Angebotsmacht Arbeit [1 ed.] 9783428530557, 9783428130559

Die einst dem Fortschritt so zugewandte Linke hat noch kein angemessenes Verhältnis zu den revolutionären Veränderungen

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Angebotsmacht Arbeit [1 ed.]
 9783428530557, 9783428130559

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Sozialwissenschaftliche Schriften Heft 46

Angebotsmacht Arbeit Von

Klaus-W. West

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

KLAUS-W. WEST

Angebotsmacht Arbeit

Sozialwissenschaftliche Schriften Heft 46

Angebotsmacht Arbeit Von

Klaus-W. West

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2009 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Selignow Verlagsservice, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0935-4808 ISBN 978-3-428-13055-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort In diesem Buch werden Perspektiven für eine Linke auf dem Weg in die industrielle Wissensgesellschaft beschrieben. Was aber ist „die Linke“? Mir geht es bei diesem Begriff nicht um parteipolitische Zuordnungen, sondern politisch denkende und handelnde Menschen, die gemeinsame Zielsetzungen haben: die Werte Freiheit, soziale Gerechtigkeit und Solidarität zu verwirklichen. Dies muss „innerweltlich“, auf der Grundlage der Gegenwart geschehen. Die Gegenwart, das ist nach meinem Verständnis die industrielle Wissensgesellschaft Deutschland in Europa und in einer globalisierten Welt. Die Fragen, die die Linke beantworten muss, lauten: Wie können unter Berücksichtigung unseres Wissens über die Gegenwart die Werte der Linken in politische Ziele und Handlungsinstrumente übersetzt werden? Wie kann die Linke handlungsfähig bleiben? Die Grundlagen für dieses Buch legte zwischen 2001 und 2003 ein Forschungsprojekt am Institut für Soziologie an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg/Br. Die VW-Stiftung hat dieses Projekt mit dem Titel „Gesellschaftliche Innovation durch politische Kontextorganisation. Bündnisse für Arbeit als Beginn neuer historischer Akteurskonstellationen in Europa“ ermöglicht. Ein wichtiger Bestandteil waren 30 Experten-Interviews, die ich mit Vertreterinnen und Vertretern von Ministerien, Arbeitgebern, Gewerkschaften, Universitäten und Think Tanks in Paris, London und Berlin in den Jahren 2001 und 2002 geführt habe. Sie werden an einigen Stellen dieses Buches in Auszügen zitiert. Vollständig sind die Interviews im Abschlussbericht des VW- Projektes dokumentiert. Für das Zustandekommen dieses Buches spielte eine Reihe von Personen eine wichtige Rolle. Sie haben mich auf unterschiedliche Weise beeinflusst. Ihre Schriften, die Gespräche und der Umgang mit ihnen waren, wie man mit etwas Ironie sagen könnte, „nicht ohne Folgen“. Es waren unterschiedliche Formen des unvoreingenommenen Denkens und Verhaltens, die wiederum, so hoffe ich, Unvoreingenommenheit geschaffen haben. Viel zu verdanken habe ich Hermann Schwengel, Professor am Institut für Soziologie der Freiburger Universität. Seine Bücher und Aufsätze beschäftigen mich jetzt beinahe zwei Jahrzehnte. Außerdem gab es eine Vielzahl von Gesprächen über einen Zeitraum von mehr als einem Jahrzehnt hinweg. Dies hat Spuren hinterlassen. Mein Dank gilt auch Herrn Professor Birger Priddat von der Universität Witten/ Herdecke. Von ihm habe ich unter anderem gelernt, ökonomische Fragen neu, d. h. jenseits der etablierten politischen Unterscheidungen, zu stellen.

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Vorwort

Alois Schuster, Professor an der Universität Paris XII, Val de Marne, nun emeritiert, hat mir ermöglicht, dass ich während der Zeit des Projektes zwei Gastprofessuren in Paris wahrnehmen konnte. Größer ist indessen sein Anteil an meinem Interesse für die französische Politik und Gesellschaft. Mit Dick Howard, Professor an der New York University habe ich einen mehr als ein Jahrzehnt währenden intellektuellen Austausch, der in den letzten Jahren etwas ins Stocken gekommen war. Dieses Buch brachte uns kurioserweise im Oktober 2007 in New York wieder zusammen. Die unterschiedlichen Teile und Fassungen sind an vielen Wochenenden entstanden. Das Maß an Verständnis, das meine Frau Siegrid Münch für diesen Aufwand an Arbeit und Zeit aufgebracht hat, war nicht selbstverständlich. Es steht dahin, ob ich mein Buch ohne ihre Unterstützung zu Ende gebracht hätte. Weitgehend abgeschlossen habe ich das Manuskript während eines Aufenthaltes als Visiting Scholar am „Center for European Studies“ der Harvard University im Sommer und Herbst 2007. Hier bin ich nicht nur auf ausgezeichnete Arbeitsbedingungen und Gesprächspartner gestoßen, sondern habe auch die nötige Ruhe gefunden, das Buch zu Ende zu bringen. Mein Dank gilt der Hans-Böckler-Stiftung, die durch die Gewährung eines Druckkostenzuschusses die Veröffentlichung dieses Buches ermöglicht hat. Hannover/Frankfurt a. M., im Januar 2009

Klaus-W. West

Inhaltsverzeichnis A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Linke und der Fortschritt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Innovation, Bildung, Partizipation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Arbeit als Quelle von Einkommen, Anerkennung und Sinn . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Strategische Kommunikation – strategischer Tausch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Machtchancen der Linken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Das Buch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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B. Die Angebotsmacht der Arbeit und wo sie sich entfaltet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Was heißt: Die Angebotsmacht der Arbeit entwickeln? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Neue Arbeitsfelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Neue Belastungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Neue Arbeitstypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. „Der Unternehmer seiner selbst“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Berater – Wissensarbeiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Neue Unternehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die neue Klasse: prekarisierte Selbständige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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C. Die Angebotsmacht der Arbeit in Deutschland – Eine Bilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Wie innovativ sind Unternehmen in Deutschland? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die allgemeine Situation deutscher Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erfolgsbedingungen von Innovationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Wie innovativ sind Unternehmer? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Konventionelle Haltungen der Arbeitgeber beim Umgang mit Qualifikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die Ingenieurskultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Konsumentenhaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Politik sollte Innovationen fördern – das ist in Deutschland umstritten . . . . . II. Bildung und Weiterbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bildungspolitik – Bildungsreformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Akademisches Humankapital als Trumpf der Angebotsmacht der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Partizipation von Jugendlichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ein quantitatives und ein qualitatives Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Weiterbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Unterdurchschnittliche Weiterbildung in Deutschland? . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Weiterbildung im „Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Aufgaben für die Politik der Weiterbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis 3. Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit, Gemeinwohl und faire Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Partizipation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Risikogruppen des Arbeitsmarktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Jugendliche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Gering Qualifizierte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Was leistet die Arbeitsvermittlung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Risikogruppen und Angebotsmacht der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Politik des situativen Tausches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Bündnis für Arbeit und warum es scheiterte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Hartz-Gesetze, Agenda 2010 und ideologischer Schlagabtausch . . . . . . . . . . . 3. Nach der Bundestagswahl 2005 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Wie weit ist die Angebotsmacht der Arbeit entwickelt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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D. Die Angebotsmacht der Arbeit in Frankreich und Großbritannien . . . . . . . . . . . . . . I. Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Politische Traditionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Linke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Angebotsmacht der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Innovationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die staatliche Förderung von Innovationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Innovationen in Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Partizipation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Großbritannien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Politische Traditionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Gewerkschaften und die Linke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Angebotsmacht der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Innovationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Partizipation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Interview mit einem Arbeitsmarktexperten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Das Mindesteinkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Strategische Kommunikation der Arbeitsmarktreformen . . . . . . . . . . .

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E. Die Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Fortschritt und qualitatives Wachstum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Innovationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Innovationen, Märkte und Konsumenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Innovationen, Unternehmenskultur und methodische Innovationskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Innovationen, die das Leben angenehmer und leichter machen . . . . . . . . . d) Kulturkritik, innere und äußere Natur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Umgang der Linken mit offenen und ungewissen Situationen . . . . . . . . . . f) Die Linke für ein marktvermitteltes Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bildung für die Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis 3. Partizipation – gute Arbeit auf drei Arbeitsmärkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Arbeitsmarktinstrumente besser nutzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der erste Arbeitsmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Der zweite Arbeitsmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Der dritte Arbeitsmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Engagement für zwei Formen guter Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Konstruktive Politik für den Fortschritt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213

A. Einleitung I. Die Linke und der Fortschritt Die Linke in Europa muss einen genuinen Beitrag zum Fortschritt leisten. Die Ziele des Fortschritts sind anhaltender Wohlstand, eine sozial gerechte Gesellschaft, die mit Unterschieden und Ungleichheiten zivil umgehen kann, mit definierten Freiheiten, Zugängen und Handlungsmöglichkeiten. Der Fortschritt ist allerdings nicht gewiss. Ob seine Ziele tatsächlich erreicht werden können, weiß kein Mensch mit Sicherheit. Der Fortschritt in den Staaten Europas ist von verschiedenen Seiten herausgefordert. Wir wissen nicht, ob angesichts des härter werdenden globalen Wettbewerbs der Wohlstand in Europa erhalten bleiben kann. Aber wir wissen, dass soziale Ungleichheiten das Ziel einer sozial gerechten Gesellschaft gefährden. Wer mag schon behaupten, mit Gewissheit sagen zu können, dass Europa seinen Vorsprung an Wissen, Technologie und Fertigungstechnik gegenüber den aufstrebenden Mächten der „O5“, das heißt China, Indien, Südafrika, Brasilien und Mexiko, behaupten kann? Die Welt stellt sich für heute 50–70-Jährige anders dar als für 25–35-Jährige. Die Älteren haben in Wohlstand gelebt und ihn in der Gewissheit eines klaren Vorsprungs der Industrieländer vor der „dritten Welt“ erlebt. Die Jüngeren können darauf kaum mehr bauen. Wenn die „emerging powers“, die aufstrebenden Staaten, aufholen und die Staaten der G7 herausfordern, bedarf es der wechselseitigen Kommunikation und eines vernünftigen Interessenausgleichs. Gleichzeitig muss Europa seine Stärken nutzen, indem es Innovationen und Bildung forciert, gesellschaftliche Ungleichheit in Grenzen hält und die Partizipation der großen Mehrheit an der Gesellschaft stärkt. Warum gibt es heute keine Fortschrittsgewissheit mehr? Ein Blick zurück auf die Geschichte zeigt: Wir können keinen linearen Fortschritt feststellen, der den Menschen ein immer besseres Leben bereiten würde. Eher gibt es ein permanentes Auf und Ab. Das wussten schon französische Aufklärer wie Diderot und Voltaire. Diderot gab seine Enzyklopädie zwar heraus, um die allgemeine Aufklärung zu beschleunigen, befürchtete aber immer, dass eine Katastrophe am Horizont aufziehen könnte. So sollte seine Enzyklopädie nicht nur alles Wissen seiner Zeit bündeln, sondern wie eine Arche Noah der Vernunft alle bisherigen Erkenntnisse in das kommende Zeitalter hinüberretten. Voltaire, der immer wieder durch seine scharfe Kritik an Missständen einzelne Fortschritte zu stimulieren suchte, blieb voller Vorbehalte gegen jede Spielart des Optimismus. Nur vier Höhepunkte der Kultur, Athen, das Rom des Kaisers Augustus, die Renaissance und das Zeitalter Ludwig XIV., ließ er historiographisch zu. Allen vier Höhepunkten folgt stets der Verfall. Beide, Diderot

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A. Einleitung

und Voltaire, waren keineswegs Dogmatiker eines diskontinuierlichen Fortschritts. Denn dagegen sprachen zu viele Erfahrungen. Jean-Jacques Rousseau, einer der philosophischen Wegbereiter der Französischen Revolution, hat deshalb eine realistischere Haltung angemahnt: „perfectibilité“. Die Menschen sollen sich die Fähigkeit zur Vervollkommnung aneignen und sich für die Fortschritte und gegen die Rückschläge des Lebens wappnen. Für Rousseau sind sie gut beraten, ihre Erwartungen an den Fortschritt auf eine realistische Grundlage zu stellen. Das ist auch ein guter Ratschlag für die Gegenwart. Wenn auf Fortschritte stets Rückschritte folgen, müssen die Menschen ihre Fähigkeit verbessern, auch schwerwiegende Veränderungen in ihrem Leben zu meistern. Und darin muss sie die Linke unterstützen. Die Gesellschaften müssen im globalen Wettbewerb bestehen, aber gleichzeitig zivilisatorische Stützen in den Alltag der Menschen einziehen und sich politisch organisieren. Der Begriff des Fortschritts weist uns einen Weg in die Zukunft. Er lässt uns aber auch verstehen, dass unsere Erfahrungen seit der Industrialisierung nicht hinreichen, kommende Überraschungen und Neuerungen vorauszusehen. Deshalb müssen die politischen Ziele und Instrumente begutachtet und geändert werden. Wir sollten uns den Worten des Historikers Reinhard Koselleck anschließen: „So bleibt uns die Chance, auf die Erfahrungen früherer Zeiten zurückzublicken, um aus der Perspektive, die wir kennen gelernt haben, den Fortschritt historisch zu relativieren.“ 1 Und er führt den Gedanken der Relativierung des Fortschritts, nicht seiner Aufgabe, weiter aus: Nach wie vor gültig ist die bereits antike Ausformulierung der folgenden Erkenntnis: Für „identische Handlungseinheiten“ – ein abstrakterer Begriff als „Städte“, „Staaten“ oder „Organisationen“ wie Parteien und Gewerkschaften – pflegt jedem Aufstieg auch ein Niedergang zu folgen. Unstreitig ist auch die Erfahrung, dass bei „verschiedenen Handlungseinheiten“ wie Staaten oder Parteien der Aufstieg des einen den Niedergang des anderen bedeuten kann. Drittens aber können wir aus der Geschichte lernen, dass ein Rückgriff auf die christliche Deutung des „profectus“ wichtig ist: So lässt sich eine Haltung und Einstellung gegenüber den „Wirrnissen dieser Welt“ gewinnen, durch die wir trotz aller Ungewissheit handlungsfähig bleiben. Wenn wir diese Fortschrittserfahrungen auf unsere Gegenwart übertragen, so folgt daraus: Auch nach der Verbesserung der Arbeits- und Lebenssituation in Deutschland und Europa nach dem Zweiten Weltkrieg ist ein gerüttelt Maß an Skepsis gegenüber einem ungebrochenen Aufstieg der Gesellschaft angebracht. Der Aufstieg der aufstrebenden Mächte ist eine große Herausforderung der G7. Dies wird zur Verringerung des Vorsprungs Europas vor den so genannten Ländern der Dritten Welt führen, könnte aber auch, in größerer historischer Perspektive, eines Tages den Niedergang Europas bedeuten. Die Zukunft des Fortschritts ist angesichts der komplizierten globalen Situation ungewiss. Umso wichtiger ist es, dass die Linke mit 1

Koselleck (2006), S. 180.

II. Die Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit

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dieser Ungewissheit umzugehen versteht. Dies schließt beispielsweise die Orientierung an Konzepten aus, die aus der Zeit der Industriegesellschaft stammen. Die Linke muss ihre Handlungsfähigkeit angesichts einer Situation bewahren, in der es keine letzten Gewissheiten gibt.

II. Die Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit Die Linke sollte dafür arbeiten, dass der Fortschritt nachhaltig wird. Wenn sich Fortschritte und Rückschritte nicht vermeiden lassen, muss die Linke daran arbeiten, dass sie dadurch nicht aus der Bahn geworfen wird. Ein Weg wäre, die wichtigen Akteure und Institutionen einer Gesellschaft lernfähig zu erhalten. Lernfähigkeit heißt: Sie reflektieren die Bedingungen ihrer Erfolge in der Vergangenheit mit Blick auf die Zukunft: Was müssen wir tun, um Erfolge auch unter neuen, veränderten Bedingungen zu ermöglichen? Hier kommt dem Umgang mit dem technologischen Fortschritt eine entscheidende Rolle zu. Es erscheint selbstverständlich, dass die beruflichen Fähigkeiten und Kompetenzen sich neuen Technologien anpassen müssen. Generell geht man davon aus, dass die Nachfrage der Arbeitswelt nach bestimmten Fähigkeiten das Angebot bestimmt. Doch die wachsende Nachfrage nach Wissen lässt sich auch anders erklären. Hier setzt die Idee der Angebotsmacht der Arbeit ein. Untersuchungen über die amerikanische Nachkriegsgesellschaft haben gezeigt, dass das Angebot einer längeren Lebensarbeitszeit und eine wachsende Zahl gut ausgebildeter Arbeitskräfte die Nachfrage nach höher qualifizierten Arbeitskräften beflügelten. Diese These von Peter Drucker hat Niko Stehr 2 weiter entwickelt. Er weist darauf hin, dass sich in den Produktivitätsstatistiken der Vereinigten Staaten kein schlüssiger Nachweis dafür findet, dass die enorm hohen Investitionen der Unternehmen in Kommunikations- und Informationstechnologien in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten zu einem messbaren Produktivitätszuwachs geführt hätten. Der soziale Wandel spielte hier vermutlich eine weitaus größere Rolle als technische Neuerungen. Der Übergang der modernen Industriegesellschaft in die wissensindustrielle Gesellschaft ist also auch das Ergebnis eines wachsenden Angebots gut ausgebildeter, auf den Arbeitsmarkt drängender Arbeitskräfte. Die Teilhabechancen des Einzelnen und ganzer Gesellschaften am globalen Arbeitsprozess hängen nicht zuletzt von der Qualität der Arbeit ab, die diese Arbeitskräfte anbieten. Die gesellschaftliche Entwicklung auf dem Weg in die wissensindustrielle Gesellschaft ist nicht mehr in demselben hohen Maße wie einst von Arbeitgebern und ihrem Kapital abhängig, sondern von der Macht der Arbeit: Die Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit ist ein unverzichtbares Moment auf dem Weg in die wissensindustrielle Gesellschaft.

2

Vergleiche Stehr (2001).

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A. Einleitung

1. Innovation, Bildung, Partizipation Die Angebotsmacht der Arbeit muss auf drei Feldern gefördert werden: Innovation, Bildung und Partizipation. Das bedeutet: die Wirtschaft braucht Innovationen sowohl auf dem Gebiet der Technik als auch dem der Arbeitsorganisation. Die Menschen müssen besser qualifiziert werden, damit sie den neuen Anforderungen an ihre Ausbildung und Flexibilität gewachsen sind. Und es bedarf eines gesellschaftlichen Rahmens, der die Partizipation am Arbeitsmarkt ermöglicht und neue Klassenspaltungen verhindert. Innovation, Bildung und Partizipation bedingen einander. Sie sind drei unterschiedliche, aber zusammengehörende Momente, die die Angebotsmacht der Arbeit entwickeln können. So ist Bildung die Voraussetzung für Innovation und technischen Fortschritt, aber auch für die Teilhabechancen des Einzelnen an der Gesellschaft. Bildungspolitik sollte also davon ausgehen, dass der Eintritt in die wissensindustrielle Gesellschaft Folge eines qualifizierten Arbeitsangebotes und damit der Verbesserung von Bildung und Ausbildung ist. Innovationen wiederum öffnen neue Bildungsfelder. So kommt ein dynamischer Prozess in Gang, dessen Ende nicht absehbar ist und der hier als gesellschaftliche Entwicklung beschrieben wird. Will man gesellschaftliche Entwicklung und zugleich verhindern, dass die Gesellschaft in Gewinner und Verlierer zerfällt, dann müssen auch diejenigen eingebunden werden, die den hohen Anforderungen moderner Arbeitsprozesse nicht gerecht werden. Die drei Felder sollen in den Grundzügen erläutert werden. Wie wichtig die Fähigkeit von Unternehmen zu Innovationen für wirtschaftliches Wachstum und gesellschaftlichen Wohlstand ist, wird niemand bestreiten. Das gleiche gilt selbstverständlich auch für die Zukunft der Arbeit. Dabei geht es um mehr als die bloße Sicherung neuer Arbeitsplätze. Vielmehr geht auch darum, dass interessantes Arbeiten nur in Unternehmen möglich ist, die nicht in Routine erstarren. Damit verknüpft ist das Leitbild eines „lernenden Unternehmens“. Es liegt im Interesse der Linken, dass Unternehmen diesem Leitbild folgen: Die Organisation des dauerhaften Lernens seiner Beschäftigten. Die Alternative ist gewissermaßen unerfreulich. Sie lautet Netzwerkunternehmen3, Einstellung und Vertragsauflösung der Beschäftigten nach Bedarf, für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer: rasant zunehmende Arbeitsplatzunsicherheit. Lernende Unternehmen müssen aber auch über Unternehmer und Manager mit einer systematischen oder „methodischen“ Innovationskompetenz verfügen – oder sie zumindest organisieren können. Dafür reicht es nicht aus, dass die immer wieder zitierten rechtlichen und steuerlichen „Rahmenbedingungen“ von Unternehmen stimmen. Vielmehr bedarf es Kompetenzen, die Innovationen systematisch in gezielten Suchprozessen vorantreibt und sie nicht dem Zufall überlässt. Dieser Prozess ist nicht allein von den Charaktereigenschaften und Fähigkeiten eines Unterneh3

Vergleiche Priddat (2005).

II. Die Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit

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mers oder eines Managers abhängig, sondern kann gezielt im Unternehmen gefördert werden. Das setzt Arbeitsnehmerinnen und Arbeitnehmer mit Qualifikationen in einem erweiterten Sinne voraus. Wenn man die Förderung von Innovationen als einen Prozess des „Managements von Kreativität“ begreift, braucht es kreative Beschäftigte. Und zwar auf breiter Basis. Es reicht nicht, dass sich ein Unternehmen einen „Think Tank“ oder eine „Kreativabteilung“ leistet. Ebenso wichtig ist: Wo innovative Produkte oder Dienstleistungen entstehen, muss das Umfeld kreative Fähigkeiten wie einen sinnvollen Umgang mit einer neuen Bürotechnologie oder die Beseitigung störender Arbeitsabläufe fördern. Das erfordert allerdings mehr als eine solide fachliche Ausbildung. Es geht darum, Missstände zu analysieren und Neues zu lernen. Und da sich die Arbeitswelt so schnell wie nie zuvor wandelt, gilt es auch, die Fähigkeiten und Kompetenzen neuen Entwicklungen anzupassen. Man spricht von „Methodenkompetenzen“ und „Kompetenz-Kompetenzen“ oder davon, das „Lernen zu lernen“. Die Grundlagen dafür müssen bereits in der Kindheit und Jugend gelegt werden, worauf wiederum die berufliche Aus- und Weiterbildung aufbauen. Eine solche gesellschaftliche Entwicklung wäre auf eine Bildungsexpansion angewiesen, die der in den sechziger und siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts in nichts nachstünde. Sie könnte die Angebotsmacht der Arbeit entscheidend verstärken. Sie könnte aber auch verhindern, dass weite Teile der Gesellschaft vollständig vom Arbeitsprozess abgekoppelt würden und die Möglichkeit behalten, auf längere Sicht einen eigenen Beitrag zu Innovation und Bildung zu leisten. Schließlich kann eine Gesellschaft im Prozess der Globalisierung nur dann erfolgreich sein, wenn die Angebotsmacht der Arbeit möglichst viele Arbeitskräfte erfasst. Eine Gesellschaft, die meint, ganze ihrer Teile ausschließen zu können, beraubt sich ihrer Zukunft. Nur wenn Partizipation aller am Arbeitsprozess das neue Ziel ist, lässt sich gewährleisten, dass unsere Lebenswirklichkeit in sozialer Verantwortung gestaltet wird. Zugleich lässt sich so verhindern, dass die Liberalisierung des Marktes die ultima Ratio allen politischen Handelns wird. Partizipation bedeutet deshalb einerseits mehr Beteiligung der Arbeitnehmer im Unternehmen. Dafür kann der deutsche Pfad der Unternehmensmitbestimmung, der Betriebsverfassung und der starken Arbeitnehmerechte wichtige Instrumente sein. In diesem Buch wird es vor allem darum gehen, wie die Teilhabe derjenigen Menschen in den Prozess der Arbeit gesichert werden kann, die wie gering Qualifizierte, ältere oder behinderte Arbeitnehmer an den heutigen Qualifikations-, Bildungs- und Flexibilitätsanforderungen scheitern. Hier lassen sich aus der Tradition des deutschen Sozialstaates durchaus Ansätze ableiten, die die Angebotsmacht der Arbeit stärken. Die Voraussetzung dafür wäre allerdings, dass dieser Staat Erwerbstätigkeit fördert: Statt Nichterwerbstätigkeit abzusichern und die Nichtaufnahme oder die Beendigung eines Arbeitsver-

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A. Einleitung

hältnisses zu subventionieren, müssen die Partizipationschancen von Arbeitslosen oder bislang Nichterwerbstätigen an der Arbeit Priorität haben. Der zunehmende Verlust an Partizipationschancen derjenigen gesellschaftlichen Schichten, die nicht das Wissen und die Fähigkeiten haben, mit den Anforderungen der neuen Wissensgesellschaft Schritt zu halten, beschreibt eine negative Utopie. Die relevanten strategischen Akteure, Regierungen, Unternehmerverbände und Gewerkschaften können diese Entwicklung verhindern, wenn sie jetzt handeln und die Angebotsmacht der Arbeit stärken. Sie sind aber noch nicht soweit, ihre Ziele darauf hin auszurichten. Ebenso wenig zukunftsweisend ist der marktliberale Ansatz vieler Unternehmensvertreter, die unbeirrt an die Segnungen eines sich selbst regulierenden Marktes glauben. Die alte Interessenpolitik der Verbände führt in die Irre, wenn sie nicht begreifen, dass die Globalisierung neue Forderungen an sie stellt, die nicht mehr ihren historischen Interessen entsprechen. Nur wer die Felder der Angebotsmacht der Arbeit entwickelt und ihr Zusammenspiel fördert; nur wer die Angebotsmacht der Arbeit stärkt, handelt im Sinne des Gemeinwohls und für den gesellschaftlichen Wohlstand. Deshalb ist der hier vertretene Ansatz dem Ziel verpflichtet, „Arbeit als Institution“ zu begreifen 4. Arbeit soll das erste gesellschaftliche Ziel sein, dessen Bedeutung außer Frage steht. Denn Arbeit ist nicht nur das Produkt von Bildung und Innovation, sondern auch ihr Motor. Sie ist der Punkt, auf den sich Politik, Wirtschaft und Gesellschaft wie Magnetnadeln ausrichten müssen, wenn sie nicht ins globale Abseits geraten wollen. 2. Arbeit als Quelle von Einkommen, Anerkennung und Sinn Die Angebotsmacht der Arbeit kann an einem machtvollen Motiv anknüpfen und deshalb die Unterstützung vieler Menschen finden. Aus Arbeit entstehen Einkommen. Aus Arbeit erwächst Anerkennung. Und Arbeit stiftet Sinn. Das Bild von der Arbeit war bis weit ins 20. Jahrhundert hinein geprägt von der Mechanik und Automatik der Maschine. Doch dieses Bild, das der Arbeit zugleich ihren entfremdenden Charakter gab, verblasst. Der Wert der Arbeit hängt wieder mehr von individuellen Fähigkeiten ab, denn einfache Arbeiten gibt es immer weniger. Mehr denn je entscheiden heute Wissen und Können des Einzelnen über den Erfolg eines Unternehmens. Wissensarbeiter werden gebraucht. Sie prägen die wirtschaftliche Entwicklung in weit höherem Maße als bislang angenommen. Zugleich ist Arbeit ein wirtschaftlicher Machtfaktor. Denn nichts wird dringender gebraucht als gut ausgebildete Fachkräfte. Die meisten Menschen nehmen Arbeit aber nicht als eine Quelle der Macht, sondern der Machtlosigkeit wahr. Dieses Buch wendet sich gegen eine Perspektive der Machtlosigkeit und spricht eine Perspektive der Macht aus. Die Angebotsmacht der Arbeit wird dafür zur Grundlage und zum Maßstab für die Bewertung und Gestaltung von Politik und Wirtschaft genommen. 4

Vergleiche Schwengel (1999), S. 198–208.

II. Die Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit

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Arbeit hat das Potenzial zu einer Angebotsmacht zu werden. Nicht zuletzt von der Entwicklung dieser Macht hängt es ab, ob Deutschland sich erfolgreich auf den globalen Märkten behaupten wird. 3. Strategische Kommunikation – strategischer Tausch Gesellschaftliche Veränderungen treten nicht einfach ein, sondern werden „gemacht“. Sie sind Resultate gesellschaftlicher und politischer Debatten und Entscheidungen, allerdings nicht immer bewusster und gezielter. Deshalb ist es wichtig, die richtigen Debatten anzustoßen. Hier setzt der Begriff der strategischen Kommunikation an. Sie bringt die politischen Akteure dazu, über die Angebotsmacht der Arbeit und damit über eine neue politische Ordnungsidee zu reden. Strategische Kommunikation zielt darauf ab, dass die Gesellschaft sich um die Arbeit herum formieren muss. Ihre Themen sind Innovation, Bildung, Partizipation. Wer also über Bildung redet, sollte dies immer schon in Hinblick auf die Steigerung der Angebotsmacht der Arbeit tun. Dies gilt auch für die Themen Innovation und Partizipation. Erst vor diesem Hintergrund können spezielle Fragen der Bildung, Innovationen oder Partizipation in ihrer gesamtgesellschaftlichen Bedeutung wahrgenommen und dargestellt werden. Das ist besonders für die Verbände und Parteien von Bedeutung: Denn ihre Anliegen stoßen in der Öffentlichkeit mitunter auf Unverständnis. In Zeiten gelockerter sozialkultureller Milieus sollten Verbände und Politik ihre Ziele so kommunizieren, dass die gesamtgesellschaftliche Relevanz ihrer Themen deutlich wird. Misslingt das, wird es schwierig für Parteien und Gewerkschaften vor der Gesellschaft ihre Anliegen zu legitimieren. Deshalb sollten diese jederzeit fähig sein, ihre Ziele und Werte zu erläutern. Sie müssen Erzählungen in petto haben, die über eigene, historisch verbürgte Interessen hinausweisen, wollen sie auch künftig von der Gesellschaft als relevant wahrgenommen werden. Ihre Positionen sollten sinnvoll auf eine politische Ordnungsidee für die Zukunft ausgerichtet sein. Die Angebotsmacht der Arbeit ist eine solche Ordnungsidee. Sie ist zugleich das Zentrum einer Kommunikationsstrategie: Ohne sie zerfällt die Kommunikation von Parteien und Verbänden in zusammenhanglose und wirkungslose einzelne Kommunikationen. Die Linke sollte eine Politik des „strategischen Tauschs“ wählen. Die politische Ordnungsidee dieses Buches muss mit dem folgenden Ziel kommuniziert werden: Sie will die politisch relevanten Akteure in ihrem Kampf um die Gestaltung des Arbeitsmarktes dazu bringen, aus guten Gründen einen Teil ihrer Interessen zugunsten des großen gemeinsamen Ziels zu tauschen: Die Stärkung der Angebotsmacht der Arbeit. Die Gesellschaft kann sich ohne sie nur in begrenztem Maße weiterentwickeln. Die Wirtschaft stößt an immanente Grenzen, wenn sie den Faktor Arbeit vernachlässigt. Und der Staat muss schon deshalb ein Interesse an der Angebotsmacht der Arbeit haben, weil eine hohe Arbeitslosigkeit ein Politikum ersten Ranges ist, seinem Ansehen gegenüber den Bürgern schadet und seine Legitimationsbasis schmälert.

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A. Einleitung

III. Machtchancen der Linken Die Angebotsmacht der Arbeit bietet der Linken eine Perspektive der Macht. Die Angebotsmacht der Arbeit zeigt ein neues Bild der Arbeit. Arbeit kann die Rolle einer gestaltenden Macht übernehmen. Damit wird auch das die Arbeit ausübende Individuum aufgewertet. Mehr als in der Vergangenheit ist der Einzelne Autor seines Lebens und nicht mehr nur Spielball geschichtlicher oder technologischer Strukturen. Die Angebotsmacht der Arbeit ist insofern ein Plädoyer für die Rückkehr der „Autorschaft“ des Arbeitenden über sein Werk 5. Die modernen Trends, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beispielsweise eigenständig eine Vielzahl von Entscheidungen fällen oder mit Kunden kommunizieren, müssen verstärkt werden. Im weiteren Sinn kann man es auch als Plädoyer für die geschichtliche Freiheit des Einzelnen lesen. Dabei handelt es sich nicht um die rein negative Freiheit etwa von staatlicher Lenkungsmacht, wie sie Wirtschaftsliberale und Konservative propagieren, sondern um positive Gestaltungsmöglichkeiten für die Anbieter von Arbeitskraft. Wenn die Linke Arbeit in diesem Sinne interpretiert, kann sie zur treibenden politischen Kraft der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung werden. Gegenwärtig wird „Arbeit“ nicht als eine Quelle politischer Macht wahrgenommen. Ein Grund ist, dass Arbeit in Zeiten der Globalisierung und der rasanten technologischen Entwicklung für viele zu einem Moment kritischer Lebenserfahrungen geworden ist. Im 19. und 20. Jahrhundert hatte sich die Linke erfolgreich dagegen gewehrt, dass „Arbeit“ eine Erfahrung von Ohnmacht der Menschen gegenüber dem übermächtigen Kapital wurde. Sie setzten dagegen Solidarität, soziale Demokratie, Sozialstaat, Tarifverträge und später erweiterte Ansprüche der Bürgerbeteiligung. Doch im Übergang zur wissensindustriellen Gesellschaft haben die Organisationen und Institutionen der Industriegesellschaft wie Sozialstaat und Gewerkschaften an Handlungsfähigkeit eingebüßt. Der Kampf um die Rechte von Arbeitenden hat in der Folge technologischer Neuerungen und eines Formenwandels der Arbeit seine Einheitlichkeit verloren. Solidarität hat ihre einstigen Grundlagen verloren, als die Masse abhängig beschäftigter Industriearbeiter den Arbeitsmarkt dominierte. Zudem gestaltet sich Arbeit immer weniger solidarisch. Vor allem unqualifizierte und nichtqualifizierbare Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind heute mit den konventionellen Mitteln der Politik und der Solidarität nicht mehr in eine einheitliche Arbeitswelt zu integrieren. Deshalb ist Arbeit in den Augen vieler Linker zu einer Hauptquelle von Lebensrisiken geworden, oder, in einen größeren Geschichtszusammenhang gestellt, zu einer Quelle von Ohnmacht. Die Emanzipationsperspektive der Linken steht auf dem Prüfstand. Mitbestimmung, Humanisierung der Arbeit, Arbeitszeitverkürzungen haben zweifellos das Leben der Erwerbstätigen verbessert. Doch sie müssen neu bestimmt werden. Und 5

Vergleiche Cohen (2001), S. 80.

III. Machtchancen der Linken

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viele Arbeitnehmer teilen nicht mehr diese Emanzipationsperspektive. Zu viele von ihnen fallen mittlerweile aus einheitlich regelbaren Arbeitsprozessen heraus. Deshalb müssen künftig zwei Perspektiven in Betracht gezogen werden: Emanzipation in der und Teilhabe an der Arbeit. Was Emanzipation in der Arbeit heißt, muss ein Diskurs über einen breit angelegten Begriff von „Arbeitspolitik“ zeigen, der auch ein neues, zeitgemäßes Verständnis der „Humanisierung der Arbeit“ umfassen müsste. Und die zweite Aufgabe der Linken heute ist, die Teilhabe an der Arbeit für möglichst viele zu sichern. Dafür muss sie bei allen politischen Akteuren Lernprozesse initiieren. Es reicht nicht aus, wenn linke Politik sich allein als Abwehrschlacht gegen Neoliberalismus und Sozialabbau versteht. Sie sollte im Gegenteil konstruktive Vorschläge darüber machen, wie die Bildung auszurichten ist, Partizipationschancen zu verbessern und Innovationen voranzubringen sind. Dazu gehört auch eine Aufgeschlossenheit gegenüber neuen Technologien. In Deutschland hat jedoch eine skeptische, mitunter sogar militante Einstellung gegenüber neuen Technologien Tradition. 1821 kam es zum ersten Maschinensturm, Anstifter waren Tuchscherer in Eupen, die sich gegen eine neue Schermaschine zur Wehr setzten. Die bedeutendste dieser Protestaktionen war 1844 der Weberaufstand im schlesischen Peterswaldau. Er beeindruckte den Journalisten Karl Marx so tief, dass dieser hier die „erste selbständige Massenbewegung der deutschen Arbeitsklasse“ zu sehen meinte. Doch anders als die schlesischen Weber gehörte Marx zu den leidenschaftlichen Befürwortern der technischen Entwicklung. Wie Marx und Engels sahen sich weite Teile der Linken lange Zeit ebenfalls als Vorreiter des gesellschaftlichen und technologischen Fortschritts. Heute denken viele anders. Ein Grund dafür dürfte in der Ungewissheit des Fortschritts und in der Qualität der Innovationen liegen. Innovationen stehen heute nicht mehr nur für Fortschritt und dauerhafte Erleichterung der Arbeits- und Lebensverhältnisse. Sie bergen oft schwer abschätzbare Risiken und machen Angst. Dies rückt die Linke bisweilen in die Nähe konservativer Kulturkritik, die seit dem Beginn der Moderne gegen die Emanzipation des Menschen aus seiner „natürlichen“ Ordnung aufbegehrte. Dabei scheint es so, dass Gesellschaften ihre Angst vor dem Neuen schnell verlieren und zu einer positiven Einstellung zu Technik und Fortschritt finden, sobald eine umwälzende Innovation genügend Breitenwirkung entfaltet. Erst recht nimmt eine Gesellschaft das technologisch Neue an, wenn neue Arbeitsplätze und Gewinnquellen in greifbare Nähe rücken. Eine Politik für die Angebotsmacht der Arbeit darf neue Technologien nicht pauschal ablehnen. Sie sollte vielmehr nüchtern ihre Risiken und Vorteile abwägen und zu einem differenzierten Urteil kommen. Die Linke kann ihre politische Gestaltungsmacht zurückgewinnen, wenn sie ihre Perspektive moderner Arbeit formuliert. Sie muss beim Übergang zur wissensindustriellen Gesellschaft dabei sein, um all seine möglichen unsozialen Nebenwirkungen auszuschalten. Wenn sie die Faktizität des Übergangs zur industriellen Wissensgesellschaft anerkennt, kann sie gestaltend in diesen Prozess eingreifen und

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A. Einleitung

eine neue Perspektive der Macht entwickeln. Das heißt nicht, dass sie dafür ihre alten Werte aufgeben muss. Im Gegenteil. Es geht immer noch um Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität. Doch die neue Lage erfordert eine andere Ausrichtung dieser Werte in Form von politischen Zielen und Instrumenten als noch vor fünfzig Jahren.

IV. Das Buch Das Buch zieht eine Bilanz bereits vorhandener Ansätze. Es befragt sie auch danach, wieweit die Diskussion im Sinne der strategischen Kommunikation auf die richtigen Themen gelenkt wird und damit die Angebotsmacht der Arbeit stärken kann. Der erste Teil beschreibt die allgemeine Situation auf dem Weg in die wissensindustrielle Gesellschaft. Es richtet den Blick auf neue Unternehmer und Arbeitnehmer, neue Arbeitsfelder und neue Berufe, die schon entstanden sind oder im Begriff sind zu entstehen. Es verschweigt aber auch nicht die neuen Belastungen für den Einzelnen und die Gesellschaft, die der Weg in die Wissensgesellschaft mit sich bringt. Das folgende Kapitel geht der Frage nach, was Politik und Wirtschaft in Bezug auf die Angebotsmacht der Arbeit getan haben. Wie innovationsfreudig sind deutsche Unternehmer tatsächlich? Und was hinderte Unternehmen bislang daran, sich für Innovationen zu öffnen? Was haben Politik und Wirtschaft für die Bildung getan? Und was hat die Politik für jene getan, die aus dem Arbeitsmarkt gefallen sind? Im darauf folgenden Teil geht es um die Regime von Innovationen, Bildung und Arbeitsmarkt in Frankreich und Großbritannien. Diese beiden neben Deutschland wichtigsten Nationen der Europäischen Union sollen Vergleichspunkte bieten: Sie können helfen, Möglichkeiten der Weiterentwicklung des deutschen Modells stärker zu profilieren. Auch hier lautet die Frage: Wie versuchen diese Länder die Angebotsmacht der Arbeit zu stärken? Und welche spezifischen nationalen Traditionen prägen ihren Weg, mit den neuen Anforderungen umzugehen, wie sie die LissabonStrategie formuliert hat? Das vierte und letzte Kapitel beschäftigt sich mit der Frage, wie die Angebotsmacht der Arbeit entwickelt werden kann. Wie ist in Zukunft ein Diskurs über Innovation, Bildung und Partizipation zu führen? Der Schlussteil des Buches steht somit am Anfang dessen, was die strategische Kommunikation leisten muss: Felder für gesellschaftliche Entwicklung und mögliche Innovationen sowie die Förderung der Bildung aufzeigen.

B. Die Angebotsmacht der Arbeit und wo sie sich entfaltet I. Was heißt: Die Angebotsmacht der Arbeit entwickeln? Um die Angebotsmacht der Arbeit zu entwickeln, muss die Linke ihr politisches Repertoire erweitern und die Politik der Arbeit um neue, zeitgemäße Elemente ergänzen. Dafür müssen bestimmte Grundannahmen neu diskutiert werden. Bislang thematisierte sie die Arbeit im Verhältnis zum Kapital und erst recht unter den Bedingungen der Globalisierung und unter dem Gesichtspunkt der Ohnmacht. Auch den Begriff der „Angebotsorientierung“ als volkswirtschaftlich „konservative“ oder „neoliberale“ Strategie in einer gewissen Keynesianischen Tradition sah sie stets im Gegensatz zu einer als „links“ eingeschätzten „Nachfrageorientierung“. In beiden Fällen führten diese Gegensatzpaare zu „blinden Flecken“: im ersten Fall wurde der Blick auf die Möglichkeiten der „Angebotsseite“ und ihrer Macht ausgeblendet, die sich nicht nur auf die Unternehmen und das Kapital bezieht. Im zweiten Fall kam die Rolle der Arbeit für die Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit nicht zur Sprache. Deshalb sollen einige zentrale Fragen gekennzeichnet und beschrieben werden, die die Linke nutzen könnte, um in die Offensive zu kommen. Die Linke lehnt den Begriff der Angebotsorientierung ab. Das hat sehr viel damit zu tun, dass Linke und Rechte gleichermaßen im Verhältnis von Angebot und Nachfrage die Angebotsorientierung mit der Angebotsökonomik gleichsetzen. Für die Angebotsökonomik sind drei politische Instrumente zentral: Steuersatzsenkungen, Reduzierung von Staatsaufgaben und Deregulierung 6. Niedrigere Steuersätze sollen besonders bei leistungsabhängigen Abgaben Leistungsanreize schaffen. Eine Senkung der Staatsaufgaben soll wiederum den Staat zurückdrängen und den Privaten und den Marktkräften wieder mehr Handlungsspielraum verschaffen. Die Deregulierung schließlich zielt darauf, durch den Abbau der „Belastung der Angebotsseite“ die Marktkräfte unter anderem in den Bereichen der Sozial-, Umverteilungs-, Umwelt- und Wettbewerbspolitik zu entfesseln. Alle drei Instrumente der Angebotsökonomik sind seit langer Zeit Gegenstände des politischen Streits zwischen Linken und Konservativen. Das zweite Instrument, die Verminderung von Staatsaufgaben, ist für die Linke besonders wichtig, weil die Angebotstheorie keine aktive Wirtschaftspolitik kennt. Diese Spielart der Angebotspolitik geht auf die in den 30er-Jahren des vorigen Jahrhunderts entwickelte und in den 70er-Jahren neu aufgegriffene Angebotstheorie („Supply-Side-Theory“) zu6

Vergleiche Gabler Wirtschaftslexikon (1994), S. 124 f.

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B. Angebotsmacht der Arbeit und wo sie sich entfaltet

rück. Ihre wichtigsten Annahmen lauten: Unternehmen sind die Anbieter, sie entscheiden auf der Grundlage ihrer Gewinnerwartungen über Investitionen und damit mittelbar über die Schaffung von Arbeitsplätzen. Und zweitens, dem nach JeanBaptiste Say (1767–1832) benannten „Say’sche Gesetz“ folgend: das Angebot sorgt selbst für optimale Bedingungen, um Nachfrage zu schaffen. Diese Auffassung sieht für den Staat keine Rolle für eine aktive Wirtschaftspolitik vor. Vielmehr soll er Steuererleichterungen ermöglichen, gesetzliche Hemmnisse abbauen sowie öffentliche Unternehmen weitgehend privatisieren. Nach dieser Auffassung von Angebotspolitik gibt es keine politischen Gestaltungsmöglichkeiten der Wirtschaft. Die Linke lehnt sie deshalb mit guten Gründen ab. Aber außer dieser Variante gibt es andere Vorstellungen von Angebotspolitik, die durchaus Spielräume für aktives wirtschaftspolitisches Handeln vorsehen, und damit auch Gestaltungsmöglichkeiten im Interesse des Gemeinwohls und der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Angebotsorientierung bedeutet nicht notwendigerweise, die Dogmatik der Angebotsökonomik zu übernehmen. Angebots- und Nachfrageorientierung sind laut dem Nationalökonom John Maynard Keynes, der Gallionsfigur linker Wirtschaftspolitik, keine Gegensätze. Keynes selbst hat die Relevanz der Angebotsseite sehr wohl gesehen, anders als die extremen Spielarten seiner Nachfolger, die die Bedeutung der Nachfrage sehr stark hervorhoben. Damit gibt es einen Ansatzpunkt für die Linke in der Nachfolge von Keynes die Angebotsmacht der Arbeit zu entwickeln. Der Begriff der Angebotsmacht ist verengt. Um die Angebotsmacht der Arbeit zu entwickeln, lassen sich auch interessante Anknüpfungspunkte bei Walter Eucken finden, einem der Väter des südwestdeutschen Ordo-Liberalismus. Eucken beschrieb 1940 in seinem Buch „Die Grundlagen der Nationalökonomie“, dass nicht nur Unternehmen, sondern auch Kleinstunternehmen, Arbeiter und Angestellte „Anbieter“ und „Nachfrager“ sein können. 7 Außer Unternehmen besitzen auch Arbeiter und Angestellte eine Angebotsmacht. Allerdings gibt es große Machtunterschiede, die Machtposition der „Einzelwirtschaft“, wie Eucken Arbeiter und Angestellte nennen würde, muss sich den Märkten anpassen. Grundsätzlich aber setzt die Entwicklung von Angebotsmacht keine bestimmte Unternehmensgröße voraus, sondern eine gewisse Macht. Und die haben auch kleinere Anbieter auf dem Markt. Aus Sicht der Linken lässt sich diese Perspektive noch radikaler fassen: Auch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben gewisse Machtchancen. Sie sind umso größer, je besser und gesuchter die Qualifikationen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind. Das ist der Grundgedanke der Angebotsmacht der Arbeit. Um welche Form von Macht handelt es sich? Generell bezeichnet nach Eucken die Angebotsmacht in der Wirtschaftspolitik „das Potenzial eines überlegenen Anbieters, seine Interessen in Verhandlungen gegenüber einem abhängigen oder unterlegenen Nachfrager durchzusetzen“. Häufig wird dabei über Marktmacht im Sinne oli7

Vergleiche Eucken (1989), S. 91–112.

I. Was heißt: Die Angebotsmacht der Arbeit entwickeln?

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gopolistischer oder monopolistischer Marktbeherrschung gesprochen, aber das ist nicht unbedingt der Fall. Es lässt sich auch über Marktmacht der Arbeit sprechen, allerdings in veränderter Form. Dann geht es nicht um Fragen, wie sich die Angebotsoder Nachfragemacht im Sinne einer Marktbeherrschung ausnutzen lässt. Sofern sie die Wettbewerbsfreiheit gefährdet, wäre sie ohnehin ein Fall für das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GBW) und für das Bundeskartellamt. Hier geht es um die Marktmacht von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die Anbieter ihrer Arbeitskraft sind. Sie besitzen ein gewisses „Potenzial“, aber nicht die Überlegenheit, ihre Interessen in Verhandlungen gegenüber einem Nachfrager „durchzusetzen“ – oder nur in Ausnahmefällen. Dieses „Durchsetzen“ von Interessen basiert allerdings nicht auf einer Überlegenheit, die unmittelbare Plausibilität auf ihrer Seite hat und gegebenenfalls auf monetären oder rechtlichen Zwang zurückgreifen kann. Die Chance, Interessen durchzusetzen, gründet gegenwärtig zunächst auf einer perspektivischen Möglichkeit neuer Formen des Wirtschaftens. Es knüpft an die – gegenwärtig allerdings noch nicht sehr entwickelte – Einsicht eines nachfragenden Unternehmens an, dass es seine Ziele, Gewinn zu machen, besser erreichen kann: Indem es der Arbeit, dem Faktor Arbeit, der lebendigen Arbeitskraft einen größeren Spielraum als bisher einräumt. Die Linke hat die Chance, das zu thematisieren. Die Möglichkeiten sind größer als viele denken. Nach Eucken gibt es in der Geschichte offene und geschlossene Formen von Angebot und Nachfrage. Die Probleme des Ordo-Liberalismus drehen sich darum, wie die „Zulassung“ einzelner als Anbieter oder Nachfrager zu regulieren ist. In den wirtschaftspolitischen Auseinandersetzungen der Gegenwart spitzte sich diese Frage zu dem Vorwurf der „Überregulierung“ durch Staat und Tarifverträge zu. Die Probleme der Gegenwart lassen sich aus Sicht der Linken jedoch anders auf den Punkt bringen, wenn man sie in der Perspektive der Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit sieht. Zugangsfragen sind längst nicht mehr eine Frage der wirtschaftspolitischen Regulierung, sondern zu einer realen Bedingung eines funktionsfähigen Marktes geworden: Die Nachfrage der Unternehmen nach bestimmten anspruchsvollen und entwickelten Qualifikationen entscheidet über die Zulassung. Folglich löst die „Öffnung“ des Arbeitsmarktes nach wirtschaftsliberalem Vorbild das Problem nicht. Die Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit kann hingegen zeigen, dass eine andere Art der „Öffnung“ notwendig wäre, um die Arbeit im Sinne einer Innovationskultur in Deutschland nachhaltig zu verbessern: die Unternehmen müssen neue Wege einer Arbeitspolitik gehen, um ihre Innovationsfähigkeit zu steigern. Ein weiterer Gesichtspunkt in der Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit ist für die Linke wichtig: Der Aspekt der Demokratisierung eines Privilegs. Wie kann eine möglichst große Zahl von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu guten Anbietern ihrer Arbeitskraft werden? Dieses Privileg ist bislang nur bestimmten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, den Stars aus Sport und Kultur vorbehalten. Sie sind Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, aber verfügen über einzigartige Fähigkeiten, die zudem sehr gefragt sind. Sie verdienen deshalb „Gehälter“ in astronomischer Höhe. Mit dem Heraufziehen der industriellen Wissensgesellschaft

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B. Angebotsmacht der Arbeit und wo sie sich entfaltet

wächst die Zahl der gut ausgebildeten Arbeitskräfte. Damit erweitert und verallgemeinert sich die Möglichkeit, die Angebotsmacht der Arbeit zu entwickeln. Im Unterschied zu den Stars aus Sport und Kultur richtet sich dieses Arbeitskräfteangebot nicht direkt an den Markt, sondern an die Unternehmen. Anders als für die Stars spielt der Faktor „Einzigartigkeit“ für die große Mehrzahl keine Rolle. Das Starsystem bleibt allenfalls ein privilegiertes Segment eines allgemeinen Trends. Die Linke sollte diesen Trend nach Kräften unterstützen, aber den Unterschied zwischen Star und Bevölkerung respektieren. In welchem Maße hat sich die Linke mit der Entwicklung der Angebotskraft der Arbeit beschäftigt? In der Literatur gibt es dazu bislang nur wenige Beiträge. Die Linke bewegten andere Fragestellungen. Im Jahr 1996, in der Diskussion über die „Arbeit der Zukunft“ anlässlich der Diskussion um ein neues Grundsatzprogramm des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), wurde schon die Stärkung der Innovationskraft hervorgehoben. Die Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter debattierten über die Reduzierung der Arbeitszeit und den Bürgerstatus von Arbeitnehmern im Betrieb. Doch die Stärkung des Faktors Arbeit und die Problematik von neuen Klassenbildungen infolge der gestiegenen Arbeitsproduktivität und Ansprüche an die Bildung war kein Thema. 8 Dafür finden sich außer der Ablehnung der Angebotsorientierung historische Gründe. Die industrielle Revolution in Deutschland hatte die Freisetzung der Bauern zur Voraussetzung. Die großen Fabriken brauchten für standardisierte, einfache Arbeiten unqualifizierte Arbeiterinnen und Arbeiter, die man je nach Bedarf einstellen und entlassen konnte. Die fortschreitende Entwicklung der Industriegesellschaft steigerte zugleich die Nachfrage nach qualifizierter Arbeit, sie war weniger standardisiert, aber immer noch hierarchisch aufgebaut. Mit dem Übergang zur industriellen Wissensgesellschaft vollzieht sich ein Paradigmenwechsel der Arbeit: Hoch qualifizierte flexible Arbeit wird zum Angebotsfaktor. Damit sich Arbeit und Arbeitende entfalten können, ändern innovative Unternehmen die Organisation der Arbeit und führen flache Hierarchien ein. Darüber hinaus gibt es ideengeschichtliche Gründe, die das Verständnis des Arbeitsbegriffes betreffen. Nach Daniel Cohen haben der Marxismus und die klassische Wirtschaftstheorie Arbeit als einen „Fluss“ betrachtet, den das Unternehmen für den Tag oder den Monat mietet. Die Arbeit glich einem beliebig an und abstellbaren Wasserhahn, den man für acht Stunden am Tag öffnet und der seine Energie in die Rohre des Kapitals pumpt. In der Tat wurde unter dem Taylorismus so gearbeitet. Doch heute erleben wir so etwas wie eine Rückkehr zur „Autorschaft“. Das heißt: Arbeitnehmer fällen eine Vielzahl von Entscheidungen, sprechen eigenständig mit Kunden und kooperieren mit Kollegen. Der Arbeitnehmer muss bei der Ausführung der Produktion sein ureigenstes „Humankapital“ mobilisieren. Dieses Humankapital zu bereichern und die mit ihm verbundenen Rechte zu respektieren, wären die Kernpunkte einer Neubestimmung der sozialen Ordnung.9 8 9

Vergleiche Schulte (1996). Vergleiche Cohen (2001).

I. Was heißt: Die Angebotsmacht der Arbeit entwickeln?

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Diese „Rückkehr zur Autorschaft“ deutet an, dass die Angebotsmacht der Arbeit auch in den Unternehmen selbst eine größere Rolle zu spielen scheint. Wenn Arbeitsverhältnisse zunehmen, in denen ein Arbeitnehmer Entscheidungen fällen und direkt mit Kunden kommunizieren muss, soll dies nicht nur unter dem Gesichtspunkt höherer Anforderungen und besserer Qualifikationen betrachtet werden. Es geht auch darum, dass die Unternehmer eines akzeptieren müssen: Um anspruchsvollere Tätigkeiten zu erledigen, brauchen Arbeitnehmer mehr Freiräume. Entsprechend muss die Organisation der Arbeit im Unternehmen verändert werden. In der „Rückkehr zur Autorschaft“ spiegeln sich Veränderungen in den Produktionsabläufen der Unternehmen. Die Industrieepoche und die „rheinische Variante“ der Marktwirtschaft war von langfristigen Bindungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern in Gestalt unbefristeter Arbeitsverträge charakterisiert. In der Gegenwart wird der rheinischen Variante das „neo-amerikanische“ oder „neo-liberale“ Modell gegenüber gestellt. Es strebt eine möglichst ungehinderte Mobilität der Ressourcen, dazu werden auch die Beschäftigten gezählt, an. Im „neo-amerikanischen“ Modell spielen langfristige Bindungen zwischen Vertragsparteien nur eine geringe Rolle, stattdessen werden kurzfristigere Verträge bevorzugt. Eine zeitlich begrenzte Vertragsbindung ersetzt die Sicherheit fester Arbeitsverträge. 10 Die Unternehmen wollen sich schnell von „unzuverlässigen“ Arbeitnehmern oder Vertragspartnern trennen können, aber auch von Beschäftigten oder Subunternehmern, die in Zeiten einer nachlassenden Konjunktur „überflüssig“ werden. Zu beobachten ist eine grundlegende Änderung in der Strategie der Unternehmen. Sie wollen jederzeit Zugriff auf neues Wissen bekommen, weil sich Märkte schnell ändern und ebenso schnell Wissensbestände veralten. Das war und ist beim rheinischen Modell anders: Es hat den Vorteil kooperativer, längerfristiger Bindungen von Mitarbeitern mit akkumuliertem Wissen. Heute hat dieses Modell an Attraktivität verloren. Es erscheint für Unternehmen attraktiver, die Wissensbasis im Unternehmen kleiner zu halten als früher: Aktuell benötigtes Wissen kaufen sie partiell zu. Das hat Konsequenzen für die Organisation von Arbeitsabläufen: das Schnittstellenmanagement der Innen-/Außen-Beziehungen muss erneuert werden. Nicht nur die Manager, auch die Mitarbeiter bedürfen nun der Kompetenz auf allen Ebenen mit Externen zusammenzuarbeiten. Wer in diesen Schnittstellen agiert, braucht eine höhere Entscheidungskompetenz und -autonomie, also „Autorschaft“. Schließlich ist jeder Auftrag nach Außen eine Art von Investition. Ihre Erträge können durch die Minimierung der dafür sonst nötigen Kosten bemessen werden. Deshalb ist das geläufige Wort der „Kundenorientierung“ im Grunde ein harmloser Name für grundlegende Änderungen in der Organisation der Arbeit. Es bedeutet, dass sich interne Abteilungen in ‚Service‘-Bereiche der Kundenfrontmitarbeiter verwandeln – mit entsprechenden Folgen für die Neuorientierung ihrer Kompetenzen. Nach Auffassung von Birger Priddat beginnt man, die Angestellten und Arbeiter als „Unternehmer ihrer Arbeitskraft“ oder „Intrapreneure“ zu betrachten. Das ist 10

Vergleiche Priddat (2005).

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B. Angebotsmacht der Arbeit und wo sie sich entfaltet

eine andere Wortwahl für die schon zitierte Autorschaft. Ein Unternehmen erwartet von seinen Angestellten und Arbeitern, dass sie unternehmerisch selbständig agieren können. Ingesamt bildet sich eine ‚high-quality-worker‘-Elite heraus. Sie ist nicht allein durch ihr Wissen definiert, sondern durch die Wissensdynamik. Denn angesichts der rasanten Entwertung von Wissen gewinnt die Aktualität und permanente Aktualisierung des Wissens an Bedeutung. Diese Elite nimmt an Zahl zu, weil sie nicht nur die so genannten Experten umfasst, sondern auch alle jene, die derart ihr Wissen „dynamisieren“. Die mögliche Folge: In Zukunft werden Arbeitsplätze danach bewertet, welche Kompetenzausübung sie gestatten und welches Wissen sie zu generieren helfen. Doch auch eine andere Folge dieser Wissensdynamik ist denkbar: Die nicht zu dieser Elite gehörende Arbeit wird stärker als bisher standardisiert. Das muss nicht nur Nachteile haben: Beschäftigte etwa mit einer WINDOWS-Kompetenz könnten leichter als bisher die Branche wechseln. Auch wenn man so weit nicht mitgehen will, lässt sich spekulieren, ob ein Großteil der Arbeit ohne unternehmerische Komponente bleiben wird. Gleichwohl könnte Arbeit insgesamt stärker als bisher als Dienstleistung oder „Service“ verstanden werden – für die Kunden außerhalb oder für die Intrapreneure innerhalb der Unternehmen. Statt in Fachabteilungen würde vermehrt projektbezogen gearbeitet. Die Menschen würden Services für agile Projekte leisten, mit einem entsprechend höheren Maß an Flexibilität. Wenn die Entfaltung von Kompetenzen und einer Wissensdynamik größere Spielräume in der Organisation der Arbeit erfordert, stellt sich für die Unternehmen das so genannte „Transformationsproblem“. 11 Damit ist gesagt: Selbstverständlich besitzen Unternehmen kraft des Vertrags mit ihren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer das Recht der Arbeitsanweisung. Dennoch gibt es keine Gewähr dafür, dass exakte Produkte und Dienstleistungen erstellt werden, die den erwarteten Gewinn erbringen. Das ist und bleibt eine Quelle der Ungewissheit für die Unternehmer. Sie trachten daher danach, mögliche Störquellen auszutrocknen oder unter ihre Kontrolle zu bringen. Sollte der soeben beschriebene Trend zutreffen, müssen Arbeitgeber ihr Weisungsrecht und die Arbeitsorganisation zugunsten von mehr Spielräumen oder einer Strategie der „langen Leine“ zurücknehmen. Damit sind aber Zusammenstöße mit der existierenden Unternehmenskultur programmiert. Zum Beispiel mit dem so genannten „Mikromanagement“. Gemeint ist ein weit verbreiteter Führungsstil, der sich in erster Linie durch übertriebene Detailversessenheit auszeichnet. Solche Führungskräfte oder „Mikromanager“ verzetteln sich in Kleinigkeiten, überspringen Hierarchiestufen und kontrollieren die Erfüllung selbst unbedeutender Aufgaben. Das Mikromanagement ist als Form der Erfolgskontrolle ungeeignet. Es raubt den Beschäftigten ihre Arbeitsmotivation und steht damit im Gegensatz zur Entfaltung von Kompetenzen und einer Wissensdynamik. Ein Unternehmen, das motivierte arbeitende Beschäftigte haben will und das innovativer sein will, muss

11

Vergleiche Jürgens (1984).

I. Was heißt: Die Angebotsmacht der Arbeit entwickeln?

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mit dieser Form von Management brechen. Für solch ein Unternehmen ist es attraktiv und plausibel, eine Strategie der langen Leine zu entwickeln, die auf generelle Richtlinien und größere Handlungsautonomie setzt. Zurück zur Linken. Die Linke wird sich diesen Problemen stellen müssen. Zunächst geht es darum, sich für ein bestimmtes Unternehmensbild zu entscheiden. Sie könnte mit ihren betriebs-, bildungs- und tarifpolitischen Traditionen fortfahren, sofern sie die Weiterentwicklung der Stärken des „rheinischen“ Modells zum politischen Programm erheben würde. Einem solchen Programm würde ein Typus von Unternehmen als eine „lernende Organisation“ vorschweben. In einer lernenden Organisation erwarten alle Beteiligten eine längerfristige Zusammenarbeit auf der Basis des Vertrauens, das für die deutsche Wirtschaftskultur als typisch angesehen wird. Deshalb ist für Unternehmen prinzipiell interessant, in berufliche Qualifikationen zu investieren, Erfahrungen weiterzugeben, Verbesserungen auszuarbeiten etc. Hier wird grundsätzlich angestrebt, das ganze Unternehmen lernen zu lassen. Für die Linke ist die Ausgestaltung und politische Stärkung des Leitbilds der lernenden Organisation auch als Alternative zum amerikanischen Modell wichtig. Das amerikanische Modell lässt sich mit den Begriffen einer „virtuellen Organisation“ oder eines „marktförmigen Netzwerks“ beschreiben. Produkte und Dienstleistungen, aber auch Teile des Unternehmens selbst, dies zeigen die Erfahrungen mit der Ausgliederung oder dem „Outsourcing“, werden von einer starken Marktorientierung erfasst. Dieser Trend produziert „freie Arbeit“ und ein erhöhtes Arbeitslosigkeitsrisiko. Die lernende Organisation wäre dazu eine politische Alternative. Sie würde auf eine Verknüpfung des rheinischen Modells längerfristiger Vertragsbindungen mit den Flexibilisierungsanforderungen zielen, und zwar so, dass der Netzwerkbedarf und das Risiko der Arbeitslosigkeit nicht steigen. Die Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit kann die Entfaltungsmöglichkeiten einer lernenden Organisation und damit Alternativen zum amerikanischen Modell stärken. Eine starke Angebotsmacht der Arbeit beruht auf einem methodischen Innovationsverständnis, auf Bildung und besseren Möglichkeiten der Arbeitsmarktpartizipation. Wie wird noch zu zeigen sein. Die Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit ist ein Vorschlag für eine ordnungspolitische Idee der Linken. Sie antwortet auf wichtige gesellschaftliche Entwicklungen: Den wachsenden Qualifikationsund Wissensbedarf der Unternehmen, die höheren durchschnittlichen Qualifikationen der Menschen und auf einen Riss in modernen Gesellschaften. Er spaltet die Menschen in zwei große Gruppen: die qualifizierten und die gering qualifizierten. Dies sind Herausforderungen, die nicht folgenlos für das politische Selbstverständnis der Linken bleiben. Es beruhte traditionell auf einem starken Gegenpol zum Kapital. Ferner darauf, wenn es notwendig war, „Nein“ sagen zu können und das auch durchzusetzen. Der neue ordnungspolitische Ansatz erweitert das Handlungsrepertoire der Linken. Die Beschäftigten könnten, um ein Beispiel zu nennen, das Management ihres Unternehmens mit aktiven Forderungen unter Druck setzen.

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B. Angebotsmacht der Arbeit und wo sie sich entfaltet

Sie könnten vom Management eines Unternehmens mit größerer Kompetenz fordern, seine Entscheidungen zu erläutern und zu begründen. Dafür müssen allerdings beide Seiten – Unternehmer und Manager sowie Gewerkschaften und Betriebsräte – das Ganze im Blick haben. Ansätze dazu gibt es schon, wie die tarifpolitische Praxis einiger Gewerkschaften zeigt. Sie machen sich auch für bessere Weiterbildungsmöglichkeiten und nicht allein für mehr Einkommen stark. Und zwar nicht nur für die gut qualifizierten Beschäftigten, sondern auch für die Kolleginnen und Kollegen am unteren Ende der Qualifikationsskala. Was ein solches modernes ordnungspolitisches Politikverständnis heißen kann, verdeutlichte der Gesamtbetriebsratsvorsitzenden von Opel, Klaus Franz 12, in einem Interview. Der Betriebsrat zerbrach sich gewissermaßen „den Kopf“ des Unternehmens. Er thematisierte Fragen, wie Opel seine Produktionskapazitäten auslasten könne, die mangelnde Nachfrage und notwendige Ergänzungen der Produktpalette. Hintergrund war der Abschluss eines Zukunftsvertrags zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat zur Sicherung der Beschäftigung bis zum Jahr 2010. Franz kritisierte öffentlich die Politik des Unternehmens und forderte Korrekturen. Diese Form der politischen Kommunikation geht weit über die traditionellen Formen hinaus. Gewöhnlich melden sich Gewerkschaften und Betriebsräte nur in bestimmten Situationen öffentlich zu Wort, zum Beispiel wenn Unternehmen Arbeitsplätze streichen wollen oder bei Tarifauseinandersetzungen. Der entscheidende Unterschied zwischen den Formen der öffentlichen Kommunikation ist der folgende: Wenn sich die Linke in die Debatte um ordnungspolitische Fragen einmischt und ihre Vorstellungen einbringt, hat sie nicht nur eine Chance in die Offensive zu gehen. Sie erweitert auch das Spektrum ihrer Handlungsmöglichkeiten. Die Linke hat eine Chance, darüber mit zu entscheiden, wie die Weichen von Unternehmensentscheidungen und der Wirtschaftspolitik gestellt werden. Der folgende Abschnitt beschreibt nun, wie die Angebotsmacht der Arbeit sich als Potenzial entfaltet. Es werden die neuen Arbeitsfelder skizziert, die die wissensindustrielle Gesellschaft mit sich bringt. Die Arbeit geht dieser Gesellschaft zwar nicht aus, aber es wird eine andere Arbeit und eine andere vertragliche Form der Arbeit sein. Diese Arbeit birgt Belastungen, die auch psychischer und nicht mehr nur physischer Natur sind. Unklar sind derzeit die arbeitsmedizinischen und versicherungsrechtlichen Konsequenzen. Es gibt aber auch Anzeichen für ein neu erwachtes Interesse an der Vereinbarkeit zwischen Arbeit und Leben. Schließlich werden neue Charaktere oder Typen der Arbeit beschrieben. Ein Ergebnis: Der traditionelle Unterschied zwischen Arbeitern und Angestellten spielt kaum noch eine Rolle. Eine gute Qualifikation bedeutet nicht mehr die Garantie auf einen sicheren Arbeitsplatz. Auch die Unterscheidung zwischen Unternehmern und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern wird unscharf: Als „Intrapreneure“ haben sie wie ein idealtypischer Unternehmer eine aktive Berufseinstellung. Dennoch bleiben sie in vertraglicher Hinsicht „Unselbständige“. 12

Vergleiche Franz (2006).

II. Neue Arbeitsfelder

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II. Neue Arbeitsfelder Die These vom Ende der Arbeit hat sich als falsch erwiesen. Trotz hoher Arbeitslosenzahlen ist uns die Arbeit nicht ausgegangen. Es gibt Bereiche mit einem unversiegbaren Potenzial an Arbeit, besonders im Dienstleistungssektor. Hier entstehen Arbeitsplätze unabhängig vom industriellen Produktionsprozess – orientiert an stets neuen und anscheinend unerschöpflichen Bedürfnissen der Konsumenten. Der primäre Sektor, die Landwirtschaft, hat mit einem Anteil von weniger als fünf Prozent an den Beschäftigten, heute kaum noch Bedeutung für die Beschäftigung. Im sekundären Sektor, der Industrie, arbeitet ein Drittel der Erwerbstätigen – in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts waren es noch 50 Prozent. Stetig gewachsen ist nur der tertiäre Sektor, die Dienstleistungen: Binnen 100 Jahren von einem auf zwei Drittel der Beschäftigten. Nach einer Untersuchung des Instituts der Deutschen Wirtschaft in Köln geben haushaltsbezogene Dienstleistungen, wie das Gastgewerbe, Friseure, der Rundfunk oder das Fernsehen einer Million Deutschen Arbeit. Das sind acht Prozent aller Dienstleistenden. Dienstleistungsbereiche wie Groß- und Einzelhandel, Post, Reisebüros oder Bahn beschäftigen 4,3 Millionen Menschen. Die größte Dynamik zeigen die wirtschaftsbezogenen Tätigkeiten: In den zwei Jahrzehnten bis 1997 hat sich die Zahl der Kredit- und Versicherungsvermittler, der Anlageberater, aber auch der Gebäudereiniger und Werbeleute und weiterer Branchen auf 2,7 Millionen verdoppelt 13. Auch in Zukunft wird es massenhaft in Anspruch genommene Arbeit geben. Die Wirtschaft wächst und vervielfacht die Zahl der Dienstleistungen in den Bereichen Gesundheit, Unterhaltung, Attraktivität, intellektuelle Stimulation, Kontakt, Wohlergehen der Familien und finanzielle Sicherheit 14. So gibt es in der Gesundheitsbranche bereits jetzt einen schier unbegrenzten Bedarf an Dienstleistungen. Unabhängig vom jeweiligen Lebensalter haben die Menschen das Bedürfnis, sich besser zu fühlen, länger zu leben und gesünder alt zu werden. Der Markt für medizinischen Rat und Geräte oder Behandlungen scheint keine Wachstumsgrenzen zu kennen. Das unterstreicht der Wellness-Boom. Auf dem Feld der intellektuellen Stimulation sieht es ähnlich aus. Es gibt keine natürliche Grenze für das Bedürfnis nach Nachrichten, Unterhaltung, Informationen, Erklärungen, historischen Beschreibungen oder nach Einsichten darüber, warum Dinge passieren und wie sie passieren. All diese Bedürfnisse markieren schnell wachsende Märkte, und damit Arbeitsplätze für künftige Generationen. Europa wird diese Potenziale jedoch anders nutzen als die USA, weil die Konsumenten hier von anderen Traditionen und Mentalitäten geprägt sind. So finden gen- und biotechnisch veränderte Produkte in Europa wenig Zustimmung. Und Produkte, die versprechen, die Menschen attraktiver zu machen – von der Kosmetik über Anti-Falten-Präparate bis zur Schönheitschirurgie – treffen auf größere kulturelle Vorbehalte als in den USA. 13 14

Vergleiche Gehrmann (2002). Vergleiche Reich (2004).

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B. Angebotsmacht der Arbeit und wo sie sich entfaltet

Gleichzeitig ist die dominante Form der Arbeit auf dem Rückzug, die einst die Industriegesellschaft prägte: Das so genannte Normalarbeitsverhältnis, wie es sich im 19. und 20. Jahrhundert bewährt hat, wird es immer seltener geben. Immer weniger Menschen können auf eine Vollzeitbeschäftigung mit einem unbefristeten Arbeitsvertrag hoffen. Andere Erwerbsformen haben die klassische Vollzeitbeschäftigung in den vergangenen zwei Jahrzehnten verringert. So ist die Zahl der Teilzeitbeschäftigten von 1991 bis 2001 von 4,7 auf 6,8 Millionen Menschen gestiegen. Das entspricht einem Wachstum von 44 Prozent. Die Zahl der Selbstständigen erhöhte sich um 20 Prozent auf 3,6 Millionen. Die Anzahl befristeter Arbeitsverhältnisse nahm um 13 Prozent auf 2,7 Millionen zu. Von dieser Entwicklung sind vor allem Berufseinsteiger betroffen. Die Vollzeitstellen sanken dagegen um 11 Prozent auf 25,9 Millionen 15. Die Arbeit als Einkommensquelle verliert an Bedeutung. Nur noch 41 Prozent der Bevölkerung halten sie für die wichtigste Unterhaltsquelle (was einem Rückgang von 4 Prozent entspricht). Dagegen nehmen die Arbeitslosigkeit und der Rentneranteil in der Bevölkerung zu. Etwa ein Viertel der Bevölkerung deckt seinen Lebensunterhalt aus Renten und Pensionen, weitere 3,5 Prozent beziehen Transferleistungen wie Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe. 1991 waren es noch 2,2 Prozent. Auch das Internet verändert unsere Arbeitsprozesse: Der Trend ist, zumindest was die Telearbeit betrifft, uneindeutig. Traditionelle Aufgaben lassen sich nun zeitlich und räumlich flexibel erledigen. Rund 500.000 Menschen arbeiteten als mobile Telearbeiter, zirka 350.000 Telearbeiter einige Tage in der Woche zu Hause und die übrigen Tage im Unternehmen. Telearbeiterinnen und Telearbeiter waren in der Regel über 30 Jahre alt und verfügten schon über Berufserfahrung. In allen Wirtschaftsbereichen waren Betriebe vorzufinden, die künftig Telearbeit anbieten wollten. Drei von vier großen Unternehmen planten die Einführung von Telearbeit, 15 Prozent der mittleren Betriebe und 9 Prozent der kleinen Betriebe. Zirka 135.000 Unternehmen und Behörden boten Telearbeit an, weitere 225.000 Betriebe beabsichtigten das zu tun. 16 Auch im Zusammenhang mit Arbeitsflexibilisierung wurde immer wieder über Telearbeit als eine alternative Form der Arbeit diskutiert. Tatsächlich aber ist Telearbeit in Deutschland nur wenig verbreitet. 17

III. Neue Belastungen Es gibt berufliche Tätigkeiten, die alles vereinigen, was Arbeit zu bieten hat: finanziellen Erfolg, Sinn und gesellschaftliche Anerkennung. Für diesen Beschäftigtentyp scheinen die meisten Errungenschaften der Gewerkschaften nicht mehr von Interesse zu sein, ob Arbeitsplatzsicherheit, Arbeitszeitverkürzung, ein geregeltes, 15 16 17

Vergleiche Mikrozensus des Statistischen Bundesamtes (2002). Vergleiche Fraunhofer-Institut (1998). Vergleiche Schmeisser/Eckstein/Boden (2002).

III. Neue Belastungen

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Tarifeinkommen oder Arbeitnehmerrechte. 18 Diese Beschäftigten brauchen vor allem die Möglichkeit, frei zu handeln. Robert Reich, der Arbeitsminister der ersten Clinton-Administration, beschreibt zum Beispiel die Arbeit einer Erfinderin von Internet-Spielen. Sie muss ungehindert ihre Ideen entwickeln können, wie sich Spieler und virtuelle Spielwelten im Cyberspace vernetzen lassen. Sie braucht freie Hand, um für interaktive Cyber-Erfahrungen, die jungen Leuten Spaß machen, ein Gefühl zu entwickeln. Dazu macht sie mit Hunderten von jungen Leuten Interviews oder beobachtet ihr Spielverhalten. Sie muss vor allem die richtigen Fragen stellen, aufmerksam den Antworten zuhören und auf Hinweise auf die Gewohnheiten der Kunden achten, um sich ein Bild davon zu machen, was ein zukünftiger Kunde ansprechend oder nützlich finden könnte. 19 Der Gegenpart zu diesen Ideenproduzenten sind Manager. Ihre Hauptaufgabe ist es, den Reichtum an Ideen für das Unternehmen nutzbar zu machen und daraus marktfähige Produkte zu entwickeln. Manager üben finanzielle und zeitliche Kontrolle aus, sie sind für die Kommunikation und das Zusammenwirken der Mitarbeiter verantwortlich. In wieweit sie dieser anspruchsvollen Rolle tatsächlich gerecht werden, steht auf einem anderen Blatt.20 Der Unternehmensberater und Jesuitenpater Rupert Lay stellt vielen Managern kein gutes Zeugnis aus: „Von den Leuten, die als Führungskräfte etikettiert werden, sind vielleicht fünf Prozent echte Führungspersönlichkeiten.“ Die meisten Manager verlieren durch „überflüssige Konferenzen, Sitzungen und Besprechungen“ zuviel Zeit.21 Die große Mehrheit der Manager, insbesondere der Topmanager, ist mit ihrer „Work-Life-Balance“ unzufrieden, das heißt der Möglichkeit, Arbeit und Leben miteinander zu vereinbaren. 90 Prozent haben das Gefühl, ihre Kinder kämen zu kurz. Im Gegenzug richten Unternehmen Fitnessräume ein oder bieten Anti-StressSeminare an. Sie machen ihren Mitarbeiterinnen familiengerechte und flexible Angebote, zum Beispiel einen Teil der Arbeit zu Hause zu erledigen, Teilzeitarbeit oder Dienstleistungen von Beratungs- und Vermittlungsagenturen. De facto jedoch erfahren Konzepte der Work-Life-Balance quer durch alle Branchen bisher nur wenig Zustimmung. Derzeit gibt es keine entwickelte Kultur, die es Mitarbeitern ermöglicht, ohne Furcht vor negativen Konsequenzen für ihre Karriere Arbeit und Leben in ein Gleichgewicht zu bringen. Bis zu 3.000 Anrufe pro Tag können eine Mitarbeiterin in einer Notrufzentrale des ADAC erreichen. Die Mitarbeiter an den „help desks“ in Call-Centern müssen mit Kunden kommunizieren können. Das bedeutet außer Sachkompetenz auch Einfüh18 Eine Untersuchung von Batt/Christopherson/Rightor/van Jarsfeld (2001) über Start-ups in New York hat jedoch gezeigt, dass diese Interessen nach einer Konsolidierungsphase an Bedeutung gewinnen. 19 Vergleiche Reich (2004), S. 31 f. 20 Vergleiche Latniak/Schmidt-Dilcher (2002). 21 Vergleiche Lay (2003).

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B. Angebotsmacht der Arbeit und wo sie sich entfaltet

lungsvermögen für die Kunden: Hilfe suchenden Autofahrern müssen die Mitarbeiterinnen in der Notrufzentrale auch bei der präzisen Bestimmung des Ortes helfen, wo er sich gerade befindet. Die Anforderungen an die Qualifikationen steigen stetig. Der Hauptgrund: Call-Center wandeln sich zu Kommunikationszentren, in denen sich die Beschäftigten auch um Briefe, Telefongespräche, Faxe und E-Mails kümmern müssen. Eine Umfrage in 25 Call-Centern im Jahr 2001 hat den starken Arbeitsdruck für die Mitarbeiter an der Hotline dokumentiert: Sie wurden als unfreundlich und wenig kompetent eingeschätzt. 22 Telearbeiter hingegen beklagen, dass ihre Kollegen in anderen Bereichen des Unternehmens ihre Arbeit nicht ausreichend akzeptieren. Es fehlt im Betrieb an klaren Zuständigkeiten für Telearbeiter. Außerdem werden sie vielfach nicht hinreichend ins Unternehmen eingebunden und oft nur unzureichend mit Informationen versorgt. Die Folge: Sie fühlen sich sozial isoliert.23 Welche Anforderungen werden an das Servieren, Schrubben oder Verkaufen gestellt? Eine der bekanntesten Publizistinnen Amerikas, Barbara Ehrenreich, hat ihre eigenen Erfahrungen geschildert. Wer häufig seinen Job wechselt, muss sich an jedem neuen Arbeitsplatz in einem spezifischen sozialen Mikrokosmos mit jeweils besonderen Menschen, einer eigenen Hierarchie sowie unterschiedlichen Gewohnheiten und Leistungsstandards zu Recht finden. Die einfachen Dienstleistungen verlangen von den Beschäftigten, dass sie sich Fachausdrücke, neue Techniken und neue Fertigkeiten, beispielsweise beim Eingeben der Bestellungen in RestaurantComputer, aneignen. Gleichzeitig müssen sie eine schwierige Balance halten: Sie sollen schnell und gründlich arbeiten, aber wiederum nicht so schnell und gründlich, dass die Kollegen unter Druck geraten. Ebenso wichtig wie die Arbeit selbst ist es, nicht zuviel zu können, denn besondere Leistungen werden nicht oder kaum honoriert. Die Kunst besteht darin, mit den eigenen Kräften so hauszuhalten, dass sie auch noch für den nächsten Tag reichen. 24 Die Belastungen am Arbeitsplatz nehmen in ganz Europa zu. Und zwar die körperlichen und psychischen Belastungen. Verantwortlich dafür sind neue Techniken, wachsende Aufgabenfelder und die Intensivierung der Arbeit. Für Arbeitnehmer gibt es häufiger persönliche Gespräche mit Kunden sowie einen höheren Zeitdruck, und zwar nicht nur in Call-Centern. Mehr als die Hälfte aller Arbeitnehmer finden das Arbeitstempo zu hoch. Von 1995 bis 2000 wuchs die Zahl derjenigen, die sich über zu kurze Fristen bei der Erledigung ihrer Arbeit beklagten, von 50 Prozent auf 60 Prozent. Ausgesprochen ambivalent reagieren die Beschäftigten auf die so genannten neuen Formen der Arbeitsorganisation. Die Beschäftigung wird zwar abwechslungsreicher, so dass der Grad der Zufriedenheit am Arbeitsplatz wächst. Zugleich vermehren sich die Unfälle am Arbeitsplatz, nimmt die körperliche Beanspruchung zu. Der Anteil der Arbeitnehmer, die über starke Rückenschmerzen klagen, ist in der EU von 1995 bis 2000 um drei Prozent auf 33 Prozent gestiegen. Die 22 23 24

Vergleiche Graf (2001). Vergleiche Fraunhofer-Institut (1998). Vergleiche Ehrenreich (2001).

III. Neue Belastungen

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höhere Arbeitsintensität setzt den Beschäftigten auch seelisch und körperlich stärker zu. In der EU beklagen sich durchschnittlich 9 Prozent über Einschüchterungen am Arbeitsplatz, in den Niederlanden und Großbritannien sogar 14 Prozent, in Deutschland rund 7 Prozent. Zunehmende Belastungen treffen insbesondere berufstätige Menschen in befristeten Arbeitsverhältnissen. Etwa 51 Prozent der Beschäftigten mit Zeitverträgen haben keinerlei Kontrolle über das Arbeitstempo, bei Beschäftigten mit unbefristeten Arbeitsverträgen sind es nur 32 Prozent, die das Tempo ihrer Arbeit nicht selbst bestimmen können. 35 Prozent aller Zeitarbeitnehmer leiden unter Lärmbelästigung, aber nur 27 Prozent der Beschäftigten mit unbefristeten Verträgen. Die Arbeit von Beschäftigten in Dauerarbeitsverhältnissen ist generell abwechslungsreicher. Dagegen ist die Belastung bei Teilzeitbeschäftigten durch die Arbeit im Haushalt, bei der Kindererziehung oder der Pflege von Angehörigen besonders hoch. Vor allem Frauen haben nach wie vor große Schwierigkeiten, Erwerbsleben und andere Tätigkeiten miteinander in Einklang zu bringen. Im Haushalt kümmern sich 41 Prozent der Frauen und 24 Prozent der Männer täglich mehr als eine Stunde um die Kindererziehung. Um die Küche kümmern sich 64 Prozent der Frauen und nur 13 Prozent der Männer. 25 Eine Studie der European Foundation von 2002 über die Arbeitsbedingungen in Europa kommt zu dem Ergebnis, dass die zunehmende Flexibilität bei den Beschäftigungsverhältnissen keineswegs mit allgemein sinkender Arbeitsbelastung einhergeht. Dass das Humankapital eines Arbeitnehmers genutzt wird, bedeutet nicht, dass auch die Arbeitswelt human wird. Keinen Chef mehr über sich zu haben, heißt nicht unbedingt mehr Selbstbestimmung, wenn man den Vorgaben eines Computerprogramms oder eines rigiden Funktionsprogramms ausgesetzt ist. Wer sich mit den Reklamationen ungeduldiger Kunden herumschlagen muss, die dank der Kultur des „just-in-time“ auf die Vordringlichkeit ihres Anliegen pochen, wird davon überzeugt sein: „Die Hölle, das sind die anderen“. So Daniel Cohen. Die Selbständigkeit und die persönliche Initiative der neuen Produktionswelt verursachen einen enormen psychischen Stress. Er tritt an die Stelle der physischen Erschöpfung, die früher die Mühsal körperlicher Arbeit bewirkte. Der amerikanische Soziologe Richard Sennett hat diesen Aspekt am Beispiel einer modernen Bäckerei dargestellt. In dieser Bäckerei sind Lärm oder Hitze Vergangenheit, in ihren Räumen ist es erstaunlich kühl. Dennoch sind die Beschäftigten mit der Arbeit alles andere als zufrieden. Der Grund: Ihre Fähigkeiten, die ihnen in der Ausbildung vermittelt wurden, können sie in dieser modernen Bäckerei nicht zur Geltung bringen. Sie halten nicht einmal mehr den Teig und das Brot in den Händen, weil Computerprogramme den gesamten Backprozess steuern. Durch diese Art der Arbeit fühlen sich diese Beschäftigen persönlich erniedrigt. 26

25 26

Vergleiche European Foundation (2002). Vergleiche Sennett (1998).

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B. Angebotsmacht der Arbeit und wo sie sich entfaltet

Eine adäquate Beschreibung von Belastungen stößt zunehmend auf Schwierigkeiten. Belastungen sind nicht nur physische und psychische Einschränkungen des Körpers, sondern auch solche des individuellen Könnens. Die Beschäftigten werden nicht nur über-, sondern auch unterfordert. Oder sie können ihre Fähigkeiten und Erfahrungen gar nicht erst einsetzen, weil sie arbeitslos sind. Die Probleme liegen auf unterschiedlichen Ebenen. Bei den hoch qualifizierten Jobs gibt es einen Widerspruch zwischen Selbständigkeit und Selbstbestimmung: Man kann zwar selbständig arbeiten, aber die Arbeit macht für den sie Ausübenden möglicherweise irgendwann keinen Sinn mehr. Selbst Menschen in Spitzenpositionen fragen sich nach einigen Jahren: „Soll das alles gewesen sein?“ Im Mittelfeld empfinden die Beschäftigten oft einen Widerspruch zwischen der Routine und ihren tatsächlichen Tätigkeiten. Sie haben sichere und ordentlich bezahlte Arbeitsplätze, doch sie fühlen sich festgefahren, weil sie die Arbeit zwar „voll im Griff“ haben, aber nichts Neues mehr hinzukommt. Bei den gering qualifizierten Jobs gibt es eine Kluft zwischen hohen Anforderungen und Anerkennung. Die so genannten einfachen Tätigkeiten wie das Kellnern in einem Restaurant erfordern viel Organisationstalent. Doch die Bezahlung und das gesellschaftliche Ansehen honorieren nicht annähernd diese Anforderungen. Zu all diesen den Arbeitsverhältnissen inhärenten Spannungen kommt ein weiteres Problem. Es gibt eine wachsende Zahl von Menschen, die Arbeit und Leben vereinen wollen. Sie nehmen das Leben in und außerhalb der Arbeit nicht mehr als zwei unabhängige Bereiche wahr, sondern als Einheit, in der beide Teile in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen müssen, ja sogar oft kaum noch voneinander zu trennen sind. 27 Das Gefühl eines geglückten und sinnvollen Lebens hängt in hohem Maße vom Gelingen dieser Einheit ab.

IV. Neue Arbeitstypen 1. „Der Unternehmer seiner selbst“ Immer seltener wird ein sicherer Arbeitsplatz, der automatisch soziale Anerkennung und den entsprechenden Lebensstil garantiert. Das hängt damit zusammen, dass die Unternehmen sich in Zukunft flexibler und intelligenter auf den globalen Märkten verhalten müssen. Viele Tätigkeiten erledigen nicht mehr fest Angestellte, sie werden als terminierte Projekte ausgeschrieben. Arbeitnehmer sind nur noch lose, zum Beispiel als Subunternehmer, an ein Unternehmen gebunden. Eine Folge davon: Das Problem der Arbeitslosigkeit dürfte nicht so schnell gelöst werden. Eine weitere Folge ist, dass sich der Typus des Arbeitnehmers verändert. Wer seine Arbeit „projektbezogen“ verkauft, muss ein Bewusstsein vom Wert seiner Tätigkeit haben. Er muss sein Augenmerk auf die Angebotsmacht seiner Arbeit richten. 27

Vergleiche Dahrendorf (2001) und Schwengel/West (2002).

IV. Neue Arbeitstypen

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Wer dies tut, entwickelt ein anderes Selbstverständnis: Es definiert sich weitgehend über den Wert seiner Arbeit. So entsteht der „Unternehmer seiner selbst“: Der Intrapreneur. Dieser neue Typus arbeitet selbständiger und eigenverantwortlicher als sein Vorgänger. Er ist beweglich, weil er sich nicht so sehr über die Tatsache seiner Anstellung als über seine Kompetenzen definiert. Die Selbständigkeit, die Intrapreneure in Organisationen lernen, ist ihnen auch dann von Nutzen, wenn ihnen ihre Kontrakte gekündigt werden. Es ist abzusehen, dass dieser neue Typ des Arbeiters weniger passiv in die Arbeitslosigkeit abgleiten wird. Nun wäre es anmaßend, in der Konstruktion des „Unternehmers seiner selbst“ bereits eine neue Lösung der Arbeitslosigkeit zu sehen. Doch ist es offensichtlich, dass viele Menschen ihre Arbeitslosigkeit überwiegend negativ, nämlich als ein Fehlen von Arbeit begreifen und nicht als Gelegenheit für neue Initiative. Die neuen Formen der Mit-Arbeit in Wirtschaftsorganisationen erfordern zweifelsohne einen Grad der Selbständigkeit, der sich positiv auf die Fähigkeit auswirken wird, neue Arbeit zu finden oder zu erfinden. So entsteht eine Qualität der Arbeit, die sich nicht darauf begrenzt, bestimmte Leistungen abzugeben, sondern die den Einzelnen dazu ermutigt, sein Lebensprojekt selbst in die Hand zu nehmen. Dazu gehört auch die eigenständige Wahl der Arbeitsprojekte. Projekte werden danach ausgesucht, inwieweit sie mit den eigenen Lebensprojekten konform gehen, das heißt ob sie für den Einzelnen Sinn ergeben. Diese neue Beweglichkeit, Flexibilität und Qualität ist zwar aus einer Anpassungsstrategie an die neuen Marktkonstellationen heraus entstanden. Doch geht sie zugleich darüber hinaus. Der durchaus selbstbewusste Anbieter von Arbeit reagiert nicht nur auf den Druck sich anzupassen. Vielmehr wird sein Angebot von Arbeit maßgeblich die Märkte und Unternehmen von morgen mitgestalten. 2. Berater – Wissensarbeiter Die Kosten für die Herstellung einer CD, eines Transistors oder einer Schmerztablette sind minimal. Der Großteil des Verkaufspreises geht in die Forschung, das Design, das Marketing und die Werbung eines ständigen Stroms neuer Dinge. Dies sind Arbeitsbereiche für Ideenentwickler und Manager. Ein immer größerer Anteil des Händlerpreises eines Neuwagens fließt in sein Design und Marketing sowie in das Design und Marketing der Software und der Computer, die das Lager, die Produktion, das Rechnungswesen, die Löhne und Gehälter und die Verteilung kontrollieren. Mit anderen Worten: Käufer sind bereit, für mehr Innovationen – die Leistungen der Ideenentwickler und Manager – zu zahlen, aber weniger dafür, was es kostet, die Produkte zu vervielfältigen und an den Mann oder die Frau zu bringen.28

28

Vergleiche Reich (2004).

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B. Angebotsmacht der Arbeit und wo sie sich entfaltet

Die Wall Street verkauft mit steigender Tendenz Beratung. Beratung tritt mehr und mehr an die Stelle von Informationsvermittlung. Die Beratungstätigkeit an der Börse stützt sich auf die Kenntnis, wie sich Finanzmärkte in der Zukunft verhalten werden, und das Wissen, welche Portfolios einzelne Kunden bevorzugen. Diese Entwicklung lässt sich auch an der Sprache ablesen. Der klassische Wall-StreetMakler heißt nun „Finanzberater“. Dahinter verbergen sich neue und andere Bedürfnisse des Kunden. Der braucht seinen Finanzmakler nicht mehr, um Transaktionen und Geschäfte zu tätigen. Viel dringender braucht er jemanden, der ihn berät, wie er seine Spareinlagen am besten anlegt. Dafür muss der Berater ausreichend viel über den Kunden, seine Familie und seine Finanzen wissen. Die neuen Stars der Wall Street sind die Research-Analysten, die Marktforscher und Berater, die die Leistungsfähigkeit von Unternehmen und die Qualität ihrer Produkte oder Dienstleistungen bewerten und das technische Wissen über die Finanzmärkte mit der speziellen Kenntnis der Investoren kombinieren können. Sie verkaufen eine Hochleistungsversion der Beratung sowohl an Emittenten, die ihre Unternehmen an die Börse bringen, als auch an Institutionen. Ähnlich sieht es bei Immobilienmaklern, Hypothekenmaklern, Versicherungsmaklern, Reisefachkräften, Medieneinkäufern, Buchhaltern und Rechtsanwälten aus – lauter Fachleute, die einst mit Informationen handelten. Und auch Ärzte boten Routinediagnosen und Falleinschätzungen „von der Stange“ an. Sie werden ähnlich wie ihre Kollegen von der Börse auf die neuen Erwartungen der Kunden reagieren und sich vom Makeln mit Informationen auf das Makeln von Wissen verlegen müssen, indem sie ihre Kenntnisse über das Machbare mit ihren Kenntnissen über die Wünsche oder Bedürfnisse ihrer Kunden kombinieren. Robert Reich hat dies plastisch beschrieben. „Meine Familie und ich fahren einmal pro Jahr in den Urlaub, für den ich alle Reservierungen und Buchungen selbst mit ein paar Mausklicks vornehmen kann. Im Laufe der Jahre hat meine Reisefachkraft jedoch so viel Detailwissen über unsere unterschiedlichen Reiseerfahrungen und auch über uns gesammelt, dass ich mich weiterhin auf ihre Vorschläge verlasse.“ 29 Doch selbst diese Berater können sich in ihrer neuen Rolle nicht ausruhen. Denn auch Beratung wird immer stärker online verfügbar sein, und sie wird immer besser auf den Benutzer zugeschnitten sein. Finanzsoftware wird bald die Beratung über die sinnvolle Vermögensverteilung zwischen Aktien, Wertpapieren und Anlageklassen übernehmen. Sie wird sich an den Antworten des Investors auf die online gestellten Fragen über seine finanzielle Situation, seine Risikobereitschaft, sein Alter und seine mittelfristigen Bedürfnisse orientieren. Software für die Urlaubsplanung wird uns automatisch beraten, wo wir hinfahren und was wir dort machen sollten. Auch hier werden unsere Antworten auf Online-Fragebögen über die Interessen der Familienmitglieder und unsere Angaben zu früheren erholsamen Ferien die Grundlage sein. Was wird dann aus den bisherigen Dienstleistern in diesen Bereichen? Ei-

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Reich (2001), S. 97 f.

IV. Neue Arbeitstypen

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nige von ihnen werden zu Ideenentwicklern und Managern werden, die die neue Software entwerfen, vermarkten und sie ständig weiterentwickeln. Andere werden zu Spezialisten, die sich nur mit Einzelfällen beschäftigen, die die Software nicht abdeckt. Wieder andere werden zu Beratern und Therapeuten für all die Kunden, die bereit sind, für ein beruhigendes persönliches Beratungsgespräch gerne etwas mehr zu bezahlen. Eine Marketing Managerin bei der Unternehmensberatungsfirma „Accenture“, einem weltweit agierenden Management-, Technologie- und Outsourcing-Dienstleister, fand während ihres Diploms in Volkswirtschaft Gefallen daran, „sich richtig in ein Thema hinein zu knien, es von A bis Z zu durchdringen“. Nach dem Diplom bewarb sie sich als Research Analystin bei einer Unternehmensberatung und durfte fortan „jede Menge thematischer Tiefbohrungen“ vornehmen. „Sich immer wieder neue Aufgabenfelder zu erschließen, einen Wirtschaftszweig intensiv kennen zu lernen, zu erfahren, wer die Akteure sind und sich mit den Leuten zu vernetzen – das ist die ideale Verbindung der Froschperspektive mit der Vogelperspektive“. 30 Der Arbeitsmarkt bietet ideale Einstiegsvoraussetzungen für kontaktstarke und sprachgewandte Betriebswirtschaftler und Volkswirtschaftler nach dem Studium, vor allem, wenn sie frühzeitig und zahlreich Praktika absolviert haben. Ein 26-Jähriger hatte zum Beispiel während seines Studiums in einer internationalen Unternehmensberatung als Analyst gearbeitet und sich später bei der Konkurrenz für die Zeit nach dem Examen beworben. Mit den unterschiedlichen Banksegmenten, mit Produkten und der Erstellung von Firmenprofilen kannte er sich aus, Internet- und Datenbankrecherchen sind für ihn ein Spaziergang und Geschäftsberichte eine Bettlektüre. Je nach dem, was genau zu recherchieren ist, treten die Spezialisten als Financial, Business, Technology, Market, Research oder Equity Analyst auf. Analyst klingt aufregender als Informationssammler, Branchenkenner, Marktversteher oder Bilanzkritiker. Tatsächlich kann sich alles dahinter verbergen. Sicher ist nur das Leitmotiv: Wissen ist Macht, und die Leitmotivation der Analysten: „Mehr Wissen macht Macht.“ Analysten sitzen überall dort, wo Geld zu Hause ist oder versprochen wird, zum Beispiel in Banken und Versicherungen. Verdient wird in der Industrie, im Handel und mit Dienstleistungen an der Börse oder in der Marktforschung. Meist teilen sie ihre Arbeitszeit zwischen Computer und Telefon, sie beschaffen und analysieren Informationen, zwängen sie in aussagefähige Zusammenfassungen für den Vorstand und liefern damit die Grundlage für zukunftsweisende Geschäftsentscheidungen. Ein Diplom-Informatiker, ein „Master of Business Administration“, ist einer von vielen Analysten in der Abteilung Business Intelligence beim Münchner Mobilfunkanbieter O2. Sein Job ist es, aus den Nutzungsdaten der eigenen Kunden solche In30

Vergleiche Demmer (2005 b).

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B. Angebotsmacht der Arbeit und wo sie sich entfaltet

formationen auszugraben, mit denen sich die Geschäftsstrategie plausibel untermauern lässt. „Früher hat man das nur mit aufwändigen Kundenbefragungen herausbekommen, heute liefert uns die Informationstechnologie alles, was wir wissen möchten“, sagt er. „Nehmen die Kunden unser Angebot an? Was wollen sie mehr? Wohin verändern sich die Interessen?“ All das und noch viel mehr kann der 30-Jährige aus den Daten herauslesen, mit externen Informationen verknüpfen und daraus Hinweise für die Marschroute des Unternehmens ableiten. Die Arbeit macht ihm Spaß, auch wenn er oft länger als zwölf Stunden im Büro sitzt. „Wenn man ein Unternehmen von oben betrachtet, versteht man es viel besser, wie wenn man nur einen kleinen Ausschnitt vor Augen hat“, sagt er. Das ist das wahre Ziel eines jeden Analysten: Aus der Tiefe der Beschäftigung mit Fachfragen heraus den Überblick auf das große Ganze zu gewinnen, um eines Tages als Vorstand selbst die Richtung vorzugeben. Wer Banking Analyst oder Consultant werden will und es schafft, „in einem internationalen Umfeld an aktuellen, marktrelevanten Themen mit einem weitem Horizont“ zu arbeiten, den erwarten eine 80- bis 100-Stunden-Woche, ein Einkommen, das schon nach fünf Jahren bei 80.000 Euro und mehr liegen kann und ein DatenErdreich, das nur darauf wartet, im Tiefgang sondiert, analysiert und extrapoliert zu werden. Einmal aufgeworfen, lässt sich darauf bequem nach ganz oben klettern. „Denn den Wunsch nach der Höhe, den haben sie alle.“31 3. Neue Unternehmer Eine der erfolgreichsten Unternehmerpersönlichkeiten, die in der „alten Ökonomie“ der Industriegesellschaft ihre Erfahrungen machte und einem Unternehmen der „neuen Ökonomie“, der wissensindustriellen Gesellschaft, zum Erfolg verhalf, ist die Chefin von Ebay, Margaret Whitman. Was zeichnet eine innovative und erfolgreiche Unternehmerin aus? Ihr Führungsstil. Frau Whitman delegierte Alltagsaufgaben an ihre Manager, nur im Notfall stürzte sie sich mit Akribie aufs Tagesgeschäft. Der Untergang hunderter anderer Internetunternehmen konnte Ebay wenig anhaben, weil Ebay auf die Kreativität der Verkäufer setzt. Im Abschwung der „New Economy“ ließen sich bei Ebay besonders viele Laptops zu niedrigen Preisen kaufen. „Die für unseren Erfolg entscheidende Ebay-Gemeinschaft ist eine Armee von erfinderischen Unternehmern, die über uns handelt“, sagte Frau Whitman.32 Für Whitmans Erfolg war aber auch die Maxime: „Profitabilität vor Wachstum“ verantwortlich. Die damaligen Fusionsabsichten mit Yahoo, die die Ebay-Handelsplattform mit der Vertriebskraft von Yahoo kombinieren sollte, gab Frau Whitman auf, damit Ebay weiterhin aus eigener Kraft wachsen konnte. Weltweit hatte das 1995 als Auktionshaus gegründete Unternehmen inzwischen 42 Millionen Mitglieder. In 18 31 32

Vergleiche Demmer (2005 b). Vergleiche Knop (2002).

IV. Neue Arbeitstypen

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von 19 Ländern, wo Ebay vertreten ist, ist das virtuelle Auktionshaus Marktführer – allein in Japan hat Yahoo die Nase vorn. Es gab klare Zielvorgaben: Bis zum Jahr 2005 wollte die Ebay-Chefin Meg Whitmann das Handelsvolumen von derzeit 10 auf 35 Mrd. Dollar steigern und damit in die Liga von US-Handelskonzernen wie JC Penney und Kmart vorstoßen. Laut Anthony Noto, leitender Analyst für InternetAktion bei der Investment Bank Goldman Sachs, wuchs Ebay doppelt so schnell wie der E-Commerce-Sektor insgesamt. 33 Im Jahr 2008 war Ebay das weltgrößte Auktionshaus. 34 In Deutschland schätzen Experten den Marktanteil von Ebay auf 98 Prozent des Handelsvolumens von Auktionsplattformen. Die Hälfte der 16- bis 24-Jährigen kauft privat im Internet ein, und rund 14 Millionen Menschen treten als Verkäufer im Internet auf. 35 Das Unternehmertum verändert sich. Neben die Prototypen des „SchumpeterUnternehmers“, dem Urbild eines Unternehmers, der ständig nach neuen Produkten und Verbesserungsmöglichkeiten strebt und ganz in seiner Tätigkeit aufgeht und des „Eigentümer-Unternehmers“, der den alten Mittelstand, das Familienunternehmen repräsentiert, treten andere neue Formen des Unternehmertums. Die „Intrapreneure“, das sind unternehmerische Angestellte in Unternehmen wie Ebay, oder „Interpreneure“, die sich in Netzwerken von Multimedia-Kooperationen, Beratungspartnerschaften und Logistik- und Vertriebssystemen unternehmerisch betätigen. Aber auch im Handwerk gewinnt „Interpreneuring“ an Bedeutung: Netzwerkunternehmer bieten dort Komplettleistungen im Rahmen von handwerksübergreifenden Netzwerken an. Dafür ist das integrative Facility Management, das nahezu alle Tätigkeiten rund um Immobilien umfasst, ein Beispiel. 36 Neuerdings lassen sich interessante Ansätze zu einem reflektierten Selbstverständnis von Managern beobachten. In dem Projekt verlassen Manager für eine gewisse Zeit ihre Führungsetage und engagieren sich in Obdachloseninitiativen, Altenheimen oder Hospizen, um einen Blick über ihren beruflichen Tellerrand hinaus zu tun.37 Der Begriff der New Economy brachte viele neue Unternehmensgründungen mit sich. Dies waren vor allem die so genannten „dot.com.-start ups“, Unternehmensgründungen von jungen Menschen, vorzugsweise Elektronik- und Medienfreaks oder Kaufleuten, die wenig Eigenkapital besaßen, aber dafür jede Menge neuer Ideen für neue Software-Programme. Die Politik versucht, aus dieser Gründerzeit zu lernen: Derzeit sind 900 Gründerzentren über Europa verteilt, weitere 450 sollen, insbesondere in abgelegeneren Regionen, für die Qualifikation von Unternehmern, für Management-Beratung, Unterstützung beim Zugang zu Kapital und technischem Know-how sorgen. 33 34 35 36 37

Vergleiche Dietz (2005). Vergleiche Schwane (2008). Vergleiche Marwan (2008). Vergleiche Reiss (2000). Vergleiche Kals (2003).

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B. Angebotsmacht der Arbeit und wo sie sich entfaltet

Die zunehmende Verbreitung des Internets führt zu einer nachhaltigen Veränderung der Produktions- und Arbeitsabläufe der Unternehmen. In der Medienindustrie tat sich erstmals die Gelegenheit auf, die Geschäfte vollständig zu digitalisieren, von der Kontaktaufnahme über den Vertragsabschluss und die Bereitstellung des gekauften Gutes bis hin zur Abrechnung. Deshalb werden aber die Medienunternehmen ihre Produkte keinesfalls nur noch in digitalisierter Form über das Internet anbieten. Die Kunden sind an das klassische Buch gewöhnt, sie möchten nicht auch noch in ihrer Freizeit auf technisches Gerät angewiesen sein. Die Unternehmen der Medienindustrie können das Internet aber auch als zusätzlichen Vertriebskanal nutzen, der ein Produkt wie eine Fernsehsendung durch ein Internet-Angebot systematisch ergänzt. Einen wesentlich größeren Schritt tun Unternehmen, die ein bereits eingeführtes Produkt wie Kleinanzeigen digital über das Internet anbieten. Unternehmen können aber auch neue Geschäftsfelder wie Suchdienste im Internet erschließen. Insgesamt ermöglichen die Nutzungsmöglichkeiten des Internets den Medienunternehmen nicht nur, ihre Produktionsprozesse zu digitalisieren, sondern auch, ihre Produkte mehrfach zu verwerten und zu individualisieren. So bietet ein führender Fachverlag seine Gesetzessammlung nicht mehr nur als Loseblatt-Sammlung an, sondern auch als CD-ROM und über das Internet. Newsletter bieten den Kunden entsprechend ihrer vorab definierten Präferenzen am Abend per E-Mail einen Überblick über aktuelle Meldungen.38 Die Zahl von Wettbewerbern unter den IT-Dienstleistern wächst. Neben den traditionellen IT-Anbietern (CSC Ploenzke, IT-Systems) erachten Anbieter und die Dienstleistungsabteilungen großer Computer- oder Telekommunikationskonzerne (IBM, Siemens) diesen Markt als lukrativ, ausbaufähig und zukunftsträchtig. Und auch die klassischen Unternehmensberater wie Accenture – ehemals Andersen Consulting – haben das Potenzial von IT-Dienstleistungen erkannt. Während zuvor die Beratung über die optimale elektronische Organisation interner Geschäftsfelder im Vordergrund stand, konzentriert sich nun das Geschäft mehr auf das „Outsourcing“, die Auslagerung von Abteilungen oder ganzer Geschäftsbereiche. Aufwändige Arbeitsgänge wie Buchung oder Gehaltsabrechnung werden extern vergeben, ganze Geschäftsprozesse wie virtuelle Call-Center, die zum Beispiel von Indien aus Anrufe und Anfragen für amerikanische Unternehmen bearbeiten, werden ausgelagert. Auch öffentliche Auftraggeber wie die Bundeswehr vergeben ihre gesamte Informations- und Kommunikationstechnik an externe Dienstleister, weil sichergestellt werden soll, dass das knappe Budget eingehalten wird – unabhängig von der Entwicklung der Kosten für Rechner, Zubehör, Netzwerke, Gebühren oder Personal. Die Tendenz zur Auslagerung von Informations- und Kommunikationstechnik sowie von Geschäftsprozessen wird sich in den nächsten Jahren noch verstärken. Die Unternehmen entdecken, dass sie sich auf ihre Kernkompetenzen konzentrieren können. 39 38 39

Vergleiche Hess/Schumann (2001). Vergleiche Hielle (2002).

IV. Neue Arbeitstypen

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Moderne Unternehmerinnen und Unternehmer, die Aufgaben delegieren, die Kreativität der Mitarbeiter fördern und sie zu Intrapreneuren machen, machen den Weg für Innovationen frei. Sie geben solchen Mitarbeitern bewusst Spielräume, in denen diese ihre Stärken entfalten können. Der neue Typus des Interpreneurs, der über das Unternehmen hinaus in Netzwerken aktiv ist, braucht eine Unternehmerpersönlichkeit, die operativ, das heißt problembewusst und problemlösend denkt und handelt, der aber ihr Status oder Rang als Abteilungsleiter oder Bereichsdirektor nicht so wichtig ist. Das alles gibt es in Ansätzen. Die Gegenwart scheint aber noch unter anderen Vorzeichen zu stehen: Innovationshemmnisse haben nicht nur mit so genannten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen wie Unternehmenssteuern, bürokratischen Hürden oder der Schwierigkeit, Kapital zu beschaffen, zu tun, sondern treten auch in Form unzureichender Kompetenzen und von Persönlichkeitsdefiziten der Unternehmer und Manager zu Tage. Die grundlegenden Veränderungen in der Welt der Arbeit sind sehr prägnant von dem amerikanischen Erziehungswissenschaftler Robert Kegan herausgearbeitet worden. Die Arbeitnehmer haben in Bezug auf ihre Arbeit und ihr soziales Umfeld ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein entwickelt. Sie erfinden oder besitzen ihre Arbeit; sie sind selbstkritisch, initiieren und korrigieren Arbeitsvorgänge; sie folgen ihren eigenen Arbeitsplänen und sind unabhängig von der Agenda anderer; sie tragen Verantwortung für ihre Arbeitsleistungen; sie bemühen sich, ihre Arbeitsrolle eigensinnig zu meistern; und sie verstehen ihre Rolle von „innen“ her als Teil der Gesamtheit der Firma oder Organisation. Ob und in welchem Umfang existierende Arbeitsplätze schon in der Lage sind, Arbeitnehmer mit diesen kognitiven Fähigkeiten und Anforderungen zu übernehmen, ist nur schwer zu beurteilen. Vermutlich wird diese Art von Arbeitsverhältnissen zunehmen, und zwar in dem Maße, in dem Unternehmen realisieren, dass Arbeitsplätze mit hoher Autonomie, Handlungschancen und Verantwortung die Bedingung für nachhaltige Unternehmenserfolge sind. Denn was in zunehmendem Maße zählt, ist die Qualität des Arbeitsangebots. Das Angebot – und nicht die Nachfrage – bestimmt, wie Arbeit und Arbeitsmarkt in Zukunft aussehen werden.40 4. Die neue Klasse: prekarisierte Selbständige Für viele ist der Weg in die Selbständigkeit mittlerweile das letzte Mittel, um der Arbeitslosigkeit zu entgehen. So ist in Deutschland ein neues Proletariat entstanden, die Gruppe der geringfügig verdienenden Selbstständigen und Freiberufler. Zu ihr gehören Kleinhandwerker, Fahrradkuriere, Schneiderinnen ebenso wie Bauingenieure oder promovierte Geisteswissenschaftler. Gemeinsam ist ihnen, dass sie sich

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Vergleiche Stehr (2006).

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B. Angebotsmacht der Arbeit und wo sie sich entfaltet

meist in einer prekären finanziellen Situation befinden. Denn Selbständigkeit ist schon lange nicht mehr mit sozialer Sicherheit verbunden. Im Gegenteil: die Stundenlöhne selbst gut ausgebildeter Selbständiger lassen kaum noch etwas für die Krankenversicherungen, geschweige denn für die Rentenkasse übrig. Die Kommission zur Neugestaltung des Versicherungsvertragsgesetzes schätzte 2005 die Zahl der Unversicherten auf 250.000 bis 300.000 Personen. 41 Hinzu kommt: unter diesen prekarisierten Selbständigen tobt oft ein harter Konkurrenzkampf. Im Kampf um die knappen Budgets der Auftraggeber stürzen Tausende von Kreativen auf Hartz-IV-Niveau ab. Davon betroffen sind auch Photographen, Drehbuchautoren, Designer, die bis vor zehn Jahren noch üppig verdienten. Von einer Angebotsmacht ist dort nur wenig zu spüren. Vielmehr fürchtet man sich vor der drückenden Nachfragemacht der Auftraggeber. Ehemals erfolgreiche Designer ohne Auftragsprobleme müssen heute ihre Entwürfe auf gut Glück entwickeln und passgenau auf Kunden hin produzieren, von denen sie nicht wissen, ob sie überhaupt kaufen werden. Das Risiko liegt allein beim Anbieter. Die Firmen erwarten kostenlose Angebotspräsentationen samt ausgefeilter Ideen und halten sich die Entscheidung offen. Werber oder Öffentlichkeitsarbeiter werden nur noch für Wochen, Tage oder sogar nur Stunden engagiert. Länger laufende Verträge gibt es kaum noch, denn schon bald könnte sich ein anderer finden, der denselben Job für weniger Geld macht. 42 Die Ursache für die wachsende Zahl dieser prekarisierten Selbständigen liegt im wirtschaftlichen Wandel, der mit der Globalisierung einhergeht. Der Druck auf öffentliche und private Investoren ist enorm gestiegen. In der Folge stellen besonders kleinere Firmen fast nur noch „freiberufliche“ Arbeitnehmer oder Praktikanten ein. Die Politik reagierte zunächst nur negativ auf diese Situation. So erließ sie 1999 das Gesetz gegen Scheinselbständigkeit. Dabei erkannte sie lange nicht, dass die neuen Selbständigen ein Zeichen für einen grundsätzlicheren Wandel waren. Schließlich schuf sie im Rahmen der rot-grünen Sozialreformen Arbeitplätze im nicht-sozialversicherten Bereich, wie etwa die Ich-AG’s, die 2006 wieder abgeschafft wurden. Dann ging sie dazu über, Existenzgründungszuschüsse über sechs und schließlich über neun Monate zu zahlen. Ihre Aufgabe ist es, in Zukunft die Architektur des Verhältnisses zwischen Freiberuflern und Angestellten völlig neu zu justieren. Dabei kann sie sogar auf schon Bestehendes zurückgreifen. Denn die prekarisierten Selbständigen von heute waren früher die Künstler. Für die richtete der Staat 1983 die Künstlersozialkasse ein. Ihr Konzept war zukunftsweisend: Nicht nur die Selbständigen zahlten ein, sondern auch der Staat und die Verwerter von Kunstberufen, die von den Selbständigen profitierten. 43

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Vergleiche Demuth (2006). Vergleiche Demmer (2005 a). Vergleiche Demuth (2006).

C. Die Angebotsmacht der Arbeit in Deutschland – Eine Bilanz I. Wie innovativ sind Unternehmen in Deutschland? Der Wandel der Unternehmen beim Übergang von der Industriegesellschaft zur industriellen Wissensgesellschaft lässt sich nicht in ein eindeutiges und markantes Leitbild bringen. Es gibt grundsätzlich zwei Richtungen, in die sich Unternehmen entwickeln können: Zum „lernenden Unternehmen“ oder zum Netzwerkunternehmen. Innovationen bringen zumindest in Deutschland keinen eigenen Sektor innovationsstarker Firmen hervor. Vielmehr durchdringen sich „alte“ und „neue Ökonomie“. Das Beispiel der Medienindustrie zeigt, dass neue Technologien, Internet und Wissen von sich aus keinen eigenständigen Unternehmenssektor wie in Großbritannien hervorbringen. Der Wandel vollzieht sich nicht nach einer klaren Logik. Deshalb muss der Einfluss moderner Technologien auf die Unternehmensentwicklung differenziert betrachtet werden. Und es gibt folgende Erfahrungen: Erfolgreiche Innovationen schaffen Nachfrage. Das zeigt etwa der große Erfolg der Mobiltelefone in den letzten 10 Jahren. Aber auch umgekehrt gilt: Erfolgreiche Innovationen entstehen aus besonderer Nachfrage. Die Nachfrage der Kunden spornt die Unternehmen an, auf der Grundlage einer erfolgreichen Innovation neue innovative Produkte und Dienstleistungen folgen zu lassen. Der Erfolg von Innovationen hängt von den Markteigenschaften der Produkte und Dienstleistungen ab: auch wenn Unternehmen sich nicht von Anfang an einen wissenschaftlich-technischen Wissensvorsprung erarbeitet haben, können sie Wettbewerbsvorteile auf dem Weltmarkt erlangen. Und: weltweit erfolgreiche Innovationen etablieren sich zunächst nur in einem Land. Anschließend müssen sie sich gegen weiterführende Innovationen aus anderen Ländern behaupten.

1. Die allgemeine Situation deutscher Unternehmen „Die Bedeutung der Innovationsfähigkeit von Unternehmen und der tatsächlichen Nutzung dieser Fähigkeit zur Sicherung und Gewährleistung von gesamtwirtschaftlichem Wachstum und Beschäftigung ist für eine entwickelte Volkswirtschaft wie Deutschland unbestritten.“ Zu dieser Einschätzung kommen das „Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung“ (ZEW) und das „Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung“ (DIW) in einem Gutachten „Innovationsbarrieren und internatio-

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C. Angebotsmacht der Arbeit in Deutschland – Eine Bilanz

nale Standortmobilität“. 44 Doch wie ist die Innovationsfähigkeit der Unternehmen einzuschätzen? Darauf gibt es zwei Antworten je nach Blickwinkel: Der eine betrifft die Gegenwart, den Status quo, der andere, dynamische, ist auf die Zukunft gerichtet. Was den Status Quo angeht, lassen die seit Jahren steigenden Exporte und Außenhandelsüberschüsse Deutschlands durchaus den Schluss zu, dass die exportierenden Unternehmen ein hohes Maß an Wettbewerbsfähigkeit erreicht haben. Andernfalls könnten sie nicht in fast allen großen, wissensintensiven Branchen des verarbeitenden Gewerbes Exportüberschüsse erzielen. Exporte und Außenhandelsüberschüsse konzentrieren sich auf den Automobilbau und die Chemieindustrie. Die Außenhandelserfolge des verarbeitenden Gewerbes konzentrieren sich mehr und mehr auf den Automobilbau, der 2002 den höchsten Exportwert, den höchsten Außenhandelsüberschuss und die höchsten relativen Welthandelsanteile aller Branchen zu verzeichnen hatte. Die deutsche Chemieindustrie war gemessen an den Exporten und Exportüberschüssen 2002 die drittstärkste Außenhandelsbranche. Aber auch die Importe stiegen deutlich, das lag zum einen an dem Einstieg der ausländischen Konkurrenz in den Inlandsmarkt, aber auch an den steigenden Vorleistungsströmen aus verbundenen Unternehmen im Ausland. Das führte in den letzten Jahren zu einem Rückgang des Exportüberschusses und seit Mitte der 1990er Jahre zu rückläufigen relativen Welthandelsanteilen. In Deutschland hergestellte Chemieprodukte verlieren demnach auf den Weltmärkten langsam aber stetig an Boden. In dieser gegenwartsbezogenen Betrachtung ist die Position deutscher Unternehmen laut ZEW und DIW gut beziehungsweise noch gut. Beide Institute sehen jedoch in der dynamischen, auf die Zukunft gerichteten Betrachtung Schwierigkeiten. In Branchen, die sich vor einigen Jahren und auch gegenwärtig noch ganz gut behaupten können, zeichnet sich eine nachlassende Wettbewerbsfähigkeit ab. Hier sind die Chemie- und die Pharmaindustrie, aber auch die Kraftfahrzeughersteller zu nennen. Beim Automobilbau zeigt der Trend der letzten Jahre: Die deutschen Exporte konzentrieren sich verstärkt auf diesen Bereich. Das bewerten ZEW und DIW kritisch, da die starke Spezialisierung mehrere Gefahren birgt. Zum einen fließt ein wachsender Anteil der Exporte in preissensible Segmente der internationalen Automobilmärkte. Gerade hier treten zusätzliche Konkurrenten zum Beispiel aus Korea oder auch aus China auf, die ihren technologischen Rückstand in den letzten Jahren erheblich verkleinert haben und die mit deutlich niedrigeren Preisen auf dem Weltmarkt antreten. Zum anderen besteht die Gefahr, dass die wirtschaftliche Entwicklung im verarbeitenden Gewerbe Deutschlands mehr und mehr von der zyklischen Weltnachfrage nach Automobilen bestimmt wird. Eine solche Spezialisierung auf die Automobilbranche ist in keinem anderen Land zu beobachten. Hinzu kommt, dass sich offensichtlich die Produktion von Automobilen und deren Vorprodukten relativ leicht nach Osteuropa verlagern lässt, wie die gegenwärtige Entwicklung bereits zeigt. Auch das deutsche Innovationssystem konzentriert sich zunehmend auf die Automobilbranche. Sie hat die mit Abstand höchsten Zu44

ZEW/DIW (2004), S. 208.

I. Wie innovativ sind Unternehmen in Deutschland?

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wächse bei Forschung und Entwicklung (FuE) und den Innovationsaufwendungen zu verzeichnen. Zugleich absorbiert sie einen erheblichen Anteil der überhaupt verfügbaren FuE-Personalkapazitäten. Die Wirtschaftspolitik müsste aber das Innovationssystem offen für alle Branchen halten. Diese Betrachtungen beziehen sich auf so genannte Lead-Märkte, das heißt Märkte für global vermarktbare Produkte. Damit sind Märkte gemeint, die international konkurrenzfähige Innovationsfelder oder Innovationsdesigns herausbilden. Positive Beispiele, bei denen deutsche Unternehmen als Avantgarde-Kunden die Lead-Märkte erschlossen haben, sind Bayer – Bayer verfügte über den Kunststoff Makrolon – oder die BASF, die mit Dürr Systems und der damaligen Daimler-Benz ein völlig neues Lackiersystem für die Mercedes A-Klasse entwickelten. Ein Beispiel, wo Deutschland als Lead Market gegen die internationale Konkurrenz verloren hat, sind die Flüssigkristalle. 45 Lead-Märkte sind regionale oder nationale Märkte, die international erfolgreich werden. Hier werden im engen Zusammenspiel von Herstellern und lokalen Nutzern Innovationen eingeführt und weiterentwickelt, die sich später als international erfolgreich erweisen. Nur die Automobilindustrie ist nach Auffassung von ZEW und DIW derjenige Lead-Markt, der Vorteile hinsichtlich essenzieller Faktoren aufweist: Nachfrage, Preis, Transfer, Export und Marktstruktur. Die Automobilindustrie findet in ihrem Heimatmarkt Deutschland günstige Bedingungen vor. Sie erlauben ihr besser als anderen Branchen, international wettbewerbsfähige Innovationen hervorzubringen. Viele deutsche Zuliefer- und Abnehmerbranchen erhalten so wichtige Innovationsimpulse, die sie wiederum selbst exportwirksam nutzen können. Nicht so ideale, aber immer noch gute Nachfragebedingungen zur Generierung konkurrenzfähiger Innovationsdesigns findet in Deutschland das Textilgewerbe, die Chemische Industrie, der Maschinenbau, die Herstellung von Gummi und Kunststoffwaren und Metallerzeugnissen. Was den Dienstleistungssektor in Deutschland angeht, so besitzt er im Durchschnitt kaum vorteilhafte Lead Markt-Eigenschaften. Schon die unterdurchschnittliche inländische Dienstleistungsnachfrage lässt kaum einen international wettbewerbsfähigen Dienstleistungssektor entstehen, was letztlich auch zu einer nur sehr unterdurchschnittlichen Internationalisierung dieser Branchen führt. Das gilt auch für die Kredit- und Versicherungsdienstleistungen. Außer den „Lead-Markt-Branchen“ sind zwei weitere Branchen zu nennen: Die „Lag Markt-Branchen“, die wichtige Innovationsimpulse aus dem Ausland erhalten und „idiosynkratische Märkte“, die Nachfrager mit regionalen oder lokalen Besonderheiten haben. Lag-Markt-Branchen sind solche, die erfolgreiche Innovationen anderer Länder übernehmen. Dieser „Innovationsimport“ muss nicht zwangsläufig eine geringe Innovationsbereitschaft des Heimatmarktes bedeuten. Nicht selten würden Unternehmen in Lag-Märkten auch bestimmte (nationale) Innovationsdesigns adoptieren. Doch ziehen sie mehr Vorteile aus der Übernahme eines ausländi45

Vergleiche Voscherau (2004).

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C. Angebotsmacht der Arbeit in Deutschland – Eine Bilanz

schen Innovationsdesigns. Das ist zum Beispiel bei einer geringen Größe des Heimatmarktes oder bei hohen Unsicherheiten über die Zuverlässigkeit des heimischen Innovationsdesigns der Fall. Häufig kann die Politik auf den Mechanismus eines Lag-Marktes nicht entscheidend Einfluss nehmen. Es ist zum Beispiel nicht zu erwarten dass Deutschland die amerikanische Lead-Markt-Rolle bei Computern und Netzwerktechnik übernimmt. Dann sollte die Innovationspolitik bewusst auf die Förderung lokaler Technik verzichten – zugunsten der Förderung von Instrumenten, die die Übernahme von Designs aus dem Lead-Markt erleichtern. Damit wird verhindert, dass idiosynkratische Innovationen produziert werden, die das Design des Lead-Marktes später weltweit verdrängten. Es empfiehlt sich eine international orientierte Innovationspolitik, um Kostenvorteile neuer Technologien rasch zu nutzen. Hierzu zählt zum Beispiel die Unterstützung von kleinen und mittleren Unternehmen bei der Technologieadoption oder in der angewandten Forschung, die entlang des dominanten Innovationsdesigns neue Lösungen erarbeitet. Eine rasche Diffusion erhöht auch die Chancen, durch einen Prozess der kontinuierlichen Verbesserung des dominanten Designs entweder neue Marktnischen zu besetzen oder durch das Angebot von komplementären Produkten und Dienstleistungen Marktanteile auch gegenüber Unternehmen aus dem Lead-Markt zu gewinnen. Häufig können die schnellen Folgerländer (fast follower) einen hohen Anteil auf dem Weltmarkt erobern, da sie von den Pionieren lernen können und nicht die gleichen Kosten der Entwicklung tragen müssen. Idiosynkratische Märkte sind dagegen durch die Adoption eines nationalen Innovationsdesigns geprägt, das erfolglos gegen andere Innovationsdesigns konkurriert und die Exportfähigkeit der Branche einschränkt. Hier ist die Innovationspolitik gefordert, idiosynkratischen Nachfragestrukturen entgegenzuwirken. etwa indem sie nationale Regulierungen lockert oder an Lead-Märkten ausrichtet, technische Normen internationalisiert und öffentliche und monopolistische Nachfrage durch Öffnung der entsprechenden Märkte aufbricht. Dabei sollte sich die Politik bewusst sein, dass derartige Strukturveränderungen in den grundlegenden Wirkungsweisen eines sektoralen Innovationssystems nur schwer und nur auf lange Sicht realisiert werden können. 2. Erfolgsbedingungen von Innovationen Was gehört zu einer erfolgreichen Innovation? Eine wesentliche Bedingung des Erfolgs ist eine vollständige Produktionskette, die den gesamten Produktionsprozess eines Produktes wie ein Automobil umfasst: Die Forschung, die Produktion im engeren Sinne, die dazu gehörigen Qualifikationen der Beschäftigten, die Schaffung von Märkten und die Akzeptanz der Produkte beim Konsumenten. Das ist im Falle der Automobilproduktion selbstverständlich, und deshalb wenig sichtbar. Wenn aber ein Glied einer solchen Kette schwach ist, das Produkt beispielsweise nicht den Geschmack der Kunden trifft, sind schwerwiegende Absatzprobleme die Folge: Wie sehr eine verlorene „Wette auf den Geschmack der Käufer“ den Erfolg eines inno-

I. Wie innovativ sind Unternehmen in Deutschland?

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vativen Produkts oder einer innovativen Dienstleistung in Frage stellen kann, zeigt das Beispiel Opel/GM. In bestimmten Bereichen wie Chemie, Pharma oder Bio- und Gen-Technologie ist diese Kette gleich an mehreren Gliedern in Frage gestellt. Egal ob Chemiepolitik, Biotechnologie oder Energieforschung: Bei fast allen als risikoreich geltenden Technologien lieferten sich die Koalitionspartner der Bundesregierung einen erbitterten Streit um Grenzwerte, Zulassungsverfahren oder Finanzmittel. Zum Beispiel die Gentechnik. Noch vor kurzem hatte die Brüsseler EU-Kommission sie als wichtiges Feld ihrer Industriepolitik gekennzeichnet. In der Bundesregierung von SPD und Grünen setzte sich hingegen eine skeptische Haltung gegenüber neuen Technologien durch. Ähnliche Konflikte wie bei der Gentechnik drohen bei der Energieforschung. Bis zum Ende des Jahres 2004 wollten sich die Bundesministerien für Bildung und Forschung und das Bundeswirtschafts- und Arbeitsministerium auf die Schwerpunkte der künftigen Förderpolitik verständigen. Doch während das Bundeswirtschaftsministerium die Forschung auf bessere Kohlekraftwerke und die Erneuerungen in der Atomtechnik konzentrieren wollte, legte das Bundesumweltministerium einen Schwerpunkt auf die Förderung erneuerbarer Energien. Bis zum Jahr 2020 sollen 20 Prozent des heutigen Strombedarfs aus Wind, Wasser, Sonne und Biomasse gewonnen werden. Hier geht es um die Weichenstellung am Anfang der energiepolitischen Kette. Wie wichtig der Zusammenhang zwischen den Kettengliedern Wissensproduktion, Produkten und Märkten ist, lässt sich trefflich am Projekt „NAPUS 2000“ erkennen. Hier ist es gelungen, dem Rapsöl hochwertige, ungesättigte Fettsäuren anzuzüchten, die das Herzinfarktrisiko mindern sollen. Diese Rapssorte hat dreimal mehr Vitamin E als herkömmliche Pflanzen. Dieses Produkt sollte unter dem Namen „SunGene“ auf den Markt kommen. Doch in Deutschland gab es dafür keine rechtlichen Voraussetzungen. In solchen Fällen, wenn es um Freisetzungsversuche und den späteren Anbau geht, weichen deutsche Forscher in die USA und nach Kanada aus, wo die Gesetze das erlauben. Dabei entsteht ein Problem: Die Forschung lässt sich dauerhaft nicht sinnvoll von der Entwicklung und den Märkten trennen. Über kurz oder lang wandern Forschung und Forscher ins Ausland ab. Ein ähnliches Schicksal könnte Deutschland auch in der Biomedizin drohen. Das Stammzellengesetz der Bundesregierung von 2002 belegt Wissenschaft und Industrie mit weit mehr Auflagen als die Regelungen in den meisten Nachbarländern. Der Streit, der innerhalb der von Gerhard Schröder geführten Bundesregierung ausgetragen wurde, polarisiert auch die Gesellschaft. Nach den Chemiekatastrophen im italienischen Seveso, dem indischen Bophal und dem Atomgau von Tschernobyl stehen in Deutschland industrielle Großtechnologien unter Generalverdacht. Die Mehrzahl der Bürgerinnen und Bürger reagiert skeptisch auf die optimistischen Prognosen der Gentechniker – allen Werbekampagnen der Chemieindustrie zum

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C. Angebotsmacht der Arbeit in Deutschland – Eine Bilanz

Trotz. Deshalb ist bislang allenfalls unter Experten unstrittig, dass die so genannte Grüne Gentechnik eine wichtige Schlüsseltechnologie ist. Die Skeptiker hingegen möchten in Bereichen wie der Chemie oft ganze Produktionszweige abschaffen. Das damalige Vorhaben der schwedischen EU-Kommissarin für Umwelt, Margot Wallström, die Sicherheitsauflagen für die europäische Chemieindustrie zu verschärfen, stoppten erst in letzter Minute die Regierungen Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens 46. Viele Unternehmen hatten mit der Abwanderung ganzer Konzernzweige aus dem alten Kontinent gedroht. 3. Wie innovativ sind Unternehmer? Der frühere Vorstandsvorsitzende von Siemens, Heinrich von Pierer, stellte 2003 ein „Zehn-Punkte-Programm für Innovation und Wachstum“ vor. 47 Darin stellte er fest, dass es in Deutschland um Innovationskraft, Bildung und Forschung schlecht bestellt ist. Neben den üblichen Forderungen nach mehr Bildung mahnte von Pierer vor allem eine staatliche Innovationsförderung sowie eine bessere Kooperation von Staat und Wirtschaft und den Abbau föderaler Bremsen an. Eine Forderung suchte man allerdings vergebens: Den Appell an die Unternehmer, sich auf die eigenen Kräfte zu besinnen und gegebenenfalls mit den Mitarbeitern Ideen für Neuerungen oder neue Produkte durchzuspielen. Dabei ist gerade bei den Unternehmern ein Bewusstseinswandel bitter nötig. Allzu oft ertönt aus dem Munde ideenloser Unternehmer der Ruf nach staatlichen Subventionen. 48 Der renommierte Wirtschaftshistoriker Günter Abelshauser hat eine gewisse Schwäche auf Märkten für hochinnovative Produkte festgestellt. Sie existiert dort, wo Unternehmen die Ergebnisse der Grundlagenforschung in gewinnbringende wirtschaftliche und gesellschaftliche Möglichkeiten umsetzen müssten, wie auf dem Markt für Informations-, Bio- oder Gen-Technologien. Ein Paradefall dafür ist das peinliche Scheitern der Einführung eines Mautsystems auf deutschen Autobahnen, das sich auf hochinnovative Informationstechnologie stützen sollte. Das Management der beiden federführenden Weltkonzerne – damals noch DaimlerChrysler, heute nur noch Daimler, und Deutsche Telekom – war offenbar nicht in der Lage, flexibel auf den imageschädigenden Flop zu reagieren und sich voll auf die Problemlösung zu konzentrieren, wie das in amerikanischen Firmen selbstverständlich gewesen wäre. Es fehlte bei beiden Konzernen auch nicht an Software, Technik und technischen Problemlösungen. Das Missmanagement resultierte ganz offenbar aus mangelnder Vertrautheit im Umgang mit hochkomplexen und hochinnovativen Produktionsweisen. 49

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Vergleiche Schwengel/West (2005). Vergleiche von Pierer (2003). Vergleiche Knop (2004). Vergleiche Abelshauser (2004).

I. Wie innovativ sind Unternehmen in Deutschland?

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Es ist ein anspruchsvoller Prozess, wenn ein Unternehmen die Fäden zu Lieferanten und externen Spezialisten knüpfen muss und sie zu einem Netz vereint, um „zusätzliches Wissen“ 50 und ein gemeinsames Produkt herzustellen. Innovationsschwache Unternehmen neigen in wirtschaftlich schwierigen Situationen dazu, kurzfristig die Kosten zu senken und Personal zu entlassen. Die Unternehmensberatungsfirma Pricewaterhouse Coopers hält derartige Kostensenkungsstrategien für ebenso beliebt wie falsch. Viele Unternehmen in den USA nahmen am Aufschwung nach den neunziger Jahren nicht teil, weil es ihnen an den wichtigsten Ressourcen fehlt, nämlich qualifizierten Mitarbeitern. Sie hatten sie in Zeiten der Krise entlassen. Innovationsschwächen, die Managern und Unternehmern zugerechnet werden müssen, sollten nüchtern betrachtet werden. In jedem Fall verbietet sich ein „Nietendiskurs“. Natürlich gibt es ein Gewinnstreben bei einer Reihe von Managern, das ebenso unzivilisiert wie einfallslos ist. Deshalb sind Verhaltensweisen noch nicht falsch, die als „Raubzug der Manager“ 51 bezeichnet worden sind. Die „Heuschrecken-Debatte“, die der damalige SPD-Chef Franz Müntefering im Jahr 2005 lostrat, kritisierte dieses Verhalten. Ihr Erfolg zeigte, dass ihm viele Menschen in seiner Kritik an der fehlenden sozialen Verantwortung von Managern zustimmten. Doch die Kritik an Managern sollte nicht pauschal sein und auch nicht in einer allgemeinen moralischen Klage stecken bleiben. Vielmehr sollte sie bei den ureigenen Aufgaben der Manager ansetzen. Für unsere Fragestellung bedeutet das: Manager sind verantwortlich für Innovationen. Sie sind vor allem dann zu kritisieren, wenn sie auf diesem Feld versagen. Sie tun das zum Beispiel, wenn deutsche Fernsehsender keine neuen Ideen und Sendungen produzieren, sondern vor allem kopieren. Hier verleitet der Mangel an Ideen buchstäblich dazu, zu „klauen was das Zeug hält“ 52. Offenkundig wurde das Problem auf der „Mipcom“ in Cannes, der größten Fernsehmesse der Welt. Statt „frischer Ware“ beschäftigte die Fernsehexperten der Handel mit gebrauchten TV-Stoffen, das heißt das Kopieren von Unterhaltungsformaten und der Schutz dagegen. „Es werden mit immer größerer Hektik die Kopien von Formatkopien auf den Fernsehmarkt gebracht, bis Macher wie Zuschauer gleichermaßen erschöpft sind“ 53. Längere Arbeitszeiten, kürzerer Urlaub, weniger Pausen – das sind die Vorschläge, über die in Deutschland diskutiert wird, wie Unternehmen Kosten sparen und ihre Produktivität steigern können. Allen Vorschlägen ist meist eines gemeinsam: Sie setzen bei den Arbeitnehmern und deren Arbeitskosten an. Die Leistung der Manager werden dagegen weitaus weniger beachtet. Nach einer Studie der US-Unternehmensberatung Proudfoot Consulting in neun Industriestaaten sind aber die Manager, vor allem die der mittleren Führungsebene, die größten ProduktivitätsHemmnisse in Unternehmen. Mangelhafte Planung, miserable Führungsqualitäten, 50 51 52 53

Vergleiche Stehr (2001), S. 66–72. Vergleiche Bruhn (1998). Vergleiche Urbe (2004). Lutz Hachmeister zitiert nach Urbe (2004).

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C. Angebotsmacht der Arbeit in Deutschland – Eine Bilanz

unnötige Konferenzen, ineffiziente Arbeitsorganisation richten einen gewaltigen Schaden an. 72 Prozent der Produktivitätsausfälle gehen danach auf die Kappe des Managements, dessen Leistung dieser Studie zufolge in den letzten Jahren kontinuierlich abgenommen hat. Weit weniger stark schlagen hingegen ineffektive Kommunikation (9 Prozent), schlechte Arbeitsmoral (8 Prozent) oder schlecht qualifizierte Mitarbeiter (8 Prozent) zu Buche. Der Befund gilt nicht nur für Deutschland, sondern – mit geringfügigen Abstufungen – in allen untersuchten Staaten. In der Bundesrepublik wurden 2004 durch Managementfehler 190 Milliarden Euro oder knapp acht Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung vergeudet. Rein rechnerisch gehen dadurch pro Jahr und Mitarbeiter 74 Arbeitstage verloren. Die Mitarbeiter in Deutschland nutzen aufgrund von Managementfehlern nur 64 Prozent ihrer maximal möglichen Produktivität. 54 Solche Daten und Fakten finden in der öffentlichen Diskussion und bei vielen Unternehmern bislang keine Resonanz. Was fehlt, ist eine offene selbstkritische Lernkultur bei vielen Unternehmern, Managern und leitenden Angestellten. Der Autor Günter Ogger hat die innovationsfeindliche Kultur beschrieben, die „Versager“ schützt und das „Sich-Einbunkern“ und „Kungeleien“ ermöglicht. 55 Selbstkritik ist bei ihnen wenig ausgeprägt. Dabei müsste sie am Anfang einer besseren Innovationstätigkeit stehen. Stattdessen verweisen Manager unentwegt auf andere Sündenböcke: Die offizielle europäische Innovationsstrategie, die Forschung und Entwicklung voran bringen muss; auf fehlende Steueranreize für Unternehmen, auf wettwerbsschädliche Arbeitsverhältnisse und unzureichende Qualifikationen der Beschäftigten. Vielleicht hatte der belgische Schriftsteller Michel Houellebecq nicht ganz Unrecht als er feststellte „Innovationen machen müde“. 56 Egal, ob gute oder schlechte Alltagsgewohnheiten bei Facharbeitern, Büroangestellten oder Managern – sie haben den Vorteil auf ihrer Seite, dass man die Arbeit routiniert und mit minimaler Anstrengung erledigen kann. Innovationsschwächen liegen auch in solchen „menschlichen“ Schwächen. Um auch diese Innovationsschwäche abzustellen, wäre ein offener Diskurs ohne Schuldzuweisungen nötig. Es reicht nicht aus, nur von günstigen Rahmenbedingungen zu reden und die Fähigkeit zur Innovation als gegeben vorauszusetzen. Dieser Prozess muss gefördert werden. Wie das möglich ist, soll an einem Beispiel gezeigt werden. 4. Konventionelle Haltungen der Arbeitgeber beim Umgang mit Qualifikationen Bei der Auswahl ihrer Beschäftigten scheint es für Arbeitgeber nicht notwendig zu sein, kritisch ihre Einstellungspraxis zu überprüfen. Sie können wählerisch sein 54 55 56

Vergleiche Hahne (2004). Vergleiche Ogger (2002). In der Wochenzeitung „Die Zeit“ vom 22.1.2004.

I. Wie innovativ sind Unternehmen in Deutschland?

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und sind es auch. In Frage kommen nur die Qualifiziertesten, die vermeintlich Erfolgreichsten, Mobilsten und Belastbarsten. Ältere Menschen haben ebenso das Nachsehen wie jüngere Menschen mit sozialen und gesundheitlichen Handicaps oder einer momentan wenig nachgefragten Ausbildung. Welcher Arbeitgeber gibt bei drei, vier oder fünf Millionen Erwerbslosen ausgerechnet demjenigen eine Chance, der nicht dem landläufigen Ideal entspricht? Ein Arbeitgeber, der Fachpersonal sucht, zum Beispiel Programmierer und Softwareentwickler, wird bei einem Bewerber mit erstklassigen Zeugnisnoten und Fachpraktika womöglich über eine chronische Krankheit hinwegsehen, auch wenn der Kandidat häufiger ausfallen wird. Er weicht dann vom „Normalfall“ ab und macht eine Ausnahme. Aber die Einstellung eines chronisch Kranken ist und bleibt eine Ausnahme von der Regel. Es gibt eine Reihe von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die „Handicaps“ haben, obwohl sie gut qualifiziert sind und gut für die Arbeit geeignet wären, auf die sie sich bewerben. Dennoch haben sie im Normalfall keine Chance, den erhofften Posten zu bekommen. Eine gehörlose Raumausstatterin, die zu Vorstellungsgesprächen einen Dolmetscher mitnimmt, wird nur selten zu einem solchen Gespräch eingeladen. Ganz schwer haben es psychisch Kranke, aber auch blinde und gehörlose Menschen. Oder Menschen, die als Folge eines Unfalltraumas psychisch weniger belastbar sind. Dem durchschnittlichen Normalitätsverständnis widerstreitet auch die Einstellung eines (promovierten) Akademikers für eine vergleichsweise einfache Position in der Industrie. Er gilt als überqualifiziert, man traut ihm nicht die richtige Einstellung zur Arbeit zu und man fürchtet Konflikte zwischen Akademikern und Arbeitern. Wird er oder sie die Kollegen von oben herab betrachten? In einer konventionellen Arbeitsauffassung ist auch für lernschwache Jugendliche wenig Platz, insbesondere Sonderschulabgänger oder solche mit problematischem familiären Hintergrund. Ein Blick auf die Zeugnisse reicht den Personalverantwortlichen meist für eine Absage. Die jungen Leute können in der Regel nicht mal auf ein ein- bis zweiwöchiges Betriebspraktikum hoffen. Schwierigkeiten haben ebenfalls Ausländerinnen und Ausländer, die nicht aus dem westlichen Ausland kommen und keine überdurchschnittliche berufliche Qualifikation besitzen. Berufsausbildungen wie „Schneiderin“ betrachten viele Arbeitgeber als unzureichend. Sie begründen ihre Absage mit mangelnden Deutschkenntnissen, andere möchten keine Ausländer einstellen. Ein junger Mann hat im dritten Ausbildungsjahr seine Lehre zum Anlagenmechaniker abgebrochen. Er legte lieber als Discjockey Musik auf, statt sich auf die Prüfung vorzubereiten. Junge Leute, die sich um Betrieb und Berufsschule herumdrücken, verlieren mehr als ihren Ausbildungsplatz in dem Betrieb. Häufig sind sie auch bei den Betrieben in der Stadt und in der Umgegend „unten durch“. Sie trauen ihnen künftig nicht mehr zu, eine vernünftige Einstellung zu ihrem Beruf zu finden.

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C. Angebotsmacht der Arbeit in Deutschland – Eine Bilanz

Und wer stellt ältere Arbeitnehmer ein oder gar solche, die kurz vor dem Ruhestand stehen, selbst wenn sie kerngesund sind und einen viel jüngeren Eindruck machen? Nach Angaben des Instituts für Arbeitmarkt und Berufsforschung (IAB) beschäftigte im Jahr 2002 jedes zweite Unternehmen in Deutschland keine Arbeitnehmer, die älter als 50 Jahre sind. All diese Beispiele belegen ein Verständnis von Arbeit, das Menschen ausschließt, die nicht in das gewohnte Schema passen. Diesen Umgang der Unternehmen mit Arbeitskräften nenne ich konventionell. Seine Logik lautet: Es ist optimal, Menschen zu beschäftigen, die qualifiziert sind, die vielfältig einsetzbar sind, die keine Sonderregelungen verlangen, die eine leistungsbezogene Einstellung zum Beruf haben, nicht viel in Frage stellen und nicht zu teuer sind. Damit ist ein problemloser Ablauf der Arbeit zu erwarten. Nun stellt sich die Frage, ob nicht auch eine andere Organisation von Arbeit denkbar wäre. Warum sollte die Innovationsfähigkeit von Unternehmen nicht auch von Menschen verstärkt werden können, die nicht den konventionellen Erwartungen der Personalverantwortlichen entsprechen? Möglich und sinnvoll wäre es. Es würde allerdings einen anderen Begriff und ein anderes Verständnis von Arbeit voraussetzen. Arbeit würde danach als ein vielschichtigerer Prozess begriffen, als es gegenwärtig häufig der Fall ist. In einem neu gegründeten Unternehmen, das sich als „innovativ“ und „dynamisch“ versteht, würden dann nicht nur „junge“, „innovative“ und „dynamische“, sondern auch ältere Menschen mit anderen Qualitäten als den genannten eingestellt werden. Das Spektrum der Arbeitsformen müsste auch einem weiteren begrifflichen Verständnis folgen. Das könnte beispielsweise bedeuten, Menschen in bestimmte, für sie gut passende Bereiche einzustellen. Zudem könnte eine solche Organisation von Arbeit die Kooperation und die Lernprozesse unter den Arbeitnehmern fördern, mehr Flexibilität und Abwechslung in die Arbeit bringen und Hierarchie flacher machen. Das wäre tatsächlich innovativ. Die Kritik an einer konventionellen Personalpolitik bewegt also nicht (nur) ein soziales Motiv: „Unternehmer, stellt auch Menschen ein, die nicht euren idealen Vorstellungen entsprechen. Ihr tut damit etwas Gutes!“ Vielmehr ist sie von der Annahme geleitet, dass das konventionelle Denken und Handeln sich als ein Nadelöhr erweist: Es sperrt gute Leute aus, indem es die Auswahl auf gut einsetzbare Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschränkt. Damit wirkt es dem Aufbau einer guten „workforce“ oder Belegschaft entgegen und mindert die Innovationschancen eines Unternehmens. Interessanterweise gibt es bereits Unternehmen, die ein solches unkonventionelles Qualifikationsverständnis zeigen. Sie besitzen das, was Max Weber eine methodische „Innovationskompetenz“ genannt hat. Sie werden im letzten Kapitel dieses Buches vorgestellt.

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5. Die Ingenieurskultur Ein weiterer Grund für Innovationsdefizite in der Organisation von Unternehmen hängt mit dem Stichwort „Ingenieurskultur“ zusammen. Wer auf flache Hierarchien, offene Kommunikation, Teamarbeit und Fortbildung setzt, begünstigt Innovationen. Viele Unternehmen nutzen diese Chancen nicht. Einen wichtigen Grund dafür kennen wir aus empirischen Untersuchungen 57. Die Organisation eines Unternehmens nach Bereichen oder Abteilungen wie Einkauf, Verkauf, Finanzen oder Abteilungs-, Bereichs- und Unternehmensabgrenzungen trennt den Prozess der Produktion und der Arbeit fein säuberlich voneinander. Innovationsschwächen haben nicht so sehr mit „Spezialistentum“ zu tun und damit, dass sich Fachleute voneinander abschotten und nicht wissen, was die anderen tun. Kommunikation und Kooperation funktionieren bei der gemeinsamen Entwicklung und Herstellung neuer Produkte gut. So zeigten die Produkt- und Prozessingenieure eine große Bereitschaft, im Rahmen von Jobrotations-Programmen Erfahrungen auch in anderen Abteilungen und Funktionsbereichen zu sammeln oder sich in abteilungsübergreifenden Arbeitsgruppen zu engagieren. Sie empfanden die Erfahrung mit der Projektarbeit als außerordentlich positiv, wenn die Arbeitsgruppe tatsächlich in Eigenverantwortung gemeinsam an einer Sache arbeiten konnte. Aber: Ganz anders fallen die Erfahrungen bei einer stark ausgeprägten Ingenieurskultur aus. Wenn Ingenieursperspektive und Technikorientierung bei der Produktentwicklung dominieren, also die „Technische Entwicklung“ eine organisatorische Vormachtstellung in der Prozesskette besitzt und in der Frühphase eines Projekts quasi autonom über die Gestaltung des Produkts entscheidet, können technologielastige Produkte herauskommen. Sie mögen technisch interessant sein, finden bei den Kunden aber nur wenig Anklang. Der Grund liegt häufig darin, dass Vertreter des Vertriebs und des Marketings während der Konzeptfindungsphase unzureichend einbezogen werden. Entsprechend hoch ist dann der Aufwand für die Nachbesserung. Zudem werden zu wenig das Erfahrungswissen und die Produktionskompetenz der Beschäftigten berücksichtigt, die allgemein als eine traditionelle deutsche Stärke gelten. In US-amerikanischen Unternehmen wird das Erfahrungswissen aus der Produktion konsequenter und in größerem Umfang angewandt. Weil es hieran mangelt, gibt es in deutschen Unternehmen erhebliche Anlaufprobleme in der Serienproduktion – trotz hoher Fachkompetenz in der Produktion. Hinzu kommt, dass deutsche Unternehmen in endlosen Sitzungen und Gremien zu viel Zeit vertun, weil es eine vergleichsweise große Zahl von Abstimmungsprozessen und eine komplexe Gremienstruktur gibt. Die Folge sind lange Entscheidungs- und Entwicklungszeiten sowie hohe Entwicklungskosten. Wie gut kennen Unternehmen den Markt? Auch hier sind kritische Anmerkungen angebracht. Der Konsumgütermarkt kapriziert sich vor allem auf die Juvenilkultur, indem er billige, sich schnell verbrauchende Ware herstellt. Es wird nicht bedacht, dass die Mehrheit der Verbraucher aus älteren Menschen besteht und durchaus an57

Vergleiche für die folgende Darstellung Jürgens/Lippert (1998).

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C. Angebotsmacht der Arbeit in Deutschland – Eine Bilanz

dere Ansprüche hat, als billige Ware mit schnellem Verfallsdatum zu konsumieren. Viele technische Innovationen sind in Bezug auf ihre Konsumenten wenig innovationsfreudig und wenig phantasiereich. Innovationen und Markt greifen nicht ineinander. Der Wirtschaft mangelt es an einem ausreichenden Verständnis für das kulturelle Umfeld, in dem sie agiert und auf welches Umfeld sie sich hin entwickeln sollte. Das beschränkt die Lebensqualität der Konsumenten, aber auch die weiteren Entwicklungsmöglichkeiten für die Wirtschaft selbst. 58 6. Konsumentenhaltungen Innovationshemmnisse gibt es nicht nur auf Seiten der Unternehmen. Sie sind auch in der Gesellschaft, bei den Konsumenten anzutreffen. Letztlich sind es die Konsumenten, die über den Erfolg eines neuen Produktes oder einer neuen Dienstleistung entscheiden. Innovationen entstehen nicht nur aus der Fähigkeit der Unternehmen zur Innovation, sondern auch aus der Herausforderung des Marktes. Der Markt, das sind in diesem Fall die Konsumenten, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in ihrer freien Zeit. Ein Blick auf die Geschichte von Innovationen zeigt: Konservative Einstellungen in einer Gesellschaft können lange vieles verhindern. Denn der technische Fortschritt braucht eine Gesellschaft, die ihn will. Die wohl bekannteste Erfindung, die lange Zeit niemand haben wollte, ist das Fliegen. Technisch wäre es dem Menschen schon seit dem Altertum möglich gewesen. Doch erst 1783 stieg das erste bemannte Luftfahrzeug in Gestalt eines Heißluftballons in die Luft. Der Grund für die Verspätung war religiöser Natur: Die Menschheit hielt für lange Zeit den Himmel mit göttlichen Wesen besetzt. Erst in der Aufklärung verloren die Götter ihre Allmacht und himmlische Stellung. Damit wurde das Firmament gewissermaßen frei für den Menschen. Erst dann konnte sich eine Erfindung wie der Heißluftballon durchsetzen.59 Auch in der Gegenwart treffen Innovationen auf eine nahezu von Mythen besetzte Skepsis gegenüber neuen Technologien. Sie rührt meist aus der Angst vor dem Neuen, der wohl wichtigsten Emotion, die Gesellschaften mit neuer Technik verbinden. Auch Wissenschaftler lassen sich nicht selten von dieser Angst leiten. Dass Technik Probleme schafft, belegen Gelehrte jederzeit schlüssig – auch wenn sich ihre Befunde im Nachhinein als Irrtümer erweisen. Experten im 19. Jahrhundert sahen es als erwiesen an, dass kein Mensch eine schnelle Eisenbahnfahrt überleben könne. Ähnlich verlief der Streit über Nutzen und Nachteil der PCs Ende der achtziger Jahre. An einer solchen Haltung hat sich bis auf den heutigen Tag nicht viel geändert. Nach Angaben des Handelsblattes vom 29.07.2004 hat eine repräsentative Befragung ergeben, dass Deutschlands Verbraucher gentechnisch veränderte Lebensmittel offenbar nur dann ablehnen, wenn ihnen die Produkte keinen Zusatznutzen bie58 59

Vergleiche Koch (2000). Vergleiche Gürtler (2004).

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ten. Sollte es den Lebensmitteltechnikern etwa gelingen, durch Genmanipulationen gesundheitsfördernde Nahrungsmittel herzustellen, dürfte die Akzeptanz von gentechnisch veränderten Lebensmitteln deutlich steigen. Auf die Frage „Wenn es einen gentechnisch veränderten Jogurt gebe, der die Entstehung von Darmkrebs hemmt, würden Sie ihn kaufen?“ antworteten 66 Prozent der Befragten mit „Ja“. Nur 28 Prozent würden ein solches Produkt ablehnen. Bislang konnte man davon ausgehen, dass die Mehrheit der deutschen Verbraucher gentechnisch veränderte Lebensmittel meidet. Nur gentechnikfreie Ware kommt deshalb hierzulande in die Supermarktregale. Noch im Jahr 2004 hat eine Forsa-Erhebung einen Widerstand bei 68 Prozent aller Deutschen ausgemacht, aber er ist nicht fundamental und kategorisch. Bei geschmacklichen Verbesserungen würden 35 Prozent der Befragten zu genmodifizierten Früchten greifen; 40 Prozent täten das bei Obst und Gemüse, dessen Haltbarkeit künstlich verlängert wurde. Aber nur 28 Prozent der Menschen geben gentechnisch veränderten Produkten wie Gen-Mais oder Gen-Tomaten den Vorzug, wenn sie preiswerter als konventionell erzeugte Lebensmittel wären. Fast 60 Prozent aller Konsumenten rechnen damit, dass gentechnisch modifizierte Lebensmittel in einigen Jahren ganz selbstverständlich auf dem Speiseplan stehen – vorausgesetzt, dass die Gentechnik weder Mensch noch Tier schadet. 7. Politik sollte Innovationen fördern – das ist in Deutschland umstritten In Deutschland wird immer wieder die Auffassung in Frage gestellt, dass die Politik Innovationen fördern muss. Anlass zu größten Bedenken ist schon der bloße Versuch einer Bundesregierung, Innovationen durch die Zusammenarbeit von Staat, Wirtschaft und Wissenschaft zu fördern. Seit Mitte der 90er Jahre haben verschiedene Bundesregierungen Anläufe in diese Richtung unternommen. So richtete die Regierung Kohl schon 1995 einen Technologierat der Bundesregierung ein. Die Regierung Schröder rief 2004 das Jahr der Innovationen aus. Doch politische Lenkung und Innovationen passen für die tonangebenden Marktliberalen nicht zusammen. Technologische Neuerungen sind nicht vorhersehbar, so heißt es. Zu Scheitern seien Versuche verurteilt, mit politischer Steuerung positiv auf Innovationen einzuwirken. Sie dokumentierten nach Meinung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung allenfalls einen staubigen sozialdemokratischen Planungsoptimismus 60. Auf der anderen Seite geraten Manager, die in ein nationales Gremium wie den Innovationsrat berufen werden, schnell in Verdacht, nur die eigenen Unternehmensinteressen statt des Gemeinwohls zu vertreten. Deshalb raten Autoren wie Mussler der Politik, sich möglichst aus dem Thema Innovationen herauszuhalten. Politik soll hier vor allem durch Abwesenheit glänzen und sich auf den Abbau von Bürokratie, überflüssigen Steuer- und Abgabeleistungen für Unternehmen beschränken. 60

Vergleiche Mussler (2004).

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C. Angebotsmacht der Arbeit in Deutschland – Eine Bilanz

Diese Auffassungen ignorieren, dass sich gerade in technologisch weit entwickelten Nationen wie den USA längst eine andere Überzeugung durchgesetzt hat. Hier reagiert man auf den gewaltig wachsenden Innovationsdruck aus Ländern wie China und Korea mit politischen Anstrengungen. Man feilt an einer nationalen Innovationsinitiative, in der Erkenntnis, dass Innovationen ohne politische Unterstützung leicht ins Leere laufen. In den USA ist Innovation sozusagen Chefsache. Das gleiche gilt für Unternehmen, die Innovationsführerschaft beanspruchen. Auch sie machen Innovationen zur Chefsache. Warum soll das nicht auch in der deutschen Politik gelten. Innovationen – so heißt es im Bundesministerium für Bildung und Forschung 61 – sind der Antrieb moderner Industrie- und Dienstleistungsgesellschaften. Mit neuen Technologien, Produkten und technischen Verfahren, aber auch personalen Dienstleistungen, können Märkte erschlossen und zukunftssichere Arbeitsplätze geschaffen werden. Dafür braucht man Wissenschaftler, Ingenieure, aber auch gut qualifizierte Fachkräfte. Daher liegt es im Interesse der Unternehmen und Betriebe, weiterhin in hohem Maße in die berufliche Aus- und Weiterbildung des Fachkräftenachwuchses zu investieren. Die Innovationsfähigkeit ist nicht hinreichend entwickelt. Wenn Innovationen der „Antrieb moderner Industrie- und Dienstleistungsgesellschaften“ sein sollen, können folgende Befunde nicht zufrieden stellen. Deutschland hat Innovationsstärken in den industriellen Bereichen, die ebenso offenkundig sind wie die Schwächen in den Dienstleistungssektoren. Doch auch in der Industrie gibt es keinen Grund, sich auf Erreichtem auszuruhen. Vielmehr muss in beiden Bereichen die Innovationsfähigkeit gestärkt und eine Reihe von Innovationshindernissen überwunden werden. Festgestellt werden kann auf jeden Fall: Die Forderungen nach günstigen Rahmenbedingungen reichten nicht aus. Vielmehr müsste das Ziel der Verbesserung der „Innovationskompetenz“ oder der Fähigkeit zu „managing creativity“ im Vordergrund stehen. Dazu gehören eine andere Bewertung von Arbeitsfähigkeiten und eine andere Organisation der Arbeit in den Unternehmen. Innovationen sind aber auch vom Markt abhängig. Die Unternehmen müssen nicht nur ihr Beobachtungsinstrumentarium verbessern, sondern es müssen sich andere Konsumhaltungen bei den Bürgerinnen und Bürgern herausbilden. Die Fähigkeit zu Innovationen muss nachhaltig verbessert werden.

II. Bildung und Weiterbildung 1. Bildungspolitik – Bildungsreformen Die Bedeutung von Bildung für den Eintritt in die Wissensgesellschaft steht außer Frage. Schon im März 2000 erklärte die EU in ihrem Lissabonpapier Bildung und Weiterbildung zu den wichtigsten Instrumenten ihres großen Ziels: Europa soll zum 61

Vergleiche BMBF (2005).

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wettbewerbsfähigsten und dynamischsten Wirtschaftsraum der Welt werden. Die Investitionen in „Humanressourcen“, das heißt in die Fähigkeiten und Qualifikationen von Menschen, sollten ausgeweitet, Europa zum Raum „lebenslangen Lernens“ werden. Das hat man auch in Deutschland erkannt. Hier wird das Wissen über Bildung immer begehrter. Tätigkeiten wie Entwicklung, Konzeption oder auch organisatorische Innovativität gewinnen nach Auffassung von ZEW und DIW 62 gegenüber der Fertigung mehr und mehr an Gewicht. Als Folge steigen die Anforderungen an die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im industriellen Bereich und im Dienstleistungssektor. Die Zahl der Akademiker in der Wirtschaft ist seit Mitte der 1990er Jahre deutlich gestiegen. Der zunehmende Innovationswettbewerb und die weiter steigende Wissensintensität der Wirtschaft in Deutschland werden den Bedarf der Unternehmen an akademisch qualifizierten Mitarbeitern auf absehbare Zeit weiter steigern. Das duale System der Berufsausbildung, das Auszubildende sowohl im Unternehmen als auch in der Berufsschule qualifiziert, reagierte indes nur schwerfällig auf die neuen Anforderungen der Berufs- und Arbeitswelt. Zwar wurden die Metallund Elektroberufe Ende der 80er Jahre neu geordnet, aber erst Ende der 90er Jahre wurden neue Ausbildungsberufe im IT- und Medienbereich geschaffen. Die Schulen versäumten es zunächst, die Schüler rechtzeitig auf Informations- und Kommunikationstechnik und die neuen Medien vorzubereiten. Inzwischen haben sie den Stellenwert einer unverzichtbaren modernen Kulturtechnik erhalten. 63 Es fehlte nicht nur an Investitionen in Informationstechnologien und Medien, sondern auch an Personaleinstellungen an den Hochschulen. Das wissenschaftliche Personal – besonders die Professoren – ist recht betagt, die Ausbildungsgänge sind überfüllt. Die Ausbildungsförderung ging zurück, während die Studienzeiten länger wurden. Und auch die Curricula wurden nicht modernisiert. Der Anteil der Bildungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt sank von 5,5 Prozent im Jahr 1975 auf 4,2 Prozent im Jahr 1990, stieg aber 1996 vereinigungsbedingt vor allem durch den Hochschulausbau im Osten wieder auf 4,8 Prozent. 64 Deutschland stagnierte bildungspolitisch zwischen 1990 und 1998. Es gab keine nennenswerten Impulse. Die Abiturientenquote stieg in diesem Zeitraum kaum noch. Auch der Zuwachs der Absolventen mit Mittlerer Reife verlangsamte sich deutlich. Der Anteil der Abgänger mit Hauptschulabschluss kam nicht voran, und seit Anfang der neunziger Jahre blieb auch die Studienanfängerquote auf demselben Niveau. Ähnlich sah es bei der Berufsausbildung aus. Im Jahr 1970 begannen 56 Prozent der Jugendlichen eines Jahrgangs mit einer betrieblichen Ausbildung, bis 1990 stieg die Zugangsquote auf über 71 Prozent. Im Verlauf der neunziger Jahre 62 63 64

Vergleiche ZEW/DIW (2004), S. 213 f. Vergleiche Forum Jugend-Bildung-Arbeit (1998). Vergleiche Forum Jugend-Bildung-Arbeit (1998).

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C. Angebotsmacht der Arbeit in Deutschland – Eine Bilanz

wurde die Situation auf dem Lehrstellenmarkt jedoch zunehmend angespannter. Nicht alle ausbildungswilligen Jugendlichen erhielten eine Lehrstelle, die Zugangsquote sank bis 1998 auf knapp 66 Prozent. 65 Mit dem Antritt der Regierung Schröder 1998 wurde eine Vielzahl von Kommissionen ins Leben gerufen, die den Beratungsbedarf zum Thema Bildung widerspiegelten. Insbesondere das 1999 gegründete „Forum Bildung“ entwickelte Empfehlungen zum Auftrag und zur Qualität des deutschen Bildungssystems.66 Es schien, als sei die Bildungspolitik mit einem Schlag aufgewacht. Sie löste sich aus einer langen Phase der Stagnation der 80er und 90er Jahre. Nach dem Regierungswechsel 1998 verstärkte die Bundesregierung ihre hochschulpolitischen Aktivitäten und erhöhte die Ausgaben in Bildung und Forschung um 28 Prozent. Sie nahm sich mittelfristig vor, den Anteil der Studierenden und Hochschulabsolventen auf 40 Prozent zu steigern. Die Reform des BAföG sollte allen begabten jungen Menschen ein Studium ermöglichen, und Bildungskredite Studienaufenthalte im Ausland ermöglichen. Mehr als 1.000 neue Studiengänge mit internationaler, praxisnaher und interdisziplinärer Ausrichtung sollten zu international anerkannten Abschlüssen führen. Und klare Studienstrukturen und eine gute Betreuung der Studenten sollten die Studienzeiten verkürzen. Ein einschneidendes Jahr für die deutsche Bildungspolitik war das Jahr 2000. Als die PISA-Studie veröffentlicht wurde, war die bundesdeutsche Öffentlichkeit alarmiert. Zum zweiten Mal in ihrer Geschichte erlitt die Bundesrepublik einen „Bildungsschock“. Den ersten hatte es Anfang der 60er Jahre gegeben, als die OECD der Bundesrepublik in punkto Bildung ein Niveau des Entwicklungslandes Uganda bescheinigte. Die darauf folgenden Diskussionen über die deutsche Bildungskatastrophe, die maßgeblich von Georg Picht und Ralf Dahrendorf angestoßen wurden, lösten eine ausgiebige Reformdebatte aus. Sie mündete in intensiven staatlichen Reformanstrengungen und führte schließlich zu einer bislang ungekannten Bildungsexpansion. So erreichten im Jahr 1998 bereits 35 Prozent der Schüler einen Hochschulzugang, 1960 waren es nur 6 Prozent. Die Mittlere Reife legten 1998 38 Prozent ab, fast dreimal so viele Schüler wie 1960 (13 Prozent). Die Zahl der Hauptschulabgänger ging deutlich zurück, und die Anzahl der Schüler ohne einen Abschluss verringerte sich von 17 Prozent im Jahr 1960 auf 9 Prozent 38 Jahre später. 67 PISA zeigte: Das Bildungsniveau deutscher Schülerinnen und Schüler war im europäischen Vergleich nur unterdurchschnittlich. Außerdem entschied in keinem anderen Industriestaat die soziale Herkunft so sehr über den Schulerfolg wie in Deutschland. Die Regierung Schröder reagierte schnell. In ihrem Investitionsprogramm „Zukunft Bildung und Betreuung“ stellte sie vier Milliarden Euro für die 65 66 67

Vergleiche Reinberg/Hummel (2001). Vergleiche Forum Bildung (2001). Vergleiche West (2004).

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Einrichtung von zusätzlich 10.000 Ganztagsschulen bereit, was insbesondere Grundschulen und der Sekundarstufe zugute kommen sollte. a) Akademisches Humankapital als Trumpf der Angebotsmacht der Arbeit Wenn richtig ist, dass als Folge des zunehmenden Innovationswettbewerbs und der weiter steigenden Wissensintensität der Wirtschaft in Deutschland der Bedarf an akademisch qualifizierten Arbeitskräften auf absehbare Zeit weiter wächst, dann muss es mehr Universitätsabsolventen geben. Fraglich ist, ob in absehbarer Zeit das Ziel erreicht werden kann, den Anteil der Studierenden und Hochschulabsolventen auf 40 Prozent zu erhöhen. Auch mittelfristig kommt die Kultusministerkonferenz (KMK) in ihrer Absolventenprognose nur unter relativ optimistischen Annahmen zu einer nennenswerten Steigerung der Akademikerabschlüsse. Davon ausgenommen werden muss der Bereich der Ingenieurwissenschaften, wo Deutschland im internationalen Vergleich bei den Absolventenzahlen am schlechtesten abschneidet. Eine wesentliche Veränderung dieser Position ist nicht absehbar, da sich Deutschland auch in der Dynamik der Studienanfängerzahlen nicht in einem Aufholprozess befindet. Die Ursache hierfür liegt in dem Versagen des Schulsystems. Es qualifiziert im internationalen Vergleich viel zu wenig Schüler bis zur Studienberechtigung. Gerade die mangelhafte Förderung von Kindern aus so genannten bildungsfernen Schichten lässt erhebliche Bildungspotenziale ungenutzt. Eine derartige Verschwendung ihrer einzigen originären Ressource kann sich Deutschland nicht weiter leisten. Zu befürchten sind Restriktionen bei der Innovationsfähigkeit und bei der Produktivitätsentwicklung deutscher Unternehmen als Folge der Engpässe beim Humankapital. Das gilt insbesondere für die technikbezogenen Branchen, die auf Ingenieure angewiesen sind. 68 b) Partizipation von Jugendlichen Die Steigerung der Angebotsmacht hoch qualifizierter Arbeit ist eine Seite, die andere Seite ist die Schaffung von Partizipationschancen von Jugendlichen. Viele junge Menschen müssen besser qualifiziert und gefördert werden, um einen Zugang zum Arbeitsmarkt zu erhalten. Ein Minimalziel besteht darin, dass Jugendliche überhaupt eine berufliche Ausbildung abschließen. Die Bundesregierung stellte dafür beträchtliche Mittel bereit, um Jugendliche mit schulischen Defiziten oder aus einkommensschwachen Familien unter die Arme zu greifen. Im Jahr 2000 waren das 950 Millionen Euro. Rund 68

Vergleiche ZEW/DIW (2004), S. 213 f.

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120.000 Jugendliche erhielten begleitend zur ihrer Ausbildung Hilfen oder eine außerbetriebliche Ausbildung. Oder man unterstützte bei der Aufnahme einer Beschäftigung. Dafür wurden in den letzten Jahren die Ausgaben um jährlich circa 55 Millionen Euro erhöht. Rund 14.000 „Begabte in der beruflichen Bildung“ wurden jährlich mit 14,6 Millionen Euro gefördert. Der Berufsbildungsbericht des Bundesministeriums für Forschung und Bildung von 2005 bewertete die duale Berufsausbildung als wichtige Basis für die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit sowie für den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft. Gerade junge Menschen sollten beim Einstieg in die Berufswelt befähigt werden, den Anforderungen der Arbeitswelt gerecht zu werden und dabei auch den immer schnelleren Wandlungsprozessen der Gesellschaft zu folgen. Denn: Wer hier scheitert, hat nicht nur selbst viele Nachteile in seinem zukünftigen Berufsleben zu ertragen, er verursacht der Gesellschaft auch erhebliche Folgekosten. Für die Bundesregierung lag daher ein wesentliches berufsbildungspolitisches Ziel darin, allen Jugendlichen eine Chance auf eine qualifizierte Ausbildung zu eröffnen. 69 Auf diesem Gebiet wurde eine Vielfalt an Instrumenten geschaffen. Um nur einige zu nennen: Im Zuge der „Stärkung der digitalen Kompetenz“ wurden alle Schulen mit einem Internetzugang ausgestattet; die Entwicklung und breite Nutzung didaktisch hochwertiger und flexibel einsetzbarer Lehr- und Lernsoftware in den Schulen („Schulen ans Netz e. V.“). Und die Modernisierung der dualen Berufsausbildung in wichtigen Zukunftsbranchen – es wurden 44 Ausbildungsordnungen erneuert und zehn neue Berufe geschaffen; seit 1999 modernisierte die Bundesregierung in Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern und den Ländern rund 160 Berufsbilder. Dabei wurde ein Kommunikationsproblem deutlich: Die ausbildenden Betriebe wissen vielfach gar nicht, dass es Berufe gibt, in denen das von ihnen benötigte Qualifikationsprofil vermittelt wird und moderne Ausbildungsordnungen soviel Raum lassen, dass ihre Auszubildenden auch betriebsspezifische Anforderungen erlernen können. Als Hilfe vor allem für kleine Betriebe wurde 2003 die „Ausbilder-Eignungsverordnung“ für fünf Jahre ausgesetzt. Seit der Novelle des Berufsbildungsgesetzes vom April 2005 können neue Ausbildungsformen besser erprobt und Lehrzeiten im Ausland anerkannt werden. 70 c) Ein quantitatives und ein qualitatives Problem Eine breitere öffentliche Debatte betrifft die Zahl der Ausbildungsplätze. 2004 – so der Bildungsbericht 2005 – konnte erstmals seit mehreren Jahren die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge vor allem in den traditionellen Berufen wie Kaufmann/Kauffrau oder Koch/Köchin wieder gesteigert werden. Auch stieg die Zahl der Jugendlichen, die eine berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme der Bun69 70

Vergleiche BMBF (2005), S. 1. Vergleiche Berufsbildungsbericht (2005).

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desagentur für Arbeit begannen. Ebenso entschied sich eine anhaltend hohe Zahl von Jugendlichen (43.600) für den Besuch einer Berufsfachschule. Die Ausdehnung des Programms „Kapital für Arbeit“ auf mittelständische Unternehmen, die Ausbildungsplätze schaffen, konnte als unmittelbare Reaktion auf die schlechte Situation auf dem Ausbildungsmarkt gewertet werden. Durch die verschiedensten Maßnahmen der aktiven Arbeitsförderung wurden im September 2003 insgesamt 482.000 Jugendliche in Deutschland erreicht, davon 74.000 durch das „Sofortprogramm zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit (Jump)“. Fast 30 Prozent der Ausgaben für aktive Arbeitsmarktpolitik kamen Jugendlichen unter 25 Jahren zu Gute. Im Jahr 2002 waren das 4,4 Milliarden Euro. Als zusätzliche Maßnahme legte die Bundesregierung zwischen Juli 2003 und Dezember 2004 das „Sonderprogramm zum Einstieg arbeitsloser Jugendlicher in Beschäftigung und Qualifizierung (Jump-Plus)“ auf. Damit sollten für 100.000 Jugendliche unter 25 Jahren, die Sozialhilfe oder Arbeitslosenhilfe bezogen, langzeitarbeitslos oder von Langzeitarbeitslosigkeit bedroht waren, die Chancen zur Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt verbessert und der Zugang zu kommunalen Beschäftigungs- und Qualifizierungsangeboten gefördert werden. 350 zusätzlich eingestellte Fallmanager in strukturschwachen Regionen sollten arbeitslose Jugendliche intensiv betreuen und beraten. Dennoch fehlte es an ausreichenden Ausbildungsplätzen. Dabei hatte nach Auffassung der damaligen Bundesregierung der „Nationale Pakt für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs“ dem Lehrstellenmarkt deutliche Impulse gegeben. Diesen Pakt hatten Vertreter der Spitzenverbände der Wirtschaft und der Bundesregierung im Jahr 2004 geschlossen. Die Wirtschaft hatte sich verpflichtet, drei Jahre lang jährlich 30.000 neue Ausbildungsplätze sowie 25.000 Plätze für Einstiegsqualifizierungen zu schaffen. Im Gegenzug sicherte die Bundesregierung diesen Anstrengungen ihre Unterstützung mit verschiedenen staatlich finanzierten Programmen zu. Doch wie wir heute wissen, verfehlte der Pakt sein Ziel, wie die „Frankfurter Rundschau“ am 30.3.2006 schrieb. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes hatte die Wirtschaft 2005 nicht – wie versprochen – mehr neue Lehrstellen geschaffen, sondern 2,2 Prozent weniger Auszubildende neu eingestellt als noch im Jahr zuvor. Seitdem beschäftigte die Politik der Streit um eine Ausbildungsplatzabgabe. Die SPD-Linke, die Grünen und die Linkspartei waren dafür, Union und FDP ebenso wie Bundeskanzler Schröder und sein Wirtschaftsminister dagegen. Statt dieser Abgabe wurde eine Ausbildungsumlage beschlossen, ihr Vollzug aber 2004 zugunsten des freiwilligen Ausbildungspaktes zurückgestellt. Wirtschaftsvertreter wollten die Ausbildung vor allem durch niedrigere Lehrlingsvergütungen attraktiver machen. Letztendlich wird es darauf ankommen, in Hinblick auf die demographische Entwicklung das Augenmerk auf eine ausreichende schulische Ausbildung der Jugendlichen zu richten. Mit dem Eintritt der geburtenschwachen Jahrgänge ins Berufsleben wird sich die Problematik aller Wahrscheinlichkeit verschieben: Statt zu wenig Lehrstellen wird es künftig einen Mangel an geeigneten Bewerbern geben.

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Bemerkenswert ist, dass in den traditionellen Berufen mehr neue Ausbildungsverträge abgeschlossen wurden. Das ging auf den Zuwachs an betrieblichen Ausbildungsverträgen zurück. Aber es war die wachsende Beschäftigung im Dienstleistungssektor, die nicht zu einer entsprechenden Ausbildungsleistung geführt hat. Hier hat sich in manchen Unternehmen noch keine Ausbildungstradition wie im Bereich der gewerblich-technischen Berufe oder im Handwerk entwickelt. Kleinstbetriebe im Bereich der Informationstechnologie zum Beispiel haben keine Ausbildungstradition. Ihre Betriebsabläufe erschweren es zudem, Auszubildende zu integrieren. Generell sind Kleinstbetriebe für die Ausbildung aber sehr wichtig. Sie bilden nahezu die Hälfte aller Auszubildenden aus. Für diese Betriebe und Unternehmen sind noch keine passenden Ausbildungsformen gefunden worden. Das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) hat sich intensiv mit der problematischen Vermittlungssituation befasst. Im Jahre 2004 waren bei der Bundesagentur für Arbeit 763.000 Jugendliche als Lehrstellenbewerberinnen und -bewerber registriert. Davon hatten sich 365.000 erfolgreich um eine Lehrstelle beworben und fast 350.000 machten etwas anderes als die zunächst von ihnen beabsichtigte Ausbildung. Wofür entscheiden sich Jugendliche ohne Lehrstelle und wie beurteilen sie ihre Situation? Ein knappes Drittel von ihnen sagte, dass die von ihnen gewählte Ausweichstrategie „weitgehend ihren Bildungswünschen“ entspreche. Ein weiteres Drittel, das vor allem berufsvorbereitende Maßnahmen und Praktika absolviert oder Wehr- beziehungsweise Zivildienst vorgezogen hat, hatte sich mit der Situation arrangiert. Und das letzte Drittel, weit über 100.000 Jugendliche, sah sich in einer „Notsituation“. 71 Ist die Ausbildungsreife einer zunehmenden Zahl von Schulabgängern und Schulabgängerinnen ausreichend? Diese Frage ist in den vergangenen Jahren vielfach kritisch diskutiert worden. Die eher mittelmäßigen mathematischen Kenntnisse und die Lese- und Verständnisfähigkeit deutscher Schüler und Schülerinnen, scheinen die These der unzureichenden Ausbildungsreife von Teilen der Schulabgänger zu bestätigen. Weniger bekannt sind die Erfahrungen des Psychologischen Dienstes der Bundesagentur für Arbeit. Sie zeigen, dass die heutigen Schüler und Schülerinnen in standardisierten Tests schlechtere Ergebnisse in den Kernfächern als vor 20 Jahren erzielen. Dafür schneiden sie bei wichtigen anderen Kompetenzen besser ab, etwa besseres Problemlösungsverhalten, Kenntnisse in der Anwendung von Informationstechnik. Dennoch sind Probleme mit dem Übergang von der Schule zum Arbeitsleben nicht von der Hand zu weisen. Interessant sind die Erfahrungen mit dem Programm „Schule-Wirtschaft/Arbeitsleben“ der Bundesregierung. Es gibt Hinweise darauf, dass dieser Übergang nicht nur ein quantitatives Problem ist, was die Zahl der Jugendlichen in Ausbildung und Arbeit betrifft, sondern auch ein qualitatives Problem. Es besteht darin, dass keine „gelingende individuelle biographische Entwick71

Vergleiche Eberhard/Krewerth/Ulrich (2006).

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lung eintreten kann“, was u. a. Mündigkeit und Partizipation einschließt. 72 Der Grund: Der Übergang von der Schule in die Arbeitswelt hat sich grundlegend verändert: Der Lernort „Betrieb“ ist im Laufe der letzten Jahrzehnte zu einem immer knapperen Gut geworden. 73 Folglich treten Jugendliche nach der Schule nicht mehr einfach in eine Berufsausbildung ein, die in eine (qualifizierte) Arbeitstätigkeit und anschließende Karriere mündet, bis dann irgendwann der Ruhestand das Berufsleben beschließt. Deshalb wird ein „Übergangsmanagement“ zwischen Schule und Arbeitswelt benötigt. Zum einen muss jede Schule in den Stand versetzt werden, ein Konzept von erweiterter Berufsorientierung und Ausbildungsfähigkeit als Bildungsaufgabe von Anfang an zu entwickeln. Dazu gehört auch der Einsatz für das Übergangsmanagement in enger Kooperation mit außerschulischen Partnern. 74 Zum anderen fehlt der großen Vielfalt an einzelnen Aktivitäten, Maßnahmen und Erfahrungen zur Organisation des Übergangs zwischen Schule und Beruf Transparenz und Struktur. Der Präsident des Bundesinstituts für Berufsbildung, Manfred Kremer, konstatierte als eine Schwäche des deutschen Bildungssystems, „dass es keine systematisch gestalteten Schnittstellen zwischen allgemeiner Bildung und Berufsbildung gibt, dass duale und schulische Berufsausbildung nahezu unabgestimmt nebeneinander entwickelt wurden und werden und dass tragfähige Verbindungen zwischen beruflicher Bildung und Hochschulstudium nur in Ansätzen bestehen.“75 2. Weiterbildung Das Abflauen der Bildungsexpansion in den 90er Jahren und der Alterungsprozess der Gesellschaft machten ein wesentlich breiteres Angebot zum „lebenslangen Lernen“ notwendig. So entstand in Deutschland eine Vielzahl von Weiterbildungsträgern. Bundesweit bieten insgesamt etwa 35.000 staatliche und private Träger 400.000 Kurse, Seminare, Workshops und andere Maßnahmen an. Dennoch ist die Beteiligung an allgemeiner und beruflicher Weiterbildung in Deutschland vergleichsweise gering, wie Weiterbildungsexperten bemängeln. 76 Während Europäer durchschnittlich 31 Stunden im Jahr in Weiterbildungsmaßnahmen verbringen, liegen die Deutschen mit 27 Stunden unterhalb des Durchschnitts.77 Besonders der Vergleich mit Dänemark und Schweden zeigt, dass die Kosten für die Weiterbildungskurse dort teilweise geringer sind als in Deutschland. Außerdem arbeiten in Nordeuropa die Arbeitgeber und Arbeitnehmervertretungen sehr intensiv und produktiv zusammen. In Dänemark beispielsweise gibt es für mehr als ein Drittel der 72 73 74 75 76 77

Manfred Eckert, zitiert nach Famulla (2007). Vergleiche Kruse (2007). Vergleiche Famulla (2007). BIBB-Pressemitteilung Nr. 36/2006 vom 12.10.2006. Vergleiche Mytzek-Zühlke (2006). Vergleiche Europäische Weiterbildungserhebung (2001).

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C. Angebotsmacht der Arbeit in Deutschland – Eine Bilanz

Betriebe Weiterbildungsfonds. Das ist in Deutschland nur selten der Fall. In Schweden ermitteln Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Kommunen in regionalen Weiterbildungsgremien gemeinsam den Weiterbildungsbedarf und bringen ihn mit entsprechenden Angeboten zusammen. a) Unterdurchschnittliche Weiterbildung in Deutschland? Um die vergleichsweise geringe Beteiligung an Weiterbildungsmaßnahmen zu rechtfertigen, wird häufig auf die gute Qualität der Erstausbildung in Deutschland verwiesen. Dies scheint plausibel zu sein. Darüber hinaus bieten Unternehmen, die in der Erstausbildung aktiv sind, auch verstärkt Weiterbildung an. Und weiterhin werden gut ausgebildete Beschäftigte oft weitergebildet. Hier kommt eine deutsche Besonderheit ins Spiel, nämlich tarifvertragliche oder betriebliche Vereinbarungen über Weiterbildung. Sie fördern fraglos die Weiterbildung. Die Industriegewerkschaft Bergbau Chemie Energie (IG BCE) und Bundesarbeitgeberverband Chemie (BAVC) vereinbarten einen Tarifvertrag zur Förderung der Ausbildung. So verpflichteten sie sich, zwischen den Jahren 2004 und 2007 die Zahl der Auszubildenden um 7 Prozent zu steigern. Bislang zeigten allerdings die Menschen am unteren Ende der Qualifikationsskala an Weiterbildungsangeboten wenig Interesse. Betriebliche Weiterbildungsvereinbarungen haben nur in Schweden einen statistisch nachweisbaren positiven Einfluss. In Deutschland lässt sich ein vergleichbarer Einfluss statistisch nicht erkennen. Gleichwohl sollte die Qualität dieser und anderer Vereinbarungen nicht daran gemessen werden. Es liegt in der Natur der Sache, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer den Bedarf an Weiterbildung und ihre Überprüfung gemeinsam abstimmen, weil das beiden Seiten nützt. Es kann durchaus sein, dass ein Unternehmen, in dem Weiterbildung sehr gut funktioniert, gar keine formellen Regelungen braucht. Festzuhalten bleibt aber, dass sich Weiterbildung in den meisten Fällen lohnt: Für das Unternehmen, weil damit die Produktivität erhöht wird. Und für die einzelnen Beschäftigten, weil sie häufig ihre Einkommens- und Beschäftigungschancen verbessern. Welche Möglichkeiten Weiterbildung in einem Unternehmen bieten kann, zeigt das Beispiel BASF. Das größte Chemieunternehmen der Welt fasst die Bedeutung seiner Aus- und Weiterbildung wie folgt zusammen: „Qualifizierung schafft Chancen“. Flexible Einsatzmöglichkeiten ihrer Beschäftigten für vielfältigere und wechselnde Aufgaben werden in der BASF wichtiger. Der Konzern mit Sitz in Ludwigshafen eröffnet seinen Mitarbeitern deshalb die Möglichkeit, sich für ihre aktuellen Aufgaben fit zu halten und sich für neue Herausforderungen zu qualifizieren. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer werden mit spezifischen Personalentwicklungsprogrammen und zahlreichen gezielten Qualifizierungsangeboten gefördert. Im Jahr 2004 investierte die BASF weltweit nahezu 129 Millionen Euro in die Ausund Weiterbildung ihre Beschäftigten. Im Durchschnitt erhielt jeder Mitarbeiter 3,9 Tage Weiterbildung, über 65.000 Beschäftigte nahmen an mindestens einer

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Schulungsmaßnahme teil. Die BASF will eigenverantwortliches und praxisnahes Lernen in Zukunft stärker fördern. Dabei setzt sie auf innovative Trainingskonzepte und moderne Technologien wie E-Learning – am Arbeitsplatz und insbesondere in der Freizeit. BASF hat in Ludwigshafen ein modernes Lernzentrum errichtet. Seit Ende 2005 können sich dort die Mitarbeiter unter fachkundiger Anleitung mit Hilfe modernster Lernmedien weiterbilden. Nachwuchsführungskräfte können im Rahmen ihrer Karriere-Entwicklung am Programm „Performance Factory – Business Driven Action Learning“ teilnehmen. Die jungen Nachwuchskräfte arbeiten etwa vier Monate lang an übergreifenden, strategisch wichtigen Projekten mit und sammeln in international zusammengesetzten Teams wichtige praktische Erfahrungen. Zugleich können sie ihre Führungsfähigkeiten stärken. 78 Das Beispiel BASF zeigt, dass Weiterbildung durchaus gezielt betrieben werden kann. Die Qualifikationen der Mitarbeiter – vor allem im Führungsbereich – werden gezielt aufgewertet. Dabei geht es in wachsendem Maße um Methodenkompetenz und zunehmend weniger um den zusätzlichen Gewinn von Fachwissen. b) Weiterbildung im „Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit“ Das Bündnis für Arbeit, das die Regierung Schröder 1998 zusammenrief, war ein Versuch, diese Aufgaben umzusetzen. Es dokumentierte den Willen der Politik, Einfluss auf die Entwicklung der Weiterbildung zu nehmen. In den Bündnisrunden hatte sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass selbst dort das Leistungsniveau der Bildung nicht ausreichte, wo formale Abschlüsse vorlagen. Vor allem aber die Einsicht in den Zusammenhang von geringer Qualifizierung und abnehmender Beschäftigung veranlasste das Bündnis, die Modernisierung der Aus- und Weiterbildung mit zahlreichen Beschlüssen zu forcieren. Hier kam der „Gemeinwohlgedanke“ in den Reihen der SPD zur Geltung. Ihn zeichnet nicht nur ein starkes Grundvertrauen in die schier unbegrenzte Leistungsfähigkeit staatlicher Bildungsinstitutionen aus, sondern auch der Wille, lernschwache und sozial benachteiligte Menschen zu fördern. Die aus dem Bündnis hervorgegangenen Initiativen zur Bildung und Weiterbildung dürften zu den Erfolgen des Bündnisses zählen.79 Schon die Zahl der aus dem Bündnis hervorgegangenen Programme und Maßnahmen ist beachtlich. So schuf man das „Sofortprogramm zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit“ und eine Initiative für die „Früherkennung von Qualifikationserfordernissen“. Bei der Früherkennung geht es weniger um langfristige Prognosen als vielmehr um konkrete Hinweise auf neue Trends, die insbesondere für das System der beruflichen Aus- und Weiterbildung sowie die berufsbezogenen Bildungsinteressen der Einzelnen von Bedeutung sind.

78 79

Vergleiche BASF (2005). Vergleiche Interview D2 (2002).

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C. Angebotsmacht der Arbeit in Deutschland – Eine Bilanz

Ferner wurden Ausbildungskonferenzen ins Leben gerufen und die Programme der Länder zur Steigerung der Ausbildungskapazitäten fortgesetzt. Im Jahr 2001 traten etwa 450.000 Erwachsene eine geförderte berufliche Weiterbildung an, circa 20 Prozent der Maßnahmen dienten einer Umschulung in einen neuen Beruf. An Weiterbildungsprüfungen nahmen im Jahr 2000 rund 131.000 Erwachsene teil. Ausländische Schüler und sozial benachteiligte Jugendliche erhielten besonderen Förderunterricht. In allen Bundesländern gab es ergänzende Maßnahmen. Eine Vielzahl von Aktivitäten rief auch das Förderprogramm „Neue Medien in der Bildung“ ins Leben. Es bot zum Beispiel einen Internetführerschein für Arbeitslose an. Die Initiative „Frauen ans Netz“ erhöhte die Internetbeteiligung von Frauen von circa 30 Prozent im Jahr 1998 auf inzwischen 43 Prozent. Für das Handlungskonzept „IT in der Bildung – Anschluss statt Ausschluss“ stellte die Bundesregierung zwischen 2000 und 2004 circa 706 Mio. Euro bereit. Insgesamt investiert die Wirtschaft jährlich rd. 18 Mrd. Euro in die berufliche Weiterbildung. Die Bundesanstalt für Arbeit setzte für diese Maßnahmen Mittel in Höhe von 6,5 Mrd. Euro ein. Hinzu kamen schätzungsweise 5 Mrd. Euro, die die Teilnehmerinnen und Teilnehmer selbst aufbrachten. 80 c) Aufgaben für die Politik der Weiterbildung Obgleich die Bedeutung von Weiterbildung in einer sich ständig verändernden Arbeitswelt unbestritten sein dürfte, gibt es kaum Qualitätskriterien für eine gute Weiterbildung. Hier liegt die erste und wichtigste Aufgabe für die Politik. Sie muss Projekte unterstützen, die Qualitätskriterien für Weiterbildungen herausarbeiten. An ihnen werden sich die Bildungsanbieter messen lassen müssen, wenn Weiterbildung effizient sein soll. Die zweite Aufgabe der Politik ist es, kleine und mittlere Unternehmen hinsichtlich der Weiterbildung ihrer Beschäftigten zu unterstützen. Nicht alle haben so viel Kapital und Personal wie die BASF. Die Politik muss nicht nur an der Fortentwicklung von konkreten Weiterbildungsabschlüssen arbeiten. Sie muss auch für ein Angebot von Lerndienstleistungen sorgen, in denen auch kleinere Unternehmen ihre Mitarbeiter sinnvoll weiterbilden können. Und die dritte Aufgabe der Politik ist es, Arbeitslosen mit Weiterbildungsangeboten die Rückkehr auf den Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Das soll genauer ausgeführt werden. Die Bundesregierung hat neue Weiterbildungsabschlüsse entwickelt, die vor allem dem Aufstieg einzelner Mitarbeiter innerhalb von Unternehmen dienen sollten. Es wurde ein differenziertes Weiterbildungsangebot mit Abschlüssen geschaffen, die zum Teil universitäres Niveau erreichen. So gibt es nun zum Beispiel den „Technischen Betriebswirt“ für die Vermittlung von Management-Kompetenzen im industriell-technischen Bereich. Es gibt den „Geprüften Industriemeister“, der selbständig Projekte zu planen und durchzuführen imstande ist. Und im Bereich der

80

Vergleiche West (2004).

II. Bildung und Weiterbildung

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Land- und Forstwirtschaft finden wir den „Geprüften Natur- und Landschaftspfleger“. Mangels Nachfrage der Wirtschaft können sie jedoch ihre neuen Kenntnisse oft nicht anwenden. Andere Weiterbildungen von Tischlern, Kundenberatern oder Fachbauleitern sind in den Betrieben oft viel zu wenig bekannt, sie bleiben folglich wirkungslos. Der zweite Bereich, in dem die Politik aktiv wurde, ist die Förderung und Entwicklung von Lerndienstleistungen. Das Ziel: Auch kleine Unternehmen und StartUps sollten Weiterbildungsmöglichkeiten erhalten, die sie aus eigenen Mitteln nicht hätten bezahlen können. So erprobte ein spezieller Projektverbund, wie kleine Unternehmen von Weiterbildungseinrichtungen profitieren können. Hier wurde zum Beispiel ein großes Angebot an beratungsförmigen Dienstleistungen und Coachings für Manager geschaffen. Darüber hinaus wurden Lernarrangements entwickelt. Sie erlaubten dem einzelnen Mitarbeiter, auf eigene Initiative hin Kompetenzen zu entwickeln und Zertifikate dafür zu erwerben. So sollte der Einzelne unabhängig von seinem Unternehmen auch solche „Lebensbausteine“ erwerben, die dem eigenen Fortkommen in oder außerhalb der jeweiligen Firma förderlich sind. Der hier zugrunde liegende Ansatz, der im Programm „Lernkultur und Kompetenzentwicklung“ zum Ausdruck kam, kann als zukunftsweisend eingeschätzt werden. Denn er sollte den Einzelnen zu einer eigenverantwortlichen und individuellen Planung seiner Aus- und Weiterbildung befähigen, so dass er sich besser und schneller an die Bedingungen der Wissensgesellschaft anpassen kann. Doch auch hier wurde der gute Ansatz häufig dadurch zunichte gemacht, dass er den potenziellen Nutzern und ihren Arbeitgebern nicht bekannt war. Zudem erkennen viele Arbeitgeber selbständig erworbene Zertifikate bis heute nicht an. Die Politik muss also ein Scharnier zwischen Wirtschaft und Politik schaffen, das die bereit gestellten Angebote in den Unternehmen bekannt macht. Außerdem muss sie für eine Vergleichbarkeit von Weiterbildungsangeboten sorgen. Mit anderen Worten: Der Weiterbildungsmarkt muss transparenter werden. Auch hier gibt es schon viel versprechende Ansätze: So wurde im Rahmen des Programms „Lernkultur Kompetenzentwicklung“ das Projekt „Weiterbildungstests“ der Stiftung Warentest gefördert. Die unabhängige Überprüfung von Weiterbildungsangeboten gibt Nutzern und Unternehmen eine wichtige Orientierungshilfe. Gleichzeitig wirken diese Tests positiv auf das Qualitätsbewusstsein von Weiterbildungsanbietern. Sie leisten damit einen wichtigen Beitrag für ein transparentes und verbraucherfreundliches Bildungsangebot. Erfahrungen und erste Reaktionen von Verbrauchern, Multiplikatoren und Anbietern zeigen, dass solche Tests zwar aufwändig, aber verlässlich und gültig machbar sind. Das dritte Feld, auf dem die Politik aktiv wurde, waren Weiterbildungsmaßnahmen für Arbeitslose. Nachdem die Weiterbildungsmaßnahmen der Bundesagentur für Arbeit in die Kritik geraten waren, weil sie vielfach zu beeindruckenden „Maßnahmekarrieren“, aber nicht zu einer Vermittlung auf den Arbeitsmarkt geführt hatten, wurde die Effizienz von Weiterbildungsmaßnahmen überprüft. Schließlich wurden nur

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C. Angebotsmacht der Arbeit in Deutschland – Eine Bilanz

noch diejenigen Schritte unterstützt, die nachweislich zur Wiedereingliederung von Weiterbildungsteilnehmern in den Arbeitsmarkt führten. Aus diesem Grunde gab es eine externe Zertifizierung der Weiterbildungsanbieter und der Weiterbildungsmaßnahmen, die verlässliche Qualitätsstandards erarbeiten sollte. Man verteilte Bildungsgutscheine für Arbeitssuchende, um die die Anbieter von Weiterbildungen nun konkurrieren mussten. Diese Neuerungen hingen allerdings auch damit zusammen, dass die Förderung von Weiterbildungsmaßnahmen in Westdeutschland um 40 Prozent und in Ostdeutschland um 53 Prozent gekürzt wurde. Zwar ließen sich im Jahr 2003 noch 38,6 Prozent der Arbeitslosen wieder ins Arbeitsleben vermitteln. Doch Randgruppen wie ehemalige Strafgefangene, Behinderte oder Migranten haben durch die drastischen Kürzungen kaum noch eine Chance auf eine weiterqualifizierende berufliche Bildung. Dabei wiederholt sich auch hier das, was allen Weiterbildungsmaßnahmen bislang im Wege stand: Mangelnde Kenntnis bei Beratern sowie möglichen Teilnehmern. Ein Fünftel der Bildungsgutscheine verfällt, weil es den Arbeitslosen nicht gelingt, während der dreimonatigen Geltungsdauer den entsprechenden Kurs zu finden. Hier wäre ein hohes Maß an Eigenverantwortung und Entscheidungskompetenz nötig, die aber gerade bei schwächeren Teilnehmern des Arbeitsmarktes oft fehlt. Weiterbildung macht nur dann Sinn, wenn das Angebot sowohl für die Berater der Bundesagentur für Arbeit als auch für ihre arbeitslosen Klienten transparent und vergleichbar ist. Doch statt effiziente Beraterstrukturen zu fördern, haben die Arbeitsagenturen ihre Beratungskompetenzen aufgegeben. Gewerkschaften und Unternehmerseite bewerteten die Bildungsanstrengungen der Regierung Schröder ganz unterschiedlich. Gewerkschaftsvertretern gingen sie nicht weit genug. In ihrem Minderheitsvotum zum Bildungsbericht der Bundesregierung von 2005 sprachen sie von einer „Krise der dualen Berufsausbildung“. Sie beklagten „dramatische Unter-Investitionen“ in die Weiterbildung und eine mangelnde Beteiligung gering Qualifizierter, Frauen, Älterer und Migranten an Weiterbildungsmaßnahmen. Angesichts der mageren Ergebnisse des Ausbildungspaktes forderten sie die Politik auf, eine Ausbildungsumlage in Kraft zu setzen und für ein flächendeckendes Beratungsanbot auf einer bundeseinheitlichen gesetzlichen Grundlage zu sorgen. Dagegen zogen Unternehmensvertreter eine positive Bilanz und feierten 2005 die Trendwende auf dem Ausbildungsmarkt (Minderheitsvotum der Gruppe der Beauftragten der Arbeitgeber zum Entwurf des Berufsbildungsberichtes 2005). 81 Sie beklagten lediglich die Abgabenpläne der Regierungsfraktionen für eine Weiterbildungsumlage, ihre eigene wirtschaftliche Lage und die mangelnde Ausbildungsreife vieler Schulabgänger. Sie forderten nicht mehr Weiterbildungsangebote, sondern verlangten eine „Flexibilisierung der Ausbildungsvergütung“ und den Abbau gesetzlicher Ausbildungshemmnisse. Nach Auffassung der Unternehmen sollten sie die Vergütungen nach Bedarf senken können. Außerdem sollte die Ausbildung weniger systematisch gestaltet werden – Abweichungen von der Norm der dreijährigen Ausbildung sollten erlaubt sein. 81

Vergleiche BMBF (2005), S. 30–34.

II. Bildung und Weiterbildung

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Wie erfolgreich letztlich all die Bildungs- und Weiterbildungsprogramme der Regierung Schröder waren, lässt sich indes kaum exakt abschätzen. Zweifel scheinen aber angebracht, ob die Konzentration auf den Ausbau von Institutionen ausreicht, wie viele Linke meinen. Sofern sie nicht auf eine Steigerung der Angebotsmacht der Arbeit zielen, dürften alle Anstrengungen im Sande verlaufen. Die konservativ-liberalen Vertreter einer „fairen Gesellschaft“ – und mit ihnen viele Unternehmer – haben hingegen noch weniger zu bieten. Für sie ist Bildung nur dann von Bedeutung, wenn sie mit unternehmerischen Interessen zu vereinbaren ist. Doch wer sich nur an der jeweils aktuellen Nachfrage der Wirtschaft orientiert, wird die Angebotsmacht der Arbeit kaum dauerhaft stärken können. Denn sie hängt wesentlich vom Reservoir gut ausgebildeter, zu „lebenslangem Lernen“ bereiter Menschen ab. Es ist zweifelhaft, ob ein privat organisierter Weiterbildungssektor ausreicht, wie ihn CDU/CSU und FDP favorisieren, um die gesamte Gesellschaft für die Angebotsmacht der Arbeit zu gewinnen. Hinzu kommt, dass im bildungspolitischen Denken der „fairen Gesellschaft“ die Integration von benachteiligten Gruppen auf dem Arbeitsmarkt nur eine untergeordnete Rolle spielt. Der Ausschluss der Schwachen wird sich auf Dauer aber negativ auf das Wohl der gesamten Gesellschaft auswirken. Schon deshalb sollten auch sie soweit gefördert werden, dass sie in einer arbeitenden Gesellschaft ihren Platz finden. 3. Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit, Gemeinwohl und faire Gesellschaft Wirkung und Erfolg der Bildungspolitik der rot-grünen Bundesregierung sind schwer genau zu bestimmen, oftmals mangelt es an Daten.82 Über viele Bildungsmaßnahmen lässt sich häufig nur soviel sagen: Sie sind Antworten auf Probleme und stellen die Lernfähigkeit wenigstens von Teilen des Bildungssystems unter Beweis. Was die Qualität betrifft, lässt sich sagen: eine große Zahl von Menschen hat an ihnen offenbar mit Erfolg teilgenommen. Es gilt aber auch: der Erfolg oder Misserfolg von Bildungsmaßnahmen ist nicht unmittelbar an der positiven oder negativen Entwicklung der Arbeitslosenzahlen ablesbar. Wir können mit der gebotenen Vorsicht feststellen: In der Bildungspolitik ist über viele Jahre die Angebotsmacht der hoch qualifizierten Arbeit nicht entscheidend gesteigert worden. Man muss in Rechnung stellen, dass die Zahlen der Universitätsund Fachhochschulabschlüsse aufgrund der hochwertigen Fachausbildung im internationalen Vergleich nicht als „Nettowerte“ betrachtet werden können. Nettowerte würden etwas anderes ausdrücken, nämlich dass Deutschland nicht so weit hinter den anderen Staaten zurückliegt. Das ist aber nicht zutreffend. Gleichwohl: Die ausreichende Vermittlung der Basistechniken in den Grundschulen kann nicht als gewährleistet gelten. Das zeigen die PISA-Untersuchungen in aller Deutlichkeit. 82

Vergleiche Klemm (2002).

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C. Angebotsmacht der Arbeit in Deutschland – Eine Bilanz

Auch die Partizipation von Jugendlichen an der Arbeit ist nicht ausreichend. Die Unternehmen stellen zu wenige Ausbildungsplätze zur Verfügung. Und die duale Ausbildung zeigt offenkundige Schwächen. Es gibt ernsthafte Anstrengungen der Politik, das zu ändern. Zum Beispiel durch gezielte Förderprogramme oder durch die Schaffung zeitgemäßer Berufsbilder. An mehreren Stellen treten jedoch Schwierigkeiten auf: die Vermittlung von Schule zur Arbeitswelt funktioniert nicht gut, und die neu geschaffenen Berufsbilder waren den Unternehmen nicht bekannt. Es gibt bildungspolitische Anstrengungen, die Arbeitskräfte besser auszubilden und die Zugänge zur Arbeit zu verbreitern. Das muss festgestellt und positiv beurteilt werden. Aber diese Anstrengungen reichen nicht aus, wenn man den Qualifikations- und Bildungsbedarf der wissensindustriellen Gesellschaft sehr strikt sieht. Das dürfte besonders für die so wichtigen Methodenkompetenzen gelten. Mit ihnen können Menschen ihre Fachkompetenzen erneuern und erweitern. Die Angebotsmacht der Arbeit zu entwickeln bedeutet, außer den Fach- die Methodenkompetenzen zu fördern. Auch in Punkto Weiterbildung ist Deutschland nicht Spitze in Europa. Möglicherweise muss dieser Befund der europäischen Weiterbildungserhebung korrigiert werden. Denn über unternehmens- und betriebsbezogene Aktivitäten können derzeit keine verallgemeinerbaren Aussagen gemacht werden. Beispiele von einzelnen Unternehmen zeigen allerdings, was Weiterbildung in den Betrieben und Unternehmen leisten kann. Grosse Unternehmen wie die BASF setzen auf ihre eigenen Möglichkeiten. Umfassendere Einsatzmöglichkeiten, Methodenkompetenzen, stehen hier im Vordergrund. Auch in diesem Feld hat die Politik vieles unternommen. Die Weiterbildung spielte eine nicht unwesentliche Rolle im Bündnis für Arbeit. Es bleibt aber das Problem, dass die unterdurchschnittlich Qualifizierten nicht oder nicht ausreichend an Weiterbildungsangeboten partizipieren. Hier gibt es Handlungsbedarf, besonders was die Umsetzung in Unternehmen betrifft. Das gilt aber auch für die Verbreiterung der Kenntnisse von neuen Weiterbildungsabschlüssen, für die Berücksichtigung der Situation von kleinen und mittleren Unternehmen, so genannten KMU, und für die Einbeziehung von Arbeitslosen. Diese Feststellungen zum Entwicklungsstand der Angebotsmacht der Arbeit gewinnen an Schärfe, wenn man sie im Lichte der beiden grundsätzlichen Ansätze der Bildungspolitik in Deutschland sieht. Es gibt eine sozialdemokratisch geprägte Bildungspolitik, die sich am Begriff des Gemeinwohls orientiert, und eine konservative Bildungspolitik mit dem Ziel der „fairen Gesellschaft“. 83 Die vom Gemeinwohl geprägte bildungspolitische Orientierung lag der Politik der sozialdemokratisch-grünen Bundesregierungen von 1998 bis 2005 zugrunde. 84 Auffallend ist das grundsätzliche politische Vertrauen der Gemeinwohlvertreter in die staatlichen Bildungsinstitutionen. Sie glauben fest daran, dass ihre Leistungsfä83 84

Vergleiche Schwengel/West (2001). Vergleiche Clement u. a. (2000) und SPD (2001).

III. Partizipation

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higkeit erheblich gesteigert wird und eine gezielte Förderung lernschwacher und sozial benachteiligter Menschen erfolgreich sein kann. Gerechtfertigt ist solches Vertrauen aber nur unter bestimmten Bedingungen. Erstens muss eine präzise Vorstellung darüber vorhanden sein, welche Lernkompetenzen die Schülerinnen und Schüler, die über Fachkompetenzen hinausgehen, entwickeln können sollen. Das war in dem genannten Zeitraum nicht der Fall. Zweitens unterstellt das Vertrauen in die Institutionen, dass staatliche Bildungsinstitutionen die ungleiche Verteilung von Begabungen, Fähigkeiten und Chancen in der Gesellschaft tatsächlich korrigieren können. Dafür ist sie bislang den Beweis schuldig geblieben. Und auch die Behauptung der Arbeitsmarktreformer, Bildung könne die Arbeitsmarktchancen entscheidend verbessern, klingt plausibel. Überzeugend belegt ist sie bislang nicht. In einem Satz: Es gibt keine Belege, die die Auffassungen der Gemeinwohlpolitiker festigen, dass die Bildungsinstitutionen in ausreichendem Masse die Angebotsmacht der Arbeit fördern. Der Ansatz der konservativ-liberalen Regierung bis 1998 gründet auf der leitenden Vorstellung einer „fairen Gesellschaft“. Er prägt auch heute noch das bildungspolitische Denken der Union. 85 Die „Entfaltung der Talente“ 86 wurde schon vor einem Jahrzehnt von der heutigen Bildungsministerin beschrieben. Die Klarheit, dass es darum geht, sich selbstständig Wissen anzueignen und aus seiner Fülle heraus kreativ zu werden, ist ein programmatisches Plus. Aber in dieser ideenpolitischen Welt spielen elitäre Momente wie das Privileg eine große Rolle. Es ist unklar, wie groß der Kreis derer ist, die daran partizipieren sollen. Der Kern der fairen Gesellschaft ist der Markt. Er entscheidet über die jeweils gebrauchten Kompetenzen. Die konservativ-liberalen Vertreter dieses Modells wollen den Wirtschaftsunterricht an den Schulen einführen. Bildung ist hier nur das Instrument rein unternehmensbezogener Interessen. Kennzeichnend für den konservativen bildungspolitischen Ansatz ist eine gewisse institutionelle und marktbezogene Sorglosigkeit: Sie vertraut darauf, dass Markt und Institutionen im Großen und Ganzen gut funktionieren.

III. Partizipation Die Bundesregierung hat seit 1998 mit ihrer Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik versucht, den Grad der Beschäftigung zu erhöhen. Zum Beispiel durch Existenzgründung. Die „Ich-AGs“, die mit dem Inkrafttreten des „Zweiten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ am 1. Januar 2003 geschaffen wurden, stellten Existenzgründern mit geringem Arbeitslosengeldanspruch und Teilzeitselbständigen einen gestaffelten pauschalen Existenzgründungszuschuss zur Verfügung. Bis Ende 2003 wurden anstelle der erwarteten 20.000 insgesamt fast 93.000 kleine Existenzgründungen gefördert. 87 85 86 87

Vergleiche CDU (2001) und Orientierung für die Zukunft (2001). Vergleiche Schavan (1998). Vergleiche Jann/Schmid (2004 a).

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C. Angebotsmacht der Arbeit in Deutschland – Eine Bilanz

Im Juni 2005 gab es etwa 6,7 Millionen „Minijobber“ in Deutschland. Minijobs wurden im Westen Deutschland, in Dienstleistungsbranchen und bei Frauen häufig in Anspruch genommen. Unter den ausschließlich geringfügig Beschäftigten waren vor allem jüngere und ältere Männer sowie Frauen mittleren Alters stark vertreten. Allerdings ist mit diesen Jobs für Arbeitslose keine Brücke in voll sozialversicherungspflichtige Beschäftigung entstanden. 88 Knapp 700.000 Menschen, davon 75 Prozent Frauen, haben 2003 einen „MidiJob“ ausgeübt. Er war für einen besonderen Typus, die „westdeutsche Frau mittleren Alters“, besonders attraktiv. Denn Familie und Beruf ließen sich gut verbinden. Andere sahen im Midi-Job das Sprungbrett zu einer „normalen“ Beschäftigung. Aber es fehlte ihnen an Bekanntheit, die Midi-Jobs waren deutlich weniger bekannt als die Minijobs. Dennoch: Insgesamt konnten für diese Menschen neue Beschäftigungsperspektiven geschaffen werden. 89 Außer solchen Maßnahmen wurde der Umbau der ehemaligen „Bundesanstalt für Arbeit“ in Angriff genommen. Ihre Umbenennung in „Bundesagentur für Arbeit“ war mehr als eine Namensänderung. Die Bundesagentur sollte in einem umfassenden Reformprozess von einer „Verwaltung“ zum „ersten Dienstleister am Arbeitsmarkt“ umgebaut werden. Er wurde mit dem Dritten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt („Hartz III“) 2004 in Gang gesetzt. Allerdings verlief dieser Prozess langsamer und schwieriger als erwartet. Entscheidend für die Behörde war der Aufbau eines vollständig neuen Steuerungssystems. Es sollte auf allen Ebenen der Organisation die klassische bürokratische Steuerung durch klare Leistungsvereinbarungen und -anreize ersetzen. Dezentrale Handlungsspielräume sollten vergrößert werden, die Agenturen vor Ort mehr Initiative bei gleichzeitiger kontinuierlicher Überwachung von Leistungen und Kosten ergreifen können. Die Hauptziele waren die Verschlankung und Reorganisation der Hauptstelle, die konsequente Kundenorientierung in den lokalen Kundenzentren und die Einrichtung von Servicezentren zur schnellen telefonischen Bearbeitung von Routineangelegenheiten. 90 a) Die Risikogruppen des Arbeitsmarktes Ein besonderes Augenmerk legte die Bundesregierung in ihrer Arbeitsmarktpolitik auf die so genannten Risikogruppen des Arbeitsmarktes, das heißt Menschen mit geringer Angebotsmacht oder zumindest geringer Attraktivität für die Wirtschaft. Eine „Zielgruppenpolitik“ sollte die Arbeit dieser Menschen attraktiver machen, indem sie die besonderen Qualifikationen und die Lebensumstände der jeweiligen Risikogruppen berücksichtigte. Risikogruppen haben unterdurchschnittliche Möglichkeiten, an bezahlter Arbeit zu partizipieren. 88 89 90

Vergleiche BMAS (2006). Vergleiche BMAS (2006). Vergleiche Jann/Schmid (2004 a).

III. Partizipation

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Unter der Bezeichnung „Risikogruppen des Arbeitsmarktes“ werden so unterschiedliche Gruppen von Menschen wie „ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer“, „Jugendliche“ und „gering qualifizierte Menschen“ zusammengefasst. Sie finden aus unterschiedlichen Gründen nur schwer einen Arbeitsplatz, oder zumindest einen Arbeitsplatz, der ihren Qualifikationen angemessen ist. aa) Ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Die Arbeitsmarktpolitik hat eine Reihe von Instrumenten entwickelt, um Ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für Unternehmen attraktiver zu machen. In Deutschland sind nur rund 38 Prozent der 55- bis 64-jährigen erwerbstätig, ein Prozentsatz, der weit unter dem OECD-Durchschnitt von 50 Prozent liegt. Um dieses Niveau zu erreichen, müssten in Deutschland zusätzlich rund 1,2 Mio. der mehr als 55 Jahre alten Menschen eine Beschäftigung aufnehmen. Allerdings ist die Situation widersprüchlich. Deutschland hat im internationalen Vergleich eine doppelt negative Spitzenstellung: Bei der Frühverrentung und der Arbeitslosigkeit bei Älteren. Lange Zeit gab es starke Anreize für die Frühverrentung. Die Politik gestaltete den frühen Ausstieg aus dem Berufsleben attraktiv – damit junge Menschen nachrücken konnten. Dann gerieten die Rentenversicherungen in eine Krise. Die Politik leitete einen Kurswechsel ein. Im Dezember 2003 beschloss die Bundesregierung eine schrittweise Anhebung der Altersgrenze für den frühest möglichen Beginn der Rente nach Altersteilzeit oder Arbeitslosigkeit. Damit sollte die Frühverrentung begrenzt werden. An der Praxis der Frühverrentung änderte es vorerst nichts. Die Zahl der Vorruheständler nach der so genannten 58er Regelung stieg 2003 gegenüber 2002 sogar um über 22 Prozent. Deshalb wies das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in der Bundesagentur für Arbeit zu Recht darauf hin, dass die Appelle an die Betriebe, mehr ältere Arbeitskräfte zu beschäftigen, ins Leere laufen – jedenfalls so lange wie die Anreize in die entgegen gesetzte Richtung wirken. Es bestanden immer noch Möglichkeiten des frühzeitigen Ausscheidens. Andererseits stehen der Beschäftigung älterer Arbeitnehmer kulturelle Gründe im Wege. Die Argumente der Unternehmen gegen die Beschäftigung Älterer lauten: höheres Krankheitsrisiko, zu hohe Tariflöhne respektive Gehälter, zu strenge Kündigungsschutzregeln, Unflexibilität, geringe Motivation. Nach Meinung von Fachleuten treffen diese Argumente jedoch nicht zu. Auch geben sich Personalchefs in der Öffentlichkeit gern aufgeschlossen und bekunden ihre Bereitschaft, etwas für Ältere zu tun. Im Ernstfall stellen sie aber lieber 30jährige Menschen ein.91 Nur in einigen wenigen Unternehmen wie beispielsweise BMW Leipzig setzten die Personalchefs auf den Sachverstand, die Erfahrung und die Teamfähigkeit älterer Mitarbeiter.

91

Vergleiche die Süddeutsche Zeitung vom 07.03.2006.

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C. Angebotsmacht der Arbeit in Deutschland – Eine Bilanz

Die von Gerhard Schröder geführten Bundesregierungen haben deshalb zwischen 1998 und 2005 mit mehreren Initiativen und Maßnahmen versucht, die Beschäftigung älterer Arbeitnehmer für die Unternehmer attraktiver zu machen. Dazu gehörte die befristete Einstellung älterer Arbeitnehmer und insbesondere die Möglichkeit für Unternehmen, ältere und erfahrene Mitarbeiter praktisch bis zu 15 Jahren ohne Kündigungsschutz zu beschäftigen. Zunächst blieben Erfolge der befristeten Einstellung älterer Arbeitnehmer aus. Im Mai 2003 standen jeweils 3 Prozent der Erwerbstätigen in den Altersgruppen von 48 bis 65 Jahren in einem befristeten Arbeitsverhältnis. Während in Westdeutschland der Anteil jeweils lediglich etwa 2 Prozent betrug, waren es in Ostdeutschland je nach Altersgruppe zwischen 6 und 11 Prozent. Die durchschnittliche Befristungsdauer lag in allen Altersgruppen zwischen 15 und 20 Monaten und damit unterhalb der ohnehin für alle Altersgruppen zulässigen Höchstdauer von zwei Jahren. Einen Hinweis dafür, warum das der Fall war, können wir bei einem anderen Instrument finden: Dem Beitragsbonus für Unternehmen, die ältere Arbeitnehmer anstellen. Dieser Bonus war bei den Vermittlungsfachkräften der Agenturen für Arbeit und in den Betrieben nur wenig bekannt. Gut informierte und im Umgang mit Fördermitteln erfahrene Betriebe haben ihn allerdings genutzt.92 Die Befristung von Arbeitsverträgen für ältere Beschäftigte ist allerdings sehr ambivalent. Denn die Zeitspanne von 15 Jahren befristeter Beschäftigung bis zum Renteneintritt kann für diese Beschäftigten sehr belastend sein. Und die Wahrscheinlichkeit ist hoch, nach einer befristeten Stelle erneut in eine Befristung oder in die Arbeitslosigkeit zu geraten. Insgesamt ging in Westdeutschland nur etwa jedes vierte befristete Beschäftigungsverhältnis in ein unbefristetes über, in Ostdeutschland nur jedes siebte. Kommunikationsprobleme gab es auch im Falle der Entgeltsicherung für ältere Arbeitnehmer. Sie sollte Arbeitslosen und von Arbeitslosigkeit bedrohten Arbeitnehmern oberhalb des 50. Lebensjahrs Anreize zur Aufnahme einer Arbeit bieten. Wenn die neue Beschäftigung mit finanziellen Einbußen im Vergleich zum Verdienst aus der früheren Tätigkeit verbunden ist, wird die Differenz durch eine zeitlich befristete Aufstockung des Arbeitsentgelts teilweise ausgeglichen. Außerdem werden zusätzlich Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt. Die Entgeltsicherung schien für die Arbeitsagenturen zunächst keine besondere Wichtigkeit zu haben, weil eine Reihe von Arbeitsvermittlern dieses Instrument nicht kannte und nicht bei den Anspruchsberechtigten dafür warb. Dabei bewerteten die Nutzer die Entgeltsicherung durchaus positiv. 93

92 93

Vergleiche BMAS (2006). Vergleiche BMAS (2006).

III. Partizipation

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bb) Jugendliche „Arbeitslose Jugendliche kommen Deutschland teuer zu stehen“, hieß es in einem Artikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 8.8.2005. Die meisten Fachleute sind sich einig: Deutschland kann sich Jugendarbeitslosigkeit aus demographischen und sozialen Gründen nicht leisten. Schlecht qualifizierte Jugendliche fühlen sich benachteiligt und zurückgesetzt, sie sind ein „sozialer Sprengstoff“. Trotz vielfältiger politischer Bemühungen waren 2005 rund 630.000 junge Menschen ohne Arbeit. Die rot-grüne Bundesregierung hat im Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit vor allem auf Sonderprogramme und Vereinbarungen mit den Sozialpartnern gesetzt. Im Jahr 1999 startete das mit 2 Milliarden DM dotierte Sofortprogramm Jump für 200.000 Jugendliche, im gleichen Jahr wurde im „Bündnis für Arbeit“ ein Ausbildungskonsens vereinbart. Danach sollte jeder junge Mensch, der könne und wolle, auch ausgebildet werden. Im übrigen Europa sah die Lage sogar noch schlechter aus. Während 2004 die Jugendarbeitslosigkeit hierzulande 10,6 Prozent betrug, waren es laut Angaben der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in der Europäischen Union im Schnitt 15,6 Prozent, in Frankreich 21,3 Prozent und in Italien sogar 23,5 Prozent. Offenbar hat die Arbeit vieler Jugendlicher in Deutschland keine oder nur geringe Angebotsmacht. Das liegt hauptsächlich an mangelnden Qualifikationen. Die typischen Merkmale arbeitsloser Jugendlicher haben sich nach Ansicht von Fachleuten seit Jahrzehnten nicht verändert. Viele waren nur auf der Haupt- oder Sonderschule, haben einen schlechten Abschluss oder gar keinen. Sie kommen aus Migrantenfamilien, in denen Bildung oft einen untergeordneten Stellenwert hat. Jugendliche sollten aber kein „Nachschub für Nürnberg“ sein. Niemand unter 25 Jahren, so die Vereinbarung zwischen Regierung und Bundesagentur aus dem Jahr 2004, sollte länger als drei Monate arbeitslos bleiben. Deshalb erhielt die Betreuung von Jugendlichen Vorrang. So genannte Fallmanager brauchten sich nur um 75 jugendliche Langzeitarbeitslose zu kümmern, während sich sonst ein Betreuer der Sorgen von 150 erwachsenen Arbeitslosen annehmen muss. Die Bundesregierung wollte vermeiden, dass der Einstieg junger Menschen ins Berufsleben mit einer Enttäuschung beginnt. Denn wer in seiner Jugend keine oder keine akzeptable Beschäftigung bekommt, wird mit großer Wahrscheinlichkeit in Zukunft zu den Arbeitslosen zählen. Das ist das Ergebnis einer Studie des Zentrums für Sozialforschung Halle. Zwar förderte der Staat Jugendliche aus armen Familien und solche, die aus der Schule heraus einen Ausbildungsplatz suchten. Doch diese Förderung erwies sich als nur begrenzt wirksam. Wer mit Hilfe des Staates die erste Schwelle zu einer Berufsausbildung geschafft hatte, scheiterte spätestens an der zweiten Hürde: der Stellensuche. Es wird dem Staat teuer zu stehen kommen, jene

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fit für den Arbeitsmarkt zu machen, die nicht einmal einen Ausbildungsplatz finden oder schon in jungen Jahren lange arbeitslos sind.94 Doch auch für junge Menschen mit einer abgeschlossenen Ausbildung ist die berufliche Situation merklich unsicherer geworden. Längst haben sich viele auf das „flexible“ Leben eingestellt, das nun von ihnen verlangt wird. Gemeint ist die so genannte „Generation Null“: Junge Leute, die sich fortwährend der Gefahr des „Outplacements“ ausgesetzt sehen oder zu Deutsch der Arbeitslosigkeit. Die Brüche im Leben des Einzelnen sind zahlreich. Es gibt den 26jährigen Werbekaufmann, dem seit Abschluss seiner Lehre schon zwei Mal aus betriebsbedingten Gründen gekündigt wurde. Oder die fast 30jährige Architektin, die mit Unterstützung der Eltern ein unbezahltes Praktikum an das andere reiht. Sie sammelt zwar Arbeitserfahrungen, findet aber keine feste Stelle. Die Mitglieder der Generation Null rebellieren nicht. Laut der Shell-Jugendstudie 2002 nehmen Jugendliche in Zeiten erhöhter Risiken vor allem auf dem Arbeitsmarkt eine neue pragmatische Haltung ein. Sie orientieren sich an konkreten und praktischen Problemen, die für sie mit persönlichen Chancen verbunden sind. Diese jungen Erwachsenen geben nicht auf, sondern puzzeln sich ihre Patchwork-Biografien zusammen. Sie gründen Kleinstunternehmen oder Gesellschaften bürgerlichen Rechts. Auch schrecken sie nicht vor Scheinselbstständigkeit zurück, um ihren Fuß in der Betriebs- oder Bürotür zu halten. Die meisten gehen mit ihrer Situation erfinderisch und flexibel um. Viele hoffen darauf, dass in zehn Jahren, in einigen Branchen schon früher, ein Mangel an gut ausgebildeten Fachkräften herrschen wird.95 cc) Gering Qualifizierte Arbeitsmarktfachleute erklären den gravierenden Anstieg von „Langzeitarbeitslosen“ mit gravierenden Mängeln in der Qualifikation oder im sozialen Umfeld der Arbeitslosen. Der Anteil an niedrig Qualifizierten am ALG II ist besonders hoch. Der Vorstandschef der Bundesagentur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise, sprach deshalb von einem „geteilten Arbeitsmarkt“. Wer als „arbeitsmarktnah“ gelte, habe große Chancen, dass ihn die Arbeitsagentur binnen weniger Monate vermittelt. Je besser die berufliche Qualifikation, desto geringer das Risiko, dass Arbeitslosigkeit zum Dauerzustand wird. Deshalb sind Akademiker weitaus seltener von Arbeitslosigkeit betroffen als andere Berufsgruppen. Die Arbeitslosenquote von Universitätsund Fachhochschulabsolventen lag in den letzten 25 Jahren unter 4 Prozent, während sich im selben Zeitraum der Anteil der Arbeitslosen ohne Berufsabschluss mehr als verdoppelte: auf fast 25 Prozent. 96 Positiv formuliert: Hoch- und Fachhochschulabsolventen im Alter von 25 bis 65 Jahren weisen eine Beschäftigungs94 95 96

Vergleiche Sperber (2005). Vergleiche Sperber (2005). So die FAZ vom 10.4.2006.

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quote von etwa 83 Prozent auf. Menschen ohne berufliche Qualifikation jedoch nur von etwa 52 Prozent. 97 Was fehlt den „gering Qualifizierten“? Häufig haben sie keine kommunikative Kompetenz. In manchen Gebieten abseits der großen Städte ist selbst das Telefonieren für Jugendliche schon ein Problem. Damit sind nicht entwickelte kommunikative Fähigkeiten gemeint wie am Telefon sympathisch zu wirken, sondern das Telefonieren überhaupt. Das Prinzip der „Hilfe zur Selbsthilfe“, das in den Reformgesetzen für den Arbeitsmarkt verfolgt wird, erweist sich hier zum Teil als unanwendbar. Selbst Jüngeren fehlen Computerkenntnisse. „Manche haben Panik im Blick, wenn sie die Apparate sehen“, sagt ein Vermittlungscoach. Trotzdem muss da jeder durch, notfalls gibt er einen Learning-by-Doing-Crashkurs. Jeder Arbeitssuchende muss den 240-Fragen-Interessentest ausfüllen, seinen Lebenslauf schreiben und eine „Bedürfnisanalyse“ machen, bei der man sich in seinen Wunscharbeitgeber hineinversetzen und herausfinden soll, was der sich von seinem Angestellten wünschen könnte. Oft haben die Menschen in Ostdeutschland hier eine Blockade, „sie wollen sich nicht in ihren künftigen Chef versetzen, denn der ist doch für sie die Gegenseite“. 98 b) Was leistet die Arbeitsvermittlung? Arbeitsmarktpolitik kann kurzfristig keine fehlenden Qualifikationen schaffen. Deshalb war es von vornherein fragwürdig, als Bundeskanzler Schröder und Bundeswirtschaftsminister Clement mit ihren Ankündigungen den Eindruck erweckten, dass die Reform der Bundesagentur für Arbeit die Zahl der Arbeitslosen so schnell und so stark verringern könnte. Das unterstreicht ein Beispiel: In der Leipziger Niederlassung der Zeitarbeitsfirma Manpower gab es eine lange Liste von Arbeiten, für die in Leipzig ständig Leute gesucht wurden: Schweißer, Gießereifacharbeiter, Lkw-Fahrer, Bilanzbuchhalter, CNC-Dreher und CNC-Fräser – diese Menschen arbeiten mit „Computerized Numerical Control“, einem elektronischen Gerät zur Steuerung von Werkzeugmaschinen – oder einfach Menschen mit perfektem Englisch. Sie wären problemlos vermittelbar gewesen. Nur verfügen viele Langzeitarbeitslose nicht über die nötigen Voraussetzungen und erwerben sie auch nicht in kurzer Zeit.99 Viel interessanter ist ein Blick auf das, wozu die Arbeitsmarktpolitik und insbesondere die Arbeitsvermittlung in der Lage ist. Sie kann bei der Suche neuer Möglichkeiten helfen und die Arbeitssuchenden ermutigen. Außerdem bringt Arbeitmarktpolitik einen Zeitgewinn. Die Einführung einer Meldepflicht, eines der Ziele der Hartz-Kommission, sollte die Effizienz der Ver97 98 99

Vergleiche Jann/Schmid (2004 a). Vergleiche Spörrle (2004). Vergleiche Rudzio (2004).

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C. Angebotsmacht der Arbeit in Deutschland – Eine Bilanz

mittlungstätigkeit steigern. Die Vermittlungsaktivität sollte früher einsetzen. Arbeitnehmer mussten sich nun bereits zum Zeitpunkt der Kündigung bei der Arbeitsagentur melden. Arbeitslose sollten stärker als bisher gefördert und gefordert werden: Gefördert durch frühzeitige und kontinuierliche Information, Profiling, Potenzialeinschätzung, Fortbildungsangebote und Vermittlung in Personalserviceagenturen (PSA) und gefordert durch verschärfte Zumutbarkeitskriterien. 100 Die Meldepflicht nach Erhalt der Kündigung zielte vor allem auf künftig Arbeitslose mit langen Kündigungsfristen. Sie haben häufig betriebsspezifische Qualifikationen, sind oft auch schon etwas älter und haben deshalb einen besonderen Beratungs- und Anpassungsbedarf. Die aktive Arbeitsförderung sollte deshalb unmittelbar nach der Kündigung einsetzen. Es war geplant, Anreize für die Unternehmen zu setzen, alle Möglichkeiten der Kapazitätsanpassung auszuschöpfen, um Arbeitslosigkeit zu vermeiden, zum Beispiel durch kostenentlastende Anreize: Sie belohnten Unternehmen, wenn sie in die Beschäftigungs- und Marktfähigkeit ihrer Belegschaft investierten. Arbeitsmarktpolitik kann auch der besonderen Situation bestimmter Unternehmen Rechnung tragen. Nicht jeder Betrieb hat die Anpassungsspielräume eines Großunternehmens. Deshalb schlug die Hartz-Kommission die Einrichtung von Personalserviceagenturen (PSA) vor. PSA sollten vor allem kleine und mittlere Unternehmen in der Anpassung ihrer Beschäftigungskapazitäten an veränderte Bedingungen unterstützen. Allerdings standen die PSA in der öffentlichen Kritik wie kaum ein anderes Instrument. Die Ende 2003 gemeldeten Zahlen vermittelter Arbeitsplätze waren enttäuschend. Sie wurden nahezu höhnisch auf den Titelseiten der Zeitungen platziert. Teile der Arbeitgeber und der Gewerkschaften forderten ihre sofortige Wiederabschaffung. Aus heutiger Sicht wurde der Umbau einer Behörde mit 90.000 Mitarbeitern stark unterschätzt, insbesondere die benötigte Zeit für den Aufbau der erforderlichen Infrastrukturen. 101 Verschärfte Zumutbarkeitsregelungen. Das Arbeitslosengeld II mutet den Leistungsbeziehern jede Art von Arbeit zu, sofern sie dazu körperlich und geistig in der Lage sind. Damit sollten insbesondere unmotivierte Arbeitslose leichter herausgesiebt und sanktioniert werden. Das ging allerdings auf Kosten des Schutzes des Versicherten. Er musste sich nun womöglich unter Wert verkaufen. Umstritten waren vor allem die Auswirkungen der verschärften Zumutbarkeitsregelung in Kombination mit der pragmatischeren Gestaltung der Sperrzeitenregelung. Nicht zuletzt stand die Forderung nach mehr Mobilität im Spannungsverhältnis mit dem Grundrecht der Freizügigkeit, wonach niemand seinen Lebensmittelpunkt verlegen muss. 102 Eine einzige Anlaufstelle für Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger. Durch die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe sollten alle erwerbsfähigen Arbeitslosen eine gemeinsame Leistung, das Arbeitslosengeld II (ALG II), erhalten 100 101 102

Vergleiche Oschmiansky (2004 a). Vergleiche Jann/Schmid (2004 a). Vergleiche Oschmiansky (2004 a).

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und in Job-Centern betreut werden, die alle wichtigen Dienstleistungen bündeln. Ein Arbeitsloser hatte nunmehr einen einzigen Ansprechpartner, Doppelzuständigkeiten zwischen Kommunen und Arbeitsverwaltung sollten ein Ende haben. Im Prinzip erhielt dieser Vorschlag Zustimmung. Bittere Kontroversen betrafen vor allem die Höhe des zukünftigen ALG II und die Trägerschaft der Job-Center. 103 Unterstützende Arbeitsvermittler. Die Qualität der Arbeitsvermittlung entscheidet sich nicht zuletzt im Gespräch von Arbeitsvermittlern und Arbeitsuchenden. Die Gesprächssituation wird häufig nicht berücksichtigt. Denn sie entscheidet, wie eine Vermittlerin oder ein Vermittler die vorhandenen Entscheidungsräume nutzt. Dabei kann ein respektvoller und verbindlicher Umgang mit den „Kunden“ motivieren und ihre starken Seiten hervorkehren. Respekt beginnt bereits damit, dass ein Arbeitsvermittler zur Begrüßung seiner „Kunden“ in seinem Büro aufsteht. Wie häufig stehen Arbeitsvermittler den Arbeitslosen mit praktischer Soforthilfe zur Seite? Welcher Arbeitsvermittler ermutigt Arbeitslose dazu, Vorstellungen von ihrem Wunschberuf entwickeln? Wer hilft ihnen, ihre Stärken zu erkennen und ihre Ideen umsetzen? Vielen Arbeitslosen sind solche Formen des persönlichen und handlungsorientierten Umgangs unbekannt. Selten werden auch Gesprächsergebnisse noch an Ort und Stelle umgesetzt und praktikable Konzepte entworfen. Es ist nicht dokumentiert, aber so manche und so mancher fühlt sich „abserviert“ – und zwar nicht nur von der „Gesellschaft“, sondern auch von den Arbeitsvermittlern der Bundesagentur für Arbeit. Vermittler müssten „eigentlich Sozialarbeiter“ sein.104 c) Risikogruppen und Angebotsmacht der Arbeit Wo liegen die Partizipationsprobleme von „Risikogruppen“ des Arbeitsmarktes? Die Probleme stellen sich differenziert dar. Bei älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die nicht mehr in den Genuss der Frühverrentung kommen, muss es darum gehen, die zurückhaltende oder abwehrende Haltung von Unternehmen zu überwinden. Ältere besitzen Qualifikationen, aber die Unternehmen legen offenbar keinen Wert auf sie. Aus ihrer Sicht sind sie zu teuer oder sie wissen nicht, wie sie Ältere einsetzen sollen. Außerdem gibt es „Kommunikationsprobleme“: Unternehmen, aber auch Teilen der Angestellten der Bundesagentur für Arbeit waren nicht alle Förderinstrumente bekannt. Das bedeutet: Um die Angebotsmacht der Arbeit von Älteren zu entfalten, muss über die Bedeutung der demographischen Entwicklung für Unternehmen und Arbeitsmarkt ein öffentlicher Diskurs geführt werden. Daran müssen sich Öffentlichkeit, Unternehmen, Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften und gesellschaftliche Gruppen beteiligen. Bei den Jugendlichen können wir zwei Gruppen unterscheiden: Diejenigen, die den Absprung in einen Beruf nicht schaffen, die resignieren und deshalb die Hilfe 103 104

Vergleiche Jann/Schmid (2004 a). Vergleiche Küppers (2005).

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der Arbeitsmarktpolitik brauchen. Es gibt aber auch diejenigen, die dank ihrer Qualifikationen auf eine bessere Stelle warten können und sich mit ihrer Situation arrangieren. Uns interessiert die Gruppe, die keine Perspektive hat. Für ihre geringe Angebotsmacht der Arbeit gibt es zwei Gründe: Die nicht ausreichenden Qualifikationen und der Mangel an Stellen für gering Qualifizierte. Hier müsste eine bessere Vermittlung von Schule, Wirtschaft und Berufsleben greifen. Partizipationsprobleme haben offenkundig aber auch gering qualifizierte Menschen, zumal wenn sie älter sind. Ihr Problem lässt sich mit Aufklärung und besserer Vermittlung nicht lösen. Denn es gibt für ihre Fähigkeiten und Qualifikationen keinen passenden Arbeitsmarkt. Ihr Mangel an Kompetenzen oder zumindest an formalen Bildungsabschlüssen versperrt ihnen Zugänge.

IV. Politik des situativen Tausches 1. Das Bündnis für Arbeit und warum es scheiterte Im Rückblick hat die rot-grüne Bundesregierung viel getan, um die Massenarbeitslosigkeit zu bekämpfen und die Partizipation von Problemgruppen am Arbeitsmarkt zu fördern. Am Anfang dieser Bemühungen stand das „Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit“. Es war der Versuch, einen Konsens zwischen Staat, Gewerkschaften und Unternehmerverbänden zu finden, der ein abgestimmtes beschäftigungspolitisches Handeln aller gesellschaftlich wichtigen Akteure möglich machen sollte. Dieser Versuch der Politik baut auf die traditionell starke Position der beiden Sozialpartner. In Deutschland hat die Idee Tradition, politisch notwendige Reformen im Konsens mit den gesellschaftlichen Kräften anzugehen, die sie auch wirkungsvoll durchzusetzen können. Ähnliche Überlegungen lagen schon der „konzertierten Aktion“ der Regierung Kurt Georg Kiesingers im Jahre 1967 zugrunde. Denn – anders als in Frankreich oder in Großbritannien – besitzen die Verbände der Arbeitgeber und der Gewerkschaften in Deutschland organisatorische Stärke und eine ausgeprägte Fähigkeit zur Bewältigung und Regulierung von Problemen. Das heißt: Nirgendwo sind die Chancen größer als in Deutschland, den Arbeitsmarkt erfolgreich zu reformieren und die Angebotsmacht der Arbeit zu stärken. Das Bündnis für Arbeit hätte ein ungewöhnlich großer Erfolg werden können. Dass die Regierung Schröder die Fähigkeit der Verbände zur Selbstorganisation anerkannte, hatte auch Nachteile: Das übte einen gewissen Zwang auf Gewerkschaften und Unternehmerverbände aus, sich auf das Bündnis für Arbeit einzulassen. Für die Bundesregierung war das Bündnis der ideale Ort zu einer Verständigung. Die hohe Arbeitslosigkeit setzte sie unter Erfolgs- und Entscheidungsdruck. Ihr Ziel war es, den zu erwartenden Konflikten zwischen den Sozialpartnern eine politische Form

IV. Politik des situativen Tausches

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zu geben. 105 Hinzu kam, dass eine sozialdemokratisch geführte Bundesregierung in weit höherem Maße dem Ziel sozialer Gerechtigkeit verpflichtet ist als eine konservative oder liberale Regierung. Die Bundesregierung fühlte sich verantwortlich, die Arbeitslosigkeit zu verringern und einen hohen Beschäftigungsstand zu erreichen. Sie suchte daher die Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften. Die Unternehmen und Gewerkschaften versprachen sich von dem „Bündnis für Arbeit“ mehr Einfluss auf die Politik der Bundesregierung. Für die Gewerkschaften bedeutete dies eine einmalige Chance: Sie konnten konstruktive Ordnungspolitik betreiben. Eine kluge politische Bündelung der gesellschaftlichen Kräfte, mit dem Ziel auch Problemgruppen wieder auf dem Arbeitsmarkt zu integrieren, hätte die Angebotsmacht der Arbeit ein gutes Stück vorangebracht. Auch die Arbeitgeber konnten sich einem solchen Angebot nicht entziehen. Denn eine Weigerung zur Teilnahme hätte ihr mangelndes Interesse am Abbau der Arbeitslosigkeit und an einem guten Gemeinwohl signalisiert. Eines der wichtigen Themen des Bündnisses war die Arbeitsmarktpolitik. Der Handlungsbedarf war offenkundig. Aus Sicht eines hochrangigen Vertreters der Arbeitgeber standen die in quantitativer Hinsicht beachtlichen Ausgaben für die Arbeitsmarktpolitik in einem krassen Missverhältnis zur Effizienz der Maßnahmen. Die Reintegration von Arbeitslosen zum Beispiel war ineffizient. Auch hatte sich in der Legislaturperiode 1998 bis 2002 noch nicht die Einsicht dauerhaft durchgesetzt, dass kürzere Maßnahmen stärker motivieren. 106 Ein Wissenschaftler kritisierte auch, dass die Agentur für Arbeit den Unternehmen nur selten gute Arbeitskräfte vermittelte. Den meisten Vermittelten fehlte der Wille, sich zu engagieren und etwas zu gestalten. Diese Wahrnehmung teilen auch die Gewerkschaften. Andererseits wurden Qualifizierungsmaßnahmen bei Kurzarbeit gelobt. 107 Wichtig schien den Beteiligten, dass dank des Bündnisses eine Reihe von Gesetzen auf den Weg gebracht werden konnte. Aus Sicht der Gewerkschaften waren dies das Job-AQTIV-Gesetz, das Teilzeitgesetz oder die Veränderungen der Rahmenbedingungen für Leiharbeiter. 108 Die Maßnahmen für arbeitslose Jugendliche und Qualifizierungsangebote für Frauen, die in Erwerbstätigkeit zurück wollten, waren nützliche Instrumente. Sie bedeuteten eine Ermutigung zur Rückkehr in den Beruf. Und wenn auch der Vorstoß für eine „Rente mit 60“ und eine Veränderung des gesetzlichen Anspruchs auf die Altersteilzeit nicht erreicht wurde, wurde auf diese Weise der Weg zu einem tarifvertraglichen Anspruch auf die Altersteilzeit geebnet.

105 Die folgenden Passagen zum „Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Beschäftigung“ basieren auf Experteninterviews (Interviews D1 bis D9), die der Autor mit Politikern, Arbeitgebervertretern, Gewerkschaften und Wissenschaftlern, die am Bündnis beteiligt waren, im Frühjahr 2002 gemacht hat. 106 Vergleiche Interview D1 (2002). 107 Vergleiche Interview D8 (2002). 108 Vergleiche die Interviews D4 und D5 (2002).

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C. Angebotsmacht der Arbeit in Deutschland – Eine Bilanz

Aus staatlicher Sicht wurde auch das Job-AQTIV-Gesetz als Erfolg gewertet. 109 Darüber hinaus stieß das Bündnis die über die gesamte Bundesrepublik verteilten Ausbildungskonferenzen an. Ein neues Instrument der Arbeitsmarktpolitik ist das Controlling. Damit wird künftig eine hochwertige Evaluation möglich sein. Eine Anfrage im Deutschen Bundestag zur Evaluierung arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen und Programme hatte folgendes Ergebnis: Trotz einer verbesserten Eingliederungsbilanz der Bundesanstalt für Arbeit standen keine hinreichend wissenschaftlich verwertbaren Evaluationsdaten zur Verfügung. 110 Ein zweites wichtiges Thema des Bündnisses war die Bildung. Die Vertreter der Bundesregierung und der Arbeitgeber begrüßten, dass sich die folgende Sichtweise durchgesetzt hatte: Dass das Leistungsniveau von Bildung auch bei formalen Abschlüssen nicht ausreichend ist. Allerdings war nicht eindeutig zu beurteilen, inwieweit die Anerkennung dieses gravierenden Defizits auf das Konto des Bündnisses für Arbeit oder der PISA-Studie geht. Vor allem hat sich die grundlegende Einsicht in die Disparität gering Qualifizierter und die abnehmende Zahl von Beschäftigung im Bereich gering qualifizierter Tätigkeiten durchgesetzt. Die für Ausbildung und Weiterbildung eingesetzte Arbeitsgruppe im Bündnis hat nach Ansicht eines Vertreters der Bundesregierung gute Arbeit geleistet. 111 Sie erarbeitete ein Weiterbildungskonzept, das von staatlicher Seite als „sehr geeignet“ beurteilt wurde. Die Beratungen zur dualen Erstausbildung waren ebenfalls gut, die Arbeitsergebnisse wurden von der Spitzenebene nicht nur zur Kenntnis genommen, sondern tatsächlich akzeptiert. Als Grund für die erfolgreiche Arbeit wurden ein klarer Arbeitsauftrag und eine klare Funktion der Arbeitsgruppe angesehen. In anderen Bereichen des Bündnisses war das wohl nicht der Fall. Die erfolgreiche Arbeit an Konzepten garantierte gleichwohl nicht automatisch den politischen Erfolg. Es gab auf Seiten aller drei Bündnisparteien Widerstände gegen Neuerungen. Die waren weniger auf der Spitzenebene zu finden, sondern auf der Ebene der Fachleute. Offenkundig spielte der Traditionalismus der Experten eine große Rolle. Woran scheiterte das Bündnis? Das Bündnis für Arbeit ist im Frühjahr 2003 gescheitert. Der „Pakt für Wachstum, Beschäftigung und Ausbildung in Deutschland“, den die Arbeitgeber im Februar 2003 der Öffentlichkeit als Grundlage für die weiteren Bündnisgespräche vorlegten, war für die Gewerkschaften unannehmbar. Deshalb blieben sie einer Einladung des Bundeskanzlers fern. Das war aber nur der große öffentliche Schlusspunkt eines tiefer liegenden Problems. Die angestrebte Gesamtstrategie für eine Neugestaltung des Arbeitsmarktes, die alle Bündnispartner teilen konnten, wurde nicht gefunden. Und sie fehlt immer noch. Wer die Angebotsmacht der Arbeit fördern will, wird deshalb genau dort ansetzen müssen, wo das „Bündnis für Arbeit“ in eine Sackgasse geraten ist. Deshalb 109 110 111

Vergleiche Interview D3 (2002). Vergleiche Deutscher Bundestag (2001). Vergleiche Interview D2 (2002).

IV. Politik des situativen Tausches

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sollen im Folgenden die Gründe für das Scheitern näher betrachtet werden. So könnten wenigstens die Fehler der Vergangenheit Lernprozesse in Gang setzen – für eine mögliche, künftig erfolgreichere Bündnispolitik. Keine der beteiligten Parteien besaß eine Gesamtstrategie für das Bündnis. Die Bundesregierung beschränkte sich auf die Rolle eines Moderators. Den Bündnisrunden fehlte eine konzeptionelle Engführung und strategische Vorklärung. Unbestimmt blieb auch die thematische Verteilungsmasse. So forderte beispielsweise die Arbeitgeberseite, die Bandbreite der Verhandlungsgegenstände groß zu halten. Denn: Nur wenn eine Seite den Preis eines Zugeständnisses an die andere kennt, können sich auch unpopuläre Reformschritte im eigenen Lager durchsetzen. Auf die Frage, was am Bündnis funktioniert hat und was nicht, äußerte sich ein Arbeitgebervertreter mit folgenden Worten: „Überhaupt nicht funktioniert hat aus meiner Sicht, das was ja auch Gegenstand eines Bündnisses sein könnte, nämlich eine wirkliche Atmosphäre des Gebens und Nehmens herzustellen. Das hat etwas damit zu tun, dass die Politik viele bündnisrelevante Themen nicht in das Bündnis eingebracht hat. Wenn ich hingehe und beispielsweise den Arbeitnehmerschutz im Bereich des Arbeitsrechtes oder die Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer im Bereich der Mitbestimmung erweitere, und ein Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit gleichzeitig mache, dann müsste es doch möglich sein, dies sozusagen als ein Element des Bündnisses einzubringen, dem auch Gegenleistungen gegenüberstehen. Und da hat es in Wahrheit natürlich gefehlt. Ich will jetzt nicht sagen, dass die Reform des Betriebsverfassungsgesetzes dadurch besser würde, wenn man es ins Bündnis eingebracht hätte, aber wenn wir beispielsweise beobachten, den Widerstand von beiden Teilen der Gewerkschaften zu der dringend überfälligen Deregulierung der Zeitarbeit, da stelle ich mir die Frage, warum man zumindest nicht den Versuch unternommen hat, Teilzeit- und Befristungsgesetz oder Betriebsverfassungsgesetz nur dann zu machen, wenn gleichzeitig die Gewerkschaften im Bündnis einer Liberalisierung der Zeitarbeit zustimmen. Das halte ich für einen zentralen Fehler. Wenn ich ein solches Bündnis mache, dann muss ich die Verteilungsmasse und die Masse der Dinge, mit denen man dann auch Geschäfte machen kann, groß halten und darf sie nicht durch politische Vorabentscheidungen möglichst klein halten. Das ist jedenfalls meine Vorstellung, ohne dass sie praxiserprobt ist. Das hätte man sich auch unter einem Bündnis vorstellen könne, dass man dieses Geben und Nehmen doch wesentlich stärker macht. Das ist natürlich ein merkwürdiges Verständnis von Politik in einer parlamentarischen Demokratie, das gestehe ich zu. Wenn man sich nun schon auf diesen Weg begibt, dann sollte man aus meiner Sicht auch sehen, dass man am Ende zu einer breiten Verteilungsmasse kommt, damit eben auch unpopuläre, insbesondere auch bei den Arbeitnehmern unpopuläre Reformschritte über das Instrument des Bündnisses dann auch mehrheitsfähig gemacht werden. Positiv zu vermerken ist, dass wir gerade in den Arbeitsgruppen des Arbeitsbündnisses bisweilen eine ausgesprochen konstruktive Atmosphäre geschaffen haben und eine Reihe von Dingen auch vorwärts bewegt haben, die man wahrscheinlich ohne das Bündnis so nicht vorwärts gebracht hätte.“ 112 112

Interview D1 (2002).

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C. Angebotsmacht der Arbeit in Deutschland – Eine Bilanz

Außerdem besaßen die Gespräche nur eine geringe Verbindlichkeit. Zwar hatten sich die Teilnehmer zur Durchsetzung der Vereinbarungen in ihren Verbänden verpflichtet. Auch versuchte das Bündnis die Einhaltung der Verabredungen zu kontrollieren. Am Ende aber fehlten verpflichtende Spielregeln, um die ausgehandelten Kompromisse auch durchzusetzen. Darüber hinaus scheiterte das Projekt nicht zuletzt an der Ungeduld aller, die den Zeitbedarf für Verständigungsprozesse gründlich unterschätzt hatten. Die föderale Struktur und die auf vielen Schultern verteilte Macht der strategisch relevanten Akteure hatten zur Folge, dass ein Konsens nicht schnell zustande kam. Dabei hätte sich Geduld durchaus ausgezahlt: Eine vom Konsens aller Beteiligten getragene Beschäftigungspolitik ist am Ende wirkungsvoller und durchsetzungsfähiger als eine Politik, die die Regierung möglicherweise gegen den Widerstand der Verbände beschließt. Die längerfristigen Chancen der Bündnisse für Aus- und Weiterbildung liegen zum Beispiel gerade darin, dass sie die ursprüngliche Frage der Sicherung der Zahl der Ausbildungsplätze zugunsten eines Strukturen verändernden und innovativen Ansatzes ausgeweitet haben. 113 Ebenso gab es die völlig unrealistische Erwartung, das Bündnis für Arbeit würde schnell die Arbeitslosenzahlen senken. Als im Jahr 2002 klar wurde, dass die Bundesregierung ihr Ziel verfehlt hatte, die Arbeitslosigkeit auf 3,5 Millionen Arbeitssuchende zu reduzieren, gab dem „Bündnis für Arbeit“ niemand mehr eine Chance. Damit verschwanden nicht nur Erfolge des Bündnisses aus dem Blick. Nötig wäre hier auch ein längerer Atem gewesen. So hätte man zum Beispiel unterschiedliche Erfolgsstufen definieren können, um Fortschritte und Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt zu dokumentieren. Vielleicht hätte ein solches Zeitmanagement geholfen, auch in schwierigen Zeiten „durchzuhalten“. Hinzu kamen die föderale Struktur der Bundesrepublik und die Machtverteilung zwischen den strategisch relevanten Akteuren. Sie sind in Deutschland größer ist als in Frankreich und Großbritannien. Die Folge war, dass beschäftigungspolitische Maßnahmen grundsätzlich mehr Zeit der Verständigung in Anspruch nehmen – aber im Gegenzug grundsätzlich ein größeres Maß an Effizienz haben können. Im „Bündnis für Arbeit“ hätte auch berücksichtigt werden müssen, dass Veränderungen in Deutschland immer mehr von der EU abhängen. Das gilt für den Arbeitsmarkt in besonderem Maße. Insgesamt wurde der Faktor Zeit grundsätzlich falsch eingeschätzt. Zuletzt war wohl auch der öffentliche Diskurs, der die Bündnisrunden begleitet hat, ein Grund für das Ende des Bündnisses. 114 Das Bündnis war schnell mehr geworden als ein beschäftigungspolitisches Instrument. Es setzte einen Diskurs in Gang, an dem die ganze Gesellschaft teilnahm. Es stand unter ständiger Beobachtung der Medien, auch der Wähler, der Mitglieder der Arbeitgeberverbände und der Gewerkschaften. Das Engagement im Bündnis musste letztlich vor der gesamten

113 114

Vergleiche Heidemann (2001). Vergleiche Interview D2 (2002).

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Öffentlichkeit bestehen können. Die Akteure empfanden diesen Druck der Öffentlichkeit als belastend, die begreiflicherweise an konkreten Verhandlungsergebnissen interessiert war. Hinzu kam das Misstrauen der Mitglieder der beteiligten Verbände gegenüber ihren Vertretern. Für die Gewerkschaften hatte die Äußerung eines Arbeitgeberpräsidenten fatale Folgen, der das Bündnis „als Erfolg für seine Organisation“ wertete. Fortan fühlten sich ihre Mitglieder „über den Tisch gezogen“. Trotz der daraus resultierenden Kommunikationsprobleme in den Verbänden, wurde das Bündnis laut organisationsinternen Meinungsumfragen durchaus als wichtig wahrgenommen – auch wenn es ihm an Ergebnisorientierung fehlte. Dennoch waren auch die Arbeitgeber nicht zufrieden. Sie bemängelten, dass der notwendigen Regulierung des Arbeitsmarktes mit Maßnahmen wie der Rücknahme der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und des Kündigungsschutzes vor Beginn des Bündnisses zuwider gehandelt worden sei. Unternehmerische Selbständigkeit sei erschwert worden. Die Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes habe den Mittelstand „versauert“ und gegen die Regierung aufgebracht. 115 Innerhalb gewerkschaftlicher Führungskreise kam es zu einer Kontroverse über die Gesamteinschätzung des Bündnisses. Gegen Ende des Jahres 2001 stellte der damalige zweite Vorsitzende der IG-Metall Jürgen Peters die Bedeutung des Bündnisses in Frage. Er wertete die Bilanz als „sehr mager“. Zwar wollte er die Tarifpolitik aus den Gesprächen heraushalten, doch gleichzeitig forderte er eine Lohnsteigerung von 7 Prozent bei der bevorstehenden Tarifrunde. Das beeinflusste selbstverständlich die Gespräche. Der Vorsitzende der IG Bergbau Chemie Energie, Hubertus Schmoldt, lehnte es dagegen ab, diese Forderung zur allgemeinen tarifpolitischen Richtschnur zu erheben. Er maß dem Bündnis eine wichtige Bedeutung bei und schlug vor, die Gespräche zwischen den Bündnisparteien wieder aufzunehmen. Tatsächlich – so wird man festhalten müssen – fehlte dem „Bündnis für Arbeit“ eine überzeugende inhaltliche Gesamtausrichtung. Diese konnte auch das programmatische „Schröder/Blair-Papier“ vom 8. Juni 1999 nicht liefern. Dafür hätten die beiden Regierungschefs ihre eigenen Parteien überzeugen müssen. Doch genau das misslang. Ihre gemeinsame Autorität reichte nicht aus, um das Selbstverständnis der eigenen Parteien neu zu prägen und ihnen eine „neue Identität“ zu verpassen. Die Schlagworte von der „Neuen Mitte“ und des „Third Way“ ließen sich nicht mit den überkommenen linken Parteiidentitäten in Einklang bringen. In beiden Ländern wurde der Regierungskurs auch weiterhin als unkenntlich wahrgenommen. Man vermisste die Vision. 116 Das scheiterte indes bereits an der Sprache der Reformer. 117 Sie war von einem schwer erträglichen altlinken Soziologenjargon geprägt, der sich mit einer modischen Managersprache vermischte. Eine Sprache, die weithin als so bedrohlich, kalt und technokratisch wahrgenommen wurde, wie die vermeintlichen Inhalte der Reformen selbst. 115 116 117

Vergleiche Interview D1 (2002). Vergleiche Schnibben (2006), S. 6. Vergleiche Keil (2004).

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So hat das Bündnis für Arbeit wohl einen weiten kommunikationspolitischen Schirm über Arbeit, Bildung und Wettbewerbsfähigkeit aufgespannt. Allein das für alle nachvollziehbare Ziel fehlte. Die fehlende „große Idee“ erklärt auch, warum die Politik der rot-grünen Bundesregierung in so prekärem Maße abhängig war vom Erfolg einzelner Maßnahmen, die das Bündnis für Arbeit angestoßen hatte. Die Akteure des Bündnisses handelten eher nach vordergründigen Motiven, nicht nach grundsätzlichen. Ihre Kompromisse kamen nach einem situativen Tauschprinzip von Zugeständnissen zustande. Jede Partei hatte andere Tabus, an denen sie nicht rühren wollte. Das galt auch für die so genannten Experten in der Bündnisrunde. Gerade hier herrschte ein Traditionalismus in den politischen Haltungen, der die Widerstände gegen Veränderungen besonders groß machte. So wollten die Arbeitgeber ihre Kosten senken und den Sozialstaat abbauen. Tabu waren für sie Eingriffe in die Dispositionsfreiheit der Unternehmen. Bundesregierung und Gewerkschaften wollten gemeinsam die Arbeitslosigkeit senken. Doch wollte die Regierung die Staatsquote nicht erhöhen, während die Gewerkschaften den Sozialstaat ausbauen, aber nicht die Tarifpolitik zum Gegenstand von Bündnisgesprächen machen wollten. Keine der Bündnisparteien verfügte über eine grundsätzliche Alternative zur bisherigen Beschäftigungspolitik. Selbst wenn es eine solche Alternative gegeben hätte, wäre es vermutlich schwierig gewesen, politisches Personal zu finden, das die neue Politik in den Reihen der eigenen Partei oder Gewerkschaft durchgesetzt hätte. Die wenig kenntliche Zielrichtung des Bündnisses hatte zur Folge, dass mögliche Konflikte erst gar nicht in den Blick gerieten oder leicht umgangen werden konnten. Im Vergleich zur alten Bundesrepublik gab es weder ausreichend Kooperation noch ausreichend Antagonismus. 118 Das ist für eine abschließende Beurteilung des Bündnisses für Arbeit entscheidend: Die Zusammenarbeit zwischen Regierungen, Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften, mit anderen Worten historisch anspruchsvolle Akteurskonstellationen, die gegenüber den robusten wirtschaftsliberalen Regimes wettbewerbsfähig sein wollen, brauchen echte Kooperation und Modelle für eine alternative Entwicklung gleichermaßen. An beidem hat es dem Bündnis gefehlt. Die Akteure hielten am alten Status quo fest. Die Verhandlungen folgten der Logik der alten Industriegesellschaft. Mit dem Übergang zur industriellen Wissensgesellschaft aber muss auch der politische Rahmen neu bestimmt werden, innerhalb dessen die Akteure handeln. Nur so lassen sich die alten Tabus überwinden, an denen das Bündnis für Arbeit gescheitert ist. So muss jede Verhandlungspartei etwas zum Gelingen beitragen. Das große Ziel muss sein: die Angebotsmacht der Arbeit zu fördern. Dabei wird der strategische Tausch den situativen Tausch ersetzen müssen. Das heißt, kommunikations- und verhandlungsleitend dürfen nicht mehr partikulare Interessen sein, sondern das gemeinsame Zukunftsziel, die Angebotsmacht der Arbeit zu fördern. Unterneh-

118

Vergleiche Schwengel/West (2005).

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men, Gewerkschaften und Politik können solche gemeinsamen Interessen haben. Unternehmen sollten Innovationen fördern und die Diskussion über ihre Arbeitsorganisation und ihre Einstellungspraktiken akzeptieren. Die Bundesregierung und die Bundesländer sollten Bildung und die Arbeitsmarktpolitik reformieren, das heißt mehr als bislang in sie investieren. Gewerkschaften könnten Einkommenszuwächse gegen Weiterbildungsmaßnahmen tauschen. Es geht um mehr, als die Errungenschaften der Industriegesellschaft zu verteidigen. Diese Einsicht hat der DGB-Vorsitzende Michael Sommer selbst formuliert. Anfang 2005 gab er dem SPIEGEL ein Interview, in dem er offen aussprach, dass die Gewerkschaften bei ihren Stellungnahmen zu Reformen in der Vergangenheit zu oft „von der Hand in den Mund gelebt“ hätten. 119 Sommers Kritik traf den Kern der eigenen verfehlten Bündnispolitik, der es an einem stimmigen Gesamtkonzept für die Reformdebatte fehlte. Er hat erkannt: Wenn Gewerkschaften in Zukunft nicht nur als Interessenvertreter einer schwindenden Mitgliedschaft wahrgenommen werden wollen, müssen sie darüber nachdenken, was der Sozialstaat in Zeiten der Globalisierung leisten und wie er finanziert werden kann. Die Aufgabe der Gewerkschaften ist die Entwicklung einer „neuen Architektur des Sozialstaates“. Dafür allerdings bedarf es einer über den Tag hinausgehenden ordnungspolitischen Idee. Die Angebotsmacht der Arbeit ist eine solche Idee. Sie kann die Akteure bewegen, jenseits der eigenen situativen Interessen im strategischen Tausch auch Maßnahmen mit zu tragen, die nicht ins alte ideologische Schema passen. Fazit: Das Bündnis für Arbeit ist an einer fehlenden Idee, seinen organisatorischen Mängeln, aber auch an den überzogenen Erwartungen an einen schnellen Erfolg gescheitert. Dabei hätte man eines wissen können: Die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, die Verarbeitung der demografischen Krise und die Umschichtung von konsumtiven in investive Sozialausgaben benötigen Anpassungszeit. Und eine expansive Geld- oder Finanzpolitik hätte sie begleiten müssen. Auch die Linke hätte darauf vorbereitet sein können, dass das klassische Keynesianische Modell der Steuerung des Binnenmarktes durch Stimulierung der Nachfrage für eine Reform des Arbeitsmarktes nicht ausreichen würde. Vielmehr hätte sie sich klar machen müssen, dass dem Eintritt in die wissensindustrielle Gesellschaft ohne institutionelle Reformen – auch des Sozialstaats – kein Erfolg beschieden sein würde. 2. Hartz-Gesetze, Agenda 2010 und ideologischer Schlagabtausch Der Ansatz einer konsensuellen Neubestimmung der Beschäftigungspolitik im Bündnis für Arbeit war im Kern richtig und lieferte die inhaltlichen Vorgaben für alle weiteren Reformen der Regierung Gerhard Schröder. Zudem bereicherte das Bündnis die Akteure mit Erfahrungen über beschäftigungspolitische Maßnahmen 119

Vergleiche Rudzio (2005), S. 2.

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und führte in einigen Bereichen auch zu neuem Konsens. So waren sich die Akteure einig über den Zusammenhang von Beschäftigung und Qualifizierung, Auch bezweifelte niemand mehr, dass der Vorruhestand nicht mehr zu bezahlen war. Der „Benchmarking-Bericht“ der wissenschaftlichen Expertengruppe des Bündnisses gewährte Einblicke in „best practices“ anderer europäischer Staaten.120 Dazu gehörte die von den Gewerkschaften nicht akzeptierte Feststellung, dass ein Sektor für geringer qualifizierte Menschen notwendig sei, um einen hohen Beschäftigungsstand zu erreichen. Als die Bundesregierung am 22. Februar 2002 eine Kommission unter der Leitung des damaligen VW-Personalvorstands, Peter Hartz, mit einer zügigen Strukturreform der Bundesanstalt für Arbeit beauftragte, entsprang das jedoch nicht mehr dem zuvor so klar bekundeten Willen zum gesellschaftlichen Konsens. Das Bündnis für Arbeit war gescheitert – zum Bedauern Gerhard Schröders, der es sich anders gewünscht hatte. 121 In schneller Folge wurden nun die Gesetze für „Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ (Hartz I bis Hartz IV) verabschiedet. Die gesellschaftliche Zustimmung blieb ihnen allerdings versagt. Das änderte sich auch nicht, als Bundeskanzler Schröder in seiner Regierungserklärung am 14. März 2003 die Agenda 2010 dem Deutschen Bundestag vorstellte. Die Agenda 2010 sollte Deutschland auf die Wettbewerbserfordernisse der Globalisierung vorbereiten. Zugleich war sie der Versuch der Bündelung aller notwendigen Arbeitsmarktreformen zu einem politischen Gesamtprogramm. Die darin enthaltenen Schritte zum Abbau von Sozialleistungen und zur Liberalisierung der Wirtschaft waren von Anfang an äußerst unpopulär. Nur folgerichtig führte das Ende 2003 verabschiedete und im Januar 2005 in Kraft getretene Vierte Gesetz für Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (Hartz IV) dann auch zu öffentlichen Protesten. Andere – positive – Programmpunkte der Agenda 2010 gingen in der Welle allgemeiner Ablehnung ganz unter. So wollte die Agenda 2010 beispielsweise die Finanzkraft von Städten und Gemeinden stärken, Steuervergünstigungen von Unternehmen abbauen, eine Ausbildungsinitiative starten, Tarifautonomie und Mitbestimmung erhalten und schließlich den Wirtschaftsstandort Deutschland stärken. Alle diese Themen hatten einen direkten oder indirekten positiven Bezug auf die Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit. Die Ausbildungsinitiative verbesserte Vergleiche Benchmarking Deutschland (2001). In einem Interview machte Gerhard Schröder deutlich, dass die mit der Agenda 2010 eingeleiteten Maßnahmen eine Reaktion auf die gescheiterten Wiederbelebungsversuche des Tripartismus in der Bundesrepublik waren. Das „Bündnis für Arbeit“ sei mangels Agendasetzung faktisch handlungsunfähig gewesen: Arbeitgeber und Gewerkschaften hätten kein Interesse an Kompromissen und Verständigung gezeigt. Ihr Bestreben sei es vielmehr gewesen, die Runden zum Instrument der eigenen Interessen zu machen. „Lieber hätte ich mir einen vorherigen Konsens von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gewünscht, weil dann die späteren Konflikte nicht aufgetreten wären“. Schröder (2004). 120 121

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unmittelbar die Arbeitsmarktchancen von Jugendlichen. Eine vergrößerte Finanzkraft von Städten und Gemeinden und Steuervergünstigungen verbesserten die politischen Rahmenbedingungen und stärkten damit indirekt die Innovationskraft von Unternehmen. Und schließlich haben Tarifautonomie und Mitbestimmung einen positiven Einfluss auf die Arbeitsbedingungen in den Unternehmen. Mit Ausnahme der IG BCE lehnten dennoch die Gewerkschaften die Agenda 2010 pauschal ab. Kaum war Hartz IV verabschiedet, stellte sich DGB-Chef Michael Sommer zunächst gegen die Regierung. Er kündigte an, dass die Gewerkschaften von ihrer „grundsätzlichen Kritik“ nicht ablassen würden. Das Ergebnis war, dass es den Gewerkschaften mehr schadete als nützte: Sie hatten sich in die Rolle einer unkonstruktiven Blockademacht hineinmanövriert. Eine Politik aus der Defensive heraus empfinden zunehmend auch die Gewerkschaftsmitglieder als unkonstruktiv. Für sie ist das eine Politik des Stillstands. Eine solche Politik operiert ohne eine Perspektive, wie die Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit zu stärken ist. Sie steigt aus dem politischen Gestaltungsprozess aus und beruft sich nur noch auf abstrakte Prinzipien wie die soziale Gerechtigkeit. Damit widerstreitet sie der Praxis von Betriebsräten, die traditionell „lösungsorientiert“ arbeiten. Ihnen reicht es nicht, immer nur zu opponieren. Denn längst werden auf Betriebsebene Bündnisse geschlossen – ein Zeichen dafür, dass man auch auf Arbeitnehmerebene durchaus flexibel und praktisch handeln und verhandeln kann. Es war schon davon die Rede, dass Michael Sommer sich Anfang 2005 für eine neue Ausrichtung seiner Position aussprach. Er sprach in diesem Zusammenhang von einem „Bekenntnisdefizit“. Viele Arbeitnehmer würden aus Furcht, Betriebsvereinbarungen könnten als Eingeständnis wirtschaftlicher Schwierigkeiten interpretiert werden, mit ihrer Publikation lieber hinterm Berg halten. 122 Allerdings kennzeichnet die Position der Defensive die gewerkschaftliche Situation bis in die Gegenwart. Die Gewerkschaften leiden unter Mitgliederverlusten, Überalterung und einer kaum gelungenen Verarbeitung des Strukturwandels zu einer modernen Wissens- und Dienstleistungsökonomie. 123 Zudem schwindet die Akzeptanz in der Bevölkerung. Während im Jahr 2001 noch 80 Prozent der Deutschen die Gewerkschaften für unverzichtbar hielten, waren es drei Jahre später nur noch 71 Prozent. Die Hartz-Gesetze und die Agenda 2010 haben, im Gegensatz dazu wie sie öffentlich diskutiert wurden, insgesamt wichtige Reformprozesse angestoßen. Die Bedeutung der von der Regierung Schröder initiierten Gesetzgebung zum Arbeitsmarkt liegt darin: Sie definierte Zielgruppen, insbesondere ältere Arbeitnehmer, Jugendliche und gering Qualifizierte, die je nach Problemlage eine differenzierte Förderung erhalten sollten. Manche Beobachter sprechen sogar davon, dass die SPD unter Schröder eine Reformbewegung in Gang gesetzt hat, die auch in Zukunft von 122 123

Vergleiche Sommer (2005), S. 4. Vergleiche Wolfgang Schröder (2005), S. 61.

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C. Angebotsmacht der Arbeit in Deutschland – Eine Bilanz

Bedeutung sein wird. 124 Ein Bericht der OECD über Arbeitsmarktreformen in ihren 30 Mitgliedsstaaten fiel in Bezug auf Deutschland jedenfalls wider Erwarten sehr viel günstiger aus. Nirgendwo verzeichnete die OECD so starke Fortschritte wie in Deutschland. Selbst die Weltbank lobte die Bundesrepublik in einem Ranking als besonders eifriges Reformland. 125 Für eine abschließende Bilanz der Hartz-Gesetze ist es noch zu früh. Es ist gut möglich, dass spätere Urteile sehr viel positiver ausfallen werden als viele Zeitgenossen gegenwärtig vermuten. Der Historiker Edgar Wolfrum glaubt sogar, dass künftige Generationen in der Ära Schröder eine Scharnierzeit für einen notwendigen sozial verträglichen Umbau des Sozialstaates erkennen werden. 126 3. Nach der Bundestagswahl 2005 Solche Befunde und Urteile scheinen wenig Eindruck bei relevanten Teilen der Linken zu hinterlassen. Sie nehmen Verbesserungen und Fortschritte hinsichtlich der Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit im Bündnis für Arbeit und der Agenda 2010 nicht zur Kenntnis. Geschweige denn, dass sie sie würdigten. So berechtigt die Kritik an Teilen besonders der Agenda 2010 war, sie wurde überzogen. Der Grund dafür liegt in einem Begriff von sozialer Gerechtigkeit, der auf die Gesellschaft und die Institutionen der 70er Jahre bezogen ist. Beides hat sich aber durch den Übergang von der Industriegesellschaft zur wissensindustriellen Gesellschaft radikal gewandelt. Deshalb bleibt die Kritik abstrakt. Es droht politischer Stillstand, wenn nicht Rückschritt, nach einer Zeit ungenutzter Chancen. Das zeigen die Entwicklungen nach der Bundestagswahl 2005. Zwei Dinge verdienen Beachtung. Erstens: Mit dem Votum für eine Große Koalition bei den Bundestagswahlen im September 2005 votierten die Wähler für eine konsensuelle Gestaltung des Reformprozesses. Sie stimmten für das Sozialstaatsmodell des sozialen Ausgleichs zwischen Kapital und Arbeit und gegen die Konfrontation. Mit der großen Koalition veränderten sich die politischen Fronten in der Bundesrepublik maßgeblich. Die neue Machtkonstellation stellte zugleich die Gewerkschaften und Wirtschaftsverbände vor neue kommunikative Aufgaben. Für die Gewerkschaften war es eine fundamentale Herausforderung, konstruktive Kritik an der Regierung zu üben, ohne dabei in die Rolle der außerparlamentarischen Opposition zu geraten. 127 Zweitens: Die strategischen Akteure, Parteien und Gewerkschaften, trafen angesichts der dauerhaften Krise am Arbeitsmarkt und der neuen Regierung auf eine Erwartungshaltung in der Bevölkerung, die sich gegenüber den letzten Dekaden lang124 125 126 127

Vergleiche Jann/Schmid (2004 a). So die Wochenzeitung „Die Zeit“ vom 15.9.2005. Vergleiche Wolfrum (2006). Vergleiche Wolfgang Schröder (2005), S. 63.

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sam aber stetig verändert hatte. Grundsätzlich sprachen sich 80 Prozent der Bevölkerung für weitere Reformen aus. 51 Prozent waren davon überzeugt, dass es dabei um gravierende Schritte gehen müsse und nicht nur um begrenze Korrekturen. Die Gewerkschaften befanden sich in einer günstigen Ausgangslage. Sie konnten die Rolle der (sozialen) Modernisierer übernehmen und sich zugleich als Bewahrer des Sozialstaates gegenüber zu weit reichenden Deregulierungsbestrebungen profilieren. Die große Koalition musste darauf bedacht sein, keine umfassende „außerparlamentarische Opposition“, insbesondere bei den großen Verbänden, gegen sich aufzubringen. Doch der neu gewonnene Spielraum der Gewerkschaften barg auch ein Drohpotenzial in sich. Gewerkschaften hatten die Möglichkeit, sich außerhalb der Großen Koalition zu positionieren. Für manchen Gewerkschafter lag es nahe, sich der Linkspartei im Bundestag anzuschließen. Dagegen sprach aber unter anderem, dass die Positionen der Linkspartei unter den gegebenen Bedingungen nur eine geringe machtpolitische Perspektive hatten, um die Verhältnisse im Interesse der Arbeitnehmer zu beeinflussen. Bei einem Linksruck drohte mithin der Verlust einer positiven Veränderungsperspektive für den gesellschaftlichen Wandel. Das war jedoch keine notwendige Entwicklung. Die Gewerkschaften hatten durchaus die Möglichkeit, innovationsorientierte Modernisierungspolitiken stärker zu betonen. Das ist für Gewerkschaften ein klassisches Feld, das sie lange vernachlässigt hatten. Überdies eignet es sich besonders gut, die Angebotsmacht der Arbeit zu fördern. Ein Beispiel dafür war die Initiative der IG Metall, die das Motto „besser statt billiger“ in die Tat umzusetzen suchte. „Made in Germany“ steht nach ihrem Verständnis nicht für Billig-, sondern für Qualitätsprodukte. Firmen, die sich auf eine Kostensenkungsstrategie konzentriert haben, wären erfolglos. Firmen hingegen, die auf Innovation gesetzt haben, auf Kundennähe, auf schnelle Umsetzung von Ideen und auf eine gute Prozessorganisation, könnten auf dem Weltmarkt bestehen. 4. Wie weit ist die Angebotsmacht der Arbeit entwickelt? Es gibt eine Vielzahl von Hinweisen darauf, dass die Fähigkeit zu Innovationen nicht hinreichend entwickelt ist. Sie konnte bislang insbesondere in den Unternehmen nicht in einem Maße voran gebracht werden, um wirklich ein Antrieb für die wissensindustrielle Gesellschaft zu sein. Deutschland hat Innovationsstärken in den industriellen Bereichen, die ebenso offenkundig sind wie die Schwächen in den Dienstleistungssektoren. In beiden Bereichen muss die Innovationsfähigkeit gestärkt werden. Zu den Innovationshemmnissen gehört, dass es weder einen gesellschaftlichen Konsens noch einen Diskurs über die Innovationskraft und ihre Förderung in Unternehmen gibt. Deshalb reicht die Forderung nach günstigen Rahmenbedingungen nicht aus. Auch die „Innovationskompetenz“ und die Fähigkeit zur „managing creativity“ gilt es zu verbessern. Das alles kann nur Wirkung entfalten, wenn es auf kluge Konsumenten trifft, die mit ihren Entscheidungen über den Erfolg und Misserfolg von innovativen Produkten und Dienstleistungen entscheiden. Au-

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ßerdem müssen die Unternehmen ihre Marktkenntnisse verbessern und sich von ihrer einseitigen Fixierung auf die Juvenilkultur abwenden. In der Bildungspolitik konnte über viele Jahre die Angebotsmacht der qualifizierten und hoch qualifizierten Arbeit nicht nennenswert gesteigert werden. Facharbeiterinnen und Facharbeiter wie Akademikerinnen und Akademiker können zur Entstehung neuer Arbeit beitragen, wenn sie neben fachlichen Qualifikationen vermehrt auch über Lernkompetenzen verfügen. Die im internationalen Vergleich unzureichende Zahl von Universitäts- und Fachhochschulabsolventen wird zwar durch die hochwertige Fachausbildung von Facharbeitern relativiert und kompensiert. Gleichwohl zeigten die PISA-Untersuchungen: in den Hauptschulen werden Grundtechniken des Arbeitens nur unzureichend vermittelt. Ebenso unzureichend ist die Partizipation von Jugendlichen an der Arbeit, weil die Unternehmen nicht genügend Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen. Die Politik reagiert mit einer Vielzahl von Maßnahmen auf die Schwächen der dualen Ausbildung. Und es gibt nennenswerte bildungspolitische Anstrengungen, die Arbeitskräfte besser auszubilden und die Zugänge zur Arbeit zu verbreitern. Aber gemessen am Qualifikations- und Bildungsbedarf der industriellen Wissensgesellschaft, besonders den so wichtigen Methodenkompetenzen im strikten Sinne, reichen diese Anstrengungen bei weitem nicht aus. Deutschland liegt auch in der Weiterbildung nicht an der Spitze in Europa. Dieser Befund muss durch unternehmens- und betriebsbezogene Aktivitäten korrigiert werden. Anders als viele kleine und mittlere Unternehmen besitzen Großkonzerne wie die BASF viele Möglichkeiten. Problematisch bleibt aber die Tatsache, dass unterdurchschnittlich qualifizierte Menschen nicht ausreichend an Weiterbildungsangeboten partizipieren. Hier gibt es großen Handlungsbedarf. Die Partizipationsprobleme von „Risikogruppen“ stellen sich differenziert dar. Ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sind für viele Unternehmer wenig attraktiv, weil sie aus ihrer Sicht zu teuer sind und weil sie ihre Kompetenzen nicht richtig einschätzen können. Außerdem sind den Unternehmen die Fördermöglichkeiten der Bundesagentur für Arbeit teilweise unbekannt. Um die Angebotsmacht der Arbeit von Älteren zur Entfaltung zu bringen, bedarf es vor allem der Aufklärung oder eines öffentlichen Diskurses über die Folgen der demographischen Entwicklung für Unternehmen und den Arbeitsmarkt. Für die geringe Angebotsmacht der Arbeit von Jugendlichen gibt es andere Gründe: Sie haben keine ausreichenden Qualifikationen, außerdem fehlt es an Arbeitsplätzen für gering Qualifizierte. Geringe Qualifikationen sind auch der Grund für die großen Schwierigkeiten von älteren Menschen. Ihr Problem lässt sich mit Aufklärung und besserer Vermittlung nicht lösen. Denn für ihre Fähigkeiten und Qualifikationen gibt es auf dem ersten Arbeitsmarkt keine passenden Stellen. Das Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit hatte den Anspruch, diese und andere Missstände zu beseitigen. Aber es fehlte an einer konzeptionellen Idee, wie sie die Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit darstellt.

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Stattdessen bestimmte eine Politik des situativen Tausches die Bündnisgespräche, die zuletzt zum Stillstand führte. Das muss auch für die Zeit nach dem Bündnis festgestellt werden. Die Situation war von unproduktiven politischen Auseinandersetzungen geprägt. Mit dem Auftauchen der „Linkspartei“ besteht die Gefahr, dass die Perspektivdiskussionen weiterhin anhalten, die sich nicht pragmatisch auf reale Handlungsmöglichkeiten richten.

D. Die Angebotsmacht der Arbeit in Frankreich und Großbritannien I. Frankreich 1. Politische Traditionen Wie in Deutschland hängt auch in Frankreich die Zukunft der Arbeit davon ab, ob es gelingt, die Kriterien der Lissabon-Strategie zu erfüllen. Dafür müssen Beschäftigungsfähigkeit, Unternehmertum und Anpassungsfähigkeit von Unternehmen und Beschäftigten an die Globalisierung gefördert werden. Das bedeutet: Auch Frankreich kann seine Position im globalen Wettbewerb nur mit der Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit behaupten. Es geht auch hier um Innovationen, Bildung und die Partizipation Schwächerer am Arbeitsmarkt. Die Ausgangslage in Frankreich ist jedoch völlig anders als in Deutschland. Denn hier stellen Gewerkschaften und Unternehmensverbände keine starken Sozialpartner dar, die am Prozess der politischen Steuerung ernsthaft teilhaben. Der Grund dafür ist eine ausgeprägte etatistische Tradition, die sich vor allem aus dem Selbstverständnis der französischen Linken speist. Sie stehen oft im Weg, wenn es um die Förderung der Angebotsmacht der Arbeit in Frankreich geht. Der französische Staat hat mit seinen Industrie- und Technologieprojekten die gesellschaftliche Entwicklung lange Zeit stark geprägt. Schon 1944 herrschte in Frankreich ein „modernistischer Grundkonsens“. Er reagierte auf den Entwicklungsrückstand der französischen Wirtschaft und Gesellschaft. Dieser Konsens führte nach dem Krieg zum Auf- und Ausbau des modernen Interventionsstaates, begleitet von einem traditionellen Antikapitalismus der Linken, die ein tiefes Misstrauen gegenüber dem Unternehmer- und Besitzbürgertum pflegte. Es war der Staat in Gestalt seiner hohen Beamten und Technokraten, der Konzepte für die Industrialisierung, den technischen Fortschritt und die Überwindung von Rückständen in der französischen Gesellschaft entwarf. Er schuf ein Arsenal an Interventionsinstrumenten, etwa ein leistungsfähiges Instrumentarium der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, die gesamtwirtschaftlichen Einkommens- und Güterströme – es fließen Waren und Dienstleistungen von den Unternehmen zu den Konsumenten und die Produktionsfaktoren (Arbeit, Boden, Kapital) von den privaten Haushalten zu den Unternehmen – sowie ein System staatlicher Interventionsbanken. Er verstaatlichte Banken, Versicherungen sowie den Transport- und Energiesektor und entwickelte Kontrollsysteme, z. B. für Preise und das Kreditwesen.

I. Frankreich

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Von besonderem Interesse ist hier die „planification“. Hierbei handelte es sich nicht um staatliche Wirtschaftsplanung im Sinne schwerfälliger bürokratischer Verordnungen. Die „planification“ umfasste vielmehr mittelfristige, branchenübergreifende Analysen und Prognosen, die u. a. das „Commissariat General du Plan“ seit 1946 als Entscheidungshilfen für die Politik erstellte. Das Commissariat General du Plan legte über Jahrzehnte Analysen zu einer Vielzahl gesellschaftlicher Probleme vor und machte Vorschläge – „Pläne“ – für das Regierungshandeln. Im Dezember 1945 hatte Jean Monnet eine Note an General de Gaulle geschrieben, um ein Planungskommissariat einzurichten. Damit leistete es eine mittelfristige ressortübergreifende Vorausschau für die Regierungspolitik. Das geschah auf dem Wege eines institutionalisierten sozialen Dialogs in den so genannten Planungskommissionen. In diesen Gremien saßen Vertreter der Ministerien, der Unternehmer-, Branchen- und Gewerkschaftsverbände sowie Wirtschafts- und Sozialexperten. Die „planification“ stimmte auf die aktuellen Herausforderungen ein – das war gewissermaßen ihre pädagogische Funktion. Als Ort eines institutionalisierten sozialen Dialogs sollte sie die Konsensbildung in Hinblick auf zentrale künftige Aufgaben erleichtern. Die Entscheidungsträger und die sozialen Akteure wurden in die mittelfristig wirksamen Zielsetzungen und Entscheidungen eingebunden und so dazu gebracht, diese zu akzeptieren. Eine Verhandlungs- und Vertragskultur wie etwa in Deutschland konnte sich vor diesem Hintergrund nicht entwickeln. Interessant ist ein kurzer Rückblick auf die Geschichte. Die Debatte um den Einbezug der „lebendigen Kräfte der Nation“ in die zentrale staatliche Planung führte 1924 in Anlehnung an die Weimarer Reichsverfassung (Art.165) zur Gründung eines nationalen Wirtschaftsrates, dessen Aufgaben Léon Blum in den Jahren der Volksfront 1936–1939 erweiterte. Nach der Interimsphase des Vichy-Regimes 1940–1944 und der deutschen Besetzung Frankreichs wurde die Konstruktion des Wirtschaftsrates 1946 in der Verfassung verankert und später zum „Conseil Economique et Social“ (CES) ausgebaut. Dieser Rat wird immer dann konsultiert, wenn es um die Orientierung der staatlichen Wirtschafts- und Sozialpolitik geht. In der Regel ist es Sache der Regierung, ob sie das Gremium einschaltet. Das ist aber nur ein kleiner Bereich der Konsultationsverfahren, die sich seit Ende des Zweiten Weltkrieges in Frankreich etabliert haben. Der staatliche Interventionismus stellt Verbandsaktivitäten unter Vormundschaft. Im System der industriellen Beziehungen in Frankreich hat der Begriff der „Tarifautonomie“ praktisch keine Bedeutung. Im Verhältnis zwischen Kapital und Arbeit nimmt der Staat eine aktive Rolle ein. Staatsvertreter wie das Ministerium für Arbeit, Wirtschaft und Soziales haben in der Hohen Kommission für Tarifverträge, der Commission Superieure des Conventions Collectives (CSCC) Sitz und Stimme. Sie sind aktiv an der Tarif- und Lohnpolitik beteiligt, wenn über Fragen der Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen und die Entwicklung des staatlich garantierten Mindestlohns diskutiert und entschieden wird. Aber nicht nur Staats-, Gewerkschafts- und Unternehmensvertreter sind in der CSCC Mitglied. Auch Verbände beispielsweise, die sich ausschließlich um das Wohlergehen der Familien küm-

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D. Angebotsmacht der Arbeit in Frankreich und Großbritannien

mern, haben hier Sitz und Stimme und bringen damit Verbraucherinteressen in die Tarifpolitik ein. 128 Abkommen („Accords Interprofessionnels“) zu Fragen wie der beruflichen Bildung und Weiterbildung, der Beschäftigungssicherung mit Arbeitszeitregelungen und Frühverrentung können durch stille oder die offene Anwesenheit des Staates oder aber durch staatliche Anreize gekennzeichnet sein. An ihnen sind aber auch die nationalen Spitzenverbände beteiligt. Die Abkommen können sich auch auf Rahmenvereinbarungen für nachfolgende Branchenabkommen („Accords De Branches“) beschränken. Ihre Bedeutung ist in den vergangenen Jahren stark gesunken. Darüber hinaus ist ihre Reichweite häufig begrenzt. Von „Flächentarifverträgen“ deutscher Prägung kann keine Rede sein. Die Unternehmensvereinbarungen („Accords D’Entreprise“) nahmen seit den 90er Jahren sprunghaft zu, allein im Jahre 1997 waren es fast 12.000. Die Verlagerung von der staatlichen zur Unternehmensebene ist der dominierende Trend im französischen System der Sozialbeziehungen. Ihn hat die Politik der Linksregierung nach 1981 gefördert, als die „Auroux-Gesetze“ von 1982, benannt nach dem Arbeitsminister Jean Auroux, jährliche Verhandlungen auf Unternehmensebene vorschrieben. Insgesamt ist das Netz der Tarifvereinbarungen unvollständig, häufig brüchig, je nach Branche sehr unterschiedlich. Und: Die Tarifvereinbarungen haben nicht immer Einfluss auf die tatsächlichen Entlohnungen oder sonstige Arbeitsbedingungen der Beschäftigten. In dieser Situation sieht sich der Staat erneut als dritter Partner angesprochen: Die wenig entwickelte Fähigkeit der Sozialparteien, sich eigenständig auf verbindliche Tarifverträge zu einigen, führte zu umfangreichen staatlichen Regelungen des Arbeitslebens. So legt die Regierung alljährlich den seit Jahrzehnten branchenübergreifenden Mindestlohn, „Salaire Minimum Interprofessionel De Croissance“ (SMIC) fest. Der Staat greift immer wieder in die Tarifbeziehungen ein. Andererseits haben die Regierungen aller politischen Coleur wiederholt Anläufe unternommen, eigenständige Verhandlungen zwischen den Sozialparteien zu fördern, um den Staat wenigstens teilweise von seiner Regelungslast zu befreien. Die Kehrseite dieser dominierenden staatlichen Politik ist: Die gesellschaftlichen Kräfte, allen voran Arbeitgeber und Gewerkschaften, üben kaum noch Einfluss auf die Politik aus. Hinzu kommt, dass die gesellschaftlichen Akteure bis heute meist in starrer Opposition zueinander verharren. Nach wie vor bestimmt der Grundgedanke der „Volonté Générale“, des Gemeinwillens, das Verhältnis von Staat und Verbänden. Danach ist der Staat die Verkörperung des Gemeinwillens. Gemäß der Repräsentativitätsklausel bestimmt der Staat, welche Organisationen er als legitimierte Interessenvertretungsorgane in Konsultativgremien zu Wort kommen lässt. Die Folge: Selbst einem repräsentativen nationalen Dachverband wie der Ärztekammer verweigert der Staat die Zuständigkeit für die berufliche Weiterbildung von Medizinern. Auf der anderen Seite ist verständ128

Vergleiche Jansen (2001).

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lich, dass die Regierung politische Entscheidungen oft ohne Konsultationen trifft: Außer dem Vertrauen auf die eigenen staatlichen Kompetenzen spiegeln sich darin die jahrelangen Erfahrungen mit ineffizienter Verhandlungspolitik und der Inkompetenz der anderen Akteure. 2. Die Linke Die Linke in Frankreich ist bis heute weitgehend einer Protestkultur verpflichtet, die immer noch einem Denken in den Kategorien des Klassenkampfes verpflichtet ist. Auch das hat eine lange Tradition. Schon 1889, zu Zeiten der Zweiten Internationalen, bezeichneten die französischen Sozialisten die Teilnahme an bürgerlichen Regierungen als „gefährliches Experiment“. Der französische Regierungschef, Leon Blum, machte die sozialdemokratische Koalitionspolitik in der Weimarer Republik für den Triumph Hitlers verantwortlich. Überwiegend negativ nahm die französische Linke die Versuche der SPD auf, während ihres Parteitags in Bad Godesberg 1959 die Kluft zwischen Theorie und Praxis zu schließen und das Parteiprogramm an eine radikal veränderte gesellschaftliche Wirklichkeit anzupassen. Für die französische Linke schien Godesberg das Vorurteil zu bestätigen, dass Sozialdemokratie gleichbedeutend sei mit einem zum Programm erhobenen prinzipienlosen Pragmatismus. 129 Das Denken und Handeln der Linken in Frankreich ist auf den Staat fixiert. Sie sieht im Staat die einzige legitime Instanz für politisches Handeln. Als institutionelle Verkörperung der Ideale der Französischen Revolution ist der Staat gleichbedeutend mit dem „Volonté Générale“ im „L’Intérêt Général“, im generellen Interesse. Für die Linke heißt das: Der Staat steht über den partikularen gesellschaftlichen Interessen und in einer selbstverständlichen Distanz zur Marktwirtschaft. Das berechtigt ihn zu Interventionen in die Prozesse und Abläufe des Wirtschaftens. Entscheidend für die Arbeitsmarktpolitik der Linken in Frankreich ist ein Aspekt, den man „Traditions- oder Wertevermittlung“ nennen kann. Dieser Bezug ist ungebrochen – im Gegensatz zu Großbritannien. Während die politische Rechte (Gaullisten) eher dem Prinzip Wettbewerbsfähigkeit zugeordnet werden kann, gilt für die Linke das Prinzip sozialer Gerechtigkeit. Soziale Gerechtigkeit identifizieren Franzosen viel stärker als Engländer und Deutsche mit staatlichem Handeln. Hingegen verbindet sich Wettbewerbsfähigkeit in Frankreich deutlich weniger mit der Vorstellung eines „schlanken Staates“. Das hat historische Ursachen: Die sozialistischen Traditionen der Parteien, die Trennung von „Politik“ und „Gewerkschaften“, aber auch eine andere ideenpolitische Landschaft von Konservatismus, Liberalismus und Sozialismus. 130 Fraglich ist jedoch, wie lange noch eine staatlich dominierte Akteurskonstellation die Beschäftigungspolitik in Frankreich bestimmt. Da der Euro129 130

Vergleiche Winkler (2001). Vergleiche Winkler (2001).

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D. Angebotsmacht der Arbeit in Frankreich und Großbritannien

päische Stabilitätspakt der Politik öffentlicher Investitionen Grenzen setzt, erhalten insbesondere die Unternehmen einen größeren Aktionsradius.131 Absehbar ist schon jetzt: In Frankreich schwindet die Grundlage für den klassischen Interventionsstaat. Darauf scheint die französische jedoch noch weniger als die Linke in Deutschland vorbereitet zu sein. Verliert sie Wahlen, tritt sie die Flucht in außerparlamentarische Proteste an. Dann fordert sie mehr Umverteilung zugunsten sozial Schwacher, höhere Staatsausgaben, keine Privatisierung von öffentlichen Diensten und Staatsbetrieben. 132 Und auch die Gewerkschaften erweisen sich in der Regel kaum als politische Gestaltungsmacht. Ihr politisches Gewicht ist nur gering, denn ihr Organisationsgrad ist seit Mitte der 70er Jahre stark rückläufig und heute mit circa 8 Prozent einer der niedrigsten in Europa. Diese kleine Zahl von gewerkschaftlich Organisierten verteilt sich zudem auf die vielen Richtungsgewerkschaften CGT, FO, CFTC, CFDT, CGC, FEN und SUD. Hinzu kommt, dass Gewerkschaften in Frankreich von Unternehmen, Kommunen, Regionen und der Zentralregierung abhängig sind. Das Budget der CGT-Gewerkschaften speist sich beispielsweise zu circa 40 Prozent aus solchen externen Finanzquellen. Die Dachverbände CGT, CFDT und FO bestreiten sogar 75 Prozent ihres Budgets mit Subventionen und Entschädigungen aus staatlichen Quellen. Dabei geht es nicht nur um direkte Geldsummen, sondern auch um geldwerte Leistungen.133 Gleichwohl gelingt es den Gewerkschaften in Frankreich immer wieder, ihre organisatorische Schwäche zu verdecken, indem sie die Beschäftigten zu Aktionstagen oder Kampfmaßnahmen mobilisieren. Streikwellen wie die im November und Dezember 1995 fanden eine breite Unterstützung in der Öffentlichkeit. Zwar streikte praktisch nur der öffentliche Dienst, aber die Streikenden wurden von einer so großen öffentlichen Welle der Solidarität unterstützt, dass die konservative Regierung Juppé die angekündigten Einschnitte im Sozialbereich zurücknahm. In Deutschland schätzt man die französischen Gewerkschaften deshalb sehr viel stärker ein als sie sind. Die zahlenmäßig beeindruckenden Demonstrationen, die französische Gewerkschaften immer wieder auf die Beine stellen, nötigen linken Kreisen hierzulande Bewunderung ab. Der Aktionismus französischer Gewerkschaften erweckt den Anschein, dass sie das öffentliche Leben in Frankreich beeinflussen können und dabei sogar von der Bevölkerung unterstützt werden. Nicht zuletzt glauben das die Gewerkschaften selbst. Doch dabei wird es nicht bleiben: Die tradierten kulturellen Einstellungen der Öffentlichkeit, auf die sich Gewerkschaften bislang verlassen konnten, verblassen. Künftig können Gewerkschaften weniger auf die gewohnte Unterstützung durch den Staat und die öffentliche Meinung bauen. Ihr öffentliches Ansehen hat sich verschlechtert. Als 2003 die Bandarbeiter bei

Vergleiche Lallement (2006). So die Frankfurt Allgemeine Zeitung vom 13.5.2002 und die Neue Züricher Zeitung vom 18./19.5.2002. 133 Vergleiche Landier/Labbe (1998), S. 78 f. 131 132

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France 3 ihre Zukunft beim öffentlichen Fernsehen verteidigen wollten und streikten, nahm, so Le Monde vom 6.12.2003, die Öffentlichkeit dies gleichgültig oder sogar feindselig auf. Dieser kulturelle Bedeutungsverlust macht den Gewerkschaften zu schaffen – er macht ihre organisatorischen und regulativen Schwächen offensichtlich. Die Gewerkschaften können sich in ihrem Kampf gegen ihren Bedeutungsverlust nur bedingt auf den Staat und eine ihnen freundliche Regierung verlassen. Vielmehr müssen sie sich mit der Tatsache anfreunden, dass der Staat nicht mehr alleiniger Garant sozialer Gerechtigkeit ist. Sie müssen sich neue Aktivitätsräume erschließen. Das könnten außer den traditionellen Handlungsformen wie Demonstrationen und Streiks konkretes, problembezogenes Arbeiten und Verhandlungen sein. Doch Gewerkschaften, die wie die CFDT oder ansatzweise die CGT diesen Weg gehen, sind noch die Ausnahme. Umso mehr erstaunt, dass ausgerechnet die CGT sich von ihrer kommunistischen Tradition lossagte und einen konstruktiven Kurs im Sinne der Angebotsmacht der Arbeit einschlug. In einem Interview im Winter 2001 in Montreuil sagte ein hochrangiger Funktionär, dass die CGT beispielsweise nach Alternativen für anstehende Entlassungen sucht. So entwickelt dieser Dachverband Vorschläge, wie zum Beispiel Unternehmenskrisen oder Auftragsflauten überbrückt und für die Weiterbildung der Beschäftigten genutzt werden können. Andere Überlegungen gehen dahin, dass von Entlassung Bedrohte in anderen Unternehmen zeitweise die Aufgaben von Arbeitnehmern übernehmen, die zur Weiterbildung freigestellt sind. Ob sich solche Ansätze realisieren lassen, hängt allerdings stark von der Unterstützung durch die öffentliche Hand ab. Die CGT sieht deshalb die Aufgabe einer sozialen Bewegung darin, für Unterstützung des Staates oder der Kommunen zu sorgen. 134 Dagegen definiert sich die Linke in Frankreich mehrheitlich durch ihre Protesthaltung einerseits und andererseits durch eine überaus hohe Erwartungshaltung an den Staat. Das unterstreicht, dass die französische Linke weiterhin dem Modell der Industriegesellschaft verhaftet bleibt. Hier hat man sich weder gedanklich noch praktisch auf den Weg in die wissensindustrielle Gesellschaft gemacht. Die damit verbundenen neuen Aufgaben sind noch gar nicht ins Blickfeld gerückt. Allenfalls nimmt die Linke sie als Teil eines neoliberalen Diskurses wahr. Doch auch in Frankreich muss es darum gehen, die Angebotsmacht der Arbeit, das heißt soziales Wachstum, zu stärken. Die Linke in Frankreich könnte eigene Antworten auf diese Aufgabe finden und Konzepte zu innovationsgerechtem Arbeiten und zu zwei Formen guter Arbeit entwickeln. Dafür müsste allerdings der Gestaltungsanspruch des Staats zurücktreten, beziehungsweise die Linke müsste den Gestaltungsanspruch des Staates zurückdrängen. Im Folgenden sollen Ansätze der französischen Politik mit Blick auf ihre Bedeutung für die Angebotsmacht der Arbeit diskutiert werden. 134

Vergleiche Interview F4 (2001).

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3. Die Angebotsmacht der Arbeit Ungeachtet der hier beschriebenen Mentalitäten beschritten linke französische Regierungen immer wieder Wege, die von einem traditionellen linken Selbstverständnis abwichen. Das zeigt bereits die Regierungspolitik des linken Präsidenten François Mitterrand in den 80er Jahren. Mitterand hatte sich in den Präsidentschaftswahlen 1981 noch das revolutionäre Gewand der Kommunisten und Trotzkisten übergeworfen und sein erstes Regierungsjahr mit einer radikal antikapitalistischen Agenda begonnen. Die Löhne stiegen, das Renteneintrittsalter und die Arbeitszeiten sanken. Zugleich gab es ein beispielloses Nationalisierungsprogramm. Im ersten Regierungsjahr verstaatlichte Mitterrand 36 Banken und fünf der größten Unternehmen Frankreichs. Die Entscheidung für einen „sozialistischen“ Entwicklungspfad und ein ganzes Paket von entsprechenden politischen Regulierungen hätte für Frankreich allerdings die Isolation von seinen Wirtschaftspartnern bedeutet. Die französische Volkswirtschaft hätte sich quasi in eine autarke Position bringen müssen. Es hätte zugleich den Abschied von der Europäischen Gemeinschaft bedeutet. Denn das EU-Regelwerk über die Ausrichtung von Tarifen, Märkten und Währungen und der Plan zur Gestaltung eines einheitlichen europäischen Marktes schränkten die Bedingungen für den Beitritt neuer Mitglieder erheblich ein. Diese Tatsachen, aber auch die zunehmende Zahl von Untenehmen, die in wachsender Panik ihre wirtschaftlichen Aktivitäten aus Frankreich auslagerten, scheinen Mitterand zu einem U-Turn bewogen zu haben: Am 12. Juni 1982 vollzog er eine Kehrtwende der Politik um 180 Grad. Mitterand autorisierte seine Regierung, die Preise und Löhne für vier Monate einzufrieren, die öffentlichen Ausgaben zu kürzen, Steuern zu erhöhen und der Bekämpfung der Inflation Priorität zu geben. Er übernahm die Ideen des konservativen Ökonomen Raimond Barre, der schon Jahre zuvor Frankreich zur Gesundung eine Dosis Thatcherismus empfohlen hatte. Der U-Turn bedeutete den Abschied von einem französischen Weg zum Sozialismus. Das Ende der keynesianischen Wirtschaftspolitik erforderte zugleich eine Neubestimmung des Verhältnisses von Politik und Ökonomie, mit der sich die Linke bis heute schwer tut. 135 Die Tradition des staatlichen Interventionismus blieb lange Zeit ungebrochen. Der französische Staat verteidigt bis heute seinen Anspruch auf Ausschließlichkeit, die Politik des Landes zu bestimmen. Er praktiziert eine „Top Down-Strategie“: In ihren Kabinettsbeschlüssen verzichtet die Regierung darauf, Arbeitgeber und Gewerkschaften in ihre Entscheidungen einzubinden. Beschlüsse werden an höchster Stelle gefasst und die Gesellschaft wird über diese Entscheidungen in Kenntnis gesetzt. Die Linksregierung in den 80er Jahren setzte auf staatliche Impulse: Die Verkürzung der Wochenarbeitszeit auf 39 Stunden sowie die Verallgemeinerung des 135

Vergleiche Judt (2005) und Lacouture (1998), S. 552 f.

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fünfwöchigen Jahresurlaubs im Jahr 1982 wurden per Regierungsverordnung durchgesetzt. Eine durchaus kontroverse Debatte über den entsprechenden Lohnausgleich erstickte Staatspräsident Mitterrand schon in den Anfängen, indem er den vollen Lohnausgleich durchsetzte. Gleichzeitig wurde das Thema Arbeitszeitverkürzungen für Jahre auf Eis gelegt, bis die Arbeitsministerin Martine Aubry Ende der 90er und Anfang 2000 die 35-Stunden-Woche durchsetzte. Ebenfalls 1982 bot die Regierung erstmals finanzielle Anreize für Beschäftigung sichernde beziehungsweise fördernde Unternehmensvereinbarungen („Solidaritätsverträge“) an. Dieser Weg scheiterte indessen an mittelstandsunfreundlichen Regelungen, zu geringen finanziellen Anreizen und schwerfälligen Prozeduren: Sie verlangten jeweils eine vertragliche Regelung zwischen dem Staat und dem Unternehmen. Auch die gaullistische Regierung blieb der Politik staatlicher Interventionen treu. Sie führte 1993 ein Fünfjahresgesetz zur Beschäftigung ein, das mit Hilfe staatlicher Anreizsysteme solche tarifvertraglichen Vereinbarungen förderte, die Arbeitszeitverkürzungen mit der Sicherung und Schaffung von Beschäftigung verbanden. Der Erfolg war bescheiden. Lediglich 15 Abkommen kamen auf dieser Basis bis Ende 1997 zustande. Ein zweiter Impuls ging von den Spitzenverbänden der Tarifparteien aus. Sie einigten sich im Dezember 1995 auf ein branchenübergreifendes Beschäftigungsabkommen auf nationaler Ebene. Es erkannte die Verkürzung der Arbeitszeit als Element im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit unter der Bedingung an, dass neue Formen der Arbeitszeitgestaltung Produktivitätsgewinne und den Erhalt oder die Schaffung von Arbeitsplätzen ermöglichen. Daraus entwickelte sich jedoch keine wirkliche Verhandlungsdynamik. Die Gründe dafür sind zum Teil im Desinteresse der Arbeitgeber zu finden, zum anderen im Robien-Gesetz: Es schuf vom 11. Juni 1996 an eine neue Grundlage, um Beschäftigung mit einer Reorganisation und Verkürzung der Arbeitszeit zu fördern. Es bot den Rahmen für die Kreation vieler attraktiver finanzieller Anreize für den Abschluss von Unternehmens- oder Branchenvereinbarungen. Vor allem kleine Unternehmen nutzten diese Gelegenheit und handelten entsprechende Vereinbarungen aus. Auf Gewerkschaftsseite lehnte Force Ouvrière (FO) den Ansatz der Arbeitszeitverkürzungen strikt ab. Andere Gewerkschaften nutzten die im Gesetz enthaltenen Möglichkeiten voll aus. Allen voran die sozialistische Conféderation Francaise Démocratique du Travail (CFDT). Bis Mitte 1998 wurden nach Angaben des Arbeitsministeriums über 2.000 „Robien-Abkommen“ registriert, die 355.000 Beschäftigte betrafen und 17.000 Arbeitsplätze sicherten sowie 25.000 neu schufen. Zudem gab der Staat immer wieder Impulse, die Arbeitswelt auf die neue Informationsgesellschaft einzustellen. 1998 und 1999 legte die französische Regierung ein umfangreiches Programm zur Schaffung von Beschäftigung in der „Informationsgesellschaft“ auf, also in den Feldern Informationstechnologien, Telekommunikation und Medien. Die neuen Technologien sollten Eingang in die Schulen finden, in die kulturellen Sphären wie „Publishing“, Bibliotheken und Multimedia. Im öffentlichen Sektor sollte es einen kostenlosen Zugang zu offiziellen Websites geben. Außerdem wurden Unternehmen zum E-Commerce ermutigt. In einer zweiten Pha-

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se entstanden in den 800 regionalen Stellen der französischen Bundesagentur ANPE so genannte „Resource Centres“, die Bürgerinnen und Bürger im Umgang mit neuen Technologien weiter qualifizieren sollten. Außerdem sollten Arbeitsuchende einen leichteren Zugang zum Internet finden. In diesen Sektoren der Informationsund Wissensproduktion wuchs die Beschäftigung fünf Mal schneller als anderswo. Die französische Regierung förderte aber auch im Rahmen des Programms „Emploi Jeunes“ neue, bislang nicht auf dem Markt angebotene Dienstleistungen. Ferner lokale Dienstleistungen wie Haushalts- und Familienhilfen. In beträchtlichem Umfang wurden auch neue Impulse für die Entwicklung von marktbezogenen Dienstleistungen geschaffen: Unternehmens- und personenbezogene Dienstleistungen, das heißt Zulieferer zu Unternehmen und beispielsweise Hilfen im Haushalt, aber auch für die Sektoren Informatik und Umwelt. Ein wichtiges Anreizinstrument in diesen Bereichen war die Senkung der Steuerbelastungen für Arbeitskosten und Sozialabgaben. Lokale haushaltsbezogene Dienstleistungen. Sie treffen Bedürfnisse wie Hilfen im Haushalt, Kinderbetreuung und die Betreuung hilfebedürftiger Menschen zu Hause. Obgleich ein großer Bedarf an solchen Dienstleistungen besteht, schafft dieser Bereich nicht unbedingt viele Arbeitsplätze. Eine Zahl aus dem Jahr 1996: 3.5 Millionen Haushalte mit einem Umsatz von 45 Milliarden französischen Francs schufen etwa 700.000 Vollzeitarbeitsplätze. Die Entwicklung lokaler Dienste geht auf eine alternde Bevölkerung zurück, sie erhöht vor allem die Beschäftigung von Frauen. Andererseits stehen kürzere Arbeitszeiten, die Neuverteilung der Arbeit zwischen Paaren und staatliche Anreize für das Ausscheiden aus dem Arbeitsmarkt der Kaufkraftentwicklung und somit dem weiteren Ausbau dieser Dienstleistungen im Wege. Nach dem überraschenden Wahlerfolg der Linken bei den Parlamentswahlen im Juni 1997 legte die Regierung von Premierminister Lionel Jospin ein Beschäftigungsprogramm auf. Die Ziele: Arbeitsplätze für 350.000 jugendliche Erwerbslose und eine Verkürzung der Arbeitszeit. Aus den positiven Erfahrungen des RobienGesetzes, aber auch aus den eher schleppenden Vereinbarungen der Tarifparteien zog die Regierung den Schluss, die Verhandlungsdynamik mit einem gesetzlichen Rahmen zu forcieren. Sie führte 1997 die 35-Stunden-Woche ein. Dieser Vorgang ist bezeichnend für die Top-Down-Politik und das etatistische Denken linker Regierungen. Am 10. Oktober 1997 lud die damalige Arbeitsministerin Martine Aubry alle Arbeitgeber- und Gewerkschaftsverbände zu einer nationalen „Konferenz über Beschäftigung, Löhne und Arbeitszeit“. Sie endete mit einem Eklat, als Premierminister Jospin ein Rahmengesetz zur Arbeitszeitverkürzung ankündigte und zugleich ein definitives Datum für die Herabsetzung der gesetzlichen wöchentlichen Arbeitszeit nannte: Der Arbeitgeberpräsident Gandois trat von seinem Posten zurück. Das am 19. Mai 1998 verabschiedete Gesetz fixierte die gesetzliche Wochenarbeitszeit ab dem 1. Januar 2000 auf 35 Stunden, für Kleinunternehmen trat diese Regelung erst zwei Jahre später in Kraft. Die Tarifparteien wurden aufgerufen, auf Branchen-

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beziehungsweise Unternehmensebene praxisnahe Lösungswege auszuhandeln. Prämien in Gestalt geringerer Arbeitgeber-Beiträge zur Sozialversicherung erhielten Unternehmen, die die Arbeitszeit ihrer Beschäftigten um mindestens 10 Prozent verkürzten und 6 Prozent zusätzliche Arbeitsplätze schufen beziehungsweise eine entsprechende Anzahl von Jobs retteten. Diese Prämien betrugen 9.000 Francs für jeden Arbeitnehmer in einem Jahr. Sie waren degressiv gestaffelt. Im Jahr 2002 trat eine allgemeine Senkung der Arbeitgeber-Sozialkosten an ihre Stelle. Der Unternehmerverband „Mouvement Des Entreprises De France“ (MEDEF) opponierte nicht nur strikt gegen die Ziele der beiden Gesetze zur 35-Stunden-Woche. Ihm stieß auch das Verfahren auf, das den Verhandlungen vor ihrem Beginn das bereits feststehende Ziel vorgab. MEDEF begab sich auf einen harten Konfliktkurs und tat alles, um das Gesetz zu unterlaufen. Der Metallarbeitgeberverband unterzeichnete am 28. Juli 1998 zusammen mit den drei kleineren Gewerkschaftsbünden FO, CFTC und CGC ein Abkommen für die Metallindustrie. Es trug zwar dem Aubry-Gesetz, das die Wochenarbeitszeit auf 35 Stunden verkürzte, formal Rechnung, beraubte es aber durch Jahresarbeitszeitkonten und großzügige Überstundenkontingente seines Inhalts. Faktisch blieb eine 39-Stunden-Woche weiterhin möglich, während andere Arbeitszeitmodelle und mögliche Beschäftigungseffekte konsequent ausgespart wurden. Daran war vor allem die Gewerkschaft FO interessiert, die ihr Misstrauen gegenüber der Arbeitszeitverkürzung offen zeigte: Sie hielt sie für eine Verteilung des Mangels auf Kosten der Arbeitnehmereinkommen. Für vermehrt geleistete Überstunden versprach die FO den Beschäftigten auch leichte Lohnerhöhungen. Alternativ zur Arbeitszeitverkürzung sollten Vorruhestandsregelungen forciert werden. Der Unternehmensverband MEDEF entwickelte nach dem Eklat im Anschluss an die „Konferenz über Beschäftigung, Löhne und Arbeitszeit“ die Strategie der „Refondation Sociale“. 136 Sie setzte stärker auf Verhandlungen, um die Arbeitsbedingungen in den Unternehmen effizienter und effektiver zu machen. Die meisten Gewerkschaftsdachverbände unterstützten sie. Gegenwind kam von den gewerkschaftlichen Dachverbänden wie der Conféderation Générale Du Travail (CGT) und der Fédération Solidaires Unitaires Démocratiques – Poste, Téléphone et Télécommunikation –, abgekürzt SUD-PTT. Sie kritisierten an der MEDEF-Strategie ihren Mangel an Legitimation und Repräsentativität sowie die Schwächung sozialer Rechte. In der neuen Verhandlungsstrategie der Unternehmer erblickten sie nur eine Methode, befristete Beschäftigungsverhältnisse einzuführen. Sie verdächtigten die Unternehmer, sie wollten das Gesetz zur 35-Stunden Woche mit innerbetrieblichen Verhandlungen umgehen. Das aber hätte die Gewerkschaften vollends isoliert. Die rigide Durchsetzung der 35-Stunden-Woche hatte paradoxe Wirkungen. Statt einer zentralen einheitlichen Umsetzung führten die Verhandlungen innerhalb der großen Unternehmen in Folge des ersten Aubry-Gesetzes zu sehr unterschiedlichen 136

Vergleiche Interview F12 (2002).

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Anwendungen der 35-Stunden-Woche in den Branchen der Wirtschaft. Das zweite Aubry-Gesetz, das die Verkürzung der Arbeitszeit in kleinen und mittleren Unternehmen betraf, verpflichtete die Unternehmen zu Verhandlungen und verknüpfte unterschiedliche Ebenen miteinander: Damit kehrte die Arbeitszeitpolitik in die Unternehmen zurück. Es gab neue Formen von Abschlüssen: Es fanden wirkliche informelle Verhandlungen unter Partizipation der Beschäftigten statt, die die Logik direkter Repräsentation verstärkten. Damit erkannte die Regierung an, dass sie nur mit Hilfe der Unternehmen und ihrer Verbände ihr Ziel erreichen konnte, mehr Arbeitsplätze durch Arbeitszeitverkürzung zu schaffen. Sie konnte die Vereinbarung der Metallindustrie nur ignorieren, wenn es genügend andere „gute“ Vereinbarungen gab. Die Regierung baute daher darauf, dass sich möglichst viele Unternehmen dem Konfliktkurs ihres Verbandes verweigerten und aus Eigeninteresse Verhandlungen einleiten würden. Die Bilanz aus den Erfahrungen mit Unternehmensvereinbarungen zur Reorganisation und Verkürzung der Arbeitszeit fällt vielfältig aus: Meistens verbanden sich Arbeitszeitverkürzungen mit Veränderungen der Arbeitsorganisation und flexibleren Arbeitszeitregelungen. Das unterstützten vor allem die CFDT, aber auch die CGT. Eine Vertreterin der CFDT beschrieb 2002 die Arbeitsmarktpolitik in Frankreich wie folgt: „Es gab zehntausende von Vereinbarungen. Um dies zu erreichen, musste der Staat eine Verhandlungspflicht anordnen. Deshalb gab es einen rechtlichen Rahmen für klassische Kollektivverhandlungen, in erster Linie um die Unternehmer dazu zu bewegen, die Flexibilität der Vereinbarungen zu nutzen und um die öffentlichen Beihilfen zu erhalten. Man hat also Vereinbarungen, die stark vom Tripartismus abweichen und bei denen der Staat Zwang ausübt und gleichzeitig Verhandlungen stimuliert. Die Gewerkschaften sind in einer schwachen Position. Sie sind geteilt und zu keiner gemeinsamen Strategie in der Lage. Das ‚Patronat‘, die Unternehmer werden durch die Intervention des Staates ‚gestört‘, aber sie holen dennoch das Maximum für sich aus den Verhandlungen heraus, weil sie wissen, dass die Gewerkschaften unbedingt die Vereinbarungen unterzeichnen wollen. Für die Gewerkschaften ist die Unterzeichnung der Vereinbarungen eine günstige Gelegenheit, sich zu legitimieren. Die Unternehmer sind also in einer relativ starken Verhandlungsposition. Sie brauchen die Vereinbarungen für Flexibilisierungsmaßnahmen und für Subventionen, aber sie müssen auch Konzessionen machen. So ist die Situation in Frankreich. Man ist unfähig zu tripartistischen Verhandlungen mit nationaler Wirkung, man hat nur Fragmente, die reguliert werden und nur bestimmte Akteure betreffen.“ 137 Die 35-Stunden Woche wurde – anders als in Deutschland – nicht auf dem Wege von Tarifverhandlungen eingeführt, sondern per Gesetz. Sie sollte im ganzen Land, auch im kleinsten Betrieb, realisiert werden. Trotz der unterschiedlichen Umsetzung und der widersprüchlichen Wirkung für die Unternehmen und Gewerkschaften

137

Vergleiche Interview F10 (2001).

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schien solch eine zentralisierte Vorgehensweise zwingend. Denn vor 1997 hatte sich immer wieder gezeigt, dass Arbeitgeber und Gewerkschaften nicht aus eigenen Antrieb den Verhandlungen die nötige Dynamik geben. Für die Linke in Frankreich ist der Staat nach wie vor der dominante Akteur der Beschäftigungspolitik. Das zeigen diese Beispiele. Dagegen haben die gesellschaftlichen Akteure nur geringe Gestaltungsmacht. Dabei ist der Staat in der Realisierung eines operativ anspruchsvollen Ziels wie der 35-Stunden-Woche auf die Kooperation der Arbeitgeber und Gewerkschaften angewiesen. Auch das zeigt die hier beschriebene Entwicklung. Der gescheiterte Versuch einer zentralen Einführung der 35-Stunden-Woche in Frankreich markierte zugleich das Ende des staatlichen Dirigismus in der Beschäftigungspolitik. Das hätte auch auf Seiten der Linken ein Umdenken auslösen und zum Bruch mit der herkömmlichen Beschäftigungspolitik führen müssen. Doch die strategisch relevanten Akteure ziehen aus dieser Erfahrung bis heute kaum Konsequenzen. So gibt es zum Beispiel in der Bildungspolitik immer noch staatlichen Widerstand gegen die Zusammenarbeit von Bildungsinstitutionen mit Unternehmen. Es steht ein langer Kampf für einen öffentlich-privaten Ausbildungsmix und die Konkurrenz mit Ingenieurschulen bevor. Nach dem Ende des „französischen Wegs zum Sozialismus“ in der Ära Mitterand weist vieles darauf hin, dass die Linke in Frankreich eine neue politische Strategie finden muss. Sie kann sich nicht auf die Verteidigung sozialstaatlicher Errungenschaften beschränken. Die 35-Stunden Woche ist auch hier von Interesse: Die besondere Art und Weise, wie sie der Staat durchsetzte, führte zu einer unbeabsichtigten politischen Innovation: Sie wertete die Verhandlungen zwischen Unternehmern und Gewerkschaften im Rahmen des zweiten „Aubry-Gesetzes“ auf. Sollten sich Verhandlungen zwischen Unternehmern und Gewerkschaften langfristig durchsetzen, wie es die „Refondation Sociale“ formulierte, könnte es sukzessive die Handlungsschwerpunkte und Verantwortlichkeiten etwa im Bereich der Berufsbildung verschieben. Abzuwarten bleibt, ob der Staat dann an Einfluss gegenüber den Sozialpartnern verlieren würde – oder nicht am Ende sogar neue Handlungsspielräume gewinnt, zum Beispiel, indem er Verantwortlichkeiten delegiert. Zum ersten Mal setzte die 2005 angetretene bürgerliche Regierung unter Dominique de Villepin auf soziales Wachstum. Mit dem Programm der „Croissance Sociale“ hoffte sie auf eine Verbindung von Wachstum mit sozialer Gerechtigkeit. Denn: Wachstum ist auf Innovationen angewiesen. Nach Auffassung von Vertretern der „endogenen Wachstumstheorie“ wie Professor Paul Romer und Bradford de Long kommt es bei Innovationen auf die sinnvolle Verknüpfung von neuen Technologien und der Organisation der Arbeit an. 138 Das schließt mit Blick auf die Arbeit eine passende Qualifizierung und einen optimalen Einsatz der Arbeitskräfte ein. Das geht aber nicht ohne Beteiligung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Viel138 Einen detaillierten Überblick über die endogene Wachstumstheorie geben Aghion/Howitt (1998).

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leicht sind das die Anfänge einer neuen Modernität in Frankreich. Das würde allerdings auch bedeuten, dass der Staat nicht mehr Reformen per Gesetz verkünden könnte. Künftig braucht er vielmehr operative Fähigkeiten, um seine Beschäftigungspolitik an ihrer Effizienz zu messen. Das könnte auch die französische Politik zwingen, über Ziele und Mittel der Arbeitsmarktpolitik sowie über Effizienz, Effektivität und über Evaluationsverfahren zu diskutieren. Gleichzeitig könnte es die Formen politischer Einflussnahme verändern. Operativere Politikformen verlangen von den Akteuren selbst operatives Denken und Handeln, Verhandlungsgeschick und dezentrale Aktionsformen. Die Linke in Frankreich wird für diese Entwicklung eigene Antworten entwickeln müssen, um in Fragen einer sozial gerechten Modernisierung der Arbeit mitsprachefähig zu bleiben. a) Innovationen aa) Die staatliche Förderung von Innovationen In Frankreich herrscht ein Innovationsdefizit, das Land ist nicht auf der Höhe seiner Ambitionen. Mittlerweile ist bekannt, dass die Mittel und die Effektivität der französischen Wirtschaft gesteigert werden müssen. 2005 flossen nur 2,2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) in Forschung und Entwicklung. Dieser Prozentsatz liegt über dem Durchschnitt der Europäischen Union, bleibt aber unterhalb der Länder, die auf dem Weg zu einer Wissensökonomie sind, wie Finnland oder Schweden. Im Gegensatz zur öffentlichen Forschung ist das Niveau der privaten Forschungsinvestitionen nicht zufrieden stellend. Die Beziehung von öffentlicher Forschung und Unternehmen ist zu wenig entwickelt. In Frankreich geht es deshalb darum, die Effektivität der öffentlichen Forschung ebenso zu steigern wie Forschung und Innovation der privaten Unternehmen zu fördern. Die französischen Regierungen haben immer wieder betont, dass das Maß an Innovationen nicht ihren Erwartungen entspricht. Sie sprechen selbst von Defiziten. „Die Innovation ist eine vitale Notwendigkeit für alle Unternehmen, die dem Wettbewerb ausgesetzt sind.“ So die Auffassung der Forschungsministerin Haigneré und der Industrieministerin Fontaine aus dem Jahr 2003. Nach ihrer Auffassung basierten in den meisten Fällen Innovationen auf Initiativen des Handels und des Marketings. 139 Aber die wichtigsten Innovationen sind diejenigen, die sich aus Forschung und Entwicklung ergeben. Auch wenn sie nicht immer unmittelbar rentabel für die 139 Man kann hier Zweifel anmelden. Innovationen basieren nicht auf Initiativen des Handels und des Marketings, sie stoßen sie vielleicht an, aber nicht in den meisten Fällen. Weil der Handel letztlich nur im Bereich „B-to-C“, „Business to Consumer“ verkehrt, aber nicht im Bereich B-to-B, „Business-to-Business“. Für viele Maschinenbauer, Zulieferer, Telekomausrüster ist dies das Hauptgeschäft.

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Unternehmen sind – langfristig tragen sie Früchte, fördern Wachstum und schaffen Arbeitsplätze. Deshalb brauchen sie die besondere Unterstützung des Staates und der öffentlichen Institutionen. Dafür muss eine Reihe von Handicaps überwunden werden: So ist Frankreich z. B. exzellent in der Grundlagenforschung, aber die Transformation von Forschungsergebnissen in marktförmige Güter ist unzureichend. Innovative Unternehmen haben es schwer, Finanzquellen zu erschließen, insbesondere dann, wenn sich die Entwicklung neuer Produkte über Jahre hinzieht. Und auf jüngeren Unternehmen lasten die Steuern und Sozialabgaben. In einem viel beachteten Bericht über den Zusammenhang von Innovationen und Wachstum haben Boyer und Didier 140 die Schwäche der öffentlichen Institutionen, der Laboratorien und der Universitäten im Prozess von Innovationen moniert. Zuerst ist es Aufgabe des Marktes, die Anstrengungen auf dem Gebiet der Innovationen zu verstärken. Dann aber müssen Innovationen gut in den Markt eingeführt werden. Vor allem müssen die Formen der öffentlichen Intervention, die den wissenschaftlichen, technologischen und wirtschaftlichen Erfolg Frankreichs nach dem Zweiten Weltkrieg ermöglichten, an die Firmen angepasst werden. Denn sie sind heute einer weitaus größeren globalen Konkurrenz ausgesetzt als je zuvor. Die Situation in Frankreich ist widersprüchlich. Einerseits neigen die Zentren von Forschung und Innovation spontan dazu, sich den wichtigsten Institutionen und Organisationen zuzuwenden. Andererseits sind die Einstiegskosten in bestimmte Sektoren der Forschung derart gewachsen, dass nur internationale Kooperationen den Innovationsprozess tragen können. Frankreich zeichnet sich eher durch gute Forschung als durch Innovation aus. Das „amerikanische Wunder“ der 90er Jahre ist hingegen durch die Ausbreitung der Innovationen auf die gesamte Wirtschaft einschließlich der Dienstleistungen zustande gekommen. Boyer und Didier schlagen vor, das Netzwerk von Forschung und Innovation mit dem Ziel besser zu organisieren, den sozialen Ertrag und den Wirkungsgrad von Innovationen zu erhöhen. Da alle öffentlichen Ausgaben eine Entnahme von Ressourcen aus der Gesellschaft bedeuten, muss sich der gesamte Prozess einer strikten Evaluation unterziehen. Nur so kann ein klares Bild über Kosten, Vorteile und öffentliche Interventionen bei Forschung und Innovation entstehen. Die Verstärkung staatlichen Handelns auf dem Gebiet der Industrie- und Forschungspolitik war ein integraler Bestandteil des „Programme National De Reforme Pour Une Croissance Sociale“ vom Oktober 2005. Die Regierung Villepin wollte die französische Wirtschaft in den leistungsfähigsten und innovativsten Sektoren positionieren. Dabei war die Initiative des Staates, aber auch der Unternehmen und der Regionen wichtig. Diese Industriepolitik nutzte öffentliche Investitionen für den Aufbau einer neuen Infrastruktur für die Zeit nach dem absehbaren Ende des Erdölzeitalters. Bis zum Ende 2006 sollten 10 Milliarden Euro investiert und zugleich neue Formen der Finanzierung wie „Partenariats Publics Privés“ (öffentlich-private 140

Vergleiche Boyer und Didier (1998).

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Partnerschaften) erprobt werden. Mit der Klärung der notwendigen forschungspolitischen Entscheidungen und der Entwicklung einer Zukunftsvision wurde das „Haut Conseil De La Science Et De La Technologie“ (HCST), der hohe Rat für Wissenschaft und Technologie, beauftragt. Die Regierung musste existierende und neue Vorhaben in einer kohärenten Architektur zusammenführen. Innovationen werden gefördert, damit sich Unternehmen leichter an den Prozess der Globalisierung anpassen können. Deshalb unterstützte der Staat „unternehmerische Haltungen“ mit Steuererleichterungen, Hilfen bei Unternehmensnetzwerken und sozialem Schutz für Gründer. Auch vereinfachte er den bürokratischen Prozess bei Firmengründungen. 141 Damit folgte er dem Wunsch nach einer Vereinfachung der Verwaltungstätigkeiten besonders von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU), die 93 Prozent aller Betriebe in Frankreich ausmachen. Mit dem „Madelin Act“ von 1994 wurden so genannte Einfacherklärungen für Sozialabgaben eingeführt, die eine Vielzahl separater Prozeduren ersetzen. Die sozialistische Regierung unter Jospin hat den Weg der Vereinfachung von Verwaltungsformalitäten weiter beschritten. Heute können Unternehmen binnen eines Tages gegründet werden. Nach Darstellung des „Ministère Délégué A La Recherche“, des französischen Forschungsministeriums, hat der im Jahr 2004 auf den Weg gebrachte Plan für Innovationen der Regierung Raffarin einen guten Rahmen für die Zusammenarbeit zwischen forschender Welt und dem sozio-ökonomischen Sektor geschaffen. In der Folge entstanden innovative Unternehmen, wurden junge Menschen für das Unternehmertum sensibilisiert und ausgebildet sowie „Maisons De L’Entrepreneuriat“, Informationsbüros der Unternehmen, auf dem Campus der Universitäten eingerichtet. Ein nationaler Wettbewerb förderte die Gründung technologisch innovativer Unternehmen: Innerhalb von sechs Jahren präsentierten 9.500 Bewerber ihre Projekte, und bis Ende 2004 wurden 700 Unternehmen gegründet, die im Durchschnitt rund sieben Menschen beschäftigen. Drittens wurden die Beziehungen zwischen den Gründern innovativer Unternehmen und der öffentlichen Forschung gestärkt. Das Ergebnis waren 612 Unternehmen, die 2.833 Menschen beschäftigten. Viertens wurden fünf nationale Investitionsfonds und sechs regionale Fonds zu den Themen Biotechnologie, Informationstechnologie und Kommunikation sowie Energie und Umwelt eingerichtet und mit 146 Millionen Euro ausgestattet. Im Idealfall können diese Maßnahmen komplementäre Wirkungen erzielen. Die Gewinner des Wettbewerbs von 2004 konnten Beschäftigung bei den Unternehmensgründern finden, um ihrerseits neue Unternehmen zu gründen. Die Investitionsfonds standen den Unternehmensgründern oder den Projektträgern zur Verfügung. Sehr schnell entstanden positive erste Effekte hinsichtlich der Neugründungen. Diese Unternehmen konnten sich auch am Markt behaupten. Es zeigte sich, dass pro Jahr etwa 100 Unternehmen direkt aus der Tätigkeit öffentlicher Forschung

141

Vergleiche NAP (1999) und Goetschy (2001).

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hervorgingen. Diese staatliche Förderung war drei- bis viermal so wirksam wie zu Beginn der 90er Jahre. Kritische Stimmen stellen allerdings die Effizienz und Effektivität staatlicher Forschung in Frage. Im Mittelpunkt der Kritik stand die Politik der ANVAR („Agence Nationale De Valorisation De La Recherche“), einer französische Behörde zur Aufwertung der Forschung. Ein Vorwurf: Zu viel Geld werde für Personal und zu wenig für die Forschung ausgegeben. 142 T. J. Rodgers, ein Unternehmer aus dem Silicon Valley, der den Cypress Halbleiter geschaffen hat, verfasste mit anderen Spitzenmanagern ein Manifest. Darin hieß es: „Wir wollen Ihre Subventionen nicht. Im besten Falle bedeuten sie Geldverschwendung, im schlechtesten die Zerstörung des Unternehmens. Und Ihre Experten sind diejenigen, die wir in unseren Unternehmen nicht gewollt haben. Schauen Sie sich an, wie die Hilfe des europäischen Staates und die Programme Jessi und Eureka (an denen ANVAR beteiligt ist) die europäische Halbleiterindustrie zerstört haben.“143 Auch wer diese Kritik nicht teilt – die Fragen von Boyer und Didier 144 bleiben drängend: Wie lässt sich eine Politik der Innovation und eine Politik des Wettbewerbs artikulieren? Wie lassen sich die Mittel zwischen wissenschaftlicher Forschung und der Stimulierung von Innovationen besser verteilen? Gibt es genug Risikokapital, um die Hindernisse für die Dynamisierung von Innovationen zu überwinden? Wie müssen die Verantwortlichkeiten in der Innovationspolitik zwischen Europäischer Union, den Mitgliedstaaten oder Regionen neu verteilt werden? Auf jeden Fall sollten die unterschiedlichen Aspekte der Forschungspolitik und der Forschungsförderung einer kritischen Evaluation unterworfen werden. bb) Innovationen in Unternehmen Wie steht es um die Unternehmenskultur in Frankreich? Es hat den Anschein, dass es um das Vertrauen zwischen Unternehmern und Beschäftigten in französischen Unternehmen nicht zum Besten steht.145 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind sehr unzufrieden mit ihren Arbeitgebern. Nach dem „World Values Survey“ sind französische Arbeitnehmer am wenigsten zufrieden mit ihrer Arbeit. Nur die Griechen sind noch unzufriedener. Und nach dem „Global Competitiveness Report“, der auf der Befragung von Managern beruht, besitzt Frankreich eine der wenigsten kooperativen Arbeitsumgebungen weltweit. Frankreich liegt von 102 PlätVergleiche Gorreri (2004). iFRAP (2001), Übersetzung KWW. 144 Vergleiche Boyer und Didier (1998). 145 Zu diesem Ergebnis kommt jedenfalls Thomas Phillipon in seinem 2007 erschienenen Buch „Le capitalisme d’hèritiers“, Seul, zitiert nach Nicolas Véron, Family Capitalism and the French Problem with Work, [email protected]. Dieser Beitrag wurde mir freundlicherweise von Professor Cullpepper, John F. Kennedy School of Governance, Harvard University, zu Verfügung gestellt. 142 143

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zen auf Platz 99. Und auch ein Beratungsunternehmen mit dem klangvollen Namen „Great Place To Work Institute“ kommt in einer Befragung von Managern und Arbeitnehmern zu dem Ergebnis: Es gibt in Frankreich vergleichsweise wenig gut geführte Unternehmen. Eine mögliche Erklärung: Anders als in Deutschland stehen in Frankreich viele Eigentümer an der Spitze von Unternehmen, und das auf wenig kooperative Art und Weise. Das führt dazu, dass das Verhalten von Managern defensiv ausgerichtet und von hierarchischem Denken geprägt ist. Dieses kulturelle Erbe und ihre Ausbildung entwickelt bei Managern wenig Sinn für den Wert der Initiative ihrer Beschäftigten. 146 Auf der anderen Seite ist seit Mitte der 80er Jahre ein neuer Begriff in der öffentlichen französischen Debatte aufgetaucht, der Begriff des partizipativen Managements. Dabei ging es nicht um die Suche nach neuen Formen der Beteiligung oder der Mitbestimmung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer oder um „neue Arbeitnehmerrechte“. Vielmehr mussten Unternehmen die „humanen Ressourcen“ ihrer Mitarbeiter mobilisieren, wenn sie wettbewerbsfähig bleiben wollten. Die Konkurrenz mit Japan machte vor allem im elektronischen und im Automobilsektor ein neues Qualitätsmanagement nötig, das den Beschäftigten ein zusätzliches Maß an Verantwortung gab. Denn es hat sich gezeigt, dass die Arbeit schlecht ausgeführt wird oder sogar liegenbleibt, wenn die Menschen miserabel oder gar nicht informiert werden. Beteiligung ist also ein wichtiges Moment, um die Produktionsziele eines Unternehmens zu erreichen. Wie verändert sich dadurch das Verhältnis von Unternehmen zu ihren Beschäftigten? Eine Antwort suchte der sozialistische Gewerkschaftsbund CFDT zwischen 1995 und 2001 in der Befragung von fast 80.000 Arbeitnehmern. 147 Er wollte wissen, ob die Unternehmen in der Praxis tatsächlich ihre Beschäftigten mehr beteiligen. Informierten und konsultierten Vorgesetzte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mehr als früher? Wie schlugen sich Qualitätsfortschritte in der Arbeit unterschiedlicher Beschäftigtengruppen nieder? Und wie stand es um die Hierarchien in den Arbeitsbeziehungen: Ist die Arbeit noch immer ein Universum von Befehl und Gehorsam beziehungsweise Anordnung und Ausführung zwischen Arbeitnehmern und ihren unmittelbaren Vorgesetzten? Die Umfrage ergab: Je wichtiger ein Arbeitsplatz für das Funktionieren von Arbeitsabläufen war, desto mehr wurden Beschäftigte über größere wirtschaftliche und strategische Planungen informiert. Dafür organisierten die Unternehmen Informationsveranstaltungen auf Abteilungs- oder Firmenebene. Zur Verbesserung der Qualität einer Dienstleistung oder eines Produktes blieb den Unternehmen nichts Anderes übrig, als auf die Intelligenz der Arbeitnehmer zu setzen. Deshalb achten sie heute stärker darauf, was die Beschäftigten zu sagen haben. Arbeitnehmer können sich vergleichsweise direkt an ihren höchsten Chef richten. Wenn das Unterneh146 147

Vergleiche Veron (2007). Vergleiche CFDT (2001).

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men dem keine Beachtung schenkt, können daraus Konflikte im Unternehmen entstehen. Für innovative Arbeitsorganisation gibt es weder eine einheitliche Form noch ist sie gleichmäßig verteilt. In bestimmten Sektoren haben sich die Arbeitsbeziehungen zwischen den hierarchischen Ebenen verbessert, die Fortschritte in der Information und Konsultation der Beschäftigten sind unübersehbar. Allerdings empfinden die meisten Beschäftigten Partizipation nur als ein Mittel der Unternehmen, ihre Arbeitskraft noch besser auszubeuten. Gleichzeitig ist die Arbeit vielfach noch traditionell nach tayloristischem Muster organisiert. Der Einzelne funktioniert wie ein mechanisches Rädchen in einer Arbeitsmaschinerie, deren Gesamtablauf er nicht kennt. In den meisten Sektoren haben die Beschäftigten nach ihren eigenen Worten von mehr Partizipationsmöglichkeiten nichts mitbekommen. Bestenfalls hat man ihnen signalisiert, dass sich die Leitung damit befasst hat, was aber ohne greifbare Folgen für ihre Arbeit blieb. Gleichwohl haben die Veränderungen der Arbeitsorganisation, ihre Funktionen im Alltag und die Formen des Managements nachhaltig positive Wirkungen gezeigt. Das gilt insbesondere in neuen Industrien und im Metallbereich. Für die Mehrheit der Beschäftigten in den Präfekturen und den Ministerien ist das nicht der Fall. Allerdings hat das französische Finanzministerium nach den Streiks im Herbst 1989 Maßnahmen für eine umfassendere und gezieltere Information der Beschäftigten ergriffen und die Karrieremöglichkeiten erweitert. Fest steht: Die Partizipation hat in den französischen Unternehmen zugenommen. Das war aber nicht die Folge einer politischen Diskussion um die Demokratisierung und Mitgestaltung der Arbeit, sondern das Ergebnis einer veränderten Arbeitswelt. Partizipation geschieht nur dort, wo im Unternehmen Produktionsnotwendigkeiten und Arbeitsplatzanforderungen es erfordern. Vielfach bedeutet mehr Teilhabe eine Zunahme der Lasten für den Einzelnen. Diese neuen Arbeitsformen sind gut für junge Beschäftigte, weil sie von ihnen profitieren. Ältere und behinderte Beschäftigte haben nur selten Zugang zu solchen Arbeitsplätzen. Insofern wirken partizipative Arbeitsformen polarisierend. Mit Blick auf die Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit lässt sich festhalten, dass mehr Partizipation die Flexibilität in der Arbeit erhöht und lebendige Arbeit eine höhere Bedeutung bekommt. Das wird aller Wahrscheinlichkeit nach auch die Innovationsfähigkeit von Unternehmen positiv beeinflussen. Dies dürfte im besonderen Maße für die Vielzahl von Neugründungen gelten. Denn wo die neuesten Technologien zum Einsatz kommen, finden sich auch die am besten ausgebildeten Beschäftigten. Das dürfte aber nur ein kleiner Ausschnitt aus der Arbeitswirklichkeit in Frankreich sein. In vielen Unternehmen scheint es keine Arbeitskultur zu geben, die auf das Wissen und Können ihrer Beschäftigten setzt. Ohne dieses Wissen und Können wird es kaum Innovationen geben. Entsprechend skeptisch muss das Innovationspotenzial vieler Unternehmen eingeschätzt werden.

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b) Bildung Bildungs- und Ausbildungssystem müssen aktiv fit für den Übergang zur Wissensgesellschaft machen. Deutlich zeichnet sich ab, dass sich das bisherige Verständnis einer allein vom Staat gesteuerten Bildung verändert. Denn auch in Frankreich muss die Bildung einen Beitrag zur Förderung der Angebotsmacht der Arbeit leisten. So befindet sich zum Beispiel das Verhältnis von Universität und Wirtschaft im Wandel. Beide Seiten nähern sich einander an, um die Ausbildung von Universitätsabsolventen praxisnäher und aktivitätsorientierter zu gestalten. Die alte Bildungspolitik wird entideologisiert. Es gibt Ansätze für einen pragmatischen Reformkurs, der konträr zur staatlich gesteuerten Bildung steht. Zwar stehen die Universitäten noch immer in enger Beziehung zum französischen Bildungsministerium. Doch ermöglicht und initiiert der Staat auch neue, experimentelle Formen zum Erwerb von Wissen und Erfahrungen. Mittlerweile wissen Arbeitgeber und Kammern, dass die Kooperation mit den Universitäten Früchte tragen kann. Allerdings ist auf beiden Seiten pragmatisches Handeln noch wenig ausgeprägt. Demgegenüber spielen die Gewerkschaften bei der Modernisierung der Bildungspolitik keine große Rolle. Sie haben nur konsultative Möglichkeiten, ergreifen keine nennenswerte Initiative und sind rechtlich und politisch schwach. 148 Die Defizite des französischen Bildungssystems bleiben indes gravierend. Obwohl das staatliche Bildungssystem auf dem Anspruch der Gleichheit basiert, verlassen noch zu viele Schülerinnen und Schüler die allgemein bildende Schule ohne jeglichen Schulabschluss. Das heißt: 10 Prozent der Schüler verlassen die Schule im Alter von 16 Jahren ohne jegliches Diplom und ohne die Möglichkeit der Teilnahme an weiterführenden Ausbildungsgängen. Sie sind damit praktisch schon am Lebensanfang von Berufs- und Lebenschancen ausgeschlossen. 14 Prozent der Kinder können nach Abschluss der Grundschule kaum lesen und schreiben. Während sich renommierte Schulen auf wohlhabende Stadtviertel konzentrieren und über eine große soziale Stabilität unter den Abgängern der Elitegymnasien und Leistungshochschulen verfügen, wächst die Kluft zwischen Lehrplänen und tatsächlich realisiertem Unterrichtstoff an Schulen mit multikultureller und sozial problematischer Schülerschaft. Um der sozialen Ausgrenzung im Vorschulbereich entgegenzuwirken, sollen Kinder gezielt gefördert und mangelnde Entwicklungschancen in den Familien ausgeglichen werden. Die Standards sind im Vergleich mit der Bundesrepublik hoch: Etwa 88 Prozent der Kinder besuchen eine öffentliche Vorschule. Die Vorschule besuchen schon Zweijährige. 35 Prozent eines Altersjahrgangs werden betreut, die Ganztagsbetreuung ist kostenlos. Allerdings ist die durchschnittliche Gruppenstärke mit derzeit 27 Kindern vergleichsweise hoch. Das Lehrpersonal in den Vorschulen versucht Versäumtes in der Erziehung nachzuholen und die Kinder auf die Schule vorzubereiten. Das französische Erziehungspersonal hat eine den deutschen Grundschulleh148

Vergleiche Interview F1 und F2 (2001).

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rerinnen und -lehrern vergleichbare und als gleichwertig anerkannte Ausbildung absolviert. 149 Die beschriebene Misere der allgemein bildenden Schule will der Staat mit kleineren Klassen, der Entsendung besonders aktiver Lehrer, innovativen Unterrichtsmethoden und außerschulischen Begleitmaßnahmen für die sozial benachteiligten Jugendlichen beheben. Im Rahmen eines Programms der „L’Education Nationale“ wurden Stellen für erzieherische Hilfskräfte, so genannte „D’Aides Educateurs“ in bekanntermaßen schwierigen Schulen geschaffen. 150 830 Schulen mit 11,3 Prozent der Schüler im öffentlichen Schulwesen kamen in den Genuss dieser Maßnahmen. Die Resultate sind positiv, die Leistungen der Schüler sowie die Chancen sozialer Integration nehmen deutlich zu. Darüber hinaus geht es um eine Verbesserung der Grundqualifikationen wie Lesen, Schreiben und Sprechen eines korrekten Französisch. Ferner gehört Rechnen dazu, das Konstruieren einfacher Maschinen, Sport und die Förderung künstlerischer Sensibilität sowie solidarisches Verhalten entsprechend den demokratischen Grundwerten. Diese ganzheitliche Pädagogik ist für das öffentliche Schulwesen Frankreichs völlig neu. Darüber hinaus ist die Einführung von Leistungskriterien für das Lernen geplant, schlechte Schüler müssen die Klasse wiederholen – bei besonderer Förderung. Die vom ehemaligen Industrieminister Roger Fauroux im September 1995 eingesetzte Kommission stärkte das Konzept einer fachübergreifenden Grundausbildung im Sinne eines „gemeinsamen Sockels von Kenntnissen“ bereits ab der ersten Schulklasse. Dieser Sockel steht im Gegensatz zu einer frühzeitigen Differenzierung des Wissens nach Fächern, das als Vorbereitung auf die disziplinspezifische Vermittlung des Wissens in der Sekundärschule dient. Faurouxs Konzept steht auch im Gegensatz zur bisherigen Praxis, das Lehrpersonal nach vorwiegend fachwissenschaftlichen Kriterien auszubilden und zu rekrutieren. Seit dem Schuljahr 1996/97 erproben in knapp 200 Gemeinden Schulen für den Elementarbereich einen neuen Tages- und Wochenablauf. Klassische Schulfächer wurden auf den Morgen verlegt und für den Nachmittag lediglich Aktivitäten angesetzt, für die es keinen Schulranzen braucht. Ein wichtiges übergreifendes Reformziel ist die Vermittlung von Kernkompetenzen, wie etwa die Fähigkeit zur Gruppenarbeit, die Kreativität und vor allem die Fähigkeit zum Lernen. Gleichzeitig sollte es schon früh darum gehen, bestimmte Berufskompetenzen zu beherrschen. Dafür muss der Zusammenhang von Ausbildung und Beruf über den nationalen Rahmen hinaus neu überdacht und auf die Perspektive einer international geprägten oder im Ausland wahrgenommenen Berufstätigkeit geöffnet werden. Auch muss die Erstausbildung das Entstehen neuer, zukunftsfähiger Berufsbilder stärker und schneller berücksichtigen, insbesondere im Zusammenhang mit den Informations- und Kommunikationstechnologien. 151

149 150 151

Vergleiche Dubet (1999). Vergleiche Simonin (2001). Vergleiche Commisariat du Plan/DFI (2001).

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D. Angebotsmacht der Arbeit in Frankreich und Großbritannien

Auch im Bereich der universitären Bildung ist die Ungleichheit sichtbar. Die öffentlichen Universitäten verlangen im Gegensatz zu den „Grandes Ecoles“ grundsätzlich nur den Nachweis der Hochschulreife. Gleichwohl findet dort eine leistungsbezogene, studienbegleitende Auslese in allen Studiengängen statt. Trotz eines eindeutigen Trends zu höheren Bildungsabschlüssen sind die Chancen auf einen Zugang zu höheren Bildungsabschlüssen sehr ungleich verteilt. Für viele Studenten ist die Universität nur zweite Wahl, weil die „Grandes Ecoles“ sie nicht aufnehmen. Andererseits drängen immer mehr Absolventen der Kurzstudiengänge in den zweiten Abschnitt der klassischen universitären Studiengänge, weil sie sich davon verbesserte berufliche Möglichkeiten versprechen. Seit 1992 gilt die Aufmerksamkeit der Politik verstärkt einer Reform des Grundstudiums: Bessere Studienberatung und Betreuung der Studienanfänger durch Einrichtung von Tutorien, Umorientierung im Falle eines sich abzeichnenden Misserfolgs, Notenausgleich innerhalb der modular organisierten Studieneinheiten, Semestereinteilung des traditionell in Studienjahren organisierten Studiums. Weitere wichtige ungelöste Probleme des gesamten Hochschulbereichs sind die Reform der Ausbildungsförderung, die Aufwertung des pädagogischen Engagements und der administrativen Tätigkeiten in der akademischen Laufbahn des Lehrpersonals, die Evaluierung der Lehrkräfte durch die Studenten, die Stärkung der finanziellen Autonomie und der Selbstverwaltungsfähigkeiten der Universitäten durch moderne Managementmethoden.152 In der Berufsbildung gibt es vergleichsweise viele, die ein schwaches Bildungsniveau haben. Seit etwa dreißig Jahren ist das staatliche Ausbildungsziel deshalb die „Hebung des Niveaus“. Dabei richtet sich die Ausbildung auf den Erwerb bestimmter theoretischer Grundkenntnisse im Rahmen des allgemein bildenden Schulsystems. Der schulischen Allgemeinbildung wird große Bedeutung beigemessen. Sie soll die Anpassungsfähigkeit von Kompetenzen in einem sich rasch wandelnden beruflichen Umfeld verbessern. Die Arbeitgeber widersprechen dieser Ansicht und fordern stattdessen eine verbesserte „Beschäftigungsfähigkeit“. In Frankreich zählt die Berufausbildung zur höheren Schulbildung. Die Qualifikationsniveaus sind streng hierarchisiert. Das benachteiligt zudem Jugendliche, die mit schwächeren Diplomen und einer geringeren praktischen Erfahrung in den Arbeitsmarkt eintreten.153 Nur ein kleiner Teil der Jugendlichen in Frankreich absolviert eine Lehre. Die Zahl der Jugendlichen mit einer solchen Ausbildung ist nach einem starken Anstieg seit der Mitte der 1980er Jahre, als das berufsorientierte Abitur eingeführt wurde, wieder auf das Niveau vom Ende der 60er Jahre gefallen. Ein Ansatzpunkt zur Verbesserung ist das berufsorientierte Abitur, französisch „Bac Professionnel“. Das ist der erste Ausbildungsgang, der unter dem Dach der Schule ein Wechselspiel zwischen schulischer und betrieblicher Ausbildungsphase organisiert. Zudem intensivieren weiterführende Bildungseinrichtungen und Unternehmen ihre Beziehungen.

152 153

Vergleiche Interview F6 (2001). Vergleiche Interview F9 (2001).

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Fortschritte gibt es vor allem bei der Ausbildung der Berufsschullehrer. Es gibt Überlegungen, mit staatlicher Hilfe die Angebote der berufsbildenden Gymnasien zu verbessern. Frankreich ist das einzige Land in der EU, in dem die Unternehmen per Gesetz zu Ausgaben für Weiterbildungsmaßnahmen verpflichtet sind. In Deutschland hingegen investieren Unternehmen viel in die Erstaus- und wenig in die Weiterbildung. Die Weiterbildungsausgaben sind in Frankreich überdies nicht gleichmäßig verteilt, sondern kommen in hohem Maße Großunternehmen zugute. Dagegen geben in Deutschland kleine und mittelständische Unternehmen im Verhältnis ebenso viel für Weiterbildung aus wie große Firmen. Ferner übertrifft bei den arbeitgeberfinanzierten Weiterbildungsmaßnahmen der Anteil der Führungskräfte den der ungelernten Arbeiter um ein Vierfaches. Die Weiterbildung in Frankreich kann deshalb die mangelhafte Qualifikation von derzeit etwa 30 Prozent der Arbeitnehmer ohne weiterführenden Schulabschluss nicht ausgleichen. Die französische weiterführende Schule ist zudem zu sehr auf das Abitur ausgerichtet. Dabei versäumt sie es, eine allgemeine Lernfähigkeit bei den Schülern zu entwickeln. Der nationale Beschäftigungsplan Frankreichs154 beschrieb eine Reihe von Reformmaßnahmen. Die Erstausbildung sollte in sinnvollerer Weise mit angemessenen Weiterbildungsmaßnahmen verknüpft werden. Das ausschließlich auf besser Ausgebildete und die Verlierer oder „Drop-Outs“ des Arbeitsmarktes ausgerichtete System der Weiterbildung sollte jedem Arbeitnehmer ein Recht auf Weiterbildung einräumen. Dazu sollte ein engerer Dialog zwischen staatlichen Instanzen und den Unternehmern gefördert werden. Zusätzlich wäre eine steuerpolitische Umorientierung wünschenswert, damit die Unternehmensausgaben für Weiterbildung als Investitionen anerkannt werden. Im Jahr 2000 verpflichteten sich die französischen Sozialpartner zu Verhandlungen über das Thema Weiterbildung. Sie erkannten seine Bedeutung als Langzeitinvestitionen in das Humanvermögen an. Wichtige Verhandlungspunkte betreffen das individuelle Recht zur Weiterbildung, die Bewertung von Fähigkeiten, die Verknüpfung von Arbeit und Weiterbildung und ihre Beziehung zur Beschäftigung und die Balance von Arbeits- und Beschäftigungszeit. Die Gewerkschaften fordern, dass das individuelle Recht auf Weiterbildung anerkannt und kollektiv garantiert wird. Außerdem sollen Aspekte des Berufs, der Branche und regionale Besonderheiten berücksichtigt werden. Die Gewerkschaften empfehlen auch eine dynamische Bewertung der Berufserfahrung. Angesichts dieser Bildungsprobleme wachsen in Frankreich die Zweifel darüber, wie sinnvoll die am republikanischen Bildungsideal orientierte und streng hierarchisierte Wissensvermittlung noch ist. Vornehmlich Lehrer und Intellektuelle sind der Auffassung, dass das Modell der „Éducation Nationale“ mit seinem starren Bildungskanon in der flexibel gewordenen Welt versagt habe und von Grund auf reformiert werden müsse. Der Staat müsste dann die komplizierte Aufgabe bewältigen, die Bil154

Vergleiche NAP Frankreich (1999).

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D. Angebotsmacht der Arbeit in Frankreich und Großbritannien

dung enger auf den Markt und die gesellschaftlichen Bedürfnisse auszurichten. Gleichzeitig müsse er für möglichst breite Bildungschancen sorgen, um Innovationen und Partizipation am Arbeitsmarkt zu fördern. Die Verfechter der „Éducation Nationale“ argumentieren dagegen, nirgends sei das im 19. Jahrhundert entstandene Prinzip der allgemeinen Schulbildung philosophisch und politisch so konsequent durchdacht worden wie in Frankreich: Gleiche Lehrprogramme für alle, gleiche Prüfungen, gleiche Lehrerauswahl und einheitliche Besoldung, egal ob im kleinsten Pyrenäendorf oder im Pariser Quartier Latin. 155 c) Partizipation In Frankreich ist soziale Gerechtigkeit eine Frage der Gleichheit und der sozialen Integration. Darauf weist die öffentliche Verwendung des Begriffes der sozialen Integration hin. Beschäftigungspolitische Strategien zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit werden am Maßstab der sozialen Gerechtigkeit gemessen. Welche Maßnahmen werden dazu ergriffen? Dies geschieht in Frankreich indirekt über die Verbesserung der politischen Rahmenbedingungen und direkt mit der 35-Stunden Woche sowie der Beschäftigung junger Leute. Dafür wurde das Programm „Emploi Jeunes“ aufgelegt. Seit 1982 waren die Finanzierungsprobleme aber so drückend, dass die Lohnersatzleistungen verringert werden mussten. Es blieb eine politische Daueraufgabe, das Niveau der Leistungen stabil zu halten. Die Frühverrentung drängte ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus dem Arbeitsmarkt. Aber auch dieses Instrument erwies sich gegen Ende der 80er Jahre als so kostspielig, dass die Möglichkeiten der Inanspruchnahme zurückgenommen wurden. Nicht zuletzt war auch die „Revolte der Vorstädte“ im November 2005 ein Zeichen für das Scheitern der Beschäftigungspolitik und einer Integration auf dem Arbeitsmarkt. 156 So lässt sich letztlich die Attraktivität von Politikern wie Le Pen als Folge fehlender Teilhabemöglichkeiten erklären. Es fehlt ein realitätsbezogenes politisches Projekt, das den Menschen Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt liefert. Alle staatlichen Aktivitäten zielen darauf, die Lebensbedingungen für Menschen mit geringem Einkommen oder ohne Arbeit zu verbessern. Dies sollte zunächst durch Steuersenkungen erreicht werden. Sie sollten die Kaufkraft und die Binnennachfrage stärken beziehungsweise stabilisieren. In Frankreich zahlten ab dem Jahr 2001 vor allem Geringverdiener weniger Steuern. Für mehr steuerliche Gerechtigkeit wurden die Sätze für einkommensschwächere Steuerzahler stärker gesenkt als die für Höherverdienenden. Wer damals in Frankreich nur den Mindestlohn in Höhe von seinerzeit umgerechnet 20.450 DM im Jahr bezog, wurde seit dem Jahr 2002 komplett von der Einkommenssteuer befreit. Der Eingangssteuersatz für Geringverdiener wurde bis 2002 von 9,5 Prozent (1999) auf 7 Prozent verringert, in Deutschland von

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Vergleiche Hanimann (1998). Vergleiche Beaud (2006).

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23,9 Prozent (1999) auf 15 Prozent (2005). Damit stieg die Kaufkraft der geringer Verdienenden vergleichsweise stark. Was die Einkommensgrenzen betrifft, wird in Deutschland seit 1999 ein Grundfreibetrag von 6.500 Euro gewährt, der bis 2005 auf 7.500 Euro anstieg. In Frankreich beginnt die Steuerpflicht dagegen schon bei einem zu versteuernden Einkommen von etwas mehr als 3.900 Euro. Im Besonderen richtet sich die Beschäftigungspolitik des französischen Staates seit einem Jahrzehnt auf schwer vermittelbare Arbeitsmarktgruppen: Gering qualifizierte Menschen, junge Leute, ältere Arbeitnehmer. Um diese Problemgruppen des Arbeitsmarktes einzustellen, wurden für die Unternehmen besondere monetäre Anreize geschaffen: Verminderte Sozialabgaben bei Ersteinstellung, Wiedereingliederungshilfen, ein geringerer Arbeitgeberanteil an Sozialabgaben, Eingliederungsbeihilfen, begrenzte Teilzeitverträge im öffentlichen Bereich und Lohnzuschüsse. Den betroffenen Gruppen sollen kurz- und mittelfristig angelegte Qualifikationsmaßnahmen, wie kombinierte Weiterbildungsvereinbarungen und Umschulungsmaßnahmen, einen besseren Einstieg beziehungsweise Wiedereinstieg in Beschäftigungsverhältnisse ebnen. Die weitaus populärste und im Umfang bedeutendste Maßnahme stellt jedoch das Beschäftigungsprogramm für Jugendliche im öffentlichen Sektor dar. Die JospinRegierung war im Herbst 1997 mit dem Ziel angetreten, für arbeitslose 18- bis 29-jährige bis zum Jahr 2000 rund 350.000 Jobs im öffentlichen Sektor zu schaffen. Damit sollten junge Leute ihr Arbeitsleben mit einigen berufsbezogenen Erfahrungen beginnen können. Dieses Programm brachte zwischen Oktober 1997 und Dezember 2000 fast 300.000 junge Leute in Ausbildungsverhältnisse. Es führte immerhin zu mehr als 250.000 Jobs. Die jungen Leute erhielten einen Vollzeitvertrag über fünf Jahre auf Basis des französischen Mindestlohns mit dem Ziel, sie am Ende in einer dauerhaften Beschäftigung unterzubringen. Außerdem sollten neue und als sozial nützlich geltende Tätigkeitsprofile entwickelt werden, für die es bislang keinen Markt gab. Um Mitnahmeeffekte zu vermeiden, machte der Staat die finanzielle Förderung von zwei Kriterien abhängig: Die neue Stelle durfte nicht schon existiert haben und sie durfte nicht in das traditionelle Berufsrollenschema passen. Streng achtete er darauf, dass nicht etwa Sekretärinnen-, Archivars-, Pförtner- oder Gärtnerstellen geschaffen oder nur neu besetzt wurden. Die Stellen mussten einen sozialen und gesellschaftlichen Bezug haben, dazu gehörten unter anderem ein besserer Umgang mit der natürlichen Umwelt oder die Unterstützung der Selbständigkeit von Menschen mit physischen oder sozialen Handikaps. Das Neue dieser Tätigkeiten und Stellen bestand darin: sie waren vielschichtig und vereinigten bislang von einander getrennte Aufgaben. Problematisch waren die Erfahrungen in der Praxis. Viele Beschäftigte im öffentlichen Dienst, die mit den Jungen zusammenarbeiteten, wussten diese neue Qualität der Arbeit häufig nicht zu würdigen. 157 Zukunftsweisend ist auch die Rede von einer „effektiven Politik“. Das ist eine neue bemerkenswerte Anforderung an politisches Handeln, die von dem moderns157

Vergleiche Simonin (2001).

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ten aller Gewerkschaftsbünde kommt, der CFDT. Hier macht man die Dezentralisierung stark. Die Regionen – so eine CFDT-Vertreterin – haben wichtige Verantwortung in den Politikfeldern Bildung und Arbeit erhalten. Viele Städte und Agglomerationen haben erhebliche Anstrengungen zugunsten der Arbeit unternommen. Es gibt eine große Zahl lokaler Initiativen zum Thema Arbeit, in denen lokale, öffentliche und private Akteure zusammenarbeiten. In Frankreich hat die Frage der Dezentralisierung zu einer erbitterten Debatte geführt, die zuweilen die Züge eines Glaubenskrieges annimmt. Auf der einen Seite stehen die Vertreter der republikanischen Tradition, die die Gleichheit alle Bürgerinnen und Bürger betonen und an zentralen Entscheidungsmechanismen festhalten wollen. Auf der anderen Seite formieren sich die Vertreter der Subsidiarität. Für sie kann Politik nur dann effektiv sein, wenn sie an die Besonderheiten der lokalen Verhältnisse angepasst wird und lokale Akteure auf eigene Initiative handeln können. Dieser Ansatz birgt allerdings ein Risiko: Relativ wohlhabenden Gemeinden stehen mehr Mittel für beschäftigungspolitische Maßnahmen zur Verfügung als ärmeren Gemeinden. Hier könnte – so die Gewerkschafterin – der Staat intervenieren, um allen wenigstens minimale Rechte zu garantieren und die Finanzmittel gerecht zu verteilen. 158 Diese Vervielfachung findet auch im Staatsapparat selbst statt. Zum Beispiel auch in der ANPE, dem französischen Pendant zur Bundesagentur für Arbeit. Exemplarisch für ein neues Staatsverständnis ist das Programm PARE („Plan D’Aide De Retour A Emploi“), zu Deutsch ein Plan, der von 2001 bis 2003 Arbeitslosen dabei half, leichter ins Arbeitsleben zurückkehren zu können. Dieses Programm gestaltete die Arbeitsvermittlung individueller und besser auf die Wünsche der Arbeitsuchenden eingehend. Gleichzeitig führte ANPE damit das Prinzip von Leistung und Gegenleistung ein, das einen gewissen Druck auf die Arbeitenden zur Aufnahme einer zumutbaren Arbeit ausübte. 159 Diese Initiative stieß der Unternehmerverband MEDEF an, die Gewerkschaftsbünde CFDT, CFDC und CGC trugen sie mit. Damit wandelte sich die traditionelle Rolle des Staats als Alleinbestimmer der Politik zum Vermittler zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Akteuren. Auch gab es Ansätze zur Partizipation von Sozialpartnern an der Regierungspolitik. Ein Beispiel dafür ist die Sozialversicherung, die mit einem großen Engagement der Sozialpartner im Management und der Verteidigung der Altersvorsorgung verknüpft ist. Dadurch ließen sich beträchtliche Einschnitte in Leistungsansprüche durchsetzten. 160 Richtungweisend ist, dass die Regierungen ihre Reformen mit den Gewerkschaften verhandeln mussten. Denn bei jedem Kürzungsvorschlag musste sie mit einer starken öffentlichen Opposition rechnen. Nur im Jahre 1993 gelang es der neu gewählten Rechtsregierung eine Reform durchzusetzen, die auch Beschäftigte des privaten Sektors einschloss. Das gelang mit einem sorgfältig geschnürten

158 159 160

Vergleiche Interview F10 (2001). Vergleiche Interview F3 (2001). Vergleiche Palier (2000).

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Reformpaket, das Kürzungen und Konzessionen an die Gewerkschaften vorsah. Nur durch einen politischen Tausch gelang es, die Rentenversicherung zu reformieren. 161 Trotz aller guten Ansätze für einen Rollenwechsel des Staates in der Beschäftigungspolitik – bei allen Modernisierungsprozessen hat der Staat noch immer das letzte Wort. Er bleibt der maßgebliche Finanzier und Operateur der Beschäftigungspolitik, der definiert, wo Innovationsbedarf besteht. Dabei ist längst klar, dass der Staat allein auch in Frankreich keine wirksame Beschäftigungspolitik mehr durchsetzen kann. Die von ihm eingeleiteten Innovationen sind nur begrenzt effektiv. So erfordern bestimmte Problemgruppen zum Beispiel territoriale Maßnahmen. Doch hier fehlt dem Staat das adäquate territoriale statistische Wissen: Die Statistik ist einfach zu stark zentralisiert. Die Skepsis gegenüber den künftigen Möglichkeiten der „großen Politik“ ist berechtigt. Denn: Nach wie vor fällt dem Staat die Kooperation mit externen Akteuren schwer: Vorschläge von Kommissionen haben keine Verbindlichkeit für die Regierung, es gibt Widerstände und man arbeitet an rechtlichen Vorschriften, die Innovationen verhindern. Externe Akteure können nicht darauf bauen, dass ihre Expertise akzeptiert wird. Grundsätzlich hält sich der Staat immer die Möglichkeit einer Intervention ex post offen: So kann er praktisch alle Beratungsergebnisse ignorieren. Längst wäre es also an der Zeit, den Blick auf nicht-staatliche Lösungsansätze zu richten. Diese Perspektive stößt allerdings auf großes Misstrauen. Gerade die Linke folgt der traditionellen staatlichen Logik. Sie verschließt sich daher marktförmig vermittelten Politikformen, die die Interessen unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen aufnehmen und verarbeiten müssen. So wird die für Innovation, Bildung und Partizipation so wichtige Beteiligung der Sozialpartner nach wie vor vernachlässigt – trotz aller anders lautenden Behauptungen der Regierungsseite und einzelnen lobenswerten Ansätzen wie im Falle der Sozialversicherung. Daran hat auch der Nationale Aktionsplan für Beschäftigung aus dem Jahr 2002 nichts geändert, der die Sozialpartner ausdrücklich an der Konzeption des Planes beteiligen wollte. 162 Als die Regierung Raffarin im Jahr 2002 die Arbeitgeber und Gewerkschaften zu Gesprächen einlud, hatte das vor allem demonstrativen Charakter. 163 Die Gewerkschaften wurden zwar zu Gesprächen und Meinungsaustausch mit dem Ministerpräsidenten eingeladen. Faktisch aber besaßen sie keinen Einfluss auf die Entscheidungen und die Politik der Regierung. Die Regierung Raffarin versuchte mit symbolischer Politik die Sozialpartner auf den Kurs der Regierung einzuschwören. Aber die Bedingungen eines qualitativen Sozialdialogs waren in vielen Unternehmen nicht gegeben. Außerdem fehlte vielen Unterhändlern auf Seiten der Arbeitnehmer eine ausreichende Kenntnis der Rechtslage. 164 161 162 163 164

Vergleiche Bonoli (2000). Vergleiche NAP Frankreich (2002). So die Neue Züricher Zeitung vom 18./19.5.2002. So Le Monde vom 28.5.2002.

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Diese inszenierte, auch „Methode Raffarin“ genannte, symbolische Politik war eine Kombination aus demonstrativem Sozialdialog und inhaltlich-politischer Unbeweglichkeit. 165 Es sieht nicht danach aus, dass der französische Staat in absehbarer Zeit die Sozialpartner an der Politik beteiligen wird. Fachleute beschreiben Frankreich als eine vielfältige Akteurslandschaft von Organisationen und Verbänden, die nur geringe Mitgliederstärke, Organisationskraft und Verhandlungsmacht haben sowie nur bedingt konfliktfähig sind. Hinzu kommt der ausgeprägte Individualismus in der französischen Unternehmerkultur. Er führt dazu, dass zahlreiche Unternehmer im Abschluss von Tarifvereinbarungen durch ihren Verband einen ihre Freiheit einschränkenden Kollektivismus sehen. Mehr als einmal hat es Brüche zwischen Verbandsstrategie und unternehmerischer Praxis gegeben. Die in der französischen Unternehmenslandschaft stark spürbaren Spannungen und Interessengegensätze zwischen Groß- und Kleinunternehmen, traditionalistischen und modernisierten Leitbildern, protektionistisch eingestellten und der Internationalisierung verschriebenen Branchen erschweren eine Interessenbündelung und -vertretung des Arbeitgeberlagers.166

II. Großbritannien 1. Politische Traditionen Auch in Großbritannien gilt es, die in Lissabon aufgestellten Kriterien zu erfüllen. Das sollte so ausgelegt werden, dass die Angebotsmacht der Arbeit dazu gewinnt. Staat, Politik und Verbände müssen sich daran messen lassen, inwieweit sie zur Förderung von Innovation, Bildung und Partizipation beitragen. In Großbritannien ist die Ausgangslage anders als in Deutschland. Ähnlich wie in Frankreich trifft hier der Staat die wesentlichen Entscheidungen über die Arbeitsmarktpolitik. Doch während in Frankreich die alten politischen Mentalitäten nicht selten den Prozess von Lissabon blockieren, agiert in Großbritannien der Staat pragmatisch im Sinne der Lissabon-Kriterien. Dafür bedurfte es auf Seiten der Linken seit der Machtübernahme unter Tony Blair im Jahr 1997 einer vollständigen programmatischen Neukonzeption, die radikal mit alten Mentalitäten brach. Die Ursachen für diesen Politik- und Mentalitätswechsel sind indes keineswegs nur in den aktuellen Anforderungen von Wirtschaft und Gesellschaft zu suchen, sie liegen auch in der britischen Nachkriegsgeschichte. Mit dem Regierungswechsel von Winston Churchill zu Clement Attlee 1945 etablierte sich das „Post-War Settlement“. Es brach radikal mit der vorherigen Wirtschafts- und Sozialpolitik. Diese neue Politik trug bald ein überparteilicher Konsens, der so genannte „Nachkriegskonsens“, der noch bis zu den Regierungen unter 165 166

So Le Monde vom 27.11.2002. Vergleiche Uterwedde (1999).

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Margarete Thatcher reichte. 167 Er bestand in der gemeinsamen Überzeugung konservativer und linker Politiker, dass Politik den Wohlfahrtsstaat erfolgreich organisieren müsse. 168 Zwischen 1945 und 1951 wurden umfangreiche Verstaatlichungen in die Tat umgesetzt. Die Labour-Regierung verzichtete damals jedoch weitgehend auf Interventionen in die betreffenden Industrien. Vielmehr schuf sie eine „Mixed Economy“. Die bestand aus einem ausgedehnten öffentlichen Unternehmenssektor und einer allgemein akzeptierten Führungsrolle der Regierung für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung. Ihre Politik zielte auf Vollbeschäftigung nach keynesianischem Muster, erkannte die Gewerkschaften als Verhandlungspartner an und etablierte einen Wohlfahrtsstaat nach den Prinzipien des Beveridge Reports von 1942. Wachstumsstörungen und diverse Krisen des Pfundes machten diesen Nachkriegskonsens am Ende der fünfziger Jahre erneuerungsbedürftig. Man musste die Wirtschaftspolitik effektiver gestalten, rationalisieren und neue Formen und Institutionen für das Management des Wohlfahrtsstaates finden. Die Wachstumsziele des National Economic Development Council (NEDC) blieben jedoch ebenso unerreicht wie die einkommens- und strukturpolitischen Vorhaben. Daran änderte auch der „National Plan“ nichts, den die 1964 von Harold Wilson geführte Labour-Regierung konzipiert hatte. 1970 war das britische Planungsexperiment praktisch beendet. Der auf Wilson folgende konservative Premier Edward Heath wandte sich vom „Post-War-Settlement“ ab und erwirkte den weitgehenden Rückzug des Staates aus der makroökonomischen Verantwortung. Stagflation und neue Zahlungsbilanzkrisen zwangen jedoch dazu, in Schwierigkeiten geratene Großunternehmen wie Rolls Royce zu verstaatlichen. Damit war auch die Abkehr vom Modell des aktiven Staates gescheitert. Sein Misserfolg markierte aber auch das Ende der Hoffnung, dass die Regierung im Konzert mit Unternehmern und Gewerkschaften zu einer auf Dauer effektiven und erfolgreichen keynesianischen Wirtschaftssteuerung fähig sei. Die Regierungen Thatcher machten sich die Neudefinition der Grenzen zwischen Staat, Wirtschaft und Gesellschaft in mehrfacher Hinsicht zur Aufgabe. Diese Regierungen ließen sich von einer monetaristischen Wirtschaftspolitik leiten. Sie kürzte öffentliche Ausgaben und verzichtete ausdrücklich auf eine staatliche Beschäftigungspolitik sowie auf jedwede industriepolitische Strategie. Dabei gab der Staat keineswegs die Steuerung ganz aus der Hand. Aber er änderte ihre Ziele. Die lauteten nun nicht mehr Vollbeschäftigung, sondern Inflationsbekämpfung. Aber ebenso wie Wilsons „National Plan“ von 1964 wurde Thatchers „MediumTerm Financial Strategy“ binnen weniger Jahre kleinlaut zu Grabe getragen. Das Konzept eines graduellen Rückgangs des Geldmengen- und des öffentlichen Ausgabenwachstums über einen Zeitraum von vier Jahren hatte nicht funktioniert. Die Ausgabenkürzungen fanden vorrangig im Sozialsektor statt. Das wichtigste wirtschaftspolitische Instrument der Thatcher-Regierungen war die Privatisierung der

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Vergleiche Kavanagh/Morris (1989). Vergleiche Abromeit (1998).

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Staatsunternehmen und der öffentlichen Dienstleistungen. Das geschah mit drei großen Operationen: Telecom und British Gas wurden an die Börse gebracht. Mit dem „Housing Act“ von 1980 wurden Häuser in staatlichem Besitz, so genannte „Council Houses“ und Sozialwohnungen, verkauft; zunächst vorzugsweise an die bisherigen Mieter. Das „Contracting Out“ schließlich verpflichtete die Gemeinden und den National Health Service öffentlich erbrachte Dienstleistungen auszuschreiben und nach Möglichkeit an private Anbieter zu vergeben. Da die nationalisierten Industrien jedoch „Hybrids“ waren, das heißt sie waren öffentliches Eigentum mit privatwirtschaftlicher Führung, änderte der Wechsel des Eigentümers wenig an der Geschäftspolitik und an der privilegierten Monopolstellung der ehemaligen Staatsindustrien. Die Effizienzgewinne waren gering, der erhoffte Innovationsschub blieb aus. 169 Auch die 1997 gewählte New Labour-Regierung unter Tony Blair kehrte nicht zur keynesianischen Vollbeschäftigungspolitik zurück. Sie behielt die anti-expansionistische Fiskalpolitik Thatchers bei. Der Staat war wenig aktiv und nur auf der Mikroebene interventionistisch tätig. In der Wirtschaftspolitik standen nur vorsichtige beschäftigungspolitische Maßnahmen wie die zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit auf der Agenda. Die faktische Abschaffung des öffentlichen Unternehmens- und Dienstleistungssektors wurde als unumkehrbar akzeptiert, weil ein Rückkauf weder machbar noch bezahlbar schien. Gleichwohl wurden, wenn auch in bescheidenerem Umfang, die Versuche industriepolitischer Einflussnahme fortgesetzt. Das „Department of Trade and Industry“ befasste sich mit vielfältigen Formen der Wirtschaftsförderung, ob „Enterprise Zones“, generelle Unterstützungspläne für Einzelbranchen oder die Beratung im Management- und Technologiebereich und das „Selective Assistance“ für Einzelunternehmen. Die Regierung Blair setzte diese Politik kleinteiliger, vornehmlich mit der regionalen Förderung von Industrien, fort. Der Staat unter Tony Blair etablierte sich als „pragmatischer Beweger“. Er wollte vor allem die Produktivitätslücke in Großbritannien verringern oder schließen. Insbesondere Lordkanzler Gordon Brown und die „HM Treasury“, das Finanzministerium, wurden dabei zu „Positive Creators“ oder Gestaltern der Sozialpolitik 170. Sie griffen folglich weit in die Kompetenzbereiche anderer Ministerien ein. Nach der zweiten gewonnenen Wahl im Jahr 2001 agierte die Regierung Blair noch selbstbewusster. Nun ging das Schatzamt daran, seine zuvor formulierten Ziele und Strategien umzusetzen. Ein Bildungsexperte der London School of EcoVergleiche Abromeit (1998). In einem Interview im Frühjahr 2002 bemerkte ein leitender Mitarbeiter eines Think Tanks aus dem Londoner Regierungsviertel: „Wenn Sie sich die Hauptakteure anschauen, lässt sich sagen, dass die HM Treasury wirklich zu einer gestaltenden Macht („a positive creator“) des Sozialen in der Arbeits- und Wirtschaftspolitik wurde. Sie sah dies als notwendig für den wirtschaftlichen Wandel an. (…) Als die Labourregierung an die Macht kam, hatte Gordon Brown sehr klare Vorstellungen über Einkommensverteilung, soziale Gerechtigkeit und die gesamte sozialpolitische Agenda. Er war mehr an Sozialpolitik und Arbeitsmarktpolitik interessiert als ein anderer Schatzkanzler, an den ich mich erinnern kann.“ Interview GB 2 (2002). 169 170

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nomics erklärte in einem Interview im Frühjahr 2002: Die wissenschaftlichen Arbeiten eines Richard Layard oder eines Paul Gregg hätten Ende der 80er beziehungsweise Anfang der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts ein Bewusstsein dafür geschaffen, dass Großbritannien viel mehr unter Langzeitarbeitslosigkeit litt als andere Staaten. Das hatte mit dem Versäumnis zu tun, den Menschen nicht die von der Wirtschaft nachgefragten Fähigkeiten und Qualifikationen zu vermitteln. Und die Arbeitslosenversicherung war nicht darauf ausrichtet, Arbeitsuchende zurück in Beschäftigung zu bringen. Das änderten die Ministerien für Arbeit, Bildung und soziale Sicherheit, aber vor allen anderen trieb die Treasury diese Änderungen voran. Der Interviewpartner führte weiter aus: „Ich erinnere mich an ein Interview mit jemanden in der Treasury. Er sagte: ‚Der große Durchbruch für uns war, dass wir verstanden, dass wir unsere Arbeit nicht bloß als Arbeit des Finanzministeriums machen konnten, indem wir die Ausgaben – nach unseren Möglichkeiten – anderer Ministerien kürzten. Wir mussten uns mit den Ministerien verständigen und ihre Prioritäten ändern, um eine wettbewerbsfähigere Wirtschaft zu schaffen. Und wir sahen, dass die Beschaffenheit der sozialen Sicherheit und die Art und Weise, wie sie verwaltet wurde, das wichtigste war, was wir ändern mussten.‘ Menschen wie Richard Layard haben das Denken der Menschen verändert. Und die Treasury war nicht nur verfassungsrechtlich in einer starken Position, sondern auch dank so starker Schatzkanzler wie Clark and Brown. Brown insbesondere hat sich für diese Fragen sehr interessiert.“ 171 Vor allem in der Beschäftigungspolitik spielten der Staat und sein Finanzministerium eine außerordentlich wichtige Rolle. Im „Nationalen Beschäftigungsplan“ von 2004 beschwor die Regierung die Bedeutung effektiver Sozialpartnerschaft. Doch faktisch lässt sie sich nur schwerlich als „Partnerschaft“ begreifen. Die Gewerkschaften und Unternehmerverbände in Großbritannien waren als Partner viel zu schwach, um auf Augenhöhe mit der Regierung zu verhandeln. 172 Das zeigt schon die Geschichte vieler mit staatlicher Hilfe gegründeter und mit öffentlichen Mitteln subventionierter Verbände. Das prominenteste Beispiel ist die „Confederation of British Industry“ (CBI), die 1965 unter maßgeblicher Mitwirkung der Labour-Regierung unter Harold Wilson geschaffen wurde. In der Vergangenheit bildete sich ein dichtes Beziehungsmuster zwischen Verbänden und Politik heraus, das „Government By Consensus“ beziehungsweise „Logic Of Negotiation“ genannt worden ist. Im Regelfall zogen die Beteiligten die institutionalisierte Kompromisssuche einer konfliktorientierten Durchsetzung eines parlamentarischen Mehrheitsbeschlusses vor, und zwar, indem sie alle legitimen gesellschaftlichen Interessen berücksichtigten. Verbände, denen ein Vertretungsmonopol zuerkannt wurde, arbeiteten eng mit den zuständigen Ministerien zusammen. Doch in den 80er Jahren sorgte die Thatcher-Regierung dafür, dass diese Verbände ihren gewohnten Einfluss auf die Politik fast gänzlich verloren. Die britische Gesellschaft leide an „institutioneller 171 172

Interview GB 7 (2002). Vergleiche Kaiser (1998) S. 225 f.

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Sklerose“ 173, die der Anpassung an sich ändernde Umstände und Technologien im Wege stehe. Nicht nur Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände, sondern auch die Ärzte- und Lehrerverbände sahen sich ihrer privilegierten Rolle beraubt, mit den zuständigen Ministerien zu verhandeln. Auch heute noch fehlt es den Dachverbänden der Arbeitgeber und Arbeitnehmer an organisatorischer Stärke, auch wenn sie über eine strukturelle Blockademacht verfügen und die Tarifpolitik selbst steuern können. Auf der Arbeitgeberseite spielt die CBI die weitaus wichtigste Rolle. Allerdings ist die Bereitschaft ihrer Mitglieder begrenzt, gemeinsam und organisiert zu handeln. Einiges deutet darauf hin, dass es im CBI verbandsinterne Überzeugungs- und Durchsetzungsprobleme gibt: Der Verband hat sich mit seiner Einschätzung über die Investitionen der Unternehmen in die (Weiter-)Qualifizierung seiner Mitarbeiter längst nicht überall durchsetzen können. 174 Auch der Gewerkschaftsdachverband TUC („Trades Union Congress“) zeichnet sich durch eine geringe interne Autorität aus. In ihm sind 78 der insgesamt etwa 221 britischen Einzelgewerkschaften zusammengeschlossen. Wegen der Schwäche der Dachverbände von Arbeit und Kapital können sie ihre autonomen Mitgliederverbände nicht zur Einhaltung ausgehandelter Kompromisse verpflichten. Das ist auch der Grund dafür, dass die zaghaften Versuche eines Interessenausgleichs mit den Arbeitgebern und Gewerkschaften in der Wirtschafts-, Struktur- und Tarifpolitik in den 60er und 70er Jahren gescheitert und von den Thatcher-Regierungen dann abrupt beendet worden sind. Statt ergebnisbezogenem Verhandeln gab es viele konfliktreiche Auseinandersetzungen, Demonstrationen und Arbeitsniederlegungen zwischen Regierung, Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften. Zudem sind die Verbände selbst durch ihre fragmentierten Organisationsstrukturen geschwächt. 175 Verhandlungen und Konsenssuche mit den Sozialpartnern spielen also in Großbritannien eine vergleichsweise geringe Rolle. Dennoch gibt es eine Feinsteuerung, die dem politischen Handeln des Staates Geltung verschafft. Das geschieht mit so genannten „Bodies“, Beratungsgremien, und Konsultationsverfahren. Sie erlauben eine „indirekte Steuerung“ staatlicher Politik, für die zuvor im Dialog mit den Verbänden Konsens hergestellt wurde. Im Gespräch zwischen Staat und Verbänden lassen sich mögliche Konflikte verringern, auch wenn die politische Entscheidung am Ende beim Staat liegt. Konsultationsverfahren und Bodies gelten in Großbritannien als Alternative zu den korporatistischen und neo-korporatistischen Bündnissen auf dem Kontinent. Aber nicht nur die Regierung, auch der Arbeitgeberverband CBI wollte kein Zurück. 1997 sagte der Generaldirektor des CBI, Adair Turner: „Wir haben nicht den Wunsch, die formellen korporatistischen Strukturen der 60er und 70er Jahre wiederherzustellen.“ Für den Unternehmer-Dachverband CBI ist das von „New Labour“ praktizierte Politikmodell der indirekten Steuerung attraktiv, denn es 173 174 175

Vergleiche Olson (1982). Interviews GB 5 und GB 9 (2002). Vergleiche Kaiser (1998), S. 227 f.

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sichert ihm Einfluss, ohne dass er im Gegenzug Verbindlichkeiten eingehen muss. Tarifverhandlungen auf nationalem Niveau, die danach in den Regionen und einzelnen Unternehmen umzusetzen wären, finden nicht statt. Unabhängig von den konsultativen Verfahren können Formen des „Best Practice“ zwischen der Regierung und einzelnen Unternehmen ausgehandelt werden.176 Das ist aus Sicht des CBI ein guter Ansatz gegen eine staatliche Überregulierung. Gleichwohl akzeptierte er vieles von der Regierungsagenda und plädierte für eine Einführung der Beschäftigungspolitik in einer für die Unternehmen günstigen (flexiblen) Form. 177 Fest steht: Die Politik Blairs hat den Unternehmern und ihren Verbänden mehr Einfluss verschafft. Die grundsätzliche Interpretation der Ökonomie und der zu wählenden Lösungswege entsprechen ihrer Weltsicht. Die Unternehmer müssen ihre Grundsätze gegenüber Regierung und Politik nicht durchsetzen, weil die Prinzipien der aktuellen Politik, wie Deregulierung, Flexibilisierung und Subsidiarität ohnehin ihren Interessen entsprechen. Auf nationaler Ebene existieren kaum Berührungspunkte zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern. Zwar sind beide Seite in einer Reihe von beratenden Ausschüssen der Regierung vertreten, aber eine direkte Zusammenarbeit oder laufende Diskussionen zwischen dem TUC und dem Spitzenarbeitgeberverband CBI („Confederation of British Industry“) gibt es so gut wie nicht. Eine Ausnahme bildeten die von der Labour-Regierung seit Ende 1997 geförderten Diskussionen zwischen beiden Organisationen über neue gewerkschaftliche und individuelle Rechte im Betrieb. 178 Die Gewerkschaften stimmten der neuen Konsultationspolitik zu, nicht zuletzt wegen ihrer strukturellen Schwäche und ihres „Kampfes um Anerkennung“. Eine pragmatische Gewerkschaft wie die GMB betreibt eine Politik der Verhandlungen mit einzelnen Unternehmen. Gewerkschaft und Shop Stewards nehmen dabei die Rolle von so genannten Friedensstiftern („Peacemakers“) ein, die konstruktiv auf die Lösung von Problemen hinarbeiten. Gleichzeitig leisten sie eine Überzeugungsarbeit sowohl bei den eigenen Organisationsmitgliedern als auch im Management. 179 Und sie haben durchaus Chancen, auch für „moderne Arbeitnehmer“ ein Sprachrohr zu sein. 180 Eine Gewerkschaft wie UNISON, die ihre Stärken im öffentlichen Sektor hat, ist zunehmend mit der Stärkung des eigenen Profils beschäftigt. Das geschieht beispielsweise im Falle der Beschäftigung von privaten Firmen im öffentlichen Bereich. Es wird nicht mehr generell dagegen protestiert. Vielmehr versucht man nun, der Regierung differenziert die negativen Folgen solcher Aktivitäten nachzuweisen. 181 Trotz dieser politikfeld- und unternehmensbezogenen Strategie 176 177 178 179 180 181

Vergleiche Interview GB 9 (2002). Vergleiche Interview GB 4 (2002). Vergleiche Fulton (1998) und CBI/TUC (2001). Vergleiche Interview GB 5 (2002). Vergleiche Gospel/Wood (2003). Vergleiche Interview GB 6 (2002).

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haben die Gewerkschaften die Hoffnung nicht aufgegeben, dass es in Zukunft wieder nationale Institutionen wie das Economic Development Council (NEDC) nach dem zweiten Weltkrieg geben wird. 182 2. Die Gewerkschaften und die Linke Der Thatcherismus hatte es strikt abgelehnt, seine Wirtschafts- und Sozialpolitik zum Gegenstand von Verhandlungen mit den Gewerkschaften zu machen, oder sich auf eine Einkommenspolitik einzulassen. Sie schränkte die gewerkschaftliche Vertretungsmacht in den Arbeits- und Tarifbeziehungen ein. Zwischen 1980 und 1993 veränderten eine ganze Kette von Arbeits- und Gewerkschaftsgesetzen die Organisationsstrukturen der Arbeitsnehmerorganisationen. Das ging einher mit einem extremen Mitgliederschwund. Zwischen 1979 und 1995 verloren die Gewerkschaften etwa 40 Prozent ihrer Mitglieder. Parallel ging auch die gewerkschaftliche Präsenz in den Betrieben zurück, wenigstens gemessen an der Zahl der Betriebsräte, der „Shop Stewards“. Vom „Closed Shop“, also der verpflichteten Mitgliedschaft der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in einer Gewerkschaft, ist nach den Arbeitsund Gewerkschaftsgesetzen der konservativen Regierungen von 1979 bis 1997 kaum etwas übrig geblieben. Die offizielle Streikstatistik meldete 1998 einen Rückgang der Arbeitskämpfe und der durch sie verursachten Ausfalltage. Nach britischem Maßstab ist das überaus bemerkenswert. 183 Auch die Politik von New Labour stellte die alte Macht der Gewerkschaften nicht wieder her, die die Regierung Thatcher so gründlich gebrochen hatte. Ihre Beziehung zu den Gewerkschaften war längst nicht mehr so eng wie die der alten LabourPartei zuvor. Vielmehr richtete sich New Labour auf das gesamtstaatliche Interesse aus und orientierte sich am Kriterium allgemeiner „Wählbarkeit“. Mit der Politik des New Deal nutzte sie die Schwäche der Gewerkschaften für neue, marktförmiger angelegte Institutionalisierungen. Sie fühlte sich nicht mehr an die alten Interessenskonstellationen und ihre Repräsentationsdynamik gebunden. Ein formeller oder womöglich nur informeller Pakt zwischen Regierung, Gewerkschaften und Unternehmervertretern, mit dem Ziel, neue Arbeitsplätze zu schaffen, hatte die Labour-Regierung nicht im Blick. Die Entscheidungen für neue Institutionen wie „Welfare To Work“, die den Einsatz von Zwangmaßnahmen in der Beschäftigungspolitik enthielten, ließen sich vergleichsweise leicht durchsetzen – angesichts der Schwäche der parteipolitischen Linken („Old Labour“) und der Gewerkschaften sowie eines Wahlerfolgs, der New Labour einen starken Rückhalt in der Bevölkerung gab. Die Politik von New Labour war aber auch das Ergebnis eigener bitterer Erfahrungen mit den Gewerkschaften. So hatte die Labour-Regierung 1974 einen „Social Contract“ mit den Gewerkschaften abgeschlossen, um die Einkommenssteigerun182 183

Vergleiche Interview GB 5 (2002). Vergleiche Kastendieck (1998).

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gen zu bremsen. Der TUC hatte sich gegenüber der neu gewählten Regierung bereit erklärt, gemäßigte Einkommenserhöhungen zu akzeptieren. Doch die für das Jahr 1978/79 von der Regierung festgesetzten Lohnrichtlinien stießen auf wenig Gegenliebe. Die Einkommenspolitik der Regierung versank in einer Reihe von Streiks, darunter bei Ford, bei den LKW-Fahrern und in weiten Teilen des öffentlichen Dienstes. Das führte zu einem enormen Ansehensverlust, von dem sich die Gewerkschaften nicht mehr erholten. In der Folge verlor Labour die Unterhaus-Wahlen 1979 an die konservative Regierung Margaret Thatchers. Sie begegnete den Gewerkschaften mit offener Feindseligkeit. Der gescheitete Sozialvertrag mit den Gewerkschaften ist bis heute ein Grund dafür, warum viele Labour-Politiker die Idee eines Bündnisses mit den Gewerkschaften mit Misstrauen betrachten. Peter Mandelson, 1997 New Labours Direktor für die Wahlkampagne für das Unterhaus und später zweifacher Minister in Blairs Kabinett, sagte dem TUC-Kongress: „Diese Labour Party unterhält gute Beziehungen zu den Gewerkschaften, aber im Gegensatz zu der Zeit vor 20 Jahren sind diese Beziehungen nicht mehr so eng, dass sie unbequem werden. Heute haben wir einen Dialog, einen guten Dialog, aber wir stehen nicht unter Druck (…) Wir werden nie wieder die Geschäfte der Regierung einem anderen übertragen, nicht dem TUC oder den ihm angeschlossenen Gewerkschaften, nicht den großen Konzerninteressen.“ Der TUC legte hingegen Wert auf die Mitsprache bei wichtigen wirtschaftlichen Themen. Generalsekretär John Monks betonte auf einer Versammlung am Rande der Labour-Konferenz im Oktober 1998 die „geteilte“ Verantwortung von Gewerkschaften und Regierung für schwierige Entscheidungen während der 70er Jahre. In diesem Zusammenhang lobte er das „Bündnis für Arbeit“ in Deutschland und drückte die Hoffnung aus, dass Großbritannien die gleiche Reife erreichen möge. Das Verhältnis zwischen New Labour und Gewerkschaften blieb kompliziert. Das bekam auch der damalige Schatzkanzler der Regierung, Gordon Brown, zu spüren, als er begann, die Arbeitsmarktpolitik neu auszurichten und dabei auf Erfahrungen aus Schweden und den USA zurückgriff. Mit Unterstützung des Bildungsministeriums und auch auf Druck des Arbeitgeberverbandes CBI sollte die Beschäftigungsfähigkeit der Arbeitnehmer verbessert werden. Er hatte beklagt, dass viele Jobbewerber nicht gut ausgebildet sind. Dagegen wehrten sich die Gewerkschaften im Allgemeinen und die Lehrergewerkschaft im Besonderen, unterstützt vom linken Flügel der Labour Party. Sie befürchteten, dass auf diesem Wege das System der sozialen Sicherheit zu einem Flickenteppich gemacht würde. Sie „gruben sich ein“, wie es ein Interviewpartner aus der London School of Economics formulierte. Das schwindende Ansehen britischer Gewerkschaften kann nicht allein der Politik Thatchers oder Blairs angelastet werden. Von Bedeutung sind vor allem sozialstrukturelle Entwicklungen, wie der steile Anstieg und die lang andauernde Höhe der Arbeitslosigkeit, die „Deindustrialisierung“ in Branchen, die als Hochburgen gewerkschaftlicher Stärke galten, sowie die neuen Rekrutierungsprobleme der Gewerkschaften als Folge der veränderten Arbeitsmarkt- und Beschäftigungsstruktu-

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ren. 184 Der Anteil der Arbeitnehmer im privaten Sektor, für die Tarifverträge abgeschlossen wurden, ist von 1980 bis 1995 von 70 auf 47 Prozent zurückgegangen. Immer mehr Arbeitgeber verweigern den Gewerkschaften schlicht die Anerkennung als Verhandlungspartner. Neu eingerichtete Betriebe erkennen Gewerkschaften noch weniger an als ältere. Mittlerweile sind „gewerkschaftsfreie Betriebe“ charakteristisch für die Arbeitsbeziehungen in Großbritannien – verbunden mit einer wachsenden Ungleichheit der Lohnentwicklung. In der Zeit der Thatcherregierungen hat das Selbstbewusstsein der Gewerkschaften erheblichen Schaden genommen. Nach der Abwahl der konservativen Regierungen Thatcher und Major waren die Gewerkschaften erleichtert. Das gesellschaftliche Klima schien sich zu ihren Gunsten verändert zu haben. Zu Ende war die Zeit der Feindseligkeit, die von den konservativen Regierungen ausging. Die Regierung Blair erleichterte die Anerkennungsverfahren der Gewerkschaften in den Unternehmen. Die Art der politischen Einflussnahme hatte sich jedoch verändert. Sie verlagerte sich von direkten Verhandlungen mit den diversen Regierungen auf die Mitarbeit in konsultativen Gremien, den schon erwähnten „Bodies“. 185 Zu schon lange existierenden, mit Gewerkschaftern besetzten Kommissionen und Ausschüssen, genannt seien die Kommission für Gleichheit zwischen Frauen und Männern oder die Kommission für Gesundheit und Sicherheit oder dem Schieds- und Schlichtungsdienst, kamen eine Reihe neuer hinzu. Etwa die Beratungsgruppe über Wettbewerbsfähigkeit, der Ausschuss zur Wirtschafts- und Währungsunion, und, sehr wichtig, die „Low Pay Commission“, auf Deutsch die Niedriglohn-Kommission. Die Regierung beauftragte die Low Pay Commission mit der Vorbereitung des geplanten Mindestlohnes. Sie ist unabhängig und mit je drei Vertretern der Wirtschaft, der Wissenschaft und der Gewerkschaften besetzt. Vor der Einführung des Mindestlohns überwachte und evaluierte diese Kommission für längere Zeit die Wirkungen des Mindestlohnes. Außerdem gab sie einstimmig Empfehlungen zum Mindestlohn, die die Regierung akzeptierte. Die Low Pay Commission übt wesentlichen Einfluss auf die Mindestlohngestaltung aus. Sie gibt jährlich einen umfassenden Bericht über die Wirkungen des Mindestlohns auf die Gesamtwirtschaft und den Niedriglohnsektor heraus. Auf Basis dieser Ergebnisse enthält der Bericht auch Empfehlungen für die künftige Höhe des Mindestlohnes, aufgrund derer dann die Regierung jedes Jahr eine Wertanpassung vornimmt. Die Arbeit dieser Kommission repräsentiert also ein konsensuelles Vorgehen zwischen Regierung, Arbeitgebern und Gewerkschaften, auch wenn zu Anfang Uneinigkeit über die Höhe des Mindesteinkommens und über die Unterscheidung zwischen Erwachsenen und Jugendlichen („Adult Rate“, „Youth Rate“) herrschte. Die Gewerkschaften waren und sind mit beidem nicht zufrieden. Im Laufe der Beratungen konnte das Einkommen jedoch herauf gesetzt und die Opposition der Arbeitgeber neutralisiert werden.186 184 185 186

Vergleiche Kastendieck (1998). Vergleiche Interview GB 6 und GB 2 (2002). Vergleiche Interview GB 1und GB 2 (2002).

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Die Gewerkschaften haben ihr politisches Gewicht mit ihrem Engagement für das Thema Ausbildung vergrößern können. Diesem Thema misst die Labourregierung hohe Bedeutung bei. Seit Jahren plädieren die Gewerkschaften für eine verbesserte und breiter angelegte Ausbildung. Da diese Position auch die Regierung mit gewissen Nuancen vertritt, beteiligen sich Gewerkschafter in großer Zahl an den Beratungen. Trotz alledem und obwohl sich das Verhältnis zwischen Gewerkschaften und Regierung enorm entspannt hat, hat die organisierte Arbeitnehmerschaft keine garantierte offizielle Stimme in den allgemeinen wirtschaftlichen Angelegenheiten des Landes. Das bedeutet, dass sich Gewerkschaften grundsätzlich umorientieren müssen. Mit dem „New Unionism“, ein Begriff, den der TUC-Vorsitzende John Monks prägte, haben sie einen grundlegenden Neuanfang eingeleitet. Damit geht eine Neubestimmung ihrer Macht- und Einflusschancen und ihrer praktischen Aufgaben einher. Dazu gehört auch, ihre Verhandlungsfähigkeiten zu stärken, die Interessen der Mitglieder besser zu verfolgen und neue Mitglieder zu gewinnen. Die Gewerkschaften müssen ihre Mitglieder von den Vorteilen des Co-Managements und konstruktiven Verhandlungen mit den Unternehmern überzeugen. Beides ist schwierig. Im CoManagement und der Mitverantwortung sehen sich die eher auf Konflikt gepolten Shop Stewards womöglich in ihrer Autonomie beeinträchtigt. Mit Widerständen oder zumindest mit Kooperationsverweigerung ist auch von Seiten vieler Unternehmer zu rechnen, die eine solche Politik ebenfalls nicht gewohnt sind. Das traditionelle Politikverständnis des gewerkschaftlichen Teils der Linken in Großbritannien war von einem interessenbezogen Tausch bestimmt. Diese Perspektive hatte sich mit der Ära Thatcher erledigt, die Idee des politischen Tauschs, also von Verhandlungen, die die Konservativen prinzipiell ablehnten. Eine mögliche Alternative zum interessenbezogenen Tausch bietet der „strategische Tausch“, den das Konzept von der Angebotsmacht der Arbeit vorsieht. Ein solcher Tausch wäre perspektivisch angelegt, er wäre bezogen auf Innovationen fördernde Rahmenbedingungen und innovationsgerechtes Arbeiten, aber auch auf die Integration in den Arbeitsmarkt. Ein politischer Tausch, der bewusst diese Perspektiven anstrebt, ist ein strategischer Tausch. Dafür sind gewisse Voraussetzungen in Großbritannien vorhanden. Die Lernprozesse von New Labour lassen sich im Begriff der Wählbarkeit fassen. „Wählbarkeit“ hat die Traditionstreue und eine industriegesellschaftlich geprägte Vorstellung von Sozialismus abgelöst und durch eine Perspektive auf die ganze Gesellschaft ersetzt. Dem entspricht auf Gewerkschaftsseite der Begriff des „New Unionism“. Er reflektiert die Erfahrung des Scheiterns mit einer Fundamentalopposition. Stattdessen schlägt er eine Partnerschaft mit den Arbeitgebern auf der Basis von Gegenseitigkeit vor. „Wählbarkeit“ und „New Unionsm“ haben dazu geführt, dass sich New Labour und TUC auf der Grundlage des Prinzips der „Fairness But No Favours“ begegnen.

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3. Die Angebotsmacht der Arbeit a) Innovationen Die Lissabon-Strategie fordert die Entwicklung des Unternehmertums. Dafür müssen die Unternehmen Innovationsprozesse in Gang setzen, die über öffentliche Förderung von Forschung und Entwicklung hinausgehen. Zunächst hat die britische Regierung die Entwicklung und Gründung einer Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen gefördert. Aber es geht auch darum, den Produktivitätsrückstand vieler britischer Unternehmen wettzumachen. Dafür bedarf es eines methodischen Innovationsverständnisses: Es muss die Arbeitsbeziehungen unter dem Gesichtswinkel ihrer Möglichkeiten betrachten, Innovationen hervor zu bringen. In Großbritannien gibt es dazu Ansätze. Dazu gehört, dass der Faktor Bildung von der Politik für Innovationsprozesse anerkannt wird. Dazu gehört aber auch die Anerkennung der Tatsache, dass viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Großbritannien von ihrer Arbeit nicht „inspiriert“ sind. Wenn die Linke auf die Gestaltung der Arbeit Einfluss nehmen will, muss sie Vorstellungen über „innovationsgerechtes Arbeiten“ entwickeln. Nur so lässt sich die Spaltung der Belegschaften in motivierte und unmotivierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vermeiden. 2003 hat die britische Regierung eine in ihren Augen „fundamentale Revision der Innovationspolitik“ unternommen. Ihre Vorstellungen präzisierte sie in einem detaillierten Aktionsplan in ihrem Innovationsbericht „Competing in the global economy: the innovation challenge“. 187 Innovation führt der Bericht als einen der Hauptmotoren für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen an. Deshalb hat die Regierung großen Wert auf das Wissen und den „Geist“ eines Unternehmens gelegt. Und aus dem gleichen Grund engagiert sie sich dafür, dass viele neue, wissensbasierte High-Tech-Unternehmen entstehen und sich entwickeln. Ferner muss sie sich um eine Erhöhung der Innovationsrate in Großbritannien bemühen. In den vergangenen Jahren hat sie zahlreiche Schritte unternommen, um Großbritannien zu einem attraktiven Land der High-Tech-Unternehmen und Innovationen zu machen. So hat die Britische Regierung innerhalb von acht Jahren den Haushalt für Wissenschaft um drei Milliarden Pfund verdoppelt. Ferner führte sie einen Steuerkredit für Forschung und Entwicklung im Werte von 600 Millionen Pfund ein. Außerdem verbesserte sie die Anreize für die Universitäten, die Transferrate ihrer Forschungsergebnisse in die Wirtschaft zu erhöhen. Dieser inzwischen intensive Austausch hat die Praxisorientierung der Universitäten verstärkt. Aus Sicht der britischen Regierung hat die Politik der Innovationen Erfolge gebracht. In ihrem Innovationsreport 2003 stellt sie heraus, dass seit 1997 ein kultureller Wandel im Verhältnis zwischen den Universitäten und der Industrie angestoßen wurde. Dieser Wandel zeigt sich unter anderem in der Zahl der neugegründeten

187

Vergleiche DTI (2003).

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Unternehmen, die aus Forschungsprojekten der Universitäten hervorgingen, so genannte „Spin-Off Companies“. Außerdem steigerten die Hochschulen merklich die Zahl ihrer Patente für intellektuelles Eigentum, und zwar von 382 in der Periode 1999/2000 auf 527 ein Jahr später. Trotz dieser Anstrengungen war die britische Regierung mit der Ausbeute an Innovationen unzufrieden. In ihrem „Innovationsbericht“ von 2003 definierte sie eine „Strategie für Technologie“ und das Ministerium für Handel und Industrie setzte entsprechende Prioritäten bei der Finanzierung seiner Tätigkeiten. Der Innovationsbericht insistierte außerdem darauf, die Gründung und Entwicklung neuer Unternehmen entschieden voranzutreiben, damit ein Maximum an neuen Innovationspotentialen realisiert werden konnte. Außerdem maß die Regierung in Großbritannien der Förderung von Innovationen auf regionaler Ebene besondere Bedeutung bei. Es war ihr wichtig, dass die in London entwickelte Politik im Land und vor Ort angenommen und angewendet wurde. Außerdem sollte das Niveau der Qualifikationen und Kompetenzen angehoben werden. Deshalb lancierte die britische Regierung eine „Kompetenzstrategie“, mit der das britische Bildungssystem auf die Bedürfnisse der Arbeitswelt antworten sollte. 188 Wie lässt sich der Erfolg von Innovationen messen? Das ist schwer zu beantworten. Gewisse Anhaltspunkte für die Innovationsfähigkeit von Unternehmen kann allerdings eine Umfrage des Gallup-Instituts in britischen Unternehmen liefern. Seit dem Jahr 2001 untersuchten die Forscher das Engagement, mit dem die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ihre Arbeit verrichten. Zwei Resultate sind hier von Interesse. Erstens: Fast 80 Prozent aller britischen Arbeiter fehlt es an Engagement für ihre Arbeit. 189 Die Absentismus-Raten sind hoch, ebenso die personelle Fluktuation, während die Arbeitsproduktivität gering ist. Mit anderen Worten: In Großbritannien bleiben die als „actively disengaged“ geltenden und ihre unbeteiligte Einstellung offen zeigenden Arbeitnehmer ihrem Arbeitsplatz durchschnittlich mehr als sechs Tage pro Jahr fern. Dagegen fehlen engagierte Arbeitnehmer im Durchschnitt weniger als drei Tage. Außerdem ist bei „actively disengaged“ Arbeitnehmern die Wahrscheinlichkeit mehr als 10 Mal so groß wie bei engagierten Beschäftigten, dass sie ihr Unternehmen binnen eines Jahres verlassen werden: 48 Prozent gegenüber 4 Prozent. Das heißt: Die 27 Millionen Arbeitnehmer in Großbritannien arbeiten zwar die meisten Stunden in Westeuropa, doch die Mehrheit der Beschäftigten ist „uninspiriert“ bei der Arbeit. Nach Schätzungen des Gallup-Instituts kosten die hohe Abwesenheitsrate und die geringere Arbeitsproduktivität die britische WirtVergleiche Lord Sainsbury (2004). Nach dieser Gallup-Umfrage waren 19 % der Beschäftigten „engagiert“, oder loyal, produktiv und empfanden ihre Arbeit als befriedigend. 61 % der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer waren „nicht engagiert“, ihrer Arbeit nicht psychologisch verpflichtet und würden die Arbeit verlassen, wenn sich eine andere Möglichkeit auftun würde. 20 % versuchten nicht, ihr fehlendes Engagement zu verstecken („actively disengaged“) oder waren desillusioniert über ihre Arbeit. Diese offen Unengagierten sprechen oft ihre negative Einstellung über ihre Arbeit und ihren Arbeitgeber aus. Vergleiche Flade (2003). 188 189

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schaft etwa 38 Milliarden Pfund jährlich. Die zweite Botschaft der Gallup-Umfrage lautet: An dieser Situation hat sich seit Jahren nichts geändert. Ein Grund dafür sind Schwächen im Management. Die Beschäftigten beklagen, dass sie nicht wissen, was von ihnen erwartet wird. Ihre Manager interessierten sich für sie nicht als Menschen, und ihre Jobs passen nicht zu ihren Talenten und Qualifikationen. Ihre Ansichten würden nicht beachtet, ihre Meinung sei nicht gefragt. Langjährig in einem Unternehmen Beschäftigte sind häufiger „not engaged“ oder offen unmotiviert als „Neulinge“, die erst seit kurzem für eine Organisation arbeiten. Versäumen es Manager und Unternehmen, in dieses Humanvermögen zu investieren, verlieren menschliche Stärken („Assets“) an Wert, die eigentlich mit Training und Entwicklung wachsen sollten. 190 Diese Ergebnisse stellen die zahllosen Initiativen von privaten und öffentlichen Aktivitäten und Initiativen zur Motivation der Arbeitnehmer in Frage. Innovative Arbeitsplätze, die Erläuterung der Unternehmensziele, „Corporate Identity“ und sogar die Erhöhung der Einkommen scheinen die Menschen nicht motivieren zu können und dauerhaft zu höherem Engagement in der Arbeit zu bewegen. Es ist klar, dass die hohe Abwesenheit und Fluktuation sowie die geringe Arbeitsproduktivität sich direkt auf den Erfolg eines Unternehmens auswirken. Für Organisationen ist die Annahme geradezu gefährlich, sie könnten eine profitable und wachsende Zahl an Kunden an sich binden, wenn sie nicht einmal ihre eigenen Beschäftigten an sich zu binden in der Lage sind. Nahezu ausgeschlossen scheint es aber zu sein, aus solchen Verhaltensweisen innovative Arbeit fördern. Die Innovationsinitiative „Competing in the global economy: the innovation challenge“ der britischen Regierung muss die Ursachen von Absentismus, geringer Arbeitsproduktivität und hoher personeller Fluktuation aufgreifen. Hilfreich sind hier die Empfehlungen des Gallup-Instituts. So soll das Management seine Erwartungen an die Beschäftigten klar artikulieren. Die Vorgesetzten sollen sich um die Beschäftigten kümmern, ihnen Anerkennung zollen und den Ansichten und Vorstellungen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Aufmerksamkeit widmen. Zugleich aber stellt es fest, dass viele Beschäftigte die Qualität der Beziehungen zwischen Managern und Angestellten als eher zweitrangig ansehen. Deshalb müssten sie mehr an Innovationen beteiligt werden. Nicht nur im Umfeld von Unternehmen, sondern auch in den Unternehmen selbst müsste man über „Best Practice“ nachdenken, wie es TUC und CBI empfehlen. Dazu gehört auch, dass Vorgesetzte die Kompetenzen und Qualifikationen der Beschäftigten angemessen würdigen sollen. Auch der Innovationsreport der britischen Regierung macht Lösungsvorschläge. Er betont die Fähigkeit von Unternehmen, neues Wissen aufzunehmen, als Erfolgsfaktor für eine hohe Qualität und Rate von Innovationen: „Wir müssen sicher stellen, dass unsere Manager die technologischen und Führungsfähigkeiten haben, damit Innovationen entstehen können. Und dass wir als Staat mehr in technische und Um190

Vergleiche Flade (2003).

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setzungsfähigkeiten investieren müssen, wo internationale Vergleiche zeigen, dass unseren Leistungen schwach sind.“ Innovationen und Beteiligung der Beschäftigten gehören zusammen, deshalb muss innovationsgerechtes Arbeiten gefördert werden. Einen weiteren Hinweis gibt die Struktur des britischen Einzelhandels. Im Einzelhandel haben einige wenige, mit Ausnahme von Tesco schwach internationalisierte Großunternehmen eine marktbeherrschende Stellung. Es handelt sich um großflächige Supermärkte. Die britische Regierung will in den Städten den Strukturwandel des Einzelhandels mit Planungsvorschriften steuern. Nach einer langen Phase des Laissez-faire wird nun die Ausweisung neuer Handelsflächen restriktiver gehandhabt. London führte eine politische Planungsinstanz wieder ein, die das Interesse von Stadtteilen, Vorstädten, Städten und die gesamtstädtische Entwicklung im Blick hat. Damit kann das Spannungsfeld zwischen der unternehmerischen Logik und den planerischen Vorstellungen über den sektoralen Strukturwandel neu ausgelotet werden. 191 Innovationen von politischer Seite müssen Rahmenbedingungen fördern und innovationsgerechtes Arbeiten. Sie sollten eine gute Infrastruktur schaffen, die Unternehmen in ihren Innovationsbemühungen unterstützt. Deshalb investiert die Regierung in die Gründung von kleinen und mittleren Unternehmen. Leider mangelt es an der nötigen Infrastruktur für das Ausschöpfen der Wachstumspotenziale, auch fehlt es an adäquaten Managerfähigkeiten. Außerdem fragt sich, ob es klug war, die Industriepolitik so stark zu vernachlässigen. Andererseits sind die Bemühungen um eine effizientere und effektivere Politik kennzeichnend. Durchgesetzt hat sich die Einsicht, dass erfolgreiche Politik nicht allein in London gemacht werden kann. Deshalb müssen die unterschiedlichen Politiken in Abstimmung mit den regionalen Bedarfen und den Bedingungen in den Städten gemacht werden. Zusammenfassend lässt sich über die Innovationsfähigkeit britischer Unternehmen folgendes sagen: sie ist nicht ausreichend entwickelt, vor allem fehlt es allgemein an gut qualifizierten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Kleine und mittlere Unternehmen haben generell Schwierigkeiten, neue Technologien optimal für sich zu nutzen, Start-Ups verfügen über keine adäquate Infrastruktur. Qualifikationen fehlen nicht nur Beschäftigten, sondern es mangelt auch an unternehmerischen Fähigkeiten. In einigen Regionen fehlt es an innovativen Kräften. Ein weiterer neuralgischer Innovationspunkt, der ebenfalls die KMU betrifft, ist die Bildung. Dazu kommen wir jetzt. b) Bildung Auf dem Kongress der Labour Party 1996 fasste Tony Blair die künftigen Prioritäten seiner Regierung markant zusammen: „Education, Education and Education.“ Er hob die Bildung derart stark hervor, weil die moderne Wirtschaft einen fast schon 191

Vergleiche Potz (2003).

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„gefräßig“ zu nennenden Bedarf nach gut und sehr gut qualifizierten Menschen zu haben schien. Seit Mitte der 90er Jahre hatte sich entsprechend die Zahl der jungen Leute verdoppelt, die eine höhere Bildung anstrebte. Andererseits gab es eine große Kluft, was die Lese- und Schreibfähigkeit der am wenigsten befähigten 5 Prozent der Bevölkerung und dem Durchschnitt der britischen Arbeitnehmerschaft betraf. Sie ist wesentlich tiefer einzuschätzen als in Deutschland. Die Schulklassen waren zu groß, der Unterricht in staatlichen Schulen schlecht. Eltern, die es sich leisten konnten, nahmen 20.000 DM im Jahr für eine private Schulausbildung ihres Kindes auf sich. Und der Graben zwischen den Einkommen von Graduierten und Nicht-Graduierten wurde in den 90er Jahren immer breiter, etwa im Vergleich zu 1974. Dennoch hat sich in der Qualifikation der arbeitenden Bevölkerung zwischen 1974 und 2001 sehr viel getan. 1974 hatten mehr als die Hälfte aller Männer zwischen 16 und 69 Jahren und zwei Drittel der Frauen überhaupt keine (formellen) Qualifikationen. 2001 hatte sich der Bildungsstand gegenüber 1974 erheblich verbessert. Nun fanden sich unter den Männern nur 15 Prozent und bei den Frauen 19 Prozent ohne Bildungsabschluss. 1974 hatten nur vier Prozent der männlichen Arbeitkräfte akademische Bildungsabschlüsse, im Jahr 2001 waren vier Mal so viele (16 Prozent). Nur 1 Prozent der Frauen konnte 1974 einen akademischen Titel vorweisen, 2001 waren es 13 Prozent. Aber diese Anstrengungen reichten nicht aus. Eine Studie der OECD aus dem Jahr 2001 zeigte, dass es nach wie vor ein Unterangebot an sehr gut qualifizierten Menschen gab. 192 Wie gesagt hatte Bildung für die Regierung Blair oberste Priorität. Sie wurde als diejenige entscheidende Ressource gesehen, um Großbritannien kurz- und langfristig international konkurrenzfähig zu erhalten und damit mittelbar einen hohen Beschäftigungsstand zu sichern. Schon die konservative Vorgängerregierung Major hatte sich darum bemüht, die Zahl der Universitätsabsolventen zu erhöhen und den Leistungswettbewerb zwischen den Schulen und im universitären Bereich zu steigern. Dennoch wuchs die Zahl der Briten ohne elementare Kenntnisse wie Lesen und Schreiben. Außerdem war die Spitzenausbildung zu selektiv. Die Regierung Blair propagierte Bildung als entscheidenden Hebel einer Politik sozialer Chancen. Für einige galt sie als eines der politischen Instrumente, das die Menschen vor dem Ausschluss aus der britischen Gesellschaft bewahren konnte. Immerhin betont die englische Gesellschaft ihre Zusammenhörigkeit als eine „being a together-society“. Ein Bildungsexperte der London School of Economics stellte im Frühjahr 2002 heraus, dass der „klassische Bruch“ mit der alten Sicht der Dinge die berühmte Rede des Labour Premierministers James Callaghan aus dem Jahr 1976 war. Bis dahin galt die Ansicht, dass das Bildungssystem in Großbritannien doch recht zufrieden stellend sei, gut funktioniere und niemand sich Sorgen machen müsse. Callaghan dagegen rüttelte die Engländer damit auf, dass Großbritannien im 192

Vergleiche Glennester (2001).

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Begriff war, hinter die Bildungsstandards Westeuropas zurückzufallen. Diese Rede setzte unter anderem die Arbeit an einem Nationalen Curriculum in Gang, die die Administration der Regierung Thatcher mit dem „Education Reform Act“ von 1988 zum Abschluss brachte. 193 Die generellen bildungspolitischen Ziele der Regierung orientierten sich an der Entwicklung einer „lernenden Gesellschaft“. Es wurden Lernprozesse zu Hause, in den Kommunen, am Arbeitsplatz und in den traditionellen Institutionen propagiert. Jeder sollte zum Lernen in der Lage sein, seinen Lernprozess selbst organisieren können und seine Bildung permanent und im Laufe seines Lebens verbessern können. Individuen, Arbeitgeber und der Staat sollten sich alle an den Kosten der Bildung beteiligen, weil Investitionen sich auf allen Ebenen bezahlt machen. Die Regierung ist der festen Überzeugung, dass Großbritannien eine gut ausgebildete und lernfähige Erwerbsbevölkerung braucht, um stabiles und dauerhaftes Wachstum zu erreichen. Sie ist der Auffassung, dass Lernprozesse den Zusammenhalt der Gesellschaft, eine „inclusive Society“, fördert und die Bürgerinnen und Bürger dazu befähigen kann, ihr Leben aktiver und stärker in eigener Regie zu führen. Außerdem unterstützt sie den Gedanken der Partizipation in einer wissensbasierten Gesellschaft. Demnach können Lösungen in der Qualifikationsfrage besser erreicht werden, wenn alle Möglichkeiten von informellen, gemeinschaftlichen und individuellen Lernprozessen genutzt werden. Es muss berücksichtigt werden, dass viele Erwachsene schlechte Erfahrungen mit dem formalen Lernen gemacht haben und dass ihnen das Lernen fremd geworden ist. Was tat die neu gewählte Labour-Regierung, um diesen Umstand zu ändern? Ihr erstes Strategiepapier („White Paper“) zum Thema Schule, das im Sommer 1997 veröffentlicht wurde, nannte sechs Prinzipien, nach denen die Regierung handeln wollte: Erstens, die schulische Bildung sollte im Mittelpunkt der Regierungsarbeit, „at the heart of government“, stehen. Die Bildungspolitik sollte zweitens so ausgerichtet sein, dass viele statt nur wenige Menschen von ihr profitieren konnten. Drittens wollte die Regierung Standards verbessern, aber nicht Strukturen. Viertens sollten Interventionen im umgekehrten Verhältnis zum Erfolg stehen. Sie sollten einen Anschub für die Selbsttätigkeit der Schulen geben, aber zurück genommen werden, wenn es in den Schulen gut lief. Fünftens sollte es keine Toleranz gegenüber unzureichenden Leistungen geben. Und schließlich nahm sich die Regierung vor, mit allen partnerschaftlich zusammen zu arbeiten, die sich dazu verpflichteten, die Bildungsstandards zu erhöhen. 194 Wie setzte die Blair-Regierung diese Vorhaben um? Im Dezember 1997 richtete die Regierung eine „Social Exclusion Unit“ ein, um das Schuleschwänzen, beziehungsweise die Nichtteilnahme am regulären Schulunterricht, die Obdachlosigkeit und die sozialen Probleme in Mietskasernen zu bewältigen. Für 200 Millionen 193 194

Vergleiche Interview GB 7 (2002). Vergleiche Brighouse (2001), S. 23.

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Pfund entstanden im Bereich Schule Hausaufgabenclubs, die in schulischen Problemgebieten die Schulerfolge verbessern sollten. Zuvor hatte Bildungs- und Arbeitsminister David Blunkett das Weißbuch „Excellence in Schools“ vorgelegt. Es schlug die Wiederbelebung traditioneller Lehrmethoden wie Kopfrechnen, Rechtschreiben und Grammatik vor. Minister Blunkett forderte eine bessere Schulaufsicht und sprach sich für Hausaufgabenverträge zwischen Schule und Elternhaus aus: Sie sollten die Eltern stärker in die Verantwortung für den Schulerfolg ihrer Kinder einbinden. In Stadtteilen, Städten und Gemeinden mit besonders vielen schlechten Schülern entstanden 25 so genannte „Education Action Zones“. Jede Zone sollte in die Verantwortung eines Ausschusses fallen, in dem Eltern, Lehrer, Gemeinderäte und Repräsentanten der Unternehmer vertreten waren. Außerdem sollten die Firmen Einfluss unter anderem auf die Wahl des Lehrstoffes erhalten. Die Ausrichtung des Bildungssystems auf mehr Leistungsfähigkeit war die eine Seite der Bildungspolitik von New Labour. Die andere Seite galt der Verwirklichung des Gleichheitsgedankens in der Tradition der Labour Party. So beseitigte die Regierung 1997 das 1980 von den Konservativen eingeführte „Assisted Places Scheme“. Es hatte den Bildungsminister ermächtigt, Zuschüsse für den Privatschulbesuch ausgewählter Schüler zu bezahlen, einschließlich der Übernahme des Schulgeldes. Damit subventionierte der Staat die Privatschulen mit circa 100 Millionen Pfund im Jahr. Das so gesparte Geld sollte dazu dienen, die Klassen der staatlichen Schulen zu verkleinern. Und: New Labour war nicht bereit, den staatlichen Schulen das Recht wieder einzuräumen, Schülerinnen und Schüler nach ihrer Leistungsfähigkeit auszuwählen – ein Recht, das sie vor der Abschaffung des gegliederten Schulsystems besaßen. An den Universitäten führte New Labour vom Elterneinkommen abhängige Studiengebühren von jährlich maximal 1.000 Pfund ein, um die Gefahr einer drohenden Unterfinanzierung der Universitäten abzuwenden. 195 Für die Umsetzung des lebenslangen Lernens in der Erwachsenenbildung führte die Regierung die „University for Industry“ ein. Es handelte sich dabei um einen das Internet nutzenden Vermittlungsdienst. Er stellte Informationen über die gesamte Breite des Bildungs- und Ausbildungsangebots in verschiedenen Regionen zur Verfügung. Ferner beriet ein Telefondienst, „Learning Direct“, über Lernmöglichkeiten und Karriereoptionen. Das so genannte „Work Based Learning for Adults“ (WBLA) oder Lernprogramm für Erwachsene, sollte ihre beruflichen Qualifikationen verbessern. Es war ein freiwilliges Vollzeit-Training-Programm vor allem für Menschen oberhalb des 25. Lebensjahrs, wenn sie länger als sechs Monate arbeitslos waren und Anspruch auf Qualifizierungsmaßnahmen wie eine „Jobseeker’s Allowance“ hatten. Das Lernen am Arbeitsplatz sollte die Lern- und Anpassungsfähigkeit von Unternehmen und Beschäftigten verbessern. Genannt seien auch die „Training and Enterprise Councils“ (TEC’s), staatliche Programme unter dem Dach von „Learing 195

Vergleiche Sturm (1998), S. 283 f.

II. Großbritannien

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and Skills Council“, die Unternehmer leiteten. Es koordinierte auch Beschäftigungsmaßnahmen des New Deal. 196 Die britische Regierung Blair und die britische Gesellschaft, dies kann zusammenfassend gesagt werden, haben anerkannt, wie wichtig Bildung oder „Education“ geworden ist. Durchgesetzt hat sich die Einsicht, dass sich Bildung für die Gesellschaft lohnt. Es wurde auch evident, dass es einen Zusammenhang zwischen Bildung, dem zukünftigen Einkommen und der Einkommensverteilung gibt. Und ebenso darüber, dass Menschen, die nur geringe Qualifikationen besitzen, mit einer sehr großen Wahrscheinlichkeit arbeitslos werden. Der Kollaps der britischen Industrie in den 80er Jahren und die Sorge von Politik und Gesellschaft um Ungleichheit und Arbeitslosigkeit waren eine einschneidende Erfahrung. Deshalb gab es einen breiten gesellschaftlichen Konsens für eine Bildungsreform, die mehr soziale Gerechtigkeit anstreben sollte. Tony Blair und Gordon Brown, der Premierminister und der Schatzkanzler, verkörperten diese Politik. c) Partizipation Die Regierung Premierminister Blairs suchte der Integration in den Arbeitsmarkt mit „New Deals“ beizukommen und ergriff mit den „Welfare To Workfare“-Programmen Maßnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Sie ergriff institutionelle Maßnahmen zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit („Welfare To Workfare“). Zusätzliche, finanziell aufwendige Programme (zum Beispiel „Family Credit“, „Parent Plus“) sollten vor allem die Langzeitempfänger von Sozialleistungen reaktivieren. Wer sich den Förderangeboten verweigerte, dem drohte eine Kürzung alter Fürsorgeleistungen. „Welfare To Workfare“ wurde in so genannte „New Deals“ gegossen. Schon bald nach der Regierungsübernahme gab es New Deals für Menschen unter 25 Jahren („Gateway“, „Follow Through“) und für über 25-Jährige, die seit zwei Jahren arbeitslos waren. Es gab recht erfolgreiche Maßnahmen für allein erziehende Eltern („Lone Parents“). Besonders wurden „disabled people“, „Partners of the Unemployed“ und Menschen, die älter als 50 Jahre waren („Over 50s“), gefördert. Vom Jahr 2001 an wurde der „New Deal 25plus“ ausgeweitet: für junge Arbeitslose, die 25 Jahre und älter waren, wurden stärker auf sie zugeschnittene Maßnahmen konzipiert. Dazu gehörte es, wichtige Qualifikationen nachholen oder überhaupt positive Arbeitserfahrungen machen zu können. Für diejenigen, die aktiv nach einer Arbeit suchten, gab es besondere Zuschüsse, die so genannte „Jobseeker’s Allowance“. Aus diesem Spektrum an Angeboten für besondere Zielgruppen soll ein New Deal hervorgehoben werden, und zwar das „Young Unemployment Program“. Es bot jungen Menschen vier Optionen an, zwischen denen sie wählen konnten: Die

196

Vergleiche Glyn/Wood (2000), S. 72 f.

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D. Angebotsmacht der Arbeit in Frankreich und Großbritannien

erste Option bestand darin, sechs Monate staatlich subventionierte Arbeit bei privaten Arbeitgebern aufzunehmen. Die jungen Leute erhielten dafür pro Woche 60 Pfund. Oder zweitens sechs Monate im freiwilligen Sektor auf der Grundlage von sozialstaatlichen Leistungen plus einer bestimmten Summe Geldes zu arbeiten. Drittens konnten Leute ohne oder mit geringen Qualifikationen ein Vollzeit Studium („Full-Time Education“) absolvieren. Die vierte Wahlmöglichkeit bestand in einer Beschäftigung bei der Umwelt-Task-Force. Kurzum, die jungen Leute mussten zwischen einer Arbeit, freiwilliger Weiterbeziehungsweise Ausbildung oder gemeinnütziger Arbeit wählen. Aber es gab keine fünfte Option („There is no fifth option!“), nämlich ein Leben auf der Grundlage staatlicher Transferzahlungen. Einem jungen Sozialhilfeempfänger wurden die staatlichen Hilfeleistungen um 40 Prozent gekürzt, wenn er sich für keine der vier Optionen entscheiden wollte. aa) Interview mit einem Arbeitsmarktexperten An dieser Stelle soll ein Experte für Arbeitsmarktpolitik an der London School of Economics zu Wort kommen. Das Interview fand im Frühjahr 2002 statt.197 Er stellte klar, dass der New Deal nicht die Schaffung neuer Arbeitsplätze im Sinne öffentlicher Beschäftigung zum Ziel hatte. Das wies die Labour Regierung ausdrücklich zurück. Der Fokus ihrer Politik lag in der Stärkung der Angebotsseite des Arbeitsmarktes und in der Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit („Employability“) der Menschen. Das richtete sich auf unterschiedliche Beschäftigtengruppen, auf junge Leute, ältere, auf Familien ohne Arbeit. Für Außenseiter sollten Zugangsmöglichkeiten geschaffen werden. Außenseiter, das sind Langzeitarbeitslose, junge Menschen mit geringen Fähigkeiten und geringen Arbeitserfahrungen, also Menschen, die auch bei einer stark wachsenden Arbeitsnachfrage keine Arbeit finden würden. Der New Deal für junge Leute wurde in einer Phase starke wachsender Nachfrage nach Arbeitskräften etabliert – und war unter dieser Bedingung ein wirksames arbeitsmarktpolitisches Instrument. In Zeiten eines konjunkturellen Abschwungs und vermehrter Arbeitslosigkeit könnte sich die Strategie, die Beschäftigungsfähigkeit zu stärken, als zu optimistisch erweisen. Aber es geschah folgendes: Es wurde nicht nur die Zielgruppe erweitert, sondern man hat die Institutionen geändert und die Arbeitsverwaltungen („Employment Service“) mit den Sozialämtern („Benefit Agency“) zusammengefasst. Fraglich ist, ob erfolgreiche Programme für eine eng definierte Zielgruppe wie der New Deal für Alleinerziehende („Lone Parents“) auf andere Gruppen ausgeweitet werden können. Skepsis schien angesichts der Erfahrungen mit dem „One Service“ angebracht, der unterschiedliche Verwaltungstätigkeiten zusammenfasste. Es gehört zu den Glaubenssätzen der Arbeitsmarktreformen, dass Instrumente aus Staaten mit anderen 197

Vergleiche Interview GB 8 (2002).

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Arbeitsmarktkulturen ohne weiteres importiert werden können. Zumindest gab es keine Erfahrungen, dass ein solcher Import funktioniert. Der Arbeitsmarktwissenschaftler formulierte eine wichtige Bedingung für die Förderung der Beschäftigungsfähigkeit: Temporäre Beschäftigung sollte an das Vorhandensein von öffentlichen Gütern, sprich im Zweifelsfall öffentlich geförderter Arbeit, gebunden werden. Öffentlich geförderte Arbeit zum Beispiel in Umweltbereich ist aber an vielen Orten nur unzureichend verfügbar. Oft ist gerade in Landstrichen mit hoher Arbeitslosigkeit die Umweltqualität schlecht. Es gibt also einen Bedarf an öffentlicher Arbeit zumal öffentliche Dienstleistungen in solchen Regionen oftmals überlastet sind. Unter dieser Voraussetzung, dass die Förderung von „Employability“ mit dem Vorhandensein oder der Schaffung öffentlicher Güter verknüpft sein muss, werden Arbeitsmarktprogramme sehr teuer. Arbeits- und Sozialämter wurden zusammengefasst, aber Arbeitsämter waren früher Teil von Bildung und Beschäftigung und es ist nicht klar, auch den Politikern nicht, welche Funktion Bildung und Ausbildung in einem erweiterten Sektor von angebotsorientierten Arbeitsmarktprogrammen haben sollen. Offensichtlich gibt es ziemlich große Gruppen von 30-, 40- und 50-Jährigen, die Produkte einer systematischen Fehlentwicklung im Bildungssystem Großbritanniens sind. Ihre Wettbewerbsfähigkeit auf dem Arbeitsmarkt ist begrenzt, zumal jüngere Leute bei einfachen Tätigkeiten weitaus attraktiver für Unternehmer sind. Viele dieser Menschen waren in Jobs beschäftigt, die es nicht mehr gibt. Deshalb ist es wirklich ein großes Problem, wie Fortschritte beim Aufbau von Qualifikationen, der Weiterbildung und der erneuten Qualifizierung, dem so genannten „re-skilling“, zu erreichen sind. Soziale Sicherheit ist nicht länger eine Priorität der Arbeitsmarktpolitik. Die Regierung glaubte stark daran, dass sie, „by integrating taxes and benefits“, ein neues, zielgerichteteres und effektiveres System schaffen konnte. Dabei gab es ein Problem. Man musste die Biografie der Menschen berücksichtigen. Solange man dies nicht tat, schob man die Menschen nur zwischen Jobs und Arbeitslosigkeit hin und her. Es konnte passieren, dass ein Mitarbeiter eines Arbeitsamtes sechs Mal in drei Jahren auf dieselbe Person traf und jedes Mal als neuer Fall auftauchte. Die Sozialversicherung gab den Arbeitslosen zumindest eine Geschichte. Nach Auffassung des Arbeitsmarktwissenschaftlers der London School of Economics war es unklar, ob das neu eingeführte System der Labourregierung dies tat. Und es gab auch folgenden Schwachpunkt: In einem aktiven Arbeitsmarktprogramm konnten Arbeitslose leicht in eine Arbeit geschickt werden. So ließen sich große Vermittlungszahlen erzielen, indem man sie in irgendwelche, nicht weiter qualifizierte Arbeitsplätze schickte. Die Menschen in den Maßnahmen drohten in eine Sackgasse zu geraten. Für jemanden, der in einen Job geschickt wurde, der zum Beispiel aus einer Kombination aus Mindestlohn und geringen Investitionen der Arbeitgeber in Weiterbildung bestand, brachte diese Beschäftigung aber keine Perspektive. Es müsse aber darum gehen, den Menschen nicht nur Arbeit zu geben, sondern auch durch die Arbeit ihr Humanvermögen zu verbessern. Das ist sehr schwer zu machen. Es ist all-

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D. Angebotsmacht der Arbeit in Frankreich und Großbritannien

gemein bekannt, dass gering qualifizierte Arbeitslose von „Vocational Training“, Weiterbildungsmaßnahmen, nur schwer zu überzeugen sind, weil viele von ihnen die „habits of work“, die Arbeitsfähigkeiten und -gewohnheiten, einfach vergessen oder verloren haben. bb) Das Mindesteinkommen Um für die Beschäftigten ein Mindesteinkommen zu garantieren, führte die Labour-Regierung 1999 erstmals einen gesetzlichen Mindestlohn ein. Anfänglich lag der Mindestlohn bei umgerechnet 5,29 Euro pro Stunde für Arbeitskräfte, die älter als 22 sind. Er stieg im Jahr 2006 auf 7,36 Euro. Hiervon profitieren laut der Low Pay Commission, von der schon die Rede war, voraussichtlich 1,3 Millionen Menschen. Niedrigere Mindestlöhne existieren auch für unter 22jährige sowie für ältere Angestellte während der ersten sechs Monate in einem neuen Job, wenn gleichzeitig eine Weiterbildungsmaßnahme belegt wird. Großbritannien verlangte ein Minimaleinkommen von monatlich 1.197 Euro, um die staatlichen Lohnergänzungsleistungen für bedürftige Familien in überschaubarem Rahmen zu halten. Frankreich subventionierte die Mindestlöhne, indem den Arbeitgebern ein Teil der Sozialversicherungsbeiträge erstattet wird. Um bestimmte Gruppen von Arbeitnehmern für die Unternehmen nicht zu teuer und unattraktiv zu machen, sind die Mindestlöhne zudem fast überall stark abgestuft. In Großbritannien können Neueingestellte mit Bedarf an Qualifizierungsmaßnahmen ein halbes Jahr lang geringer entlohnt werden. Wie verbindlich eine Mindestlohnregelung ist, hängt davon ab, ob ihre Einhaltung kontrolliert wird und ob ein Verstoß in irgendeiner Form zu ahnden ist. Dafür existiert in Großbritannien keine eigene Kontrollbehörde, dort urteilen Zivil- und Arbeitsgerichte – aber erst bei einer Klage. In Deutschland hat die Zollbehörde ein Auge darauf, ob sich Arbeitgeber an das Entsendegesetz halten. Andernorts gibt es meist eigene Aufsichtsbehörden für das Arbeitsrecht und den Arbeitsschutz. Bei Verstößen sehen die meisten Länder auch Geldstrafen vor. Das Strafmaß schwankt beträchtlich. Großbritannien verlangt bei unterschrittenem Mindestlohn pro Tag und Arbeitnehmer 7,20 Pfund – das kann schnell teuer werden. Frankreich ahndet einen Verstoß mit höchstens 1.500 Euro. cc) Strategische Kommunikation der Arbeitsmarktreformen Die Regierung Blair kommunizierte die Arbeitsmarktreformen unter dem Titel des „Third Way“, des dritten Wegs. Diesen Begriff hatte Anthony Giddens, der ehemalige Direktor der „London School of Economics“, geprägt. Er wies damit New Labour den Weg zwischen dem Neoliberalismus der Thatcherregierung und den klassischen Positionen der alten Sozialdemokratie. Ein Direktor eines Londoner Think Tanks vertrat jedoch die Auffassung, dass er in der Praxis von New Labour keine große Bedeutung hatte. Vier Jahre nach seiner Wahl zum Premierminister

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sprach Tony Blair von einer zweiten Phase des „Third Way“, in der stärker auf die strategischen Akteure eingegangen werden sollte. Die Rede war nun von einer neuen Rolle für kollektives Handeln, das heißt für nationales und lokales Handeln, für freiwillige und Gemeindeorganisationen sowie Gewerkschaften, das die Interessen der Individuen voranbringen sollte. Solches Handeln sollte den Individuen helfen, ihre Möglichkeiten auszuschöpfen und ihre Verantwortung zu erfüllen. 198 Interessanterweise besaß der „Third way“ in Großbritannien nie die Bedeutung, die er zum Beispiel in Deutschland für die „Neue Mitte“ Gerhard Schröders hatte. Für die Politik von New Labour waren letztlich konkrete Wahlaussagen wichtiger als die Kommunikation ihrer neuen politischen Grundsätze. Der „New Deal“ war weitaus mehr als eine Maßnahme der Arbeitsmarktintegration. Er war gleichzeitig das Vorzeigeprojekt von New Labour. Nach Auffassung von New Labour hat der traditionelle Wohlfahrtsstaat eine „Abhängigkeitskultur“ geschaffen, die den einzelnen Bürger der Verantwortung für sein Schicksal und sein Einkommen entwöhnt hat. Steigende Sozialleistungen reduzieren keineswegs die Ungleichheit in der Gesellschaft und die Zahl der Empfänger von Sozialleistungen. Soziales Ausgeschlossensein lasse sich deshalb am besten durch die Integration der bisher Ausgeschlossenen in den Arbeitsmarkt überwinden. Im Grünbuch „New Contract For Welfare“ schlug der ehemalige Minister für Wohlfahrtsreform Frank Field 1998 vor, scharf gegen Wohlstandsbetrüger vorzugehen, die staatliche Kinderbetreuung für mittellose Arbeitnehmer zu verbessern, den Abstand zwischen staatlichen Leistungen und dem untersten Lohnniveau zu vergrößern sowie Beratungsleistungen für Sozialleistungsempfänger zu verstärken. Außerdem sollten die Leistungen für Behinderte überprüft werden, weil sie sich in den letzten zwanzig Jahren vervierfacht hatten und die Vermutung eines massiven Missbrauchs nahe legten. Die statistischen Daten zu den „Welfare To Workfare“-Programmen zeigen, dass auch kurzfristige Maßnahmen erfolgversprechend sein konnten. Allerdings hat das Programm für junge Arbeitslose aufgrund seiner „There is not fifth option“–Klausel und den darin steckenden Zwangsmomenten zu kontroversen politischen Diskussionen geführt. Umstritten ist der Einsatz von „compulsory elements“, das heißt Zwang, wenn die angebotenen vier Optionen nicht genutzt werden. Mehrheitlich fand die „no fifth option“-Klausel Akzeptanz. Auch beim TUC. Der argumentierte, dass sich dieser Zwang im Ergebnis für viele Arbeitslose und sozial Schwache als erfolgreich erweisen könne. Bei vielen politischen und wissenschaftlichen Beobachtern herrschte der Eindruck vor, dass es in erster Linie um ein wirkliches Qualitätsprogramm („a quality programme“) und nicht um Zwangmaßnahmen gegen junge Arbeitslose ging. Es mag sein, dass der Machtverlust der Gewerkschaften zu einer pragmatischen Neuorientierung auch in der Arbeitsmarktpolitik geführt hat, die innerhalb des Verbandes nicht unumstritten ist. Lange Zeit überwog der Widerstand gegen verpflich198

Vergleiche Blair (2001).

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D. Angebotsmacht der Arbeit in Frankreich und Großbritannien

tende Maßnahmen. Aber das ist gewiss nicht die ganze Wahrheit. In einem Gespräch mit einem Vertreter des TUC im Frühjahr 2002 wird auch klar gestellt, dass die Arbeitsmarktpolitik die Arbeitslosigkeit nicht sehr sensibel behandelt habe. Das galt auch für lokale Behörden, die Geld aus Europa und aus nationalen Programmen erhielten, aber nicht gut funktionierten. Der TUC-Vertreter äußerte jedoch kein Bedauern. Die Regierung wurde unterstützt, aber man war nicht mit allem einverstanden. Man versuchte seine Interessen unter den gegebenen Bedingungen durchzusetzen. Der Einstellungswandel wird am Beispiel des New Deal für junge Leute deutlich, insbesondere wenn es um den Grundsatz „There is no fifth option!“ geht. Traditionell war man im TUC gegen „compulsory programs“ eingestellt. Aber es hat ein Abwägungsprozess der Güter stattgefunden und man ist zu der Auffassung gelangt, dass es insgesamt ein Programm ist, das die Situation von arbeitslosen jungen Leuten verbessert. 199 Unklar ist die Antwort auf die Frage, wie weit der Grundsatz der Aktivierung („Arbeit für die, die arbeiten können. Sicherheit für die, die nicht arbeiten können.“) tatsächlich trägt und ob nicht Menschen mit signifikanten Unfähigkeiten oder anderen Benachteiligungen ungerecht behandelt werden – insbesondere in Zeiten, in denen ein hoher Beschäftigungsstand nicht zu erreichen ist. Dahinter steht die Frage, ob wirklich alle Menschen mit all ihren unterschiedlichen Fähigkeiten und Qualifikationen in einen Arbeitsmarkt integriert werden können.

199

Vergleiche Interview GB 3 und GB 5 (2002).

E. Die Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit I. Fortschritt und qualitatives Wachstum Fortschritt bedeutet mit Blick auf die Zukunft der Arbeit Widerstandsfähigkeit gegen Krisen. Europäische Gesellschaften wie Deutschland, Frankreich und Großbritannien müssen ihre Fähigkeit vervollkommnen, auf die wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen im Inneren und von außen mit der Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit zu reagieren und ihre Anfälligkeit gegen Rückschläge zu verringern. Zumindest gegen jene Art von Rückschlägen, die aus Reaktionsschwächen und Marktfehlern resultieren wie bei Innovationen oder im Bildungssystem. Positiv formuliert: Gesellschaften mit innovationsstarken Unternehmen und entsprechend gut qualifizierten Menschen können besser auf die Herausforderungen der globalen Konkurrenz um Produkte und Dienstleistungen reagieren und damit Rückschläge vermeiden als weniger innovative Gesellschaften mit gering qualifizierten Menschen. Staaten und Unternehmen, die intensiv in Ausbildung, Forschung und Entwicklung investieren, erweisen sich als deutlich krisenresistenter als andere. Der amerikanische Ökonom Robert Barro 200 hat das Wirtschaftswachstum verschiedener Staaten über lange Zeiträume untersucht. Er stieß dabei auf Übereinstimmungen zwischen den Summen, die eine Nation in Forschung, Ausbildung und Schulwesen steckte und dem langfristig erzielten Wirtschaftswachstum, das wiederum zur Entwicklung neuer prosperierender Generationen beitrug. Unternehmen, die diese Ansicht teilen, setzen nicht mehr auf Größe schlechthin und die kurzfristige Erhöhung der Marktanteile. Für sie sind die Qualität ihrer Ideen und der daraus entspringende Mehrwert wichtiger. Das stellt ein Wachstum in Frage, dass sich vor allem am „Mehr“ und „Größer“ ausrichtet. Ein Beispiel für die begrenzte Orientierung am reinen Wachstum sind viele Unternehmensfusionen. Fusionen schaffen auf den ersten Blick Klarheit, bringen die Innovationsfähigkeit der Konkurrenz an Bord und sorgen für ein stabiles Wachstum. Doch gemessen an dem Anspruch gehen fast 70 Prozent aller Fusionen schief. Ein Beispiel dafür liefert die Fusion von Hewlett-Packard mit Compaq im Jahr 2002. Hewlett-Packard war das erste und nobelste Unternehmen des Silicon Valley und jahrzehntelang eine entscheidende Triebkraft für den technologischen Erfolg der amerikanischen IT-Industrie. Compaq wiederum positionierte sich als hochwertiger PC-Hersteller. Zwar konnte die damalige HP-Chefin Carly Fiorina nach anfänglich gewaltigen Verlusten mit einem großen Umsatzplus bei Digitalka200

Vergleiche Barro und Sala-i-Martin (2004).

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E. Die Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit

meras und Druckern aufwarten. Doch bei Services, wo das meiste Geld verdient wird, blieb das Wachstum des Unternehmens hinter der Konkurrenz zurück. Auf jeden Fall deutlich zu wenig, um die Milliardenfusion zu rechtfertigen. Bei Fusionen droht immer eine Gefahr: Die wissensorientierten und profitablen Unternehmenseinheiten sind bei den Groß-Fusionären am wenigsten entwickelt. Der Grund liegt darin, dass sich die Fusionäre nach einer „Hochzeit“ weniger der Konkurrenz ausgesetzt fühlen als zuvor. Denn sie haben sich den Wettbewerber einverleibt. Die Folge: Der einstige Druck, möglichst gut zu sein, erlahmt. Konzerne stärken nach Fusionen die Vertriebs- und Produktionseinheiten und lassen Forschung und Entwicklung, verkümmern. 201 Wenn die Fähigkeit von Unternehmen zu Innovationen für den Fortschritt und die Fortschrittsfähigkeit so wichtig ist, erscheint es sinnvoll, den größeren Zusammenhang anders zu benennen. In der Vergangenheit hat man beispielsweise versucht, ein nur auf Geld, Größe und Masse bauendes Wachstum von einem qualitativen Wachstum zu unterscheiden, das Nachhaltigkeit und Ökologie einbezieht sowie Fragen des Sozialen berücksichtigt. Heute erscheint eine Politik der Fusionen, wie sie soeben beschrieben wurde, eine Fortsetzung der Tradition des quantitativen Wachstums. Ihr soll ein zeitgemäßes Verständnis von qualitativem Wachstum und des Fortschritts entgegen gesetzt werden. Beide haben eine Gesellschaft mit einer entwickelten Wirtschaft und Kultur zur Voraussetzung. Das ist aber, wie wir gesehen haben, nur bedingt der Fall. Deshalb verlangt qualitatives Wachstum, dass die Angebotsmacht der Arbeit, dass Innovationen, Bildung und Partizipation ausgebaut werden müssen. Die Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit kann an die neue, qualitative Faktoren betonende Wachstumstheorie, die Theorie endogenen Wachstums, anknüpfen. 202 Sie setzt auf das Wissen und die Fähigkeiten der Menschen. Nach Auffassung eines Vertreters dieser Theorie, Stanford-Professor Paul Romer, gibt es prinzipiell keine Grenzen des Wachstums, solange Wissen seine Grundlage ist. Es geht darum, intelligenter und schneller zu sein. Die alten Eckpfeiler des Industriekapitalismus und seiner Schwerindustrie, mehr quantitatives Wachstum, mehr Rohstoffe und mehr Kapital, verlieren an Bedeutung. Heute treiben Ideen die Ökonomie voran. Wissen wird zur Angebotsmacht, die über den Erfolg von Branchen und die Überlebensfähigkeit von Gesellschaften entscheidet. Es kommt auf die Kenntnisse und Fertigkeiten, das Know-how Einzelner und ihrer Zusammenarbeit mit anderen an. Das so genannte Humankapital, eine Angebotsmacht, ist letztlich unerschöpflich. Forschung und Bildung sind die neuen Wachstums- und Entwicklungsmotoren. Anders als in den klassischen Wachstumstheorien, die den Staat ausklammerten, kann die neue auf ihn als Steuerungsinstrument nicht verzichten. Dieses Verständnis von Fortschritt und Fortschrittsfähigkeit wirft die Frage nach der Rolle des Staates und der Unternehmen und Branchen auf. Dafür ist womöglich 201 202

Vergleiche Lotter (2003). Vergleiche Aghion/Howitt (1998).

I. Fortschritt und qualitatives Wachstum

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irreführend nach „neu“ und „alt“, Dienstleistung und Industrie, neuen Branchen und alten Branchen, neuen Unternehmen und traditionellen Unternehmen zu unterscheiden. Es wird noch zur Sprache kommen, dass auch traditionelle Unternehmen durchaus zu den sehr innovativen zählen können. Innovative Firmen mit Unternehmenskulturen, die das Können ihrer Beschäftigten nutzen, müssen nicht notwendigerweise „dot.coms“ sein. Sie können zum Teil eine lange und erfolgreiche Familientradition haben. Ähnlich differenziert sollten Subventionen und Industriestandorte beurteilt werden. Wie gesellschaftlicher Fortschritt und Innovationen gefördert werden können, ist eine berechtigte und vieldiskutierte Frage. Es geht aber am Kern des Problems vorbei, wenn man pauschal Subventionen und Förderungen für Industriestandorte in Frage stellt und allein Investitionen in Bildung, Forschung und Weiterbildung fordert. Wichtiger als die Unterscheidung von „alt“ und „neu“ ist die Frage der Lernfähigkeit und Zukunftsrelevanz. Das sollten die entscheidenden Kriterien für die Förderung sein. Während sich in Großbritannien die Dienstleistungsbranche zu einem eigenen Sektor entwickelt hat, durchdringen und befruchten sich in Deutschland Industrie, Wissen und Dienstleistungen. Diesen Zusammenhang bringt die Verwendung des Begriffes der wissensindustriellen Gesellschaft zum Ausdruck. Deutschland ist eine wissensindustrielle Gesellschaft. Auch eine vermeintlich traditionelle Branche wie die Stahlindustrie vollzieht den Wandel zur wissensindustriellen Gesellschaft. In einem Stahlunternehmen verdreifachte sich in den vergangenen 20 Jahren der Anteil der Ingenieure von 2,7 auf 7,2 Prozent. Es bildet Nachwuchs in 35 Ausbildungsberufen aus. Es erhöhte die Investitionen in betriebliche Bildung, der Anteil der Facharbeiter ist mit 58 Prozent überdurchschnittlich hoch. Diese Investitionen ins Humankapital steigerte die Produktivität erheblich. Zum Vergleich: Während ein deutscher Stahlwerker jährlich über 600 Tonnen Rohstahl produzierte, kam sein polnischer Kollege nur auf 160 Tonnen. 203 Ein solcher Vorsprung hat Voraussetzungen. Er fordert den aktiven Einsatz jedes einzelnen Beschäftigten und er verlangt, dass beim Austausch mit Kunden auch die Erfahrungen der Anwender, in diesem Fall der Stahlkocher berücksichtigt werden. Kurzum, wer hochwertige Produkte herstellen will, ist auf unternehmerisches Denken und innovative Kooperationsformen auf allen Betriebsebenen angewiesen. Ähnlich Prozesse können wir auch in vielen mittelständischen Unternehmen beobachten, zum Beispiel in der Maschinenbauindustrie. Durchdringen heißt in diesem Fall: voneinander lernen. Das andere Kriterium ist die Zukunftsrelevanz. Der Sinn von Subventionen, das zeigen etwa die Erfahrungen der IG BCE mit dem Steinkohlenbergbau, kann in ihrem Beitrag zu einer sicheren Energieversorgung liegen. Subventionen werden nicht allein danach beurteilt, ob sie Arbeitsplätze erhalten. Sie werden auch an ihrem ordnungspolitischen Sinn gemessen, nämlich an der Frage, ob die Energieversorgung Deutschlands bei nüchterner Betrachtung ohne den

203

Vergleiche Großmann (2004).

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E. Die Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit

Energieträger Steinkohle auskommen kann. Aus diesem Blickwinkel muss deshalb auch der im August 2007 gefasste Beschluss des Bundeskabinetts zum Steinkohlefinanzierungsgesetz gesehen werden. Danach ist „die Beendigung des subventionierten Bergbaus nicht unwiderruflich.“ Diese Klausel erlaubt auf eine veränderte Situation bei Energiebedarf und -sicherheit zu reagieren.

II. Die Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit 1. Innovationen Innovationen sind die Lokomotive für eine Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit. Innovationsstarke Unternehmen ziehen nicht nur Unternehmen aus der zweiten oder dritten Reihe mit sich, sondern den gesamten Prozess gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Entwicklung. Gleichzeitig sind sie auf den Prozess der Arbeit in zweifacher Weise angewiesen – als entscheidendem Ideengeber und Umsetzer. Dieses Szenario unterscheidet sich von vorwiegend quantitativ ausgerichteten Wachstumsansätzen. Innovationen bedeuten aber immer auch: Sie lösen ein Problem. Und das ist eine Alternative zu Krisenstrategie des Kostensparens und Beschäftigungsabbaus. a) Innovationen, Märkte und Konsumenten „In der Vergangenheit verband sich das Prädikat >Made in Germany< in der Chemie mit den großen weltweiten Produkterfolgen auf dem Gebiet der Farben, der pharmazeutischen Produkte, der großen technischen Synthesen, der Kunststoffe. (…) Zu Beginn des 21. Jahrhunderts bieten sich in der Chemie wieder Chancen vergleichbaren Ausmaßes auf dem Gebiet der Biotechnologie und der Nanotechnologie.“ 204 Dem ist zuzustimmen. Die Linke muss in Sachen Innovationen mehrere Dinge tun. Zum einen muss sie eine Innovationspolitik fördern, die Innovationsmärkte stärkt. Sie muss auf das rechte Maß für die staatliche Regulierung von Risiken hinwirken und staatliche Mittel für Forschung und Entwicklung fordern. Sie muss aber auch ein marktvermitteltes Leben strategisch kommunizieren – darüber wird noch ausführlich zu sprechen sein. Für die Förderung von Innovationen geben die Empfehlungen zur Marktregulierung des ZEW und des DIW 205 wichtige Hinweise. Innovationspolitik sollte die Bedeutung der Nachfrage und der Marktgegebenheiten als wichtige Triebkräfte der Innovationstätigkeit und der internationalen Erfolge mit Innovationen verstärkt beachten. Viele Lead-Markt-Faktoren lassen sich direkt oder indirekt durch politische Maßnahmen beeinflussen und verbessern. Die Politik sollte die Lead-Markt-Position 204 205

Voscherau (2004), S. 151. Für die folgenden Ausführungen vergleiche ZEW/DIW (2004).

II. Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit

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einer Branche berücksichtigen: Es macht einen bedeutenden Unterschied, ob Unternehmen einer Nachfrage nach Innovationen gegenüberstehen, die ihnen eine starke internationale Wettbewerbsposition verschafft, oder ob die heimische Nachfrage eigene Wege geht, oder ob Innovationen nahezu ausschließlich Technik getrieben sind. Innovationspolitik muss die Lead-Markt-Eigenschaften sichern, Lag-MarktBranchen unterstützen und nachteiligen regionalen oder lokalen Nachfragestrukturen entgegenwirken. Es gibt zwei Akzentsetzungen. Die Lead-Markt-Branchen sollten auch für harten Wettbewerb genügend Stabilität und Leistungsfähigkeit besitzen. Die Entscheidung für eine Strategie der nationalen Champions muss berücksichtigen, dass damit keine zu hohe Konzentration und folglich Wettbewerbsverzerrungen einhergehen. Empfehlenswert ist in beiden Fällen die Vermeidung von Handelshemmnissen, die internationale Vereinheitlichung von Standards, aber auch die Erleichterung von Direktinvestitionen in beide Richtungen. ZEW und DIW empfehlen in den so genannten Lag-Markt-Branchen, dass die Politik es Unternehmen erleichtern soll, als „fast follower“ schnell auf Entwicklungen im Ausland zu reagieren. Dies erfordert eine international orientierte Innovationspolitik, die die Übernahme von Designs aus dem Lead-Markt der Branche unterstützt. Insbesondere für kleinere Unternehmen muss die Technologieadoption des ausländischen Innovationsdesigns vereinfacht werden. Innovationspolitik sollte ganz bewusst auf die Förderung lokaler Techniken und Insellösungen verzichten. So wird verhindert, dass idiosynkratische Innovationen entwickelt werden, die das Weltmarkt-Design später verdrängt. In Bezug auf so genannte „idiosynkratische Märkte“, die auf Nachfrager mit regionalen oder lokalen Besonderheiten angewiesen sind, muss die Politik unvorteilhaften Nachfragestrukturen entgegenwirken. Dies kann geschehen, indem sie nationale Regulierungen lockert oder an LeadMärkten ausrichtet. Doch dagegen verstößt die Politik noch allzu häufig. Zu leicht ist sie zugunsten nationaler oder regionaler Interessen großer Unternehmen bereit, auf die strikte Beachtung der Wettbewerbsregeln zu verzichten. Gern unterstützt sie auch nationale Lösungen, selbst wenn für diese Branchen der deutsche Markt kein Lead-Markt ist. Der Grund für eine solche Politik liegt häufig in kurzsichtigen Lösungen für aktuelle Probleme, wie etwa der Sicherung von Arbeitsplätzen. Auf lange Sicht werden sie allerdings mit noch größeren Nachteilen erkauft. Ein Beispiel für eine ins Leere laufende Innovationspolitik ist das Ruhrgebiet: Hier wurden viele einzelbetriebliche Innovationen angestoßen, es entstand eine breite Infrastruktur, auch und gerade für kleine und mittlere Unternehmen. Aber alle Innovationen zusammen haben den wirtschaftlichen Rückstand des Ruhrgebietes gegenüber anderen Regionen Nordrhein-Westfalens nicht verringern können. Deshalb kommt es im Zusammenspiel der verschiedenen Einrichtungen und Akteure auf das Auslösen einer Eigendynamik an, die den entscheidenden Modernisierungsschub für das Ruhrgebiet auslöst. Die Liberalisierung ehemaliger staatlicher Monopole wie Telefon, Post, Bahn oder Entsorgungswirtschaft und die Entstehung neuer Technologien wie beispiels-

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E. Die Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit

weise der Biotechnologie haben neuen Regulierungsbedarf geschaffen. In seiner Ausgestaltung richtet er sich häufig auf den Schutz von Mensch und Natur vor den Risiken wirtschaftlicher Aktivität. Doch gerade in den innovativen Wirtschaftsbereichen wie etwa der Biotechnologie liegen oft die größten Risiken und die höchsten Chancen eng beieinander. Man sollte sich der Chancen nicht berauben, indem man in erster Linie die Risiken thematisiert. Die Regulierung sollte mehr an den Chancen orientiert sein und die dynamischen Wirkungen der Regulierung auf die Innovationstätigkeit berücksichtigen. Denn wenn man die Risikoschwellen zu hoch ansetzt, werden sich Forschung, Entwicklung und innovative unternehmerische Tätigkeit in einem solchen Umfeld nicht mehr lohnen. Dies soll an zwei Beispielen erläutert werden, der modernen Biotechnologie und der Umweltgesetzgebung. Bislang standen bei den rechtlichen Rahmenbedingungen für die moderne Biotechnologie der Schutz des Menschen und der Umwelt im Vordergrund und weniger Anreize zur Förderung von Innovationen. Diese Haltung bestimmte auch die Novellierung des Gentechnikgesetzes im Jahr 2004. Es setzte praktisch negative Innovationsanreize für die grüne Biotechnologie in Deutschland. Denn gleichzeitig wurden die Abstandsregeln zwischen gentechnischem und konventionellem Anbau erweitert sowie die Haftung verschärft. Es war eine traditionell „europäische“ Risikovermeidungsstrategie – strenge Kontrolle a priori, hier durch Abstandsregeln – kombiniert mit einer traditionell „amerikanischen“ Risikovermeidungsstrategie – laxe Kontrolle a priori, dafür aber strenge Haftungsregeln. In der Konsequenz eliminiert sie quasi Anreize zu Forschung und Innovationen. Ebenso wenig berücksichtigte das Stammzellengesetz aus dem Jahr 2002 Innovationen fördernde Anreize bei der Regulierung der Forschung mit embryonalen Stammzellen in der so genannten roten Biotechnologie, das heißt der medizinischen Gen-Technik. Wenn aber die moderne Biotechnologie als Spitzen- und Schlüsseltechnologie gefördert werden soll, sollten wie in Großbritannien Schutzziele und Innovationsanreize kombiniert werden. Im Bereich der Umweltregulierung herrschte lange Zeit eine staatliche Standardisierungs- und Auflagenpolitik vor, die von „demand and control“ bestimmt war. In jüngster Zeit finden sich in der praktischen Gestaltung der Umweltpolitik Ansätze für eine stärkere Innovationsorientierung. Seit Mitte der 90er Jahre setzte die Politik zum Beispiel in der Klimapolitik verstärkt auf kooperative Maßnahmen wie der freiwilligen Selbstbeschränkung der Industrie. Das schuf Flexibilität und Raum für Innovationen. Allerdings muss der Verstoß gegen diese Selbstbeschränkung ernsthafte staatliche Sanktionen zur Folge haben. Innovationen fördern kann auch die stärkere Verwendung marktwirtschaftlicher Instrumente. Außer der Einführung der Ökosteuer ist vor allem der nun auf europäischer Ebene etablierte Emissionshandel für CO2-Zertifikate zu nennen. Er bietet Unternehmen Flexibilität und Innovationsspielräume bei der Erfüllung vorgegebener Umweltziele. Die im Kontext des Kyoto-Protokolls definierten Emissionsziele müssen allerdings weltweit Anwendung finden. Nur so lassen sich Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Standorten durch unterschiedliche Emissionsschutzkosten vermeiden. Generell wird es in Zu-

II. Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit

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kunft um eine bessere Politikkoordination der Umweltpolitik gehen, insbesondere mit der Forschungspolitik, die Innovationsprozesse von der Wissensgenerierung bis zur Diffusion unterstützt. Die Aktivitäten für Forschung und Entwicklung (FuE) von Wirtschaft und Staat sind eine wichtige Voraussetzung für Innovationsaktivitäten von Unternehmen. Die deutsche Innovations- und Forschungspolitik muss dazu beitragen, dass die FuE-Intensität Deutschlands im internationalen Vergleich hoch bleibt und somit die Investitionen in Wissen und zukünftige Marktchancen auf „wettbewerbsfähigem“ Niveau bleiben. Die staatlichen FuE-Ausgaben tragen einen nennenswerten Teil zur gesamtwirtschaftlichen FuE-Intensität bei. Seit 2000 ist hier allerdings eine Stagnation zu verzeichnen und ein immer kleinerer Teil dieser Mittel fließt als Unterstützung privater FuE-Aktivitäten den Unternehmen zu. Vor dem Hintergrund der internationalen Dynamik der FuE-Förderung empfiehlt sich eine Ergänzung des bestehenden FuE-Systems in Deutschland um ein indirektes, in die Breite wirkendes Instrument. Unabhängig von der technologischen Ausrichtung und Branchenzugehörigkeit sollte es auf die Gesamtheit der FuE treibenden oder in FuE einstiegsbereiten Unternehmen abzielen und ihnen einen einfachen Zugang bei gleichzeitig effektiver Förderung gewähren. Dabei sollten kleine und mittlere Unternehmen besondere Berücksichtung finden. Die Innovationspolitik in Deutschland muss die verschlechterte Finanzierungssituation von jungen Technologieunternehmen mildern. Dabei ist es sinnvoll, die öffentlichen Fördermittel auf die Förderung von Frühphaseninvestitionen zu begrenzen. Die Innovationspolitik muss aber auch die Finanzierungsbedingungen für neu gegründete Technologieunternehmen aus der Wissenschaft verbessern. Eine staatlich geförderte Wagniskapitalfinanzierung für „Spin-offs“, Ideen für Unternehmensgründungen aus der Wissenschaft, sollte ein breites Portfolio an Technologien und Märkten abdecken. Noch sind in Deutschland an etlichen Stellen Barrieren für die Innovationstätigkeit vorhanden. Es müssen Schritte zu ihrem Abbau in Angriff genommen werden. b) Innovationen, Unternehmenskultur und methodische Innovationskompetenz Die von Gerhard Schröder geführte Bundesregierung hatte 2004 zum Jahr der Innovation ausgerufen. In der Folge legte Wolfgang Clement, der damalige Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft, eine Liste mit Vorschlägen zur Entbürokratisierung vor. Die Große Koalition setzte diese Politik fort. Zum 1. Januar 2007 ist das Erste Mittelstands-Entlastungsgesetz (MEG I) in Kraft getreten. Danach wurde zum Beispiel die steuerliche Buchführungspflichtgrenze von 350.000 Euro auf 500.000 Euro angehoben. Am 7. September 2007 hat das Parlament den Entwurf eines Zweiten Gesetzes zum Abbau bürokratischer Hemmnisse beschlossen, insbesondere in der mittelständischen Wirtschaft (MEG II). Dieser Entwurf knüpft an das erste Mittelstands-Entlastungsgesetz an und sieht weitere Maßnahmen zur Vereinfachung

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E. Die Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit

oder Abschaffung von Informations- und Erlaubnispflichten vor. Das Ziel: Nennenswerte Einsparungen für die Unternehmen bei den Bürokratiekosten. Der Entwurf enthält folgende Kernpunkte: Er lockert die steuerlichen Bilanzierungspflichten, hebt die Gewinnschwelle von 30.000 Euro auf 50.000 Euro an, sodass künftig mehr Steuerpflichtige als bisher anstelle einer Bilanz eine Einnahmenüberschussrechnung erstellen können. Bislang erforderliche Auskunftsanträge für Daten aus dem Gewerberegister entfallen künftig ganz oder werden vereinfacht. Außerdem entfallen für Existenzgründer in den ersten drei Jahren eine Reihe statistischer Meldepflichten. Im „Jahr der Innovationen“ 2004 bündelte die Regierung Schröder die Aktivitäten für Innovationen. Die von ihr ins Leben gerufene Initiative „Partner für Innovationen“ hat die Vielzahl von Ansätzen der Öffentlichkeit ins Bewusstsein gerufen. Die Initiative wählte Unternehmen in Deutschland aus, die zu den besten Innovatoren ihrer Branche gehörten. Dies sind keineswegs nur „dot.coms“ oder neu gegründete Unternehmen im Umfeld neuer Technologien. Es gibt auch eine Vielzahl gut geführter traditioneller Unternehmen, die in keinem Verzeichnis der „100 innovativsten Unternehmen Deutschlands“ aufgelistet sein würden. Gleichwohl achten sie sehr auf eine optimale Abstimmung neuer Technologien, Organisation des Arbeitsprozesses und Qualifikationen. Aber selbstverständlich gibt es auch eine Vielzahl von Unternehmen mit Innovationsschwächen und schlechter Führung. An den veröffentlichten Erfahrungen und preisgekrönten Beispielen innovationsfreudiger Betriebe, die in der Initiative vorgestellt wurden, können sich wiederum innovationsschwächere oder innovationsschwache Unternehmen für ihre Lernprozesse ein Beispiel nehmen. Wenn Unternehmen offen für Anregungen von außen sind, können sie den Weg von „Open-Market-Innovationen“ gehen und Ideen importieren. Ein interessantes Beispiel dafür ist der Marktführer in der maschinellen Postbearbeitung in den USA, die Firma Pitney Bowes. Als mit Milzbrandbakterien verseuchte Briefe nach dem 11. September 2001 das Land verunsicherten und die Kunden von Pitney Bowes nach Schutzmaßnahmen vor einer womöglich unheilvollen Post verlangten, geschah Folgendes: Ein Team von Ingenieuren hörte sich in so unterschiedlichen Branchen wie der Lebensmittelverarbeitung und dem militärischen Sicherheitsdienst um. Nach wenigen Wochen kam es mit Ideen für neue Produkte gegen den Bioterrorismus zurück. Das könnte ein vorbildlicher Umgang mit dem hohen Informationsangebot der Gesellschaft sein. Mit dieser Verfahrensweise, die von Rigby und Zook „open-market Innovation“ genannt wird 206, können Unternehmen den Import und Export von Ideen dadurch steigern, dass sie systematisch ihre „Innovationsgrenzen“ für Anbieter, Kunden und sogar Konkurrenten öffnen. Generell hat das Internet den Weg zu Talentmärkten in der ganzen Welt geöffnet. Auf diesem Wege lassen sich gute Ideen aufspüren und in die Überlegungen der Firma einbeziehen.

206

Vergleiche Mejia (2006).

II. Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit

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Das ist ein Innovationsmodell, das Kapital aus den vielfältigen Verbindungen mit der Welt schlägt, um neue Ideen zu entwickeln. 207 Die Politik der Innovationen darf nicht konventionell betrachtet werden. Die Politik der Innovationen benötigt eine innovative Unternehmenskultur. Es gibt eine Reihe von gut geführten Unternehmen mit einer guten Tradition, die sich aber keinen modernistischen Anstrich geben. Sie besitzen ein hohes innovatives Potenzial, das sie unauffällig, doch kontinuierlich weiter entwickeln. Berater verwenden für solche Firmen den Begriff „hidden champions“, das heißt verborgene Meister, sie liefern das Gegenmodell zu all den Krisenunternehmen, die normalerweise die Schlagzeilen beherrschen. Zu diesen „verborgenen Weltmeistern“ zählt ein Autozulieferer aus Süddeutschland, der Schiebedächer und Standheizungen herstellt. Hier geht es familiär und bodenständig zu. Gleichwohl ist dieses Unternehmen mit einem Umsatz von fast 1,4 Milliarden Euro Weltmarktführer: Marktanteil 50 Prozent. Fast 6.000 Beschäftigte hat die Firma, davon ein Drittel in Deutschland. Der Kostendruck in dieser Branche ist mörderisch. Die Mitarbeiter geben in Befragungen dem Unternehmen dennoch regelmäßig gute Noten. Die Beziehungen zwischen Unternehmensleitung und Beschäftigten sind vertrauensvoll. Für die Angestellten wurden Stechuhren und damit die Vergütung von Überstunden abgeschafft. Die so genannte „Vertrauensarbeitszeit“ teilt sich jeder nach Gusto und gemäß den von ihm erwarteten Ergebnissen ein. Einsparvolumen beim Personal: 10 Prozent der Lohn- und Gehaltssumme. Dieses Familienunternehmen ist hochinnovativ, auf den Weltmärkten präsent und trotzdem von seinen Werten her sehr traditionalistisch, um nicht zu sagen antiquiert. Die Mitglieder der Inhaberfamilie sind dem Standort Deutschland verpflichtet. Sie genießen nicht allein ihren Reichtum, sondern sind mit einer Mischung aus Bescheidenheit und Bestimmtheit im Unternehmen präsent. Soll ein neues Entwicklungszentrum gebaut werden, kümmert sich die Familie selbst darum und finanziert es aus dem Privatvermögen. Statt Dividenden zu kassieren, beteiligt sie die Mitarbeiter am Unternehmenserfolg. Bei aller Bodenständigkeit ist das Unternehmen sehr international. 208 Ein anderes Unternehmen mit innovativer Unternehmenskultur verkauft Messtechnik, Funk-Kommunikation und Rundfunktechnik. Es gehört in seinem Bereich zur Weltspitze. Für den Erfolg des Unternehmens sind nach Auffassung des Firmenchefs eine Reihe von Gründen entscheidend: Die hohe Qualität der Mitarbeiter, die gezielte Innovationspolitik und die langfristige Strategie der Familiengesellschaft. Die Mitarbeiter werden als „wichtigstes Unternehmenskapital“ anerkannt, und zwar schon aus rein wirtschaftlichen Überlegungen, weil neue Ideen in den Köpfen der Menschen geboren werden. Maschinen könne sich jede Firma kaufen. Den Unterschied machen jedoch die beschäftigten Menschen. Die Unternehmens207 208

Vergleiche Mejia (2006). Vergleiche Knust (2004).

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E. Die Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit

kultur besteht aus flachen Hierarchien, offener Kommunikation, Teamarbeit und Fortbildung. Die Motivation der Mitarbeiter kann nicht verordnet werden. Sie entsteht aus der Identifikation mit dem Unternehmen und der Freude an der Arbeit. Es ist wichtig, dass der Firmenchef mit Ehrgeiz diese Kultur selbst vorlebt. Er verzichtet auf einen Chauffeur und besonders teure Dienstwagen. Aber Erfolge werden gemeinsam mit den Mitarbeitern gefeiert, etwa, als erstmals der Auftragseingang die Schwelle von einer Milliarde Euro überschritt. Ansehnliche Mittel wendet das Unternehmen für die Fortbildung auf. Fortbildung wird als „strategische Maßnahme“ für das Unternehmen betrachtet, aber auch als Angebot an die Mitarbeiter zur eigenen Weiterentwicklung. Das soll als Respekt vor der Leistung des einzelnen Mitarbeiters verstanden werden, und zwar unabhängig von seiner Position. Jeder soll die Möglichkeit haben, diese Position zu verbessern. Doch die Firmenkultur ist keine Arbeitsplatzgarantie: Die wirtschaftliche Entwicklung erforderte, die Produktion umzustrukturieren und dabei auch Personal abzubauen. Dennoch ist die Belegschaft gewachsen. Eng verbunden mit der Qualität der Belegschaft ist die hohe Innovationskraft des Unternehmens. Man setzt sich zum Ziel, einzigartige technische Beiträge zu leisten. Die Forschung und Entwicklung gilt als „wichtigste Zukunftsinvestition“ des Unternehmens. Dafür verwendet das Unternehmen mehr Mittel als die meisten anderen Firmen der Branche: 13 bis 15 Prozent des Umsatzes. Eine wesentliche Rolle spielt dabei die Nähe zur Produktion. Die enge Abstimmung zwischen Entwicklung und Fertigung ist außerordentlich wichtig. Bei den hochkomplexen Produkten und kleinen Serien des Unternehmens sei dies am günstigsten, betont der Firmenchef. Das langfristig angelegte Handeln der Familiengesellschafter ist ein dritter entscheidender Erfolgsfaktor. Sie denken nicht in Quartalen, sondern in vielen Jahren. Die Gesellschafterstruktur ermöglicht zudem schnelle und flexible Entscheidungen. 209 Ein weiteres Beispiel für Innovationen stammt aus einem Unternehmen, das den traditionellen Werkstoff Stahl verarbeitet. Innovationen wurden zum Beispiel auch im Umgang mit der Umwelt erzielt, dieses Unternehmen konnte seinen Wasserbedarf in den Jahren 1993 bis 2000 um 52 Prozent zu senken. Außerdem arbeitet es ständig an Prozessinnovationen. Sie finden nicht in abgeschirmten Forschungs- und Entwicklungsabteilungen statt: Auch die Arbeitnehmer in der Produktion gelten als „Entwickler“, die zusammen mit Kunden und Anwendern nach effizienteren Lösungen suchen. Bei dem Bau eines neuen Walzwerkes hat dieses Unternehmen nicht auf die Vorschläge des Herstellers gesetzt, sondern maßgeblich die Vorgaben aufgrund eigener Erfahrungen selbst geliefert. Die Facharbeiter betätigten sich als Konstrukteure. Sie griffen dafür auf ein Erfahrungswissen zurück, das man nicht an Hochschulen erwerben kann. Innovation in der Industrie verlangt kompetente Ingenieure, aber auch erfahrene und qualifizierte Facharbeiter: Ohne den hohen Anteil an Facharbeitern, der über 80 Prozent beträgt, wäre eine vergleichsweise problemlose Im-

209

Vergleiche Ludsteck (2004).

II. Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit

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plementierung des Walzwerks nicht möglich gewesen. Dem Unternehmen ist es offenkundig gelungen, ein Klima für eigenständiges Denken zu erzeugen und das kreative Potenzial ihrer Mitarbeiter optimal zu nutzen. So gibt es nur vier Hierarchieebenen für eine direkte Kommunikation zwischen „Entscheidern“ und Mitarbeitern. Gleichzeitig wurden die Mitarbeiter für mehrere Stellen im Betrieb ausgebildet. Als Allrounder arbeiten sie auch an anderen Standorten des Unternehmens. Darüber zahlt sich Leistung für die Mitarbeitern buchstäblich aus: Jedes Jahr werden 10 Prozent des Betriebsergebnisses an die Mitarbeiter ausgeschüttet.210 Innovative Unternehmen brauchen im Kern ihrer Unternehmenskultur eine methodische Innovationskompetenz. Dieser Begriff lehnt sich an Max Webers Konzept der methodischen Lebensführung an, der auf einer bestimmten inneren Einstellung, der „protestantischen Ethik“ beruht. Danach bestimmen spezifische Verhaltensmuster wie ein rastloses Erwerbsstreben das Handeln der neuzeitlichen Unternehmer der westlichen Welt. Zusammengenommen konstituieren sie ein regelrechtes „Ethos“. Dazu gehören auch die strenge Legalität hinsichtlich der Auswahl und Nutzung der Erwerbschancen, eine über den bloßen Buchstaben der Rechtsregeln hinausgehende „sittliche Redlichkeit“ gegenüber Geschäftspartnern, ein rational berechnendes, durch Kalkulation abgesichertes Handeln, welches stets gegenüber Effizienz steigernden Innovationen offen ist, die Abwertung des Konsums gegenüber dem Erwerb und die Unterordnung der eigenen Person unter die langfristigen Interessen des eigenen Unternehmens. Es geht um eine strenge und konsequente Lebensmethodik, die den Ansprüchen seines Unternehmens angemessen ist. Methodische Innovationskompetenz braucht dieses Ethos nicht. Aber sie fordert, dass der Einsatz der Arbeit für Innovationen methodischer werden muss. Die Rahmenbedingungen sind beschrieben worden: Das ist eine innovative Unternehmenskultur mit Zielen und Instrumenten wie einer hohen Qualität der Mitarbeiter, Motivation, Glaubwürdigkeit, Fortbildung, langfristig angelegtes Handeln und Vertrauensarbeitszeit als Ausdruck positiver Freiheit. Dazu gehört auch die Auswahl und Einstellung der passenden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, und zwar nach nicht-konventionellen Gesichtspunkten. Ferner der entsprechende Einsatz dieser Beschäftigten im Unternehmen. Die lebendige Arbeit soll in ihrer Mehrdimensionalität anerkannt, genutzt und bezahlt werden. Das führt zu einer erweiterten Einsetzbarkeit derjenigen, die zu Hochleistungen fähig sind, aber auch zu einer anderen Bewertung des Arbeitsvermögens von Behinderten, Akademikern, Ausländern, schwer vermittelbaren Jugendlichen und Älteren. Die Entwicklung der Innovationskompetenz lässt sich mit den Bemühungen verknüpfen, die „Kreativität“ der Unternehmen zu fördern. Das würde bedeuten, das Unternehmen kreativ mit Technologien und mit dem Wissen ihrer Beschäftigten umgehen. „Umgehen“ heißt in diesem Zusammenhang, dass die Führung selbst kreativ ist. „Managing creativity“, die Kreativität in eine Form zu bringen, die Un210

Vergleiche Grossmann (2004).

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E. Die Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit

ternehmen, Organisationen und ihren Beschäftigten nützt, so haben die Wissenschaftler Styhre und Sundgren praktische Erfahrungen aus der pharmazeutischen Industrie und aus Architekturbüros auf einen Nenner gebracht. Sie zeigen, dass die Führungsstile und die Einbeziehung der Beschäftigten samt ihrer Kompetenzen und Motivationen Kreativität und Innovationen fördern können. Der Begriff der Kreativität wird von ihnen nicht exotisch oder künstlerisch verwendet. Gemeint ist die Fähigkeit, andere Menschen zu inspirieren, so zu kommunizieren, dass Arbeit möglichst ohne Reibungsverluste getan wird. Kreative Führung heißt auch, dass es einen dynamischen Dialog mit den Beschäftigten gibt. Und vor allem: Sie muss die Beschäftigten dazu bringen, Courage und Selbstvertrauen zu entwickeln. 211 Organisatorische Kreativität fordert den Status quo heraus. Das tut auch die Entwicklung der Innovationskompetenz. Organisatorische Kreativität kann als Mittel für die Innovationskompetenz angesehen werden. Es geht darum, nicht nur neue Dinge zu planen und Projekte aufzulegen. Es geht auch darum, Kommunikation zu verbessern, Wissen zu teilen und neue Fähigkeiten zu entwickeln. Dazu gehören nicht zuletzt „rational persuasion“ und „political entrepreneurship“. c) Innovationen, die das Leben angenehmer und leichter machen Es geht nicht darum, alles zu tun, was technologisch möglich ist. Das entspräche einer Idee des technischen Fortschritts, wie sie das 19. und 20. Jahrhundert vertrat. Das technologisch Mögliche muss auch sinnvoll sein. Was aber ist dafür der Beurteilungsmaßstab? Es sind die Evidenzen, der offensichtliche Nutzen von Innovationen und die Überschaubarkeit ihrer Folgen. Neue Märkte, die auf Innovationen beruhen, betreffen die gesamte Breite des menschlichen Lebens. Erfinder und eine Reihe von Unternehmen arbeiten zum Beispiel daran, den Menschen neue Körperorgane zu verschaffen, die ihnen verloren gegangen sind oder, wie bei Gelenken, unter Verschleiß leiden. Dazu gehört zum Beispiel die sog. Ersatzteilmedizin. Wer bei Unfällen ein Bein oder eine Hand verloren hat, soll ein Kunstbein oder eine Kunsthand erhalten. Immer mehr Körperfunktionen lassen sich im Labor nachbilden: Fachleute verschalten Nerven mit Mikrochips und stellen Zellen im Reagenzglas her. Schon bald soll es möglich sein, blinde Augen sehend zu machen. Chirurgen der Universitäts-Augenklinik Tübingen arbeiten daran, Menschen eine künstliche Netzhaut einzupflanzen. Menschen, die vorher auf Taststock und Blindenhund angewiesen waren, könnten sich auch ohne Hilfe frei bewegen und möglicherweise mit einer Lupe lesen. Hüft- und Kniegelenke aus Titan, Blutgefäße und Herzklappen aus Kunststoff sind seit Jahrzehnten Standard. Jetzt steht die Ersatzteilmedizin vor dem nächsten großen Schritt, der Züchtung ganzer Organe. In spätestens zehn Jahren hofft die Wissenschaft mit Hilfe der Gen-Technik Knorpel, Knochen, Bänder und Sehnen züchten zu können und damit 211

Vergleiche Styhre/Sundgren (2005), S. 172.

II. Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit

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den Gelenkverschleiß stoppen zu können. Seit 2004 testen Forscher eine künstliche Bauchspeicheldrüse für Diabetiker. Haben sie Erfolg, brauchen Diabetiker eines Tages keine Insulinspritzen mehr. Schwerwiegende genetisch bedingte Gesundheitsprobleme lassen sich mit Hilfe der Stammzellenforschung heilen. Die Delphi-Studie zur Zukunft der Stammzellenforschung in Deutschland aus dem Jahr 2004 kam zu dem Ergebnis: Nach Auffassung von Fachleuten werden die meisten Grundlagenprobleme zu embryonalen und gewebespezifischen Stammzellen in den nächsten 11–20 Jahren gelöst sein. Die Forschung wird die praktischen medizinisch-therapeutischen Anwendungen der Stammzellenforschung wesentlich verbessern. Dazu einige Beispiele. Erste Einsatzmöglichkeiten für Stammzellentherapie werden bereits in sechs bis zehn Jahren in den Bereichen koronare Herzerkrankungen und Diabetes mellitus erwartet. Im gleichen Zeitraum könnte die Parkinsonsche Krankheit durch die Implantation von humanen embryonalen Stammzellen in das Gehirn gelindert oder sogar geheilt werden. Experten erwarten, dass die Behandlung von multipler Sklerose und die Regeneration der Nervenfasern bei Querschnittslähmungen in 11 bis 15 Jahren möglich sein werden. Machbar erscheint auch, in spätestens 11 bis 20 Jahren Morbus Alzheimer dank des Einsatzes humaner Stammzellen zu verhindern oder zu verzögern. Es gibt Bestrebungen, die Hygienebedingungen zu verbessern, um Krankheiten zu vermeiden; Es könnte der Eindruck entstehen, dass alle diese Probleme zumindest hygienetechnisch gelöst sind und es nur an den Menschen liegt, sie einzuhalten. Aber das ist nicht richtig. Ein großes Problem ist die Hygiene in Krankenhäusern. Die penible Hygiene bei Operationen geht auf den österreichisch-ungarischen Arzt Ignaz Philipp Semmelweis zurück. Er erkannte Mitte des 19. Jahrhunderts die Ursache des Kindbettfiebers: Es wurde von Keimen hervorgerufen, die Ärzte und Studenten mit ungewaschenen Händen auf die Gebärenden übertrugen. Semmelweis zwang daher sein Personal, sich vor jeder Geburtshilfe die Hände mit Chlorwasser zu reinigen. Der Erfolg war deutlich: In seiner Klinik in Wien sank die Sterblichkeit unter den Wöchnerinnen auf weniger als 1 Prozent. Trotzdem wurde er jahrelang von der Fachwelt geschnitten. Erst mit der Zeit erkannten die Forscher, dass Semmelweis Recht hatte. Gleichwohl bleibt die Hygiene in Krankenhäusern ein Problem. Der Dauerkontakt mit Medikamenten und Desinfektionsmitteln steigert die Widerstandsfähigkeit der Keime. Das Krankenhaus macht buchstäblich krank: Jährlich holen sich mehr als 600.000 Patienten in deutschen Hospitälern Lungenentzündungen, Harnwegserkrankungen und Wundinfektionen, schätzt das Robert-KochInstitut in Berlin. „Wir haben im Hygienebereich längst nicht ausgeforscht“, sagt auch ein Wissenschaftler am Institut für Hygiene und Mikrobiologie der Universität Würzburg. Der Neusser Medizinkonzern 3M zum Beispiel forscht seit über 50 Jahren an Verbänden, die Bakterien nicht durchlassen, sowie an speziellen Luftfiltern und Kathetern mit desinfizierenden Beschichtungen. Forscher arbeiten an elektronischer Kommunikation von Körper zu Körper. Der Mensch selbst wird Stromquelle und Übertragungskabel. Die Kommunikation zwi-

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E. Die Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit

schen den Menschen und ihren technischen Geräten lässt sich technisch durch Bluetooth, Videohandys, den Anschluss aller am Körper getragenen Geräte ans Ethernet verbessern. Funkkopfhörer mit Bluetooth-Geräten sind so winzig und raffiniert, dass sie am Ohr ihres Trägers oft kaum zu sehen sind. Der nächste Trend steht schon vor der Tür: Videotelefonie auf dem Handy. Solch eine Kommunikation könnte demnächst auf allen Kanälen an jedem Ort der Erde möglich sein. Aber auch über die mögliche nächste Netzform, das Evernet, wurde schon diskutiert. Als allgegenwärtige Zukunftsform des Internet soll es permanent bereitgestellt werden wie Strom und Wasser. Es soll drahtlos über mobile Kleinstcomputer jederzeit verfügbar sein, damit sich auch alle am Körper getragenen Geräte an das Evernet anschließen lassen. Es geht um eine Methode, Strom und Daten an Geräte zu liefern, die an den menschlichen Körper angeschlossen sind. Der Mensch wird so zum Stromkabel und zum Datenleiter seiner Technik, die er mit sich herumträgt. Eine Batterie am Gürtel schickt ihren Strom über die Haut zum Handy, zum Radio oder zum mp3-Spieler. Skurril erscheint die Vision, dass zwei sich treffende Menschen beim ersten Händedruck ihre elektronischen Visitenkarten austauschen oder die Daten mit ihren Lieblingsliedern übertragen. Zumindest aber ist das Online-Dating schon jetzt ein Riesengeschäft. Es könnte sein, dass das Video-Dating auf dem Handy ein noch größeres werden wird. Beim Video-Dating tauschen die Gesprächspartner neben Worten auch bewegte Bilder aus. In Zukunft würden sich Jugendliche in der Disko mit ihren Handys in Chatrooms einlinken und Leute kennen lernen, die an andren Orten feiern. Andere Wissenschaftler arbeiten intensiv daran, intelligente Trainingskleidung auf den Markt zu bringen. Ein Brüsseler Forschungsinstitut hat bereits einen Anzug entwickelt, der den Läufer darauf hinweist, wenn seine Kraft nachlässt. Die Schuhe analysieren zugleich den Laufstil, Sensoren messen Blutdruck, Puls, Körpertemperatur und Geschwindigkeit. Bei Fußballern könnten entsprechende Trikots dafür sorgen, dass der Trainer vom Rand des Platzes ihre Form überwacht und mittels eines eingebauten Handys Anweisungen erteilt. Forscher übertragen die Erkenntnisse der Kommunikationstechnik auf den Bekleidungssektor. Es könnte sein, dass so genannte. „Hightech-Fashion“ den Modemarkt revolutionieren wird. Entwickelt worden sind etwa ein Solaranzug, mit dem sich Handys aufladen lassen, oder eine Notrufjacke für Kinder. Sie trägt einen integrierten Satelliten-Sender mit GPS-Technik. Mit ihm können die Kinder geortet werden. Leuchtstoffe sorgen dafür, dass der Solaranzug auch bei Nacht zu sehen ist. Es gibt aber auch Jacken aus Materialien, die sich aufblasen lassen, um das Klima zu regulieren, oder die von selbst leuchten. In einem Gemeinschaftsprojekt haben der Elektronikkonzern Philipps und der Jeanshersteller Lewis kürzlich ein besonderes Stück vorgestellt: In eine Jacke sind Handy und mp3-Spieler eingearbeitet, eine integrierte Fernbedienung erlaubt das Umschalten zwischen den Geräten und das Bedienen eines kleinen Bildschirms. Zu den Innovationen, die das sexuelle Verhalten älterer Männer veränderten, gehört die Potenzpille Viagra. Damit wird ein grundsätzlicher Wandel des Lebens älterer Männer eingeleitet. Während die Antibaby-Pille eine neuartige Auffassung von Sexualität und Lust leb- und erlebbar machte, indem sie ungewollte Schwanger-

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schaften verhinderte, können Männer mit Viagra ihre Erektionsstörungen oder -unfähigkeit überwinden. Viagra und die Nachfolgepräparate Cialis und Levitra können, so der Sexualmediziner Volkmar Siegusch, eine einzigartige und kostbare therapeutische Bereicherung sein und Männern, deren Erektionsstörung psychisch und nicht organisch bedingt ist, helfen. 212 Der Erfolg dieser pharmazeutischen Innovation ist also von verschiedenen Bedingungen abhängig: von der richtigen Therapie und davon, dass die Ausweitung und Verlängerung des Sexuallebens gesellschaftlich akzeptiert ist und nüchtern betrachtet werden kann. d) Kulturkritik, innere und äußere Natur Innovationen sind mehr als nur gute Ideen oder gute Produkte. Als Innovationen gelten nur solche Produkte und Dienstleistungen, die auf dem Markt Erfolg haben und von den Konsumentinnen und Konsumenten angenommen werden. In Deutschland sind bei einer Reihe von Ideen oder Produkten Widerstände in der Gesellschaft ausgeprägt. Aber dies muss andererseits relativiert werden. Denn nahezu allen Gesellschaften bereitet die kulturelle Verarbeitung technischer Innovationen Mühen. Das zeigt sich in historischer Perspektive. 213 Für die Ablehnung von Innovationen gibt es unterschiedliche Gründe. Es macht einen Unterschied, ob die Ablehnung aus der Bevölkerung kommt, die in erster Linie an lebenspraktischen Fragen interessiert ist oder ob sie von der Linken ausgeht, die Innovationsfragen in einen gesellschaftlichen und historischen Zusammenhang stellt. Die Bürgerinnen und Bürger lehnen Innovationen oft ab, weil sie darin keinen neuen Nutzen erkennen können. Für das Jahr 1968 wissen wir, dass 80 Prozent aller Produkte floppten, die in den USA auf den Markt kamen.214 Innovationen sind also ein risikoreiches Geschäft für die Unternehmen. Oft sehen sie Marktpotenziale, wo keine sind. Aber Innovationen werden auch bei unklaren Risiken und Folgen abgelehnt. Dies scheint mit der „Inevidenz von Artefakten“ zu tun zu haben. 215 In diesen Fällen sind die vorhersagbaren gesellschaftlichen Folgen nicht eindeutig. Für viele Konsumentinnen und Konsumenten ist aber ein klarer praktischer Nutzen wichtig. Bei der Linken ist das anders. Viele unter ihnen lehnen neue Produkte und Dienstleistungen aus kulturgeschichtlichen und konsumkritischen Motiven ab. Das unterscheidet sie von großen Teilen der Bevölkerung. Die Kritik trifft beispielsweise Innovationen, die das Leben erleichtern oder einfach nur Spaß machen, wie etwa der iPod von Apple. Ein Teil der Linken lehnt aber auch inevidente Produkte ab, weil sie darin einen Verstoß gegen die innere oder äußere Natur sehen. Der Unterschied in beiden Haltungen hat Folgen. Eine vorwiegend lebenspraktisch denkende Bevölke-

212 213 214 215

Vergleiche Siegusch (2006). Vergleiche Matejowski (2006). Vergleiche König (1998). Vergleiche Eßbach (2005).

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E. Die Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit

rung lässt sich leichter mit Risikoabschätzungen und Risikodifferenzierungen von Innovationen vom Nutzen überzeugen. Die Linke lässt sich dagegen nur bedingt darauf ein. Es kommt aber darauf an, dass sie sich gegenüber Chancen- und Risikoabwägungen öffnet. Sonst kann folgendes passieren: Sie kann schnell ins gesellschaftliche Abseits geraten, wenn Innovationen evident werden. Sie muss sich daher die Frage vorlegen, ob sie gesellschaftlichen Entwicklungen hinterher laufen oder sie lieber mitgestalten will. Letzteres aber heißt: Sie muss in der Lage sein, neue Aufmerksamkeiten zu wecken. 216 Auf die Folgen dieser Haltung für die Linke wird danach einzugehen sein. Beginnen wir mit den Bürgerinnen und Bürgern. Die Bevölkerung kann darauf hoffen, dass die Stammzellenforschung künftig schwere Krankheiten wie Alzheimer oder Diabetes lindern oder heilen wird. Fachleute aus der Stammzellenforschung stellten heraus, dass vor allem Patienten von möglichen Risiken betroffen sein werden, aber selbstverständlich auch von ihr profitieren werden. Die Risiken beziehen sich überwiegend auf die Nutzung embryonaler Stammzellen beziehungsweise xenogener Zellen in der Transplantationsmedizin, das sind Zellen tierischen Ursprungs. Die zelluläre Xenotransplantation verfolgt das Ziel, Krankheiten durch die Produktion therapeutischer Wirkstoffe zu behandeln, die transplantierte Zellen beziehungsweise Gewebe ausscheiden. Dabei werden sowohl direkt aus Tieren isolierte Zellen als auch gentechnisch veränderte Zelllinien eingesetzt. Die daraus resultierenden Risiken schätzen die Forscher als gering ein. Viel größer beurteilen sie das Risiko, das Patienten, Forschung und Industrie aus der Abwanderung der Stammzellenforscher erwachsen könnte. Denn die Forschungsbedingungen für die embryonale Stammzellenforschung in Deutschland sind sehr restriktiv. Mittel- bis langfristig erwarten Forscher aber auch in Deutschland ein positives Umfeld. Die allgemeine Akzeptanz der Stammzellenforschung wächst, entsprechend dürften sich die rechtlichen Rahmenbedingungen verbessern. Die Bürgerinnen und Bürger stellen mit einiger Berechtigung den erwartbaren Gesundheitsnutzen zur Heilung schwerer Krankheiten wie Alzheimer über die Risiken – wenn sie beherrschbar sind. Die Bürgerinnen und Bürger denken über solche Fragen anders als viele Linke. Es ist daher nützlich, die Frage der Stammzellenforschung, die Abwägung von Nutzen und Risiken allgemeiner zu betrachten. Ein wesentlicher Grund für die Ängste gegenüber solchen nützlichen Forschungen liegt darin, dass die gesellschaftlichen Folgen von Innovationen nicht vorhersagbar sind. Sie sind inevident. Ein besonderer Fall ist die schon erwähnte „Inevidenz von Artefakten“. 217 Jahrhunderte lang haben Menschen sich wie selbstverständlich mit Artefakten umgeben und in ihnen ein geordnetes einheitliches Phänomen gesehen. Artefakte waren Mittel zu etwas. Das 216 217

Vergleiche Sieferle (1984) S. 245. Vergleiche Eßbach (2005).

II. Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit

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ändert sich im 20. Jahrhundert. Artefakte entpuppen sich als in sich heterogen. Sie sind teils verfügbares Lebensmittel, teils verfügbarer Lebensgrund, teils eine unaufhebbare Hypothek für künftige Generationen. Ein Werkzeug kann man ergreifen und aus der Hand legen. In modernen Artefaktewelten gibt es außer handgreiflichen Werkzeugen technische Systeme wie den Bahnverkehr, Telekommunikation oder die Stromversorgung. Störungen wie großflächige Stromausfälle können das Leben einer Gesellschaft zum erliegen bringen. Und es gibt artifizielle Bauwerke wie Atomkraftwerke, die nach dem Ende ihrer Betriebszeit über Generationen behütet und versorgt werden müssen. Im 20. Jahrhundert werden Artefakte inevident. Dies gilt für Verfahren und Objekte der Technik, für nützliche Artefakte. Im 19. und 20. Jahrhundert findet eine ungeheure Vermehrung der Zahl der chemischen Stoffe statt, zum anderen eine Tendenz, die man mit dem Ausdruck „Vom Natürlichen zum Künstlichen“ beschreiben kann. 218 Immer mehr Stoffe wurden aus massenhaft vorhandenen natürlichen Rohstoffen synthetisiert, am markantesten in der mit den Grundstoffen Kohle und Erdöl arbeitenden Chemieindustrie. Solche Stoffe dienten teil- und zeitweise als preisgünstigere Substitute für teure Naturstoffe, sie verbilligten damit viele Güter des täglichen Bedarfs. Anders formuliert: Die technische Avantgarde setzt in gigantischem Ausmaß Rohstoffe frei und schickt sich an, über sie mittels technischer Konstruktionen zu verfügen. Mit der Emanzipation des Materials und der Konstrukte verschwinden die evidenten Gestaltungen der Natur. Im 20. Jahrhundert wächst die Ungewissheit darüber, welche Artefaktebereiche sich als mögliches Risiko für die Reproduktionsgrundlagen der Menschheit identifizieren lassen. Wenn die Rede davon ist, dass die „Evidenz“ oder die den Fortschritt sichernde Gewissheit von innovativen Produkten und Dienstleistungen schwindet, was ist damit gemeint? Die Gewissheit von Innovationen unterscheidet sich von der Evidenz des Rechtes und seinem Wahrheitsbegriff. Beim Recht können Materien oder die Behauptung von Tatsachen an ein kompetentes Gericht überwiesen werden, das die Wahrheit feststellen oder sich durch eine Untersuchung ihrer vergewissern kann. Gerichte müssen über klare Regeln und Verfahrensweisen verfügen. Das Beweisrecht beruht auf prozeduralen Verfahren, die die Prüfung und Präsentation von Fakten betreffen. Dazu gehören Zeugenaussagen, die Vorlage von Dokumenten oder Beweisstücken. Doch trotz einiger technischer Aspekte, ist und bleibt juristische Evidenz eher ein menschliches und moralisches als ein technisches Problem. Sie beruht auf einem gewissen Grad an Wahrscheinlichkeit und nicht auf Wahrheit. Wenn wir von der Evidenz von Innovationen sprechen, geht es nicht um Wahrheit, sondern um ihren augenscheinlichen oder vorstellbaren Nutzen und die Risiken für die Nutzer und Verbraucher von innovativen Produkten. Und um Ungewissheiten bei Innovationen auszuräumen, werden keine Beweisverfahren verwendet, sondern strategische Kommunikation zur Steigerung der Akzeptanz.

218

Vergleiche König (1998), S. 41.

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E. Die Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit

Wie geht die Linke mit ungewissen und mit von Risiken behafteten Innovationen um? Sie hat bis in die Gegenwart hinein längst noch nicht zu einem positiven Verhältnis zu Innovationen gefunden. Das unterstrich nicht zuletzt der Streit innerhalb der rot-grünen Bundesregierung bis zum Jahr 2005. Hier wurde deutlich, dass die Gen- und Biotechnologie nicht gegen die Skepsis vieler Bürger durchzusetzen war. Andererseits schien es nicht hinnehmbar, die basistechnologische Entwicklung „im Namen des Lebens“ einfach zu blockieren. Erinnert sei aber auch an die fundamentalistische Einstellung zur Kernkraft, den Diskurs über das „Waldsterben“ 219, an die Kritik am Personalcomputer Anfang der 90er Jahre oder an der Nanotechnologie in der Gegenwart. Derartige Blockadehaltungen sind nicht sehr perspektivenreich. Ist eine Innovation einmal zum Bestandteil des Alltags geworden, dann wird ein Großteil der damit verbundenen kulturellen Bewältigungsarbeit mit einem Schlag überflüssig. Die Linke kann diese Breitenwirkung zumindest konstruktiv begleiten. Dabei geht es um die Chance einer Intervention. Die Linke kann sich im Feld von Innovationen an der Definition der Zukunft beteiligen und an der Propagierung bestimmter Formen des Lebens. Sie müssen so bereit und tolerant angelegt sein, dass daraus eine strukturelle politische Mehrheit in der Gesellschaft entstehen kann. Mit anderen Worten, die Linke kann den technischen Fortschritt definieren und daran arbeiten, dass sie von den Bürgerinnen und Bürgern technik- und fortschrittsfreundlich wahrgenommen wird. Das hat sie lange Zeit versäumt. Es ist erstaunlich, wie lange sich skurrile Übertreibungen hielten, um eine ablehnende Haltung gegenüber der Gentechnologie zu begründen. Eine technikfreundliche Haltung kann zum Beispiel dabei hilfreich sein, einer Vielzahl von „harmlosen“ Innovationen zumindest duldsam gegenüber zu stehen. Dazu einige Beispiele. „Unsere Zukunft wird animiert sein“ lautete die Überschrift eines Artikels, der Bezug auf eine der bemerkenswertesten Erfolgsgeschichten von Procter & Gamble nimmt. Sie entstand aus der Zusammenarbeit mit einer kleinen Bäckerei in Bologna. 220 Der Bäcker hatte eine Technik erfunden, mit der sich essbare Bilder auf Kekse drucken lassen. Procter & Gamble übernahm diese Erfindung, um Kartoffelchips, so genannte „Pringles Prints“, mit Bildern und Sprüchen zu versehen. Von der ersten Überlegung bis zur Marktpremiere dieses Produktes dauerte es kein Jahr. Die Entwicklungskosten beliefen sich auf einen Bruchteil der sonst üblichen Kosten. Über diese Innovation kann man unterschiedlicher Meinung sein. Man kann sie als überflüssig und deshalb als unsinnig abtun. Man kann der Auffassung sein, dass sie nichts zur Gesundheit der Verbraucher beiträgt. Ein Teil der Linken lehnt solche Produkte als bloße Animation oder Marketinggag ab. Entsprechend offen kann man auch über den Nutzen neuer Kommunikationsmittel diskutieren. Es scheint, dass für die Menschen Kommunikationsmittel, die auch Bilder übertragen können wie Videohandys, umso wichtiger werden, je emotionaler

219 220

Vergleiche Blackbourn (2007). Vergleiche Mejias (2006).

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die Beziehung der Kommunizierenden ist. Die Menschen möchten mehrere Kommunikationsformen kombinieren, wenn die Übertragungsrate es zulässt. Wo immer es geht, verschicken die Nutzer über das Internet nicht nur E-Mails, sondern sprechen per Bildtelefonie miteinander und arbeiten gemeinsam an Dokumenten. Und ähnlich verhält es sich mit „kluger Kleidung“. Verbraucher stellen hohe Anforderungen an sie. Auch mit technischen Funktionen sollte eine Jacke gut aussehen und sich auch so anfühlen. Technik muss klein, leicht und anschmiegsam sein. In beiden Fällen entscheidet der Nutzen nicht über Tod oder Leben. Aber es geht darum, ob das Leben angenehmer gemacht werden kann. Viele Menschen wollen das, andere lehnen es als unnötig ab. Die Linke sollte beide Entscheidungen akzeptieren. Anders sieht es aus, wenn es nicht um Ästhetik und Kultur, sondern um einen praktischen, auf das Leben und Überleben bezogenen Nutzen geht. Nach Angaben der EU-Kommission wird mit dem Anstieg der Weltbevölkerung von 6 auf 9 Milliarden Menschen in den nächsten 50 Jahren und mit dem Rückgang der fossilen Ressourcen der Bedarf an Lebensmitteln, Biobrennstoffen und Biomaterialien aus erneuerbaren Ressourcen auf pflanzlicher Basis zunehmen. „Pflanzen für die Zukunft“ lautet eine langfristige Vision für die europäische Pflanzenbiotechnologie bis 2025. Sie nennt drei Prioritäten: Die Erzeugung erschwinglicher, gesunder und qualitativ hochwertiger Lebensmittel, die Förderung von Umweltverträglichkeit und nachhaltiger Landwirtschaft und schließlich die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Landwirtschaft, Industrie und Forstwirtschaft. Wie eine Innovation wie die Gen-Kartoffel der BASF, die in dieses Programm gepasst hätte, aufgenommen wird, zeigt folgende Geschichte. Die BASF beantragte bei der EU die Zulassung der genmanipulierten, besonders stärkehaltigen Kartoffel mit Namen „Amflora“ für die reguläre kommerzielle Nutzung. Das führte zum Streitpunkt unter den EU-Agrarministern. Länder wie Österreich, Italien oder auch Polen lehnen die Zulassung ab, Deutschland gehört neben Schweden und anderen zu den Befürwortern. Da keines der beiden Lager im EU-Ministerrat auf eine notwendige qualifizierte Mehrheit kam, fiel die Entscheidung der EU-Kommission zu: Sie gab dem Antrag auf Zulassung als Industrie-Produkt und nicht als Lebens- oder Futtermittel statt. Der Nutzen der BASF-Kartoffel liegt auf der Hand: Sie ist besonders stärkehaltig, und diese Stärke könnte bei der Produktion von Textilien, Klebstoffen, Waschmitteln oder Papier zum Einsatz kommen. Die Umweltverbände, darunter der Bund für Umwelt und Naturschutz, BUND, kritisierten zum einen, dass BASF auch einen Antrag zur Zulassung als Futtermittel gestellt hat. Sie verwiesen auf die folgende Gefahr: Weil „Amflora“ ein Resistenz-Gen gegen Antibiotika enthalte, könne es in die Nahrungskette kommen, sobald die Gen-Kartoffel als Futtermittel zugelassen ist. Die EU beauftragte eigene Behörden mit Gutachten. Ergebnis: Diese Befürchtung ist unbegründet. Bundeslandwirtschaftsminister Seehofer veranlasste, dass bei einer Genehmigung als Industrie-Kartoffel alle Sicherheitsmaßnahmen getroffen werden, damit es nicht zu Verwechslungen kommt. Felder müssten weit genug auseinander liegen, damit sich Gen- und Speisekartoffeln nicht vermischen könnten. Zu prüfen waren auch Folgen für die Böden, um zu vermeiden, dass

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E. Die Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit

Resistenz-Gene über Bakterien in die Pflanzenwelt gelangen. Das alles reichte den Umweltschützern aber nicht aus. Sie argumentierten: Selbst wenn die Gen-Kartoffel nur als Industriestoff zugelassen wird, können Gefahren nicht ausgeschlossen werden. Der BUND befürchtete, Amflora könnte verwechselt und mit anderen Speisekartoffeln vermischt werden. Außerdem könne das Antibiotika-Gen die Bodenökologie durcheinander bringen. 221 Aus diesen Beispielen lassen sich unterschiedliche Motive der Ablehnung von Innovationen in der Linken herauslesen. Das eine lautet Kulturkritik. Es hat insbesondere mit Blick auf den Konsum eine wichtige Konkretisierung erfahren. Das zweite Motiv bezieht sich auf die innere Natur der Menschen. In Zeiten der Gentechnologie und der Nanotechnologie geht es dabei um mehr als die menschliche Triebstruktur und die Psyche. Das dritte Motiv ist die äußere Natur. Hier reicht das Spektrum von der Verunreinigung des Wasser und der Luft über das „Waldsterben“ bis hin zu globalen Veränderungen des Klimas. Der Konsum erschien großen Teilen der Linken fragwürdig. In den 60er Jahren war die Kritik am „Konsumrausch im Westen“ ein Fortschritt. „Die überwältigende Warenfülle, die Autos und Pelzmäntel, die Südfrüchte und exotischen Importe, all das verlor den Glanz der Unschuld.“ 222 Aber sie war auch sehr einseitig. Auch viel später noch betonte sie, das eigentliche Glück liege jenseits der Waren, die die Werbung anpreise. Die Protestbewegung forderte deshalb, sich von den „Ersatzbefriedigungen“ der Warenwelt ab- und den „wirklichen Bedürfnissen“ zuzuwenden. Die „brave new world“ nach dem Roman von Aldous Huxley war das verbreitete negative Bild, an dem sich die antiautoritäre Kritik des Spätkapitalismus Ende der 60er Jahre orientierte. Damit war eine Gesellschaft gemeint, die in Wohlstand lebte und perfekt organisiert war – und genau daran zugrunde ging. Der Kapitalismus und sein Industriesystem, wie ihn sich die Linke in ihrer Kritik ausmalte, waren von einer hermetischen Perfektion sowie von einer widerspruchsfreien Härte und Glätte. Die Kritiker des Industriesystems vertraten die Auffassung, es beherrsche Natur und Gesellschaft in einer Weise, die weder Widerstand noch Versagen duldete. 223 Die Betrachtung des Konsums war also kulturkritisch motiviert. Eine unvoreingenommene Betrachtung auch seiner Möglichkeiten war lange Zeit versperrt. Diese Sichtweise traf mit einer anderen, nicht oder weniger politisch motivierten zusammen. Die Forschung postulierte lange Zeit den Primat oder die Dominanz der Produktion über die Konsumtion. 224 Dazu gehörten Arnold Gehlens gesellschaftliche Superstrukturen, um nur ein Beispiel zu nennen. Diese Dominanz der Produktion nahm jedoch auch vulgäre Formen politischer Kritik an, etwa in der Manipulationsthese: Danach manipulieren Unternehmen mit ihren Produkten die Konsumenten, 221 222 223 224

Vergleiche Plass (2007). Vergleiche Sieferle (1984), S. 235. Vergleiche Sieferle (1984), S. 240–247. Ich folge den Ausführungen von König (1998).

II. Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit

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indem sie falsche Bedürfnisse wecken oder fördern. Ein Teil der Linken ist bis auf den heutigen Tag nicht frei von einem elitären Charakter von Manipulationstheorien. Wie kann eine Linke plausibel machen, dass bei der breiten Masse die Manipulation verfängt, aber nicht bei ihr selbst? Warum sind diese Teile der Linken vor Manipulation gefeit? Gegen eine solche Dominanz der Produktion sind kluge Einwände vorgetragen worden, allerdings mit geringer politischer Wirkung. Nämlich dass in aller Regel der Produktion eine Antizipation der Konsumption voraus gehe. Oder, um einen zweiten Einwand zu nennen, dass gegen den „Technikdeterminismus“ die Flexibilität und Interpretationsfähigkeit von Technik betont wird. Technik kommt nicht als etwas Fertiges und Abgeschlossenes auf den Markt, sie ist offen für unterschiedliche Aneignungen. Das Telefon war bei seiner Einführung nicht nur ein Mittel zwischenmenschlicher Kommunikation in Rede und Gegenrede über größere Entfernungen, sondern auch Vorläufer des Radios. In Deutschland erweiterte es das Telegraphienetz in den ländlichen Raum. Nicht nur die Art und Weise der Nutzung, auch technische Struktur- und Funktionselemente der Produkte unterliegen ständigen Veränderungen. Dafür fließen selbstredend die auf dem Markt gesammelten Erfahrungen und Nutzerwünsche ein. Gegen die Manipulationsthese kann aber auch eingewandt werden, dass die Erfinder und die Industrie häufig genug Verwendungsmöglichkeiten und das Marktpotenzial von Innovationen nicht erkannten oder weit unterschätzen. Elisha Gray (1835–1901), einer der Telefonentwickler, sah in der sprachlich-akustischen Kommunikation des Telefons nur eine Spielerei. Er konzentrierte seine Anstrengungen auf eine Mehrfachnutzung des Telefonprinzips für Telegraphenleitungen. Eine ähnliche Fehleinschätzung aus neuerer Zeit ist die der Marktmöglichkeiten des Personal Computers durch IBM. Die Vertreter der Manipulationsthese müssen sich unter anderem fragen lassen, wie ein Unternehmen etwas manipulieren soll, was es womöglich falsch einschätzt oder verkennt: Nämlich die Verwendungsmöglichkeiten und Marktpotenziale der Technik. Mit diesen unterschiedlichen historischen Entwicklungslinien hängt die verbreitete Ablehnung in Teilen der Linken gegenüber Innovationen und innovativen Kommunikationsmitteln zusammen. Innovative Kommunikationsmittel und der Umgang mit ihnen wird nicht als ein konstitutiver, selbst etwas Neues schaffender Akt begriffen, sondern als passiver Verzehr und zur Passivität verdammender Konsum. Weil sie scheinbar nicht zur Geschichte und Entwicklung der Gesellschaft beitragen, beargwöhnen sie diese Innovationen und ihren Konsum. Damit verkennt sie aber, was im Leben vieler, weniger politisch aktiven Menschen wichtig ist: Kommunikationsmittel, die in sehr emotionalen Beziehungen auch Bilder übertragen können. Oder dass Animation, Spaß, Genuss, kurzum die angenehmen Seiten des Lebens für viele Menschen im Zentrum ihres Lebens stehen. Keine Anerkennung findet eine ästhetische Einstellung zum Leben, die kleine, leichte und angenehme Technik bevorzugt. Bei Herbert Marcuse findet sich in den 70er Jahren die Auffassung, dass „die Vergewaltigung der Natur die Vergewaltigung des Menschen verschärft. Die Entde-

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E. Die Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit

ckung der befreienden Kräfte der Natur und ihrer entscheidenden Rolle beim Aufbau einer freien Gesellschaft wird zu einer neuen Kraft gesellschaftlicher Veränderung.“ 225 Marcuse bezog sich mit diesem Programm auf die innere Natur des Menschen, also auf seine anthropologische Bedürfnisstruktur. Die Widerstände, die gegen die Gesundheitsförderung durch Stammzellenforschung zum Ausdruck kommen, beruhen auf einer solchen Bewertung der inneren Natur. Sie provozieren daher Ängste gegen Eingriffe in die menschliche Natur mit ihren unabsehbaren Folgen. Nun ist der Rückgriff auf die menschliche Natur als Grund für die Ablehnung von Innovationen, die möglicherweise die innere Natur des Menschen verändern, allerdings problematisch. Das zeigt die Art und Weise, wie der Sexualwissenschaftler Volkmar Sigusch das Potenzmittel Viagra erörtert. Man kann im Namen der Natur des Mannes die Auffassung vertreten, er habe schlicht das Nachlassen seiner Sexualität im Alter zu akzeptieren. Ferner dass ab einem bestimmten Alter Verzicht auf Sexualität angesagt ist. Das Medikament Viagra bricht mit dieser Auffassung, Viagra erlaubt auch im hohen Alter den „Trieb zur Penetration“. Dagegen kann man seine Stimme erheben. Andererseits gibt es keine eindeutige, organgebundene sexuelle Natur des Mannes mehr, weil eine „neosexuelle Revolution“ 226 stattgefunden hat. Sie hat Viagra im Grunde nur physisch greifbar macht. Vereinfacht ist mit dem Begriff der neosexuellen Revolution folgendes gemeint: Viagra trennt Sexualität und Angst. Das Potenzmittel Viagra schafft seelische Hürden, die der Lust im Wege stehen, mit den Mitteln der Biochemie beiseite. Überflüssig werden damit auch die oft ebenso aufwendigen wie effektlosen Psychotherapien. Außerdem ist Viagra geeignet, Intimbeziehungen zu vervielfältigen. Viagra kann „einen sexuellen Aufstand“ jener alten Männer auslösen, die, obgleich ihr Körper bereits verwelkt und krank ist, nicht auf körperliche Freuden verzichten wollen. Das Durchschnittsalter der bisherigen Konsumenten von Viagra lag bei 58 Jahren. Da die Menschen der hiesigen Gesellschaft immer älter werden, liegt seit langem eine spezielle ökonomisch-kulturelle Offensive auf der Hand. Dass diese „ökonomisch-kulturelle Offensive“ nicht von den Künsten, sondern von der Pharmaindustrie ausgeht, kann man füglich kritisieren. Eine Droge kann die seelischen Konflikte und Nöte aber allenfalls überschatten. Und keine Pille kann fehlende Anziehung oder Nähe, kann unbewusste und tiefer reichende Konflikte aus der Welt schaffen. Das alles ist richtig. Dennoch gibt es einen Aspekt, die der Ablehnung von Viagra oder Nachfolgepräparaten wie Cialis und Levitra nicht so klar macht. Diese Präparate sind nach Auffassung von Sigusch eine „einzigartige und kostbare therapeutische Bereicherung“ für Sexualmediziner. Der mögliche langfristige Nutzen der Linderung oder Heilung schwerer Krankheiten ist noch nicht evident. Deshalb fehlt es an Akzeptanz. Herbert Marcuse wendete seine Kritik auch auf die äußere Natur an. „Die kommerzialisierte, verschmutzte und militarisierte Natur hat die Lebenswelt der Menschen, nicht nur im ökologischen, sondern auch in einem sehr existenziellen Sinn 225 226

Zitiert nach Sieferle (1984), S. 237. Vergleiche Sigusch (2006).

II. Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit

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beschnitten.“ 227 Dieses Motiv der Kritik wurde später in Deutschland aufgenommen, als sich eine neue Sensibilität auf die Umweltprobleme richtete. Nach der Wahrnehmung vieler Linker waren in den 50er und 60er Jahren die Flüsse „gestorben“, in den späten 70er Jahren begannen die Wälder zu „sterben.“ Hans Magnus Enzensberger formulierte zu einer Zeit, als es in linken Zeitschriften um „Staatsableitungen“, Imperialismustheorien und Organisationsfragen ging: „Was einst Befreiung versprach, der Sozialismus, ist zu einer Frage des Überlebens geworden. Das Reich der Freiheit aber ist, wenn die Gleichungen der Ökologie aufgehen, ferner gerückt denn je“. 228 Es sind solche Erfahrungen mit der Umweltbewegung, die das Verständnis ökologischer Fragen prägen und die auch Widerstände bei einer Innovation wie der Gen-Kartoffel der BASF hervorrufen. Trotz des evidenten Nutzens und aller nur denkbaren Vorsichtsmaßregeln beharren Umweltschützer auf eine ausschließliche Betrachtung von Risiken. Dies deutet auf eine prinzipielle Ablehnung der Biotechnologie hin. Prinzipiell ist diese Ablehnung zu nennen, weil sie die Abwägung von evidentem Nutzen und eingrenzbarem Risiko 229 als Verfahren nicht akzeptiert. Es scheint, als akzeptiere sie nur Innovationen, die für das Leben und die Gesellschaft risikolos sind. e) Umgang der Linken mit offenen und ungewissen Situationen Den Kritikmotiven der Linken gegen Innovationen, die auf Konsumkritik, der inneren und äußeren Natur gründen, liegt eine bestimmte Lebensauffassung zugrunde: „Politisch bewusster“ Konsum, eine „gesunde“ Lebensweise, die die innere Natur des Menschen respektiert und eine Lebensweise, die nicht im Widerspruch zu der technischen und gesellschaftlichen Entwicklung steht. Das „Feinbild“ dieser Auffassung ist ein markt- und Innovationsvermitteltes Leben. Dieses Leben besteht aus der Sicht vieler Linker in „unbewusstem Konsum“, ungeschützt gegenüber der „Manipulation“, in einem Leben, das mit der inneren Natur des Menschen marktvermittelt experimentiert und einem Fortschrittsmodell folgt, das die Balance zwischen Ökonomie, Sozialem und Ökologie verletzt. Diese Wahrnehmung ist problematisch, weil sie dem Konsum sowie der inneren und äußeren Natur nicht gerecht wird. Interessant ist, dass im 20. Jahrhundert der Zitiert nach Sieferle (1984), S. 237. Zitiert nach Sieferle (1984), S. 244. 229 Scott Lash (1999), S. 292 f, hat gezeigt, dass den unterschiedlichen Auffassungen zu Innovationen und zum Leben unterschiedliche Modernitätsauffassungen zugrunde liegen. So akzeptieren Max Weber – in seiner Schrift „Politik als Beruf“ – und Bruno Latour („Wir sind nie modern gewesen“) die unvermeidbaren Nebenfolgen modener Wissenschaft und die Risiken der Risikogesellschaft. Im Unterschied zu Latours Optimimisus betonen Autoren wie Paul Virilio und Ulrich Beck das Übel („the bad“) als das Ergebnis von reflexiver Modernisierung. Beck verweist darauf, dass Wissenschaft („Riskogesellschaft“) dazu beitragen kann, dass die Vorteile die Nachteile gesellschaftlicher Reflexität überwiegen können. Virilio („Der reine Krieg“) stellt die Übel reflexiver Modernität heraus: Flugkörper, Katapulte, Granaten und andere „dealers of death“. 227 228

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E. Die Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit

Begriff des „Lebens“ zum Konkurrenten der Begriffe „Entwicklung“ und „Vernunft“ geworden ist, um gesellschaftlichen Wandel zu deuten. 230 Man hat das Leben zum Beispiel als vitalistische Kategorie zur Qualifizierung der Künstlichkeit der Apparate verwandt und über die Nähe oder Entfernung der Apparate vom Leben spekuliert. Man hat den Geist einen Widersacher des Lebens genannt, wobei der Geist schlechthin mit der instrumentellen Vernunft in Eins gesetzt wurde. Man hat die Kulturformen auf ihre Künstlichkeit befragt und nach Bewertungen gesucht, ob sie gesunde Sublimate oder perverse Pathologien von Lebensenergien sind. Und im Streit um die Bewertung der Technik war im Vorteil, wer nachweisen konnte, dass seine Technologie die Lebenschance und -qualität steigert. In den politischen Diskursen ist der Lebensstandard ein wichtiges Kriterium für die Wirtschaftspolitik so wie die Versicherung gegen Lebensrisiken eines der Sozialpolitik ist. Leben ist keine einheitliche Kategorie, sondern verweist auf Vielfalt und Besonderheiten der Existenz. Wir haben es hier nur auf den Begriff der Konsumption, eines gesunden, die innere und äußere Natur berücksichtigenden Lebens bezogen. Evidenzen mit Blick auf die Innovationen beruhen nicht auf Wahrheit und den entsprechenden Beweisverfahren, sondern auf dem vorstellbaren und risikofreien Nutzen. Statt dieser Beweisverfahren geht es um strategische Kommunikation. Es sei daran erinnert: Konservative Einstellungen in einer Gesellschaft gegenüber Innovationen können lange vieles verhindern, bis plötzlich etwas evident wird. Das Abendland befindet sich seit etwa drei Jahrhunderten in einem technologischen Sturmlauf. Doch dieser Prozess verläuft nicht ohne Reibungen, Stockungen oder Rückschritte. Denn die Angst vor dem Neuen ist die wichtigste Emotion, die Gesellschaften und Technik verbindet. Dass Technik Probleme schafft, belegen Gelehrte jederzeit schlüssig – auch wenn sich ihre Befunde im Nachhinein als Irrtümer erweisen. Experten im 19. Jahrhundert sahen es als erwiesen an, dass kein Mensch eine schnelle Eisenbahnfahrt überleben könne. Alle paar Jahrzehnte verlieren ganze Gesellschaften ihre Angst vor dem Neuen und demonstrieren eine durchgängig positive Einstellung zu Technik und Fortschritt. Diese Angst verschwindet jedoch, sobald eine grundlegende und umwälzende Innovation Breitenwirkung entfaltet. Sobald neue Arbeitsplätze oder Profitquellen in greifbare Nähe rücken, steigt die Akzeptanz der damit einher gehenden Technik. 231 Nur eine scheinbare Alternative zu einer Gesellschaft, die offen mit Innovationen umgeht, ist die Weltflucht oder Rückkehr zur Religion. Fundamentalisten in aller Welt predigen gegen die menschliche Hybris an, die in die „natürliche Ordnung“ der Dinge eingreift. In den USA, wo die technische Entwicklung sehr stark vorangetrieben wird, hat der Einfluss einer fundamentalistischen Opposition gegen technische und politische Neuerungen zugenommen. Religiöse Fundamentalisten, „evangelicals“, greifen im Namen der Religion das Recht von Homosexuellen und Lesben auf

230 231

Vergleiche Eßbach (2005). Vergleiche Gürtler (2004).

II. Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit

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Heirat an. Und ihre Kampagnen gegen Abtreibung und Stammzellenforschung handeln von religiöser Freiheit und der Frage, ob die Auffassung der „evangelicals“ der amerikanischen Gesellschaft aufgezwungen werden sollte. Ähnlich ist die Frage nach dem Recht gelagert, Kindern amerikanischer Schulen ihr religiöses Denken aufzwingen zu können. Diese Debatten unterstreichen, wie wichtig die Trennung von Kirche und Staat für die Freiheit der Forschung und Diskussion ist. 232 Religionen sind wieder erfolgreich, und zwar weil sie ganzheitliche Antworten auf alle Brüche und Probleme der Moderne geben. Die Religion bietet Menschen Bindung und Einordnung, den Ort ihres Lebens und ihres Todes, Geborgenheit, Versöhnung mit dem Schicksal, Deutung der Wirklichkeit, Heimat. Doch ihre Lösungen stammen aus der Vergangenheit, sie sind keine echte Alternative zum Prozess der Modernisierung. Es ist dabei zu berücksichtigen: Der europäische Weg der Säkularisierung ist womöglich nicht die Regel, sondern global eher die Ausnahme, während der amerikanische Weg für andere Glaubens- und Zivilisationswelten anschlussfähiger ist. Aber auch dann wird sich die Frage nach Glauben und Wissen und nach der Übersetzung von Religion in Kultur stellen: Der Glauben bietet Heimat und Geborgenheit, der Geist fordert die Menschen heraus, sich Ungewissheit und Risiken zu stellen. Die Linke muss sich auf die Seite des Geistes stellen. Das bedeutet in diesem Zusammenhang: Sie muss eine zeitgemäße Haltung für den Umgang mit Innovationen finden und nach gründlicher Abwägung der Chancen und Risiken entscheiden. Sie sollte grundsätzlich aufgeschlossen mit gesellschaftlichem Fortschritt umgehen, indem sie Zugänge zu Innovationen in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft bestimmt. Das heißt aber auch: Sie muss Grenzen von Innovationen aufzeigen. Denn: Werte sind nicht beliebig interpretierbar, frei nach dem Motto: „Anything goes!“. Es gibt ein Moment, das besagt: Eine humane Gesellschaft erschöpft sich nicht in der Logik des Marktes, sondern ist auch an eine soziale Dimension, an solidarisches Verhalten zwischen Menschen gebunden. Umgekehrt heißt das nicht, dass mit dem Hinweis auf die Angebotsmacht der Arbeit und künftiger Arbeitsplätze nun jede Innovation um der bloßen Innovation unterstützt wird. Ebenso wenig aber sind Innovationen etwa mit Blick auf mögliche Gefahren oder auf die Entwertung europäischer Werte zu verdammen. Der praktische Nutzen der oben genannten Produkte ist nicht von der Hand zu weisen. Die Linke muss Klarheit gegenüber Innovationen mit Hilfe der Unterscheidung von Risiken schaffen. Weiten Raum nehmen Risiken ein, die daraus resultieren, dass die Menschen Schadstoffen ausgesetzt sind. Wie wahrscheinlich und wie schwerwiegend sind mögliche Schädigungen der Gesundheit? Ein anderes Thema betrifft die Störfallrisiken technischer Anlagen. Entsprechende Analysen konzentrieren sich daher auf die Anlagentechnik und das Zustandekommen möglicher Störfälle. Und eine dritte Gruppe von „Risiken“ sind solche, für die noch gar nicht geklärt ist, 232

Vergleiche Reich (2003).

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E. Die Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit

ob sie überhaupt Risiken sind. Die Frage ist hier, ob bestimmte Substanzen und die Tatsache, dass Menschen ihnen in bestimmten Situationen ausgesetzt sind, überhaupt die Gesundheit beeinträchtigen. Wegen dieser grundlegenden Unterschiede sollten vergleichende Risikobewertungen nur innerhalb dieser drei Gruppen vorgenommen werden. Außerdem können Risikovergleiche grundlegende Unterschiede im Wissen über die Risiken verdecken. Es empfiehlt sich daher, erhebliche Wissensunterschiede klar zu benennen und ggf. auch auf eine vergleichende Bewertung zu verzichten. Daraus folgt für die strategische Kommunikation: Globale Ängste vor undifferenziert wahrgenommenen Risiken lassen sich zerstreuen, wenn nach Risiken differenziert wird. Die Linke muss also eine Haltung vertreten, die Offenheit und Grenzen für Entscheidungen miteinander vereinbart. Sie kann keine absolute Auskunft verlangen. Die Zweideutigkeit der Geschichte, die Aufs und Abs der Zukunft, sind weder unbedingt zu verdammen noch unbedingt zu preisen. Es geht vielmehr darum, die Zweideutigkeit der Geschichte zu akzeptieren. Man muss mit ihr leben, und zwar ohne Anhalt an absoluten Wahrheiten. Dafür ist die Abwägung möglicher Risiken von Innovationen notwendig, aber auch eine offene Diskussion einer möglichst großen Zahl von Menschen über den Sinn bestimmter neuer Produkte. Zumindest müssen Politik und Medien eine Öffentlichkeit darüber herstellen, damit viele Menschen über Innovationen, ihren Nutzen und ihre Risiken entscheiden können. Das können nicht alles Marktentscheidungen sein. Dieser Entschluss setzt eine Orientierung über das gegenwärtig Mögliche voraus, und dabei kommt es auf Sachkenntnis an. Sie bedeutet aber keineswegs eine Determination der Entscheidung. Sachkenntnis fordert vielmehr begründete Entscheidungen. Der Philosoph Friedrich Jonas sagt: „Rationalisierung bedeutet nicht Einrücken in die Weltvernunft, sondern Entzauberung der Welt und der Vernunft. Sie bedeutet nicht das Ende von Entscheidungsdruck und Risiko, sondern ruft den einzelnen vielmehr auf, sich rational, das heißt in bewusster Abwägung von Alternativen zu verhalten. Dort, wo ein Subjekt nicht wählt, sondern sein Verhalten als ein notwendiges deklariert, werden wir nicht rationale, sondern irrationale Beweggründe vermuten“. 233 f) Die Linke für ein marktvermitteltes Leben Die Linke muss eine fortschrittliche Idee von Leben und Entwicklung besitzen. Sie muss für ein marktvermitteltes Leben Entscheidungen treffen, das heißt ein Leben, das auf gesellschaftlicher Arbeitsteilung und Konsum beruht, auf dem zivilen Umgang mit kulturellen Unterschieden und sozialen Ungleichheiten. Die Linke kann einen Machtvorteil erhalten indem sie den Nutzen und die Risiken von Innovationen strategisch kommuniziert. Es geht um die Frage nach einem pluralen Ver233

Zitiert nach Schulz (1980).

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ständnis des Lebens und von Sinn. Mit Blick auf Innovationen: Beurteilungsmaßstab sind ihre Evidenzen und ihr Nutzen. Da nahezu alle Gesellschaften Mühe haben, technische Innovationen kulturell zu verarbeiten, lassen sich die damit verbundenen Probleme durch frühzeitige öffentliche Debatten über Chancen und Risiken wissenschaftlicher und technischer Innovationen zumindest teilweise aktiv angehen. Dafür steht das Konzept des „Public understanding of science“. 234 Das Konzept hat seine Wurzeln in den USA der 50er Jahre. Unter dem Eindruck des Sputnik-Schocks stieß die US-Regierung eine breit angelegte Aufklärungskampagne zum Thema Naturwissenschaften an. Als Initiative von Wissenschaftlern, Ingenieuren und Wissenschaftsorganisationen spielen Aktivitäten im Zusammenhang mit „Public Understanding Of Science“ in Großbritannien seit den 80er Jahren eine große Rolle. In einem „Committee of public understandig of science“ (COPUS) engagieren sich viele Vertreter der Scientific Community, um öffentliche Wahrnehmung für naturwissenschaftliches Forschen zu schaffen und wissenschaftlichen Nachwuchs anzuziehen. Auch in Deutschland hat man entsprechende Aktivitäten entfaltet, und so haben deutsche Wissenschaftsorganisationen unter Beteiligung des Deutschen Stifterverbandes das Aktionsprogramm „Push“ ins Leben gerufen. In der jüngeren Vergangenheit etwa hat man mit dem „Jahr der Physik“ oder dem „Jahr der Chemie“ Schwerpunktveranstaltungen initiiert, die bis zu 200.000 Teilnehmer erreichten. Es wäre wünschenswert, wenn naturwissenschaftliches Problemlösen schon in den unteren Klassen der Schule als etwas Spannendes, Anregendes erfahren würde. Viele Aktivitäten im Bereich des „Public Understanding Of Science“ folgen immer noch dem Schema des universitären „Tages der offenen Tür“. Wissenschaft wird häufig als eine Mischung aus Volkshochschulkurs und Nachhilfeunterricht präsentiert. Das ist ein problematischer Ansatz. Wissenschaftliche Themen in öffentlichen Diskurs sollten nicht als eine Art gehobener Nachhilfeunterricht für Zurückgebliebene betrachtet werden. Ein offenes und informiertes Klima kann sich nur entwickeln, wenn Naturwissenschaftler und Techniker im Dialog die Einwände der Öffentlichkeit ernst nehmen. Dialogveranstaltungen müssen sich zwei Ziele setzen: Zum einen soll ein Dialog über das Verhältnis von Kultur und Technik geführt werden, andererseits aber soll über Multiplikatoren in der Presse und in den Rundfunkanstalten und natürlich auch mit Hilfe des Internets ein „Agenda Setting“ erfolgen, eine Platzierung von Zukunftsthemen im öffentlichen Bewusstsein. Das erfordert Geduld, aber diese Investition könnte sich lohnen. Das Wissenschaftszentrum Nordrhein-Westfalen hat zu der „Bill-Joy-Debatte“ in der Nanotechnologie bereits im Jahr 2000 einen großen Kongress organisiert, bei dem die Protagonisten mitdiskutieren konnten. Ein weiteres Beispiel ist die Neurowissenschaft. Die Ergebnisse der Hirnforschung sind für eine alternde Gesellschaft von größter Bedeutung. Die Erwartungen an ein besseres Verständnis der Abläufe im 234

Vergleiche Matejowski (2006).

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E. Die Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit

Gehirn sind groß. Sie erstrecken sich auf die Heilung bisher unheilbarer Krankheiten wie etwa Parkinson bis hin zur Manipulation des Menschen. Das Wissenschaftszentrum Nordrhein-Westfalen hat dazu mehrere große Kongresse mit großer Beteiligung der Presse mit wechselnden thematischen Schwerpunkten veranstaltet. Allen Kongressen war gemeinsam, dass sie sich als authentische Diskussionsforen verstanden und nicht als taktische Aufklärungsveranstaltungen. Entsprechende Aktivitäten sollten auch in anderen Bereichen stattfinden. Philippe Busquin, das ehemals für Forschung zuständige Mitglied der Europäischen Kommission und sein Nachfolger in diesem Amt, Janez Potocnik, haben ein europäisches Technologieforum „Pflanzen für die Zukunft“ zur Pflanzenbiotechnologie auf den Weg gebracht. Es soll folgende Agenda besitzen: Die Entwicklung eines strategischen Forschungsplans für Gebiete wie Genomik, Agronomie, Ökologie und Bioinformatik; außerdem ist der Anschub für öffentliche und private Investitionen in Forschung und Entwicklung geplant; weiterhin soll die Industrie in die Forschungsagenda des Forums eingebunden werden und der gesellschaftliche Konsens durch gegenseitiges Verständnis und Kommunikation gefördert werden. Entscheidend ist nach Auffassung der EU-Kommission, den Nutzen der Pflanzenbiotechnologie herauszustellen. Die Pflanzenbiotechnologie dient der Erzeugung hochwertiger Lebensmittel, der Förderung von Umweltverträglichkeit und einer nachhaltigen Landwirtschaft. Die aktuelle Diskussion zur Stammzellenforschung und Humangenetik macht deutlich, dass die Bioethik zum Gegenstand der öffentlichen Medien sowie verschiedener politischer Sphären geworden ist. Die fortschreitenden Technologien der modernen Medizin erlauben einen tiefen Eingriff in das menschliche Leben, welches in modernen, pluralen Gesellschaften ganz unterschiedlichen kulturellen und sozialen Einflüssen unterliegt. Politik und Wissenschaft sind deshalb stärker als je zuvor gefordert, die ethischen Fragen, die die Medizin aufwirft, zu reflektieren und Stellung zu beziehen. Wie kann der Diskurs über Bio- und Gentechnik an der Schnittstelle von Biomedizin, Bioethik und Kultur wahrgenommen und geführt werden. Darum geht es. Es ist anzunehmen, dass sich die Perspektiven der verschiedenen Religionen und Kulturen auf die neuen Möglichkeiten und Risiken der Biomedizin unterscheiden. Es gibt eine christliche, jüdische, islamische und buddhistische Sicht auf Krankheit und Behinderung, auf den Status des menschlichen Embryos, das Klonen und die genmedizinische Forschung. Es ist auch anzunehmen, dass die Laien und Patienten sowie Menschen mit Behinderungen gegenüber diesen bioethischen Fragen eigene Erwartungen in die Kontroverse über gültige und bestehende Menschen-, Natur- und Weltbilder bringen. Derzeit dominieren Ärzte, Naturwissenschaftler und Ethiker diese Debatte. Die Linke sollte sich die Aktivitäten von „Public Understanding Of Science“ und ihre Erfahrungen zueigen machen. Sie sollte auf einen langfristigen Einstellungswandel setzen. Dabei geht es um Kooperationen mit Wissenschaftlern. Beide, Linke und Wissenschaftler müssen dabei vor allem eines lernen: Nur eine öffentliche und

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früh geführte Debatte über die Chancen und Risiken moderner technischer Innovationen garantiert, dass sie ihrer theoretischen Neugierde weiter nachgehen können. Das aber ist die Voraussetzung für eine innovationsgeprägte Gesellschaft. In diese Richtung gehen auch die Pionieraktivitäten „Deutschland innovativ“, die die Fraunhofer Gesellschaft vorgeschlagen hat. 235 Es ist viel zu wenig in das öffentliche Bewusstsein gerückt, wie konkrete Anwendungsbereiche aussehen, in denen technologische Innovationen, Struktur- und Prozessinnovationen, aber auch gesellschaftliche oder politische Innovationen stattfinden. Was sollen sich die Menschen unter Innovationen, innovativen Umfeldern und innovativen Menschen vorstellen? Um einer Innovationsoffensive „Gesichter“ zu geben, sollen „GoodPractice“-Beispiele für gelebte Innovationskraft bekannt gemacht werden. Breitenwirksame Medien könnten Einzelporträts innovativer Champions einem breiten Publikum vorstellen. Solche Porträts können eine Darstellung des jeweiligen Innovators als Person sein, aber die Organisation oder das Unternehmen unter innovationsförderlichen Gesichtspunkten beschreiben, zum Beispiel Ziele der Organisation, innovative Produkte oder innovationsförderliche Arbeitsgestaltung. Zu denken ist auch an eine Darstellung eines innovativen Mitarbeiters auf verschiedensten Hierarchieebenen, das heißt Inhalte seiner Tätigkeit, Work-Life-Balance, Entwicklungsperspektiven etc. Das erscheint eine hilfreiche Vorgehensweise zu sein. Zuvor jedoch muss die Linke für sich einige grundlegenden Fragen klären: Wollen wir diese Innovationen? Entspricht dies unserem Verständnis von Entwicklung und Fortschritt? Sind wir bereit, diesen Preis für eine Zukunft der Arbeit zu zahlen? Letztlich laufen sie auf die Frage hinaus: Wie wollen wir leben? Die Linke muss sich stärker als bisher dem Thema von Innovationen, Lebensformen und Fortschritt annehmen. Und zwar aus demselben Grund, warum sie sich mit makroökonomischen Fragen beschäftigt. Die Linke kann mit klaren Vorschlägen dazu beitragen, den Fortschritt zu definieren. Die Linke muss einen Diskurs über marktvermitteltes Leben führen. Dabei geht es nicht um Legitimationsbeschaffung für Innovationen, sondern darum, die vielfach durch den Markt an Produkten und Dienstleistungen vermittelte Lebensführung zu definieren. Definieren bedeutet, zwischen legitimen und nicht legitimen Lebensformen zu unterscheiden. Um die Definition des Lebens aus Sicht der Linken zu schärfen, sind zwei Dimensionen zu unterscheiden: Zum einen Innovationen, die Risiken in sich bergen. Zum Beispiel neue Medikamente gegen Krankheiten. Oder aber alle jene medizinischen Instrumente auf Basis der Gentechnologie. Die Risiken sind nicht überschaubar, also inevident. Zum anderen Innovationen, die mit Traditionen brechen, als „künstlich“ gelten, aber die keine Risiken implizieren. Dies ist eine klassische Form der Markt- und Kapitalismuskritik im Namen von „Natur“ und „Tradition“. Der Tenor lautet: Alles kann zur Ware werden. 235

Vergleiche Fraunhofer Gesellschaft (2004).

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E. Die Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit

Definitionsfragen sind politische Mehrheitsfragen. Im ersten Fall heißt dies: Die Linke kann sich mit den Risiken auseinandersetzen, die Abwägung von Chancen und Risiken möglichkeitsorientiert kommunizieren, und dabei auch die Verantwortung der „Konsumenten“ herausstellen. Im Falle von Patienten heißt dies: Sie muss im Verhältnis von Arzt und Patient die „Ko-Produktion“ des Gesundungsprozesses betonen. Patienten sind nicht länger die Passiven. Wichtig in diesem Zusammenhang ist auch die Differenzierung von drei Risikogruppen. Im zweiten Fall heißt dies: Die kulturkritischen Motive müssen relativiert werden. Die Möglichkeiten der Haltung gegenüber Innovationen müssen pluraler werden. Es wird den anderen konzediert, man tut etwas dafür, dass andere so leben können. Oder: dass dieser Konsum legitim ist, eine Option in einem Spektrum von Lebensformen. Aber für sich selbst behält man es sich vor, anders leben zu können. Definition heißt hier: Unterscheidung und Beschreibung eines Spektrums von legitimen Lebensformen. Die undemokratischen, unsozialen und unökologischen werden davon gleichwohl klar ausgegrenzt. Eine solche Strategie hat einen großen Vorteil: Sie schafft Sprach- und Handlungsfähigkeit. Im ersten Fall: Die Linke läuft nicht einem Trend hinterher, wenn die Angst vor risikoreichen Innovationen plötzlich verschwindet. Die Linke kann durch einen aktiven Prozess der Abwägung den über Risiken begleiten. Im zweiten Fall: Sie entschärft die kulturell bedingte Generationenfrage. Neue Formen werden nicht mehr im Namen der Tradition abgelehnt, sondern es wird auf der Akzeptanz von Differenzen beharrt. Die Linke kann dadurch attraktiv werden, indem sie ihre Modernität beweist. Modernität heißt aber wiederum: Anerkennung der Differenz und gelebte Toleranz. 2. Bildung für die Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit Was muss Bildung zur Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit beitragen? Ob Innovationen tatsächlich forciert werden können, hängt in hohem Maße von genügend ausreichend gut qualifizierten Menschen ab. Davon hängt auch ab, inwieweit überhaupt neue Technologien kompetent in der Arbeit adaptiert werden können und inwieweit aus dem Ausland aufgenommene Innovationsformen in eine „fast follower Strategie“ übertragen werden können. 236 Wir haben gesehen, dass es der sozialdemokratisch-grünen Bundesregierung nicht gelungen ist, Bildung zu einer Angebotsmacht zu machen. Aber es gab Schritte in die Richtung dieses Ziel. Es wurden flexible Institutionen zur Verbesserung der „Lernfähigkeit der Weiterbildungseinrichtungen“ geschaffen. Ferner passte sie die Angebote an neue Anforderungen in der Berufswelt an. Die Menschen können sich jetzt besser qualifizieren. Und sie verbessern ihre Möglichkeiten, jenseits von fachlichen Fähigkeiten Phantasie in die Arbeit einzubringen. Die Menschen können sich 236

Vergleiche ZEW/DIW (2004), S. 212.

II. Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit

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Arbeitsabläufe und Produkte auch anders vorzustellen und entsprechend Vorschläge machen. Das Spektrum des Machbaren wird erweitert. Das ist ein anderer Ausdruck für Innovationen. Anderseits hat die Bundesregierung, zumindest ansatzweise, die Zugangschancen zu Ausbildung für junge Leute verbessert. Aber die Kritik zeigt, dass dies nicht ausreichend ist. Beide Aspekte, Ausbildung und Weiterbildung, müssen systematischer entwickelt werden. Um die Unterschiede deutlich zu machen, will ich einige Prinzipien für die Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit einführen und erläutern. Sie sind von einer Reihe von Bildungspolitikern entwickelt worden. 237 Die Grundschule und die weiterführenden Schulen müssen sich am Prinzip der Ganztägigkeit orientieren. Damit ist mehr gemeint als eine rein zeitliche Ausdehnung des Unterrichtes. Mehr Bildungsgerechtigkeit und bessere Zugangschancen verlangen hingegen Dualität und flexible Steuerung. Dualität soll all jene unterstützen, die über keine feste Beschäftigung und deshalb nicht über die damit zusammenhängenden Bildungsmöglichkeiten verfügen. Flexible Steuerung soll das Prinzip von Bildungsgerechtigkeit in den Schulen in einer zeitgemäßen Form einführen. Man kann es auch so formulieren: Die Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit ist das politische Ziel für eine Reform des Bildungssystems. Dieses Ziel verlangt zum einen eine Reform der Institutionen. Das ist der Fall, wenn die Prinzipien der Ganztägigkeit und der flexiblen Steuerung auf der Tagesordnung stehen. Zum anderen muss eine neue Institution geschaffen werden, wenn Prinzip der Dualität realisiert werden soll. Ganztägigkeit schafft die Voraussetzung für erfolgreiche Bildungs- und Qualifizierungsprozesse. Sie ist die Bedingung für eine neue Lern- und Lehrkultur. Ganztägige vorschulische und schulische Einrichtungen müssen sich um Kinder, Schülerinnen und Schüler mit ihren konkreten Voraussetzungen, Erwartungen und Problemen kümmern. Ganztägigkeit darf sich nicht in einer Verlängerung der Aufenthaltsdauer von Schülerinnen und Schülern in der Schule und der Ausweitung von Betreuungsangeboten erschöpfen. Schülerinnen und Schüler müssen „das Lernen lernen“. Nicht nur, was man weiß, ist entscheidend, sondern vor allem, wie man Wissen jederzeit erwerben kann. Gegenwärtig wird selbständiges Lernen nicht gefördert. Die Schüler lernen heute in den Schule zuviel, aber sie lernen nicht das Richtige. Es ist notwendig, den Schülerinnen und Schülern PCs und Internetanschlüsse zur Verfügung zu stellen. Die fachkundige Benutzung eines Computers aber ist kein Selbstzweck, sondern ein Mittel, sich in der Wissensgesellschaft zurechtzufinden. PCs sind Zugangsmedien zum Wissen der Welt. Wie die Klaviatur des Internet zu bedienen ist, muss gesondert gelehrt und geübt werden.

237

Text.

Vergleiche Bildungsmanifest (2002). Im Folgenden orientiert sich der Autor an diesem

174

E. Die Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit

Junge Menschen müssen lernen, zunehmend selbst Entscheidungen für ihre Lernprozesse zu treffen. Sie müssen auf Wahlprozesse vorbereitet werden und in der Reflexion des eigenen Verhaltens – im Unterricht oder in sonstiger Verbindung mit der Schule – Unterstützung finden. Es kommt darauf an, nicht nur Wissen, sondern Kompetenzen zu erwerben: also das Wissen auch anwenden und sprachlich ausdrücken zu können. Das verändert selbstverständlich die Rolle der Lehrerinnen und Lehrer. Sie sind stärker als Moderatoren gefragt, die Verantwortung für die Gestaltung der Schule und der Lernprozesse übernehmen. Dazu bedürfen sie auch der Verantwortung für die inhaltliche Gestaltung des Unterrichts. Ganztägigkeit ordnet das Verhältnis von Bildung, Erziehung und Familie neu. Die Zuständigkeit der Familie für die Erziehung und die der Schule primär für den Wissenserwerb ist in Frage gestellt: Die Erziehungskraft der Familie hat angesichts zahlreicher „Miterzieher“ in der Gesellschaft nachgelassen, die in der Gesellschaft wirksamen Vorstellungen sind heterogener, die Voraussetzungen komplexer, mit denen die Kinder in Kindergärten und Schule kommen. Viele Kindergärten und Schulen entlasten die Familien gegenwärtig nicht. Statt Zeiträume für die Familien und Erwerbsarbeit zu schaffen, schränken sie diese ein – insbesondere die Möglichkeit von Frauen, die eine Erwerbstätigkeit aufnehmen wollen. Ganztägige private und öffentliche Krippen- und Kindergartenplätze in ausreichender Zahl sind deshalb unverzichtbar. Die Menschen müssen aber auch im Beruf „am Ball“ bleiben. Was die Möglichkeiten der betrieblichen Weiterbildung betrifft, haben Gewerkschaften wie die IG BCE und die IG Metall entsprechende Tarifverträge abgeschlossen. Sie räumen allen Beschäftigten ein Anrecht auf Weiterbildung ein. Die IG Metall hat den Prozess der Implementierung des Tarifvertrages zur Qualifizierung genauer untersucht. Die betriebliche Weiterbildung zielt auf einen Erhalt vorhandener Qualifikationen. Die Beschäftigten sollen im Rahmen des eigenen Aufgabengebiets Schritt halten können mit der ständigen Fortentwicklung des fachlichen, methodischen und sozialen Wissens. Zweitens dient die betriebliche Weiterbildung der „Anpassungsqualifizierung“, damit die Arbeitnehmer veränderten Anforderungen im eigenen Aufgabengebiet gewachsen sind. Und drittens schließlich fördert sie die „Qualifizierung zur beruflichen Weiterentwicklung“. Hier geht es darum, dass Beschäftigte gleichwertige oder höherwertige Arbeitsaufgaben für andere Arbeitsplätze übernehmen können. Die Beschäftigten haben einen Anspruch auf ein (in der Regel jährliches) Gespräch, in dem der Qualifizierungsbedarf festgestellt wird und die dafür nötigen Schritte vereinbart werden. Eine Auswertung für die Metall- und Elektroindustrie zeigt: Die Betriebsräte platzieren das Thema Qualifizierung/Weiterbildung im Mittelfeld – obwohl sie eine zentrale Rolle in der betrieblichen Umsetzung spielen. Themen wie Beschäftigungssicherung oder Arbeitszeitgestaltung sind ihnen wichtiger. Aus Zeitmangel kümmern sie sich zu wenig um Weiterbildung, oft sind ihnen der Qualifizierungsbedarf und seine Ziele unklar, reichen die Kenntnisse für die Bedarfsermittlung nicht aus und schätzen sie die Durchsetzungschancen gering ein.

II. Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit

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Nur die Hälfte der tarifgebundenen Betriebe hatte Betriebsvereinbarungen zur Qualifizierung abgeschlossen oder plante solche Vereinbarungen. Zu den Stärken des „Tarifvertrages für Qualifizierung“ gehörte seine breite Akzeptanz, ein relativ tarifkonformes Verhalten der Betriebe und sein positiver Einfluss auf das betriebliche Weiterbildungsgeschehen. Zu den Schwächen zählte der formale Charakter der Tarifvorgaben, der keine Gütekriterien für die Umsetzung/Anwendung enthielt. Es gab außerdem Umsetzungsstaus bei beschlossenen und für notwendig erachteten Weiterbildungsmaßnahmen. Deshalb ist die Klärung der Verbindlichkeit notwendig und die Korrektur der sozialen Selektivität. 238 Die Steigerung der Angebotsmacht der Bildung darf nicht selektiv sein. Sie muss zum einen, das ist das zweite Prinzip, das Prinzip des Wechsels, durch verallgemeinerte Dualität neue „prekäre“ Berufsbiographien berücksichtigen. Lernen geschieht, um leben zu können, um die Welt zu begreifen und mitzugestalten. Dualität als Prinzip des Wechsels von Lernen und Handeln ist deshalb für alle Bildungsschritte grundlegend: Angefangen vom Kindergarten über die Berufsausbildung bis zur Hochschule. Der Wandel der Arbeit fordert aber auch das bewährte Prinzip der dualen Ausbildung heraus. Diskontinuierliche Erwerbsbiographien und lebenslanges Lernen erzwingen ein erweitertes Verständnis von Dualität. Auf dem Weg in die wissensindustrielle Gesellschaft lässt sich duales Lernen nicht mehr auf die Phase der beruflichen Ausbildung begrenzen, sondern durchzieht das gesamte Berufsleben. Dualität wird zu einem Prinzip des geordneten Wechsels von Arbeits- und Lernmilieus, der die Unterscheidungen von Betrieb und Nichtbetrieb, betrieblicher und überbetrieblicher Ausbildung verwischt. Der häufige Wechsel von Arbeitgebern, der wiederholte Abbruch von sich entwickelnden Arbeitsbeziehungen rückt die Erfahrung des permanenten Wechsels in den Mittelpunkt von Berufsbiographien. Eine Vielzahl an Beschäftigungen stiftet weder Kontinuität noch Sinn in der Karriere des Einzelnen. An diese Stelle tritt die permanente Erfahrung von Unterbrechungen und Brüchen. Erzwungene Wechsel müssen sich nach dem Vorbild von „Wertschöpfungsketten“ in einer sinnvollen Abfolge von Bildungsereignissen – „Bildungsketten“ – verarbeiten lassen. Lebenslanges Lernen muss die einzelnen Glieder dieser Kette, sprich: Bildungs- und Berufserfahrungen, miteinander verknüpfen und einen Bildungsmehrwert erzeugen können. Nur wenn auch Menschen ohne attraktive und stabile Beschäftigung Bildungsund Erfahrungskapital anhäufen und Ansprüche auf soziale Sicherheit erwerben können, entsteht eine Alternative zu herkömmlich verteilten Bildungs- und Beschäftigungschancen. Von „lernenden Regionen“ wissen wir, dass die Schaffung neuer Bildungskontexte erfolgreich sein kann. Das trifft für die Bewältigung bestimmter Probleme wie des Strukturwandels und die Unterstützung bestimmter Gruppen wie „Lernschwachen“

238

Vergleiche Allespach (2006).

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E. Die Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit

oder „schwer Qualifizierbaren“ zu. Neue Bildungskontexte können geschaffen werden, wenn bislang getrennt operierende Institutionen nunmehr koordiniert zusammenarbeiten: Dazu zählen öffentliche Stellen, kommerzielle Anbieter und Non-Profit-Organisationen im Bildungs- und Qualifizierungsbereich. So kann ein regionaler Bildungsraum mit differenzierten Angeboten und Hilfestellungen entstehen. Er steht all jenen mit Hilfe und Beratung zur Seite, die sich aus eigener Kraft kein kohärentes Berufsleben schaffen können. Auf einen solchen Raum sind aber auch viele angewiesen, die ihr berufliches Leben ändern und sich für andere Tätigkeiten weiterbilden wollen. Regionale Innovationskonferenzen sollten dem Prinzip der Dualität institutionelle Stabilität verleihen. Sie führen Themen wie die Arbeitsmarktpolitik, Bildung, Weiterbildung, Wirtschaftsförderung und soziale Sicherheit zusammen. Es geht um die Verknüpfung von Arbeit, Bildung und sozialer Sicherheit. Das wirtschaftliche und soziale Leben in der Region wird auf diese Weise Gegenstand von Bildung und Wissen – und erkennbar lebensrelevant für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Flexible Steuerung, um den vielfältigen Formen sozialer Ungleichheit entgegen zu wirken, lautet das dritte Prinzip. Auf die Schulen kommen neue Aufgaben zu: Sie müssen nicht nur den Wissensstoffs, sondern Lernfähigkeit an sich vermitteln und sich stärker in die Erziehung einmischen. Mehr als bisher hängen soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit von ihnen ab. Dazu müssen sie angemessen auf ihr Umfeld reagieren können. Also muss die Schule über ihre vorrangigen Aufgaben vor Ort selbst entscheiden können. Das betrifft etwa Kommunen mit einem hohen Anteil von Immigrantenkindern oder die Auswirkungen der wachsenden Heterogenität von Elternerwartungen. Deshalb muss die Schule mehr zur Sache der Schüler, der Eltern und des Umfeldes werden. Die Interessen der Schulgemeinde wie auch des Umfeldes sollten in einem „School-Board“ repräsentiert werden. Evaluationsverfahren können die Perspektive der „Kunden“ besser einbeziehen. Damit läge die Frage auf dem Tisch, was umgekehrt Schüler, Eltern und die Gesellschaft für die Schule zu tun bereit sind. Trotz geringerer Ressourcen kann sich der Staat nicht aus der Verantwortung für Finanzierungs- und Verteilungsaufgaben stehlen. Der Verzicht auf gezielte und kostenträchtige Förderung bestimmter Gruppen führt nur scheinbar zu einer gerechten Gleichbehandlung, die jedoch die gegebenen Ungleichheiten stabilisiert. Bei Bildungsfragen sitzt die Ungleichheit gewissermaßen immer „mit am Tisch“. Groß ist die Gefahr, dass Bildung soziale Ungleichheit verfestigt. Wenn Bildung ihre soziale Kraft entfalten soll, darf sie nicht an die Vorstellung eines in qualifizierte und unqualifizierte Arbeit gespaltenen Arbeitsmarktes gekoppelt bleiben. Bildung wird nur dann ihren Eigensinn und ihre Angebotsmacht entfalten, wenn sie auf die Nachfrage privater und öffentlicher Unternehmen stößt, die sozialen, organisatorischen und strukturellen Innovationen zugänglich sind. Ein Innovationsprozess, der in den Unternehmen die Entfaltungsmöglichkeiten menschlicher Fähigkeiten verbessert, regionale Innovationskooperationen und Existenzgrün-

II. Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit

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dungen einschließlich neuer Formen der Freiberuflichkeit unterstützt, könnte die Angebotsmacht der Bildung stärken. Förderung und Chancengleichheit müssen jedoch auch kurzfristige Wirkung entfalten. Es geht generell um eine zweite Chance, um ungleiche Chancen in verschiedenen Lebensphasen auszugleichen: Frühe Förderung in Kindertagesstätten, Förderung in der Grundschule, eine Berufsausbildung von Jugendlichen, die einer besonderen Förderung bedürfen, Qualifizierung von jungen Erwachsenen ohne Beruf wie in „Schulen der zweiten Chance“. In eine Sackgasse führt der Streit um Prozentzahlen, was die Eigenbeteiligung an der Weiterbildung angeht. Der Erfolg von Weiterbildungsmaßnahmen hängt nicht vom Grad der Eigenbeteiligung an der Maßnahme ab, sondern von der Qualität der Lernprozesse. Eine hohe Eigenbeteiligung würde vor allem sozial schlechter Gestellte abschrecken. Deshalb sollte über ein erfolgsorientiertes Kontrollsystem nachgedacht werden, das den Grad der finanziellen Beteiligung vom Erfolg der Maßnahme abhängig macht. Welche Konsequenzen für das Bildungssystem wären zu ziehen? Die Reaktionszeiten des Bildungssystems auf Veränderungen und Reformen sind lang, deshalb ist es wichtig, mit der nötigen Neuorientierung bald zu beginnen. Dass gute Qualität in der schulischen Ausbildung vorrangig mit guter individueller Förderung und Unterstützung erreicht wird statt durch Selektion und Auslese, wurde bereits beschrieben. Doch auch die Durchlässigkeit des Schulsystems wäre deutlich zu erhöhen, um auch „Spätentwicklern“ die Möglichkeit zu qualifizierten Schulabschlüssen zu eröffnen. Wichtig ist eine konsequente berufsbegleitende Weiterbildung der Lehrer, damit sie neue Entwicklungen fachbezogener und gesellschaftlicher Art im Unterricht berücksichtigen können. Doch auch die Erweiterung des schulischen Fächerkanons um beispielsweise ein Technikfach könnte als schulischer Vorläufer zum ingenieurwissenschaftlichen Studium fungieren. Zu vermeiden wären Maßnahmen, die erst langfristig Wirkungen zeitigen. Stattdessen sind auch kurzfristige Möglichkeiten zu erwägen, insbesondere was das Potenzial der Studierenden betrifft. ZEW und DIW schlagen in ihrer Innovationsstudie vor, den Zugang zum Studium nicht ausschließlich an das Abitur oder an das Fachabitur zu binden. Eignungs- oder Aufnahmeprüfungen könnten auch Menschen mit beruflicher Bildung und Fachhochschulreife einen akademischen Ausbildungsweg eröffnen. Die Neustrukturierungen der Hochschulausbildung durch die Installierung von Bachelor- und Masterstudiengängen sollte zügig und konsequent fortgeführt werden. Die Möglichkeit einer qualifizierten Ausstiegsoption nach drei bis vier Jahren kann attraktiv für diejenigen sein, die bisher vor vier bis sechs Jahre dauernden Studien zurückschreckten. Darüber hinaus ist die gezielte Förderung gerade von technikrelevanten Studiengängen nötig. Die Zahl der Studierenden in diesen Fachrichtungen liegt deutlich hinter der allgemeinen Entwicklung. Sie muss deshalb sehr gesteigert werden. Schließlich soll die Mission der akademischen Weiterbildung fest im Bildungssystem verankert

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E. Die Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit

werden. Hier sind die deutschen Hochschulen im internationalen Vergleich bisher nur sehr wenig aktiv. Offenbar ist die Nachfrage bislang gering. Das könnte sich ändern, wenn Unternehmen für ihre schon länger im Beruf stehenden akademisch ausgebildeten Mitarbeiter entsprechende Weiterbildungsbemühungen einfordern.239 Wenn die Angebotsmacht der Arbeit durch Bildung vorangebracht werden soll, sind vermehrte Investitionen erforderlich. Bildungspolitiker haben eine Größenordnung von 50 Mrd. Euro genannt. Das könnte für eine mittelfristig angelegte Bildungsentwicklung realistisch sein Man kann den Beitrag der Bildung zur Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit nur in einer mittel- und langfristigen Perspektive beschreiben. Wer nicht mehr im ersten Arbeitsmarkt arbeitet, die Menschen auf dem zweiten und dritten Arbeitsmarkt, müssen bessere Zugangschancen zur Bildung durch Dualität und flexible Steuerung haben. Auf diese Teile der Realität kommen wir nun zu sprechen. 3. Partizipation – gute Arbeit auf drei Arbeitsmärkten Reinhard Koselleck hat in seinem Aufsatz über den Fortschrittsbegriff darauf hingewiesen, dass die zunehmende Mobilität zwischen den Orten, die soziale Besserstellung der Massen im Anstieg des Konsums und des Komforts fast für jedermann gilt, die Verlängerungen der Lebensdauer aber nur in räumlich und zeitlich gestaffelter Weise. „Die genannten Phänomene des unbestreitbaren Fortschreitens bleiben schichtenspezifisch gefächert.“ 240 Daraus folgt: Die Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit darf nicht auf die leistungsfähigsten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer begrenzt sein. Auch schwächere Arbeitnehmrinnen und Arbeitnehmer brauchen Partizipationschancen. Dafür müssen die vorhandenen realpolitischen Instrumente für den Arbeitsmarkt besser genutzt werden. Das reicht aber nicht aus. Nötig ist überdies eine neue Utopie der Arbeit, die eine Ordnung nach Leistungsfähigkeit herstellt. Es geht um einen ersten, zweiten und dritten Arbeitsmarkt. Damit entsteht augenblicklich ein anderes Problem: Es bedarf der Übergänge und damit einer besondere Form des Zugangs. Wichtig ist die Bewertung insbesondere der Arbeit im dritten Arbeitsmarkt. Es gibt nicht eine, sondern zwei Formen guter Arbeit. Die Linke muss sich dafür im Namen von realen Partizipationschancen engagieren. a) Die Arbeitsmarktinstrumente besser nutzen Wie sich die vorhandenen Arbeitsmarktinstrumente besser nutzen lassen soll zunächst anhand des Kombilohns und der Arbeitsmarktvermittlung gezeigt werden. Im weiteren: Die Bundesregierung hat dafür Modellprojekte aufgelegt, in denen Jobscouts eine besondere Rolle spielen. Jobscouts sind ein Synonym für verbesserte 239 240

Vergleiche ZEW/DIW (2004), S. 215–216. Koselleck (2006), S. 179.

II. Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit

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Suchprozesse. Doch auch in der Arbeitsvermittlung, konkret den Vermittlungsgesprächen, liegt noch ein großes Verbesserungspotenzial. Für Arbeitnehmer mit schlechten Chancen auf dem Arbeitsmarkt bedarf es angemessener Formen der Partizipation. Sie müssen Rücksicht auf das Potenzial einfach Qualifizierter, schlecht ausgebildeter Jüngere und Älterer nehmen. Der Blick auf Europa zeigt uns unterschiedliche Ansätze, wie sich mit Hilfe des Kombilohns und des Mindestlohns die Teilhabechancen von Risikogruppen an der Arbeit verbessern lassen. Klar ist schon jetzt, dass dieses Problem die Politik in Deutschland über die Legislaturperiode der Bundesregierung hinaus beschäftigen wird. Eine Optimierung der Instrumente Kombi- und Mindestlöhne könnte die Partizipationschancen für Menschen mit schlechten Chancen auf dem Arbeitsmarkt beträchtlich steigern. Auf einer ersten Optimierungsstufe: Präzisierungen und Einschränkungen des Kombilohns im Rahmen des semi-autonomen Tarifvertragssystems. Kombilöhne sollen Teil einer Beschäftigungsstrategie sein, aber auch Teil eines differenzierten abgestuften Modells von Arbeit: Ihre grenzenlose Ausweitung soll verhindert, die Kosten dieses Instrumentes und sein Missbrauch durch die Auswahl von Zielgruppen und eine zeitliche Befristung solcher Beschäftigungsverhältnisse begrenzt werden. Der Kombilohn muss aber auch attraktiv sein und hinreichende Anreize zur Arbeitsaufnahme und eine benutzerfreundliche Ausgestaltung für Behörden, Nutzer und Arbeitgeber geben. Für staatlich festgelegte Mindestlöhne spricht, dass sie auch dort Geltung beanspruchen können, wo es keine tarifvertraglichen Regelungen gibt. Sie können darüber hinaus symbolische Kraft entfalten („In diesem Betrieb werden Mindestlöhne bezahlt!“). Gegen Mindestlöhne spricht, dass sie das Prinzip der selbst organisierten Lohnfindung, des Interessenausgleichs der Tarifpartner und der Tarifautonomie zu beschädigen drohen. Außerdem sind die Kontrollmöglichkeiten wie die Aufsicht und Sanktionierungsmöglichkeiten ungewiss. Dessen ungeachtet ist der Mindestlohn in Europa stark abgestuft je nach Alter, Berufserfahrung und Qualifikation. Eine zweite Stufe der Verbesserung der Beschäftigungschancen von Risikogruppen kann darin bestehen, die Stärken von Kombilöhnen und Mindestlöhnen in einem Konzept zu verknüpfen. Kombilöhne könnten grundsätzlich in tarifvertraglich geregelten Branchen gelten, Mindestlöhne könnten dort zu Anwendung kommen, wo Arbeitsbeziehungen tarifvertraglich nicht geregelt sind. Die institutionellen Reformen der Bundesagentur für Arbeit sind trotz aller organisatorischen Schwierigkeiten dazu geeignet, die Angebotsmacht der Arbeit zu fördern. Auch die Möglichkeiten für Arbeitsvermittler sind im Zuge der Reformen besser geworden. Entscheidend für eine erfolgreiche Arbeitsvermittlung sind dabei nicht zuletzt dessen Habitus und die Persönlichkeit eines Arbeitsvermittlers. Das Gespräch mit einem guten Vermittler kann viel dazu beitragen, einen Arbeitslosen zu motivieren und auf die für ihn richtige Stelle zu bringen. Im Folgenden werden Beispiele für solche gelungenen Kommunikationen dargestellt.

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E. Die Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit

Ein Arbeitsvermittler in einem Landkreis in Mecklenburg-Vorpommern folgt eigenen Methoden bei der Vermittlung von Arbeitslosen. In einem Ort, der offiziell knapp 30 Prozent Arbeitslose hat, lässt dieser Vermittler schwer vermittelbare Arbeitslose Bilder von sich selbst in ihrem Wunschberuf malen. Die Idee: Jeder kann seine Stärken erkennen und jeder seine Ideen umsetzen. „Am liebsten wäre ich selbstständig“, sagt ein Arbeitsloser. Er erzählt von seinen Überlegungen, einen Allround-Hausmeisterservice aufzumachen, er könne so gut wie alles reparieren. Der Vermittler schlägt vor mit einer Ich-AG in den Hausmeisterservice einzusteigen und dazu einen 401-Euro-Job als Bautischler. Er entwirft mit schnellen Bleistiftstrichen ein Geschäftskonzept, mit dem man sofort etwas anfangen kann, auch wenn der Betroffene nur einen Rasenmäher und ein paar Werkzeuge besitzt. Dem Einwand, die Selbständigkeit sei doch ein großer Schritt, entgegnet er freundlich: „Wir versuchen das.“ Der Arbeitsvermittler wirkt wie jemand, der konsequent und im Kleinen Hartz IV umsetzt. „Fordern und fördern“ verlangen Verbindlichkeit und Disziplin. Wer mit einem Vermittlungsgutschein der Agentur für Arbeit in das mit gebrauchtem Mobiliar, alten Computern und etwas Farbe zum Beratungsinstitut umgewandelte Gebäude kommt, unterzeichnet einen Vertrag. Darin verpflichtet er sich ausdrücklich zur Mitwirkung. Mit einer Kombination aus Hilfe und Druck hatte dieser Vermittler bereits lange vor Hartz IV Erfolg. Drei Jahre arbeitete er in Süddeutschland mit schwer vermittelbaren Langzeitarbeitslosen, die ihm das Sozialamt zugewiesen hatte. Sie mussten sich verpflichten an fünf Tagen die Woche oder jeweils 40 Stunden pro Woche in seinem Institut für Vermittlungscoaching zu erscheinen. Im besten Fall, um sich über persönliche und berufliche Ziele klar zu werden, Bewerbungsunterlagen fertig zu stellen und im Branchenbuch oder Internet nach Arbeitgebern zu suchen. Im schlechtesten Fall, um auf unabsehbar Zeit die Zeit totzuschlagen: Denn gemäß der Vereinbarung mit dem Sozialamt lief die Maßnahme bis zur erfolgreichen Vermittlung. Wer nicht im Institut erschien, dem strich das Sozialamt 25 Prozent der Hilfe. Wer dann immer noch fernblieb, der verlor die ganze „Stütze“. So erzielte er eine Vermittlungsquote von 76 Prozent. Dazu gehörten der jahrelang obdachlose Jobber in der Küche einer Kaffeebar, die ungelernte 54-Jährige als Haushälterin und „LeihOmi“, der gelernte Schäfer als Speditionskaufmann und die Exanwältin als Putzunternehmerin. 241 „Ich stehe natürlich auf, um die Leute zu begrüßen, schon allein aus Höflichkeit, stehe aber auch auf, um meine Einszweiundneunzig zu zeigen. Damit die Leute das Gefühl haben, der kann mir helfen. Der kann richtig zupacken. Bei dem bin ich an der richtigen Adresse.“ Zu solchen Mitteln greift ein Arbeitsvermittler aus der Bundesagentur für Arbeit in Neubrandenburg, wenn er Langzeitarbeitslosen das Gefühl geben will, ihnen sei noch zu helfen. Neubrandenburg ist der Bezirk mit der höchsten Arbeitslosenquote in Deutschland. Im Mai 2005 lag der Durchschnitt bei 25,2 Prozent. Um nicht die Motivation zu verlieren, denken die Arbeitsvermittler nur in Einzelfällen. Es werden Termine vergeben, pro „Kunde“ rechnen sie mit einer 241

Vergleiche Spörrle (2004).

II. Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit

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Stunde inklusive Vorbereitung. Es sind junge Kunden, die zu ihnen kommen: Langzeitarbeitslose unter 25 Jahren. Es ist interessant, wie die Arbeitsvermittler überbetriebliche Fortbildungen und Bildungsgutscheine „an den Mann“ bringen. Sie nennen den Arbeitslosen die Kosten der Zusatzqualifikation und weisen sie darauf hin, dass „der Beitragszahler“ eine Gegenleistung erwarten dürfe. Ein 24-jähriger Maler, der mit seiner Frau gekommen ist, hat nach seiner Ausbildung noch nie in dem gelernten Beruf gearbeitet. Er erhielt eine Zusatzausbildung für Wärmedämmung, aber der Bildungsträger hat die Zertifizierung verloren und muss sie neu beantragen. Das dauert, nun muss rasch ein neuer Träger gesucht werden. Der Vermittler drängt den Mann zu einer Fortbildung, damit er eine Chance auf dem regulären Arbeitsmarkt hat. „Ach, sind Sie zuversichtlich!“, wirft die Frau des Malers ein. „Meinen Sie nicht, das wirkt bei einem Arbeitgeber, dass Sie sich bemüht haben?“, wendet der Vermittler ein. „Ja, ja, schon richtig“, murmelt der Maler. „Haben Sie schon den Verlängerungsantrag für ALG II gestellt?“, fragt der Vermittler weiter, „die Kohle muss doch weiterlaufen. Und bleiben Sie am Ball, was Ihre Bewerbungen angeht?“ Der Mann nickt mit dem Kopf, zuckt die Achsel. Der Vermittler erklärt geduldig, wie die Formulare ausgefüllt werden. Dann legt er ihm ein Papier vor, die Einigungsvereinbarung. Es ist ein Vertrag, der mit einer eingebauten Regresspflicht den sang- und klanglosen Abbruch einer Fortbildung verhindert. Diese Vermittler wirken wie Sozialarbeiter. „Schieben“ nennen sie ihre Art des Arbeitens und Motivierens, damit die „Kunden“ nicht resignieren und weitermachen. Danach trifft er einen Arbeitslosen, der sich bei seinem Ein-Euro-Job nicht einmal hat blicken lassen. Der Vermittler wird ihn abholen und mit dem Auto persönlich abliefern. Weigert er sich dann, kann er ihm die Leistungen streichen. Aber er verspricht ihm „in die Hand“ sich zu bessern. Die immer wieder kehrenden Fragen, die diese Sozialarbeiter-Arbeitsvermittler stellen, lauten: „Das Formular ausgefüllt? Zehn Bewerbungen in einem Monat geschrieben? Bewerbungen abgerechnet? Sich eigenverantwortlich nach einem geeigneten Bildungsträger umgesehen? Rufen Sie mich an? Kommen Sie nächste Woche vorbei? Bleiben wir in Kontakt?“ Das wird alles in einem optimistischen Ton vorgebracht. Gegen die Resignation und die andere Art des Rechnens, die besagt, dass man mit ALG II ja doch irgendwie über die Runden kommen kann, ohne dabei kaum weniger als mit täglicher Arbeitsmühsal zu verdienen. 242 Nach Befragungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) existierten 2006 in Deutschland fast eine Million offene Stellen, etwa dreimal so viele wie offiziell registriert. Umso wichtiger ist das Aufspüren dieser Potenziale. Dafür bedarf es professioneller Suchprozesse. Ein gutes Beispiel dafür ist ein lokales Bündnis für ältere Arbeitslose in Gelsenkirchen. Die Ruhrgebietsstadt hat in den vergangenen 15 Jahren 30.000 Arbeitsplätze verloren. Arbeitslosequote: 20 Prozent. Als Antwort darauf hat die Stadt den „City-Service“ erfunden, der Langzeitarbeitslose, Ein-Euro-Jobber beschäftigt, an die sich Einwohner und Besucher mit ihren Problemen wenden können. Als die Bundesregierung aus SPD und Grünen 2005 242

Vergleiche Hordych (2005).

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E. Die Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit

den Wettbewerb „Perspektive 50plus“ zur Förderung von Älteren am Arbeitsmarkt ausrief, stellte eine gemeinnützige GmbH den Beschäftigungspakt „Best ager“, Menschen im besten Alter, auf die Beine. Ergebnis: Zwischen Ende 2005 bis Ende März 2007 wurden mehr als 64.000 ältere Arbeitsuchende aktiviert und mehr als 12.000 in den ersten Arbeitsmarkt integriert. Die Bundesregierung hat eine Reihe von gelungenen Beispielen in einer Broschüre mit dem Namen „Unternehmen mit Weitblick 2006“ dargestellt. Das Konzept der „Best ager“ basiert auf der Annahme, dass auch in einer Gesellschaft mit mehr als fünf Millionen Arbeitslosen die Kenntnisse Älterer wie Disziplin und Berufserfahrung gefragt sind. Angebot und Nachfrage sollen optimal zusammengebracht werden. Ein ständiger Kontakt zwischen potenziellen Arbeitgebern und Bewerbern soll helfen, „passgenau“ zu vermitteln. Daneben sollen kleinere Defizite in der Qualifikation der Arbeitslosen behoben werden. Diese Gesellschaft arbeitet mit „Jobscouts“, die Stellenmärkte im Internet nach offenen Stellen durchsuchen und mit den passenden Bewerbern zusammenbringen. Dafür müssen sie vor allem „Klinken putzen“. Die vier Scouts besuchten mehr als 1000 Unternehmen im Radius von 50 Kilometern und erkundigten sich nach dem Bedarf an älteren Arbeitnehmern. 20 Prozent der Befragten winkten sofort ab, aber fast ein Viertel meldete einen generellen Bedarf an älterem Personal an. Wichtig ist die Beharrlichkeit der Jobscouts. Oft verwandelt erst große Überzeugungsarbeit das Interesse eines Unternehmers in ein konkretes Jobangebot. Mit Blick auf die Jobsuchenden: Wem die Jobscouts nicht sofort ein Angebot machen konnten, konnte sich derweil in einem von sieben Teilprojekten qualifizieren. Der Einzelhandelsverband leitete in 2006 zum Beispiel das „Gastronomieprojekt zur Unterstützung des WM-Standortes Revier“. Viele Gastwirte suchten angesichts des erwarteten Andrangs ausländischer Fans zur Fußball-WM nach qualifiziertem Personal. Andere Teilprojekte bemühten sich um eine Vermittlung der Arbeitslosen ins benachbarte Ausland: als haushaltsbezogene Alltagshilfen oder in einem Vertretungspool für Sekretariatstätigkeiten. 243 Die drei Beispiele zeigen, dass eine gute Arbeitsvermittlung einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit leisten kann. Das heißt in diesem Fall zweierlei: Unternehmen zu finden und von ihrem Bedarf an Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu überzeugen. Und Arbeitsuchende davon zu überzeugen, dass sie Chancen besitzen, eine Arbeit zu finden, dafür aber etwas tun müssen. Die Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit hängt in diesem Fall von der Einstellung der Unternehmen und Arbeitsuchenden ab, vor allem von der Umtriebigkeit und dem Elan der Arbeitsvermittler, ihrem aktiven Habitus. Engagierte Vermittler können dazu beitragen, dass Unternehmen neue Möglichkeiten erkennen und Arbeitslose Mut schöpfen und Selbstvertrauen entwickeln. Ihr Engagement hat mehrere Aspekten: Auf der Beharrlichkeit der Jobscouts und ihrer Bereitschaft, bei den Unternehmen „Klinken zu putzen“. Wichtig ist die Ausdauer, Unternehmer zu über-

243

Vergleiche Astheimer (2006).

II. Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit

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zeugen. Dem ist allerdings ein Suchprozess vorgelagert, analytische Fähigkeiten und die Idee von einer Chance. Solche Arbeitsvermittler müssen eine Vorstellung davon haben, wo welche Arbeitsplätze sein und wie sie mit den Fähigkeiten der Arbeitsuchenden zusammen passen könnten. Dafür sind Suchkompetenz und Beharrlichkeit notwendige Fertigkeiten. Andererseits gehören zum Engagement von Arbeitsvermittlern Verbindlichkeit und Respekt im Umgang mit den Arbeitsuchenden. Arbeitsvermittler müssen auch etwas von einem guten Sozialarbeiter haben und den Arbeitsuchenden den Eindruck vermitteln, dass sie etwas für sie tun. Dazu gehört auch, dass sie die eigenen Vorstellungen der Arbeitslosen ernst nehmen. Das ist die eine Seite des Respekts. Die andere Seite ist, dass Arbeitslose gefordert werden. Ein Arbeitsvermittler drückt das mit den folgenden Worten aus: „Mit Freiwilligkeit kommt man bei Arbeitslosen nicht weit.“ Entscheidend für den Erfolg ist also die Kombination aus Hilfe und Druck. Denn die Gesprächsituationen zeigen generell eins: Wie wenig Eigeninitiative bei vielen Arbeitsuchenden vorausgesetzt werden kann. So notwendig eine engagierte Vermittlung für die Steigerung der Angebotsmacht der Arbeit auch ist, unstreitig bleibt: Die Vermittler müssen passende Stellen anzubieten haben. Wenn das Verhältnis von Angebot und Nachfrage nach Arbeitskräften nicht stimmt, stößt dieser Vermittlungsansatz an Grenzen. Deshalb empfiehlt sich der Ausbau der Fähigkeit der Markterforschung von Vermittlern und Jobscouts, um die realen Vermittlungsmöglichkeiten besser abzuschätzen. Es ist eine wichtige Perspektive, das Potenzial im Markt zu erkunden. Erfahrene Arbeitsmarktpolitiker sagen hingegen einschränkend, dass viele Beamte in den öffentlichen Arbeitsverwaltungen dafür nicht ausgebildet wurden. Außerdem klagten viele Arbeitsgemeinschaften der Arbeitsagenturen auch noch ein Jahr nach der Hartz-IV-Reform über Personalmangel. Dennoch lässt sich zusammenfassend sagen: Die Suchprozesse nach Arbeitsplätzen und die Kommunikationen zwischen Arbeitsvermittlern und Arbeitslosen müssen weiter verbessert werden, wenn daraus ein förderndes Element für die Angebotsmacht der Arbeit werden soll. Die Nutzung dieser Potenziale hat den großen Vorteil, dass der politische Kommunikationsaufwand vergleichsweise gering gehalten werden kann. Andererseits darf man die Grenzen dieses Ansatzes nicht verkennen: Diese Strategie lebt von der Modernisierungsbehauptung, dass für die Arbeit in der industriellen Wissensgesellschaft genügend und ausreichend qualifizierte Menschen zur Verfügung stehen. b) Der erste Arbeitsmarkt Der erste Arbeitsmarkt mit allen seinen Beschäftigen bei der Bahn, in den Branchen Lebensmittel, Automobil- und Elektroindustrie, Bau, Chemieindustrie und Energie sowie dem öffentlichem staatlichen Sektor umfasst die reguläre, vielfach mit Tarifverträgen geregelte Arbeit. Dieser Arbeitsmarkt hat eine Vorstellung guter

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E. Die Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit

Arbeit entwickelt. Sie entspricht der Vorstellung von materieller und kultureller sozialer Gerechtigkeit, aber auch der Solidarität, wenn sie verallgemeinert werden kann. Gute Arbeit, das ist ein festes, verlässliches Einkommen, unbefristete Beschäftigung, Einbringen kreativer Fähigkeiten, Sinn, Anerkennung, soziale Beziehungen, Achtung und Schutz der Gesundheit. Gute Arbeit entspricht den Freiheitsvorstellungen in und außerhalb der Arbeit, der Mitbestimmung im Unternehmen ebenso wie der Freiheit, auf der Grundlage des Normalarbeitsverhältnisses das Leben gestalten zu können. Damit sind aber zwei Probleme verbunden: zum einen, wie eine Untersuchung des Deutschen Gewerkschaftsbundes, der „DGB-Index Gute Arbeit“ herausgefunden hat, dass die Realität in der Arbeit häufig von der Norm guter Arbeit abweicht. Dies gilt insbesondere mit Blick auf Branchen, die einen hohen Anteil von Leiharbeit haben. Das Stichwort Leiharbeit führt uns zum zweiten Problem: die Frage, ob sich neben dem ersten Arbeitsmarkt ein zweiter Arbeitsmarkt herausbildet. Gegenwärtig ist es nicht leicht, die Frage nach dem Umfang der Beschäftigungsverhältnisse auf empirischer Basis zu beantworten. In den großen Chemie-Unternehmen lag nach Angaben des Bundesarbeitgeberverbands Chemie (BAVC) der Anteil der Leiharbeit im Jahr 2007 an der Gesamtbeschäftigung zwischen zwei und drei Prozent. Andere Angaben liegen nicht vor, aber es gibt Erfahrungen von Betriebsräten in anderen Branchen, die über die Zunahme von Leiharbeit berichten. So ist es ein ernstzunehmendes Indiz, dass im August 2007 bei Audi in Ingolstadt ein Tarifvertrag zur Leiharbeit abgeschlossen wurde, der den Anteil externer Zeit-Arbeitskräfte pro Werk der Audi AG auf 5 % der direkten Mitarbeiter begrenzte. Die Strategie der IG Metall und anderer Gewerkschaften ist es, den zweiten Arbeitsmarkt in Form von Leiharbeit einzuschränken und damit die Partizipationschancen dieser Gruppen von Beschäftigen zu stärken. c) Der zweite Arbeitsmarkt Es muss aber auch eine zweite Perspektive diskutiert werden. Sie kommt zum Tragen, wenn die sukzessive Ausweitung von Leiharbeit durch Tarifverträge und die Entstehung eines zweiten Arbeitsmarkts nicht verhindert werden können. Dann müssen diese Arbeitsverhältnisse auf anderem Wege gestaltet werden. Der zweite Arbeitsmarkt ist durch Beschäftigungsverhältnisse im Bereich von industrie- und staatsnahen Dienstleistungen charakterisiert, die nicht denen des ersten Arbeitsmarktes entsprechen. Zugespitzt formuliert: Der zweite Arbeitsmarkt ist der „nicht-erste“ Arbeitsmarkt. Ihn charakterisieren Formen befristeter Arbeit, das heißt Leiharbeit und befristet Jobs. Generell steigt die Zahl solcher Beschäftigungsverhältnisse. Es handelt sich nicht nur um ältere Menschen oder um Menschen mit einfachen Qualifikationen. Längst nicht alle mit guten Qualifikationen haben eine unbefristete Stelle mit einem gesicherten Einkommen. Viele werden nur befristet beschäftigt und unterhalb ihrer Qualifikation bezahlt. Diese Tätigkeiten entsprechen

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nicht dem Ideal guter Arbeit des ersten Arbeitsmarkts. Dennoch ist es fragwürdig, alle diese Bereiche politisch als prekäre Beschäftigungsverhältnisse zu bewerten. Immerhin teilen viele dort Beschäftigte diese Bewertung nicht. Außerdem gibt es eine Veränderung der Arbeitsformen, die mit dem Übergang von der Arbeit in der Industriegesellschaft zur Arbeit in der industriellen Wissensgesellschaft zusammenhängt. Dieser grundlegende Wandel muss kommunikativ berücksichtigt werden. Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass die Rückkehr zur industriegesellschaftlichen Arbeit möglich ist. Einer der wesentlichen Gründe für das Entstehen dieses zweiten Arbeitsmarktes ist das „Outsourcing“ oder die Ausgliederung von Tätigkeitsbereichen eines Unternehmens auf andere Firmen. Seit Anfang der 90er Jahre ist die Intensität des Outsourcings im verarbeitenden Gewerbe in Richtung Mittel- und Osteuropa außerordentlich stark gewachsen. Dennoch fand der Großteil des internationalen Outsourcings innerhalb der Europäischen Union statt. Dies widerspricht der verbreiteten Auffassung, dass Outsourcing vor allem in Richtung Niedriglohnländer abwandert. Es zeigt vielmehr an, dass außer Lohnunterschieden andere Faktoren wie die Nutzung von Skalenerträgen in internationalen Produktionsnetzwerken oder die Risikooptimierung eine entscheidende Rolle spielen. Für Industrien wie dem Automobilbau und der Elektrotechnik geht bereits heute ein Großteil des Wachstums internationalen Outsourcings auf eine Expansion dieser Aktivitäten in Mittel- und Osteuropa zurück. Die Bedeutung der alten Mitgliedsstaaten der Europäischen Union schwindet, für die chemische Industrie hingegen ist das nicht der Fall. 244 Die Linke sollte das Outsourcing differenziert bewerten. Unternehmer beabsichtigen mit der Verlagerung von Arbeitsplätzen in erster Linie nicht, die Gewerkschaften zu schwächen. Es mag sein, dass mancher Unternehmer darin einen wünschenswerten Nebeneffekt erblickt. Doch das ist nicht der Hauptzweck des Outsourcings. Anlass für die Ausgründung ist in der Regel ein anderer Sachverhalt: Dritte betreiben an gewachsenen Chemiestandorten bereits Produktionen. Mit einer eigenen Servicegesellschaft verbessert sich für die Dritten die Transparenz, es entwickeln sich marktgerechte Preise und Wettbewerb gegenüber externen Anbietern. Das vorhandene Personal wird in diesen Gesellschaften weiterbeschäftigt, häufig aber unter schlechteren finanziellen Bedingungen für die Beschäftigten. In manchen Bereichen wie der Logistik liegen die üblichen Vergütungen gut 30 Prozent unter dem Chemietarif. Die Logistikunternehmen versuchen in diesen internen Markt einzudringen. Eine neue Entwicklung sind industrienahe Serviceanbieter, die von großen Konzernen als eigenes Geschäftsfeld aufgebaut werden. Diese Unternehmen bieten den Kunden der Chemiekonzerne ihren Standortservices einschließlich der Übernahme der Beschäftigten an. Das hat nicht immer eine Verschlechterung der Bezahlung und der Arbeitsverträge zur Folge. Ein zweiter Grund für die Entstehung eines zweiten Arbeitsmarktes liegt in den befristeten Arbeitsverhältnissen und den Freelancern. Die Unternehmen neigen 244

Vergleiche ZEW/DIW (2004), S. 166–167.

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E. Die Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit

dazu, solche Beschäftigten nicht mehr fest anzustellen: Sie können so ihre Produkte oder Dienstleistungen nach Bedarf einkaufen. Dem liegt das angelsächsische Modell eines „Netzwerkunternehmens“ zugrunde, das für das Unternehmen zwar nützlich sein kann, aber zu Lasten mancher „frei Beschäftigten“ geht. Für viele dieser Menschen bedeutet die Ausrichtung von Unternehmen an dem Modell des Netzwerkunternehmens, dass sie nur ab und zu, aber nicht durchgängig Aufträge erhalten. Auch die demographische Entwicklung berührt den ersten und zweiten Arbeitsmarkt. Wo sollen ältere Menschen zukünftig beschäftigt werden? Auch hier gibt es Veränderungen, die Praxis der Frühverrentung lässt sich nicht mehr fortführen. Die Bundesregierung hat das „Rentenversicherungs-Altersgrenzenanpassungsgesetz“, das Gesetz zur „Rente mit 67“ im Frühjahr 2007 verabschiedet. Es setzt das Renteneintrittsalter nach und nach auf 67 Jahre herauf – in erster Linie zur Stabilisierung der Rentenkassen. Andererseits sprechen Prognosen davon, dass es wegen zahlenmäßig vergleichsweise schwacher jüngerer Jahrgänge zu einem Arbeitskräfteengpass in den Unternehmen kommen kann. Den Unternehmen drohen junge qualifizierte Arbeitskräfte auszugehen, deshalb könnten das Wissen und Können älterer Arbeitnehmer in wenigen Jahren dringend gebraucht sein. Darüber herrscht kein Konsens. Es ist nicht deutlich, ob die weitere Entwicklung der Arbeitsproduktivität diesen vermeintlichen Arbeitskräfteengpass in den Unternehmen zum Verschwinden bringt. Unabhängig davon teilen viele Arbeitgeber noch nicht diese Sicht der Dinge. Sie fürchten bei älteren Arbeitnehmern das Krankheitsrisiko, zu hohe Tariflöhne, zu strenge Kündigungsschutzregeln, Unflexibilität und eine geringe Arbeitsmotivation. Zudem setzt der Gesetzgeber falsche Anreize, denn Arbeitnehmer haben immer noch die Möglichkeit, frühzeitig aus dem Berufsleben auszuscheiden. Dabei treffen nach Meinung von Fachleuten die Einwände nicht zu, die gemeinhin gegen die Einstellung von Älteren vorgebracht werden. So sind zum Beispiel die Kündigungsschutzregeln für Ältere gelockert worden. Und auch gesundheitliche Einschränkungen sind nicht zwangsläufig gleichbedeutend mit einer verminderten Beschäftigungsfähigkeit. Ältere Arbeitslose werden oft als motiviert, sozial kompetent und gut qualifiziert beschrieben, aber auch als entmutigt – nicht zuletzt durch die Arbeitslosigkeit. Auch in dieser Frage kann man von den USA lernen. Dort haben sich 20 Industrieverbände und andere Interessenorganisationen zur „Allianz für eine erfahrene Belegschaft“ zusammengeschlossen. Die treibende Kraft dieses Bündnisses ist der Seniorenverband AARP (American Association of Retired Persons), einer einflussreichen Lobbyorganisation der Vereinigten Staaten. Ihr Ziel: Ein Bewusstsein bei den Unternehmen dafür zu schaffen, dass sie von den Erfahrungen älterer Mitarbeiter profitieren können. Und dass die Entwicklung von Konzepten zur Beschäftigung und Rekrutierung von Mitarbeitern über 50 Jahren sich als lohnende Investition in die Zukunft erweist. So verweist der Chairman der Allianz und Präsident des Verbandes der Ölindustrie, Red Cavaney, auf Schätzungen, wonach sich die Zahl der Erwerbstätigen zwischen 55 und 64 Jahren im ersten Jahrzehnt des

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21. Jahrhunderts mehr als verdoppeln wird. Im gleichen Zeitraum nimmt die Zahl der 35- bis 44-jährigen um rund 10 Prozent ab. Eine Studie des AARP empfiehlt daher die Weiterbeschäftigung der über 50-jährigen, um den drohenden Verlust qualifizierter Arbeitnehmer auszugleichen.245 Gegenwärtig stimmen die Arbeitgeber in Deutschland der Beschäftigung Älterer allenfalls in Nischen zu. Im öffentlichen Sektor gibt es eine Bereitschaft Ältere als „Zivildienstleistende“ zu beschäftigen, weil ihre Sozialkompetenzen geschätzt werden. Übernahmen in Beschäftigung soll es aufgrund des Bundesangestelltentarifs (BAT) jedoch nur in Ausnahmefällen geben. Für die Beschäftigung auf den Zivildienststellen könnte ein Kombilohnmodell speziell für die Älteren unter den Langzeitarbeitslosen im Übergang zur Rente in Frage kommen. Auch ihre Beschäftigung im Bereich haushaltsnaher Dienstleistungen bietet sich an, das ist jedoch von günstigen Rahmenbedingungen auf Bundesebene abhängig. Nach Auffassung der Unternehmen in der privaten Wirtschaft könnte eine Organisationsentwicklung mit dem Ziel in Angriff genommen werden, Beschäftigung für spezifische Zielgruppen in Nischen zu generieren. Dieses müsste insbesondere in kleineren Firmen durch eine aufsuchende und bedarfsweckende Beratung begleitet werden. Denkbar sind für die Arbeitgeber auch Kombilohnansätze im Beschäftigungssegment Niedriglohnsektor und für die Zielgruppe der Geringqualifizierten. Die gegenwärtige Diskussion zeigt: Es gibt keine generelle Bereitschaft in den Unternehmen, ältere Menschen zu den Bedingungen des ersten Arbeitsmarktes zu beschäftigen. Daran ändern die neuen Tatsachen, die mit dem Gesetz zur Rente mit 67 geschaffen wurden, sowenig wie alle Prognosen über den zunehmenden Bedarf von älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Das soll allenfalls unter den Bedingungen des zweiten Arbeitsmarktes geschehen – also Beschäftigung in Nischen des öffentlichen Dienstes oder der Unternehmen. Offenkundig geht es den Unternehmen vor allem darum, Ältere bei geringerer Bezahlung zu beschäftigen. Darin kommt zum Ausdruck, dass sie ihre Leistungsfähigkeit nicht als gleichwertig anerkennen. Sie möchten daher die Möglichkeiten eines zweiten Arbeitsmarkts nutzen, Menschen mit vermeintlich geringer Leistungsfähigkeit zu beschäftigen. Damit würde ein Qualifikationsgefälle zwischen dem ersten und zweiten Arbeitsmarkt geschaffen. Für die Linke ist das nicht akzeptabel. Sie muss zur Kenntnis nehmen, dass es Outsourcingprozesse gibt. Sie kann also nur versuchen, die dort entstehenden Arbeitsplätze so gut wie möglich zu gestalten. Die Linke kann aber nicht das Wachsen eines neuen Arbeitsmarktes geringer qualifizierte Beschäftigte als Folge des demographischen Wandels klaglos hinnehmen. Die Linke muss sich dafür engagieren, Bedingungen für alters- und alternsgerechte Arbeit im ersten Arbeitsmarkt zu schaffen. Dabei geht es um die Anerkennung der prinzipiell gleichwertigen Leistungsfähigkeit Älterer. 245

So die FAZ vom 21.3.2006.

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E. Die Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit

Es ist ein Ziel der Linken, die Bereitschaft der Unternehmen zu fördern, ältere Arbeitnehmer zu regulären Bedingungen zu beschäftigten. Diese Bemühungen treffen derzeit auf ein frostiges gesellschaftliches Klima, was die Erwerbsbeteiligung älterer (Langzeit-)Arbeitsloser bis zur Rente angeht. Wie und auf welchem Wege kann ein Perspektivenwechsel gefördert werden? Welche Rolle kann die Politik, welche Rollen können Bundes- und Landesregierungen übernehmen? Welche die Unternehmen und die Gewerkschaften? Klar ist schon jetzt: Die altersgerechte Gestaltung von Arbeit erfordert einen politischen Richtungswechsel. Es wird darum gehen, den Diskurs über die demographische Entwicklung insbesondere mit Blick auf die Beschäftigungssituation in Unternehmen zu forcieren. Die Linke muss das Thema der „Arbeit im Alter“ in die mediale Öffentlichkeit bringen. Zu klären sind erstens Eckpunkte für alterns- und altersgerechtes Arbeiten. Es müssen Bedingungen für alters- und alternsgerechtes Arbeiten geschaffen werden. Einerseits soll Arbeit so organisiert sein, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer das Ende ihres Berufslebens erreichen können. Andererseits soll im Arbeitsprozess der „Plastizität“ des Alters Rechnung getragen, wie der Gerontologe Paul Baltes das genannt hat: seine Vielgestaltigkeit, Formbarkeit und Wandelbarkeit. Dazu wäre die Entwicklung altersgerechter Arbeitsplätze und einer altersgerechten Personalpolitik sowie Weiterbildung wichtig. Es müsste zum Beispiel darum gehen, „mit-alternde“ Arbeitsplätze zu schaffen, die Arbeit und die Arbeitsumfelder an unterschiedliche Phasen des Erwerbslebens anzupassen. Sinnvoll wäre aber auch die Einrichtung „altersgemischter Arbeitsteams“, die den Wissens- und Erfahrungsaustausch zwischen den Generationen ermöglichen. Es muss aber auch gesundheitsförderliche Arbeitsplätze geben. Zweitens darf man nicht außer Acht lassen: Der Erfolg dieser Vorhabens hängt letztlich vom Durchsetzungswillen der Unternehmen und Tarifvertragsparteien ab. Hier muss die strategische Kommunikation ansetzen: Sie will die Unternehmen davon überzeugen, dass die Beschäftigung älterer Erwachsener in ihrem eigenen Interesse liegt. Gegenwärtig konzentrieren sich tarifliche Regelungen mit Altersbezug noch weitgehend auf den Bestandsschutz und die Altersteilzeitregelungen. Doch der Handlungsbedarf ist enorm. In der Tarifpolitik der kommenden Jahre wird es um den Aufbau von Langzeitarbeitskonten, die Verknüpfung von Teilzeitarbeit und Qualifizierung oder auch den Abbau von gesundheitsgefährdenden Arbeitsbelastungen gehen müssen – Aufgaben, die bislang auch von den Gewerkschaften kaum in Angriff genommen worden sind. Drittens sind bestimmte Verfahrensweisen notwendig: Die Unternehmen wissen zu wenig über die bereitstehenden Instrumente und ihre teilweise komplizierte Handhabung. Das hängt womöglich auch mit einer fehlenden Bereitschaft der Unternehmen zur Einstellung Älterer zusammen. An den Förderinstrumenten für ältere Arbeitslose liegt es jedenfalls nicht. Zu ihrer Unterstützung stehen genügend Instrumente zur Verfügung, darunter auch solche wie der Kombilohn für ältere Beschäftigte. Außerdem gibt es für Arbeitgeber einen Eingliederungszuschuss (EGZ), der

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die Beschäftigung von älteren Arbeitnehmern attraktiver machen soll. Es gibt darüber hinaus die Freistellung von Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung für über 55-jährige Arbeitslose. Woran es vielfach mangelt, ist die Umsetzung. Instrumente bleiben stumpf, wenn es ihnen an Aufmerksamkeit der Arbeitsagenturen, Arbeitsgemeinschaften und Optionskommunen, also der arbeitsmarktpolitischen Institutionen fehlt. Eine betriebsnahe Begleitung in der Einstiegsphase durch die Moderatoren und Promotoren ist hilfreich. Außerdem sollten betriebliche Einstiegsphasen und Einarbeitungszeiten, zum Beispiel Praktika initiiert werden. Zwingend erforderlich ist eine sorgfältige Auswahl der Teilnehmer. Die Unternehmen sind viel eher bereit ältere Langzeitarbeitslose einzustellen, wenn die Qualifikation für die zu besetzende Stelle stimmt und die Erwartungen von Arbeitgebern und Bewerbern sich decken. Die Teilnehmenden solcher Maßnahmen sind engagiert bei der Sache, wenn es um die Fortbildung von Fachqualifizierungen geht, aber sie haben teilweise Vorbehalte gegen die ebenso notwendige Weiterentwicklung ihrer kommunikativen Kompetenzen. Sie zeigen auch Flexibilität hinsichtlich Beschäftigungsfeldern und Einkommenshöhe. Außerdem ist bei der Einstellung neuer Beschäftigter auf die betriebliche Entgeltstruktur zu achten: Tarifverträge müssen den Umstand regeln, dass Ältere teurer als Jüngere sind. d) Der dritte Arbeitsmarkt Dieser Arbeitsmarkt soll für Menschen geschaffen werden, die wenig mit den bislang genannten Gruppen des ersten und zweiten Arbeitsmarktes gemein haben. Die Rede ist von oft lernbehinderten Jugendlichen, die bei Leistung und Verhalten deutlich von der Altersnorm ihrer Mitschüler abweichen. Sie lernen schwerer als andere und haben in der Schule und der anschließenden Berufsvorbereitung enorme Probleme mit der Stoffbewältigung. Sie erreichen kaum qualifizierte Abschlüsse in anerkannten Ausbildungsberufen, selbst wenn sie das Angebot besonderer Maßnahmen zur Vorbereitung auf die Berufsausbildung wahrnehmen. Dabei ist die Schulund Berufsausbildung nicht das größte Problem – hier gibt es unterschiedliche Fördermaßnahmen auf Landesebene. Das Problem liegt beim Einstieg Lernbehinderter ins Berufsleben: Hier scheitern viele dieser Jugendlichen. Unternehmen haben in der Regel kein Interesse an der Einstellung von Lernbehinderten, weil ihnen die notwendigen Qualifikationen fehlen. Andererseits können lernbehinderte Jugendliche diese Hürde nehmen, wenn sie passgenaue Qualifikationen haben und wenn es eine betriebsnahe Begleitung in der Einstiegsphase in den Unternehmen gibt. Wichtig ist ein Vertrauensverhältnis zwischen Vertretern der Arbeitsagenturen und Unternehmen. Es ist allerdings die Ausnahme. Derartige Möglichkeiten können hier und da Erfolge zeitigen, aber sie sind nicht die Lösung des Beschäftigungsproblems. Es ist essentiell, dass die Linke anerkennt: Es gibt eine unterschiedliche personelle und gruppenspezifische Leistungsfähigkeit. Die Anerkennung dieser Tatsache muss zur Grundlage eines neuen Modells von Teilhabe an der Arbeit werden. Die Arbeit einer Gesellschaft ließe sich in drei Arbeitsmärkte organisieren: Den ersten

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E. Die Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit

und zweiten Arbeitsmarkt, die ökonomisch zentrale Schicht, die alle bezahlte produktive Tätigkeit enthält. Und einen dritten Arbeitsmarkt für einfache Arbeit, die jedem menschlichen Wesen ein Minimum an bezahlter produktiver Tätigkeit bietet. Einen weiteren Bereich wollen wir an dieser Stelle ausklammern: Er besteht aus Eigenleistungen, freiwilligen Tätigkeiten und öffentlicher Arbeit, wie ihn Giarini und Liedtke in ihrem Bericht an den Club of Rome entwickelt haben. 246 Wir wollen uns stattdessen der einfachen Arbeit auf einem dritten Arbeitsmarkt zuwenden. Einfache Arbeit wäre der feste Boden, auf dem die Risikogruppen des Arbeitsmarktes stehen könnten. Die Gesellschaft braucht diesen dritten Arbeitsmarkt. Denn wegen unterschiedlicher Qualifikationen und Eigenschaften erreichen nicht alle Menschen dasselbe Produktivitätsniveau. Daraus resultiert ein Handlungsbedarf. Er berührt eine Grundsatzfrage: Wenn Innovationen das wesentliche Moment zur Wohlstandssicherung der G8-Staaten sind und wenn zweitens daraus eine Steigerung der Arbeitsproduktivität resultiert, die drittens zu einer Spaltung der Gesellschaft in hoch qualifizierte und gering qualifizierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer führt, dann sind viertens gering qualifizierte Menschen wachsenden Arbeits- und Lebensrisiken ausgesetzt. Ein eigentlicher Markt ist der dritte Arbeitsmarkt nur in einem eingeschränkten Sinne. Präziser formuliert geht es um einen Markt mit „Arbeit als Institution“.247 Arbeit muss als eine Institution definiert werden, die Gesellschaft konstituiert. Das bedeutet: Es kann keine menschliche Gesellschaft geben, in der ein großer Teil der Menschen unbeschäftigt ist. Es bedeutet weiterhin, dass Arbeit Teilhabe an der Gesellschaft und Loyalität stiftet. Arbeit ist eine wesentliche Grundlage für Einkommen, Anerkennung und Sinn. Anders formuliert: Arbeit muss so organisiert sein, dass sie Grundlage für Einkommen, Anerkennung und Sinn ist. Arbeit als Institution soll insbesondere den gering qualifizierten Menschen diese Möglichkeit bieten. Arbeit als Institution verringert die Risiken gering Qualifizierter auf dem Arbeitsmarkt, die mit dem Fortschreiten von Innovationen, der Arbeitsproduktivität und den Anforderungen an die Qualifikationen zusammenhängen. Was wäre das Ideal eines dritten, als institutionalisierte Arbeit verfassten Arbeitsmarktes? Im Idealfall stellen Kommunen und Regionen, Nationen und die Europäische Union einen solchen Sektor bereit. Es wäre ein Sektor, der nicht in Konkurrenz der Arbeit im ersten und zweiten Arbeitsmarkt tritt. Das heißt auch, dass die reguläre Arbeit des ersten und zweiten Arbeitsmarktes nicht durch (billigere) Arbeit des dritten Marktes ersetzt werden kann. Ein Beispiel dafür ist, Menschen in Altenheimen zu beschäftigten: Sie verrichten keine professionelle Pflegearbeit, sondern verbessern mit ihrer Tätigkeit das Leben der Heimbewohner. Ein Beschäftigter des dritten Arbeitsmarktes könnte zum Beispiel einer Seniorin oder einem Senioren, die dies selbst nicht mehr können, regelmäßig die Zeitung vorlesen. Entscheidend ist, 246 247

Vergleiche Giarini und Liedtke (1999). Vergleiche Schwengel (1999).

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dass die Linke zur Einführung eines dritten Sektors die Initiative ergreift, und zwar auf nationaler und europäischer Ebene. Das müsste mehr sein als die Ausweitung oder Verbesserung des bestehenden Instrumentariums. Die Einführung von „Arbeit als Institution“ muss die Symbolik und normative Grundlage eines Gesellschaftsvertrags über die europäische Verfassung der Arbeit erhalten, um dem Moment der Ungleichheit von Leistungsfähigkeiten mit Hinblick auf Fähigkeiten, Kompetenzen, auf Lebensalter eine politische Form zu geben. Es ist natürlich unwahrscheinlich, dass sich dieses Ideal der institutionalisierten Arbeit nicht „eins zu eins“ in die Wirklichkeit übertragen lässt. In der Wirklichkeit müssen wir damit zurechtkommen, dass die verschiedenen Institutionen die Komplexität des Basissektors gesellschaftlicher Arbeit einigermaßen beherrschen, um zivile Lebensverhältnisse für Mehrheiten zu schaffen. Egal, ob die Regierung Löhne subventioniert, eine negative Einkommenssteuer oder ein nicht an Erwerbsarbeit gekoppeltes Bürgergeld vorschlägt – immer stellen sich Mitnahmeeffekte ein, tun sich bürokratische Risiken auf, werden Gerechtigkeitsvorstellungen verletzt, wenn die Institutionalisierung der Arbeit nicht gelingt. Dennoch: Es gibt eine Chance, dass sich um diesen Basissektor eine eigene Lebenswelt entwickeln kann, die auch in Krisen stabil bleibt. Die Anerkennung unterschiedlicher Leistungsfähigkeit, bringt die Linke in Argumentationsnöte. Ihnen kann sie wie folgt entgehen: Arbeit als Institution. Arbeit als Institution schafft eine Form von Arbeit, die gering qualifizierte Menschen nicht länger diskriminiert und stigmatisiert. Sie erkennt Ungleichheiten der Fähigkeiten und nicht der Personen an. Es gilt, die monoproduktivistische Definition gesellschaftlicher Tätigkeiten aufzugeben. 248 Gegenwärtig fehlt uns dafür noch eine konkrete Vorstellung. Aber für die Anerkennung der Differenz von Leistungsfähigkeiten finden wir in einem anderen gesellschaftlichen Feld ein treffliches Beispiel: Dem (olympischen) Sport. Die Anerkennung von und die Arbeit mit Differenzen ist auf dem Feld des olympischen Sports höchst erfolgreich gewesen. Die unterschiedliche Leistungsfähigkeit von Männern und Frauen hat eine entsprechende sportliche Anerkennung und Unterscheidung gefunden und in spezifischen Auszeichnungen, Medaillen für die Leistungen von Frauen und Männern, ihren Ausdruck erhalten. Über Jahrzehnte hinweg hat diese Differenz zu einem durchaus vergleichbaren Zuschauerinteresse geführt. Im Fußball hingegen ist dieser Stand noch nicht erreicht. Das könnte sich in Deutschland mit der Austragung der Fußball-WM im Frauenfußball ändern. Seit den Olympischen Spielen im Sommer 2004 scheint sich die Anerkennung einer neuen Differenz zukünftig anzubahnen: Zwischen behinderten Sportlerinnen und Sportlern bei den Paralympics. Zur gleichen Zeit findet ein paralleler Prozess der Ästhetisierung des Organersatzes in der Werbung statt. Langfristig könnte damit eine weitere, dritte Art von Leistungsfähigkeit Anerkennung finden. Ähnliche Differenzierungsleistungen müssen auf dem Gebiet der gesellschaftlichen

248

Vergleiche Schwengel/West (2005).

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E. Die Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit

Arbeit erbracht und kommuniziert werden. Wir werden darauf gleich zu sprechen kommen, wenn wir auf die Bedeutung „guter Arbeit“ im dritten Sektor eingehen. Wenn Unterschiede gemacht werden, sind Übergänge umso wichtiger. Ebenso wie im Verhältnis zwischen erstem und zweitem Arbeitsmarkt die Linke versuchen muss, die Verhältnisse zugunsten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu gestalten, muss der dritte Arbeitmarkt Chancen für den Übergang in den ersten oder zweiten Arbeitsmarkt eröffnen. Gleichgültig wie die gesellschaftliche Arbeit im dritten Sektor organisiert ist, sie muss den dort Beschäftigten einen flexiblen Einund Ausstieg ermöglichen. Diesem Sektor muss Beweglichkeit und seine Würde zum Ausdruck zu Eigen sein. Dafür sollen einige Bedingungen genannt werden. Darauf müssen florierende Arbeitsmärkte zurückgreifen, unentgeltliches bürgerschaftliches Engagement aufbauen und die Gesellschaft sich auf seine Funktionsweise verlassen können. Dafür wären eigene Strukturen erforderlich, die die dort Beschäftigten besonders fördern und dauerhafte Aufstiegsverhältnisse schaffen. Arbeit, Qualifikation und Weiterbildung könnten auf neuartige experimentelle Art und Weise miteinander verknüpft werden, und zwar so, wie man es zum Teil heute schon in einigen Unternehmen praktiziert, und im Arbeitsumfeld. Wir wissen aus der betrieblichen Weiterbildung: Geringer qualifizierte Menschen machen immer dann gute Lernfortschritte, wenn diese problembezogen sind und in ihrem gewohnten Arbeitskontext stattfinden. Und wenn sie ihren Lehrern oder Trainern in der Weiterbildung vertrauen. Arbeit im dritten Arbeitsmarkt würde im Idealfall die Menschen mit Menschen zusammen bringen, die einen Blick für ihre Stärken haben, sie gezielt einsetzen und bei der Weiterbildung beraten. Diese Art der Verknüpfung von Arbeit, Qualifikation und Weiterbildung könnte die Konstitution von Arbeits- und Beschäftigungsfähigkeit zur Folge haben, die diese Menschen auch für den ersten oder zweiten Arbeitsmarkt interessant machen könnte. Wenn die Arbeit im dritten Sektor tatsächlich als Aufstiegsverhältnis organisiert wird, muss die Linke eine Bildungsexpansion ankurbeln, die der der 60er und 70er Jahre des letzten Jahrhunderts in nichts nachsteht. e) Engagement für zwei Formen guter Arbeit Die Gestaltung dieser drei Arbeitsmärkte ist für die Linke eine Herausforderung. Bislang war der erste Arbeitsmarkt ihr Hauptkampffeld. Das wird er sicher auch in Zukunft bleiben. Dennoch ist es wichtig, die Entstehung eines zweiten Arbeitsmarktes zu akzeptieren und ihn sozial zu gestalten. Weiterhin muss die Linke sich für die Schaffung eines dritten Arbeits-„Marktes“ engagieren, weil sie so ihr Engagement für Partizipation glaubwürdig unterstreicht. Dabei geht es um die Gestaltung guter Arbeit nicht um die Verwaltung des Mangels. Es soll drei Arbeitsmärkte geben und zwei Formen guter Arbeit. Die Vorstellungen von guter Arbeit für den ersten und zweiten Arbeitsmarkt sind dieselben, der dritte Arbeitsmarkt verlangt eine eigene, zweite Idee guter Arbeit.

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Unter „guter Arbeit“ im ersten Arbeitsmarkt versteht man im traditionellen Verständnis eine Arbeit mit festem, verlässlichem Einkommen, unbefristeter Beschäftigung und mit der Möglichkeit, kreative Fähigkeiten einzubringen. Gute Arbeit verleiht den Arbeitenden ein anständiges oder auskömmliches Einkommen, Anerkennung und Sinn. Aber wir haben gesehen, wie sich vertragliche Formen, Belastungen und Inhalte der Arbeit verändern. Das hat Folgen für die maßgeblichen Dimensionen Einkommen, Anerkennung und Sinn. Ein Blick auf den ersten Arbeitsmarkt zeigt, dass er den Beschäftigten ein anständiges, gutes oder auch sehr gutes Einkommen bietet. Für die Facharbeiterinnen und Facharbeiter gibt es tarifvertragliche Regelungen, für Ingenieurinnen und Ingenieure solche oberhalb des Tarifvertrages. Damit verbindet sich eine entsprechende soziale Anerkennung. Egal, ob der Beruf, sei es Laborantin, der Status, sei es Abteilungsleiterin, und die Lebensführung, etwa das Auto oder das Stadtviertel, in dem sie wohnen und welche Hobbys sie haben, sind dafür die Grundlage. Voraussetzung für Einkommen und Anerkennung ist eine gute und passende Qualifikation. Aber bietet Arbeit auch Sinn? Der Sinn guter Arbeit im ersten Arbeitsmarkt kann in Frage gestellt werden, wenn die Menschen ihre Fähigkeiten nur zu einem Bruchteil anwenden können. Sie können zum Beispiel darunter leiden, dass ihre Zuverlässigkeit gefragt ist, aber nicht ihre Kreativität. Viele Menschen werden behaupten, dass ihre Arbeit nicht unbedingt Sinn macht, sondern dass sie von Routinen bestimmt ist. Geboten wird Kontinuität von Beschäftigung und Bezahlung, aber Arbeit bietet nicht immer hinreichend Abwechslung, sie fordert nicht unbedingt die Fähigkeiten der Beschäftigten in einem umfassenderen Sinn heraus. Für den zweiten Arbeitsmarkt gelten dieselben Kategorien von Einkommen, Sinn und Anerkennung, aber das Ziel guter Arbeit ist ein anderes. Befristet Beschäftigte müssen gegenwärtig mit einem unregelmäßigen Einkommen zu Recht kommen, einige mit wenig Anerkennung wie die in einem Call-Center oder als Fahrradkuriere beschäftigten. Ähnliches gilt nicht für Freiberufler wie Photographen oder Webdesigner. Für sie stellt sich wahrscheinlich die Sinnfrage nicht so sehr wie für unbefristet Beschäftigte des ersten Arbeitsmarktes. Deshalb verteidigen sie ihren freiberuflichen Status, den sie nur unter bestimmten lukrativen Bedingungen gegen einen Job im ersten Arbeitsmarkt tauschen würden. Der Status des Freiberuflers bietet viel mehr Freiheiten, die Kehrseite ist allerdings die Unsicherheit der Einkünfte. Anders würde man die Situation eines „freiberuflichen“ Fahrradkuriers beschreiben. Für sie und vergleichbare Jobs gibt es nicht dieselben Realisierungsmöglichkeiten von Anerkennung und Sinn. Aber es gibt eines, was alle Menschen im zweiten Arbeitsmarkt miteinander verbindet, das ist das Interesse an einem kontinuierlichen Einkommen. Kontinuität ist die Zielsetzung guter Arbeit im zweiten Arbeitsmarkt. Ein erster Schritt für freischaffende Kreative und neue Selbständige haben die Gewerkschaften getan und Mindestbedingungen bei der Zeitarbeit ausgehandelt. Ein erster Schritt auf das Ziel Kontinuität und der guten Arbeit ist auf dem Arbeitsmarkt dann

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E. Die Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit

getan, wenn die qualifizierten und prekär beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eine bessere arbeitsvertragliche Grundlage erhalten und gering qualifizierten die Möglichkeit zum Einstieg eröffnet wird. Es ist aber fraglich, ob diese Verbesserung des Status Quo ausreicht. Denn die Kontinuität auf dem zweiten Arbeitsmarkt ist nicht dieselbe wie auf dem ersten Arbeitsmarkt. Die beruht auf einem unbefristeten Beschäftigungsverhältnis. Viele Beschäftigte in den Unternehmen der Industrie hatten quasi Beamtenstatus, und dieses Ideal an Kontinuität gilt in der Gegenwart noch immer, wenn auch nicht mehr mit gleichem Recht. Eine solche Kontinuität lässt sich im zweiten Arbeitsmarkt nicht erreichen. Aber es muss eine Antwort auf die Abschwächung von „Typisierungen“ des ersten Arbeitsmarktes gefunden werden, die die traditionellen Formen der Arbeitsorganisation betreffen: Rollen, Einkommen und soziale Sicherheit. Wenn jetzt Typisierungen und Standardisierungen geschwächt werden, die einst berufliche Karriere, Familienbildung und Lebensstil vermittelten, so lässt sich der Mangel an Kontinuität folgendermaßen interpretieren: Der zweite Arbeitsmarkt muss eine Alternative für die pazifisierende, vitalisierende und mäßigende Leistung des ersten Arbeitsmarktes bieten. Im Übergang von der Industriegesellschaft zur industriellen Wissensgesellschaft sind neue Möglichkeiten der Lebensgestaltung entstanden. Sie erweitern die Spielräume für autonomes, selbst bestimmtes Handeln. Solche Möglichkeiten beginnen in der Arbeit selbst. „Das, was wir Arbeit nennen, also Erwerbsarbeit, ist dann Teil eines kontinuierlichen Prozesses der Tätigkeit, zu dem Bildungserfahrungen und die Assoziation mit anderen zu allerlei Zwecken ebenso gehören wie Hobbys und Freizeitbeschäftigungen.“ 249 Diese Möglichkeiten müssen gegen zu riskante Lebensformen gesichert werden. Es geht um eine Lebensform, die sich klar von der übertriebenen Flexibilität der neoliberalen Weltanschauung absetzt, also von der ultraflexiblen Welt der „Juppies“ etc. Diese Lebensform muss Beruf, Familie und Lebensstil zu neuen stabilen Mustern zusammensetzen. Dazu gehört mit Sicherheit der Anspruch, berufliche Mobilität und das Leben einer Familie oder Partnerschaft zu vereinbaren. Kontinuität im zweiten Arbeitsmarkt kann nicht unterbrechungsfreie und unbefristete Arbeitsverhältnisse bedeuten, aber eine kontinuierliche berufliche Biographie und Lebensführung. Unterbrechungen sind hinnehmbar, wenn sie sich zu einer stimmigen Abfolge unterschiedlicher Beschäftigungsverhältnisse zusammenfügen lassen können. Dieser Gedanke ist schon in den Vorschlägen zu einer Bildungspolitik entwickelt worden, die die Angebotsmacht der Arbeit stärkt. Im Zusammenhang mit der Bildung antwortet der Vorschlag auf das Problem, dass im Falle eines häufigen Wechsels von Arbeitgebern für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die Erfahrung des permanenten Wechsels in den Mittelpunkt von Berufsbiographien rückt. Es ist die Erfahrung der Permanenz von Unterbrechungen und Brüchen. So genannte „Bildungsketten“ 250 würden die Menschen in die Lage versetzen, erzwun249 250

Dahrendorf (2001). Vergleiche Bildungsmanifest (2002).

II. Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit

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gene Wechsel nach dem Vorbild von „Wertschöpfungsketten“ in einer sinnvollen Abfolge von Bildungsereignissen zu verarbeiten. Sie wären in ihren Bildungschancen nicht länger strukturell benachteiligt. Auf die Kontinuität von Beschäftigungsverhältnissen übertragen heißt das: Unterschiedliche Beschäftigungsverhältnisse müssen sich akkumulieren lassen können. Die erstrebenswerte Reihung zwar nicht gleicher, aber einander ähnlicher Beschäftigungen könnte erreicht werden, wenn sie sich im Rahmen eines bestimmten Spektrums organisieren ließen. Dieser Rahmen könnte durch thematische Ähnlichkeiten von Beschäftigungen abgesteckt werden. Thematisch ähnlich wären zum Beispiel Tätigkeiten, wenn eine Kunsthistorikerin nicht nur als Mitarbeiterin eines Museums, sondern auch als Fremdenführerin oder als Ideengeberin in einer PRAgentur arbeitet. Die Ähnlichkeit kann sich aber auch auf bestimmte Grundfertigkeiten beziehen wie auf die Fähigkeit, Dinge gut zu organisieren. Das Spektrum ähnlicher Tätigkeiten kann in diesem Fall von der Tätigkeit einer Managerin bei einem globalen Versicherungsunternehmen bis hin zur Organisatorin von Non-ProfitOrganisationen wie UNICEF oder Amnestie International reichen. Das alles ist nicht neu, das gibt es schon. Das Neue besteht in einem – allerdings entscheidenden –Unterschied: Es soll unter den Beschäftigungen keinen offiziellen Status als Arbeitslose geben. Die Menschen sollen sicher sein, dass sie in einer ähnlichen Funktion wieder eingesetzt werden und der gesamte Prozess nach ähnlichen Prinzipien koordiniert wird. Wie soll das erreicht werden? Es lässt sich an das Konzept der „Übergangsarbeitsmärkte“ anknüpfen, das Günther Schmid 251 entwickelt hat. Übergangsarbeitsmärkte regeln den Übergang zwischen verschiedenen Beschäftigungsverhältnissen, zwischen Arbeitslosigkeit und Beschäftigung oder die Kombination verschiedener Beschäftigungsverhältnisse. Das können etwa selbständige und abhängige Beschäftigung, Eigenarbeit und Erwerbstätigkeit sein. Die damit verbundenen Einkommensrisiken werden abgesichert. Zugleich fördern sie individuelle oder betriebliche Entscheidungen, riskante Übergänge beziehungsweise ein entsprechendes Personalmanagement zu wagen. Übergangsarbeitsmärkte überbrücken die während des Erwerbsverlaufs auftretenden kritischen Ereignisse durch institutionelle Arrangements (finanzieller, rechtlicher und organisatorischer Art) – zum Beispiel beim Wechsel zwischen Bildung und Arbeit, abhängiger und selbständiger Beschäftigung, Voll- und Teilzeitarbeit, Erwerbs- und Familienarbeit, Arbeitslosigkeit und Beschäftigung sowie zwischen Erwerbsarbeit und beruflicher Invalidität oder Rente. Wie die kurze Skizze der Risikoanalyse zeigte, steigt mit dem Fortschreiten der Erwerbsbiografie die Wahrscheinlichkeit kritischer Ereignisse Schmid gibt dieser Art von Arbeitsmarktpolitik einen neuen Namen, um den Unterschied zu Formen bekannter Arbeitslosigkeit zu beschreiben. Statt von einer Ar251

Vergleiche Schmid (2004).

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E. Die Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit

beitslosenversicherung spricht er von einer „Arbeitslebensversicherung“. Sie soll die Risiken von Einkommens- und Statusverlusten bei Arbeitslosigkeit und beim Wechsel zwischen verschiedenen Beschäftigungs- oder Tätigkeitsformen vermindern. Sie bilden Beschäftigungsbrücken für den Übergang von einem Arbeitsverhältnis zum anderen. Für unseren Zusammenhang neu und wichtig ist der Gedanke des sozialen Managements von Arbeitsmarktrisiken. 252 Solche Beschäftigungsbrücken sollen Arbeitslose nicht nur zurück in die Beschäftigung bringen. Sie betreiben auch Risikoprävention und -milderung. Traditionell formuliert handelt es sich um präventive Arbeitsmarktpolitik. Übergangsarbeitsmärkte erfordern neue Arbeitsmarktdienstleister, die auf Teilarbeitsmärkten Flexibilität und Sicherheit gleichermaßen verwirklichen. Diese neuen Dienstleistungseinrichtungen müssen hoch sensibel für die Fähigkeiten der Menschen und die Bedürfnisse des Marktes sein, damit Arbeit und Menschen zueinander finden. Gesucht sind externe Dienstleister: Sie verhelfen durch ihre Arbeit stark belasteten Beschäftigten zu einer besseren Bilanz zwischen Arbeit und Leben. Dabei orientieren sie sich am Vorbild der Dienstleistungsangebote von Beratungs- und Vermittlungsagenturen. Sie offerieren Lösungen für Betreuungsengpässe, etwa die Suche nach einer Tagesmutter oder ein Punktesystem für Unternehmen, das den Kauf von Krippenplätzen reguliert. Das hier gewünschte Kontinuum schränkt das Spektrum der zumutbaren Beschäftigungsformen ein. Menschen mit schwacher Position auf dem Arbeitsmarkt sollen vor unzumutbaren Flexibilitätsanforderungen geschützt werden. Es geht um einen Tausch. Geben die Menschen ihre Ansprüche auf einen mit Einkommen, Anerkennung und Sinn ausgestatteten Arbeitsplatz im ersten Arbeitsmarkt auf, haben sie bei der Suche nach Alternativen ein Recht auf ein ihren Fähigkeiten entsprechendes Arbeitsverhältnis. Dieses Spektrum an ähnlichen oder vergleichbaren Beschäftigungen kann ihnen in gewissen Maßen Kontinuität, aber nicht mehr Kontinuität „lebenslanger“ Beschäftigung bieten. Ist die Arbeit im dritten Arbeits-„Markt“ schlechte Arbeit? Zunächst sei daran erinnert, dass kein Weg daran vorbei führt, auch den so genannten Risikogruppen des Arbeitsmarktes oder gering qualifizierten Menschen jeden Alters, eigene Teilhabeperspektiven zu schaffen. Wie die Menschen im ersten und zweiten Arbeitsmarkt suchen sie nach einem anständigen Einkommen, Anerkennung und Sinn in ihrer Arbeit. Der Basissektor bedarf seiner eigenen Würde. Damit ist an erster Stelle gemeint, dass die dort arbeitenden Menschen ein anständiges Einkommen mit staatlicher Unterstützung erzielen – mag es auch unter den Einkommen im ersten und zweiten Arbeitsmarkt liegen. Die Höhe des Einkommens ist jedoch nicht der ausschlaggebende Gesichtspunkt hinsichtlich der Frage guter Arbeit. Helfen die Beschäftigten des dritten Sektors beispielsweise bei der Vorbereitung einer historischen Ausstellung

252

Vergleiche Schmid (2004), S. 35.

III. Konstruktive Politik für den Fortschritt

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im örtlichen Heimatverein mit, dann könnte der Dank der Gesellschaft für sie eine gewisse Anerkennung bedeuten. Sie tun etwas für ihre staatliche Unterstützung, indem sie einen Beitrag zum Gemeinwesen leisten. Außerdem könnten sie in dieser nützlichen Arbeit Sinn finden. Nachweislich empfinden Menschen solche Tätigkeiten als zufrieden stellend, die anderen Menschen unmittelbar helfen oder die das Gemeinwesen verbessern. Fallen Einkommen, Anerkennung und Sinn bei solchen Tätigkeiten zusammen, kann also auch auf dem dritten Arbeits-„Markt“ von guter Arbeit gesprochen werden. Allerdings darf man sich hier nichts vormachen: Es ist und bleibt eine zweite Form guter Arbeit auf der Grundlage eines geringeren Leistungsvermögens. Das könnte allerdings mit einer gezielten und kontinuierlichen Förderung gesteigert werden. Die Arbeit im dritten Sektor sollte nicht nur aus „Beschäftigung schlechthin“ bestehen, sondern auch qualitative Momente enthalten, die die Stärken der Beschäftigten zur Geltung bringen. Das Ziel: Nach und nach Qualifikationen und Chancen für den Sprung in den ersten oder zweiten Arbeitsmarkt aufzubauen.

III. Konstruktive Politik für den Fortschritt Den Prozess der Globalisierung kann eine Gesellschaft nur unbeschadet überstehen, die über Innovation, Bildung und Partizipation diskutiert. Sie kann dergestalt wirtschaftlich erfolgreich bestehen – ohne ihre menschlichen Werte aufgeben zu müssen. Um einen solchen Prozess zu initiieren, müsste zunächst ein Dialog über die Angebotsmacht der Arbeit und die ihr zugrunde liegende Idee der Arbeit in einer wissensindustriellen Gesellschaft in Gang kommen. Das Ziel eines solchen Dialogs ist, dass die wichtigen Institutionen einer Gesellschaft und ihre Akteure zukunftsfähig bleiben. Ein solcher Dialog ist konstruktiv zu nennen, indem er zur Lösung der Probleme der Zeit beiträgt. Drei dieser zu lösenden Probleme sollen im Folgenden hervorgehoben werden. Die Linke braucht einen positiven Zugang zur geschichtlichen Entwicklung. Sie muss die Initiative ergreifen und ihre Vorstellungen der Rahmenbedingungen von Politik und Verantwortung für Innovationen zur Diskussion stellen. Es muss in einem ordnungspolitischen Sinn über Verantwortung geredet werden. 1. Eines der zentralen Probleme ist die zeitliche Perspektive eines solchen Vorhabens. Die Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit ist kurzfristig nicht mit Aussicht auf Erfolg durchsetzbar, sie ist ein mittel- und langfristiger Prozess des Umdenkens. Das ist ein großes Problem für die politischen Akteure. Sie können Reformen von Institutionen nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Zukunftsfähigkeit betrachten – sie müssen auch ihre mögliche kurzfristige Wiederwahl im Blick behalten. Deshalb ist es erforderlich, dass die Probleme hinreichend „klein“ gearbeitet werden und dass die Antworten klar sind, ohne dass der größere Zusammenhang verloren geht. Dabei lässt sich an Erfahrungen aus dem „Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit“ anknüpfen. Für einen Konsens der wichtigen gesellschaftlichen Akteure zur Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit müssen

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E. Die Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit

die Beteiligten vorerst ihre Erwartungen präzisieren. So lassen sich nicht nur Enttäuschungen vermeiden, man ist auch besser gegen Kritik gewappnet. Darüber hinaus ist es nicht sehr realistisch, von einer ausprägten „Lernbereitschaft“ bei den Akteuren auszugehen. Sie ist unterschiedlich entwickelt, und Appelle an ihren guten Willen helfen nicht weiter. Deshalb hilft die Beschreibung lösungsorientierter Handlungsmöglichkeiten weiter. Das ist Aufgabe der strategischen Kommunikation. Sie versachlicht unterschiedliche Interessen. Strategische Kommunikation beschreibt erreichbare Ziele wie Innovationen, Bildung und Partizipation, und sie definiert die Rollen und Verantwortlichkeiten der Akteure. Für die Linke bedeutet das, zu einer konstruktiven politischen Grundhaltung zu finden. Die Ablehnung der Globalisierung reicht sowenig wie die Aufforderung an andere, das Menschenrecht auf Arbeit zu verwirklichen. Auch mit Demonstrationen gegen Stellenabbau und Hartz IV gewinnt die Linke keine Perspektive der Macht zurück. Eine konstruktive politische Grundhaltung klärt die Einstellung zum Fortschritt und wie ihn die Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit voranbringt. Man kann das auch im geschichtlichen Zusammenhang sehen: Die Linke braucht einen positiven Zugang zur geschichtlichen Entwicklung, wenn sie mehr sein will als eine Mahnerin wider die Veränderungen der Zeit – eine Rolle, die sie mittlerweile den Kulturkonservativen streitig macht. Aber auch die Unternehmer stehen vor einer Entscheidung. Sie müssen entscheiden, ob sie weiterhin als Mitglieder ihrer Gesellschaft wahrgenommen werden wollen. Wenn ihnen etwas am Erfolg ihres Heimatlandes auf den globalen Märkten liegt, müssen sie ebenfalls ihre Bereitschaft zur Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung dokumentieren. Eine weitere Lehre aus dem Bündnis für Arbeit ist: Die strategisch relevanten Akteure, Staat, Arbeitgeber und Gewerkschaften, müssen lernen, zu einmal getroffenen Entscheidungen zu stehen und sie nicht in kritischen Phasen zu revidieren. Die Akteure machten die wichtige Erfahrung, eigene Grenzen zu erkennen, pragmatisch zu handeln, Sachverstand zu organisieren und Lösungen zu entwickeln. Auch in Beziehung zu den Mitgliedern der Organisation. Man hat gelernt, dass man dem Druck drohender Arbeitslosigkeit nicht mit der Entfachung von „Glaubenskriegen“ begegnen kann. 2. Die Linke muss die politischen Rahmenbedingungen für Innovationen in die Diskussion bringen. Ein Teil der Innovationspolitik wird nach wie vor auf Instrumente wie Investitionen in Forschung und Entwicklung und Gründerzentren bauen. Aber Innovationen, die nicht auf bewährtem Weg in Gang gesetzt werden können, brauchen eine neue Form der Politik – oder eine neue Art und Weise, in der sich Akteure wie eine Regierung, ein Arbeitgeberverband, eine Gewerkschaft und eine Verbraucherschutzorganisation über Innovationen verständigen. Präziser: Es geht um die Herstellung von Handlungszusammenhängen, „Prozessketten“, die Forschung, Produktion und Qualifikationen sowie die Schaffung von Märkten und die Akzeptanz aufgrund abschätzbarer Risiken umfassen. In Branchen wie Chemie, Pharma,

III. Konstruktive Politik für den Fortschritt

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Bio- und Gen-Technik ist diese Kette gleich an mehreren Stellen in Frage gestellt. Politik und Gesellschaft sind sich seit Jahrzehnten uneinig. Sie liefern sich einen zum Teil erbitterten Streit um Grenzwerte, Zulassungsverfahren oder Finanzmittel bei nahezu allen als risikoreich geltenden Technologien. Das alles bringt Innovationen nicht voran. Die Akteure können sich aber auch nicht über die Skepsis der Bürger hinwegsetzen, geschweige denn den Protest gegen basistechnologische Entwicklungen im Namen des Lebens widerstandslos hinnehmen. Ihnen bleibt eine Möglichkeit: Sie müssen diesen Streit offen und konfliktbereit zum Gegenstand strategischer Kommunikation machen. Wie strategische Kommunikation praktisch funktionieren kann, das sei an einem Beispiel aus der Gesundheitspolitik demonstriert. In der Gesundheitspolitik zeichnet sich ein Wechsel von der Präventivmedizin zu einer anderen Medizin ab: Sie versetzt das Individuum in die Lage, zu jeder Zeit seine Gesundheit zu kontrollieren, und zwar auf der Basis von Techniken wie der In-vitro-Fertilisation, präimplantatorische Diagnose und der Instrumentalisierung des Genoms der Menschen. Das wird die Gesundheitspolitik verändern und alle beteiligten Akteure – Industrie, Staat, Krankenkassen, Handel, Ärzte und Patienten – herausfordern. Man kann jedoch nicht erwarten, dass der große Teil der Bevölkerung bereit sein wird, sich mit Fragen ihrer biologischen Konstitution eingehend zu befassen. Deshalb könnte medizinische Beratung den voraussetzungsreichen Prozess der Selbstaufklärung und Selbstentscheidung ersetzen. Von Ärzten wird eine neue Qualität von Beratung erwartet. Dieser Typus von Beratung muss dem Übergang vom Informations- zum Wissensmakler 253, der in der Gesellschaft stattfindet, entsprechen. Die Beratung von Ärzten kann sich nicht auf Routinediagnosen und Falleinschätzungen beschränken. Zum Zweiten muss der Staat verhindern, dass Gesundheit und Krankheit zu gesellschaftlichen Spaltungen führen. Eine solche Spaltung könnte man heute in weiten Teilen Europas in der Pandemie der Adipositas sehen. Da die staatlichen Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten darauf nicht eingestellt sind, erfordert der biotechnische Fortschritt eine neue Kompetenzordnung innerhalb zahlreicher Staatsagenturen. Drittens: Die Orientierungen der forschenden und produzierenden Industrie an Blockbuster-Produkten führen innerhalb der Konzerne zu Innovationen hemmenden Macht- und Kompetenzbildungen. Andererseits ist die Lernfähigkeit dieser Industrie unentbehrlich, damit das öffentliche und private Versicherungswesen an Flexibilität gewinnt. Strategisch relevante Akteure stehen vor der Herausforderung, eine Prozesskette aus „Medikamentenproduktion, Versicherern, Ärzten, Patientenberatung“ zu organisieren. 3. Die Linke muss Verantwortung für die Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit übernehmen. Sie hat eine Chance, Auseinandersetzungen, die immer nur Ri-

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Vergleiche Reich (2004).

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E. Die Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit

tuale wiederholen, zu überwinden. Zu Ritualen gewordene Auseinandersetzungen sind Ergebnis einer nicht erfolgten Verständigung über die Rolle und die Verantwortung der gesellschaftlichen Akteure. Die Klärung von Verantwortung kann aus dieser politischen Sackgasse heraus führen und den Interessen- und Rollenkonflikt auf eine höhere Ebene heben, die mehr Aussichten auf problemlösendes Handeln bietet. Gegenwärtig wird der Wert der Verantwortung von der Öffentlichkeit allerdings meist nur in seiner negativen Form wahrgenommen. Verantwortung ist häufig der „schwarze Peter“, den Wirtschaft, Politik und Gesellschaft hin und her schieben. Keiner will ihn haben. Gesucht werden Verantwortliche für die Beschäftigungskrise, für Wachstumsschwächen oder für Innovationsdefizite. Und sowohl Unternehmen als auch Gewerkschaften reagieren misstrauisch auf die Verantwortungsdiskussion. Die Gewerkschaften sehen darin ein Instrument weiterer Deregulierung, die Unternehmensvertreter befürchten mehr Regulierung. Dabei geht der Blick für das Wesentliche verloren: Verantwortung hat eine ordnungspolitische Dimension. Wenn die unterschiedlichen Verantwortlichkeiten der Akteure geklärt werden, kann damit ein Beitrag zur Entwicklung und Angebotsmacht der Arbeit und zum Fortschritt geleistet werden. Es ist schon paradox: Die Linke, insbesondere die Gewerkschaften, haben im Laufe ihrer Geschichte erfolgreich ihre Verantwortung für den Arbeitsschutz oder den Tarifvertrag in Gesetzen durchgesetzt. Dennoch arbeiten sie nicht mit einem positiven Begriff von Verantwortung, der die Arbeitgeber herausfordert und auf den sich alle einigen könnten. Was die Klärung von Verantwortlichkeiten und die nüchterne Beschreibung von verantwortlichem Handeln leisten kann, kann plastisch am Beispiel von Unternehmen und Gesellschaft gezeigt werden. Unternehmen können ihre gesellschaftliche Verantwortung wahrnehmen, ohne ihre unternehmerischen Aufgaben zu vernachlässigen. Und die Gesellschaft handelt verantwortlich gegenüber Unternehmen, indem sie die Bedingungen dafür schafft, dass Unternehmen ihre Selbstverpflichtungen auch einhalten. Gesellschaftlich verantwortlich agierende Unternehmen und eine für ihre Unternehmen verantwortliche Gesellschaft sind letztlich zwei Seiten derselben Medaille. Zunächst zur Verantwortung der Gesellschaft. Die Gesellschaft hat dafür Sorge zu tragen, dass ein Unternehmen qualifizierte Auszubildende und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einstellen kann. Darüber hinaus können Unternehmen erwarten, dass die Höhe der Steuern ihre Wettbewerbsfähigkeit nicht beeinträchtigt. Ebenso dürfen etwaige staatliche Auflagen ihre Handlungs- und Innovationsfähigkeit nicht behindern. Die Gesellschaft muss eine gut funktionierende Infrastruktur wie öffentliche Transportbedingungen, Rohstoffzufuhr, Energiezufuhr, Wissenszufuhr bereit stellen. Und Unternehmen müssen die Ergebnisse von Forschung nutzen können beziehungsweise bei eigenen Forschungsprozessen unterstützt werden. Kurzum, ein erfolgreicher Prozess des Wirtschaftens erfordert einen ebenso an-

III. Konstruktive Politik für den Fortschritt

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spruchsvollen wie komplexen industriepolitischen Prozess aus Infrastrukturpolitik, Bildungspolitik, Sozialstaatspolitik und Energiepolitik. In Deutschland kann die Gesellschaft all diese Bedingungen bieten. Allerdings sind sie bislang nicht auf das Ziel der Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit ausgerichtet. Die Verantwortung der Unternehmen gegenüber der Gesellschaft bedeutet hingegen, dass sie die Würde der Arbeitnehmer anerkennen und qualifizierte Arbeit mit entsprechend qualifizierten Einkommen entgolten werden müssen. Darüber hinaus sollen sie den Mitarbeitern Mitbestimmungsrechte einräumen und ihrem Bedürfnis nach einer Balance zwischen Arbeit und Familie Rechnung tragen. Es ist politisch umstritten, wie Unternehmen ihre Verantwortung der Gesellschaft gegenüber wahrnehmen können. Ein Ansatz möchte es den Unternehmen überlassen, bestimmte Dinge für die Gesellschaft zu tun und appelliert nur an ihre Selbstverpflichtung. Erfahrungen zum Beispiel in der Umweltpolitik zeigen jedoch, dass sie solchen Appellen selten Folge leisten. Vermutlich ebenso wirkungslos ist eine Politik, die Unternehmen durch staatliche Kontrollen zur Einhaltung gesetzlicher Auflagen zwingen will. Denn sie vertragen sich oft nicht mit innovativem Verhalten. In jüngster Zeit werden neue Möglichkeiten diskutiert, wie sich Unternehmen in soziale Verantwortung einbinden lassen: Wie lässt sich die Verantwortung von Unternehmen mit anderen Mitteln als denen des Rechts ausweiten? Dieser Ansatz beruht auf einem freiwilligen Konsens zwischen Arbeitgebern, Gewerkschaften und Betriebsräten. Er zielt auf eine Unternehmenskultur, die Arbeitnehmer anerkennt und auf konsensuell vereinbartes Handeln setzt. Diese Vorschläge sind Teil einer aktuell geführten Debatte über „Corporate Social Responsibility“ (CSR), was soviel wie soziale Verantwortung der Unternehmen heißt. Eine neue Unternehmenskultur im Sinne der CSR käme allen zugute: Die Arbeitnehmer würden profitieren, denn ihre Mitbestimmungsrechte könnten gestärkt werden. Die Zahl der weißen Flecken auf der Landkarte der Mitbestimmung ließe sich durch eine solche Unternehmenskultur verringern. Schließlich käme ein sozial verantwortliches Verhalten von Unternehmen auch den Verbrauchern zugute. Ein Beispiel dafür ist die Kooperation von Unternehmen mit der Stiftung Warentest. Das ist nicht nur verbraucherfreundlich, sondern zugleich auch werbewirksam und imagefördernd. Zur Verantwortung von Unternehmen gehört auch eine Produktverantwortung gegenüber der Umwelt und den Verbrauchern. Unternehmen müssen ihre Verpflichtungen gegenüber Gesellschaft und Umwelt erfüllen, ohne dass ihre Handlungsund Innovationsfähigkeit beeinträchtigt wird. Gerade bei innovativen Produkten ist das Vertrauen der Gesellschaft wichtig. Das liegt im wohlverstandenen Eigeninteresse der Unternehmen. Dabei ist das Image eines ökologisch verantwortlichen Unternehmens kein Selbstzweck. Innovative Produkte müssen sicher und verbraucherfreundlich sein, wenn neue Märkte und damit neue Arbeitsplätze entstehen sollen. Das ist mit Imagekampagnen allein nicht zu schaffen. Notwendig sind auch gemeinsame Stellungnahmen von Unternehmen, Gewerkschaften, Betriebsräten, Staat und Stiftungen über Innovationen, Risiken und Fortschritt.

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E. Die Entwicklung der Angebotsmacht der Arbeit

Für die Linke bedeutet das, dass sie ihre Industrie-, Betriebs- und Gewerkschaftspolitik verändern muss. Die Umbrüche in der globalen Wirtschaft mit ihren zahlreichen Fusionen erfordern, dass sich Gewerkschaften und Betriebsräte in Zukunft stärker internationalisieren. Zugleich hat es die Linke mit einem neuen Typus von Problemen zu tun. Die klassische Umverteilungspolitik wird mehr und mehr durch eine Standortpolitik in den Hintergrund gedrängt, mit der Gewerkschaften und Betriebsräte Arbeitsplätze sichern. Deshalb muss die Linke gemeinsam mit den Betriebsräten die Prozesse der Neuformierung von Unternehmenslandschaften begleiten. Alle Möglichkeiten und Instrumente der Beschäftigungssicherung, die gestaltenden wie die abwehrenden, können für den Erhalt von Standorten und die Neuformierung von Unternehmen weiterhin genutzt werden. Die Tarifpolitik von Gewerkschaften wie der IG Metall oder der IG BCE zeigt, dass dies schon geschieht. Der Pforzheimer Abschluss der IG Metall erlaubt seit 2004 tarifliche Öffnungsklauseln, wenn sie Jobs und Investitionen sichern. In begründeten Fällen kann zum Beispiel die Arbeitszeit im tariflichen Rahmen für einen befristeten Zeitraum aufgestockt werden, wenn sich so Standorte retten und Arbeitsplätze sichern lassen. Betriebsräte und Gewerkschaften können ihre Verantwortung gegenüber Unternehmen aber vor allem dadurch wahrnehmen, dass sie gegen vorhandene Stereotypen und Vorurteile gegen Unternehmen auftreten. Sie können dazu beitragen, die teilweise übertriebenen Kontroll- und Regulierungsbedürfnisse der Linken auf ein vernünftiges Maß zurückzuführen. Zugleich sollten sie klären, was sie eigentlich unter unternehmerischer Verantwortung verstehen und das in der Öffentlichkeit erläutern. Auf der anderen Seite müssen sie auch gegen Versuche etwa von Seiten wirtschaftsliberaler Politiker angehen, Unternehmen jeder gesellschaftlichen Verantwortung zu entheben. Auch sollten sie sich dagegen wehren, die Mitbestimmung abzuschaffen. Der ehemalige BDI-Präsident Rogowski hatte sie im Jahr 2004 als „historischen Irrtum“ bezeichnet. Damit werden die strategischen Ziele erkennbar: Gewerkschaften und Betriebsräte sollten in Zukunft mehr als in der Vergangenheit eine Mittlerfunktion zwischen Unternehmen und Gesellschaft einnehmen. Ihr Ziel sollte es sein, ein konsensfähiges Bild von Unternehmen und ihren Aufgaben in der Gesellschaft zu schaffen, damit die Angebotsmacht der Arbeit optimal gefördert werden kann. Wer die Angebotsmacht der Arbeit stärken will, zielt auf die Entfaltung und die bestmögliche Entwicklung der Gesellschaft als Ganzer. Die unmittelbare Voraussetzung für den Ausbau der Angebotsmacht der Arbeit kann deshalb nicht der Kampf aller gegen alle sein, sondern die Verantwortung füreinander. Nur eine Gesellschaft, in der es gerade nicht um die Gewinnmaximierung Einzelner geht, sondern um die Entwicklung aller, wird im Zeitalter der Globalisierung nicht in ihre unsolidarischen Einzelteile zerfallen. Verantwortung und Überlebenskampf einer Gesellschaft bedingen sich also gegenseitig. Anders formuliert: Die deutsche Gesellschaft muss ihren Zusammenhalt behalten. Dazu muss sie die in ihr angelegten Möglichkeiten aufs Beste entwickeln.

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Sachwortverzeichnis Angebotsmacht der Arbeit – Gemeinwohl und faire Gesellschaft 69–70 – in der Bildungspolitik 56–70, 172–177 – in Deutschland 91–93 – in Frankreich 100–120 – in Großbritannien 130–142 – Risikogruppen des Arbeitsmarktes 79–80 Angebotsorientierung 21, 22, 24 Angebotstheorie 21 Arbeit – alters- und alternsgerechte Arbeit 187–188 – Humanisierung der Arbeit 18–19 – Quelle von Einkommen, Anerkennung und Sinn 16–17, 30, 34, 35, 175, 184, 190, 193, 196, 197 – Telearbeit 30, 32 – Zwei Formen guter Arbeit 99, 178, 192–197 Arbeit als Institution 16, 190–191 Arbeitgeber, konventionelle Haltungen 50–52, 153 Arbeitgeberverbände – BAVC 64, 184 – CBI 123–125, 127, 132 – MEDEF 103, 118 Arbeitsfelder, neue 29–30 Arbeitsförderung, aktive 61, 78 Arbeitsmarkt – Dritter Arbeitsmarkt 189–192 – Erster Arbeitsmarkt 183–184, 192 – Job-AQTIV-Gesetz 81–82 – Risikogruppen des Arbeitsmarktes 72–77, 79, 92, 172, 179, 190, 196 – Zweiter Arbeitsmarkt 184–189, 194 Arbeitsmarktinstrumente, bessere Nutzung der Arbeitsmarktinstrumente 178–183

Arbeitsmarktpolitik – in Deutschland 71–80 – in Frankreich 116–120 – in Großbritannien 137–142 Arbeitspolitik 23 Arbeitstypen, neue 23, 34–42 Arbeitsvermittlung 77–79, 118, 179, 182 Aubry-Gesetze 101–105 „Autorschaft“ von Arbeitnehmern 18, 24–26 Belastungen, alte und neue 28, 30–34, 193 Berater/Wissensarbeiter 35–38, 40, 67, 68, 151 Beratung 36, 37, 39, 40, 49, 58, 67, 68, 78, 82, 110, 114, 119, 122, 124, 128, 129, 176, 187, 196, 199 – Analysten 36–38 – Arbeitsvermittler 74, 79, 179–183 – Ärzte 36, 155, 170, 199 – Reisefachkräfte 36 Berufsbildungsbericht 60, 68 Betriebsräte 28, 89, 126, 174, 184, 201–202 Bildung – Bildungspolitik 14, 56–63, 69, 70, 92, 105, 112, 135, 136, 173, 194, 201 – Bildungsreformen 56–63 – duales System 57 – Dualität 173, 175,176, 178 – faire Gesellschaft 69–71 – flexible Steuerung 173, 176, 178 – Ganztägigkeit 173–174 – Gemeinwohl 16, 22, 55, 65, 69–71, 81 – in Deutschland 56–71 – in Frankreich 112–116 – in Großbritannien 133–137 – Lernort „Betrieb“ 63 – PISA 58, 69, 82, 92 – Übergangsmanagement 63

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Sachwortverzeichnis

Demokratisierung eines Privilegs 23 Emploi Jeunes 102, 116 Employability 138, 139 Excellence in Schools 136 Fortschritt 11–13, 14, 19, 54, 94, 143–146, 159, 160, 162, 165–168, 171, 178 – Konstruktive Politik für den Fortschritt 197–202 Führung, kreative 153, 154 Führungsstil 26, 38, 154 Gentechnologie 160, 162, 171 Gesellschaft, wissensindustrielle 13–14, 18–20, 28, 38, 70, 87, 90–91, 99, 145, 175, 197 Gewerkschaften – CFDT 98, 99, 101, 104, 110, 118 – CGT 98, 99, 103, 104 – DGB 24, 87,89, 184 – FO 98, 101, 103 – IG BCE 89, 145, 174, 202 – IG Metall 85, 91, 174, 184, 202 – SUD 98, 103 – TUC 124, 125, 127, 129, 132, 141, 142 Grandes Ecoles 114 Humankapital 24, 33, 144, 145 – akademisches Humankapital 59 Inevidenz von Artefakten 157–158 Innovationen – (nach) Branchen 43–46 – Erfolgsbedingungen von Innovationen 46–48 – in Deutschland 43–56 – in Frankreich 106–112 – in Großbritannien 130–133 – Jahr der Innovationen 55, 149–150 – Open-Market-Innovationen 150 – Skepsis gegenüber Innovationen 54, 160, 199 – staatliche Förderung von Innovationen 106–109 Innovationen und angenehmes Leben 154–157, 161, 163 Innovationsanreize, negative 148

Innovationsfähigkeit von Unternehmen 43–56, 59, 91, 111, 131, 133, 143, 200, 201 Innovationshindernisse 56,109 Innovationskompetenz, methodische 194–154 Interventionsstaat 94, 98 Intrapreneure 25–26,28, 35, 39, 41 Jobscouts 178, 182–183 Kette, Ketten – Bildungskette 175, 194 – Produktionskette 46, 47 – Prozesskette 53, 198, 199 – Wertschöpfungskette 175, 194 Kommunikation, strategische 17, 20, 140–142, 146, 159, 166, 168, 188, 198, 199 Konsumentenhaltungen 54–55 Kontinuität 175, 193–196 Kontinuum 196 Kulturkritik 19, 157–162 Kundenorientierung 25, 72 Lebensführung 171, 193, 194 – methodische Lebensführung 153 Lernprozesse 19, 52, 83, 129, 135, 150, 174, 177 Management, partizipatives 110 Manager 14, 15, 25, 28, 31, 35, 38–39, 41, 49–50, 55, 132, 133 – Ideenentwickler und Manager 35, 37 – „Mikromanager“ 26 – Verantwortung von Managern 49, 201 Managing creativity 15, 56, 91, 153 Markt, Märkte 15–17, 22–25, 27, 29, 35, 53–55 – idiosynkratische (regionale) Märkte 45–46, 147 – Lag Markt 45–46, 147 – Lead Markt 45–46, 146–147 Marktvermitteltes Leben 146, 165, 168–172 „Methode Raffarin“ 120 Methodenkompetenzen 15, 70, 92 Mindesteinkommen 128, 140

Sachwortverzeichnis

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Natur – äußere Natur 157–165, 166 – innere Natur 157–165 New Deal 126, 137–138, 141–142 New Unionism 129

– Politik des strategischen Tausches 86, 129 Third Way 85, 140–141 Top Down-Strategie 100 Tripartismus 88, 104

Ordnungsidee 17 Ordnungspolitik 81 Outsourcing 27,37, 40, 185, 187

Übergangsarbeitsmärkte 195–196 Unternehmen – Einsparung von Bürokratiekosten 150 – lernende Unternehmen 27, 40, 43 – Netzwerkunternehmen 14, 27, 39, 40, 43, 107, 108, 186 Unternehmensfusionen 143, 144, 202 Unternehmenskultur 26, 145, 149–154, 201 – hidden champions 151 – Ingenieurskultur 53–54 – innovative Unternehmenskultur 24, 38, 107 108, 148, 151, 153 Unternehmenskultur in Frankreich 109 U-Turn (Mitterand) 100

Partizipation – Ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer 72–73, 89, 92, 116, 117, 181, 182, 186, 187, 188 – Gering Qualifizierte 27, 34, 68, 73, 76–77, 80, 82, 89, 92, 140, 143, 190–191, 194, 196 – Jugendliche 51, 58–62, 65–66, 70, 75–77, 81, 89, 92, 177, 189 – Jugendliche in Frankreich 113–114, 117 – Jugendliche in Großbritannien 128, 137 – Risikogruppen des Arbeitsmarktes 72–73, 79–80, 92, 172, 179, 190 Pflanzen für die Zukunft 161, 170 Planification 95 Post-War Settlement 120–121 Public Understanding of Science 169–170 Refondation Sociale 103, 105 Religionen, ganzheitliche Antworten 167 Risiken 19, 76, 146, 148, 158–160, 165, 167–172, 190, 191, 195, 196, 198 – offene und ungewisse Situationen 165–168 Robien-Gesetz 101, 102 Selbständige, prekarisierte 41–42 Social Exclusion Unit 135 Tarifpolitik 85, 86, 96, 124, 188, 202 – moderne Tarifverträge 174, 195 Tätigkeit, monoproduktivistische gesellschaftliche 191 Tausch – Politik des situativen Tausches 80–93

Verantwortung, ordnungspolitischer Sinn von 197–202 Virtuelle Unternehmen 27, 39, 40 Wachstum, qualitatives 143–146 Weiterbildung 15, 28, 56, 70, 92, 145, 172, 173, 176–178, 188, 192 – in Deutschland 63–69 – in Frankreich 96, 99, 115, 117 – in Großbritannien 139, 140 – Lerndienstleistungen 66–67 – Programm „Qualifizierung schafft Chancen“ (BASF) 64 – Qualitätskriterien für Weiterbildung 66 – Tarifvertrag zur Weiterbildung 174–175 – transparenter Weiterbildungsmarkt 67–68 Weiterbildung im „Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit“ 82, 84 Welfare To Workfare 137, 141