Analogie und Metapher: Grundlegung einer Theorie der bildlichen Rede 9783110894639, 9783110173437

Von zahllosen anderen Veröffentlichungen zur bildlichen Rede unterscheidet sich das Studienbuch "Analogie und Metap

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Analogie und Metapher: Grundlegung einer Theorie der bildlichen Rede
 9783110894639, 9783110173437

Table of contents :
Einleitung
I Verwendungen des Wortes ,Analogie‘
1 Mathematische Analogie
2 Lösung des Analogiebegriffs vom Bezug auf Zahlenverhältnisse
3 Analogie in der Sprachentwicklung
4 Semantische Analogie
II Sprachliche Beschreibung
1 Beschreibungsgegenstand und Beschreibungsinhalt
2 Symbolische Darstellung von Beschreibungen
3 Ein- und mehrstellige Beschreibungen
III Analogie
1 Definition
2 Triviale und nicht-triviale Analogie
3 Analogiewurzel
4 Global- und Detailanalogie
5 Wurzelgleichheit
6 Bildfeld
7 Mehrfache Verwurzelung
IV Metapher
1 Regelung der ,eigentlichen‘ Anwendung beschreibender Wörter
1.1 Wort, Bedeutung, beschriebener Gegenstand
1.2 Die Entstehung der Wortanwendungsregel im Sprachteilnehmer
1.3 Das lexikalische Umfeld als Steuerungsmittel der Bedeutungsbildung
1.4 Hierarchie der bedeutungsbildenden Gegenstandsmerkmale
2 Metaphorische Wortanwendung
2.1 Metapher als Wortgebrauchsverfahren
2.2 Verhältnis zwischen eigentlicher und metaphorischer Bedeutung
2.3 Metapher und bildlicher Vergleich
2.4 Eigentlicher und metaphorischer Wortanwendungsbereich (TAe und TAm)
2.5 Metapher: Natur- und Kunstprodukt
2.6 Originelle, konventionelle und tote Metapher
2.7 Deutbarkeit der Metapher
V Die analogische Wurzel der Metapher
1 Metapher und einstellige Analogie
2 Metapher und mehrstellige Analogie
3 Aristoteles’ Erklärung der Metapher als zweistelliger Analogie
4 Wurzelgleiche Metaphern
VI Das sprachliche Gewand der Analogie
1 Der metaphorische Ausdruck einer zweistelligen Analogie nach Aristoteles
2 Kurzgefaßte Stilistik der n-stelligen Analogie
2.1 Explizite Markierung
2.2 Markierung der Analogie durch Metapherngebrauch
VII Das Bildfeld als Interpretationsmittel
1 Gleichung mit einer Unbekannten (1) – Charles Baudelaire: L’Albatros
2 Gleichung mit einer Unbekannten (2) – Gérard de Nerval: Le Point noir
3 Hierarchie der Bildfeldbereiche – Charles Baudelaire: La Cloche fêlée
4 Exempta contraria – Maurice Scève: Le Laboureur
5 Bilder zweiter Ordnung – Joachim Du Bellay: Comme on voit de loin
6 Verschränkte Bildfelder – Charles Baudelaire: Chant d’automne
VIII Argumentative Nutzung der Analogie
1 Grundlegung
2 Analogieschluß und aristotelische parabolé
3 Analogieschluß bei mehrstelliger Analogiewurzel
IX Paradigmatik der Analogie
1 Der Weinrichsche Büdfeldbegriff
2 Systematische Zusammenhänge zwischen Analogiewurzeln
2.1 Erweiterung
2.2 Spezifikation
X George Lakoffs Theorie der metaphor
1 Grundzüge
2 Fragwürdigkeiten
2.1 The Concept of Concept
2.2 Zwei Erscheinungsorte der Metapher: Vorstellungswelt und Sprache
2.3 Analogisch motivierte oder neurologisch konditionierte Metapher?
2.4 Noch einmal: der Löwe Achilles
Abkürzungen
Literatur
Personenregister
Sachregister

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de Gruyter Studienbuch Hans Georg Coenen Analogie und Metapher

Hans Georg Coenen

Analogie und Metapher Grundlegung einer Theorie der bildlichen Rede

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G

Walter de Gruyter · Berlin · New York 2002

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Die Deutsche Bibliothek — CIP-Einheitsaufnahme Coenen, Hans Georg: Analogie und Metapher : Grundlegung einer Theorie der bildlichen Rede / Hans Georg Coenen. - Berlin ; New York : de Gruyter, 2002 (De-Gruyter-Studienbuch) ISBN 3-11-017343-3

© Copyright 2002 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, 10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Datenkonvertierung: META Systems GmbH, Elstal Umschlaggestaltung: Hansbernd Lindemann, Berlin Druck und buchbinderische Verarbeitung: WB-Druck, Rieden/Allgäu

Für Sibylle

Inhalt Einleitung I

Verwendungen des Wortes ,Analogie' 1 Mathematische Analogie 2 Lösung des Analogiebegriffs vom Bezug auf Zahlenverhältnisse 3 Analogie in der Sprachentwicklung 4 Semantische Analogie

II Sprachliche Beschreibung 1 Beschreibungsgegenstand und Beschreibungsinhalt 2 Symbolische Darstellung von Beschreibungen 3 Ein- und mehrstellige Beschreibungen III Analogie 1 2 3 4 5 6 7

Definition Triviale und nicht-triviale Analogie Analogiewurzel Global- und Detailanalogie Wurzelgleichheit Bildfeld Mehrfache Verwurzelung

IV Metapher 1 Regelung der .eigentlichen' Anwendung beschreibender Wörter 1.1 Wort, Bedeutung, beschriebener Gegenstand

1.2 Die Entstehung der Wortanwendungsregel im Sprachteilnehmer 1.3 Das lexikalische Umfeld als Steuerungsmittel der Bedeutungsbildung 1.4 Hierarchie der bedeutungsbildenden Gegenstandsmerkmale 2 Metaphorische Wortanwendung 2.1 Metapher als Wortgebrauchsverfahren 2.2 Verhältnis zwischen eigentlicher und metaphorischer Bedeutung 2.3 Metapher und bildlicher Vergleich 2.4 Eigentlicher und metaphorischer Wortanwendungsbereich (TAe und TAm) 2.5 Metapher: Natur- und Kunstprodukt 2.6 Originelle, konventionelle und tote Metapher 2.7 Deutbarkeit der Metapher V Die analogische Wurzel der Metapher

50 52 57 60 60 65 69 73 78 83 86 97

1 Metapher und einstellige Analogie 97 2 Metapher und mehrstellige Analogie 101 3 Aristoteles' Erklärung der Metapher als zweistelliger Analogie 108 4 Wurzelgleiche Metaphern 113 VI Das sprachliche Gewand der Analogie 1 Der metaphorische Ausdruck einer zweistelligen Analogie nach Aristoteles 2 Kurzgefaßte Stilistik der n-stelligen Analogie 2.1 Explizite Markierung 2.1.1 Lexikalische Benennung 2.1.2 Syntaktische Markierung 2.2 Markierung der Analogie durch Metapherngebrauch . . 2.2.1 Unmetaphorische Benennung und metaphorische Beschreibung auf korreferenten Positionen . . . . 2.2.2 Selektionsbeschränkung außerhalb der Korreferenz

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Inhalt

VII Das Bildfeld als Interpretationsmittel 1 Gleichung mit einer Unbekannten (1) — Charles Baudelaire: L'Albatros 2 Gleichung mit einer Unbekannten (2) — Gérard de Nerval: Le Point noir 3 Hierarchie der Bildfeldbereiche — Charles Baudelaire: La Cloche fêlée 4 Exempta contraria — Maurice Scève: Le Laboureur 5 Bilder zweiter Ordnung — Joachim Du Bellay: Comme on voit de loin 6 Verschränkte Bildfelder — Charles Baudelaire: Chant d'automne VIII Argumentative Nutzung der Analogie 1 Grundlegung 2 Analogieschluß und aristotelische parabolé 3 Analogieschluß bei mehrstelliger Analogiewurzel IX Paradigmatik der Analogie 1 Der Weinrichsche Bildfeldbegriff 2 Systematische Zusammenhänge zwischen Analogiewurzeln 2.1 Erweiterung 2.1.1 Erweiterung durch Bereichvermehrung bei konstantem Wurzelprädikat 2.1.2 Erweiterung durch Anreicherung der Strukturformel bei konstanter Stellenzahl 2.1.3 Anreicherung der Strukturformel unter Vermehrung der Stellenzahl 2.1.4 Kombinierte Erweiterungsrelationen 2.2 Spezifikation 2.2.1 Spezifikation der Strukturformel 2.2.2 Spezifikation der Gegenstände X

George Lakoffs Theorie der metaphor 1 Grundzüge 2 Fragwürdigkeiten

IX 131 131 137 142 149 154 159 167 167 172 177 181 181 184 185 186 188 190 195 196 197 202 207 207 214

X

Inhalt

2.1 The Concept of Concept 2.2 Zwei Erscheinungsorte der Metapher: Vorstellungswelt und Sprache 2.3 Analogisch motivierte oder neurologisch konditionierte Metapher? 2.4 Noch einmal: der Löwe Achilles

214 218 222 233

Abkürzungen

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Literatur

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Personenregister

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Sachregister

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Einleitung Die vorliegende Untersuchung behandelt die Analogie als Infrastruktur bildlicher Rede. Bildliche Rede setzt Analogie voraus und gibt Analogie zu erkennen, ohne sie notwendigerweise zu thematisieren. Wer Martin Luthers Liedzeile „Ein' feste Burg ist unser Gott" versteht, sieht auch die in ihr benutzte Analogie zwischen Gott und Burg, obwohl diese Analogie nicht Gegenstand der Rede ist. Die Rede ist von Gott mittels einer Analogie, die selbst nicht zum Thema wird. Es gibt verschiedene Formen der bildlichen Rede, darunter Metapher, bildlicher Vergleich, bildliches Sprichwort, Parabel, Gleichnis, Fabel und Allegorie. Die Fundierung der Metapher in der Analogie wird von einigen zeitgenössischen Sprachforschern bestritten (vgl. Kap. X). Die vorliegende Untersuchung übernimmt dagegen einen Standpunkt, den die Rhetorik seit Jahrtausenden vertritt, ohne ihn bisher hinreichend befestigt zu haben: daß nämlich Metaphern — wie andere Formen der bildlichen Rede — Analogien voraussetzen. Die hier vorgelegte Ausarbeitung des Zusammenhangs von Analogie und Bild stützt sich nicht — oder allenfalls indirekt - auf empirische Erhebungen, sondern auf die introspektive Begleitung eines jahrzehntelangen Kontaktes mit sprachlichen Bildern. Sie hofft auf Bestätigung durch die Introspektion des Lesers und durch empirische Untersuchungen, die sie anregen möchte. Natürlich steht die dargelegte Theorie in der Schuld vieler Anreger. Von den Neueren seien M. C. Beardsley (1962) und John R. Searle (1993) stellvertretend genannt. Die veröffentlichte Forschung zu Bild und Metapher ist ins Unübersehbare angewachsen. Was zur Metapher bis 1990 erschienen ist, erfassen die Bibliographien von Shibles (1971) und Van Noppen (1985 und 1991). Einen guten Uberblick über die Vielfalt der Forschungsansätze bieten die von Sacks (1978), Ortony (1993) und Haverkamp (1996) herausgegebenen Aufsatzsammlungen. Die vorliegende Arbeit ist kein Forschungsbericht. Sie verzichtet auch darauf, ihre eigenen Thesen auf Schritt und Tritt zu bekannten oder weniger bekannten Standpunkten der Forschungsliteratur in Beziehung zu setzen. Nur mit George Lakoffs Metapherntheorie setzt sie sich im Schlußkapitel eingehender auseinander.

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Einleitung

Das Wort »Analogie* wird für die Zwecke dieser Arbeit neu bestimmt, allerdings nicht in schriller Abweichung vom üblichen Sprachgebrauch. Es be2eichnet eine bestimmte symmetrische Relation zwischen zwei Gegenständen, die sprachlich benannt oder beschrieben werden. Das Wort .Gegenstand' meint in diesem Zusammenhang einen Gegenstand sprachlicher Benennung oder Beschreibung, also nicht notwendig ein Ding, das in einer vom menschlichen Geist unabhängigen, außersprachlichen Wirklichkeit existiert. Es ist deshalb nicht von vornherein widersinnig, eine Analogie zwischen Herkules und Superman anzunehmen. Die Relation der Analogie besteht zwischen zwei Gegenständen genau dann, wenn ein Beschreibungsinhalt als für beide geltend beansprucht oder anerkannt wird. Herkules und Superman sind einander analog, insofern beide als mächtige Nothelfer gelten. Die beiden Beschreibungen, die den Analogiepartnern Herkules und Superman einen gemeinsamen Beschreibungsinhalt zuweisen, bilden die Wurzel der Analogie. Der Analogiebegriff, den Aristoteles zur Erklärung der Metapher verwendet (Poetik 21), läßt sich als Spezialfall des Begriffs der Analogiewurzel verstehen, mit dessen Hilfe die vorliegende Arbeit die bildliche Rede erklärt. Anders gesagt: Der in dieser Arbeit entwickelte Begriff der Analogiewurzel verallgemeinert den Analogiebegriff der aristotelischen Poetik. Unsere Untersuchung verlangt die Unterscheidung zwischen trivialen und nicht-trivialen Analogien. Eine Analogie ist trivial, wenn der gemeinsame, analogiestiftende Beschreibungsinhalt in einem landläufigen Oberbegriff der Analogiepartner besteht. Ein Hammer steht in trivialer Analogie zu einer Zange, insofern beide als Werkzeuge beschrieben und gemeinhin gedacht werden. Trivialität der Analogie liegt insbesondere dann vor, wenn die üblichen Bezeichnungen der Analogiepartner den gemeinsamen Beschreibungsinhalt in ihrer Bedeutung voraussetzen, wenn sie z. B. in einem gemeinsamen Wortfeld als Kohyponyme vorkommen. Der geläufige Oberbegriff ,Sitzmöbel' stiftet eine triviale Analogie zwischen Stuhl und Sessel. Erst recht stiftet natürlich die gemeinsame Bezeichnung .Sessel' eine trivale Analogie zwischen zwei verschiedenen Exemplaren des so bezeichneten Sitzmöbels. Nicht-triviale Analogien beruhen auf Gemeinsamkeiten, die nicht schon aus den denküblichen Klassifikationen der Analogiepartner oder aus dem semantischen Paradigma ihrer Bezeichnungen hervorgehen. Der Hang zur Untätigkeit stiftet eine nicht-triviale Analogie zwischen einem Löwenmännchen und der Romanfigur Oblomov; die Verhinderving einer

Einleitung

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Ausweichbewegung stiftet eine nicht-triviale Analogie zwischen einer Zange und einer bestimmten - metaphorisch so beschreibbaren Strategie. Die bildliche Rede beruht, auch wenn sie konventionell bleibt, auf nicht-trivialen Analogien. Wer ein Kamel als Wüstenschiff bezeichnet, setzt eine Analogie voraus zwischen dem Kamel, das die Wüste, und dem Schiff, das die See durchquert. Folgender Beschreibungsinhalt, der für beide Analogiepartner gilt, könnte die Analogie begründen: Verkehrsmittel, das langsam und schaukelnd eine gleichförmige Fläche durchquert. Die Analogie ist nicht-trivial, weil Kamel und Schiff in den denküblichen Ordnungssystemen nicht als benachbarte Gegenstandsklassen vorkommen. Das Kamel gehört zu den Tieren, des Näheren zu den Säugetieren, dort wiederum zu den Paarhufern, usw.; das Schiff dagegen fällt unter die Artefakte, des Näheren unter die Transportmittel, dort wiederum unter die Fahrzeuge für Wasserwege, usw. Trivial wäre die Analogie zwischen Kamel und Rind als Paarhufern oder zwischen Kamel und Schiff als .beschreibbaren Gegenständen'. Das Verständnis der bildlichen Rede setzt die Wahrnehmung der zugrunde liegenden Analogie voraus. Man kann daher eine bildliche Rede verständlich machen, indem man die zugrunde liegende Analogie ans Tageslicht zieht. So setzt ζ. B. das Verständnis des Satzes „Der Fall Globke war nur die Spitze des Eisbergs" die Geltung etwa folgenden gemeinsamen Beschreibungsinhalts für die Analogiepartner ,Fall Globke' und ,Eisbergspitze' voraus: .sichtbarer Teil eines Ganzen, dessen weitaus größerer Teil unsichtbar bleibt'. Das Ganze, als dessen sichtbarer Teil der Fall Globke genannt wird, ist die Übernahme hochrangiger Staatsdiener des Dritten Reichs in den Staatsdienst der jungen Bundesrepublik. Analogien können einander voraussetzen bzw. verschiedene — aufeinander angewiesene — Teilstücke einer übergreifenden Globalanalogie sein. In der Bezeichnung ,Herbst des Mittelalters' (Huizinga) setzt die Analogie, die zwischen dem Herbst und dem Burgundischen Hof des 14. und 15. Jahrhunderts hergestellt wird, die Analogie zwischen dem gesamten Mittelalter und einem Jahresablauf voraus. Diese Analogie wiederum erhält ihren Sinn durch eine dem Herbst ähnliche Zeit der Prachtentfaltung, die dem nahen Ende des Mittelalters vorausgeht. Die Mahnung des Odysseus „Was für ein Wort entfloh dem Gehege deiner Zähne!" (Dias IV, 350)

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Einleitung

setzt die Vorstellung voraus, daß Worte eigentlich zurückgehalten und deshalb wie Schafe hinter dem Zaun der Zähne eingepfercht werden, daß aber hin und wieder ein Wort über die Zahnreihe hinweg nach außen vorprescht, wie ein mutwilliger Bock über den Zaun seines Geheges springt. Die Analogien zwischen Zahnreihe und Gehege einerseits sowie zwischen Worten und Vieh andererseits hängen voneinander ab. Die Zahnreihe ist dem Gehege insofern analog, als sie Worte wie Vieh einsperrt, und Worte sind dem Vieh insofern analog, als die Zahnreihe wie ein Gehege sie davon abhält, ins Freie zu dringen. Der Begriff der Analogie wird seit Jahrtausenden in Philosophie, Sprachwissenschaft und Rhetorik benutzt. Kapitel I gewährt ausgewählte Einblicke in die Begriffsgeschichte. Im Vergleich zur Uberlieferung beruht unsere Verwendung des Analogiebegriffs auf einer recht einfachen Definition, deren Weite durch die Unterscheidung zwischen trivialer und nicht-trivialer Analogie kompensiert wird. Um den einfachen Grundbegriff entwickelt sich ein komplizierteres, z.T. auch neuartiges Begriffssystem, das die Erledigung der gestellten Aufgaben erleichtert. Der neu gefaßte Begriff der Analogie setzt den der Beschreibung voraus, der in Kap. II expliziert wird. Die Analyse der bildlichen Rede, der immer eine Analogie zugrunde liegt, verlangt die systematische Unterscheidung zwischen beschreibendem Begriff und beschriebenem Gegenstand. Der Verzicht auf diese Unterscheidung verdunkelt die Metaphernlehre der klassischen Rhetorik wie auch einiger zeitgenössischer Theoretiker. Ubersieht man den Begriff, erschöpft sich der Metapherngebrauch in einer bloßen Änderung der Zuordnung von Wort und Gegenstand, wie der Text des Aristoteles es nahelegen könnte (Poetik 21). Ubersieht man den Gegenstand zu Gunsten des Begriffs, kann eine Theorie wie die Lakoffsche entstehen, nach der das metaphorische Geschehen im Wesentlichen auf der Ebene der Begriffe und Vorstellungen abläuft. Auf der Grundlage des explizierten Beschreibungsbegriffs gibt Kapitel III eine ausfuhrlichere Darstellung der Analogie. Es behandelt die Unterscheidung zwischen ein- und mehrstelligen Analogien sowie den Begriff der Analogiewurzel, der wiederum einen bestimmten Zusammenhang von Einzelanalogien als ,Wurzelgleichheit' zu beschreiben erlaubt. Wurzelgleiche Analogien liegen dem Bildgebrauch in Allegorien, Fabeln und Gleichnissen, aber auch in anderen Textsorten zugrunde. In dem oben erläuterten Homervers ist die

Einleitung

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Analogie zwischen Zahnreihe und Gehege mit der zwischen Wort und Vieh wurzelgleich. Der Begriff der Wurzelgleichheit präzisiert den Quintilianschen Begriff der metaphora continuata, der im modernen Bild der ,fortgesponnenen' Metapher (métaphore filée) weiterlebt. Zur expliziten Darstellung von Analogiewurzeln schlägt Kapitel III eine handliche Normalform vor, die .Bildfeld' heißen soll, obwohl dieser Name eigentlich durch das anders konzipierte Weinrichsche Bildfeld besetzt ist. Die Kapitel IV und V befassen sich mit dem jahrtausendealten Problem der Metapher, die — wie alle Formen der bildlichen Rede - eine Analogie voraussetzt, wenn auch nicht thematisiert. Die Metapherntheorie der vorliegenden Arbeit steht in der Tradition der klassischen Rhetorik, ohne jedoch die Ergebnisse der neueren Sprachwissenschaft zu mißachten. Sie bewegt sich in einem Dreiländereck, wo Rhetorik, Sprach- und Literaturwissenschaft zusammenstoßen. Die Metaphernanalyse der klassischen Rhetorik krankt vor allem an der fehlenden Unterscheidung zwischen Wortbedeutung und beschriebenem Gegenstand. Sie stellt dem sprachlichen Ausdruck (gr. ónoma, lat. verbum) nicht zwei Korrelate, sondern nur eines gegenüber (gr. pragma, lat. res), das der moderne Leser je nach Zusammenhang als Bedeutung, als Gegenstand oder als ein unsauberes Gemisch aus beidem verstehen kann. Die Metapher — oder allgemeiner: der Tropus — wechselt nach antiker Lehre das Korrelat des sprachlichen Zeichens aus: Das Wort ,Löwe' bezeichnet plötzlich nicht mehr eine bestimmte Raubkatze, sondern den Heros Achilles. Um den Wechsel der Korrelate in Regeln zu fassen, legte die antike Rhetorik Beziehungen fest, die zwischen den ausgewechselten Korrelaten bestehen mußten. Im Falle der Metapher mußte das alte Korrelat dem neuen — also der wirkliche Löwe dem als Löwe bezeichneten Achilles — „ähnlich" sein (Cie. De or. III, 38, 155 ff.). Diese Ansicht wird auch in zeitgenössischen Metaphernlehren noch vertreten. Die Metapher gilt als ,Similaritäts-Tropus' (Plett 2000: 183 ff.). Aristoteles beschreibt die Ähnlichkeit auf zweierlei Weise: (1) als Zuständigkeit eines gemeinsamen Gattungsbegriffs und (2) als Möglichkeit der ähnlichen Dinge, die beiden Nennerstellen einer anerkannten Verhältnisgleichung {analogía) einzunehmen (Poetik 21). Nach (1) kann das Wort .abschöpfen' ein Herausschneiden bezeichnen, weil beides unter den Oberbegriff .wegnehmen' fällt. Nach (2) kann man das Greisenalter den Abend des Lebens nennen, weil zwischen Tagesablauf und Abend dasselbe Verhältnis besteht wie zwischen Lebensablauf und Greisenalter.

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Einleitung

Die geforderte Ähnlichkeit zwischen den ausgewechselten Korrelaten ist als Teilhabe an einer gemeinsamen Gattung offensichtlich zu weit bestimmt. Hammer und Zange fallen in die gemeinsame Gattung der Werkzeuge. Deshalb jedoch kann das Wort .Hammer' noch nicht als metaphorische Bezeichnung der Zange gebraucht werden. Die gemeinsame Gattung muß quer zu den üblichen Klassifikationssystemen liegen. Anders gesagt: Die Analogie zwischen den ausgewechselten Korrelaten darf nicht trivial sein. Unser Begriff der nicht-trivialen Analogie erlaubt eine korrigierende Vereinheitlichung und Verallgemeinerung der aristotelischen Metaphernlehre. Die antiken Rhetoriker entwickeln — ohne die erforderliche Präzision und mit mangelhaftem linguistischem Rüstzeug — den Grundgedanken, daß Metaphern Analogien voraussetzen und zu erkennen geben. Das Metaphernkapitel der vorliegenden Arbeit gibt — correctis corrigendis — dem Wahrheitsanteil der antiken Lehre einen neuen theoretischen Rahmen. Die aus der Antike herübergerettete Vorstellung, daß Metaphern Analogien voraussetzen, unterscheidet die vorliegende Arbeit von der Contemporary Theory of Metaphor (Lakoff 1993), die erklärtermaßen mit einer von Aristoteles bis ins 20. Jahrhundert reichenden Tradition aufräumen will. Die vorliegende Untersuchung ist auch insofern traditionell, als sie die Metapher aus einem Beziehungsgeflecht erklärt, das zwischen dem metaphorisch benutzten Wort und seinen semantischen und sigmatischen Korrelaten besteht. Neuere Theorien beschreiben die Metapher häufig anhand des Risses, den die eigentliche Bedeutung des metaphorisch benutzten Ausdrucks im semantischen Gewebe des Kontextes verursacht (Cohen 1966). Im Gegensatz zur Contemporary Theory of Metaphor ist die kontextuelle Metaphernanalyse mit dem hier vorgetragenen Ansatz bei aller Unterschiedlichkeit verträglich. In der bildlichen Rede dient einer der Analogiepartner zur Beschreibung des anderen. Die symmetrische Beziehung der Analogie liegt einer asymmetrischen Beziehung zwischen Beschreibungsmittel und Beschreibungsgegenstand zugrunde. Am Beschreibungsgegenstand wird die Eigenschaft ins Helle gerückt, die er mit dem Analogiepartner teilt. Luthers Liedzeile „Ein' feste Burg ist unser Gott" gibt eine symmetrische, nicht-triviale Analogiebeziehung zwischen Burg und Gott zu erkennen, beschreibt aber nur Gott anhand der Burg und nicht umgekehrt eine Burg anhand Gottes. Die Beschreibung hebt an Gott die Eigenschaft hervor, die er mit seinem Analogiepartner teilt: Gewährlei-

Einleitung

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stung von Sicherheit. Die zur bildlichen Beschreibung genutzte Analogie kann in der sprachlichen Formulierung durch unterschiedliche Verfahren zum Ausdruck kommen, ζ. B. als förmlicher Vergleich — „Du bist wie eine Blume" — oder durch Besetzung der Stellen von Prädikatsnomen und Subjekt mit den Bezeichnungen der beiden Analogiepartner: „Ein' feste Burg ist unser Gott". Kapitel VI enthält eine kurz gefaßte Stilistik der bildlichen Rede. Es stellt in systematischer Ordnung die Verfahren vor, mit denen die Sprache eine auf Analogie beruhende Beschreibung vollzieht. Um den Zusammenhang zwischen analogischer Tiefenstruktur und sprachlicher Manifestation geht es auch in der kleinen Feldstudie, die in Kapitel VII vorgetragen wird. Sie untersucht französische Gedichte, in deren Bildgebrauch eine bestimmte, meist recht komplexe Analogiewurzel vorherrscht. Die Freilegung dieser Wurzel und ihre Darstellung als Bildfeld gehört zu den Aufgaben der Feldstudie ebenso wie die Bestimmung ihrer Funktion und die Beschreibung ihrer progressiven Manifestation im Textablauf. Die Gedichtanalysen sollen die Brauchbarkeit der Bildfeldmethode als Werkzeug der Interpretation erweisen. Analogien dienen nicht nur zur Beschreibung von Gegenständen, sondern auch zur Beglaubigung von Aussagen. Mit der argumentativen Nutzung der Analogie befaßt sich Kapitel VIII, das u. a. den eigentlichen Analogieschluß von der aristotelischen Gleichnisargumentation (parabolé) abgrenzt.

Der beschreibende wie auch der argumentative Gebrauch von Analogien wird offenbar durch die Speicherung von Analogiewurzeln im Gedächtnis der Sprachgemeinschaft erleichtert, wenn auch nicht allererst ermöglicht. Um den Beitrag verständlich zu machen, den das gespeicherte Wurzelinventar zur Bildung und zum Verständnis auch solcher Analogien leistet, deren Wurzeln nicht schon gespeichert sind, beschreibt Kapitel IX die Arten der systematischen Verwandtschaft, die zwischen Analogiewurzeln bestehen können. Relationen der Amplifikatíon und Reduktion, der Generalisierung und Spezifikation verknüpfen Analogiewurzeln zu Wurzelkomplexen, als deren Bestandteile die im Sprachverkehr auftretenden Analogien wiedererkannt oder als deren Ergänzungen sie verstanden werden können. Gespeicherte Wurzelkomplexe dienen als Paradigmen, die Gebrauch und Verständnis analogiegestützter Rede steuern. Die paradigmatische Einbettung der Metapher wird auf andere Weise in Harald Weinrichs Bildfeldtheorie (1976: 276 ff.) und in George La-

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Einleitung

koffs Contemporary Theory of Metaphor (1993) erklärt. Lakoffs Lehre erkennt die Analogie zwar als Resultat, nicht jedoch als Grundlage der Metapher an. Die in Kapitel X geführte Auseinandersetzung mit der „zeitgenössischen Metapherntheorie" gibt deshalb Gelegenheit, wesentliche Teile unserer Darstellung der analogiegestützten Metapher im Lichte einer attraktiven Gegenposition schärfer zu konturieren.

I Verwendungen des Wortes »Analogie' Das griechische Substantiv analogía wurde als Lehnwort ins Lateinische (analoga) und von dort ins Deutsche sowie in andere neuere Sprachen übernommen (it. analoga, frz. analogie, engl, analogy). Das Mutterwort scheint aus dem Adjektiv análogos abgeleitet zu sein, das ,übereinstimmend', .entsprechend' und ,im gleichen Verhältnis stehend' bedeutet. Demnach bedeutet das Substantiv .Ubereinstimmung', .Entsprechung' und .Verhältnisgleichheit'. Das vorliegende Kapitel greift aus der Geschichte der wissenschaftlichen Verwendung des Wortes .Analogie' einige Episoden heraus, um einerseits Unterschiede, andererseits aber auch Anschlußstellen zu dem in dieser Arbeit verwendeten Analogiebegriff aufzuzeigen. In der griechischen Antike wurde der Fachterminus ^Analogie' zunächst auf die Gleichheit von Zahlenverhältnissen bezogen (1), dann auch auf die Gleichheit anderer Relationen (2). Die spätere Antike (seit dem Hellenismus) bezeichnete ebenso wie die Sprachwissenschaft des 19. Jahrhunderts als Analogie eine Tendenz der Sprache, gleiche semantische oder grammatische Oppositionen durch gleiche Lautoppositionen auszudrücken (3). Das Mittelalter benutzte den Analogiebegriff zur Beschreibung systematischer Mehrdeutigkeiten (4).

1 Mathematische Analoge Die Pythagoreer scheinen das Wort .Analogie' als erste fachsprachlich festgelegt zu haben. Archytas von Tarent (1. Hälfte des 4. Jh. v. Chr.) bezeichnet bestimmte Gleichungen als Analogie, darunter auch die Gleichsetzung zweier Zahlenverhältnisse (Diels-Kranz 47 Β 2): a

c

b ~ d Genauere Auskunft zu diesem Begriff der .geometrischen' Analogie gibt Aristoteles (384—322) in seiner Nikomachischen Ethik (V.6). Er beschreibt dort die distributive Gerechtigkeit als Befolgung einer .geometrischen' Analogie: Das Rangordnungsverhältnis zwischen zwei Perso-

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Verwendungen des Wortes .Analogie'

nen, denen der Staat Güter zuteilt, muß dem Wertverhältnis zwischen den zugeteilten Gütern gleich sein. Aristoteles bemerkt in diesem Zusammenhang, daß „die Mathematiker" den von ihm benutzten Analogiebegriff als geometrisch bezeichnen, daß dieser Begriff grundsätzlich vier Größen in Beziehung zueinander setzt, daß jedoch die zweite Größe (der Nenner des ersten Bruchs) mit der dritten (dem Zähler des zweiten Bruchs) identisch sein kann. In diesem Fall heiße die Analogie .stetig' (kontinuierlich), im anderen Fall .getrennt' (diskret). Ein Beispiel der stetigen Analogie ist

ein Beispiel der getrennten Analogie

6_ _ 4_ 3 ~ 2. Aristoteles verwandte das Wort .Analogie' — wie andere Autoren, die sich mit der Verhältnisgleichung befaßten — nicht nur zur Bezeichnung der Gleichung selbst, sondern auch zur Bezeichnung des Verhältnisses, das sowohl zwischen den beiden Zählern wie auch zwischen den beiden Nennern der gleichgesetzten Brüche besteht. 6 steht in Analogie zu 4, insofern beide Zahlen ein Doppeltes bezeichnen (nämlich von 3 bzw. 2), und 3 steht in Analogie zu 2, insofern beide Zahlen Hälften bezeichnen (nämlich von 6 bzw. 4).

2 Lösung des Analogiebegriffs vom Betrug auf Zahlenverhältnisse Wenn Aristoteles die distributive Gerechtigkeit mit Hilfe der geometrischen Analogie definiert, läßt sich das Verhältnis zwischen den Ranghöhen der Empfanger ebenso wie das Verhältnis zwischen den Werten der zugeteilten Güter noch als Zahlenverhältnis deuten, insofern Ranghöhe und Wert als meßbar — und in gezählten Einheiten angebbar — gedacht werden können. An anderen Stellen seines Werkes jedoch löst Aristoteles — wie auch vor ihm schon Plato — die Verhältnisgleichung von ihrem mathematischen Ursprung, indem er das quantitative Verhältnis zwischen Zähler und Nenner durch eine andere Relation ersetzt: Die Federn sind für den Vogel, was die Schuppen für den Fisch sind; und die Knochen sind für den Menschen, was für den Fisch die Gräten

Lösung des Analogiebegtiffs vom Bezug auf Zahlenverhältnisse

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sind (De partibus animalium 1,4). Auch Plato benutzt das Wort .Analogie' zur Bezeichnung einer nicht-mathematischen Verhältnisgleichung: Die vier Elemente, aus denen die sichtbare Welt besteht, bilden eine Verkettung zweier .stetiger' Analogien (Ttmaios 31 b 4 ff.): Feuer

Luft

Wasser

Luft

Wasser

Erde.

Das mittlere Verhältnis (Luft/Wasser) ist gleichzeitig das zweite Glied der ersten und das erste Glied der zweiten Gleichung, so wie in beiden Gleichungen der Nenner des ersten Bruches zugleich der Zähler des zweiten ist. Die Relation zwischen Zähler und Nenner, die das Gleichheitszeichen rechtfertigt, scheint in einem Festigkeitsunterschied zu bestehen (der jedoch nicht als Quantitätsunterschied - etwa als Anzahl der Teilchen auf gleichem Raum — erklärt werden soll). Der Ersatz des Zahlenverhältnisses durch andere Relationen bleibt unauffällig, wenn das Vorbild der geometrischen Analogie gar nicht erst beim Namen genannt wird. In Heraklits Spruch „Der weiseste Mensch wird im Vergleich zu Gott wie ein Affe erscheinen" (Fragment 83) verdeckt die Formulierung eine zugrunde legbare stetige Analogie: Gott

Mensch

Mensch

Affe.

Auch Plato verwendet geometrische Analogien mit nicht-quantitativen Relationen, ohne jedesmal auf das mathematische Vorbild zu verweisen. In der Politela sagt er, das Sein verhalte sich zum Werden wie die wahre Erkenntnis zur bloßen Meinung (534 a), und die Sonne sei für die sichtbare Welt, was die Idee des Guten für die geistig erkennbare Welt sei (508 äff.). Im Dialog Gorgias dienen zwei — diesmal ausdrücklich auf das geometrische Vorbild bezogene — Verhältnisgleichungen zur Abwertung der Rhetorik: Um keine lange Rede zu halten, will ich es dir erklären wie die Geometer [...]: Die Kosmetik verhält sich zum Sport wie die Sophistik zur Gesetzgebungskunde; und wie die Kunst, Leckereien zuzubereiten, sich zur Heilkunst verhält, so die Rhetorik zur Rechtskunde. (465 b f.) Die Relation zwischen Zähler und Nenner ist in allen Brüchen dieselbe: Die Nenner bezeichnen das wahrhaft, die Zähler das nur scheinbar Brauchbare und Zielfuhrende in den folgenden vier Bereichen: körperliche Ansehnlichkeit, staatliche Ordnung, Gesundheit und Gerechtig-

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Verwendungen des Wortes ^Analogie'

keit. Der Zähler ist jeweils ein betrügerischer Rivale des Nenners. Was gerecht ist, zeigt sich im Licht der Rechtskunde, nicht der Rhetorik. Für Plato und Aristoteles ist die nicht mehr auf Zahlenverhältnisse beschränkte geometrische Analogie ein in vielen Sachbereichen verwendbares Denkmodell. Aristoteles erklärt auch eine bestimmte Form der Metapher anhand der geometrischen Analogie. Auf diese Erklärung wird Kapitel V der vorliegenden Arbeit näher eingehen. Die geometrische Analogie drückt nicht nur die Gleichheit zweier Relationen aus, sondern auch die Klassengemeinschaft der Vorgänger bzw. der Nachfolger dieser Relation (der Zähler bzw. der Nenner). Wenn Plato das Verhältnis zwischen Rhetorik und Rechtskunde dem Verhältnis zwischen Zuckerbäckerei und Heilkunst gleichsetzt, so verweist er Rhetorik und Zuckerbäckerei in die gemeinsame Klasse der nur scheinbaren, Rechtskunde und Heilkunst dagegen in die der echten Wohltäter. Die schmackhafte Speise wird dem Kranken ebensowenig nützen, wie die Rhetorik für Gerechtigkeit sorgt; die Heilkunst jedoch wird den Kranken mit bitterer Medizin heilen, so wie die Rechtskunde zuverlässig erkennt, was das Recht fordert. Die geometrische Analogie bringt zusammen, was in den herrschenden Klassifikationsgewohnheiten weit auseinander liegt: Zuckerbäckerei und Rhetorik; andererseits trennt sie, was dort nahe beieinander liegt: Rhetorik und Rechtskunde. Die in der Analogie vollzogene Umordnung der Gegenstandswelt durch Verwendung ungewohnter Klassifikationskriterien ist, wie die folgenden Kapitel ausführen werden, die Grundlage der bildlichen Rede.

3 Analogie in der Sprachentwicklung Auch die — auf den Hellenismus zurückgehende — sprachwissenschaftliche Verwendung des Wortes »Analogie' steht in offener oder verdeckter Beziehung zum geometrischen Analogiebegriff. Die Besonderheit der sprachlichen Analogie besteht in der Gleichsetzung zweier Relationskopplungen statt zweier Relationen. Die analogische Bildung der Pluralform .Kränze' (statt eines älteren .kranza*) nach Vorbildern wie ,Gäste' und ,Bälge' ist die Ausweitung des Geltungsbereichs einer vielgliedrigen Analogie: Gast

Balg

Fang

Gäste

Bälge

Fänge.

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Analogie in der Sprachentwicklung

Der Bruchstrich dieser Verhältnisgleichung symbolisiert nicht nur eine Relation, sondern die Kopplung zweier Relationen: Der grammatische Gegensatz von Singular und Plural verbindet sich mit dem phonetischen Gegensatz zwischen Grundvokal und Umlaut sowie zwischen fehlendem und vorhandenem Schluß-e. In Bezug auf diese Kopplung einer bestimmten grammatischen Relation an einen bestimmten lautlichen Gegensatz sind die beiden Hälften der Analogie gleich. Die Einführung des Plurals ,Kränze' vermehrt die Gleichsetzungsreihe um ein neues Glied. Dagegen tanzt die Entkopplung der Relationen aus der Reihe. Wenn die grammatische Opposition zwischen Singular und Plural nicht mehr mit der phonetischen Opposition zwischen Grundvokal und Umlaut verbunden ist, entsteht — mit Bezug auf die lange Reihe der gekoppelten Oppositionen — eine Anomalie: Gast Gäste

Φ

Mast Masten

Der Bruchstrich markiert zwar noch den grammatischen Gegensatz zwischen Singular und Plural, jedoch nicht mehr den lautlichen Gegensatz zwischen Grundvokal und Umlaut. Die in einer linguistischen Analogie vollzogene Gleichsetzung kann sich auf die Kopplung nicht nur einer grammatischen und einer lautlichen, sondern auch einer semantischen und einer lautlichen oder zweier grammatischer Relationen beziehen. Quintilian, der allerdings die Beziehung zur geometrischen Analogie nicht ausdrücklich herstellt, läßt folgendes Beispiel anklingen (1,6,6): funis

pars

mus

funiculus

partícula

musculus

Die Brüche diesseits und jenseits des Gleichheitszeichens zeigen dieselbe Relationenkopplung: Verhältnis zwischen Grundwort und Deminutiv einerseits, Gleichgeschlechtlichkeit andererseits. Nach Quintilian manifestiert die zutreffende Analogie die Rationalität der Sprache (I, 6,1). In der Tat entsteht Systematik, wenn Relationen verschiedener Art regelmäßig gemeinsam vorkommen, vor allem wenn dieselben grammatischen oder semantischen Oppositionen in möglichst vielen Fällen an dieselben lautlichen Oppositionen gekoppelt sind, wenn etwa der Plural sich bei möglichst vielen Substantiven vom Singular durch Umlaut und Schluß-e unterscheidet.

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Verwendungen des Wortes .Analogie'

Für Quintilian ist die Analogie ein Mittel zur Identifikation der richtigen grammatischen Kategorie oder der richtigen sprachlichen Form: „Die Analogie kann etwas, das in Frage steht, auf etwas Ahnliches beziehen, das nicht in Frage steht, und so das Ungewisse durch das Gewisse klarstellen." (I, 6, 4) Wer etwa nicht weiß, welches grammatische Geschlecht das lateinische Wort funis (Seil) hat, kann es anhand des offenkundig maskulinen Deminutivs funiculus erschließen, da es (im Lateinischen, nicht im Deutschen) eine lange Reihe von Beispielen gibt, in denen Grundwort und Deminutiv dasselbe Geschlecht haben. Ebenso könnte, wer den Pural von Kranz nicht kennt, ihn aus dem Analogiepartnern ,Gäste', ,Bälge', ,Fänge', .Märkte' usw. erschließen. Quintilian weiß allerdings auch, daß Analogien trügen können, wenn Anomalien die Gleichsetzung durchkreuzen. Die Sprache ist nicht durchsystematisiert, nicht am Reißbrett entworfen oder, wie Quintilian sagt, nicht fertig „vom Himmel herabgestiegen". Sie hat sich ohne vorausgehendes Gesamtkonzept nach den Bedürfnissen des Augenblicks entwickelt, so daß letztendlich der Sprachgebrauch entscheidet, welche Analogien gelten und welche nicht (I, 6, 16). Dennoch gab es auch in der Antike Sprachplaner, die den Geltungsbereich des Analogieprinzips ausweiten wollten, indem sie entweder analoge Formen einführten, um die anomalen zu verdrängen, oder wenigstens bestehende analoge Formen zum Nachteil ihrer anomalen Konkurrentinnen privilegierten. Gaius Julius Caesar (101 —44), den seine politischen Ambitionen nicht vom Sprachstudium abhielten, erweist sich in den erhaltenen Fragmenten seiner Schrift De analoga als gemäßigter Analogist. Seit dem 19. Jh. gilt die Analogie nicht wie bei Quintilian als Mittel zur Erhellung dunkler Flecke des gegebenen Sprachzustandes, sondern — in Konkurrenz zu den Lautgesetzen — als Triebkraft der Sprachentwicklung. Ferdinand de Saussure (1857-1913) widmet ihr die Kapitel

IV und V seines Cours de linguistique, générale·. Die Schule der Junggrammatiker hat zum ersten Mal der Analogie ihren wahren Platz zuerkannt, indem sie zeigte, daß die Analogie neben dem Lautwandel der große Wirkfaktor der Sprachentwicklung ist, das Verfahren nämlich, das die Sprache von einem Organisationszustand zum nächsten führt. (223) Saussure stellt die Analogie — im Gegensatz zu Quintilian — ausdrücklich als Verhältnisgleichung dar, bei der auf beiden Seiten des Gleich-

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Semantische Analogie

heitszeichens derselbe grammatische oder semantische Unterschied mit demselben Unterschied der Zeichenkörper verbunden ist: oratorem

honorem

orator

honor

Auf jeder Seite des Gleichheitszeichens steht einem Akkusativ mit dem Flexionsmorphem -em ein Nominativ mit dem Flexionsmorphem 0 gegenüber. Der Sprachwandel, den die Analogie herbeifuhrt, besteht nach Saussure in der Herstellung einer Verhältnisgleichung, zu der die Sprache bisher nur die ersten drei Terme bereitstellte: oratorem

honorem

orator



Im älteren Latein hieß der Nominativ zu honorem nicht honor, sondern bonos. Diese Form paßt jedoch nicht als Nenner in die obige Verhältnisgleichung, da sie einen anderen lautlichen Unterschied zu honorem bildet als orator zu oratorem. Die Einfuhrung der Form honor, die zunächst neben dem älteren bonos gebraucht wurde, ergänzte die unvollständige Verhältnisgleichung um den fehlenden Nenner des zweiten Bruchs. Die Nominativbildung zu honorem ist nun nicht nur der zu oratorem, sondern darüber hinaus zu einer langen Reihe von weiteren Akkusativen auf -orem gleichgeschaltet.

4 Semantische Analogie Im Mittelalter bezeichnet das Wort analogia sowohl eine bestimmte Beziehung, die zwischen verschiedenen Bedeutungen ein und desselben Wortes bestehen kann, wie auch die Tatsache, daß ein und dasselbe Wort in verschiedenen Bedeutungen benutzt wird, die in dieser Beziehung zueinander stehen. Ein Wort wird ,univok' verwendet, wenn es bei allen Verwendungen dieselbe Bedeutung hat; es wird ,äquivok' verwendet, wenn es bei verschiedenen Verwendungen (mindestens zwei) verschiedene Bedeutungen haben kann, die nicht in Analogie zueinander stehen, und es wird ,analog' verwendet, wenn es bei verschiedenen Verwendungen (mindestens zwei) verschiedene Bedeutungen haben kann, die untereinander analog sind. Der Begriff der semantischen Analogie ermöglichte den scholastischen Theologen die Auflösung des Widerspruchs, daß einerseits kein

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Verwendungen des Wortes .Analogie'

Wort der menschlichen Sprache in seiner üblichen Bedeutung auf Gott zutrifft, anderereits jedoch manche Wörter der menschlichen Sprache sinnvoll auf Gott angewandt werden. Die menschliche Sprache kann Gott beschreiben, weil sie Wörter hat, die zwar nicht mit ihrer üblichen Bedeutung, wohl aber mit einem Analogiepartner ihrer üblichen Bedeutung auf Gott zutreffen. In seiner Anwendung auf das Verhältnis zwischen Wortbedeutungen erhält der Analogiebegriff zwei verschiedene Definitionen, die Thomas von Aquin (1225 — 1274) als convenientia proportions und convenientia proportionalitatis gegeneinander absetzt (De ventate 11,11). Eine convenientia proportionalitatis liegt vor, wenn zwei verschiedene Bedeutungen desselben Wortes die beiden Zähler einer Verhältnisgleichung sind. Das Wort .sehen' z. B. bezeichnet sowohl die visuelle Wahrnehmung wie auch das geistige Begreifen. Zwischen den beiden Bedeutungen besteht eine convenientia proportionalitatis, insofern das eigentliche Sehen sich zum Organ der visuellen Wahrnehmung so verhält wie das Begreifen zum Verstand. Die convenientia proportionalitatis ist, wie man sieht, die schon von Plato und Aristoteles benutzte, aus der Beschränkung auf Zahlenverhältnisse gelöste geometrische Analogie. Wenn ein Wort in einer übertragenen Bedeutung verwendet wird, die zu seiner üblichen Bedeutung im Verhältnis der convenientia proportionalitatis steht, liegt eine Metapher vor. Das Wort .sehen' bezeichnet metaphorisch das Verstehen. Die zweite Art der semantischen Analogie, die convenientia proportions, liegt vor, wenn verschiedene Bedeutungen desselben Wortes auf einen gemeinsamen Begriff bezogen sind. Dies kann auf zweierlei Weise der Fall sein (sagt Thomas von Aquin in der Summa contra gentiles [I, 34]): Einerseits können verschiedene Wortbedeutungen Bezug auf etwas Gemeinsames haben. So wird z.B. — immer unter Bezugnahme auf denselben Begriff der Gesundheit — ein Lebewesen gesund genannt, insofern es Träger der Gesundheit ist, ein Medikament, insofern es Gesundheit herbeiführt, eine Speise, insofern sie die Gesundheit erhält, und der Urin, insofern er sie anzeigt. Andererseits kann man, wenn es sich um zwei Wortbedeutungen handelt, die Hinordnung oder Beziehung nicht zu etwas Drittem, sondern zu einer von ihnen ins Auge fassen. So wird z.B. das Sein von der Substanz und vom Akzidenz ausgesagt, insofern das Akzidenz auf die Substanz bezogen ist, nicht jedoch, insofern Substanz und Akzidenz auf ein gemeinsames Drittes bezogen wären.

Semantìsche Analogie

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Der Begriff der convenientia proportionh, dem andere Autoren die Be2eichnung .Attributionsanalogie' geben, wird auch von Aristoteles benutzt, jedoch nicht unter der Bezeichnung .Analogie'. In seiner Metaphysik kommt Aristoteles auf die Vieldeutigkeit des Wortes ,Sein' zu sprechen (IV, 2). Dem real existierenden Einzelmenschen Sokrates komme Sein in einem anderen Sinne zu als dem Menschen im Allgemeinem oder als irgendeiner Eigenschaft des Menschen Sokrates. Die verschiedenen Bedeutungen des Wortes ,Sein' seien jedoch miteinander verwandt durch die — wenn auch verschiedenartige — Beziehung zu einem gemeinsamen Urbegriff, nämlich dem des Seins einer real existierenden Einzelsubstanz. Aristoteles verwendet in diesem Zusammenhang auch das Beispiel des Wortes ,gesund', dessen verschiedene Bedeutungen einen verschiedenartigen Bezug zu einem gemeinsamen Begriff hätten, nämlich dem der Gesundheit des Lebewesens. Wie nun die verschiedenen Begriffe der Gesundheit (gesundes Lebewesen, gesundes Medikament, gesunder Urin) auf Grund dieses gemeinsamen Bezuges unter dieselbe Wissenschaft fallen, so fallen nach Aristoteles auch die verschiedenen Begriffe des Seins dank ihres gemeinsamen Bezuges zum Sein des real existierenden Einzelwesens unter ein und dieselbe Wissenschaft, nämlich die Metaphysik. Thomas von Aquin und einige Vorgänger nahmen den aristotelischen Begriff der .Beziehung auf eines' in das Bedeutungsspektrum des Wortes .Analogie' auf. Die so angereicherte thomistische Analogielehre wurde zu Beginn der Neuzeit in der Monographie De nominarti analoga des Thomas de Vio Caietanus (1469-1534) vereinheitlicht und im 20. Jh. durch J. M. Bochenski (Uber die Analogìe) und A. Menne (Was ist Analoge?) mit Hilfe der symbolischen Logik neu formuliert. Der Analogiebegriff, den die vorliegende Arbeit entwickelt, bezieht sich nicht — wie der morphematische Analogiebegriff — auf sprachliche Zeichen noch — wie der semantische — auf Wortbedeutungen. .Analogie' bezeichnet bei uns ein Verhältnis zwischen zwei Gegenständen oder zwei Gegenstandsmengen, die sprachlich beschrieben werden. Dieses Verhältnis besteht in der Geltung eines gemeinsamen Beschreibungsinhalts fur beide Analogiepartner. Der so bestimmte Analogiebegriff steht der .Beziehung auf eines', also der scholastischen convenientia proportions, fern. Er verallgemeinert jedoch den Begriff der geometrischen Analogie, der sich in der convenientia proportio-

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Verwendungen des Wortes .Analogie'

nalitatis wiederfindet. Die geometrische Analogie ist ein Sonderfall dessen, was im Folgenden als mehrstellige Analogie beschrieben wird. Andererseits erfaßt unser Analogiebegriff nicht nur die Verhältnisgleichheit, sondern auch die Gleichheit auf Grund der Geltung eines einstelligen Prädikates. Analog in unserem Sinne sind also nicht nur Rhetorik und Zuckerbäckerei, insofern sie betrügerische Rivalinnen der Rechtskunde bzw. der Medizin sind, sondern auch Rechtskunde und Medizin, insofern sie ehrbare Wissenschaften sind.

II Sprachliche Beschreibung 1 Beschreibungsgegenstand und Beschreibungsinhalt Der Begriff der Analogie setzt den der Beschreibung voraus, der deshalb in einigen Punkten erörtert werden muß. Das Beschreiben gehört wie das Befehlen, das Betteln, das Drohen und manches andere zu den Tätigkeiten, die ein Sprecher ausüben kann, indem er spricht. Die Äußerung ,Napoleon war Korse' - um ein Beispiel aus J. Lyons (1977: 177) zu übernehmen — beschreibt (wenn der Satzakzent auf ,Korse' und nicht auf .Napoleon' liegt) den Sieger von Austerlitz anhand seiner korsischen Herkunft. Wo beschrieben wird, lassen sich Beschreibungsgegenstand und Beschreibungsinhalt unterscheiden. Beschreibung besteht in der Zusprechung eines Beschreibungsinhaltes an einen Beschreibungsgegenstand. Wenn der Adressat die Beschreibung gelten läßt, ordnet er den Beschreibungsinhalt in sein Bild des Beschreibungsgegenstandes ein. Der .Gegenstand' einer sprachlichen Beschreibung braucht kein konkretes Einzelding zu sein (wie die Krone Karls des Großen) oder keine konkrete Einzelperson (wie Napoleon); auch Mehrheiten, Klassen, Kollektive können Gegenstand einer Beschreibung sein. Neben Sachen und Personen können auch Orte, Zeiten, Vorgänge, Zustände, Fälle, Situationen, Institutionen und Abstrakta beschrieben werden; und alles, was beschrieben werden kann, fällt unter den Begriff des Beschreibungsgegenstandes. Ein Gegenstand, den die Sprache beschreibt, braucht deshalb nicht real zu existieren oder vom Sprecher als real existierend gemeint zu sein. Nicht die reale Existenz macht das Sein des Beschreibungsgegenstandes aus, sondern das bloße Beschriebenwerden: esse est describi. Der sprachliche Ausdruck kann die Nennung des Beschreibungsinhalts von der ^Aufstellung' des Beschreibungsgegenstands trennen — wie im obigen Beispielsatz .Napoleon war Korse'. Die Syntax legt fest, daß — bei Betonung des Prädikatsnomens — Napoleon anhand seiner korsischen Herkunft und nicht umgekehrt das Korsentum anhand Napoleons beschrieben wird. Das Subjekt stellt in diesem Beispielfall den

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Sprachliche Beschreibung

Beschreibungsgegenstand auf, und das Prädikatsnomen nennt einen Beschreibungsinhalt, ohne selbst einen Beschreibungsgegenstand aufzustellen. Fällt jedoch der Satzakzent auf das Subjekt, werden (im vorgelegten Beispiel) die Funktionen vertauscht: Nunmehr wird das Korsentum am Beispiel Napoleons beschrieben. Die Nennung eines Beschreibungsinhalts kann mit der Aufstellung des Beschreibungsgegenstandes zusammenfallen oder an ihr beteiligt sein. Die bloße Tatsache, daß der Name ,Napoleon' die Subjektstelle besetzt, spricht dem so aufgestellten Beschreibungsgegenstand bereits gewisse Inhalte zu (deren Identifikation freilich weniger von der Sprach- als von der Geschichtskenntnis des Adressaten abhängt). In dem Satz ,Die Sterne funkelten' nennt das Prädikat einen Beschreibungsinhalt, der für den an Subjektstelle genannten Gegenstand gelten soll. Das Subjekt ,die Sterne' stellt diesen Gegenstand jedoch nicht nur auf, sondern beschreibt ihn seinerseits schon, nämlich als eine Mehrheit von Sternen: Der Beschreibungsinhalt,funkeln' wird einem Gegenstand zugesprochen, dem bei seiner Aufstellung schon der Beschreibungsinhalt .Sterne' zugesprochen wurde. Ein aufgestellter und beschriebener Gegenstand kann seinerseits Teil eines Beschreibungsinhaltes sein, der für einen anderen Gegenstand gilt. In dem Satz ,Die Sterne funkelten am Himmel' stellt die Umstandsbestimmung einen Gegenstand auf, dem sie zugleich den Beschreibungsinhalt ,Himmel' zuordnet. Der so beschriebene Gegenstand dient seinerseits als nähere Bestimmung des Beschreibungsinhalts ,funkeln' und mit diesem zusammen zur Beschreibung des an Subjektstelle genannten Gegenstands ,Sterne'. Die Nennung eines Beschreibungsinhalts kann also im sprachlichen Ausdruck von der Aufstellung des Gegenstandes, den er beschreibt, getrennt sein: ,Die Sterne funkelten'. Sie kann aber auch mit der Aufstellung des Gegenstandes zusammenfallen oder an ihr beteiligt sein: ,Die Sterne funkelten'. Schließlich kann die Aufstellung und gleichzeitige Beschreibung eines Gegenstandes Teil der Nennung eines Beschreibungsinhaltes sein, der für einen anderen Gegenstand gelten soll: ,Die Sterne funkelten am Himmel! Der sprachliche Text baut eine Hierarchie von Beschreibungen auf: Ein genannter Beschreibungsinhalt wird auf einen Gegenstand bezogen, der seinerseits in die Benennung eines übergeordneten Beschreibungsinhalts gehört, dessen Gegenstand wiederum in den Beschreibungsinhalt eines noch höherstufigen Gegenstandes eingeht, usw. Die bildliche Rede, namentlich die Metapher, ist eine besondere Art der Nennung von Beschreibungsinhalten. Die bildliche Nennung von

Beschreibungsgegenstand und Beschreibungsinhalt

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Beschreibungsinhalten fállt wie die unbildliche nicht notwendig mit der Aufstellung des beschriebenen Gegenstandes zusammen. In vielen, wenn nicht gar den meisten Fällen ist sie von ihr getrennt — wie in Luthers Liedvers „Ein' feste Burg ist unser Gott". Das Subjekt ,unser Gott' stellt den Beschreibungsgegenstand auf, nicht ohne ihn seinerseits unbildlich, nämlich als Gott, zu beschreiben; das vorangestellte Prädikatsnomen nennt metaphorisch einen weiteren Beschreibungsinhalt, der dem aufgestellten Gegenstand zugesprochen werden soll. Eine unbildliche Benennung desselben Inhalts könnte .Garant der Sicherheit' oder ,verläßlicher Schutz' lauten. Ein weiteres Beispiel für die Trennung der Gegenstandsaufstellung von der bildlichen Nennung des Beschreibungsinhalts: Vertrauen, dieses schwerste ABC. (Hilde Domin: Lied zur Ermutigung II) Die Apposition beschreibt das Vertrauen metaphorisch als einen elementaren, wenn auch vertrackten Lernstoff. Die Trennung zwischen der Nennung des Beschreibungsinhalts und der Aufstellung des Beschreibungsgegenstandes ist besonders augenfällig, wenn der beschriebene Gegenstand nach der Nennung des Beschreibungsinhaltes im genetivus epexegeücus unbildlich beim Namen genannt wird: ,das Gehege deiner Zähne', ,der Dom des Waldes', ,das Gefängnis der Ehe'. Die bildliche Nennung eines Beschreibungsinhalts kann aber auch mit der Aufstellung des beschriebenen Gegenstands zusammenfallen: Voll von Freunden war mir die Welt, Als noch mein Leben licht war; Nun, da der Nebel fallt, Ist keiner mehr sichtbar. (Hermann Hesse: Im Nebel) Im zweiten Vers ist die bildliche Nennung des Beschreibungsinhalts .licht', der das Prädikatsnomen bildet, von der Aufstellung des Gegenstands ,mein Leben' getrennt, die das Subjekt bildet; im dritten Vers jedoch fallen Nennung des Beschreibungsinhalts und Aufstellung des Beschreibungsgegenstands in dem Subjekt ,der Nebel' zusammen. Bei der Erklärung der Metapher trennt Quintilian nicht die sprachlichen Funktionen der Nennung des Beschreibungsinhaltes einerseits und der Aufstellung des Beschreibungsgegenstandes andererseits (wie überhaupt die antike Rhetorik nicht zwischen Bedeutung und Gegen-

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Sprachliche Beschleibung

stand unterscheidet). Die erste Funktion wird von jeder bildlichen Rede wahrgenommen, die Wahrnehmung der zweiten Funktion kann dagegen dem Kontext des Bildes vorbehalten sein. Die lateinischen Rhetoriker bezeichnen alle inhaltlichen Korrelate des sprachlichen Ausdrucks pauschal als res. Omnis autem oratio constat aut ex iis quae significantur, aut ex iis quae significant, id est rebus et verbis. (Jede Rede besteht nun [je nachdem, von welcher Seite aus man sie betrachtet] entweder aus dem, was zeichenhaft ausgedrückt wird, oder aus dem zeichenhaften Ausdruck, d. h. aus Inhalten und Worten. (Quint. III, 5, 1; s. auch Lausberg 1990: § 45) Unter den Begriff res fallt - ob bei bildlicher oder unbildlicher Rede sowohl ein genannter Beschreibungsinhalt wie auch ein beschriebener Gegenstand. Das Wort significare bezeichnet demgemäß sowohl die Nennung eines Beschreibungsinhaltes wie auch die Aufstellung eines Beschreibungsgegenstandes. Daß Wörter Beschreibungsinhalte nennen können, ohne in demselben Akt auch die Gegenstände aufzustellen, denen sie zugesprochen werden sollen, läßt sich in dieser pauschalen Terminologie nicht darstellen. Eine sichtbare Folge der fehlenden Unterscheidung zwischen dem Beschreibungsinhalt, der die Bedeutung der bildlichen Rede ausmacht, und dem Gegenstand, auf den diese Bedeutung angewendet werden soll, ist die Doppeldeutigkeit des Fachausdrucks verbum proprium. Das übertragen gebrauchte Wort, der bildliche Ausdruck, übernimmt nach klassischer Lehre die Funktion eines unbildlichen Ausdrucks, eben des verbum proprium, entweder weil der bildliche Ausdruck in irgendeiner Hinsicht besser ist als der unbildliche oder weil es einen unbildlichen Ausdruck gleichen Inhalts nicht gibt (Quint. VIII, 6, 5). Man sollte daher erwarten, daß ein verbum proprium den Beschreibungsinhalt, den der bildliche Ausdruck seinem Gegenstand zuspricht, unbildlich benennt. Wenn Achilles bildlich als ,Löwe' bezeichnet wird, müßte das verdrängte verbum proprium etwa lauten: .ungestümer, siegreicher Angreifer'. Stattdessen wird in aller Regel die übliche Bezeichnung des beschriebenen Gegenstandes — in unserem Beispielfall also ^Achilles' — als verbum proprium angesehen. Verräterisch ist die semantische Aufgliederung der Metaphern, die Quintilian vornimmt (VIII, 6, 9 f.): Entweder steht etwas Belebtes für etwas anderes Belebtes oder etwas Unbelebtes für etwas anderes Unbelebtes, oder etwas Unbelebtes steht für etwas Belebtes oder umgekehrt etwas Belebtes für etwas Unbelebtes.

Beschreibungsgegenstand und Beschreibungsinhalt

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huius vis omnis quadruplex maxime videtur: cum in rebus animalibus aliud pro aliud ponitur, ut de agitatore „gubernator magna contorsit equum vi" [...]. (Was alles eine Metapher sein kann, scheint sich 2ur Gän2e in vier Bereichen zu zeigen: (1) wenn bei belebten Dingen das eine für das andere steht, wie es z.B. vom Wagenlenker heißt: „Mit gewaltiger Kraft riß der Steuermann das Pferd herum".) Man muß sich offenbar vorstellen, daß mit den Inhalten die Wörter vertauscht werden oder daß die Vertauschung der Wörter die Vertauschung der Inhalte herbeifuhrt. Die Metapher gubernator (Steuermann) ersetzt das verbum proprium ,agitato·^ (Wagenlenker). Nun ist der Wagenlenker aber der beschriebene Gegenstand, nicht der Beschreibungsinhalt, der ihm durch die Metapher .Steuermann' zugesprochen werden soll. Das Wort .Steuermann' soll nicht etwa die Vorstellung wecken, daß der ehemalige Wagenlenker plötzlich statt der Zügel ein Steuerruder in der Hand hält. Vermutlich soll es die hohe Verantwortung und das erforderliche Können des Wagenlenkers hervorheben, wie wenn man in unserer Zeit einen einfachen Autofahrer mit einem Flugzeugpiloten vergleicht. Die Konfusion von Beschreibungsinhalt und beschriebenem Gegenstand hat sich an die modernen Substitutionstheoretiker weitervererbt. Plett (2000: 183 ff.) sieht in der Metapher die Ersetzung („Substitution") eines unbildlichen Ausdrucks (verbum proprium) durch einen bildlichen (verbum translatum), wobei der ersetzende Ausdruck neben der bildlichen auch eine eigentliche Bedeutung hat, die der des ersetzten (in irgendeiner Hinsicht) ähnlich ist. Eine der vielen Metaphernarten, die Plett unterscheidet, ersetzt ein Wort mit abstrakter Bedeutung durch ein Wort mit konkreter. Als Beispiel nennt Plett das Bunyansche Slough of Despond, „wo das Abstraktum Despond („Verzweiflung") durch das Konkretum Slough („Sumpf") verdinglicht wird" (184). Nun ist aber .Verzweiflung' nicht der durch Slough vermittelte Beschreibungsinhalt, sondern der beschriebene Gegenstand. Man kann auch nicht sagen, daß der Ausdruck Slough den Ausdruck Despond ersetze; denn Despond erscheint im Text fast unmittelbar hinter Slough. Slough ersetzt, wenn man so will, eine unbildliche Benennung dessen, was das Bild ,Sumpf über die Verzweiflung aussagt. Der Fachausdruck verbum proprium vermengt zwei Bedeutungen: Er bezeichnet einerseits (nominell) den unbildlichen Ausdruck, an dessen Stelle der bildliche tritt, und andererseits (tatsächlich) eine übliche Bezeichnung des bildlich beschriebenen Gegenstands. Das verbum proprium zur Metapher .Gefängnis' in der Fügung

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Sprachliche Beschreibung

,Gefängnis der Ehe' müßte ein unbildlicher Ausdruck sein, der den durch .Gefängnis' vermittelten Beschreibungsinhalt paraphrasiert, etwa: .Freiheitsbeschränker'. Tatsächlich jedoch würden die meisten Vertreter der Substitutionstheorie von Quintilian bis Plett das Wort ,Ehe' als verbum proprium ansehen, also die gängige Bezeichnung des Beschreibungsgegenstandes statt der unbildlichen Nennung des Beschreibungsinhalts.

2 Symbolische Darstellung von Beschreibungen Wenn wir den Beschreibungsgegenstand durch einen in runde Klammern gesetzten Kleinbuchstaben und den Beschreibungsinhalt durch einen hinter die schließende Klammer gesetzten Großbuchstaben symbolisieren, ergibt sich für die Beschreibung folgende symbolische Darstellung: (g) I. Ein sprachlicher Ausdruck ordnet einem Gegenstand g den Beschreibungsinhalt I zu. Die Nominalgruppe ,ein funkelnder Stern' vollzieht zwei Beschreibungen: Sie ordnet demselben Gegenstand erstens den Beschreibungsinhalt ,Stern' und zweitens den Beschreibungsinhalt .funkelnd' zu: Es gelten die Beschreibungen (g) S und (g) E Man könnte auch sagen, der durch S schon vorbeschriebene Gegenstand g werde durch F noch ein weiteres Mal beschrieben. Um ausdrücken zu können, daß ein Gegenstand, dem ein Beschreibungsinhalt zugordnet wird, bereits anderweitig vorbeschrieben ist, sei unser Symbolsystem auf folgende Weise erweitert: Das Symbol einer Beschreibung wird durch Setzung in runde Klammern zum Symbol eines (vorbeschriebenen) Beschreibungsgegenstandes, dem wiederum ein Inhalt zugeordnet werden kann. Das Symbol (g) S wird durch Setzung in runde Klammern zum Symbol des vorbeschriebenen Beschreibungsgegenstandes ((g) S). Durch Hinzusetzung von F entsteht das Symbol ((g) S) F. Es bezeichnet eine Beschreibung, die einem Gegenstand g, der zunächst durch S als ,Stern' beschrieben wurde, durch F den zusätzlichen Inhalt .funkelnd' zuordnet. Auch dieses Symbol einer Beschreibung kann durch Setzung in runde Klammern zum Symbol eines — dann zweifach vorbeschriebenen — Gegenstandes werden, dem ein weiterer Beschreibungsinhalt zugeordnet werden kann, etwa Ζ: ,zeigt den drei Weisen den Weg nach Bethlehem', (((g) S) F) Ζ wäre dann die Wiedergabe der Beschreibung, die in folgendem Satz vollzogen wird: .Ein funkelnder Stern zeigt den drei Weisen den Weg nach Bethlehem'.

Symbolische Darstellung von Beschreibungen

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Einerseits kann ein Gegenstand, dem ein Beschreibungsinhalt zugesprochen wird, bereits mit anderen Beschreibungsinhalten ausgestattet sein, und andererseits kann ein Beschreibungsinhalt, der einem Gegenstand zugesprochen wird, seinerseits Aufstellung und Beschreibung von Gegenständen enthalten. Der Beschreibungsinhalt Ζ wird einem Gegenstand zugesprochen, der bereits mit den Inhalten S und F ausgestattet ist, und enthält selbst die Gegenstände ,drei Weise', ,Weg' und Bethlehem'. Die benutzte Symbolik unterscheidet nicht zwischen bildlich und unbildlich benannten Beschreibungsinhalten. Die rechts von der schließenden Klammer stehenden Großbuchstaben bezeichnen die Beschreibungsinhalte ohne Rücksicht auf das sprachliche Verfahren ihrer Evokation. Ein Symbol wie (((g)M)T)P könnte gleichermaßen den Satz ,Das stürmische Meer brachte unser Schiff in Gefahr' wiedergeben, in dem alle Beschreibungsinhalte unbildlich benannt sind, wie auch den Satz ,Das tobende Meer prügelte auf unser Schiff ein', in dem die Inhalte Τ und Ρ bildlich benannt sind. Es gibt Beschreibungen, die ein und denselben Beschreibungsinhalt gleichermaßen mehreren Gegenständen zusprechen, etwa allen Elementen einer Klasse, oder auch nur bestimmten Elementen derselben oder verschiedener Klassen: Alle Pferde sind Unpaarhufer. Einige Pferde lahmen. Die Pferde Rolf und Lisa sind gefleckt. Das Pferd, das Haus und der Garten sind verkauft. Wenn die Gegenstände der Beschreibung identifizierbar und nicht allzu zahlreich sind, könnte man — wie im Falle der letzten beiden Beispielsätze — die Beschreibung, die sich auf mehrere Einzelgegenstände bezieht, durch eine Reihe von Beschreibungen ersetzen, die sich auf je einen der Einzelgegenstände beziehen: ,Das Pferd Rolf ist gefleckt' und ,Das Pferd Lisa ist gefleckt'. Die beiden ersten Beispielsätze dagegen kommen der Nennung von Geltungsbedingungen für bestimmte Beschreibungen von Einzeldingen gleich. Den ersten Beispielsatz könnte man durch die Aufstellung einer hinreichenden Geltungsbedingung für die Beschreibung ,g ist ein Unpaarhufer' ersetzen: Wo immer die Beschreibung ,g ist ein Pferd' gilt, gilt auch die Beschreibung ,g ist ein Unpaarhufer'. Der zweite Beispielsatz entspricht etwa folgender Behauptung: In der Menge aller Gegenstände, auf die der Beschreibungsinhalt ,ist ein Pferd' zutrifft, gibt es eine Untermenge U, in bezug auf

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Sprachliche Beschreibung

die man folgendes sagen kann: Wenn ein Gegenstand g Element von U ist, gilt für ihn die Beschreibung ,g lahmt'. Die von uns benutzte Symbolsprache unterscheidet jedoch nicht zwischen Beschreibungen, in denen der Beschreibungsinhalt einem Einzelgegenstand zugesprochen wird, und Beschreibungen, in denen er jedem Element einer Gegenstandsmenge gleichermaßen zugesprochen wird. In der Beschreibung (g) I kann g einen Einzelgegenstand bezeichnen (das Pferd Rolf) oder eine Menge von Gegenständen (etwa: alle Pferde), für deren jeden der gesamte Inhalt I gelten soll.

3 Ein- und mehrstellige Beschreibungen Beschreibungsinhalte, die einem Einzelgegenstand oder mehreren Gegenständen gleichermaßen und in einem Akt zugesprochen werden, bezeichen wir im Folgenden als einstellig. Der Beschreibungsinhalt .Unpaarhufer' ist einstellig, gleichgültig, ob er dem Pferd Rolf allein oder allen Pferden oder einer bestimmten Untermenge aller Säugetiere zugesprochen wird. Mehrstellige Beschreibungsinhalte hingegen beziehen sich immer auf eine Mehrzahl von Beschreibungsgegenständen, aber sie sagen nicht notwendig über jeden dieser Gegenstände dasselbe aus. Vielmehr setzen sie die Gegenstände (die wiederum auch Mengen sein können) zueinander in Beziehung. ,Rolf und Lisa sind Pferde' ist eine Beschreibung mit einstelligem Inhalt; ,Das Pferd Rolf ist ein Sohn des Pferdes Lisa' dagegen ist eine Beschreibung mit zweistelligem Inhalt. Die zueinander in Beziehung gesetzten Gegenstände eines mehrstelligen Prädikates symbolisieren wir durch Kleinbuchstaben, die, durch Kommata getrennt, gemeinsam in runden Klammern stehen. Der mehrstellige Beschreibungsinhalt steht wie der einstellige als Großbuchstabe rechts hinter der schließenden Klammer. Wenn man ,das Pferd Rolf' als r, ,das Pferd Lisa' als 1 und die Beziehung ,ist ein Sohn von' als S bezeichnet, symbolisiert (r, 1 ) S die Beschreibung ,Das Pferd Rolf ist ein Sohn des Pferdes Lisa'. Ein zweistelliger Beschreiungsinhalt läßt sich auch bildlich benennen. In seinem Gedicht Der schlafende Boas sagt Victor Hugo von dem biblischen Patriarchen, er sei μη reine Rechtschaffenheit gekleidet'. Der Ausdruck ,gekleidet in', der unbildlich das Verhältnis zwischen Träger und Gewand benennt, benennt hier bildlich das Verhältnis zwischen Boas und seiner Rechtschaffenheit: (b, r) K: Die Rechtschaffenheit ist aufs

Ein- und mehrstellige Beschreibungen

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engste mit Boas verbunden und macht ihn in der Masse weithin kenntlich wie ein auffälliges Gewand. Es gibt theoretisch keine Begrenzung für die Stellenzahl von Beschreibungsinhalten. Folgender Satz läßt sich als dreistellige Beschreibung wiedergeben: ,Die gnädige Frau lieh der Hausangestellten ihr Abendkleid'. Das Verb Reihen' nennt einen dreistelligen Beschreibungsinhalt, der die von Subjekt, Dativ- und Akkusativobjekt bezeichneten Gegenstände in das Verhältnis von Leihgeber, Leihgabenempfänger und Leihgabe setzt: (f, h, a) L. Dasselbe Verb kann auch zur bildlichen Benennung eines (dann natürlich etwas anderen) Beschreibungsinhalts dienen: ,Die Robe lieh dem Richter Autorität'. Der Satz drückt aus, daß der Richter seine Autorität der Robe verdankt, also nicht oder nicht nur durch gerechte Amtsführung erworben hat, und daß er sie schnell wieder verlieren kann, wie man eine Leihgabe in der Regel nur auf Zeit besitzt. Die in runden Klammern als Kleinbuchstaben wiedergegebenen Gegenstände einer Beschreibung wollen wir unter der Bezeichnung ,Gegenstandsmenge' zusammenfassen. Die Gegenstandsmengen mehrstelliger Beschreibungen sind geordnet. Bei Änderung der Reihenfolge erhält die Beschreibung einen anderen Sinn, (a, b) I ist — bei gleichbleibender Bedeutung der Einzelsymbole - eine andere Beschreibung als (b, a) I. ,Kain tötete Abel' beschreibt einen anderen Sachverhalt als ,Abel tötete Kain'. Nur unter Sonderbedingungen können Beschreibungen bei veränderter Reihenfolge der Gegenstände denselben Sinn behalten: ,Kain war Abels Bruder' und ,Abel war Kains Bruder'. Die Elementenzahl einer Gegenstandsmenge ist der Stellenzahl des Beschreibungsinhalts gleich: Stehen η durch Kommata voneinander getrennte Kleinbuchstaben gemeinsam in runden Klammern, so ist η auch die Stellenzahl des Beschreibungsinhalts, der durch den Großbuchstaben hinter der schließenden Klammer symbolisiert wird. Wenn man den Beschreibungsgegenstand grundsätzlich als geordnete Menge (auch als geordnete Menge von Mengen) und den Beschreibungsinhalt als grundsätzlich mit einer Stellenzahl versehen betrachtet, besteht kein wesentlicher Unterschied zwischen den Beschreibungen, in denen ein Inhalt einem Einzelgegenstand (oder mehreren Einzelgegenständen auf dieselbe Weise) zugesprochen wird, und Beschreibungen, die Beziehungen zwischen mehreren Gegenständen knüpfen. In den Beschreibungen der ersten Art besteht die Gegenstandsmenge aus nur einem Element, und der Beschreibungsinhalt hat die Stellenzahl 1; in den anderen

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Sprachliche Beschreibung

Beschreibungen hat die Gegenstandsmenge mehr als ein Element, und die Stellenzahl des Beschreibungsinhalts liegt über 1. Die durch Großbuchstaben symbolisierten Beschreibungsinhalte stellt man sich am besten als Beschreibungsformulare vor, in denen die beschriebenen Gegenstände durch Variablen in Form arabischer Zahlen vertreten sind. Wenn diese Variablen durch Bezeichnungen für bestimmte Gegenstände ersetzt werden, entsteht aus dem Beschreibungsformular eine Beschreibung. Einige Beispiele: r: I: (r)I:

das Pferd Rolf [1] ist ein Unpaarhufer. Das Pferd Rolf ist ein Unpaarhufer.

r: 1: K: (e,l) K:

das Pferd Rolf das Pferd Lisa [1] ist ein Sohn von [2]. Das Pferd Rolf ist ein Sohn des Pferdes Lisa.

b: r: n: L: (b, r, n) L:

der Bauer Hinrichs das Pferd Rolf der Nachbar Jensen [1] verkauft [2] an [3]. Der Bauer Hinrichs verkauft das Pferd Rolf an den Jensen.

Wie die Beispiele zeigen, gibt die in eckige Klammern gesetzte Zahl, die als Platzhalter für einen Beschreibungsgegenstand dient, die Stelle an, die der Gegenstand in der geordneten Gegenstandsmenge einnimmt, zu der er gehört. Der erläuterte recht einfache Symbolismus zur Wiedergabe von Beschreibungen wird in der vorliegenden Arbeit nicht als Interpretationsmittel empfohlen, das Beschreibungen, die in natürlicher Sprache verfaßt sind, gewissermaßen unters Mikroskop legt, um ihre Struktur genauer zu erfassen. Er ist auch nicht dazu geeignet, logische Zusammenhänge zwischen Beschreibungen sichtbar zu machen. Wenn etwa r das Pferd Rolf, ρ alle Elemente der Klasse ,Pferd' und I den Beschreibungsinhalt ,[1] ist Unpaarhufer' bezeichnet, so folgt aus der Geltung der Beschreibung (ρ) I die Geltung der Beschreibung (r) I. Dieser logische Zusammenhang ist aber an unserer symbolischen Fassung der Beschreibungen nicht abzulesen; man muß wissen, was ρ und r bedeuten, um ihn zu erkennen. Der Nutzen der gewählten Symbolsprache liegt, wie sich vom nächsten Kapi-

Ein- und mehrstellige Beschreibungen

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tel an zeigen wird, in der bequemen Darstellung von Analogien, die — nach unserer Definition — auf der Geltung eines gemeinsamen Beschreibungsinhalts für zwei verschiedene Gegenstandsmengen beruhen. Unbrauchbar für viele andere Zwecke, aber bequem für unser Anliegen ist die Symbolsprache deshalb, weil sie kein festes Inventar von Zeichen für Gegenstände und Beschreibungsinhalte besitzt. Der Sinn der benutzten Klein- und Großbuchstaben kann von Fall zu Fall festgelegt werden, wie es die Verdeutlichung einer bestimmten Analogie gerade erfordert. Die Freiheit in der Definition von Gegenständen und Beschreibungsinhalten erlaubt es, eine in natürlicher Sprache gegebene Beschreibung je nach Bedarf auf verschiedene Weise wiederzugeben. Z.B. könnte der Satz ,Die Rhetorik ist eine Erfindung der Griechen' als zweistellige Beschreibung symbolisiert werden: r: g: I: (r, g) I:

Rhetorik Griechen [1] ist eine Erfindung von [2]. Die Rhetorik ist eine Erfindung der Griechen.

Diese Darstellung wäre praktisch, wenn man die Analogie des Paares Rhetorik/Griechen mit dem Paar Pyramidenbau/Ägypter herausstellen wollte. p: ä: I: (p, ä) I:

Pyramidenbau Ägypter [1] ist eine Erfindung von [2]. Der Pyramidenbau ist eine Erfindung der Ägypter.

Der Vergleich der beiden Beschreibungssymbole stellt die Analogie heraus: gleicher Beschreibungsinhalt (I) bei verschiedenen Gegenstandsmengen. Die Rhetorik ist gewissermaßen der Pyramidenbau der Griechen. Wenn es jedoch nicht auf die Analogie zwischen den Paaren .Rhetorik/Griechen' einerseits und ,Pyramidenbau/Ägyper' andererseits ankommt, sondern auf die Analogie von Rhetorik und Grammatik, wäre eine einstellige Symbolisierung des Ausgangssatzes ,Die Rhetorik ist eine Erfindung der Griechen' praktischer: r: K: (r) K:

Rhetorik [1] ist eine Erfindung der Griechen. Die Rhetorik ist eine Erfindung der Griechen.

30 g: Κ: (g) K:

Sprachliche Beschreibung

Grammatik [1] ist eine Erfindung der Griechen. Die Grammatik ist eine Erfindung der Griechen.

Wiederum hebt der Vergleich der Beschreibungssymbole die Analogie hervor: derselbe Beschreibungsinhalt (K) bei verschiedenen, diesmal ein-elementigen Gegenstandsmengen. Die Grammatik ist eine Schwester der Rhetorik.

III Analogie 1 Definition Die vorliegende Untersuchung bezeichnet mit dem Wort .Analogie' ein symmetrisches Verhältnis zwischen zwei sprachlich beschriebenen Gegenständen, nicht etwa zwischen Bedeutungen oder sprachlichen Ausdrücken. Das Verhältnis der Analogie besteht zwischen zwei beschriebenen Gegenständen genau dann, wenn für diese Gegenstände ein gemeinsamer Beschreibungsinhalt gilt. Wo die Beschreibungen (a) I und (b) I gelten, sind die Gegenstände a und b einander analog. Eine Menge von mindestens zwei Gegenständen, in der jedes beliebige Element zu jedem beliebigen anderen Element auf Grund ein und desselben gemeinsamen Beschreibungsinhalts in Analogie steht, heißt Analogiemenge. Wenn die Gegenstände a, b, c und d eine Analogiemenge bilden, muß es einen Beschreibungsinhalt I geben, auf Grund dessen a zu b, a zu c, a zu d, b zu c, b zu d und c zu d in Analogie stehen. Alle Elemente derselben Analogiemenge sind einander paarweise Analogiepartner. Daß für zwei Gegenstände ein gemeinsamer Beschreibungsinhalt gilt, schließt nicht aus, daß ein anderer Beschreibungsinhalt nur für einen der beiden Gegenstände gilt. Analogie verträgt sich also mit Verschiedenheit. In einer Welt, in der für zwei Gegenstände grundsätzlich nur gemeinsame Beschreibungsinhalte in Geltung wären, müßte man diese Gegenstände (nach dem Leibnizschen principium identitatis indiscernibiliuni) für identisch halten.

2 Triviale und nicht-triviale Analoge Eine Analogie ist trivial, wenn der gemeinsame Beschreibungsinhalt sich aus üblichen gemeinsamen Bezeichnungen der Analogiepartner ergibt. Zwischen den Aposteln Petrus und Paulus besteht eine triviale Analogie, insofern beide unter der Bezeichnung und dem Begriff Apostel' bekannt sind, aber auch, insofern für beide die gemeinsame Bezeichnung .Heiliger' oder .Mensch' naheliegt. Mit einer naheliegenden

32

Analogie

gemeinsamen Bezeichnung können — auf Grund des zugrunde liegenden semantischen Systems oder auf Grund geläufiger Assoziationen — weitere gemeinsame Beschreibungsinhalte gegeben sein: Nicht nur als Menschen, sondern auch als Lebewesen, Zweibeiner und Sterbliche sind die Apostel Petrus und Paulus einander auf triviale Weise analog. Auch wenn die üblichen Bezeichnungen verschieden sind, können sie auf Grund eines geläufigen Hyperonyms triviale Analogien stiften: Hammer und Zange sind als Werkzeuge, Montag und Dienstag als Wochentage einander analog. Mit einem naheliegenden gemeinsamen Oberbegriff können — wiederum auf Grund des semantischen Systems oder geläufiger Assoziationen — weitere gemeinsame Beschreibungsinhalte gegeben sein: Nicht nur als Werkzeuge, sondern auch als Artefakte und letztlich als Gegenstände sind Hammer und Zange — und nicht nur als Wochentage, sondern auch als Zeitabschnitte und schließlich als Bestandteile eines üblichen Systems der Zeiteinteilung sind Montag und Dienstag einander auf triviale Weise analog. Die bildliche Rede beruht auf nicht-trivialen Analogien. Die Analogie zwischen Sonne und Tod ist trivial, wenn der gemeinsame Beschreibungsinhalt, der sie begründet, .Bestandteil unserer Welt' lautet. La Rochefoucauld jedoch setzt Sonne und Tod in eine nicht-triviale Analogie, wenn er von beiden behauptet, daß man sie nicht unverwandt ansehen kann (Maximen, 26). Eine nicht-triviale Analogie besteht auch zwischen Wort und Münze, insofern beide ihren Wert einer gültigen Konvention verdanken, ferner zwischen einem Geizhals und einem fetten Schwein, wenn Friedrich von Logau Recht hat: Den Geizhals und ein fettes Schwein Schaut man im Tod erst nützlich sein.

3 Analogiewur^el Jede Analogie, ob trivial oder nicht, beruht auf der Geltung von Beschreibungen, die verschiedenen Gegenstandsmengen denselben Beschreibungsinhalt zusprechen. Die Menge der Beschreibungen, die eine Analogie begründen, heißt im folgenden .Analogiewurzel'. Die Wurzel der Analogie zwischen einem Roßtäuscher und einem alten Fuchs könnte in einem Paar aus Beschreibungen bestehen, das den Analogiepartnern den gemeinsamen Beschreibungsinhalt .gerissen' zuordnet:

Global- und Detailanalogie

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(r) G und (f) G. Eine Analogiewurzel besteht aus so vielen Beschreibungen, wie die entsprechende Analogiemenge Elemente enthält. Die Begründung einer zwei-elementigen Analogiemenge erfordert zwei Beschreibungen, die einer drei-elementdgen drei, usw. Die auf dem Beschreibungsinhalt ,[1] ist ein Statussymbol' beruhende Analogie zwischen einem Ferrari, einem Armani-Anzug und einer diamantbesetzten Krawattennadel aus dem Hause Cartier erfordert eine Wurzel aus drei Beschreibungen: (f) S, (a) S und (k) S. Natürlich können auch mehrstellige Beschreibungen Analogien (zwischen Gegenstandsmengen) begründen. Die folgenden Einzelsymbole dienen zur Darstellung einer Analogiewurzel aus drei dreistelligen Beschreibungen: a: Hunderassen b: Wolf c: Pudel d: romanische Sprachen e: Latein f: Französisch g: westliche Tragödien h: klassisch-griechische Tragödie i: Tragödie der französischen Klassik I: Alle [1] stammen von [2] ab. Unter der Nachkommenschaft von [1] bildet [3] eine besonders hochgezüchtete Variante. Analogiewurzel: (a,b,c) I (d, e, f) I (g, h, i) I Die Analogiewurzel könnte etwa folgenden metaphorischen Äußerungen zugrunde liegen: ,Die französische Tragödie der Klassik ist der Pudel unter der Nachkommenschaft der griechischen Tragödie' oder JDas Französische, der Pudel unter den romanischen Sprachen, verleugnet dennoch nicht die Wolfsnatur seines lateinischen Ahnherrn'.

4 Global- und Detailanalogie Analogie besteht im Fall mehrstelliger Beschreibungsinhalte nicht nur zwischen den Gegenstandsmengen als ganzen, sondern auch zwischen

34

Analogie

den gleichplatzierten Gegenständen der verschiedenen Mengen, also zwischen den Hunderassen, den romanischen Sprachen und den neueren westlichen Tragödien, insofern sie Nachkommen sind, ferner zwischen dem Wolf, dem Latein und der griechischen Tragödie, insofern sie Stammväter bzw. Stamm-Mutter sind, sowie zwischen dem Pudel, der französischen Sprache und der Tragödie der französischen Klassik, insofern sie hochgezüchtete Varianten unter Gleichstämmigen sind. Die Analogie zwischen den Gegenstandsmengen der Wurzel heißt im Folgenden .Globalanalogie', die Analogie zwischen gleichplatzierten Elementen verschiedener Gegenstandsmengen dagegen .Detailanalogie'. Auf Grund der obigen Wurzel besteht eine Globalanalogie zwischen einem biologischen, einem sprachhistorischen und einem literarhistorischen Sachverhalt sowie eine Detailanalogie u. a. zwischen dem Wolf, dem Latein und der griechischen Tragödie. Die Menge der gleichplatzierten Elemente aus den verschiedenen Gegenstandsmengen derselben Wurzel heißt ,Positionsmenge'. Da zwischen beliebigen Elementen jeder Positionsmenge eine Analogiebeziehung auf Grund derselben Beschreibung besteht, sind Positionsmengen Analogiemengen. Jeder Gegenstand, der in einer Analogiewurzel aufgeführt ist, gehört sowohl einer Gegenstandsmenge wie auch einer Positionsmenge an. Die Grundmenge aller in einer Wurzel symbolisierten Gegenstände verteilt sich restlos auf Gegenstandsmengen und ebenso restlos auf Positionsmengen. Eine Analogiewurzel enthält so viele Gegenstandsmengen, wie die durch sie begründeten Analogiemengen Elemente haben, und so viele Positionsmengen, wie der Beschreibungsinhalt Stellen hat. In unserer Darstellung (III, 3) bilden die in derselben Klammer symbolisierten Gegenstände eine Gegenstands-, die untereinander in derselben Spalte symbolisierten eine Positionsmenge. Die durch a, b und c symbolisierten Gegenstände gehören derselben Gegenstandsmenge, die durch a, d und g symbolisierten derselben Positionsmenge an. Jede Analogiewurzel enthält mindestens zwei Gegenstandsmengen und mindestens eine Positionsmenge. Eine Globalanalogie läßt sich in Detailanalogien ausmünzen, deren jede in einer einstelligen Wurzel darstellbar ist. Dem scherzhaften Spruch .Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste' läßt sich folgende Analogiewurzel zugrunde legen: (a, b) (c,d)

I I

Wurzelgleichheit

a: b: c: d:

35

Porzellankiste Vorsicht Kleinkind Mutter

I: Der schonende Umgang mit dem gefährdeten Gut [1] wird am ehesten durch [2] gewährleistet. Die Globalanalogie zwischen dem Umgang mit Porzellankisten und der Kinderaufzucht läßt sich — unter Nutzung des gegebenen Beschreibungsinhalts I — in die Detailanalogien zwischen Porzellankiste und Kleinkind sowie zwischen Vorsicht und Mutter ausmünzen: (a) Κ

(c) Κ (b) L (d) L

Κ: [1} ist ein gefährdetes Gut, das schonende Behandlung erfordert. L: [1] gewährleistet den schonenden Umgang mit einem gefährdeten Gut. Die einstelligen Beschreibungsinhalte Κ und L ersetzen je eine Variable aus I durch die Bezeichnung eines Gegenstandes, soweit der Kontext in I ihn festlegt. Ein solcher abstrakter Ersatz für die in der mehrstelligen Wurzel bereitgehaltenen Gegenstandsbezeichnungen ist immer möglich. Infolgedessen lassen sich alle durch mehrstellige Analogiewurzeln begründeten Detailanalogien auch als einstellig begründete Analogien darstellen.

5 Wur^elgkichheit Zwei Analogien sind wurzelgleich, wenn derselbe Beschreibungsinhalt in beiden Fällen die analogiestiftende Gemeinsamkeit ausmacht. Auf Grund der gemeinsamen Wurzel (a) I (b) I

(c) I

(d) I

sind die Analogien zwischen a und b, zwischen a und c, zwischen a und d, zwischen b und c, zwischen b und d sowie zwischen c und d

36

Analogie

wurzelgleich. Verschiedene Analogien, auf Grund deren die Analogiepartner zu derselben Analogiemenge gehören, sind wurzelgleich. Wenn der analogiestiftende Beschreibungsinhalt in jedem Fall ,[1] ist ein Statussymbol' lautet, ist die Analogie zwischen einem Ferrari und einem Armani-Anzug mit der Analogie zwischen einer Krawattennadel aus dem Hause Cartier und der Mitgliedskarte eines exklusiven Golfklubs wurzelgleich. Eine zweite, in unserem Zusammenhang interessantere Art der Wurzelgleichheit besteht zwischen den verschiedenen Detailanalogien derselben Globalanalogie. Die Analogien zwischen a und d, zwischen b und e sowie zwischen c und f sind wurzelgleich, wenn sie aus folgender Wurzel hervorgehen: (a,b,c) I (d, e, f) I. Nehmen wir an, die erste Beschreibung besage ,Die schwache Maus befreit den starken Löwen aus dem Netz des Jägers' und die zweite ,Der kleine Angestellte befreit den mächtigen Konzernchef aus einer finanziellen Zwangslage'. Dann bestehen — außer der Globalanalogie zwischen einem Fabelhergang und einem Vorfall aus der realen Wirtschaftswelt — wurzelgleiche Detailanalogien zwischen der Maus und dem Angestellten, zwischen dem Löwen und dem Konzernchef sowie zwischen der Verfangenheit in einem Jagdnetz und einer finanziellen Zwangslage. Die Wurzelgleichheit beruht, wie die Definition es verlangt, auf einem gemeinsamen Beschreibungsinhalt, der alle drei Analogien begründet. Dieser Beschreibungsinhalt, I, ließe sich wie folgt bestimmen: ,[1], dem man eine solche Leistung nicht zugetraut hätte, befreit den ihm sonst weit überlegenen [2] aus der bedrohlichen Situation [3]'. Der gemeinsame mehrstellige Beschreibungsinhalt begründet zwar die Wurzelgleichheit zwischen Analogien, die innerhalb verschiedener Positionsmengen derselben Wurzel bestehen; er sagt aber nicht dasselbe über die Analogiepartoer aus, die zu unterschiedlichen Positionsmengen gehören. Die Analogie zwischen Maus und Angestelltem ist auf Grund des gemeinsamen Beschreibungsinhalts I mit der Analogie zwischen Löwe und Konzernchef wurzelgleich. Aber der gemeinsame Beschreibungsinhalt sagt über die Maus und den Angestellten nicht dasselbe aus wie über den Löwen und den Konzernchef. Das zeigt sich, wenn man, wie oben vorgeführt, die Detailanalogien als ein-elementige Beschrei-

37

Wurzelgleichheit

bungen darstellt. Maus und Angestellter sind kleine Wundertäter, Löwe und Konzernchef überraschte Nutznießer der Wundertat, und die Verfangenheit in einem Jagdnetz sowie die finanzielle Zwangslage sind Notsituationen, die durch eine unverhoffte Wundertat beendet werden. Es gibt also zwei Arten der Wurzelgleichheit: Bei der ersten Art sagt der Beschreibungsinhalt, der die Wurzelgleichheit der Analogien begründet, über die Partner aller Analogien, die untereinander wurzelgleich sind, dasselbe aus. Bei der zweiten Art, die zwischen den verschiedenen Detailanalogien derselben Globalanalogie besteht, sagt er über die Partner verschiedener Detailanalogien Verschiedenes aus. Allerdings sind diese Aussagen voneinander abhängig: Was die analogiestiftende Gemeinsamkeit von Maus und Angestelltem ausmacht, wird mit Hilfe der Gemeinsamkeit beschrieben, die zwischen Löwe und Konzernchef besteht, und umgekehrt. Maus und Angestellter können überraschend einem weit Überlegenen aus einer Notlage helfen; Löwe und Konzernchef genießen in einer Nodage eine überraschende Hilfe, die von einem weit Unterlegenen kommt. Verfangenheit in einem Netz und finanzielle Zwangslage sind Gelegenheiten, in denen ein sonst Unterlegener einem sonst Überlegenen überraschend hilft. Im Folgenden geht es um diese zweite Art der Wurzelgleichheit. Daß zwischen den Detailanalogien, die im Rahmen derselben Globalanalogie auftreten, ein besonderer semantischer Zusammenhang besteht, ist auch der klassischen Rhetorik nicht verborgen geblieben. Quintilian erklärt diesen Zusammenhang als Weiterfiihrung einer Ausgangsanalogie. Die Figur der Allegorie liefert Beispiele zusammenhängender Detailanalogien: Eine Allegorie [...] entsteht meistens durch Weiterfuhrung von Einzelmetaphern. Das zeigt folgendes Beispiel: „O Schiff, neue Fluten werden dich ins offene Meer zurücktragen! O was beginnst du? Laufe beherzt den Hafen an!" und die gesamte Horazstelle [Carmina I, 14], wo der Autor ,Schiff anstelle von ,Staat', ,Fluten' und ,Stürme' anstelle von ,Bürgerkriege' und ,Hafen' anstelle von ,Frieden' und ,Eintracht' sagt. (Quint. VIII, 6, 44) Die von Quintilian als weitergeführte Metaphern erklärten Analogien haben folgende gemeinsame Wurzel, die sie als Detailanalogien einer gemeinsamen Globalanalogie ausweisen: (Schiff, (Staat,

Fluten und Stürme, Bürgerkriege,

Hafen) Frieden und Eintracht)

I I

38

Analogie

Der dreistellige Beschreibungsinhalt I läßt sich wie folgt wiedergeben: ,Ο teures Gut [1], neue Unbilden der Art [2] werden dich abermals in Untergangsgefahr bringen! O, was beginnst du? Strebe beherzt in Richtung [3]!' Der besondere semantische Zusammenhang, den die Alten zwischen den verba translata continuata (Cie. De or. III, 41, 166) und die Neuen zwischen den fortgesponnenen Metaphern (métaphores filées) erkannt haben, läßt sich mit dem Begriff der Wurzelgleichheit (zweiter Art) präziser fassen.

6 Bildfeld Das Wort .Bildfeld' bezeichnet in der vorliegenden Arbeit — anders als bei Weinrich (1976: 276 ff.), der es in die Literaturwissensschaft eingeführt hat — eine Analogiewurzel, sofern sie auf eine bestimmte Art dargestellt ist. Die geforderte Darstellungsart besteht in einer Anordnung der Bezeichnungen von Beschreibungsgegenständen auf einer — mindestens gedanklich — in Kästchen aufgeteilten Fläche: Bezeichnungen in horizontal (in derselben .Zeile") nebeneinander stehenden Kästchen repräsentieren Gegenstände derselben Gegenstandsmenge, aus der durch Zuordnung zu einem Beschreibungsinhalt eine Beschreibung entsteht. Eine Gegenstandsmenge kann im Grenzfall nur einen einzigen Gegenstand enthalten, so daß die Reihe der nebeneinander zu setzenden Gegenstandsbezeichnungen auf ein einziges Glied zusammenschrumpft. Die einzelnen horizontal angeordneten Gegenstandsbezeichnungen sind gleichzeitig Glieder von vertikal angeordneten Reihen (Spalten), die aus mindesten zwei Gegenstandsbezeichnungen bestehen. Alle horizontalen Reihen desselben Bildfeldes haben dieselbe Gliederzahl, ebenso alle vertikalen Reihen. Die Bezeichnungen, die in derselben vertikalen Spalte unter- bzw. übereinander stehen, bilden eine Positionsund folglich eine Analogiemenge. Die einzelnen vertikalen Spalten werden mit fordaufenden Nummern überschrieben, die den Platz der bezeichneten Gegenstände in der jeweiligen Gegenstandsmenge anzeigen. Die übereinander liegenden horizontalen Reihen des Bildfeldes heißen Bildfeldbereiche. Sie werden durch Großbuchstaben unterschieden. Jedem Bildfeld ist eine Strukturformel beigegeben. Sie enthält das Wur-

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Bildfeld

zelprädikat, d.h. einen Beschreibungsinhalt, der mit jeder der — in übereinander liegenden Reihen repräsentierten — Gegenstandsmengen eine Beschreibung ergibt. Als Beispiel diene ein Bildfeld, das folgendem Vierzeiler Friedrich von Logaus (1604-1655) zugrunde liegt: Der Tod ist unser Vater, von dem uns neu empfängt Die Erde, unsre Mutter, und uns in ihr vermengt; Wann nun der Tag wird kommen und da wird sein die Zeit, Gebiert uns diese Mutter zur Welt der Ewigkeit. Das zweibereichige Bildfeld besteht aus einer Anordnung folgender Gegenstandsbezeichnungen (die nicht unbedingt wörtliche Textzitate sein müssen): A Β

1 Tod Vater

2 Erde Mutter

3 Wiedergeburt zum ewigen Leben Geburt zum irdischen Leben

Strukturformel: Die auslösende Tätigkeit von [1] und die weiterverarbeitende von [2] sind notwendige Schritte auf dem Weg des Menschen zu [3]. Die Strukturformel ergibt mit den Einsatzwerten des ersten (A) sowie des zweiten Bildfeldbereichs (B) je eine (im Rahmen des Logau-Textes) gültige Beschreibung. Die beiden Beschreibungen begründen sowohl die Globalanalogie zwischen den Bildfeldbereichen ,irdisches Leben' und ,ewiges Leben' wie auch die Detailanalogien zwischen Vater und Tod, zwischen Mutter und Erde sowie zwischen irdischer Geburt und ^Auferstehung des Fleisches'. Ein Bildfeld ist die Darstellung einer Gegenstandsmenge, die sich in — mindestens zwei — geordnete, gleich große und gleich strukturierte Untermengen, die ,Bildfeldbereiche', gliedert. Wie die Positionen innerhalb der strukturgleichen Mengen anhand arabischer Ziffern unterschieden werden, so die Untermengen, die die Bildfeldbereiche bilden, anhand von Großbuchstaben. Die gemeinsame Struktur der Bildfeldbereiche drückt sich in einer zum Bildfeld gehörigen Strukturformel aus. Die Variablen in der Strukturformel verweisen durch ihre Numerierung auf die Positionen in den Bildfeldbereichen. Indem die Strukturformel das gemeinsame Beziehungsnetz beschreibt, das innerhalb der Bildfeldbereiche die einzelnen Positionen miteinander verknüpft, definiert sie eine Klasse von Gegenstandsmengen, zu der auch die Bildfeldbereiche

Analogie

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gehören. Die Beschreibungen, die entstehen, wenn die Variablen durch die entsprechenden Gegenstandsbezeichnungen eines Bildfeldbereichs erset2t werden, ordnen den Bildfeldbereich in die Gegenstandsmenge ein, die durch die Strukturformel definiert wird. Bildfelder sind Erklärungsschemata für explizite oder implizite Analogsetzungen. Die Aussage ,Liebe ist ein Märchen' läßt sich durch ein Bildfeld mit zwei ein-elementigen Bereichen explizieren: A Β

1 Liebe Märchen

Solange der Kontext der Aussage unbekannt ist, bieten sich mehrere Strukturformeln mit gleichem Recht als Explikationen an, darunter die folgenden: Strukturformel 1: Strukturformel 2:

[1] ist ein Hirngespinst. [1] bietet den Rahmen für wunderbare Erlebnisse.

Nicht-triviale mehrstellige Analogien gehören zu den Vorlieben des Maximenverfassers La Rochefoucauld (1613 — 1680). Die Tugenden verlieren sich im Eigennutz, wie die Flüsse sich im Meer verlieren. (Maximen, 171) Die Interpretation dieses bildlichen Vergleichs läßt sich als zweistellige Analogiewurzel in Form eines Bildfeldes ausdrücken: A Β

1 Tugenden Flüsse

2 Eigennutz Meer

Strukturformel: Wenn man dem kleinen [1] lange genug nachgeht, zeigt sich, daß es von gleicher Substanz ist wie das große [2]. [1] ist die gebändigtere, harmlosere Erscheinungsform von [2], Die gewählte Strukturformel bedient sich ihrerseits bildlicher Rede, indem sie Wörter wie .nachgehen' und .Substanz' benutzt, deren Sinn in eigenen Analogiewurzeln expliziert werden könnte. Wir wollen bildliche Rede in Strukturformeln zulassen, wenn sie über das Beziehungsnetz, das für alle Bildfeldbereiche gilt, mehr sagt als der zu erklärende Text. Deshalb darf das Bild, das der Text selbst verwendet, in der Strukturformel nicht wiederholt werden (etwa: ,[1] verliert sich in [2]*). Mittelbare

Bildfeld

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Zirkularität — wie sie in Lexika üblich ist — soll dagegen zulässig sein. In der Strukturformel zu einer ersten Analogie darf eine zweite Analogie vorkommen, auch wenn die Strukturformel zu der zweiten Analogie wieder die erste verwendet. Der tabellarische Teil der Analogiewurzel, die mit Großbuchstaben oder arabischen Ziffern gekennzeichneten Gegenstandsmengen, zeigt, welche Gegenstände und Gegenstandsmengen zueinander in Analogie stehen und daher einander beschreiben können. Was der Leser über das Verhältnis zwischen Flüssen und Meer weiß, verwendet La Rochefoucauld zur Beschreibung des Verhältnisses zwischen Tugenden und Eigennutz. Geographisches Wissen wird auf Seelenkunde „projiziert", wie George Lakoff (1993) sagen würde. Solange jedoch Sprache sinnvoll verwendet -wird, geschieht eine solche Projektion nicht, ohne daß den Sprecher zumindest die Ahnung einer Klassengemeinschaft der Bildfeldbereiche angewandelt hätte. Die bildliche Rede projiziert einen ersten Bereich auf einen zweiten, um den zweiten Bereich als Element einer Klasse zu kennzeichnen, in die auch der erste gehört. La Rochefoucauld will das Verhältnis von Tugenden und Eigennutz nicht in jeder oder auch nur in irgendeiner unbestimmten, sondern in einer ganz bestimmten Hinsicht mit dem Verhältnis zwischen Flüssen und Meer gleichsetzen: Bei näherer Prüfung zeigt sich, daß Flüsse und Tugenden die harmlosere und zivilisationsfreundlichere Erscheinungsform von etwas sind, dessen tieferes, barbarischeres Wesen sich unverstellter im Meer bzw. im Eigennutz zeigt. Die beiden Bildbereiche gehören in die gemeinsame Klasse der Gegenstandspaare, deren Glieder von gegensätzlicher Bedeutung für den Menschen, aber im innersten Wesen gleichartig sind. Warum ein Sprecher die Klasse, in die er eine Gegenstandsmenge (Tugenden, Eigennutz) einordnen will, nicht unmittelbar beim Namen nennt, sondern lieber anhand einer anderen, aber gleichklassigen Gegenstandsmenge (Flüsse, Meer) evoziert, kann verschiedene Gründe haben. Vielleicht sieht der Sprecher sich außer Stande, die Klasse besser zu kennzeichnen denn als gemeinsame Klasse zweier — ihrerseits beim Namen genannter — Gegenstandsbereiche. Er weiß über die gemeinte Klasse nichts Aufschlußreicheres zu sagen, als daß der herangezogene Bildbereich sie prototypisch repräsentiert. Vielleicht auch könnte der Sprecher die Klasse sehr wohl unmittelbar kennzeichnen, wenn er wollte, aber er zieht die Kennzeichnung durch Hinweis auf ein bekanntes Klassenmitglied vor, weil er sie für kürzer, einfacher oder wirkungsvoller hält.

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Analogie

7 Mehrfache Verwurzelung Zwei Gegenstände oder Gegenstandsmengen sind, wie wir festgelegt haben, einander analog, insofern für beide ein gemeinsamer Beschreibungsinhalt gilt. Wenn mehr als nur ein gemeinsamer Beschreibungsinhalt für zwei Gegenstände oder Gegenstandsmengen gilt, hat die Analogie zwischen ihnen mehr als eine Wurzel. Die Zählung der Wurzeln einer Analogiemenge fuhrt allerdings vor theoretische Probleme. Wenn zwei Beschreibungsinhalte I und Κ gleichermaßen für die Gegenstände a und b gelten, wenn also die Beschreibungen (a) I und (b) I ebenso wie die Beschreibungen (a) Κ und (b) Κ als gültig beansprucht werden, lassen sich grundsätzlich I und Κ zu einem komplexeren Beschreibungsinhalt (sagen wir: L) zusammenfassen, so daß die zweifache Wurzel der Analogie zwischen a und b durch eine gleichwertige einfache ersetzt wird: (a) L, (b) L. Um ohne Willkür zwischen einfacher und mehrfacher Verwurzelung zu unterscheiden, braucht man ein Kriterium, das in bestimmten Fällen die Zusammenfassung zweier Beschreibungsinhalte verbietet und in bestimmten anderen Fällen verlangt. Dieses Kriterium kann schwerlich in dem Reichtum eines Beschreibungsinhaltes bestehen, da uns kein Verfahren zur Verfügung steht, Beschreibungsinhalte in letzte semantische Bestandteile zu zerlegen, so daß man eine Zahl von semantischen Atomen festlegen könnte, oberhalb der die Aufspaltung gefordert und unterhalb der sie verboten wäre. Als brauchbare Kriterien der Aufteilung eines Beschreibungsinhalts kommen einerseits die Disparatheit der Inhaltsteile in Betracht, andererseits der erkennbare Wille des Sprechers, zwei verschiedene Gemeinsamkeiten der Analogiepartner auseinander zu halten oder gar gegeneinander zu setzen. Eigenschaften, die in aller Regel unabhängig voneinander auftreten und unter gesonderten Gesichtspunkten von Interesse sind, wollen wir auf verschiedene Beschreibungsinhalte verteilen; Eigenschaften hingegen, von denen die eine nicht ohne die andere vorkommt und die unter demselben Blickwinkel wahrgenommen werden, wollen wir, wenn sie zwei oder mehr Gegenständen gleichermaßen zukommen, in demselben Beschreibungsinhalt zusammenfassen. Die Beschreibungsinhalte ,[1] ist unvernünftig' und ,[1] ist aberwitzig' werden zusammengefaßt, da der zweite nie ohne den ersten zutrifft. Ähnlich werden die Beschreibungsinhalte ,[1] ist gesund' und ,[1] ist kräftig', wenn sie auf zwei oder mehr Gegenstände gleichermaßen zu-

Mehrfache Verwurzelung

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treffen, in einem einzigen Beschreibungsinhalt vereint, da sie ihren Gegenstand gewissermaßen aus demselben Blickwinkel beschreiben. Merkmale jedoch, die unter gänzlich verschiedenen Fragestellungen ins Blickfeld treten und deren gemeinsames Zutreffen auf einen Gegenstand eine ungewöhnliche Konstellation bildet, verteilen sich auf zwei oder mehr Beschreibungsinhalte. Die Metapher ,Dom des Waldes' beruht einerseits auf der Analogie zwischen den Pfeilern, deren Spitzen sich in den Gewölben verlieren, und den hochragenden Baumstämmen, deren Spitzen sich zu Kronen verzweigen, andererseits auf dem Gefühl der Gottesnähe, das den Besucher überkommt. Die außergewöhnliche Konstellation der gemeinsamen Merkmale legt getrennte Analogiewurzeln nahe: A Β

1 Wald Dom

Strukturformel I: Aus dem Boden von [1] ragt eine Vielzahl zylindrischer Körper empor, die sich in der Höhe verzweigen. Strukturformel K: In [1] spricht Gott zu den Herzen. William Carlos Williams scheint in folgendem poetischem Vergleich die zweifache Verwurzelung der Analogie als besonderen Effekt unterstreichen zu wollen: the sky / is smooth / as a turquoise. Der Vergleich zwischen Himmel und Türkis wird durch zwei Gemeinsamkeiten gerechtfertigt: Farbe und Glätte. Die erste braucht der Autor nicht zu nennen, weil sie sich dem Leser ohnehin aufdrängt (schon weil der Name des Edelsteins zugleich die gemeinte Farbe benennt). Die zweite, weniger offensichtliche dagegen formuliert er als ausdrückliches tertium comparationis. Es wäre banausisch, die beiden Gemeinsamkeiten in einem einzigen Beschreibungsinhalt zusammenzufassen — etwa weil es sich in beiden Fällen um Sinneseindrücke handelt —, während der Autor die Glätte als überraschende Gemeinsamkeit hervorhebt, die zu der gemeinsamen Farbe hinzutritt.

IV Metapher Nach alter rhetorischer Lehre setzt die Metapher eine Ähnlichkeit (similitude) zweier Gegenstände voraus (Cie. De or. III, 156ff.). Die vorliegende Arbeit bleibt dieser neuerdings nicht mehr unbestrittenen Auffassung treu. Sie ersetzt allerdings das Wort ^Ähnlichkeit' durch den neu definierten Fachausdruck ^Analogie', der in der Antike eine engere Bedeutung hatte (I). Wer ein Wort metaphorisch gebraucht, unterstellt eine nicht-triviale Analogie zwischen dem Gegenstand, auf den das Wort im gerade vorliegenden Fall angewandt wird, und gewissen Gegenständen, auf die es in wörtlicher Bedeutung angewandt werden könnte. Wer die Ehe ein Gefängnis nennt, setzt eine Analogie zwischen der so beschriebenen Institution und einem wirklichen Gefängnis voraus, ohne im gleichen Atemzug hinzusetzen zu müssen, worauf diese Analogie beruht, etwa auf der kargen, aber sicheren Versorgung oder dem Freiheitsentzug. Trotz des Zusammenhangs der Sachverhalte, die unter die Begriffe ^Analogie' und .Metapher' fallen, liegen die Begriffe selbst auf verschiedenen Ebenen: Analogie ist eine Beziehung zwischen zwei Beschreibungsgegenständen, Metapher dagegen ein besonderes Verfahren der Wortbenutzung. Um die Besonderheit zu kennzeichnen, muß zunächst die Normalität der beschreibenden Zuordnung von Wörtern zu Gegenständen in einiger Ausführlichkeit erläutert werden.

1 Regelung der ¡eigentlichen' Anwendung beschreibender Wörter 1.1 Wort, Bedeutung, beschriebener Gegenstand Die beschreibende Anwendung von Wörtern auf Gegenstände richtet sich nach Regeln. Das Sprachsystem ordnet dem Wort eine Bedeutung (signification) — oder auch mehrere Bedeutungen — zu. Jede Bedeutung legt eine — meist offene — Menge von Gegenständen fest, auf die das Wort angewandt werden kann. Wir bezeichnen diese Gegenstandsmenge im Folgenden als ,Theoretischen Anwendungsbereich' (TA). Der

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Metapher

TA des Wortes ,Tisch* ist die — wenn auch unklar begrenzte - Menge aller Tische, der des Wortes .Fahrrad' die Menge aller Fahrräder und der des Wortes .schlafen' die Menge aller schlafenden Lebewesen. Als Bestimmerin des TA ist die Bedeutung zugleich der Beschreibungsinhalt, den das Wort seinem Anwendungsgegenstand zuspricht. Dieser Beschreibungsinhalt besteht aus genau den Zügen, die einen Gegenstand zum Element des TA machen. Das Wort .Tisch' beschreibt seinen Gegenstand anhand der Merkmale, die ihn als Element des TA ,Tisch' ausweisen, also nicht etwa anhand von Farbe, Größe oder Material, die bei verschiedenen Tischen verschieden sein können und die ein Tisch mit andersartigen Gegenständen teilen kann, sondern anhand seiner Beschaffenheit als Platte auf Stützen. Eine wegen ihrer Selbstverständlichkeit kaum je formulierte Regel verlangt, beschreibende Wörter nur auf Gegenstände anzuwenden, die als Elemente des durch die Bedeutung festgelegten TA beschrieben werden sollen. Die Regel wird befolgt, wenn ein Sprachteilnehmer einen Gegenstand mit dem Wort ,Tisch' als Element aus dem TA dieses Wortes beschreiben will. Ob der beschriebene Gegenstand tatsächlich — etwa aus der Sicht zuständiger Fachleute — in den TA gehört, ob er tatsächlich ein Tisch ist, spielt für die Wahrung der Regel keine Rolle. Wer das Wort,Tisch' benutzt, um ein Fahrrad als Tisch zu beschreiben, gibt bei systemgerechtem Wortgebrauch eine unzutreffende Beschreibung. Wörter lassen sich sprachlich korrekt zu falschen Beschreibungen benutzen, wie ja auch wohlgeformte Aussagesätze unwahr sein können. Die beschreibende Anwendung eines Wortes auf einen Gegenstand ist — bei Befolgung der Anwendungsregel — durch die Bedeutung motiviert. Man wählt nicht irgendein Wort, sondern das Wort, dessen Bedeutung man dem Gegenstand als Beschreibungsinhalt zusprechen will. Die Zuordnung von Wort und Bedeutung ist dagegen — mit Einschränkungen — „arbiträr", wie Saussure sagt. Der Beschreibungsinhalt, den ein Wort vermittelt, besteht aus den Bedingungen, die der beschriebene Gegenstand erfüllen muß, um in den TA zu gehören, den die Wortbedeutung festlegt - so wie die Bedeutung eines Aussagesatzes aus den Bedingungen besteht, die eine Welt erfüllen muß, um den Satz — in ihr — zu bewahrheiten. Die Bedingungen der Zugehörigkeit zu einem TA können für alle Elemente des TA — mehr oder weniger — gleich oder für verschiedene Untermengen des TA verschieden sein. Die Fesdegung eines TA kann auf Merkmalen beruhen, die unterschiedslos jedem Element zukom-

Regelung der .eigentlichen' Anwendung beschreibender Wörter

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men, oder sie kann — innerhalb eines gemeinsamen Rahmens — Untermengen bilden, die ihre Zugehörigkeit zum TA auf verschiedene Art begründen. Der .klassische' Fall einer TA-Fesdegung liegt vor, wenn es nur eine Art gibt, sich als Element des TA auszuweisen. In jedem Element zeigt sich dann die Zugehörigkeit zum TA auf dieselbe Weise. Ein Gegenstand gehört in den TA des Wortes ,Tisch', insofern auf ihn ein Beschreibungsinhalt zutrifft, der für alle anderen Tische auf dieselbe Weise gilt. Alle wirklichen Tische realisieren ihr Tischsein auf dieselbe Weise, nämlich (wie wir einmal annehmen wollen) als Platte auf Stützen. Der Beschreibungsinhalt, der allen Gegenständen des TA auf dieselbe Weise zukommt, muß nicht aus .objektiven' Merkmalen bestehen, deren Vorliegen am Gegenstand wissenschaftlich überprüfbar wäre. Gegenstände können auch auf Grund eines Eindrucks, den sie im Sprachteilnehmer hervorrufen, oder einer psychischen Reaktion, die sie auslösen, in einen gemeinsamen TA gehören. Ein Gegenstand wird als ,rot' bezeichnet, nicht weil er Lichtstrahlen bestimmter Wellenlänge aussendet (was der Sprachteilnehmer gar nicht zu wissen braucht), sondern weil er — unter normalen Sichtverhältnissen — einen bestimmten optischen Reiz hervorruft. Die Gegenstände, die wir als .unheimlich' bezeichnen, haben keine gemeinsame objektive Beschaffenheit, sondern lösen — aus welchen Gründen auch immer - dieselbe Art psychischer Reaktion aus. In den Fällen ,Tisch', ,rot' und ,unheimlich' beruht die Zugehörigkeit der Gegenstände zum jeweiligen TA auf einer Bedingung, die alle Elemente des TA auf dieselbe Weise - allenfalls in unterschiedlichem Maße — erfüllen. Es gibt jedoch auch TA-Festlegungen, die für verschiedene, wenn auch relational verknüpfte, Untermengen der zugehörigen Gegenstände verschiedene Qualifikationen verlangen. Ein Beispiel bieten die Wörter, die — nach antiker und mittelalterlicher Terminologie - .analog' benutzt werden (I, 4). Die Gegenstände, die in den TA des Wortes .gesund' fallen, verteilen sich auf (mindestens) drei Untermengen: (1) Lebewesen ohne medizinische Mängel (,ein gesunder Mann"), (2) Gegenstände, Maßnahmen oder Umstände, die medizinische Mängel verhindern oder beseitigen (.eine gesunde Ernährung') und (3) Anzeichen für die Abwesenheit medizinischer Mängel (.eine gesunde Gesichtsfarbe*). Zu jeder der drei Untermengen könnte man einen Beschreibungsinhalt benennen, der allen ihren Elementen auf gleiche Weise zukäme: Die Gegenstände von (1) sind, wie die Mediziner sagen, ,ohne Befund', die von (2) führen Befundlosigkeit herbei oder

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Metapher

bewahren sie, die von (3) schließlich zeigen sie an. Ein Beschreibungsinhalt, der von allen Elementen der vereinigten Untermengen unterschiedslos dieselbe Qualifikation verlangt, ist dagegen nicht angebbar. Andererseits stehen die Festlegungen der drei Untermengen in einem deutlichen Zusammenhang: Was die Zugehörigkeit zu (1) ausmacht, wird hergestellt oder bewahrt durch das, was die Zugehörigkeit zu (2) ausmacht, und angezeigt durch das, was die Zugehörigkeit zu (3) ausmacht. Die drei Untermengen sind relational auf bestimmte Weise verknüpft, sie bilden ein Mengen-Tripel. Man könnte die Zugehörigkeit zum Gesamt-TA des Wortes .gesund' als Zugehörigkeit zu einer beliebigen der Mengen des Tripels beschreiben. Der Beschreibungsinhalt wird auf eine der drei Untermengen hin präzisiert, wenn über den beschriebenen Gegenstand - etwa durch das zugehörige Substantiv — zusätzliche Informationen gegeben werden. Bei der Fügung ,gesundes Klima' weiß der Hörer, in welche der drei Mengen der Gegenstand gehört. Die drei Untermengen, die den TA des Wortes ,gesund' bilden, stehen nicht auf gleicher Stufe: Was die Zugehörigkeit zu den Mengen (2) und (3) definiert, ist nicht angebbar ohne das, was die Zugehörigkeit zu (1) definiert. (1) ist deshalb der Kernbereich des gesamten TA, (2) und (3) sind Randbereiche. Ein weiteres Beispiel für das Fehlen eines Beschreibungsinhalts, der allen Elementen desselben TA auf dieselbe Weise zukäme, entnehmen wir den Philosophischen Untersuchungen Wittgensteins (66 ff.). Für den TA des Wortes ,Spiel', so können wir Wittgenstein in unsere Terminologie übersetzen, gibt es keinen Beschreibungsinhalt, der alle Elemente auf dieselbe Weise kennzeichnet. Die Unterschiede zwischen manchen Spielarten — etwa Reigenspiel und Pokerspiel — scheinen größer als zwischen einer bestimmten Spielart und einer anderen Tätigkeit, die nicht zu den Spielen zählt, — etwa Reigenspiel und Volkstanz. Nun kann man den TA des Wortes ,Spiel' so in Untermengen aufteilen, daß eine bestimmte Menge von definierenden Merkmalen sich wie folgt diesen Untermengen zuordnen läßt: Jede Untermenge teilt mindestens ein spielspezifisches Merkmal mit mindestens einer anderen, aber nicht mit jeder anderen. Auf diese Weise gibt es Paare von Untermengen, die kein spielspezifisches Merkmal miteinander teilen, deren jedes Glied jedoch mindestens ein Merkmal mit mindestens einer anderen Untermenge des TA teilt. Wittgenstein nennt einen solchen Zusammenhang der Untermengen eines TA „Familienähnlichkeit".

Regelung der .eigentlichen' Anwendung beschreibender Wörter

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Wir wollen ein einfaches Beispiel einer solchen TA-Beschaffenheit konstruieren. Nehmen wir an, die Merkmale a, b, c und d verteilen sich wie folgt über sechs Untermengen eines TA: Ul: U2: U3: U4: U5: U6:

a, b a, c a, d b, c b, d c, d

Jede Untermenge hat in diesem Beispiel eines ihrer zwei Definitionsmerkmale mit vier verschiedenen anderen Untermengen gemeinsam, während sie mit einer fünften Untermenge keines dieser Merkmale teilt. Nach Wittgenstein ist der TA des Wortes ,Spiel' durch eine Struktur dieser Art zwar beschreibbar, aber nicht endgültig festgelegt: Neue Tätigkeiten könnten nach Benennung verlangen und, weil sie mit einer bestimmten Untermenge von Spielen Gemeinsamkeiten haben, ebenfalls den Namen ,Spiel' erhalten. Eine Tätigkeit mit den Merkmalen d und e könnte, weil es Spiele mit den Merkmalen d bereits gibt, in den TA von ,Spiel' aufgenommen werden. George Lakoff (1987: 5 ff.) zählt verschiedene Arten .unklassischer' Kategorien auf, die einerseits zur Beschreibung von Wortgebrauchsregeln dienen, andererseits jedoch ihren Elementen nicht unterschiedslos denselben Beschreibungsinhalt zuweisen. Gleichwohl sind alle diese Kategorien beschreibbar, oft als relationales Geflecht aus Kategorien klassischer Art. Aus der Beschreibung einer unklassischen Kategorie läßt sich in jedem Fall eine Beschreibung gewinnen, die auf alle ihre Elemente zutrifft. Das Wort,Spiel' etwa könnte jedem Element seines TA etwa folgenden Bescheibungsinhalt zuteilen: .Element einer Menge, die in ein durch Familienähnlichkeit zusammengehaltenes Geflecht von Mengen gehört. Die Familienähnlichkeit beruht auf der Streuung folgender Merkmale [...].' Unklassische Kategorien stellen den Semantiker vor die Frage, ob er den TA in kleinere TA aufspalten soll, die als klassische Kategorien beschreibbar sind. Auf diese Weise würde er das Wort, dem der ungespaltene TA zugeordnet war, zum Homonym erklären. Die Entscheidung wird von der Art der Relationen abhängen, die zwischen den Teilbereichen bestehen, und von der Aussagekraft des Beschreibungsinhalts, der aus der Festlegung des ungespaltenen TA zu gewinnen ist.

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Metapher

Das vorliegende Kapitel hat es im Folgenden mit Bedeutungen zu tun, die .klassische' Kategorien definieren. Man wird sich diese Bedeutungen gelegentlich als Definitionen nicht von ganzen TA, sondern von TATeilen vorstellen müssen. Auch die unklassischen Kategorien haben in aller Regel — relational verknüpfte — klassische Kategorien als Teilmengen. Es kommt vor, daß ein Wort .extraterritorial' benutzt wird, d.h. zur Beschreibung eines Gegenstandes, der nicht in einem TA des benutzten Wortes liegt. Eine solche Anwendung kann fehlerhaft sein und Unkenntnis der Zuordnung von Wort und Bedeutung verraten: JDiese Vorfälle werden von der Presse hochsterilisiert'. Statt auf Unkenntnis der Wortbedeutung kann die extraterritoriale Anwendung auf der Unkenntnis des Gegenstands beruhen: Jemand wendet das Wort ,Schwan' auf eine Gans an, weil er sie irrtümlich für einen Schwan hält. Extraterritorialität kann aber auch — bei voller Kenntnis der Wortbedeutung und des Gegenstandes — gewoËt sein. Jemand nennt eine Gans ,Schwan', um den Käufer zu täuschen oder um einen Witz zu machen. Er kann auch — wie Ben Jonson — den Dichter Shakespeare, der offenkundig nicht in den TA des Wortes ,Schwan' fallt, als den „holden Schwan vom Avon" besingen. In diesem Fall ist der extraterritoriale Gebrauch des Wortes metaphorisch. Die Metapher als Redefigur (IV, 2.4) setzt die Kenntnis der eigentlichen Wortbedeutung und des TA, den sie definiert, voraus. Zwar wird diese Wortbedeutung nicht zur Beschreibung des Gegenstandes benutzt; der Gegenstandsbereich, den sie fesdegt, dient jedoch als Fundort für Eigenschaften, die das metaphorisch benutzte Wort seinem Gegenstand zuschreibt. Das Wort .Schwan' beschreibt Shakespeare nicht allen Ernstes als gründelnden Gänsevogel (cycnus), wohl aber als einen Dichter, dessen Werk den Leser so ergreift wie der Gesang des sterbenden Schwans oder ihn so erhebt wie der Anblick eines Schwans, der stolz und makellos seine Bahn zieht.

1.2 Die Entstehung der Wortanwendungsregel im Sprachteilnehmer Das Sprachsystem, das Wörtern Beschreibungsinhalte als Bedeutungen zuordnet, ist ein künstliches, wenn auch hilfreiches Konstrukt, das der Sprachforscher über protokollierbaren Daten des sprachlichen Verhaltens errichtet. Die Bedeutung, die dem Wortgebrauch eines Sprachteilnehmers zugrunde liegt, ist dem Sprachbeobachter nicht unmittelbar

Regelung der .eigentlichen' Anwendung beschreibender Wörter

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zugänglich; er kann sie beim Sprachteilnehmer erfragen oder — mit größerer Zuverlässigkeit - als befolgte Regel des Wortgebrauchs erschließen. Wir setzen voraus, daß es eine Zuordnung von Wort und Bedeutung nicht nur in dem konstruierten System gibt, mit dem die Linguistik den beschreibenden Wortgebrauch einer Sprachgemeinschaft erklärt, sondern auch als neurologischen Sachverhalt in der Kompetenz des einzelnen Gemeinschaftsmitglieds. In der Psyche des Sprachteilnehmers ist die akustische oder graphische Vorstellung eines Wortkörpers mit einem Gegenstandsschema — oder einem relationalen Geflecht von Gegenstandsschemata — assoziiert, das den Wortgebrauch steuert, auch wenn vielleicht der Sprachbenutzer die Schemata nicht zur Zufriedenheit des Sprachforschers beschreiben kann. Anders als etwa die Regelung des Atmungsvorgangs ist dem Sprachbenutzer die Regelung seines beschreibenden Wortgebrauchs durch Zuordnung von Wort und Bedeutung mehr oder weniger klar bewußt. Im Allgemeinen stimmt die Zuordnung, nach der ein einzelner Sprachteilnehmer sich richtet, mit der eines anderen Sprachteilnehmers oder mit der als systemgerecht angesehenen, wenn nicht genau, so doch ungefähr überein. Was das Lexikon als die für das Sprachsystem der Gemeinschaft gültige Bedeutung vermerkt, besteht — im klassischen Fall der TA-Bildung — aus den Gegenstandsmerkmalen, die bei einer Mehrheit von Sprachteilnehmern übereinstimmend als notwendige Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des Wortes wirken. Wie die ungefähre Gleichheit der Zuordnung von Wort und Bedeutung bei den Mitgliedern derselben Sprachgemeinsachft zustande kommt, bedarf der Erklärung. Wir stellen uns im Folgenden einen Muttersprachler (native speaker) vor, der seine Wortgebrauchskompetenz nicht durch theoretische Hilfsmittel wie Lexika oder wortkundliche Schriften erwirbt, sondern durch die Praxis des alltäglichen sprachlichen Verkehrs. In der Kompetenz des einzelnen Sprachteilnehmers geht die Bildung einer Wortbedeutung, wie wir annehmen wollen, aus erlebten Beispielen der Wortanwendung hervor. Der Sprachteilnehmer merkt sich Gegenstände, die in seinem sprachlichen Erfahrungsbereich mit Hilfe eines bestimmten Wortes beschrieben wurden. Er verwendet dieses Wort seinerseits, wenn er dieselben oder ihm hinreichend ähnlich scheinende Gegenstände beschreiben will. Die Menge der Gegenstände, die zu einem gegebenen Zeitpunkt in der Erfahrung des Sprachteilnehmers als durch ein bestimmtes Wort beschrieben registriert sind, bildet den .Empirischen Anwendungsbereich' (EA) dieses Wortes. Der

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Metapher

EA ist kein Bestandteil des linguistischen Systems, sondern ein psychologischer, wandelbarer Sachverhalt im Kopf eines Sprachteilnehmers. Bei verschiedenen Sprachteilnehmern sind zu demselben Zeitpunkt die EA desselben Wortes in aller Regel verschieden. Aber alle bilden, wenn man fünf gerade sein läßt, Teilmengen des TA, den die im Sprachsystem festgelegte Wortbedeutung definiert. Der Sprachteilnehmer begleitet die Bildung und Veränderung seines EA mit Versuchen, die Menge der durch dasselbe Wort beschriebenen Gegenstände inhaltlich anhand gemeinsamer Merkmale zu definieren, die über die bloße Tatsache der Bezeichnung durch dasselbe Wort hinausgehen. Er versucht, eine Bedeutung, d.h. einen gemeinsamen Beschreibungsinhalt, zu erfassen, den das Wort jedem seiner Anwendungsgegenstände zuspricht. Die aus den Gegenständen des EA herausgefilterte Bedeutung gibt dem Wort einen TA als die — in der Regel offene, vielleicht auch unklar bestimmte — Menge aller Gegenstände, auf die der bedeutungsbildende Merkmalkomplex zutrifft. Die auf den EA gestützte Fesdegung eines Beschreibungsinhalts und eines durch ihn definierten TA macht die Wortanwendung von der Begrenzung des EA unabhängig. Die mit dem Beschreibungsinhalt geschaffene semantische Anwendungsregel erlaubt die Anwendung des Wortes nicht nur auf die Gegenstände des EA, sondern auf alle Gegenstände des TA — d.h. auf alle Gegenstände, denen der TA-definierende Beschreibungsinhalt zukommt —, auch wenn sie im EA bisher nicht enthalten waren. Der EA bildet eine vom Zufall der sprachlichen Erfahrung zusammengestellte Teilmenge aller Gegenstände, denen die aus dem EA abstrahierte Bedeutung als Beschreibungsinhalt zukommt.

1.3 Das lexikalische Umfeld als Steuerungsmittel der Bedeutungsbildung Die Aufgabe, aus einer gegebenen Menge von Gegenständen eine Menge gemeinsamer Merkmale dieser Gegenstände herauszufiltern, läßt verschiedene Lösungen zu. Ein Kind, in dessen Wortanwendungserfahrung drei verschiedene Tiere als Hund bezeichnet wurden, könnte diesem Wort wahlweise folgende Merkmalkomplexe zuordnen: ,Beißer (vor dem man sich hüten muß)', .bellender Vierbeiner (über den die Nachbarn sich beschweren)' oder .sprachunfähiger Familienangehöriger'.

Regelung der .eigentlichen' Anwendung beschreibender Wörter

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Der Streubereich der Ausfiltungsergebnisse wird jedoch durch die Berücksichtigung der Verhältnisse eingeengt, die zwischen den Empirischen Anwendungsbereichen (EA) verschiedener im Umfeld des Sprachteilnehmers vorkommender Wörter bestehen. Für ein Kind, in dessen Wortanwendungserfahrung drei verschiedene Tiere als Hunde, nie jedoch als Katzen und drei andere als Katzen, nie jedoch als Hunde bezeichnet werden, liegt es nahe, bei der Bedeutungsbildung die Unterschiede zwischen den Gegenständen der beiden EA zu berücksichtigen, indem es etwa bei den Hunden das Bellen und Stöckchenholen, bei den Katzen dagegen das Miauen und Mäusefangen als gemeinsames Merkmal auswählt. Bei der Bedeutungsbildung verengt sich der Blick also nicht auf einen isolierten EA, aus dem irgendwelche gemeinsamen Gegenstandsmerkmale herausgefiltert würden; vielmehr versucht der Sprachteilnehmer, sich den Wortgebrauchsregeln seiner Umgebung anzupassen, indem er von den wahrgenommenen Verhältnissen zwischen den EA auf Verhältnisse zwischen den TA zu schließen versucht, deren Teilmengen sie sind. Die tentativ erschlossenen TA-Verhältnisse, die er in den Kompetenzen seiner Sprachgenossen vermutet, dienen ihm dann als Leitschnur der Bedeutungsbildung. Der Sprachteilnehmer merkt ζ. B., daß die EA von .Tiger' und ,Löwe' keinen gemeinsamen Gegenstand enthalten, daß aber einige Gegenstände beider EA auch im EA .Raubtier' vorkommen. Kein Löwe wurde in seinem Erfahrungsbereich als Tiger bezeichnet und kein Tiger als Löwe, aber einige Löwen und einige Tiger - neben anderen Tieren — als Raubtiere. Wenn man die verschiedenen Gegenstände der EA eines Sprachteilnehmers mit verschiedenen Kleinbuchstaben symbolisiert, läßt sich der geschilderte Erfahrungsbefund wie folgt symbolisieren: EA ,Löwe': EA ,Tiger': EA ,Raubtier':

{a, b, c} {d, e, f} {a, b, d, e, g, h}

Ein solcher Erfahrungsbefund legt die Hypothese nahe, daß in der Sprachgemeinschaft der TA ,Löwe' und der TA ,Tiger' disjunkte Teilmengen des TA .Raubtier' sind. Der Sprachteilnehmer, der seine Wortanwendungsregeln denen seiner Umgebung anpassen will, wird deshalb, falls nicht andere Befunde dagegen sprechen, die bedeutungsbildenden Gegenstandsmerkmale so auswählen, daß sie die angenommenen Verhältnisse zwischen den TA bestätigen.

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Metapher

Daß im bisherigen Erfahrungsbefund der Löwe c und der Tiger f nicht als Raubtiere bezeichnet wurden, widerspricht den getroffenen Festlegungen nicht: Die Zukunft könnte die noch fehlende Bezeichnungserfahrung nachliefern. Die Bedeutungsbildung erklärt nicht nur die schon gewonnene, sondern prognostiziert auch die noch zu erwartende Bezeichnungserfahrung. Wenn allerdings spätere Erfahrungen die Prognose widerlegen — wenn etwa Tiere als Löwen bezeichnet würden, die sich nicht in den TA ,Raubtier' einordnen lassen - , muß die Bedeutungsbildung revidiert werden. Es widerspricht den getroffenen Festlegungen nicht, daß der EA .Raubtier' Gegenstände enthält (g und h), die in den EA ,Löwe' und .Tiger' fehlen. In der künftigen Erfahrung könnten die Wörter .Löwe' oder .Tiger' auf diese Gegenstände angewandt werden, oder es könnte sich zeigen, daß Löwe und Tiger nicht die einzigen Raubtiere sind — was die vollzogene Bedeutungsbildung ja auch nicht voraussetzte. Wenn der TA eines ersten Wortes den eines zweiten einschließt, nennt man das erste Wort ein Hyperonym in Bezug auf das zweite und das zweite ein Hyponym in Bezug auf das erste. ,Raubtier' ist ein Hyperonym von ,Löwe' und ,Löwe' ein Hyponym von .Raubtier'. Zwei Hyponyme desselben Hyperonyms heißen Kohyponyme. .Löwe' und .Tiger' sind Kohyponyme in Bezug auf .Raubtier'. Die Anwendungsbereiche zweier Hyponyme desselben Hyperonyms können sich überschneiden. .Raubtier' und ,Säugetier' sind Hyponyme von ,Tier'. Nun gibt es zwar einerseits Raubtiere, die keine Säugetiere sind, - wie das Krokodil — und Säugetiere, die keine Raubtiere sind, — wie das Schaf —, aber andererseits auch Tiere, die sowohl Raub- wie auch Säugetiere sind, — darunter Löwen und Tiger. Die überschneidungslose Kohyponymie ist aus dem Vergleich der EA leichter erschließbar als die überschneidende. Wenn zwei EA sich mit einem gemeinsamen dritten, nicht jedoch untereinander überschneiden, liegt die Hypothese nahe, daß die ersten beiden EA zu überschneidungslosen Kohyponymen eines Hyperonyms gehören, dem der dritte EA zugeordnet ist. Wenn dagegen zwei EA sich sowohl untereinander wie auch mit demselben dritten überschneiden, drängt sich keine Hypothese zu den gegebenen Hyponymieverhältnissen auf. Jeder der drei EA könnte ein Hyperonym repräsentieren, dessen überschneidende Hyponyme den beiden anderen EA zugeordnet sind. Nehmen wir an, in der Erfahrung eines Sprachlerners hätten drei Wörter folgende EA:

Regelung der .eigentlichen' Anwendung beschreibender Wörter

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EA 1: {a, b, c} EA2: {a, d, e} EA 3: {b, d, f} Die Wörter 1 und 2 könnten dann überschneidende Hyponyme von 3 sein; aber genausogut könnten 1 und 3 überschneidende Hyponyme von 2 sein oder 2 und 3 von 1. Es gibt freilich besondere Konstellationen von einander überschneidenden EA, in denen eine der Hypothesen näher liegt als die anderen: Wenn etwa in einer Menge von EA genau ein EA mit jedem anderen mindestens einen Gegenstand gemeinsam hat und wenn die Anzahl der Gegenstände, die dieser EA mit der Vereinigung der restlichen EA gemeinsam hat, größer ist als die Anzahl der Gegenstände, die jedes beliebige Paar aus zwei der restlichen EA gemeinsam hat, dann liegt die Hypothese nahe, daß das diesem EA zugeordnete Wort ein gemeinsames Hyperonym der Wörter ist, die den restlichen EA zugeordnet sind. Beispiel: EA .Raubtier': EA .Säugetier': EA ,Tier':

{a, b, c, d} {a, e, f, g} {b, c, e, f, h, i}

Der EA ,Tier' hat mit jedem der beiden anderen EA zwei Gegenstände (also mehr als die geforderte Mindestzahl) gemeinsam, nämlich b und c bzw. e und f. Mit der Vereinigung der beiden anderen hat er vier Gegenstände gemeinsam, während die beiden anderen nur einen Gegenstand gemeinsam haben, nämlich a. Dieser Befund legt die Hypothese nahe, daß .Raubtier' und .Säugetier' zwei überschneidende Hyponyme von .Tier' sind. Bei der Bedeutungsbildung wird die aus den EA-Verhältnissen tentativ erschlossene überschneidende Kohyponymie durch Auswahl von Merkmalkomplexen berücksichtigt, die zwar die Kohyponyme voneinander unterscheiden, aber dennoch kompatibel sind: Das Säugen der Jungen, das die Säugetiere von anderen Tieren unterscheidet, ist mit dem Beuteschlagen kompatibel, das die Raubtiere von anderen Tieren unterscheidet. Es kann also Tiere geben, die zugleich Säuge- und Raubtiere sind. Ein Wort kann Hyponym in Bezug auf mehrere Hyperonyme sein, die untereinander in keinem Hyper- bzw. Hyponymieverhältnis stehen. ,Löwe' z. B. ist Hyponym sowohl von .Raubtier' wie auch von ,Säuge-

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Metapher

tier', ,Pistole' sowohl von .Sportgerät' wie auch von .Waffe'. Der TA des — von uns so genannten — Polyhyponyms ist eine gemeinsame Teilmenge der TA seiner Hyperonyme. Der hypothetische Schluß von EA-Verhältnissen auf Polyhyponymie ist die Addition zweier Hyponymie-Hypothesen, die unabhängig voneinander durch EA-Verhältnisse nahegelegt werden. Die — durchaus fehlbaren — Schlüsse, die von Beziehungen zwischen verschiedenen EA auf Beziehungen zwischen den entsprechenden TA und von dort aus auf Beziehungen zwischen Wortbedeutungen gezogen werden, steuern die Bedeutungsbildung. Wenn der Sprachteilnehmer einem Wort seines Erfahrungsbereichs eine Bedeutung zuweist, trifft er unter den gemeinsamen Merkmalen der Gegenstände des EIA eine Auswahl, die dem erschlossenen Verhältnis der gesuchten Bedeutung zu den Bedeutungen anderer Wörter Rechnung trägt. Die Steuerung der Bedeutungsbildung durch Rücksicht auf Bedeutungszusammenhänge, die aus EA-Beziehungen erschlossen werden, erklärt, daß der Sprachteilnehmer — bei ständiger Korrektur seiner Hypothesen — zu einer Wortanwendungsregel findet, die der seiner Sprachgenossen hinreichend ähnlich ist. Die von Sprachforschern ermittelte und in Lexika festgehaltene Standardbedeutung eines Wortes ist eine Art Durchschnitt der verschiedenen Bedeutungen, nach denen die Sprachteilnehmer sich bei der Wortanwendung richten. Der Standard-TA ist die Schnittmenge einer Vielzahl von individuellen TA, die nicht allzu weit auseinanderfallen. Die EA, aus denen der einzelne Sprachteilnehmer das Material zur Bedeutungsbildung gewinnt, repräsentieren die individuelle Erfahrung der Zuteilung von Wörtern an Gegenstände. Die Bedeutungsbildung rationalisiert diese Erfahrung. Sie erklärt, wieso gerade dieses Wort auf gerade diesen Gegenstand angewandt wird und wieso bestimmte EA gemeinsame Elemente enthalten, andere dagegen nicht. Sie liefert auch eine — jederzeit revidierbare — Regel für künftige Wortanwendungen, indem sie den EA in einen durch die Bedeutung definierten TA eingliedert. Das Wort darf hinfort auf alle Gegenstände dieses TA angewandt werden. Der Theoretische Anwendungsbereich (TA) eines Wortes, der durch Bedeutungsbildung aus dem Empirischen Anwendungsbereich (EA) hervorgeht, verbindet sich in der Psyche des Sprachteilnehmers mit einer bunten Fülle von Wissen und Meinungen über die Gegenstände, die er enthält, mit Erinnerungen, die sie auslösen, Gefühlen, die sie hervorrufen und Assoziationen, die sich an sie knüpfen. Wir wollen die

Regelung der .eigentlichen' Anwendung beschreibender Wörter

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Gesamtheit dieser Bewußtseinsinhalte, die im Zusammenhang mit den Gegenständen eines TA stehen, als den Speicher des TA bezeichnen und mit der Buchstabenfolge STA wiedergeben. Nur ein kleiner Teil des STA geht in die Bedeutung des Wortes ein, der Rest bleibt — in Bezug auf dieses Wort — .unsemantisiert'. In die Bedeutung des Wortes ,Löwe' ζ. B. gehen in erster Linie die zoologischen Merkmale ein, die ihn in den Augen des Sprachteilnehmers von anderen Tieren unterscheiden. Im STA dagegen findet sich auch das Wissen über seine Auftritte im Zirkus, über seine Attraktivität auf Fotosafaris sowie über seine Rolle in Mythen, Märchen und Fabeln, ferner der Eindruck von Wildheit, Erhabenheit und Kraft, den er auslöst, sowie vielleicht das Gefühl des Schreckens, das die Erinnerung an einen entlaufenen Löwen wachruft. Die Inhalte des STA, die nicht in die Wortbedeutung eingegangen sind, dienen bei metaphorischem Gebrauch des Wortes als Material zur Bildung einer neuen, metaphorischen Bedeutung.

1.4 Hierarchie der bedeutungsbildenden Gegenstandsmerkmale Wenn zwei .klassische' TA als disjunkte Untermengen eines dritten aufgefaßt werden sollen, müssen bei der Bedeutungsbildung drei Merkmalkomplexe im Spiel sein. Der erste (1), der den drei Bedeutungen gemeinsam ist, bildet zugleich die Bedeutung, die den dritten TA definiert; der zweite Komplex (2) besteht aus Merkmalen, die den Gegenständen des ersten TA, aber nicht denen des zweiten zukommen, und der dritte (3) aus Merkmalen, die den Gegenständen des zweiten TA, aber nicht denen des ersten zukommen. Wenn wir unterschiedliche Merkmalkomplexe durch unterschiedliche Ziffern symbolisieren, läßt sich das von den vorausgesetzten TA-Verhältnissen geforderte Verhältnis zwischen den Bedeutungen .Säugetier', ,Löwe' und ,Tiger' wie folgt darstellen: Säugetier: (1) Löwe: (1,2) Tiger: (1,3) Das dargestellte Verhältnis zwischen den drei Wortbedeutungen macht das Wort .Säugetier' zum Hyperonym der Wörter ,Löwe' und ,Tiger' bzw. die Wörter ,Löwe' und .Tiger' zu Hyponymen des Wortes .Säugetier'. Das Bedeutungsverhältnis zwischen Hyponym und Hyperonym

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Metapher

spiegelt sich als Inklusionsverhältnis zwischen den TA und den Merkmalmengen, aus denen die TA-definierenden Bedeutungen bestehen: Die TA .Löwe' und .Tiger' sind getrennte Untermengen des TA Säugetier', und umgekehrt bilden die Merkmale der Bedeutung ,Säugetier' eine gemeinsame Untermenge der Merkmale, aus denen die Bedeutungen ,Löwe' und ,Tiger' bestehen. Ein Wort, das Hyperonym eines zweiten ist, kann zugleich Hyponym eines dritten sein. .Säugetier' ist Hyperonym in Bezug auf ,Löwe" und zugleich Hyponym in Bezug auf .Tier', das wiederum Hyponym in Bezug auf .Lebewesen' ist. Die Relationen der Hyper- und Hyponymie sind transitiv. Wenn A Hyponym in Bezug auf Β ist, dann auch in Bezug auf die Hyperonyme von B, und wenn Β Hyperonym in Bezug auf A ist, dann auch in Bezug auf die Hyponyme von A. ,Löwe' ist Hyponym von .Säugetier' und deshalb auch von .Tier' und .Lebewesen'; .Lebewesen' ist Hyperonym von .Tier' und deshalb auch von .Säugetier' und .Löwe'. Zwei Hyponyme können sich durch größere Nähe oder Entfernung zu einem gemeinsamen Hyperonym unterscheiden. .Löwe' ist ein ferneres Hyponym von .Lebewesen' als .Säugetier' und .Säugetier' ein näheres Hyperonym von ,Löwe' als .Lebewesen'. Die Wörter ,Löwe', .Säugetier', .Tier' und .Lebewesen' bilden eine Kette von Hyperbzw. Hyponymierelationen. Ihre TA sind daher auf folgende Weise ineinander verschachtelt: Lebewesen

Tier

Säugetier

Löwe

Auf der Ebene der Bedeutungen entspricht der Einschachtelung eine Addition von Merkmalkomplexen. Die Bedeutung der eingeschlossenen

Regelung der eigentlichen' Anwendung beschreibender Wörter

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Schachtel enthält alle Merkmalkomplexe der einschließenden sowie einen zusätzlichen Merkmalkomplex. In der oben dargestellten Hyperonymiekette lassen sich vier Merkmalkomplexe unterscheiden: (1): Merkmalkomplex, der die Bedeutung .Lebewesen' bildet (2): Merkmalkomplex, der Tiere von anderen Lebewesen unterscheidet (3): Merkmalkomplex, der Säugetiere von anderen Tieren unterscheidet (4): Merkmalkomplex, der Löwen von anderen Säugetieren unterscheidet Die Bedeutung .Lebewesen' besteht nur aus dem Merkmalkomplex (1), die Bedeutung .Tier' aus den Merkmalkomplexen (1) und (2). die Bedeutung .Säugetier' aus den Merkmalkomplexen (1), (2) und (3). die Bedeutung .Löwe' schließlich aus den Merkmalkomplexen (1), (2). (3) und (4). Jeder Merkmalkomplex, der an der Bildung einer Wortbedeutung beteiligt ist, erfüllt eine distinktive Funktion, insofern er die Gegenstande, die Träger des Merkmalkomplexes sind, von anderen abgrenzt, die es nicht sind. Wenn man die Abgrenzungsleistung eines Merkmalkomplexes nach der relativen Größe der abgegrenzten Gegenstandsmenge bemißt, ist die Abgrenzungsleistung des Merkmalkomplexes, der den TA eines Hyperonyms abgrenzt, größer als die eines Merkmalkomplexes, der den TA eines seiner Hyponyme abgrenzt; denn der abgegrenzte TA des Hyponyms bildet nur eine Teilmenge des abgegrenzten TA seines Hyperonyms. Der Merkmalkomplex (4), der den Löwen von anderen Säugetieren unterscheidet, vollbringt eine geringere Abgrenzungsleistung als der Merkmalkomplex (3), der die Säugetiere von anderen Tieren unterscheidet: (4) grenzt nur einen Teil des Bereiches ab, den (3) abgrenzt. Die Hyper- bzw. Hyponymierelation begründet unter dem Kriterium der Abgrenzungsleistung Rangfolgen der bedeutungsbildenden Merkmalkomplexe. In der Bedeutung des Wortes ,Löwe' entspricht die Rangfolge der Merkmalkomplexe der oben durchgeführten Numerierung: Der Merkmalkomplex, der die Lebewesen von nicht-lebenden Gegenständen absetzt, ist dem Merkmalkomplex übergeordnet, der - innerhalb der Lebewesen — Tiere von anderen Lebewesen absetzt, usw. Das Gefüge der Hyper- und Hyponymie-Relationen verleiht den an der Bedeutungsbildung beteiligten Merkmalkomplexen einen höheren oder

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Metapher

niederen Stellenwert im lexikalischen Paradigma. Den Hyponymieketten entspechen Klassifikationssysteme bzw. Gegenstandsordnungen. Die Konstitution der Wortbedeutung ,Löwe' ist solidarisch mit einem Klassifikationssystem, das alle Gegenstände zunächst in belebte und unbelebte, die belebten dann in Menschen, Tiere und Pflanzen, die Tiere wiederum in Säugetiere und andere aufgliedert, usw. Die Gegenstandsmerkmale, die in die Definition einer übergeordneten Klasse eingehen, haben einen höheren semantischen Rang als die Gegenstandsmerkmale, die eine untergeordnete Klasse spezifizieren. Es wird sich zeigen, daß die metaphorische Wortverwendung die semantische Rangordnung der Gegenstandsmerkmale umstößt und so das Klassifikationssystem außer Kraft setzt, das in der eigentlichen Bedeutung des metaphorisch benutzten Wortes vorausgesetzt wurde.

2 Metaphorische Wortanwendung 2.1 Metapher als Wortgebrauchsverfahren Metaphor ist a matter of teaching an old word new tricks. (Nelson Goodman) Den folgenden Überlegungen soll ein kurzer Text als Anschauungshilfe dienen: Nach dem Tod ihrer Eltern verschlug es die junge Engländerin aus ihrem vertrauten Heimatdorf in den Dschungel der nahen Großstadt. Der Text verwendet die Metapher .Dschungel' zur Beschreibung einer Großstadt. Die eigentliche Bedeutung, die das Sprachsystem dem Wort .Dschungel' zuordnet, enthält, wie wir annehmen wollen, etwa folgenden Merkmalkomplex: .subtropischer Urwald mit üppig wuchernder, durch starke Feuchtigkeit geförderter Vegetation'. Eine Großstadt fällt offensichtlich nicht in den TA, den diese Merkmale definieren. Der Beschreibungsinhalt, den das Wort ,Dschungel' bei seinem metaphorischen Gebrauch der Großstadt zuordnet, unterscheidet sich folglich — falls überhaupt sinnvoll gesprochen wird — von der üblichen Bedeutung des Wortes. Wir wollen annehmen, daß er etwa folgende Merkmale enthält: .unheimlicher, gefährlicher, undurchschaubarer Raum, in dem keine behördliche Macht Sicherheit gewährleistet und der von fremdartigem, feindselig anmutendem Leben überquillt'. Diesen Beschreibungs-

Metaphorische Wortanwendung

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inhalt, den das Wort .Dschungel' bei metaphorischem Gebrauch seinem Gegenstand zuspricht, wollen wir als metaphorische Bedeutung der wörtlichen, unmetaphorischen Bedeutung gegenüberstellen. Metapher und normaler Wortgebrauch benutzen dieselbe, dem Wort vom Sprachsystem zugeteilte Bedeutung zur Beschreibung eines Gegenstands, jedoch auf verschiedene Weise. Bei normalem Wortgebrauch ist die Bedeutung mit dem Beschreibungsinhalt identisch. Das Wort spricht dem Gegenstand den Beschreibungsinhalt zu, der seine eigentliche Bedeutung (oder eine seiner eigentlichen Bedeutungen) ausmacht. Bei normalem Gebrauch beschreibt das Wort .Dschungel' seinen Gegenstand als subtropischen Urwald mit üppig wuchernder, durch starke Feuchtigkeit geförderter Vegetation. Bei metaphorischer Verwendung ist der Beschreibungsinhalt, den das Wort seinem Gegenstand zuspricht, nicht mit dieser Bedeutung identisch, wohl aber — über Zwischenstationen — mit ihr verbunden. Die Metapher beschreibt ihren Gegenstand als Klassengenossen typischer Gegenstände aus dem TA, den die unmetaphorische Bedeutung des Wortes definiert, also die Großstadt als Klassengenossin von Urwäldern. Die Entschlüsselungsanweisung bei normalem Wortgebrauch lautet: ,Sprich dem Gegenstand einen Beschreibungsinhalt zu, der eine der üblichen, unmetaphorischen Bedeutungen des Wortes ausmacht'. Die Entschlüsselungsanweisung bei metaphorischem Wortgebrauch dagegen lautet: .Sprich dem Gegenstand einen Beschreibungsinhalt zu, der folgende Bedingung erfüllt: Er definiert eine Klasse von Gegenständen, in die außer dem Gegenstand der metaphorischen Wortanwendung auch typische Gegenstände eines TA fallen, den die (oder eine) übliche Bedeutung des metaphorisch benutzten Wortes definiert'. Wenn das Wort ,Dschungel' eine Großstadt beschreiben soll, gilt es eine Klasse festzulegen, in die sowohl die beschriebene Großstadt wie auch typische Dschungel gehören. Die definierenden Merkmale dieser Klasse bilden den Beschreibungsinhalt, der auf die Großstadt anzuwenden ist. Der so festgelegte Beschreibungsinhalt stimmt nicht mit der Bedeutung überein, die bei normalem Wortgebrauch dem Gegenstand als Beschreibungsinhalt zugesprochen wird. Die Metapher .Dschungel' beschreibt die Großstand nicht als subtropischen Urwald mit üppig wuchernder Vegetation, sondern als unheimlichen, gefährlichen, undurchschaubaren Raum, in dem keine behördliche Macht Sicherheit gewährleistet, usw. Die Merkmale eines metaphorisch vermittelten Beschreibungsinhalts werden nicht nur, ja nicht einmal in erster Linie aus der üblichen Bedeu-

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Metapher

tung des benutzten Wortes gewonnen, sondern aus seinem STA. Alles Wissen, Meinen, Ahnen und Fühlen, das der Sprachteilnehmer mit der Vorstellung eines typischen Dschungels verbindet, bildet das Materiallager für den Zusammenbau des Beschreibungsinhalts, den die Metapher .Dschungel' der Großstadt zuspricht. Auch die metaphorische Bedeutung definiert einen Theoretischen Anwendungsbereich, den wir als TAm bezeichnen wollen. Er ist eine Klasse, in die neben dem beschriebenen Gegenstand auch typische Gegenstände des TA gehören, den die unmetaphorische Bedeutung des benutzten Wortes definiert. Diese unmetaphorische Bedeutung, aus der über die geschilderten Zwischenstufen die metaphorische abgeleitet wird, wollen wir als .eigentliche' Wortbedeutung bezeichnen. Den Theoretischen Anwendungsbereich, den die eigentliche Bedeutung definiert, vinterscheiden wir mit dem Kürzel TAe vom TAm, den die metaphorische Bedeutung definiert. Metaphorisch verwendbare Ausdrücke sind bei unmetaphorischer Verwendung auf eine — durch ihre eigentliche Bedeutung definierte — Klasse von Gegenständen anwendbar, gleichgültig ob unsere wirkliche Welt viele, wenige oder gar keine Elemente dieser Klasse enthält. Bei metaphorischer Verwendung kennzeichnet der Ausdruck den beschriebenen Gegenstand als Klassengenossen von Gegenständen, auf die seine eigentliche Bedeutung zutrifft. Das Wort .Dschungel' kennzeichnet die Großstadt als Element einer Klasse, in der auch subtropische Urwälder vorkommen, aber es kennzeichnet ihn nicht als Element der Klasse .subtropische Urwälder'. Die Einordnung des Gegenstandes in eine Klasse von Namensvettern ist eine gemeinsame Funktion des eigentlichen und des metaphorischen Wortgebrauchs. Wer ein auf der Koppel weidendes Tier als Pferd bezeichnet, ordnet es in die Klasse aller Tiere ein, die ebenfalls — in des Wortes eigentlicher Bedeutung — Pferd heißen. Er setzt den bezeichneten Gegenstand in eine triviale Analogie zu allen Gegenständen, denen dieselbe Bezeichnung zukommt. Der metaphorische Gebrauch des Wortes erklärt seinen Gegenstand jedoch nicht unbedingt — wie der eigentliche — zum Klassengenossen aller, sondern nur gewisser typischer Gegenstände des TAe. Außerdem ist die Klasse, innerhalb der die Genossenschaft besteht, völlig anders definiert als der TAe, mit dem sie sich gleichwohl überschneidet. Wer einen Menschen metaphorisch als Pferd bezeichnet, macht ihn zum Klassengenossen typischer Pferde, aber in aller Regel nicht der kleinen, zierlichen, niedlichen. Die erklärte Genossenschaft beruht nicht auf der Zugehörigkeit zur Gat-

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tung yEquus' wie beim eigentlichen Gebrauch des Wortes, sondern auf dem Eindruck der Grobschlächtigkeit, den gewisse Pferde ebenso wie gewisse Menschen hervorrufen können. Die Metapher setzt den beschriebenen Gegenstand in eine nicht-triviale Analogie zu Gegenständen des TAe. Die metaphorische Bedeutung steht nicht, wie Aristoteles will (Poetik 21), in einem festen logischen oder semantischen Verhältnis zur eigentlichen. Es gibt keine Trans formationsregel, keinen Algorithmus, dessen Anwendung die Merkmale der eigentlichen Bedeutung in die der metaphorischen überführt. Zwar werden die Merkmale der metaphorischen Bedeutung aus einem Reservoir gewonnen, das auch die Merkmale der eigentlichen Bedeutung enthält. Dieses Reservoir, nämlich der dem TAe zugeordnete STA, ist jedoch kein strukturiertes Begriffsfeld. Die Zusammengehörigkeit seiner Inhalte besteht in der psychischen Verknüpfung mit Gegenständen einer bestimmten Klasse, nicht jedoch in der semantischen Verbindung mit dem Begriff, der diese Klasse definiert. Der Begriff, der die unmetaphorische Bedeutung des metaphorisch benutzten Wortes ausmacht, genügt, um die definierte Gegenstandsklasse, den TAe, von den TA semantisch benachbarter Wörter abzugrenzen; die Fülle der Assoziationen, die sich um die klassifizierten Gegenstände ranken, schöpft er jedoch nicht aus. Aus dem Wildwuchs dieser gegenstands-, nicht jedoch begriffsgebundenen Assoziationen stammt das Material der metaphorischen Bedeutung, deren Zusammenstellung nicht — wie die Merkmalauswahl der eigentlichen Bedeutung — die angestammte Funktion des Wortes in einem Klassifikationssystem oder seine Stellung in einem lexikalischen Paradigma berücksichtigt. Die metaphorische Bedeutung zeigt typische Gegenstände des TAe, der selbst zu einem vertrauten Klassifikationssystem gehört, in einer ungewohnten, systemfremden Klassifizierung. Die Großstadt wird als unheimlicher Raum, der von fremdem, feindlichem Leben überquillt, zur unerwarteten Klassengenossin typischer Dschungel. Der Gegenstand der metaphorischen Wortanwendung liegt zwar im Regelfall, nicht jedoch notwendigerweise außerhalb des Theoretischen Anwendungsbereichs der eigentlichen Bedeutung (TAe). Man kann ein Wort metaphorisch auch auf einen Gegenstand innerhalb des TAe anwenden. Allerdings ordnet diese Wortanwendung dem Gegenstand dann nicht den Beschreibungsinhalt zu, der den TAe definiert. Im Falle der Anwendung außerhalb des TAe verstößt die Beschreibung, solange

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Metapher

man die eigentliche Bedeutung gelten läßt, gegen die Gricesche Konversationsmaxime „Sage nichts, was du für falsch hältst" (Meggle 1993: 249). Sie ordnet einem Gegenstand einen Beschreibungsinhalt zu, der ihn — auch und gerade nach der unterstellten Meinung des Sprechers — nicht trifft: Der Sprecher kann eine Großstadt nicht allen Ernstes zum subtropischen Urwald erklären wollen, wenn er ihn als Dschungel bezeichnet. Bei metaphorischem Wortgebrauch innerhalb des TAe würde die Anwendung der eigentlichen Bedeutung zwar nicht gegen die Wahrhaftigkeitsmaxime verstoßen, wohl aber gegen die Konversationsmaxime ,der Relation': „Sei relevant" (Meggle 1993: 249). Die Zusprechung des Beschreibungsinhalts, der die eigentliche Bedeutung des Wortes bildet, ergibt dann eine zwar zutreffende, aber irrelevante Äußerung. Sie entspricht nicht dem Informationsinteresse, das der Sprecher bedienen will. Nehmen wir an, jemand kennzeichne einen bedächtigen Menschen, den er für ein gemeinsames Unternehmen gewinnen will, metaphorisch als .vorsichtigen Kaffeetrinker'. Nun könnte es sein, daß dieser Mensch tatsächlich heißen Kaffee vorsichtig trinkt, um sich nicht den Mund zu verbrühen. Die eigentliche Bedeutung ergäbe in diesem Fall eine zwar zutreffende, jedoch irrelevante Beschreibung: Im gegebenen Redezusammenhang interessiert nicht, wie die besprochene Person ihren Kaffee trinkt, sondern ob Aussicht besteht, sie für das gemeinsame Unternehmen zu erwärmen. Der vielzitierte, auf John Donne zurückgehende Satz „Kein Mensch ist eine Insel" (Sacks 1979: 40) bleibt auch dann zustimmungsfähig, wenn man ,Insel' wörtlich versteht. Wenn jedoch von der Menschheit als Schicksalsgemeinschaft die Rede ist, muß zur Vermeidung der Irrelevanz der wörtliche Sinn durch einen metaphorischen ersetzt werden. Wie im Fall der Wortverwendung außerhalb des TAe, so versucht der Adressat auch im Fall der Irrelevanz den Schluß auf die Verletzung von Konversationsmaximen durch Zuweisung einer neuen motivierten Bedeutung an das benutzte Wort zu vermeiden. Die auffindbare metaphorische Bedeutung des Ausdrucks .vorsichtiger Kaffeetrinker', in der Merkmale wie ,Bedachtsamkeit', ,Umsicht' und .Ängstlichkeit' vorkommen, ist mit der eigentlichen zwar kompatibel, aber dennoch völlig von ihr verschieden, so daß sie auch auf Personen zutrifft, die ihren Kaffee keineswegs vorsichtig trinken. Die im Sprachsystem vorgegebene Zuordnung von Wort und eigentlicher Bedeutung ist in der Regel arbiträr, wie man seit altersher weiß.

Metaphorische Wortanwendung

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Es besteht kein naturgegebener Zusammenhang zwischen der Phonemfolge ,Dschungel' und einem subtropischen Urwald. Dagegen ist die Anwendung des Wortes auf einen Gegenstand durch die Bedeutung motiviert. Man wendet ein beschreibendes Wort nicht auf beliebige Gegenstände an, sondern nur auf Gegenstände, denen man den Beschreibungsinhalt zusprechen will, der die Wortbedeutung ausmacht. Auch im Fall der Metapher ist die Wortanwendung motiviert, da sie auf Grund einer — in diesem Fall metaphorischen — Bedeutung mit zugehörigem TAm erfolgt. Darüber hinaus ist auch die Zuordnung der metaphorischen Bedeutung zum benutzten Wort motiviert, da sie durch die eigentliche — ihrerseits allerdings arbiträr zugeordnete — Bedeutung auf die oben geschilderte Weise vermittelt wird.

2.2 Verhältnis zwischen eigentlicher und metaphorischer Bedeutung Der Vergleich zwischen eigentlicher und metaphorischer Bedeutung fuhrt zur Unterscheidung dreier Merkmalkomplexe (deren jeder im Grenzfall auch aus einem einzigen, nicht weiter zerlegbaren Merkmal bestehen kann). Der erste (Kl) enthält Merkmale, die sowohl auf Gegenstände des eigentlichen wie auch des metaphorischen TA zutreffen. Wenn ,Dschungel' auf eine Großstadt angewandt wird, gehört zu diesen Merkmalen etwa ,Stück Erdoberfläche'. Sowohl der wirkliche Dschungel wie auch die Großstadt fallen unter diese Kennzeichnung. Ein gemeinsamer Oberbegriff der Gegenstände des eigentlichen und des metaphorischen TA bildet jedoch nicht das entscheidende Motiv der metaphorischen Wortanwendung. Man bezeichnet eine Großstadt nicht deshalb als Dschungel, weil sie wie der wirkliche Dschungel ein Stück Erdoberfläche einnimmt. Andernfalls könnte man die Großstadt mit gleicher Motivation auch einen Kartoffelacker nennen. Wenn der gemeinsame Oberbegriff genügte, wäre jede beliebige Wortanwendung außerhalb des eigentlichen TA als Metapher motiviert; denn jeder Gegenstand, von dem überhaupt die Rede sein kann, fällt mit jedem anderen unter irgendeinen gemeinsamen Oberbegriff, und wäre es nur der Begriff .Gegenstand, von dem die Rede sein kann'. Ein zweiter Komplex (K2) erfaßt die Merkmale, die zur eigentlichen, nicht jedoch zur metaphorischen Wortbedeutung gehören, die also bei der metaphorischen Wortanwendung aus der Bedeutung getilgt werden

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Metapher

müssen, wenn die Anwendung motiviert sein soll. Wenn das Wort .Dschungel' eine Großstadt beschreibt, müssen in der anwendungsmotivierenden, in diesem Fall also metaphorischen Bedeutung wesentliche Merkmale der eigentlichen fehlen — wie etwa .subtropischer Urwald mit üppig wuchernder Vegetation'. Ein dritter Komplex (K3) besteht aus den Merkmalen, die in der eigentlichen Bedeutung fehlen, die der metaphorische Wortgebrauch jedoch seinem Gegenstand zusprechen will und um deretwillen die Metapher überhaupt gewählt wurde. Im Falle unseres Metaphernbeispiels könnten die Merkmale ,Unheimlichkeit', .Gefahr', .Undurchschaubarkeit', ,fehlende behördliche Sicherheitsgewährung' sowie .Fülle fremdartigen und feindselig anmutenden Lebens' in diese Menge gehören. Die Merkmale, die der metaphorische Wortgebrauch seinem Gegenstand zuspricht, treffen auch, wenn nicht auf alle, so doch mindestens auf typische Gegenstände des TAe, also auf wirkliche Dschungel, zu. Gleichwohl sind sie in der eigentlichen Wortbedeutung von niederem paradigmatischen Rang oder gar nicht vorhanden. Die Merkmale der Komplexe 1 und 2 weisen der eigentlichen Bedeutung ihren Platz im semantischen Umfeld zu (im Falle des Wortes ,Dschungel' etwa als Unterbegriff zu .Urwald' und Gegenbegriff zu .tropischer Gebirgsnebelwald*). Die Merkmale des Komplexes 1 kennzeichnen den — ob in eigentlicher oder in metaphorischer Wortverwendung — durch .Dschungel' beschriebenen Gegenstand als ein Stück Erdoberfläche, stellen ihn also in Gegensatz zu Abstrakta und nichtflächenhaften Konkreta. Welcherlei Stück Erdoberfläche mit dem Wort .Dschungel' gemeint ist, legen für den Fall der eigentlichen Wortverwendung die Merkmale des Komplexes 2, für den Fall der metaphorischen die Merkmale des Komplexes 3 fest. Der Dschungel im eigentlichen Sinn ist ein tropischer Urwald, fern jeder Zivilisation, der dank Bodenfeuchtigkeit oder reichlicher Niederschläge eine üppig wuchernde Vegetation hervorbringt. Das metaphorisch als Dschungel bezeichnete Stück Erdoberfläche ist unheimlich, gefahrvoll, undurchschaubar, ohne behördlich gewährleistete Sicherheit, überquellend von fremdartigem und feindselig anmutendem Leben. Die Merkmale des Komplexes 2 treffen auf den metaphorischen Dschungel nicht zu, die des Komplexes 3 jedoch treffen sowohl auf den metaphorischen wie auch auf typische Exemplare des eigentlichen Dschungels zu, obwohl sie in der Bedeutung, die den TAe des Wortes .Dschungel' definiert, gar nicht oder nur mit niederem semantischem Stellenwert vorkommen.

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Metaphorische Wortanwendung

Beteiligung der Merkmalkomplexe K l , K2 und K3 an der eigentlichen und der metaphorischen Bedeutung eigentliche Bedeutung

metaphorische Bedeutung

Kl

+

+

K2

+

-

K3

- (oder mit niedrigem Stellenwert)

+

Unterhalb des gemeinsamen Oberbegriffs .Stück Erdoberfläche' setzt die metaphorische Bedeutung eine völlig andere Aufteilung der Gegenstandswelt voraus als die wörtliche. Die Merkmale der wörtlichen Bedeutung beruhen auf einer Einteilung der Erdoberfläche in Klimazonen, auf dem Gegensatz von Natur- und Kulturlandschaft sowie auf Unterscheidungen der Vegetationsdichte. Die metaphorische Bedeutung setzt diese Begriffsoppositionen außer Kraft. Die Metapher .Dschungel' legt sich auf keine Klimazone, keine Landschafts- und keine Vegetationsform fest. Die Erdoberfläche wird nicht mehr unter geographischen, besiedlungstechnischen und botanischen Gesichtspunkten aufgeteilt, sondern anhand des vermittelten Lebensgefuhls. Ein Stück Erdoberfläche bietet dem Menschen entweder eine wohlvertraute, anheimelnde Umgebung, in der er sich als Freund unter Freunden bewegt, oder eine fremde, undurchsichtige, von tinbekanntem Leben wimmelnde Welt, in der auf Schritt und Tritt Gefahren lauern. Innerhalb des Merkmalreservoirs, das der STA des Wortes .Dschungel' bietet, geht bei metaphorischem Wortgebrauch die semantische Relevanz von den Merkmalen der Menge 2 auf die der Menge 3 über. Die distinktive, feldgliedernde Verwendung von Merkmalen, die vorher semantisch irrelevant waren, stützt den Wortgebrauch auf eine begriffliche Neuordnung des Gegenstandsbereichs, den die übergeordnete Merkmalmenge K l umreißt. Was vorher - innerhalb des Bereichs .Erdoberfläche' — durch kategoriale Grenzen getrennt war, fallt nun zusammen. Wenn der Dschungel durch Merkmale definiert wird, die der Sprachteilnehmer zwar immer schon mit ihm verband, ohne sie jedoch in die Wortbedeutung aufzunehmen, treffen sich der subtropische Urwald und die Großstadt unversehens in einem gemeinsamen TAm. Die Metapher entwirft für ein altbekanntes Gebiet einen neuen

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Metapher

Begriffsraster, der sowohl bisher Getrenntes vereint (Urwald und Großstadt), wie auch bisher Vereintes trennt (anheimelnde und dschungelartige Großstädte). Wenn die neue Bedeutung keine Merkmale aus der eigentlichen Bedeutung streicht, wohl aber spezifizierende Merkmale hinzufugt, wenn also der Komplex 3 den Komplex 2 enthält, entsteht statt der Metapher eine Synekdoche, die anhand der Gattung die Art benennt, wie wenn man .Sterbliche' sagt, aber ausschließlich Menschen meint. Wenn dagegen die neue Bedeutung aus der eigentlichen Bedeutung Merkmale tilgt, ohne sie durch andere zu ersetzen, wenn also der Komplex 2 den Komplex 3 enthält, entsteht statt der Metapher eine Synekdoche, die anhand der Art die Gattung benennt, wie wenn man ,Brot' sagt, aber Nahrung schlechthin meint (Lausberg 1963: § 192 ff.). J. M. Sadock bezweifelt die Unterscheidbarkeit von eigentlicher (wörtlicher) und metaphorischer Bedeutung (Ortony 1993: 51 ff.). Tatsächlich läßt sich in einigen Fällen darüber streiten, ob ein Wort seinen Gegenstand kraft eigentlicher oder kraft metaphorischer Bedeutung beschreibt. Liegt eine Metapher vor, wenn die ersten Steigungen als ,Fuß' des Berges beschrieben werden? Wenn ja, macht die Beschreibung die ersten Steigungen zu Klassengenossinnen menschlicher Füße, indem sie ihnen einen für die gesamte Klasse geltenden Beschreibungsinhalt zuordnet wie ,unterster Teil, der den Rest des Gegenstandes trägt'. Wenn nein, ist,erste Steigungen eines Berges' eine eigentliche, unmittelbare Bedeutung, die dem Wort ,Fuß' zusätzlich zu der häufiger benutzten Bedeutung .Endstück der unteren Extremitäten eines Menschen oder Tieres' zukommt. Neben den strittigen gibt es aber auch eindeutige Fälle von Metaphorik. Das Wort .Dschungel' spricht der Großstadt zweifellos nicht seine eigentliche Bedeutung als Beschreibungsinhalt zu, sondern eine metaphorische, deren Erfassung jedoch die Kenntnis der eigentlichen Bedeutung voraussetzt. Der Sprecher, der einen Gegenstand metaphorisch zwar nicht als Element eines bestimmten TA, wohl aber als Klassengenossen von Elementen dieses TA beschreiben will, muß ein Wort auswählen, dem dieser TA als eigentliche Bedeutung zugeordnet ist; und der Hörer muß, um die metaphorische Bedeutung zu erfassen, den vorausgesetzten TAe mit dem benutzten Wort verbinden, weil er sonst die Gegenstände nicht ermitteln könnte, als deren Klassengenosse der beschriebene Gegenstand dargestellt wird. Die metaphorische Anwendung des Wortes .Dschungel' auf eine Großstadt setzt die Bekanntheit

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der eigentlichen Bedeutung ,subtropischer Urwald ...' voraus. Erst diese Bedeutung macht die Gegenstände kenntlich, die mit der beschriebenen Großstadt in eine gemeinsame Klasse rücken sollen, deren Definition dann nicht mehr die eigentliche, sondern die metaphorische Bedeutung bildet. Ein Wort wird genau dann metaphorisch gebraucht, wenn die dem Gegenstand zugeschriebene Bedeutung für den Sprecher oder den Hörer auf die geschilderte Art motiviert ist. Diese Motivation setzt die klare Unterscheidung von metaphorischer und eigentlicher Bedeutung voraus. Die Beziehung zwischen dem benutzten Wort und der metaphorischen Bedeutung ist — im Gegensatz zu der Beziehung zwischen dem benutzten Wort und seiner eigentlichen Bedeutung — nicht arbiträr, weil die eigentliche Bedeutung den Grund für die Auswahl des Wortkörpers liefert. Sie verweist auf die Klassengenossen des beschriebenen Gegenstands, aus denen die metaphorische Bedeutung herausgefiltert wird. Metaphorik gibt es nur um den Preis der unzweifelhaften Unterscheidung von eigentlicher und metaphorischer Bedeutung. Wird diese Unterscheidung fraglich, dann auch die Metaphorik.

2.3 Metapher und bildlicher Vergleich Für die antike Rhetorik sind Metapher und bildlicher Vergleich zwei Formulierungsvarianten desselben rhetorischen Verfahrens. Aristoteles (Rhet. III, 4) sieht den Unterschied nur im Fehlen oder Vorliegen einer Vergleichspartikel: Auch das Bild ist eine Metapher; denn der Unterschied ist gering. Wenn man nämlich sagt, Achilles stürzte hervor wie ein Löwe', handelt es sich um ein Bild; wenn man dagegen [von Achilles] sagt ,Der Löwe stürzte hervor', um eine Metapher. Cicero (De or. III, 157) und Quintilian (VIII, 6, 8) bezeichnen die Metapher als Kurzfassung eines bildlichen Vergleichs. Die behauptete Gemeinsamkeit beider Figuren ist nicht von der Hand zu weisen: Jede spricht dem Beschreibungsgegenstand (Achilles) Eigenschaften eines anderen Gegenstandes (Löwe) zu, dessen Begriff dem des ersten nicht unmittelbar verwandt ist. Der bildliche Vergleich kann die Eigenschaften, die vom Vergleichsobjekt auf den Beschreibungsgegenstand übertragen werden sollen, sogar ausdrücklich benennen:

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Metapher

Der aus ihrem Heimatdorf verschlagenen Engländerin kam die nahe Großstadt wie ein Dschungel vor: unheimlich, gefahrvoll, von fremdem, feindseligem Leben überquellend. Dennoch sind Metapher und bildlicher Vergleich nicht nur stilistische Varianten desselben Verfahrens: Der Beschreibungsinhalt, den der bildliche Vergleich seinem Gegenstand zusprechen will, bildet das so genannte tertium comparationis, die Beschaffenheit also, in der Bild und Gegenstand übereinstimmen und die den Vergleich motiviert. Das tertium comparationis kann ungenannt bleiben oder unmetaphorisch benannt werden. Im oben angeführten Beispielsatz übernimmt diese Aufgabe der Teil hinter dem Doppelpunkt. Das tertium comparationis geht aber nicht in die Bedeutung des Wortes ein, das den als Bild herangezogenen Gegenstand benennt. Das Wort .Dschungel' wird im obigen Beispiel mit seiner eigentlichen Bedeutung gebraucht: Es benennt einen subtropischen Urwald. Die Metapher dagegen beschreibt ihren Gegenstand kraft einer umgewandelten Bedeutung des Wortes, das beim Vergleich den als Bild herangezogenen Gegenstand benennen würde. Beim metaphorischen Gebrauch (.Dschungel der Großstadt*) besteht die Bedeutung des Wortes .Dschungel' in einem Beschreibungsinhalt, der beim Vergleich (,wie ein Dschungel") als tertium comparationis entweder stillschweigend vorausgesetzt oder außerhalb des Wortes .Dschungel' dem Gegenstand zugesprochen wird. Die Hereinnahme der Merkmale, die beim bildlichen Vergleich das tertium comparationis ausmachen würden, in die Bedeutung des Wortes, das beim bildlichen Vergleich das Bild benennen würde, bedeutet eine Revolution im semantischen System. Im STA des benutzten Wortes werden .aristokratische' Merkmale ihres semantischen, d.h. wortanwendungslenkenden Ranges entkleidet, und .plebejische' Merkmale, die in der semantischen Hierarchie bisher keine Rolle spielten, übernehmen ihre Funktion. Beim metaphorischen Gebrauch des Wortes .Dschungel' zur Beschreibung einer Großstadt geben die wichtigen Merkmale ,Urwald', .Feuchtigkeit' und .üppige Vegetation' ihren semantischen Rang an bisher unbedeutende Merkmale wie .Unheimlichkeit' und .Gefährlichkeit' ab. Kraft dieser Umwälzung rücken Dschungel und Großstadt in dieselbe Zelle eines neuen Begriffsrasters, das die Erdoberfläche nicht mehr unter den Gesichtspunkten von Klimazonen und Landschaftsformen, sondern von Vertrautheit und Unheimlichkeit ordnet. Beim metaphorischen Wortgebrauch erscheinen die dem Gegenstand zugeordneten Merkmale als erfolgreiche Umstürzler, die den Dingen eine neue Ordnung geben, beim

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Vergleich erscheinen sie in ihrem altgewohnten Rang. Die Metapher übernimmt die Eigenschaften, die sie am Gegenstand beleuchten will, in ein neues semantisches System, das die Wortanwendung steuert. Pragmatische Relevanz schlägt um in semantische. Den Klassikern der antiken Rhetorik lag es fern, die Metapher als Erfassung des Gegenstandes durch eine neugebildete Wortbedeutung zu erklären; denn sie hielten die Zuordnung des bezeichneten Gegenstandes zu der Bedeutung des bezeichnenden Wortes nicht für disponibel. Für jeden Gegenstand gibt es den zuständigen Begriff, der mit der sprachlichen Bezeichnung des Gegenstandes verbunden ist. Die mit der Stimme hervorgebrachten Lautgebilde sind Zeichen der in der Seele bestehenden Eindrücke, und die Schriftzüge sind Zeichen der mit der Stimme hervorgebrachten Lautgebilde. Und wie die Schriftzüge nicht bei allen [Sprachgemeinschaften] dieselben sind, so auch nicht die Lautgebilde. Die Eindrücke in der Seele jedoch, deren Zeichen [die Lautgebilde] zuvörderst sind, sind bei allen dieselben und ebenso die [bezeichneten] Gegenstände, von denen die Eindrücke in der Seele Abbilder sind. (Aristoteles: De interpretatione 1) Wir wollen ,die Eindrücke in der Seele', die Abbilder von Gegenständen sind und durch Laute wiedergegeben werden, als begriffliche Wortbedeutungen auffassen. Aristoteles äußert die Ansicht, daß die Zuordnungen zwischen Wortlaut und Schriftzeichen sowie zwischen Wortlaut und Begriff nicht in allen Sprachgemeinschaften gleich sind. Sie sind folglich nicht von der Natur vorgegeben, sondern konventionsbedingt oder, wie Saussure sagt, arbiträr. Dagegen scheint Aristoteles die Zuordnung von Gegenstand und Begriff für naturgegeben zu halten, wenn er sagt, daß die Begriffe selbst — im Gegensatz zu den Wörtern, die auf sie verweisen - bei allen dieselben sind und daß sie darüber hinaus bei allen die Abbilder derselben Gegenstände sind. Diese Verteilung von Konventionalität und Naturgegebenheit läßt zu, daß einem Gegenstand mitsamt dem Begriff, der ihn abbildet, ein neues Wort zugeordnet wird, nicht aber dem Gegenstand zugleich mit dem neuen Wort auch ein neuer Begriff. Die Metapher, bei der nach unserer Theorie genau dies geschieht, beschreibt Aristoteles als Änderung der Zuordnung zwischen einem Wort und einem Paar aus Begriff und Gegenstand. Ein Wort, das der herrschende Sprachgebrauch einem bestimmtem Begriff und seinem Gegenstand zuordnet, wird an ein anderes Paar aus Begriff und Gegenstand „herangetragen" (Poetik 21). Die Metapher funkioniert, wenn man den Gedanken des Aristoteles

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Metapher

ausspinnen darf, in gewisser Weise wie die Verwendung eines erfundenen oder fremdsprachigen Wortes für den beschriebenen Gegenstand. Statt die Ehe metaphorisch .Gefängnis' zu nennen, könnte man sie auch als ,Diddelduddel', als ,matrimoniumi oder als ,marriage' bezeichnen. Die Gleichsetzung von metaphorischer und fremdsprachiger Benennung erklärt jedoch nicht die rhetorische oder poetische Wirkung der Metapher, für die Aristoteles keineswegs unempfänglich ist. Er fuhrt sie wohl auf das Wissen des Sprachteilnehmers um die eigentliche Bedeutung der metaphorisch benutzten Wörter zurück. Die eigentlichen Bedeutungen färben gewissermaßen auf die metaphorisch bezeichneten Gegenstände ab, ohne ihre begriffliche Erfassung zu ändern. Das metaphorisch gebrauchte Wort .Gefängnis' rüttelt, wenn man die aristotelische Theorie auf das moderne Beispiel anwenden will, nicht an der Einordnung der Ehe unter die Geschlechterbeziehungen. Es erinnert den Hörer jedoch daran, daß die nach wie vor als Geschlechterbeziehung klassifizierte Ehe — gewissermaßen außerdem — die Freiheit der Eheleute einschränkt. Die Kenntnis der Gegenstände, denen das benutzte Wort üblicherweise zugeordnet ist, häuft zusätzliches, akzidentelles Wissen auf den metaphorisch beschriebenen Gegenstand, den auch das neue Wort in seiner alten Begrifflichkeit beläßt. Die so verstandene Metapher unterscheidet sich in der Tat nur wenig von dem bildlichen Vergleich, der ebenfalls Kenntnisse eines anderen Gegenstandes auf den beschriebenen Gegenstand überträgt, ohne dessen begriffliche Einordnung anzutasten. Die These des Aristoteles, daß zwischen Metapher und bildlichem Vergleich kein wesentlicher Unterschied besteht, findet auch unter modernen Sprachphilosophen beredte Verfechter: Robert J. Fogelin (1994) behauptet gegen Lynn Tirell (1991), "daß Metaphern [...] bildliche Vergleiche ausdrücken" (23). Nach unserer Theorie sind die beiden Ausdrucksmittel insofern verwandt, als ihnen eine Analogie zugunde liegt, deren Wurzelprädikat dem ersten Analogiepartner durch Nennung des zweiten zugesprochen wird. Den — keineswegs unwesentlichen — Unterschied zwischen Metapher und bildlichem Vergleich stellt Fogelin ebensowenig heraus wie Aristoteles: Die Metapher macht — unter Neustrukturierung der Begriffswelt — das Wurzelprädikat der zugrunde liegenden Analogie zur Bedeutung einer üblichen Bezeichnung des zweiten Analogiepartners. Der bildliche Vergleich dagegen benutzt diese Bezeichnung nicht zur tropischen Benennung des Wurzelprädikats, sondern zur normalen Benennung des zweiten Analogiepartners. Das Wur-

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zelprädikat wird beim Vergleich anhand der Gegenüberstellung beider Analogiepartner evoziert, manchmal auch zusätzlich als tertium comparationis ausdrücklich benannt, jedoch nicht mit dem Namen des zweiten Analogiepartners.

2.4 Eigentlicher und metaphorischer Wortanwendungsbereich (TAe und TAm) Der Beschreibungsinhalt, den ein metaphorisch benutztes Wort seinem Gegenstand zuweist, paßt auch auf Gegenstände, die einen repräsentativen oder typischen Teil des — durch die eigentliche Wortbedeutung festgelegten — TAe bilden. Der metaphorisch vermittelte Beschreibungsinhalt definiert seinerseits einen Wortanwendungsbereich (TAm), der den beschriebenen Gegenstand sowie typische Gegenstände des TAe enthält. Der TAe ist, falls es sich um eine .klassische' Kategorie handelt, zu einem wesentlichen Teil, wenn auch nicht notwendig zur Gänze, im TAm enthalten. Bildet der TA eines Wortes eine .unklassische' Kategorie, also ein relationales Geflecht aus klassischen Kategorien — wie im Falle ,Spiel' (IV, 1,1) —, so bezeichnet im Folgenden der Ausdruck TAe nicht den ganzen eigentlichen Anwendungsbereich des Wortes, sondern nur die klassische Kategorie, also den Teil des TAe, dessen STA der metaphorischen Bedeutung zugrunde liegt. Auch für diesen einschlägigen Teilbereich des TA gilt, daß er zu einem wesentlichen Teil, wenn auch nicht notwendig zur Gänze, im TAm enthalten ist. Wer eine Großstadt metaphorisch als Dschungel bezeichnet, stellt sie in eine gemeinsame Klasse mit Urwäldern, in denen gefährliche Tiere wie Tiger und Schlangen auf Beute lauern. Nun gehört, wie wir annehmen wollen, die Beherbergung gefährlicher Tiere nicht als differenzierendes Merkmal in die eigentliche Bedeutung des Wortes .Dschungel'. Ein subtropischer Urwald mit üppiger Vegetation, dem es aber an Raubtieren gänzlich fehlte und der dem reisenden Abenteurer eher als Paradies denn als Hölle vorkäme, behielte, so untypisch er sein mag, dennoch Anspruch auf den Namen .Dschungel', obwohl er nicht mehr unter die — bei Anwendung auf eine unwirtliche Großstadt beanspruchte — metaphorische, sondern nur noch unter die eigentliche Bedeutung dieses Wortes fiele. Ebenso wäre ein kluger Esel immer noch ein Esel im eigentlichen, aber nicht mehr im metaphorischen Sinn.

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Metapher

Ferner gehört ein träger und kampfesscheuer Löwe nicht zu den Lebewesen, mit denen die berühmte Metapher den Helden Achilles in eine Reihe stellt; dennoch trifft die eigentliche Bedeutung des Wortes JLöwe' auf ihn zu. Weil aber paradiesische Dschungel, kluge Esel und feige Löwen untypische Exemplare ihrer Spezies sind, bleibt dem Wort beim Wechsel von der eigentlichen zur metaphorischen Bedeutung der ohnehin im Vordergrund stehende Teil des alten Anwendungsbereichs erhalten. Der semantische Wandel (vom subtropischen Urwald zur unheimlichen und gefährlichen Umwelt, in der unbekannte Feinde lauern) erschließt dem Wort neue Anwendungsgegenstände, ohne den alten Anwendungsbereich drastisch zu schmälern. Deshalb ist die aristotelische Redeweise vom „Herantragen" (epiphorá) des metaphorisch gebrauchten Wortes „an eine andere Spezies" (Poetik 21) irreführend, wenn man .Spezies' als Klasse der beschriebenen Gegenstände versteht. Der Wortkörper wird nicht von dem alten Anwendungsbereich fort- und an einen gänzlich neuen herangetragen. Vielmehr bleibt ihm der größte Teil seines alten Anwendungsbereichs erhalten. Die Wirkung der Metapher ginge geradezu verloren, wenn das benutzte Wort mit seiner neuen Bedeutung nicht auch den repräsentativen Teil des alten Anwendungsbereichs bezeichnen könnte. Wenn man allerdings unter .Spezies' die Bedeutung, den beschreibenden Begriff, versteht, trifft ,Herantragen' eher zu: Das Wort verläßt die alte Bedeutung und bindet sich an eine neue. Der drastische semantische Wandel zur Erschließung eines neuen Anwendungsgebiets bei weitgehender Erhaltung des alten gehört zu den Charakteristika der Metapher. Die metaphorische Bedeutung definiert — wie die eigentliche — einen Wortanwendungsbereich. Dieser Bereich (TAm) faßt Gegenstände zusammen, die üblicherweise unterschiedlich benannt werden: Dschungel und Großstadt, Gefängnis und Ehe, Hochwald und Kathedrale. In der durch die metaphorische Bedeutung gebildeten buntscheckigen Menge geben die Gegenstände, die auch im TA der eigentlichen Bedeutung vorkommen, gewissermaßen den Ton an. Das Bild des TAm .Dschungel' wird maßgeblich durch Dschungel geprägt, deren Fauna den Menschen bedroht. Der metaphorisch beschriebene Gegenstand gehört jedoch nicht zu diesen bildprägenden Elementen des TAm. Die Wirkung der Metapher beruht auf der überraschenden Klassengleichheit zwischen dem beschriebenen Gegenstand und Gegenständen, die das benutzte Wort sonst, bei unmetaphorischem Gebrauch, bezeichnet.

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Die neue kategoriale Gemeinsamkeit beruht nicht auf der Flucht in eine hohe Abstraktionsebene, deren weite Begriffe (,Stück Erdoberfläche") alle interessanten Unterscheidungen einebnen, sondern, wie dargelegt, auf der Wahl unüblicher Klassifikationsmerkmale. Die Großstadt gerät in eine gemeinsame Klasse mit typischen Dschungeln, wenn man als Klassifikationskriterien die Merkmale ansetzt, die die metaphorische Bedeutung bilden: .unheimlich', .gefährlich', ,νοη feindseligem Leben überquellend' usw. Für diese Merkmale, die der Großstadt zugeschrieben werden sollen, bietet die Metapher — dank der eigentlichen Wortbedeutung — beispielhafte Träger an: An den typischen Dschungeln, die das Bild des TAe prägen, ist abzulesen, was für die Großstadt gelten soll. Der TAm ist eine Kategorie, in der die Gegenstände des Überschneidungsbereichs von TAm und TAe als modellgebende .Prototypen' fungieren. Der Blick auf die prototypischen Gegenstände des TAm, in denen sich der metaphorische Beschreibungsinhalt beispielhaft verkörpert, fördert - wie überhaupt der Umgang mit Beispielen — auch unkontrollierte Merkmalübertragungen. Die Gegenstände des alten TAe, die das Bild der neugebildeten Kategorie prägen, neigen dazu, stärker auf den beschriebenen Gegenstand abzufärben, als es die nüchterne Weltkenntnis des Adressaten und die mit ihrer Hilfe gebildete metaphorische Bedeutung rechtfertigen, unter der alle Gegenstände des neuen TAm vereinigt sind. Die Großstadt ist plötzlich nicht nur unheimlich und bedrohlich wie ein Dschungel, sie benimmt ihrem Besucher auch den Atem und badet ihn in Schweiß. Die unkontrollierte Einfärbung des beschriebenen Gegenstandes durch seine ,Paten' aus dem TAe ist ein Fall der .Proliferation', die im Zusammenhang mit der Bildfeldlehre ausführlicher zur Sprache kommen wird. Zwischen dem beschriebenen Gegenstand, den der Gebrauch der Metapher in den TAm einordnet, einerseits und den Gegenständen des TAe, die in den TAm übernommen werden, andererseits besteht ein Analogieverhältnis, da alle Gegenstände des TAm unter den Beschreibungsinhalt fallen, den die metaphorische Bedeutung bildet. Diese Analogie ist nicht-trivial, da es keine gemeinsame Bezeichnung gibt, unter der beide Analogiepartner üblicherweise auftreten. Die üblichen Bezeichnungen (etwa .Dschungel' einerseits und .Großstadt' andererseits) fallen auch nicht unter ein gemeinsames aufschlußreiches Hyperonym, dessen Bedeutung einen gewohnten, nicht allzu abstrakten Oberbegriff für die Analogiepartner abgäbe (wie etwa .Werkzeug' für Hammer und Zange oder .Wochentag' für Montag und Dienstag).

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Metapher

Zweck der Metapher ist jedoch nicht die Benennung der Analogie zwischen dem beschriebenen Gegenstand und anderen Gegenständen, die das Wort bei unmetaphorischem Gebrauch beschreibt. Die metaphorische Bedeutung beantwortet in erster Linie die Frage .Welcher Art ist der beschriebene Gegenstand?' und nur mittelbar die Frage ,Zu welchen anderen Gegenständen steht der beschriebene in Analogie?'. Daß der Beschreibungsinhalt, den die Metapher ihrem Gegenstand zuspricht und um dessentwillen das benutzte Wort gewählt wurde, eine Analogie begründet, ist, wenn man so will, ein Nebenprodukt seiner Herstellung: Wenn die Merkmale, die den Gegenständen des TAe (nicht per definitionem, sondern nach Erfahrung und Meinung!) zukommen, das Materiallager für den Zusammenbau der metaphorischen Bedeutung bilden, kann es nicht ausbleiben, daß die zusammengebaute Bedeutung eine Analogie begründet zwischen den Gegenständen, deren Merkmale das Materiallager bilden, und dem Gegenstand, auf den sie angewandt wird. Der Sprecher wählt das metaphorisch benutzte Wort jedoch nicht zur Verkündung dieser Analogie, sondern weil die eigentliche Bedeutung einen Gegenstandsbereich abgrenzt, aus dem sich der gewünschte Beschreibungsinhalt gewinnen läßt. Wie J. R. Searle (Ortony 1993: 92 ff.) zu Recht betont, sind auch die Wahrheitsbedingungen für die metaphorische Beschreibung des Gegenstandes einerseits und die Feststellung einer Analogie zwischen dem metaphorisch beschriebenen Gegenstand und den typischen Gegenständen des TAe andererseits verschieden. Ein geschulter Zoologe, der Esel nicht für dümmer hält als etwa Pferde oder Hunde, müßte die ausdrückliche Behauptung der Analogie, die in der Eselsmetapher vorausgesetzt wird, für falsch halten: Die Intelligenz eines Esels liegt nicht so tief unter dem Durchschnitt vergleichbarer Tierarten wie die Intelligenz eines menschlichen Dummkopfes unter dem Durchschnitt seiner Mitmenschen liegt. Die mit der Eselsmetapher vollzogene abfällige Beschreibung eines bestimmten Menschen könnte er gleichwohl für wahr halten. Auch die reizvolle Synopse von eigentlicher und metaphorischer Bedeutung ist eher Nebenprodukt als Zweck des Metapherngebrauchs. Der Adressat macht die interessante Erfahrung, daß dieselbe Gegenstandsmenge — nämlich der in den TAm übernommene Teil des TAe — unter zwei völlig verschiedene Begriffe fallt, nämlich sowohl unter die eigentliche wie auch unter die metaphorische Bedeutung des benutzten Wortes. Der Uberschneidungsbereich von TAe und TAm weist

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zwei verschiedene Merkmalkomplexe auf, deren erster den TAe und deren zweiter den TAm definiert. Eigentliche und metaphorische Bedeutung beruhen auf gegensätzlicher semantischer Hierarchisierung der Merkmale eines gemeinsamen Fundus. Die metaphorische Bedeutung des Wortes ,Esel' setzt eine Hierarchie der Merkmale — und damit eine Klassifikation der Gegenstände — voraus, in der die Unterscheidung zwischen dumm und klug der Unterscheidung zwischen Mensch und Tier vorangeht. Die typischen Esel (nicht die klugen Ausnahmen) erscheinen in einer neuen Kategorisierung: nicht mehr als Verwandte der Pferde, mit denen zusammen sie unter den Oberbegriff der Unpaarhufer fallen, sondern als Verwandte bestimmter Menschen, mit denen zusammen sie unter den Oberbegriff der Dummköpfe fallen. Die Synopse von eigentlicher und metaphorischer Bedeutung zeigt denselben Gegenstandsbereich in gegensätzlicher begrifflicher Fassung. Der gewohnte semantische Zugriff erweist sich als austauschbar. Das menschliche Klassifikationsbedürfnis, nicht die Natur erzeugt die semantische Verrasterung der Welt. Patti D. Nogales (1999) sieht wie unser Ansatz den Metapherngebrauch als begriffliche Neufassung von Gegenständen. Metaphor as Reconceptualisation lautet das grundlegende Kapitel ihrer Untersuchung (Nogales 1999: 9 ff.) Der metaphorisch benutzte Ausdruck verweist auf Prototypen einer ad hoc gebildeten Klasse, in die er den beschriebenen Gegenstand unter Abweichung von den herrschenden Klassifikationsgewohnheiten einordnet. [...] the metaphor vehicle [...] is the term being applied metaphorically. The entity to which it refers can also be described as the prototypical representative of the class to which the metaphor subject is assigned via reconceptualisation. (Nogales 1999: 13) Die Rekonzeptualisierung betrifft sowohl die Gegenstände, die der metaphorisch benutzte Ausdruck bei unmetaphorischem Gebrauch benennen würde, wie auch den Gegenstand, den er beim metaphorischen Gebrauch beschreibt. Die Äußerung Margaret Thatcher is a bulldozer' (Nogales 1999: 9) gibt sowohl dem Bulldozer wie auch der britischen Regierungschefin ein neue begriffliche Fassung. Die beim Metapherngebrauch vollzogene Begriffsumbildung ist nach Nogales ein Austausch von Merkmalen, die die Beschaffenheit des Gegenstandes fesdegen, gegen Merkmale, die seine ,Rolle' (1999: 11) im Zusammenspiel mit anderen Gegenständen bestimmen. Wenn .Bulldozer' Margaret Thatcher beschreibt, werden Merkmale wie ,Kettenfahrzeug' und ,schweres

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Gerät' durch Merkmale wie .unaufhaltsamer Überwinder von Hindernissen' ersetzt, die sowohl auf den beschreibenden Bulldozer wie auch auf die beschriebene Politikerin zutreffen. Für die ad hoc gebildete Klasse der unaufhaltsamen und skrupellosen Hindernisüberwinder, in die Margaret Thatcher durch die Metapher eingeordnet wird, dienen Bulldozer als prototypische Elemente. Gelegentlich stellt Nogales die Rolle, die der metaphorisch beschriebene Gegenstand mit den üblichen Bezeichnungsgegenständen des metaphorisch gebrauchten Ausdrucks gemeinsam hat, wie Aristoteles in Form einer Verhältnisgleichung dar (die von ihr syllogism genannt wird [Nogales 1999: 18]). Die ThatcherMetapher ließe sich nach dieser Methode wie folgt darstellen: Margaret Thatcher

Bulldozer

politischer Gegner

gewaltsam fortgeräumte Hindernisse auf dem Weg des Bulldozers

Aus unserer Sicht gibt es jedoch keinen Grund, metaphorische Beschreibungsinhalte auf Rollenmerkmale zu beschränken. Die Beschaffenheitsmerkmale Dummheit und Schlauheit eignen sich, wie die Metaphern ,Esel' und ,Fuchs' bezeugen, ebensogut als metaphorische Beschreibungsinhalte wie das relationale Merkmal der Endposition in einer Phasenfolge, das der Metapher vom >Abend des Lebens' zugrunde liegt. Auch die mit interesselosem Wohlgefallen betrachtete Form eines Gegenstandes kann eine Metapher motivieren, wie die Redewendung .Sichel des Mondes' zeigt. Entscheidend für die Rekonzeptualisierung ist die hierarchische Umschichtung von Merkmalen aus dem TAe des metaphorisch benutzten Ausdrucks. Obwohl Nogales den Inhalt einer Metapher gelegentlich als Verhältnisgleichung darstellt, ist sie weit davon entfernt, die Metaphernlehre, wie die vorliegende Arbeit es unternimmt, systematisch auf eine Analogielehre zu stützen. 2.5 Metapher: Natur- und Kunstprodukt Metaphor, or something like it, governs both the growth of language and our acquisition of it. (W V. O. Quine) Die vorangehenden Kapitel behandelten die Metapher als ein Verfahren des beschreibenden Wortgebrauchs. Die metaphorische Gegenstandsbeschreibung nutzt — wie die wörtliche — eine vorgegebene Verbindung zwischen Wort und Bedeutung.

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Bei unmetaphorischer und auch sonst geradliniger Rede ordnet der Sprecher dem beschriebenen Gegenstand die eigentliche Wortbedeutung - oder eine von mehreren eigentlichen Wortbedeutungen - als Beschreibungsinhalt zu. Bei metaphorischem Wortgebrauch ordnet er ihm einen Beschreibungsinhalt zu, der mit einer der eigentlichen Bedeutungen auf folgende Weise zusammenhängt: Die eigentliche Bedeutung definiert einen Gegenstandsbereich (TAe), dessen typische Elemente der Sprecher mit dem beschriebenen Gegenstand in eine neuartige gemeinsame Klasse stellt. Was die Gegenstände dieser Klasse gemeinsam haben, wird dem beschriebenen Gegenstand als Eigenschaft zugesprochen. Man kann die Metapher aber nicht nur als ein vom Sprecher benutztes Verfahren des Wortgebrauchs ansehen, sondern auch — spiegelbildlich dazu — als ein vom Hörer benutztes Verfahren der Wortdeutung. Der Hörer deutet ein Wort metaphorisch, wenn er keine der - nach seinem Sprachverständnis — eigentlichen Bedeutungen des benutzten Wortes als den übermittelten Beschreibungsinhalt auffassen mag, sondern statt dessen eine ,übertragene' Bedeutung, die aus Gemeinsamkeiten des beschriebenen Gegenstandes mit typischen Gegenständen eines TAe besteht. Die metaphorische Deutung empfiehlt sich als Ausweg aus einer verfahrenen Situation des Sprachverkehrs. Der Hörer unterstellt (wenn man sein Verhalten rationalisieren will), daß der Sprecher bei seiner Gegenstandsbeschreibung nicht gegen Gricesche Konversationsmaximen verstößt. Dieser Unterstellung widerspräche jedoch die Auffassung, daß eine der eigentlichen Bedeutungen den Gegenstand beschreiben solle, entweder weil der Gegenstand offensichtlich außerhalb aller eigentlichen Anwendungsbereiche des benutzten Wortes liegt oder weil eine solche Beschreibung aus anderen Gründen gegen die Voraussetzungen kooperativer Rede verstieße. Um den Widerspruch zu erkennen, den die metaphorische Deutung vermeiden will, muß der Hörer den Gegenstand, den der Sprecher beschreiben will, identifiziert haben. Um festzustellen, daß dieser Gegenstand außerhalb aller eigentlichen Anwendungsbereiche des zu deutenden Wortes liegt, muß er ihn — sei es auf Grund der im Kontext gegebenen Beschreibungen oder aus anderen Quellen — so gut kennen, daß ihm die Unanwendbarkeit der eigentlichen Bedeutungen offenkundig ist. Um zu erkennen, daß die Zusprechung einer eigentlichen Bedeutung zwar nicht gegen die Wahrheits-, wohl aber gegen die Relevanzmaxime verstieße, muß der Hörer unterscheiden können, welcher-

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lei Beschreibungen dem Sinn und Zweck der ablaufenden Kommunikation gerecht werden oder zuwiderlaufen. Um nach bereits vollzogener, unwiderruflicher Wortwahl den drohenden Verstoß gegen Wahrheit oder Relevanz zu vermeiden, kann der Hörer einen passenden Beschreibungsinhalt, den er in den eigentlichen Bedeutungen nicht findet, aus einem der Wortanwendungsbereiche zu gewinnen suchen, die durch die unbrauchbaren eigentlichen Bedeutungen definiert werden: Typische Gegenstände eines solchen Bereichs weisen vielleicht einen Merkmalkomplex auf, der dem beschriebenen Gegenstand unter Wahrung des Wahrheits- und des Relevanzgebots als Beschreibungsinhalt zugesprochen werden kann. Diesen Merkmalkomplex, den wir als metaphorische Bedeutung beschrieben haben, sieht der Hörer als den Beschreibungsinhalt an, den der Sprecher vermitteln will. Der Hörer kann die Nötigung zur metaphorischen Deutung bei unterschiedlicher Einschätzung des Sprecherverhaltens empfinden: Er kann glauben, der Beschreibungsinhalt, den er selbst durch metaphorische Deutung ermittelt hat, sei auch vom Sprecher durch metaphorische Wortverwendung dem Gegenstand zugeschrieben worden. Er kann aber auch Gründe für die Annahme haben, daß der Sprecher denselben Beschreibungsinhalt, der für den Hörer das Ergebnis metaphorischer Interpretation ist, dem Gegenstand als die vorgegebene eigentliche Bedeutung des benutzten Wortes zugeschrieben hat. Diese Annahme unterstellt, daß Sprecher und Hörer dem benutzten Wort — trotz einander überschneidender Empirischer Anwendungsbereiche — nicht dieselben eigentlichen Bedeutungen beilegen, so daß der Hörer einen Beschreibungsinhalt durch metaphorische Wortdeutung erst aufbauen muß, der für den Sprecher als eigentliche Wortbedeutung unmittelbar gegeben ist. Die Annahme, daß dem Wortgebrauch des Sprechers eine andere semantische Regel zugrunde liegt, kann sich wiederum mit zwei verschiedenen Einschätzungen des Sprechers verbinden: Der Sprecher ist entweder ein besserer oder ein schlechterer Anwender des benutzten Sprachsystems als der Hörer. Die erste Annahme liegt nahe, wenn der Hörer ein Kleinkind und der Sprecher ein Erwachsener oder wenn der Hörer ein Ausländer und der Sprecher ein native speaker ist. Der Hörer ist dann geneigt, seine eigene Wortgebrauchsregel am Vorbild des Sprechers zu korrigieren. Der letztere Fall sei ein wenig ausgemalt: Nehmen wir an, in der sprachlichen Erfahrung eines Kleinkindes werde das Wort,Wagen' vornehmlich auf ein stillgelegtes, im Garten aufgebocktes Auto angewandt,

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in dem das Kind ungestört und ungesehen spielen kann. Es könnte diesem Wort dann die Bedeutung,sicheres Versteck' beilegen und bereit sein, auch einen unbenutzten Bretterverschlag als Wagen zu bezeichnen. Wenn es nun erlebt, daß seine Mutter dasselbe Wort auf einen vollbesetzt und hellerleuchtet vorbeiratternden Straßenbahnwagen anwendet, könnte das Kind diese Wortwahl durch eine metaphorische Deutung motivieren: Da die Bedeutung .sicheres Versteck' offenbar nicht paßt, holt es aus dem Gegenstandsbereich, den diese Bedeutung definiert, eine neue Bedeutung hervor, etwa .Gehäuse auf Rädern'. Das neue Anwendungserlebnis (und erst recht die Wiederholung gleichartiger Anwendungserlebnisse) erweitert den Empirischen Anwendungsbereich des Wortes so, daß die alte Bedeutung ihm nicht mehr gerecht wird: Der beschriebene Gegenstand liegt innerhalb des überraschend erweiterten Empirischen, aber außerhalb des bisher gültigen Theoretischen Anwendungsbreichs, weil er offensichtlich kein Versteck ist. Deshalb muß eine neue Bedeutung einen neuen TA definieren, der den vorher extraterritorialen Gegenstand einfängt. Die neue Bedeutung desavouiert jedoch nicht die alte Anwendungserfahrung, da die gewählten Merkmale dem neuen Gegenstand und dem typischen Gegenstand des alten TA gemeinsam sind. Sie ist durch metaphorische Deutung der erlebten Wortanwendung zustandegekommen: Die unpassende alte Bedeutung wurde unter Rückgriff auf den Theoretischen Anwendungsbereich, den sie definierte, durch eine passende neue ersetzt. Das Kind hat nach Merkmalen gesucht, die das stillgelegte, immer schon als Wagen bezeichnete Auto mit dem vorbeiratternden Straßenbahnwagen teilt, der unversehens unter dieselbe Bezeichnung fiel. Das Ergebnis der metaphorischen Interpretation wird nicht — wie ein rhetorischer Tropus — als kunstvoller, aber nur okkasioneller Ersatz der alten Bedeutung aufgefaßt, die als Anwendungsregel des benutzten Wortes weiterhin gültig bliebe, sondern als eine neue Wortanwendungsregel, die an die Stelle der alten tritt. Das Kind versucht, indem es eine ursprünglich metaphorische Bedeutung als eigentliche installiert, seinen eigenen Sprachgebrauch den Regeln der Sprachgemeinschaft anzupassen. Die Neufesdegung der Bedeutung unter Rückgriff auf den durch die alte Bedeutung definierten TA gehört zu den Mitteln der allmählichen Gleichschaltung von Idiolekt und Soziolekt. Sie paßt die Wortsemantik des Spracherwerbers — ohne Bruch mit der früheren Wortanwendungserfahrung — der herrschenden Norm an.

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Ein Hörer, der den Wortgebrauch des Sprechers nicht für metaphorisch hält und dennoch, um keinen Verstoß gegen die Griceschen Konversationsmaximen unterstellen zu müssen, auf eine metaphorische Deutung ausweicht, kann sich auch für den besseren Anwender des Sprachsystems halten. Er wird dann nicht geneigt sein, das Ergebnis der metaphorischen Deutung als Richtschnur seines künftigen Sprachgebrauchs zu installieren. Eher wird er versuchen, die Wortgebrauchsregel des Sprechers zu korrigieren. Das Kind, das dem Wort,Wagen' die Bedeutung .sicheres Versteck' beigelegt hat, könnte auch einen Bretterverschlag, in dem es der elterlichen Aufsicht entgeht, als Wagen bezeichnen. Für einen Beherrscher des ortsüblichen sprachlichen Systems ist dieser Wortgebrauch nur als Metapher zu rechtfertigen: Wenn man das aufgebockte Auto als typischen Vertreter des eigentlichen Anwendungsbereichs gelten läßt, kann das Wort ,Wagen' einem Bretterverschlag metaphorisch den Beschreibungsinhalt ,Versteck' zusprechen, den es tatsächlich mit dem aufgebockten Auto teilt. Der zu metaphorischer Deutung genötigte Hörer kann den weniger sprachkompetenten Sprecher korrigieren, der gar keine Metapher verwenden wollte, sondern den Beschreibungsinhalt ,Versteck' für die eigentliche Bedeutung des Wortes ,Wagen' hielt. Er könnte dem Kind den systemgerechten Wortgebrauch erklären: ,Ein Wagen hat immer Räder. Das aufgebockte Auto ist tatsächlich ein Wagen. Worüber du sprechen wolltest, ist ein Bretterverschlag. Der aber hat keine Räder und ist deshalb auch kein Wagen. Er ist jedoch wie der Wagen ein Versteck.' Die gelegentlich vermerkte Metaphernfreudigkeit von Kleinkindern ist in Wahrheit ein Zusammenstoß zweier Verwendungsregeln desselben Wortes. Das Kind benutzt das Wort unmetaphorisch, zwingt aber den Erwachsenen zu einer metaphorischen Deutung. Die Metapher funktioniert als rhetorischer Tropus, wenn der Sprecher ein Wort metaphorisch benutzt und der Hörer es metaphorisch deutet, indem er den Weg nachgeht, den der Sprecher ihm vorausgegangen ist: von der eigentlichen Bedeutung über den durch sie definierten Theoretischen Anwendungsbereich zu einem neuen Beschreibungsinhalt, den der beschriebene Gegenstand mit typischen Gegenständen dieses TA teilt. Der Begriff des Tropus, unter den die Metapher nach antiker Lehre gehört, wird als kunstvolle, also nicht fehlerhafte Abweichung des Wortgebrauchs von der eigentlichen Bedeutung definiert: verbi [...] a propria significaüone in aliam cum virtute mutatio (Quint. VIII, 6, 1). Natürlich soll die .andere' Bedeutung nicht für immer an die Stelle

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der eigentlichen treten; sie überdeckt sie im Einzelfall, ohne ihren Status als grundsätzlich gültige Wortanwendungsregel in Frage zu stellen. Die antike Rhetorik behandelt die Metapher wie alle Tropen als einen mit Kunstfertigkeit hergestellten Redeschmuck. Das Kunstprodukt hat jedoch naturwüchsige Vorbilder: Ars imitatur naturam (Die Kunst macht es der Natur nach). Der Erfinder einer originellen Metapher führt mit Absicht eine Situation herbei, die auf der freien Wildbahn des sprachlichen Verkehrs auch ohne Absicht vorkommt: Der Hörer wird genötigt, nicht die eigentliche Bedeutung als Beschreibungsinhalt zu verstehen, sondern eine andere Bedeutung, die er durch alternative Auswertung des eigentlichen Theoretischen Anwendungsbereichs (TAe) gewinnen kann.

2.6 Originelle, konventionelle und tote Metapher Die metaphorische Beschreibung nutzt wie die unmetaphorische eine vorgegebene Zuordnung von Wortkörper und eigentlicher Bedeutung. Eine Großstadt ließe sich nicht metaphorisch als Dschungel beschreiben, wenn der Sprachteilnehmer mit dem Wort .Dschungel' nicht zunächst die Bedeutung .subtropischer Urwald' verbände. Die Metaphorizität des Wortgebrauchs liegt in einer besonderen Beziehung zwischen dem vermittelten Beschreibungsinhalt und einer eigentlichen Bedeutung des benutzten sprachlichen Ausdrucks. Diese metapherntypische Beziehung können jedoch viele verschiedene Beschreibungsinhalte zu derselben Ausgangsbedeutung unterhalten. Eine gegebene eigentliche Bedeutung legt daher den Beschreibungsinhalt nicht fest, der metaphorisch über sie vermittelt werden kann. Von jeder eigentlichen Bedeutung aus lassen sich so viele metaphorische Bedeutungen bilden, wie es Beschreibungsinhalte gibt, die für typische Gegenstände des TAe gelten, jedoch nicht mit der eigentlichen Bedeutung zusammenfallen und auch keine bloßen Verallgemeinerungen oder Spezialisierungen der eigentlichen Bedeutung sind. Mit dem Wort ,Esel' kann man ein Pferd nicht metaphorisch als Säugetier beschreiben, wohl aber einen Schüler als Dummkopf, ein Fahrrad als primitives Fortbewegungsmittel (.Drahtesel*) und einen Knecht als genügsamen Helfer oder störrischen Arbeitsverweigerer. Der Kontext der Metaphernverwendung kann dem Adressaten helfen, die jeweils gemeinte metaphorische Bedeutung aus den vielen Konkur-

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rentinnen herauszufinden, die zwar die geforderte Beziehung zur Ausgangsbedeutung aufweisen, aber im anliegenden Fall keine zutreffende oder relevante Beschreibung ergäben. Die Fesdegung des vermittelten Beschreibungsinhalts bei gegebener Ausgangsbedeutung kann durch Konventionen erleichtert werden, die eine bestimmte eigentliche mit einer bestimmten metaphorischen Bedeutung verknüpfen. So besteht ζ. B. eine konventionelle Verbindung zwischen der eigentlichen Bedeutung des Wortes ,Esel' und seiner metaphorischen Bedeutung .DummkopF. Auf Grund dieser Konvention braucht ein Adressat nicht lange nach der metaphorischen Bedeutung zu suchen, wenn das Wort ,Esel' einen Menschen beschreibt. ,Dummkopf ist der spontan privilegierte Beschreibungsinhalt. Erst wenn dieser Inhalt nicht passen will, fallt der Blick auf andere Inhalte, die — ohne gleich starken konventionellen Rückhalt — aus derselben Ausgangsbedeutung hervorgehen. Eine Konvention kann die Metapherndeutung auch dann erleichtern, wenn sie nicht die eigentliche Bedeutung des tatsächlich benutzten Wortes, sondern die eines sachverwandten Wortes an eine metaphorische Bedeutung bindet. Die Konvention wird mutatis mutandis auf den anliegenden Fall übertragen: Wem die metaphorische Zuordnung zwischen ,Reise' und .Liebschaft* geläufig ist, wird schneller darauf kommen, der Ausgangsbedeutung .Wegelagerer* den Beschreibungsinhalt .Nebenbuhler' zuzuordnen. Dieselbe Konvention, die eine metaphorische Bedeutung einer eigentlichen zuordnet, verbindet sie auch mit dem lautlichen oder graphischen Träger der eigentlichen Bedeutung, also dem sprachlichen Ausdruck. Der Beschreibungsinhalt .Schlauberger' ist nicht nur der Bedeutung ,vulpes\ sondern damit auch dem Wortkörper .Fuchs' konventionell zugeordnet. Folglich nähert sich der linguistische Status einer konventionellen metaphorischen Bedeutung dem einer eigentlichen: Beide sind kraft sprachlicher Konvention einem Laut- oder Schriftgebilde zugeordnet. Die Konventionalisierung dieser Zuordnung bedroht die Metaphorizität der Bedeutung. Wenn das Wort .Bart' einen Schlüsselteil oder das Wort .Fuß' die ersten Erhebungen eines Berges beschreibt, ist fraglich, ob die vermittelten Beschreibungsinhalte den benutzten Wörtern noch mittelbar — d. h. über eine eigentliche Bedeutung — oder schon unmittelbar — d.h. als eigentliche Bedeutung — zukommen. Die ehemals metaphorische Bedeutung ist unverkennbar zur eigentlichen geworden, wenn das benutzte Wort die Ausgangsbedeutung verloren hat. Das Wort ,Krater' z.B. geht über eine lateinische Zwischenstufe auf das

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griechische kratér zurück, das in eigentlicher Bedeutung einen Mischkrug oder Kessel und erst metaphorisch die kesseiförmige Mündung eines Vulkans bezeichnet. Das deutsche Lehnwort hat die eigentliche Bedeutung des griechischen Etymons verloren und die ursprünglich metaphorische zur eigentlichen gemacht. Das lateinische musculus bedeutet eigentlich .Mäuschen' und erst metaphorisch .Muskel'. Bei der Eindeutschung blieb nur die ehemals metaphorische Bedeutung - als nunmehr eigentliche — erhalten. Das Wort .Maus' dagegen hat eine echte, wenn auch konventionelle, metaphorische Bedeutung, die über die eigentliche vermittelt wird. Es bezeichnet metaphorisch ein Zusatzgerät zum Computer und in wörtlicher Bedeutung ein kleines Nagetier, das in Form und Größe seinem elektronischen Namensvetter gleicht. Eine Metapher ist ,tot' (besser gesagt: gestorben), wenn der benutzte sprachliche Ausdruck einen Beschreibungsinhalt vermittelt, der ihm früher einmal als metaphorische Bedeutung anhing, inzwischen jedoch zur eigentlichen Bedeutung aufgerückt ist. Lebendig kann eine Metapher nur sein, wenn dem benutzten sprachlichen Ausdruck neben der metaphorischen auch eine eigentliche Bedeutung zukommt, von der aus die metaphorische — über TAe und STA — gebildet wird. Eine metaphorische Bedeutung kann also nie die einzige Bedeutung eines Wortes sein. Wenn die metaphernstützende eigentliche Bedeutung dem Wort verloren geht, kann die metaphorische, wenn überhaupt, nur als eigentliche überleben. Die metaphorische Bedeutung kann aber auch dann zur eigentlichen werden, wenn die ursprüngliche Ausgangsbedeutung dem Wort erhalten bleibt. Der Verlust der Ausgangsbedeutung ist eine hinreichende, aber keine notwendige Bedingung der Entmetaphorisierung. Andererseits ist Konventionalität der Zuordnung von Ausdruck und Bedeutung keine hinreichende Bedingung für den Verlust der Metaphorizität. Eine Wortbedeutung kann hochkonventionell und dennoch metaphorisch sein — wie die Bedeutung .Dummkopf" des Wortes .Esel' und die Bedeutung .Schlauberger' des Wortes .Fuchs'. Solange diese Bedeutungen für den Sprachteilnehmer über die eigentlichen Bedeutungen ,asinus' bzw. ,vulpes' vermittelt und durch sie motiviert werden, ist die Metaphorizität gewahrt. Die Beschreibung eines dummen Menschen durch das Wort ,Esel' ist so lange metaphorisch, wie sie ihren Gegenstand — quer zur herrschenden Klassifikationspraxis — in eine gemeinsame Klasse mit leibhaftigen Eseln stellt. Erst wenn eine Bedeutung die einseitige Abhängigkeit von einer Ausgangsbedeutung verliert, wenn

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sie ihren Gegenstand beschreibt, ohne ihn in eine eigenwillige Klassengemeinschaft mit typischen Gegenständen des TA einer Ausgangsbedeutung zu bringen, gibt sie die Metaphorizität auf — wie vielleicht beim .Bruch' eines Versprechens oder bei der .Verletzung' eines Siegels. Lebendige — d.h. echte — Metaphern liegen auf einer Skala zwischen äußerster Originalität und äußerster Konventionalität. Eine Metapher ist originell, wenn Sprecher oder Hörer den Weg von einer eigentlichen Bedeutung zum vermittelten Beschreibungsinhalt erstmalig bahnen müssen; sie ist konventionell, wenn der Weg bereits gebahnt, beschildert, vielleicht sogar ausgetreten ist, aber immerhin noch gegangen werden muß; sie ist tot, wenn es keines Weges mehr bedarf, weil der vermittelte Beschreibungsinhalt mit der eigentlichen Bedeutung zusammenfällt. Konventionalität und Originalität sind graduierbare und komplementäre Metapherneigenschaften. Je weniger konventionell eine Metapher ist, desto origineller ist sie, und je weniger originell, desto konventioneller. Wer die Ehe als Nullsummenspiel beschreibt, weil mit dem Glück des einen Partners das Unglück des anderen wächst, verwendet eine weniger konventionelle Metapher, als wer die Großstadt einen Dschungel nennt — was wiederum immer noch origineller ist, als einen begriffsstutzigen Schüler mit ,Esel' zu titulieren. Die Bindung einer bestimmten metaphorischen an eine bestimmte eigentliche Bedeutung kann einem größeren oder geringeren Teil der Sprachgemeinschaft geläufig und in diesem Sinne mehr oder weniger konventionell sein. Gänzlich unkonventionelle Metaphern sind selten. Wenn eine vollzogene Verbindung zwischen eigentlicher und metaphorischer Bedeutung keine bekannten Vorbilder hat, gibt es in aller Regel wenigstens eine verwandte Verbindung, die sich auf eine Konvention berufen kann. Der Nebenbuhler kann als Wegelagerer verstanden werden, weil eine fest etablierte Konvention die Verbindung der Bedeutungen .Liebschaft' und .Reise' sanktioniert.

2.7 Deutbarkeit der Metapher Metaphern holen die Beschreibungsinhalte, die sie ihrem Gegenstand zusprechen, aus dem Assoziationsfeld (STA) des TA, den die eigentliche Bedeutung fesdegt. Die so gewonnenen Beschreibungsinhalte lassen sich, soweit sie überhaupt bestimmbar sind, auch durch andere sprachliche Mittel benennen. Die Großstadt, die metaphorisch als

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Dschungel beschrieben wird, ließe sich alternativ als ,ein unheimliches, gefahrendräuendes Stück Erdoberfläche' beschreiben, ,das von feindselig anmutendem Leben überquillt und auf dem keine Behörde Sicherheit gewährleistet'. Die alternative sprachliche Fassung des Beschreibungsinhalts kann als Paraphrase der metaphorischen Bedeutung bezeichnet werden. Sie ist der Metapher nicht in jeder Hinsicht gleichwertig. Vor allem bringt sie nicht zum Ausdruck, daß die Merkmale, die sie namhaft macht, den beschriebenen Gegenstand in eine ungewöhnliche Klassengemeinschaft mit bestimmten anderen Gegenständen stellen, deren übliche Bezeichnungen in ein gänzlich anderes lexikalisches Paradigma gehören als die übliche Bezeichnung des beschriebenen Gegenstands. Wenn die Großstadt nur durch die Merkmale beschrieben wird, die eine metaphorische Verwendung des Wortes .Dschungel' motivieren könnten, aber nicht durch das Wort .Dschungel' selbst, erscheint sie dem Hörer nicht mehr als Zwillingsschwester eines subtropischen Urwalds. Der Dschungel wirkt nicht — wie beim metaphorischen Gebrauch seines Namens — als anschauliches Modell, das die Beschaffenheit der Großstadt offenbart. Folglich treten auch die Proliferationswirkungen nicht ein, die, wie oben dargestellt, von einer Metapher ausgehen. Die Beschreibung erzielt eine stärkere Wirkung, wenn der Hörer die Motivation einer metaphorischen Wortwahl spontan durchschaut und den Beschreibungsinhalt aus der suggerierten neuen Klassengemeinschaft selbst erschließt. Die Paraphrase dagegen spricht nicht das Assoziationsvermögen, nicht die Fantasie, sondern nur das gewöhnliche Sprachverständnis an. Der Genuß der plötzlichen Erkenntnis bleibt aus, den Aristoteles an der Metapher rühmt (Rhetorik III, 10). Zudem ist die Metapher kürzer und summarischer als die Paraphrase. Der Hörer erfährt auf einen Schlag das Ganze, ohne die Teile säuberlich unterscheiden zu müssen. Die originelle Metapher behält den Reiz des Ahnungsvollen, tiefer Auslotbaren, während die Paraphrase den Beschreibungsinhalt in dürren Worten Stück für Stück ans Tageslicht zerrt. Die Paraphrase einer Metapher fallt nicht mit dem verbum proprium zusammen, an dessen Stelle die Metapher nach Ansicht mancher Rhetoriker tritt (Lausberg 1990: § 561). Das verbum proprium ist die übliche Bezeichnung des Gegenstandes, den die Metapher beschreibt, nicht jedoch — wie die Paraphrase — eine alternative Benennung des metaphorisch vermittelten Beschreibungsinhalts (vgl. II, 1). Die Ermittlung des

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verbum proprium klärt, welchen Gegenstand die Metapher bechreibt, nicht jedoch, was sie über ihn aussagt. Horaz zahlt seiner alternden Geliebten eine frühere Untreue mit folgenden Worten heim: „Dich entstellen Runzeln und der Schnee des Hauptes" (Carmina IV, 13, I l i ) . Das verbum proprium, das den als ,Schnee' beschriebenen Gegenstand üblicherweise bezeichnet, heißt .weißes Haar'; die Paraphrase, die den Beschreibungsinhalt wiedergibt, könnte lauten: ,weiße, weiche Schicht auf dem oberen Ende eines vertikal ausgedehnten Gegenstandes — wie Schnee auf einem Berggipfel' oder — mit einer zweiten Analogiewurzel — ,Zeichen eines abgelaufenen (Lebens- bzw. Jahres-) Zyklus'. Nach der Sprachregelung der antiken Rhetorik kann eine Metapher nicht die übliche Bezeichnung des beschriebenen Gegenstandes sein. Jeder Metapher steht daher ein verbum proprium gegenüber. Ein sprachlicher Ausdruck, der zwar — wie eine Metapher — den vermittelten Beschreibungsinhalt aus dem STA einer Ausgangsbedeutung herausfiltert, zugleich aber die (oder eine) übliche Bezeichnung des beschriebenen Gegenstandes ist, heißt in der klassischen Rhetorik nicht ,Metapher', sondern ,Katachrese' (Lausberg 1990: § 562). Die Metapher muß, da sie zu den Tropen gezählt wird, von der üblichen Ausdrucksweise abweichen. Die vorliegende Arbeit bindet den Metaphernbegriff jedoch nicht an die ungewöhnliche Benennung des Gegenstands, sondern an ein bestimmtes Verhältnis des vermittelten Beschreibungsinhalts zu einer eigentlichen Bedeutung des metaphorisch benutzten Ausdrucks. Ein Wort kann deshalb nach unserer Auffassung zugleich Metapher und dennoch eine übliche Bezeichnung des beschriebenen Gegenstands sein. Wer etwa sagt, der Rhein habe bei Köln ein breiteres ,Bett' als bei Schaffhausen, verwendet zur metaphorischen Beschreibung der Flußrinne eine durchaus übliche Bezeichnung und gleichwohl eine — wenn auch konventionelle — Metapher. Ein metaphorisch vermittelter Beschreibungsinhalt läßt sich — mit mehr oder weniger Mühe und Einfallsreichtum — paraphrasieren, soweit er bestimmbar ist. Die Bestimmbarkeit des Beschreibungsinhalts, nicht die alternative sprachliche Fassung eines bestimmten Beschreibungsinhalts ist das eigentliche Problem der Metapherndeutung. Die linguistische Anweisung zur Bedeutungsbestimmung ist nicht zielgenau. Sie lautet etwa:,Suche einen Beschreibungsinhalt, der folgende zwei Bedingungen erfüllt: (1) Er gilt gleichermaßen für den zu beschreibenden Gegenstand und für typische Gegenstände des zuständigen TAe; (2) er ergibt eine

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zustimmungsfähige und relevante Beschreibung des Gegenstandes, auf den er angewandt wird'. Die Beachtung der beiden Bedingungen verhilft: nicht in jedem Fall zu einer befriedigenden Fesdegung der metaphorischen Bedeutung. Die Konvendonalisierung der Metapher verkleinert das Deutungsproblem. In dem Maße, wie die metaphorische Bedeutung dem benutzten sprachlichen Ausdruck (bzw. einer eigentlichen Bedeutung dieses Ausdrucks) konventionell zugeordnet ist, bietet ihre Identifikation keine besonderen Schwierigkeiten. Eine konventionelle metaphorische Bedeutung ist ebenso zugänglich wie die eigentliche. Wer die Konvention nicht kennt, kann sie dem Lexikon entnehmen. Wer Deutsch versteht, braucht nicht zu rätseln, was gemeint sein könnte, wenn der Brautvater seinen künftigen Schwiegersohn als .Windhund' bezeichnet. Wenn jedoch keine Konvention ihm zu Hilfe kommt, muß der Hörer aus eigener Kraft die metaphorische Bedeutung fesdegen. Aus vielen Merkmalkomplexen, von denen jeder auf eine bestimmte Menge typischer Gegenstände des TAe zutrifft, muß er den einen herausfinden, der als Beschreibungsinhalt die Forderungen des Kontextes am besten erfüllt. Die Aufgabe kann aus verschiedenen Gründen schwierig werden. Es kommt vor, daß der Kontext den gesuchten Beschreibungsinhalt sehr eng fesdegt und der Interpret im einschlägigen STA keinen Merkmalkomplex findet, der diesen Festlegungen entspricht. Umgekehrt kann bei nur vagen Vorgaben des Kontextes der STA gleich mehrere Merkmalkomplexe anbieten, deren jeder einen einigermaßen kontextgerechten Beschreibungsinhalt abgäbe. Die Bestimmbarkeit der metaphorischen Bedeutung hängt weniger vom Originalitätsgrad der Metapher ab als vom guten Zusammenspiel zwischen den Vorgaben des Kontextes und den zugänglichen Angeboten des STA. Auch bei einer gänzlich neuen Metapher kann der Merkmalkomplex, der den Forderungen des Kontextes genügt, auf Anhieb im STA erkennbar sein. Wer die Metapher vom Nullsummenspiel der Ehe noch nie gehört hat, wird sie bei folgendem Kontext mühelos verstehen — falls er die eigentliche Bedeutung des metaphorisch benutzten Wortes kennt: Der junge Privatgelehrte bezahlte den beruflichen Aufstieg seiner Ehefrau mit einem demütigenden Hausmannsleben. Die nächtlichen Pokerrunden, an denen er sich schadlos hielt, bezahlte wiederum seine Frau mit Schlaflosigkeit und Migräne: Ihre Ehe erwies sich als Nullsummenspiel.

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Nicht immer ergibt sich aus den Angeboten des STA und den Forderungen des Kontextes eine abschließende Deutung der Metapher. dein rauchiges herz ist zeuge, einziger könig, im wind dein auge aus trauer. (Hans Magnus Enzensberger: ode an niemand) Die Vorgaben des Kontextes erlauben keine zielsichere Wahl im Merkmalangebot des STA, der das Wort .rauchig' umrankt. Die Bedeutung der Metapher scheint nicht abschließend bestimmbar. Übrigens ließe auch eine authentische Auskunft des Autors das Problem ungelöst. Uns interessiert nicht das historische Faktum der voluntas auctoris, sondern das linguistische Faktum der Bestimmbarkeit des Beschreibungsinhalts auf Grund der sprachlichen Mittel, die in einer bestimmten, für Sprecher und Hörer gemeinsamen Informationslage angewandt werden. Der Historiker, der Psychologe und der Philologe wollen wissen, was der Sprecher de facto gemeint hat, der Linguist und der Rhetoriker hingegen, was er bei sinnvollem Sprachgebrauch unter den gegebenen Umständen hätte meinen können, dürfen oder müssen. Ein einzelner Sprecher kann gegen alle Gesetze des Sprachgebrauchs wissentlich oder unwissentlich verstoßen. Er kann Löwen mit Hasen verwechseln und Hagen Tronje als ,grimmen Hasen' besingen. Die voluntas auctoris ist für den Sprachwissenschaftler nur von Bedeutung, soweit sie die Konventionen der Sprachgemeinschaft darstellt, die sein eigentliches Erkenntnisziel bilden. Zu bestimmen wäre demnach die Bedeutung, die ein metaphorisch gebrauchtes Wort haben müßte, wenn alles mit rechten Dingen zuginge, d.h. wenn die Konventionen befolgt wären, die den Umgang mit Metaphern regeln — auch wo sie nicht für bestimmte Wörter bestimmte metaphorische Bedeutungen festlegen. Der Metapherninterpret steht vor der Aufgabe, in dem Suchfeld des STA, auf das die eigentliche Bedeutung verweist, einen Merkmalkomplex aufzuspüren, der eine kontextgerechte Beschreibung des Gegenstandes abgibt. In vielen Fällen ist diese Aufgabe nicht endgültig lösbar. Das Suchfeld kann verschiedene Merkmalkomplexe anbieten, die eine mehr oder weniger kontextgerechte Beschreibung des Gegenstandes erlauben. Der Interpret muß unter möglichen Deutungen der Metapher eine begründete Wahl treffen. Die Begründung, die einerseits die deutliche Zugehörigkeit der gewählten Merkmale zum angezeigten Suchfeld, andererseits ihren Aufschlußwert für das Textverständnis hervorheben müßte, kann — bei schwierigen Metaphern — mit noch so guten Argu-

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menten die getroffene Wahl kaum je als letztes Wort aller Deutungsversuche erweisen: Der Interpret kann nicht sicher sein, die Gesamtheit der erwägenswerten Deutungen durchmustert zu haben. Oft ist das Suchfeld weit und unübersichtlich. Es besteht aus einer ungeordneten und inkonsistenten Menge von Erkenntnissen, Erfahrungen, Wahrnehmungen, Erinnerungen, Meinungen, Wertungen und Gefühlen, die sich in den Köpfen und Herzen der Sprachteilnehmer um die Gegenstände eines TA ranken. Wie leicht kann eine spätere Suche in einem vergessenen Winkel einen Merkmalkomplex zu Tage fördern, der besser als die früher ermittelten zum Kontext paßt! Andererseits kann der Interpret auch nicht immer sagen, welche Deutungen dem Kontext am ehesten gerecht werden. Im Bewußtsein der Vorläufigkeit und Ungewißheit kann der Interpret sich für eine Paraphrase entscheiden, die trotz aller Revidierbarkeit ein Textverständnis ohne spürbare Risse erlaubt. Um jede wählbare Deutung einer schwierigen Metapher legt sich ein schwimmender Hof aus teils fest umrissenen, teils undeutlichen oder nur dunkel erahnten Alternativen. Die unkonventionelle und vom Kontext nicht eindeutig determinierte Metapher hüllt sich in ein Geheimnis, nicht unbedingt weil die Tiefe des Gedankens die Klarheit des Ausdrucks verböte, sondern weil allzu viele Deutungen einander durchkreuzen und aufeinander abfärben, deren jede, für sich allein ans Licht gezogen, eine verständliche Paraphrase zuließe. Die endgültig richtige Paraphrase der schwierigen Metapher gibt es nicht, wenn keine Bestimmung der metaphorischen Bedeutung sich als unüberholbar ausweist, sondern jede nur wie eine gemusterte Glaswand wirkt, hinter der alternative Deutungen sich schemenhaft abzeichnen. Schwierige Metaphern, die sich der Paraphrase widersetzen, gelten als typisch für die neuere Dichtung. Sie heißen — wohl seit Hugo Friedrich (1956: 55f.) — absolute Metaphern. „Die moderne Metapher aber verflüchtigt oder vernichtet die Analogie, spricht nicht ein Zueinandergehören aus, sondern zwingt das Auseinanderstrebende zusammen." (ibid. 151 f.) Zur Veranschaulichung zitiert Hugo Friedrich den Surrealisten Eluard: „In der stürmischen Ebene faulen die Wurzeln des Stöhnens." In der Tat ist es schwer, wenn auch nicht ganz aussichtslos, den Beschreibungsinhalt zu paraphrasieren, den die faulenden Wurzeln dem Stöhnen zusprechen. Wir wollen die absolute Metapher als Grenzwert verstehen, dem Metaphern beliebig nahe kommen können, ohne ihn jemals endgültig zu erreichen.

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Metapher

Der metaphorisch vermittelte Beschreibungsinhalt begründet, wie sattsam betont, eine Klassengemeinschaft zwischen dem beschriebenen Gegenstand und typischen Gegenständen eines TAe. Die Metapher sagt nicht, auf welcher Eigenschaft die Klassengemeinschaft beruht; sie macht nur Gegenstände namhaft, die sie als Klassengenossen dem beschriebenen Gegenstand zur Seite stellt. Mit der metaphorischen Wortanwendung ist also nicht der Beschreibungsinhalt selbst gegeben, sondern nur ein disparates Gemenge von Gegenständen, die als gemeinsame Träger des Beschreibungsinhalts in Anspruch genommen werden. Die Metapher stellt gewissermaßen einen Titel aus, der nur unter günstigen Umständen vollstreckbar ist. Die Vollstreckung gelingt, wenn eine Konvention die gesuchte metaphorische Bedeutung an eine der eigentlichen Bedeutungen des benutzten Ausdrucks bindet. Aber auch ohne Konvention kann bei aussagekräftigem Kontext und überschaubarem STA der metaphorisch vermittelte Beschreibungsinhalt fesdegbar sein. Bei schwierigen Metaphern ist die Bestimmung der Gemeinsamkeiten des disparaten Gegenstandsgemenges unsicher. Wenn die Gegenstände des TAe keine Gemeinsamkeiten erkennen lassen, die eine sinnvolle Gegenstandsbeschreibung abgäben, oder wenn — in einer noch zumutbaren Abstraktionshöhe - überhaupt keine Gemeinsamkeiten zwischen dem zu beschreibenden Gegenstand und den Gegenständen des TAe zu erkennen sind, scheint der Grenzwert der absoluten Metapher erreicht: Die von der Metapher angerufene Klasse läßt keine intensionale Definition zu; ihre Elemente scheinen ohne die Rechtfertigung relevanter Gemeinsamkeiten beliebig zusammengewürfelt; der ausgestellte Titel auf eine paraphrasierbare metaphorische Bedeutung ist nicht vollstreckbar. Und doch: Der Hörer versteht noch die schwierigste Metapher als Herausforderung. M t oder ohne Zustimmung des Autors betrachtet er die Heterogenität der Klassengenossen als äußere Tarnung einer geheimen Verwandtschaft. In den scheinbar aussichtslosesten Fällen sucht er nach einer Rechtfertigung der vollzogenen Klassenbildung. Oft mit ansehnlichem Ergebnis. Die von Hugo Friedrich angeführten Beispiele der absoluten Metapher erweisen sich als deutbar — wie ζ. B. das Apollinairesche „Soleil cou coupé" (Sonne durchschnittener Hals): Die aufoder untergehende Sonne sieht aus wie ein Kopf, den der Horizont vom Rumpf trennt, — und blickt als Schicksalsgenossin auf eine zur Enthauptung verurteilte Welt herab. Für den Hörer, der um jeden Preis verstehen will, ist keine Metapher absolut.

Metaphorische Wortanwendung

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Die Metapher ist auch kein Fall unbegrifflicher Beschreibung, wie Hans Blumenberg annimmt (Haverkamp 1996: 438). Die Darstellungsfunktion der Sprache ist auf Bedeutungen angewiesen — eigentliche oder metaphorische —, die nur als Begriffe denkbar sind: Sie vermitteln Beschreibungsinhalte, die aus einem konkreten Erfahrungszusammenhang herausabstrahiert, mehreren Gegenständen als Gleiches in Verschiedenem zugesprochen werden und als gemeinsamer Besitz verschiedener Sprachteilnehmer wirksam sein können. Konventionell verankerte Bedeutungen sind sogar gemeinsamer Besitz der gesamten Sprachgemeinschaft. Was das sprechende und hörende Individuum kennt, fühlt, erfahrt, erlebt, dumpf empfindet oder dunkel erahnt, kann nur als Begriff zu einer wiedergebrauchs- und mitteilungsfähigen Bedeutung werden. Sprache verwandelt, was sie mitteilt, in Logos. Der Beschreibungsinhalt, den eine Metapher vermittelt, ist nicht weniger begrifflich als die Bedeutung unbildlicher Rede. Der Unterschied liegt im Verfahren der Begriffsevokation und im Grad der intersubjektiven Bestimmbarkeit des Begriffs. Bei unbildlichem (und auch sonst geradlinigem) Sprachgebrauch liegt der zu vermittelnde Beschreibungsinhalt in einem Speicher des Sprachteilnehmers bereit, aus dem er durch bloße Verwendung des zugehörigen Ausdrucks abgerufen wird. Die metaphorische Bedeutung dagegen wird, soweit die Metapher originell ist, nicht unmittelbar abgerufen, sondern von Fall zu Fall nach Anweisung gebildet. Der Sprecher verwendet einen Ausdruck, dessen eigentliche, aus dem Lexikon abrufbare Bedeutungen nur unter Verletzung Gricescher Konversationsmaximen auf den Gegenstand anwendbar wären: Es ergäbe sich eine evident unsinnige, unwahre oder irrelevante Beschreibung. Der metaphorische Sprachgebrauch verlangt statt der Abrufung einer eigentlichen Bedeutung die Bildung eines Begriffs unter zweierlei Vorgaben: Einerseits muß er auf typische Gegenstände eines TAe zutreffen, der dem benutzten Ausdruck zugeordnet ist, und andererseits den Anwendungsgegenstand dieses Ausdrucks kontextgerecht beschreiben. Wer als erster Achilles einen Löwen nannte, verlangte von seinem Hörer die Bildung eines Begriffs, der einerseits auf typische Löwen zutraf und andererseits den Helden Achilles kontextgerecht kennzeichnete. Die erste Vorgabe steckt nur ein Suchfeld ab, ohne innerhalb dieses Feldes einen bestimmten Begriff eindeutig festzulegen. Es gibt viele Begriffe, die auf typische Löwen zutreffen (und im STA der Bedeutung ,Löwe' zu finden sind), darunter .Großkatze', .Lebewesen mit

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Metapher

üppigem, zerzaustem Haupthaar', .Lebewesen mit großem Ruhebedürfnis' oder auch .kühner Kämpfer von überragender Stärke'. Diese Begriffe muß der Hörer an der zweiten Vorgabe messen, um so den metaphorisch vermittelten Beschreibungsinhalt zu bestimmen. In den meisten Fällen des sprachlichen Alltagsverkehrs gelingt die Bestimmung spontan; sonst wäre die Metapher kein brauchbares Beschreibungsverfahren. Wenn von Achilles im Zusammenhang mit seinen Heldentaten vor Troja die Rede ist, wird man das Wort ,Löwe' kaum als Information über die zoologische Zugehörigkeit, die Langmähnigkeit oder das Schlafbedürfnis verstehen, sondern als Lob kämpferischer Tugenden. Bei konventionellen Metaphern ist die Anweisung zur Begriffsauswahl mit einer einengenden Ausführungsbestimmung versehen, deren blinde Befolgung die Kenntnis der übergeordneten Anweisung überflüssig macht. Wer die Metapher ,Fuchs' hört, versteht konventionsgemäß ,Schlauberger', nicht .Lebewesen mit teurem Pelz' oder .ganzjährig jagbares Freiwild'. Auch der Gebrauch unkonventioneller Metaphern ist keine Alternative zum begrifflichen Denken. Er beschreibt seinen Gegenstand mit Begriffen, die unter Einhaltung gestellter Bedingungen ad hoc gebildet werden müssen und nicht als feststehende Wortbedeutungen abholbereit zur Verfügung stehen. Eine originelle Metapher kann freilich dunkel sein. Die Dunkelheit beruht jedoch nicht auf dem Ersatz des Begriffs durch ein anderes Informationsmittel, sondern — in wenigen Fällen — auf der Unerkennbarkeit eines Begriffs, der den gestellten Bedingungen genügt, oder — in den meisten Fällen — auf der Unerkennbarkeit eines zwingenden Grundes, sich auf einen der vielen Begriffe festzulegen, die den Vorgaben mehr oder weniger gerecht werden. Die gelegentlich auftretende Verschwommenheit unkonventioneller Metaphern ergibt sich aus der Interferenz alternativer Einlösungen des erteilten Begriffsbildungsauftrags. Der Effekt kann erwünscht sein, wenn der Sprecher das schillernde Widerspiel ungewisser Beschreibungshypothesen genießen will, anstatt es durch eindeutige begriffliche Festlegung zu ersetzen. Wissenschaftler und Philosophen drängen im Gegensatz zu manchen Dichtern auf Eindeutigkeit der Beschreibungsmittel. Berkeley verlangt: metaphoris autem abstinendumphilosopho" (De motu 3: Der Philosoph aber soll sich der Metaphern enthalten). Bei Locke gilt ein ähnliches Verdikt für alle Tropen: „Die von der Rhetorik erfundenen künstlichen und übertragenen Wortanwendungen [...] sind in allen Reden, die unterrichten und belehren wollen, gänzlich zu vermeiden, und wo

Metaphorische Wortanwendung

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es um Wahrheit und Wissen geht, können sie nur als schwerer Fehler entweder der Sprache oder der Person, die von ihnen Gebrauch macht, angesehen werden." (An Essay Concerning Human Understanding, III, 10, § 34) In dieser Allgemeinheit ist die Metaphernächtung unbegründet — und auch von den Philosophen, sogar von ihrem Verfechter Locke, ignoriert worden. Ein metaphorisch vermittelter Beschreibungsinhalt muß nicht weniger eindeutig und aufschlußreich sein als die Bedeutung unbildlicher Rede. Descartes bezeichnet im Discours de la méthode die wissenschaftliche Methode als den rechten Weg·. „Wer nur sehr langsam geht, kann viel weiter vorankommen, wenn er auf dem rechten Wege bleibt, als wer läuft und vom rechten Wege abkommt." Im gegebenen Zusammenhang ist der begriffliche Sinn des Bildes vollkommen klar: Der Fortschritt der Erkenntnis hängt weniger von der aufgewandten Energie und der Güte der eingesetzten Geistesgaben ab als von der richtigen Methode. Freilich kann eine Metapher ihren Gegenstand auch unzureichend beschreiben. Sie kann von vornherein als Notbehelf gemeint sein oder sich erst nachträglich als ersetzungsbedürftig herausstellen. Man würde das Universum heute kaum noch — wie im 17. Jahrhundert — als .Maschine' bezeichnen. Deshalb ist die veraltete Metapher jedoch nicht unbegrifflich: Sie besagte, daß im Makrokosmos — wie in einer Uhr — die Gesetze der Mechanik den Ablauf bestimmen. Die von vornherein in Kauf genommene oder nachträglich entdeckte Mangelhaftigkeit der metaphorischen Beschreibung ist kein Indiz für Unbegrifflichkeit. Sie kommt auch bei unbildlichen Beschreibungen vor, deren Begrifflichkeit außer Zweifel steht. Wer das Universum als ,das Ganze' bezeichnet, redet unbildlich, aber kaum sehr aufschlußreich. Piatos Gleichnisse bieten metaphorische Beschreibungen, die der Autor offenbar als Notbehelf ansieht. Sie stecken Felder ab, die ein Weiserer erst noch bestellen muß. Das Höhlengleichnis (Politeia, Buch VII, 514 a) verwendet die Metapher des Sonnenlichts zur Beschreibung eines Mediums, in dem das Seiende sich dem erkennenden Geist offenbart. Der evozierte Begriff scheint klar: Der beschriebene Gegenstand verhält sich zum Erkenntnisvermögen wie das Sonnenlicht zur Sehkraft: Er setzt es in Funktion. Andererseits bleibt die Beschreibung unbefriedigend: Von welcher Beschaffenheit ist dieses geheimnisvolle Analogon des Sonnenlichts, und wie verfährt es, um das Erkenntnisvermögen in Funktion zu setzen? Der Aufschlußwert des Begriffs bleibt hinter dem Informationsbedürfnis des Adressaten zurück. Das aber kommt bei unbildlich evozierten Begriffen nicht weniger häufig vor.

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Metapher

Andererseits gibt es überzeugende Beispiele, in denen der metaphorisch evozierte Begriff das vorher geweckte Informationsbedürfnis vollauf befriedigt. Eine Metapher kann den Nagel auf den Kopf treffen. In Fontanes Roman E f f i Briest quält sich die Mutter der Titelheldin mit der Frage, ob nicht die Eltern das tragische Schicksal der Tochter mitverschuldet haben. Der Vater schiebt das Thema beiseite: „Ach, Luise, laß ... das ist ein ψ weites Feld." In begrifflicher Eindeutigkeit erfüllt die — inzwischen abgegriffene, aber damals wohl unverbrauchte — Metapher das Informationsverlangen des Romanlesers: Die Schuldfrage ist unbeantwortbar, wie ein zu weites Feld unüberschaubar oder mit den kleinen verfugbaren Mitteln nicht bestellbar ist.

V Die analogische Wurzel der Metapher 1 Metapher und einstellige Analogie Nicht jede Analogie begründet eine Metapher, aber jede Metapher setzt eine Analogie voraus. Eine Metapher wird nur verstanden, wenn die metaphorische Bedeutung als gemeinsamer Inhalt zweier Beschreibungen gesehen wird: Sie wird (1) dem Gegenstand der metaphorischen Beschreibung zugesprochen und gilt (2) für mindestens einen typischen Gegenstand des TAe, über den die metaphorische Bedeutung gewonnen wurde. Wer die Metapher vom Gefängnis der Ehe versteht, sieht, daß von der Ehe gesagt wird, was auch für ein typisches Gefängnis gilt, etwa, daß es die Freiheit einschränkt. Diese Metapher setzt eine Analogie mit folgender Wurzel voraus: (Gefängnis) SCHRÄNKT DIE FREIHEIT EIN (Ehe) SCHRÄNKT DIE FREIHEIT EIN Die ausgeschriebene Wurzel (vgl. III, 3) der Analogie zwischen Ehe und Gefängnis verteilt drei verschiedene Komponenten auf vier Positionen: die beiden Analogiepartner, nämlich die Gegenstände .Gefängnis' und ,Ehe', bilden die Gegenstände zweier Beschreibungen, deren Inhalte gleich sind. Aus der Analogiewurzel entsteht eine Metapher, wenn einem der beiden Analogiepartner unter Verwendung einer geläufigen Bezeichnung des anderen das gemeinsame Wurzelprädikat als Beschreibungsinhalt zugesprochen wird: ,Die Ehe ist ein Gefängnis'. Das Wort .Gefängnis' beschreibt die Ehe, einen Analogiepartner seines üblichen Bezeichnungsgegenstandes, anhand einer Wirkung, die für beide Analogiepartner gilt: Einschränkung der Freiheit. Eine einstellige Analogie läßt sich nur dann in eine Metapher umwandeln, wenn sie nicht trivial ist. Triviale Analogien verwenden als Wurzelprädikat die Bedeutung einer geläufigen gemeinsamen Bezeichnung der Analogiepartner oder die Bedeutung eines gemeinsamen Hyperonyms der geläufigen Bezeichnungen. Die Paarung der Gegen-

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Die analogische Wurzel der Metapher

stände, die das gemeinsame Wurzelprädikat vornimmt, entspricht dann den ohnehin herrschenden Klassifikations- oder Gruppierungsgewohnheiten — wie in folgenden Beispielen: (Wohnzimmertisch) (Küchentisch)

TISCH TISCH

(Hammer) (Zange)

WERKZEUG WERKZEUG

(Löwe) (Tiger)

RAUBTIER RAUBTIER

(Pistole) (Klappmesser)

WAFFE WAFFE

Es entsteht keine akzeptable Metapher, wenn die übliche Bezeichnung des einen Partners einer trivialen Analogie auf den anderen angewandt wird, um ihm das analogiestiftende Wurzelprädikat zuzusprechen — wenn man also das Wort .Wohnzimmertisch' auf einen Küchentisch anwendet, um ihn als Tisch schlechthin zu kennzeichnen, oder wenn man das Wort .Hammer' auf eine Zange anwendet, um sie als Werkzeug zu kennzeichnen. Die Unbrauchbarkeit der trivialen Analogie zur Metaphernbildung hat folgenden Grund: Die metaphorische und die zugrunde liegende eigentliche Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks beziehen ihre Merkmale, wie in IV, 2, 1 dargelegt, aus demselben STA. Wenn man den bunt zusammengewürfelten Inhalt des STA mit einer Gesellschaft und den semantischen Rang eines STA-Elements mit dem gesellschaftlichen Rang gleichsetzt, so vollzieht sich bei der Ablösung der eigentlichen Bedeutung durch die metaphorische eine Revolution: Elemente, die für die eigentliche Bedeutung bestimmend waren, geben ihre Unterscheidungsfunktion an Elemente ab, die in der eigentlichen Bedeutung nur an niederer Stelle oder gar nicht vorkamen. Wenn das Wort ,Esel' bei metaphorischem Gebrauch einen Menschen als Dummkopf bezeichnet, verlieren wichtige zoologische Merkmale der eigentlichen Bedeutung — wie Unpaarhufer und Angehöriger der Equiden — ihre Unterscheidungsfunktion; das Merkmal .Dummheit' dagegen, das in der eigentlichen Bedeutung keinen Platz hatte, wird bedeutungsbestimmend. Die semantische Umwälzung, auf der die Bildung der metaphorischen Bedeutung beruht und die mit einer Umklassifizierung der Gegenstandswelt einhergeht, bleibt aus, wenn die übliche Bezeichnung eines Gegenstandes einem anderen Gegenstand ein Wurzelprädikat zu-

Metapher und einstellige Analogie

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sprechen soll, das eine triviale Analogie zwischen den beiden Gegenständen begründet. Zwischen der eigentlichen Bedeutung des benutzten Ausdrucks und der Bedeutung, die er dem Analogiepartner zusprechen soll, besteht eine bloße Hyponymiebeziehung. Um von der einen zur anderen Bedeutung zu gelangen, bedarf es keiner semantischen Aufwertung, sondern der bloßen Streichung niederrangiger Merkmale. In der Bedeutung des Wortes .Hammer' nimmt das Merkmal ,Werkzeug' ohnehin einen hohen semantischen Rang ein — oberhalb der spezifischen Merkmale, die den Hammer von der Zange unterscheiden. Es würde genügen, diese letzteren Merkmale zu streichen, wenn man mit dem Wort .Hammer' eine Zange als Werkzeug kennzeichnen wollte. Bei metaphorischem Wortgebrauch müssen jedoch höherrangige Merkmale der eigentlichen Bedeutug gestrichen und durch niederrangige ersetzt werden. Wenn das Wort .Gefängnis' metaphorisch die Ehe beschreibt, wird das wichtige Merkmal .Gebäude' getilgt, das dem Merkmal .freiheitsberaubend' vorgeordnet ist, und das ursprünglich nachgeordnete Merkmal steigt im Rang. Die triviale Analogie drückt eine Zusammengehörigkeit aus, die sich bereits in den von der Sprache angebotenen Bezeichnungsmöglichkeiten widerspiegelt. Die Metapher dagegen setzt eine Zusammengehörigkeit (des beschriebenen Gegenstandes mit Gegenständen des TAe) voraus, die im semantischen System der Sprache nicht berücksichtigt ist. Die Zusammengehörigkeit von Hammer und Zange ist durch das gemeinsame Merkmal .Werkzeug' in den Bedeutungen der Wörter .Hammer' und .Zange' vorweg besiegelt. Ehe und Gefängnis dagegen sind semantisch nicht verwandt. Die trotzdem auffindbaren Gemeinsamkeiten, die jedoch auf die semantische Verortung ihrer üblichen Bezeichnungen keinen Einfluß haben, können deshalb nicht-triviale, metaphernmotivierende Analogien begründen. Beschreibungsgegenstände können auch Gegenstandsklassen sein. Folglich ist nach unserer Definition von Analogie eine Klasse zu ihrer Unterklasse analog, insofern für beide derselbe Beschreibungsinhalt gilt. (Pferde) (Schimmel)

SIND UNPAARHUFER SIND UNPAARHUFER

Eine Analogie zwischen Klasse und Unterklasse braucht nicht unbedingt trivial zu sein. Das Wurzelprädikat kann aus Elementen bestehen, die aus der Bezeichnung des übergeordneten Begriffs nicht abzuleiten sind.

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Die analogische Wurzel der Metapher

(Datenträger) VERRATEN D I E INTERESSEN IHRER BESITZER (Bücher) VERRATEN D I E INTERESSEN IHRER BESITZER Obwohl die Analogie — wegen der semantischen Unabhängigkeit des Wur2elprädikats - nicht trivial ist, erlaubt sie keine Metaphernbildung. (insofern sie die Interessen ihres Besitzers verraten) ist ebensowenig eine metaphorische Äußerung wie < Datenträger sind Bücher > . Die Analogiepartner dürfen einander nicht inkludieren, weil dann das Wurzelprädikat keine überraschende Klassengemeinschaft herstellt: Es faßt unter neuem Gesichtspunkt zusammen, was ohnehin zusammenstand. Dieselbe nicht-triviale Analogie kann zwei verschiedenen Metaphern zugrunde liegen: Das Wurzelprädikat kann durch eine übliche Bezeichnung des ersten Analogiepartners dem zweiten zugesprochen werden oder durch eine übliche Bezeichnung des zweiten dem ersten. Beide Partner einer nicht-trivialen Analogie können im Prinzip einander metaphorisch beschreiben. Folgende Analogie kann sowohl die Bezeichnung eines Schildbürgers als Esel wie auch die Bezeichnving eines Esels als Schildbürger motivieren: (Esel) (Schildbürger)

IST DUMM IST DUMM

Auf Grund dieser Analogie weisen die folgenden metaphorischen Beschreibungen ihrem jeweiligen Gegenstand den Beschreibungsinhalt .Dummheit' zu: Der Bürgermeister von Schiida ist ein rechter Esel. Unser Esel Max ist ein rechter Schildbürger. Beide Beschreibungen ordnen ihren Gegenstand in die Klasse der Dummen ein. Diese Klasse zeigt sich jedoch - auch bei vorausgesetzter Konstanz der Zusammensetzung — in einem anderen Licht, je nachdem ob sie anhand der Esel oder der Schildbürger evoziert wird. Im ersten Fall sind die Esel prototypische Klassenmitglieder. Der Bürgermeister von Schiida wird in eine Klasse eingeordnet, die zwar nicht nur aus leibhaftigen Eseln besteht, der jedoch leibhaftige Esel das Gepräge geben. Im zweiten Fall sind die Schildbürger prototypische Klassenmitglieder. Der Esel wird in eine Klasse eingeordnet, die zwar nicht nur aus Schildbürgern besteht, in der jedoch Schildbürger den Ton angeben.

Metapher und mehrstellige Analogie

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Auch folgende nicht-triviale Analogie zeigt, daß im Prinzip die übliche Bezeichnung jedes der beiden Partner den jeweils anderen metaphorisch beschreiben kann und daß die durch das Wurzelprädikat definierte Gegenstandsklasse je nach Beschreibungsrichtung in anderem Licht erscheint, weil andere Teilmengen als Prototypen fungieren: (Clown) (Affe)

IST EIN SPASSMACHER IST EIN SPASSMACHER

In der metaphorischen Beschreibung .Affen sind Clowns' wird aus der eigentlichen Bedeutung von .Clown' das hochrangige Merkmal .Mensch' getilgt, und das niedere, spezifischere Merkmal ,Spaßmacher' erhält einen höheren semantischen Rang, insofern es der Unterscheidung zwischen Mensch und Tier vorgeordnet wird. Der Affe wird durch die metaphorische Beschreibung als Clown in eine Klasse versetzt, deren Gepräge menschliche Clowns bestimmen. In der umgekehrten Beschreibung .Clowns sind Affen' verliert das metaphorisch gebrauchte Wort .Affe' das hochrangige Merkmal .Tier', und das bisher gar nicht zur Bedeutung gehörige Merkmal .Spaßmacher' wird semantisch hochgestuft. Die Beschreibung versetzt die menschlichen Clowns in eine Klasse, in der außer Affen zwar auch Menschen vorkommen, deren Gepräge aber die Affen bestimmen.

2 Metapher und mehrstellige Analogie Analogiewurzeln mit mehrstelligen Prädikaten begründen einerseits die Globalanalogie zwischen den Gegenstandsmengen als ganzen, andererseits die Detailanalogien zwischen den gleichplatzierten Gegenständen. Die Analogiewurzel (a,b) (c,d)

Ρ Ρ

begründet einerseits die Globalanalogie zwischen den Gegenstandsmengen {a, b} und {c, d}, andererseits die Detailanalogien zwischen a und c sowie zwischen b und d. Die Gegenstandsmengen als ganze sind einander analog, insofern sie unter den Beschreibungsinhalt Ρ fallen, der sie in die gemeinsame Klasse aller P-Paare einordnet, a und c sind einander analog, insofern beide als .Erstglied eines P-Paares' — und b

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Die analogische Wurzel der Metapher

und d, insofern beide als ,Zweitglied eines P-Paares' beschrieben werden. Zur Veranschaulichung sei (im Gedenken an den Fabeldichter Friedrich von Hagedorn) folgender Text gebildet: Der Marder frißt den Auerhahn, die Steuer den Gewinn. Der Text präsupponiert und manifestiert folgende zweistellige Analogiewurzel, die wir als Bildfeld darstellen wollen:

A Β

1 Marder Steuer

2 Auerhahn Gewinn

Strukturformel: [1] vertilgt [2] Die aus der Wurzel erwachsende Globalanalogie besteht in der Einordnung beider Gegenstandspaare in die Klasse der Paare aus Vertilger und Vertilgtem. Die Detailanalogie zwischen Marder und Steuer beruht auf der gemeinsamen Einordnung in die Klasse der Erstglieder eines solchen Paares (also in die Klasse der Vertilger); die Detailanalogie zwischen Auerhahn und Gewinn beruht auf der gemeinsamen Einordnung in die Klasse der Zweitglieder eines solchen Paares (also in die Klasse der Vertilgungsopfer). Mehrstellige Analogien sind nicht-trivial, wenn bei den üblichen Bezeichnungen der Analogiepartner die bereichspezifischen Merkmale, durch die sie sich unterscheiden, einen höheren Rang einnehmen als die strukturbeschreibenden Merkmale, die das gemeinsame Wurzelprädikat bilden. Solange die Paare ^Marder und Auerhahn' bzw. .Steuer und Gewinn' unabhängig voneinander betrachtet werden, stehen die bereichspezifischen Merkmale im Vordergrund: Marder und Auerhahn sind Bestandteile der Fauna, während Steuer und Gewinn in die Wirtschaftsund Finanzwelt gehören. Daß der Marder den Auerhahn frißt, so wie die Steuer den Gewinn aufzehrt, wirkt gegenüber der verschiedenen Bereichzugehörigkeit zweitrangig. Die Analogie ist daher nicht-trivial. Das Wort .Marder' kann metaphorisch die Steuer als Vertilgerin beschreiben: ,Die Steuer, dieser staatlich bestallte Marder, zehrt den erwirtschafteten Gewinn auf.' Ebenso kann das Wort .Steuer' mit derselben Bedeutung metaphorisch einen Marder beschreiben: JDer Marder,

Metapher und mehrstellige Analogie

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der unseren Hühnerbestand dezimiert, ist eine vom Staat nicht angerechnete Steuer, die sich an Naturalien befriedigt'. Die strukturelle Position, die das Wurzelprädikat den Analogiepartnern zuteilt, verdrängt bei metaphorischer Verwendung der Wörter, mit denen sie üblicherweise bezeichnet werden, höherrangige bereichspezifische Merkmale: In der eigentlichen Bedeutung des Wortes .Marder' nimmt das Merkmal ,Tier' einen höheren Rang ein als das Merkmal ,Vertilger', das in der Klassifikation des Marders als Raubtier gleichwohl offenkundig ist. Bei der Benutzung des Wortes .Marder' zur Beschreibung der Steuer stößt jedoch das niedere Merkmal das höhere vom Thron. .Marder' bedeutet nunmehr .Vertilger', ohne weiterhin ,Tier' zu implizieren. Deshalb kann das Wort auch auf einen finanzpolitischen Vertilger wie die Steuer angewandt werden. Umgekehrt verliert das Wort .Steuer', wenn es metaphorisch einen Marder beschreibt, das hochrangige Merkmal einer staatlichen Einrichtung, die nach gültigen Gesetzen und mit hohem bürokratischem Aufwand Geld eintreibt. Im Falle mehrstelliger Wurzeln sind die globalen Analogiepartner, wenn wir Inklusionsverhältnisse zwischen ihnen ausschließen wollen, zwei geordnete Gegenstandsmengen (N-Tupel), die eine gemeinsame Struktur in verschiedenen Bereichen realisieren. In den Bezeichnungen der einzelnen Gegenstände, sind die — bei metaphorischem Gebrauch zu tilgenden — bereichspezifischen Merkmale in aller Regel höherrangig als die Merkmale, die die Position in der bereichübergreifenden Struktur markieren. Deshalb kann die übliche Bezeichnung des einen Partners einer Detailanalogie normalerweise den anderen Partner metaphorisch beschreiben, wie folgendes Beispiel zeigt, das wiederum als Bildfeld dargestellt ist (III, 6): A Β

1 Wolf Löwe

2 Lamm Gazelle

Wurzelprädikat: [2] ist das Beutetier von [1], Obwohl die Bereiche sehr nahe beieinander liegen und obwohl für Wolf und Löwen der gemeinsame Oberbegriff Raubtier und für Lamm und Gazelle der gemeinsame Oberbegriff Beutetier sich geradezu aufdrängt, könnte man doch metaphorisch den Wolf als Löwen (des Schafstalls) und den Löwen als Wolf (der Gazellen) bezeichnen. Die anatomisch und geographisch differenzierenden Merkmale von Wolf und Löwe

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Die analogische Wurzel der Metapher

sind offenbar höherrangig als das Verhältnis zum Beutetier, so daß bei der Anwendung der Bezeichnungen auf den Analogiepartner die metapherntypische semantische Umwälzung stattfindet: In der metaphorischen Bedeutung hat das ursprünglich niederrangige Merkmal .Raubtier' die ursprünglich höherrangigen anatomischen und geographischen Spezifikationen entsemantisiert. Nehmen wir ein weiteres Beispiel, in dem die Bereiche nahe beieinander liegen:

A Β

1 Zirkel Lineal

2 Kreis Gerade

Strukturformel: [1] dient zur Zeichnung von [2]. Auch hier scheinen die differenzierenden Merkmale der Analogiepartner höherrangig zu sein als ihre funktionale Ähnlichkeit. Wer Zirkel und Lineal betrachtet, schaut zunächst auf die Verschiedenheit von Gestalt und Handhabung, dann erst auf ihre Gemeinsamkeit als Hilfsmittel fur geometrische Zeichnungen. Man könnte daher das Lineal metaphorisch als den Zirkel der Geraden und den Zirkel als das Lineal des Kreises bezeichnen. Es fallt schwer, mehrstellige Analogien zu finden, bei denen der gemeinsame strukturelle Zusammenhang zwischen den Elementen eines Bereichs einen höheren Rang hat als die differenzierenden Merkmale der Analogiepartner. Wagen wir folgendes Beispiel:

A Β

1 2 Vater Sohn Mutter Tochter

Strukturformel: [1] ist gleichgeschlechtlicher Miterzeuger von [2]. Die Bereiche A und Β unterschieden sich nur durch das Geschlecht ihrer Elemente. Wir wollen annehmen, daß in den vier Bezeichnungen die geschlechtliche Spezifikation zwar zum Begriff gehört, aber keinen höheren Rang einnimmt als die Relation zwischen Erzeuger und Erzeugtem, daß also die Männlichkeit im Begriff des Vaters nicht über der Erzeugerfunktion steht. In diesem Fall ist die Analogie zwischen den Paaren ,Vater/Sohn' und ^Mutter/Tochter' trivial. Was Vater und Mutter bzw. Sohn und Tochter gemeinsam haben, ist in ihren üblichen

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Metapher und mehrstellige Analogie

Bezeichnungen den unterscheidenden Merkmalen mindestens gleichrangig. Metaphern sind deshalb nicht möglich. Es wäre witzlos, den Vater als die Mutter des Sohnes oder die Mutter als den Vater der Tochter zu bezeichnen. Man könnte sich jedoch eine Sprachgemeinschaft vorstellen, in der in den Wörtern ,Vater', ^Mutter', ,Sohn' und ,Tochter' die Geschlechtszugehörigkeit höherrangig ist als die Erzeuger- bzw. Erzeugtenrolle, in der etwa Söhne nach ihrer Geburt in einer reinen Männergesellschaft von ihren Vätern und Töchter in einer reinen Frauengesellschaft: von ihren Müttern aufgezogen würden. In diesem Fall wäre die Analogie nicht-trivial. Es machte Sinn, metaphorisch zu sagen, der Vater sei die Mutter des Sohnes und die Mutter der Vater der Tochter. Die metaphorische Bedeutung .Erzeuger-Erzieher' des Wortes ,Vater' würde bei Anwendung auf die Mutter die höherrangige Bedeutung .männlich' vom Thron stoßen. Die Mutter, die in einer reinen Frauengesellschaft ihre Tochter aufzieht, würde in die ungewöhnliche Klasse der erziehenden Erzeuger beiderlei Geschlechts eingeordnet, als deren Prototyp der den Sohn erziehende Vater fungierte. Umgekehrt würde die Metapher vom Vater als der Mutter des Sohnes den Vater in die Klasse aller erziehenden Erzeuger/Innen einordnen, als deren Prototyp diesmal die ihre Tochter erziehende Mutter fungierte. Die Benennung der Mutter als Vater der Tochter und des Vaters als Mutter des Sohnes würde den hohen semantischen und klassifikatorischen Rang der Geschlechtszugehörigkeit eine Metapher lang außer Kraft setzen. Natürlich können auch Detailanalogien, die auf mehr-als-zweistelligen Wurzeln beruhen, Metaphern motivieren. Auf Grund folgender dreistelliger Analogie könnte man dramaturgische Termini metaphorisch auf den Verlauf einer Schlacht sowie Bezeichnungen für Phasen einer Schlacht auf Teilstücke eines Tragödienverlaufs anwenden: A Β

1

2

3

Exposition Aufstellung der SchlachtOrdnung

Schürzung des Knotens unentschiedener Schlachtverlauf

Lösung des Knotens Entscheidung

Wurzelprädikat: [1] ist die Anfangsphase eines dreiphasigen Vorgangs, dessen Endphase [3] nach einer instabilen und wechselvollen Zwischenphase [2] eine vorläufig stabile neue Lage schafft. Die gleichplatzierten Gegenstände beider Mengen können einander metaphorisch beschreiben: ,Mit der Installation der Artillerie auf den Hö-

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Die analogische Wurzel der Metapher

hen, die das Schlachtfeld begrenzten, war die Exposition beendet.' ,Der erste Akt bringt die dramatischen Figuren in Schlachtordnung.' ,Das Schlachtenglück war entschieden, der Knoten gelöst.' ,Am Ende des fünften Aktes ist der Knoten gelöst, die Schlacht um Wallensteins Schicksal ist entschieden.' Die vielbenutzte Metapher der Lebensreise könnte sich (u. a) auf folgende vierstellige Analogie stützen: 1 A Leben Β Reise

2 Geburt Ausgangsort

3 Tod Zielort

4 stationärer Lebensabschnitt Zwischenhalt

Wurzelprädikat: [2] markiert den Beginn, [3] das Ende des Ablaufs [1], der auch veränderungsarme Phasen der Art [4] enthält. Aus dem Wurzelprädikat der mehrstelligen Analogie ergeben sich die metaphorischen Bedeutungen, mit denen die Partner der Detailanalogien einander beschreiben können. Wenn auf Grund der obigen Analogiewurzel die Bezeichnung »Ausgangsort' auf eine Geburt oder umgekehrt die Bezeichnung .Geburt' auf den Ausgangsort einer Reise angewandt wird, dann mit der Bedeutung ,Zweitglied in einem Quadrupel der durch das Wurzelprädikat definierten Klasse'. Ebenso wird dem beschriebenen Gegenstand die Bedeutung ,Viertglied eines Quadrupels der durch das Wurzelprädikat definierten Klasse' zugeordnet, wenn die Bezeichnung ,Zwischenhalt' einen veränderungsarmen Lebensabschnitt beschreibt. Bei vielen ein- oder mehrstelligen Analogien liegen nicht beide Metaphernrichtungen gleichermaßen nahe. Es ist üblicher, einen Lebenslauf als Reise zu beschreiben denn eine Reise als Lebenslauf. Trotzdem ist die Nutzung einer Analogie in beiden Richtungen grundsätzlich möglich. Grillparzer antwortet mit dem dramatischen Märchen Der Traum ein Leben auf Calderóne Schauspiel Das Leben ein Traum. In der häufiger eingeschlagenen Richtung ergibt die Analogie von Leben und Reise etwa folgenden metaphorischen Satz: ,Für Goethe, dessen Lebensreise im Frankfurter Bürgertum begann und im Weimarer Hofadel endete, war die Sesenheimer Liebesgeschichte ein erholsamer Zwischenhalt'. Die auf eine mehrstellige Wurzel gestützte Globalanalogie kann auf zweifache Weise zu Metaphorisierungen Anlaß geben: (1) Die Gegenstandsmengen, denen das gemeinsame Wurzelprädikat zugesprochen wird, also die Partner der auf diese Weise gestifteten Globalanalogie,

Metapher und mehrstellige Analogie

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sind Träger einer Struktur, die durch das Wurzelprädikat definiert wird. Die Bezeichnung des einen Strukturträgers kann den anderen metaphorisch - und zwar als einen Träger dieser gemeinsamen Struktur beschreiben. Auf Grund der oben dargestellen Analogie zwischen Tragödienteilen und Ablaufphasen einer Schlacht könnte das Wort Tragödie' eine Schlacht und das Wort ,Schlacht' eine Tragödie beschreiben. (Daß diese Metaphern auch anders motiviert sein könnten — etwa durch Opfer menschlichen Lebens —, sei unbestritten.) Der metaphorisch vermittelte Beschreibungsinhalt liegt oft in einer Gemeinsamkeit der inneren Struktur zwischen dem beschriebenen Gegenstand und Gegenständen, die im TAe der benutzten Bezeichnung liegen, — so etwa, wenn man den Atomkern als Sonnensystem, den menschlichen Organismus als Maschine oder das Leben als Theaterstück bezeichnet. Solche Metaphern gründen sich auf Globalanalogien mit oft nur undeutlich erfaßten, aber im Prinzip ausschreibbaren mehrstelligen Wurzeln. (2) Die Globalanalogie kann sich aber auch als Folge wurzelgleicher Metaphern manifestieren. Die continuatile translationes, wie Quintilian sie nennt (VIII, 6, 44), beruhen auf wurzelgleichen Detailanalogien. Die Globalanalogie zwischen Tragödie und Schlacht kann sich in einer Folge von drei Metaphern ausmünzen, die den drei in der Analogiewurzel begründeten Detailanalogien entsprechen: ,Mit der Aufstellung der preußischen Artillerie war die Exposition beendet. In den darauf einsetzenden Angriffen, Rückzügen und Gegenangriffen schürzte sich der Knoten, bis er sich durch den plötzlichen Angriff der Kavallerie, die der preußische Heerführer vorsorglich in Reserve gehalten hatte, überraschend löste.' Es spricht auch nichts dagegen, den Strukturträger in seiner Gesamtheit als ein Element der Gegenstandsmenge zu führen, der das Wurzelprädikat zukommt. In diesem Fall ist die Globalanalogie mit einer der — durch dieselbe Wurzel begründeten — Detailanalogien identisch. Die oben ausgeschriebene vierstellige Wurzel der Analogie zwischen den Bereichen Reise und Leben enthält auf Position 1 die Strukturträger Reise und Leben in ihrer Gesamtheit. Die anderen Positionen enthalten Teilaspekte dieser Gesamtheit. Die Metapher der Lebensreise beruht auf einer Globalanalogie, insofern die übliche Bezeichnung eines gesamten Bereichs seinen Analogiepartner beschreibt. Sie beruht zugleich auf einer Detailanalogie, insofern der gesamte Bereich — neben Teilaspekten dieses Bereichs — zu der Gegenstandsmenge gehört, der das analogiestiftende Wurzelprädikat zukommt.

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Die analogische Wurzel der Metapher

Das Verhältnis zwischen Metapher und vorausgesetzter Analogie ist insofern unsymmetrisch, als die Darstellung einer Analogiewurzel die Bedeutung der auf ihr beruhenden Metaphern eindeutig fesdegt. Die vorgetragene Metapher legt jedoch nicht die Analogiewurzel fest, auf der sie beruht. Vielmehr ist die Darstellung der Analogiewurzel das Ergebnis einer Metapherndeutung, die in vielen Fällen keine abschließende Gültigkeit beanspruchen kann (TV, 2.6).

3 Aristoteles' Erklärung der Metapher als zweistelliger Analogie Aristoteles (Poetik 21) bezeichnet mit dem griechischen Wort metaphorá vier verschiedene Arten des abweichenden Wortgebrauchs. Den vier Abweichungsarten ist gemeinsam, daß ein Wort von seiner angestammten Bedeutung abgezogen und einer anderen Bedeutung zugeordnet wird. Das Wort .Bedeutung' ist in diesem Zusammenhang ein Notbehelf: Es meint sowohl den Gegenstand, den ein Wort bezeichnet, wie auch den Begriff, unter den es ihn bei dieser Bezeichnung faßt. Aristoteles trennt die Bedeutung eines Wortes nicht von dem mit ihrer Hilfe benannten oder beschriebenen Gegenstand. In seinen Augen ist die Zuordnung von Gegenstand und Begriff nicht disponibel, die Zuordnung des Wortes zu einem festen Paar aus Bedeutung und Gegenstand jedoch wohl, wie die Sprachenvielfalt zeigt (De interpretatione, 1). Auch im Falle der metaphorá wird die letztere Zuordnung geändert, die erstere jedoch nicht. Die vier Arten der metaphorá unterscheiden sich nach Aristoteles durch das Verhältnis zwischen angestammter und neuer Bedeutung. In der ersten Art ist die neue Bedeutung ein Unterbegriff der angestammten, in der zweiten ein Oberbegriff. In der dritten Art der metaphorá sind angestammte und neue Bedeutung zwei verschiedene Unterbegriffe desselben Oberbegriffs (zwei verschiedene Arten innerhalb derselben Gattung), und in der vierten stehen sie zueinander in einem Analogieverhältnis. Die beiden ersten Arten der aristotelischen metaphorá sind nach späterer Terminologie keine Metaphern, sondern Synekdochen (Lausberg 1990: § 572ff.). Die dritte Art erfaßt - wenn auch in unzureichender Beschreibung — die Metaphern, die auf einer einstelligen Analogie beruhen, die vierte schließlich erfaßt die Metaphern, die auf einer zweistelligen Analogie beruhen.

Aristoteles' Erklärung der Metapher als zweistelliger Analogie

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Aristoteles beschreibt diese letzte Metaphernart -wie folgt: Eine metaphorá ist [auch] die Übertragung eines Wortes [...] nach den Regeln der Analogie. [...] Unter einer Analogie verstehe ich eine Beziehung, in der sich die zweite Größe zur ersten ähnlich verhält wie die vierte zur dritten. Dann verwendet der Dichter statt der zweiten Größe die vierte oder statt der vierten die zweite; und manchmal fugt man hinzu, auf was sich die Bedeutung bezieht, für die das Wort eingesetzt ist. So verhält sich z. B. eine Schale ähnlich zu Dionysos wie ein Schild zu Ares; der Dichter nennt also die Schale .Schild des Dionysos' und den Schild ,Schale des Ares'. Oder: das Alter verhält sich zum Leben wie der Abend zum Tag; der Dichter nennt also den Abend .Alter des Tages', oder — wie Empedokles — das Alter .Abend des Lebens' oder Sonnenuntergang des Lebens'. (Ubersetzung M. Fuhrmann, 1982) Der metaphorischen Beschreibung einer Trinkschale als .Schild' (des Dionysos) liegt demnach folgende ,geometrische' Analogie (s. 1,1 f.) zugrunde: Dionysos

Ares

Schale

Schild

Die geometrische Analogie des Aristoteles läßt sich zwanglos zu einer zweistelligen Analogiewurzel im Sinne unserer Metaphernlehre umformen: A Β

1 Dionysos Ares

2 Schale Schild

Wurzelprädikat: [2] ist ein kennzeichnendes Attribut des Gottes [1], Wenn das Wort .Schild' auf der Grundlage dieser Analogiewurzel metaphorisch eine Trinkschale beschreibt, dann mit der Bedeutung .Zweitglied eines Paares aus Gott und kennzeichnendem Attribut', kurz: mit der Bedeutung ,Götterattribut'. Der metaphorischen Beschreibung des Alters als Abend liegt nach Aristoteles folgende Analogie zugrunde: Leben

Tag

Alter

Abend

Auch diese .geometrische' Analogie läßt sich mühelos zu einer zweistelligen Analogiewurzel im Sinne der vorliegenden Untersuchung umformen:

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A Β

Die analogische Wurzel der Metapher

1 Leben Tag

2 Alter Abend

Wurzelprädikat: [2] ist die Schlußphase des Gesamtablaufs [1], Wenn das Wort ,Abend' auf der Grundlage dieser Analogie das Alter beschreibt, dann mit der Bedeutung ,Zweitglied eines Paares aus Gesamtverlauf und Schlußphase', kurz: mit der Bedeutung ,Schlußphase'. Aristoteles beachtet nicht, daß der beschriebene Gegenstand bei metaphorischer Beschreibung unter einen anderen Begriff gefaßt wird als bei normaler Benennung. Das Wort,Schild' subsumiert die Trinkschale unter die Götterattribute und nicht — wie das Wort ,Schale' — unter die Gefäße. Das Wort .Abend' stellt das Alter in die Klasse der Schlußphasen und nicht — wie das Wort ,Alter' — in die Klasse der Lebensphasen. Der Metaphernlehre des Aristoteles liegt der Gedanke fern, daß derselbe Gegenstand unter verschiedene Bedeutungen fallen kann, die nicht im Verhältnis von Ober- und Untergebriff zueinander stehen. Für ihn bilden Bedeutung und Gegenstand ein unauflösliches Paar. Die geometrische Analogie soll folglich nicht etwa erklären, daß die Metapher .Schild' eine Trinkschale auf Grund einer neuartigen Bedeutung beschreibt, die von der eigentlichen Bedeutung des metaphorisch benutzten Wortes ebenso verschieden ist wie auch von der Bedeutung des Wortes ,Trinkschale'. Vielmehr sieht Aristoteles in der geometrischen Analogie eine Voraussetzung dafür, daß der Wortkörper ,Schild' statt dem angestammten Begriff und Gegenstand ,Schild' auch dem fremden Begriff und Gegenstand .Trinkschale' zugeordnet werden kann. Daß derselbe Gegenstand durch die übliche Bezeichnung anders als durch die metaphorische klassifiziert wird, nämlich als Verteidigungsgerät einerseits und als Götterattribut andererseits, ist für Aristoteles kein unmittelbares Merkmal der Metapher. Da Aristoteles bei der metaphorischen Beschreibung keine neuartige Bedeutung im Spiel sieht, sondern nur das Herantragen eines Wortkörpers vom angestammten an ein fremdes Paar aus Begriff und Gegenstand, kommt ihm auch nicht die semantische Umwälzung in den Blick, die auf dem Wege von der eigentlichen zur metaphorischen Bedeutung stattfindet. Das niedere Merkmal ,Götterattribut' tilgt das hochrangige Merkmal .Verteidigungsgerät', so daß ,Schild' metaphorisch auch Götterattribute beschreiben kann, die nicht zur Verteidigung dienen — wie eben eine Trinkschale. Ahnlich tilgt bei der Metapher vom Abend des

Aristoteles' Erklärung der Metapher als zweistelliger Analogie

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Lebens das niedere Merkmal ,Schlußphase' das höhere Merkmal .Tagesabschnitt', so daß .Abend' nunmehr auch die Schlußphase von anderen Abläufen als Tagesabläufen bezeichnen kann. Die Anwendung des Wortes .Schild' auf eine Trinkschale wäre trotz der angeführten geometrischen Analogie keine Metapher, wenn .Schild' und .Schale' als geläufige Kohyponyme zu .Götterattribut' gälten. Dann könnte .Schild' ebensowenig zur metaphorischen Beschreibung einer Trinkschale als Götterattribut dienen wie .Hammer' zur metaphorischen Beschreibung einer Zange als Werkzeug. Ahnlich wäre die Anwendung des Wortes Abend' auf das Alter keine Metapher, wenn .Schlußphase' ein geläufigeres Hyperonym dieses Wortes wäre als .Tagesabschnitt'. Auch die dritte Art der metapborä — angestammte und aktuelle Bedeutung fallen unter denselben Oberbegriff — wird von Aristoteles unzureichend gekennzeichnet, weil er die metapherntypische semantische Umwälzung außer Betracht läßt. Der gemeinsame Oberbegriff darf kein horchrangiges Bedeutungsmerkmal des metaphorisch benutzten Wortes sein, sondern muß als bis dahin niederes Merkmal höherrangige Merkmale aus dem Felde schlagen. Wer das Wort .Kreuzer' auf einen Zerstörer anwendet, um ihn als Kriegsschiff zu kennzeichnen, spricht nicht metaphorisch, wohl aber, wer die Natur ein Buch nennt, um sie als verstehbar zu beschreiben. Aristoteles war nicht blind für die besondere Wirkung der Metapher, wie seine lesenswerten Darlegungen in der Rhetorik zeigen (III, 10, 7 und 11, 11 ff.). Diese Wirkung ergibt sich jedoch nicht schon aus der Tatsache, daß einem feststehenden Paar aus Gegenstand und Begriff ein anderer Wortkörper zugeordnet wird. Aristoteles erklärt sie aus dem Vergleich zwischen dem metaphorisch beschriebenen Gegenstand und den Gegenständen, die das benutzte Wort sonst bezeichnet und an die es beim metaphorischen Gebrauch erinnert. Deshalb sagt Aristoteles, daß auch bildliche Vergleiche Metaphern seien (Rhetorik III, 4, 4 und 11, 11). Unsere Metaphernlehre insistiert jedoch auf einem entscheidenden Unterschied zwischen Metapher und Bild (TV, 2, 3): Das Nebeneinander des metaphorisch beschriebenen Gegenstandes mit Gegenständen, die der benutzte Ausdruck sonst bezeichnet, regt zur Definition einer Klasse an, der die nebeneinander gestellten Gegenstände gemeinsam angehören. Die definierende Eigenschaft dieser neuen Klasse wird nach unserer Auffassung zur Bedeutung des metaphorischen Ausdrucks. Was die Gemeinsamkeit der neuen Klassengenossen ausmacht, wird nicht

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Die analogische Wurzel der Metapher

nur — wie beim Vergleich — evo2iert oder als tertium comparationis benannt, sondern geht provisorisch in das semantische System ein, mit dessen Hilfe die beschreibenden Bedeutungen gebildet werden. Anders als in der Metaphernlehre des Aristoteles erfaßt nach unserer Auffassung der metaphorische Ausdruck seinen Gegenstand anhand einer neuartigen Bedeutung, die ihn im Kreis ungewohnter Klassengenossen zeigt. Die Gegenstandsmerkmale, auf die es in der Mitteilung ankommt, werden zu Bedeutungsmerkmalen erhoben. Das kommunikativ Relevante erhält — vorübergehend — Relevanz im semantischen System. Über den Unterschieden zwischen der hier vorgetragenen und der aristotelischen Metaphernlehre sollen die Gemeinsamkeiten nicht vergessen werden: Für eine bestimmte Art von Metapher, die er in der Rhetorik als die berühmteste hervorhebt (III, 10, 7), setzt Aristoteles eine .geometrische' Analogie als Tiefenstruktur an. Die vorliegende Arbeit unterlegt jeder Metapher eine analogische Tiefenstruktur. Allerdings verbindet sie mit dem Terminus ^Analogie' eine weitere Bedeutung als Aristoteles: Analogie besteht zwischen zwei Gegenstandsmengen (die im Grenzfall auch ein-elementig sein können), wenn für sie ein gemeinsamer Beschreibungsinhalt gilt. Aus unserer Sicht ist die analogiegestützte Metapher des Aristoteles eine besondere Unterart der in jedem Falle analogiegestützten Metapher. Die Besonderheit besteht in der Zweistelligkeit der zugrunde liegenden Analogie, d.h. in dem Umstand, daß die analogen Gegenstandsmengen aus zwei Elementen bestehen (Schale und Dionysos einerseits, Schild und Ares andererseits; Tag und Abend einerseits, Alter und Leben andererseits). Nach unserer Analogiedefinition ist die zweistellige Analogie jedoch nur ein Sonderfall von Analogie überhaupt. Auch Analogien mit mehr als zwei Stellen können Metaphern begründen, wie oben mehrfach gezeigt. Unsere Definition der Analogie erlaubt es sogar, die einstellige Analogie als Grenzfall der mehrstelligen zu behandeln und so die aristotelische Spaltung der Metapherntheorie zu vermeiden. Nach Aristoteles sind angestammte und neue Bedeutung des metaphorisch gebrauchten Wortes entweder verschiedene Arten derselben Gattung, oder sie stehen in einem Analogieverhältnis. Was diese beiden Möglichkeiten verbindet, sagt Aristoteles nicht. Nach unserer Theorie liegt allen Metaphern eine Analogie von Gegenstandsmengen zugrunde. Die Metapher, die auf einer nicht-trivialen Analogie zwischen ein-elementigen Gegenstandsmengen beruht, entspricht der dritten Metaphernart des Aristoteles, bei der angestammte und neue Bedeutung zwei verschiedene Arten derselben Gattung sind.

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WurzeJgleiche Metaphern

Die systematische Zusammengehörigkeit zwischen mehrstelligen und einstelligen Analogien zeigt sich in der Umformbarkeit von Detailanalogien, die auf mehrstelligen Wurzeln beruhen, zu einstelligen Analogien. Aristoteles fuhrt die Metapher, die eine Trinkschale als Schild des Dionysos beschreibt, auf eine Detailanalogie mit folgender zweistelliger Wurzel zurück: A Β

1 Dionysos Ares

2 Schale Schild

Wurzelprädikat: [2] ist kennzeichnendes Attribut des Gottes [1]. Man kann die Zahl der Stellen in Prädikat und Gegenstandsmenge verringern, indem man die Leerstellen durch die Information ersetzt, auf die hin der Kontext im Wurzelprädikat sie fesdegt. Bei Streichung der Stelle [1] (und entsprechender Umnumerierung) ergäbe sich das folgende einstellige Wurzelprädikat: ,[1] ist kennzeichnendes Attribut eines Gottes.' Dieses Prädikat stiftet eine einstellige, nicht-triviale Analogie, die mit gleicher Motivation wie die zweistellige die metaphorische Bezeichnung der Schale als Schild (des Dionysos) begründet.

4 Wur^elgleiche Metaphern Metaphern, die auf wurzelgleichen Detailanalogien beruhen, sollen ebenfalls wurzelgleich heißen. Ein Beispiel: Quintilian empfiehlt (I, 6, 3), die Gebräuchlichkeit eines sprachlichen Ausdrucks als Kriterium seiner Zulässigkeit anzusehen. Dabei bedient er sich der traditionsreichen Analogie zwischen Zahlungs- und Sprachverkehr (Weinrich 1976: 276 ff.): „Für den sprachlichen Ausdruck soll genau dasselbe gelten wie für eine Münze, die eine öffentlich anerkannte Prägung hat". Der Analogie liegt etwa folgende Wurzel zugrunde: 1

2

3

A

Zahlungsverkehr

Münze

öffentlich anerkannte Prägung

Β

Sprachverkehr

sprachlicherAusdruck

Gebräuchlichkeit

Wurzelprädikat: [3] macht [2] zu einem tauglichen Mittel für [1].

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Die analogische Wurzel der Metapher

Jede der Detailanalogien, die aus derselben Wurzel hervorgehen, kann eine Metapher motivieren, in der ein Ausdruck des Zahlungsverkehrs einen Gegenstand des Sprachverkehrs beschreibt: ,Der junge Einwanderer konnte sich bald am sprachlichen Zahlungsverkehr seiner neuen Umgebung mit Münzen anerkannter Prägung beteiligen.' Zwischen den drei Metaphern dieses Satzes (.Zahlungsverkehr*, .Münzen',,anerkannte Prägung*) besteht eine Verwandtschaft, die nicht grundsätzlich zwischen Metaphern desselben Textzusammenhangs besteht. Wurzelgleiche Analogien bringen wurzelgleiche Metaphern hervor. In einem Text kann eine Vielzahl von Bildern und Metaphern aus einer kleinen Zahl von Analogiewurzeln hervorwachsen. Kapitel VII wird Gedichte untersuchen, deren prägende Metaphorik aus einer einzigen, gemeinsamen Wurzel stammt. Die in wurzelgleichen Metaphern vermittelten Beschreibungsinhalte setzen einander voraus; denn die Gemeinsamkeit zwischen den Partnern einer Detailanalogie ist nicht ohne Rückgriff auf die Gemeinsamkeiten zwischen den Partnern anderer Detailanalogien derselben Wurzel zu beschreiben. Das Wurzelprädikat einer mehrstelligen Analogie definiert eine Klasse von Gegenstandsmengen, zu der auch die in Analogie gesetzten Gegenstandsmengen gehören. Die klassenbildende Gemeinsamkeit ist ein bestimmtes Beziehungsnetz, das in jeder der analogen Gegenstandsmengen die Elemente miteinander verknüpft. Aus diesem Beziehungsnetz ergibt sich auch die Gemeinsamkeit, die zwischen den Partnern einer Detailanalogie besteht. Sie läßt sich durch folgende Rahmenformel erfassen: .Inhaber der Position η in dem durch das Wurzelprädikat W festgelegten Beziehungsnetz'. Die Bezugnahme der Rahmenformel auf das Beziehungsnetz ist zugleich eine Bezugnahme auf die anderen Positionen, da das Netz ebenso durch die verknüpften Positionen wie die Positionen durch das verknüpfende Netz bestimmt werden. Die Bedeutung einer Metapher, der Beschreibungsinhalt, den sie vermittelt, besteht in dem Merkmalkomplex, der die Gemeinsamkeit zwischen den Partnern der zugrunde liegenden Analogie ausmacht. Im Falle wurzelgleicher Metaphern ist diese Gemeinsamkeit nicht ohne Rückgriff auf die Gemeinsamkeit zu beschreiben, die zwischen den Partnern anderer Analogien derselben Wurzel besteht. Deshalb sind wurzelgleiche Metaphern eng miteinander verwoben. Die oben dargestellte dreistellige Wurzel der Analogie zwischen Sprach- und Zahlungsverkehr begründet u.a. die Detailanalogie zwischen Münze und sprachlichem Ausdruck. Der gemeinsame Beschrei-

Wurzelgleiche Metaphern

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bungsinhalt der Analogiepartner lautet: .Inhaber der zweiten Position in einer drei-elementigen Menge, die zu der durch das Wurzelprädikat festgelegten Klasse gehört'. Dieser Beschreibungsinhalt ist zugleich die metaphorische Bedeutung, mit der das Wort .Münze' einen sprachlichen Ausdruck beschreibt. Der sprachliche Ausdruck ist dann insofern eine Münze, als er zum Sprachverkehr und zur Gebräuchlichkeit dieselbe Beziehung unterhält wie die Münze zum Zahlungsverkehr und zur öffentlichen Prägung. Ahnlich beschreibt das Wort .Zahlungsverkehr' den Sprachverkehr als etwas, das auf gebräuchliche Ausdrücke angewiesen ist, und das Wort .öffentliche Prägung' beschreibt die Gebräuchlichkeit des sprachlichen Ausdrucks als Voraussetzung der Tauglichkeit zum Sprachverkehr. Die Aufzeichnung der zugrunde liegenden Analogiewurzel expliziert das Metaphernverständnis. Wer eine Metapher versteht, erkennt — und wer sie darüber hinaus plausibel findet, akzeptiert — die Beschreibungen, die ihr zugrunde liegen. Sie gehören in vielen Fällen zum kollektiven Wissens- und Meinungsbestand der Kulturgemeinschaft, in der die Metapher vorkommt. In diesem Fall ist sie verständlich, sobald feststeht, welcher Ausdruck welchen Gegenstand beschreiben soll. So verleiht etwa der allgemeine Wissens- und Meinungsbestand der Metapher vom Gefängnis der Ehe unverzüglich Sinn. Ebenso weiß die Sprachgemeinschaft, daß Abend und Alter Schlußphasen sind. Deshalb versteht sie die Metapher .Lebensabend' ohne nähere Erläuterung. Sie weiß auch, daß eine Reise endet, wenn der Zielort erreicht ist, und das Leben aufhört, wenn der Tod eintritt. Deshalb rätselt niemand über den Sinn der Aussage, daß Goethe zu Beginn des Jahres 1832 kurz vor dem endgültigen Ziel seiner Lebensreise stand. Manchmal jedoch gehen die Beschreibungen, die eine Metapher motivieren, erst aus dem besonderen Kontext der Metapher hervor, so daß die bloße Paarung von metaphorischem Ausdruck und beschriebenem Gegenstand den Beschreibungsinhalt noch nicht enthüllt. Wieso .Schmetterling' einen Menschen beschreibt, den „selige Sehnsucht" befällt, versteht nur, wer Goethes Gedicht kennt. Kontextabhängigkeit des Metaphernverständnisses kommt bei der Reihung wurzelgleicher Metaphern öfter vor als bei der Verwendung isolierter Metaphern. In den Textgattungen der translationes continuatae, also in Fabeln und Gleichnissen, ist sie die Regel. La Fontaine erzählt — in der Nachfolge Äsops — die Fabel vom Esel, der heilige Reliquien auf seinem Rücken transportiert (Fabeln I, 14): Der Weg ist von Gläubigen gesäumt, die Weih-

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Die analogische Wurzel der Metapher

rauchfässer schwenken und fromme Gesänge anstimmen. In törichter Selbstüberschätzung bezieht der Esel diese Huldigungen auf sich statt auf die Devotionalien, die er befördert. La Fontaine gibt der Fabel folgende Moral: ,Der ehrerbietige Gruß des Publikums, den der unfähige Amtsträger auf seine Person bezieht, gilt in Wahrheit dem hohen Amt, das vorübergehend auf seinen Schultern ruht.' Der Zusammenhang von erzählter Geschichte und Moral beruht in diesem Fall auf einer dreistelligen Analogie: A Β

1 Esel Amtsträger

2 transportierte Reliquien hohes Amt

3 religiöse Huldigungen ehrerbietiger Gruß des Publikums

Wurzelprädikat: [1] bezieht aus Dummheit die Huldigung [3], die in Wahrheit [2] gilt, auf sich selbst. Die gemeinsame Beschreibung von Esel und unfähigem Amtsträger (.Position 1 in einem Tripel der Klasse, die das Wurzelprädikat beschreibt*) geht nicht aus dem allgemeinen Wissens- und Meinungsschatz hervor; denn die Sprachgemeinschaft stellt sich einen Esel im Allgemeinen nicht als Reliquienträger vor, der die Huldigung der Menge fälschlich auf sich bezieht. Man muß die erzählte Geschichte kennen, um den gemeinsamen Beschreibungsinhalt der Analogiepartner ,Esel' und ,Amtsträger' zu sehen. Dasselbe gilt für Metaphern, die auf dieser dreistelligen Analogiewurzel beruhen: ,Der junge König übersah, daß der Kniefall der Höflinge nicht wirklich ihm galt, sondern den unúcbtbaren Reliquien, die er trug' Im Regelfall muß der Fabeltext den Leser über die Zusammenhänge unterrichten, aus denen sich das Wurzelprädikat der Analogie und damit der gemeinsame Beschreibungsinhalt der erzählten Geschichte und der mittelbar beschriebenen Wirklichkeit ergibt (Coenen 2000). Die Metaphern, die eine Fabel aneinanderreiht, sind dem Leser in aller Regel nicht von vornherein, sondern nur auf Grund der im Fabeltext gelieferten Informationen verständlich. Es gibt freilich auch den Fall, daß eine Analogie zum allgemeinen Kulturwissen gehört, weil die Beschreibungen, aus denen sie hervorgeht, nicht etwa als echtes Wissen über die Analogiepartner ernst genommen würden, sondern in einer allgemein bekannten Fabel vorkommen. Der Bär gilt eigentlich nicht als ein Tier, das dem Menschen Freundschaftsdienste erweisen will und ihm dabei unabsichtlich schadet. Dennoch wird die Metapher .Bärendienst' verstanden, weil der zugrunde liegende orientalische Fabelstoff (etwa aus La Fontaine VIII,

Wurzelgleiche Metaphern

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10) bekannt ist. Der Leser versteht die Anspielung auf den besonderen Kontext, der die Metapher begründet — oder er kennt einfach die Konvention, die dem Wort .Bärendienst' die Bedeutung .schlechter Dienst' zuweist. Wenn die kommunikative Nutzung einer Analogie sich nicht auf den allgemeinen Wissens- und Meinungsschatz berufen kann und wenn auch der besondere Text, der sie erklärt, nicht im kollektiven Gedächtnis verankert ist, muß das Wurzelprädikat im Kontext der Metapher verdeutlicht werden. Bei Analogien, deren Wurzel aus dem Wissens- und Meinungsschatz der Sprachgemeinschaft stammt, bedarf es allenfalls einer knappen Anspielung auf die Gemeinsamkeit der Analogiepartner.

VI Das sprachliche Gewand der Analogie 1 Der metaphorische Ausdruck einer zweistelligen Analogie nach Aristoteles In der Poetik (21) behandelt Aristoteles die zweistellige Analogie als eine Art semantischer Tiefenstruktur, die an der Oberfläche des sprachlichen Ausdrucks verschiedene Formen der Metaphernbildung erzeugt. Ich spreche von Analogie, wenn sich das Zweite zum Ersten verhält wie das Vierte zum Dritten. Dann kann man statt des Zweiten das Vierte und statt des Vierten das Zweite nennen. Wir nehmen — über Aristoteles hinausgehend — an, daß nicht nur die Nenner der Verhältnisgleichungen, sondern auch die Zähler füreinander eintreten können. Man kann also auch statt des Ersten das Dritte und statt des Dritten das Erste nennen. Zur Erläuterung diene folgende Verhältnisgleichung: In der Welt des Dschungels (a) spielen Tiger (b) eine ähnliche Rolle wie in der Großstadt (c) die Gangster (d). a

c

b ~ d Auf der Grundlage dieser Analogie könnte nach Aristoteles das Wort .Gangster' einen Tiger und das Wort ,Tiger' einen Gangster beschreiben. Wenn unsere Zusatzannahme stimmt, kann außerdem das Wort ,Großstadt' einen Dschungel (als Lebensraum der gangsterhaften Tiger) und das Wort .Dschungel' eine Großstadt (als Lebensraum der tigerhaften Gangster) beschreiben. Aristoteles hat auch bemerkt, daß der bloße Ersatz eines Wortes durch die Bezeichnung des Analogiepartners die zugrunde liegende Verhältnisgleichung nicht immer hinreichend deutlich macht: Manchmal setzt man den Bezugspartner des ersetzten Wortes hinzu. Ich meine folgendes: Die Trinkschale verhält sich ζ. B. zu Dionysos wie der Schild zu Ares. Deshalb nennt man die Trinkschale ,den Schild des Dio-

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Das sprachliche Gewand der Analogie

nysos' und den Schild ,die Trinkschale des Ares'. Oder: Das Alter verhält sich zum Leben wie der Abend zum Tage. Deshalb nennt man den Abend ,das Alter des Tages' oder auch — wie Empedokles — das Alter ,den Abend des Lebens' oder ,den Sonnenuntergang des Lebens'. Wenn die Verhältnisgleichung a : b = c : d gilt, kann man b als ,d von a' und d als ,a von c' bezeichnen. Der Tiger kann demnach .Gangster des Dschungels' und der Gangster .Tiger der Großstadt' heißen, ferner — auf Grund unserer Zusatzannahme — die Dschungelwelt .Großstadt der Tiger' und die Großstadt .Dschungel der Gangster'. Aristoteles erwähnt noch eine weitere Form der kommentierten Metapher: Man verwendet das uneigentliche Wort und verneint zugleich eines der Merkmale [seines üblichen Gegenstandes], wie wenn man den Schild zwar ,Trinkschale' nennt, aber nun nicht .des Ares', sondern .die mit Wein nichts zu tun hat'. Nach unserer Verhältnisgleichung könnten dann die Tiger als .Gangster ohne Strumpfmasken' und die Gangster als .Tiger ohne Streifenfell' bezeichnet werden, ferner der Dschungel als .Großstadt ohne Häuser' und die Großstadt als .Dschungel ohne Lianen'. Die knappe aristotelische Stilistik des auf einer zweistelligen Analogie beruhenden Metapherngebrauchs läßt sich weiter ausspinnen: Anstatt dem beschriebenen Gegenstand ein Merkmal der eigentlichen Wortbedeutung abzusprechen, kann man ihm ein Merkmal zusprechen, das ihn von den Gegenständen der eigentlichen Bedeutung unterscheidet, wie wenn man den Tiger als .Gangster mit Streifenfell' oder den Gangster als .Tiger mit Strumpfmaske' bezeichnet. Eine zweistellige Analogie kann sich im sprachlichen Ausdruck natürlich auch unmetaphorisch manifestieren, etwa als ausdrückliche Verhältnisgleichung wie bei La Rochefoucauld (Maxime 401): L'élévation (a) est au mérite (b) ce que la parure (c) est au belles personnes (d). (Die Vornehmheit verhält sich zu den Verdiensten wie der Schmuck zu schönen Frauen.) Die gewählte Formulierung sagt zwar, daß zwischen Vornehmheit und Verdiensten dasselbe Verhältnis besteht wie zwischen Schmuck und schönen Frauen, verzichtet aber auf eine nähere Kennzeichnung dieses Verhältnisses. Sie behauptet die Analogie zweier Gegenstandsmengen,

Der metaphorische Ausdruck einer zweistelligen Analogie nach Aristoteles

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nennt aber nicht das Wurzelprädikat. Man könnte es hinzufugen, ohne das Formulierungsmuster der Verhältnisgleichung aufzugeben: Vornehmheit setzt die Verdienste ins rechte Licht wie Schmuck die Schönheit der Frauen. Diese Formulierving steht der Bildfelddarstellung an Explizitheit nicht nach: A Β

1 Vornehmheit Schmuck

2 Verdienste Schönheit der Frauen

Strukturformel: [1] setzt [2] ins rechte Licht. Die verschiedenen sprachlichen Erscheinungsformen einer zugrunde liegenden zweistelligen Analogie lassen sich auf einer Skala abnehmender Explizitheit anordnen. Gehen wir zur Veranschaulichung von folgendem Aphorismus Friedrich Schlegels aus (Athenäums-Fragmente 29): Witzige Einfalle sind die Sprüchwörter der gebildeten Menschen. Schlegel will offenbar sagen, daß bei gebildeten Menschen originelle Geistesblitze die vorgestanzten Allgemeinplätze ersetzen, die bei Ungebildeten als Glanzlichter der Rede herhalten müssen. Zur Deutung der Metapher ,Sprüchwörter' läßt sich folgendes Bildfeld konstruieren: A Β

1 witzige Einfalle Sprichwörter

2 gebildete Menschen ungebildete Menschen

Strukturformel: [1] bildet die Glanzlichter in der Rede von [2]. Folgende Verhältnisgleichung gibt den Inhalt des Bildfeldes ohne Explizitheitsverlust wieder. Witzige Einfalle bilden die Glanzlichter in der Rede der Gebildeten so wie Sprichwörter in der Rede der Ungebildeten. Die .geometrische' Form der Verhältnisgleichung kann auf die Spezifizierung des gleichartigen Verhältnisses verzichten, dessen Vorliegen sie behauptet: Witzige Einfalle sind für die Rede der Gebildeten, was Sprichwörter für die Rede der Ungebildeten sind.

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Das sprachliche Gewand der Analogie

Bei der metaphorischen Wiedergabe der Analogie bleibt außer der Art des Gleichheit stiftenden Verhältnisses mindestens einer der vier Verhältnisträger ungenannt: Witzige Einfalle sind die Sprüchwörter der gebildeten Menschen. Manchmal werden nur die beiden ,Zähler' der Verhältnisgleichung genannt: der Name des beschriebenen Gegenstandes und die beschreibende Metapher. Zur Erläuterung kann dem beschriebenen Gegenstand ein Merkmal der eigentlichen Bedeutung des metaphorisch gebrauchten Wortes abgesprochen oder ein Merkmal, das ihn von den Gegenständen des TAe unterscheidet, zugesprochen werden. Witzige Einfálle sind Sprichwörter ohne öffentliche Prägung. Witzige Einfálle sind aus dem Augenblick geborene Sprichwörter. Wenn die erläuternden Zusätze fortfallen, bleibt nur noch eine rätselhafte Gleichsetzung: Witzige Einfalle sind Sprichwörter.

2 Kur^gefasste Stilistik der n-stelligen Analogie 2.1 Explizite Markierung des Analogieverhältnisses Ein Analogieverhältnis kann explizit markiert oder durch Metapherngebrauch präsupponiert werden. Die explizite Markierung kann lexikalische oder syntaktische Mittel benutzen: Entweder wird das Analogieverhältnis ausdrücklich benannt, oder die Analogiepartner nehmen innerhalb eines syntaktischen Textbauplanes Stellen ein, die eigens fur Analogiepartner vorgesehen sind.

2.1.1 Lexikalische Benennung Ein Wort oder eine Wortfolge kann in der Funktion eines zweistelligen Prädikates das Analogieverhältnis benennen: Le poète est semblable au prince des nuées. (Baudelaire: L'Albatros) (Der Dichter ist dem Fürsten der Wolken ähnlich.)

Kurzgefasste Stilistik der n-stelügen Analogie

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Lexikalische Varianten des einfachen oder erweiterten Prädikates, das die Analogie benennt: Der Dichter gleicht (ähnelt) dem Albatros. Seele des Menschen. Wie gleichst du dem Wasser! Schicksal des Menschen, Wie gleichst du dem Wind! (Goethe: Gesang der Geister über den Wassern) Der Dichter ist dem Albatros vergleichbar. Es besteht ein Analogieverhältnis \wischen Dichter und Albatros. Der Albatros bietet ein Modell des Dichters. Der Albatros dient als Bild des Dichters. Das Wort, das die Analogiebeziehung ausdrückt, kann eine Metapher sein: Der Albatros ist ein getreuer Spiegel des Dichters. Dichter und Albatros sind Brüder.

2.1.2 Syntaktische Markierung Die Gegenstandsmengen, zwischen denen das Analogieverhältnis besteht, können auf Satzkern und komparative Umstandsbestimmung verteilt sein: Liebe ist me ein Märchen. Es war, als hätf der Himmel Die Erde still geküßt. (Eichendorff: Mondnacht) L'absence diminue les médiocres passions et augmente les grandes, comme le vent éteint les bougies et allume le feu. (La Rochefoucauld: Maximes, 276) (Abwesenheit dämpft die mäßigen Leidenschaften und steigert die großen, wie der Wind die Kerzen löscht und die Feuersbrunst anfacht.) Nun aber ragt [Arignota] hervor unter den lydischen Frauen so wie zuzeiten, wenn die Sonne gesunken, dieser rosengefingerte Mond da, alle Sterne übertreffend [...]. (Sappho, in Latacz 1991: 413)

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Das sprachliche Gewand der Analogie

Zu den syntaktischen Mitteln der Analogiemarkierung gehört auch die .geometrische' Verhältnisgleichung, von der in VI, 1 die Rede war: La sagesse est à l'âme ce que la santé est pour le corps. (La Rochefoucauld: Maximes, 541) (Weisheit ist für die Seele, was Gesundheit für den Leib ist.) Was in der vorliegenden Arbeit Bildfeld genannt wird, ist eine Konvention der tabellarischen Darstellung von Analogien. Der oben zitierten Maxime 276 La Rochefoucaulds liegt etwa folgendes dreistelliges Bildfeld zugrunde: 1 A Abwesenheit Β Wind

2 mäßige Leidenschaften Kerzen

3 große Leidenschaften Feuersbrunst

Strukturformel: [1] bringt [2] zum Verlöschen, facht aber [3] an.

2.2 Markierung der Analogie durch Metapherngebrauch Die Metapher setzt ein Analogieverhältnis zwischen dem metaphorisch beschriebenen Gegenstand und anderen Gegenständen voraus, die der metaphorisch benutzte Ausdruck bei wörtlichem Gebrauch bezeichnen könnte. Das Metaphernverständnis verlangt die Kenntnis beider Analogiepartner. Den metaphorisch gemeinten Ausruf .Welch grausames Gefängnis!' versteht nur, wer weiß, daß ,Gefängnis' bei unmetaphorischem Gebrauch den Aufenthaltsort von Strafgefangenen bezeichnet, daß aber in diesem Fall das Wort auf einen Gegenstand bezogen ist, der außerhalb des normalen Anwendungsbereichs liegt, etwa Ehe oder Internatsleben. Welcherlei Gegenstände ein Wort bei unmetaphorischem (und auch sonst geradlinigem) Gebrauch bezeichnet, sagt die bloße Sprachkenntnis. Welchen Gegenstand es in einem bestimmten Fall metaphorisch beschreibt, kann — auch ohne verbale Hinweise — aus der Redesituation hervorgehen. Wenn ein schwärmerischer Wanderer beim Eintritt in den sommerlichen Hochwald ausruft ,Die Natur baut doch die schönsten Kathedralen!', kann sein Weggenosse erraten, worauf das Wort .Kathedrale' sich bezieht. In aller Regel zeigt der weitere oder engere sprachliche Kontext, welchen Gegenstand eine Metapher beschreibt. Man kann eine Fabel als fortgesponnene Metapher auffassen, deren Gegenstände die vorausgeschickte oder nachgelieferte Moral zu erken-

Kurzgefasste Stilistik der n-stelligen Analogie

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nen gibt. Häufiger jedoch wird der beschriebene Gegenstand in der unmittelbaren Nachbarschaft des metaphorisch beschreibenden Ausdrucks — und mit syntaktischem Bezug auf ihn — unmetaphorisch benannt. Dabei stellt die unmetaphorische Benennung des Gegenstands seine metaphorische Beschreibung unter semantische Selektionsbeschränkungen: Der metaphorisch vermittelte Beschreibungsinhalt darf keine Merkmale enthalten, die der unmetaphorischen Benennung widersprechen. Bei metaphorischer Beschreibung ist die eigentliche Bedeutung des beschreibenden Ausdrucks mit dem beschriebenen Gegenstand in der Regel unvereinbar, so daß die von der ummetaphorischen Benennung ausgehende Selektionsbeschränkung eine Bedeutungsänderung erzwingt. Dem beschriebenen Gegenstand wird nicht der Begriff zugesprochen, der die eigentliche Bedeutung des beschreibenden Ausdrucks bildet, sondern ein Begriff, der sowohl für — mindestens einige — Gegenstände gilt, die unter die eigentliche Bedeutung fallen, wie auch fur den beschriebenen Gegenstand, der nicht unter sie fällt. Bestimmte Gegenstände, die unter die eigentliche Bedeutung des metaphorisch benutzten Ausdrucks fallen, werden kraft der Metapher zu Analogiepartnern des beschriebenen Gegenstands. Ihm wird genau die Eigenschaft zugesprochen, die sein Analogieverhältnis zu Gegenständen aus dem eigentlichen Anwendungsbereich des metaphorischen Ausdrucks begründet. Luthers Liedzeile „Ein' feste Burg ist unser Gott" macht die Burg zu einem Analogiepartner Gottes, indem sie durch rückwirkende Selektionsbeschränkung die eigentliche Bedeutung des Wortes ,Burg' (befestigte Behausung) durch den Begriff .Garant der Geborgenheit' ersetzt. Und genau dieser Begriff, der die Analogie zwischen Gott und Burg begründet, wird Gott, dem unmetaphorisch benannten Gegenstand, durch die metaphorische Beschreibung zugesprochen. Die Selektionsbeschränkung, unter deren Einfluß an die Stelle der eigentlichen Bedeutung eine metaphorische tritt, wirkt über syntaktische Kanäle. Häufig sind unmetaphorische Benennung und metaphorische Beschreibung auf zwei Positionen im Textablauf verteilt, deren Verweis auf denselben Gegenstand die Syntax entweder gebieterisch verlangt oder wenigstens zuläßt. Korreferenz (Bezug auf denselben Gegenstand) ist ein privilegiertes Wirkfeld der Selektionsbeschränkung. Der unmetaphorisch benennende Ausdruck zwingt seinen korreferenten Partner zum Ersatz der widerspruchschaffenden eigentlichen Bedeutung durch eine harmonisierende metaphorische (2.2.1). In Luthers

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Das sprachliche Gewand der Analogie

Liedzeile besetzen ,Ein' feste Burg' und ,unser Gott' die korreferenten Positionen von Prädikatsnomen und Subjekt. Die unmetaphorische Benennung Gottes an Subjektsstelle erzwingt eine kompatible Deutung des beschreibenden Ausdrucks ,ein' feste Burg', der die Stelle des Prädikatsnomens einnimmt. Die Selektionsbeschränkung, der die metaphorische Beschreibung eines im nahen Umfeld auch klartextlich benannten Gegenstandes unterliegt, ist jedoch nicht auf Korreferenz angewiesen (2.2.2). Victor Hugo (1802-1885) beschreibt den biblischen Patriarchen Boas als „gekleidet in lautere Rechtschaffenheit und weißes Linnen" (Boo^ endormi). Das Partizip .gekleidet' steht zwar in Korreferenz zu dem Subjekt des Satzes, das den Boas benennt, nicht jedoch zu dem Substantiv .Rechtschaffenheit', das Teil einer präpositionalen Ergänzung ist. Dennoch wirkt zwischen Partizip und präpositionaler Ergänzung eine mehrfache Selektionsbeschränkung. Das Partizip bestimmt die Bedeutung des Substantivs .Rechtschaffenheit' eigentlich als .Kleidungsstück'. Das Substantiv wird dieser Bestimmung jedoch nicht gerecht und zwingt deshalb zur metaphorischen Deutung des Partizips .gekleidet', das nun nicht mehr das Verhältnis zwischen Träger und Gewand bezeichnet, sondern das Verhältnis zwischen einem Menschen und etwas, das ihm eng anhaftet und ihn aus seiner Umgebung deutlich heraushebt — wie die Rechtschaffenheit den Boas. Für ein derartiges Verhältnis wiederum ist das Paar aus Träger und Gewand der Prototyp. Die Selektionsbeschränkung stiftet eine Analogie zwischen eigentlichem und durch Selektionsbeschränkung erzwungenem Beschreibungsinhalt, also zwischen Rechtschaffenheit und Gewand. Die Gemeinsamkeit der Analogiepartner, die der Rechtschaffenheit durch die Metapher .gekleidet' zugesprochen wird, besteht in der unverwechselbaren Zugehörigkeit eines Merkmals zu seinem Träger, den es aus der Masse weithin sichtbar heraushebt.

2.2.1 Unmetaphorische Benennung und metaphorische Beschreibung auf korreferenten Positionen Die syntaktische Struktur kann Korreferenz zweier Positionen entweder fordern oder nur zulassen. Folgende Positionen im Satzbauplan sind grundsätzlich korreferent: Subjekt und Prädikatsverb, Subjekt und Prädikatsnomen, Substantiv und adjektivisches Attribut, Substantiv und Apposition, Substantiv und

Kurzgefasste Stilistik der n-stelligen Analogie

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epexegetisches Genetivattribut. Diese Positionspaare können zum Zwecke der Analogiebildung mit zwei Ausdrücken besetzt werden, deren einer den Gegenstand unmetaphorisch benennt, während der andere ihn metaphorisch beschreibt. Subjekt und Prädikatsverb: Das Meer schlief. Die Versammlung brodelte. Die Leinwand lebt. [Cato] allatrare [Scipionis] magnitudinem solitus erat. (Livius XXXVIII, 54, 1) (Cato pflegte gegen die Größe Scipios anzubellen.) Subjekt und Prädikatsnomen: Ein' feste Burg ist unser Gott. (Luther) Die Ehe ist ein Nullsummenspiel. Liebe ist ein Märchen. La Nature est un temple. (Baudelaire) (Die Natur ist ein Tempel.) Substantiv und adjektivisches Attribut: der hündische Höfling die chemische Keule (Im ersten Beispiel ist das Substantiv unmetaphorisch, im zweiten das Adjektiv.) Substantiv und Apposition: Das Latein, der Wolf der romanischen Sprachen, hat seine Wildheit nicht an alle Nachkommen vererbt. Substantiv und epexegetischer Genetiv: das Meer der Gefühle das Gehege deiner Zähne (Homer) das Gefängnis des Internatslebens Es gibt Positionspaare im Textablauf, die Korreferenz zwar nicht erfordern, aber immerhin zulassen oder gar nahelegen. Die syntaktisch nicht erzwungene, jedoch erlaubte Korreferenz kann Satzgrenzen überspringen. Eine metaphorische Beschreibung kann auf eine klartextliche Benennung, die im nächsten Satz erfolgt, .kataphorisch' vorausweisen oder auf eine klartextliche Benennung, die der vorangehende Satz enthielt, ,anaphorisch' zurückgreifen.

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Das sprachliche Gewand der Analogie

Im plötzlichen Wittern der Gefahr zeigte sich der Fuchs·. Wallenstein winkte ab. Plötzlich winkte Wallenstein ab: Der Fuchs hatte die Falle gewittert. .Wallenstein' und ,der Fuchs' besetzen korreferente Positionen diesseits und jenseits der Satzgrenze. Die Metapher ,Fuchs' stellt Wallenstein in die Klasse der schlauen, schwer hintergehbaren Gegner, als deren prototypische Elemente die Füchse vor Augen gestellt werden. Fakultativ korreferent sind Ausdrücke, die in benachbarten gleichartigen Ablaufmustern gleichartige Positionen besetzen, indem sie etwa in ähnlich gebauten Sätzen dieselbe syntaktische Funktion erfüllen oder in gleichartigen metrischen Einheiten denselben Platz in der Abfolge einnehmen. Agnus redemit oves: Christus innocens Patri Reconciliavit Peccatores. (Wipo: Ostersequenz, um 1050) (Das Lamm kaufte die Schafe frei. Der unschuldige Christus versöhnte mit dem Vater die Sünder.) Die Strophe besteht aus zwei Sätzen. Die drei Satzteile des ersten Satzes bezeichnen jeweils einen Analogiepartner der entsprechenden Satzteile des zweiten: An Subjektstelle werden die Analogiepartner Lamm und Christus genannt, als Akkusativobjekte erscheinen Schafe und Sünder; die Prädikate - im ersten Satz ohne, im zweiten mit Dativobjekt — benennen die analogen Vorgänge des Freikaufens und der erwirkten Wiederversöhnung mit Gott. Der erste Satz enthält eine metaphorische Beschreibung des Geschehens, das der zweite unmetaphorisch benennt. Statt gleichartiger Positionen in verschiedenen Einheiten können klartextliche Bezeichnung und metaphorische Beschreibung auch syntaktisch koordinierte Positionen besetzen. Victor Hugo sagt über den biblischen Patriarchen Boas (Boor^ endormi, 13 f.): Cet homme marchait pur loin des sentiers obliques, Vêtu de probité candide et de lin blanc. (Dieser Mann wandelte rein, fern den krummen Pfaden, gekleidet in lautere Rechtschaffenheit und weißes Linnen.)

Kurzgefasste Stilistik der n-stelligen Analogie

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Die koordinierten Ergänzungen des Partizips vêtu (gekleidet) benennen Analogiepartner: Lautere Rechtschaffenheit und weißes Linnen fallen unter den gemeinsamen Begriff des Auszeichnenden, aus der Masse Heraushebenden. Kraft dieser Analogie (s. o.) benennt das zweite Koordinationsglied nicht nur klartextlich das Gewand des Boas, es beschreibt auch metaphorisch seine Tugend, so wie das erste nicht nur die Tugend benennt, sondern auch das Gewand beschreibt. Fakultative Korreferenz gibt es auch in engerer syntagmatischer Nachbarschaft zwischen den Bestandteilen eines zusammengesetzten Wortes. Die Gegenstände von Grund- und Bestimmungswort können Analogiepartner sein: Blütenträume (Goethe: Prometheus) Zeitraum Im ersten Beispiel ist das Bestimmungswort, im zweiten das Grundwort eine metaphorische Beschreibung des Gegenstandes, den das Wort in seiner Gesamtheit benennt.

2.2.2 Selektionsbeschränkung außerhalb der Korreferenz Isidor von Sevilla (ca. 560 — 636) führt in seinen Etymologen folgenden Hexameter als Metaphernbeispiel an (I, 37, 3): Pontum pinus arat, sulcum premit alta carina. (Die Kiefer durchpflügt das Meer, der tiefgehende Kiel gräbt eine Furche.) Der Vers bietet Beispiele für Selektionsbeschränkung sowohl innerhalb (1) wie außerhalb (2) der Korreferenz. (1) ,Die Kiefer' ist offenkundig eine metonymische Bezeichnung des aus Kiefernholz gebauten Schiffes. In der ersten Vershälfte bestimmt das Prädikat,pflügt' den an Subjektstelle genannten Gegenstand als Pflug; in der zweiten Vershälfte bestimmt der Prädikatsteil ,gräbt eine Furche' den Gegenstand, auf den das Subjekt verweist, als Pflugschar. Die lexikalischen Besetzungen der Subjektstellen mit .Schiff aus Kiefernholz' einerseits und ,Schiffskiel' andererseits werden diesen Bestimmungen jedoch nicht gerecht. Unter dem Druck der Selektionsbeschränkung tritt das Schiff in Analogie zum Pflug und der Schiffskiel zur Pflugschar. Als Wurzelprädikat dient ein Beschreibungsinhalt wie ^Artefakt, das Ritzen in eine Fläche schneidet'.

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Das sprachliche Gewand der Analogie

In der Klasse (TAm), die durch diesen Beschreibungsinhalt definiert wird, fungieren Pflug und Pflugschar als Prototypen. (2) Die Satzteile Prädikat und Objekt sind nicht korreferent. Das Prädikat (.pflügt1) stellt sein Objekt (.Meer*) jedoch unter Selektionsbeschränkungen: Was einerseits als Meer benannt ist, wird andererseits als etwas Pflügbares, also als Erde, bestimmt. Die doppelte Beschreibung — durch die eigentliche Bedeutung des Wortes JVIeer' und durch die vom Verb .durchpflügen' ausgehende Selektionsbeschränkung — stiftet eine Analogie zwischen den Gegenständen Meer und Erde. Das Meer ist als Klassengenosse der Erde eine aufritzbare Fläche. Bienheureuse la cloche au gosier vigoureux (Baudelaire) (Selig die Glocke mit kräftiger Kehle) Die attributive Ergänzung (complément déterminatij) bestimmt — kraft rückwirkender Selektionsbeschränkung — den Gegenstand ihres vorausgehenden Beziehungswortes, der zunächst als Glocke bezeichnet wurde, nachträglich als Lebewesen mit kräftiger Kehle. Die doppelte Beschreibung desselben Gegenstandes offenbart die Analogie zwischen Glocke und Sänger. Der Glocke wird metaphorisch zugesprochen, was sie mit der kräftigen Kehle gemeinsam hat: die Verkündigungsfähigkeit (VII, 3). Eine ähnliche Verteilung von klartextlicher Benennung und metaphorischer Beschreibung bietet der folgende Vers Georg Heyms: Es kam der Tod mit ungeheuren Schwingen. Der Gegenstand, den zunächst das Wort ,Tod' benennt, wird durch rückwirkende Selektionsbeschränkung als ein geflügeltes Lebewesen — als Todesengel — bestimmt. Die doppelte Beschreibung evoziert eine Klassengleichheit der Gegenstände, die unter die — einander ausschließenden — Beschreibungen fallen. Der Tod, das Lebensende, wird in eine — vielleicht als .Führer ins Jenseits' zu definierende — Klasse gestellt, die ihn zum Analogiepartner eines geflügelten Engels macht.

VII Das Bildfeld als Interpretationsmittel Bei der Interpretation eines Textes, der Analogien benennt oder voraussetzt, kann die Rekonstruktion der zugrunde liegenden Analogiewurzeln hilfreich sein. Die Darstellung dieser Wurzeln in Form von Bildfeldern zwingt — in gewissen Grenzen — zu Präzision und Vollständigkeit. Einige Gedicht-Analysen sollen die Brauchbarkeit der BildfeldMethode testen. Die Auswahl des Untersuchungsmaterials kommt dem verfolgten Demonstrationszweck entgegen: Jedes der behandelten — allesamt französischen — Gedichte wird durch seinen Bildgebrauch geprägt, der wiederum — zum entscheidenden Teil — aus einer einzigen Wurzel oder aus mehreren ineinander verschränkten Wurzeln hervorwächst. Die Wurzeln lassen sich als texteigene Paradigmen verstehen, die den Bildgebrauch steuern und erklären. Die Interpretationen werden zeigen, wie und in welchem Maße es möglich ist, das zugrunde liegende Paradigma aus der Oberflächenstruktur des Textes abzuleiten, und mit welchen Mitteln die Autoren eine verzweigte und dennoch kohärente Bildwelt Zug um Zug aufbauen und kenntlich machen. Es wird sich auch herausstellen, daß mit der Rekonstruktion der dominanten Analogiewurzel nicht alles Wissenswerte über die bildliche Rede gesagt ist. Am Bildfeld ist z. B. nicht ablesbar, welche Funktionen die verschiedenen Bereiche im Gedicht erfüllen. Zur Interpretation des Bildgebrauchs gehört deshalb neben der Rekonstruktion des Bildfeldes auch die Ermittlung einer funktionalen Differenzierung der Bildfeldbereiche sowie der sprachlichen Verfahren, die diese Differenzierung verdeutlichen. Jedes der untersuchten Gedichte wirft eigene Fragen auf und zeigt neue Regionen der vielgestaltigen Welt des sprachlichen Bildgebrauchs.

1 Gleichung mit einer Unbekannten (1) Charles Baudelaire (1821-1867): L'Albatros Souvent, pour s'amuser, les hommes d'équipage Prennent des albatros, vastes oiseaux des mers,

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Das Bildfeld als Interpretationsmittel

Qui suivent, indolents compagnons de voyage, Le navire glissant sur les gouffres amers. A peine les ont-ils déposés sur les planches, Que ces rois de l'azur, maladroits et honteux, Laissent piteusement leurs grandes ailes blanches Comme des avirons traîner à côté d'eux. Ce voyageur ailé, comme il est gauche et veule! Lui, naguère si beau, qu'il est comique et laid! L'un agace son bec avec un brûle-gueule, L'autre mime, en boitant, l'infirme qui volait! Le Poëte est semblable au prince des nuées Qui hante la tempête et se rit de l'archer; Exilé sur le sol, au milieu des huées, Ses ailes de géant l'empêchent de marcher. Oft fangen die Männer der Schiffsbesatzung, um sich einen Spaß zu machen, Albatrosse, gewaltige Meeresvögel, die als ruhige Reisebegleiter das Schiff umfliegen, das über die bitteren Abgründe dahingleitet. Kaum haben sie sie auf den Planken abgesetzt, da lassen diese Könige des Azur ungeschickt und verschämt ihre großen weißen Flügel wie Ruder jämmerlich neben sich herschleifen. Dieser geflügelte Reisende, wie linkisch und schlaff ist er nun! Er, der gerade noch so schön war, wie komisch und häßlich ist er! Einer hackt mit der Tabakspfeife auf seinen Schnabel ein, ein anderer äfft humpelnd den Gang des Behinderten nach, der eben noch flog. Der Dichter gleicht dem Fürsten der Wolken, der im Sturmwind wohnt und des Bogenschützen spottet. Auf die Erde verbannt, inmitten des Gejohles, hindern seine Riesenflügel ihn am Gehen. Das Gedicht wurde 1859 erstmalig veröffentlicht und 1868 - nach dem Tod des Autors — in die dritte Auflage der Fleurs du mal übernommen, als Nr. II der Sektion Spleen et idéal. Baudelaire hat den Fang der Albatrosse in den Jahren 1841/42 auf einer Seereise zu den Inseln Mauritius und La Réunion selbst beobachten können. Es gibt Anhaltspunkte füir die Vermutung, daß die Strophen I, II und IV schon in den 40er Jahren entstanden sind. Strophe III wurde erst 1859 eingefugt (Crépet-Blin 289 ff.).

Gleichung mit einer Unbekannten (1)

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In seiner endgültigen quadratischen' Form besteht das Gedicht aus vier Strophen zu je vier Alexandrinern. Jede Strophe ist durch ein eigenes Kreuzreimschema (a'b a'b) von ihren Nachbarstrophen abgesetzt. Ersichtlich bilden die drei ersten Strophen gegenüber der letzten eine zusammengehörige Gruppe. Sie schildern einen — unter gleichen Umständen immer wieder beobachtbaren — Sachverhalt der realen äußeren Welt: den staunenswerten Gegensatz zwischen zwei Befindlichkeiten der Albatrosse: Solange sie mit ihrer gewaltigen Flügelspanne unbehindert durch die Lüfte gleiten, werden sie als .Könige des Azurs' bewundert; sobald sie jedoch auf den Schiffsplanken gelandet sind, werden sie als hilflos watschelnde Riesentölpel verspottet. Die letzte Strophe setzt die zweifache Befindlichkeit der Albatrosse in Analogie zur Existenz des Dichters. Wenn man die Terminologie der klassischen Rhetorik verwenden will, bildet das Gedicht eine parabole, bei der die ersten drei Strophen das Bild (.similitude) ohne Bezugnahme auf das eigentliche Thema (res) beschreiben und erst die letzte Strophe das Thema benennt. Der Systematiker Quintilian hat die Strukturvariante einer syntaktisch unabhängigen Darstellung des Bildes, die der Nennung des Themas vorausgeht, in seiner Erörterung der similitudo berücksichtigt (VIII, 3.77): in omni autem parabole aut praecedit similitudo, res sequitur, aut praecedit res et similitudo sequitur. sed interim libera et separata est, interim [...] cum re, cuius est imago, conectitur [...]. (Bei jedem Gleichnis aber geht entweder der Bildteil voraus und der Sachteil folgt, oder der Sachteil geht voraus, und der Bildteil folgt. Manchmal aber ist der Bildteil unabhängig und losgelöst, manchmal dagegen mit dem Sachteil, dessen Bild er ist, verbunden.) Innerhalb des dreistrophigen Bildteils (.similitudo) stehen die beiden ersten Strophen in Opposition zur dritten: Die Eingangsstrophe beschreibt den majestätisch durch die Lüfte gleitenden, die zweite den jämmerlich über die Schiffsplanken humpelnden Riesenvogel. Die dritte Strophe wiederholt in exklamatorischer Engfiihrung den Gegensatz, dessen Glieder zunächst auf zwei Strophen verteilt waren. Die erste Hälfte der dritten Strophe drängt die Glieder des Gegensatzes zweimal innerhalb eines einzigen Verses zusammen (9 und 10); am Strophenschluß erscheinen sie sogar innerhalb eines Halbverses: l'infirme qui volait (der Behinderte, der fliegen konnte). Die Aufteilung des Gedichtes in Bild- und Sachbereich sowie die Untergliederung des Bildbereichs ergeben eine zweistufige Strophen-

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Das Bildfeld als Interpretarionsmittel

gruppierung: ((I, II) III)) IV Die vierte Strophe benennt erstmalig den Sachbereich und setzt ihn zum Bildbereich in eine lexikalisch benannte Analogie: Le Poëte est semblable au prince des nuées (Der Dichter ist dem Fürsten der Wolken ähnlich). Damit werden Albatros und Dichter zu Zentren zweier strukturgleicher Gegenstandsbereiche. Der Leser wird ermuntert, um den Dichter ein Beziehungsnetz von gleicher Art zu spannen, wie es den Albatros umgibt. Freilich ist dieses gemeinsame Netz nicht unnmittelbar aus dem Gedichttext ersichtlich, der zwar den Dichter als Analogiepartner des Albatros nennt, sonst aber nur den Bereich ^Albatros' unmittelbar beschreibt. Der Interpret muß entscheiden, welche Relationen er vom Bildbereich auf den Sachbereich übertragen will. Diese Entscheidung kann sich allerdings auf strukturelle Eigenschaften des Gedichtes stützen: Man darf annehmen, daß (1) die textstrukturell hervorgehobenen Relationen innerhalb des Bildbereichs zur Übertragung bestimmt sind und daß (2) die Aussagen, die in der vierten Strophe nach der expliziten Analogsetzung über den .Fürsten der Wolken' gemacht werden, als metaphorische Beschreibungen seines Analogiepartners gelten sollen. Beide Annahmen legen es nahe, den Dichter als Bewohner zweier Welten aufzufassen: Die erste ist seine angestammte Heimat, in der er seine Kräfte ungehindert entfaltet und als König herrscht; die zweite ist ein Exil, in dem er als hilfloser, unangepaßter Fremdling verhöhnt wird. Der Gegensatz der Befindlichkeiten bestimmt die Struktur des gesamten Textes. Auf ihm beruht die Opposition zwischen den Strophen I und II sowie die Mikrostruktur der Strophe III. Derselbe Gegensatz bestimmt in der Schlußstrophe die metaphorische Beschreibung des Dichters, der in Vers 14 als unangreifbarer Bewohner der Lüfte, in den Versen 15 und 16 dagegen als armseliger Exilant auf den Schiffsplanken dargestellt wird. Der Text legt die Konkretisierung der doppelten Befindlichkeit zwar für den Albatros, nicht jedoch für den Dichter fest. Der Leser muß zwei Verhältnisgleichungen mit einer Unbekannten lösen: Welcher Lebensraum verhält sich zum Dichter wie der Luftraum zum Albatros, und welcher Lebensraum verhält sich zum Dichter wie das Schiffsdeck zum Albatros? Diese Fragen lassen sich nur unter Rückgriff auf den weiteren Kontext der Fleurs du mal beantworten. Der Luftraum, in dem die Albatrosse ihre Großartigkeit offenbaren, ist zweifellos ein Analogiepartner der Ideenwelt, die der Dichter als seine Heimat empfindet. Nach Baudelaire sind die Ideen, mit denen der Dichter umgeht, keine psychischen Idio-

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Gleichung mit einer Unbekannten (1)

synkrasien, sondern der Widerschein einer höheren, jenseitigen Welt. Das Schiffsdeck ist die bürgerliche Gesellschaft der Julimonarchie (falls das Gedicht vor der Februarrevolution von 1848 entstanden ist), besonders aber des Zweiten Kaiserreichs (1852—1870). Zwischen dieser Gesellschaft, die materiellen Besitz als höchstes Gut ansieht, und der geistigen Welt des Dichters gibt es keine Gemeinsamkeit der Werte. Deshalb behandelt die bürgerliche Gesellschaft den Dichter nicht etwa als geachteten Boten einer höheren Welt, von dem Offenbarungen zu erwarten wären (so etwa sah sich Victor Hugo), sondern verspottet ihn als Fremdling, der ihren Wertmaßstäben nicht standhält. Baudelaire kritisiert — in diesem Gedicht wie anderswo — die platte Ideenferne seiner auf materiellen Fortschritt und persönlichen Vermögensgewinn fixierten Zeit. Aus den vorgeschlagenen Analogien der zweifachen Umwelt ergeben sich auch folgende Klassengemeinschaften: Das erfolgreiche Verhalten heißt in der heimatlichen Umwelt voler (fliegen), in der Verbannung marcher (gehen). Die weitgespannten Flügel, die den Albatros durch die Lüfte tragen, stehen in Analogie zur dichterischen Kraft, die freies Bewegen im Reich der Ideen erlaubt. Die genannten Analogien ordnen sich zu einem zweibereichigen, sechsstelligen Bildfeld: A

1 Albatros

2 Luftraum

3 Schiffsdeck

4 Fliegen

5 Gehen

6 Flügel

Β

Dichter

Ideenwelt

bürgerliche Gesellschaft

Umgang mit den Ideen

erfolgreiches Verhalten in der bürgerlichen Gesellschaft

dichterische Kraft

Strukturformel: [1] ist König in seinem heimatlichen Lebensraum [2], Dort bewegt sich [1] in fürstlicher Freiheit und Unantastbarkeit. Im Bereich [3] dagegen ist [1] ein unangepaßter, erfolgloser und verhöhnter Exilant: Die Größe von [6], die [4] ermöglicht, verhindert zugleich [5]. Die Strukturformel definiert eine Sextupel-Klasse, in die sowohl die Menge der A- wie auch die Menge der B-Gegenstände gehören. Die gemeinsame Klassenzugehörigkeit des Bild- und des Sachbereichs macht ihre Globalanalogie aus. Aus der Globalanalogie ergeben sich Detailanalogien zwischen gleichplatzierten Gegenständen beider Bereiche. Die Detailanalogie beruht auf einer Klassengleichheit, die sich aus der Stellengleichheit in zwei gleichklassigen Sextupeln ergibt. Albatros

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Das Bildfeld als Interpretationsmittel

und Dichter sind analog auf Grund gemeinsamer Zugehörigkeit zur Klasse der Erstplatzierten in einem Sextupel der durch die Strukturformel definierten Art. Die Strukturformel bedient sich der Metaphern rot, prince und exilé (König, Fürst und Verbannter). Metaphern dürfen in die Definition der analogiestiftenden Klasse eingehen, sofern sie nicht selbst der Erklärung bedürfen. Die Verwendung des Wortes gouffre (Abgrund), das in den Fleurs du mal eine himmlische oder eine satanische Tiefendimension der menschlichen Wirklichkeit bezeichnet (vgl. Le Voyage 143), evoziert ein weiteres Bildfeld: A Β

1 Schiff(sdeck) bürgerliche Gesellschaft

2 Himmel paradiesisches Jenseits

3 Meresdefe infernalisches Jenseits

Strukturformel: [1] bewegt sich auf der Schnittfläche zwischen den gegensätzlichen Tiefendimensionen [2] und [3], ohne Bewußtsein ihrer Nähe, blind gegenüber ihren Gefahren, und abgestumpft gegenüber ihren Verlockungen. Die Detailanalogie zwischen Schiffsdeck und bürgerlicher Gesellschaft gehört also zwei verschiedenen Bildfeldern an. Getrennte Bildfelder greifen an einer bestimmten Stelle ineinander. Dieses Phänomen wird in Teil 6 des vorliegenden Kapitels erneut begegnen und soll dort näher erläutert werden. Das zweite Bildfeld findet keine Unterstützung in direkten oder indirekten Analogsetzungen des Gedichttextes. Das Thema der doppelten Transzendenz klingt in der Fügung gouffres amers an, wird aber nicht ausgeführt. Dem Albatros als dem Boten des Himmels wird kein Meeresungeheuer als Bote der Tiefe zur Seite gestellt. Die seelische Heimat des Dichters wird nicht in gegensätzliche Regionen aufgeteilt. Wollte man das Thema der doppelten Transzendenz ernst nehmen und die beiden Bildfelder vereinen, müßte man den Dichter wegen seiner Analogie zum Albatros, der in den Lüften und nicht in den Meerestiefen wohnt, als Künder der paradiesischen Transzendenz auffassen, während Baudelaire seine Originalität eher in der dichterischen Erschließung der satanischen Transzendenz sieht und deshalb seine Gedichtsammlung mit Fleurs du mal betitelt. Die Anlage des ersten Bildfeldes ist mit der Thematik der doppelten Transzendenz schwer vereinbar. Das nur beiläufig evozierte zweite Bildfeld erinnert im Vorübergehen an dunkle

Gleichung mit einer Unbekannten (2)

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Tiefen, deren mächtige Schatten ebenso wie der Schein des Paradieses in die Seele des Dichters fallen und die dem Bürgertum ebenso fremd sind.

2 Gleichung mit einer Unbekannten (2) Gérard de Nerval (1808-1855): Le Point noir Quiconque a regardé le soleil fixement Croit voir devant ses yeux voler obstinément Autour de lui, dans l'air, une tache livide. Ainsi, tout jeune encore et plus audacieux, Sur la gloire un instant j'osai fixer les yeux: Un point noir est resté dans mon regard avide. Depuis, mêlée à tout comme un signe de deuil, Partout, sur quelque endroit que s'arrête mon œil, Je la vois se poser aussi, la tache noire. Quoi, toujours? Entre moi sans cesse et le bonheur! Oh! c'est que l'aigle seul — malheur à nous, malheur! — Contemple impunément le Soleil et la Gloire. Der schwarze Punkt Wer einmal starr in die Sonne geblickt hat, glaubt vor seinen Augen, um sich herum, in der Luft einen fahlen Fleck schweben zu sehen. So habe ich, als ich noch ganz jung und kühner war, einen Augenblick lang gewagt, die Augen fest auf den Ruhm zu richten: Ein schwarzer Punkt ist in meinem gierigen Blick zurückgeblieben. Seither sehe ich den schwarzen Fleck — allgegenwärtig wie ein Zeichen der Trauer — sich auf alles legen, worauf mein Auge verweilt. Was? Immer? Ständig zwischen mir und dem Glück! Ach! Es kann eben nur der Adler — weh uns, wehe! — straflos auf Sonne und Ruhm blicken.

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Das Bildfeld als Interpretationsmittel

Das Gedicht wurde erstmalig 1831 unter dem Titel Le Soleil et la Gloire veröffentlicht und 1852 unter dem Titel Le Point noir in die Sammlung Petits Châteaux de Bohême übernommen. Es verarbeitet eine Vorlage G. A. Bürgers, die Nerval in seinen Poésies allemandes (1830) übersetzt hatte. Das Druckbild gruppiert zwölf Alexandriner zu vier Dreizeilern. Die Reimabfolge (aab' c c b ' d d e ' f f e') faßt je zwei Dreizeiler zusammen. Die Verse Nervals legen — wie die oben erläuterten Verse Baudelaires - eine Unterscheidung zwischen Bild- und Sachbereich nahe. Der Bildbereich stellt die beliebig oft wiederholbare Erfahrung dar, daß nach einem Blick in die Sonne ein schwarzer Fleck — für eine Weile — im Gesichtsfeld zu schweben scheint. Dieser Fleck wird sowohl als Punkt (Überschrift und Vers 6) wie auch als Fleck (Verse 3 und 9) bezeichnet und sowohl als .schwarz' (Uberschrift, Verse 6 und 9) wie auch als Jeichenblaß' (Vers 3) beschrieben. Die gegensätzlichen Adjektive mögen sich auf zwei Varianten der beschriebenen Erfahrung oder auf zwei verschiedene Phasen desselben Erlebnisses beziehen: Der Fleck, der zunächst schwarz war, wird hinterher fahl. In beiden Farben wirkt er als Makel des jeweils betrachteten Gegenstandes. Die Variante der Lividität paßt besser als das neutrale .schwarz' zu dem Eindruck der Fäulnis, den der Fleck hervorruft. Der Sachbereich beschreibt, wenn man es so nennen will, ein existentielles Problem des Sprechers. Die Beschreibung ist jedoch nicht unmittelbar verständlich. Der Analogiepartner des schwarzen Punktes, der den Sprecher um sein Glück bringt, wird nicht beim eigentlichen Namen genannt. Man kann das Gedicht unter dem Gesichtspunkt gliedern, welcher der beiden Bereiche jeweils thematisiert bzw. auf welchen die gegebenen Beschreibungen ausdrücklich bezogen werden. Die ersten drei Verse thematisieren den Bildbereich, die Verse 4—10 dagegen den Sachbereich, auch wenn die Beschreibungsmittel weiterhin, wenn auch nicht gänzlich, aus dem Bildbereich stammen. Die beiden Schlußverse thematisieren gleichzeitig beide Bereiche. Dem Wort aigle (Adler) an Subjektstelle, das den Bildbereich thematisiert, hält das in Parenthese geset2te malheur à nous (weh uns) die Waage, das den Sachbereich thematisiert. Der Schluß des Gedichtes koordiniert Analogiepartner aus beiden Bereichen: le Soleil et la Gloire (Sonne und Ruhm). Unter dem Gesichtspunkt der jeweils thematisierten Bereiche ergibt sich folgende Versgruppierung:

Gleichung mit einer Unbekannten (2)

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1-3: Bildbereich 4 - 1 0 : Sachbereich 11 — 12: Bild- und Sachbereich Ein Zusammenwirken verschiedener Gesichtspunkte gliedert die sieben Verse des Mittelteils in drei Gruppen: 4 - 6 , 7 - 9 , 10: 4—6: Das zweite Terzett bildet mit dem ersten ein Diptychon aus Bildund Sachtafel. Es stellt dem Bild, soweit es in der ersten Strophe entwickelt wurde, die sachliche Entsprechung gegenüber, wie es das Einleitungswort ainsi (so) ankündigt: Aus dem beliebigen Sonnenbeschauer (quiconque) wird der Sprecher des Gedichtes, allerdings in einem Alter, das der Sprechsituation des Gedichtes weit vorausliegt. Aus der Sonne wird der Ruhm. Das Anstarren wird zum Begehren verinnerlicht, wie vor allem das Adjektiv avide (gierig) verrät. Im Übrigen werden zur Beschreibung der Beziehung zwischen Ich und Ruhm die Ausdrücke verwandt, die in ihrem eigentlichen Sinn auf die Beziehung zwischen Auge und Sonne passen: fixer les yeux sur; regard. Auch die Folge des begehrlichen Blicks auf den Ruhm wird nur anhand seines Analogiepartners benannt: un point noir (ein schwarzer Punkt). 7 — 9: Das dritte Terzett gibt eine genauere Beschreibung der Befindlichkeit, deren Entstehung die zweite Strophe darstellte. Die Darstellung benutzt weiterhin das Vokabular des Bildbereichs, obwohl sie über bloße Entsprechungen zur ersten Strophe hinausgeht: In der Eingangsstrophe wurde nicht gesagt, daß der aus dem Blick in die Sonne entstandene Fleck sich auf später betrachtete Objekte legt — so wie die Folge des begehrlichen Blicks auf den Ruhm alle späteren Objekte der Begierde verunreinigt. 10 einerseits, 11 — 12 andererseits: Die Schlußstrophe wird durch den Ubergang von der Thematisierung des Sachbereichs zur Thematisierung beider Bereiche wirkungsvoll aufgespalten: Vers 10 krönt den vorangehenden, noch unvollständigen Sachbereichsteil, die Verse 11 und 12 erweitern gleichzeitig beide Bereiche. Andererseits wird die Schlußstrophe durch einen exklamatorischen Ton zusammengehalten, der sie von ihren Vorgängern absetzt. In Vers 11 ist die Exklamation durch das Vordringen zum neuralgischen Punkt gerechtfertigt: Der schwarze Fleck, der sich zwischen den Begehrenden und das begehrte Objekt schiebt, vereitelt das Glück. Die frühe Gier nach Ruhm hat den Sprecher für immer vom Glück getrennt. Die drei Phasen des Sachbereichs bilden eine zeitliche Progression: Die Verse 4—6 beschreiben die Entstehung des Unglücks, das in den

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Das Bildfeld als Interpretationsmittel

Versen 7 — 9 als Gegenwart des Sprechers dargestellt wird. Vers 10 schließlich deutet die endlose Fortdauer des Unglücks an. Die beiden Schlußverse erweitern gleichzeitig Bild- und Sachbereich: Es gibt ein einziges Wesen, bei dem die dargestellte Ursache unwirksam bleibt. Im Bildbereich ist dieses Wesen der Adler, der nach altem Volksglauben ohne Schaden in die Sonne blicken, ja sogar zur Sonne emporfliegen kann. Der Text läßt eiti Bildfeld erkennen, in dem noch nicht alle Posten des Sachbereichs benennbar sind (Wir kippen das Bildfeld der bequemeren Darstellung zuliebe um 90°): 1 2 3 4 5 6

A (Bildbereich) jeder Beliebige Sonne anstarren Fleck im Gesichtsfeld nachher betrachtetes Objekt Adler

Β (Sachbereich) das lyrische Ich (der Sprecher) Ruhm begehren X nachher begehrtes Objekt Y

Strukturformel: Wenn sich die Beziehung [3] zwischen [1] und [2] herstellt, hat sie die Entstehung von [4] zur Folge, das sich „wie ein Zeichen der Trauer" auf jedes [5] legt. Wenn die Beziehung [3] zwischen [6] und [2] entsteht, tritt diese Folge nicht ein. Ein Schema soll zeigen, in welchem Vers die verschiedenen Gegenstände der analogen Mengen erstmalig genannt werden. 1 A l A3 A2 2 3 A4 4 5 B2 B1 B3 6 B4 7 B5 8 9 10 11

12

A6

B6

Gleichung mit einer Unbekannten (2)

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Das Schema spiegelt die schon getroffene Feststellung, daß die Verse 1 - 3 den Bildbereich (A), die Verse 4 - 1 0 den Sachbereich (B) und die Verse 11 — 12 beide Bereiche thematisieren. Es sagt jedoch nicht, mit welcherlei Wortmaterial die benannten Gegenstände beschrieben werden. Die Eingangsstrophe beschreibt den Bildbereich (A) ohne sprachlichen Rückgriff auf den Analogiepartner. Die Verse 4—10 dagegen beschreiben den Sachbereich (B) unter weitgehender metaphorischer Nutzung eines Vokabulars, das eigentlich zum Bildbereich (A) gehört. Die Beschreibung des Sachbereichs mit dem Vokabular des Bildbereichs erweitert mittelbar den Bildbereich über die in der Eingangsstrophe gezogenen Grenzen hinaus. Es gibt jedoch wichtige Züge des Sachbereichs, die im Bildbereich keine Entsprechung finden, die bei Lichte besehen außerhalb des Bildfeldes liegen und deshalb von der Strukturformel nicht erfaßt werden: (1) Die Folge des begehrlichen Blicks auf den Ruhm bleibt ewig bestehen, während der fahle Fleck im Gesichtsfeld des Sonnenbetrachters nach kurzer Zeit verschwindet, wie jeder weiß. (2) Dieser Fleck (A4) läßt sich auch kaum als großes Unglück auffassen, während sein Analogiepartner (B4) alles Glück des Sprechers vereitelt. Indem er die Existenz des Sprechers als tragisch darstellt (vor allem 10), schießt der Sachbereich über die Grenzen des Bildbereichs hinaus, ohne den so entstehenden Gegensatz der Bereiche zur Sprache zu bringen. Das Gedicht bleibt unverständlich, solange die Gegenstände B4 und B6 nicht anders als durch ihre Analogiepartner beschrieben werden. Zur Bestimmung dieser Gegenstände lassen sich zwei Methoden anwenden: (1) die schon erwähnte Lösung einer Verhältnisgleichung mit einer Unbekannten und (2) die Berücksichtigung der Relationen, in denen der gesuchte Gegenstand — nach Auskunft des Textes — innerhalb seines eigenen Bereiches steht. Im Falle der Bestimmung von B4 führt die zweite Methode ans Ziel: Gesucht wird eine Folge, die eingetreten ist, nachdem der Sprecher, noch jung und wagemutiger als in der Sprechsituation des Gedichts, für kurze Zeit einen begehrlichen Blick auf den nie erlangten Ruhm geworfen hat. Diese Folge besteht in dem Eindruck der Fäulnis und Wertlosigkeit, der von allen Gegenständen ausgeht, die der Sprecher nach der erfolglosen Jagd auf den Ruhm zu begehren sich anschickt. Nichts Erreichbares begehren zu können, ohne seiner Werdosigkeit inne zu werden, macht das Unglück des Sprechers aus. Der schwarze Punkt ist der Makel der Minderwertigkeit, der sich an allen erreichbaren Gütern demjenigen zeigt, der einmal vergebens auf Ruhm gehofft hat.

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Das Bildfeld als Interpretatìonsmittel

Der Analogiepartner des Adlers (B6) ist die Unbekannte in folgender Verhältnisgleichung: Die Sonne verhält sich zum Adler wie der Ruhm zu Y Y ist demnach ein Wesen, bei dem die Folge B4 nicht eintritt, auch wenn die Beziehung B3 zwischen ihm und B2 hergestellt wird, ein Wesen also, das den Ruhm begehren kann, ohne daß ihm nachträglich alle anderen begehrbaren Objekte angefault vorkommen. Es muß sich um ein Wesen handeln, das den begehrten Ruhm auch erlangt — so wie der Adler nicht nur in die Sonne blickt, sondern auch zur Sonne fliegt. Andere begehrbare Objekte zeigen sich diesem Wesen nicht als mangelhafter Ersatz für verfehlten Ruhm; sie erstrahlen vielmehr neben dem erlangten Ruhm in ihrem eigenen — wenn auch schwächeren — Glanz. Das Wort aigle (Adler) ist eine geläufige Antonomasie zur Bezeichnung Napoleons I., der tatsächlich Ruhm begehrt und erreicht hat. Vielleicht jedoch denkt Nerval eher an einen Ruhm, der durch literarische Meisterwerke begründet wird, an den Ruhm etwa eines Goethe, dessen Faust er ins Französische übertragen hat. Im Vergleich zu literarischen Spitzenleistungen empfindet der germanophile Nerval sein Schaffen als minderwertig. Das Gedicht Le Point noir zeigt einen Dichter, den sein eigenes Schaffen schmerzlich enttäuscht, weil es hinter dem hohen Anspruch seiner Jugendträume zurückbleibt.

3 Hierarchie der Bildfeldbereiche Charles Baudelaire (1821-1867): La Cloche fêlée Il est amer et doux, pendant les nuits d'hiver, D'écouter, près du feu qui palpite et qui fume, Les souvenirs lointains lentement s'élever Au bruit des carillons qui chantent dans la brume. Bienheureuse la cloche au gosier vigoureux Qui, malgré sa vieillesse, alerte et bien portante, Jette fidèlement son cri religieux, Ainsi qu'un vieux soldat qui veille sous la tente! Moi, mon âme est fêlée, et lorsqu'en ses ennuis Elle veut de ses chants peupler l'air froid des nuits, Il arrive souvent que sa voix affaiblie Semble le râle épais d'un blessé qu'on oublie Au bord d'un lac de sang, sous un grand tas de morts, Et qui meurt, sans bouger, dans d'immenses efforts.

Hierarchie der Bildfeldbereiche

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Die gesprungene Glocke Es ist bitter und süß, während der Winternächte am zuckenden und rauchenden Feuer den fernen Erinnerungen zu lauschen, wie sie zum Klang der Glocken langsam aufsteigen, die im Nebel singen. Selig die Glocke mit kräftiger Kehle, die trotz ihres Alters wach und gesund ihren religiösen Ruf erschallen läßt, getreulich Wie ein Soldat, der im Zelt Wache hält. Meine Seele hat einen Sprung, und wenn sie in ihrem Kummer mit ihrem Gesang die kalte Nachduft erfüllen will, geschieht es oft, daß ihre schwache Stimme wie das schwere Röcheln eines Verwundeten klingt, den man am Rande eines Sees von Blut unter einem Berg von Toten vergessen hat und der reglos unter gewaltiger Anstrengung stirbt. Das Sonett erschien erstmals am 9. 4.1851 in der Zeitschrift Le Messager de l'Assemblée unter dem Titel Spleen und wurde 1857 unter dem Titel La Clochefiléein die erste Ausgabe der Fleurs du mal übernommen. In der postumen dritten Ausgabe (1868) steht es unter der Nummer LXXVI in der Abteilung Spleen et idéal. Die vierzehn Alexandriner werden, wie beim Sonett üblich, durch das Druckbild zu zwei Vier- und zwei Dreizeilem gruppiert. Die Anordnung der Reime legt jedoch — ebenso wie die syntaktische Gliederung — die Zusammenfassung der beiden Dreizeiler zu einem Sechszeiler nahe. Im Gegensatz zum sogenannten regelmäßigen Sonett haben die beiden Vierzeiler verschiedene Reime, die zudem ein Kreuzreimschema statt des geforderten Schweifreimschemas bilden. In den Terzetten folgen — ebenfalls abweichend vom regelmäßigen Sonett — drei Paarreime aufeinander. Insgesamt ergibt sich folgendes Ablaufschema: a b ' a b ' c d ' c d ' e e f ' f ' g g . a ist ein .normannischer Reim': Nach heutiger Aussprache bildet er keinen Gleichlaut, aber als gelehrtes Relikt einer ehemals korrekten Reimbildungspraxis wird er im traditionellen Versbau nicht nur geduldet, sondern sogar geschätzt. Das Gedicht handelt von der scheiternden Erfüllung eines Verkündigungsauftrags. Der erste Vierzeiler beschreibt die Übermittlung einer Botschaft aus der Sicht des Empfängers, die folgenden Strophen aus der Sicht des Boten, so daß sich folgende Strophengruppierung ergibt: (I) (II, III, IV). Unter anderen Gesichtspunkten ergibt sich eine Gliede-

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Das Bildfeld als Interpretationsmittel

rung in Vierzeiler einerseits und Dreizeiler andererseits: (I, II) (III, IV). Die Vierzeiler beschreiben gelungene, die Dreizeiler mißlungene Verkündigungen. Wie das unten stehende Schema zeigt, liegt dem Text ein Bildfeld aus vier Bereichen zugrunde, die durch vier Substantive gekennzeichnet seien: Seele, Sänger, Glocke und Soldat. Die Vierzeiler beschreiben Gegenstände des Bereichs Glocke, die Dreizeiler Gegenstände des Bereichs Seele, wenn auch die Beschreibungsmittel zum Teil aus anderen Bereichen stammen. Die vier Bereiche enthalten zwei Positionen. 1 A gesunde Dichterseele Β unbeschädigte Glocke C unverwundeter Soldat D stimmgewaltiger Sänger

2 kranke Dichterseele gesprungene Glocke Soldat, der seiner Verwundung erliegt stimmschwacher Sänger

Strukturformel: [1] und [2] sind Empfanger eines hohen Verkündigungsauftrags. [1] erfüllt den Auftrag, [2] dagegen scheitert. Die Gegenstände der vier Bereiche genießen innerhalb des Textes nicht denselben sprachlichen Status: Gegenstände der Bereiche A und Β werden als Träger von Beschreibungen benannt: A2 in Vers 9, B1 in den Versen 4 und 5. Gegenstände des Bereiches C kommen nur als explizite Analogiepartner von Gegenständen der Bereiche D (12 ff.) und Β vor (8). Gegenstände des Bereichs D kommen nur als implizite Analogiepartner, d.h. als Metaphernspender der Bereiche A (10f.) und Β vor (4, 5 ff.). Der sprachliche Status der verschiedenen Gegenstandsbereiche legt nicht unbedingt fest, welcher Bereich als Sach- und welche als Bildbereiche zu gelten haben. Man kann jedoch — zumindest in einem Gedicht des 19. Jahrhunderts — davon ausgehen, daß ein Bereich, dessen Gegenstände als Träger von Beschreibungen benannt werden, eher den Sachbereich bildet als ein Bereich, dessen Gegenstände nur die Bescheibungsmittel für einen anderen Bereich liefern. Dennoch gehört ein Gegenstand, der als Träger von Beschreibungen benannt wird, nicht notwendig zum Sachbereich. Es gibt geschlossene Allegorien, in denen Gegenstände benannt und beschrieben werden, die nur als Analogiepartner der Gegenstände des — im Text nicht unmittelbar dargestellten — Sachbereichs gemeint sind. Außerdem können — wie in unserem Sonett — die Gegenstände zweier Bereiche ausdrücklich benannt und beschrieben sein, die nicht beide gemeinsam

Hierarchie der Bildfeldbereiche

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den Sachbereich bilden können. Es bleibt also — mindestens theoretisch — zu fragen, ob die in den Quartetten thematisierte unbeschädigte Glocke oder die in den Terzetten thematisierte kranke Dichterseele den Sachbereich bildet. Die Antwort liegt auf der Hand: Bei der gegebenen Alternative kann in einem Gedicht der Spätromantik auf Grund der Gattungstradition nur die Dichterseele das eigentliche Thema sein. Die anderen Bereiche (B, C und D) sind — bei unterschiedlichem Status — Bildbereiche. Es gibt jedoch auch formale Gesichtspunkte, die den Bereich A als Sachbereich hervorheben: (1) Der Bereich .Glocke', der ein Gegenbild zum Bereich ,Seele' liefert, wird in den Quartetten benannt und beschrieben, der Bereich ,Seele' dagegen in den Terzetten. Das Gedicht läuft also, wie man sagt, auf eine Beschreibung der Dichterseele hinaus, deren verendendes Röcheln vor die Kontrastfolie einer voll tönenden Glocke gestellt wird. (2) Die Seele wird mit Hilfe der Glocke beschrieben (9: mon âme est filée), nicht aber die Glocke mit Hilfe der Seele. Zur Beschreibung von Β dienen die Bereiche C und D, zur Beschreibung von A die Bereiche B, C und D. Das folgende Schema zeigt, in welchem Vers des Sonetts die Gegenstände des Bildfeldes erstmals benannt oder erstmals durch die verwendeten Beschreibungsmittel evoziert werden: 1 2 3 4 B1 D l 5 6 7 8 Cl 9 A2 B2 10 D2 11 12 C2 13 14

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Das Bildfeld als Interpretarionsmittel

Die Übersicht bestätigt, daß die Quartette die gelungene (Position 1 des Bildfeldes), die Terzette dagegen die mißlungene Verkündigung darstellen (Position 2). Es fällt auf, daß die gesunde Dichterseele (Al) im Schema fehlt. Tatsächlich wird A l nie unmittelbar benannt, noch wird eine explizite oder implizite Analogsetzung zu A l vollzogen. Dem Leser wird vielmehr ein Schluß abverlangt: Wenn A2 in Analogie zu B2 steht, dann steht B1 in Analogie zu einem A l . Die gesunde Dichterseele ist nur als erschließbarer Analogiepartner der voll tönenden Glocke Inhalt des Sonetts. Der allmähliche Aufbau des Bildfeldes im Text verlangt nicht nur die Einführung der Gegenstände als Träger oder Mittel der Beschreibung, sondern auch die Verdeutlichung von Detailanalogien. Bei vier Bereichen mit je zwei Gegenständen bestehen im Prinzip zweimal sechs Detailanalogien: A l B l , A l C l , A l D l , B1 C l , B1 D l , Cl D l und A2B2, A2C2, A2D2, B2C2, B2D2, C2D2. Von den zwölf Analogien werden nur fünf im Text markiert: Bl Cl: Bl D l : A2 B2: A2 D2: C2D2:

Vers 8, durch expliziten Vergleich Verse 4 - 7 , durch implizite Analogsetzung Vers 9, durch implizite Analogsetzung Verse 10 — 11, durch implizite Analogsetzung Verse 12 — 14, durch explizite, lexikalisierte Analogsetzung

Nach Euklid sind zwei Größen einander gleich, wenn sie derselben dritten gleich sind. Was für die Gleichheit von Größen gilt, gilt auch für die Analogie von Gegenständen, falls man die Gleichheit der analogiestiftenden Beschreibung unterstellen darf: Sind zwei Gegenstände auf Grund derselben Klassenzugehörigkeit demselben dritten analog, sind sie auch untereinander analog. Unter der Annahme, daß die Analogie zweier Gegenstände zu demselben dritten auf derselben Gemeinsamkeit beruht, lassen sich aus den im Text vollzogenen Analogsetzungen weitere Analogien ableiten: Cl D l , A2 C2, B2 C2, B2 D2,

da beide zu Bl analog sind, da beide zu D2 analog sind, da beide zu A2 analog sind, und (unter Mitberücksichtigung dieser letzten Analogie) da beide zu C2 analog sind.

Der Detailanalogien zu A l sind, wie gesagt, erschließbar, wenn man A l Bl als Folgerung aus A2B2 gelten läßt. Die restlichen Analogien zu A l sind dann auf Grund des quasi-euklidischen Satzes ableitbar:

Hierarchie der Bildfeldbereiche

Al Cl, Al Dl,

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da beide anlog zu Bl, und da beide ebenfalls analog zu Bl.

Natürlich sind alle geltenden Detailanalogien aus der Darstellung des Bildfeldes ablesbar. Bl steht in Analogie zu A l , weil beide Gegenstände Erstelemente gleichklassiger Paare sind. Die vorangehenden Überlegungen zur Analogie-Erkenntnis sollen jedoch nicht zeigen, was aus dem rekonstruierten Bildfeld ablesbar ist, sondern welche Beobachtungen am Text die vorgenommene Rekonstruktion des Bildfeldes rechtfertigen. Insofern sie Elemente desselben Bildfeldes sind, geben die Gegenstände der verschiedenen Bildbereiche über ihren jeweiligen Analogiepartner im Sachbereich dieselbe Auskunft. B2, C2 und D2 sagen über A2, daß es — gleich ihnen — Zweitelement eines Paares ist, dessen Klasse durch die Strukturformel definiert wird, — daß also die kranke Dichterseele — ebenso wie die gesprungene Glocke, die ersterbende Stimme und der todwunde Soldat — an ihrer hohen Aufgabe scheitert. Neben dem gemeinsamen Beschreibungsinhalt, der sich aus der Zugehörigkeit zu demselben Bildfeld ergibt, erteilen die Bildbereiche B, C und D - durch proliferation' - auch je besondere Auskünfte über den Sachbereich. Aus dem Bereich .Glocke' (B) erfährt der Leser, daß die Aufgabe, an der die Dichterseele scheitert, in der Übermittlung nicht profaner, sondern sakraler Botschaften besteht (cri religieux). Wie die Glocke zum Gottesdienst ruft, soll auch der Dichter seine Leserschaft mit einer jenseitigen Welt verbinden. Die Verbindung stellt sich über ferne Erinnerungen (souvenirs lointains) her, die der gesunde Dichter — ebenso wie die volltönende Glocke — wachruft. Daß die jenseitige Welt über die Freilegung verschütteter Innenwelten zugänglich wird, ist ein Gedanke Piatos: Wesensvorstellungen, an denen der Mensch die materielle Welt mißt und begreift, werden als ferne Erinnerung (anamnesis) an Ideen erklärt, die er in einem früheren Leben geschaut hat. Wer Erinnerungen wachrufen will, muß zwar stark und gesund, aber dennoch alt sein (malgré sa vieillesse), weil er sonst die erinnerte Welt nicht kennen würde. Die Botschaften aus dem Jenseits bahnen sich den Weg durch eine fremde, der Übermittlung nicht günstige Welt, so wie der Glockenton durch kalte und neblige Winternächte zu den Gläubigen dringt und der kranke Dichter sein Lied vergebens in die Nacht hinauszusingen versucht. Der Adressat empfindet die heilige Botschaft als gleichermaßen süß und bitter: süß, weil sie den Gedanken an die Heimat der Seele wachruft, und bitter, weil sie die unerreichbare Ferne

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Das Bildfeld als Interpretationsmittel

dieser Heimat und die nahe Welt als Ort der Verbannung spürbar macht. Der Bereich .Sänger' (D) überträgt auf seinen Analogiepartner die kunstvolle Gestaltung, vielleicht auch die sprachliche Form der übermittelten Botschaft sowie die feiertägliche Stimmung der Ubermittlungssituation. Der Bereich .Soldat' (C) verdeutlicht einerseits Zuverlässigkeit und Sendungstreue der gesunden Dichterseele (Cl), andererseits die aussichtslose Lage des seelisch kranken lyrischen Ich, das seiner Aufgabe nicht gerecht werden kann (2). Das letztere Thema wird im Schlußterzett effektvoll ausgeführt. Der todwunde Soldat ist nicht etwa der gefallene Held eines siegreichen Heeres, sondern letzter Uberlebender eines Debakels. Nicht nur er liegt im Sterben, sondern seine Sache ist verloren und überholt. Baudelaire glaubte, wie auch das Gedicht L'Albatros bestätigt, daß die ,platonisierende' Dichtung in der Gesellschaft des Zweiten Kaiserreichs auf endgültig verlorenem Posten stehe. Der von bürgerlichen Einflüssen schon infizierte Dichter muß mühsam versuchen, gegen den Strom zu schwimmen. Der Schlußvers des Sonetts zeigt diesen Versuch: Der Soldat stirbt unter maßlosen vergeblichen Anstrengungen, die sich in keinerlei Bewegung mehr umsetzen. Der kranke Dichter müht sich zu Tode, ohne das leere Blatt zu füllen. Die Stimme dessen, der als Prophet ausgesandt war, kommt über ein Röcheln nicht hinaus. Das vorliegende Sonett ist eine höchst kunstfertige Gestaltung der Gestaltungsunfähigkeit. Der Dichter zeigt seine Zerrissenheit zwischen dem Bewußtsein der hohen prophetischen Aufgabe und der Gewißheit einer durch die Lebenswelt hervorgerufenen Lähmung. Das Sonett rechtfertigt sich nicht als ein Beispiel der Kunst, die Baudelaire als seine unerfüllbare Aufgabe hinstellt, sondern als Beispiel einer Ästhetik des Scheiterns, die das hohe Ziel des prophetischen Wortes nicht verleugnet und die Katastrophe seiner Unaussprechbarkeit in schöne Worte faßt. Das Gefühl der spirituellen Lähmumg, das der Treue zur jenseitigen Welt entgegenwirkt, wird von Baudelaire bei anderen Gelegenheiten mit dem damaligen Modewort spieen benannt. Dieses Wort diente ursprünglich auch als Uberschrift unseres Sonetts. Bei der Übernahme in die Fleurs du mal hat Baudelaire die Uberschrift geändert, wohl um nicht allzu viele Gedichte mit demselben Titel auszustatten. Die hohe Aufgabe bleibt für den Dichter verbindlich. Wenn die Übermittlung der Botschaft scheitert, soll wenigstens die Klage über das schmerzliche Versagen eine — wenn auch höchst mittelbare — Verbindung zur Ideenwelt aufrecht erhalten.

Exempla contraria

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Der Bereich .Soldat' geht in den insinuierten Analogien zum Bereich .Dichter' erheblich weiter über die Klassengemeinschaften des Bildfeldes hinaus als die Bereiche .Glocke' und .Sänger'. Was aus diesen Bereichen auf den Dichter übertragen wird, ist zwar nicht in allen Punkten durch die Strukturformel des Bildfeldes gedeckt, gehört jedoch, wenn man so will, zum normalen Analogiepotential der Gegenstände. Wenn man schon die Ubermitdung von Botschaften als gemeinsame Aufgabe von Dichter und Glocke sowie von Dichter und Sänger betrachtet, liegt es nahe, im ersten Fall auch die jenseitige Herkunft der Botschaft und im zweiten die künsderische Gestalt beiden Gegenständen zuzubilligen. Was das Schlußterzett zur Übertragung auf den Dichter bereitstellt, schießt jedoch weit über die Vorstellungen hinaus, die eine — eigentlich auf Treue beruhende — Analogie zwischen Soldat und Dichter erwarten läßt. Wenn ein Bildfeld mit einer bestimmten Strukturformel gegeben ist und der dazugehörige Text mehr an Gemeinsamkeiten zwischen den Analogiepartnern hervorkehrt, als die Strukturformel fesdegt, so kann man diesen Uberschuß als Proliferation bezeichnen. Die Bereiche Β und D sind in ihrem Verhältnis zu A durch eine leichte, der Bereich Β ist dagegen durch eine überwältigend wuchernde Proliferation gekennzeichnet. Man könnte den Begriff der Proliferation vermeiden, wenn man dem Sonett statt des gemeinsamen vierbereichigen Bildfeldes drei zweibereichige zugrunde legte, deren Strukturformeln alle im Text ausgewerteten Gemeinsamkeiten berücksichtigten. Die Zusammengehörigkeit der vier Bereiche und ihre gegenseitige Durchdringung, die Verwandtschaft der Analogien ist aber gerade das Markenzeichen des Gedichts. Deshalb scheint es angemessener, dem Text ein gemeinsames vierbereichiges Bildfeld mit verschiedenartigen Proliferationen zu unterlegen als drei miteinander verwandte, proliferationslose Bildfelder aus je zwei Bereichen.

4 Exempla contraria Maurice Scève (1510 — 1564): Le Laboureur Le laboureur de sueur tout rempli À son repos sur le soir se retire: Le pèlerin, son voyage accompli, Retourne en paix et vers sa maison tire.

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Das Bildfeld als Interpretationsmittel

Et toi, ô Rhône, en fureur, en grande ire, Tu viens courir des Alpes roidement Vers celle-là qui t'attend froidement, Pour en son sein tant doux te recevoir. Et moi, suant à ma fin grandement, Ne puis ni paix ni repos d'elle avoir. Der Bauer zieht sich, in Schweiß gebadet, gegen Abend zur Ruhe zurück. Der Pilger kehrt, wenn er das Reiseziel erreicht hat, friedlich um und geht nach Hause. Und du, Rhonestrom, kommst voll Leidenschaft und Ungestüm auf steilem Weg die Alpen herabgestürzt jener Zuflucht entgegen, die dich gelassen erwartet, um dich in ihrem so süßen Schoß zu empfangen. Und ich, der seine Bestimmung mit saurem Schweiß verfolgt, kann von ihr weder Frieden noch Ruhe bekommen. Der (in modernisierter Orthographie) abgedruckte Text ist der 396. von insgesamt 449 Zehnzeilern, die den Zyklus Délie bilden. Das 4490 Verse umfassende Werk erschien im Jahre 1544. Der Autor, Maurice Scève, gilt als das Haupt der Dichterschule von Lyon, zu der auch die — heute beliebtere — Louise Labé gehört. Die Dichterschule von Lyon stand unter dem Einfluß Petrarcas und des italienischen Neuplatonismus. Der Zyklus Délie, objet de plus haute vertu (Delia, Gegenstand höchster Tugend) schildert die Liebe des Sprechers zu der Titelfigur, aus der die platonische Idee des Guten und Schönen geheimnisvoll hervorscheint, so wie der Name Délie den Begriff L'Idée hinter einem anagrammatischen Schleier erahnen läßt. Die Idee des Guten und Schönen, der die Titelfigur ihre erotische Faszination verdankt, ist in der Inkarnation zwar spürbar, aber nicht greifbar. Deshalb bleibt dem Liebesmühen des Sprechers die körperliche Erfüllung versagt. Das Gedicht besteht aus zehn Zehnsilbnern mit einer regelmäßigen Zäsur nach der vierten Silbe. Das Reimschema a b ' a b ' b ' c c d c d erzeugt zwischen b' und c eine Symmetrieachse, die den Text in zwei Fünfzeiler zerlegt. Ein regelmäßiger Wechsel des Reimgeschlechts, der sich erst in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts durchzusetzen begann, liegt in unserem Gedicht noch nicht vor. Die deutliche Gliederung des Zehnzeilers in vier Sätze überspielt die reimtechnische Hälftelung in 5 + 5 durch folgende syntaktische Gruppierung der Verse: 2 - 2 - 4 - 2 .

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Exempla contraria

Jede Versgruppe beschreibt einen eigenen Gegenstandsbereich: Feldarbeit und Feierabend, Pilgerfahrt und Rückreise, Talsturz der Rhone und Aufgehen im Mittelmeer (nach anderer Deutung: in der Saône), Liebesmühen des Sprechers und ausbleibender Erfolg. Jeder Bereich erwähnt nacheinander zwei Phasen eines Ablaufs. Die Zweiteilung der Bereiche ergibt folgende Untergliederung der Versgruppen: (1 - 1) (1 - 1) (3 - 1) (1 - 1) Jede der beiden letzten Versgruppen wird durch die Konjunktion Et eingeleitet. Üblicherweise kennzeichnet Et das letzte, nicht jedoch das vorletzte Glied einer Aufzählung. Die Wiederholung des Et legt daher folgenden Schluß nahe: Es liegen zwei Aufzählungen vor: eine dreigliedrige und eine zweigliedrige. Die dreigliedrige besteht aus den ersten drei Versgruppen, deren letzte mit Et beginnt; die zweigliedrige besteht aus den ersten drei Versgruppen als erstem und der vierten Versgruppe als zweitem Glied, das wiederum mit Et beginnt. Das erste Glied enthält drei Bilder, das zweite das eigentlich zu behandelnde Thema. Damit ergibt sich folgende Übergruppierung der vier Versgruppen: ((1 - 1) (1 - 1) (3 - 1)) ((1 - 1)) Aus den Beobachtungen zur Gliederung des Gedichtes ergibt sich das Vorliegen eines vierbereichigen Bildfeldes: 1 A Feldarbeit Β Pilgerfahrt C Zu-Tal-Fließen der Rhone D Liebesmühen

2 Feierabend Heimkehr Mündung ins Meer Liebeserfiillung

Strukturformel: Das friedvolle und entspannte [2] erscheint als die übliche und wohlverdiente Folgephase des angestrengten [1], Daß D der Sachbereich und daß Α, Β und C Bildbereiche sind, geht sowohl aus der Thematik des gesamten Zyklus hervor wie auch aus der Sonderstellung der vierten Versgruppe: Das letzte Et macht sie zum eigenständigen Gegenüber der zur Einheit zusammengefaßten vorangehenden Versgruppen. Die formale Gegenüberstellung wird nicht nur durch den Unterschied zwischen Bild und Sache, sondern auch durch die abweichende Bereichstruktur gerechtfertigt: In den Bereichen Α, Β und C wird die Folgephase 2 nicht nur als natürlich und verdient, sondern auch als tatsächlich eintretend verstanden, im Bereich D dagegen

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Das Bildfeld als Interpretationsmittel

bleibt sie überraschend aus. Das Gedicht gipfelt in der Feststellung, daß dem angestrengten Liebesmühen um Délie die körperliche Erfüllung versagt bleibt, obwohl sie genauso verdient und erwartbar wäre wie der Feierabend des Bauern, die Heimkehr des Pilgers und die Vereinigung der Rhone mit dem Meer. Auf gleichplatzierte Gegenstände desselben Bildfeldes können also gegensätzliche Aussagen zutreffen: In den Bildbereichen Α, Β und C tritt die Phase 2 ein, im Sachbereich D nicht. Die drei ersten Versgruppen enthalten je ein exemplum contrarium (Lausberg 1990: § 420, 3), wenn man das Wort exemplum mit Quintilian (V, 11, 1 f.) als Oberbegriff für jede Art von analogem Gegenstandsbereich versteht. Exempla contraria sind Fälle, die mit dem behandelten Sachverhalt zwar eine Klassengemeinschaft bilden, innerhalb der gemeinsamen Klasse jedoch auffallig von ihm abweichen. Sie heben die — je nachdem rühmliche oder bedauerliche — Sonderstellung des behandelten Sachverhalts unter seinen Klassengenossen hervor. Der Sprecher unseres Zehnzeilers stellt die unerfüllte Liebe anhand der exempla contraria als etwas Unerhörtes, Unverdientes, geradezu Widernatürliches hin. Eine Analogiewurzel kann als Lieferantin von exempla contraria benutzt werden. Einer der Bereiche stellt den behandelten Sachverhalt dar, ein anderer oder mehrere andere die Klassengenossen, die vom behandelten Sachverhalt auffällig abweichen. Bildfeldgemeinschaft setzt voraus, daß in allen Bereichen die Strukturformel gilt, nicht jedoch, daß auch jeder sonstige Beschreibungsinhalt, der auf den einen Bereich zutrifft, auch für den anderen gilt. Im Falle des exemplum contrarium verbürgt die Geltung der Strukturformel die Klassengemeinschaft der Bereiche, innerhalb der die Abweichung überhaupt erst hervortritt. Die Strukturformel unseres Bildfeldes besagt nicht, daß die Phase 2 tatsächlich eintritt, sondern nur, daß ihr Eintreten natürlich scheint und erwartet wird. Die Bildfeldgemeinschaft verschiedener Gegenstandsbereiche verträgt sich also mit einer außerhalb der Strukturformel liegenden Gegensätzlichkeit, auf deren Herausstellung ein Text abzielen kann. Daß Gegenstände im Bildfeld gleiche Positionen besetzen, bedeutet nicht, daß im zugehörigen Text ihre Existenz oder Nichtexistenz gleichermaßen behauptet oder vorausgesetzt würde — es sei denn, die Strukturformel fordert die Existenz oder Nichtexistenz als gemeinsames Merkmal der Positionsbesetzer. Analogiepartner beanspruchen grundsätzlich weder denselben Realitätsstatus noch denselben grammatischen Status innerhalb des Textes, der sie in Analogie zueinander setzt. Wie es vorkom-

Exempla contraria

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men kann, daß der Gegenstand des einen Bereichs im Text benannt und beschrieben, sein Analogiepartner dagegen nur durch metaphorische Beschreibungsmittel evoziert wird (VII, 3), kann es auch vorkommen, daß der Text die Existenz des einen Analogiepartners behauptet und die des anderen leugnet. Scèves Zehnzeiler verzichtet auf eine grammatische Hierarchisierung der Bildfeldbereiche, wie sie in Baudelaires LM Clochefiléebegegnete. Keiner der vier Bereiche dient nur als Metaphernspender oder nur als Vergleichsmaterial; alle werden nacheinander in den Vordergrund geschoben, unmittelbar benannt und beschrieben. Eine explizite Analogsetzung der Bereiche bleibt aus; implizite Analogsetzungen begegnen — wenn auch unaufdringlich — als lexikalische Vor- und Rückgriffe von einer Versgruppe zur anderen: Die vierte Versgruppe, die den Bereich D darstellt, greift auf Wortmaterial aus den Bildbereichen der anderen Versgruppen zurück: Anklänge an den Bereich A, der in den Versen 1 und 2 dargestellt wurde, bieten die Wörter suant (9), das sueur (1) wieder aufnimmt, und repos, das in beiden Versgruppen vorkommt. Das Wort paix (4, 10) schlägt eine Brücke zwischen den Bereichen D und B. Das Adverb grandement schließlich, das im Reim steht (9), verknüpft formal die vierte Versgruppe mit der dritten, in der die Reimwörter roidement und froidement auffallen. Außer den Rückgriffen auf andere Bereiche bei der Beschreibung des Bereichs D gibt es bei der Darstellung des Bereichs C Vorgriffe auf den Bereich D: Leidenschaft (fureur) und Ungestüm (ire), die der reißenden Rhone zugesprochen werden, kennzeichnen, wörtlich verstanden, die Liebesglut des Sprechers; die ,kühle' Aufnahme, die das Mittelmeer der Rhone bereitet, paßt zu der göttlichen Leidenschaftslosigkeit der Idee, die sich in Délie erahnen läßt; und schließlich beschreibt das Wort sein, das metaphorisch auf den empfangenden Schoß des Mittelmeers angewandt wird, im wörtlichen Sinne das anatomische Gegenstück am Körper der Délie. Die angeführten Fälle des Metapherngebrauchs sind Proliferationen des Bildfeldes. Die Bereiche treiben — im Kielwasser der durch die Strukturformel definierten Klassengemeinschaft: — weitere Analogien hervor, die durch die Strukturformel nicht mehr abgedeckt sind: Der Schweiß des Bauern verweist auf das mühsame Liebeswerben des Sprechers, die Wasserkraft der Rhone auf die Energie der Liebesleidenschaft, der Schoß des Meeres auf den Schoß der Geliebten. Die einzelnen Bildbereiche leisten nicht genau denselben Beitrag zur Erhellung des Sachbereichs, wie ihre Klassengemeinschaft: es nahe legen könnte.

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Das Bildfeld als Intetpretadonsmittel

Sie heben jeweils andere Merkmale hervor und bereichern die durch das Bildfeld gestiftete Analogie durch Gemeinsamkeiten, die nur zwischen dem Sachbereich und jeweils einem der Bildbereiche gelten. Der Bereich A beschreibt den Ubergang von der Liebeswerbung zur Liebeserfüllung als Ubergang von einer kräftezehrenden Anstrengung zur Ruhe; der Bereich Β hebt die Erwartung hervor, daß die Phase der Werbung — gewissermaßen von Natur aus — an einem bestimmten Punkt erfolgreich abgeschlossen ist, wie auch der Pilger nur eine absehbare Strecke durchwandern muß, um planmäßig ans Ziel zu gelangen. Die Erhabenheit dieses Ziels wie überhaupt des gesamten Unternehmens läßt sich gleichfalls — proliferierend — vom Bereich Β auf den Bereich D übertragen, ebenso die seelische Endastung (paix), die sich nach dem Erreichen des Ziels einstellt. Der Bereich C nimmt innerhalb der Bildbereiche eine Sonderstellung ein, die schon durch den doppelten Umfang angezeigt wird. Im Gegensatz zu den anderen Analogiepartnern des Sprechers (Bauer und Pilger) wird die Rhone angeredet (Figur der Apostrophé; vgl. Lausberg 1990: § 762). Der Name dieses Flusses ist im Französischen männlichen Geschlechts, so daß er ungezwungener als im Deutschen zur Beschreibung eines stürmischen Liebhabers dienen kann. Offenbar steht le Rhône dem Sprecher durch seine unbändige Kraft, in der er Leidenschaft und Ungestüm seiner Liebe wiedererkennt, besonders nahe. C stellt in den Vordergrund, was offenbar auch für den Sprecher im Vordergrund steht: wildes Begehren, das seine Erfüllung in der körperlichen Vereinigung sucht. An dem Punkt seiner geistigen Entwicklung, den das Gedicht wiedergibt, weiß der Sprecher nicht, daß die körperliche Vereinigung ausbleiben muß, weil sie die Erfüllung der Leidenschaft verfehlen würde. Das Faszinierende an Délie ist nichts Sinnliches, sondern der unfaßbare Abglanz der Ideenwelt, die sich im Anagramm ihres Namens andeutet.

5 Bilder ^weiter Ordnung Joachim Du Beilay (1522 — 1560): Comme l'on voit Comme l'on voit de loin sur la mer courroucée Une montagne d'eau d'un grand branle ondoyant, Puis, traînant mille flots, d'un gros choc aboyant Se crever contre un roc, où le vent l'a poussée,

Bilder zweiter Ordnung

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Comme on voit la fureur, par l'Aquilon chassée, D'un sifflement aigu l'orage tournoyant, Puis d'une aile plus large en l'air s'ébanoyant Arrêter tout à coup sa carrière lassée, Et comme on voit la flamme ondoyant en cent lieux Se rassemblant en un, s'aiguiser vers les deux, Puis tomber languissante, ainsi parmi le monde Erra la monarchie, et, croissant tout ainsi Qu'un flot, qu'un vent, qu'un feu, sa course vagabonde Par un arrêt fatal s'est venue perdre ici. Wie auf dem wütenden Meer — aus der Ferne sichtbar — ein Berg von Wasser mit wilder Bewegung wogt, dann aber, an der Spitze von tausend Fluten, mit hartem, bellendem Aufprall sich an einem Felsen bricht, gegen den der Wind ihn getrieben hat, wie ferner die rasende Harpyie, vom Nordwind gejagt, mit schrillem Pfeifen einen Wirbelsturm entfesselt, dann aber mit weiter ausholendem Fügelschlag Erholung in den Lüften sucht und ihr Werk ermüdet abbricht und wie schließlich das Feuer, das an hundert Orten züngelt, sich zu einem Großbrand vereinigt und mit spitz zulaufender Flamme gegen den Himmel lodert, dann aber kraftlos in sich zusammenfällt, so streifte das Römische Reich durch die Welt und, wachsend wie eine Flut, ein Sturmwind, ein Feuer, verlor sich sein unsteter Weg nach einem Ratschluß des Schicksals an dieser Stelle. Der (wiederum in modernisierter Orthographie abgedruckte) Text Du Beilays steht als Nr. 16 in dem Sonettzyklus Les Antiquités de Rome (Römische Altertümer), der 1558 erschien. Der Zyklus verarbeitet Eindrücke eines Romaufenthalts aus den Jahren 1553 — 1557: Im Rom der Renaissance, das von einer pedantischen Kirchenbürokratie beherrscht wird, sucht der Verfasser nach Denkmälern der Antike. Ihre Verlorenheit in der modernen Umgebung weist auf den gesetzmäßigen Untergang alles Großartigen und seine unaufhaltsame Uberwucherung durch das Mittelmaß. Die vierzehn Alexandriner unseres Sonetts werden durch folgende — für die Sonettform als regelmäßig geltende — Reimanordnung miteinander verbunden: a ' b b a ' a ' b b a ' c c d ' ed'e. Das Gedicht besteht aus einem einzigen Satzgefüge: Drei komparativen Nebensätzen folgen

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Das Bildfeld als Interpretationsmittel

zwei durch et koordinierte Hauptsätze. Um die Verteilung der Satzglieder über den Textraum darzustellen, empfiehlt es sich, von einer Gliederving des Sonetts in 28 Halbverse (Sechssilbner) statt in 14 Ganzverse (Zwölfsilbner) auszugehen. Die komparativen Nebensätze erstrecken sich über 21 Halbverse, die koordinierten Hauptsätze über die restlichen 7. Die 21 ersten Halbverse verteilen sich ungleichmäßig auf drei Nebensätze: 8 — 8 — 5. Die restlichen 7 Halbverse verteilen sich — ebenfalls ungleichmäßig — auf zwei Hauptsätze: 2 — 5. Damit ergibt sich folgende vorläufige Gliederung des Sonetts: (8 — 8 — 5) (2 — 5). Die drei Nebensätze beschreiben drei verschiedene Gegenstandsbereiche, die als Bilder dienen; die beiden Hauptsätze beschreiben gemeinsam den eigentlichen Sachbereich. Alle Gegenstandsbereiche unterscheiden eine Aufbau- und eine Abbruchphase. Die Nebensätze sowie der zweite Hauptsatz lassen sich anhand dieser Phasenfolge untergliedern, so daß folgendes dreistufiges Gliederungsschema entsteht (das wiederum Halbverse gruppiert): ((4 - 4) - (4 - 4) - (4 - 1)) ((2 (3 - 2)). Der Bildgebrauch des Sonetts ist komplizierter, als es auf den ersten Blick scheint. Zwar beschreibt der zweite Teil den Sachbereich und der erste nacheinander drei Bildbereiche; die Beschreibung des Sachbereichs verwendet jedoch wurzelgleiche Metaphern (errer; course vagabonde, se perdre), die ihrerseits einen neuen Bildbereich konstituieren. Man kann dem Sonett folglich ein fünfbereichiges Bildfeld zugrunde legen: 1 aufgetürmte Woge Harpyie, die einen Wirbelsturm erzeugt C Vereinigung getrennter Feuer zum Großbrand D wachsendes Römisches Reich A Β

E

Wanderung

2 brechende Woge Harpyie, die ihr Werk abbricht Verlöschen des Großbrands zusammenbrechendes Römisches Reich Ende der Wanderung

Strukturformel: Auf die Wachstumsphase [1] folgt unversehens die Abbruchphase [2]. Die fünf Bereiche stehen in einer deutlich markierten Hierarchie. Die Spitze bildet der Bereich D. Einerseits wird er syntaktisch als das erklärte Vergleichsziel herausgehoben, zu dessen Beschreibung die Bereiche Α, Β und C das Vergleichsmaterial liefern. Andererseits benennt er

Bilder zweiter Ordnung

157

die Gegenstände, zu deren Beschreibung der Bereich E die Metaphern spendet. Die Bereiche Α, Β und C werden zwar syntaktisch als bloße Vergleichsmaterie fur D gekennzeichnet, ihre Gegenstände werden jedoch eigens benannt und beschrieben, und zwar zweimal: in einem Langdurchlauf, der die Halbverse 1 - 2 1 einnimmt, und einem Kurzdurchlauf, der sich in dem Halbvers 25 zusammendrängt. Der Bereich E hingegen ist bloßer Metaphernspender zur Beschreibung von D. Zwischen einzelnen oder mehreren Bildbereichen (A, B, C, E) und dem Sachbereich (D) lassen sich Analogien ausmachen, die über die in der Strukturformel definierte Klassengemeinschaft hinausgehen. Die Bereiche Α, Β und C beschreiben den Ausbruch von Naturgewalten, die von den Betroffenen nicht zu beherrschen sind. Ebenso unvorhersehbar und unbeeinflußbar, wie der Ausbruch beginnt, geht er zu Ende. Ahnlich soll das Römische Reich als eine historische Macht gesehen werden, die nach geheimnisvollen Gesetzen unaufhaltsam heranwächst und deren Gang durch die Geschichte an einem vorher nicht erkennbaren Punkt unverhinderbar abbricht. Der Bereich A zeigt die Abbruchphase als Aufeinanderprallen zweier Gewalten. Vielleicht denkt Du Beilay an den Zusammenstoß der Römer mit den Germanen zur Zeit der Völkerwanderung, vielleicht des Näheren an die Einnahme und Plünderung Roms durch die Westgoten im Jahre 410. Aus dem Bereich Β ist die Zerstörungskraft auf die Geschichte Roms übertragbar. Nach antikem Vorbild schildert Du Beilay den Wirbelsturm als das Werk einer rasenden Harpyie, eines mythologischen Wesens mit dem Leib eines Raubvogels und dem Kopf eines Mädchens. Wie die Harpyie ein Umweltchaos anrichtet, das Schiffe in den Untergang treibt, so wirbelt das wachsende Rom die politische Ordnung der Welt durcheinander und löscht ganze Staaten aus. Du Bellay gibt zu verstehen, daß die Harpyie ihr Werk verrichtet, weil der Nordwind — in der Mythologie der Windgott Boreas und seine Söhne — sie antreibt. Auch die Woge in A wird vom Wind getrieben. Vielleicht soll der Leser in den jagenden Winden die geheimen Kräfte erkennen, die — in A Macht brechend, in Β Macht schaffend - den Lauf der Geschichte lenken. Der Bereich C zeigt das Römische Reich überraschend als den Zusammenschluß ursprünglich getrennter Machtzentren. Nach der Vereinigung entsteht eine vorher nicht gekannte Kräftekonzentration, die den Himmel zu bedrohen scheint. Der Bereich E beschreibt das Römische Reich als ein Wesen, das durch die Welt streift, ohne sich eines bestimmten Zieles oder des zugedachten Endes bewußt zu sein. Der Wanderer ,irrt' durch

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Das Bildfeld als Interpretationsmittel

die Weltgeschichte, der nicht vorausberechnete Weg hört unversehens auf. Über dem Wanderer waltet ein unerforschliches Schicksal. Zur Beschreibung von Gegenständen, die — formell oder wenigstens assoziativ — in einen der Bildfeldbereiche gehören, verwendet Du Beilay einige Metaphern, deren TAe in keinen dieser Bereiche fallen und die auch untereinander nicht wurzelgleich sind. So wird das hochwogende Meer mit einer personifizierenden Metapher als courroucée (erzürnt) beschrieben. Diese Metapher ist in der antikisierenden, mythenseligen Dichtung der Renaissance nicht ungewöhnlich, die das aufgewühlte Meer gern mit dem Zorn eines Meeresgottes oder einer Meeresgöttin erklärt. Die Metapher paßt zu der mythischen Darstellung des Wirbelsturms als Werk einer Harpyie. Die Harpyie aus Bereich Β sollte jedoch nicht als bloße Metapher für die tatsächlichen - meteorologischen — Ursachen des Wirbelsturms aufgefaßt werden; denn nicht die wissenschaftlich erforschbaren Ursachen, sondern die mythologische Figur der Harpyie ist der Analogiepartner des Römischen Reiches. Der Aufschlag der hochgetürmten Woge auf den Steilfelsen wird mit aboyant als der Angriff eines bellenden Ungeheuers dargestellt. Die flackernden Einzelfeuer, die sich später zum Großbrand vereinen, beschreibt Du Beilay mit dem Verbaladjektiv ondoyant, das auf die Flutwelle zurückverweist, den verlöschenden Großbrand beschreibt er mit der personifizierenden Metapher languissant, die an die carrière lassée der Harpyie erinnert. Die außerhalb des Bildfeldes und seiner Proliferationen stehenden Metaphern haben untereinander keinen gemeinsamen Wurzelgrund. Sie beschreiben Bilder, die ihrerseits den Aufstieg und Niedergang des Römischen Reichs beschreiben, als ob Blumenkränze nachträglich mit einzelnen Blumen anderer Herkunft besteckt würden. In geringem Maße tragen die Fremdmetaphern zur Verknüpfung der Bildbereiche und damit zur impliziten Analogsetzung bei, wenn nämlich ein Bildbereich das lexikalische Material zur metaphorischen Beschreibung des anderen liefert: Ondoyant verknüpft C mit A, languissant C mit B. Die vier mit Zusatzmetaphorik übersäten Bildbereiche stellen die Geschichte des Alten Rom als eine folgenlose Episode großartiger Kraftentfaltung und plötzlichen Kraftverlustes im ungerührt fortschreitenden Weltgeschehen dar. Die in der Sprechsituation sichtbaren Spuren des Römischen Reiches bezeichnen den Ort, an dem es unvorhersehbar und unwiederbringlich versunken ist. Das Sonett zeigt Rom als

Verschränkte Bildfelder

159

den Spielball eines undurchschaubaren Weltenplans, der Großartiges hervorbringt und plötzlich, ohne erkennbaren Grund, aus der Geschichte tilgt, in der das Mittelmaß an seine Stelle tritt.

6 Verschränkte Bildfelder Charles Baudelaire (1821-1867): Chant d'automne I Bientôt nous plongerons dans les froides ténèbres; Adieu, vive clarté de nos étés trop courts! J'entends déjà tomber avec des chocs funèbres Le bois retentissant sur le pavé des cours. Tout l'hiver va rentrer dans mon être: colère, Haine, frisson, horreur, labeur dur et forcé, Et, comme le soleil dans son enfer polaire, Mon cœur ne sera plus qu'un bloc rouge et glacé. J'écoute en frémissant chaque bûche qui tombe; L'échafaud qu'on bâtit n'a pas d'écho plus sourd. Mon esprit est pareil à la tour qui succombe Sous les coups du bélier infatigable et lourd. Il me semble, bercé par ce choc monotone, Qu'on cloue en grande hâte un cercueil quelque part. Pour qui? — C'était hier l'été; voici l'automne! Ce bruit mystérieux sonne comme un départ. Herbstlied Bald werden wir in die kalte Finsternis tauchen. Lebewohl, helles Licht unserer zu kurzen Sommer! Ich höre schon das Winterbrennholz mit unheildrohendem Aufschlag auf das Hofpflaster fallen. Der Winter wird mit seinem ganzen Schrecken meine Existenz durchdringen: Groll, Haß, Schauer, Entsetzen, harte Zwangsarbeit, und wie die Sonne in ihrer polaren Hölle wird mein Herz nur noch ein roter Eisblock sein. Ich horche erschauernd auf jeden fallenden Holzscheit. Das Errichten eines Blutgerüsts hallt nicht dumpfer wider. Mein Geist gleicht dem Turm, der unter den Stößen des schweren, unermüdlichen Rammbocks zusammenbricht.

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Das Bildfeld als Interpretationsmittel

Mir ist, während das monotone Aufschlagen [des Holzes] mich einschläfert, als ob man irgendwo in großer Hast einen Sarg zusammennagelte. Für wen? — Gestern war noch Sommer. Nun ist es schon Herbst. Das geheimnisvolle Klopfgeräusch klingt wie ein Abschied. Der abgedruckte Text ist das erste von zwei Gedichten, die unter der gemeinsamen Uberschrift Chant d'automne am 30. November 1859 in der Zeitschrift Revue contemporaine als Originalbeiträge erschienen. Sie wurden 1861 als Nr. LVI der Abteilung Spleen et idéal in die zweite Ausgabe der Fleurs du mal übernommen. Das Gedicht besteht aus 16 Alexandrinern, die — .quadratisch' — zu vier Vierzeilern gruppiert sind. Jede Strophe erfüllt ein Kreuzreimschema (a'b a'b). Alle Strophenschlüsse sind zugleich Satzschlüsse, aber nicht alle Satzschlüsse sind auch Strophenschlüsse. Satzdichte und syntaktische Gliederung der Strophen wechseln also. Baudelaire ordnet den Jahreszeiten Seelenlagen zu, die von ihnen sowohl hervorgerufen wie auch geprägt werden. Der Sommer ist die Zeit der ungehinderten Entfaltung eines reichen Seelenlebens, das im Winter abstirbt. Der Herbst, der vom Sommer zum Winter überleitet, ist die Zeit der schaurigen Vorahnung des Seelentodes. Angesichts des düsteren Gedichtinhalts wirkt der romantisierende Titel Herbstlied sarkastisch. Das Gedicht verschränkt verschiedene Bildfelder miteinander. Das erste läßt sich aus der zweiten Strophe ablesen: Es besteht aus zwei Bereichen zu je vier Positionen (im folgenden um 90° verkantet): BILDFELD I A 1 Winter

Β Zustände wie Groll, Haß, Schauder etc.

2 Natur

der Sprecher (das lyrische Ich)

3 Sonne

das seelische Energiezentrum (cœur) des Sprechers

4 polare Hölle

depressives Seelenklima

Strukturformel I : [1] droht in [2] einzufallen und [3], die Lebensquelle von [2], durch Einhüllung in [4] lahmzulegen. Die Α-Sachverhalte sind nicht nur Analogiepartner, sondern auch Ursachen und zeitliche Begleiter der B-Sachverhalte. Zwischen den Bereichen des Bildfelds bestehen nicht nur die Similaritätsbeziehung der Klassengleichheit, sondern auch — was nicht notwendig zur Definition

161

Verschränkte Bildfelder

des Bildfeldes gehört - die Kontiguitätsbeziehungen der Kookkurrenz und Kausalität. Die Analogie zwischen A l und B1 wird durch Korreferenz ihrer Bezeichnungen verdeutlicht: Die Aufzählung hinter dem Doppelpunkt (Vers 5) muß als Wiederaufnahme des Subjekts verstanden werden. Die Analogie zwischen A3 und B3 geht aus einem expliziten Vergleich hervor (7 f.). Er setzt voraus, daß die Beschreibung bloc rouge et glacé (roter Eisblock) auch auf die Wintersonne zutrifft. Bloc rouge entspricht dem tatsächlichen optischen Eindruck; als glacé dagegen kann man die Sonne nur bezeichnen, wenn man — wider besseres meteorologisches Wissen — die Kälte der winterlichen Natur auf ihr Zentrum überträgt, als ob nicht der besondere Stand der immer gleich heißen Sonne den kalten Winter hervorriefe, sondern der nach anderen Gesetzen eintretende Winter die Sonne vereise. In der Hülle des enfer polaire verliert die Sonne ihre Wärmkraft, so wie im Klima der Depression das seelische Energiezentrum erlahmt. Die Beschreibung dieses Zentrums als ,roter Eisblock' nutzt — auf dem Wege der Proliferation — übertragene Bedeutungen der Wörter ,rot' und ,vereist': Das Herz ist wund und starr. Die Analogie zwischen Natur und lyrischem Ich (A2 und B2) wird durch die Wirkung der Selektionsbeschränkung verdeutlicht (5): Der Satzverlauf verlangt als direktes Objekt die Natur, in die der Winter Einzug hält. Das tatsächliche Objekt mon être wird auf die Bedeutung ,Natur' hin konterdeterminiert, wodurch Natur und lyrisches Ich als Analogiepartner erscheinen. Die dritte Strophe führt ein weiteres Bildfeld ein (8 f.): C 1 fallende Holzscheite

D Errichtung eines Blutgerüstes

Strukturformel II: [1] erzeugt einen dumpfen Widerhall. Die folgenden Verse erweitern dieses Bildfeld — unter Beibehaltung der Strukturformel — um die Bereiche E, F und G, so daß ein funfbereichiges Feld mit je einer Position entsteht. BILDFELD II 1 C fallende Holzscheite D Errichtung eines Blutgerüstes E Stöße des Rammbocks gegen einen Turm

162

Das Bildfeld als Interpretationsmittel

F Zusammennageln der Sargbretter G Abfahrtssignal Die Klassengemeinschaft, die das Bildfeld begründet, besteht in dem dumpfen Klopfgeräusch, das der Gedichttext bei der Einführung der Bereiche D bis G in Erinnerung bringt: écho [...] sourd (D), les coups du bélier (E), choc monotone (F) und bruit mystérieux (G). Der Schlußvers stellt Cl und Gl explizit als Analogiepartner hin. Die Verse 9 - 1 6 lassen jedoch nicht nur das fünfbereichige Bildfeld erkennen, das die Bereiche D bis G mit dem Bereich C vereint, sondern auch ein sechsbereichiges Bildfeld zu je vier Positionen, das sie mit zwei weiteren Bereichen — H und I — bilden, die in Strophe I bereits vorkamen, jedoch noch nicht in ein Bildfeld einbezogen wurden. BILDFELD III 2 3 zum Tode Verurteilter Errichtung des Blutgerüstes E Turm, unbeschädigt Turm, zusammenbre- Stöße des Rammbocks chend Zusammennageln des F Lebender Sterbender Sarges G Aufenthalt an einem Scheidender Abreise geliebten Ort

D

H I

1 freier Mann

Sommer lyrisches Ich in glücklicheren Tagen

Herbst lyrisches Ich in der Sprechsituation des Gedichts

[fallende Holzscheite] fallende Holzscheite

Hingerichteter Turm, geschleift Toter Aufenthalt an einem gefurchteten Ort Winter lyrisches Ich in einer befürchteten Zukunft

Strukturformel III: [3] ist ein wahrnehmbarer Begleitumstand und ein untrügliches Zeichen des Zustande [2], der als Ubergang von [1] nach [4] bzw. als Vorstadium zu [4] empfunden wird. Die Aufstellung des Bildfeldes setzt Interpolationen voraus, über deren Berechtigung man streiten mag. Es enthält Positionen, deren Zugehörigkeit zum Text nicht unmittelbar ersichtlich ist. Zunächst soll eine tabellarische Übersicht zeigen, in welchem Vers der Strophen III und IV die tatsächlich benannten Positionen erstmalig auftreten: 9 10 11 12

12 12

13 D3 E2 E3

163

Verschränkte Bildfelder

13 14 15 16

F3 Hl

F2 G2

H2 G3

Die Position 3 ist in allen Bereichen bis auf H (Jahreszeitenfolge) besetzt. Als Begleitumstand und Zeichen des Herbstes läßt sich jedoch aus Strophe I das Fallen der Holzscheite erschließen. Die Position 4 ist in keinem Bereich benannt, jedoch in allen durch die Positionen 2 oder 3 vorausgesetzt: Das Blutgerüst (D) wird zum Zwecke einer Hinrichtung errichtet; der schon wankende Turm (E) wird am Ende geschleift sein; der Sarg (F) soll einen Toten aufnehmen; die Abreise (G) führt zu einem Aufenthalt an einem anderen Ort; dem Herbst (H) wird ein Winter folgen, und der Schauer des lyrischen Ich (12) gründet in der Ahnung des künftigen seelischen Todes (14). Die Position D2 wird nicht benannt, aber in D3 vorausgesetzt: Ein Blutgerüst wird im Allgemeinen nicht errichtet, ohne daß ein Todeskandidat bereits auf seine Hinrichtung wartet. Im Bereich F wird die Position 2 nicht nur vorausgesetzt, sondern auch mittelbar benannt: Der Leser soll sich denken, daß Särge nicht auf Vorrat gezimmert werden, sondern jeweils dann, wenn der Bedarf absehbar ist. Daher die Frage Pour qui?: Wer liegt im Sterben und soll nach seinem Tod in diesen Sarg gebettet werden? Die Position 1 ist nur im Bereich H benannt. Dem bedrohlichen Herbst (H2) geht ein heiterer Sommer voraus (Hl). Daß auch in den anderen Bereichen eine glücklichere Vergangenheit hinzuzudenken ist, mag aus der anderweitig nahegelegten Analogie der Bereiche und der Führungsrolle der Jahreszeitenthematik in einem Herbstgedicht hervorgehen: Wie der Herbst dem Sommer folgt, so die Zerstörung des Turmes einer Zeit der Unversehrtheit, das Todesurteil einer Zeit der Unbelangtheit, das Sterben dem Leben, der schmerzliche Abschied dem Aufenthalt an einem geliebten Ort und die schaurige Todesahnung einer Zeit der heiteren seelischen Entfaltung. Das Bildfeld III wird durch eine einzige explizite Analogsetzung gestützt, die E2 mit 12 verknüpft. (Das comme des Schlußverses setzt Positionen des Bildfeldes II analog.) Im Übrigen werden die Analogieverhältnisse, die das Bildfeld begründen, durch anderweitige Gleichartigkeiten nahegelegt. Die Bereiche des Feldes sind wechselnde Bilder, die der Sprecher mit dem akustischen Eindruck der fallenden Holzscheite assoziiert. Die gemeinsame Herkunft der Bilder rechtfertigt die Heraushebung einer gemeinsamen Struktur. Der psychische Auslöser ist in den Bereichen D bis G als

164

Das Bildfeld als Interpretationsmittel

Analogiepartner der Gegenstände gegenwärtig, die die Postion 3 besetzen. Diese Gegenstände bilden nach Bildfeld II eine Klassengemeinschaft mit dem Bereich C. Daß in H die fallenden Holzscheite als .Begleitumstand und Zeichen' des Jahreszeitenwechsels interpoliert werden dürfen, geht aus Strophe I hervor, und daß in I das Geräusch der fallenden Holzscheite den Eindruck der Selbstauflösung begleitet und auslöst, geht mittelbar aus der expliziten Analogsetzung hervor: Wenn Turm und Sprecher Analogiepartner sind, dann auch die Stöße des Rammbocks, die den Turm zerstören, und die auf das Pflaster krachenden Holzscheite, deren Geräusch in die Seele schneidet. Einige Gegenstände des Bildfeldes III kommen auch in anderen Bildfeldern des Gedichtes vor. Die Gegenstände D3 bis G3 bilden mit den fallenden Holzscheiten (C) das Bildfeld II. Der Winter (H4) ist Bestandteil der Bildfelder III und I. Das zentrale Bildfeld III wird durch die Verzahnung mit den Bildfeldern I und II angereichert. Die Positionen D3 bis G3 treten in eine doppelte Klassengemeinschaft: auf Grund der Strukturformel III sind sie zeichenhafte Begleitumstände einer beginnenden Zerstörung, auf Grund der Strukturformel II Erzeuger eines dumpfen Widerhalls, der an die fallenden Holzscheite erinnert. Die zusätzliche Motivierung der Analogie zwischen D3, E3, F3 und G3 ist aus der Sicht des Bildfeldes III ein Fall von Proliferation. Der Gegenstand ,Winter' (14) tritt ebenfalls in eine doppelte Klassengemeinschaft: Auf Grund der Strukturformel III bildet er mit dem Opfer der Hinrichtung, dem geschleiften Turm, dem eingesargten Toten usw. einen abschreckenden Zukunftshorizont; auf Grund der Strukturformel I ist er darüber hinaus der Analogiepartner seelenfeindlicher Zustände, die das Ich auszulöschen drohen. Das bereichernde Einklinken eines Bildfeldes in ein zweites durch Doppelzugehörigkeit eines oder mehrerer Gegenstände soll als Verschränkung der Bildfelder bezeichnet werden. In dem sechzehnversigen ersten Teil des Herbstliedes, der die behandelten Bildfelder enthält, erscheint der Herbst als Vorausblick auf das Schreckensbild des Winters, im zwölfversigen Teil II (der hier nicht abgedruckt ist) als wehmütiger Genuß der letzten Strahlen des scheidenden Sommers. Das Bewußtsein des Sprechers, das der erste Teil des Liedes darstellt, besteht in der Vorwegnahme des seelischen Kältetodes. Baudelaire stellt nicht etwa eine erfrorene Seele dar, sondern eine lebende, die in der Vorahnung ihres Kältetodes erschauert. Die zentralen Teile des sechsbereichigen Bildfeldes sind die Positionen 2 und 3, deren Schauer in dem unverwandten Blick auf die Position 4 besteht. Diese

Verschränkte Bildfelder

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letztere Position beschreibt nicht eigentlich das Bewußtsein des Sprechers, sondern den Zukunftshorizont, der seinen Blick fesselt. Das Bewußtsein ist nicht der Tote im Sarg — dann gäbe es nichts mehr zu beschreiben —, sondern jemand, der sich für sterbend hält, aber noch lebendig genug ist, um die wahrgenommenen Klopfgeräusche — zu Recht oder zu Unrecht — als Arbeit an seinem Sarg zu deuten. Die mit dem Herbst einhergehende Vorwegnahme des nahen seelischen Todes wird in den Strophen III und IV anhand eines sechsbereichigen Bildfeldes ausgemalt, das mit zwei weiteren Bildfeldern verschränkt ist. Die vorangehenden Strophen bereiten dem Leser den Weg in das unglückliche Bewußtsein des lyrischen Ich: Strophe I baut — ohne Rückgriff auf ein konsequent genutztes Bildfeld — den äußeren Rahmen der Sprechsituation auf, die auf das Bewußtsein abfärbt: Der — meteorologische — Winter mit Kälte und Dunkelheit steht bevor, der warme und helle Sommer wird verabschiedet. In den Höfen der Pariser Mietshäuser wird Brennholz abgeladen. Die fallenden Scheite sind ein akustisches Signal des Jahreszeitenwechsels. Strophe II vollzieht anhand eines zweibereichigen Bildfeldes die Analogie zwischen dem bevorstehenden Winter und dem seelischen Kältetod. Sie zeichnet den schrecklichen Zukunftshorizont, dessen Faszinationskraft die Strophen III und IV wiedergeben.

VIII Argumentative Nutzung der Analogie 1 Grundlegung Eine Analogie kann mehrfach verwurzelt sein, d.h. für dieselben Analogiepartner können mehrere Beschreibungsinhalte gemeinsam gelten. Die Analogie zwischen Dom und Hochwald beruht einerseits auf der empfundenen Gottesnähe, andererseits auf den schlanken Zylindern, die als Pfeiler bzw. Baumschäfte emporragen. Da zwei Beschreibungsinhalte, die auf denselben Gegenstand zutreffen, zu einem einzigen, der dann aus zwei Teilen besteht, zusammengefaßt werden können, läßt sich die mehrfache Verwurzelung einer Analogie auch als Teilbarkeit ihres Wurzelprädikates auffassen. Zwischen zwei Teilen desselben Wurzelprädikates kann unter verschiedenen Hinsichten eine Rangordnung bestehen. In einem gegebenen Text kann z. B. der eine Teil des Wurzelprädikates früher in Anspruch genommen werden als der andere. Die Analogie zwischen Dom und Hochwald kann in einem stimmungsvollen Erzähltext zunächst auf die Ähnlichkeit von Säulen und Baumstämmen und erst später zusätzlich auf die gespürte Gottesnähe gestützt werden. In dieser — chronologischen — Hinsicht kann der eine Teil des voUständigen Wurzelprädikates dem anderen vorgeordnet sein. Im vorigen Kapitel war die Rede von Analogiepartnern, die einerseits demselben Bildfeld angehören, andererseits jedoch zusätzliche Gemeinsamkeiten aufweisen, die in der Strukturformel des Bildfeldes nicht berücksichtigt sind. In einem solchen Fall betrachteten wir die bildfeldgestützte Gemeinsamkeit als vorgeordnet gegenüber der zusätzlichen. Die Art der Erweiterung einer Analogiewurzel von einem vorgeordneten auf einen nachgeordneten Teil — also die Einbeziehung der nachgeordneten Gemeinsamkeit in die Analogiewurzel — nennen wir Proliferation: Eine Analogiewurzel beginnt gleichsam zu wuchern. Die argumentative Nutzung der Analogie bietet ein besonders eindrückliches Beispiel der Proliferation. Die Rangordnung der Wurzelteile beruht in diesem Fall auf einer Geltungsabhängigkeit. Der vorgeordnete Teil der Wurzel, der selbst schon in Geltung steht, bringt — bei gelun-

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Argumentative Nutzung der Analogie

gener Argumentation — auch den nachgeordneten Teil in Geltung. Das Analogie-Argument schließt, daß ein bestimmter Beschreibungsinhalt, der für einen von zwei Analogiepartnern gilt, auch auf den anderen zutrifft. Der Schluß stützt sich auf den Umstand, daß auch ein anderer, vorgeordneter Beschreibungsinhalt für beide Analogiepartner gemeinsam gilt. Er erweitert also die Analogiewurzel von dem in Geltung befindlichen vorgeordneten auf den in Geltung zu bringenden nachgeordneten Prädikatsteil. Man kann den Analogieschluß als Viersatzschema darstellen. (1) (2) (3)

Ein Hammer findet sich in fast jedem Haushalt. Eine Zange ebenso. Ein Hammer kostet nicht viel.

(4)

Eine Zange (dann wohl) auch nicht.

Die ersten drei Sätze bilden die Prämissen, der vierte die Konklusion des Analogieschlusses. Alle vier Sätze zusammen ergeben eine zweiteilige Analogiewurzel. Die beiden ersten Sätze bilden den vorgeordneten, auch ohne die Argumentation in Geltung befindlichen Teil, die beiden letzten den nachgeordneten, den erst die Argumentation in Geltung bringen soll. Von den beiden Beschreibungen, die den nachgeordneten Teil der Analogiewurzel ausmachen, ist die erste (3) ebenfalls ohne Argumentation in Geltung. Sie kann deshalb als Prämisse dienen, ist aber für sich allein noch kein Wurzelteil, da jeder Wurzelteil aus den inhaltsgleichen Beschreibungen zweier Gegenstände bestehen muß. Satz (3) bildet erst mit Satz (4), den die Argumentation in Geltung bringen soll, den nachgeordneten Teil einer zweiteiligen Gesamtwurzel. Das benutzte Viersatzschema könnte in unserer Symbolik wie folgt wiedergegeben werden: (a) A

Prämissen

vorgeordneter Wurzelteil

(b)A (a) Β (b) Β

nachgeordneter Wurzelteil Konklusion

Dem Analogieschluß liegt kein formal gültiges Schlußschema zugrunde: Die Konklusion kann, wie folgendes Beispiel zeigt, falsch sein, auch wenn alle Prämissen wahr sind.

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Grundlegung

(a) (b) (a)

A A C

Ein Hammer findet sich in fast jedem Haushalt. Eine Zange ebenso. Ein Hammer hat einen Holzstiel.

(b)

C:

Eine Zange (dann wohl) ebenso.

Eine Zange hat, wie man weiß, im Allgemeinen keinen Holzstiel. Der Analogieschluß ist also nicht zwingend - aber auch nicht durch und durch irrational. Er kann eine Vermutung stützen, solange keine besseren Argumente gegen sie sprechen. Um die — bedingte — Rationalität des Analogieschlusses zu erklären, muß man auf stillschweigende Voraussetzungen zurückgreifen, die Sprecher und Hörer bewußt oder unbewußt gelten lassen. Der Analogieschluß würde auf einen Schlag zwingend, wenn folgende Voraussetzung gälte: ,Zwei Gegenstände (oder Gegenstandsmengen), auf die ein gemeinsamer Beschreibungsinhalt zutrifft (die also in Analogie zueinander stehen), verhalten sich auch gegenüber jedem beliebigen anderen Beschreibungsinhalt gleich; d. h. er trifft entweder auf beide oder auf keinen von beiden zu.' Die Hypothese des unbegrenzten Gleichverhaltens von Analogiepartnern gegenüber beliebigen Prädikaten würde besagen, daß jeder erdenkliche Beschreibungsinhalt nie einem Analogiepartner allein, sondern immer beiden zugleich entweder zukommt oder nicht zukommt. Unter dieser Voraussetzung wäre der in den Sätzen (1) und (2) des Analogieschlusses geführte Nachweis, daß zwei Gegenstände in einem Analogieverhältnis zueinander stehen, in Verbindung mit der in Satz (3) getroffenen Feststellung, daß einem der Gegenstände ein bestimmter weiterer Beschreibungsinhalt zukommt, ein schlüssiger Beweis, daß dieser Beschreibungsinhalt auch dem anderen Gegenstand zukommt. Es wäre jedoch verwegen, den Verwendern des Analogieschlusses die Hypothese des unbegrenzten Gleichverhaltens aller Analogiepartner zu unterstellen. In der Regel wissen Sprecher und Hörer sehr wohl, daß zwei Analogiepartner zwar in bestimmter, aber keineswegs in jeder erdenklichen Hinsicht gleich sind. Sie verwechseln den Hammer nicht mit der Zange, nur weil beides Werkzeuge sind, die in kaum einem Haushalt fehlen. Sie wissen, daß Zangen im Gegensatz zu Hämmern keine Holzstiele haben und daß man mit ihnen die Nägel aus dem Brett herauszieht, die man mit dem Hammer hineingeschlagen hat. Dennoch beruht jeder Analogieschluß auf einer Hypothese des Gleichverhaltens. Zwar unterstellt man kein unbegrenztes, wohl aber

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Argumentative Nutzung der Analogie

ein begrenztes Gleichverhalten der Analogiepartner. Das Prädikat A der vorgeordneten, anerkannten Wurzel evoziert und exemplifiziert bei gelungener Argumentation eine Menge von Prädikaten, die sich gegenüber den Gegenständen a und b gleichverhalten, die also nur beiden Gegenständen gemeinsam, nicht jedoch einem unter Ausschluß des anderen zukommen oder nicht zukommen. In diese durch A exemplifizierte Prädikatenmenge, die wir als Gleichverhaltensmenge (in Bezug auf a und b) bezeichnen wollen, gehört nach stillschweigender Voraussetzung des Argumentierenden auch B. Die schlüssige Idealform des Analogieschlusses entspräche etwa folgendem Schema: Das Prädikat B, das der Schlußsatz dem Gegenstand b zuspricht, gehört wie das Prädikat A, das anerkanntermaßen beiden Gegenständen zukommt, in eine Gleichverhaltensmenge zu den Gegenständen a und b. Nun aber kommt Β dem Gegenstand a zu. Also auch dem Gegenstand b. Wenn die beiden Prämissen wahr sind, muß auch der Schlußsatz wahr sein: Das Schema ist schlüssig. Im real existierenden Analogieschluß wird jedoch die notwendige erste Prämisse des Idealschemas nicht förmlich behauptet, sondern nur vage unterstellt: Das Prädikat A der schon anerkannten, vorgeordneten Analogiewurzel dient sich als Beispiel einer Gleichverhaltensmenge an, zu der auch Β gehört. Ob Β tatsächlich in eine solche Prädikatenmenge gehört, kann das Viersatzschema des real existierenden Analogieschlusses nicht nachweisen. Es liefert nicht einmal Anhaltspunkte zu einer Kennzeichnung dieser Menge. Der Schluß ist plausibel für einen Hörer, den das Wurzelprädikat A tatsächlich zur Konzeption einer Gleichverhaltensmenge (oder zur Erinnerung an sie) anregt, der außer A auch Β angehört. Ein logischer Zwang zur Anerkennung einer solchen Prädikatenmenge besteht jedoch nicht. Dem Argumentationsteilnehmer, der den Analogieschluß plausibel findet, braucht die exakte Definition der Gleichverhaltensmenge, die er anerkennt, nicht bewußt zu sein. Die Unterstellung des Gleichverhaltens der Prädikate A und Β kann sich auf den vagen Eindruck einer Familienähnlichkeit stützen. In folgendem Beispiel könnte A eine Gleichverhaltensvermutung anregen, die in Bezug auf Hund und Wolf für gröbere biologische Klassifikationen gelten würde, biologischen ,Kleinkram' oder gar Merkmale der Lebensweise jedoch ausschlösse.

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Grundlegung

(a) A (b) A (a) Β

Der Hund hat Reißzähne. Der Wolf auch. Der Hund ist ein Zehengänger.

(b) Β

Der Wolf (dann wohl) auch.

Die beiden ersten Sätze des Viersatzschemas evozieren und exemplifizieren eine vermutbare Gleichverhaltensmenge X, aus der auch das Prädikat Β der dritten Prämisse und des Schlußsatzes stammt. Die Voraussetzving, von der die Plausibilität des Analogieschlusses abhängt, läßt sich in einem Wenn-Satz formulieren: Wenn der Adressat das Prädikat des dritten und vierten Satzes tatsächlich als Element einer Gleichverhaltensmenge X sieht, die durch das Prädikat des ersten und zweiten Satzes exemplifiziert wird, findet er den Analogieschluß plausibel. Der Schluß trifft objektiv ins Schwarze, wenn A und Β tatsächlich Elemente einer Gleichverhaltensmenge (zu den fraglichen Analogiepartnern) sind. Als Gegenstück zum Analogieschluß läßt sich ein Argumentationsverfahren konstruieren, das auf der Annahme nicht des Gleichverhaltens, sondern des Ungleichverhaltens zweier Gegenstände beruht. (a) A: (b) Nicht-A: (a) B:

Neapolitaner lieben das Leben auf offener Straße. Hamburger nicht. Neapolitaner singen gern bei der Arbeit.

(b) Nicht-B:

Hamburger (dann wohl) nicht.

Der Schluß ist plausibel, wenn das Prädikat A in Bezug auf die Gegenstände a und b eine Ungleichverhaltensmenge exemplifiziert, zu der auch Β gehört. Es könnte sich etwa um die Menge der Prädikate handeln, die Besonderheiten der äußeren Lebensweise und des Temperaments benennen. Der positive Analogieschluß gewinnt aus der Vermutung, daß Β zu einer durch A exemplifizierten Gleichverhaltensmenge gehört, und aus der Feststellung, daß Β dem Gegenstand a zukommt, die Vermutung, daß es auch dem Gegenstand b zukommt. Das negative Gegenstück des Analogieschlusses gewinnt aus der Vermutung, daß Β zu einer durch A exemplifizierten Ungleichverhaltensmenge gehört, und aus der Feststellung, daß Β dem Gegenstand a zukommt, die Vermutung, daß es dem Gegenstand b nicht zukommt.

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Argumentative Nutzung der Analogie

2 Analogieschluß und aristotelische parabolé Zwischen Prädikaten derselben Gleichverhaltensmenge können — wie überhaupt zwischen Beschreibungsinhalten — Implikationsverhältnisse bestehen. Das Zutreffen des Prädikates ,Säugetier' ζ. B., das zur Gleichverhaltensmenge von Wolf und Hund gehört, impliziert das Zutreffen des Prädikates .lebendgebärend', das folglich in dieselbe Gleichverhaltensmenge gehört. Vom Zutreffen des ersten Beschreibungsinhaltes kann man auf das Zutreffen des zweiten schließen: ,Für alle X: Ist X ein Säugetier, dann ist es auch ein lebendgebärendes Tier.' Der echte Analogieschluß beruht jedoch nicht auf der Ausnutzung von Implikationsverhältnissen, die zwischen den Prädikaten der unterstellten Gleichverhaltensmenge bestehen. Deshalb ist zweifelhaft, ob folgender Viersatzablauf einen echten Analogieschluß wiedergibt. (a) A (b) A (a) Β

Die Wölfin ist ein Säugetier. Die Koalabärin auch. Die Wölfin gebiert lebende Junge.

(b) Β

Die Koalabärin (dann wohl) auch.

Ein duchschnittlicher Sprachteilnehmer kennt das Implikationsverhältnis zwischen ,Säugetier' und ,lebendgebärend'. Er kann also den Schluß, daß die Koalabärin lebende Junge gebiert, aus der bloßen FeststeUung ziehen, daß sie Säugetier ist. Der Vergleich mit der Wölfin verliert dabei seinen Sinn. Der Schluß beruht auf der — nicht auf besondere Gegenstände beschränkten — Abhängigkeit der Anwendbarkeit des Prädikates Β von der Anwendbarkeit des Prädikates A, nicht dagegen auf der Vermutung, daß Β in die durch A exemplifizierte Gleichverhaltensmenge zu a und b gehört. Eine Gleichverhaltensmenge von Prädikaten ist auf eine bestimmte Menge analoger Gegenstände bezogen. Innerhalb dieser Menge gelten mit Bezug auf diese Gegenstände Implikationsverhältnisse: Wenn ein Prädikat der Gleichverhaltensmenge auf einen der Bezugsgegenstände zutrifft, dann auch alle anderen; wenn nicht, dann auch alle anderen nicht. Mit Bezug auf andere Gegenstände brauchen diese Implikationen jedoch nicht zuzutreffen. Wollte man die obige Viersatzfolge als Analogieschluß gelten lassen, müßte man annehmen, daß Sprecher und Hörer das — nicht nur für bestimmte Bezugsgegenstände, sondern allgemein geltende — Implikationsverhältnis zwischen A und Β nicht kennen oder nicht beachten und daß sie A als Beispiel einer Gleichverhaltensmenge zu a und b

Analogieschluß und aristotelische parabolé

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auffassen (etwa der Menge grober biologischer Klassifikationen), zu der auch Β gehört. Die Gleichverhaltensunterstellung erlaubt dann den Schluß von (a) Β auf (b) B. Das aristotelische Beispielargument (Analytica Priora II, 24) stützt sich — im Gegensatz zu unserem Analogieschluß — auf ein allgemein geltendes Abhängigkeitsverhältnis zwischen zwei Prädikaten. Gleichwohl läßt es sich durch ein Viersatzschema wiedergeben, das sich von dem des Analogieschlusses äußerlich nicht unterscheidet. (a)

A

(b) A (a) Β

Der Krieg Thebens gegen Phokis war ein Krieg unter Nachbarstaaten. Ein Krieg Athens gegen Theben wäre das auch. Der Krieg Thebens gegen Phokis war ein Fehler.

(b) Β

Ein Krieg Athens gegen Theben wäre das (folglich) auch.

Der vierte Satz gibt die zu beweisende These wieder, der dritte den vorgetragenen Beispielfall. Die ersten beiden Sätze, die eine Analogiewurzel bilden, enthalten Beschreibungen, die beim Vortrag des Arguments gewöhnlich nicht angeführt werden, ohne deren Voraussetzung das Beispiel jedoch nicht überzeugen könnte. Das Beispielargument erweitert wie der Analogieschluß eine Analogiewurzel: Die Gegenstände a und b, die zunächst nur kraft des gemeinsamen Prädikats A analog sind, erhalten, wenn der Schluß anerkannt wird, Β als zusätzliches gemeinsames Prädikat. Die Wurzelerweiterung wird beim Beispielargument jedoch anders legitimiert als beim Analogieschluß. Am vorgetragenen Beispielfall (Satz 3) soll der Adressat ablesen, daß die unstrittige Zusprechbarkeit von Β an a durch die stillschweigend vorausgesetzte Zusprechbarkeit von A an a (Satz 1) zu erklären ist. Der vorgetragene Beispielfall, daß der Krieg Thebens gegen Phokis ein Fehler war, bringt den Adressaten auf den Gedanken, die Fehlerhaftigkeit sei durch den Umstand bedingt, daß der Krieg gegen einen Nachbarstaat geführt wurde: Ein Krieg gegen Nachbarn (A) ist immer ein Fehler (B). Anhand der Beschreibung (a) Β erkennt der Hörer die Zusprechbarkeit von A als hinreichende Bedingung für die Zusprechbarkeit von B. Diese Bedingung ist aber auch bei b erfüllt (Satz 2). Also gilt (b) B. Der Nerv der Argumentation ist der — ohne alle Begrenzung auf bestimmte Gegenstandsgruppen gültige — Zusammenhang zwischen den Beschreibungsinhalten A und B, nicht die Verwandtschaft zwischen den Beschreibungsgegenständen a und b: Wo immer A gilt, gilt — unabhängig von der Art der Gegenstände — auch B.

174

Argumentative Nutzung der Analogie

Beim Analogieschluß dagegen beruht der Übergang von (a) Β zu (b) Β auf dem Zusammenhang der Gegenstände und nicht der Beschreibungsinhalte. Der Adressat kommt nicht zu der Einsicht, daß die Zusprechbarkeit von A bei jedem beliebigen Gegenstand die Zusprechbarkeit von Β nach sich zöge; er gewinnt statt dessen den Eindruck, daß ein begrenztes Gleichverhalten der Gegenstände a und b, von dem das gemeinsame Prädikat A zeugt, auch das Prädikat Β betrifft und daß folglich (b) Β gelten muß, wenn (a) Β gilt. Der Analogieschluß ergibt sich aus dem Zusammenhang der Beschreibungsgegenstände, nicht der Beschreibungsinhalte, wie folgendes Beispiel verdeutlichen soll: (a) A (b) A (a) Β (b) Β

Im Glücksspiel sind Gewinn und Verlust unvorhersehbar verteilt. Im Leben auch. Im Glücksspiel läßt sich die Verteilung von Gewinn und Verlust durch Betrug beeinflussen. Im Leben auch.

Der Argumentationsteilnehmer erkennt nicht etwa in der unvorhersehbaren Verteilung von Gewinn und Verlust (A) — ganz gleich, wo diese Verteilung stattfindet — die hinreichende Bedingung für einen aussichtsreichen Betrugsversuch (B), sondern er hält den Betrug im Leben für aussichtsreich, weil er auch beim Glücksspiel Erfolg verspricht, das sich — in einem freilich nicht genau abgrenzbaren Bereich — wie das Leben verhält. Der Unterschied zwischen Analogieschluß und Beispielargument zeigt sich in der unterschiedlichen Erweiterbarkeit des Viersatzschemas zur Erhöhung der Plausibilität des Schlusses. Man verstärkt einen Analogieschluß, indem man die Beispiele des Gleichverhaltens der Analogiepartner vermehrt, indem man also zeigt, daß denselben Gegenständen noch mehr Prädikate als nur A gleichermaßen zukommen bzw. nicht zukommen. Unverstärkter Analogieschluß (a) A (b) A (a) Β (b) Β

Verstärkter Analogieschluß (a) A (b) A (a) C (b) C (a) B (b) C

175

Analogieschluß und aristotelische parabolé

Dagegen verstärkt man ein Beispielargument, indem man weitere Gegenstände anfuhrt, bei denen mit der Zusprechbarkeit von A auch die Zusprechbarkeit von Β gegeben ist. Unverstärktes Beispielargument (a) A (b) A (a) Β (b) B

Verstärktes Beispielargument (a) A (a) B (c) A (c) B (b) A (b) B

Der Analogieschluß wird durch Beschreibungen erweitert, die das Gleichverhalten zweier Gegenstände (a und b) in Bezug auf mehr Prädikate als nur A bestätigen. Das Beispielargument hingegen wird durch Beschreibungen erweitert, die bestätigen, daß bei mehr Gegenständen, auf die A zutrifft, auch Β zutrifft. In beiden Argumentationsarten verstärkt die Erweiterung den Induktionswert der vorausgesetzten Analogiewurzel: (a)A und (b)A. Die Induktion verfolgt jedoch innerhalb des Analogieschlusses ein anderes Beweisziel als innerhalb des Beispielarguments. Der verstärkte Analogieschluß bringt weitere Beispiele für das Gleichverhalten der Gegenstände a und b. Er zielt auf den Satz ab, daß die Gegenstände a und b sich gegenüber einer Menge von Prädikaten, in die auch A und Β gehören, grundsätzlich gleich verhalten. Das Beispielargument dagegen führt zusätzliche Gegenstände an, denen die Prädikate A und Β gleichermaßen zukommen. Es zielt auf den Satz ab, daß Β auf alle Gegenstände zutrifft, auf die auch A zutrifft. Natürlich bleiben die Induktionen auch bei noch so starker Erweiterung des Viersatzschemas unvollständig und deshalb ohne endgültigen Beweiswert. Eine vollständige Induktion müßte den zu stützenden Schlußsatz (b) Β als schon anerkannt voraussetzen. Verstärkter Analogieschluß (a) (b) (a) (b) (a)

A A C C Β

Hunde haben Reißzähne. Wölfe auch. Hunde sind anfällig für Tollwut. Wölfe auch. Hunde sind Zehengänger.

(b) Β Wölfe (dann wohl) auch.

176

Argumentative Nutzung der Analogie

Verstärktes Beispielargument (a) (a) (c) (c) (b)

A Β A Β A

Kanzler Kanzler Kanzler Kanzler Kanzler

Brandt gehörte der SPD an. Brandt beugte sich dem Druck der Gewerkschaften, Schmidt gehörte der SPD an. Schmidt beugte sich dem Druck der Gewerkschaften. Schröder gehört der SPD an.

(b) Β Kanzler Schröder beugt sich (dann wohl auch) dem Druck der Gewerkschaften. Die aristotelische parabolé wird im Deutschen gelegentlich als Analogieschluß bezeichnet. Sie ist in Wahrheit ein Beispielargument und wird von Aristoteles auch als solches behandelt (Rhetorik II, 20). Wie jedes Beispielargument läuft sie, wenn auch anders als der Analogieschluß, auf die Erweiterung einer Analogiewurzel hinaus und zählt den noch unerweiterten, vorgeordneten Teil der Wurzel zu ihren unausgesprochenen Prämissen. Aristoteles führt folgendes Argumentationsbeispiel an (Rhetorik II, 20): Hohe politische Amtsträger dürfen nicht durch das Los bestimmt werden. Das wäre so, als wählte man Wettkampfteilnehmer nicht nach ihren Siegeschancen, sondern nach dem Losglück aus. Der Argumentation läßt sich folgendes Viersatzschema zugrunde legen: (a) A Die Auswahl von Wettkampfteilnehmern verlangt die Berücksichtigung der unterschiedlichen Eignung der Kandidaten. (b) A Die Auswahl hoher politischer Amtsträger ebenso. (a) Β Die Auswahl von Wettkämpfern darf nicht dem Los überlassen werden. (b) Β Die Auswahl hoher politischer Amtsträger auch nicht. Die beiden ersten Sätze, die beim Vortrag des Arguments nicht unbedingt angeführt werden, bilden die Wurzel einer — nicht-trivialen — Analogie (zwischen der Bestimmung zu politischen Amtern und zur Wettkampfteilnahme). Der dritte Satz enthält das angeführte unstrittige Beispiel. Der Hörer soll bei der Betrachtung des Beispielfalles auf den Gedanken kommen, der im ersten Satz anklingt, daß nämlich der Losentscheid deshalb unsinnig ist, weil die unterschiedliche Leistungskraft der Kandidaten bei der Auswahl ins Gewicht fallen muß. Dieselbe Forderung gilt aber auch für die Auswahl politischer Amtsträger, und diese

Analogieschluß bei mehrstelliger Analogiewurael

177

Einsicht soll den Hörer dazu bewegen, die Abwegigkeit des Losentscheides vom Beispielfall der Wettkampfteilnehmer in den zu klärenden Fall der politischen Amtsträger zu übernehmen. Der Nerv der Argumentation ist nicht - wie beim Analogieschluß — das grundsätzliche Gleichverhalten zweier Gegenstände in einem begrenzten Bereich, sondern der Zusammenhang zweier Beschreibungsinhalte: Wo A zutrifft, muß auch Β zutreffen. Wo es auf die Eignung ankommt, die von Kandidat zu Kandidat verschieden ist, muß der Losentscheid unterbleiben. Eine Verstärkung der parabole muß nicht etwa Beispiele des Gleichverhaltens derselben Gegenstände (Politiker und Wettkampfteilnehmer) gegenüber weiteren Beschreibungsinhalten liefern, sondern weitere Gegenstände nennen, denen dieselben beiden Prädikate gleichermaßen zukommen. Aristoteles erweitert die zitierte Argumentation um folgendes Beispiel: „Es wäre auch dasselbe, als wenn man den Steuermann unter den Matrosen durch Losentscheid auswählte." Dem verstärkten Argument entspricht folgendes Sechssatzschema: (a) A Die Auswahl von Wettkampfteilnehmern verlangt die Berücksichtigung der unterschiedlichen Eignung der Kandidaten. (a) Β Die Auswahl von Wettkampfteilnehmern verbietet den Losentscheid. (c) A Die Auswahl eines Steuermanns verlangt die Berücksichtigung der unterschiedlichen Eignung der Kandidaten. (c) Β Die Auswahl eines Steuermanns verbietet den Losentscheid. (b) A Die Auswahl hoher politischer Amtsträger verlangt die Berücksichtigung der unterschiedlichen Eignung der Kandidaten. (b) Β Die Auswahl hoher politischer Amtsträger verbietet den Losentscheid.

3 Analogieschluß bei mehrstelliger Analogiewunçel Ein Analogieschluß kann auf der Analogie nicht nur von Einzelgegenständen, sondern auch von geordneten Gegenstandsmengen beruhen. Am Anfang des Discours de la méthode will Descartes deutlich machen, daß Fortschritt in der wissenschaftlichen Erkenntnis entscheidend von der richtigen Forschungsmethode abhängt und nicht von der wechselnden Stärke individueller Geistesgaben wie Schnelligkeit der Auffassung,

178

Argumentative Nutzung der Analogie

Fantasie oder Gedächtnis. Die Vernunft {la raison), die wichtigste Geistesgabe, ist nach Descartes ohnehin bei allen Menschen gleich. [...] ce n'est pas assez d'avoir l'esprit bon, mais le principal est de l'appliquer bien. Les plus grandes âmes sont capables des plus grands vices, aussi bien que des plus grandes vertus; et ceux qui ne marchent que fort lentement peuvent avancer beaucoup davantage, s'ils suivent toujours le droit chemin, que ne font ceux qui courent, et qui s'en éloignent. [...] es reicht nicht, einen gut ausgestatteten Geist zu haben; das Entscheidende ist, ihn richtig anzuwenden. Die größten Seelen sind der größten Laster ebenso fähig wie der größten Tugenden; und wer nur langsam geht, kann viel weiter kommen, wenn er sich immer an den rechten Weg hält, als wer läuft und dabei vom rechten Weg abkommt. Um den Vorrang der Methode beim Erkenntnisfortschritt darzulegen, bedient Descartes sich eines Analogieschlusses, der — zu einer bereits anerkannten Analogie — ein neues Wurzelprädikat in Geltung bringt. Die bereits gültige Analogie, die dem neuen Wurzelprädikat Geltung verschaffen soll, läßt sich in folgendem Bildfeld darstellen: A Β

1 Fortbewegung Denken

2 Geschwindigkeit Stärke der eingesetzten, individuell verschiedenen Geistesgaben

3 Weg Methode

Strukturformel I: Bei gegebenem [3] kommt [1] mit großem [2] weiter als mit kleinem. Das nachgeordnete, in Geltung zu bringende Wurzelprädikat, das den — auf Grund des Prädikats I bereits analogen — Gegenstandsmengen der Bereiche A und Β zugesprochen werden soll, entspricht der Strukturformel K: Bei kleinem [2] gelangt [1] unter Wahrung des rechten [3] in demselben Zeitraum näher ans Ziel als mit großem [2] unter Verfehlung des rechten [3]. Für den Bereich der Fortbewegung ist dieses Prädikat fraglos gültig. Die durch I begründete Analogie der Gegenstandsmengen soll die Gültigkeit von Κ für den Bereich des Denkens kautionieren. Die anerkannte Gültigkeit des Prädikats I wird als Beispiel für das Gleichverhalten der Gegenstandsmengen A und Β gegenüber einer bestimmten Prä-

179

Analogieschluß bei mehrstelliger Analogiewurzel

dikatenmenge aufgefaßt, zu der außer I auch Κ gehört. Der Analogieschluß erweitert das Wurzelprädikat von dem bereits anerkannten und daher vorgeordneten Teil I auf den mit Hilfe von I in Geltung gebrachten, nachgeordneten Teil K. Das Viersatzschema des Descartesschen Analogieschlusses stellt sich wie folgt dar: (Fortbewegung, (Denken, (Fortbewegung,

Geschwindigkeit, individuelle Geistesgaben, Geschwindigkeit,

Weg) Methode) Weg)

I I Κ

(Denken,

individuelle Geistesgaben,

Methode)

Κ

Von Descartes, der den Analogieschluß gern benutzte, solange er nicht wissenschaftlich streng, sondern im Konversationston argumentierte, stammt auch das folgende Beispiel, dem eine vierstellige Wurzel zugrunde liegt. Der Philosoph stellt der französischen Ausgabe (1647) seiner Principia philosophiae einen Brief an den Ubersetzer voran, in dem er die Philosophie mit einem Baum vergleicht: Ainsi toute la philosophie est comme un arbre, dont les racines sont la métaphysique, le tronc la physique, et les branches qui sortent de ce tronc sont toutes les autres sciences, qui se réduisent à trois principales, à savoir la médecine, la mécanique et la morale; j'entends la plus haute et la plus parfaite morale, qui présupposant une entière connaissance des autres sciences, est le dernier degré de la sagesse. Or, comme ce n'est pas des racines ni du tronc des arbres qu'on cueille des fruits, mais seulement des extrémités de leurs branches, ainsi la principale utilité de la philosophie dépend de celles de ses parties qu'on ne peut apprendre que les dernières. So ist die ganze Philosophie wie ein Baum. Die Wurzeln sind die Metaphysik, der Stamm ist die Physik [Naturphilosophie], und die Zweige, die aus diesem Stamm hervorwachsen, sind alle die anderen Wissenschaften, die sich auf drei hauptsächliche zurückfuhren lassen: Medizin, Mechanik und Moral. Ich meine damit die höchste und vollkommenste Moral, die eine vollständige Kenntnis der anderen Wissenschaften voraussetzt und die höchste Stufe der Weisheit bildet. Wie man nun Früchte nicht von den Wurzeln noch vom Stamm der Bäume pflückt, sondern nur von den Enden der Zweige, so hängt der Hauptnutzen der Philosophie von den Teildisziplinen ab, die man erst als letzte erlernen kann. Descartes will mit einem Analogieschluß deutlich machen, daß der lebenspraktische Nutzen der Philosophie sich aus den Teildisziplinen

180

Argumentative Nutzung der Analogie

ergibt, deren wissenschaftliche Ausarbeitung Physik und Metaphysik voraussetzt. Zuerst muß die Metaphysik entwickelt werden, dann auf der Grundlage der Metaphysik die Physik, bevor wiederum auf deren Grundlage Medizin, Mechanik und Moral ausgearbeitet werden können, an denen der lebenspraktische Nutzen der Philosophie hängt. Wie jeder Analogieschluß nutzt auch dieser eine anerkannte Gemeinsamkeit zweier Analogiepartner aus, um die Übertragung eines — außerhalb dieser Gemeinsamkeit liegenden — Beschreibungsinhalts von einem Analogiepartner, dem er unstrittig zukommt, auf den anderen zu beglaubigen. Auf diese Weise erhält die gegebene Analogie eine zweite Wurzel. Die anerkannte Gemeinsamkeit, auf der die erste Analogiewurzel beruht, läßt sich in folgendem (um 90° gekippten) Bildfeld darstellen: A Β 1 der Baum als Ganzes die Philosophie (Wissenschaft) als Ganzes 2 Wurzeln Metaphysik 3 Stamm Physik 4 Zweige die übrigen Wissenschaften, insbesondere Medizin, Mechanik und Moral Strukturformel I: In [1] bilden die Teilbereiche [2], [3] und [4] eine Fundierungs- bzw. Voraussetzungskette: [4] kann es nicht ohne [3] und [3] nicht ohne [2] geben. Die zweite Wurzel, die durch den Analogieschluß in Geltung gebracht wird, spricht den analogen Gegenstandsmengen A und Β folgenden Beschreibungsinhalt zu: K: Der Nutzen von [1] hängt an [4], nicht an [3] oder [2]. Der Beschreibungsinhalt Κ ist für den Bereich ,Baum' als gültig anerkannt. Jeder weiß, daß Äpfel an den Zweigen und nicht am Stamm oder an den Wurzeln hängen. Die anerkannte Gemeinsamkeit I, die für Baum und Philosophie gilt, soll für die Ubertragbarkeit des Inhalts Κ auf den Bereich .Philosophie' bürgen. Das Beispiel zeigt besonders deutlich, daß beim Analogieschluß die in Geltung gebrachte Wurzel Κ eine Erweiterung (Proliferation) der vorgeordneten Wurzel I darstellt. Der Analogieschluß bezieht eine Eigenschaft, die bisher nur einem der beiden Analogiepartner fraglos zugestanden wurde, in die analogiebegründende Gemeinsamkeit ein. Statt I gilt nun die Vereinigung von I und Κ als Wurzelprädikat.

IX Paradigmatik der Analogie Zwischen verschiedenen Analogien, die in verschiedenen Texten geäußert oder präsupponiert werden, kann ein systematischer Zusammenhang bestehen, der ihre Einordnung in ein gemeinsames Analogienparadigma rechtfertigt. Die Sätze .Der Beleidigte zahlte mit gleicher Münvg zurück' und .Friedrich der Große prägte das Wort vom ersten Diener des Staates' enthalten verwandte Metaphern, auch wenn sie in keinem diskursiven Zusammenhang miteinander stehen. Dasselbe gilt für die Sätze ,Nero spielte nur eine Nebenrolle in der Geschichte Roms' und ,Gott schrieb die Tragödie der Menschheitsgeschichte'. Der systematische Zusammenhang zwischen Analogien erleichtert ihr Verständnis. Der Hörer kann eine Analogie, die ihm neu ist, schneller deuten, wenn er andere Teile desselben Paradigmas kennt. Wem die Metapher vom Gefängnis der Ehe geläufig ist, wird leichter verstehen, warum ein Ehemann die Familie seiner Frau als Wachpersonal bezeichnet. Paradigmatisch verwandte Analogien können natürlich auch in einem gemeinsamen Kontext vorkommen. Kapitel VII befaßte sich mit Gedichten, deren Bildgebrauch durch wurzelgleiche Analogien bestimmt wurde. Die Wurzelgleichheit ist eine Form der paradigmatischen Verwandtschaft, die zwischen analogischen Äußerungen sowohl desselben wie auch verschiedener Texte bestehen kann. Das vorliegende Kapitel erörtert die Frage, wie paradigmatische Zusammenhänge zwischen Analogien definiert und nach welchen Kriterien Analogien paradigmatisch gruppiert werden können.

1 Der Weinrichsche Bildfeldbegriff Harald Weinrich hat in dem Aufsatz Mittlre und Wort (Weinrich 1976: 276 ff.), der 1958 erstmals erschien und der Metaphernforschung neuen Auftrieb gab, die paradigmatische Einbettung der Einzelmetapher untersucht. Er geht von der Feststellung aus, daß jede Metapher zwei verschiedene .Sinnbezirke' — d.h. Sach- oder Bedeutungsbereiche — miteinander verbindet. Wer etwa — bei der Schilderung eines Aus-

182

Paradigmatik der Analogie

tauschs von Verbalinjurien — sagt, der Beleidigte habe ,mit gleicher Mün2e zurückgezahlt', koppelt in der benutzten Metapher den Bereich des Geldverkehrs an den des Sprachverkehrs. Nun lassen sich sehr viele Sachbereiche aufzählen, von denen in einer gegebenen Kultursprache mündlich oder schriftlich die Rede ist. Um viele Male größer ist die Zahl der theoretisch denkbaren Bereichkopplungen. Erstaunlicherweise kommen jedoch beim Metapherngebrauch die verschiedenen Bereichkopplungen nicht in der Häufigkeit vor, die angesichts der Vorkommenshäufigkeit der jeweils gekoppelten Einzelbereiche zu erwarten wäre. Aus der Häufigkeit der Bereiche Landwirtschaft und Krieg läßt sich die Häufigkeit der metaphorischen Kopplung dieser Bereiche nicht berechnen. Es gibt bevorzugte, vernachlässigte und kaum je vollzogene Kopplungen. Die erdrückende Mehrheit der benutzten Metaphern läßt sich auf eine überschaubare Anzahl von Bereichkopplungen zurückfuhren. Im Regelfall gehört eine Metapher — aus paradigmatischer Sicht — in eine größere Metaphernmenge, deren jedes Element einen Ausdruck aus demselben Bedeutungsbereich zur Beschreibung eines Gegenstandes aus demselben Sachbereich verwendet. Die Metapher ,Münze' etwa gehört, wenn sie ein Wort beschreibt, in dieselbe Menge wie die Metapher ,Thesaurus', wenn sie ein Wörterbuch beschreibt, und wie die Metapher ,prägen', wenn sie die Neuschöpfung oder neuartige Verwendung eines Wortes beschreibt. Alle drei Beispiele koppeln den Sachbereich der Sprache an den Bedeutungsbereich des Finanzwesens. Weinrich betrachtet die relativ wenigen Bereichkopplungen, zu denen die überwiegende Zahl aller Metaphern gehört, als Bestandteile des Sprachsystems (der langue)\ind führt zu ihrer Benennung das Wort .Bildfeld' in die Metaphernforschung ein. Das Weinrichsche Bildfeld ist die im Sprachsystem vorgegebene Kopplung eines bildempfangenden an einen bildspendenden Sinnbezirk. Man kann die einzelnen Bildfelder anhand einer .zentralen' Metapher benennen. Das von Weinrich so genannte Bildfeld .Wortmünze' ist die paradigmatische Heimat aller Metaphern, die mit einem Wort aus dem Bereich des Finanzwesens einen Gegenstand aus dem Bereich der Sprache beschreiben. Metaphern dieses Paradigmas liegen z.B. in folgenden Sätzen vor: .Alte Wörter und alte Münzen erhalten manchmal, wenn sie außer Kurs gekommen sind, einen Liebhaberwert', .Übersetzungen sind im Gegensatz zum Original nur Kupfergeld', ,Sätze, in denen wir unsere Gefühle ausdrücken, sind ungedeckte Schecks'. Das Weinrichsche Bildfeld ist — ähnlich wie das Wortfeld der strukturellen Semantik, das bei der Namengebung Pate gestanden hat — ein

Der Weinrichsche Bildfeldbegriff

183

Teil des Sprachsystems. Mehr noch: Es ist gemeinsamer Besitz verschiedener Sprachen desselben Kulturkreises. Es lenkt — innerhalb seines Zuständigkeitsbereichs - Bildung und Verständnis der Metaphern. Die vorliegende Untersuchung verwendet das Wort .Bildfeld' allerdings anders: Bei uns bezeichnet es die tabellarische Darstellung einer Analogiewurzel, die eine geäußerte oder beim Sprechen vorausgesetzte Analogie expliziert. Weinrich liefert mit seinem Bildfeldbegriff eine Erklärung für Befunde der Sprach- und Literaturbeobachtung: Das Metaphernaufkommen eines gegebenen Kulturkreises kristallisiert sich um einige, nicht allzu viele Zentralmetaphern. In aller Regel ist die im Sprachverkehr angetroffene Metapher keine freie Erfindung des Sprechers: Ein spracheigenes Bildfeld liefert entweder das fertige Produkt oder wenigstens die Herstellungsanleitung. Bei aller Aufschlußkraft läßt der Weinrichsche Bildfeldbegriff zu viele Fragen offen, um als ausreichende Erklärung des Zusammenhangs zwischen verwendeter Analogie und paradigmatischem Hintergrund dienen zu können. Einige Bedenken: (1) Es scheint nicht recht klar, welcherlei Einheiten die gekoppelten Sinnbezirke enthalten sollen: Sind es Wörter, Bedeutungen oder Sachen? Aus unserer Sicht wäre es plausibel, wenn der bildempfangende Bereich beschreibbare Gegenstände, der bildspendende dagegen Wörter mit bestimmten Bedeutungen enthielte. Eine solche Unterscheidung der gekoppelten Sinnbezirke kommt jedoch bei Weinrich nicht vor. (2) Die Anwendung des Weinrichschen Bildfeldbegriffs scheint eine feststehende — womöglich linguistisch fundierte — Aufteilung der Sach- und Bedeutungswelt in Sinnbezirke vorauszusetzen. Diese Voraussetzving ist problematisch. Sind etwa ,Finanzwesen' und ,Sprache' Sinnbezirke, deren Abgrenzving und innerer Aufbau sich aus dem semantischen System der Sprache zwingend ergeben? Für den Bildfeldforscher liegt die Versuchung nahe, seine Sinnbezirke ohne Rücksicht auf anderweitige Fundierung so zu definieren, daß möglichst gehaltreiche Bildfelder entstehen. (3) Der Ausdruck .Kopplung der Sinnbezirke' verdeckt die Tatsache, daß die Kopplung nicht eigentlich zwischen den Bezirken als ganzen, sondern zwischen einzelnen Elementen der Bezirke stattfindet. Bestimmte Elemente des einen Bezirks werden an bestimmte — und keineswegs beliebige — Elemente des anderen gekoppelt. Die Metapher .Münze' beschreibt ein Wort, aber nicht den gesamten Wortschatz, wie umgekehrt die Metapher,Thesaurus' den Wortschatz, aber nicht das Einzelwort beschreibt. Das Bildfeld ist bei Lichte besehen eine Menge aus Paaren, deren erste Glieder

184

Paradigmatik der Analogie

alle aus einem gemeinsamen ersten Sinnbezirk und deren zweite Glieder alle aus einem gemeinsamen zweiten Sinnbezirk stammen. (4) Weinrichs Theorie sagt wenig über die innere Struktur des Bildfeldes und über das Motiv der Paarbildungen, die es enthält. Die Zugehörigkeit zu einem Weinrichschen Bildfeld deutet die Metapher nicht. Wer die Münze in den Sinnbezirk des Finanzwesens und das Wort in den Sinnbezirk der Sprache einordnet, erfaßt nicht notwendig den Beschreibungsinhalt, den die Metapher JVlünze' dem beschriebenen Wort zuordnet. Er kann aus der bloßen Bereichzugehörigkeit auch nicht den systematischen Zusammenhang erkennen, der zwischen dem Gebrauch der Metapher .Münze' zur Beschreibung eines Wortes und dem Gebrauch der Metapher .Münzsammlung' zur Beschreibung eines Wörterbuchs besteht. Wichtiger als die in beiden Fällen vorliegende Kopplung von Finanzwesen und Sprache ist die Gemeinsamkeit der Relation .Inhalt von', die sowohl zwischen Münze und Münzsammlung wie auch zwischen Wort und Wörterbuch besteht. Diese Relation ist jedoch keine Besonderheit der gekoppelten Bereiche. Sie besteht auch zwischen Müll und Mülleimer sowie zwischen Lernstoff und Gedächtnis. Zwischen den Metaphern .Müll' — zur Beschreibung von unnützem Lernstoff — und .Mülleimer' — zur Beschreibung des Gedächtnisses, das sich mit unnützem Lernstoff belastet, besteht daher unabhängig von der jeweiligen Bereichkopplung derselbe systematische Zusammenhang wie zwischen den Metaphern .Münze' und .Münzsammlung'. Was den Sinn einer Analogie erklärt, ist nicht die verschiedene Bereichzugehörigkeit der Analogiepartner, sondern der bereichübergreifende gemeinsame Beschreibungsinhalt. Den Sinn der Metapher .Müll' hat nicht schon verstanden, wer Müll dem Entsorgungs- und Lernstoff dem Unterrichtswesen zuordnet, sondern erst, wer beides als werdosen Ballast sieht. Was den systematischen Zusammenhang verschiedener Analogien erklärt, ist nicht die Gemeinsamkeit der Bereichkopplung, sondern, wie in den folgenden Kapiteln zu erklären sein wird, die Gemeinsamkeit einer relationalen Einbettung.

2 Systematische Zusammenhänge %wischen Analogiewur^eln Wir wollen annehmen, daß die gesammelte Analogie-Erfahrung eines Sprachteilnehmers das Formulieren und Verstehen von Analogien, wenn nicht allererst ermöglicht, so doch erleichtert. Das sprachliche

Systematische Zusammenhänge zwischen Analogiewurzeln

185

Gedächtnis enthält — neben einem Lexikon — auch ein Inventar geläufiger Analogiewurzeln, auf das der Sprecher beim Formulieren und der Hörer beim Entschlüsseln von Analogien zurückgreift. Die Inventare verschiedener Teilnehmer derselben Sprachgemeinschaft sind, wie wir annehmen wollen, nicht gleich, auch nicht gleich groß; aber sie überschneiden sich zu einem erheblichen Teil. Die Wurzel einer im Sprachverkehr vorgebrachten Analogie kann das getreue Abbild, aber auch ein Teilstück, ein anschließbares Zusatzstück, die Spezifikation oder die Generalisierung einer Wurzel des gespeicherten Inventars sein. Im Folgenden werden einige Beziehungen zwischen Analogiewurzeln näher erläutert, die den Anschluß einer im Sprachverkehr auftretenden, aber noch nicht gespeicherten Analogie an eine inventarisierte Wurzel gewährleisten. Dieselben Beziehungen können natürlich auch zwischen Wurzeln desselben Inventars bestehen. Sie gruppieren sich um die Begriffe .Erweiterung' und Spezifikation'. Die Erweiterung läßt eine Analogiewurzel anwachsen; eine kleinere Wurzel kann Teil einer erweiterten sein. Die Spezifikation begründet eine Hierarchisierung von Analogiewurzeln; die spezifischere Wurzel ist der allgemeineren untergeordnet. Die auf Wurzelgleichheit, Wurzelerweiterung und -Spezifikation beruhenden Beziehungen zwischen Metaphern ersetzen in unserer Theorie die Zuordnung zu einem gemeinsamen Weinrichschen Bildfeld. 2.1 Erweiterung Wir wollen eine Analogiewurzel als Erweiterung einer anderen bezeichnen, wenn sie alle Beschreibungen enthält, die auch in der anderen enthalten sind, und außerdem entweder die Zahl der Bereiche vermehrt oder den Inhalt des Wurzelprädikates anreichert. Das Wurzelprädikat wiederum kann mit oder ohne Vermehrung der Stellenzahl angereichert werden. Die verschiedenen Formen der Erweiterung sind kombinierbar. In folgendem Fall bildet die Wurzel W1 eine Erweiterung der Wurzel W2 durch Vermehrung der Bereiche: W1 (a) I (b) I (c) I (d) I

W2 (a) I (b) I

186

Paradigmatik der Analogie

Der Beriff der Reduktion bildet die Konverse zum Begriff der Erweiterung: Insofern W1 eine Erweiterung von W2 ist, ist W2 eine Reduktion von Wl. Der Teil, um den die erweiterte Wurzel die reduzierte erweitert, kann selbst schon eine Analogiewurzel sein. In diesem Fall entsteht die erweiterte Wurzel durch Komposition zweier reduzierter Wurzeln — wie im obigen Demonstrationsfall. Die Analogiewurzel (a) (b) (c) (d)

I I I I

ist komponiert aus (a) I (b) I

und

(c) I (d) I.

Aus der Geltung der erweiterten Wurzel folgt die Geltung der reduzierten, nicht jedoch umgekehrt aus der Geltung der reduzierten die der erweiterten. 2.1.1 Erweiterung durch Bereichvermehrung bei konstantem Wurzelprädikat Sowohl einstellige wie auch mehrstellige Analogiewurzeln können durch Bereichvermehrung erweitert werden. Ein Beispiel für den ersteren Fall: A Β C D

1 ständige Mißernte Trunksucht des Bauern Preisverfall Unverstand der Bäuerin

Strukturformel: [1] bedroht den Bestand des Hofes. Die Äußerung ,Trunksucht des Bauern ist wie ständige Mißernte' könnte auf folgender reduzierter Analogiewurzel beruhen: A Β

1 ständige Mißernte Trunksucht des Bauern

Strukturformel (wie oben): [1] bedroht den Bestand des Hofes.

Systematische Zusammenhänge zwischen Analogiewurzeln

187

Das Zusatzteil, das die reduzierte Wurzel zur erweiterten Wurzel ergänzt, ist in diesem Fall selbst eine vollständige Analogiewurzel: C D

1 Preisverfall Unverstand der Bäuerin

Sie könnte der Äußerung ,Eine unverständige Bäuerin ist wie stetiger Preisverfall' zugrunde liegen. Die erweiterte vierbereichige Wurzel ist also aus zwei — im Verhältnis zu ihr reduzierten - Wurzeln komponiert. Die folgende zweistellige und zweibereichige Analogiewurzel läßt sich als Reduktion einer dreibereichigen verstehen: A Β

1 Erinnerung Wasser

2 Kunst und Wissenschaft Welt

Strukturformel: [2] geht aus [1] hervor. Diese Wurzel könnte folgender metaphorischen Äußerung zugrunde liegen: ,Die Wissenschaft taucht aus dem Wasser der Erinnerung auf. Ein zusätzlicher Bereich C könnte die Gegenstandsmenge {Tugend, Glück} enthalten: A Β C

1 Erinnerung Wasser Tugend

2 Kunst und Wissenschaft Welt Glück

Strukturformel (wie oben): [2] geht aus [1] hervor. Die so erweiterte Wurzel könnte folgende Verhältnisgleichung erklären: ,Die Erinnerung ist für Kunst und Wissenschaft, was die Tugend für das Glück ist.' Der erweiternde Zusatz (Bereich C) besteht in diesem Fall aus nur einer Beschreibung, die für sich allein keine Analogiewurzel bildet. Die dreibereichige Wurzel ist also nicht aus zwei Wurzeln komponiert. Eine Analogiewurzel besteht aus mindestens zwei Beschreibungen. Man könnte die Beschreibung .Tugend ist die Mutter des Glücks' mit der Beschreibung .Müßiggang ist die Mutter der Armut' zu einer zweibereichigen Analogiewurzel vereinen und das Vereinigungsergebnis mit der Ausgangswurzel zu einer vierbereichigen Wurzel komponieren:

188

A Β C D

Paradigmatic der Analogie

1 Erinnerung Wasser Tugend Müßiggang

2 Kunst und Wissenschaft Welt Glück Armut

Strukturformel (nach wie vor): [2] geht aus [1] hervor. Die so erweiterte Wurzel könnte im Gegensatz zu den Wurzeln, aus denen sie komponiert ist, folgende Metapher erklären: .Müßiggang ist das urstoffartige Wasser der Armut'. Natürlich können auch Analogiewurzeln mit mehr als zwei Stellen durch Bereichvermehrung erweitert werden: A Β

1 Anorexie Feigheit

2 3 gesundes Ernährungsverhalten Bulimie Mut Tollkühnheit

Strukturformel: [2] ist die wünschenswerte Mitte zwischen den unerwünschten Extremen [1] und [3]. Ein anschließbarer dritter Bereich (C) könnte die Positionen .arktische Kälte', .gemäßigte Temperaturen' und .tropische Hitze' enthalten. Die erweiterte Wurzel würde u.a. folgende Analogiebildungen begründen: Arktische Kälte ist ein Schwundzustand im Bereich des Klimas wie Feigheit im Bereich der Moral und Anorexie im Bereich des Eßverhaltens. Tollkühnheit ist Bulimie des Mutes. Anorexie ist die Arktis des Appetits.

2.1.2 Erweiterung einer Analogiewurzel durch Anreicherung der Strukturformel bei konstanter Stellenzahl Zwei Beschreibungen, die demselben Gegenstand oder derselben Gegenstandsmenge zwei verschiedene Inhalte zusprechen, lassen sich — bei gleichbleibendem Informationsgehalt — zu einer Beschreibung mit angereichertem Inhalt zusammenfassen. Der neue Beschreibungsinhalt ist die Vereinigung der alten: Aus (a)A und (a)B wird (a)AUB. Bei der Zusammenfassung setzen wir voraus, daß die Inhalte kompatibel sind, insofern beide Beschreibungen von denselben Sprachteilnehmern aner-

Systematische Zusammenhänge zwischen Analogiewurzeln

189

kannt werden. Auch zwei Analogiewurzeln lassen sich zu einer zusammenfassen, wenn sie denselben Gegenständen oder Gegenstandsmengen verschiedene, aber kompatible Prädikate zuordnen: Aus (a) A (b) A und (a) Β (b)

Β

wird (a) AU Β (b) AUB. Aus zwei Bildfeldern mit denselben Bereichen, aber unterschiedlichen Strukturformeln entsteht ein drittes mit abermals denselben Bereichen und einer neuen Strukturformel, die sich aus den ersten beiden zusammensetzt. Beispiele: Bildfeld I 1 A Glücksspiel Β Leben Strukturformel I: [1] hält auf unberechenbare Weise Glück und Enttäuschung bereit. Bildfeld I 1 A Glücksspiel Β Leben Strukturformel K: In [1] bleibt trotz erlebter Enttäuschungen die Hoffnung auf Glück bestehen. Zusammengesetztes Bildfeld III 1 A Glücksspiel Β Leben

190

Paradigmatik der Analogie

Zusammengesetzte Strukturformel aus I und K: [1] hält auf unberechenbare Weise Glück und Enttäuschung bereit. Trotz erlebter Enttäuschungen bleibt die Hoffnung auf Glück bestehen. Auch mehrstellige Analogiewurzeln lassen sich zusammenfassen, wenn sie denselben Gegenstandsmengen verschiedene Prädikate zuordnen: Aus A Β

1 Latein Wolf

2 heutige romanische Sprachen heutige Hunderassen

Strukturformel I: [2] stammt von [1] ab. und A Β

1 Latein Wolf

2 heutige romanische Sprachen heutige Hunderassen

Strukturformel K: [2] ist dem modernen Menschen vertrauter und seinen Bedürfnissen angepaßter als das urtümliche [1]. entsteht A Β

1 Latein Wolf

2 heutige romanische Sprachen heutige Hunderassen

Zusammengesetzte Strukturformel aus I und K: [2], das von [1] abstammt, ist dem modernen Menschen vertrauter und seinen Bedürfnissen angepaßter als der Ahnherr [1].

2.1.3 Anreicherung der Strukturformel unter Vermehrung der Stellenzahl Die Stellenzahl einer Analogiewurzel ist auf zweierlei Weise vermehrbar: entweder endogen, sozusagen aus dem eigenen Fundus, oder exogen durch Einbeziehung von Gegenständen, die in der bisherigen Strukturformel nicht vorausgesetzt waren. Eine endogene Vermehrung der Stellenzahl ergibt sich, wenn ein Gegenstand in der Strukturformel des redu-

Systematische Zusammenhänge zwischen Analogiewurzeln

191

zierten Bildfeldes als Abstraktum benannt oder präsupponiert wird, ohne in den Gegenstandsmengen aufgeführt zu sein, während in der Strukturformel des erweiterten Bildfeldes gegensätzliche Konkretisationen dieses Abstraktums als eigene Stellen fungieren. Der Analogie von Abend und Greisentum könnte folgendes einstelliges Bildfeld zugrunde liegen: A Β

1 Abend Greisentum

Strukturformel: [1] ist die Endphase eines Ablaufs. Der in der Strukturformel genannte Ablauf wird in Verbindung mit jAbend' und .Greisentum' gegensätzlich konkretisiert: nämlich als Tag einerseits und als Menschenleben andererseits. Wenn man die in der Analogiewurzel enthaltenen Beschreibungen um diese Konkretisationen anreichert, entsteht — durch endogene Stellenvermehrung — aus dem einstelligen ein zweistelliges Bildfeld: A Β

1 Abend Greisentum

2 Tag Menschenleben

Strukturformel: [1] ist die Endphase des Ablaufs [2]. Wie man die Stellenzahl einer Analogiewurzel aus eigenem Fundus erhöhen kann, so kann man sie auch vermindern, indem man Detailanalogien streicht und statt ihrer einen gemeinsamen Oberbegriff der Analogiepartner in die Strukturformel einfuhrt. Aus der dreistelligen Analogiewurzel A Β

1 2 3 arktische Kälte gemäßigte Temperatur tropische Hitze Feigheit Mut Tollkühnheit

Strukturformel: [2] ist die erwünschte Mitte zwischen den unerwünschten Extremen [1] und [3]. entsteht eine zweistellige, wenn man die erste oder die dritte Stelle streicht und die fortgefallene Leerstelle in der Strukturformel durch den Oberbegriff .entgegengesetztes Extrem' repräsentiert. Eine einstellige Wurzel entsteht, wenn man sowohl die erste wie auch die dritte Stelle streicht und beide fortgefallenen Leerstellen in der Strukturformel durch den Begriff .gegensätzliche Extreme' ersetzt:

Paradigmatik der Analogie

192

1 A Β

gemäßigte Temperatur Mut

Strukturformel: [1] ist die erwünschte Mitte zwischen zwei unerwünschten gegensätzlichen Extremen. Die Erweiterung einer Analogiewurzel durch exogene Stellenvermehrung ist möglich, wenn außerhalb dieser Wurzel zwei Gegenstände gefunden werden, deren erster zu einem im Bildfeld aufgeführten Gegenstand G l dasselbe Verhältnis hat wie der zweite zu einem Gegenstand G2, der im Bildfeld als Analogiepartner von Gl aufgeführt ist. Nehmen wir an, eine Analogie zwischen Reise und Liebesverhältnis beruhe auf folgender Wurzel: A Β

1 Reise Liebesverhältnis

Strukturformel: [1] ist die Erkundung neuer Erfahrungsbereiche. Eine Reise kann durch Hindernisse wie gesprengte Brücken oder Reifenpannen gestört werden. Ebenso das Liebesverhältnis durch den Auftritt eines Rivalen. Reisehindernis und Rivale sind in der ursprünglichen Strukturformel weder ausgedrückt noch präsupponiert. Sie können aber von außen in das Bildfeld hereingeholt werden, weil es eine Relation gibt, die anerkanntermaßen sowohl zwischen Hindernis und Reise wie auch zwischen Rivale und Liebesbeziehung besteht: Der erste Beziehungsträger stört oder gefährdet den zweiten. A Β

1 Reise Liebesbeziehung

2 Hindernis Rivale

Strukturformel: [1] ist eine Erkundung neuer Erfahrungsbereiche, die durch [2] gestört oder gar verhindert werden kann. Das neue Gegenstandspaar taucht in der erweiterten Wurzel als zweite Positions- oder Analogiemenge und in der angereicherten Strukturformel als zweite Leerstelle auf, die zu der ersten in Beziehung gesetzt wird. Weiteres Beispiel: A Β

1 Leben Glücksspiel

Systematische Zusammenhänge zwischen Analogiewurzeln

193

Strukturformel: [1] hält auf unberechenbare Weise Glück und Enttäuschung bereit. Das Bildfeld könnte durch die Gegenstände ,hohe Geburt' und .Ziehung guter Karten' eine zweite Stelle erhalten, weil es eine Beziehung gibt, die sowohl der erste Gegenstand zum Leben wie auch der zweite zum Glücksspiel unterhält: Erhöhung der Glückschancen. A Β

1 Leben Glücksspiel

2 hohe Geburt Ziehung guter Karten

Strukturformel: In [1], das auf unberechenbare Weise Glück und Enttäuschung bereithält, wird die Wahrscheinlichkeit des Glücks durch [2] erhöht. Wenn die zusammengesetzten Gegenstandsmengen für sich allein bereits Bildfelder sind, ist das neue Bildfeld des Näheren eine Komposition: Jedes der beiden Bildfelder ist eine Erweiterung des anderen. Bestehende Bildfelder können auf dem Wege der exogenen Stellenvermehrung komponiert (zusammengesetzt) werden, wenn man eine Beziehung findet, die anerkanntermaßen sowohl zwischen einem beliebigen Gegenstand des ersten Bildfeldes und einem beliebigen Gegenstand des zweiten wie auch zwischen den jeweiligen Analogiepartnern dieser Gegenstände besteht. Bildfeld I 1 A Jagd Β Stellensuche

2 erlegtes Wild erlangte Stellung

Strukturformel I: [2] ist der Erfolg der Bemühung [1], Bildfeld II 3 A Jagdrevier Β Stellenmarkt

4 Ausdörrung hohe Arbeitslosigkeit

Strukturformel K: [4] führt zur Verarmung von [3]. Die beiden Bildfelder lassen sich vereinigen, wenn (mindestens) eine Relation gilt, die sowohl das erste Element einer Position des ersten Bildfeldes mit dem ersten Element einer Position des zweiten Bildfeldes wie

194

Paradigmatik der Analogie

auch die zweiten (und alle weiteren) Elemente dieser Positionsmengen miteinander verknüpft. Folgende Relationen kommen in Betracht: ,[1] geschieht unter den Bedingungen von [3]' sowie ,[4] erschwert [1]'. Die Strukturformel des komponierten Bildfeldes umfaßt die Beschreibungsinhalte I und Κ sowie einen zusätzlichen Beschreibungsinhalt X mit den Relationen, die zwischen einer Position des ersten und einer des zweiten Bildfeldes bestehen. 1 2 Jagd Stellensuche

erlegtes Wild erlangte Stellung

3 Jagdrevier Stellenmarkt

4 Ausdörrung hohe Arbeitslosigkeit

Strukturformel: [2] ist der gesuchte Erfolg der Bemühung [1], die unter den Bedingungen von [3] geschieht und durch [4] erschwert wird, weil [4] eine Verarmung von [3] bedeutet. Die Strukturformel des komponierten Bildfeldes enthält zwei Relationen, die zwischen einer Position der ersten und einer der zweiten Komponente bestehen: Sie verknüpft [1] sowohl mit [3] wie auch mit [4]. Eine einzige dieser Relationen würde für die Vereinigung der beiden Komponenten genügen. Die Strukturformel eines Bildfeldes braucht keine unmittelbare relationale Verknüpfung zwischen allen seinen Positionen zu enthalten. Es genügt, wenn alle Positionen entweder mittelbar oder unmittelbar — d. h. durch Relationsketten — miteinander verknüpft sind. Im obigen Bildfeld der Stellenjagd ist die Position [1] mit den Positionen [2], [3] und [4] unmittelbar verknüpft. Eine unmittelbare Verknüpfung besteht ferner zwischen [3] und [4], aber nicht zwischen [2] und [3]. [2] ist mit [3] jedoch mittelbar verknüpft: über das Zwischenglied [1].

I—,

[1]

[2]

ι I

[3]

[4]

Die Verteilung der unmittelbaren Verknüpfungen kann eine zentrale Analogie des Bildfeldes hervorheben. Nicht alle Positionen eines Bildfeldes sind notwendig mit gleich vielen anderen Positionen unmittelbar verknüpft. Die Elemente der Position, von der die meisten unmittelbaren Relationen ausgehen, bilden eine zentrale Detailanalogie. Im Bildfeld der Stellenjagd geht von der Position [2] nur eine unmittelbare

Systematische Zusammenhänge zwischen Analogiewurzeln

195

Relation aus, von den Positionen [3] und [4] jeweils zwei, von der Position [1] jedoch drei. Deshalb ist die Analogie zwischen Jagd und Stellensuche in diesem Bildfeld zentral. Die Nutzung einer anerkennbaren Relation, die sowohl•^wischeneinem Gegenstand G1 einer Analogiewur^el und einem Gegenstand G2 außerhalb dieser Wurzel wie auch ^wischen dem Analogiepartner von Gl innerhalb der Wurzel und einem weiteren Gegenstand außerhalb der Wurzel besteht, ist das wichtigste Verfahren der Wur%elerweiterung. Es läßt Wurzeln wuchern und fügt getrennte Wurzeln zusammen.

2.1.4 Kombinierte Erweiterungsrelationen Von zwei Analogiewurzeln kann die eine im Verhältnis zur anderen in mehrfacher Hinsicht erweitert bzw. reduziert oder in bestimmter Hinsicht erweitert und in anderer reduziert sein. In folgendem Beispielpaar erweitert das zweite Bildfeld das erste in zweifacher Hinsicht: Es erhöht die Zahl der Bereiche und reichert die Strukturformel unter Vermehrung der Stellenzahl an. Bildfeld I 1 A Ehe Β Gefängnisaufenthalt Strukturformel: [1] schränkt die Freiheit der Lebensführung ein. Bildfeld II 1 2 A Ehe Eheschließung Β Gefangnisaufenthalt Verurteilung C Berufsleben Einstellung

3 Ehepartner Wärter Vorgesetzter

Strukturformel: [2] bedeutet die Festlegung der unfreien Lebensform [1]. [3] fordert und kontrolliert die Wahrung der einengenden Gesetze. Bildfeld II erweitert Bildfeld I um den Bereich des Berufslebens. Außerdem erweitert es die Strukturformel unter Vermehrung der Stellen. Die alte Strukturformel ist in der neuen durch die Formulierung

196

Paradigmatdk der Analogie

,der unfreien Lebensform [1]' enthalten. Das reduzierte Bildfeld könnte der Metapher vom ehelichen Gefängnis zugrunde liegen, das erweiterte einer Äußerung wie der folgenden: ,Der Standesbeamte verurteilte mich zu einem Gefángnisleben, in dem der mir angetraute Wärter wie ein Vorgesetzter auf Einhaltung der Firmenregeln bestand.' Das nachstehend beschriebene Bildfeld III reduziert die Zahl der Bereiche und der Stellen des Bildfelds II; in anderer Hinsicht jedoch reichert es die Strukturformel auch an: A C

1 Ehe Berufsleben

Strukturformel: [1] schränkt die Freiheit der Lebensführung ein; andererseits jedoch weckt es die Kraft zur Meisterschaft in der Beschränkung.

2.2 Spezifikation Spezifikation und Generalisierung sind — wie Erweiterung und Reduktion — konverse Begriffe: Genau dann, wenn ein erstes Bildfeld ein zweites spezifiziert, generalisiert das zweite Bildfeld das erste. Die Spezifikation kann auf dem Verhältnis zwischen den Strukturformeln der Bildfelder, auf dem Verhältnis zwischen den Gegenständen oder auf beidem beruhen. Eine Spezifikation der Strukturformel zeigt sich beim Vergleich folgender Bildfelder: Bildfeld I 1 A kinderreiche Familie Β Sardinen

2 Zweizimmerwohnung Sardinenbüchse

Strukturformel: [1] ist in [2] eingezwängt. Bildfeld II 1 A Hase Β Generaldirektor

2 Feld Konzerngebäude

Strukturformel: [1] hält sich in [2] auf.

Systematische Zusammenhänge zwischen Analogiewurzeln

197

Das erste Bildfeld spezifiziert die Strukturformel des zweiten, das zweite generalisiert folglich die des ersten. Die generalisierte Strukturformel ergibt mit allen Gegenständen gültige Beschreibungen, mit denen auch die spezifizierte gültige Beschreibungen ergibt. Der umgekehrte Zusammenhang besteht jedoch nicht. Was irgendwo eingezwängt ist, hält sich dort auf; was sich irgendwo aufhält, ist dort nicht unbedingt eingezwängt. Die folgenden zwei Bildfelder veranschaulichen eine Spezifikation, die auf dem Verhältnis zwischen den Gegenständen beruht: Bildfeld I 1 A Morgen Β Jugend Strukturformel: [1] ist die Anfangsphase eines Ablaufs. Bildfeld II 1 A Frühlingsmorgen Β Jugend eines Arbeiterkindes Strukturformel wiederum: [1] ist die Anfangsphase eines Ablaufs. Das zweite Bildfeld spezifiziert das erste, insofern ,Frühlingsmorgen' eine Unterart von .Morgen' und Jugend eines Arbeiterkindes' eine Unterart von Jugend' ist. Mit Hilfe beider Spezifikationsarten - besonders aber der ersten lassen sich Bildfelder in Klassenhierarchien einordnen. Die Spezifikation stiftet Verwandtschaftsgrade zwischen Bildfeldern. Zwei Bildfelder können .vertikal' verwandt sein, weil das erste eine Spezifikation des zweiten ist. Die Verwandtschaft kann enger oder weiter sein, je nach der An2ahl zwischengeschalteter Bildfelder, die zugleich Generalisationen des ersten und Spezifikationen des zweiten sind. Zwei Bildfelder können .horizontal' verwandt sein, insofern es ein Bildfeld gibt, als dessen verschiedene Spezifikationen sie aufgefaßt werden können.

2.2.1 Spezifikation der Strukturformel Eine Strukturformel wird durch Spezifikation angereichert, konkretisiert oder präzisiert, wie der Vergleich zwischen den oben benutzten

198

Paradigmatik der Analogie

Strukturformeln verdeutlicht: ,[1] ist in [2] enthalten' und ,[1] ist in [2] eingezwängt'. Bei Gleichheit der Gegenstände fallt die Spezifikation einer Analogiewurzel mit der .Erweiterung durch Anreicherung der Strukturformel' zusammen. Spezifikation kann jedoch - im Gegensatz zur Erweiterung durch Anreicherung — sowohl bei gleichen wie auch bei verschiedenen Gegenständen vorliegen. Bei einstelligen Analogiewurzeln ist die Spezifikationsbeziehung deutlicher sichtbar als bei mehrstelligen: Das spezifischere Wurzelprädikat ist ein Unterbegriff des generelleren. Die folgenden drei Bildfelder sind strukturell miteinander verwandt: Bildfeld II und III sind - bei verschiedenen Gegenständen — unterschiedliche Spezifikationen des Bildfeldes I: Bildfeld I 1 A Schlachtfeld Β Verhörzimmer Strukturformel: [1] ist ein gefährlicher Raum. Bildfeld II 1 A Dschungel Β Großstadt Strukturformel: [1] ist ein gefährlicher Raum, der von geheimnisvollem, feindselig anmutendem Leben überquillt. Bildfeld III 1 A Wüder Westen Β Tiefgarage Strukturformel: [1] ist ein gefahrlicher Raum, in dem Überfälle zu befürchten sind. Bei mehrstelligen Strukturformeln kann die spezifischere Formel die gleiche oder eine größere Stellenzahl aufweisen als die generellere. Bei gleicher Stellenzahl enthält die spezifischere Strukturformel dieselbe relationale Vernetzungsfigur wie die generellere. Sie beschreibt jedoch mindestens eine Relation dieses Netzes mit einem Unterbegriff des Begriffes, den die generellere Formel benutzt. Die folgenden fünf Bildfelder verwenden in ihren Strukturformeln einen generellen (I und V) und drei spezifischere Kausalitätsbegriffe ( I I - I V ) .

199

Systemarische Zusammenhänge zwischen Analogiewurzeln

Bildfeld I 1 A Winter Β Anstreicher

2 Landschaft Wände

3 Buntheit weiße Monotonie unsaubere saubere EinfarbigVielfarbigkeit keit

Strukturformel: Durch [1] gelangt [2] aus dem Zustand [3] in den Zustand [4]. Bildfeld I könnte folgende metaphorische Äußerung begründen: ,Der schneereiche Winter ist ein einfallsloser Anstreicher.' Bildfeld II 1 2 A Jäger Wild Β Kriminaler Verbrecher

3 Leben Freiheit

4 Tod Arrest

Strukturformel: Das handelnde Subjekt [1] überfuhrt sein Handlungsobjekt [2] aus dem Zustand [3] in den Zustand [4]. Bildfeld II könnte folgende metaphorische Äußerung begründen: ,Der ehrgeizige Kriminale brachte sein Wild zur Strecke.' Bildfeld III 1 A Β

rekrutierter Krieg Bürger konkursbedrohter Rezession Geschäftsmann

gesitteter Zivilist fairer Partner

4 brutaler Plünderer verzweifelter Betrüger

Strukturformel: Die Gesamtlage [1] ist zusammen mit der günstigen Gelegenheit die hinreichende Bedingung zur Uberführung von [2] aus dem gesitteten Zustand [3] in den sittenlosen Zustand [4]. Bildfeld III könnte folgender metaphorischen Äußerung zugrunde liegen: .Rezession verwandelt ehrbare Geschäftsleute in sittenlose Soldateska.' Bildfeld IV 1 2 A Schlaf Ruhender Β Tod Sterblicher

3 Wachzustand Lebendigsein

4 Schlafzustand Gestorbensein

Strukturformel: Dank der Anwesenheit von [1], die das Wesen des Zustande [4] ausmacht, gerät [2] aus dem bewegten Zustand [3] in den Ruhezustand [4].

200

Paradigmatik der Analogie

Bildfeld IV könnte folgender Analogsetzung zugrunde liegen: ,Tod und Schlaf sind Tranquillizer.' Die Strukturformeln der Bildfelder I —IV zeigen dieselbe Vernetzungsfigur: [1] ist Ursache für den Übergang von [2] aus dem Zustand [3] in den Zustand [4]. Im Vergleich zu I präzisieren jedoch II —IV die Art der Ursächlichkeit. Nach dem Wordaut der Strukturformel I könnte das bewirkende [1] ebensowohl eine veränderungsträchtige Gesamdage sein wie auch ein zweckorientiert handelnder Mensch. Tatsächlich realisiert der Bereich A dieses Bildfeldes die erste und der Bereich Β die zweite der genannten Möglichkeiten. In der Strukturformel zu Bildfeld II wird die Fülle der Möglichkeiten auf den zweckorientiert handelnden Menschen eingeengt, in der Strukturformel zu Bildfeld III auf eine veränderungsträchtige Gesamtlage und in der Strukturformel zu Bildfeld IV auf eine so genannte causa formalis : Was das Wesen einer Sachlage ausmacht, wird als deren Grund angesehen. Jemand ist schwarz dank der Schwärze, mutig dank des Mutes und tot dank des Todes. Die Strukturformel des Bildfeldes I ist generell genug, um die genannten Kausalitätsarten und einige andere zusammenzufassen. Sie könnte auch folgendem Bildfeld zugrunde liegen, in dessen verschiedenen Bereichen verschiedene Arten der Kausalität herrschen: Bildfeld V 1 2 A Tod Β Schnitter

Mensch Blume

3 Lebendigsein Verwurzeltheit

4 Gestorbensein Trennung von der Wurzel

Der Tod ist die causa formalis des Gestorbenseins, der Schnitter dagegen die planvoll handelnde Ursache der Trennung von Blume und Wurzel. Der Tod läßt sich metaphorisch als Schnitter (und der verstorbene Mensch als abgeschnittene Blume) bezeichnen, weil die Strukturformel des Bildfeldes die sehr unterschiedlichen Arten der Kausalität in einem gemeinsamen, mit der Handlungskausalität nicht identischen, aber durch sie illustrierten Kausalitätsbegriff zusammenfaßt. Die Bildfelder II —IV sind strukturell untereinander verwandt, weil ihre Strukturformeln verschiedene Spezifikationen der Strukturformel des Bildfelds I sind. I und V sind miteinander verwandt, weil ihre Strukturformeln identisch sind. Außerdem sind II —IV mit I und V verwandt, deren Spezifikationen sie sind. Die Spezifikation kann auch mit einer Vermehrung der Stellen des Bildfeldes bzw. der Leerstellen seiner Strukturformel verbunden sein.

201

Systematische Zusammenhänge zwischen Analogiewurzeln

Nehmen wir folgendes Bildfeld an, das der Metapher von der Lebensreise zugrunde liegen könnte: A Β

1 Leben Reise

2 Geburt Ausgangsort

3 Tod Zielort

Strukturformel: Der Vorgang [1] verläuft von [2] nach [3]. Eine Spezifikation der Strukturformel könnte den Endpunkt [3] in zwei Alternativen aufspalten: vorzeitiger Abbruch einerseits und Ende nach vollendetem Vorgang [1] andererseits. Die spezifischere Strukturformel würde lauten: JDer Vorgang [1] verläuft im ungünstigen Fall von [2] nach [3], wo er vorzeitig abbricht, im günstigen Fall von [2] nach [4], wo er seine natürliche Vollendung findet.' Dieser Strukturformel entspricht folgende Gegenstandstabelle: A

1 2 Leben

Geburt

3 vorzeitiger Tod

Β

Reise

Abfahrtsort

Ort des ReiseAbbruchs

4 Tod nach erfülltem Leben vorgesehener Zielort

Das Bildfeld könnte folgender metaphorischer Äußerung zugrunde liegen: ,Der Verstorbene mußte seine Lebensreise an einem Ort beenden, der eigentlich nur eine Zwischenstation hätte sein sollen.' Das spezifischere vierstellige Bildfeld ist, da es die Gegenstände des dreistelligen bewahrt, eine Erweiterung des dreistelligen durch Anreicherung der Strukturformel. Dieselbe Strukturformel läßt sich jedoch auch anderen Gegenstandsmengen zuordnen. Das dabei entstehende Bildfeld ist dann immer noch eine Spezifikation, aber keine Erweiterung des dreistelligen mehr. A

1 Karriere

2 Einstieg

3 Absturz

Β

Liebesverhältnis

Beginn des Verliebtseins

plötzliche Trennung

4 Ende nach erfolgreichem Berufsleben Tod nach langer, ausgelebter Liebesbeziehung

Das Bildfeld könnte folgende Äußerung erklären: ,Nach dem Karriereknick einer plötzlichen Trennung mußte ich mein Liebesleben neu ord-

202

Paradigmaük der Analogie

nen, um endgültig in die Chefetage der Zweierbeziehungen aufzusteigen.' Die Stellenvermehrung bringt im behandelten Beispiel eine Präzisierung von Relationen mit sich, die auch in der alten dreistelligen Strukturformel genannt waren: Das Verhältnis zwischen dem Ablauf ([1]) und seinem Ende ([3]) erscheint nunmehr in zwei Alternativen: Das Ende kann den Fehlschlag oder die Vollendung des Ablaufs bedeuten.

2.2.2 Spezifikation der Gegenstände Die in den Bildfeldern dargestellten Beschreibungen sind oft verkappte Beschreibungswi«gw. Vergleichen wir zwei Bildfelder mit gleicher Strukturformel: Bildfeld I 1 A Geburt Β Ankunft Strukturformel: [1] ist zugleich Ende eines ersten Ablaufs und Beginn eines zweiten. Es liegt nahe, die im Bildfeld enthaltenen Beschreibungen so aufzufassen, daß sie für jedes einzelne Ereignis gelten, das unter den Begriff .Geburt' bzw. .Ankunft' fällt. Das Bildfeld faßt bei dieser Interpretation zwei sehr große Mengen von gültigen Einzelbeschreibungen zusammen. Wenn aber die Strukturformel mit jedem beliebigen Gegenstand, der unter einen der im Bildfeld aufgeführten Begriffe fällt, eine gültige Beschreibung ergibt, dann auch mit jedem Gegenstand, der in eine beliebige Teilmenge aller dieser Gegenstände gehört. Folglich bleibt die Analogiewurzel gültig, wenn die Beschreibungen auf Teilmengen oder gar Einzelelemente der ursprünglichen Mengen eingegrenzt werden, indem etwa .Geburt' durch ,Zwillingsgeburt' oder .Geburt Napoleons' bzw. indem .Ankunft' durch .Ankunft mit dem Zug' oder durch .Ankunft Napoleons auf Elba' ersetzt wird. Bildfeld II 1 A Geburt eines Prinzen Β Ankunft eines Herrschers in der Residenzstadt

Systematische Zusammenhänge zwischen Analogiewurzeln

203

Wenn die (in Be2ug auf die Gegenstände) unspezifmerte Analogiewurzel gilt, dann auch die spezifizierte: Was für jedes beliebige Element einer Menge gilt, gilt auch für jedes beliebige Element aller ihrer Teilmengen. Bei der Spezifikation der Strukturformel gilt die umgekehrte Implikation: Wenn die spezifizierte -Analogiewurzel gültige Beschreibungen enthält, dann auch die unspezifizierte. Das Spezifikationsverhältnis zwischen den Strukturformeln begründet — ebenso wie die Gleichheit der Strukturformeln — eine strukturelle Verwandtschaft der Analogiewurzeln. Ahnlich begründet das Spezifikationsverhältnis zwischen gleichplatzierten Gegenständen — ebenso wie die Identität der Gegenstände — eine .materielle' Verwandtschaft der Analogiewurzeln. Das materielle Spezifikationsverhältnis zwischen Analogiewurzeln besteht auch, wenn die Spezifikation der Gegenstände nicht alle Bereiche des Bildfeldes betrifft. Auch folgende Bildfelder sind Spezifikationen des Bildfeldes I. Bildfeld III 1 A Geburt eines Thronfolgers Β Ankunft

Büdfeld IV 1 A Geburt Β Ankunft eines Boten

Bei mehrstelligen Analogiewurzeln kann die materielle Spezifikation eine einzige, mehrere oder alle Stellen betreffen. A Β

1 Leben Reise

2 Geburt Abfahrtsort

3 Tod Zielort

Strukturformel: Der Vorgang [1], der eine kontinuierliche Situationsveränderung mit sich bringt, beginnt am Punkt [2] und endet am Punkt [3], Dieses Bildfeld könnte die Metapher der Lebensreise begründen, die in etwa folgender Äußerung vorliegt: ,Goethes Lebensreise, die 1749 im Frankfurter Bürgermilieu begann, erreichte ihr Ziel 1832 in der Weimarer Hofgesellschaft'. Eine materielle Spezifikation dieses Bildfeldes könnte bei Fortgeltung der Strukturformel den Begriff ,Reise' durch den Unterbegriff ,Seereise' ersetzen sowie die Begriffe ,Abfahrtsort' und ,Zielort' durch die Begriffe Auslaufhafen' und ,Zielhafen'. A Β

1 Leben Seereise

2 Geburt Auslaufhafen

3 Tod Zielhafen

204

Paradigmatic der Analogie

Solange die fortgeltende alte Strukturformel nicht ihrerseits spezifiziert wird, bleiben die neuen Detailanalogien in ihrer Spezifikation allerdings unmotiviert. Das Leben ist einer Seereise nur insofern analog, als es überhaupt einer Reise analog ist. Der Tod ist dem Zielhafen nur insofern analog, als er überhaupt einem Zielort analog ist. Deshalb geht die Spezifikation der Gegenstände oft mit einer motivierenden Spezifikation der Strukturformel einher. Die materielle wird durch die strukturelle Spezifikation ergänzt. Im vorliegenden Fall könnte die Gefahr eines vorzeitigen Endes, die in der Seereise verdeutlicht würde, in die Strukturformel aufgenommen werden. Die bisherige Position [3] erhielte dann den Sinn eines Endes nach planmäßig abgelaufenem Vorgang im Gegensatz zu einem verfrühten Abbruch. Der spezifizierte Sinn der Strukturformel könnte noch durch Stellenvermehrung gestützt werden, so daß folgendes Bildfeld entstünde: A

Β

1 Leben

2 Geburt

3 Tod nach erfülltem Leben Seereise Auslaufhafen Zielhafen

4 gefährlicher Lebensabschnitt schwere See

5 Umkommen in der Gefahr Schiffbruch

Strukturformel: Der Vorgang [1], der eine kontinuierliche Situationsveränderung mit sich bringt, beginnt am Punkt [2], Er endet im Glücksfalle am Punkt [3]; im Unglücksfalle kann eine Vorgangsphase der Art [4] zu dem vorzeitigen Abbruch [5] fuhren. Eine materielle Verwandtschaft durch ein Spezifikationsverhältnis zwischen den Gegenständen wäre auch zwischen zwei Bildfeldern denkbar, deren Strukturformeln nicht miteinander verwandt, also weder durch Erweiterung noch durch Spezifikation miteinander verbunden sind. A Β

1 Morgen Jugend

Strukturformel: [1] ist eine Anfangsphase. A Β

1 Morgen des Hinrichtungstages Jugend im Elendsmilieu

Strukturformel: [1] steht unter einem ungünstigen Stern.

Systematische Zusammenhänge zwischen Analogiewurzeln

205

Die bloße Verwandtschaft der Gegenstände zweier Analogiewurzeln ist für unsere Theorie nicht von besonderem Interesse, weil wir die Strukturformel als Seele der Analogie und als Trägerin des Zusammenhangs zwischen Analogiewurzeln betrachten. Das Spezifikationsverhältnis zwischen Gegenständen ist nur insofern bedeutsam, als es die Ubertragung der Strukturformel vom Generellen zum Spezifischen erlaubt. Die Strukturformel, nicht die Besonderheit der gekoppelten Bereiche erklärt die Metapher. Wir gründen deshalb den paradigmatischen Zusammenhang der Metaphern auf Gleichheit oder strukturelle Verwandtschaft der Wurzelprädikate. Die strukturelle Verwandtschaft besteht in einem Erweiterungs- bzw. Reduktions- oder einem Spezifikations- bzw. Verallgemeinerungsverhältnis zwischen den Wurzelprädikaten. Nach dieser Definition kann ein paradigmatischer Zusammenhang auch zwischen zwei Metaphern bestehen, deren jede eine andere Bereichkopplung vollzieht. Umgekehrt gewährleistet die Kopplung derselben Bereiche noch keinen paradigmatischen Zusammenhang der Metaphern. Wenn man bei den Weinrichschen Bildfeldstudien (1976: 276 ff.) mehr auf die Darbietung als auf die Definition der Bildfelder achtet, gewinnt man den Eindruck, daß zwischen Metaphern, in denen dieselben Sinnbezirke sich paaren, ein paradigmatischer Zusammenhang im Sinne unserer Theorie unterstellt wird. In jeder Metapher eines Bildfeldes scheinen die gekoppelten Analogiepartner durch eine gemeinsame Relation mit den Analogiepartnern verknüpft zu sein, die eine andere Metapher desselben Bildfeldes aneinander koppelt. Deshalb kann man eingeführte Metaphern zur Gewinnung neuer „parallel verschieben", wie Weinrich sich ausdrückt (1976: 280). Aus der Metapher .Münze', die ein Wort beschreibt, entsteht durch Parallelverschiebung die Metapher .Thesaurus', die ein Wörterbuch beschreibt. Die Weinrichsche Parallelverschiebung ist ein Fall der stellenvermehrenden Strukturformelanreicherung (2.1.3). Versteht man den Zusammenhang der Metaphern durch Parallelverschiebung als notwendige Bedingung der Zugehörigkeit zu demselben Bildfeld, so ist das Weinrichsche Bildfeld ein Sonderfall des von uns definierten paradigmatischen Zusammenhangs zwischen Metaphern.

X George Lakoffs Begriff der Metaphor Seit den 80er Jahren arbeitet der amerikanische Sprachwissenschaftler George Lakoff mit wechselnden Ko-Autoren am Ausbau einer Metapherntheorie, die dem hier vorgetragenen Ansatz schroff entgegensteht (Lakoff und Johnson 1980, Lakoff 1987, Lakoff und Turner 1989, Lakoff 1993, Lakoff und Johnson 1999). Der in Berkeley an der University of California wirkende Gelehrte versteht sich als Pionier einer „zeitgenössischen", von der cognitive science inspirierten Metaphernforschung, die mit den aus der Antike ererbten Lehren endgültig aufräumen will. Lakoff beeindruckt durch eine vor ihm kaum je gebotene Fülle an Beispielmaterial, durch die Klarheit der Darstellung, die Neuartigkeit des Ansatzes und den Reichtum der Ergebnisse. Wer am Beginn des 3. Jahrtausends über Metaphern sprechen will, kann an Lakoff und seinen Mitstreitern nicht vorübergehen. Die folgende Auseinandersetzung mit Lakoffs Metaphernlehre legt in erster Linie den Aufsatz The Contemporary Theory of Metaphor zugrunde, der 1993 in der zweiten Auflage des von Andrew Ortony herausgegebenen Sammelbandes Metaphor and Thought erschien. Er faßt die weitgefächerte Theorie auf knapp 50 Seiten pointiert zusammen. Lakoffs Metaphernlehre liefert eine anregende Kontrastfolie, vor der die Konturen unseres eigenen Ansatzes um so schärfer hervortreten.

1 Grundlage

der Lakoffschen

Theorie

Unser Ansatz betrachtet die Metapher in erster Linie als eine besondere Art der beschreibenden Wortanwendung — als Tropus, wenn man so will. Die herausgestellte Besonderheit liegt in dem Umstand, daß dem beschriebenen Gegenstand keine der .eigentlichen' Bedeutungen des benutzten Wortes als Beschreibungsinhalt zugeordnet wird, sondern statt dessen eine Eigenschaft, die er mit Gegenständen aus einem TAe des benutzten Wortes teilt, die aber nicht zur Definition dieses TAe gehört. Für Lakoff dagegen ist die Metapher nicht in erster Linie eine Besonderheit des Wortgebrauchs, sondern der Konzeptualisierung von

208

George Lakoffs Begriff der Metaphor

Gegenstandsbereichen. Der metaphorische Sprachgebrauch ist ein bloßes Epiphänomen, eine surface realisation des metaphorischen Denkens. [...] the locus of metaphor ist thought, not language [...]. (1993: 204) Deshalb unterscheidet Lakoff zwischen metaphorical expression einerseits und metaphor andererseits. Der erste Terminus bezeichnet ein metaphorisch benutztes Wort oder eine metaphorisch benutzte größere sprachliche Einheit (1993: 203), also das, was in einer Jahrtausende alten Tradition — und auch in dieser Arbeit — ,Metapher' heißt. Wer von seiner Liebesbeziehung sagt We are at a crossroads, benutzt das Wort crossroads, wie wir sagen würden, als Metapher, wie jedoch Lakoff sagt, als metaphorical expression, des Näheren als surface realisation der metaphor,Liebe als Reise'. Das Grundwort metaphor bezeichnet in Lakoffs Theorie einen Zustand des Denkapparats: Sachvorstellungen {concepii) eines bestimmten Bereichs (etwa .Liebesverhältnisse') sind an Sachvorstellungen eines bestimmten anderen Bereichs (etwa .Reisen') gekoppelt. Ein ,Zielbereich' (Liebesverhältnisse) wird unter Rückgriff auf Sachvorstellungen eines .Ausgangsbereichs' (Reisen) gedanklich erschlossen. Die dabei entstehenden Konzeptpaarungen bilden bereichverknüpfende Korrespondenzen: Vorstellungen des Ausgangsbereichs werden auf Vorstellungen des Zielbereichs .projiziert', um eine differenziertere gedankliche Erfassung des Zielbereichs zu ermöglichen. [The word „metaphor"] has come to mean „a cross domain mapping in the conceptual system" (1993: 203) [...] the metaphor can be understood as a mapping (in the mathematical sens [also als .Projektion']) from a source domain [...] to a target domain [...]. (1993: 206f.) [...] metaphors are mappings, that is, sets of conceptual correspondences. (1993: 207) Der Lakoffsche Metaphernbegriff erinnert an den Weinrichschen Bildfeldbegriff (IX, 1), der ebenfalls eine Kopplung zweier Bereiche forderte. Wie die Lakoffsche metaphor eine source domain an eine target domain bindet, verknüpft das Weinrichsche Bildfeld zwei .Sinnbezirke'. Lakoff scheint jedoch Weinrichs Bildfeldlehre, deren Ausarbeitungen in den 50er und 60er Jahren erschienen, nicht zu kennen. Wie bei Weinrich besteht auch bei Lakoff die Kopplung der Bereiche aus Einzelpaarungen. Die metaphor,Liebe als Reise' enthält u. a. folgende Paarungen:

Grundzüge der Lakoffschen Theorie

209

Liebende — Reisende Liebesbeziehung — Fahrzeug gemeinsame Lebensziele der Liebenden Reiseziel (Für ein Bildfeld bzw. eine metaphor .Liebesreise' gibt es zahlreiche Belege. Die Lakoffsche Deutung dieses Bildfeldes, die dem Liebesverhältnis das Fahrzeug zuordnet, erscheint jedoch etwas eigenwillig. Sie widerspricht dem angeführten Beleg „ We're driving in the fast lane on the freeway of love" (1993: 210), der nicht das Fahrzeug, sondern eher den Freeway oder die gemeinsame Fahrt auf dem Freeway als Liebesbeziehung darstellt... Abweichende Meinungen über die in einem Bildfeld bestehenden Zuordnungen sollen jedoch unsere Erörterung des metaphor-Begriffs nicht stören.) Weinrichs Theorie entschied nicht mit letzter Klarheit, welcherlei Entitäten ein Bildfeld zu Paaren ordnet: Verknüpft es Bedeutungen mit Bedeutungen oder Bedeutungen mit Gegenständen oder vielleicht Wörter mit Gegenständen? In Lakoffs Theorie besteht die metaphorische Kopplung eindeutig zwischen Sachvorstellungen (concepts). Daß ein Wort, dessen eigentliche Bedeutung eine Sachvorstellung des Ausgangsbereichs ist, den Gegenstand der entsprechenden Sachvorstellung des Zielbereichs benennen oder beschreiben kann, gehört zu den Folgen der metaphorischen Konzeptkopplung. Die Äußerung .Unsere Liebe ist in eine Sackgasse geraten' beruht auf einer vorgängigen Kopplung des Vorstellungsbereichs .Liebe' an den Vorstellungsbereich ,Reise'. The metaphor is not just a matter of language, but of thought and reason. The language is secondary. The mapping is primary in that it sanctions the use of source domain language [...] for target domain concepts. (1993: 208) Eine andere Folge der Konzeptkopplung ist die Ubertragbarkeit von Relationen, die zwischen Konzepten des Ausgangsbereichs gelten, auf die korrespondierenden Konzepte des Zielbereichs. Bei der Bereichpaarung gilt ein .Invarianzprinzip': Die Konzepte der verschiedenen Bereiche sind einander so zugeordnet, daß die .kognitive Topologie' oder die ,Bildschemastruktur', in die die Konzepte des Ausgangsbereichs eingebunden sind, auch für die Partner im Zielbereich gelten. Lakoff beschreibt das Invarianzprinzip wie folgt: Metaphorical mappings preserve the cognitive topology (that is, the image-schema structure) of the source domain, in a way consistent with the inherent structure of the target domain. (1993: 215)

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George Lakoffs Begriff der Metaphor

Mit der kognitiven Topologie wird auch die Geltung von Schlußschemata übertragen: The mapping [...] sanctions the use of source domain [...] inference patterns for target domain concepts. (1993: 208) Die metaphor .Kategorie als Behälter' (oder, wie Lakoff auch sagt: ,Kategorie-ist-Behälter*) liefert ein verblüffendes Beispiel für die Bewahrung der kognitiven Topologie — und damit der Schlußfolgerungsmöglichkeiten — beim Ubergang vom Ausgangs- zum Zielbereich (1993: 212 f.). Kategorien werden nach Lakoff als umgrenzte Räume oder als Behälter gedacht, wenn man etwa sagt, ein Gegenstand sei ,in' einer Kategorie .enthalten' oder er werde ,aus' einer Kategorie ,herausgenommen'. Nun gilt für Behälter folgende kognitive Topologie: Wenn ein Gegenstand in einem Behälter A steckt und der Behälter A in einem — größeren — Behälter B, dann steckt dieser Gegenstand auch im Behälter B. Wenn man diesen Zusammenhang vom Ausgangsbereich der Behälter auf den Zielbereich der Kategorien überträgt, ergibt sich das Prinzip des Syllogismus: Wenn Sokrates in die Kategorie der Menschen gehört und die Menschen in die Kategorie der sterblichen Lebewesen, dann gehört Sokrates auch in die Kategorie der sterblichen Lebewesen. Die aristotelische Syllogistik beruht auf der Wirkung des Invarianzprinzips bei der Projektion des Behälterwesens auf das Kategorienwesen! Allerdings räumt Lakoff ein, daß kognitive Topologien nicht immer und unbesehen vom Ausgangsbereich der metaphor auf den Zielbereich übertragen werden können (1993: 216). Manchmal sperrt sich die untilgbare Eigenstruktur des Zielbereichs gegen die Übertragung. Der metaphorische Ausdruck .einen Tritt geben' erklärt sich nach Lakoff aus der metaphor .Handlung als Übergabe'. Nach der kognitiven Topologie des Ausgangsbereichs müßte der Tritt nach der .Übergabe' eigentlich im Besitz des Getretenen sein. Die Eigenlogik des Zielbereichs verhindert jedoch in diesem Fall die Übernahme der Logik des Ausgangsbereichs. Die beobachtbaren Befunde auf dem Feld metaphorischen Sprechens, die Lakoff als Folgen des Invarianzprinzips erklärt, werden in unserem Ansatz auf die Existenz mehrstelliger Analogiewurzeln zurückgeführt, die wurzelgleiche Detailanalogien begründen: A Β

1 Behälterinhalt Kategorieninhalt

2 1. Behälter 1. Kategorie

3 2. Behälter 2. Kategorie

Strukturformel: Wenn [1] in [2] und [2] in [3], dann [1] in [3],

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Grundzüge der Lakoffschen Theorie

Neben dem Invarianzprin2Ìp strukturiert auch das Prinzip der Erbhierarchien die Lakoffschen Bildfelder (1993: 222 ff.). Zwischen verschiedenen Korrespondenzträgern eines Ausgangsbereichs können Beziehungen der Uber- und Unterordnung bestehen. In solchen Fällen ,erben' die untergeordneten Korrespondenzträger sowohl die Partner ihrer Oberbegriffe wie auch deren auf den Zielbereich übertragbare strukturelle Einbindung. Metaphorical mappings [...] are sometimes organized in hierarchical structures, in which „lower" mappings in the hierarchy inherit the structures of the „higher" mappings. (1993: 222) Lakoff nimmt ein Bildfeld auf hoher Abstraktionsstufe an, das den Ausgangsbereich .Geschehen' {event) an den Zielbereich ,Raum' (space) koppelt. Zu diesem Bildfeld gehören folgende Paarungen: Zustand Veränderung Zweck Mittel längerfristiges zweckgerichtetes Geschehen

— — — —

umgrenzter Raumteil räumliche Bewegung Ziel räumlicher Bewegung Weg zum Ziel

— Reise

Nun ist auch das menschliche Leben - wenn man so will — ein längerfristiges zweckgerichtetes Geschehen. Der Begriff des Lebens ,erbt' deshalb den Korrespondenzpartner seines Oberbegriffs sowie dessen strukturelle Einbindung: Das Leben entspricht also einer Reise; die wechselnden Zustände des Lebens entsprechen verschiedenen Lokalitäten, in denen der Bewegungsträger sich aufhält; die Veränderungen, die das Leben mit sich bringt, entsprechen Ortswechseln; der Lebenszweck entspricht dem Ziel der räumlichen Bewegung, und die Mittel zur Verwirklichung des Lebenszwecks entsprechen den Wegen, die zum Ziel fuhren. Das Bildfeld .Geschehen als Raum' schließt das Bildfeld .Leben als Reise' in sich, und dieses wiederum die Bildfelder ,Liebe als Reise' und .Karriere als Reise'. Der Lakoffschen These, daß ein untergeordnetes Konzept die metaphorische Zuordnung des übergeordneten ,erben' kann, entsprechen in der vorliegenden Arbeit die Bemerkungen zur Spezifizierbarkeit der Gegenstände einer Analogiewurzel (IX, 2.2). Auf die naheliegende Frage, wie die metaphoriche Zuordnung zwischen Sachvorstellungen verschiedener Bereiche zustande kommt, geht Lakoff in dem bisher zitierten Aufsatz nur mit knappen Hinweisen ein

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George Lakoffs Begriff der Metaphor

(1993: 239 ff.): Sachvorstellungen werden verknüpft, weil ihre Gegenstände — zwar nicht immer, aber doch in einprägsamen Fällen — zu einer gemeinsamen Erlebniseinheit gehören. Beim Vollgießen eines Milchglases steigt der Flüssigkeitspegel um so höher, je mehr Milch in das Glas fließt. Kookkurrenzen dieser Art bringen nach Lakoff die Metapher .Quantität als Höhe' hervor, die Äußerungen wie den folgenden zugrunde liegt: ,Die Preise steigen', ,Die Sterblichkeitsrate sinkt', ,Die Arbeitslosigkeit stagniert auf hohem Niveau'. In dem Opus magnum, das George Lakoff zusammen mit Mark Johnson 1999 unter dem Titel Philosophy in the Flesh (1999) herausgebracht hat, wird die Metaphernentstehung eingehender behandelt. Sie dient geradezu als Kronzeugin für die Hauptthese des Buchs, daß die Leiblichkeit des Denkapparats das Denken bestimmt. Die Autoren unterscheiden zwischen primären und komplexen Metaphern. Komplexe Metaphern entstehen aus primären in Verbindung mit Allerweltsansichten. Z. B. verbinden sich die primären Metaphern .Zweck als Bewegungsziel' und .Handlung als Bewegung' mit der Auffassung, daß menschliches Leben einen Zweck verfolgt, zu der komplexen Metapher .Leben als Reise' (Lakoff und Johnson 1999: 60 f.). Die primären Metaphern, ohne die es keine komplexen gäbe, steigen aus dem unbewußten Denken (unconscious thought) empor, das Sachvorstellungen verschiedener Bereiche auf Grund einer erfahrungsbedingten Vernetzung der sie aufrufenden Gehirnzellen miteinander verknüpft. (...) each primary metaphor is embodied in three ways: (1) It ist embodied through bodily experience in the world, which pairs sensorimotor experience with subjective experience. (2) The source domain logic arises from the inferential structure of the sensorimotor system. And (3) it is instantiated neurally in the synaptic weights associated with neural connections. In addition, our system of primary and complex metaphors is part of the cognitive unconscious, and most of the time we have no direct access to it or control over its use. (Lakoff und Johnson 1999: 73) Statt eines bewußten Motivs haben primäre Metaphern nach Lakoff und Johnson eine neurologische Ursache, deren Wirksamkeit dem unmittelbaren Einfluß des Willens entzogen ist. Daß etwa Zeit als Bewegung gedacht wird, liegt an einer Verbindung von Gehirnzellen, die sich auf Grund häufiger Erfahrung verfestigt hat: Das Verstreichen von Zeit wurde in einprägsamen Fällen zusammen mit dem Ablauf einer Bewegung erlebt.

Grundzüge der Lakoffschen Theorie

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Die von uns vertretene Theorie bezieht, wie gesagt, das Wort .Metapher' nicht auf eine im bloßen Denken vollzogene Kopplung auseinander liegender Sachvorstellungen, sondern auf eine besondere Anwendungsweise beschreibender Ausdrücke. Allerdings verknüpft auch die sprachliche Metapher gegensätzliche Sachvorstellungen. Unsere Metaphernlehre sucht nicht nach einer neurologischen Ursache dieser Verknüpfung, sondern nach ihrer Motivation durch wahrgenommene Analogien. Wer einen herzlichen Empfang als warm bezeichnet, vereint physische Wärme und zwischenmenschliche Herzlichkeit unter einem gemeinsamen Beschreibungsinhalt, etwa dem des Sicherheits- und Wohlgefühls. Die metaphorische Kopplung der Konzepte wird von uns nicht als neurologisch determinierte Vorgabe gesehen, mit der die Welt der Gedanken wie mit einem eingeschleusten Fremdkörper vorlieb nehmen müßte, sondern als ureigenes Erzeugnis der Gedankenwelt. Metaphorische Kopplungen gehorchen den Gesetzen des Verstandes. Der Ausgangsbereich hebt im Zielbereich Züge hervor, die der Verstand beiden Bereichen zugesteht und die er kraft der Kopplung dem Zielbereich eigens bestätigt. George Lakoffs Hauptaugenmerk gilt der konventionellen Metapher, die, wie er zu Recht betont, unser alltägliches Denken und Sprechen durchwaltet. Gleichwohl bezieht er auch die originelle Metapher in seine Forschungen ein. In dem von George Lakoff und Mark Turner gemeinsam verfaßten Handbuch More than Cool Reason. A Field Guide to Poetic Metaphor (1989) werden poetische Metaphern als Weiterverarbeitungen konventioneller Metaphern erklärt. Vier Verarbeitungsweisen führen von der konventionellen Metapher zu ihrer poetischen Überhöhung: extending, elaborating, questioning und composing (1989: 67 ff.). Unter extending verstehen die Autoren ein Verfahren, das in der vorliegenden Arbeit als stellenvermehrende Anreicherung der Analogiewurzel dargestellt ist (IX, 2.1.3). Was Lakoff und Turner unter dem Stichwort elaborating behandeln, läßt sich als eine Spezifikation der Gegenstände auffassen, von der in Kap. IX (2.2) die Rede war. Der Ausdruck questioning bezeichnet die Verneinung oder zumindest Infragestellung des Aufschlußwertes einer konventionellen Metapher für den anliegenden Beschreibungszweck. Folgende Verse des Catull (Carmina 5) bestreiten nach Lakoff und Turner die Gültigkeit der Metapher ,Leben als Tag' (1989: 69): soles occidere et redire possunt. nobis cum semel occidit brevis lux, nox est perpetua una dormienda.

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George Lakoffs Begriff der Metaphor

Sonnen können unter- und wieder aufgehen: Wir müssen, wenn unser kurzes Licht erst einmal verloschen ist, eine nie endende Nacht durchschlafen. Die vorliegende Arbeit behandelt einen Fall des questioning unter dem Titel Exempta contraria (VII, 4). Eine poetische Metapher entsteht durch composing, wenn sie gleichzeitig auf mehrere konventionelle Metaphern zurückgreift. Das Shakespearesche black night doth take away [the tmlight\ (Sonett 73) kombiniert nach Lakoff und Turner folgende konventionelle Metaphern: ,Lebenszeit als Tag', ,Tod als Nacht', ,Licht als Stoff, ,Leben als kostbarer Besitz' und .Ereignis als Handlung'.

2 Fragwürdigkeiten der Lakßffschen Metapherntheorie 2.1 The Concept of Concept Lakoff bezeichnet als metaphor die Abbildung (mapping) eines ersten Vorstellungsbereichs in einem zweiten. Wenn etwa der Vorstellungsbereich ,Reise' sich im Vorstellungsbereich Jiebe' abbildet, liegt eine metaphor vor, derzufolge die Liebe als Reise gedacht wird. Mit der Abbildung eines Vorstellungsbereichs in einem anderen, eines ,Ausgangsbereichs' in einem ,Zielbereich', sind auch Zuordnungen von Einzelvorstellungen des Ausgangsbereichs zu Einzelvorstellungen des Zielbereichs gegeben. Wie der Gesamtbereich Liebe als Reise gedacht wird, so — nach Lakoff — die Liebenden als Reisende, die Liebesbeziehung als Fahrzeug und auftretende Beziehungsstörungen als Reisehindernisse. Das Wort mapping, das wir bisher mit den geometrischen Fachtermini .Projektion' und »Abbildung' übersetzt haben, ist, wenn es die Metapher beschreibt, selbst metaphorisch und bedarf der Erläuterung: Der Zielbereich wird mit Hilfe des Ausgangsbereichs gedanklich erschlossen. Wer die Liebe als Reise denkt, hat nach Lakoff ein informativeres und differenzierteres Gegenstandsbild, als wer auf Beiträge fremder Bereiche verzichtet. Dank der Abbildung des Bereichs ,Behälter' im Bereich .Kategorien' sieht man — so Lakoff —, daß die Beziehung zwischen Kategorie und Inhalt transitiv ist: Sokrates muß zu den Sterblichen gehören, wenn er in die Kategorie der Menschen fällt und diese wiederum in die Kategorie der Sterblichen; denn ein Goldstück steckt auch in der großen Kassette, wenn es in der kleinen steckt, die ihrerseits in der großen steckt.

Fragwürdigkeiten der Lakoffschen Metapherntheorie

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Das metaphernbildende Übergreifen des Ausgangsbereichs in den Zielbereich beeinträchtigt offenkundig nicht die Unterscheidbarkeit der Bereiche. Die trotz der metaphorischen Verknüpfung fortbestehende begriffliche Trennung der Bereiche weckt Zweifel an der Brauchbarkeit des Begriffs metaphorical concept. Wer im Sinne der Lakoffschen Metapher die Liebe als Reise denkt, fusioniert nicht die Begriffe. Er weiß sehr wohl, daß der Ortswechsel notwendig zum Begriff der Reise gehört, nicht jedoch zum Begriff der Liebe, wie auch umgekehrt der Bezug zu einem Partner notwendig zum Begriff der Liebe gehört, nicht jedoch zum Begriff der Reise. Wer dank der Vorstellung von Behältern die Transitivität der Beziehung zwischen Kategorie und Inhalt erkennt, vergißt darüber nicht, daß Behälter im Gegensatz zu Kategorien Wände haben und daß Kategorien im Gegensatz zu Behältern nicht betastbar sind. Wer in Metaphern denkt, erfaßt dennoch Ausgangs- und Zielbereich mit gesonderten Begriffen. In diesen Begriffen sind auch Merkmale enthalten, die die Bereiche voneinander unterscheiden und deshalb nicht von einem Bereich auf den anderen übertragen werden können. Wer etwa metaphorisch den Blick als Berührung denkt (Lakoff und Johnson 1999: 54), ordnet gleichwohl beiden Vorgängen verschiedene Sinnesorgane zu; und wer die Zeit als Raum denkt (Lakoff und Johnson 1999: 139 ff.), übernimmt die Merkmale, die den Raum von der Zeit unterscheiden, gerade nicht in den Zeitbegriff. Er ordnet die Unterscheidung zwischen rechts und links exklusiv dem Raum zu, die Unterscheidung zwischen vergangen und zukünftig dagegen exklusiv der Zeit. Neben den unterscheidenden gibt es jedoch auch gemeinsame und folglich übertragbare Merkmale. Die Merkmale ,Kontinuität' und .Teilbarkeit' können vom Raumbegriff in den Zeitbegriff übergehen — ebenso wie das Merkmal der Transitivität vom Begriff der Behälterinklusion in den der Kategorieninklusion. Bei der Übertragung von einem Bereich auf den anderen verliert ein begriffliches Merkmal jedoch seine exklusive Bereichzugehörigkeit. Das Merkmal der Kontinuität ist, insofern es sowohl zum Begriff des Raumes wie zum Begriff der Zeit gehört, ein bereichneutrales, gemeinsames Merkmal von Raum und Zeit. Im Falle der metaphorischen Korrespondenz zweier Sachvorstellungen (concepts) gehören die Merkmale der Begriffe, mit denen der Gegenstand des Zielbereichs erfaßt wird, entweder auch zu dem korrespondierenden Begriff des Ausgangsbereichs oder nicht. In letzterem Fall können sie nicht durch mapping übernommen werden. Im ersteren dagegen handelt es sich um bereichneutrale, gemeinsame Merkmale.

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George Lakoffs Begriff der Metaphor

Es macht keinen Sinn, einen Begriff — wie etwa .Liebe' — deshalb metaphorisch zu nennen, weil er mit dem Begriff eines anderen Bereichs - etwa ,Reise' — Merkmale teilt - 2. B. die Orientierung auf ein Ziel. Es ist nämlich die Regel, daß Begriffe verschiedener Bereiche neben unterscheidenden auch gemeinsame Merkmale aufweisen. Der Bereich der Müllabfuhr ist wie der Bereich der Postzustellung straff organisiert, ohne daß man wegen dieser Gemeinsamkeit den Begriff .Müllabfuhr' als Korrespondenzpartner von .Postzustellung' oder den Begriff ,Müllmann' als Korrespondenzpartner von .Postbote' metaphorisch nennen wollte. In Anwendung auf Begriffe kennzeichnet das so verstandene Adjektiv .metaphorisch' keine Unterklasse, die wegen ihrer besonderen Natur hervorhebenswert wäre. Es macht keinen Sinn, den Begriff der Zeit als metaphorisch zu bezeichnen, weil er Merkmale enthält, die auch in den Begriffen anderer Bereiche vorkommen, z. B. das Merkmal der Teilbarkeit, das dem Raum oder das Merkmal des kontinuierlichen Wechsels, das der Bewegung zukommt. Metaphorizität kennzeichnet die Art der sprachlichen Evokation eines Begriffes, nicht — oder allenfalls in einem abgeleiteten Sinn - den evozierten Begriff selbst. Es gibt, streng genommen, keine metaphorischen Begriffe Gibt es deshalb auch keine metaphorical concepts oder keine conceptual metaphors? Der Begriff des concept, den Lakoff benutzt, ist offenbar weiter als unser Begriff des Begriffs. Wir haben deshalb das Lakoffsche concept bisher wohlweislich mit ,(Sach-)Vorstellung' übersetzt, nicht mit .Begriff. Zum concept gehören, wenn wir den Sprachgebrauch Lakoffs richtig deuten, Begriff und Anschauungsmaterial, d. h. einerseits Merkmale, die dem Gegenstand der Sachvorstellung zugesprochen werden, und Strukturen, die ihn kennzeichnen, andererseits aber auch Anschauungsmaterial, aus dem die Begriffe dieser Merkmale und Strukturen abstrahiert werden. Zur Sachvorstellung ,Kategorie' etwa gehört einerseits ein Begriffswerk, aus dem hervorgeht, daß Kategorien Inhalte haben und daß die Beziehung zwischen Kategorie und Inhalt transitiv ist, andererseits aber auch Anschauungsmaterial, in dem die Bestandteile des Begriffs sich konkretisieren und aus dem sie herausabstrahiert werden können. Der Begriff .Behälter' kommt im Begriff .Kategorie' nicht vor. Kategorien sind keine Behälter. Wohl aber gehören Behälter als konventionelle Abstraktionsbasis zur Sachvorstellung von Kategorien. Es ist üblich, zwar nicht den gesamten Kategorienbegriff, wohl aber wesentliche Strukturen des Sachbereichs .Kategorie' in vergleichbaren Strukturen des Sachbereichs .Behälter' konkretisiert und verdeutlicht zu sehen.

Fragwürdigkeiten der Lakoffschen Metapherntheorie

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Zum concept eines Gegenstands oder Gegenstandsbereichs gehören außer der begrifflichen Bestimmung zwei Arten von Anschauungsmaterial: Die erste Art besteht aus Vorstellungen von Einzelgegenständen, die in den Bereich gehören und unter die bereichseigenen Begriffe fallen, sowie aus Begriffen, die bestimmte Untermengen solcher Einzelgegenstände zusammenfassen. Zur Sachvorstellung .Ereignis' {event) etwa gehören Vorstellungen von Beispielen für Ereignisse sowie Begriffe für bestimmte Ereignisarten: Geburt, Tod, Kriegsausbruch, Revolution usw. Bei gleicher begrifflicher Fassung des Gegenstands kann dennoch die Abstraktionsbasis bei verschiedenen Sprachteilnehmern verschieden sein. Der Begriff .Ereignis' braucht nicht in allen Köpfen aus derselben Beispielmenge abstrahiert zu sein. Es gibt jedoch zu bestimmten Begriffen bevorzugte und weithin gemeinsame Beispielbereiche. Für den Bereich .Ereignis' bietet der Teilbereich der menschlichen Handlungen (actions) ein vielbenutztes Musterbeispiel (Lakoff und Johnson 1999: 170 ff.). Daher die Vorstellung, daß jedes Ereignis eine Ursache hat so wie jede Handlung einen Träger. Zum Anschauungsmaterial eines concept können — zweitens — auch Vorstellungen gehören, die nicht unter den Begriff des Bereichs oder einzelner Gegenstandsklassen des Bereichs fallen, wohl aber die Konkretisation einzelner Merkmale dieser Begriffe enthalten. Nun kann man feststellen, daß bestimmten Zielbereichen üblicherweise bestimmte Ausgangsbereiche zugeordnet sind, die zwar nicht unter den Begriff des Zielbereichs fallen, die jedoch zur Bestimmung von Eigenschaften des Zielbereichs oder seiner Teile eine gewohnte Abstraktionsbasis liefern. In diesem Sinne ist dem Zielbereich ,Zeit' der Ausgangsbereich ,Raum' und dem Zielbereich .Kategorie' der Ausgangsbereich ,Behälter' zugeordnet. Lakoff beschreibt die konzeptuelle Metapher als mapping across conceptual domains (z.B. 1993: 245). Die Beschreibung ließe sich durch folgende Deutung des mapping von dem Verdacht befreien, sie vinterstelle die Existenz metaphorischer Begriffe: Der Ausgangsbereich bildet sich im Zielbereich insofern ab, als er eine weithin genuine, konventionelle Abstraktionsbasis liefert, aus der Begriffe des Zielbereichs gewonnen werden. Lakoff scheint keinen besonderen Wert auf die Unterscheidung zu legen, ob der Ausgangsbereich unter den Begriff des Zielbereichs fällt oder nicht. Der erstere Fall liegt, mindestens scheinbar, bei der Metapher .Ereignis als Handlung' vor — denn auch Handlungen sind Ereignisse — , der letztere, häufigere, bei den Metaphern ,Liebe als Reise' und ,Kategorie als Behälter'. Die Unterscheidung wird unwichtig, weil

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George Lakoffs Begriff der Metaphor

in den Lakoffschen Metaphernbeispielen der tatsächliche Zielbereich im Gegensatz zum nominellen — so gut wie nie als übergeordnete Gattung des Ausgangsbereichs gelten kann. Wenn z. B. der Tod als das Werk des Sensenmannes gedacht wird, bildet sich der Ausgangsbereich .Handlung' nicht wirklich in einem Zielbereich .Ereignis' ab, sondern in einem bestimmten Unterbereich von Ereignissen, der, wenn auch innerhalb der gemeinsamen Kategorie .Ereignis', in einem Nebenordnungsverhältnis zum Bereich .Handlung' steht. Der Tod ist ein Ereignis ohne Handlungscharakter, das gezielte Schwingen der Sense dagegen ein Ereignis mit Handlungscharakter. Alle Ausgangsbereiche beleuchten ihren Zielbereich anhand gemeinsamer begrifflicher Merkmale. Folglich stecken alle eine Gegenstandsklasse ab, die sowohl Ausgangs- wie auch Zielbereich umfaßt. Manchmal — so im Fall .Ereignis als Handlung' — nennt Lakoff diesen gemeinsamen, übergreifenden Bereich an Stelle des wirklichen Zielbereichs. Klarer, wenn auch pedantischer, wäre die Formulierung ,nicht-handlungshaftes als handlungshaftes Ereignis'.

2.2 Zwei Erscheinungsorte der Metapher: Vorstellungswelt und Sprachgebrauch Nach einstweilen noch herrschender Ansicht ist die Metapher eine Erscheinung des Sprachgebrauchs mit Resonanzen im Denken, nach Lakoff ist sie umgekehrt eine Erscheinung des Denkens mit Resonanzen im Sprachgebrauch. Die herrschende Meinung kann sich auf die zweieinhalb Jahrtausende alte Lehrtradition der Rhetorik stützen. Auch die vorliegende Untersuchung behandelt die Metapher als eine Erscheinung des Sprachgebrauchs. Für Lakoff und seine Mitstreiter dagegen sind Metaphern — primär — Sachverhalte in der Welt unserer Vorstellungen. Sie manifestieren sich — sekundär — in der Sprache als metaphorischer Gebrauch von Ausdrücken. Die Erklärung einer sprachlichen Metapher besteht für Lakoff in der Rückführung auf ihre Grundlagen in der Vorstellungswelt. Zur Analyse der metaphorischen Äußerung .Unsere Liebe hat sich festgefahren' gehört der Hinweis, daß der Vorstellungsbereich .Reise (mit Fahrzeug)' sich im Vorstellungsbereich ,Liebe' abbildet und daß im Zuge dieser Abbildung Zusammenhänge (eine ,kognitive Topologie·) aus dem Bereich ,Reise' auf den Bereich .Liebe' übertragen werden: Eine Reise kann — wie die Liebe — gestört werden, wenn z.B. das Fahrzeug stek-

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ken bleibt. Die Störung kann daraufhin behoben oder aber die Reise endgültig abgebrochen werden. Ebenso kann nach dem Vorbild der gestörten Reise die bedrohte Liebe neu aufflammen oder endgültig verlöschen. Obwohl Lakoff die Korrespondenz der Vorstellungsbereiche fast nur an sprachlichen Metaphern belegt, läßt er deren linguistische Eigenschaften, ihr Verhältnis zu den sonst geltenden Regeln der Wortanwendung, außer Betracht. Dabei kann sich die Abbildung eines ersten Vorstellungsbereichs in einem zweiten sprachlich auch anders manifestieren als durch metaphorical expressions. Daß der Bereich der Behälter Anschauungsmaterial zur Verdeutlichung bestimmter Zusammenhänge im Bereich der Kategorien liefert, zeigt sich auch in folgender von sprachlichen Metaphern gereinigten Erklärung eines Lehrers vor seinen Schülern: Stellt euch vor, eine Münze steckt in einem kleineren Kästchen, und dieses kleinere Kästchen steckt selbst wieder in einem größeren! Seht ihr, daß dann die Münze auch in dem größeren Kästchen steckt? Derselbe Zusammenhang liegt vor, wenn ein Gegenstand in eine kleinere Kategorie gehört, die selbst wieder in eine größere gehört. Wenn Sokrates in die kleinere Kategorie der Menschen und die kleinere Kategorie der Menschen in die größere Kategorie der sterblichen Lebewesen gehört, dann gehört Sokrates auch in die größere Kategorie der sterblichen Lebewesen. Man nennt eine Beziehung transitiv, wenn man — wie in unserem Kästchen-Beispiel — folgern kann, daß sie zwischen zwei Beziehungsträgern A und C besteht, weil sie sowohl zwischen A und einem weiteren Träger Β wie auch zwischen diesem Träger Β und dem Träger C besteht. Die Beziehung der räumlichen Umfassung ist transitiv; denn wenn ein größerer Behälter einen kleineren umfaßt und der kleinere einen Gegenstand enthält, dann umfaßt der größere Behälter auch diesen Gegenstand. Auch die umgekehrte Beziehung, das Enthaltensein, ist transitiv; denn wenn ein Gegenstand in einem kleineren Behälter steckt und der kleinere in einem größeren, dann steckt dieser Gegenstand auch in dem größeren Behälter. Die transitiven Beziehungen der räumlichen Umfassung und des Enthaltenseins, die im Bereich der Behälter bestehen, veranschaulichen die ebenfalls transitive Inklusionsbeziehung, die im Bereich der Kategorien besteht. Die Beziehung zwischen Ausgangs- und Zielbereich der Lakoffschen metaphor kann ohne Rückgriff auf metaphorical expressions bei ihrem wahren Namen genannt werden: Das Behälterwesen bietet ein anschau-

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liches Modell der transitiven Inklusionsbeziehungen, die im Bereich der Kategorien vorliegen. Man kann die Beziehung zwischen Ausgangsund Zielbereich auch als förmlichen Vergleich ausdrücken: ,Mit Kategorien verhält es sich in bestimmter Hinsicht wie mit Behältern'. Und schließlich kann der Zusammenhang der Vorstellungsbereiche sich auch in Ausdrücken manifestieren, die, ohne Metaphern zu sein, auf beide Bereiche gleichermaßen zutreffen. Der Ausdruck .enthaltensein in', der bei lichte besehen nur eine tote, also gar keine Metapher ist, benennt die Beziehung zwischen Sokrates und der Kategorie der Menschen ebenso unmittelbar, wie er die Beziehung zwischen Suppe und Teller benennt. Wenn auch nicht-metaphorische Äußerungen ein cross domain mapping aus der Vorstellungswelt wiedergeben können, ist die Besonderheit der sprachlichen Metapher nicht durch den bloßen Bezug auf eine conceptual metaphor erklärt. Wie nicht alle sprachlichen Manifestationen einer Lakoffschen metaphor als metaphorical expressions gelten können, so auch nicht alle tatsächlichen Metaphern als Manifestationen einer Lakoffschen metaphor. Sprachliche Metaphern sind erzeugbar, wo immer zwischen heterogenen Gegenständen eine Gemeinsamkeit wahrgenommen wird, die nicht aus einer gebräuchlichen Klassifikation hervorgeht. Man kann spontan — ohne Rückgriff auf eine vorgegebene Verknüpfung zweier Vorstellungsbereiche — ein Buch als Pisga Calzone bezeichnen, weil es sein Bestes zwischen zwei Deckeln zusammendrängt, oder einen Menschen mit breiter Hutkrempe als Pilz. Wenn einerseits nicht alle sprachlichen Manifestationen eines cross domain mapping sprachliche Metaphern sind und wenn es andererseits sprachliche Metaphern gibt, die nicht auf einer vorgängig etablierten metaphor beruhen, besteht Anlaß, außer der konzeptuellen metaphor,; der Lakoffs eigentliches Interesse gilt, auch die sprachliche Metapher als Gegenstand eigenen Rechts genauer zu bestimmen. Zu diesem Unternehmen reicht der Lakoffsche Begriffsapparat nicht aus. Es fehlt z. B. — wie bei den antiken Rhetorikern — die systematische Unterscheidung zwischen Bedeutung und beschriebenem Gegenstand. Ein Ausdruck ist nicht von sich aus metaphorisch, sondern nur bei Anwendung auf einen bestimmten Gegenstand. Lakoff spricht bewußt von concepts, nicht von Gegenständen. Offenbar will er den Verdacht des Objektivismus vermeiden. Zu einem benennenden Wort gibt es nach Lakoff nicht unbedingt einen realen Gegenstand mit den Eigenschaften, die in der Wortbedeutung vorgesehen sind. Unsere Theorie meint mit,Gegenstand' jedoch nur das, worauf ein Beschreibungsin-

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halt sich bezieht, ein geistiges Korrelat des Sprachgebrauchs, über dessen Bezug zur außersprachlichen Realität nichts gesagt wird. Außerdem fehlt in Lakoffs Theorie die Unterscheidung zwischen der Bedeutung eines Wortes, dem durch diese Bedeutung definierten Theoretischen Anwendungsbereich (TA) und dem Assoziationsfeld (STA), das diesem Anwendungsbereich zwar zugeordnet ist, aber nicht als ganzes in die Bedeutung eingeht. Ohne diese Unterscheidung läßt sich kaum erklären, wieso die eigentliche Bedeutung des metaphorischen Ausdrucks zwar nicht — wie beim normalen Wortgebrauch — den vermittelten Beschreibungsinhalt stellt, andererseits aber doch an der Festlegung dieses Inhalts beteiligt ist und die Zuordnung von Ausdruck und metaphorisch vermitteltem Inhalt motiviert. Lakoff scheint Wortbedeutungen als concepts zu verstehen (Lakoff und Johnson 1999: 497 ff.). Wenn diese Gleichsetzung zuträfe, müßte in der Bedeutung des Wortes .Behälter' die Transidvität der Inklusionsbeziehung enthalten sein, die ja aus dem concept .Behälter' auf das concept,Kategorie' übertragen werden soll. Umgekehrt müßte sowohl in der Wortbedeutung .Kategorie' wie in dem entsprechenden metaphorical concept der Bereich .Behälter' als das übliche Anschauungsmaterial enthalten sein. Die Bedeutung ist nach unserer Auffassung jedoch nur eine aus der Beobachtung des Wortgebrauchs abgeleitete Anwendungsregel. Sie enthält, was nötig ist, um den Anwendungsbereich eines Wortes abzustecken und innerhalb des jeweils zuständigen Feldes von Anwendungsbereichen distinktiv zu positionieren. Was der Sprachteilnehmer sonst mit den Gegenständen des Wortanwendungsbereiches verbindet, gehört in das Assoziationsfeld (STA), in das die Vorstellung des Anwendungsbereichs psychisch eingebettet ist. Lakoffs Begriff des concept vermischt Elemente der Bedeutung mit Elementen des STA. Unsere Metapherntheorie geht davon aus, daß Sprachbenutzer grundsätzlich die Einhaltung der Wortanwendungsregel unterstellen, daß sie folglich vertrauensvoll dem beschriebenen Gegenstand die in der Bedeutung geforderten Merkmale als Beschreibungsinhalt zuordnen. Der beschriebene Gegenstand fällt bei eigentlicher Wortverwendung in den (oder einen) Theoretischen Anwendungsbereich des beschreibenden Wortes, er hat mit allen anderen Gegenständen des Wortanwendungsbereichs die Züge gemeinsam, die diesen definieren. Im Falle des metaphorischen Wortgebrauchs erlebt der Sprachbenutzer die geschilderte Unterstellung als unzutreffend. Die eigentliche Wortbedeutung als den vermittelten Beschreibungsinhalt aufzufassen, hieße dem

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Sprecher einen Verstoß gegen die Wahrheits- oder die Relevanzmaxime zu unterstellen, die der Hörer jedoch als befolgt postuliert. Er weicht deshalb auf die metaphorische Deutung aus. Dabei bleibt die eigentliche Bedeutung für die Bestimmung des Beschreibungsinhalts weiterhin zuständig. Der durch sie festgelegte Gegenstandsbereich (TAe) liefert nach wie vor die Züge, aus denen der zu vermittelnde Beschreibungsinhalt sich zusammensetzt. Nur werden diese Züge nicht mehr ausschließlich der Definition des Bereiches entnommen, sondern dem Assoziationsfeld, das sich um seine Gegenstände — oder um eine Untermenge seiner Gegenstände — legt. Der metaphorisch vermittelte Beschreibungsinhalt enthält in erster Linie — aber nicht ausschließlich — Züge, die nicht zur Definition des Theoretischen Anwendungsbereichs gehören, die der beschriebene Gegenstand aber dennoch mit Gegenständen dieses Bereiches teilt. Bei normalem Wortgebrauch steht der beschriebene Gegenstand in trivialer Analogie zu den anderen Gegenständen des Wortanwendungsbereichs; der metaphorische Wortgebrauch dagegen stellt ihn in eine nicht-triviale Analogie zu Gegenständen dieses Bereichs. Das metaphorisch gebrauchte Wort spricht einem Gegenstand, der in aller Regel gar nicht in seinen eigentlichen Anwendungsbereich gehört, Züge von Gegenständen dieses Anwendungsbereichs zu, die aber nicht zur Definition dieses Bereichs gehören. Die in der vorliegenden Untersuchung gegebene Metaphernbeschreibung braucht den Begriff des Gegenstands, den Lakoff vermeidet, ebenso wie die im Begriff des concept verwischte Unterscheidung zwischen Bedeutung und STA.

2.3 Analogische Motivation oder neurologische Konditionierung? Lakoffs Theorie der metaphor beschreibt einen anderen Gegenstand als unsere Metaphernlehre. Unter metaphor versteht Lakoff, wie von ihm und von uns sattsam betont, einen Sachverhalt im Bereich der Vorstellungen, unsere Metapher dagegen ist ein Verfahren der Wortanwendung. Dennoch stellen sich in beiden Theorien ähnliche Fragen, deren unterschiedliche Beantwortungen man sinnvoll vergleichen kann. Lakoffs Theorie wirft die Frage auf, wie es zu den beschriebenen Paarungen von Ausgangs- und Zielbereich kommt. Warum bildet sich ausgerechnet die Vorstellung der räumlichen Nähe — und nicht etwa die Vorstellung der Anziehungskraft — in der Vorstellving der Ähnlichkeit

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ab, so daß man metaphorisch von nahe beieinander liegenden Farben spricht und nicht etwa von Farben, die einander stark anziehen? Die Lakoffsche Frage nach der Auswahl der Vorstellungsbereiche, die in Korrespondenz zueinander treten, hat ein Gegenstück in unserer Metaphernlehre: Eine sprachliche Metapher stellt dem beschriebenen Gegenstand andere Gegenstände aus einem Bereich gegenüber, den die eigentliche Bedeutung des benutzten Wortes absteckt, in den aber der beschriebene Gegenstand in aller Regel nicht gehört. Auch hier ergibt sich die Frage nach der Auswahl des Bereichs, dessen Gegenstände dem beschriebenen Gegenstand gegenübergestellt werden. Warum dient ausgerechnet ein Dschungel zur Beschreibung einer Großstadt und nicht etwa ein Eichenwald oder ein Bienenkorb? Unsere Antwort liegt auf der Hand: Weil der Großstadt ein Beschreibungsinhalt zugesprochen werden soll, den sie mit Dschungeln, nicht jedoch mit Eichenwäldern und Bienenkörben teilt, obwohl sie nicht unter die Bedeutung des Wortes .Dschungel' fallt. Die Kopplung von Gegenständen verschiedener Bereiche (Dschungel und Großstadt, Gefängnis und Ehe, Geldverkehr und Sprachverkehr) ist durch eine Gemeinsamkeit dieser Gegenstände motiviert, die den vermittelten Beschreibungsinhalt bildet. Die metaphorische Kopplung mit Dschungeln beschreibt die Großstadt als undurchsichtig, gefährlich, unvertraut usw. Der metaphorisch benutzte Ausdruck setzt den beschriebenen Gegenstand zu Gegenständen seines eigentlichen Anwendungsbereichs in das Verhältnis einer nichttrivialen Analogie: Der beschriebene Gegenstand, der im Allgemeinen außerhalb des eigentlichen Wortanwendungsbereichs liegt, teilt mit den Gegenständen dieses Bereichs Eigenschaften, die nicht in dessen Definition, wohl aber in das ihm zugeordnete Assoziationsfeld gehören. Die nicht-triviale Analogie zwischen dem beschriebenen Gegenstand und Gegenständen eines TAe des benutzten Wortes ist nach unserer Theorie ein Wesensmerkmal der Metapher. Ein Wortgebrauch ist nicht metaphorisch, wenn der beschriebene Gegenstand zwar außerhalb jedes der eigentlichen Anwendungsbereiche des benutzten Wortes liegt, eine Analogie zu Gegenständen eines dieser Bereiche jedoch weder erkennbar noch als beansprucht unterstellbar ist. Lakoff dagegen weist Analogie oder Ähnlichkeit als Grund der Zuordnung von Ausgangs- und Zielbereich seiner Metaphern zurück: .Primäre' Metaphern (ohne die es auch keine .komplexen' gäbe) sind nicht analogisch motiviert, sondern neurologisch konditioniert. Frühe Erfahrungen haben zu einer festen Verbindung der Gehirnzellen ge-

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führt, die beim Aufruf nur eines der beiden Bereiche gemeinsam aktiviert werden. Ein vielfach erlebter Zusammenfall von räumlicher Größe und Wichtigkeit hat sich zu einem neurologischen Befund verfestigt: Die ausgewachsenen Eltern waren wichtiger als die noch nicht ausgewachsenen Geschwister und große Hunde gefahrlicher als kleine. Eine der Selbstbeobachtung nicht zugängliche Gehirnzellenverbindung manifestiert sich im Bewußtsein als Abbildung der räumlichen Größe in der Vorstellung der Wichtigkeit, und diese neurologisch bedingte Vorstellungsanreicherung bringt die sprachliche Metapher ,ein großer Tag' hervor (Lakoff und Johnson 1999: 50). Daß Größe und Wichtigkeit in Analogie zueinander stehen, etwa weil Großes ebenso wie Wichtiges mehr Aufmerksamkeit an sich bindet als Kleines und Unwichtiges, würde Lakoff als Grund der Vorstellungsverknüpfung nicht gelten lassen. Daß jede primary metaphor auf einer im Kindesalter erworbenen und beim Erwachsenen verfestigten Verbindung von Gehirnzellen beruhe und folglich dem unmittelbaren Einfluß des bewußten Willens entzogen sei, ist jedoch — einstweilen — eine bloße Hypothese, was auch Lakoff nicht verheimlichen kann (Lakoff und Johnson 1999: 45 ff.). Man kann sich zwar der schwindelerregenden Annahme nicht verschließen, daß alle Zustände und Vorgänge der Bewußtseinswelt mit Zuständen und Vorgängen in den Gehirnzellen korrelieren. Gleichwohl scheint bisher niemand genau zu wissen, was in welchen Gehirnzellen abläuft, wenn jemand einen Schluß nach dem modus ponens zieht oder Kategorien als Behälter denkt. Unsere Theorie verzichtet auf Annahmen über die neurologische Konditionierung von Bewußtseinsinhalten. Sie stützt sich auf Daten der Introspektion und der Sprachbeobachtung. Wir gehen davon aus, daß dem Bewußtsein des Sprachteilnehmers die Unterscheidung zwischen motivierter und unmotivierter Wortanwendung zugänglich ist. Er spricht — und versteht Gesprochenes — so, daß die Zuordnung von Wort und Gegenstand durch eine vorgegebene Wortbedeutung motiviert ist. Man könnte geradezu das Motivationsgebot den Griceschen Maximen hinzufügen: .Verwende und verstehe Wörter so, daß ihr Bezug auf die beschriebenen Gegenstände durch eine vorgegebene Bedeutung motiviert ist!' Bei eigentlichem Wortgebrauch liegt die Motivation im Zusammenfall einer eigentlichen, vorgegebenen Wortbedeutung mit dem Beschreibungsinhalt, der dem Gegenstand zugesprochen werden soll. Man verwendet das Wort ,Baum' zur Beschreibung eines am Horizont auftau-

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chenden Gegenstands, weil man die vorgegebene Bedeutung dieses Wortes als Beschreibungsinhalt auf den Gegenstand anwenden will. Bei metaphorischem Wortgebrauch liegt die Motivation in dem Zusammenfall des zu vermittelnden Beschreibungsinhalts mit Eigenschaften von Gegenständen eines Wortanwendungsbereichs, den eine vorgegebene Wortbedeutung fesdegt. Die Anwendung des Wortes .Gefángnis' auf eine Ehe ist motiviert, nicht weil die beschriebene Ehe unter den Begriff ,Gefängnis' fiele, sondern weil die Gegenstände, die tatsächlich unter diesen Begriff fallen, eine Eigenschaft haben, die der Ehe zugesprochen werden soll: Beschränkung der Freiheit. Die Motivation der metaphorischen Wortverwendung setzt die Wahrnehmung einer nichttrivialen Analogie zwischen dem beschriebenen Gegenstand und Gegenständen eines Wortanwendungsbereichs voraus, den eine vorgegebene Bedeutung des benutzten Wortes definiert. Wer die metaphorische Anwendung des Wortes .Gefängnis' auf eine Ehe versteht, sieht, daß die beschriebene Ehe zwar außerhalb des Gegenstandsbereichs liegt, den die vorgegebene Bedeutung des Wortes ,Gefängnis' definiert, daß ihr aber ein Beschreibungsinhalt zugesprochen wird, den sie mit Gegenständen dieses Bereichs teilt. Gegenüber der Zuordnung von Wort und eigentlicher Bedeutung jedoch sieht sich der Sprachteilnehmer in einer ähnlichen Lage, wie er sich nach Lakoff gegenüber einer primären metaphor sehen müßte: Er findet sie in seinem Bewußtsein vor, ohne Gründe für ihr Zustandekommen wahrzunehmen. Sie ist — mit den Einschränkungen, die man kennt — unmotiviert. Die Wahrnehmung oder — im Grenzfall — die bloße Forderung der motivierten Zuordnung von Wort und Gegenstand ist — einstweilen — ein besser erhebbares Datum als die neurologische Grundlage der Zuordnung von Ausgangs- und Zielbereich. Für alle Bereichverknüpfungen, die Lakoff bespricht, liegt eine analogische Erklärung nahe, die er jedoch beiseite schiebt. Daß die Vorstellung von Behältern sich in der Vorstellung von Kategorien abbildet, erklärt Lakoff nicht durch eine Gemeinsamkeit beider Vorstellungsbereiche, sondern durch ihre Verbindung in der frühkindlichen Erfahrung: Behälter enthielten Gleichartiges, also Gegenstände derselben Kategorie: Im Mülleimer steckte nur Müll (Kategorie .Babbá*), im Kleiderschrank nur Kleidung usw. Die metaphorische Verbindung zweier Vorstellungsbereiche stellt sich nach Lakoff nicht deshalb her, weil die Vorstellungsbereiche einander in bestimmter Hinsicht gleichen, sondern weil sie typischerweise in demselben Erfahrungszusammenhang vorkommen.

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Andererseits kann auch Lakoff nicht leugnen, daß die Abbildung des Ausgangsbereichs im Zielbereich Ähnlichkeit der Vorstellungen zumindest herstellt, wenn schon nicht voraussetzt. In dem Maße, wie die Vorstellung der Behälter sich in der Vorstellung der Kategorien abbildet, gleicht die Kategorienvorstellung sich der Behältervorstellung an. Auf Grund dieser Angleichung wird z. B., wie Lakoff behauptet, die Beziehung zwischen Kategorie und Inhalt als transitiv gedacht. Wenn nun die Ähnlichkeit (Gleichartigkeit) der Vorstellungen nicht schon zu der Kookkurrenz-Erfahrung gehört, die der Metapher zugrunde liegt, stellt sich vor dem Hintergrund der Lakoffschen Theorie die Frage, an welcher Stelle der Metapherngenese die erfahrene Zusammengehörigkeit der Vorstellungen in den Eindruck von Ähnlichkeit umschlägt. Ist die Ähnlichkeit gegeben, sobald sich der durch Kookkurrenz-Erfahrung herbeigeführte neurologische Befund im Denken auswirkt? Ist die wahrnehmbare Ähnlichkeit gewissermaßen das unvermeidliche Produkt der Umsetzung eines aus Kookkurrenz-Erfahrung stammenden neurologischen Sachverhalts in Bewußtseinsinhalt? Oder gibt es eine Phase, in der sich die metaphorische Zusammengehörigkeit der Vorstellungen schon im Bewußtsein manifestiert, aber noch nicht als Ähnlichkeit, sondern nur als Tendenz zur Abbildung von Strukturen des Ausgangsbereichs im Zielbereich? Erst die vollzogene Abbildung riefe dann die Ähnlichkeit hervor. Die Metapher — als Korrespondenz der Vorstellungsbereiche — könnte dann auch ohne die Wahrnehmung einer Ähnlichkeit der Bereiche existieren. Dem denkenden Subjekt wäre unter dieser Voraussetzung etwa folgender Gedankengang zuzutrauen: ,Da ich mir — warum nur? — Kategorien ohnehin als Behälter vorstelle, ei, so will ich auch die im Behälterwesen offensichtliche Transitivität der Inklusionsbeziehung ungeniert auf das Kategorienwesen übertragen.' Gedacht, getan — und schon sind die neurologisch verknüpften Bereiche einander ähnlich. Lakoffs Formulierungen scheinen manchmal auf diese zweite Alternative zu deuten: Angleichung der Vorstellungen auf Grund vorher empfundener metaphorischer Zusammengehörigkeit: [...] the logical properties of classical categories can be seen as following from the topological properties of containers plus the metaphorical mapping from containers to categories (1993: 213). Die Projektion des Behälterwesens auf das Kategorienwesen geht also der Wahrnehmung der Transitivität des Verhältnisses zwischen Kategorie und Inhalt voraus. Erst auf Grund der Projektion wird die strukturelle Ähnlichkeit zwischen Kategorien und Behältern wahrnehmbar:

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[...] on our view, metaphor always results in a similarity of image-schema structure between the source and target domains. (Lakoff und Turner 1989: 123) Weil Gleichartiges — vielleicht öfter, auf jeden Fall jedoch einprägsamer denn Ungleichartiges — als Inhalt eines gemeinsamen Behälters erfahren wird, weil, anders gesagt, Gleichartigkeit in frühkindlicher Erfahrung mit Ortsgleichheit kookkurriert, entsteht eine feste Verbindung zwischen den Gehirnzellen, die im Bewußtsein die Vorstellungen von Kategorien einerseits und Behältern andererseits hervorrufen. Die auf Grund dieses neurologischen Sachverhalts empfundene Zusammengehörigkeit der Vorstellungen verleitet zur Übertragung von Behältereigenschaften auf Kategorien — und so entsteht die klassische Logik. Ein starker Tobak! Plausibler — und eigentlich auch mit dem Lakoffschen Ansatz verträglicher — ist die Annahme, daß in der Vorstellungswelt die Metapher nicht ohne die Wahrnehmung der Ähnlichkeit existieren kann. Die Metapher besteht in der bereits vollzogenen — und Ähnlichkeit hervorhebenden — Abbildung eines Ausgangsbereichs im Zielbereich, nicht in einem Zustand, der eine solche Abbildung nur begünstigt oder nahelegt. Das Abbildungsverhältnis, das die Lakoffsche Metapher definiert, kann nicht ohne die Ähnlichkeit der Vorstellungsbereiche wahrgenommen werden. Zugleich mit der metaphorischen Beziehung tritt auch deren analogische Motivation ins Bewußtsein. Wer Kategorien als Behälter denkt, hat nicht den Eindruck, einer arbiträren Kombination von Vorstellungen ausgeliefert zu sein - wie der Zuordnung von Wort und eigentlicher Bedeutung, mit der er vorliebnehmen muß. Er glaubt vielmehr, daß von vornherein bestimmte Gemeinsamkeiten zwischen räumlicher und logischer Inklusion vorliegen, die Behälter zum brauchbaren Anschauungsmaterial für Kategorien machen. Bei der sprachlichen Metapher ist die wahrgenommene Gemeinsamkeit zwischen den beteiligten Gegenstandsbereichen die Motivation der Zuordnung von Wort und Beschreibungsinhalt — wenn etwa von den ,undurchlässigen Wänden einer Kategorie' die Rede ist. Vielleicht täuscht sich das denkende Subjekt, wenn es die Metapher für ein autonomes Werk seiner Gedanken hält, die vor aller metaphorischen Kopplung in verschiedenen Bereichen Gleichartiges aufspüren, oder wenn es — im Fall metaphorischen Wortgebrauchs — die Motivation in einer nicht-trivialen Analogie zwischen dem beschriebenen Gegenstand und Gegenständen des TAe zu erkennen glaubt. Vielleicht

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gibt das bewußte Denken dem Ergebnis einer neurologischen Konditionierung eine nachträgliche Rechtfertigung. In diesem Fall erschiene eine organisch bedingte Vorstellungsverknüpfung vor dem Tribunal des Bewußtseins im Gewand der analogischen Motivation. Die vorliegende Arbeit begnügt sich mit dem introspektiv erweislichen Eindruck der Motivation durch Gemeinsamkeit des Verknüpften. Dieser Eindruck besteht sowohl bei den Lakoff-Metaphern, in denen ein Vorstellungsbereich Anschauungsmaterial zur Verdeutlichung eines anderen liefert, wie erst recht bei sprachlichen Metaphern. Eine etwaige neurologische Konditionierung dieses Eindrucks bleibt in unserer Theorie außer Betracht. Sie gehört in eine vorläufig noch hypothetische Urgeschichte des individuellen Metapherngebrauchs. Nähe zur Analogie sieht Lakoff nur in einem Sonderfall der Metapher, den er ^Allgemeines als Besonderes' {generic is specific) nennt (1993; 233 ff.; ferner Lakoff und Turner 1989: 162 ff.) Dieser Metapherntyp liegt nach Lakoff metaphorischen Sprichwörtern zugrunde — wie z. B. dem folgenden: „Ein Blinder schimpft auf den Straßengraben" (in den er gefallen ist). Die Situation, auf die der wörtliche Sinn des Sprichworts verweist, ist, wie Lakoff einleuchtend erklärt, ein Beispiel für einen allgemeineren Situationstyp, den man wie folgt beschreiben könnte: ,Ein Mensch mit einem bestimmten Schwachpunkt gerät in eine Lage, in der dieser Schwachpunkt, wie leicht vorherzusehen war, Mißerfolg verursacht. Der Mensch macht jedoch nicht seinen Schwachpunkt für den Mißerfolg verantwortlich, sondern die Lage, in die er geraten ist.' Das so beschriebene allgemeine Fallmuster {generic-level schema) konkretisiert sich nicht nur in dem Fall des Blinden, von dem das Sprichwort berichtet, sondern darüber hinaus in einer unbegrenzten Menge anderer Einzelfälle — wie z. B. dem folgenden: Gary Hart, der ein anstößiges Sexualleben führte, kandidierte 1988 für die Präsidentschaft der USA. Er ließ sich während des Wahlkampfes bei sexuellen Entgleisungen erwischen; die Presse schlachtete diese Entdeckungen aus und zerstörte dadurch seine Wahlchancen. Gary Hart machte für sein Scheitern jedoch nicht das anstößige Sexualleben verantwortlich, sondern die Presse, die es in die Öffentlichkeit trug. Das Sprichwort vom Blinden, der den Graben beschimpft, ist anwendbar auf Gary Hart, der die Presse beschimpft. Beide Fälle konkretisieren ein gemeinsames Fallmuster. Für das Verhältnis zwischen dem wörtlichen Sinn des Sprichworts und dem Anwendungsfall ,Gary Hart' verwendet Lakoff sogar das Wort ^Analogie' (1993: 235). So weit, so gut. Lakoff erklärt den Zusammen-

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hang zwischen Sprichwort und einzelnem Anwendungsfall nicht wesentlich anders, als wir in dieser Arbeit den Zusammenhang zwischen dem eigentlichen Anwendungsbereich eines metaphorisch benutzten Wortes und dem beschriebenen Gegenstand erklären und als wir in einer anderen Arbeit den Zusammenhang zwischen Fabel und Lehre dargestellt haben (Die Gattung Fabel, Göttingen 2000). In der Tatsache, daß Ausgangs- und Anwendungsbereich — der Blinde und Gary Hart — jeder auf seine Weise ein gemeinsames Allgemeines konkretisieren, sieht Lakoff jedoch kein durchgängiges Merkmal der Metapher schlechthin. Er versperrt sich diese Einsicht, indem er nicht, wie es naheläge, die einzelnen möglichen Anwendungsfälle — wie ζ. B. den Gary-Hart-Fall — als Zielbereiche deklariert, sondern das gemeinsame Allgemeine, das er als generic-level schema bezeichnet: Er sagt also nicht, der Ausgangsbereich .Blinder' bilde sich im Zielbereich ,Gary Hart' (sowie in anderen, gleichgelagerten Fällen) ab, sondern in dem gemeinsamen Fallmuster, das sowohl der Blinde wie auch Gary Hart konkretisieren: The GENERIC IS SPECIFIC metaphor maps the knowledge schema for the blind man and the ditch into its generic-level schema. (1993: 235) Daß etwas Konkret-Besonderes sich in dem Allgemein-Abstrakten abbilden soll, für das es ein Beispiel liefert, macht jedoch keinen Sinn. Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Das Allgemein-Abstrakte hat von Natur aus nur die Züge, die es mit dem Konkret-Besonderen teilt. Die angesonnene Abbildung würde an dem Bild des Abstrakt-Allgemeinen nichts ändern. Umgekehrt jedoch kann die Abbildung des Allgemeinen im Besonderen bestimmte Züge hervorheben, die sonst in einer Fülle anderer Züge untergingen. Es macht keinen Sinn, zu sagen, der Fuchs bilde sich im Säugetier ab. Was der Begriff des Fuchses dem des Säugetiers einzeichnen könnte, ist ohnehin das einzige, woraus der Begriff des Säugetiers überhaupt besteht. Umgekehrt macht es jedoch Sinn, zu sagen, das Säugetier bilde sich im Fuchs ab: Der Begriff des Säugetiers hebt im Begriff des Fuchses die Merkmale hervor, die er mit anderen Säugetieren teilt, und dunkelt die Merkmale ab, die ihn von anderen Säugetieren unterscheiden. Noch mehr Sinn macht es, wenn man sagt, der Fuchs bilde sich — kraft des gemeinsamen Listenreichtums — in Odysseus oder das Behälterwesen bilde sich — kraft der gemeinsamen transitiven Beziehung zwischen Umfassendem und Umfaßten — im Kategorienwesen

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ab. In dem letzteren Fall, der bei den typischen Lakoff-Metaphern vorliegt, wird gewissermaßen der Abdruck des gemeinsamen Allgemeinen (Transitivität der Inklusionsbeziehungen) aus dem Ausgangsbereich, wo er deutlicher sichtbar ist, in den Zielbereich übertragen. Die generic-is-speaßc-Metaphcr ist nicht, wie Lakoff meint, eine neben vielen anderen Metaphern, die er behandelt, - wie .Liebe als Reise', .Skalen als Pfade' oder .Kategorien als Behälter'. In den letzteren hat der Begriff des mapping einen verständlichen Sinn: Der Ausgangsbereich drückt dem Zielbereich gleichsam den Stempel eines gemeinsamen Allgemeinen auf. Wenn jedoch das gemeinsame Allgemeine — unter dem Namen generic level-schema — selbst zum Zielbereich erklärt wird, verliert das Wort mapping den Sinn, den es bei der Erklärung der anderen Metaphern hatte. Lakoff verwechselt das Siegel mit dem Wachs, den Bildgeber mit dem Bildempfänger. Die Blindengeschichte zeichnet sich nicht in das generic-level schema ein, denn das generic-level schema ist nichts anderes als ein aus der Blindengeschichte ablesbares abstraktes Muster; vielmehr zeichnet sich das generic-level schema mit Hilfe der Blindengeschichte, die es deutlicher zur Schau trägt, in die Gary-Hart-Geschichte ein. Die Zuordnung von Ausgangs- und Zielbereich hebt im Zielbereich ein gemeinsames Allgemeines hervor, das, wenn man die Bereiche voneinander isoliert, im Ausgangsbereich besser zu erkennen ist als im Zielbereich. Ein generic-level schema ist bei allen Arten der Lakoff-Metaphern im Spiel — als das gemeinsame Allgemeine von Ausgangs- und Zielbereich, das der Begriff des mapping voraussetzt. Bei der Analyse metaphorischer Sprichwörter hat Lakoff die Rolle eines dem Ausgangsbereich übergeordneten Allgemeinen erkannt. Die grundsätzliche Bedeutung des gemeinsamen Allgemeinen für alle Metaphern blieb ihm jedoch verborgen, weil er — bei der Untersuchung der generic-is-speafíc-Mefáiphet — das im Ausgangsbereich konkretisierte abstrakte Muster bei den Metaphern, zu deren Erklärung er es brauchte, mit dem Zielbereich identifizierte. Da er in vielen anderen Metaphern eine solche Bestimmung des Zielbereichs — zu Recht — nicht vollzog, schien ihm dort auch der Begriff des generic-level schema nicht einschlägig. Lakoff kennt nur Ausgangs- und Zielbereich, nicht jedoch ein gemeinsames Allgemeines, das diese Bereiche miteinander verklammert. Wo das gemeinsame Allgemeine mit Händen zu greifen ist, identifiziert er es flugs mit dem Zielbereich. Dabei übersieht er, daß der so definierte Zielbereich auch den Ausgangsbereich enthält, daß also die metapherntypische Differenz zwischen Ausgangs- und Zielbereich auf diese Weise

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verschwindet. Der Blinde, der auf den Graben schimpft, ist ebenso eine Konkretisation des generic-level schema wie Gary Hart, der die Presse für seinen Mißerfolg verantwortlich macht. Wenn Ausgangsbereich und generic-level schema feststehen, sind mehrere Zielbereiche denkbar, die voneinander nicht weniger weit entfernt sind als vom Ausgangsbereich. In einem der Zielbereiche, auf die das Blindensprichwort angewandt werden kann, findet man den Asopschen Fuchs, der für den entgangenen Leckerbissen die schlechte Qualität der Trauben statt der eigenen Sprungschwäche verantwortlich macht, in einem anderen den Schüler, der die Schuld am schlechten Zeugnis dem Lehrer statt der eigenen Faulheit zuweist. Das abstrakte Fallmuster, das Lakoff zum Zielbereich erklärt, definiert eine Fallklasse, zu deren Elementen neben dem Ausgangsbereich auch die möglichen Zielbereiche der Metapher gehören. Das generic-level schema ist folglich nicht selbst der Zielbereich, sondern legt eine notwendige Bedingung fest, der die möglichen Zielbereiche ebenso wie der Ausgangsbereich genügen müssen: Zielbereich der Metapher kann nur ein Fall sein, der das generic-level schema konkretisiert. Das generic-level schema ist ein gemeinsames Allgemeines von Ausgangsund Zielbereich, so wie in unserer Theorie die metaphorische Bedeutung als gemeinsames Allgemeines aufgefaßt wird, das Gegenstände des TAe mit dem beschriebenen Gegenstand verbindet. Die Identifikation des generic-level schema mit dem Zielbereich entspricht daher der irrigen Behauptung, die Metapher ,Esel' beschreibe die Dummheit. In Wahrheit ist Dummheit nicht der Beschreibungsgegenstand, sondern ein gemeinsames Allgemeines, das Gegenstände des TAe mit dem beschriebenen Gegenstand verbindet. Ein ähnlicher Fehler läge in der Behauptung, die Klasse der Tische sei der Anwendungsgegenstand des Wortes ,Tisch'. In Wahrheit ist die Zugehörigkeit zur Klasse der Tische eine Bedingung, die ein Gegenstand erfüllen muß, wenn das Wort,Tisch' zu Recht auf ihn angewandt werden soll. Die folgenreiche Verschmelzung des gemeinsamen Allgemeinen mit dem Zielbereich (in den Begriffen unserer Metaphernlehre wäre das eine Verwechslung von metaphorischer Bedeutung und beschriebenem Gegenstand) zeigt sich auch bei der Analyse der metaphor, die Lakoff MORE IS UP und LESS IS DOWN nennt (Lakoff 1987: 276 ff.). Die gemeinte Vorstellungsverknüpfung manifestiert sich in metaphorical expressions wie jDie Verbrechensrate steigt', ,Sie erzielen bei uns einen höheren Zinssatz', .Unsere Verkaufszahlen sind im vorigen Jahr gesunken' oder .Unsere finanziellen Reserven könnten nicht niedriger sein'.

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Lakoff erklärt die Entstehung der zugrunde liegenden Bereichverknüpfung — wie bei allen primären Metaphern — durch frühkindliche Kookkurrenzerfahrungen: Der Pegel im Milchglas steigt, je mehr Milch hineingegossen wird, und sinkt, je weniger Milch nach dem Trinken im Glas verbleibt. Den Ausgangsbereich der so entstandenen Metapher nennt Lakoff verticality, den Zielbereich quantity. Die Benennungen verschleiern, daß bereits im Ausgangsbereich Quantitätsvergleiche vorliegen. Höhengrade (wie etwa des Flüssigkeitspegels im Glas) sind in abzählbaren Einheiten meßbar und nach Zahl der Meßeinheiten unterscheidbar. Der höhere Pegel zählt mehr Höheneinheiten als der niedrige. ,Hoch und niedrig' ist ein Sonderfall von ,viel und wenig'. Die Besonderheit liegt in der vorgestellten Anordnung der gezählten Einheiten: Sie werden in einer vorgeschriebenen Richtung, nämlich vertikal, aneinander gelegt oder besser aufeinander getürmt. Höhe ist daher kein metaphorischer Korrespondenzpartner, sondern vielmehr ein Beispiel der Quantität — so wie der Blinde, der auf den Graben schimpft, kein metaphorischer Korrespondenzpartner, sondern ein Beispiel des allgemeinen Fallmusters .falsche Schuldzuweisung' ist. Wenn ,hoch' für ,viel schlechthin' oder Höhenunterschiede für Quantitätsunterschiede schlechthin stehen sollten, läge — in rhetorischer Terminologie — keine Metapher, sondern eine Synekdoche vor: Der Name einer Art würde die Gattung bezeichnen, wie wenn man ,Brot' sagt und Nahrung schlechthin meint. In den Äußerungsbeispielen, die Lakoff anfuhrt ('Die Verbrechensrate steigt'), stehen ,hoch' und .niedrig' jedoch nicht für Quantität schlechthin, sondern für bestimmte Quantitätsarten, deren Einheiten gerade nicht als linear oder gar vertikal angeordnet vorgestellt werden. Der Zielbereich der Metapher ist also nicht .Quantität', sondern .Quantität ohne lineare oder gar vertikale Anordnung der Einheiten'; die Quantität ist das gemeinsame Allgemeine von Ausgangs- und Zielbereich, so wie das Fallmuster (getterìc-level schema) das gemeinsame Allgemeine der Fälle .Blinder' und .Gary Hart' war. Die Abbildung verschiedener Höhengrade in einem Vergleich von — sagen wir — Kriminalitätsraten stellt den gemeinsamen Quantitätsunterschied sinnfälliger heraus als bloße Zahlenangaben. Das Gemeinsame tritt im Ausgangsbereich optisch faßbarer hervor als im noch nicht durch den Ausgangsbereich interpretierten Zielbereich. Die Analogie liegt allen Metaphern als das gemeinsame Allgemeine von Ausgangs- und Zielbereich zugrunde. Lakoff verkennt in diesem Fall ihre Rolle, weil er das gemeinsame Allgemeine im

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Ausgangsbereich übersieht und — wie bei der Blindenmetapher — die Eigenschaft, die das gemeinsame Allgemeine bildet, fälschlich zum Zielbereich erklärt.

2.4 Noch einmal: Der Löwe Achilles An zwei Stellen ihres Buches More than Cool Reason (1989) weisen Lakoff und Turner die similarity theory ausdrücklich zurück (123 und 198), allerdings ohne sie durch Nennung eines bestimmten Verfechters genauer einzugrenzen. Da auch unser Ansatz sich in die Jahrtausende alte Tradition einreiht, die Metaphern durch Ähnlichkeit erklärt, wollen wir die beiden Stellen näher betrachten. Nach Lakoff und Turner läßt sich der Vergleich zwischen ihrer eigenen und der Ahnlichkeitstheorie wie folgt zusammenfassen: Beide Theorien setzen voraus, daß die Metapher zwei Sachvorstellungen aus verschiedenen Bereichen miteinander verbindet, z.B. die des Todes mit der des Aufbruchs. Die Ahnlichkeitstheorie behauptet jedoch nach Ansicht ihrer Gegner, daß diese Sachvorstellungen auch ohne ihre metaphorische Verknüpfung bereits eine Gemeinsamkeit aufweisen: Wer die Metapher ,Tod als Aufbruch' anerkennt, sieht auch unabhängig von ihr eine Gemeinsamkeit zwischen Ausgangs- und Zielvorstellung, etwa: .Übergang in eine neue Situation'. Die Metapher hebt — nach Ansicht der Ahnlichkeitstheoretiker — eine Eigenschaft hervor, die auch ohne sie zu beiden Vorstellungen gehört. [...] the sole conceptual power metaphor might have is [nach Ansicht der Ahnlichkeitstheoretiker] to highlight similarities that are already there. (1989:123) Lakoffs und Turners eigene Theorie behauptet statt dessen, daß die Metapher neue Elemente in die Vorstellung des Zielbereichs einbringe. Erst durch die Metapher werde der Zielbereich dem Ausgangsbereich — in einem bestimmten Punkt — ähnlich. [...] when a target domain is understood metaphorically, it will share some image-schematic structure with the source domain, structure that may have been in part introduced by the metaphor. (123) (Die zurückhaltende Formulierung überrascht: Wieso may have been introduced und nicht has been introduced? Kann es also doch vorkommen, daß die gemeinsame Struktur schon vorher im Zielbereich bestand? Und

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wieso nur in part} War der restliche Teil schon vorher beiden Vorstellungen gemeinsam?) Lakoff und Turner werfen der traditionellen Metaphernlehre vor, daß sie die Wirkung der Metapher im Vorstellungshaushalt bagatellisiere: Wer die Liebe als Reise denkt, hebt nicht nur etwas hervor, das ohnehin zur Vorstellung der Liebe gehört, sondern fugt dieser Vorstellung etwas hinzu, das ihr vorher fehlte, z.B. die Ausrichtung auf ein Ziel. Die Metapher, so etwa argumentieren Lakoff und Turner, gibt nicht nur dem alten Gegenstandsbild ein besonderes Relief, indem sie bestimmte Züge beleuchtet und andere abdunkelt; sie schafft vielmehr ein reicheres Gegenstandsbild. Die von uns vertretene Variante der Ahnlichkeitstheorie verlangt zwar nicht, schließt aber auch nicht aus, daß eine Metapher ihrem Gegenstand einen Beschreibungsinhalt zuordnet, der ohnehin zum gängigen Bild dieses Gegenstands gehört. Der metaphorisch vermittelte Beschreibungsinhalt kann Züge des Gegenstands hervorkehren, auf die der Adressat üblicherweise nicht achtet, obwohl seine Erfahrung ihr Vorhandensein bei sorgsamer Prüfung bestätigt. Schließlich kann eine Metapher ihrem Gegenstand sogar Eigenschaften zusprechen, die in der Erfahrung des Adressaten weder offenkundig noch latent mit dem Gegenstand verbunden sind. Ein Augenzeuge kann seinem erstaunten Zuhörer berichten, daß ein gemeinsamer Bekannter, der beiden bisher ängstlich und zurückhaltend schien, bei einer bestimmten Gelegenheit sich überraschend ,als Löwe' erwiesen habe. Je origineller eine Metapher ist, um so mehr hängt allerdings ihre Verständlichkeit davon ab, daß der vermittelte Beschreibungsinhalt als gemeinsame Eigenschaft des beschriebenen Gegenstandes und bestimmter anderer Gegenstände erkennbar ist, die das metaphorisch benutzte Wort bei wörtlichem Gebrauch bezeichnet. Der Adressat muß den metaphorisch vermittelten Beschreibungsinhalt unter Rückgriff auf Eigenschaften bestimmen, denen er diese doppelte Zugehörigkeit beilegen kann. Im Falle der originellen Metapher muß der vermittelte Beschreibungsinhalt, um überhaupt erkannt werden zu können, dem Adressaten als Eigenschaft des beschriebenen Gegenstandes auch ohne die Metapher zugänglich sein. Die Zugänglichkeit braucht nicht auf einer geläufigen Assoziation von Gegenstand und metaphorisch vermitteltem Beschreibungsinhalt zu beruhen. Die Metapher kann auch eine Prüfung der Gegenstandserfahrung auslösen, bei der die gesuchte Eigenschaft als unvermuteter Fund aus dem Dunkel des Unbeachteten

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ans Licht tritt. Schließlich genügt es sogar, wenn der Kontext der Metapher dem Adressaten die Informationen über den beschriebenen Gegenstand vermittelt, die er zur Deutung der Metapher braucht. Lakoffs und Turners Vorwurf, daß nach der Ahnlichkeitstheorie eine Metapher nur bekannte Gemeinsamkeiten hervorheben könne, trifft im Falle der originellen Metapher zu. Tatsächlich wäre der Beschreibungsinhalt nicht bestimmbar, wenn die Eigenschaft, die er am Gegenstand beleuchtet, dem Adressaten nicht schon vorher auf diese oder jene Weise, unmittelbar oder mittelbar zugänglich wäre. Bei konventionellen Metaphern dagegen braucht der Adressat den Beschreibungsinhalt nicht selbst zu ermitteln, indem er den beschriebenen Gegenstand und einen TAe des metaphorisch benutzten Wortes auf gemeinsame Eigenschaften durchkämmt. Die Metapher ,Esel' versteht er auch, wenn sie einen Menschen beschreibt, den er von sich aus nie mit Dummheit in Verbindung gebracht hätte. Vielleicht wird er die metaphorisch dargebotene Beschreibung für unzutreffend halten. Dazu muß er sie aber zunächst verstanden haben. Die Ahnlichkeitstheorie braucht also nur für den Fall der originellen Metapher einzuräumen, daß der Adressat die metaphorisch herausgestellte Eigenschaft auch ohne die Metapher mit dem beschriebenen Gegenstand verknüpfen könnte — wenn auch vielleicht nicht spontan, so doch nach sorgsamer Prüfung. Dieses Zugeständnis bagatellisiert jedoch nicht die Leistung der Metapher. Deren besondere Sprengkraft liegt nämlich nicht, wie Lakoff meint, in der Anreicherung des Gegenstandsbildes um neue, aus anderen Gegenstandsbildern bezogene Merkmale. Sie liegt überhaupt nicht in dem Beschreibungsinhalt, den die Metapher ihrem Gegenstand zuweist. Wäre es so, müßte dieselbe Wirkung eintreten, ob man das diplomatische Parkett metaphorisch als .Minenfeld' oder unmetaphorisch als .gefährlich' bezeichnet. Die besondere Wirkung der Metapher beruht nicht auf der Zusprechung bestimmter Gegenstandsmerkmale, sondern auf einer Umklassifizierung der Gegenstandswelt. Dieselbe Gegenstandsmenge kann bei festliegender Merkmalverteilung auf höchst unterschiedliche Weise klassifiziert werden. Die Menge der afrikanischen Säugetiere ζ. B. könnte je nach Wahl der Kriterien in die Klassen .gefährlich' und .harmlos', .leicht' und .schwer transportierbar', Reicht zu fangen' und ,schwer zu fangen', .paarhufig' und .unpaarhufig' sowie in viele andere gegensätzliche Klassen aufgeteilt werden. Eine gewisse Klassifikation der Gegenstandswelt ist durch das semanti-

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sehe System der Gegenstandsbezeichnungen vorgegeben: Ein Löwe gehört in die Klasse der Großkatzen, diese wiederum in die Klasse der Tiere; eine Zange gehört in die Klasse der Werkzeuge, ein Schrank in die der Möbel. Über die semantische Klassifikation hinaus haben sich in den Denkgewohnheiten Sachbereiche herausgebildet, in die Gegenstände üblicherweise eingeordnet werden. Das Minenfeld etwa gehört in den Bereich der Kriegsfüihrung, das diplomatische Parkett dagegen in den Bereich des gewaltlosen internationalen Verkehrs. Die Metapher stört die denkübliche Klassifikation der Gegenstandswelt, indem sie Merkmale zu Klassifikationskriterien erhebt, die sonst den Gegenständen zwar zuerkannt, aber nicht zu ihrer Klassifikation benutzt werden. Wer das diplomatische Parkett als Minenfeld bezeichnet, spricht ihm nicht nur das Merkmal der Gefahr zu, sondern zeigt es auf Grund dieses Merkmals als Element einer neu gebildeten Klasse, deren Prototypen wirkliche Minenfelder sind. Diese Klassenbildung sprengt die denküblichen Ordnungschemata. Die Trennungslinie zwischen den Bereichen .Kriegführung' und .friedliche Außenpolitik' verschwimmt für die Wirkungsdauer der Metapher. Die Einordnung des diplomatischen Parketts in eine gemeinsame Klasse mit Dingen der Kriegsföhrung macht die Sprengkraft der Metapher .Minenfeld' aus, weniger der aus dieser Einordnung hervorgehende Beschreibungsinhalt .Gefahr'. Nach Lakoff und Turner (1989:198) pflegen die Ähnlichkeitstheoretiker seit alters her ihre Metaphernlehre mit dem Paradebeispiel .Achilles ist ein Löwe' zu belegen. Die Verfechter der alternativen „zeitgenössischen" Metaphernlehre wollen nun zeigen, daß nicht einmal dieses altehrwürdige Beispiel die Ahnlichkeitstheorie bestätigt. Lakoff und Turner versuchen, den Traditionalisten ihr liebstes Demonstrationsobjekt aus der Hand zu schlagen: Weder bestehe eine Ähnlichkeit zwischen Achilles und dem Löwen, noch würde diese Ähnlichkeit, falls sie bestünde, die Leistung der Metapher erklären. Nach dem Irrglauben der Ahnlichkeitstheoretiker hebt, so Lakoff und Turner, die metaphorische Äußerung .Achilles ist ein Löwe' an Achilles den Mut hervor, der auch ohne diese Metapher zur Vorstellung sowohl des Achilles wie auch des Löwen gehöre. In der Tat kann schon Aristoteles als Gewährsmann für diesen Irrglauben dienen. Zur Erläuterung der Verwandtschaft zwischen Metapher und bildlichem Vergleich sagt er in der Rhetorik (III, 4,1): Auch der bildliche Vergleich ist eine Metapher; der Unterschied ist nämlich gering: Wenn jemand sagt »Achilles stürzte wie ein Löwe hervor' ist

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es ein bildlicher Vergleich; wenn er aber sagt ,Der Löwe stürzte hervor', so ist es eine Metapher. Weil nämlich beide mutig sind, hat er metaphorisch den Achilles als Löwen bezeichnet. Der Schlußsatz zeigt, daß auch Aristoteles das Paradebeispiel, das auf Ilias XX, 164 zurückgeht, so deutet, wie Lakoff und Turner es von den Ahnlichkeitstheoretikern behaupten. (Das aristotelische .Mutigsein' [andréious einai] gibt den Sinn des homerischen Vergleichs nur ungenau wieder: Wie der Löwe unaufhaltsam in eine Herde einbricht, so bricht Achilles in die Reihen der Trojaner ein. Die gemeinsame Eigenschaft scheint der alle Hindernisse niederwerfende Vorwärtsdrang zu sein [Snell 2000: 186].) Lakoff und Turner wollen nun zeigen, daß der angeblich hervorgehobene Mut (courage, andréià) in Tat und Wahrheit gar keine Gemeinsamkeit des Löwen und des Achilles darstellt. Das Wort ,Mut', so argumentieren sie, bezeichne bei Anwendung auf einen Löwen ein instinktives Verhalten, bei Anwendung auf einen Menschen jedoch eine Tugend, deren Ausübung gedankliche Abwägung und willentliche Grundsatzbefolgung verlange (Lakoff und Turner 1989: 194). Nur der Mensch könne im eigentlichen Sinne mutig sein, der Löwe allenfalls im metaphorischen Sinne. Das mag ein aufgeklärter Zeitgenosse so sehen; die ersten Hörer der Ilias sahen es vielleicht anders. Die Frage jedoch, an deren Beantwortung sich entscheidet, ob Ahnlichkeitstheoretiker wie Aristoteles die Metapher richtig deuten, lautet nicht .Liegt die unterstellte Gemeinsamkeit tatsächlich vor?', sondern ,Unterstellt die Metapher diese Gemeinsamkeit?', also nicht ,Ist Mut eine tatsächliche Gemeinsamkeit von Löwe und Achilles?', sondern ,Setzt die Metapher vom Löwen Achilles den Mut als Gemeinsamkeit voraus?'. Trifft letzteres zu, hat Aristoteles die Metapher richtig gedeutet, auch wenn es in Wirklichkeit gar keine Gemeinsamkeit gibt, die man sinnvoll als Mut bezeichnen könnte. Metaphern, die ihren Gegenstand unzutreffend beschreiben — wie ,der Hase Achilles' - oder die unzutreffende Voraussetzungen machen — etwa, daß Hasen den Mut mit Achilles teilen —, verwirken nicht ihren Metaphernstatus, wie ja auch Aussagesätze, nur weil sie unwahr sind, ihren Status als Aussagesätze nicht verlieren. Lakoff und Turner hätten nachweisen müssen, daß die Metapher vom Löwen Achilles den Mut als Gemeinsamkeit gar nicht beansprucht. Dann hätten sie die Deutung des Aristoteles widerlegt. Um darüber hinaus zu zeigen, daß die Ahnlichkeitstheorie insgesamt diese Metapher nicht erklären kann, müßten sie nachweisen, daß die richtige

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Deutung weder den Mut noch irgendeine andere Eigenschaft als Gemeinsamkeit in Anspruch nimmt. Lakoff und Turner bieten eine alternative Erklärung der Löwenmetapher an (1989: 195ff.): Nicht etwa werde der Mut dem Achilles als eine Tugend zugesprochen, die er mit Löwen teile; vielmehr bilde sich die Ausgangsvorstellung des instinktiven Löwenmutes in der Zielvorstellung des tugendhaften Menschenmutes ab, der den griechischen Helden auszeichnet. Dabei werde dem Mut des Achilles das Merkmal der Zuverlässigkeit und Unveränderlichkeit (steadfastness) eingezeichnet, das zur Vorstellung des instinktiven Verhaltens gehöre. Nehmen wir einmal — widerstrebend — an, diese Deutung beschreibe zutreffend das Verständnis des Metaphernbenutzers und seiner Adressaten. Auch dann befreit sie die Metapher nicht von der Voraussetzung einer Gemeinsamkeit zwischen Ausgangs- und Zielbereich. Nur besteht diese Gemeinsamkeit nunmehr in einer Relation. In unserer Sprache: Die Analogiewurzel enthält kein einstelliges, sondern ein zweistelliges Prädikat. A Β

1 Charakter des Achilles Instinkt des Löwen

2 Mut instinktgesteuertes Aggressionsverhalten

Strukturformel: [2] ist in [1] zuverlässig verankert. Es ist nicht einzusehen, wieso die neue Gemeinsamkeit nicht — oder weniger als der bloße Mut — zum vormetaphorischen Bild des Achilles gehört. Wer sich Achilles als mutig vorstellt, glaubt auch, daß der Mut zuverlässig in seinem Charakter verankert ist. Auch in der Deutung Lakoffs und Turners hebt die Metapher einen Zug hervor, der schon vorher zum Gegenstandsbild beider Bereiche gehörte. Im Übrigen (ceterum cerneo) bestätigt auch die Löwenmetapher, was weder Lakoff noch die traditionellen Ahnlichkeitstheoretiker beachten, daß nämlich die Sprengkraft der Metapher weniger in der Natur des vermittelten Beschreibungsinhalts liegt als in einer Umklassifizierung der Gegenstandswelt (Coenen 1997). Wer Achilles einen Löwen nennt, um ihn als mutig (oder unaufhaltsam vorwärtsdrängend) zu beschreiben, stößt die geltende Hierarchie der Klassifikationsmerkmale um. Der Mensch Achilles gerät, ohne deshalb zum Tier zu entarten, in dieselbe Klasse wie typische Löwen, ohne daß diese vermenschlicht würden. Klassengleichheit von Mensch und Löwe bedeutet nicht Gleichheit un-

Fragwürdigkeiten der Lakoffschen Metaphemtheorie

239

ter allen Gesichtspunkten. Der im semantischen System hochrangige Unterschied zwischen Mensch und Tier wird nicht geleugnet, verliert aber seinen Rang als übergeordnetes Klassifikationskriterium. Die Metapher teilt die Lebewesen vor der Unterscheidung zwischen Mensch und Tier in mutig und feige ein. Die Mitteilungsrelevanz dieser Unterscheidung schlägt in semantische Relevanz um: Weil es im Zusammenhang der Mitteilung auf die Unterscheidung zwischen Mut und Feigheit ankommt, wird diese Unterscheidung im semantischen System aufgewertet. Das Wort ,Löwe' erhält — unter weitgehender Beibehaltung seines alten Anwendungsbereichs — eine neue Bedeutung im Rahmen eines neuen Klassifikationssystems. Es bezeichnet die Klasse der Mutigen. Die früher vorgeordnete Unterscheidung zwischen Mensch und Tier wird herabgestuft: Sie mag, wenn nötig, innerhalb der Klassen ,mutig' und ,feige' getroffen werden. Die Welt der Lebewesen gliedert sich nicht mehr vorrangig in Menschen und Tiere, sondern in Mutige und Feige. Die Eigenschaft, die im Moment des Metapherngebrauchs wichtig scheint, wird — entgegen dem geltenden semantischen System — zum unterscheidenden Bedeutungsmerkmal des benutzten Wortes erhoben. Die Definition des Wortanwendungsbereichs stützt sich nicht mehr auf die anatomischen Merkmale der files leones', sondern auf den Löwenmut, der Menschen wie Tiere beseelen kann.

Abkürzungen TA

Theoretischer Anwendungsbereich eines Wortes: die Klasse der Gegenstände, auf die ein Wort kraft seiner Bedeutung beschreibend angewandt werden kann (s. IV 1, 1) EA Empirischer Anwendungsbereich eines Wortes: die Menge der Gegenstände, zu deren Beschreibung ein Wort — bis zu einem gewissen Zeitpunkt - in der Erfahrung eines bestimmten Sprachteilnehmers bereits angewandt wurde (s. IV, 1,2) TAe Klasse der Gegenstände, zu deren Beschreibung ein Wort kraft eigentlicher Bedeutung angewandt werden kann (s. TV, 2, 1) TAm Klasse der Gegenstände, zu deren Beschreibung ein Wort kraft metaphorischer Bedeutung angewandt werden kann (s. IV, 2, 1) STA Speicher des Theoretischen Anwendungsbereichs: die Assoziationen, die sich um typische Gegenstände eines Theoretischen Wortanwendungsbereichs ranken, ohne notwendigerweise in seine Definition einzugehen: Gedanken, Erinnerungen, Gefühle, Erfahrungen, Anmutungen usw., die sich mit den typischen Gegenständen eines Theoretischen Anwendungsbereichs verbinden (s. IV, 1, 3)

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Personenregister Apollinaire, Guillaume 92 Archytas von Tarent 9 Aristoteles 2, 4 ff., 9 ff., 16 f., 63, 69, 71 f., 74, 87, 108ff., 119f., 1 7 2 f f , 236 f. Äsop 115,231 Baudelaire, Charles 123,127,130, 131 ff., 138, 142ff, 153, 159ff. Beardsley, Monroe C. 1 Berkeley, George 94 Blin, Georges 132 Blumenberg, Hans 93 Bochenski, Joseph M. 17 Bunyan, John 23 Caesar, Gaius Iulius 14 Caietanus, Thomas de Vio 17 Calderón de la Barca 106 Catull (Gaius Valerius Catullus) 213 Cicero, Marcus Tullius 5, 37, 45, 69 Coenen, Hans Georg 116, 229, 238 Cohen, Jean 6 Crépet, Jacques 132 Descartes, René 95, 177ff. Domin, Hilde 21 Donne, John 64 Du Beilay, Joachim 154 ff. Eichendorff, Joseph von 123 Éluard, Paul 91 Enzensberger, Hans Magnus 90 Euklid 146 Fogelin, Robert J. 72 Fontane, Theodor 96 Friedrich, Hugo 91 f. Goethe, Johann Wolfgang von 115, 123, 129, 142

Goodman, Nelson 60 Grice, H. Paul 64, 79, 82, 93, 224 Grillparzer, Franz 106 Hagedorn, Friedrich von 102 Hart, Gary 228 ff. Haverkamp, Anselm 1 Heraklit 11 Hesse, Hermann 21 Heym, Georg 130 Homer 3 f., 127, 237 Horaz (Quintus Horatius Flaccus) 37, 88 Hugo, Victor 26, 126, 128, 135 Huizinga, Johan 3 Isidor von Sevilla 129 Johnson, Mark 207, 212, 215, 217, 221, 224 Jonson, Benjamin 50 Labé, Louise 150 La Fontaine, Jean de 115 ff. Lakoff, George 1, 4f., 8, 41, 49, 207ff. La Rochefoucauld, François duc de 32, 40 f., 120, 123 f. Lausberg, Heinrich 22, 68, 87 f., 108, 152, 154 Leibniz, Gottfried Wilhelm 31 Livius, Titus 127 Locke, John 94 f. Logau, Friedrich von 32, 39 Luther, Martin 1, 6, 21, 125, 127 Lyons, John 19 Menne, Albert 17 Nerval, Gérard de 137ff. Nogales, Patti D. 77 f. Ortony, Andrew 1, 207

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Personenregister

Petrarca, Francesco 150 Plato 10 ff., 16, 95, 147 f. Plett, Heinrich F. 5, 23 f.

Shakespeare, William 50, 214 Shibles, Warren A. 1 Snell, Bruno 237

Quine, Willard Van Orman 78 Quintilian (Marcus Fabius Quintiiianus) 5, 13 f., 21 ff., 37, 69, 82, 107, 113, 133, 152

Thomas von Aquin 16 ff. Tirell, Lynn 72 Turner, Mark 207, 213 f., 228, 233 ff.

Sacks, Sheldon 1 Sadock, Jerrold M. 68 Sappho 123 Saussure, Ferdinand de 14 f., 46, 71 Scève, Maurice 149ff. Schlegel, Friedrich 121 Searle, John R. 1, 76

Van Noppen, Jean-Pierre 1 Weinrich, Harald 5, 6, 38, 113, 181 ff, 205, 208 f. Williams, William Carlos 43 Wipo 128 Wittgenstein, Ludwig 48 f.

Sachregister Allegorie 1, 4, 37f., 144 Amplifikation (s. auch Erweiterung) 7 Analogie I f f , 17/., 31 ff, 112ff und passim — als convenient,ia proportionalitatis 16 ff., 78 — als convenientia proportions 16 ff., 47 f. — als Triebkraft der Sprachentwicklung 12 ff. — als Verhältnisgleichung 9 ff., 119 ff., 124, 134, 141 f., 187 — argumentative ~ 167 ff. — semantische - 15 ff. Analogiemenge 31, 33 f., 38, 42, 192 Analogieschluß 168ff, 172 ff., 177 ff. Analogiewurzel 2, 4, 7, 3 2 f f , 38 ff., 42 f., 88, 97, 102, 106 ff., 113 ff., 131, 152, 158, 167 f., 173, 176 f., 179 f., 184 ff., 188 ff., 195, 198, 202 f., 205, 210, 213, 238 Anomalie 13 f. arbiträr 46, 64, 71, 227 Ausgangsbereich (source domain) 208 ff., 213 ff., 217 ff., 222 f., 226 ff., 232 f., 238 Bedeutung (insbesondere eines Wortes) 45 ff., 50 ff., 57 ff., 71, 79 ff., 83 ff., 102, 105f., 108, llOff., 114f., 125f., 161, 209, 220 ff., 223, 225 — eigentliche (wörtliche) — 60, 65ff., 73 ff., 79 ff., 83 ff., 93, 98 f., 120,122, 125, 130, 161, 207, 222 f., 225, 227, — metaphorische - 6 5 f f , 73 ff., 79 ff., 83 ff., 87, 93, 98, 125, 161, 231, 239 Beispielargument 173ff. Bereichvermehrung 185 f., 188 Beschreibung 1, 6 f. 1 9 f f , 24ff und passim — unbegriffliche - 93, 95

-

Wahrheitsbedingungen metaphorischer ~ 76 Beschreibungsgegenstand (beschriebener Gegenstand) 2, 19ff., 24ff., 31 ff., 45 ff., 61 f., 69, 73 ff., 79 ff., 87, 92, 106, 110, 122, 125, 173 ff., 177, 202 ff., 207, 220, 22 f., 227, 229, 231, 234 f. - Aufstellung des - 19 ff. Beschreibungsinhalt 2 f., 1 9 f f , 24 ff., 31 ff., 31 ff., 35 ff. und passim - Nennung des ~ 19 ff. Bildbereich (s. auch similitude/) 133 ff., 138 ff., 144 f., 147, 151 ff., 156 ff. Bildfeld 5, 7, 3 8 f f , 102 f., 121, 124, 131 ff, 135 f., 140, 144 ff., 151 ff., 156, 158, 160 ff., 167, 178, 180, 183, 191 ff., 195 ff., 202 ff. - verschränkte Bildfelder 160, 164f. Bildfeld nach Lakoff (;metaphor) 211 Bildfeld nach Weinrich 181 ff., 189, 205, 208 f. bildliche Rede 1, 3, 6, 12, 20 ff., 32, 40, 131 bildlicher Vergleich 1, 40, 6 3 f f , 111, 236 f. cognitive science 207 concept (Konzept, Sachvorstellung) 208 f., 211 ff., 214ff., 233 - metaphorical concept 215 f., 221 continuatae translationes (translationes continuatae) 107, 115 Detailanalogie 3 3 f f , 101 ff., 105 ff., 113 f., 135 f., 146 f., 194, 204, 210 EA (Empirischer Anwendungsbereich) 51 ff., 80 f. epexegerischer Genetiv 21, 127

250 Erbhierarchie (Prinzip der 211 Erweiterung einer Analogiewurzel (Amplifikation) 7,185 ff., 188,192 f., 198, 201, 205 exemplum contraritim 149, 152, 214 Fabel 1, 4, 115 f., 229 Familienähnlichkeit 48 f. Gegenstandsmenge (als Korrelat eines Beschreibungsinhalts) 2 7 f f . , 32 ff., 38ff., 42, 101, 103, 107, 112f., 114, 120, 123, 140, 177 f., 180, 187, 189 ff., 201 Gegenstandsmerkmal 57 ff., 60 ff., 70, 73, I i i . , 87,103, 105, 110, 112,120, 122,125,154,215 ff., 218,235 f., 239 Generalisierung einer Analogiewurzel 7, 185, 196 f. Gleichnis 1, 4, 115 Gleichverhaltensmenge von Prädikaten 170 ff. Globalanalogie 3 3 f f . , 101 ff., 106 f., 135 Hyperonym 32, 5 4 f f . , 57 ff., 75, 97, 111 Hyponym 5 4 f f , 57 ff., 99 Idiolekt/Soziolekt 81 Invarianzprinzip 209 ff. Katachrese 88 Klassifikation der Gegenstände 60, 77, 98, 103, 110, 235 f., 238 f. kognitive Topologie 209 f., 218 Kohyponym 2, 5 4 f f . , 111 Komposition von Analogiewurzeln 186 ff., 193 f. Konversationsmaxime (nach H. P. Grice) 64, 79 f., 82, 93, 222, 224 Kookkurrenz 161, 212, 226 f., 232 Kopplung (von „Sinnbezirken", Sachbereichen etc.) 182 ff., 205, 208 f., 211, 213, 223, 227 Korreferenz 125 ff., 129 f., 161 Korrespondenz (correspondence) 208 f., 211, 215 f., 219, 223, 226, 232 mapping (Projektion, Abbildung) 208 ff., 214 f., 217, 220, 230

Sachregister mehrfache Verwurzelung 4 2 f f . , 167 Merkmalkomplex 57 ff., 60, 65 ff., 77, 80, 89 ff., 99, 101, 114 Metapher 1, 5 ff., 20 f., 45, 50, 57, 6 0 f f . und passim - absolute ~ 91 f. - fortgesponnene ~ (s. auch metaphora continuata) 124 - konventionelle ~ 84 ff., 88 f., 92, 94, 213 f., 235 - originelle ~ 86 f., 91, 94, 213, 234 f. - tote ~ 85 f., 220 - zentrale ~ 182 f. metaphor nach G. Lakoff 2 0 7 f f , 214 ff., 219 f., 222, 231, 233 - complex ~ 212, 223 - primary ~ 212, 223 ff., 232 metaphorä 108 f., 111 metaphora continuata (s. auch continuatae translationes) 5, 37 f., 124 metaphorical expression 208, 219 f., 231 metaphorisches Sprichwort 228 ff. Motivation (motiviert, motivieren) 46, 64 ff., 69 f., 78, 87, 99,113, 115,164, 212 f., 221 ff., 227 f. neurologische Konditionierung (der Metaphernbildung) 222 ff., 228 parabole (Gleichnis) 133 parabole (als Argument) 7, 172, 176f. paradigmatischer Zusammenhang zwischen Analogiewurzeln 8,181 ff., 205 Paraphrase der metaphorischen Bedeutung 87 f., 91 f. Position (im Textablauf) 126 ff. Position (in der Gegenstandsmenge) 39, 103, 114 ff., 144, 146, 152, 160ff., 188, 193 f., 204 Positionsmenge 34, 36, 38, 192, 194 Projektion (projizieren) 41, 208, 210, 226 Proliferation 75, 87, 147, 149, 153 f., 158, 161, 164, 167, 180 Prototyp 75, 77 f., 100 f., 105, 126, 128, 130, 236

251

Sachregister Reduktion, reduzieren (im Gegensatz zu Erweiterung, erweitern) 7, 186ff., 190 f., 195 f., 205 Rekonzeptualisierung (reconceptuali^ation) Iii. res (pragma, Korrelat des sprachlichen Zeichens) 22 res (Sachbereich im Gegensatz zum Bildbereich) 133 Sachbereich (im Gegensatz zum Bildbereich) 133 ff., 138 ff., 144 f., 147, 151, 156 f. Sachbereich (Lakoff: domain) 208 Selektionsbeschränkung 125f., 129 f., 161 semanüscher Rang von Gegenstandsmerkmalen 57 ff., 70 f., 77, 98 f., 101, 103 ff., 110 f. semantische Umwälzung (semantische Revolution) 60, 70, 98, 110 f., 238 f. Similarität (similarity, Ähnlichkeit) 5, 23, 45, 160, 223, 226 f., 233, 236 Similaritätstheorie (Ahnlichkeitstheorie) 233 ff. similitudo (Bild, Bildbereich) 133 Spezifikation einer Analogiewurzel 7, 185, 1 9 6 f f , 202 ff., 213 STA (Speicher des Theoretischen Anwendungsbereichs) 56/., 62 f., 67, 70, 73, 85 f., 88 ff., 92 f., 98, 221 ff. Stellenzahl, -stellig 2 6 f f , 33, 35 f., 97, 101 ff., 108 f., 112f. und passim Stellenvermehrung 190ff., 200, 202, 204, 213 — endogene — 190 f. - exogene ~ 190, 192 Strukturformel 3 9 f f . , 135 f., 141, 147, 149, 152 f , 157, 161, 164, 167, 178, 188 f., 190 ff., 195 ff., 198 ff., 203 Substitution 23 f.

Synekdoche 68, 108, 232 TA (Theoretischer Anwendungsbereich) 4 5 f f , 52 ff., 57 ff., 60 ff., 65, 68, 81 f., 86, 91, 221 ff., 239 - klassischer — 47, 73 - unklassischer ~ 47 ff., 73 TAe (TA der eigentlichen Bedeutung) 6 2 f f , 66, 68, 7 3 f f , 79, 83, 85, 88 f., 92 f., 97, 99, 107, 158, 207, 222 f., 227, 229, 231, 235 TAm (TA der metaphorischen Bedeutung) 62, 65, 67, 7 3 f f . , 130 tertium comparationis 70, 73, 112 triviale/nicht-triviale Analogie 2 f., 6, 31 ff, 45, 62, 75, 97 ff., 102 f., 112, 176, 222 f., 225, 227 Tropus 5, 81 ff., 88, 94, 207 Ungleichverhaltensmenge von Prädikaten 171 verba translata continuata (s. auch metaphora continuata) 38 verbum (im Gegensatz zu res) 22 verbum proprium 22 ff., 87 f. Verstärkung eines Arguments 174 ff. voluntas auctoris 90 Wurzelgleichheit 4 f., 3 5 f f . , 107, 113ff., 156, 181, 210 Wurzelprädikat 38 f., 72 f., 97 f., 100 ff., 105 ff., 109 f., 113 ff., 121, 129, 167, 170, 178 ff., 185 f., 205, 238 - Rangordnung der Wurzelprädikate 167 Zielbereich {target domain) 208 ff., 213 ff., 217 ff., 222 f., 226 f., 229 f., 232 f., 238

• Metaphor and Metonymy in Comparison and Contrast Herausgegeben von René Dirven und Ralf Pörings 2002. XII, 608 Seiten. Leinen. ISBN 3-11-017373-5 (Cognitive Linguistics Research 20) MOUTON DE GRUYTER Der vorliegende Band fuhrt eine der vielen fruchtbaren Ideen Roman Jakobsons weiter. Danach bilden die zwei kognitive Strategien Metapher und Metonymie die Endpunkte auf einem Kontinuum der Konzeptualisationsprozesse. Bernhard Debatin

• Die Rationalität der Metapher Eine sprachphilosophische und kommunikationstheoretische Untersuchung 1995. XII, 381 Seiten. Leinen. ISBN 3-11-014708-4 (Grundlagen der Kommunikation und Kognition / Foundations of Communication and Cognition) „Es ist ein großes Verdienst Debatins, eine fast unüberschaubare Anzahl an metapherntheoretischen Ansätzen so zu systematisieren, daß deren Leistungen und Mängel gleichermaßen ersichtlich werden." (Elisabeth Neswald: Und noch mehr über Metaphern. In: Allgemeine Zeitschrift für Philosophie, Sonderdruck 23.3,1998. S. 261)

• From a Metaphorical Point of View A Multidisciplinary Approach to the Cognitive Content of Metaphor Herausgegeben von Zdravko Radman 1995. XI, 460 Seiten, 21 Abbildungen. Broschiert. ISBN 3-11-014554-5 (Philosophie und Wissenschaft 7) „Dieser Sammelband läßt wie kein anderer eindeutig erkennen, daß die Modellproblematik die gegenwärtige metaphorologische Forschung im Diskurs der Wissenschaftstheorie endgültig (und vielleicht unwiederbringlich) beherrscht und die philosophische Sichtweise maßgeblich bestimmt.

(Borislav Mikulit: Der Abgesang der Metapher? Eine Übersicht der neueren philosophischen Metaphern- und Modellforschung.

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In: Zeitschrift fur philosophische Forschung, 53 [1999], 1. S. 135)

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Jürgen Rei scher

M Die Sprache Ein Phänomen und seine Erforschung 2002. 306 Seiten. Broschiert. ISBN 3-11-017349-2 (de Gruyter Studienbuch) Dieses Buch verfolgt drei Ziele: Z u m ersten will es einen allgemeinen Einblick in das Phänomen Sprache bieten, um den Leser für diese faszinierende, allein dem Menschen vorbehaltene Fähigkeit zu gewinnen; zum zweiten ist es als vollwertige Einfuhrung in die Sprachwissenschaft konzipiert, die sich mit allen linguistischen Teilbereichen befaßt; zum dritten soll der Leser motiviert und eingestimmt werden, sich im Selbststudium weiter mit der Sprache aus wissenschaftlicher Sicht zu beschäftigen.

Ferdinand de Saussure

• Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft 3. Auflage Mit einem Nachwort von Peter Ernst 2001. XVI, 347 Seiten. Broschiert. ISBN 3-11-017015-9 (de Gruyter Studienbuch) Der berühmte Text stellt den Ausgangspunkt fur die Beschäftigung mit dem Strukturalismus dar. Die deutsche Übersetzung erschien 1931, die 2. Auflage von 1967 leitete im deutschsprachigen Raum die bis heute andauernde intensive Saussure-Rezeption ein. 1916 veröffentlichten zwei Schüler Saussures drei Vorlesungen unter dem Titel „Cours de linguistique générale". Der Text beruhte auf den Mitschriften von drei Vorlesungen über allgemeine Sprachwissenschaft, die Saussure 1907 bis 1911 hielt. Der „Cours" wurde nicht nur zum Ausgangspunkt fur eine Reihe von neuen linguistischen Disziplinen (wie Phonologie, strukturalistische Morphologie, strukturalistische Syntax, strukturelle Semantik, Glossematik), sondern beeinflußte auch traditionelle Richtungen wie die Sprachgeschichte, Dialektologie und Sprachphilosophie.

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