the Money«, in der die Chorusgirls die Rolle von Gold Diggers spielen. Sie bringen in ihrem Song und durch ihre Mimik und Gestik zum Ausdruck, dass sie wissen, wie sie an Geld kommen. Doch in diese imaginäre Welt der Bühne bricht der Sheriff mit seinen Männern aus der realen Welt der Backstage ein, um die unbezahlte Dekoration und die unbezahlten Kostüme zu konfiszieren, und hebt damit den imaginären Raum auf. Die Backstage ergreift von der Stage Besitz: die Chorusgirls werden arbeitslos. Sie haben auf der Bühne gesungen, dass sie als Gold Diggers wissen, wie sie an das Geld der Männer kommen. Jetzt stehen sie vor der Frage, ob sie nicht wirklich Gold Diggers werden müssen, um in den Zeiten der Depression überleben zu können. Stage und Backstage stehen in einem ironisch dialektischen Verhältnis. Nachdem die drei Protagonistinnen arbeitslos sind, treten zwei von ihnen in den Räumen der Backstage als Gold Diggers auf, wobei offen bleibt, ob sie wirklich Gold Diggers sind oder auch in den Räumen der Backstage die Rolle nur spielen, um sich an den Männern, die sie als Gold Diggers beschimpft haben, zu rächen. In diesem Zusammenhang wird der Begriff der Inszenierung relevant, wobei jedoch seine Bedeutung ambivalent bleibt. Inszenieren erhält einmal die Bedeutung der Verstellung und Täuschung. Gold Diggers spiegeln den Männern Liebe vor, um an ihr Geld zu kommen. Die beiden Protagonistinnen genießen aber auch ihr Spiel: Inszenieren bedeutet dann nicht, etwas vortäuschen, sondern ist Freude an der Verstellung und am Spiel. Am Ende des Films haben sich die Probleme der drei Protagonistinnen gelöst. Die Backstage-Handlung führt zu einem »happy end«. Der Film endet jedoch mit der Bühnennummer »My Forgotten Man«, in der das Leid der Depression und des Zweiten Weltkriegs zur Darstellung kommt. Insofern verweist das Ende des Films mit der letzten Bühnennummer auf die soziale Realität.

6.3. Die Verselbständigung der Choreographien Busby Berkeleys Wenn ich in dem vorangegangenen Teil dargestellt habe, wie sich in Gold Diggers of 1933 Räume der Stage und Backstage gegenseitig 153

Architekturen des Zuschauens beleuchten und in Frage stellen, so gibt es in dem Film auch Bühnennummern, die weder thematisch noch mit der Handlung oder durch den Zeitbezug aufeinander bezogen sind. In der Nummer »Pettin’ in the Park« kündigt sich bereits an, was in der MusicalNummer »Shadow Waltz« gesteigert auftritt und zu einem Spiel mit Ornamenten führt. Die Nummer steht zwar unter einem Thema »Pettin’ in the Park«, aber auf dieses Thema wird nur am Beginn in ironischer und sarkastischer Weise angespielt. Schnelle Szenenwechsel mit unterschiedlichen architektonischen Elementen um ihrer selbst willen treten in den Mittelpunkt, und schnelle Bewegungen der Kamera und überraschende Montagen erzeugen neue Raumerfahrungen. Bei der Analyse der Choreographien »By the Waterfall« und »Shadow Waltz« habe ich die architektonischen und filmischen Mittel der beiden Nummern detailliert beschrieben. Bildelemente, die auf demselben Parameter liegen, wie z.B. hell und dunkel oder nah und fern, werden in wechselnden Bildern kontrastiert, so dass die einzelnen Formelemente immer wieder neu zusammengefügt und aufgelöst werden können. Diese Choreographien gehen zwar noch von der Ziegfeld-Bühne aus, lösen sich aber schnell von ihr und produzieren visuelle Effekte, die nicht mehr von Theaterzuschauern, sondern nur noch von Filmzuschauern wahrgenommen werden können. Wie genau man jedoch diese Formen beschreibt, man kann dadurch nicht ihre Bedeutung bestimmen. Für einige Autoren sind diese Choreographien Ausdruck der unerschöpflichen Phantasie Berkeleys; für andere verkörpern sie eine technische Einstellung, die Dinge zerlegt und wieder zusammensetzt, um über sie zu verfügen; für andere wieder sind sie Ausdruck von Männerphantasien, die ihre Macht über Frauen dadurch demonstrieren, dass sie deren Körper zerlegen und in neuen abstrakten Mustern wieder zusammensetzen. Deutlich wird hier, wie eine bloße objektive Beschreibung der formalen Elemente nicht ausreicht, um die Bedeutung der dargestellten Räume zu erfassen, weil in unsere Wahrnehmung schon immer Zuschreibungen einfließen. Zum Verstehen der Räume gehört somit, dass eine Interpretation die Diskurse mit ihren jeweiligen Vorannahmen sichtbar macht.

6.4. Stage- und Backstage-Räume im Rahmen der Konsumkultur und der Handlung Teil 5.3 zeigt zunächst anhand von retail tie-ins und press books, wie Filme zur Werbung und zur Verbreitung einer Konsumkultur eingesetzt werden. Anschließend habe ich dargestellt, wie mit architektonischen und filmischen Mitteln Kaufhäuser, Nachtclubs, Thea154

Im Kontext der neuen Medien ter- und Kinofoyers und Apartments so ins Bild gesetzt werden, um den Reiz und die Attraktivität von Waren zu erhöhen. Im Glanz dieser Warenwelt soll ein neues Lebensgefühl erfahrbar werden. Hier wird bereits damit experimentiert, wie sich in »special effects« Architektur, Konsum und Entertainment verbinden lassen. Der am Konsum orientierte Lebensstil, wie er in BackstageFilmen zu Darstellung kommt, ist auf unterschiedliche Weise interpretiert worden. Für die einen erfüllt er eine eskapistische Funktion (die Zuschauer werden von der Einsicht in ihre wahre gesellschaftliche Situation abgehalten und in eine Scheinwelt versetzt), während für andere der mit den Waren verbundene Inszenierungswert zur modernen Kultur gehört und nicht auf Manipulation und Entfremdung reduziert werden kann. Nach der Deutung des Camp durch Susan Sontag ermöglichen die grotesken Bühnenbilder Ziegfelds und die Choreographien Busby Berkeleys eine ästhetische Einstellung, die es den Zuschauerinnen ermöglicht, sich an dem Spiel grotesker Formen und der dadurch gewonnenen Souveränität zu erfreuen, ohne auf existentiell bedeutsame Inhalte zu achten. Doch die Deutung von Sontag erfasst nur Aspekte bestimmter Bühnenbilder und verkennt, dass Räume in Filmen auch Teil der Handlung sind. Wie unterschiedliche Funktionen von Räumen ineinander greifen, habe ich an Sheilas Apartment gezeigt. Es wird einmal so gefilmt, dass der Reiz der in ihm ausgestellten Waren erhöht wird, und zum anderen so, dass es der Charakterisierung der Protagonistin und dem Fortgang der Handlung dient. Räume in Spielfilmen sind nicht nur Orte, an denen ein Geschehen stattfindet, sondern sie bestimmen auch die Bedeutung des Geschehens. Im Falle von Sheilas Apartment kommen somit sowohl der Anreiz eines am Luxus orientierten Lebensstils als auch die Kritik an ihm zur Darstellung. Dabei spielen Großaufnahme und Montage eine entscheidende Rolle. Jene kann die Dinge, die wir sonst nicht wahrnehmen, isolieren und damit ihre Bedeutung hervorheben, und diese kann Dinge zusammenführen, die wir sonst nicht zusammen wahrnehmen, und kann damit nicht nur eine eindringliche Atmosphäre erzeugen, sondern auch neue Zusammenhänge herstellen.

6.5. Konstruktion und Dekonstruktion von Sinnzusammenhängen Im letzten Teil habe ich in erster Linie Übergänge in dem Film Footlight Parade thematisiert. Beim continuity editing wird durch Kameraeinstellung und Montage bei den Zuschauern der Eindruck erweckt, dass sie einem nachvollziehbaren Geschehen folgen und Sinnzusammenhänge aufbauen. Dabei spielt es eine entscheidende 155

Architekturen des Zuschauens Rolle, dass sie mit Hilfe ihres lebensweltlichen Vorwissens ergänzen, was nur angedeutet wird. So werden die Zuschauer beispielsweise, wenn sie auf der Leinwand hinter einem Wagen Füße sehen, annehmen, dass sich hinter ihm ein Mensch befindet, ohne dass ihnen diese ergänzende Tätigkeit überhaupt bewusst wird. In der Musical-Nummer »Honey Moon Hotel« wird jedoch diese Erwartung enttäuscht. Wir sehen Füße, aber in der nächsten Einstellung sehen wir, dass unsere Erwartung, den dazugehörigen Körper zu sehen, nicht erfüllt wird. Wir erfahren hier, wie mit unseren Erwartungen gespielt wird. Ferner kommt es in dieser Nummer zu überraschenden Übergängen von zweidimensionalen zu dreidimensionalen und von dreidimensionalen zu zweidimensionalen Räumen, die den Zuschauern vor Augen führen, auf welchen unsicheren Annahmen unsere Wahrnehmungskonstruktionen beruhen. Bei einer solchen Raumdarstellung geht es nicht um ein identifikatorisches Sehen im Sinne des continuitiy editing, sondern vielmehr um ein Spiel von Konstruktion und Dekonstruktion von Raumbildungen. In der Musical-Nummer »Shanghai Lil« kommt es zu einer ganz anderen Dimension von Übergängen. Wie verhalten wir uns, wenn zwei Szenen aufeinander folgen, die weder durch Personen noch durch die Handlung miteinander verbunden sind? In dem ersten Teil der Nummer sehen wir, wie der betrunkene Matrose Bill seine Geliebte sucht und aus Eifersucht eine Schlägerei beginnt, und im zweiten Teil, wie marschierende Gruppen mit Fahnen das Bild der amerikanischen Flagge und anschließend das Bild von Roosevelt über ihren Köpfen entfalten. Wie ich gezeigt habe, stellt Roth bei seiner Interpretation des Films nicht nur zwischen den beiden Teilen der Musical-Nummer einen Sinnzusammenhang her (Übergang vom Chaos zur Ordnung), sondern betrachtet die Bedeutung dieser Musical-Nummer als Symbol für den ganzen Film: mit Hilfe eines charismatischen Führers (Kent – Roosevelt) ist es möglich, eine in die Krise geratene Gesellschaft zu retten (New Deal). Roth hebt hervor, wie er glaubt, dass sich die Zuschauer sinnbildend verhalten und die Übergänge deuten. Dabei wird jedoch auch deutlich, dass sich die Zuschauer nicht so verhalten müssen. Die Übergänge erscheinen nicht selten willkürlich und verweigern sich somit sinnbildender Tätigkeit und lenken die Aufmerksamkeit auf das Material und die Übergänge selbst. Folgt man der Deutung von Roth, dann werden die Übergänge weitgehend im Sinne des continuity editing verstanden, man kann sie aber auch so verstehen, dass sie die Aufmerksamkeit auf isolierte Szenen, die sich einer einheitlichen Deutung entziehen, lenken. Damit aber gerät der Filmzuschauer in eine ambivalente Einstellung zwischen Konstruktion und Dekonstruktion.

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Im Kontext der neuen Medien

6.6. Die Architektur der Kinopaläste In Teil 4, in dem ich die Entwicklung von den Nickelodeons zu den Filmpalästen dargestellt habe, steht die Architektur der Kinos im Mittelpunkt. Aus architektonischer Sicht ist von besonderem Interesse, wie die Kinopaläste mit ihren hell erleuchteten Fassaden das Stadtbild um den Times Square verändern. Vor allem aber ist von Bedeutung, wie die geschichtliche Entwicklung von den Nickelodeons zu den Filmpalästen die soziale und kulturelle Bedeutung der Kinos verändert. Die Kinos sind ein sozialer öffentlicher Ort, wobei den prächtigen Filmpalästen die Funktion zufällt, den Filmbesuch auch für ein Mittel- und Oberschichtenpublikum attraktiv zu machen. Dabei ergibt sich die paradoxe Situation, dass Kinopaläste selbst und nicht erst die Bilder auf der Leinwand den Zuschauer in eine andere Welt versetzen wollen. Sie unterminieren damit die Architektur des Zuschauens: Die Differenz zwischen dem realen Raum, in dem man physisch anwesend ist, und dem imaginären Raum, den man nicht physisch betreten kann, wird aufgehoben. Gegenwärtig erleben wir eine ähnliche Entwicklung in der Architektur der Themenparks und in der von Las Vegas. Wie ich noch darstellen werde, betonen auch einige neue Medientheorien, dass die Differenz zwischen realen und imaginären Räumen aufgehoben wird. Doch zunächst zu der Frage, wie Filmzuschauer die Räume auf der Leinwand wahrnehmen.

6.7. Realistische und anti-realistische Theorien des Films Ich habe mich im Laufe der Arbeit wiederholt mit der Frage der Illusion bei der Filmrezeption auseinandergesetzt und darauf hingewiesen, dass das Filmbild nicht im Sinne der Täuschung verstanden werden kann. Abschließend will ich diese Überlegungen unter der Frage, ob der Film realistisch oder anti-realistisch gedeutet werden soll, noch einmal aufgreifen. Es ist in der Filmtheorie umstritten, ob Filme ihre Zuschauer dadurch beeindrucken, dass sie ein realistisches Abbild der Welt geben, oder dadurch, dass sie mit filmischen Mitteln Welten konstruieren, die nur auf der Leinwand existieren. Im ersten Fall spricht Seel von der realistischen These, die er wie folgt formuliert: »Filme sind klangbildliche Ereignisse, die auf besondere Weise in der Lage sind, den phänomenalen und prozessualen Reichtum der realen (natürlichen wie menschlichen) Welt zur Anschauung zu bringen.« (Seel 2007: 155) Diese realistische Auffassung vertritt Kracauer, wenn er im Vorwort zu seiner Theorie des Films schreibt, »daß der Film im wesentlichen eine Erweiterung der 157

Architekturen des Zuschauens Fotographie ist und daher mit diesem Medium eine ausgesprochene Affinität zur sichtbaren Welt um uns herum gemeinsam hat.« (Ebd.) Nach der realistischen These vergegenwärtigen nicht nur Dokumentar-, sondern auch Spielfilme den Zuschauern die Welt, wie sie außerhalb des Films existiert. Dagegen betont die anti-realistische Deutung des Films dessen Konstruktionsmöglichkeiten. Filme inszenieren spektakuläre Ereignisfolgen, die nur auf der Leinwand existieren: Das Klangbildgeschehen »will und kann – zugleich oder allein – um seiner eigenen Attraktionen willen wahrgenommen werden« (ebd.: 161). Aus der Sicht der anti-realistischen These müssen Filme ihr Gemachtsein nicht vor den Filmzuschauern verbergen, sondern können es bewusst zur Schau stellen. Kann man angesichts der beiden Thesen sagen, dass der Backstage-Film sowohl die realistische als auch die anti-realistische These bestätigt? Die Backstage-Räume verweisen auf die Realität, wie sie auch außerhalb des Films existiert. Die Filmzuschauer können den Times Square und die Kinopaläste wiedererkennen. Aber eine solche Deutung verkennt, dass auch die Räume der Backstage »konstruierte« Räume sind. Sie werden mit filmischen Mitteln wie Kameraführung, Beleuchtung und Montage so entworfen, dass sie bestimmte Atmosphären ausstrahlen und bestimmte Konnotationen erhalten, die sie außerhalb des Films nicht besitzen. Es lässt sich aber auch nicht abstreiten, dass die gezeigten Räume außerhalb der Leinwand existieren. Um beiden Dimensionen, Konstruktion und Abbildung, Rechnung zu tragen, erscheint es angemessener, zu sagen, dass die Räume der Backstage in der Regel so gefilmt werden, dass sie bei den Filmzuschauern einen starken Realitätseindruck hervorrufen, was jedoch nicht bedeutet, wie ich bereits bei der Kritik der Illusion deutlich gemacht habe, dass die Zuschauer vergessen, dass sie Darstellungen von Dingen und Menschen sehen und nicht diese selbst. Wenn sich zeigt, dass sich die realistische These mit den Räumen der Backstage nicht bestätigen lässt, lässt sich dann die anti-realistische These mit Hilfe der Stage-Räume bestätigen? Diese Frage will ich in Anlehnung an die Interpretation zweier Musical-Nummern aus Gold Diggers of 1933, die Francesco Casetti in seinem Aufsatz »Die Sinne und der Sinn oder Wie der Film (zwischen) Emotionen vermittelt« gegeben hat, nachgehen. Gold Diggers of 1933 beginnt, wie wir gesehen haben, mit dem Song »We’re in the Money« und endet mit der Musical-Nummer »My Forgotten Man«. In der ersten Nummer singen die Chorusgirls, dass sich ihr Wunsch, reich zu sein, erfüllt hat. Sie schwimmen buchstäblich im Geld. Bühnenbild, Kostüme und Choreographie bringen Sinnen- und Lebenslust zum Ausdruck. Casetti weist darauf hin, dass diese Musical-Nummer die Zuschauer mit ihren visuellen und

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Im Kontext der neuen Medien akustischen Reizen zu überwältigen sucht (vgl. Casetti 2005: 25). Wird damit die anti-realistische These der Filmtheorie bestätigt? Bevor ich eine Antwort auf die Frage gebe, will ich auf den Essay von Casetti kurz hinweisen. Nach seiner Auffassung ist die Moderne des 20. Jahrhunderts von zwei entgegengesetzten Wünschen und Zielen bestimmt. Auf der einen Seite möchte diese Epoche, so Casetti, »sich aller sinnlichen Reize bemächtigen, die eine Situation anzubieten hat. Eine Wahrnehmungslust, die das Bedürfnis verrät, ›dabei zu sein‹, inmitten des Geschehens, um sie als solche mitzuerleben.« (Ebd.) Auf der anderen Seite erschreckt die Epoche vor den Gefahren einer solchen Wahrnehmungslust, weil sie die Menschen überwältigt und das Verstehen der Ereignisse verhindert. Casetti formuliert folgendes Dilemma: »Soll man sich von der Wahrnehmungsfülle erobern lassen, oder soll man versuchen, bei Sinnen zu bleiben?« (Ebd.) Dieser Konflikt bestimmt auch die Filmtheorie. Der Film versteht sich zunächst, wie Casetti ausführt, als »Wundermaschine, die durch Wahrnehmungsreize die Neugier und Aufmerksamkeit anstachelt«, aber er will auch den Filmzuschauern Distanz ermöglichen. Das versucht er u.a. durch die Darstellung einer kohärenten Handlung, die das Außergewöhnliche zurückdrängt, zu erreichen. Casetti bejaht somit die Entwicklung zum Erzählkino, die oft negativ bewertet worden ist, weil damit, so wird gesagt, die Einsicht in den Konstruktionscharakter von Wirklichkeit verhindert werde. Er sieht in dem Erzählkino den berechtigten Wunsch nach Verstehen. Gleichgültig, ob man dieser Auffassung folgt oder nicht, entscheidend ist hier, dass er auf zwei unterschiedliche Filmtheorien hinweist: Für die Vertreter der einen ist der Film eine »Wundermaschine, die durch Wahrnehmungsreize« überwältigt, und für die der anderen bietet er die Möglichkeit, zur unmittelbaren Erfahrung Distanz zu gewinnen, um sie zu verstehen. Das Ziel seiner Argumentation ist jedoch, dass er die Alternative zwischen beiden Filmtheorien zurückweist. Seine These besagt, dass die meisten Filme sowohl durch visuelle Schocks überwältigen als auch Distanz und Verständnis ermöglichen wollen. Casetti sucht diese These mit seiner Interpretation der ersten und letzten Musical-Nummer in Gold Diggers of 1933 darzulegen. »We’re in the Money« wird jäh durch den Sheriff mit seinen Männern unterbrochen, als sie die Bühne betreten und Kostüme und Bühnenbild konfiszieren. Damit kommt das Realitätsprinzip nachdrücklich zum Ausdruck, auch wenn nach Casetti damit noch nicht die Gründe für das Zusammenbrechen der Show dargestellt werden: »Wir tanzen im Glanz und im Klingeln der Münzen, und gleichzeitig verstehen wir die Logik nicht, der die Welt gehorcht.« (Ebd.) Das fehlende Verständnis erhalten die Filmzuschauer durch die Musical-Nummer »My Forgotten Man«, in der auf das durch den Weltkrieg und die

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Architekturen des Zuschauens Depression hervorgerufene Leid hingewiesen wird und in der nach Casetti zur Darstellung kommt, was in »We’re in the Money« ausgespart blieb. »My Forgotten Man« führt »aus dem Dunkel des Vergessens ans Licht« (ebd.: 26) und bringt zur Darstellung, was in anderen Szenen verdrängt wird. Auch wenn man nicht in allen Punkten der Deutung von Casetti folgt, kann sie jedoch überzeugend zeigen, dass die Alternative zwischen Überwältigung oder Verstehen unzulänglich ist. Ein Film kann unterschiedliche Funktionen erfüllen: »Einmal ist er Karussell, einmal Teleskop, dann ein experimentelles Gemälde, und schließlich ein selbstreflexiver Roman. Der Film trägt von allem etwas in sich, und nicht selten in extremer Form. In ihm treffen sich Gegensätze und verschränken sich miteinander.« (Ebd.: 31) Wie die Musical-Nummer »My Forgotten Man« deutlich macht, können wir nicht sagen, dass die Räume der Stage die antirealistische bzw. illusionistische These des Films bestätigen. Casetti und Seel gehen von unterschiedlichen Voraussetzungen aus, zeigen aber, dass sich Filme nicht auf die von ihnen aufgezeigten Alternativen festlegen lassen. Für die Architekturtheorie, die sich den neuen Medien zuwendet, ergibt sich hier unter anderem die Einsicht, Perspektiven nicht zu verabsolutieren und auch entgegengesetzte Perspektiven zu berücksichtigen. Darauf, was dies für die gegenwärtige Debatte um die Architektur und Architekturtheorie bedeutet, werde ich im nächsten Teil eingehen.

6.8. Architektur des Zuschauens und Architekturtheorie Wiederholt ist bereits erwähnt worden, dass unter dem Einfluss der neuen Medien die Differenz zwischen imaginären und realen Räumen, wie sie der Architektur des Zuschauens zugrunde liegt, aufgelöst wird. In seinem Buch Architekturtheorie heute schreibt Gleiter: »Das digitale Habitat ist eine Tatsache. Es beschwört gleichsam die Krise des Realen. Rücksichtslos drängen die ins Unsichtbare sich verflüchtigenden Technologien allem und jedem ihre digitale Logik auf. Sie greifen dabei in die über Jahrhunderte etablierte Praxis der Architektur ein und fordern sie in ihrer zentralen Funktion heraus, als jene kulturelle Praxis nämlich, mit der die kulturelle Logik einer Zeit ihre Übersetzung in die Sichtbarkeit und materiell-sinnliche Erfahrbarkeit findet.« (Gleiter 2008: 11) Nach Gleiter verliert die Architektur im Zeitalter des Digitalen ihren Bezug zur Realität, der für sie bis dahin konstitutiv gewesen ist. Es verflüchtige sich die Realität »in der Virtualität der neuen Medientechnologien« und stelle damit die »ontologische Eindeutigkeit [der Architektur] als materiellste und damit konkreteste aller kulturellen Praktiken« (ebd. 160

Im Kontext der neuen Medien 2005: 2) in Frage. In seinem Beitrag »Architecture: From Location to Nonlocation, from Presence to Absence« zu dem von ihm und Georg Flachbart herausgegebenen Band Disappearing Architecture. From Real to Virtual to Quantum betont Peter Weibel, dass Entmaterialisierung und Ortlosigkeit die neuen Kategorien seien, mit denen Architektur gekennzeichnet werden muss (vgl. Weibel 2005). Stimmt jedoch die These, dass die neuen digitalen Medien zu einem Realitätsverlust und zum Verschwinden der Architektur führen, so dass die Differenz zwischen Virtuellem und Wirklichkeit und die zwischen dem Bild eines Objekts und dem Objekt aufgelöst werden? Einiges spricht für sie, wenigstens auf den ersten Blick. Beim Surfen im Internet stoßen wir ständig auf Situationen, deren ontologischer Status nicht klar ist: Handelt es sich um reale oder fiktive Situationen? Handelt es sich um eine Live-Übertragung oder um eine Aufzeichnung? Sind die Texte, die wir lesen oder hören, von einem Autor verfasst oder im Sinne eines Hypertexts zusammengestellt? Diese Unsicherheiten, die sich leicht vermehren ließen, legen den Schluss nahe, dass die von den neuen Medien geprägte Welt wenig mit der traditionellen Vorstellung von Realität zu tun hat. Wir leben nach Jean Baudrillard in simulierten Welten, ohne zu wissen, was Bild und was Realität ist, so dass der Begriff der Realität selbst obsolet geworden ist: »Die Realität geht im Hyperrealismus unter, in der exakten Verdoppelung des Realen, vorzugsweise auf der Grundlage eines anderen reproduktiven Mediums – Werbung, Photo etc. – und von Medium zu Medium verflüchtigt sich das Reale.« (Baudrillard 1982: 113) Für die These von dem Verlust der Realität spricht ferner, dass wir zunehmend in Welten leben, die außerhalb unserer Reichweite liegen und in denen wir körperlich nicht anwesend sind. Darauf weist Angela Keppler in ihrem Essay »Mediale Erfahrung, Kunsterfahrung, religiöse Erfahrung« eindringlich hin: »Die Begegnung mit Situationen, in denen sie nie waren und nie sein werden, ist für die heutigen Menschen dank der Massenmedien zu einem ganz alltäglichen Ereignis geworden. Die Situation, die erfahren wird, ist bei der Verfolgung einer Kriegsberichtserstattung oder eines Fußballspiels im Fernsehen eine gänzlich andere als die, in der erfahren wird.« (Keppler 1999: 187) Für Keppler ergibt sich aus dieser Situation die Erkenntnis, dass die Unterscheidung zwischen imaginären und realen bzw. zwischen realen und simulierten Räumen zwar schwieriger geworden ist, aber sie bestreitet entschieden, dass sich daraus ergibt, dass die Differenz zwischen imaginären und realen Welten und die zwischen dem Bild eines Objektes und dem Objekt selbst verschwinden. Diese Differenzen sind weiterhin für unsere Orientierung in der Welt konstitutiv. Ich habe bereits in Kapitel 2.3 bei der Auseinandersetzung mit dem Begriff der Illusion darauf hingewie-

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Architekturen des Zuschauens sen, dass die Filmzuschauer wissen, dass sie Bilder von Objekten und nicht diese selbst wahrnehmen. Wird diese elementare Fähigkeit des Menschen, zwischen einem Gegenstand und dem Bild eines Gegenstandes zu unterscheiden, durch die neuen Medien aufgehoben? In dem Essay »Medien der Realität – Realität der Medien« setzt sich Seel mit der Auffassung auseinander, dass die neuen Medien das Reale zum Verschwinden bringen und wir nur noch in simulierten Welten leben. Gegen diese Auffassung wendet er zunächst ein, dass sie selbst naiv ist, wenn sie annimmt, dass wir früher die Realität unverstellt wahrgenommen haben. Wir haben auch früher nicht die Realität wahrgenommen, wie sie ist, sondern unsere Erkenntnis war durch Medien vermittelt. Wir brauchen das Medium Licht, um Dinge sehen zu können. Erst das Licht mit Hilfe des Auges erschließt uns die sichtbare Welt. Wie uns der Körper die Welt erschließt, hat die Phänomenologie eindringlich beschrieben, und ihre Erkenntnisse scheinen auch heute nicht überholt. Ein weiteres zentrales Medium ist die Sprache. Auch sie bildet die Welt nicht einfach ab, wie sie ist, sondern die sprachlichen Strukturen beeinflussen, wie wir über die Dinge sprechen und uns über sie verständigen. Bereits Platon hat sich mit der Frage beschäftigt, wie die Medien unsere Wahrnehmung und Erkenntnis der Dinge verfälschen (vgl. Seel 2002: 132). Gegen Seels Argumentation kann der Einwand erhoben werden, dass sich unsere Situation durch die neuen digitalen Medien so radikal verändert hat, so dass die ontologische Unterscheidung zwischen dem Bild eines Objekts und dem Objekt selbst und zwischen Virtuellem und Realität hinfällig geworden ist. Seel selbst stellt sich diesem Einwand und untersucht, was ein »umfassender Computer« leistet. Er umfasst das Internet und einen ›umfassenden Fernsehsessel‹, der es ermöglicht, das wir uns in virtuellen Räumen bewegen können (vgl. Seel 2002: 134). Dieser Computer beherrscht nicht nur die verschiedenen Medien der Sprache und Schrift, des Bildes und des Klangs, sondern vermag »die Formen der visuellen, bildlichen, akustischen und sprachlichen Wahrnehmung der Welt, so stark [zu transformieren], dass bei Benutzern und zumal Theoretikern dieses Mediums gelegentlich der Eindruck entsteht, es handele sich hier um eine ganz andere (oder um einen völligen Verlust der) Welt« (ebd.: 136). Dieser Eindruck vom Verlust der Welt wird noch dadurch verstärkt, dass wir durch den umfassenden Computer in einem schnellen Wechsel Räume, die außerhalb unserer Reichweite liegen, betreten können und dabei den Raum, in dem wir uns körperlich befinden, aus den Blick verlieren. Aber selbst bei diesem unfassenden Computer, so betont Seel, befinden wir uns nicht im, sondern vor dem Computer und damit in einem Raum, der sich von den virtuellen Räumen, die wir imaginär

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Im Kontext der neuen Medien betreten, unterscheidet. Insofern gilt auch für den umfassenden Computer die Architektur des Zuschauens. Gegen diese Auffassung könnte man einwenden, dass wir im Cyberspace, anders als im Kino, wo wir nicht in die imaginären Räume auf der Leinwand handelnd eingreifen können, handeln können. Aber selbst hier ist, wie Seel ausführt, die Differenz zwischen imaginären und realen Räumen wirksam: »Denn sobald wir nicht länger wüssten, dass der Raum, den wir in unserem integrierten Fernsehsessel erfahren, nicht der Raum ist, in dem wir faktisch sind, wäre das, was wir erfahren, nicht länger ein anderer Raum, sondern ein chaotisches Andrängen von visuellen Impulsen, dem wir ohne Ordnungsmöglichkeit – eben hilflos wie angstvoll – ausgeliefert wären. Raumwahrnehmung ist nur möglich, wo das Subjekt dieser Wahrnehmung die Position seines Leibes kennt, wo es in einem minimalen Sinne weiß, wo es ist (anderenfalls wäre es nicht einmal fähig, sich zu verirren).« (Ebd.: 142) Die Differenz zwischen dem realen und dem virtuellen Raum lässt sich somit nicht so einfach auflösen, wie es einige Medien- und Architekturtheoretiker behaupten. Dennoch verändern die digitalen Technologien, wie Mario Carpo zeigt, den Charakter der Entwurfsprozesse in der Architektur, was nach seiner Ansicht zum Guten wie zum Schlechten führen kann: »Interaktivität, Kooperation und Partizipation implizieren alle einen Kontrollverlust über das Endprodukt, und die klassischen Begriffe von ikonischer, visueller und authentischer Identität werden unausweichlich unter digitaler und endloser Variabilität zu leiden haben. Dieser generelle Verlust von visueller Stabilität kann aber zur Wiederbelebung von älteren – aus der Zeit vor Alberti stammenden – Mustern visueller Identifikation führen.« (Carpo 2008: 40) Doch die Anerkennung von Interaktivität, Kooperation und Partizipation bedeuten nicht den Verlust von Realität und der Unterscheidungsfähigkeit zwischen dem Bild, dem Entwurf, auf der einen Seite und dem Gegenstand, dem hergestellten Gebäude, auf der anderen Seite. Wichtig ist an den Überlegungen von Carpo, dass die Architekturtheorie verfolgt, wie sich die digitalen Entwurfsmethoden auf die Architektur und die Raumkonzeptionen auswirken. In diesem Zusammenhang gewinnen in Bezug auf die digitalen Bilder auch die algorithmischen Funktionen, die ihnen zugrunde liegen, an Bedeutung. Während die radikale Medientheorie behauptet, dass die neuen Medien nicht mehr Realität vermitteln, sondern sie erzeugen, so dass die Differenz zwischen Realität auf der einen Seite und Imagination und Fiktion auf der anderen Seite verschwindet, sucht Richard Shusterman die Bedeutung des Begriffs Medium zu bestimmen: »As its etymology (meson, medius, Mittel, moyen) makes evident, a medium is something that stands in the middle, typically

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Architekturen des Zuschauens between two other things of terms between which it mediates.« (Shusterman 2000: 145) Medien können daher die Erkenntnis einer Sache erleichtern oder erschweren, erhellen oder verfälschen, aber sie erzeugen sie nicht. Um eine kritische Einstellung zu behalten, ist es für Shusterman bedeutend, sich nicht unkritisch den jeweils neuesten Medien zu überantworten, sondern auch die alten Medien wie Bücher, Zeitungen, Radio, Fernsehen und Videos zu beachten. Dadurch kann verhindert werden, dass die Menschen von den fortgeschrittensten überwältigt und ihre Erfahrungsmöglichkeiten eingeschränkt werden: »In short, reducing our choice of media to those that are most technologized, or even that engage the most sensory modalities, will result in an impoverished experience. Paradoxically, such reducing diversity will also render our experience less coherent […].« (Ebd.: 150) Unter den Medien nimmt der Körper eine Sonderstellung ein. Er erschließt uns mit seinen Bewegungen und Sinnen die Welt und bestimmt aufgrund seiner Bedürfnisse, wie wir die Dinge wahrnehmen. Deshalb sind auch die digitalen Technologien daran zu messen, inwieweit sie den Erfahrungen der Körper im Raum gerecht werden, denn, so Shusterman: »In the highest flight of mediatic technology, it [the body] is always present.« (Ebd.: 152) Diejenigen Medientheoretiker, die hoffen, dass die Körperlichkeit des Menschen im Cyberspace überwunden werden kann, scheinen ein zentrales Motiv der abendländischen Kulturgeschichte aufzugreifen: von Platon über das Mittelalter bis in die Neuzeit ist der Körper immer wieder als Gefängnis der Seele, von dem sie befreit werden muss, verstanden worden. Es hat aber auch immer wieder Denker gegeben, die die Bedeutung des Körpers für unsere Erkenntnis und für unsere Orientierung in der Welt hervorgehoben haben. Auf Merleau-Ponty habe ich bereits hingewiesen. In dem Sammelband Leibhaftige Vernunft. Spuren von Merleau-Pontys Denken beginnt Charles Taylor seinen Beitrag mit der Feststellung: »Hätte man das philosophische Erbe Merleau-Pontys in einem Satz zusammenzufassen, so könnte man sagen, daß er uns wie kein anderer Denker beigebracht hat, uns selbst als leiblich Handelnde zu verstehen.« (Taylor 1986: 194) Unser Zugang zur Welt ist der eines leiblich Handelnden, für den Orientierungen wie Vorder- und Hintergrund und Oben und Unten konstitutiv sind. Ohne sie gäbe es für ihn kein Wahrnehmungs- und Handlungsfeld: »Denn die Dimension oben/unten hat die Bedeutung für mich als einen leiblich Handelnden, der in einem Schwerefeld Tätigkeiten ausübt. Ich muß mich aufrecht halten, um zu handeln, oder wenigstens meine Stellung mit der Anziehungskraft in Balance bringen.« (Ebd.: 198) Gegen diese Auffassung kann man den Einwand erheben, dass wir nicht nur Handelnde sind, sondern Dinge betrachten, beurteilen und über sie reflektieren können. Taylor begegnet diesem Einwand

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Im Kontext der neuen Medien mit dem Argument, dass nicht die betrachtende Einstellung die ursprüngliche ist. Bevor wir lernen, die Welt zu betrachten, müssen wir sie uns mit unseren leiblichen Tätigkeiten erschließen. Nur das Vorurteil der modernen Philosophie, die Körper und Geist trennt, erweckt den Eindruck, als wäre es die ursprüngliche Einstellung, dass wir der Welt kontemplativ gegenüber stehen. Daher kann Taylor sagen: »Es ist der große Irrtum der traditionellen Erkenntnistheorie, diese Einstellung als unproblematischen Ausgangspunkt unseres Wissens von der Welt vorauszusetzen.« (Ebd.: 206) Es gibt Erkenntnisse, die wir nur mit unseren körperlichen Tätigkeiten gewinnen können. Insofern setzt der Computer diese Raumerfahrungen bereits voraus. Es wird hier von einer anderen Seite Seels Einsicht bestätigt, dass wir zentrale Kategorien unserer Raumwahrnehmung nur in realen Räumen erwerben können. Es ist nicht überraschend, wenn sich angesichts der radikalen Auffassungen über die neuen Medien und digitalen Technologien die Architekturtheorie dem Pragmatismus zuwendet. In dem Sammelband The Pragmatist Imagination: thinking about »Things in the Making«, in dem die Beiträge der am MoMa stattgefundenen Konferenz Things in the Making: Contemporary Architecture and the Pragmatist Imagination veröffentlicht wurden, finden sich Beiträge über den Status der Architektur als ästhetische Erfahrung und die Herausforderungen, die sich ihr in einer technologischen Gesellschaft stellen. Wie der Titel des Buches bereits andeutet, geht es nicht so sehr um Resultate, sondern um Prozesse, für die sich der Pragmatismus vor allem interessiert. In der Einleitung erwähnt John Rajchman einige der Erwartungen der Architekturtheorie bei ihrer Ausrichtung am Pragmatismus, obwohl er auch sieht, dass der Pragmatismus selbst keine einheitliche Bewegung ist und dass in ihm sehr unterschiedliche, wenn nicht gegensätzliche Auffassungen vertreten werden: Der Pragmatismus richtet sich gegen Verallgemeinerungen und wendet sich konkreten Situationen zu. Rajchman verweist auf Shusterman’s »pragmatic aestehtics that would move beyond exhibition spaces to what is prior or irreducible to language« (Rajchman 2000: 11). Insofern erfolgt hier eine Abkehr von der dekonstruktivistisch orientierten Architekturtheorie, bei der die Sprache als Spiel von Signifikanten im Mittelpunkt steht, und eine Hinwendung zu Dingen außerhalb der Sprache wie dem Körper. Joan Ockman, die Herausgeberin des Bandes The Pragmatist Imagination, übernimmt John Deweys Kritik an der unkritischen Übernahme neuer Technologien und erhofft sich vom Pragmatismus, der sich selbst als »a theory of practice« (Ockman 2000: 17) versteht, dass Theorie und Praxis der Architektur sich wieder annähern. Wichtig ist für sie am Pragmatismus, dass er sich einerseits gegen absolute Annahmen, wie wir sie in der Moderne finden, wendet, und dass er andererseits

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Architekturen des Zuschauens nicht einem resignierenden Relativismus verfällt, sondern sich für die Verbesserung der Lebensumstände einsetzt. Die »pragmatic imagination« zeichnet aus, dass sie sich im Gegensatz zur utopischen Imagination der Welt zuwendet. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, dass der Pragmatismus für die Auseinandersetzung mit den neuen Medien und den digitalen Technologien von zentraler Bedeutung ist. Nach Jonathan Crary liegt dessen Aufgabe darin, zwischen »our absorption into disembodied technological environments« und »›real‹ lived extensive space« (Crary 2000: 143) zu vermitteln. Diese Zielsetzung betont auch Anthony Vidler. In einem Interview in der Zeitschrift Texte zur Kunst, die dem Thema Raum gewidmet ist, hebt er hervor, dass durch die Digitalisierung das Bedürfnis entsteht, mit dem Realen in Verbindung zu treten. Künstler und Architekten wollen die digitalen Medien nutzen, aber zugleich wollen sie sich ihnen nicht ausliefern, sondern sie kritisch kontrollieren. Wie aber kann das geschehen, wenn »keineswegs feststeht, dass nach dem Eintreten in das Feld des Digitalen überhaupt noch Kritikfähigkeit gewährleistet werden kann?« (Vidler 2002: 56) Vidler wirft somit die Frage auf, wie in einer digitalen Welt überhaupt Kritik am Digitalen möglich sein kann. Sie ist möglich, wie ich an der Architektur des Zuschauens gezeigt habe, da wir, um uns überhaupt in imaginären und virtuellen Räumen bewegen können, uns bereits in realen Räumen bewegt haben müssen. Auch wenn es schwieriger wird, den Unterschied zwischen virtuellen und realen Räumen zu bestimmen, lassen gerade diese Schwierigkeiten erkennen, dass wir nicht auf diesen Unterschied verzichten können, sondern dass er unverzichtbar ist. Damit stellt sich für die Architektur die Frage, wie sie die Beziehung zwischen virtuellen und realen Räumen bestimmt und wie sie deren Zusammenspiel konzipiert. Eine kritische Architekturtheorie wird sich nicht nur an den fortgeschrittensten Medien ausrichten, sondern alle Medien berücksichtigen, da somit am ehesten eine Erweiterung und Reflexion unserer Raumerfahrungen möglich wird.

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Set Reference Stills 212 Set reference stills zu The Great Ziegfeld (1936), MGM Set Reference Collection: Margaret Herrick Library, Los Angeles. 184 Set reference stills zu Ziegfeld Girl (1941), MGM Set Reference Collection: Margaret Herrick Library, Los Angeles.

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Filmographie The Great Ziegfeld (1936) Regie: Robert Z. Leonard. Drehbuch: William Anthony McGuire. Ausstattung: Cedric Gibbons, Eddie Imazu, Edwin B. Willis. Darsteller: Fannie Brice, Myrna Loy, William Powell, Luise Rainer. Produktion: Metro Goldwyn Mayer. Ziegfeld Girl (1941) Regie: Robert Z. Leonard. Regie MusicalNummern: Busby Berkeley. Kamera: Ray June. Drehbuch: Marguerite Roberts, Sonya Levien. Ausstattung: Cedric Gibbons, Daniel Cathcart. Darsteller: James Stewart, Judy Garland, Hedy Lamarr, Lana Turner, Tony Martin, Jackie Cooper, Ian Hunter, Charles Winninger, Edward Everett Horton, Philip Dorn, Dan Dailey. Produktion: Metro Goldwyn Mayer. Gold Diggers of 1933 (1933) Regie: Mervin Le Roy. Regie MusicalNummern: Busby Berkeley. Drehbuch: Erwin Gelsey, James Seymour, David Boehm, Ben Markson. Kamera: Sol Polito. Ausstattung: Anton Grot. Kostüme: Orry-Kelly. Darsteller: Joan Blondell, Ferdinand Gottschalk, Aline MacMahon, Ruby Keeler, Dick Powell, Guy Kibbee, Ned Sparks, Ginger Rogers, Warren William. Produktion: Warner Brothers. Footlight Parade (1933) Regie: Lloyd Bacon. Regie MusicalNummern: Busby Berkeley. Drehbuch: Manuel Seff, James Seymour. Kamera: George Barnes. Schnitt: George J. Amy. Ausstattung: Anton Grot, Jack Okey. Kostüme: Milo Anderson. Darsteller: Joan Blondell, James Cagney, Ruth Donnelly, Guy Kibee, Ruby Keeler, Hugh Herbert, Frank McHugh, Dick Powell. Produktion: Warner Brothers. 42nd Street (1933) Regie: Lloyd Bacon. Regie Musical-Nummern: Busby Berkeley. Drehbuch: Rian James, James Seymour, Whitney Bolton. Kamera: Sol Polito. Ausstattung: Jack Okey. Kostüme: Orry Kelly. Darsteller: Warner Baxtor, Bebe Daniels, George Bent, Uma Merkel, Ruby Keeler, Guy Kibee, Ned Sparks, Dick Powell.

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Abbildungsverzeichnis Abb. 1. New York. Times Square. Mendelsohn (1926: 5). Abb. 2. Great White Way (Times Square 1929). Nach Hall (1961: 20). Abb. 3. New York. Broadway bei Tag. Nach Mendelsohn (1926: 45). Abb. 4. Times Square 1938. Nach Taylor (1991: 126). Abb. 5. Midtown Theater, New York (1933). Nach Stern et al. (1994: 257). Abb. 6. Gold Diggers of 1933 (1933). DVD captures. Abb. 7. Hollywood Revue (1929). Nach Stern et al. (1994: 253). Abb. 8. »42nd street«. 42nd Street. DVD captures. Abb. 9. Roxy, New York (19 27). Nach Hall (1961: 82f.). Abb. 10. Earl Carroll Theater Lounge, New York (1931). Nach Stern et al. (1994: 243). Abb. 11. Loew’s Paradise Theater, New York (1929). Nach Stern et al. (1994: 255). Abb. 12. Ziegfeld-Theater (1926). Nach Mendelsohn (1929: 133). Abb. 13. Radio City Music Hall, New York (1932). Nach Stern et al. (1994: 655). Abb. 14. Film-Guild Theater, New York (1928-1930). Nach Stern et al. (1994: 259). Abb. 15.1-2. Weltausstellung 1893. The Great Ziegfeld (1936). DVD captures. Abb. 16. Weltausstellung 1893. The Great Ziegfeld (1936). DVD capture. Abb. 17.1-3. Weltausstellung 1893. The Great Ziegfeld (1936). DVD captures. Abb. 18. The Great Ziegfeld (1936). DVD capture. Abb. 19. Herald Square Theatre. The Great Ziegfeld (1936). DVD capture. Abb. 20.1-4. The Great Ziegfeld (1936). DVD captures. Abb. 21. The Great Ziegfeld (1936). Press book. Abb. 22. »A Pretty Girl is Like a Melody«. The Great Ziegfeld (1936). DVD capture. Abb. 23. »You never looked so beautiful before«. The Great Ziegfeld (1936). Press book. Abb. 24.1-2. Ziegfeld Girl (1941). DVD captures. Abb. 25.1-2. The Great Ziegfeld (1936). DVD captures. 181

Architekturen des Zuschauens Abb. 26. »We’re in the Money«. Gold Diggers of 1933 (1933). Set reference still. Abb. 27. Gold Diggers of 1933 (1933). DVD capture. Abb. 28.1-2. Gold Diggers of 1933 (1933). DVD captures. Abb. 29.1-2. Gold Diggers of 1933 (1933). DVD captures. Abb. 30.1-2. Gold Diggers of 1933 (1933). DVD captures. Abb. 31. Park Avenue Restaurant (1931). Joseph Urban Collection. Columbia University. Abb. 32. Park Avenue Restaurant (1931). Joseph Urban Collection. Columbia University. Abb. 33.1-2. Gold Diggers of 1933 (1933). DVD captures. Abb. 34. »Forgotten Man«. Gold Diggers of 1933 (1933). DVD capture. Abb. 35. »Forgotten Man«. Gold Diggers of 1933 (1933). DVD capture. Abb. 36.1-8. »Shadow Waltz«. Gold Diggers of 1933 (1933). DVD captures. Abb. 37.1-4. The Great Ziegfeld (1936). Press book. Abb. 38. Ziegfeld Girl (1941). Set reference still. Abb. 39. Gold Diggers of 1933 (1933). Press book. Abb. 40. 42nd Street (1933). Press book. Abb. 41.1-2. Ziegfeld Girl (1941). Set reference stills. Abb. 42.1. Frederick Kiesler. Schaufenster, Saks Fifth Avenue, New York. Nach Kiesler (1930: 24). Abb. 42.2. Frederick Kiesler. Schaufenster, 1927/28. Abb. 43. Ziegfeld Girl (1941). Set reference still. Abb. 44. Ziegfeld Girl (1941). Set reference still. Abb. 45. Ziegfeld Girl (1941). Set reference still. Abb. 46. Ziegfeld Girl (1941). DVD capture. Abb. 47. Ziegfeld Girl (1941). DVD capture. Abb. 48. Footlight Parade (1933). DVD capture. Abb. 49. Footlight Parade (1933). DVD capture. Abb. 50. Footlight Parade (1933). DVD capture. Abb. 51. Footlight Parade (1933). DVD capture. Abb. 52. Footlight Parade (1933). DVD capture. Abb. 53.1-2. Footlight Parade (1933). DVD captures. Abb. 54. Footlight Parade (1933). DVD capture. Abb. 55. Footlight Parade (1933). DVD captures. Abb. 56. Footlight Parade (1933). DVD capture. Abb. 57.1-8. Footlight Parade (1933). DVD captures.

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Film Maik Bozza, Michael Herrmann (Hg.) Schattenbilder – Lichtgestalten Das Kino von Fritz Lang und F.W. Murnau. Filmstudien September 2009, 212 Seiten, kart., zahlr. Abb., 25,80 €, ISBN 978-3-8376-1103-8

Daniel Devoucoux Mode im Film Zur Kulturanthropologie zweier Medien 2007, 350 Seiten, kart., zahlr. Abb., 34,80 €, ISBN 978-3-89942-813-1

Dagmar Hoffmann (Hg.) Körperästhetiken Filmische Inszenierungen von Körperlichkeit Oktober 2009, ca. 286 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 28,80 €, ISBN 978-3-8376-1213-4

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4) ANZ1243.p - Seite 1 217380718710

Film Gesche Joost Bild-Sprache Die audio-visuelle Rhetorik des Films 2008, 264 Seiten, kart., zahlr. Abb., 25,80 €, ISBN 978-3-89942-923-7

Hedwig Wagner Die Prostituierte im Film Zum Verhältnis von Gender und Medium 2007, 324 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-89942-563-5

Waltraud »Wara« Wende, Lars Koch (Hg.) Krisenkino Filmanalyse als Kulturanalyse: Zur Konstruktion von Normalität und Abweichung im Spielfilm Oktober 2009, ca. 400 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1135-9

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4) ANZ1243.p - Seite 2 217380718718

Film Doris Agotai Architekturen in Zelluloid Der filmische Blick auf den Raum 2007, 184 Seiten, kart., zahlr. Abb., 24,80 €, ISBN 978-3-89942-623-6

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Catrin Corell Der Holocaust als Herausforderung für den Film Formen des filmischen Umgangs mit der Shoah seit 1945. Eine Wirkungstypologie Juni 2009, 520 Seiten, kart., zahlr. Abb., 39,80 €, ISBN 978-3-89942-719-6

Tina Hedwig Kaiser Aufnahmen der Durchquerung Das Transitorische im Film 2008, 230 Seiten, kart., zahlr. Abb., 27,80 €, ISBN 978-3-89942-931-2

Klaus Kohlmann Der computeranimierte Spielfilm Forschungen zur Inszenierung und Klassifizierung des 3-D-Computer-Trickfilms

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Katrin Oltmann Remake | Premake Hollywoods romantische Komödien und ihre Gender-Diskurse, 1930-1960 2008, 356 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-89942-700-4

Sebastian Richter Digitaler Realismus Zwischen Computeranimation und Live-Action. Die neue Bildästhetik in Spielfilmen 2008, 230 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 25,80 €, ISBN 978-3-89942-943-5

Nadja Sennewald Alien Gender Die Inszenierung von Geschlecht in Science-Fiction-Serien 2007, 314 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,80 €, ISBN 978-3-89942-805-6

Catherine Shelton Unheimliche Inskriptionen Eine Studie zu Körperbildern im postklassischen Horrorfilm 2008, 384 Seiten, kart., 34,80 €, ISBN 978-3-89942-833-9

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ZfK – Zeitschrift für Kulturwissenschaften

Karin Harrasser, Helmut Lethen, Elisabeth Timm (Hg.)

Sehnsucht nach Evidenz Zeitschrift für Kulturwissenschaften, Heft 1/2009 Mai 2009, 128 Seiten, kart., 8,50 €, ISBN 978-3-8376-1039-0 ISSN 9783-9331

ZFK – Zeitschrift für Kulturwissenschaften Der Befund zu aktuellen Konzepten kulturwissenschaftlicher Analyse und Synthese ist ambivalent: Neben innovativen und qualitativ hochwertigen Ansätzen besonders jüngerer Forscher und Forscherinnen steht eine Masse oberflächlicher Antragsprosa und zeitgeistiger Wissensproduktion – zugleich ist das Werk einer ganzen Generation interdisziplinärer Pioniere noch wenig erschlossen. In dieser Situation soll die Zeitschrift für Kulturwissenschaften eine Plattform für Diskussion und Kontroverse über Kultur und die Kulturwissenschaften bieten. Die Gegenwart braucht mehr denn je reflektierte Kultur, historisch situiertes und sozial verantwortetes Wissen. Aus den Einzelwissenschaften heraus kann so mit klugen interdisziplinären Forschungsansätzen fruchtbar über die Rolle von Geschichte und Gedächtnis, von Erneuerung und Verstetigung, von Selbststeuerung und ökonomischer Umwälzung im Bereich der Kulturproduktion und der naturwissenschaftlichen Produktion von Wissen diskutiert werden. Die Zeitschrift für Kulturwissenschaften lässt gerade auch jüngere Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen zu Wort kommen, die aktuelle fächerübergreifende Ansätze entwickeln.

Lust auf mehr? Die Zeitschrift für Kulturwissenschaften erscheint zweimal jährlich in Themenheften. Bisher liegen die Ausgaben Fremde Dinge (1/2007), Filmwissenschaft als Kulturwissenschaft (2/2007), Kreativität. Eine Rückrufaktion (1/2008), Räume (2/2008) und Sehnsucht nach Evidenz (1/2009) vor. Die Zeitschrift für Kulturwissenschaften kann auch im Abonnement für den Preis von 8,50 € je Ausgabe bezogen werden. Bestellung per E-Mail unter: [email protected] www.transcript-verlag.de