Am Anfang ...: Untersuchungen zur Textgenese und zur relativ-chronologischen Einordnung von Gen 1-3 9783666540349, 9783525540343, 9783647540344

132 48 3MB

German Pages [441] Year 2014

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Am Anfang ...: Untersuchungen zur Textgenese und zur relativ-chronologischen Einordnung von Gen 1-3
 9783666540349, 9783525540343, 9783647540344

Citation preview

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments Herausgegeben von Jan Christian Gertz, Dietrich-Alex Koch, Matthias Köckert, Hermut Löhr, Joachim Schaper, David Andrew Teeter and Christopher Tuckett

Band 256

Vandenhoeck & Ruprecht

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Walter Bührer

Am Anfang … Untersuchungen zur Textgenese und zur relativ-chronologischen Einordnung von Gen 1–3

Vandenhoeck & Ruprecht

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-525-54034-3 ISBN 978-3-647-54034-4 (E-Book) © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen/ Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U. S. A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Gesamtherstellung:

Hubert & Co, Göttingen

Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Meinen Eltern, Susanna und Walter Bührer, und meiner Frau, Raphaela Meyer zu Hörste-Bührer, gewidmet

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 1.1 Forschungsgeschichtliche Verortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 1.2 Gang und Ziel der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 2. Der priesterschriftliche Schöpfungsbericht Gen 1,1–2,3 . . . . . . . . . . . . 21 2.1 Der Text von Gen 1,1–2,3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Die Septuaginta-Fassung von Gen 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Weitere textkritische Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3 Fazit zu Kapitel 2.1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Zur Entsprechung von Anordnung und Ausführung: Die Geschehensformel und die literarische und überlieferungsgeschichtliche Einheit von Gen 1,3–31 . . . . . . . . . . . 2.2.1 Forschungsgeschichtlicher Überblick zum Schöpfungsbericht Gen 1,1–2,3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Die Geschehensformel außerhalb Gen 1 . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Die Geschehensformel in Gen 1: Literarische Analyse von Gen 1,3–31 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.4 Fazit zu Kapitel 2.2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

22 25 37 39

40 40 48 52 73

Exkurs 1 zu den Ausführungsformeln in der Priesterschrift . . . . . . . . 76 2.3 Rahmen und Gliederung von Gen 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 2.3.1 Die zeitliche Gliederung von Gen 1: Billigungsformel und Tagesformel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 2.3.2 Gen 1,1–2: Titel und Vorweltschilderung . . . . . . . . . . . . . . . 87 2.3.2.1 „Am Anfang schuf Gott“: Zur Morphosyntax von tyviarEB. . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 2.3.2.2 Zur Syntax von Gen 1,1–3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 2.3.2.3 Bedeutung von Titel und Vorweltschilderung . . . . 102 2.3.2.4 Literarische und überlieferungsgeschichtliche Einheit von Gen 1,1–2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 2.3.3 Gen 2,1–3: Der „Schöpfungssabbat“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 Exkurs 2 zur Geschichte des Sabbats, zum Sabbat in der Priesterschrift und zur Korrespondenz von Schöpfung und Sinai in der Priesterschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

8

Inhalt

2.3.4 Zur Gliederung von Gen 1,1–2,3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 2.3.5 Fazit zu Kapitel 2.3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 2.4 Zu Gen 2,4: Literarische Einheit, quellenkritische Aufteilung oder redaktionelle Angleichung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 Exkurs 3 zu den Toledotformeln und zur Toledotbuchthese . . . . . . . 152 2.5 Fazit zu Kapitel 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 3. Die Paradieserzählung Gen *2,4b–3,24 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 3.1 Forschungsgeschichtlicher Überblick zur Paradieserzählung Gen *2,4b–3,24 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 3.2 Ausgangsthese: Weitgehende Einheitlichkeit von Gen *2,4b–3,24 175 3.3 Der Text von Gen 2,4–3,24 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 3.3.1 Die Gottesbezeichnung YHWH Elohim / ~yhil{a/ hw"hy> . . . . 181 3.3.2 Der oder ein Mensch oder Adam? Zu Vokalisierung und Verwendung von Adam / ~d'a' . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 3.3.3 Der Garten Eden oder der Garten in Eden? . . . . . . . . . . . . . 191 3.3.4 Textkritik von Gen 2,4–3,24 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 3.3.5 Fazit zu Kapitel 3.3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 3.4 Literarische Analyse von Gen *2,4b–3,24 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 3.4.1 Gen 2,4–7: Die Erschaffung des Menschen zur Bebauung des Ackerbodens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 3.4.2 Gen 2,8–9: Der Gottesgarten in Eden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 3.4.3 Gen 2,10–14.15: Literarischer Nachtrag zur Lage des Paradieses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 3.4.4 Gen 2,16–17: Freigabe der vielen und Verbot des einen Baumes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 3.4.5 Gen 2,18–20: Die Erschaffung der Tiere . . . . . . . . . . . . . . . . 222 3.4.6 Gen 2,21–23: Die Erschaffung der Frau als „entsprechendes Gegenüber“ des Mannes und die Vollendung der Schöpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 3.4.7 Gen 2,24: Mann und Frau als „ein Fleisch“ . . . . . . . . . . . . . . 230 3.4.8 Gen 2,25: Die Nacktheit der Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 3.4.9 Gen 3,1–5: Die Versuchung durch die Schlange . . . . . . . . . . 233 3.4.10 Gen 3,6–7: Das Essen vom verbotenen Baum und die Erlangung der Erkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 3.4.11 Gen 3,8–13: Das Verhör Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 3.4.12 Gen 3,13b.14–15: Der Fluchspruch über die Schlange . . . . 246 3.4.13 Gen 3,16: Der Strafspruch über die Frau . . . . . . . . . . . . . . . . 250 3.4.14 Gen 3,17–19: Der Strafspruch über den Mann . . . . . . . . . . . 251 3.4.15 Gen 3,20: Die Benennung Evas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 3.4.16 Gen 3,21: Gottes Fürsorgemaßnahme: Die Fellkleidung . . 254

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Inhalt

9

3.4.17 Gen 3,22–24: Die Vertreibung des Gott ähnlich gewordenen Menschen aus dem Gottesgarten . . . . . . . . . . . 256 3.4.18 Fazit zu Kapitel 3.4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 Exkurs 4 zur Brudermorderzählung und Kainitengenealogie Gen *4,1–26 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 3.5 Fazit zu Kapitel 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 4. Das kompositionsgeschichtliche Nebeneinander von Gen 1,1–2,3 und Gen *2,4b–3,24 und die relativ-chronologische Einordnung von Gen 2 f. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 4.1 Vorüberlegungen zur relativ-chronologischen Einordnung von Gen 2 f. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 4.1.1 Text-Text-Relationen und die Methodik ihrer Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 4.1.2 Forschungsgeschichtlicher Überblick zur Datierung der Paradieserzählung und der Priesterschrift . . . . . . . . . . . . . . . 284 4.2 Weisheitliche Prägung der Paradieserzählung? . . . . . . . . . . . . . . . . 290 4.3 Deuteronomisch-deuteronomistische Prägung der Paradieserzählung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 4.4 Priesterschriftliche Prägung der Paradieserzählung? . . . . . . . . . . . . 313 4.4.1 Strukturelle Beziehungen zwischen Gen 1 und Gen 2–3? . 316 4.4.2 Gen 2–3 bzw. 2–4 als Begründung für die priesterschriftliche Fluterzählung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 4.4.3 Der Mensch als Bild Gottes in Gen 1 und Gen 2 f.? . . . . . . 341 4.4.4 Fazit zu Kapitel 4.4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 4.5 Der erkenntnisbegabte Urmensch in Eden? Gen 2 f.; Hi 15,7 f.; Ez 28,11–19 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 4.5.1 Hi 15,7 f. und Gen 2 f. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 4.5.2 Ez 28 und Gen 2 f. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 4.5.3 Fazit zu Kapitel 4.5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 4.6 Fazit zu Kapitel 4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 5. Ergebnisse der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 Abkürzungs- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 Stellenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431 Bibelstellen (in Auswahl) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431 Außerbiblische Stellen (in Auswahl) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Vorwort Vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2013 von der Theologischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg als Dissertation angenommen. Für den Druck wurde sie geringfügig überarbeitet und stellenweise gekürzt. Die Arbeit wäre in ihrer jetzigen Form nicht möglich gewesen ohne die Unterstützung zahrleicher Personen und Institutionen. An erster Stelle sei Prof. Dr. Jan Christian Gertz für die Betreuung dieser Doktorarbeit gedankt, die zunächst durch ein Promotionsstipendium der Studienstiftung des deutschen Volkes und sodann durch eine Wissenschaftliche Mitarbeiterstelle an dem von Prof. Gertz geleiteten DFG-Projekt „Diachronie und Datierung der biblischen Urgeschichte“ finanziert wurde. Die gemeinsame Arbeit an der Urgeschichte hat einen intensiven Diskurs ermöglicht, von dem diese Arbeit sichtlich profitiert hat. Prof. Dr. Manfred Oeming sei für die Abfassung des Zweitgutachtens sowie zahlreiche Diskussionen über Teile dieser Arbeit, die Urgeschichte und das Alte Testament insgesamt gedankt. Den Mitgliedern der Heidelberger Alttestamentlichen Sozietät, Dr. des. Friedrich-Emanuel Focken, Prof. Dr. Detlef Jericke, Friederike Jungblut, Dr. Christoph Koch, Dr. Dirk Schwiderski, Carolin Stalter, und den Teilnehmerinnen unseres privaten Heidelberger Doktorandenkolloquiums, Dr. des. Andrea Hofmann (Kirchengeschichte, jetzt Mainz), Friederike Jungblut (AT), Raphaela Meyer zu Hörste-Bührer (Systematische Theologie, jetzt Hannover), Dr. des. Frederike van Oorschot (Systematische Theologie, jetzt Hannover), Esther Schläpfer (Neues Testament), danke ich für viele fachliche und noch mehr nicht fachliche Gespräche, Kommentare zu Teilen dieser Arbeit, die Bereitschaft, immer wieder Vorträge von mir anzuhören und Detailprobleme (auch der Textkritik) von Gen 1–3 zu diskutieren. Dr. des. Sonja Ammann (Berlin/Göttingen) und Dr. des. Joachim J. Krause (Tübingen) sei für das ausdauernde und anhaltende fachliche Gespräch herzlich gedankt. Ihnen, meiner Frau, Raphaela Meyer zu Hörste-Bührer, und meinem Schwiegervater, Friedrich Meyer zu Hörste, danke ich herzlich fürs Korrekturlesen, zum Teil mehrfach, für kritische Kommentare und hilfreiche Hinweise. Dr. des. Friedrich-Emanuel Focken, Dr. Gabriele Meyer zu Hörste und Raphaela Meyer zu Hörste-Bührer sei für die technische Unterstützung gedankt bei der Erstellung der Druckvorlagen und bei ungezählten technischen Problemen im Laufe der Arbeit. Verschiedene Teile dieser Untersuchung konnten vor Fachpublikum

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

12

Vorwort

referiert und diskutiert werden: So danke ich den Teilnehmern (nochmals) der Heidelberger Alttestamentlichen Sozietät, der gemeinsamen Alttestamentlichen Sozietäten von Heidelberg und Tübingen, des Tübinger Doktorandenkolloquiums von Prof. Dr. Erhard Blum, des Göttinger Doktorandenkolloquiums von Prof. Dr. Reinhard G. Kratz und Prof. Dr. Hermann Spieckermann sowie des 12. Greifswalder Workshops in Berlin unter der Leitung von Prof. Dr. Stefan Beyerle und Prof. Dr. Christof Hardmeier. Den Herausgebern der „Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments“ danke ich für die Aufnahme der Arbeit in diese Reihe und den Mitarbeitern des Hauses Vandenhoeck & Ruprecht für die verlegerische Betreuung. Neben der DFG und der Studienstiftung des deutschen Volkes wurde ich während des Studiums und der Promotionszeit von der Schweizerischen Studienstiftung, der ostschweizerischen Stipendienstiftung für Theologiestudierende und der evangelisch-reformierten Landeskirche des Kantons Schaffhausen unterstützt, wofür den genannten Institutionen herzlich gedankt sei. Der größte Dank geht an meine Eltern, Susanna und Walter Bührer, ohne deren vielfältige Unterstützung mein Studium mit anschließender Promotionszeit nicht möglich gewesen wäre, und meine Frau, mit der ich sämtliche Thesen dieses Buches und viele weitere durchdiskutieren konnte. Ihnen ist dieses Buch in Dankbarkeit gewidmet. Heidelberg und Hannover, im Oktober 2013

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Walter Bührer

1. Einleitung 1.1 Forschungsgeschichtliche Verortung Die Erforschung des Pentateuch nahm ihren Ausgang bei Gen 1–3 – und muss immer wieder dahin zurückkehren. Nicht, weil von Gen 1–3 bzw. der biblischen Urgeschichte die Redaktionsgeschichte des Pentateuch insgesamt entfaltet und die Prinzipien redaktioneller Prozesse am Pentateuch vollständig abgeleitet werden könnten, aber weil auch der Befund von Gen 1–3 bzw. der biblischen Urgeschichte in Modellen zur Entstehung des Pentateuch plausibel erklärt werden können muss. Die Forschungsdiskussion der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat gezeigt, dass die im 18. und 19. Jahrhundert aus der Urgeschichte abgeleitete Aufteilung des Pentateuch auf parallel verlaufende Quellen zu problematisieren und zu differenzieren ist. So hat die mit den Namen Reuß, Graf, Kuenen, de Wette und Wellhausen verbundene Neuere Urkundenhypothese mit einem Jahwisten, Elohisten, der Priesterschrift und dem Deuteronomium im 20. Jahrhundert massiv an Plausibilität verloren.1 Für den Textbereich des Tetrateuch, Gen bis Num, ist demnach nicht von drei parallel erzählenden, je für sich lesbaren und so literarisch eigenständigen Quellen auszugehen: Für die elohistischen Texte, die nur in sehr seltenen Fällen auch für die Urgeschichte angesetzt wurden, lässt sich kein kohärenter Erzählfaden nachweisen – was in gewisser Weise schon Wellhausen zugestanden hat. Dazu haben sich viele der ehedem dem Elohisten zugewiesenen Texte als literarhistorisch spät herausgestellt. Auch bei den dem Jahwisten zugeschriebenen Texten, zu denen traditionellerweise die hier untersuchte Paradieserzählung Gen 2–3 gerechnet wird, ist alles strittig: Die literarische und theologische Kohärenz, die literarische Erstreckung und das Alter dieses Erzählwerkes. So erstaunt es nicht, dass der Jahwist zunehmend für jünger befunden und zuweilen statt als Quelle als eine 1

Die Geschichte der Pentateuchforschung muss an dieser Stelle nicht ausführlich dargestellt werden. Wichtig sind hier die Weichenstellungen, die für die Frage nach dem relativ-chronologischen Verhältnis von Gen 1 und Gen 2 f. von Bedeutung sind. An ausführlichen Darstellungen zur Pentateuchforschung und ihrer Geschichte mangelt es nicht: Vgl. etwa Houtman, Pentateuch; Zenger (Hg.), Einleitung, bes. 60–187; Otto, Pentateuch; Gertz, Tora. Speziell mit Blick auf die Urgeschichte vgl. Witte, Urgeschichte, 1–52; Blum, Urgeschichte; Gertz, Formation; Ska, Gen 1–11. Zur Dokumentation der jüngeren und jüngsten Diskussionslage vgl. etwa die Sammelbände von de Pury (Hg.), Pentateuque; Gertz/ Schmid/Witte (Hg.), Abschied; Dozeman/Schmid (Hg.), Farewell; Römer/Schmid (Hg.), Rédactions; Shectman/Baden (Hg.), Strata; Dozeman/Römer/Schmid (Hg.), Pentateuch; Dozeman/Schmid/Schwartz (Hg.), Pentateuch. Speziell mit Blick auf Gen vgl. Evans/Lohr/Petersen (Hg.), Book.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

14

Einleitung

Redaktionsschicht interpretiert wurde. Einzig bei der Priesterschrift kann mit einer Mehrheit der Forschung weiterhin von einer Quelle gesprochen werden. Über das Alter der Priesterschrift sowie ihre Textabgrenzung im Großen besteht relative Sicherheit, über ihre literarische Erstreckung – sowie die Textabgrenzung im Detail – nicht (s. u. Kap. 4.1.2). Im Gefolge dieser Diskussion können die Texte des Tetrateuch heute entweder als priesterschriftlich (bzw. als [spät-]priesterlich) oder in Abgrenzung davon relativ unspezifisch als nicht-priesterschriftlich klassifiziert werden, wobei die nicht-priesterschriftlichen Texte damit die ehedem jahwistischen und elohistischen Texte, aber zunächst einmal kein übergreifendes literarisches Erzählwerk umfassen. Für die nicht-priesterschriftlichen Texte ist damit stets die Frage nach der literarischen Erstreckung des jeweiligen Erzählkomplexes und seinem theologischen Profil zu stellen. Hinzu kommt die Frage der Datierung: Insbesondere durch Wellhausens kultgeschichtliche Untersuchungen wurde die relativ-chronologische Datierung der Tetrateuch-Quellen auf die Abfolge Jahwist – Elohist – Priesterschrift gebracht. Absolut chronologisch wurde die Priesterschrift meist mit dem babylonischen Exil in Verbindung gebracht, die jahwistischen Texte wurden meist im 10. oder 9. Jahrhundert verortet. Letzterer (zumindest relativer) Konsens wurde im 20. Jahrhundert in Frage gestellt, als für verschiedene jahwistische Texte deuteronomisch-deuteronomistische oder weisheitliche Einflüsse geltend gemacht wurden, die literarhistorisch erst später möglich waren. Und insbesondere das zunehmende Interesse an den Büchern Lev und Num, die die klassische Quellenscheidung meist wenig beachtet hat, hat gezeigt, dass nicht-priesterschriftliche Texte auch nachpriesterschriftlich sein können. Diese Tendenz gegenwärtiger Forschung, nicht-priesterschriftliche Texte zunehmend nach-priesterschriftlich zu datieren, lässt sich auch an der Urgeschichte aufzeigen. Ging man klassischerweise davon aus, dass die nichtpriesterschriftlichen Texte in Gen 1–11 zumindest in ihrem Grundbestand älter sind als die priesterschriftlichen Texte, wird heute oft das Gegenteil für einzelne, wenn nicht alle nicht-priesterschriftlichen Texte der Urgeschichte vertreten. Dabei werden die nicht-priesterschriftlichen Texte zunehmend als Ergänzungen der priesterschriftlichen Texte betrachtet, was schematisch durch P→nP dargestellt werden kann.2 Nebst den Arbeiten, die die nicht-priesterschriftlichen Texte der Urgeschichte insgesamt für nach-priesterschriftlich halten,3 wird in Einzelarbeiten zunehmend die nach-priesterschriftliche Entstehung einzelner nicht-

2 3

Vgl. zu dieser Darstellungsweise Bosshard-Nepustil, Sintflut, 52–54 und passim. Vgl. Blenkinsopp, Pentateuch, 54–97; ders., Hypothesis; ders., Source; ders., Creation, 6–8 und passim; Otto, Brückenschläge, 88.91 f. Anm. 21; Bosshard-Nepustil, Sintflut; Arneth, Sintflut (hier noch als Möglichkeit); ders., Urgeschichte; ders., Gottebenbildlichkeit; ders., Fall; Schüle, Prolog; ders., Urgeschichte; Ska, Gen 1–11. Zu vergleichen ist auch Wenham, Genesis, xxxvii–xlii und passim; ders., Priority.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Forschungsgeschichtliche Verortung

15

priesterschriftlicher Texte der Urgeschichte vertreten, so für die Paradieserzählung Gen 2–3,4 die Erzählung vom Brudermord samt der Kainiten- und Sethitengenealogie in Gen 4,5 die Erzählung über die Göttersöhne und Menschentöchter in Gen 6,1–4,6 die nicht-priesterschriftlichen Anteile der Fluterzählung in Gen 6–8,7 die Erzählung von Noach und seinen Söhnen in Gen 9,20–27,8 die nicht-priesterschriftlichen Anteile der Völkertafel in Gen 109 und die Stadt- und Turmbauerzählung in Gen 11,1–9.10 Gegenredner in der aktuellen Forschung fanden diese Ansätze bereits verschiedentlich. Im Zentrum stehen dabei, wenn das Modell nicht für die Urgeschichte insgesamt abgewiesen wird,11 Gen 2–312 und Gen 6–9:13 Wie in der klassischen Forschung wird hier eine vor-priesterschriftliche Herkunft der nicht-priesterschriftlichen Texte vertreten. Diese werden aber durchaus später datiert als in den Modellen der klassischen Quellenscheidung und nicht mehr einem durchgehenden Erzählwerk zugewiesen.

4

5 6

7

8 9 10 11 12

13

Vgl. Otto, Paradieserzählung; ders., Brückenschläge, 86 f.; ders., Forschungen, 135; ders., Urmenschen; Stordalen, Echoes, 213; de Pury, Gottesname, 31; ders., Beginning, 114 f. (für Gen 2–4); ders., Gott, 134.141 (für Gen 2–3 „und überhaupt für die ganze Urgeschichte“: AaO., 134); Schüle, Image; Mettinger, Eden, 11.59.71.133 f. und passim; Ska, Genesis; Guillaume, Land, 46 u. ö. (für Gen 2–4); Waschke, Verhältnis; ders., Bedeutung, 235 Anm. 2; 250 f. Vgl. auch Warning, Verknüpfungen, 265, dessen Tabellen freilich nicht redaktionsgeschichtlich (und weshalb in diese Richtung?) ausgewertet werden müssten (vgl. aaO., 268 f.). Vgl. Otto, Paradieserzählung, 191 (für Gen 2,4–5,2); de Pury, Beginning, 114 f. (für Gen 2–4); Guillaume, Land, 46 u. ö. (für Gen 2–4). Vgl. Vervenne, Love, 37–40; Witte, Urgeschichte, 71–74.293–297; Otto, Brückenschläge, 91 Anm. 21; Bührer, Göttersöhne, 496–506 und passim. Vgl. auch Blum, Urgeschichte, 443. Vgl. Gosse, Tradition (Gosse vertritt nicht explizit ein Ergänzungsmodell, sondern nur die nach-priesterschriftliche Entstehung des nicht-priesterschriftlichen Textbestandes); Ska, Relato (=ders., Story); Otto, Paradieserzählung, 189; ders., Brückenschläge, 87.91 Anm. 21; Krüger, Herz, 73–76; Kratz, Komposition, 252 f.259–262; Schellenberg, Erkenntnis, 246 f.; Schmid, Unteilbarkeit, 38 f. mit Anm. 81; ders., Literaturgeschichte, 154 f.; de Pury, Beginning, 113 f.; Guillaume, Land, 75 u. ö. Vgl. Otto, Forschungen, 136; Witte, Urgeschichte, 102–105.185–187; de Pury, Sem; ders., Beginning, 115–118; Gertz, Hams Sündenfall, 89.93–95. Vgl. Witte, Urgeschichte, 105–114.187–189; de Pury, Sem; ders., Beginning, 115–118. Vgl. Witte, Urgeschichte, 87–99.189 f.; de Pury, Beginning, 115–118; Gertz, Babel, 25– 28. Vgl. Steymanns, Gilgameš. Vgl. Carr, Fractures, 62–68, bes. 67 f.; Witte, Urgeschichte, 166; Kratz/Spieckermann, Schöpfer/Schöpfung, 271–274; Spieckermann, Ambivalenzen, 51 f.; Vervenne, Genesis, bes. 55–70; Pfeiffer, Baum, 497 Anm. 46; Blum, Gottesunmittelbarkeit, 14–16; Gertz, Adam, 218–223; ders., Formation, 114–118; Schmid, Literaturgeschichte, 155; Schellenberg, Mensch, 188–191.238–243 und passim. Ohne weitere Begründung Willi-Plein, Anfang, 152 mit Anm. 2. Vgl. Carr, Fractures, 48–62, bes. 60–62; Witte, Urgeschichte, 177; Stipp, Fleisch, 171 mit Anm. 11; 182; Gertz, Beobachtungen (eingehende Auseinandersetzung mit BosshardNepustil, Sintflut); ders., Source Criticism; ders., Formation, 124–126. Ohne weitere Begründung Willi-Plein, Anfang, 159 Anm. 24.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

16

Einleitung

So gerechtfertigt eine nach-priesterschriftliche Ansetzung für einzelne nicht-priesterschriftliche Texte auch der Urgeschichte, etwa Gen 6,1–4 oder Gen 9,20–27, sicher ist, ist eine einheitlich nach-priesterschriftliche Ansetzung der nicht-priesterschriftlichen Texte weit davon entfernt, erwiesen zu sein, und muss im Einzelnen genauer überprüft werden. Ansonsten besteht die Gefahr, dass sich der Fehler der klassischen Pentateuchforschung, von der Untersuchung eines kleinen Textbereichs auf die Genese des gesamten Pentateuch zu schließen, heute nur in anderer Form bzw. mit anderen Ausgangstexten wiederholt. Übergreifende Thesen zur Formierung des Pentateuch haben ihre Plausibilität am Einzeltext zu erweisen. Gelingt dies nicht, sind sie, wie das klassische Vier-Quellen-Modell, zu revidieren.

1.2 Gang und Ziel der Arbeit Die vorliegende Arbeit untersucht auf diesem forschungsgeschichtlichen Hintergrund die beiden Schöpfungserzählungen in Gen 1–3: Die priesterschriftliche Schöpfungserzählung Gen 1,1–2,3 und die nicht-priesterschriftliche Paradieserzählung Gen *2,4b–3,24. Anders als Gen 1 ist die Paradieserzählung in ihrer literar- und theologiegeschichtlichen Einordnung derzeit heftig umstritten. Da Gen 2 f. in der heutigen Diskussion nicht mehr ohne Weiteres einem größeren Erzählwerk – und sei es nur einer nicht-priesterschriftlichen Urgeschichte – zugewiesen werden kann, muss die Datierungsfrage ausschließlich ausgehend vom Text der Paradieserzählung geklärt werden: In Kapitel 4 wird dazu Gen 2 f. mit den derzeit diskutierten Referenztexten bzw. Referenztextcorpora in Beziehung gesetzt mit der Frage, ob die Vergleiche von Gen 2 f. mit (spät-)weisheitlichen und deuteronomisch-deuteronomistischen Texten, mit der Priesterschrift und mit der vorausgesetzten Urmenschtradition in Hi 15,7 f. und Ez 28,11–19 eine relativ- und absolut-chronologische Einordnung der Paradieserzählung in die israelitischjüdische Literaturgeschichte ermöglichen. Dazu muss zuerst in einem Methodenkapitel geklärt werden, wie ein intendierter Text-Text-Bezug zunächst festgestellt und sodann relativ-chronologisch ausgewertet werden kann (s. u. Kap. 4.1.1). Zudem wird ausführlicher als oben ein Überblick über die Datierungsfragen zu Gen 1 und Gen 2 f. gegeben (s. u. Kap. 4.1.2). Da es sich bei den alttestamentlichen Texten um Traditionsliteratur handelt, die über Jahrhunderte hinweg in theologischen Anreicherungsprozessen literarisch gewachsen sind, kann für die Untersuchung von Text-TextBezügen nicht einfach von dem uns im masoretischen Text überlieferten Text ausgegangen werden. Sowohl die priesterschriftliche Schöpfungserzählung als auch die nicht-priesterschriftliche Paradieserzählung haben möglicherweise je für sich einen längeren Entstehungsprozess hinter sich, ehe sie in der uns überlieferten Gestalt vorlagen. So ist etwa denkbar, dass eine erste

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Gang und Ziel der Arbeit

17

Fassung der Paradieserzählung, die Grundschicht, älter als Gen 1 ist, dass aber ein späterer Bearbeiter der Paradieserzählung Anklänge an Gen 1 eingebaut hat. Damit wäre Gen 2 f. sowohl vor- als auch nach-priesterschriftlich, und die Aufgabe bestünde darin, die jeweiligen Teile herauszuarbeiten und auf ihre je eigene theologische Aussage zu untersuchen.14 Auch ganz andere Konstellationen sind denkbar – je nachdem, wie die Entstehungsgeschichte der einzelnen Kapitel und ihr Verhältnis zueinander bestimmt werden. Sollen verlässliche Aussagen über die relative Chronologie zweier Texte gemacht werden, ist eine ausführliche Analyse der Einzeltexte unumgänglich. Der Frage der Entstehung von Gen 1 und Gen 2 f. widmen sich die ersten beiden Hauptkapitel der Arbeit: Kapitel 2 untersucht ausführlich die literarische Gestaltung von Gen 1 und versucht, eine These über die Entstehung von Gen 1 zu entfalten. Schon immer ist die schematische Gliederung der priesterschriftlichen Schöpfungserzählung aufgefallen mit ihrer formelhaften Darstellung insbesondere der sechs Schöpfungstage in Gen 1,3–31. Dabei haben besonders die Verteilung der acht Schöpfungswerke auf sechs Schöpfungstage und das Nebeneinander von Tat- und Wortschöpfung Anlass zu literarhistorischen Schichtungsversuchen gegeben, wonach Gen 1 erst durch einen oder mehrere Bearbeitungsvorgänge seine heutige Gestalt erlangt habe. Die Unterschiede zwischen der hebräischen und der griechischen Textfassung von Gen 1 bestätigen die Möglichkeit solcher Bearbeitungsvorgänge. Es muss daher zunächst textkritisch untersucht werden, welcher Text Ausgangspunkt der weitergehenden Analyse ist (s. u. Kap. 2.1). Ausgehend davon lässt sich dann die Entstehung von Gen 1,1–2,3 nachzeichnen. Kapitel 3 ist der Untersuchung der Paradieserzählung gewidmet. Mehr noch als bei Gen 1 geht die Forschung von einer gestuften Entstehung von Gen 2–3 aus. Das Nebeneinander der Schöpfungsthematik besonders in Gen 2 und der Paradies- bzw. Gartenthematik besonders in Gen 3 hat insbesondere zu überlieferungsgeschichtlichen Sonderungen beider Kapitel bzw. Themen geführt, wonach in der mündlichen Überlieferung noch jeweils gesondert von der Schöpfung oder vom Paradies erzählt worden sei. Das Nebeneinander der zwei Bäume im Garten, der Baum der Erkenntnis von Gut und Schlecht und der Baum des Lebens, hat insbesondere literarkritische Thesen hervorgebracht: So konnte entweder die für den gesamten Pentateuch angewandte Quellenscheidung auch auf die einzelnen Quellen des Pentateuch angewandt und so die Paradieserzählung auf zwei Jahwisten o. ä. aufgeteilt werden. Oder aber man rechnete redaktionsgeschichtlich mit einer Grundschicht, die einen oder mehrere Bearbeitungsprozesse durchlaufen hat. Ausgehend von der Betrachtung von Anfang und Ende der Paradieserzählung mit Gen 2,5 und Gen 3,23 als Klammer der Erzählung wird in Kapitel 3.2 die Ausgangsthese der vorliegenden Arbeit, die weitestge-

14 Vgl. so Kratz/Spieckermann, Schöpfer/Schöpfung, 271 f.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

18

Einleitung

hende literarische Einheitlichkeit von Gen *2–4, entfaltet, die in Kapitel 3.4 ausführlich begründet und am Text nachgezeichnet wird. Dabei wird die Frage der literarischen Fortsetzung der Paradieserzählung in der Erzählung von Kain und Abel und der Kainiten- und Sethitengenealogie in Gen *4 ebenfalls knapp untersucht (s. u. Exkurs 4). Im abschließenden Kapitel 5 werden die Ergebnisse der vorangehenden Kapitel kurz dargestellt und die Folgerungen für die Entstehung und relativ-chronologische Einordnung von Gen 1–3 und die absolut-chronologische Datierung von Gen 2 f. gezogen. Schon die vorangehenden Kapitel, auch Unterkapitel, haben jeweils ein mehr oder weniger ausführliches Fazit, um die Ergebnisse festzuhalten und so den Umgang mit der Arbeit zu erleichtern. Aufgabe und Ziel vorliegender Arbeit ist damit, eine methodisch abgesicherte Einordnung von Gen 1–3, insbesondere der Paradieserzählung, in die israelitisch-jüdische Literaturgeschichte zu gewinnen. Angesichts des skizzierten forschungsgeschichtlichen Zusammenhangs und der gegenwärtigen Diskussion ist es unumgänglich, sich vor Kurzschlüssen zu hüten: Die meisten Beobachtungen am Text von Gen 1–3 sind bekannt und werden seit Witter und Astruc stets und ständig (und in einer nicht mehr zu überblickenden Literaturfülle!) wiederholt. Die Bewertungen dieser Beobachtungen haben sich über die letzten drei Jahrhunderte ebenso stets und ständig geändert. Dabei gibt es in der gegenwärtigen Forschungssituation kaum eine dieser (oder weiterer) Positionen, die nicht auch vertreten würde. Wenn in gegenwärtigen Publikationen die Paradieserzählung sowohl vor-priesterschriftlich als auch nach-priesterschriftlich und sowohl als auch vor- und nach-priesterschriftlich eingeordnet werden kann, dann müssen, dies sei hier wiederholt, drei integrale Punkte für eine weiterführende Diskussion beachtet werden: Erstens muss ausschließlich von der Paradieserzählung aus argumentiert werden und nicht von vermeintlich damit (etwa in einer Quelle) zusammenhängenden weiteren nicht-priesterschriftlichen Texten. Ansonsten wiederholt sich in gewisser Weise der Fehler der klassischen Quellenscheidung, von der Betrachtung eines spezifischen Textbereiches auf weitere Texte des Pentateuch (oder darüber hinaus) zu extrapolieren. So wurde denn auch der (klassische) Jahwist mitnichten aufgrund von Gen 2 f. datiert. Zweitens muss man sich methodisch Rechenschaft darüber ablegen, was man unter einem Text-Text-Bezug versteht: Da Text-Text-Bezüge in dem uns überlieferten Text fast unbegrenzt fest- bzw. hergestellt werden können, muss bei jedem vermeintlichen Bezug gefragt werden, ob überhaupt von einem intendierten Bezug seitens der Autoren die Rede sein kann, oder ob nicht andere Erklärungen besser greifen – etwa zufällige Übereinstimmungen, Übereinstimmungen aufgrund kultureller Gegebenheiten oder gemeinsamem Thema, was insbesondere bei zwei Schöpfungstexten zu beachten ist. Darüber hinaus ist stets zu fragen, ob ein solcher Bezug viel-

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Gang und Ziel der Arbeit

19

leicht nur aufgrund der Betrachtung des gesamten Alten Testaments – also in Rezeptionsperspektive – möglich ist, mit Blick auf die Produktion der Texte aber nicht. Anders formuliert: Dass die Paradieserzählung in kanonischer Abfolge auf den priesterschriftlichen Schöpfungsbericht folgt und diesen in gewisser Weise fortführt und kommentiert, besagt in literarhistorischer Hinsicht erst einmal nichts. Drittens: Sollen verlässliche Aussagen über die relative Chronologie zweier Texte gemacht werden, A vor B oder B vor A, ist eine ausführliche Analyse der Einzeltexte unumgänglich. Jeder Text kann seinerseits auf eine längere Genese zurückblicken. Vergleicht man dann etwa die spätesten Nachträge zu Text A mit Text B, ist es gut möglich, dass Text B als der gebende Text zu bestimmen ist. Das sagt aber natürlich noch nichts über das Verhältnis vom Grundbestand von Text A zu Text B. Die Hauptergebnisse der vorliegenden Untersuchungen seien um der Leserfreundlichkeit willen der im Folgenden präsentierten Erarbeitung dieser Ergebnisse bereits hier vorangestellt: – Gen 1,1–2,3 ist literarisch und überlieferungsgeschichtlich einheitlich. – Gen *2,4b–4,26 ist literarisch und überlieferungsgeschichtlich weitestgehend einheitlich. – Die Paradieserzählung ist weder signifikant weisheitlich noch deuteronomisch-deuteronomistisch geprägt und aller Wahrscheinlichkeit nach vorpriesterschriftlich einzuordnen.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

2. Der priesterschriftliche Schöpfungsbericht Gen 1,1–2,31 Gen 1 weist namentlich zwei Probleme auf, die in diesem Kapitel zu behandeln sind: 1.) Die Frage nach dem zu exegesierenden Text angesichts nicht geringer Varianten zwischen dem masoretischen Text und dem Text der Septuaginta. Welcher Text ist der ältere? Wie ist der jüngere Text entstanden? Um diese Fragen beantworten zu können, wird zunächst das Formelschema von Gen 1,3–31 analysiert, wie es die Septuaginta präsentiert (s. u. Kap. 2.1.1). Die dort erarbeitete These, dass die Septuaginta durchgängig eine Harmonisierung des masoretischen Textes darstellt, erweist sich auch an verschiedenen über das Formelschema hinausgehenden Detailbeobachtungen als richtig. Dass der masoretische Text – mit nur einer Ausnahme – damit als der ursprüngliche(re) Text gelten kann, bestätigt auch ein Blick in die weiteren Textzeugen (s. u. Kap. 2.1.2). 2.) Die Frage nach der Entstehung dieses ältesten erreichbaren Textes angesichts verschiedener Spannungen in diesem Text: Etwa die Verteilung der acht Schöpfungswerke auf sechs Schöpfungstage und das Nebeneinander von Tat- und Wortschöpfung. Die schematische Gliederung von Gen 1 wird gleich im Folgenden beschrieben und graphisch dargestellt werden (s. u. Kap. 2.1). Die Analyse der Entstehungsgeschichte von Gen 1 geht von einer Untersuchung der Schöpfungserzählung im engeren Sinne, Gen 1,3– 31, aus, worin die These der literarischen und überlieferungsgeschichtlichen Ursprünglichkeit von Gen 1 entwickelt wird (s. u. Kap. 2.2). Dies wird bestätigt durch die daran anschließende Behandlung der Rahmenverse Gen 1,1–2 und Gen 2,1–3 sowie der Darstellung der Gliederung von Gen 1,1–2,3 insgesamt (s. u. Kap. 2.3). Sodann wird der Vers Gen 2,4 untersucht, der in Teilen oft dem priesterschriftlichen Schöpfungsbericht zugewiesen wird. Die hier entfaltete These besagt dagegen, dass Gen 2,4a redaktioneller Herkunft ist (s. u. Kap. 2.4).

1

Zu Gen 2,4 s. u. Kap. 2.4; 3.4.1, wo Gen 2,4b zur Paradieserzählung gerechnet, und Gen 2,4a für redaktionell befunden wird.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

22

Der priesterschriftliche Schöpfungsbericht Gen 1,1–2,3

2.1 Der Text von Gen 1,1–2,3 Zwei Grundbeobachtungen zu Gen 1 sind leitend in der Exegese: 1.) Der Text – insbesondere die Schöpfungserzählung im engeren Sinne, Gen 1,3–31 – ist schematisch aufgebaut. 2.) Das Schema ist voller „Haarrisse“.2 Mit Schmidt3 lässt sich ein regulärer Ablauf aller Schöpfungswerke konstruieren, bestehend aus 1.) „Wortbericht“ (~yhil{a/ rm,aYOw:),4 2.) „Vollzugsbestätigung“ (!ke-yhiy>w:),5 3.) „Tatbericht“,6 4.) Benennung (nur in 1,5a.8a.10a: [Y’ ar"q' X’l.W] Y Xl. ~yhil{a/ ar"q.YIw:), 5.) „Billigungsformel“ (-yKi ~yhil{a/ ar>Y:w: bAj)7 und 6.) „Tagesformel“ (X ~Ay rq,bo-yhiy>w: br,[,-yhiy>w:).8 2 3

4

5

6

7

8

Levin, Tatbericht, 121. Vgl. Schmidt, Schöpfungsgeschichte, 49–73, bes. 49–52. Erstmals hat im ausgehenden 18. Jh. Gabler in seinem „Neuen Versuch über die Mosaische Schöpfungsgeschichte aus der höheren Kritik“, einem Nachtrag zu der von ihm herausgegebenen Auslegung von Gen 1–3 durch Eichhorn, auf die verschiedenen Formeln hingewiesen. Vgl. zu einem kurzen forschungsgeschichtlichen Überblick Schmidt, aaO., 9–20; Westermann, Genesis, 113–126; ders., EdF 7, 15–19. Ein etwas anderes Formular als Schmidt arbeitet Beauchamp, Création, 19–37 (gefolgt von Monsengwo Pasinya, Cadre) heraus, der die Benennungen und Segnungen als „Folgewort“ bzw. „Parole subséquente“ versteht, während Schmidt die Segnungen als „zusätzliche Tat Gottes“ bezeichnet (vgl. Schmidt, aaO., 50 f.). Vgl. auch die Schemata bei Westermann, Genesis, 113–123; Witte, Urgeschichte, 119– 123; Schüle, Prolog, 103–105. Gen 1,3a.6.9a.11a.14–15a.20.24a.26: Insgesamt achtmal. Dazu die zwei Segensworte in 1,22.28 (anders Schmidt, Schöpfungsgeschichte, 50 f.; s. voranstehende Anm.). Auch wenn die Segnung eine Tat Gottes ist, so sollten die Segensworte wegen des beide Male einleitenden rmoale bzw. ~h,l' rm,aYOw: zunächst einmal dem Wortgeschehen zugeschrieben werden. Gen 1,3b.7b.9b.11b.15b.24b.30b: Insgesamt siebenmal. Im Folgenden ist nicht von „Vollzugsbestätigung“, sondern von Geschehensformel die Rede; zur Begründung s. u. Kap. 2.2. Nach Schmidt gehört V. 3b als abgewandelte Form dazu (vgl. Schmidt, Schöpfungsgeschichte, 57.98 f.); nach Steck, Schöpfungsbericht, 37 f.162 ff.176 f. handelt es sich hierbei nicht um die Geschehensformel bzw. „Formel folgerichtiger Entsprechung“ – wegen seiner kaum zutreffenden Differenzierung zwischen den beiden Licht-Werken in 1,3–5 und 1,14–19 (dazu s. u. Anm. 171.174 und Kap. 2.3.4). Beim sechsten Werk fehlt die Formel, ebenso unmittelbar nach dem achten Werk nach V. 26: Die Erschaffung der Menschen wird wie schon die Erschaffung der Meerestiere und der Vögel durch ihre Segnung abgeschlossen, die Geschehensformel mithin im sechsten und achten Werk durch den Prokreationssegen ersetzt. Die Formel aus V. 30b bezieht sich zwar wohl auch, aber eben nicht ausschließlich auf das Schöpfungswerk, sondern zunächst einmal auf die Speisegebote V. 29 f. und damit insgesamt auf die neue Ordnung zwischen Menschen und Tieren und der Erde – und daher rückblickend auf den gesamten Schöpfungsbericht, zumal im darauf folgenden Vers die ganze Schöpfung bewertet wird. Gen 1,4b.7a.12a.16–18a.21a.25a.27: Insgesamt siebenmal. Beim dritten Werk fehlt die Formel, beim ersten Werk wird keine Tat-Erschaffung berichtet, V. 4b kann daher nur bedingt dem Tatbericht zugewiesen werden (s. u. Kap. 2.2). Gen 1,4a(abgewandelt zu bAj-yKi rAah'-ta, ~yhil{a/ ar>Y:w:).10b.12b.18b.21bβ.25b.31a(gesteigert zur Gesamtbilligung daom. bAj-hNEhiw> hf'[' rv,a]-lK'-ta, ~yhil{a/ ar>Y:w;: vgl. Steck, Schöpfungsbericht, 131 Anm. 521; 182 f. mit Anm. 772.775.776): Insgesamt siebenmal. Beim zweiten Werk fehlt die Formel, die dem Text angemessener eher als Gutheißungsformel zu bezeichnen wäre. Gen 1,5b.8b.13.19.23.31b: Insgesamt sechsmal, dazu kommen noch die Hinweise auf den siebten Tag in 2,2 f. Somit haben das dritte und das siebte Werk keine Tagesformel: Sie sind

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

23

Der Text von Gen 1,1–2,3

Problematisch an dieser Konstruktion ist, dass in Gen 1 nicht ein einziges der acht Schöpfungswerke genau diesem Muster folgt. Dies ist aus der folgenden nach den Schöpfungswerken gegliederten Darstellung des Textes leicht ersichtlich. Mit Blick auf die textkritische Untersuchung werden die größten Abweichungen der Septuaginta hier bereits verzeichnet:9 Überschrift und Vorweltschilderung:

`#r,a'(h' taeîw> ~yIm:ßV'h; taeî ~yhi_l{a/ ar'äB' tyviÞareB. `~yIM")h; ynEïP.-l[; tp,x,Þr;m. ~yhiêl{a/ x;Wråw> ~Ah+t. ynEåP.-l[; %v,xoßw> Whboêw" ‘Whto’ ht'îy>h' #r,a'ªh'w>

1 2

I:

rAa= yhiäy> ~yhiÞl{a/ rm,aYOðw: `rAa*-yhiy>w:) bAj+-yKi rAaàh'-ta, ~yhi²l{a/ ar.Y:ôw: `%v,xo)h; !ybeîW rAaàh' !yBeî ~yhiêl{a/ lDeäb.Y:w: hl'y>l"+ ar'q"å %v,xoßl;w> ~Ayë ‘rAal' Ÿ~yhiÛl{a/ ar'’q.Yiw: @ `dx'(a, ~Ayð rq,boß-yhiy>w:) br,[,î-yhiy>w:)

3

`~yIm")l' ~yIm:ß !yBeî lyDIêb.m; yhiäywI ~yIM"+h; %AtåB. [;yqIßr' yhiîy> ~yhiêl{a/ rm,aYOæw:

6

4 5

1 2 5 3 4 6

II: [ins. LXX:] και ̀ ἐ γεν́ ετο οὕτως.

~yIM;êh; !ybeäW [;yqiêr'l' tx;T;ämi ‘rv,a] ‘~yIM;’h; !yBeÛ lDeªb.Y:w: è[;yqir'h'-ta, é~yhil{a/ f[;Y:åw: [;yqI+r'l' l[;äme rvw:) ~yIm"+v' [;yqIßr'l'( ~yhi²l{a/ ar'óq.YIw: ̃ [ins. LXX:] και ̀ εἰ δεν ὁ θεὸς ὅτι καλον́ .

7

8

@ `ynI)ve ~Ayð rq,boß-yhiy>w:) br,[,î-yhiy>w:)

1 (2) 3 2 4 (5) 6

III:

hv'_B'Y:h; ha,Þr'tew> dx'êa, ~Aqåm'-la, ‘~yIm;’V'h; tx;T;Ûmi ~yIM;øh; Ww“Q'yI ~yhiªl{a/ rm,aYOæw: `!kE)-yhiy>w:)

9

1 2 (3)

10

4 5

11

1

[ins. LXX:] και ̀ συνήχθη τὸ ὕδωρ τὸ ὑποκά τω τοῦ οὐ ρανοῦ εἰ ς τὰ ς συναγωγὰ ς αὐ τῶν και ̀ ὤφθη ἡ ξηρά .

~yMi_y: ar'äq' ~yIM:ßh; hwEïq.mil.W #r,a,ê ‘hv'B'Y:l; Ÿ~yhiÛl{a/ ar'’q.YIw: `bAj)-yKi ~yhiÞl{a/ ar.Y:ïw: IV:

Anëymil. ‘yrIP. hf,[oÜ yrIúP. #[e[w>]10 [r;zm; bf,[e… av,D,ê ‘#r,a'’h' aveÛd>T;( ~yhiªl{a/ rm,aYOæw: #r,a'_h'-l[; Abß-A[r>z: rvw:)

2

vielmehr mit dem jeweils darauf folgenden Werk zusammen an einem Tag erbracht worden. Die Zahlenangaben 1–5 sind indeterminiert, beim sechsten Tag ist das Zahlwort determiniert, ebenso beim siebten Tag (2,2a.b.3a). Beim ersten Schöpfungstag steht nicht wie sonst die Ordinal-, sondern die Kardinalzahl: „Tag eins/ein Tag“, wie verschiedentlich in Aufzählungen: Vgl. Gen 2,11–14; 4,19 u. ö. (dagegen etwa in Gen 32,18–21 !AvarIh'). 9 Die römischen Ziffern auf der linken Seite bezeichnen die acht Schöpfungswerke, die arabischen Ziffern auf der rechten Seite in Normalgröße die Verse. Die Ziffern in Kleindruck (für Gen 1,3–31) entsprechen den genannten Indices bei Schmidt, Schöpfungsgeschichte, 49–73, bes. 49–52. Zur Gliederung von Gen 1 s. u. Kap. 2.3.4. Zu den Indices zu Gen 1,22.28(–30) s. o. Anm. 4. 10 In Gen 1,11 ist in Analogie zu 1,12.29 und mit LXX, Smr, Syr, Vg und einigen Handschriften von TJ MT zu korrigieren und #[ew> zu lesen (s. u. Kap. 2.1.1 mit Anm. 48 und Kap. 2.1.3).

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

24

Der priesterschriftliche Schöpfungsbericht Gen 1,1–2,3

WhnE+ymil. Abß-A[r>z: rv WhnEëymil. ‘[r;zm; bf,[eä av,D,û #r,a'øh' ace’ATw: `bAj)-yKi ~yhiÞl{a/ ar.Y:ïw: @ `yvi(yliv. ~Ayð rq,boß-yhiy>w:¥ br,[,î-yhiy>w:¥

12 13

3 5 6

14

1

V:

WyÝh'w> hl'y>L"+h; !ybeäW ~AYàh; !yBeî lyDI§b.h;l. ~yIm;êV'h; [;yqIår>Bi ‘troaom. yhiÛy> ~yhiªl{a/ rm,aYOæw: `~ynI)v'w> ~ymiÞy"l.W ~ydIê[]Amål.W ‘ttoaol. #r,a'_h'-l[; ryaiÞh'l. ~yIm;êV'h; [;yqIår>Bi ‘troAam.li WyÝh'w> `!kE)-yhiy>w:¥ ~AYëh; tl,v,äm.m,l. ‘ldoG"h; rAaÝM'h;-ta, ~yli_doG>h; troßaoM.h; ynEïv.-ta, ~yhiêl{a/ f[;Y:åw: `~ybi(k'AKh taeÞw> hl'y>L;êh; tl,v,äm.m,l. ‘!joQ'h; rAaÝM'h;-ta,w> `#r,a'(h'-l[; ryaiÞh'l. ~yIm"+V'h; [;yqIår>Bi ~yhiÞl{a/ ~t'²ao !TEïYIw: %v,xo+h; !ybeäW rAaàh' !yBeî lyDIêb.h;l]W¥ hl'y>L;êb;W ~AYæB; ‘lvom.liw> `bAj)-yKi ~yhiÞl{a/ ar.Y:ïw: @ `y[i(ybir> ~Ayð rq,boß-yhiy>w:) br,[,î-yhiy>w:)

15 16

2 3

17 18 19

5 6

20

1

21

(2) 3

22 23

5 1/3 6

VI:

`~yIm")V'h;

[;yqIïr> ynEßP.-l[; #r,a'êh'-l[; @pEåA[y> ‘@A[w> hY"+x; vp,nv.yI ~yhiêl{a/ rm,aYOæw: [ins. LXX:] και ̀ ἐ γεν́ ετο οὕτως.

Wc’r>v' ûrv,a] tf,m,‡roh'( ŸhY"åx;h;¥ vp,nx:)w> fm,r,²w" hm'îheB. Hn"ëymil. ‘hY"x; vp,nw:) fm,r,î-lK' tae²w> Hn"ëymil. ‘hm'heB.h;-ta,w> Hn"©ymil. #r,a'øh' tY:“x;-ta, û~yhil{a/ f[;Y:åw: WhnE+ymil. hm'Þd'a]h'( `bAj)-yKi ~yhiÞl{a/ ar.Y:ïw:

24 25

1 2 3 5

VIII:

~yIm;ªV'h; @A[åb.W ~Y"÷h; tg:“d>bi ûWDr>yIw> Wnte_Wmd>Ki WnmeÞl.c;B. ~d'²a' hf,î[]n:) ~yhiêl{a/ rm,aYOæw: `#r,a'(h'-l[ fmeîroh'¥ fm,r,Þh'-lk'b.W #r,a'êh'-lk'b.W ‘hm'heB.b;W `~t'(ao ar'îB' hb'Þqen>W rk"ïz" At=ao ar'äB' ~yhiÞl{a/ ~l,c,îB. Amêl.c;B. ‘~d'a'h'¥-ta, Ÿ~yhiÛl{a/ ar'’b.YIw: è~yhil{a/ é~t'ao %r,b'äy>w: @A[åb.W ‘~Y"h; tg:Üd>Bi Wdúr>W h'vu_b.kiw> #r,a'Þh'-ta, Waïl.miW Wb±r>W WrïP. ~yhiªl{a/ ~h,øl' rm,aYO“w: `#r,a'(h'-l[; tf,m,îroh'¥ hY"ßx;-lk'b.W ~yIm;êV'h; #r,a'êh'-lk' ynEåP.-l[; ‘rv,a] [r;z hY"ëx; vp,nw:) dao+m. bAjß-hNEhiw> hf'ê[' rv #r,a'Þh'w> ~yIm:ïV'h; WL±kuy>w: y[iêybiV.h; ~AYæB; ‘tBov.YIw: hf'_[' rvw: `hf'([' rvw: @ `tAf)[]l; ~yhiÞl{a/ ar'îB'-rv,a]

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

2,1 2,2 2,3

2 5 6

Der Text von Gen 1,1–2,3

25

Die „Haarrisse“ des Schemas sind deutlich: Weisen das vierte und fünfte Werk bis auf die Benennung alle Elemente des Schemas in der von Schmidt genannten Reihenfolge auf, sind die weiteren Werke wie folgt gegliedert: I: 1–2–5–3–4–6; II: 1–3–2–4–6; III: 1–2–4–5; VI: 1–3–5–1/3–6; VII: 1–2–3–5; VIII: 1–3–1/3–2–5–6. Dabei bezieht sich die Geschehensformel im achten Werk nicht explizit auf die Erschaffung der Menschen (ansonsten hätte sie nach V. 26 stehen müssen), sondern direkt nur auf die Erteilung der Speisegebote. Beim achten wie beim sechsten Werk scheint die Segensformel (jeweils erst nach dem Tatbericht) die Geschehensformel zu ersetzen (V. 22.28), denn nur hier, wo die Geschehensformel fehlt, findet sich ein Segen, bei allen anderen Werken findet sich dagegen die Geschehensformel und keine Segnung.11

2.1.1 Die Septuaginta-Fassung von Gen 1 Verschiedene Exegeten greifen aufgrund dieses „gestörten Schemas“ auf die Textfassung der Septuaginta zurück, die die genannte Reihenfolge des Schemas genauer einhält durch Umstellung der Geschehensformel von V. 7b nach V. 6, Einfügung der Geschehensformel nach V. 8a, des Tatberichtes nach V. 9 und der Geschehensformel nach V. 20.12 LXX hat damit folgende Reihenfolge für die Werke: I: 1–2–5–3–4–6; II: 1–2–3–4–5–6; III: 1–2–3–4– 5; IV: 1–2–3–5–6; V: 1–2–3–5–6; VI: 1–2–3–5–1/3–6; VII: 1–2–3–5; VIII: 1– 3–1/3–2–5–6. Nicht gelöst hat LXX also die „Probleme“ der Benennung nur der drei ersten Werke, die Unregelmäßigkeiten beim ersten Werk (abgewandelte Geschehensformel; abgewandelte und umgestellte Billigungsformel) und der Segnungen (nur) beim sechsten und achten Werk. Darüber

11 Es stellt sich die Frage, worin der Unterschied zwischen der Geschehensformel und dem Prokreationssegen liegt, da neben den Menschen nur die Wasser- und Lufttiere, nicht aber die dem Menschen am nächsten stehenden Landtiere gesegnet werden; bei der Erschaffung der Landtiere steht dafür die Geschehensformel (V. 24b): S. u. Kap. 2.2.3 zu Gen 1,20– 23.24–25.26–31. 12 Vgl. etwa Schmidt, Schöpfungsgeschichte, 52 f. u. ö.; Steck, Schöpfungsbericht, 40–44 u. ö.; Levin, Tatbericht, 117.124 f. (für Gen 1,9). Vgl. etwa Steck, aaO., 43 f. Anm. 149: „Daß LXX das Formelwerk beim zweiten, dritten und sechsten Werk in so korrekter Entsprechung zu dem Befund bietet, den auch MT beim vierten, fünften und siebten Werk aufweist, daß sie – im Unterschied zu neuzeitlichen Exegeten – nicht das erste Werk zum Maßstab systematisierender Vervollständigung macht oder die !k-yhyw-Formel hinter V. 26 oder die Billigungsformel hinter V. 27 einsetzt, daß die LXX-Fassung des Formelwerks … in Übereinstimmung mit den Gebrauchsmerkmalen und Sachintentionen steht, die sich an den bei LXX und MT übereinstimmenden Partien von Gen 1 feststellen lassen, und daß sich umgekehrt der MT-Textbestand gegenüber LXX für P nicht sachlich begründen läßt, spricht entschieden dafür, in den obengenannten Fällen die LXX-Abweichungen für den textkritisch ursprünglicheren Text von Gen 1 zu reklamieren.“ Ob die von Steck ausführlich herausgestellten „Gebrauchsmerkmale und Sachintentionen“ wirklich dem ursprünglichen Text von Gen 1 entsprechen, ist freilich zu prüfen (s. u. Kap. 2.2).

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

26

Der priesterschriftliche Schöpfungsbericht Gen 1,1–2,3

hinaus sind auch in LXX wie in MT acht Werke auf sechs Schöpfungstage verteilt, wobei die Aufteilung nicht gänzlich klar erscheint. Bedeutet dies, dass die Septuaginta in Gen 1 insgesamt keine Harmonisierung sein kann, weil sie nicht konsequent harmonisiert hätte?13 Es ist die Gegenfrage zu stellen: Sind die nicht angeglichenen Werke (besonders das erste und achte Werk) oder Formelelemente bewusst nicht angeglichen worden, wohingegen LXX in den anderen Fällen geglättet hat? Es stellen sich damit zwei Fragen: Erstens die für die Entstehung von Gen 1 relevantere Frage, ob LXX zumindest für das Formelschema von Gen 1 tatsächlich die ursprünglichere Lesart als MT bietet (so Schmidt; Steck; z. T. Levin: s. o. mit Anm. 12), oder ob LXX nicht doch eher lectio facilior darstellt, also nachträgliche Korrektur ihrer hebräischen Vorlage ist, um das dort ansatzweise vorhandene Abfolgeschema noch deutlicher hervortreten zu lassen.14 Zweitens muss gefragt werden, ob LXX dort, wo sie von MT abweicht, auf einer hebräischen Vorlage basiert (s. o. Anm. 14) oder nicht. Ein Blick in die Versiones zeigt schnell, wie problematisch der LXX-Text von Gen 1 insgesamt ist:15 Weder der Samaritanische Pentateuch16 noch die überlieferten Genesistexte aus Qumran17 noch Targum Onkelos oder etwa die syrische Übersetzung weisen das strikte Schema der Septuaginta auf, sondern folgen alle dem masoretischen Text. Da auch diese Versiones MT an einigen anderen Stellen geändert haben (s. u. Kap. 2.1.2), weist ihre Konformität mit dem Schöpfungsformular von MT auf die (wahrscheinliche) Ursprünglichkeit des hebräischen Textes hin und spricht gegen die LXXLesart. Der Textbestand des masoretischen Textes dürfte für Gen 1 damit (zumindest weitestgehend) beizubehalten sein. Dies legt – was als textkriti13 Vgl. etwa Schmidt, Schöpfungsgeschichte, 53; Cook, Exegesis, 103. 14 Vgl. Wellhausen, Composition, 184: „…ist doch eine so konsequente Conformität nicht das Princip des ursprünglichen Textes… Also die Varianten der Sept. beruhen auf systematischer Überarbeitung. Diese aber ist bereits in der hebräischen Vorlage vorgenommen, wie der auf τὸ ὕδωρ (hebräisch Plural) bezügliche Plural αὐ τῶν in v. 9 klar beweist. Und aus einer Spur lässt sich erkennen, dass die Conformirung auch in den MT einzuschleichen drohte; denn das !k yhyw v. 7 muss ursprünglich als Randglosse zu v. 6 bestimmt und dann an falscher Stelle recipirt worden sein. Vielleicht ist auch in v. 30 ein zu v. 26 bestimmtes !k yhyw geraten.“ 15 Erstaunlicherweise widmen neuere Untersuchungen zur Urgeschichte bzw. Gen 1 der Frage der Textkritik von Gen 1 keine oder nur sehr geringe Aufmerksamkeit (etwa Witte, Urgeschichte; Neumann-Gorsolke, Herrschen [nur aaO., 143 f. kurz angesprochen]; Arneth, Fall; Schüle, Prolog; ders., Urgeschichte). In der Regel wird hier an MT festgehalten. 16 Dass Smr für die Interpretation des LXX-Textes als ältesten erreichbaren Text für Gen 1 Schwierigkeiten bereitet, räumt auch Schmidt, Schöpfungsgeschichte, 53 Anm. 5 ein. 17 In den Qumrantexten werden die Änderungen von LXX in V. 6/7.8.9.20 nicht übernommen von 4QGenb (=MT), in V. 20 von 4QGend (=MT), in V. 6/7.8(zu wenig Platz in der Lücke).9 von 4QGeng Frgm. 1 (=MT), in V. 20 von 4QGeng Frgm. 2 (zu wenig Platz in der Lücke; Text entsprechend MT). Nicht eindeutig ist die Lesung von 4QGenh1 (Gen *1,8– 10: zu wenig Text).

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Der Text von Gen 1,1–2,3

27

sches Argument ungleich wichtiger ist – auch eine genauere Betrachtung der LXX-Abweichungen im Schöpfungsformular nahe, die sich als Harmonisierungen zu erkennen geben: In 1,6 wird die Geschehensformel και ̀ ἐ γεν́ ετο οὕτως aus V. 7 eingetragen, um den Wortbericht abzuschließen wie in 1,9b.11b.15b(.20LXX).24b. 30b, in V. 7 wird sie entsprechend gestrichen. Genauso wird auch in 1,20 και ̀ ἐ γεν́ ετο οὕτως eingefügt. Damit haben alle acht Schöpfungswerke eine Geschehensformel (zählt man denn 1,3b dazu) und zwar stets nach dem ̃ ὁ θεὸς Wortbericht. Durch die Einfügung der Billigungsformel και ̀ εἰ δεν ὅτι καλον́ in 1,8 haben auch alle Schöpfungswerke ihre „Gutheit“ oder Zweckmäßigkeit von Gott attestiert bekommen (in 1,31 ist die Gesamtheit aller acht Werke im Blick, somit hat die Formel auch Gültigkeit für die Erschaffung der Menschen, die nicht explizit für „gut“ befunden werden). Da eine sekundäre Streichung bzw. Deplatzierung der Formelelemente in MT kaum zu erklären, und Textausfall bzw. Textverderbnis eher unwahrscheinlich ist,18 wird man die Abweichungen als bewusste Änderungen der Septuaginta verstehen müssen, die den Text harmonisiert hat. Da auch die sogleich zu benennenden weiteren Abweichungen zu einem Gutteil auf bewusste Herstellung größerer Textstringenz durch LXX zurückzuführen sind, und die genannte Harmonisierungstendenz auch in den weiteren Kapiteln der Genesis-Septuaginta erkennbar ist,19 erstaunt dieser Befund kaum. Eine solche Auffüllung des Formulars bietet auch 1,9 durch die Einfügung des Tatberichtes και ̀ συνήχθη τὸ ὕδωρ τὸ ὑποκά τω τοῦ οὐ ρανοῦ εἰ ς τὰ ς συναγωγὰ ς αὐ τῶν και ̀ ὤφθη ἡ ξηρά , wodurch alle acht Schöpfungswerke neben dem Wort- auch einen Tatbericht haben. Der Befund ist hier gleichsam schwieriger: Verschiedentlich ist schon darauf hingewiesen worden, dass der ergänzte Tatbericht fürs Griechische unüblich singularisch geschriebenes „Wasser“ durch ein pluralisches Personalpronomen aufnimmt (τὸ ὕδωρ – συναγωγὰ ς αὐ τῶν).20 Dies sei nur vom Hebräischen zu erklären, wo „Wasser“ stets im Plural belegt ist. Entsprechend wird der Tatbericht von Gen 1,9LXX auf eine hebräische Vorlage zurückgeführt, und diese zum ursprünglichen Genesistext erklärt (BHS: ~yIm;V'h; tx;T;mi ~yIM;h; WwQ'YIw:

18 Wie der masoretische Text von Gen 1 ausgehend von dem (von ihnen postulierten) LXXAusgangstext entstanden sein soll, beantworten weder Schmidt, Schöpfungsgeschichte noch Steck, Schöpfungsbericht. Dass auch Gen 1 korrigiert werden konnte, wo ein Fehler beim Abschreiben vermutet wurde, zeigen die Revisionen des LXX-Textes (vgl. etwa α᾽, σ᾽, θ᾽ zu 2,2a). 19 Vgl. Rösel, Übersetzung, 37 mit Anm. 40; 40 f.72 f. u. ö. sowie 247–254 zu den Intentionen von GenLXX insgesamt; ders., Value, bes. 64–67; Hendel, Text, 81–92; Lange, Handbuch, 125–127. GenLXX hat weit mehr Harmonisierungen als die anderen Bücher des Pentateuch. Vgl. Hendel, aaO., 84. Kritisch Cook, Exegesis, 101 ff.; ders., Septuagint, 317 ff.; Aejmelaeus, Vorlage, 78–85. 20 Vgl. Wellhausen, Composition, 184 (s. o. Anm. 14); Levin, Tatbericht, 124 f.; Hendel, Value, 33 f.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

28

Der priesterschriftliche Schöpfungsbericht Gen 1,1–2,3

hv'B'Y:h; ar"Tew: ~h,ywEq.mi-la,). Beides ist nicht zwingend: LXX könnte hier einerseits auf einem nicht-(proto-)masoretischen Text basieren, also beispielsweise auf einer überarbeiteten Fassung von MT. Und andererseits verwendet LXX auch in 1,10 sowie 1,20.21.22 „Wasser“ im (Neutrum) Plural (τὰ συστήματα τῶν ὑδά των bzw. τὰ ὕδατα) gegenüber den Singularbelegen in 1,2.6(3x).7(2x).9(2x). Dass in V. 9a „Wasser“ im Singular, in V. 9b – nach dem Pluralwort „Ansammlungen“ – aber im Plural steht, könnte von der ähnlich lautenden Wendung in V. 10a herrühren, wo die „Zusammenstellungen der Wasser“ (τὰ συστήματα τῶν ὑδά των) für beide Teile pluralisch formuliert sind21 – bei den „Zusammenstellungen“ im Übrigen gegen MT (hwEq.m:i Sg.)22 –, und entspricht der allgemeinen Regel, dass „Greek does not like … any incongruity of plural and singular forms“.23 Man muss sich schon ernsthaft fragen, ob LXX εἰ ς τὰ ς συναγωγὰ ς αὐ τοῦ übersetzt hätte. Darüber hinaus kann eine inhaltliche Differenzierung gemacht werden zwischen dem unbestimmten „Urwasser“, das schon immer auf Erden war (alle Singularbelege), und den verschiedenen Ansammlungen von Wasser in Meeren, Seen, Flüssen etc., wie sie erst durch die Unterscheidung von Land und Wasser zustande kommen (alle Pluralbelege). Diese Ausdifferenzierung ist tatsächlich erst im zweiten Teil des hinzugefügten Ausführungsteils vollzogen, im ersten Teil ist es noch das „Urwasser“, das sich sammeln muss. Wenn nun aber solche exegetische Intentionen bei einer Abweichung der griechischen Übersetzung gegenüber dem hebräischen bzw. masoretischen Text beschrieben werden können, muss diese Abweichung kaum auf eine (hebräische) Vorlage und erst recht nicht auf einen gegenüber MT ursprünglicheren Text zurückgeführt werden – zumal bei einem Text, der an so vielen Stellen so frei mit seiner Vorlage umgeht.24

21 22 23 24

Vgl. Rösel, Übersetzung, 39. Vgl. Wevers, Notes, 6. Tov, Septuagint, 158. Vgl. Tov, Septuagint, 39 ff.57 ff. und passim: „However, cautious scholarship attempts to delay the assumption of underlying variants as long as possible. When analyzing the LXX translation for text-critical purposes, one should first attempt to view deviations as the result of inner-translational factors…“ AaO., 40. Tov zählt aaO., 86–88 Gen 1,9LXX zu den freien Übersetzungen, deren Vorlage nur bedingt rekonstruierbar ist, und führt die Abweichung von MT auf die Übersetzung zurück. In ders., Harmonizations, 21 f. führt er die Abweichung hier jedoch auf eine hebräische Vorlage zurück (vgl. auch Cook, Exegesis, 101 ff.; ders., Septuagint, 317 ff., der inhaltliche Gründe für eine nachträgliche Änderung des hebräischen Textes annimmt; Aejmelaeus, Vorlage, 81.83). Das halte ich aus zwei Gründen für unwahrscheinlich: Erstens wäre die fast wörtliche Übereinstimmung von Befehl und Erfüllung singulär im hebräischen Text (s. u. Kap. 2.2.3 zu Gen 1,9–10), und zweitens lässt sich die konkrete Formulierung in LXX wie oben gezeigt inhaltlich erklären. Macht man dagegen für die Abweichung in LXX nicht inhaltliche Gründe verantwortlich, könnte man auf die Inkonsistenz bei der Singular- bzw. Plural-Formulierung auch bei den Tieren hinweisen: LXX verwendet die Tiere teils im Singular (1,21.30), teils im Plural (1,20 (.21).22.24.25.26.28.30), wo in MT stets kollektiv zu verstehender Singular steht.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Der Text von Gen 1,1–2,3

29

Als weiteres Argument für die LXX-Fassung von 1,9 als die gegenüber MT ursprünglichere Textgestalt wurde die Lesung von 4QGenk angebracht:25 Fragment 1 des Manuskriptes liest (ausschließlich!) hX]bšyh artw, was der von Eissfeldt in BHS vorgeschlagenen Rückübersetzung aus 1,9LXX, hv'B'Y:h; ar"Tew: ~h,ywEq.mi-la, ~yIm;V'h; tx;T;mi ~yIM;h; WwQ'YIw:, zu entsprechen scheint. Die These ist kritisch zu betrachten: (hv'B'Y:h;) ar"Tew: kann, muss aber nicht hinter και ̀ ὤφθη (ἡ ξηρά ) gestanden haben.26 Möglich ist genauso, dass das h nach artw ausgelassen ist, wie dies für Jussivformen von Verbae tertiae infirmae häufig belegt ist (vgl. nur 1,22).27 Das entsprechende Fragment gibt dann den Wortbericht von 1,9 wieder. Damit entspricht es entweder dem masoretischen Text lediglich mit einer orthographischen Variante, oder aber artw ohne h in 4QGenk könnte eine bewusste Angleichung an artw ohne h in 1,22MT sein (in 4QGenk nicht überliefert) – ähnlich wie 4QGenk die Glieder der Bestimmungen für die Lichter in 1,14 einander korrigierend angleicht ([~yn]Xšlw gegen MT ~ynIv'w>; eine weitere Korrektur gegenüber MT findet sich in 3,1: @ah). Anstatt ausgehend von nur zwei (teilweise) erhaltenen Worten einen Text zu postulieren, der sich nicht zwingend daraus ergibt, und der einzig in der in Gen 1 ohnehin verdächtigen LXX klar bezeugt ist, sollte also am masoretischen Text als Vorlage für 4QGenk festgehalten werden. Dies umso mehr, als 4QGenk auch etwa in 1,14 (Frgm. 2 Z.2) MT folgt, wo Smr und LXX #rah l[ ryahl (LXX mit anderer Formulierung; s. u.) hinzufügen, ebenso in 3,1 (Frgm. 5 Z.2) mit MT liest, wo LXX explizierend das Subjekt der Rede wiederholt (ὁ ὄφις), und da, wie gesehen, für LXX nicht zwingend eine hebräische Vorlage angenommen werden muss.28 Daraus folgt: Die Hinzufügung des Tatberichtes in 1,9 durch die Septuaginta rührt von der genannten Harmonisierungstendenz dieser Übersetzung her. Sie ist von den anderen Versiones nicht gedeckt, in Qumran (entgegen dem Dafürhalten des Herausgebers der entsprechenden Fragmente) nicht

25 Vgl. Davila, Readings, 9–11 und die Rekonstruktion durch Davila in DJD XII, 75 ff. Pl. XII, hier 76. Das zur Diskussion stehende Textfragment datiert in die Herodianische Zeit, ca. 1–30 n.Chr. (vgl. ebd.). Davila gefolgt ist auch Hendel, Text, 25–27.120 f.; ders., Value, 33 f. 26 Vgl. auch Rösel, Übersetzung, 40: Die Übertragung mit Imperfekt Niphal richtet sich nach Stellen wie Gen 17,1; 18,1; 26,2 u. ö. Möglich wäre nach Gen 8,5; 9,14 auch Niphal Perfekt. 27 Vgl. GKB §75k: „Eine stark hervortretende Eigentümlichkeit der Verba h``l ist endlich die Bildung des Jussiv und des Imperf. consec. mit Abwerfung der Endung h–,. Diese Verkürzung findet sich in allen Konjj. und zieht z. T. noch anderweitige Veränderungen in der Vokalisation nach sich…“ Als Beispiel kann Gen 1,22 genannt werden, wo MT bry hat, wohingegen etwa 4QGeng (DJD XII, 57 ff. Pl. XII) und Smr hbry schreiben (s. u. mit Anm. 78). 28 Vgl. zu 4QGenk auch Lange, Handbuch, 50 f.153, der dem Text einen gegenüber LXX „eher … eigenständigen Charakter“ zuschreibt (aaO., 51), aufgrund der geringen Textmenge aber auf eine texttypologische Einordnung verzichtet.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

30

Der priesterschriftliche Schöpfungsbericht Gen 1,1–2,3

sicher belegt und auch aus dem griechischen Text, der selber nicht zwingend auf einer hebräischen Vorlage basiert, nicht abzuleiten.29 Weiter ist in 1,9 auch ~Aqm' nicht in hw und nicht ~l,c., Gegen Cook auch Rösel, Übersetzung, 50, der die Auslassung auf einen Lesefehler (Homoioarkton) oder auf Straffung des Textes zurückführt. 62 So auch BHS; Westermann, Genesis, 108.110. Von Rad, Genesis, 28 streicht in seiner Übersetzung das zweite ~yhil{a/ diskussionslos. Pro MT dagegen auch Leuenberger, Segen, 388 Anm. 839. 63 1,28 hat gegenüber 1,26 nur πά ντων vor τῶν κτηνῶν zusätzlich. Andere Textaufteilung bei Rösel, Übersetzung, 51. Eine Harmonisierung findet sich auch in BHS, wo im Anschluss an V. 26 hmhbbw hyx lkbw vorgeschlagen wird. Auch die Luther-Bibel (1984) fügt harmonisierend „und das Vieh“ hinzu (ebenso Kaiser, Gott, 309). Von den Versiones geht nur Syr mit LXX. 64 Vgl. Rösel, Übersetzung, 51. 65 Vgl. Rösel, Übersetzung, 51. Mit LXX dagegen Hendel, Text, 32.122 f.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

36

Der priesterschriftliche Schöpfungsbericht Gen 1,1–2,3

1,31: Andere Formulierung: Pluralformulierung bei der Billigungsformel (καλὰ ; vgl. 1,21); „der sechste Tag“ in LXX ohne Determination als Angleichung an die vorangehenden Tagesformeln. 2,1: Andere Formulierung: Auch wenn der Vers in seinem Zusammenhang insgesamt schwierig ist, und die genaue Bedeutung von ~a'b'c.-lk'w> erst noch zu erheben ́ μος αὐ τῶν keine sein wird, stellt die Wiedergabe von ~a'b'c.-lk'w> mit και ̀ πᾶς ὁ κοσ wörtliche Übersetzung, sondern eine Deutung dar (vgl. Vg: et omnis ornatus eorum).66 2,2: Andere Tageszählung: sechster statt siebter Tag in V. 2a (mit Smr, Syr und einem Gutteil der Handschriften von Lat sowie Jub 2,1.16.25):67 Die Änderung zielt auf eine besondere Heiligung des Sabbats und stellt damit lectio facilior dar.68 Pluralformulierungen bei „Werke“.69 2,3: Andere Formulierungen: Pluralformulierung bei „Werke“ (statt „Werk“); -rv,a] tAf[]l; ~yhil{a/ ar"B' wird wiedergegeben mit ὧν ἤρξατο ὁ θεὸς ποιῆσαι: Hier treten

́ übersetzten die beiden in MT unterschiedenen, in Gen 1LXX sonst immer mit ποιεω Schöpfungsverben zusammen auf. Dabei wird arb im Rückbezug auf 1,1 (tyviarEB. – ᾽Εν ἀ ρχῇ) mit ἄρχω übersetzt, somit nicht mehr als Schöpfungsverb übertragen.70 2,4: Andere Formulierungen: Toledotformel nach Gen 5,1 gebildet; V. 4a: „Himmel und Erde“ gegen MT indeterminiert; V. 4b „Himmel und Erde“ gegen MT determiniert und invertiert; andere Verbalformen; andere Gottesbezeichnung.71

Die Übersicht zeigt deutlich, dass es der griechischen Übersetzung von Gen 1 darum geht, dass die Anordnungen Gottes genauestens ausgeführt werden, wie die gegenseitigen Angleichungen des griechischen Textes in 1,11 f. 14.20 f.28.29.30 zeigen, also etwa bei der aufeinander abgestimmten Reihenfolge von Pflanzen und Tieren im Wort- und Tatbericht der jeweiligen 66 Vgl. Houtman, Himmel, 67–72.194 f.; Rösel, Übersetzung, 52 f.; Ringgren, ab'c,' 875: „Die Übersetzung von ̣sb� in der LXX entbehrt jeder Konsequenz.“ Zu ~a'b'c.-lk'w> s. u. Kap. 2.3.3, zur LXX-Übersetzung bes. Anm. 419. 67 α᾽, σ᾽, θ᾽ korrigieren LXX nach MT. 68 So auch Tov, Septuagint, 79.226 f.; ders., Textual Criticism, 168.270.303; Schmid, Schöpfung, 77 f. sowie die Rabbinen, die jedoch die Textänderung der LXX dahingehend interpretieren, dass LXX der Intention von 2,2 besser entspreche als die MT-Fassung: Der Wechsel des Tages in 2,2a sei eine der bewussten Änderungen der LXX-Übersetzer für Ptolemaios gewesen (wie auch in Gen 1,1.26). Vgl. Tov, Rabbinic Tradition, 86 und passim; Krüger, Schöpfung, 165; zu den rabbinischen Texten Rottzoll, Kommentar, 71 f. Krüger, aaO., 166 plädiert für LXX/Smr/Syr als ursprünglichen Text und rechnet mit einem Abschreibefehler in MT. Mit LXX u. a. lesen etwa auch Procksch, Genesis, 438.451; Speiser, Genesis, 7; Hendel, Text, 32–34.122 f., der „a simple scribal error“ hinter 2,2aMT sieht (aaO., 33); Nodet, Oeuvre, bes. 116 f.122. Doch: Erstens ist MT keineswegs „a reading that makes no sense“ (Hendel, aaO., 33; zu Gen 2,1–3 s. u. Kap. 2.3.3), zweitens lässt sich die bewusste Änderung von MT in den Versiones gut erklären, und drittens ist der Parallelismus 7/7/7 in 2,2 f.MT wesentlich elaborierter als „the nice numerical parallelism of 6/7/7“ von Hendel, aaO., 34 (zum Parallelismus 7/7/7 vgl. Cassuto, Genesis, 61; s. u. Anm. 428). 69 Damit ist MT (kollektiver Sg.) zwar nicht wörtlich, aber sinngemäß übersetzt (vgl. Wevers, Notes, 20). 70 Vgl. auch Cook, Exegesis, 108 ff.; Wevers, Notes, 21. 71 Ausführlich zum textkritischen Befund zu 2,4 s. u. Kap. 2.4 mit Anm. 523.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Der Text von Gen 1,1–2,3

37

Schöpfungstage und in den Redeeinleitungen zum Segen. In diese Ordnungsbemühung, die auch in den Text über die Erschaffung des Kosmos (vgl. 2,1) eine tiefere Ordnung einbringt, passt die Harmonisierung des Schöpfungsformulars: Nicht nur in inhaltlicher Hinsicht, sondern auch auf formaler Ebene sollte die Erschaffung des Kosmos eine Ordnung in die Unordnung, das Chaos,72 hineinbringen.73 Dies zeigt insbesondere 1,9, wo in inhaltlicher und formaler Hinsicht durch die fast wörtliche Entsprechung von Anordnung und Erfüllung nach Einfügung des Tatberichtes diese Ordnungsbemühung ersichtlich wird.

2.1.2 Weitere textkritische Anmerkungen Dem genannten textkritischen Befund zur Septuaginta entsprechen auch die weiteren Versiones, die, wo sie von MT abweichen, als bewusste Änderungen zu interpretieren sind:74 1,5: 4QGeng (DJD XII, 57 ff. Pl. XII) Frgm. 1 Z.4, Syr, TO, TN, TJ und FrgT (MS Paris) lesen statt ~wy das Abstraktnomen ~mwy. „The Peshitta and these Targumim also have this reading instead ~wy in 1:14, 16, 18… The reading ~mwy is clearly secondary in all these passages and seems to be a systematic alteration of ~wy wherever it is used in an abstract sense in 1:1–2:4a.“75 Für 4QGeng ist nur diese Textstelle belegt, Gen 1,14.16.18 sind nur fragmentarisch überliefert. 1,9: 4QGenk (DJD XII, 75 ff. Pl. XII) Frgm. 1 liest hX]bšyh artw, was zuweilen, wohl fälschlicherweise, auf den nur in LXX bezeugten Tatbericht zum dritten Werk hin interpretiert wurde (zur ausführlichen Diskussion s. o.). 4QGeng (DJD XII, 57 ff. Pl. XII) Frgm. 1 Z.10 liest gegen MT ~ymXl txtm, möglicherweise durch [:yqir"l' tx;T;mi aus 1,7 inspiriert.76 4QGenh1 (DJD XII, 61 f. Pl. XII) Z.3 hat hwqm statt ~Aqm' (zusammen mit LXX und Lat: in congregatione(m) una(m) mit einem Gutteil der Handschriften) wohl in Angleichung an 1,10. Da MT und LXX zwei verschiedene Vokabeln aufweisen in V. 9(a) und V. 10, ist die Alterierung jedoch ursprünglich (s. o. mit Anm. 30–32). 1,11: Wie bereits gesagt, ist mit LXX, Smr, Syr, Vg und einigen Handschriften von TJ gegen MT #[ew> zu lesen (s. o. mit Anm. 48). Hier handelt es sich also nicht um eine 72 Zum Begriff des Chaos, der auf Gen 1 nur in übertragener, heutiger, nicht aber im Sinne antiker griechisch-naturphilosophischer Verwendungsweise anwendbar ist, s. u. Kap. 2.3.2. ́ μος für abc erklären, das andern73 Dies mag dann auch die Verwendung des Begriffes κοσ orts in der Genesis mit δύναμις übersetzt wird: Gen 26,26; 31,22.32 (vgl. Rösel, Überset́ μος auch in Dtn 4,19; 17,3; vgl. zung, 52 f.). Dagegen findet sich eine Wiedergabe mit κοσ auch Jes 24,21; 40,26 („Heer/Kosmos der Höhe“; vgl. Alexandre, Commencement, 212– 214). S. u. 2.3.3 mit Anm. 419. 74 Vollständigkeit ist in der Auflistung nicht angestrebt. Insbesondere orthographische Varianten werden i.d.R. nicht genannt. Auf 1,1 ist besonders einzugehen in Kap. 2.3.2. Zu 2,4 s. u. Kap. 2.4 mit Anm. 523. 75 Davila, Readings, 5. Vgl. ders. in: DJD XII, 59. 76 Vgl. Davila, Readings, 6.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

38

Der priesterschriftliche Schöpfungsbericht Gen 1,1–2,3

Änderung der Versiones, sondern um einen Überlieferungsfehler im Codex Leningradensis bzw. in MT. 1,14: Die „Zeichen für Festzeiten und für Tage und Jahre“ wurden unterschiedlich interpretiert: 4QGeng (DJD XII, 57 ff. Pl. XII) Frgm. 2 Z.3 liest ~yd[mlw twtal wyhyw… ~ynXw ~ymy]lš; 4QGenk (DJD XII, 75 ff. Pl. XII) Frgm. 2 Z.3 hat mit LXX, Syr und Lat auch eine Präposition vor „Jahren“ (s. o. mit Anm. 51): ~ymylw ~yd[mlw twtal wyhw [~yn]Xšlw; Vg hat eine Präposition nur vor den „Zeichen“ (in signa); TO präzisiert: Die Leuchten dienen „zu Zeichen, zu (Fest-)Zeiten und zur Zählung von Tagen und Jahren“: !ynXw !ymwy !whb ynmmlw !ynmzlw !ytal !whyw. MT ist gestützt durch Smr beizubehalten (s. o.). Smr fügt aber gegen MT … w #rah l[ ryahl ein, was wohl durch dieselbe Wendung in 1,15 hervorgerufen wurde. Dasselbe gilt für Lat (ita ut luceant super terram), wohingegen LXX in V. 14 (in der Mehrheit der Handschriften) eine andere Konstruktion hat als in V. 15 und somit kaum auf Smr zurückgeht (s. o. mit Anm. 50).77 1,22: 4QGeng (DJD XII, 57 ff. Pl. XII) Frgm. 2 Z.14 und Smr lesen hbry statt der Kurzform bry aus MT.78 In der Segenseinleitung lässt Vg ~yhil{a/ aus; auch in 4QGeng könnte es (aus Platzgründen) nicht gestanden haben.79 Auch Syr formuliert die Redeeinleitung anders, indem der Text an 1,28 angeglichen wird, allerdings ohne die dortige zweifache Nennung Gottes: wbrk �nwn �lh�. w�mr lhwn… 1,24: Statt #rx;w> bietet Smr #rah tyxw in Angleichung an 1,25.30. Bei dem auslautenden, betonten wO- in MT handelt es sich um eine littera compaginis (vgl. etwa Ps 50,10; 79,2; 104,11.20; Jes 56,9; Zeph 2,14).80 1,26: Die Gottesebenbildlichkeit (WnteWmd>Ki Wnmel.c;B.) wird von Smr wntwmdkw wnmlcb gelesen. Ebenso fügen LXX, Vg und Lat „und“ ein und folgen bei den Präpositionen ́ σιν; ad und den Personalsuffixen nicht MT: κατ᾽ εἰ κον́ α ἡμετερ́ αν και ̀ καθ᾽ ὁμοιω imaginem et similitudinem nostram (Vg und Lat). Syr hat bṣ lmn �yk dmwtn. TO stimmt dagegen mit MT überein. Beim Herrschaftsauftrag fügt Syr „(über alles)

77 #rah l[ ryahl (Smr) könnte auch in 4QGeng (DJD XII, 57 ff. Pl. XII) gestanden haben, jedoch sind die Platzverhältnisse unsicher: Vgl. Davila, Readings, 6 f.; ders. in: DJD XII, 60. 78 S. o. mit Anm. 27 zu Gen 1,9. 79 Vgl. Davila, Readings, 7; ders. in: DJD XII, 60. 80 Vgl. GKB §90k; 90o; Bauer/Leander, Grammatik, 522–525. Die Belege können kaum als durchgängig alt, bzw. „archaisch“ bezeichnet werden. Daher ist das Argument von Lubsczik, Wortschöpfung, 199 (vgl. auch Hutzli, Tradition, 9 mit Anm. 21), 1,24 (und damit die Wortschöpfung in Gen 1 insgesamt) sei wegen dieser „archaische[n] Form“ älter als 1,25 (und damit als die Tatschöpfung in Gen 1 insgesamt) mit der „entsprechend der späteren hebräischen Grammatik“ belegten Form #r,a'h' tY:x;, nicht haltbar: Ähnlich verstreut, allerdings zahlreicher, ist auch die Constructusform tY:x; belegt, vgl. nur Gen 2,19.20; 3,1.14 (u. ö.; meist in der Verbindung hd,F'h; tY:x;): Die Paradieserzählung wird von Lubsczik vorpriesterschriftlich datiert. Sein Wortbericht-Grundtext stellt eine Entfaltung von Gen 2 f. dar. Sein Datierungsargument geht also auch hier nicht auf. Zu Lubscziks Ansatz s. u. Kap. 2.2.1 mit Anm. 97. Ähnlich, nur in die andere Richtung, gebraucht Schmidt, Schöpfungsgeschichte, 126 Anm. 2 die littera compaginis als Beleg für seine These einer Wortbericht-Bearbeitung der Tatbericht-Vorlage und interpretiert sie als „spätere archaisierende Bildung zur Klangverschönerung der Sprache“.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Der Text von Gen 1,1–2,3

39

Getier (der Erde)“ (wbklh ḥ ywt� d�r��) ein – gefolgt von BHS (#rah tyx lkbw) und zahlreichen Exegeten.81 1,28: Smr determiniert das sich auf der Erde regende Getier: -l[ tXmrh hyxh lkbw #rah (so auch LXX und Syr), was angesichts von 1,21 (hY"x;h; vp,nB'hiB.) als Titel und 1,2; 2,1. Der Tatbericht (mitsamt den Segnungen, 1,1.4b sowie ~a'r>B'hiB. in 2,4a) wäre die priesterschriftliche Redaktion (PG) zur Korrektur des vorangehenden noch polytheistischen Schöpfungstextes. Noch später seien das Tageschema und 2,2–3 (sowie möglicherweise einige weitere Zusätze). Schwierig für diese Interpretation sind 1,12, wo nicht Gott der Erschaffer/Macher ist, und 1,26 mit hf[ im Wortbericht. Darüber hinaus muss Hutzli in 1,8.20 mit LXX gegen MT lesen. 98 Schmidt, Schöpfungsgeschichte, 18 f. 99 Spricht Schmidt im Titel des betreffenden Abschnittes tatsächlich von „Urtext“ (vgl. ders., Schöpfungsgeschichte, 161), so relativiert er im Folgenden: Da „der theologische Gestaltungswille schon in die Tradition“ eingriff, lässt sich aus Gen 1 kein literarkritisch gewon-

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Die Geschehensformel und Gen 1,3–31

45

Schmidt die enge Verknüpfung von Wortbericht und Vollzugsbestätigung, wodurch dieser innerhalb des Formelwerkes eine zentrale Funktion zukommt: Sie bestätigt den Vollzug des Gotteswortes, auf das sie folgt, zeigt also an, „daß geschah, wie Gott sagte“.100 Wie Humbert zieht auch Schmidt die Belege der Geschehensformel von außerhalb Gen 1 in die Untersuchung mit ein. Wie schon die Belege in Gen 1 deutet er auch Ri 6,38; 2Reg 7,20; 15,12 gegen Humbert als Bestätigung eines sich bereits zuvor ereigneten Geschehens, das auf ein Wort zurückgeht: „Die Formel sagt also, daß das Wort eintrat; das Wie bleibt offen, kann aber ergänzend berichtet werden (2. Kg 7 20; vgl. Ri 6 38.40). So wird in Gen 1 das Nebeneinander von Wort- und Tatbericht möglich.“101 Das Wort Gottes ist also alleine schöpferisch tätig, es bedarf keiner sich daran anschließenden ausgeführten Tat. Da die Formulierungen des Wortberichtes den Tatbericht jedoch voraussetzen, handelt es sich beim Wortbericht gemäß Schmidt um eine priesterschriftliche Interpretation des traditionell vorgegebenen Tatschöpfungsberichts.102 4.) Literarische Einheitlichkeit: Gegen Schmidts überlieferungsgeschichtliche Unterscheidung von Tat- und Wortbericht hat sich insbesondere Steck gewandt. Steck geht dabei von einer ausführlichen Untersuchung der Geschehensformel an allen Belegstellen aus.103 Für ihn hat die Formel eine „konstitutive Zwischenstellung“ „zwischen Wiedergabe des Wortes und Wiedergabe des Geschehens“.104 Es handelt sich nicht um eine Bestätigung eines bereits vollzogenen Geschehens, sondern eher um eine Art Aufmerksamkeitserreger, einen „Erkenntnishinweis für den Hörer oder Leser“,105 der darauf hinweist, dass das zuvor ergangene Wort im Folgenden genau so in Erfüllung gehen wird: „[D]ie Formel weist mit der Leeraussage yhyw auf den folgenden Geschehensbericht vor und qualifiziert ihn mit dem auf das Wort zurückweisenden !k als Wiedergabe des dem Wort entsprechenden Geschehens! Die Formel besagt also nicht einfach, ‚daß das Wort eintrat‘, sondern stellt heraus, daß das vorangehende Wort in einem ebenfalls, meist anschließend, berichteten Geschehen eine ihm entsprechende, also folgerichtige Verwirklichung erfahren hat.“106 Daher gilt: „Als Übersetzung der Formel, die die ihr immanenten Relationen ausdrücklich macht, empfiehlt sich: ‚und dementsprechend (!k, auf das Wort bezogen) geschah es [folgen-

nener „Urtext“ erschließen, „sondern nur das jeweils älteste, noch mit einiger Sicherheit erkennbare Stadium in einem langen Überlieferungsprozeß…“ AaO., 161. 100 Schmidt, Schöpfungsgeschichte, 57. 101 Schmidt, Schöpfungsgeschichte, 58. 102 Vgl. die in Anm. 96 genannten Arbeiten. 103 Vgl. Steck, Schöpfungsbericht, 32–61. 104 Steck, Schöpfungsbericht, 35 u. ö. 105 Steck, Schöpfungsbericht, 39 u. ö. 106 Steck, Schöpfungsbericht, 35 (Herv. im Original).

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

46

Der priesterschriftliche Schöpfungsbericht Gen 1,1–2,3

dermaßen] (Geschehen):‘, als Bezeichnung statt des unzutreffenden Ausdrucks ‚Vollzugsbestätigung‘ richtiger: ‚Feststellung folgerichtiger Entsprechung‘.“107 Die Dreiheit von Wort – Formel – Geschehen108 ist zugleich eine Einheit: Die Formulierungs-Differenzen in Tat- und Wortbericht sind daher nicht überlieferungsgeschichtlich auszuwerten. Vielmehr besteht jeder einzelne Schöpfungsvorgang aus der auf den „Dauerzustand“ des zu Erschaffenden ausgerichteten Anordnung (etwa das Wimmeln der Wasser von Tieren in 1,20) und der diesen künftigen „Dauerzustand“ ermöglichenden „einmaligen Erstellung des Schöpfungswerkes“,109 der „Erstausführung“ (etwa die Erschaffung der Wassertiere und die Ermöglichung, dass sie sich mehren in 1,21 f.). Dabei besteht die „Erstausführung“ aus mehreren göttlichen Akten, umfasst also nicht nur die sog. „Ersterschaffung“, also „das Element, das die Schöpfungstat berichtet und in der Forschung ‚Tatbericht‘ genannt wird“,110 sondern auch die weiteren Handlungen Gottes, also Benennung, Billigung und Segnung (so vorhanden).111 Die Geschehensformel steht nach Steck stets zwischen den beiden Darstellungsaspekten und gleicht diese miteinander aus: „[D]ie in den Aspekten des Schöpfungsvorgangs: Anordnung des Dauerzustands – grundlegende Erstausführung begründeten Spannungen unterschiedlich-akzentuierender Formulierungen in der Fassung beider Teile werden durch die Formel als Modi eines Geschehens, als Sachidentität beider Phasen des Schöpfungsvorgangs dargetan…“112 Steck kommt so zu dem Schluss, „daß Gen1,1–2,4a in literarischer wie in überlieferungsgeschichtlicher Hinsicht eine Einheit ist, ein Sinnganzes, auf das jedes seiner Teile vollgewichtig bezogen ist. Der Text trägt an

107 Steck, Schöpfungsbericht, 36 (Herv. und alle Klammersetzungen im Original). 108 Vgl. Steck, Schöpfungsbericht, 36 u. ö. 109 Steck, Schöpfungsbericht, 70. 110 Steck, Schöpfungsbericht, 69. 111 Zur Aufgliederung der „Erstausführung“ in mehrere Teile vgl. schon Steck, Schöpfungsbericht, 47 und bes. 70 Anm. 255 (vgl. dazu auch, unabhängig von Steck, Monsengwo Pasinya, Cadre, 229: „il serait inexact de croire que l’action créatrice se limite à la production des oeuvres… L’action créatrice est le point de départ d’une action qui se perpétue dans le temps.“). Steck führt seine Unterscheidung der beiden Darstellungsaspekte „Dauerbestand“ und „Erstausführung“ bei seiner Untersuchung von Gen 1,20–22 ein (vgl. aaO., 61–72, bes. 68–71) und wendet sie dann auf alle Schöpfungswerke in Gen 1 an. Er findet diese „Differenzierung von Daueraspekt und dem Aspekt einmaligen, grundlegenden Handelns“ aber auch außerhalb von Gen 1 und außerhalb von P (aaO., 71 f. und davor schon aaO., 52 Anm. 180; 53 Anm. 181; 55). Den Ausgang der Untersuchung bei einem Werk zu nehmen, das im für ursprünglich zu erachtenden MT die Geschehensformel gerade nicht aufweist, ist methodisch jedoch nicht unproblematisch. Die Analyse der einzelnen Werke (s. u. Kap. 2.2.2) wird aber zeigen, dass die Unterscheidung von Daueraspekt und dem Aspekt einmaliger Hervorbringung hohen Erklärungswert besitzt und daher beibehalten werden kann. Nur die Verkomplizierung dieser These mit unhaltbaren textkritischen Argumenten ist zu verwerfen: Es wird sich gerade bei der Besprechung von Gen 1,20–23 zeigen, dass auch ohne die Geschehensformel beide Darstellungsaspekte eine Einheit bilden. 112 Steck, Schöpfungsbericht, 71 (Herv. im Original).

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Die Geschehensformel und Gen 1,3–31

47

keiner Stelle Spuren eines allmählichen Werdens von der Art an sich, daß korrigierende, interpretierende, modifizierende Wachstumsschichten im Laufe der Zeit übereinander gekommen wären…“.113 Soweit der forschungsgeschichtliche Abriss insbesondere zum Formular von Gen 1. Fragen der Textgliederung und der Datierung werden im weiteren Verlauf der Arbeit zur Sprache kommen.114 Übergangen wurden in der obigen (knappen!) Darstellung u. a. die Kommentare von Gunkel und Westermann.115 Gunkels Kommentar ist v. a. in traditionsgeschichtlicher Hinsicht von Bedeutung. Auf die Scheidung von Tat- und Wortbericht geht er auch in späteren Auflagen nicht näher ein.116 Westermanns Kommentar wurde in der Forschungsdebatte bezüglich der hier behandelten Frage durch den Antagonismus zwischen Schmidt und Steck etwas in den Schatten gestellt. Westermann übernimmt zahlreiche Einsichten Schmidts,117 hat aber durchaus eine von ihm abweichende Position:118 Er hält an der Unterscheidung von Tat- und Wortbericht fest, verweist auch den Tatbericht in die der Pries-

113 Steck, Schöpfungsbericht, 243. 114 Zu Ersterem s. u. Kap. 2.3.1; 2.3.4, zu Letzterem s. u. Kap. 4.1.2. 115 Eine Problematik ganz eigener Art weist der Rekonstruktionsversuch Buddes auf: Ohne zwischen Tat- und Wortbericht im obigen Sinne zu unterscheiden weist Budde, Wortlaut einen Tat- und Wortschöpfungsaussagen umfassenden Schöpfungsbericht (zum „Wortlaut“ vgl. aaO., 66–88) seinem von babylonischen Schöpfungstraditionen stark geprägten J2 zu (zum „Werden“ vgl. aaO., 88–97; vgl. schon ders., Urgeschichte, 463 ff.470 ff., bes. 485–496), der damit die Paradieserzählung von J1 ersetzt habe. Dieser Bericht weist zahlreiche Unterschiede gegenüber Gen 1 auf (1,7a.18a.22.30a sind sekundär, ebenso das Sieben-Tage-Schema; 1,14 ff. stand ursprünglich im Anschluss an 1,10; die Geschehensformeln in 1,15b.24b sind zumindest verdächtig; dazu zahlreiche weitere Änderungen im Wortlaut und Textbestand). Diese Vorlage sei von P aufgenommen und durch das Sechstagewerk und den „Sabbat“, wozu P von E (Ex 20,11) sich habe inspirieren lassen, erweitert worden. Zugleich habe P die Erschaffung der Gestirne an ihren jetzigen, in MT überlieferten, Ort umgestellt. Ob die weiteren Textänderungen (s. o.) auf P oder spätere Bearbeiter zurückgehen, lässt sich Buddes Argumentation nicht entnehmen. Die Rekonstruktion ist (auch abgesehen von den einzelnen, je für sich problematischen Textänderungen) insofern problematisch, als „P’s eigene Vorstellung von der Schöpfung“ aus der Wortschöpfung mit absoluter Souveränität Gottes bestehe (vgl. aaO., 93), dass aber gerade die Wortschöpfungsaussagen alle schon der Vorlage zugeschrieben werden (die eigentlich eher eine Tatschöpfungstheologie vertrete, was Budde merkwürdigerweise mit Verweis auf die in J2 nicht vorausgesetzte [vgl. aaO., 91] Paradieserzählung Gen 2 f. von J1 zu belegen sucht [vgl. aaO., 93 f.]), die Ergänzungen von P dagegen insbesondere Tatschöpfungsaussagen nachtragen (der siebte Tag – mit dreimaliger Verwendung von hf[ – ergibt nur Sinn im Zusammenhang mit vorausgehender (Schöpfungs-)Arbeit). Da auch das Sieben-TageSchema von P nur entlehnt sei (s. o.; vgl. aaO., 91 Anm. 2), stammt von P letztlich nur die Zusammenstellung unterschiedlicher Traditionen – aber kaum eine eigene Theologie. Die Zuweisung seiner rekonstruierten Texte an seine postulierten Autoren ist zu problembeladen, um überzeugen zu können. 116 Vgl. seit der 3. Auflage den Verweis auf Schwally und Stade: Gunkel, Genesis, 118 f. 117 Vgl. Westermann, Genesis, 115 f. 118 Vgl. Westermann, Genesis, 116 ff.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

48

Der priesterschriftliche Schöpfungsbericht Gen 1,1–2,3

terschrift vorliegende Tradition und sieht im Wortbericht den „Hauptbestandteil der eigenen Worte des P“,119 doch hält er – völlig zu Recht – die einfache Gegenüberstellung von Tradition und Interpretation als Schlüssel für die Entstehung von Gen 1 für unbefriedigend: Die Priesterschrift hat für Gen 1 Traditionen aufgenommen und zugleich eigene theologische Gedanken eingebracht. Dabei hat sie einerseits auch in die Tradition (also in den Tatbericht) produktiv eingegriffen,120 und andererseits enthält auch der P zugeschriebene Wortbericht traditionelle Elemente.121 Westermann kommt zu folgendem Schluss: „Deshalb ist es eine Vergröberung des Tatbestandes, wenn man Gn 1 in einen ‚Wortbericht‘ und einen ‚Tatbericht‘ aufteilen will; der ‚Wortbericht‘ hat als solcher nie existiert, und der ‚Tatbericht‘ ist nicht rekonstruierbar.“122 Gleichwohl gelangt Westermann zu einer inhaltlichen Bestimmung des priesterschriftlichen „Interpretaments“: In der gleichmäßigen Abfolge von „Und Gott sprach“ – Befehl im Jussiv – Geschehensformel – Billigungsformel – Tagesformel erkennt er „die Struktur des Ergehens eines Befehls“: „Für P beruht alles Geschehende auf dem gebietenden Wort Gottes.“123

2.2.2 Die Geschehensformel außerhalb Gen 1124 Der forschungsgeschichtliche Abriss hat gezeigt, dass für die Relationierung von Wort- und Tatbericht, und damit letztlich für die Frage der Entstehung von Gen 1, der Geschehensformel großes Gewicht zukommt. Im Folgenden sind daher alle Belege der Geschehensformel in ihrem Kontext zu analysieren: Gen 1,(3.)7.9.11.15.24.30; Ri 6,38(.40); 2Reg 7,(18.)20; 15,12. Dabei wird zugleich eine kurze Kommentierung der einzelnen Schöpfungswerke von Gen 1 geboten. Der Durchgang wird zeigen, dass weder Schmidt noch Steck mit ihren „eindeutigen“ Lösungen überzeugen können: Es handelt 119 Westermann, Genesis, 117. 120 Vgl. Westermann, Genesis, 121–123. 121 Vgl. Westermann, Genesis, 116. 122 Westermann, Genesis, 120. In seiner Kommentierung ist allerdings die Sonderung von Tat- und Wortbericht, von Tradition und priesterschriftlicher Interpretation, leitend, vgl. nur seine Auslegung zu 1,6–8. Allgemein zur Sonderung von Tradition und Deutung losgelöst von Tat- und Wortbericht vgl. etwa seine Aufdröselung von 2,1–3 in drei literarische Schichten: 1.) 2,1 (traditionell); 2.) 2,2a.3a (P); 3.) 2,2b.3b (Rahmung zu 2,3a; möglicherweise auch von P). Vgl. aaO., 231 f. 123 Westermann, Genesis, 117 f., hier 118. Gefolgt ist ihm etwa Anderson, Study, 151–154 („command-execution structure“). Westermann unterscheidet zwischen den Befehlen im Rahmen des Schöpfungsvorganges, die noch keinen Adressaten, kein „Gegenüber“ (gemeint sind Menschen) haben, und den Befehlen in der Geschichte, die an Menschen ergehen. Er betrachtet Gen 1 somit bewusst als Teil der Priesterschrift und nicht losgelöst von ihr. Steck, Schöpfungsbericht, 48 f. mit Anm. 165 hat daran kritisiert, dass der von Westermann postulierte Befehls-Ablauf außerhalb von Gen 1 nicht mehr begegnet, in Gen 1 dafür das sonst vielfach belegte Verb für „befehlen“, hwc, nicht belegt ist (vgl. dazu aber auch Westermann, aaO., 152 ff., bes. 154). 124 Vgl. dazu bes. Humbert, Zweiheit, 31; Schmidt, Schöpfungsgeschichte, 57 f.; Steck, Schöpfungsbericht, 32–39.283. Zu Am 5,14 vgl. Schmidt, aaO., 57 Anm. 4; Steck, aaO., 35 Anm. 112.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Die Geschehensformel und Gen 1,3–31

49

sich bei der !ke-yhiy>w:-Formel weder um eine „Feststellung folgerichtiger Entsprechung“ in der Steckschen „Zwischenstellung“, noch um eine „Vollzugsbestätigung“, die eine darauf folgende Ausführung des Vollzugs ausschließen würde (gegen Schmidt). In der vorliegenden Arbeit ist daher abgeleitet von der deutschen Übersetzung von der Geschehensformel die Rede:125 Da ein Geschehen in der Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft liegen kann, trifft die Bezeichnung einerseits dort zu, wo die Formel zwischen Wortund Tatbericht steht, und wo die Bezeichnung „Vollzugsbestätigungsformel“ versagt, und andererseits dort, wo die Formel nach dem Handlungsvollzug steht, und wo die Bezeichnung „Feststellung folgerichtiger Entsprechung“ versagt. Die Analyse aller Belege der Geschehensformel wird im Übrigen noch einmal bestätigen, dass der masoretische Text von Gen 1 nicht nach der Septuaginta hin zu korrigieren ist, sondern dass der masoretische Text in der vorliegenden Form planvoll gestaltet ist – samt den scheinbaren Abweichungen gegenüber dem rekonstruierten Formular. Der nun folgende Durchgang durch alle Belege der !ke-yhiy>w:-Formel setzt – quasi als Kontrollschritt – mit den Belegstellen außerhalb von Gen 1 ein: 1.) Ri 6,38(.40): Gideon ersucht in Ri 6,36 f. Gott um ein Antwort darauf, wie der Krieg gegen Midianiter und Amalekiter für die Israeliten enden werde. Dazu fordert er ein Zeichen von Gott. !ke-yhiy>w: in V. 38aα bezieht sich nun einerseits auf die angekündigte Tat Gideons (das Bereitlegen geschorener Wolle) und andererseits auf die Erfüllung des geforderten Zeichens: Die auf Gideons Tat folgende, im Text nicht ausgeführte Tat Gottes (das Benetzen mit Tau einzig der Wolle), ist in V. 38aβγb als vollzogen vorausgesetzt.126 Bestätigt wird dies durch die Wiederholung der Zeichenforderung in V. 39 und der nun ausgeführten Tat Gottes in V. 40a: !Ke ~yhil{a/ f[;Y:w: berichtet den Vollzug des in V. 39 geforderten Handelns Gottes. V. 40a kann mithin als Tatbericht gelesen werden und steht in klarer Analogie zur Geschehensformel in V. 38aα. V. 40b beschreibt dann das Resultat der Handlung Gottes, expliziert also das !Ke von V. 40a, und steht damit in klarer Analogie zu V. 38aβγb.127 !Ke zeigt hier somit an, dass die Ausführung (V. 40b) folgerichtig der Bitte (V. 39bβγ) entspricht, was durch die Korrespondenz von yhiy> und yhiy>w: deutlich zum Ausdruck kommt (vgl. Gen 1,3.6 f.14 f.).128 125 Vgl. auch Witte, Urgeschichte, 121. Dagegen sind die Bezeichnungen „Abschlußformel“ (Pola, Priesterschrift, 123.340; s. u. Exkurs 1) oder „Vollzugsformel“ (Arneth, Fall, 28) ebenso unpassend wie „Vollzugsbestätigungsformel“. 126 So auch Schmidt, Schöpfungsgeschichte, 58. Gegen Steck, Schöpfungsbericht, 33 mit Anm. 105 ist V. 38aβγb nicht als „Bericht vom Eintritt des Geschehens“ zu werten. Berichtet wird die Folge des Geschehens: Gideon konstatiert nicht das Nass-Werden der Wolle, sondern ihr Nass-Sein. 127 Gegen Steck, Schöpfungsbericht, 33 Anm. 105. 128 Dabei bezeichnet auch V. 40b gegen Steck, Schöpfungsbericht, 33 keinen „Geschehenseintritt“: Es wird kein Geschehen, sondern vielmehr ein Zustand beschrieben, den die Tat Gottes in V. 40a (also der eigentliche Geschehenseintritt) herbeigeführt hat. Dem jeweili-

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

50

Der priesterschriftliche Schöpfungsbericht Gen 1,1–2,3

2.) 2Reg 7,20: Während der aramäischen Belagerung Samarias (2Reg 6,24 ff.), die in der Stadt zu einer massiven Hungersnot geführt hat, prophezeit Elisa das baldige Vorhandensein von (bezahlbaren) Lebensmitteln (2Reg 7,1). Die Prophezeiung erfüllt sich innerhalb eines Tages (7,16). Der königliche Beamte an der Seite König Jorams schenkt der Prophezeiung jedoch keinen Glauben und wird von Elisa daher von ihr ausgeschlossen (7,2). Als die Prophezeiung in Erfüllung geht, wird der Offizier, dem der König die Aufsicht über den Torbereich als Umschlagplatz für die Nahrungsmittel übertragen hat, entsprechend der Prophezeiung (vyai rB,DI rv,a]K; ~yhil{a/h)' von der Volksmenge zertreten (tmoY"w: r[;V;B; ~['h' Whsum.r>YIw:; 7,17). 2Reg 7,18–20 nimmt diese Handlung als Rückblick, der außerhalb des berichteten Geschehens steht und einzig auf den Leser abzielt, erneut auf. Dabei bezieht sich … K. yhiy>w: in V. 18 auf das Schicksal der gesamten Stadt (V. 18) einschließlich des Geschehens um den Offizier (V. 19),129 !Ke Al-yhiy>w: in V. 20 auf das Ergehen des Offiziers im Besonderen. Die Formel stellt also nicht den Vollzug der Handlung dar oder leitet den Geschehenseintritt ein,130 vielmehr wird der bereits in V. 17aβ berichtete Vollzug konstatiert: Das Niedertreten des Offiziers wird in V. 20b lediglich wiederholt, um anzuzeigen, dass V. 17aβ folgerichtige Verwirklichung von V. 2b ist, wo das Ergehen des Offiziers ja nicht explizit angekündigt wird.131 Die von Steck betonte „Zwischenstellung“ der Formel ist hier also nicht gegeben: Die Formel blickt auf Ankündigung und Erfüllung zurück und ist nicht auf V. 20b angewiesen. Damit entspricht die Verwendung der Formel hier der von Gen 1,6 f.: Auf die Anordnung bzw. Weissagung erfolgt die Erschaffung bzw. Erfüllung der Weissagung; erst danach folgt die Geschehensformel, die das Geschehen

gen Zustand von Wolle und Boden in V. 38.40 entspricht der Zustand der im Entstehen begriffenen Welt in Gen 1,3b: „Es war licht/Licht“. 129 Bei den „Reden“ in 2Reg 7,18 f. handelt es sich, dem Charakter eines Rückblicks entsprechend, jeweils um indirekte Rede. Dies geht dem Text aus der geänderten „Redeeinleitung“ in V. 18 hervor („wie der Mann Gottes sprach“ statt Elisa, der die Ältesten und den König direkt zum Hören auffordert: W[m.vi), dem das Zitat aus V. 1 einführenden rmoale (V. 18a; wobei die beiden Fassungen der Prophezeiung einen unterschiedlichen Satzbau aufweisen), der verkürzten Einleitung des Offiziers und der zusätzlichen Präposition K. in der Rede des Offiziers (hZw:-Formel außerhalb von Gen 1 hat die Formel nie die von Steck postulierte „Zwischenstellung“134 zwischen Ankündigung und Ereignis, sondern blickt stets auf das bereits vollzogene, in den Anordnungen/Prophezeiungen geforderte/angekündigte Geschehen zurück. Dabei wird in Ri 6,36–38 ein Vollzug gar nicht berichtet, durch den Fortgang der Erzählung aber vorausgesetzt. 2Reg 7,20; 15,12 folgen beide auf den berichteten Vollzug, der in 2Reg 7,20b darüber hinaus noch einmal nachgetragen werden kann. Mit der „Zwischenstellung“ Stecks fällt zugleich auch der einseitige Bezug der Formel auf ein Wort bei Schmidt:135 Die Formel bringt (mit Steck) tatsächlich zum Ausdruck, dass sich Ankündigung und Geschehen folgerichtig entsprechen, sich also bedingen. Die Geschehensformel bezieht sich also immer auf Wort und Tat, wobei die Tat

132 Steck, Schöpfungsbericht, 34. 133 So Steck, Schöpfungsbericht, 34. 134 Steck, Schöpfungsbericht, 33: „Zunächst fällt auf, daß die Formel in den Darstellungszusammenhängen, in denen sie begegnet, stets eine Zwischenstellung hat zwischen einem zitierten Wort, das ein künftiges Geschehen fixiert, und einem mit impf. cons. beginnenden Passus, in dem das Eintreten eben dieses Geschehens berichtet wird.“ Vgl. schon Kap. 2.2.1. Levin, Tatbericht, 123 f. scheint das Problem ebenso erkannt zu haben, da er im Zitat von Steck (s. o. Kap. 2.2.1 mit Anm. 106) das „meist anschließend“ des „Geschehensberichts“ streicht. 135 Für Gen 1 vgl. Schmidt, Schöpfungsgeschichte, 56: „So bezieht sich die Vollzugsbestätigung deutlich auf den Wort-, nicht den Tatbericht.“ Allgemein aaO., 57: „Die Formel will also anzeigen, daß geschah, wie Gott sagte. Das Wort erfüllte sich; der Vollzug wird nur bestätigt.“

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

52

Der priesterschriftliche Schöpfungsbericht Gen 1,1–2,3

nicht immer berichtet, aber stets als vollzogen vorausgesetzt wird.136 Damit erübrigt sich auch die Frage, ob das Geschehen sofort nach dem Ergehen des Wortes eintritt.137 Gen 1,3 kann zwar so verstanden werden, doch ist den Texten (auch Gen 1,3) nicht zu entnehmen, wann sich die Anordnung genau erfüllt hat. Die Texte scheinen daran nicht interessiert zu sein. Nur Ri 6,38 und 2Reg 15,12 geben eine Zeitspanne an: In Ri 6 dauert es eine Nacht lang, bis das Geschehen als vollzogen konstatiert wird. Wann es sich genau ereignet hat, wird aber auch hier nicht gesagt. In 2Reg 15 dauert es vier bzw. fünf Generationen bis zur Feststellung, dass sich die Prophezeiung von 2Reg 10,30 erfüllt hat.

2.2.3 Die Geschehensformel in Gen 1: Literarische Analyse von Gen 1,3–31138 Der nun folgende Durchgang durch Gen 1 wird zeigen, dass auch hier wie bei den weiteren Belegen der Geschehensformel die enge Verbindung von Ankündigung und Erfüllung gegeben ist, und dass noch weitere Möglichkeiten der Reihenfolge der „Formelelemente“ bestehen, ohne dass dies zu literarkritischen oder überlieferungsgeschichtlichen Operationen zwingen würde. Dabei werden alle Schöpfungswerke besprochen, also auch das sechste Werk (Gen 1,20–23), das über keine Geschehensformel verfügt, bei dem sich Anordnung und Erfüllung aber gleichwohl folgerichtig entsprechen. 1.) Gen 1,3–5: Das erste Schöpfungswerk ist das Licht. Das Resultat der nicht berichteten Schöpfungshandlung entspricht der Ankündigung wörtlich: „Es werde Licht“ und „Es wurde Licht“. Somit ist insbesondere 1,3b als Entsprechungsformel zu verstehen:139 Was werden sollte (Licht), wurde, und kann explizit beim Namen genannt („und es wurde Licht“) und muss nicht umschrieben werden („und es wurde so“), wie in den folgenden Werken nur umschrieben wird, dass geschah, was bzw. wie angeordnet wurde. Gerade dieses nur umschreibende !Ke ermöglicht Formulierungsvarianzen

136 Gegen Schmidt, Schöpfungsgeschichte, 172: „Auch die Vollzugsbestätigung bringt nicht selbst das Geschehen, sondern stellt nur fest, daß die Sache wird, indem das Wort ergeht.“ Der ersten Hälfte der Aussage ist freilich zuzustimmen. 137 So aber Schwally, Schöpfungsberichte, 162 („…daß der Befehl der Gottheit sich allsogleich verwirklichte“); von Rad, Priesterschrift, 12 (s. o. Kap. 2.2.1 mit Anm. 93 f.). 138 Vgl. hierzu bes. Humbert, Zweiheit, 30–32; Schmidt, Schöpfungsgeschichte, 56–59.95– 154.169–178; Steck, Schöpfungsbericht, 39–177.283. 139 Gegen Steck, Schöpfungsbericht, 37 f.162 ff.176 f. u. ö. Doch vgl. auch Schmidt, Schöpfungsgeschichte, 57 sowie Budde, Wortlaut, 70, der die Gestaltung des ersten Werkes als maßgebend betrachtet, wohingegen der Verfasser in den weiteren Werken „nicht ohne Not von dieser einfachsten Gestalt abgehen wird“.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Die Geschehensformel und Gen 1,3–31

53

zwischen Anordnung und Ausführung, wie bei den folgenden Werken zu sehen sein wird. Auf die allein durch das Wort Gottes („es sei/werde/entstehe“: yhiy>) erfolgte Entstehung des Lichtes und seine Billigung (1,4a) trennt Gott das Licht von der Finsternis, die zu den Urgegebenheiten des (werdenden) Kosmos gehört (1,2aβ), und benennt die nun geschiedenen Elemente als „Tag“ und „Nacht“. Damit ist die Zeit bereits gegeben, noch ehe der Raum gebildet wird (1,6 ff.): Die Zeit der Welt läuft, es beginnt der Wechsel von Licht und Finsternis, von Tag und Nacht bzw. von Abend und Morgen, weshalb das erste Schöpfungswerk mit der Tagesformel abgeschlossen wird (1,5). Wie das Licht erschaffen wurde bzw. entstanden ist, wird nicht berichtet: Auf die Anordnung Gottes folgt die Bestätigung, dass das Licht geworden ist (V. 3b), mit bzw. an dem Gott dann weiter schöpferisch tätig sein kann (V. 4). Die (abgewandelte) Geschehensformel hat hier also die Funktion einer Vollzugsbestätigung. Um zwischen Licht und Finsternis scheiden zu können (V. 4), ist die Erschaffung des Lichtes unabdingbare Voraussetzung, da in V. 4 beide Größen determiniert sind, und die Vorwelt einzig durch Finsternis geprägt ist (1,2aβ), die vorfindliche Welt, die durch Gen 1 erklärt werden soll, aber durch den regelmäßigen Wechsel von Licht und Finsternis.140 Wortbericht und Tatbericht bedingen sich also gegenseitig, eine überlieferungsgeschichtliche oder literarkritische Trennung ist damit wenig plausibel.141 Der Tatbe-

140 Vgl. dazu schon Anm. 97. Der von Schmidt, Schöpfungsgeschichte, 95–100.161 rekonstruierte „Urtext“ ist daher wenig überzeugend. Die von ihm selbst genannten Schwierigkeiten (vgl. aaO., 97 f. Anm. 5) sind zu gravierend, als dass man ihm folgen könnte. Ähnlich schwierig ist die Rekonstruktion bei Levin, Tatbericht, 126, der auch die Erwähnung der Finsternis in V. 2 streicht: Kann aber geschieden werden, was es nicht gibt? Bei Levin wäre das erste Werk das einzige, bei dem nichts Neues erschaffen bzw. hervorgebracht wird. Beim dritten Werk, für das Levin den nur in LXX erhaltenen Tatbericht als „Urtext“ betrachtet (vgl. aaO., 124 f.), entsteht immerhin die trockene Erde neu (sie wird freilich nicht erschaffen!), und die an diesem Schöpfungsakt beteiligten Wasser sind davor schon benannt in V. 7. Hier stellt sich freilich wieder die Frage, wie die Wasser geschieden werden können, wenn sie gemäß der Rekonstruktion Levins, der nicht nur 1,2aβ, sondern auch 1,2b dem ursprünglichen Text abspricht, weder erschaffen wurden noch der Vorwelt angehören, ihr Ursprung also im Dunkeln liegt. Stringenter ist der masoretische Text, der (außer ~yhil{a/) alles einführt, worüber er berichtet, sei es durch die Vorweltschilderung oder durch die Erschaffung der jeweiligen Größen. 141 Vgl. (für Gen 1 insgesamt) Steck, Schöpfungsbericht, 45, der (durchaus selbstkritisch) fragt, ob die Formel „nicht aus Gründen einer überlieferungsgeschichtlichen Differenz zwischen vorgegebenen Tatschöpfungsaussagen und zugefügten Akzenten einer Schöpfung durch Gottes anordnendes Sprechen erfolgt ist, um diese Spannung im Sinne einer neuen Sacheinheit aufzuheben.“ Er kommt bei der Einzeluntersuchung schließlich zum Ergebnis, dass „sich priesterschriftliche Aussagetendenzen namhaft machen lassen, die auf eine einheitliche Gestaltung durch P deuten.“ (ebd. – im Modus der Frage). Zu einem gegenteiligen Schluss kommt etwa Levin, Tatbericht, 124, der nach demselben Steck-Zitat wie zu Beginn dieser Anmerkung inhaltlich nahtlos weiterfährt mit seinem Ergebnis, ohne kenntlich zu machen, dass er damit Steck diametral entgegen steht: „Die Entscheidung [auf

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

54

Der priesterschriftliche Schöpfungsbericht Gen 1,1–2,3

richt stellt hier denn bezeichnenderweise auch kein eigenständiges Schöpfungswerk dar und wird daher auch nicht dafür bestimmt gewesen sein, Teil einer Schöpfungserzählung zu bilden, die ohne den voranstehenden Wortbericht existiert hätte. Da in Gen 1,3–5 Gott etwas Neues hervorruft (und nicht wie in 1,9 eine Anordnung an bereits Vorhandenes erteilt), das Geschehen, wie dieses Neue genau entstanden ist, aber nicht berichtet wird, kann hier, aber wohl nur hier innerhalb von Gen 1, von Wortschöpfung gesprochen werden.142 2.) Gen 1,6–8: Bei der Erschaffung der Himmelsfeste und der Teilung der Wasser entspricht die Ausführung durch Gott seiner Anordnung nicht wörtlich, berichtet aber dennoch genau das dort Angesagte: Ist es in der Anordnung die „Feste“, die scheiden soll zwischen den Wassern (Ptc. hiph.), tut dies Gott in der Ausführung selber (Imperf. cons. hiph.)143 – in Analogie zu Gen 1,4b f.14 ff.144 Damit wird genau das erreicht, was Gott angeordnet hat: Die „Feste“, die „inmitten der Wasser“ sein soll, ist durch Gottes Formung der „Feste“ und Scheidung der Wasser nun in der Mitte der „Wasser unter der Feste“ und der „Wasser über der Feste“. Die „Feste“ ist also nach dem initialen Schöpfungs- und Anordnungshandeln Gottes tatsächlich eine „Scheidende“ zwischen den Wassern. Der von Gott angeordnete Dauerbestand, nämlich die Himmelswölbung (V. 8), unter und über der Wasser ist (vgl. Gen 7,11; 8,2), ist durch die Erstausführung durch Gott Stecks Frage] fällt an den Inkongruenzen zwischen Befehl und berichteter Ausführung. Es lässt sich zeigen, daß die Befehle die Ausführungen voraussetzen und weiterführen.“ 142 Vgl. Schmidt, Schöpfungsgeschichte, 57 f.169–178; ders., Schöpfung, 74 f.; Steck, Schöpfungsbericht, 46 f. mit Anm. 155–158; 162; Schüle, Prolog, 133 f. Zu vergleichen sind die ähnlichen Aussagen etwa in Ps 33,6.9; 148,5; Jes 48,13; Thr 3,37 f. Ausführlicher hierzu s. u. Kap. 4.4.1. 143 Gegen Jacob, Genesis, 38–40 und Steck, Schöpfungsbericht, 78 f.256 ist Subjekt von lDEb.Y:w: in V. 7 kaum die Feste, auch wenn dies grammatikalisch gut möglich ist, da sie im selben Satz noch als adverbielle Ortsbestimmung begegnet. Eher ist Gott wie in 1,4b als Subjekt von lDEb.Y:w: zu verstehen, auch wenn er hier nicht explizit als Subjekt genannt wird (LXX fügt ὁ θεὸς explizierend ein): Wie schon Licht und Finsternis, so trennt Gott nun auch die Wasser (zu 1,14 ff. s. u. mit folgender Anm.). Nur weil Gott nur hier (die „Ausnahmen“, die angesichts ihrer Menge kaum mehr als Ausnahmen bezeichnet werden können, benennt Steck, aaO., 79 selber: 1,5aβ.10aβ.27aβb; 2,2b.3aβbα; vgl. auch Jacob, aaO., 23.40) als Subjekt nicht explizit genannt wäre, muss dies nicht bedeuten, dass er nicht Subjekt sein kann: Auch die Himmelsfeste könnte und sollte angesichts desselben Befundes in 1,12, wo die Erde als Subjekt genannt ist, was von 1,11 her gesehen auch nicht anders zu erwarten (und daher eigentlich überflüssig) war, als Subjekt explizit genannt werden. Vgl. auch Schmidt, Schöpfungsgeschichte, 101 mit Anm. 1; Westermann, Genesis, 107.163; Seebass, Urgeschichte, 59.61; Hutzli, Tradition, 9 f. 144 Auch die Leuchten haben die Funktion, zwischen Tag und Nacht zu scheiden. Dieser Vorgang der Unterscheidung ist aber einerseits bereits durch die Unterscheidung von Licht und Finsternis durch Gott (sowie die Tageszählung) vorweggenommen, und andererseits ist es wiederum Gott, der diese Unterscheidung initiiert, indem er dem großen Licht die Herrschaft über den Tag, dem kleinen Licht die Herrschaft über die Nacht zuweist: 1,16– 18.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Die Geschehensformel und Gen 1,3–31

55

(V. 7) in Kraft gesetzt. Dies konstatiert die abschließende Geschehensformel. Die Formel ist hier also verwendet wie in 2Reg 7,20, wobei hier die Ausführung nach der Formel nicht nochmals wiederholt wird, und wie in 2Reg 15,12. Es handelt sich hier also um eine Vollzugsbestätigungsformel, die auf den berichteten Vollzug zurückblickt. Als Übersetzung bietet sich daher an: „Und so geschah es.“ Gegen Schmidt145 ist den zwei Werken Gottes nicht das eine Wort Gottes als den Tatbericht in V. 7 zusammenfassender Wortbericht entgegen zu halten: Den zwei Handlungen Gottes in V. 7 entsprechen die zwei Jussive in V. 6: „Es sei eine Feste“ und „sie sei zur Scheidung“. Dabei entspricht f[;Y:w: dem ersten yhiy,> lDEb.Y:w: entspricht (lyDIb.m;) yhiywI – trotz Subjektswechsels, denn erst die zweite Tat Gottes innerhalb dieses Werkes ermöglicht den zweiten Teil der Anordnung: Weil Gott die Wasser getrennt hat, kann die „Feste“ fortan als „Scheidung“ zwischen den Wassern dienen. Wäre V. 6 nachträgliche Interpretation zu V. 7, wäre V. 6b nicht zu erwarten mit der so entstehenden Schwierigkeit des Subjektswechsels. Eine literar- oder überlieferungsgeschichtliche Trennung von Tat- und Wortbericht wird damit auch hier dem Text nicht gerecht. 3.) Gen 1,9–10: Das erste Werk des dritten Tages besteht darin, dass sich die „Wasser unter dem Himmel“ so zusammenziehen („versammeln“), dass fester, trockener Boden sichtbar wird. Die Ausführung dieser Anordnung wird nicht berichtet (im hier wohl ursprünglichen masoretischen Text).146 An ihre Stelle tritt die Geschehensformel, die den nicht berichteten Vollzug zugleich anzeigt und bestätigt. Dass die Anordnung tatsächlich erfüllt, die „Tat“ vollzogen wurde, setzt V. 10 voraus, wo Gott die neu entstandene bzw. sichtbar gewordene Trockenheit und die nun zusammengezogenen/ versammelten Wasser benennt.147 Dabei macht V. 10 klar, dass der Anordnung Gottes folgerichtig entsprochen wurde: Wenn Gott in V. 10 hwEq.mi(l.W) ~yIM;h; benennen kann, geschah zwischen Anordnung und Benennung genau das, was Gott angeordnet hat (~yIM;h; WwQ'y)I : Die Wasser haben sich versammelt:

145 Vgl. Schmidt, Schöpfungsgeschichte, 101 f. 146 Zur Begründung s. o. Kap. 2.1. Dass Jub 2,5–7 beim dritten Tag den Wort- und Tatbericht liefert, sonst aber nur den Tatbericht, bedeutet für Struktur und Intention von Gen 1 gar nichts. Gegen Schmidt, Schöpfungsgeschichte, 104 Anm. 5. Vgl. auch die Überlegungen hierzu bei Steck, Schöpfungsbericht, 293–309, hier bes. 305–307. 147 Schmidt, Schöpfungsgeschichte, 63–67 rechnet die Namengebungen der Interpretation und nicht der Tradition von Gen 1 zu. Dem widersprechen aber V. 9.14.15.17.20.26.28.30; 2,1(.4), wo im Wortbericht (nach Schmidt auch im ausgefallenen Tatbericht) nicht „Feste“ sondern eben „Himmel“ steht, wie die „Feste“ in V. 8 benannt worden ist (in V. 14.15.17.20 in eigentümlicher Constructusverbindung). Vgl. dazu aaO., 105 Anm. 1. Dasselbe gilt für die Benennung in V. 10 („Erde“ statt „Trockenes“), die in V. 11.12.15.17.20.22.24(2x). 25.26(2x).28(2x).29.30(2x); 2,1(.4) vorausgesetzt ist. In seinem Gen 1 zugrunde liegenden „Urtext“ rechnet Schmidt mit den ergangenen Benennungen, streicht sie aber wenig überzeugend aus dem Text heraus (vgl. aaO., 161).

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

56

Der priesterschriftliche Schöpfungsbericht Gen 1,1–2,3

hwq.148 Die Geschehensformel zeigt also auch hier die folgerichtige Entspre-

chung an – ohne die Ausführung narrativ entfalten zu müssen.149 Damit ist die Verwendung der Formel hier identisch mit der in Gen 1,3 und Ri 6,38: Wie sie zwischen Gideons Bitte und der narrativen Fortführung, die die genaue Erfüllung der Bitte voraussetzt, steht, so steht die Geschehensformel in Gen 1,3 und hier zwischen Anordnung und Fortführung der Schöpfungshandlung, die die genaue Erfüllung der Anordnung voraussetzt. Als Übersetzung bietet sich wie in Gen 1,7, wo die Formel auch auf Anordnung und (dort berichtete) Erfüllung zurückblickt, „Und so geschah es“ an. Die Billigungsformel in V. 10b schließt die beiden Werke der Scheidung der Wasser (V. 6–8.9–10) ab. Erst jetzt ist die Erde bewohnbar, dies war sie nach dem Werk des zweiten Tages noch nicht, und erst jetzt heißt die Erde auch „Erde“ (V. 10; vgl. V. 1). Daher steht die Billigungsformel nicht schon in V. 8: Das Wasser-Trennungs-Werk war erst begonnen, jedoch noch nicht fertig, also nicht per-fekt bzw. eben „gut“. Der sich hieran anschließenden Frage, weshalb die beiden Wasser-Trennungs-Werke nicht an demselben Tag erzählt werden, muss in Kapitel 2.3.1; 2.3.4 nachgegangen werden. Mit dem dritten Werk sind die drei Werke der Trennung ausgeführt. Mit ihnen endet auch das Formel-Element der Benennung. Rechnet man mit MT als ältestem erreichbaren Text für Gen 1 (s. o. Kap. 2.1), so erübrigt sich die Frage nach überlieferungsgeschichtlicher Sonderung zwischen Tatund Wortbericht: Ein Tatbericht ist für Gen 1,9–10 nicht belegt.150 Im Sinne einer Gegenprobe kann gleichwohl auf die Rekonstruktion Schmidts und Levins eingegangen werden: Von allen Werken in Gen 1 hat das vorliegende die größte Übereinstimmung zwischen (rekonstruiertem) Tat- und Wortbericht.151 Einziger Unter148 Gegen Schmidt, Schöpfungsgeschichte, 104: „Dann kann sich die Namengebung V 10 (hwqm) kaum auf den V 9 überlieferten Wortbericht beziehen, sondern muß auf einen Tatbericht zurückgehen, der hwqm enthält, wie es wohl dem LXX-Text entspricht.“ Gegen Letzteres s. u. Ersteres ist zu mechanisch gedacht: Es wird in V. 9 f. ja gerade keine Versammlungsstätte geschaffen, die benannt werden könnte – wie das neu erschaffene Licht bzw. die Himmelsfeste in 1,3–5.6–8. Vielmehr werden die bereits vorhandenen Wasser aufgerufen, sich zu versammeln, und diese Versammlung wird dann benannt. Davon, dass etwa dx'a, ~Aqm' geschaffen werden soll (oder eine hw zu lesen (s. o. Kap. 2.1.1 mit Anm. 48 und Kap. 2.1.3). 158 Zur Dichotomie statt Trichotomie (Grünzeug als eigenständige Pflanzenart) vgl. Gen 1,29. Vgl. Schmidt, Schöpfungsgeschichte, 106; Westermann, Genesis, 110. Anders Budde, Wortlaut, 73 f. Gegen Levin, Tatbericht, 124 wird man Ab-A[r>z: rv,a] in V. 11 kaum auf Bäume und Kräuter beziehen können (s. u.). 159 Gegen Schmidt und Levin. S. o. Kap. 2.2.1 mit Anm. 96.102. 160 Schmidt, Schöpfungsgeschichte, 106. 161 So Schmidt, Schöpfungsgeschichte, 108. 162 Bezüglich 1,17b f. äußert Schmidt allerdings den „Verdacht“, dass die Verse eine „spätere Ausweitung darstellen“ (Schmidt, Schöpfungsgeschichte, 116). 163 1,11 (av,D< #rT;; [r:z< [:yrIz>m; bf,[e); 1,12 ([r:z< [:yrIz>m; bf,[e); 1,15 (ryaih'l.… troAam.li Wyh'w)> ; 1,16 f. (… ryaih'l. troaoM.h); ; 1,20 (#rv.y;I @peA[y> @A[w>); 1,26 (fmeroh' fm,rKi in Gen 1,26 – in Analogie zu Ps 58,5; Dan 10,16 – als „pleonastische Verstärkung“ „gleichbedeutend mit der einfachen Präposition“ (Jenni, Kaph, 44; vgl. ders., Pleonastische Ausdrücke) zu verstehen. Anders formuliert: „twmd ist hier so stark desemantisiert, daß twmdk als zusammengesetzte Präposition fungiert“ (Gross, Statue, 20 f. Anm. 23). Gott erschafft den Menschen also „als unser Bild wie

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Die Geschehensformel und Gen 1,3–31

67

Rückschlüsse auf eine redaktionelle Schichtung oder auf die Vorgeschichte der Begriffe ergeben würden:209 Gen 1,26: Gen 1,27: Gen 5,1: Gen 5,3: Gen 9,6:

WnteWmd>Ki Wnmel.c;B. ~yhil{a/ ~l,c,B. Aml.c;B. ~yhil{a/ tWmd>Bi Aml.c;K. AtWmd>Bi (Vater-Sohn-Ähnlichkeit von Adam und Seth) ~yhil{a/ ~l,c,B.

Ähnlich wie bei den Gestirnen, die im Vollzug der Ankündigung (im Tatbericht 1,16) in die beiden großen Gestirne und die Sterne unterteilt werden, oder bei den Meerestieren, die im Tatbericht (1,21) in „große Meerestiere“ und „wimmelnde lebendige Wesen“ ausdifferenziert werden, wird in 1,27 auch ~d"a' aus 1,26 präzisiert: Der „als Bild Gottes“ erschaffene Mensch (V. 27aα), der Mensch an sich (Singularsuffix in V. 27aβ: Atao), wird nicht als alleiniges Wesen erschaffen, sondern „männlich und weiblich“ (hb'qen>W rk'z)" , als Mann und Frau, also in einer Mehrzahl (Pluralsuffix in V. 27b: ~t'ao). Dies entspricht in gewisser Weise der Mehrzahl in Gott bzw. dem Wechsel von Singular- und Pluralformulierung auch bei Gott mit dem Singularsuffix in Aml.c;B. in 1,27 und den Pluralsuffixen und dem Kohortativ Plural in 1,26 (WnteWmd>Ki Wnmel.c;B. ~d'a' hf,[]n): . Wie bei der Erschaffung der Meerestiere und Vögel findet sich auch hier direkt keine Geschehensformel (zu V. 30b s. u.), weder zwischen Anordnung und Vollzug (1,11.15.24), nach dem Vollzug (1,7), noch als Vollzugsbestätigung ohne Bericht des Vollzuges (1,3.9), dafür aber – wie dort (1,22) – ein Segenswort: Wie die Fische „sich vermehren, zahlreich werden und die Wasser in den Meeren erfüllen“ sollen (V. 22bα), so sollen die Menschen „sich vermehren, zahlreich werden und die Erde erfüllen“ (V. 28a) – und sie sich unterwerfen (vbk). Zusätzlich wird ihnen nun auch die Herrschaft über die das Meer bewohnenden Fische, die Vögel in den Lüften („Vögel der Himmel“) und die Kriechtiere auf der Erde zugesprochen. Dabei stimmt die Formulierung bei den Fischen und Vögeln mit der Ankündigung in V. 26 überein, statt der dort genannten Gattungen von Landtieren werden hier aber nur die „auf der Erde kriechenden Lebewesen“ (-l[; tf,m,roh' hY"x; #r aufgefaßt werden, wie umgekehrt in Gen 1,26 WnteWmd>Ki zu Wnmel.c“; ). 209 So auch Schmidt, Schöpfungsgeschichte, 143. Anders etwa Feldmeier/Spieckermann, Gott, 257 Anm. 12.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

68

Der priesterschriftliche Schöpfungsbericht Gen 1,1–2,3

Erde selber wurde schon eigens in 1,28a unter die Herrschaft der Menschen gestellt (h'vub.kiw>). Beides braucht hier also nicht wiederholt zu werden.210 210 h'vub.kiw> wird verschiedentlich als sekundär ausgeschieden (vgl. etwa Zenger, Bogen, 40 f.188 [1. Aufl.; in der zweiten Auflage wird dies aus traditionsgeschichtlichen Gründen zurückgenommen: Vgl. aaO., 214–216]; Weimar, Priesterschrift, 25 f. Anm. 23; Frevel, Blick, 202 f. Anm. 53). Der Kontext von Mehrungsverheißung und Herrschaftsauftrag zeigt, dass h'vub.kiw> in keiner Weise stört, denn nicht nur die Tiere sollen von den Menschen beherrscht werden, sondern auch die Erde (1,26b): h'vub.kiw> hier korrespondiert also #rW #rvi Wbr>W WrP. ~T,a;w>). In Ex 1,7 werden in klarer Aufnahme und in gewisser Weise auch „Einlösung“ von 1,28 hrp und hbr wieder auf die Menschen, hier die Israeliten, bezogen und um ~c[ und #rv (vgl. Gen 9,7) ergänzt, dazu wird alm passivisch auf die Erde bezogen (~t'ao #rY:w:) und 1,31a (daom. bAj-hNEhiw> hf'[' rv,a]-lK'-ta, ~yhil{a/ ar>Y:w:). S. o. Anm. 7.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

84

Der priesterschriftliche Schöpfungsbericht Gen 1,1–2,3

sie „fehlt“ nur beim zweiten Werk, der Erschaffung der Himmelsfeste (1,6– 8). Weshalb die Tagesformel ausgerechnet nach dem dritten und dem siebten Werk „fehlt“, ist mit inhaltlichen Gründen nur bedingt erklärlich. Jedoch müssen bei der auf den siebten Tag und damit die Woche als Zeiteinheit hin ausgerichteten Tageszählung zwangsläufig die acht Schöpfungswerke auf sechs Tage verteilt werden, wenn am siebten Tag, der den Sabbat präfiguriert, kein (Schöpfungs-)Werk mehr vollbracht werden soll. Dass die Billigungsformel in 1,8 „fehlt“, ist dagegen durchaus erklärbar: Das dritte Werk erschafft nichts Neues, die Erde besteht bereits (1,2), sie wird hier nur erstmals sichtbar. Das dritte Werk gehört eng zum zweiten dazu. Daher steht beim zweiten Werk wohl auch keine Billigungsformel (s. o. Kap. 2.2.3): Erst mit V. 10 ist dieses Werk der Wassertrennung und damit der Bereitstellung der Erde fertig gestellt, was auch die unmittelbar anschließende Fortsetzung in 1,11 zeigt. Es geht also um eine vertikale (auf den gesamten Kosmos bezogene) und eine horizontale (die Erde betreffende) Wassertrennung. Durch die Tageszählung wird diese Einheit aufgebrochen: Hier wird das dritte zum vierten Werk in einem Tag hinzugezogen – wohl weil beide die Erde thematisieren. Die beiden Gliederungssysteme scheinen sich an dieser Stelle also zu widersprechen. Eine zuweilen vorgenommene Zuweisung der Billigungsformel lediglich auf den Tat- oder Wortbericht, wodurch das jeweils andere zusammen mit der Tageszählung ausgeschieden werden könnte, ist nicht plausibel (und das nicht nur, weil zwischen Tat- und Wortbericht in Gen 1 nicht gesondert werden kann): Inhaltlich ergibt die Billigungsformel wohl mehr Sinn im Zusammenhang mit dem Wortbericht, wo Gott bestätigt, dass das von ihm Geforderte entsprechend seiner Intention gut entstanden ist. Und so ist die Billigungsformel insbesondere in 1,3 eng mit dem Wortbericht verknüpft.272 Doch in 1,31a nimmt die Billigungsformel eindeutig die Tatschöpfungsaussagen aus Gen 1 auf (hf'[' rv,a]-lK').273 Die Billigungsformel könnte also nur gänzlich isoliert von weiterem Textmaterial für sekundär betrachtet werden – und tatsächlich könnte die Formel auch an allen Stellen 272 Letzteres spricht gegen Schmidts Zuweisung der Billigungsformel an den Tatbericht (vgl. Schmidt, Schöpfungsgeschichte, 59–63), wie er unter anderen textgenetischen Voraussetzungen auch selber einräumen muss: „In V 4a setzt die Billigungsformel den (jüngeren) Wortbericht (V 3a) voraus.“ AaO., 63. Daraus folge, „daß die Billigungsformel, obwohl sie so eng mit dem Tatbericht verknüpft ist, nicht zu dem Urbestand von Gen 1 zu zählen ist.“ (ebd.; vgl. auch aaO., 61 Anm. 3). Zur inhaltlichen Zuweisung der Billigungsformel an den Wortbericht vgl. auch Levin, Tatbericht, 123 sowie die Vertreter einer Wortbericht-Vorlage: S. o. Anm. 97. 273 Insofern trifft Schmidts Zuweisung der Billigungsformel an den Tatbericht wieder Richtiges (s. voranstehende Anm.). Wenn die Billigungsformel aber so eng mit Tat- und Wortbericht verknüpft ist, setzt sie beide voraus und ist entweder zusammen mit ihnen oder nach dem kontemporären Gefüge Wort – Geschehensformel – Tat entstanden. Für Letzteres (ohne „kontemporär“) spricht sich Schmidt aus, doch geht aus seiner Darstellung nicht hervor, wann genau, unter welchen Bedingungen und weshalb die Billigungsformel nachträglich hinzugefügt worden sein soll.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Rahmen und Gliederung von Gen 1

85

getilgt werden, ohne dass Kohärenzprobleme im Text entstehen würden. Allerdings gibt es keine Veranlassung, die Formel in ihrer Ursprünglichkeit zu beanstanden, und kompositionell betrachtet, scheint die Formel mit den Abweichungen beim ersten und letzten Werk (sowie ihrem Nichtvorhandensein in 1,6–8) durchaus in Übereinstimmung mit der Kompositionsstruktur von Gen 1 zu sein:274 Die Billigungsformel bezieht sich inhaltlich auf die Anordnung Gottes zurück, indem sie das, was angeordnet wird, als gegeben erachtet nach der (Erst-)Ausführung durch Gott oder die Erde. So sind etwa nach der Erschaffung der Meerestiere und Vögel die Voraussetzungen gegeben, um das in V. 20 angeordnete Wimmeln von Meer und Luft zu erfüllen, die Ausgangssituation dafür ist nun also gut (1,21bβ). Darauf folgt der Segen, der das Gewünschte auch für die Zukunft zusichert.275 In 1,4a wird die Erfüllung der Anordnung aus 1,3a für „gut“ befunden, in 1,10b.12b.18b beurteilt Gott die Tätigkeiten seiner eigenen Werke:276 Die Himmelsfeste tut genau, was sie soll, sie dient als Scheidung. Die Wasser haben sich anordnungsgemäß versammelt und die Erde sichtbar werden lassen. Die Pflanzen wachsen auf Erden, und die Gestirne haben ihre Funktionen eingenommen. In 1,25b scheint Gott zu bestätigen, dass nach seiner Ersterschaffung der Tiere ihr Fortbestand auf und durch die Erde gewährleistet ist. 1,31a konstatiert schließlich die Planmäßigkeit und Vollkommenheit der gesamten Schöpfung, des gesamten Ordnungsgefüges von „Himmel und Erde und was darin ist“ (vgl. 2,1). Hier ist zwar jeweils immer auch ein Abschluss mit gemeint, nämlich der Abschluss der erstmaligen Ausführung (meist durch Gott), doch sollen die Aufgaben der Schöpfungswerke auch über diese erstmalige Ausführung hinaus wahrgenommen werden. Insgesamt kann also die Billigungsformel für literarhistorisch gleichursprünglich mit (vorläufig) dem Großteil des Textes von Gen 1 betrachtet werden. Kann hingegen die Tageszählung eine sekundäre Erweiterung sein, die in 1,8 dem ursprünglichen Aufbau (1,6–10) zuwiderläuft und eine andere Einteilung vornimmt? Immerhin könnte, neben der Kürze des dritten Werkes, die Tatsache, dass eben nichts Neues erschaffen wird, einen möglichen Ergänzer der Tagesformel zumindest dazu bewogen haben, für 1,9 f. keinen eigenen Tag zu reklamieren. Wie beim siebten Werk wurde auch das dritte 274 Diese Unregelmäßigkeiten wären ungleich schwieriger zu erklären, handelte es sich bei der Billigungsformel um eine sekundäre Hinzufügung zu Gen 1. Eine Erklärung bleibt bei Schmidt denn auch aus (s. voranstehende Anm.). 275 Die Pflanzen brauchen diese Zusicherung mittels des Segens nicht, weil sie von Anfang an selber aus der Erde gewachsen sind, und weil sie ihren Samen in sich tragen: Die Perpetuierung von 1,12a und damit die Erfüllung von 1,11a ist so von Anfang an gegeben – und wird von Gott in 1,12b „gut“ geheißen. 276 Dass Gott die Erde erschaffen hat, wird zwar nicht berichtet, die Erde gehört zu den Voraussetzungen der Schöpfungstätigkeit Gottes (1,2aα). Doch erst durch das Schöpfungswirken Gottes in 1,(3–5.)6–10 wird die Erde zu einem Leben ermöglichenden und gebenden Ort – und ist insofern auch ein Schöpfungswerk Gottes (vgl. 1,1).

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

86

Der priesterschriftliche Schöpfungsbericht Gen 1,1–2,3

nicht an das vorangehende, sondern an das nachfolgende Werk geknüpft, was in beiden Fällen inhaltlich zumindest nicht zwingend gewesen wäre: Hätte die Scheidung von Wasser und Erde gut oder sogar besser zur Scheidung der kosmischen Wasser gepasst, wird das Hervortauchen der Erde nun mit dem Hervorsprossen der Pflanzen aus eben dieser Erde verbunden. Hätte die Erschaffung der Landtiere inhaltlich sehr gut zur Erschaffung von Wassertieren und Vögeln gepasst, wird sie nun mit der Erschaffung der ebenfalls auf der Erde lebenden Menschen verbunden. In beiden Fällen wird das für die Tageszählung jeweils „überschüssige“ erste Werk277 also nicht mit dem unter dem Gesichtspunkt der Art und Weise der Entstehung vergleichbaren vorangehenden, sondern mit dem denselben Lebensraum, und zwar in beiden Fällen die Erde, betreffenden nachstehenden Werk verbunden. Der Bezug zur Erde mag als inhaltlicher Grund für die Platzierung der Tagesformeln angesehen werden, formal ist die zweimalige Aufteilung 1+1 +2 Werke pro Tag auf jeden Fall als bewusste Strukturierung zu betrachten. Diese bewusste Strukturierung muss nun allerdings nicht erst sekundär entstanden sein: Gegen eine solche Ausscheidung der Tageszählung spricht, dass die Tageszählung nicht nur auf den siebten Tag abzielt (und entsprechend nur zusammen mit diesem ausgeschieden werden könnte), sondern dass die Tageszählung bereits im ersten Werk angelegt ist. Im ersten Werk wird mit der Konstituierung des Wechsels von Licht und Finsternis (1,4b) bzw. Tag und Nacht (1,5) die Zeiteinheit des Tages bereits der Schöpfung eingegeben. Gen 1,4b.5 könnten aber nicht zusammen mit den Tagesformeln ausgeschieden werden, denn „Licht“ und „Finsternis“ in 1,18aβ korrespondieren „Tag“ und „Nacht“, die es jeweils zu scheiden gilt, in 1,14aγ (vgl. auch 1,18aα) und setzen daher die Benennungen in 1,5a voraus. Wenn aber Gott schon zwischen Licht und Finsternis unterscheidet und die Tageszeiten initiiert, dann erstaunt auch die Einordnung der Werke zu Schöpfungstagen nicht. Insgesamt kann damit auch die Tageszählung für ursprünglich gelten – und damit auch der „Schöpfungssabbat“ bzw. 2,2 f., worauf die Tageszählung letztlich hinzielt.278 Auch wenn sich mit der Billigungsformel und der Tagesformel zwei unterschiedliche Strukturierungsmerkmale gegenüber stehen, die in 1,6–10 auch miteinander zu konkurrieren scheinen, muss doch wegen ihrer Verflechtung ins Textganze von Gen 1 an ihrer Ursprünglichkeit festgehalten werden, womit die literarische und überlieferungsgeschichtliche Gleichursprünglichkeit von Gen 1,3–31 insgesamt wahrscheinlich erscheint.279

277 Vom Standpunkt des Endtextes her betrachtet. 278 Zu Letzterem vgl. Schmidt, Schöpfungsgeschichte, 69 f. (vgl. auch Westermann, Genesis, 124 f.230–238 und s. u. Kap. 2.3.3), der aber aaO., 67–73 das „Sieben-Tage-Rahmenwerk“ „einem späteren Stadium der Textgeschichte“ zuschreibt (aaO., 68; s. folgende Anm.). 279 Somit gegen etwa folgende Autoren, die die Tagegliederung als spätere Ergänzung (durch P) betrachten: Dillmann, Genesis, 14 f.; Gunkel, Genesis, 118; Schmidt, Schöpfungsge-

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Rahmen und Gliederung von Gen 1

87

2.3.2 Gen 1,1–2: Titel und Vorweltschilderung Der „Anfang der Schöpfung“ stellt insbesondere ein syntaktisches Problem dar – und in der Folge davon ein theologisches: Ist in Gen 1,1 von einer creatio ex nihilo die Rede? Hat Gott das „Chaos“280 aus Gen 1,2 erschaffen, das ihm als Rohmaterial für die weitere Formung der Welt dient?281 Die beiden Probleme werden weiter durch die semantischen Unklarheiten mehrer Lexeme beider Verse verschärft (tyviarEB. / ar"B' / Whbow" WhTo / ~AhT. / ~yhil{a/ x;Wr / tp,x,r;m.).282 Erst wenn diese Fragen geklärt sind, kann die Frage der Literarund/oder Überlieferungskritik behandelt werden: Gehören 1,1–2 ursprünglich zum einheitlichen Text von Gen 1,3–31 oder nicht? Die syntaktischen Probleme von 1,1–3 nehmen ihren Ausgang bei tyviarEB.. Daher soll zuerst die Frage der Morphosyntax von tyviarEB. behandelt werden (s. u. Kap. 2.3.2.1), ehe 1,1–3 in syntaktischer und inhaltlicher Hinsicht untersucht wird (s. u. Kap. 2.3.2.2; 2.3.2.3). Zuletzt ist die überlieferungsgeschichtliche Frage zu beantworten (s. u. Kap. 2.3.2.4). 2.3.2.1 „Am Anfang schuf Gott“: Zur Morphosyntax von tyviarEB. Umstritten ist das erste Wort der Bibel: tyviarEB.. Der Anfang der Schöpfung scheint (inhaltlich) notwendig ein absolutes bzw. singuläres und daher determiniertes Ereignis zu sein, doch haben die Masoreten hier keinen (synkopierten) Artikel gesetzt, wodurch wörtlich – aber losgelöst vom Kontext! – „durch einen Anfang“ zu übersetzen wäre. Hat es aber mehrere solcher Anfänge, gar mehrere Welt-Schöpfungen gegeben?283

schichte, 67–69 u. ö.; Westermann, Genesis, 123–126 u. ö.; Hermant, Analyse, bes. 442 f.; Levin, Tatbericht, 120 f.; ders., Redaktion RJP, 21; Kaiser, Gott, 212 f.251–253; Kratz/ Spieckermann, Schöpfer/Schöpfung, 269 f.; Kratz, Komposition, 234 f. sowie die in Anm. 92.97 genannten Forscher. Dagegen betont – im Anschluss an Steck, Schöpfungsbericht – auch Guillaume, Land, 33.166 f(f.) die Einheitlichkeit von Gen 1 insbesondere von der Tagegliederung bzw. der Sabbatstruktur von Gen 1 aus, was bei ihm allerdings nicht auf einer Analyse von Gen 1 beruht, sondern Teil seiner These zur Sabbatstruktur von PG ist: PG lässt sich s.E. durch ihren 364-Tage Sabbatkalender mühelos rekonstruieren – von Gen 1 bis Jos 18,1 (; 19,51*) (s. o. Anm. 210). 280 Zum Begriff und seiner Problematik im Zusammenhang von Gen 1 vgl. Bauks, Welt, 2 f. und passim; dies., Chaos, 431–433 und passim. 281 Vgl. aus jüngerer Zeit etwa Scharbert, Toledot-Formel, 53–56; ders., Genesis, 39, wo er zwischen der Deutung von Gen 1,1 als Überschrift und als creatio ex nihilo abwägt und letztere für wahrscheinlicher hält. Vgl. auch Ridderbos, Genesis, 230 f.256–260 u. ö. Ähnlich, nur wenig abgeschwächter, auch von Rad, Genesis, 30 f., der die creatio ex nihilo mit dem Verb arb in Verbindung bringt und der besonderen Stellung von V. 1 vor V. 2. 282 Zur Semantik dieser und weiterer Begriffe aus 1,1–2 s. u. Kap. 2.3.2.3 und vgl. Bauks, Welt, 92–145 und passim. 283 Bejahend etwa Holmstedt, Syntax, 66 (s. u. Anm. 313).

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

88

Der priesterschriftliche Schöpfungsbericht Gen 1,1–2,3

1.) tyviarEB. wird in der Regel entweder als (nicht markierter) status absolutus oder als (syntaktisch erst noch zu klärender) status constructus interpretiert. Für Ersteres sprechen die antiken Übersetzungen, die wörtlich „in einem Anfang erschuf“, also mit indeterminiertem „Anfang“ und finiter Verbalform übersetzen (LXX: ᾽Εν ἀ ρχῇ ἐ ποιή σεν ὁ θεὸς; TO: ywy arb !ymdqb),284 und eine jahrhunderte alte Exegesetradition (sowohl jüdischer Provenienz285 als auch bei Kirchenvätern, Reformatoren und zahlreichen Genesis-Kommentatoren).286 Dagegen spricht – zumindest auf den ersten Blick – der nicht geschriebene Artikel, weshalb denn auch verschiedentlich zu tyviarEB' mit synkopiertem Artikel umvokalisiert wird (vgl. BHS).287 Die determinierte Lesart ist textkritisch jedoch als lectio facilior zu werten – und kann sich auch nicht auf alte Textzeugen berufen: Die griechischen Transkriptionen mit (vermeintlichem) Artikel (βαρησηθ / βαρησειθ) sind erstens nicht alt (LXX-Handschriften aus dem 11.–13. Jh. mit entsprechenden Randnotizen),288 können zweitens nicht sicher aus der Hexapla des Origenes hergeleitet werden (gegen BHS), und drittens kann βα auch für B. stehen. Eine textkritische Variante zu MT liegt somit nicht vor, es handelt sich lediglich um eine Umschriftvariante für B..289 Genauso wenig kann sich eine postulierte Determination auf die samaritanische Aussprache berufen (gegen BHS), da bārāšit, eine erst im vergangenen Jahrhundert erhobene Aussprache,290 im samaritanischen Hebräisch keinen Artikel trägt: Da das Samaritanische /r/ normal längen kann, würde die determinierte Form *bœrrāšet lauten.291 Daraus folgt: „Die Änderung des masoretischen Textes 284 Vgl. zur Übersetzung in den Targumen Anderson, Interpretation und in der rabbinischen Literatur Schäfer, Berēšīt. Zur Auslegungsgeschichte von Gen 1,2 von frühjüdischer Zeit bis ins (jüdische und christliche) Mittelalter vgl. Börner-Klein, Tohu und Bohu. 285 Gemäß jüdischer Tradition gehört auch Gen 1,1 zu den Stellen, die die Übersetzer der griechischen Bibel für König Ptolemaios geändert haben (s. o. Anm. 68): So sollen sie ~yhil{a/ ar"B' tyviarEB. gelesen bzw. übersetzt haben (vgl. etwa Schäfer, Berēšīt, 163 f.; Tov, Rabbinic Tradition, 69.77.87 und passim; Deurloo/Zuurmond, Beginne, 15–17; Alexandre, Commencement, 65 f. Zu den Texten vgl. Rottzoll, Kommentar, 33 f.). LXX liest nun allerdings ᾽Εν ἀ ρχῇ ἐ ποιή σεν ὁ θεὸς und nicht ῾Ο θεὸς ἐ ποιή σεν ἐ ν ἀ ρχῇ, wie die Liste der Änderungen voraussetzt (nach Tov, aaO., 76 f. und passim sollen die Änderungen jeweils den ursprünglichen Text darstellen; das ist aber – lectio facilior – unwahrscheinlich), doch zeigt die Tradition dieser Änderungen, dass Gen 1,1 spätestens in rabbinischer Zeit unmissverständlich als Hauptsatz gelesen, tyviarEB. nicht als st. cstr. aufgefasst, und 1,1–3 schließlich nicht hypotaktisch übersetzt bzw. verstanden wurde (nach Schäfer, aaO., 163 f. in bewusster Abgrenzung zur gegenteiligen Position). tyviarEB. muss in dieser Tradition, wenn nicht als unbestimmter Anfang aufgefasst, als lexeminhärent determiniert bzw. als absolut verstanden werden (s. u.). 286 Vgl. die Darstellung bei Bauks, Welt, bes. 14–64. Zu Vertretern s. u. Anm. 329. 287 So auch Angerstorfer, Schöpfergott, 181 und Deurloo/Zuurmond, Beginne, 10 f. 288 Vgl. aber noch α᾽: ἐ ν (+ τω in verschiedenen Minuskeln, jedoch nicht in den Unzialen) ́ . κεφαλαιῳ 289 Vgl. Rüterswörden/Warmuth, tyvarb, 167–172. 290 Vgl. Kahle, Kairoer Genisa, 165.338 f. 291 Vgl. Macuch, Grammatik, 227 f. (§52bα); vgl. auch Rüterswörden/Warmuth, tyvarb, 175.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Rahmen und Gliederung von Gen 1

89

in tyviarEB' ist eine freie Konjektur, die sich weder auf griechische Transkriptionen der Väter noch auf das samaritanische Material stützen kann.“292 Wenn es sich bei tyviarEB. also um einen status absolutus handeln soll, dann wurde er nie formal angezeigt. Dies heißt aber nicht, dass es sich nicht um einen st.abs. handeln kann: tyviarE kann „einer Gruppe hypodeterminierender Substantive für Zeit- und Ortsangaben zu[gerechnet werden], die selten oder nie den Artikel annehmen“,293 die aber gleichwohl determiniert sind: So sind auch tyviarE „Status absolutus und Determination zuzuschreiben, wobei die formale Anzeige von Determination aufgrund lexemklassenspezifischer Sonderregeln entfällt.“294 Beispiele hierfür können verschiedene genannt werden: Am nächsten kommen etwa mit derselben Präposition rAxa'B. („zuletzt“ in Prov 29,11; vgl. rAxa'l. „künftig“ in Jes 41,23; 42,23), oder von derselben Wurzel varome („von Anfang an“ in Jes 40,21 [im Zusammenhang mit der Grundlegung der Erde]; 41,4.26; 48,16; Prov 8,23 [im Schöpfungskontext]; Qoh 3,11) und tyviarEme („von Anfang an“ in Jes 46,10).295 Da die genannten Beispiele nicht in prosaischen, sondern poetischen Texten begegnen, die Artikelsetzung aber in Prosa und Poesie variiert, wird ihnen ihre Aussagekraft für Gen 1,1 meist abgesprochen296 – zu Unrecht, denn synkopierte Artikel werden in der Poesie „weitgehend nach den Regeln der Prosagrammatik“ gesetzt:297 „Daher gewähren Substantive mit einkonsonantischen Präpositionen in poetischem Kontext Aufschluss darüber, ob nach Ansicht der Vokalisatoren in Prosa ein Artikel anzubringen wäre oder nicht.“298 Dazu kommt: Je weniger Belege mit Artikel ein Lexem in Poesie

292 Rüterswörden/Warmuth, tyvarb, 175. Vgl. Rottzoll, Vorbedingungen, 251 f.; Stipp, Gen 1,1, 324. 293 Stipp, Anfang, 188. 294 Stipp, Anfang, 188; vgl. ders., Gen 1,1, 323–326(ff.) und bereits Jenni, Erwägungen; ders., Beth, 311–314, der jedoch zwei verschiedene Hypothesen unverbunden nebeneinander präsentiert (s. u. Anm. 300 und vgl. Stipp, Gen 1,1, 325 f.). 295 Neben tyviarEme in Jes 46,10 ist tyviarE nur noch in Prov 17,14 ohne Determinationsmarker versehen; beide Fälle sind poetisch. Aus der Prosa ist noch Dtn 11,12 zu vergleichen, wo tyviarE zwar in einer determinierten Constructusverbindung steht, der Parallel- und (inhaltliche) Oppositionsbegriff jedoch in einer indeterminierten (hn"v' tyrIx]a; d[;w> hn"V'h; tyvirEme): Die Textüberlieferung zeigt, dass mehrheitlich auch im zweiten Teil ein Artikel eingefügt wurde. Daraus folgert Stipp, Anfang 193, dass der ursprüngliche Text „die Extremwerte ‚Anfang‘ und ‚Ende‘ gegen das Sprachgefühl späterer Leser ohne Determinationsanzeige“ aufführte. Dies mag stimmen oder nicht. Weitere Beispiele „artikelscheuer“ Zeitbegriffe sind ~l'A[ „Dauer“, xc;nE in der Bedeutung „Dauer“, d[; „dauernde Zukunft“, ~d,q, „vorn/ Osten; früher/Vorzeit“, ~ynIp'l. „früher“, ~ynIP' „vorn“, ~ynIP'mi „von vorn“, ~ynIp'L.mi „von jeher“ und ~ynIp.Limi „innen“, dazu Richtungsangaben mit He locale. Vgl. im Einzelnen Stipp, aaO., 190–192: „Artikelscheu“ ist die Regel, formale Kennzeichnung der Determination die Ausnahme. 296 Vgl. Gross, Syntaktische Erscheinungen, 144; ders., Pendenskonstruktion, 52; Bauks, Welt, 78 f. Vorsichtiger Jenni, Erwägungen, 142. 297 Stipp, Anfang, 191. Vgl. Barr, Determination, 325–333 (vgl. auch Lambert, L’article, 208 f.). 298 Stipp, Anfang, 191.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

90

Der priesterschriftliche Schöpfungsbericht Gen 1,1–2,3

aufweist, umso wahrscheinlicher ist auch die Entbehrlichkeit des Artikels in Prosa.299 Um tyviarEB. als lexeminhärent determiniert zu erweisen, verweist Jenni auf die Verwendung von ~l'A[ „Dauer“, das nur in 16 von 440 Fällen mit Artikel belegt ist,300 Stipp auf #qe „Ende“ als „opponierenden Extremwert“ zu tyviarE:301 Bei den von ihm untersuchten Belegen stellt Artikellosigkeit wiederum die Regel dar. Die poetischen Stellen weisen hier jedoch anders als die prosaischen sogar mehr Belege mit als ohne Artikel auf. Der Vergleich mit #qe ist insbesondere deshalb interessant, weil in der priesterschriftlichen Sintflutgeschichte „das Ende allen Fleisches“ in 6,13 formal indeterminiert angesagt wird: rf'B'-lK' #qE. Die inhärente Determination der Wendung kann nicht allein an lKo liegen, denn in 7,15 verwendet P in derselben Wendung den Artikel: rf'B'h;-lK'mi. Die genannten Vergleichsstellen legen daher gegen die derzeitige opinio communis (s. u.) nahe, tyviarEB. in Gen 1,1 als status absolutus, Gen 1,1 somit als eigenständigen Hauptsatz (Verbalsatz) mit adverbieller Zeitbestimmung aufzufassen: „Die Hypodetermination von #qE bietet ein Analogon zur Artikellosigkeit des entgegengesetzten temporalen Extremwerts tyviarE in Gen 1,1 und ergänzt ältere Beobachtungen, wonach bestimmte Nomina für Zeitangaben die formale Determination meiden.“302

299 Vgl. Stipp, Anfang, 191 f. 300 Vgl. Jenni, Erwägungen, 148 f. (die Zahlenangaben nach Stipp, Anfang, 190), der fragt, „ob nicht, was ~l'A[me und ~l'A[-d[; recht ist, auch tyviarEB. billig sein könnte.“ Jenni, Beth, 313. Die Lösung „mit lexemklassentypischem Verzicht auf die Anzeige von Determination“ (Stipp, Gen 1,1, 326) ist die zweite, der oben (Anm. 294) bereits angesprochenen zwei Interpretationen Jennis. Die erste, breiter ausgeführte, unterscheidet (insbesondere) bei Zeitausdrücken zwischen einer extremen und einer nicht-extremen Auffassung solcher Begriffe, die durch die hebräische Sprache nicht exakt zum Ausdruck gebracht werden können, etwa „nachher / posterior“ und „zuletzt / postremus“ für hn"rox]a;B' (vgl. Jenni, Erwägungen, 143 ff.; ders., Beth, 309 ff.). Da nach Jenni bei einer extremen Auffassung von Gen 1,1 als Anfangszeitpunkt der Artikel unentbehrlich sei, will er tyviarEB. nicht-extrem, nämlich elativisch als Anfangszeitraum verstehen, da hier der Artikel nicht stehen muss: „Es wäre also zu fragen, ob nicht tyviarE in Gen 1,1 regulär im artikellosen status absolutus steht und der Ausdruck tyviarEB. in einem nicht-extremen, nicht-superlativischen Sinn einfach eine sehr frühe Anfangszeit meint“ (Jenni, Beth, 313; vgl. ders., Erwägungen, 147). Übersetzt werden könnte immer noch „Am/Im Anfang“, „wobei ‚Anfang‘ ohne Näherbestimmung als neutrales Archilexem zu ‚Anfangszeitpunkt‘ (superlativ) und ‚Anfangszeitraum‘ (elativ) aufzufassen wäre“ (Jenni, Beth, 313). Jennis erster Lösung ist weniger aus grammatikalischen (so Bauks, Welt, 9 Anm. 48, der freilich insofern recht zu geben ist, als Jennis Unterscheidungen tatsächlich nicht eindeutig sind) als vielmehr aus inhaltlichen Gründen zu widersprechen: Es ist kaum wahrscheinlich, dass die an Datierungen und Chronologien (und Genealogien) interessierte Priesterschrift den Anfang der Welt und ihres Erzählwerkes derart in der Schwebe gelassen hätte. „Die Theorie der Indetermination von tyviarE harmoniert also nur begrenzt mit den literarischen Eigenarten von P, die gerade die Erwartung eines determinierten Ausdrucks fördern.“ Stipp, Gen 1,1, 325 f., hier 326; ähnlich die Kritik bei Rechenmacher, Gott, 3. 301 Vgl. Stipp, Anfang, 194 f. 302 Stipp, Anfang, 195. Bezüglich der „älteren Beobachtungen“ vgl. König, Syntax, 285–287 (§294; bes. §294g); ders., Genesis, 132–134, bes. 133 mit Anm. 1. Zur problematischen

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Rahmen und Gliederung von Gen 1

91

2.) Die gegenwärtige opinio communis geht dagegen von der oben zweitgenannten Interpretation von tyviarEB. als status constructus aus.303 Dafür sprechen die weiteren Belege von tyviarEB., die allesamt in einer klaren Constructusverbindung stehen (Jer 26,1; 27,1; 28,1; 49,34). Darauf haben erstmals nachhaltig Raschi und Abraham Ibn Esra hingewiesen, die dann Gen 1,1 als relative Zeitbestimmung auffassten und den Vers als asyndetischen Relativsatz zu 1,3 (Raschi) bzw. 1,2 (Ibn Esra) interpretierten.304 Wenn tyviarEB. aber st.cstr. ist, muss ein Nomen rectum angegeben werden können: In den genannten Jer-Stellen steht tyviarEB. stets zusammen mit hY"qid>ci / ~yqIy"Ahy> tk,l,m.m; / tWkl.m.m,; also in einer doppelten Constructusverbindung, die durch den Personennamen determiniert ist. In Analogie zu Gen 2,4b; 5,1 (vgl. Ez 28,13) wurde daher zuweilen die finite Verbform in einen Infinitiv umvokalisiert, um auch in 1,1 eine doppelte Constructusverbindung mit Gott als Determinator zu schaffen: ~yhil{a/ aroB. tyviarEB.. Für einen solchen Eingriff gibt es jedoch keinerlei Anhalt an der Textüberlieferung.305 Zudem wird die Inklusion vom Anfang zum Ende des priesterschriftlichen Schöpfungsberichtes in 1,1 und 2,3 mit ~yhil{a/ ar"B' übersehen (s. u. Kap. 2.3.3). Um diesem Problem zu entgehen, und um tyviarEB. gleichwohl als st.cstr. verstehen zu können, wird nun der ganze restliche Vers Gen 1,1 als Rectumsatz verstanden, der die Funktion des Nomen rectum übernimmt.306 Zu übersetzen wäre 1,1 dann: „Im Anfang von Gott-schuf-den-Himmel-und-

Korrelierung von „Determination“ und Artikel vgl. die kritische Prüfung bei Barr, Determination. 303 Vgl. ausführlich Bauks, Welt, 74.81–92 und etwa Dillmann, Genesis, 17; Holzinger, Genesis, 1(–4); Budde, Wortlaut, 67–70; Smith, Syntax, 108(ff.); Speiser, Genesis, 3.12; Beyer, Syntax, 76–82; Doukhan, Creation, 56–59; Kaiser, Gott, 264 f(f).; Rechenmacher, Gott, 3(ff.); Weippert, Schöpfung, 9(ff.). Zu den verschiedenen Interpretationen s. u. Modell 1a / 1b / 2c. 304 Vgl. Bauks, Welt, 25 f.67 f.69 f.; Rottzoll, Vorbedingungen, 249 f. mit Teilübersetzung von Raschis Auslegung: „Der Vers will nicht die Reihenfolge der Schöpfung lehren… r�šjt ist in der Schrift immer mit dem nächsten Wort verbunden…; darum mußt du auch hier sagen, am Anfang, da Gott erschuf, als ob stehen würde, am Anfang der Erschaffung“ (aaO., 249). Raschi und Ibn Esra fußen wohl auf einer älteren Tradition: Vgl. bes. Schäfer, Berēšīt, 163 ff. 305 Der Konsonantentext des samaritanischen Pentateuch ist hierzu natürlich nicht aussagekräftig. Ebenso wenig LXX und Vg, die an allen drei Stellen mit Aorist bzw. Perfekt übersetzen (ἐ ποίησεν bzw. creavit / fecit / creavit). Dagegen unterscheiden TO und Syr zwischen 1,1 auf der einen und 2,4b; 5,1 mit Relativpartikel auf der anderen Seite: arb !ymdqb / bršyt br� gegen db[d amwyb / bywm� d�bd und arbd amwyb / bywm� dbr�. 306 Die Terminologie variiert: Statt Rectumsatz spricht Bauks, Welt, 74.83 u. ö. von einem „determinierenden“ bzw. „genetivischen Attributivsatz“, Weippert, Schöpfung, 9 u. ö. von einem „Gliedsatz“ oder einem „Konstituentensatz“. Holmstedt, Syntax, der mit einer breiteren Quellenbasis als die beiden zuvor Genannten arbeitet, bestreitet, dass entweder das (finite) Verb oder der ganze Verbalsatz Nomen rectum zu tyviarEB. sein kann. Er geht dagegen von einem Relativsatz aus, kommt damit aber mehr oder weniger zu der gleichen Lösung (s. u. Anm. 313).

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

92

Der priesterschriftliche Schöpfungsbericht Gen 1,1–2,3

die-Erde“.307 Rectumsätze können sowohl asyndetisch als auch syndetisch mit der Relativpartikel gebildet werden. Letzteres zeigt, dass Rectumsätze als Unterkategorie der Relativsätze fungieren. Stipp hat nun die knapp 400 asyndetischen Rectumsätze (nur diese sind für einen Vergleich mit Gen 1,1 aussagekräftig) untersucht – mit negativem Resultat für eine Anwendung auf Gen 1,1:308 Asyndetische Relativsätze determinieren in der Regel ihr Bezugswort nicht. Ausgenommen davon sind lediglich 19 unstrittige asyndetische Rectumsätze.309 Doch auch diesen kann Gen 1,1 nicht zugewiesen werden, denn Rectumsätze treten mit Sicherheit nur dann auf, wenn entweder ein Vorzugslexem oder ein beliebiges feminines Substantiv im Singular310 vorangeht, dessen status constructus zweifelsfrei auch im Konsonantentext erkannt werden kann. Zu den Vorzugslexemen gehören lKo, dy", ~wOqm' und pluralisches ~wOy, an femininen Substantiven sind mit je nur einem Beleg hr"t.yI, hm'd>q,; hy"r>qi, hp'f,' hn"v' und hL;xiT. (dazu syndetisch hr"wOT) nachzuweisen. Für die Vokalisation von Gen 1,1 ist daher zu folgern: „Wenn die tiberischen Gelehrten im Einklang mit einer mindestens tausendjährigen Tradition die Präpositionalverbindung tyviarEB. ohne Artikel beließen, kann es nicht ihre Absicht gewesen sein, das Substantiv als Bezugswort eines Rektumsatzes zu markieren.“311 Ob die Priesterschrift dies anders sah als die Masoreten, kann vom Textbefund her nicht mehr klar beantwortet werden.312 Da aber nicht nur die Masoreten, sondern bereits die antiken Übersetzungen tyviarEB. ohne Artikel und 1,1 als eigenständigen Satz und nicht in Unterordnung zum Folgenden übersetzten (s. o.), hat die Deutung von tyviarEB. als status constructus (und von 1,1 als Hypotaxe) mehr gegen sich als die Interpretation als status absolutus (mit einer parataktischen Übersetzung von 1,1 ff.; s. u.).313 307 Dies ist die Lösung von Bauks, Welt, 74.81–92 (Bezug nehmend auf eine These von Weippert; vgl. aaO., 81 Anm. 102); Weippert, Schöpfung, 9 f.; Holmstedt, Syntax, 58 f. und passim (s. aber voranstehende Anm.). S. u. Kap. 2.3.2.2 mit Anm. 334 ff. 308 Vgl. Stipp, Gen 1,1; vgl. ders., Anfang, 188–190. 309 Gen 39,4; Ex 4,13; Lev 7,9; 1Sam 25,15; Jes 29,1; Jer 48,36; Hos 1,2; Ps 71,18; 81,6; 90,15 (2x); 129,6; Hi 18,21; 29,2; Thr 1,14; Esr 1,5; 1Chr 29,3; 2Chr 30,(18–)19; 31,19. Vgl. Stipp, Gen 1,1, 330–335(ff.); ders., Anfang, 189 mit Anm. 7. Dazu kommen gegebenenfalls noch die Belege von t[eB. und ~wOyB., wobei hier die Interpretation als Konjunktionen mehr Wahrscheinlichkeit für sich hat (vgl. Stipp, Gen 1,1, 335–341). Syndetische Rectumsätze sind dagegen häufiger belegt, besonders wegen der Belege von rv,a]-lK' (vgl. aaO., 347–349). 310 Die Ausnahme Ps 90,15 ist bedingt durch den Parallelismus mit einem Vorzugslexem: Vgl. Stipp, Gen 1,1, 349. 311 Stipp, Gen 1,1, 349–352, hier 351; vgl. ders., Anfang, 189 f. 312 Rectumsätze dürften in früheren Sprachstufen und in anderen semitischen Sprachen, die über zusätzliche bzw. genauere Status- und Determinationskennzeichen verfügen, häufiger vorhanden (gewesen) sein. Zum Akkadischen vgl. GAG §166: Bei nicht markierten Relativsätzen wird der st.cstr. verwendet: bīt īpušu imqut „(wenn) das Haus, das er erbaute, einstürzt“ (CH XIX r 69 f.) gegen bītu(m) ša īpušu imqut. Vgl. Stipp, Gen 1,1, 351 mit Anm. 95; Holmstedt, Syntax, 61. 313 Holmstedt, Syntax untersucht ähnlich wie Stipp syndetische und asyndetische Relativsätze und interpretiert Gen 1,1 (die Syntax von 1,1–3 lässt er bewusst außer acht) als

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Rahmen und Gliederung von Gen 1

93

2.3.2.2 Zur Syntax von Gen 1,1–3 Damit ist nun auf die syntaktische Struktur von Gen 1,1–3 einzugehen, wobei das oben Gesagte das Wichtigste bereits vorweggenommen hat. Für Gen 1,1–3 lassen sich grob zwei Übersetzungsmodelle unterscheiden: das parataktische und das hypotaktische, je mit Untergruppen und Mischlösungen:314 Das parataktische Modell rechnet mit drei (bzw. fünf in 1,1–3aα) eigenständigen Sätzen. tyviarEB. stellt dann eine Datierung, Verzeitung der Schöpfung bzw. Welt insgesamt dar, mithin den absoluten Beginn des Kosmos („Am Anfang schuf Gott… Und…“). Das hypotaktische Modell geht dagegen von einer temporalen Nebensatzkonstruktion mit 1,1 als Vordersatz zu 1,3 oder 1,2 aus. Verzeitet wird hier somit entweder der Einsatz des Schöpferhandelns in 1,3 ff. oder die Vorwelt in 1,2 (oder aber beides zusammen) im Verhältnis zu 1,1 („Als Gott…, da…“). Das hypotaktische Modell setzt die Interpretation von tyviarEB. als status constructus voraus (s. u. aber Modell 2b), dem parataktischen Modell steht die Interpretation als status absolutus näher, sie ist aber nicht zwingend, wie Mischlösungen zeigen, die in 1,1 st. cstr. lesen, 1,1–3 aber parataktisch auffassen (s. u. Modell 2c). Alle Modelle haben ihre Stärken und Schwächen. Die am wenigsten schwache Lösung setzt bei der oben vorgezogenen Interpretation von tyviarEB. als status absolutus ein, woraus sich leicht die parataktische Auffassung von 1,1–3 mit drei bzw. fünf eigenständigen Hauptsätzen ergibt (s. u. Modell 2a). Dass sich die von 1,1–3 aus betrachtet mit am wenigsten Problemen belastete Lösung auch von der Gesamtstruktur von 1,1–2,3 am besten rechtfertigen lässt, spricht zusätzlich für diese Interpretation: Mit 1,3 beginnt das für 1,3–31 charakteristische Formelschema von Wort – Geschehensformel – Tat – Billigungsformel – Tagesformel (etc.). 1,1–2 ist davon getrennt zu betrachten. Eine hypotaktische Auffassung mit 1,1 als pendierender Zeitan-

unmarkierten (asyndetischen) Relativsatz. Seine Beispiele für Rectumsätze (hier „construct-relative construction … with unmarked relatives“; aaO., 60) sind aber nicht vollständig, auf die von Stipp ausgeführten Bedingungen solcher Sätze (s. o.) kommt er nicht. Er führt aber eine weitere Unterscheidung ein: die zwischen restriktiven und nicht-restriktiven Relativsätzen (vgl. aaO., 61 ff.): Restriktive Relativsätze mit „crucial information about the head“ treten bei unmarkierten Relativsätzen auf und bei solchen, die auf eine Constructusform folgen. Beides trifft nach Holmstedt auf Gen 1,1 zu, woraus folge: „A restrictive reading for the clause … means that the rē�šît specified is not semantically absolute but relative to the event provided by the restrictive relative clause.“ (AaO., 63; Herv. W.B.). Damit widerspricht er der oben vertretenen These der lexeminhärenten Determination. Aus seiner Interpretation (die Übersetzung lautet „In the initial period that/in which God created the heavens and the earth…“; aaO., 65), resultiert die Möglichkeit mehrerer solcher Anfangszeiträume. Nur durch die restriktive Auffassung wird Gen 1 als besonders hervorgehoben (vgl. aaO., 66). In gewisser Weise ähnlich argumentiert auch Jenni mit seiner auf Indetermination abzielenden ersten Deutung (s. o. Anm. 300). Die dort angeführten Kritikpunkte gelten auch hier. 314 Vgl. Bauks, Welt, 69 ff. Zu den Untergruppen s. u.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

94

Der priesterschriftliche Schöpfungsbericht Gen 1,1–2,3

gabe zu 1,3 ist daher wenig wahrscheinlich – wenn auch nicht unmöglich, bedenkt man, dass das erste Werk auch in anderer Hinsicht verschiedene Abweichungen vom Schema aufweist. 1,1 weist dagegen zum folgenden Text zwei klare inklusorische Bezüge auf: Mit 2,1 korrespondieren die Schöpfungsobjekte „Himmel und Erde“, mit 2,3 korrespondiert die Schöpfungstat ~yhil{a/ ar"B' (s. u. Kap. 2.3.3) – also wiederum Verse außerhalb der Schöpfungserzählung im engeren Sinne. Mit Bauks lassen sich folgende Modelle zur Erklärung der syntaktischen Struktur von Gen 1,1–3 nennen:315 1a.): Das dreigliedrige hypotaktische Übersetzungsmodell (Protasis – Parenthesis – Apodosis): „Zu Beginn der Weltschöpfung Gottes, als die Erde noch öde und leer war und Dunkel über der Oberfläche des Urmeeres lag, aber der Sturmwind Gottes schon über die Wasseroberfläche tobte, sagte Gott…“316 Die „Konstruktion Raschis“ versteht 1,1 wegen des als st.cstr. aufgefassten tyviarEB. als relative Zeitangabe, die dem Handlungseinsatz mit Narrativ in 1,3 pendiert. 1,2 nimmt dann die Funktion einer Parenthese ein.317 Dabei wird zuweilen ar"B' in aroB. umvokalisiert (Budde; Beyer), zuweilen explizit darauf verzichtet (Dillmann; Holzinger; Speiser).318

315 Vgl. Bauks, Welt, 69–92. 316 So Beyer, Syntax, 77.79–82, hier 77. Vgl. auch Dillmann, Genesis, 16 f(f).; Holzinger, Genesis, 1(–4); Budde, Wortlaut, 67–70; Smith, Syntax; Zimmerli, Urgeschichte, 31 (Übersetzung; allerdings zwischen st.cstr. und st.abs. unentschlossen: „Im Anfang, als Gott…“); Humbert, Notes, 193–196; ders., Encore; Speiser, Genesis, 3.11–13; Brown, Structure, 60.62–72; Kaiser, Gott, 264 f(f).; Rechenmacher, Gott, 2–8; Schüle, Prolog, 65.67–71 (vgl. auch ders., Urgeschichte, 32 f(f)., hier jedoch mit parataktischer Übersetzung, die eigenartigerweise V. 3 V. 1–2 zuordnet: Vgl. aaO., 27); Janowski, Schöpfung, 503 f. Das dreigliedrig hypotaktische Modell hat auch Gunkel in den ersten beiden Auflagen seines Kommentars vertreten: Vgl. Gunkel, Genesis [1.Aufl.], 92–95 (Übersetzung); vgl. Bauks, Welt, 70 Anm. 32.33. Danach vertrat er die parataktische Auffassung (s. u. Anm. 329). Zu Darstellung und Kritik vgl. Bauks, aaO., 70–73, zu weiteren Vertretern vgl. aaO., 70 Anm. 32 sowie Ridderbos, Genesis, 227 f. 317 Nach Gross, Syntaktische Erscheinungen, 142 f. und der ihn referierenden Bauks, Welt, 72 f. „werden Parenthesen asyndetisch eingefügt; so bleibt das w von 2a unerklärt“ (Gross, aaO., 143); ebenso Weippert, Schöpfung, 10 Anm. 15; 12. Da sie aber kein (Gegen-)Beispiel nennen, Gen 2,5 (… hdBi. 1b.): Das zweigliedrige hypotaktische Übersetzungsmodell (Protasis – Apodosis): „Am Anfang, als Gott sich daran machte, den Himmel und die Erde zu erschaffen, war die Erde wüst und wirr…“320 Wie Abraham Ibn Esra (s. o. Kap. 2.3.2.1) und seither nur wenige versteht Groß Gen 1,1 (tyviarEB. + determinierender Attributivsatz) als „pendierende Zeitangabe zu 1,2; beide Verse beschreiben den Hintergrund zu den Vordergrundhandlungen Elohims ab 1,3.“321 Als Problem dieser These muss Groß bei seiner zweiten Behandlung des Themas eingestehen, dass sie sich „nicht durch exakte syntaktische Parallelen absichern“ lässt:322 Problematisch ist insbesondere, dass die inhaltlichen Hintergrundsätze 1,2 (zu 1,3) unvermittelt zu syntaktischen Vordergrundsätzen (zu 1,1) werden.323 Auch ist durchaus fraglich, ob die syntaktische Beweisführung mittels Austauschverfahrens zwingend ist.324 So bleibt Groß bei seiner zweiten Untersuchung schließlich unentschieden zwischen den allesamt problembeladenen Thesen einer hypotaktischen Auflösung von 1,1–3. Die zur Stützung seiner ursprünglichen Interpretation genannten Probleme insbesondere der parataktischen Lösung sprechen auch nicht für ihn: Dass tyviarEB. keinen Artikel trägt, braucht aufgrund des oben Gesagten nicht zu erstaunen. Dass die sonstigen Überschriften, die Toledotformeln, in P asyndetisch fortgeführt werden,325 sagt für Gen 1,1 wenig aus, denn die Toledotformeln, die im Übrigen durchaus unterschiedlich fortgeführt werden können,326 setzen erst mit (2,4a bzw.) 5,1 ein, Gen 1 steht aber wohl ganz bewusst außerhalb dieser Tole-

besonders Gross, Pendenskonstruktion, 53 mit Anm. 49 aufgewiesen (vgl. schon Schmidt, Schöpfungsgeschichte, 74 mit Anm. 2). 319 Steck, Schöpfungsbericht, 224 spricht gar von einem „syntaktische[n] Monstrum“. Das ist freilich übertrieben, wie Gen 2,4b–7 zeigt. Vgl. die Kritik bei Rechenmacher, Gott, 6. Gleichwohl wäre die Gestaltung als dreigliedrige Hypotaxe innerhalb Gen 1 mit ansonsten vor allem kurzen Sätzen auffällig. So meint etwa Westermann, Genesis, 135: „Der Stil des Kapitels läßt von vornherein erwarten, daß Vers 1 ein Hauptsatz ist.“ 320 So Gross, Syntaktische Erscheinungen, 142–145, hier 145 (vgl. ders., Pendenskonstruktion, 52–55). Zu Darstellung und Kritik vgl. Bauks, Welt, 73–76, zu weiteren Vertretern Gross, aaO., 144 Anm. 47 (zu nennen ist etwa Ilgen, Urkunden, 4). Vgl. auch ähnlich Guillaume, Land, 13.33–35.39. 321 Gross, Pendenskonstruktion, 53. 322 Gross, Pendenskonstruktion, 53. 323 Vgl. das selbstkritische „obgleich“ in Gross, Syntaktische Erscheinungen, 145. 324 Vgl. bes. die Kritik bei Rechenmacher, Gott, 4 f. 325 Gegen seine Verwerfung syndetisch angeschlossener Parenthesen s. o. Anm. 317. 326 Vgl. nur Bauks, Welt, 75. Zu den Toledotformeln s. u. Exkurs 3.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

96

Der priesterschriftliche Schöpfungsbericht Gen 1,1–2,3

dotgliederung und hat eine eigene Überschrift, die dann auch nicht entsprechend den Toledotbelegen formuliert sein muss. Vertreter beider hypotaktischer Modelle berufen sich auf die scheinbare Parallele Gen 2,4b–7: 2,4b mit der relativen Zeitbestimmung ~AyB. + Infinitiv constructus tAf[] + YHWH Elohim als Nomen rectum kann sowohl dem Narrativ in 2,7, so die übliche Deutung, als auch den Umstandssätzen 2,5 f. (vgl. etwa die Einheitsübersetzung) pendieren.327 Die Parallele ist aber keine, denn in 2,4b handelt es sich mit Gewissheit um eine (doppelte) Constructusverbindung, für Gen 1,1 ist dies alles andere als wahrscheinlich. Die Parallele beginnt erst in 1,2 bzw. 2,5 f. mit syndetisch angeschlossenen Hintergrundsätzen, die in beiden Fällen die Welt vor der Schöpfung beschreiben als eine, die (noch) nicht so war, wie sie als von Gott erschaffene und eingerichtete ist. Parallel sind auch 1,3 und 2,7 mit dem Einsatz der Schöpfungshandlung Gottes mit einem Narrativ. 2,7 stellt aber Folgesatz zu 2,4b dar, 1,3 ist eigenständig: Der Einsatz der Schöpfungshandlung ist in 2,7 verzeitet durch 2,4b, in 1,3 steht er dagegen an einem absoluten Beginn (vgl. 1,1). 1,3 ist durch die formelhafte Darstellung des Schöpfungsberichtes vor allem nach vorne orientiert, anders als 2,7 mit seinem Rückbezug auf 2,4b. 2a.): Gen 1,1–3 als drei unabhängige Hauptsätze: „Am Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde. Die Erde war noch öde Wüste, und Finsternis lag auf der Urtiefe, und Gottessturm bewegte sich über der Wasseroberfläche. Und Gott sprach…“328 Die „klassische“ Lösung der antiken Übersetzungen (vgl. auch Joh 1,1) und zahlreicher Exegeten versteht 1,1.2.3 als je unabhängige Hauptsätze.329 Wie genau tyviarEB. aufzufassen ist, wird unterschiedlich beantwortet (lexeminhärent determinierter st.abs., so mit Jenni und Stipp hier vertreten, oder absolut zu verstehender st.cstr., so etwa bei Wellhausen), ebenso auch die Frage, ob 1,1 als Überschrift zu interpretieren ist oder als Beginn der Schöpfungshandlung, woraus dann etwa die in 1,2 vorhandene (Ur-)Materie hervorgekommen sei (etwa Ridderbos; Scharbert; jedoch s. u.). Vermeintliches Problem dieses Modells ist die Artikellosigkeit von tyviarEB., das aber mit den Argumenten Jennis und Stipps – mit Bezug auf ältere Grammatiker (s. o. Anm. 302) – wohl als gelöst bezeichnet werden kann (s. o.). Damit steht dieser Auffassung m.E. nichts im Wege. 2b.): Gen 1,1 als Hauptsatz mit Gen 1,2 als hypotaktisch untergeordnetem Temporalsatz zu Gen 1,3: „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. [Zur Zeit,] als die Erde [noch] ein Nichts und Gar-Nichts war, und als [noch] Dunkelheit über der Fläche des Urmeers lag, und als [noch] ein starker Orkan über den (Ur-)Wassern tobte, da 327 Vgl. die Darstellung bei Gross, Pendenskonstruktion, 53–55. 328 So Westermann, Genesis, 107. Zu Darstellung (und Kritik) vgl. Bauks, Welt, 77–79. 329 Vgl. etwa Wellhausen, Prolegomena, 185 mit Anm. 1; Gunkel, Genesis, 101 f(f). (seit der dritten Auflage; s. o. Anm. 316); von Rad, Genesis, 27.29–31 (gegen den einzuwenden ist, dass „theologischer Hauptsatz“ keine syntaktische Kategorie ist); Schmidt, Schöpfungsgeschichte, 73–76.88–95; Westermann, Genesis, 107.130–142, bes. 130–136; Steck, Schöpfungsbericht, 223–228(ff.); Scharbert, Genesis, 39 (der V. 1.2 in der Übersetzung eng zusammen nimmt, um seine These der creatio ex nihilo, der „Erschaffung der Voraussetzungen“ für Gottes Schöpferhandeln in 1,1 zum Ausdruck zu bringen); Zenger, Bogen, 62–66; Ruppert, Genesis, 54.63 f.; Seebass, Urgeschichte, 58.64 f(f). und wohl auch Stipp, Anfang, 195 f., der sich allerdings nur explizit zu Gen 1,1 äußert. Zu älteren Vertretern vgl. Ridderbos, Genesis, 228–231.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Rahmen und Gliederung von Gen 1

97

sprach Gott…“330 1,2 stellt nach Rottzoll ein „nominales Temporalsatzgefüge“ dar, das den Zustand der Welt vor dem und beim Einsatz der Schöpfungshandlung beschreibt. Dabei ist 1,2 nicht nur Protasis zu 1,3, sondern zu 1,3–10 insgesamt mit den drei Werken der „Auseinander-Schöpfung“ (opera distinctionis) in 1,3 ff.6 ff.9 f. Problem: Rottzoll will die Syntax von 1,1–3 nicht ausgehend von 1,1, sondern von 1,2 erklären331 und übergeht daher schließlich die Probleme von 1,1: Der Vers stelle als selbständiger Hauptsatz eine Überschrift dar, „einerlei, ob man bere�šīt nun als einen artikellos gebrauchten status absolutus versteht oder aber in bāre�šīt umpunktiert“,332 und könnte erst sekundär zu 1,2–2,4a hinzugefügt worden sein. Weshalb Rottzoll bezüglich des syntaktischen Verhältnisses von 1,1 zu 1,2 dann von einem „nur scheinbar bestehende[n] syndetische[n] Anschluß“ spricht,333 ist angesichts des (#r nicht verständlich. Der enge Bezug von 1,2 zu 1,3–10 betont zwar zu recht, dass die in 1,3–10 durch Scheidung hervorgerufenen (Schöpfungs-)Werke (bedingt 1,3 ff. mit der Erschaffung des Lichts) in 1,2 bereits angelegt sind, dass die Welt somit aus vorhandener Materie geformt wurde. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass 1,2 und 1,3 ff. klar voneinander abgegrenzt sind durch den Einsatz des Schöpfungsformulars erst in 1,3. Eine inhaltliche Verbindung ist selbstredend vorhanden. Kaum zu begründen ist aber seine Unterordnung des formal gleichwertigen V. 2 (…w>) unter V. 3 (…w:) und sein Verständnis von V. 2 als (untergeordneten) Temporalsatz. 2c.): Gen 1,1 als eingliedriger Nominalsatz mit asyndetischem Attributivsatz: „Im Anfang, als Gott die Welt schuf. Aber die Erde war noch nicht (vorhanden), sondern es war Finsternis über dem Urmeer. Und ein Windhauch Gottes wehte über den Wassern. Da sprach Gott…“334 Um der Kompositionsstruktur von Gen 1 (1,1–2 abgesetzt von 1,3 ff.) und dem textkritischen Befund gerecht zu werden, verstehen Bauks und Weippert 1,1 als „eingliedrige[n] Nominalsatz, bestehend aus B. + tyviarE im st.cstr., von dem ein mit Perfekt eingeleiteter Verbalsatz als genetivischer Attributivsatz abhängt.“335 Das heißt, 1,1 ist für sich alleine zu betrachten und als Anakoluth zu verstehen: „Im Anfang von Gott-schuf-Himmel-und-Erde [da war es:]“. 1,1 nimmt damit die Funktion einer Überschrift oder eines Mottoverses ein,336 V. 2 und 330 So Rottzoll, Vorbedingungen, 254 (Herv. und Klammersetzungen im Original). Zu Darstellung und Kritik vgl. Bauks, Welt, 79–81, zu weiteren Vertretern Rottzoll, aaO., 253 mit Anm. 26. 331 Vgl. Rottzoll, Vorbedingungen, 252 ff. 332 Rottzoll, Vorbedingungen, 255. 333 Vgl. Rottzoll, Vorbedingungen, 256 (Herv. im Original). 334 Bauks, Welt, 146. Vgl. Bauks/Baumann, Anfang, 26 f(f).; Bauks, aaO., 81–92 (unter Bezug auf Weippert; vgl. aaO., 81 Anm. 102); Weippert, Schöpfung, 9–15 (von Seebass, Urgeschichte, 65 als „mögliche Variante“ zu obigem Modell 2a bezeichnet; vgl. auch Arneth, Fall, 24 f. mit Anm. 17). 335 Bauks, Welt, 83. 336 Vgl. hierzu von Soden, Mottoverse, der „Mottoverse zu Beginn babylonischer und antiker Epen, [und] Mottosätze in der Bibel“ (so der ganze Aufsatztitel) untersucht: Atr I 1, Gilg I 1, Ee I 1 f., Gen 1,1, Joh 1,1, Ilias I 1 f., Odyssee I 1 und Aeneis I 1a (Gilg muss allerdings aufgrund des nun bekannten Textanfangs gegenüber den früheren Rekonstruktionen in dieser Auflistung entfallen). Von Soden unterscheidet im Übrigen zwischen „Überschrift“ und „Mottosatz“ und lässt nur Letzteres für Gen 1,1 gelten (vgl. aaO., 209), interpretiert Gen 1,1 explizit als Hauptsatz und verwirft jegliche Textemendationen (gegen Weippert, Schöpfung, 9 Anm. 14, der von Soden offenbar missversteht). Ob von Soden Gen 1,1 zu

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

98

Der priesterschriftliche Schöpfungsbericht Gen 1,1–2,3

V. 3 stellen parataktische Hauptsätze dar: „Somit behielte Gen 1,1 Überschriftcharakter, während V. 2 einen Rückgriff auf den Zustand vor der Schöpfung darstellt und in V. 3 der eigentliche Schöpfungsbericht einsetzt.“337 Ausgenommen von der unterschiedlichen Beurteilung von tyviarEB. entspricht diese Lösung also der parataktischen Auffassung mit drei Hauptsätzen (Modell 2a). Da diese Auffassung von tyviarEB. aber nicht unproblematisch ist, die antiken Übersetzungen auch 1,1 als vollwertigen Hauptsatz und nicht etwa als Anakoluth verstanden haben, und da schließlich auch die Auffassung von tyviarEB. als st.abs. mit lexeminhärenter Determination erklärt werden kann (s. o.), muss der These von Bauks und Weippert nicht gefolgt werden. Die von Bauks genannte Parallele, die Überschrift Hos 1,2 (ebenfalls ein Anakoluth), entspricht den von Stipp herausgearbeiteten Merkmalen eines Rectumsatzes, denen Gen 1,1 gerade nicht entspricht (s. o.).

Syntaktisch betrachtet, spricht damit am meisten für bzw. am wenigsten gegen die Interpretation von Gen 1,1–3 als eigenständige Hauptsätze (Modell 2a). Inhaltlich betrachtet ist diese Lösung freilich anfällig für eine Interpretation der Schöpfung als creatio ex nihilo:338 Um die Allmacht Gottes zu betonen, wird alles auf Gott zurückgeführt, nichts ist nicht von Gott erschaffen, nichts schon vor Gottes Schöpfungshandeln vorhanden. Diese

stark dogmatisch interpretiert (als „erste[] Handlung“; ebd.), kann ob der Kürze seiner Darstellung kaum gesagt werden. 337 Bauks, Welt, 82. Weippert, Schöpfung, 9–15 versucht darüber hinaus, den formal gleichwertigen, da syndetisch aufeinanderfolgenden, Versen bzw. Sätzen (besonders von V. 2) eine Hierarchie abzulesen (vgl. auch Bauks, aaO., 84 f.): 1,3 stellt wegen des Narrativs den Handlungseinsatz dar, 1,1.2 sind Verumständungen dazu, wobei 1,2aβ und 1,2b als „Attribute des Chaos“ von 1,2aα „Umstandssätze zweiten Grades“ darstellen, 1,2aα dagegen einen „Umstandssatz ersten Grades“. Daraus resultiert folgende Übersetzung: „1Als Gott anfing, Himmel und Erde (oder: die Welt) zu schaffen, // 2Awährend die Erde als Tohuwabohu existierte (=vorgegeben war), // 2Bwobei Finsternis über der Oberfläche der Flut (lag), / 2Cund ein starker Wind über der Oberfläche des Wassers ‚rüttelte‘, // 3Ada sprach Gott…“ (aaO., 15; im Zitat bezeichnet // einen Zeilenumbruch bzw. eine Satzgrenze mit Wechsel der syntaktischen Ebene, / bezeichnet einen Zeilenumbruch bzw. eine Satzgrenze ohne einen solchen Wechsel). Da Weippert von der „Schwierigkeit“ des gleichwertig beiordnenden Modells ausgeht, dass nämlich „Gott nach Satz 1 ‚Himmel und Erde‘ zu schaffen beginnt, während nach Satz 2A die Erde bereits existiert“ (aaO., 12), scheint seine Lösung keine zu sein, wie er denn auch selber feststellen muss (vgl. aaO., 20): Dieselbe Schwierigkeit hat nämlich auch sein Modell, das zudem mit der Schwierigkeit belastet ist, dass seine Hierarchisierung innerhalb von V. 2 recht willkürlich erscheint. Seine Erklärung, dass V. 2 die „potentielle“ Erde meint (vgl. aaO., 20 f.), trifft genauso für das gleichwertig beiordnende Modell zu (s. o.). Seine Auffassung von V. 1 kann, wie oben gesagt, nicht geteilt werden, seine Deutung von V. 2 ist willkürlich, und schließlich erscheint sein Umweg inhaltlich betrachtet als überflüssig. Ähnlich wie Weippert argumentiert auch Rechenmacher, Gott, 8–16, hier 11, der von einem „strukturale[n] Gegenüber von 2a versus 2b–c“ spricht: „2a bringt also einen Gesamtsachverhalt (negative Qualifizierung) zum Ausdruck, während 2b–c Einzelaspekte darlegen.“ 338 Vgl. dazu Bauks, Welt, 1–14.26–30 und passim.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Rahmen und Gliederung von Gen 1

99

Deutung hat natürlich einen gewissen Anhalt am Text durch die abstrakte Schöpfungsterminologie mit dem Verbum arb, das nur Gott zum Subjekt hat und das kaum durchsichtig ist auf die Art und Weise des Erschaffens (anders etwa die Schöpfungsterminologie in Gen 2 f. mit rcy, „formen/töpfern“). Doch geht die Priesterschrift gerade nicht so weit, Gott auch die Erschaffung von Finsternis und Unheil zuzuschreiben, wie dies bei dem in etwa kontemporären Deuterojesaja geschieht: YHWH formt Licht und erschafft Finsternis, er macht Frieden und erschafft Unheil (Jes 45,6 f.): [r" arEAbW ~Alv' hf,[o %v,xo arEAbW rAa rceAy … hw"hy> ynIa.] Eine schöpfungstheologische Aussage, die auf eine creatio ex nihilo-Konzeption hin gedeutet werden könnte, ist dies freilich nicht: Es geht hier um die Negation der Wirkmächtigkeit anderer Götter und um die Betonung der Allmacht und Alleinwirksamkeit des einen Gottes YHWH (vgl. Jes 45,5).339 Oder muss Gen 1,1 so verstanden werden, dass Gott auch die in 1,2 vorausgesetzte Finsternis, das Urmeer, das in Gen 7,11 zerstörerisch über die Erde kommt, und eine „chaotische“, lebensfeindliche Erde erschaffen hat, um aus diesem negativ konnotierten Rohmaterial dann die gute Schöpfung zu formen? Zu viel spricht dagegen, als dass diese zwar Jahrhunderte alte, spätestens ab dem 2. Jh. n.Chr. vertretene, aber in der (alttestamentlichen) Wissenschaft fast einhellig (doch s. o. Anm. 281) schon lange ad acta gelegte These aufrecht erhalten werden könnte: Die Annahme der Schöpfung vorgegebener Materie und eine Schilderung der Welt vor der Schöpfung, die Vorweltschilderung mittels Negationen, Noch-Nicht-Aussagen oder negativ konnotierter Begriffe, sind traditionell (vgl. Gen 2,5 f. und die Anfänge mesopotamischer Schöpfungstexte).340 Die Vorstellung der creatio ex nihilo ist erst später explizit belegt (frühestens in 2Makk 7,28341) und für diese spätere Zeit bestens erklärbar (als Abgrenzung zur griechischen Naturphilosophie mit der Maxime nihil de nihilo), wegen ihrer ontologischen Implikationen aber der altorientalischen Theologiegeschichte völlig fremd. Auch die Zuordnung des Chaos zu Gott ist inhaltlich wenig plausibel, und die Betrachtung des Chaos in 1,2 als Resultat der Erschaffung des Kosmos, denn nichts anderes bedeutet der Merismus „Himmel und Erde“,

339 Wenn Deuterojesaja Gott sagen lässt, „außer mir gibt es keinen Gott“ (dA[ !yaew> hw"hy> ynIa] ~yhil{a/ !yae ytil'Wz), setzt er voraus, dass zu seiner Zeit andere Götter verehrt wurden oder zumindest vorausgesetzt waren, gegenüber denen YHWH hervorgehoben werden muss, und die angesichts der Allmacht YHWHs zu „Nichtsen“ werden. Ein ontologisches Argument ist dies nicht: Bestritten wird also nicht die Existenz anderer Götter. 340 S. o. und s. u. Kap. 3.4.1 und vgl. Bauks, Welt, bes. 147 ff. 341 2Makk 7,28 wie auch Röm 4,17 und Hebr 11,3 lehren die creatio ex nihilo wohl noch nicht, ihre Formulierungen wurden im 2. Jh. n.Chr. aber zur Begründung dieser Lehre herangezogen. Explizit als Lehre begegnet die Vorstellung von der Schöpfung aus dem (ontologisch verstandenen) Nichts – in Abgrenzung zu griechisch-philosophischen Weltentstehungskonzeptionen – wohl erstmals bei Theophilus von Antiochien, mit Tatian als Vorgänger. Vgl. Schmuttermayr, Schöpfung; May, Schöpfung; Kaiser, Gott, 269–271; Bauks, Welt, 5 f.26–30; zu Theophilus bes. May, aaO., 159–167.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

100

Der priesterschriftliche Schöpfungsbericht Gen 1,1–2,3

in 1,1 überzeugt nicht. Die Interpretation von 1,1 als prima creatio und 1,3 ff. als creatio secunda ist mindestens beim Himmel sicher nicht zutreffend, denn dieser wäre zweimal erschaffen worden (1,1 vs. 1,6–8). Weiter ist die Interpretation von 1,1 als creatio ex nihilo auch wegen der Struktur von Gen 1 insgesamt unwahrscheinlich, da in Gen 1 sonst in allen Fällen der Schöpfungstat das Schöpfungswort vorausgeht, das Schöpfungswort somit konstitutiv ist (die Schöpfungstat aber nicht unentbehrlich; vgl. 1,9 f.). Schließlich sprechen auch die ältesten Auslegungen von 1,1–3 gegen eine Schöpfung aus dem Nichts. Tendiert die Septuaginta zwar möglicherweise schon Richtung creatio ex nihilo mit ihrer Übersetzung von 1,2,342 so entheben Targum Neophyti und das Fragmententargum Gen 1,1 der eigentlichen Schöpfungserzählung, indem sie ein Wort einfügen: „Im Anfang erschuf und vollendete…“ (llkvw arb).343 1,1 wird damit zu einem Titel, der das im Folgenden Berichtete bereits vorwegnimmt, kann aber nicht mehr als prima creatio interpretiert werden, da angesichts der Vollendung der Weltschöpfung eine creatio secunda überflüssig würde: 1,1 blickt auf die gesamte Schöpfung voraus, wie 2,1.2 auf die gesamte Schöpfung zurückblickt – und aus 2,1.2 haben die Targume das Verb llkv entnommen (vgl. etwa 2,1 in TO bzw. in MT).344 Die Interpretation geht in 1,2 weiter: So übersetzt TO Tohuwabohu als „verlassen/wüst und leer“ (aynqwrw aydc), TN und FrgT übernehmen diese Übersetzung, präzisieren aber noch weiter. So liest TN „Und die Erde war Tohuwabohu und verlassen von Menschen und Tieren und leer von allem Anbau von Pflanzen und von Bäumen“.345 Die Erde war also kein Chaos, vielmehr war zu bzw. vor Beginn der Schöpfungshandlungen in 1,3 ff. das noch nicht vorhanden, was die fertige Erde kennzeichnet. 342 So Rösel, Übersetzung, 31–35. 343 Die Targume sind mit Gen 1,1(f.) unterschiedlich und v. a. unterschiedlich interpretativ verfahren. So weisen TN und FrgT eine wohl durch Prov 8,22 ff. inspirierte instrumentale Interpretation von tyviarEB. auf: TN scheint „Vom Anfang her vollendete der Sohn Gottes mit Weisheit Himmel und Erde“ (a[ra tyw aymX ty llkX yyyd arb hmkxb !ymdqlm) zu lesen, wobei vor dem Gottesnamen „das Wort“ (hrmym) ausgefallen sein dürfte, es ursprünglich also „Vom Anfang her erschuf und vollendete das Wort Gottes…“ (arb hmkxb !ymdqlm … llkXw yyyd hrmym) geheißen hat. Vgl. Díez Macho, Neophyti I, 2 f. (vgl. Rüterswörden/Warmuth, tyvarb, 173–175 zur Lesart in filio fecit deus caelum et terram und deren Ablehnung bei Hieronymus). Ähnlich FrgT (llkXw yyy arb hmkxb). Dagegen lesen TO und TJ tyviarEB. wörtlich als adverbiale Zeitbestimmung (!ymdqb / alwwa !m; Letzteres determiniert!). Vgl. Anderson, Interpretation; Börner-Klein, Tohu und Bohu, 10 f.; Deurloo/ Zuurmond, Beginne, 11–14; Bauks, Welt, 66 f. 344 Vgl. Anderson, Interpretation, 25. Die Übersetzung von Gen 2,1.2 in den Targumen stellt wieder eine Schwierigkeit für sich dar: S. u. Kap. 2.3.3 mit Anm. 434 und vgl. Aberbach/ Grossfeld, Onkelos; Anderson, aaO., 25–27. 345 Gen 1,2aα in TN: !m !yxmc !xlp lk !m anqyrw ry[b !mw Xn rb !m ydcw ayhbw ayht twwh a[raw !ynlya. FrgT formuliert etwas knapper. Vgl. dazu auch Anderson, Interpretation; Börner-Klein, Tohu und Bohu, 10 f. Im Hintergrund dieser Gleichsetzung von Tohu und Nichtvorhandensein von Menschen dürfte Jes 45,18 gestanden haben (vgl. Börner-Klein, aaO., 11 ff.).

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Rahmen und Gliederung von Gen 1

101

Wenn aber 1,1 nicht als prima creatio und 1,2 nicht als aus dem Nichts erschaffene, noch ungeformte Materie – oder gar als erste, missratene Schöpfung (die sog. Restitutionshypothese346) – verstanden werden können, dann ist Gen 1,2 das, was traditionsgeschichtlich einzig naheliegend ist, nämlich eine negative Vorabschilderung der Welt: Anders als Gen 2,5(f.) (vgl. Ee I 1 f. etc.) verwendet Gen 1,2 keine (Noch-)Nicht-Aussagen, sondern beschreibt die Vorwelt als finstere Welt (%v,x)o , die kein Leben ermöglichendes Licht aufweist, als eine Welt (bzw. Erde: #r,a'h'), die offenbar von Wasser bedeckt ist (~yIM'h; / ~AhT.), und die Whbow" WhTo ist. Wenn dieses Tohuwabohu (s. u. Kap. 2.3.2.3) aber als nicht erschaffene, sondern einfach als vorhanden vorausgesetzte Vorwelt zu bezeichnen ist, kann 1,1 nicht anders denn als Titel, als Überschrift zur nachfolgenden Schöpfungserzählung verstanden werden,347 was für die Priesterschrift mit ihren Zwischenüberschriften durch die Toledotformeln auch nicht erstaunen kann (s. u. Exkurs 3). Ebenso wenig braucht zu erstaunen, dass diese Überschrift von den darauf folgenden Überschriften unterschieden ist: Durch die exzeptionelle Gestaltung der Toledotüberschrift in 5,1 scheinen die Toledotformeln ursprünglich erst in 5,1 eingesetzt zu haben, und die Schöpfungserzählung wird durch 1,1 mit dem Bezug auf das Erschaffen Gottes (arb) sicher besser eingeleitet angesichts der Schöpfertätigkeiten Gottes in Gen 1 als durch eine Toledotformel, denn in Gen 1 geht es ganz offensichtlich nicht um Zeugungen (dly). Diese setzen innerhalb der Priesterschrift erst in 5,3 ein.348 Wenn auch traditionell mit Gen 1 verbunden, so hat also eine creatio ex nihilo-Deutung mit Gen 1 wenig zu tun. Dass die syntaktische Auffassung von 1,1–3 als dreigliedrige Parataxe diesbezüglich mehr Erklärungsnot hat als eine hypotaktische Auffassung mit 1,1 als Verzeitung des Schöpfungsgeschehens oder der Vorwelt, dürfte sicher mit ein Grund für die Bevorzugung eines hypotaktischen Modells in der Forschung (gewesen) sein. Eine hypotaktische Lesart hat sich syntaktisch betrachtet oben aber als schwierig(er) erwiesen. Hier hat sich nun gezeigt, dass sie auch inhaltlich nicht notwendig ist zur Klärung des Textes. Noch nicht geklärt sind die Inhalte von 1,1.2:

346 Vgl. von Rad, Genesis, 31: „Die Annahme eines kosmisch-luciferischen Sturzes der Schöpfung aus ihrer ersten Herrlichkeit ist aber sprachlich und sachlich ganz unmöglich.“ 347 Vgl. etwa Westermann, Genesis, 130 f(f).; Schmidt, Schöpfungsgeschichte, 90–93; von Soden, Mottoverse, 209 (statt „Überschrift“ besser „Mottosatz“); Zenger, Bogen, 64–66; Steck, Schöpfungsbericht, 226 f.240 f. u. ö.; Bauks, Welt, 81–91, bes. 81 f. (wenn auch mit anderer Deutung von V. 1). Vgl. auch Witte, Urgeschichte, 119, der aber vor der Überschrift 1,1 noch die Überschrift 2,4a ansetzt (vgl. aaO., 55 u. ö. und s. u. Kap. 2.4 mit Anm. 525). 348 Es sei hier schon die Frage gestellt, ob Gen 1 dann überhaupt ursprünglich einer Toledotformel (2,4a) bedarf (entweder als ursprünglicher Beginn des Kapitels vor 1,1 oder als Unterschrift in Korrespondenz zur Überschrift in 1,1), wenn die weiteren priesterschriftlichen Texte nur durch eine Toledot-Überschrift gegliedert sind, diese Funktion in Gen 1 aber durch 1,1 wahrgenommen wird. Hierzu s. u. Kap. 2.4 und Exkurs 3.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

102

Der priesterschriftliche Schöpfungsbericht Gen 1,1–2,3

2.3.2.3 Bedeutung von Titel und Vorweltschilderung Die in der Überschrift verkündete Erschaffung von „Himmel und Erde“ meint nichts anderes als die Erschaffung des Kosmos, der Gesamtheit Himmels und Erdens, das All. Es handelt sich hierbei um die Stilfigur des Merismus:349 Zwei Gegenbegriffe, groß und klein, gut und schlecht, Himmel und Erde, bezeichnen eine Totalität. Vorausblickend auf die Schöpfungserzählung und im Rückblick auf die Schöpfung wird in 1,1 ähnlich wie im Rückblick auch auf die Schöpfungserzählung in 2,1 konstatiert, dass alles von Gott her kommt, seine Ursache letztlich bei ihm hat. Gen 1 braucht daher nicht alles aufzuzählen, was den Kosmos ausmacht – die Systematik der Beschreibung ist freilich nicht zu übersehen –, denn durch Anfang und Ende des Schöpfungsberichtes ist all dies eingeschlossen. „Himmel und Erde“ bezeichnet im Alten Testament durchgehend den Kosmos. Ein anderes Wort dafür hat das Alte Testament (wohl noch) nicht. In einigen Fällen kommt lKo(h;) annähernd an diese Bedeutung heran (vgl. etwa Jes 44,24; Jer 10,16; 51,19; Ps 8,7; 103,19; 119,91; Qoh 11,5) oder dl,x, (eigtl. „Zeit“; vgl. Ps 17,14; 49,2). Erst in nachalttestamentlicher Zeit wird für Kosmos ein Wort geläufig: ~l'wO[. Für das Alte Testament ist diese Verwendung aber wenig wahrscheinlich (auch nicht in Qoh 3,11; Jes 40,28; Jer 10,10).350 Weniger klar ist die genaue Bedeutung der Vorweltschilderung.351 Da es 1,2 nicht um eine „Chaos-Schilderung“ geht, sondern, wie gesagt, um eine negative Vorabschilderung der Welt, eine Kontrastschilderung,352 müssen die Begriffe aus 1,2 von ihrem Kontext der Schöpfungserzählung her gedeutet werden. 1.) Die Finsternis (%v,xo) in V. 2aβ ist ausweislich der Abgrenzung des gut erschaffenen Lichtes von der nicht als gut qualifizierten und der Schöpfertat Gottes bereits vorgegebenen Finsternis in 1,3–5 negativ konnotiert: Sie muss kontrolliert bzw. begrenzt werden, um Leben auf Erden zu ermöglichen. Finsternis als Kennzeichen der Welt vor Gottes Schöpfungstat resultiert also aus der Beobachtung der Leben spendenden Funktion des Lichts (in der geschaffenen Welt). 2.) Ähnlich sieht es mit dem Tohuwabohu in 1,2aα aus: Da WhBo für sich alleine nicht belegt ist, sondern immer nur zusammen mit WhTo (vgl. noch Jes 34,11; Jer 4,23), und wohl auch in phonetischer Entsprechung zu WhTo gebildet wurde,353 muss die Erklä349 Vgl. etwa Schmidt, Schöpfungsgeschichte, 87 f. und bes. Houtman, Himmel, 26 f., zu „Himmel und Erde“ aaO., 26 ff., zu Gen 1,1 aaO., 60–67 und zu „Himmel und Erde“ als Umschreibung für „Kosmos“ aaO., 75–84. 350 Vgl. Houtman, Himmel, 76. 351 Vgl. etwa Kaiser, Bedeutung, 112–120; Schmidt, Schöpfungsgeschichte, 76–84(–87); Westermann, Genesis, 141–152; Bauks, Welt, 110–144 und passim; Rechenmacher, Gott, 8– 16. Zu Tohuwabohu und Tehom bes. auch Tsumura, Earth, 17 ff.45 ff.155 ff. 352 Vgl. Westermann, Genesis, 141: „Es kommt P nicht auf die Chaos-Schilderung als solche, sondern auf die Entgegensetzung an.“ Von „Kontrastschilderung“ spricht auch Bauks, Welt (vgl. etwa aaO., 146). Vgl. auch Schmidt, Schöpfungsgeschichte, 78–80; Tsumura, Earth, 17 ff.45 ff. und passim. 353 Vgl. Westermann, Genesis, 143: „[D]aß whb … als Alliteration nur eine das wht verstär-

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Rahmen und Gliederung von Gen 1

103

rung des Tohuwabohu beim ersten Bestandteil der Verbindung beginnen: Von den 20 Belegstellen, ein Schwerpunkt davon bei Deuterojesaja, bedeuten neun soviel wie „Nichts“ oder „nichtig“ und stehen verschiedentlich in Parallele zu ebensolchen Begriffen, etwa sp,a,, !yIa;, lb,h, oder qyrI (vgl. 1Sam 12,21[2x]; Jes 29,21; 40,17; 40,23; 44,9; 45,19; 49,4; 59,4). Dass „Nichts“ hier nicht ontologisch im Sinne einer NichtExistenz gedeutet werden kann, versteht sich auch hier von selbst: Es geht vielmehr etwa um nicht vorhandene Wirkmächtigkeit, um Sinnlosigkeit o. ä. In sechs Belegen bedeutet Tohu „Öde“ oder „Verwüstung“ (v. a. in Gerichtsankündigungen): Jes 24,10; 34,11; 40,23; 45,18; Jer 4,23; Hi 26,7, in letzterem Fall wieder mit einem Parallelbegriff für „Nichts“ (hm'-yliB.). Und in den vier letzten Belegstellen (neben Gen 1,2) heißt Tohu „Wüste“ (vgl. Dtn 32,10; Hi 6,18; 12,24; Ps 107,40; in Dtn 32,10 etwa in Verbindung mit rB'd>mi). In allen Fällen ist es also eine unwirtliche Gegend oder ein unwirtlicher Zustand, eine Gegend, in der man umkommt (vgl. dba in Hi 6,18), und die der geordneten Schöpfung Gottes explizit entgegen gesetzt wird, wie etwa in Jes 45,18: YHWH ist der Erschaffer des Himmels, der Bilder, Macher und Gründer der Erde, der „sie nicht zum Tohu geschaffen, sondern zum Bewohnen gebildet“ hat (tb,v,l' Ha'r"b. Whto-al{ Hn"n>Ak aWh Hf'[ow> #rh' #r,a'h'w)> kann zwar „erzähleinleitende Funktion“ haben, wie etwa 2Reg 5,1 zeigt, doch werden damit meist „Unterabschnitte von Erzählungen“ eingeführt und keine erzählinitialen Sätze.385 So steht ja auch 2Reg 5,1 im größeren Kontext der Elisa-Erzählungen, oder Ex 3,1386 im Zusammenhang der Mose-Geschichte, und auch mit Gen 3,1 wird keine neue Erzählung begonnen, sondern die Schöpfungserzählung aus Gen 2 fortgesetzt. Gen 1,2 führt damit syntaktisch betrachtet 1,1 fort, inhaltlich betrachtet hinter 1,1 zurück, und leitet in beiderlei Hinsicht zu 1,3 hin, wo die Schöpfung beginnt. Auch traditionsgeschichtlich spricht nichts für einen Erzähleinsatz in 1,2, denn auch dort, wo Schöpfungserzählungen/-passagen mit einer Vorweltschilderung beginnen, werden diese durch eine temporale Konjunktion eingeleitet, etwa in der ersten Zeile von Enūma eliš: enūma eliš lā nabū šamāmu „als droben nicht genannt war der Himmel“ (Ee I 1). Dieses enūma / inūma ist mit dem sumerischen u4-ri-a / u4-bi-a o. ä. „an jenen / diesen (fernen) Tagen“, dem akkadischen ina ūmī ullûti „in jenen Tagen“ und ~AyB. „am Tag / als“ in Gen 2,4b zu vergleichen.387 Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die priesterschriftliche Schöpfungserzählung 1,1–31 eine in sich geschlossene Einheit darstellt, beginnend mit der Überschrift in 1,1 und der Vorweltschilderung in 1,2, die beide eigenständige Satzgefüge darstellen: Die temporale Konjunktion tyviarEB. in 1,1 ist wohl als status absolutus mit lexeminhärenter Determination aufzufassen. In kompositorischer Hinsicht wurde bereits mehrfach auf Gen 2,1–3 hingewiesen. Diese Verse gilt es nun auf ihre literar(histor)ischen Eigenheiten zu untersuchen.

2.3.3 Gen 2,1–3: Der „Schöpfungssabbat“ Gen 2,1–3 stellen den Abschluss der Sieben-Tage-Einheit Gen 1,1–2,3 dar. Die drei Verse grenzen sich von den eigentlichen Schöpfungstagen in 1,3–31 durch die nicht mehr vorhandene Formelhaftigkeit der Erzählung ab und stehen als Epilog in Korrespondenz zum Prolog 1,1–2. Gen 2,1 nimmt mit 385 Vgl. Gross, Syntaktische Erscheinungen, 137.139 und passim. Dagegen betonen etwa Bauks, Welt, 84.91 (überlieferungskritische Anfragen an den Text werden hier nur angesprochen, aber nicht weiter untersucht) und Weimar, Chaos, 138 mit Anm. 7 v. a. die erzähleinleitende Funktion (einschränkend aber Bauks, aaO., 91 Anm. 161: „Einleitung von Unterabschnitten“). 386 Vgl. Bauks, Welt, 84 f. 387 S. u. Kap. 4.4.1 mit Anm. 254 und vgl. etwa Dietrich, ina ūmī ullûti.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Rahmen und Gliederung von Gen 1

111

dem Merismus „Himmel und Erde“ explizit 1,1 auf und schließt mit etwas eigentümlicher Formulierung die Schöpfungstage bzw. Schöpfungswerke 1,3–31 ab. Gen 2,2 f. bilden den Zielpunkt der Tageszählung in Gen 1: Nach sechs Schöpfungstagen lässt Gott am siebten Tag von seiner Arbeit ab und segnet und heiligt den siebten Tag. Auch 2,2 f. nimmt die voraufgehende Erzählung auf, so einerseits in 2,3bβ, wo mit ~yhil{a/ ar"B'-rv,a] ein expliziter Bezug auf 1,1a geschaffen wird, eine Inklusion somit vom Anfang zum Ende des Schöpfungsberichtes,388 und andererseits durch die Relativsätze hf'[' rv,a] in 2,2aβbβ, die die eigentliche Schöpfungserzählung mit „all ihren Werken“ aufnehmen. Darüber hinaus findet sich auch in 2,3 das Lexem %rb, wird hier jedoch anders verwendet als in 1,22.28.389 Neu gegenüber dem Vorangehenden sind ab'c' in 2,1, hk'al'm. in 2,2aβbβ.3bα, hlk in 2,1.2a, tbv in 2,2b.3b und schließlich vdq (sowie die konkrete Verwendung von %rb) in 2,3a. Auffällig ist einerseits das Nebeneinander von 2,1 und 2,2a: Sie erscheinen wie eine Doppelung, da in beiden Versen der Abschluss der Schöpfung konstatiert wird. Auffällig ist andererseits auch das Nebeneinander von 2,2a und 2,2b, die wiederum wie eine Doppelung erscheinen, indem sie zweimal mehr oder weniger dasselbe berichten.390 1.) In neueren Publikationen ist es vor allem Vers 2,1,391 der Anstoß erregt aufgrund seiner im Kontext von Gen 1 auffälligen Passiv-Konstruktion (WLkuy>w;: pu.),392 und weil er den Zusammenhang vom sechsten zum siebten Tag (1,31b – 2,2) unterbreche.393 Gleichwohl muss der Vers nicht mit einem 388 Darauf haben schon die Masoreten aufmerksam gemacht: Die Wortfolge ~yhil{a/ ar"B' ist in der Tora nur dreimal belegt, neben Gen 1,1; 2,3 noch in Dtn 4,32 (vgl. Weil, Massorah Gedolah, 1; Nr. 3). Vgl. auch Cassuto, Genesis, 68 und Steck, Schöpfungsbericht, 195 Anm. 826. 389 S. u. mit Anm. 441.492. 390 Vgl. auch Steck, Schöpfungsbericht, 178–180(ff.), gegen den aber einzuwenden ist, dass die Schwierigkeit nicht allein bei 2,2a liegt: Beim Nebeneinander von 2,2a und 2,2b fällt auf, dass 2,2b kein expliziertes Subjekt aufweist, sich also nicht „mühelos an 2,1 [oder den Vorkontext] anschließen“ lässt (gegen aaO., 180). 391 Etwas konfus ist der Befund bei Arneth, Fall, der Gen 2,1 aaO., 22.227 P zuweist, aaO., 230 hingegen nP – und zwar sowohl der ersten umfangreichen np-Bearbeitungsschicht als auch der zweiten Bearbeitungsschicht, die den um nP(1) erweiterten Text von P vor sich hat. Bei diesen drei unterschiedlichen Zuordnungen desselben Verses hilft auch der Verweis aaO., 26 Anm. 23 nur bedingt weiter, wo Arneth unter Berufung auf Zenger und Weimar (s. u. Anm. 394) 2,1 als „nachpriesterschriftlichen Zusatz“ bezeichnet (nP1 oder nP2?), denn allein dass sich 1,1 und 2,4a chiastisch aufeinander beziehen (lassen; was im Übrigen nichts über die literarische Gleichursprünglichkeit aussagt), kann kein literarkritisches Argument dafür sein, 2,1 dem P-Text abzusprechen: Für einen literarkritischen Eingriff wäre eine Argumentation ausgehend von 2,1 zu erwarten. 392 Vgl. die in Anm. 394 genannten Arbeiten. 393 Vgl. nur Zenger, Bogen, 69 f. Dass „der sechste“ und „der siebte Tag“ durch die Determination besonders hervorgehoben sind, ist offensichtlich (s. o. Anm. 8.270). Das heißt aber gegen Zenger nicht, dass zwischen den beiden Tageszählungen nichts stehen kann, denn einerseits handelt es sich bei 2,2 f. nicht mehr um die schematische Tagesformel aus Gen

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

112

Der priesterschriftliche Schöpfungsbericht Gen 1,1–2,3

Großteil der jüngeren Forschung als sekundär betrachtet werden, wonach der Vers etwa angesichts von 2,2aMT klarstelle, dass Gott nur sechs Tage gearbeitet habe, am siebten aber tatsächlich ruhte,394 oder dass 2,1 die Erschaffung des himmlischen Hofstaates nachtrage zur Erklärung etwa von 1,26.395 Letzteres ist aus traditionsgeschichtlichen Gründen nicht notwendig (s. voranstehende Anm.), missachtet den klaren Bezug von „und ihr Heer“ auch auf die Erde und erklärt letztlich den Plural von 1,26 doch nicht, da die Erschaffung der himmlischen Wesen ja gleichwohl nicht berichtet wird – und wohl auch nicht zu berichten werden braucht, wie ein Blick auf Hi 38,4–7 zeigt, wo die „Morgensterne“ und „Göttersöhne“ (~yhil{a/ ynEB. / rq,bo ybek.AK) der Gründung der Erde (#r. ab'c' kann im Alten Testament unterschiedlich gebraucht werden.406 1.) In Gen begegnet abc noch in Gen 21,22.32; 26,26 (np; jeweils „Heeresfürst“ Pichol von Abimelech [Aab'c.-rf;]), bezeichnet hier so wie an zahlreichen weiteren Belegstellen also ein „Kriegsheer“ (vgl. Num 1,3 ff.; 2,3 ff.; 10,14 ff.; Ex 6,26; 7,4[P]; 12,17.41.51 u. ö.)407 oder die im „Heer“ oder einer Menge Marschierenden, etwa die laer"f.yI-ynEB. in Ex 7,4 (vgl. Ex 12,41P). 2.) Als „Heeresdienst/Kriegsdienst“ begegnet abc v. a. in Num 31. 3.) abc kann allgemein „Dienst“ (vgl. Hi 7,1; 14,14) oder spezifiziert den kultischen Dienst der Leviten am Offenbarungszelt (Num 4; 8,24) bezeichnen. 4.) Schließlich meint abc das „Heer der Himmel“ (Dtn 4,19; 17,3; 2Reg 17,16; 21,3; 23,4 f.; Jes 34,4; 40,26; 45,12; Jer 8,2; 19,13; 33,22; Zeph 1,5; Ps 33,6; Neh 9,6; Dan 8,10 f.), wobei abc zuweilen explizit „Sonne, Mond und Sterne“ (Dtn 4,19; 2Reg 23,5 u. ö.) bezeichnen kann, zuweilen auf die Sterne eingegrenzt wird (so tendenziell Dtn 17,3; Jer 33,22 im Vergleich zu Gen 15,5; Dan 8,10). In aller Regel jedoch wird das „Heer der Himmel“ nicht weiter spezifiziert. In 1Reg 22,19 // 2Chr 18,18; Ps 103,21; Jos 5,14 f.(?: hw"hy>-ab'c;. in kriegerischem Kontext) bezeichnet abc wohl den himmlischen Hofstaat Gottes.

Für Gen 2,1 trifft wegen der Nennung des Himmels und wegen des gänzlich unkriegerischen bzw. unmilitärischen Charakters des Textes408 die Deutung 404 Vgl. Schmidt, Schöpfungsgeschichte, 155; Westermann, Genesis, 233; Steck, Schöpfungsbericht, 184 („Teilunterschrift“); Witte, Urgeschichte, 120 („Summarium“). 405 Gegen etwa Zenger, Bogen, 70; Witte, Urgeschichte, 120; Neumann-Gorsolke, Herrschen, 146 f. 406 Vgl. ausführlicher und mit der Nennung weiterer Stellenangaben Ringgren, ab'c'; van der Woude, ab'c'; Houtman, Himmel, 194–207 (speziell zu ~yIm;V'h; ab'c.). 407 Dabei kann abc aber auch eine nicht-militärische „große Menge“ meinen (vgl. van der Woude, ab'c', 501): Vgl. Ps 68,12 (jedoch in deutlich militärischem Kontext: V. 13); Jes 34,2. 408 In PG findet sich nur noch die Verwendung als „Kriegsheer“ bzw. als „Menge“ der Israeli-

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Rahmen und Gliederung von Gen 1

115

auf das „Himmelsheer“ (4.) am ehesten zu:409 Das „Heer des Himmels“ ist im Alten Testament vielfach belegt, als problematisch erscheint in 2,1 nur der Bezug der Erde zum „Himmelsheer“:410 Bezieht sich „Heer“ nur auf „Himmel“ zurück? Das ist kaum wahrscheinlich: ~a'b'c.-lk'w> steht unmittelbar nach „Erde“ und bezieht sich mit dem (Plural-)Suffix auf „Erde“ und „Himmel“. Die Deutungen nur auf „Himmelsheer“, die Gestirne411 oder die göttlichen Heerscharen, treffen daher den Sinn von 2,1 nicht.412 Was ist dann mit „das ganze Heer von Himmel und Erde“ gemeint? Mit „Himmel und Erde“ sind bereits alle Werke von Gen 1 erfasst, dies macht die Korres-

ten in Ex 7,4b. Ob (abc in) Gen 2,1 PG zugehört oder nicht, wird sich jedoch nicht an Ex 7,4 erweisen können. 409 Steck, Schöpfungsbericht, 182 ff. mit Anm. 772 fasst abc als „Dienst“ (3.) auf (so auch Zenger, Bogen, 70 mit Anm. 62) unter Berufung auf von Rad, Genesis, 41 f., der aber zwischen der Deutung als „technische Bezeichnung priesterlicher Klassifizierung“ (3.) oder als „die oberen Wesen“, dem Hofstaat Gottes, (4.) schwankt und letztlich (s. Übersetzung aaO., 28) wohl doch die „ungewöhnliche“ Verwendung von „Heer“ „für den Inbegriff aller den Kosmos füllenden Elemente (Ps 103,21) und Lebewesen“ übernimmt. Es geht nach Steck entsprechend seiner Interpretation von Gen 1 insgesamt um die „funktionale Bezogenheit der Werke aufeinander“, um die „Aufgaben und Funktionen“, „die die einzelnen Schöpfungswerke für die Ganzheit der Schöpfungswelt haben, genauer … die Dauerbestimmungen und Funktionssetzungen, die den Werken nach der Darstellung von P … ausdrücklich mitgegeben sind.“ AaO., 182 Anm. 772. Dies ist jedoch kaum plausibel: 1.) Die von Steck genannten Parallelen beziehen sich ausschließlich auf den Dienst von Menschen und entstammen kultischem Kontext. Beides trifft für Gen 2,1 nicht (oder nicht direkt) zu. Die Wendung „Himmel (und Erde)“ weist eher auf eine Verwendung von abc hin, die auch sonst in einem Zusammenhang mit dieser/n Vokabel(n) steht. 2.) Auch die Funktion von 2,1 (als „Teilunterschrift“ verstanden) nach Steck überzeugt nicht, wie denn auch seine Übersetzung kaum erhellend ist („So wurden zum Abschluß gebracht Himmel und Erde und all ihr Dienst“; aaO., 184.258 [Herv. im Original]). Denn: Nur „Himmel und Erde“, alle Werke Gottes (in der Terminologie Stecks die Erstausführung), konnten vollendet werden, zu einem Abschluss kommen, nicht aber die auf den Dauerzustand angelegten Aufgaben und Funktionen der Schöpfungswerke. Durch die Erstausführung der Schöpfungswerke können sie ihren in den Anordnungen Gottes benannten „Dienst“ erst antreten, dieser kann mit 2,1 also nicht zu einem Abschluss kommen, sondern geht, wie die Fortsetzung von P zeigt, über die Schöpfungswoche hinaus. 410 abc und #ra begegnen nur noch in Hi 7,1 zusammen. Dort bedeutet abc jedoch eindeutig „Dienst“ (s. o.). 411 So etwa Schmidt, Schöpfungsgeschichte, 155. Vgl. Weimar, Struktur, 99 mit Anm. 28. 412 Das hat schon Steck, Schöpfungsbericht, 182 Anm. 772 klar gesagt. Gegen Witte, Urgeschichte, 120 zeigen die „Parallelen in Jes 45,12 und Neh 9,6“ gerade nicht, dass 2,1 die „himmlischen Heerscharen“ bezeichne (wie Steck auch Witte mit Bezug auf von Rad – und wie Steck auch Witte nicht im Sinne von Rads; s. o. Anm. 409): Diese Deutung übersieht in 2,1 den klaren Bezug von abc auf die Erde (Weimar, Struktur, 99 mit Anm. 28 übergeht den Bezug explizit). In Jes 45,12 und Neh 9,6 hingegen ist ~a'b'c.-lk'w> ausschließlich auf den Himmel bezogen, und die Erde bekommt ein Äquivalent zum „Himmelsheer“: In Neh 9,6 werden die drei Schöpfungsbereiche Himmel – Erde – Meer jeweils weiter beschrieben durch das, was sie enthalten (s. u.). In Jes 45,12 wird die Erschaffung der Erde durch die Erschaffung des Menschen auf ihr ergänzt, die Errichtung des Himmels durch die Verfügungsgewalt Gottes über das Himmelsheer.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

116

Der priesterschriftliche Schöpfungsbericht Gen 1,1–2,3

pondenz zu Gen 1,1 deutlich.413 abc daher als sekundären Zusatz zu bewerten, hilft jedoch nicht weiter: Einerseits löst dies das Problem der Bedeutung von abc in 2,1 nicht, und andererseits wäre bei einer späteren Aufnahme des in jungen Texten im Schöpfungskontext zusammen mit Erde und Himmel oft belegten Terminus nicht erklärbar, warum nur das zum Himmel zugehörige abc, nicht aber auch die dort belegten Attribute zur Erde (der Mensch; „alles, was auf ihr ist“; s. o. Anm. 412 und vgl. noch Jer 51,48) aufgenommen wurden.414 Gen 2,1 ist daher als Einheit aufzufassen, und „all ihr Heer“ auf „Erde und Himmel“ zu beziehen: Damit sind die Gestirne in 1,14 ff., wie die genannten Vergleichstexte zeigen, und wohl auch das Licht in 1,3 ff. „Heer des Himmels“, die weiteren in Gen 1 erschaffenen Lebewesen „Heer der Erde“, was als Formulierung ansonsten zwar nirgends belegt, aber angesichts der Bedeutungsvielfalt von abc keineswegs unerfindbar (in der Textproduktion) bzw. unerklärbar (in der Exegese) ist.415 Zu beachten ist etwa nochmals Ex 7,4P oder auch Jes 34,2, wo der Begriff auch auf Menschen, die Israeliten bzw. die Völker, angewandt wird. Mit ~a'b'c.-lk'w> ist somit die Gesamtheit der belebten Welt gemeint, die Sterne im Bereich des Himmels, die Pflanzen, Tiere und Menschen im Bereich der Erde – womit letztlich schon Gunkel in seiner Auslegung richtig gelegen hat: ab'c' ist in Gen 2,1 „auf alle Klassen der lebendigen Wesen bezogen“,416 indem die gebräuchliche Wendung „Heer des Himmels“ hier ungewöhnlicherweise auch auf die Erde ausgedehnt wurde.417 Damit lässt sich Gen 2,1 am besten umschreiben mit „Und es wurden/waren vollendet Himmel und Erde und alles, was in ihnen ist“. Statt der wörtlichen Übersetzung „und all ihr Heer“ legt sich etwa „und all ihr Gefüge“ oder „und all ihre Schar“ nahe (s. auch Anm. 416). Im Anschluss an einige Targume kann gar von „Lebewesen“

413 Vgl. auch Houtman, Himmel, 68: Es ist „für die faktische Bedeutung eines Ausdruckes per merismum mit ‚Himmel und Erde‘ unwichtig, ob dieser aus dem Wortpaar oder aus mehreren Gliedern besteht.“ Zu den Belegen vgl. aaO., 31–33 und 26 ff.33 ff., zu Gen 2,1 bes. 67–72. 414 Gegen Schmidt, Schöpfungsgeschichte, 155. Auch Hermant, Analyse, 446 f. erwägt, ~a'b'c.-lk'w> der Hand zuzuweisen, die s.E. (vgl. aaO., 444 ff.) die Erschaffung der Gestirne nachgetragen hat. 415 Die Abfolge Himmel – Erde – Heer ist zwar außerhalb von Gen 2,1 nirgends belegt, doch finden sich alle drei Lexeme zusammen in Jes 45,12 (vgl. Ps 33,5 f.), dort aber mit klarem Bezug von „Heer“ auf „Himmel“. 416 Gunkel, Genesis, 114. Vgl. auch Dillmann, Genesis 37 („Alle Wesen Himmels u. der Erde, auch die in Cap. 1 nicht ausdrücklich erwähnten, werden hier zusammengefasst.“); Cassuto, Genesis, 61; Westermann, Genesis, 233 („zusammengefaßt, was in den einzelnen Werken genannt wurde“; „mit ihrer ganzen Fülle“); Steck, Schöpfungsbericht, 181– 185 (vgl. aber Anm. 409); Scharbert, Genesis 47 („und ihr ganzes Gefüge“); Wenham, Genesis, 35 („everything created on earth“); Seebass, Urgeschichte, 87 („Fülle der Schöpfungswerke“ mitsamt ihrem „Auftrag“); Schüle, Urgeschichte, 47 („‚Schar‘ zusammengehöriger Wesenheiten“); Ges18, 1098. 417 Vgl. Cassuto, Genesis, 61; Westermann, Genesis, 233; van der Woude, ab'c,' 501 f.; Houtman, Himmel, 71 f.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Rahmen und Gliederung von Gen 1

117

(oder „Geschöpfen“) gesprochen werden.418 Insofern ist nun auch die Übersetzung der LXX zwar als frei, aber durchaus sinngemäß zu betrachten.419 Ein Blick in die innerbiblische Rezeptionsgeschichte von Gen 2,1 mag diese Deutung bekräftigen: Innerhalb des Geschichtssummariums Neh 9,6–31420 bezieht sich V. 6 auf die Schöpfung – und kann als Auslegung eben dieser ungewöhnlichen, prägnanten Wendung aus Gen 2,1 verstanden werden:

t'yfi[' T'a; ^D 10a `^yr,['v.Bi rv,a] ^r>gEw> ^T,m.h,b.W ^t.m'a]w: ^D>b.[; ^T,biW-^n>biW hT'a; hk'al'm.-lk' hf,[]t;-al{ 10b ~AYB; xn:Y"w: ~B'-rv,a]-lK'-ta,w> ~Y"h;-ta, #r ~yIm;V'h;-ta, hw"hy> hf'[' ~ymiy"-tv,ve yKi 11a y[iybiV.h; 11b `WhveD>q;y>w: tB'V;h; ~Ay-ta, hw"hy> %r:Be !Ke-l[; Nimmt schon Ex 20,9 f. mit hk'al'm. Gen 2,2aβbβ.3bα auf, und bezieht sich 20,11b deutlich auf Gen 2,3a (vgl. AvD>q;l. in 20,8), rekurriert 20,11a auf die sechs Schöpfungstage in Gen 1,3–31, nimmt die in Gen 1,1; 2,1 als Merismus verstandenen Schöpfungsobjekte Himmel und Erde auf, fügt das Meer hinzu (vgl. Gen 1,9 f.; Neh 9,6; Ps 146,6a [wohl mit Bezug auf das Sabbatgebot in Ex 20,11 und nicht auf Gen 1,1–2,3]) und ergänzt mit einer an ~a'b'c.-lk'w> in Gen 2,1 erinnernden Wendung „all das, was in ihnen (=Himmel, Erde und Meer) ist“ (vgl. Ps 146,6a). Der Verfasser von Ex 20,10 f. hat damit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Gen 1,1–2,3 insgesamt vor sich gehabt – was kleine Differenzen nicht ausschließt (das gegenüber Gen 2,1 hinzugefügte Meer; xwn statt tbv/hlk)422 und letztlich freilich auch nichts über die Textgenese von Gen 1 aussagen kann. Unter Voraussetzung der üblichen literarhistorischen Einordnung beider Texte zeigt dies aber, dass der vorliegende Text von Gen 1,1–2,3 vor Ex 20,8–11 in seiner vorliegenden Form entstanden sein muss.

2.) Verschiedene Gründe haben zur Beurteilung von 2,1 als ursprünglich priesterschriftlich geführt. Es sind daher nun die eingangs genannten Fragen zur Kohärenz von 2,1 und 2,2 hinsichtlich ihrer Zugehörigkeit zur ursprünglichen Priesterschrift zu klären. Dieselbe Frage stellt sich auch für 2,3. Hierbei spielt insbesondere die genaue Bedeutung der beiden Lexeme hlk und tbv eine herausragende Rolle, die bei der obigen Behandlung von 2,1 noch weitgehend unberücksichtigt blieb. Dies führt auch zur Bestimmung der Funktion von 2,1–3 im Textganzen von Gen 1,1–2,3. Die Septuaginta fasst 1,31–2,3 so auf, dass Gott „am sechsten Tag“ (1,31b; 2,2aLXX) „seine Werke, die er gemacht hatte“, „zu Ende brachte“ ́ ), und dass er „am siebten Tag“ (2,2b–3) „ruhte“ (καταπαύω)423 (συντελεω „von allen seinen Werken, die er gemacht hatte“ (vgl. Hebr 4,4). Alles, was mit (Schöpfungs-)Arbeit zu tun hat, wird damit auf die Tage eins bis sechs beschränkt, am siebten Tag findet nur noch das „Ruhen“ Gottes statt. Nicht

vertreten hat, (und zur Datierung des Sabbatgebotes insgesamt in nachexilische Zeit) vgl. auch Köckert, Palast, 115 f.137; ders., Dekalog, 7.9 und weiter etwa Seebass, Urgeschichte, 89; Schüle, Prolog, 79–83 bes. 80 mit Anm. 218. Weiter zum Sabbat und dem Sabbatgebot s. u. Exkurs 2. 422 Das geänderte Verb dürfte eine Explizierung sein, die dadurch bedingt ist, dass tbv in Ex 20 als Nomen und nicht als Verb verwendet ist. 423 Zur Übersetzung vgl. Rösel, Übersetzung, 53 f. Grundbedeutung von (κατα)παύω ist „ablassen; aufhören“ (vgl. Gen 8,22LXX), vgl. Wevers, Notes, 20 f.: „he desisted (from all his work)“ AaO., 21. Allerdings dürfte LXX eher an „ruhen“ gedacht haben, ansonsten die ́ ω Änderung der Tageszählung unnötig gewesen wäre. Statt καταπαύω liest α᾽ διαλειπ ́ ω). „dazwischen lassen; ablassen“ (z. T. auch σ᾽; s. o. Anm. 400 zu Ps 71[72],20LXX: ἐ κλειπ

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Rahmen und Gliederung von Gen 1

119

einmal mehr das „zu Ende Bringen“ der Schöpfungswerke wird am siebten Tag (2,2aMT) geduldet. Diese Deutung stellt eine klare Vereinfachung des masoretischen Textes dar,424 die angesichts von y[iybiV.h; ~AYB; in 2,2a und der zunehmenden Sabbatfrömmigkeit in nachexilischer Zeit (s. u.) zwar verständlich, vom hebräischen Text her jedoch keineswegs gefordert ist: 1,31 macht zur Genüge klar, dass die Schöpfungstätigkeit Gottes an ihr Ende und zugleich Ziel gelangt ist durch die Gutheißung „all dessen, was er gemacht hat“. Im narrativen Fortgang des Textes ist die Perfektform hf'[' (rv,a]-lK'-ta,) auffällig, die auf die vergangenen Schöpfungswerke zurückblickt.425 1,31b schließt regulär, wenn auch mit besonderer Betonung,426 den sechsten Tag, womit alles darauf folgende Geschehen, wie schon im vorangehenden Text jeweils, auf den nächsten, also siebten Tag fällt.427 Das auf den sechsten Tag folgende Geschehen ist nach der resümierenden Aussage 2,1 das Handeln Gottes in 2,2–3. Dabei handelt es sich nicht mehr um ein Schöpfungswirken entsprechend der Schöpfungswerke in Gen 1,3–31. Dieses wird auch in 2,2–3 als abgeschlossen betrachtet, indem dreimal durch einen 1,31a korrespondierenden Relativsatz mit zunehmender Betonung auf Gen 1 zurückgeblickt wird: 2,2aβ: 2,2bβ: 2,3b:

hf'[' rv,a] hf'[' rv,a] tAf[]l; ~yhil{a/ ar"B'-rv,a]

(ATk.al;m. … lk;y>w:) (ATk.al;m.-lK'mi … tBov.YIw): (ATk.al;m.-lK'mi tb;v)'

424 Vgl. auch Wevers, Notes, 20 f. 425 Perfekta begegnen in Gen 1 sonst nur im Prolog, 1,1a.2aα, im Zusammenhang mit ihnen korrespondierenden Narrativformen bei den Benennungen in 1,5.10 und der Erschaffung der Menschen in 1,27(2x), bei der Nahrungszuweisung in 1,28 als Koinzidenzfall und bei der Erschaffung der Wassertiere in 1,21 zur Benennung eines allgemein gültigen Zustandes. Zu Gen 2,2 f. s. u. 426 S. o. Anm. 7.271. 427 Gegen Steck, Schöpfungsbericht, 184–188, der meint, dass 2,1 „den Abschluß der Schöpfungswerke und Schöpfungsarbeit mit dem sechsten Tag [beinhalte], V. 2a hingegen in einer neuen, zeitlich und sachlich weiterführenden Aussage das Abschließen dieser abgeschlossenen Schöpfungsarbeit mit dem ganz andersartigen Schöpfungsgeschehen des Ruhens von ihr, das als solches eben nicht mehr Schöpfungswerke erstellendes Arbeiten Gottes ist“ (aaO., 187; gefolgt etwa von Zenger, Bogen, 67 f.; Janowski, Tempel, 235 f.). Steck hat die Position von 2,1 außerhalb der eigentlichen Schöpfungserzählung zwar völlig richtig gedeutet (s. o. mit Anm. 409.412; Steck nennt 2,1 eine „rückblickend-resümierende Feststellung des Erzählers“, womit 2,1 auf eine Metaebene rückt analog zur Geschehensformel: vgl. aaO., 182–184 mit Anm. 776; zu Stecks Definition der Geschehensformel s. o. Kap. 2.2.1), wenn er dem Vers jedoch nur innerhalb von 1,3–2,3 Bedeutung zumisst (vgl. aaO., 182 ff.), übergeht er die Korrespondenz von 2,1 mit 1,1 und die Tatsache, dass 2,1 nach der den sechsten Tag abschließenden Tagesformel steht. Gen 2,1 gehört daher nicht zum sechsten Tag, sondern konstatiert den Abschluss der Schöpfung nach den sechs Schöpfungstagen, kann also nur dem siebten Tag zugerechnet werden (so eine Zuweisung an einen konkreten Tag überhaupt notwendig ist), was durch die Verwendung desselben Lexems in 2,2a auch naheliegt.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

120

Der priesterschriftliche Schöpfungsbericht Gen 1,1–2,3

Den drei Relativsätzen gehen jeweils die Nennung des „siebten Tages“ voraus in einer stilistisch wohl überlegten Kompositionsgestalt mit jeweils sieben Wörtern und parallelen Formulierungen (2,2a.2b.3a), die eine abweichende Tageszählung in einem dieser Glieder (2,2a) für unwahrscheinlich erscheinen lassen.428 Doch nicht nur die Relativsätze und die beharrlich repetierende Betonung des siebten Tages, sondern auch die Verben, die Tätigkeiten Gottes „am siebten Tag“ zum Ausdruck bringen, zeigen, dass nicht mehr von Arbeit oder Schöpfungstaten die Rede ist: Wenn Gott am siebten Tag die Tätigkeiten hlk, tbv, %rb und vdq ausübt, dann heißt dies nicht, dass er nach den sechs Schöpfungstagen die Schöpfung komplettieren müsste, indem er letzte Feinjustierungen vornimmt o. ä.429 Insbesondere Cassuto hat gezeigt, dass hlk nicht das „Abschließen“, sondern das „abgeschlossen Haben“ einer Handlung zum Ausdruck bringt:430 So besteht etwa der Bundesschluss zwischen Gott und Abraham v. a. aus dem Reden Gottes mit Abraham (17,1.3.9.15.19 unterbrochen von der Rede Abrahams nur in 17,[17.]18) und wird abgeschlossen mit ATai rBed:l. lk;y>w: (17,22a): Der letzte Teil der Rede findet sich in V. 21, in V. 22b entfernt sich Gott von Abraham, somit stellt 17,22a fest, dass Gottes Rede bereits geendet hat, und ist am besten zu übersetzen mit „Und er war fertig, mit ihm zu reden“.431 Dasselbe gilt etwa auch für Gen 24,19.22; 27,30; 43,2; 49,33 und ohne die Konstruktion l. + Inf.cstr.432 etwa 2Chr 29,17.433 Syntaktisch parallel zu Gen 2,1 428 Vgl. bes. Cassuto, Genesis, 61: „Our verse consists of three consecutive, parallel lines, each of which contains seven words and is divided into two parts, the first part ending in every case, like a threefold refrain, with the words – the seventh day. Only one who is insensitive to the beauty and majesty of these lines could conceive the possibility of omitting the first mention of the seventh day and of substituting for it on the sixth day.“ Die Parallelität von 2,2a und 2,2b betont auch Steck, Schöpfungsbericht, 186 f. 429 Dies gilt, selbst wenn die Feinjustierungen nur im „Abschließen“ des bereits Abgeschlossenen bestehen würden: Gegen Steck, Schöpfungsbericht, 184–188 (s. o. Anm. 427). 430 Cassuto, Genesis, 61 f. Im Anschluss daran Westermann, Genesis, 233: „Das Verb ‚er (sie) beendete‘ bedeutet in jedem Fall ein Konstatieren des Abschlusses, nicht aber ein Zuendebringen.“ Ähnlich schon Budde, Wortlaut, 87. Zu hlk vgl. auch Gerleman, hlk; Helfmeyer, hl'K'; zu den Belegen auch Schmidt, Schöpfungsgeschichte, 156 mit Anm. 3, der hlk aber als „fertigmachen, zu Ende kommen mit“ versteht (vgl. aaO., 156 Anm. 2). 431 Vgl. Cassuto, Genesis, 62: „The clause ‚And He finished talking with him‘ does not connote ‚And He spoke His concluding words to him‘, for God’s final words were cited in the preceding verse; the meaning is: ‚Having finished talking with him, He went up from Abraham‘.“ 432 Kritisch dazu Steck, Schöpfungsbericht, 179 Anm. 758. 433 Auf 2Chr 29,17, „die einzige Parallele, in der das Verbum gleichfalls mit einem Datum verbunden ist“, hat Jacob, Genesis, 65 hingewiesen: „Am 1. des ersten Monats fingen die Priester an (wlxyw), das Haus Gottes zu reinigen und zu weihen (Xdql), und am 8. des Monats kamen sie zum Ulam Gottes und weihten das Haus Gottes acht Tage lang, und am 16. des Monats hatten sie vollendet (WLKi). Es wird ausdrücklich ausgerechnet, daß die Weihe des Ulam sogleich nach den sieben ersten Tagen begann und acht Tage dauerte, also war sie am 15. beendet, und doch heißt es erst am 16.: WLKi. Also bedeutet dies nicht vollenden, sondern die Beendigung feststellen, dem vollendeten Werke gegenüberstehen.“

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Rahmen und Gliederung von Gen 1

121

funktionieren etwa Gen 21,15 (allerdings aktiv: „Das Wasser war zu Ende im Schlauch“) und insbesondere Ex 39,32 (td:bo[]-lK' lk,Tew;: s. u.), zu Gen 2,2 etwa Ex 5,13 (~k,yfe[]m; WLK;; allerdings mit anderer Bedeutungsnuance: „Vollendet/erledigt!“) und insbesondere der mit Gen 2,2 in Korrespondenz stehende priesterschriftliche Vers Ex 40,33 (hk'al'M.h;-ta, hv,mo lk;y>w:; s. u.). Ein Blick in die Targume, die zwar unterschiedlich übersetzen, denen aber gemeinsam ist, dass sie den „siebten Tag“ in 2,1 nicht in den „sechsten“ ändern, bestärkt diese Interpretation: Lesen die meisten Targume in beiden Versen ~lv für hlk, so übersetzt TO in 2,1 eng an MT angelehnt wllktvaw, ein Wort, das auch verschiedentlich bei der Fertigstellung von Bauwerken Verwendung findet, in 2,2 dagegen ycyvw (Šaphel von hebr. acy), wie auch in Ex 40,33 und anderen, nicht allen, der genannten Stellen: „By replacing llkv which denotes action, with ycyv, which can also signify cessation from action, thus approximating an intransitive state, Onkelos is implying that God did not complete His work on the seventh day, but rather ceased from it.“434

Gott konstatiert also am siebten Tag das Abgeschlossensein seines Schöpfungswerkes, was am besten, wenn auch kaum sehr elegant, mit „Und Gott war fertig“ übersetzt werden kann: „Und so wurden/waren vollendet Himmel und Erde und all ihr Gefüge. Und Gott war fertig am siebten Tag mit seinem Werk, das er getan hatte.“435 2,1 und 2,2a sind damit zugleich retrospektiv, bestätigen das zu Ende gekommen Sein des zuvor Berichteten, und prospektiv, indem sie zur nächsten Tat überleiten. Die nächste „Tat“ unterscheidet sich wenig von 2,2a: Nachdem Gott fertig geworden ist mit seinem Werk, lässt er von diesem Werk ab: tbv bezeichnet „das Aufhören eines schon länger andauernden Vorganges“,436 etwa das Aufhören der Freunde Hiobs, diesem zu antworten in Hi 32,1 (tAn[]me … WtB.v.YIw:), oder das nicht aufhören Sollen von Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht in Gen 8,22, aber nie in erster Linie „(aus)ruhen“.437 So wird

434 Aberbach/Grossfeld, Onkelos, 177. Vgl. aaO., 176–178 für weitere Beispiele. Zu llkv als „‚structural‘ completion of the Creation“ (aaO., 178) vgl. auch die Fertigstellung von Bauwerken etc. etwa in Gen 6,16; Ex 9,18; Num 21,27 in TO mit jeweils unterschiedlichem hebräischen Lexem in MT und die verschiedenen Belege in Esra (vgl. aaO., 177 f.). FrgT (Ms Paris) liest statt llkv oder ~lv vielmehr … dymxw. Nochmals anders lesen die Targume zum Samaritanischen Pentateuch. Weiter zu 2,1 in den Targumen s. o. Anm. 418. 435 Will/soll man hlk in 2,1 und 2,2a mit derselben deutschen Übersetzung wiedergeben (so etwa gefordert von Steck, Schöpfungsbericht, 179 mit Anm. 758 oder Procksch, Genesis, 451, der daher in 2,2a „am sechsten Tag“ liest), können beide Verse (freilich nur sehr platt) mit „fertig machen“ bzw. „fertig sein“ übersetzt werden. 436 Haag, tb;v', 1042; vgl. auch Stolz, tbv. 437 Vgl. Haag, tb;v', 1045. Vgl. mit Bezug auf den Sabbat auch Wellhausen, Prolegomena, 109: Der Sabbat wurde zum „Ruhetag in Sonderheit. Ursprünglich ist die Ruhe nur eine Konsequenz der Feier, … beim Sabbath … wurde sie wol wegen der Regelmäßigkeit, mit der er die Alltagsarbeit alle acht Tage unterbrach, allmählich die wesentliche Eigenschaft. Am Ende wurde dann auch sein Name so gedeutet, als sei er vom Ruhen hergenommen… Dazu stimmt es, daß sich im Laufe der Geschichte eine Steigerung der Sabbathsruhe bei den Israeliten nachweisen läßt.“

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

122

Der priesterschriftliche Schöpfungsbericht Gen 1,1–2,3

denn auch in der Sabbatgesetzgebung bzw. in den „Ruhetagsgeboten“ tbv nicht für „ruhen“ gebraucht: In Ex 31,17 hat Gott in sechs Tagen Himmel und Erde gemacht, und am siebten Tag hat er aufgehört und aufgeatmet: vp;N"YIw: tb;v' y[iybiV.h; ~AYb;W #r ~yIm;V'h;-ta, hw"hy> hf'[' ~ymiy" tv,ve-yKi (dabei entstammt vpn Ex 23,12). In Ex 20,11 ruht Gott explizit am siebten Tag (xwn), von tbv ist dagegen nicht die Rede (s. o. mit Anm. 422). In Ex 23,12; 34,21, den ältesten Belegen des „Ruhetaggebotes“ bzw. des „Arbeitsenthaltungsgebotes“ (s. u. Exkurs 2), steht tbv in Kontrast zu db[, und 23,12b zeigt gerade, dass tbv nur das Nicht-Arbeiten meinen kann, denn es wird begründet mit dem Ausruhen(-Können) der Arbeitstiere und dem Aufatmen der Arbeitskräfte: x:Wny" ![;m;l. tBov.Ti y[iybiV.h; ~AYb;W ^yf,[]m; hf,[]T; ~ymiy" tv,ve `rGEh;w> ^t.m'a]-!B, vpeN"yIw> ^rAv. Die genannten Bezüge zur Sabbatgesetzgebung zeigen zudem, dass die Wiederholung mehr oder weniger desselben Geschehens in 2,2a und 2,2b keinen Anlass für redaktionskritische Sonderungen darstellt, und dies gilt gleicherweise für den gesamten Zusammenhang von 2,2–3:438 In 2,3a segnet (%rb)439 und heiligt (vdq)440 Gott den siebten Tag mit der durch 2,3bα auf 2,2b rekurrierenden und mit 2,3bβγ das gesamte Schöpfungswerk umfassenden Begründung. Dabei korrespondiert die Segnung des siebten Tages den Segnungen von Meerestieren (und Vögeln) und Menschen in 1,22.28, wenn auch dort keine Begründung gegeben, und die Segnung nicht durch die Heiligung komplementiert wird, der Sabbat kein lebendiges Wesen ist, und der Inhalt der Segnung hier nicht berichtet wird.441 Das Ziel der Segnung ist aber das gleiche: Es geht um die Fortdauer bzw. Perpetuierung des von Gott erstmalig Gesetzten. Somit sind nicht nur die einzelnen Schöpfungswerke auf einen Dauerbestand hin angelegt (was für alle gilt, auch wenn nicht alle einen Segen zugesprochen bekommen; s. o. Kap. 2.2.3), son-

438 Vgl. Schmidt, Schöpfungsgeschichte, 154–157. Etwa gegen Wellhausen, Composition, 186 (und ders., Prolegomena, 110 mit Anm. 1), der 2,2b.3b (2,3a ist Druckfehler) für sekundär hält; von Rad, Priesterschrift, 16 f. (2,1.2a[nur y[iybiV.h; ~AYB;].3aα gehören zum Wort- bzw. Befehlsbericht, 2,2a[ohne y[iybiV.h; ~AYB;].b.3aβb zum Tatbericht); sowie gegen die Aufteilung von Gen 2,1–3 in drei Schichten bei Westermann, Genesis, 231 f. (s. o. Anm. 122) und Krüger, Schöpfung, 158.166 (1.: Gen 2,1; 2.: Gen 2,2a[v.l. nach Smr]; 3.: Gen 2,2b.3). Auch Hermant, Analyse, 447 f. betrachtet 2,2b als sekundär gegenüber dem bereits (zusammen mit dem Wochenschema insgesamt) nachgetragenen siebten Tag 2,2 f. 439 Gen 2,3aα. Vgl. Ex 20,11; Jer 20,14 und evtl. auch KAgr(9): 6,1 (vgl. HAE I 58; Leuenberger, Segen, 92 Anm. 331; 115 f.; andere Lesung dagegen bei Aḥ ituv/Eshel/Meshel, Inscriptions, 105–107). Vgl. Keller/Wehmeier, $rb; Scharbert, $rb und ausführlich Leuenberger, aaO., bes. 384–389, der auch auf die traditionsgeschichtliche Einmaligkeit eines Schöpfungssegens hinweist (vgl. aaO., 389). 440 Gen 2,3aβ. Vgl. Ex 20,11. Vgl. Müller, vdq; Kornfeld/Ringgren, vdq; Leuenberger, Segen, 387 mit Anm. 836. 441 Vgl. auch Steck, Schöpfungsbericht, 185 mit Anm. 781; 193–198. Dort auch zum Folgenden. Zur priesterschriftlichen Segenstheologie vgl. auch Leuenberger, Segen, 376–418. Dabei ist die Begründung einer Segenshandlung beim Sabbatsegen hier in P singulär (vgl. Leuenberger, aaO., 388).

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Exkurs 2 zur Geschichte des Sabbats

123

dern die Abfolge von sechs Arbeitstagen und dem nicht von Arbeit geprägten siebten Tag soll über die „erste Woche der Welt“ hinaus Gültigkeit haben. Dabei gewährleistet die Segnung die dauerhafte Wiederholung der Woche (die freilich schon in 1,3–5 gegeben ist als stete Abfolge von Tag und Nacht), die Heiligung die Aussonderung des siebten Tages442 und damit die Gliederung der Woche in 6+1 Tage. Die Menschen wissen von diesem Wochenrhythmus freilich noch nichts, und wenn auch die Berührung mit der Sabbatterminologie äußerst eng ist, so handelt es sich nicht um eine Ätiologie des Sabbats:443 Bekanntlich ist das Substantiv tB'v; hier nicht belegt, und es ergeht auch keine Aufforderung an die Menschen, entsprechend dem göttlichen Vorbild zu handeln.444 Mehr noch: Es kann sich gar nicht um eine Sabbatätiologie handeln, denn Gen 1,1–2,3 beschreibt ein universales Geschehen, der Sabbat hingegen stellt eine auf Israel begrenzte Ordnung dar. Man kann lediglich sagen, dass der von Israel später befolgte Sabbat bereits der Schöpfung bzw. dem Schöpfungshandeln Gottes inhärent ist.

Exkurs 2 zur Geschichte des Sabbats, zum Sabbat in der Priesterschrift und zur Korrespondenz von Schöpfung und Sinai in der Priesterschrift 1.) Ob die ursprüngliche Priesterschrift den Sabbat als solchen erwähnt hat und das Sabbatgebot an Israel ergehen ließ, ist umstritten (s. u.).445 Unklar ist im Einzelnen auch die Geschichte des Sabbats und des Sabbatgebotes,446 doch lässt sich mit Meinhold von zwei verschiedenen „Institutionen“ ausgehen, dem vorexilischen, tB'v; genannten Vollmondtag und dem „siebten Tag“ als Tag der Arbeitsunterbrechung, die in exilischer Zeit in eins gesetzt wurden zum wöchentlichen Sabbat als Ruhetag, der schließlich zunehmend reglementiert wurde: Der Vollmondtag als 15. Tag des Monats gliedert zusammen mit dem Neumondtag (vd-dAbK. !Kov.YIw: `!n"['h, %ATmi (Ex 24,16). So teilt Gott Mose am siebten Tag den Plan für die zu erbauende Wohnung (!K'v.Mih; tynIb.T;), das Heiligtum (vD"q.mi), mit, worin Gott „inmitten der Israeliten“ wohnen (!kv) will (Ex 25,8 f.). Die Priesterschrift spielt somit verschiedentlich an den Sabbat an, in sekundären priesterlichen Passagen wurden diese Anspielungen einerseits vertieft454 und andererseits zu eigentlichen Thematisierungen des (Wochen-)Sabbats fortgeführt, inklusive der priesterlichen Sabbatgebote (bes. Ex 31,12–17; 35,1–3). In Ex 31,13.17 (vgl. noch Ez 20,12.20) steigt der Sabbat gar zu einem „Zeichen (auf ewig)“ ([~l'[ol]. tAa) auf analog zu den Bundeszeichen Regenbogen und Beschneidung in Gen 9,12.13.17; 17,11. Auf den ersten Blick hängt die Frage, ob PG schon von einem Wochensabbat ausging oder nur vom „siebten Tag“, an der literarhistorischen Einordnung von Ex 16,23.25.26.29 mit der expliziten Gleichsetzung von „siebtem Tag“ und Sabbat. Doch der „Sabbat für YHWH“ (hw"hyl; tB'v;) ist bereits in der literarisch nicht beanstandbaren Ausgrenzung des siebten Tages durch und für Gott (hier Elohim) in Gen 2,2 f. so sehr angelegt, dass an der vorausgesetzten Fusion von „siebtem Tag“ und (Vollmond-)Sabbat zum wöchentlichen Sabbat für YHWH in der ursprünglichen Priesterschrift kaum Zweifel angebracht sind – bestärkt durch die weiteren Anspielungen an den Sieben-Tage-Rhythmus und durch die stets wiederkehrende Betonung des siebten Tages in P(S), die unnötig gewesen wäre, hätte der Sabbat schon (immer) am siebten Tag stattgefunden. 3.) Neben der „sechs Tage – siebter Tag“-Korrespondenz zwischen Gen 1,1–2,3 und Ex 24,15 f. findet sich eine weitere Korrespondenz zum Sinaiereignis durch die Verben aus Gen 2,2 f., die bei der Vollendung des Begegnungszeltes in Ex 39 f. wie-

453 Vgl. etwa Pola, Priesterschrift, 217 ff.343 Anm. 144 (Ex 24,15b.16–17.18aα); Schmid, Sinai, 114 mit Anm. 6, der jedoch selber zu der „revisionsoffene[n] Arbeitshypothese“ (aaO., 123) gelangt, dass Ex 24,15b–18a nach-priesterschriftlich ist, und dass die Gesetzeskundgabe in PG nicht auf dem Berg Sinai, sondern in der Wüste Sinai geschehen sei. 454 Vgl. auch Blum, Komposition, 307: „…daß im vorliegenden Text von Ex (24)25–31 die Sieben-Tage-Struktur von Gen 1,1–2,3 in verschiedener Hinsicht ein Echo findet: Mose wird am siebten Tage zur Gottesoffenbarung in die Wolke gerufen (24,16–18), es folgen sieben Gottesreden (25,1; 30,11.17.22.34; 31,1.12), und das Sabbatgebot mit dem Rückverweis auf Gottes Ruhe am siebten Tage beschließt (in der 7. Rede!) die Bauanweisungen (31,12 ff.) und eröffnet den Ausführungsbericht (35,1–3), d. h. Israels Arbeit am Heiligtum soll dem Sabbatrhythmus der Schöpfung entsprechen. Auch mag man bei der Geistbegabung Bezalels (31,3: ~yhla xwr) an die ~yhla xwr von Gen 1,2 denken. Jedenfalls aber erinnert das Element der himmlischen tynbt, die Mose gezeigt wird und der entsprechend die Israeliten den Mischkan und seine Einrichtung fertigen sollen (Ex 25,9.40; 26,30; 27,8 [vgl. Nu 8,4]), an Gen 1,26 f., die Erschaffung des Menschen ~yhla ~lcb.“ (Herv. W.B.; Klammersetzungen im Original).

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Exkurs 2 zur Geschichte des Sabbats

127

der belegt sind, allerdings in anderer Reihenfolge.455 Zu vergleichen sind Ex 39,43a mit Gen 1,31a; Ex 39,32a mit Gen 2,1; Ex 40,33b mit Gen 2,2a; Ex 39,43b mit Gen 2,3aα und Ex 40,9b mit Gen 2,3aβ: Gen 1,31a: hf'[' rv,a]-lK'-ta, ~yhil{a/ ar>Y:w:

Gen 2,1: ~a'b'c.-lk'w> #r,a'h'w> ~yIm;V'h; WLkuy>w: Gen 2,2a: y[iybiV.h; ~AYB; ~yhil{a/ lk;y>w:

hk'al'M.h;-lK'-ta, hv,mo ar>Y:w: hw"hy> hW"ci rv,a]K; Ht'ao Wf[' hNEhiw> Wf[' !Ke Ex 39,32a: d[eAm lh,ao !K;v.mi td:bo[]-lK' lk,Tew: Ex 40,33b: hk'al'M.h;-ta, hv,mo lk;y>w:

Gen 2,3aα: Gen 2,3aβ:

Ex 39,43b: hv,mo ~t'ao %r wyl'Ke-lK'-ta,w> Atao T'v.D:qiw>

daom. bAj-hNEhiw>

hf'[' rv,a] ATk.al;m. y[iybiV.h; ~Ay-ta, ~yhil{a/ %r,b'y>w: Atao vDeq;y>w:

Ex 39,43a:

Die genannten Exodusstellen sind in ihrer literarhistorischen Einordnung freilich umstritten und werden der ursprünglichen Priesterschrift zunehmend aberkannt. Ausnahme bildet nur (neben Ex 24,15 f.; s. o.) Ex 40,33b. Hier und in den sekundären priesterlichen Passagen soll also die Errichtung des Heiligtums für Gott durch die Menschen mit der Erschaffung der Erde für die Menschen durch Gott parallelisiert werden. Wie Israel die „Sabbatstruktur der Zeit“ in der Schöpfung erkennt (Gen 2,2 f. bzw. Ex *16), so ist auch der YHWH-Kult schöpfungstheologisch begründet: Wie Gott die Schöpfung als gut erschaffen und vollendet hat, so hat auch Mose mit den Israeliten das Heiligtum entsprechend den Anweisungen Gottes erschaffen und vollendet. Die genannten Bezugnahmen zwischen Sinaierzählung und Schöpfungserzählung können freilich nicht im Sinne einer „‚Vollendung‘ der Schöpfung“ durch den Bau des Heiligtums bzw. die Einsetzung des Kultes verstanden werden,456 eine Interpretationsfigur bereits aus rabbinischer Zeit,457 denn die Schöpfung ist bereits als „sehr gut“ (1,31) zu ihrem Abschluss gekommen (2,1–3), benötigt also keine Fortführung – weder durch den siebten Tag in 2,1–3 (s. o.), noch durch die Einrichtung des Kultes.458 Darüber hinaus ist nicht nur beim Sabbat, sondern auch beim Heiligtum Gottes darauf hinzuweisen, dass es sich dabei um partikular-israelitische Kultangelegenheiten handelt, dass in Gen 1 jedoch universale Setzungen vollzogen werden. Im Sinaigeschehen ist denn auch nicht Gott, sondern Mose (bzw. die Israeliten) Akteur. Aus den genannten Gründen „lässt sich die Vollendungshypothese schwer halten. Der Akzent liegt vielmehr auf der Analogie zwischen Schöpfungsgeschehen und der Errichtung des Heiligtums. Die Art und Weise, wie Mose die Stiftshütte erbaut, entspricht Gottes Vorgehen bei der Erschaffung der Welt. Auf diese Weise fügt sich das 455 Auf diese Bezüge wurde schon vielfach hingewiesen, vgl. Jacob, Pentateuch, 157 f.245; ders., Genesis, 67; Blenkinsopp, Structure, 280–283; Weinfeld, Sabbath, 502 f.; Blum, Komposition, 306–312; Zenger, Bogen, 170–175; Weimar, Sinai; Janowski, Tempel, bes. 223 ff.; Grünwaldt, Exil, 158–169; Pola, Priesterschrift, 227.293–295.343 f.361; Schüle, Prolog, 81–83; Schmid, Sinai, 120. 456 Gegen Zenger, Bogen, 100 f.170–175, hier 172; Weimar, Sinai, 301 und passim. Ähnlich von Rad, Theologie I, 245–247: „P will allen Ernstes zeigen, daß der im Volke Israel historisch gewordene Kultus das Ziel der Weltentstehung und Weltentwicklung ist. Schon die Schöpfung ist auf dieses Israel hin angelegt worden.“ AaO., 247. 457 Vgl. nebst Weinfeld, Sabbath; Janowski, Tempel, 214–216.245 f. besonders Schäfer, Tempel, bes. 131–133. 458 Vgl. zur Kritik auch Blum, Komposition, 310 f.; Janowski, Tempel, 239 f.; Schüle, Prolog, 83.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

128

Der priesterschriftliche Schöpfungsbericht Gen 1,1–2,3

Heiligtum Israels, das von Menschenhand gemacht ist, homogen in die Schöpfungsordnung ein.“459 Insofern wird auch das Moment der Einwohnung Gottes in Israel und der Gemeinschaft Gottes mit Israel aus Ex *24–40 nicht ohne Weiteres auf den siebten Schöpfungstag angewandt werden dürfen, da ansonsten dieser in seiner universalen Geltung unterbestimmt bleibt.460 Nimmt man die „Selbständigkeit“ von Gen 1 ernst, können aber die Bezüge zu den darauf folgenden P-Texten durchaus gewürdigt werden, etwa unter dem Begriff der „fortschreitenden Konkretion“,461 wonach der priesterschriftliche Eröffnungs- und Programmtext Gen 1 verschiedene Thematiken der nachfolgenden P-Erzählung bereits anklingen lässt. Neben dem Sabbat und dem Heiligtum YHWHs können als solche Verweise auch die Mehrungsnotizen (1,22.28) betrachtet werden und die Bezüge zur Meerwundererzählung Ex *14 (vgl. etwa Gen 1,6–10 mit hv'B'Y:h,; auf der die Israeliten in Ex 14,16.22.29 durch das Meer ziehen können), aus der Fluterzählung die noch näheren Bezüge zu Ex *14 und auch zur Sinaiperikope mit dem zu Ende Gehen der Flut am 1.1. (des 601. Lebensjahres Noachs) in Gen 8,13 und der Vollendung des Begegnungszeltes am 1.1. (des zweiten Jahres nach Auszug aus Ägypten; vgl. Ex 12,41) in Ex 40,17 sowie in kanonischer Lesart zur Moseerzählung (hb'Te als Arche und Schilfkorb aus Ex 2,3np) und zum Salomonischen Tempel.462 [Ende des Exkurses]

Nach allem Gesagten kann Gen 2,1–3 folgendermaßen übersetzt werden: „Und so wurden/waren vollendet Himmel und Erde und all ihr Gefüge. Und Gott war fertig am siebten Tag mit seinem Werk, das er getan hatte. Und er ließ ab am siebten Tag von all seinem Werk, das er getan hatte. Und

459 Schüle, Prolog, 83 (Herv. im Original). 460 Gegen Zenger, Bogen, 170–175; Janowski, Tempel, 237–240: „Am Sinai wird also Israel das schöpfungstheologische Geheimnis des siebten Tages aufgedeckt, weil in der kultischen Präsenz des im ‚Begegnungszelt‘ einwohnenden Sinaigottes … und in der Feier des ersten Opfergottesdienstes … die Schöpfungsabsicht Gottes, Gemeinschaft mit dem Menschen zu haben, für Israel konkret erfahrbare Wirklichkeit wird.“ Janowski, aaO., 238 f. Von dieser „Schöpfungsabsicht Gottes“ weiß Gen 1 und die ganze priesterschriftliche Urgeschichte nichts, im Gegenteil: Gemeinschaft Gottes mit Menschen ist hier die Ausnahme (vgl. Henoch und Noach: 5,22.24; 6,9 ff.), nicht die Regel. Vielmehr zieht sich Gott nach der Schöpfung von der Welt zurück, bis er, hunderte von Jahren später, statt der „Gutheit“ (1,31) die „Schlechtigkeit“ der Welt konstatieren muss (6,12). Ganz anders YHWH Elohim in Gen 2 f., der nach der Erschaffung des ersten Menschenpaares im für sie angelegten Garten wandelt und die Menschen sucht. Janowski relativiert die These denn auch sogleich, indem er das Sinaigeschehen nur auf die nachsintflutliche Welt bezieht und daher „statt von ‚Vollendung‘ (der Welt) angemessener von ‚Neuschöpfung‘ (Israels)“ sprechen will (aaO., 239 f.). Zu „Gottes Ferne“ in der priesterschriftlichen Urgeschichte vgl. Schüle, Prolog, 102 f(f). und s. u. Kap. 4 mit Anm. 1. 461 Vgl. Schüle, Prolog, 79–81. Vgl. auch Ska, Séparation; Zenger, Bogen, 167–177; Millard, Genesis, 115–142; Bauks, Programmschrift. 462 Vgl. Schüle, Prolog, 74–83: „… lässt der P-Text selbst ein weiteres Charakteristikum natürlicher Theologie erkennen, nämlich deren einweisende, vorbereitende Funktion für die spezifischeren, im engeren Sinne Identität stiftenden Inhalte einer Religion. Die Erforschung der Priesterschrift hat diesbezüglich immer wieder die überaus subtil angelegten Querverweise von der Urgeschichte zu den nachfolgenden Großabschnitten der Tora … herausgearbeitet. So wenig die Urgeschichte explizit von Israel und YHWH als dessen Gott spricht, ihre Sprach- und Bildwelt weist auf ganz unterschiedlichen Ebenen in die Geschichte Israels hinein.“ AaO., 74.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Rahmen und Gliederung von Gen 1

129

Gott segnete den siebten Tag und heiligte ihn, denn an ihm ließ er ab von all seinem Werk, das Gott erschaffen hatte, indem er es tat.“ Die Übersetzung von 2,3bβ („das Gott erschaffen hatte, indem er es tat“) kann nur unbefriedigend sein, wenn auch Sinn und Intention des Verses klar sind:463 Mit arb wird die Inklusion zu 1,1 hergestellt, hf[ nimmt die einzelnen Werke in Gen 1 auf. Die zahlreichen Bezüge von 2,1–3 untereinander und zu Gen 1,1–31, insbesondere die Verbindung mit der mit dem Schöpfungsbericht untrennbar zusammengehörigen Tageszählung (s. o. Kap. 2.3.1), sowie der Befund, dass redaktionelle Schichtungsversuche unnötig oder gar den Textbefund erschwerend sind, zeigen klar, dass das Ablassen von der Schöpfungsaktivität, das Ruhen nach der Arbeit, das hier allerdings nur implizit mitschwingt, integraler Bestandteil der Schöpfungshandlung ist und sich über die initiale Woche hinaus perpetuiert zu einem Rhythmus von sechs Tagen Arbeit und einem Tag ohne Arbeit, der (bald) auch für die Menschen Gültigkeit besitzt – wodurch die Menschen neben der astralen Zeiteinteilung aus 1,14 ff. auch eine unabhängig von den Gestirnen ablaufende Gliederung der Zeitläufte erhalten. 3.) Zuletzt kann auch die Struktur von 2,1–3 und die Funktion im Textganzen von Gen 1,1–2,3 aufgezeigt werden: Der Epilog nimmt den Prolog parallel wieder auf und rahmt so die Schöpfungserzählung im engeren Sinne 1,3–31: 1,1 kündigt die (Erzählung der) Erschaffung von „Himmel und Erde“ an, 2,1 konstatiert deren Abschluss. Die Korrespondenz zeigt sich durch die Verwendung von #r,a'h'(w>) ~yIm;V'h; in beiden Versen. Dabei verwendet 2,1 den Merismus nicht, als ob zwischen 1,1 und 2,1 nichts geschehen wäre, vielmehr werden „Himmel und Erde“ erweitert durch „und all ihr Heer“, um die Erschaffung aller Wesenheiten in 1,3–31 aufzunehmen. In 1,2 wird die Welt vor der Schöpfung geschildert als eine unwirtliche, lebensfeindliche und düstere Mischung von Wasser und Erde. In 2,2–3 wird 463 Vgl. auch Steck, Schöpfungsbericht, 180 mit der Übersetzung „denn an ihm ruhte er von all seiner Arbeit, die Gott erschaffen hatte durch sein Tun“ (aaO., 195.258); Schmidt, Schöpfungsgeschichte, 156 Anm. 5, der die „geschraubte“ Ausdrucksweise mit der Kombination von Schöpfungs- (arb) und Sabbattheologie (hf[) begründet und mit „denn an ihm ruhte er von all seiner Arbeit, die Gott durch sein Tun geschaffen hatte“ übersetzt (aaO., 154). Zu tAf[]l:; Ein Infinitivus constructus mit l. kann „in sehr lockerer Beifügung zur Angabe von Anlässen, begleitenden Umständen oder sonstigen Näherbestimmungen“ dienen und ist dann „mit indem oder daß aufzulösen“ (GKB §114o; bekanntestes Beispiel ist „der zum Adverb erstarrte Infin. rmoale dicendo zur Einführung der direkten Rede“). Vgl. aber auch Knauf, Arbeit, 27, der einen prospektiven Sinn erkennt: „Der semantisch und syntaktisch schwierige Vers versucht nicht weniger als eine Verhältnisbestimmung zwischen creatio originalis und creatio continua, oder auch zwischen Gottes Schöpfungshandeln und seinem ‚Handeln in der Geschichte‘.“ Knauf übersetzt: „Gott segnete den siebten Tag und heiligte ihn, denn an ihm hatte er (zum ersten Mal) von seiner Arbeit geruht, die er geschaffen hatte, um sie auszuführen.“ Ebd.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

130

Der priesterschriftliche Schöpfungsbericht Gen 1,1–2,3

die Welt nach der Schöpfung geschildert: Gott kann am siebten Tag auf „alle seine Werke“ zurückblicken und kann, der „Gutheit“ seiner Werke gewiss (1,31a), von der Arbeit ablassen. Wie die Vorweltschilderung zeigt auch die Schilderung des siebten Tages ein ausschließlich göttliches Geschehen, bei dem Erde und Menschheit etc. nicht involviert sind.464 Dazu korrespondiert insbesondere das Ruhen Gottes am siebten Tag dem sich Aufmachen Gottes zur Schöpfung in 1,2b.465 Auch 2,2 f. bringt somit klar zum Ausdruck, dass sich der Kosmos verändert hat – und mit ihm in gewisser Weise auch Gott selbst, der nun nicht mehr undefinierbar-unfassbar über dem Wasser schwebt, sondern zum Schöpfergott geworden ist, der in seinen Werken auch erkannt werden kann.466 2,3bβ nimmt erneut Bezug auf 1,1a und schafft so als Abschluss der gesamten Schöpfungserzählung eine (weitere) Inklusion zu deren Anfang.467 4.) Damit ist das Ende der Untersuchung zur literarischen und überlieferungsgeschichtlichen Einheit von Gen 1,1–2,3 insgesamt erreicht – und sie kann hier nur nochmals bestätigt werden:468 Ungeachtet der verschiedenen in Gen 1 versammelten Traditionen kann nicht hinter den Text von Gen 1 zurückgegangen werden: Der priesterschriftliche Schöpfungsbericht Gen 1,1–2,3 stellt eine literarische und überlieferungsgeschichtliche Einheit dar. Dass Gen 2,4a nicht mehr zu dieser Einheit gehört, wurde schon mehrfach betont und dürfte durch die aufgezeigte Inklusion von 1,1 und 2,3 hinreichend klar geworden sein – zumindest in dem Sinne, dass 1,1–2,3 nicht auf 2,4a angewiesen ist. Im folgenden Abschnitt soll die Gliederung von

464 Die Erde in 1,1aα ist nicht die Erde, die aus der Schöpfung hervorgeht: Vgl. 1,6–10 mit der Benennung in 1,10. 465 S. o. Kap. 2.3.2.3 und vgl. auch Witte, Urgeschichte, 119 (doch s. u. Anm. 467). 466 S. o. Kap. 2.3.2.3 mit Anm. 362. 467 Ohne Gen 2,1 ist die Korrespondenz von Anfang und Ende der Schöpfungserzählung nicht vollständig. So muss Witte, Urgeschichte, 119, da er 2,1 für sekundär hält (vgl. aaO., 120 f.; s. o.), 2,2 f. auseinander reißen, um einen „äußeren Rahmen“ (1,1; 2,3) und einen „inneren Rahmen“ (1,2; 2,2) benennen zu können, obwohl 2,2 f. derart eng zusammen gehören. Ob tbv wirklich ein tyviarEB. entsprechender Zeitaspekt inne wohnt, ist fraglich und kann dahingestellt bleiben angesichts des Beleges von tbv auch in 2,2, Wittes innerem Rahmen. Ungleich größer ist das Problem bei Arneth, Fall, 22–27, der 2,2 f. nicht in seine Betrachtung einbezieht. 468 Vgl. auch Steck, Schöpfungsbericht, 198 f., der seine ausführlichen „Untersuchungen zum Problem der Einheitlichkeit von Gen1,1–2,4a“ polemisch gegenüber Schmidt schließt: „Stellt somit auch 2,2–3 den vermeintlich sekundären Charakter der Tageszählung in Frage, so nicht minder noch einmal den analytischen Ansatz bei einer Sonderung von ‚Wortbericht‘ und ‚Tatbericht‘: daß P in 2,2 f so unbekümmert die Schöpfungswerke als Arbeit, die Gott getan (hf[) hatte (!), zusammenfassen kann, ist gewiß nicht als unvermeidliches Zugeständnis an die Sabbatterminologie zu werten, sondern zeigt, daß P ohne Vorbehalt Gottes Schöpferwirken als Tun versteht, dessen Eigenart in der Ganzheit der Strukturierung der Schöpfungswerke (initiative Anordnung/Selbstaufforderung Gottes (!) und entsprechende Ausführung) in dem Begriff arb konzentriert werden kann…“ AaO., 198 f. Anm. 836.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Rahmen und Gliederung von Gen 1

131

1,1–2,3 genauer untersucht werden, um das bisher Erarbeitete auch von dieser Perspektive bestätigen zu können, ehe dann Gen 2,4 eigens thematisiert wird (s. u. Kap. 2.4).

2.3.4 Zur Gliederung von Gen 1,1–2,3 Die Bezüge der einzelnen Schöpfungswerke und der Schöpfungstage und ihrer Rahmung in 1,1 f.; 2,1–3 zueinander sind so zahlreich und verwoben, dass sich kein eindeutiges Schema aufzeigen lässt. Grob kann man zwischen einem (postulierten bzw. re-konstruierten) Aufbau nach 1.) der Gliederung durch Tage und 2.) der Gliederung durch Werke unterscheiden. Steck hat eine davon abweichende Gliederung vorgeschlagen, die sich an der Aufteilung von Ersterschaffung und Dauerbestand orientiert (3.). Bereits oben in Kap. 2.3.1 wurde festgestellt, dass unter den verschiedenen möglichen Strukturierungen in Gen 1 die der Tagegliederung die herausragendste ist. Ehe die zahlreichen Textbezüge in Gen 1 aufgezeigt werden, sollen hier die verschiedenen Modelle im Detail genannt werden: 1.) Am prominentesten vertreten ist eine Tagegliederung, wobei entweder die Tage 3 und 6 mit je zwei Werken oder die Tage 1, 4 und 7 mit „außerweltlichen“, die Zeitrechnung betreffenden Werken besonders hervorgehoben werden. Das erste Muster folgt in etwa der klassischen Aufteilung der Werke in opera distinctionis und opera ornatus und/oder betont die Aufteilung in die unbelebte und die belebte Welt, wobei dann die einzelnen Tage(werke) einander korrespondieren: 4 zu 1, 5 zu 2, 6 zu 3.469 Schwierig daran ist, dass die Entsprechungen nicht genau sind, und zwar insbesondere was den dritten und sechsten Tag betrifft, und dass der dritte Tag auch nicht nur aus opera distinctionis besteht, sondern mit dem vierten Werk bereits eine Neuerschaffung und keine Scheidung aufweist.470 Das zweite Muster versucht keine oder aber anders definierte inhaltliche Entsprechungen zwischen den Werken herauszuarbeiten, sondern geht von der Sonderstellung insbesondere des siebten Tages aus, die in gewisser Weise mit dem ersten und vierten Tag korrespondiert: einerseits durch die auch dort vorhandenen „Abweichungen“471 und andererseits durch das gemeinsame Thema „Zeit(rechnung)“. So

469 Vgl. etwa Wenham, Genesis, 6 f.; Witte, Urgeschichte, 119 f.; Schüle, Prolog, 104 f.; Krüger, Genesis, 125 f.; Schmid, Schöpfung, 79 f. Der siebte Tag wird in seiner Sonderstellung hier jeweils klar gesehen. 470 Vgl. zu Darstellung und Kritik auch Schmidt, Schöpfungsgeschichte, 54–56; Zenger, Bogen, 71–73. 471 Vgl. etwa die Auflistung bei Zenger, Bogen, 73–76. Da auch bei den anderen Tagen bzw. Werken solche „Abweichungen“ aufgezeigt werden können – entsprechend dem Befund, dass es eben keine einlinige Gestaltung gibt –, ist diese Auflistung aber nicht weiterführend.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

132

Der priesterschriftliche Schöpfungsbericht Gen 1,1–2,3

kommt etwa Zenger zu einer Zuordnung der Tage 1, 4 und 7, die die Tagespaare 2+3 und 5+6 rahmen.472 Dass der zweite und dritte Tag eng zusammengehören, zeigt die nicht geschriebene Billigungsformel nach dem zweiten Werk. Weshalb dann aber das dritte Werk eine Billigungsformel aufweist und damit vom vierten Werk, das auch am dritten Tag erschaffen wird, getrennt wird, ist schwierig zu erklären (s. schon Kap. 2.3.1). Den fünften und sechsten Tag hält als gemeinsames Thema die Erde als Ort der Erschaffung und Lebensort zusammen; dies gilt aber bereits für das vierte Werk am dritten Tag, die Pflanzen. Die Zuordnung der Tagespaare geschieht also nicht reibungslos. Und wenn die Sonderstellung des siebten Tages betont werden soll, dann ist es schwierig, hier den ersten und vierten Tag mit einzubeziehen: Sie weisen zwar eine ähnliche Thematik auf, doch thematisch lassen sich auch andere Beziehungen aufzeigen – und insbesondere findet sich keine lexematische Korrespondenz vom ersten und vierten zum siebten Tag; weiterhin weisen sie zwar allesamt „Abweichungen“ in der Darstellung auf, doch haben auch andere Werke bzw. Tage solche „Abweichungen“ (s. o. Anm. 471); schließlich steht dem kompositorisch betrachtet entgegen, dass der siebte Tag außerhalb des formal gestalteten Schöpfungsberichtes steht, also nicht in der Schöpfungserzählung im engeren Sinne. Wenn also die Sonderstellung des siebten Tages betont werden soll, dann ergibt dies nur Sinn in einem Rhythmus von 6+1. Dass dieser Rhythmus besteht, ist unstrittig. Es stellt sich dann aber die Frage, ob für die Einheit von sechs Tagen nicht doch auch eine Strukturierung aufgezeigt werden kann.473 2.) Eine Gliederung nach Werken findet sich v. a. dort, wo die Tageszählung als (literarhistorisch) sekundäre Ergänzung betrachtet und bei der Darstellung der Struktur von Gen 1 eine rekonstruierte Vorstufe und nicht der Endtext analysiert wird. So hat nach Schmidt die sekundäre „Tageszählung einfach nach dem Prinzip (zweimal: 1+1+2) dem mittleren (3.) und letzten (6.) Arbeitstag zwei Werke aufgezwungen, ohne näher auf den Sinn der so entstehenden Zuordnungen zu achten.“474 Diese vermeintliche „Sinnfremde“ widerspricht nicht nur dem hier herausgearbeiteten Sinnganzen von Gen 1, sondern auch Schmidts These der priesterschriftlichen Interpretation. Er fährt bezüglich der postulierten Vorlage fort: „Die Werke selbst gliedern sich doch eher so: In dem 1.–3. Werk geht es um den Aufbau der Welt. Nur während dieser drei grundlegenden kosmischen Scheidungen erscheint die Namengebung. Das 4.–8. Werk schildert den Ausbau der Welt; jetzt wird der zunächst geschaffene Raum ausgestaltet.“475 Eine Gliederung nach Werken findet sich insbesondere auch bei Vertretern einer Wortbericht-Vorlage, und zwar vor allem dann, wenn auch die Billigungsformel dem ursprünglichen Text belassen wird, wie denn auch oben in Kap. 2.3.1 die Gliederungsfunktion auch der Billigungsformel beobachtet wurde.476 472 Vgl. Zenger, Bogen, (71–)73–80.200 (Zenger weist die Tagegliederung PG zu, die in Gen 1 wohl auf einer Vorlage basiere, die noch anders gegliedert war: vgl. aaO., 73 und zur Vorlage aaO., 30 f. Anm. 13). Vgl. auch, im Detail unterschiedlich, Ruppert, Genesis, 60; Baumgart, Umkehr, 85–89; Weimar, Struktur, 121–134; Neumann-Gorsolke, Herrschen, 154–161; Janowski, Schöpfung, 507 f. 473 Als weiteres Modell vgl. Oberforcher, Flutprologe, (577–)582–597, der gerade von der Sonderstellung des siebten Tages ausgeht. 474 Schmidt, Schöpfungsgeschichte, 55 (Herv. W.B.). 475 Schmidt, Schöpfungsgeschichte, 55 f. Vgl. auch Bertholet, Schoepfungsbericht. 476 Vgl. besonders Lubsczik, Wortschöpfung, 193–195 und s. o. Anm. 97 zu den verschiede-

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Rahmen und Gliederung von Gen 1

133

3.) Steck lässt sich weder von der Sieben-Tage-Folge noch von den acht Werken leiten,477 sondern sucht auch im Aufbau von Gen 1,3–2,3478 nach den Gestaltungskriterien, die er schon bei den Einzelwerken vorgefunden hat, nämlich der Aufteilung in Ersterschaffung und Dauerbestand. Dabei stellt er fest, dass sich die Erschaffung der Lebewesen stets „an den ihnen zugeordneten und bereits erstellten Lebensbereichen“ orientiert,479 und dass der Thematik des Lebens jeweils die Thematik der Zeit vorangeht. So ergibt sich für Steck ein Aufbau von Gen 1, der keine Symmetrie der acht Werke oder der sechs/sieben Tage darstellt, sondern ein Darstellungsgefälle aufweist: Die „Darstellungstendenz der Sukzessivität“,480 wonach das erste Werk noch außerhalb der eigentlichen Schöpfung steht und zeitsetzende Funktion allein für den Schöpfungsvorgang hat.481 Diesem Schöpfungswerk korrespondiert der siebte Tag (2,2–3), der ebenso eine Ordnung festsetzt, die für die eigentliche Schöpfungswelt (noch) keine Relevanz hat, sondern nur den Schöpfungsvorgang betrifft.482 Auf die eigentliche Schöpfungswelt, die auf die Erschaffung der Menschen hinzielt, beziehen sich 1,6–31, wobei in 1,6–13 die Daseinsbereiche 1.) Himmelsfeste, 2.) Meer, 3.) Luftraum (aus sprachlichen Gründen nicht explizit genannt)483 sowie 4.) die Erde und die dazu gehörenden Pflanzen konstituiert, und in 1,14–31 die Lebewesen als den Daseinsbereichen zugeordnete Wesenheiten erschaffen werden, nämlich 1.) die Gestirne, 2.) die Wassertiere, 3.) die Lufttiere und 4.) die Landtiere sowie die Menschen. Dabei thematisieren Lebensraum und Lebewesen unter Punkt 1.) die Zeit, die unter Punkt 2.)–4.) genannten Lebensräume und -wesen thematisieren das Leben. Diese Abfolge sei von P auf sinnvolle Weise in (acht) Schöpfungswerke und (sieben/sechs) Schöpfungstage aufgeteilt worden. Haben nach Steck also weder die Aufteilung nach Schöpfungswerken noch nach Schöpfungstagen einen symmetrischen Aufbau, so konstruiert er einen solchen mit seiner Darstellungsabfolge nach Lebensräumen und Lebewesen, kann dies allerdings nur, indem er insgesamt 11 oder 12 Schöpfungswerke postulieren muss (Wechsel von Tag und Nacht; Himmelsfeste; Meer; Luftraum; Erde und [oder aber separat gezählt] Pflanzen; Gestirne; Wassertiere; Lufttiere; Landtiere; Menschen; göttlicher Ruhetag), ohne dass dies vom Text nahegelegt würde. Und hier setzt die Kritik ein: nen Wortbericht-Vorlagen sowie Anm. 55.269 zu der für diese Positionen notwendigen Textkritik. Noch ohne Trennung von Tat- und Wortbericht kommt Hermant, Analyse aus (vgl. aaO., 439 Anm. 2). Er scheidet zunächst das Tageschema und sodann den vierten Tag aus und kommt somit zu einer Struktur von 3+3+1 Werken: drei opera separationis, drei opera ornatus und die hervorgehobene Erschaffung der Menschen. Vgl. auch Brown, Structure, 92–95. 477 Vgl. Steck, Schöpfungsbericht, 199–223(–243): „Auszugehen ist von dem negativen Eindruck, daß weder der Ansatz bei der Aufgliederung der Abfolge in Gen1 nach opera distinctionis und opera ornatus … noch die Erwartung symmetrischer sachlicher Korrespondenz zwischen den Werken in ihrer Folge und desgleichen zwischen den Tagen in ihrer Folge Einsichten in die Planmäßigkeit der Anlage von Gen1 freigibt.“ AaO., 205 f. Vgl. auch Anderson, Study, 154–159; Bauks, Programmschrift, 333 f. und passim. 478 Nach Steck bilden 1,1 f.; 2,4a den Rahmen um die Schöpfungserzählung, 2,1 eine Teilunterschrift (vgl. Steck, Schöpfungsbericht, 178–199.223–243). Diese Verse werden daher nicht weiter bei der Gliederung der Schöpfungswerke betrachtet. 479 Steck, Schöpfungsbericht, 206. 480 Steck, Schöpfungsbericht, 212. 481 Vgl. Steck, Schöpfungsbericht, 158–177, bes. 170 ff. 482 Vgl. Steck, Schöpfungsbericht, 178–199. 483 Vgl. Steck, Schöpfungsbericht, 61 f. Anm. 219 u. ö.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

134

Der priesterschriftliche Schöpfungsbericht Gen 1,1–2,3

Die Isolation des ersten Werkes von den darauf folgenden basiert auf Stecks kaum zutreffender Ansicht, dem ersten Werk ginge es nicht um die Erschaffung des Lichtes, sondern allein um die Konstituierung der Zeit – und zwar ausschließlich für den ersten Teil der Schöpfungswoche, bis nämlich die Gestirne diese Funktion übernehmen (s. o. Anm. 5.171.174). Das erste Werk ist aber durch den formelhaften Aufbau, den es mit 1,6–31 teilt, klar zu diesen Werken zu rechnen und nicht isoliert zu betrachten. Mit dem ersten Werk kann nicht etwa der siebte Tag in Korrespondenz gesetzt werden, denn der siebte Tag ist explizit kein Schöpfungswerk mehr und auch nicht mehr formelhaft aufgebaut, sondern steht (so auch Steck) außerhalb der eigentlichen Schöpfung(serzählung). Will man Gen 1 schematisch darstellen, wird man sich also zunächst an den vom Text vorgegebenen formelhaften Aufbau in 1,3–31 halten. Auch das zweite Werk, die Himmelsfeste, wird von Steck kaum richtig bestimmt, wenn ihr die Thematik Zeit zugeschrieben wird. Dies lässt sich nur über die zeitsetzende Funktion der Gestirne, die im fünften Werk an der Himmelsfeste angebracht werden, herleiten, lässt sich vom Text von 1,6–8 aber durch nichts rechtfertigen: Der Text nennt als einzige Verbindung zwischen dem zweiten und dem fünften Werk die „Himmelsfeste“, also den „Lebensraum“ der Gestirne. Demgegenüber muss man bezüglich der zeitsetzenden Funktion und insbesondere bezüglich der Funktion des Licht Gebens dem fünften Werk das erste an die Seite stellen, was Steck aber wegen seiner Isolierung des ersten Werkes nicht macht.484 Gegen Stecks Schema spricht weiter, dass er mit dem Meer und dem Luftraum zwei Werke postuliert, die Gen 1 nicht als Schöpfungswerke behandelt: Das Meer wird nicht erschaffen, denn die Wasser, die sich in 1,9(f.) an einem Ort sammeln und sodann als „Meer“ nur benannt werden, waren an sich schon vorher (1,2) und als solche, in denen die Fische wimmeln sollen, seit der Trennung von den himmlischen Wassern in 1,6 f. vorhanden: In 1,9 f. werden die Wasser also nur in Abgrenzung zum dort „Erde“ benannten Trockenland mit „Meer“ benannt. Als Lebensraum für die Fische stehen sie bereits seit 1,6–8 bereit; die Fische sollen ja auch nicht explizit in den „Meeren“ leben, vielmehr sollen die „Wasser“ von ihnen wimmeln (Wcr>v.yI ~yIM;h;; 1,20; vgl. die Kombination beider Begriffe in 1,22bα). Der Lebensbereich für die Fische wird also in 1,6–8 konstituiert. Beim „Luftraum“ für die Vögel ist es etwas komplizierter: Auch er wird nicht erschaffen bzw. explizit benannt, doch auch er wird durch die weiteren Schöpfungswerke konstituiert. Entsteht er aber schon am zweiten Tag durch die Erschaffung der Himmelsfeste (so im Folgenden vertreten) oder erst am dritten Tag (so explizit Steck485)? Da die Wasser- und Lufttiere sowie

484 Steck bezeichnet das erste und fünfte Werk freilich als „Parallelkonstruktionen“, „die im Effekt konvergieren, insofern jenes die zeitliche Gliederung im Schöpfungsvorgang, dieses hingegen die zeitliche Gliederung in der fortan jenseits dessen bestehenden Schöpfungswelt gewährleistet“. Steck, Schöpfungsbericht, 208. 485 Vgl. Steck, Schöpfungsbericht, 87 Anm. 334; 206 Anm. 862; 219 f. Anm. 900. Vgl. schon die Diskussion bei Budde, Wortlaut, 71 f.: „Kein Wort ist gesagt von einer Bewegung des fertigen Gewölbes, einer Hebung nach oben; durch eine solche allein aber könnte der, von den Hebräern als Leere gedachte, Weltenraum zugleich mit der Schaffung des Gewölbes entstehen.“ Die Fortsetzung ist (ähnlich bei Steck) phantasiereich, aber kaum überzeugend, denn: Wie beim zweiten, so wird auch beim dritten Schöpfungswerk das Aufsteigen der „Himmelsfeste“ nicht berichtet. Es wird lediglich vorausgesetzt, dass ein Luftraum vorhanden ist. Diesen mit der Erschaffung der „Himmelsfeste“ in Verbindung zu bringen, legt

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Rahmen und Gliederung von Gen 1

135

die Landlebewesen (Tiere und Menschen) an je einem Tag erschaffen werden, werden wohl auch ihre Lebensräume an je einem Tag erschaffen worden sein, für die Landtiere und Menschen am dritten Tag, für die Wassertiere und Vögel damit am zweiten Tag. Weitere Gründe lassen sich anführen: Die Vögel werden in 1,26.28.30 explizit dem Himmel zugeordnet (~yIm;V'h; @A[); ihr Lebensraum ist bestimmt als Zwischenraum zwischen der Erde und der Himmelsfeste (1,20b), und dieser Zwischenraum wird in 1,6–8 erschaffen, indem die Himmelsfeste gebildet wird, denn die Erde war schon zuvor vorhanden (1,2). Dass die Erde zu diesem Zeitpunkt noch von Wasser bedeckt ist (1,2.9 f.), braucht nicht zu stören, denn die Vögel sollen ja über der Erd(oberfläch)e fliegen/leben (1,20b). Dass die Wasser „unter der Himmelsfeste“ bis an die Himmelsfeste heranreichen sollen,486 geht aus dem Text nicht hervor und erscheint bei einem Vergleich mit der Fluterzählung487 und etwa auch Enūma eliš (s. o. Anm. 485) als unplausibel: So wie Gottes Windhauch in 1,2 über den Wassern „dahinfahren“ kann (tp,x,r;m). , ein Wort, das im Piel nur noch für einen Vogel gebraucht wird (Dtn 32,11), so können auch die Vögel in diesem Raum über dem Wasser bzw. der Erde fliegen. Der zweite Tag konstituiert damit drei Lebensräume: Den der Gestirne: die Himmelsfeste, den der Vögel: der Luftraum unter der Himmelsfeste und über der (hier noch mit Wasser bedeckten) Erde, und den der Fische: die Wasser unter der Himmelsfeste. Schließlich ist auch Stecks Vergleich der „Anlage der Einzelwerke“ mit der „Gesamtanlage“488 wenig überzeugend: Dass 1,3–5 nicht nur als Ersterschaffung (der Unterscheidung von Tag und Nacht) betrachtet werden kann, wurde bereits gesagt. Aber auch Stecks Analyse des Aufbaus ist inkonsequent: Der dem ersten Werk korrespondierende siebte Tag weist durch Segnung und Heiligung auf den Dauerbestand des Ruhetages hin (zunächst freilich nur für Gott), ist also nicht auch auf die Ersterschaffung beschränkt. Dagegen ist nach Steck das achte Werk, die Erschaffung der Menschen, auf die Ersterschaffung begrenzt, der Dauerbestand wird erst narrativ entfaltet in Gen 5 ff.489 Dies erscheint jedoch schon für das achte Werk fraglich, werden die Menschen doch gesegnet und wird ihnen Fortbestand zugesprochen. Auf jeden Fall ist damit das Korrespondenzverhältnis in Stecks Aufbauschema erheblich gestört. sich nicht nur aufgrund von Ee IV 137 ff., der Zerteilung Tiāmats durch Marduk, nahe, sondern auch, weil eine im Wasser schwimmende „Feste“ kaum schon als „Himmel“ benannt worden wäre (1,8a). 486 So Steck, Schöpfungsbericht, 87 Anm. 334. 487 Die priesterschriftliche Fluterzählung zeigt, dass durch die Himmelsfeste ein Zwischenraum zwischen Erde und Himmel(sfeste) entstanden ist, denn selbst als die „Quellen der Tiefe“ und die „Fenster des Himmels“ aufbrechen (7,11), gibt es einen Zwischenraum zwischen der nun wieder mit Wasser bedeckten Erde und der nun zwar durchlässigen, aber noch immer bestehenden Himmelsfeste. In diesem Zwischenraum bewegt sich die Arche. Dass im Flutgeschehen auch die „Vögel des Himmels“ ums Leben kommen (7,21P.23np) liegt in erster Linie daran, dass durch die die Himmelsfeste durchbrechenden Wasser gerade der Zwischenraum zwischen Erde und Himmelsfeste gefährdet ist: Hier ist mithin der Zustand von vor Erschaffung der Himmelsfeste wieder hergestellt, wo eben keine Feste zwischen den Wassern scheidet. Einzig die von Gott beauftragte Arche kann in diesem bedrohten Raum überstehen – und die Fische (s. u. Anm. 498). 488 Vgl. Steck, Schöpfungsbericht, 213. 489 Vgl. Steck, Schöpfungsbericht, 212 mit Anm. 877, wo die „abgewandelt dargestellten Werke[] 1,3–5 und 1,26–31a“ den „regulär gestalteten Werken 1,6–25“ gegenüber gestellt werden.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

136

Der priesterschriftliche Schöpfungsbericht Gen 1,1–2,3

Am Aufbauschema Stecks kann also nicht festgehalten werden. Einzig die Abfolge von Lebensräumen und Lebewesen wird hier aufrecht erhalten – jedoch in einer anderen als der von Steck gewiesenen Aufteilung (s. u.).

Wie bereits oben vermerkt, legt sich zunächst eine Zweiteilung von Gen 1,1–2,3 in die Schöpfungserzählung im engeren Sinne, dem durch die sechsmalige Abfolge von ~yhil{a/ rm,aYOw: und Tageszählung geprägten Textabschnitt 1,3–31 (1,3–5.6–8.9–13.14–19.20–23.24–31),490 und der Schöpfungserzählung im weiteren Sinne, der über 1,3–31 hinaus auch die Rahmung 1,1 f.; 2,1–3 angehört, nahe. Die Rahmung weist die formelhafte Gestaltung der Schöpfungserzählung im engeren Sinne nicht mehr auf, was insbesondere beim siebten Tag, 2,1–3, auffällt, und was bei einer Strukturierung von Gen 1 nicht außer Acht gelassen werden darf:491 Der siebte Tag ist zwar durch die Lexeme „Tag“ und „Gott“ sowie „machen“ bzw. „erschaffen“ und schließlich „segnen“ mit der voraufgehenden Erzählung verbunden (s. o. Kap. 2.3.3), bezieht sich aber weder inhaltlich noch strukturell auf die Schöpfungserzählung im engeren Sinne: Es fehlt die Redeeinleitung, die zuvor achtmal jedes einzelne Schöpfungswerk einleitet und zwei- bzw. dreimal eine weitere Rede Gottes eröffnet (1,22.28.29; z. T. in etwas modifizierter Form); es fehlt weiter die davor sechsmal belegte Tagesformel – obwohl auch hier ein neuer Tag im Blick ist; schließlich wird auf die vorangehenden Werke nur summarisch Bezug genommen durch ATk.al;m.-lK' (2,2.3). Der siebte Tag kann daher nicht mehr als Schöpfungswerk und nur bedingt als Schöpfungstag Gottes bezeichnet werden.492 1,3–31 ist durch die sechs Tagesabschnitte hinreichend gegliedert, so dass man wohl sagen kann, P geht es hier vornehmlich um die bloße Abfolge der einzelnen Werke und weniger um ein Ordnungsgefüge innerhalb dieser Abfolge. Insgesamt ergibt sich dann ein 6+1-Tage-Rhythmus. Gleichwohl lassen sich einige lockere Bezüge aufzeigen: 1,3–31 berichtet in zweimaliger Abfolge, was 1,1 angekündigt hat: die Erschaffung von „Himmel und Erde“:493 1,3–5.6–8 können dem Himmel

490 Vgl. auch Witte, Urgeschichte, 119 f. 491 Etwa gegen Zenger, Weimar und Baumgart: S. o. mit Anm. 472. 492 Vgl. auch Schmidt, Schöpfungsgeschichte, 154 f.(–159); Westermann, Genesis, 230(ff.); Steck, Schöpfungsbericht, 185. Als einzige inhaltliche Verbindung könnte die Segnung des siebten Tages gewertet werden, die den siebten Tag mit den Segnungen in 1,22.28 verbindet ($rb). Allerdings wird mit dem siebten Tag kein Schöpfungswerk gesegnet im Gegensatz zu den Wassertieren, Vögeln und Menschen, der Segensinhalt wird nicht mitgeteilt (anders in 1,22b.28aβb), die Segnung wird nicht als Wortgeschehen beschrieben, und es finden sich zusätzlich das Element der Heiligung (vdq), das keinen Anhalt an der eigentlichen Schöpfungserzählung hat, und eine Begründung für die Segnung bzw. Heiligung (s. o. Kap. 2.3.3 mit Anm. 389). Gegen Neumann-Gorsolke, Herrschen, 157 f. sollte daher keine allzu enge Verbindung zwischen 2,3 und 1,22.28 hergestellt werden. 493 Bei Anderson, Study, 154–159 wird diese Beobachtung zu einem hochkomplexen System mit zweimaliger Abfolge von Himmel-Wasser-Erde ausgebaut, das kaum mehr überzeu-

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Rahmen und Gliederung von Gen 1

137

zugeordnet werden,494 1,9–10.11–13 der Erde, 1,14–19.20–23 wieder dem Himmel und 1,24–25.26–31 erneut der Erde. Dabei konstituieren 1,3–13 Himmel und Erde, 1,14–31 beleben diese neu erschaffenen Räume. Die Belebung der Erde durch die Pflanzen würde in heutiger Sicht inhaltlich besser in den zweiten Teil der Schöpfungserzählung, die Belebung der Lebensräume, passen, sie ist aber durch die Verbindung mit 1,9 f. zu einem Tag (1,13) aus der Perspektive des Erzählers doch zum Aufbau des Kosmos zu zählen: Die Pflanzen gehören zur Erde, ohne Pflanzen ist die Erde noch nicht wirklich Erde als Lebensraum für Mensch und Tier.495 Hierzu ist Gen 2,4b ff. zu vergleichen: Mensch und Tier werden auch in Gen 2 erst auf dieser (zumindest potentiell) bepflanzten Erde erschaffen; von der Bepflanzung der Erde als conditio sine qua non für die Erde als Lebensraum von Mensch und Tier werden in Gen 2 nur die Bäume ausgenommen (2,9), da sie im weiteren Verlauf der Erzählung eine zentrale Bedeutung haben. Die Pflanzen in Gen 1,11 f. sind somit nicht den Lebewesen, sondern dem Lebensraum zuzuweisen. Im genannten Aufbauschema erfolgen also immer zwei Werke in einer „Einheit“ (Himmel – Erde – Himmel – Erde), wobei die der Erde zugewiesenen Werke jeweils nur an einem Tag geschaffen werden, die Konstituenten des Himmels jedoch an zwei Tagen. Dass 1,13 eine Zäsur darstellt,496 ergibt sich weiter dadurch, dass davor und danach je vier Werke an je drei Tagen geschaffen werden, und dass die danach berichteten Werke des vierten bis sechsten Tages sich der Abfolge der Werke des ersten bis dritten Tages mehr oder weniger anpassen: So entspricht der vierte dem ersten Tag bezüglich der Funktion des Licht Gebens; der fünfte Tag entspricht dem zweiten, da die Vögel in dem durch die Himmelsfeste hervorgebrachten Luftraum fliegen, die Fische in dem Wasser unter der Himmelsfeste sich tummeln sollen; der sechste Tag entspricht dem dritten, weil (Land-)Tiere und Menschen auf der Erde leben und sich von den Pflanzen der Erde ernähren. Auch dieses Schema hat freilich seine Schwierigkeiten (s. u.);497 auf das Schema 1+1+2 für die Aufteilung der

gen kann (vgl. auch die Kritik bei Zenger, Bogen, 73 Anm. 72). Wenham, Genesis, 7 weist die sechs Tage Himmel – Himmel – Erde – Himmel – Erde – Erde zu, behandelt also den fünften Tag anders als hier. 494 Die Erschaffung des Lichtes könnte auch als außerhalb dieses Schemas gedacht aufgefasst werden: Das Licht wäre damit die Voraussetzung für die weiteren Schöpfungswerke. Die Korrespondenz zu 1,14–19, wo die Lichter klar am Himmel lokalisiert werden, lässt aber auch hier die Verbindung von Licht und Himmel zu, denn hier wie dort ist das Licht ja nicht ausschließlich auf den Himmel festgelegt: Lediglich die Quelle des Lichtes liegt im Himmel, die Leuchtkraft des Lichtes soll aber auf der Erde Licht machen. 495 Vgl. auch Steck, Schöpfungsbericht, 207.214.218. 496 Etwa gegen Weimar und Neumann-Gorsolke: s. o. Anm. 472. 497 Witte, Urgeschichte, 120 nennt auch die hier genannten Bezüge zwischen den einzelnen „Blöcken“ (1–4; 2–5; 3–6), ohne aber auf die Schwierigkeiten hinzuweisen (s. o. Anm. 469).

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

138

Der priesterschriftliche Schöpfungsbericht Gen 1,1–2,3

Werke auf die sechs Schöpfungstage wurde schon oft hingewiesen (s. o. Kap. 2.3.1). An Bezügen gibt es viele weitere: So ist oben kompositorisch betrachtet nicht ganz konsequent, inhaltlich hingegen gleichwohl sinnvoll, dass die Gestirne dem Licht ihrer Funktion wegen zugewiesen werden, und nicht etwa ihrem Standort/Lebensort wegen dem zweiten Werk, wo die Gestirne an der Himmelsfeste angebracht werden. Tiere und Menschen übernehmen aber keine Funktionen der voranstehenden Werke, sondern werden ihren Lebensbereichen zugeordnet. Doch: Bei den Gestirnen steht die Funktion ganz bewusst im Zentrum des Interesses, denn im Hinblick auf die Menschen, auf die hin die ganze Schöpfungserzählung ausgerichtet ist, steht die Funktion der Gestirne als Lichtgeber für die Erde (1,3 ff.15aβ.16.17b), als Unterscheider zwischen Tag und Nacht bzw. Licht und Finsternis (1,4b.5a.14aβ.16b.18a) und schließlich als kultische und kalendarische Zeichen (1,5.14b.16b.18aα) im Vordergrund; weniger Bedeutung kommt dem Lebensraum der Gestirne zu, da er mit dem Lebensraum der Menschen nicht in Berührung kommt. Daher werden die Gestirne nicht dem zweiten Werk, der Himmelsfeste, an der sie freilich angebracht sind, zugeordnet, sondern dem ersten Werk, dessen Funktionen sie übernehmen. Anders ist es bei den Wasserlebewesen und Vögeln sowie bei den Landtieren, deren Lebensräume den Lebensraum der Menschen direkt berühren: Diese Lebewesen müssen von den Menschen abgegrenzt werden durch einen anderen Lebensraum und durch die Festsetzung des (Herrschafts-)Verhältnisses zwischen ihnen. Dabei können Vögel und Fische kaum auch dem dritten Tag zugeordnet werden, da dieser primär an dem Lebensbereich der Landtiere und Menschen interessiert ist; vielmehr werden schon am zweiten Tag ihre Lebensbereiche konstituiert: Die Fische bedürfen des Festlandes gar nicht,498 die Vögel werden in 1,20–23 auf den Bereich zwischen Himmel und Erde festgelegt, bedürfen des Festlandes aus dieser Perspektive also auch nicht (wenn auch sie freilich eng mit dem Festland verbunden sind: Vgl. Gen 8,6–12): In 1,20 ist der Luftraum als ihr Lebensraum bestimmt, da die Vögel fliegen sollen. Erst die Segnung in 1,22 nimmt das dritte Werk auf: Die Vögel sollen „auf der Erde“, die Fische in den „Meeren“ zahlreich werden; „Erde“ (als Trockenland) und „Meere“ (als Wassermassen unter der Himmelsfeste) werden aber erst in 1,10 benannt, wenn auch beide Bereiche bereits davor vorhanden sind. Von diesem Befund her müsste also gesagt werden, dass das sechste Werk eine Bewegung vom Himmel zur Erde vollzieht, und nicht allein dem Bereich des Himmels zugeordnet werden kann – aber eben auch nicht der Erde bzw. dem dritten Werk.

Diese Doppelbewegung von „Himmel und Erde“ bzw. von Lebensräumen und den sie bewohnenden Lebewesen im weitesten Sinne wird nun auch in inhaltlicher Hinsicht in 2,1 wiederaufgenommen: Es wurden vollendet „Himmel und Erde“ im engeren Sinne (1,3–13), nämlich als Lebensräume der danach berichteten Werke, „und ihr Heer“ (1,14–31), nämlich alle Werke, die Himmel und Erde im engeren Sinne beleben. Gen 2,1 nimmt 498 Der Vergleich mit der Fluterzählung (s. o. Anm. 487) zeigt, dass die Zuweisung der Fische zum zweiten und nicht dritten Werk der Intention von P entspricht: Die Fische sind nicht auf die Erde als Trockenland angewiesen – auch nicht in Abgrenzung zu ihrem eigenen Lebensraum; sie können auch in dem „Chaoswasser“ überleben, das die ganze Erde bedeckt.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

139

Rahmen und Gliederung von Gen 1

damit Bezug auf 1,1 und rekapituliert das gesamte Schöpfungsgeschehen Gen 1,3–31. Dass die Pflanzen der Erde angehören als Vorbedingung der Erschaffung der Menschen, hat der Vergleich mit Gen 2,4b ff. gezeigt (s. o.), dass die Gestirne (sowie die weiteren Lebewesen auf Erden) dem „Heer“ zuzuweisen sind, hat die Behandlung von 2,1 aufgewiesen (s. o. Kap. 2.3.3). Gen 2,2–3 nimmt dann nur summarisch Bezug auf 1,3–31 und korrespondiert über das Thema der Gottesruhe mit 1,2b, wo Gottes Windhauch zitternd über der Vorwelt schwebt, Gott sich also aufmacht, die Schöpfung in Gang zu setzen, von der (1,3–31) er in 2,2 f. ablässt. Gen 2,3bβ überblickt abschließend in formal-struktureller Hinsicht noch einmal das Ganze der Schöpfungserzählung Gen 1,1 ff., indem die eigentümliche Wendung ar"B' tAf[]l; ~yhil{a/ das gesamte Schöpfungs-Handeln von Gen 1,1 (mit arb) bis 1,31 mit der abschließenden Billigungsformel über „alles, was er gemacht hat“ (mit hf[) aufnimmt (s. o. Kap. 2.3.3). Der Schöpfungsbericht im engeren Sinne lässt sich damit schematisch abbilden als 1.) Abfolge der einzelnen Schöpfungstage (arabische Ziffern) bzw. -werke (römische Ziffern) entsprechend der durch 1,1 vorgegebenen Reihenfolge „Himmel und Erde“ und 2.) als Korrespondenz der Schöpfungstage untereinander: 1.) Abfolge der einzelnen Schöpfungstage: Tage und Werke:

Zuordnung nach 1,1:

Zuordnung nach 2,1:

1. 2.

I: Licht II: Himmelsfeste

Himmel (2 Werke und 2 Tage)

~yIm;V'h;

3.

III: Erde/Festland IV: Pflanzen

Erde (2 Werke an einem Tag)

#r

4. 5.

V: Gestirne VI: Wassertiere; Vögel

Himmel (2 Werke und 2 Tage)

~a'b'c.-lk'w>

6.

VII: Landtiere VIII: Menschen

Erde (2 Werke an einem Tag)

2.) Korrespondenz der Schöpfungstage: Tage und Werke A:

Tage und Werke A’:

Stichwortentsprechungen:

rwOa; %v,xo; ldb hiph.; hl'y>l' – ~Ay 1.: Licht 4.: Gestirne 2.: Himmelsfeste 5.: Wassertiere; Vögel ~yIm;; [:yqIr;" ~yIm;v' 3.: Erde/Festland; Pflanzen 6.: Landtiere; Menschen #rKi. Zu beachten ist jedoch auch der Kontext: In Jer 10,12 findet sich die Abfolge Erde/Himmel (jeweils indeterminiert), in 10,13 Himmel/Erde (determiniert [bei der Erde mit Qere]) – aber wie schon in 10,11 nicht in der geschlossenen Form wie in Gen 2,4. 514 Vgl. Baumgart, Umkehr, 46 (in Kombination mit den hier nicht vergleichbaren Versen Ez 25,12.15). 515 Vgl. Stordalen, Genesis 2,4, 171; Otto, Paradieserzählung, 187 f.; Vervenne, Genesis, 46 f. 516 Vgl. Witte, Urgeschichte, 54; Pfeiffer, Baum, 495 Anm. 34; Gertz, Adam, 219. 517 Die Belege zeigen (nur), dass „Himmel“ und „Erde“ Lexeme aus dem Schöpfungskontext sind und dort verschiedentlich belegt sind – mal determiniert, mal indeterminiert und zuweilen auch invertiert. Mehr nicht (im Hinblick auf die postulierte Einheitlichkeit von 2,4), aber auch nicht weniger (im Hinblick auf Anfragen an die Formulierung in 2,4b).

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Zu Gen 2,4

145

Allein für sich betrachtet, weist Gen 2,4 also verschiedene Variationen zwischen V. 4a und V. 4b auf. Diese können aber nicht den Beweis der literarischen Uneinheitlichkeit tragen.518 2.) Problematisch wird nun aber die Bestimmung der literarischen Zugehörigkeit des (für sich genommen) möglicherweise einheitlichen Verses 2,4 zu einer der beiden angrenzenden Erzählungen: Soll Gen 2,4 den Abschluss von Gen 1 darstellen, stört die doppelte Gottesbezeichnung YHWH Elohim in V. 4b, die dem priesterschriftlichen Elohim entgegen steht. Zudem erscheint in diesem – und nur in diesem519 – Fall 2,4b als Doppelung zu 2,4a (tAf[] ~AyB. / ~a'r>B'hiB.) und steht mit ~AyB. in gewisser Spannung zu den genauestens ausdifferenzierten Schöpfungstagen von Gen 1. Soll Gen 2,4 den Anfang von Gen 2 f. darstellen, stört ~a'r>B'hiB., da in Gen 2 f. arb nie verwendet, das Schöpfungshandeln vielmehr mit rcy (2,7.8.19), hf[ (2,18; 3,1)520 und hnb (2,22) ausgedrückt wird, und stört ebenso tAdl.At hL,ae, das in dieser festgefügten Form, der Toledotformel, für gewöhnlich priesterschriftlich ist (s. u. Exkurs 3) – wenn auch tAdl.AT für Gen 2–4 nicht unpassend ist (vgl. dly in 3,16aβ; 4,1.2.17 ff.). Damit steht einer Zuweisung von 2,4 an Gen 1 V. 4b, einer Zuweisung von 2,4 an Gen 2 f. V. 4a entgegen, was nun doch noch einmal die Frage nach der Einheitlichkeit von Gen 2,4 aufwirft: Wenn Gen 2,4 nicht als Ganzes einer der beiden Schöpfungserzählungen zugewiesen werden kann, ist der Vers dann insgesamt redaktionell, oder ist er doch zweizuteilen und nur je zur Hälfte einer der beiden Schöpfungserzählungen zuzuweisen? Da die Toledotformel für gewöhnlich priesterschriftlich ist, und da wie in Gen 1 auch in 2,4a arb begegnet, liegt es nahe, den priesterschriftlichen Schöpfungsbericht von Gen 1,1 bis einschließlich 2,4a sich erstrecken zu lassen. Entsprechend ist 2,4b wegen der doppelten Gottesbezeichnung YHWH Elohim zur nicht-priesterschriftlichen Paradieserzählung Gen *2,4b–3,24 zu rechnen. Seit Ende des 18. Jh. ist dies die wohl prominenteste, um nicht zu sagen „klassische“ Lösung.521 Doch auch sie ist nicht ohne Probleme: 518 An dieser Stelle brechen etwa Baumgart, Umkehr, 45 f. und Hieke, Genealogien, 49 ihre Überlegungen zur (Un-)Einheitlichkeit von Gen 2,4 ab. Allerdings hat die Frage neben einer synchronen (dazu weiter unten) auch eine diachrone Komponente (dazu im Folgenden). 519 Geht 2,4 dagegen 2,5 ff. voraus, kann 2,4a ohne weiteres als Einleitung oder Titel verstanden werden, V. 4b als eigentlicher Erzählbeginn. So funktioniert der Endtext. 520 Vgl. für hf[ weiter 3,7.13.14.21. 521 Sah man die Trennung beider Schöpfungserzählungen zunächst zwischen 2,3 und 2,4 (etwa bei Witter, Astruc, Eichhorn, Michaelis), wurde nach Hezel, Ziegler, Ilgen, Ewald die Aufteilung in 1,1–2,4a und 2,4b–3,24 durch Wellhausen, Composition, 2 f. u. ö. „in die endgültige Form“ gebracht (Westermann, EdF 7, 27) und seither nur selten hinterfragt (vgl. die Auflistung der Vertreter bei Stordalen, Genesis 2,4, 164 Anm. 3; zur Forschungsgeschichte vgl. Metzger, Paradieserzählung, 12–23; Stordalen, aaO., 163–169; Witte, Urgeschichte, 53 f.). Zu den zahlreichen Vertretern dieser „klassischen“ Position gehören etwa Noth, Überlieferungsgeschichte, 17.29 u. ö.; Westermann, Genesis, 24 ff.104 ff.245 ff.;

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

146

Der priesterschriftliche Schöpfungsbericht Gen 1,1–2,3

Insbesondere der Zuweisung von 2,4a an die priesterschriftliche Schöpfungserzählung steht einiges im Wege: Die Toledotformel, tAdl.At hL,a(e w>) NN, typisches Gliederungsmerkmal der Priesterschrift, steht gewöhnlich am Anfang einer priesterschriftlichen Texteinheit, gleichsam als deren „Titel“.522 Die Formel nennt jeweils einen Personennamen (bei den Noachsöhnen deren drei) und gegebenenfalls noch die Filiation (Gen 10,1; 25,12.19), um dann insbesondere von den Nachkommen dieser Person(en) zu berichten. Der Beleg in 2,4a fällt aus dieser Reihe heraus, da er keine priesterschriftliche Texteinheit einleitet, und da hier keine Personen, sondern „Himmel und Erde“ genannt sind – und zwar in analoger Formulierung zu Gen 1,1. Für Ersteres kann man noch auf 10,20.31.32 verweisen, wo die (priesterschriftliche) Aufzählung der Nachkommen der einzelnen (nur bei Ham und Sem) und der Noachsöhne insgesamt mit … ynEb. hL,ae bzw. hL,ae ~h,yEAgB. ~t'dol.Atl. x:nO-ynEB. txoP.v.mi (10,32) abgeschlossen wird (vgl. auch 10,5). Letzteres („Himmel und Erde“) ist und bleibt aber Ausnahme (dazu aber s. u.). Des Weiteren scheinen die Toledotformeln überhaupt erst mit 5,1 einzusetzen, da hier statt „Toledot von NN“ einmalig „Buch der Toledot vom Menschen/von Adam“ steht: ~d'a' tdol.AT rp,se hz< (s. u. Exkurs 3). So scheint es auch die Septuaginta verstanden zu haben: Sie übernimmt die ausführliche Formel von 5,1 und trägt sie bei der im Endtext de facto erstmals erscheineń εως.523 Weiter spricht den Toledotformel in 2,4a ein: Αὕτη ἡ βιβ́ λος γενεσ Steck, Paradieserzählung; ders., Schöpfungsbericht; Doukhan, Creation, 53–80.249–262 u. ö.; Weimar, Struktur, 93–97; unter anderen redaktionsgeschichtlichen Voraussetzungen zu derselben Zuweisung kommen etwa auch Van Seters, Prologue, 107(ff.) (für 2,4a allerdings keine explizite Ausführung); Arneth, Fall, 22 ff.97 f.129 ff.227.230 ff. 522 Vgl. Gen 5,1; 6,9; 10,1; 11,10.27; 25,12; 25,19; 36,1.9; 37,2 und weiter Num 3,1; Ruth 4,18; 1Chr 1,29, wobei die Belege außerhalb von Gen und wohl auch Gen 36,9 sekundär sind. Ausführlicher dazu s. u. Exkurs 3 mit Anm. 548–550. 523 Textkritisch ist für 2,4 (in Qumran nicht belegt) an MT nicht zu rütteln (s. o. Kap. 2.1; vgl. auch Westermann, Genesis, 111.251; soweit ich sehe, wird in der Forschung hier grundsätzlich an MT festgehalten): Die Versiones stellen Glättungen dar. Insbesondere LXX weist zahlreiche Änderungen auf: Die ausführliche Toledotformel ist nach 5,1 gebildet, um hier den Anfang der Toledotformeln zu markieren; YHWH Elohim wird nur mit ὁ θεος́ wiedergegeben (entsprechend 2,5.7.9.19.21; 3,13.22) statt mit κύριος ὁ θεος́ (2,8.15.16.18.22; 3,1a.8[2x].9.14.21.23), um in Angleichung an Kap. 1 YHWH Elohim klar als Schöpfergott zu kennzeichnen (vgl. Rösel, Übersetzung, 58; κύριος ὁ θεος́ ist demnach eher der sich den Menschen/der Schöpfung zuwendende Gott); Harmonisierung ist die invertierte und determinierte Reihenfolge τὸν οὐ ρανὸν και ̀ τὴ ν γῆν in V. 4b, dagegen ist der Wegfall der Determination in V. 4a wohl wieder an 5,1 orientiert, wo statt „Toledot ́ εως ἀ νθρώ πων); die Adams“ „Toledot der Menschen (indet.)“ steht (Αὕτη ἡ βιβ́ λος γενεσ Verbalformen sind der einheitlichen Gestaltung von Gen 1–3LXX entsprechend gestaltet, wobei γιγ́ νομαι singulär ist für arb (vgl. Rösel, aaO., 57 f.). Smr ändert nur in V. 4b die Stellung von „Erde und Himmel“ in #raw ~ymv (so auch Vg und Lat); TO hat dieselbe Reihenfolge wie MT, determiniert aber wie LXX: aymvw a[ra; Syr liest wie LXX determiniert und invertiert: šmy� w�r��. Die Abweichungen zeigen nur, dass 2,4 schon in der Antike Anlass zu Spekulationen und (Um-)Deutungen gegeben hat. Sie sind aber untereinander zu wenig konsistent, um gegen MT als ursprünglichen Text zu sprechen, bzw. sind wie bei LXX als bewusste Interpretationen verstehbar.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Zu Gen 2,4

147

gegen eine Zuweisung von 2,4a an P, dass in der ursprünglichen Priesterschrift die Formel in 2,4a direkt von der Formel in 5,1 gefolgt worden wäre.524 Alternativ wird daher eine redaktionelle Versetzung von 2,4a vertreten, wonach 2,4a ursprünglich der Beginn von Gen 1 gewesen wäre, also vor Gen 1,1 gestanden hätte.525 Damit würde 2,4a aber in kaum überwindbare Konkurrenz zu 1,1 treten. Trotz aller vorhandenen Bezüge von Gen 2,4a auf Gen 1,1(ff.)526 scheint damit die Annahme sekundärer, redaktioneller Entstehung von 2,4a am plausibelsten.527 Dies fügt sich auch gut in den oben herausgearbeiteten Befund zur literarischen Kohärenz und Struktur von Gen 1,1–2,3. Demgegenüber ist die Zuweisung von 2,4b an Gen 2,5 ff. nicht nur möglich, sondern aus syntaktischen und traditionsgeschichtlichen Gründen geboten: Gen 2,5 bietet mit seiner we-x-yiqṭ ol-Formulierung keinen suffizienten Erzähleinsatz.528 Das Paar „Erde und Himmel“ wird in Gen 2 f. in der Form zwar nicht wieder aufgenommen, doch kann 2,4b als Überschrift zu Gen 2,4b ff. gelesen werden, wo es ja nicht nur um die Erschaffung der Menschheit, sondern um die Konstituierung ihres Lebensraumes geht, der in Schöpfungserzählungen mit „Erde und Himmel“ oder „Himmel und Erde“ umschrieben werden kann.529 524 So aber etwa Noth, Überlieferungsgeschichte, 17; Westermann, Genesis, 21 f.104 ff. 468 ff.; Steck, Schöpfungsbericht, 242 f.; Zenger, Bogen, 143.188.197; Weimar, Toledotformel, 163 f. Anm. 43; ders., Priesterschrift, 22 Anm. 18; 31 f. mit Anm. 40 u. ö.; Ruppert, Genesis, 53 ff.102.238 ff.; Pola, Priesterschrift, 82 Anm. 134; Kratz, Komposition, 230.233–235; Arneth, Fall, 22 ff.33 ff.227. 525 So etwa Kuenen (dazu Witte, Urgeschichte, 14); Ilgen, Urkunden, 4.351–358; Dillmann, Genesis, 17; Gunkel, Genesis, 101; Budde, Ellä toledoth, 245 f.; ders., Wortlaut, 66 f.87 f.; ders., Paradiesesgeschichte, 5; Lambert, Study, 6.11; Blenkinsopp, Pentateuch, 60.71 (lies 2,4a statt 2,3a); Witte, Urgeschichte, 55.123.333 (vgl. aaO., 55 Anm. 14 für weitere Vertreter); Kaiser, Gott, 262 Anm. 163; 264; Hutzli, Tradition, 18. 526 Etwa gegen Arneth, Fall, 24–27 oder Weimar, Toledotformel, 160–163, bes. 161 mit Anm. 33: Die Bezüge von 2,4a auf 1,1 können genauso sekundär/redaktionell erstellt sein wie der Bezug auf die priesterschriftlichen Toledotformeln in den (weiteren) außerpriesterschriftlichen Belegen der Formel. 527 Vgl. auch (noch ohne die weiterreichenden, je unterschiedlichen, redaktionellen Schlussfolgerungen für Gen 1–3 insgesamt) von Rad, Genesis, 42 und Seebass, Urgeschichte, 62.90 (beide unter der dann freilich irreführenden Überschrift 1,1–2,4a); Carr, Fractures, 74 f.: „…the unique relationship of this halfverse [2,4a] to its context is best explained by seeing it as a redactional addition, which – from the beginning – served to bridge two narratives that originally stood separate from one another: Gen. 1:1–2:3 and 2:4b–4:26.“ (aaO., 75); ́ εως, 169; Gertz, Adam, 220; ders., Formation, 114–118. Vgl. auch ders., Βιβ́ λος γενεσ Schüle, Prolog, 45.48–50(.159 f.[?; die Versangaben hier stimmen kaum]); ders., Urgeschichte, 56 f. (und jeweils in der Kommentierung zu 1,1–2,3 bzw. 2,4–4,26), der in Gen 2 f. eine ältere Erzählung sieht, die erst redaktionell mit Gen 1 abgeglichen bzw. davon abgegrenzt wurde – etwa (auch) durch 2,4a. Schüle unterscheidet aber nicht explizit zwischen Tradition und Redaktion. 528 S. u. Kap. 3.4.1 mit Anm. 179 und vgl. Gross, Pendenskonstruktion, 54; Otto, Paradieserzählung, 188. 529 Gegen Levin, Jahwist, 89, der in 2,4b einen Rückgriff auf Gen 1 sieht (vgl. ders., Redaktion RJP, 21 f.24–26). Dafür sind die entsprechenden Lexeme zu sehr Alltagsvokabular.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

148

Der priesterschriftliche Schöpfungsbericht Gen 1,1–2,3

Auf die Gestaltung von Gen 2,4b ff. ist in Kapitel 3 ausführlicher einzugehen. Die voranstehenden Überlegungen haben ergeben, dass Gen 2,4 auf zwei unterschiedliche Verfasser zurückgeht,530 damit literarisch weder als Ganzes Gen 1531 noch Gen 2 f. zuzuordnen ist:532 Gen 2,4b gehört ursprünglich zur Paradieserzählung.533 Gen 2,4a hingegen ist ein redaktioneller Teil-Vers, der ursprünglich weder dem priesterschriftlichen Text von Gen 1534 noch dem nicht-priesterschriftlichen Text von Gen 2 f. zugerech530 Gegen die die Einheitlichkeit von 2,4 in ursprünglichem Zusammenhang mit Gen 1 oder 2 f. vertretenden und in Anm. 531 (für Gen 1,1–2,4) und 532 (für Gen 2,4 ff.) genannten Autoren sowie gegen Stordalen, Genesis 2,4, 163–177, der 2,4 insgesamt als redaktionelle Brücke zwischen 1,1–2,3 und 2,5 ff. sieht (vgl. aaO., 173); ders., Echoes, 213.215.219; Houtman, Himmel, 64.73 f.; Mettinger, Eden, 13.16.59.69 und gegen die dezidiert nicht redaktionskritisch arbeitenden Jacob, Genesis, 71–79 und Cassuto, Genesis, 96–100 (vgl. schon ders., Questione, 268–272), die Gen 2,4 einheitlich als Überschrift innerhalb der literarischen Einheit Gen 1–3(ff.) betrachten. 531 Gegen Tengström, Toledotformel, 54–58 (Gen 2,4 und Num 3,1 sind s.E. einheitlich und ursprüngliche Toledotformeln einer allerdings nicht als Quelle, sondern als „sekundäre Rahmenbearbeitung und Erweiterung“ verstandenen Priesterschrift: vgl. aaO., 59 sowie aaO., 11–16; als solche stellen sie keine Überschrift dar, „sondern sind in grössere Erzählungsabschnitte eingeordnet“. AaO., 56) und Vervenne, Genesis, 69 und passim (seine Deutung mischt synchrone und diachrone Betrachtungsweise, da 2,4 eine Brückenfunktion zwischen Gen 1 und Gen 2 f. zugeschrieben wird, der Vers als ganzer vom Verfasser von Gen 1,1–2,4 [=P] geschrieben worden sein soll im Dialog mit der älteren Erzählung Gen 2,5–3,24, die aber selber nicht ohne den jüngeren Vers 2,4 hätte beginnen können: vgl. aaO., 69 und passim). 532 Gegen einerseits die „vorklassische“ Forschung (s. o. Anm. 521) sowie Gudbergsen, Unity und andererseits Wenham, Genesis, 5 f.49.55–57; ders., Priority, 253 f.; Otto, Paradieserzählung, 185–188; Bosshard-Nepustil, Sintflut, 187 f., die 2,4 als Überschrift über die nicht-priesterschriftliche Schöpfungserzählung verstehen und Letztere als Ergänzungsschicht o. ä. interpretieren. 533 So mit einem Gutteil der Forschung (s. o. Anm. 528; s. u. Kap. 3.4.1) aber etwa gegen Tengström, Toledotformel, 54–58; Stordalen, Genesis 2,4, 168 f(f).176; ders., Echoes, 215 und passim; Houtman, Himmel, 73 f.; Vervenne, Genesis, 69 und passim und gegen die Autoren, die in Gen *2 eine ursprüngliche Anthropogonie rekonstruieren, die erst mit 2,5 eingesetzt habe (ausführlicher dazu s. u. Kap. 3), wie etwa Schmidt; Dohmen; Ruppert; Levin; Rottzoll; Witte; Kratz; Spieckermann; Mettinger (s. u. Kap. 3.4.1 mit Anm. 179). Wenn diese Arbeiten z. T. Gen 2,4b als redaktionellen Ausgleichsvers zwischen Gen 1 und Gen 2 f. verstehen, ist die gegenüber dem direkt vorangehenden Vers Gen 2,4a invertierte Nennung von „Erde und Himmel“ in Kombination mit dem Statuswechsel kaum zu erklären (etwa gegen Levin, Jahwist, 89; ders., Redaktion RJP, 26). Ist hingegen Gen 2,4a redaktioneller Ausgleichsvers, wie hier vertreten, erklären sich die gegenüber 2,4b invertierte Stellung in Kombination mit dem Statuswechsel bei „Himmel und Erde“ durch den Rückbezug auf Gen 1,1. 534 Wiederum gegen Tengström, Toledotformel, 54–58 und Vervenne, Genesis, 44–47; gegen die „klassische“ Lösung – unabhängig von der vermuteten ursprünglichen Stellung von 2,4a (nach bzw. vor Gen 1,1–2,3; s. o. Anm. 521 bzw. 525), wie etwa Westermann, Genesis, 24 ff.104 ff.245 ff. (der zudem dadurch erstaunt, dass er 2,4a nicht eigens kommentiert [vgl. aber aaO., 21 f.], und dass er 2,4b einerseits dem Jahwisten zuschreibt [vgl. aaO., 24 f.245 ff. u. ö.], andererseits aber die Formulierung „Erde und Himmel“ als „ad hoc-Bildung zum Unterschied von 1 1“ versteht [aaO., 271], was bei seinem Quellenmodell schlicht unmöglich ist [2,4b ist ca. 400 Jahre älter als 1,1]) oder auch gegen Schmidt,

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Zu Gen 2,4

149

net werden kann,535 der in der Textendgestalt aber beide Erzählungen verbindet.536 3.) Die Funktion von 2,4a, synchron betrachtet,537 stellt sich damit wie folgt dar: 2,4a kann als redaktionelle Unterschrift zu Gen 1 gelesen werden analog zu 10,20.31.32, dient aber v. a. als redaktionelle Überschrift zur nicht-priesterschriftlichen Schöpfungserzählung Gen 2,4b ff. analog zu den übrigen Belegen der Toledotformel:538 Die „Genealogie des Himmels und der Erde“ blickt dann auf die Erschaffung von „Himmel und Erde“ in 1,1 ff. zurück und auf die (im weitesten Sinne) Nachkommenschaft von „Himmel und Erde“ voraus,539 nämlich Menschen und Tiere, die ab Gen 2 ff. damit begin-

Schöpfungsgeschichte, 91 (2,4a gehört „dem letzten Stadium der Überarbeitung der Schöpfungsgeschichte“ an); Weimar, Toledotformel, 160–163; Ruppert, Genesis, 57 und insgesamt 53 ff.; Pola, Priesterschrift, 343 Anm. 144 u. ö. (wobei Pola Gen 1 nicht eigens untersucht); Neumann-Gorsolke, Herrschen, 148–150.154 ff.; Arneth, Fall, 22 ff.97 f. 129 ff.227.230 ff. (1,1–2,4a [P] und 2,4b ff. [Ergänzungsschicht]); Pfeiffer, Baum, 495 (der 2,4a von Gen 1,1–2,3 zwar abzusetzen scheint, den Vers aber doch P zuschreibt als Überschrift über 2,4b ff.) und Guillaume, Land, 14.15.126 und passim und zuletzt auch gegen die Autoren, die 2,4a einer priesterlichen Bearbeitungs- bzw. Kompositionsschicht zuschreiben und 2,4a (synchron gelesen als Überschrift zu 2,4b ff. verstanden) damit in literargenetischen Zusammenhang mit Gen 1 bringen: Cross, Myth, 301 f.; Rendtorff, Einführung, 141 (vgl. ders., Problem, 121 und passim für die Einschätzung von P als Bearbeitungsschicht); Blum, Vätergeschichte, 451 f. Anm. 29; ders., Studien, 280; ders., Urgeschichte, 441–443 („Ausweislich der P und NP verbindenden Elemente in Gen 2,4a […] erfolgte die Zusammenarbeitung in priesterlicher Tradition.“ AaO., 443), wobei hier die Grenze zu einer rein redaktionellen Einordnung von 2,4a (s. Anm. 527.545) fließend ist, wenn der priesterliche Editor mit Gen 1,1–2,3 auf einen im „Produktionsprozeß von P selbst“ früheren Text (vgl. Blum, Urgeschichte, 441 sowie ders., Vätergeschichte, 451 f. Anm. 29; ders., Studien, 285) oder auf eine von P überarbeitete „poetische“ Vorlage (vgl. Cross, Myth, 301) zurückgreift. 535 Gegen die in Anm. 532 genannten Autoren. 536 Daher ist auch die graphische Gestaltung der BHS zu kritisieren, die ohne Anhalt am Codex Leningradensis suggeriert, 2,4a gehörte ursprünglich zu Gen 1P. Der Codex Leningradensis hingegen zieht 2,4 insgesamt zu 2,5 ff. hinzu und lässt zwischen 2,3 und 2,4 eine Leerzeile – entsprechend der Funktion von 2,4(a) als Einleitung bzw. Überschrift im Endtext. 537 In synchroner Hinsicht sind nun auch die oben kritisierten Forscher wieder in ihr Recht zu setzen: 2,4a changiert zwischen Unterschrift (Bezug zu 1,1 und in Analogie zu 10,20.31.32) und Überschrift (Bezug zu 2,4b ff.; 5,1 ff. und in Analogie zu den weiteren Toledotformeln) und muss nicht auf eine der beiden Funktionen festgelegt werden. Vgl. dazu auch Weimar, Struktur, 92–97, nach dem durch die redaktionelle Verknüpfung von *1,1–2,4a und 2,4b ff. die ursprüngliche Funktion von 2,4a, Unterschrift zur priesterschriftlichen Schöpfungserzählung, verändert, und 2,4a zur Überschrift von 2,4b ff. wurde. Die Zuweisung von 2,4a an P lässt sich nach dem oben Gesagten jedoch nicht halten. 538 Gen *2,4b–4,26 wäre der einzige Text innerhalb der Genesis, der nicht in das Toledotschema eingepasst wäre, würde 2,4a ausschließlich Unterschrift zu 1,1–2,3/4a bilden. 539 „Himmel und Erde“ ist, wie in Kap. 2.3.2 dargestellt, als Merismus zu verstehen, der schlicht „alles“ meint, also den die Menschen (denn von ihnen her wird die Welt betrachtet) umgebenden Kosmos, wozu neben der eigentlichen Himmelsplatte und der Erdoberfläche auch die Sterne, Pflanzen, Tiere und eben die Menschen selber gehören, die in Gen 1

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

150

Der priesterschriftliche Schöpfungsbericht Gen 1,1–2,3

nen, was ihnen Gott in Gen 1,28 bzw. 1,22 zugesagt hat: Sie mehren sich und bevölkern die Erde. Dass „Himmel und Erde“ als Stammeltern fungieren können, ist im Vergleich mit der sonstigen Verwendung der Toledotformel zwar ungewöhnlich (s. o.), hat aber Anhalt an Gen 1 selber, wo die Eigengeschöpflichkeit, sozusagen die Schöpfungsmittlerschaft der Erde, betont wird: 1,11–12.24(f.) (bedingt auch die Schöpfungsmittlerschaft der Wasser und des Himmels, bzw. des Luftraums zwischen Erde und Himmel, in 1,20–22).540 Im Übrigen haben die ungezeugten, vielmehr von Gott erschaffenen Adam und Eva auch keine menschlichen Erzeuger, die als ihre Stammeltern hätten angeführt werden können. Eine „Toledot des Menschen“ wäre Doppelung zu 5,1 und würde nicht die Entstehung des/der Menschen erklären bzw. einleiten können. Damit blieb dem Redaktor keine andere Möglichkeit, als analog zu den weiteren Belegen der Toledotformel die Stammeltern dem Vorfeld der Genealogie zu entnehmen (wie etwa Noach schon in 5,28 ff. erwähnt wird): So nimmt 2,4a mit ~a'r>B'hiB. und ~yIm;V'h; #r,a'h'w> Gen 1,1 ff. auf und blickt mit tAdl.At hL,ae auf Gen 2 ff. (vgl. dly in 3,16aβ; 4,1.2.17 ff.) und Gen 5,1 (~d"a' tdol.AT) und mit ~a'r>B'hiB. zugleich auch auf 5,2 (~a'r"B.; ~a'r>B'hi ~AyB.), hat damit mehr als nur Gen 1–3 im Blick.541 In der Binnengestaltung des Verses wird 2,4b mehr oder weniger chiastisch aufgenommen, indem tAf[] ~AyB. nun ~a'r>B'hiB. und ~yIm'v'w> #r,a, nun #r,a'h'w> ~yIm;V'h; korrespondiert, oder von vorne gelesen: „a: heaven, b: earth, c: created; c’: made, b’: earth, a’: heaven.“542 Mehr oder weniger, weil tAdl.At hL,ae in V. 4a und ~yhil{a/ hw"hy> in V. 4b keine Position in dieser chiastischen Struktur innehaben, und weil, wie bereits mehrfach erwähnt, das Objekt der (unterschiedlichen) Schöpfungsverben in V. 4a determiniert, in V. 4b aber indeterminiert ist.543 Diese synchrone Versbeschreibung kann rückblickend als erschaffen wurden – und worauf ~a'r>B'hiB. in 2,4a Bezug nimmt. Die Menschen können damit ohne Weiteres als Nachkommenschaft von Himmel und Erde betrachtet werden, zumal explizit darauf hingewiesen wird, dass Gott Himmel und Erde – „und all ihr Heer“ (2,1) – erschaffen hat, dass also nicht etwa Himmel und Erde (als Gottheiten verstanden) Schöpfungskompetenzen einzuräumen wären. Vgl. auch Blum, Vätergeschichte, 451 f. Anm. 29; Millard, Genesis, 88 f.; Hieke, Genealogien, 56–58. 540 Vgl. auch die Erschaffung Adams und der Tiere aus dem Erdboden in 2,7.19 und dann ́ εως, 164 f. Des Weiteren begegnet dly auch sonst im 3,19. Vgl. auch Carr, Βιβ́ λος γενεσ Schöpfungskontext: Vgl. Ps 90,2; Hi 38,28 f.; Dtn 32,18. 541 Gegen Weimar, Toledotformel, 162 f. (ähnlich Scharbert, Toledot-Formel, 53–56) bezieht sich ~a'r>B'hiB. also nicht nur auf Gen 1 zurück und erst recht nicht auf Gen 1 als der Geschichte Himmels und Erdens „bei der Schöpfung selbst“, sondern hat insbesondere „die weitere Geschichte der Welt“ im Blick. Der von Weimar, aaO., 162 f. Anm. 38 als Gewährsmann zitierte Scharbert geht in seinem Aufsatz noch von einer creatio ex nihilo in 1,1 aus („Die Erschaffung von Himmel und Erde erfolgt in der Sicht von P nicht innerhalb des Sieben-Tage-Schemas, sondern sie liegt noch vor dem ersten Tag.“ Scharbert, aaO., 56; vgl. auch, etwas vorsichtiger, ders., Genesis, 39) – eine Sicht, die die Forschung nicht (mehr) teilt (s. o. Kap. 2.3.2.2). 542 Wenham, Genesis, 46. 543 Es ist daher rückzufragen, ob der Redaktor bewusst eine chiastische Gestaltung anbringen wollte oder ob er einfach die Toledotformel mit „Ahnvater“ aufgeschrieben und mit einem

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Zu Gen 2,4

151

Bestätigung der diachronen Lösung betrachtet werden: Wäre der Vers literarisch einheitlich, oder wäre 2,4b redaktionelle Brücke zwischen Gen 1 und Gen 2 f.,544 wäre in einem Chiasmus derselbe Nominalstatus (det. oder indet.) zu erwarten. Ist 2,4a aber redaktionell, dann erklärt sich die Determination bei „Himmel und Erde“ in V. 4a entgegen der vorgegebenen Indetermination bei „Erde und Himmel“ in V. 4b durch den redaktionellen Bezug auf 1,1. 4.) Der Grund für die redaktionelle Einfügung von 2,4a ist wohl, bei der redaktionellen Zusammenstellung des priesterschriftlichen Schöpfungsberichtes und der nicht-priesterschriftlichen Paradieserzählung einen Übergang von Gen 2,3 zu Gen 2,4b zu schaffen,545 denn in 2,3 „ließ Gott ab von all seinem Werk, das Gott erschaffen hatte, indem er es tat (tAf[]l;)“, in 2,4b macht sich Gott aber gerade daran, „Erde und Himmel“ zu machen (tAf[]). Auch wird bedingt vermittelt zwischen den beiden Schöpfungsakteuren: Elohim in Gen 1 und YHWH Elohim in Gen 2 f.: Indem 2,4a als Überschrift über Gen 2 f. zu stehen kommt, selber aber Gen 1,1 ff. aufnimmt, erscheint die nicht-priesterschriftliche Schöpfungserzählung im Lichte der priesterschriftlichen: YHWH Elohim ist also niemand anderes als Elohim, der Himmel und Erde erschaffen hat (Gen 1,1 ff.). Gen 2 f. erscheint so als Konkretion der knappen, schematischen Darstellung von Gen 1 – und als Konkretion darf Gen 2 f. im Detail auch unterschiedlich formulieren als Gen 1, ohne damit einen scharfen Widerspruch zu erzeugen:546 In Gen 1 werden die Tiere zwar vor den Menschen erschaffen, aber durch die Einleitung tAf[] ~AyB. kann der Endtext so gelesen werden, dass Gen 2 f. einen genaueren Bericht des sechsten (und wegen der Vögel in 2,19 auch fünften) Schöpfungstages aus Gen 1 darstellt: Wie in Gen 1 steht auch hier der Mensch im Zentrum der Schöpfungshandlungen. Stellt man sich die Erde nach Gen 1,11–13 reich bepflanzt vor, so kann man von 2,5 her Gen 1 so verstehen, dass Gott in Gen 1 die Möglichkeit für Pflanzenwachstum Rückbezug auf Gen 1 (~a'r>B'hiB.) versehen hat, und die chiastische Gestaltung nur mehr zufällig daraus resultierte, dass „Ahnvater“ in diesem Fall „Himmel und Erde“ ist entweder einfach in der für diese Wendung üblich(er)en Reihenfolge im Gegensatz zur weniger belegten Reihenfolge in 2,4b (s. o. mit Anm. 504) oder aber in bewusster Aufnahme von Gen 1,1 (Letzteres ist wahrscheinlicher wegen der Bezugnahmen auf 5,1.2). Methodisch kontrollierbar kann aber wohl kaum mehr beantwortet werden, ob die chiastische Struktur intendiert war oder nicht. Dass der Vers bewusst gestaltet ist, steht hingegen außer Frage. 544 So etwa Ruppert, Genesis, 113 u. ö.; Kratz/Spieckermann, Schöpfer/Schöpfung, 271; Kratz, Komposition, 233.254–256.262 f. ́ εως, 169; Gertz, Adam, 220; ders., Forma545 Vgl. Carr, Fractures, 74 f.; ders., Βιβ́ λος γενεσ tion, 114–118. Vgl. auch Schüle, Prolog, 45.48–50 (und ders., Urgeschichte, 56 f.), der 2,4a aber nicht als Verknüpfung, sondern als abgrenzenden „Neuanfang“ interpretiert. Damit beachtet er aber die Bezugnahmen von 2,4a auf 1,1 ff. zu wenig, und auch 2,4b wäre als „rein redaktionelle Brücke“ nicht „ausreichend gewesen“ wegen der Spannung zwischen 2,3 und 2,4b (Ende der Arbeit – Anfang der Arbeit). 546 Vgl. auch Hieke, Genealogien, 58.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

152

Der priesterschriftliche Schöpfungsbericht Gen 1,1–2,3

geschaffen hat, dass sich dieses aber noch nicht realisiert hat, da eben noch keine Menschen vorhanden waren, den Boden zu bewirtschaften – denn die Menschen werden auch in Gen 1 nach den Pflanzen geschaffen, und von einer (diesbezüglichen) Aktivität der Menschen ist in Gen 1 nicht die Rede, die „Unterwerfung der Erde“ zugunsten der Menschen wird ihnen aber ausdrücklich aufgetragen bzw. zugesagt (1,28). Die Benennung der Tiere (2,19 f.) kann als erster Herrschaftsakt nach 1,26.28 interpretiert werden.547 Mit der Beurteilung von 2,4a als redaktioneller Brückenvers zwischen 1,1–2,3 und *2,4b–4,26 ist die Frage, ob für Gen 1–3(f.) von einem Quellenbzw. Fragmenten- oder von einem Ergänzungsmodell auszugehen ist, freilich noch nicht entschieden. Der Befund von Gen 2,4 ist für ein Ergänzungsmodell aber sicher nicht förderlich, denn ein solches würde bedingen, dass nachträglich zur Ergänzungsschicht (sei es Gen 1 oder Gen 2 f.) 2,4a als Bindeglied hätte geschaffen werden müssen, was eigentlich von einer Ergänzungsschicht hätte erwartet werden können.

Exkurs 3 zu den Toledotformeln und zur Toledotbuchthese 1.) Die Toledotformel (NN tAdl.At hL,a[e w>]) stellt ein typisches Gliederungsmerkmal der Priesterschrift dar und steht gewöhnlich am Anfang einer priesterschriftlichen Texteinheit als deren Überschrift bzw. Titel. Neben den elf Genesis-Belegen, von denen 2,4a, wie gesehen, redaktionell, und 36,9 (neben dem ursprünglichen Beleg in 36,1) wohl auch sekundär ist,548 begegnet die Formel im Pentateuch nur noch in Num 3,1, ist dort aber auffällig und wird entsprechend der communis opinio meist für sekundär (PS) betrachtet.549 Außerhalb des Pentateuch findet sich die Toledotformel noch in Ruth 4,18 und 1Chr 1,29.550 Die Formel nennt jeweils einen Perso547 Dies bezieht sich nur auf eine synchrone Lesung. Zur Frage nach literarischer Fortschreibung von Gen 1 durch Gen 2 s. u. Kap. 4.4, hierzu bes. 4.4.1. 548 Vgl. etwa Weimar, Toledotformel, 155–157 (mit Korrektur der Erstfassung seines Textes aaO., 156 Anm. 15); Levin, Jahwist, 124 Anm. 18; 262 f.; Pola, Priesterschrift, 82 mit Anm. 134. Anders etwa von Rad, Genesis, 280 f., der in Gen 36,1 ff.9 ff. verschiedene Vorlagen ein- und desselben „Toledotbuches“ sieht und daher beide Formeln seinem „Toledotbuch“ zuschreibt (zur genaueren Einteilung s. u. Anm. 575). Darüber hinaus wird Gen 10 von Levin, aaO., 121–126 (ebenso Kratz, Komposition, 239) insgesamt P abgesprochen: Die endredaktionellen Verse 10,1.32 rahmen den in sich vielschichtigen „jehowistischen Text V. 2–31*“ (aaO., 124). 549 Vgl. etwa Noth, Überlieferungsgeschichte, 19; ders., Numeri, 31; Weimar, Toledotformel, 181 Anm. 121; ders., Priesterschrift, 28 Anm. 29; Pola, Priesterschrift, 82 mit Anm. 135; Kratz, Komposition, 230. Anders Tengström, Toledotformel, 54 ff. Vgl. auch Eissfeldt, Biblos geneseōs, 462.468 f. und passim (mit älterer Literatur – und der der hier vertretenen entgegengesetzten Position). 550 Die Belegstellen im Einzelnen: Gen 5,1 (Adam); 6,9 (Noach); 10,1 (Noachsöhne: Sem, Ham und Japhet); 11,10 (Sem); 11,27 (Terach); 25,12 (Ismael); 25,19 (Isaak); 36,1.9 (Esau); 37,2 (Jakob). Daneben Num 3,1 (Aaron und Mose); Ruth 4,18 (Perez); 1Chr 1,29 (Söhne Abrahams: Isaak und Ismael). Nicht zur Toledotformel gehören die weiteren Stellen, an denen tAdl.AT ohne hL,ae(w>), also außerhalb dieser festgefügten Formel belegt ist, meist in der Wendung ~t'dol.tol,. da ~t'dol.tol. o. ä. „rekursartig ohne makrokontextuelle Funktion verwen-

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Exkurs 3 zu den Toledotformeln und zur Toledotbuchthese

153

nennamen (bei den Noachsöhnen deren drei) als Stammvater, gegebenenfalls noch dessen Filiation (Gen 10,1; 25,12.19), um dann insbesondere von den Nachkommen dieser Person(en) zu berichten durch eine Genealogie oder bzw. und durch eine Erzählung.551 Der Stammvater ist dabei jeweils dem Vorkontext entnommen (vgl. etwa Noach: 5,28 ff./6,9; Terach: 11,24 ff./11,27), die Toledotformel hat somit eine Übergangsfunktion von der einen Generation/Geschlechterreihe zur nächsten. Noach bildet insofern eine gewisse Ausnahme, als 6,9 ff. die Geschichte insbesondere von Noach berichtet. Die Ausnahme ist m.E. jedoch nicht zu stark zu betonen:552 6,9 weicht von den anderen Toledotformeln v. a. daher ab, weil ihr eine ausführliche Erzählung folgt, und keine kürzere oder längere Aufzählung mit meist nur wenig narrativen Elementen. Denn selbst in den Genealogien hat der der Toledot den Namen gebende Stammvater eine – auch narrative – Rolle inne, etwa in 5,1–5; 25,19 ff.,553 wo nochmals die Geburt bzw. Erschaffung des Ahnvaters, somit Teil eben seiner Geschichte, berichtet wird, wie denn für die Toledotformeln insgesamt charakteristisch ist, „daß jedesmal nach einer solchen Überschrift, die einen neuen Abschnitt eröffnet, zuerst ganz kurz der Inhalt des vorigen rekapitulirt wird, um das Glied der Kette einzureihen.“554 Darüber hinaus ist die Sintfluterzählung nicht einzig eine Noach-Erzählung, denn durch Noach und seine Söhne, deren Geburt direkt nach der Toledotformel berichtet wird (6,9.10; vgl. schon 5,32),555 hat die Menschheit die Flut überlebt, denn von den Noachsöhnen aus wurde die ganze Erde bevölkert, was in Gen 9,19 noch vor der Toledot der Noachsöhne in 10,1 ff. berichtet wird.556 Dass die Noachsöhne samt deren Frauen (6,18; 7,7.13; 8,16.18) eine wichtige Bedeutung auch innerhalb der Fluterzählung innehaben, und dass ihnen diese Bedeutung durch die Priesterschrift wohl ganz bewusst eingeräumt wurde, zeigt gerade auch der Vergleich mit den altorientalischen Paralleltexten, in denen nur der

det wird“ (Millard, Genesis, 86 Anm. 190): Gen 10,32; 25,13; Ex 6,16.19; 28,10; Num 1,20.22.24.26.28.30.32.34.36.38.40.42; 1Chr 5,7; 7,2.4.9; 8,28; 9,9.34; 26,31. 551 Aus diesem Grund findet sich auch keine Toledot Abra(ha)ms: Gen 12–24 ist mehrheitlich ́ εως, 164 die Geschichte Abrahams; vgl. Blum, Vätergeschichte, 439 f.; Carr, Βιβ́ λος γενεσ Anm. 19. Anders Weimar, Toledotformel, 177–181, bes. 180 f. 552 Vgl. auch Tengström, Toledotformel, 39–43.51 f. Aber etwa gegen Stordalen, Genesis 2,4, 169–173 oder auch Blum, Vätergeschichte, 433: „[…] leitet die Formel die ‚Toledot von NN‘ entweder eine Aufzählung der Nachkommen von NN ([11,27 ff;] 25,12 ff; 36,1) ein oder deren ‚Geschichte‘ ([11,27 ff;] 25,19 ff; 37,2 ff), keinesfalls aber die ‚Geschichte von NN‘.“ (Klammersetzungen im Original). 553 Vgl. auch 11,27 ff.; 36,1 ff. 554 Wellhausen, Prolegomena, 330. Vgl. auch Budde, Textherstellung, 279 (=ders., Ellä toledoth, 247; vgl. ders., Noch einmal „Ellä toledoth“, 1 f.): „Es ist die Gewohnheit dieser Quelle [P], das neue Hauptstück nach der Überschrift mit einer Wiederholung des in Betracht kommenden Ausschnitts, des passus concernens …, aus dem vorherigen Hauptstück einzuleiten.“ ́ εως, 167 Anm. 31: „…the introduction in Gen 6,9–11 diver555 Vgl. aber Carr, Βιβ́ λος γενεσ ges from that for Terah (11,27–32) precisely in its immediate emphasis on Noah’s righteousness (6,9aβb), rather than on his fathering of sons (11,27b). This divergence from the Terah introduction is an initial indicator that there will be much more of a focus on Noah in Gen 6,9–9,29, than is on Terah in 11,27–25,11.“ Vgl. dazu nur Gen 25,19. 556 Im Endtext wird dies noch deutlicher, da in 9,20–27 das Schicksal der Noachsöhne – einschließlich deren Nachkommen: Kanaan – auf dem Spiel steht – auch wenn wiederum ́ εως, 167 Anm. 31). Noach wichtiger Handlungsträger ist (vgl. Carr, Βιβ́ λος γενεσ

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

154

Der priesterschriftliche Schöpfungsbericht Gen 1,1–2,3

Sintflutheld (zusammen mit seiner Frau) von Bedeutung ist, seine Familie aber, wenn überhaupt, nur nebenher genannt wird.557 Mit Ausnahme von Gen 2,4a stehen alle Toledotformeln als Überschrift zu einem priester(schrift)lichen Text, im P und nP umfassenden Endtext aber nicht immer als Einleitung zu einer Text-/Erzähleinheit, wie auch 6,9 zeigt, wo die Toledotformel nach dem np-Flutprolog erscheint – im Gesamttext durchaus begründet.558 Die Toledotformel stellt damit hier und in 2,4a, wie oben gezeigt, eher ein „Binnengliederungszeichen“559 (innerhalb des Endtextes) dar. 2,4a fällt nun besonders dadurch aus der Reihe der Toledotformeln, als hier kein menschlicher Ahnvater, sondern „Himmel und Erde“ als „Stammeltern“ erscheinen. Wird „Himmel und Erde“ aber wie oben als „Genealogie des Alls“ verstanden, dann stellt Gen 2 eine Konkretion von Gen 1, eine Art „Folgegeschichte“,560 dar: Die Nachkommenschaft von (dem von Gott erschaffenen Paar) „Himmel und Erde“ sind eben „Himmel und Erde und all ihr Heer“ (2,1), deren präzise Erschaffung in Gen 2 in Teilen nachgeholt wird.561 Wenn mit der Toledotformel insbesondere die Geschichte der Nachkommenschaft des der Toledotformel den Namen gebenden Ahnvaters einsetzt, dann kann „Toledot“ auch nicht mit „Geschichte“ übersetzt werden (dies träfe nur etwa für

557 Die sumerische Fluterzählung (Textausgabe durch Civil in Lambert/Millard, Atraḫ asīs, 138–145.167–172; Jacobsen, Eridu Genesis; Übers.: Jacobsen, Harps, 145–150; Black/ Cunningham/Robson/Zólyomi, Literature, 212–215; TUAT III, 448–458; ETCSL 1.7.4) scheint ausschließlich vom Sintfluthelden Ziusudra zu berichten. Auf jeden Fall wird in dem fragmentarischen Text nur er nach der Flut nach Dilmun „entrückt“. Anders verhält es sich in den babylonischen Texten: In Gilg XI 85 f. nimmt Ūta-napištim „seine gesamte Familie und Sippe“ und „die Vertreter aller Künste“ mit auf das Schiff, um die kulturellen und wissenschaftlichen Errungenschaften auch über die Flut hinaus zu retten (vgl. dazu die weiter ausgemalte Tradition bei Berossos). Was mit ihnen geschieht, wird nicht berichtet: Nach dem Ende der Flut kommen nur Ūta-napištim und seine Frau in den Blick (XI 199– 201) und werden von Enlil „in die Ferne“ entrückt (XI 203–206). In XI 175 kann Enlil gar von „einem (einzigen) Lebewesen“ (na-piš-ti) sprechen, nämlich Ūta-napištim, denn nur er ist Handlungspartner mit den Göttern. Auch Atramḫ asīs nimmt seine Familie auf das Schiff (Atr III ii 42), doch auch sie werden nicht weiter erwähnt, erst recht nicht im Hinblick auf die nachsintflutliche Fortpflanzung der Menschen. Das Atr-Fragment aus Ugarit erwähnt in Rs. 2 die Frau von Atramḫ asīs. Der spätassyrische Text CT 46, 15 Z. 6’–9’ erwähnt neben Besitztümern, Frau, Familie und Künstlern auch die Kinder (vgl. Lambert/Millard, aaO., 128 f.; Foster, Muses, 276 f.). Der Blick auf die nachsintflutliche Zeit ist also auch in den mesopotamischen Texten vorhanden, doch stehen hier eher die Handwerker bzw. Künstler im Vordergrund, die das Wissen der Alten retten sollen, als die Familie des Sintfluthelden, die für die Fortpflanzung nach der Flut sorgen sollen. Letzteres ist dagegen in Gen 6–9 klar herausgehoben, indem die Noachsöhne 1.) mehrfach und 2.) verschiedentlich zusammen mit ihren Frauen genannt werden innerhalb der eigentlichen Fluterzählung und 3.) indem die Noachsöhne explizit für die nachsintflutliche Ausbreitung der Menschheit verantwortlich gemacht werden (9,19). 558 Vgl. etwa Gertz, Beobachtungen, 44 f. und passim. 559 Millard, Genesis, 89. 560 So Millard, Genesis, 89 zu 2,4a: „Der Vers versteht die Geschichte Gen 2,4a als Folgegeschichte des gerade geschaffenen Himmels und der Erde. Von daher erklärt sich auch, warum eine solche Überschrift in Gen 1,1 fehlen muss: Der Anfang schlechthin kann nicht als Folgegeschichte dargestellt werden. Insofern ist das Toledotschema streng genommen weniger ein System von Überschriften als von Binnengliederungszeichen.“ 561 S. o. und die Referenzen in Anm. 539.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Exkurs 3 zu den Toledotformeln und zur Toledotbuchthese

155

2,4a oder 6,9 zu, aber auch hier nur bedingt), höchstens mit „Geschichte der Nachkommenschaft“/„Nachkommensgeschichte“, sondern wird besser übersetzt mit „Zeugungen“,562 „Erzeugungen“ (entsprechend dly; für 2,4a ist dies jedoch wenig sinnvoll), „Geschlechter, Geschlechtsregister, Stammbaum“563 oder eben mit Genealogie, um auch in der Übersetzung die Semantik von dly / tAdl.AT wiederzugeben.564 Die hier nur kurz angesprochenen „Abweichungen“ vom „regulären Toledotschema“ zeigen m.E. schon hinreichend, dass es ein reguläres Toledotschema nicht gibt, oder aber, dass dieses Schema relativ offen formuliert werden muss:565 Bei den Einzelbelegen sind durchaus individuelle Züge möglich, ohne dass diese oder die jeweilige Toledotformel für sekundär oder auch nur für Schema-inkonform erklärt werden müssen (die Ausnahmen wurden genannt: Gen 2,4a; Num 3,1 und wohl auch Gen 36,9).566 Die Variationen können dadurch bedingt sein, dass die priesterlichen Schreiber verschiedene Traditionen, vielleicht sogar schriftlicher Art, aufgenommen und in ihre Erzählung eingebaut haben, sie können aber auch daher rühren, dass sich P in der konkreten Ausgestaltung „seines“ Geschichtswerkes eben doch nicht nur von Formalitäten hat leiten lassen (s. o. Kap. 2.2.4).567

562 Vgl. Breukelman, Buch, 74 f.87–90, der damit „Toledot“ in Gen „einheitlich“ wiedergeben will. 563 Vgl. Kaiser, Geschlechter, 34 (ebd. auch „Erzeugungen“ – „und schließlich abgeblaßt ‚Geschichte‘“). 564 Vgl. auch Wellhausen, Prolegomena, 330: „hae sunt generationes“. Vgl. zu Übersetzung und Funktion der Toledotformeln nebst voranstehenden Anmerkungen bes. Weimar, Toledotformel („Zeugungen“ bzw. „Nachkommen“ als ursprüngliche, nur für die vorpriesterschriftlichen Belege 5,1; 11,10 passende Übersetzung; „Familiengeschichte“ für die priesterschriftlichen Belege; vgl. aaO., 174); Scharbert, Toledot-Formel, 51–56 („Staḿ εως, 163.166–172 („descendants“ als „working mesgeschichte“); Carr, Βιβ́ λος γενεσ translation“: aaO., 163); Koch, Toledot-Formeln; Hieke, Genealogien, 20 f.29 f. und passim; Hensel, Vertauschung, 36 f. Eine kurze Übersicht über antike und einige neuere Übersetzungen hat Breukelman, Buch, 87–90. 565 Gegen ein allgemeingültiges Muster der Toledotüberschriften setzt sich auch Budde, Noch einmal „Ellä toledoth“, 1 f(f). zur Wehr. Vgl. auch Schüle, Prolog, 51–54 und bes. ́ εως: „… that the stories in Genesis seem to be unusually resistant to Carr, Βιβ́ λος γενεσ being fully encompassed in a broader scheme“. AaO., 341. Vgl. dagegen die vier verschiedenen Varianten der Toledot-Einleitungen bei Weimar, Toledotformel, 171–174, die gleichwohl nicht jeden Beleg erklären können: 2,4a wird nur behelfsmäßig einer der Varianten zugewiesen. 566 Dass ein Viertel aller Belege im Pentateuch als Ausnahme bewertet und damit für sekundär befunden werden, ist freilich unschön. Budde, Ellä toledoth; ders., Noch einmal „Ellä toledoth“ (mit zahlreichen Textänderungen im Einzelnen) und Eissfeldt, Biblos geneseōs halten denn auch an Gen 2,4a und (zumindest Eissfeldt) Num 3,1 als ursprünglich priesterschriftlich fest und betrachten nur Gen 36,9 als Ausnahme. Angesichts der neueren Diskussion um die ursprüngliche Priesterschrift und deren Ende (s. u. Kap. 4.1.2 mit Anm. 68) kann Num 3,1 aber kaum mehr P zugerechnet werden (s. o. Anm. 549), und zu Gen 2,4a s. o. 567 Die unterschiedliche Verwendung und evtl. auch Bedeutung der Toledotüberschriften an den jeweiligen Belegstellen hat verschiedentlich zur Annahme geführt, einige oder gar alle Toledotüberschriften seien dem Text sekundär hinzugefügt worden (vgl. etwa Smend, Hexateuch, 14–16; Eichrodt, Quellen, 20–23(ff.).52–54). Das oben Gesagte zeigt jedoch, wie unnötig solche Operationen sind. Vgl. dazu auch Eissfeldt, Biblos geneseōs, 459–461.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

156

Der priesterschriftliche Schöpfungsbericht Gen 1,1–2,3

2.) Bei den Toledotformeln stellt sich in besonderer Weise die Frage nach aufgenommenen Traditionen. In 5,1 wird die Genealogie von Adam bis Noach (und dessen Söhnen) als „Buch“ bezeichnet, ~d"a' tdol.AT rp,se hzY:w]: .9*–11.17aα*[~d'a'l' rm,aYOw:].bα.18. 19aβ.23[ohne !d[], „die beide nicht unabhängig voneinander bestanden haben können, sondern von Anfang an zusammengehörten…“, und durch eine „erste redaktionelle Bearbeitung“ [2,5b*.9aα.25*; 3,1*.2.3aαb.4.5a.6a*.7.12.13aα*.16*.17a.21*] „miteinander verschränkt worden sind“ [aaO., 130], gefolgt von einer zweiten Bearbeitung und pentateuchredaktionellen Ergänzungen); Wyatt, Creation (Schöpfungserzählung: 2,4b–7.18–24; 3,20–21; Paradieserzählung: *2,8–9.16–17.25; *3,1–19.22–24; der Erkenntnisbaum und 2,10–15 sind Ergänzungen); Vermeylen, Commencement, 51–103 (vgl. ders., Récit – mit leicht anderen Zuschreibungen; archaischer Paradiesmythos, vergleichbar mit Ez 28,11–19 aber mit dem Lebensbaum; Schöpfungserzählung 2,4b–5*.7–8*.18–23a; J zur Zeit und zur Propagierung Salomos: 2,4b–5.7–9.16–23.25; 3,1–13.22–24; dtr Relecture: 2,24; 3,(12–13?) 14.16–18a.20.21; spätere Ergänzungen: 2,6.10–15; 3,15.18b–19); Scharbert, Genesis, 48 (1. Erzählung: Gen 2,4b–7.18–24; 3,20.21.23[ohne !d[-!gm], jeweils mit YHWH als Gottesname; 2. Erzählung: Gen 2,8a.9.15–17.25; 3,1–14.22.24, jeweils mit Elohim); Dohmen, Schöpfung, 154–167.169 ff. (jahwistische Grundschicht: 2,4b–7[ohne rp[].8.18.19[ohne taw ~ymvh @w[-lk und hyx vpn].20[ohne w ~ymvh @w[lw hmhbh-lkl].21–23a.25; 3,1–3aα.4a.5a.6– 13.14[ohne w hmhbh lkm und $yyx ymy lk].16a.17[ohne $yyx ymy lk].18.21.23 – mit den vorjahwistischen Stücken 2,4b–7[ohne rp[]; 3,23 [mit unbestimmtem Gottesnamen] und *3,1–7 [Letzteres mit nur relativer Selbständigkeit]; jehowistische Bearbeitung: 2,9–15; 3,5b.19a.22.24; schließlich die Bearbeitung durch die Pentateuchredaktion zum vorliegenden Text); Ruppert, Genesis, 108–111.113–126 (im Anschluss an Weimar und Dohmen und gegen seine frühere überlieferungsgeschichtliche Lösung bei Ruppert, Sündenfallerzählung [s. o. Anm. 28; vgl. ders., Genesis, 121 Anm. 9]: J-Vorlage: 2,8*.9*.10*.15*.16.17*;

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

174

Die Paradieserzählung Gen *2,4b–3,24

Trennung zwischen Schöpfungs- und Paradieserzählung prominent geworden, die Gen 2* als ehedem selbständige Anthropogonie und Gen 3* als (sündentheologische) Bearbeitung von Gen 2* versteht. Damit ist die Redaktionskritik an die Stelle der Überlieferungskritik getreten, statt eines Quellen- und/oder Fragmentenmodells wird nun ein Ergänzungsmodell vertreten.35 4.) Literarische Einheitlichkeit: Gegen die überlieferungsgeschichtliche oder redaktionskritische Trennung von Schöpfungs- und Paradieserzählung haben sich in letzter Zeit unterschiedliche Arbeiten gewandt, die eine weitgehende literarische Einheitlichkeit von Gen 2 f. vertreten und literarische 3,6a*[Subjekt: der Mensch].22*.24; JE-Vorlage: 2,18.19*.20.21*.22*.23; daran anschließend Bearbeitungen durch J, JE und den Pentateuchredaktor); Michel, Gott, 100–108 (3,1[ohne ~yhla hwhy hf[ rva].2–6[ohne lykfhl #[h dmxnw].7.22[ohne hwhy].24.14–16 als kanaanäischer polytheistischer Mythos über den Raub der Sexualität, der dem Jahwisten als Text vorlag); Müller, Deutungen, 118 (Schöpfungserzählung Gen 2,[4b(red. Verbindungsstück: aaO., 127 Anm. 45).]5–8.[10–14.]15bβ.18–24 und Fallerzählung Gen 3* gehören ursprünglich nicht zusammen und werden verbunden durch 2,9.15abα.16 f.25. Das [spätere] Motiv des Lebensbaumes trat noch in der mündlichen Vorstufe zur Erzählung: vgl. aaO., 126 Anm. 44; vgl. schon ders., Mythische Elemente, 9–11); Carr, Subversion, 577–583 (ältere Schöpfungserzählung: Gen 2,4b.5.7–8.15bβ.18–24; darauf basierende Garten-Eden-Erzählung [„creation-and-fall story“ o. ä. oder „crime-and-punishment story“ o. ä. genannt] mit den Erweiterungen 2,6.9a.10–14.15abα.16–17.25; 3,1–21.23; noch spätere Ergänzungen sind 2,9b; 3,22.24 sowie möglicherweise auch 3,20.21: vgl. aaO., 583 mit Anm. 19); Rottzoll, Schöpfungs- und Fallerzählung (Gen 2,[4b].5.7[ohne rp[].8.15bβ.18.19[ohne hyx vpn].20[ohne w hmhbh-lkl].21–23a; 3,20[a], wobei der Gottesname jeweils durch den Namen „eines Regengottes vom Typ Baals substituiert“ werden müsse [aaO., Teil 2, 6], als ältere Schöpfungserzählung, die bereits „Resultat einer Verschmelzung genuin kanaanäischer Fruchtbarkeits- (Gen 2,5) mit genuin ägyptischen Schöpfungsvorstellungen (bes. Gen 2,7.19)“ [aaO., 8] sei, und Gen 3,1[ohne hwhy hf[ rva ~yhla].2–6[ohne lykfhl #[h dmxnw].7.22[ohne hwhy].24 als ältere Fallerzählung, die wohl einen „kanaanäischen Götter-Neid-Mythos“ [aaO., 10] über den Raub der Sexualität von den Göttern darstelle; „J“ habe beide Erzählungen miteinander verbunden und mit weiteren z. T. vorliegenden Traditionen zu einer Polemik gegen kanaanäischen Sexual-/Fruchtbarkeitskult geformt; weiter gibt es nach-„J“-Texte und solche unbekannter Herkunft: vgl. aaO., Teil 1, 499; Teil 2, 14); Husser, Relecture (vorexilische Schöpfungserzählung Gen 2,4b–8.10–14.18–24; 3,20.23*; erweiternde dtr Paradieserzählung Gen 2,9*.15.16–17*; 3,1– 10*.14–19*.24 jeweils ohne den Erkenntnisbaum; weisheitliche Bearbeitung unter den Themen Erkenntnis und Nacktheit: 2,9bβ.17a.25; 3,1a.5aβbβ.6aγ.7.10b.11a.18b.21–22). 35 Vgl. Levin, Jahwist, 82–92 (Schöpfung [„Vorjahwistische Quelle JQ“]: 2,5aα.7aα[bis ~dah].β.8.19aαβ[ohne hmdah !m].20a[ohne lw hmhbh].21.22a[ohne ~dah-!m xql-rva].b; 3,20 f. – jeweils ohne das Tetragramm in 2,7.8.19.21.22; 3,21; „Sündenfall“ [„Jahwistische Redaktion JR“]: 2,5aβb.7[nur hmdah !m].9abβ.15–18.19aα[nur hmdah !m].aγ.20b.22a[nur ~dah-!m xql-rva].23.25; 3,6aα[bis lkaml].aβb–7a.8–13a.16[ab hbrh, ohne $nrhw].17.19aβγ. 23 – und jeweils das Tetragramm in 2,7.8.19.21.22; 3,21; weiterhin nachjahwistische, endredaktionelle und nachendredaktionelle Ergänzungen; vgl. auch ders., Paradies; ders., Genesis 2–3). Im Gefolge Levins mit ähnlichen Textzuweisungen: Witte, Urgeschichte, 53–61.77 f.79–87(ff).116 f.151–166(ff).184–192(ff.) und passim (vgl. bes. die Übersicht aaO., 333 f.); Kratz/Spieckermann, Schöpfer/Schöpfung, 271–274 (mit Ursprünglichkeit der Doppelbezeichnung YHWH Elohim); Kratz, Komposition, 252–256.262 f.; Spieckermann, Ambivalenzen, 49–52 (vgl. auch Feldmeier/Spieckermann, Gott, 258–261).

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Ausgangsthese: Weitgehende Einheitlichkeit von Gen *2,4b–3,24

175

Auffälligkeiten zum Teil literarkritisch (im Anschluss an Budde) und zum Teil traditionsgeschichtlich (nur bedingt im Anschluss an Gunkel) erklären, wobei inhaltliche Spannungen auf die traditionsgeschichtliche Disparatheit des aufgenommenen Materials zurückgeführt werden.36 5.) Damit ist die Frage der Datierung von Gen 2 f. noch nicht angesprochen. Auf sie kann im Rahmen dieser Arbeit und v. a. auf dem Hintergrund der gegenwärtigen Forschung sinnvoll erst nach der eingehenden Behandlung des Textes von Gen *2,4b–3,24 (bzw. *2,4b–4,26) eingegangen werden, wenn es um das redaktionsgeschichtliche Nebeneinander von Gen 1 und Gen 2 f. geht. Dort ist die forschungsgeschichtliche Darstellung zur Datierung von Gen 2 f. nachzuholen (s. u. Kap. 4.1.2).

3.2 Ausgangsthese: Weitgehende Einheitlichkeit von Gen *2,4b–3,24 Um die auch in dieser Arbeit vertretene These der (weitgehenden) literarischen und überlieferungsgeschichtlichen Einheit von Gen *2,4b–3,23.24(?) (mit Ausnahme des literarischen Nachtrages 2,10–15) mit Erklärung der Erzähleigenheiten bzw. Spannungen mittels der Traditionsgeschichte nach diesem Forschungsüberblick und vor der eingehenden literarischen Betrachtung der Erzählung plausibilisieren zu können, sollen hier kurz folgende Überlegungen angestellt werden:37 36 Vgl. Otto, Paradieserzählung, 173 f. und passim (vgl. ders., Urmenschen, 683 ff.; s. o. Anm. 28); Pfeiffer, Baum, 489–497 (Grundbestand: Gen 2,4b.5.7[ohne rp[].8.[9(ohne ~yyxh [#[]).]16–18.19[ohne hyx vpn].20[ohne w hmhbh lkl].21–23; 3,1–13a.16[ohne -la rma hvah]–18a.19a.23; s. o. Anm. 31); Schmid, Unteilbarkeit; Blum, Gottesunmittelbarkeit; Gertz, Adam, 225–236 (Nachträge zu 2,4–4,26 „beschränken sich auf die Verbindung mit der priesterschriftlichen Urgeschichte (2,4a; Erweiterung des Tetragramms um ~yhla; hyx vpn in 2,7b.19b; w hmhbh-lkl/m in 2,20; 3,14), das eventuell auf die gleiche Redaktion zurückgehende Motiv vom Lebensbaum und die zugehörigen Passagen (rp[ in 2,7; 2,9*.10–15; 3,19b.22.24; 4,16b) sowie das erste Zwiegespräch zwischen Jhwh und Kain (4,6 f.).“ AaO., 235); Bosshard-Nepustil, Sintflut, 187–195 (2,9*; 3,22b.24bβ sind möglicherweise sekundär: vgl. aaO., 195); Schüle, Prolog, 149–156(ff.); ders., Urgeschichte, 51–87; Arneth, Fall, 97–147.230–236 (2,10–15; 3,24 als Teil einer späteren Ergänzungsschicht); Ska, Genesis, 4–16 („Apart from some redactional additions such as 2:10–14, the text is essentially unified.“ AaO., 16). Vgl. bereits Kutsch, Paradieserzählung (lediglich 2,6.10–14.15 als Nachtrag). Mettinger, Eden (s. o. Anm. 30) folgt der Arbeit Ottos in verschiedener Hinsicht, vertritt ebenso die literarische Einheitlichkeit des Endtextes von Gen 2,5–3,24 (vgl. aaO., 134 f.), rechnet aber mit einer Mythenvorlage (ob schriftlich oder mündlich) für die Paradieserzählung. Vgl. auch Stordalen, Echoes, bes. 187–205.214 ff. und passim und LaCocque, Trial, 5–8.17–21 und passim, welche die Entstehung(sgeschichte) des Textes weitestgehend unberücksichtigt lassen und vom Endtext ausgehen wegen der „narrativen Einheit“ des Textes (Stordalen) bzw. wegen der dialektischen Darstellungsweise des Jahwisten (LaCocque; der Jahwist wird dabei kontemporär zu P und D ins 6. Jh. angesetzt; vgl. ebd.). 37 Zum paradiesischen Baumbestand s. o. Kap. 3.1, zur Schwierigkeit überlieferungsgeschichtlicher Ansätze mit 2,10–14 s. o. Anm. 33.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

176

Die Paradieserzählung Gen *2,4b–3,24

Betrachtet man den Schluss der Erzählung, fällt der Rückbezug auf ihren Anfang sofort ins Auge: 3,23 nimmt Bezug auf 2,5: Der Mensch, den es anfänglich noch nicht gab, den Ackerboden zu bestellen, wird jetzt (aus dem Garten Eden) auf den Ackerboden vertrieben, um ihn zu bestellen (hm'd'a]h'-ta, dbo[]l; in 2,5b; 3,23b). Damit umgreifen die beiden Verse eine Schöpfungs- und Paradieserzählung, denn einerseits musste der Mensch erst einmal erschaffen werden, und andererseits muss berichtet werden, dass und weshalb der Mensch aus dem Garten Eden vertrieben wird, um seine schöpfungsgemäße Aufgabe zu erfüllen. Dass mit dem Ackerboden (hm'd'a)] ein Leitwort von Gen 2 f. (bzw. Gen *2,4b–4,26) vorliegt, sei hier nur am Rande erwähnt.38 Wichtiger ist, dass insbesondere 3,23 mit dem Kontext so eng verknüpft ist, dass an dieser Stelle die oben genannten überlieferungsund redaktionskritischen Schichtungen nicht überzeugen können: Es wird hier zwar allein der Mensch vertrieben, doch ist das Vergehen unweigerlich mit der Frau verbunden (3,1–6): Der Mensch übertritt dass Gebot Gottes als Mann und Frau (3,6.7 ff.) und wird auch als Mann und Frau verhört und bestraft (3,11 ff.16 ff.; für den Mann, hier als Mensch bezeichnet, ist die InBeziehung-Setzung zu seiner Frau in 3,12b.16b.17aα zu vergleichen). Hier ein Vergehen einzig eines Menschen im Sinne eines Mannes zu rekonstruieren, ist literarkritisch vom Text her nicht zu rechtfertigen (etwa gegen Weimar: s. o. Anm. 34) und überfordert überlieferungskritisch die Parallelen zu Ez 28 (etwa gegen Steck oder Mettinger: s. o. Anm. 30) oder Hi 15,7 f. (etwa gegen Begrich: s. o. Anm. 28), denn diese berichten durchaus Unterschiedliches (die bestrafte Hybris eines Königs, der vom Gottesberg fällt bzw. gestoßen wird, wovon in Gen 2 f. nichts zu lesen ist) oder spielen nur an eine Tradition an, haben also kaum mehr als gemeinsame traditionsgeschichtliche Voraussetzungen mit Gen 2 f.39 Geht die Paradieserzählung aber klar von Mann und Frau aus, muss nebst der Erschaffung des Mannes auch die der Frau berichtet werden (vgl. 2,18 ff.) – mit weitreichenden Folgen für die Anzahl der Bewohner des Garten Edens, da die Frau im selben Textfluss mit den Tieren und damit auch der Schlange (vgl. 3,1aβγ mit Rückbezug auf 2,18 ff.) erschaffen wird. Ebenso muss gewährleistet sein, dass auch die Frau als Mittäterin aus dem Garten Eden vertrieben wird. Letzteres wird zwar nicht explizit berichtet, da nur über die Vertreibung des Menschen gesprochen wird, ist aber im Text von Gen 2 f. klar vorausgesetzt: Nach der Bestrafung von (Schlange,) Frau und Mann (als Mensch), werden beide wieder zusammen gesehen als Menschenpaar, das von Gott Kleidung erhält (Pluralsuffix in 3,21: ~veBil.Y:w:). Dieses Menschenpaar kann in 3,22 ff. mit ~d'a' kollektiv als Menschheit bezeichnet werden, die aufgrund der gemeinsamen Tat in 3,1 ff. hinsichtlich der Erkenntnis von Gut und Schlecht wie Gott geworden ist (3,22a), und kann so als Menschheit vertrieben werden (3,23 f.). Eine lite-

38 Vgl. Gen 2,5.6.7.9.19; 3,17.19.23; 4,2.3.10.11.12.14. 39 Ausführlicher hierzu s. u. Kap. 4.5.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Ausgangsthese: Weitgehende Einheitlichkeit von Gen *2,4b–3,24

177

rarkritische Extraktion – etwa wegen des Lebensbaumes – von 3,22(.24) ist wenig wahrscheinlich, da dies eine mindestens unschöne Syntax hinterließe: 3,23 mit Singularsuffix (WhxeL.v;y>w): müsste dann unmittelbar auf 3,21 mit Pluralsuffix (~veBil.Y:w:) folgen. Der Wechsel von Plural zu Singular wäre damit nicht narrativ entfaltet wie im (End-)Text von 3,21–23 – oder etwa in Gen 1,27, wo der Wechsel vom Singular zum Plural durch die Einführung der Kategorien männlich und weiblich erklärt wird. Eine Folge-Tilgung von 3,21 wäre erzählpragmatisch schwierig (unvermittelter Wechsel vom Mann in 3,17–20 zur Menschheit in 3,23) und ist auch angesichts von Gen 4,11 f.15 (wiederum die Abfolge von Bestrafung – Hilfestellung) unnötig. Auch überlieferungsgeschichtlich kann 3,22(.24) nicht gestrichen werden, denn während sich 3,23 insbesondere auf die Schöpfungserzählung zurück bezieht, nimmt 3,22(.24) die Paradieserzählung auf. Dies geschieht durch den dreifachen Rückbezug mit dem Greifen nach und Essen der Frucht (vgl. 3,22b mit 3,6aβb), dem erfolgten Erkenntnisgewinn (vgl. 3,22a mit 3,5– 7) und der Möglichkeit auf Daseinssteigerung (vgl. das potentielle Leben auf ewig in 3,22bβ mit dem Erkenntnisgewinn in 3,5–7). Eine literar- oder überlieferungskritische Scheidung am Ende der Erzählung hat also verschiedene Schwierigkeiten gegen sich, wohingegen der vorliegende Text eine bewusste Gestaltung erkennen lässt. Auf jeden Fall legen diese Überlegungen nahe, dass keine ehemals von der Schöpfungserzählung unabhängige Paradieserzählung anzunehmen ist. Lässt sich aber eine eigene Schöpfungserzählung rekonstruieren? Eine solche Rekonstruktion könnte sich zwar auf 2,24 als ätiologischen Abschluss einer Erzählung berufen (im Anschluss an Gunkel), es bliebe ihr aber nach Abzug der oben genannten Erzählzüge für die Schöpfungs- und Paradieserzählung nur mehr sehr wenig Text übrig, und vor allem hätte sie ein massives inhaltliches Defizit: Der Mensch bzw. die Menschen sind am Ende dieser Erzählung nach wie vor im Garten Eden, mithin in einem „Paradies“, was weder den Alltagserfahrungen der Zuhörer von Gen 2 f. entspricht, noch mit 2,5 (oft hierzu gerechnet: s. o. Anm. 24.26) in Einklang gebracht werden kann, wo der Mensch ja gerade um der Bestellung des Ackerbodens willen erschaffen wird. Darüber hinaus sind alle diese „paradiesischen“ Stellen der „Schöpfungserzählung“ bereits im Hinblick auf den Verlust des Paradieses geschrieben – und daraus folgt nun, dass überlieferungsgeschichtlich keine klar abgrenzbaren Erzähleinheiten von Schöpfung und Paradies in Gen 2 f. festgemacht werden können. Dass Gen 2 f. ein traditionsgeschichtliches Konglomerat darstellt, spricht nicht gegen diese These: Die Spannungen im Text rühren von den darin aufgenommenen unterschiedlichen Traditionen her.40 Darüber hinaus hätte 40 Zum „bunte[n] Blumenstrauß schöpfungstheologischer [und anderer!] Notizen in Gen 2 f.“ vgl. Pfeiffer, Baum, 487 ff., hier 488; Gertz, Adam, 234–236 und bereits AlonsoSchökel, Motivos, 299–301 und passim; Steck, Paradieserzählung, 35–58 und passim, der bevorzugt von „Wissensstoffen“ spricht; Kutsch, Paradieserzählung, bes. 287–289.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

178

Die Paradieserzählung Gen *2,4b–3,24

der Autor von Gen 2 f. bzw. derjenige, der die verschiedenen mündlichen Erzählungen zusammengestellt und verschriftlicht hat, auch einen spannungsärmeren, konsistenteren Text herstellen können, wenn er ohnehin in die Erzählungen eingegriffen und sie seinem eigenen Darstellungsinteresse dienstbar gemacht hätte. Letzteres gilt natürlich auch für die einzelnen Schichten in redaktionskritischen Modellen.41 Etwas anders als bei überlieferungsgeschichtlichen Modellen stellt sich die Frage der (kontinuierlichen) Entstehung bei Ansetzung eines redaktionsgeschichtlichen Modells dar. Die oben herausgestellte enge Beziehung von Schöpfungs- und Paradieserzählung könnte durch eine Bearbeitung entstanden sein. In der Tat weist Levin die oben zum Ausgangspunkt gewählten Verse 2,5*; 3,23 seiner jahwistischen Bearbeitungsschicht zu und kann so eine relativ unverdächtige Schöpfungserzählung rekonstruieren (s. o. Anm. 35). Ob das für viele alttestamentliche Texte (und die Entstehung des Pentateuch insgesamt) bedeutende redaktionskritische Modell auch für Gen 2 f. Anwendung finden kann, muss sich daran erweisen, ob die einzelnen Textentstehungsebenen jeweils für sich einen kohärenten Text ergeben. Dies ist bei den von Levin (und in seinem Gefolge) präsentierten Schichten aber nicht immer der Fall: Levins „Jahwist“ endet mit 3,20.21.23 – enthält damit genau die oben angesprochene syntaktische Schwierigkeit der Inkongruenz von pluralischer Menschheit in 3,21 zu singularischer Menschheit in 3,23. Weitere Probleme weist Levins rekonstruierte Grundschicht (die „vorjahwistische Quelle“) auf: 3,20 mit der Benennung der Frau (mit Eigennamen) folgt hier direkt auf 2,22 unter Auslassung der Bewillkommnung der Frau in 2,23 (=JR) und der gesamten Paradieserzählung, denn: „Der Schlüssel zur Trennung von Quelle und Redaktion findet sich in 3,20–21… 3,20– 21 sind nicht jünger, sondern älter als ihre Umgebung. Nach hinten wird die Benennung der Frau in 4,1a vorausgesetzt… Nach vorn hat sie ursprünglich an die Erschaffung in 2,22 angeschlossen… Die Parallele bei den Tieren zeigt: Der Zusammenhang von Erschaffung und Benennung ist zwingend.“42 Es spricht mehr gegen als für diese These, denn es geht nicht nur um das formale Moment der Benennung, es geht vielmehr auch um inhaltliche Zusammenhänge: 1.) In 3,22 wird der Frau ein Eigenname gegeben; die Tiere werden in 2,20 de facto aber nicht benannt, sondern aus der Perspektive des Menschen kategorisiert in Vieh, Vögel und Wildtiere. Einer solchen Einteilung der Tierwelt bzw. Benennung der Tierarten (es ist noch nicht einmal dies) entspricht eher die Differenzierung der Menschen in Mann und Frau bzw. die Zuordnung der Frau zum Mann in 2,23. 2.) Ein „Zusammenhang von Erschaffung und Benennung“ besteht etwa bei der 41 Eine ähnliche Argumentation wie hier bezüglich Überlieferungs- und Literarkritik findet sich bereits bei Kutsch, Paradieserzählung. 42 Levin, Jahwist, 82–87, hier 83. Vgl. Witte, Urgeschichte, 155 f.333; Kratz, Komposition, 254 mit Anm. 33; 256; problembewusster Spieckermann, Ambivalenzen, 51.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Ausgangsthese: Weitgehende Einheitlichkeit von Gen *2,4b–3,24

179

Erschaffung des Menschen/Adams nicht. Dem Menschen/Adam wird nie explizit ein Eigenname gegeben. Die Erzählung oszilliert immer in der Verwendung von ~d'a(' h') als Bezeichnung für den Menschen als Gattung oder für den einen spezifischen Menschen namens Adam (s. u. Kap. 3.3.2). 3.) Anders als bei den Tieren wird dem Menschen die Benennung der Frau von Gott nicht aufgetragen. Die Frau wird zwar in derselben Weise wie die Tiere dem Manne zugeführt, doch nicht damit dieser sie benenne, sondern damit er in ihr sein Gegenüber erkenne (2,23), das die Tiere eben nicht sein ̣ awwā, Mutter allen können (2,20b). 4.) Die Benennung der Frau als „H Lebens“ hat im direkten Anschluss an 2,22 kein fundamentum in re.43 Hingegen passt die Benennung ans Ende der Erzählung, nachdem die Menschen ihre Nacktheit und Geschlechtlichkeit erkannt haben (2,24 f.; 3,7.16), und nachdem sie mit ihrer Endlichkeit konfrontiert worden sind (3,19). Hier erst ergibt Fortpflanzung Sinn – und damit auch die entsprechende Benennung der Frau.44 5.) Schließlich ist auch die Erschaffung der Frau aus einer Rippe ein der Erklärung harrendes Element: Der vorliegende Text von Gen 2 f. nimmt es in 2,23 auf und erklärt es damit.45 Doch nicht nur die direkte Abfolge von 2,22 zu 3,20 weist Probleme auf: Betrachtet man den ganzen rekonstruierten Schöpfungstext Gen 2* ohne die postulierten „sündentheologischen“ redaktionellen Zusätze, wie er von Levin, Witte oder Kratz (mit nur geringen Unterschieden) dargestellt wird, so fallen zahlreiche weitere Unstimmigkeiten auf, die nur die rekonstruierten Texte, nicht aber der vorliegende Text Gen 2,4b–3,24 aufweisen: 1.) Zum Beispiel ist die Funktion des Gartens in Eden höchst unklar: Der Mensch wird darein versetzt; die Tiere und die Frau werden dort erschaffen; die Menschen werden von Gott bekleidet. Damit ende die Erzählung.46 Ein Bezug zur Lebenswelt der Leser oder Hörer der Erzählung ist hiermit freilich nicht gegeben: Sie leben nicht in einem schönen Garten und werden von Gott ohne eigene Arbeit um- und versorgt. Vielmehr ist ihr Leben gerade durch das, was in 3,14–19 als Strafen formuliert wird, gekennzeichnet. Auch der Fortgang im biblischen Text spricht gegen diese Rekonstruktion: Adam und Eva befinden sich in Gen 4 eben nicht mehr im Garten Eden. Wie es dazu gekommen ist, berichtet Gen 3. 2.) Unklar ist, weshalb in einer Erzählung über Gottes Handeln am Menschen, die im von Levin 43 Ein sumerisches „Wortspiel“ könnte einen solchen Zusammenhang darstellen (s. u. Kap. 3.4.6); von Levin u. a. wird allerdings nicht darauf verwiesen. 44 Vgl. zur Kritik auch Otto, Paradieserzählung, 173 Anm. 35; Pfeiffer, Baum, 487 f(f.); Schmid, Unteilbarkeit, 24–27, bes. 25 Anm. 29; Blum, Gottesunmittelbarkeit, 10–13; Gertz, Adam, 232–236. 45 Vgl. aber noch Anm. 43 und s. u. Kap. 3.4.6. 46 So bei Levin, Jahwist, 86 und Kratz, Komposition, 254 (ein ähnliches Problem weisen auch überlieferungs- oder redaktionsgeschichtliche Arbeiten auf, die von einer ursprünglich selbständigen Schöpfungserzählung ausgehen, bei der der Mensch/die Menschen im Garten Eden sind und bleiben; s. o. Anm. 28.34). Dagegen lässt Witte, Urgeschichte, 155 f.333 noch 3,23* auf 3,20 folgen und entgeht diesem Problem.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

180

Die Paradieserzählung Gen *2,4b–3,24

rekonstruierten Text 17mal von Gottes Aktivität spricht (jeweils Imperfectum consecutivum; in 2,8* zusätzlich Perfekt), überhaupt auch dem Menschen Aktivität eingeräumt wird mit seiner zweimaligen Tat des Benennens (ich sehe vom „Handeln“ des Menschen in 2,21 – „und er schlief“ – bei dieser Zählung ab). Die Benennung der Tiere und der Frau durch Adam in der vorliegenden Erzählung Gen 2 f. ergibt hingegen erzählpragmatisch mehr Sinn, da sie eingeleitet ist durch die Suche nach einem „Gegenüber“ (diese Passage wird in allen der genannten Arbeiten gestrichen) und explizit in 2,19 durch Al-ar"q.YI-hm; tAar>li (ebenfalls für sekundär erklärt). 3.) Nur die Suche nach einem passenden „Gegenüber“ erklärt, weshalb die Frau erst nach den Tieren erschaffen wird. Ein Grund für die Erschaffung der Tiere und der Menschen muss zwar nicht zwingend angegeben werden, doch mutet die hier gewählte Reihenfolge Mann – Tiere – Frau eigenartig an. Der Text von Gen 2 f. kann auch dies gut begründen. 4.) 2,5 stellt mit seiner wex-yiqṭ ol-Formulierung (hy als „programmatische[] Betonung der Souveränität und Majestät Gottes im Gegenüber zur Niedrigkeit des Menschen“ gedeutet werden.55 2.) Weist man die Erzählung klassischerweise dem Jahwisten zu, so erwartet man den Gottesnamen YHWH56 – und muss die „Hinzufügung“ Elohim erklären. Unabhängig von der Zuweisung von Gen 2 f. zu einer Quelle können zwei redaktionelle Erklärungen unterschieden werden:57 Zum einen: Ein Redaktor könnte die nur von YHWH berichtende Erzählung an Gen 1 angeglichen und von dort die Gottesbezeichnung Elohim übernommen und hinzugefügt haben.58 Es ist so aber nicht zu erklären, weshalb im Dialog zwischen der Schlange und der Frau in Gen 3,1–5 nur Elohim erscheint,59 und v. a. weshalb die entsprechende Redaktion genau in 3,24 (bzw. 3,23) enden sollte: Sie hätte sich auch bis zur nächsten priesterschriftlichen Texteinheit erstrecken können, sich also auch in der Brudermord-Erzählung Gen 4, die deutlich die Fortsetzung zu Gen 2 f. darstellt, niederschlagen können, oder aber sie hätte nur Gen 2 umfassen können zum Abgleich nur beider Schöpfungserzählungen.60 Zum anderen: Die Alternative ist ein „jahwistischer Redaktor“, der einen von Elohim handelnden Text mit dem spezifischen Gottesnamen YHWH angereichert hat.61 Doch auch hier lässt sich nicht erklären, weshalb in Gen

55 56

57

58

59

60 61

setzen, ~yhil{a/ hw"hy> somit mit „Gott YHWH/Gott Yahwe“ o. ä. (s. u.). Um der Lesbarkeit willen geschieht dies hier aber nicht durchgängig. Witte, Urgeschichte, 58; vgl. ausführlich aaO., 232–237. Vgl. etwa Westermann, Genesis, 270 f., der YHWH Elohim als nicht gebräuchliche, ad hoc gebildete Gottesbezeichnung versteht, die überleiten soll von der Gottesbezeichnung Elohim in Gen 1 zur Bezeichnung YHWH in Gen 4. Eine Aufteilung der Gottesnamen auf zwei Quellen (vgl. etwa Gunkel, Genesis, 5.26 und die in Anm. 24 genannten Arbeiten) kann mit dem Abweis einer solchen These für Gen 2 f. insgesamt (s. o. Kap. 3.1; 3.2) hier unbedacht bleiben. Weitere Erklärungsmodelle samt kurzer Kritik bei Witte, Urgeschichte, 58–60 mit Anm. 40. So etwa Westermann, Genesis, 270 f.; Kutsch, Paradieserzählung, 277 Anm. 14; Witte, Urgeschichte, 57 ff.232 ff. Vgl. auch Steck, Paradieserzählung, 24 f. mit Anm. 35, der sich allerdings gegen einen redaktionellen Ausgleich mit Gen 1 ausspricht und vielmehr in 4,25 f.(red.) den Ausgangspunkt derjenigen Redaktion findet, die in Gen 2 f. ursprünglichem YHWH ein Elohim hinzugefügt und in 3,1b–5 ursprüngliches YHWH durch Elohim (vgl. 4,25b) ersetzt hat. Dies gilt umso mehr, wenn nach Witte, Urgeschichte, 287 alle Belege von YHWH Elohim nachexilisch sind, da sie außer in Gen 2 f. und Jon 4,6 stets im Munde von Erzählfiguren begegnen. So ist Elohim nach Witte, Urgeschichte, 60 f. redaktioneller Zusatz zur Abgleichung von priesterschriftlicher und nicht-priesterschriftlicher Schöpfungserzählung. So etwa Levin, Jahwist, 82 f. (Hinzufügung von YHWH zur vorjahwistischen Quelle JQ

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

184

Die Paradieserzählung Gen *2,4b–3,24

3,1–5 dann nur von Elohim und in Gen 4 nur von YHWH gesprochen wird. Die Annahme einer redaktionellen Entstehung der Doppelbezeichnung hat damit die große Schwierigkeit gegen sich, dass sie mit einer in sich nicht konsistenten Redaktion rechnen muss.62 Es stellt sich die Frage, ob die Doppelbezeichnung ursprünglich sein kann: An den anderen genannten Stellen scheint die Doppelbezeichnung ursprünglich zu sein, da ein redaktionelles Wachstum (auch hier) kaum plausibel zu machen ist.63 Weiter sprechen auch epigraphische Belege für die Möglichkeit der Ursprünglichkeit der Doppelbezeichnung: So finden sich zahlreiche Beispiele für die Konstruktion Gottesname + Appellativum in phönizischen64 und aramäischen (besonders in den Elephantine-Papyri etwa mit dem jüdischen Gott Yahu, ahla why, neben dem ägyptischen Gott Chnum)65 oder auch in palmyrenischen und haträischen Inschriften.66 Zuweilen wird versucht, die Doppelbezeichnung durch die Analogie zur akkadischen Konstruktion Gottesdeterminativ + Gottesname zu deuten.67 Diese ist allerdings wegen der umgekehrten Reihenfolge nur bedingt vergleichbar. Schon eher könnte die ägyptische Schreibweise ins Feld geführt werden: Hier begegnet das Determinativzeichen hinter dem Gottesnamen bzw. allgemeiner: hinter dem zu determinierenden Wort.68

62

63

64

65

66 67 68

durch JR – und von YHWH Elohim in 2,4b durch R und in 3,14.22 durch RS: vgl. aaO., 89.90–92); Seebass, Urgeschichte, 104 f. Gegen eine redaktionelle Entstehung etwa auch L’Hour, Yahweh Elohim, 552–556; Dohmen, Schöpfung, 184–189; Kratz/Spieckermann, Schöpfer/Schöpfung, 272 f.; Kratz, Komposition, 255 Anm. 36. Vgl. Witte, Urgeschichte, 58.234 f. Gegen Witte, aaO., 58 ist auch der Beleg in Jon 4,6 nicht als redaktionell, zum Ausgleich von 4,1–5 (YHWH) und 4,7–9 (Elohim), anzusehen: In 4,10 steht wieder YHWH, und der Wechsel der Gottesbezeichnungen im Jonabuch lässt sich als bewusst und theologisch motiviert aufweisen: Mit den verschiedenen Gottesbezeichnungen wird die jeweils anvisierte Relation zwischen Gott und seinem Gegenüber (die Seeleute, die Niniviten, Jona) treffend zum Ausdruck gebracht (vgl. Bührer, Gott; vgl. auch Jeremias, Jona, 104 f.). Vgl. KAI 27,3; KAI 48,2; KAI 59,2. Vgl. auch Witte, Urgeschichte, 233, der aber die Vergleichbarkeit mit Belegen von Gottesname + Appellativum bestreitet, da er YHWH Elohim als Kombination zweier Eigennamen versteht (s. o. Anm. 50.52). Vgl. etwa TAD.A 4.7 Z.6.24 u. ö., wo in Z.5 ahla zu Chnum über der Zeile nachgetragen ist. Dies zeigt, dass der Gottesname alleine stehen kann, dass aber, wo von verschiedenen Göttern die Rede ist, oft bekräftigend das Appellativum hinzutritt. Chnum/Chnub (belegt sind die Schreibungen bwnx, ~wnx und ~nx) findet sich etwa in TAD.A 4.5 Z.3 in der Schreibweise ahla bwnx. Eine indeterminierte Form des Appellativums ist in TAD.B 2.7 Z.14 belegt (hla hhy). Vgl. Hillers, Inscriptions, 32–39. Textausgabe der Inschriften: Beyer, Inschriften; zu den Götternamen vgl. aaO., 144–153. Vgl. etwa Tur-Sinai, JHWH Elohim; Speiser, Genesis, 15 f. Vgl. dagegen auch Hillers, Inscriptions, 33. Vgl. Gardiner, Grammar, 22–24.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Der Text von Gen 2,4–3,24

185

Nach dem oben Gesagten kann die Doppelbezeichnung YHWH Elohim als ursprünglich im Kontext von Gen 2–3 gelten. Sie ist theologisch zu begründen: Wie in 3,1–5, dem neuralgischen Punkt jeglicher redaktioneller Thesen zur Doppelbezeichnung, zum Ausdruck kommt, sprechen die Menschen bzw. hier die Schlange und Eva nur von Elohim. Die Schlange verheißt den Menschen, dass sie nach dem Essen der Frucht „wie Elohim“ sein werden. Der Erzähler differenziert. Er benennt den betreffenden Gott mit seinem Eigennamen YHWH und fügt erklärend hinzu: (der) Gott.69 Dies ist vor dem Hintergrund einer göttlichen Mehrzahl, wie sie neben der Doppelbezeichnung auch in der Pluralform in 3,22 (WNM,mi dx;a;K.) durchscheint und darüber hinaus mehrfach in der Urgeschichte begegnet (vgl. Gen 1,26; 2,1; [5,24;] 6,1–4; 11,7),70 nicht verwunderlich.71 Es geht in der Paradieserzählung also um (den) Gott YHWH und die Menschen, die wie Gott, oder besser: wie die Götter (~yhil{aKe; vgl. 3,5) werden: Es geht um Gottgleichheit, nicht aber um Yahwegleichheit.72 Auch wenn die Menschen in die Sphäre des bzw. der Göttlichen eintreten, bleibt YHWH von den Menschen unterschieden, auch nachdem diese geworden sind „wie einer unter den Göttern“. Diese Unterscheidungen geschehen „aus gutem Grund, geht es hier doch – mehr als in jeder anderen Erzählung – fundamental um die De-Finition des Menschen als Kreatur im Gegenüber zu Gott JHWH“.73 3.) Der Septuaginta hat die Doppelbezeichnung ~yhil{a/ hw"hy> an den genannten Stellen vorgelegen. Sie übersetzt ~yhil{a/ hw"hy> mit κύριος ὁ θεὸς in 2,8.15. 16.18.22; 3,1a.8(2x).9.1374.14.21.23 und folgt auch in 3,1b.3.5a dem masore-

69 So versteht es wohl auch die Septuaginta, wenn sie YHWH Elohim mit κύριος ὁ θεὸς übersetzt. Allerdings folgt sie dem hebräischen Text nicht ganz genau: S. u. 70 Vgl. Bührer, Göttersöhne, 497–500.513 f. In Anlehnung an den „göttlichen Kohortativ“ von Gen 1,26 (~d'a' hf,[]n;: ποιήσωμεν ἄνθρωπον) formuliert die Septuaginta – eindeutig gegen den masoretischen Text – auch in 2,18 pluralisch: ποιήσωμεν αὐ τῷ βοηθὸν (s. u. Kap. 3.3.4). 71 Vgl. die genannten Belege aus Elephantine (zu den Gottheiten in Elephantine vgl. etwa Becking, Gottheiten) und die von Hillers, Inscriptions, 32–39 zitierten Texte. 72 Vgl. Gunkel, Genesis, 24.29. S. u. Kap. 3.4.9 mit Anm. 335. 73 Blum, Gottesunmittelbarkeit, 26; vgl. ders., Elohim, 115. Van Wolde, Words, 32–47 verbindet die Doppelbezeichnung mit der Zweiheit der Bäume inmitten des Gartens, wobei YHWH für den Lebensbaum und Elohim für den Erkenntnisbaum steht: „The difference between ~yhla hwhy and the human will now be clear. The human, both man and woman, is like ~yhla (3:5,22), because (s)he has eaten of the tree of the knowledge of good and bad and has acquired discriminating and procreative power. But (s)he is unlike hwhy in that (s)he cannot eat of the tree of life (3:22), and so will not live forever, but only trough succeeding generations.“ AaO., 46 f. Dass Gott von den genannten Bäumen esse, soll damit nicht gesagt werden. Weiter s. u. Kap. 3.4.9; 3.4.17. 74 Bezüglich der Gottesbezeichnung von LXX in 3,13 ist sich die Forschung unsicher: Die Göttinger Septuaginta (Wevers) liest ὁ θεὸς, die Edition von Rahlfs dagegen κύριος ὁ θεὸς – wie MT. Letzteres könnte zwar eine Angleichung an 3,9.14 sein, wodurch Mann, Frau und Schlange dann alle von YHWH Elohim angesprochen werden, doch spricht der Handschriftenbefund gegen die Lesart der Göttinger Septuaginta: Vgl. Rösel, Übersetzung, 93

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

186

Die Paradieserzählung Gen *2,4b–3,24

tischen Text (ὁ θεὸς für Elohim). Dagegen liest sie anstelle von ~yhil{a/ hw"hy> nur ὁ θεὸς in 2,4b.5.7.9.19.21; 3,22, und ~yhil{aKe in 3,5 gibt sie mit ὡς θεοι ̀ wieder, also mit Plural (vgl. 31,30.32; 35,2.4). Leitinteresse der Septuaginta dürfte wiederum die Abgleichung beider Schöpfungserzählungen gewesen sein:75 Als Schöpfergott erscheint wie in Gen 1 ὁ θεὸς.76 Dagegen bezeichnet κύριος ὁ θεὸς den mit den Menschen interagierenden, den sich den Menschen zuwendenden Gott.77 Die Änderungen setzen sich im weiteren Verlauf der Urgeschichte fort: Obwohl ~yhil{a/ hw"hy> in MT auf 2,4b–3,24 beschränkt ist, gibt die Septuaginta in Gen 4–11 YHWH in der Regel mit κύριος ὁ θεὸς wieder, Elohim mit ὁ θεὸς. Erst ab Gen 12 wird YHWH regulär mit κύριος (meist indeterminiert) wiedergegeben. Gen 11,1–9 stellt (auch in dieser Hinsicht) eine Art Zwischentext dar: In 11,5.6.8.9a wird YHWH durch alleinstehendes κύριος wiedergegeben, in 11,9b findet sich (über MT hinaus) der letzte Beleg von κύριος ὁ θεὸς in GenLXX.78 Als Gesamtbild ergibt sich damit, dass die Septuaginta mittels der Gottesbezeichnung die Ur- von der Vätergeschichte unterscheidet: YHWH bzw. κύριος ist der Gott Israels. Als Schöpfergott und Weltenherrscher wird er dagegen ὁ θεὸς genannt. In der universalen Urgeschichte wird YHWH daher meist mit κύριος ὁ θεὸς wiedergegeben.79 Die anderen Versiones folgen dem masoretischen Text weit genauer: Syr gibt in der Regel Elohim mit �lh� (auch in Gen 3,1b–5; in 3,5 ist Plural markiert) und YHWH mit mry� „Herr“ wieder (in 3,24 über MT hinaus). YHWH Elohim wird folgerichtig mit mry� �lh� übersetzt. Einzige Ausnahme stellt 3,11 dar, wo über MT hinaus in der Redeeinleitung ein alleinstehendes mry� hinzugefügt wurde.

75 76

77 78

79

sowie Harl, Genèse, 108; Alexandre, Commencement, 28, die der Edition von Rahlfs folgen. Anders Wevers, Notes, 42. S. o. Kap. 2.1.1 und s. u. Kap. 3.3.4 zu Gen 2,4. Gen 3,22 nimmt die Pluralformulierung 1,26; 2,18LXX auf, wo es jeweils um Gottes Schöpfertätigkeit geht (vgl. Rösel, Übersetzung, 98). Gen 2,22; 3,1a scheinen nicht in diese Systematisierung zu passen, weil hier κύριος ὁ θεὸς schöpferisch tätig ist (vgl. Rösel, aaO., 58.90; ders., Gottesnamen, 371). 2,22 wird allerdings durch 2,21 eingeleitet, und es könnte hier der Aspekt der Zuwendung zum Menschen hervorgehoben sein (vgl. 2,18). Zu 3,1a kann man sich fragen, ob damit nicht bereits auf das Verhör und damit wieder eine gottmenschliche Interaktion abgezielt ist. Vgl. Rösel, Übersetzung, 58. Vgl. Rösel, Übersetzung, 217 mit Anm. 13. Für Gen 4–10 sind die Wiedergaben von YHWH mit κύριος in 4,3.13; 9,26; 10,9 bzw. von Elohim mit κύριος ὁ θεὸς in 6,22; 8,15; 9,12 als bewusste Ausnahmen zu werten. Vgl. Rösel, Gottesnamen, 368 f.370 f. und passim; ders., Übersetzung (jeweils zur Stelle). Nach Rösel, Gottesnamen, 375 gibt es „eine Scheu, die Bezeichnung κύριος zusammen mit Unrecht-, Straf- und Gerichtstaten zu erwähnen, ebensowenig mit Ereignissen in denen Gott seine Macht erweist.“ Dies erklärt zwar etwa ὁ θεὸς in 4,1.4.9.10[über MT hinaus].16, doch wird es dem Befund in 11,1–9 kaum gerecht (Rösels Erklärung zu 11,9b in ders., Übersetzung, 220 kann kaum überzeugen). Vgl. insgesamt Rösel, Gottesnamen; ders., Übersetzung (jeweils zur Stelle); ders., Namen des Herrn, 75; Witte, Urgeschichte, 288–290.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Der Text von Gen 2,4–3,24

187

TO schreibt sowohl für YHWH als auch für Elohim in der Regel ywy. YHWH Elohim wird mit ~yhla ywy wiedergegeben. In 3,1b steht ~yhla ywy statt alleiniges Elohim bzw. ywy; in 3,3.5 steht regulär ywy; in 3,5 wird ~yhil{aKe theologisch entschärft (vgl. auch 3,8: S. u. Kap. 3.3.4) und als !ybrbrk „wie die Großen/Engel“ gedeutet (vgl. TO zu Gen 6,280). Vg folgt weitestgehend MT und übersetzt Elohim mit Deus, YHWH mit Dominus und YHWH Elohim mit Dominus Deus – auch in 3,1–5. ~yhil{aKe in 3,5 wird pluralisch wiedergegeben: sicut dii. In 2,16; 3,22 wird YHWH Elohim getilgt.

Bezüglich der Textkritik der Gottesbezeichnungen heißt dies, dass am masoretischen Text festgehalten werden muss. MT wird durch Smr gestützt. Die antiken Übersetzungen stellen Glättungen dar oder verfolgen, wie bei der Septuaginta, eigene theologische Absichten.81

3.3.2 Der oder ein Mensch oder Adam? Zu Vokalisierung und Verwendung von Adam / ~d'a'

~d'a'l.(W) in 2,20b; 3,17.21 bereitet Schwierigkeiten. Es ist nicht klar, nach welchen Kriterien ~d'a' formal determiniert oder wie hier ohne Artikel (vgl. noch 2,5) erscheint. BHS konjiziert ~d'a'l'w> an allen drei Stellen.82 So liest schon jeweils die Septuaginta. Allerdings ist LXX für diese Frage nicht aussagekräftig, da sie bei der formalen Determination von ~d'a' und in der Übersetzung eigene Interessen verfolgt: Sie übersetzt ~d'a' in 2,19b.20a.23; 3,22 gegen MT ohne Artikel und fügt in 3,9 zusätzlich ᾽Αδὰ μ (ohne Artikel) in die Frage Gottes ein. Darüber hinaus kennt sie für den Menschen bzw. Mann nicht nur die Bezeichnungen ~d'a' und vyai (2,23b.24; 3,6.16) wie MT, sondern differenziert bei der Wiedergabe von ~d'a' zwischen der Gattungsbezeichnung Mensch (ἄνθρωπος) und Adam als Eigennamen (᾽Αδὰ μ) und verwendet für vyai in 2,23b; 3,6.16 die explizite Bezeichnung für Mann, ἀ νὴ ρ.83 Das Problem liegt auf der Hand: Der masoretische Text oszilliert in der Verwendung von ~d'a' als Gattungsbezeichnung Mensch (vgl. Gen 1,26 f.; 5,1b.2) und ~d'a' als Eigenname Adam (vgl. Gen 5,1a.3–5). Die Septuaginta 80 Vgl. hierzu Bührer, Göttersöhne, 497 f. mit Anm. 18. 81 Vgl. auch Hendel, Text, 35–39: Die Abweichungen von LXX gegenüber MT bei den Gottesbezeichnungen sind „of negligible text-critical value“ (aaO., 39). Allerdings macht Hendel die hebräische Vorlage von LXX für die Änderungen verantwortlich, jedoch ohne dies (für Gen) wahrscheinlich machen zu können. 82 Dagegen hält Hendel, Text, 124–127 an der masoretischen Vokalisation fest (vgl. aaO., 115). 83 ἀ νὴ ρ in 2,23b; 3,6.16; ἄνθρωπος in 2,5.7(2x).8.15.18.24; ᾽Αδὰ μ in 2,16.19(2x).20(2x).21.22 (2x).23a.25; 3,8.9(2x).12.17.20.21.22.24; 4,1.25. Dass in 2,24 vyai mit ἄνθρωπος wiedergegeben wird, ist, gerade neben 2,23b, eigentümlich (vgl. aber noch 4,1; 6,9); vgl. Rösel, Übersetzung, 72.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

188

Die Paradieserzählung Gen *2,4b–3,24

hat diese Diskrepanz entschärft: Sie bezeichnet ~d'a' mit ἄνθρωπος, wo es im weitesten Sinne um die Erschaffung (2,5.7.8.15) oder um allgemeingültige Aussagen über den Menschen geht (2,18.24). Dagegen schreibt sie ᾽Αδὰ μ, wenn sie den ersten Menschen personifiziert und seiner Frau an die Seite stellt. Schließlich verwendet sie ἀ νὴ ρ, wenn es um die Ehe- oder Geschlechtsgemeinschaft zwischen Adam und seiner Frau geht.84 Der ätiologische Text Gen 2 f.MT wird in der griechischen Übersetzung damit zu einer Erzählung von dem einen Urmenschen bzw. Urmann mit seiner Frau: Der Mann allein ist geworden wie die Götter (3,5.22), nicht aber die (aus Männern und Frauen bestehende) Menschheit wie im masoretischen Text. Der griechische ᾽Αδὰ μ ist damit viel eher ein Prometheus, als dass er für die Menschheit steht. Variationen weisen etwa auch die Vulgata, Targum Onkelos und die Peshitta auf,85 doch finden sie sich v. a. in 2,23.24; 3,6.16, wo auch MT variiert. Die Frage nach der Determination bzw. der Verwendung von ~d'a' ist also ausschließlich ausgehend vom masoretischen Text zu beantworten, die Versiones stellen bewusste Abweichungen dar. Der Mensch aus 2,20a (~d'a'h)' begegnet in 2,20b ohne formale Determination als isoliertes Einzelwesen, dem die Tiere kein Gegenüber sein können. Die Artikellosigkeit kann die Isolation, das Alleinsein des Menschen zusätzlich hervorheben. In 3,17.21 begegnet (der formal indeterminierte) Mensch bzw. Mann an der Seite der Frau (3,16; 3,21). Genauso, wie diese Verse allgemein etwas über die Frau bzw. die Frauen aussagen, ist auch hier der Mensch an sich gemeint. Als solcher trägt ~d'a' außer an den genannten drei Stellen immer den Artikel. Allerdings fällt (besonders beim Vergleich von 3,21 mit 3,8) auf, dass bei den drei umstrittenen artikellosen Belegen – und nur bei diesen – ~d'a' mit der Präposition l. erscheint. Diese Konstanz lässt nicht auf einen Fehler in der masoretischen Vokalisation schließen. Man kann daher einerseits nach der Intention der masoretischen Vokalisation fragen, andererseits aber danach, ob die Paradieserzählung vor der Vokalisation durch die Masoreten eventuell ein anderes Verständnis aufwies. Cassuto vergleicht in seinem Kommentar die Verwendung von ~d'a' mit der Präposition l. mit der Verwendung von ~yhil{a/ in Kombination mit den Präpositionen B., K. und l.: Elohim erscheint zuweilen mit dem Artikel, jedoch nie dann, wenn Elohim mit einer der genannten Präpositionen verbunden ist. Dasselbe gelte auch für ~d'a', weshalb in 2,20b; 3,17.21 am maso-

84 Die Frau wird wie in MT unspezifisch als γυνή / hV'ai bezeichnet. Nur in 3,20 erhält sie den Eigennamen Ζωή / hW"x;, in 4,1.25 erscheint sie als Εὕα / hW"x; (in 4,25 über MT hinaus). 85 TO: Xna in 2,5; 3,20 (aXna ynb); rbg in 2,24; l[b in 2,23b; 3,6.16; sonst mit MT ~da. Syr folgt weitestgehend MT, liest aber gbr in 2,23b.24, b�l in 3,6.16, zweimal �dm in 3,9 und tilgt �dm in 3,24. Dabei verstehen TO und Syr Adam als Eigennamen und schreiben daher ohne Artikel – und zwar ab Gen 1,27 (Gen 1,26 lautet dagegen aXna in TO und Syr; vgl. Aberbach/Grossfeld, Onkelos, 24 f.). Vg liest ähnlich wie LXX: homo für ἄνθρωπος, Adam für ᾽Αδὰ μ (getilgt in 2,16; nur einmal in 3,9 wie MT) und vir für ἀ νὴ ρ.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Der Text von Gen 2,4–3,24

189

retischen Text festzuhalten sei.86 Allerdings eröffnet Cassutos Vergleich weniger Einblicke in die Textentstehung als vielmehr in die Textüberlieferung: Einerseits haben die masoretischen Vokalisatoren an vielen Stellen – namentlich in poetischen Texten – eine formale Determination angegeben, wo dies vom Konsonantenbestand nicht eindeutig war, also bei den präfigierten einkonsonantischen Präpositionen, die sie zu synkopierten Artikeln (B;, K; und l;) gemacht haben.87 Diese „Revokalisierung“ blieb allerdings unvollständig bzw. inkonsequent – auch in den poetischen Texten.88 Andererseits fällt auf, dass bei einigen Namen, Eigennamen oder Appellativa, die als solche als determiniert gelten können, die formale Determination bei präfigierten einkonsonantischen Präpositionen gerade unterlassen wird, auch wenn in demselben Textzusammenhang das Lexem mit dem bestimmten Artikel belegt ist. Als Beispiele hierzu nennt Barthélemy ~yhil{a/, ~d'a' und tp,To.89 Das Ergebnis stellt sich daher differenzierter dar, als oft gesehen wird: Die Paradieserzählung meint in Gen 2,20b; 3,17.21 den Menschen an sich. ~d'a'l.(W) ist damit wie ~d'a'h' determiniert zu verstehen: Adam steht hier für die Menschheit. Die ursprüngliche Erzählung hätte damit tatsächlich ~d'a'l'(w>) gelesen.90 Gleichwohl handelt es sich beim masoretischen Text nicht um einen Fehler: Die masoretischen Vokalisatoren haben hier die Möglichkeit genutzt, den Menschen als personifizierten Einzelmenschen, als Urvater Adam, zu kennzeichnen – wie es auch der Samaritanische Pentateuch und noch weit intensiver die Septuaginta, die nicht an den Konsonantentext gebunden war, getan haben.91 Die Vokalisierung des masoretischen Textes

86 Vgl. Cassuto, Genesis, 166 f. (bei den Ausnahmen Ex 22,19 und Ps 86,8 sind pagane Gottheiten gemeint). 87 Vgl. Lambert, L’article, 208 f.; Barthélemy, Gn 2,20, 51; Barr, Determination, 325–333. S. o. Kap. 2.3.2.1. 88 Vgl. Lambert, L’article, 208 f.; Barr, Determination, 327–330 (der Begriff „revocalization“ aaO., 328). 89 Vgl. Barthélemy, Gn 2,20, 48–53. Barthélemy bezeichnet diese drei Lexeme als „quasinoms-propres“ (aaO., 50; vgl. Cassuto, Genesis, 166 f.). Für ~yhil{a/ ist diese Bezeichnung nach dem in Kap. 3.3.1 Gesagten kritisch zu betrachten (vgl. Blum, Elohim, 109.112–114: „Zugespitzt formuliert ist diese überaus verbreitete Redeweise entweder sachlich unzutreffend (wenn ‚wie ein Eigenname‘ meint ‚als Eigenname‘) oder verunklärend unterbestimmt (gegenüber einer direkten Benennung der relevanten Merkmale) und deshalb alles in allem irreführend.“ AaO., 113). 90 Dies freilich unter der Voraussetzung, dass nur der Artikel die Determination bewerkstelligt: Vgl. die Problemanzeige bei Barr, Determination. 91 Vgl. Barthélemy, Gn 2,20, 53: „La construction avec article hâ�âdâm est originelle… Quant à la construction sans article qui ne s’est infiltrée que dans le�âdâm parce qu’elle ne pouvait le faire que là en ces chapitres en respectant les consonnes, c’est une construction innovatrice qui suppose qu’‚Adam‘ est déjà senti comme un nom propre…“ So auch Schellenberg, Mensch, 220. Vgl. auch Hess, Adam, 3. Der Samaritanische Pentateuch schreibt ~da in 2,7b.25; 3,8 ohne Artikel und interpretiert Adam damit wohl als Eigenname. Mit Artikel erscheint Adam in Smr nur dort, wo Mann und Frau, also die Menschen, gemeint sind.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

190

Die Paradieserzählung Gen *2,4b–3,24

gehört damit bereits in die Rezeption der ursprünglichen Erzählung. Vom Text- bzw. Konsonantenbestand her kann somit MT als Grundlage der Exegese dienen. Was die Vokalisierung betrifft, gibt es an den drei genannten Stellen eine ältere Tradition, die zur Grundlage der Exegese genommen werden muss.92 ~d'a' in Gen 2 f. bzw. 2,4b–4,1 bezeichnet daher immer, mit oder ohne Artikel, Adam als Stellvertreter der gesamten Menschheit – auch dann, wenn ihm seine Frau an die Seite gestellt wird. Das Kapitel schwankt also tatsächlich in der Verwendung von Adam als Gattungsbezeichnung und als Einzelmensch. Schwierig sind besonders die Passagen, wo Adam neben seiner Frau auftritt: Hier kann Adam nicht den Menschen insgesamt bezeichnen, da die Frauen sonst ausgeschlossen wären. Wo aber „seine Frau“ nicht begegnet (etwa in 2,5; 3,22–24), meint Adam die aus Männern und Frauen bestehende Menschheit. Die Differenz zwischen Adam als Gattungsbezeichnung Mensch (geschlechtsneutral) und als Name für einen konkreten (männlichen) Einzelmenschen, wie er im nicht-priesterschriftlichen Text explizit erstmals in 4,25 begegnet (s. u.), findet sich auch im priesterschriftlichen Text in der Abfolge Gen 1,26 f. – 5,1–3(ff.). Muss darin aber zwangsläufig ein Widerspruch liegen, und ist etwa 5,1–3 daher literarkritisch zu bearbeiten,93 oder lassen sich beide Bedeutungen auch zusammen denken – so wie dies der Endtext de facto tut? Da beide Textkomplexe mit der Doppeldeutigkeit des Begriffes, die erst in der Rezeption beider Texte entschärft bzw. geglättet wurde, arbeiten, scheinen die hebräischen Texte mit dieser Doppeldeutigkeit in ein und demselben Text keine Schwierigkeiten gehabt zu haben. Die Leser haben damit die Aufgabe, nach Sinn und Verstand den Menschen dort 92 Damit erübrigt sich auch die zuweilen vertretene Mischlösung (vgl. Gunkel, Genesis, 11. 22 f.; Westermann, Genesis, 253 f.312.359; Seebass, Urgeschichte, 99 f.), in 2,20b dem masoretischen Text zu folgen, diesen in 3,19.21 aber zu korrigieren. Dagegen explizit auch Barthélemy, Gn 2,20, 48.53. 93 Gen 5,1–3 wird oft literarkritisch aufgeteilt in 5,1a.3(ff.) und 5,1b.2. Dies liegt u. a. daran, dass 5,1a.3 Adam als Eigennamen verwendet und entsprechend der schematischen Formulierung von Gen 5 insgesamt formuliert, 5,1b.2 dagegen Adam als Gattungsbezeichnung Mensch verwendet und explizit auf Gen 1,26–28 Bezug nimmt und damit aus dem Schema von Gen 5 heraus fällt (vgl. etwa Blum, Studien, 280; Levin, Jahwist, 99 f.; Kratz, Komposition, 235). Doch: Die Abfolge Gen 1,1–2,3; *5,1–32 lässt eine klare kompositorische Gestaltungseinheit erkennen, die nur durch 5,29b redaktionell überarbeitet worden ist. Darin hat 5,1–2 die Funktion, von der Urgeschichte der Menschheit zur Menschheitsgeschichte mit einzelnen Menschen überzuleiten. Dazu nimmt 5,1b Gen 1,26.27a auf mit dem Gedanken der Gottesebenbildlichkeit des Menschen (Singular) und dem spezifisch priesterschriftlichen Schöpfungsterminus arb (je dreimal in 1,27 und 5,1–2; dazu je einmal hf[ in 1,26 und 5,1b), 5,2a nimmt 1,27b auf mit der Ausdifferenzierung des Menschen (Singularsuffixe) in männlich und weiblich (Pluralsuffix) und 5,2b nimmt 1,28 auf mit der Segnung der Menschen ($rb). Schließlich stellt 5,3 ff. die Realisierung des Mehrungssegens aus 1,28 dar, die bezeichnenderweise über die Gottesebenbildlichkeitsthematik wieder zurückgreift auf 1,26 f.; 5,1b (vgl. 9,6b). Vgl. schon oben Exkurs 3 mit Anm. 579 und Witte, Urgeschichte, 123–130.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Der Text von Gen 2,4–3,24

191

als Mann zu verstehen, wo er neben der Frau auftritt (das gilt auch für 3,17– 19), dort aber als Mensch, wo die Frau nicht genannt aber gleichwohl gemeint ist. Übrig bleibt ausschließlich 4,25, wo ~d'a' ohne Artikel belegt ist und neben seiner Frau erscheint. Nur hier ist Adam im masoretischen Text explizit als Eigenname gemeint und daher artikellos – und muss auch nicht mit Artikel versehen werden (gegen BHS), denn hier begegnet Adam in der Genealogie neben anderen genannten Einzelmenschen. Hier kann nicht mehr der Mensch an sich gemeint sein: Der aus dem Garten Eden in die reale Lebenswelt entlassene Mensch erkennt seine Frau (4,1) und wird dadurch zu einem spezifischen Mann, nämlich Adam – genauso wie die Frau bereits im Vorausblick auf ihre Rolle als Lebensspenderin von der Frau zur einen spezifischen Frau, nämlich Eva, wurde (3,20).

3.3.3 Der Garten Eden oder der Garten in Eden? Der von Gott angepflanzte Garten94 (2,8a), worein der Mensch zunächst gesetzt (2,8b) und sodann daraus vertrieben (3,22–24) wird, wird im masoretischen Text und in den Versiones an den verschiedenen Stellen unterschiedlich bezeichnet: MT liest !d,[eB.-!G: in 2,8, !d,[e-!g:B. in 2,15, !d,[e-!G:mi in 3,23, !d,[e-!g:l. ~d,Q,mi in 3,24 sowie !d,[eme in 2,10 und !G"h; bzw. !G"B; in 2,9.16; 3,1.2.3.8 (2x).10. Der in Eden angepflanzte Garten (2,8) wird also zum Garten Edens bzw. Garten Eden (2,15; 3,23 f.). Das Gebiet Eden (2,10), in dem der (Gottes-)Garten liegt, wird somit zum Namengeber dieses Gartens. Zu klären ist zunächst die Bedeutung von !d[,95 sodann ist ein Blick in die Versiones zu werfen. Schließlich kann auch die Verwendung von Eden in Gen 2–4 nachgezeichnet werden: 94 Im AT finden sich 60 Belegstellen für „Garten“ mit den drei Haupt-Lexemen !G: (41mal), hN"G: (16mal) und sDer>P; (Cant 4,13; Qoh 2,5; Neh 2,8). Zehn weitere Belege dieser Lexeme finden sich in den deuterokanonischen Schriften. Daneben sind weitere Begriffe für „Garten i.w.S.“ belegt, etwa ~rK; I. Dazu kommen Stellen, die einen Garten beschreiben, ohne ein entsprechendes Lexem dafür zu gebrauchen (vgl. zu Jes 60,13 Steck, Jesaja 60,13). Am meisten Belege der drei Haupt-Lexeme finden sich in Gen 2 f. (13mal; jeweils !G:) und in Cant (10mal; hier begegnen alle drei Lexeme). Dreizehnmal steht „Garten“ (nur !G:) im Zusammenhang mit „Eden“ und/oder „Gott“, zehnmal (mit allen drei Lexemen) im Zusammenhang mit dem König (davon dreimal als Palastgarten im Buch Esther und zweimal als Bestattungsort des Königs; mitgerechnet hier ist 1Reg 21,2). „Garten“ steht durchgehend für Fruchtbarkeit („bewässerte Gärten“) und (zumindest teilweise auch) Luxus – zuweilen aber auch in Kontrast dazu (vgl. Jes 1,30). In der dtn/dtr Literatur wird das altorientalische „Gartenkonzept“ der Lustgärten eher abgelehnt, die prophetische Literatur kämpft zuweilen gegen (sexuelle) Riten in Gärten an (vgl. Jes 65,3; 66,17). In Cant ist „Garten“ zuweilen Euphemismus für den Liebesgenuss bzw. für die Geschlechtsteile (vgl. Cant 4,12–5,1). Zum altorientalischen Gartenkonzept vgl. die folgenden Ausführungen und s. u. Anm. 107. 95 Vgl. Westermann, Genesis, 284–287; Millard, Etymology; Lemaire, Eden, 313–319.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

192

Die Paradieserzählung Gen *2,4b–3,24

1.) Die Wurzel !d[ begegnet a.) als Verb,96 b.) als Substantiv,97 c.) als Personennamen,98 d.) als Ortsbezeichnung99 sowie e.) als Bezeichnung für den (Gottes-)Garten (in) Eden (!d,[e).100 Die Grundbedeutung lässt sich durch die Verwendungsweisen a.) und b.) eingrenzen als „Wohlergehen, Überfluss, Wonne; Luxus; sexuelle Lust“.101 Von daher liegt es nahe, den Garten Eden als Ort des Überflusses, Wonnegarten, Lustgarten zu verstehen, wie das die Rezeption der Garten-Eden-Vorstellung auch zeigt: „Garten Eden“ wird hier synonym verwendet zu „Paradies“.102 Dies ist freilich eine klare Vereinfachung: Das persische Wort Paradies bezeichnet zunächst einfach ein umzäuntes Gebiet und erst von daher auch einen Garten – aber eben nur einen Garten und nicht „Garten Eden“.103 Es ist wahrscheinlich, dass der Name Eden nicht nur über Stichwortassoziation mit !d[ „Überfluss; Wonne“ verbunden ist, sondern dass auch ein etymologischer Zusammenhang besteht.104 So ist denn die Wurzel in derselben Bedeutung auch im Ugaritischen105 und Aramäischen106 belegt.

96 Neh 9,25 (hitp). 97 *!d,[e: Ps 36,9; Jer 51,34; 2Sam 1,24; hn"d>[,: Gen 18,12; ~yNId:[]m:; Gen 49,20; Jer 51,34; Prov 29,17; Thr 4,5; twONd:[]m;: 1Sam 15,32; Hi 38,31. 98 !d,[e: 2Chr 29,12; 31,15; an"d>[;: Esr 10,30; Neh 12,15; hn"d>[;: 2Chr 17,14; xn"d>[:; 1Chr 12,21. 99 !d,[,: Ez 27,23; !d,[,-tyBe: Am 1,5; !d,[,-ynEB:. 2Reg 19,12; Jes 37,12. 100 Gen 2,8.10.15; 3,23.24; 4,16; Ez 28,13; 31,9.16.18(2x); 36,35; Jes 51,3; Joel 2,3. Zu den Belegen außerhalb von Gen 2–4 s. u. Kap. 4.5.2. 101 Dabei ist in Gen 18,12 gerade offen gelassen, ob sich die nicht mehr vorhandene „Liebeslust“ auf die Gebärfähigkeit Sarahs oder die sexuelle Potenz Abrahams bezieht. 102 Eschatologische Vorstellungen vom Paradies werden denn auch oft ähnlich gezeichnet, wie der Garten Eden in Gen 2 f. (vgl. etwa die Vision des neuen Jerusalem in Apc 21 f., wo auch der „Baum des Lebens“ wieder begegnet: Vgl. Apc 22,2; Jes 58,11; Ez 47 u. a.; zu vergleichen sind auch die „Paradiesesstellen“ im Koran, etwa Sure 9,72; 18,31). Vgl. etwa Müller/Roder (Hg.), 1001 Nacht. In der Alltagssprache meint „Paradies“ oder „paradiesisch“ nur mehr einen „traumhaft schönen“ Zustand, etwas Wunderbares, Wünschenswertes. 103 Altpersisch *paridīdā aus para „hinter“ und didā „Mauer“; Avestisch pairidaēza „Umwallung, Ummauerung“. Vgl. Kent, Old Persian, 195; Hultgård, Paradies, 1. 104 So auch die einschlägigen Wörterbücher (s. u.). Eine (zuweilen vertretene) etymologische Ableitung von akk. edinu aus sum. edin „Steppe“ hat dagegen zwei Schwierigkeiten: 1.) Der akkadische Terminus ist einzig in einer lexikalischen Liste belegt (vgl. Landsberger, Vokabular Sb, 104: Z.90 f.: e-di-in = edin = e-di-nu / e-di-in = edin = ̣se-e-ru [MSL schreibt ̣si-e-ru]), ansonsten verwendet das Akkadische ̣sēru für „Steppe“. „Eden“ direkt vom Sumerischen abzuleiten, scheint hingegen schwierig, denn: 2.) Das Sumerische kennt kein �Ayin. Es ist daher nicht sicher, ob ein mit �Ayin beginnendes hebräisches Wort aus einem mit einfachem /e/ beginnenden sumerischen Wort hergeleitet werden kann. Zu bedenken ist freilich, dass wir nicht wissen, wie sumerisch edin phonetisch realisiert wurde. Hebräisches �Ayin ist keilschriftlich sowohl mit /ḫ / wiedergegeben wie in ḫ āzat für hZ"[; („Gaza“; z. B. Gen 10,19), als auch mit /a/ wie in bīt a-di-ni für !d,[,-tyBe („Bet Eden/Bīt Adini“; Belege s. o.; für die akkadischen Schreibungen vgl. Parpola, Toponyms, 75 f. 159). Daneben begegnet aber auch die Wiedergabe mit /e/ wie in êru(m) für rw[ („wach sein“) und erû(m) für ~wOr[' („nackt“). Eine Ableitung von hebräisch �Ayin aus sum. /e/ kann daher nicht ausgeschlossen werden. Ob allerdings das (ganze) Wort „Eden“ auf sumerisches edin zurückgeführt werden kann, kann wohl nicht belegt werden (vgl. zur Methodik Sommerfeld,

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Rd. 47An

den Schreiber des Königs; [meines Herrn]. 48[Folgen Heba, [dein] Diener: 49Schö[ne] Worte l.Rd. 50gib dem König! I 50ganz 51der Deine. Dein Diener bin ich. Der Text von Gen 2,4–3,24

193

„Eden“ entstammt demzufolge der Vorstellungswelt von reich bewässerten, mit Frucht tragenden Bäumen versehenen Gärten, in denen der Besitzer 059. Brief des Abdu-Heba, Königs von Jerusalem, an den Pharao des Gartens zur Abendbrise flanieren kann (3,8), in denen es sich etwa der König im Schatten der Bäume wohl ergehen lässt.107

Berlin, Vorderasiatisches Museum, VAT 1646; EA 290.

2.) Die Septuaginta hat das persische Wort übernommen und verwendet das Text: WINCKLER/ABEL 1889/90, Nr. 106; VS 11,166. – Bearbeitungen Fremdwort noch richtig:108 Sie übersetzt den Garten in Eden mit „Paradies 489 (W.F. Albright); AOT² 378 (E. Ebeling); KNUDTZON 1915, Sprachzeugnisse, bes. ILHELM 33 ff.). Ges18 , 927 (s.v. !d,[e2) verweist wieder auf edinu; Ges17, 567 /HAAS/W 1987, 519f. RAN

und 876

zeichnete diese Ableitung noch verhaltener mit „[m]öglicherweise“ aus; HALAT3, 749 (s.v. II !d,[e) spricht sich explizit dagegen aus. 105 1Vgl. Del Olmo Lete/Sanmartín, Dictionary, 150 f., die 2u. a. die Bedeutung „abundance“ 3 verzeichnen. 4 106 Ein früher Beleg findet sich in der bilinguen akkadisch-aramäischen Inschrift vom Tell Feḫ eriyye: Z.4 f. liest m�dn / mt kln; auf akkadisch lautet dieselbe Passage: muṭ aḫ ḫ idu kibrāti (die Editio princeps transkribiert falsch; es handelt sich eindeutig um den Doppelungsstamm). Vom akkadischen Text her lässt sich auch der aramäische problemlos übersetzen: „…der Überfluss verschafft allen Ländern“. Gemeint ist Überfluss an Wasser, was aus dem Voranstehenden klar hervorgeht. Vgl. Millard, Etymology, 104 f.; Textedition bei Abou-Assaf/Bordreuil/Millard, Statue. Für spätere aramäische Texte vgl. Beyer, ATTM II, 451, der �dn mit „Freude, Lust“; „Üppigkeit der Natur“ wiedergibt. Belege finden sich in Beyers Textcorpus im Genesis Apokryphon (GenAp XI 12; vgl. aaO., 94 f.) im 405 Die Lesung der Stelle als lu-ú 2 MI LA TU NU ist nach Kollation (Museum Kontext der Sintfluterzählung und evtl. in einem Brief Simon Bar Kochbas/Kosibas (ySK Bedeutung? S. auch MORAN 1975a, 162 Anm. 42. 1, 4; vgl. aaO., 284). 406 S.o. 107 Ähnliche Szenerien wieAnm. in Gen345. 2 f. finden sich etwa in Cant 4,12–5,1 (vgl. Keel, Hohelied, S. 132 156–173), der Erzählung von Daniel und Susanna (LXX/θ᾽; vgl. Kottsieper, Zusätze, 407 Die der von verschiedenen den Amarna-Briefen 286–328), den Unterscheidung sumerischen Erzählungen Enki und Ninḫ uin rsaĝ a (dem sog. „Dilmun-“ genannten MORAN/Hvgl. AASKramer, /WILHELM 1987, aber Enki 117,65 nach (Belege: oder „Paradiesmythos“; Enki and Ninḫ 580 ursag;[wo Attinger, et Ninḫ ur- der Emendat saĝ a; ETCSL 1.1.1; TUAT III, und Inana und Šukaletuda (vgl. Volk,(vgl. InannaHund ist]; HESS 1993,75f.) ist 363–386) noch nicht überzeugend gelungen ELCK 1971, 255 Šukaletuda; ETCSL 1.3.3), der akkadischen Geburtslegende Sargons (vgl. Westenholz, aber auch die These von Hess, dass es sich nur um einen einzigen Namensträger ha Legends, 36–49; Foster, Muses, 912–913), sowie den ägyptischen Erzählungen um den Ehebruch der Frau=des -ın̓ r in dessen Gartenanlage in pWestcar 1,17–4,17 (vgl. Black(pa-sí-t[e] 71,1 äg.WbTtj). Der Name des Vaters Hayas, Miyarç, ist äg. *Mrj-R; s. H man,408 Story; Lepper, Untersuchungen) Schiffbrüchigen (vgl. Blackman, Stories, Dies berichtet Abdu-Heund ba den auch in EA 287,46–50. Addâya wird noch in 0 41–48; Lichtheim, Literature I, 211–215), etc. Die Bedeutung der Hortikultur für die altErgänzung Knudtzons und Morans von EA 285,24 zutrifft, gab Abdu-H eba ihm d orientalische Königsideologie geht auch aus verschiedenen Königsepitheta hervor (vgl. etwa ikkaru/engar „Gärtner“; vgl. Seux, Épithètes Royales, 106–107.397–398) sowie verschiedeLUGAL-r[i](šarri) „Kommissar des König[s]“ (zur Stelle vgl. MORAN/HAAS/WILHE nen (mythischen oder historischen) Berichten über die Anlage von königlichen Gärten S. auch HELCK 1971, 250. oder Parks (vgl. auch Qoh 2 und dazu Müller, Kohelet), so dass es auch nicht erstaunen 409 Äg. P-Wr; s. MORAN/HAAS/WILHELM 1987, 583f. s.v. Pawura (der äg. A kann, dass Sanherib in einem Kolophon aus dem Jahre 700 statt mit dem Königstitel (šarru) gi š mit dem Logogramm Dattelpalme geschrieben wurde: „[Sein ] gišimmar (d. h. gibt šar) kur schiedenen Briefenfürunterschiedlich vokalisiert). Titel irpi äg. ýrj-p.t wieder d Aš-šur“ (vgl. Frahm, Sanherib-Inschriften, 277). Aus dem Bereich der Ikonographie ist fürst“ o.ä. übersetzt, aber auch einfach Ehrentitel hoher Beamter; s. MURNANE 199 exemplarisch auf die zwei berühmten Palastreliefs von Assurbanipal aus Ninive zu verwei„ereinemöge sich erinnern“ von Gartenanlage zakâru in westsemitischer sen: 410 DasLizkur eine stellt reich bewässerte, ansteigende möglicherweise mit Bedeutung. D kultischer dar, dasauf; andere mit seiner Gemahlin einem Gartenbanfasse ichEinrichtung als „bei sich“ in zeigt der ihn Übersetzung ist es bei unter „sich“ subsumiert. Mora kett – im Angesicht des soeben besiegten elamitischen Feindes (vgl. Deller, Gartenlaube; druck als „vor ihm/sich“ i.S.v. „wenn er (sc. der Pharao) ankommt“ (MORAN/HAAS mit Verweis auf das Ersatzkönigritual, šar pūḫ i, was letztlich zeigt, dass die Weinlaube 411 I I nachgerade ein Ort militärisch-politischer Entscheidungsfindung war).Yanh Vgl. die AbbildunIé{-eh}-en-ha-m[u], Variante von amu. Yanhamu war der Geschrieben gen etwa mit bei Sitz Keel,inaaO., 87.159; Sculpture, 51.88 f. Vgl. weiter zum altKanaan Gaza. S.o. Reade, S. 133 Anm. 352. orientalischen Konzept des (Königs-)Gartens etwa Fauth, Gärtner; Hutter, Adam; 412 Zum Problem von matti s. MORAN/HAAS/WILHELM 1987, 514 Anm. 20. D Glassner, Jardins; Carroll-Spillecke (Hg.), Garten; Stähler, Gärtner; ders., Herrscher;entsprechend Wilkinson, Garden; Rüterswörden, Hultgård, Paradies;des mit matti b und unsicher. Die von Paradiesvorstellung; Moran abgelehnte Übersetzung Hartenstein, Orte. sterbe gerne (magal ‚sehr‘) für dich“, halte ich nicht für ausgeschlossen. 108 LXX hat das Wort für „Garten“ in Gen 2 f. freilich bewusst gewählt: παρά δεισος meint

[Zu]m König, meinem Herrn, [sp]rich: Folgendermaßen [ Diener. Zu den Füßen [des Kön]igs, meines Herrn, falle ich einmal) siebenmal nieder.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

194

Die Paradieserzählung Gen *2,4b–3,24

in Eden“ (2,8: παρά δεισον ἐ ν Ἔδεμ). Wo im hebräischen Text nur vom Garten die Rede ist, übersetzt LXX entsprechend „Paradies“.109 Wie der masoretische Text versteht auch LXX Eden als Gebietsbezeichnung und übersetzt in 2,8.10; 4,16 mit Ἔδεμ. Damit gehen freilich die genannten Konnotationen von !d[ verloren. Sie erscheinen erst in 3,23.24 wieder, wo LXX den Garten Eden als „Wonnegarten/Garten des Luxus“ (παρά δεισος τῆς τρυφῆς) interpretiert. In der griechischen Bibel rückt der Aspekt des Überflusses, der Wonne, also erst dann explizit in den Blick, wenn die Menschen dies gerade verloren haben, wenn sie den Wonnegarten verlassen müssen.110 Für die Menschen bedeutet dies, dass sie nun selber aktiv werden müssen (4,1 ff.): Sie müssen das noch unkultivierte Land Eden bebauen. Gott hat „nur“ einen Garten angelegt in Eden. Dass er das ganze Gebiet bzw. die ganze Erde bepflanzt hätte, wird nirgends gesagt. Für die Bepflanzung der Erde, des Ackerbodens, ist nun aber alles gegeben, was in 2,5 noch ausstand: Die Erdoberfläche ist bewässert durch das göttliche Grundwasser und die großen „Weltflüsse“, und die Menschen sind nun vorhanden auf dieser zu bearbeitenden Erde. 3.) Zu klären ist noch die Verwendungsweise von Eden: In Gen 2,8 ist Eden eindeutig eine Territorialbezeichnung. Gott pflanzte den Garten in Eden (!d,[eB.-!G:). Eine explizite Bezugnahme auf Eden als ein Gebiet findet sich nur noch in 2,10 (und wieder in 4,16), wo der Fluss aus Eden (!d,[eme) heraus fließt. In 2,15; 3,23.24 wird nicht mehr die Lokalisierung des Gartens in Eden betont – im Gebiet Eden könnten sich nach 2,8 theoretisch auch mehrere Gärten befinden. Vielmehr wird der Garten in Eden nun zu dem Garten von Eden, dem „Garten Eden“ schlechthin, neben dem es im Gebiet Eden keine weiteren Gärten gibt. Hier ist noch vielmehr als in 2,8.10 die Doppelbedeutung von Eden mitzuhören: Der „Garten von Eden“ ist gleichsam der „Wonnegarten“. Das heißt aber nicht, dass Eden mit dem Garten Eden gleichzusetzen ist: Nicht nur aus 2,8, sondern auch aus 4,16 geht hervor, dass das Gebiet Eden mehr umfasste als nur den !d,[e-!G: (vgl. Ez 31,9b). Das Bild, das von diesem „Garten in/von Eden“ gezeichnet wird, die aufgezeigte Wortbedeutung und die verschiedenen Wiederaufnahmen des Wortes (!G: in Gen 2,8.9.10.15.16; 3,1.2.3.8[2x].10.23.24) lassen keinen Zweieher den luxuriösen Garten, auch den Königsgarten, wohingegen κῆπος eher den profanen Garten meint – so die Übersetzung durchgehend in den Königebüchern (1Reg 21,2; 21,18 [2x].26; 25,4) und auch in Dtn 11,10, wo schon die hebräische Bibel nicht gerade das Bild von „Wonnegärten“ zeichnet. Zum „deuteronom(ist)ischen Gartenschweigen“ vgl. Rüterswörden, Paradiesvorstellung, 1160. Nach Rösel, Übersetzung, 62 bezeichnet παρά δεισος insbesondere den Obstgarten. 109 So in 2,9.10b.16; 3,1.2.3.8(2x).10 und auch in 2,15, wo LXX !d[ nicht übersetzt. 110 Dagegen schreibt Vg stets paradisus voluptatis für den Garten Eden, für Eden allein in 2,10 locus voluptatis, aber Eden in 4,16. TO (jeweils atn[y]g) und Syr (jeweils prdys�) folgen MT weitestgehend.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Der Text von Gen 2,4–3,24

195

fel offen: Gen 2 f. spricht durchgehend nur von einem Garten:111 In 3,1 etwa, wo die Schlange neu eingeführt wird, nimmt die Erzählung Bezug auf die Erschaffung der Tiere (im Garten) in 2,19 und auf die Bäume des Gartens aus 2,8 f.16 f. Ausgehend von der Territorialbezeichnung !d,[e in 2,8 wurde verschiedentlich die Frage nach einem real existierenden Vorbild des Gartens in Eden gestellt. Dabei wurde Eden meist mit dem Toponym !d,[, gleichgesetzt, auch wenn der masoretische Text jeweils anders vokalisiert: „!d,[e ist doch wohl am ehesten wie !d,[, 2 Kön 19,12; Jes 37,12; Ez 27,23 und !d,[, tyBe Am 1,5 mit bīt Adini, der bekannten Landschaft zu beiden Seiten des oberen Euphrat, gleichzusetzen; für diese Identifikation scheint mir neben dem philologischen Befund vor allem die Tatsache zu sprechen, dass der Garten von V. 8 gemäß V. 5 f. doch offenbar als Oase in der Wüste zu denken ist…“.112 Auf den nordsyrisch-libanesischen Raum weisen auch der auf dem Gottesberg lokalisierte Gottes-Garten Eden, in dem sich der König von Tyrus befindet, in Ez 28,13 und die Eden-Bäume des Libanon in Ez 31 (vgl. bes. 31,16). Auch in Jerusalem gab es einen Königsgarten, der für die GartenEden-Vorstellung Pate gestanden haben könnte.113 Dies bedeutet freilich nicht, dass die Paradieserzählung in ihrer ursprünglichen Gestalt (den Garten in) Eden in Jerusalem114 oder am oberen Euphrat lokalisiert hätte: Eden wird im Osten angesetzt (Gen 2,8) und nicht weiter lokalisiert. Angedeutet werden soll damit die Nicht-Erreichbarkeit dieses mythischen Lustgartens. Damit ist einerseits die Frage nach der Bedeutung und Verwendungsweise von Eden geklärt, und andererseits kann als textkritisches Urteil zu den Begriffen „Garten“ und „Eden“ festgehalten werden, dass die Exegese vom masoretischen Text auszugehen hat.

111 Anders Westermann, Genesis, 284, der damit aber die Bedeutung von !G: unterbestimmt. 112 Müller, Mythische Elemente, 22 Anm. 71. Vgl. auch Steck, Paradieserzählung, 53 f. Anm. 103 und ausführlich Lemaire, Eden: „Bien plus, on remarque que cette région, spécialement les hautes vallées du Ḫ abur, du Baliḫ et de l’Euphrate, était une des régions les mieux irriguées et les plus prospères du Proche-Orient ancien et correspondrait assez bien à la description du pays d’Eden au début de la Genèse.“ AaO., 327 f. Zu dem aramäischen (Klein-)Staat Bīt-Adini, der erstmals 899 in neuassyrischen Texten belegt ist und 855 durch Salmanassar III. dem assyrischen Großreich einverleibt wurde, vgl. Lemaire, aaO., 324– 328; Sader, États araméens, 47–98; Veenhof, Geschichte, 208 ff.234 ff. Gegen eine Gleichsetzung haben sich etwa Delitzsch, Paradies, 3–7; Gunkel, Genesis, 7 ausgesprochen. Zu Lokalisierungsversuchen des „Paradieses“ s. u. Kap. 3.4.3. 113 Vgl. 2Reg 21,18.26; 25,4; Jer 39,4; 52,7 (vgl. auch Neh 2,8; 3,15) und Jericke, Königsgarten, 161–176. 114 Dagegen s. u. Kap. 3.4.3 zur sekundären Lokalisierung des Garten Edens in Jerusalem durch Gen 2,10–14.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

196

Die Paradieserzählung Gen *2,4b–3,24

3.3.4 Textkritik von Gen 2,4–3,24 An weiteren textkritischen Varianten zu Gen 2,4b–3,24 sind nebst den zuvor behandelten – ohne Vollständigkeit anzustreben – zu nennen:115 2,4: Auf die zahlreichen textkritischen Varianten in 2,4 wurde schon ausführlich eingegangen:116 Es ist an MT festzuhalten. LXX weist für 2,4b–7 eine andere Satzkonstruktion auf als MT: Während MT einen Vordersatz (2,4b), zwei parenthetisch eingeschobene Verse (2,5 f.) und einen Nach- bzw. Hauptsatz (2,7) hat (s. u. Kap. 3.4.1), formuliert LXX in 2,4b mit finiter Verbform (ἐ ποιή σεν ὁ θεὸς), von der einerseits „Himmel und Erde“ in 2,4b (wie in MT, nur dort in anderer Reihenfolge) und andererseits die Pflanzen in 2,5a abhängig sind (gegen MT): Gott macht die Pflanzen also, ́ θαι … πρὸ τοῦ ἀ νατεῖbevor sie auf der Erde entstehen/aufblühen (πρὸ τοῦ γενεσ λαι…; 2,5a), denn Gott hatte noch nicht regnen lassen auf die Erde, und es gab noch keinen Menschen, die Erde zu bebauen (2,5b). Dies hängt wiederum mit dem Bestreben von LXX zusammen, Gen 1–3 zusammen als einen Schöpfungsbericht zu lesen. Nach Rösel will LXX Gen 1–3 zudem nach der platonischen Ideenlehre interpretieren: So würde hier „erneut auf das Gegenüber von Ideenwelt und irdischer Welt angespielt… Dabei verweist im Einklang mit der Terminologie des ‚Timaios‘ das ́ auf das Bilden der Ideen bzw. Seelen, das γιγ́ νομαι auf das tatsächlich wahrποιεω nehmbare Entstehen. Eine solche Interpretation dieses Verses [2,4] ist seit Philo (de opif mund 129 f, Quaest Gen I,2) belegt.“117 2,6: Zu dae s. u. Kap. 3.4.1. Die Übersetzungen (LXX, Vg und Syr: „Quelle/Brunnen“ / πηγὴ , fons, mbw��; TO: „Wolke“ / ann[; TO und Syr also gegen MT determiniert) stellen Interpretationen dar. 2,7: Zu ἔπλασεν für rc,yYIw: s. o. Kap. 2.1.1 zu Gen 1,1. TO schreibt hier wie in 2,19 (vgl. 1,1.21.27; 2,4a) arbw statt rc,yYIw:. Smr schreibt ~da in 2,7b ohne Artikel – wie gegen MT noch in 2,25; 3,8: Smr versteht ~da hier wohl als Eigenname. Mit Artikel erscheint Adam in Smr nur dort, wo Mann und Frau gemeint sind. Nach TO wird nicht der Mensch zu einem „lebendigen Wesen“, vielmehr wurde der göttliche Lebenshauch „im Menschen zu einem sprechenden Geist“ (allmm xwrl ~dab twhw), die Beatmung durch Gott hat dem Menschen also in erster Linie die Sprache gegeben. Dies stellt eine (wohl durch Gen 2,19 ff. inspirierte) Interpretation dar.118 2,8: Zu YHWH Elohim, Garten, Eden, Adam s. o. TO und Syr determinieren den Garten (atng; prdys�). Die Lokalisierung des Gartens im Osten wird von LXX 115 Orthographische Varianten werden i.d.R. nicht genannt. Vollständigkeit ist auch daher nicht angestrebt, weil nicht alle Formulierungsvarianten die Interpretation des zu exegesierenden Textes beeinflussen. Die Belege der oben behandelten Verwendungen von Gottes-, Menschen- und Gartenbezeichnungen (s. o. Kap. 3.3.1–3.3.3) werden hier i.d.R. nicht nochmals genannt. Wo nicht anders vermerkt, ist an MT als zu exegesierendem Text festzuhalten. 116 S. o. Kap. 2.1 und bes. 2.4 Anm. 523. 117 Rösel, Übersetzung, 57–61, hier 59 (vgl. Schmitt, Interpretation, 150–152). Vgl. kritisch zu Rösels These Cook, Septuagint, 322–328. 118 Anders Koch, Sprache, nach dem hier die Sprachfähigkeit des Menschen begründet sei, hm'v'n> also so viel wie „Sprachgeist“ (aaO., 240) bezeichne, den die Menschen den Tieren voraus hätten – und das im ganzen AT. Dies überzeugt kaum – nicht zuletzt angesichts der sprechenden Schlange in Gen 3.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Der Text von Gen 2,4–3,24

197

geteilt,119 dagegen haben Vg (paradisum voluptatis a principio), α᾽, σ᾽, θ᾽ und möglicherweise auch die Targume (explizit nur TJ) eine temporale Deutung von ~d,Q rc,YIw:: Dies ist bei LXX Teil der Angleichung beider Schöpfungserzählungen aneinander (s. o. zu 2,9), bei Smr kann es als Bezugnahme auf 2,7 gewertet werden. Mit 4QGenb (DJD XII, 31 ff. Pl. VI–VIII) Frgm. 1 ii 6 ist an MT festzuhalten.131 Smr hat eine nota accusativi vor -lK' hd,F'h; tY:x; in Angleichung an den Folgetext (s. o. zu 2,9).132 MT kann daher beibehalten werden. Dafür spricht auch TO, wo die Akkusativpartikel auch nur vor den „Vögeln“ steht.133 hY"x; vp,n< ist hier inhaltlich umstritten und wird zuweilen auch textkritisch als Glosse ausgeschieden.134 Dazu s. u. Kap. 3.4.5. 2,20: LXX, Syr, Vg, TJ fügen „alle“ vor „Vögel“ ein:135 Dies ist eine unnötige Angleichung an den Kontext, zu vergleichen mit den harmonisierten Tierreihungen von Gen 1.136 Gestützt wird MT noch durch Smr und TO.137 ~d'a'l.W hat in MT keinen 128 Vgl. Hendel, Text, 124 f. (Haplographie). 129 Vgl. Rösel, Übersetzung, 66 f. 130 Anders Hendel, Text, 44.124 f. (gefolgt von Schellenberg, Mensch, 185). 131 Vgl. Seebass, Urgeschichte, 98.100; Hendel, Text, 124 f. 132 Gefolgt etwa von BHS; Steck, Paradieserzählung, 13 mit Anm. g. 133 So auch Westermann, Genesis, 253; Seebass, Urgeschichte, 98.100; Hendel, Text, 125. Trifft die Rekonstruktion von Davila zu, dann sprechen auch die Platzverhältnisse in 4QGenb (DJD XII, 31 ff. Pl. VI–VIII) Frgm. 1 ii 6 für MT. 134 Vgl. Steck, Paradieserzählung, 13 mit Anm. h. 135 Gefolgt etwa von BHS; Steck, Paradieserzählung, 13 mit Anm. i; Hendel, Text, 44.124 f.; Schellenberg, Mensch, 181.185. 136 Dazu s. o. Kap. 2.1; 2.2.3 (bes. zu Gen 1,24–25). 137 So auch Westermann, Genesis, 253; Seebass, Urgeschichte, 98.100.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Der Text von Gen 2,4–3,24

199

Artikel, wird von BHS u. a. aber mit Artikel versehen, hier ebenso wie in 3,17.21 (s. o. Kap. 3.3.2).138 2,21: Smr liest hytxt statt hN"T,x.T;. MT hat die seltenere Form (vgl. noch 2Sam 22,37). 2,23: LXX gibt das Wortspiel hV'ai – vyai nicht wieder, sondern schreibt für die Frau auch hier γυνή. Anders σ᾽: ἀ νδρις́ , ὅτι ἀ πὸ ἀ νδρὸς ἐ λήμφθη. Smr, LXX, TO suffigieren „von ihrem Mann ist sie genommen“ (hXyam taz-hxql; ἐ κ τοῦ ἀ νδρὸς αὐ τῆς ἐ λήμφθη [αὕτη]139; ad abysn hl[bm), was zumindest bei Smr den Gleichklang hV'ai – Hv'yai(me) noch verstärkt. Syr liest dagegen wie MT. Es fällt auf, dass einige antike Übersetzungen vyai in 2,23.24 gegen MT unterschiedlich wiedergeben (LXX: ἀ νὴ ρ – ἄνθρωπος; Vg: vir – homo; TO: l[b – rbg), und dass das jeweils erste Lexem erneut in 3,6 erscheint, und auch dort jeweils suffigiert ist (dort mit MT: Hv'yail.). Die suffigierte Form in 2,23 könnte somit Angleichung an 3,6 sein. Dafür könnten insbesondere Syr und Vg sprechen: Vg hat in 2,23; 3,6 vir, aber nur in 3,6 mit Possessivpronomen; Syr liest in 3,6 wie TO lb�lh, in 2,23 steht jedoch nicht suffigiertes (aber determiniertes) gbr� – wie in 2,24. Da die suffigierte Form als (interpretierende) Anpassung an 3,6 erklärt werden kann, kann an MT festgehalten werden. 2,24: Zu ~d'a' s. o. zu 2,23. Smr, LXX, Syr und Vg lesen zusätzlich „die beiden“ / „ihre Zweiheit“ (~hynXm [hyhw]; οἱ δύο; tryhwn; et erunt duo) in Angleichung an 2,25; 3,7 (dort hebr. aber jeweils ~hynX mit Pluralverb; nur Vg hat in 2,25; 3,7 andere Lexeme).140 MT wird von TO gestützt.141 Nach TO wird der Mann „das Wohnhaus/den Liegeraum seines Vaters und seiner Mutter“ (hymyaw yhwba ybkXm tyb) verlassen. 2,25: Smr hat ~da hier wieder indeterminiert (vgl. 2,7). Die ältesten LXX-Handschriften rechnen 2,25 zu 3,1.142 3,1: LXX übersetzt nicht ganz wörtlich und weicht auch von ihren sonstigen Wortentsprechungen ab: „Die Schlange aber war das klügste aller Tiere auf der Erde (s. u. zu 3,14) … Esst nicht von allen Bäumen im Paradies/Garten (vgl. 2,16)“.143 Des Weiteren fügen LXX und Syr ὁ ὄφις / ḥ wy� in 3,1b zusätzlich als Subjekt an. Die ungewöhnliche Form der Fragepartikel (@a;) wird oft zu @a;h; konjiziert (vgl. BHS). Dafür gibt es auch einen handschriftlichen Beleg: 4QGenk (DJD XII, 75 ff. Pl. XII) Frgm. 5 Z.2 liest mit He interrogativum. Dies ist jedoch kaum notwendig, sondern stellt lectio facilior dar.144 Smr stützt MT. Es geht in MT darum, ob Gott wirklich das Verbot ausgesprochen hat: „Hat Gott tatsächlich gesagt… [es folgt das verzerrt dargestellte 138 Gefolgt von Steck, Paradieserzählung, 14 f. mit Anm. j. Dagegen halten Westermann, Genesis, 253 f. und Seebass, Urgeschichte, 99 f. in 2,20 an MT fest, lesen in 3,17.21 aber determiniert. 139 Nicht in allen Handschriften belegt. 140 So die Bewertung pro MT auch bei Westermann, Genesis, 253; Hendel, Text, 124 f. 141 Vgl. Seebass, Urgeschichte, 100: „LXX notiert ganz richtig ‚die zwei‘ wie in 2,25, aber non cj.“ 142 Vgl. Wevers, Notes, 36. 143 Vgl. die Hinweise bei Rösel, Übersetzung, 90 f. 144 So auch Westermann, Genesis, 254 und Hendel, Text, 124 f.: „linguistic modernization or dittography (-h h-)“. Anders Witte, Urgeschichte, 161. Vgl. zu yKi @a; etwa die rhetorischen Fragen in 1Reg 8,27; 2Chr 6,18. Zu 4QGenk vgl. schon die Diskussion um Gen 1,9LXX: S. o. Kap. 2.1.1.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

200

Die Paradieserzählung Gen *2,4b–3,24

Gebot aus 2,16 f.]?“ Diese Tendenz wird in TO und Syr verdeutlicht: ajXwqb / šryr�yt („in Wirklichkeit?“). Dagegen fragen LXX und Vg nach der Intention Gottes: Τι ́ ὅτι ̃ εἰ πεν ὁ θεος́ / cur praecepit vobis Deus. 3,2: Syr und einige LXX-Handschriften fügen „alle (Bäume des Paradieses/Gartens)“ ein in Angleichung an 2,16; 3,1. MT ist – mit Smr, TO und einem Gutteil der LXX-Handschriften – beizubehalten.145 3,3: Smr fügt hzh nach #[eh' yrIP.miW ein – wohl im Sinne einer Klarstellung, über welchen Baum gerade gesprochen wird.146 ̃ ) vom Wissen der Menschen 3,5: LXX unterscheidet das Wissen Gottes (οἰ δα (γινώ σκω) und verdeutlicht dadurch den Unterschied zwischen Gott und Mensch (anders MT mit jeweils [dy). ~yhil{aKe wird explizit pluralisch wiedergegeben (ὡς θεοι)̀ , was LXX sonst nur bei Fremdgöttern macht (Gen 31,30.32; 35,2.4).147 TO umschreibt mit „wie die Großen/Engel“: !ybrbrk (s. o. mit Anm. 80) im Sinne einer theologischen Korrektur, um einen Anthropomorphismus zu vermeiden. 3,6: Was die Frau sah, wird in den Übersetzungen unterschiedlich wiedergegeben: LXX und Vg streichen den zweiten Beleg von #[eh,' 148 wodurch sie einen anderen Sinn erhalten: In Vg ist der Baum nur noch gut zum Verzehr und eine Augenweide, in LXX ist „der Baum gut zur Speise und schön anzusehen für die Augen und er/ es149 ist schön, Einsicht zu haben“ (ὅτι καλὸν τὸ ξύλον εἰ ς βρῶσιν, και ̀ ὅτι ἀ ρεστὸν [om. #[eh]' τοῖς ὀ φθαλμοῖς [ins.:] ἰ δεῖν και ̀ ὡραῖον́ [om. #[eh;' ins.:] ἐ στιν τοῦ κατανοῆσαι). Will man mit LXX und Vg #[eh' hier tilgen, müsste auch (wie in LXX) aWh gestrichen werden (was Steck und Hendel nicht tun). Da MT von Smr, TO und Syr gestützt wird, kann an MT festgehalten werden: Jede der drei Eigenschaften des Baumes hat somit den Baum/ihn zum Subjekt.150 Statt lk;aYOw: lesen Smr und LXX Plural (wlkayw; ἔφαγον; zum Numeruswechsel bei LXX vgl. schon 2,17), vielleicht in Angleichung an 3,1.3. Da die Frau aber bereits davon gegessen hat (3,6a), und die Erzählung genau an Abfolge und Eigenbeteiligung aller Akteure am Geschehen interessiert ist (s. u. Kap. 3.4 zur narrativen Gestaltung von Vergehen – Verhör – Strafsprüche), wird das Essen allein durch den Mann ursprünglich sein. TO und Syr lesen wie MT.151 3,7: Smr und LXX schreiben Plural für MT hle[]: yl[/ φύλλα. 3,8: TO vermeidet wieder (vgl. 3,5.10) Anthropomorphismen: Statt „die Stimme YHWH Elohims“ „die Stimme des Wortes von YWY Elohim“ (~yhla ywyd armym lq). 145 So auch Steck, Paradieserzählung, 14 mit Anm. l; Westermann, Genesis, 254; Hendel, Text, 124 f. 146 S. u. Kap. 3.4.9 mit Anm. 311. Vgl. Hendel, Text, 124 f. („explicating plus“). 147 Vgl. Rösel, Übersetzung, 91: „Damit ist in der LXX deutlicher als im MT, daß die Schlange den Menschen nicht verheißen kann, wie Gott selbst zu sein. Ihr Angebot impliziert letztlich bereits die Entfernung von Gott…“ 148 Gefolgt von Steck, Paradieserzählung, 14 mit Anm. m; Hendel, Text, 44 f.124 f. 149 Gegen Rösel, Übersetzung, 88.91 f. kann Subjekt des dritten Satzes immer noch der Baum sein, auch wenn er nicht explizit genannt wird. Vgl. auch Wevers, Notes, 39. 150 So auch Westermann, Genesis, 254. 151 So auch Westermann, Genesis, 254; Hendel, Text, 124 f. Dagegen scheint Budde, Baum, 109 mit Anm. 1 Smr und LXX zu folgen (dagegen liest er in ders., Urgeschichte, 524 klar mit MT).

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Der Text von Gen 2,4–3,24

201

~AYh; x;Wr wird von LXX – wohl richtig (s. u. Kap. 3.4.11) – als „gegen Abend (bzw. am Nachmittag)“ verstanden (τὸ δειλινον́ ).152 TO schreibt ähnlich: „zur Ruhe des Tages“ (amwy xnml). Vgl. α᾽, σ᾽ und θ᾽. Smr liest ~da auch hier indeterminiert (vgl. 2,7). 3,9: LXX und Syr fügen ᾽Αδὰ μ bei der Frage in 3,9b ein. Einige Manuskripte von Smr lesen $ya statt hK'Y %nEAbC.[:i Smr liest !wbc[b $nwyrhw $nwbc[, woran BHS unnötigerweise angleicht. LXX hat τὰ ς λύπας σου και ̀ τὸν στεναγμον́ σου ἐ ν λύπαις, liest also statt „Empfängnis/Schwangerschaft“ wohl in freier Übersetzung vielmehr „Seufzen“ (στεναγμος́ ).164 An MT kann festgehalten werden (s. u. Kap. 3.4.13).165 LXX hat statt des „Begehrens“ (hq'WvT.; s. u. Kap. 3.4.13) der Frau die „Zuflucht/Rückkehr“ (ἀ ποστροφή) und verstärkt den Gewaltaspekt von lvm durch κυριεύω (statt ἄρχω wie etwa in 1,18).166 3,17: Determination bei ~d'a' in BHS (s. o. Kap. 3.3.2). LXX lässt rmoale unübersetzt, fügt aber wieder τούτου μον́ ου ein (vgl. 3,11). Statt „um deinetwillen“ ist bei LXX und Vg der Ackerboden verflucht „bei deinen Werken“ (ἐ ν τοῖς ἔργοις σου; in opere tuo [$dwb[b statt $rwb[b]; dagegen α᾽: ἕνεκεν σοῦ).167 BHS will hN"d,b.[;T; statt hN"l,k]aTo lesen, was aber keinen Anhalt in der Textüberlieferung hat, sondern der Angleichung an 2,5.15; 3,23 geschuldet ist. 3,19: LXX fügt ein Personalpronomen in V. 19a (φά γῃ τὸν ἄρτον σου), Smr eines in V. 19b (bwXt $rp[ law) ein. LXX verwendet für rp'[' hier und in 3,14 γῆ (anders in 2,7). Damit wird wohl „das Verständnis ausgeschlossen, daß das von Gott verwendete Material [χοῦς] den Tod des Menschen bereits impliziert.“168 3,20: TO macht aus der „Mutter alles Lebendigen“ die „Mutter aller Menschen (-söhne)“ (aXna ynb lkd amya), LXX nennt sie Zoe (Ζωή „Leben“; dagegen Εὕα in 4,1.25)169 und betitelt sie als „Mutter aller Lebenden“ (μήτηρ πά ντων τῶν ζώ ντων). Des Weiteren streicht LXX ht'y>h' – als inhaltliche Korrektur: Eva wird erst in 4,1 f. zu einer Mutter.170 3,21: Determination bei ~d'a' in BHS (s. o. Kap. 3.3.2). TO hat „Kleider der Würde auf der Haut ihres Fleisches“ (!whrsb $Xm l[ rqyd !yXwbl; ähnlich die weiteren Targume).171 confusion (p/k)“ bei LXX; allerdings wird das von Hendel zugrunde gelegte Verb %wf / ́ übersetzt. Eher dürfte LXX den masoreti%kf / %ks an keiner Stelle von LXX mit τηρεω schen Text nicht mehr verstanden und ad hoc eine passende Formulierung gewählt haben. 162 So auch Steck, Paradieserzählung, 15 mit Anm. n; Schellenberg, Mensch, 183.185. 163 Auch Hendel, Text, 127 hält an MT fest. 164 Vgl. Wevers, Apologia, 33 f.; Rösel, Übersetzung, 95 mit Anm. 15 (gegen BHS). LXX gefolgt ist (zumindest inhaltlich) Seebass, Urgeschichte, 99.100. 165 So auch Westermann, Genesis, 254; Hendel, Text, 126 f. 166 Vgl. Rösel, Übersetzung, 95 f. 167 Vgl. Wevers, Apologia, 34; ders., Notes, 46; Rösel, Übersetzung, 96; Tov, Septuagint, 102 f.; Hendel, Text, 126 f. 168 Rösel, Übersetzung, 60 f.94.97, hier 97. Zu den unterschiedlichen Verben in LXX vgl. Wevers, Apologia, 34 f.; ders., Notes, 47. 169 Diese Übersetzung ist für den LXX-Übersetzer „ungewöhnlich, denn an anderen Stellen übersetzt oder transkribiert er Eigennamen ohne Rücksicht auf die im Hebräischen zugrundeliegende Etymologie.“ Rösel, Übersetzung, 98. Vgl. α᾽: Αὕα; σ᾽: ζωογον́ ος. 170 Nach Rösel, Übersetzung, 98 wird die Frau damit „als Leben schlechthin zum überzeitlichen Prinzip.“ 171 Vgl. Aberbach/Grossfeld, Onkelos, 38; Lambden, Fig Leaves, 85 f. und s. u. Kap. 3.4.16.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Der Text von Gen 2,4–3,24

203

3,22: Die Targume verstehen WNM,mi in WNM,mi dx;a;K. singularisch (vgl. 2,17[2x]; 3,3.5.11. 17) und beziehen es nicht auf Gott: TO: „Adam wurde einzig(artig) in der Welt, (von sich aus) zu wissen gut und schlecht“ (Xybw bj [dyml hynm aml[b ydyxy hwh ~da; vgl. auch den langen Zusatz in TN). Dies mag eine Vermeidung des Anthropomorphismus von MT darstellen, kann aber auch als Stringenz in der Wiedergabe von WNM,mi in Gen 2 f., das sonst stets explizit im Zusammenhang mit dem Erkenntnisbaum verwendet wird, betrachtet werden.172 LXX tilgt das Personalpronomen in Ady" „seine Hand“ sowie ~G:.173 3,23: LXX liest (wie in 3,24) „Garten der Wonne (τῆς τρυφῆς)“ für „Garten Eden“. 3,24: LXX hat ein anderes Verständnis als MT: Gott „vertrieb Adam und ließ ihn (zusätzliches Personalpronomen: [κατῴκισεν] αὐ τὸν) gegenüber dem Garten der Wonne (τῆς τρυφῆς statt ‚Eden‘) wohnen, und er setzte ein/befahl (zusätzliches και ̀ ἔταξεν) die/den Keruben …, um zu bewachen…“ Mit Smr, TO und Syr kann an MT festgehalten werden.174 Syr fügt „Herr-Gott“ (mry� �lh�) als Subjekt ein und vertreibt nicht „Adam“ (getilgt), sondern „ihn“ (w�pqh).

3.3.5 Fazit zu Kapitel 3.3 Die textkritische Untersuchung hat gezeigt, dass der überlieferte masoretische Konsonantentext eine zuverlässige Ausgangsbasis für die Exegese darstellt. Die in den Versiones belegten Unterschiede gegenüber dem masoretischen Text konnten in den meisten Fällen als bewusste Änderungen interpretiert werden. So ist in der Septuaginta insbesondere für Gen 2 die Tendenz festzustellen, die beiden Schöpfungsberichte Gen 1 und Gen 2 einander anzugleichen (s. o. Kap. 2.1.1). Dies geschieht einerseits durch ein hinzugefügtes ἔτι in 2,9.19, bei den Werken also, deren Erschaffung bereits in Gen 1 berichtet wurde, und andererseits durch die Wiedergabe der Gottesbezeichnung: ~yhil{a/ hw"hy> gibt sie an den Stellen, die in irgendeiner Beziehung zur Schöpfung stehen, mit bloßem ὁ θεὸς (statt κύριος ὁ θεὸς) wieder (2,4b.5.7.9.19.21; 3,22), um die Identität des Schöpfergottes in Gen 1–2 zu wahren. Gegenüber der masoretischen Vokalisation ist dagegen in einem Punkt Vorsicht geboten (s. o. Kap. 3.3.2): Die masoretischen Vokalisatoren haben Adam als Eigennamen und nicht als Gattungsbezeichnung aufgefasst und daher an den Stellen, wo es der überlieferte Konsonantentext erlaubte, ~da ohne Artikel gelesen: Die drei Stellen Gen 2,20b; 3,17.21 mit ~dal(w) meinen ursprünglich also auch den Menschen an sich und sind wie die Belege von ~da mit Artikel auch determiniert zu verstehen. Auch die antiken Überset172 Vgl. Aberbach/Grossfeld, Onkelos, 38 f. auf der einen und Luc, Like One of Us? auf der anderen Seite. 173 Dagegen hält Hendel, Text, 45.126 f. ~G: in MT und Smr für ein „explicating plus“. Vgl. aber auch Wevers, Apologia, 36; ders., Notes, 48 f. 174 Vgl. Seebass, Urgeschichte, 100; Hendel, Text, 126 f. Zu „gegenüber“ (ἀ πεν́ αντι) s. o. Anm. 119.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

204

Die Paradieserzählung Gen *2,4b–3,24

zungen haben unterschieden in der Wiedergabe von ~da zwischen dem Eigennamen Adam und der Gattungsbezeichnung Mensch (LXX: ᾽Αδὰ μ und ἄνθρωπος; dazu noch ἀ νὴ ρ; TO hat gar vier verschiedene Lexeme: ~da und Xna; dazu noch rbg und l[b). Weiter wurde in Kapitel 3.3.1 gezeigt, dass die Doppelbezeichnung hw"hy> ~yhil{a/ auch in Gen 2 f. literarisch ursprünglich und theologisch bedeutsam ist: Sie zeigt den Unterschied auf zwischen der Erhabenheit Gottes und der Begrenztheit der Menschen. Die Menschen können zwar wie Elohim werden, eine YHWH-Gleichheit aber gibt es nicht. In Kapitel 3.3.3 wurde die Bedeutung des Garten Edens als Ort des Überflusses, Wonnegarten, Lustgarten bestimmt aufgrund der weiteren Belege der Wurzel !d[ sowie allgemeinen Überlegungen zur altorientalischen Hortikultur.

3.4 Literarische Analyse von Gen *2,4b–3,24175 Ausgehend von der textkritischen Analyse ist nun die literarische Gestaltung von Gen 2 f. genauer zu untersuchen. Nach der Darstellung der Forschungsgeschichte (s. o. Kap. 3.1) und der eigenen Ausgangsthese zur Entstehung von Gen *2,4b–3,24 (s. o. Kap. 3.2) ist besonders auf textimmanente Spannungen und die Frage der inhaltlich-theologischen Kohärenz der Erzählung zu achten. Zur Debatte stehen damit auch Intention und Aussage von Gen 2 f.

3.4.1 Gen 2,4–7: Die Erschaffung des Menschen zur Bebauung des Ackerbodens Im vorliegenden Text der Genesis beginnt die Erzählung vom Garten Eden mit der Toledotüberschrift in Gen 2,4a: „Dies ist der Stammbaum von Himmel und Erde, als sie erschaffen wurden.“ Wie in den elf weiteren Belegen der Formel im Pentateuch steht sie auch hier als Überschrift zu einer Erzählung von der Nachkommenschaft der in der Genealogie genannten Stammeltern (hier Himmel und Erde, in der Regel einer der Urväter Israels).176 Die nicht-priesterschriftliche Schöpfungserzählung stellt sich somit als Erzählung über die Nachkommen von Himmel und Erde dar. Der Titel steht syntaktisch unverbunden neben 2,4b, wo die Erzählung über die Erschaffung der Menschen und deren Aufenthalt im Garten Eden 175 Die folgenden Überlegungen gehen in Teilen auf meine Heidelberger Magisterarbeit (2008) zurück, in deren erstem Teil die literarische Gestaltung von Gen 2–3 und in deren zweitem Teil der traditions- bzw. motivgeschichtliche Hintergrund untersucht wurden. 176 Zu den Belegen der Toledotformel s. o. Exkurs 3 mit Anm. 550. Zu Gen 2,4 s. o. Kap. 2.4.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Literarische Analyse von Gen *2,4b–3,24

205

mit einer längeren syntaktischen Einheit einsetzt. Ähnlich steht die Toledotformel auch an ihren anderen Belegstellen (vgl. nur Gen 5,1 f.). Die Abfolge von Titel (2,4a) und Erzählbeginn (2,4b ff.) ist hier aber nicht ursprünglich: Wie bereits ausführlich dargelegt (s. o. Kap. 2.4), stellt Gen 2,4a eine redaktionelle Verbindung zwischen der priesterschriftlichen und der nicht-priesterschriftlichen Schöpfungserzählung dar, die weder von der einen noch von der anderen Hand stammt, sondern von einem davon unabhängigen Redaktor. Der hier zu untersuchende Anfang der Eden-Menschwerdungserzählung findet sich also in Gen 2,4b.177 Der Erzählanfang mit der Temporalbestimmung ~AyB. „an dem Tag“ bzw. „als“ in 2,4b wird erst in 2,7 durch das Imperfectum consecutivum von rcy fortgeführt: Hier erst beginnt das eigentliche Geschehen. Bei dieser syntaktischen Struktur handelt es sich um eine Pendenskonstruktion, bei der die pendierende Zeitangabe „am Tage, da“ bzw. „als“ sich auf das Imperfectum consecutivum rc,yYIw: in 2,7 bezieht, und die Verse 5 und 6 eine Parenthese bilden.178 Mit 2,5 könnte die Erzählung hingegen nicht einsetzen, da we-x-yiqṭ ol keine Erzählung einleitet.179 Alternativ kann 2,4b als Aposiopese verstanden werden, also als temporaler Nebensatz, dessen Hauptsatz nicht in 2,7 zu finden ist, sondern unterdrückt wurde und als „da geschah Folgendes“

177 Dagegen argumentieren etwa Stordalen, Genesis 2,4, 163–177 und Otto, Paradieserzählung, 185–188 für die Einheitlichkeit von Gen 2,4. Dagegen s. o. Kap. 2.4. Witte, Urgeschichte, 55 hält unter Berufung auf altorientalische Parallelen fest, dass Gen 2,4b „als eine eigenständige Einleitung angesehen werden [kann], die syntaktisch nicht von V.a abhängig ist.“ 178 Vgl. Gross, Pendenskonstruktion, 53–55; Bauks, Welt, 88–91. Zur literarischen Form der Parenthese s. o. Kap. 2.3.2.2 mit Anm. 317. 179 Vgl. Gross, Pendenskonstruktion, 54; Otto, Paradieserzählung, 188 (s. o. Kap. 2.4 mit Anm. 528). Gleichwohl lässt etwa Levin, Jahwist, 86 f. seine „Vorjahwistische Quelle (JQ)“ mit 2,5 beginnen, da er 2,4b der „Endredaktion“ (R) zuweist (vgl. aaO., 89). Er stellt zwar unter Berufung auf Wellhausen die Frage, ob allenfalls 2,5 „verstümmelt worden ist“, geht aber nicht weiter darauf ein (vgl. ders., Redaktion RJP, 15.21 f.24–26). Unklar bleibt Witte, der zunächst (Witte, Urgeschichte, 55; s. o. Anm. 177) die Möglichkeit eines Erzählanfanges mit 2,4b (gerade in Schöpfungsmythen) betont, diesen Teilvers dann aber doch der „jahwistischen“ Redaktion zuschreibt (vgl. aaO., 77 f.116 f.151 ff.158 ff.184 ff.333 f.) mit dem kaum überzeugenden Argument, hf[ sei zu unspezifisch im Schöpfungskontext (vgl. dagegen nur 2,18; 3,1: Die Verse werden von Witte der ursprünglichen Anthropogonie zwar abgesprochen, zeigen im Endtext gelesen aber immerhin, dass hf[ schon an sich und im Zusammenhang mit „Erde und Himmel“ erst recht mitnichten zu unspezifisch ist im Schöpfungskontext), und die ursprüngliche „Schöpfungserzählung“ Gen 2* mit *2,5 beginnen lässt (vgl. aaO., 155 f. mit Anm. 24; 333). Ähnlich auch Schmidt, Schöpfungsgeschichte, 196 mit Anm. 1; Tengström, Toledotformel, 54 f.; Dohmen, Schöpfung, 169 ff. (der aber aaO., 33 ff.170 darauf hinweist, dass mit *2,5 keine Erzählung beginnen kann); Ruppert, Genesis, 106 ff.113; Stordalen, Genesis 2,4, 168 f(f).176; Rottzoll, Schöpfungs- und Fallerzählung, Teil 2 (ohne eigene Diskussion für 2,4b); Kratz/Spieckermann, Schöpfer/Schöpfung, 271–274; Spieckermann, Ambivalenzen, 51 („2,5[Anfang der Erzählung nicht erhalten]“); Kratz, Komposition, 233.253–256.262 f. (2,4b als „redaktionelle Klammer“ zwischen 1,1–2,4a und 2,5 ff.); Mettinger, Eden, 13 ff. Vgl. auch die Kritik bei Dohmen, aaO., 35 f.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

206

Die Paradieserzählung Gen *2,4b–3,24

zu denken ist. 2,5–7 stellen dann syndetisch angeschlossene Hauptsätze dar.180 Wie in Gen 5,1b folgt auf die Zeitangabe eine doppelte Constructusverbindung mit dem Schöpfungsterminus (hier hf[, dort arb) im Inf.cstr. und dem Schöpfergott als genitivus subiectivus, hier YHWH Elohim: die Kombination von Gottesname YHWH und dem Appellativum für Gott, Elohim. Diese Doppelbezeichnung ist bewusst gewählt – und nicht etwa diachron entstanden (s. o. Kap. 3.3.1). Sie dient hier, wie aus dem Folgenden hervorgehen wird, insbesondere der Unterscheidung der göttlichen Sphäre mit YHWH und der menschlichen Sphäre, die zwar in gewisser Weise der göttlichen gleich werden kann (3,22), die von ihr aber gleichwohl geschieden ist.181 Gen 2,4b wählt die Reihenfolge ~yIm'v'w> #r,a,, die nach der umgekehrten Abfolge beider Lexeme (mit Determination) in 2,4a auffällig ist (s. o. Kap. 2.4), bewusst: Gen 2–3 ist mehrheitlich an dem interessiert, was auf der Erde geschieht. Daher ist diese zuerst genannt. Doch auch die Nennung des Himmels ist nicht fehl am Platz, geht es doch auch um die Konstituierung des die Menschen umgebenden Kosmos.182 Gen 1,1 spricht dagegen von ~yIm;V'h; #r,a'h'w,> da hier zunächst vom (Sternen-)Himmel die Rede ist, von der Erschaffung des Lichts, vom Zurückdrängen der (Ur-)Wasser, und erst dann der Fokus auf die Erde in einem engeren Sinne mit Pflanzen, Tieren und den Menschen gelegt wird. „Die Reihenfolge … wird also durch die besondere Situation und nicht durch abstrakte Wortfolgeregeln gefordert.“183 Auf die pendierende Zeitangabe 2,4b folgt als Parenthese eine Art Vorweltschilderung in 2,5 (vgl. 1,2a) und eine Art Bereitstellung der nachfolgenden Schöpfung in 2,6 (vgl. 1,2b als Überleitung zu den Schöpfungstaten).184

180 Vgl. Dohmen, Schöpfung, 33–40, bes. 36 f.; Witte, Urgeschichte, 55 f. (vgl. auch GKB §167a, wo Gen 2,4b ff. jedoch nicht dafür angeführt wird). Sie verstehen diese Interpretation allerdings nicht als Alternative, sondern als die einzig gangbare. Das ist sie freilich nicht – genauso wenig wie die zuerst genannte (gegen Seebass, Urgeschichte, 104). 181 Vgl. bes. Kap. 3.4.9; 3.4.17 und s. o. Kap. 3.3.1 mit Anm. 72 f. 182 Dass nicht nur der Erdboden im Blick ist, geht m.E. aus 2,6 mit dem unterirdischen (göttlichen) Fluss hervor (#r,a'h'-!mi hl,[]y: daew>; dazu s. u.). 183 Hartmann, Himmel, 222. Vgl. ebd.: „Hier offenbart sich wieder einmal die subtile Beobachtungsgabe des Hebräers und seine Fähigkeit, feinste Unterschiede, auf die wir kaum achten würden, mit Hilfe der Wortfolge zum Ausdruck zu bringen.“ Auch Witte, Urgeschichte, 56 hält Gen 2,4b(ff.) für unabhängig von 1,1: „Die Erwähnung des zweiten Objekts ~ymv ist weder ein redaktioneller Ausgleich mit dem ersten Schöpfungsbericht noch ein Hinweis auf eine literarische Abhängigkeit von 1,1–2,3. Der Begriff ~ymv ist vielmehr ein fester Bestandteil des schöpfungstheologischen Wortpaares ~ymvw #ra, das hier formelhaft als ‚Überschrift‘ für die Paradieserzählung, nicht als direkte Einleitung eines Berichts über die Erschaffung von Erde und Himmel fungiert.“ Zur Abfolge von „Himmel und Erde“ bzw. „Erde und Himmel“ (vgl. Ez 8,3; Sach 5,9; Ps 148,13; 1Chr 21,16; Jer 10,11b) s. o. Kap. 2.4 mit Anm. 504. 184 Zu dieser Lesart von Gen 1,2 s. o. Kap. 2.3.2.3.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Literarische Analyse von Gen *2,4b–3,24

207

Beide Verse bereiten keine literarkritischen Probleme,185 sondern sind kunstvoll komponiert mit zwei parallelen noch-nicht-Aussagen über die pflanzliche Vegetation (2,5aα und 2,5aβ) und einer wiederum zweigliedrigen Begründung dieses Zustandes (2,5bα und 2,5bβγ). 2,6 beginnt wiederum mit we-x-yiqṭ ol und führt die Erzählung weiter, indem der noch ausstehenden Bewässerung von oben in 2,5bα die nun realisierte Bewässerung von unten in 2,6 entgegen gesetzt wird,186 und damit der in 2,7 ff. relevante Ackerboden als Schöpfungsmaterie bereitet wird. 2,5 stellt so eine Vorweltschilderung via negationis der bekannten, durch YHWH Elohim ab 2,7 eingerichteten, Welt dar:187 Noch befindet sich diese Welt im Stadium der „Potentialität“.188 2,6 benennt positiv das Aufsteigen von „Wasser“ (s. u.), führt also die noch-nicht-Konstruktion von 2,5 nicht weiter, weshalb etwa Westermann den Vers für sekundär betrachtet: „V. 6 fällt aus der Konstruktion heraus … weil er positiv einen Zustand schildert.“189 Vergleichsstellen zeigen jedoch, dass dies keine ungewöhnliche Kombination ist: So wird in Ps 90,2 positiv von Gott gesagt, dass er noch vor Grundlegung der Berge und der Welt existierte. In Prov 8,24–26 wird positiv von der Weisheit gesagt, dass sie schon geboren war, als noch keine Gewässer waren (!yaeB.; vgl. Gen 2,5bβ), als die Berge noch nicht gegründet waren (~r,j,B.; vgl. Gen 2,5aαβ), und Gott die Welt noch nicht gemacht hatte (hf'[' al{-d[;; vgl. Gen 2,5bα). Auch in Enūma eliš findet sich ein – noch viel kunstvolleres – Ineinander von positiven und negativen Zustandsangaben: Als oben und unten

185 So – im Prinzip – Witte, Urgeschichte, 158; Gertz, Adam, 219. Auch Pfeiffer, Baum, 490 müsste diesem zustimmen, streicht aber schließlich 2,6 aus anderen Gründen aus der ursprünglichen Erzählung heraus. 186 Vgl. Witte, Urgeschichte, 158. Ich sehe gegen Witte, aaO., 156 f.158 keinen Grund, 2,5bα mit dem „Regen von oben“ als Ergänzung zu betrachten (vgl. auch die Kritik bei Krispenz, Frage, 222 f.). Bei Gen 2,6 handelt es sich freilich nicht um den in 2,5 noch ausstehenden Regen (vgl. Schüle, Prolog, 149 mit Anm. 387). Die Erzählung kommt nicht mehr auf den Regen (rjm; in 2,5b als Verbalform) zu sprechen. Dass das Desiderat des Regens im Gegensatz zu dem des den Ackerboden bebauenden Menschen nicht erfüllt wird (für den Menschen vgl. 3,23), stellt kein Problem dar: Die Bewässerung der Erde geschieht für die in 2,7 ff. berichteten Schöpfungsakte durch aus der Erde aufsteigendes Wasser (2,6) – und durch die in 2,10–14 genannten Flüsse, deren literarhistorische Provenienz allerdings außerhalb der (ursprünglichen) Paradieserzählung liegen dürfte (s. u. Kap. 3.4.3). Für die Menschen jenseits des Garten Edens wird von keinem (erstmaligen) Regen berichtet – spätestens die Fluterzählung setzt aber schlicht voraus, was auch im Antiken Israel zum Allgemeinwissen gehörte: Dass es zuweilen regnet. 187 Vgl. bes. Ps 90,2; Prov 8,22–26 und Ee I 1–9. Vgl. Müller, Mythische Elemente, 11 mit weiteren Texten. 188 Seebass, Urgeschichte, 105. 189 Westermann, Genesis, 273. Ebenso argumentieren etwa Carr, Subversion, 577–579; Levin, Jahwist, 92; Pfeiffer, Baum, 490. Letztere bringen den Vers mit der „Paradiesgeographie“ 2,10–14 in Verbindung, die sie auch als sekundär betrachten. Allerdings können sie dann nicht erklären, weshalb 2,6.10–14 erstens überhaupt und zweitens an ihrem jeweiligen Ort (und nicht eher beieinander, wenn sie schon zueinander gehören) eingefügt wurden.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

208

Die Paradieserzählung Gen *2,4b–3,24

noch nicht genannt waren Himmel und Erde, da gab es bereits Apsu (Süsswasser) und Tiāmat (Salzwasser), die ihre Wasser mischten – noch ehe es Bepflanzung der Erde gab, und ehe die Götter erschaffen wurden –, erst da wurden die Götter geschaffen.190 Interessant sind die sachlichen Parallelen: In Enūma eliš werden wie in Gen 2,5 f. die Pflanzen als noch nicht existierend bezeichnet, während vor dem eigentlichen Schöpfungsakt bereits eine Form von Wasser vorhanden war (vgl. Gen 1,2). Einer ursprünglichen Abfolge von 2,4b–7 mit 2,5.6 als zwei parenthetischen Zustandssätzen ist demnach aus literarischen, inhaltlichen und traditionsgeschichtlichen Gründen nichts entgegen zu setzen. Gen 2,7 führt den pendierenden Vers 2,4b fort und setzt mit dem eigentlichen Schöpfungsgeschehen ein: YHWH Elohim formt, töpfert (rcy) den Menschen/Adam aus Staub vom Erdboden/der Adama (hm'd'a]h'-!mi rp'['). Die Konstruktion erscheint etwas schwerfällig, einfacher wäre die Formulierung ohne rp'['. Dazu passt auch der Gleichklang von Adam und Adama, dem Ackerboden.191 rp'[' wird daher oft als Einschub betrachtet, insbesondere im Zusammenhang mit der Lebensthematik i.w.S., zu der auch der Baum des Lebens gehört.192 Allein: Die Lebensthematik endet nicht am Baum des Lebens und an der Schöpfungsmaterie Staub. Die ganze Erzählung handelt davon, dass die Menschen sterblich sind – im Gegensatz zu YHWH. Die Lebensthematik zeigt sich bereits in 2,7b wieder mit der Einhauchung des Lebensodems. Leben und Sterben begegnen wieder explizit im Verbot YHWHs, vom Baum der Erkenntnis zu kosten (2,17), und auch der Dialog zwischen der Schlange und der Frau spielt, unter Aufnahme von 2,17, mit dieser Thematik (3,3.4). Ebenso sprechen die Strafworte YHWHs in 3,14– 19 vom Leben und Sterben der Menschen auf Erden, genauer von den Lebensminderungen, denen die Menschen unterworfen sind bei ihrer Arbeit und beim Erlangen von Nachwuchs – und das heißt: bei der Hervorbringung weiteren Lebens –, bis sie wieder zurückkehren zum Ackerboden, von dem sie genommen sind – und das heißt: bis sie sterben. Die Lebensthematik

190 Paraphrase von Ee I 1–9. Zur Übersetzung vgl. Foster, Muses, 436–486. Zum Text vgl. Lambert/Parker, Enūma Eliš; Talon, Enūma Eliš und nun Kämmerer/Metzler, Weltschöpfungsepos. Für die ersten Zeilen vgl. auch Wilcke, Anfänge, 163–174. 191 Die Etymologie beider Substantive ist nicht letztlich geklärt. Wahrscheinlich ist die Herleitung von ~da „rot“. Gemeint ist dann der rote Ackerboden, von dem der Mensch genommen ist und daher dieselbe Farbe hat. Möglich ist auch die Herleitung von arab. �adam/ �adama „Haut“ (�adīm al-�arḍ bedeutet dann „die Oberfläche der Erde“; vgl. Wehr, Wörterbuch, 15). Vgl. Maass, ~d'a'; Plöger, hm'd'a;] HALAT3, 13 ff. Auf jeden Fall wird im Text ein Entsprechungsverhältnis dargestellt: Der Adam ist abgeleitet aus der Adama. 192 Vgl. etwa Levin, Jahwist, 90.92; Witte, Urgeschichte, 81 ff.157.158.333 f.; Kratz, Komposition, 253–256 mit Anm. 32.35; Pfeiffer, Baum, 492; Gertz, Adam, 230. Bei den genannten Arbeiten wird durchgehend der „Baum des Lebens“ als sekundär ausgeschieden und im Anschluss daran auch das die „Sphäre des Todes“ signalisierende Schöpfungsingrediens „Staub“ (vgl. Ps 103,14 ff.; Qoh 3,20; Hi 10,9 u. ö.).

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Literarische Analyse von Gen *2,4b–3,24

209

ist also integraler Bestandteil der Erzählung und kann als solche nicht plausibel für sekundär betrachtet werden. Zu fragen ist vielmehr, ob rp'[' hier aus literarischen Gründen zu streichen ist. Die Konstruktion hm'd'a]h'-!mi rp'[' ist formal gesehen ein accusativus materiae193 zu ~d'a'h'-ta, ~yhil{a/ hw"hy> rc,yYIw:, wobei die Materie Staub hier noch weiter bestimmt wird durch hm'd'a]h'-!mi. Ähnliche Konstruktionen finden sich etwa in 1Reg 7,15 (tv,xon> ~ydIWM[;h' ynEv.-ta, rc;Y"w:) mit determiniertem direkten Objekt und indeterminiertem accusativus materiae – wie in Gen 2,7, oder in Dtn 27,6 (^yh,l{a/ hw"hy> xB;z>mi-ta, hn ist zwar auffällig, ist aber nicht ohne Parallele: Vgl. etwa Jer 22,16b sowie GKB §115d; Budde, Paradiesesgeschichte, 17; Brockelmann, Syntax, §99b; Müller, Parallelen, 168 Anm. 5. 227 Vgl. Gertz, Adam, 228.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Literarische Analyse von Gen *2,4b–3,24

215

che) (Unterwelts-)Fluss, der aufsteigt und die ganze Erdoberfläche tränkt. Hier wird nun präzisiert und ausgeführt, wie die Bewässerung der Erde geschieht. 2,10a fällt mit seinem we-x-qōṭ el Anfang deutlich aus dem Erzählfluss heraus. In der ganzen Erzählung Gen 2 f. finden sich nur gerade in 2,10–14 Partizipien, die der Fortführung der Erzählung dienen (10a.11b.13b. 14aβ).228 Neben dieser grammatikalischen Eigenart fällt auch auf, dass die Art und Weise des Berichtens hier eine andere ist als im restlichen Text: Es geht nicht um eine Erzählung als vielmehr um eine Aufzählung.229 Beide Eigenheiten können als bewusster Stilbruch gewertet werden: Die Darstellungsweise liegt am Gegenstand, die vier Flüsse müssen schlicht aufgezählt werden. Jedoch unterbricht der Abschnitt die Erzählung von YHWH Elohim, der im gepflanzten Garten, in dem sich auch der Mensch befindet, verschiedene Bäume wachsen lässt (2,8 f.) und über diese Bäume dem Menschen ein Gebot erteilt (2,16 f.). Und während die restliche Erzählung die Lage des Garten Edens offen lässt und mit der Angabe „in Eden im Osten“ besonders die Unerreichbarkeit dieses Ortes betont, ist 2,10–14 ein Exkurs zur Lage des Gartens, der durch die genannten Flüsse und Gebiete genauer lokalisiert werden soll.230 Auch scheint 2,10–14 eine Erläuterung zum seltenen dae aus 2,6 zu sein, wofür auch die Wiederaufnahme von hqv spricht: Der (göttliche) Fluss wird nun zu (mehr oder weniger) bekannten Flüssen.231 Vieles spricht also dafür, dass die fünf Verse (zusammen mit 2,15, s. u.) der Erzählung erst sekundär hinzugefügt worden sind mit der Intention, den unerreichbaren Ort von Gottes Nähe und Segen greifbarer zu machen:232 Die Gegen-Welt Eden wird mittels der bekannten Flüsse, die 228 In 3,5 begegnen zwei Partizipien von [dy in der direkten Rede der Schlange an die Frau, also gut eingebettet in die Erzählung. In 3,8 hören die Menschen den spazierenden Gott: %Leh;t.mi ist gut in den Erzählablauf integriert und fällt nicht aus dem Erzählgefüge heraus. tk,P,h;t.Mih; in 3,24 ist Apposition zu br,x,h;. Alle diese Partizipien dienen nicht der Fortführung der Erzählung. 229 Vgl. Westermann, Genesis, 293 f. 230 Die Nennung realer, bekannter (zumindest teilweise; s. u.) Gebiets- und Flussnamen zeigt schon den Unterschied zur ursprünglichen Erzählung, die jegliche Verankerung in der IstWelt unterlässt oder chiffriert. 231 Anders Pfeiffer, Baum, 490, der 2,6 als Erklärung zu dem ebenfalls sekundären 2,10–14 versteht. Allerdings scheint mir eher ein seltenes Wort erklärungsbedürftig als eine Aufzählung von (teilweise) bekannten Flüssen. Vgl. auch Hirth, Tradition. 232 Vgl. exemplarisch Witte, Urgeschichte, 83 f. (mit Anm. 26 für einen kurzen Forschungsüberblick): 2,10–14 „…bemüht sich um eine bestimmte Lokalisierung des Geschehens, das nach der ursprünglichen Angabe in 2,8 in mythischer Ferne (~dqm) im ‚Wonneland‘ (!d[) spielt.“ Dagegen halten etwa Steck, Paradieserzählung, 32 f.; Hirth, Tradition, 613; Blum, Gottesunmittelbarkeit, 18; Gerhards, Conditio, 200 f. Gen 2,10–14 (bzw. 2,10–15) für (höchstwahrscheinlich) ursprünglich (vgl. auch Gressmann, Paradiessage, 40 f. Anm. 6; Eissfeldt, Paradieseserzählung, 406 f.). Nach Steck handelt es sich um ein von J (von Anfang an) in seine Erzählung aufgenommenes vorgegebenes Textstück: „2,8–15 bietet demnach keinen Anhalt für literarkritische Quellenscheidung oder für Ausgrenzung eines

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

216

Die Paradieserzählung Gen *2,4b–3,24

dort entspringen,233 mit der Ist-Welt verbunden – ähnlich wie die Genealogien 4,17–24.25–26 eine Anbindung an die bekannte Ist-Welt leisten (s. u. Exkurs 4). Gen 2,15 führt nach dem geographischen Exkurs wieder zurück zur Erzählung vom Menschen, der im blühenden Garten lebt. Der Vers stellt eine Dublette zu 2,8 dar. Berichtet wird wie dort, wie Gott den Menschen in den Garten setzt. Es ist hier keine inhaltliche Neuakzentuierung vorhanden.234 Funktion dieses Verses ist, den Fokus wieder auf den Menschen zu lenken, für den Gott im Garten zahlreiche köstliche Bäume hat wachsen lassen, darunter die zwei hervorgehobenen Bäume mitten im Garten, an die Gen 2,16 f. mit Ge- und Verbot direkt anknüpft.235 nachträglichen Zusatzes…“ (ebd.; s. o. Anm. 33). Blum hält die Ursprünglichkeit von 2,10– 14 für möglich, wenn nicht gar wahrscheinlich, betont aber, dass auch ohne diese Verse 2,8–9.15 „einen kohärenten Zusammenhang“ darstellen: „Narrativ bilden 2,8–9.15 vielmehr die nachdrückliche Einführung des Bühnenbildes.“ AaO., 18 Anm. 36. 233 Mit den vier Flussköpfen/-armen (~yviar") sind die Flüsse im Bereich ihrer Quellen gemeint. Vgl. akk. rēš ēni (vgl. CAD 7, 158). 234 Vgl. schon Budde, Urgeschichte, 82 f. und etwa Carr, Subversion, 578 f.; Witte, Urgeschichte, 83 f.269; Gertz, Adam, 225 f. Anders Blum, Gottesunmittelbarkeit, 18, der 2,8 als „summarische Prolepse“ zu 2,9a und 2,15a versteht. Dies stimmt sicher für 2,9 (s. o.); eine weitere Platzierung des Menschen in den Garten ist aber unnötig, da dies im Folgenden nicht weiter interessiert, anders als die gepflanzten Bäume. Vgl. auch die Kritik bei Gertz, aaO., 225 f. Anm. 28. 235 Pfeiffer, Baum, 490 f. versteht 2,15 ebenso als „sekundäre Wiederaufnahme des Erzählfadens“, fragt dann aber weiter, ob nicht 2,15 und auch 2,9 „sekundäre Verklammerung“ von 10–14 sind, da 1.) 2,15 an 2,8b anknüpft und nicht an 2,9, und 2.) 2,9a als Dublette zu 2,8a gelesen werden könne. Er streicht 3.) dann ~yYIx;h; (#[e) aus 2,9b heraus, da nach Aussage von 3,3 sich nur ein Baum in der Mitte des Gartens befinden könne, und da die zwei weiteren Belege des Lebensbaumes in 3,22.24 auch sekundär seien, und hält den verbleibenden Vers 2,9* für 4.) möglicherweise ursprünglich (vgl. auch Carr, Subversion, 577–580.583). Ad 1.): Dass 2,15 an 2,8 anknüpft, entspricht der Erzähllogik: 2,15 muss vor 2,16 nur erklären, was zuvor mit dem Menschen geschehen ist, denn an ihn erfolgt sogleich ein Gebot. Das Gebot 2,16 f. nimmt 2,9 zur Genüge auf. So argumentiert auch – allerdings in gänzlich anderer Rekonstruktion – Westermann, Genesis, 299: „Von dem Menschen sprach 8b, V. 9 wieder von dem Garten (Doppelung von 8a), V. 10–14 von den vier Strömen. Sollte jetzt von dem Menschen weitererzählt werden (das Verbot V. 16 f.), so musste an den vorangehenden Akt, nämlich 8b, angeknüpft werden.“ Der „vorangehende Akt“ ist allemal die „Versetzung“ des Menschen in den Garten, auch wenn danach vom Wachsen-Lassen der Bäume durch Gott berichtet wird; es kommt hier alles auf die Perspektive der Erzählung an: Berichtet wird von der Erschaffung der Menschen. Ad 2.): Dass es sich bei 2,9a nicht um eine Dublette zu 2,8a handelt, wurde oben gezeigt. Ad 3.): Dass auch zwei Bäume „in der Mitte des Gartens“ stehen können, wurde bereits gezeigt (s. o. Kap. 3.4.2). Von der von Pfeiffer vertretenen Nicht-Ursprünglichkeit von 3,22.24 (mit den zwei weiteren Lebensbaum-Belegen) aus die Nicht-Ursprünglichkeit des Lebensbaumes (oder nur des Zusatzes „Leben“) in 2,9 zu begründen, ist methodisch schwierig. Dass auch 3,22(.24) ursprünglich zu Gen 2 f. gehört, wird unten gezeigt werden (s. u. Kap. 3.4.17). Ad 4.): Pfeiffer weist mit Recht darauf hin, dass bei Ausscheidung von 2,9 der Erkenntnisbaum von 2,17 nicht vorbereitet sei. Dem kann hinzugefügt werden, dass insgesamt das

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Literarische Analyse von Gen *2,4b–3,24

217

Der Ergänzer hat dabei mit viel Feingefühl gearbeitet: 2,10–14 und 2,15 erscheinen als inhaltliche Präzisierungen zum Voranstehenden: Gott formt aus Erdstaub und Wasser/Feuchtigkeit den Menschen, legt einen Garten in Eden an und setzt den Menschen hinein. In diesem Garten lässt er prächtige Bäume wachsen (2,4b–9). Und dieses Gebiet von Eden ist eine besonders fruchtbare, da enorm wasserreiche Gegend, aus deren Quellfluss der ganze Erdkreis mit Wasser versorgt wird (2,10–14). Und in genau dieser mit Wasserreichtum gesegneten Gegend liegt der so fruchtbare Garten, in dem Gott den Menschen unterbringt (2,15). Bezüglich der Bäume erhält der Mensch dann gewisse Gebote (2,16 ff.). Auch bedient sich der Bearbeiter des im Text stets wiederkehrenden wayyiqṭ ol-YHWH-Elohim Versbeginns. Jedoch erweisen, neben dem Charakter als Dublette und der Aufgabe der Wiedereingliederung in die Erzählung, zwei Merkmale 2,15 als zur Ergänzungsschicht 2,10–15 gehörig: 1.) Die Aufgabe des Menschen ist hier, den Garten Eden zu bearbeiten (db[) und ihn zu bewahren (rmv). Von einem Bewahrungsauftrag war aber zuvor nirgends die Rede. Nach 2,5 ist die Aufgabe des Menschen die Bearbeitung (db[) des Ackerbodens (vgl. 3,23), nicht des Garten Edens. Die Aussage der Bewahrung stammt vom Bearbeiter – und möglicherweise auch die Idee, dass der Mensch auch im Garten Eden arbeiten muss.236 2.) Auch die Wortwahl xwn kennzeichnet 2,15 als Bearbeitung. Es ist gerade nicht gemeint, dass Gott die Menschen dauerhaft dort unterbringt und ihnen Ruhe verschafft,237 sondern dass sie dort stationiert werden im Sinne einer „temporäre[n] Unterbringung“ und nicht eines „finalen Zustand[es]“.238 Das heißt aber, dass hier das Ende der Erzählung, die Vertreibung aus dem Garten, bereits im Blick ist. Dies ist in der Erzählung sonst nicht der Fall: Die ursprüngliche Erzählung ließ (zunächst) bewusst offen, wie das Geschehen im Garten endet. Aus alledem folgt: 2,10–15 ist ein sekundärer Eintrag aus einer Hand in den Erzählverlauf. Er unterbricht die Verse 2,9 und 2,16, die ursprünglich aufeiGebot 2,16 f., von allen Bäumen (2,16b; vgl. 2,9a) zu essen außer vom Erkenntnisbaum (2,17; vgl. 2,9b), unmotiviert bliebe ohne das berichtete Anpflanzen/Wachsen-Lassen dieser Bäume in 2,9. 236 Davon spricht zumindest die restliche Erzählung nicht. Ihr geht es nur darum, dass der Mensch jenseits des gegenweltlichen Garten Edens den Ackerboden bearbeiten muss. 237 So – zum Nachweis dtn/dtr Beeinflussung (dazu s. u. Kap. 4.3) – etwa Alonso-Schökel, Motivos, 306; Blenkinsopp, Pentateuch, 66; Otto, Paradieserzählung, 180; Husser, Relecture, 243 f. (vgl. Witte, Urgeschichte, 269 f.). Dagegen zu Recht Blum, Gottesunmittelbarkeit, 14: „Einmal davon abgesehen, daß man für letzteres [das dtr ‚Ruhe‘-Motiv] in 2,15 eine andere Hif’il-Bildung von xwn zu konjizieren hätte, geht es bei dem dtr Topos aber immer um ‚Ruhe vor den Feinden ringsum‘ oder um Ruhe nach dem langen Weg ins Land. Beides wäre jedoch in Gen 2 offensichtlich sinnlos und bleibt darin auch ohne transparente Analogie.“ WhxeNIY:w: in 2,15 ist Kausativ 2/B nach HALAT3, 642; Ges18, 793 f. Das dtr RuheMotiv wird dagegen mit Kausativ 1/A gebildet. Vgl. auch Mettinger, Eden, 50 Anm. 29. 238 Schüle, Prolog, 150 Anm. 392.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

218

Die Paradieserzählung Gen *2,4b–3,24

nander folgten. 2,10–14 explizieren den Gedanken des „Überflusses“ und verorten den gegenweltlichen Garten (in) Eden in der bekannten Ist-Welt. 2,15 stellt die Verbindung zur ursprünglichen Erzählung wieder her. Die femininen Objektsuffixe an Hr"m.v'l.W Hd"b.['l. in 2,15 werden oft als fehl am Platz oder unstimmig interpretiert, da sie keine Bezugswörter in diesem Vers hätten.239 Versteht man Eden aber als Ortsnamen (vgl. bes. 2,10), erübrigt sich die Suche nach einer passenden Referenz: Die als solche feminine Territorialbezeichnung Eden determiniert die Constructus-Verbindung „im Garten Eden“ als Femininum.240 Ausgehend von den Angaben der Paradiesgeographie wurde mehrfach versucht, den Garten Eden zu lokalisieren. Er wird dabei entweder in Mesopotamien („im Osten“) gesucht, oder aber die Paradiesgeographie wird auf Jerusalem und den dortigen Tempel bezogen.241 Schwierigkeiten bereiten die nicht bekannten Flüsse !AvyPi (2,11 f.) und !AxyGI (2,13).242 Flüsse mit diesen Namen sind weder aus dem Alten Testament bekannt, noch können irgendwelche sonstigen Flüsse sinnvoll damit verbunden werden.243 Es ist daher wohl nicht zu fragen, mit welchen Flüssen Pischon und Gichon identifiziert werden könnten, sondern, weshalb mit Pischon und Gichon gerade keine real existierenden Flüsse gewählt wurden.244 Dass es sich um erfundene Flüsse handeln könnte, scheint auch die 239 So etwa Westermann, Genesis, 299, der die „Zweckangabe“ ursprünglich in 2,8 verortet (so auch Carr, Subversion, 578 f.), wo sich die Feminin-Suffixe dann auf den Ackerboden bezogen hätten. Allerdings findet sich in 2,8 hm'd'a] gerade nicht. Auch etwa Pfeiffer, Baum, 490 und Blum, Gottesunmittelbarkeit, 18 Anm. 36 bekunden Probleme damit. 240 Vgl. Brockelmann, Syntax, §16g.: „In st.-cstr.-Verbindungen richtet sich das Genus des Regens manchmal nach dem des Rectum. Das masc. !G: ist in Verbindung mit dem als Landesnamen femininen !d,[e in !d,[e !G: Gn 2,15 fem.“ Vgl. 2Reg 4,39, wo das ansonsten feminine !p,G< maskulin wird in der Verbindung hd,f' !p,GT;, fallen. Das Wort zeigt schon an, dass das Folgende ein Geschehen übermenschlicher Natur ist.276 In diesem Tiefschlaf Adams entnimmt Gott dem Adam eine seiner Rippen, verschließt/füllt die entsprechende Stelle mit Fleisch, und baut (hnb) diese Rippe, die er von Adam genommen hat, zu einer Frau (aus). Die Herkunft der Materie, aus der die Frau gebildet wird, wird in 2,22 in dem Relativsatz ~d'a'h'-!mi xq:l'-rv,a] genannt, nachdem schon in 2,21 berichtet worden ist, wie die Rippe von Adam genommen wurde. Es besteht kein Grund, diese Herkunftsangabe zu streichen.277 Auch in 2,7 wird betont, woraus der Mensch geschaffen wird; 2,4b–6 sind Voraussetzung für die Erschaffung des Menschen (feuchte Erde steht zur Verfügung). Ebenso ist 2,21 Voraussetzung für die Erschaffung der Frau (die Rippe steht zur Verfügung). Dem Relativsatz in 2,22 entspricht in 2,7 somit hm'd'a]h'-!mi: Gott schafft die Menschen also in zwei Schritten: den Adam aus (Teilen) der Adama und die Frau aus (Teilen von) Adam. Die Herkunft der Schöpfungsmaterie ist jeweils klar benannt. Das Motiv „von … genommen/aus … gebildet“ begegnet darüber hinaus in 2,19a; 3,19aγ und insbesondere in 2,23.

von Gott autorisierte Sprache der Menschen zusammengehalten…“ AaO., 4. Zum Machtaspekt der Benennung vgl. etwa Schellenberg, Beobachtungen, 304 f. 274 Zu ~dalw s. o. Kap. 3.3.2. Wenn Levin, Jahwist, 85; Witte, Urgeschichte, 159.333 u. ö.; Kratz, Komposition, 254.256 Gen 2,20b der Grunderzählung absprechen, bleibt die Erschaffung der Frau oder zumindest ihre hervorgehobene Stellung unmotiviert (s. o. Kap. 3.2). Sie erscheint höchstens als Anhängsel zu den Tieren und wäre nur der zweite Teil der „Arbeitshilfe“. Der Text ist aber (von Anfang an) viel spannungsreicher: Die Tiere genügen gerade nicht zum Gegenüber für den Menschen. Darum wird die Frau erschaffen, denn nur sie ist das passende Gegenüber zum Mann (vgl. 2,23). 275 Vgl. Westermann, Genesis, 312 f. 276 Vgl. etwa Gen 15,12; Hi 4,13; 33,15; Jes 29,10 sowie Schüle, Image, 15 Anm. 31: „The Hebrew term occurs rather seldomly in the OT. It occurs in particular where God makes people fall into a state of complete faint and in which they, nonetheless, have especially deep revelatory experiences…“ 277 Gegen Levin, Jahwist, 85.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Literarische Analyse von Gen *2,4b–3,24

227

Anders als der Mensch/Mann und die Tiere wird die Frau nicht aus (Staub) der Erde geformt, sondern aus der Rippe des Mannes gebaut (hnb). Durch diese Herkunft vom Mann (vyaime) hat sie Anteil an all dem, was den Mann ausmacht, sie besteht ebenso wie dieser aus Gebein und Fleisch (2,23). Die andere Art und Weise und das andere Material der Erschaffung haben keine Auswirkungen auf die „Endgestalt“. Diese Gleichheit wird nun mit einem Wortspiel wiedergegeben: taZO-hx'q\lu vyaime yKi hV'ai areQ'yI tazOl.,278 und durch eine abgewandelte Form der „Verwandtschaftsformel“,279 tazO yrIf'B.mi rf'b'W ym;c'[]me ~c,[, ~[;P;h;,280 die eine tiefe Verbundenheit vom Redenden mit dem/der Angeredeten zum Ausdruck bringt. Der Ausdruck wird im Munde Adams zu einem „Jubelruf“, zu einer „herzlichen Bewillkommnung“ der Frau.281 Der Erzähler hat sich m.E. bewusst dieser Formel bedient, um die stoffliche Gleichheit zwischen Mann und Frau auszudrücken. Dies bestätigen die kleinen Unterschiede in der Verwendung der Verwandtschaftsformel in Gen 2,23 und sonst: Die Formel lautet sonst ymic.[; hT'a' yrIf'b.W (Gen 29,14; 2Sam 19,14); ynIa' ~k,r>f;b.W ~k,mec.[; (Ri 9,2); ^r>f'b.W ^m.c.[; Wnx.n"a] (2Sam 5,1; 1Chr 11,1); ~T,a; yrIf'b.W ymic.[; ~T,a; yx;a; (2Sam 19,13). Demgegenüber werden nur hier in Gen 2,23 Sprecher und Angeredete (und nur hier ist eine Frau angesprochen, sonst Männer oder ein Kollektiv) getrennt durch die Verdoppelung der Begriffe „Gebein“ und „Fleisch“, und nur hier wird die Herkunft des/der Angeredeten vom Sprecher angegeben durch die Präposition !mi: Die Frau ist Gebein von des Mannes Gebeinen (nur hier im 278 Dieses „Wortspiel“ ist eine volksetymologische Erklärung mindestens des Wortes hV'ai. Es wird hier abgeleitet von dem ähnlich klingenden Wort vyai (in der Übersetzung Luthers: „…man wird sie Männin nennen, weil sie vom Manne genommen ist.“). De facto besteht dieses Verhältnis nicht: Als Grundform von hV'ai ist wohl �antatu zu rekonstruieren (vgl. ̄ Ges18, 105). Von einer eigentlichen Benennung der Frau kann hier nicht gesprochen werden. Es wird erst ein Entsprechungs-/Abhängigkeitsverhältnis genannt. Die redaktionsgeschichtliche These von Levin, Witte und Kratz, 3,20 wäre direkt auf 2,22 gefolgt unter Auslassung von 2,23 und Gen 3* (s. o. Kap. 3.2 mit Anm. 42), wurde bereits in Kap. 3.2 zurückgewiesen. 279 Vgl. Reiser, Verwandtschaftsformel. Die Formel begegnet noch in Gen 29,14; Ri 9,2; 2Sam 5,1; 19,13.14; 1Chr 11,1. Davon zu trennen ist m.E. die „Bruder-Schwester-Anrede“ aus Ri 9,3.18 („du bist unser Stammesgenosse“ nach Reiser, aaO., 1) und aus Cant 4,9 f.12; 5,1: Diese, wie auch ebensolche Wendungen in ägyptischen Liebesliedern, drücken zwar auch eine innige Verbundenheit und eine gemeinsame Abstammung (auf literarisch-metaphorischer Ebene) aus, doch zeigen sie nicht ebenso die Herkunft von- bzw. auseinander an. Die Verbundenheit hier ist noch eine sehr viel intimere (gegen Müller, Mythische Elemente, 31 mit Anm. 101). 280 tazO bezieht sich hier auf die Frau, wie die dreifache Verwendung dieses Demonstrativums im Satz nahelegt (vgl. „das dreimalige entzückte ‚Diese‘“ bei von Rad, Genesis, 59). 281 Vgl. Reiser, Verwandtschaftsformel, 3 f.: Der Erzähler hat „… auf kaum bemerkbare Weise den alten Satz auf die neue Situation zurechtgebogen und ihm damit eine wörtliche Korrektheit verliehen. Das macht jetzt den Reiz des jubelnden Satzes aus, er ist der Herkunft nach eine gängige Formel, im Munde Adams aber Ausdruck höchster Freude und tiefster Intuition.“ Vgl. auch Schmidt, Erzählung, 13: „Man kann sich den Mann, als er die Worte spricht … nicht anders denken, als mit leuchtenden Augen und mit jubelnden Lippen.“

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

228

Die Paradieserzählung Gen *2,4b–3,24

Plural) und Fleisch von des Mannes Fleisch (yrIf'B.mi rf'b'W ym;c'[]me ~c,[,). Nur hier kommt zuerst die Angeredete in den Blick: „diese endlich“ (~[;P;h; tazO), wohingegen sonst das zur Verwandtschaftsformel gehörige Personalpronomen auf die Formel folgt.282 Besteht diese Gleichheit, kann auch hinsichtlich der Beseelung mit Lebensatem aus 2,7 kein Zweifel bestehen: Auch die Frau hat Anteil daran und ist ein „lebendiges Wesen“, hY"x; vp,nw: (zu beachten ist der Tempusunterschied). Desgleichen findet sich ein Bezug zu 3,16: Hier hängt der Mann seiner Frau an (qbd), dort verspürt die Frau „Verlangen“ (hq'WvT.) nach dem Mann. Beide Begriffe haben wohl erotischsexuelle Konnotationen, wie ihre Verwendungsweise in Gen 34,3 (qbd) oder Cant 7,11 (hq'WvT.)293 zeigt. Diese Konnotationen sind hier jedoch noch nicht auf der Ebene der Erzählung mitgegeben: Die Einsicht in die eigene Sexualität erlangen die Menschen erst nach dem Essen der Frucht vom Erkenntnisbaum. Der Vers, der etwas aus dem Erzählgefüge heraus fällt, wird daher wohl nicht vom zuvor redenden Adam gesprochen. Es wird von „Vater und Mutter“ geredet, obwohl von Sexualität und Fortpflanzung auf der Erzählebene bisher (noch) nicht gehandelt wurde.294 An der Ursprünglichkeit des Verses kann gleichwohl festgehalten werden.295 Die Querbezüge innerhalb des Textes wurden bereits genannt. Weiter spricht gerade der Charakter als Erklärung, als Ätiologie für die Ursprünglichkeit. Das begründende !Ke-l[; 291 Blum, Gottesunmittelbarkeit, 12. Allerdings zeigen obige Beispiele gegen Blum, dass es für dieses Motiv im Alten Orient durchaus Parallelen gibt. Wenn Kübel, Metamorphosen, 128 f. diese Deutung verwirft und die Erschaffung der Frau aus einer Rippe des Mannes lediglich als Abgrenzung der Frau von der „Mutter Erde“ interpretiert, kann er damit gerade nicht erklären, weshalb ausgerechnet eine Rippe Schöpfungsmaterie der Frau ist. Die hier vertretene Ableitung aus der Verwandtschaftsformel kann zumindest begründen, weshalb Knochen/Gebein Schöpfungsmaterie für die Frau ist. 292 So auch Blum, Gottesunmittelbarkeit, 12: „Eine diachrone Ausscheidung von V. 22[sic!; gemeint ist V. 23; W.B.] beraubt die Darstellung der Erschaffung der Frau also schlicht ihrer Pointe!“ S. o. Kap. 3.2. 293 Hier ist das Verlangen des Mannes nach seiner Geliebten gemeint. Ansonsten begegnet das Substantiv nur noch in Gen 4,7 – in direkter Aufnahme von 3,16 (s. u. Exkurs 4). 294 Vgl. auch Gerhards, Conditio, 210–214, der aber trotz des Nichtwissens um die eigene Sexualität des ersten Menschen V. 24 diesem in den Mund legt. 295 Etwa gegen Westermann, Genesis, 317; Levin, Jahwist, 88; Pfeiffer, Baum, 493. Ebenso für die Ursprünglichkeit plädieren etwa Gunkel, Genesis, 13; Blum, Gottesunmittelbarkeit, 19; Gertz, Adam, 224.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Literarische Analyse von Gen *2,4b–3,24

231

findet sich etwa auch in Gen 32,33, wo durch den Kampf am Jabbok begründet wird, weshalb die Israeliten den Hüftmuskel nicht essen.296 Hier ist es die ursprungsmythische Begründung der Geschlechtergemeinschaft und des gegenseitigen (vgl. 3,16) Verlangens nacheinander. Es wird hier, das ist zu betonen, nichts von den Menschen im Garten Eden berichtet (mit den Eltern ist die bekannte Ist-Welt im Blick), sondern (allgemein) von der Qualität der geschlechtlichen Liebe. Diese transzendiert die vorfindliche Welt: Dass der Mann bei der Eheschließung seine Eltern verlasse, entspricht nicht den Gegebenheiten des alten Israels. Die Frau ist es, die in der „realen“ Welt ihre Familie verlässt und dem Mann anhängt (vgl. Ruth 2,11). Gen 2,21–24 „…erklärt den staunenswerten Tatbestand, dass es in einer traditionalen Gesellschaft, in der Verwandtschaft die schlechthin grundlegende Kategorie für die Identität und Solidaritätsbildung der Individuen darstellt, eine andere Beziehung gibt, deren Intensität sogar die der engsten Blutsverwandtschaft, nämlich der von Eltern und Kindern, übertrifft: die Beziehung von Mann und Frau.“297 Es ist dann auch nicht verwunderlich, wenn eine ähnliche Gegebenheit gerade im Hohenlied berichtet wird: In Cant 3,4; 8,2 ist es die Frau, die ihren Bräutigam ins Haus der Mutter führt, „ins Gemach derer“, die die jetzige Braut gebar/die mit der jetzigen Braut schwanger war.298 Auch wenn wir es hier mit einem Erzählkommentar zu tun haben, lässt sich die Aussage auch auf den ersten Menschen beziehen: Jetzt, da er als sein Gegenüber seine Frau hat, wird er seinen „Erzeuger“, nämlich Gott, verlassen.299 Dass die Menschen aus dem Gottesgarten weichen müssen, wenn sie eine eigene Existenz aufbauen wollen und sollen, sagt der Text hier nach Gen 2,5bβγ bereits zum zweiten Mal: Das Leben der Menschen im Garten Eden ist von Gott nicht intendiert.

3.4.8 Gen 2,25: Die Nacktheit der Menschen Mit 2,24 kommt die (eigentliche) Erschaffung der Menschen (vorerst) an ein Ende. Sie sind nun ihrer Bestimmung gemäß in ihrer Zweiheit vereint. Gen 2,25 bildet den Übergang zu einem neuen Erzählzug (3,1 mit we-x-qāṭ al). Der Vers bereitet keine literarischen Probleme. Er schließt durch hyh an 2,24bβ an (nun wieder Narrativ) und bereitet mit dem Stichwort ~Ar[' „nackt“ den Vers 3,1 mit ~Wr[' „klug“ vor. 296 Es ist hier nicht relevant, ob die Tradition vom Kampf am Jabbok oder der Brauch, den Hüftmuskel nicht zu essen, älter ist. Wichtig ist, dass beide Traditionen miteinander verknüpft wurden. Für weitere Beispiele von !Ke-l[; vgl. Gunkel, Genesis, 13. 297 Blum, Gottesunmittelbarkeit, 19. 298 Zu vergleichen wären noch Jakobs Dienst bei Laban um Lea und Rahel in Gen 29–31 und Simsons Heirat mit einer Philisterin in Timna in Ri 14. 299 Vgl. Alonso-Schökel, Motivos, 307.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

232

Die Paradieserzählung Gen *2,4b–3,24

Berichtet wird im Folgenden, wie die Menschen Erkenntnis erlangen – und dabei die Möglichkeit verlieren, auf ewig zu leben. Gezeigt wird hier nicht – das ist im Hinblick auf die Rezeptionsgeschichte der Paradieserzählung als Erzählung vom „Sündenfall“, wo zwischen status originis/integritatis und status corruptionis unterschieden wird, deutlich zu betonen –, wie die Menschen in Eden gelebt haben. Es wird kein Bild eines „Urstandes“ gezeichnet, der von Gott den Menschen als eigentliche Daseinsweise zugedacht wäre und der das „reale Leben“ in seiner Qualität überträfe. Die Erzählung Gen 2 f. berichtet in keiner Weise, wie die Menschen in Eden gelebt haben: Es wird nicht von ihrer Arbeit berichtet (diese kommt erst in 4,2 ff. in den Blick), nicht davon, dass sie von den (erlaubten) Bäumen gegessen hätten; und als Menschen, als Paar haben sie nicht wirklich interagiert: In 2,23; 3,20 spricht Adam nicht mit seiner Frau, sondern zu ihr, respektive über sie; sämtliche Dialoge finden zwischen einem der zwei Menschen und Gott oder der Schlange statt, aber nicht zwischen den Menschen. Interaktionen finden nur statt im gemeinsamen Essen der verbotenen Frucht, dem gemeinsamen Machen von Kleidung, dem gemeinsamen Verstecken vor Gott und schließlich bei der Zeugung ihrer Nachkommen in 4,1 f. Nur Letzteres impliziert eine Dauer. Berichtet wird in Gen 2 und 3 somit nur, wie außerhalb jeglicher zeitlicher Konkretionen (vgl. das unspezifische ~AyB. von 2,4b) die Menschen geworden sind, wie sie auf Erden, in der realen Welt, sind. Ein tatsächliches Leben im Garten Eden hat nicht stattgefunden.300 2,25 benennt den – im Gegensatz zur Schlange in 3,1 oder zu den Menschen in 3,21 – defizitären Status der Menschen als Unbekleidete, den sie aber mangels besseren Wissens und Gewissens, also noch ohne Erkenntnis, nicht als solchen wahrnehmen. Dass sie sich nicht voreinander schämen

300 Anders wird dies erst in der Rezeption der Paradieserzählung gesehen, etwa im Jubiläenbuch (vgl. VanderKam, Jubilees; Berger, Jubiläen), wo schon die Benennung der Tiere (noch außerhalb des Gartens) mehrere Tage gedauert hat, und auch die Schlange erst nach sieben Jahren zur Frau kommt, die Menschen im Garten Eden also eine bestimmte Zeitspanne gelebt haben (vgl. auch die Ausmalung des Geschehens in John Miltons Paradise Lost von 1667/1674). Jub verbindet die priesterschriftliche und die nicht-priesterschriftliche Schöpfungserzählung miteinander: Der Garten Eden wird am dritten Tag der Weltschöpfung erschaffen. Die Tiere werden an den Werktagen der zweiten Woche zu Adam gebracht (hier auch die Wassertiere). Am sechsten Tag der zweiten Woche erschafft Gott die Frau aus der Rippe des Mannes; am sechsten Tag der ersten Woche wurden bereits die Menschen – als Mann und Frau – erschaffen. Sie werden dann, die Frau aus Reinheitsgründen später als der Mann, in den Garten Eden gesetzt. Berichtet wird nun, wie der Mensch und seine Frau sieben Jahre lang im Garten Eden leben, den Boden bebauen, den Garten vor wilden Tieren schützen/bewahren, Früchte essen, etc. Erst nach diesen sieben Jahren kommt die Schlange zur Frau und versucht sie. Die Menschen essen von der Frucht, gelangen zur Erkenntnis und werden folglich aus dem Garten Eden vertrieben – zusammen mit „allem Fleisch“. Zugleich verstummen die Tiere. Offenbar wollte Jub damit erklären, weshalb die Schlange in Gen 3 sprechen kann wie die Menschen. Erst nach der Vertreibung aus dem Garten benennt Adam seine Frau, erkennt sie und zeugt mit ihr Kinder.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Literarische Analyse von Gen *2,4b–3,24

233

(vwb; Hitpolel), mag noch zum „Lobpreis“ auf die intime Gemeinschaft zwischen Mann und Frau gehören, kann sich aber auch schon auf die „Erkenntnisszene“ 3,1–7 beziehen: Die Menschen haben grundsätzlich bekleidet zu sein (vgl. Gen 9,20–27), so schreibt es beispielsweise auch das Bundesbuch oder das dtr Gesetz vor – und zwar insbesondere, wenn die Menschen vor Gott treten: Ex 20,26; 22,25 f.; Dtn 10,18; 24,12 f.17; vgl. auch Gen 28,20 f. Im Alten Orient war Kleidung Ausdruck des gesellschaftlichen Status: Je mehr bzw. bessere Kleidung, umso größer der gesellschaftliche Status. Unbekleidet waren nur Gefangene, Deportierte, wie auf zahlreichen ikonographischen Darstellungen zum Ausdruck kommt.301

3.4.9 Gen 3,1–5: Die Versuchung durch die Schlange Mit 3,1 beginnt die literarisch einheitliche Verführungsszene 3,1–5. Unvermittelt erscheint die Schlange.302 Sie gehört zu den Tieren des Feldes, die YHWH Elohim gemacht (2,19), und die der Mensch benannt (2,20) hat. Mit der Schlange ist also keine überirdische Macht gemeint (etwa gar der Satan/ Teufel, wozu die Rezeptionsgeschichte die Schlange hat werden lassen), sondern eines der vielen von Gott geschaffenen Lebewesen (3,1aγ). Gegenüber den anderen Tieren zeichnet sich die Schlange durch ihre Klugheit aus (3,1a; vgl. Mt 10,16).303 Daher eignet sie sich gut als Gesprächspartnerin im Dialog um den Erkenntnisbaum.304 Zudem korrespondiert ~Wr[' „klug“ in 301 So kann akk. erû(m) auch „mit leeren Händen; leer“ bedeuten; vgl. CAD 4, 320 f. Das Gesagte gilt nicht für Ägypten. Vgl. zum gesamten Zusammenhang von Kleidung/Nacktheit und Status besonders Vogelzang/Bekkum, Clothing, 265–284 und s. u. Kap. 3.4.16. 302 Ich kann nicht nachvollziehen, weshalb es nach Seebass, Urgeschichte, 100 „grundlegend“ für „das Verständnis von Kap. 3“ sein soll, dass die Schlange im Hebräischen maskulin ist und daher im Deutschen als „der Schlang“ übersetzt werden sollte – oder als „Schlangerich“ nach Michel, Gott, 107.113 und Rottzoll, Schöpfungs- und Fallerzählung, 488.490 ff. Das grammatische Geschlecht der Schlange spielt in Gen 3 keine Rolle. So auch Gerhards, Conditio, 219. 303 ~Wr[' ist durchaus positiv zu verstehen, wie ein Blick in die Konkordanz zeigt (vgl. Prov 12,16.23; 14,8.15.18 u. ö.); vgl. Albertz, Gott, 97 mit Anm. 23; Schmid, Unteilbarkeit, 33 f. Es ist daher besser mit „klug“ zu übersetzen statt mit „listig“. Die sprichwörtliche Klugheit der Schlange steht auch im Hintergrund des Etana-Mythos (vgl. Haul, Etana; Foster, Muses, 533–554) und weiterer altorientalischer Texte. Die Zuschreibung von Klugheit an Schlangen dürfte wohl nicht zuletzt der Beobachtung „of that creature’s marvellous agility and stealthy movements“ entstammen (Lipiń ski, Wisdom, 40 f., hier 41). In Mesopotamien können die Schlangen denn auch mit dem Weisheitsgott Ea/Enki in Verbindung gebracht werden (vgl. Haul, aaO., 56 f.). Bechtel, Maturation, 17 f. nennt einen weiteren Grund für die Kombination von Schlange und Klugheit: Ob der Giftigkeit einiger Schlangen ist es klug, zwischen giftigen und nicht giftigen Schlangen unterscheiden zu können: „Knowledge is critical to the experience of the snake! Thus, the snake is a symbol of wisdom or discernment, particularly discernment of ‚good and bad‘. So the snake is an ideal symbol of the oppositional forces of life.“ AaO., 18. Vgl. auch Sawyer, Image, 66–68. 304 Vielleicht wurde durch die Beschreibung der Schlange als „klüger denn alle Tiere des Fel-

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

234

Die Paradieserzählung Gen *2,4b–3,24

3,1 mit ~Ar[' / ~Ary[e „nackt“ in 2,25; 3,7 (sowie 3,10.11): Die kluge Schlange wird zum Maieut, zum Geburtshelfer der Erkenntnis der Menschen. Die noch unklugen und nackten Menschen erlangen durch die „Verführung“ der Schlange Klugheit, Erkenntnis. Damit endet auch ihr Zustand der Unbekleidetheit: Sie machen sich selber Kleidung.305 Doch nicht nur das Weisheitsmotiv, sondern auch das Motiv des Lebens spielt hier mit: So sind es zwar die Schlangen, die in Num 21,4–9 die Israeliten beißen, bis „viel Volk“ gestorben ist, doch zur Heilung dient wiederum eine Schlange: Die eherne Schlange, deren Anblick Leben ermöglicht.306 Die Schlange – und nicht nur das Schlangenbild – ist also nicht nur Todbringer, sondern auch Lebensbringer (vgl. etwa die Äskulap-Natter). Bei der Suche von Gilgameš nach dem ewigen Leben entwendet ihm eine Schlange das „Lebenskraut“, frisst es und häutet sich daraufhin (Gilg XI 305–307). Der Schlange eignet also die Fähigkeit, sich zu regenerieren: Die Schlange bleibt ewig jung. Auch in anderen altorientalischen Texten (etwa im akkadischen EtanaMythos, im sumerischen Mythos Gilgameš, Enkidu und die Unterwelt [GiEn] oder in der ägyptischen Erzählung vom Schiffbrüchigen)307 sowie auf zahlreichen Abbildungen begegnet eine Schlange im Zusammenhang mit einem Baum und (einem) Menschen (auffallend oft – nackten – Frauen).308 des“ auch ihre Sprech-Fähigkeit erklärt. Die Rezeptionsgeschichte von Gen 2 f. zeigt auf jeden Fall, dass dies geklärt werden musste (s. o. Anm. 300 zu Jub). In der Tat begegnen Tiere äußerst selten als Handlungsträger im AT. Zu nennen ist neben der Schlange etwa Bileams Eselin. Ihr allerdings muss Gott den Mund erst öffnen, damit sie sprechen kann (Num 22,28). 305 Klugheit dürfte damit auch für „Bekleidetheit“ stehen; nackt ist hingegen, wer nicht klug ist. 306 Einen Konnex beider Texte zumindest in rezeptionsgeschichtlicher Hinsicht arbeitet Wénin, Serpent, bes. 551–554 heraus. Er betont zu recht, dass nicht die eherne Schlange, sondern das Aufblicken und damit wohl ein Gesinnungswandel der Israeliten Heilung bringt (vgl. aaO., 551 Anm. 10; 554). Zu Num 21,4–9 vgl. Schipper, Schlange, dessen antimagische Interpretation des Textes aber kaum überzeugt. Zum Schlangenblick vgl. Pientka-Hinz, Schlangenauge, die aaO., 179 auf die sog. „Schlangenaugensteine“ (aban īni ̣sēri) hinweist, die „explizit vor der von Schlangenblicken ausgehenden Gefahr schützen“ sollen, da ihre „Wirksamkeit auf dem Glauben der Abwehr durch Gleiches beruhte“. 307 Vgl. zu Etana Haul, Etana; Foster, Muses, 533–554; zu GiEn Shaffer, Sumerian Sources; Black/Cunningham/Robson/Zólyomi, Literature, 31–40; ETCSL 1.8.1.4 (vgl. George, Gilgamesh, 528–530.728–735); zum Schiffbrüchigen Blackman, Stories, 41–48; Lichtheim, Literature I, 211–215. 308 Vgl. Winter, Bildsymbolik, 72.77 f. mit Abb. 15.16; ders., Lebensbaum, 139 mit Abb. 3; Keel, Recht, 195–266, der die „Polyvalenz“ der Schlangen – so im Titel des Abschnittes – in der Ikonographie betont. Ähnlich polyvalent ist die Schlange auch in Gen 3. Bekannteste Darstellung dieser Art ist der sog. „Sündenfallzylinder“: Ein Siegelzylinder, der nach Delitzsch, Babel, 37 f. mit Abb. 39 einen Baum mit Früchten zeigt, um den herum ein Mann und eine Frau sitzen, die ihre Hände nach den Früchten ausstrecken. Hinter der Frau befindet sich eine Schlange. Nach Delitzsch handelt es sich hierbei um eine Darstellung des „Sündenfalls“. Allerdings: Bei dem „Mann“ handelt es sich um einen Gott, wie

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Literarische Analyse von Gen *2,4b–3,24

235

Dass das in Gen 3,1 ff. agierende Tier eine Schlange ist (und nicht irgendein anderes Tier), lässt sich also gut begründen. Die Frau zeigt sich denn auch nicht überrascht, dass sie von einer Schlange angesprochen wird.309 Die Polyvalenz der Schlange – ihr Gift kann töten oder Leben geben; die Schlange als Phallussymbol? – verbietet es aber, sie hier auf einen dieser Aspekte zu reduzieren (vgl. auch den ambivalenten Segensspruch Gen 49,17).310 die Hörnerkrone zeigt (Delitzsch interpretierte diese nur als „Symbol der Kraft“); die zweite Person kann nicht eindeutig als Mann oder Frau (oder doch auch als ein Gott?) bestimmt werden; auch entspricht ihre Handhaltung eher einem Redegestus (vgl. Weber, Siegelbilder, 110), als der Intention, die Früchte pflücken zu wollen (vgl. auch Budde, Urgeschichte, 75–79; Liwak, Bibel, 211–214; Zwickel, Altertumskunde, 122–124). Wenn auch die Interpretation als „Sündenfallzylinder“ sicher falsch ist, so zeigt diese Abbildung gleichwohl den Zusammenhang von Schlange, Baum und Menschen/Götter. Dass dieser Zusammenhang kulturübergreifend ist, zeigt etwa die Tradition der Hesperiden, die im fernen Westen (im Gegensatz zu ~d,Q, Gott YHWH. Dies hat theologische Gründe: Bei der Gleichheit mit Gott geht es allgemein um die Sphäre des bzw. der Göttlichen, um die Gleichheit mit (den) Elohim(wesen), in die die Menschen demnach gelangen können (vgl. 3,5b.22a). Es geht dagegen nicht um den spezifischen Gott YHWH: Eine YHWH-Gleichheit der Menschen gibt es nicht.335

3.4.10 Gen 3,6–7: Das Essen vom verbotenen Baum und die Erlangung der Erkenntnis Die genannten Vorverweise von der Verführungsszene auf 3,6, wo der Mann und die Frau von der Frucht essen, und 3,7(f.), wo ihnen die Augen geöffnet werden, und sie die Konsequenzen ihres Tuns erkennen, sowie die narrative Logik des Textes zeigen, dass auch diese Verse zum ursprünglichen Erzählganzen gehören.336 In Gen 3,6 sieht die Frau, „dass der Baum gut ist, zu essen“ (lk'a]m;l. #[eh' bAj yKi), und „dass er eine Augenweide ist“, begehrenswert, anzuschauen, dass er Verlangen auslöst (~yIn:y[el' aWh-hw"a]t; ykiw>) und dass schließlich „der Baum köstlich/begehrenswert ist hinsichtlich der Erlangung von Klugheit“ (lyKif.h;l. #[eh' dm'x.n). Die Aufzählung zeigt, wie hier 2,9aβ (lk'a]m;l. bAjw> ha,r>m;l. dm'x.n< #[e-lK') aufgenommen und erweitert wird. Neu gegenüber 2,9 ist lediglich die Funktion des Baumes als Erkenntnisbringer (lyKif.h;l). . Dies leitet sich aus 3,4 f. ab. Umstritten ist in 3,6 die zweite Nennung des Baumes (lyKif.h;l. #[eh' dm'x.n . Die Septuaginta lässt #[eh' weg. Dies ist aber eine inhaltliche Abflachung des Textes (s. o. Kap. 3.3.4). In 2,9 ist es eindeutig der gesamte Baumbestand, der begehrenswert (dm'x.nm;l.) der Bäume, die offenbar äußerst fruchtbar sind und auch so aussehen. Durch den Dialog 3,1–5 hat sich die Bedeutung des (genannten speziellen) Baumes für die Frau verändert: Er ist zwar wohl noch immer köstlich anzusehen, doch begehrenswert ist dieser Baum nun in erster Linie dadurch, dass er klug macht: Der Baum ist das Mittel zum Erwerb der Erkenntnis von Gut und Schlecht. Daher muss er auch im Text belassen werden. Eine Streichung ist nicht zu rechtfertigen.337 lyKif.h;l. zeigt an, weshalb die Men335 Vgl. Gunkel, Genesis, 24.29. S. o. Kap. 3.3.1 mit Anm. 72 f. 336 Vgl. etwa Witte, Urgeschichte, 161 ff.333 (für 3,1–19); Kratz, Komposition, 254.256 (für 3,6–13a). 337 Schüle, Prolog, 151 mit Anm. 397 streicht den Baum aus der Übersetzung und meint „… ‚verlockend‘ kann sich nicht wie in v. 9 auf den Baum beziehen… angesichts des Baumes erscheint der Erwerb von Erkenntnis von Gut und Böse verlockend“. Weshalb der Baum im (End-)Text steht, erklärt er nicht. Seiner Vermutung ist zu widersprechen (vgl. schon Kap. 3.3.4), da sich „verlockend“ selbst dann, wenn #[eh' gestrichen würde, auf diesen beziehen muss: dm'x.n< ist ausgehend von ar,Tew: (dieselbe Wurzel wie in 2,9: ha,r>m;l. dm'x.n< #[e-lK')

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Literarische Analyse von Gen *2,4b–3,24

243

schen vom Baum essen: Nicht, um zu werden wie Gott (auch wenn sich dies dann in gewisser Hinsicht einstellt), nicht aus Überheblichkeit, Hybris also, sondern allein, um Erkenntnis zu erlangen. Dies ist in alttestamentlicher Sicht ein legitimes und sogar erwünschtes Streben der Menschen (vgl. nur 1Reg 3,5–14).338 Die Frau nimmt von den Früchten dieses verlockenden Baumes, isst (davon) und gibt auch ihrem Mann, der bei ihr ist (HM'[i Hv'yail.-~G: !TeTiw:), davon zu essen. Von hier aus ergibt sich, dass der Mann wohl schon die ganze Zeit während des Dialogs zwischen der Schlange und der Frau dabei gewesen sein muss. Dies erklärt auch die verschiedenen Pluralformen. In der Frau die allein Schuldige am „Sündenfall“ zu sehen, weshalb sie dann vom Mann beherrscht werden müsse (vgl. 3,16), wie das die Auslegungsgeschichte oft gemacht hat, ist vom Textbestand her also nicht möglich. Wenn nicht auch der Mann bezaubert gewesen wäre von der Aussicht auf Erkenntnisgewinn, hätte er seine Frau daran hindern können, vom Baum zu essen. Weshalb hier der Frau der agierende Part zukommt, wurde bereits oben gesagt (s. o. Kap. 3.4.9). Beiden (~h,ynEv). gehen nun, 3,7 f., die Augen auf, wie die Schlange voraus gesagt hatte (3,5), und sie erkennen ihre Blöße, die in 2,25 bereits vom Erzähler konstatiert wurde.339 Der erste Schritt der Erkenntnis von Gut und Schlecht ist also die Selbsterkenntnis – zumindest ein Teil davon: Die Erkenntnis, dass die Menschen unbekleidet sind, und dass dies nicht gut ist. Dies wird zwar im Text nicht explizit gesagt, doch legen dies verschiedene, bei 2,25 bereits genannte inneralttestamentliche Parallelen sowie die Fortsetzung des Geschehens nahe: Sie binden Feigenblätter340 zusammen und abhängig von yKi in #[eh' bAj yKi oder aWh-hw"a]t; ykiw>, steht also in beiden Fällen im Zusammenhang mit dem Baum (bzw. „ihm“). 338 S. o. Kap. 3.4.9 mit Anm. 326. Vgl. Stoebe, Gut und Böse, 200; Albertz, Gott, 97 f.; Schellenberg, Erkenntnis, 243; Schmid, Unteilbarkeit, 34. 339 Zu beachten sind die zwei verschiedenen Lexeme für „nackt“: ~wOr[' (Pl.: ~yMiWr[]) in 2,25 und ~roy[e (Pl.: ~Miruy[e) in 3,7.10 f. Beide Lexeme stammen von der Wurzel hr[; ein semantischer Unterschied scheint nicht vorhanden zu sein. Gleichwohl entsprechen den zwei „verschiedenen Status der Nacktheit“ zwei „verschiedene Status der Bekleidung“ (Hartenstein, Beobachtungen, 278): Zunächst die von Menschenhand gefertigten Schürzen aus Feigenblättern, dann die von Gott gemachten Kleider aus Fell bzw. Tierhaut. Hier ist aber nicht zu viel hinein zu interpretieren. Es geht nicht um einen „unbefleckten Urstand“ und einen „befleckten Sündenstand“. Der Unterschied zwischen 2,25 und 3,7 liegt lediglich darin, dass die Menschen jetzt wissen, dass sie nackt sind. Auch scheint mir die „Trennungsthese“ Hartensteins (vgl. aaO., 288 f.) nicht zutreffend zu sein. Er meint, die Menschen agieren nur bis zum „Fall“ gemeinsam, danach, nach der noch gemeinsamen Erkenntnis, aber nur noch jeder für sich. Die Erzählung spricht aber deutlich andere Worte: Eine Interaktion der Menschen findet sich erst mit dem gemeinsamen Essen von der Frucht und dem gemeinsamen Umgang mit den Konsequenzen daraus (s. o. Kap. 3.4.8). So machen (Pl.) sie sich gemeinsam (Pl.: ~h,l') Kleidung – und nicht etwa jeder für sich; die nackten Menschen verstecken sich nicht voreinander, sondern gemeinsam vor Gott (hier steht das Verb zwar im Singular; es werden aber Mann und Frau genannt). 340 Ergibt sich von hier eine Antwort auf die Frage nach der Art des Baumes, von dem die

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

244

Die Paradieserzählung Gen *2,4b–3,24

machen sich so Schurze, behelfsmäßige Kleidungsstücke.341 Erkenntnis von Gut und Schlecht impliziert damit auch eine Handlungskompetenz: Die Menschen erkennen, woran es ihnen mangelt, und sie versuchen, diesen Mangel zu beheben. Es bleibt freilich bei dem Versuch, denn die Nacktheit ist mit dieser provisorischen Bekleidung nicht wirklich behoben, die Menschen fühlen sich noch immer schutzlos – und Gott ausgeliefert. Darum fürchten sie sich vor ihm (3,10).342 Dem wird erst durch die Intervention Gottes, durch die göttliche Gnadengabe in 3,21, abgeholfen. Menschen verbotenerweise gegessen haben? Die Rezeptionsgeschichte hat bald einen Apfelbaum daraus werden lassen, die verbotene Frucht als Apfel gedeutet. Der hebräische Text sagt nichts davon. Äpfel kommen freilich besonders in der Liebespoesie, mit der die Paradieserzählung verschiedene Berührungen aufweist, oft vor, etwa in Cant 2,3.5; 7,9; 8,5 (neben dem Feigenbaum etwa in 2,13). Die Identifizierung der verbotenen „Frucht“ mit einem Apfel dürfte wohl im 5. Jh. in Gallien entstanden sein und der Volksfrömmigkeit entspringen (dagegen ist die Herleitung über das Wortspiel malum „Apfel“ und malum „Übel“ bzw. malus „Apfelbaum“ und malus „schlecht“, vertreten etwa bei von Rad, Genesis, 64, wohl zu verwerfen; vgl. Leder, Arbor, 176–189). Anders als von einem Apfel spricht der hebräische Text hier nun aber explizit von einem Feigenbaum. Handelt es sich bei der verbotenen Frucht also um eine Feige? Auch diese Ansicht wurde vertreten, beispielsweise in einer Rezension des syrischen „Testament Adams“ (vgl. Robinson, Testament, 74 f. Abschnitt 4). Nach Budde, Paradiesesgeschichte, 56 verdankt die Banane „einem grotesken Gedanken“ den Namen Ficus paradisiaca. So heißt denn die Banane, Musa x paradisiaca, im Volksmund auch „Adamsfeige“. Als „Adamsapfel“ wird zuweilen auch die Grapefruit (Citrus paradisi) bezeichnet. Doch: Die Spekulationen über die verbotene Frucht sind abzubrechen: Der Text gibt keinen Hinweis darauf, und für die Erzählung ist die Art der Frucht völlig nebensächlich. Es geht dem Text nur um die Wirkung, die von dieser Frucht ausgegangen ist. 341 trogOx] sind eigentlich nur „Gürtel“ (von rgx „gürten“). Die Menschen binden sich wohl einige Feigenblätter um die Hüften und versuchen damit, ihre Scham zu bedecken (wie es in der Rezeption der Erzählung in der Kunst immer wieder zu sehen ist) – was mit einem „Gürtel“ natürlich nur bedingt gelingen kann. Schon durch die Wortwahl wird hier also das Ungenügen der menschlichen Kleidung ausgedrückt (in Jes 3,24 ist freilich der Gürtel noch die bessere Variante zum „Strick“). Nach Krüger, Sündenfall?, 103 könnte es sich hier auch um eine Ätiologie der Schambehaarung handeln. Levin, Jahwist, 88 schreibt 3,7b einem „schamhaften Ergänzer“ zu, „der es nicht litt, die sündigen Menschen in ihrer Blöße Gott gegenübertreten zu sehen“. Dies ist m.E. nicht der Fall: Die Nacktheit wird in der Paradieserzählung nie nur konstatiert, es folgt darauf immer eine Fortsetzung (nur in der Rede Gottes ist einzig die Nacktheit im Blick, da sie als Merkmal für die Erkenntnisbegabung dient: 3,11): 2,25: Die Menschen sind zwar nackt, schämen sich aber nicht dafür; 3,10: Adam ist nackt, daher fürchtet er sich und versteckt sich; und so gehört der Nachsatz 3,7b auch zur Konstatierung der Nacktheit in 3,7a dazu: Die Menschen erkennen, dass sie nackt sind – und handeln entsprechend, um dies zu ändern. Auch die zweite Bekleidung der Menschen durch Gott in 3,21 widerspricht dem nicht: Die von den Menschen aus dem erstbesten Material hergestellte Bedeckung der Blöße kann diesen noch keinen ganzkörperlichen Schutz, keinen Status, geben: In 3,10 nehmen sie sich noch immer als nackt wahr und verstecken sich. Daher macht Gott – als Gnadenakt – den Menschen aus Tierhaut/Fell (damit könnte die Tötung von Tieren impliziert sein, wenn denn nicht an die Haut der sich häutenden Schlange gedacht ist: So TJ zu 3,21) richtige Kleidung. 342 In dieser Linie steht auch Gen 4: Kain hat nach Gen 3 Erkenntnis von Gut und Schlecht, kann aber noch nicht entsprechend handeln, bzw. wählt statt des Guten das Schlechte. Vgl. Schüle, Prolog, 188: Der Mensch „ist ein zu Erkenntnis und entsprechendem Handeln

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Literarische Analyse von Gen *2,4b–3,24

245

3.4.11 Gen 3,8–13: Das Verhör Gottes Gen 3,8 bildet den Übergang zur Verhörszene in 3,9–13:343 Die nur provisorisch bekleideten Menschen verstecken sich vor dem im Garten spazierenden Gott. Dieser ergeht sich zur „Abendbrise“344 (vgl. Cant 2,17; 4,6) in seinem Garten, wie ein König seinen Lustgarten genießt. ~yhil{a/ hw"hy> lAq muss nicht die Stimme bedeuten, sondern kann einfach für irgendwelche Geräusche stehen, die der lustwandelnde Gott erzeugt (etwa die Schritte, vgl. 2Sam 5,24). Erst in 3,9 wird dieses Geräusch konkretisiert und auf die Stimme festgelegt: Gott ruft (arq) den Menschen und spricht (rma) zu ihm. Die Verse 3,8–13 bilden durch zahlreiche Verknüpfungen eine kompositorische Einheit und enthalten keine literarischen Brüche: Gott sucht den Menschen (hK'Yh; tyfi[' taZO-hm; hV'ail' ~yhil{a/ hw"hy> rm,aYOw:).347 Die Begründung mittels Gebrauch der Präpositionen bei rma (so die genannten Untersuchungen) ist nicht plausibel. Der Befund hierzu ist zu wenig eindeutig,348 um Gesetzmäßigkeiten daraus ableiten zu können, die eine redaktionsgeschichtliche Schichtung rechtfertigen würden.349 345 So von Rad, Genesis, 65. Auch die Annahme einer Trennung zwischen Mann und Frau („Vereinsamung“ durch den „Verrat“ des Mannes; ebd.), ist im Hinblick auf 3,20 nicht textgemäß. 346 So etwa Levin, Jahwist, 82–86.90 f.; Kratz, Komposition, 256.263; Pfeiffer, Baum, 493 f. 347 Dass die Schlange nicht befragt wird, ist hingegen weniger problematisch. Die Erzählung handelt primär von den Menschen, nicht von den Tieren. Die Tiere kommen nur dort in den Blick, wo sie Auswirkungen auf die Menschen haben – so dann auch wieder in den Strafworten über die Schlange. 348 Drei Belege von rma mit la mit nicht-göttlichem Redner (3,1.2.4), zwei Belege von rma mit la mit Gott als Subjekt (3,14.16) – von den genannten Untersuchungen einer Bearbeitung zugerechnet – und drei Belege von rma mit l mit Gott als Subjekt (3,9.13.17). Unplausibel werden diese Rekonstruktionsversuche angesichts des Befundes in dem von Gen 2 f. nicht zu trennenden Kapitel Gen 4: la rma begegnet mit göttlichem Subjekt in 4,6*.9 und mit Kain als Subjekt in 4,8.13; l rma mit Gott als Subjekt in 4,15 und mit Kain als Subjekt in 4,23. Es ist also von bewusster Variation in der Textgestaltung durch den Erzähler auszugehen, und nicht von einer redaktionellen Schichtung. Dagegen meint Pfeiffer, Baum, 493 f., dass außerhalb der Strafsprüche die Gottesrede stets (also zweimal) mit l rma konstruiert wird, dass daher ursprünglich l rma nur mit göttlichem Subjekt, la rma hingegen nur mit nicht-göttlichem Subjekt vorkomme (allerdings: Ebenso viele Belege wie für l rma außerhalb der Strafworte finden sich für la rma mit göttlichem Subjekt in den Strafworten). Pfeiffer weist weiter darauf hin, dass bei den Strafsprüchen an die Frau und an den Mann 3,16.17 ff. „invertierte Formulierungen“ vorliegen („und zu der Frau/zu dem Mann sprach er“) im Gegensatz zur Einleitung des Spruches über die Schlange 3,14 („und YHWH Elohim sprach zur Schlange“). Dies empfindet er als „formale Ungereimtheit[…]

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Literarische Analyse von Gen *2,4b–3,24

247

Statt solcher Spekulationen ist vielmehr auf die inhaltliche Kohärenz von 3,13–19 zu verweisen. Alle drei Strafsprüche nehmen das bisher Geschehene auf und verweisen gegenseitig aufeinander. So beschränken sich die einzelnen Sprüche nicht auf die Bestrafung des jeweils Angesprochenen, sondern verbinden die drei involvierten Parteien in einem Leidenszusammenhang. Jeder Strafspruch umfasst eine Einzelstrafe für den Angesprochenen und eine Gemeinschaftsstrafe, insofern die an der Gebotsübertretung „beteiligten Wesen nun in einem von gegenseitiger hbya (‚Feindschaft‘) geprägten Schuld- und Strafverhältnis stehen“.350 Nach dem Verweis der Frau auf die Schlange als Verführerin351 in 3,13 fällt konsequenterweise der Fokus auf diese: 3,14 markiert den Übergang von der Verhörszene zu den Strafworten mit der Konstatierung taZO t'yfi[' yKi. Darauf folgt die Fluchformel hT'a; rWra'. Der Erzähler macht somit klar, dass Gott mit der Schlange spricht, wie er zuvor mit den Menschen gesprochen hat (Verhör), dass er sie aber nicht nach ihrer Beteiligung an der Gebotsübertretung befragt. Den Text interessieren nur die Menschen. Dies ist auch theologisch von Bedeutung: Das Verhör in 3,9–13(.14aα*) zeichnet in umgekehrter Reihenfolge das Geschehen von 3,1–6 nach und bleibt da stehen, wo der Text dort begonnen hat: bei der Schlange. Nach ihrer Motivation wird nicht gefragt. Es wird letztendlich also nicht gesagt, weshalb der Mensch ist, wie er ist: sterblich, aber wissend.352 in den Sprucheinleitungen“. Seine eigene Rekonstruktion ergibt dagegen tatsächlich eine „formale Ungereimtheit“ (um eine solche handelt es sich im Endtext de facto nicht; vgl. schon Willi-Plein, Sprache, 8 f. mit Anm. 24), denn 3,13a (von ihm angenommene Einleitung zum Strafspruch über die Frau) ist nicht invertiert, 3,17a hingegen schon. Die zu 3,17 passende invertierte Sprucheinleitung in 3,16 streicht er als sekundär heraus wegen seines zweiten Argumentes mit den Präpositionen. 349 So auch Witte, Urgeschichte, 162 f. 350 Witte, Urgeschichte, 163. Zu literarischer Gestaltung, Inhalt und traditionsgeschichtlichem Hintergrund der Fluch- bzw. Strafsprüche Gen 3,14–19 vgl. auch Schottroff, Fluchspruch, 85–92.141–147.152 f. und passim, der 3,14–19 allerdings anders als hier als „jahwistische Interpretamente“ versteht, die er von der Überlieferungsgeschichte von Gen 2–3 trennt (vgl. aaO., 147). 351 avn (II; hiph) bedeutet so viel wie „betrügen, täuschen“ (so HALAT3, 687 f.). Ein „Betrug“ liegt hier nicht vor, da die Schlange recht behalten hat (vgl. Gen 3,22; s. o. Kap. 3.4.4; 3.4.9 mit Anm. 318). Eher ist von „Täuschung“ zu reden, da die Schlange den Menschen nicht die ganze Wahrheit, nämlich nicht die Konsequenzen ihres Tuns, genannt hat. Zu vergleichen ist arab. našiya (von nšy/w; vgl. Wehr, Wörterbuch, 1276) „berauscht/betrunken sein/werden“. „Berauschen“ umschreibt den Vorgang in 3,1–5 wohl besser als „täuschen“: Die Schlange hat in den Menschen das Verlangen nach Erkenntnis geweckt (3,6). Die Übersetzung mit „versuchen“ oder „verführen“ hat also durchaus Berechtigung. 352 Insofern ist das ganze Geschehen von Gen 3 durchaus schicksalshaft. Dieser Terminus wird in der Exegese gerne den altorientalischen Parallel-Texten zugesprochen, wohingegen für Gen 2 f. das bewusste Agieren/Entscheiden der Menschen betont wird. Allerdings ist fraglich, wie bewusst dieses menschliche Handeln in Gen 2 f. vor Erlangung der Erkenntnis von Gut und Schlecht tatsächlich sein konnte. Auch bestehen in vergleichbaren mesopotamischen Texten durchaus Möglichkeiten zur freien Wahl, so etwa bei Adapa, der vom Himmelsgott ausdrücklich „Lebensspeise“ vorgesetzt bekommt, diese aber bewusst nicht

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

248

Die Paradieserzählung Gen *2,4b–3,24

Verflucht wird in 3,14 die Schlange, weil sie in der Frau/den Menschen das Bedürfnis nach der verbotenen Frucht hat entstehen lassen. Die Begründung Gottes taZO t'yfi[' yKi bezieht sich auf die vorherige Nennung der Schlange in 3,13 (ynIa;yVihi vx'N"h); . Die Schlange wird anders als im Folgenden die Menschen direkt verflucht (hT'a; rWra'). Dieselbe Strafe ereilt erst wieder Kain, der verflucht wird „weg vom Ackerboden“ (hm'd'a]h'-!mi hT'a' rWra'; 4,11). So wie Kain den fruchtbaren Ackerboden verlassen muss, um unstet auf der Erde (#r (von hrh „empfangen“) wird oft als störend empfunden und für sekundär gehalten.362 Es ist aber fraglich, weshalb ein nur hier belegtes Substantiv (also kein Allerweltswort) eingefügt werden sollte, um dem Satz den Sinn zu geben, den er durch Teilvers b (~ynIb' ydIl.Te bc,[,B.) ohnehin hat: Es geht um die Mühen der Schwangerschaft und Geburt. Der Text ist also zu belassen,363 „Empfängnis/Schwangerschaft“ bezeichnet die Konkretion von 359 Vgl. dazu und insgesamt zur Auslegung als „Prot(o)evangelium“ die Darstellung bei Westermann, Genesis, 354 f. und s. o. Kap. 3.3.4 zu 3,15. Alternativ zur messianischen Deutung begegnet auch die „ethische“, „die in der Schlange eine dämonische Macht des Bösen verkörpert sieht und die Feindschaft in 3,15 auf den Kampf des Menschen mit dieser Macht des Bösen deutet.“ AaO., 355. Eine messianische Deutung, bei der Christus den Teufel besiegt, findet sich nebst etwa Apc 12 noch bei Delitzsch, Genesis, 173–176 und wieder bei Mende, Sieger, 92.118–121 und passim. 360 Vgl. auch Kap. 3.3.4 mit Anm. 163. 361 Vgl. auch Westermann, Genesis, 350 f. 362 „Einzelwortglosse“ nach Levin, Jahwist, 88. 363 So auch Westermann, Genesis, 254.356. Vgl. auch GKB §154a Anm. 1b; Cassuto, Genesis, 150.165. Zu verweisen ist auf die logische Abfolge von Schwangerschaft und Geburt; nicht nur die Geburt selber ist schmerzhaft und von Beschwernissen begleitet, sondern

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Literarische Analyse von Gen *2,4b–3,24

251

„Mühsal; Beschwernis“. %nErohew> %nEAbC.[i ist wohl als Hendiadyoin zu verstehen.364 3,16b ist nicht, oder zumindest nicht einseitig, als Strafe zu sehen. Die Begierde der Frau nach dem Manne hier (%teq'WvT. %veyai-la,w>) entspricht der Begierde des Mannes nach der Frau in 2,23.24. Der Vers drückt also die gegenseitige Liebe der Menschen und das (auch) sexuelle Verlangen nacheinander aus. Er steht hier nach dem eigentlichen Strafwort, weil Schwangerschaft und die damit verbundene Mühsal nur durch sexuelle Vereinigung erfolgt, dieses Verlangen also Voraussetzung für die Realisierung der Strafe darstellt. Wer aber diese gegenseitige Begierde als Strafe bezeichnet, wird nicht nur den atl Texten, beispielsweise dem Hohenlied, nicht gerecht. Von Cant 7,11 her, wo neben Gen 3,16 und (als Zitat davon) 4,7 hq'WvT. nur noch belegt ist, lässt sich denn auch diese Lesart bestätigen.365 Auch %B'-lv'm.yI aWhw> ist nicht einfach als „Herrschaftsauftrag“ des Mannes über die Frau zu lesen – auch wenn in der patriarchalen Gesellschaft des alten Israel die Männer de facto über die Frauen geherrscht und verfügt haben (betont anders in 2,24). Denn einerseits wird dem Mann nirgends ein entsprechender Auftrag erteilt (3,16 ist an die Frau gerichtet), und andererseits ist lvm nicht ausschließlich unter einem negativen (Gewalt-)Aspekt zu verstehen. lvm hat vielmehr auch die positive Bedeutung des „sorgen für“ (vgl. etwa Gen 24,2; 45,8.26).366 Der Gemeinschaftsaspekt in der Strafe der Frau tritt also deutlich zutage: Nur durch das an sich durchaus positive Verhältnis zwischen Mann und Frau ereilt diese ihre Strafe. Die Verbindung der Strafe von Schlange und Frau wurde in 3,15 bereits hergestellt; auch dort ist die Fortpflanzung im Blick.

3.4.14 Gen 3,17–19: Der Strafspruch über den Mann Der Strafspruch über den Mann,367 3,17–19, ist der ausführlichste. Auch er nimmt inhaltlich wie terminologisch Bezug auf die anderen Strafen. Aufgenommen wird in 3,17aα die Tat des durch die Frau angestifteten Mannes von 3,6b, in 3,17aβγ das Verbot von 2,17 (mit hwc aus 2,16) und das Verhör auch die Schwangerschaft. Zu den Schmerzen der Geburt vgl. 1Chr 4,9 f., wo der Name Jabez (#Be[.y:) dadurch erklärt wird, dass seine Mutter ihn unter Schmerzen (bc,[oB). gebar. 364 So auch Westermann, Genesis, 356. Weitere Deutemöglichkeiten bei Dieckmann, Mühsal; Novick, Pain. 365 Vgl. Schüle, Prolog, 196: „Der Begriff [hqwvt] bezeichnet demnach Zärtlichkeit und die Erotik geschlechtlichen Verlangens. Von Hoh 7,11 her gelesen, ist in Gen 3,16 also kaum von weiblicher Unterwürfigkeit die Rede.“ In Gen 4,7 ist wohl die brüderliche Zuneigung gemeint (s. u. Exkurs 4 Anm. 422). 366 Das deutsche Wort „herrschen (über)“ hat negativere Konnotationen als lvm. Es ist daher am besten mit Schüle, Prolog, 151 zu übersetzen: „Auf deinen Mann soll dein Begehren gerichtet sein, und er soll für dich sorgen.“ Vgl. auch aaO., 175 f. 367 Zu ~dalw s. o. Kap. 3.3.2.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

252

Die Paradieserzählung Gen *2,4b–3,24

von 3,11. 3,17a ist die Begründung des in 3,17b ff. folgenden Fluches über den Ackerboden um des Menschen willen (^r,Wb[]B; hm'd'a]h' hr"Wra]). Wieder sind es Mühen (!AbC'[i wie in 3,16), die die Menschen treffen. Beim Mann nun die Mühen der täglichen Arbeit als Ackerbauer und Ernährer seiner Familie und seiner selbst.368 Als Strafe für das Essen vom Baum, von dem zu essen verboten war, wird hier – nach dem Muster der Spiegelstrafe – die Beschwernis des Essens von (den Erzeugnissen) der Erde festgelegt. Gemeint ist damit die Nahrungsbeschaffung, also der Ackerbau (und übertragen wohl allgemein die Arbeit). Diese Beschwernisse sind an sich unbegrenzt, sie dauern die ganze Lebensspanne der Menschen an – und werden durch die ganze Menschheitsgeschichte weitergegeben –, solange der Mensch ein lebendiges Wesen ist: „Alle Tage deines Lebens“ (^yY lKo). Dieses Leid wird aber zeitlich begrenzt durch die Festlegung der nun mehr unausweichlichen Sterblichkeit der Menschen (3,19aβγb). In 3,18.19aα wird das bisherige Verhältnis des/der Menschen zur fruchtbaren Erde gestört. Statt Kraut des Feldes (2,5) und fruchtbarer Bäume (2,9) sind es hier Dornen und Disteln, die hervorgehen aus der verfluchten Erde und den Menschen die Arbeit erschweren (%l' als dativus incommodi). Wieder wird auf die Essensthematik rekurriert: Nicht wie im Garten Eden von den Früchten der Bäume, sondern vom Kraut des Feldes soll sich die Menschheit ernähren, also unmittelbar von den Erzeugnissen der verfluchten Erde. Insofern unterscheiden sich die Menschen nicht mehr von den Tieren (vgl. das Schicksal Nebukadnezzars in Dan 4,22.29.30). Mit dem priesterschriftlichen Speisegebot Gen 1,29 hat 3,18b außer der Tatsache, dass die Menschen sich auch von Grünzeug im weitesten Sinne ernähren, nichts zu tun. Von einer Abhängigkeit kann nicht gesprochen werden,369 dafür ist die Terminologie zu unterschiedlich.370 3,19 hält fest, dass diese geminderten Daseinsbedingungen bestehen, bis der Mensch wieder zu Staub wird, zur Erde zurückkehrt, von der er genommen ist. Dabei meint das „Essen des Brotes im Schweiße deines Angesichtes“ allgemein das mühevolle Arbeitsleben, doch wird wiederum der Essens368 De facto haben auch die Frauen beim Ackerbau mitgeholfen (vgl. die Beispiele bei Dieckmann, Mühsal, 29 f.). Die Erzählung legt Mann und Frau aber fest auf ihre „primäre“ Funktion in der Lebenserhaltung der Menschheit: Die Frau ist Lebenserhalterin, indem sie weiteres Leben hervorbringen kann, der Mann ist Lebenserhalter, indem er für den Lebensunterhalt aufkommt. Beide Aufgaben sind schmerzhaft und lassen Schweiß auf die Stirn treten. Wie den Mann von der täglichen Arbeit auf dem Feld so ereilen auch die Frau in ihrer Schwangerschaft etwa Rückenschmerzen. Eine Abwägung der Schwere der Strafen von Mann und Frau gegeneinander wird dem Text nicht gerecht. 369 Vgl. aber Arneth, Fall, 106–109.232; ders., Art. Urgeschichte, 826. Vorsichtig Levin, Jahwist, 89. Dazu s. u. Kap. 4.4.3. 370 hdh' awhi in 3,20; hieran knüpft auch die Benennung Sets mit arq

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Exkurs 4 zur Brudermorderzählung und Kainitengenealogie Gen *4,1–26 265 Gen 4 handelt von einer Auflehnung unter den Menschen (4,8), wohingegen sich die Menschen in Gen 3 gegen Gott bzw. gegen Gottes Gebot gewandt haben. Das Verhör Kains durch YHWH und die Bestrafung Kains in 4,9–15 entspricht in ihrer Komposition der Verhör- und Strafszene in 3,9–19(.21).419 Aus diesem Erzählkomplex fällt die erste Gottesrede an Kain, 4,6 f., heraus: Innerhalb von Gen 4 ergeht sie ohne Konsequenzen (seitens von Kain): 4,8 folgt mit fataler Logik auf 4,5 – als ob Gott nie mit Kain gesprochen hätte. In der vergleichbaren Abfolge von Vergehen-Verhör-Bestrafung in Gen 3 hat sie kein Gegenüber: Gott richtet sich erst nach dem Vergehen an die Menschen. Schließlich lässt sich 4,6 f. mühelos aus dem Kontext ableiten: 4,6a entspricht wörtlich 4,9aα; 4,6bα korrespondiert 4,5bα (hrx); 4,6bβ korrespondiert 4,5bβ (lpn + ~ynp + Personalsuffix); 4,7a nimmt mit bjy / bwj Bezug auf die Erkenntnis von Gut und Schlecht aus Gen 2 f.420 und expliziert 4,5b;421 4,7b nimmt 3,16b interpretierend auf. Damit spricht vieles dafür, dass Gen 4,6 f. sekundär der Erzählung hinzugewachsen ist.422

und der Begründung mittels Namensetymologie (mit zweifachem yKi wie in 3,19) in 4,25 an. Spielte schon in Gen 2 f. das Konzept der Spiegelstrafe eine tragende Rolle (s. o. Kap. 3.4.12 mit Anm. 355 u. ö.), so kennt auch Kain dieses Tat-Folge-Prinzip, wenn er fürchtet, wie sein Bruder erschlagen zu werden (vgl. grh in 4,8.14; vgl. 4,15.23.25). Die Aufzählung ließe sich fortsetzen. 419 yae in 4,9 entspricht hK'Ym,i dar. LXX nennt Kains ́ (4,3.5), Abels Gabe dagegen ein „Geschenk“, δῶρον (4,4). Gabe ein „Opfer“, θυσια In MT „sieht YHWH auf“ (la h[v) Abel und seine Gabe, auf Kain und seine Gabe sieht er aber nicht (la h[v al). LXX lässt Gott dagegen Abels Geschenk „gnädig ́ χειν. Wenn Kain ansehen“, ἐ πεῖδον, Kains Opfer jedoch nicht „beachten“, προσεσ schon nicht ein Geschenk, sondern „nur“ ein Opfer, und auch das nicht rite, darbringt, kann die Nicht-Beachtung durch Gott nicht verwundern – auch Kain selber nicht, der anders als in MT nicht von Zorn ergriffen wird, sondern (einsichtig) in Trauer verfällt (4,6) und nach dem (gleichwohl) erfolgten Brudermord seine Schuld erkennt und als unvergebbar bezeichnet (4,13). „Damit bietet die LXX eine Version der Geschichte, die Gott aus jedem Zwielicht herausrückt, ein willkürlicher Herrscher zu sein oder ein Richter, der mit sich über das Urteil handeln läßt.“432 Mit nur einer möglichen Ausnahme kann mit hoher Wahrscheinlichkeit vom überlieferten masoretischen Text als Textgrundlage ausgegangen werden: In 4,8 ist nicht mit Sicherheit zu entscheiden, ob mit MT und 4QGenb433 zu lesen ist, oder ob der in Smr, LXX, Vg, TN, TJ und Syr überlieferte Zusatz „Lass uns aufs Feld

431 So mit Gertz, Adam, 234 f., der nebst 4,6 f. noch 4,16b für einen Nachtrag hält (vgl. ebd. und aaO., 231 mit Anm. 46) und gegen einen Gutteil der Forschung, der mit einer mehrstufigen Entstehung von Gen 4 rechnet: Vgl. etwa Dietrich, Bruder (kenitische Überlieferungen: 4,1.17–22; 4,15b; 4,23–24a; 4,24b; antikenitische Erzählung: 4,…3b–5.8*.9–10.12.16*; vorjahwistische Kombination beider vorausgehender Überlieferungen mit Erweiterung um 4,2.8b.25 f.; jahwistische Redaktion: 4,6 f.11.13–15); Witte, Urgeschichte, 61–65.151– 155.166–171.176 f.192.333 f. (Grundschicht: 4,1abα.2aβ*b.3–5*.8b…17a.18–21.22a*; „jahwistische“ Bearbeitung: 4,1bβ.2aαβ*.6–7.8a.9–16.22b(v.l.)23–24; RUG: 4,22b.25–26; dazu !hblxmw in 4,4a als Glosse). 432 Rösel, Übersetzung, 111. Vgl. insgesamt zur Rezeption der Erzählung in LXX Rösel, aaO., 100–120; Wevers, Notes, 51–67 sowie zur jüdischen Rezeption etwa Vermes, Targumic Versions; García Martínez, Eve’s Children; Erzberger, Kain. 433 Vgl. 4QGenb (DJD XII, 31 ff. Pl. VI–VIII) Frgm. 3 i 8.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Fazit zu Kapitel 3

269

gehen!“ (hdXh hkln / διελ́ θωμεν εἰ ς τὸ πεδιό ν) als ursprünglich zu werten ist.434 Der Befund in den Versiones lässt Letzteres zwar wahrscheinlich erscheinen, doch kann Ersteres nicht ausgeschlossen werden, da entgegen verbreiteter Meinung rma auch ohne den berichteten Redeinhalt verwendet werden kann, wie etwa Jon 2,11; Ex 19,25; 2Sam 21,2; 2Chr 1,2; 32,24 zeigen. Die Emendation in BHS ist daher philologisch unnötig.435 Da der Sinn der Aussage mit oder ohne Zusatz verständlich ist, könnte der Zusatz eine Explikation und damit lectio facilior darstellen. Da – nebst LXX etc. – auch Smr einige bewusste Abweichungen gegenüber MT auch in diesem Kapitel aufweist (vgl. 4,10.11.25), ist bis zum Erweis des Gegenteils am überlieferten masoretischen Text festzuhalten. Ohne im Rahmen dieses Exkurses eine Detailexegese von Gen 4 ausführen zu können,436 kann im Folgenden eine Gesamtinterpretation der Eden-Menschwerdungs-Erzählung Gen *2,4b–4,26 versucht werden.

3.5 Fazit zu Kapitel 3 Das vorliegende Kapitel hat sich der Frage nach Entstehung und Intention der Paradieserzählung gewidmet: Der forschungsgeschichtliche Abriss zur Frage der Entstehung von Gen *2,4b–3,24 (s. o. Kap. 3.1) hat die älteren quellen- und überlieferungskritischen Modelle sowie die (eher) jüngeren redaktionsgeschichtlichen Modelle und die Thesen der literarischen (und überlieferungsgeschichtlichen) Einheitlichkeit der Erzählung dargestellt. Sodann wurde die Ausgangsthese dieses Kapitels, die in Kapitel 3.4 ausführlich begründet wurde, in Kapitel 3.2 kurz dargestellt: die These der (weitgehenden) literarischen und überlieferungsgeschichtlichen Einheit von Gen *2,4b–3,24. Ausgenommen hiervon ist aller Wahrscheinlichkeit nach nur die nachgetragene Paradiesgeographie 2,10–14, die durch 2,15 wieder in 434 Alternativ wurden verschiedene Emendationen vorgeschlagen (vgl. etwa Gunkel, Genesis, 44; Golka, Gnade, 63), die allerdings nicht überzeugen können. 435 Etwa gegen Dietrich, Bruder, 160 mit Anm. 10 f. (nicht auf Textkritik festgelegt); von Loewenclau, Genesis, 182 f.; Rösel, Übersetzung, 101.108; ders., Value, 69 f.; Hendel, Text, 46 f.128 f.; Schüle, Prolog, 178 mit Anm. 486; Arneth, Fall, 147 mit Anm. 144; 153– 155; Gerhards, Conditio, 263 Anm. 249. Mit (unbestimmtem) Textausfall rechnen etwa auch Procksch, Genesis, 45.48; von Rad, Genesis, 75.77; Westermann, Genesis, 384.411; Seebass, Urgeschichte, 143 f.154. Dagegen arbeiten etwa auch folgende Autoren begründet mit MT: Jacob, Genesis, 140; Willi, Ort, 104 mit Anm. 15; Janowski, Eden, 279 f.; Heyden, Sünde, 100 f. Vgl. auch die Überlegungen von LaCocque, Onslaught, 51–62, der auf die Beredsamkeit von Kains Schweigen abzielt. Angesichts der oben genannten Vergleichsstellen ist der Verweis auf „das Vorhergehende“ als Redeinhalt bei Jacob (gemeint ist dann die Wiedergabe der Gottesrede 4,6 f.) bzw. die Deutung von rma hier als „Signifikationsbegriff“ und die Umschreibung des Redeinhaltes durch „anaphorisches ‚es‘“ bei Janowski und Heyden kaum zwingend: Man kommt nicht umhin, rma hier und in Jon 2,11; Ex 19,25; 2Sam 21,2; 2Chr 1,2; 32,24 statt mit „(etwas) sagen“ mit „sprechen“ zu übersetzen, das im Deutschen keinen mitgeteilten Redeinhalt erfordert. 436 Vgl. hierzu bes. Schüle, Prolog, bes. 178–212; LaCocque, Onslaught.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

270

Die Paradieserzählung Gen *2,4b–3,24

den ursprünglichen Erzählfluss eingefügt wurde. Die Zuweisung von 3,24 entweder an die ursprüngliche Paradieserzählung oder an die auf Jerusalem ausgerichtete Ergänzung 2,10–15 kann nicht mit Sicherheit erfolgen, beides scheint möglich. Des Weiteren dürfte hY"x; vp,n< in 2,19b eine Glosse sein. Die hauptsächlichen Spannungen der Erzählung dagegen, etwa das Nebeneinander zweier Bäume im Garten Eden oder das Nebeneinander von Schöpfungs- und Paradieserzählung, sind weder literarkritisch (gleichgültig ob quellenkritisch oder redaktionsgeschichtlich) noch überlieferungsgeschichtlich zu erklären, sondern sind durch den polymorphen traditionsgeschichtlichen Hintergrund und die Aussageintention der Erzählung bedingt. Die textkritische Untersuchung hat gezeigt, dass der überlieferte masoretische Konsonantentext eine zuverlässige Ausgangsbasis für die Exegese darstellt (s. o. Kap. 3.3). Dagegen dürfte die masoretische Vokalisation in drei Fällen eine jüngere Deutung gegenüber dem ursprünglichen Text darstellen: Da die Masoreten Adam als Eigennamen verstehen, haben sie in Gen 2,20b; 3,17.21 – den drei einzigen Stellen, wo sie den Konsonantentext nicht ändern mussten, um ihre eigene Deutung anzubringen – ~dal(w) ohne Artikel gelesen (s. o. Kap. 3.3.2). Nebst der textkritischen Analyse wurde in Kapitel 3.3.1 auch gezeigt, dass die Doppelbezeichnung ~yhil{a/ hw"hy> in Gen 2 f. wohl literarisch ursprünglich ist. In Kapitel 3.3.3 wurde die Bedeutung des Garten Edens als Ort des Überflusses, Wonnegarten, Lustgarten bestimmt. Da der Erzählbogen nach der Vertreibung aus dem Garten Eden weiterführt in die Landschaft Eden und von dort in weitere Bereiche der Erde, womit zugleich auf der Zeitachse der Übergang von der Urgeschichte in die Menschheitsgeschichte dargestellt wird, wurde auch die schon ursprünglich mit Gen 2 f. verbundene Erzählung von Kain und seinen Nachkommen kurz analysiert (s. o. Exkurs 4). Hier kann nun der theologische Gehalt der so bestimmten Edenerzählung, Gen 2,4b–9.16–19(ohne hY"x; vp,n)< .20–25; 3,1–23.24(?); 4,1–5.8–26, abschließend genauer bestimmt werden: Insgesamt berichtet die Edenerzählung Gen *2,4b–4,26 über das Dasein und Sosein der Menschen auf Erden mit allen seinen dunklen Seiten, aber auch mit den vorhandenen Möglichkeiten: Gen 4 führt dabei aus, was die (sterblichen) Menschen mit der erlangten Erkenntnis von Gut und Schlecht erreichen können – im Positiven wie im Negativen. Dabei ist nicht zu übersehen, wie die Erzählung zunehmend zur Menschheitsgeschichte wird: Ist in allen drei Kapiteln der Gottesname YHWH (Elohim) zwar ungefähr gleich oft belegt, so ist Gott als Handlungsträger aber v. a. in Gen 2 tätig, in Gen 3 bereits weniger und in Gen 4 schließlich tritt er gegenüber den menschlichen Aktivitäten deutlich in den Hintergrund.437 Auch mit den Genealogien 437 Nur vier Verben berichten noch von Gottes Handeln: rm,aYOw: in 4,9.10.15 und ~f,Y"w: in 4,15 (rm,aYOw: aus 4,6 ist – mit dem ganzen Vers zusammen – wohl sekundär; s. o. Exkurs 4).

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Fazit zu Kapitel 3

271

in 4,17–26 wird der Übergang von der Urgeschichte um Adam und Eva zur Menschheitsgeschichte gestaltet. Erst mit dem „neuen Menschen“, Enosch statt Adam, werden der Kontakt und die Nähe zu Gott wieder intensiviert durch die Anrufung des Namens Gottes (4,26). Es wurde – zu Recht – schon oft darauf hingewiesen, dass sich die Menschen am Ende von Gen 2–3 in der Situation von Ackerbauern im alten Israel/Palästina befinden.438 Wenn statt des Bebauens des Ackerbodens allgemein die Arbeit gemeint sein kann, dann steht am Ende von Gen 2–3 tatsächlich der Mensch, wie er war und ist auf Erden: Sterblich, aber erkenntnisbegabt und damit fähig, sein beschwerliches Leben auf Erden zu bewältigen – freilich nicht ohne dieses Leben auch genießen zu können – in der Zweisamkeit von Mann und Frau und durch die Erbringung von Kulturleistungen (im weitesten Sinne). Wie bereits festgestellt (s. o. Kap. 3.4.8), berichtet die Paradieserzählung über den vorfindlichen Menschen und nicht über einen imaginären (in der Rezeption dann aber tatsächlich imaginierten) UrMenschen und dessen Leben: Die Menschen im Garten Eden führen kein Eigenleben, sie sind in ihrem Tun und Lassen zu guten Teilen fremdbestimmt (durch Gott oder die Schlange) – bis sie von der Erkenntnisfrucht gekostet haben und langsam anfangen, ihr Leben selber zu bestimmen. Alles, was über sie berichtet wird, weist auf das Leben jenseits dieses Gartens, auf die reale Welt, hin. Die Paradieserzählung will dafür, wie der Mensch ist, eine Begründung geben. Wie der Mensch auch noch sein könnte oder einmal hätte gewesen sein können, interessiert die Paradieserzählung nur im Modus der Imagination. Berichtet wird damit nicht etwa, wie die Menschen im Paradies ihr ihnen von Gott zugedachtes Leben verwirkt hätten: Definiert wird von Anfang an als Aufgabe des Menschen die Bebauung der Erde (2,5b). Dieser Bestimmung können die Menschen aber nur außerhalb des Garten Edens gerecht werden. Das uneigentliche, denn irreale, Leben wäre somit das im Garten Eden. Hier hätten die Menschen zwar potentiell Leben auf ewig, aber das, was die Menschheit ausmacht, ginge ihnen völlig ab: Erkenntnisbegabung und damit Fortpflanzung und (i.w.S.) Kultur.439 Die Gegenwelt des Garten Edens440 ist damit ebenso ambivalent gezeichnet, wie das reale Leben auf dem Ackerboden. Gen 3 berichtet also nicht von einem „Fall“ aus einem „kostbaren Paradies“ in eine „defiziente

438 Vgl. etwa Gunkel, Genesis, 33; Koch, Adam, 184; Schmid, Unteilbarkeit, 25 mit Anm. 27; Hartenstein, Orte, 37–39; Gerhards, Conditio, 191 f. und Gertz, Adam, 230: „In diesem Sinn erzählt die Paradieserzählung von ihrem Ausgang her. Sie ist an den vorfindlichen Grundgegebenheiten des menschlichen Lebens und ihrer urgeschichtlichen Entstehung interessiert, weniger am Urstand selbst.“ 439 Vgl. Schüle, Image, 17: „The garden of Eden is not paradise, it does not mark an ideal state of existence because in two respects it does not allow for what is essential to human life: the knowledge of good and bad – which means wisdom as a source of human creativity – and the ability to bring forth future generations.“ 440 Zum Begriff der Gegenwelt vgl. bes. Stolz, Paradiese und Gegenwelten.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

272

Die Paradieserzählung Gen *2,4b–3,24

Lebenswelt“.441 Der Garten Eden ist letztlich eine unmögliche Möglichkeit, denn ein Leben auf ewig ist für den Menschen nicht realisierbar. Der Garten Eden ist kein Paradies, er repräsentiert eine nur denkbare, eine nur als Imagination mögliche, aber letztlich gänzlich irreale Gegenwelt, die die Menschen verlassen müssen: Genauso wie der Mann seine Erzeuger verlässt und seiner Frau anhängt (2,24), so verlassen die Urmenschen ihren Erschaffer (s. o. Kap. 3.4.7). Gegenüber dem uneigentlichen Leben im Garten Eden erfordert das nicht unbeschwerliche und unkomplizierte Leben auf Erden eine Planungsfähigkeit und verschiedene Fertigkeiten. Diese erlangen die Menschen durch das Essen von der Frucht des Erkenntnisbaums. Dass die Menschen Erkenntnis haben und erwerben, wird im ganzen Alten Testament als positiv bewertet. So auch hier – wenn auch die Erkenntnis von Gut und Schlecht bedeuten kann, dass das Schlechte gewählt wird: der Brudermord. Auf jeden Fall bestätigt Gott selbst, dass die Menschen geworden sind wie die Götterwesen hinsichtlich der Erkenntnis (3,22). Dagegen bezeichnet Gott das Sein der Menschen nach der Gebotsübertretung nicht als defizitär oder gar sündhaft: Sie haben göttliche Möglichkeiten durch die Erkenntnis, und das Sein der Menschen ~yhil{aKe mit Erkenntnis wird von Gott nicht etwa als schlecht betrachtet und als den Menschen uneigentliche Daseinsweise – Gott macht denn auch nicht etwa rückgängig, was geschehen ist. Bezeichnenderweise wird erst beim Brudermord (und auch dies erst im Endtext, 4,6 f. ist redaktionell) von Sünde, taJ'x;, gesprochen: Nur die Verfehlung gegenüber einem Menschen wird demnach als Sünde bezeichnet, nicht aber das Übertreten des Gebotes von Gott.442 Und dies hat einen guten Grund: Vor der Erlangung der Erkenntnis von Gut und Schlecht kann Sünde als solche nicht erkannt werden. Die von Jugend an (8,21), seit je her, schuldverstrickten Menschen können nur angesichts der ihnen bewussten positiven Alternative (4,6 f.; vgl. 4,13) sündigen. Die Sünde wird in Gen 3 zwar möglich, aber erst in Gen 4 wirklich.443

441 Vgl. etwa Crüsemann, Autonomie, 67–70; Spieckermann, Ambivalenzen; Schmid, Unteilbarkeit, 34 f.; Schellenberg, Erkenntnis, 242–244; Hartenstein, Orte, bes. 37– 39.43 f.; Bauks, Reflections, 142 und bes. Stolz, Paradiese und Gegenwelten, 41 f., der folgende Änderungen der „charakteristischen Lebensbedingungen“ zwischen dem Leben im Garten Eden und dem Leben außerhalb dieses Gartens feststellt: Leben ohne Tod → Dynamik von Leben und Tod; nackt, akulturell → bekleidet, kulturell; Lebensunterhalt: Sammeln → Lebensunterhalt: Ackerbau; asexuell → sexuell; Harmonie zwischen den Geschöpfen → Disharmonie; gemeinsames Leben Mensch/Gott → Trennung Gott/Mensch; matrilineare Heirat (was Stolz an 2,24 festzumachen versucht) → patrilineare Heirat; unzurechnungsfähig → zurechnungsfähig. Stolz folgert daraus: „Die Zusammenstellung macht deutlich, dass der ‚Sündenfall‘ nicht einfach eine Entwicklung vom Positiven zum Negativen darstellt. Vielmehr markiert das Paradies eine ‚Gegenwelt‘, in welcher charakteristische Merkmale der Realität geradewegs ins Gegenteil verkehrt sind.“ AaO., 42 (Herv. W.B.). 442 Vgl. bes. Crüsemann, Autonomie, 67–70. 443 Vgl. Heyden, Sünde, 103–107.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Fazit zu Kapitel 3

273

Mit anderen Worten: Gen 2–3 ist keine Erzählung vom „Sündenfall“. Weder wird hier von Sünde gesprochen noch von einem Fall.444 Gen 2–3 ist vielmehr eine Ätiologie des menschlichen Lebens auf Erden.445 Angesichts der Sterblichkeit der Menschen setzt die Erzählung diesem „Makel“ die Erkenntnisbegabung als positive Größe entgegen. Beides zugleich kann der Mensch nicht erlangen, dies ist Gott vorbehalten. Die Paradieserzählung handelt also im Wesentlichen davon, dass sich Gott und die Menschen unterscheiden hinsichtlich des Lebens: Gott/die Götterwesen lebt/leben „auf ewig“, die Menschen hingegen sind sterblich.446 Die Frage nach Leben und Sterben war äußerst zentral im Alten Orient. Auch außerhalb des Alten Testaments begegnet das Leben auf ewig (für die Menschen auf Erden) nur als unmögliche Möglichkeit, der aber als dem Menschen durchaus zugängliche Kontingenz-Bewältigung die Erkenntnis entgegen gesetzt wird: So besonders in den Erzählungen um Gilgameš und Adapa.447 Das Thema der Sünde ist dem Text damit nur nebensächlich. Es wird vorausgesetzt, dass die Menschheit auch schuldverstrickt – gegenüber sich selbst und gegenüber Gott – ist. Auf eine Erklärung wird aber verzichtet – sowohl in Gen 2 f. (die unklaren Intentionen von Gott und der Schlange, die positiv konnotierte und erwünschte Erkenntnis, die aber nur durch eine Gebotsübertretung erlangt wurde) als auch in Gen 4 (das von Gott ohne genannten Grund nicht angesehene Opfer als Auslöser des Bruderzwistes). Die Differenz zwischen Gott und Mensch wird auch dadurch deutlich, dass die Menschen von Anfang an gegen das Gebot Gottes verstoßen. Die Menschen sind damit am Ende von Gen 3 nicht nur gottähnlich hinsichtlich der Erkenntnis, sie haben sich auch in Distanz zu ihm gebracht, sich von ihm entzweit. Dieser zunehmenden Distanzierung von Gott, wie sie im räumlichen Bereich durch die Vertreibung der ersten Menschen aus dem Garten Eden und Kains „weg vom Angesicht Gottes“ dargestellt wird, wird aber am Ende des Erzählkomplexes die neuerliche Zuwendung zu Gott entgegen gestellt: Mit dem „neuen Menschen“, Enosch, beginnt eine neue Art der Beziehung der Menschen zu Gott (4,26).

444 Vgl. dagegen Ez 28 (s. u. Kap. 4.5). 445 Vgl. etwa Schmid, Unteilbarkeit, 32 und Blum, Urgeschichte, 436, der die Urgeschichte insgesamt als „paradigmatisch akzentuierte Ätiologie der conditio humana“ versteht, in der die „Voraussetzungen menschlicher Geschichte“ behandelt werden. 446 Wenn Gen 6,1–4 als innerbiblische Schriftauslegung verstanden werden kann (vgl. Bührer, Göttersöhne), die u. a. Gen 3,22 explizierend aufnimmt, dann bestätigt auch der späte Text Gen 6,1–4 diese Lesart der Paradieserzählung. 447 S. o. Anm. 219.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

4. Das kompositionsgeschichtliche Nebeneinander von Gen 1,1–2,3 und Gen *2,4b–3,24 und die relativ-chronologische Einordnung von Gen 2 f. Auch wenn Gen 1–3 in der uns überlieferten Fassung mit etwas gutem Willen als Einheit gelesen werden kann, in der Gen 1 von der Erschaffung der Welt und der Menschen berichtet, und Gen 2–3 insbesondere den Tag der Erschaffung der Menschen genauer beschreibt, fallen einige Unterschiede inhaltlicher und sprachlicher Art auf, die nahe legen, Gen 1,1–2,3 und Gen *2,4b–3,24 unterschiedlichen Verfassern zuzuschreiben: So unterscheiden sich etwa die Zustände vor dem Schöpfungshandeln Gottes: ungeordnete, von Wasser überschwemmte, in Dunkelheit gehüllte Erde in Gen 1 und unwirtlich-trockener, sodann von einem Grundwasserstrom durchzogener Ackerboden in Gen 2. Auch die Reihenfolge der Schöpfungswerke ist unterschieden: In Gen 1 werden Mann und Frau zusammen als letztes Schöpfungswerk erschaffen, in Gen 2 findet sich die Abfolge Mann-Tiere-Frau. Weiter unterscheiden sich die sprachliche Ausgestaltung – formelhafter Bericht in Gen 1 und fortschreitende Erzählung in Gen 2 f. – sowie die Wortwahl insgesamt: Darunter fallen nicht zuletzt die unterschiedlichen Begriffe für die Schöpfungshandlungen und damit die unterschiedlichen Schöpfungskonzeptionen – Schöpfung durch das Wort und die hinzu tretende Tat in Gen 1 mit (u. a.) dem abstrakten Terminus arb in 1,1.21.27(3x); 2,3 und die konkrete Konzeption eines Machens (hf[), Töpferns (rcy) und Bauens (hnb) in Gen 2 f. – und die unterschiedlichen Gottesvorstellungen: Der souveräne, der Welt distanziert gegenüber stehende Schöpfergott in Gen 11 und der mit den Menschen interagierende, die Menschen am Schöpfungswerk beteiligende YHWH Elohim in Gen 2 f. Hinzu kommen die unterschiedlichen Gottesbezeichnungen. Das sog. Gottesnamenkriterium ist zwar kein hinreichendes Kriterium für die Quellenscheidung im Tetrateuch (vgl. nur Gen 17,1P). Jedoch kann aufgrund der Differenz der Gottesbezeichnungen in Gen 1 (~yhil{a/) und Gen 2 f. bzw. 2–4 (hw"hy> ~yhil{a/; hw"hy>; ~yhil{a)/ in Kombination mit den weiteren genannten Differenzen an der Zuschreibung der Kapitel auf unterschiedliche Autoren festge-

1

Nach der Erschaffung und Segnung der Menschen zieht sich Gott in gewisser Weise von den Menschen und der Welt zurück, hält seinen Schöpfungssabbat und überlässt die Welt sich selbst, bis er, Jahrhunderte später, plötzlich das Übel auf Erden sieht (Gen 6,12). Vgl. Schüle, Prolog, 102–106. Ausgenommen von dieser „Gottesferne“ sind nur herausgehobene Gestalten, die „mit Gott wandeln“: Henoch (5,21–24) und Noach (6,9).

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

276

Relativ-chronologische Einordnung von Gen 2 f.

halten werden.2 Trifft obige redaktionsgeschichtliche Analyse zu Gen 2,4a zu (s. o. Kap. 2.4), dann wurden beide Texte, die priesterschriftliche und die nicht-priesterschriftliche Schöpfungserzählung, sekundär miteinander verknüpft mit nur diesem (Teil-)Vers. Gen 2,4a kann keinem der beiden Autoren zugewiesen, sondern muss auf eine dritte Hand, den Redaktor, zurückgeführt werden. Dass beide Texte auf unterschiedliche Verfasser zurückgehen, besagt freilich noch nichts über ihr Verhältnis zueinander: Welcher der beiden Texte ist älter? Hat der jüngere Text den älteren gekannt und sich zu ihm in irgendeiner Weise ins Verhältnis gesetzt? Hat er ihn positiv als Traditionsstoff oder gar als Text aufgenommen? Hat er sich von ihm distanziert? Wollte er ihn ersetzen oder ergänzen? Der in der gegenwärtigen Forschung zunehmende Trend zur Spätdatierung der nicht-priesterschriftlichen Texte auch der Urgeschichte lässt die beiden Textcorpora3 einander chronologisch zunehmend näher rücken – bis dahin, dass die nicht-priesterschriftlichen Texte nach-priesterschriftlich datiert werden. Im Folgenden soll die aktuelle Debatte zur Datierung bzw. zum relativ-chronologischen Verhältnis beider Texte zueinander dargestellt (s. u. Kap. 4.1.2) und problematisiert werden. Dabei ist zu prüfen, ob Gen 2 f. tatsächlich spätweisheitlich, deuteronomisch-deuteronomistisch und priesterschriftlich beeinflusst und entsprechend zu datieren ist (s. u. Kap. 4.2–4.4). Entsprechend der Anlage dieser Arbeit soll insbesondere die Beziehung zur priesterschriftlichen Urgeschichte diskutiert werden: Es ist zu untersuchen, ob die Texte in irgendeinem kompositionellen oder strukturellen Beziehungsgeflecht zueinander stehen (s. u. Kap. 4.4.1; 4.4.2), und ob die Bild-Gottes-Thematik, die in Gen 1 als Gottesebenbildlichkeit des Menschen explizit begegnet (1,26 ff.), und auf die in Gen 2 f. möglicherweise angespielt wird, die Kenntnis des einen beim anderen Text oder einen Diskurs beider Texte bzw. Traditionen voraussetzt (s. u. Kap. 4.4.3). Nach der kritischen Evaluation der gegenwärtig vertretenen relativ-chronologischen Einordnung von Gen 2 f. mithilfe von weisheitlichen, dtn/dtr und priesterschriftlichen Texten muss auch ein Blick auf Hi 15,7 f.; Ez 28 (Ez 31) geworfen werden, da beide Texte oft als weitere alttestamentliche Belege der Tradition vom Urmenschen (in Eden) betrachtet werden (s. u. Kap. 4.5). Zunächst aber ist die Frage nach der methodischen Auswertung von Text-Text-Bezügen zu stellen.

2

3

Diese Einsicht gehört mit zu den Anfangsgründen der Pentateuchforschung im 18. Jahrhundert, die mit den Namen Witter und Astruc verbunden sind: Vgl. Astruc, Conjectures und hierzu etwa Gertz, Astruc; Gibert, Intuition. Zu Witter vgl. Lods, Précurseur; Bardtke, Witter; Gibert, ebd. Für die nicht-priesterschriftlichen Texte auch der Urgeschichte müsste – angesichts der gegenwärtigen Forschungslage – ein größerer literarischer Zusammenhang freilich erst nachgewiesen werden.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Vorüberlegungen zur relativ-chronologischen Einordnung von Gen 2 f.

277

4.1 Vorüberlegungen zur relativ-chronologischen Einordnung von Gen 2 f. 4.1.1 Text-Text-Relationen und die Methodik ihrer Auswertung Die Problematik gegenwärtiger Datierungsversuche ist offensichtlich: Bezugnahmen zwischen Texten können immer in die eine oder andere Richtung erfolgen, wenn nicht durch eine klare absolute Datierung die literarhistorische Abfolge der einzelnen Texte feststeht. Da die external evidence hierzu vergleichsweise schmal ist, soll gerade der kompositionsgeschichtliche Befund zu einer relativen Chronologie der Priesterschrift und der nichtpriesterschriftlichen Texte in der Urgeschichte beitragen – um im besten Fall von da aus weitergehend zu einer absoluten Chronologie vorstoßen zu können. Die möglichen Bezugnahmen zweier Texte aufeinander sind also immer in beide Richtungen zu prüfen: Ein gemeinsames Detail4 kann von A aus B übernommen worden sein, von B aus A, oder aber es geht auf gemeinsame Traditionen zurück, ohne dass A von B oder B von A abhängig ist (zumindest in diesem einen Detail) – was aber nicht heißt, dass der eine Text den anderen nicht dennoch gekannt hat. Erst wenn mehrere gemeinsame Details für die eine Richtung der Bezugnahme sprechen, kann eine solche auch ernsthaft postuliert werden. Bei nur einem geteilten Detail kann es sich auch um zufällige Übereinstimmung handeln, etwa um eine geteilte Tradition oder ein Motiv, das nur in A und B überliefert ist.5 Da Abhängigkeiten immer in die eine oder andere Richtung erfolgen können, muss bei Postulierung einer Abhängigkeitsrichtung immer auch die umgekehrte Abhängigkeitsrichtung auf ihre Plausibilität hin geprüft werden. Solche Gegenproben tragen zwar nicht gerade zum argumentativen Fortgang einer Untersuchung bei, sind für die Frage nach Text-Text-Relationen und damit schließlich für redaktionsgeschichtliche Thesen aber unumgänglich.6

4 5

6

„Gemeinsames Detail“ steht hier möglichst offen für geteilte Traditionen, Erzählzüge, Gestaltungen, Formulierungen etc. Vgl. Krause, Exodus, 47 zum „‚kanonistische[n]‘ Missverständnis“, der „mangelnden Berücksichtigung des Sachverhalts …, dass alttestamentliche Texte in vielfältiger Weise auf Texte und Diskurse (gesellschaftsinterne ebenso wie externe) bezogen sind bzw. sein können, die nicht vollständig im Alten Testament dokumentiert sind.“ Vgl. auch Edenburg, King, 71; Carr, Intertextuality, 520–526 und passim. Umso mehr erstaunt, dass in jüngeren Publikationen zur Urgeschichte bei Ansetzung eines die Forschungsgeschichte umwendenden Abhängigkeitsverhältnisses auf Gegenproben weitestgehend verzichtet wird. Vgl. etwa Bosshard-Nepustil, Sintflut, der, Vertreter eines P→nP-Modells, lediglich aaO., 211 Anm. 134 formuliert: „Umgekehrt, im Sinn einer Gegenprobe: Ich kenne keinen Fall in Gen 1–11, wo ein P-Text einen nP-Text zwingend voraussetzen würde.“ Eine Gegenprobe ist dies freilich nicht.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

278

Relativ-chronologische Einordnung von Gen 2 f.

Bei Ähnlichkeiten zwischen Texten ist somit in einem Zweischritt zu verfahren:7 1.) Liegt überhaupt eine intertextuelle Bezugnahme vor? Und wenn ja: 2.) In welche Richtung läuft die Bezugnahme, bzw. welches ist der gebende, welches der nehmende Text? Dabei geht es bei der Frage nach der relativ-chronologischen Einordnung mittels Textbezügen um Beziehungen im produktionsästhetischen Sinne – und nicht um Beziehungsetzungen im rezeptionsästhetischen Sinne.8 Letzteres ist zwar auch möglich (s. o. die Einleitung zu Kap. 4) und wird in (insbesondere oder ausschließlich) an der überlieferten Textgestalt argumentierenden (sog. Endtext-)Analysen auch gemacht.9 Die hier anvisierte redaktionsgeschichtliche Thesenbildung ist aber maßgeblich auf Diachronie angelegt. 1.) Intertextuelle Bezüge: Textähnlichkeiten werden in der Regel dadurch erkannt und Textbezüge postuliert, dass zwei Texte ähnliches oder gleiches Vokabular verwenden.10 So wird denn auch bei der literarhistorischen Einordnung von Gen 2 f. der Sprachbeweis als wichtiges Kriterium eingesetzt (s. u. Kap. 4.2; 4.3; 4.4). Allerdings ist die methodische Valenz solcher Vokabularvergleiche begrenzt: Erstens können lexematische Übereinstimmungen schlicht auf Zufall beruhen:11 „Die Sprache ist in allen Teilen Gemeingut – es gibt kein einziges

7

Vgl. Edenburg, King, 71–73 und 73 f.; Leonard, Allusions, 245–257 („how textual allusions are to be confidently identified“) und 257–264 („… and then evaluated in terms of their direction of dependence“), die Zitate aaO., 242; Tooman, Gog, 24.27–31 und 31–35; Postell, Adam, 67 f.; Krause, Exodus, 46–61 und 61–65. Vgl. auch Hoffman, Creation, 32 f.34–36. Zum Hintergrund des von Julia Kristeva geprägten Begriffs der Intertextualität samt dessen – vielgestaltigen – Wandlungen im literaturtheoretischen sowie bzw. oder historisch-exegetischen Bereich vgl. etwa Pfister, Konzepte; Trimpe, Schöpfung, 17–36; Schmitz, Literaturtheorie, (76–90.)91–99; Seiler, Intertextualität; Krause, aaO., 38–45; Carr, Intertextuality. Das Folgende verdankt viele Einsichten dem Gespräch mit Joachim Krause. 8 Vgl. zu dieser Unterscheidung auch Blum, Pentateuch, 72 f. und passim; Krause, Exodus, 3.37–66.193 f. und passim. 9 Vgl. exemplarisch für den Bereich der Urgeschichte Trimpe, Schöpfung: Die intertextuelle Interpretation bewegt sich hier „auf der Ebene des Endtextes“ (aaO., 14; vgl. aaO., 42 ff. u. ö.), der Dialog zwischen „Prätext“ und „Folgetext“ wird nicht diachron, sondern in der kanonischen Abfolge verstanden (vgl. aaO., 42 ff.50 f. u. ö.; dabei wird der Septuagintakanon vorausgesetzt: Vgl. aaO., 47), und Interesse leitend ist die Rezeptions- bzw. Leserperspektive und nicht die Produktions- bzw. Autorperspektive (vgl. aaO., 38 ff.50 f. u. ö.). Ähnlich argumentiert auch Postell, Adam (vgl. zur Methodik bes. aaO., 64–69). 10 Vgl. Leonard, Allusions, 246: „Shared language is the single most important factor in establishing a textual connection.“ S. u. Anm. 28 zu den von Leonard genannten Kriterien insgesamt. Vgl. zu weiteren „specific textual signs“ für Text-Text-Bezüge Edenburg, King, 65–70 („Common formal structure“, „Common motifs“, „Doublets“, „Variant accounts“, „Text commenting on text“, „Allusion“ und „Quotation“). 11 Vgl. Crenshaw, Method, 132 f.; Golka, Gnade, 70 f.; Hardmeier, Jesajaforschung, 14– 16; Deck, Wortstatistik, 9 f.; Sommer, Exegesis, 483 f.; Husser, Relecture, 246; Vervenne, Genesis, 60 f.63 f.; Krispenz, Frage, 227; Krause, Exodus, 46–48. Blum, Pentateuch, 75

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Vorüberlegungen zur relativ-chronologischen Einordnung von Gen 2 f.

279

Wort, das nur dieser oder jener Autor verwendete, keine Floskel, keine grammatische Formation, keine Stilmittel, die das Privileg eines Autors wären.“12 Je allgemeiner die verglichenen Vokabeln sind, umso weniger aussagekräftig ist der Vergleich: Gehen, sehen, essen, Baum, Garten und viele weitere Lexeme, die auch in der Paradieserzählung belegt sind, gehören zum Grundwortschatz und können damit von allen Sprechern oder Schreibern einer Sprache unabhängig von anderen Sprechern, Schreibern, Texten etc. verwendet werden. Ein intertextueller Bezug lässt sich alleine so nicht positiv nachweisen – kann aber freilich auch nicht ausgeschlossen werden.13 Je spezifischer geteiltes Vokabular zweier Texte ist, umso aussagekräftiger ist der Vergleich, wie gleich auszuführen sein wird. Zweitens ist jedoch aus statistischen Gründen nicht von Lexemen mit nur sehr wenigen Belegen auszugehen.14 Die meisten für den Nachweis spät-weisheitlicher Beeinflussung der Paradieserzählung angeführten Lexeme (s. u. Kap. 4.2) sind weniger als zehnmal im Alten Testament belegt. „Das aber macht sie für eine statistische Untersuchung untauglich. Wenn z. B. das Wort da neben unserem Text nur noch in Hi 36,27 vorkommt, dann besagt das nichts über die zeitliche Ansetzung von Gen 2 f., sondern lediglich, dass es sich hier um ein sehr seltenes Wort handelt, die Verteilung dieses Wortes ist zufällig so, wie sie ist.“15 Eine Text-Text-Bezugnahme kann nur aufgrund eines solchen Wortes nicht nachgewiesen werden. Drittens ist bei Vokabularvergleichen stets zu fragen, „ob die ausgewählten Wörter im Stande sind, den Text zu repräsentieren.“16 Denn: „Ganz gleich, welche Wörter man auswählt, sie werden immer in den umfangreichen Büchern eher repräsentiert sein als in kleinen.“17 Eher ließe sich über tendenziell unbewusst verwendete „stilistische, syntaktische und wortklas-

12 13

14 15 16 17

spricht von „Koinzidenz, wie sie bei der Formelhaftigkeit dieser theologischen Sprache [gemeint hier dtr und nach-dtr ‚Programmtexte‘] mit einer gewissen Zwangsläufigkeit zu erwarten ist“. Vgl. auch die Überlegungen von Carr, Formation, 13–149 zum Austausch von Lexemen im Prozess der Textüberlieferung. Krispenz, Frage, 224. Vgl. auch Ilgen, Urkunden, 386; Rost, Thronnachfolge, 1; Ska, Récit, 648–650. Vgl. Leonard, Allusions, 251: „If the shared language consists solely of common terms (rma, awb, ba, etc.), it does not automatically negate the possibility of a connection; after all, an author can borrow common terms as well as distinctive ones. It would make it quite difficult to prove that a connection exists, however.“ Vgl. Hardmeier, Jesajaforschung, 15; Deck, Wortstatistik, 9 f.; Husser, Relecture, 246; Krispenz, Frage, 227. Krispenz, Frage, 227 (Herv. W.B.). Krispenz, Frage, 227 (Herv. W.B.). Krispenz, Frage, 230. Es verwundert daher kaum, dass Otto, Paradieserzählung, 174 f. in seiner Vokabelstatistik nebst weisheitlichem Einfluss auf die Paradieserzählung auch den „priesterlich-ezechielischer Terminologie“ festhält (anhand von hY"x; vp,n< [s. u. Kap. 4.4.2], ~roy[e und hb'yae [s. u. Kap. 4.4]; zu rpt s. u. Kap. 4.2). Vgl. die Kritik bei Krispenz, aaO., 229 f.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

280

Relativ-chronologische Einordnung von Gen 2 f.

senspezifische Auswahlneigungen so etwas wie ein[] ‚Autorenstil‘“18 feststellen. Nach Ausschluss der Möglichkeit einer zufälligen Übereinstimmung zweier Texte in einem Textdetail, wenn also das gemeinsame Vokabular spezifisch genug ist und sich nicht nur auf ein einzelnes Lexem beschränkt, ist weiter zu fragen: Ist die Übereinstimmung möglicherweise systemreferenziell zu erklären? Liegt bei Textähnlichkeit Systemreferenz vor, ist die Ähnlichkeit nicht durch Text-Text-Bezüge, sondern durch das geteilte Weltbild, dieselbe Sprache, die gleiche Ausbildung der Schreiber oder das gleiche Thema des Textes zu erklären:19 „Kein Verfassen von Texten ist ein adamitischer Akt, in dem der Textproduzent gleichzeitig mit seinem Text auch seine Sprache von Grund auf erst schaffen müßte, und kein literarischer Autor ist ein Kaspar Hauser, der noch nie einen fremden literarischen Text gehört oder gelesen hätte.“20 Systemreferenzielle Erklärungen von Textübereinstimmungen gilt es insbesondere bei zwei Texten zu demselben Thema zu berücksichtigen: Die Verfasser von Gen 1 und Gen 2 f. haben beide eine Schöpfungserzählung verfasst. Vergleichsmöglichkeiten sind damit thematisch bedingt natürlicherweise gegeben, zumal das Thema Schöpfung im gesamten Alten Orient aufgrund des ähnlichen Welterlebens auch ähnlich behandelt wurde. Der Vergleich setzt da ein, wo spezifische Konzeptionen vertreten und dann aufgenommen und modifiziert werden. Können Zufall und Systemreferenz als Erklärung von Textgemeinsamkeiten ausgeschlossen werden, kann von Textreferenz ausgegangen werden.21 Ein Text-Text-Bezug ist umso wahrscheinlicher, je mehr Wörter übereinstim-

18 Krispenz, Frage, 230. Krispenz macht weiter darauf aufmerksam, wie ungleich schwieriger die Festlegung gar eines „Epochenstils“ (so der Ansatz bei Otto, Paradieserzählung, 174 ff.) ist: Vgl. aaO., 230 mit Anm. 40. Krispenz, die sich ausführlich mit „Literarkritik und Stilstatistik“ (so der Titel ihrer Habilitationsschrift) befasst hat, kommt zu dem Schluss, „dass das Vokabular kein geeignetes Instrument zur Datierung von Texten darstellt. Wahrscheinlich ist das Vokabular … für die Zuordnung zu Herkunftsgruppen überhaupt nicht geeignet.“ AaO., 230. Vgl. auch Crenshaw, Method, 132 f.; Golka, Gnade, 70 f.; Hardmeier, Jesajaforschung, 14–16; Deck, Wortstatistik; Husser, Relecture, 246; Vervenne, Genesis, 60–64; Ska, Récit, 648–650. 19 Vgl. Broich/Pfister/Suerbaum, Bezugsfelder; Hardmeier, Jesajaforschung, 15 f.; Sommer, Exegesis, 484; Hoffman, Creation, 36 f. sowie Krause, Exodus, 45.48–50 mit der Unterscheidung von idiomatischer, gattungstypologischer und sachlich bzw. thematisch bedingter Systemreferenz. Zur Schreiberausbildung vgl. besonders Carr, Writing; ders., Bildung. 20 Pfister in Broich/Pfister/Suerbaum, Bezugsfelder, 52. 21 Krause, Exodus, 50–58 unterscheidet weiter zwischen absichtsvollen/bewussten und absichtslosen/unbewussten Text-Text-Beziehungen ausgehend von der Frage, ob „die Referenz auf einen anderen Text bei der Produktion des Textes, von dem die Referenz aus-

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Vorüberlegungen zur relativ-chronologischen Einordnung von Gen 2 f.

281

men, je spezifischer diese Wörter sind, und je mehr ganze syntaktische Einheiten übereinstimmen. „Exegetisch aussagekräftige Ergebnisse liefern die beiden Kriterien lexematischer und syntaktischer Übereinstimmung allerdings erst durch ihre Korrelation mit Fragen der semantischen Ebene“.22 Ein Absatz ist je nach Kontext ein Gliederungsmerkmal eines Textes, ein Teil eines Schuhes oder einer Treppe, die Menge eines verkauften Gutes oder eine chemische oder geologische Ablagerung.23 So kommt denn auch die Rede vom „neuen Bund“ in Jer 31 zwar sprachlich in deuteronomistischer Gestalt daher. Inhaltlich ist dieser „neue Bund“ aber völlig un-, wenn nicht anti-deuteronomistisch.24 Über diese lexematische, syntaktische und semantische Ebenen hinaus erhöht sich die Wahrscheinlichkeit eines Textbezuges, wenn der untersuchte Text eine „generelle Neigung“ hat, „sich auf andere Texte zu beziehen“.25 So kann denn auch ein für sich betrachtet wenig oder nicht aussagekräftiger Befund mit relativer Sicherheit auf eine Text-Text-Beziehung hin ausgewertet werden, wenn der vorliegende, präsente, Text auch darüber hinaus anspielungsreich ist. „[D]iese Wahrscheinlichkeit erhöht sich noch erheblich, wenn eine solche Neigung spezifisch den fraglichen Referenztext betrifft.“26 Darüber hinaus kann ein Text-Text-Bezug markiert sein, muss es aber nicht, und die Markierung kann unterschiedlich deutlich sein, vom expliziten Zitat bis zur sublimen Anspielung.27 Je mehr dieser Kriterien gegeben sind,28 umso wahrscheinlicher ist eine Bezugnahme – im Sinne von kumulativer Evidenz.29

22

23

24 25 26 27

28

geht, auf eine durch den Adressaten zu realisierende Sinnkomplexion zielt“ oder nicht (aaO., 52; vgl. auch aaO., 50 Anm. 62). Vgl. auch Edenburg, King, 65.70 f. Krause, Exodus, 58–61, hier 59. Dabei kann freilich die Funktion des aufgenommenen Details im nehmenden Text eine ganz andere sein als im gebenden Text (vgl. Tooman, Gog, 31). Das Beispiel des Absatzes hat mir Christof Hardmeier anlässlich meines Referates am 12. Greifswalder Workshop (Berlin, 7./8. März 2012) genannt. Davor hatte ich Birnen verglichen. Ausführlicher hierzu s. u. Kap. 4.3. Krause, Exodus, 59. Krause, Exodus, 59. S. u. mit Anm. 29 die Rede von der kumulativen Evidenz. Vgl. zur Markierung Broich, Formen; Helbig, Intertextualität und die Aufnahme bei Krause, Exodus, 52–54. Zur expliziten Markierung bzw. zum Zitat in biblischen Texten vgl. die Hinweise in Exkurs 3 mit Anm. 568–572. Leonard, Allusions, 246 nennt folgende „eight principles as methodological guidelines“: „(1) Shared language is the single most important factor in establishing a textual connection. (2) Shared language is more important than nonshared language. (3) Shared language that is rare or distinctive suggests a stronger connection than does language that is widely used. (4) Shared phrases suggest a stronger connection than do individual shared terms. (5) The accumulation of shared language suggests a stronger connection than does a single shared term or phrase. (6) Shared language in similar contexts suggests a stronger connection than does shared language alone. (7) Shared language need not be accompanied by shared ideology to establish a connection. (8) Shared language need not be accompanied by

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

282

Relativ-chronologische Einordnung von Gen 2 f.

2.) Relativ-chronologische Auswertung: Kann ein Text-Text-Bezug positiv nachgewiesen werden, stellt sich die Frage nach der Richtung der Bezugnahme, so sie denn diachron auszuwerten ist und nicht synchron als werkinterne Bezugnahme wie etwa die sich aufeinander beziehenden Aussagen zur Gottesebenbildlichkeit in Gen 1,26 f.; 5,1–3; 9,6 innerhalb des Werkzusammenhangs der Priesterschrift.30 Im besten Fall ist die relativ-chronologische Einordnung zweier Texte durch absolut-chronologische Datierungen gegeben. Wo dies nicht der Fall oder, wie bei den nicht-priesterschriftlichen Texten der Urgeschichte, umstritten ist, muss versucht werden, die „Richtung der Abhängigkeit zweier Texte aus der Analyse ihrer Text-Text-Beziehung“ zu gewinnen.31 Mit der Methodik solcher relativ-chronologischen Einordnungen von Texten bzw. solcher Bestimmungen von Abhängigkeitsrichtungen hat sich Carr im Zusammenhang mit Ex 34,11–26 und Paralleltexten beschäftigt. Er untersucht dazu bisher in der Forschung (zu Ex 34) angeführte Argumente für eine relativ-chronologische Einordnung eines Textes32 und kritisiert diese sich, wie oben schon allgemein angemerkt, teilweise widersprechenden Argumente aufgrund einiger „empirical examples“,33 bei denen die relativchronologische Einordnung relativ gesichert ist. So untersucht er proto-

29

30 31

32

33

shared form to establish a connection.“ Vgl. die Ausführungen zu den einzelnen „principles“ aaO., 246–257. Zu beachten sind bei seinen Kriterien jedoch die obigen Ausführungen zur Signifikanz von Vokabelstatistiken und zur Systemreferenz. Vgl. auch die Kriterien bei Sommer, Exegesis, 483–486; Edenburg, King, 72 f. Vgl. Sommer, Exegesis, 485 und Edenburg, King, 72: „Since each individual criterion is subjective to some degree, the weight of accumulative evidence will strengthen the claim of interrelatedness“. Auch zitiert bei Leonard, Allusions, 253 Anm. 36. Vgl. hierzu Krause, Exodus, 61 f. und zur Frage nach „Sinn und Nutzen der Kategorie ‚Synchronie‘ in der Exegese“ den gleichnamigen Artikel von Blum, Sinn. Krause, Exodus, 62 (im Original mit Herv.). Krause, ebd. sowie Leonard, Allusions, 257 verweisen hierbei zu Recht auf die Zirkularität dieser Herangehensweise, die sie aber, wiederum zu Recht, nicht resignieren lässt, sondern zu erhöhter methodischer Vorsicht anspornt. Wiederum (s. o. Anm. 6) ist auf die Gegenprobe als „Kontrollschritt“ zu verweisen: Vgl. Krause, aaO., 58.60 (hier das Zitat); Leonard, aaO., 264. Carr, Method, 109–111 nennt folgende Kriterien der bisherigen Forschung: Ein Text wird für älter betrachtet, wenn er 1.) „Is shorter and/or simpler than its exact verbal parallels.“ 2.) „Is the briefest exemplar of a particular genre.“ 3.) „Seems more ancient than its parallels.“ 4.) „Features divine speech, where its parallels put the given words in the mouth of a human speaker.“ 5.) „Is cultic in focus.“ Dagegen wird ein Text für jünger betrachtet, wenn er 1.) „Verbally parallels the other text, but elaborates it.“ 2.) „Incongruously combines material (e. g. festivals) that don’t seem to belong together.“ 3.) „Has an element that is more specific than its parallel, apparently clarifying it…“ 4.) „Has an incongruous element that appears to be a ‚scribal error‘ for a form found in the other text.“ 5.) „Has an element that is incongruous in its context, but makes good sense in the context of its parallel, thus seeming to be a remnant of a borrowing process.“ 6.) „Has an element which appears to be an adaptation of an element in the other text to shifting circumstances/ideas.“ 7.) „Uses later language where its parallel uses earlier language.“ Carr, Method, 113. Zu den „empirical models“ vgl. auch die wegweisende Sammlung von Tigay (Hg.), Models und Carr, Formation, 37–101.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Vorüberlegungen zur relativ-chronologischen Einordnung von Gen 2 f.

283

samaritanische Pentateuchtexte (in erster Linie 4QpaleoExm34), den Samaritanischen Pentateuch, 4QReworked Pentateuch (4QRP [=4Q158; 4Q364– 367]) und die Tempelrolle (11Q19), die in ihrer vorliegenden Gestalt (in den von Carr untersuchten Partien) jünger als (proto-)MT sind. Bei diesen Vergleichen zeigt sich, dass sprachliche Kriterien, ein kultischer Fokus oder die Länge eines Textes entgegen landläufiger Meinung oft nicht aussagekräftig sind für eine relativ-chronologische Einordnung. Demgegenüber definiert Carr folgende sechs Kriterien für die Bestimmung der Abhängigkeitsrichtung – als „rough guides requiring judicious use“:35 „A text tends to be later than its ‚parallel‘ when it: 1) Verbally parallels that text and yet includes substantial pluses vis-a-vis that text. 2) Appears to enrich its parallel (fairly fully preserved) with fragments from various locations in the Bible (less completely preserved). 3) Includes a plus that fills what could have been perceived as an apparent gap in its parallel. 4) Includes expansive material in character speeches, particularly theophanic speech. 5) Has an element which appears to be an adaptation of an element in the other text to shifting [bzw. „later“ (aaO., 125)] circumstances/ideas. 6) Combines linguistic phenomena from disparate strata of the Pentateuch.“36

Wenn ein Text damit sprachliche Kennzeichen aus verschiedenen literarischen Zusammenhängen miteinander verbindet bzw. verschmilzt,37 wenn er einen Aussagenzusammenhang voraussetzt, aber nicht explizit macht,38 und/oder wenn er einen anderen Text auslegt, dann kann der vorliegende 34 Zu 4QpaleoExm s. o. Kap. 2.2.4 mit Anm. 265. 35 Carr, Method, 126 (vgl. die Aufnahme bei Zahn, Reexamining; vgl. auch Carr, Formation, 137–144). Vgl. auch den zweiten Schritt bei Leonard, Allusions, 258 mit „a series of fundamental questions“: „(1) Does one text claim to draw on another? (2) Are there elements in the texts that help to fix their dates? (3) Is one text capable of producing the other? (4) Does one text assume the other? (5) Does one text show a general pattern of dependence on other texts? (6) Are there rhetorical patterns in the texts that suggest that one text has used the other in an exegetically significant way?“ Vgl. die Ausführungen zu den einzelnen Fragen aaO., 258–264 (vgl. die Aufnahme bei Postell, Adam, 68) sowie Edenburg, King, 73 f. 36 Carr, Method, 126. Ex 34 erweist sich damit als später(er) Text (als Ex 23, den Basistext für Ex 34, sowie Ex 13,12 f.; Dtn 16 u. a.), wofür alle sechs Kriterien angeführt werden können. Vgl. Carr, aaO., 127–130 (hier auch die genauen Textabgrenzungen). Zur Forschungsgeschichte von Ex (32–)34 vgl. auch Schmid, Israel. 37 Zur Verschmelzung, „conflation“, vgl. Tigay, Conflation; Carr, Method, 124 f. und passim (zu seinen oben genannten Kriterien 2 und 6); Krause, Exodus, 63. Für die Urgeschichte sei auf Gen 6,1–4 verwiesen, wo priesterschriftliche und nicht-priesterschriftliche Texte und Formulierungen der Urgeschichte aufgenommen werden (vgl. Bührer, Göttersöhne, 496–506 und passim). 38 Vgl. Edenburg, King, 73 f.: „The comprehension of the one text is dependent upon knowledge of the other text.“ Vgl. auch Leonard, Allusions, 261 f. (hier auch das Zitat von Edenburg); Krause, Exodus, 63 f.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

284

Relativ-chronologische Einordnung von Gen 2 f.

Text mit relativer Wahrscheinlichkeit als der nehmende und damit spätere Text betrachtet werden. Mit Blick auf die Kategorie der Auslegung und konkret die Paradieserzählung im Vergleich zu Gen 1 ist insbesondere Carrs drittes Kriterium von Bedeutung: Wenn der vorliegende Text eine narrative Lücke eines anderen Textzusammenhangs füllt, kann der vorliegende Text als nachträgliche Auslegung verstanden werden.39 Bei der Frage nach der relativ-chronologischen Einordnung der Paradieserzählung mittels des Vergleichs mit der weisheitlichen, deuteronomisch-deuteronomistischen und priesterschriftlichen Literatur muss also stets gefragt werden, ob überhaupt von einer Bezugnahme zwischen Texten auszugehen ist oder nicht. Erst wenn dies gegeben ist, kann eine relativ-chronologische Einordnung der Texte zueinander erwogen werden. Zunächst sollen nun aber die gängigen Datierungsvorschläge zur Paradieserzählung und zur Priesterschrift überblicksartig genannt werden.

4.1.2 Forschungsgeschichtlicher Überblick zur Datierung der Paradieserzählung und der Priesterschrift 1.) Die Paradieserzählung: Seit Wellhausen fand sich bezüglich der Datierung eine lange währende Einstimmigkeit, die Gen 2,4b–3,24 dem Jahwisten zuschreibt und vor-priesterschriftlich datiert.40 Der Jahwist hat entweder, Einheitlichkeit des Textes vorausgesetzt, den gesamten Text abgefasst, oder aber, bei überlieferungs- oder redaktionsgeschichtlichen Modellen, durch Komposition und/oder Redaktion den vorliegenden Text gebildet und seinem Geschichtswerk eingegliedert und vorangestellt. Die Datierung der jahwistischen Verfasser- oder Redaktorentätigkeit wurde dabei in der Regel nicht ausgehend von Gen 2 f. oder den nicht-priesterschriftlichen Texten der Urgeschichte beantwortet,41 sondern hing mit der Ansetzung des Jah39 S. u. Kap. 4.4.2 zur vermeintlichen „Plausibilitätslücke“ innerhalb der priesterschriftlichen Urgeschichte. Vgl. auch Leonard, Allusions, 262–264, hier 263: „to remedy a deficiency in the underlying account“. 40 Vgl. Wellhausen, Prolegomena, 293–316; ders., Composition, 2–14 (jeweils zu Gen 1– 11); zur Datierung bes. ders., Composition, 14 und ders., Prolegomena, 314: „Mehr und mehr gewinnt jetzt glücklicherweise die Ansicht Boden, daß in der mythischen Universalgeschichte der Menschheit Gen. 1–11 die jehovistische Version altertümlicher sei als die priesterliche.“ Nach Otto, Urmenschen, 683 hat Wellhausen freilich „aus der richtigen Beobachtung, daß Genesis 1 mit der Priesterschrift nicht älter als das Exil ist, die falsche Schlußfolgerung für die nichtpriesterschriftlichen Schichten in der Urgeschichte wie im Pentateuch insgesamt …, daß diese also älter als die Priesterschrift sein müssen“, gezogen (Herv. W.B.). Dies ist, was die Paradieserzählung angeht, im Folgenden zu untersuchen. 41 Vgl. exemplarisch Schmidt, Theologe, bes. 92–98 (vgl. jedoch den Verweis auf Gen 9,22 ff. aaO., 93 f.) oder Levin, Jahwist, 430–435 und passim. Eine bemerkenswerte positive Ausnahme stellt Budde, Urgeschichte, 503–518 dar, der seine älteste jahwistische Quelle J1 ins ausgehende 10. oder 9. Jh. datiert aufgrund der zeitgeschichtlichen Anspielungen in Gen 9,20–27, die in die Salomonische Zeit weisen (vgl. aaO., 506–515 mit Verweis auf 1Reg 9).

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Vorüberlegungen zur relativ-chronologischen Einordnung von Gen 2 f.

285

wistischen Geschichtswerks insgesamt zusammen – eine bekanntlich auch in der älteren Forschung nicht unisono beantwortete Frage,42 die sich aber insbesondere seit den 1970er Jahren zunehmend zuspitzte:43 Wegen des Aufweises von weisheitlicher und deuteronomisch-deuteronomistischer Theologie bzw. Sprache in den nicht-priesterschriftlichen Texten wurde der Jahwist entweder später datiert,44 oder aber die These eines Jahwisten wurde gänzlich aufgegeben.45 Ist ein literarischer Zusammenhang nicht-priesterschriftlicher, „jahwistischer“, Texte aber zunehmend umstritten und jeweils je für sich begründungspflichtig, muss die Datierung von Gen 2 f. ausschließlich von diesem Text ausgehen: Die Frage nach der Datierung von Gen 2 f. allein aufgrund dieses Textes und nicht aufgrund vermeintlich damit zusammenhängender weiterer Texte hat insbesondere durch Alonso-Schökel 1962 neue Brisanz gewonnen, indem er die Paradieserzählung mit weisheitlichen und bundestheologischen, im weitesten Sinne deuteronomisch-deuteronomistischen, Texten und Motiven in Verbindung gebracht und daher – sowie wegen der Unkenntnis der Paradieserzählung in frühen (Propheten-)Schriften –46 eine spätere Entstehung angenommen hat.47

42 43

44 45 46

47

J2 datiert er wegen der „stark synkretistische[n] Färbung“ (aaO., 515) in die Zeit der neuassyrischen Westexpansion ins fortschreitende 9. oder 8. Jh., versuchsweise genauer in die Zeit König Ahas’ (vgl. aaO., 515 f.). J3, auf jeden Fall noch vor dem Dtn entstanden, könnte „möglichst dicht an die Wegführung Israel’s, noch in das 8. Jahrhundert, zu verlegen sein“, weil die Brudermorderzählung möglicherweise einen Reflex auf die Deportation von 722 darstellt (vgl. aaO., 517 f., hier 518). Die Grundschrift, die in Buddes Untersuchung ohnehin nur von untergeordnetem Interesse ist, und der Redaktor der priesterschriftlichen und nicht-priesterschriftlichen Texte werden nicht weiter bestimmt, als dass sie jünger als J2 und J3 sind (vgl. aaO., 518). Eine Datierung ausgehend von Gen 2 f. ist dies freilich auch nicht, und Buddes Datierung wird heute kaum mehr geteilt werden können (zu Gen 9,20– 27 vgl. zuletzt Gertz, Hams Sündenfall, der den Text im Sinne einer antikanaanäischen Tendenzerzählung versteht, die die Zusammenarbeit der weiteren priesterschriftlichen und nicht-priesterschriftlichen Texte der Urgeschichte bereits voraussetzt). Anders als für Budde Gen 4, weist für Wyatt, Creation, 19–21 Gen 2 f. auf die Deportation des Nordreichs(-Königs) hin. Vgl. nur Ska, Yahwist sowie Levin, Jahwist, 9–35. Vgl. davor schon Winnett, Foundations, bes. 3–5 mit einer Datierung der nicht-priesterschriftlichen Ur- (sowie der Väter-) Geschichte als „Late J“ „with some confidence to the postexilic period“ (aaO., 18). Vgl. nach Schmid, Jahwist etwa Levin, Jahwist (nach-deuteronomisch, aber vor-deuteronomistisch und vor-deuterojesajanisch: Vgl. aaO., 430–435). Vgl. etwa die Problemanzeigen bei Gertz/Schmid/Witte (Hg.), Abschied oder Dozeman/Schmid (Hg.), Farewell. Vgl. Alonso-Schökel, Motivos, 304; Lohfink, Erzählung, 81 („späteste Weisheit“); Blenkinsopp, Pentateuch, 64 f.; ders., Creation, 2 f. (für Gen 1–11 insgesamt); Otto, Paradieserzählung, 174; Ska, Genesis, 17–19; Mettinger, Eden, 134; Schmid, Schöpfung, 75. Vgl. Alonso-Schökel, Motivos (gekürzte engl. Übersetzung: ders., Themes). Was er konkret unter „una fecha posterior“ (aaO., 315) versteht, sagt er nicht. Er geht aber davon

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

286

Relativ-chronologische Einordnung von Gen 2 f.

Im Hinblick auf die Genese der biblischen Urgeschichte insgesamt ist dann vor allem ein Aufsatz von Ska von 1994 wichtig, der (im Anschluss an Blenkinsopp und ältere Thesen) für die nicht-priesterschriftlichen Bestandteile der Fluterzählung eine nach-priesterschriftliche Entstehung veranschlagte.48 Skas Ansatz wurde 1996 von Otto aufgenommen und mit großer Auswirkung auf die weitere Forschungsdiskussion auf Gen 1–3 angewandt:49 Otto interpretiert die Paradieserzählung, genauer Gen 2,4–5,2, als eine „nachpriesterschriftliche Lehrerzählung“50 aus der Feder der Pentateuchredaktion, die durch Kombination aus weisheitlichen und deuteronomistischen Motiven die „Thoratheologie des Pentateuchredaktors“51 am Anfang der Tora verankert.52 In ihrem Gefolge bewegen sich nun verschiedene Arbeiten jüngeren Datums, die vor allem die nach-priesterschriftliche Herkunft von Gen 2–3 und weiterer, wenn nicht aller nicht-priesterschriftlicher Texte der Urgeschichte betonen und dabei die nicht-priesterschriftlichen Texte als niemals selbständige Ergänzungsschicht zur Priesterschrift betrachten.53 Damit ist die Paradieserzählung nicht nur literarhistorisch spät angesetzt, vielmehr ist ihr redaktionshistorisch auch ihre Eigenständigkeit abgespro-

48

49

50 51 52

53

aus, dass Gen 2 f. dem Verfasser von Prov 31 vorgelegen hat/haben könnte (vgl. aaO., 303 f.). Vgl. Ska, Relato (=ders., Story) mit Verweis auf Eerdmans, Studien, 81 f.; Wenham, Genesis, 167–169 und Blenkinsopp, Pentateuch, 77 f. Vgl. weiter Blenkinsopp, aaO., 54– 97; ders., Hypothesis; ders., Source; ders., Creation, 6–8 und passim. Vgl. Otto, Paradieserzählung, 173–192. Vgl. auch ders., Brückenschläge, 86–88.91 f. Anm. 21; ders., Mensch, 226–230; ders., Urmenschen, bes. 682 ff. (in ders., Ethik, 61–64 spricht er noch von der „vorpriesterlichen Schöpfungserzählung“: aaO., 61 f.). So der Untertitel von Ottos Aufsatz „Die Paradieserzählung Gen 2–3: Eine nachpriesterschriftliche Lehrerzählung in ihrem religionshistorischen Kontext“. Otto, Paradieserzählung, 183 Anm. 87. Dabei beruht die Paradieserzählung nach Otto aber schon auf älteren Überlieferungen: Die „ursprünglich selbständige Erzählung der Menschenschöpfung in Genesis 2,7.8–24“, die bereits P bei der Abfassung von Gen 1,27 vorgelegen hat; die vorgegebene „Überlieferung vom Fall des Urmenschen in Ez 28,13–18“; die „vorgegebenen Flüche in Genesis 3,14–19“; sowie die Motive vom Baum der „Erkenntnis des Guten und Bösen“ und vom Lebensbaum. Vgl. Otto, Urmenschen, 683–685 sowie ders., Ethik, 61–64; ders., Paradieserzählung, 179 f. Anm. 68. Vgl. hierzu die Auflistung der einzelnen Arbeiten in der Einleitung (s. o. Kap. 1.1 mit Anm. 3–10). Für Gen 2 f. vgl. besonders Blenkinsopp, Pentateuch, 63–71 (vgl. ders., Hypothesis; ders., Source; ders., Creation, 6–8 und passim); Otto, Paradieserzählung; ders., Brückenschläge, 86 f.; ders., Forschungen, 135; ders., Urmenschen; Stordalen, Echoes, 213; de Pury, Gottesname, 31; ders., Beginning, 114 f.; ders., Gott, 134.141; Bosshard-Nepustil, Sintflut, bes. 187–195; Schüle, Image; ders., Prolog, bes. 39 f.149– 212; Arneth, Gottebenbildlichkeit; ders., Fall, bes., 18.97–147.230–236; Mettinger, Eden, 11.59.71.133 f. und passim; Ska, Genesis; ders., Gen 1–11, 57–59; Guillaume, Land, 46 u. ö.; Waschke, Verhältnis; ders., Bedeutung, 235 Anm. 2; 250 f. Vgl. auch Warning, Verknüpfungen, 265.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Vorüberlegungen zur relativ-chronologischen Einordnung von Gen 2 f.

287

chen:54 Gen 2 f. ist nur mehr eine Fortschreibung nach Art eines „Midrasch“.55 In der nach-priesterschriftlichen Ansetzung der nicht-priesterschriftlichen Passagen trifft sich die gegenwärtige Forschung mit der im 19. Jahrhundert vor dem Aufkommen der Neueren Urkundenhypothese vertretenen Grundschrift- bzw. Ergänzungshypothese – freilich mit anderer absolut-chronologischer Einordnung beider Textstränge.56 Eine solche spät-weisheitliche, deuteronomisch-deuteronomistische und nach-priesterschriftliche Ansetzung der Paradieserzählung setzt jedoch einige literarhistorische Entscheidungen sowie methodische Vorgehensweisen voraus, die nicht ohne Weiteres geteilt werden können. Wichtige Argumente gegen diese Thesen wurden in der jüngeren Forschung bereits verschiedentlich angebracht: So wurde der spät-weisheitliche Einfluss etwa durch Husser, Vervenne, Schellenberg, Blum und Krispenz hinterfragt.57 Gegen eine dtn/dtr Beeinflussung haben sich etwa Carr, Vervenne, Blum und Stordalen gewandt.58 Und gegen die Rezeptionsrichtung P→nP haben etwa Carr, Vervenne, Blum, Gertz und Schellenberg votiert.59 Eine eingehende Überprüfung der vorausgesetzten Rezeptionsrichtungen bzw. der relativ-chronologischen Ansetzungen ist für die weitere Forschungsdiskussion unumgänglich. 2.) Die Priesterschrift: Anders als bei der Datierung der nicht-priesterschriftlichen Texte besteht bei der Datierung der Priesterschrift in das ausgehende 6. Jh. ein gewisser Konsens60 – sieht man von einem Trend zur 54 Vgl. Otto, Paradieserzählung, 189: „Fragen wir, wer für die Verbindung spätweisheitlicher, deuteronomistischer und priesterschriftlicher Motive in Gen 2–3 in Frage kommt, so sind wir auf den Pentateuchredaktor gewiesen, dessen vornehmliche Aufgabe der Ausgleich zwischen der Priesterschrift und dem Deuteronomium in der Formierung des Pentateuch als Thora war.“ 55 Vgl. de Pury, Beginning, 115. 56 Vgl. etwa Bleek, Einleitung, 83–104, bes. 99; Tuch, Genesis, L–XCVIII, bes. LXV und LXXVI–LXXVIII (mit dem Resultat, „dass durchgängig die jehovistischen Stücke in einem solchen Abhängigkeitsverhältnisse von der Grundschrift stehen“: aaO., LXXVII; Herv. im Original gesperrt), sowie jeweils die Kommentierung zur Stelle. Vgl. die kurzen Darstellungen bei Houtman, Pentateuch, 91–95 und Witte, Urgeschichte, 7–10. 57 Vgl. Husser, Relecture, 250; Vervenne, Genesis, bes. 55–64; Schellenberg, Erkenntnis, 244 f. Anm. 198; dies., Mensch, 188–191; Blum, Gottesunmittelbarkeit, 25 Anm. 61. 58 Vgl. Carr, Subversion, 592; ders., Intertextuality, 517–520; Seebass, Urgeschichte, 114; Vervenne, Genesis, bes. 55–64; Blum, Gottesunmittelbarkeit, 14–16; Stordalen, God. Vgl. auch Schüle, Prolog, 165–168.429 f.; Schellenberg, Mensch, 189 f. 59 Vgl. Carr, Fractures, 62–68 (vgl. ders., Intertextuality, 517–520); Vervenne, Genesis, bes. 55–64.69 f.; Blum, Gottesunmittelbarkeit, 14–16; Gertz, Adam, 218–223; ders., Formation, 114–118; Schellenberg, Mensch, 188–191.238–243 und passim. 60 Vgl. etwa Pola, Priesterschrift, 31–40; Zenger, Priesterschrift, 439 f.; Frevel, Blick, 382 f.; Nihan, Torah, 383–394; de Pury, Beginning, 123–128 (mit der sehr optimistisch-genauen Datierung „between 539 and 529, let’s say between 535 and 530“: aaO., 127); Keel, Geschichte, 908–910; Schmid, Literaturgeschichte, 146–150; Blum, Issues, 31–33; Wöhrle, Fremdlinge, 18–20.160–163.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

288

Relativ-chronologische Einordnung von Gen 2 f.

Frühdatierung insbesondere in israelischen Arbeiten im Anschluss an Kaufmann ab.61 Schon Wellhausen hat die Priesterschrift für jünger als das mit der Joschijanischen Reform in Verbindung gebrachte Dtn befunden, da P die dort geforderte Kultzentralisationsforderung voraussetzt.62 Weiter sprechen die Nähe zu Deuterojesaja und Ezechiel sowie die deutliche Konkurrenz zur deuteronomisch-deuteronomistischen Theologie für eine mehr oder weniger kontemporäre Ansetzung dieser Bücher – bei zeitlicher Nachordnung der Priesterschrift.63 Eine genauere absolute Datierung der Priesterschrift kann nur erzielt werden, wenn Klarheit darüber geschaffen werden kann, ob P als kritische Utopie vor oder als Gründungslegende nach der Wiedererrichtung des Jerusalemer Tempels 520–515 v.Chr. entstanden ist. Ersteres spricht eher für eine Entstehung in Babylonien, Letzteres eher für eine in Juda. Oben wurde Gen 1 als Eröffnungstext der Priesterschrift bestätigt (s. o. Kap. 2), womit auch die Datierung von Gen 1,1–2,3 gegeben ist. Ausschließlich von Gen 1 aus kann zwar kaum eine genaue Datierung abgeleitet werden, doch sprechen mehrere Elemente von Gen 1 für die Datierung von P in die fortgeschrittene Exils- bzw. frühe Nachexils-Zeit: Die explizite Thematisierung der Erschaffung von Welt und Menschen als prima creatio wird gemeinhin als späte theologiegeschichtliche Entwicklung betrachtet.64 Auch das Schöpfungswort, genauer die Schöpfung durch das Wort ist ein (nach-) exilisches Theologoumenon: Zu vergleichen sind etwa Ps 33,4.6.9; 148,5 (vgl. auch Ps 147,15.18); Jes 48,13 (vgl. auch Jes 40,26; 41,4; 44,26.27.28; 45,12); Thr 3,37 f.65 Gen 1 ist dabei in etwa kontemporär zu den Schöpfungsaussagen Deuterojesajas.66 Dies geht nicht zuletzt auch aus der parallelen Verwendung des möglicherweise erstmals von DtJes geprägten Schöp-

61 Zu den religions- und literarhistorischen Thesen von Kaufmann, Haran, Hurvitz, Milgrom, Knohl, Paran und Weinfeld mit einer vorexilischen Datierung von P vgl. die ausführliche Darstellung bei Krapf, Priesterschrift sowie knapper Houtman, Pentateuch, 168–172 und die kritischen Diskussionen etwa bei Blenkinsopp, Assessment und Blum, Issues, 31–33. 62 Vgl. bes. Wellhausen, Prolegomena, 34–38. 63 Vgl. etwa Schmid, Literaturgeschichte, 131 ff.138 f.146 ff.164 ff.; Keel, Geschichte, bes. 854 ff.883 ff.903 ff. Die Priesterschrift dürfte dabei jünger sein als der jeweilige Kernbestand der hier zu vergleichenden Passagen aus DtJes, Ez und der dtn/dtr Literatur. Zu DtJes vgl. etwa Kratz, Kyros; Streibert, Schöpfung; Albani, Gott; zum Verhältnis von P zu Ez etwa Pola, Priesterschrift, bes. 147–212.275–281 (vgl. aber Otto, Priesterschrift, 24 f.) und die Hinweise bei Pohlmann, Ezechiel, 198–201; zum Verhältnis von P mit der dtn/ dtr Literatur etwa Blum, Studien; Knauf, Priesterschrift. 64 Vgl. Jeremias, Schöpfung, 12.26 ff. und passim; Kratz/Spieckermann, Schöpfer/Schöpfung, 258 f. und passim; Schmid, Schöpfung, 72–77. 65 Ausführlich dazu s. u. Kap. 4.4.1. 66 S. o. Kap. 2.3.3. Vgl. mit Blick auf die Erschaffung der Welt etwa Jes *40,12–31; 42,5–7; *44,24–45,13; 48,12–15. Vgl. etwa Streibert, Schöpfung; Kratz/Spieckermann, Schöpfer/Schöpfung, 267–269; Albani, Gott; Leuenberger, Jhwh, 75.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Vorüberlegungen zur relativ-chronologischen Einordnung von Gen 2 f.

289

fungsterminus arb67 hervor sowie der gemeinsamen (impliziten oder expliziten) Propagierung des israelitischen Gottes als alleiniger Schöpfer der ganzen Welt (vgl. bes. Jes 44,24; 45,5–7). Des Weiteren spricht auch die hinter Gen 2,2 f. stehende Sabbatkonzeption für die (Nach-)Exilszeit (s. o. Exkurs 2). Mit Blick auf die Anfänge in Gen 1 ist auch die Bestimmung des ursprünglichen Endes der Priesterschrift (Ex 29; Ex 40; Lev 9; Lev 16; Num 27; Dtn 34; Jos 18 etc.?) gleichermaßen bedeutsam wie umstritten.68 Der Frage nach dem Ende der Priesterschrift kann und muss hier freilich nicht weiter nachgegangen werden. Mit Blick auf das offene Ende von Gen 1 mit dem Schöpfungssabbat, der den Menschen nicht als kultische Aufgabe mitgeteilt, sondern einzig von Gott eingehalten wird, und dem Mehrungs- und Herrschaftssegen für die Menschen, dessen Realisierung, der Dauerbestand der Menschenerschaffung, erst die weitere Erzählung der Priesterschrift berichtet, ist auch für die Priesterschrift insgesamt ein offenes Ende denkbar.69 Die Korrespondenz von Schöpfung und Heiligtumsbau (s. o. Exkurs 2) spricht auf jeden Fall für den Einbezug auch der Ausführungen des Heiligtumsbaus in der Sinaiperikope in die Priestergrundschrift – auch wenn gerade an dieser Stelle der priesterschriftliche Erzählfaden recht dünn ist. Immerhin ist nicht undenkbar, dass P hier nicht nur mit Blick auf ältere np-Materialien, sondern auch in literarischer Ergänzung dazu formuliert hat. Das Entweder-Oder von P als Ergänzung oder Quelle bzw. von nP als Quelle, Fragment(e) oder Ergänzung(en) ist unterkomplex: Es muss ernsthaft erwogen werden, ob P etwa in der Urgeschichte und im ersten Teil des Exodusbuches als eigenständiges Literaturwerk (klassischerweise „Quelle“) konzipiert wurde, das zwar in Kenntnis älterer np-Texte formuliert, aber (zunächst) ohne diese tradiert und erst später um diese ältere und zusätzliche jüngere np-Texte ergänzt wurde. Demgegenüber könnte P in der Vätererzählung und in der Sinaiperikope, wo der priesterschriftliche Erzählfaden teilweise sehr knapp ist, nicht nur in Kenntnis älterer np-Texte, sondern auch von Anfang an in literarischer Ergänzung dazu entstanden sein.70

67 Vgl. Kratz/Spieckermann, Schöpfer/Schöpfung, 268; Albani, Gott, 239–244; Leuenberger, Jhwh, 67–70.75. Zu den weiteren Belegen außerhalb von DtJes und P, die aller Wahrscheinlichkeit sämtlich nach-deuterojesajanisch sind, vgl. die Hinweise bei Leuenberger, aaO., 70 mit Anm. 186. 68 Vgl. ausführlich Frevel, Blick; Nihan, Torah, 20–68 sowie die Überblicke etwa bei Römer, Hauptprobleme, 292–295; Ska, Récit, 632–636; Blum, Issues, 39–41; Wöhrle, Fremdlinge, 16–18.158–160. 69 Vgl. etwa die Überlegungen von Ska, Récit, 636–639.641 f.653. 70 Vgl. auch die Überlegungen bei Gertz, Tradition, 391 und nun die Ausführungen bei Wöhrle, Fremdlinge, 147–158.163 f.223 f. und passim. Man bedenke: „Nicht von ungefähr stützen sich die Bestreiter einer selbständigen ‚Priesterschrift‘ hauptsächlich auf die Analyse der Vätergeschichte.“ Blum, Studien, 229. Zu vergleichen sind etwa die Studien von Cross, Myth, 293–325; Van Seters, Abraham, 279–295; Rendtorff, Problem, 112–142; Tengström, Toledotformel, 11–16 und passim; Blum, Vätergeschichte (zu vergleichen ist auch Wöhrle, aaO. für die Vätergeschichte). Blums „Fallbeispiele“ zur priesterlichen Schicht im Gesamtpentateuch abzüglich der Vätergeschichte (vgl. Blum, Studien, 229 ff.) sind von unterschiedlicher Überzeugungskraft.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

290

Relativ-chronologische Einordnung von Gen 2 f.

4.2 Weisheitliche Prägung der Paradieserzählung? Auf die weisheitliche Prägung der Paradieserzählung wurde schon vielfach hingewiesen.71 Im folgenden Kapitel gilt es zu fragen, ob Text-Text-Bezüge zwischen der Paradieserzählung und der Weisheitsliteratur festzustellen sind, die eine literarhistorische Einordnung von Gen 2 f. ermöglichen. 1.) Mithilfe von Vokabelstatistiken wurden zahlreiche lexikalische Verbindungen zwischen der Paradieserzählung und den weisheitlichen Texten des Alten Testaments ausgemacht.72 So bemüht auch Otto in seiner bedeutsamen Studie zum Nachweis des spät-weisheitlich geprägten nachexilischen Sprachgebrauchs von Gen 2 f. den Sprachbeweis und nennt folgende Vergleiche:73

dae in 2,6: Vgl. Hi 36,27 dm'x.n< in 2,9; 3,6: Vgl. Prov 21,20; Ps 19,11 ~Wr[' in 3,1: Vgl. Prov 12,16.23; 13,16; 14,8.15.18; 22,3; 27,12; Hi 5,12; 15,5 (als hw"a]T; in 3,6:

Substantiv: Prov 1,4; 8,5.12)74 Vgl. Prov 10,24; 11,23; 13,12.19; 18,1; 19,22; 21,25.26; Hi 33,20; Ps 10,3.17; 78,29.30; 112,1075

71 Vgl. Dubarle, Sages, 7–24; Alonso-Schökel, Motivos, bes. 301–304; Schmidt, Schöpfungsgeschichte, 229 Anm. 1; Mendenhall, Wisdom; Festorazzi, Sapienza; Fanuli, Precetto; Wyatt, Creation, bes. 13 f. (doch: Die weisheitlichen Elemente „may in fact be a parody of the wisdom schools“: aaO., 19); Carmichael, Paradise, 50–54; Blenkinsopp, Pentateuch, 65–67 (vgl. schon ders., Succession History, 50–56); Carr, Subversion, bes. 588–593 (Carr interpretiert Gen 2 f. jedoch als „anti-wisdom story“: aaO., 577); Otto, Paradieserzählung, 174–176 und passim; ders., Urmenschen, 685–688; Witte, Urgeschichte, 201 und passim; Stordalen, Echoes, 206–213; Husser, Relecture, bes. 246–258; Schellenberg, Erkenntnis, 240–254; Schmid, Unteilbarkeit (vgl. ders., Schöpfung, 75); Schüle, Prolog, bes. 174–177.210–212; Ska, Genesis, 17–20; Mettinger, Eden, 60– 64.129 f. u. ö. Ohne weitere Begründung auch Bosshard-Nepustil, Sintflut, 194 f. mit Anm. 59; Waschke, Verhältnis. 72 Vgl. bes. Alonso-Schökel, Motivos, 302; Mendenhall, Wisdom, 327–329; Festorazzi, Sapienza, 42–44; Fanuli, Precetto, 213–215; Blenkinsopp, Pentateuch, 65; Carr, Subversion, bes. 588–591 (mit dem problembewussten Vermerk aaO., 591 Anm. 39: „Such associations, however, are not enough to establish a wisdom institutional context for the story.“); Otto, Paradieserzählung, 174–176; Witte, Urgeschichte, 201; Stordalen, Echoes, 206–209; Husser, Relecture, 246 f. (zu beachten sind Hussers wohl überlegte Einschränkungen der Methode: Vgl. ebd. und s. o. Kap. 4.1.1 mit Anm. 11.14.18); Schmid, Unteilbarkeit, 22. 73 Vgl. Otto, Paradieserzählung, 174 f. Im Folgenden sind nur die von Otto angeführten Vergleiche mit der Weisheitsliteratur genannt – ausgenommen der Belege für bAj und [r" (dazu s. u. mit Anm. 89). Zur vermeintlich „priesterlich-ezechielische[n] Terminologie“ (aaO., 175) mit hY"x; vp,nyO [3,5]). Zum vermeintlichen weisheitlichen Hintergrund: Die Androhung des Todes in 2,17; 3,4 leitet Otto von der Tradition des Todesrechtes ab (vgl. aaO., 181 f.; dagegen s. u.). Die Verwandtschaftsformel begegnet nur in Erzähltexten. Ihre konkrete Formulierung in 2,23 erklärt sich aus dem Kontext von Gen 2 f. (s. o. Kap. 3.4.6). 88 S. o. Kap. 2.2.3 mit Anm. 163 f.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Weisheitliche Prägung der Paradieserzählung?

293

und Schlecht89 sowie die Fähigkeit des Menschen zur Benennung der Tiere genannt. Letztere wird oft mit der weisheitlichen Listenwissenschaft in Verbindung gebracht.90 Nach Otto führen diese „Motive“ unvermittelt von der nachexilischen in die spät-nachexilische Zeit,91 da hier „das spätweisheitliche Wissen um die Grenzen des menschlichen Erkenntnisvermögens“ vorausgesetzt sei.92 Dies ist kaum überzeugend, bedenkt man einerseits das Alter der Listenwissenschaft, die sowohl in Mesopotamien als auch in Ägypten schon Jahrhunderte und -tausende lang betrieben wurde, und die bezüglich Listenwissenschaft völlig unverdächtige Benennungsszene in Gen 2,19 f. Und andererseits hatte bereits die frühere Weisheit Einsicht in die temporäre Uneinsichtigkeit des Gotteswillens bzw. die Grenzen menschlicher Erkenntnis (vgl. etwa Prov 16,1 f.9.25; 19,21; 20,24; 21,30 f.).93 Darüber hinaus entspringen auch die relevanten Vergleichsstellen für die „Erkenntnis von Gut und Schlecht“ keineswegs einem spät-weisheitlichen Diskurs (vgl. etwa 2Sam 14,17; 19,36; 1Reg 3,9; Dtn 1,39; Jes 7,16; s. o. Kap. 3.4.9). Auch der Vergleich von Gen 2 f. mit Hi 15,7 f. weist auf die Weisheit, wenn auch Ez 28,11–19 nach Otto Gen 2 f. besser entspreche: In beiden Fällen gehe es um Hybris.94 Gerade dies wurde oben für Gen 2 f. bestritten: Anders als in Ez 28 wollen Adam und Eva nicht wie Gott werden, sie wollen lediglich Weisheit erlangen (lyKif.h;l. in 3,6). Dass dies alttestamentlich positiv und nicht als menschliche Kompetenzüberschreitung betrachtet wird (vgl. nur 1Reg 3,5–14), haben wir oben gesehen.95 Das Handeln des Königs von Tyros führt zum Verlust der Weisheit (Ez 28,17), das Streben der Menschen im Garten Eden nach Weisheit hingegen führt zu gottgleicher Erkenntnisfähigkeit (Gen 3,22).96 „[D]ie Verführung eines Mannes durch die Frau ist ein zentrales Thema der Proverbien“ und verbindet nach Otto die Paradieserzählung mit dem „dtr Bundes- und Konnubiumsverbot in Dtn 7,2–4“.97 Jedoch geht es in 89 Vgl. die Auflistung der „weisheitlichen, an alternativer Bedeutung orientierten“ Belege von bAj und [r" bei Otto, Paradieserzählung, 175 mit Anm. 43. Vgl. Alonso-Schökel, Motivos, 301 f.; Schmid, Unteilbarkeit, 22. 90 Vgl. Alonso-Schökel, Motivos, 303; Lipiń ski, Wisdom, 39; Blenkinsopp, Pentateuch, 65; Otto, Paradieserzählung, 176 f.; Schmid, Unteilbarkeit, 22. 91 Vgl. Otto, Paradieserzählung, 174 (nachexilisch); 176 (spät-nachexilisch). 92 So Otto, Paradieserzählung, 177. 93 Ausführlicher s. u. Vgl. hierzu etwa Schmidt, Mensch, 65 ff.; Hausmann, Studien, 234– 237.243–247; Freuling, Grube, 81.103–108.268–270. 94 Vgl. Otto, Paradieserzählung, 177 f. 95 S. o. Kap. 3.4.9 mit Anm. 319 ff.; 3.4.10 mit Anm. 338; 3.5. 96 Es ist allerdings zu fragen, ob die für den Vergleich mit Gen 2 f. relevante Totenklage über den König von Tyros in Ez 28,11–19 überhaupt an Hybris denkt (wenn, dann wohl in der Überhebung des Herzens in 28,17). Dem König von Tyros wird hier auf jeden Fall auch nicht unterstellt, er hielte sich für Gott. Ein solches Gebaren wird dagegen dem Fürsten von Tyros in der Unheilsankündigung in Ez 28,1–10 sowie dem König von Babylon in Jes 14 zugeschrieben: Vgl. Ez 28,2.6.9; Jes 14,13 f. Inwiefern Hi 15,7 f. mit Gen 2 f. oder Ez 28 überhaupt zu vergleichen ist, wird sich erst zeigen müssen: S. u. Kap. 4.5. 97 Otto, Paradieserzählung, 178 f., hier 178. Zum Vergleich mit Prov 31 s. u.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

294

Relativ-chronologische Einordnung von Gen 2 f.

Gen 2 f. anders als in den Proverbien nicht um Ehebruch (vgl. Prov 2,16–19; 5,1–23; 6,20–35; 7,1–27; 22,14; 23,27 f. mit der „fremden Frau“, der „Ausländerin“, der „Frau des Nächsten“ und der „Hure“: hr"z" / hY"rIk.n" / [;rE tv,ae / hn"Az; explizit @an in 6,32), sondern um Ungehorsam gegen Gott.98 Und Dtn 7,2– 4; Ex 34,15 f. handeln von Fremdgötterkult (Dtn 7,4: ~yrIxea] ~yhil{a/ db[; Ex 34,15 f.: !h,yhel{a/ / ~h,yhel{a/ yrEx]a; hnz), was in Gen 2 f. nicht im Blick ist.99 Des Weiteren wurde schon verschiedentlich auf die Schlange als weisheitliches Motiv hingewiesen.100 Nach Lipiński etwa entstammt die sprechende Schlange der weisheitlichen Tradition von Tierfabeln.101 Allerdings finden sich in der Weisheitsliteratur Israels (vgl. Prov, Qoh, Hi; s. u.) nirgends sprechende Tiere. Damit können auch die genannten motivischen und stilistischen Vergleiche eine direkte Beziehung zwischen der Paradieserzählung und der Weisheitsliteratur nicht belegen. Sie sind entweder viel zu allgemein und nicht auf die Weisheit begrenzt (etwa die Staubmetaphorik, die Rede vom Lebensbaum oder Wortspiele), oder die verglichenen Motive sind in Gen 2 f. und den weisheitlichen Schriften im Detail zu unterschiedlich (etwa bei der Verführung durch die Frau). Die – vermeintlichen – Übereinstimmungen sind damit entweder systemreferenziell, etwa durch das geteilte Weltbild im weitesten Sinne und bzw. oder durch die vergleichbare Ausbildung der Schreiber und damit wohl die gleichen Trägerkreise, zu erklären (s. o. Kap. 4.1.1), oder aber sind beim näheren Hinsehen gar keine Übereinstimmungen. 3.) Wie ist es also um den weisheitlichen Hintergrund von Gen 2–3 bestellt – und was besagt dies hinsichtlich der Datierung des Textes? Der Nachweis weisheitlicher Beeinflussung hängt wesentlich von der Definition von Weisheit ab – was die Aufgabe nicht erleichtert.102 Wenn nur die Definition von Weisheit weit genug ist, ist alles weisheitlich, denn welche (alttestamentliche) Literatur reflektiert nicht (auch) die Bedingungen (des Gelingens) menschlichen Lebens oder basiert nicht (auch) auf (Lebens-)Erfahrung? Jedoch ist nicht alles weisheitlich, was weisheitlich klingt. Und nicht jeder Text, der Vokabular enthält, das auch in (klar) weisheitlichen Texten belegt ist, ist ein weisheitlicher oder weisheitlich beeinflusster 98 Vgl. Otto, Paradieserzählung, 178: „In der Weisheit aber nicht belegt und aus ihr nicht ableitbar ist der die Paradieserzählung prägende Gedanke, der Mensch verdanke seine moralische Urteilsfähigkeit dem Ungehorsam gegen das Gebot Gottes.“ 99 Als paradigmatische Anwendung des „dtr Bundes- und Konnubiumsverbot“ ist viel eher Num 25,1–5, der Abfall Israels zum Baal Peor, zu lesen. Vgl. etwa Blum, Studien, 114–116. 100 Zur Verbindung von Schlange und Weisheit s. o. Kap. 3.4.9 und etwa Carr, Subversion, 589. 101 Vgl. Lipiń ski, Wisdom, 39–43. 102 Darüber hinaus ist auch mit Entwicklungen innerhalb der Weisheitsliteratur zu rechnen, was die Frage nach der Definition in gewisser Weise erschwert, für den konkreten Fall aber hilfreich ist (s. u.).

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Weisheitliche Prägung der Paradieserzählung?

295

Text.103 Das haben die lexikalischen, motivischen und stilistischen Vergleiche oben deutlich gezeigt. Zu unterscheiden ist zwischen Weisheitsliteratur und Weisheitstradition. Kennzeichnend (aber nicht Ausschlusskriterium) für die Weisheitsliteratur ist der Begriff hm'k.x' (bzw. Ableitungen von ~kx allgemein), der in großer Häufung in Prov, Hi und Qoh begegnet, den drei paradigmatischen Weisheitsschriften des (masoretischen)104 Alten Testaments. In Gen 2 f. ist er bezeichnenderweise in keiner Form belegt.105 Gleichwohl weist Gen 2 f. mit der Erkenntnisthematik eine spezifisch weisheitliche Problematik auf. Damit nimmt die Paradieserzählung entweder direkt Bezug auf Weisheitstraditionen oder aber auch sie reflektiert eine Thematik, die insbesondere die Weisheitsschriften prägt. Um dies genauer bestimmen zu können, muss, sogleich, ein Blick auf die Geschichte der Weisheitsliteratur geworfen werden. Bezüglich der Datierung ist auffällig, dass Gen 2 f. in der gegenwärtigen Debatte zunehmend mit der jüngeren Weisheit in Verbindung gebracht wird,106 während in älteren Publikationen die ältere Weisheit als Referenzrahmen gehandelt wurde.107 Dies ist nicht nur der Tendenz zur zunehmenden Spätdatierung alttestamentlicher Texte insgesamt geschuldet, sondern geht auch auf methodische Fehlschlüsse zurück – etwa anhand der oben kritisch betrachteten Vokabelstatistik: Auch wenn die untersuchten Lexeme zwar gehäuft in späten Texten belegt sind, sagt dies nichts für die Datierung von Gen 2 f. aus, da der statistische Befund hierzu schlicht nicht aussagekräftig ist. Entgegen dieser Tendenz muss klar gegen eine spät-weisheitliche Datierung votiert werden.108 Der Paradieserzählung geht es nicht um die göttliche Weisheit, die den Menschen von Anfang an verwehrt ist.109 Vielmehr ist die Erkenntnis aus Gen 2 f. ungeteilt,110 gleich für Gott und Mensch, wie Gott

103 Vgl. hierzu besonders Crenshaw, Method, bes. 129–135; ders., Studies, 9–13; Vervenne, Genesis, 62 f. ́ in Sir, Sap und Bar (hier oft auch φρον́ ησις). 104 Vgl. σοφια 105 Vgl. Alonso-Schökel, Motivos, 301 f.304; Husser, Relecture, 250; Schellenberg, Erkenntnis, 244 f. Anm. 198. 106 Vgl. nur Otto, Paradieserzählung, 174–176 und passim; ders., Urmenschen, 685–688; Witte, Urgeschichte, 201 und passim; Schmid, Unteilbarkeit, 23.30 und passim. 107 Dies war freilich auch der damaligen Forschungslage geschuldet mit der Frühdatierung der „jahwistischen“ Texte. Vgl. hierzu Schmid, Unteilbarkeit, 22 f. 108 Vgl. auch Husser, Relecture, 250; Schellenberg, Erkenntnis, 244 f. Anm. 198; Blum, Gottesunmittelbarkeit, 25 Anm. 61: „Die hier thematisierten Brechungen der weisheitlichen Weltbemächtigung haben im übrigen mit den spezifischen Problemen der späten Weisheit, die neuerdings in diesem Zusammenhang gern bemüht wird (Witte, Otto, Spieckermann u. a.), nichts gemein, viel dagegen mit dem Geschichts- und Menschenbild der sog. Thronfolgegeschichte.“ Vgl. ders., Urgeschichte, 441. Zur sog. Thronfolgegeschichte s. u. 109 Gegen Otto, Paradieserzählung, 176 f. 110 Vgl. Schmid, Unteilbarkeit, 30 und passim; Husser, Relecture, 250: „Selon la conclusion

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

296

Relativ-chronologische Einordnung von Gen 2 f.

selbst in 3,22 feststellt. Darüber hinaus kann die Debatte um die Weisheit (hm'k.x)' in den spät-weisheitlichen Texten nicht mit der Frage nach der Erkenntnis (t[;D;) in Gen 2 f. unterschiedslos in eins gesetzt werden.111 Dies zeigt auch der Vergleich mit Prov 8 und Hi 28: Die personifizierte Weisheit aus Prov 8, Erstling der Schöpfung (8,22 ff.) vor allen Menschen, verschafft Leben dem, der sie findet (8,35) – ganz anders in Gen 2 f., wo die Zweiheit von Erkenntnis und Leben, symbolisiert in den zwei Bäumen inmitten des Gartens, ein Entweder-Oder darstellt. Auch das offenbarungstheologische und erkenntnistheoretische Gepräge von Prov 8 (die hm'k.x' ist zugleich hn"WbT.112 und hn"yBi113 und ruft aktiv nach ihren männlichen114 Anhängern, damit sie Klugheit erlangen und ihren Lippen lauschen,115 die nur Rechtes und Wahres verkünden;116 t[;D; und hm'k.x' sind besser als alle Schätze;117 der hm'k.x' wird die hm'r>[' an die Seite gestellt;118 sie erteilt hY"viWtw> hc'[119 e – Machthabern sowie allen, die sie suchen – und ruft letztlich zu Gottesfurcht auf120) findet in Gen 2 f. keinerlei Entsprechung.121 Dasselbe gilt für das erkenntnisskeptische „Lied der Weisheit“ in Hi 28, in dem der Ort von hm'k.x' und hn"yBi innerhalb der erschaffenen Welt unbekannt ist (28,12.20). Einzig Gott kennt (!ybihe; [d:y") den Weg zur Weisheit (28,23). Dem Menschen wird als weises Verhalten die Gottesfurcht und das Vermeiden von Üblem genannt (Hi 28,28; vgl. Prov 8,13). Demgegenüber haben die Menschen im Garten Eden göttliche Erkenntnis erlangt (Gen 3,22), und das Thema der Gottesfurcht spielt in Gen 2 f. keine Rolle: Es wird zwar tatsächlich Gott gefürchtet (ary), jedoch nicht im Sinne einer Reverenz oder Achtung, sondern im Sinne eines ängstlichen sich Fürchtens vor Gott (3,10). Dies ent-

de Gn 3,22 …, l’homme a effectivement, et pour toujours, acquis la connaissance que procure le fruit de l’arbre. Même s’il s’est agi d’un larcin, cette connaissance est désormais une composante inaliénable de la nature humaine.“ Mit „connaissance“ meint er dabei „l’infinie sagesse de Dieu“ (ebd.). 111 Vgl. Husser, Relecture, 250: „On ne peut pas identifier simplement la da’at dont il est question dans ce texte au thème de la ḥ okmâ et de la tôrâ révélée; il y a sans doute une raison au fait que l’auteur évite d’utiliser le mot ḥ okmâ.“ Vgl. Alonso-Schökel, Motivos, 301 f.304; Schellenberg, Erkenntnis, 244 f. Anm. 198. 112 Vgl. Prov 8,1. 113 Vgl. Prov 8,14. 114 Vgl. ~yviyai und ~d"a' ynEB. in Prov 8,4, ~ynIB' in 8,32 und ~d"a' in 8,34 im Gegensatz zu der vom Erkenntnisbaum angetanen hV'ai in Gen 3,6. Dass auch Frauen Adressatinnen von Frau Weisheit sind, ist damit nicht ausgeschlossen. Vgl. – etwas anders – Fischer, Gotteslehrerinnen, 182 f. 115 Vgl. ble Wnybih' … hm'r>[' … Wnybih' in Prov 8,5, Wmk'x] in 8,33 und W[m.vi in 8,6.32.33 (vgl. 8,34). 116 Vgl. ~yrIv'yme (Prov 8,6); tm,a/ (8,7); qd al{ %l,M,h;w>), noch „weiß“ er, dass sich Adonija zum König emporgehoben hat (1Reg 1,11: al{ dwId" WnynEdoa]w: [d"y"; 1,18: T'[.d"y" al{ %l,M,h; ynIdoa] hT'[;w>).152 Auch Barsillai kann nicht mehr zwischen gut und schlecht „erkennen“ (2Sam 19,36).153 Was hingegen einen Vergleich eher zulässt, ist die Orientierung beider Erzählkomplexe an den Grenzen im weitesten Sinne: Die Ambivalenzen menschlichen Daseins und menschlicher Möglichkeiten treten in beiden Fällen offen zu Tage. Die Akteure der Hofgeschichte Davids scheitern an ihren Grenzüberschreitungen, ihre Weisheit dient zum Guten wie zum Schlechten154 – genauso wie die Erkenntnis von Gut und Schlecht auch das Schlechte, den Brudermord, hervorbringen kann. Jedoch ist auch der Begriff der Ambivalenz bzw. das Thema der Grenzüberschreitungen zu unspezifisch für solche Textvergleiche: In weiten Teilen des Alten Testaments wird das menschliche Leben mitsamt seinen Möglichkeiten und Widrigkeiten als ambivalent wahrgenommen, und kommen Menschen an ihre Grenzen.155 geschichte (vgl. aaO., 140 u. ö.), oft nicht explizit „ausgesprochen“ wird (vgl. aaO., 144), dass „weisheitliches Denken … hier nicht ausdrücklich zur Sprache“ kommt (aaO., 140), und dass „der Verfasser … überhaupt keine spezifische weisheitliche Terminologie“ gebraucht (aaO., 141). Der daraus resultierende „weisheitliche[] Horizont“ (aaO., 148) ist kaum auf die Weisheitsliteratur und die Thronfolgegeschichte (sowie die Josephserzählung: Vgl. aaO., 147 mit Anm. 14) begrenzt. 150 Vgl. bes. 2Sam 16,15–17,23. 151 Vgl. 2Sam 13,3 (Jonadab); 14,2 (die weise Frau von Tekoa); 14,20 (David); 20,16 (die weise Frau von Abel-Bet-Maacha; vgl. 20,22); 1Reg 2,9 (Salomo; vgl. 2,6). Zu den weisen Frauen in 2Sam 14; 16 vgl. bes. Fischer, Gotteslehrerinnen, 39–61 und insgesamt zum „Wirken weiser Frauen und Männer in den Davidserzählungen“ (so der Titel) aaO., 62–75. 152 Vgl. auch 2Reg 2,32. Vgl. hierzu Ackermann, Knowing, 51–53 und passim: „David no longer knows“ (aaO., 52); „the waning king does not know good and evil“ (aaO., 53). 153 S. o. Kap. 3.4.9 mit Anm. 322. 154 Vgl. Blum, Anfang, 316–318: „Das eigentlich Aufregende freilich ist, wie die gerade entdeckten und wahrgenommenen Möglichkeiten des Menschen sogleich in ihren Grenzen und ihren Gefahren gezeigt werden.“ AaO., 316. Ähnlich Ackermann, Knowing, 59. Vgl. auch Ku, Weisheit, nach dem hinter der „ironischen Darstellung der Weisheit“ in der Thronfolgegeschichte „eine beißende Kritik des Verfassers an der verfehlten Praktizierung der Weisheit in der wirklichen Welt“ steht (aaO., 229). 155 Vgl. etwa Dietrich, Israel zu „Ambivalenz als Grundkategorie der biblischen Erzelternerzählungen und der Erfahrungen Israels mit seinen Nachbarn“ (so der Untertitel).

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

302

Relativ-chronologische Einordnung von Gen 2 f.

Die Überschneidungen zwischen der Paradieserzählung und der Thronfolgegeschichte sind damit zu allgemein, um die Erzählung vom Königtum Davids und seiner Nachfolge für die relativ-chronologische Einordnung von Gen 2 f. fruchtbar zu machen.156 Prov 31,10–31 wird klassischerweise als „Lob der tüchtigen Hausfrau“ verstanden,157 was dem Text so aber kaum gerecht wird.158 Die vortreffliche Frau (lyIx;-tv,ae; vgl. Prov 12,4; 31,10.29; Rut 3,11) ist weise (vgl. 31,26) und gottesfürchtig (vgl. 31,30) – und scheint damit ein Gegenbild zu Eva zu sein, die sich hat verführen lassen.159 Nebst einzelnen Übereinstimmungen im Vokabular (caveat!) entspricht insbesondere der Aspekt des Lobes der (Ehe-)Frau dem positiven Frauenbild von Gen 2 f., wo die Frau als krönender Abschluss der Schöpfung, als Gegenüber des Mannes, auf das dieser sehnlichst hofft, und als Mutter alles Lebens dargestellt wird.160 Weiter geht die Übereinstimmung freilich nicht. Beide Frauen haben eine unterschiedliche Funktion: Gen 2 f. stellt eine Erzählung dar, die ursprungsmythologisch begründet, weshalb die Menschen, Frauen und Männer, Erkenntnis von Gut und Schlecht haben. Die Rätselfrage in Prov 31,10 zielt dagegen mehr auf Nachahmung weisheitlichen Verhaltens ab, Prov 31,10–31 erscheint mithin „als eine Art Kurzfassung weisheitlichen Ideals“.161 Die vortreffliche Frau wird deutlich „in den Farben von Frau Weisheit“ aus Prov 1–9 gemalt,162 womit das Sprüchebuch eine Rahmung durch die weise Frau 156 Aufgrund dieses abschlägigen Befundes hinsichtlich der Vergleichbarkeit müssen die Fragen nach Textumfang (insbesondere nach dem Anfang!), Textintention (pro- oder antidavidisch und/oder pro- oder anti-salomonisch?), Einheitlichkeit bzw. Diachronie und letztlich Datierung (10. Jh.? vor-, nach- oder exilisch?) der Thronfolgeerzählung hier nicht geklärt werden. Eine zunehmende Anzahl an Forschern verneint aufgrund der zahlreichen Textvernetzungen in 1Sam–1Reg die Existenz einer eigenständigen Thronfolgeerzählung – und datiert die entsprechenden Texte kaum mehr in die frühe Königszeit. Vgl. zur Debatte die in Anm. 146 genannten Arbeiten. 157 So etwa die Überschrift in der Lutherbibel. 158 Vgl. etwa Hausmann, Beobachtungen; Fischer, Gotteslehrerin; dies., Gotteslehrerinnen, 142–172. 159 Zum Vergleich mit Prov 31 vgl. etwa Alonso-Schökel, Motivos, 303 f. (s. o. Kap. 4.1.2 Anm. 47); Festorazzi, Sapienza, 44; Carr, Subversion, 585.590 f. 160 Insofern geht die These von Carr, Subversion, 590 f. nicht auf, wonach die ursprüngliche Schöpfungserzählung Gen 2* die positive Darstellung der Frau mit Prov 31,10–31 teilte, die spätere Garten-Eden-Erzählung Gen 2–3* (zu seinen Zuweisungen s. o. Kap. 3.1 Anm. 34) jedoch in literarischer Aufnahme von Prov 31 dieser positiven Sicht Punkt für Punkt widersprach. Auch die lexematischen Übereinstimmungen – Zufall nicht ausgeschlossen (s. o.) – entsprechen sich inhaltlich kaum: Die „Früchte“ der weisen Frau in Prov 31,31 sind ausschließlich in übertragenem Sinne zu verstehen, in Gen 2 f. hingegen sind stets Baumfrüchte gemeint. Auch die „Bekleidung“ ist in Gen 3,7 (als Substantiv) konkret, in Prov 31,17 (als Verb) übertragen verwendet. Und schließlich spricht Gen 2 f. von Erkenntnis, Prov 31 aber von Weisheit. 161 Hausmann, Beobachtungen, 266. 162 Fischer, Gotteslehrerin, 246 f. Vgl. Meinhold, Sprüche, 522; Hausmann, Beobachtungen; Yoder, Wisdom.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Weisheitliche Prägung der Paradieserzählung?

303

bzw. Frau Weisheit erhält.163 Dabei kann offen bleiben, ob in Prov 31,10– 31 an eine reale Frau – etwa die Tochter der belehrenden Königsmutter (vgl. das „Du“ in 31,29 mit den Anreden an den König Lemuël in 31,1–9) – oder an die personifizierte Weisheit gedacht ist.164 Die Parallelisierung mit Frau Weisheit aus Prov 1–9, die Gestaltung als längere Reden (31,1–9.10–31) im Gegensatz zu den oft nur locker verbundenen Einzelsprüchen und Spruchreihen in Prov 10–29 sowie der konkrete sozialgeschichtliche Hintergrund sprechen freilich gegen eine allzu frühe Datierung von Prov 31,10–31. Wahrscheinlich ist eine perserzeitliche Datierung.165 Damit ist Prov 31,10–31 weder inhaltlich mit Gen 2 f. vergleichbar, noch weist Prov 31,10–31 in die hier zu untersuchende Zeit. Für einen Vergleich von Gen 2 f. mit der früheren Weisheit bleibt nicht mehr viel übrig: In die frühere Weisheit führen einige Sprüche, die ebenso ein positives Frauenbild zeigen: „Wer eine Frau gefunden hat, hat Gutes gefunden…“ (Prov 18,22);166 „… aber von YHWH kommt eine verständige Frau.“ (Prov 19,14).167 Auch für den ersten Menschen ist es erst gut sein (vgl. Gen 2,18), wenn er seine Frau als ihm entsprechendes Gegenüber gefunden (vgl. Gen 2,20) hat (vgl. Gen 2,23–25).168 Eine Bezugnahme braucht dies ob der nachgerade allgemeingültigen Einsicht freilich nicht zu sein. Der Vergleich hinsichtlich des positiven Frauenbildes an zwei Stellen der älteren Weisheit mit Gen 2 f. passt aber auch zum oben genannten Vergleich mit dem Gegensatzpaar Kluger-Tor: Die Erkenntnis von Gen 2 f. besteht nach den oben angestellten exegetischen Überlegungen in vorausschauender Einsicht, die nur dem Klugen zukommt, nicht aber dem Toren (vgl. Prov 22,3; 27,12). Nur der Kluge besitzt diese „Lebensweisheit“ (vgl. Prov 14,15.18).169 Dabei ist in Gen 2 f. die Gleichung Kluger-Frommer und TorFrevler noch nicht gemacht. Nicht mit der älteren Weisheit, aber mit einer früheren Datierung passen auch die relevanten Vergleichsstellen für den 163 Vgl. etwa den Vergleich mit den Korallen in Prov 3,15; 8,11; 31,10, das „Finden“ (acm) in 3,13; 8,17.35; 31,10, das „Haus“ in 9,1; 31,15.21.27. Darüber hinaus wird mit der Gottesfurcht ein programmatischer Rahmen um das Sprüchebuch gelegt: 1,7; 15,33; 31,30 (vgl. weiter 2,5; 3,7; 8,13; 9,10; 10,27; 14,2.26; 15,16; 16,6; 19,23; 22,4; 23,17; 24,21). Vgl. dazu die in der voranstehenden Anm. genannten Arbeiten. 164 Durch die Gestaltung als Akrostichon präsentiert sich 31,10–31 klar als Einheit, doch ist der Zusammenhang mit 31,1–9 deutlich: Beide Abschnitte zusammen stellen als „Worte Lemuëls, des Königs von Massa, die ihn seine Mutter lehrte“ den siebten und letzten Teil des Sprüchebuches dar (vgl. Prov 9,1). Vgl. etwa Fischer, Gotteslehrerin, 244–246; dies., Gotteslehrerinnen, 150. 165 Vgl. ausführlich Yoder, Wisdom und dazu Fischer, Gotteslehrerin, 240 f. 166 Prov 18,22: hw"hy>me !Acr" qp,Y"w: bAj ac'm' hV'ai ac'm.' 167 Prov 19,14: tl,K'f.m; hV'ai hw"hy>meW tAba' tl;x]n: !Ahw" tyIB;. 168 Vgl. Delkurt, Einsichten, 64–66; Hausmann, Studien, 149 f. und 148–163 insgesamt zum vom Mann aus betrachteten Verhältnis Mann-Frau im Sprüchebuch. 169 S. o. Kap. 3.4.9 mit Anm. 331; 3.4.18 mit Anm. 406.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

304

Relativ-chronologische Einordnung von Gen 2 f.

Begriff der „Erkenntnis von Gut und Schlecht“ zusammen (vgl. etwa 2Sam 14,17; 19,36; 1Reg 3,9; Jes 7,16).170 Mit der älteren Weisheit teilt Gen 2 f. weiter auch das bäuerliche Milieu (vgl. etwa Prov 12,11; 28,19)171 und die Rede von der Menschenschöpfung (vgl. etwa Prov 14,31; 17,5; 22,2 u. ö.) – während in der jüngeren Weisheit die Weltschöpfung in den Vordergrund tritt (vgl. Prov 3,19 f.; 8,22–31; Hi 28; 38–42 u. ö.).172 Beide Textbereiche haben aber auch für diese Gedankenwelten bzw. Themen keinen Ausschließlichkeitscharakter. Zur älteren Weisheit im Umfeld Israels könnte auch die Inschrift vom Tell Deir �Allā gezählt werden:173 Kombination I stellt eine unheilsprophetische Erzählung über Bileam und eine weisheitliche „Verkehrte-WeltErzählung“ dar. Der innere Zusammenhang beider Erzählteile ist unklar. Die noch fragmentarischere Kombination II kann mit Blum als „weisheitlicher Dialog über Vergänglichkeit und Verantwortung“174 interpretiert werden. Der Text ist wiederum zweiteilig aufgebaut: Auf das memento mori folgt ein sozialethischer Abschnitt. Trifft Blums Rekonstruktion zu, wird der lebensfrische Mensch nach Z.5.16 zu einem verwesenden Leichnam und zu Staub/Erde.175 Das Bild ist mit Gen 3,19 vergleichbar: drm entspricht weitestgehend hebräischem rp[.176 Das heißt aber, dass schon im 9. Jh. im Umfeld Israels und nicht erst in spät-weisheitlichen Texten der Staub als Metapher für den Tod galt – was aufgrund der obigen Überlegungen zur Bestattungspraxis auch kaum überrascht.177 Einen Erkenntnisdiskurs führt die Inschrift vom Tell Deir �Allā freilich (noch) nicht. 4.) Fazit: Die Paradieserzählung reflektiert auf das menschliche Leben und Sterben auf Erden in Relation zu Gott. Dies tut auch die Weisheitsliteratur, wodurch sich ein Vergleich beider Textcorpora aufdrängte, der Gemeinsamkeiten und Differenzen im Detail aufwies. Gen 2 f. teilt bis zu einem gewissen Grad die Gedankenwelt der Weisheitsliteratur und weist insbesondere mit der Erkenntnisthematik ein zentrales Thema der Weisheitsliteratur auf. Ob dies aber eine direkte Übernahme aus der Weisheitsliteratur darstellt, kann aufgrund der Differenzen zwischen Gen 2 f. und der Weisheitsliteratur hinsichtlich dieses Erkenntnisdiskurses nicht gesagt werden. Mit Blick auf die auch weisheitlich geprägte 170 S. o. Kap. 3.4.9. Vgl. Schellenberg, Mensch, 190. 171 Prov 12,11a // 28,19a: ~x,l'-[B;f.yI Atm'd>a; dbe[o. Vgl. hierzu Delkurt, Einsichten, 75 f.82 f. 172 Vgl. zu „Menschenschöpfung und Weltschöpfung in der alttestamentlichen Weisheit“ die gleichnamige Arbeit von Doll, Menschenschöpfung, 15 ff.41 ff. und passim. 173 Vgl. etwa Weippert, „Bileam“-Inschrift; Schüle, Israels Sohn, bes. 127 ff.; Blum, Prophetie, 88–96.114 f.; ders., Kombination I; ders., Schreibkunst. 174 So im Untertitel von Blum, Schreibkunst. Vgl. aaO., 40 ff. zu anderen Deutungen. 175 Vgl. den Text nach Blum, Schreibkunst, 36: … ] bjr lk rdmw rqn ~l: „Warum ist ein Verwesender und Krume jeder Feuchte (=Lebende) [, nachdem …“ 176 Vgl. Blum, Schreibkunst, 42 f. mit Anm. 54–57. 177 S. o. mit Anm. 85.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Deuteronomisch-deuteronomistische Prägung der Paradieserzählung?

305

Schreiberausbildung ist wohl eher – systemreferenziell – an ein „shared stream of linguistic tradition“178 zu denken. Genauso wenig kann ausgehend von einem Vergleich mit Weisheitstraditionen oder -texten eine genauere Datierung vollzogen werden. Als relativ gesichert kann jedoch gelten, dass Gen 2 f. entgegen einem Trend gegenwärtiger Forschung nicht in den Kontext spät-weisheitlicher Reflexion zu rechnen ist: Auch wenn die Paradieserzählung von Erkenntnis handelt, entspricht dies nicht der Weisheitsreflexion der spät-weisheitlichen Schriften. Eine Bezugnahme – in Aufnahme oder Ablehnung – wäre bei kontemporärer Entstehung aber zumindest wahrscheinlich. Im Folgenden müssen mit Blick auf eine genauere Datierung von Gen 2 f. daher die deuteronomisch-deuteronomistische und die priesterschriftliche Literatur zum Vergleich herangezogen werden (s. u. Kap. 4.3–4.4). Weiter ist auch die Relation zu Hi 15,7 f. und Ez 28 (Ez 31) zu klären (s. u. Kap. 4.5).

4.3 Deuteronomisch-deuteronomistische Prägung der Paradieserzählung? Neben der vermeintlich weisheitlichen Beeinflussung von Gen 2 f. wurde verschiedentlich auch auf eine deuteronomisch-deuteronomistische Prägung der Paradieserzählung hingewiesen.179 Alonso-Schökel erkannte in Gen 2–3 das Schema der Heilsgeschichte, historia salutis, mit den Elementen Bund-Verfehlung-Bestrafung-Versöhnung, wie es kennzeichnend ist für die dtn/dtr Geschichtsschreibung, in Teilen wieder:180 Gott erschafft den Garten, nimmt (xql) den Menschen und setzt ihn dort hinein (xwn). Dies entspreche heilsgeschichtlich betrachtet Erwählung und Erlösung. Im Garten erhält der Mensch die Aufgabe, den Garten zu bebauen (db[) und zu bewahren (rmv) – Vokabular, das oft den 178 Fishbane, Interpretation, 288. Zur Schreiberausbildung vgl. bes. Carr, Writing (vgl. ders., Bildung), zu ihrem weisheitlichen Hintergrund bzw. den weisheitlichen Themen und Gattungen als grundlegende Schreib-, Lese- und Lebensbildung bes. aaO., 126–134. 179 Vgl. Alonso-Schökel, Motivos, 305–309; Lohfink, Erzählung, 90–95; Vermeylen, Récit, bes. 244–246; ders., Commencement, bes. 100 f. (vgl. aaO., 198–202.230–233); Van Seters, Prologue, 127–129; Blenkinsopp, Pentateuch, 66; Otto, Paradieserzählung, 178– 183; Husser, Relecture, bes. 243–246; Pfeiffer, Baum, 496 f.; Gosse, L’inclusion, 189.204–209; Mettinger, Eden, bes. 49–60.64.123–126.134 f. Vgl. auch Witte, Urgeschichte, 201 Anm. 227. 180 Vgl. Alonso-Schökel, Motivos, 305–309; Lohfink, Erzählung, 90–95; Van Seters, Prologue, 127–129; Blenkinsopp, Pentateuch, 66; ders., Source, 51; Otto, Paradieserzählung, 178–183; Husser, Relecture, 243–245; Gosse, L’inclusion, 189.204–209 und passim; Mettinger, Eden, 58 f. (vgl. aaO., 49 ff.); Edenburg, Eden; Schmid, Schöpfung, 75. Der Vergleich zwischen der Paradieserzählung und der Geschichte Israels wurde – vornehmlich in der älteren Forschung – verschiedentlich auch ohne die These dtn/dtr Beeinflussung von Gen 2 f. geäußert, vgl. etwa Berg, Land, 48–51 (vgl. aaO., 49 Anm. 56 zur klassischen Datierung). Vgl. auch Postell, Adam.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

306

Relativ-chronologische Einordnung von Gen 2 f.

Dienst für Gott bezeichne. Sodann erfolgt in apodiktischem Stil das Verbot, vom Erkenntnisbaum zu essen, unter Androhung der Todesstrafe, und die Erschaffung der Tiere und der Frau, die vom Mann genommen, „gebaut“ und zu ihm geführt wird (xql – hnb – awb hiph.), so dass er seine Eltern verlässt und seiner Frau anhängt (bz[ – qbd). Diese Verbindung von Mann und Frau stelle eine „tödliche Gefahr“ dar, denn wen sollte der elternlose Adam verlassen, wenn nicht Gott?181 Die Untergrabung des göttlichen Gebotes erfolge aber nicht durch Menschen, sondern durch den Feind von Außen, die Schlange mit ihrer perfiden Rhetorik.182 Der Fall des Menschen kann nun nicht mehr aufgehalten werden. Das göttliche Verhör nehme dann wieder dtn/dtr Sprache auf: Das Hören auf die Stimme Gottes und das sich Fürchten vor Gott (lwq … [mv – ary). Auch die Strafsprüche, neben denen Hoffnung gleich mitschwingt, seien dtn/dtr geprägt.183 Motivkombination und Vokabular sprechen also auf den ersten Blick für eine dtn/dtr Beeinflussung, und die Paradieserzählung erscheint damit als Allegorie auf die Untergangsgeschichte Israels bis ins babylonische Exil.184 Auch wenn Gen 2 f. nicht von tyrIB. spricht,185 „rekurriert der Autor von Gen 2–3“ nach Otto „auch auf die berît-Tradition“.186 Jedoch ist nicht alles deuteronomistisch, was deuteronomistisch klingt. Dies wurde etwa überzeugend für die Rede vom „Neuen Bund“ in Jer 31 dargelegt:187 Ungeachtet dtr Überarbeitungen im Jeremiabuch muss „zwischen sprachlichen und sachlichen Deuteronomismen unterschieden werden“.188 Die Rede vom neuen Bund kommt hier zwar sprachlich in dtr Gestalt daher, doch ist die Aufhebung der schriftlichen Tora durch deren Einschreibung ins Herzen völlig un- oder gar anti-deuteronomistisch. Jer 31,31–34 lässt sich „nachgerade als Gegenkonzept“ zum laer"f.yI [m;v. in Dtn 6,4–9 lesen: „Mit Jer 31,31–34 hat man einen Text vor sich, der antideuteronomistische Theologie in deuteronomistischer Sprachgestalt vertritt.“189

181 Darüber hinaus birgt eine Ehe immer die Gefahr, vom eigenen Gott abzufallen und fremden Göttern zu dienen – „como las típicas tentaciones de la tierra prometida“ (AlonsoSchökel, Motivos, 307). Vgl. Otto, Paradieserzählung, 178 f. zu Dtn 7,2–4; Ex 34,15 f. (s. o. Kap. 4.2 mit Anm. 97.99). 182 Vgl. Alonso-Schökel, Motivos, 307 f., der zeigt, wie Eva so vom apodiktischen Verbot zur paränetischen Rede übergeht. 183 Vgl. auch Vermeylen, Récit, 235–240; ders., Commencement, 100 f.; Mettinger, Eden, 51 f. 184 Vgl. auch Wyatt, Creation, 17–21, wonach Gen 2 f. aber den Untergang des Nordreiches reflektiere. 185 Von tyrIB. spricht in diesem Zusammenhang erst Sir 17. Vgl. Alonso-Schökel, Motivos, 309. 186 Otto, Paradieserzählung, 179. 187 Vgl. etwa Fischer, Aufnahme; Schmid, Buchgestalten, 66 ff.302–304; ders., Jeremiabuch, 354–357.359 f. 188 Schmid, Jeremiabuch, 355. 189 Beide Zitate aus Schmid, Jeremiabuch, 360. Zur „negativ gewendeten Rezeption von Dtn 6,4–9 in Jer 31,31–34“ vgl. ders., Buchgestalten, 66–69.81 f., hier 302.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Deuteronomisch-deuteronomistische Prägung der Paradieserzählung?

307

Methodisch folgt daraus: „Man sollte die Klassifikation ‚deuteronomistisch‘ strikt auf solche Texte beschränken, die sich sachlich an den Leitlinien des Deuteronomismus (Kultuseinheit und Kultusreinheit) orientieren und dazu die schulsprachlichen Eigenheiten des Deuteronomismus zeigen – der sogenannte Sprachbeweis allein ist unzureichend für eine verlässliche Identifizierung deuteronomistischer Redaktionspassagen.“190 Beides lässt sich auch für Gen 2–3 nachweisen: Auch hier zeigt sich, dass Vokabelstatistiken an sich kaum geeignet sind für die literarhistorische Einordnung,191 da die entsprechenden Lexeme in Gen 2 f. nicht der dtn/dtr Schulsprache entsprechen, und dass die Paradieserzählung an den theologischen „Leitlinien des Deuteronomismus“, der Kultuseinheit und der Kultusreinheit, nicht interessiert ist. Auch weitere in der Forschung genannte Motive können Gen 2 f. nicht als dtn/dtr beeinflusst erweisen. Dies ist im Folgenden zu begründen. 1.) Gerade die Forderung der Kultusreinheit scheint Otto in Aufnahme von Alonso-Schökels Arbeit in der Paradieserzählung vorfinden zu wollen, wenn er Dtn 13,5 (dtr) als ein „Vokabular für Gen 2–3“192 liest und das „dtr Bundes- und Konnubiumsverbot in Dtn 7,2–4“193 zur Interpretation heranzieht.194 Die relevanten Vokabeln aus Dtn 13,5 (%lh – ary – wyt'wOc.mi – rmv – AlqoB. … [mv – db[ – qbd)195 finden sich zwar tatsächlich alle auch in Gen 2 f., stehen dort aber in ganz anderer Verwendung: %lh wird nur mit Gott als Subjekt verwendet (3,8), jedoch nicht mit den Menschen. Gefürchtet (ary) wird zwar tatsächlich Gott, aber nicht im Sinne einer Reverenz oder Achtung, sondern im Sinne eines ängstlichen sich Fürchtens vor Gott (3,10; s. o. Kap. 4.2). Es wird zwar tatsächlich ein Gebot (nicht mehrere!) erteilt (vgl. 2,16; 3,11.17; jeweils verbal: hwc; s. u.), doch nicht das Gebot soll bewahrt (rmv) und nicht Gott soll gedient (db[) werden, sondern der Garten Eden soll bebaut und bewahrt werden (2,15). Gehört wird sowohl die Stimme Gottes (lAq-ta, [mv; 3,8.10),196 es wird aber v. a. auf die Stimme der Frau

190 Schmid, Jeremiabuch, 355 (Herv. W.B.). Vgl. ders., Literaturgeschichte, 81: „…in die Irre führt der sogenannte Sprachbeweis: Deuteronomistische Texte seien mit hinlänglicher Sicherheit über ihre Sprachprägung zu erkennen… Dagegen ist festzuhalten: Es gibt auch ‚deuteronomistisch‘ klingende Texte, die ganz undeuteronomistisch konzipiert sind (z. B. Jer 31,31–34 oder Jer 24). Der Sprachgebrauch ist kein hinreichendes Merkmal zur Bestimmung deuteronomistischer Texte, diese müssen vielmehr konzeptionell als solche ausweisbar sein.“ Vgl. aaO., 130 f.167. 191 Zur methodischen Begründung s. o. Kap. 4.1.1. 192 Otto, Paradieserzählung, 181. 193 Otto, Paradieserzählung, 178. 194 Dagegen s. o. Kap. 4.2 mit Anm. 97–99. 195 Dtn 13,5: AbW Wdbo[]t; Ataow> W[m'v.ti Alqob.W Wrmov.Ti wyt'wOc.mi-ta,w> War"yti Ataow> WkleTe ~k,yhel{a/ hw"hy> yrEx]a; !WqB'd>ti. 196 Es muss hier nicht einmal die Stimme gemeint sein. Gemeint ist einfach ein Geräusch, das von YHWH Elohim ausgeht: S. o. Kap. 3.4.11.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

308

Relativ-chronologische Einordnung von Gen 2 f.

gehört (lAql. [mv; 3,17).197 Schließlich geht es auch nicht um ein Festhalten (qbd) an Gott, sondern um das Anhangen an die Frau als – von Gott gegebenes – Gegenüber (2,24). Nur unter Absehung theologischer Aussageinteressen beider Textcorpora kann also Dtn 13,5 als „Vokabular für Gen 2–3“ angesehen werden.198 Dasselbe gilt für die weiteren etwa von Otto oder Mettinger genannten Textbeispiele wie Dtn 4,6–8.25–27; 8,1–3; 11,26–28; 30,15–20:199 Vereinzelte Übereinstimmungen im Vokabular können nicht über die inhaltlichen Differenzen hinwegtäuschen: Genauso wenig wie Gen 2 f. die dtn/dtr Segensund Mehrungsmotivik reflektiert,200 muss Adam den Garten Eden (gewaltsam) einnehmen. Bereits oben wurde darauf hingewiesen, dass auch die dtr Ruhethematik nichts mit der Paradieserzählung gemein hat.201 WhxeNIY:w: in 2,15 entspricht gerade nicht dtr Theologie:202 Einerseits ist hier keine Ruhe vor irgendwelchen Feinden gemeint (vgl. dagegen nur Dtn 12,9 f.),203 und andererseits wird in dtn/dtr Kontexten eine andere Hiphil-Form verwendet.204

197 Es fällt auf, dass die von Otto genannten Beispiele (vgl. Otto, Paradieserzählung, 181 mit Anm. 78) eine andere Präposition aufweisen (lwOq + B.) als die Belege in Gen 3 (vgl. auch Mettinger, Eden, 51 Anm. 32; 53 f.). Die Unterschiede gehen aber noch weiter: In den dtn/dtr Belegen sind Urheber des Gebots und Objekt des Hörens i.d.R. identisch. In Gen 2 f. ist aber Gott Urheber des Gebots, die Frau jedoch Objekt des Hörens. Dies entkräftet auch Mettingers Einwände (vgl. ebd.). 198 Vgl. auch Vervenne, Genesis, 63; Blum, Gottesunmittelbarkeit, 14 f. (s. u. mit Anm. 213 f.); Mettinger, Eden, 50 Anm. 29. 199 Vgl. Otto, Paradieserzählung, 180–183; Mettinger, Eden, 52 f. Vgl. auch Fanuli, Precetto, 219–222. 200 Vgl. Leuenberger, Segen, 301–375 zur dtn/dtr Segenstheologie, die auf materielle Prosperität und Fruchtbarkeit zielt und zunehmend konditioniert und als Oppositionspaar Segen und Fluch erscheint. Die Korrelierung etwa von Segen und Leben, Fluch und Tod bzw. die Alternative zwischen Segen und Fluch, Leben und Tod (vgl. etwa Dtn 30,15–20 bei Otto, Paradieserzählung, 182; Mettinger, Eden, 52.57) entspricht Gen 2 f. so nicht: Weder wird dem Menschen eine solche Alternative vor Augen geführt, noch bedeuten die Fluch- bzw. Straf-Sprüche an sich den Tod der Menschen. Vielmehr kommt erst nach den Strafsprüchen die menschliche Reproduktion ins Blickfeld (3,20; s. o. Kap. 3.4.15), und auch nach den Strafsprüchen wendet sich Gott den Menschen liebevoll zu (3,21). Die Alternative, dass die Menschen das göttliche Gebot nicht übertreten hätten, wird nicht nur nicht mit Segen gleichgesetzt (das Lexem begegnet in Gen 2 f. nicht), sondern ist in Gen 2 f. noch nicht einmal im Blick (s. o. Kap. 3.4.8; 3.4.18): Das menschliche Dasein vor dem Essen der Frucht ist genauso ambivalent wie das danach. 201 S. o. Kap. 3.4.3 mit Anm. 237 f. 202 Etwa gegen Alonso-Schökel, Motivos, 306; Blenkinsopp, Pentateuch, 66; Otto, Paradieserzählung, 180; Husser, Relecture, 243 f. (und bedingt Witte, Urgeschichte, 269 f.). 203 So aber Alonso-Schökel, Motivos, 306; Otto, Paradieserzählung, 180; Husser, Relecture, 243 f. Vgl. auch die bei Husser, aaO., 244 Anm. 24 und Witte, Urgeschichte 270 genannten Belege. 204 WhxeNIY:w: in 2,15 ist Kausativ 2/B nach HALAT3, 642; Ges18, 793 f. Das dtr Ruhe-Motiv wird dagegen mit Kausativ 1/A gebildet. Vgl. auch die Kritik bei Blum, Gottesunmittelbarkeit, 14; Mettinger, Eden, 50 Anm. 29 (s. o. Kap. 3.4.3 mit Anm. 237).

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Deuteronomisch-deuteronomistische Prägung der Paradieserzählung?

309

Auch der Verweis auf hwc pi. ist kaum aussagekräftig:205 Zwar lässt sich sagen, dass „[m]it ̣swh (Pi.) … das klassische Lexem für die Gebotspromulgation, insbesondere im Deuteronomium und in der Priesterschrift, verwendet“ wird,206 doch besagt dies nichts über den theologiegeschichtlichen Hintergrund von Gen 2,16; 3,11.17. Die Einführung eines Gebotes erfolgt im Alten Testament nun einmal oft mit hwc pi., völlig gleichgültig, ob im dtn/dtr Schrifttum oder in anderen Texten. Nicht jedes ergangene Gebot im Alten Testament geht auf die Deuteronomisten – oder die Priesterschrift – zurück.207 Darüber hinaus sind die von hwc pi. regierten Präpositionen zu beachten: In Gen 2,16 l[;, im dtn/dtr und priesterschriftlichen Gebrauch dagegen tae oder aber mit direktem Objekt (vgl. auch Gen 3,11.17).208 Nach Otto setzt sodann das Verbot 2,17 die „dtr Reflexion über den Gebotsgehorsam gegen JHWH als Voraussetzung gelingenden Lebens voraus“, da es „nicht begründet, sondern einzig durch die mit ihm verbundene Prävention der Todessanktion und die Autorität göttlicher Promulgation durchgesetzt“ wird.209 Nun wird in 2,17 allerdings nicht auf das Todesrecht210 angespielt.211 Statt des hierfür kennzeichnenden tm'Wy tAm (hoph. 3.Sg.) steht in 2,17 tWmT' tAm (qal 2.Sg.). Es geht, wie gesehen, in 2,17 also nicht um die rechtliche Todessanktion, sondern um das Motiv der Sterblichkeit.212 Der Nachweis dtn/dtr Beeinflussung der Paradieserzählung mittels der genannten Lexeme kann damit als gescheitert bezeichnet werden: Der Sprachbeweis beweist auch hier nichts: „Parallelen [zwischen Gen 2 f. und der dtn/dtr Literatur] ergeben sich hier nur über eine Atomisierung von Lexemen und die Abstraktion von Syntax und Semantik… Aber ein Text ist ein Text und kein Cluster von Lexemen!“213 „Bezieht man dagegen den jeweiligen Kontext mit seiner Semantik ein, dann dürften die aufgeführten Vergleiche geradezu Argumente gegen einen traditionsgeschichtlichen oder gar literarischen Zusammenhang bieten.“214 Die lexematischen Übereinstimmungen zwischen dtn/dtr Literatur und der Paradieserzählung sind

205 Gegen Otto, Paradieserzählung, 181; Husser, Relecture, 244; Mettinger, Eden, 26.51. 206 So Otto, Paradieserzählung, 181. 207 Ein Blick in die Konkordanz genügt als Nachweis. Vgl. etwa García-López, hwc. 208 Vgl. Stordalen, Echoes, 226 f. und zu den Dtn-Belegen Weinfeld, Deuteronomy, 356 f. Das Argument wird bei Mettinger, Eden, 51 Anm. 30 heruntergespielt. 209 Otto, Paradieserzählung, 181 f. Beide Zitate aaO., 182. 210 Vgl. hierzu Schulz, Todesrecht; Otto, Ethik, 32–47.64–67. 211 So auch Dohmen, Schöpfung, 63; Blum, Gottesunmittelbarkeit, 23; Mettinger, Eden, 22 f. mit Anm. 49; Stordalen, God, 11. 212 S. o. Kap. 3.4.4. Gegen Otto, Paradieserzählung, 181 Anm. 79 in Aufnahme seiner Formulierung. 213 Blum, Gottesunmittelbarkeit, 15 (Herv. W.B.). Ähnlich Dohmen, Schöpfung, 358 f. Anm. 20. 214 Blum, Gottesunmittelbarkeit, 15. Vgl. auch Carr, Subversion, 592.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

310

Relativ-chronologische Einordnung von Gen 2 f.

sprachstatistische Zufallsbefunde und taugen nicht zur literarhistorischen Einordnung von Gen 2 f. 2.) Ähnliches gilt für weitere angeführte Motive, welche die dtn/dtr Beeinflussung von Gen 2 f. nachweisen sollen. So ist etwa der Hinweis auf die Schlange als Allegorie auf die kanaanäischen Kultgebräuche, die die Israeliten in Versuchung führen,215 nichts anderes als selber „‚post-‘ oder besser ‚subdeuteronomistische‘“216 Geschichtsschreibung. Die Schlange in Gen 3 verführt die Menschen auf jeden Fall nicht zu irgendwelchen Kultpraktiken. Mettinger schließt sich insbesondere Lohfink, Van Seters und Otto an, geht aber über sie hinaus, denn „they overlooked the fact that there is another Deuteronomistic concept that plays a prominent role in Genesis 2–3: God testing humans.“217 Nach Mettinger wird in der Paradieserzählung das dtn/dtr Motiv, dass Gott den Gehorsam eines Menschen prüft, aufgenommen – auch wenn das hierfür charakteristische Lexem hsn pi. in Gen 2 f. nicht belegt ist: „I define the subject [of the Eden Narrative] as the divine test of obedience to the commandement and the theme as disobedience and its consequences.“218 Als Beleg dient ihm Dtn 8,1–3.20, wonach Gott die Israeliten 40 Jahre durch die Wüste hat wandern lassen, um es zu prüfen und zu erfahren, ob es die Gebote halte. In Dtn 8,20 wird die Möglichkeit des Versagens in Betracht gezogen: Weil die Israeliten nicht auf die Stimme Gottes hören, kommen sie um. Damit vergleicht er nebst Ex 16,4 und 15,25 f. Belege von Prüfungen Einzelner, namentlich Abrahams in Gen 22 (hsn pi. in 22,1) und Hiobs in Hi 1–2; 42 (ohne hsn pi.) und kommt im Vergleich zur Paradieserzählung zu folgenden Schlüssen: Die Protagonisten, Abraham, Hiob, Adam, wissen alle nicht, dass sie von Gott geprüft werden, die Leser der Erzählungen hingegen wissen es. Geprüft wird jeweils die Gottesfurcht des Protagonisten (vgl. Gen 22,12; Hi 1,1.8; 2,3). Für den Fall des Bestehens erwarte die Versuchten eine Belohnung, Segen bei Abraham,219 Restitution bei Hiob, ewiges Leben in Gen 2 f., entsprechend der dtn/dtr „theology of retribution“.220

215 Vgl. etwa Jaroš, Motive, 214 f.; Blenkinsopp, Pentateuch, 66; ders., Source, 51 f.; Husser, Relecture, 245. 216 Der Begriff stammt von Weippert, Geschichte, 73. 217 Mettinger, Eden, 23 mit Anm. 50; 37 f.41.49–58.63 f.123 ff., hier 52 f. 218 Mettinger, Eden, 64 (vgl. auch Edenburg, Eden, 161 f.). Für Mettinger setzt sich Gen 2 f. v. a. aus dem Hi 15,7 f. und Ez 28 vergleichbaren „Adamic Myth“ (s. u. Kap. 4.5) und deuteronomistischer Theologie zusammen: „The Eden Poet used the plot of the preliterary Adamic myth. His allegiance to the Deuteronomistic value system left its imprint on the theme of the Eden Narrative…“ AaO., 125. Zu Mettingers literarhistorischer Rekonstruktion s. o. Kap. 3.1 mit Anm. 30. 219 Die Segensverheißung Gen 22,15–18 ist freilich eine spätere Ergänzung. Vgl. Blum, Vätergeschichte, 320; Levin, Jahwist, 178; Schmid, Rückgabe, 274. 220 So Mettinger, Eden, 64: „The consequences of the test in the Eden Narrative should be

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Deuteronomisch-deuteronomistische Prägung der Paradieserzählung?

311

Mettingers Vergleich kann nicht überzeugen: 1.) Wiederum kann hsn pi. für das Versuchen von Menschen durch Gott nicht als genuin bzw. ausschließlich dtn/dtr bezeichnet werden (vgl. Gen 22,1[?]; 2Chr 32,31; Ps 26,2),221 es sind also nicht alle Prüfungen dtn/dtr Provenienz. Zudem beziehen sich die dtn/dtr Stellen meist auf das Volk, die nicht dtn/dtr Stellen dagegen auf eine Einzelperson.222 2.) Im Gegensatz zu Abraham und Hiob, wo die Prüfung dem Leser entweder explizit durch die Verwendung von hsn pi. (Gen 22,1) oder durch die narrative Gestaltung mit dem „Prolog im Himmel“ (Hi 1–2) klar vor Augen geführt wird,223 muss eine Prüfung eher zwanghaft in Gen 2 f. hinein interpretiert werden: Das Verbot in 2,16 f. macht weder Adam noch den Lesern klar, dass die „Gottesfurcht“ der ersten Menschen auf dem Prüfstand stehe.224 3.) Dabei wurde schon oben gezeigt, dass es in Gen 2 f. überhaupt nicht um Gottesfurcht im Sinne von Gott Fürchten, also um Reverenz, geht. Vielmehr geht es nach dem Essen der Frucht um ein sich Fürchten vor Gott, also um Angst (3,10). 4.) Auch der Aspekt der Belohnung, die nach Mettinger den Lesern von Anfang an klar sei, ist nicht überzeugend: Eine Belohnung erhalten Abraham und Hiob erst ex post, nach dem Bestehen der Prüfung. Die Belohnung für Adam und Eva wäre nach Mettinger der Lebensbaum gewesen. Damit erklärt er, dass die ersten Menschen nichts vom Lebensbaum wussten, denn in 2,9 werden nur die Leser über den Lebensbaum informiert.225 Doch: Dass der Text seinen Lesern nicht mitteilt, dass die ersten Menschen vom Lebensbaum wussten, heißt nicht, dass sie nicht davon wussten! Der Text teilt auch nicht mit, wie Eva das Gebot aus 2,16 f. erfahren hat, und gleichwohl kennt sie es (vgl. 3,2 f.).226 Darüber hinaus widerspricht 3,22 der Belohnungsthese: Gott befürchtet, dass die Menschen auch vom Lebensbaum essen. Er setzt damit die Kenntnis des Lebensbaums seitens der Menschen voraus.227 5.) Insbeseen in the light of the Deuteronomistic theology of retribution. Disobedience vis-à-vis the word of God is followed by divine curses. Note that the punishment of death in the Deuteronomistic theology becomes the forfeiture of immortality in the Eden Narrative.“ 221 Dies gilt ungeachtet der z. T. sehr späten Entstehung der Texte: Post-dtn/dtr Entstehung bedeutet nicht eo ipso dtn/dtr Beeinflussung. 222 Vgl. auch Blum, Vätergeschichte, 329. 223 Zum Vergleich von Gen 22 und der Hioberzählung vgl. auch Blum, Vätergeschichte, 329 f. und Veijola, Abraham und Hiob. 224 Vgl. auch Stordalen, God, 11 mit Anm. 40. 225 Vgl. Mettinger, Eden, 20.37 f.39 f.49.55.59 f. Damit verbindet sich auch die Frage nach der ursprünglichen Un-/Sterblichkeit der Menschen (s. o. Kap. 3.4.4 mit Anm. 256): „… whether the first humans were to be mortal or immortal was an open issue until they failed the test. It seems clear that immortality was never granted. It was only a possible reward that never materialized.“ AaO., 59. 226 S. o. Kap. 3.4.9 mit Anm. 317. 227 Auch wenn man stattdessen annimmt, die Menschen könnten rein zufällig vom Lebensbaum essen, wenn sie nicht aus dem Garten Eden vertrieben würden, würde dies der Belohnungsthese widersprechen. Denn ebenso hätten die Menschen auch vor dem Essen vom verbotenen Baum zufällig vom Lebensbaum essen können, ihre Belohnung also verfrüht erhalten können.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

312

Relativ-chronologische Einordnung von Gen 2 f.

sondere die von Mettinger genannten dtn/dtr Stellen unterscheiden sich inhaltlich klar von Gen 2 f.: Während in Dtn 8,2 Gott das Volk Israel vierzig Jahre durch die Wüste schickte und demütigte, werden die Menschen in Gen 2 f. in einen blühenden Garten versetzt und mit allem versehen, was sie zum Leben brauchen. Auch steht nicht der Tora-Gehorsam auf dem Prüfstein, sondern ein kontextgebundenes Gebot. 3.) Fazit: Es geht in der Paradieserzählung nicht um die Bewährung der Protagonisten, sondern um eine Ätiologie menschlichen Daseins und Soseins (s. o. Kap. 3.4.18). Die Übertretung des göttlichen Gebotes führt die Menschen als Strafe nicht ins babylonische Exil, sondern ins Ackerland Kanaans: Die Existenz jenseits von Eden ist durchsichtig auf die bäuerliche Lebensweise der Israeliten in Israel/Kanaan, wie sie für die menschliche Existenz schlechthin verstanden wird.228 Mit der deuteronomisch-deuteronomistischen Geschichtskonzeption hat Gen 2 f. nichts gemein, wie der sprachliche Unterschied auf der einen und der narrativ-theologische bzw. motivische Unterschied auf der anderen Seite klar gezeigt haben.229 Vielmehr muss die Paradieserzählung gerade im Gegensatz zur dtn/dtr Theologie gesehen werden: Die Menschen in Gen 2 f. stehen für die Menschheit insgesamt, und nicht für Israel allein. Die gesamte Menschheit ist aber weder in toto aus Israel nach Babylon deportiert worden, noch würden die dtn/dtr Theologen einen Bund Gottes mit der ganzen Menschheit, statt nur mit Israel, postulieren – ob sie das Lexem verwenden oder nicht.230 Zu demselben Resultat kommt auch Stordalen in seiner Auseinandersetzung mit Mettinger: Er verweist auf die relativ geringere Bedeutung von Schöpfung(stheologie) für die dtn/dtr Theologie, auf das unterschiedliche Welt-, Menschen- und Gottesbild der vergleichsweise mythischen Paradieserzählung im Vergleich zur entmythologisiert-nüchternen dtn/dtr Theologie und auf die unterschiedliche Darstellungsweise beider Textcorpora.231

228 Vgl. auch Blum, Gottesunmittelbarkeit, 14 Anm. 22: „[Es] hätte freilich die Allegorese der Vertreibung aus dem Garten als Chiffre für das Exil die merkwürdige Implikation, daß die Leser in den Lebensbedingungen des palästinischen Bauern ein Bild für das Leben in der Flußlandschaft Babyloniens und umgekehrt im ständig bewässerten Garten eine Chiffre für Kanaan erkennen sollten.“ 229 Vgl. auch Carr, Subversion, 592; ders., Intertextuality, 517–520; Seebass, Urgeschichte, 114; Blum, Gottesunmittelbarkeit, 14–16; Schüle, Prolog, 165–168.429 f.; Stordalen, God; Schellenberg, Mensch, 189 f. 230 Otto, Paradieserzählung, 183 sieht das Problem und macht aus der Not eine Tugend: Weil nicht explizit von „Bund“ gesprochen wird, kann dtn/dtr Bundestheologie einfließen, ohne dass an einen universalen Bund Gottes mit den Menschen gedacht sei. Ähnlich auch Lohfink, Erzählung, 90 f.97 f. Vgl. auch Mettinger, Eden, 57: „None of the Deuteronomistic terms for the law is used. I believe that this has to do with a universalizing tendency. The law is for Israel; the commandment in the primeval garden is for humanity.“ Vgl. auch Van Seters, Prologue, 128 f. 231 Vgl. Stordalen, God, bes. 8–18.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Priesterschriftliche Prägung der Paradieserzählung?

313

Der Erzähler von Gen 2 f. verbindet damit nicht „spätweisheitliches Denken mit der vom deuteronomistischen Deuteronomium herkommenden Bundestheologie“.232 Für die Datierung von Gen 2 f. kann nun freilich nicht mehr gesagt werden, als dass eine relativ-chronologische Einordnung gegenüber der dtn/dtr Literatur nicht möglich ist. Zu überprüfen bleibt das Verhältnis des nicht-priesterschriftlichen zum priesterschriftlichen Schöpfungsbericht.

4.4 Priesterschriftliche Prägung der Paradieserzählung? Direkte Bezüge der Paradieserzählung auf die Weisheits- und die deuteronomisch-deuteronomistische Literatur mussten in den beiden vorangehenden Teilkapiteln zurückgewiesen werden. Damit eignen sich diese Textcorpora nicht für eine relativ-chronologische Einordnung der Paradieserzählung, die über die Zurückweisung einer spät-weisheitlichen Datierung hinausgeht. Im Folgenden ist nun der priesterschriftliche Schöpfungsbericht im Besonderen und die Priesterschrift im Allgemeinen auf Bezüge zur Paradieserzählung hin zu überprüfen, um sodann die Frage nach der relativchronologischen Einordnung beider Text(komplex)e zueinander beantworten zu können. Schon die Vokabelstatistik bei Otto hat „priesterlich-ezechielische Terminologie“ in Gen 2 f. zutage gefördert – vermeintlich, bedenkt man obige Ausführungen zur methodischen Valenz eines so angewandten Sprachvergleichs (s. o. Kap. 4.1.1):233

hY"x; vp,n< in 2,7.19: Vgl. Gen 1,20.21.24.30; 9,10.12.15.16; Lev 11,10.46; Ez 47,9234 ~roy[e in 3,7.10.11: Vgl. Dtn 28,48; Ez 16,7.22.39; 18,7.16; 23,29235 hb'yae in 3,15: Vgl. Num 35,21.22; Ez 25,15; 35,5; Esr 3,3(v.l.)236 Dies hat Otto zu folgender These geführt: „Gen 2,4–3,24 setzt also durchgängig die Priesterschrift voraus und führt einen Dialog mit dem priesterschriftlichen Schöpfungsbericht.“237 Dies versucht er, über die Vokabelsta232 So Otto, Paradieserzählung, 182 f., hier 183 (Herv. W.B.). 233 Vgl. Otto, Paradieserzählung, 174 f. 234 Otto, Paradieserzählung, 174 und Krispenz, Frage, 226 schreiben irrtümlicherweise Ez 49,9. 235 Zu vergleichen wären freilich auch die Belege von ~Ar[': Gen 2,25; 1Sam 19,24; Jes 20,2.3.4; 58,7; Hos 2,5; Am 2,16; Mi 1,8; Hi 1,21; 22,6; 24,7.10; 26,6; Qoh 5,14. 236 Otto, Paradieserzählung, 174 und Krispenz, Frage, 226 führen darüber hinaus 2Chr 32,15 an. In diesem Vers ist das Lexem allerdings nicht belegt. Die Frage, ob die Konjektur in Esr 3,3 von hm'yaeB. zu hb'yaeB. tatsächlich notwendig ist, kann hier auf sich beruhen bleiben. 237 Otto, Paradieserzählung, 188. Bei Otto als Ergebnis seiner Untersuchung angeführt. Vgl. auch ders., Brückenschläge, 86–88.91 f. Anm. 21 und die Aufnahme bei Waschke, Verhältnis; ders., Bedeutung, 235 Anm. 2; 250 f.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

314

Relativ-chronologische Einordnung von Gen 2 f.

tistik hinaus,238 mit drei Argumenten zu untermauern, die im Folgenden kurz dargestellt und in Kap. 4.4.1 und 4.4.2 überprüft werden: 1.) Gen 1 berichte „das ‚Daß‘ der Schöpfung des Menschen“, Gen 2 entfalte das „Wie“.239 Gen 2,7b (hY"x; vp,n , ist das Lexem einzeln belegt – ebenso wie in Dtn 28,48. 239 Otto, Paradieserzählung, 183 f. Vgl. Levin, Jahwist, 89; ders., Redaktion RJP, 26; Witte, Urgeschichte, 86 f. 240 Anm. W.B.: An dieser Stelle verweist Otto auf Steck, Schöpfungsbericht, 31 ff. (dazu s. o. Kap. 2.2.1 mit Anm. 111). 241 Otto, Paradieserzählung, 184. 242 Otto, Paradieserzählung, 184 f. Vgl. Levin, Jahwist, 89; ders., Redaktion RJP, 26 f.; Witte, Urgeschichte, 86 f.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Priesterschriftliche Prägung der Paradieserzählung?

315

schöpfung des siebten und achten Schöpfungswerkes in Gen 1 werden damit zusammengebunden…“243 Dass die beiden Schöpfungserzählungen sinnvoll hintereinander gelesen werden können, steht außer Frage. Ob allerdings ein nach-priesterschriftlicher Autor/Ergänzer/Redaktor diese priesterschriftlichen Strukturierungsmerkmale aufgenommen und in eine eigene, Gen 1 korrigierende Darstellung der Schöpfung eingearbeitet hat, wird sich erst erweisen müssen (s. u. Kap. 4.4.1). 2.) „Für die Relationierung von Gen 2–3 zu Gen 1 kommt dem Vers Gen 2,4 eine zentrale Bedeutung zu.“244 Diese Bedeutung bestimmt Otto so, dass der literarisch einheitliche Vers „Gen 2,4 den priesterschriftlichen Schöpfungsbericht mit der Paradieserzählung in Gen 2–3 verknüpft.“245 Dabei gehört 2,4 literarisch zur Paradieserzählung, da diese nicht mit 2,5 hätte beginnen können.246 Die literarische Einheitlichkeit begründet er mit den bekannten Argumenten (s. o. Kap. 2.4), dass die Indetermination von Erde und Himmel aus 2,4b etwa auch in Ps 148,13 belegt ist, dass auch in Gen 5,1 und Num 3,1 die Toledotformel von einem Temporalsatz mit ~AyB. gefolgt wird, dass Gen 2,4 chiastisch formuliert ist, und dass die Toledotformel stets erzähleinleitende Funktion hat. Die Argumente sind jedoch nicht stichhaltig. Da schon oben ausführlich auf Gen 2,4 eingegangen wurde (s. o. Kap. 2.4), werden die Gegenargumente hier nur kurz zusammengefasst: Hauptproblem von Gen 2,4 ist der Wechsel der Determination der Schöpfungsobjekte (mit Artikel in V. 4a, ohne in V. 4b) in Kombination mit ihrer invertierten Stellung (Himmel und Erde in V. 4a, Erde und Himmel in V. 4b). Dafür gibt es keine Analogie. Eine Zuweisung des ganzen Verses zu einer der beiden Schöpfungserzählungen hat verschiedene Probleme gegen sich, wodurch sich eine Spaltung des Verses nahelegt: Gen 2,4b eröffnet die Paradieserzählung; der priesterschriftlich anmutende Vers 2,4a fällt aus der Reihe der priesterschriftlichen Toledotformeln heraus und dürfte damit redaktionellen Ursprungs sein. Dass diese Interpretation für ein Ergänzungsmodell nicht gerade förderlich ist, wurde schon oben bemerkt (s. o. Kap. 2.4). 3.) Die Priesterschrift weise in ihrem Ablauf, wenn sie ohne die nicht-priesterschriftliche Paradieserzählung gelesen werde, eine „Plausibilitätslücke“247 auf: Nach der Konstatierung der „sehr guten“ Schöpfung in Gen 1,31 erscheint die neuerliche Begutachtung der Erde mit dem negativen

243 Otto, Paradieserzählung, 184. 244 Otto, Paradieserzählung, 185. 245 Otto, Paradieserzählung, 188. 246 Vgl. Otto, Paradieserzählung, 188. S. o. Kap. 2.4 mit Anm. 528; 3.2 mit Anm. 47; 3.4.1. 247 Otto, Paradieserzählung, 189.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

316

Relativ-chronologische Einordnung von Gen 2 f.

Urteil über alles Fleisch (6,11–13) unvorbereitet: Die Priesterschrift berichtet nicht, wie es dazu kam, dass „die Erde voller Gewalt war“ (#r vgl. Gen 1,20–23; zu rAPci vgl. Gen 7,14P). Die Meeres(un)tiere (~ynIyNIT;; vgl. Gen 1,21) begegnen explizit in V. 7, wo sie in den Lobpreis Gottes einstimmen, ihrer Bedrohlichkeit somit beraubt sind – wie in Gen 1. Mit ihnen loben hier nun aber auch, über Gen 1 hinaus, die Urwasser (tAmhoT.-lk'w;> vgl. Gen 1,2) YHWH.269

Ps 148 und Gen 1 weisen nicht nur eine sehr ähnliche Struktur auf – ganz anders Gen 2 f. –, sondern kennen auch beide die Schöpfung durch das Wort: Ps 148,5b entspricht der priesterschriftlichen Wortschöpfungstheologie, wie sie insbesondere aus Gen 1,3 hervorgeht: „Denn er gebot, und sie (das Himmelsheer) wurden/waren geschaffen“ (War"b.nIw> hW"ci aWh yKi). Noch ähnlicher, zumindest prima vista, an den Formulierungen von Gen 1 ist Ps 33,9, wo nicht nur von „gebieten“, sondern auch von „sprechen“ die Rede ist: „Denn er sprach, und es ward. Er gebot, und es stand da“ (aWh yKi dmo[]Y:w: hW"ci-aWh yhiY hd"r>nE hb'h)' . Darüber hinaus sind göttliche Plurale und die hierbei wohl im Hintergrund stehende Vorstellung eines göttlichen Hofstaates und Thronrates nicht auf die Urgeschichte begrenzt: Zu vergleichen sind besonders Jes 6 mit der Frage -%l,yE ymiW Wnl' in 6,8 sowie Ez 1–3; 1Reg 22,19–23; Ps 82; 89,6–8; Hi 1 f.; Dan 4,14; 7,10 und sodann die verschiedenen Belege der Göttersöhne.359 Wie bei der Erklärung der Kohortativform in Gen 1,26 gesehen, ist ein ehedem polytheistischer Hintergrund auch bei der Priesterschrift nicht zu übersehen: Zu vergleichen sind die Entrückung Henochs in Gen 5,24, die Rede von den „Göttern Ägyptens“ in Ex 12,12 und – wohl spätpriesterlich – der YHWH an die Seite gestellte Sündendämon Asasel in Lev 16,8.10.26.360 Eine intendierte Bezugnahme von Gen 3,22 auf Gen 1,26 – nur weil sie nahe beieinander stehen – kann daher nicht plausibel gemacht werden. Dies gilt ebenso für die umgekehrte Richtung: 3.) In die umgekehrte Richtung argumentiert Schellenberg: Nach der von ihr für wahrscheinlicher erachteten relativen Chronologie, nach der die Paradieserzählung älter als die Priesterschrift ist, liest sich die „Bild-GottesPrädikation von Gen 1 als Korrektur der ambivalenten Bewertung des WieGott-Seins bzw. ‚Wissens um Gut und Böse‘ von Gen 2 f.: Dass der Mensch gottähnlich ist, ist durchaus in Gottes Sinn“.361 Die Begründung hierzu sieht sie in der Pluralformulierung von Gen 1,26, die eine „monotheistische Erklärung der polytheistisch klingenden Aussage von 3,22“,362 dem pluralischen WNM,mi (dx;a;K.), darstelle.363 Die postulierte Abhängigkeitsrichtung machen ihres Erachtens die ebenfalls nicht-priesterschriftlichen Pluralformen für Gottes Handeln in Gen 11,7 wahrscheinlich, da sich 11,7 nicht aus 1,26 ableiten lasse.364 358 Arneth, Fall, 144; vgl. ders., Gottebenbildlichkeit, 358. 359 Vgl. Gen 6,1–4; Dtn 32,8 (v.l.); Hi 1,6; 2,1; 38,7; Ps 29,1; 82,6; 89,7 (vgl. Bührer, Göttersöhne, 497 f.). Vgl. auch die Überlegungen bei Kaiser, Gott, 301–303. 360 Zur Pluralformulierung in Gen 1,26 und ihren traditionsgeschichtlichen Voraussetzungen s. o. 2.2.3 mit Anm. 206. 361 Schellenberg, Mensch, 240. 362 Schellenberg, Mensch, 242. 363 Vgl. aber zu Gen 1,26 die Ausführungen oben in Kap. 2.2.3 mit Anm. 206. 364 Vgl. Schellenberg, Mensch, 242.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Priesterschriftliche Prägung der Paradieserzählung?

349

Die Argumentation ist nicht zwingend: Einerseits setzt sie voraus, dass die Edenerzählung und die Erzählung vom Stadt- und Turmbau in Gen 11,1–9 „zur gleichen literarischen Schicht gehören“,365 was aber angesichts der gegenwärtigen Forschungslage erst erwiesen werden müsste. Andererseits sind, wie gesehen, göttliche Plurale und die Vorstellung eines göttlichen Hofstaates und Thronrates nicht auf die Urgeschichte begrenzt (vgl. nur Jes 6,8 und die oben genannten Textstellen). Die Pluralformulierung in Gen 1,26 muss damit mitnichten aus Gen 3,22; 11,7 erklärt werden. Eine vor-priesterschriftliche Ansetzung der Paradieserzählung kann auf diese Weise nicht plausibilisiert werden. 4.) Schließlich versucht Heckl in gewisser Weise zwischen den genannten zwei Positionen (Gen 2 f. als Korrektur der Gottesebenbildlichkeit bzw. die Gottesebenbildlichkeit als Korrektur von Gen 2 f.), zu vermitteln. Auch er geht – auf der traditionsgeschichtlichen Suche nach dem hinter den biblischen Texten stehenden Vorwissen366 – von den pluralischen Formulierungen in 1,26 und 3,22 und der dahinter stehenden mythischen und vormonotheistischen Vorstellung eines göttlichen Thronrates aus.367 Dabei stellt er fest, dass 3,22 auf dieses Vorwissen rekurriert, dass es im Text von Gen 2 f. aber nicht expliziert wird. Dies wäre seines Erachtens aber notwendig, weshalb er unter Aufnahme einer These von Sodens aber ohne eigene Substantiierung meint, dass „Gen 2,4–3,24 kein vollständiger Ursprungsmythos“368 sei.369 Mit anderen Worten: Aus der traditionsgeschichtlichen Analyse folgert Heckl redaktionsgeschichtlich, dass der Anfang der Paradieserzählung bei der Zusammenarbeitung mit Gen 1 getilgt wurde. Dies ist methodisch schwierig: Das traditionelle (Vor-)Wissen um einen himmlischen Thronrat muss nicht in einem Text expliziert werden, um den Lesern oder Hörern präsent zu sein. Entsprechend lässt sich aus dieser traditionsgeschichtlichen Beobachtung keine redaktionsgeschichtliche These – ohne Argumentation auf literarischer Ebene –370 ableiten.371 365 Schellenberg, Mensch, 242 Anm. 63. 366 Vgl. Heckl, Exposition, 8–10 sowie aaO., 14–24 zu „[e]inige[n] wichtige[n] Präsuppositionen in Gen 1–3“ (aaO., 14). 367 Vgl. Heckl, Exposition, 18–21. 368 Heckl, Exposition, 25 f. Vgl. von Soden, Mottoverse, 209: „Die überaus merkwürdige Konstruktion von [Gen 2] V. 4b–8 läßt es aber als undenkbar erscheinen, daß das Werk des Jahwisten so begonnen hat, wie wir den Anfang dieser Geschichte heute lesen. Hier muß der Endredaktor einiges umgestaltet haben, wobei wahrscheinlich der ursprüngliche Anfang dem Siebentagebericht geopfert wurde.“ Zitiert bei Heckl, aaO., 26. 369 Dagegen s. o. Kap. 3.4.1. 370 Der Verweis auf die in Gen 2,5 vorausgesetzten Größen bei Heckl, Exposition, 26 könnte eine solche Beweislast nicht tragen: Die noch-nicht-Aussagen blicken nicht zurück, sondern nach vorne, die Vorweltschilderung benennt, was Gott schaffen wird (s. o. Kap. 3.4.1). 371 Grundsätzlich ist der Forderung von Heckl, Exposition, 8–10, „Literargeschichte und Traditionsgeschichte … im Zusammenhang“ zu behandeln (aaO., 9), zuzustimmen. Dies gilt, wie er zu Recht feststellt, insbesondere da, wo traditionsgeschichtliche Überlegungen

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

350

Relativ-chronologische Einordnung von Gen 2 f.

Aus von Sodens These folgert Heckl sodann, dass die Paradieserzählung ehedem von einem Text eröffnet worden sei, der gleichermaßen die (noch polytheistische und möglicherweise poetische) Vorlage für die priesterschriftliche Schöpfungserzählung gewesen sei.372 Relativ-chronologisch wäre damit die Paradieserzählung zusammen mit der Vorlage von Gen 1 älter als die priesterschriftliche Schöpfungserzählung. Die priesterschriftliche Fassung von Gen 1, deren Verhältnis zur Vorlage Heckl nicht weiter thematisiert,373 diente dann der Herausgabe von Gen 2 f. in wenig veränderter Gestalt: Durch die Hinzufügung von Elohim zu YHWH in Gen 2 f. (und die Ersetzung von YHWH durch Elohim in 3,1.3.5?374) wolle der priesterliche Pentateuch deutlich machen, „dass der Gott Israels der einzige Schöpfer ist“.375 Heckls These steht und fällt mit der Plausibilität seiner nicht weiter plausibilisierten Vorlage von Gen 1 bzw. Einleitung von Gen 2 f. Und sie fällt: Die obigen Analysen haben gezeigt, dass Gen 1 zwar reich an traditionsgeschichtlichen Voraussetzungen ist, dass aber hinter den Text von Gen 1 methodisch gesichert nicht zurückgegangen werden kann (s. o. Kap. 2). Und die Analyse von Gen 2 f. hat gezeigt, dass die Paradieserzählung sehr wohl mit Gen 2,4b eingesetzt haben kann (s. o. Kap. 3). 5.) Fazit: Die Besprechung der Thesen von Schüle, Arneth, Schellenberg und Heckl hat gezeigt, dass die Texte nicht überinterpretiert werden sollten. Nur weil Gen 1 und Gen 2 f. in der uns überlieferten Form nebeneinander stehen, müssen nicht alle mehr oder weniger engen Parallelen mit einem direkten Abhängigkeitsverhältnis, also mit intendierten Textbezügen von Seiten der Autoren der Texte, erklärt werden: Schüles These, die Paradieserzählung kritisiere die priesterschriftliche Gottesebenbildlichkeitsvorstellung durch Aufnahme und Abwandlung des mesopotamischen Mundwaschungsrituals, steht entgegen, dass der dem Herrschaftswissen zugehörige Ritualkomplex um die Belebung von Götterstatuen dem Verfasser von Gen 2 f. kaum in allen Einzelheiten bekannt gewesen sein dürfte. Darüber hinaus lässt sich die Beatmung Adams in Gen 2,7 einfacher durch innerbiblische Vergleiche und den Hinweis auf die Atmung als Voraussetzung von Leben erklären.

redaktionshistorische Schreibtischhypothesen zur Raison bringen könnten. Zu vermeiden ist aber auch das andere Extrem, ein traditionsgeschichtliches anything goes losgelöst von eingehender Textanalyse. 372 Vgl. Heckl, Exposition, 27 f. 373 Unklar bleibt bei Heckls Argumentation insbesondere, wie die Vorlage von Gen 1 in Gen 1,26 formuliert hat, da die pluralische Formulierung in der priesterschriftlichen Fassung von Gen 1 „den Mythos lediglich präsupponiert“ (Heckl, Exposition, 27; vgl. aaO., 19). 374 Vgl. Heckl, Exposition, 28 mit Anm. 117. 375 Heckl, Exposition, 27.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Priesterschriftliche Prägung der Paradieserzählung?

351

Die Argumentation mit den göttlichen Pluralen in Gen 1,26 und Gen 3,22 bei Arneth, Schellenberg und (bedingt) Heckl, wonach die eine Stelle jeweils Korrektur der anderen sei, vermochte der Überprüfung auch nicht standzuhalten. Dies zeigt sich nicht zuletzt auch darin, dass dieselbe Beobachtung für beide Rezeptionsrichtungen in Anschlag gebracht wurde. Da in beiden Fällen Traditionswissen – und damit Systemreferenz – für die Formulierung verantwortlich gemacht werden kann, lässt sich ein TextText-Bezug nicht plausibilisieren. Weder kritisiert, korrigiert oder kommentiert also Gen 1 Gen 2 f. noch umgekehrt Gen 2 f. Gen 1 mit dem (in der obigen Diskussion relativ breit verstandenen) Bilderthema. Eine relative Chronologie beider Schöpfungstexte lässt sich so nicht ableiten. Es bleibt aber festzuhalten, dass die Paradieserzählung in keiner Weise die priesterschriftliche Konzeption der Gottesebenbildlichkeit des Menschen erwähnt. Dies ist, wie die Nichterwähnung der Wortschöpfungstheologie in Gen 2 f. (s. o. Kap. 4.4.1), zumindest erstaunlich. Hätte die Paradieserzählung die Priesterschrift gekannt, wären dann nicht Bezugnahmen – zustimmend oder ablehnend – gerade dort zu erwarten, wo die Priesterschrift nicht traditionelle Schöpfungstheologie, sondern theologische Innovationen vertritt?

4.4.5 Fazit zu Kapitel 4.4 Die Paradieserzählung mit Gen 1 zu vergleichen, liegt auf der Hand: Liest man die beiden Schöpfungstexte hintereinander, erscheint Gen 2 f. unweigerlich als Kommentar bzw. Ausführung von Gen 1. Bei all den Gemeinsamkeiten im Thema und Detail zeigen aber die unterschiedliche Darstellungsweise, die unterschiedliche Darstellungsreihenfolge und unterschiedliche Darstellungsdetails (s. o. die Einleitung zu Kap. 4), dass die Kapitel auf unterschiedliche Verfasser zurückgehen. Dies kann als Konsens in der gegenwärtigen Forschung gelten. Blickt man statt auf die Differenzen vielmehr auf die Gemeinsamkeiten beider Erzählungen, wird oft auf die Kenntnis des einen Textes mit Blick auf den anderen geschlossen. Je nach vorausgesetztem Modell der Pentateuchentstehung insgesamt wird entweder angenommen, dass – klassischerweise – Gen 1 die Paradieserzählung kennt, oder dass – vor allem in der gegenwärtigen Forschung vertreten – die Paradieserzählung Gen 1 weiterschreibt. Vorliegendes Kapitel hat sich insbesondere mit letzterer These kritisch auseinandergesetzt: Die von Vertretern eines Ergänzungsmodells, wonach der nicht-priesterschriftliche Text die Priesterschrift fortschreibt (P→nP), angeführten Argumente konnten hierbei nicht überzeugen. Dabei war es in aller Regel noch nicht einmal die Entscheidung für die Abhängigkeitsrichtung, die nicht überzeugt hat, sondern bereits die hierzu jeweils vorausgesetzte Text-Text-

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

352

Relativ-chronologische Einordnung von Gen 2 f.

Bezugnahme: Kann eine intendierte Bezugnahme des einen auf den anderen Text aber nicht nachgewiesen oder zumindest plausibel gemacht werden, erübrigt sich eine relativ-chronologische Auswertung. Mit anderen Worten: Wenn schon nicht mit Sicherheit gesagt werden kann, ob sich zwei Texte (im jeweils untersuchten Abschnitt oder Textdetail) bewusst aufeinander beziehen (in welcher Richtung auch immer), kann erst recht nichts über ihr relativ-chronologisches Verhältnis (ausgehend vom untersuchten Abschnitt oder Textdetail) ausgesagt werden. Dies gilt erstens für die These einer narrativen Weiterführung und Entfaltung von Gen 1 durch die Paradieserzählung: Die schematische Darstellung der priesterschriftlichen Schöpfungserzählung mit ihrem elaborierten Formelschema findet in Gen 2 f. keinerlei Widerhall. Insbesondere können Gen 2,7b nicht als Geschehensformel und Gen 2,19 nicht als Benennungsformel interpretiert werden (s. o. Kap. 4.4.1). Zweitens kann auch Gen 2 f. bzw. Gen 2–4 nicht als vom Autor dieser Erzählung intendierter Ausgleich der „sehr guten“ Schöpfung in Gen 1,31 und der pervertierten Schöpfung in Gen 6,11–13, die im Rahmen der Priesterschrift scheinbar unvermittelt aufeinander treffen, interpretiert werden (s. o. Kap. 4.4.2): Die Priesterschrift setzt ein viel umfassenderes „Versündigungsgeschehen“ voraus als die Gebotsübertretung in Gen 3 und den Brudermord in Gen 4. Nach der Priesterschrift hat sich „alles Fleisch“ verfehlt, nicht nur einzelne Individuen. Doch nicht nur taugt Gen 2–4 nicht zum priesterschriftlichen Sündenfall, vielmehr lässt die priesterschriftliche Urgeschichte hinreichend deutlich eine eigene Konzeption durchblicken, wie das Übel in die Welt kam: Das bereits in Gen 1 angelegte Konkurrenzverhältnis zwischen Menschen und Tieren wird im Übergangskapitel Gen 5 durch das Anwachsen der Menschen – und damit des Konfliktpotentials – verstärkt, es kommt zu Mord und Totschlag zwischen Menschen und zwischen Menschen und Tieren (vgl. Gen 9,5). Das ist sm'x'. Erst in Gen 9 werden die utopischen Verhältnisse von Gen 1 der (brutalen) Realität angepasst. Auch Gen 5 zeigt indirekt, dass die Menschheitsgeschichte nicht gottgewollt gut verlaufen ist, indem aus den zehn Patriarchen und den ungezählten Frauen, Töchtern und Söhnen dieser Patriarchen mit Henoch und Noach nur zwei Menschen positiv hervorgehoben werden. Drittens wurden vier Thesen diskutiert, die in der Gottes-Bild-Thematik (im weitesten Sinne) einen gegenseitigen Bezug der zwei Schöpfungstexte erkannten (s. o. Kap. 4.4.3). Richtig an diesen Thesen ist, dass beide Erzählungen eine Sonderstellung des Menschen innerhalb der Schöpfung vertreten und dass beide Erzählungen insbesondere den Menschen in Relation zu Gott bestimmen. In Gen 1 geschieht dies durch die Vorstellung, der Mensch sei Bild Gottes und damit Repräsentant Gottes auf Erden (vgl. Gen 1,26 f.; 5,1–3; 9,6). Eine vergleichbare Vorstellung kennt die Paradieserzählung nicht. Nach Gen 3,22 ist der Mensch Gott (und seinem Hofstaat) gleich geworden hinsichtlich der Erkenntnisbegabung. Ausgestattet mit dieser göttlichen Fähigkeit wird der Mensch aber aus dem Garten Eden vertrieben

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Priesterschriftliche Prägung der Paradieserzählung?

353

– und zwar nicht zur Herrschaft, sondern zum Ackerbau. Der Mensch der Paradieserzählung ist nicht Bild, nicht Repräsentant Gottes. Die These einer nach-priesterschriftlichen Ergänzung der Priesterschrift durch Gen 2 f. hat damit alle Wahrscheinlichkeit gegen sich. Die Untersuchung hat gezeigt, dass die Gemeinsamkeiten zwischen Gen 1 und Gen 2 f. recht allgemeiner Art sind, so dass sie nicht durch Textkenntnis bzw. Textbezug erklärt werden müssen. Textkenntnis kann und soll freilich nicht ausgeschlossen werden. Unwahrscheinlich ist aber eine bewusste Bezugnahme des einen Textes auf den anderen Text. Die Übereinstimmungen liegen im gleichen Thema der Erzählungen bzw. im gleichen kulturellen Hintergrund ihrer Autoren begründet.376 Die bisher zusammengestellten Ergebnisse stellen kein relativ-chronologisches Ergebnis dar – und können es auch nicht: Wenn keine intendierte Bezugnahme plausibel gemacht werden kann, kann auch nicht auf Abhängigkeiten und Abhängigkeitsrichtungen geschlossen werden. Allerdings haben sich verschiedene Auffälligkeiten bei der Textanalyse ergeben, die tendenzkritisch die eine Rezeptionsrichtung zumindest unwahrscheinlich erscheinen lassen: Die Paradieserzählung weist keinerlei Kenntnis insbesondere zweier herausragender priesterschriftlicher Theologoumena auf: So finden sich weder Reflexe auf die Wortschöpfung noch auf die Gottesebenbildlichkeitsvorstellung. Dies ist dann auffällig, wenn Gen 2 f. als nach-priesterschriftlich eingeordnet wird, wenn die Paradieserzählung diese priesterschriftlichen Theologoumena also gekannt hat. Warum hätte sich Gen 2 f. dann überhaupt nicht dazu verhalten? Geht man dagegen von einer vor-priesterschriftlichen Ansetzung von Gen 2 f. aus, ist dieser Befund leicht zu erklären: Die Paradieserzählung kannte diese Konzeptionen einfach nicht. Letzteres wird dadurch zumindest wahrscheinlich gemacht, als die Wortschöpfung eine theologiegeschichtliche Neuerung (der exilisch-nachexilischen Zeit) darstellt. Wenn die diesbezüglich traditionell mit der Tatschöpfung formulierende Paradieserzählung diese Neuerung nicht zu kennen scheint, scheint sie zeitlich vor dieser Neuerung entstanden zu sein.377

376 Vgl. auch Carr, Fractures, 67: „…it was easier to suppose textual dependence in the flood account where the P and non-P strands were even more closely parallel to each other“ als bei den beiden Schöpfungserzählungen in Gen 1–3 mit ihrem „relative lack of exact parallels“. Gleichwohl geht er von Textkenntnis aus – wohl nicht ganz zu Unrecht. Es stellt sich freilich die Frage, wie Textkenntnis plausibel gemacht werden kann, wenn keine Textbezugnahme nachgewiesen werden kann. 377 An dieser Stelle könnte auf das oben genannte vierte Kriterium von Carr verwiesen werden, dass ein Text tendenziell jünger als sein Paralleltext ist, je mehr wörtliche Rede bzw. je mehr Gottesrede er enthält (s. o. Kap. 4.1.1 mit Anm. 36). Allerdings sind Gen 1 und Gen 2 f. nach obiger Analyse nicht in dem Sinne als Parallelen anzusehen.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

354

Relativ-chronologische Einordnung von Gen 2 f.

Damit ist aus tendenzkritischen Gründen die vor-priesterschriftliche Datierung der Paradieserzählung wahrscheinlich.378 Hinzu kommt der Befund aus Gen 2,4: Die Analyse dieses Verses hat ergeben, dass die Paradieserzählung ursprünglich mit Gen 2,4b eingesetzt hat, und dass Gen 2,4a ein redaktionelles Bindeglied zwischen der priesterschriftlichen und der nicht-priesterschriftlichen Schöpfungserzählung ist (s. o. Kap. 2.4; 3.4.1). In priesterschriftlicher Diktion abgefasst, kann Gen 2,4a weder zur Paradieserzählung noch zur Priesterschrift gehören: Gegen eine Zuweisung an Gen 2 f. spricht das dort nicht, aber in P prominent verwendete Schöpfungsverb arb sowie die Toledotformel, die in der Regel einen priester(schrift)lichen Text einleitet. Gegen eine Zuweisung an Gen 1,1–2,3 spricht, dass Gen 2,4a aus der klaren Gliederung von Gen 1,1–2,3 heraus fällt, dass die Toledotformel hier einen priesterschriftlichen Text aus- statt wie sonst einleitet, und dass in der ursprünglichen Priesterschrift Gen 2,4a unmittelbar Gen 5,1 vorangegangen wäre, dem Vers, der sich durch seine besondere Formulierung mit „Buch der Toledot“ als erster Beleg der priesterschriftlichen Toledotformeln präsentiert. Ist Gen 2,4a damit redaktionell und dient der Verbindung von Gen 1 und Gen 2 f., indem der Vers zwischen 2,3 (das vollendete Werk) und 2,4b (das nun einsetzende Werk) ausgleicht und so Gen 2 f. als fortführende Konkretion von Gen 1 darstellt, sind mindestens drei Hände an der Entstehung von Gen 1–3 beteiligt: Der Autor von Gen 1, der Autor von Gen *2 f. und der Autor von Gen 2,4a. Wäre der Autor von Gen *2 f. Ergänzer von Gen 1 gewesen, hätte er verpasst, einen Übergang zwischen beiden Erzählungen herzustellen. Gleiches gilt für einen priesterschriftlichen Ergänzer von Gen 2 f. Da auch die Überlegungen in diesem Kapitel gegen eine Ergänzungsthese sprachen, ist es nun einfacher, in Gen 1 und Gen 2 f. zwei ehedem eigenständige Erzählungen im Sinne eines Quellen- oder Fragmentenmodells zu sehen, die zu einem späteren Zeitpunkt von einem Redaktor nebeneinander gestellt und durch Gen 2,4a miteinander verbunden wurden.

378 Vgl. Carr, Fractures, 67, der ebenso feststellt, dass sich weder eindeutig eine Abhängigkeit (s. o. Anm. 376) noch daraus abgeleitet eine Abhängigkeitsrichtung festlegen lässt. Ebenso wie hier stellt er weiter fest, dass zumindest das eine literarhistorische Szenario, Gen 2 f. hätte P gekannt, unwahrscheinlich ist: „One fact, however, strongly suggests that Gen. 1:1–2:3 is dependent on 2:4b–3:24, rather than the other way around. Although the P strand parallels and opposes the non-P creation and crime story as a whole, the non-P story completely ignores major sections of the P-strand creation account (Gen. 1:1–23; 2:1–3). If the non-P strand were dependent on the P strand, it would be difficult to explain why it lacks any discernible relationship – pro or con – to the chronological and other ideological systems dominating Genesis 1.“ (Ebd.; Herv. W.B.).

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Der erkenntnisbegabte Urmensch in Eden?

355

4.5 Der erkenntnisbegabte Urmensch in Eden? Gen 2 f.; Hi 15,7 f.; Ez 28,11–19 Während sich die aktuelle Forschung bei der Frage der relativ-chronologischen Einordnung der Paradieserzählung insbesondere um den Vergleich mit der weisheitlichen, deuteronomisch-deuteronomistischen und priesterschriftlichen Literatur bemüht, wird der in der älteren Debatte an erster Stelle geführte Vergleich zwischen Gen 2 f. und Ez 28 derzeit kaum gezogen und ausgewertet. Dies erstaunt insofern, als etwa Van Seters allein aufgrund des Vergleichs dieser beiden biblischen Texte und eines babylonischen Textes die spät-exilische Entstehung von Gen 2 f. vertreten hat.379 Inhaltlich wird hinter Ez 28,11–19 sowie Hi 15,7 f. oft die bzw. eine Tradition von einem Urmenschen gesehen, die auch Gen 2 f. widerspiegle. So sieht Gunkel in Ez 28 und Gen 2 f. zwei unterschiedliche Rezensionen bzw. Varianten und in Hi 15,7 f. die Anspielung an eine weitere Variante des Mythos vom Urmenschen.380 Dieser Urmenschmythos erzählt nach der Analyse Mettingers von einem einzelnen Urmenschen, dem Garten Eden, von Sünde und Vertreibung und umfasst bereits die Themenkonstellation Weisheit und Unsterblichkeit. Die Verfasser der biblischen Texte sind dann je eigenständig mit diesem „Adamic Myth“381 verfahren.382 Im Folgenden sind Ez 28 und Hi 15,7 f. auf mögliche Berührungen mit Gen 2 f. zu untersuchen: Lässt sich Gen 2 f. durch einen Text- oder traditionsgeschichtlichen Vergleich mit Ez 28 und Hi 15,7 f. literar-historisch genauer einordnen?

4.5.1 Hi 15,7 f. und Gen 2 f. In seiner zweiten Rede an Hiob fragt Eliphas von Teman in Hi 15,7 f.: „Bist du als erster Mensch geboren und vor den Hügeln hervorgebracht worden? Hörst du im Thronrat Gottes zu und hast du (dort) Weisheit an dich genommen?“383 379 Vgl. Van Seters, Creation; ders., Prologue, 61 f.119–122.124 f. Ausführlicher dazu s. u. Kap. 4.5.2 mit Anm. 422 ff. 380 Vgl. Gunkel, Genesis, 33–35 (vgl. schon ders., Schöpfung, 148). Vgl. weiter etwa Zimmerli, Ezechiel, 681 f.; Schmidt, Schöpfungsgeschichte, bes. 222 f.; Steck, Paradieserzählung, bes. 38–40; Westermann, Genesis, 334 f.; Otto, Ethik, 63; ders., Paradieserzählung, 177 f.; ders., Urmenschen, 685; Witte, Urgeschichte, 241 f.; Schüle, Prolog, 156–161; Mettinger, Eden, 85–98.124–126 und die im Folgenden genannten Arbeiten. 381 So die Bezeichnung bei Mettinger, Eden, 85–98 u. ö. 382 Vgl. Mettinger, Eden, 85–98.124–126. Entstehungszeit und -ort dieses Urmenschmythos lassen sich nach Mettinger nicht mehr rekonstruieren. S.E. weist aber nichts nach Mesopotamien (vgl. aaO., 97; anders Gunkel, Genesis, 37–39). Zur Genese von Gen 2 f. nach Mettinger (Kombination des „Adamic Myth“ mit dtr Theologie) s. o. Kap. 3.1 mit Anm. 30; 4.3 Anm. 218. 383 [rg bedeutet „wegnehmen“, etwa beim Abschneiden der Haare beim Rasieren (vgl. Jes

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

356

Relativ-chronologische Einordnung von Gen 2 f.

`T'l.l'Ax tA[b'g> ynEp.liw> dleW"Ti ~d"a' !AvyarIh] 15,7 `hm'k.x' ^yl,ae [r:g>tiw> [m'v.Ti h;Ala/ dAsb.h; 15,8 Die Parallelen zwischen Hi 15,7 f. und Gen 2 f. beschränken sich auf die Themenkonstellation erster Mensch und Erwerb von (göttlicher) Weisheit. Die Unterschiede zwischen beiden Texten sind dabei nicht zu übersehen – wie denn auch sprachliche Übereinstimmungen nicht über Allgemeinbegriffe, ~d'a', h;Ala/ bzw. ~yhil{a,/ [mv, hinausgehen: Zu V. 7: Der erste Mensch in Gen 2 f. wird einerseits nicht explizit als erster bezeichnet, und andererseits werden auf ihn keine Geburts-Begriffe angewandt: Adam wird nicht geboren (dly) oder hervorgebracht (lyx), sondern von Gott gemacht (rcy). Des Weiteren ist in Hi 15,7 f. von einem einzelnen Urmenschen die Rede, wohingegen der Urmensch in Gen 2 f. in Mann und Frau ausdifferenziert wird – und auch nur als Mann und Frau Erkenntnis erlangt. Zu V. 8: Gen 3,22 setzt die Vorstellung eines göttlichen Thronrates zwar voraus, benennt den Rat Gottes aber nicht explizit.384 Vor allem aber geht die Paradieserzählung auch nicht davon aus, dass die ersten Menschen Zuhörer in dieser Ratsversammlung waren. Die Menschen im Garten Eden erlangen Erkenntnis von Gut und Schlecht, der erste Mensch in Hi 15,7 f. dagegen Weisheit, wie denn die gesamte zweite Rede des Eliphas um das Weisheitsthema kreist. Wie bereits oben betont wurde, ist zwischen Erkenntnis und Weisheit zu unterscheiden (s. o. Kap. 4.2). Darüber hinaus ist die Einbettung in den Kontext eine jeweils gänzlich andere: In Hi 15,7 f. stellt Eliphas von Teman Hiob die rhetorische Frage, ob er der erste Mensch sei, der dem Rat Gottes gelauscht und Weisheit an sich genommen hätte. Die implizierte Antwort lautet Nein, wie die Fortsetzung in V. 9 zeigt: „Was weißt du, das wir nicht wüssten? Was verstehst du, was nicht bei uns ist?“ Hiobs Weisheit übersteigt die Weisheit seiner Freunde nicht – zumindest aus ihrer Perspektive. Gen 2 f. berichtet dagegen in mythischer Gestalt, wie die Menschen tatsächlich Erkenntnis erlangt haben. Ein direkter Bezug zwischen beiden Texten ist aufgrund der genannten Unterschiede unwahrscheinlich.

15,2; Jer 48,37), beim Kürzen der Arbeitslast in Ex 5,8.11.19 oder beim Wegnehmen der Worte der Tora (im Gegensatz zum Hinzufügen: @sy hiph.) in Dtn 4,2; 13,1 (vgl. Jer 26,2; für die weiteren Belege von [rg sei auf die Wörterbücher verwiesen). Das Verb an sich ist damit nicht negativ konnotiert. In Hi 15,8 handelt es sich daher nicht um einen quasi prometheischen Raub der Weisheit. Vgl. Fohrer, Hiob, 269. Anders etwa Mettinger, Eden, 92 („almost illicit act of appropriation“). 384 Zu h;Ala/ dAs vgl. nebst Hi 15,8 noch Jer 23,18.22 (hw"hy> dAs; s. u.), Ps 89,6–8 (V. 8: ~yvidoq.-dAs) und Ps 25,14 (hw"hy> dAs). Vgl. insgesamt etwa Neef, Thronrat und zur prophetischen Verwendung Nissinen, Prophets.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Der erkenntnisbegabte Urmensch in Eden?

357

Es bleibt die Möglichkeit, dass im Hintergrund von Eliphas rhetorischer Frage eine Tradition steht, die entweder auch im Hintergrund von Gen 2 f. steht, oder die sich selber aus Gen 2 f. speist. Allerdings weist Hi 15,7 f. über die Themenkonstellation erster Mensch und erworbene Weisheit hinaus Anklänge an weitere alttestamentliche Texte bzw. Traditionen auf, die keinen Bezug zu Gen 2 f. haben und die für Hi 15,7 f. insgesamt prägender sind als ein vermuteter Bezug zur Paradieserzählung: Zu V. 7: In Hi 15,7b unterstellt Eliphas dem Hiob, dieser meine, vor den Hügeln hervorgebracht worden zu sein (T'l.l'Ax tA[b'g> ynEp.l)i . Dies erscheint nachgerade als Zitat aus Prov 8,22 ff., wonach die Weisheit Erstlingswerk Gottes und ebenso vor den Hügeln geboren (yTil.l'Ax tA[b'g> ynEp.li; 8,25) ist. Nach Ps 90,2 dagegen ist allein Gott schon vor der Geburt der Berge (~rW) wie Adam in den Garten Eden (Gen 2,8b: … ~f,Y"w:). Allerdings ist der König von Tyros, eine geschichtliche Gestalt, keineswegs ein Urmensch. Die Erschaffung durch Gott weist nicht in eine Urzeit, sondern betont die tiefe Verbundenheit zwischen dem König bzw. den Menschen und Gott – genauso wie der Jerusalemer König in Ps 2,7 das an ihn gerichtete YHWH-Wort „Mein Sohn bist du! Ich habe dich heute gezeugt“ (^yTid>liy> ~AYh; ynIa] hT'a; ynIB.) wiederholen kann,404 oder wie der Beter von Ps 139,13–16 sich gleichermaßen auf seine Erschaffung durch Gott und seine Herkunft aus dem Mutterleib berufen kann, um die innige Verbundenheit mit Gott zu beschreiben (vgl. auch Jer 1,5; Jes 49,5; 2Sam 7,14; Ps 22,10 f.).405 Die Klage setzt auch explizit voraus, dass andere Menschen, andere Könige den Untergang des Königs von Tyros mitansehen und sich daran ergötzen: Ez 28,17bβ.18bγ.19. Auch die Verfehlung des Königs von Tyros zeigt, wie er und seine Stadt in einem Beziehungsgefüge standen: Durch das Übermaß an Handel, unredlichem Handel (28,18a), füllte sich das Innere des Königs bzw. der Stadt mit Gewalt, und versündigte er sich (28,16a). Dieser hier genannte Handel (*hL'kur)> setzt ein internationales Beziehungsgeflecht von Tyros voraus, wie es einerseits aufgrund der geopolitischen Lage der Stadt auch historisch gegeben ist, und 403 Vgl. bes. Schwagmeier, Untersuchungen; Pohlmann, Ezechiel, 22–28 u. ö.; Klein, Schriftauslegung, 60–65 u. ö. 404 Die Parallelen gehen noch weiter: Wie der König von Tyros von Gott auf den heiligen Berg, den Gottesberg gesetzt wurde (Ez 28,14.16), so wurde auch der Jerusalemer König auf dem Berg der Heiligkeit Gottes, hier explizit als der Zion identifiziert, geweiht (Ps 2,6). 405 Zu vergleichen sind hier auch die zahlreichen Personennamen, die die Erschaffung durch Gott erinnern (s. o. Anm. 261). Für die nicht-urzeitliche Erschaffung von Menschen mit arb vgl. Jes 43,7; Ps 89,48; Qoh 12,1; Mal 2,10.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

Der erkenntnisbegabte Urmensch in Eden?

363

wie es andererseits die beiden vorangehenden Kapitel beschreiben.406 Wie eng die Beziehungen zur Erzählung bzw. Tradition von den ersten Menschen im Garten Eden in Gen 2 f. auch sein mögen, als Urmensch ist der König von Tyros hier nicht gedacht.407 Dies erhellt nochmals vom Ausgang der Totenklage her: Der König von Tyros ist tot, von ihm leitet sich keine Menschheit her wie von Adam und Eva. Adam und Eva haben durch die Gebotsübertretung Erkenntnis erlangt – auch hinsichtlich der Fortpflanzung. Der König von Tyros dagegen hat seine Weisheit, die er schon im Garten Eden besaß,408 durch seinen Hochmut verdorben (28,17: T'x;vi ^t.m'k.x'). Vergehen und Ergehen des Königs von Tyros sind damit deutlich anders gezeichnet als bei den Menschen der Paradieserzählung. Und statt dass eine Urmenschtradition im Hintergrund von Ez 28,11–19 steht, ist viel eher auf die israelitisch-jüdische bzw. gemeinaltorientalische Königsideologie als Erklärung für die Erschaffung des Königs durch Gott und für seine hervorgehobene Stellung auf dem heiligen Berg und im Gottesgarten zu verweisen409 – wie denn auch das Bild vom Siegel aus 28,12 wieder begegnet in der Prädikation von Jojachin bzw. Serubbabel als Siegelring in Jer 22,24 bzw. Hag 2,23.410

406 Insbesondere Ez 27 zeichnet Tyros als Welthandelsstadt, wie denn auch in diesem Kapitel Ableitungen von lkr gehäuft begegnen. Die meisten wenn nicht alle dieser Belege dürften der ursprünglichen Untergangsklage (vgl. 27,2) zwar erst sekundär hinzugewachsen sein, doch zeigt schon die wohl ursprüngliche Klage in *27,3–9.26 über die anfängliche Pracht und den plötzlichen Untergang des Prachtschiffes Tyros die Beteiligung anderer Mächte am (einstigen) Erfolg von Tyros. Zur Textrekonstruktion vgl. Pohlmann, Hesekiel, 374– 398, bes. 381–389. Vgl. auch Zimmerli, Ezechiel, 624–661. 407 Vgl. auch Van Seters, Prologue, 120 (vgl. ders., Creation, 337): „That the figure in Ezek 28:12–19 represents the primeval, and therefore prototypical, king is very likely. But there is nothing in this oracle to suggest that he is divine or that he is the first man (Urmensch).“ Ebenso Saur, Tyroszyklus, 320. Anders etwa Zimmerli, Ezechiel, 682; Otto, Ethik, 63; ders., Urmenschen, 685; Schüle, Prolog, 156–161; Mettinger, Eden, 85–98. Hier kann freilich auch an den im Zusammenhang mit Ez 28 oft erwähnten neubabylonischen Text von der Erschaffung der Menschen und des Königs erinnert werden (ausführlicher hierzu s. u. mit Anm. 423; vgl. zum Text Mayer, Mythos; Foster, Muses, 495–497): Die Erschaffung der Menschen geht der Erschaffung des Königs voraus. Der erste erschaffene König ist also nicht der erste erschaffene Mensch. 408 hm'k.x' alem' in 28,12bγ gehört zu den Überschüssen von MT gegenüber der griechischen Überlieferung und könnte daher später sein. 28,17aβ setzt aber deutlich voraus, dass dem König von Tyros schon im Garten Eden Weisheit eignete. 409 S. o. mit Anm. 404. Zur israelitisch-jüdischen Königsideologie auf ihrem gemeinaltorientalischen Hintergrund vgl. etwa Otto/Zenger (Hg.), Sohn; Schellenberg, Mensch, 326– 342. 410 tynIk.T' ~teAx ist mit LXX u. a. als tynIk.T' ~t;Ax zu lesen (vgl. Zimmerli, Ezechiel, 672). Es ist sodann nicht verwunderlich, wenn verschiedentlich angenommen wird, Ez *28,11–19 wäre ursprünglich eine Klage über den Jerusalemer König oder Hohepriester gewesen und erst sekundär auf Tyros angewandt worden: Vgl. etwa Gosse, Ezéchiel 28; Fechter, Bewältigung, 195–198.205–207 und vorsichtig Pohlmann, Hesekiel, 292 f.393, der auf die Parallele zu Jer 22,24–28, dem auf die Erde geworfenen Siegelring Jojachin, hinweist. Etwas

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525540343 — ISBN E-Book: 9783647540344

364

Relativ-chronologische Einordnung von Gen 2 f.

Nebst diesen Unterschieden in den Textgemeinsamkeiten sind auch zahlreiche Details in beiden Texten vorhanden, die keinerlei Anklang im jeweils anderen Text finden. Wie sind angesichts dieser großen Differenzen zwischen beiden Texten ihre Gemeinsamkeiten zu bewerten? Auszugehen ist von der engsten Parallele zwischen beiden Texten, die recht eigentlich die beiden Texte erst zu Vergleichstexten macht, nämlich der Lokalisierung des Geschehens in Eden, dem Gottesgarten.411 !d,[e ist mit seinem Bedeutungsspektrum von Überfluss und Wonne ein Leitwort der Paradieserzählung – mit insgesamt sechs Belegen in Gen 2,4b–4,26. In Ez 28,13 erscheint !d,[e dagegen nur mehr als zusätzliche Ortsangabe nebst dem heiligen Berg bzw. Gottesberg in 28,14.16. Wenn sowohl Eden als auch der Gottesberg insbesondere die Nähe zwischen Gott und dem menschlichen Bewohner Edens bzw. des Gottesberges herausstellen, dann handelt es sich bei den beiden Lokalisierungen um funktionale Dubletten. Es erstaunt daher nicht, wenn t'yyIh' ~yhil{a/-!G: !d-!g:K. … !d