Produktive Arbeit, destruktive Arbeit: Soziologische Grundlagen [Reprint 2013 ed.] 9783110848335, 9783110118148

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Produktive Arbeit, destruktive Arbeit: Soziologische Grundlagen [Reprint 2013 ed.]
 9783110848335, 9783110118148

Table of contents :
Einleitung: Ein neuer Ansatz und seine Ziele
1 Was ist Arbeit?
1.1 Überlegungen zu den einschlägigen Begriffen
1.2 Als Zugang: das Arbeitslied
2 Arbeit, Arbeitsfeier, Genugtuung
2.1 Die Feier zum Arbeitsabschluß
2.2 Ritualisierung
3 Ungleiche Arbeit, seit der Vorgeschichte
3.1 Differenzierung kraft Arbeit
3.2 Interpretierbarkeit infolge von Differenz
4 Von der Arbeitsvereinigung zur Ich-Vereinigung
4.1 Everybody’s Darling: Robinson Crusoe
4.2 Arbeit als Stetigung
5 Zerstörerische Arbeit
5.1 Destruktion
5.2 Die Erschaffung der Produktion und die Beendung der Destruktion oder Umgekehrt/Umgekehrt
6 Vernichtende Tätigkeit
6.1 Rechtfertigung des Destruktiven?
6.2 Arbeit im SS-Staat
7 In den Koordinatenkreuzen
7.1 Markt, Krieg, Fron, Serail
7.2 Arbeitstausch, KZ, viehische Arbeit, Subversion
8 Zur Technisierung produktiver und destruktiver Arbeit
8.1 Unvermeidbarkeit der Ambivalenz
8.2 Arbeit mittels der Technik und in Gestalt der Technik wechselwirksam
9 Die Entstehung der Weltmärkte und Weltkriege
9.1 Zur Angebrachtheit einer stärker formgestützten systematischen Geschichte der Arbeit
9.2 Ansammeln und Fernhalten als Formthemen der Arbeit
10 Geht der Arbeitsgesellschaft die Arbeit aus?
10.1 Entfremdung, Kybernetisierung und – ?
10.2 Der Übergang vom lokalen Destruktionsbetrieb zur industriellen Destruktivregion
11 Kehrt die Arbeit wieder? Die Tarnarbeit
11.1 Tarnarbeit I: Verleugnete Arbeit
11.2 Tarnarbeit II: Schwarzarbeit
12 Weder anything goes noch rien ne va plus: Freizeit
12.1 Tarnarbeit III: Do it yourself
12.2 Tarnarbeit IV: Die Muße
Zum diesmaligen Abschluß
Literatur
Glossar
Zum Autor

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Produktive Arbeit, destruktive Arbeit

Johanna

Berg

aus Prerow, 1941-1945

Lars Clausen

Produktive Arbeit, destruktive Arbeit Soziologische Grundlagen

W DE G Walter de Gruyter · Berlin . N e w York 1988

Professor Dr. L a r s Clausen Institut für Soziologie Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

Wir danken dem Haffmans-Verlag für die freundliche Genehmigung zum Abdruck des Gedichtes von F.W. Bernstein.

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Clausen, Lars: Produktive Arbeit, destruktive Arbeit : soziolog. Grundlagen / Lars Clausen. — Berlin ; New York : de Gruyter, 1988 ISBN 3-11-011814-9

© Copyright 1988 by Walter de Gruyter & Co., Berlin 30 - Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Printed in Germany. Satz: Tutte Druckerei GmbH, Salzweg-Passau. - Druck: Gerike GmbH, Berlin. Bindearbeiten: Lüderitz + Bauer, Berlin. Umschlagentwurf: Hansbernd Lindemann, Berlin

Inhalt

Einleitung: Ein neuer Ansatz und seine Ziele . . .

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1 Was ist Arbeit? 1.1 Überlegungen zu den einschlägigen Begriffen 1.2 Als Zugang: das Arbeitslied

5 13

2 Arbeit, Arbeitsfeier, Genugtuung 2.1 Die Feier zum Arbeitsabschluß 2.2 Ritualisierung

19 19 27

3 Ungleiche Arbeit, seit der Vorgeschichte... 3.1 Differenzierung kraft Arbeit 3.2 Interpretierbarkeit infolge von Differenz...

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Von der Arbeitsvereinigung zur Ich-Vereinigung 4.1 Everybody's Darling: Robinson C r u s o e . . . . 4.2 Arbeit als Stetigung

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4

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5 Zerstörerische Arbeit 5.1 Destruktion 5.2 Die Erschaffung der Produktion und die Beendung der Destruktion oder Umgekehrt/Umgekehrt

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6 Vernichtende Tätigkeit 6.1 Rechtfertigung des Destruktiven? 6.2 Arbeit im SS-Staat

70 70 72

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VI

Inhalt

7 In den Koordinatenkreuzen 7.1 Markt, Krieg, Fron, Serail 7.2 Arbeitstausch, KZ, viehische Arbeit, Subversion Zur Technisierung produktiver und destruktiver Arbeit 8.1 Unvermeidbarkeit der Ambivalenz 8.2 Arbeit mittels der Technik und in Gestalt der Technik wechselwirksam

81 81 91

8

Die Entstehung der Weltmärkte und Weltkriege 9.1 Zur Angebrachtheit einer stärker formgestützten systematischen Geschichte der Arbeit 9.2 Ansammeln und Fernhalten als Formthemen der Arbeit

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Geht der Arbeitsgesellschaft die Arbeit aus? 119 10.1 Entfremdung, Kybernetisierung und — ? . . . 119 10.2 Der Übergang vom lokalen Destruktionsbetrieb zur industriellen Destruktivregion.. 126 11 Kehrt die Arbeit wieder? Die Tarnarbeit... 11.1 Tarnarbeit I: Verleugnete Arbeit 11.2 Tarnarbeit II: Schwarzarbeit Weder anything goes noch rien ne va plus·. Freizeit 12.1 Tarnarbeit III: Do it yourself 12.2 Tarnarbeit IV: Die Muße

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Inhalt

Zum diesmaligen Abschluß

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Literatur Glossar Zum Autor

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Einleitung: Ein neuer Ansatz und seine Ziele

Wir machen ja alles kaputt - die ganze Natur. Das ist die übliche Stimme. In der Tat - entreißen wir ihr zuviel? Wird sie uns zur Müllhalde? Zerstören wir nicht mehr als wir aufbauen? Ist unsere Arbeit wirklich produktiv und nicht vielmehr destruktiv? Müssen wir gegen die Arbeit kritisch werden? Eine andere Stimme: Eure Sorgen möcht ich haben. Ich bin arbeitslos; und das nimmt immer noch zu. „Strukturelle Arbeitslosigkeit" heißt es bereits. Inzwischen würde ich gern auf einer Deponie arbeiten. Da sollen die Schmiergelder ja nur so fließen. Wenn jetzt gar nichts aufkommt, geh ich als Söldner nach Mittelamerika. Eine ziemlich helle Stimme: Ich muß sagen, ich arbeite zwölf bis vierzehn Stunden am Tag, und es macht mir immer noch Spaß. Und die Crew ist super! Das ist das erste Mal, daß ich wirklich merke, man braucht mich, und ich kann was. Das alles gehört zum Thema Arbeit, aber zahlreiche Arbeitssoziologen verschieben die Fragen, - ob Arbeit mehr zerstöre als aufbaue, - ob widerliche Tätigkeiten auch Arbeit seien, oder - ob Arbeit das Schönste-auf-der-Welt sein könne, ins Vorfeld ihrer Schriften. Sie orientieren sich an den großen Industriebetrieben und Verwaltungen, dazu liegen gute und brauchbare Untersuchungen vor; und dort fragt man auch die Soziologen noch am ehesten um Rat.

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Einleitung: Ein neuer A n s a t z und seine Ziele

Dieses Buch hier aber orientiert sich gerade im so genannten Vorfeld. Ob Arbeit eher gefährlich oder eher verlockend sei, muß nämlich in jeder Gesellschaft und für jeden neu dort Aufwachsenden neu beurteilt werden. Dazu soziologisch urteilsfähig und fragefähig zu machen, ist diese Schrift abgefaßt. Meine Erfahrungen als Soziologe in Schwarzafrika und Deutschland stießen mich einerseits auf solche Grundfragen, anderseits ging ich auch gute Bücher vergeblich auf diese Themen hin durch. Schließlich machte ich eigene Theorievorschläge (CLAUSEN 1981a, 1981b, 1983) und erprobte sie an der Christian-Albrechts-Universität Kiel und der FernUniversität Hagen. Kernpunkt meiner Antworten ist der Satz Historische Erfolge produktiver Arbeit haben uns in den Irrtum hineinerzogen, daß die Arbeit nur produktiv und nicht etwa destruktiv sei. Wir haben dadurch zu viele heutige Probleme ausgeblendet oder sie in weniger aufschlußreichen Zusammenhängen behandelt. Um dies darzutun, erwies es sich als nützlich, nicht mit möglichst skelettierten soziologischen Begriffen, sondern mit außerordentlich komplexen, schwer analysierbaren sozialen Szenen zu beginnen, in denen zwar die Beteiligten genau wissen, was sie tun, es aber nicht erläutern und nicht einmal sich selbst, geschweige denn einem Forscher erklären wollen. Es geht also um Szenen, in denen brauchweise etwas geschieht. Und wenn ich im ersten (von 12) Kapiteln mit dem Arbeitslied anfange, so bitte ich, nicht gleich demonstrativ zu gähnen. Einzwei Kapitel sollte der Autor seine Chance haben. Dann können Sie das Ganze ja ablehnen. Auf Ihr Risiko: Vielleicht bleiben Sie dann soziologisch schlechter urteilsfähig.

Einleitung: Ein neuer A n s a t z und seine Ziele

Weil es Vorfeldfragen sind, haben sie es so an sich, daß zwar die sogenannten Klassiker des Fachs sie noch stellten, daß man aber später achselzuckend davon abging und sie den sowieso nicht lösbaren Menschheitsrätseln oder einer gar nicht leistbaren weltweiten Reinen Forschung überließ. Ich finde das verständlich und schlecht und stelle deshalb wenigstens einen international und menschheitsgeschichtlich ansetzenden Forscher immer wieder vor: Karl BÜCHER (1847-1930). Seine Forschungen sind fast vergessen, doch seine Begriffe finden sich noch in den Einleitungen der Heutigen. Außerdem wechsle ich die Anredeweise an Sie: Einerseits biete ich erzählende Texte an, damit Sie sie selbst auf Aussagen zu unserem Thema prüfen - anderseits aber auch Modellskizzen. Zu abstrahieren oder zu konkretisieren wäre dann jeweils Ihr Teil. Und die 12 Kapitel? Die ersten 6 begründen die Begriffe -* produktive Arbeit und destruktive Arbeit. Arbeit erscheint stets gemischt, und rituelle Rhythmisierung fängt das auf (Kap. 1 und 2); Arbeit macht ungleich, und Arbeit erlaubt Identität (Kap. 3 und 4); sie zerstört immer, das heißt aber nicht, daß sie vernichten muß (Kap. 5 und 6). Das zweite Sechser-Pack soll zum Anwenden ermutigen: Kann man die Destruktivität ins Modell bringen? (Ja, Kap. 7). Kann man die Frage „Technik — Fluch oder Segen?" klarer behandeln? (Man kann: Kap. 8) Zerstört Arbeit den Globus? (Das tut sie schon länger. Kap. 9) Geht der Arbeitsgesellschaft die Arbeit ausi (Nein. Kap. 10) Gibt es Neue Formen der Arbeit? (Seht doch hin - das geht bis in die sogenannte Freizeit: Kap. 11 und 12.) Ich habe die häufiger vorkommenden Begriffe im Glossar (-» S. 163ff.) erläutert und im Text hier geeignetenorts davor einen Pfeil gesetzt (z.B. -> brauch weise), denn ich wollte mir nicht so oft selber ins Wort fallen.

3

4

Einleitung: Ein neuer Ansatz und seine Ziele

Manchmal stelle ich Fragen und schreibe an den Rand Stop. Ich weiß schon, daß, wer liest, auch sagt: „Ich mache Stop, wann ich will." Aber, wenn Sie sich vorher Papier und Bleistift für einige Krakelfragen daneben legten? Und das Klügere gleich in den hier freigemachten Raum schrieben? Sie wissen so gut, daß man es schon fast zugeben kann, daß, über solche Fragen durch Weiterlesen wegzugehen (meine eignen Antworten abzustauben), Ihnen das Urteil über sich selbst erschwert. So gute Fragen stelle ich? Ich will es halblang machen: Ich hoffe es, jetzt, im Oktober 1988. Lars Clausen

1 Was ist Arbeit?

1.1 Überlegungen zu den einschlägigen Begriffen Über keinen einzigen Begriff von Arbeit sind sich alle Wissenschaften einig. Wir erinnern uns aus der Physik, daß die Arbeit gleich Kraft mal Weg sei. (Und Kraft war = Masse mal Beschleunigung; und Masse seit Albert EINSTEIN = Energie geteilt durch das Quadrat der Lichtgeschwindigkeit c; und Beschleunigung war gleich Geschwindigkeit durch Zeit; und Geschwindigkeit = Weg durch Zeit.)

„Arbeit" naturwissenschaftlich?

Mit Weg- und Zeitmaßen sind wir scheinbar bei von der Gesellschaft unabhängigen Größen. Ist es nun nicht eine unschädliche Bequemlichkeit, dergestalt anzunehmen, daß Zeit und Raum ( Weg χ Weg χ Weg) vom Menschen ganz unabhängige Größen seien, oder doch ihm von vornherein (a priori) als verhaltenserleichternde Kategorien (Begriffe) eingeboren, oder sie hätten wenigstens als feste Größen schlechthin Geltung? Seit wir jedoch vermuten, daß nahe stellare Massen den Raum offenbar ,krümmen', oder daß die Gleichzeitigkeit zweier Ereignisse jedenfalls vom Standpunkt des Beschauers abhänge, darf wohl auch der Soziologe, von den Naturwissenschaftern uneingeschüchtert, einmal neu über Arbeit nachdenken und -forschen. Andere Sozialwissenschafter, wie die Volkswirte, haben gleichfalls ein zu simples Konzept der Arbeit: Ihnen ist sie neben Kapital und Boden ein Produktionsfaktor. Dabei ist Boden eher eine Verlegenheit für sie, sie schleppen diesen Faktor noch aus der Zeit mit sich, als sie in noch überwiegend landwirtschaftlichen europäischen Län-

„Arbeit" volkswirtschaftlich?

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1 Was ist Arbeit? dern praxisnah ihre Wissenschaft begründeten. Wieviel „Boden" braucht aber das kommerzielle Weltraumlabor? Ist „Boden" also veraltet? Gar kein zeitenüberdauerndes Konzept? Und ist dann nicht Kapital etwas — ebenfalls praxisnah - relativ Modernes? Ist es überhaupt älter als der Kapitalismus? Nun, Boden und Kapital mag es seit dem -> Neolithikum geben. Doch diese Jungsteinzeit mit ihrem Übergang zu Ackerbau („Boden"!) und Viehzucht („Kapital" ingestalt von Saatgut oder Zuchtvieh) ist erst einige zehntausend Jahre her, und davor liegt - diesseits des -» Tier-MenschÜbergangsfeldes - eine weitaus längere Gattungsgeschichte: mindestens drei, wenn nicht fünf Millionen Jahre. Da hat —> H o m o sapiens als —• Wildbeuter doch wohl auch gearbeitet? Gejagt, gefischt, gesammelt, gepflückt, also auch ausgeweidet, gereinigt, gescharrt, gehämmert und das technisch, mit Werkzeug? Werkzeug, das er arbeitsam herzustellen hatte? Knochen, Äste oder Halme, die er verwandt hat, sind vergangen; hilfreiche -> magische Techniken (Stoßgebete, Opfer) sind vergessen; doch die Faustkeile, die Höhlen und die Abfallhaufen findet man, ebenso wie die vielsagenden und vielverschweigenden Grabbeigaben.

„Arbeit" soziobiologisch?

Arbeit könnte also historisch viel älter als Boden oder Kapital sein, vielleicht sogar genau so alt wie „der Mensch" als Spezies, als ein besonderer Primate. Und dann müßte man sich sofort fragen, ob sie nicht noch älter sein könne. Affen werfen mit Kokosnüssen, der Vogel baut sein Nest, die Biene sammelt unermüdlich — arbeiten womöglich sogar die Tiere? Und was ist mit dem Esel, der das Korn zur Mühle bringt? Dann wäre Arbeit sogar älter als das soziale -» Handeln der Mensehen? Gar kein soziologischer, sondern ein —> soziobiologischer Begriff? Friedrich E N G E L S hat denn auch die Arbeit wenigstens mit der Entstehung der Menschheit zusammenge-

1.1 Überlegungen zu den einschlägigen Begriffen

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bracht 1 , also eine -» anthropologische, keine soziologische Kategorie Arbeit gebildet. Wir wollen das einen Augenblick dahingestellt sein lassen. Jedenfalls hat ENGELS damit gezielt das Kapital als ein typisches Konzept bürgerlicher Nationalökonomen aus der (-» ideologischen) Gleichwertigkeit zur Arbeit gestoßen. Ihm als Kommunisten erschien die behauptete Gleichrangigkeit von Arbeit und Kapital eine geradezu typische Rechtfertigung für Gesellschaften, in denen ein Arbeitsmarkt existierte — erst das marktliche Gegeneinander von Arbeitsangebot und Arbeitsnachfrage legte dem Urteil begriffliche Fehler nahe, à la Kapital sei der Arbeit gleichwertig als Produktionsfaktor. Doch könne dies Fehlurteil erst da plausibel werden, wo Menschen ihre Arbeit auf dem Markt an solche anderen verkaufen müßten, welche ihrerseits geronnene Arbeit = Produktionsmittel = Kapital besäßen. Geronnene Arbeit war aber für E N G E L S historisch erst spät entstanden und eben nicht —> a priori menschlich. Arbeit allein sei der einzige Produktionsfaktor.

„Arbeit" anthropologisch?

Doch war er, und mit ihm die Sozialisten, sich in einem mit seinen Gegnern einig: Es gehe um Produktions-Mittel. Hat er damit recht?

Ist Arbeit produktiv? Stop

1

Engels, F.: Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen, In: M E W (Karl M a r x , Friedrich Engels: Werke), Bd. 20, Berlin (Dietz) 1972, S.444ff.

1 Was ist Arbeit?

8

Wer sich jetzt an die Überschrift Produktive Arbeit, destruktive Arbeit erinnert, folgert richtig, daß diese Überlegungen hier mit dem herrschenden volkswirtschaftlichen Arbeits-Eegúñ brechen möchten. Der bespricht nur ein produktives Arbeiten. Ein Bruch mit dieser wohleingeführten Denkweise ist allerdings nur zulässig, wenn wir uns zu einer soziologischen Annäherung ans Thema entschließen können, und wenn diese Annäherung Grund genug hergibt, Arbeit noch einmal und anders zu fassen. Versprochen kann nur werden, daß der jetzt zu entwickelnde Ansatz einer zugleich produktiven und destruktiven Arbeit zahlreiche Fragen zu beantworten helfen wird, die bislang in andere sog. Spezielle Soziologien abgeschoben wurden — so in die Kunstsoziologie, die Militärsoziologie, auch in die Familien-, Schuloder Sportsoziologie. Denn in all diesen Bereichen wird gearbeitet. ,Arbeit" in arbeitssoziologisehen Texten

Heißt nun, soziologisch vorzugehen, daß wir uns nach Definitionen in solchen Büchern umsehen müssen, die ¡ m Titel das Wort „Arbeitssoziologie" enthalten? Gerade aber einschlägige Werke, etwa die „Einführung in die Arbeitssoziologie" von Friedrich F Ü R S T E N B E R G 2 , geben zu derart grundsätzlichen Überlegungen arg wenig her. Nützlich ist ein solcher Text wohl, wenn man das - niemals basislose - Problemverständnis eines mitteleuropäischen Arbeitssoziologen im Jahre 1977 ken-

2

Fürstenberg 1 9 7 7 ; vgl. auch: C a p l o w 1 9 5 8 , Neuloh 1 9 7 3 ; auch Vilmar, F. und Kißler, L . : Arbeitswelt, Opladen (Leske + Budrich) 1982; klassisch: Kern, H . und Schumann, M . : Industriearbeit und Arbeiterbewußtsein, Teil 1 + 2 , Frankfurt a . M . (Europ. Verlagsanstalt) 1 9 7 0 ; zur ,3. Welt': Fischer, K. M . : Zirkulierende Wanderarbeit in Afrika südlich der Sahara, Diss. Kiel 1 9 7 1 ; und unabweislich (auch Fürstenberg hängt definitorisch von ihr ab): Arendt, H . : Vita Activa, Stuttgart (Kohlhammer) 1960.

1.1 Überlegungen zu den einschlägigen Begriffen

9

nenlernen will: Das zentriert sich zumeist auf Industrie und Betrieb, oft noch einmal verengt aiif den Industriebetrieb; und da liegen auch seine Vorteile bei der Einführung. Es sind dies keine unwichtigen Wirtschaftszweige. Nur eben, was ist ihm Arbeit? Die ersten drei Sätze seiner Einführung lesen sich so: Arbeit als zielstrebige Tätigkeit zur Daseinsvorsorge ist ein Grundphänomen menschlicher Existenz. Sie berührt alle Lebensbereiche. Deshalb kann sich ihre wissenschaftliche Untersuchung nicht auf ein wissenschaftliches Problembewußtsein, eine Methode, ein bestimmtes theoretisches Modell begrenzen.

Sehr richtig, möchte man sagen. Aber heikel - die drei Sätze enthalten nämlich sehr viele Annahmen. Welche?

Stop

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1 Was ist Arbeit?

Offenbar ist Tätigkeit für F Ü R S T E N B E R G ein Oberbegriff zur Arbeit. Sodann steckt im Wort zielstrebig zumindest ein Konzept des Wollens - gibt es einen (freien?) Willen? Recht altmodisch. Und „Planen" steckt darin, also gar das Bewußtseini Daseinsvorsorge klingt plausibel, der Laie geht fromm zur Tagesordnung über. Dem Fachmann ist nicht wohl: Bezieht sich der -» existentialphilosophische Begriff -» Dasein auf „den Menschen" (die Spezies „Menschheit") oder auf den jeweils einzelnen („individuellen"?) Arbeitenden oder auf die im sozialen Verbund Arbeitenden? Was ist dann da? Für wen wird hier vorgesorgt (-> antizipatorisch gehandelt, mit —> Reflexion)? Und die Existentialphilosophie wird hier mitnichten an den Haaren herbeigezogen. FÜRSTENBERG spricht selbst von „Grundphänomenen menschlicher Existenz". Und was für eine Erkenntnistheorie steckt allein schon im Phänomen (aus dem Griechischen, wo es etwas „Wahrgenommenes" oder „Erschienenes" heißt)? Und mehr! Arbeit berührt alle Lebensbereiche? Ist die Liebesmüh Arbeit? (Ja, genau-Das, was der Leser jetzt denkt.) Immerhin braucht man sich dann nicht zu entschuldigen, wenn inskünftig neben dem Arbeitsleid auch von der Arbeitsfreude die Rede sein wird. 3 So werden Sie es oft in allgemeinen Schriften zur Arbeitssoziologie finden: Wohl wird das Problem eines richtigen Begriffes von Arbeit gesehen, und es wird in seinen vielfältigen, hochkomplexen Bezügen auch angesprochen. Aber, und daran muß man sich als Leser wissenschaftlicher Einleitungen gewöhnen, es wird sehr viel abgekürzt. Und wenn sich ein Verfasser Mühe gegeben hat, so ist alles Einschlägige auf der Oberfläche (um-

3

Klassisch dazu v. Ferber, Chr.: Arbeitsfreude, Stuttgart (Erike) 1959; s. a. Neuberger, O.: Theorien der Arbeitszufriedenheit, Stuttgart (Kohlhammer) 1974.

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1.1 Überlegungen zu den einschlägigen Begriffen

gangssprachlich) verständlich und einleuchtend. Jedoch: Etwas sehr Komplexes dergestalt niederzuschreiben, daß es ganz einfach klingt, und alle (Leser, Autor) weitermachen können, ohne groß zu denken, das muß man lernen. Was ist das: Alle können mitmachen, keiner braucht es ganz zu verstehen? Das ist ein Ritual. Den Begriff werden wir noch brauchen.

Erstmals „Ritual"

Ich gebe noch eine Probe aufs Exempel, nämlich den Arbeits-Begriff in einer unkonventionelleren Arbeitssoziologie. Zehn Jahre nach FÜRSTENBERG schreiben Wieland JÄGER und D i e t m a r RIEMER: Menschliche Arbeit kann dann als Arbeit bezeichnet werden, wenn es eine bewußte, planvolle und zielgerichtete Tätigkeit ist, in der sich Menschen aktiv mit der N a t u r auseinandersetzen und sich diese für ihre Z w e c k e aneignen. 4

Prüfen Sie parallel zum FÜRSTENBERG-Zitat selber durch, wieviel Komplexität hier umgangssprachlich verständlich dargeboten wird. Und ein ganz bestimmtes Rituai taucht bei JÄGER und RIEMER zusätzlich auf: Ihr Satz ist selber ein Zitat! 5

4

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J ä g e r , W. und Riemer, D.: A u f w e r t u n g der Arbeit? Alternative Arbeitsformen und Wandel der Industriearbeit, O p l a d e n (Leske + Budrich) 1987, S. 35. Littek, W. u . a . (Hg.): Einführung in die Arbeits- und Industriesoziologie, F r a n k f u r t a . M . ( C a m p u s ) 1983, S. 15.

Stop

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1 Was ist Arbeit?

Wohlgemerkt, man soll nicht immer neue Begriffe anbieten wollen (ein Narr auf eigne Faust sein), wenn frühere Autoren bereits nachgedacht haben und der Leser womöglich ältere Definitionen schon kennt und mühsam genug nachvollzogen hat. Es hat in den Wissenschaften seinen wohlgeprüften Sinn, ein Zitat anstatt einer eignen neuen Begriffsprägung in Zahlung zu geben. ,Sinn"

- Erst ein „Sinn" garantiert ein gelungenes Ritual. Wohlgemerkt auch: Alle die erwähnten arbeitssoziologischen Schriften werden als lesenswert genannt. Sie wenden sich jeweils nach einer rituell vereinfachten komplexen Einleitung kundig ihren Hauptthemen zu: der Industrie (Industriegesellschaft) oder ihren möglichen Abwandelungen. Nur, wir jetzt müssen uns mehr Mühe geben, als nur die Einleitungen solcher Schriften nachzuschlagen. Wir müssen uns, — wenn wir uns Arbeit noch einmal generell, und freilich soziologisch, vorstellen wollen, ihr sowohl empirisch, möglichst mit Hilfe eigener Erfahrungen, als auch anhand derjenigen Quellen zuwenden, die sich noch ganz grundsätzliche Fragen stellten, die nicht nur für das jeweilige Jahrzehnt, sondern lang- und längstfristig brauchbar sein sollten. Für diesmal mag also ein Zugang helfen, der heute noch empirisch (durch Selbsterfahrung) zugänglich, wiewohl in der Literatur sehr altbacken scheint.

1.2 Als Z u g a n g : D a s Arbeitslied

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1.2 Als Zugang: Das Arbeitslied álei myla álei kai gár Pittákos álei megálas Mytilánas básileúon máhle Mühle máhle auch Píttakós muß máhlen des großen Mytilénes Herr und König lebte vor zweieinhalbtausend Jahren; als Reformer (einer der „Sieben Weisen") war er unter den alten Griechen hochberühmt, und in diesen Liedern tröstete, wer mahlen mußte, sich über eine der unaufhörlichen Arbeiten vor der Haustür hinweg, über das mechanisch-schwere Zermalmen des Korns in der Handmühle, mit dem Stößel. Das Beispiel entstammt Karl BÜCHER (1904: 5), der den jahrtausendealten Vorrat an Arbeitsliedern gesammelt hat, bevor sie — in unserer ,Industriegesellschaft' — scheinbar ganz verstummten. (Bereits daran erkennt ein Soziologe, daß unsere Gesellschaft eine sehr ausgefallene sein muß, verglichen mit den Hunderten, aus denen Karl BÜCHER seine Takte, Melodien und Texte zusammentragen konnte.) Einige seiner Texte und Melodien kennen auch wir zwar noch, wissen aber oft gar nicht mehr, daß es alte Arbeitslieder sind. PITTÁKOS

Zieht euch warm an ( . . . ) - das war ein Text, mit dem die Frachtschiffer auf dem Uferpfad ihre Kähne wolgaaufwärts treidelten, eine knochenbrecherische Arbeit. Jetzt fahrn wir übern See übern See - hielt die Hopfenpflücker in Böhmen zusammen. Beispiele sind Legion. Doch etliche erhaltene Lieder sind nicht mehr leicht als ArbeitsLieder erkennbar, weil man so nicht mehr arbeitet. Kennte man noch den Rhythmus der Flegelschläge beim Dreschen, man verstünde besser: wie Rhythmen, wie

Karl BÜCHER: „Arbeit und Rhythmus"

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1 Was ist Arbeit? Lieder allen bei der Arbeit helfen. Und eine sehr monotone Tätigkeit, die man für unabweisbar hielt, für Frauenarbeit, war etwa das erst im 19. Jahrhundert abgekommene Wiegen: Josef lieber Josef mein, hilf mir wiegen mein Kindelein (ein beliebter Muttertrost, frau wurde dadurch zur Muttergottes.) Arbeit? Erst einmal sollten wir noch andere Tätigkeiten nicht vergessen. Wieviel Texte wurden nicht dem Wandern (war einmal Handwerkerpflicht) und dann dem Marschieren unterlegt (zumal dann, als man die Soldaten erst einmal zum Gleichschritt diszipliniert hatte): O du schöner Westerwald mit zahlreichen Textvarianten (ein Eukalyptusbonbon wäre jetzt erfrischend). Und da wir schon einmal bei den Soldaten sind: In keinem Beruf wird so viel gewartet, und noch mehr als bei den Hirten wird die Zeit durch Lieder rhythmisiert. Zu Straßburg auf der Schanz, da fing mein Leiden an. Und was schlich sich nicht alles über die Texte ein, unbarmherzige Diagnosen und dennoch Trost (wie beim Pittakos-Liedchen) : Argonnerwald, Argonnerwald, ein stiller Friedhof wirst du bald . . . Gibts heute noch dergleichen? In Winkeln findet sich Etliches. Lehrte der Schulunterricht das Lied der Moorsoldaten, Zwangstorfarbeiter aus dem KZ? Pflichtgemäß auf Klassenwanderung (,anstatt' Schularbeit) grölte die Mittelstufe ihre Klotzlieder, Negeraufstand ist auf Kuba; und man erinnere sich an das Dámm-dámm-dámmtata {Hó-Hó-Hó Tschi-Minh) der 1968er Demonstrationszüge: Rythmus und Text verrieten viel. Die Heilgymnastik schlägt inzwischen ihr Tamburin. Und wenn man sich nun mal um seine dummen kleinen Kinder kümmern muß, dann macht man am besten mit ihnen Hóppe hóppe Reiter—früher einmal textliche Vorbereitung auf den Ernst des Lebens, denn, wen's abwarf, dessen Aas fraßen die Totenvögel. Im übrigen ist der Arbeitstag morgens am trübsten, und dafür gibts Weckmusik im Radio, man summt das Zeug noch im Auto.

1.2 Als Zugang: Das Arbeitslied

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Die Eigenrhythmisierung der monotonen, immer wiederkehrenden, schweren, erzwungenen Arbeit zeigt eine unmittelbare Sinnverknüpfung mit dem eignen Leben. Man singt von der Last, die man hat. Aus der zweiten Strophe des bekannten Shanty vom Hamborger Veermaster. De Kombis wier vull Lüs', de Kajüt wier vull Schiét, tomeihóda, tomeihóda, de Beschiiten, de löpen vun sülben all wiét „Beschiiten" sind Schiffszwiebacke (Biskuits), die laufen von selber (sülben) schon weit, weil sie voller Maden sind; den Rest lasse man sich bei Gelegenheit erklären und zeigen. Man singt aber auch davon, daß alles nötig sei, und daß man heilfroh enden werde (blow boys blow, to Californio, there is plenty of gold), und macht sich dann noch über alles das lustig: so 1 am told. Dieser Zug der Arbeitslieder ist durchaus wichtig: Sich über die eigne Arbeit lustig machen, indem man seine Fragezeichen hinter die Ziele setzt (schön wär's ja, und so I am told), und damit auch über sich selbst zu grinsen, das ist nicht der schlechteste Trost. Man besieht sich dabei aus einem Abstand, der es sogar erlaubt, eigne Ziele und die von seinesgleichen auszulachen. Was sogestalt im Alltag zugleich lächerlich und erlaubt wird, heißt-genau in solcher -> Ambivalenz—hochgestochen Utopie: There is plenty of gold. Ist das gut so? Weiß nicht. Aber es klappt. In einem Atem werden Arbeitsfreude und Arbeitsleid zum realistischen und utopischen Thema.

Utopie Arbeitsfreude zugleich mit Arbeitsleid

1 Was ist Arbeit?

16

Und mehr noch: Bereits während der Arbeit hält man sie sich selbst — schwermütig oder hoffnungsvoll — vor Augen, sieht sich arbeitend im Spiegel des eigenen Liedes. Das ist eine eigentümlich menschliche Tätigkeit:

Reflexion

Daß man von sich selbst beobachtenden, folgernden und urteilenden Abstand nehmen kann, dieses prüfende Innehalten (indes man seine übrigen Bewegungen durchaus fortsetzen kann), heißt Reflexion. Garantiert sie eigne Urteilskraft? Weiß nicht, die Meisten finden sich im Spiegel erträglich.

Geistige Arbeit zugleich mit körperlicher

Immerhin werden das Ziel der Arbeit und ihre Unausweichlichkeit im Rhythmus zum Thema; das heißt geistige Beschäftigung mit dem, was man körperlich tut (robotten müssen, klotzen müssen, ranrobben müssen, aushalten müssen). Karl BÜCHER dazu (1904: 406): „Rhythmische Arbeit ist (...) nicht geistlose, sondern im hohen Maße vergeistigte Arbeit."

Erstmals: Subjekt-ObjektProblematik

Es gehört schon eine sehr speziell gewandelte Gesellschaft dazu, das Arbeitslied wie eine überflüssige Zutat zu verstehen, und erst wieder „Musik am Arbeitsplatz" zuzulassen, die textlos dem Unbewußten (dem Tiefenbereich der Seele) in den Arbeitenden etwas zududelt, und damit zwar Arbeitserleichterung durch Rhythmen will, aber ohne jede Reflexion. Das wäre dann ein sehr mechanischer, das arbeitende „Subjekt" zum arbeitenden -»• „Objekt" umdenkender Ansatz, wie ihn pflegt, wer für sich arbeiten läßt; und wer das für natürlich' hält. Es ist aber nicht natürlich, sondern erst in einer Gesellschaft möglich, die (a) solche Herrschaft über anderer Arbeit zuläßt, und die (b) überwältigend viele Objekte hergestellt hat und diese „Objekt-Welt" benutzt, ohne ihnen noch anzumerken, wie sie erarbei-

17

1.2 Als Zugang: Das Arbeitslied

tet wurden. In Gesellschaften mit Arbeitsliedern dagegen kann man der eignen Kleidung noch die Spinnlieder, dem Brot noch die Müllerlieder und sogar dem Trinkwasser ansehen und abhören: Da gang i ans Briinnele, trink aber net ... dafür mußte man nämlich die ganze Dorfstraße entlang und mit der Last wieder zurück. Diese Überlegungen möchten rechtfertigen, daß man erst zusammen mit ihrer eignen Reflexion die Arbeit als komplett erfaßt ansieht.

Erst reflexives Arbeiten ist komplett

Und diese Reflexion der Arbeit bedarf eben nicht zu ihrer Existenz der großen Distanz vom Schreibtisch zum Fließband, sondern sie taucht bereis in der -> Eigenrhythmisierung der Arbeitenden auf. Das Arbeitslied ist dabei ein guter, mikrosoziologisch stets verwertbarer Hinweis. Vor allem kann es auf der Suche nach verborgenen Arbeiten führen. Doch ist dabei keinesfalls unterstellt, daß jedes Singsang-Lied ein Arbeitslied sei. Liebes- und Sterbelieder scheinen weit davon, und die ersteren werden ja am fleißigsten nachproduziert. Doch ist immerhin auch bei dieser Überlegung Vorsicht angeraten. Warum?

Stop

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1 Was ist Arbeit?

Wir sprachen schon von Liebes müh. Und Sterbelieder enthalten, man sehe im Gesangbuch nach, viel von Lebensmüh. Der Arbeits-Begriff scheint also von vornherein mit vielen (wie sagte FÜRSTENBERG?) „Grundphänomenen menschlicher Existenz" eng verschwistert. Somit erscheint das Arbeitslied zwar als ein brauchbarer, keineswegs jedoch als ein problemarmer Zugang.

2 Arbeit, Arbeitsfeier, Genugtuung

2.1 D i e Feier zum Arbeitsabschluß Im Arbeitslied sich den Abstand zu nehmen, den einzig die andauernde Weiterverrichtung zuließ: dieses Innehalten inmitten ununterbrochener Bewegung - es ist schwer komplett zu analysieren. Der Sozialforscher müßte am besten selber mitarbeiten (Teilnehmende Beobachtung), und er täte gut daran, den andern, wenn sie ihn dulden sollen, nicht beschwerlich zu fallen und gelegentlich beim Strophenfinden etwas Witziges beizusteuern (Action Research). Etwas leichter fällt es ihm, falls auch sein Besuch nicht so lang sein kann, sobald er Arbeitsabschluß-Feiern beobachtet. (Er sollte allerdings schon bei den Vorbereitungen zur Stelle sein.) Doch kann er sich auch nachträglich von gelungenen Festen berichten lassen (auf Befragung hin). Denn der Feiern erinnern sich ihre Teilnehmer noch länger; Feiern sind markante Einschnitte. Arbeitsabschluß-Feiern finden bei markanten Arbeitsabschlüssen statt. Gibt es die in unserer Gesellschaft überhaupt noch? Wäre es eine lange Liste? 1. 2.

3.

Feiern markiert

Stop

20 Nochmal: Stop

2 Arbeit, Arbeitsfeier, Genugtuung

Wer jetzt eine kleine Liste versucht hat (wir brauchen sie noch), der hat zumindest das Erntedankfest darauf stehen, ob er wohl auch niemals an einem teilgenommen haben dürfte. Da in diesem Falle auf eigne Kenntnisse also so wenig zu_ bauen sein dürfte, folgen jetzt einige Notate des Ethnologen Knud R A S M U S S E N , aus seinem Bericht Die große Schlittenreise.6 Eine Übung im Abstrahieren. Von Grönland bis zur Tschuktschenhalbinsel, zumeist aber in Nordkanada, suchte er die eskimoischen Wildbeuter auf und traf sie, minder oder mehr fremdkulturell beeinflußt, auch noch an. Das ist ein völlig normales Beispiel aus einer völlig normalen Gesellschaft — wenn man normal nennt, was die Mehrzahl der von der Forschung angenommenen Gesellschaften getrieben hat (das ist nicht das Gleiche wie die Mehrzahl der Menschen bisher!): Jagen, Fischen, Sammeln und Pflücken (Wildbeuten). Der Arbeitsabschluß, von dem gehandelt wird, ist zugleich auch eine Arbeitsvorschau: Die Renjagd ist zuende, das arktische Meer wird frei, nun kann man dort harpunieren und fischen.

Beinahe zwei Tage ununterbrochen hergelaufen

Eines Tages . . . kam ein junger M a n n zum Wohnplatz gelaufen. Er hatte einen kleinen Schlitten bei sich, der von drei Hunden gezogen wurde. Entsprechend dem Brauch . . . war er . . . beinahe zwei Tage ununterbrochen vor den Hunden hergelaufen. Er kam von einem großen Wohnplatz am Ende des Bathurst-Fjordes und erzählte, daß die Leute nun auf dem Wege seien, um den Atemlochfang auf dem Meereis zu beginnen. Die Rentierjagden . . . hatten eine ausgezeichnete Ausbeute gebracht. . . . Es war anfangs Dezember und eine ungewöhnlich kalte Zeit, wo das Thermometer oft unter minus fünfzig Grad Celsius sank.

6

Rasmussen, K.: Die große Schlittenreise, Essen (Hans v. Charnier) 1944, S. 180f., 189ff., 195.

2.1 Die Feier zum Arbeitsabschluß

21

Nur spärliches Licht traf die Erde, und wir mußten früh am Morgen im Mondschein aufbrechen, um aus den Tagereisen etwas herauszuholen. . . . Gegen Abend wurde ich zu einem großen Fest im Tanzhause eingeladen. Dieses Festhaus war so groß, daß es mit Leichtigkeit sechzig Menschen aufnehmen konnte. Es war eine mächtige Schneehalle, die nur für Feiern und Zusammenkünfte gebaut war. Damit es dort stets, sogar mitten am Tage warm und gemütlich sei, hatten sie zwei Seitenflügel angebaut. . . . Beide Flügel waren bewohnt. Auf der einen Seite (waren) . . . Polardorsch, Lachs und getrocknetes Fleisch aufgehäuft und deuteten an, daß für jeden . . . offenes Haus gehalten würde. Die gegenüberliegende Schneehütte war . . . in gleicher Weise ausgestattet. . . . Viele junge Mädchen, die es übernommen hatten, die Lampen zu besorgen, standen oben auf der Schlafbank . . . , indes sie die Festteilnehmer neugierig betrachteten. Oben in der Wölbung der Halle waren einige Nischen in die Schneeblöcke geschnitten; hier brannten kleine Specksteinlampen. . . . Die Männer und Frauen, die den Chor bildeten, hatten sich im Kreise um den Vorsänger und Tänzer aufgestellt, der mitten in der Halle stand und eine mächtige Trommel in der Hand hielt. Diese ist so groß, daß oft eine ganze Rentierhaut als Trommelfeil gebraucht wird. Der Holzrahmen . . . muß daher sehr haltbar sein, und infolgedessen hat die Trommel, die mit der linken Hand gehalten wird, ein bedeutendes Gewicht . . . , (so) daß sowohl Kraft wie auch Übung erforderlich sind, wenn man zugleich als Sänger, Trommelschläger und Tänzer eine Stunde oder noch länger ununterbrochen auftritt. Die Tänze, die unter Sprüngen, Körperwindungen und Wiegen in den Hüften zum unerbittlichen Takt des Trommelschlages ausgeführt werden, nehmen die Kraft der Auftretenden so stark in Anspruch, daß sie gewöhnlich vollkommen in Schweiß gebadet sind, wenn sie zurücktreten.

Bedenken Sie die hier eingebrach te Mühei fährt fort:

R A S M U S SEN

Männer wie Frauen ziehen besondere Trachten an. Festlich erstrahlen sie mit all den schönen Einlagen aus dem weißen Bauchfell, das als Muster angewandt ist. An Rücken und Schul-

Eine mächtige Schneehalle

Eine ganze Renhaut als Trommelfell Kraft wie auch Übung

Schweiß

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2 Arbeit, Arbeitsfeier, Genugtuung

Sorgfalt

Melodien

tern tragen die Männer weiße Hermelinpelze, die bei jeder Bewegung wie Wimpel flattern. Besondere Sorgfalt wird darauf verwandt, Männer- und Frauenstiefel mit weißen und roten Fellstreifen zu besticken. Auf dem Kopf tragen sie einen Helm aus zusammengenähten Fellstreifen, und der Schnabel einer Lumme ragt aus dessen Spitze hervor. Der Tänzer und Trommelschläger . . . ist zugleich Vorsänger. Er stimmt das Lied an, das gesungen werden soll, und nach einiger Zeit fällt der Chor ein . . . , der aus tiefen Männerstimmen und hohen, durchdringenden Sopranen besteht. . . . Die Melodien, die sich in ganz wenigen Tönen bewegen, wirken niemals monoton, weil das fallende und steigende Tempo des Chores ständig Abwechslung bringt. Zu beachten:

Ihre eigenen Lieder

Jeder Mann und die meisten Frauen haben ihre eigenen Lieder, die sie selbst erlebt und verfaßt haben. Neben diesen neuen Weisen hat man noch die alten, eigentümlichen Geisterhymnen, die auch im Festhause gesungen werden, wenn die Beherrscherin der Seetiere, Arnakapshaluk, angerufen werden soll. Diese Hymnen . . . werden an die Hilap inue, die Geister der Luft, gerichtet, die allein dem Menschen helfen können. Sowohl Wort wie Melodien sind unermeßlich alt, und man sagt, daß sie von Geschlecht zu Geschlecht vererbt worden seien. . . .

Die ganze Nacht

Das F e s t . . . dauerte die ganze Nacht hindurch. Wenn ich . . . zu schildern versuche, wie Wort, Weise und Tanz in unerklärlicher Art zusammenklangen zu einer einzigen Woge von Lebensfreude, zu einem . . . Überschwang von Wonne und zum Sturmlauf der Sinne bis zur Ekstase, dann muß ich gestehen, daß eine solche Nacht nur in ihrer eignen Umwelt ganz erlebt und erfaßt werden kann.

Ekstase

Soviel Texte er konnte, nahm Knud R A S M U S S E N auf. Aus „Aijuks Lied, geträumt von Paulinaoq" hebe ich für unsere Zwecke heraus: Schön war das Leben im Winter; aber erfreute es mich? Nein, stets war ich voll Sorge um Sohlenleder und Fell für Kamikker,

2.1 Die Feier zum Arbeitsabschluß Wenn sie nicht reichten für uns. Ja, stets war ich bekümmert. Aji, jai-ja. Schön war das Leben im Sommer; aber erfreute es mich? Nein, stets war ich voll Sorgen um Rentierfelle und Decken zur Schlafbank. Aji, jai-ja. Schön war das Leben, wenn man am Fischloch stand auf dem Eise. Aber erfreute das Stehen am Fischloch mich? Nein, stets war ich voll Sorgen um meinen winzigen Angelhaken, Wenn der Fisch nicht anbeißen wollte. Ja, stets war ich bekümmert. Aji, jai-ja. Schön war das Leben, wenn man tanzte im Festhaus. Aber erfreute der Tanz im Festhause mich? Nein, stets war ich in Sorge, ich könnte vergessen das Lied, das ich singen mußt'. Ja, stets war ich bekümmert. Aji, jai-ja. . . .

Ich betone jetzt nur: Es wird so sehr viel verbraucht! An teuer erarbeitetem Licht und an teuer erarbeitetem Schmuck. Auch an Kraft, - es wird so unablässig getrommelt. (Erkundigen Sie sich bei einem Berufsschlagzeuger.) Hören Sie darauf, wie die Freude und der Kummer im Text zusammentreten (schön war das Leben ... stets war ich in Sorge), wie beider Polarität dargestellt wird. Versuchen Sie zu akzeptieren, daß man sich bei dieser Feier aufs Äußerste ausgibt, körperlich und geistig, seelisch und reflexiv. Zu Ihren eigenen Vorstellungen von „Feiern" könnte sich eine Spannung fühlbar gemacht haben. Denn eine mitteleuropäische Vorstellung von Feiern („Feierabend, Leute!") hat viel von sich-hängen-Lassen, von Schlappheit und Rast, vom in-Ruhe-gelassen-werden-Wollen. Das ist ein Kontrast zur Arbeit, den wir alle schätzen gelernt haben, denn bei uns spielt viel -» Konterdependenz von der Arbeit in die Feier hinein. Konterdepen-

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2 Arbeit, Arbeitsfeier, Genugtuung

Feier als konterdependent zu Arbeit

denz ist eine umgekehrte -> Dependenz (Abhängigkeit), die sich in Umkehrung aller Elemente äußert: Die Arbeit w a r mühsam, die Feier sei faul. Anders bei den Wildbeutern. Ihr Fest ist ihnen bis an die eigne äußerste Grenze anstrengend — wie die Arbeit! Die Vorbereitung so methodisch, die Durchführung so sorgsam, die eigne gemeinsame Verausgabung so rückhaltlos wie bei der Jagd — die ihrerseits bestmöglich vorbereitet, fehlerlos durchgeführt, mit aller Geduld und Kraft zuende gebracht werden muß. Denn, sonst können in diesem Randbiotop zur —> Anoikuméne (zum unbewohnbaren Land und Meer) Menschen nicht überleben.

Eigenthythmisierung

Stop

Und, ebenso wie das Arbeiten, ist das Feste Feiern von eigner Rhythmisierung bestimmt, in Takt und Melodie und Liedtext. Wörtlich stellt es, in realistischer Rückschau und gesteigertem Lebensgefühl hier-und-jetzt, die Arbeit noch einmal vor: Aji, jai-ja! Wer als Beobachter keinen Anlaß hat mitzufeiern, zumal wenn er aus Mitteleuropa käme, möchte sagen: „Die machen sich ja völlig fertig - als ob sie jemand dafür bezahlte." Ahja?

2.1 Die Feier zum Arbeitsabschluß

25

Die Feiernden stellen Last und Freude wörtlich und rhythmisch einander gegenüber, im Großen ganz genau, wie sich im Kleinen das Arbeiten (die komplette Arbeit mit Eigenrhythmisierung) anhörte, und, um die Betonung unserer Kommentierung einmal zu variieren: — Erst in der Feier machen sie sich völlig fertig. Das heißt zugleich: runden sie die Arbeit ab. Pointiert hervorgehoben: Arbeit und Arbeitsabschluß-Feier (Fest) hängen dergestalt voneinander ab, daß sie beide die gleichen Elemente von Arbeitsfreude und -leid und von Reflexion aufweisen. Das besagt, daß diese Feier die Arbeit abbilde (Dependem). Auf die konterdependenten Elemente unserer eignen kulturellen Auffassung von „Arbeitsabschluß"Feier ist später einzugehen. (Sie sind Reflexionen auf noch anderes.) Uns hier ist die direkt abhängige Abbildung das Wesentliche. Und mehr noch: Es handelt sich um eine wechselwirksame Dependenz: Die Arbeit kann jetzt auch die Feier abbilden. Die Wiederkehr gleicher Elemente in Arbeitsabschluß-Feier und Arbeit hält in der je einen die je andere präsent - ein reflexiver („vergeistigter") Wechsel-Verweis von stets zugleich realistischem und utopischem (furcht- und hoffnungsvollem) Charakter. Und abermals ist der Rhythmus beobachtbar. Nunmehr nicht als helfende Taktfolge bei der Einzelverrichtung, sondern als fristensichernde Rhythmisierung komplexe-

Feier als dependent zu Arbeit

2 Arbeit, Arbeitsfeier, Genugtuung

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rer Tätigkeitsabläufe — etwa von jahreszeitlich markierten Abschlüssen bestimmter Arbeiten. Die Arbeitsabschluß-Feier ist eine von der jeweiligen Gesellschaft sozial markierte Langfrist-Rhythmisierung der Zeit. Feier als Eigenrhythmisierung langer Zeit

Mit der Feier Rhythmen.

stoßen wir also auf

längerfristige

Demgemäß haben Feiern, bereits erkennbar, auch die Eigenschaft, vorausschauen zu machen. Sie kräftigen für die Arbeitszukunft, nehmen deren Themen vorweg. Die Arbeitsabschluß-Feier ist immer auch -» Antizipation neuer (ggf. anderer) Arbeit. Und damit auch Antizipation der kommenden Feste. Fest und Aberfest verketten sich miteinander. (So reihen Kinder bei sich ihre Geburtstage, Ältere die Beerdigungen.) Arbeit und Aberarbeit verketten sich aber auch, in den Festen. Ihre Unablässigkeit (und am Ende des Lebens: ihre Eitelkeit?) wäre sonst schwer auszuhalten. Dies ist das geheime Thema von Friedrich SCHILLERS „Glocke", die Eintracht ruft: „Concordia soll ihr Name Und dies sei fortan ihr Beruf, Wozu der Meister sie erschuf; Hoch überm niedern Erdenleben Soll sie in blauem Himmelszelt Die Nachbarin des Donners schweben Und grenzen an die Sternenwelt, Soll eine Stimme sein von oben, Wie der Gestirne helle Schar, Die ihren Schöpfer wandelnd loben Und führen das bekränzte Jahr.

2.2 Ritualisierung

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Nur ewigen und ernsten Dingen Sei ihr metallner Mund geweiht, Und stündlich mit den schnellen Schwingen Berühr im Fluge sie die Zeit, Dem Schicksal leihe sie die Zunge, Selbst herzlos, ohne Mitgefühl, Begleite sie mit ihrem Schwünge Des Lebens wechselvolles Spiel. Und wie der Klang im Ohr vergehet, Und mächtig tönend ihr entschallt, So lehre sie, daß nichts bestehet, Daß alles Irdische verhallt." Diese Glocke gießen sich die Menschen selbst. 2.2 R i t u a l i s i e r u n g Arbeit und Fest haben die gleichen Elemente der Polarität (Arbeitsleid und Arbeitsfreude). Eingedenk dessen sind sie einander aber auch entgegengesetzt: „Saure Wochen, frohe Feste", und, unausgesprochen: „Dann wieder saure Wochen, und stets so fort." Schematisch ließe es sich so wiedergeben: Nur dann, und immer dann, wenn (Kurz-) Anstrengung —• Rhythmus Γ

(Lang-) Rhythmus

Anstrengung

dürfen wir Arbeit in vollem Sinne annehmen. In dieser Verkettung leiten Eigenrhythmisierungen reflexiv von Anstrengung zu Anstrengung, von -> Brauch zu Brauch, von Arbeit zu Arbeit. 7 7

(A R) *-* (R ->A): Dies einmal für Logikgeschulte zum anregenden Nachprüfen. Wo ein Logiker Konjunktoren ( - • , ) einsetzt, da ritualisiert der Laie.

2 Arbeit, Arbeitsfeier, Genugtuung

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Das Komplexe, das einfach zu machen ist: das Ritual

The licence in ritual

Auf hochkomplexe Weise zitiert das eine das andere. Und, obwohl der Zusammenhang derart an Wechselverweisen reich und schwer im Einzelnen analysierbar ist, haben die Eskimos damit keine anderen Schwierigkeiten als die, die im Vollzug liegen. (Dieses freilich sind lebenswichtige Schwierigkeiten.) Abermals begegnet uns hier das Komplexe, das einfach zu machen ist: das Ritual. In seinem kurzen, bildkräftigen, lehrreichen Buch 8 Custom and Conflict in Africa hat der Ethnosoziologe (social anthropologist) Max G L U C K M A N eine Zwischenüberschrift gewählt, die diejenigen aufstören soll, die beim Wort „Ritual" sofort an nichtssagende, ja betrügerische Floskeln und Leerformeln denken müssen. Das ist bei uns ein Erbe der Aufklärung, die sich so vehement gegen die in ihrer Weltsicht Nichts besagenden und Priestertrug erlaubenden Rituale der Kirchen gewandt hat. Nicht einfach-so mitmachen das Brimborium, so lehrten die Aufklärer, sondern: innehalten - reflektieren — seinen Verstand ausbilden - lernen und lehren - und dann erst: tun! So versuchten die Kritiker, die hinströmenden Menschen von den Kirchentüren, Wachtparaden und öffentlichen Hinrichtungen wegzuhalten. (Sehr wohl. Ohne Aufklärung müßten sich die Soziologen noch mehr ducken.) Es ist also ein alteuropäischer Kampfbegriff, „Ritual" als sinnleer zu verstehen; ein Kunstgriff, der inzwischen derart zur Vereinseitigung (Ideologisierung) geführt haben dürfte, wie der einseitige „Arbeits"-Begriff die Volkswirte (vgl. o. Abschnitt 1.1). Max G L U C K M A N nun will unsere Vorstellungen von „Ritual" als von etwas zugleich Starrem und Hohlem aufweichen und spricht ein ganzes Kapitel lang von The Licence in Ritual, also von den Konzessionen im Vorgeschriebenen, oder, nachdrücklicher gefaßt: von der Aus8

Gluckman, M.: Custom and Conflict in Africa, Oxford (Basil Blackwell) 8 1973.

2.2 Ritualisierung

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Schweifung inmitten der Form. Das hatte er bei afrikanischen Stämmen, zumal bei den Zulu und Rotse (Lozi), sehr genau beobachtet und benutzt es, um darauf hinzuweisen, daß inmitten der bändigenden Sitte (custom) der zerreißende Streit (conflict) wiedererscheine, und daß aber auch die Sitte dazu dienen könne, sonst unerträgliche Konflikte austragbar, aushaltbar, ja wiederholbar zu machen. Das scheinbar Starre dient der Beweglichkeit: Diese Ähnlichkeit der denkerischen Verbindung (von custom/conflict) zu unseren eignen Überbrückungen (Rhythmus/Arbeit) und die Nützlichkeit des Begriffes Ritual gerade bei der Beschreibung von Arbeitsliedern und Arbeitsfeiern haben mich hier bewogen, den kritisch abgeworfenen Begriff neukritisch aufzunehmen. Im übrigen kennen Soziologen durchaus einen bereits konkurrierenden Begriff, mit dem Forscher ähnliche Probleme bereits bearbeitet haben, ohne sich (wie noch die frühen Aufklärer) damit zu beruhigen, jedes Ritual als -> Ideologie abzutun, oder (wie späte Aufklärer) als (womöglich „notwendiges") Falsches Bewußtsein. Dieser Konkurrenzbegriff ist anderswo ausführlicher zu behandeln, hier aber wenigstens anzusprechen: die Institution. Wie Ritual aus der Sprache der Kirchen, kommt Institution aus den Vorstellungen der Justiz. Auch ihr ist abzumerken, daß sie dem Überleben dient - so hat es der Ethnosoziologe Bronislaw M A L I N O W S K I 9 anhand magischer Techniken und Bräuche vorgeführt. (Schwer zu schlucken für Aufgeklärte; aber er hat es sehr passend während des Ersten Weltkrieges erforscht, als Alteuropa grade seine Aufklärung tatkräftig ad absurdum zu führen verstand.) Es ging ihm um Folgendes: Von uns als —> 9

M a l i n o w s k i , B.: Die D y n a m i k des Kulturwandels, Wien/Stuttgart (Humboldt) 1951, S. 105 ff.

Kurz zur „Institution"

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2 Arbeit, Arbeitsfeier, Genugtuung

„magisch" wahrgenommene -» Bräuche halten die melanesischen Gesellschaften zusammen; sie erlauben ihnen, in der pazifischen Inselwelt zu überleben. Ähnlich mögen einem Laien hierzulande viele juristische Bräuche „magisch" vorkommen - aber sie halten („im Geltungsbereich des Grundgesetzes") die Gesellschaft zusammen. Ich habe diesen Begriff Institution wegen seiner unübersichtlichen Entfaltungen in der Literatur nicht aufgegriffen 1 0 , dazu aber auch deswegen nicht, weil mir das Verrechtlichte im Begriff Institution nicht so viele Erscheinungen abzudecken gestattet, wie das Sakrale im Begriff Ritual. Wechselwirkung von M ü h sal und Eigenrhythmisierung (Ritual)

Alle angesprochenen Wechselwirkungen besagen dabei, daß die Rituale (Rhythmen, Feiern) nicht der Mühsal ,dienen', sondern sie eröffnen die Möglichkeit zu arbeiten. So wie auch die Mühsal nicht der Feier ,dient', sondern die Arbeit zu Rhythmen und Feiern, zu ritusgebundener Vergeistigung, die Möglichkeit schafft. Indem sie beide einander erst die Möglichkeit schaffen, hängen sie beide miteinander zusammen wie Hau & Ruck: — Wechselwirkung bedeutet, daß Mühsal und Eigenrhythmisierung gemeinsam erst die Arbeit ausmachen, und daß man auf der Spur der einen immer auch dem Signal der anderen begegnet. Im Großen macht das Ritual die Mühsal lohnend, ohne beider Paarung müßte der Mensch darben und sterben. Indem das Ritual die Anstrengung und die Lust, alle beide, einander entgegensetzt, miteinander beständig 10

Vgl. die Kapitel dazu bei: Gehlen, Α.: Die Seele im technischen Zeitalter, Reinbek (Rowohlt) 1957; Schelsky, H . : Auf der Suche nach Wirklichkeit, D ü s s e l d o r f / K ö l n (Diederichs) 1965; Ciaessens, D.: D a s Konkrete und d a s Abstrakte, Frankfurt a . M . (Suhrkamp) 1980.

2.2

Ritualisierung

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macht, sie erhebend vor die Sinne bringt, reflektiert es Anstrengung und Lust der Arbeit. Oben, Seite 19, findet sich Ihre Liste der Arbeitsabschluß-Feste: Erntedank, nun gut. Muttertag, man kann nur noch den Mund verziehn. (Im Kap. 12 kommt er noch einmal vor.) 50 Jahre in der Firma = 1 gravierte Armbanduhr und das Bundesverdienstkreuz am Bande. Abiturfête? Wir waren gar nicht mehr alle dabei. Neueren Datums: der 65. Geburtstag. (Ausgerechnet „65"? Ach, die Rentengesetzgebung.) Alle setzen sie eine Markierung, jährlich wiederkehrend, oder längerfristig, etwa ein ,Arbeitsleben' beschließend. In unsern Augen sind dies eher Feiern, die vergessen machen sollen und den Denkenden in Verlegenheit bringen. Peinlich, wenn Mutti sich in der Tat freut, zumal da sie 1 Mal nicht kochen muß; und wenn der Jubilar gerührt ist. Ganz zufriedenstellend ist unsere Vermutung einer reinen Konterdependenz nicht. Spurenhaft erscheint auch in solchen Kommerzfesten das alte Feier-Element wieder: die erhebende Erinnerung. Ein sehr altertümliches Wort bezeichnet diesen Aspekt der Arbeit genau: Genugtuung. Die Komplexität einer Genugtuung ist hoch. Damit die beiden, Anstrengung und Lust, als einander entgegengesetzt den Menschen vor Sinnen gehalten und, mitsammen, als erhebend empfunden werden, haben Denker stets Wörter dafür gesucht, die als Worte rituell das Komplexe einfach zu nehmen erlaubten. Georg Wilhelm Friedrich H E G E L hat ζ. B . (negierende) Entgegensetzung, Aufbewahrung und Erhebung mit dem schillernden Wort Aufhebung legiert (und indem ich H E G E L zitiere, ritualisiere ich H E G E L S Ritualisierung, damit ich bei aller Komplexität des Themas: einfach weitermachen kann.) Somit ist also, indem es auf Genugtuung hinaus-

Genugtuung

Aufhebung

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2 Arbeit, Arbeitsfeier, Genugtuung

läuft, das Ritual weder ein Vorwand noch auch ein bloßes objekthaftes (begriffliches) ,Werkzeug' (eine Art Erholungstretmühle, wozu freilich viele es zu vereinfachen trachten). Es ist mehr. Und es ist empirisch auffindbar, wenn Menschen ihre Arbeit feiern: Das Ritual ist die Wirklichkeit einer Möglichkeit: der Möglichkeit eines Besseren innerhalb einer Schlimmen Welt. Selbst an Kleinigkeiten, wie sie die Industrie längst zu Schablonen vereinfacht hat, kann ein Soziologe es sehen. Zum Beispiel an den kunstvollen, maschinell gespritzten Sahneornamenten auf der Tiefkühltorte. Vor Zeiten hat die mühevoll geschmückte und aufgestockte Torte sehr genau inmitten einer Feier die Arbeit vor Augen gebracht, die im Vorbereiten jeder Feier steckt. Schmecken täte auch eine Eierbutterzuckerpampe (der bloße Teig). Aber darauf kommt es hier nicht alleine an! Wichtig ist die in der Mitte des Kunstaufbaus aufgegipfelte brennendrote Kirsche. Scheinbar widersinnig, nun aber verständlich: Das Ritual zeigt stets, was es verbirgt. Das verschleierte Bild zu Sais verbirgt und zeigt zugleich: das Antlitz der Isis. Und wer den Schleier hebt? Der sieht die Wahrheit. (Zitat erkannt?)

3 Ungleiche Arbeit, seit der Vorgeschichte

3.1 Differenzierung kraft Arbeit Was macht das Konzept Arbeit so schwierig und so ritualbedürftig? Eine Behauptung: Wenn Arbeit allen gemeinsam ist, so erzwingt sie Unterschiede (soziale Differenzierungen). Müssen aber soziale Differenzierungen bei gemeinsamer Arbeit überhaupt sein? Sehen wir der einzelnen Arbeit zu. Mit gleichem empirischen Ansatz wie zu Anfang. Diese soziale Ungleichheit (soziale Differenzierung) wird durch den Rhythmus als bedingte belegt: Zwei Schmiede stehen am selben Amboß und Werkstück, der Meister führt es mit der Zange und schlägt mit dem Vorschlaghammer den Takt an, und der Geselle schlägt nach: dammDámm-dammDámdammDámm-dammDámm . . . sobald sie je und je gemeinsam ihren Rythmus aufgenommen haben, hört man auch die Jamben ganz genau heraus (u—u—). Gerade, was den Rhythmus ausmacht, ist die Differenzierung der Schläge. Wir hören Rhythmen sogar ins „Ticktack" der Uhr hinein (dabei tickt sie ganz regelmäßig weg tiktiktiktiktiktiktik ...) und machen uns ein Metrum (υ— oder auch — u ) selber zurecht. Dies ist der Anfang ungleichen, aber gemeinsamen Handelns in der Arbeit. Bereits in einfachen Arbeitsrythmen steckt soziale Differenzierung; jedoch in Wechselwirkung.

Unumgängliche wechselwirksame Differenzierung der rhythmisierten Arbeit

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3 Ungleiche Arbeit, seit der Vorgeschichte

Für schwerere gemeinsame Arbeiten wird die Differenzierung verstärkt: Die Schnitter haben einen Ziehharmonikaspieler dabei, den Galeerensklaven wird der Takt geschlagen. Unterschiedliche Arbeit - und niemand ist bei ihnen imstande, den Takt ganz einseitig vorzugeben, sondern auch die ausdifferenzierten Rhythmisierer können gar nicht umhin, die jeweilige Kraft und Ermüdung der anderen zu berücksichtigen. Der Vorspieler (ob selbsterwählt, ob aufgedrungen) kann nicht beliebig Tempo machen, die Mähenden aber können ihn auch nicht einfach überhören. Eine Differenzierung, die sich beim Arbeitsfest wiederholen wird: Alle wirken ihres Ortes mit, so, daß es gelingt. Verfolgt man konzertgewordene Arbeitslieder, etwa in der Jazzgeschichte, so findet sich diese wechselwirksame Differenzierung in der Einheit (später auch der künstlerischen Arbeit) thematisch in Rhythmen, Texten, Arrangements wieder. Bereits in solch einfachen Differenzierungen bei gemeinsamen Tätigkeiten verwandelt sich unter der Hand ein sehr früher („biologischer") Tatbestand, den der Mensch mit vielen Tieren teilen dürfte, zum „sozialen Tatbestand".

Arbeit als Opfer

Auszugehen ist davon, daß jede Arbeit eine lebensbeeinflussende Mühsal ist, daß man also nicht einsatzlos (aufwandlos) seine Lebenschancen durch Arbeit verbessern kann. Immer ist mit Non-Kooperation zu rechnen; und am wenigsten mag die ,Natur' kooperieren. ,Natur' muß gar keine wirkende Einheit oder beseelte Kraft oder Werkzeug des HErren sein—für alle praktischen Zwecke führt sie sich jedenfalls so auf, als ob sie es uns schwer machen wolle. Sie verlangt dem Menschen (umgangssprachlich ausgedrückt, aber mit einem Hintergedanken) Opfer ab. Solo kann er es überhaupt nicht schaffen, denn auch der einsamste Pilot oder Eremit führt die Vorarbeiten anderer (Erfindungen, Fertigkeiten, Werkstük-

3.1 Differenzierung kraft Arbeit

ke) mit sich, ist also niemals solo. Das ist aber bereits eine frühe, eine gemeintierische Tatsache. Sozial ist nun aber, daß Differenzierung auch soziale Opfer abverlangt. Auf allgemeinster Ebene ist jede Arbeit deswegen ein soziales Opfer, weil man nicht ein andres Denkbares tun kann, während man grad das eine tut. Man muß verzichten. Keiner kann ζ. B. Garben aufstellen, während er die Schwaden mäht; keiner den Zweiten Schlag hämmern, wenn er den Vorschlag anbringt. Und mit diesen Verzichten fängt die soziale Differenzierung nur an. Schon dürften Ihre Gedanken (beim Schmiedebeispiel) auf „Meister 8c Geselle" übergesprungen sein, oder auf „Frau"- und „Mann"-Sein (in unserm Land das Mäher- und Garbenleserinnen-Beispiel. Sind Schnitter immer Männer? Ich korrigiere mich mit dem Hauslexikon, Leipzig 1836 bei Breitkopf Sc Härtel, 5. Band „Kreis-Mythologie", S.464: „Es ist in mehreren Gegenden gebräuchlich, daß die Mägde das für die Kühe bei der Stallfütterung erforderliche Futter hauen müssen, u. es finden sich auch unter diesen recht gute Mäherinnen"). Nun, in Gedanken wurde bereits jetzt von Ihnen bis hin zur -> Frauenfrage interpretiert. Und während die Notwendigkeit zu differenzieren bereits vormenschlich gegeben ist, so ist menschlich und demgemäß sozial immer die Interpretation·. „Ich könnte mir anderes denken, aber was ich tue, ist wichtiger." Oder: „So rüstig einzelne Mägde sind, Männer mähen besser; jede und jeder zolle Mühe, wo sie, wo er es am ehesten kann." Solche Aussprüche verdeutlichen, daß Opfer durch die soziale Sinn -Vergabe zu sozialen Opfern (an andere, an mich zu einem besseren Zeitpunkt) werden, ebenso wie die soziale Annahme des Opfers durch die andern dazukommt. Gerade auch, wenn man (ein „Meister", ein „Mann") dabei ,besser' wegkommt; denn diese Tatsache, einmal anerkannt, macht Opfernde zu Gläu-

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3 Ungleiche Arbeit, seit der Vorgeschichte

biger/inne/n einer sozialen Schuld. Im gemeinsamen Lied und Fest wird dann die Gegenseitigkeit der sozialen Opfer beschworen und abgesichert.

Stop

Tut je erst einmal jemand andres als die andren, so bedarf es zusätzlicher Anstrengung, diesen anderen klar zu machen, daß man noch verbündet handele. Das aber kann auf (zumindest) zwei Weisen mißlingen. Auf welche? Woran dächten Sie?

Erfüllungen und Offerten als Sanktionen

(1) Wie, wenn folgendes geschieht: Ich tu etwas für die andern, aber sie werden dessen (meiner sozialen Sanktion als einer Arbeit) gar nicht inne, sie ,sehen' oder ,glauben' es gar nicht. Dann muß ich antizipatorisch (vorwegnehmend) fürs eigne Tun als Arbeit werben (eine -> Offerte als bahnende —> Sanktion vorwegschikken); oder auch die andern (ohne Werbung) durch Schaden klug werden lassen. (2) Fatal nur, daß ein Betrug so schwer davon zu unterscheiden wäre: Ich täte überhaupt nichts für die anderen - also würden andere dessen (als einer sozialen Sank-

3.1 Differenzierung kraft Arbeit

tion = Arbeit) auch gar nicht innewerden können. Läge das aber in meinem Interesse, daß sie an meine Zuarbeit glaubten, dann dürfte ich mich auch nicht darauf verlassen, d a ß sie durch NichtSchaden zu mir gelenkt würden.

Also muß ich auch hier werben; ζ. B. anderen eingetretene Schäden als durch ihre Nichtanerkennung meiner (Schwindel-) Leistung verursacht propagieren oder solche Schäden androhen (offerieren), ärgstenfalls ihnen heimlich zufügen. 11 Arbeit kann mithin unanerkannt bleiben, und Nichtarbeit kann als Arbeit mißverstanden werden. Kurz, mit zitierendem Zungenschlag, es ist so schwer, den falschen Weg zu meiden; es liegt darauf so viel verborgnes Gift, und von der Arzenei ist's kaum zu unterscheiden. Lesen Sie bei Gelegenheit die klassische Studienberatung im Faust I durch, wo dergestalt die Arbeiten der Wissenschaften vorgestellt werden. Das alles sind Folgen dessen, daß, was allen gemeinsam ist, alle ungleich macht, und daß nicht alle alles durchschauen können. Und mit dem Ansatz, daß Arbeit zu den sozialen Grundtatbeständen zu rechnen sei, sind wir also noch nicht bei der Antwort darauf, welche Ungleichheit unter den Menschen hinnehmbar sei. Noch auch können wir genau über den eher biologischen? eher soziologischen? Mechanismus sprechen, ob bei solchen Differenzierungen und Differenz-Verbündungen einander Spitzentiere (Primaten) optimal zum sozialen Verhalten hin beeinflußt haben, oder ob erst ein (willentlicher? denkerischer?) Sprung zu menschlicher Entschlußkraft hier soziales Handeln ermöglicht hat. In dieser Beobachtung erster sozialer Differenzierung kraft Arbeit gabelt sich bekanntlich die Soziologie als Wissen11

Den hier angesprochene Austausch sozialer Sanktionen (darunter: Offerten) vgl. auch bei Clausen 1978.

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3 Ungleiche Arbeit, seit der Vorgeschichte

schaft auf mehrfache Weise. Da es aber um Grundfragen dieser Wissenschaft geht, muß auf Handbücher und Studien verwiesen werden, die solche Grundfragen (die -»• Wissenschaftstheorie der Soziologie) behandeln, also die ethischen und logischen Axiome. Hier können die einschlägigen Aspekte nur eben genannt werden, weil sie auch in der Arbeits-Problematik wichtig sind. 3.2 Interpretierbarkeit infolge von Differenz Wer fragt jetzt nicht: Soll hier die Ungleichheit unter den Menschen als faktisch und logisch unvermeidlich, wohl gar als ethisch gerecht eingemogelt werden? Wo hier setzt die Forschung an? Handeln als Verhalten

Handeln mehr als Verhalten

(A) Wer soziales Handeln als bloßen Extremfall tierisehen Verhaltens auffaßt, wird an Arbeit und Rhythmus die Lebensnotwendigkeiten („Arbeit" als „Stoffwechsel mit der Natur" und „Rhythmus" leiblich-herzschlagnah geboten) sehen, und - an der Biologie geschult — mag er die Gesellschaft leichtlich als ein besonderes kybernetisches System sehen 12 , weil sich dann der Wert der Differenzierung aus dem störungsfreien Ablauf des Systems rechtfertigen läßt. Wer dagegen (B) einen sogenannten qualitativen Sprung vom Verhalten zum menschlichen („subjekthaften") Handeln sieht — da ließe sich mit so unterschiedlichen Konzepten wie (Bl) der Beseelung, (B2) dem Willen oder (B3) der Reflexion arbeiten - der wird in die Arbeit und in die rhythmische, kollektive Verständigung darüber andere analytische Begriffe einpassen; er wird (Bl) von Sünde und Strafe, (B2) von Willentlichkeit oder (B3) von Wahrhaftigkeit der Akteure (Handelnden) reden müs-

12

Vgl. etwa Bühl, W. L.: Struktur und Dynamik des menschlichen Sozialverhaltens, Tübingen (Mohr) 1982.

39

3.2 Interpretierbarkeit infolge von Differenz sen, er muß kompliziertere Antworten zur „Differenzierung" geben. (Deswegen wären sie noch nicht falsch.) Darum noch einige erläuternde Worte dazu: (B1) Das erste Konzept (Beseelung) ist sogar ein theologisches ( -» metaphysisches). Daß Arbeit eine Strafe für die erste, die Erbsünde des ersten beseelten Menschenpaares gewesen sei, brachte die Unausweichlichkeit, die Sinnhaftigkeit und eine reflektierte Differenzierung der Arbeit gleich zusammen ins Gespräch, und wenn man an das Alter der Quelle denkt (1. Buch Mose, Kap. 3), gar nicht so ohne antwortbereite Einsicht in die Problematiken des Ganzen. Unausweichlich: Wir müßten sterben (und wüßten es, seit wir vom Baum der Erkenntnis gegessen hätten). Aber der tröstende Sinn des Ganzen sei doch, daß Gott an uns liege. Und übrigens sei Adam bereits auf differenzierte "Weise schuld (muß deshalb nur auf dem Felde laborieren), anders jedenfalls als Eva (sie muß an Geburten laborieren), und diese Differenz schadet wie nutzt beiden gemeinsam. (B 2) Eine nichttheologische Erklärung muß mindestens ebenso problemumfassend und womöglich schlüssiger sein. Daß das Wollen das Soziale begründe (der „Wille" als unausweichliche Existenzform der Welt, der Sinn und Differenzierung erst schafft), ist lesenswert und altertümlich vor 100 Jahren von Ferdinand TÖNNIES, dem Ziehvater der deutschen Soziologie, konzipiert worden. 1 3 Daß das Wollen ,frei' sei, hat dabei niemand gesagt. Entweder wollen wir bei einem Kollektiv einfach mit dabei sein, oder wir wollen es für eigne Zwecke benutzen, und durch diese beiden (praktisch stets gemischt auftretenden) Willensformen entstehen Kollektive (Wesenwille hält einen in Gemeinschaft, Kürwille stiftet Gesellschaft, in T Ö N N I E S ' Ausdrücken.) Der Wille ist jedoch im Fach unpopulär geworden. 13

Tönnies, F.: Gemeinschaft und Gesellschaft, Darmstadt (Wiss. Buchges.) (11887) n1979.

Arbeit als Erbstrafe?

Arbeit als Wollen?

40

3 Ungleiche Arbeit, seit der Vorgeschichte

Arbeit als Nicht-Interaktion?

(B3) Dafür hat man sich die Schwierigkeiten mit der Reflexion eingehandelt. Sie ist unausweichlich („menschlich"), sie kritisiert Sinn und stiftet Sinn, und sie legt Differenzierung nahe — sie lebt ja von Differenzen, die man beobachtet, dann mit Folgerungen überzieht, zuletzt beurteilt. Nur - wie kann man Reflexion anderen mitteilen? Machtinteresse lügt sofort mit eherner Stirn. Zwischen Macht-Desinteressierten mag Interaktion ja gerne wahr sein, nur wer hat dann überhaupt noch ein Interesse zu interagieren? Soll man die Welt zweiteilen (Zwangswelt/Arbeit gegen Diskurswelt/ Interaktion)? Wer die Arbeitsformen heute beobachtet, möchte das am liebsten. 14 Nur, dann muß man der Arbeit ihren alten Anteil an der Menschwerdung des Affen wegnehmen und ihn der Interaktion der Wahrheitsliebenden überlassen, einer ganz besonderen, nur utopisch aufscheinenden Form von Öffentlichkeit also. (Woher nur immer diese Zweiteilungen? Feldarbeit oder Kindergebären - Kürwille oder Wesenwille - Arbeit oder Interaktion ...) Alle diese Theorieansätze legen sich die Frage anders zurecht (A, B l , B2, B3), was uns überhaupt zu diesem (hoffentlich leseanregenden) Überblick bewogen hat:

Differenzierung der Arbeit beantwortet nicht die Frage nach der Gerechtigkeit

- Wenn es eine sinnvolle Differenzierung in der Arbeitssphäre gibt, und wenn zugleich niemals genau gewußt werden kann, was sinnvoll sei, und wenn jedenfalls auch sinnlose Differenzierung vorhersagbar ist — ist dann unser Problem, ob Differenzierung der Arbeit zu ungerechten Unterschieden führe, zwar noch verschieden einordenbar, aber bereits nicht mehr lösbar? 14

Vgl. Habermas, J.: Theorie des kommunikativen Handelns, Bd. 1 + 2 , Frankfurt am Main (Suhrkamp) 1981. Das Buch zu lesen ist eine Strafe. Kritisch, doch fair führt ein: Kiss, Gábor: Paradigmenwechsel der Kritischen Theorie: Jürgen Habermas' intersubjektiver Ansatz, Stuttgart (Enke) 1987.

3.2 Interpretierbarkeit infolge von Differenz

41

Hierzu nur einige pauschale Vermutungen zu den gegenwärtig beliebtesten Ansätzen, die deren eigenen Differenzierungen hoffentlich als ein erster Ansatz gerecht werden: (A) Wer soziales Handeln als Extremfall tierischen Verhaltens sieht, wird etwa —> funktionale Differenzierung (erfolgsoptimierende) von extrafunktionaler (optimumgefährdender) unterscheiden und ungerechte, ausbeuterische Differenzierungen (à la „der geistige Arbeiter säuft auf Samt, indes der körperliche auf harten Bänken dünnes Bier schluckt") versuchsweise den extrafunktionalen Differenzierungen zurechnen; und wenn sie sich als funktionale herausstellen sollten, sind sie auch nicht mehr ungerecht. Unlösbar das Folgeproblem: Wer anders als „der Wissenschafter" soll jetzt entscheiden, was nun genau für alle Beteiligten ein ,Optimum' sei? (B3) Wer andererseits die allgegenwärtige interessengeleitete Verstümmelung der herrschaftsfreien, ergo wahrheitsliebenden Interaktion von -> Subjekten konstatiert, der wird eher dazu neigen, erst einmal alle Differenzierungen als („tendentiell") ausbeuterisch anzusehen, und er wird das Ende der Ausbeutung überhaupt erst mit der Durchsetzung wahrheitsvermittelnden Diskurses für vollziehbar erklären. Er wird also einen starken Ideologieverdacht gegen alle richten, die selbstverständlich von optimalen Differenzierungserfolgen sprechen. Unlösbar das Folgeproblem: Wer anders als „ ,alle' Arbeitenden" soll jetzt entscheiden, was nun genau jedem einzelnen Beteiligten die Ideologiefreiheit aller anderen sichere? 15 Aber wer will sich auf Wissenschafter oder Arbeitende heutzutage noch verlassen? 15

Hilfreich hier: Marcuse 1965; Honneth 1980; Negt, O.: Lebendige Arbeit, enteignete Zeit, Frankfurt a. M . (S. Fischer) 1984.

Arbeit wird vermutlich funktional gebraucht

Arbeit wird vermutlich ideologisch mißbraucht

3 Ungleiche Arbeit, seit der Vorgeschichte

42

Alle diese Fragen stellen sich heute durch die Frauenbewegung unbarmherziger.

Früh die Frage nach der Arbeitsteilung der beiden Geschlechter

Denn aus dem Tier-Mensch-Übergangsfeld brachte -» Homo sapiens L. eine biologisch nicht schlecht unterscheidbare Geschlechter-Zweiteilung (Bimorphismus) mit, die in den frühesten Arbeitsformen (von Gebären und Stillen nahegelegt) anscheinend bereits als Zweiteilung in eher ortsfest-sammelnde-ertragsverstetigende Frauen (?) und eher schweifend-jagend-ertragsintermittierende Männer (?) wiederkehrt. Männer verwahrlosen etwas leichter, könnte man es mit Dieter C L A E S S E N S ausdrücken. 16 Und was wurde seither nicht alles an Differenzierung zu qualitätsverfestigender fraulich/ männlicher Erbarbeit und, anschließend, an deren Last und Lust und Rechtfertigung festgemacht — und immer am Geschlechter-Bimorphismus! - und wurde dann zu Normen des sozialen Geschlechter-Handelns und -Verhaltens umformuliert. Wie vielen späteren Differenzierungen war nicht schon die reine Zweiteilung ein Muster. Ein Beispiel nur der ganz unbegründbaren Sicherheit einer Zuteilung von $ und ¿ auf gemeinsame „Arbeit" im Deutschen: Da werden selbstverständlich für menschliche Glieder und Organe teils männliche, teils weibliche grammatikalische Geschlechter vergeben (der Arm, die Hand, der Magen, die Milz). Prüfen Sie einmal die Dutzende von Namen durch - ich kam nicht dahinter, welche Hintergrundideologie hier wirkte.

Und die weiblich-männliche ist nur die erste auffällige, und noch biologisch merkliche Differenzierung. Was erst, wenn man Zweiteilung wie Yin-Yang, körperlichgeistig, ländlich-städtisch, ausführend-planend, knechtisch-frei, arbeitnehmerisch-unternehmerisch bespre16

Claessens, D.: Das Konkrete und das Abstrakte, Frankfurt a . M . (Suhrkamp) 1980, S.67.

3 . 2 Interpretierbarkeit infolge von Differenz

43

chen will? (Ich habe die Begriffspaare unterschwelligideologisch angeordnet.) Oder die ungezählten beruflichen Differenzierungen? Oder die unterschiedlichen Arbeiten unterschiedlicher Lebensalter? Kinderarbeit, Schularbeit, ungelernte Arbeit, gelernte Arbeit, verantwortliche Arbeit, Seniorenarbeit 17 , Sterbearbeit? Alles nur Stichworte. Kurz: — Arbeitskraft und Arbeitsmöglichkeiten, auch als Arbeitsmittel, und Arbeitsziele zeit soziale Differenzierungen nahe.

verdinglicht legen jeder-

Soziales Differenzieren beim Arbeiten ist dessen un- · ausweichliches Erfolgsrezept. Daraus folgt: Bis jetzt wurde nur auf die unausweichlichen Folgen der Differenzierung für die soziale Ausbeutbarkeit und Unzufriedenheit hingewiesen. Festhalten habe ich zunächst nur können, daß die Rhythmisierung der Arbeit nahezulegen vermag, daß mit ihr grundsätzlich eine Differenzierungsgewißheit einherzugehen scheint. Nun bleibt immer noch ein — zugegeben utopisches, aber durch Reflexion zuhandenes, also wirksames, also realistisches — Konzept zu prüfen: Könnte nicht ein vollkommener Mensch ungeteilt Alles arbeiten? Morgens akkern, mittags fischen, abends philosophieren, nachts seinesgleichen zeugen? Und sich auch vom Viererrhythmus Morgen-Mittag-Abend-Nacht freimachen? Länger schlafen, nach Mitternacht tafeln? Ist nicht gerade die 17

Dazu z . B . Clausen, L.: Jugendsoziologie, Stuttgart u . a . (Kohlhammer) 1976, was „ J u g e n d " angeht; und zum „Alt e r " z . B . Pillardy, E.: Arbeit und Alter, Stuttgart (Enke) 1973.

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3 Ungleiche Arbeit, seit der Vorgeschichte

Rhythmisierung das Aufgezwungene, danach die Differenzierung, danach die Ungleichheit? Ich benutze ein Lieblingsmodell: War Robinson glücklich?

4 Von der Arbeitsvereinigung zur Ich-Vereinigung

4.1 Everybody's Darling: Robinson Crusoe Ich nutze einen Roman, der es in sich hat. Wenn man den Verfasser des berühmtesten Schiffbrüchigen-Romans, nämlich Daniel D E F O E (1659?—1731), auch nur von seiner allerplattesten Seite nimmt, so war er immer ein früher großer, in seinen Zeitparteiungen durchaus engagierter Reportagen- und Pamphlet-Journalist: Er wußte, woyon er schrieb! Und dieser besser als alle, die seinen „Robinson Crusoe" dann zu Beispielen umlasen und umformulierten (er wurde der Pädagogen liebste Fibelquelle), besser auch, als ich und als Sie ihn heute nachvollziehen können. Trotzdem: Ich versuche jetzt, seine Erzählung wie ein sehr gründliches Sachbuch auszuschlachten (ohne groß vorzugeben, der Autor habe mir verraten, welche Zielgruppe er womit gemeint habe). Also warne ich erst einmal. Den Volkswirten ist Robinson ein rationaler Mann: Seine Zeit ist knapp, da rettet (später: arbeitet) er erst das Wichtigste, und wenn er an die Grenze stößt, daß nun etwas bislang Zurückgestelltes eine Spur nützlicher wird, holt er eben Das vom Wrack ans Ufer (usw. usw., der ideale GrenznutzenTheoretiker). Einspruch der Politologen! Robinson ist der gediegene Machtmenschi Kaum hat er den ersten Eingeborenen in seiner Gewalt, so nennt er ihn (identitätsverstümmelnd und ohne sich um dessen Namen zu kümmern) nach dem Tag seiner Ankunft „Freitag", tauft ihn damit zu seinem Knecht, und dann kann er ihn

Robinson der Kinderlehrer

Robinson der GrenznutzenÖkonom

Robinson der Sklavenhalter

4 Von der Arbeitsvereinigung zur Ich-Vereinigung

46

Robinson der Puritaner

ausbeuten. Abermals nein! Robinson ist der von Haus aus schmucklos gotthingegebene rationale Puritaner der Religionswissenschafter. Alles, was er tut, tut er dem Herren, dem ein Kalvinist nie genug tut, — so schafft und schafft er die Insel unermüdlich, zum höheren Lobe Gottes, zu einem Kulturland um. Tja, viel hilft viel; hier noch ein andres Lesemodell 18 : 1628 läßt DEFOE den Robinson im trüben York geboren werden, für seine ersten Leser (1719) war das schon 91 Jahre her, schon denen wurde er nicht als moderner Buchheld vorgestellt. Dem 31jährigen läßt er am 30. September 1659 (den Erstlesern immer noch: vor zwei Generationen) Das zustoßen: Aus Abenteuerlust hat Robinson gesicherte Verhältnisse in Brasilien verlassen, und er scheitert an einer Insel (auf unser aller Robinsoninsel) nördlich der Orinokomündung — etwa da, wo Kolumbus auf seiner 3. Reise außer Sichtweite des Landes Süßwasser aus dem Atlantik genommen und das Paradies in der Nähe vermutet hatte — d. h. noch östlich der kleinen Karibischen Inseln. Er ist allein, das Wrack liegt noch auf der Reede, also ist wohl Wassersuche und Auslug, oder Raffen und Retten angesagt? Nein. Kaum gerettet, machte (ich) tausenderlei Gebärden und Bewegungen, die ich nicht beschreiben kann, ich betrachtete das Los meiner Kameraden, die alle ertrunken waren, und wie außer mir keine lebende Seele gerettet war . . .

18

Ich zitiere aus der Übersetzung von Norbert Miller: Defoe, D.: Das Leben & die unerhörten Abenteuer des Robinson Crusoe, eines Seemanns aus York, der achtundzwanzig Jahre lang ganz allein auf einer unbewohnten Insel vor der Küste von Amerika lebte . . . In: Ders.: Romane, Bd. I, München (Hanser) 1968. Und gelernt habe ich viel von Clausen, B.: Robin Crusoe oder Der H E r r hat eben an Mich geglaubt. In: Freibeuter 9, 1981, S. 1 0 1 - 1 1 3 .

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4.1 Everybody's Darling: Robinson Crusoe (Ich) blickte (dann) in die Runde, um zu sehen, . . . was ich als nächstes anfangen sollte. Aber da schwand mein Mut gleich wieder, und ich bemerkte wohl, daß dies, mit einem Wort, eine furchtbare Errettung sei; denn ich war naß, hatte keine trockenen Kleider, nichts zu essen oder zu trinken, . . . besonders beunruhigte mich, daß ich keinerlei Waffe hatte . . . ich hatte nichts als ein Messer, eine Tobackspfeife und etwas Toback in einer Dose; das war mein ganzer Vorrat. Darüber geriet ich in eine solche Verzweiflung, daß ich eine Weile lang herumlief wie ein Wahnsinniger. Als die Nacht einbrach . . . (1968: 69t.) Robinson, dieser absolut ungefestigte H a l b g a n o v e , der seit seinem 19. Lebensjahr zahlreiche spontane Unternehmen begann und bei keinem ausharrte, stets leichtgläubig und angemeiert, dabei platt und protzig auf Genuß aus (à la R o l e x u h r e n für Z u h ä l t e r , so würde ich's heute nennen), sogar sein Scheitern einer Schnapsidee verdankend, nämlich mit ein p a a r Freunden irgendwo in Westafrika seine eignen Sklaven zu fangen oder billig zu kaufen - dieser R o b i n s o n hat als Problem g r a d e seine sprunghafte Unfähigkeit, irgendetwas kalten Blutes und a m Stück zu tun. Jede Krisenandeutung trifft einen H a l t losen: Als ich nämlich gerade meinen Plan für den Bau von Zelt und Keller entwarf, geschah es, daß aus einer dicken, dunklen Wolke ein Regenguß hervorbrach, dazu ein jäher Blitz, gefolgt von einem starken Donnerschlag . . . Ich erschrak nicht so sehr über den Blitz als über einen Gedanken, der mit seinerseits mit der jähen Gewalt des Blitzes in den Sinn kam: Ach, mein Pulver! Das Herz sank mir im Leib bei der Vorstellung, wie mit einem Schlag mein ganzes Pulver in die Luft gehen konnte, von dem doch, wie ich dachte, nicht nur meine Verteidigung, sondern auch meine Ernährung völlig abhing. Meine eigene Gefahr ängstete mich dabei nicht so sehr, obwohl, hätte das Pulver Feuer gefangen, mir auf dieser Welt nichts mehr weh getan hätte. So großen Eindruck machte dieser Vorfall auf mich, daß ich, nachdem der Sturm vorüber war, alle meine Arbeit, das sämtliche Bauen und Schanzen links liegen ließ und daran ging, Beutel

Robinson der Sozialfall

!

!

4 Von der Arbeitsvereinigung zur Ich-Vereinigung

48

und Schachteln zu verfertigen und dahinein das Pulver in kleinen Partien zu verteilen, in der Hoffnung, es m ö c h t e so wenn auch ein Unglück geschähe, doch nicht das ganze Pulver auf einmal Feuer fangen oder sich eine Portion an der anderen entzünden. N a c h etwa vierzehn Tagen Arbeit w a r ich fertig, und ich glaube, das Pulver . . . w a r in nicht weniger als hundert Päckchen aufgeteilt. Wegen des Fasses mit nassen Pulver w a r mir nicht bange, also stellte ich es in meinen neuen Keller, in meine Küche . . . und das übrige versteckte ich rundherum in Felslöchern . . . (1968: 81)

Kaum fällt ihm etwas bei, flugs wird er umgetrieben. Nach dem ersten Dreivierteljahr (30.9. Schiffbruch, bis 25.10. nur Sammeln und Jagen, bis 2.11. Schutzbauten, bis 27.12. Werkzeugmacherei, jetzt Versuche mit Tierzucht, Januar 1660 wird zufällig (!) Getreideanbau möglich), im Juni wird er jäh krank. Da erst entdeckt er als Stetigung des Lebens den Vorteil regelmäßiger (!) Gottesverehrung, liest erstmals in der Bibel herum, die kann man ja aufschlagen, irgendetwas ergibt sich eigentlich immer . . .

4.2 Arbeit als Stetigung stellt uns einen Robinson hin, der von den kleinen Law-and-Order-Inseln seiner wilden Zeit regelmäßig Reißaus nimmt; der — umgangsdeutsch gesprochen — weder Charakter noch Persönlichkeitsbildung erfahren e ' n e n jeden Hauch überdramatisierenden, ganz und DEFOE

Anomie als Robinsons Problem seiner IchArmut

8 a r normarmen, gewissensschwachen Mann ohne IchIdentität-, oder, mit dem Wort Emile DÜRKHEIMS, ein Musterbeispiel der Anomie. Erst unter den schärfsten Zwängen, auf einsamer Insel, da kommt dieser Roman-Held dazu, sich selbst ins Auge zu fassen, das heißt, von sich selbst ein Bild zu machen, auf das hin er erstmals stetig handeln kann. Das Span-

49

4.2 Arbeit als Stetigung

nende am Roman ist diese Stetigung der Person dank Einsamer Insel. Wie würden Sie dieses mit-sich-selber-Umgehen begrifflich beschreiben?

Eine schwierige Frage. Ich brauche im folgenden ein ganzes Bündel Konzepte dafür. Und Daniel DEFOE läßt seinen Robinson 28 Jahre daran arbeiten, und, bitter genug, so sehr stabilisiert es ihn nicht, daß nicht Fortsetzungsabenteuer nötig werden. „Die Leser wollten das"? DEFOE und sie werden schon gewußt haben, warum: Diese Stetigung ist möglich, aber mühsam genug; und läßt dann der Arbeitszwang nach, so ist auf ihren sittigenden Charakter kein nachhaltiger Verlaß. Indem der arme Robin mit seiner Welt umgeht, lernt er erstmals, mit sich selbst umzugehen. Er macht dabei grausame Fehler. Aber, indem er baut und sät, schenkt der augenblicks grad Handelnde dem morgen Bedürftigen etwas. Und das geht nur, wenn Robinson-heute und

Stop

50

4 Von der Arbeitsvereinigung zur Ich-Vereinigung

Robinson-morgen irgendetwas miteinander zu tun haben. Das ist nicht selbstverständlich! (Das kann man sogar verlernen.)

Antizipatorische Genugtuung

— Robinson-heute opfert für den Robinson-morgen, aber erhofft „sich" morgen dafür etwas zurück; und, diese Hoffnung vorwegnehmend, antizipatorisch, hat er heute schon etwas von seinem Opfer: Er tut sich ein Genüge.

Amphibolischer Tausch mit sich selbst

Diese antizipatorische Genugtuung beruht also auf einem sehr zwieschlächtigen (amphibolischen) Tausch: Wer arbeitend vorsorgt, tauscht mit einer Fiktion von sich selbst („ich morgen") auf amphibolische Weise: (1) Er kann zwischen sich („ich heute") und dieser Fiktion („ich morgen") eine Interessenidentität aufbauen (Individualität, Ich-Identität), die überlebensnötig ist und insoweit biologisch (anthropologisch) abgestützt. Darin liegt ein synagonistischer Tausch vor. (2) Er tauscht mit „sich" aber durchaus auch kalkulierend, wie mit anderen Menschen, also aufwandsminimierend und ertragsmaximierend: „Ich heute" minimiere meinen Aufwand bei maximaler antizipatorischer Hoffnung (und minimaler antizipatorischer Furcht); „ich morgen" werde meine Ausbeute maximieren (Entbehrung minimieren), bei minimaler retrospektiver Dankbarkeit (maximaler Beschimpfung) für mein (dann) „ich-gestern". Darin liegt ein antagonistischer Tausch vor. Das ist sehr kompakt, und enthält viel Soziologie in der Nußschale.

51

4.2 Arbeit als Stetigung

Synagonistiscber Tausch (mit andern oder auch) mit „sich selbst" ist spieltheoretisch ein n-Summenspiel: „ich-heute" und „ich-morgen-antizipiert" (Robinson tl und Robinson t2 ) tauschten miteinander, und bei allen Opfern heute und Entbehrungen morgen kommt so etwas wie eine gemeinsame und sehr viel besser handlungsfähige Person, ein sozialer Akteur, heraus. Eben er ist das „ n " dieses n-Summenspiels.

Synagonistischer Tausch als n-Summenspiel

Antagonistischer Tausch (mit andern, mit „sich selbst") ist spieltheoretisch ein -> Nw/Z-Summenspiel: Was „ichheute" verliere, das hat der andere („ich-morgen") gut; was er („ich-morgen") entbehren wird, das habe ich („heute") zugute. Was der eine verliert, gewinnt der andere; insofern gibt es keinen gemeinsamen Gewinn (Gewinn = 0). Diese Art Tausch nennt man ebendaher ein O-Summenspiel.

Antagonistischer Tausch als O-Summenspiel

Beide Tauschformen sind ganz unterschiedlich im Menschen verankert (vgl. CLAUSEN 1978): Dem synagonistischen Tausch ist anthropologisch, dem antagonistischen soziologisch auf den Grund zu gehen, jedoch — ob mit anderen oder mit „sich selbst" - dieser Tausch hat in der Wirklichkeit immer (minder oder mehr) beide Züge, und das ist seine - ritualisierungsbedürftige! — Zwieschlächtigkeit (empirisch ist er stets amphibolischer Tausch).

Amphibolischer Tausch als auffindbare Ritualisierung der Diskrepanzen zwischen nund O-Summenspiel

Nominell also ist Robinson ein Musterbeispiel für den Begriff Arbeitsvereinigung (vgl. BÜCHER 1910: 215ff.): Nicht fügen hier mehrere ihre Arbeiten zusammen (das wäre begrifflich Arbeitsgemeinschaft), sondern er vereinigt auf seiner Insel in seinem Robinson-Ich alles: Jagen, Ackern, Beten. Nur die Arbeiten der Liebe bleiben unerwähnt. Wohl eine Erfolgsbedingung des Robinson-Romans, denn Das darf jedweder lesend hineinprojizieren, ins schöne dicke Buch.

Arbeitsvereinigung Arbeitsgemeinschaft

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4 Von der Arbeitsvereinigung zur Ich-Vereinigung

Daß Robinson zu sich selbst als einem im Zeitablauf identischen „Ich" kommt, geschieht in D E F O E S kundiger Darstellung durch Arbeit in Arbeitsvereinigung, und wie hier das Argument geht: damit erschafft er zum mehrsten überhaupt erst „sich". Arbeitserzwungen wird aus Robinsons haltloser Figur ein soziales KunstStück: eine Person. Doch selbst beim Musterfall Robinson ist der Effekt der Arbeit wieder zwieschlächtig: — Arbeit schafft Identität, aber nur auf Kosten dessen, daß sich die ich-identische Person selber ausbeutet, mit sich selber auch antagonistisch (d.h. insgesamt amphibolisch) tauscht. Selbstausbeutung

Arbeit -» IchBild

Selbstausbeutung ist erstrebenswert, denn alles, was man sich wegnimmt, kommt einem ja zugute. Sie ist zu meiden, denn alles, was man hat, muß man sich selber wegnehmen. Am besten tut man für sich selber gar nichts, dann hat man das Dilemma nicht. Allerdings sollte man nicht an dessen Statt auf viel Selbstverwirklichung hoffen. Das „ich-selbst" ist nämlich schwer zu finden, wenn es sich nicht im Spiegel eigner Arbeit (mit rituell gelenktem Blick) als gestern gearbeitet habend und morgen vielleicht genießend erkennt. Ob nun Robinson klug oder dumm handelt, er arbeitet an sich. Übrigens kommt es ihm sehr zugute, daß der schattenhafte Robinson-morgen, der so schwer feststellbare, zusammen mit dem jetzigen Robinson dann doch noch einen gemeinsamen Wortführer rituell erschafft. Wer führt das Wort, wer formt das Bild vom „Ich"? Bei D E F O E ist dies Robinson endlich in der Bibel aufgefundener Gott, dem er dient, mit dem er tauscht:

4.2 Arbeit als Stetigung Bin ich nicht, und zwar auf wunderbare Weise, aus der Krankheit gerettet worden! Aus dem elendesten Zustand, den man sich nur vorstellen kann, und vor dem mir so sehr graute! Und wie war meine Antwort! Habe ich meinen Teil dafür g e t a n ? . . . Dies ging mir sehr zu Herzen; augenblicklich kniete ich nieder und dankte Gott mit lauter Stimme für die Genesung aus meiner Krankheit. (1968: 109)

Wahrscheinlich ist Beten nicht nur Berufsarbeit im Geistlichen Stand, sondern kann auch beim Laien eine sehr langwierige, sich oft im Kreise drehende reflexive Tätigkeit sein, mit Arbeits-Zügen, mit Sanktions-Bedeutung, zum Tausch mit Gott. Und Er ist Garant dieses Tausch-Vertrags (Émile D U R K H E I M hätte hier vom nichtkontraktuellen Element im Kontrakt gesprochen) diese Garantiefiktion mag in sozialen Krisen vielleicht haltbarer sein als die Fiktion, „ich" sei eine zeitüberbrückende Persönlichkeit, die mir morgen für die Arbeit-heute schon danken wird. Es ist anstrengender, sich sein eigen „Ich" vor Augen zu halten (reflektierend? — am besten: arbeitend!), als „meinen" Gott. Denn Er ist kulturell so gut vorformuliert. Bei Erfolg feiert Er mit: Heute jährte sich der Unglückstag meiner Landung. Ich zählte die Kerben an meinen Pfosten zusammen . . . An diesem Tag hielt ich einen strengen Fasttag und wählte ihn aus zu frommen Übungen: Ich warf mich in tiefster Demut zur Erde nieder, beichtete Gott meine Sünden und flehte ihn an, mir Gnade zu erweisen durch Jesum Christum; und da ich zwölf Stunden, bis nach Sonnenuntergang, keinen Bissen zu mir genommen hatte, aß ich jetzt einen Zwieback und einen Bund Trauben, ging zu Bett und beschloß so den Tag, wie ich ihn angefangen hatte. Ich hatte die ganze Zeit über keinen Sonntag gehalten, denn da ich zuerst keine Gottesfurcht im Herzen hegte . . . (1968: 115)

Dies als Versuch, zu belegen, daß der sogenannte vollkommene Mensch nicht einfach-so, irgendwie, ohne eigeneingeführten Rhythmus gleichsam Alles und irgend-

53

Fehlende IchIdentität disponiert zum Grauen

Gott als Vertragsgarant ist praktischer als das eigne mahnende „ichmorgen"

Beichte als Reflexionsdiskurs

54 Vollkommen freie Arbeit ein schwerst-erarbeitetes soziales Kunst-Stück

4 Von der Arbeitsvereinigung zur Ich-Vereinigung

wann arbeiten könne. Diese Vollkommenheit wäre ein soziales Kunst-Stück! In jeder Arbeit angezielt, ist sie wohl schwerer zu erreichen als die auch nicht leicht vonstatten gehende Weltrevolution, für die Karl M A R X arbeitete, als er die Idee dieser besonderen Vollkommenheit skizzierte. 19 Hier wurde erst einmal der Tausch erarbeiteter, sozial differenzierter Sanktionen vorgestellt. Um es nicht simpel zu machen, wurde als sperrigstes Beispiel gewählt, daß dieser Zusammenhang auch gilt, wenn man arbeitend mit sich selber tauscht.

19

(zusammen mit Friedrich Engels): Die deutsche Ideologie, In: M E W (Karl M a r x , Friedrich Engels: Werke), Bd. 3, Berlin (Dietz) 1969, S. 33.

5 Zerstörerische Arbeit

5.1 Destruktion Nach komplexen Suchaufgaben beginne ich jetzt für nachdenklich Gewordene mit einem weitreichenden analytischen Satz: — Arbeit ist nicht allein schöpferisch, sie ist immer auch zerstörerisch.

Arbeit zerstört

Einzubeziehen sind (1) Naturzerstörung, (2) Mitmenschenzerstörung, (3) Selbstzerstörung. (1) Arbeitend greifen wir in die Welt zu bestimmten Zwecken ein, und am verständlichsten scheint es uns, daß wir in die „Natur" eingreifen und diese zur „Kultur" umformen. Das wäre aber eine übersimple Darstellung - denn menschenunbeeinflußte Natur gibt es für uns kaum, es wird immer in eine schon früher in Worten, Gedanken und Werken bearbeitete Natur, d. h. in eine Kultur eingegriffen. Und anderseits verläßt die Natur uns nie, in aller Kultur ist sie mit 92+ Elementen hinein anwesend, und sogar in allen Akteuren. „Eingriff" ist noch ein schonendes Wort für das, was geschieht: So produktiv Arbeit uns immer vorkommen mag, d.h. so unbezweifelt als „produktiv" zu begrüßen - es ist immer in der Arbeit etwas zerstört, destruiert worden. Seien es auch nur lebensgefährliche Bakterien durch ärztliche Arbeit oder Schneestürme durch Häuserbau, es ist stets in einen (so benennbaren) „natürlichen" Prozeß eingegriffen worden.

Zerstörung der Natur

Produktion mitsamt Destruktlon

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5 Zerstörerische Arbeit

Gerade aber an diesen beiden Beispielen (Heilung, Behausung) ist ersichtlich, wie sehr wir Arbeit begrüßen. Für Lernende in unserer Kultur erklingt „Arbeit" zumeist mit einem anhaltenden Tremolo: Sie ist scheinbar das Ergiebige, das Produktive. Wir Menschen haben etwas von ihr, es trifft (ggf. beschädigt) scheinbar ja nur die uns offenstehende Natur. Sie merken, daß derlei Alltagsformulierung eine -* metaphysische Unterstellung benutzt: als ob „Natur" für unser Arbeiten da sei. Hier liegt die Wurzel eines Irrtums: Wir haben etwas davon, Mikroben zu jagen und Dachstühle zu richten, oder gar dem Boden das Korn abzuringen. Wir nennen es also bestenfalls neutral Stoffwechsel mit der Natur (Karl MARX) und beschränken dann unser Denken (wie auch Karl MARX zumeist) auf die produktive Seite dieser Wechselwirkungen. Diese Einseitigkeit ist jedoch kultursoziologisch erklärbar. — Die Arbeit einzig als produktiv zu verstehen, ist überhaupt kein selbstverständlicher Irrtum, sondern eine Halbwahrheit mit gewichtigen historischen Voraussetzungen. Daß die Arbeit, gerade auch der (damals noch nicht so gerafft getauften) „Natur" gegenüber, sehr viel zu zerstören hat, ist seit den Anfängen der europäischen Kulturen eher das Selbstverständliche gewesen. Hierorts kann nur kurz an das Beispiel erinnert werden, daß noch bis lange nach der Völkerwanderung, bis ins gegenwärtige Jahrtausend hinein, die eigentliche - und schwer zu verteidigende — Grenze gegenüber der Natur nicht die zum Hochgebirge, zur Wüste oder zum Meer war, sondern die zum allzudrängenden Wald. Siedlung gegen Wald war den Kollektiven die Hauptfront (der Grundwiderspruch), nicht etwa Stadt gegen Dorf. Das Heer der immer neu anfliegenden und aufsprossenden Bäume war der schlimmste Feind, man mußte sie am besten alle

5.1 Destruktion

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umlegen. Sie abzubrennen, war nicht Destruktion, es war die Basis der Produktion. (2) Daß man andern Menschen die Lebenschancen wegarbeiten kann, wußte schon der Bauer — ächzend gingen nachts seine toten Nachbarn um, die ihm vom Acker abgepflügt und den Grenzstein verrückt hatten. (Grundbücher gab es noch nicht.) Härter ging es noch anderswo zu: Nächstliegende Berufe (bei den andauernd schlechten, unsicheren Zeiten), verachtet aber lebensfristend, waren der Seemann oder der Soldat. Lebensfristend arbeiteten sie, mit allen Merkmalen eines arbeitenden Berufes: Gegen Heuer oder Sold; mit festen Pflichten, die körperlicher Stärke, Geistesgegenwart und großer Geduld bedurften; mit einem hohen Arbeitsunfallrisiko (aber man starb überall schnell); mit berufstypischem Werkzeug; mit Anlernstadien, Betriebs- und Berufsgeheimnissen; mit Arbeitsvorgesetzten; ohne nennenswerte Alterssicherung (man wurde eben abgemustert oder abgedankt). Und Pflichten-waren eben auch, zu See und zu Lande: sich mit der Waffe gegen andere, desgleichen Bewaffnete (Kaper, Soldaten) auf Kommando wehren, sie töten, berauben, ihre Ressourcen zerstören (Schiffe in Grund bohren, Wälle schleifen). Und während bei der Seefahrt die Dreieinigkeit von Krieg, Piraterie und Handel bekannt ist (Robinson war auf Sklavenhandel? -jagd? -raub? unterwegs gewesen!), vergißt man oft, daß auch der Landsoldat gemischten Geschäften nachging. Alltags tötete er grade nicht, er arbeitete auch friedlich, hatte auch weitere Brot-Nebenerwerbe: Bei den Preußen im 18. Jahrhundert war er oft noch Handwerker, denn man lebte noch nicht in Kasernen, sondern in z. B. Berliner oder Magdeburger Quartieren; notfalls taten Soldaten, was überall vor der Erfindung der Spinning Jenny üblich war: Sie spannen. Hauptberuflich aber, regelmäßig, hatte der Soldat Wartungs- und Wachdienste (er produzierte Sicherheit, mit

Zerstörung sozialer Konkurrenten und Antagonisten

5 Zerstörerische Arbeit

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dem Bundeswehrslogan) und wurde auch im Frieden den Gefechtsdrill nie ganz los. Und wenn solch Drill bei der Einfachheit seines Kriegshandwerks seinen Offizieren nicht ausreichte, so wurden eben Zucht & Ordnung gedrillt, wie der Kapitän in Ruhestunden das Rostklopfen anordnete, und dann war das eben die Arbeit. Pünktlicher, sauberer, disziplinierter als jeder andere „Produzent" sollte der Soldat-Destruent bei den größeren Militärmächten durchaus ein. Daß anderseits der Stadtsoldat bei den kleinen Reichsstädten ein Gammeljob war, unterschied ihn auch nicht von anderen unausgelasteten zivilen Berufen, z.B. im Handwerk: In einer handelsfernen, blutarmen Tausendseelenstadt um 1780 (Muskau in der Lausitz) gab es 157 Meister in 56 Professionen, davon allein 47 Schuhmacher und 22 Töpfer 2 0 da mußte man desgleichen sehr hinter Nebenbeschäftigungen her sein. Es nützt also nichts, den Soldaten auf seine destruktiven Tätigkeiten beschränken zu wollen und ihm den ehrenvollen Begriff der Arbeit vorzuenthalten. Dafür kommt zuviel Produktives in seinem Stand/Beruf/Dienst vor. — Soldaten

arbeiten.

Es erbringt anderseits aber auch nichts, vor den destruktiven Ergebnissen („Destrukten") unbezweifelter— z.B. bäuerlicher, handwerklicher, kaufmännischer, fabrizierender — Arbeit absehen zu wollen. So ungern wie der Bauer läßt keiner den Nachbarn hochkommen. Nur die Zunft hindert den tüchtigeren 20

Clausen, B. und Clausen, L.: Zu allem fähig. Versuch einer Sozio-Biographie zum Verständnis des Dichters Leopold Schefer, Frankfurt a . M . (Bangert Sc Metzler) 1985, S.53. Warum nicht aus eignen Schriften zitieren? Wir haben 16 Jahre daran gearbeitet.

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5.1 Destruktion

Handwerker, die kümmerlichen Meister am Ort um ihre Nahrung zu bringen. Ein Händler konkurriert den andern in Grund und Boden. Alle schaden sie ihresgleichen, destruieren sie, man muß es beschönigend Konkurrenz nennen, um es als produktiv, als nur-produktiv auszugeben. Konkurrenz belebt das Geschäft, aufs Große Ganze gesehen ist sie recht produktiv, keinem Volkswirt wird hierin widersprochen. Nur eben, damit ist aufs Große Ganze gesehen auch der grenzsichernde oder -ausweitende Soldat produktiv. Oder eben keiner ausschließlich. Mehr noch: Mitten in seinem eignen Betrieb schiebt auch der kleinste Vorgesetzte nach Kräften die unangenehmeren Arbeiten, bei denen man sich kaputt macht, auf Untergebene ab. Und sobald er betriebswirtschaftlich Unternehmer ist, sofern er die Kontrolle über die Produktions(f.'J-Mittel hat, soweit er - vom Arbeitsmarkt her gesehen — als Kapitalist dem abhängig Beschäftigten (Proletarier) in einem Null-Summenspiel von Tausch gegenüber steht (Arbeit gegen Lohn), gewinnt er den Arbeiten der Lohnnehmer seinen eignen Lebensunterhalt und nach Kräften weitere Kontrollmöglichkeiten über weitere Mittel der Produktion (?!) ab, beutet sie insoweit aus, setzt sie jedenfalls unter Arbeitsdruck. Und der Ausgebeutete wehrt sich arbeitend dagegen; entsprechend lamentieren die Chefs, wie man ihnen auf der Nase rumtanzen wolle. Alle wissen sie hier, was ein —• Null-Summenspiel bedeutet. Und wie man ihn immer bewertet, dieser wechselseitige Druck hat auch zerstörerische Züge. Man mag so viel man will als produktiv einordnen; es als einzig produktiv darzustellen, führt in die Irre. (3) Und man richte, zuletzt, den Blick auch auf den Arbeitenden selbst, wie unabhängig oder abhängig man ihn immer definieren will: Er kann nicht umhin, sein Leben mit eigner Arbeit zu fristen, seine eignen Kräfte zu

Zerstörung seiner selbst

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5 Zerstörerische Arbeit erschöpfen, seine eigne Zeit zu verbringen; er wird sich immer wieder selber fertigmachen. Er mag mit noch so viel Genugtuung auf ein Tagwerk oder Werkstück feiernd zurückkommen, neben aller Produktion übt er auch an sich Destruktion. (Auch Robinson verbrauchte 28 Lebensjahre, und mußte sich aufs Unbequemste ändern.)

Stop

Alle Produktivkräfte und Produktionsmittel, die zusammen je und je eine gesellschaftliche Produktionsweise ergeben (dies hat kein Verteidiger von Bauern, Handwerkern, Kaufleuten, Fabrikanten so zusammengefaßt, sondern in Konterdependenz zu ihnen - ihr Kritiker Karl MARX) - alle sie haben gemäß dieser Punkte (1) bis (3) ihre destruktive Seite. Nach meinem Vorschlag sollte ein Soziologe bei solchen „Produktiv"-Begriffen immer auch das „Destruktive" hinzudenken. Wollen Sie es nicht einmal selber versuchen? Gibt es nicht zahlreiche — wissenschaftliche und umgangssprachliche - Begriffe, in denen produktiv oder Produktion vorkommen? Sollte man nicht versuchsweise immer einmal destruktiv oder Destruktion einsetzen und selber (vorläufig) prüfen, ob denn Unsinn herauskäme?

Stop!

Produktion Abstraktion).

Idealabstraktion folgt der Realabstraktion

Man übt rituell die so genannte wechselseitige Raubehe - daß man dabei erzogene Arbeitskräfte tauscht, Raubarbeit hergibt für Erziehungsarbeit, und wechselseitig, das steht so hier. Man erwähnte und gedachte noch nicht der „Arbeit". „Die Arbeit bei den Naturvölkern ist ein recht nebelhaftes Gebilde." So sagt es wieder Karl BÜCHER (1910: 27), und viele mit ihm. Noch vielleicht empfindet man ältere (?) Muster. Das Spiel etwa, und dessen Rhythmisierung, seien älter, so vermutet es BÜCHER gleichenorts. Und er mag insofern sehr recht haben, als man im Spiel Fehler machen darf,

Kurzer Hinweis zum Spiel

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9 Die Entstehung der Weltmärkte und Weltkriege

ohne daß es das Leben kostet, und nur an Fehlern, die nicht gleich das Leben kosten, kann man lernen. Vielleicht haben die Menschen, ehe denn sie das Feuer zähmen lernten, es in der Tat erst einmal behutsam - bald mit grünen, bald mit trockenen Halmen — geneckt. Das werden wir nie wissen können. Arbeitsgemeinschaft: - gesellige Arbeit - Arbeitshäufung - Arbeitsverbindung Hausfleiß bis in die Neuzeit!

Karl B Ü C H E R teilt die Arbeitsgemeinschaft nun in einfache gesellige Arbeit, dann in Arbeitshäufung und zuletzt in Arbeitsverbindung ein; er dringt damit von der reinen Herdgemeinschaft (ggf. mit dazugeraubtem Ehepartner, ohne weggeraubte Ehefähige) zur Bittarbeit und endlich zur Rottenarbeit, Fron und Sklavenarbeit vor — so daß ihm mit der (ja durchaus auch kopfreichen) Feldsklaverei der Hausfleiß als dominante Arbeitsform bis weit in die Neuzeit hinein reicht. Wenn wir im destruktiven Bereich der Herdgemeinschaft die zugehörige Wehrgemeinschaft beifügen; der Bittarbeit das Herbeirufen, das Sammeln von Kämpfern und Verbergen von Nichtkämpfern, der Sklaverei als Destruktion endlich die zugehörigen Sklavenraub- und -bewachungsarbeiten, so vervollständigen wir das — sozial ganz unidyllische - Bild der - Arbeitsgemeinschaften, deren Formen bis in die modernsten weltweiten Tauschbezüge hinein wirken. Weder kann eine moderne Welthandelsgesellschaft noch eine Weltkriegsgesellschaft den Fortgang von Handel und Krieg ermöglichen, ohne daß nicht diese beiden permanent dessen bedürften, daß Arbeitsgemeinschaften erfolgreich sind, um die so aufwendig langen und zerfalteten sozialen Tauschbeziehungen {Weltmarkt, -krieg) mit sozial besser ritualisierten (kürzerfristig-übersichtlichen) und der Lebensvorsorge dienenden Arbeitsprodukten und -destrukten zu unterhalten.

9 . 2 Ansammeln und Fernhalten als F o r m t h e m e n .

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Es gibt Zwangswirtschaft und Flugabwehrraketen! Jedoch unterhalb dieser Sanktionsaustausch-Handlungen ist es nur aushaltbar durch Beziehungskäufe und Luftschutzkellergemeinschaft. Unser Alltag erlaubt weltweite Vernetzungen, nur er, seien sie nun produktiv oder destruktiv. Die Arbeitsformen, hier nach Karl BÜCHER, heute aufzusuchen, will mitnichten altvaterischen begrifflichen Sperrmüll als unverkäufliche Schaufensterdekoration unserer wissenschaftlichen Apotheke vorführen. Es handelt sich vielmehr um den Baugrund, auf dem auch sie nur stehen kann. Erst diesseits des Hausfleißes dann hat er die Arbeitsteilung angesiedelt - und sich dabei die frühmenschliche Problematik etwa der Arbeitsteilung zwischen Altersstufen, zwischen den beiden Geschlechtern oder anderen markanten körperlichen Zügen ziemlich vom Halse geschafft. Denken Sie einmal nach, was für „andere markante körperliche Züge" früher Arbeitsteilung möglich gewesen wären. Nicht Geschlecht — auch nicht Lebensalter — was dann?

Arbeitsteilung

Stop

9 Die Entstehung der Weltmärkte und Weltkriege

116

Wir können das nicht vertiefen - aber dem Mythos nach war der griechische Schmiedegott Hephaistos lahm, wie auch der germanische Sagenheld Wieland der Schmied. Der Griechendichter HOMER, ihr erster namentlich bekannter, war als blind überliefert. Lahme Schmiede und blinde Dichter (mit Arnold TOYNBEES Wort) - Arbeitsteilung nach körperlicher Behinderung?! Arbeitsteilung im engeren Sinn

.' Berufsbildung

Produktionsteilung

ArbeitsZerlegung

ArbeitsVerschiebung

- örtlich - zeitlich

Hier aber geht es nun um die Arbeitsteilung Sinn, diesseits der Arbeitsgemeinschaft.

im engeren

Wichtig wäre, was darunter alles zu begreifen ist, und was der scheuklappenlose Blick nun auch noch im destruktiven Bereich entdeckt. Hier bäte ich, während der Aufzählung der alten Kategorien jeweils etliche destruktiv betonte Beispiele hinzuzufügen. Wieder Karl BÜCHER (1910: 289ff.): Zu unterscheiden wäre die Berufsbildung (Spezialisation), die Kundigkeit und Fertigkeit bei Spezialisten konzentriert und andernorts den Laien entzieht (typisch die Altprofessionen: Priester, Ärzte, Schmiede, Wettermacher). Sodann die Produktionsteilung, bei der die Produkte, stufenweise dem Ge-(Ver-) brauch zu bearbeitet, zwischendurch immer wieder auf einen Tauschmarkt kommen (typisch die Handwerkerkette vom Weber/Tuchmacher zum Färber zum Schneider, die schon der Stadtwirtschaft und der eingerichteten Messen und Märkte bedarf). Sodann die Arbeitszerlegung, bei der — innerhalb einer betrieblichen Organisation (Familie: Heimarbeit, Fabrik: Bandarbeit o.ä.) — ein Produkt von Verschiedenen mit immer gleicher Spezialisierung bearbeitet wird (sehr typisch für den Zusammenhang von Lohnarbeit und Kapital). Endlich die Arbeitsverschiebung (örtlich und zeitlich) - örtUch, d.h. auf bestimmte Regionen etwa, und zeitlich durch langunterhaltene Zwischenlager. Unter der Hand sind wir dabei von der Stadt- zur Volkswirtschaft gekommen, von ihr auch zur Großraum-, zur Weltwirt-

9.2 Ansammeln und Fernhalten als Formthemen . . .

schaft. Frage: Läuft dies nicht auch im destruktiven Bereich ähnlich ab?

Was haben Sie notiert? Berufsbildung? — Produktionsteilung? - Arbeitszerlegung? — Arbeitsverschiebung? Krieger und ßerw/ssoldaten ? — Produktionsteilung auf Bergleute im Erzbergbau, danach Werker im Eisenhammer (in der Hütte), auf Waffenschmiede, auf Damaszierer (Finisher) = Schwertfeger? - Die Arbeitszerlegung auf dem Schlachtfeld - in Fußvolk, Kavallerie, Artillerie? — Die Arbeitsverschiebung in den Bereich der Rüstungsindustrie und der Munitionssilos? Der sich jetzt schon abzeichnende Übergang dieser verschiedenen Formen von Arbeitsteilung von lokaler und regionaler, danach städtischer, danach nationaler Destruktionsarbeit auf internationale, globale, globusumkreisende Formen?

117

Stop

9 Die Entstehung der Weltmärkte und Weltkriege Alles einzubeziehen. Und die nachdenkliche Frage, ob die destruktiven Arbeitsteilungen nicht den produktiven stets historisch und genetisch vorangegangen seien, bleibt bestehen. Diesbezüglich sind Überlegungen zu allen vier F o r m e n der Arbeitsteilung zulässig: War die frühe berufliche Spezialisierung auf „Krieger" nicht ein Vorbild f ü r viel längerfristig arbeitsvereinigende Hirten- oder Bauerntätigkeiten? N o c h heutzutage denken die vielen Nichtsoldaten gar nicht von sich als von „Zivilisten", w ä h r e n d die Militärs durchaus von sich als von „ S o l d a t e n " denken. In H O M E R S „Ilias", vor mehr als zweieinhalbtausend Jahren, tritt der Schmiedegott Hephaistos als Waffenschmied auf: Der berühmte Schild des Achilleus entsteht, auf dem die ganze Welt abgebildet ist. Was w a r älter — H a c k e n und T ö p f e oder Äxte und Helme? Destruktionsteilung älter als Produktionsteilung? Sind nicht die Armeen die frühen arbeitszerlegenden Betriebe, schon im Altertum? Baut m a n stumm wachsame Killersatelliten, räumlich weit weg, zeitlich verschoben auf Doomsday, um Teflonpfannen zu entwickeln? Formanalyse der Arbeitsgeschichte, mit Fragen.

10 Geht der Arbeitsgesellschaft die Arbeit aus?

10.1 Entfremdung, Kybernetisierung und — ? Inmitten der anscheinend so produktiven Gesellschaft, auf dem Hochplateau der Arbeitsteilung, in der Arbeitsverschiebung also, wuchs die vernachlässigte destruktive Komponente allen Arbeitens heran, ohne daß man doch der Arbeit diese unangenehme soziale Tatsache zuschreiben mochte. Zumal die Ausblendung des Schrittmachers modernen Arbeitens, des Krieges, aus der „Arbeits"-Debatte war fatal. Nicht so sehr, weil man seine fürchterlichen Möglichkeiten verkannte — sondern eher, weil man sie anderswo als im Erfolg der Arbeit für die menschlichen Großkollektive suchte. Bei ihm konzentrierte man sich auf andere Fragen als auf die, ob er Tätigkeiten wie der Arbeit ähnlicher als gedacht sei, und ob er nicht auch mit ähnlichen Motiven führbar sei. (Fragen wie: Rührte er nicht vom falschen Kinderspielzeug her? vom Verbrechertum der Führer? lag es an der unaufgeklärten Kurzsichtigkeit, der kulturell unverfeinerten Stumpfheit aller?) Mit den Begriffen „stumpf" und „kurzsichtig" war man freilich bei Erscheinungen angelangt, die auch in der fortgeschrittenen Debatte der Arbeit eine Rolle spielten, zumal in deren großbetrieblichen Formen — erst in der Industrie, dann in der Verwaltung 23 . Genau besehen, 23

Vgl. z.B. Fritz, H.-J.: Menschen in Büroarbeitsräumen, München (Heinz Moos) 1982.

10 Geht der Arbeitsgesellschaft die Arbeit aus?

war das eine ältere, gut theoretisierte Beobachtung, es lief auf die Frage nach der Entfremdung hinaus. Entfremdung heißen verschiedene Weisen des Verlustes von Vertrautem/Eigenem an fremde Gewalt. In der arbeitsbetonenden Marktwirtschaft heißt das zumal, daß einem die durch Brauch und Sitte vertrauten Menschen rechnerisch kalt entgegentreten, daß man in fremde Taschen eigene Arbeit leistet, daß man sich selbst untreu wird, und, reflexiv, daß man die Voraussetzungen verliert, seine eigne Lage zu bedenken: Langzeitübersicht und Feinheit der Beobachtung gehen zurück. Auch dieses kann nur kurz angesprochen werden. Geben tat es sie schon lange; doch erst mit der Industriearbeit wurde die Entfremdung ein auffallendes, massenhaft bemerkliches Problem. Unter ihre Symptome ist auch das Verstummen des Arbeitsliedes und das Lächerlichwerden der Arbeitsjubiläen zu rechnen (was uns den Einstieg so erschwert hat). Denn in der frühen Industrie entstand aus einem bereits sehr abstrakt (-> „objektiv") gewordenen „Eigentums"-Begriff (dem an „Produktionsmitteln") eine absolutistisch-staatlich beeinflußte, dazu immer reiner kapitalistische Fabrikform, und deren Eigner und Kontrolleure schufen sich das („in fremde Taschen eigne Arbeit leistende") Arbeiter-Proletariat. Unverblümt stellte sich den Eignern das Marktproblem des Endverbrauchers und seiner standardisierten Versorgung, und rückwirkend in ihre Fabriken hinein beantworteten sie es damit, Arbeitszerlegung und -Verschiebung auf die Höhe zu treiben und eben abstrakt für den Massenabsatz auf den Konsummärkten zuzurichten. Die damit notwendig werdende (für den Kapitalisten überlebenswichtige) längerfristig investierende Planung mußte offenbare Produktions-Leistungen und verhohlene, als „produktiv" zu beschreibende Destruk-

10.1 Entfremdung, Kybernetisierung und - ?

121

iiows-Leistungen optimal kombinieren, und entsprechend wurde die Fabrik nicht nur der Ort imponierenden Zusammenspiels von Finanzierung, Beschaffung, Lagerhaltung, Absatzvorbereitung und („rechnerisch-kalter") Verwaltung, sondern auch gegenseitiger Destruktivpolitiken inmitten der Produktivpolitiken: „Destruktiv" war die Kontrolle der Arbeitsverrichtungen (etwa, wenn sie soeben erfundene Arbeitserleichterungen sofort entdeckte und mit neuen Arbeitsbefehlen beantwortete — deswegen macht ein Betriebliches Vorschlagswesen so wenig Furore). Destruktiv war die Bürokratisierung vor allem in Gestalt der strengen Hierarchisierung, bei der das eine Ressort das andere mittels der Instanzzüge zu kontrollieren beauftragt war und keinesfalls unter Umgehung der Spitzen sich mit ihm angenehm stellen durfte (deswegen die eingebaute Eifersucht von Abteilungen, die das Betriebsklima gefährdete). Destruktiv war das Hin- und Herreißen der mittleren Kader, des bekannten man in the middle (etwa des Werkmeisters) zwischen Oben und Unten, das er mit ,Verrat' an Unten (an seiner Herkunftsschicht) oder Oben (seiner Hinkunftsschicht), oder mit ,rückgratlosem' („sich selbst untreu werdendem") Hin- und Herpendeln, oder mit Ringsumabschirmung seiner Haltungen und Gedanken zu beantworten gezwungen war. Destruktiv für die Reflexion war das gegenseitige Kontrollieren: Erst mittels der Technik, dann in Gestalt der Technik kam die Herrschaft über die Arbeit auf die einzelnen zu, scheinbar kommandierte die Maschine: Sie war unübersichtlich wie der „große Manitu" (Max von der GRÜN) und stereotyp (da war nichts „fein" zu beobachten). Zusehends füllte sich die Arbeit mit kleinen Renitenzen an - im Brauchtum konnte sie kaum mehr als Genugtuung gefaßt werden. Also wurde „gebremst", gleichgültiger und feindseliger gearbeitet, und wenn einem der

Bremsen

10 Geht der Arbeitsgesellschaft die Arbeit aus?

Vorgesetzte schief kam oder, mehr noch, wenn das Band zu schnell lief, so: einmal mit dem Elektrobohrer hinein, eine Viertelstunde Pause, zwanzigtausend Mark Schaden. Entsprechend änderte sich der organisierte Arbeitskampf zwischen den Unternehmerverbänden und den Gewerkschaften. Obenhin waren beide Seiten der Industriearbeit verpflichtet - aber ihr Sanktions-Tausch mit seinen MiniMax-Effekten führte dazu, daß die allgemein-gesellschaftlich anerkannte Produktivität der Arbeit nicht beiden Seiten als Argument dienen konnte — und immer stärker nahm die kapitalistische Seite es in Anspruch: Minimierte nicht die Gewerkschaft die Arbeit, um den Lohn zu maximieren? Infolgedessen wurde die gewerkschaftliche Seite in die Argumentation mit dem Humanprinzip abgedrängt - Arbeit soll nicht unglücklich machen, also leichter, menschlicher, nicht nur lukrativer sein. Was aber macht „leichter"? (Die Genugtuung war versickert.) Daß man mit der Arbeit „glücklich" sein wolle, mochte bald keiner mehr sagen. Was soll Arbeit - glücklich machen?? Spinnst Du? Es wurde längerfristig für die „Produktivität der Arbeit" schädlich, damit aber auch gleich für den Wert der Arbeit sehr gefährlich, wenn diejenigen, welche manifest arbeiteten (.klotzten'), gegen die Leistungshöhe anargumentieren mußten, und wenn jene, deren Arbeit man kaum sah, ja als „Ausbeutung" bezweifeln durfte, die Bosse also, mit aufgeblasenen Backen die „Leistung" lobten. Bereits die Entfremdungsprozesse hatten säkular die „Arbeit" entwertet, und einschließlich derjenigen, die mit „Produktion" in Eins gesetzt worden war. Wer nicht weitsichtig ist, kann sich als Kapitalist damit beruhigen („nach mir-sterblichem Kapitalisten die Sint-

10.1 Entfremdung, Kybernetisierung und - ?

flut"), daß man ja die aktuellen Arbeitskräfte gegen die geronnenen, die Maschinen, austauschen mag - die Kybernetisierung der Fabriken, d.h. das maschinelle Selbstaussteuern von Ungleichgewichten (Kybernetik der Stufe 1), die maschinelle Selbstsuche nach Optima bei vorgegebenen Zielen (Kybernetik II), das maschinelle Zielersatzsuchen (Kybernetik III)24 —, sie bieten sich um die Uhr an. Man kauft dann anderswo-vorgetane Arbeit, kümmert sich nicht weiter darum, was dort anderswo vorgeht, und ob von dort die eigne Handlung je als destruktiv bekämpft werden kann. Selbst der Lohnarbeiter könnte sich das wünschen, dann nämlich, wenn er nur auf Kosten einer Maschinensteuer wohlgefällig zum Frührentner und Freien Menschen würde; und sich nicht darum zu kümmern brauchte („nach mir-sterblichem Lohnarbeiter die Sintflut"), ob anderswo dieser Müßiggang als Parasitentum ausgelegt und bekämpft werden kann. Von diesen Träumen geht so viel in Erfüllung, daß Industrien und zunehmend auch Verwaltungen kybernetisiert werden, und daß die Frage historisch verschiebbar scheint, ob diese riskante Investition der Kapitaldisponierenden auf Dauer geschluckt und finanziert werden kann. Oder, ob diese ,Freisetzung' von Arbeit den Arbeiterschaften willkommen ist. Der Soziologe, auch Politiker Ralf DAHRENDORF hat es auf den Halbsatz „Wenn der Arbeitsgesellschaft die Arbeit ausgeht" zugespitzt, als er auf dem 21. Deutschen Soziologen tag (Bamberg 1982) mit dem Kongreßthema „Krise der Arbeitsgesellschaft?" einen Hauptvortrag betitelte. Er meinte damit den „Preisvorteil der Technik gegenüber der Arbeit" (MATTHES 1983: 29), also einen typisch industriebezogenen Begriff von „Arbeit" und einen ganz unsoziologischen von „Technik" (vgl. oben Kap. 8.2); 24

Ausführlich dazu Bühl 1982.

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10 Geht der Arbeitsgesellschaft die Arbeit aus?

aber er spitzte doch das Problem auf vieler Leute Unruhe zu: Für jede politische Klasse wäre es beunruhigend, wenn zugunsten einer Kybernetisierung der (arbeitsverschiebenderi) Großproduktionsstätten die Zahl der Arbeitsstellenlosen anstiege und anstiege. Eben deren Herumlungern, deren Perspektivlosigkeit - was Arbeit und sinnvolles Arbeitsleben angeht - , deren neuartige Haltungen (Klienten von Beamten-Patronen in der Wohlfahrtsverwaltung?) werden gefürchtet (in der Not: Klienten wessen?) Unfreiwillig den einen, so scheint es, nämlich den nunmehr „Arbeitslosen", freiwillig den andern, nämlich den Investoren, entschwindet die menschliche Arbeit zugunsten der Industrie- und Verwaltungsroboter, zumal im Bereich von Kybernetik I und II. Damit wäre „Arbeit" durch den Alltag der Industriegesellschaften der Nordhalbkugel im Kernbereich ihrer größten historischen Erfolge aus dem Blickpunkt gedrängt. Man darf voraussehen, daß sie als zentraler Wert der betroffenen Gesellschaften Europas, Nordamerikas, Nord- und Ostasiens etwas Antiquiertes bekommen wird.

Stop

Sobald erst in einer Gesellschaft ein Bereich immer mehr Angehörigen unbekannt wird, kann er romantisiert werden. So ergeht es den jahrtausendelang schwerstarbeitenden Bauern - seit sie unter 5 % der Bevölkerung ausmachen, kann man endlich ungehemmt die Landwirtschaft hoffnungs-grün idealisieren. (Städter vermochten das schon früher.) So wäre es denn fast schon der Arbeiterschaft vorauszusagen?

10.1 Entfremdung, Kybernetisierung und - ?

Diese Frage war eine Falle. Erstens sinkt die Industriearbeiterschaft in der Bundesrepublik Deutschland just unter 50 % der abhängig Beschäftigten. Zweitens sind wir längst in eine Weltwirtschaft verflochten - unsere Arbeitenden sitzen, regional verschoben, in anderen Ländern, und wir bemerken nur einen schwachen Überschuß als Zuwander-Arbeitende (,Gastarbeiter') bei uns. 25 Man wird also noch warten müssen, ehe Feuilletonisten ganz ohne Widerspruch die Gute Alte Proletarierzeit mit Dampf-Entfremdung zurückseufzen. Besser wäre es zu fragen, warum wohl dieser ,Abschied von der Arbeit' erst so spät erfolgt sei. Die Mechanismen der Entfremdung, Maschinisierung, Kybernetisierung sind doch schon älter - ? Dieser Abschied dauerte so lang, das kann man anhand dieses Materiales hier folgern, weil man so krampfhaft und so lange wie möglich die Arbeit als produktive festgehalten hatte. Hätte man ihre destruktive Seite nicht (aus wohlverständlichen Gründen freilich) so lange hintangestellt, gezielt ausgeblendet, in andere Problembereiche (Trieblehren, Friedenspädagogik, Militärwesen, Machtpolitik) geschoben, dann wäre erkannt worden, daß die große Krise der Arbeitsgesellschaft schon länger mit uns ist und nicht erst den Industrierobotern der 1980er Jahre zu verdanken. 25

Lesenswert dazu Knut-Michael Fischer a. a. O . , denn er hat nicht nur dem marxistischen Katalog der „Produktionsweis e n " eine „ K o l o n i a l e " hinzugefügt, sondern eröffnet auch Anwendungen mitten in E u r o p a .

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10 Geht der Arbeitsgesellschaft die Arbeit aus?

Erster Weltkrieg

Die Krise der Arbeitsgesellschaft ist für Europa bereits mit dem pionierhaften Exzeß destruktiver Arbeit im Erste Weltkrieg (1914-1918) aufgetreten, aber in historischer Verblendung nicht als ArbeitsKrise aufgefaßt worden. Es geht hier nicht um die 1914er Kriegsschuldfrage, à la: Das Deutsche Reich hat sich unabhängig voneinander mit drei Weltmächten verfeindet; oder: der sinkende Adel rettete sich vor dem wachsenden Besitzbürgertum in den Krieg, oder das wankende Besitzbürgertum vor dem Proletariat, oder die oligarchischen Proletarierparteien vor ihrem eignen Versagen — geschenkt! Gemeint ist etwas anderes, was der Verlauf des Ersten Weltkrieges erbrachte:

10.2 Der Übergang vom lokalen Destruktionsbetrieb zur industriellen Destruktivregion Unvorhergesehen von den politischen und den meisten militärischen Fachleuten (obwohl es mahnende ferne Beispiele vor allem 1863 im nordamerikanischen Bürgerkrieg und 1904/5 im russisch-japanischen Krieg gegeben hatte), veränderten sich im staatlich organisierten Abtausch von Destrukten seit 1914 die bisherigen Destruktivorganisationen. Die altertümlichen Schlachten zur See wichen einem Zermürbungskrieg (Skagerrak 1916 erbrachte nichts), die zu Lande brachten vom Elsaß bis zum Ärmelkanal und später auch im Osten, 1914/15 sogar auf Gallipoli, ab 1915 an der Isonzofront und in den Dolomiten an der Stelle von Schlachten à la Tannenberg 1914 einen ausgedehnten Grabenkrieg - im Westen vor allem eine 1000 km und mehr lange ununterbrochene Seriendestruktion per Trommelfeuer und eine trich-

10.2 Der Ubergang vom lokalen Destruktionsbetrieb zur.

terzerklüftete Mondlandschaft. Der Zeichner Olaf GULBRANSSON gab sie wieder und schrieb die tiefsinnige Zeile darunter: „Hier soll einmal der Champagner gewach-

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Destruktiv-

region

Hieran hat der bereits genannte Tony ASHWORTH die betriebstypischen Arbeitsformen der Soldaten studiert (1980), hier auch wurde zugleich mit ungeheurem Aufwand an Menschenleben dargetan, was alles an Vernichtung erarbeitet werden kann. Und dabei ist nicht nur an das dramatische Menschenverheizen zu denken: 1916 bei Verdun eine halbe Million („0,5 Megatote"). Sondern auch an die endlosen ermüdenden Wartungsarbeiten für eine destruktive Maschinerie. Zu Lande und zur See. Dort das ewige Wachefahren, Minenlegen und -räumen, den leeren Drill in den fortschrittlichsten Maschinenparks, den Kriegsflotten. Dort am auffälligsten. Grade dort, wo man unter hartem Druck Warte-Arbeit auf Eventualitäten hin leistete, die „ja doch nie" eintraten, und wo Vorgesetzte ihre Untergebenen mit Scheinarbeiten hinhielten, um selbst nicht ganz und gar rammdösig zu werden, ist denn auch der Protest gegen diesen ganzen Prozeß losgebrochen — es ist halt typisch, daß am Ende des Krieges gerade die deutsche Marine gemeutert hat. Vielleicht Iäßt sich die Aussage vertreten, daß die modernere Destruktionsarbeit ebendieses sich unmarkiert erstreckende Warten war - in des Wortes doppelter Bedeutung: das Abwarten und das Maschinenwarten. Die erste erdumspannende Destruktivregion dürfte der durch Warten gekennzeichnete Killersatelliten-Gürtel rings um den Globus sein. Überlegt man dann, auch für den Frieden, wie weit darin die kybernedsierte Arbeit Warten bedeutet, so wundert einen nicht zu hören, daß das schlimmste Problem in Meßwarten und vor Großcomputern das Fettwerden

Warten als modernere Destruktion

10 Geht der Arbeitsgesellschaft die Arbeit aus?

und die Drogen und eine diffuse Angst sind, die ihrerseits sich in - dem Arbeitsanlaß ganz abgewandten Ausflippreaktionen Luft macht. Gern geglaubte Mären von den drogenkranken Wachhabenden in den unterirdischen Raketensilos sind vielleicht nicht ganz unfundiert und jedenfalls zu prüfen. Jetzt wieder zurückblickend auf die Entwicklungen in der die Produktivität betonenden Industrie und Verwaltung, kann man überall Spuren einer Zersetzung der Arbeit angesichts unübersichtlicher und unabsehbarer Verflechtungen bemerken. Vor allem: Wie viel wird nicht neben der Technik schon ausgetauscht! Wo die Befehlsübermittlung in Gestalt der Technik noch nicht so zieht, in den älteren Büros zumal, da wird auf allen Fensterbrettern Grün gehegt, da wird der Klatsch zum Tagesinhalt, da wird rituell Einstand und Ausstand gegeben, kein Geburtstag entrinnt ungefeiert, rituell sind die Kaffeeminuten geschützt, und ab 10 Minuten vor Dienstschluß wird kein Telefon mehr abgenommen. Zumal, — daß es in jedem Büro Schwarze Kassen gibt, ist ein Zeichen, daß die Arbeit sinnarm geworden ist und der Zusatzmotive nebenher bedarf, obwohl man sich noch im so genannten „produktiven" Bereich bewegt. Aber auch an industriellen Arbeitsplätzen: Wären doch dort die Pausenaktivitäten, die Nebenhergespräche und Rauchpausen, das Trinken am Arbeitsplatz, die zeitfressenden Feindschaften und Flirts (Riten!), die Totogemeinschaften und die Werkwitze, das Türkenärgern und die Spitznamen für die Maschinen und Anlagen der Forschung besser zugänglich! - Zahlreiche Ritualisierungen sind anläßlich der Arbeit auch in der Industrie zu ermitteln — jedoch wenden sie

10.2 Der Ubergang v o m lokalen Destruktionsbetrieb zur.

sich stärker als in früheren Gesellschaften von der „Arbeit" ab. Während sich also in der scheinbar friedlichen und produktiven Arbeit die alten Bezüge zur Arbeit aushöhlen, treten in den aus dem Konzept der „Arbeit" ausgesperrten militärischen Tätigkeiten bereits ungebändigte Reaktionen auf Sinnlosigkeit weltweit hervor: als ein gefährliches Risiko. Hier soll es nun nicht so weit gehen, daß behauptet wird, daß die Gefährlichkeit weltzerstörerischer Kriege direkt dadurch angestiegen sei, daß man im 17. und 18. Jahrhundert, angesichts schöner wirtschaftlicher Erfolge, die Arbeit auf ihre „Produktivität" hin halbiert und diese Halb-Arbeit als einen zentralen gesellschaftlichen Wert zu installieren nicht umhin gekonnt habe. Aber es ist doch eine Problemzerspaltung dadurch eingetreten, die nützliche und warnende Analysen behindert haben dürfte. Vor allem aber darf nicht übersehen werden, - daß die Realität der Kriege auch wieder zu einer sehr nachhaltigen Realabstraktion der Destruktivität unserer Arbeiten wurde, und daß damit die Produktivität der Arbeit aus einer Realabstraktion (vor 300 Jahren) zu einem nackten Vorurteil (heute) werden konnte. Damit ist aber keinesfalls sogleich ein Ersatz für diesen alten zentralen Wert vorhanden. Daß Arbeit Sinn mache, den man gar nicht mehr über Lied und Brauch sich kurzfristiger vergegenwärtigen mußte, sondern der längerfristig wirke, abstrakter, auf größere Einheiten (Volkswirtschaften) hin - das hatte zunächst die Genugtuungen notleidend gemacht, damit aber auch viel Stoff für reale Widerlegungen freigeben (aus den Riten entlas-

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10 Geht der Arbeitsgesellschaft die Arbeit aus?

sen), es hat am Ende imstand gesetzt, die ganze „Arbeit" zu kritisieren. Dadurch kam man aber in die Lage jemandes, dem sein Bibel- und Fibelglaube genommen wird, ohne daß er wüßte, wie dies Loch zu füllen sei, und an wen man nun seine Stoßgebete zu richten habe. Wußte man schon nicht mehr, warum man sonntagsmorgens in die Kirche gehen sollte, was nun, wenn das Loch auch noch den Alltagsmorgen verschlungen hat? Zu deutsch, mit dem geschilderten Titel Krise der Arbeitsgesellschaft? (MATTHES 1983) ist angezeigt, daß gleichzeitig die praktische Lage sehr gefährlich und das Zutrauen in die eignen Denkmuster lange schon untergraben ist. Nicht „die Technik" verdrängt „die Arbeit". Die Arbeit geht uns nicht aus. Sondern: Die verschwiegene Destruktivität drängt sich endlich ans Licht der Öffentlichkeit und entwertet die als produktiv nur halb gesehene, aber deshalb irrig hochgepriesene Arbeit. Dies Ergebnis wiederum mag produktive Züge haben, hat aber auch destruktive, und es ruft die Frage heraus, was denn eine solche Gesellschaft überhaupt noch produktiv zusammenhalten solle, wenn solche Zweifel manifest die Gewohnheiten aller zu bestimmen und sie der Arbeit fernzuhalten drohen.

11 Kehrt die Arbeit wieder? Die Tarnarbeit

11.1 Tarnarbeit I: Verleugnete Arbeit Nicht also geht der Arbeitsgesellschaft die Arbeit aus, sondern die Selbstverständlichkeit, daß Arbeit produktiv sei, seit industrielle Massendestruktion die Weltkultur erschüttert hat, und seit auch im Zentrum der sogenannten Produktivität, in den Großbetrieben, die Kybernetisierung sichtbar machte, was die Entfremdung vorbereitet hatte. Oft genug gesagt jetzt. Besser also, sich fragen, wohin die Arbeit gedrungen sei, wenn sie nicht untergegangen sei. Wohin ist die noch immer getane Arbeit als vergleichsweise unmodern bis lächerlich abgedrängt worden? Wo läßt sie sich als lächerlich bis widerlich (verächtlich) nicht verdrängen? Woher nimmt sie am Ende bedrohlich-destruktiv noch zu? Wo gibt es sie als Tarnarbeit? Dazu die beiden Schlußkapitel 11 und 12. Zunächst zum Lächerlichen bis Gemeinen, da wird sie gerne übersehen. Es sind dies jeweils Sonderuntersuchungen, die hier nur angedeutet werden können. (a) Kinderarbeit Die Soziologie der Jugend und die der Kindheit 26 kann uns lehren, daß Kindheit selber etwas Lächerliches bekommt, sobald man im Kind - wie seit der Aufklärung weniger den von selbst immer größer und gefährlicher 26

Zum Unterschied beider vgl. Clausen 1976, zumal S. 32ff.

Kinder arbeiten?

11 Kehrt die Arbeit wieder? Die Tarnarbeit

heranwachsenden Konkurrenten sieht, sondern das Unbeschriebene Blatt, das man sorgfältig mit Kenntnissen zu beschreiben hat, welche die Gesellschaft zu ihrem Nutzen gesammelt hat, und das erst nach Ablauf dieser Beschriftungsphase, weniger bildlich: nach Ablauf seiner Schulzeit, als Konkurrent oder eher noch Mitstreiter auf den Plan treten kann. Vorher ist es einfach zu dumm, und unbelehrt müßte es auch so dumm bleiben. Dies ist auch einer der Gründe, weswegen man sich nicht beunruhigen muß, wenn das Vierjährige mit der Spielzeugpistole fuchtelt. Es imitiert nur. (Wenn es freilich eine echte Pistole erwischte und heimlich echt übte, dann würde es gefährlich: Dann ist es auch kein Kind mehr, sondern Jugendlicher - es antizipiert schon Ernstzunehmendes.) Dieses ungefährliche (nicht ernst zu nehmende) Stadium kennt zwar schwere, belastende Arbeiten - die Schularbeiten. Aber die oft physisch schwereren, sinnfälligeren Arbeiten in Haus und Hof sind in fast allen gesellschaftlichen Lebensbereichen bei uns zurückgegangen. Wer heute Kinderarbeit in der Form sucht, daß sich die Gewerbeaufsicht, der Kinderschutzbund oder gar die Polizei dafür interessieren würde, muß in die ums Überleben arbeitenden Familienbetriebe der Landwirtschaft (ζ. T. in die Gastronomie und den Einzelhandel), dann in die zirzensischen und künstlerischen Berufe, endlich ins Pornoatelier und auf den Babystrich suchen gehen. Dies sind bereits alle keine besonders angesehenen Berufe (sogar im künstlerischen Bereich überwiegt der Charakter des Show Business stark). Und die Hausarbeit, wo überhaupt sie noch von Kindern erwartet wird, liegt auch im Bereich des Verächtlichen. Wenn Kindheit gerade als dasjenige Stadium verstanden wird, in dem man noch nicht arbeiten kann, und wenn diese Tatsache mit dem sozialen Tatbestand und mit dem Wort „Schularbeit" kollidiert, so ,verliert' die Schularbeit ihren Arbeitschaiaktei. Dies, obwohl sie als

133

11.1 Tarnarbeit I: Verleugnete Arbeit

die grundlegende Arbeit für alle anderen gesellschaftlichen, freilich späteren Arbeiten gilt. 2 7 Schulkindsein wurde aus arbeitsamem Kenntnis-Bevorraten zur ^weiten Natur'. (b) Hausarbeit Warum ist die Hausarbeit verächtlich? Mit bisher erarbeiteten Begriffen: Keine Arbeit hat mehr durch die Arbeitsverschiebung an Bedeutung verloren als der Hausfleiß. Die Arbeitsverrichtungen wurden außerhalb des Hauses am Markt erwerbbar (man denke nur an die Entwicklung der Bereiche Essenmachen und Säubern); das Hausgesinde schwand, das immerhin vor Augen gehalten hatte, daß hier ein Lohn fällig gewesen war; das Verhältnis der Geschlechter zueinander bekam eine neue Bedeutung: Wenn seit alters die Frau eher binnen· und nahwirtschaftlich, der Mann eher außen- und fernwirtschaftlich für die Familie tätig gewesen war, so bedeutete dies auf einmal, daß der Kern der häuslichen Lebenshaltung, das Bareinkommen, nur noch vom Manne zu kommen drohte. Die Rolle der Frau wurde also minder bedeutsam, und die Arbeit, die sie nach wie vor tat (die Hausarbeit), litt unter der Tatsache, daß sie keine Einnahme bedeutete (sie war ja im wesentlichen möglichst sparsame Ausgabenpolitik). Die Vergeldlichung aller Arbeitsentgelte machte somit die unauffälligere, sich verringernde, auf psychische Entgelte von Ehemann, Familien, Nachbarschaft, Freundschaft angewiesene Hausarbeit zur Nichtarbeit. (Näheres s.u. in Abschnitt 12.1.) Im Wort Hausfrau kam das Haus vor, nicht die Arbeit. Dieses relative Sinken der Bedeutung

27

Ganz anders früher. Vgl. Kuczynski, J.: Geschichte der Kinderarbeit in Deutschland, Bd. 1, Berlin 1958; Quandt, S. (Hg.): Kinderarbeit und Kinderschutz in Deutschland 1 7 8 3 - 1 9 7 6 , Paderborn (Schöningh) 1978.

Hausarbeit verächtlich,

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11 Kehrt die Arbeit wieder? Die Tarnarbeit

vieler Frauen und diese Unauffälligkeit des Hausfleißes bestärkten einander, und am Ende schändete Hausarbeit, ζ. B. den Hausmann. Auch dies ein Grund, warum Kinder sich davor zu drücken begannen, und daß Erwachsene es hinnahmen. Bedeutungsarme Caritas?

(c) Karitative Arbeit Der Bedeutungsschwund und dann -wandel der Hausarbeit hatte auch seine fatale Auswirkung auf die häuslich zentrierte karitative Arbeit — auf Altenpflege, Krankenpflege, Siechenpflege, Behindertenunterstützung, Hinterbliebenentrost, ganz allgemein: auf die Arbeit für Geschwächte. Diese Arbeiten schienen entweder örtlich verschiebbar, oder sie waren unentgeltlich (erbrachten nur mehr psychische Entgelte), und sie wurden von den eher Verachteten geleistet (den Frauen). Der Arbeitscharakter wurde ihnen zunehmend aberkannt (wie den Schularbeiten, den Hausarbeiten), sie wurden etwas Randseitiges. Es darf auch nicht vergessen werden, daß im Gegensatz zur Erziehungsarbeit die karitative Arbeit sehr oft nicht produktiv schien - warum Sieche pflegen? Sie wurden doch nur immer schwächer und dümmer? Die katholische Kirche lehrte unverdrossen, daß man damit einen Gnadenschatz ansammele. (Was ein Wort.) Doch waren die Konfessionen aus den Arbeitszusammenhängen scheinbar schon lange hinausgedrückt. (1987 ließ eine Volkszählungsstelle mißtrauisch die ausgefüllten Fragebögen an einen Tätigen Orden zurückgehen; da hatten doch die Nonnen einen krankenpflegerischen Vollberuf und einen Arbeitslohn von Null angegeben — offenbar wollte hier jemand die Datenerhebung boykottieren.) Daß der Arbeitscharakter zerging, läßt sich empirisch auch gut daran zeigen, daß karitativ Tätige sich eher ihrer Arbeit schämen als rühmen. 2 8 28 Hier spätestens liest sich Honneth (1980) sehr nachdenklich.

11.1 Tarnarbeit I: Verleugnete Arbeit

(d) Künstlerische Arbeit Gleichfalls mehr Abschätzigkeit als Beifall trägt es ein, wenn man sich in den Künsten seines Fleißes rühmt. Die Hungerexistenz der allermeisten künstlerisch Tätigen im bildnerischen, musikalischen, schriftstellerischen oder darstellenden Bereich sind zwar durch die Arbeiten von Karla FOHRBECK und Andreas WIESAND in der Bundesrepublik nicht unbekannt geblieben 29 ; aber dennoch nicht anerkannt. Namentlich besteht auch eine Barriere gegen die Anerkenntnis künstlerischer Arbeit aus den Einnahmen — gerade weil die Kunst nicht den Weg des Begriffes Arbeit mitgemacht hat (bis hin zur Arbeitsverschiebung und selbstverständlich geldlichen Entlohnung), sondern gleichsam auf den Allansprüchen auf All-Zuständigkeit von der Arbeit sitzen gelassen worden ist. Dadurch wurde der Kunst-Begriff zusätzlich stark belastet, so daß die Künstler mit weniger Selbstverständlichkeit von den Marktpreisen sprechen durften, von deren Höhe sie leben wollten und mußten. Auch an die Doppeldeutigkeit des. Wortes Preis ist durchaus zu denken: Denn derjenige Tausch, den die All-Aufgaben der Künste, ihre Welt-Sinn-Gebung, uns nahelegt, ist eine der ältesten Tauschformen überhaupt: Man bekommt gelegentlich von den Künstlern etwas geschenkt (das Kunstwerk) und schenkt gelegentlich etwas zurück (den Kunst-Preis). Nein, die Kunst verlor unter diesen Umständen so sehr die älteren Ähnlichkeiten zur Arbeit, daß viele Arbeiten, die schon nicht mehr in das vorherrschende Bild der fabrikorientierten Lohnarbeit paßten, für sich in Anspruch nahmen, eher noch Künste als Arbeiten zu sein.

29

Fohrbeck, K. und Wiesand, Α.: Autorenreport, Reinbek (Rowohlt) 1972. Und dies.: Der Künstler-Report, München (Hanser) 1975.

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Schändet Fleiß den Künstler?

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11 Kehrt die Arbeit wieder? Die Tarnarbeit

Ich nenne nur - und gehe damit auf die zwei nächsten Punkte ein - die Feldherrenkunst und die Regierungskunst. 30 Militärische Arbeit?

Lächerliche Arbeit der Funktionäre?

(e) Militärische Arbeit Darüber ist nun schon in den Zusammenhängen viel gesagt worden, mit deren Hilfe das Destruktive in der Arbeit aufgedeckt wurde (5, 7.1, 9.2). Hier nur dies: Kaum eine Arbeit kann weniger auf Improvisationen mit hohen Wagnissen verzichten als die militärische im Kriege. Dieses stets Planungsstörende, stets Zerstörerische, dieses Pflichtgebotene, oft Unentgeltliche hat eben dafür gesorgt, daß die soldatischen Tätigkeiten gänzlich als „arbeits"-fern gesehen wurden, und ihr Eindrucksvollstes (militärische Siege) wurde nicht als Arbeitsresultat, sondern als geniales Kunstwerk gefeiert. Niederlagen wurden dadurch zu Kunstfehlern, nicht zu einem voraussagbaren Resultat des Tauschs negativer sozialer Sanktionen; und vor allem hat dies die Problemlage verwischt, daß in modernen Kriegen immer auffälliger beide Seiten zu verlieren pflegen. (f) Funktionärsarbeit, Stabsarbeit Das zugleich Lächerliche und Üble, was so viele Witze auf Kosten der .Arbeit' von Beamten, Verbandsvertretern und Parteipolitikern erlaubt, zeigt, daß auch hier der Arbeitscharakter verloren geht. Doch liegt dies weniger am Fehlen von Geld-Entgelten, als an der tiefergehenden Erscheinung, daß wir hier in den Bereich von Berufen kommen, deren Destruktivität zugleich erwünscht und nicht zugebbar ist. Mit der erwünschten Destruktivität, die man nicht zugeben kann, in den Arbeiten des Öffentlichen Dienstes, der 30

Vgl. historisch Engelsing, R . : Der literarische Arbeiter, Bd. 1, Göttingen (Vandenhoeck Sc Ruprecht) 1976.

137

11.1 Tarnarbeit I: Verleugnete Arbeit Interessenverbände und der Parteien, zumal auch in Demokratien, ist gemeint, daß man ζ. B. von Staatsfunktionären die genaue Ressortbeachtung verlangt, damit dieser Apparat nicht nur auf Vorgesetztenkontrolle fußen muß, sondern sich auch horizontal kontrolliert. Die Macht der Kader (dies gilt für alle auf klare Befehlsgliederung, Planung und präzise Regeltreue, Routine und Verpflichtung auf eine Befehlsgewalt außerhalb ihrer gekennzeichneten Verwaltungen) läßt sich gegen Eigennutz und Bestechung noch am besten dadurch kontrollieren, daß man einerseits ihre Ressorts aufeinander angewiesen sein läßt, anderseits aber verbietet, direkt („auf dem ,Kleinen Dienstweg'") miteinander zu verkehren, und sie auf den Dienstweg über ihre jeweiligen Spitzen verweist. Diese Kontrolle stört und verlangsamt, aber, was geschieht, wird in der Bundesrepublik Deutschland ζ. B. dadurch verwaltungsrechtsfähig und verwaltungsgerichtsprüfbar. In einer gemeinsamen Sprache, der juristischen, wird alles verhandelt, insofern durchsichtig, insofern destruierbar. Diese Störung ist nachgefragt. Noch stärker gehört sie in den Arbeitsalltag von Verbands- und Parteifunktionären. Die meiste Arbeit macht dort, bei Mehrverbands- und Mehrparteiensystemen, anderer Arbeiten zu behindern. Das führt zu den objektiv langen, auch schwer aushaltbaren Arbeitszeiten von Berufs-Interessenvertretern und -politikern, die weit über eine 40-Stunden-Woche hinausgehen. (Beides wird wegen der Einkommens- und Machtmöglichkeiten hingenommen.) Vor allem bringt die Notwendigkeit, eine unübersichtliche und schwammige Menge von Kompromissen, die in dieser Form keiner gewollt hat, als „produktiv" den Verbandsvertretenen und Wählern darzutun, uns zu der als unglaubwürdig, lächerlich und verächtlich erscheinenden vollmundigen und sinnarmen Ritualsprache, mit der Funktionäre ihre Arbeit rechtfer-

Parteiarbeit

11 Kehrt die Arbeit wieder? Die Tarnarbeit

tigen müssen. Wer mag denn sagen: „Ich habe für unsere Partei in vierwöchiger härtester Medienarbeit dafür gesorgt, eine wirklich einleuchtende und uns gar nicht passende Fleißarbeit der Gegenpartei als absurd dastehen zu lassen." Aber, dafür sind Politiker — auch — da. 3 1 Man geht freilich davon aus, daß sie mehr schädliche als nützliche Arbeiten anderer verhindern, und nimmt die Schäden in Kauf. Doch ist es als Arbeit schlecht vorzeigbar, obwohl sie mühselig genug getan wird. (g) Strafgefangenen- und Zwangsarbeit Und wie ist es mit der Arbeit, die („erzieherisch") straft? Das Wort Zuchthaus verrät noch, daß man einmal der Arbeit geradezu alles zugetraut hat, nämlich auch dies, Straffällige und falsch Arbeitende (Bettler, Landstreicher) in Zucht- und Arbeitshäusern zur allgemeinen Produktivität hinzuführen. Ein Arbeitshaus schien ein ausgesprochener Fortschritt, wenn man an die vordem üblichen Leibesstrafen oder Enteignungsstrafen oder ans Verfaulenlassen dachte: ans Hinrichten und Auspeitschen, ans Beschlagnahmen und ins Elend Stoßen, ans Werfen ins Verließ. Doch wurde gerade solche Zwangsarbeit mit Nachdruck auch von verbrecherischen Regierungen übernommen: Billige Arbeit von ihren Gegnern! Das Russische Reich stützte seine ganze Kolonial- und Entwicklungspolitik in Sibirien darauf. Da es aber teurer als das Schulwesen kommt, wenn man es ernst meint, die Elemente des lehrreich Produktiven und also Läuternden und Bessernden in einen Strafvollzug hineinzubringen, entstand, was wir haben. Es wird auch in deutschen Strafvollzugsanstalten noch gearbeitet (auch gegen Entgelt), aber es geht außerhalb einiger Bereiche des Jugendstrafvollzugs so wenig Rechtferti31

Vgl. den Schriftsteller und Bundestagsabgeordneten Lattmann, D: Die lieblose Republik, München (Kindler) 1981.

11.1 Tarnarbeit I: Verleugnete Arbeit

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gung der Arbeit davon aus, daß es der Öffentlichkeit ganz unspürbar geworden ist. (h) Berufskriminalität Dies leitet über zu einer wohlentwickelten, stark destruktiven Arbeit, der gesetzwidrigen. Daß es ein Verbrechertum mit festen Formen der Arbeitsgemeinschaft gibt (gesellige Arbeit, Arbeitshäufung, Arbeitsverbindung), mit modernerer Arbeitsteilung (Berufsbildung, Produktionsteilung - zu denken an Hehler und Stehler - , mit Arbeitszerlegung und interna- : tionaler, langfristinvestiver Arbeitsverschiebung), ist lange schon erforscht — bilden Sie nur anhand des Abschnittes 9 Ihre Beispiele selbst.

Stop

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11 Kehrt die Arbeit wieder? Die Tarnarbeit

Daß hier derart unzweifelig destruktiv gehandelt wird, gerade vom zentralen gesellschaftlichen Normensystem her, hat diesbezügliche Analysen meilenweit von den herrschenden Arbeits-Konzepten . ferngehalten, und zwar auf der ganzen Skala der (Wilhelm Heinrich RIEHL sagte noch 3 2 ) „Spitzbubenarbeit": Vom Einzel- und Gelegenheitsbetteln bis zur medialen Großkampagne für neue industriegefertigte Drogen ist hier eine ganze, in ihren Spitzen mit Politik und Wirtschaft wirksam verbundene Sonder-Arbeitswelt entstanden. Sie hat auch vernichtende Züge und ist dementsprechend, je weiter man nach unten, zu den exekutiven, körperlichen, mit ihren Wirkungen direkt konfrontierten Arbeiten kommt, auffällig anomisch. An ihre relativ gute Teileinpassung in die Konzentrationslager (Verbrecher = Kapos als organisatorisches Ziel der SS) ist zu erinnern (vgl. KOGON 1 9 7 0 : 312£f.).

Verführt von der produktiven Seite der Arbeit hat die Arbeitssoziologie die Vernachlässigung der hier von (a) bis (h) aufgeführten getarnten Arbeitsformen mitgemacht. Das Fach hat sich in anderen Zusammenhängen darum gekümmert, dann aber mit arbeitsferneren Fragestellungen. Damit finden wir aber immerhin Materialien -

32

in der Soziologie der Kindheit und Jugend, in der Familiensoziologie, in der Soziologie der Sozialarbeit, in der Kunst- und Literatursoziologie, in der Militärsoziologie, in der Verwaltungs- und Verbandssoziologie, der Politischen Soziologie,

Riehl, W.H.: Die deutsche Arbeit, Stuttgart/Berlin (Cotta) [1883].

11.2 Tarnarbeit II: Schwarzarbeit

- in der Rechtssoziologie und der des Strafvollzugs und - in der Kriminalsoziologie und der Soziologie des Abweichenden Verhaltens.

11.2 T a r n a r b e i t II: S c h w a r z a r b e i t Neben diesen, aus verschiedenen Gründen aus den Konzepten von Arbeit abgedrängten Tätigkeiten ist aber bei der Frage, ob uns die Arbeit wiederkehre, noch ein ganz anderes Feld diesmal unbezweifelter „Arbeit" zu beachten, nämlich das vor zumal der Steuerbehörde und der Gewerbeaufsicht getarnte Feld der Schwarzarbeit (Schattenarbeit, moonlighting, economia sommersa). Dem soziologischen Theoretiker macht sie deshalb zunächst weniger Schwierigkeiten, weil die Tatsache, daß Mehrwertsteuer umgangen werden soll, daß Versicherungsbeiträge gespart werden, daß illegal Eingewanderte gefährliche und unständige Beschäftigungen gegen Hungerlöhne angedient bekommen, die Analyse ihrer Tätigkeiten als „Arbeit" noch nicht stören muß. Produktiv bleibt sie ihm noch lange, auch wenn Abgaben hinterzogen, Prämien unterschlagen und die Bauaufsicht im Dunkeln gelassen wird. Er sieht die Arbeit samt dem Richtfest durchaus: „Hier steht das Haus in seiner Pracht, / Die Arbeit wurde schwarz gemacht!" Es ist die Schwarzarbeit eher ein Problem derjenigen Volkswirte, die die Dunkelziffern beklagen, aus denen sie das Bruttosozialprodukt einer Volkswirtschaft herausrechnen möchten. (Diese Schwierigkeiten hatten sie schon 1945—48, als in Deutschland die Zigaretten die Leitwährung abgaben, oder sie haben sie in Ländern, die neben ihrer offiziellen Währung eine kaufkräftigere zweite umlaufen haben - in Israel den US-Dollar neben dem offiziellen Schekel, in der Deutschen Demokratischen Republik die Deutsche M a r k neben der Mark.)

142 Das Problem der Schlechtzugänglichkeit

11 Kehrt die Arbeit wieder? Die Tarnarbeit

Die soziologische Behinderung liegt hier weniger in einer theoretischen Engstirnigkeit als in der empirischen Schlechtzugänglichkeit. Die Arbeiten sind nicht legal. Der Sozialforscher träfe hier auf Barrieren, wie sie das tägliche Brot des Kriminalsoziologen sind. Größer noch wären die Schwierigkeiten eines an der Regierungsarbeit im Bundeskabinett interessierten Politischen Soziologen: Keiner wünscht, daß er das Wichtigste erfährt, und man hat Macht. Für den theoretischen Durchblick sind solche Feldhindernisse nur deshalb gefährlich, weil sie bei unserem Publikum (Auftraggebern?) die falsch gestellte DAHRENDORFsche Frage allzu plausibel machen, ob denn der Arbeitsgesellschaft die Arbeit ausgehe. Hätten wir hier mehr vorgelegt, wäre diese Frage vielleicht nicht so unsauber gestellt worden und hätte vor allem nicht solchen Erfolg gehabt. Arbeit geht unserer arbeitenden Gesellschaft mitnichten aus - es wird nur viel getarnt, weil man sich schämt, oder weil man Gesetze bricht. Man muß schon sehr kurzschlüssig vom statistisch aufbereiteten Rechtssystem her denken, also von einer idealen Arbeitsgesellschaft ausschließlich regulär und legal entlohnter (daher selbstverständlich „produktiver") Arbeiten, um sich dieses Scheinproblem zu stellen. Schuld war die halbierte „Arbeit" der deutschen Gesellschaft und ihrer Arbeitssoziologen. Ist dies die einzige folgenreiche Verblendung? Stellt uns die Konzepterweiterung nicht noch ganz neue-andre Probleme und beschäftigt schon manchen Soziologen der ,Alternativkulturen'? In der Tat. Eine letzte Folgerung sei hier gezogen, auch sie noch vorläufig. Wir sollten auf den alten Gegenbegriff zur (entgeltlichen, legalen, produktiven) Arbeit kurz eingehen und uns fragen, ob nicht auch hier neue Fragen warten. Ein letzter Abschnitt widmet sich also der Freizeit.

12 Weder anything goes noch rien ne va plus: Freizeit

12.1 Tarnarbeit III: Do it yourself Das Nützliche am Begriff Freizeit ist immer gewesen, daß er ungenau war. Zwar mit dem Worte frei darin hatte man sich viele Rätsel eingehandelt (frei wovon? von „Arbeit"? frei wofür?)·, doch nahm er immer schon Probleme auf, die auch uns beschäftigen. Die Fragen, ob Freizeit die Arbeit dergestalt abbilde, daß sie sie dependent wiederhole (man sägt im Werkzeugkeller so intensiv wie in der Werkstatt) oder konterdependent wiederhole (man klappert die Freizeitstätten und Urlaubs-Sehenswürdigkeiten so pflichtbewußt ab, wie man Einzelarbeiten erledigt und abhakt) oder konterdependent negiere (man schlafft so ab, wie man sich vorher anzuspannen hatte), sie alle sind Fragen, die auch unsere Überlegungen nicht ganz aussperrten: Ob eine Arbeitsfeier die Arbeit rituell unterbreche, ins Gedächtnis rücke, oder abhebe ins Erhabene (s.o. Kap.2.2), oder - im anderen Extrem — ob die Freizeit die Arbeit verneine (s.o. Kap. 6.1): All das läßt sich auch freizeitsoziologisch mit vorhandenen Begriffen ungefähr ansprechen und mit Anweisungen für die Forschung fassen. Aber dieser vorhandene Freizeit-„Begriff" hatte auch etwas Schädliches. Indes man sich dem scheinbar nur produktiven und geldlich entgoltenen Arbeits-Begriff unterirdisch anheftete, wurde Freizeit zur Müllhalde von tausenderlei Beschäftigungen und trug gleichzeitig noch mit dem schönen frei ein verheißungsvolles, ja utopisches Wort in die Debatten hinein. So war Freizeit einer-

„ F r e i z e i t " als Gegenbegriff zur Lohnarbeit

12 Weder anything

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„Freizeit" als Etcetera-Wort

goes noch rien ne va plus : Freizeit

seits das begriffliche Gegenstück des verarmten Begriffes von „Arbeit"; anderseits aber war er die chaotische Spieltruhe für die Soziologen, die allen Reichtum, der ihnen in der „Arbeit" fehlte, in die Freizeit projizierten und sie damit zu einem überkomplexen Rest-Begriff machten. Es ist fraglich, ob man solche Etcetera-Worte überhaupt Begriff nennen sollte. Vieles ließ sich unter diesem Titel sagen, und nichts war so recht verbindlich. Betonte man das Utopische, den unausgepoverten Weltrest nach Abzug der dürren Lohnarbeit, so schien es fast, als ob hier Alles möglich sei (ianything goes), wie sich gottähnliche Wissenschafter so das Theoriemachen vorstellen, während es allen andern Wissenschaftern schaudert. Betonte man das Unausweichliche der modernen Klassengesellschaft, so war Freizeit die Fortsetzung der Lohnsklaverei mit anderen Mitteln, Lohnabhängige konnten dort nur etwas Arbeitskraft und Medienverdummung tanken, aber nichts mehr dort einsetzen und erhoffen (rien ne va plus); ihnen waren alle Würfel längst schon gefallen. 3 2 Ist diese „Freizeit"

Eigendienstleistungsökono-

„Konsumarbeit"?

arbeitsverbunden?

Gute Empiriker erörtern schon länger, da in diesem Bereich so etwas wie eine Eigendienstleistungsökonomie auftrete, sie sahen, wie Handwerksberufe (Photograph, Klempner, Tischler, Maler) den Do-it-yourself-Läden und -Versandhäusern Platz machten, und wie eine ganze Branche (die Bauindustrie) im Erstellen und Reparieren sich auf die Tätigkeit von Laien einzurichten hatte. Bernward JOERGES hat dies geradezu Konsumarbeit

32

Hier vielleicht nützlich anzufassen: Des Menschen hohe Braut: Arbeit, Freizeit, Arbeitslosigkeit; Franz Kreuzer im Gespräch (...), Wien (Deuticke) 1983; und Hoff, E.-H.: Arbeit, Freizeit und Persönlichkeit, Bern u . a . (Hans Huber) 1986.

12.1 Tarnarbeit III: Do it yourself

145

genannt (MATTHES 1983: 249FF.) und die begriffliche Zwiespältigkeit dabei nicht gescheut: Denn herkömmlich gehörte bei den Ökonomen Arbeit in den Bereich ihrer Produktion und nicht in den jenseits des Produktmarkts gelegenen Bereich der Consumption. Wieso war Essen Arbeit?? Doch sollte, wer so fragt, einen Blick auf die Bauchweite der Manager werfen, angefuttert in zahlreichen „Arbeitsessen" und unvermeidlichen BeiTisch-Verhandlungen. JOERGES konnte aber damit die Neuanreicherung des Hausfleißes mit Dienstleistungen (Tertiärisierung), die immer kundiger werdenden Eigendienstleistungen (Professionalisierung) und die damit ansteigende Technisierung samt zusätzlicher Kapitalausstattung (Kapitalisierung) beschreiben. Rein freilich tritt die Eigendienstleistungsökonomie hier nicht auf, sobald man die zahlreichen, an derartige Kapitalisierung und Technisierung anknüpfenden neuen Formen der Heimarbeit als einer Fremddienstleistungsökonomie zugehörig ansieht. Namentlich der Einbezug der Personal Computer konnte an häusliche Do-it-yourself-Arbeitsformen anknüpfen. Damit wird nun wieder eine Beobachtung schlagend, die in anderen Zusammenhängen bereits durch die Soziologie der Hausarbeit bereitgestellt worden ist. Nämlich, wie sehr ein Arbeitsverhältnis in abhängiger Beschäftigung immer schon die häuslichen Arbeiten der Rest-Kernfamilie mitbestimmt habe. Es war dies vor allem aufgefallen, als die Frauenbewegung mit neuen kritischen und analytischen Kategorien die Hausarbeit den verachteten Hauswirtschaftswissenschaftern (Ökotrophologen) wegnahm und an ihr die Mechanismen der Frauenabhängigkeit untersuchte. Wenn man, an Stelle des der Produktion gegenübergestellten Begriffes der Konsumption, den aggressiven, älteren, marxistischen Begriff der Reproduktion als Gegenstand der Hausarbeit nahm (Reproduktion nämlich

Reproduktion

146

12 Weder anything

goes noch rien ne va plus : Freizeit

der abhängigen Arbeitskraft des Nichthausmannes für den abhängig machenden Kapitalisten), so konnte man die in Zeitplan, Kost, Pflege so eminent durch das Arbeitsverhältnis des Mannes bestimmten Arbeiten der Hausfrau als analog entfremdet miterklären, so daß man bis zu Überlegungen hin vordrang, ob nicht die Hausfrau Prostituiertenarbeit an ihrem Ehemann leiste, bezahlt durch den Arbeitslohn — nicht mehr also einen Macho mit Orgasmen bediene, sondern einen als Macho maskierten Lohnsklaven. Reproduktionsarbeit als Frauenarbeit

Destruktive Hausarbeit

Die Arbeiterfrage (den Klassenkampf) und die Frauenfrage (den Geschlechterkampf) zusammenzukoppeln, sorgte jedenfalls für viele neue Fragestellungen, und dies ging bis hin zu kombinatorischen neomarxistischen Überlegungen, daß der kapitalabhängige Lohnarbeiter sich seinerseits eine Dienstklasse, nämlich die Hausfrauen, quasi in Kapital-Abhängigkeit zu halten gezwungen sei (z.B.: PFISTER 1 9 8 0 ) . Jetzt hielt sich die Ausgebeutete Klasse also ebenso eine Dienstklasse, wie der Ausbeuter - der ja laut Karl MARX durch seine Steuern seinen Staat an sich kaufte und damit die Beamten als Diener seiner Interessen. Jedenfalls ist zu beachten, daß diese Neuanreicherung des Hausfleißes alle alten Fragen weiterhin zu stellen erlaubt, sie zumal auch aufs Engste mit einer eignen Haushalts-Ausrüsterindustrie (Herde, Kühlaggregate, Fernsehen, Datenverarbeitungsmaschinen) und mit einer Haushalts-Ausrüstungs-Kreditwirtschaft verbunden ist. Sie gibt ein Beispiel dafür ab, wie sehr Arbeitsteilung und namentlich Arbeitsverschiebung darauf angewiesen sind, daß alle weiteren Formen der Arbeitsgemeinschaft erhalten bleiben. Nun wird es aber auch angebracht sein, in diesen neuen Beschäftigungen das alltäglich Destruktive zu sehen. Beginnend mit herkömmliehen Problemen, wie der auffällig hohen Unfallquote bei der Hausarbeit und im Do-it-yourself, sind jetzt im

12.1 Tarnarbeit III: Do it yourself

147

einzelnen die quälenden und dann die selbstquälerischen (putzteuflischen) Anteile einer Hausarbeit zu verfolgen, die der Geldbelohnung entrât, in nachbarschaftlichen Wettbewerb mit ihresgleichen auf Konsumsymbolik ausweicht, zugleich aber - für unseren Ansatz naheliegend! - auch die alten festlichen Begängnisse verändert erleben muß. Während in einer an Arbeitsfeste gewöhnten Gesellschaft und Zeit es selbstverständlich war, daß ζ. B. ein Weihnachtsfest hohen Arbeitsaufwand machte, hat die Tatsache, daß häusliche Feste vor allem Hausfrauenarbeit werden, den Charakter allgemeiner Festteilhabe verdrängt. Denn alle anderen arbeiten nicht mehr so mit, und die Festküche, das Festgedeck, der Festputz mußten zunehmend weggeleugnet und versteckt werden, um niemanden durch ein Schlechtes Gewissen wegen Festarbeitsvermeidung die Laune zu verderben. Sodann haben Großgärtnereien und Blumenhandel rechtzeitig erkannt, daß hier ein Bedürfnis brach lag, und den „Muttertag" gefördert, der in der Tat einige Elemente der Hausarbeits-Genugtuung aufweist darunter die „Verkehrte Welt" (Mann und Einzelkind machen demonstrativ die Hausarbeit), die Frau läßt sich bedienen, ein in Anerkennung und Selbstverspottung (joking relationship!) sehr anreicherungsfähiges Brauchtum. Eher voraussagbar ist freilich eine geldliche Abgeltung (man geht essen) und eine besondere Ausdünnung durch die Tatsache, daß dieser Muttertag auch auf reduzierte Mutter-Zahlen und Ehehaushalte stößt, und daß die nur hausarbeitende Nullkind- und Einkindmutter seltener wird. Nein, damit ist die Tarnarbeit zuhause nicht gewürdigt. Immerhin hat der Do-it-yourself-Trend auch eine neue Art Hausmann mit sich geführt, der freilich grade die reduzierten älteren Hauspflichten eher erweitert als übernimmt. Für den alten und neuen Hausfleiß beider

Schwarze Festarbeit

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Selbstausbeutung

12 Weder anything goes noch rien ne va plus : Freizeit

Geschlechter hat sich dann auch ein weiteres Wort angeboten, das sowohl begriffliche als auch polemische Qualitäten hat, und die hier in Frage stehenden destruktiven Hausarbeitselemente bezeichnen kann: Hier beuteten Tätige sich selber aus, nach außerhäuslicher, arbeitsplatzbezogener Fremdausbeutung. Die Selbstausbeutung in der Freizeit. Ein solches Wort (.SWfosf-Ausbeutung) geht noch über die Durchgriffs-Ausbeutung einer häuslichen Dienstklasse durch zumal das Kapital (oder auch den Staat, sogar die Kirche) hinaus und verweist darauf, daß man sich hier selbst kaputt mache. Als polemisches Wort heißt es: Vergiß in deinem Bastelkeller nicht, daß Alles in dieser Gesellschaft zur Ausbeutung wird, der Ausbeutung dient! Verzwickt. Wie schon im Abschnitt 4.2 angesprochen, ist der Selbstausgebeutete auch der Selbstausbeuter. Kann das nun nicht wunderschön sein? Bis an den Rand „seiner Kraft" . . . ja was tun? Sie „spielen lassen"? Ganz in seinem Werkstück aufgehen? Beides? Dieser sich selbst Erschöpfende ist doch stolz darauf! Dies bedacht, verliert Selbstausbeutung auch heute noch viel von ihren agitatorischen Qualitäten, und begrifflich leidet das Wort dann darunter, daß die Arbeits-Komponente zuungunsten der Analogie zum Lohnarbeitsverhältnis (dem bereits verarmten Arbeitsbegriñ) hinausgedrängt wird. Man muß doch auch die Selbstbearbeitung prüfen, das so genannte an sich selber Arbeiten. Die Analyse des Destruktiven in dieser Tarnarbeit könnte mehr lehren. Etwa zur weiblich-männlichen Arbeitsteilung: Verarmten die Männer die Frauen in der reduzierten Hausarbeit nicht bereits, und setzen dies womöglich fort, wenn sie die neuen interessanteren Formen für sich okkupieren sollten? Eine empirische Frage. Gewiß auch verarmen

12.2 Tarnarbeit IV: Die Muße

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sie sich selber. Denn sie müssen mit derart destruierten Menschen als Paar leben. Gewiß entleerten sie damit ζ. T. den Haushalt des Arbeits-Sinnes und entmotivierten bis verdrängten auch die eigenen Kinder (s.o. 11.1), und es bleibt zu fragen, ob einige dieser neueren Formen Jugendliche eher festzuhalten vermögen, durch verlokkende Produktivität. Jedenfalls ist diese neue Tarnarbeit (III) nicht völlig verächtlich zu machen. Sie bleibt zwiespältig, wie es sich für Arbeit nach unseren Voraussetzungen gehört. Auf eine neue Weise gilt dies auch, wenn wir uns zuletzt einem Tätigkeitsfeld zuwenden, das sehr oft zu Hause und in der Freizeit gepflegt wird, dem Hobby.

12.2 Tarnarbeit IV: Die M u ß e Gemeint ist hier durchaus das „Steckenpferd" herkömmlichen Typs, also ein intensiv in Fühlen und Handeln betriebenes Hobby, das nicht mit den leicht entstaltbaren und diffusen Beschäftigungen verwechselt werden darf, die man wählen oder auch lassen kann, nicht mit Formen des Müßigganges und Müßighockens, wie Fernsehkucken oder beim Italiener rumstehn. Freizeitforscher schätzen hier die Einteilung in hartes und weiches Freizeitverhalten, und hier soll vom Hobby als hartem Freizeitverhalten ausgegangen werden. Hartes Freizeitverhalten kann damit beschrieben werden, daß zwar seine Wahl allen andern undurchsichtig („frei") vorkommt, daß also andere Hobbies auch möglich gewesen wären. Einmal „gewählt" scheint es aber unverzichtbar: Man läßt nicht mehr davon, man investiert. So stark, daß, wer dem Hobby frönt, womöglich seine Familie auf Distanz bringt (sich im Keller verbirgt, auf dem Boden, im Klub). Diese wiederum kann durchaus fürchten, durch Hintansetzung zugunsten des Stek-

Hartes Freizeitverhalten

150

12 Weder anything goes noch rien ne va plus : Freizeit

kenpferds gegenüber der Umgebung an sozialem Prestige zu verlieren (Hintansetzung zugunsten eines Arbeitsverhältnisses wäre weniger ehrenrührig). Sie sieht sich vor der Wahl dann, es zu verschweigen oder mitzumachen.

Dichtes Netzwerk-Knäuel zufolge eines Hobby

Hohe Spezialisierung

Für Nichtbeteiligte kann sie dann den Charakter einer ,idealen Familie' annehmen, insgesamt aber bewegen sich dergestalt in eine harte Freizeitbeschäftigung Verflochtene stärker unter ihresgleichen, sind Bestandteil eines Knäuels von Beziehungen, das ihr soziales Netzwerk gerade-dort verdichtet und anderwärts lockert. Die Anähnelungs-Kraft dieser Knäuel ermißt man erst, wenn man hineingerät. Da Soziologen ihren Beruf haben, geschieht das gar nicht so oft — und wenn, haben sie Gründe, beides gerade nicht zu vermischen. („Der Raubvogel schlägt nicht in der Nähe seines Horstes.") Hier sind die Spezialisierungen besonders ausgeprägt: Was wissen andere noch Bescheid (und was wissen Arbeitssoziologen), wenn es um folgende Beispiele geht - Vogelzucht (genauer: die Nachtigallenhaltung)? - Modellbau (genauer: die Rekonstruktion des historischen Bahnhofs von Nürnberg)? - Kraftsport (genauer: das Durchklettern eines Herrenfahrrades unter der Stange, während man es fährt)? - Zaubern (genauer: der Seilzerschneidetrick)? Jedesmal ist nicht nur daran zu denken, daß hier eine ganze Subkultur von anderen Steckenpferdreitern besteht, von Klubs und postalischen Netzen, von Lieferanten und Produzenten (oft von selber begeisterten Hobbyisten, also in ihrer Person sowohl Freizeitler als Arbeitende zugleich); oft steht diese Subkultur auch teilweise in Konkurrenz zu (wenngleich nicht alltäglichen) Berufen: Der Vogelzüchter weiß von kommerziellen und wissenschaftlichen Versuchsanstalten, an denen Forscher

12.2 Tarnarbeit IV: Die Muße

und Züchter beruflich arbeiten; der Modellbauer findet einen ähnlichen Tätigkeitsbereich etwa beim Modelltischler in manchen künstlerischen und Werbebranchen wieder; der Kraftsportler orientiert sich ζ. T. am Zirkusartisten; der Dilettant aus dem Magischen Zirkel verfolgt geschulten Blicks den professionellen Taschenspieler. Klassisch verbreitet und weit in die berufliche Sphäre hineinreichend, aber auch außerhalb des Unterhaltungsgewerbes voll scharfer Ansprüche an Übung und Ausübung — eine penetrant von der sogenannten Freizeit in die sogenannte Arbeit hineinreichende Hobby-Tätigkeit - ein Musterbeispiel auch für den nicht zu zerrüttenden Zusammenhang von Arbeit und Eigenrhythmisierung, von Arbeit und Feier, von Arbeit als Selbstproduktion und Selbstdestruktion - Musterbeispiel desgleichen für Ungleichheit samt Ausbeutung dank Arbeit: ist der

Sport.

Oft in die Freizeitsoziologie („Spiel & Sport") verbannt, hat er im Spitzenbereich der Amateure, dann bei Sporthilfe-Nehmern und Staatsamateuren, endlich bei Berufssportlern so viel arbeitssoziologisches Potential, daß eine eigne Sportsoziologie sich wird kaum mehr rechtfertigen lassen. Warum sieht man nicht einmal den Profifußballer als Beschäftigten einer Firma - und als Firma nicht etwa seinen Klub, sondern die „1. Bundesliga" insgesamt? Diese eine Firma, die Medienunterhaltung, Produktwerbung und Massenvorführungen verkauft, dieses optimieren muß und deshalb weitgehend eine dezentrale („pretiale") Lenkung ingestalt von Klubs als günstig beibehält, so daß sie nur in ausgesuchten PR-Veranstaltungen als Firmendach selber hervortritt, etwa in Länderspielen, und die den bekannten Ärger mit ihren besten Mitarbeitern hat, daß die das Publikum einzeln kennt, schätzt, und daß genau das der Werbung nützt. Aber selbst dieses Personalproblem ist nicht ungewöhn-

12 Weder anything

152

goes noch rien ne va plus: Freizeit

lieh. A u c h andere Firmen sehen es mit gemischten Gefühlen, wenn ein Erfinder oder Designer aus ihrer Belegschaft unter seinem eignen N a m e n populär wird, ebenso wie Generalstäbe und Kriegsminister und zumal auch Staatsoberhäupter volkstümliche Generale nicht schätzen. Die Abgrenzung zwischen „Arbeit" und „Freizeit"

Die Arbeit abzusondern im harten Freizeitbereich ist jedenfalls eine schwierige Arbeitsaufgabe. Ich lege ein Beispiel vor, das H a n s Paul BAHRDT (1983: 133) besonders mag: Ich erzähle von einem Kleinsiedler, der seinen Garten mit der Gießkanne gießt. Er gießt das Gemüse, die Zwiebeln, den Salat. All diese Pflanzen bedeuten ein Naturaleinkommen, das nicht unwichtig ist, da der Kleinsiedler noch sein Haus abbezahlen muß. Also ist diese regelmäßige, z.T. anstrengende Tätigkeit doch wohl Arbeit. Jetzt schwenkt er die Kanne und gießt auf die Rosen, wenige Sekunden später schwenkt er zurück und begießt wieder anderes Gemüse. Kann man sagen: Jedesmal, wenn er die Rosen, die zweifellos unter Hobby zu subsummieren sind, begießt, hört die Arbeit auf. Jetzt herrscht für 5 Sekunden Freizeit. Wenn er wieder zurückschwenkt, ist es wieder Arbeit. D . h . gibt es innerhalb derselben Verrichtung, ja genau genommen innerhalb ein und derselben Körperbewegung, die ihren eignen Schwung und ihren eignen Rhythmus hat, innerhalb weniger Sekunden zweimal jene wichtige Zäsur, die den Übergang von der Arbeit zur Nichtarbeit, bzw. von der Freizeit zur Arbeit markiert?

Stop

Ich h a b e einige W o r t e hervorgehoben. Ich selbst beantw o r t e BAHRDTS Frage mit - was denken Sie?

153

12.2 Tarnarbeit IV: Die M u ß e

Z u r ü c k zu d e m Kleinsiedler. ( . . . ) Vielleicht geriet auch er in Definitionsschwierigkeiten. Seine Frau könnte ihn ins H a u s gerufen haben, weil er ihr dort bei ihrer Arbeit helfen sollte. Er könnte geantwortet haben, erst müsse er diese Arbeit fertig machen. Oder seine Frau rief: „ N u n hör doch endlich auf mit der Arbeit, gönn dir doch mal R u h e " . Hierauf hat er möglicherweise geantwortet: „ D a s ist doch keine Arbeit, sondern ein Vergnügen!"

Hans Paul BAHRDT bringt sogestalt gelegentlich Prüflinge auf Touren. Wäre ich sein Prüfling (aber mich hat im Diplom Heinz KLUTH geprüft), bliebe mir nach dem Vorangegangenen nicht mehr als zu sagen: - Arbeit in ihrer produktiven und destruktiven Komponente reicht weit in die Freizeit hinein, und zwar nicht nur in die Schwarzarbeitaufgaben, sondern auch in andere harte Freizeittätigkeiten. Sie umfaßt zumal ausgeprägte Hobbies. Unter Umständen hat man das antike Konzept der Muße zu früh als eine ,Nichtarbeit' und ,Elitefreizeit' abgetan, während es doch Arbeit umfaßt. Muße ist ein historischer Begriff, wie er wieder nötig wird, sobald Arbeit begrifflich verarmt gelassen wurde; sie übernahm ähnliche Ersatzaufgaben, wie der Begriff Kunst (verräterisch erscheinend in „Regierungskunst") oder sogar des Spiels (vgl. o. das „Fußballspiel"). 3 3 33

Vgl. auch: Schmid, T h . (Hg.): Befreiung von falscher Arbeit, Berlin (Wagenbach) 2 1 9 8 4 , und, anspruchsloser, H u ber, J . : Die zwei Gesichter der Arbeit, F r a n k f u r t a . M . (S. Fischer) 1984.

Muße

154

12 Weder anything goes noch rien ne va plus : Freizeit

Als die Arbeit ihren Aufstieg in der Wertehierarchie begann, wurde Müßiggang zu aller Laster Anfang. Das war sogar betonenswert, denn, müßig zu sein, war bis dato mitnichten etwas Schändliches gewesen. Viele in den besser gestellten Ständen waren geradezu stolz darauf gewesen, der Muße zu pflegen. (Einmal doch ein sprachsoziologisches Argument: Man pflegte vormals nicht die Muße, akkusativisch, als ein Objekt, sondern man pflegte der Muße, genitivisch, erfreute sich ihrer als eines selbstentspringenden und selbstlabenden Quells; mit einem dritten Genitiv: vermöge eigner Kraft. Man behandelt nicht etwas, man ist dessen mächtig.) Aber auch sonst höre man auf den altertümlichen Ton: „In meinen wenigen Mußestunden bildete ich mich weiter und begeisterte mich am Homer." Oder: „Ich fand kaum mehr Muße, mir Gedanken über meine Tätigkeit zu machen." Oder: „In müßigen Augenblicken schlich ich auf den Boden und ließ blindlings den Hammer unter der Schar meiner beschnitzten und benannten Pflaumensteine wüten — wen's traf, den traf's. Dann ward mir wohler." Oder: „Es war gut, daß ich nicht einen Augenblick der Muße erübrigen konnte. Sonst hätte ich meine Racheträume ins Werk gesetzt und wäre ohne Zweifel noch weitaus unglücklicher geworden." Zweierlei soll hier angesprochen werden: Das ältliche Wort Muße besprach (1) weder etwas nur Bequemes noch (2) etwas nur Nettes. Es ging (1) um Tätiges, (2) auch um etwas Destruktives. Es war eine Beschäftigung für sich (in des Wortes doppelter Bedeutung). Deswegen wählte man „Muße" auch, um einen bestimmten, bereits griechisch-antiken Begriff zu übersetzen. Dieser Begriff umschrieb zunächst, als umgangssprachliches Wort vor zweieinhalbtausend Jahren, die nichthandwerkliche (und nichtversklavte) Tätigkeit der um das Allgemeine (die Vaterstadt, die Polis) besorgten angesehenen und wohlhabenden Bürger, er bezeichnete

155

12.2 Tarnarbeit IV: Die Muße

also Tätigkeiten, die sich um öffentliche Sitten und Feste verdient machten, die die Sozialordnung und Außenpolitik umfaßten, kurz und etwas ungenau: Besinnung und Durchführung von Regierungsarbeit. Das griechische Wort umgriff die Tätigkeit samt der freien Zeit dafür und hieß Schole (gesprochen: s-cholä). Als im Römisehen Reich dann solche Bürgertätigkeit von den Kaisern unterbunden wurde, wandelte sich auch das Wort zu Schola und bezeichnete nunmehr Zeit für die Lebensvorbereitung anderer Art, und heute ist „Schule" daraus geworden. („Schularbeit" ist dadurch zum doppelt-gemoppelten Wort gediehen. Nimmt man die Tätigkeiten unter dem Begriff Schole hinein in unseren unverarmten Arbeits-Begriff, so ist „Schularbeit" nicht etwa ,keine richtige Arbeit', sondern Arbeitsarbeit). In der Muße kam man also, umgangssprachlich, „zum Eigentlichen". Der Begriff der Muße (Schole) mag nun betonen, daß jedenfalls die harte Freizeitbeschäftigung als eine besondere Tarnarbeit (IV) zu fassen sei, als besonders nachhaltige eigenrhythmisierte Daseinsvorsorge im so genannten Freizeitsektor. Ihre vielfältige Verknüpfung mit einer so genannten Freizeitindustrie lehrt zugleich, daß sie über die Wirtschaftsabläufe mindestens so zentral mit anderen gesamtgesellschaftlichen Problemen verknüpft ist, wie „Schole" es mit „Polis" war - woher das Wort „politisch" stammt. 34

34

Hier wäre weiterzudenken, auch zu -lesen; z.B. die klugen Überlegungen von Birger P. Priddat und Eberhard K. Seiffert, die sie („Anstelle eines Nachworts: Krise der Arbeitsgesellschaft - Chance für ,höhere' Tätigkeiten?") raffiniert zugänglich-versteckt haben (Projektgruppe Grüner Morgentau, (Hg.): Perspektiven ökologischer Wirtschaftspolitik, Frankfurt am Main/New York (Campus) 1986, S. 5 9 0 - 6 1 5 ) . Terminologie weicht ab, Ideen sind trefflich.

Schole

Zum diesmaligen Abschluß

Zwei Wege waren zu bahnen: - Arbeit sollte besser analysierbar werden, indem ihre destruktive Komponente herausgehoben und analog zur produktiven denkerisch angewandt wurde. — Nicht von begrifflich Vereinfachtem wurde aber ausgegangen, sondern vom hochkomplexen vieldimensionalen Bereich der Ritualisierung — ihr Vorzug schien ihre Erfahrungsdichte. Das Arbeits-Ritual machte auf die Ar¿»e/'ís-Probleme aufmerksam, deren Destruktives anzuerkennen Scheuklappen abnimmt und z. B. die Frage als Scheinproblem erweist, ob uns „die Arbeit ausginge". Als eine Schrift (die immer auch werbender Brief an die unsichtbare Loge der Soziologen ist, ja an Freundinnen und Freunde darin) hatte diese hier möglicher Weise Ihnen zu viel vom - nun ja - windstillen Charme einer Fibel, à la „Deutsch für Ausländer". Sie ist auch fast so hervorgerufen worden: Die FernUniversität Hagen nämlich bat mich um eine arbeitssoziologische Lehreinheit, und da schrieb ich es endlich einmal nieder. Ich bin dankbar, daß ich es Ihnen nun verschönert vorlegen darf. Etliches Typographische, Fingerwinken und Stimmeheben, behielt ich gerne bei. Es legt mich immerhin fest, und es exponiert angemessen. Zwei Fragen werden nicht beantwortet: Erstens: Sind Spiel oder auch Kunst, die für uns (infolge

157

Zum diesmaligen Abschluß

der historischen Verarmung des Arbeits-Begriffes) oft durch unterdrückte Teile der Arbeit angereichert (ja überlastet) sind - sind diese beiden Begriffe nicht ebenso ehrwürdig, reich und vielfältig anwendbar, nicht auch ebenso zwieschlächtig wie der Begriff Arbeit? Älter gar? Zweitens: Ist Arbeit überhaupt ein soziologisches Konzept und also ein Unterbegriff des sozialen Handelns von Akteuren oder des sozialen Verhaltens von Spitzen-Tieren, oder ist sie nicht vielmehr ein anthropologischer Begriff? Sie wurde hier behandelt und bis in die Altsteinzeit zurückverfolgt, so als sei sie für alle menschlichen Gesellschaften und nicht nur für einige grundsätzlich anzunehmen (vgl. Kap. 3). Das ist aber nur eine Vorgehensweise, eine Methode, der Hin- und Herweg zwischen Wissensvorräten und Wissensverbrauch, den ich für fruchtbar (heuristisch wertvoll) halte, ohne doch fest beantworten zu wollen, ob wohl gar der Mensch das arbeitsame Tier sei - ebensowenig, wie, ob er das spielerische oder kunstreiche Tier sei. Erarbeiten Sie sich selbst Ihr Konzept - wie weit Sie kommen, mag davon abhängen, wieviel Kraft Sie darauf verwenden.

„Arbeit", »i Kraft", »Weg"?

Literatur

Da die Arbeitssoziologie hier kritisch und - wie der Autor meint - auch neuartig weitergeführt wird, müßte hier die gesamte arbeitssoziologische Basisliteratur erscheinen, mit dem Effekt, daß keiner sich systematisch die Schriften besorgt und durcharbeitet. Es erscheint sinnvoller, deswegen hier nur die im engeren Sinne wichtige Basisliteratur mitsamt der in Fußnoten verwandten aufzuführen. Also: H.: Vita Activa oder Vom tätigen Leben. Stuttgart (Kohlhammer) 1960. ASHWORTH, T.: Trench Warfare. London u.a. (MacMillan) 1980. ARENDT,

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Glossar

Abstraktion, das Bilden von Begriffen durch methodisches Herausheben von Merkmalen aus der Fülle konkreter Erscheinungen; mit dem Begriff Realabstraktion soll umschrieben werden, daß sich solche Merkmale von selbst herausformen, noch ehe man sie abstrakt begriffen hat: So erleichterte nach Alfred Sohn-Rethel das Aufkommen des Münzgeldes die begriffsprägende antike Philosophie. Ambivalenz, das Hervorrufen gespaltener Gefühle (z.B. „schlimmschön"). Anomie, Normenlosigkeit, Mangel an Gesetzen, Regeln, -> Bräuchen. Anoikuméne, die unbewohnbare Wildnis, Öde, Eiswüste, Hochsee usf. Anthropologie, im Rahmen der Biologie (oder auch der Philosophie) die Lehre vom Menschen schlechthin - als solche fundierend für Soziologie, Psychologie, Politologie, Volkswirtschaftslehre, Betriebswirtschaftslehre usf. Antizipation: es antizipiert, wer auf etwas von ihm Vorausgesehenes bereits hin handelt. a priori, von vornherein; ein Apriori ist eine Vorwegannahme. Arbeit: ein Begriff, bei dem strittig ist, ob er der Anthropologie oder der Soziologie zuzurechnen ist; da dieses Buch ihn bis in das Paläolithikum zurückverlegt, behandelt es ihn praktisch anthropologisch; zum naturwissenschaftlichen und volkswirtschaftlichen Begriff Kap. 1; zur destruktiven und produktiven A. -* alles ab Kap. 1. Dimorphismus, Auftreten in zwei Formen, z.B. eine Tierart (Spezies) als $ und Brauch, Regelmäßigkeiten des sozialen Handelns, für die es keine speziellen, wohl aber feinverteilte (diffuse) soziale Kontrollen zur Einhaltung gibt; z.B. der Gruß „Grüß Gott" anstatt „Guten Tag".

Glossar Dasein, ein existenzphilosophischer Grundbegriff für das noch ganz eigenschaftslos gedachte Vorhandensein (sich selbst vor dem inneren Auge Stehen) des Menschen; typisch die existentialistische Frage: Warum bin ich überhaupt da, und nicht besser nichts? Dependenz, Abhängigkeit. Destruktivität —• vor allem Kap. 5. Differenzierung, soziale, der Prozeß der gesellschaftlichen Aufteilung von Arbeiten zu Teilarbeiten. Drohung -* Offerte. Eigendienstleistung, (wirtschaftliche) Dienstleistungen, die Mitglieder eines Haushalts für ihn erbringen. Eigenrhythmisierng — Kap. 1 und 2. Ekstase, das vollkommen aus-sich-heraus-Gehen. Entfremdung -* S. 120. Existenz —• Dasein Feier -* Kap. 2. Frauenfrage, der soziale Konflikt zwischen Frauen und Männern, forciert im Interesse der (minderberechtigten) Frauen. funktional, die Eigenschaft einer Handlung (auch einer Position u.ä.), in ein gegebenes —> System zu passen; als Gegensätze werden afunktional (das System störend) und extrafunktional (dem System fremd) benutzt. Genugtuung -* Abschnitt 2.2 und weiterhin. Handeln, {soziales), speziell zu unterscheiden vom -»•Verhalten (sozialen Verhalten)·, es geht beim (s.) H. um menschliches (Menschen miteinander vergesellendes) gegenüber tierischem (Tiere miteinander vergesellendem) Wirken. Herrschaft S. 95. homo sapiens L., biologischer Begriff für den Menschen von Carl von Linné (L.), wörtlich: der wissende Mensch, als Gegensatz zum bloßen homo faber (schmiedenden Menschen). Hydraulische Gesellschaft, Despotische Gesellschaft, Begriffe von Karl Wittfogel für die von Priesterkönigen gelenkten, ganze Landschaften (z.B. das Nildelta) mit hochinvestiven Baumaßnahmen (Deich-, Kanalsystemen) wasserwirtschaftlich erschließenden frühgeschichtlichen Gesellschaften.

Glossar Ich-Identität, die wirksame Dauerhaftigkeit des Bildes, das jemand von ,sich selbst' hat. Ideologie, Vorstellungen oder Ideengebäudej die die Wirklichkeit unzureichend erklären. Institution, ein vielen Zielen dienliches soziales Handlungsund Beziehungsmuster, z.B. ein Betrieb. Jambus, das aus Rhythmen entwickelte Versmaß „dadámm", z.B. „allons", „hau-ruck!" joking relationship, ein etabliertes Spott- und Neckverhältnis zwischen sozialen Kollektiven, z.B. zwei Nachbardörfern. Klasse, Kollektive (Gruppen) von Menschen, die jeweils im System der Produktion (so Marx) oder der Herrschaft (so Dahrendorf) ein je und je unterschiedliches Verhältnis zu den Produktions- (oder Herrschafts-)mittein haben. Konsumarbeit, Arbeit in einem Bereich, der herkömmlich als Bereich des „Konsums" (Verbrauchs) im Gegensatz zur „Produktion" (Herstellung) gesehen wird. Konterdependenz, Abhängigkeit (-• Dependenz), die sich darin äußert, daß man zwanghaft das Gegenteil von allem tut, was die unterwerfende Macht will oder tut. Kybernetik —» S. 123. Lockung

-* Offerte.

Magie, die durchaus in sich rationale (wertrationale) Benutzung von in ihrer Wirksamkeit wissenschaftlich nicht fundierten Techniken. Mehrwert, derjenige in einer Arbeitszeit produzierte Wert, den der Arbeitende nicht zu seiner Reproduktion braucht, und den er deshalb nach Karl Marx außerhalb des Kommunismus auch nicht erhält. metaphysisch argumentiert, wer über Voraussetzungen des physisch Ermittelbaren (Konkreten) spricht (woher das alles? wie das alles? wozu das alles? u. ä.). Muße Abschnitt 12.2. Neolithikum, Jungsteinzeit -> Steinzeit. Netzwerk, soziales, ist das Modell („Graph") eines Netzwerks, dessen „Knoten" soziale Akteure (Handelnde) wiedergeben,

Glossar und dessen Maschenfäden („gerichtete Kanten") die Verhältnisse der Akteure zueinander abbilden; es kann durchaus über sog. Gruppen hinausreichen, so wie soziale Beziehungen ( - • Wechselwirkungen) über Gruppengrenzen hinausgehen. Null-Summenspiel, ein Spiel zwischen Zweien (oder Mehreren), bei der die Summe des Gewinns (der Gewinne) genau die Summe des Verlusts (der Verluste) ausmacht, z. B. Schach (Poker); wenn aber alle etwas davon haben (z.B. Spielfreude), ist es bereits ein n-Summenspiel („n" ist die Summe der Gewinne, die alle Verluste übersteigt, kann aber auch negativ sein — z.B. Russisches Roulette mit Reue des Überlebenden). Objekt, hier ein Gegenstand der Wissenschaft, der den Forscher (Subjekt) weder gegen noch für sich einnimmt (ihn neutral läßt), noch eigenwillig auf seine Ergebnisse reagiert. Offerte, eine -> Sanktion, die mit einer anderen Sanktion (der „Erfüllung") droht oder lockt; „Zuckerbrot" oder „Peitsche" zeigt. Paläolithikum, Altsteinzeit —> Steinzeit. Produktivität -* Kap. 1 bis zum Ende des Buches. Realabstraktion Abstraktion. Reflexion, das Richten des Denkens (auf das Richten des Denkens usw.) auf das Denken an -» Objekte; dies ist die denkbezogene Weise, ein Subjekt zu begreifen. Rhythmus, gleichmäßige Gliederung, sinnlich wahrgenommen. Ritual(isierung) -* Kap. 2 und 3. Sais -» Friedrich Schiller: „Das verschleierte Bild zu Sais". Sanktion, soziale, ein andere motivierendes und von anderen motiviertes soziales -> Handeln; Sanktionen, die andere erwünschen, sind positive, wenn andere sie meiden, negative Sanktionen. schola, scholé, σχολή -» Abschn. 12.2. Selbstausbeutung, sich selbst den -» Mehrwert vorenthalten (unvereinbar mit ->• Ich-Identität). Soziobiologie, der Zweig der Biologie, der sich mit geselligem Verhalten von Tieren und Menschen befaßt (zu unterschei-

Glossar den von der Biosoziologie, die von der Spezies -» homo sapiens durch soziales -» Handeln erworbene und dann biologisch (durch,Selbst-Zucht') verfestigte Eigenschaften behandelt). Steinzeit, die Zeit, ehe die Menschen Metalle technisch nutzten (also: Steine, Knochen, Häute, Gräser usf.); sie wird unterteilt in die Altsteinzeit (Paläolithikum), in der die Menschen als Wildbeuter (sammelnd, fischend, jagend) lebten, bis sie, in einem jahrzehntausendelangen Übergang (der Neoltthischen Revolution) sich Ackerbau und/oder Viehzucht zuwandten (Neusteinzeit, Neolithikum). Subjekt -* Reflexion, - • Wille, - • Objekt. System, eine Menge von untereinander abhängigen Elementen (Beziehungen), die nach außen (von seiner je spezifischen „Umwelt") abgegrenzt ist. Tätigkeit, oft als Oberbegriff zu „Arbeit" benutzt; dann entweder als vollgültige Arbeit gegenüber entleerten und einseitigen („modernen") Formen von „Arbeit"; oder (hier) als Begriff des Handelns zusammenfassend für „Arbeit", „Spiel", „Kunst", „Vernichtungswut" u. ä.; oder anders (bei Arendt 1960: 14) als zusammenfassender Begriff für „Arbeit", „Herstellen" und „Handeln". Tausch (antagonistisch, synagonistischer, amphibolischer) -* Kap. 4. Tier-Mensch-Übergangsfeld, ein Begriff für die Prozeßzeit, in der aus Tieren (Primaten) „Menschen" wurden und die der ->· Steinzeit vorausging. Utopie (wörtlich: Nirgendort), ein ideales Gemeinwesen oder dessen Schilderung. Verhalten, allgemeinste Bezeichnung für jede Aktivität (einschließlich aller Reaktionen) von Organismen (-» Handeln). Vorratsbildung von Saatgut und Zuchtvieh leitete die Neolithische Revolution ein (-> Steinzeit); —• aber auch Abschn. 9.2! Wechselwirkung, das Ergebnis (auch: der Prozeß) wechselseitigen sozialen Sanktionierens. Wildbeuter —• Steinzeit. Wille, Fähigkeit, sich für eine bestimmte Handlungsalternative

Glossar zu entscheiden; dies ist die entscheidungsbezogene Weise, ein Subjekt zu begreifen. Wirtschaftlichkeit, Oberbegriff von Strategien des sozialen —> Handelns im betrieblichen Bereich (vom Haushalt zum z.B. Staatshaushalt), z.B. Sparsamkeit, angemessenes Auskommen, Rentabilitätsmaximierung (Profitmaximierung). Wissenschaftstheorie, Theorie, die die Fragen beantwortet, ob „Wissenschaft" möglich sei, was sie zu tun erlaube, was von ihr zu hoffen stehe; zuweilen ununterscheidbar von einer gut ausgebauten Metaphysik.

Zum Autor:

Lars Clausen (Jahrgang 1935) ist Professor der Soziologie an der Universität Kiel. Vorher hat er an der Sozialforschungsstelle Dortmund und der Universität Lusaka (Sambia) geforscht und in Münster, Köln, Berlin (FU) und Hamburg studiert. Neben arbeitssoziologischen Fragen hat er sich in den letzten Jahren sowohl katastrophen- als auch literatursoziologischen Aufgaben gewidmet.

Jörg R. Bergmann

Klatsch

Zur Sozialform der diskreten Indiskretion 12x18cm. VIII, 293 Selten. 1987. Kartoniert DM 29,80 ISBN 311 0112361 In jeder uns bekannten Kultur - von der kleinen indianischen Stammesgemeinschaft am oberen Xingu bis zur modernen Informationsgesellschaft unserer Tage - ist Klatsch ein wesentlicher Bestandteil des Alltagslebens. Und überall gehört es zum Erscheinungsbild von Klatsch, daß er zwar im Verborgenen exzessiv praktiziert, öffentlich jedoch geächtet und als Laster verurteilt wird. Auch in den Sozialwissenschaften wurde Klatsch bislang eher mit spitzen Fingern angefaßt. Ziel des Autors ist es, den tagtäglichen freundlichen oder gehässigen Klatsch im Büro, beim Einkauf oder am Gartenzaun nicht als Belanglosigkeit zu übergehen, sondern als Gattung der alltäglichen Kommunikation zu bestimmen und damit als eigenständiges Phänomen ernst zu nehmen. Der Prominentenklatsch in den Massenmedien wird dabei nur am Rande gestreift. Aus dem Inhalt: • Klatsch als Gattung der alltäglichen Kommunikation · Zur Beziehungsstruktur des Klatsches: Die Klatschtriade · „Klatsch wie ein Waschweib": Ist Klatsch eine typisch weibliche Kommunikationsform? · Die situative Einbettung von Klatsch: Kaffeeklatsch und Klatsch während der Arbeit · Die interaktive Absicherung von Klatsch: Klatscheinladungen und Klatschangebote • Die Vulgärsprache des Klatsches · Moralische Entrüstung und soziale Typisierung im Klatsch · Die Beendigung von Klatsch als interaktives Problem: Zur Soziologie der Klatschsucht · Zu einer Theorie des klatschhaften Handelns

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E. Büß

Lehrbuch der Wirtschaftssoziologie 1985. XXII, 272 Selten. Kartoniert DM 42,(de Gruyter Lehrbuch) ISBN 311 008897 5 P. Atteslander

Methoden der empirischen Sozialforschung 5. Aufl. 1984. 349 Seiten. Kartoniert DM 19,80 (Sammlung Göschen 2100) ISBN 311 0088797 W. Burisch

Industrie- und Betriebssoziologie 7. Aufl. 1973.198 Seiten. Kartoniert DM 9,80 (Sammlung Göschen 2101) ISBN 311 0058987 D. Janshen / H. Rudolph et al.

Ingenieurinnen Frauen für die Zukunft 1987. XIV, 381 Seiten. Kartoniert DM 29,80

ISBN 3110113813

L. v. Wiese

Geschichte der Soziologie 9. Aufl. 1971.158 Seiten. Kartoniert DM 7,80 (Sammlung Göschen 3101) ISBN 311 0019493 G. Simmel

Grundfragen der Soziologie Individuum und Gesellschaft 4. Aufl. 1984. 98 Seiten. Kartoniert DM 16,80 (Sammlung Göschen 2103) ISBN 311 0102390

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