Alterssicherung und Erziehungsentscheidungen [1 ed.] 9783428526833, 9783428126835

Seit langem wird über die Frage diskutiert, wie öffentliche Alterssicherungssysteme an den demografischen Wandel angepas

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Alterssicherung und Erziehungsentscheidungen [1 ed.]
 9783428526833, 9783428126835

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Sozialpolitische Schriften Heft 89

Alterssicherung und Erziehungsentscheidungen

Von

Andreas Mayert

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

ANDREAS MAYERT

Alterssicherung und Erziehungsentscheidungen

Sozialpolitische Schriften Heft 89

Alterssicherung und Erziehungsentscheidungen

Von

Andreas Mayert

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Die Fakultät für Sozialwissenschaft der Ruhr-Universität Bochum hat diese Arbeit im Jahre 2007 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

D 294 Alle Rechte vorbehalten # 2008 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0584-5998 ISBN 978-3-428-12683-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Das vorliegende Buch entspricht meiner Dissertation, die zwischen dem Sommer 2003 und dem Frühjahr 2007 am Lehrstuhl für Sozialpolitik und Sozialökonomik der Ruhr-Universität Bochum entstanden ist. Sie wäre ohne Hilfe und Unterstützung nicht zustande gekommen. An erster Stelle bedanke ich mich bei meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Jörg Althammer, der mir den entscheidenden Anstoß zur Wahl meines Dissertationsthemas gegeben und während meiner Assistenzzeit den notwendigen Freiraum zur Anfertigung meiner Arbeit gewährt hat. Bei Frau Prof. Dr. Notburga Ott bedanke ich mich für Inspiration durch ihre eigene wissenschaftliche Arbeit und die Übernahme des Zweitgutachtens meiner Dissertation. Meinen Arbeitskollegen, Dr. Marcel Erlinghagen, Heidrun Giepen, Dipl.-Soz.Wiss. Nadine Gonsior, Dipl.-Soz.Wiss. Achim Henkel, Dipl.-Soz.Wiss. Sandra Hubert, Dr. Dr. Elmar Nass, Dipl.-Soz.Wiss. Christian Pihl und Dipl.-Soz.Wiss. Hajo Romahn, bin ich für die angenehme Arbeitsatmosphäre und ihre Hilfsbereitschaft zu Dank verpflichtet. Für die finanzielle Unterstützung während der letzten Monate der Fertigstellung meiner Dissertation bedanke ich mich beim Zentralinstitut für Ehe und Familie in der Gesellschaft. Ein besonderer Dank sei an dieser Stelle zudem meinem „ersten“ Doktorvater Prof. Dr. Ulrich Meyer ausgesprochen, bei dem ich neben vielem anderen gelernt habe, dass sich gute Wissenschaft nicht durch Anbiederung an Umstände und Finanziers, sondern durch die Infragestellung falscher Selbstverständlichkeiten auszeichnet. Dank gebührt auch Herrn Ulf Wetzel, dessen beispielhafte Verknüpfung von Theorie und Praxis mir nicht nur Hilfestellung und Ansporn, sondern – so hoffe ich – auch Leitfaden bei eigenen Entscheidungen gewesen ist und sein wird. Zuletzt, aber hierarchisch an erster Stelle, bedanke ich mich bei meinen Eltern, ohne deren Leistung letztlich nichts von all dem möglich gewesen wäre. Bochum, im Februar 2008

Andreas Mayert

Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Die Entwicklung und Diskussion öffentlicher Alterssicherungssysteme 1.2 Aufbau der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Funktionsweise und Situation der umlagefinanzierten Alterssicherung in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Einführung und Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Die Funktionsweise umlagefinanzierter Alterssicherung . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Modellrahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Umlagefinanzierte Alterssicherung in Systemvariante EA . . . . . . 2.2.3 Umlagefinanzierte Alterssicherung in Systemvariante AE . . . . . . 2.3 Die umlagefinanzierte Alterssicherung Deutschlands im Paradigmenwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Die Zeit von 1957 bis 1991 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2 Die Zeit von 1992 bis 2004 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Die erwartete zukünftige Entwicklung der Gesetzlichen Rentenversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.1 Prognostizierte Entwicklung der Gesetzlichen Rentenversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.2 Inter- und intragenerationale Umverteilung in der Gesetzlichen Rentenversicherung nach dem vollzogenen Paradigmenwechsel . . 3. Umlagefinanzierte Alterssicherung und Konsummotiv der Kindererziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1 Motive der Kindererziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2 Das Konsummotiv der Kindererziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Umlagefinanzierte Alterssicherung und schwach altruistische Eltern . . . 3.2.1 Modellrahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Optimale Kinderzahl im Laissez-Faire . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3 Auswirkung der Einführung eines umlagefinanzierten Alterssicherungssystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.4 Ausgestaltung einer Reform des umlagefinanzierten Alterssicherungssystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.5 Berücksichtigung von Zeitkosten der Kindererziehung . . . . . . . . . 3.3 Umlagefinanzierte Alterssicherung und rein altruistische Eltern . . . . . . .

19 19 30 34 34 37 37 41 48 55 55 69 92 92 97 108 108 109 112 114 114 116 118 126 148 155

8

Inhaltsverzeichnis 3.3.1 Modellrahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2 Auswirkungen eines umlagefinanzierten Alterssicherungssystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Umlagefinanzierte Alterssicherung und paternalistisch altruistische Eltern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.1 Modellrahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.2 Auswirkungen eines umlagefinanzierten Alterssicherungssystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.3 Ausgestaltung einer Reform des umlagefinanzierten Alterssicherungssystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5 Zusammenfassung und Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

4. Umlagefinanzierte Alterssicherung und Investitionsmotiv der Kindererziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Die gesamtgesellschaftliche Vorteilhaftigkeit intergenerationaler Transferbeziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Intergenerationale Transferbeziehungen auf einem vollkommenen Markt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2 Das Versagen anonymer Ausbildungskreditmärkte . . . . . . . . . . . . 4.3 Die individuelle Vorteilhaftigkeit intergenerationaler Transferbeziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2 Modellrahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.3 Ableitung einer optimalen Familienverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.4 Eigenschaften und Implikationen des Modells . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Die Destabilisierung intrafamiliärer Transferbeziehungen . . . . . . . . . . . . 4.4.1 Einführung: Familie und Industrialisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.2 Eine Destabilisierung des Familiensystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.3 Implikationen und Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5 Paternalistische Staatseingriffe in individuelle Alterssicherungsentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.2 Begründung und Form der Staatseingriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.3 Staatseingriffe in individuelle Alterssicherungsentscheidungen und ihre Auswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.4 Implikationen und Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.6 Das Umlagesystem als Instrument zur Rekonstruktion intrafamiliärer Arrangements? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.6.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.6.2 Reform „auf der grünen Wiese“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.6.3 Reform bereits existierender staatlicher Transfersysteme . . . . . .

158 160 165 167 168 172 182 192 192 196 196 202 206 206 209 215 231 234 234 249 256 261 261 262 265 293 301 301 302 308

Inhaltsverzeichnis 5. Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Zur Berücksichtigung individueller Erziehungsentscheidungen bei der Rentenbemessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Einführungsmotiv und Auswirkungen öffentlicher Alterssicherungssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Schlusswort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9 320 322 326 330

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349

Tabellenverzeichnis Tabelle 2.1: Auswirkungen verschiedener demografischer und ökonomischer Einflussvariablen auf zentrale Wirkungsvariablen umlagefinanzierter Alterssicherungssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

54

Tabelle 2.2: Fernere Lebenserwartung 65-jähriger Männer bzw. Frauen der Geburtsjahrgänge 1895 bis 1926 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

60

Tabelle 2.3: Zugangsalter zu Alters- und Erwerbsminderungsrenten der Geburtsjahrgänge 1904 bis 1926 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

60

Tabelle 2.4: Fernere Lebenserwartung 65-jähriger Männer bzw. Frauen der Geburtsjahrgänge 1927 bis 1939 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

89

Tabelle 2.5: Erwerbsquoten in (Gesamt-)Deutschland im Zeitraum von 1992 bis 2004 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

90

Tabelle 4.1: Zeitpunkt des Einsetzens eines substantiellen Geburtenrückgangs bzw. Rückgangs der Kindersterblichkeit in 14 europäischen Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 Tabelle 4.2: Durchschnittliche jährliche Wachstumsraten des Outputs, des Sachkapitalstocks, des Humankapitalniveaus, der Zahl der Erwerbstätigen und der totalen Faktorproduktivität in Großbritannien 1760 bis 1913 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 Tabelle 5.1: Ökonomische Rechtfertigung für die Berücksichtigung von Kindererziehungsleistungen in einem umlagefinanzierten Alterssicherungssystem und Art dieser Berücksichtigung nach verschiedenen Modellansätzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 Tabelle 5.2: Auswirkung öffentlicher Alterssicherungssysteme auf Erziehungsund Ausbildungsentscheidungen nach verschiedenen Modellansätzen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328

Abbildungsverzeichnis Abbildung 2.1:

Äquivalenzrentnerquotient, Bruttorentenniveau und Beitragssatz der Gesetzlichen Rentenversicherung 1960 bis 1991 . . . .

57

Äquivalenzrentnerquotient sowie Zahl der Äquivalenzrentner und Äquivalenzbeitragszahler 1960 bis 1991 . . . . . . . . . . . . . . .

58

Lebendgeborene je 1000 Einwohner Deutschlands in den Jahren 1881 bis 2004 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

59

Durchschnittliche Rentenbezugsdauer von Rentnern der Geburtsjahrgänge 1896 bis 1926 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

61

Wanderungssaldo der Bundesrepublik Deutschland im Zeitraum 1957 bis 1976 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

62

Erwerbsquote in der Bundesrepublik Deutschland im Zeitraum 1957 bis 1991 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

64

Äquivalenzrentner und Äquivalenzbeitragszahler in der Gesetzlichen Rentenversicherung sowie Zahl der 20–64-Jährigen und 65-Jährigen und Älteren in der Bundesrepublik Deutschland 1960 bis 1990 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

65

Impliziter Steueranteil in den Beitragszahlungen zur Gesetzlichen Rentenversicherung nach Eintrittsjahr eines durchschnittlichen Versicherten und Beitragssatz zur Gesetzlichen Rentenversicherung in den Jahren 1957 bis 1991 . . . . . . . . . . .

68

Beitragssatz und Bruttorentenniveau der Gesetzlichen Rentenversicherung 1957 bis 2030 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

70

Abbildung 2.10: Beitragssatz und Bruttorentenniveau der Gesetzlichen Rentenversicherung 1992 bis 1999 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

75

Abbildung 2.11: Äquivalenzrentnerquotient, Beitragssatz zur GRV, Bruttorentenniveau der GRV und „virtueller“ Beitragssatz zur GRV 1975 bis 2004 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

85

Abbildung 2.12: Verhältnis des Bundeszuschusses zu den gesamten Beitragseinnahmen der GRV 1975 bis 2003 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

86

Abbildung 2.13: Äquivalenzrentner, Äquivalenzbeitragszahler und Äquivalenzrentnerquotient 1975 bis 2004 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

88

Abbildung 2.14: Äquivalenzrentnerquotient Gesamtdeutschland bzw. in den alten Bundesländern 1990 bis 2004 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

91

Abbildung 2.2: Abbildung 2.3: Abbildung 2.4: Abbildung 2.5: Abbildung 2.6: Abbildung 2.7:

Abbildung 2.8:

Abbildung 2.9:

12

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 2.15: Äquivalenzrentnerquotient sowie Beitragssatz und Bruttorentenniveau der GRV 1990 bis 2040 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

93

Abbildung 2.16: Äquivalenzrentner, Äquivalenzbeitragszahler und Äquivalenzrentnerquotient 1980 bis 2040 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

95

Abbildung 2.17: Impliziter Steuersatz auf das Lebenseinkommen der Geburtsjahrgänge 1940 bis 2005 unter verschiedenen Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 Abbildung 2.18: Durchschnittliche endgültige Kinderzahl und für den Ersatz der Elterngeneration notwendige Kinderzahl von Frauen der Geburtsjahrgänge 1865 bis 1967 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 Abbildung 2.19: Frauen der Geburtsjahrgänge 1935 bis 1967 nach der Zahl geborener Kinder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 Abbildung 3.1:

Lebendgeborene je 1000 Einwohner 1850–1975 sowie Einführungszeitpunkte obligatorischer öffentlicher Alterssicherungssysteme in Deutschland (DE), Belgien (B), Dänemark (DÄ) und Frankreich (F) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188

Abbildung 3.2:

Lebendgeborene je 1000 Einwohner 1850–1975 sowie Einführungszeitpunkte obligatorischer öffentlicher Alterssicherungssysteme in Italien (IT), Niederlande (N), Schweden (S) und England (E) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188

Abbildung 4.1:

Lebendgeborene je 1000 Einwohner, Anteil der Bevölkerung in Städten mit über 20 000 Einwohnern und Anteil der Beschäftigten im sekundären und tertiären Sektor an allen Beschäftigten in Deutschland 1880 bis 1930 . . . . . . . . . . . . . . . . . 236

Abbildung 4.2:

Lebendgeborene auf 1000 Frauen im Alter von 15 bis 45, Aufwuchsziffer und Kindersterblichkeitsrate in Deutschland 1922 bis 1933 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237

Abbildung 4.3:

Lebendgeborene je 1000 Einwohner und Bruttosozialprodukt pro Arbeitsstunde in Deutschland 1880 bis 1935 . . . . . . . . . . . 241

Abbildung 4.4:

Lebendgeborene je 1000 Einwohner und Anteil der Schüler mit sekundärer Ausbildung in Deutschland 1850 bis 1930 . . 242

Symbolverzeichnis Lateinische Großbuchstaben AE ÄRQ ARW AVA BA BE DF E EA F FLA FS G H HK IS ISAE ISDF ISEA ISNA J K KP KR L LEB LF MS N NA NQE NQR R

Ausgabenorientierte Einnahmepolitik Äquivalenzrentnerquotient Aktueller Rentenwert Altersvorsorgeanteil Bruttoanpassung Durchschnittliches Bruttoeinkommen Demografischer Faktor Kopfzahl der Erwerbstätigengeneration Einnahmeorientierte Ausgabenpolitik Volkswirtschaftliche Produktionsfunktion Familienlastenausgleich Familienstrategie Gewinn Volkswirtschaftlicher Humankapitalbestand Humankapital Impliziter Steuersatz Impliziter Steuersatz bei ausgabenorientierter Einnahmepolitik Impliziter Steuersatz bei Verwendung des „demografischen Faktors“ Impliziter Steuersatz bei einnahmeorientierter Ausgabenpolitik Impliziter Steuersatz bei „Nettoanpassung“ der Renten Kopfzahl der Jugendgeneration Volkswirtschaftlicher (Sach-)Kapitalbestand Staatliche Kreditaufnahme zur Finanzierung der impliziten Staatsverschuldung bei umlagefinanzierter Alterssicherung Kinderrente Lagrange-Funktion (Fernere) Lebenserwartung Laissez-Faire Marktstrategie Bevölkerungsgröße Nettoanpassung Nettoquote der Erwerbstätigen Nettoquote der Rentner Kopfzahl der Ruhestandsgeneration

14 RVB SK STR U UFS UMS VA VAAE VAEA VE VEAE VEEA W Y

Symbolverzeichnis Rentenversicherungsbeitragssatz in Rentenanpassungsformel Sachkapital Strategie Nutzen Nutzen bei Wahl der Familienstrategie Nutzen bei Wahl der Marktstrategie Versicherungsausgaben Versicherungsausgaben bei ausgabenorientierter Einnahmepolitik Versicherungsausgaben bei einnahmeorientierter Ausgabenpolitik Versicherungseinnahmen Versicherungseinnahmen bei ausgabenorientierter Einnahmepolitik Versicherungseinnahmen bei einnahmeorientierter Ausgabenpolitik Lohnsumme Volkswirtschaftlicher Output

Lateinische Kleinbuchstaben a b bAE be bEA bKDV bUV c cKR cLF cp cm d e eA ealt eB eG eKR emax eneu eOA

Anteil beitragsbezogener Rentenansprüche am Gesamtrentenanspruch Beitragssatz Beitragssatz bei ausgabenorientierter Einnahmepolitik Beitragssatz zu einem Ausbildungsfinanzierungssystem Beitragssatz bei einnahmeorientierter Ausgabenpolitik Beitragssatz zu einem (öffentlichen) kapitalgedeckten Alterssicherungssystem Beitragssatz zu einem umlagefinanzierten Alterssicherungssystem Konsum Konsum bei Existenz eines Kinderrentensystems Konsum im Laissez-Faire Konsum bei Existenz eines „herkömmlichen“ umlagefinanzierten Alterssicherungssystems Konsumniveau eines Individuums vom Typ m Familienlastenausgleichsleistung pro Kind Ausbildungsaktivität pro Kopf, Ausbildungstransfer pro Kopf Ausbildungstransfer einer Familienverfassung vom Typ A Ausbildungstransfer der bisherigen (alten) Familienverfassung Ausbildungstransfer einer Familienverfassung vom Typ B Gesellschaftlich optimale Ausbildungsaktivität pro Kopf Ausbildungsaktivität pro Kopf bei Existenz eines Kinderrentensystems Maximal möglicher Ausbildungstransfer in einer Familienverfassung Ausbildungstransfer der neuen Familienverfassung Ausbildungsaktivität pro Kopf bei Existenz eines öffentlichen Ausbildungssystems

Symbolverzeichnis ep eV em f g h i j k È1 þ mê È1 þ nê È1 þ nêA È1 þ nêB È1 þ nêFLA È1 þ nêG È1 þ nêKP È1 þ nêKR È1 þ nêLF È1 þ nêp È1 þ nêRA È1 þ nêm p pAE pDF pEA pHY pKDV pNA pm q qA qB qC qe qn qm r È1 þ rê

15

Ausbildungsaktivität pro Kopf bei Existenz eines „herkömmlichen“ umlagefinanzierten Alterssicherungssystems Vorgeschriebener Ausbildungstransfer einer Familienverfassung Ausbildungstransfer einer Familienverfassung vom Typ m Volkswirtschaftliche Pro-Kopf-Produktionsfunktion Ausbildungszeit Humankapitalausstattung pro Kopf Zeitindex: Generation Zeitindex: Jahr Kapitalausstattung pro Kopf Wachstumsfaktor des Lohnsatzes Pro-Kopf-Kinderzahl, Wachstumsfaktor der Bevölkerung Kinderzahl eines Individuums vom Typ A Kinderzahl eines Individuums vom Typ B Pro-Kopf-Kinderzahl bei Existenz eines Familienlastenausgleichsystems Gesellschaftlich optimale Pro-Kopf-Kinderzahl Pro-Kopf-Kinderzahl nach der Beseitigung eines umlagefinanzierten Alterssicherungssystems Pro-Kopf-Kinderzahl bei Existenz eines Kinderrentensystems Pro-Kopf-Kinderzahl im Laissez-Faire Pro-Kopf-Kinderzahl bei Existenz eines „herkömmlichen“ umlagefinanzierten Alterssicherungssystems Pro-Kopf-Kinderzahl bei reinem Altruismus Kinderzahl eines Individuums vom Typ m Rentenzahlbetrag Rentenzahlbetrag bei ausgabenorientierter Einnahmepolitik Rentenzahlbetrag bei Verwendung des „demografischen Faktors“ Rentenzahlbetrag bei einnahmeorientierter Ausgabepolitik Rentenzahlbetrag in einem hybriden Rentensystem Rentenzahlbetrag eines (öffentlichen) kapitalgedeckten Alterssicherungssystems Rentenzahlbetrag bei „Nettoanpassung“ der Renten Rentenzahlbetrag an ein Individuum vom Typ m Kindererziehungskosten Kindererziehungskosten eines Individuums vom Typ A Kindererziehungskosten eines Individuums vom Typ B Kindererziehungskosten eines Individuums vom Typ C Preis einer Ausbildungsaktivität Preis der Erziehung eines Kindes Kindererziehungskosten eines Individuums vom Typs m Zinssatz auf dem Kapitalmarkt Zinsfaktor auf dem Kapitalmarkt

16 È1 þ rêHK È1 þ rêPR È1 þ rêSK È1 þ rêUV È1 þ rêOA s sHK sSK t u v w x y z

Symbolverzeichnis Zinsfaktor von Anlagen in Humankapital Zinsfaktor in einem privaten Altersvorsorgesystem bei versicherungsmathematischer Kalkulation Zinsfaktor von Anlagen in Sachkapital Impliziter Zinsfaktor eines umlagefinanzierten Alterssicherungssystems Impliziter Zinsfaktor eines öffentlichen Alterssicherungssystems Ersparnis Ersparnis in Form von Humankapital Ersparnis in Form von Sachkapital Zeitindex: Periode (Partieller) Nutzen (Indirekter) Nutzen Lohnsatz Prozentsatz privater Kindererziehungskostentragung Pro-Kopf-Output/Pro-Kopf-Einkommen Erbschaft Griechische Kleinbuchstaben

a b bA balt bneu bUV bV bm d e ’ q qh qn k l m p # #DF #NA t f

Faktor in Rentenanpassungsformel Alterstransfer im Familiensystem Alterstransfer einer Familienverfassung vom Typ A Alterstransfer in der bisherigen (alten) Familienverfassung Alterstransfer einer neuen Familienverfassung Zwangsalterstransfer pro Ruheständler durch ein umlagefinanziertes Alterssicherungssystem Vorgeschriebener Alterstransfer einer Familienverfassung Alterstransfer einer Familienverfassung vom Typ m Altruismusparameter Erwerbsquote Nutzen-Konvertierungsfunktion Nutzengewicht Nutzengewicht auf Humankapitalausstattung der Nachkommen Nutzengewicht auf Zahl der Nachkommen Kapitalbestand pro Effizienzeinheit Arbeit Lagrange-Multiplikator Typ Erlebenswahrscheinlichkeit Rentenniveau Rentenniveau bei Verwendung des „demografischen Faktors“ Rentenniveau bei „Nettoanpassung“ der Renten Einkommenssteuersatz Erziehungszeit

Abkürzungsverzeichnis AE ÄRQ ARW AVA BMGS BSP bzgl. ca. c. p. CDU d. h. EA EWM Fn. ggf. GKV GRV KDV Mio. sek. SGB SPD tert. TFP u. a. usw. u. U. UV v. a. VDR vgl. z. B.

Ausgabenorientierte Einnahmepolitik Äquivalenzrentnerquotient Aktueller Rentenwert Altersvorsorgeanteil Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung Bruttosozialprodukt bezüglich circa ceteris paribus Christlich Demokratische Union das heißt Einnahmeorientierte Ausgabenpolitik Erwerbsminderung Fußnote gegebenenfalls Gesetzliche Krankenversicherung Gesetzliche Rentenversicherung Kapitaldeckungsverfahren Millionen sekundär Sozialgesetzbuch Sozialdemokratische Partei Deutschlands tertiär Totale Faktorproduktivität unter anderem und so weiter unter Umständen Umlageverfahren vor allem Verband Deutscher Rentenversicherungsträger vergleiche zum Beispiel

1. Einleitung 1.1 Die Entwicklung und Diskussion öffentlicher Alterssicherungssysteme Zwischen 1890 und 1950 wurden in allen zu diesem Zeitpunkt bereits entwickelten Volkswirtschaften obligatorische staatliche Alterssicherungssysteme eingeführt. Als 1948 in der Schweiz eine staatliche Rentenversicherung gegründet wurde, hatten alle 24 Staaten, die vor dem Zusammenbruch des Warschauer Paktes bereits der OECD angehörten, ein solches System1. Obwohl zunächst häufig formal nach dem Kapitaldeckungsverfahren organisiert, begannen diese Systeme bereits in ihren Anfangsjahren Leistungen auszuschütten, denen keine äquivalenten Beitragszahlungen der Leistungsempfänger gegenüberstanden, und Leistungen zu versprechen, zu deren Deckung kein ausreichender Kapitalstock gebildet wurde2. Dieses als Umlageverfahren bezeichnete Finanzierungsprinzip der staatlich administrierten Rentenversicherungen setzte sich in den öffentlichen Alterssicherungssystemen im Laufe der Zeit beinahe überall auch im Grundsatz durch und verdrängte noch vorhandene Elemente einer Kapitaldeckung so gut wie vollständig3. Zur gleichen Zeit wuchs auch der Umfang dieser Systeme. Der Anteil der Staatsausgaben für die öffentliche Alterssicherung am Bruttoinlandsprodukt, der Anteil der Beitragszahlungen am verfügbaren Einkommen der Versicherten und schließlich der Kreis der in den Versicherungsschutz einbezogenen Personen nahm bereits in den Anfangsjahren dieser Systeme fortwährend zu4. 1 Für einen Überblick über den Einführungszeitpunkt staatlich administrierter Alterssicherungssysteme in den verschiedenen Staaten vgl. Cutler/Johnson (2002, S. 43 f.). 2 So z. B. die öffentlichen Alterssicherungssysteme in Deutschland (vgl. BörschSupan/Schnabel (1997, S. 7)), Schweden (vgl. Palme/Svensson (1997, S. 11)) und den USA (vgl. Miron/Weil (1997, S. 5)). In der Gesetzlichen Rentenversicherung Deutschlands wurden, obwohl erworbene Rentenansprüche grundsätzlich kapitalgedeckt sein sollten, bereits im Jahr ihrer Errichtung 133000 Altersrenten ausgezahlt, vgl. Zöllner (1982, S. 31). 3 Heute sind 98% aller öffentlichen Alterssicherungssysteme teilweise oder vollständig umlagefinanziert (vgl. Mulligan/Sala-i-Martin (1999a)). 4 Vgl. Lindert (1994, S. 7 ff.) zur Ausgabenentwicklung und Flora (1983, S. 466 ff.) zum Deckungsgrad öffentlicher Alterssicherungssysteme verschiedener Staaten.

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1. Einleitung

Der auf einen relativ kurzen Zeitraum konzentrierte Beginn einer Einflussnahme verschiedener Staaten bzw. Regierungen auf die Alterssicherungsentscheidungen ihrer Bürger und der rasche Übergang zum Umlageverfahren als Finanzierungsprinzip öffentlicher Alterssicherungssysteme legt die Vermutung nahe, dass ähnliche Entwicklungen und Bedingungen in den verschiedenen Staaten eine gleichgerichtete Antwort der jeweiligen politischen Entscheidungsträger notwendig machten. Und in der Tat war der Zeitraum zwischen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und dem beginnenden 20. Jahrhundert geprägt von einer Vielzahl tief greifender ökonomischer, sozialer, politischer und demografischer Veränderungen, die als auslösende Faktoren sozialpolitischer Neuerungen in Frage kommen. Die Industrielle Revolution hatte in zuvor agrarisch geprägten Volkswirtschaften einen raschen Übergang zur industriellen Produktionsweise herbeigeführt und führte zu einer ebenso raschen Urbanisierung. Beschleunigtes Wachstum führte zu einer sprunghaften Zunahme des Bruttosozialproduktes pro Kopf und damit auch der Pro-Kopf-Einkommen5. Mit den Industriearbeitern entwickelte sich eine neue soziale Schicht, deren wachsende Mitgliederzahl und zunehmende politische Agitation Ängste und Repression, aber auch Einsicht in die Notwendigkeit sozialer Reformen hervorrief. Es bildeten sich in zunehmendem Maße demokratische Strukturen. Der sinkende Einfluss von Land und Titeln und der wachsende Einfluss von Kapital, Innovationen und Ausbildung erhöhten die soziale Mobilität. Die Lebenserwartung nahm zu6, zugleich setzte in allen entwickelten Staaten um 1870 ein Geburtenrückgang ein, der bis 1930 zu einem Rückgang der Geburtenraten um 40% führte7. Infolge dieser als Demografischer Übergang bezeichneten Entwicklung8 setzte ein Alterungsprozess der betroffenen Bevölkerungen ein. Die große Zahl von Veränderungen, die sich gerade auf jenen Zeitraum konzentrierten, in dem in den entwickelten Staaten öffentliche Alterssicherungssysteme eingeführt wurden, hat dazu geführt, dass eine ebenso große Zahl von Erklärungsversuchen dieser spezifischen Staatseingriffe existiert9. Keiner konnte sich bislang durchsetzen. Eine jüngere empirische Untersuchung von Cutler/Johnson (2002) gibt jedoch Aufschluss darüber, welche Faktoren offenbar keine Rolle bei der Einführung öffentlicher Alterssiche5

Vgl. Maddison (1995, S. 23 f.). Vgl. Lindert (2004a, S. 183 ff.) 7 Vgl. z. B. Coale/Treadway (1986, S. 44). 8 Vgl. hierzu grundlegend Notestein (1945, 1953) sowie die umfassende Darstellung des Demografischen Übergangs in Europa in Coale/Watkins (1986). 9 Ein früher und ausführlicher Überblick über eine Vielzahl solcher Erklärungsansätze aus verschiedenen wissenschaftlichen Fachgebieten findet sich in Alber (1983). Für aktuelle Übersichten ökonomischer Erklärungsansätze vgl. Mulligan/ Sala-i-Martin (1999a, 1999b) und Galasso/Profeta (2002). 6

1.1 Entwicklung und Diskussion öffentlicher Alterssicherungssysteme

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rung gespielt haben. Sie kommt zu dem überraschenden Ergebnis, dass weder der Entwicklungsstand einer Volkswirtschaft – approximiert durch das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf – noch ihr Demokratisierungsgrad den Einführungszeitpunkt öffentlicher Alterssicherungssysteme erklären können. Entgegen der Intuition tendierten reichere und demokratischere Volkswirtschaften sogar dazu, später in die Altersvorsorgeentscheidungen ihrer Bürger einzugreifen10. Lediglich der Industrialisierungs- und Urbanisierungsgrad einer Volkswirtschaft und der Anteil Älterer an der Gesamtbevölkerung haben nach dieser Untersuchung einen positiven Einfluss auf den Einführungszeitpunkt öffentlicher Alterssicherung gehabt11. Vor allem zwei Entwicklungen scheinen somit für den zunehmenden Handlungsdruck im Bereich der Alterssicherung verantwortlich gewesen zu sein: Die mit der Industrialisierung und Verstädterung einhergehenden Veränderungen in der Produktions- und Lebensweise der Bevölkerung sowie eine zunehmende Notwendigkeit, sich mit der spezifischen Lebenssituation alter Menschen auseinanderzusetzen. Der Einfluss der zunehmenden Zahl älterer Menschen erklärt sich dabei nicht durch einen wachsenden politischen Einfluss12, sondern durch die Verschärfung des seit Mitte des 19. Jahrhunderts gehäuft auftretenden Phänomens der Altersarmut. So schreibt z. B. Ogus (1982, S. 177) über die damalige Situation in Großbritannien und Deutschland: „One of the results of the more scientific approach to investigating poverty which emerged during the second half of the nineteenth century was the awareness that it was widespread among the aged. Booth, in particular, had found it to be the most frequent single cause of poverty, amounting to about one-third of all cases. (. . .). The question of how best to deal with the problem was the subject of a prolonged and strenuous debate in the last two decades of the nineteenth century and the first decade of the twentieth. The Bismarck legislation indicated that social insurance might be a viable solution.“

Nach Ansicht verschiedener Autoren war das im 19. Jahrhundert zu beobachtende Einhergehen von Industrialisierung und Urbanisierung mit wachsender Altersarmut kein Zufall13. Vielmehr habe die industrielle Pro10 Vgl. Cutler/Johnson (2002, S. 27 und S. 28). Zum gleichen Ergebnis kommt auch Lindert (2004b, S. 52 f.). Im Unterschied dazu kann das Wachstum öffentlicher Alterssicherungssysteme, nachdem sie erst einmal eingeführt worden sind, mit dem zunehmenden Wohlstand von Volkswirtschaften erklärt werden, vgl. Cutler/Johnson (2002, S. 32 f.). 11 Vgl. Cutler/Johnson (2002, S. 27). Dieses Ergebnis wird durch die Untersuchungen von Caucutt/Cooley/Guner (2005, S. 21 f.) und Lindert (2004b, S. 62) bestätigt. 12 Der Anteil älterer Menschen an der Gesamtbevölkerung war – nach heutigen Maßstäben – noch immer sehr gering, vgl. z. B. Mackenroth (1952, S. 22). Zudem ging vom Demokratisierungsgrad ja gerade kein positiver Einfluss auf den Einführungszeitpunkt öffentlicher Alterssicherungssysteme aus, so dass sich ein wachsender politischer Einfluss der Alten auf diesem Wege nicht nachweisen lässt.

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1. Einleitung

duktions- und Lebensweise alte Arrangements der Alterssicherung innerhalb der (erweiterten) Familie nachhaltig geschwächt und so entscheidend zur zunehmend prekären Lage der Alten beigetragen. Das Aufkommen öffentlicher Alterssicherungssysteme kann danach als staatliche Antwort auf die im Laufe des Industrialisierungsprozesses fragil werdenden intrafamiliären Sicherungsstrukturen gesehen werden, deren Schwächung zur Ausbildung eines neuen – oder wenigstens bis dahin in diesem Ausmaß unbekannten – Risikos des Unversorgtseins im Alter führte. Die Probleme der Familie als traditionelle Versicherungs- bzw. Schutzgemeinschaft, sich den Erfordernissen, Zwängen und Chancen einer industrialisierten Volkswirtschaft anzupassen, machten insofern die Entwicklung einer kollektiven und von der Ausübung staatlichen Zwangs gestützten staatlichen Lösung erst notwendig. Köhler (1983, S. 34) beschreibt die Notwendigkeit kollektiver Lösungen im Bereich der sozialen Sicherung als ein „Paradoxon“ der eigentlich auf Individualismus und Eigeninitiative setzenden „individualistisch-liberalen“ Epoche des beginnenden Industriezeitalters. Geht man jedoch davon aus, dass der zunehmende Individualismus und die mit ihm verbundenen ökonomischen Zwänge und Chancen die Aufrechterhaltung von im Regelfall auf unausgesprochenen Normen oder informellen Vereinbarungen und daher mit wenig Rechtssicherheit ausgestatteten Alterssicherungsbeziehungen innerhalb von Familien unmöglich machte oder zumindestens stark sanktionierte14, dann kann eigentlich nicht von einem Paradoxon gesprochen werden. Weit mehr kann es als eine zwingende Folge des „Wegbrechens“ traditioneller Vorsorgeformen und der dadurch ausgelösten Altersarmut angesehen werden, dass der Staat an dieser Stelle die Notwendigkeit eines Eingriffs erkannt hat. Und auch die Organisation öffentlicher Alterssicherung im Umlagesystem macht dann Sinn: Geht man davon aus, dass der Verlust der traditionellen Alterssicherung in der Familie für die betroffenen Alten unerwartet war, so dass sie keine Möglichkeit hatten, auf andere Weise Vorsorge zu treffen, dann konnte ihre Lage unmittelbar nur mit diesem Finanzierungsverfahren verbessert werden. Wenn die zunehmende Altersarmut tatsächlich das Motiv für Staatseingriffe in individuelle Alterssicherungsentscheidungen war, dann stellten die öffentlichen und mehr und mehr auch umlagefinanzierten Rentensysteme bis in die jüngere Vergangenheit eine große sozialpolitische Erfolgsgeschichte dar. In den entwickelten Volkswirtschaften tritt Armut im Alter heute nicht wesentlich häufiger auf als in anderen Lebensabschnitten15. Zu13 So z. B. Verbon (1988, S. 8 und S. 12), Sinn (2005, S. 27), Folbre (1994, S. 87) und Burggraf (1997, S. 95). 14 Z. B. durch die Behinderung beruflicher oder regionaler Mobilität und dem damit verbundenen Verzicht auf Aufstiegschancen. 15 Für Deutschland vgl. z. B. Grabka (2004).

1.1 Entwicklung und Diskussion öffentlicher Alterssicherungssysteme

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dem brachte die Einführung kollektiver öffentlicher Alterssicherungssysteme weitere Vorteile mit sich, die in der Vergangenheit wie ein enormer Gewinn an individueller Freiheit wirken mussten und heute – obwohl kaum noch wahrgenommen – immer noch wirken. Die Menschen sind seither im Alter unabhängig von der Erziehung und dem Wohlwollen eigener Kinder und spiegelbildlich müssen sich Nachkommen nicht mehr im selben Maße wie in früheren Zeiten für ihre alt gewordenen Eltern verantwortlich fühlen16. Zwar hatte es bereits in den frühen Jahren öffentlicher Rentensysteme kritische Stimmen gegeben, deren Ansatzpunkt vor allem das Umlageverfahren als Finanzierungsprinzip war17. Der jahrzehntelange Erfolg dieser Systeme und das ebenso lange Ausbleiben ihrer von den Kritikern vorhergesagten negativen Auswirkungen hatten jedoch zur Folge, dass kritische Stimmen in der Minderheit blieben18. Doch seit Mitte der 1970er Jahre stehen öffentliche umlagefinanzierte Alterssicherungssysteme zunehmend in der Kritik. Die Mehrheitsverhältnisse bei ihrer Beurteilung haben sich in den letzten drei Jahrzehnten grundlegend verändert: Waren zuvor die Kritiker in der Minderheit, so lässt sich heute feststellen, dass die Befürworter umlagefinanzierter Alterssicherung „in die Defensive geraten sind“ (Werding (1999, S. 492)). Der grundlegende Auslöser dieses Beurteilungswandels ist in den sinkenden Renditen umlagefinanzierter Alterssicherungssysteme im Zuge eines ungünstiger werdenden Altersaufbaus der Bevölkerungen entwickelter Staaten zu sehen19. In all diesen Staaten sind die Geburtenraten, nachdem sie während des sog. „Babybooms“ der 1950er und frühen 1960er Jahre noch einmal auf Höhe des Ersatzniveaus angestiegen waren, seit Mitte der 1960er Jahre auf bis dahin nie erreichte Tiefstwerte gesunken, während die Lebenserwartung weiter zunahm20. Einige Demografen sprechen in diesem Zusammenhang, 16

So auch Apolte (1998, S. 15) und Burggraf (1997, S. 93). Vgl. z. B. Bernhard (1912), Harz (1928) und Liek (1928). 18 So ermittelte z. B. das Allensbach-Institut im Jahr 1960, dass bis zu diesem Zeitpunkt kein Gesetz, keine öffentliche Institution und kein staatliches Symbol auf eine so breite Zustimmung in der Bevölkerung zählen konnte wie die Rentenreform 1957, in deren Rahmen in der Gesetzlichen Rentenversicherung Deutschlands auch de jure ein vollständiger Wechsel zum Umlageverfahren vollzogen wurde (vgl. Zöllner (1982, S. 65)). Und selbst 1972 noch wurden vor dem Hintergrund günstiger Prognosen bzgl. der zukünftigen finanziellen Entwicklung der Gesetzlichen Rentenversicherung und nach „einem heftigen Wettbewerb zwischen CDU/CSU und SPD um die meisten rentenpolitischen Wohltaten“ (Marschallek (2003, S. 13)) – d.h. ohne nennenswerte (politische) Opposition – enorme Leistungsausweitungen in der Gesetzlichen Rentenversicherung beschlossen. 19 Eine Erläuterung und Diskussion der Berechnung impliziter Renditen in umlagefinanzierten Alterssicherungssystemen findet sich in Kapitel 2. der vorliegenden Untersuchung. 20 Vgl. hierzu v. a. Lee (2003). 17

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1. Einleitung

in Anlehnung an den Demografischen Übergang zwischen 1870 und 1930, von einem „Zweiten Demografischen Übergang“21. Gerade das Aufeinanderfolgen der relativ hohen Geburtenraten während des „Babybooms“ und der danach konstant niedrigen Geburtenzahlen wird absehbar dazu führen, dass sich die Bevölkerungsalterung der entwickelten Staaten ab etwa 2010 dramatisch beschleunigen wird22 – mit entsprechend negativen Auswirkungen auf die Renditen umlagefinanzierter Alterssicherungssysteme. Bei der Identifikation der Bevölkerungsentwicklung als entscheidende Größe für die geringen Renditen und die sich in Zukunft zuspitzende Krise umlagefinanzierter Alterssicherungssysteme sind sich dementsprechend auch so gut wie alle Kritiker dieses Systems einig. Über die Ursachen der erwarteten demografischen Entwicklung und – mit der Ursachenanalyse eng verbunden – über die Maßnahmen, mit denen auf diese Entwicklung reagiert werden sollte, herrscht hingegen weit weniger Einstimmigkeit. Grundsätzlich kann man dabei zwei Denkrichtungen unterscheiden. Nach der ersten Denkrichtung, die man als „traditionell“ bezeichnen kann, ist die Bevölkerungsentwicklung – und dabei vor allem das Geburtenverhalten – ein exogener oder zumindestens von der Institutionalisierung eines umlagefinanzierten Alterssicherungssystems unabhängiger Prozess, der bei der Analyse möglicher Rentenreformen dem Datenkranz zuzuordnen ist23. Wie sich die Geburtenrate und damit eng einhergehend die Höhe der Rendite eines umlagefinanzierten Alterssicherungssystems entwickelt, ist dann lediglich eine Frage von „Glück“ oder „Pech“ – von der spezifischen Organisation dieses Systems hängt es nicht ab. Betont werden nach dieser Denkrichtung hingegen jene verzerrenden Wirkungen, die die Zwangsversicherung in einem Umlagesystem auf solche individuellen Entscheidungen haben kann, die auf dem Arbeits-24 und auf dem Kapitalmarkt25 getroffen 21

So erstmals Lesthaege/Van de Kaa (1986) und Van de Kaa (1987). Dies gilt vor allem für Deutschland, vgl. hierzu auch Kapitel 2. der vorliegenden Untersuchung. In einigen anderen Staaten, z. B. den USA, wird die Bevölkerungsalterung aufgrund einer weniger stark gesunkenen Geburtenrate nicht so akzentuiert verlaufen. 23 „Traditionell“ kann man diese Denkrichtung darum nennen, weil die Exogenisierung von Entscheidungen, die das Geburtenverhalten bestimmen, in der (klassischen) ökonomischen Analyse üblich ist. Malthus (1798), der als Gegenbeispiel angeführt werden könnte, ging zwar von einer endogenen Bevölkerungsentwicklung aus, das Geburtenverhalten ergab sich seiner Ansicht nach jedoch nicht aus rationalen individuellen Entscheidungen, sondern als Folge biologischer Triebe. 24 Wenn die Rendite einer kapitalgedeckten Alterssicherung höher als die Rendite eines Umlagesystems ist, dann geht mit der Pflicht zur Beitragsentrichtung an das Umlagesystem eine implizite Einkommensbesteuerung der Versicherten einher, vgl. hierzu auch Kapitel 2.2 der vorliegenden Untersuchung. Folge kann eine Verzerrung des individuellen Arbeitsangebotsverhaltens sein, indem Anreize zu einer Verringerung der Erwerbsbeteiligung (vgl. hierzu z. B. Homburg (1997) und Börsch-Supan 22

1.1 Entwicklung und Diskussion öffentlicher Alterssicherungssysteme

25

werden. Zudem werden die problematischen Auswirkungen einer alternden Bevölkerung auf die langfristige Finanzierbarkeit eines im Umlageverfahren organisierten Alterssicherungssystems und die damit verbundenen intergenerationalen Lastenverschiebungen akzentuiert. Im Mittelpunkt steht dabei weniger eine eventuelle Ineffizienz des Umlageverfahrens als vielmehr die Warnung vor dessen zukünftiger Insolvenz, sollten bestimmte Kriterien der „Nachhaltigkeit“ nicht erfüllt werden. Verschiedene Berechnungen belegen den enormen impliziten Staatsschuldenbestand, der sich in öffentlicher Rentensystemen – ausgelöst durch die in diesen Systemen erworbenen Rentenanwartschaften der Versicherten – im Laufe der Jahre angesammelt hat26. Als problematisch wird dabei nicht nur das Ausmaß der impliziten Verschuldung gesehen, sondern v. a. auch die Tatsache, dass sich die auf dem impliziten Schuldenbestand ruhende implizite Zinslast invers zum Verhältnis zwischen Rentenempfängern und Beitragszahlern verhält, sie daher im Zuge der Bevölkerungsalterung wächst und spätere Generationen einer zunehmenden Belastung – unter Umständen gar einer Überlastung – aussetzt27. Die Betrachtung der Bevölkerungsentwicklung als unbeeinflussbares Datum führt dazu, dass die aus dieser Denkrichtung abgeleiteten Rentenreformvorschläge, sofern sie nicht rein parametrische Eingriffe in das Umlagesystem beinhalten28, zumeist eine größere Rolle kapitalgedeckter Alters(2000)), zum Ausweichen auf informelle Arbeitsmärkte und/oder zur Frühverrentung (vgl. z. B. Gruber/Wise (2001)) gesetzt werden. 25 Betont wird dabei ein negativer Einfluss auf die private Ersparnis und darüber auf die Investitionsquote einer Volkswirtschaft. Grundlegend für diese Kritikrichtung ist die theoretische und empirische Untersuchung von Feldstein (1974). Die Antwort auf die Frage, ob sich ein negativer Zusammenhang zwischen Rentenanwartschaften aus einem umlagefinanzierten Alterssicherungssystem und privater Ersparnisbildung konzedieren lässt, ist jedoch bis heute sowohl theoretisch als auch empirisch umstritten. Für theoretische Ansätze, die einen negativen Effekt auf die private Ersparnis aus verschiedenen Gründen verneinen oder relativieren, vgl. z. B. Barro (1974), Cigno/Rosati (1996) und Kapitel 4.5 der vorliegenden Untersuchung. Empirische Untersuchungen, die die Sichtweise von Feldstein (1974) stützen, finden sich z. B. in Kim (1992) und Feldstein (1996). Zu einem gegenteiligen Ergebnis kommt z. B. die Untersuchung von Graham (1987). 26 Vgl. für die USA und die europäische Staaten z. B. Ghokale/Raffelhüschen (1999) und für Deutschland Deutsche Bundesbank (2001). Für eine kritische Auseinandersetzung mit diesen als „Generational Acounting“ bezeichneten Berechnungen vgl. Lüdeke (1998). 27 Vgl. Lüdeke (2002, S. 134) und die Diskussion in Kapitel 2. der vorliegenden Untersuchung. 28 Vgl. z. B. Boldrin/Dolado/Jimeno/Peracchi (1999), die einen ganzen Mix parametrischer Reformen zur Überwindung der durch die demografische Entwicklung verursachten Finanzierungskrise umlagefinanzierter Rentenversicherungssysteme in Europa vorschlagen, dabei aber vor allem auch auf Verhaltensänderungen der Individuen in Bezug auf die Erwerbsbeteiligung setzen.

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1. Einleitung

sicherungsprodukte in den Altersvorsorgeportfolios der Individuen oder einen (sukzessiven) Systemwechsel vom Umlagesystem zum Kapitaldeckungssystem empfehlen29. Mit der Ausweitung kapitalgedeckter Alterssicherung sollen dabei sowohl zukünftige Finanzierungslücken in der Altersvorsorge geschlossen als auch verschiedene Effizienzvorteile dieser Finanzierungsweise erschlossen werden30. Der entscheidende Unterschied zwischen der ersten und der zweiten Denkrichtung besteht darin, dass nach der letzteren die Bevölkerungsentwicklung – und hierbei vor allem die Geburtenrate – nicht als eine passiv hinzunehmende Größe angesehen wird. Vielmehr wird angenommen, das individuelle Entscheidungen über die Zahl eigener Kinder – und zum Teil auch über die Art und Intensität ihrer Erziehung und Ausbildung – von der spezifischen Organisation öffentlicher Alterssicherungssysteme beeinflusst werden. Die Besonderheit dieser Betrachtungsweise liegt darin, dass sie im Ergebnis die Möglichkeit – bzw., je nach Standpunkt, die Gefahr – einer Beeinflussung der Finanzierungsgrundlage eines Alterssicherungssystems im Umlageverfahren durch dessen spezifische Organisation impliziert. Die wahrgenommene Finanzierungskrise umlagefinanzierter Alterssicherungssysteme ist aus dieser Sicht nicht die Folge eines zufällig ungünstigen Altersaufbaus der Versichertengemeinschaften, sondern wird endogen durch Staatseingriffe in die individuellen Alterssicherungsentscheidungen und durch die Art, wie diese spezifisch organisiert sind, verursacht. Ansätze, die diese Zusammenhänge herstellen, entwickelten sich als Reaktion auf die fortgesetzt niedrigen Geburtenraten während des Zweiten Demografischen Übergangs. Sie bauten dabei auf die von Leibenstein (1957) und insbesondere Becker (1960) entwickelte Ökonomischen Theorie der Familie auf, gemäß der – im Unterschied zur „traditionellen“ ökonomischen Theorie – auch Entscheidungen innerhalb von Familien Wahlhandlungen rationaler Individuen sind, die mithilfe des ökonomischen Instrumentariums untersucht und erklärt werden können. Insbesondere Entscheidungen für (oder gegen) die Geburt von Kindern und ihre spezifische Erziehung und Ausbildung folgen danach einem ökonomischen Kalkül, das den Nutzen dieser Entscheidungen gegen die Kosten abwägt, ganz unabhängig davon, unter Zugrunde29 Lange Zeit wurde dabei, wie z. B. von Neumann (1997), ein kompletter Systemwechsel favorisiert. Die damit verbundenen ausgeprägten Umstellungsprobleme und der u. a. von Breyer (1989) und Sinn (2000) erbrachte formale Nachweis, dass ein solcher Systemwechsel zu keinen Effizienzgewinnen führt, die dem Pareto-Kriterium genügen, haben dazu geführt, dass heute meist eine Mischung aus einem im Vergleich zum Status Quo weniger generösen Umlageverfahren und einer ergänzenden Kapitaldeckung vorgeschlagen wird. Vgl. hierzu z. B. Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung (2003, S. 128 ff.). 30 Für eine Aufzählung denkbarer Effizienzvorteile vgl. z. B. Berthold/Schmid (1997, S. 152 ff.).

1.1 Entwicklung und Diskussion öffentlicher Alterssicherungssysteme

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legung welchen Präferenzsystems die jeweiligen Entscheider handeln. Frühe empirische Untersuchungen des Zusammenhangs zwischen öffentlicher Alterssicherung und dem Geburtenverhalten finden sich in Friedlander/Silver (1967) und Hohm (1975). In Deutschland wurde ein solcher Zusammenhang – allerdings ohne formale Ableitung – relativ frühzeitig von z. B. Schmidt-Kaler (1978), Zeppernick (1978) und Nell-Breuning (1979) hergestellt31. Theoretisch argumentierten in dieser Weise erstmals Cigno (1983) und Ball (1984). Mittlerweile existiert eine Vielzahl von theoretischen und empirischen Veröffentlichungen, die der zweiten Denkrichtung zuzuordnen sind32. Dabei haben sich – sehr grob gegliedert – zwei unterschiedliche Herangehensweisen an die Frage eines Zusammenhangs zwischen individuellen Geburten-, Erziehungs- und Ausbildungsentscheidungen und der Art der Organisation öffentlicher Alterssicherung entwickelt. Eine Herangehensweise geht vom – mutmaßlichen – Status Quo elterlicher Motivationen zur Erziehung von Kindern in entwickelten Staaten aus und nimmt daher an, dass Kinder vor allem aus einem Konsummotiv erzogen werden33. Die andere Herangehensweise weist hingegen darauf hin, dass die Erziehung von Kindern in der Vergangenheit der heutigen Industriestaaten eine wichtige Form der Existenzsicherung für das Alter war und sie diese Funktion in Entwicklungsländern auch heute noch erfüllt. Der Einfluss obligatorischer öffentlicher Altersvorsorgesysteme auf das Erziehungsverhalten lässt sich danach nur dann vollständig erfassen, wenn das Investitionsmotiv der Kindererziehung berücksichtigt wird34. Mithilfe beider Ansätze wurde in theoretischen Modellen ein negativer Einfluss öffentlicher Alterssicherung auf individuelle Erziehungsentscheidungen hergeleitet. Zudem liefern beide Ansätzen theoretische Argumente für die Berücksichtigung individueller Kindererziehungsleistungen35 bei der Bemessung von Rentenzahlungen, die – je nach Modellformulierung und getroffenen Annahmen – auf traditionelle Art erworbene Ansprüche aus Beitragszahlungen partiell oder 31

Bereits Schreiber (1955) betonte den Zusammenhang zwischen Kindererziehung und der Finanzierung umlagefinanzierter Renten. Er ging jedoch noch nicht von einer direkten Auswirkung des Rentenversicherungssystems auf die Geburtenentscheidung aus. 32 Eine große Zahl dieser Veröffentlichungen wird in den Kapiteln 3. und 4. der vorliegenden Untersuchung zitiert, so dass eine Aufzählung an dieser Stelle unterbleiben kann. 33 Vgl. zum Inhalt des Konsummotivs der Kindererziehung im Einzelnen Kapitel 3. der vorliegenden Untersuchung. 34 Vgl. zum Inhalt des Investitionsmotivs der Kindererziehung sowie zu einer Diskussion seiner Relevanz in Entwicklungsländern und in der Vergangenheit heutiger Industriestaaten im Einzelnen Kapitel 4. der vorliegenden Untersuchung. 35 Wobei hiermit das ganze Bündel möglicher Leistungen zugunsten eigener Kinder – also Geburt, Erziehung, Unterstützung und Ausbildungsfinanzierung – gemeint ist.

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1. Einleitung

vollständig ersetzen sollen. Insofern kann der Schlussfolgerung von Werding (2005, S. 286) durchaus gefolgt werden, wonach die grundsätzliche Frage nach der ökonomischen Begründbarkeit einer Berücksichtigung von Kindererziehung bei der Rentenbemessung in Umlagesystemen mittlerweile „als geklärt – und im Kern bejaht“ gelten kann. Wenn dem aber so ist, dann bedarf die Tatsache, dass diese relativ eindeutigen ökonomischen Erkenntnisse im weit überwiegenden Teil der öffentlichen und politischen Rentenreformdiskussion der letzten Jahre nur sehr begrenzten – und dabei vor allem ablehnenden36 oder gar befremdeten37 – Widerhall gefunden haben, offensichtlich einer Begründung. Ein Grund könnte darin liegen, dass potenzielle Eltern heute im Regelfall keinen Zusammenhang mehr zwischen Kindererziehung und Alterssicherung herstellen, so dass Vorschläge, die auf die explizite Herbeiführung eines solchen Zusammenhangs abzielen, auf wenig Verständnis stoßen38. Zwei weitere Gründe spielen jedoch vermutlich ebenfalls eine gewichtige Rolle: (1) Zwar ist die ökonomische Begründbarkeit einer Berücksichtigung von Kindererziehung bei der Rentenbemessung heute im Kern unstrittig, es existiert aber durchaus noch wesentlicher Dissens über das Ausmaß und die Form dieser Berücksichtigung39. Da dieser Dissens vor allem Verteilungswirkungen einer etwaigen Rentenreform berührt, ist er geeignet, bei mutmaßlichen Verteilungsverlierern eine ablehnende Haltung herbeizuführen. So ist z. B. fraglich, ob nur die Kinderzahl oder auch der Erziehungs- und Ausbildungserfolg bzw. die Kinderqualität Berücksichtigung finden soll. Kritisch ist darüber hinaus die Frage, ob sich kinderbezogene Rentenansprüche auch dann rechtfertigen lassen, wenn ein Teil der Erziehungs- und Ausbildungskosten über das Steuersystem – und damit auch von Kinderlosen – finanziert wird. Damit verbunden kann danach gefragt werden, ob sich eine Regel finden lässt, die objek-

36 So z. B. die diesbezügliche Stellungnahme der sog. „Rürup-Kommission“, vgl. Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung (2003, S. 114 ff.). 37 So muss wohl die Äußerung des ehemaligen deutschen Arbeitsministers Franz Müntefering gedeutet werden, wonach die Idee einer verstärkten Berücksichtigung von Kindererziehung in der Gesetzlichen Rentenversicherung eine „Verrücktheit, ein abstruser Vorschlag, so wie er immer mal wieder hochkommt“ (vgl. Netzzeitung vom 16.3.2006) ist. 38 Vgl. Sinn (2003, S. 29). 39 So erkennen z. B. verschiedene Autoren innerhalb der deutschen Diskussion die Notwendigkeit einer Erziehungsberücksichtigung im Rahmen der Gesetzlichen Rentenversicherung durchaus an, halten aber die bisher bereits bestehende Berücksichtigung, die vor allem in der Anrechnung von sog. Kindererziehungszeiten Ausdruck findet, für bereits vollkommen ausreichend. Vgl. hierzu als Beispiel für viele andere Ruland (2003).

1.1 Entwicklung und Diskussion öffentlicher Alterssicherungssysteme

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tiv festlegt, nach welchen Kriterien Rentenansprüche zwischen Kindererziehenden und Kinderlosen aufgeteilt werden sollten. (2) Bislang ist noch kein Modell entwickelt worden, das die Beantwortung der Frage nach der ökonomischen Begründbarkeit erziehungsbezogener Reformen umlagefinanzierter Alterssicherungssysteme in logisch konsistenter Weise mit der ursprünglichen Motivation von Staatseingriffen in individuelle Alterssicherungsentscheidungen verbindet. Solange aber der historische Zweck dieser Systeme im Dunkeln gelassen wird, drängt sich als Alternative zu einer Kinderberücksichtigung bei der Rentenbemessung die schlichte Beseitigung dieser Systeme auf. Berücksichtigt man hingegen die historische Funktion umlagefinanzierter Alterssicherung, dann lässt sich daraus unter Umständen auch ableiten, dass eine Berücksichtigung von Erziehungsleistungen in ihrem Rahmen die notwendige Konsequenz dieser historischen Funktion ist, sofern diese auch heute noch vertreten werden kann. Die vorliegende Untersuchung konzentriert sich auf die beiden genannten Punkte und unternimmt auf diese Weise den Versuch, die ökonomische Begründung für die Berücksichtigung individueller – und kollektiver – Erziehungs- und Ausbildungsleistungen zugunsten einer nachfolgenden Generation bei der Bemessung von Umlagerenten zu klären und – was Punkt (2) anbetrifft – zu stärken. Zu diesem Zweck werden verschiedene Modelle formuliert, deren grundsätzlicher Unterschied in der Motivation besteht, die (potenziellen) Eltern bei der Kindererziehung unterstellt wird. Die Modelle, die von einem Konsummotiv der Kindererziehung ausgehen, nehmen dabei Bezug auf die theoretische Diskussion der letzten Jahre. Bei der Analyse des Investitionsmotivs der Kindererziehung wird hingegen ein neuer Ansatz entwickelt, der auf die von Cigno (1993, 2003, 2006) entwickelte Idee einer „Familienverfassung“ aufbaut, deren Gegenstand die Regelung intrafamiliäre Rechte und Pflichten ist. Vor allem drei Fragen sollten dabei von den verschiedenen Modellen beantwortet werden: Erstens, lässt sich mit ihrer Hilfe eine Berücksichtigung von Kindererziehung bei der Rentenbemessung ökonomisch begründen? Zweitens, welche Form und welches Ausmaß sollte die Erziehungsberücksichtigung haben? Und drittens, lassen sich anhand der Modelle die Einführung umlagefinanzierter Alterssicherung und die Geburtenentwicklung nach ihrer Einführung plausibel erklären? Wenn alle drei Fragen mit „ja“ beantwortet werden können, dann besteht die Chance, dass es sich um ein in Punkt (2) angesprochenes „logisch konsistentes“ Modell handelt, das die ökonomische Begründung einer Erziehungsberücksichtigung in umlagefinanzierten Alterssicherungssystemen mit der Frage nach der historischen Funktion dieser Systeme verbindet.

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1. Einleitung

1.2 Aufbau der Untersuchung Ausgangspunkt der Untersuchung ist in Kapitel 2. die Darstellung der Funktionsweise eines umlagefinanzierten Alterssicherungssystems am Beispiel der Gesetzlichen Rentenversicherung Deutschlands (Kapitel 2.2). Diese wird mit einer Analyse der Auswirkungen historischer (Kapitel 2.3) und erwarteter (Kapitel 2.4) Entwicklungen innerhalb und außerhalb des Systems der Gesetzlichen Rentenversicherung auf dessen Einnahme- und Ausgabensituation und auf die ökonomische Situation der Versicherten verbunden. Ein Schwerpunkt der Untersuchung liegt dabei auf der Beantwortung der Frage, ob die als Krise wahrgenommene Gesamtsituation der Gesetzlichen Rentenversicherung auf opportunistische politische Eingriffe in dieses System zurückzuführen ist, so wie dies zum Teil unterstellt wird40, oder ob sie auf Veränderungen demografischer Umgebungsvariablen zurückgeht, deren Auswirkungen auf ein Umlagesystem unvermeidlich sind. Während sich Kapitel 2. mit der Auswirkung demografischer Veränderungen auf die Gesetzliche Rentenversicherung beschäftigt, ist ein Gegenstand – aber nicht der einzige Gegenstand – der darauf folgenden Kapitel 3. und 4. die Untersuchung der umgekehrten Wirkungsrichtung: Der Rückwirkung der Einführung bzw. Expansion eines umlagefinanzierten Alterssicherungssystems auf die demografische Entwicklung41. Die in den beiden Kapiteln vorgestellten Modelle werden dabei nach den beiden grundlegenden Motiven untergliedert, von denen Eltern bei ihren Entscheidungen für Kinder bzw. deren Erziehung und Ausbildung geleitet werden können: Dem Konsummotiv (Kapitel 3.) und dem Investitionsmotiv (Kapitel 4.). Diese Untergliederung erfolgt aus mehreren Gründen: Erstens soll klargestellt werden, dass eine Berücksichtigung von Kindererziehung in der Rentenversicherung sowohl dem Grunde als auch dem Ausmaß nach nicht mit einer bestimmten Motivation der Eltern bei ihren Entscheidungen begründet werden muss – eine solche Berücksichtigung lässt sich ökonomisch auch dann rechtfertigen, wenn Eltern nicht nur heute, sondern zu keiner Zeit Kinder mit dem Ziel erzogen haben, von diesen später Transfers zur Finanzierung des eigenen Alterskonsums zu erhalten. Fraglich ist jedoch, und das ist der zweite wichtige Grund für eine Unterscheidung der Motive, ob der in den Industriestaaten und insbesondere in Deutschland beobachtbare Geburtenrückgang bereits durch Modelle erklärt werden kann, in denen Eltern Kinder lediglich aus konsumtiven Gründen erziehen, oder ob es dazu der Annahme investiver Er40

So z. B. Barbier (2003, S. 216). Dabei wird – allerdings eher als Ergänzung – zum Teil auch die Auswirkung eines kapitalgedeckten Alterssicherungssystems auf die demografische Entwicklung thematisiert. 41

1.2 Aufbau der Untersuchung

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ziehungsmotive bedarf. Der dritte Grund für die vorgenommene Untergliederung liegt darin, dass in der vorgenommenen Untersuchung hinterfragt werden soll, ob mit den aus den beiden Motiven entwickelten Modellen endogen erklärt werden kann, warum der Staat überhaupt zu einem bestimmten Zeitpunkt in die Alterssicherungsentscheidung der Individuen eingegriffen hat. Ein vierter Grund für die vorgenommene Untergliederung liegt darin, dass jene Modelle, die auf das Konsummotiv der Kindererziehung abstellen, letztlich Ansätze bleiben, die nur die Interessen jeweils zweier Generationen betrachten, namentlich der Erwerbstätigen- und der Altengeneration. Die Interessen der Kinder spielen höchstens mittelbar eine Rolle, wenn man von einem „Lebensinteresse“ der Kinder ausgeht oder wenn man konzediert, dass auch aus rein konsumtiven Gründen vorgenommene Aktivitäten zugunsten von Kindern dennoch investive Auswirkungen haben können, die deren Lebenseinkommen und darüber ihr Nutzenniveau erhöhen. Modelle mit einem investiven Motiv der Kindererziehung können dagegen – müssen allerdings nicht – zusätzlich die Interessen der Kindergeneration selbst an einer möglichst guten Ausbildung bzw. an einer Finanzierung derselben durch die Eltern oder die Vorgängergeneration als Ganze berücksichtigen, so dass die Beschreibung eines Umlagesystems als ein (impliziter) Vertrag möglich wird, der unter Einschluss der Kindergeneration zur gleichen Zeit den Interessen dreier Generationen dient. In Kapitel 3. werden ausschließlich Modelle untersucht, in denen Kinder aus rein konsumtiven Gründen erzogen werden. Startpunkt ist dabei die denkbar einfachste Modellformulierung einer kleinen und offenen Ökonomie, in der die Kinderzahl ein Argument der Nutzenfunktion (potenzieller) Eltern ist und die Kosten der Kindererziehung in einem fixen Preis pro Kind bestehen (Kapitel 3.2). Anhand dieser Modellformulierung wird hinterfragt, in welcher Weise von der Einführung eines umlagefinanzierten Alterssicherungssystems Rückwirkungen auf die individuellen Fertilitätsentscheidungen ausgehen können (Kapitel 3.2.3) und ob bzw. ggf. wie Kindererziehung in einem umlagefinanzierten Alterssicherungssystem berücksichtigt werden sollte. Zudem wird untersucht, ob neben einer Kinderberücksichtigung auch alternative Rentenreformen denkbar sind, die für die beteiligten Individuen vorteilhaft sein könnten (Kapitel 3.2.4). Schließlich wird analysiert, ob die gefundenen Ergebnisse auch bei der Berücksichtigung von Zeitkosten der Kindererziehung Gültigkeit haben (Kapitel 3.2.5). In der sich daran anschließenden Untersuchung wird die vereinfachende Annahme aufgegeben, dass nur die Kinderzahl ein Argument der elterlichen Nutzenfunktion ist. Betrachtet wird dabei zunächst ein Modell, in dem Eltern im Sinne des Ansatzes von Becker/Barro (1988) vollkommen altruistisch gegenüber ihren Kindern motiviert sind und ihre Nutzenfunktion demgemäß „dynastisch“ formuliert ist (Kapitel 3.3). Auch hier wird untersucht,

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1. Einleitung

ob die individuelle Fertilitätsentscheidung von der Einführung eines umlagefinanzierten Alterssicherungssystems beeinflusst wird und sich Gründe für die Berücksichtigung individueller Kindererziehungsleistungen bei der Bemessung von Umlagerenten finden lassen (Kapitel 3.3.2). Daran anschließend wird eine Modellformulierung untersucht, in der von sog. „paternalistischem“ Altruismus der Eltern gegenüber den eigenen Kindern ausgegangen wird. Bei dieser wird unterstellt, dass neben der Kinderzahl auch das Humankapital der Kinder ein Argument in der Nutzenfunktion der Eltern ist (Kapitel 3.4). Sowohl die Auswirkungsanalyse der Einführung eines umlagefinanzierten Alterssicherungssystems (Kapitel 3.4.2) als auch die Frage nach einer Berücksichtigung der von Eltern erbrachten Leistung gestaltet sich unter Zugrundelegung dieser Modellformulierung komplexer als in den vorangegangenen Modellvarianten, liefert aber zugleich den Ansatzpunkt zur Diskussion eines sog. „hybriden“ Rentensystems, in dem bei der Rentenbemessung Investitionen in die Kinderquantität und -qualität berücksichtigt werden (Kapitel 3.4.3). In Kapitel 4. wird dann davon ausgegangen, dass Kinder ausschließlich aus investiven Motiven erzogen werden. Sie gehen nicht (direkt) über ihre Zahl, ihre Humankapitalausstattung oder ihr erreichtes Nutzenniveau in das Optimierungskalkül der Eltern ein, sondern über die Höhe eines Transfers, den sie in ihrer Erwerbstätigkeitsphase aus bestimmten Gründen an ihre Eltern leisten, wenn diese sich in der Ruhestandsphase befinden. Wenn Kinder die Funktion eines „Investitionsgutes“ übernehmen, dann liegt es nahe sie als eine Investitionsalternative zu betrachten, die in Konkurrenz zu anderen Investitionsalternativen steht. Daher wird zunächst als Referenzmaßstab das Modell einer Volkswirtschaft entwickelt, in der der gesamtwirtschaftliche Output über Sach- und Humankapitalinvestitionen erstellt wird, und unter Verwendung dieses Modells geprüft, wann in der betrachteten Modellökonomie von (statischer) Effizienz gesprochen werden kann. Das verwendete Modell lehnt sich dabei an das Lebenszyklusmodell der Ersparnis42 an (Kapitel 4.2.1). Dieses geht von der Annahme aus, dass Individuen auch während ihrer Kindheit in der Lage sind, eigenverantwortlich zu handeln und effizient in ihre Ausbildung zu investieren. Da Kinder im Allgemeinen über keine eigenen ökonomischen Ressourcen verfügen, mit denen sie Investitionen in ihre Ausbildung finanzieren können, sind sie auf Kreditgeber angewiesen. Auf dem Kapitalmarkt ist die Gewährung von Ausbildungskrediten jedoch mit verschiedenen Schwierigkeiten verbunden, die anschließend diskutiert werden (Kapitel 4.2.2). Wenn der Markt die Rolle des Ausbildungskreditgebers nicht übernehmen kann, könnten eventuell die (leiblichen) Eltern eines Kindes diese Funktion ausfüllen. Aufbauend auf dieser Über42

Vgl. Ando/Modigliani (1963).

1.2 Aufbau der Untersuchung

33

legung wird ein Ansatz entwickelt, in dem davon ausgegangen wird, dass Ausbildungskredite allein von den jeweiligen Eltern gewährt werden können. Dabei wird angenommen, dass intergenerationale Transfers innerhalb von Familien über informelle Arrangements organisiert werden, deren Bruch Sanktionen nach sich zieht (Kapitel 4.3). Gefragt wird nach den Bedingungen, unter denen das Festhalten an den informellen Arrangements für alle Mitglieder einer Familie vorteilhaft ist, so dass intergenerationale Transferbeziehungen auch dann möglich sind, wenn es keinerlei formale Durchsetzungsmechanismen dieser Transfers oder altruistische Bande zwischen den Generationen gibt (Kapitel 4.3.2). Zudem wird untersucht, ob solche Beziehungen effizient und intertemporal stabil sein können (Kapitel 4.3.3). Aufbauend auf den in 4.3 unter der Annahme statischer Bedingungen und homogener Individuen gefundenen Ergebnissen, wird das entwickelte Modell anschließend mit einer unerwarteten Veränderung der ökonomischen Umgebung sowie mit heterogenen Individuen konfrontiert (Kapitel 4.4). Analysiert wird, wie sich Individuen unterschiedlichen „Typs“ als Reaktion auf die modellierte Veränderung verhalten und welche Auswirkungen dieses Verhalten auf volkswirtschaftliche Aggregatsgrößen haben kann (Kapitel 4.4.2). Wiederum aufbauend auf die im vorhergehenden Abschnitt erzielten Ergebnisse wird anschließend hinterfragt, ob und in welcher Form Verhaltensänderungen der betrachteten Individuen und die dadurch verursachten Auswirkungen den Staat zu einem Eingriff veranlassen könnten (Kapitel 4.5). Die Untersuchung ist dabei im betreffenden Abschnitt positiv angelegt und diskutiert nicht nur plausible Formen von Staatseingriffen (Kapitel 4.5.2), sondern auch ihre spezifische Ausgestaltung und ihre Rückwirkung auf individuelle Entscheidungen (Kapitel 4.5.3). Es wird dabei explizit der Versuch unternommen, historische Entwicklungen anhand des entwickelten Modells nachzuvollziehen. Der Ansatz des darauf folgenden Abschnitts 4.6 ist schließlich normativ und untersucht auf Grundlage des in den vorangegangenen Teilabschnitten entwickelten Modells die Frage, ob und wie der Staat optimal in die individuellen Entscheidungen eingreifen könnte. Anknüpfend an die Untersuchung eines modelltheoretisch idealen Eingriffs (Kapitel 4.6.2) wird dabei insbesondere diskutiert, ob sich – ausgehend vom realtypischen staatlichen Transfersystem Deutschlands – eine Rentenreform denken lässt, die sich dem idealen Eingriff zumindestens annähert (Kapitel 4.6.3). Kapitel 5. beendet die vorgenommene Untersuchung mit einer Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse und einem Schlusswort.

2. Funktionsweise und Situation der umlagefinanzierten Alterssicherung in Deutschland 2.1 Einführung und Überblick Es ist üblich, Alterssicherungssysteme nach ihrem grundlegenden Finanzierungsprinzip zu unterscheiden. Bei einer so vorgenommenen Differenzierung wird häufig ein idealtypisch organisiertes Kapitaldeckungssystem einem ebenso idealtypisch organisierten Umlagesystem gegenübergestellt. Der grundlegende Unterschied zwischen beiden Systemen resultiert bei solchen Gegenüberstellungen aus der Art der Verwendung eingezahlter Beiträge und – damit einhergehend – der Deckungsgrundlage der akkumulierten Anwartschaften auf Alterssicherungsleistungen. In einem idealtypisch organisierten Kapitaldeckungssystem werden die eingezahlten Beiträge jedes Versicherten verzinslich auf dem Kapitalmarkt angelegt und beim Eintritt in den Ruhestand in eine Annuität bzw. in eine lebenslange Leibrentenzahlung umgewandelt. Bei einer dem versicherungstechnischen Äquivalenzprinzip folgenden Kalkulation der einzuzahlenden Beiträge reicht der Erwartungswert des von jedem Versicherten im Laufe seiner Versicherungszeit angesammelten Kapitalbestandes gerade aus, um die erwarteten Rentenauszahlungen zu decken. Im Umlageverfahren werden die eingezahlten Beiträge hingegen nicht angespart, sondern direkt an die jeweiligen Bestandsrentner in Form von Rentenleistungen ausgeschüttet. Da die Beitragszahlungen der Versicherten nicht für die Bildung von Anlagen verwendet werden, können als Deckungsgrundlage für erworbene Anwartschaften nur zukünftige Beitragszahlungen anderer Versicherter dienen. Während im Kapitaldeckungsverfahren folglich die Beitragszahlungen zur Bildung eines Deckungsstocks verwendet werden, wird die Existenz eines Deckungsstocks im Umlageverfahren – in Form zukünftiger Beitragszahler – lediglich vorausgesetzt. Es werden keine Maßnahmen getroffen, die die Existenz eines solchen Deckungsstockes tatsächlich sicherstellen. Die beschriebene Unterscheidung verdeutlicht die grundsätzliche Diskrepanz im Vorsorgecharakter, den Beitragszahlungen in beiden Systemen haben. Im Kapitaldeckungsverfahren werden die Beitragszahlungen der Versicherten in Kapitalgüter angelegt, deren Wert und Ertrag die Basis zukünftiger Rentenzahlungen bildet. Beitragszahlungen stellen insofern Investitionen dar, deren Höhe und Verzinsung die Höhe der späteren Leibrenten-

2.1 Einführung und Überblick

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zahlung bestimmt. Im Umlagesystem werden die Beitragszahlungen hingegen sofort verausgabt, so dass sie zwar möglicherweise juristisch, z. B. in Form eines Rechtsanspruchs auf Rentenzahlungen gegenüber einem (staatlichen) Rentenversicherungsträger, nicht aber realwirtschaftlich zur Deckung späterer Rentenansprüche dienen können. Diese Tatsache macht es in einem Umlagesystem schwierig, eine Grundlage für die Höhe der (Leib-)Rentenzahlungen und damit auch für die Verzinsung geleisteter Beitragszahlungen zu finden, denn aus den Beitragszahlungen selbst lässt sich in realwirtschaftlicher Betrachtungsweise – da sie keine Investition sind – kein Kapitalrückfluss ableiten1. Dennoch kann – wie zuerst Samuelson (1958) mit der Ableitung der „biologischen“ Verzinsung von Beitragszahlungen an ein Umlagesystem gezeigt hat – die implizite Rendite eines solchen Systems errechnet und der Rendite eines kapitalgedeckten Alterssicherungssystems gegenüber gestellt werden, um auf diesem Wege Vorteilhaftigkeitsvergleiche zwischen beiden Systemen zu ermöglichen. Die Rendite eines Umlagesystems heißt dabei „implizit“, weil sie sich nicht aus einer realwirtschaftlichen Verzinsung, sondern aus der – häufig ebenso impliziten – Annahme einer bestimmten realtypischen Ausprägung des Umlageverfahrens bzw. einer bestimmten justitiablen Bemessung der Leibrentenzahlungen ergibt. So wird z. B. von Samuelson (1958) bei Errechnung der impliziten Rendite ein Umlagesystem mit fixem Beitragssatz angenommen. Ebenso denkbar sind jedoch auch Umlagesysteme, in denen nicht der Beitragssatz, sondern ein bestimmtes Rentenniveau – definiert als das Verhältnis einer durchschnittlichen oder standardisierten Rente zu einem durchschnittlichen Einkommen – fixiert ist. Schließlich ist auch eine Vielzahl von Mischformen zwischen einer Beitragssatz- und Rentenniveaufixierung möglich. Aus der Tatsache, dass jedes Individuum im Laufe seines Lebenszyklus – zumindestens erwartungsgemäß – sowohl Beitragszahler als auch Rentenempfänger ist, wird dabei direkt deutlich, dass die implizite Verzinsung eines Umlagesystems nicht unabhängig davon ist, wie es im Einzelnen organisiert ist. Dies zeigt sich vor allem dann, wenn man von einer veränderlichen ökonomischen Umgebung ausgeht: Je nach dem, ob in einem Umlagesystem tendenziell eher der Beitragssatz oder eher das Rentenniveau auf Veränderungen von Einflussfaktoren reagiert, werden diese Veränderungen zu einem bestimmten Zeitpunkt eher für die Beitragszahler oder eher für die Rentenempfänger spürbar, so dass sich für betroffene Kohorten oder Generationen entweder die Höhe der zu entrichtenden Beiträge oder die Höhe der erhaltenen Rentenzahlungen verändern kann. Abhängig davon, an welcher Position seines Lebenszyklus sich ein Individuum zum Zeitpunkt einer solchen Veränderung befindet, kann die Frage, ob der Beitragssatz steigt oder aber die Höhe 1

So auch Apolte (1998, S. 11).

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2. Funktionsweise und Situation der Alterssicherung in Deutschland

der Rentenzahlbeträge sinkt, für dieses Individuum bei der Beurteilung der ökonomischen Vorteilhaftigkeit der Teilnahme am Umlagesystem eine entscheidende Bedeutung erlangen. Das vorliegende Kapitel schließt am zuletzt genannten Punkt an, indem die Funktionsweise umlagefinanzierter Alterssicherung und der Einfluss von Veränderungen bestimmter Einflussfaktoren auf die ökonomische Situation repräsentativer Versicherter verschiedener Kohorten bzw. Generationen unter der Annahme unterschiedlicher Ausgestaltungsvarianten dieses Systems untersucht wird. Die Untersuchung findet dabei zunächst formaltheoretisch statt. Ausgangspunkt ist in Abschnitt 2.2 das stilisierte Modell eines idealtypischen umlagefinanzierten Alterssicherungssystems, wobei zwei Systemvarianten unterschieden werden. Diese gehen jeweils von einem grundsätzlich anderen „Paradigma“ bzw. einer differierenden Annahme bzgl. der Rolle aus, die das Umlagesystem für die Alterssicherung der an ihm beteiligten Individuen spielen soll. Für beide Paradigmen wird abgeleitet, von welchen Einflussfaktoren Auswirkungen auf zentrale Variablen einer umlagefinanzierten Alterssicherung und die ökonomische Situation der Versicherten zu erwarten sind. Aufbauend darauf wird anschließend die tatsächliche bzw. erwartete Entwicklung der Gesetzlichen Rentenversicherung in Deutschland analysiert. In Abschnitt 2.3 wird untersucht, welchen Paradigmen die gesetzliche Rentenversicherung in Deutschland im Laufe ihrer Geschichte tendenziell eher entsprochen hat bzw. welchem Paradigma sie heute zuzuordnen ist. Dabei wird insbesondere hinterfragt, ob sich die aus dem stilisierten Modell abgeleiteten Implikationen in der Entwicklung der GRV wieder finden lassen und ob, bzw. ggf. wie, der Gesetzgeber darauf reagiert hat. Ausgehend vom aktuellen Paradigma der Gesetzlichen Rentenversicherung wird schließlich in Abschnitt 2.4 analysiert, welche Einflussfaktoren zukünftig – abgeleitet aus ihrer erwarteten Entwicklung – Einfluss auf zentrale Variablen der GRV und insbesondere auf die ökonomische Situation repräsentativer Versicherter verschiedener Generationen haben werden. Überleitend zum dritten Kapitel wird dabei zudem hinterfragt, inwieweit von der GRV – so wie sie heute organisiert ist – in Zukunft (noch) intergenerationale und/oder intragenerationale Umverteilungseffekte ausgehen können.

2.2 Die Funktionsweise umlagefinanzierter Alterssicherung

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2.2 Die Funktionsweise umlagefinanzierter Alterssicherung 2.2.1 Modellrahmen Betrachtet wird eine Volkswirtschaft mit prinzipiell unendlicher Lebensdauer. Die Bevölkerung dieser Volkswirtschaft setze sich in jeder Periode aus Angehörigen dreier Generationen zusammen: Einer Ruhestandsgeneration der Größe R, einer Erwerbstätigengeneration der Größe E und einer Jugendgeneration der Größe J. Die Mitglieder einer Generation seien jeweils identisch2. Obwohl eine unendliche Folge von Generationen existiert, beschränke sich die Betrachtung im Folgenden aus Vereinfachungsgründen auf Entscheidungen der drei zu einem Zeitpunkt t bereits lebenden Generationen3, 4. Jedes Mitglied der Volkswirtschaft lebe maximal drei Perioden. Die Mitglieder der Ruhestandsgeneration der Periode t wurden demnach in Periode t  2, die Mitglieder der Erwerbstätigengeneration in t  1 und die Mitglieder der Jugendgeneration in t geboren. Während jedes Individuum einer Generation i – wobei i ã t  2, t  1, t ist – mit einer Wahrscheinlichkeit von 1 die gesamte Jugend- und Erwerbstätigkeitsphase durchlebe, sterbe es mit Wahrscheinlichkeit È1  pi ê zu Beginn der Ruhestandsphase5. È1  pi ê steht somit für die altersspezifische Sterbewahrscheinlichkeit des Mitglieds einer Generation i zu Beginn der Ruhestandsperiode. Dabei sei 0 < p < 16. pi beschreibt in diesem Sinne die Erlebenswahrscheinlichkeit der Ruhestandsphase des Mitglieds einer Generation i und soll im Folgenden als Maßzahl für die Lebenserwartung dienen: Je höher für die Mitglieder einer Generation die durchschnittliche Erlebenswahrscheinlichkeit der Ruhe2

Insbesondere sei hier von unterschiedlichen Geschlechtern abstrahiert. Solange von einer unendlichen Lebensdauer der Volkswirtschaft und einer ebenso unendlichen Fortsetzungsdauer des weiter unten beschriebenen Umlagesystems ausgegangen wird, führt diese Einschränkung zu keinem Verlust an Allgemeinheit. 4 Wobei mit den Entscheidungen einer Generation die Summe der individuellen Entscheidungen der Mitglieder einer Generation gemeint ist. 5 Während der gesamten Untersuchung gibt ein oben angesetzter Zeitindex stets den Geburtszeitpunkt einer Generation oder eines Individuums, ein unten angesetzter Zeitindex stets den Betrachtungszeitpunkt an. Zudem werden Generationen stets nach ihrem Geburtszeitpunkt benannt. Z. B. heißt also die in t  2 geborene Generation „Generation t  2“. 6 Allgemein beschreibt die altersspezifische Sterbewahrscheinlichkeit die Wahrscheinlichkeit, dass ein Individuum eines bestimmten Alters ein um ein Jahr höheres Alter nicht erlebt. Im hier verwendeten Modell, in dem es nur Perioden und keine Jahre gibt, beschreibt die altersspezifische Sterbewahrscheinlichkeit die Wahrscheinlichkeit, dass ein Individuum, das sich am Beginn einer Lebensphase befindet, den Rest dieser Lebensphase nicht mehr erlebt. 3

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2. Funktionsweise und Situation der Alterssicherung in Deutschland

standsphase ist, desto höher ist die durchschnittliche Lebenserwartung dieser Generation und somit auch die der gesamten Bevölkerung der betrachteten Volkswirtschaft zu diesem Zeitpunkt7. Jedes Mitglied einer Generation i habe in seiner Erwerbstätigkeitsphase È1 þ ni ê Kinder. Dabei gelte stets, dass ni > 1 ist8. Zusätzlich sei angenommen, dass die Ruhestandsgeneration der Periode t ursprünglich N Mitglieder hatte. Unter den getroffenen Annahmen hat somit zum Zeitpunkt t die Ruhestandsgeneration Rtt  2 ã pt  2 N, die Erwerbstätigengeneration Ett  1 ã È1 þ nt  2 êN und die Jugendgeneration Jtt ã È1 þ nt  2 êÈ1 þ nt  1 êN Mitglieder. Von allen Mitgliedern einer Generation i gehe jeweils ein Anteil ei in der Erwerbstätigkeitsphase einer Beschäftigung nach, während ein Anteil È1  ei ê nicht als Akteur auf dem Arbeitsmarkt auftritt9. Dabei sei ei  1. Bei ei ã 1 wird mithin das Erwerbstätigenpotenzial einer Generation voll, bei ei < 1 nur zum Teil ausgeschöpft. Jedes beschäftigte Individuum einer Generation i biete genau eine Zeiteinheit am Arbeitsmarkt an und erhalte dafür den Lohnsatz wi > 0. Jener Lohnsatz, den sich Generation t  1 in ihrer Erwerbstätigkeitsphase in Periode t gegenüber sieht, diene im Folgenden als Bezugsgröße der Lohnentwicklung und betrage wt  1 ã w. In jeder Periode wachse dieser Lohnsatz – bedingt durch autonomen technischen Fortschritt – mit dem Faktor È1 þ mê. Der Lohnsatz der Periode t þ 1 beträgt somit für Generation t wt ã È1 þ mêw. Die Lohnsumme W beträgt unter den getroffenen Annahmen in Periode t Wt ã wet  1 Ett  1 ã wet  1 È1 þ nt  2 êN

È2:1ê

und in Periode t þ 1 È2:2ê

7

Wt þ 1 ã wÈ1 þ mêet Jtt ã wÈ1 þ mêet Ett þ 1 ã wÈ1 þ mêet È1 þ nt  2 êÈ1 þ nt  1 êN

Die Begriffe Erlebenswahrscheinlichkeit (der Ruhestandsphase) und Lebenserwartung werden daher in diesem Kapitel synonym verwendet. 8 Bei ni ã 1 hätte eine Generation i keine Kinder und die Volkswirtschaft würde eine Periode später nicht mehr existieren. 9 Diese Individuen leisten z. B. Erziehungsarbeit innerhalb von Familien. In diesem stilisierten Modell wird von unfreiwilliger Erwerbslosigkeit abstrahiert. Da unfreiwillig Erwerbslose dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, sind diese ansonsten zu den Beschäftigten einer Periode zu zählen. Die Tatsache, dass nicht alle Individuen beschäftigt sind, steht im Übrigen nicht im Widerspruch zur oben getroffenen Annahme, wonach alle Individuen identisch sind. Die Identität der Individuen jeder Generation der betrachteten Volkswirtschaft äußert sich darin, dass sie jeweils mit der gleichen Wahrscheinlichkeit beschäftigt sind.

2.2 Die Funktionsweise umlagefinanzierter Alterssicherung

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Da die Mitglieder der betrachteten Volkswirtschaft nur in ihrer Erwerbstätigkeitsphase Lohneinkommen verdienen, sind sie zur Finanzierung ihres Alterskonsums in der Ruhestandsphase sowie ihres Konsums und ihrer Ausbildung in der Jugendphase auf andere Finanzierungsquellen angewiesen. Angenommen sei dabei, dass die Mittel für den Konsum und die Ausbildung in der Jugendphase aus privaten Transfers der Eltern stammen, die aus rein konsumtiven Motiven oder aus Altruismus vorgenommen werden. Diese Transfers seien im Folgenden als gegeben angenommen und nicht weiter beachtet10. Die Mittel zur Finanzierung des Alterskonsums können hingegen aus zwei verschiedenen Quellen stammen: Zum einen habe jedes Individuum in der Erwerbstätigkeitsphase die Möglichkeit, einen privaten Altersvorsorgevertrag abzuschließen. Beitragszahlungen an eine private Altersvorsorgeinstitution werden dabei am Kapitalmarkt angelegt. Der Zinsfaktor auf dem Kapitalmarkt betrage zur Vereinfachung in jeder Periode È1 þ rê. Angenommen sei zudem, dass die Beitragszahlungen, die in die private Altersvorsorge fließen, von den Versicherern nach dem versicherungstechnischen Äquivalenzprinzip kalkuliert werden. Eingezahlte Beiträge eines privat Versicherten der Generation i verzinsen sich daher nicht mit dem Kapitalmarktzinsfaktor È1 þ rê, sondern mit einem um die Erlebenswahrscheinlichkeit bzw. Lebenserwartung korrigierten Zinsfaktor È1 þ rê . Bei einer Erlebenswahrscheinlichkeit von pi ã 1 È1 þ r PR; i ê ã pi gilt dann È1 þ r PR; i ê ã È1 þ rê, bei einer Erlebenswahrscheinlichkeit von pi < 1 entsprechend È1 þ r PR; i ê > È1 þ rê11. Zum anderen existiere in der betrachteten Volkswirtschaft ein „ausgereiftes“ umlagefinanziertes Alterssicherungssystem12, in dem alle beschäftigten Individuen einer Generation 10 Wichtig für das in diesem Abschnitt entwickelte Modell ist nur die Sicherstellung, dass Eltern die Transfers an ihre Kinder nicht in Erwartung einer Gegenleistung vornehmen. Eine ausführlichere Auseinandersetzung mit den Motiven, die Eltern zu Transfers an ihre Kinder veranlassen könnten, findet in den Kapiteln 3. und 4. statt. 11 Technisch geschieht dies dadurch, dass die angesparten Mittel der verstorbenen Mitglieder der privaten Altersvorsorgeinstitution an die überlebenden Mitglieder verteilt werden und somit die Verzinsung der eingezahlten Beiträge der Überlebenden erhöhen. 12 Ein Umlagesystem heißt ausgereift, wenn es bereits während der gesamten Erwerbstätigkeitsphase der aktuellen Ruhestandsgeneration existiert hat, so dass die Mitglieder dieser Generation ihre Rentenansprüche vollständig durch Beitragszahlungen an das System erworben haben. Von den mit der Errichtung eines umlagefinanzierten Alterssicherungssystems typischerweise einhergehenden „Einführungsgewinnen“ einer oder mehrerer Generationen und den damit verbundenen intergenerationalen Umverteilungswirkungen sei hier also abstrahiert. Während der „Ausreifungsphase“ eines Umlagesystems ist die implizite Rendite eines Umlagesystems „zu hoch“, weil dem Erhalt einer bestimmten Rentenleistung – zumindestens über

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2. Funktionsweise und Situation der Alterssicherung in Deutschland

pflichtversichert sind13. Das Umlagesystem existiert in der betrachteten Volkswirtschaft also mindestens seit Periode t  1, so dass die Mitglieder der Generation t  2 während ihrer gesamten Erwerbstätigkeitsphase – sofern sie einer Beschäftigung nachgegangen sind – beitragspflichtig waren14. Der grundlegenden Finanzierungsgleichung eines Umlagesystems folgend werden in jeder Periode die gesamten Beitragszahlungen der beschäftigten Mitglieder einer jeweiligen Erwerbstätigengeneration vollständig an die jeweilige Ruhestandsgeneration ausgeschüttet. Eine Ersparnisbildung finde in diesem System nicht statt15. Im angenommenen Modellrahmen wurde soweit noch die Frage offen gelassen, von welcher Seite seiner Finanzierungsgleichung – d.h. von der Einnahme- oder von der Ausgabenseite – das umlagefinanzierte Alterssicherungssystem bestimmt wird. Die Beantwortung dieser Frage hängt grundsätzlich davon ab, von welchem Paradigma es geleitet werden soll. In diesem Zusammenhang seien im Folgenden in den Abschnitten 2.2.2 und 2.2.3 zwei Paradigmen und damit einhergehend zwei Ausgestaltungsvarianten des Umlagesystems der betrachteten Volkswirtschaft unterschieden und hinsichtlich ihrer Implikationen untersucht. Die in 2.2.2 dargestellte Systemvariante „EA“ gehe dabei vom Paradigma einer einnahmeorientierten Ausgabenpolitik aus und sei dementsprechend von der Einnahmeseite bestimmt. Eine mögliche Motivation hinter diesem Paradigma könnte z. B. sein, dass jedem ehemals beschäftigten Mitglied einer jeweiligen Ruhestandsgeneration als „Belohnung“ oder als pauschaler Ausgleich seiner erbrachten Lebensleistung ein fixierter Anteil am Erwerbseinkommen der ihm nachfolgenden Generation gewährt wird. Die in 2.2.3 beschriebene Systemvariante „AE“ sei dagegen vom Paradigma einer ausgabenorientierten Einnahmepolitik und somit von der Ausgabenseite bestimmt. Die hinter diesem Paradigma stehende Motivation könnte z. B. darin liegen, dass der Lebenseinen Teil der Erwerbstätigkeitsphase – keine entsprechenden Beitragszahlungen gegenüber gestanden haben. Ausgegangen wird hier von einer Situation, in der die implizite Verzinsung des Umlagesystems unabhängig von solchen temporären Effekten ist. Vgl. zu einer formalen Diskussion der durch Einführungsgewinne ausgelösten intergenerationalen Umverteilungseffekte z. B. Lüdeke (1988). 13 Angenommen wird also eine universelle Versicherungspflicht aller Beschäftigten. 14 Jene Mitglieder einer Ruhstandsgeneration, die während ihrer Erwerbstätigkeitsphase keiner Beschäftigung nachgegangen sind, zahlen keine Beiträge und erwerben daher auch keine Rentenanwartschaften. Das hier betrachtete Umlagesystem folgt daher grundsätzlich dem Versicherungsprinzip, es handelt sich nicht um eine reine Einkommensumverteilung an alle Mitglieder der Ruhestandsgeneration. 15 Von systemfremden Elementen, wie der Akkumulation oder des Abbaus eines Kapitalstocks oder der Zuführung staatlicher Zuschüsse an das System, wird im theoretischen Modell völlig abgesehen.

2.2 Die Funktionsweise umlagefinanzierter Alterssicherung

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standard bzw. die relative Einkommensposition von Ruheständlern gesichert werden soll, in dem ihre durchschnittlichen Rentenzahlungen in einem bestimmten Verhältnis zum Durchschnittseinkommen der aktuellen Erwerbstätigkeitsgeneration stehen. 2.2.2 Umlagefinanzierte Alterssicherung in Systemvariante EA Angenommen sei, dass dem Paradigma einer einnahmeorientierten Ausgabenpolitik durch eine strikte Beitragssatzfixierung entsprochen werden soll. Der Beitragssatz beschreibt dabei den Anteil des Bruttoeinkommens, den jedes beschäftigte Mitglied einer Erwerbstätigengeneration an das Umlagesystem abführen muss. Er betrage für jede Generation i bi ã b€ < 1. In jeder Periode richten sich in dieser Systemvariante die Gesamtausgaben VAEA nach den durch Anwendung des fixierten Beitragssatzes auf die Lohnsumme induzierten Gesamteinnahmen VEEA des Rentensystems. In Periode t betragen die Gesamteinnahmen unter Beachtung von (2.1): È2:3ê

VEtEA ã b€Wt ã b€wet  1 È1 þ nt  2 êN

Neben dem fixierten Beitragssatz sind sie folglich von der Kopfzahl, der Erwerbsquote und dem geltenden Lohnsatz der Generation t  1 abhängig. Die Rentenausgaben des Umlagesystems VAEA ergeben sich in dieser Systemvariante aus der Zahl der Ruheständler mit Rentenanwartschaften und dem – noch zu berechnenden – durchschnittlichen Rentenzahlbetrag pEA . Sie betragen in Periode t: È2:4ê

EA t  2 t  2 t2 t2 VAEA Rt ã pEA p N t ã pt e t e

Die Höhe des durchschnittlichen Rentenzahlbetrags pEA der Periode t t lässt sich durch Gleichsetzen von (2.3) und (2.4) ermitteln. Nach Umstellung der Variabeln ergibt sich: È2:5ê

pEA t

 t1  e È1 þ nt  2 ê € ã bw e t  2 pt  2

Der Wert in der eckigen Klammer von (2.5) entspricht dabei exakt dem Reziprokwert der Definition des sog. „Äquivalenzrentnerquotienten“. Beim Äquivalenzrentnerquotienten wird – im Unterschied zum traditionell verwendeten Rentnerquotienten – nicht die tatsächliche, sondern eine standardisierte Zahl von „Äquivalenzrentnern“ zu einer ebenfalls standardisierten Zahl von Äquivalenzbeitragszahlern ins Verhältnis gesetzt16. Die Zahl der 16 Der „Äquivalenzrentnerquotient“ wurde mit dem Rentenversicherungs-Nachhaltigkeitsgesetz vom 16.6.2004 in das deutsche Rentenversicherungsrecht einge-

42

2. Funktionsweise und Situation der Alterssicherung in Deutschland

Äquivalenzrentner erhält man, wenn man die gesamten Rentenzahlungen einer Rechnungsperiode der Rentenversicherung durch die Höhe einer sog. „Standardrente“17 teilt. Sie lässt sich hier ermitteln, indem man die gesamten Rentenausgaben aus Gleichung (2.4) durch die Höhe des durchschnittteilt18. Die Zahl der Äquivalenzrentner beträgt lichen Rentenzahlbetrags pEA t EA t  2 t  2 p e p N somit t ã et  2 pt  2 N. Die Zahl der Äquivalenzbeitragszahler pEA t erhält man, wenn man die gesamten Beitragszahlungen einer Rechnungsperiode der Rentenversicherung durch die Höhe der Beitragszahlung eines Durchschnittsverdieners teilt. Die gesamten Beitragszahlungen ergeben sich im hier entwickelten Modell aus (2.3), die Beitragszahlung eines Durchschnittsverdieners beträgt b€w. Dividiert man beide Größen, so ergibt sich b€wet  1 È1 þ nt  2 êN für die Zahl der Äquivalenzbeitragszahler b€w t1 t2 ã e È1 þ n êN. Teilt man die Zahl der auf die beschriebene Weise ermittelten Äquivalenzrentner durch die Zahl der Äquivalenzbeitragszahler, so erhält man für den Äquivalenzrentnerquotienten einer Periode t, ARQt , den Wert È2:6ê

ARQt ã

e t  2 pt  2 N et  2 pt  2 ã t1 t  2 þ n êN e È1 þ nt  2 ê

et  1 È1

und somit gerade den Reziprokwert des Ausdrucks in der eckigen Klammer von (2.5). Alternativ könnte man bzgl. der Höhe des Rentenzahlbetrages daher auch schreiben, dass pEA t ã

b€w ARQt

ist. Der durchschnittliche Rentenzahlbetrag hängt demnach – bei fixiertem Beitragssatz und gegebenem Lohnsatz – in einem Umlagesystem der Variante EA (negativ) vom Äquivalenzrentnerquotienten ab, andere Einflussfaktoren gibt es nicht. führt. Seine Legaldefinition findet sich in § 68 Abs. 4 SGB VI. Obwohl er bisher außerhalb des deutschen Rentenrechts allgemein nicht verwendet wird, stellt er – wie in diesem Abschnitt gezeigt wird – eine universell aus jedem umlagefinanzierten Alterssicherungssystem ableitbare Größe dar. 17 Die sog. „Standardrente“ gibt in der Gesetzlichen Rentenversicherung die Höhe einer Rente an, die ein Rentner erhält, der 45 Jahre sozialversicherungspflichtig beschäftigt war und dabei stets exakt das Durchschnittseinkommen verdient hat. 18 Da im Modell alle beschäftigten Individuen eine Periode anstatt einer bestimmten Zahl von Jahren arbeiten und dabei stets das Durchschnittseinkommen verdienen, kann hier der durchschnittliche Rentenzahlbetrag anstatt einer Standardrente verwendet werden.

2.2 Die Funktionsweise umlagefinanzierter Alterssicherung

43

Die Höhe einer durchschnittlichen Rentenzahlung in Periode t þ 1 lässt sich auf die gleiche Art wie oben beschrieben ermitteln. Setzt man die EinEA nahmen VEtEA þ 1 den Ausgaben VAt þ 1 der Periode t þ 1 gleich, ergibt sich unter Beachtung von (2.2) für den durchschnittlichen Rentenzahlbetrag: È2:7ê

pEA tþ1

ã b€wÈ1 þ mê



et È1 þ nt  1 ê et  1 pt  1



Die Bestimmungsgleichung des Rentenzahlbetrags lässt sich schließlich noch für den repräsentativen Versicherten einer Generation i verallgemeinern: È2:8ê

p

EA; i

ã b€wi þ 1



ei þ 1 È1 þ ni ê e i pi



D.h.: Für den repräsentativen Versicherten einer Generation i hängt die erwartete Höhe einer Altersrente in Systemvariante EA positiv von der durchschnittlichen Fertilität und negativ von der durchschnittlichen Lebenserwartung und Erwerbsquote seiner Generation ab. Zudem ist die Altersrente umso höher, je höher die Erwerbsquote der nachfolgenden Generation ist und je mehr deren Erwerbstätige pro Kopf verdienen. Entscheidungen der Mitglieder der Vorgängergeneration spielen hingegen für die Rentenhöhe der Mitglieder von Generation i keine Rolle. Neben der absoluten Höhe einer Rentenleistung, die in einer Periode gezahlt wird oder die eine Generation zu erwarten hat, ist für die Beschreibung der Funktionsweise eines Umlagesystems auch die dynamische Entwicklung der Renten im Zeitablauf bzw. die mit einer Systemvariante einhergehende Rentenanpassung wichtig. Die implizite Rentenanpassung in Systemvariante EA lässt sich aus den Gleichungen (2.6) und (2.7) ermitteln19. Bildet man den Quotienten aus (2.7) und (2.6) und stellt nach pt þ 1 um, so ergibt sich: È2:9ê

   t2  et et  2 p È1 þ nt  1 ê EA pEA ã p  È1 þ mê     tþ1 t et  1 et  1 pt  1 È1 þ nt  2 ê

In Gleichung (2.9) wurden dabei eckige Klammern eingefügt, um zu verdeutlichen, dass die implizite Rentenanpassung zwischen den beiden betrachteten Perioden in eine ökonomische (erste Klammer) und eine demografische (zweite Klammer) Komponente untergliedert werden kann. Die ökonomische Komponente zeigt, dass die Rentenanpassung umso höher 19

Die Anpassung ist dabei „implizit“ zu nennen, weil eine strikt verfolgte einnahmeorientierte Ausgabenpolitik gerade durch den Verzicht auf eine explizite bzw. regelgebundene Rentenanpassung gekennzeichnet ist.

44

2. Funktionsweise und Situation der Alterssicherung in Deutschland

ausfällt, je höher der Wachstumsfaktor des Lohnsatzes ist. Sie fällt zudem höher aus, wenn die Erwerbsquote der Erwerbstätigengeneration der Periode t þ 1 höher ist als die Erwerbsquote der aktuellen Ruhestandsgene t e > 1 und wenn die aktuelle ration t  1 in der Vorperiode et  1 Ruhstandsgeneration t  1 weniger Rentenansprücheals ihre Vorgänger et  2 generation t  2 durch Erwerbstätigkeit erworben hat < 0 . Die deet  1 mografische Komponente zeigt, dass die implizite Rentenanpassung in Systemvariante EA umso geringer ausfällt, je weniger Nachkommen die aktuelle Ruhestandsgeneration t  1 im Vergleich zu ihrer Vorgängergeneration hat und je höher ihre Lebenserwartung im Vergleich zu ihrer Vorgängergeneration ist et vice versa. Die bislang ermittelten Variablen geben bereits Aufschluss über die Dynamik des Umlagesystems – im Sinne der Entwicklung von Beitragssatz und Rentenhöhe – und ihre Bestimmungsfaktoren. Fraglich ist soweit aber noch, welchen Einfluss die Teilnahme am umlagefinanzierten Alterssicherungssystem auf die ökonomische Situation der Versicherten hat. Die Beantwortung dieser Frage ist unter anderem deshalb wichtig, weil diese Teilnahme annahmegemäß nicht auf eine freiwillige Entscheidung der Individuen zurückgeht, sondern Ergebnis der Ausübung staatlichen Zwangs ist. Die Auswirkung der obligatorischen Teilnahme am Umlagesystem lässt sich beurteilen, wenn die ökonomische Situation bei Ausübung des Teilnahmezwangs mit einer (hypothetischen) Situation verglichen wird, in der kein Staatseingriff in die Altersvorsorgeentscheidung der Individuen stattfindet. Dies soll hier anhand des Konzeptes der „impliziten Einkommensbesteuerung“ geschehen20. Nach diesem Konzept werden die Individuen durch die Teilnahmepflicht am Umlagesystem benachteiligt, wenn dadurch ihr Lebenseinkommen21 geschmälert wird, so dass man – da ja keine offene Besteuerung stattfindet – von einer impliziten Besteuerung sprechen kann. Eine solche implizite Besteuerung liegt dabei immer dann vor, wenn für ein betrachtetes Individuum der Barwert der erwarteten Rentenleistungen aus dem Umlagesystem geringer ist als der Barwert der geleisteten Beitragszahlungen22. Thum/Weizsäcker (2000, S. 461) berechnen den im20

Vgl. zu diesem Konzept z. B. Lüdeke (1988), Sinn (2000) und Thum/Weizsäcker (2000). 21 Wobei als Lebenseinkommen allein das beitragspflichtige Lohneinkommen berücksichtigt wird, nicht hingegen eventuelle sonstige Einkommen. 22 Wenn der Barwert der Rentenleistung höher ist als der Barwert der Beitragszahlungen, ist nach diesem Konzept auch eine negative Einkommensbesteuerung möglich, so dass Individuen durch die Zwangsteilnahme am Umlagesystem besser gestellt werden.

2.2 Die Funktionsweise umlagefinanzierter Alterssicherung

45

pliziten Steuersatz IS auf das Lebenseinkommens eines Individuums anhand der Formel: IS ã

Barwert der Beitragszahlungen  Barwert der Rentenleistungen Barwert des Lebenseinkommens

Der implizite Einkommensteuersatz lässt sich äquivalent ermitteln, wenn man die Differenz aus dem Barwert jener Rentenleistung, die man bei alternativer Einzahlung der Zwangsbeiträge an das Umlagesystem in ein privates (kapitalgedecktes) Altersvorsorgeprodukt erhalten würde und dem Barwert der Rentenleistung im Umlagesystem bildet und durch den Barwert des Lebenseinkommens teilt. Dieser Ermittlungsweise wird hier aufgrund der Annahme einer variablen durchschnittlichen Lebenserwartung der Vorzug gegeben, mit der in den beiden Alterssicherungssystemen unterschiedlich umgegangen wird: Wie oben beschrieben wurde, mindert bei privater Altersvorsorge eine höhere Lebenserwartung explizit den Rentenanspruch bei gegebenen Beitragszahlungen, während es einen solchen expliziten Mechanismus im Umlagesystem nicht gibt, da sich die Rentenzahlung aus dem – vom Gesetzgeber festgelegten – Leitbild des Rentensystems ergibt und somit nicht dem versicherungstechnischen Äquivalenzprinzip entspricht23. Hergeleitet wird der implizite Steuersatz zunächst für ein in Periode t erwerbstätiges Mitglied der Generation t  1. Für dieses Individuum würde der Barwert einer erwarteten Rentenzahlung bei Abschluss eines privaten Altersvorsorgevertrages, wenn es exakt den Zwangsbeitrag an das Umlageb€wÈ1 þ r PR; t  1 ê betragen. Berücksichtigt man, dass – system einzahlt, pt  1 È1 þ rê wie oben angenommen – für die Verzinsung von Beitragszahlungen im priÈ1 þ rê vaten Altersvorsorgesystem È1 þ rPR; t1 ê ã gilt, dann entspricht pt  1 der Barwert der Rentenzahlung aus dem kapitalgedeckten Rentensystem gerade der Beitragszahlung b€w. Im Umlagesystem beträgt der Barwert einer pEA tþ1 Rentenzahlung pt  1 . Unter Verwendung von (2.7) ergibt sich somit È1 þ rê für den implizit zu entrichtenden Einkommensteuersatz eines Versicherten der Generation t  1: 23 Dennoch führen beide Ermittlungsmethoden zum gleichen Ergebnis. Die Ermittlung des impliziten Steuersatzes über die in den beiden Alterssicherungssystemen unterschiedlichen Rentenzahlungen erlaubt aber eine anschaulichere Darstellung jener Mechanismen, die darüber bestimmen, ob Versicherte einer Generation durch die Zwangsteilnahme am Umlagesystem relativ höher oder geringer besteuert werden.

46

2. Funktionsweise und Situation der Alterssicherung in Deutschland b€w  pt  1 b€wÈ1 þ mê ISt  1 ã



et È1 þ n t  1 ê et  1 pt  1 È1 þ rê



w

Dieser Ausdruck lässt sich noch vereinfachen zu: È2:10ê

t1

IS

  t  e È1 þ mêÈ1 þ nt  1 ê € ãb 1 et  1 È1 þ rê

In generationenmäßiger Betrachtungsweise gilt für die Höhe des impliziten Steuersatzes für den repräsentativen Versicherten einer Generation i demnach: È2:11ê

  iþ1  e È1 þ mêÈ1 þ ni ê € IS ã b 1  ei È1 þ rê i

Dieses Resultat repliziert die von Samuelson (1958) und Aaron (1966) erzielten Ergebnisse bzgl. der Vorteilhaftigkeit bzw. Nachteiligkeit der (Zwangs-)Teilnahme an einem umlagefinanzierten Alterssicherungssysei  1 È1 þ mêÈ1 þ ni ê gibt den impliziten Zinsfaktor tem24. Der Ausdruck ei eines Umlagesystems der Variante EA an: Beitragszahlungen verzinsen sich mit der Wachstumsrate der Lohnsumme25. Die Zwangsteilnahme am Umlagesystem ist somit für das repräsentative Individuum einer Generation i immer dann ökonomisch nachteilig im Sinne einer impliziten Besteuerung seines Lebenseinkommens, wenn der Wachstumsfaktor der Lohnsumme ei  1 È1 þ mêÈ1 þ ni ê < È1 þ rê ist. kleiner als der Zinsfaktor bzw. wenn ei Im Folgenden sei in diesem Abschnitt stets angenommen, dass dies der Fall ist26. 24 Was nicht überraschend ist, da Samuelson (1958) und Aaron (1966) implizit von einem Umlagesystem der Variante EA ausgehen. 25 Die implizite Verzinsung von Rentenbeitragszahlungen der Periode t lässt sich durch Bildung des Quotienten aus erwarteter Rentenleistung und geleisteter et È1 þ nt  1 ê t1 € pt  1 pt þ 1 p bwÈ1 þ mê et  1 pt  1 et ã ã t1 Beitragszahlung ermitteln, der € € e bw bw  È1 þ mêÈ1 þ nt  1 ê beträgt. Die Wachstumsrate der Lohnsumme zwischen t und t þ 1 erhält man durch Bildung des Quotienten aus den Gleichungen (2.2) und (2.1). et Sie beträgt, wie sich leicht nachprüfen lässt, ebenfalls t1 È1 þ mêÈ1 þ nt  1 ê. e 26 Für die Situation in Deutschland zeigt z. B. Sinn (2000, S. 390), dass seit 1957 der Marktzins stets wesentlich höher lag als die Wachstumsrate der Lohnsumme.

2.2 Die Funktionsweise umlagefinanzierter Alterssicherung

47

Zur Funktionsweise eines umlagefinanzierten Alterssicherungssystems in Systemvariante EA lässt sich somit zusammenfassend festhalten: (1) Der Beitragssatz zum Umlagesystem ist – dem Leitbild einer einnahmeorientierten Ausgabenpolitik entsprechend – exogen gegeben und unabhängig von der Entwicklung der verschiedenen Einflussfaktoren auf das umlagefinanzierte Alterssicherungssystem27. (2) Der durchschnittliche Rentenzahlbetrag des Umlagesystems hängt für die Versicherten einer Generation i von demografischen und ökonomischen Einflussfaktoren ab. Für die demografischen Einflussfaktoren gilt, dass der Rentenzahlbetrag an einen repräsentativen Versicherten der Generation i von Eigenschaften bzw. Entscheidungen der Mitglieder seiner Generation abhängt: Er ist umso niedriger, je geringer die durchschnittliche Kinderzahl und je höher die durchschnittliche Lebenserwartung der Mitglieder seiner Generation ist. Er ist hingegen unabhängig von der durchschnittlichen Kinderzahl und Lebenserwartung der Mitglieder der vorhergehenden oder nachfolgenden (oder jeder anderen) Generation. Bezüglich der ökonomischen Einflussfaktoren gilt, dass der Rentenzahlbetrag an einen repräsentativen Versicherten der Generation i umso höher ist, je höher der für die nachfolgende Generation geltende Lohnsatz und je höher die Erwerbsquote ihrer Mitglieder ist. Er ist hingegen umso geringer, je höher die Erwerbsquote der Mitglieder der Generation des repräsentativen Versicherten in ihrer Erwerbstätigkeitsphase war. (3) Auch die Höhe des impliziten Einkommensteuersatzes ist von demografischen und ökonomischen Einflussfaktoren abhängig. Bei den demografischen Einflussfaktoren legt Gleichung (2.11) dabei allerdings offen, dass die durchschnittliche Lebenserwartung einer Generation i in einem Umlagesystem der Variante EA keinen Einfluss auf die Höhe der impliziten Besteuerung ihrer Mitglieder hat. Dies gilt, obwohl die Höhe der Rentenzahlbeträge (Gleichung (2.8)) im Zuge dessen abnimmt. Der Grund für dieses überraschende Ergebnis liegt in dem Umstand, dass die Zunahme der Erlebenswahrscheinlichkeit der Ruhestandsphase die durch die höhere durchschnittliche Lebenserwartung verursachte Rentensenkung gerade kompensiert, so dass der Erwartungswert einer Rentenzahlung konstant bleibt. Eine geringe durchschnittliche Kinderzahl einer Generation i erhöht hingegen die durch die Zwangsteilnahme am Umlagesystems ausgelöste implizite Besteuerung ihrer Mitglieder, denn 27 Diese Feststellung schließt nicht aus, dass der Beitragssatz eines Umlagesystems der Variante EA von Zeit zu Zeit von den politischen Entscheidungsträgern verändert wird. Diese Veränderung folgt dann jedoch nicht endogen aus der Funktionsweise dieses Systems.

48

2. Funktionsweise und Situation der Alterssicherung in Deutschland

die geringeren Rentenzahlungen werden in diesem Fall nicht durch eine höhere Erlebenswahrscheinlichkeit kompensiert. Bezüglich der ökonomischen Einflussvariablen lässt sich festhalten, dass die implizite Besteuerung eines repräsentativen Versicherten der Generation i verringert wird, je höher der Lohnsatz und die Erwerbsquote der beschäftigten Mitglieder der nachfolgenden Generation ist et vice versa. (4) Demografische Einflussfaktoren führen in einem Umlagesystem der Variante EA zu keinen intergenerationalen Belastungsverschiebungen. Wie unter Punkt (3) erläutert, beeinflussen die durchschnittliche Lebenserwartung und Geburtenzahl einer Generation i nur die Höhe der Rentenzahlbeträge an ihre eigenen Mitglieder und – was die Geburtenzahl anbetrifft – die implizite Besteuerung ihres Lebenseinkommen. Die ökonomische Situation vorhergehender oder nachfolgender Generationen wird hiervon nicht berührt. Ökonomische Einflussfaktoren können hingegen zu intergenerationalen Be- bzw. Entlastungen führen. Nimmt die Erwerbsquote der einer Generation i nachfolgenden Generation im Vergleich zur Vorperiode zu, dann sinkt die implizite Besteuerung der Mitglieder von Generation i et vice versa. Für einen repräsentativen Versicherten der nachfolgenden Generation selbst ist die höhere Erwerbsbeteiligung der Mitglieder seiner Generation hingegen nachteilig: Der zu zahlende Beitragssatz bleibt in einem Umlagesystem der Variante EA unverändert, aber die Rentenzahlbeträge nehmen ab, da in dieser Generation insgesamt mehr Rentenanwartschaften durch Ausübung beitragspflichtiger Beschäftigung akkumuliert werden. Alle Ergebnisse dieses Teilabschnitts sind nochmals in Tabelle 2.1 auf Seite 54 am Ende des folgenden Teilabschnitts 2.2.3 zusammengefasst. 2.2.3 Umlagefinanzierte Alterssicherung in Systemvariante AE Bei der Untersuchung dieser Systemvariante sei angenommen, dass dem Leitbild einer ausgabenorientierten Einnahmepolitik durch die Festlegung eines bestimmten Verhältnisses zwischen dem durchschnittlichen Rentenzahlbetrag einer Periode t zum Durchschnittseinkommen aus Erwerbstätigkeit der gleichen Periode entsprochen werden soll. Statt des Beitragssatzes wird nun mithin ein bestimmtes Rentenniveau fixiert. Bezeichnet man dieses (Ziel-)Rentenniveau mit #, so gilt für das Rentenniveau der Ruheständler pi jeder Generation i #i ã i þ 1 ã #€ < 128. w 28

Realistischerweise wird dabei angenommen, dass der durchschnittliche Rentenzahlbetrag einer Periode geringer als das Durchschnittseinkommen derselben Periode ist.

2.2 Die Funktionsweise umlagefinanzierter Alterssicherung

49

In dieser Systemvariante bestimmen in jeder Periode t die durch das Durchschnittseinkommen, das fixierte Rentenniveau und die Zahl der andes spruchsberechtigten Ruheständler implizierten Gesamtausgaben VAAE t Umlagesystems über die Höhe der zu ihrer Finanzierung notwendigen Gesamteinnahmen VEtAE : È2:12ê

€ t  2 pt  2 N ã pAE Rt  2 VAAE t ã #we t t

Die Gesamteinnahmen VEtAE des Systems ergeben sich in Periode t dadurch, dass alle Beschäftigten dieser Periode zur Zahlung eines – noch zu ihres Lohneinkommens an das Umlagesystems bestimmenden Anteils – bAE t verpflichtet werden, so dass die in (2.12) ermittelten Gesamtausgaben gerade gedeckt werden. Unter Berücksichtigung von (2.1) ergibt sich somit: È2:13ê

t1 VEtAE ã bAE È1 þ nt  2 êN ã bAE t we t W

Setzt man (2.13) und (2.12) gleich, erhält man den zum Ausgleich von Einnahmen und Ausgaben notwendigen Beitragssatz bAE t : È2:14ê

 € bAE ã # t

e t  2 pt  2 t  e 1 È1 þ nt  2 ê



Der Wert in der eckigen Klammer von (2.14) entspricht dabei gerade dem „Äquivalenzrentnerquotienten“, wie er in (2.6) abgeleitet wurde29. Man kann Gleichung (2.14) daher alternativ auch schreiben als: € bAE t ã #ARQt

Bei fixiertem Rentenniveau ist der Beitragssatz somit allein (positiv) vom Äquivalenzrentnerquotienten abhängig. Auf die gleiche Art wie oben beschrieben lässt sich auch der Beitragssatz in den Folgeperioden bestimmen. In Periode t þ 1 beträgt er: È2:15ê

 t1 t1  € e p bAE ã # tþ1 et È1 þ nt  1 ê

Allgemein gilt für den von einem repräsentativen Versicherten einer Generation i zu zahlenden Beitragssatz damit: È2:16ê

29

b

AE; i

 i1 i1  e p € ã# i e È1 þ ni  1 ê

Zur Definition und Herleitung dieser Größe siehe dort.

50

2. Funktionsweise und Situation der Alterssicherung in Deutschland

Bei gegebenem Rentenniveau ist der von den Versicherten einer Generation i zu zahlende Beitragssatz demnach umso höher, je höher die durchschnittliche Lebenserwartung – und je länger damit die Rentenbezugsdauer – der ihr vorhergehenden Generation ist. Er ist zudem umso höher, je geringer die Mitgliederzahl von Generation i ist bzw. je weniger Nachkommen ihre Vorgängergeneration hatte. Der Beitragssatz nimmt außerdem mit der Erwerbsquote der Vorgängergeneration zu und mit der Erwerbsquote von Generation i ab. Kopfzahl, Verhalten und Eigenschaften der nachfolgenden Generation sind für die Höhe des von Generation i zu zahlenden Beitragssatzes dagegen völlig unerheblich. Auch für diese Systemvariante sei die Höhe des durchschnittlichen Rentenzahlbetrages ermittelt. Dieser ergibt sich nun allein aus dem exogen festgelegten Rentenniveau und der Entwicklung des Lohnsatzes. Er beträgt somit in Periode t € pAE t ã #w

È2:17ê

und in Periode t þ 1 € pAE t þ 1 ã #wÈ1 þ mê

È2:18ê

Die Rentenanpassung zwischen zwei Perioden t þ 1 und t geht somit allein auf die – hier als exogen unterstellte – Veränderung des Lohnsatzes zurück, wie durch Bildung des Quotienten aus (2.18) und (2.17) und Umstellung nach pAE t þ 1 gezeigt werden kann: È2:19ê

AE pAE t þ 1 ã pt È1 þ mê

Vergleicht man Gleichung (2.19) mit Gleichung (2.9), so zeigt sich als entscheidender Unterschied zwischen den Systemvarianten EA und AE, dass die demografischen und – mit Ausnahme der Entwicklung des Lohnsatzes – die ökonomischen Einflussfaktoren in Systemvariante AE keine Rolle bei der Rentenanpassung spielen. Schließlich sei auch für Systemvariante AE der Einfluss der Pflichtteilnahme am umlagefinanzierten Alterssicherungssystem auf die ökonomische Situation eines repräsentativen Individuums anhand des Konzeptes der impliziten Einkommensbesteuerung untersucht. Die Ermittlung des impliziten Steuersatzes erfolgt dabei wie in 2.2.2 beschrieben. Unter Verwendung von (2.18) ergibt sich dabei: t1 bAE t wp

È2:20ê

ISAE t ã

w

#€wÈ1 þ mê È1 þ rê

t1 ã bAE t p

#€È1 þ mê È1 þ rê

2.2 Die Funktionsweise umlagefinanzierter Alterssicherung

51

Substituiert man in Gleichung (2.20) den Beitragssatz bAE durch die t rechte Seite von Gleichung (2.14), so lässt sich dieser Ausdruck umformulieren zu: € ISAE t ã #

e t  2 pt  2 #€È1 þ mê  pt  1 et  1 È1 þ nt  2 ê È1 þ rê

bzw. È2:21ê

 € ISAE ã # t

e t  2 pt  2 pt  1 È1 þ mê  t  1 t  2 È1 þ rê e È1 þ n ê



Der vom repräsentativen Versicherten einer Generation i in Systemvariante AE implizit zu entrichtende Einkommensteuersatz beträgt somit: È2:22ê

 i1 i1  e p pi È1 þ mê  ISAE; i ã #€ i È1 þ rê e È1 þ ni  1 ê

Ein Vergleich von (2.22) und (2.11) zeigt, dass sich die Bestimmungsvariablen des impliziten Steuersatzes und damit der ökonomischen Nachteiligkeit der Zwangsteilnahme am Umlagesystem in Systemvariante AE deutlich von denen in Systemvariante EA unterscheiden. Während der zu entrichtende implizite Steuersatz in Systemvariante EA negativ von allen Komponenten der Wachstumsrate der Lohnsumme abhängt, verringert in Systemvariante AE nur die Wachstumsrate des Lohnsatzes – über den mit dem Ziel der Rentenniveausicherung einhergehenden Rentenanpassungsmechanismus – die implizite Besteuerung einer Generation i, während sowohl die Kopfzahl als auch die Erwerbsquote der nachfolgenden Generation für die Höhe der impliziten Besteuerung dieser Generation keine Rolle spielen. Zusammenfassend lässt sich zur Funktionsweise eines Umlagesystems der Systemvariante AE festhalten: (1) Der Beitragssatz zum Umlagesystem folgt dem Finanzierungsbedarf dieses Systems. Dieser ergibt sich aus dem exogen festgelegten Rentenniveau sowie aus demografischen und ökonomischen Einflussfaktoren. Zu den demografischen Einflussfaktoren zählen dabei ausschließlich Entscheidungen und Eigenschaften der einer Generation i vorhergehenden Generation, während die demografischen Eigenschaften der Generation i selbst keine Rolle spielen. Der von den Versicherten der Generation i zu entrichtende Beitragssatz ist dabei umso höher, je höher die durchschnittliche Lebenserwartung und je geringer die Geburtenzahl der Vorgängergeneration ist. Die Fertilität und die Lebenserwartung der Mitglieder der Generation i selbst haben keinen Einfluss auf den von

52

2. Funktionsweise und Situation der Alterssicherung in Deutschland

ihnen zu entrichtenden Beitragssatz. In Bezug auf die ökonomischen Einflussfaktoren gilt, dass der Beitragssatz umso geringer ist, je höher die Erwerbsquote der Generation i im Vergleich zu jener ihrer Vorgängergeneration ist et vice versa. (2) Die an die Versicherten einer Generation i ausgeschütteten durchschnittlichen Rentenzahlbeträge sind völlig unabhängig von demografischen Einflussfaktoren. Ein Einfluss auf die Höhe einer Durchschnittsrente geht nur vom exogen festgelegten Rentenniveau und von der Wachstumsrate des Lohnsatzes aus. (3) Die implizite Besteuerung der Versicherten einer Generation i ist auch in Systemvariante AE von demografischen und ökonomischen Einflussfaktoren abhängig. Die durchschnittliche Fertilität ihrer Mitglieder zählt dabei nicht zu den Einflussfaktoren auf die Höhe der impliziten Besteuerung der Generation i, sie ist lediglich entscheidend für die Höhe des von der Nachfolgegeneration zu entrichtenden Beitragssatzes. Eine zunehmende durchschnittliche Lebenserwartung ihrer Generation verringert sogar die implizite Besteuerung der Versicherten einer Generation i, weil der Erwartungswert einer Altersrente zunimmt: Die Erlebenswahrscheinlichkeit der Ruhestandsphase steigt, während der Rentenanspruch konstant bleibt. Die Höhe der impliziten Besteuerung von Generation i ist nun aber vor allem auch vom Verhalten und von den Eigenschaften der Mitglieder ihrer Vorgängergeneration abhängig: Je länger diese leben und je weniger Nachkommen sie im Durchschnitt haben, desto höher werden die Versicherten der Generation i durch die Zwangsteilnahme am Umlagesystem besteuert. In Bezug auf die ökonomischen Einflussvariablen gilt, dass die implizite Besteuerung eines Versicherten der Generation i umso höher ist, je mehr Anwartschaften die Mitglieder der Vorgängergeneration im Durchschnitt durch Ausübung einer Beschäftigung erworben haben. Hingegen kann die implizite Besteuerung verringert werden, je mehr Mitglieder der Generation i selbst erwerbstätig sind. Das Verhalten und die Eigenschaften der nachfolgenden Generation haben in Systemvariante AE keinen Einfluss auf die implizite Besteuerung der Versicherten der Generation i. (4) Die demografischen und ökonomischen Einflussfaktoren führen in einem Umlagesystem der Variante AE zu ausgeprägten intergenerationalen Belastungsverschiebungen. Während z. B. in dieser Systemvariante eine relativ geringe durchschnittliche Fertilität einer Generation i keinen und eine zunehmende durchschnittliche Lebenserwartung sogar einen positiven Einfluss auf die ökonomische Situation ihrer Mitglieder hat, müssen die Mitglieder der ihr nachfolgenden Generation eine zusätzliche implizite Steuerlast tragen. Dieser negative Effekt auf die Nach-

2.2 Die Funktionsweise umlagefinanzierter Alterssicherung

53

folgegeneration liegt darin begründet, dass die Anpassung an veränderte demografische Rahmenbedingungen in dieser Systemvariante des Umlagesystems um eine Generation verschoben ist. In Systemvariante EA haben die Fertilität und die Lebenserwartung einer Generation nur Einfluss auf die Rentenhöhe und damit auch auf die ökonomische Situation ihrer eigenen Mitglieder. Jede Generation trägt so die Anpassungslasten an durch die Eigenschaften und das Verhalten ihrer Mitglieder verursachte demografische Veränderungen selbst. In Systemvariante AE werden die Anpassungslasten an veränderte demografische Bedingungen hingegen über Beitragssatzsteigerungen an die Nachfolgegeneration weiter geschoben. Auch in Bezug auf die ökonomischen Einflussvariablen kann es zu intergenerationalen Lastenverschiebungen kommen. Die ökonomische Situation der Mitglieder einer Generation i verbessert sich, wenn diese Generation die aufzubringende Beitragslast über eine höhere Erwerbsquote auf mehr Köpfe verteilt. Dies hat jedoch zur Folge, dass in dieser Generation im Durchschnitt auch höhere Rentenanwartschaften erworben werden, so dass die Entlastung der eigenen Mitglieder zu einer zusätzlichen Belastung der Mitglieder der Nachfolgegeneration führt. Erhöht in dieser Systemvariante also z. B. eine Generation deshalb ihre Erwerbsquote, um die auf die demografischen Eigenschaften der Vorgängergeneration zurückgehende individuelle Beitragsbelastung ihrer Mitglieder abzumildern, so stellt dies im Grunde eine intergenerationale Verschiebung eines Teils der demografisch verursachten Anpassungslasten an die Nachfolgegeneration dar. Die Ergebnisse der Abschnitte 2.2.2 und 2.2.3 sind nochmals in Tabelle 2.1 auf Seite 54 zusammengefasst, wobei die Betrachtung auf die Variablen Lebenserwartung, Fertilität und Erwerbsquote beschränkt wird30. Bei der Interpretation von Tabelle 2.1 ist zu beachten, dass die Einflussvariablen in der linken Spalte der Tabelle jeweils die für eine ganze Generation i geltenden Durchschnittswerte angeben, während die in der oberen Zeile aufgeführten Wirkungsvariablen jeweils die Auswirkung der Veränderung einer der Einflussvariablen auf einen repräsentativen Versicherten der Generationen i  1, i oder i þ 1 beschreiben. Ein (þ) in der Tabelle steht dabei für einen positiven, ein (–) für einen negativen und eine (0) für einen neutralen Einfluss.

30 Der Lohnsatz verändert sich in jeder Periode bzw. von Generation zu Generation nach den hier getroffenen Annahmen stets um denselben Faktor. Seine Betrachtung ist daher wenig interessant. Bei den übrigen Variablen wurde hingegen keine konstante Entwicklung im Zeitablauf angenommen.

bi þ 1

0

È1 þ n ê

0

0

ei

0

0

Ökonomische Einflussfaktoren

0

i

pi

Demografische Einflussfaktoren

bi

þ

0

0

pi  1

0

þ



pi

0

0

0



0

0

pi þ 1 ISi  1

Systemvariante EA

þ



0

ISi

0

0

0

ISi þ 1



0

0

bi

þ



þ

bi þ 1

Auswirkung auf . . .

0

0

0

pi  1

0

0

0

pi

0

0

0

0

0

0

pi þ 1 ISi  1

Systemvariante AE

Tabelle 2.1 Auswirkungen verschiedener demografischer und ökonomischer Einflussvariablen auf zentrale Wirkungsvariablen umlagefinanzierter Alterssicherungssysteme



0

0

ISi

+



þ

ISi þ 1

54 2. Funktionsweise und Situation der Alterssicherung in Deutschland

2.3 Die umlagefinanzierte Alterssicherung im Paradigmenwechsel

55

2.3 Die umlagefinanzierte Alterssicherung Deutschlands im Paradigmenwechsel Im vorliegenden Teilabschnitt sollen vor allem zwei wesentliche Aspekte herausgearbeitet werden. Erstens soll anhand der Entwicklung, die die Gesetzliche Rentenversicherung Deutschlands im Zeitablauf genommen hat, das im letzten Abschnitt unter Verwendung eines stilisierten Modells dargestellte Zusammenspiel zwischen Einfluss- und Wirkungsvariablen am Beispiel eines realtypischen Umlagesystems verdeutlicht werden. Die Entwicklung der Gesetzlichen Rentenversicherung ist dazu in besonderem Maße geeignet, da sie in ihrer jüngeren Geschichte einen beinahe vollständigen Paradigmenwechsel vollzogen hat, so dass im Laufe der Zeit beide Systemvarianten zur Anwendung gekommen sind31. Insbesondere soll in diesem Zusammenhang auch untersucht werden, ob sich trotz der ungleich komplexeren Struktur, die das System der Gesetzlichen Rentenversicherung im Vergleich zum stilisierten Modell des vorangegangenen Abschnitts aufweist, die Entwicklung der entscheidenden Wirkungsvariablen dieses Systems – namentlich des Beitragssatzes und des Rentenniveaus – durch die Veränderung der im stilisierten Modell verwendeten Ursachenvariablen erklären lässt. Wenn dies der Fall ist, dann kann der Einfluss diskretionärer Eingriffe in dieses Rentensystem als relativ beschränkt angesehen werden. Zweitens soll – überleitend zu Teilabschnitt 2.4 – in diesem Teilabschnitt analysiert werden, von welchem Paradigma das System der Gesetzlichen Rentenversicherung nach dem aktuell geltenden Rentenrecht überwiegend geprägt ist. 2.3.1 Die Zeit von 1957 bis 1991 Im Zuge der Rentenreform 1957 wurde in der Gesetzlichen Rentenversicherung ein eindeutiges Rentenniveausicherungsziel festgelegt. Ein sog. „Eckrentner“, d.h. ein Rentner der über eine Erwerbstätigkeitsphase von 40 Jahren in jedem Jahr jeweils das Durchschnittseinkommen verdient hat32, 31 Die Betrachtung beschränkt sich dabei auf den Zeitraum von der Rentenreform 1957 bis zur Umsetzung des Rentenversicherungs-Nachhaltigkeitsgesetzes 2004. Diese Beschränkung erfolgt aus zwei Gründen: Zum einen lässt sich für die davor liegende Zeit kein klares Paradigma der GRV identifizieren, da sie bis zur Rentenreform 1957 formal den Anspruch erhob, ein Kapitaldeckungssystem zu sein, obwohl das Deckungskapital zu keinem Zeitpunkt seit ihrer Gründung 1891 auch nur annähernd groß genug war, um alle gewährten Rentenanwartschaften bedienen zu können, vgl. zur Geschichte der frühen GRV z. B. Zöllner (1982) und Haerendel (2001). Zum anderen existiert für diesen Zeitraum kaum Datenmaterial, das zur Beschreibung und Analyse der ökonomischen und demografischen Rahmenbedingungen herangezogen werden könnte.

56

2. Funktionsweise und Situation der Alterssicherung in Deutschland

sollte mit seinen akkumulierten Rentenanwartschaften einen Rentenanspruch realisieren können, der 60% des durchschnittlichen Bruttoeinkommens eines aktuell Erwerbstätigen entspricht. Um die Erfüllung dieser Zielsetzung über die Zeit zu gewährleisten, wurde – und das war die große Innovation der Rentenreform 1957 – eine explizite jährliche Anpassung der Zugangs- und der Bestandsrenten gemäß der Entwicklung der durchschnittlichen Bruttoeinkommen der Erwerbstätigen festgelegt (sog. „Bruttoanpassung“). In vereinfachter und entsprechend den in der heutigen Rentenanpassungsformel verwendeten Begriffen dargestellter Form, wurde die Rentenanpassung gemäß der Formel È2:23ê

ARWj ã ARWj  1 

BEj  1 BEj  2

vorgenommen. ARWj steht hier für den aktuellen Rentenwert eines Jahres j 33, BEj  1 bzw. BEj  2 für das durchschnittliche Bruttoeinkommen der Erwerbstätigen in den Jahren j  1 und j  234. Diese Form der Rentenanpassung entspricht – wie ein Blick auf (2.19) zeigt – in idealer Weise der Rentenanpassung in der oben dargestellten Systemvariante AE des stilisierten Modells, denn der dort für die Rentenanpassung entscheidende Wachstumsfaktor des Lohnsatzes È1 þ mê gibt nichts anderes als die Veränderung des Brutto32 Häufig werden die Versichertenbiografien „Eckrentner“ und „Standardrentner“ synonym verwendet. In dieser Arbeit unterscheidet sich eine Standardrentnerbiografie von einer Eckrentnerbiografie durch die Annahme einer um 5 Jahre längeren sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung. Vgl. hierzu auch Fn. 17. 33 Der aktuelle Rentenwert stellt die dynamische Komponente im deutschen Rentenrecht dar. Er gibt die Höhe der Monatsrente an, die ein Durchschnittsverdiener nach einem Jahr Beitragszahlung erhält. Multipliziert mit der Zahl der erworbenen „Entgeltpunkte“ eines Versicherten ergibt sich die Versichertenrente. Ein Versicherter erhält genau einen Entgeltpunkt, wenn er ein Jahr lang sozialversicherungspflichtig beschäftigt war und dabei genau das Durchschnittseinkommen verdient hat. Die Rente des Eckrentners eines Jahres ergibt sich so aus dem Produkt des aktuellen Rentenwertes dieses Jahres mit dem Wert 40. 34 In der 1957 eingeführten Rentenformel richtete sich die Rentenanpassung nicht nach der Veränderung der Bruttoeinkommen zwischen dem letzten und dem vorletzten Jahr, sondern nach der Veränderung des arithmetischen Mittels aus den Durchschnittsentgelten des zweiten, dritten und vierten Jahres zum arithmetischen Mittel der Durchschnittsentgelte des dritten, vierten und fünften Jahres vor dem Rentenanpassungszeitpunkt. Die verzögerte Anpassung führte dazu, dass die Rentenanpassung der Einkommensentwicklung zeitlich stets hinterherhinkte, vgl. hierzu auch Steffen (2002). Aus diesem Grund wurde das ursprünglich angestrebte Bruttorentenniveau von 60% nie erreicht (vgl. Abbildung 2.1), was jedoch dem prinzipiellen Ziel einer Fixierung dieser Größe im Zeitablauf nicht entgegensteht. Erst ab 1984 richtete sich die Rentenanpassung nach der in (2.23) beschriebenen Formel. Von dieser Entwicklung wird jedoch abstrahiert, da es hier lediglich um das Anpassungsprinzip geht.

2.3 Die umlagefinanzierte Alterssicherung im Paradigmenwechsel

57

ÄRQ, Beitragssatz und Bruttorentenniveau

60,00% 50,00% 40,00% 30,00% 20,00% 10,00%

19 60 19 62 19 64 19 66 19 68 19 70 19 72 19 74 19 76 19 78 19 80 19 82 19 84 19 86 19 88 19 90

0,00%

Äquivalenzrentnerquotient

Beitragssatz

Bruttorentenniveau

Anmerkung: Für 1991: Nur alte Bundesländer. Quellen: VDR (2005a, S. 218 u. S. 234); VDR (2005b, S. 9); eigene Berechnungen.

Abbildung 2.1: Äquivalenzrentnerquotient, Bruttorentenniveau und Beitragssatz der Gesetzlichen Rentenversicherung 1960 bis 1991

einkommens der Erwerbstätigen im Zeitablauf wieder. Einziger Unterschied zwischen (2.19) und (2.23) ist, dass in (2.23) Jahre statt Perioden verwendet werden. Es ist daher interessant zu untersuchen, ob die Entwicklung der Wirkungsvariablen – also des Beitragssatzes und des (Brutto-)Rentenniveaus – so verlief, wie es in einem Umlagesystem der Variante AE bei gegebener Veränderung der Einflussvariablen erwartet werden kann. Gemäß Gleichung (2.14) gilt in einem Umlagesystem der Variante AE, dass der Beitragssatz einer Periode mit dem Äquivalenzrentnerquotienten zunimmt, während das Renteniveau definitionsgemäß konstant bleibt. In Abbildung 2.1 sind die Entwicklungspfade des Äquivalenzrentnerquotienten, des Bruttorentenniveaus und des Beitragssatzes zur Gesetzlichen Rentenversicherung für den Zeitraum von 1960 bis 1991 dargestellt. Zu erkennen ist, dass die Entwicklung über den gesamten Zeitraum betrachtet in etwa so verlaufen ist, wie man es von einem Umlagesystem der Variante AE erwarten kann. Der Anstieg des Äquivalenzrentnerquotienten von 30,14% im Jahr 1960 auf 41,20% im Jahr 1991 führte zu einem Anstieg des Beitragssatzes von 14% zu Beginn bis auf 18,7% zum Ende des Betrachtungszeitraums. Die Entwicklung des Bruttorentenniveaus weist hingegen keinen Trend auf und schwankt um einen Wert von ca. 50%. Klar zu erkennen ist außerdem, dass der starke Beitragssatzanstieg zwischen 1967 und 1973/74 der ausgeprägten Zunahme des Äquivalenzrentnerquotienten in diesen Jahren folgte, während der lange Zeitraum eines beinahe konstanten Äquiva-

2. Funktionsweise und Situation der Alterssicherung in Deutschland 45,00% 40,00% 20,00

35,00% 30,00%

15,00

25,00% 20,00%

10,00

15,00% 10,00%

5,00

5,00% 0,00

0,00%

19 60 19 62 19 64 19 66 19 68 19 70 19 72 19 74 19 76 19 78 19 80 19 82 19 84 19 86 19 88 19 90

Äquivalenzrentner und Äquivalenzbeitragszahler in Mio.

25,00

Äquivalenzrentnerquotient

58

Äquivalenzbeitragszahler

Äquivalenzrentner

Äquivalenzrentnerquotient

Quelle: VDR (2005a); eigene Berechnungen.

Abbildung 2.2: Äquivalenzrentnerquotient sowie Zahl der Äquivalenzrentner und Äquivalenzbeitragszahler 1960 bis 1991

lenzrentnerquotienten von ca. 40% zwischen 1974 und dem Ende des Betrachtungszeitraums von einem ebenso beinahe konstanten Beitragssatz begleitet wurde. Dass das Bruttorentenniveau während des steilen Anstiegs des Äquivalenzrentnerquotienten zeitweise ebenfalls abgesunken ist, scheint zunächst gegen die strikte Verfolgung einer einnahmeorientierten Ausgabenpolitik in der GRV zu sprechen. Der Grund dafür ist jedoch allein in der verzögerten Rentenanpassung zu sehen, zu der die bis 1984 verwendete Rentenformel führte35: Die Rentenanpassungen zu Beginn der 70er Jahre fielen geringer als das Einkommenswachstum dieser Jahre aus, weil sie sich nach dem relativ schwachen Einkommenswachstum während der Rezession 1966/1967 richteten. Dementsprechend nahm das Bruttorentenniveau ab 1973/1974 wieder zu, als die Rentenanpassungen die relativ hohen Einkommenswachstumsraten der frühen 70er Jahre nachvollzogen, während sich das Einkommenswachstum als Folge der Ölkrise in diesen Jahren bereits wieder verlangsamte. Die Beseitigung des Verzögerungsmechanismus aus der Rentenanpassungsformel im Jahr 1984 führte auch zu einem Ende der relativ starken Schwankungen des Bruttorentenniveaus, wie Abbildung 2.1 ebenfalls zeigt. Offen bleibt soweit noch die Diagnose der Ursachen der gezeigten Entwicklung. Um hier mehr Klarheit zu erzielen, sind in Abbildung 2.2 neben 35

Vgl. Fn. 34.

2.3 Die umlagefinanzierte Alterssicherung im Paradigmenwechsel

59

40,0

Lebendgeborene je 1000 Einwohner

35,0 30,0 25,0 20,0 15,0 10,0 5,0

2000

1993

1986

1979

1972

1965

1958

1951

1944

1937

1930

1923

1916

1909

1902

1895

1888

1881

0,0

Jahr Quellen: Mackenroth (1952), Statistisches Jahrbuch: Verschiedene Jahrgänge.

Abbildung 2.3: Lebendgeborene je 1000 Einwohner Deutschlands in den Jahren 1881 bis 2004

der Entwicklung des Äquivalenzrentnerquotienten auch die (fiktiven Kopf-) Zahlen der Äquivalenzbeitragszahler und Äquivalenzrentner abgetragen. Dabei zeigt sich, dass die Entwicklung des Äquivalenzrentnerquotienten über den gesamten Betrachtungszeitraum beinahe das exakte Spiegelbild der Entwicklung der Äquivalenzbeitragszahler ist. Die Zahl der Äquivalenzrentner wächst hingegen über den gesamten Zeitraum mit konstant positiver Rate. Die stetige Zunahme der Zahl der Äquivalenzrentner ist dabei auf verschiedene Ursachen zurückzuführen. Zum einen stammt der Rentenbestand in diesem Zeitraum zum größten Teil noch aus – im Vergleich zu späteren Jahren – relativ geburtenstarken Jahrgängen. Nimmt man an, dass sich der Rentenbestand des Jahres 1957 aus den Geburtsjahrgängen 1881–1892 und der Rentenbestand des Jahres 1991 aus den Geburtsjahrgängen 1911–1926 zusammensetzte, dann zeigt die obige Abbildung 2.3, in der die Zahl der Lebendgeborenen pro 1000 Einwohner Deutschlands für die Jahre 1881–2004 dargestellt ist, dass die Geburtenziffern in den entsprechenden Jahrgängen zwar einen abnehmenden Trend aufwiesen, aber – mit Ausnahme der Zeit des 1. Weltkrieges – weit über jenen lagen, die in späteren Jahren erreicht wurden. Zur gleichen Zeit nahm die Lebenserwartung der Ruheständler zu. In Tabelle 2.2 auf Seite 60 ist die Entwicklung der sog. ferneren Lebenserwartung eines bzw. einer 65-Jährigen der Geburtsjahrgänge 1895–1926 abgetragen. Danach nahm die fernere Lebenserwartung der Männer in diesem Zeitraum um fast zwei, die der Frauen um über 3 Jahre zu. Da das Rentenein-

60

2. Funktionsweise und Situation der Alterssicherung in Deutschland Tabelle 2.2 Fernere Lebenserwartung 65-jähriger Männer bzw. Frauen der Geburtsjahrgänge 1895 bis 1926 Geburtsjahrgang

Fernere Lebenserwartung Männer in Jahren

Fernere Lebenserwartung Frauen in Jahren

1896 1900 1905 1910 1915 1920 1926

12,3 12,2 12,1 12,4 12,9 13,5 14,1

14,6 14,8 15,1 15,6 16,2 16,9 17,8

Quelle: VDR (2005a, S. 256).

Tabelle 2.3 Zugangsalter zu Alters- und Erwerbsminderungsrenten der Geburtsjahrgänge 1904 bis 1926 Geburtsjahrgang

Zugangsalter Altersrente Männer

Zugangsalter Altersrente Frauen

Zugangsalter EWM-Rente Männer

Zugangsalter EWM-Rente Frauen

1904 1910 1915 1920 1926

64,9 64,0 63,3 62,7 62,7

63,4 62,9 62,3 62,4 63,1

58,5 56,5 55,7 54,7 53,1

57,3 57,8 57,3 57,0 53,1

Quelle: VDR (2005a, S. 117).

trittsalter währenddessen konstant blieb, befanden sich auf diese Weise im Laufe der Zeit fast drei volle Geburtsjahrgänge mehr im Rentenbestand. Dazu kam eine dritte Entwicklung, die im stilisierten Modell nicht wiedergegeben wird: Durch verschiedene Möglichkeiten eines vorzeitigen Rentenbezugs sank im Laufe der Zeit das tatsächliche Rentenzugangsalter ab, was zusätzlich zur oben beschriebenen Verlängerung der Lebenserwartung zu einer stetigen Zunahme der Geburtsjahrgänge im Rentenbestand beitrug36. Tabelle 2.3 zeigt die Entwicklung des tatsächlichen Renteneintrittsalters, 36

Die Abnahme des tatsächlichen Renteneintrittsalters stellt in gewisser Weise eine „künstliche“ Erhöhung der Erlebenswahrscheinlichkeit der Ruhestandsphase pi einer Generation i (bzw. eines Jahrgangs) dar.

61

17 16 15 14 13 12 11 10 9 8 18 96 18 98 19 00 19 02 19 04 19 06 19 08 19 10 19 12 19 14 19 16 19 18 19 20 19 22 19 24 19 26

Durchschnittliche Rentenbezugsdauer in Jahren

2.3 Die umlagefinanzierte Alterssicherung im Paradigmenwechsel

Geburtsjahrgang Quelle: VDR (2005a, S. 137).

Abbildung 2.4: Durchschnittliche Rentenbezugsdauer von Rentnern der Geburtsjahrgänge 1896 bis 1926

getrennt nach Geschlechtern und nach den Rentenarten Altersrente und Erwerbsminderungsrente, für die Geburtsjahrgänge 1904 bis 1926. Im Betrachtungszeitraum nahm demnach das Rentenzugangsalter der Männer zu einer Altersrente um 2,2 und zu einer Erwerbsminderungsrente um 5,4, das Rentenzugangsalter der Frauen zu einer Altersrente um 0,3 und zu einer Erwerbsminderungsrente um 4,2 Jahre ab. Die immer früheren Renteneintritte verstärkten den Effekt der zunehmenden Lebenserwartung auf die durchschnittliche Rentenbezugsdauer deutlich. Abbildung 2.4 zeigt, dass die durchschnittliche Rentenbezugsdauer vom Geburtsjahrgang 1896 bis zum Geburtsjahrgang 1926 um ca. 5,5 Jahre zunahm. Während die Entwicklung der Äquivalenzrentner im betrachteten Zeitraum folglich vor allem auf die Zunahme der Lebenserwartung und die gleichzeitige Abnahme des tatsächlichen Renteneintrittsalters zurückzuführen ist, bleibt soweit noch offen, worauf sich die Entwicklung der Äquivalenzbeitragszahler zurückführen lässt. Die deutliche Zunahme des Äquivalenzrentnerquotienten im Betrachtungszeitraum zeigt, dass die Zahl der Äquivalenzbeitragszahler über den gesamten Betrachtungszeitraum wesentlich schwächer zugenommen hat (+ 31,7%) als die Zahl der Äquivalenzrentner (+ 80,3%). Der Hauptgrund dafür ist darin zu sehen, dass die seit 1957 neu in die Erwerbstätigkeitsphase eintretenden Geburtenjahrgänge beinahe durchgehend schwächer als die in die Ruhestandsphase eintretenden Geburtenjahrgänge besetzt waren. Trotzdem nahm die Zahl der Äquivalenz-

62

2. Funktionsweise und Situation der Alterssicherung in Deutschland 700 000 600 000

Wanderungssaldo

500 000 400 000 300 000 200 000 100 000 0 –100 000 –200 000

19 75

19 73

19 71

19 69

19 67

19 65

19 63

19 61

19 59

19 57

–300 000

Quelle: Destatis.

Abbildung 2.5: Wanderungssaldo der Bundesrepublik Deutschland im Zeitraum 1957 bis 1976

beitragszahler zunächst zu. Dies lag zum einen daran, dass in den frühen Jahren der Gesetzlichen Rentenversicherung die geburtenstarken Jahrgänge der 30er Jahre in die Erwerbstätigkeitsphase eintraten. Hinzu kam ein in diesen Jahren beinahe durchgehend und zum Teil deutlich positives Wanderungssaldo, wie Abbildung 2.5 verdeutlicht. Im Laufe der 1960er Jahre kamen dann jedoch die nur relativ schwach besetzten Geburtsjahrgänge der Kriegs- und ersten Nachkriegsjahre (vgl. Abbildung 2.3 auf Seite 59) in die Erwerbstätigkeitsphase und die Zahl der Äquivalenzbeitragszahler stagnierte bzw. ging in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren sogar – trotz einer immer noch relativ hohen Zuwanderung – zurück. Diese Entwicklung wurde zum Teil durch einen markanten Anstieg der Zahl der Äquivalenzbeitragszahler in den Jahren 1966 und vor allem 1967 überlagert. Dieser Anstieg kann weder durch die sich leicht erholende Geburtenziffer ab 1946 noch durch (Netto-)Zuwanderung erklärt werden, die sich erst ab 1968 verstärkte. Der tatsächliche Grund liegt außerhalb der Bevölkerungs- und Beschäftigungsentwicklung: Nach der Rentenreform 1957 existierte in der Gesetzlichen Rentenversicherung zunächst noch eine Versicherungspflichtgrenze für Angestellte: Diese konnten, mussten aber nicht der GRV beitreten. 1966 wurde die Versicherungspflichtgrenze im Rahmen der sog. „Härtenovelle“ um fast 50% erhöht. Im Jahr 1967 wurde sie schließlich gänzlich beseitigt, so dass auch Angestellte, deren Einkommen oberhalb der alten Versicherungspflichtgrenze gelegen hatte, zu Pflichtversicherten der Gesetzlichen Rentenversicherung wurden. Zusätzlich

2.3 Die umlagefinanzierte Alterssicherung im Paradigmenwechsel

63

wurde neuen Pflichtversicherten die Möglichkeit eingeräumt, sich zu günstigen Bedingungen durch die Nachzahlung von Beiträgen für zurückliegende Jahre in der GRV nachzuversichern, so dass in den Beitragseinnahmen der GRV in den Jahren 1966 und 1967 auch Beitragszahlungen für zurückliegende Jahre enthalten sind. Diese Entwicklungen erklären den kurzfristig starken Anstieg der Zahl der Äquivalenzbeitragszahler und die damit einhergehende Absenkung des Äquivalenzrentnerquotienten in den Jahren 1966/1967. Nach diesem „künstlichen“ Zufluss von Beitragszahlern nahm die Zahl der Äquivalenzbeitragszahler ab 1968 wieder ab und es kam nun zu einem ausgeprägten – zeitlich durch den Zutritt der besserverdienenden Angestellten in die GRV sowie durch deren Beitragsnachzahlungen verzögerten – Anstieg des Äquivalenzrentnerquotienten. Die Abnahme der Zahl der Äquivalenzbeitragszahler und die Zunahme des Äquivalenzrentnerquotienten wären dabei noch wesentlich prononcierter ausgefallen, wäre es in den Jahren von 1968 bis 1973 nicht zu einer besonders starken Zuwanderung von sog. „Gastarbeitern“ gekommen, deren Anwerbung eine direkte Reaktion auf die schwach besetzten jungen Erwerbstätigenjahrgänge war. Ab etwa 1974 schließlich begann die Zahl der Äquivalenzbeitragszahler wieder stetig zuzunehmen – unterbrochen nur durch das Jahr 1983 – und der Äquivalenzrentnerquotient stabilisierte sich. Diese Entwicklung kann größtenteils auf ein verändertes Geburtenverhalten zwei Jahrzehnte zuvor zurückgeführt werden. Ab 1953 begann die Geburtenziffer stetig zuzunehmen: Die Zeit des sog. „Baby-Booms“ begann. Die Geburtenziffer erreichte mit einem Maximum von 18,1 im Jahr 1963 beinahe wieder die in den 1930er Jahren erreichten Werte. Ab Mitte der 1970er Jahre trat diese „Baby-BoomGeneration“ in die Erwerbstätigkeitsphase ein und sorgte bis in die späten 1980er Jahre für eine Zunahme der Zahl der Äquivalenzbeitragszahler. Zusätzlich kam es seit dem Ende der 1970er Jahre und bis zum Ende des Betrachtungszeitraums zu einer leichten Erhöhung der Erwerbsbeteiligung, die, wie Abbildung 2.6 auf Seite 64 zeigt, ausschließlich auf eine erhöhte Erwerbsbeteiligung des weiblichen Erwerbspersonenpotentials zurückging. Diese Entwicklung unterstützte die Zunahme der Äquivalenzbeitragszahler bzw. die Stabilisierung des Äquivalenzrentnerquotienten in den 1980er Jahren. Es lässt sich somit festhalten, dass sich das im Zeitraum von 1957 bis 1991 in der Gesetzlichen Rentenversicherung herrschende Paradigma einer ausgabenorientierten Einnahmepolitik beinahe idealtypisch im in diesem Zeitraum zu beobachtenden Zusammenspiel von Ursache- und Wirkungsvariablen wieder findet. Die Zunahme des Äquivalenzrentnerquotienten wurde – jeweils zeitnah – von einer Zunahme des Beitragssatzes begleitet, während das Bruttorentenniveau nahezu konstant blieb. Die Entwicklung des Äquivalenzrentnerquotienten wurde dabei von säkularen Trends in der

64

2. Funktionsweise und Situation der Alterssicherung in Deutschland 100,00%

Erwerbsquote

90,00% 80,00% 70,00% 60,00% 50,00% 40,00%

Erwerbsquote Männer

Erwerbsquote Frauen

19 90

19 87

19 84

19 81

19 78

19 75

19 72

19 69

19 66

19 63

19 60

19 57

30,00%

Erwerbsquote Gesamt

Quellen: Mikrozensus: Verschiedene Jahrgänge; eigene Berechnungen.

Abbildung 2.6: Erwerbsquote in der Bundesrepublik Deutschland im Zeitraum 1957 bis 1991

Entwicklung der Bevölkerungsstruktur, zum Teil aber auch von Veränderungen des Rechts der Gesetzlichen Rentenversicherung bestimmt. Die säkularen Trends der Bevölkerungsstruktur allein hätten dabei jedoch auch ohne Veränderungen des Rentenrechts zu einer Entwicklung der Äquivalenzrentner und Äquivalenzbeitragszahler, des Äquivalenzrentnerquotienten und daraus abgeleitet schließlich des Beitragssatzes geführt, wie sie in den historischen Daten zu beobachten ist. Zwar hätte die zunehmende Lebenserwartung allein – d.h. ohne Berücksichtigung des im Zeitablauf abnehmenden Renteneintrittsalters – zu einer geringeren Zunahme der Zahl der Äquivalenzrentner geführt, als sie tatsächlich eingetreten ist. Zugleich hätte aber die Zahl der Äquivalenzbeitragszahler ohne die Ausdehnung der Versicherungspflicht auf alle Angestellten und das im Durchschnitt positive Wanderungssaldo einen wesentlich geringeren Zuwachs zu verzeichnen gehabt. Ob die beitragssatzsenkenden Effekte der Einbeziehung weiterer Bevölkerungsschichten in die Gesetzliche Rentenversicherung und des positiven Wanderungssaldos den beitragssatzerhöhenden Effekt des immer früheren tatsächlichen Renteneintrittsalters überwogen haben oder nicht, kann hier nicht vollständig geklärt werden. Dass jedoch allein die zunehmende Lebenserwartung und die Tatsache, dass die Geburtsjahrgänge im Rentenbestand zumeist stärker besetzt waren als die Geburtsjahrgänge in der Erwerbstätigkeitsphase, ausgereicht hätten, um den Äquivalenzrentnerquotienten ohne Eingriffe in das Rentenrecht in ähnlicher Weise ansteigen zu lassen, wie es mit diesen Eingriffen dann tatsächlich der Fall war, lässt

45,00 40,00 35,00

65

20,00

30,00 25,00 20,00 15,00

15,00 10,00

10,00 5,00 0,00

5,00 0,00

Aquivalenzbeitragszahler in Mio.

25,00

19 60 19 62 19 64 19 66 19 68 19 70 19 72 19 74 19 76 19 78 19 80 19 82 19 84 19 86 19 88

20-64-Jährige, 65-Jährige und Ältere und Äquivalenzrentner in Mio.

2.3 Die umlagefinanzierte Alterssicherung im Paradigmenwechsel

Äquivalenzrentner

20–64-Jährige

65-Jährige und Ältere

Äquivalenzbeitragszahler

Quellen: VDR (2005a, S. 218, S. 234 und S. 254); Destatis; eigene Berechnungen.

Abbildung 2.7: Äquivalenzrentner und Äquivalenzbeitragszahler in der Gesetzlichen Rentenversicherung sowie Zahl der 20–64-Jährigen und 65-Jährigen und Älteren in der Bundesrepublik Deutschland 1960 bis 1990

sich verdeutlichen, wenn man die Entwicklung der Zahl der Äquivalenzrentner und Äquivalenzbeitragszahler mit der Entwicklung der Zahl der „20–64- Jährigen“ und der „65-Jährigen und Älteren“ im Zeitraum von 1957 bis 1990 vergleicht. Ein solcher Vergleich wird in Abbildung 2.7 vorgenommen. Die unteren beiden Kurven geben dabei die Entwicklung der Zahl der Äquivalenzrentner und der Zahl der „65-Jährigen und Älteren“ an. Zu erkennen ist, dass sie sich tendenziell gleich entwickelt haben. Die Zahl der Äquivalenzrentner wuchs jedoch insgesamt (Jahresdurchschnittliche Wachstumsrate: 1,93%) – als Ergebnis des im Zeitablauf sinkenden Renteneintrittsalters – etwas stärker als die Zahl der 65-Jährigen und Älteren (Jahresdurchschnittliche Wachstumsrate: 1,63%). Die beiden oberen Kurven geben die Entwicklung der Zahl der Äquivalenzbeitragszahler und der Zahl der „20–64-Jährigen“ an. Auch hier ist erkennbar, dass der Trend beider Kurven in die gleiche Richtung weist. Zudem zeigt ein Vergleich der beiden Kurvenverläufe den starken Effekt des Einbezugs der besserverdienenden Angestellten in die Gesetzliche Rentenversicherung im Jahr 1967 auf die Zahl der Äquivalenzbeitragszahler. Insgesamt nahm die Zahl der Äquivalenzbeitragszahler daher mit einer jahresdurchschnittlichen Wachstumsrate von 0,88% etwas stärker zu als die Zahl der „20–64-Jährigen“ (Jahresdurchschnittliche Wachstumsrate: 0,57%).

66

2. Funktionsweise und Situation der Alterssicherung in Deutschland

Die erzielten Ergebnisse werfen schließlich noch die Frage auf, wie sich die Organisation der Gesetzlichen Rentenversicherung im Zeitraum von 1957 bis 1991 auf die ökonomische Situation der Versicherten einzelner Geburtsjahrgänge ausgewirkt hat. Im stilisierten Modell des Abschnitts 2.2 wurde die ökonomische Situation Versicherter einzelner Generationen anhand des Konzeptes der impliziten Besteuerung des Lebenseinkommens beurteilt. Der vom repräsentativen Versicherten einer Generation i zu entrichtende Steuersatz auf sein Lebenseinkommen ergab sich dabei gemäß Gleichung (2.22). Verbindet man (2.22) mit (2.20), so kann dieser Steuersatz auch ausgedrückt werden durch die Beziehung:

È2:24ê

ISAE; i ã bAE; i  pi #€

È1 þ mê È1 þ rê

D.h.: Die Höhe des vom repräsentativen Versicherten einer Generation i zu entrichtenden Steuersatzes hängt – bei gegebenem Zinsfaktor, Wachstumsfaktor des Lohnsatzes und Rentenniveau – negativ von der durchschnittlichen Lebenserwartung der Mitglieder seiner Generation und positiv von der Höhe des in seiner Erwerbstätigkeitsphase zu zahlenden Beitragssatzes ab. Ersetzt man die Generationenbetrachtung durch eine Jahrgangsbetrachtung, so lässt sich die implizite Besteuerung der Versicherten eines Geburtsjahrganges auf die gleiche Art berechnen, wie dies in 2.2.3 beschrieben wurde. Eine solche Berechnung für die Gesetzliche Rentenversicherung im Zeitraum von 1957 bis 1991 durchzuführen, ist jedoch schwieriger, als es die relativ einfache Formel in (2.24) impliziert. Denn zum einen war Ausgangspunkt der Analyse des stilisierten Modells die Annahme eines ausgereiften Umlagesystems, in dem keine Generation bzw. kein Geburtsjahrgang Einführungsgewinne generieren kann. Unterstellt wurde daher, dass alle am System beteiligten Individuen – also sowohl die Beitragszahler als auch die Rentner – über ihre gesamte Erwerbstätigkeitsphase Beiträge an das Umlagesystem gezahlt haben. Da die Gesetzliche Rentenversicherung in ihrer heute gültigen Struktur jedoch erst seit 1957 existiert, kann die „tatsächliche“ implizite Besteuerung nur für Individuen berechnet werden, die frühestens 1957 in die Erwerbstätigkeitsphase eingetreten sind und im Anschluss daran ihre gesamte Erwerbstätigkeits- und Ruhestandsphase mit allen damit einhergehenden Zahlungen an das und Leistungen aus dem Rentensystem bereits durchlebt haben. Wenn man von einem durchschnittlichen „Modellrentner“ ausgeht, der 1957 eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung aufgenommen und diese anschließend 45 Jahre lang ausgeübt hat, so ist dieser Rentner erst 2002 in Rente gegangen und hat somit noch mehrere Ruhestandsjahre vor sich. Für den betrachteten Zeitraum von 1957–1991 lässt sich daher keine „tatsächliche“, son-

2.3 Die umlagefinanzierte Alterssicherung im Paradigmenwechsel

67

dern lediglich eine prognostizierte implizite Besteuerung der Versicherten verschiedener Geburtsjahrgänge berechnen. Zum anderen existiert in der Gesetzlichen Rentenversicherung – anders als im stilisierten Modell – die Möglichkeit, dass eine Rente vor Erreichen der eigentlichen Ruhestandsphase (z. B. in Form einer Erwerbsminderungsrente) oder nach dem Tod des Beitragszahlers (in Form von Hinterbliebenenrenten) ausgezahlt wird. Die Wahrscheinlichkeit, dass akkumulierte Rentenansprüche auch zu einer Rentenzahlung führen, ist daher nicht identisch mit der Erlebenswahrscheinlichkeit der Ruhestandsphase. Trotz dieser Probleme soll hier anhand einer Berechnung des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundeswirtschaftsministerium aus dem Jahr 199837 gezeigt werden, dass die Entwicklung der impliziten Besteuerung für die Versicherten des Betrachtungszeitraums sehr gut mit jener übereinstimmt, die gemäß (2.24) erwartet werden konnte38. Der Wissenschaftliche Beirat berechnete dabei nicht die implizite Besteuerung des Lebenseinkommens, sondern den in den Beitragszahlungen enthaltenen Steueranteil39. In der folgenden Abbildung 2.8 sind die Ergebnisse dieser Berechnung sowie 37 Vgl. Wissenschaftlicher Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium (1998, S. 19 ff.). 38 Die Berechnungen des Wissenschaftlichen Beirates gehen dabei vom Rechtsstand nach der Rentenreform 1992 und vor der Rentenreform 2001 aus, so dass die absoluten Prozentwerte der impliziten Besteuerung nicht mit denen übereinstimmen, die sich bei Fortführung des vor 1992 geltenden Rentenrechts ergeben hätten. Da aber auch die nach 1992 angewendete Nettoanpassung der Renten letztlich eine (abgeschwächte) Form der ausgabenorientierten Einnahmepolitik ist, stimmen die Ergebnisse qualitativ mit denen bei Fortführung der Bruttoanpassung überein. 39 Der vom Wissenschaftlichen Beirat berechnete implizite Steueranteil in den Beitragszahlungen lässt sich ermitteln, indem bei gegebener Beitragszahlung die Differenz aus dem Barwert des Erwartungswertes einer Rentenzahlung aus einem privaten Altersvorsorgesystem und dem Barwert der Rentenzahlung aus dem Umlagesystem gebildet und durch die gesamte Beitragszahlung geteilt wird. Er beträgt € t  1 #wÈ1 þ mê bAE t wp #€È1 þ mê È1 þ rê ã 1  pt  1 AE und entwickelt sich, wie ein mithin AE bt w bt È1 þ rê Vergleich mit (2.20) bzw. (2.24) zeigt, qualitativ nach den gleichen Gesetzmäßigkeiten wie der implizite Einkommensteuersatz: Er nimmt mit zunehmender Lebenserwartung ab und mit zunehmendem Beitragssatz zu. Ohne Existenz einer Beitragsbemessungsgrenze in der GRV könnte durch Multiplikation des Steueranteils in den Beitragszahlungen mit dem Beitragssatz der implizite Einkommensteuersatz errech  € € t  1 #È1 þ mê AE t  1 #È1 þ mê  bAE ist. Die ã ISAE net werden, da 1  p t ã bt  p t AE bt È1 þ rê È1 þ rê Beitragsbemessungsgrenze verhindert diese einfache Transformation jedoch, da der Beitragssatz nicht den tatsächlich im Durchschnitt abzuführenden Teil des Einkommens der Versicherten wiedergibt.

2. Funktionsweise und Situation der Alterssicherung in Deutschland 50,00% 45,00% 40,00% 35,00% 30,00% 25,00% 20,00% 15,00% 10,00% 5,00% 0,00%

25,0%

15,0% 10,0%

Beitragssatz

20,0%

5,0%

1991

1989

1987

1985

1983

1981

1979

1977

1975

1973

1971

1969

1967

1965

1963

1961

1959

0,0%

1957

Impliziter Steueranteil

68

Eintrittsjahr in die GRV Impliziter Steueranteil

Beitragsssatz

Quellen: VDR (2005b, S. 9); Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft (1998, S. 23).

Abbildung 2.8: Impliziter Steueranteil in den Beitragszahlungen zur Gesetzlichen Rentenversicherung nach Eintrittsjahr eines durchschnittlichen Versicherten und Beitragssatz zur Gesetzlichen Rentenversicherung in den Jahren 1957 bis 1991

noch einmal die Entwicklung des Beitragssatzes zur Gesetzlichen Rentenversicherung dargestellt. Erkennbar ist der implizite Steueranteil in den Beitragszahlungen eines 1957 in die Erwerbstätigkeitsphase eingetretenen Versicherten der Gesetzlichen Rentenversicherung mit ca. 35% noch relativ niedrig, da dieser in den ersten Jahren seines Erwerbslebens nur einen relativ geringen Beitragssatz zur Akkumulation seiner Rentenanwartschaft bezahlen musste. Für Versicherte späterer Jahrgänge nimmt der „Preis“ einer Rentenanwartschaft und somit der implizite Steueranteil in den Beitragszahlungen zu, da über einen längeren Zeitraum der Erwerbstätigkeitsphase ein höherer Beitragssatz gezahlt werden muss, um einen unveränderten relativen Rentenanspruch zu erwerben. Die Konsolidierung des Beitragssatzes ab Mitte der 1970er Jahre führte schließlich dazu, dass sich auch die implizite Besteuerung der Beitragszahlungen auf höherem Niveau (ca. 45%) stabilisierte. Das leichte Abfallen der impliziten Besteuerung für die Versicherten der ab Mitte der 1970er bis Mitte der 1980er Jahre in die Erwerbstätigkeitsphase eingetretenen Jahrgänge ist darauf zurückzuführen, dass diese über ihr Erwerbsleben – bei Fortführung einer ausgabenorientierten Einnahmepolitik – in etwa den gleichen durchschnittlichen Beitragssatz hätten zahlen müssen wie die Mit-

2.3 Die umlagefinanzierte Alterssicherung im Paradigmenwechsel

69

glieder der ihnen unmittelbar vorhergehenden Jahrgänge, sie aber zugleich von einer längeren durchschnittlichen Lebenserwartung und einem früheren durchschnittlichen Renteneintritt profitiert hätten. Im Ergebnis zeigt sich somit die für Umlagesysteme der Variante AE typische intergenerationale Lastenverschiebung über den Beitragssatz. Die – wie oben gezeigt wurde – vor allem durch die geringen Geburtenraten der Kriegs- und ersten Nachkriegsjahre notwendig gewordenen Beitragssatzerhöhungen zu Beginn der 1970er Jahre gingen zu Lasten der schwächer besetzten Jahrgänge. Jene Geburtsjahrgänge hingegen, auf deren Fertilitätsverhalten die Beitragssatzerhöhungen zurückgingen, wurden an der Lastentragung nicht beteiligt. 2.3.2 Die Zeit von 1992 bis 2004 Im Jahr 1987 veröffentlichte das Prognos-Institut ein im Auftrag der damaligen Bundesregierung erstelltes Gutachten, das sich mit der zukünftigen Finanzsituation der Gesetzlichen Rentenversicherung befasste40. Grund für den Auftrag zur Erstellung dieses Gutachtens bzw. für die dahinter stehende Sorge um die zukünftige Finanzierbarkeit der Gesetzlichen Rentenversicherung waren im Wesentlichen drei Aspekte: Zum einen hatte die – oben beschriebene – Entwicklung der Äquivalenzbeitragszahler in den späten 60er und frühen 70er Jahren gezeigt, welch starken Einfluss Einbrüche bei den Geburtenzahlen auf die Finanzierung der Gesetzlichen Rentenversicherung und damit – nach dem damals vorherrschenden Paradigma der GRV – auf die Höhe der Beitragssätze ausüben können. Trotz des Einbezugs der besserverdienenden Angestellten in die GRV und der hohen Nettozuwanderung zu Beginn der 1970er Jahre war der Beitragssatz in Folge des Eintritts geburtenschwacher Jahrgänge in die Erwerbstätigkeitsphase zwischen 1967 und 1974 um vier Prozentpunkte gestiegen. Erst der Eintritt der „BabyBoom-Generation“ in die Erwerbstätigkeitsphase ab Mitte der 1970er Jahre konnte den Äquivalenzrentnerquotienten und damit den Beitragssatz stabilisieren. Die seit Ende der 1960er Jahre massiv zurückgehenden und sich dann auf einem bis dahin unbekannt niedrigen Niveau stabilisierenden Geburtenziffern ließen jedoch für die Zukunft ein noch stärkeres und vor allen Dingen langfristigeres Absinken der Zahl der Äquivalenzbeitragszahler erwarten, als es in den frühen 1970er Jahren zu beobachten war. Zum zweiten war abzusehen, dass die durchschnittliche Lebenserwartung und damit auch die durchschnittliche Rentenbezugsdauer weiter zunehmen werden. Erkennbar war zusätzlich, dass die Zahl der Äquivalenzrentner sprunghaft ansteigen wird, wenn die geburtenstarke „Baby-Boom-Generation“, die ab Mitte der 1970er Jahre noch für eine Entlastung der Finanzierungssituation der 40

Vgl. Prognos (1987).

2. Funktionsweise und Situation der Alterssicherung in Deutschland 70,0% 60,0% 50,0% 40,0% 30,0% 20,0% 10,0%

Beitragssatz

2029

2025

2021

2017

2013

2009

2005

2001

1997

1993

1989

1985

1981

1977

1973

1969

1965

1961

0,0% 1957

Beitragssatz und Bruttorentenniveau

70

Bruttorentenniveau

Anmerkung: Bis 1990 historische Werte, ab 1991 gemäß Prognos (1987). Quellen: VDR (2005b, S. 9); Prognos (1987).

Abbildung 2.9: Beitragssatz und Bruttorentenniveau der Gesetzlichen Rentenversicherung 1957 bis 2030

GRV gesorgt hatte, selbst in die Ruhestandsphase eintritt. Zum dritten hatte die Rentenanpassung gemäß der Bruttoformel (2.23) den unerwünschten Effekt, dass steigende Beitragssätze das Nettoeinkommen der Erwerbstätigen, nicht aber die Höhe einer Nettorente verringerten. Die infolge der demografischen Entwicklung erwartete Zunahme der Beitragssätze musste daher im Zeitablauf dazu führen, dass sich die Nettoposition der Erwerbstätigen gegenüber den Rentnern ständig verschlechtert41. In Abbildung 2.9 sind die Entwicklung des Beitragssatzes, wie ihn das Prognos-Gutachten 1987 bei Fortführung des bis 1992 geltenden Rentenrechts bis 2030 erwartete42, sowie das damit einhergehende Bruttorentenniveau wiedergegeben43. Bis 1990 sind dabei die historischen Beitragssätze 41 Während das Bruttorentenniveau – entsprechend dem Sicherungsziel der Gesetzlichen Rentenversicherung – zwischen 1957 und 1991 ungefähr konstant geblieben war (vgl. Abbildung 2.1 auf Seite 57), nahm das Nettorentenniveau in Folge des Anstiegs des Beitragssatzes in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren von 60,7% (1966) auf bis 73,2% (1977) zu (vgl. VDR (2005a, S. 234)). 42 In Prognos (1987) wurden mehrere Varianten zur Beitragssatzentwicklung berechnet, die von mehr bzw. weniger optimistischen Annahmen bzgl. der Entwicklung verschiedener Einflussvariablen auf den Beitragssatz ausgingen. Die wiedergegebene Beitragssatzentwicklung ist das Ergebnis einer „mittleren“ Variante. 43 Im Prognos-Gutachten wurde die Entwicklung des Bruttorentenniveaus nicht explizit vorausberechnet, da dessen Konstanthaltung ja gerade das Ziel der Gesetz-

2.3 Die umlagefinanzierte Alterssicherung im Paradigmenwechsel

71

bzw. die historischen Bruttorentenniveauwerte, ab 1991 erwartete Beitragssätze bzw. erwartete Bruttorentenniveauwerte angegeben. Dieser Berechnung nach hätte sich – bei Anwendung des bis 1992 geltenden Rentenrechts – der Beitragssatz zur Gesetzlichen Rentenversicherung von 18,7% im Jahr 1990 auf 41,7% im Jahr 2030 mehr als verdoppelt. Als Reaktion auf die im Prognos-Gutachten aufgeführten Ergebnisse wurden mit der 1989 verabschiedeten und drei Jahre später umgesetzten Rentenreform 1992 das Sicherungsziel der Gesetzlichen Rentenversicherung und damit einhergehend die Rentenanpassungsformel verändert. Dabei wurde am grundlegenden Ziel der Sicherung eines bestimmten Rentenniveaus bzw. am Paradigma einer ausgabenorientierten Einnahmepolitik festgehalten, gleichzeitig jedoch das Sicherungsniveau neu definiert. Im Zeitablauf sollte nun die Rentenhöhe eines Standardrentners44 70% des Nettoeinkommens eines Erwerbstätigen entsprechen. Um dies zu gewährleisten, wurden die Renten nun gemäß der Entwicklung der durchschnittlichen Nettoeinkommen der Erwerbstätigen, jeweils korrigiert um die zwischenzeitliche Entwicklung der Nettorenten der Ruheständler, angepasst (sog. „Nettoanpassung“). Die neue Rentenanpassungsformel lautete demgemäß: È2:25ê

ARWj ã ARWj  1 

BEj  1 NQEj  1 NQRj  2   BEj  2 NQEj  2 NQRj  1

Die zuvor verwendete Rentenanpassungsformel (Gleichung (2.23)) wurde NQEj  1 also um zwei Faktoren ergänzt: gibt die Veränderung der NettoNQEj  2 quote der Erwerbstätigen zwischen dem Vorjahr und dem Vorvorjahr der Rentenanpassung an. Die Rentenanpassungen fielen somit umso niedriger aus, je stärker die Nettoquote der Erwerbstätigen durch Erhöhungen der Beitragssätze zu den verschiedenen Sozialversicherungssystemen bzw. des durchschnittlichen Einkommensteuersatzes abnahm. Sie fielen auf der anderen Seite höher aus, wenn die Nettoquote der Rentner zu- bzw. der Quotient NQRj  2 abnahm. NQRj  1 Die grundlegende Idee hinter dieser neuen Rentenanpassungsformel bestand darin, Rentner zukünftig an den Folgen der Bevölkerungsalterung zu beteiligen, indem notwendige Beitragsatzsteigerungen zugleich auch eine Dämpfung der Rentenanpassung nach sich ziehen sollten. Unsystematischerweise wurden jedoch auch die Veränderungen anderer – von Erwerbslichen Rentenversicherung war. In Abbildung 2.9 wurde daher das Bruttorentenniveau auf seinem Stand von 1990 eingefroren. 44 Zur Definition vgl. die Fn. 17 und 32.

72

2. Funktionsweise und Situation der Alterssicherung in Deutschland

tätigen und Rentnern zu leistenden – Abgaben an das Sozialversicherungsbzw. an das Steuersystem in die Rentenanpassungsformel einbezogen45. Um die grundsätzliche Idee hinter der Nettoanpassung übersichtlich darstellen zu können und ihre Folgen anhand des in 2.2 entwickelten Modells zu evaluieren, sei von dieser Verkomplizierung jedoch zunächst abstrahiert bzw. unterstellt, dass allein die Entwicklung des Beitragssatzes zur Rentenversicherung bei der Rentenanpassung berücksichtigt wird. In den aufeinander folgenden Perioden t und t þ 1 betragen die durchschnittliche €NA Rentenzahlbeträge dann bei Nettoanpassung pNA t ã # wÈ1  bt ê bzw. NA NA NA € € pt þ 1 ã # wÈ1 þ mêÈ1  bt þ 1 ê. # gibt dabei das Sicherungsniveau bei Nettoanpassung an, das sich aufgrund des unterschiedlichen Bemessungsmaßstabs vom Sicherungsniveau #€ bei Bruttoanpassung unterscheidet. Mit NA lässt sich die Rentenanpassung zwischen den Perioden t und pNA t þ 1 und pt t þ 1 berechnen: È2:26ê

NA pNA t þ 1 ã pt  È1 þ mê 

È1  bt þ 1 ê È1  bt ê

(2.26) ist dann mit (2.25) identisch, wenn man von Veränderungen der durchschnittlichen Besteuerung und der Beitragssätze zu neben der Rentenversicherung existierenden Sozialversicherungssystemen abstrahiert bzw. von konstanten Nettoquoten ausgeht. (2.26) zeigt, dass eine Erhöhung des Beitragssatzes zwischen t und t þ 1 bei Verwendung der Nettoformel eine Dämpfung der Rentenanpassung nach sich zieht. Damit wird – obwohl grundsätzlich am Paradigma einer ausgabenorientierten Einnahmepolitik festgehalten wird – ein Element der Systemvariante EA in das Umlagesystem eingeführt. Dies lässt sich anhand der Bestimmungsgleichung des impliziten Einkommensteuersatzes eines Beitragszahlers verdeutlichen. Zur Illustration sei dabei ein Beitragszahler der Periode t betrachtet und angenommen, der von ihm zu zahlende Beitragssatz bt sei gegeben. Wie in Abschnitt 2.2.2 gezeigt wurde, beträgt unter Verwendung dieses Beitragssatzes der Barwert einer erwarteten Rentenzahlung aus einer privaten Altersvorsorge gerade bt w. Der Barwert der erwarteten Rentenzahlung aus dem umlagefinanzierten Alterssicherungssystem beträgt bei Nettoanpassung €NA wÈ1 þ mêÈ1  bt þ 1 ê . Als impliziter Steuersatz auf das LebenspNA tþ1 ã # È1 þ rê einkommen des betrachteten Beitragszahlers ergibt sich mithin: È2:27ê

ISNA ã bt  pt  1 t

#€È1 þ mêÈ1  bt þ 1 ê È1 þ rê

45 Vgl. zur Kritik an der fehlenden Systematik der Nettoanpassung z. B. Schmähl (1998, S. 719 f.).

2.3 Die umlagefinanzierte Alterssicherung im Paradigmenwechsel

73

Der Beitragssatz zum Rentensystem beträgt bei Nettoanpassung in t þ 146: È2:28ê

bt þ 1 ã

#€et  1 pt  1 et È1 þ nt  1 ê þ #€et  1 pt  1

Setzt man (2.28) in (2.27) ein, dann lässt sich die Bestimmungsgleichung des impliziten Einkommenssteuersatzes der Periode t umformulieren zu: 2

È2:29ê

ISNA t

 3 #€NA et  1 pt  1 NA € 6 # È1 þ mê 1  et È1 þ nt  1 ê þ #€NA et  1 pt  1 7 6 7 7 ã bt  pt  1 6 4 5 È1 þ rê

Abstrahiert man von einer bestimmten Betrachtungsperiode, so gilt für den repräsentativen Versicherten einer Generation i: 2

È2:30ê

ISNA; i

 3 #€NA ei pi NA € È1 þ mê 1  # 6 ei þ 1 È1 þ ni ê þ #€NA ei pi 7 6 7 7 ã bi  pi 6 4 5 È1 þ rê

Vergleicht man Gleichung (2.30) mit der Bestimmungsgleichung (2.22) des impliziten Steuersatzes bei Bruttoanpassung, so fallen die beiden wesentlichen Unterschiede zwischen einer reinen ausgabenorientierten Einnahmepolitik und der Nettoanpassung ins Auge. Erstens ist der vom repräsentativen Versicherten einer Generation i zu entrichtende implizite Steuersatz in der Reinform der Systemvariante AE unabhängig von der durchschnittlichen Fertilität seiner Generation. Dies ist bei Nettoanpassung nicht mehr der dISNA; i < 0 ist. Wie in Systemvariante EA nimmt bei NettoFall, da dÈ1 þ ni ê anpassung der implizite Steuersatz auf das Einkommen des repräsentativen Versicherten einer Generation i zu, je geringer die Geburtenrate seiner Generation ist. Im Unterschied zu Systemvariante EA bleibt es jedoch auch bei Nettoanpassung dabei, dass eine geringe durchschnittliche Geburtenzahl der Mitglieder einer Generation i die implizite Besteuerung der Versicherten der ihr nachfolgenden Generation erhöht, denn der dämpfende Effekt auf den Rentenzahlbetrag eines Rentners der Generation i tritt ja gerade nur dann ein, wenn die Versicherten der nachfolgenden Generation einen höheren Beitragssatz zahlen müssen. Es kommt somit – wie beabsichtigt – zu 46

Vgl. zur Ermittlung des Beitragssatzes die Vorgehensweise in Abschnitt 2.2.3.

74

2. Funktionsweise und Situation der Alterssicherung in Deutschland

einer ökonomischen Lastenverteilung zwischen den Generationen. Der zweite Unterschied zwischen Nettoanpassung und der Reinform der Systemvariante AE besteht darin, dass sich eine Erhöhung der durchschnittlichen Lebenserwartung der Mitglieder einer Generation i bei der Nettoanpassung weniger stark senkend auf den von ihnen zu entrichtenden impliziten Steuersatz auswirkt. Zwar nimmt auch bei Nettoanpassung der Erwartungswert einer Altersrente bei einer zunehmenden Erlebenswahrscheinlichkeit der Ruhestandsphase zu. Diese Erhöhung fällt aber geringer aus, da der bei einer zunehmenden Lebenserwartung notwendigerweise ebenfalls zunehmende Beitragssatz eine Dämpfung der Rentenanpassung nach sich zieht. Wie bei der Fertilitätsentwicklung gilt aber auch hier, dass im Gegensatz zu einer reinen einnahmeorientierten Ausgabenpolitik eine zunehmende durchschnittliche Lebenserwartung der Mitglieder einer Generation i immer noch eine höhere implizite Besteuerung der Versicherten der Nachfolgegeneration nach sich zieht, da die Höhe einer Altersrente nur dann abnimmt, wenn zunächst der Beitragssatz zugenommen hat. Der im Rahmen der Rentenreform 1992 vollzogene Wechsel von der Brutto- zur Nettoanpassung führte dazu, dass die Prognosen zur Beitragssatzentwicklung in der GRV nun wesentlich günstiger ausfielen als noch einige Jahre zuvor. In einem Gutachten des Prognos-Instituts aus dem Jahr 1995 wurde „nur noch“ mit einer Zunahme des Beitragssatzes auf 28% bis zum Jahr 2040 gerechnet47. Aus verschiedenen Gründen wurde jedoch bereits nach kurzer Zeit über eine erneute Änderung der Rentenanpassungsformel nachgedacht. Der erste Grund war eher technischer Natur: Denn es erwies es sich schon bald als problematisch, dass neben der Veränderung des Rentenbeitragssatzes auch Veränderungen der Beitragssätze zu anderen Sozialversicherungen sowie der durchschnittlichen Steuerbelastung in die Rentenanpassungsformel aufgenommen worden waren. Bei Steuersenkungen zugunsten der Erwerbstätigen auf der einen und Abgabenerhöhungen zuungunsten der Rentner48 auf der anderen Seite konnte es dazu kommen, dass Rentenanpassungen nach der Nettoformel höher ausfielen als nach der alten 47 Vgl. Prognos (1995). Der im Vergleich zu Prognos (1987) enorme Unterschied in der prognostizierten Beitragssatzentwicklung ging dabei allerdings nicht allein auf den Wechsel von der Brutto- zur Nettoanpassung zurück. Bestandteil der Rentenreform 1992 waren zudem eine Neuregelung des Bundeszuschusses, der deutlich erhöht wurde (vgl. zu den Auswirkungen dieser Maßnahme weiter unten die Ausführungen zum „virtuellen“ Beitragssatz zur GRV), sowie die Einführung von Rentenabschlägen bei vorzeitiger Inanspruchnahme einer Rente, wodurch die Zunahme der Zahl der Äquivalenzrentner gedämpft wurde. 48 Zu nennen sind hier z. B. Erhöhungen des von den Rentnern seit 1987 hälftig selbst zu tragenden Beitragssatzes zur Krankenversicherung der Rentner und die Einführung der Pflegeversicherung, deren Beitragssatz (zunächst) ebenfalls hälftig von den Rentnern getragen werden musste.

21,0%

49,80% 49,60% 49,40% 49,20% 49,00% 48,80% 48,60% 48,40% 48,20% 48,00% 47,80%

Beitragssatz

20,0% 19,0% 18,0% 17,0% 16,0% 1992

1993

1994

Beitragssatz zur GRV

1995

1996

1997

75

Bruttorentenniveau

2.3 Die umlagefinanzierte Alterssicherung im Paradigmenwechsel

1998

Bruttorentenniveau der GRV

Quellen: VDR (2005b, S. 9); VDR (2005a, S. 234).

Abbildung 2.10: Beitragssatz und Bruttorentenniveau der Gesetzlichen Rentenversicherung 1992 bis 1999

Bruttoanpassung49. Tatsächlich war dies in den Jahren 1994 und 1997 auch der Fall50. Trotz Nettoanpassung blieb auf diese Weise in den 1990er Jahren das Bruttorentenniveau konstant, während der Beitragssatz weiter zunahm. Die Abbildung 2.10 gibt diese Entwicklung wieder. Zum anderen kam es in den 1990er Jahren – eng verbunden mit dem spätestens seit dem Zusammenbruch des Warschauer Paktes ins Zentrum der (wirtschafts-)politischen Betrachtung rückenden Phänomens der „Globalisierung“ – zu „einer neuen Situationsdeutung, die Sozialversicherungen als Problem für die Wettbewerbsfähigkeit und das Beschäftigungswachstum in den Mittelpunkt rückte und die Konsequenzen der demografischen Alterung dramatischer als zuvor wahrnahm.“ 51 War ein langfristiger Anstieg des Beitragssatzes zur Gesetzlichen Rentenversicherung auf 28% bei der Rentenreform 1992 noch als akzeptabel angesehen worden, so kam es im Verlauf der 1990er Jahre zu einem Kurswechsel in der Rentenpolitik, in dessen Verlauf das mit einer ausgabenorientierten Einnahmepolitik verbundene Ziel der Sicherung eines bestimmten Rentenniveaus schrittweise durch das mit einer einnahmeorientierten Ausgabenpolitik verbundene Ziel einer Beitragssatzstabilisierung abgelöst wurde. 49 50 51

So kritisch z. B. Bomsdorf (1999, S. 407). Vgl. Steffen (2002, S. 26 und S. 29). Hinrichs (2002, S. 10).

76

2. Funktionsweise und Situation der Alterssicherung in Deutschland

Für die Zeit ab 1999 wurde dabei im Rahmen der Rentenreform 1999 zunächst eine Veränderung der Rentenanpassungsformel vorgesehen, die trotz des grundsätzlichen Kurswechsels der Rentenpolitik noch weitgehend von der Zielsetzung einer Niveausicherung geprägt war. Zur Konsolidierung der (zukünftigen) Rentenfinanzen war vorgesehen, einen sog. „demografischen Faktor“ in die Rentenanpassungsformel aufzunehmen. Dessen Anwendung sollte dazu führen, dass die Rentenanpassungen gedämpft werden, wenn die durchschnittliche fernere Lebenserwartung der 65-Jährigen zunimmt52. Das Netto-Standardentenniveau sollte dadurch im Zeitablauf von 70% auf 64%, nicht aber weiter abgesenkt werden. Nach einem PrognosGutachten aus dem Jahr 1998 hätte dies zur Folge gehabt, dass der Beitragssatz bis zum Jahr 2040 nur noch auf 24,5% angestiegen wäre53. Obwohl diese Entschärfung der erwarteten Beitragssatzentwicklung der ausdrückliche Zweck der Rentenreform 1999 war, wurde in ihrem Rahmen jedoch kein Beitragssatzziel, sondern nur ein – im Vergleich zur Nettoanpassung reduziertes – Rentenniveauziel gesetzt. Es blieb im Prinzip also weiterhin bei einer ausgabenorientierten Einnahmepolitik, der Rentenanpassungsformel sollte mit dem demografischen Faktor aber ein weiteres Element der Systemvariante EA hinzugefügt werden. Sie hätte unter Einbezug des demografischen Faktors ab 1999 folgendermaßen ausgesehen: È2:31ê

ARWj ã ARWj  1 

BEj  1 NQEj  1 NQRj  2    BEj  2 NQEj  2 NQRj  1



  Lebj  9  1 =2 þ 1 Lebj  8

Der in der eckigen Klammer von (2.31) aufgeführte demografische Faktor sollte demnach die bis dahin geltende Rentenanpassungsformel multiplikativ ergänzen, so dass die neue Rentenanpassungsformel weiterhin alle Elemente der zuvor verwendeten Nettoformel enthalten hätte. Lebj  9 bzw. Lebj  8 beschreiben dabei die fernere Lebenserwartung eines 65-Jährigen im neunten bzw. achten Jahr vor der Rentenanpassung54. Veränderungen der 52 Es ist an verschiedener Stelle angemerkt worden, dass die Bezeichnung „demografischer Faktor“ missverständlich ist, da die demografische Entwicklung nicht nur von der Lebenserwartung, sondern auch vom Fertilitätsverhalten und von Wanderungsbewegungen abhängt, vgl. z. B. Börsch-Supan/Reil-Held/Wilke (2003, S. 12) und Bomsdorf (1999, S. 406). Die gewählte Bezeichnung sollte aber wohl lediglich zum Ausdruck bringen, dass mit dem demografischen Faktor zum ersten Mal überhaupt explizit ein Element der demografischen Entwicklung in die Rentenanpassungsformel aufgenommen werden sollte. 53 Vgl. Prognos (1998). 54 Der Hintergrund dieser „schwer begründbaren“ (Krupp (1999, S. 525)) Verzögerung in der Berücksichtigung von Veränderungen der Lebenserwartung in der Rentenanpassungsformel war, dass sich zur gleichen Zeit jeweils ca. 16 Geburtsjahrgänge im Rentenbestand der GRV befinden. Mithin sollte bei der Rentenanpassung

2.3 Die umlagefinanzierte Alterssicherung im Paradigmenwechsel

77

Lebenserwartung sollten dabei – wie in der eckigen Klammer von (2.31) zu erkennen ist – jeweils nur zur Hälfte berücksichtigt werden. Die dahinter stehende Überlegung war, dass Anpassungslasten an eine höhere Lebenserwartung zur Hälfte von der jeweils aktuellen Rentnergeneration durch eine Senkung des Rentenniveaus und zur Hälfte von der jeweils aktuellen Erwerbstätigengeneration durch Beitragssatzerhöhungen getragen werden sollten. Die Aufteilung wäre im Ergebnis jedoch nicht hälftig gewesen, da – wie oben gezeigt wurde – Veränderungen der Lebenserwartung bereits durch den Einbezug von Beitragssatzveränderungen in die Nettoformel berücksichtigt wurden. Die Einführung des demografischen Faktors hätte dazu geführt, dass im Umlagesystem Veränderungen der durchschnittlichen Lebenserwartung die Anwendung eines ähnlichen „Korrekturfaktors“ der Rentenzahlbeträge nach sich gezogen hätten, wie er in der privaten Altersvorsorge existiert. Es wäre somit – und das war auch beabsichtigt – ein Mechanismus in die Rentenkalkulation der Gesetzlichen Rentenversicherung aufgenommen worden, der sich an das versicherungstechnische Äquivalenzprinzip der Privatversicherung anlehnt: Eine höhere Lebenserwartung bzw. eine höhere Erlebenswahrscheinlichkeit der Rentenzahlungen hätte zu geringeren Rentenzahlbeträgen geführt. Wie sich dies genau ausgewirkt hätte, kann anhand des in Abschnitt 2.2 entwickelten Modells gezeigt werden. Zur besseren Darstellbarkeit sei dabei angenommen, dass Veränderungen des demografischen Faktors vollständig und nicht nur – wie bei der Rentenreform 1999 vorgesehen – zur Hälfte Einfluss auf die Rentenanpassungen nehmen. Der Rentenzahlbetrag einer Periode t hätte sich dann, unter Berücksichtigung des unter dem Regime des demografischen Faktors abgesenkten Ziel-Sicherungsniveaus #€DF , gemäß der Formel wÈ1  bt ê pDF ã #€DF , der Rentenzahlbetrag einer Periode t þ 1 gemäß der t pt  2 €DF wÈ1 þ mêÈ1  bt þ 1 ê ergeben. Die Rentenanpassung Formel pDF tþ1 ã # pt  1 zwischen zwei Perioden t und t þ 1 hätte somit È2:32ê

DF pDF  È1 þ mê  t þ 1 ã pt

È1  bt ê pt  2  t1 È1  bt þ 1 ê p

betragen. Die Rentenanpassungsformel (2.32) erzielt dabei den gleichen Effekt wie die tatsächlich vorgesehene Formel (2.31): Bei einer Erhöhung der Lebenserwartung fällt die Rentenanpassung in t þ 1 geringer aus. Interessant ist, welchen Effekt dies auf den implizit von einem repräsentativen Versicherten einer Generation i zu entrichtenden Einkommensteuersatz gedie Veränderung der ferneren Lebenserwartung eines sich in der Mitte des Rentenbestandes befindenden Rentnerjahrgangs berücksichtigt werden.

78

2. Funktionsweise und Situation der Alterssicherung in Deutschland

habt hätte. Um dies festzustellen, sei zunächst erneut der implizite Steuersatz zu einem Zeitpunkt t abgeleitet. Angenommen sei dabei wiederum, dass bt gegeben ist. Der implizite Steuersatz hätte dann, ermittelt nach der in Abschnitt 2.2 erläuterten Vorgehensweise, È2:33ê

ISDF ã bt  pt  1 t

#€DF È1 þ mêÈ1  bt þ 1 ê È1 þ rêpt1

betragen. Der Beitragssatz der Periode t þ 1 hätte sich gemäß bt þ 1 ã

#€DF et  1 pt  1 pt  1 et È1 þ nt  1 ê þ #€et  1 pt  1

bzw. È2:34ê

bt þ 1 ã

et È1

#€DF et  1 þ nt  1 ê þ #€DF et  1

ergeben. Setzt man (2.34) in (2.33) ein, erhält man den impliziten Einkommensteuersatz der Periode t:  #€DF È1 þ mê 1  È2:35ê

ISDF ã bt  t

 #€DF et  1 et È1 þ nt  1 ê þ #€DF et  1 È1 þ rê

Das Lebenseinkommen des repräsentativen Versicherten einer Generation i wäre demnach mit einem impliziter Einkommensteuersatz in Höhe von  #€DF È1 þ mê 1  È2:36ê

ISDF; i ã bi 

 #€DF ei ei þ 1 È1 þ ni ê þ #€DF ei È1 þ rê

belastet worden. Die Abwesenheit von pi in (2.36) zeigt, dass die durchschnittliche Lebenserwartung der Mitglieder einer Generation i dann keine Rolle mehr bei der Bestimmung des impliziten Einkommenssteuersatzes gespielt hätte: Durch Anwendung der Anpassungsformel (2.32) wäre die Rentenanpassung bei einer Zunahme der Lebenserwartung gerade so weit geringer ausgefallen, dass die c.p. durch die höhere Lebenserwartung induzierte Erhöhung des Erwartungswertes einer Rente vollständig kompensiert worden wäre – gerade so, wie dies für die private Altersvorsorge angenommen wurde. Abgesehen von Veränderungen der Erwerbsquote hätte bei gegebenem Beitragssatz bi nur noch das Fertilitätsverhalten Einfluss auf die impli-

2.3 Die umlagefinanzierte Alterssicherung im Paradigmenwechsel

79

zite Besteuerung der Versicherten einer Generation i gehabt. Die neben dem demografischen Faktor weiterhin verwendete Nettoformel hätte dabei zur Folge gehabt, dass eine sinkende Geburtenzahl die implizite Besteuerung sowohl der Versicherten der Generation i als auch der Versicherten der ihr nachfolgenden Generation erhöht hätte. Bei einer nur hälftigen Berücksichtigung von Veränderungen der Lebenserwartung hätten sich die beschriebenen Effekte in entsprechend geringerem Ausmaß eingestellt und es wäre in Bezug auf die Berücksichtigung der Lebenserwartung nur zu einer Annäherung und nicht zu einer Angleichung an die Vorgehensweise in der Privatversicherung gekommen. Die Einführung des demografischen Faktors hätte aber dennoch ein größerer Schritt hin zu einer einnahmeorientierten Ausgabenpolitik sein können. Grundsätzlich wäre das Umlagesystem zwar weiterhin dem Paradigma einer ausgabenorientierten Einnahmepolitik gefolgt, Sicherungsziel wäre aber tendenziell nicht mehr der in einem bestimmten Verhältnis zum Nettoeinkommen stehende Absolutwert, sondern der Erwartungswert einer Rente gewesen. Der demografische Faktor wurde aufgrund eines Regierungswechsels im Jahr 1998 niemals bei einer Rentenanpassung verwendet. Stattdessen wurde, nach einer diskretionären Rentenanpassung im Jahr 2000, ab 2001 erneut ein Wechsel zu einer veränderten Rentenanpassungsformel vollzogen, der nun erstmals auch von einem explizit formulierten Paradigmenwechsel der Rentenpolitik begleitet wurde. Erstmals trat neben das Niveausicherungsziel der Renten eine zwingend einzuhaltende Obergrenze des Beitragssatzes. Dieser sollte, ausgehend vom Wert 19,1% im Jahr 2001, bis 2020 nicht über 20% und bis 2030 nicht über 22% ansteigen. Der Beitragssatz wurde somit selbst zur Zielgröße und verlor nun auch ganz offiziell den Charakter einer unabhängigen Variablen, die sich aus den ökonomischen und demografischen Gegebenheiten und dem festgelegten Sicherungsniveau der Renten ableitet. Das zuvor dominierende Sicherungsziel der Renten wurde hingegen zu einem Nebenziel: Die Bundesregierung wurde lediglich dazu verpflichtet, Gegenmaßnahmen vorzuschlagen, sollte das Netto-Standardrentenniveau unter 67% (2020) bzw. 64% (2030) sinken55. Bei zugleich ein55 Wobei zugleich eine Neudefinition des Netto-Standardrentenniveaus zu seiner seither gültigen Fassung vorgenommen wurde: Von den durchschnittlichen Nettoentgelten der Erwerbstätigen im Nenner des Standardrentenniveaus wird seitdem zusätzlich zu den Steuern und Sozialabgaben ein fiktiver Betrag abgezogen, der die durchschnittlichen Ausgaben für staatlich geförderte private Altersvorsorgeprodukte im Rahmen der sog. „Riester-Rente“ angeben soll. Vgl. zu diesem sog. „Altersvorsorgeanteil“ die Ausführungen weiter unten. Durch die Verringerung des Nenners ist das Netto-Standardrentenniveau nach der neuen stets höher als nach der alten Definition. In seiner alten Definition wird es vermutlich bereits bis 2020 unter den für 2030 angegebenen Minimalwert von 64% absinken, wie z. B. die Berechnungen von Börsch-Supan/Wilke (2003, S. 27) zeigen.

80

2. Funktionsweise und Situation der Alterssicherung in Deutschland

zuhaltendem Beitragssatzziel konnten solche Gegenmaßnahmen dabei aber im Grunde nur darin bestehen, der Rentenversicherung aus externen Quellen Finanzierungsmittel zuzuführen oder das Sicherungsziel weiter nach unten zu korrigieren. Damit hatte sich aber der Paradigmenwechsel der Gesetzlichen Rentenversicherung soweit vollzogen, dass man von einem Übergang zu einem Umlagesystem der Variante EA sprechen kann56. Zwar wurde der Beitragssatz nicht für alle Zeiten auf einer bestimmten Höhe fixiert, so wie dies für die Reinform dieser Systemvariante im stilisierten Modell angenommen wurde, jedoch kann man auch dann von Beitragssatzfixierung bzw. einem Umlagesystem der Variante EA sprechen, wenn sich der Beitragssatz im Zeitablauf nur noch exogen, d.h. durch politische Vorgaben verändert57, so wie dies im Zuge der Rentenreform 2001 beschlossen wurde. Doch obwohl sich für das Jahr 2001 eindeutig ein Paradigmenwechsel der GRV zu einer einnahmeorientierten Ausgabenpolitik nachweisen lässt, sollte die Einhaltung der fixierten Beitragssatzziele nicht – wie es ja durchaus möglich gewesen wäre – durch die schlichte Festsetzung des Beitragssatzes oder alternativ durch die explizite Berücksichtigung des Äquivalenzrentnerquotienten in der Rentenanpassungsformel gewährleistet werden. Stattdessen wurde ein für umlagefinanzierte Alterssicherungssysteme völlig systemfremdes Element in die Rentenanpassungsformel aufgenommen. Diese lautete ab 2001: È2:37ê

ARWj ã ARWj  1 

BEj  1 100  AVAj  1  RVBj  1  BEj  2 100  AVAj  2  RVBj  2

Die grundsätzlich der Entwicklung der Bruttoeinkommen folgenden Rentenanpassungen werden nun durch zwei Faktoren – sofern diese im Zeitablauf zunehmen – gedämpft58. Die Variable RVB bezeichnet dabei den Rentenversicherungsbeitragssatz eines Jahres. Im Unterschied zur Nettoanpassung, bei der die Entwicklung aller Steuern und Sozialversicherungsbeitragssätze berücksichtigt wurde, spielt nun nur noch die Veränderung des Beitragssatzes zur Rentenversicherung eine Rolle, so wie dies bei der Untersuchung der Nettoanpassung im stilisierten Modell weiter oben bereits angenommen wurde. Die Variable AVA gibt den sog. „Altersvorsorgeanteil“ an. Das ist der Prozentsatz vom Nettoeinkommen eines Beitragszahlers, der maximal im Rahmen der staatlich geförderten kapitalgedeckten Altersvorsorge förderfähig ist59. Da dieser zwischen 2003 bis 2010 sukzessive zu56

So z. B. auch Michaelis/Thiede (2000, S. 3), und Hinrichs (2002, S. 11). Vgl. auch Fn. 27. 58 Da sich die in 2001 eingeführte Rentenanpassungsformel wieder grundsätzlich an der Bruttolohnentwicklung orientierte, wurde sie als „modifizierte Bruttoanpassung“ bezeichnet. 57

2.3 Die umlagefinanzierte Alterssicherung im Paradigmenwechsel

81

nimmt60, ist eine Dämpfung der Rentenanpassungen – unabhängig von der Entwicklung der demografischen oder ökonomischen Variablen – in der Rentenanpassungsformel bereits exogen festgelegt. Die Verwendung des AVA passt dabei aus verschiedenen Gründen nicht zur Systematik eines umlagefinanzierten Alterssicherungssystems. Während die Berücksichtigung von Veränderungen des Beitragssatzes bei der Rentenanpassung – wie oben gezeigt wurde – letztlich als ein Rückkopplungsmechanismus gesehen werden kann, der die Versicherten einer Generation i auch in einem Umlagesystem der Variante AE zumindestens teilweise (und kollektiv) die Folgen ihrer Entscheidungen bzw. Eigenschaften mittragen lässt, ist der Altersvorsorgeanteil eine reine Kunstgröße. Denn durch ihn wird keineswegs berücksichtigt, wie viel eine Erwerbstätigengeneration tatsächlich für kapitalgedeckte Vorsorge aufwendet, sondern nur, ein wie großer Teil dieser Aufwendungen staatlich förderfähig ist. Doch selbst wenn der AVA die tatsächlichen Aufwendungen für private Altersvorsorge messen würde, gäbe es eigentlich keinen Grund, Veränderungen dieser Größe bei der Rentenanpassung zu berücksichtigen. Das für ihre Berücksichtigung vorgetragene Argument, die aktuelle Ruhestandsgeneration solle die Last einer – aufgrund der demografischen Entwicklung – zunehmend notwendigen privaten Altersvorsorge der aktuellen Erwerbstätigengeneration mittragen, scheint zwar zunächst stichhaltig, zumal es an die Begründung der Nettoanpassung anschließt. Wenn es aber so ist, dass die gegenwärtige Erwerbstätigengeneration deshalb in wachsendem Ausmaß private Altersvorsorge betreiben muss, weil die demografische und ökonomische Entwicklung unter dem Paradigma einer einnahmeorientierten Ausgabenpolitik in den kommenden Jahrzehnten zu einer Senkung des Rentenniveaus führen wird, dann stellt es einen sachlich nicht zu rechtfertigenden logischen Umweg dar, die Renten wegen der höheren privaten Altersvorsorge (= Wirkung) und nicht direkt wegen der zukünftig schlechteren demografischen und ökonomischen Bedingungen (= Ursache) geringer anzupassen. Letztlich wurde auf diese Weise der eigentliche Grund für das sinkende Rentenniveau „versteckt“. Nach Vorausberechnungen aus dem Jahr 2000 sollte der Beitragssatz durch die modifizierte Bruttoanpassung nur noch auf 19,6% im Jahr 2020 59 Oft wird, wenn von einem Paradigmenwechsel in der öffentlichen Alterssicherung gesprochen wird, die Einführung einer staatlich geförderten kapitalgedeckten Zusatzvorsorge im Rahmen der sog. „Riester-Rente“ gemeint. Der Paradigmenwechsel besteht dann darin, dass die öffentliche Altersvorsorge nicht mehr nur auf das Umlageverfahren, sondern zum Teil auch auf das Kapitaldeckungsverfahren baut. Da sich das staatliche Engagement im Bereich der Riester-Rente im Grunde jedoch auf eine Sparförderung beschränkt, es hier also keine Pflichtelemente gibt, kann von einer kapitalgedeckten Säule der öffentlichen Alterssicherung, die gleichwertig neben das Umlagesystem getreten ist, eigentlich nicht gesprochen werden. 60 Von 0,5% in 2003 auf 4% in 2010.

82

2. Funktionsweise und Situation der Alterssicherung in Deutschland

bzw. 21,8% im Jahr 2030 ansteigen61, so dass die festgesetzten Obergrenzen des Beitragssatzes gerade nicht überschritten worden wären. Es erwies sich jedoch bereits nach kurzer Zeit als wesentlicher Schwachpunkt der neuen Rentenanpassungsformel, dass diese Beitragssatzziele hauptsächlich über die exogen fixierte Kunstgröße des Altersvorsorgeanteils erreicht werden sollten. Denn auf diese Weise existierte in der Rentenanpassungsformel kein Mechanismus, der bei einer (negativen) Abweichung der demografischen und ökonomischen Variablen von der im Jahr 2000 prognostizierten Entwicklung endogen einen zusätzlichen dämpfenden Effekt auf die Rentenanpassung hätte ausüben können. Sehr bald zeigte sich jedoch, dass in den Vorausberechnungen aus dem Jahr 2000 von zu günstigen Annahmen ausgegangen worden war. Insbesondere war die Zunahme der Lebenserwartung als zu gering prognostiziert worden62. In einem Gutachten des Prognos-Instituts aus dem Jahr 2003 wurden daher, abweichend von den früheren Prognosen, Beitragssätze von 20,8% im Jahr 2020 bzw. 23,6% im Jahr 2030 erwartet63. Im Jahre 2004 wurde daher erneut eine Veränderung der Rentenanpassungsformel beschlossen, die seit 2005 wirksam ist. Begründet wurde diese Veränderung damit, dass die bei der Rentenreform 2001 festgelegten Obergrenzen des Beitragssatzes in den Jahren 2020 und 2030 ansonsten überschritten worden wären. Gleichzeitig wurden die bei der Rentenreform 2001 ebenfalls festgesetzten Untergrenzen des Rentenniveaus weiter nach unten korrigiert. Sollte zuvor noch ein Netto-Standardrentenniveau von 67% im Jahr 2020 bzw. 64% im Jahr 2030 nicht unterschritten werden, so wurde nun festgelegt, dass das sog. „Sicherungsniveau vor Steuern“64, ausgehend von einem Wert von 52,7% im Jahr 2005, bis 2020 nicht unter 46% und bis 2030 nicht unter 43% fallen soll. Dieses neue Sicherungsniveau ist in etwa gleichbedeutend mit einem Netto-Standardrentenniveau von ca. 58,5% im Jahr 203065, führt also zu einem deutlichen Unterschreiten des bei der Rentenreform 2001 festgelegten Mindestsicherungsniveaus einer Standardrente. Dies unterstreicht nochmals den mit der Rentenreform 2001 vollzogenen Paradigmenwechsel in der GRV: Im Zweifel folgt seither das Renteniveau den vorgegebenen Beitragssatzzielen, nicht umgekehrt. 61

Vgl. Michaelis/Thiede (2000, S. 10). Vgl. z. B. die kritische Diskussion der bei der Vorbereitung der Rentenreform 2001 getroffenen Annahmen in Börsch-Supan/Reil-Held/Wilke (2003, S. 4). 63 Vgl. Prognos (2003, S. 53). 64 Das Sicherungsniveau vor Steuern ergibt sich durch Bildung des Quotienten aus der um die Sozialversicherungsbeiträge verringerten Brutto-Standardrente eines Rentners und des um die Sozialversicherungsbeiträge und den (hypothetischen) Altersvorsorgeanteil verminderten Bruttojahresentgelts eines Beitragszahlers. 65 Vgl. Steffen (2006, S. 47). 62

2.3 Die umlagefinanzierte Alterssicherung im Paradigmenwechsel

83

Nachdem es sich als problematisch erwiesen hatte, fixierte Beitragssatzziele über exogen gegebene und unveränderliche Faktoren in der Rentenanpassungsformel erreichen zu wollen, nahm man nun, in Gestalt des sog. „Nachhaltigkeitsfaktors“, explizit den Äquivalenzrentnerquotienten in die Rentenanpassungsformel auf66. Die Rentenanpassungsformel lautet seither: È2:38ê ARWj ã ARWj  1 

BEt  1 100  AVAj  1  RVBj  1   BEj  2 100  AVAj  2  RVBj  2

   ARQj  1 aþ1 1 ARQj  2

Der Wert in der eckigen Klammer von (2.38) gibt dabei den „Nachhaltigkeitsfaktor“, ÄRQ den Äquivalenzrentnerquotienten eines Jahres an67. Mit der expliziten Einbeziehung des Äquivalenzrentnerquotienten in die Rentenanpassungsformel wurde die Gesetzliche Rentenversicherung nun erstmals nicht nur intentional, sondern auch praktisch weitestgehend einem idealtypischen Umlagesystem der Variante EA angenähert. Denn formuliert man die in Gleichung (2.9) beschriebene implizite Rentenanpassung bei einnahmeorientierter Ausgabenpolitik bzw. Beitragssatzfixierung unter Berücksichtigung von (2.6) um, so lässt sich diese schreiben als: È2:39ê

EA pEA t þ 1 ã pt  È1 þ mê 

ARQt ARQt þ 1

Obwohl sich (2.39) auf den ersten Blick sehr stark von (2.38) unterscheidet, entspricht die aus dem stilisierten Modell für Systemvariante EA abgeleitete implizite Anpassungsformel aus (2.39) mit zwei Ausnahmen vollkommen der in (2.38) aufgeführten expliziten Anpassungsformel der Gesetzlichen Rentenversicherung. Die erste Ausnahme führt dazu, dass die Anpassungen in der GRV im Allgemeinen höher ausfallen als bei rein einnahmeorientierter Ausgabenpolitik, denn Veränderungen des Äquivalenzrentnerquotienten gehen nicht voll, sondern gewichtet mit einem Faktor a  1 in die Rentenanpassung ein. Der Faktor a wurde dabei vom Gesetzgeber zunächst auf einen Wert von ¼ festgelegt, soll aber – ganz im Sinne einer einnahmeorientierten Ausgabenpolitik – als Steuerungsinstrument zur 66 Die sog. „Rürup-Kommission“, auf deren Reformvorschläge die im Jahr 2005 eingeführte Rentenanpassungsformel beruht, führt hierzu aus (vgl. Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung (2003, S. 103)): „Orientiert man sich im Interesse einer nachhaltigen Belastungsbegrenzung der Beitragszahler an der Konzeption einer einnahmeorientierten Ausgabenpolitik, so folgt daraus, dass die Rentenanpassungsformel um einen Faktor ergänzt werden muss, der bei Zunahme der Beitragszahler zu höheren und bei Zunahme der Rentner zu geringeren Rentenanpassungen führt.“ 67 Vgl. zu dessen Definition die Ausführungen in Abschnitt 2.2.2.

84

2. Funktionsweise und Situation der Alterssicherung in Deutschland

Erzielung der Beitragssatzziele grundsätzlich veränderbar sein68. Die zweite Ausnahme führt dazu, dass die Anpassungen der GRV u. U. auch geringer ausfallen können als bei rein einnahmeorientierter Ausgabenpolitik. Denn die Rentenanpassungsformel der GRV enthält weiterhin die mit der Rentenreform 2001 eingeführte Veränderung des Altersvorsorgeanteils. Wenn sich daher zwischen zwei Jahren der Äquivalenzrentnerquotient nicht verändert, dann wird die Rentenanpassung – bis 2010 – dennoch durch die Veränderung des Altersvorsorgeanteils gedämpft. Die Tatsache, dass die seit 2005 verwendete Rentenanpassungsformel die Elemente der 2001 eingeführten modifizierten Bruttoanpassung beibehalten und lediglich den Nachhaltigkeitsfaktor multiplikativ hinzufügt hat, ist in verschiedenen Veröffentlichungen kritisiert worden69. Die festgelegten Beitragssatzziele könnten problemlos durch eine wesentlich einfachere Rentenanpassungsformel erreicht werden, die neben der Veränderung des Bruttoeinkommens als weiteres Element nur noch den Nachhaltigkeitsfaktor – und damit die Veränderung des Äquivalenzrentnerquotienten – und den Faktor a als Steuerungsinstrument enthält. Ein a von 1 würde dann, wie (2.39) zeigt, eine reine Beitragssatzfixierung bedeuten, mit einem a < 1 könnten die gewünschten Beitragssatzfixpunkte für 2020 und 2030 angesteuert werden. Da mit der Berücksichtigung des Äquivalenzrentnerquotienten bereits alle direkten Bestimmungsgrößen von Beitragssatz und Rentenhöhe in einem Umlagesystem in der Rentenanpassungsformel Berücksichtigung finden, ist es eigentlich nicht einsehbar, warum diese zusätzlich durch die Berücksichtigung von Beitragssatzveränderungen und Veränderungen des Altersvorsorgeanteils verkompliziert wird. Unabhängig von dieser Kritik bleibt es im Ergebnis jedoch dabei, dass der mit der Rentenreform 2001 bereits grundsätzlich vollzogene Paradigmenwechsel der Gesetzlichen Rentenversicherung hin zu einer einnahmeorientierten Ausgabenpolitik, mit der Berücksichtigung des Äquivalenzrentnerquotienten in der seit 2005 gültigen Rentenanpassungsformel und der nochmaligen Korrektur der Rentenniveauziele nach unten eine zusätzliche Konkretisierung erfahren hat. Die bisher in diesem Abschnitt erzielten Ergebnisse zeigen, dass sich künftig Veränderungen des Äquivalenzrentnerquotienten bzw. seiner Bestimmungsfaktoren in der Gesetzlichen Rentenversicherung weitestgehend so auf den Beitragssatz, die Rentenhöhe und damit einhergehend auf die ökonomische Situation von Versicherten verschiedener Generationen aus68 So z. B. Börsch-Supan/Reil-Held/Wilke (2003, S. 16): „Das Gewicht a dient zwei Zwecken: Zum einen dient es dazu (. . .) ein gewünschtes Beitragsziel zu erreichen. Zum zweiten kann das Gewicht a Änderungen der zugrunde liegenden RiesterFormel ausgleichen, z. B. wenn die Anbindung von AVA in die Rentenformel verfassungsrechtlichen Bedenken nicht standhält.“ 69 Vgl. z. B. die Kritik in Krupp (2003, S. 11).

85

60,00% 50,00% 40,00% 30,00%

Äquivalenzrentnerquotient Beitragssatz Bruttorentenniveau

20,00%

„Virtueller“ Beitragssatz

10,00%

2002

1999

1996

1993

1990

1987

1984

1981

1978

0,00% 1975

ÄRQ, Beitragssatz, Bruttorentenniveau und virtueller Beitragssatz

2.3 Die umlagefinanzierte Alterssicherung im Paradigmenwechsel

Quellen: VDR (2005a, S. 218 u. S. 234); VDR (2005b, S. 9); eigene Berechnungen.

Abbildung 2.11: Äquivalenzrentnerquotient, Beitragssatz zur GRV, Bruttorentenniveau der GRV und „virtueller“ Beitragssatz zur GRV 1975 bis 2004

wirken werden, wie dies in Abschnitt 2.2.2 für ein umlagefinanziertes Alterssicherungssystem der Variante EA herausgearbeitet wurde. Bevor in Abschnitt 2.4 eine Untersuchung der sich daraus ergebenden Implikationen für die zukünftige Entwicklung der GRV und für die ökonomische Situation der in ihr versicherten Individuen vorgenommen wird, soll in diesem Abschnitt noch abschließend analysiert werden, ob sich der mit der Rentenreform 1992 eingeleitete Paradigmenwechsel bereits in der Entwicklung wieder findet, die die Gesetzliche Rentenversicherung seither genommen hat. Erneut soll dabei zusätzlich untersucht werden, welche demografischen und ökonomischen Entwicklungen als Ursachen für beobachtbare Veränderungen angesehen werden können. In Abbildung 2.11 sind dazu zunächst die Entwicklungen des Äquivalenzrentnerquotienten, des Bruttorentenniveaus, des Beitragssatzes und eines „virtuellen“ Beitragssatzes zur Gesetzlichen Rentenversicherung für den Zeitraum von 1975 bis 2004 dargestellt. Der ermittelte Äquivalenzrentnerquotient bezieht sich dabei ab 1991 auf Gesamtdeutschland. Der „virtuelle“ Beitragssatz wurde ermittelt, indem von den gesamten Rentenausgaben eines Kalenderjahres die Beitrags- und sonstigen Einnahmen der Gesetzlichen Rentenversicherung abgezogen wurden und die sich ergebende Differenz in Beitragssatzpunkte umgerechnet und dem offiziellen Beitragssatz additiv hinzugefügt wurde. Er gibt somit jeweils an, wie hoch der Beitragssatz zur GRV bei gegebenen Rentenausgaben in einem Jahr sein müsste, wenn der

86

2. Funktionsweise und Situation der Alterssicherung in Deutschland 36,00%

Relativer Bundeszuschuss

34,00% 32,00% 30,00%

Verhältnis Bundeszuschuss zu Beitragseinnahmen der GRV

28,00% 26,00% 24,00% 22,00%

2002

1999

1996

1993

1990

1987

1984

1981

1978

1975

20,00%

Quelle: VDR (2005a, S. 218); eigene Berechnung.

Abbildung 2.12: Verhältnis des Bundeszuschusses zu den gesamten Beitragseinnahmen der GRV 1975 bis 2003

Staat keinen Bundeszuschuss zur Deckung der Rentenausgaben leisten würde. In Abbildung 2.11 ist deutlich ein sprunghafter Anstieg des Äquivalenzrentnerquotienten zwischen 1992 (40,72%) und 1998 (49,05%) zu erkennen. Der Alterungsprozess entspricht dabei mit einer Zunahme des Äquivalenzrentnerquotienten um über acht Prozentpunkte im Ausmaß etwa dem, der zwischen 1967 und 1974 zu beobachten war70. Während der Beitragssatz in letzterem Falle jedoch um über 4 Prozentpunkte zunahm, war zwischen 1992 und 1998 nur eine Zunahme um 2,6 Prozentpunkten von 17,7% (1992) auf 20,3% (1998) zu verzeichnen. Dies könnte darauf hindeuten, dass ein Teil der Zunahme des Äquivalenzrentnerquotienten durch ein sinkendes Bruttorentenniveau aufgefangen wurde. Das war aber nicht der Fall: Zwar weist das Bruttorentenniveau seit den 1990er Jahren eine leicht fallende Tendenz auf, über den Zeitraum von 1992 bis 1998 blieb es aber konstant bei 48,5%. Gebremst wurde die Auswirkung des stark zunehmenden Äquivalenzrentnerquotienten auf den Beitragssatz vielmehr dadurch, dass der Bundeszuschuss zur GRV seit der Rentenreform 1992 massiv ausgeweitet wurde. Seine Entwicklung im Zeitraum von 1975 bis 2003 ist in Abbildung 2.12 aufgeführt. Um seine Höhe beurteilen zu können, wurde er dabei in Relation zu den gesamten Beitragseinnahmen der Gesetzlichen Rentenversicherung gesetzt. Die „wirkliche“ Auswirkung des in der Mitte der 70

Vgl. Abbildung 2.1 auf Seite 57.

2.3 Die umlagefinanzierte Alterssicherung im Paradigmenwechsel

87

1990er Jahre zu verzeichnenden Alterungsprozesses lässt sich daher besser an der Entwicklung des „virtuellen“ Beitragssatzes zur GRV ablesen. Dieser nahm zwischen 1992 und 1998 um 4,3 Prozentpunkte von 18,9% auf 23,2% zu. Der im Ausmaß mit der Entwicklung zwischen 1967 und 1974 vergleichbare Alterungsprozess in der Mitte der 1990er Jahre hatte folglich auch in etwa die gleiche Auswirkung auf den Beitragssatz zur GRV, nur wurde diese zum Teil durch die Erhöhung des Bundeszuschusses verdeckt. Gleiches war zu beobachten, als sich der Äquivalenzrentnerquotient, nachdem er zwischenzeitlich kurz abgesunken war, ab dem Jahr 2000 erneut erhöhte: Der Beitragssatz zur GRV blieb fast unverändert, während der virtuelle Beitragssatz exakt der Bewegung des Äquivalenzrentnerquotienten folgte. Für den Betrachtungszeitraum waren demnach die Auswirkungen des sich schrittweise vollziehenden Paradigmenwechsels der Gesetzlichen Rentenversicherung noch nicht erkennbar. Eine Zunahme des Äquivalenzrentnerquotienten wirkte sich weiterhin überwiegend auf die Finanzierungsseite aus, während sich das Rentenniveau kaum veränderte. Dieses Ergebnis ist jedoch nicht überraschend. Die Schwächen der zwischen 1992 und 1999 angewendeten Nettoanpassung wurden bereits oben erläutert. Bei der zwischen 2001 und 2004 angewendeten modifizierten Bruttoanpassung wirkte sich die schrittweise Erhöhung des in der Anpassungsformel berücksichtigten Altersvorsorgeanteils erstmals bei der Rentenanpassung 2003 aus, in den Jahren 2001 und 2002 erfolgte die Anpassung faktisch nach der vor 1992 geltenden Bruttoanpassung, also gemäß der Idealform eines Umlagesystems der Variante AE. Die Auswirkungen des Paradigmenwechsels zur einnahmeorientierten Ausgabenpolitik und der seit 2005 angewendeten Rentenanpassungsformel werden sich daher erst in Zukunft zeigen71. Hinterfragt werden soll schließlich noch, warum der Äquivalenzrentnerquotient in den 1990er Jahren und nach einer kurzen Entspannung erneut ab dem Jahr 2000 stark zugenommen hat. Um Klarheit über die dahinter stehenden Ursachen zu erlangen, sind in Abbildung 2.13 auf Seite 88 die Entwicklungen des Äquivalenzrentnerquotienten, der Äquivalenzbeitragszahler und der Äquivalenzrentner für den Zeitraum von 1975 bis 2005 aufgeführt. Die angegebenen Werte beziehen sich dabei vor 1991 auf Westund ab 1991 auf Gesamtdeutschland. Wie deutlich zu erkennen ist, nahm 1991 – bedingt durch die Wiedervereinigung – sowohl die Zahl der Äquivalenzbeitragszahler als auch die Zahl der Äquivalenzrentner deutlich zu, wobei sich beide Werte zunächst ungefähr gleich entwickelten, so dass der Äquivalenzrentnerquotient bis 1992 in 71

Vgl. hierzu Abschnitt 2.4.

35,00

60,00%

30,00

50,00%

25,00

40,00%

20,00 30,00% 15,00 20,00%

10,00 5,00

10,00%

0,00

0,00%

Äquivalenzrentnerquotient

2. Funktionsweise und Situation der Alterssicherung in Deutschland

19 75 19 77 19 79 19 81 19 83 19 85 19 87 19 89 19 91 19 93 19 95 19 97 19 99 20 01 20 03

Äquivalenzrentner und Äquivalenzbeitragszahler

88

Äquivalenzbeitragszahler

Äquivalenzrentner

Äquivalenzrentnerquotient

Quelle: VDR (2005a); eigene Berechnungen.

Abbildung 2.13: Äquivalenzrentner, Äquivalenzbeitragszahler und Äquivalenzrentnerquotient 1975 bis 2004

etwa konstant blieb. Seine prononcierte Zunahme zwischen 1992 und 1998 begann erst, als ab 1992 die Zahl der Äquivalenzrentner weiterhin anstieg, während die Zahl der Äquivalenzbeitragszahler stagnierte bzw. in einigen Jahren sogar zurückging. Nach einer kurzen Entspannung im Jahr 1999 setzte sich diese Entwicklung bis 2004 fort, wobei die Zahl der Äquivalenzbeitragszahler in diesen Jahren durchgehend abnahm. Auf welche Ereignisse lassen sich die geschilderten Entwicklungen zurückführen? Zur Beantwortung dieser Frage sei zunächst auf die Entwicklung der Äquivalenzrentner eingegangen. Betrachtet man Abbildung 2.13, so wird direkt deutlich, dass ihre Zahl in den 1990er Jahren auch unter Vernachlässigung des Effektes der Wiedervereinigung einen steileren Verlauf aufweist als über den Zeitraum von 1975 bis 1990. Der hauptsächliche Grund für diese Entwicklung ist darin zu sehen, dass ab Mitte der 1990er Jahre die geburtenstarken Jahrgänge der 1930er Jahre (vgl. Abbildung 2.3 auf Seite 59) in die Ruhestandsphase eintraten. Geht man davon aus, dass der letzte dieser Jahrgänge, der Jahrgang 1941, im Jahr 2005 in Rente gegangen ist, so hat diese Entwicklung den gesamten Zeitraum zwischen ca. 1995 und 2005 geprägt. Zusätzlich nahm im Betrachtungszeitraum die fernere Lebenserwartung der „65-Jährigen und Älteren“ und somit die durchschnittliche Rentenbezugsdauer weiter zu. Die folgende Tabelle 2.4 zeigt die Entwicklung der ferneren Lebenserwartung von Männern und Frauen der Geburtsjahrgänge 1927 bis 1939.

2.3 Die umlagefinanzierte Alterssicherung im Paradigmenwechsel

89

Tabelle 2.4 Fernere Lebenserwartung 65-jähriger Männer bzw. Frauen der Geburtsjahrgänge 1927 bis 1939 Geburtsjahrgang

Fernere Lebenserwartung Männer in Jahren

Fernere Lebenserwartung Frauen in Jahren

1927 1929 1931 1933 1935 1937 1939

14,3 14,5 14,8 15,1 15,6 15,9 16,3

17,9 18,2 18,5 18,9 19,3 19,6 19,8

Quelle: VDR (2005a, S. 256).

Die fernere Lebenserwartung der 1939 geborenen Männer und Frauen war mithin jeweils um ca. 2 Jahre höher als im Geburtsjahrgang 1927, so dass sich bis 2004 im Durchschnitt zwei zusätzliche Geburtsjahrgänge im Rentenbestand befanden72. Auch die Entwicklung der Äquivalenzbeitragszahler war im Betrachtungszeitraum sehr stark von der zurückliegenden Geburtenentwicklung geprägt. Wie Abbildung 2.3 auf Seite 59 zeigt, begannen die Geburtenzahlen ab Mitte der 1960er Jahre, ausgehend von einem Wert von 18 Lebendgeborenen je 1000 Einwohner, deutlich abzunehmen und erreichten schließlich 1973 mit einem Wert von ca. 10 einen bis dahin nie gekannten Tiefstwert73, auf dem sie seither mehr oder weniger verharren. Der Geburtenrückgang wirkte sich in den 1990er Jahren in zunehmendem Maße auf die Zahl der Äquivalenzbeitragszahler aus, so dass diese stagnierte oder sogar sank74. Eine 72 Vom hier nicht dargestellten durchschnittlichen Renteneintrittsalter ging im Zeitraum von 1992–2004 kein wesentlicher Effekt auf die durchschnittliche Rentenbezugsdauer aus. Zum einen sank das durchschnittliche Renteneintrittsalter nur noch in geringem Ausmaß (vgl. VDR (2005a, S. 117)). Zum anderen führen die 1992 eingeführten Rentenabschläge bei vorzeitiger Inanspruchnahme einer Altersrente dazu, dass von einem sinkenden tatsächlichen Renteneintrittsalter keine negativen Effekte mehr auf die Finanzsituation der Gesetzlichen Rentenversicherung ausgehen. 73 Die bis dahin niedrigste Zahl der Lebendgeborenen je 1000 Einwohner war während der beiden Weltkriege zu verzeichnen gewesen und hatte mit 13,9 (1917) bzw. 14,0 (1944) immer noch weit über den seit Beginn der 1970er Jahre zu beobachtenden Geburtenziffern gelegen. 74 Der kurze Anstieg der Zahl der Äquivalenzbeitragszahler im Jahr 1999 war dabei nicht auf demografische Effekte, sondern auf eine erneute Ausweitung der Zahl der versicherungspflichtigen Personen zurückzuführen. Mit dem „Rentenkorrekturgesetz 1999“ und dem „Gesetz zur Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungs-

90

2. Funktionsweise und Situation der Alterssicherung in Deutschland Tabelle 2.5 Erwerbsquoten in (Gesamt-)Deutschland im Zeitraum von 1992 bis 2004 Jahr

Erwerbsquote Männer

Erwerbsquote Frauen

Erwerbsquote Gesamt

1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004

83,78% 83,31% 82,78% 83,28% 83,56% 83,89% 84,11%

63,34% 64,08% 64,39% 65,80% 67,33% 68,68% 69,49%

73,62% 73,78% 73,68% 74,63% 75,53% 76,34% 76,84%

Quellen: Mikrozensus: Verschiedene Jahrgänge; eigene Berechnungen.

leichte Kompensation erfuhr die Zahl der Äquivalenzbeitragszahler dadurch, dass die Erwerbsquote im Zeitraum von 1992 bis 2004 zunahm. Wie Tabelle 2.5 zeigt, ging diese fast vollständig auf die Zunahme der Erwerbsquote der Frauen um ca. 6 Prozentpunkte zurück, die Erwerbsquote der Männer blieb dagegen im Betrachtungszeitraum beinahe konstant. Neben den „normalen“ demografischen und ökonomischen Veränderungen haben im Betrachtungszeitraum schließlich auch die Sondersituation der deutschen Wiedervereinigung im Jahr 1990 und die sich daran anschließenden ökonomischen Probleme gerade in den neuen Bundesländern Deutschlands zum steigenden Äquivalenzrentnerquotienten der 1990er Jahre beigetragen. Dies zeigt Abbildung 2.14, in der getrennt die Äquivalenzrentnerquotienten für Gesamtdeutschland und für die alten Bundesländer aufgeführt sind. Während der Verlauf beider Kurven – bedingt durch die zugrunde liegenden demografischen Bedingungen – die gleichen Gesetzmäßigkeiten erkennen lässt, verläuft der Äquivalenzrentnerquotient für Gesamtdeutschland ab 1992 in zunehmendem Maße auf einem höheren Niveau als der Äquivalenzrentnerquotient der alten Bundesländer. Dies kann vor allem darauf zurückgeführt werden, dass die durchschnittlichen Rentenzahlbeträge in den neuen Bundesländern auf oder sogar über, die durchschnittlichen Einkommen der Beitragszahler aber weit unter dem Niveau der alten Bundesländer liegen75. Der Anstieg des Äquivalenzrentnerquotienten hat daher, bedingt durch die verhältnisse“, wurden 1999 sog. „arbeitnehmerähnliche“ Selbständige und geringfügig Beschäftigte in die Versicherungspflicht zur Gesetzlichen Rentenversicherung einbezogen. 75 Vgl. Verband Deutscher Rentenversicherungsträger (2005, S. 88 ff.).

2.3 Die umlagefinanzierte Alterssicherung im Paradigmenwechsel

91

Äquivalenzrentnerquotient

55,00% 50,00% 45,00%

Äquivalenzrentnerquotient alte Bundesländer

40,00%

Äquivalenzrentnerquotient Gesamtdeutschland

35,00%

20 04

20 02

20 00

19 98

19 96

19 94

19 92

19 90

30,00%

Quellen: VDR (2005a, S. 218 u. S. 234); eigene Berechnungen.

Abbildung 2.14: Äquivalenzrentnerquotient Gesamtdeutschland bzw. in den alten Bundesländern 1990 bis 2004

ökonomischen Probleme nach der Wiedervereinigung Deutschlands, einen akzentuierteren Verlauf genommen, als es ohne diese Sonderentwicklung der Fall gewesen wäre. Abbildung 2.14 legt aber zugleich offen, dass sich der Äquivalenzrentnerquotient aufgrund des Renteneintritts der geburtenstarken Jahrgänge der 1930er Jahre und des gleichzeitigen Eintritts der ersten geburtenschwachen Jahrgänge nach dem Babyboom in die Erwerbstätigkeitsphase in qualitativ gleicher Weise entwickelt hätte, hätte es die Wiedervereinigung nicht gegeben. Zusammenfassend lässt sich somit festhalten, dass die Entwicklung der Gesetzlichen Rentenversicherung über den größten Teil des Zeitraumes von 1992 bis 2004 noch den Gesetzmäßigkeiten eines umlagefinanzierten Alterssicherungssystems der Variante AE gefolgt ist. Die Zunahme des Äquivalenzrentnerquotienten wirkte sich im Betrachtungszeitraum vor allem auf die Finanzierungsseite aus, während das Bruttorentenniveau in etwa konstant blieb. Dennoch lässt sich der in dieser Zeit sukzessiv voranschreitende Paradigmenwechsel bereits erkennen. So wird deutlich, dass weitere Beitragssatzsteigerungen in zunehmendem Maße verhindert wurden. Dies geschah allerdings zum überwiegenden Teil nicht durch offene Verringerungen des Rentenniveaus, sondern durch die Ausweitung der Steuerfinanzierung von Rentenzahlungen im Rahmen des Bundeszuschusses. Bei den Einflussfaktoren auf die Entwicklung des Äquivalenzrentnerquotienten zeigt sich für den Zeitraum von 1992 bis 2004 eine im Vergleich zum Zeitraum von 1957 bis 1991 zunehmende Dominanz säkularer Trends der Bevölke-

92

2. Funktionsweise und Situation der Alterssicherung in Deutschland

rungsstruktur, insbesondere der vergangenen Geburtenentwicklung. Während der Alterungsprozess des Zeitraums von 1967–1974 noch teilweise durch eine Ausweitung des Versichertenkreises der Gesetzlichen Rentenversicherung kompensiert werden konnte, schlug der durch den Eintritt der geburtenstarken Jahrgänge der 1930er Jahre und dem sukzessiven Nachwachsen nur noch geburtschwacher Jahrgänge in die Erwerbstätigkeitsphase seit den 1990er Jahren zu verzeichnende Alterungsprozess – mit Ausnahme des Jahres 199976 – voll auf den Äquivalenzrentnerquotienten durch. Auch die weiter steigende Lebenserwartung führte zu einer Zunahme des Äquivalenzrentnerquotienten. Identifiziert werden konnte zudem, dass die Entwicklung des Äquivalenzrentnerquotienten durch die mit der Wiedervereinigung verbundenen ökonomischen Probleme akzentuierter verlief, während sich seine grundsätzliche Entwicklung auch ohne diesen Sondereffekt ergeben hätte.

2.4 Die erwartete zukünftige Entwicklung der Gesetzlichen Rentenversicherung In diesem Teilabschnitt wird untersucht, welche Entwicklung der Gesetzlichen Rentenversicherung unter der Annahme, dass sich das seit dem Jahr 2005 geltende Rentenrecht nicht mehr verändert, für die nächsten Jahrzehnte erwartet werden kann. Hierbei werden die Auswirkungen des Paradigmenwechsels der Gesetzlichen Rentenversicherung auf die erwartete Entwicklung des Beitragssatzes und des Rentenniveaus, vor allem aber auch die zugrunde liegenden Einflussfaktoren auf die erwartete Entwicklung dargestellt. Darüber hinaus wird unter Verwendung des in Abschnitt 2.2 entwickelten Modells analysiert, in welcher Form die geschilderten Entwicklungen im Zusammenspiel mit der Organisation der Gesetzlichen Rentenversicherung in der Systemvariante EA in der Lage sind, die ökonomische Situation von Individuen verschiedener Generationen, aber auch unterschiedlicher Individuen innerhalb von Generation, zu beeinflussen. 2.4.1 Prognostizierte Entwicklung der Gesetzlichen Rentenversicherung In Abschnitt 2.3 wurde gezeigt, dass die Entwicklung der Gesetzlichen Rentenversicherung von einem Umlagesystem der Systemvariante AE zu einem Umlagesystem der Variante EA vor allem vor dem Hintergrund der Zielsetzung zu sehen ist, den Beitragssatz zu stabilisieren. Zudem wurde deutlich, dass der „Preis“ der Stabilisierung des Ausgabenniveaus eines umlagefinanzierten Alterssicherungssystems – bei einer Erhöhung des Äquiva76

Vgl. Fn. 74.

93

80,00% 70,00% 60,00% 50,00% 40,00% 30,00% 20,00% 10,00% 0,00%

19 90 19 93 19 96 19 99 20 02 20 05 20 08 20 11 20 14 20 17 20 20 20 23 20 26 20 29 20 32 20 35 20 38

ÄRQ, Beitragssatz und Bruttorentenniveau

2.4 Erwartete zukünftige Entwicklung der Gesetzlichen Rentenversicherung

Äquivalenzrentnerquotient

Beitragssatz

Bruttorentenniveau

Anmerkung: 1990–2005: Historische Entwicklung. 2006–2040: Prognosen. 1990: Deutschland West. 1991–2040: Gesamtdeutschland. Quellen: VDR (2005a, S. 218 u. S. 234); VDR (2005b, S. 9); Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft (1998, S. 241); BMGS (2003, S. 103); eigene Berechnungen.

Abbildung 2.15: Äquivalenzrentnerquotient sowie Beitragssatz und Bruttorentenniveau der GRV 1990 bis 2040

lenzrentnerquotienten – zwangsläufig in der Verringerung des Sicherungsniveaus bzw. in der Kürzung des Wertes der durchschnittlichen Rentenzahlbeträge besteht. Exakt eine solche Entwicklung wird in den Prognosen zur zukünftigen Entwicklung der Gesetzlichen Rentenversicherung erwartet. In der Abbildung 2.15 sind die erwarteten zukünftigen Entwicklungen des Äquivalenzrentnerquotienten, des Beitragssatzes zur Gesetzlichen Rentenversicherung und des Bruttorentenniveaus bis zum Jahr 2040 aufgeführt. In der Abbildung finden sich – zur besseren Vergleichbarkeit – zudem die tatsächlichen historischen Entwicklungen dieser Größen in den Jahren 1990–2005. Deutlich erkennbar ist, dass im Betrachtungszeitraum mit einer deutlichen Zunahme des Äquivalenzrentnerquotienten gerechnet wird. Nach einem zunächst noch relativ mäßigen Anstieg werden dabei ab ca. 2015 hohe jährliche Zuwachsraten erwartet. Entsprechend einem Umlagesystem der Variante EA bleibt der erwartete Beitragssatz trotz dieser Entwicklung im Zeitablauf beinahe konstant. Erst die stark zunehmende Alterung ab 2015 führt dazu, dass er – der gesetzlichen Zielvorgabe bzgl. seiner Obergrenze folgend – von 18,7% (2015)77 auf 20% (2020) bzw. 22% (2030) zunimmt. Im Jahr 2040 77 Angenommen wird in dieser auf 2003 durchgeführten Berechnungen der „Rürup-Kommission“ beruhenden Prognose, dass der Beitragssatz der GRV von aktuell

94

2. Funktionsweise und Situation der Alterssicherung in Deutschland

wird er dieser Vorausberechnung nach bei 22,9% liegen. Das prognostizierte Bruttorentenniveau nimmt hingegen über den gesamten Betrachtungszeitraum ab. Die relativ starke Abnahme in den Jahren 2004–2010 ist dabei nicht auf den im „Nachhaltigkeitsfaktor“ enthaltenen Äquivalenzrentnerquotienten, sondern auf die sukzessive Berücksichtigung des Altersvorsorgeanteils in der Rentenanpassungsformel zurückzuführen. Hingegen geht die ab ca. 2015 erwartete deutliche Absenkung des Bruttorentenniveaus auf die ab diesem Zeitpunkt ebenso deutlich zunehmende Bevölkerungsalterung bzw. ihre Berücksichtigung im Nachhaltigkeitsfaktor zurück. Im Jahr 2040 beträgt das prognostizierte Bruttorentenniveau nur noch 38,5%, so dass das Sicherungsniveau um ca. 14 Prozentpunkte niedriger liegen wird als im Jahr 2005. Bislang ist noch offen geblieben, auf welche Entwicklungen die erwartete Zunahme des Äquivalenzrentnerquotienten zurückgeführt werden kann. Um hierauf Hinweise zu erhalten, sind in Abbildung 2.16 neben der erwarteten Entwicklung des Äquivalenzrentnerquotienten die Entwicklungen der Zahl der Äquivalenzrentner und der Äquivalenzbeitragszahler für den Zeitraum von 1980 bis 2040 dargestellt. Bis 2005 sind dabei die tatsächlichen historischen Entwicklungen, ab 2006 die prognostizierten Entwicklungen abgetragen. Wie bereits im vorhergehenden Abschnitt beschrieben, ist ab den 1990er Jahren zunächst eine Stagnation der Zahl der Äquivalenzbeitragszahler zu erkennen, die ab dem Jahr 2000 in ein stetiges Sinken übergeht. Als Grund dafür wurde der sukzessive Eintritt zunehmend schwach besetzter Geburtsjahrgänge in die Erwerbstätigkeitsphase herausgearbeitet (vgl. Abbildung 2.3 auf Seite 59). Obwohl die in Abbildung 2.16 für den Zeitraum ab 2006 dargestellte Entwicklung eine Prognose ist, kann die dort aufgeführte Entwicklung der Zahl der Äquivalenzbeitragszahler als weitestgehend gesichert gelten. Der Grund dafür ist, dass die bis zum Jahr 2025 in die Erwerbstätigkeitsphase eintretenden Geburtsjahrgänge allesamt bereits geboren sind. Erst für die ab 2026 eintretenden Jahrgänge beruht die Geburtenzahl auf Annahmen. Dabei wurde unterstellt, dass sich das Geburtenverhalten in Zukunft nicht mehr verändert bzw. die Zahl der Geburten pro Frau konstant auf dem heutigen Niveau bleiben wird78. Die Zahl der Lebendgeborenen je (2006) 19,5% bis zum Jahr 2015 auf 18,7% zurückgeht. Der Rückgang des erwarteten Beitragssatzes geht darauf zurück, dass die sukzessive Erhöhung des Altersvorsorgeanteils in der Rentenanpassungsformel bei einem relativ konstanten Äquivalenzrentnerquotienten zu einer schwächeren Anpassung der Renten als es bei rein einnahmeorientierter Ausgabenpolitik (und somit Beitragssatzfixierung) führt. Vgl. hierzu die Ausführungen zur seit 2005 angewendeten Rentenanpassungsformel in Abschnitt 2.3.2. 78 Es wurde somit davon ausgegangen, dass die Frauen der betroffenen Geburtsjahrgänge im Durchschnitt ca. 1,4 Kinder zur Welt bringen werden.

80,00%

30,00

70,00%

25,00

60,00% 50,00%

20,00

40,00% 15,00

30,00%

10,00

20,00%

5,00

10,00%

0,00

0,00%

Äquivalenzrentnerquotient

35,00

95

19 80 19 84 19 88 19 92 19 96 20 00 20 04 20 08 20 12 20 16 20 20 20 24 20 28 20 32 20 36 20 40

Äquivalenzbeitragszahler und Äquivalenzrentner in Mio.

2.4 Erwartete zukünftige Entwicklung der Gesetzlichen Rentenversicherung

Äquivalenzrentner

Äquivalenzbeitragszahler

Äquivalenzrentnerquotient Quellen: VDR (2005a); BMGS (2003, S. 103); eigene Berechnungen.

Abbildung 2.16: Äquivalenzrentner, Äquivalenzbeitragszahler und Äquivalenzrentnerquotient 1980 bis 2040

1000 Einwohner wird dieser Annahme folgend in den nächsten Jahren sogar noch abnehmen, da durch die vergangenen Geburtenausfälle zukünftig die Zahl potenzieller Mütter zurückgehen wird79. Bereits enthalten sind in der erwarteten Entwicklung der Äquivalenzbeitragszahler die Annahmen eines jährlichen Wanderungsüberschusses von 200 000 Personen80, einer auf die stärkere Erwerbsbeteiligung von Frauen und Älteren zurückgehenden signifikanten Zunahme der Erwerbsquote und eines Absinkens der Arbeitslosenquote auf 7% bis 2020 bzw. 4,4% bis 203081. Auch die erwartete Entwicklung der Zahl der Äquivalenzrentner lässt sich größtenteils aus der vergangenen Geburtenentwicklung ableiten. Wie im vorangegangenen Abschnitt beschrieben, war die starke Zunahme der 79

Vgl. zu dieser Annahme Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung (2003, S. 52). 80 Vgl. Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung (2003, S. 55). Eine Nettozuwanderung von 200 000 Personen entspricht dem Durchschnitt der letzten Jahrzehnte. 81 Vgl. Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung (2003, S. 58). Im Ergebnis führt die Annahme einer deutlich zunehmenden Erwerbsquote dazu, dass die aus dem Geburtenrückgang resultierende Abnahme des Erwerbspersonenpotenzials um ca. die Hälfte kompensiert wird (vgl. Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung (2003, S. 60)).

96

2. Funktionsweise und Situation der Alterssicherung in Deutschland

Äquivalenzrentnerzahl in der Mitte der 1990er Jahre auf den Renteneintritt der geburtenstarken Jahrgänge der 1930er Jahre zurückzuführen. Ab ca. 2005 folgt darauf der Renteneintritt der relativ schwach besetzten Geburtsjahrgänge der Kriegs- und ersten Nachkriegsjahre (vgl. Abbildung 2.3 auf Seite 59). In deren Folge bleibt die Zahl der Äquivalenzrentner zwischen 2005 und 2015 nahezu konstant und der Äquivalenzrentnerquotient nimmt trotz der zurückgehenden Zahl von Äquivalenzbeitragszahlern nur in vergleichsweise moderatem Ausmaß zu. Ab ca. 2016 werden dann jedoch die geburtenstarken Jahrgänge der sog. „Baby-Boom-Generation“ in die Ruhestandsphase eintreten, so dass die Zahl der Äquivalenzrentner sprunghaft zunimmt. Da diese Entwicklung vom Eintritt nur schwach besetzter Geburtsjahrgänge in die Erwerbstätigkeitsphase begleitet wird, wird auch der Äquivalenzrentnerquotient ab diesem Zeitpunkt massiv zunehmen. Neben der Geburtenentwicklung hat auch die erwartete Entwicklung der Lebenserwartung Einfluss auf die prognostizierte Zahl der Äquivalenzrentner. Ausgehend von den aktuellen Werten wurde dabei in der oben dargestellten Prognose angenommen, dass die Lebenserwartung der Männer bis 2030 um 2,6 Jahre, die der Frauen um 3,1 Jahre zunehmen wird82. Da in den hier verwendeten Berechnungen des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung (2003) bereits die Erhöhung des Renteneintrittsalters um zwei Jahre berücksichtigt wurde, wirkt sich die Zunahme der Lebenserwartung in der dargestellten Prognose jedoch kaum aus83. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich die Gesetzliche Rentenversicherung, nachdem sie in den Jahren 1957–1991 noch dem Idealbild eines Umlagesystems der Variante AE entsprochen hat, in den nächsten Jahrzehnten so entwickeln wird, wie man es von einem umlagefinanzierten Alterssicherungssystem unter dem Paradigma einer einnahmeorientierten Ausgabenpolitik erwarten kann. Während der Beitragssatz trotz eines stark zunehmenden Äquivalenzrentnerquotienten beinahe konstant bleiben wird, nehmen das Rentenniveau und damit einhergehend der (relative) Wert einer Rente stark ab. Die Entwicklung des Äquivalenzrentnerquotienten wird dabei fast ausschließlich von der vergangenen Geburtenentwicklung bestimmt werden. Insbesondere wird die Synchronizität des Renteneintritts der geburtenstarken Jahrgänge der 1950er und 1960er Jahre und des sukzessiven Eintritts der ab den 1970er Jahren nur noch schwach besetzten Geburtsjahr82

Vgl. Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung (2003, S. 53). Am 9. März 2007 wurde im Deutschen Bundestag beschlossen, das Zugangsalters zu einer abschlagsfreien Regelaltersrente bis 2029 schrittweise auf das 67. Lebensjahr zu erhöhen. Die Berechnungen des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung gehen von einer schrittweisen Umsetzung dieser Maßnahme im Zeitraum von 2010 bis 2025 aus, so dass die Berechnungsannahmen in etwa den geplanten Politikmaßnahmen entsprechen. 83

2.4 Erwartete zukünftige Entwicklung der Gesetzlichen Rentenversicherung

97

gänge in die Erwerbstätigkeitsphase ab ca. 2016 für einen langen Zeitraum zu einer ausgeprägten Zunahme des Äquivalenzrentnerquotienten führen. 2.4.2 Inter- und intragenerationale Umverteilung in der Gesetzlichen Rentenversicherung nach dem vollzogenen Paradigmenwechsel Es gibt in der Gesetzlichen Rentenversicherung verschiedene Varianten einer gewollten Umverteilung von Versicherten mit relativ hohen zu Versicherten mit relativ geringen Rentenansprüchen. Solche Umverteilungen liegen nach der Logik dieses grundsätzlich auf dem Versicherungsprinzip beruhenden Rentensystems84 immer dann vor, wenn Rentenansprüche gewährt werden, ohne dass Beiträge entrichtet wurden85, oder wenn geleistete Beitragszahlungen höher bewertet werden86. Um diese gewollten Umverteilungen soll es in diesem Abschnitt jedoch nicht gehen. Vielmehr seien hier die – im Allgemeinen – nicht intendierten Umverteilungen zwischen und innerhalb von Generationen betrachtet, die durch die spezielle Funktionsweise eines Umlagesystems verursacht werden87. Zunächst sei untersucht, ob es in der GRV in Zukunft (noch) zu ungewollten intergenerationalen Umverteilungen kommen kann. In Abschnitt 2.2.3 wurde anhand des stilisierten Modells gezeigt, dass solche Umverteilungen in einem ausgereiften umlagefinanzierten Alterssicherungssystem 84

Vgl. zu einer ausführlichen Diskussion dieses Selbstverständnisses z. B. Köhler-Rama (2003). 85 Z. B. durch die Zurechnung von Entgeltpunkten für beitragsfreie Zeiten im Rahmen der Gesamtleistungsbewertung. Bis zur Rentenreform 2004 wurden v. a. für Ausbildungszeiten pauschale Rentenanwartschaften angerechnet, die nicht auf Beitragszahlungen gründeten. 86 Z. B. bei der Höherbewertung von Beitragszahlungen während der sog. Kinderberücksichtigungszeit. 87 Obwohl der in der GRV seit 1992 fortschreitende Paradigmenwechsel auch bezüglich der gewollten Umverteilung zu einem Wechsel jener Versicherten bzw. Generationen geführt hat, die die Umverteilungslast letztlich zu tragen haben. So führt in einem idealtypischen Umlagesystem der Variante AE die (überwiegend sozialpolitisch) motivierte Zurechnung von Rentenanwartschaften zugunsten von Versicherten einer Generation i nicht zu einer zusätzlichen Belastung anderer Versicherter der gleichen Generation und damit zu intragenerationaler Umverteilung. Vielmehr werden die Versicherten der Nachfolgegeneration in Form höherer Beitragszahlungen belastet, da sie die in der Vergangenheit gewährten Rentenanwartschaften „bezahlen“ müssen. In einem Umlagesystem der Variante EA führt die Zurechnung von Rentenanwartschaften zugunsten von Versicherten einer Generation i hingegen zu einer Belastung der übrigen Versicherten der gleichen Generation, da deren Rentenzahlbeträge bei einem gegebenen Einnahmevolumen der Rentenversicherung zwangsläufig niedriger ausfallen müssen.

98

2. Funktionsweise und Situation der Alterssicherung in Deutschland

der Variante AE bei einer Veränderung der demografischen Bedingungen zwangsläufig eintreten88. Maßstab für diese Beurteilung war dabei die in (2.22) aufgeführte Bestimmungsgleichung des impliziten Einkommensteuersatzes auf das Lebenseinkommen des repräsentativen Versicherten einer Generation i. Aus dieser ging hervor, dass die implizite Besteuerung eines Versicherten der Generation i in einem Umlagesystem der Variante AE völlig unabhängig vom durchschnittlichen Fertilitätsverhalten seiner Generation ist und bei einer Zunahme der durchschnittlichen Lebenserwartung der Mitglieder seiner Generation sogar abnimmt89. Eine geringe Fertilitätsrate – im Sinne einer Nicht-Ersetzung der Kopfzahl einer Generation durch Nachkommen – und eine Zunahme der durchschnittlichen Lebenserwartung führen in dieser Systemvariante stattdessen zu einer Belastung der Nachfolgegeneration, da diese – wie aus Gleichung (2.16) hervorgeht – in diesen Fällen mit höheren Beitragszahlungen belastet wird, ohne dadurch höhere Rentenansprüche zu erwerben. In Abschnitt 2.3.1 konnte bei der Untersuchung der Entwicklung der Gesetzlichen Rentenversicherung im Zeitabschnitt von 1957 bis 1991 ein Muster identifiziert werden, das den beschriebenen Umverteilungseffekten einer umlagefinanzierten Alterssicherung der Variante AE entspricht. Abgemildert nur durch einige diskretionäre Eingriffe seitens der Politik, mit denen die Zahl der Äquivalenzbeitragszahler kurzfristig erhöht werden konnte, wirkten sich Verschlechterungen der demografischen Bestimmungsvariablen des Äquivalenzrentnerquotienten so gut wie ausschließlich auf den Beitragssatz zur Gesetzlichen Rentenversicherung aus und wurden mithin an die jeweilige Beitragszahlergeneration weiter geschoben. Diese intergenerationale Umverteilung von Anpassungslasten konnte schließlich auch in einer Berechnung der implizit in den Beitragszahlungen eines Geburtsjahrgangs enthaltenen Steuerzahlungen nachgewiesen werden. Für spätere Generationen bzw. Geburtsjahrgänge, die über einen größeren Zeitraum ihrer Erwerbstätigkeitsphase einen höheren Beitragssatz zahlen mussten, ohne dadurch entsprechend höhere 88 Wie in Fn. 12 erläutert, wird hier von jenen intergenerationalen Umverteilungseffekten, die mit der Einführung eines Umlagesystems zwangsläufig einhergehen, abstrahiert. Die „Grundbelastung“ aller späteren Versichertengenerationen durch den Einführungsgewinn der ersten Rentnergeneration wird hier folglich als gegeben angenommen, denn solange die erworbenen Rentenansprüche jeder Generation vom Staat bzw. vom Rentenversicherungsträger respektiert werden, ist diese intergenerationale Umverteilung nicht mehr rückgängig zu machen, vgl. z. B. Sinn (2000). Die hier verwendete Betrachtungsperspektive eines ausgereiften Umlagesystems beachtet folglich nur solche intergenerationalen Umverteilungen, die additiv der in der Einführungsphase des Umlagesystems bereits stattgefundenen Umverteilung hinzugefügt werden. 89 Vgl. hierzu auch die in Tabelle 2.1 auf Seite 54 zusammengefassten Ergebnisse der theoretischen Untersuchung.

2.4 Erwartete zukünftige Entwicklung der Gesetzlichen Rentenversicherung

99

Rentenanwartschaften zu erwerben, stellte sich das Umlagesystem als ökonomisch weitaus ungünstiger dar als für frühere Generationen bzw. Geburtsjahrgänge90. Mit dem in der GRV mittlerweile so gut wie vollständig vollzogenen Paradigmenwechsel zu einer einnahmeorientierten Ausgabenpolitik hat sich dieses Bild jedoch gewandelt. Die unten noch einmal aufgeführte Bestimmungsgleichung des impliziten (Einkommens-)Steuersatzes eines Umlagesystems dieser Variante zeigt91, dass die relative Be- bzw. Entlastung des repräsentativen Versicherten einer Generation i – nimmt man die Entwicklung des Lohn- und Zinssatzes als gegeben an – unter dem Paradigma einer einnahmeorientierten Ausgabenpolitik vor allem von der durchschnittlichen Geburtenzahl seiner Generation abhängt:   iþ1  e È1 þ mêÈ1 þ ni ê ISi ã b€ 1  ei È1 þ rê

Die durchschnittliche Lebenserwartung seiner Generation spielt hingegen keine Rolle für seine ökonomische Situation. Auch die ökonomische Situation der Versicherten jeder anderen Generation wird hiervon nicht berührt. Als Grund dafür konnte in 2.2.2 identifiziert werden, dass ein strikt dem Paradigma einer einnahmeorientierten Ausgabenpolitik folgendes Umlagesystem in Bezug auf die Lebenserwartung implizit wie ein dem versicherungstechnischen Äquivalenzprinzip folgendes privates Altersvorsorgesystem funktioniert: Eine zunehmende Lebenserwartung zieht systemendogen eine geringere Anpassung der Rentenzahlbeträge und damit auch eine geringere implizite Verzinsung von geleisteten Beitragszahlungen nach sich (Gleichung (2.8)). Die Verringerung der Rentenanpassung ist dabei gerade so hoch, dass der positive Effekt auf den Erwartungswert einer Rente, der aus der höheren Erlebenswahrscheinlichkeit der Ruhestandsphase resultiert, vollständig kompensiert wird. In einem umlagefinanzierten Alterssicherungssystem der Variante EA stellt daher eine im Zeitablauf zunehmende Lebenserwartung die Versicherten späterer Generationen – entgegen der Intuition – weder besser noch schlechter und es kommt mithin zu keiner intergenerationalen Umverteilung92. Eine relativ geringe durchschnittliche 90

Vgl. Abbildung 2.8 auf Seite 68 und die dort aufgeführten Erläuterungen. Zur Herleitung vgl. die Ausführungen zu Gleichung (2.11) in Abschnitt 2.2.2. 92 Hingegen kann eine zunehmende Lebenserwartung auch in einem Umlagesystem dieser Variante zu intragenerationaler Umverteilung führen, wenn sich die Lebenserwartung verschiedener Versicherter einer Generation i im Zeitablauf unterschiedlich entwickelt. Nimmt z. B. die Lebenserwartung nur eines Teils der Versicherten zu, während die eines anderen Teils konstant bleibt, dann werden die Individuen mit der veränderten Lebenserwartung trotz der geringeren Rentenanpas91

100

2. Funktionsweise und Situation der Alterssicherung in Deutschland

Kinderzahl einer Generation i ist für einen Versicherten dieser Generation jedoch eindeutig nachteilig, da der implizite Steuersatz in diesem Fall vergleichsweise höher als bei einer relativ hohen durchschnittlichen Kinderzahl ist. Bei einnahmeorientierter Ausgabenpolitik ist somit die ökonomische Vorteilhaftigkeit eines umlagefinanzierten Alterssicherungssystems für die Versicherten einer Generation i in hohem Maße vom durchschnittlichen Fertilitätsverhalten ihrer Generation abhängig. Zusätzliche Effekte gehen von Veränderungen der Erwerbsquote aus, von denen hier aber abstrahiert werden soll93. Man kann daher schließen, dass Veränderungen der demografischen Bedingungen in einem Umlagesystem der Variante EA keine (systematischen) intergenerationalen Umverteilungen nach sich ziehen. Dass dem so ist, lässt sich anhand der erwarteten Entwicklung der impliziten Besteuerung von Versicherten verschiedener Generationen bzw. Geburtsjahrgänge der Gesetzlichen Rentenversicherung zeigen. Zu diesem Zweck ist auf der folgenden Seite in Abbildung 2.17 der implizite Steuersatz auf das Lebenseinkommen der Geburtsjahrgänge 1940 bis 2005 für verschiedene Szenarien dargestellt. Dabei ist zum einen die Entwicklung des impliziten Steuersatzes für den hypothetischen Fall aufgeführt, dass die Gesetzliche Rentenversicherung am Paradigma einer ausgabenorientierten Einnahmepolitik festgehalten hätte („Vor Rentenreform 1992“). Zum zweiten ist in Abbildung 2.17 die erwartete Entwicklung des impliziten Steuersatzes nach dem heute geltenden Recht abgetragen, wobei eine Erhöhung des Renteneintrittsalters sungen im Ergebnis ökonomisch besser, die mit der konstanten Lebenserwartung hingegen ökonomisch schlechter gestellt. In der Tat ist allgemein bekannt, dass sich die durchschnittliche Lebenserwartung verschiedener Bevölkerungsgruppen zum Teil deutlich unterscheiden kann. Dies gilt z. B. für die Lebenserwartung von Männern und Frauen, aber auch für die Lebenserwartung von Besserverdienern und Geringverdienern (vgl. Breyer/Kifmann (2003), die aufgrund dieser Tatsache von einer systematischen Besserstellung von Besserverdienern in der GRV ausgehen). Doch auch wenn sich die Lebenserwartung verschiedener Bevölkerungsgruppen per se unterscheidet, ist damit noch nicht gesagt, dass sich dieser Unterschied im Zeitablauf im Zuge einer Zunahme der durchschnittlichen Lebenserwartung vergrößern muss. 93 Wie bei der Analyse des stilisierten Modells gezeigt wurde (vgl. hierzu auch Tabelle 2.1 auf Seite 54), führt eine relativ höhere Erwerbsquote einer Generation i in einem Umlagesystem der Variante EA zu einer relativ höheren Besteuerung ihrer Mitglieder, da in diesem Fall in der Ruhestandsphase dieser Generation mit einer gegebenen Beitragssumme mehr Rentenansprüche bedient werden müssen. Der negative Effekt auf die implizite Verzinsung dieses Systems, den eine relativ geringe durchschnittliche Geburtenzahl einer Generation i für ihre Mitglieder nach sich zieht, kann daher nicht mit einer höheren Erwerbsquote dieser Generation kompensiert werden. Im Gegenteil, erhöht sich dadurch sogar die implizite Besteuerung der Versicherten dieser Generation. Vorteilhaft wäre die höhere Erwerbsquote lediglich für die Versicherten der Vorgängergeneration, da für diese die Höhe der Rentenzahlbeträge zu- und die implizite Besteuerung abnehmen würde.

2.4 Erwartete zukünftige Entwicklung der Gesetzlichen Rentenversicherung 101

Impliziter Steuersatz

25,00% 20,00%

Vor Rentenreform 1992

15,00%

Strikte Beitragssatzfixierung

10,00%

Nach Rentenreform 2004

5,00%

00 20

90 19

80 19

70 19

60 19

50 19

19

40

0,00%

Geburtsjahrgang Quelle: Werding (2006, S. 46).

Abbildung 2.17: Impliziter Steuersatz auf das Lebenseinkommen der Geburtsjahrgänge 1940 bis 2005 unter verschiedenen Voraussetzungen

um zwei Jahre bereits berücksichtigt wurde („Nach Rentenreform 2004“). Zum dritten ist der implizite Steuersatz für die hypothetische Umsetzung des sog. „ifo-Modells“ aufgeführt94. Mit einer entscheidenden Ausnahme entspricht dieses dem heutigen Rechtszustand der GRV: Während nach heutigem Rentenrecht bis 2030 ein moderater Beitragssatzanstieg auf 22% vorgesehen ist, soll der Beitragssatz im ifo-Modell auf dem heutigen Niveau fixiert bleiben (Daher: „Strikte Beitragssatzfixierung“). Der Unterschied zwischen dem heutigen Rechtszustand und dem „ifo-Modell“ entspricht insofern dem Unterschied zwischen der mittlerweile sehr weitgehenden Anlehnung der Gesetzlichen Rentenversicherung an das Paradigma einer einnahmeorientierten Ausgabenpolitik und der idealtypischen Umsetzung dieses Paradigmas, wie er in Abschnitt 2.2.2 anhand des stilisierten Modells beschrieben wurde. Klar erkennbar ist, wie sehr der zwischen 1992 und 2004 vollzogene Paradigmenwechsel die ökonomische Belastung verschiedener Geburtsjahrgänge verändert hat. Die Geburtsjahrgänge von 1940 bis 1975 waren nach dem vor der Rentenreform 1992 geltenden Rechtsstand noch deutlich besser gestellt als nach heutigem Recht. Der implizit von ihrem Lebenseinkommen zu entrichtende Steuersatz hat durch die verschiedenen Rentenreformen seit 1992 spürbar zugenommen. Der Grund dafür liegt darin, dass diese Jahr94 Vgl. für eine Darstellung dieses Modells Sinn/Werding (2000) und Werding (2006).

102

2. Funktionsweise und Situation der Alterssicherung in Deutschland

gänge einen großen Teil oder sogar ihre gesamten Beitragszahlungen bereits geleistet haben und der Wechsel zu einer einnahmeorientierten Ausgabenpolitik mit entsprechenden Rentenniveausenkungen vor allem ihre aktuellen oder zukünftigen Rentenleistungen beschneidet. Nach altem Recht wäre das Rentenniveau konstant geblieben und die Anpassung an die veränderten demografischen Bedingungen hätte sich allein über den Beitragssatz vollzogen95. Die höhere Belastung früherer Generationen durch den Paradigmenwechsel der GRV geht daher mit einer Entlastung späterer Generationen einher, denn deren Mitglieder müssen in wesentlich geringerem Ausmaß die Lasten der relativ geringen Kinderzahl und zunehmenden Lebenserwartung ihrer Vorgängergeneration über höhere Beitragssätze tragen. Sie werden jedoch (kollektiv) die Folgen der geringen durchschnittlichen Kinderzahl der eigenen Generation tragen müssen96, so dass ihre Belastung mit impliziten Steuerzahlungen – in historischer Dimension – immer noch hoch bleibt. Dass die Geburtenraten bereits für die Geburtsjahrgänge ab 1940 stark rückläufig und weit unter dem Reproduktionsniveau liegend waren, soll hier nochmals anhand der Abbildung 2.18 verdeutlicht werden, in der die durchschnittlichen endgültigen Kinderzahlen von Frauen der Geburtsjahrgänge 1865 bis 1967 und die für den Ersatz der Elterngeneration notwendigen Kinderzahlen aufgeführt sind. Abbildung 2.18 zeigt, dass die endgültigen Kinderzahlen – nach einem Zwischenhoch in den Geburtsjahrgängen 1915–1933, deren Mitglieder für die hohen Geburtenraten während des „Baby-Booms“ der 1950er und 1960er Jahre verantwortlich waren – seit dem Geburtsjahrgang 1934 zum Teil deutlich rückläufig sind und stets unterhalb des Reproduktionsniveaus lagen. In Abbildung 2.17 auf Seite 101 ist jedoch auch zu erkennen, dass intergenerationale Umverteilungen durch den Paradigmenwechsel der GRV nicht völlig beseitigt wurden. Dies zeigt der Vergleich der impliziten Besteuerung nach dem heutigen Rentenrecht mit jener bei strikter Beitragssatzfixierung. In beiden Systemen nimmt die implizite Besteuerung der Geburtsjahrgänge 1940 bis 1975 noch ungefähr in gleichem Ausmaß zu, weil vor allem die Geburtsjahrgänge zwischen 1940 und ca. 1955 bereits einen großen Teil ihres Erwerbslebens unter dem Umlagesystem der Variante AE 95

Vgl. hierzu auch Abbildung 2.9 auf Seite 70. Angenommen wurde in den Berechnungen ein ausgehend von 2005 konstantes Geburtenverhalten der verschiedenen Geburtsjahrgänge. Selbstverständlich könnten die Geburtsjahrgänge ab ca. 1967 ihr Geburtenverhalten im Sinne einer höheren durchschnittlichen Fertilität noch verändern, aber auch der umgekehrte Fall ist denkbar. 96

61

55

49

43

37

31

25

19

67 19

19

19

19

19

19

19

19

13

19

01

95

07

19

19

19

83

77

89

18

18

18

71

18

18

65

5 4,5 4 3,5 3 2,5 2 1,5 1 0,5 0

18

Endgültige Kinderzahl

2.4 Erwartete zukünftige Entwicklung der Gesetzlichen Rentenversicherung 103

Geburtsjahrgang Endgültige Kinderzahl

Reproduktionsniveau

Quelle: Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (2004, S. 21).

Abbildung 2.18: Durchschnittliche endgültige Kinderzahl und für den Ersatz der Elterngeneration notwendige Kinderzahl von Frauen der Geburtsjahrgänge 1865 bis 1967

mit entsprechend steigenden Beitragssätzen verbracht haben. Eine künftige Beitragssatzfixierung bleibt für diese Jahrgänge daher ohne große Auswirkung. Im Unterschied dazu würde die implizite Besteuerung für die Geburtsjahrgänge ab etwa 1975 bei strikter Beitragssatzfixierung fast gleich bleiben, während sie nach dem heutigen Rechtsstand immer noch ansteigen wird. Grund dafür ist, dass der Beitragssatz nach aktuellem Recht noch leicht zunehmen soll und es daher in begrenztem Ausmaß weiterhin zu intergenerationaler Umverteilung kommt. Bei strikter Beitragssatzfixierung wäre dies nicht der Fall, und der implizite Steuersatz würde fast konstant auf einem Niveau von ungefähr 12,5% bleiben97. Doch trotz der in der GRV weiterhin in relativ geringem Maße vorhandenen intergenerationalen Umverteilung zulasten späterer Generationen zeigt Abbildung 2.17, wie sehr der vollzogene Paradigmenwechsel die ökonomischen Belastungen verschiedener Geburtsjahrgänge mit impliziten Steuerzahlungen einander ange97

Die bei Beitragssatzfixierung beinahe konstante implizite Besteuerung späterer Generationen ergibt sich dabei aus Gleichung (2.10) und den bei der Berechnung der in Abbildung 2.17 auf Seite 101 dargestellten Kurvenverläufe unterstellten Annahmen. Für die Fertilität, den Lohnsatz und die Erwerbsquote wurde jeweils eine konstante Entwicklung unterstellt. Bei der Lebenserwartung wurde von einer weiteren Zunahme ausgegangen, die allerdings – wie aus (2.10) hervorgeht – keinen Einfluss auf die implizite Besteuerung hat.

104

2. Funktionsweise und Situation der Alterssicherung in Deutschland

glichen hat. Zwar wird das Rentenniveau, wie Abbildung 2.15 auf Seite 93 gezeigt hat, in den nächsten Jahrzehnten deutlich zurückgehen. Dieser Rückgang führt aber nicht per se zu einer Benachteiligung der später in die Ruhestandsphase eintretenden Geburtsjahrgänge. Vielmehr sinken die Rentenansprüche dieser Geburtsjahrgänge, weil die ihnen angehörenden Versicherten im Durchschnitt relativ wenige Nachkommen haben und ihre Lebenserwartung zunimmt. Die vorangegangenen Ausführungen legen auf den ersten Blick die Schlussfolgerung nahe, dass die in den letzten Jahren durchgeführten Rentenreformen ein wesentlich höheres Maß an Gerechtigkeit in die Gesetzliche Rentenversicherung gebracht haben. Durch den Paradigmenwechsel der GRV ist weitestgehend sichergestellt, dass nicht spätere Generationen durch die Eigenschaften und v. a. die Entscheidungen einer Generation i belastet werden, sondern die Mitglieder dieser Generation i selbst. In Bezug auf die auch zukünftig mit hoher Wahrscheinlichkeit noch weiter zunehmende Lebenserwartung kann dieser Schlussfolgerung auch gefolgt werden. Denn diese resultiert weniger aus individuellen Entscheidungen, sondern wird z. B. von (positiven) Begleiterscheinungen des medizinisch-technischen Fortschritts und günstiger werdenden Arbeitsbedingungen verursacht. Durch eine Entwicklung, die nicht auf individuelle oder kollektive Entscheidungen zurückgeführt werden kann, sondern die quasi das unbeeinflussbare Nebenprodukt des Fortschritts ist, sollte niemand per se besser oder schlechter gestellt werden. Eben dies wird in einem umlagefinanzierten Alterssicherungssystem der Variante EA erreicht, indem durch den impliziten Rentenanpassungsmechanismus dieser Systemvariante nicht der Absolut-, sondern der Erwartungswert der Rentenzahlbeträge fixiert wird. Es ist jedoch hoch problematisch, die gleiche Argumentation auf die Fertilitätsentwicklung anzuwenden. Ob sich Individuen für oder gegen Kinder entscheiden, wird zwar auch durch gesellschaftliche, politische und vor allem wirtschaftliche Prozesse beeinflusst, letztlich handelt es sich hier aber wohl in der weit überwiegenden Zahl der Fälle – im Gegensatz zur Lebenserwartung – um rationale Entscheidungen autonomer Individuen. Wenn alle Individuen identisch sind und abhängig von den beschriebenen Einflüssen die gleiche Fertilitätsentscheidung treffen, so stellt dies für obige Argumentation noch nicht unbedingt ein Problem dar. Denn dann kann die Kürzung der Rentenansprüche einer Generation, die sich nicht nur im Durchschnitt, sondern Individuum für Individuum für eine relativ geringe Kinderzahl entschieden hat, als eine Anwendung des Kausalitätsprinzips gesehen werden: Eine kinderarme Generation muss dann die Folgen ihrer Entscheidungen – über geringere Renten und eine höhere implizite Besteuerung ihrer Mitglieder – selbst tragen. Tatsächlich wird häufig so argumentiert. So führt z. B. Grohmann (2004, S. 196 und 198) in diesem Zusammenhang aus:

2.4 Erwartete zukünftige Entwicklung der Gesetzlichen Rentenversicherung 105 70,00% 60,00% 50,00%

Kinderlos

40,00%

1 Kind

30,00%

2 Kinder 3 oder mehr Kinder

20,00% 10,00%

62

59

65 19

19

53

50

56

19

19

19

44

41

47

19

19

19

38

19

19

19

35

0,00%

Geburtsjahrgang Anmerkung: Nur alte Bundesländer. Quellen: Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (2004, S. 25); Destatis.

Abbildung 2.19: Frauen der Geburtsjahrgänge 1935 bis 1967 nach der Zahl geborener Kinder

„Für mein Thema bleibt es jedenfalls dabei, dass es diese mittlere Generation ist, deren Geburtenhäufigkeit die absehbare massive Alterung der Gesellschaft letztlich bewirkt hat. Sie wird es freilich auch sein, die die Folgen in ihrer eigenen Alterssicherung wird tragen müssen. (. . .) Kollektives Verhalten hat ebenso wie individuelles Verhalten eben Folgen, die zu tragen man bereit sein muss.“

Tatsächlich haben jedoch nicht alle Individuen in gleicher Weise zum Geburtenrückgang der letzten Jahrzehnte beigetragen, so dass man schwerlich von einem kollektiven Verhalten sprechen kann. In der folgenden Abbildung 2.19 wird die endgültige Geburtenzahl von Frauen der Geburtsjahrgänge 1935–1967 danach differenziert, ein wie großer Anteil kinderlos geblieben ist bzw. ein, zwei oder drei und mehr Kinder zur Welt gebracht hat. Auffallend sind dabei vor allem zwei Entwicklungen: Zum einen die starke Zunahme der lebenslang Kinderlosen, die, nach dem sie zunächst eine Ausnahmeerscheinung (1935: 6,7%) darstellten, im Geburtsjahrgang 1967 schließlich einen Anteil von 28,6% ausmachen. Zum anderen die starke Abnahme kinderreicher Frauen: Gehörten im Geburtsjahrgang 1935 noch fast zwei Drittel der Frauen zu dieser Gruppe, so waren es im Geburtsjahrgang 1967 nur noch ein Fünftel. Der Anteil jener Frauen, deren Kinderzahl unterhalb der zum Ersatz der Elterngeneration notwendigen Höhe liegt („Kinderlose“ oder „ein Kind“), erhöhte sich zwischen den Geburtsjahrgängen 1935 und 1967 von 29,9% auf 48,1%. Gleichzeitig betrug die Zahl der Frauen mit einer bestandserhaltenden oder höheren Kinderzahl

106

2. Funktionsweise und Situation der Alterssicherung in Deutschland

aber im Geburtsjahrgang 1967 immerhin noch 51,9%. Das Argument, wonach kollektives Verhalten eine kollektive Tragung der Folgen impliziert, steht somit vor einem Argumentationsproblem: Der Geburtenrückgang ist keineswegs auf kollektives Verhalten zurückzuführen. Obwohl der Anteil jener Frauen, deren Kinderzahl auf oder über dem Reproduktionsniveau lag, im Zeitablauf um ca. 20 Prozentpunkte abgenommen hat, weisen auch im Geburtsjahrgang 1967 noch immer mehr als die Hälfte der Frauen eine zum Ersatz der Elterngeneration ausreichende Kinderzahl auf. Hätten diese Frauen – unter Einbezug der Väter ihrer Kinder – unter sich ein autonomes umlagefinanziertes Rentensystem gebildet, wäre vom Faktor È1 þ ni ê in Gleichung (2.11) kein positiver, sondern ein negativer Effekt auf den impliziten Einkommensteuersatz ausgegangen. Diese Überlegungen führen zu einer Frage, die in diesem Kapitel bislang ausgeblendet wurde, die aber die zentrale Rolle in den folgenden Kapiteln spielen wird: Inwieweit kann es in einem umlagefinanzierten Alterssicherungssystem zu nicht intendierten intragenerationalen Umverteilungen kommen? Der Beantwortung dieser Frage wird in den Kapiteln 3. und 4. umfassend nachgegangen. Sie soll hier jedoch, ausgehend vom in Abschnitt 2.2 entwickelten Modell, als Überleitung bereits kurz angerissen werden. In der Einführung zu diesem Kapitel wurde kurz der Unterschied zwischen einem kapitalgedeckten und einem umlagefinanzierten Alterssicherungssystem diskutiert. Als grundlegender Unterschied stellte sich heraus, dass Beitragszahlungen im Kapitaldeckungssystem angespart werden und die Deckungsgrundlage späterer Rentenzahlungen bilden, während Beitragszahlungen im Umlagesystem direkt ausgeschüttet werden und somit nicht mehr zur Bildung eines Deckungskapitalstocks verwendet werden können. Diese traditionell vorgenommene Betrachtungsweise, der in diesem Kapitel bislang gefolgt wurde, steht jedoch vor einem Problem: Gäbe es in einem Umlagesystem tatsächlich kein Deckungskapital, dann könnten auch zu keinem Zeitpunkt Renten ausgeschüttet werden. „Gedeckt“ sind erworbene Rentenansprüche daher durchaus, jedoch nicht durch den Wert eines aus geleisteten Beitragszahlungen akkumulierten Anlagebestands, sondern durch den Wert der erwarteten zukünftigen Versicherungseinnahmen der Rentenversicherung. Wie hoch die Versicherungseinnahmen in einer Betrachtungsperiode t sind, wurde für ein Umlagesystem der Variante EA in Gleichung (2.3) des Abschnitts 2.2.2 abgeleitet. Das Ergebnis sei hier nochmals aufgeführt: VEtEA ã b€Wt ã b€wet  1 È1 þ nt  2 êN

Die Einnahmen ergeben sich demnach aus der Erhebung eines Zwangsbeitrages b€ auf die Lohnsumme der Periode t. Letztere ergibt sich, abstrahiert man von der Erwerbsquote, aus der Größe der Erwerbstätigengenera-

2.4 Erwartete zukünftige Entwicklung der Gesetzlichen Rentenversicherung 107

tion in t, sowie aus dem in t gezahlten Lohnsatz. Das Deckungskapital der Umlagerenten einer Periode t besteht damit, bei Konstanz aller anderen Variablen, in der Kopfzahl der Beitragszahlergeneration dieser Periode und deren Fähigkeit, (Lohn-)Einkommen zu generieren. Doch woher stammen die Mitglieder der Beitragszahlergeneration und die in ihnen verkörperten Fähigkeiten zur Einkommenserzielung? Aus welchen Motiven wurden sie geboren, erzogen und ausgebildet? Die genannten Fragen nach der Herkunft künftiger Generationen und der Motivation zu ihrer Geburt, Erziehung und Ausbildung werden nicht nur bei der Ausgestaltung realtypischer umlagefinanzierter Alterssicherungssysteme, sondern auch bei ihrer wissenschaftlichen Analyse und der Diskussion möglicher Rentenreformen zumeist ignoriert, so wie dies bislang auch in diesem Kapitel geschehen ist. Aus dieser Sichtweise scheinen dann die intergenerationalen Umverteilungseffekte das vorherrschende Problem dieser Systeme zu sein, so wie dies in den letzten Jahren z. B. in der teils heftigen Diskussion um „generationengerechte“ Reformen der Gesetzlichen Rentenversicherung zum Ausdruck gekommen ist98. Wenn sich Eltern jedoch einem rationalen Kalkül folgend und mit bestimmten Motiven für Nachkommen und die Übernahme der mit ihrer Geburt und Erziehung verbundenen Kosten und Mühen entscheiden, sie damit aber letztlich den Aufwand zur Bereitstellung des Deckungskapitals eines umlagefinanzierten Alterssicherungssystems auf sich nehmen, während zugleich Rentenansprüche beinahe ausschließlich nach den längst verausgabten monetären Beitragszahlungen gewährt werden, dann tritt neben das Problem ungewollter intergenerationaler Umverteilungseffekte jenes ungewollter intragenerationaler Umverteilung. In einem Umlagesystem der Variante EA wie der Gesetzlichen Rentenversicherung, stellt sich das Problem der ungewollten intragenerationalen Umverteilung sogar als das einzig entscheidende dar, denn eine nicht intendierte intergenerationale Umverteilung findet dort – zumindestens systematisch – kaum noch statt. In diesem Sinne befassen sich die folgenden Kapitel mit der Problematik, die der Gesetzlichen Rentenversicherung trotz all der Rentenreformen der letzten Jahre geblieben ist: Mit der in der Funktionsweise eines jeden in herkömmlicher Weise organisierten umlagefinanzierten Alterssicherungssystems99 angelegten intragenerationalen Umverteilung und den sich daraus ergebenden Folgen. 98 Vgl. zu dieser Diskussion z. B. Hauser (2004), Rürup (2004) und Schmähl (2004). 99 Mit einem in „herkömmlicher“ Weise organisierten umlagefinanzierten Alterssicherungssystem werden in dieser Untersuchung im Folgenden stets solche Umlagesysteme bezeichnet, die so organisiert sind, wie dies im vorliegenden Kapitel beschrieben wurde. Rentenansprüche leiten sich in „herkömmlichen“ Umlagesystemen mithin aus Beitragszahlungen, nicht hingegen aus z. B. Kindererziehung ab.

3. Umlagefinanzierte Alterssicherung und Konsummotiv der Kindererziehung 3.1 Einführung Für lange Zeit wurden Motive der Kindererziehung in ökonomischen Untersuchungen ausgeblendet. Obwohl die Bedeutung des Faktors Arbeit für das Produktionspotential und die Produktivität einer Volkswirtschaft – sowohl in seiner quantitativen als auch in seiner qualitativen Dimension – durchaus erkannt wurde, wurde sein Vorhandensein zumeist ganz einfach unterstellt bzw. seine Entwicklung exogenisiert1. Beginnend mit Leibenstein (1957) und Becker (1960) wurden im Rahmen der „Neuen Haushaltsökonomie“ jedoch Modelle entwickelt, in denen angenommen wurde, dass elterliche Fertilitäts- und Erziehungsentscheidungen ebenso einem ökonomischen Kalkül folgen wie Entscheidungen, die in anderen Lebensbereichen getroffen werden – etwa Entscheidungen über den Konsum bestimmter Güter oder die Investition in bestimmte Anlagearten. Während mittlerweile unstrittig sein dürfte, dass die Geburt und Erziehung von Nachkommen in der wohl weit überwiegenden Zahl der Fälle in der Tat das Ergebnis eines rationalen Wahlaktes der jeweiligen Eltern ist2, hat sich bei der Beantwortung der Frage nach den genauen Motiven, durch die Eltern bei ihrer Entscheidung geleitet werden, bislang noch keine dominierende Lehrmeinung herausgebildet. Letzteres muss überraschen: Denn unausgesprochen scheint doch jede Gesellschaft davon auszugehen, dass die elterlichen Motive zumindestens im Durchschnitt Entscheidungen nach sich ziehen, die der Fortsetzung der Generationenfolge und dem Wohl der Nachkommen nicht entgegenstehen. Agee/Crocker (1996, S. 36) fassen diesen Aspekt treffend so zusammen: 1 Vgl. z. B. die auf Solow (1956) zurückgehenden Modelle der neoklassischen Wachstumstheorie. Auch in der endogenen Wachstumstheorie wird, obwohl Humankapital hier eine herausragende Rolle für den Wachstumsprozess spielt, durchgehend von einer exogenen Fertilitätsentwicklung ausgegangen, vgl. z. B. Lucas (1988), Mankiw/Romer/Weill (1992) und Homburg (1995). Endogenisiert wird in diesen Ansätzen lediglich die Ausbildung von Individuen. Die Beantwortung der Frage, aus welchen Motiven die auszubildenden Individuen zunächst einmal geboren und erzogen werden, wird dagegen umgangen. 2 Vgl. z. B. die Ergebnisse der empirischen Untersuchung von Cigno/Rosati (1996, S. 1582 ff.) sowie die Nachweise in Coale (1986, S. 17 ff.) und Knodel (1986, S. 366 ff.), dass eine bewusste Geburtenkontrolle bereits im vorindustriellen Europa keine Ausnahme war.

3.1 Einführung

109

„Though nearly every society grants parents wide discretion about the nurture they provide their children, little is understood what motivates investment by one generation in another (. . .).“

Es ist bereits für sich allein genommen interessant, der Frage nach den Motiven, die hinter individuellen Entscheidungen zur Geburt und Erziehung von Kindern, zur Finanzierung ihrer Ausbildung und/oder zur Vornahme von Transfers zur Erhöhung ihrer Ressourcenausstattung stehen, nachzugehen. Bei der Analyse umlagefinanzierter Alterssicherungssysteme kommt ihr jedoch eine zusätzliche Bedeutung zu. Denn zum einen hängt die Finanzierung künftiger Rentenzahlungen in einem Umlagesystem letztlich von der Summe individueller – und zum Teil auch kollektiver – Entscheidungen über die Kopfzahl, die Erziehung und das Ausbildungsniveau nachfolgender Generationen ab. Und zum anderen ist es umgekehrt möglich, dass kinderbezogene Entscheidungen durch die Installierung eines Umlagesystems und durch dessen spezifische Organisation – positiv oder negativ – beeinflusst werden, so dass diese Form der Alterssicherung unter Umständen Rückwirkungen auf die eigene Finanzierungsgrundlage hat. Ob und in welcher Form solche Rückwirkungen vorliegen, dürfte dabei nicht unabhängig davon sein, welchem Zweck die Erziehung von Nachkommen aus individueller Sicht dient. 3.1.1 Motive der Kindererziehung In der Literatur werden, zurückgehend auf Leibenstein (1957), drei Motive der Kindererziehung unterschieden. Zum einen können Kinder aus konsumtiven Motiven erzogen werden. Ist dieses Motiv vorhanden, so gehen die Kinderzahl, spezifische Eigenschaften der Kinder oder das erzielte Nutzenniveau der Nachkommen als Argumente in die Nutzenfunktion der Eltern ein. Wenn Eltern auf diese Weise motiviert sind, dann sind (eigene) Kinder für sie letztlich Konsumgüter einer bestimmten Qualität, die bei Entscheidungen über die optimale Ressourcenverwendung in Konkurrenz zu anderen Konsumgütern stehen. Ein zweites Motiv der Kindererziehung ist das Einkommensmotiv. Es ist vorhanden, wenn Eltern damit rechnen, dass ihre Kinder einen direkten Beitrag zu ihrem Einkommen leisten, sei es durch Beschäftigung im Haushalt oder durch Kinderarbeit und Transfer zumindestens eines Teils des dabei erwirtschafteten Einkommens an die Eltern. Als drittes Motiv nennt Leibenstein (1957) das Alterssicherungsmotiv. Diesem Motiv folgend gehen Eltern bei ihrer Fertilitäts- und Erziehungsentscheidung davon aus, dass sie von ihren Kindern im Alter finanzielle oder anderweitige Unterstützung erhalten. Sowohl beim Einkommens- als auch beim Alterssicherungsmotiv leisten Eltern den Aufwand für die Erziehung und Ausbildung ihrer Kinder somit in der Erwartung, zu einem späteren

110

3. Alterssicherung und Konsummotiv der Kindererziehung

Zeitpunkt einen Leistungsrückfluss zu erhalten. Die Erziehung und Ausbildung von Nachkommen ist daher aus ihrer Sicht eine Investition, die in Konkurrenz zu alternativen Investitionsmöglichkeiten steht, so dass man das Einkommens- und das Alterssicherungsmotiv zu einem Investitionsmotiv der Kindererziehung zusammenfassen kann. Den vorangegangen Ausführungen folgend, wird in dieser Untersuchung nur zwischen zwei Motiven der Kindererziehung, dem Konsum- und dem Investitionsmotiv, unterschieden. Die teilweise uneinheitliche Definition dieser Begriffe in der Literatur macht es dabei notwendig, vorweg auf zwei Aspekte gesondert einzugehen, um ihren Inhalt und ihre Verwendung in der vorliegenden Untersuchung zu klären. Zum einen wird von verschiedenen Autoren nicht deutlich zwischen den Motiven und den Auswirkungen kinderbezogener Entscheidungen unterschieden. So differenziert z. B. Gotsis (2005, S. 14 ff.) zwischen Konsum- und Investitionsmotiv in der Weise, dass er alle kinderbezogenen Entscheidungen von Eltern, die in der Lage sind zukünftige Einkommens- und Leistungsströme zu generieren, dem Investitionsmotiv zuordnet, alle anderen Entscheidungen hingegen dem Konsummotiv. Nun ist es direkt einleuchtend, dass solche Entscheidungen, die keine zukünftigen Einkommens- und Leistungsströme zur Folge haben können, niemals durch das Investitionsmotiv erklärbar sind. Der Umkehrschluss, wonach Entscheidungen, die Einkommens- und Leistungsströme generieren, nur durch das Investitionsmotiv erklärt werden können, ist hingegen nicht zulässig. So entstehen im Regelfall schon allein durch die Geburt eines Kindes zukünftige Einkommens- und Leistungsströme, ohne dass die Eltern bei der Entscheidung für die Geburt dieses Kindes eine investive Absicht gehabt haben müssen3. Und bereits das reine Zusammenleben von Eltern mit ihren Kindern dürfte wohl auch dann eine investive Wirkung auf Letztere entfalten, wenn eine solche Wirkung in keinster Weise von den Eltern beabsichtigt ist4. Grundlegend für die in der vorliegenden Untersuchung getroffene Unterscheidung zwischen den denkbaren Erziehungsmotiven von Eltern sind daher nicht die Auswirkungen ihrer Entscheidungen, sondern das hinter diesen Entscheidungen stehende Kalkül. Das Konsummotiv wird dabei vom Investitionsmotiv über die Beantwortung der Frage abgegrenzt, ob Eltern von ihren Kindern in irgendwelcher Form und zu irgendeinem Zeitpunkt Transferleistungen erwarten. Spielt eine solche Erwartung bei den Entscheidungen der Eltern explizit eine Rolle, dann wird ein Investitionsmotiv der Kindererziehung unterstellt. Liegt die Erwartung solcher Transferleistungen hingegen nicht vor, dann wird angenommen, 3

Dies wird in den in diesem Kapitel untersuchten Modellen deutlich. So z. B. auch Ott (2002, S. 64). Als Beispiel für nicht intendierte Investitionsprozesse kann das Erlernen der Sprache genannt werden. 4

3.1 Einführung

111

dass Kinder aus Sicht ihrer Eltern reine Konsumgüter sind. Die Abgrenzung wird dabei stets für eine gedachte Situation ohne Staatseingriff vorgenommen. Wenn Eltern ohne Staatseingriffe keine Transferleistungen von ihren Kindern erwarten, dann bildet das Konsummotiv den Ausgangspunkt aller weiteren Überlegungen, unabhängig davon, ob z. B. durch einen (gedanklich späteren) Staatseingriff Transferzahlungen der Kinder an die Eltern verpflichtend gemacht werden. Umgekehrt wird auch dann von einem Investitionsmotiv der Kindererziehung ausgegangen, wenn Kinder ohne einen Staatseingriff Transfers an ihre Eltern leisten würden, sie diese infolge des Staatseingriffs aber unterlassen. Der zuletzt angesprochene Punkt leitet zu einem zweiten Aspekt über. Oft wird in der Literatur nicht deutlich hervorgehoben, ob bei der Beurteilung der Motivlage von Eltern nur von aktiven Motiven oder auch von zwar vorhandenen, aber inaktiven Motiven ausgegangen wird. Zum Teil wird dabei pauschal unterstellt, dass kinderbezogene elterliche Entscheidungen vor Einführung eines umlagefinanzierten Alterssicherungssystems sowohl von investiven als auch von konsumtiven Motiven geleitet werden, dass nach dessen Einführung aber nur noch das Konsummotiv übrig bleibe und daher auch nur dieses Motiv untersucht werden müsse5. Eine solche Pauschalannahme ist aber schon deshalb unbefriedigend, weil sie in keiner Weise erklärt, durch welche spezifischen Mechanismen das Investitionsmotiv durch ein Umlagesystems verdrängt wird, so intuitiv diese Schlussfolgerung auf den ersten Blick auch sein mag. Und selbst wenn es zutreffend ist, dass das Investitionsmotiv der Kindererziehung durch die Zwangsteilnahme an einem umlagefinanzierten Alterssicherungssystem so weit eingeschränkt wird, dass es in den Entscheidungen der Individuen im Ergebnis keine Rolle mehr spielt, also inaktiv ist, ist dies nicht gleichbedeutend damit, dass es im Optimierungskalkül der Individuen nicht mehr vorhanden ist6. Wenn man daher anhand eines Modells argumentiert, in dem die elterlichen Erziehungsentscheidungen aus rein konsumtiven Motiven getroffen werden und man somit ein Investitionsmotiv explizit ausschließt, dann können sich alle vergleichenden Aussagen, die aus diesem Modell abgeleitet werden, nur auf Situationen beziehen, in denen Eltern ebenfalls nur von diesem Motiv geleitet werden. Es ist hingegen nicht statthaft, die Ergebnisse von zwei völlig unterschiedlichen Modellformulierungen miteinander zu vergleichen und lediglich zu behaupten, die eine Modellformulierung habe die andere in Folge eines Staatseingriffs ersetzt7. Dies gilt umso mehr, wenn dann – wie dies 5 So z. B. Apolte (1998, S. 13), Van Groezen/Leers/Meijdam (2004, S. 2) und Henman (2004, S. 15). 6 So auch Bental (1989, S. 286) und Werding (2003, S. 7). 7 Diese Vorgehensweise findet sich v. a. in den Beiträgen von Klanberg (1988) und – in dessen Folge – Werding (1998, S. 368 ff.) und Gotsis (2005, S. 53 ff.). In

112

3. Alterssicherung und Konsummotiv der Kindererziehung

zum Teil getan wird – zusätzlich unterstellt wird, durch bestimmte Maßnahmen würde z. B. das Investitionsmotiv der Kindererziehung „wieder aufleben“, obwohl es im verwendeten Modellrahmen überhaupt keine Rolle spielt8. In den in der vorliegenden Untersuchung entwickelten Modellen wird daher im Folgenden stets davon ausgegangen, dass die Annahme eines Konsummotivs der Kindererziehung bedeutet, dass die betrachteten Individuen zu allen Zeiten – bzw. zumindestens zum gedachten Zeitpunkt kurz vor der Einführung eines umlagefinanzierten Alterssicherungssystems – nur von diesem Motiv geleitet wurden. Wenn eine Schwächung oder gar ein „Verschwinden“ des Investitionsmotivs thematisiert wird, so wird dieser Prozess modellendogen erklärt und nicht lediglich unterstellt. 3.1.2 Das Konsummotiv der Kindererziehung Die notwendigen Bedingungen, unter denen Kindern die Rolle eines Investitionsgutes zukommen kann, und die Implikationen des Vorhandenseins dieses Motivs für ein umlagefinanziertes Alterssicherungssystem et vice versa, werden in Kapitel 4. untersucht. Im vorliegenden Kapitel wird hingegen unterstellt, dass individuelle bzw. elterliche Entscheidungen allein durch konsumtive Motive bestimmt werden. Selbst wenn man sich auf die Betrachtung des Konsummotivs der Kindererziehung beschränkt, gibt es mehr als nur eine denkbare Möglichkeit, wie sich dieses in den Präferenzen (potenzieller) Eltern äußern kann. Im vorliegenden Kapitel wird dem Rechnung getragen, indem verschiedene Modellformulierungen untersucht werden. Den Ausgangspunkt bildet dabei in Abschnitt 3.2 ein Modell, bei dessen Formulierung unterstellt wird, dass allein die Kinderzahl ein Argument der elterlichen Nutzenfunktion ist. Man bezeichnet diesen Fall auch als „schwachen Altruismus“ der Eltern gegenüber ihren Kindern9. Der elterliche Altruismus wird dabei „schwach“ genannt, weil den betrachteten Individuen nur die Zahl ihrer Kinder, nicht hingegen deren Wohlergehen wichtig ist. Diese Modellformulierung hat in der Literatur die vergleichsweise häufigste Verwendung gefunden10 und wird hier daher ausführlich, d.h. andiesen Ansätzen wird explizit ein Modell, in dem Kindererziehung – vorgeblich durch die Existenz eines Umlagesystems bedingt – nur konsumtiv motiviert ist, einem im Grunde völlig anderen Modell mit einem zum Konsummotiv hinzutretenden investivem Erziehungsmotiv gegenüber gestellt. Erwartungsgemäß kommt man dann zu dem Ergebnis, dass die Fertilität bei Existenz des Umlagesystems bzw. bei Nicht-Existenz des Investitionsmotivs geringer ist. 8 So in Klanberg (1988) und Gotsis (2005, S. 62). 9 So z. B. Zhang/Zhang (1998, S. 1226). 10 Z. B. in Auer/Büttner (2001), Fenge/Meier (2003, 2004, 2005), Van Groezen/ Leers/Meijdam (2003, 2004), Kolmar (1997), Cremer/Ghavari/Pestieau (2004b) und Werding (2003).

3.1 Einführung

113

hand verschiedener Modellvariationen, analysiert. In Abschnitt 3.3 wird daran anschließend der Fall des sog. „reinen Altruismus“ untersucht. Hier wird angenommen, dass der Nutzen der Eltern nicht nur von der Zahl eigener Kinder, sondern auch von deren Nutzenniveau abhängt. Zu diesem Zweck wird bei der Modellformulierung unterstellt, dass Eltern die Nutzenfunktion ihrer Kinder in die eigene Nutzenfunktion internalisieren. Zugrunde gelegt wird dabei eine „dynastische“ Nutzenfunktion im Sinne von Becker/Barro (1988). In Abschnitt 3.4 wird schließlich der Fall des sog. „paternalistischen Altruismus“ betrachtet. Dabei wird die Ansicht aufgegeben, dass Eltern die Nutzenfunktion ihrer Kinder internalisieren können (oder wollen). Stattdessen wird unterstellt, dass das Nutzenniveau der Eltern positiv von der Kinderzahl und zusätzlich von einer bestimmten Eigenschaft der Kinder, namentlich von deren Ausbildungs- bzw. Humankapitalniveau, beeinflusst wird. Wie in Kapitel 1. erläutert wurde, besteht das Untersuchungsziel der in den Abschnitten 3.2 bis 3.4 entwickelten Modelle in der Beantwortung der Frage, ob eine Reorganisation der umlagefinanzierten Alterssicherung in Form einer stärkeren Berücksichtigung der individuellen kinderbezogenen Entscheidungen bei der Rentenbemessung ökonomisch begründet werden kann und – falls diese Frage mit „ja“ beantwortet werden kann – welche Form eine solche Berücksichtigung annehmen sollte. Zudem wird untersucht, wie sich die Einführung oder Existenz eines in herkömmlicher Weise organisierten umlagefinanzierten Alterssicherungssystems auf individuelle kinderbezogene Entscheidungen auswirkt. Hinterfragt wird dabei vor allem auch, inwieweit die untersuchten Modelle die im Einführungskapitel angesprochenen Anforderungen an ein „logisch konsistentes“ Modell erfüllen. D.h.: Sind sie in der Lage zu erklären, warum in einem relativ engen Zeitrahmen zwischen 1890 und 1950 in allen entwickelten Volkswirtschaften umlagefinanzierte Alterssicherungssysteme eingeführt worden sind und warum die Fertilität in den betrachteten Staaten seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und nochmals verstärkt seit Mitte der 1960er Jahre dramatisch gesunken ist? In Abschnitt 3.5 werden die gefundenen Ergebnisse zusammengefasst und ihre Implikationen diskutiert.

114

3. Alterssicherung und Konsummotiv der Kindererziehung

3.2 Umlagefinanzierte Alterssicherung und schwach altruistische Eltern 3.2.1 Modellrahmen Betrachtet sei eine kleine, offene Volkswirtschaft mit stationärer Produktionstechnologie. Die Lebens- bzw. Existenzdauer dieser Volkswirtschaft sei als unendlich unterstellt. Angenommen sei, dass in jeder Periode t mithilfe der Produktionsfaktoren Kapital K und Arbeit L ein homogener Output Y unter Verwendung einer neoklassischen Produktionstechnologie erstellt wird. Kapital sei vollkommen mobil, so dass der Zinssatz jeder Periode t, rt , exogen gegeben ist. Angenommen sei zudem, dass r intertemporal konstant ist, so dass rt ã r ist. Unter den getroffenen Annahmen wird der Lohnsatz w der betrachteten Volkswirtschaft in jeder Periode t allein durch r bestimmt und ist daher ebenfalls exogen und konstant, so dass wt ã w ist. Jedes Individuum der Volkswirtschaft lebe mit Sicherheit drei Perioden gleicher Länge, eine Jugend-, eine Erwerbstätigkeits- und eine Ruhestandsperiode. Die Gesamtbevölkerung der Ökonomie setzt sich somit zu jedem Zeitpunkt aus drei einander überlappenden Generationen zusammen11. Angenommen sei, dass Individuen in ihrer Jungendphase keine ökonomisch relevanten Entscheidungen treffen können. Die Betrachtung kann daher im Folgenden auf Individuen beschränkt werden, die sich in der Erwerbstätigkeits- und der Ruhestandsphase befinden. Alle Individuen seien vollkommen identisch, unterscheiden sich somit weder in ihrer Produktivität noch in ihren Präferenzen. Zudem sei von unterschiedlichen Geschlechtern abstrahiert, so dass jedes Individuum in der Lage ist, Kinder zu bekommen. Der Nutzen jedes Individuums werde durch den Konsum c materieller Güter in der Erwerbstätigkeits- und in der Ruhestandsphase, sowie durch die Erziehung von È1 þ nê Kindern bestimmt, wobei stets n  1 sei. Zusätzlich sei dabei angenommen, dass die Individuen die Zahl ihrer Nachkommen ohne jede Unsicherheit „wählen“ können. Die Nutzenfunktion der Individuen sei zur Vereinfachung als additiv-separabel und logarithmisch unterstellt12. Um Notation zu sparen sei zudem angenommen, dass die Individuen die Zukunft nicht diskontieren und die beiden Nutzenargumente, materieller Konsum und Kinderzahl, mit dem gleichen – auf eins normier11

Es sei denn, eine Generation verzichtet vollständig auf Nachkommen. Die Ergebnisse dieses Abschnitts ändern sich durch Annahme einer anders formulierten Nutzenfunktion nicht, soweit diese die Inada-Bedingungen erfüllt. Vgl. hierzu auch Eckstein/Wolpin (1985) und Van Groezen/Leers/Meijdam (2003). 12

3.2 Alterssicherung und schwach altruistische Eltern

115

ten – Nutzengewicht bewerten. Für ein in t  1 geborenes Individuum lautet die Nutzenfunktion somit zum Zeitpunkt t: È3:1ê

h i 1 t1 1 Ut ã U ctt  1 ; ctt  þ ln ctt  þ 1 ; È1 þ nt ê ã ln ct þ 1 þ lnÈ1 þ nt ê

Jedes Individuum biete in seiner Erwerbstätigkeitsphase unelastisch eine Zeiteinheit am Arbeitsmarkt an, die mit dem Lohnsatz w entlohnt wird. Während der Erwerbstätigkeitsphase verbrauche sich die Erwerbsfähigkeit der Individuen vollständig, so dass sie in der Ruhestandsphase nicht mehr am Arbeitsmarkt auftreten. In einer gedachten Situation ohne staatliches Abgabesystem verwenden die Individuen ihr erworbenes Lohneinkommen für drei Zwecke: Für den materiellen Konsum in der Erwerbstätigkeitsphase, für die Erziehung von È1 þ nê Kindern und für die Bildung von Ersparnissen s auf dem Kapitalmarkt, die der Finanzierung des Konsums in der Ruhestandsphase dienen13. Der Preis materiellen Konsums sei auf eins normiert, die Geburt und Erziehung eines Kindes verursache Kosten in Höhe von q. q beinhalte dabei die Finanzierungskosten des existenzminimalen Konsums eines Kindes und alle weiteren Kosten, die typischerweise mit der Geburt und Erziehung eines Kindes einhergehen14. Nicht beachtet seien an dieser Stelle jene Opportunitätskosten der Kindererziehung, die Eltern durch den temporären Erwerbsverzicht entstehen können, zu dem sie im Regelfall wenigstens während der ersten Lebensjahre eines Kindes gezwungen sind15. Unter den getroffenen Annahmen lautet die Budgetrestriktion der Erwerbstätigkeitsphase eines in t  1 geborenen Individuums: È3:2ê

ctt  1 ã w  st  qÈ1 þ nt ê

Da die betrachteten Individuen in ihrer Ruhestandsphase nicht arbeiten, keine Erbschaften hinterlassen und keine Transfers von ihren Kindern oder vom Staat erhalten, wird ihre letzte Lebensphase allein durch den vollständigen Konsum der verzinsten Ersparnisse der Vorperiode beschrieben. Zum Zeitpunkt t þ 1 lautet die Budgetrestriktion eines in t  1 geborenen Individuums daher: È3:3ê

1 ctt þ 1 ã È1 þ rêst

13 Da die Individuen keine Veranlassung zur Vornahme von Erbschaften haben und keine Unsicherheit über ihre Lebenserwartung existiert, kommt es in der betrachteten Volkswirtschaft weder zu (gewollten oder ungewollten) Erbschaften noch zur Bildung von Vorsichtsersparnissen. 14 Da Eltern nur die Kinderzahl wichtig ist, haben sie keine Veranlassung, ihren Kindern mehr als einen existenzminimalen Konsum zu finanzieren. 15 Diese Annahme wird in Abschnitt 3.2.5 aufgegeben.

116

3. Alterssicherung und Konsummotiv der Kindererziehung

Für die intertemporale Budgetrestriktion eines Individuums ergibt sich dann unter Verwendung (3.2) und (3.3): È3:4ê

w  ctt  1 

1 ctt  þ1  qÈ1 þ nt ê ã 0 È1 þ rê

3.2.2 Optimale Kinderzahl im Laissez-Faire Der Einfluss von Staatseingriffen auf die anderenfalls freien Entscheidungen von Individuen lässt sich nur beurteilen, wenn zunächst untersucht wird, wie sich die Individuen ohne Staatseingriffe verhalten würden. Im Laissez-Faire maximieren die Individuen gemäß (3.1) und (3.4) die Lagrange-Funktion: È3:5ê

  1 ctt  þ1 1 t1  qÈ1 þ n L ã ln ctt  1 þ ln ctt  þ lnÈ1 þ n ê þ l w  c  ê t t þ1 t È1 þ rê

l bezeichnet dabei den Lagrange-Multiplikator. Die sich ergebenden Bedingungen 1. Ordnung für ein Nutzenmaximum È3:6aê

dL 1 ã t1  l ã 0 dctt  1 ct

È3:6bê

dL 1 l ã0 ã t1  1 dctt  c È1 þ rê þ1 tþ1

È3:6cê

dL 1 ã  lq ã 0 dÈ1 þ nt ê È1 þ nt ê

lassen sich zusammenfassen zu: È3:7aê

1 ctt  þ1 ã È1 þ rê ctt  1

È3:7bê

ctt  1 ãq È1 þ nt ê

Gleichung (3.7a) beschreibt die Standardbedingung intertemporaler Optimierung, wonach im Nutzenmaximum die Grenzrate der Substitution zwischen Gegenwarts- und Zukunftskonsum dem Zinsfaktor bzw. dem Verhältnis der Schattenpreise von Zukunfts- und Gegenwartskonsum entsprechen

3.2 Alterssicherung und schwach altruistische Eltern

117

muss. Gleichung (3.7b) nimmt Bezug darauf, dass materieller Konsum und Kindererziehung im hier verwendeten Modell substitutive Konsumgüter sind. Im Optimum muss daher die Grenzrate der Substitution zwischen Kinderzahl und materiellem (Gegenwarts-)Konsum dem Preisverhältnis der beiden Konsumalternativen entsprechen. Mithilfe von (3.7a) und (3.7b) lassen sich die optimale Kinderzahl und der optimale materielle Konsum bestimmen:  t1  ct þ 1 1 Substituiert man (3.7b) in (3.7a), erhält man mit È1 þ nt ê ã q È1 þ rê eine Gleichung zur Bestimmung der optimalen Kinderzahl. Ersetzt man 1 den Alterskonsum ctt  þ 1 durch Restriktion (3.3), so kann man diesen Aus-

druck zu È1 þ nt ê ã

1 s q t

umformulieren. Mithilfe von Restriktion (3.2)

lässt sich diese Gleichung weiter umformulieren zu È1 þ nt ê   1 w  ctt  1  qÈ1 þ nt ê . Da gemäß Optimalbedingung (3.7b) gilt, dass ã   q È1 þ rê 1 w  2qÈ1 þ nt ê t1 . ct ã qÈ1 þ nt ê ist, ergibt sich daraus È1 þ nt ê ã q È1 þ rê Stellt man nochmals um, so erhält man für die optimale Kinderzahl È1 þ nt êLF im Laissez-Faire schließlich die Gleichung: È3:8ê

È1 þ nt êLF ã

w 3q

Die Konsumaktivität Kindererziehung hat somit die Eigenschaften eines normalen Gutes. Bei gegebenem Zinssatz hängt die Fertilität positiv von den vorhandenen Ressourcen, d.h. vom durch den Lohnsatz w bestimmten Erwerbseinkommen16, und negativ vom Preis q eines Kindes ab. Unter Verwendung der optimalen Kinderzahl aus (3.8) und der Optimalbedingungen (3.7a) und (3.7b) lassen sich schließlich noch die optimalen 1; LF im Laissez-Faire ermitteln. Sie lauten: Konsumlevel ctt  1; LF und ctt  þ1 È3:9ê

ctt  1; LF ã qÈ1 þ nt êLF ã

w 3

bzw. È3:10ê 16

 1; LF ctt þ ã È1 þ rêctt  1; LF ã 1

È1 þ rêw 3

Vom Lohnsatz geht in dieser Modellformulierung kein Effekt auf die Kosten der Kindererziehung aus, da angenommen wurde, dass das Arbeitsangebot für die Erziehung von Kindern nicht reduziert werden muss.

118

3. Alterssicherung und Konsummotiv der Kindererziehung

3.2.3 Auswirkung der Einführung eines umlagefinanzierten Alterssicherungssystems Allein anhand des in diesem Abschnitt verwendeten Modells lässt sich auf Anhieb kein Grund dafür finden, warum ein Staat es zu einem bestimmten Zeitpunkt für notwendig halten sollte, ein umlagefinanziertes Alterssicherungssystem zu installieren. Die Mitglieder der Modellvolkswirtschaft sorgen durch Ersparnisbildung selbst für ihr Alter vor. Kinder werden allein aus konsumtiven Gründen, also z. B. aus der Freude am Zusammensein mit ihnen, erzogen. Sie sind für ihre Eltern explizit kein Instrument, um Einkommensbestandteile in spätere Lebensphasen umzuschichten. Die umlagefinanzierte Alterssicherung kann daher weder eine Versicherung gegen unfreiwillige Kinderlosigkeit noch ein (Hilfs-)Mittel zur Durchsetzung von Transfers der Kinder an ihre Eltern sein17. Die restriktiven Annahmen der Modellformulierung, insbesondere die Unterstellung einer statischen Volkswirtschaft, eines vollkommenen Kapitalmarktes und perfekter Voraussicht der Individuen, machen es zudem schwierig, einen Staatseingriff mit Paternalismus oder Marktversagen zu begründen18. Auch ein intergenerationales Risikopooling19 scheidet unter diesen Annahmen aus. Es existiert allerdings eine weitere Möglichkeit, die geeignet sein könnte, die Einführung eines umlagefinanzierten Alterssicherungssystems auch unter den getroffenen Modellannahmen zu erklären: Es wäre denkbar, dass die oben abgeleitete optimale individuelle Kinderzahl im LaissezFaire, die unter den getroffenen Modellannahmen der Bevölkerungswachstumsrate und bei konstantem Pro-Kopf-Einkommen der „biologischen Verzinsung“ eines Umlagesystems entspricht20, größer ist als der exogen gegebene Zinsfaktor (1+r). Die Einführung eines Umlagesystems könnte dann als ein Versuch des Staates interpretiert werden, ein der privaten Altersvorsorge überlegenes Alterssicherungssystem zu organisieren. Wie Aaron (1966) gezeigt hat, würde die Einführung eines umlagefinanzierten Alterssicherungssystems unter diesen Voraussetzungen alle beteiligten Generationen besser stellen. Dabei muss jedoch angenommen werden, dass sich die für ein Umlagesystem günstigen Einführungsbedingungen nicht in späteren 17 In Sinn (2004) und im 4. Kapitel der vorliegenden Untersuchung werden Bedingungen vorgestellt, unter denen eine umlagefinanzierte Alterssicherung diesen Zwecken dienen kann. 18 Zu dieser „traditionellen“ Begründung der Einführung umlagefinanzierter Alterssicherungssysteme vgl. insbesondere die Übersichten in Diamond (1977) und Verbon (1988, S. 33 ff.). 19 Vgl. hierzu z. B. Enders/Lapan (1982), Gordon/Varian (1988) und Bohn (1999). 20 Vgl. zur Herleitung der impliziten Verzinsung eines Umlagesystems Kapitel 2. der vorliegenden Untersuchung.

3.2 Alterssicherung und schwach altruistische Eltern

119

Perioden zu dessen Ungunsten verändern. Van Groezen/Leers/Meijdam (2003, S. 246), weisen explizit auf diese Zusammenhänge als mögliche Erklärung für die Einführung umlagefinanzierter Alterssicherungssysteme und ihre spätere Entwicklung hin. Sie vermuten, dass ein von den politischen Entscheidungsträgern bei der Einführung nicht bedachter adverser Effekt umlagefinanzierter Alterssicherung auf die Fertilitätsentscheidung der Individuen dazu geführt haben könnte, dass sich die für diese Form der Alterssicherung günstige Ausgangsposition im Zeitablauf umkehrte bzw. die Bevölkerungswachstumsrate nach Implementation des Umlagesystem absank und schließlich unter den Zinsfaktor fiel. Um zu überprüfen, welchen Einfluss die Einführung eines umlagefinanzierten Alterssicherungssystems auf die Fertilitätsentscheidung der Individuen haben könnte, sei angenommen, dass der Staat zu einem Zeitpunkt t ein solches System einführt. Die Frage nach dem Einführungsgrund sei zunächst zurückgestellt. Den Funktionsbedingungen eines Umlagesystems folgend, erhebt der Staat einen Beitragssatz bt auf die Einkommen der Erwerbstätigen der Periode t und finanziert mit den Einnahmen Rentenzahlungen pt an die Ruheständler der gleichen Periode. Das Umlagesystem sei gemäß der in Kapitel 2.2.2 beschriebenen Systemvariante EA organisiert, so dass der Beitragssatz in Periode t und für alle Folgeperioden auf bt ã b fixiert wird. Die in t  1 geborene Erwerbstätigengeneration der Periode t bestehe aus Nt Individuen. Die – noch zu bestimmende – durchschnittliche Kinderzahl der Generation t  1 sei mit È1 þ n€t ê bezeichnet, so dass die Größe der Erwerbstätigengeneration der Periode t þ 1 Nt þ 1 ã È1 þ n€t êNt betragen wird. Die Kopfzahl der Generation t  1 sei dabei als so groß unterstellt, dass einzelne Mitglieder dieser Generation den Einfluss ihrer Kinderzahl auf die durchschnittliche Kinderzahl nicht spüren und daher auch nicht beachten. Die Budgetgleichung des Umlagesystems lautet unter den getroffenen Annahmen, formuliert für Periode t þ 1: È3:11ê

Nt pt þ 1 ã Nt þ 1 wb ã È1 þ n€t êNt wb

Da die Individuen annahmegemäß über perfekte Voraussicht verfügen, können sie aus (3.11) die Höhe einer Rente in Periode t þ 1 mit Sicherheit ermitteln. Sie beträgt È3:12ê

pt þ 1 ã È1 þ n€t êwb

und ist bei exogen gegebenem Lohnsatz und fixiertem Beitragssatz allein von der Bevölkerungswachstumsrate bzw. der durchschnittlichen Kinderzahl der Generation t  1 abhängig. Die Einführung des Umlagesystems hat zur Folge, dass sich das Optimierungskalkül der Mitglieder der Generation

120

3. Alterssicherung und Konsummotiv der Kindererziehung

t  1 anders darstellt als im Laissez-Faire21. Unter Verwendung von (3.12) lauten die individuellen Budgetrestriktionen in den Perioden t und t þ 1 nun: È3:13ê

ctt  1 ã wÈ1  bê  st  qÈ1 þ nt ê

È3:14ê

1 €t êwb þ È1 þ rêst ctt  þ 1 ã È1 þ n

Die intertemporale Budgetrestriktion beträgt dann entsprechend: È3:15ê

wÈ1  bê þ

1 ctt  wbÈ1 þ n€t ê þ1  ctt  1   qÈ1 þ nt ê ã 0 È1 þ rê È1 þ rê

Die Individuen maximieren (3.1) nun unter Nebenbedingung (3.15). Dabei zeigt sich, dass sich an den Bedingungen erster Ordnung für ein Nutzenmaximum durch die Einführung des Umlagesystems nichts ändert: È3:16aê

1 ctt  þ1 ã È1 þ rê t  ct 1

È3:16aê

ctt  1 ãq È1 þ nt ê

Die mit dem Umlagesystem einhergehende Zwangsabgabe in Periode t und die Erwartung einer Rentenzahlung in Periode t þ 1 verändern jedoch die Ressourcenausstattung der Individuen in beiden Lebensperioden. Aus diesem Grund können sich ihre Entscheidungen dennoch von jenen im Laissez-Faire unterscheiden. Um zu ermitteln, ob dies der Fall ist, sei mithilfe der obigen Optimalbedingungen die optimale Kinderzahl È1 þ nt êP bei Existenz eines umlagefinanzierten Alterssicherungssystems bestimmt: Aus (3.16a) (3.16b) ergibt sich zunächst erneut der Ausdruck  und  1 ctt  1 þ1 1 . Substituiert man in dieser Gleichung ctt  È1 þ nt ê ã þ 1 durch q È1 þ rê 21 Obwohl die Einführung des Umlagesystems auch die ökonomische Situation der Ruhestandsgeneration der Einführungsperiode t verändert, braucht diese hier nicht weiter beachtet zu werden, da sie in der Ruhestandsphase keine Entscheidungen mehr trifft. Sie kann daher auf die Veränderung der ökonomischen Umgebung nicht mehr reagieren. Über das Umlagesystem erhält sie einen nicht-antizipierten Vermögenszuwachs in Höhe von pt ã Nt wb, den sie vollständig konsumiert. Implizit wird in diesem Modell folglich angenommen, dass die Einführung des Umlagesystems für die Individuen der betrachteten Volkswirtschaft ein nicht vorhersehbarer „Schock“ ist.

3.2 Alterssicherung und schwach altruistische Eltern

121

1 Budgetrestriktion   (3.14), erhält man nun jedoch È1 þ nt ê ã q wbÈ1 þ n€t ê  st þ . Unter Verwendung von Budgetrestriktion (3.13) lässt È1 þ rê 1 sich  st aus dieser Gleichung entfernen und es ergibt sich È1 þ nt ê ã q wbÈ1 þ n€t ê  wÈ1  bê  ctt  1  qÈ1 þ nt ê þ . Unter Zuhilfenahme von È1 þ rê t1 Optimalbedingung (3.16b) kann ersetzt werden,  in diesem Ausdruck ct 1 wbÈ1 þ n€t ê wÈ1  bê  2qÈ1 þ nt ê þ erhält. so dass man È1 þ nt ê ã q È1 þ rê Nach erneuter Umstellung ergibt sich schließlich für die individuell optimale Kinderzahl È1 þ nêP bei Existenz eines Umlageverfahrens: È3:17ê

È1 þ nt êP ã

  1 wbÈ1 þ n€t ê wÈ1  bê þ 3q È1 þ rê

Zur besseren Vergleichbarkeit mit der in (3.8) angegebenen optimalen Kinderzahl im Laissez-Faire ist es sinnvoll, (3.17) nochmals umformulieren zu: È3:18ê

È1 þ nt êP ã

  w È1 þ n€t ê 1bþb 3q È1 þ rê

(3.18) unterscheidet sich von (3.8) nun nur noch durch den Ausdruck in der eckigen Klammer. Anhand (3.18) kann daher auf einfache Weise untersucht werden, wann und warum sich die Fertilität nach der Einführung eines umlagefinanzierten Alterssicherungssystems von jener im Laissez-Faire unterscheiden kann. Ist der Wert in der eckigen Klammer von (3.18) größer als eins, so ist die optimale individuelle Kinderzahl bei Einführung des Umlagesystems höher als im Laissez-Faire. Die Kinderzahl ist hingegen geringer als im Laissez-Faire, wenn der Wert in der eckigen Klammer kleiner als eins ist. Letzteres ist offensichtlich immer dann der Fall, wenn È1 þ n€t ê < È1 þ rê ist, bzw. wenn die Individuen durch die Einführung des Umlagesystems einer impliziten Einkommensbesteuerung ausgesetzt werden22. Die Einführung eines umlagefinanzierten Alterssicherungssystems hat daher im hier verwendeten Modellrahmen nur dann einen negativen Effekt auf das individuelle Fertilitätsverhalten, wenn die Aaron-Bedingung nicht erfüllt bzw. wenn die implizite Verzinsung des Umlagesystems kleiner als die Verzinsung von Anlagen auf dem Kapitalmarkt ist. In diesem 22

Vgl. zur Bedeutung und Herleitung der impliziten Einkommensbesteuerung durch ein umlagefinanziertes Alterssicherungssystem Kapitel 2.2.2 der vorliegenden Untersuchung.

122

3. Alterssicherung und Konsummotiv der Kindererziehung

Fall gehen die verfügbaren Ressourcen der Individuen durch die implizite Besteuerung ihres Lebenseinkommens zurück und die Nachfrage nach dem (normalen) Konsumgut Kindererziehung nimmt infolge eines negativen Einkommenseffekts ab. Der negative Effekt auf die Fertilität ist dabei umso ausgeprägter, je umfangreicher die individuellen Einkommen durch die Zwangsteilnahme am Umlagesystem besteuert werden, was von der Höhe des Beitragssatzes b und von der Differenz zwischen È1 þ rê und È1 þ n€ê abhängt. Gilt hingegen È1 þ n€t ê ã È1 þ rê, so hat die Einführung des Umlagesystems keinen Einfluss auf das individuelle Fertilitätsverhalten, denn in diesem Fall verändert sich auch die individuelle Ressourcenausstattung nicht. Wenn È1 þ n€t ê > È1 þ rê ist, dann ist die Fertilität aufgrund eines positiven Einkommenseffektes bei Einführung des Umlagesystems höher als im Laissez-Faire. Die Individuen erfahren in diesem Fall durch die Einführung des Umlagesystems eine Erhöhung ihres Ressourcenbestandes, so dass ihnen ein höheres Budget zur Finanzierung ihres Konsums und zur Erziehung von Nachkommen zur Verfügung steht. Unter Verwendung von (3.19) sowie der Optimalbedingungen (3.16a) und (3.16b) kann schließlich noch der optimale Konsum in der Erwerbstätigkeits- bzw. Ruhestandsperiode bei individueller Optimierung und Existenz eines Umlagesystems abgeleitet werden. Er beträgt: È3:19ê

ctt  1; P ã qÈ1 þ nt êP ã

qwÈ1  bê wb 3q  È1 þ rê

bzw. È3:20ê

 1; P ctt þ ã È1 þ rêctt  1;P ã 1

qÈ1 þ rêwÈ1  bê wb 3q  È1 þ rê

Die bislang erzielten Ergebnisse machen deutlich, dass man anhand des hier entwickelten Modells keine eindeutige Aussage darüber treffen kann, ob die Geburtenrate infolge der Einführung eines umlagefinanzierten Alterssicherungssystems abnimmt. Letzteres ist nur dann der Fall, wenn die zwangsweise Versicherung in diesem Alterssicherungssystem eine implizite Besteuerung des Lebenseinkommens verursacht. Song (1999) zeigt jedoch, dass die implizite Verzinsung umlagefinanzierter Alterssicherungssysteme in einer Vielzahl von Staaten kleiner ist als der Marktzins. Sinn (2000, S. 390) weist nach, dass dies auch für die Gesetzliche Rentenversicherung Deutschlands im Zeitraum seit 1957 der Fall gewesen ist. Es ist somit möglich, mit dem hier entwickelten Modell einen negativen Einfluss umlagefinanzierter Alterssicherungssysteme auf die Geburtenrate einer Volkswirt-

3.2 Alterssicherung und schwach altruistische Eltern

123

schaft zu erklären: Durch die mit realtypischen Umlagesystemen im Regelfall einhergehende implizite Besteuerung der Lebenseinkommen (zwangsweise) teilnehmender Individuen müssen diese einen Ressourcenverlust hinnehmen, so dass ihre Nachfrage nach allen Konsumgütern – unter anderem also auch nach Kindern – sinkt. In diesem Zusammenhang ist es schließlich noch interessant zu untersuchen, ob sich die oben erwähnte Vermutung von Van Groezen/Leers/ Meijdam (2003), dass Umlagesysteme ursprünglich unter für sie günstigen Bedingungen eingeführt worden sind, ihre Einführung aber endogen zu einer im Vergleich zum Laissez-Faire geringeren Fertilitätsrate und darüber zu einer im Vergleich zu einem Kapitaldeckungsverfahren geringeren Verzinsung geführt hat, mithilfe des hier entwickelten Modells bestätigen lässt. Wenn das möglich ist, so könnte das Modell sowohl eine Erklärung für die Einführung umlagefinanzierter Alterssicherung als auch für ihre spätere Entwicklung liefern. In diesem Fall müsste für die individuell optimale Kinderzahl LF im Laissez-Faire È1 þ nt ê > È1 þ rê und für die individuell optimale Kinderzahl bei Existenz des Umlagesystems È1 þ nt êP < È1 þ rê gelten. Um zu überprüfen, ob eine solche Entwicklung denkbar ist, sei von Gleichung (3.17) Gebrauch gemacht. Unter der getroffenen Annahme identischer Individuen mit perfekter Voraussicht weiß jeder Teilnehmer am Umlagesystem, dass alle anderen Teilnehmer die gleiche optimale Kinderzahl È1 þ nt êP wählen werden wie er selbst. Er kann daher È1 þ n€t ê bestimmen, so dass in seinem Optimierungskalkül in Gleichung (3.17) È1 þ n€t ê durch È1 þ nt êP ersetzt werden kann. Nach einigen Umformungen23 ergibt sich somit für die individuell optimale Kinderzahl bei Existenz des Umlagesystems24: È1 þ nt êP ã

È3:21ê

23

È1 þ nt êP ã ã wÈ1  bê þ

wÈ1  bê wb 3q  È1 þ rê

" # 1 wbÈ1 þ nt êP , 3qÈ1 þ nt êP wÈ1  bê þ È1 þ rê 3q

wbÈ1 þ nt êP , È1 þ nt êP È3qÈ1 þ rê  wbê ã wÈ1  bêÈ1 þ rê È1 þ rê

wÈ1  bêÈ1 þ rê : 3qÈ1 þ rê  wb 24 Bedingung für die Ableitung einer positiven Kinderzahl ist dabei, dass wb ist. Diese Bedingung wird später noch weiter eingegrenzt, zur Erläute3q > È1 þ rê rung ihres Inhalts siehe daher weiter unten Fn. 37.

, È1 þ nt êP ã

124

3. Alterssicherung und Konsummotiv der Kindererziehung

Zur Beantwortung der Frage, ob sich das Vorzeichen der Aaron-Bedingung durch die Einführung des Umlagesystems verändern kann, sei nun die optimale Kinderzahl im Laissez-Faire betrachtet, die in (3.8) beschrieben ist. Die denkbaren Möglichkeiten bzgl. der Aaron-Bedingung lassen sich aus der Gegenüberstellung von (3.8) mit dem Zinsfaktor È1 þ rê ermitteln. Zur Vereinfachung dieser Gegenüberstellung sei dabei ein Parameter D > 0 in der Weise eingeführt, dass È1 þ rê ã DÈ1 þ nt êLF ist. Gilt D ã 1, so ist LF offensichtlich È1 þ rê ã È1 þ nt ê . Gilt hingegen D > 1, so ist È1 þ rê LF und die Einführungsbedingungen für ein Umlagesystem sind > È1 þ nê ungünstig. Die Einführungsbedingungen für ein Umlagesystem sind dagegen günstig, wenn D < 1 und daher auch È1 þ rê < È1 þ nt êLF ist. P Unter Verwendung des Parameters D lässt sich (3.8) zu DÈ1 þ nt ê Dw umformulieren. Wegen È1 þ rê ã DÈ1 þ nt êLF kann der Zinsfaktor ã 3q Dw ersetzt werden, so dass man für die individuell opin (3.21) nun durch 3q wÈ1  bê timale Kinderzahl den Ausdruck È1 þ nt êP ã wb3q bzw. vereinfacht 3q  Dw

È3:22ê

È1 þ nt ê

P

" # w È1  bê  ã 3q È1  b=Dê

erhält. Erkennbar unterscheidet sich (3.22) von (3.8) nur durch den Bruch in der eckigen Klammer von (3.22), dessen Wert allein durch den Parameter D bzw. allein vom Verhältnis der Fertilitätsrate im Laissez-Faire zum Zinsfaktor bestimmt wird. Mithilfe von (3.22) lässt sich nun auf einfache Weise untersuchen, ob der Argumentation von Van Groezen/Leers/Meijdam (2003) gefolgt werden kann. Wenn umlagefinanzierte Alterssicherungssysteme deshalb eingeführt wurden, weil die Einführungsbedingungen für diese Form der Alterssicherung sehr günstig waren, dann muss in (3.22) der Parameter D < 1 sein. In diesem Fall ist die durchschnittliche Kinderzahl im Laissez-Faire so hoch, dass die Bevölkerungswachstumsrate den Zinsfaktor übertrifft. Setzt man D < 1 in (3.22) ein und vergleicht das Resultat mit (3.8), ergibt sich, dass È1 þ nt êP > È1 þ nt êLF sein muss bzw. die Fertilität durch die Einführung eines Umlagesystems zunimmt25. 25 Geht man davon aus, dass sich die betrachtete Volkswirtschaft vor Einführung des Umlagesystems im Steady-State befunden hat, dann weisen alle Generationen bis zum Einführungszeitpunkt die gleiche Fertilitätsrate auf. Das Laissez-Faire beschreibt damit nicht nur, wie sich Generation t  1 ohne die Einführung des Umlagesystems verhalten hätte, sondern zugleich auch die Fertilitätsrate bis zum Einführungszeitpunkt t des Umlagesystems. Aus È1 þ nt êP > È1 þ nt êLF folgt somit, dass

3.2 Alterssicherung und schwach altruistische Eltern

125

Die Vermutung von Van Groezen/Leers/Meijdam (2003) kann somit nicht bestätigt werden. Wenn die Bedingungen für die Einführung eines Umlagesystems sehr günstig sind, so werden sie durch dessen Einführung nur noch günstiger. Dieses auf den ersten Blick überraschende Ergebnis folgt aus der im hier entwickelten Modell getroffenen Annahme, dass Kinder für ihre Eltern kein Alterssicherungsinstrument sind und ein Umlagesystem daher auch nicht geeignet ist, sie in dieser Funktion zu verdrängen. Bei einer zum Einführungszeitpunkt des Systems relativ hohen Fertilitätsrate kommt es deshalb lediglich zu einem positiven Einkommenseffekt, der die Fertilitätsrate noch weiter erhöht. Umgekehrt gilt ebenso eindeutig, dass sich eher ungünstige Bedingungen für die Einführung eines AlterssicheLF rungssystems im Umlageverfahren – wenn also D > 1 bzw. È1 þ nê < È1 þ rê ist – nach der Einführung noch weiter verschlechtern. Aus diesem Ergebnis lässt sich folgern, dass das in diesem Kapitel entwickelte Modell nicht in der Lage ist, die Einführung umlagefinanzierter Rentensysteme und zur gleichen Zeit ihre Entwicklung nach der Einführung zu erklären. Dies wird besonders deutlich, wenn man die Vorhersagen des verwendeten Modells mit der Fertilitätsentwicklung von Staaten vergleicht, in denen in der Vergangenheit umlagefinanzierte Rentensysteme eingeführt worden sind26. Wären die Verhältnisse zum Einführungszeitpunkt sehr günstig gewesen, so hätten sich die Bedingungen für die Umlagesysteme im Laufe der Zeit noch verbessern müssen, was offensichtlich nicht zutrifft. Nimmt man modellexogene Gründe für die Einführung umlagefinanzierter Alterssicherungssysteme an, und geht man davon aus, dass die Aaron-Bedingung bereits für die Erwerbstätigen der Einführungsperiode nicht erfüllt war, dann kann das Modell die reale Fertilitätsentwicklung besser erklären27. Notwendig ist es dann allerdings, das Vorliegen eines oder mehrerer der am Anfang dieses Abschnitts aufgeführten modellexogenen Gründe für die Einführung umlagefinanzierter Alterssicherungssysteme zu unterstellen. Implizit muss dann zugleich unterstellt werden, dass sich Staaten bzw. Regierungen bei der Einführung von Umlagesystemen möglicher adverser Konsequenzen nicht bewusst oder diese in Kauf zu nehmen bereit sind28. die Fertilitätsrate der Volkswirtschaft in t im Vergleich zu den Vorperioden zunimmt. 26 Vgl. z. B. zur Entwicklung in Deutschland Abbildung 2.3 auf Seite 59. 27 Die Einführungsgewinne der Ruheständler der Einführungsperiode sind für die Fertilitätsentwicklung unerheblich, da diese im Regelfall keine Kinder mehr bekommen können. 28 Verschiedene politökonomische Ansätze, sie sich mit der Frage nach Gründen für die Einführung und Erweiterung umlagefinanzierter Alterssicherungssysteme beschäftigen, könnten als Erklärungsmöglichkeit dienen. So ist Ergebnis des Ansatzes von Browning (1975) und vieler darauf aufbauender Modelle ausdrücklich, dass durch den Wahlprozess mit dem Umlagesystem ein ineffizientes System der Alters-

126

3. Alterssicherung und Konsummotiv der Kindererziehung

Die sich im Anschluss an die in diesem Abschnitt erzielten Ergebnis zu stellende Frage ist, ob man den aus exogen gegebenen Gründen für notwendig gehaltenen staatlichen Eingriff in die individuellen Alterssicherungsentscheidungen nicht effizienter organisieren könnte, als dies in einem herkömmlichen umlagefinanzierten Alterssicherungssystem, in dem sich die individuellen Rentenzahlungen letztlich nur aus einer individuell nicht spürbar beeinflussbaren Größe ableiten, der Fall ist. Zudem kann man fragen, ob es nicht u. U. als Alternative zu einer Reform des Umlagessystems sinnvoll sein könnte, das öffentliche Rentensystem ganz zu beseitigen bzw. das Umlageverfahren durch ein alternatives Finanzierungsverfahren – bei grundsätzlichem Festhalten an den Zielsetzungen, die hinter der Einführung des öffentlichen Alterssicherungssystems stehen – zu ersetzen. Diesen Fragestellungen wird im folgenden Abschnitt 3.2.4 nachgegangen. 3.2.4 Ausgestaltung einer Reform des umlagefinanzierten Alterssicherungssystems Bereits rein intuitiv drängt sich der Gedanke auf, dass die im letzten Abschnitt abgeleitete individuell optimale Fertilitätsentscheidung aus gesellschaftlicher Sicht nicht optimal sein kann. Vor Einführung des Umlagesystems werden Kinder nur deshalb geboren und erzogen, weil die Individuen aus ihrer Existenz oder aus dem Zusammenleben mit ihnen einen Nutzenzuwachs erfahren. Von den Kindern selbst wird sowohl von den Eltern als auch von der Gesellschaft nichts anderes als ihre reine Gegenwart erwartet. Die Individuen organisieren ihre Alterssicherung über den Kapitalmarkt und unter der Annahme einer kleinen und offenen Volkswirtschaft ist die Erziehung von Nachkommen dazu nicht einmal mittelbar notwendig29. Die Einführung eines in herkömmlicher Weise organisierten umlagefinanzierten Alterssicherungssystems ändert diese Situation jedoch. Während Kinder für ihre Eltern reine Konsumgüter bleiben, wächst ihnen aus Sicht der Gesamtgesellschaft nun auch ein investiver Nutzen zu, der sich unmittelbar aus Gleichung (3.12) ableiten lässt: Bei konstantem Lohn- und Beitragssatz hängt für einen Erwerbstätigen der Periode t die Höhe der in der Folgeperiode zu erwartenden Rentenzahlung allein von der durchschnittlichen Kinderzahl seiner Generation ab. Zugleich erhält er für die Erziehung eigener sicherung eingeführt wird. Diese Überlegung soll hier aber nicht weiter verfolgt werden, zumal in Kapitel 4. dieser Untersuchung eine alternative Erklärung für die Einführung umlagefinanzierter Alterssicherungssysteme vorgestellt wird. Vgl. zu einer ausführlichen Darstellung und Diskussion politökonomischer Ansätze der Alterssicherung z. B. Droste (1998). 29 Im Extremfall könnte eine Erwerbstätigengeneration ganz auf Nachkommen verzichten und ihre Alterssicherung durch Anlagen im Ausland gewährleisten.

3.2 Alterssicherung und schwach altruistische Eltern

127

Kinder und damit für seinen „Beitrag“ zur Erhöhung der durchschnittlichen Kinderzahl keinen ökonomischen Ausgleich. Die Erziehung eines eigenen Kindes wirkt sich weiterhin nur aus ideellen Gründen auf das von ihm realisierte Nutzenniveau aus, so dass er bei seinen Entscheidungen keine ökonomischen Anreize zur Berücksichtigung der Tatsache hat, dass die Geburt dieses Kindes durch die Existenz des Umlageverfahrens allen Mitgliedern seiner Generation zugute kommt, da diese eine – wenn auch für den Einzelnen nur marginale – Erhöhung ihrer Rentenzahlungen im Alter erfahren. Aufgrund der geschilderten Zusammenhänge sind Kinder in der Literatur als öffentliche Güter bezeichnet worden30. Genauer gesagt erfüllen sie, wenn sie – so wie dies im hier entwickelten Modellrahmen angenommen wurde – von ihren Eltern aus konsumtiven Motiven erzogen werden, bei Existenz eines in herkömmlicher Weise organisierten umlagefinanzierten Alterssicherungssystems Charaktereigenschaften sowohl privater als auch öffentlicher Güter. Dieser Doppelcharakter kommt ihnen dabei selbst dann zu, wenn sich die individuellen Fertilitätsentscheidungen durch die Einführung des Umlagesystems überhaupt nicht verändern, was – wie im P LF vorangegangenen Abschnitt gezeigt wurde – bei È1 þ nt ê ã È1 þ nt ê ã È1 þ rê der Fall ist. Denn in der hier verwendeten Modellformulierung kann man nicht – so wie dies zum Teil getan wird31 – davon sprechen, dass die Erträge der Kindererziehung sozialisiert würden, während die Kosten der Erziehung privat getragen werden müssten. Tatsächlich wird ein (finanzieller) Ertrag der Kindererziehung erst durch die Einführung des Umlagesystems kreiert. Was niemals privat war, kann schwerlich sozialisiert werden. Und auf die Kosten der Kindererziehung hat die Einführung des Umlagesystems überhaupt keinen Einfluss. Durch das Umlagesystem wird nicht die Aktivität „Kindererziehung“ besteuert, sondern das Lebenseinkommen der Individuen32. Diese Feststellung ändert jedoch nichts daran, dass die Gesellschaft durch die Installierung eines umlagefinanzierten Alterssicherungssystems aus der individuellen Kindererziehungsleistung einen 30 Die klassische Beschreibung und Diskussion von Kindern als „öffentliche Güter“ findet sich in Folbre (1994). 31 Z. B. Schmidt/Frank/Müller-Rohr (1985, S. 45), Erbe (1986, S. 195), Henman (2004, S. 5) und Gotsis (2005, S. 58). 32 Von einer Besteuerung der Kindererziehung kann man nur dann sprechen, wenn die Beitragszahlungen der Kinder an das Umlagesystem private Transferzahlungen ersetzen, die diese sonst an ihre Eltern geleistet hätten. Schließt man solche privaten Transfers aus, so wie dies in diesem Kapitel getan wird, dann kommt es somit auch zu keiner Besteuerung der Kindererziehung. In Kapitel 4. dieser Untersuchung wird ein Modell entwickelt, mit dem eine Verdrängung privater Transfers von Kindern an ihre Eltern durch die Einführung eines umlagefinanzierten Alterssicherungssystems erklärt werden kann, so dass man tatsächlich von einer Besteuerung der Kindererziehung sprechen kann.

128

3. Alterssicherung und Konsummotiv der Kindererziehung

positiven Ertrag „abzweigt“, ohne sich an den damit verbundenen Kosten zu beteiligen. Dies wird umso deutlicher, wenn man – wie im letzten Abschnitt erläutert – annimmt, dass mit der Einführung des Umlagesystems ein bestimmtes modellexogenes Ziel verfolgt wird. Denn dieses Ziel wird dann letztlich durch die kostenlose Inanspruchnahme der mit positiven Kosten verbundenen Leistungen Dritter – der Kindererziehenden bzw. Familien – erreicht. Unter der hier getroffenen Annahme homogener Individuen führt dies zwar per Definition nicht zu einer Umverteilung zwischen den Mitgliedern einer Generation. Die Nicht-Berücksichtigung des gesellschaftlichen Nutzens einer individuell erbrachten Leistung führt aber typischerweise dazu, dass sie von den Leistungserbringern als über ihren ideellen Nutzen hinaus wertlos angesehen und infolgedessen nicht im gesellschaftlich optimalen Maße erbracht wird. Um diese Zusammenhänge auch formal zu belegen ist es notwendig, zunächst die gesellschaftlich optimale Kinderzahl abzuleiten. Ausgegangen sei dabei vom Konstrukt eines „sozialen Planers“, dessen Ziel darin besteht, den Lebensnutzen eines repräsentativen Individuums zu maximieren. Da alle Individuen gleich sind, maximiert er damit zugleich auch den Lebensnutzen der gesamten Generation, der das repräsentative Individuum angehört. Da alle ökonomisch relevanten Entscheidungen in der Erwerbstätigkeitsphase eines Individuums getroffen werden, befindet sich das repräsentative Individuum in dieser Phase. Der Nutzen der sich zum Betrachtungszeitpunkt bereits in der Ruhestandsperiode befindenden Individuen kann unbeachtet bleiben, da er bereits vollständig durch vergangene Entscheidungen festgelegt ist. Angenommen wird also implizit, dass die gemäß dem bisher geltenden Organisationsprinzip des Rentensystems akkumulierten Anwartschaften nicht angetastet werden33. Da der soziale Planer zu einem Zeitpunkt ansetzt, der vor der Entscheidungsfindung der Erwerbstätigengeneration liegt, existieren noch keine Kinder, deren Präferenzen er beachten könnte. Es wird somit hier der Argumentation von Kolmar (1997) gefolgt, wonach die Präferenzen potenzieller Individuen unmöglich in eine gesellschaftliche Wohlfahrtsfunktion aufgenommen werden können, da sie nicht existieren34. Sie werden daher nur insoweit beachtet, wie sie in den Präferenzen der Erwerbs33 Eine solche Vorgehensweise würde in der hier entwickelten Modellformulierung auch keinen Sinn machen, da Entscheidungen der Vorperiode irreversibel sind und es aufgrund homogener Individuen zu keinerlei unbeabsichtigten Umverteilungen kommen kann, die eventuell im Nachhinein korrekturbedürftig sein könnten. 34 Vgl. Kolmar (1997, S. 343): „A collective ordering based on individual orderings cannot take into account the preferences of unborn individuals because these preferences do not exist. Any assignment of preferences of potential individuals must be due to the idea of future interests of the generation currently alive. (. . .) Therefore, we will restrict attention to the optimal policy for the working generation currently alive.“

3.2 Alterssicherung und schwach altruistische Eltern

129

tätigengeneration zum Ausdruck kommen. In diesem Sinne kann man sagen, dass zumindestens das „Existenzinteresse“ zukünftiger Generationen vom sozialen Planer berücksichtigt wird, da die Kinderzahl ein Argument der Nutzenfunktion des repräsentativen Individuums ist35. Unter den getroffenen Annahmen ist die Nutzenfunktion des sozialen Planers identisch mit der individuellen Nutzenfunktion aus Gleichung (3.1). Im Gegensatz zu einem atomistischen Individuum berücksichtigt er jedoch, dass Kinder aus Sicht der Gesamtheit der Gesellschaftsmitglieder Investitionsgüter sind. Während dies die Budgetrestriktion (3.13) der Erwerbstätigkeitsphase nicht verändert, bezieht der soziale Planer den investiven Wert eines geborenen Kindes in die Budgetrestriktion (3.14) der Ruhestandsphase ein. In seinem Optimierungskalkül muss daher in (3.14) die exogen gegebene durchschnittliche Kinderzahl È1 þ n€t ê durch die endogen zu bestimmende individuelle Kinderzahl È1 þ nt ê ersetzt werden. Die intertemporale Budgetrestriktion lautet dann: È3:23ê

wÈ1  bê þ

1 ctt  wbÈ1 þ nt ê þ1  ctt  1   qÈ1 þ nt ê ã 0 È1 þ rê È1 þ rê

Die Maximierung von (3.1) unter Restriktion (3.23) führt zusammengefasst zu folgenden Bedingungen 1. Ordnung für ein Nutzenmaximum: È3:24aê

1 ctt  þ1 ã È1 þ rê ctt  1

È3:24bê

ctt  1 wb ãq È1 þ rê È1 þ nt ê

Ein Vergleich von (3.24a) mit (3.16a) zeigt, dass sich die Bedingung für eine gesellschaftlich optimale intertemporale Konsumallokation nicht von jener bei individueller Optimierung unterscheidet. Im Gegensatz dazu existiert jedoch ein Unterschied zwischen den rechten Seiten der Bedingungen (3.24b) und (3.16b). Bei individueller Optimierung findet bei der Entscheidung über die optimale Allokation zwischen materiellem Konsum und Kindererziehung nur der „Preis“ eines Kindes Berücksichtigung. Dagegen wird bei gesellschaftlicher Optimierung auch der „Ertrag“ bzw. der investive Wert eines Kindes ins Kalkül gezogen. Dieser wird durch den Term wb beschrieben, der den Gegenwartswert der Beitragszahlungen, die È1 þ rê 35

Die Einbeziehung der Kinderzahl in die Nutzenfunktion könnte ohne weiteres auch als altruistisch motivierte Internalisierung des Existenzinteresses zukünftiger Generationen interpretiert werden.

130

3. Alterssicherung und Konsummotiv der Kindererziehung

ein zusätzlich geborenes Kind erwartungsgemäß an das Umlagesystem leisten und der – zu gleichen Teilen aufgeteilt auf alle Ruheständler – den Wert einer individuellen Rentenzahlung der Folgeperiode erhöhen wird, angibt. Da Eltern für die von ihnen zugunsten des Kollektivs aller zukünftigen Ruheständler ihrer Generation in Form von Kindererziehung erbrachte Leistung in einem herkömmlichen Umlagesystem keine – oder nur eine nicht wb als positive Externalität spürbare – Kompensation erhalten, kann È1 þ rê der Konsumaktivität Kindererziehung für die Gesellschaft interpretiert werden36. Bedingung (3.24b) macht zudem deutlich, dass die Netto-Kinderkosten, d.h. der Saldo aus den Erziehungskosten und dem gesellschaftlichen Ertrag eines Kindes, aus Sicht des sozialen Planers geringer als für ein atomistisches Individuum sind. Es ist daher anzunehmen, dass die gesellschaftlich optimale Kinderzahl höher als die individuell optimale Kinderzahl und letztere daher suboptimal niedrig ist. Um zu überprüfen, ob dies der Fall ist, muss die gesellschaftlich optimale Kinderzahl so bestimmt werden, dass sie mit (3.21) verglichen werden kann. Formal kann das auf die gleiche Weise wie bei der Herleitung des individuellen Optimums im vorherigen Abschnitt geschehen: Aus (3.24b) und (3.24a) ergibt sich nun der Ausdruck È1 þ nt ê  t1  ct þ 1 1 1  bzw. nach Substitution von ctt  ã  þ 1 durch die wb È1 þ rê q È1 þ rê Budgetrestriktion der Ruhestandsphase und st durch die Budgetrestriktion  1  wÈ1  bê  ctt  1 der Erwerbstätigkeitsphase È1 þ nt ê ã  wb q  È1 þ rê wbÈ1 þ nt ê . Ersetzt man in dieser Gleichung ctt  1 durch  qÈ1 þ nt ê þ È1 þ rê Bedingung (3.24b), erhält man: 36 Dass der positive externe Effekt der Erziehung eines Kindes bei Existenz eines umlagefinanzierten Rentenversicherungssystems im Gegenwartswert der erwarteten zukünftigen Beitragszahlung dieses Kindes besteht, wurde erstmals von Lüdeke (1988) diskutiert und aufbauend auf dessen Überlegungen von Sinn (2000) formal – allerdings in einem anderen als dem hier verwendeten Modellrahmen – nachgewiesen. Insbesondere konnten die beiden genannten Autoren zeigen, dass bei der Ermittlung des Wertes der positiven Externalität die erwarteten Beitragszahlungen eines Kindes nicht mit dessen eigenen Rentenanwartschaften saldiert werden dürfen, wenn angenommen wird, dass sich dieses Kind sowie dessen Kinder und Kindeskinder in ihrer Fertilitätsentscheidung nicht von ihren Eltern unterscheiden und so in späteren Perioden die positive Externalität unendlich reproduzieren.

3.2 Alterssicherung und schwach altruistische Eltern 1

È1 þ nt ê ã  q

wb È1 þ rê



  wÈ1  bê  2È1 þ nt ê q 

wb È1 þ rê

131 

Nach einigen weiteren Umstellungen ergibt sich hieraus als Bestimmungsgleichung der gesellschaftlich optimalen KinderzahlÈ1 þ nt êG 37: È3:25ê

wÈ1  bê  È1 þ nt êG ã  wb 3 q È1 þ rê

Der Vergleich von (3.25) mit (3.21) zeigt, dass wegen wÈ1  bê wÈ1  bê   > auch È1 þ nt êG > È1 þ nt êP sein muss. wb wb 3q  3 q È1 þ rê È1 þ rê Die gesellschaftlich optimale Kinderzahl ist somit erwartungsgemäß größer als die individuell optimale Kinderzahl. Wie sollte der Staat – in Person des sozialen Planers – auf das geschilderte Ergebnis reagieren? Eine Möglichkeit (a) könnte darin bestehen, die positive Konsumexternalität durch eine organisatorische Reform des Rentensystems zu internalisieren, so dass individuelles und gesellschaftliches Optimierungskalkül einander entsprechen38. Doch es gibt noch eine Möglichkeit (b): Der Staat könnte das Umlagesystem beseitigen und damit wieder einen „natürlichen“ Zustand herbeiführen, in dem Kindererziehung keine positive Externalität beinhaltet und mithin eine reine Privatangelegenheit ist39. Um Möglichkeit (b) umfassend würdigen zu können, ist es zwinwb ist, da sich nur unter È1 þ rê dieser Voraussetzung ein positives Ergebnis für die gesellschaftlich optimale Kinderzahl ergibt. Der Inhalt der getroffenen Annahme ist, dass die Erziehungskosten eines Kindes stets größer als der abgezinste Wert ihres späteren Ertrages in Form der Beitragszahlungen an das Rentensystem sein müssen. Diese Einschränkung scheint auf den ersten Blick zu bedeuten, dass Kinder eine schlechte Investition sind, da sie immer mehr Kosten als Ertrag einbringen. Eine solche Interpretation ist jedoch nicht zutreffend, da Kinder im hier entwickelten Modell neben dem investiwb , so würde dies letztven Wert vor allem ideellen Wert besitzen. Wäre q  È1 þ rê lich bedeuten, dass aus gesellschaftlicher Sicht eine unendlich große bzw. die maximal mögliche Kinderzahl optimal ist, da Kindererziehung in diesem Fall ein kostenloses Konsumgut wäre. 38 Eine solche vollständige Internalisierung der positiven Konsumexternalität fordern z. B. – ohne formale Begründung – Resch/Knipping (1982) und Schmidt/ Frank/Müller-Rohr (1985). 37

In (3.25) muss dabei unterstellt werden, dass q >

132

3. Alterssicherung und Konsummotiv der Kindererziehung

gend notwendig, zunächst Alternative (a) und die mit ihr verbundenen Konsequenzen zu diskutieren. (a) Internalisierung der positiven Konsumexternalität Wie oben beschrieben, besteht das Problem eines in herkömmlicher Weise organisierten umlagefinanzierten Alterssicherungssystems darin, dass es den teilnehmenden Individuen durch die Unabhängigkeit des individuellen Erwerbs von Rentenanwartschaften von der individuellen Erziehungsleistung das Signal übermittelt, Erziehungsleistungen seien über ihren ideellen Wert hinaus wertlos. Eine Internalisierungsstrategie muss mithin bewirken, dass der über den ideellen Wert hinausgehende Wert der Kindererziehung für die Leistungserbringer spürbar wird. Da die positive Externalität erst durch die Existenz des staatlichen Rentenversicherungssystems kreiert wird, liegt es nahe, auch an dieser Stelle eine Korrektur vorzunehmen. Eine solche Korrektur könnte darin bestehen, dass die Rentenzahlungen abhängig von den Fertilitätsentscheidungen der Individuen gemacht werden, indem z. B. eine „Kinderrente“ eingeführt wird. Eine solche Rentenreform lässt die Funktionsweise eines Umlagesystems unverändert, ändert aber die Regeln, nach denen Rentenansprüche erworben werden können. Die Bestimmungsgleichung (3.12) des Rentenzahlbetrages muss daher geändert werden zu: È3:26ê

  pt þ 1 ã pt þ 1 È1 þ nt ê

Setzt man (3.26) in die Budgetrestriktion (3.14) der Ruhestandsperiode eines Individuums ein und maximiert (3.1) unter den neuen Bedingungen, erhält man gemäß der oben beschriebenen Vorgehensweise als Bestimmungsgleichung für die individuell optimale Kinderzahl È1 þ nt êKR bei Existenz einer Kinderrente: È3:27ê

wÈ1  bê È1 þ nt êKR ã   p0 ÈÈ1 þ nt êê 3 q È1 þ rê

Ein Vergleich von (3.27) mit (3.25) zeigt, dass È1 þ nt êKR gerade dann der gesellschaftlich optimalen Kinderzahl È1 þ nt êG entspricht, wenn p0 ÈÈ1 þ nt êê ã wb ist, d.h. wenn die Rentenzahlung für die Erziehung eines weiteren Kindes gerade der Beitragszahlung entspricht, die dieses Kind an 39 So z. B. Kögel (2006), der diese Alternative einer Internalisierungsstrategie für grundsätzlich überlegen hält.

3.2 Alterssicherung und schwach altruistische Eltern

133

das Rentenversicherungssystem leistet. Das Rentensystem ist also genau dann optimal organisiert, wenn sich ein individueller Rentenanspruch gemäß È3:28ê

  pt þ 1 È1 þ nt ê ã wbÈ1 þ nt ê

ergibt. (3.28) bedeutet aber nichts anderes, als dass die gesamten Beitragszahlungen eines Individuums an seine leiblichen Eltern fließen sollten. Rentenzahlungen sollten demnach allein von der Kinderzahl abhängig sein. Daraus ergibt sich zugleich, dass Kinderlose im optimal ausgestalteten umlagefinanzierten Alterssicherungssystem zwar Beiträge zahlen müssen, sich aber aus diesen Beitragszahlungen keine Rentenansprüche mehr ableiten. Ein Anspruch am Aufkommen zukünftiger Beitragszahlungen der nachfolgenden Generation kann nur über die Beteiligung an der Erziehung dieser Generation erworben werden. Die abgeleiteten „strikten“ Anforderungen an eine Reorganisation des Umlagesystems bedürfen aus zwei Gründen einer weiteren Diskussion. Denn zum einen kann hinterfragt werden, ob eine – in der Praxis mutmaßlich heftig umstrittene und sich aufwendig gestaltende – Umwandlung eines bestehenden Rentensystems in ein reines Kinderrentensystem eine ParetoVerbesserung zur Folge haben wird, oder ob nicht lediglich einige Individuen auf Kosten anderer Individuen besser gestellt werden. Zum anderen kann man – bezogen auf realtypische staatliche Transfersysteme – einwenden, dass Eltern typischerweise nicht die gesamten Erziehungskosten eines Kindes allein tragen, sondern zumeist in der einen oder anderen Form eine öffentliche Beteiligung an den Kindererziehungskosten besteht. Fraglich ist, ob Eltern auch in diesem Fall die gesamten Beitragszahlungen ihrer Kinder zustehen sollten, oder ob die bisher gefundenen Ergebnisse nicht zumindestens modifiziert werden müssen. Zunächst sei untersucht, ob sich durch die Reorganisation des Umlagesystems eine Pareto-Verbesserung einstellt. Wie oben erläutert wurde, kann die ökonomische Situation der sich zum Zeitpunkt der Reorganisation im Ruhestand befindenden Generation bei der Beurteilung der vorgesehenen Rentenreform außer Acht gelassen werden. Die Rentenansprüche dieser Generation ergeben sich bei fixem Beitrags- und Lohnsatz weiterhin aus der durchschnittlichen Kopfzahl der ihr nachfolgenden Generation. Entscheidend ist daher allein, ob und wie sich die Situation der zum Umstellungszeitpunkt erwerbstätigen Generation verändert. Die ökonomische Situation der Versicherten vor und nach der Reorganisation kann vergleichbar gemacht werden, indem für beide Alternativen die indirekten Nutzenfunktionen vÈbê eines repräsentativen Individuums abgeleitet werden. Da der Beitragssatz b in beiden Systemen in einem Umlagesystem der Variante EA

134

3. Alterssicherung und Konsummotiv der Kindererziehung

annahmegemäß gleich hoch ist, lässt sich mit vÈbê untersuchen, ob die Teilnahme am Umlagesystem in der einen oder anderen Variante vorteilhafter bzw. weniger nachteilig ist. Die indirekten Nutzenfunktionen lassen sich bestimmen, indem man die optimale Kinderzahl sowie das optimale Konsumniveau in der Erwerbstätigkeits- bzw. Ruhestandsphase in die Nutzenfunktion (3.1) einsetzt. Für das herkömmliche Umlagesystem ohne Reform finden sich die in (3.1) einzusetzenden Werte in den Gleichungen (3.19), (3.20) und (3.21). Die indirekte Nutzenfunktion vÈbêP dieses Systems beträgt dann in zusammengefasster Form: È3:29ê

vÈbê

P

   ã 3 ln wÈ1  bê þ 2 ln q þ lnÈ1 þ rê  3 ln 3q 

wb È1 þ rê



Der Nutzenvorteil oder Nutzennachteil, den die Einführung bzw. Existenz des umlagefinanzierten Alterssicherungssystems für ein teilnehmendes Individuum mit sich bringt, ergibt sich aus der Ableitung von vÈbêP nach b. Dabei erhält man: P

dvÈbê db

3w 3w È1 þ rê þ ã  wÈ1  bê wb 3q  È1 þ rê

  wb wÈ1  bê ã Da gemäß Gleichung (3.21) gilt, dass 3q  ist, È1 þ rê È1 þ nt êP lässt sich dieser Ausdruck in dvÈbêP 3 3È1 þ nt êP þ ã È1  bê db È1 þ rêÈ1  bê

umformulieren. Erweitert man nun noch den ersten Bruch auf der rechten Seite des obigen Ausdrucks mit È1 þ rê, dann ergibt sich schließlich: È3:30ê

dvÈbêP È1 þ nêP  È1 þ rê ã È1 þ rêÈ1  bê db

Gleichung (3.30) bestätigt das bereits in Abschnitt 3.2.3 abgeleitete Ergebnis, wonach die Einführung bzw. Existenz eines Umlagesystems für die   dvÈbêP >0 , teilnehmenden Individuen zu einem Nutzengewinn führt db

3.2 Alterssicherung und schwach altruistische Eltern

wenn

È1 þ nê > È1 þ rê

ist.

Gilt

hingegen

135

im

umgekehrten Fall   dvÈbêP È1 þ nê, so kommt es zu einem Nutzenverlust db Bei einer Rentenreform im Sinne einer vollständigen Internalisierung des positiven externen Effektes der Kindererziehung gilt für die optimale Kinderzahl gemäß (3.27) und (3.28): wÈ1  bê È1 þ nt êKR ã È1 þ nt êG ã   wb 3 q È1 þ rê

È3:31ê

Für das optimale Konsumniveau in den beiden Lebensperioden gilt unter Verwendung von (3.24a), (3.24b) und (3.25): 

 wb wÈ1  bê È1 þ nt êKR ã È1 þ rê 3

È3:32ê

cKR ã t

È3:33ê

 1; KR ctt þ ã È1 þ rêctt  1; KR ã 1

q

wÈ1  bêÈ1 þ rê 3

Setzt man (3.31), (3.32) und (3.33) in (3.1) ein, erhält man die indirekte Nutzenfunktion vÈbêKR im „Kinderrentensystem“: È3:34ê

vÈbê

KR

   ã 3 ln wÈ1  bê þ lnÈ1 þ rê  2 ln 3  ln 3Èq 

wb ê È1 þ rê



dvÈbêKR ã Leitet man (3.34) nach b ab, ergibt sich der Ausdruck db 3w 3w  . Unter Berücksichtigung von Gleichung þ  wb wÈ1  bê 3 q È1 þ rê    wb wÈ1  bê ã ist, und nach Vornahme (3.31), wonach 3 q  È1 þ rê È1 þ nt êG der gleichen Umformungen wie oben, erhält man schließlich: È3:35ê

dvÈbêKR È1 þ nt êKR  È1 þ rê ã È1 þ rêÈ1  bê db

(3.35) macht zunächst die gleiche Aussage wie (3.30): Für die Individuen bedeutet die Teilnahme am Umlagesystem einen Nutzenverlust, wenn

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3. Alterssicherung und Konsummotiv der Kindererziehung

È1 þ rê > È1 þ nê ist, et vice versa. Da jedoch – wie oben abgeleitet G P wurde – eindeutig È1 þ nt ê > È1 þ nt ê und bei vollständiger InternalisieKR ã È1 þ nt êG ist, ergibt der Vergleich rung des externen Effektes È1 þ nt ê von (3.35) mit (3.30), dass der individuelle ökonomische Nachteil der Teilnahme am Umlagesystems im reformierten Umlagesystem geringer als in einem herkömmlichen Umlagesystem ist, falls È1 þ nt êP < È1 þ nt êKR < È1 þ r) ist, bzw. der individuelle ökonomische Vorteil im reformierten Umlagesystem größer ist, falls È1 þ nt êKR > È1 þ nt êP > È1 þ rê ist. Möglich ist schließlich auch der Fall, dass die Reorganisation des Umlagesystems das Verhältnis zwischen Bevölkerungswachstumsrate und Zinsfaktor KR > È1 þ rê > È1 þ nt êP ist. In letzterem Fall umkehrt, so dass È1 þ nt ê wird die Alterssicherung im Umlageverfahren durch die Internalisierung des externen Effektes der Kindererziehung vorteilhafter als eine Alterssicherung über den Kapitalmarkt. Dieses Ergebnis macht deutlich, dass – wie bereits Kolmar (1997, S. 337) angemerkt hat – der Vergleich der impliziten Verzinsung eines in herkömmlicher Weise organisierten Umlagesystems im Status Quo mit der am Kapitalmarkt erzielbaren Verzinsung nicht ausreichend ist, um auf einen generellen Renditenachteil des Umlagesystems zu schließen, wenn die Möglichkeit der Reorganisation des Umlagesystems zu einem Kinderrentensystem besteht. Zusammenfassend lässt sich somit festhalten, dass eine Reform des Umlagesystems im Sinne einer Internalisierung der positiven Externalität der Kindererziehung zu einer Pareto-Verbesserung führt: Die Erwerbstätigengeneration des Umstellungszeitpunktes sowie alle folgenden Generationen werden besser gestellt, ohne dass dazu eine Schlechterstellung der Ruhestandsgeneration des Umstellungszeitpunktes notwendig wird. Das Problem einer „doppelten“ Bürde der Übergangsgeneration, wie es für den Übergang von einem Umlage- zu einem Kapitaldeckungssystem typisch ist, ergibt sich bei der geschilderten Internalisierungsstrategie nicht. Der Grund dafür ist, dass am Umlageverfahren als Finanzierungsprinzip festgehalten wird und die Individuen auch vor der Rentenreform mit ihrer Geburtenentscheidung bereits implizit für ihre Alterssicherung in diesem System gesorgt haben. Diese implizite Vorsorge wird nun lediglich explizit gemacht, indem Eltern den vollen Ertrag ihrer Erziehungsleistung erhalten. Unter diesen Bedingungen wählen die Individuen aus freien Stücken eine höhere Geburtenzahl und erhöhen so die implizite Verzinsung des umlagefinanzierten Alterssicherungssystems40. 40 Die Individuen würden hingegen nicht besser gestellt, wenn sie ihre Geburtenzahl als Reaktion auf die Reorganisation des Umlagesystems nicht verändern, z. B. weil diese bereits durch das physiologische Maximum beschrieben wird. In diesem Fall würden zwar die (Netto-)Erziehungskosten eines Kindes durch die spätere Ren-

3.2 Alterssicherung und schwach altruistische Eltern

137

Zu untersuchen ist nun noch, ob die optimale Internalisierungsstrategie abgeändert werden muss, wenn Eltern die Erziehungskosten ihrer Kinder nicht vollständig allein tragen. Verschiedene Studien haben z. B. für die Situation in Deutschland gezeigt, dass – je nach Abgrenzung der Erziehungskosten und dem Einkommensstatus der Eltern – zwischen 30% und 50% der Erziehungskosten aus Steuermitteln getragen werden41. Bei diesen Zahlen muss jedoch berücksichtigt werden, dass auch Kindererziehende Steuern zahlen, so dass vom Anteil der Steuerfinanzierung nicht direkt darauf geschlossen werden kann, in welchem Ausmaß sich Kinderlose über das Steuer-Transfer-System an den Kinderkosten beteiligen. Dennoch wird in der Literatur von verschiedenen Autoren der prozentuale Anteil der öffentlichen Beteiligung an den Erziehungskosten als Faustregel für eine Verteilung der gesamten Rentenauszahlungen auf kinderzahlabhängige und beitragsabhängige Rentenansprüche verwendet42. Bei einem privaten Finanzierungsanteil an den Erziehungslasten von x% und einem entsprechenden öffentlichen Finanzierungsanteil von È1  xê% sollen sich danach x% der Rentenansprüche aus der individuellen Kinderzahl und È1  xê% aus geleisteten Beitragszahlungen ableiten. Auf den ersten Blick scheint diese Faustregel eine sinnvolle Variation der Internalisierungsstrategie zu sein, um auf diese Weise auch der Beteiligung Kinderloser an den Erziehungskosten Rechnung zu tragen. Um zu überprüfen, ob dieser erste Eindruck richtig ist, muss das bisher verwendete Modell um ein Familienlastenausgleichsystem erweitert werden43. Angenommen sei dabei, dass die Individuen in jeder Periode eine proportionale Einkommenssteuer mit dem Steuersatz td abführen müssen. Das dadurch erzielte Steueraufkommen werde vollständig zur Finanzierung eines Transfers an Kindererziehende verwendet. Dabei werde pro Kind ein fixierter Betrag in Höhe von d als eine Art „Elterngeld“ getenzahlung für dieses Kind vermindert, so dass auf den ersten Blick mehr Ressourcen für materiellen Konsum zur Verfügung stünden. Da aber annahmegemäß alle Individuen gleich sind, würde die Verminderung der Kinderkosten exakt dem verlorenen Rentenanspruch aus dem herkömmlichen Umlagesystem entsprechen, so dass die Ressourcenausstattung der Individuen im Ergebnis konstant bliebe. 41 Siehe hierzu Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2001), Deutsche Bundesbank (2002), Robert-Bosch-Stiftung (2005) und Rosenschon (2006). 42 So z. B. von Pimpertz (2005, S. 30) in seinem Vorschlag zu einer Kinderrente: „Unterstellt sei, dass 45% der Kindererziehungskosten über Steuermittel finanziert werden. Entsprechend ergibt sich ein beitragsbezogener Teilrentenanspruch von 429 Euro im Monat, der sowohl an Eltern als auch an Kinderlose gezahlt wird. (. . .) Die durchschnittliche kinderbezogene Rente ergibt sich als Komplement zum beitragsbezogenenen Teilrentenanspruch: 55% des Zahlbetrags (. . .).“ 43 Der Transfer an die Eltern sei dabei als unabhängig von deren Erziehungsleistung, d.h. von der positiven Externalität der Kindererziehung, unterstellt. Es handelt sich daher um einen Familienlasten- und nicht um einen Familienleistungsausgleich.

138

3. Alterssicherung und Konsummotiv der Kindererziehung

zahlt. Unterstellt sei zudem, dass die Steuereinnahmen einer Periode in jeweils der gleichen Periode wieder ausgezahlt werden und eine Staatsverschuldung nicht möglich ist, so dass die Budgetgleichung des Familienlastenausgleichsystems in Betrachtungsperiode t Nt È1 þ n€t êd ã Nt wt d lautet. Stellt man diese Gleichung nach td um, so ergibt sich der notwendige Steuersatz zur Finanzierung der Familienlastenausgleichzahlungen an Eltern: È3:36ê

td ã

dÈ1 þ n€t ê w

Die Budgetrestriktion der Erwerbstätigkeitsphase eines Individuums lautet dann ctt  1 ã wÈ1  b  td ê  st  Èq  dêÈ1 þ nt êê. Unter Verwendung von (3.36) lässt sie sich umformulieren zu: ctt  1 ã wÈ1  bê  dÈ1 þ n€t ê  st  Èq  dêÈ1 þ nt ê

È3:37ê

Angenommen sei des Weiteren, dass sich die individuellen Rentenanwartschaften nun zu einem Teil a beitragsabhängig und zu einem Teil 0  È1  aê  1 abhängig von der individuellen Kinderzahl ergeben. Die Bestimmungsgleichung einer individuellen Rentenzahlung ist mithin eine Kombination aus den Gleichungen (3.12) und (3.28) und lautet: pt þ 1 ã È1  aêwbÈ1 þ nt ê þ awbÈ1 þ n€t ê

È3:38ê

Unter Verwendung von (3.38) lautet die individuelle Budgetrestriktion der Ruhestandsphase: 1 €t ê ctt  þ 1 ã È1 þ rêst þ È1  aêwbÈ1 þ nt ê þ awbÈ1 þ n

È3:39ê

Als intertemporale Budgetrestriktion ergibt sich dann unter Berücksichtigung von (3.37) und (3.39): wÈ1  bê þ dÈ1 þ nt ê þ È1  aê È3:40ê 

wbÈ1 þ nt ê wbÈ1 þ n€t ê þa  ctt  1 È1 þ rê È1 þ rê

1 ctt  þ1  dÈ1 þ n€t ê  qÈ1 þ nt ê ã 0 È1 þ rê

Maximiert man (3.1) unter Nebenbedingung (3.40), so ergeben sich zusammengefasst folgende Bedingungen 1. Ordnung für ein Nutzenmaximum: È3:41aê

1 ctt  þ1 ã È1 þ rê ctt  1

3.2 Alterssicherung und schwach altruistische Eltern È3:41bê

139

ctt  1 wb ã q  d  È1  aê È1 þ rê È1 þ nt ê

Ein Blick auf (3.41b) macht deutlich, dass die Individuen bei ihrer Entscheidung über die optimale Allokation zwischen materiellem Konsum und Kindererziehung nun neben den Kinderkosten q auch die staatlichen Familienlastenausgleichzahlung d und die im Ausmaß È1  aê von der Kinderzahl abhängige Rente berücksichtigen. Nach der oben beschriebenen Vorgehensweise lässt sich aus (3.41a) und (3.41b) die Bestimmungsgleichung der optimalen Kinderzahl È1 þ nt êFLA bei Existenz eines Familienlastenausgleichsystems ableiten. Diese lautet nach einigen Umformungen: È3:42ê

È1 þ nt êFLA ã  3q 

wÈ1  bê    wb wb  2 d þ È1  aê È1 þ rê È1 þ rê

FLA Vergleich man (3.42) mit (3.25), genau  so zeigt sich, dass  È1 þ nê wb wb ã dann È1 þ nêG entspricht, wenn d þ È1  aê ist, wie È1 þ rê È1 þ rê durch Einsetzen leicht nachvollzogen werden kann. Diese Beziehung kann genutzt werden, um den Wert a des optimalen Anteils beitragsabhängiger bzw. È1  aê des optimalen Anteils kinderzahlabhängiger Renten in Gleichung   (3.38) zu bestimmen. Denn aus der Bedingung wb wb ã folgt, umgestellt nach È1  aê: d þ È1  aê È1 þ rê È1 þ rê

È3:43ê

  dÈ1 þ rê È1  aê ã 1  wb

Erkennbar gilt, dass È1  aê ã 1 ist bzw. die individuellen Rentenzahlungen vollständig von der Kinderzahl abhängen sollten, wenn kein Familienlastenausgleichsystem existiert. Mit zunehmendem „Elterngeld“ d nimmt wb ist. D.h.: Wenn die positive È1  aê ab und wird Null, wenn d ã È1 þ rê Externalität, die Eltern mit der Erziehung eines Kindes bei Existenz eines umlagefinanzierten Alterssicherungssystems „produzieren“, durch das Familienlastensausgleichsystem vollständig kompensiert wird, dann sollten individuelle Kindererziehungsleistungen in den Rentenzahlungen nicht berücksichtigt werden. Dieses Ergebnis gilt uneingeschränkt auch dann, wenn die Kindererziehungskosten q wesentlich höher sind als die Familienlastenaus-

140

3. Alterssicherung und Konsummotiv der Kindererziehung

gleichsleistung d, denn entscheidend sind nicht die Erziehungskosten, sondern allein das Ausmaß des externen Effekts der Kindererziehung. Unter wb ist44, kann aus dieBerücksichtigung der Modellannahme, dass q > È1 þ rê sem Ergebnis gefolgert werden, dass die oben beschriebene Faustregel, wonach aus dem Anteil der öffentlichen Beteiligung an den Erziehungskosten auf die prozentuale Aufteilung zwischen aus Kindererziehung und aus Beitragszahlungen abgeleiteten Rentenansprüchen geschlossen werden kann, keine sinnvolle Variation der Internalisierungsstrategie bei Existenz eines Familienlastenausgleichsystems ist. Denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Erziehungskosten den externen Ertrag der Kindererziehung um ein Vielfaches übertreffen45. Eine vollständige Kompensation der Erziehungskosten wäre offensichtlich nur dann optimal, wenn Kinder für ihre Eltern reine Investitionsgüter sind, was in diesem Kapitel explizit nicht angenommen wird. Selbst bei einer vollständigen Internalisierung der Erziehungskosten bleiben Kinder daher für ihre Eltern finanziell ein Verlustgeschäft. Dass sie trotzdem geboren und erzogen werden, liegt am Konsumnutzen, den Eltern aus der Kindererziehung ziehen. Dieser Konsumnutzen ist aber zugleich der Grund dafür, dass eine staatliche Kompensation der gesamten Erziehungskosten suboptimal wäre, denn in diesem Fall würden aus gesellschaftlicher Sicht zu viele Kinder geboren46. Aus einer z. B. hälftigen öffentlichen Tragung der Erziehungskosten kann daher auch nicht auf einen hälftigen Ausgleich der positiven Externalität geschlossen werden. Nimmt man beispielsweise an, dass die Kosten zur Erziehung eines Kindes genau doppelt so hoch sind wie der externe Ertrag der Erziehung dieses Kindes, dann würde eine hälftige öffentliche Beteiligung des Staates an den Erziehungskosten eine vollständige Kompensation der positiven Externalität bedeuten, so dass der kinderzahlabhängige Teil der Rentenzahlungen optimalerweise Null betragen sollte. Der Einwand, dass die Existenz eines Familienlastenausgleichs dazu führt, dass eine rein kinderzahlabhängige Rente suboptimal ist, ist daher berechtigt. Solange der Gegenwartswert aller Familienlastenausgleichsleistungen geringer als der Gegenwartswert des externen Ertrags der Kindererziehung im Rahmen der Rentenversicherung ist, lässt sich eine Berücksichtigung der Kindererziehung bei der Rentenbestimmung 44

Zur Notwendigkeit und zur inhaltlichen Bedeutung dieser Annahme vgl. Fn. 37. 45 Sinn (2005, S. 30) beziffert den Gegenwartswert der erwarteten Beitragszahlungen eines Kindes auf ca. e 100 000. Die Erziehungskosten eines Kindes belaufen sich nach verschiedenen Kalkulationen auf e 250 000–500 000, vgl. z. B. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2001). 46 Da Kinder in diesem Fall aus Sicht ihrer Eltern kostenlose Konsumgüter wären, würden sie die physiologisch maximal mögliche Zahl an Kindern erziehen.

3.2 Alterssicherung und schwach altruistische Eltern

141

dennoch rechtfertigen. Bei einer Internalisierungsstrategie sollte die Rente dann jedoch nur zum Teil kinderzahlabhängig, zum anderen Teil weiterhin beitragsabhängig sein. Der beitragsabhängige Teil ergibt sich dabei durch die Bildung des Quotienten aus den öffentlichen Familienlastenausgleichsleistungen pro Kind und dem Gegenwartswert der erwarteten Beitragszahlungen dieses Kindes an die Rentenversicherung. (b) Beseitigung des umlagefinanzierten Alterssicherungssystems Im vorangegangenen Teilabschnitt wurde gezeigt, dass die Internalisierung der positiven Konsumexternalität der Kindererziehung in der Rentenversicherung durch eine vollständige (ohne Familienlastenausgleich) oder teilweise (mit Familienlastenausgleich) Bemessung der Rentenzahlbeträge nach der individuellen Kinderzahl zu einer Pareto-Verbesserung führt. Die Frage ist nun, ob nicht die Beseitigung des Umlagesystems bzw. die Ersetzung eines auf diesem Finanzierungsprinzip beruhenden Alterssicherungssystems durch ein Kapitaldeckungssystem eine ebenso gute Reformstrategie darstellt47, oder ob eine solche Reformstrategie nicht gegebenenfalls sogar einer Internalisierungsstrategie überlegen ist. Die Beseitigung des Umlagesystems kommt offensichtlich nur dann als sinnvolle Alternative zur Internalisierungsstrategie in Frage, wenn È1 þ n€ê < È1 þ rê ist, so dass die Versicherten durch die Zwangsteilnahme an diesem Alterssicherungssystem implizit besteuert werden48. Wie in Abschnitt 3.2.3 erläutert wurde, kann diese Situation als der Regelzustand in realtypischen umlagefinanzierten Alterssicherungssystemen betrachtet werden. Doch auch die Feststellung, dass im Status Quo eines in herkömmlicher Weise organisierten umlagefinanzierten Rentensystems ohne Internalisierung der positiven Konsumexternalitäten individueller Kindererziehungsentscheidungen gilt, dass È1 þ n€t ê ã È1 þ nP ê < È1 þ rê ist, ist noch nicht ausreichend, um auf einen generellen Renditenachteil eines nach diesem Finanzierungsprinzip operierenden Alterssicherungssystems gegenüber einem Kapitaldeckungssystem zu schließen. Denn es ist – wie oben unter (a) gezeigt wurde – durchaus möglich, dass eine Reorganisation des Umlagesystems im Sinne einer Internalisierung der positiven Konsumexternalität der KR P Kindererziehung zur Folge hat, dass È1 þ nt ê > È1 þ rê > È1 þ nt ê ist, so dass sich der Renditenachteil dieses Systems zu einem Renditevorteil 47 Materiell macht es im hier verwendeten Modell keinen Unterschied, ob das Umlagesystem ersatzlos beseitigt oder durch ein Kapitaldeckungssystem ersetzt wird. 48 Die Gleichungen (3.30) und (3.35) zeigen, dass die Einführung oder Erweiterung eines Umlagesystems in diesem Fall zu einer Nutzeneinbuße führt.

142

3. Alterssicherung und Konsummotiv der Kindererziehung

wandelt. In 3.2.3 wurde jedoch zudem ausgeführt, dass die reale Entwicklung, die die Fertilitätsrate in Staaten mit umlagefinanzierten Rentensystemen im Zeitraum nach ihrer Einführung genommen hat, unter dem hier verwendeten Modellrahmen die Schlussfolgerung nahe legt, dass die durchschnittliche Fertilität in diesen Staaten auch im Laissez-Faire so niedrig LF wäre, dass È1 þ nt ê < È1 þ rê ist. Man könnte somit annehmen, dass die Bevölkerungswachstumsrate auch bei vollständiger Internalisierung des externen Effektes nicht größer als der Zinsfaktor sein kann. Die Entscheidungssituation eines Individuums bei Existenz eines Umlagesystems mit vollständiger Internalisierung des externen Effektes entspricht jedoch nicht jener im Laissez-Faire, auch wenn dies in der Literatur zum Teil fälschlicherweise unterstellt wird49. Wie sich die Geburtenzahlen im LaissezFaire und bei vollständiger Internalisierung des externen Effektes der Kindererziehung zueinander verhalten, kann anhand der Gleichungen (3.8) und (3.31) ermittelt werden. Zur besseren Vergleichbarkeit der beiden Gleichungen ist es sinnvoll, (3.31) in È3:44ê

È1 þ nt êKR ã

w 3q

2

3

6 6 6 4

7 È1  bê 7  7 5 w È1  bê qÈ1 þ rê

umzuformulieren. In dieser Formulierung unterscheiden sich (3.8) und (3.44) nur durch den Ausdruck in der eckigen Klammer von (3.44). Der Unter49 So führen z. B. Sinn/Werding (2000, S. 16), aus: „Der theoretische Grund für einen endogenen Rückgang der Fertilität liegt in der fiskalischen Externalität, die die Geburt und Erziehung eines Kindes für andere Beitragszahler und Rentner außerhalb der Familie bedeutet. (. . .) Die Zunahme der Geburtenhäufigkeit, die aufgrund einer Internalisierung dieses Effektes zu erwarten wäre, misst die Verzerrung der Fertilitätsentscheidung der Eltern, die vom Umlageverfahren ausgelöst wird.“ In Abschnitt 3.2.3 wurde herausgearbeitet, dass die theoretische Begründung für den endogenen Rückgang der Fertilität tatsächlich überhaupt nichts mit der fiskalischen Externalität der Kindererziehung zu tun hat. Vielmehr ist das Sinken der Kinderzahl bei Einführung/Existenz eines Umlagesystems allein auf den negativen Einkommenseffekt zurückzuführen, der sich ergibt, wenn die implizite Verzinsung des Umlagesystems unter der auf dem Kapitalmarkt erzielbaren Verzinsung liegt. Selbst wenn Sinn/Werding (2000) bei ihrer Aussage implizit von einem Modell ausgegangen sein sollten, in dem Kinder im Laissez-Faire – anders als im hier verwendeten Modell – auch einen investiven Nutzen haben (wie z. B. im Modell von Werding (2003)), kann vom externen Effekt nicht auf die Verzerrung der Geburtenentscheidung geschlossen werden. Die Internalisierung des externen Effektes der Kindererziehung führt nur dann zu exakt der gleichen Geburtenzahl wie im Laissez-Faire, wenn Eltern ausschließlich investive Motive der Kindererziehung haben und die Beiträge, die Kinder über das Umlagesystem an ihre Eltern zahlen, anderenfalls privat geleistete Transferzahlungen in exakt gleicher Höhe ersetzen, vgl. hierzu auch Kapitel 4.5 der vorliegenden Untersuchung.

3.2 Alterssicherung und schwach altruistische Eltern

143

schied zwischen È1 þ nêLF und È1 þ nêKR ergibt sich daher allein aus der w im Nenner der eckigen Beantwortung der Frage, ob der Bruch qÈ1 þ rê Klammer von (3.44) größer, kleiner oder gleich eins ist. Dabei ist offensichtlich È1 þ nt êKR > È1 þ nt êLF bzw. die individuelle Kinderzahl bei Zwangsteilnahme an einem Kinderrentensystem größer als im Laissez-Faire, w < 1 ist. Was aber ist die genaue Aussage dieser Bedinwenn qÈ1 þ rê gung? w < 1 ist, dann sind die Kinderkosten und/oder der ZinsqÈ1 þ rê satz sehr hoch und die Fertilität ist im Laissez-Faire entsprechend gering. Die Einführung eines herkömmlichen Umlagesystems verändert nichts an den Kinderkosten, führt aber bei geringer Fertilität und/oder hohem Zinssatz mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer impliziten Einkommensbesteuerung der Individuen, so dass die Fertilität noch geringer als im LaissezFaire ist. Ein Umlagesystem mit vollständiger Internalisierung des externen Effektes hat dagegen im Vergleich zum Laissez-Faire zwei gegenläufige Effekte auf die Fertilität. Zum einen erhalten Eltern in diesem System einen Transfer von ihren Kindern, so dass die Netto-Erziehungskosten geringer als im Laissez-Faire sind. Folge ist ein positiver Substitutionseffekt auf die Fertilität. Zum anderen kann die Zwangsteilnahme am Umlagesystem dennoch weiterhin eine implizite Einkommensbesteuerung beinhalten, was einen negativen Einkommenseffekt auf die Fertilität impliziert. Wenn die Kinderkosten relativ hoch sind, dann dominiert der Substitutionseffekt auf die Fertilität den Einkommenseffekt und die Fertilität ist im Kinderrentensystem höher als im Laissez-Faire. Unter Umständen nimmt die Fertilität sogar so weit zu, dass auch der Einkommenseffekt positiv wird. Es ist somit denkbar, dass È1 þ nêKR > È1 þ nêLF und somit ggf. auch È1 þ nêKR > È1 þ rê > È1 þ nêLF ist. In diesem Fall ist die Internalisierungsstrategie einem Systemwechsel in jedem Fall überlegen. Bei der Untersuchung der Frage nach der Vorteilhaftigkeit eines solchen Systemwechsels muss mithin davon ausgegangen werden, dass letzterer Fall nicht vorliegt bzw. die Verzinsung des Umlagesystems auch bei vollständiger Internalisierung des positiven externen Effektes der Kindererziehung geringer als die Verzinsung von Anlagen auf dem Kapitalmarkt ist. Dies wird bei den folgenden Überlegungen unterstellt. Wenn

Die Internalisierung des externen Effektes der Kindererziehung macht dann auf den ersten Blick den Eindruck einer inferioren Reformstrategie, denn dadurch würde zwar die Nachteiligkeit des Umlagesystems im Vergleich zum Kapitaldeckungssystem verringert werden, sie ließe sich aber

144

3. Alterssicherung und Konsummotiv der Kindererziehung

nicht völlig beseitigen. Es könnte sich somit anbieten, als Alternative zur Internalisierungsstrategie das Umlagesystem vollständig zu beseitigen bzw. durch ein Kapitaldeckungssystem zu ersetzen, um auf diese Weise die implizite Einkommensbesteuerung einfach aus der Welt zu schaffen. Die Individuen könnten die dann frei werdenden Ressourcen für zusätzlichen Konsum bzw. Kindererziehung verwenden und so ein höheres Nutzenniveau erreichen. Zu prüfen ist, ob dies tatsächlich möglich ist50. Im Umlagesystem leisten die Individuen in ihrer Erwerbstätigkeitsphase eine Beitragszahlung in Höhe von wb und erhalten dafür eine RentenzahÈ1 þ nt êP wb . Wenn sie bei lung mit einem Gegenwartswert in Höhe von È1 þ rê Beseitigung des Umlagesystems zu einer gleich hohen Beitragszahlung an ein Kapitaldeckungssystem verpflichtet werden oder wenn sie – falls von Zwangsersparnis abgesehen wird – in gleicher Höhe freiwillige Ersparnisse tätigen, könnten sie eine Rentenzahlung mit dem Gegenwartswert È1 þ rêwb erwarten. Die Differenz aus den beiden alternativen RentenzahÈ1 þ rê lungen gibt den Vorteil bzw. Gewinn G an, den die Mitglieder der Erwerbstätigengeneration bei Beseitigung des Umlagesystems verbuchen könnten, wenn sie von Beitragszahlungen an das alte System vollständig befreit würden: È3:45ê

Gt ã

  È1 þ rêwb È1 þ nt êKR wb È1 þ rê  È1 þ nt êP  , Gt ã wb È1 þ rê È1 þ rê È1 þ rê

Erkennbar ist der mögliche Gewinn mit dem Gegenwartswert der impliziten Einkommenssteuerbelastung identisch. Wie bei der Internalisierungsstrategie unter Punkt (a) muss jedoch auch bei einer Systemwechselstrategie dafür Sorge getragen werden, dass die Ruhestandsgeneration des Reformzeitpunktes nicht schlechter gestellt wird, denn ansonsten ist eine ParetoVerbesserung nicht möglich. Bei der Internalisierungsstrategie wird dieses Ergebnis automatisch erreicht, weil bei unverändertem Beitragssatz am Finanzierungsprinzip des Umlageverfahrens festgehalten wird. Es existiert mithin keine Lücke bei der Finanzierung laufender Rentenzahlungen. Wird hingegen das Umlageverfahren beseitigt, so müssen die laufenden Renten der Umstellungsperiode aus anderen Quellen als dem Umlagesystem finanziert werden. Eine Möglichkeit könnte darin bestehen, zum Umstellungszeitpunkt eine Einkommenssteuer von den Erwerbstätigen zu erheben und aus den Einnahmen die laufenden Renten zu bezahlen. Offensichtlich 50 Die folgenden Überlegungen replizieren die bereits von Van Groezen/Leers/ Meijdam (2003, S. 248 f.) in einem anderen Modellrahmen gefundenen Ergebnisse.

3.2 Alterssicherung und schwach altruistische Eltern

145

müsste dann jedoch der Einkommenssteuersatz gerade dem Beitragssatz zum Rentensystem entsprechen, ohne dass sich aus diesen Zahlungen noch Rentenansprüche ableiten würden. In diesem Fall würde mithin die Erwerbstätigkeitsgeneration des Umstellungszeitpunktes schlechter gestellt und eine Pareto-Verbesserung wäre ebenfalls nicht möglich. Alternativ könnte der Staat die Renten der aktuellen Altengeneration über die Aufnahme eines Kredites finanzieren. Dessen Zins- und Tilgungslast könnte auf die Erwerbstätigengeneration des Umstellungszeitpunktes und auf alle zukünftigen Generationen verteilt werden. Bezeichnet man den zur Rentenfinanzierung notwendigen Kredit mit KP und geht von einem Systemwechsel in Periode t aus, so muss er gerade so hoch sein, dass er den durch die Beseitigung des Umlagesystems verursachten Beitragsausfall dieser Periode abdeckt: È3:46ê

KP ã wbNt

Angenommen sei, dass die Tilgung des Kredites über die Erhebung einer zweckgebundenen Einkommenssteuer mit dem Steuersatz tKP finanziert wird, die von der Erwerbstätigengeneration der Periode t und von den Erwerbstätigen aller Folgeperioden erhoben wird. Die auf Periode t abgezinste Summe der gesamten Steuereinnahmen muss dann gerade so hoch wie der aufgenommene Kredit sein. Unter Berücksichtigung von (3.46) muss der Steuersatz mithin so gewählt werden, dass die Bedingung "

wtKP È1 þ nêKP þ wbNt ã Nt  wt þ È1 þ rê #  KP 1 wt È1 þ nêKP þ È1 þ rê KP

È3:47ê



wtKP È1 þ nêKP È1 þ rê

2 þ ...

erfüllt wird. Mit È1 þ nêKP wird dabei die individuell optimale bzw. die durchschnittliche Kinderzahl bei Beseitigung des Umlagesystems und Kreditfinanzierung der Renten der ersten Rentnergeneration bezeichnet, wobei zunächst offen bleiben kann, ob diese sich von È1 þ nêP unterscheidet. Da der Ausdruck in der eckigen Klammer eine unendliche geometrische 2 3 6 Reihe ist, kann er durch 6 4

wtKP 1

1  È1 þ nê È1 þ rê

wtKP

sich (3.47) zu wb ã 1

KP

1  È1 þ nêKP È1 þ rê

7 7 approximiert werden, so dass 5

vereinfachen lässt. Stellt man nun

146

3. Alterssicherung und Konsummotiv der Kindererziehung

wbÈ1 þ nêKP die BestimÈ1 þ rê mungsgleichung der zur Erfüllung von Bedingung (3.47) notwendigen individuellen Einkommensbesteuerung. Diese lässt sich noch weiter umformulieren zu:

nach wtKP um, erhält man mit wtKP ã wb 

È3:48ê

  È1 þ rê  È1 þ nêKP wtKP ã wb È1 þ rê

Der Vergleich von (3.48) und (3.45) macht deutlich, dass der mögliche individuelle Gewinn der Beseitigung des umlagefinanzierten Alterssicherungssystems wertmäßig exakt der notwendigen individuellen Einkommensbesteuerung zur Finanzierung des Staatsschuldendienstes entspricht, wenn È1 þ nêKP ã È1 þ nt êP ist. Und genau dies ist der Fall, denn die durchschnittliche Kinderzahl È1 þ nt êP bei Existenz eines umlagefinanzierten Alterssicherungssystems ist nur deshalb geringer als im Laissez-Faire, weil das Lebenseinkommen teilnehmender Individuen implizit besteuert wird. Die Abschaffung des Umlagesystems beseitigt zwar die implizite Besteuerung, führt jedoch eine explizite Besteuerung in exakt der gleichen Höhe ein. Die Ressourcenausstattung der Individuen bleibt daher von der Beseitigung des Umlagesystems unbeeinflusst, so dass sich auch die individuellen Fertilitätsentscheidungen nicht verändern. Folglich führt eine Beseitigung des Umlagesystems bzw. ein Systemwechsel zu einem Kapitaldeckungssystem zu keiner Pareto-Verbesserung: Durch diesen Wechsel würde zwar keine Generation schlechter, aber auch keine besser gestellt51. Die in diesem Abschnitt gefundenen Ergebnisse geben somit einigen Aufschluss darüber, welche Reformstrategie der Staat bei Existenz eines in herkömmlicher Weise organisierten umlagefinanzierten Alterssicherungssystems wählen sollte, wenn die Volkswirtschaft und die in ihr handelnden Individuen durch das hier entwickelte Modell korrekt beschrieben werden. Wenn der Staat die implizite Verzinsung des Umlagesystems – insbesondere im Vergleich zu einem kapitalgedeckten System – für zu niedrig ansieht, dann sollte seine Reformstrategie in der Internalisierung der positiven Konsumexternalität der Kindererziehung liegen. Auf diese Weise kann die interne Verzinsung des Umlagesystems erhöht werden, so dass die Mitglieder der aktuellen Erwerbstätigengeneration und aller zukünftigen Generationen besser gestellt werden, ohne dass dazu die Mitglieder der aktuellen Ruhestandsgeneration schlechter gestellt werden müssen. Es ist sogar denkbar, dass die Bevölkerungswachstumsrate bei Umsetzung der Internalisierungsstrategie soweit ansteigt, dass die implizite Verzinsung des Umlagesystems 51

lität.

Breyer (1989) erzielt das gleiche Resultat in einem Modell mit exogener Ferti-

3.2 Alterssicherung und schwach altruistische Eltern

147

die Verzinsung von Anlagen auf dem Kapitalmarkt übersteigt. Eine Beseitigung des Umlagesystems bzw. ein Systemwechsel zu einem kapitalgedeckten Alterssicherungssystem führt hingegen selbst dann zu keiner ParetoVerbesserung, wenn die implizite Rendite umlagefinanzierter Alterssicherung auch bei perfekter Internalisierung des positiven externen Effektes der Kindererziehung unterhalb der Rendite kapitalgedeckter Alterssicherung liegt. Der Grund dafür ist darin zu sehen, dass die Beseitigung des Umlagesystems bei gleichzeitiger Respektierung der in diesem System bereits erworbenen Rentenanwartschaften lediglich zur Folge hat, dass die im Umlagesystem enthaltene implizite Besteuerung durch eine explizite Besteuerung gleicher Höhe ersetzt wird. Die positive Konsumexternalität der Kindererziehung wird auf diese Weise nicht beseitigt, sondern nur vom Rentensystem in das Steuersystem verschoben52. In Bezug auf die optimale Ausgestaltung der Internalisierungsstrategie konnte herausgearbeitet werden, dass die Rentenzahlbeträge in einer Situation ohne staatliches Familienlastenausgleichsystem vollständig von der Kinderzahl abhängen sollten. Kinderlosen sollte mithin – bei unveränderter Pflicht zur Beitragszahlung – kein Rentenanspruch mehr aus dem Umlagesystem zugestanden werden. Bei Existenz eines Familienlastenausgleichsystems sollten die Rentenzahlbeträge hingegen nur zum Teil von der individuellen Kinderzahl abhängig sein. Der optimale kinderzahlabhängige Rentenanspruch sollte dabei mit dem Ausmaß der Familienlastenausgleichleistungen abnehmen und schließlich Null betragen, wenn die positive Konsumexternalität der Kindererziehung durch diese Leistungen vollständig kompensiert wird. Aus der Unabhängigkeit des externen Ertrags der Kindererziehung von den Erziehungskosten folgt dabei, dass der optimale kinderzahlabhängige Rentenanspruch unter Umständen selbst dann nur sehr gering sein oder sogar Null betragen sollte, wenn Eltern einen großen Teil der Erziehungskosten allein tragen. Dieses Ergebnis ist auf die in diesem Abschnitt getroffene Annahme zurückzuführen, dass Eltern rein konsumtiv zur Kindererziehung motiviert sind. Ihnen sollten daher maximal die über ihr Eigeninteresse hinausgehenden Leistungen für die Gesamtgesellschaft, nicht jedoch die gesamten Kosten, die mit der Erziehung von Kindern einhergehen, entgolten werden53. 52 Da der von einer Generation zu zahlende explizite Steuersatz bei einem Systemwechsel zum Kapitaldeckungssystem eine Variable ist, die von der Kopfzahl dieser Generation und damit der Fertilität der Vorgängergeneration abhängt, während der Beitragssatz in einem Umlagesystem der Variante EA annahmegemäß fix und stattdessen die Rentenleistung variabel ist, wirkt sich die positive Konsumexternalität der Kindererziehung nach dem Systemwechsel nicht mehr auf die Mitglieder dieser Generation, sondern auf die Mitglieder der Nachfolgegeneration aus. 53 Bei der Bemessung dieses „Entgeltes“ ist es dabei nicht notwendig, die Gesamtheit der elterlichen Erziehungsleistungen nach solchen zu durchforsten, die aus

148

3. Alterssicherung und Konsummotiv der Kindererziehung

Im folgenden Teilabschnitt 3.2.5 wird ergänzend zur bisherigen Analyse untersucht, ob sich an den zentralen Ergebnissen des vorliegenden Abschnitts etwas verändert, wenn bei der Modellformulierung berücksichtigt wird, dass die Erziehung von Kindern typischerweise nicht nur mit monetären Kosten, sondern zudem auch mit Zeitkosten verbunden ist. 3.2.5 Berücksichtigung von Zeitkosten der Kindererziehung In den vorangegangenen Abschnitten wurde jeweils unterstellt, dass Eltern ihre Kinder erziehen könnten, ohne dazu ihr Arbeitsangebot einschränken zu müssen. Eine Vielzahl empirischer Studien belegt jedoch, dass Eltern – und dabei fast ausschließlich Mütter – ihre Erwerbstätigkeit zumindestens in den ersten Lebensjahren eines Kindes einschränken oder zeitweise ganz unterbrechen54. Der bisherigen Nicht-Berücksichtigung dieser Tatsache könnte durchaus einige Bedeutung zukommen. So kommen z. B. Fenge/Meier (2003, 2005) bei der Untersuchung eines Modells, in dem die Zeitkosten der Kindererziehung berücksichtigt werden, zu dem Ergebnis, dass die Rentenzahlbeträge auch ohne Familienlastenausgleichsystem nicht vollständig von der Kinderzahl abhängen sollten. Anhand einer einfachen Variation des in den vorangegangenen Abschnitten entwickelten Modells wird nun im Folgenden untersucht, ob dieses Ergebnis hier repliziert werden kann und aus welchen Gründen es eintritt. Angenommen sei dabei, dass die Erziehung eines Kindes neben den fixen monetären Kosten q einen Teil 0 < f 0 ist, dann ist diese Strategie im Regel58

Dieses Ergebnis könnte zu dem Gedanken verleiten, dass ein Ausbau der öffentlichen Kinderbetreuung das paradoxe Ergebnis nach sich zieht, dass Rentenzahlungen mehr von der eigenen Kinderzahl abhängen sollten, weil der zeitliche Erziehungsaufwand und damit die negative Externalität der Kindererziehung sinkt. Da sich Kinder jedoch nicht selbst betreuen und – vor allem – erziehen können, müsste

152

3. Alterssicherung und Konsummotiv der Kindererziehung

fall nicht mehr optimal. Denn je größer f bzw. die notwendige Reduzierung des Arbeitsangebotes bei der Geburt eines Kindes ist, desto kleiner wird die positive und desto größer wird die negative Externalität der Kindererziehung. In umso geringerem Ausmaß sollten dann die Rentenzahlbeträge von der Kinderzahl abhängen. Für f ã 0;5 wird der Ausdruck in der eckigen Klammer Null. In diesem Fall entspricht die individuell optimale Erziehungsentscheidung dem gesellschaftlichen Optimum bzw. kompensieren sich positive und negative Externalität der Kindererziehung gerade. Es gibt dann keinen Grund für eine kinderzahlabhängige Rente. Da f den Verlust an Lebensarbeitszeit bei Erziehung eines Kindes misst, ist ein f, das wesentlich kleiner als 0,5 ist, jedoch der wahrscheinlichere Fall59. Die aus den bisherigen Überlegungen abgeleiteten Überlegungen zeigen, dass Rentenzahlungen auch unter der Annahme von Zeitkosten der Kindererziehung teilweise von der individuellen Kinderzahl abhängig sein sollten. Dieser Zusammenhang sollte jedoch umso geringer ausfallen, je stärker Eltern ihr Arbeitsangebot zur Kindererziehung einschränken müssen. Denkbar ist jedoch, dass es in realtypischen Umlagesystemen Mechanismen gibt, die zu einer automatischen Internalisierung der negativen Konsumexternalität der Kindererziehung führen. Die Frage nach dem Einfluss von Zeitkosten der Staat bei einem Ausbau der Kinderbetreuung zusätzliches qualifiziertes Betreuungs- und Erziehungspersonal einstellen und entlohnen und zusätzliche Betreuungseinrichtungen unterhalten. Zur Finanzierung der damit einhergehenden Kosten müsste er eine Steuer erheben, die mit zunehmender Fertilität höher ausfallen würde, ohne dass dies von Eltern bei ihrer Erziehungsentscheidung berücksichtigt würde. Wenn der Staat bei der Erziehung – bei gleicher Qualität – keine Kostenvorteile gegenüber den Eltern hat, würde die modellierte negative Externalität der Kindererziehung durch den Ausbau der öffentlichen Kinderbetreuung somit nicht beseitigt, sondern lediglich in ein anderes System verschoben werden. Die sich dann ergebende Situation würde dem in 3.2.4 dargestellten Fall der Existenz eines Familienlastenausgleichsystems entsprechen, in dem – wie gezeigt wurde – der aus Kindererziehung abgeleitete Teil der Rentenzahlbeträge mit zunehmendem öffentlichen Erziehungsaufwand abnehmen sollte. 59 Zumal im hier entwickelten Modell zur Vereinfachung angenommen wurde, dass jedes Individuum Kinder bekommen kann. Würde man alternativ annehmen, dass jedes der hier betrachteten Individuen ein Paar ist und nur ein Partner seine Erwerbstätigkeit für die Erziehung eines Kindes unterbrechen muss, dann sinkt das aggregierte Arbeitsangebot des Paares nur halb so stark wie bei individualisierter Betrachtungsweise. Eine Analyse mit „Paarbetrachtung“ wird z. B. von Abio/Mahieu/ Patxot (2003) vorgenommen, wobei in ihrem Modell angenommen wird, dass jeweils nur die Muter ihre Erwerbstätigkeit zur Erziehung eines Kindes unterbrechen muss. Wie im hier entwickelten Modell kommt es auch in ihrem Ansatz neben einer positiven zu einer negativen Externalität der Kindererziehung, weil Paare die Auswirkung einer Reduzierung des Arbeitsangebots der Mutter auf die Rentenzahlbeträge der Vorgängergeneration nicht beachten. Sie leiten daraus den – wohl wenig praktikablen – Vorschlag ab, Frauen von der Pflicht zur Rentenbeitragszahlung ganz zu entbinden (vgl. Abio/Mahiheu/Patxot (2003, S. 14)).

3.2 Alterssicherung und schwach altruistische Eltern

153

der Kindererziehung auf die Fertilitätsentscheidung wurde bislang anhand eines Rentensystems untersucht, in dem die Rentenhöhe eines Individuums unabhängig von seinem Arbeitsangebot und somit unabhängig von der relativen Höhe seiner Beitragszahlungen im Vergleich zu anderen Individuen ist. In den obigen Abschnitten 3.2.3 und 3.2.4 war diese Beschränkung auf ein sog. „Beveridgesches“ Rentensystem unproblematisch, weil das Arbeitsangebot als unelastisch unterstellt wurde. Bei den in diesem Abschnitt vorgenommenen Untersuchungen wurde das Arbeitsangebot hingegen als variabel unterstellt. Es könnten sich daher unter Umständen andere als die bisher gefundenen Ergebnisse ergeben, wenn an Stelle eines Universalrentensystems ein sog. „Bismarcksches“ Rentensystem angenommen wird, in dem die relative Höhe eines individuellen Rentenanspruchs von der relativen Höhe individuell geleisteter Beitragszahlungen abhängt. Denn es ist anzunehmen, dass die Individuen dann bei ihrer Fertilitätsentscheidung ins Kalkül ziehen, dass die Entscheidung für ein Kind nicht nur ihr Erwerbseinkommen, sondern auch ihren Rentenanspruch verringert. Letzterer Aspekt könnte dazu führen, dass die oben abgeleitete negative Externalität der Kindererziehung in einem Bismarckschen Rentensystem eine weniger große Rolle spielt, denn in diesem System existiert eine explizite Verbindung zwischen Fertilitätsentscheidung und Rentenhöhe, die im Beveridgeschen Rentensystem fehlt. Um dies zu überprüfen, sei nun ein Rentensystem angenommen, in dem sich eine individuelle Rente gemäß der folgenden Formel ergibt: È3:55ê

pt þ 1

  1  fÈ1 þ nt ê  ã È1 þ n€t ê È1  fÈ1 þ n€t þ 1 ê wb  1  fÈ1 þ n€t ê 



Entscheidet sich ein Individuum in diesem Rentensystem für eine Kinderzahl, die höher als der gesellschaftliche Durchschnitt ist, und ist sein Arbeitsangebot somit geringer als der gesellschaftliche Durchschnitt, dann erhält es nach (3.55) auch nur eine unterdurchschnittliche Rentenzahlung60. Die Budgetrestriktion in der Erwerbstätigkeitsphase eines Individuums entspricht dann weiterhin (3.49), für die Ruhestandsphase gilt unter Berücksichtigung von (3.55) nun jedoch die Restriktion: È3:56ê

    1  fÈ1 þ nt ê 1   þ È1 þ rêst € € ctt  ã È1 þ n ê 1  fÈ1 þ n ê wb t tþ1 þ1 1  fÈ1 þ n€t ê

60 Bei Annahme homogener Individuen kann dieser Fall niemals eintreten, da alle Individuen stets die gleichen Entscheidungen treffen. Das hier dargestellte Rentensystem verändert jedoch die ökonomischen Anreize der (homogenen) Individuen und entfaltet darüber seine Wirkung.

154

3. Alterssicherung und Konsummotiv der Kindererziehung

Die Maximierung von (3.1) unter den Nebenbedingungen (3.49) und (3.56) ergibt dann folgende Bedingungen 1. Ordnung für ein Nutzenmaximum bei individueller Optimierung: È3:57aê

È3:57bê

1 ctt  þ1 ã È1 þ rê ctt  1

ctt  1 fÈ1  fÈ1 þ n€t þ 1 êêwbÈ1 þ n€t ê ã q þ fwÈ1  bê þ È1 þ rêÈ1  fÈ1 þ n€t þ 1 êê È1 þ nt ê ã q þ fwÈ1  bê þ fÈ1 þ n€t ê

wb È1 þ rê

Die Frage ist nun erneut, ob und wie sich die individuellen Optimalbedingungen von jenen unterscheiden, die für einen sozialen Planer gelten würden. Diese brauchen hier nicht gesondert bestimmt zu werden, da sich die Bedingungen 1. Ordnung für ein gesellschaftliches Optimum in einem Bismarckschen Rentensystem und in einem Beveridgeschen Rentensystem entsprechen. Der Grund dafür ist, dass für die Rentenzahlbeträge im Steady-State im Bismarckschen wie auch im Beveridgeschen    È1  fÈ1 þ nê  Rentensystem gilt, dass pt þ 1 ã È1 þ nê È1  fÈ1 þ nê wb  È1  fÈ1 þ nê   ã È1 þ nê È1  fÈ1 þ nê wb ist. Es gelten somit für ein gesellschaftliches Optimum im Bismarckschen Rentensystem ebenfalls die Bedingungen (3.54a) und (3.54b) bzw. (3.54b0 ). Inwieweit nun in einem Bismarckschen Rentensystem individuelles und gesellschaftliches Kalkül voneinander abweichen, lässt sich durch den Vergleich von (3.57b) mit (3.54b0 ) ermitteln. Dabei zeigt sich, dass in einem Bismarckschen Rentensystem keine negative Konsumexternalität der Kindererziehung existiert. Das Optimierungskalkül des sozialen Planers unterscheidet sich vom individuellen Optimierungskalkül nur noch dadurch, dass der soziale Planer den sozialen Ertrag der Kindererziehung bzw. die positive Externalität dieser Aktivität berücksichtigt. Es lässt sich somit folgern, dass die negative Konsumexternalität der Kindererziehung durch die Art, wie in einem Bismarckschen Rentensystem Rentenansprüche erworben werden, perfekt internalisiert wird. Folglich gilt das oben für ein Beveridgesches Rentensystem gefundene Ergebnis in einem Bismarckschen Rentensystem nicht. Sofern kein Familienlastenausgleichsystem existiert, sollten mithin die Rentenzahlbeträge in einem Bismarckschen Rentensystem auch dann vollständig von der individuellen Kinderzahl abhängig sein, wenn die Erziehung von Kindern neben Geld auch Zeit kostet.

3.3 Alterssicherung und rein altruistische Eltern

155

Zusammenfassend konnte in diesem Teilabschnitt herausgearbeitet werden, dass in dem Fall, dass Kindererziehung eine Senkung des individuellen Arbeitsangebotes notwendig macht, von der Erziehung eines Kindes in einem Beveridgeschen Rentensystem neben der positiven auch eine negative Konsumexternalität ausgeht, weil die Individuen bei ihren Fertilitätsentscheidungen den negativen Effekt ihres eingeschränkten Arbeitsangebots auf die Rentenzahlungen an die Mitglieder ihrer Vorgängergeneration nicht beachten. Aus diesem Grund sollten die Rentenzahlungen in einem Beveridgeschen Rentensystem nicht vollständig von der Kinderzahl abhängen, wenn Eltern nach der Geburt eines Kindes ihre Erwerbstätigkeit unterbrechen müssen. In einem Bismarckschen Rentensystem wird die negative Konsumexternalität der Kindererziehung hingegen perfekt internalisiert, da es in diesem System eine Verbindung zwischen Arbeitsangebot und Rentenanspruch gibt, die im Beveridgeschen Rentensystem fehlt und dort für die negative Externalität verantwortlich ist. Für ein umlagefinanziertes Alterssicherungssystem vom Bismarckschen Typ, also z. B. für die Gesetzliche Rentenversicherung Deutschlands, gelten daher uneingeschränkt die in 3.2.4 gefundenen Ergebnisse.

3.3 Umlagefinanzierte Alterssicherung und rein altruistische Eltern In Abschnitt 3.2.3 wurde gezeigt, dass die Einführung eines umlagefinanzierten Alterssicherungssystems über einen negativen Einkommenseffekt zu einem Rückgang der Fertilität führt, wenn Kinder für ihre Eltern normale Konsumgüter sind und die implizite Verzinsung dieses Alterssicherungssystems geringer als die Verzinsung von Anlagen auf dem Kapitalmarkt ist. Wenn die Bevölkerungswachstumsrate schon bei Einführung umlagefinanzierter Alterssicherungssysteme geringer als der Zinsfaktor war, kann anhand des in 3.2 entwickelten Modells der Fertilitätsrückgang, der in den industrialisierten Staaten mit der Einführung bzw. dem Ausbau umlagefinanzierter Rentenversicherungssysteme einherzugehen scheint – zumindestens zum Teil – erklärt werden. Denkbar ist jedoch, dass Kinder für ihre Eltern weit mehr als einfache Konsumgüter sind, die nur über ihre Kopfzahl als Argument in die Nutzenfunktion eingehen. Problematisch an dieser Modellformulierung ist vor allem die Annahme, Eltern seien nicht daran interessiert, welchen Lebensstandard ihre Kinder erreichen, nachdem sie erst einmal geboren worden sind61. Für Eltern würden kranke, verarmte oder unglückliche Nachkommen 61 So auch Cigno (2003, S. 7): „In some studies individuals are assumed to derive utility not only from their own consumption, but also from the number of

156

3. Alterssicherung und Konsummotiv der Kindererziehung

das gleiche Ausmaß an Zufriedenheit wie erfolgreiche, gesunde oder glückliche Nachkommen mit sich bringen. Diese Annahme entspricht ganz offensichtlich nicht dem, was sich in der Realität beobachten lässt. Eltern scheinen im Allgemeinen ein positives Interesse am Wohlergehen und am Erfolg ihrer Kinder zu haben62. Verschiedene empirische Studien bestätigen diesen Eindruck, wenngleich auch umstritten ist, über welche Mechanismen sich das Interesse der Eltern am Wohlergehen ihrer Kinder äußert und in welchem Ausmaß es vorliegt63. Wenn Eltern aber tatsächlich mehr als nur „schwach“ altruistisch sind und sie daher bei ihren Entscheidungen auch die Wohlfahrt ihrer Kinder berücksichtigen, dann könnten die in Abschnitt 3.2 gefundenen Ergebnisse möglicherweise nicht haltbar sein. So könnte z. B. die mit der Einführung eines Umlagesystems einhergehende ökonomische Belastung späterer Generationen zugunsten der ersten Altengeneration durch Transferzahlungen der Mitglieder dieser Altengeneration an ihre Nachkommen ausgeglichen werden. Barro (1974) hat unter der Annahme einer exogenen Fertilitätsentwicklung gezeigt, dass die Einführung eines umlagefinanzierten Alterssicherungssystems nicht zu einer Benachteiligung späterer Generationen führt, wenn Eltern die Nutzenfunktionen ihrer Nachkommen in die eigene Nutzenfunktion internalisieren und somit sog. „reiner“ Altruismus der Eltern gegenüber ihren Kindern vorliegt64. Eltern neutralisieren in diesem Fall die durch das Umlagesystem verursachte intergechildren that they beget. Since parents do not derive utility from their children’s consumption or utility, this may be interpreted as saying that people are biologically predisposed to reproduce themselves, irrespective of whether their offspring will live prosperous or miserable lives.“ 62 Vgl. hierzu auch die Ausführungen in Becker/Barro (1988, S. 3). Das Interesse am Wohlergehen der Kinder muss allerdings nicht unbedingt auf Altruismus hindeuten, es kann alternativ auch Ausdruck eines Investitionsmotivs der Kindererziehung sein. Von dieser Möglichkeit wird in diesem Kapitel aber abgesehen. Vgl. hierzu auch die Ausführungen in Kapitel 4. dieser Untersuchung. 63 Vgl. hierzu vor allem Altonji/Hayashi/Kotlikoff (1992, 1997) sowie für Untersuchungen anhand deutscher Daten Croda (2000), Bhaumik (2001) und Schwarze (2004). Zu einer weiteren Diskussion der Art, in der sich Altruismus gegenüber Nachkommen äußern kann, vgl. auch den folgenden Abschnitt 3.4 dieser Untersuchung. 64 Die Bezeichnung „reiner“ Altruismus soll nicht implizieren, dass Eltern den Nutzen ihrer Kinder ebenso hoch gewichten wie ihren eigenen Nutzen. Gemeint ist, dass Eltern tatsächlich am Nutzenniveau der Kinder und nicht an z. B. nur einem Aspekt in der Nutzenfunktion der Kinder, den sie selbst für wichtig halten, interessiert sind. Letztere Form von Altruismus ist in dem Sinne nicht „rein“, als Eltern mit der Vornahme von Transfers an ihre Nachkommen nur die Beeinflussung dieses einen Aspektes in der Nutzenfunktion bezwecken bzw. den Transfer von einer spezifischen Verwendung abhängig machen, die Nachkommen aber – bei freier Entscheidung – unter Umständen eine andere Verwendung vorziehen würden. Vgl. zu dieser Unterscheidung auch Laferrere/Wolff (2004, S. 25).

3.3 Alterssicherung und rein altruistische Eltern

157

nerationale Umverteilung über die Vornahme von entsprechend höheren Erbschaften. Aus diesem Grund hat ein Umlagesystem im Modell von Barro (1974) auch keinen negativen Einfluss auf die individuellen Ersparnisse: Zwar wird die Ersparnis aus dem Altersvorsorgemotiv bei Einführung eines Umlagesystems reduziert, zugleich nimmt jedoch die Ersparnis aus dem Vererbungsmotiv in gleichem Ausmaß zu. Ergebnis der Überlegungen von Barro (1974) ist somit, dass ein Umlagesystem bei exogener Fertilität keinen Einfluss auf die individuell optimalen Entscheidungen hat. Fraglich ist, ob dieses Ergebnis auch bei endogener Fertilität gilt. So weisen Becker/ Barro (1988) darauf hin, dass die bei der Einführung eines Umlagesystems notwendige Erhöhung der Erbschaften die Gesamtkosten eines Kindes – bestehend aus den Erziehungskosten und der vorgesehenen Erbschaft pro Kopf – erhöht. Während die Erhöhung der Kinderkosten bei exogener Fertilität unerheblich ist, führt sie nach Becker/Barro (1988) bei endogener Fertilität dazu, dass die Einführung eines umlagefinanzierten Alterssicherungssystems einen Rückgang der Fertilität nach sich zieht. Cigno/Rosati (1996) leiten in ihrem Modell hingegen einen positiven Zusammenhang zwischen Fertilität und der Einführung eines Umlagesystems ab, wenn Eltern den Nutzen ihrer Kinder vollständig internalisieren. In Wigniolle (1995) gilt schließlich die von Barro (1974) hergeleitete Neutralität eines Umlagesystems auch für den Fall endogener Fertilität. Offensichtlich spielen differierende Modellformulierungen und Modellannahmen bei der Herleitung dieser Ergebnisse eine große Rolle. Im Folgenden wird in diesem Teilkapitel eine Modellformulierung gewählt, die an das im vorangegangenen Abschnitt 3.2 entwickelte Modell anschließt und sich zugleich eng an den Ansatz von Becker/Barro (1988) anlehnt. Wichtigster Unterschied zum Ansatz von Becker/Barro (1988) ist dabei, dass diese in ihrer Modellformulierung keine Ruhestandsphase im Lebenszyklus der Individuen berücksichtigen65, während sich im hier entwickelten Modell an die Erwerbstätigkeitsphase eines Individuums eine Lebensphase ohne Erwerbseinkommen anschließt, so wie es in den vorangegangenen Abschnitten stets angenommen wurde. Anhand dieses Modells wird untersucht, ob der Argumentation von Becker/Barro (1988) gefolgt werden kann und ein Umlagesystem auch bei reinem Altruismus der Eltern gegenüber ihren Kindern zu einem Rückgang der Fertilität führt, oder ob ein Umlagesystem im Sinne von Barro (1974) neutral in seinen Auswirkungen auf die optimalen Entscheidungen der Individuen ist. Die Beantwortung dieser Frage ist entscheidend dafür, ob sich auch bei Unterstellung von reinem Altruismus der Eltern gegenüber ihren Kindern Gründe für eine ver65 Im Modell von Becker/Barro (1988) wird angenommen, dass die Individuen am Ende ihrer Erwerbstätigkeitsphase sterben.

158

3. Alterssicherung und Konsummotiv der Kindererziehung

stärkte Berücksichtigung individueller Kindererziehungsleistungen bei der Rentenbemessung finden lassen und ob die Einführung eines umlagefinanzierten Alterssicherungssystems auch bei einer solchen Modellformulierung einen nachfolgenden Geburtenrückgang erklären kann. 3.3.1 Modellrahmen Wenn aus dem folgenden Text nichts anderes hervorgeht, gelten auch im vorliegenden Abschnitt die in 3.2.1 bis 3.2.4 getroffenen Annahmen und Definitionen. Insbesondere sei nun wieder von einem unelastischen Arbeitsangebot der Individuen ausgegangen. Wie in Becker/Barro (1988) seien die individuellen Nutzenfunktionen der Mitglieder der betrachteten Volkswirtschaft in diesem Abschnitt dynastisch formuliert66: Die Nutzenfunktionen der leiblichen Kinder seien – neben dem materiellen Konsum in der Erwerbstätigkeits- und Ruhestandsphase – Argumente in der Nutzenfunktion eines Individuums. Wenn die Kinder dieses Individuums die gleichen Präferenzen aufweisen wie es selbst, wovon im Folgenden stets ausgegangen wird, beinhalten auch ihre Nutzenfunktionen die Nutzenfunktionen eigener Nachkommen, so dass der Nutzen der Enkelkinder und nach gleicher Logik der Nutzen aller noch folgenden Generationen von dem eine „Dynastie“ begründenden Individuum berücksichtigt wird. Die Nutzenfunktion sei zur Vereinfachung wiederum additiv-separabel und bezüglich des materiellen Konsums logarithmisch formuliert. Der materielle Konsum in der Kindheitsphase gehe erneut nicht in das Optimierungskalkül ein67. Die Nutzenfunktion eines repräsentativen Individuums lautet somit: È3:58ê

1 Utt  1 ã ln ctt  1 þ ln ctt þ 1 þ

È1X þ nt ê

tþ1 ’ÈUtt þ 1 Èctt þ 1 ; cttþ2 ; Utþ2 êê

1

Dabei beschreibt „1“ die Nutzenfunktion des ersten und È1 þ nt ê die Nutzenfunktion des È1 þ nt ê-ten Kindes. Über die Funktion ’ wird der Nutzen der Kinder in Nutzen der Eltern transformiert. Wenn alle Kinder gleich sind und Eltern keine Präferenzen bezüglich eines Kindes haben, kann (3.58) umformuliert werden zu: È3:59ê 66

1 t Utt  1 ã ln ctt  1 þ ln ctt  þ 1 þ È1 þ nt ê’ÈUt þ 1 ê

Vgl. dort S. 4 ff. Die Individuen können in ihrer Kindheitsphase nicht über ihren Konsum entscheiden. Die Eltern finanzieren in der Kindheitsphase, obwohl sie ansonsten völlig altruistisch sind, nur das Existenzminimum bzw. einen darüber hinaus gehenden exogen gegebenen Betrag. Ihr Altruismus äußert sich somit erst dann, wenn ihre Kinder selbst erwachsen sind. 67

3.3 Alterssicherung und rein altruistische Eltern

159

Wie in Becker/Barro (1988) sei angenommen, dass Utt  1 in der spezield1 len Form ’ÈUtt þ 1 ê ã È1 þ nt ê Utt þ 1 linear von Utt þ 1 abhängt, wobei 0 < d < 1 ist. Der Parameter d kann dabei als Maß des elterlichen Altruismus interpretiert werden. Je höher d, desto mehr Einheiten von Utt þ 1 werden in Einheiten von Utt  1 transformiert. Da annahmegemäß d < 1 ist, nimmt der elterliche Altruismus mit zunehmender Kinderzahl ab68. Eingesetzt in (3.59) lässt sich die elterliche Nutzenfunktion nochmals umformulieren zu: È3:60ê

d t 1 Utt  1 ã ln ctt  1 þ ln ctt  þ 1 þ È1 þ nt ê Ut þ 1

Da der elterliche Altruismus erst dann eine Rolle spielt, wenn die Nachkommen in die Erwerbstätigkeitsphase eingetreten sind und die Eltern zugleich selbst das Ende ihres Lebenszyklus erreicht haben, äußert er sich in der Vornahme von Erbschaften in Höhe von z. Jedes Individuum erhält daher in seiner Erwerbstätigkeitsphase eine Erbschaft seiner Eltern und vererbt selbst am Ende seiner Ruhestandsphase einen Betrag an seine Kinder69. Die individuellen Budgetrestriktionen aus (3.13) und (3.14) sind daher um Erbschaften zu erweitern, wobei direkt von einer Situation mit Existenz eines in herkömmlicher Weise organisierten umlagefinanzierten Alterssicherungssystems ausgegangen sei70. Sie lauten dann: È3:61ê

ctt  1 ã wÈ1  bê þ zt  st  qÈ1 þ nt ê

È3:62ê

1 €t ê þ È1 þ rêst  zt þ 1 È1 þ nt ê ctt þ 1 ã wbÈ1 þ n

68 Auch diese Annahme folgt Becker/Barro (1988), vgl. dort S. 7. Der technische Grund für die getroffene Annahme ist, dass sich aus dem Modell ansonsten kein stabiles Gleichgewicht ableiten lässt. 69 Das Timing des Modells ist dabei problematisch. Wenn die Individuen erst am Ende ihres Lebens ihr restliches Vermögen vererben, dann befinden sich ihre Kinder zu diesem Zeitpunkt am Ende ihrer Erwerbstätigkeits- bzw. unmittelbar vor der Ruhestandsphase. Sie können daher die Mittel aus der Erbschaft nicht mehr in der Erwerbstätigkeitsphase einsetzen. Da sie aber – wie hier stets angenommen wurde – über vollkommene Voraussicht verfügen, kennen sie bereits mit Sicherheit den Erbschaftsbetrag, den sie am Ende ihrer Erwerbstätigkeitsphase erhalten werden. Nimmt man an, dass innerhalb einer Lebensphase zinslose Darlehen aufgenommen werden können oder die Ersparnisbildung ohne Zinseinbußen bis ans Ende einer Lebensphase aufgeschoben werden kann, dann ist es gleichgültig, wann genau in der Erwerbstätigkeitsphase die Erbschaften anfallen. Bei Becker/Barro (1988) stellt sich dieses Timing-Problem nicht, weil ihr Modell keine Ruhestandsphase enthält. Die Individuen sterben am Ende ihrer Erwerbstätigkeitsphase und vererben damit genau zu Beginn der Erwerbstätigkeitsphase ihrer Kinder. 70 Die Auswirkungen der Einführung des Umlagesystems werden anschließend im Text erläutert.

160

3. Alterssicherung und Konsummotiv der Kindererziehung

Dabei bezeichnen zt und zt þ 1 den in Periode t pro Kopf geerbten bzw. in Periode t þ 1 pro Kopf vererbten Betrag. Setzt man die Budgetrestriktionen (3.61) und (3.62) in (3.60) ein, so lässt sich die Nutzenfunktion eines repräsentativen Individuums auch wie folgt schreiben: (3.63)     Utt  1 ã ln wÈ1  bê þ zt  st  qÈ1 þ nt ê þ ln wbÈ1 þ n€t ê þ È1 þ rêst  zt þ 1 È1 þ nt ê (  )  ln wÈ1  bê þ zt þ 1  st þ 1  qÈ1 þ nt þ 1 ê þ d   þ È1 þ nt ê ln wbÈ1 þ n€t þ 1 ê þ È1 þ rêst þ 1  zt þ 2 È1 þ nt þ 1 ê þ È1 þ nt þ 1 êd Utt þ 21

3.3.2 Auswirkungen eines umlagefinanzierten Alterssicherungssystems Jedes Mitglied der Generation t  1 maximiert (3.63) durch Wahl von st , È1 þ nt ê und zt þ 1 . Die Bedingungen 1. Ordnung für ein Nutzenmaximum lauten dann: È3:64aê

1 ctt  dU 1 È1 þ rê þ1 ã  t  1 þ t  1 ã 0 , t  1 ã È1 þ rê dst ct ct þ 1 ct

È3:64bê

dUtt  1 q zt þ 1 ã  t  1  t  1 þ dÈ1 þ nt êd1 Utt þ 1 ã 0 ct dÈ1 þ nt ê ct þ 1

È3:64cê

dU È1 þ nt ê È1 þ nt êd ã þ ã0 1 dzt þ 1 ctt  ctt þ 1 þ1

Wie ein Vergleich von (3.64a) mit (3.16a) zeigt, unterscheidet sich die Bedingung für die optimale intertemporale Konsumallokation bei reinem Altruismus nicht von jener bei schwachem Altruismus. Im Optimum muss die Grenzrate der Substitution zwischen Gegenwarts- und Zukunftskonsum dem Zinsfaktor entsprechen. Bedingung (3.64b) beschreibt, dass die Kinderzahl dann optimal gewählt ist, wenn die Kosten für die Erziehung eines weiteren Kindes – bestehend aus den Erziehungskosten q und der Erbschaft zt þ 1 – dem altruistisch motivierten Zusatznutzen entsprechen, den Eltern durch die Erziehung dieses Kindes und die Erhöhung seines Ressourcenbestandes erfahren. (3.64c) gibt Aufschluss über die optimale Höhe geleisteter Erbschaften. Danach müssen die Grenzkosten der an die È1 þ nt ê Kinder hinterlassenen Erbschaften dem altruistisch motivierten Grenznutzen, den Eltern aus der Antizipation ihrer Hinterlassenschaften ziehen, entspre-

3.3 Alterssicherung und rein altruistische Eltern

161

chen. Die Grenzkosten werden dabei in aufgegebenem Konsumnutzen in der Ruhestandsphase, der altruistisch motivierte Grenznutzen im mit È1 þ nt êd gewichteten zusätzlichen Konsumnutzen der Kinder durch die Erbschaften ausgedrückt. Unter Berücksichtigung von (3.64a) kann man (3.64c) auch schreiben als: È3:64c0 ê

ctt þ 1 ctt þ 1 È1 þ nt êd , ã È1 þ rê ã È1 þ rêÈ1 þ nt êd1 ctt  1 È1 þ nt ê ctt  1

In dieser Formulierung gibt (3.64c0 ) eine Regel zur optimalen intergenerationalen Ressourcenallokation zwischen Eltern und Kindern an. Wie oben beschrieben wurde, bestimmt È1 þ nt êd1 dabei über das Ausmaß, in dem der Nutzen der Kinder in Nutzen der Eltern transformiert wird. Die intergenerationale Konsumallokation ist aus Sicht eines Mitglieds der Generation t  1 somit dann optimal, wenn die Grenzrate der Substitution zwischen seinem Konsum in der Erwerbstätigkeitsphase und dem Konsum seiner Kinder in ihrer Erwerbstätigkeitsphase dem mit dem „Transformationsfaktor“ gewichteten Zinsfaktor entspricht. ableiten. Anhand (3.64c0 ) lässt sich bereits die optimale Kinderzahl   Stellt ctt þ 1 d1 bzw. man diesen Ausdruck um, erhält man È1 þ nt ê ã ! ctt  1 È1 þ rê ctt  1 È1 þ rê È1 þ nt ê1d ã . Da im Steady-State für den optimalen Konctt þ 1 sum in der Erwerbstätigkeitsphase gelten muss, dass ctt  1 ã ctt þ 1 ist, gilt für die optimale Kinderzahl È1 þ nt êRA bei reinem Altruismus: È3:65ê

1= 1d

È1 þ nt êRA ã È1 þ rê

Die optimale Kinderzahl wird somit nur von exogen gegebenen Parametern bestimmt. Sie ist jeweils positiv vom exogen gegebenen Zinssatz und vom ebenfalls exogen gegebenen Altruismusparameter d abhängig. Die positive Abhängigkeit vom Ausmaß des elterlichen Altruismus ist selbsterklärend. Die positive Abhängigkeit vom Zinssatz ist darauf zurückzuführen, dass Individuen bei einem relativ höheren Zinssatz weniger eigenen Konsum in ihrer Erwerbstätigkeitsphase aufgeben müssen, um über Erbschaften ein bestimmtes Konsumniveau ihrer Kinder zu erreichen – Kindererziehung ist insofern günstiger, je höher der Zinssatz ist71. Das entscheidende Ergeb71 Zu diesem Ergebnis kommen auch Becker/Barro (1988) in ihrem Modell, vgl. dort S. 13. Es zieht u. a. die Schlussfolgerung nach sich, dass die Entwicklung moderner Bankensysteme bzw. verlässlicher Anlagemöglichkeiten auf dem Kapitalmarkt bei rein altruistischen Eltern eine Zunahme der Fertilität nach sich zieht. Bei

162

3. Alterssicherung und Konsummotiv der Kindererziehung

nis dieses Abschnitts ist jedoch, dass die optimale Kinderzahl bei reinem Altruismus völlig unabhängig von der Existenz oder dem Ausmaß eines umlagefinanzierten Alterssicherungssystems ist. Es zieht die Frage nach sich, wie der Unterschied zwischen dem hier für reinen Altruismus und dem in Abschnitt 3.2.3 für schwachen Altruismus gefundenen Ergebnis zu erklären ist. Bei der Diskussion der Auswirkungen eines Umlagesystems bei schwachem Altruismus wurde herausgearbeitet, dass die Fertilitätsrate nach der Einführung eines solchen Alterssicherungssystems dann zurückgeht, wenn die Einkommen der teilnehmenden Individuen implizit besteuert werden bzw. wenn È1 þ rê > È1 þ n€ê ist. Aus (3.65) lässt sich wegen d < 1 ableiten, dass im Modell mit reinem Altruismus stets È1 þ nê < È1 þ rê und damit auch È1 þ n€ê < È1 þ rê gelten muss. Warum also ergibt sich daraus folgend nicht auch das gleiche Ergebnis wie bei schwachem Altruismus? Lüdeke (1988) und Sinn (2000) haben gezeigt, dass die impliziten Einkommensteuerzahlungen der Versicherten eines umlagefinanzierten Alterssicherungssystems auch als die Zinszahlungen auf den impliziten Staatsschuldenbestand interpretiert werden können, der durch die Gründung dieses Systems und die sofortige Ausschüttung von Renten an die sich zum Einführungszeitpunkt bereits in der Ruhestandsphase befindenden Individuen entsteht. Mit anderen Worten: Der „Einführungsgewinn“ der ersten Ruhestandsgeneration wird durch eine versteckte Erhöhung des Staatsschuldenbestands finanziert, dessen Zinslast alle künftigen Generationen tragen72. Da die Mitglieder der ersten Ruhestandsgeneration bei schwachem Altruismus keine Motivation haben, die ihnen von der Nachfolgegeneration zufließenden Transferzahlungen – zumindestens zum Teil – über Erbschaften oder Geschenke zurückzugeben, werden durch die Einführung des Umlagesystems allen folgenden Generationen Ressourcen entzogen. Das Ergebnis der Ressourcenverminderung ist, dass die Fertilitätsrate aufgrund eines negativen Einkommenseffektes dauerhaft sinkt. Bei reinem Altruismus haben die Mitglieder der ersten Ruhestandsgeneration jedoch ein Motiv, den Einführungsgewinn über Erbschaften an ihre Nachkommen zurückzugeben, denn er stört die aus ihrer Sicht bislang optimale intergenerationale Allokation. Dieser Zusammenhang kann im Steady State mithilfe der intertemporalen Budgetrestriktion eines Individuums verdeutlicht werden. Im 1 t langfristigen Gleichgewicht gilt ctt  1 ã ctt þ 1 ã ct , ctt  þ 1 ã ct þ 2 ã ct þ 1 , zt ã zt þ 1 ã z und È1 þ nt ê ã È1 þ nt þ 1 ê ã È1 þ n€t ê ã È1 þ nê. Für die Mitglieder jeder denkbaren Generation lautet die intertemporale Budgetrestriktion somit schwachem Altruismus nimmt die Fertilität hingegen mit zunehmendem Zinssatz ab, weil Gegenwartskonsum und damit auch Kindererziehung verteuert werden. 72 Geht man von einer endlichen Zahl von Generationen aus, müssen diese Generationen zudem – zu irgendeinem Zeitpunkt – auch die Tilgungslast tragen.

3.3 Alterssicherung und rein altruistische Eltern wÈ1  bê þ z þ

163

wbÈ1 þ nê ct þ 1 zÈ1 þ nê ã ct þ þ qÈ1 þ nê þ È1 þ rê È1 þ rê È1 þ rê

bzw. umgestellt: È3:66ê

    È1 þ nê È1 þ nê ct þ 1 þ qÈ1 þ nê w  wb 1  þz 1 ã ct þ È1 þ rê È1 þ rê È1 þ rê

Der Ausdruck in der ersten Klammer auf der linken Seite von (3.66) gibt dabei den impliziten Steuersatz auf die Beitragszahlungen an das Umlagesystem an. Multipliziert mit der Beitragszahlung wb ergibt sich daraus die gesamte implizite Steuerbelastung eines Individuums. Der Ausdruck   È1 þ nê auf der linken Seite von (3.66) kann als die Nettoerbschaft z 1 È1 þ rê interpretiert werden, die ein Individuum in seinem Leben erhält bzw. leistet. Wäre z gleich Null, so wie dies in Abschnitt 3.2.3 angenommen wurde, würden den Individuen im Fall È1 þ rê > È1 þ nê durch die Zwangsteilnahme am Umlagesystem Ressourcen entzogen. Dieses Ergebnis gilt jedoch nicht für den Fall eines operativen Erbschaftsmotivs, wie sich durch Umstellen von Gleichung (3.66) und Ableitung nach der Beitragszahlung wb ergibt: È3:67ê

dz ã1 dwb

D.h.: Die Erbschaften verändern sich jeweils proportional zu den Beitragszahlungen an das Umlagesystem und damit auch die Netto-Erbschaften jeweils proportional zur impliziten Steuerbelastung. Die Verringerung der individuellen Ressourcenausstattung durch die mit der Zwangsteilnahme am Umlagesystem einhergehende implizite Einkommensbesteuerung wird von der Zunahme der individuellen Ressourcen durch die Erhöhung der Nettoerbschaften exakt kompensiert73. Es kommt somit im Ergebnis zu keiner intergenerationalen Umverteilung und damit auch zu keiner impliziten Steuerbelastung einer oder mehrerer Generationen. Ohne diese Steuerbelastung kommt es auch zu keinem negativen Einkommenseffekt auf die Fertilität, so dass sich diese durch die Einführung eines umlagefinanzierten Alterssicherungssystems nicht verändert. Becker/Barro (1988) folgern aus ihrem Modell, dass die Fertilität bei Einführung eines Umlagesystems sinkt, weil durch die höheren Erbschaften 73

Für die Ruhestandsgeneration der Einführungsperiode verhält es sich entsprechend umgekehrt: Der Ressourcenzuwachs in Form des „Einführungsgewinns“ wird durch die Verringerung der Nettoerbschaften ausgeglichen.

164

3. Alterssicherung und Konsummotiv der Kindererziehung

die Kosten eines Kindes zunehmen. Sie berücksichtigen jedoch nicht, dass Eltern zugleich über das Umlagesystem einen Transfer von der Nachfolgegeneration erhalten, den sie ohne dieses System nicht erhalten hätten. Zwar hinterlassen die Individuen ihre Erbschaften den eigenen Kindern, während sie ihre Renten in einem herkömmlichen Umlagesystem von allen Kindern erhalten. Da jedoch alle Individuen gleich sind, macht dies im hier entwickelten Modell im Ergebnis keinen Unterschied. Insbesondere führt die Umlagefinanzierung der Rentenzahlungen bei reinem Altruismus nicht dazu, dass sich ein Unterschied zwischen der individuell und der gesellschaftlich optimalen Erziehungsentscheidung ergibt: Zwar zieht die individuelle Entscheidung für die Erziehung eines Kindes immer noch eine kollektive Senkung der impliziten Steuerbelastung nach sich. Da jedoch zur gleichen Zeit die Netto-Erbschaften in gleichem Maße wie die impliziten Steuerbelastungen abnehmen, entsteht aus der individuellen Kindererziehungsentscheidung keine positive Externalität. Daraus folgt zugleich, dass es auch keine Notwendigkeit für eine Internalisierungsstrategie bzw. für eine Berücksichtigung der individuellen Kinderzahl bei der Bemessung der Rentenzahlbeträge gibt. Es existiert somit ein wichtiger Unterschied zwischen dem Ergebnis der hier vorgenommenen Analyse und einem der denkbaren Ergebnisse bei schwachem Altruismus: In Abschnitt 3.2.3 wurde gezeigt, dass die durchschnittliche Geburtenzahl bei schwachem Altruismus trotz Einführung eines umlagefinanzierten Alterssicherungssystems konstant bleibt, wenn È1 þ rê ã È1 þ n€ê ist. Obwohl dieses Ergebnis dem Ergebnis bei reinem Altruismus entspricht, sind beide nicht gleichbedeutend. Bei schwachem Altruismus und È1 þ rê ã È1 þ n€ê ist die individuell optimale Geburtenzahl – obwohl ebenso hoch wie im Laissez-Faire – durch die Existenz des Umlagesystems aus gesamtgesellschaftlicher Sicht zu niedrig: Alle Individuen könnten besser gestellt werden, wenn Kindererziehung in der Rente stärker berücksichtigt und damit die durchschnittliche Kinderzahl bzw. die implizite Verzinsung des Umlagesystems zunehmen würde. Bei reinem Altruismus bleibt hingegen nicht nur die individuell optimale Geburtenzahl nach der Einführung eines umlagefinanzierten Alterssicherungssystems konstant, sie entspricht zudem auch weiterhin dem gesellschaftlichen Optimum. Würden die Rentenzahlbeträge von der individuellen Kinderzahl abhängig gemacht, so würde dies – anders als im Fall des schwachen Altruismus – zu keiner Senkung der Netto-Kinderkosten und somit auch zu keiner Erhöhung der Fertilität führen. Stattdessen würde ein reines Geldwechselgeschäft zwischen Eltern und Kindern installiert: Die Rentenzahlungen, die Eltern von ihren Kindern erhalten, würden in Form von Erbschaften zurückgegeben werden. Zusammenfassend kann als Ergebnis dieses Abschnitts festgehalten werden, dass sich die in Abschnitt 3.2 für schwachen Altruismus gefundenen

3.4 Alterssicherung und paternalistisch altruistische Eltern

165

Ergebnisse nicht bestätigen lassen, wenn reiner Altruismus von Eltern gegenüber ihren Kindern angenommen wird. Die Einführung eines umlagefinanzierten Alterssicherungssystems führt in diesem Fall nicht zu einer intergenerationalen Umverteilung von Ressourcen an die erste Rentnergeneration, so dass es auch zu keiner impliziten Besteuerung der Mitglieder nachfolgender Generationen und daher auch zu keiner Veränderung der individuell optimalen Geburtenzahl kommt. Jede Belastung/Entlastung eines Individuums über die implizite Besteuerung durch das Umlagesystems wird durch eine Erhöhung/Verringerung der Netto-Erbschaften gerade ausgeglichen. Im Ergebnis verursacht Kindererziehung daher auch keine positive Externalität. Die individuell und gesellschaftlich optimalen Kinderzahlen entsprechen sich stets, so dass es keinen Grund für eine Reorganisation des Rentensystems im Sinne einer Internalisierungsstrategie bzw. einer stärkeren Berücksichtigung der Kindererziehung bei der Rentenbemessung gibt.

3.4 Umlagefinanzierte Alterssicherung und paternalistisch altruistische Eltern Es ist denkbar, dass Eltern zwar über die Kinderzahl hinaus auch am Wohlergehen ihrer Kinder liegt, sie aber keine Möglichkeit oder kein Interesse daran haben, die Nutzenfunktionen ihrer Nachkommen explizit in ihr eigenes Nutzenkalkül einzubeziehen. Eltern könnten sich z. B. in Unkenntnis über die Präferenzen ihrer Kinder befinden. Oder sie könnten von den Präferenzen ihrer Kinder wissen, selbst aber andere Vorstellungen darüber haben, welche Bedürfnisse und Ziele ihre Kinder haben sollten. In beiden Fällen müssten sich Eltern bei ihren Entscheidungen an dem orientieren, was sie selbst für „das Beste“ im Sinne ihrer Kinder halten. Wenn Eltern so handeln, dann kann man von „paternalistischem“ Altruismus gegenüber ihren Kindern sprechen74. Diese Form von Altruismus könnte sich z. B. darin äußern, dass Eltern das Bildungsniveau ihrer Kinder für besonders entscheidend für deren späteren Lebenserfolg halten und es daher fördern wollen. Das Bildungsniveau bzw. das „Humankapital“ der Kinder wäre dann ein Argument in der Nutzenfunktion der Eltern. Wenn Eltern in dieser Art motiviert sind und Transfers an ihre Kinder vornehmen wollen, dann müssen sie bzgl. der Verwendung dieser Transfers unter Umständen einen Interessenkonflikt zwischen sich und ihren Kindern fürchten. Sie werden es daher vorziehen, Transfers an ihre Kinder nicht als pauschale Geldleistungen (z. B. Geschenke oder Erbschaften), sondern in Form zweckgebundener Zahlungen (z. B. Übernahme von Schul- oder Studiengebühren) oder Sachleistungen (z. B. zeitlicher Erziehungsaufwand) vorzunehmen75. 74

So z. B. auch Pecchenino/Utendorf (1999, S. 609).

166

3. Alterssicherung und Konsummotiv der Kindererziehung

Der gleichzeitige Einbezug der Kinderzahl und des Humankapitals der Kinder in das Optimierungskalkül von Eltern könnte in verschiedener Weise zu einem Abweichen von den in Abschnitt 3.2 gefundenen Ergebnissen führen. Dort wurde herausgearbeitet, dass die individuellen Rentenzahlungen in einer offenen Volkswirtschaft ohne Familienlastenausgleich vollständig von der individuellen Kinderzahl abhängen sollten, was an dieser Stelle gleichbedeutend mit einer vollständigen Abhängigkeit der Renten von den Beitragszahlungen der eigenen Kinder war. Die Gleichsetzung einer kinderzahl- mit einer kinderbeitragsabhängigen Rente ist aber offensichtlich nicht mehr möglich, wenn auch das Einkommen der Kinder von den jeweiligen Eltern beeinflusst werden kann, denn in diesem Fall können nicht nur mit der Geburt, sondern auch mit der spezifischen Erziehung und Ausbildung eines Kindes positive Externalitäten einhergehen. Zugleich wirkt der mit der Einführung bzw. Existenz eines Umlagesystems einhergehende (meist negative) Einkommenseffekt dann auf die elterlichen Entscheidungen über die Kinderzahl und die Kinderqualität zurück. Becker/Lewis (1973) haben gezeigt, dass Einkommensveränderungen in einer solchen Modellumgebung einen Tradeoff zwischen diesen beiden Größen auslösen können. Das bedeutet zugleich, dass sich jede Beeinflussung einer der beiden Größen zwangsläufig auch auf die andere Größe auswirkt. Die mit der Berücksichtigung des „Quantity-Quality-Tradeoffs“ einhergehenden analytischen Probleme haben dazu geführt, dass bei der Analyse der Auswirkungen umlagefinanzierter Alterssicherungssysteme zumeist eine der beiden Größen exogenisiert76 oder angenommen wird, dass die Entscheidungen über Kinderzahl und Kinderausbildung nicht simultan, sondern sukzessive getroffen werden77. Auch in der vorliegenden Untersuchung wird an dieser Stelle kein Versuch unternommen, Optima für Kinderzahl und Kinderqualität aus einem geschlossenen Modell abzuleiten. Vielmehr sollen anhand eines einfach gehaltenen Modells die sich zur Analyse in den vorhergehenden Ab75

Vgl. Laferrere/Wolff (2004, S. 25 f.) und Peters (1995, S. 163). Vgl. für eine Diskussion dieser Probleme z. B. Werding (1998, S. 393). Eine Vielzahl von Modellen untersucht die Auswirkungen eines Umlagesystems bei exogener Fertilität und endogener Humankapitalakkumulation, vgl. als Beispiel für viele andere Pecchenino/Utendorf (1999) und Barbie/Hagedorn/Kaul (2002). Die Ergebnisse dieser Analysen entsprechen qualitativ weitgehend denen bei endogener Fertilität und exogenem Humankapital. 77 So z. B. in Cigno/Luporini/Pettini (2003), Meier/Wrede (2005) und in Kapitel 4. dieser Untersuchung. Im Modell von Werding (2003) werden sowohl die Kinderzahl als auch die Kinderqualität bei der individuellen Optimierung berücksichtigt. Argument der Nutzenfunktion ist allerdings lediglich die Kinderzahl, das Humankapital der Kinder spielt nur über einen Transfer eine Rolle, den diese an ihre Eltern leisten. Es gibt daher auch in diesem Modell keinen Quantity-QualityTradeoff bei der Konsumentscheidung der Eltern. 76

3.4 Alterssicherung und paternalistisch altruistische Eltern

167

schnitten dieses Kapitels ergebenden Veränderungen beschrieben und ihre Konsequenzen diskutiert werden. 3.4.1 Modellrahmen Soweit aus den folgenden Ausführungen nichts anderes hervorgeht, gelten auch für das in diesem Teilkapitel entwickelte Modell die in den Abschnitten 3.2.1 bis 3.2.4 getroffenen Annahmen und Definitionen. Betrachtet sei insofern wieder eine kleine, offene Volkswirtschaft mit exogenen und konstanten Faktorpreisen. w bezeichne allerdings nun den Lohnsatz pro auf dem Arbeitsmarkt eingesetzter Zeiteinheit und pro Humankapitaleinheit h. Dabei sei erneut unterstellt, dass alle Individuen unelastisch eine Zeiteinheit am Arbeitsmarkt anbieten, so dass das individuelle Bruttoeinkommen durch das Produkt wh beschrieben wird. Angenommen sei des Weiteren, dass die Individuen paternalistisch altruistisch gegenüber ihren Kindern motiviert sind. Diese Form von Altruismus äußere sich darin, dass neben dem materiellen Konsum und der Kinderzahl auch das durchschnittliche Humankapital der Kinder ein Argument in der Nutzenfunktion eines Individuums ist78. Zur Vereinfachung sei die Nutzenfunktion wiederum additivseparabel und logarithmisch formuliert. Das Humankapital ht þ 1 eines in Periode t geborenen Kindes ergebe sich dabei durch die einfache Transformation einer Ausbildungsaktivität et in Humankapitaleinheiten, so dass ht þ 1 ã et ist79. Die Nutzenfunktion eines Erwerbstätigen der Periode t kann daher geschrieben werden als: È3:68ê

n h 1 Ut ã ln ctt  1 þ ln ctt  þ 1 þ q lnÈ1 þ nt ê þ q ln et

Mit qn > 0 und qh > 0 werden dabei die Nutzengewichte der Kinderzahl und des durchschnittlichen Humankapitals eines Kindes in der individuellen Nutzenfunktion angeben. Dabei sei unterstellt, dass qn > qh ist, so dass Eltern die Existenz eines Kindes relativ wichtiger als der durch den Indikator ht þ 1 gemessene „Erfolg“ ist, den dieses Kind ihrer Ansicht nach in seinem Leben haben wird80. 78 Der materielle Konsum in der Kindheitsphase spiele erneut keine Rolle in der Nutzenfunktion eines Individuums. Vgl. zur Begründung auch Abschnitt 3.2.1. 79 Diese Ausbildungstechnologie ist offensichtlich nicht sehr realistisch. Insbesondere zeigen verschiedene empirische Untersuchungen, dass die Grenzerträge von Ausbildungsinvestitionen abnehmen, vgl. z. B. Psacharopoulos/Patrinos (2002). Für die in diesem Abschnitt vorgenommene Untersuchung ist diese einfache Ausbildungstechnologie jedoch ausreichend. 80 Diese (realistische) Annahme ist notwendig, damit die im Optimum gewählte Kinderzahl positiv ist.

168

3. Alterssicherung und Konsummotiv der Kindererziehung

Ausgegangen sei von einer Volkswirtschaft, in der bereits ein in herkömmlicher Weise organisiertes umlagefinanziertes Alterssicherungssystem existiert. Die Budgetgleichung dieses Systems lautet nun Nt pt þ 1 ã wh€t þ 1 bÈ1 þ n€t êNt . È1 þ n€t ê bezeichnet dabei erneut die durchschnittliche Kinderzahl in Periode t, h€t þ 1 das durchschnittliche Humankapital eines in dieser Periode geborenen Individuums. Umgestellt ergibt sich für die Höhe einer Rentenzahlung in t þ 1: È3:69ê

pt þ 1 ã wh€t þ 1 bÈ1 þ n€t ê

Die Individuen verwenden ihr in der Erwerbstätigkeitsperiode verdientes Nettoeinkommen für den materiellen Konsum in den verbleibenden beiden Lebensphasen und für die Erziehung und Ausbildung ihrer È1 þ nt ê Kinder. Die Geburt und Erziehung eines Kindes verursache dabei Kosten in Höhe von qn und die Finanzierung der Ausbildungsaktivität zugunsten eines Kindes Kosten in Höhe von qe pro Ausbildungseinheit et . Unter Berücksichtigung von (3.69) lauten die individuellen Budgetrestriktionen der Erwerbstätigkeits- und Ruhestandsphase somit: È3:70ê

ctt  1 ã wht È1  bê  st  Èqn þ qe et êÈ1 þ nt ê

È3:71ê

1 € €t ê ctt  þ 1 ã È1 þ rêst þ wht þ 1 bÈ1 þ n

3.4.2 Auswirkungen eines umlagefinanzierten Alterssicherungssystems Die Maximierung von (3.68) unter den Nebenbedingungen (3.70) und 1 (3.71) nach ctt  1 ; ctt  þ 1 ; È1 þ nt ê und et führt in zusammengefasster Form zu folgenden Bedingungen 1. Ordnung für ein Nutzenmaximum: È3:72aê

1 ctt  þ1 ã È1 þ rê t  ct 1

È3:72bê

ctt  1 qn þ qe eP t ã È1 þ nt ê qn

È3:72cê

ctt  1 qe È1 þ nt êP ã et qh

Bedingung (3.72a) gibt die aus den vorangegangen Abschnitten bekannte Optimalbedingung für die intertemporale Konsumallokation an. (3.72b) be-

3.4 Alterssicherung und paternalistisch altruistische Eltern

169

sagt, dass die Grenzrate der Substitution zwischen der Kinderzahl und dem Gegenwartskonsum im Optimum den mit 1=qn gewichteten Grenzkosten eines weiteren Kindes entsprechen muss. Die Grenzkosten beinhalten die Erziehungskosten qn und die Ausbildungskosten qe eP t , die für jedes Kind bei aufgebracht werden müssen. optimaler Wahl der Ausbildungsaktivität eP t Die Aussage von (3.72c) ist, dass die Grenzrate der Substitution zwischen der Ausbildungsaktivität und dem Gegenwartskonsum im Optimum den mit 1= h gewichteten Kosten einer weiteren Einheit der Ausbildungsaktivität q entsprechen muss. Die Grenzkosten ergeben sich aus dem Produkt der indiP viduell optimalen Kinderzahl È1 þ nt ê und dem Preis qe der Ausbildungsaktivität – je mehr Kinder im Optimum geboren werden, desto teurer wird es, allen einen bestimmten Ausbildungslevel zukommen zu lassen. Wenn auch in diesem Teilkapitel eine so große Volkswirtschaft angenommen wird, dass die Individuen mit ihren Entscheidungen die durchschnittliche Kinderzahl und das durchschnittliche Ausbildungsniveau nicht spürbar beeinflussen können, dann ist die Höhe der Rentenzahlungen für sie exogen gegeben, so dass sie den „investiven“ Wert der Erziehung und Ausbildung eines Kindes in ihrem Optimierungskalkül nicht berücksichtigen. Folgerichtig spielt der Nutzen, den die Erziehung und Ausbildung eines Kindes für die Rentenversicherung bzw. die Gesamtgesellschaft hat, in den oben aufgeführten individuellen Optimierungsbedingungen auch keine Rolle. Ein sozialer Planer berücksichtigt hingegen den Einfluss der individuellen Kinderzahl und Ausbildungsaktivität auf die Höhe der Rentenzahlungen bzw. auf die implizite Verzinsung des Umlagesystems81. Unter Berücksichtigung der Annahme, dass ht þ 1 ã et ist, lautet die Budgetrestriktion der Ruhestandsphase aus Sicht des sozialen Planers daher: È3:73ê

1 ctt  þ 1 ã È1 þ rêst þ wet bÈ1 þ nt ê

Maximiert man nun (3.68) unter den Restriktionen (3.70) und (3.73), so erhält man die Bedingungen 1. Ordnung für ein gesellschaftliches Optimum. Sie lauten in zusammengefasster Form82: 81 Vgl. zum Konstrukt des sozialen Planers die Ausführungen in Abschnitt 3.2.4 dieser Untersuchung. 82 Um sinnvolle Ergebnisse erzielen zu können muss dabei angenommen werden, wb ist. Nur unter dieser Bedingung ergibt sich ein positiver Wert für dass qe > È1 þ rê (3.74c). Die Bedingung entspricht der in Abschnitt 3.2 getroffenen Annahme, wowb sein muss. Die Aussage der getroffenen Annahme ist, dass die nach q > È1 þ rê Ausbildung eines Kindes aus Sicht der Eltern auch bei vollständiger Internalisierung der mit dieser Aktivität einhergehenden positiven Konsumexternalität Nettokosten verursacht, so dass es sich nicht um eine kostenlose Konsumaktivität handelt.

170

3. Alterssicherung und Konsummotiv der Kindererziehung 1 ctt  þ1 ã È1 þ rê ctt  1

È3:74aê

È3:74bê

È3:74cê

ctt  1 ã È1 þ nt ê

ctt  1 ã et

qn þ qe eG t 

wbeG t È1 þ rê

qn

qe È1 þ nt êG  qh

wbÈ1 þ nt êG È1 þ rê

 qn þ eG qe  t ã

wb È1 þ rê

qn  È1 þ nt êG qe 

ã



wb È1 þ rê



qh

Ein Vergleich von (3.74b) und (3.74c) mit (3.72b) und (3.72c) zeigt, dass im Kalkül dessozialen Planers der gesellschaftliche   Grenzertrag der  Kinwb wb G bzw. -ausbildung È1 þ nt ê von dererziehung eG È1 þ rê È1 þ rê G e n den Grenzkosten dieser Aktivitäten (q bzw. È1 þ nt ê q ê abgezogen wird. Dennoch kann anhand der aufgeführten Optimalbedingungen noch keine Aussage darüber getroffen werden, ob die Nettokosten beider Aktivitäten aus Sicht des sozialen Planers geringer sind, denn jede Veränderung einer der beiden Aktivitäten hat Rückwirkungen auf die Grenzkosten und den Grenzertrag der jeweils anderen Aktivität. Es kann deshalb auch noch nicht eindeutig gesagt werden, ob aus gesamtgesellschaftlicher Sicht sowohl eine höhere Kinderzahl als auch ein höheres Ausbildungsniveau wünschenswert ist. Um hierüber eine eindeutige Aussage machen zu können, muss zunächst untersucht werden, ob und wann sichergestellt werden kann, dass beide Aktivitäten im gesamtgesellschaftlichen Optimum tatsächlich höher sind. Aus (3.74b) und (3.74c) lässt sich zunächst ableiten, dass entweder die optimale Kinderzahl oder die optimale Ausbildungsaktivität im gesellschaftlichen Optimum höher als im individuellen Optimum ist, wenn die jeweils andere Aktivität im gesellschaftlichen Optimum kleiner ist, da in diesem Fall die jeweilige Grenzrate der Substitution kleiner als im individuellen Optimum ist. Es ist daher niemals möglich, dass im gesellschaftlichen Optimum beide Aktivitäten geringer als im individuellen Optimum sind. Die Beantwortung der Frage, ob eine der beiden Aktivitäten im gesellschaftlichen Optimum geringer als im individuellen Optimum sein kann, wenn das gesellschaftlich optimale Niveau der anderen Aktivität höher ist, fällt hingegen weniger eindeutig aus. Sie ist abhängig davon, ob für die Modellvariablen weitere Annahmen getroffen werden. Aus dem Vergleich von G P (3.74b) mit (3.72b) geht hervor, dass der Fall È1 þ nt ê < È1 þ nt ê bei

3.4 Alterssicherung und paternalistisch altruistische Eltern

171

 P G P eG qe > eG t > et nur dann eintritt, wenn et  et t

wb ist. D.h.: Die È1 þ rê gesellschaftlich optimale Kinderzahl ist dann kleiner als die individuell optimale Kinderzahl, wenn die Berücksichtigung des gesellschaftlichen Wertes der Ausbildung eines Kindes dazu führt, dass die Kosten der Erziehung eines Kindes stärker zunehmen als der gesellschaftliche Ertrag dieser Aktivität, so dass sich im Ergebnis eine Zunahme der Nettokosten der Kindererziehung ergibt. Dieser Fall kann jedoch ausgeschlossen werden, wenn als  eP wb t e ist. Um die weitere Annahme eingeführt wird, dass q 1  G < È1 þ rê et weitere Diskussion zu vereinfachen, sei die Erfüllung dieser Bedingung unterstellt83. Analog zu den vorangegangenen Ausführungen zeigt der Ver< eP bei È1 þ nt êG gleich von (3.74c) mit (3.72c), dass der Fall eG t  t  P G > È1 þ nt ê nur dann eintritt, wenn È1 þ nt ê  È1 þ nt êP qe wb ist. D.h.: Die gesellschaftlich optimale Ausbildungs> È1 þ nt êG È1 þ rê aktivität ist dann geringer als die individuell optimale Ausbildungsaktivität, wenn die Berücksichtigung des gesellschaftlichen Wertes der Kindererziehung zur Folge hat, dass die Kosten einer weiteren Ausbildungseinheit stärker zunehmen als der gesellschaftliche Ertrag dieser Aktivität, so dass sich im Ergebnis eine Zunahme der Nettokosten der Ausbildungsaktivität ergibt. Dieser Fall kann jedoch ausgeschlossen werden, wenn zusätzlich angenom" # P È1 þ n ê wb t ist. Zur Vereinfachung der < men wird, dass qe 1  G È1 þ rê È1 þ nt ê weiteren Diskussion sei auch die Erfüllung dieser Bedingung unterstellt84. Mit den zusätzlich getroffenen Annahmen kann mithin ausgeschlossen werden, dass im gesellschaftlichen Optimum nur eine der beiden Aktivitäten höher als im gesellschaftlichen Optimum ist. Die Existenz eines in herkömmlicher Weise organisierten umlagefinanzierten Alterssicherungssystems hat daher zur Folge, dass die individuell optimale Kinderzahl und die individuelle optimale Ausbildungsaktivität pro Kind aus gesamtgesellschaftlicher Sicht zu niedrig sind, weil Eltern den gesellschaftlichen Ertrag der   eP Da eindeutig q 1  G < qe ist, ist diese zusätzliche Annahme problemlos e wb sein muss, vereinbar. mit der in Fn. 82 erläuterten Bedingung, wonach qe > È1 þ rê " # 84 È1 þ nt êP < qe ist, ist diese Annahme mit der Bedingung Da qe 1  È1 þ nt êG wb qe > vereinbar. È1 þ rê 83

e

172

3. Alterssicherung und Konsummotiv der Kindererziehung

von ihnen erbrachten Leistungen bei ihren Entscheidungen nicht berücksichtigen. Es gibt somit Raum für eine Reform des Umlagesystems. Wie diese aussehen sollte, wird im folgenden Teilabschnitt untersucht. 3.4.3 Ausgestaltung einer Reform des umlagefinanzierten Alterssicherungssystems Es bedarf keiner weiteren Erläuterung, dass auch in der hier gewählten Modellformulierung eine Übereinstimmung des individuellen mit dem gesellschaftlichen Optimum erreicht werden kann, wenn die individuellen Rentenzahlungen vollständig von den Beitragszahlungen der eigenen Kinder abhängig gemacht werden. Ein individueller Rentenzahlbetrag müsste sich dann gemäß È3:75ê

pt þ 1 ã wbht þ 1 È1 þ nt ê

ergeben, so dass die Individuen bei ihren Entscheidungen sowohl die Auswirkung der Kinderzahl als auch der Ausbildungsaktivität pro Kind auf die Höhe ihrer Renten beachten würden85. In Abschnitt 3.2.4 wurde gezeigt, dass eine solche „perfekte“ Internalisierungsstrategie zu einer Pareto-Verbesserung führt. Während aber die in Abschnitt 3.2.4 abgeleitete Internalisierungsstrategie in Form einer vollkommenen Abhängigkeit der Rentenzahlungen von der Kinderzahl relativ problemlos organisierbar ist, könnte eine Berücksichtigung des tatsächlichen Kindereinkommens verschiedene Schwierigkeiten mit sich bringen, die eine solche Maßnahme unerwünscht oder sogar suboptimal erscheinen lassen. Denn es ist z. B. denkbar, dass die Beziehung zwischen der Ausbildungsaktivität et zugunsten eines Kindes und dem Humankapitalniveau ht þ 1 , das dieses Kind schließlich erreicht, abweichend von den hier getroffenen Modellannahmen nicht deterministisch ist. Ebenso, wie es z. B. im Modell von Barbie/Hagedorn/Kaul (2002) angenommen wird, könnte es etwa der Fall sein, dass die Transformation von et in ht þ 1 von positiven oder negativen Schocks getroffen werden kann, so dass ht þ 1 eine Zufallsvariable ist. Durch die Wahl von et könnten die Individuen dann nicht die Ausprägung von ht þ 1 , sondern lediglich das Niveau der Zufallsverteilung von ht þ 1 beeinflussen. Aus Sicht der Versicherten würde unter diesen Umständen eine Rentenreform, die eine vollständige Abhängigkeit der Rentenzahlbeträge von den Beitragszahlungen eigener Kinder 85

Setzt man (3.75) statt (3.69) in die Budgetrestriktion (3.71) ein, dann ergibt sich aus individueller Sicht das gleiche Optimierungskalkül wie für den sozialen Planer, vgl. Gleichung (3.73).

3.4 Alterssicherung und paternalistisch altruistische Eltern

173

vorsieht, die Einführung eines starken Risikoelementes in das umlagefinanzierte Alterssicherungssystem bedeuten. Unterstellt man, dass sich die Auswirkungen positiver und negativer Schocks über alle Mitglieder der betrachteten Volkswirtschaft gerade ausgleichen, dann ist die Beziehung zwischen et und ht þ 1 aber nur aus Sicht einzelner Versicherter risikobehaftet, während sie aus Sicht des Kollektivs aller Versicherten bzw. des Staates deterministisch ist. Barbie/Hagedorn/Kaul (2002) zeigen unter der Annahme exogener Fertilität, dass es für die Individuen in diesem Fall vorteilhafter ist, durch die spezifische Ausgestaltung des umlagefinanzierten Alterssicherungssystems gegen negative Ausprägungen des Risikos ihrer Ausbildungsinvestitionen (teil-)versichert zu werden86. Alternativ könnte dem Risiko von Ausbildungsinvestitionen auch dadurch begegnet werden, dass der Staat nicht nur das Ausbildungsrisiko, sondern zugleich auch die Kosten der Ausbildung übernimmt, so dass sich die Aufgabe der Eltern auf die – hier als risikolos unterstellte – Erziehung beschränkt. Beide Möglichkeiten seien im Folgenden untersucht. Unter (a) wird dabei von privater Ausbildungsfinanzierung und gleichzeitiger Vollversicherung des Ausbildungsrisikos durch die Zahlung rein kinderzahlabhängiger Renten, unter (b) von kollektiver Ausbildungsfinanzierung und der Einführung eines sog. „hybriden Rentensystems“87 ausgegangen. (a) Rein kinderzahlabhängige Renten Bei einer Vollversicherung des Ausbildungsrisikos könnte eine Rentenreform darin bestehen, die Rentenzahlbeträge nur von der Kinderzahl, nicht aber vom Einkommen bzw. den Beitragszahlungen eigener Kinder abhängig zu machen. Die Individuen würden in einem solchen System den „Wert“ der Geburt und Erziehung eines Kindes für die Rentenversicherung berücksichtigen, während der gesellschaftliche Wert des Ausbildungsniveaus der eigenen Kinder in ihrem Optimierungskalkül weiterhin unbeachtet bliebe. Zu untersuchen ist nun, ob die Individuen in einem so (re-)organisierten Umlagesystem besser als in einem herkömmlichen Umlagesystem gestellt werden bzw. ob ein System mit rein von der Kinderzahl abhängigen Rentenzahlungen bei endogener Kinderzahl und Kinderqualität einem System mit rein von den Beitragszahlungen abhängigen Rentenansprüchen über86 Sie gehen dabei von rein egoistisch motivierten Individuen aus, so dass in ihrem Modell eine Vollversicherung des Humankapitalrisikos – im Sinne einer völligen Unabhängigkeit der Rentenzahlbeträge von individuellen Ausbildungsinvestitionen – suboptimal ist, da in diesem Fall keine privaten Ausbildungsinvestitionen mehr vorgenommen würden. 87 Vgl. zu den Charakteristika eines „hybriden Rentensystems“ die Ausführungen weiter unten.

174

3. Alterssicherung und Konsummotiv der Kindererziehung

legen ist. Bei einer rein von der Kinderzahl abhängigen Rentenzahlung würde sich ein individueller Rentenanspruch gemäß der Formel È3:76ê

pt þ 1 ã wh€t þ 1 bÈ1 þ nt ê

ergeben. Unter Berücksichtigung von (3.76) lautet die individuelle Budgetrestriktion der Ruhestandsphase dann: È3:77ê

1 € ctt  þ 1 ã È1 þ rêst þ wht þ 1 bÈ1 þ nt ê

Maximiert man nun (3.68) unter Berücksichtigung der Restriktionen (3.70) und (3.77), so erhält man als Bedingungen 1. Ordnung für die optimale Kinderzahl bzw. die optimale Ausbildungsaktivität88:

È3:78aê

È3:78bê

ctt  1 ã È1 þ nt ê

 qn þ eKR qe  t

wb È1 þ rê



qn

ctt  1 qe È1 þ nt êKR ã et qh

eKR bezeichnet dabei die individuell optimale Ausbildungsaktivität pro t Kind, È1 þ nt êKR die individuell optimale Kinderzahl im hier modellierten „Kinderrentensystem“89. Auf den ersten Blick entspricht (3.78a) Bedingung (3.74b) für die optimale Fertilität im gesellschaftlichen Optimum, während (3.78b) Bedingung (3.72c) für die optimale Ausbildungsaktivität im herkömmlichen Umlagesystem zu entsprechen scheint. Diese scheinbare Übereinstimmung könnte zu der Schlussfolgerung verleiten, dass die Teilnahme an einem nur „partiell“ reformierten Rentensystem mit rein kinderzahlabhängigen Rentenzah88 Die Bedingung für die optimale intertemporale Konsumallokation entspricht weiterhin (3.72a) bzw. (3.74a) und ist hier daher nicht gesondert aufgeführt. In den aufgeführten Bedingungen ist bereits berücksichtigt, dass aus kollektiver Sicht weiterhin et ã ht þ 1 ist. Das individuelle Risiko spielt für die Ergebnisse dieses Teilabschnitts keine Rolle – sowohl bei rein beitragsabhängiger als auch bei rein kinderzahlabhängiger Rentenbemessung ist die individuelle Ausprägung des Ausbildungsrisikos für die Rente eines Versicherten ohne Belang. 89 In (3.78a) ist dabei zu beachten, dass die individuell optimale Ausbildungsaktivität auch der durchschnittlichen Ausbildungsaktivität in der betrachteten Volkswirtschaft entspricht und die Beziehung zwischen der durchschnittlichen Ausbildungsaktivität und dem durchschnittlichen Humankapitalniveau deterministisch ist. Man b statt w€ et b verwenden. kann daher als Rente pro Kind weKR t

3.4 Alterssicherung und paternalistisch altruistische Eltern

175

lungen für die Individuen immer noch günstiger als die Teilnahme am herkömmlichen Umlagesystem ist, da im reformierten System wenigstens ein Teil der positiven Konsumexternalitäten bei der Rentenbemessung berücksichtigt wird. Diese Schlussfolgerung muss jedoch nicht zutreffend sein, denn die alleinige Berücksichtigung der Kinderzahl führt zu einer Verzerrung der Relativpreise der Kinderzahl bzw. Kinderqualität. Geht man z. B. ã eP ist, dann folgt aus gedanklich von einer Situation aus, in der e€KR t t dem Vergleich von (3.78a) mit (3.72b), dass die individuell optimale Fertilität im Kinderrentensystem höher als im herkömmlichen Umlagesystem KR > È1 þ nt êP ist, dann muss nach (3.78b) sein muss. Wenn aber È1 þ nt ê und (3.72c) die individuell optimale Ausbildungsaktivität im Kinderrentensystem geringer sein als im herkömmlichen Umlagesystem, da die Grenzkosten der Ausbildungsaktivität im Kinderrentensystem höher sind. Wenn < eP ist, dann muss wiederum die optimale Kinderzahl im Kinaber eKR t t derrentensystem umso höher sein – was sich erneut negativ auf die Höhe der individuell optimalen Ausbildungsaktivität auswirkt. Im Ergebnis führen rein von der Kinderzahl abhängige Rentenzahlbeträge somit dazu, dass bei der individuellen Optimierung Kinderqualität durch Kinderquantität verdrängt wird. Während die Fertilitätsrate in diesem System eindeutig höher als im herkömmlichen Umlagesystem ist, ist das durchschnittliche Ausbildungsniveau eindeutig geringer. Es ist daher offen, ob die Individuen durch eine solche Rentenreform im Vergleich zu einem herkömmlichen Umlagesystem überhaupt besser gestellt würden. Und selbst wenn sich ihre Situation trotz der geschilderten Nachteile im Ergebnis verbessert, existieren unter Umständen Reformalternativen, die keine Nachteile beinhalten und daher vorzuziehen sind. Eine denkbare Reformalternative wird im Folgenden unter (b) untersucht. (b) Hybrides Rentensystem In den meisten Staaten kommen Eltern nicht für die gesamten Ausbildungskosten ihrer Kinder auf. Dies gilt in besonderem Maße auch für Deutschland. Gerade die berufsvorbereitenden Ausbildungsaktivitäten an Schulen, Berufsschulen und Universitäten werden zu einem großen Teil von öffentlichen Trägern bezahlt oder zumindest stark subventioniert. Das kostenlose (und in Deutschland bis zur Mittelstufe verpflichtende) Schulsystem und die staatlich stark subventionierte weiterführende Ausbildung haben zur Folge, dass auch Kinder von Eltern, die nur einen geringen Anreiz zur Finanzierung der Ausbildungsaktivitäten ihrer Kinder haben, ein höheres Ausbildungsniveau erreichen können, als dies durch (3.72c) bzw. (3.78b) suggeriert wird. Die obige Modellannahme, wonach Eltern allein für die gesamte Humankapitalakkumulation ihrer Kinder aufkommen, ist

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3. Alterssicherung und Konsummotiv der Kindererziehung

daher wenig realitätsnah. Die Tatsache, dass Staaten bereits heute einen Großteil der Ausbildungsaktivitäten finanzieren, könnte aber ein Schlüssel zur Lösung des oben geschilderte Dilemmas sein, dass sich dann ergibt, wenn eine Versicherung des Ausbildungsrisikos im Rahmen des Umlagesystems vorteilhaft ist, eine solche Versicherung aber zugleich zur Verdrängung von Ausbildungsaktivitäten führt. Der Staat, für den die Beziehung zwischen Ausbildungsaktivität und Humankapital deterministisch ist, könnte über das kostenlose bzw. subventionierte öffentliche Ausbildungssystem ein optimales Niveau der Ausbildungsaktivität induzieren und zugleich über das Rentensystem Anreize für eine gesellschaftlich optimale Geburtenzahl setzen. Bei der Untersuchung der notwendigen Ausgestaltung eines solchen Systems kann auf die in Abschnitt 3.2.4 angestellten Überlegungen zur optimalen Organisation eines umlagefinanzierten Rentensystems bei Existenz eines Familienlastenausgleichsystems zurückgegriffen werden. An dieser Stelle wurde untersucht, in welchem Maße Rentenzahlbeträge von der individuellen Kinderzahl abhängen sollten,

wenn die Steuerzahler über das Steuer-Transfer-System einen Teil d q der Kinderkosten mitfinanzieren. Von einer staatlichen Kostenbeteiligung an den Erziehungskosten q sei im Folgenden aber abstrahiert bzw. angenommen, dass sich die öffentliche Mitfinanzierung auf die Ausbildungsaktivität e beschränkt. Dabei sei unterstellt, dass der Staat die Ausbildungsaktivitäten von Eltern zugunsten ihrer Kinder nicht direkt beobachten kann, er aber in der Lage ist, unter gegebenen Rahmenbedingungen die durchschnittliche Ausbildungsaktivität aus dem durchschnittlichen Ausbildungsniveau der Volkswirtschaft abzuleiten. Er besitzt somit die Möglichkeit, die durchschnittlichen (privaten) Ausbilso zu erdungsinvestitionen durch eine öffentliche Ausbildungsaktivität eOA t 90 ergibt . Die Finanzierung der öffentlichen gänzen, dass sich gerade eG t Ausbildungsaktivität kann dabei alternativ über zweckgebundene Steuerzahlungen oder über einkommensabhängige Beitragszahlungen der Individuen an einen „Ausbildungsfinanzierungsfonds“ erfolgen91. Letzterer Fall sei hier angenommen. Der Beitragssatz be , der zur Finanzierung des Ausbil90 Notwendig ist dann die zusätzliche Annahme, dass die Individuen eOA anneht men und zweckgemäß verwenden müssen. Da eine solche Verpflichtung für die Eltern keine Zusatzkosten verursacht und die Kinder keine Wahl haben, wie viel Ausbildung sie in Anspruch nehmen wollen, kann sie problemlos durchgesetzt werden. Entscheidend ist dabei, dass die staatliche Beteiligung nicht in Form der Überweisung eines Geldbetrages an die Eltern, sondern durch die kostenlose Bereitstellung der Ausbildungsaktivität selbst erfolgen muss, da der Staat die Ausbildungsaktivitäten der Eltern annahmegemäß nicht beobachten kann. 91 Vgl. zum Vorschlag der Errichtung eines Ausbildungsfinanzierungsfonds z. B. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2001) sowie die Diskussion in Kapitel 4.6 der vorliegenden Untersuchung.

3.4 Alterssicherung und paternalistisch altruistische Eltern

177

dungsfinanzierungsfonds von den Einkommen der Erwerbstätigen zu entrichten ist, muss dann in Periode t È3:79ê

bet ã

€t ê qe eOA t È1 þ n wht

betragen. Um ein gesellschaftlich optimales Niveau der Ausbildungsaktividabei gerade so hoch sein, dass die Bedintät zu gewährleisten, muss eOA t   OA G P gung et ã et  et erfüllt ist92. Die Einführung des dargestellten Ausbildungsfinanzierungssystems allein würde sowohl in Verbindung mit einem herkömmlichen Umlagesystem als auch in Verbindung mit rein kinderzahlabhängigen Rentenzahlungen nicht zu einer optimalen Lösung führen. Würde es zusätzlich zu einem herkömmlichen umlagefinanzierten Alterssicherungssystem eingeführt, könnte zwar gewährleistet werden, es würden jedie optimale Ausbildungsaktivität eG t doch über den individuellen Konsumnutzen hinaus weiterhin keine zusätzlichen Anreize zur Geburt und Erziehung von Kindern gesetzt. Würde man hingegen zusätzlich zur Einführung des Ausbildungsfinanzierungsfonds auch das umlagefinanzierte Alterssicherungssystem so reformieren, dass die Rentenzahlbeträge rein von der Kinderzahl abhängig gemacht werden, so würden die Versicherten die gesamten Beitragszahlungen ihrer Kinder als Rente erhalten, müssten aber nicht die gesamten Erziehungs- und Ausbildungskosten selbst tragen. Die sich ergebende Kinderzahl wäre in diesem Fall aus gesamtgesellschaftlicher Sicht zu hoch, denn die Individuen würden bei ihrer Fertilitätsentscheidung nicht berücksichtigen, dass die Geburt eines weiteren Kindes zu einer Erhöhung des Beitragssatzes zum Ausbildungsfinanzierungsfonds führt93. Es muss daher ein Mechanismus gefunden werden, dessen Anwendung zur Folge hat, dass die Individuen bei ihren Entscheidungen sowohl den Wert eines Kindes für das Umlagesystem als auch die Kosten eines weiteren Kindes für das Ausbildungsfinanzierungssystem berücksichtigen. Diese Anforderungen könnten z. B. von einem „hybriden“ Rentensystem erfüllt werden, in dem die individuellen Rentenzahlbeträge zum Teil 92 Offensichtlich kann ein solches System nur dann funktionieren, wenn die Individuen ihrerseits nicht wiederum auf eOA reagieren und ihre individuelle Ausbildungsaktivität reduzieren. Wenn die öffentliche Ausbildungsaktivität kein Substitut, sondern ein Komplement zur individuellen Ausbildungsaktivität ist, dann kann eP t als optimale individuelle Ausbildungsaktivität unter Zugrundelegung einer optimalen öffentlichen Ausbildungsaktivität interpretiert werden, so dass sich das angesprochene Problem nicht stellt. 93 Vgl. hiezu auch die in Abschnitt 3.2.4 erzielten Ergebnisse zur optimalen Ausgestaltung einer kinderzahlabhängigen Rente, wenn ein Teil der Kinderkosten vom Staat bzw. Steuerzahler getragen wird.

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3. Alterssicherung und Konsummotiv der Kindererziehung

von der Kinderzahl und zum Teil von geleisteten Beitragszahlungen abhängen. Im Folgenden sei untersucht, ob dies der Fall ist. Wenn durch den Ausbildungsfinanzierungsfonds ein optimales Niveau der Ausbildungsaktivität induziert wird, dann betragen die gesamten Beitragseinnahmen des Umlagesystems in Periode t þ 1 VEt þ 1 ã w€ e G t  bÈ1 þ n€t êNt . Wenn jeder Rentner dieser Periode exakt die Beiträge seiner Kinder als Rente erhalten würde, dann müsste der Rentenzahlbetrag ½ Å e G pt þ 1 ã w€ t b 1 þ nt betragen. Ohne staatliche Beteiligung an den Kindererziehungs- und Ausbildungskosten würde die Rente dann gerade der positiven Konsumexternalität der Kindererziehung und -ausbildung entsprechen. Die Existenz des Ausbildungsfinanzierungsfonds führt jedoch dazu, dass auch eine negative Externalität der Kindererziehung existiert bzw. Kindererziehung im individuellen Entscheidungskalkül unberücksichtigte gesellbetragen. Die (verzinsten) schaftliche Kosten verursacht, die pro Kind qe eOA t gesellschaftlichen Kosten sind daher bei der Rentenbemessung vom gesellschaftlichen Ertrag der Kindererziehung in Abzug zu bringen94. Der kinderzahlabhängige Rentenanspruch pt þ 1 È1 þ nt ê muss sich daher wie folgt ergeben: È3:80ê

 G  pt þ 1 È1 þ nt ê ã w€ et b  qe eOA t È1 þ rê È1 þ nt ê

  e OA Unterstellt man, dass w€ e G t b  q et È1 þ rê >0 ist, dann erhält jedes Individuum pro Kind eine positive Rentenzahlung. Die nach dem Abzug der kinderzahlabhängigen Renten noch verbleibenden Einnahmen der Ren€t ê sind hingegen beitragstenversicherung in Höhe von qe eOA t È1 þ rêÈ1 þ n abhängig auszuzahlen. Für den Erwerb eines Rentenanspruchs ist jedoch nicht die Rentenversicherungsbeitragszahlung whb, sondern die Beitragszahlungen whbe an den Ausbildungsfinanzierungsfonds relevant. Wie in Abschnitt 3.2.4 herausgearbeitet wurde, können Ansprüche an ein umlagefinanziertes Alterssicherungssystem nur aus Investitionen in die nachfolgende Generation, niemals hingegen aus Transfers an die Ruhestandsgeneration abgeleitet werden. Die Summe aus dem kinderzahlabhängigen und beitragabhängigen Rentenanspruch ergibt den Rentenzahlbetrag pHY t þ 1 des hybriden Rentensystems. Unter Berücksichtigung von (3.79) und (3.80) lautet dieser in Periode t: È3:81ê

 G  ½ e Å pHY et b  qe eOA t þ 1 ã w€ t È1 þ rê È1 þ nt ê þ b wht È1 þ rê

Der erste Term auf der rechten Seite von (3.81) gibt den Teil der gesamten Einnahmen des Rentensystems an, der gemäß der individuellen Kinder94 Die gesellschaftlichen Kosten müssen verzinst werden, da sie eine Periode früher als der gesellschaftliche Ertrag anfallen.

3.4 Alterssicherung und paternalistisch altruistische Eltern

179

zahl ausgezahlt wird. Dementsprechend gibt der zweite Term auf der rechten Seite von (3.81) jenen Teil der Renteneinnahmen an, der abhängig von den individuellen Beitragszahlungen an den Ausbildungsfinanzierungsfonds verteilt wird. Teilt man (3.81) durch die durchschnittliche Beitragszahlung eines Erwerbstätigen der Periode t þ 1 an die Rentenversicherung – also durch w€ e G t b – so ergibt sich unter Berücksichtigung von (3.79): È3:82ê

pHY tþ1

  qe eOA qe eOA t È1 þ rê t È1 þ rê È1 þ n€t ê È1 þ n ã 1 ê þ t w€ eG weG b t t b

qe eOA t È1 þ rê ã a, wobei mit a wiederum der beitragsw€ eG t b abhängige Teil der Rentenzahlungen bezeichnet wird, dann lässt sich (3.82) auch schreiben als: Setzt man nun

È3:83ê

½ Å €t ê pHY t þ 1 ã 1  a È1 þ nt ê þ aÈ1 þ n

Die Rentenzahlungen im hybriden Rentensystem sollten demnach mit dem Faktor ½1  aÅ von der individuellen Kinderzahl und mit dem Faktor a von der durchschnittlichen Fertilität abhängen bzw. unabhängig von der individuellen Kinderzahl sein. Der Faktor a ergibt sich dabei als Quotient aus dem verzinsten öffentlichen Ausbildungsfinanzierungsaufwand zugunsten eines Kindes und den späteren Beitragszahlungen dieses Kindes an das Umlagesystem. Da der absolute Rentenzahlbetrag vom Beitragssatz und Einkommensniveau der Kinder abhängt, ist der Faktor a als Verteilungsfaktor der Renteneinnahmen bei gegebenen Einnahmen des umlagefinanzierten Alterssicherungssystems zu interpretieren. Er gibt somit an, ein wie großer Teil der einkommensabhängigen Rentenversicherungsbeitragszahlungen eines Individuums dem Ausbildungsaufwand der Allgemeinheit geschuldet ist. Die restlichen Beitragszahlungen können dementsprechend als (partielle) Kompensation des elterlichen Erziehungs- und Ausbildungsaufwands interpretiert werden. Je stärker also der Einfluss der öffentlich finanzierten Ausbildung auf das künftige Einkommen eines Kindes ist, desto geringer sollte der kinderzahlbezogene Rentenanspruch sein et vice versa. Die von der Kinderzahl abhängige Rente ergibt sich demnach – und das könnte auf den ersten Blick als eine Schwäche dieses Systems ausgelegt werden – als Restgröße, die nach dem Abzug der verzinsten Beitragszahlungen an den Ausbildungsfinanzierungsfonds von den Beitragszahlungen der Kinder verbleibt. Letztlich entspricht diese Vorgehensweise aber jener, die in Abschnitt 3.2.4 für den Fall der Existenz eines Familienlastenausgleichsystems gefunden wurde. Wenn Eltern ihre Kinder nur aus einem konsumtiven Motiv heraus erziehen, dann sind die mit der Kindererziehung und -ausbildung

180

3. Alterssicherung und Konsummotiv der Kindererziehung

verbundenen positiven Externalitäten betragsmäßig geringer als die gesamten Kinderkosten. Eine staatliche Beteiligung an den Ausbildungskosten erhöht nicht nur die zukünftige Beitragssumme des umlagefinanzierten Alterssicherungssystems, sie erhöht zugleich auch den Konsumnutzen, den Eltern aus dem Ausbildungsniveau ihrer Kinder ziehen. Eine vollständige Internalisierung der positiven Externalitäten über ein Familienlastenausgleichsystem bzw. einen Ausbildungsfinanzierungsfonds bedeutet daher nicht, dass die gesamten Erziehungs- und Ausbildungskosten öffentlich getragen werden sollten. Vielmehr kann auch eine – im Vergleich zu den privat getragenen Erziehungs- und Ausbildungskosten – relativ bescheidene öffentliche Finanzierungsbeteiligung bereits zur Folge haben, dass die Renten nur noch zu einem geringen Anteil oder überhaupt nicht mehr von der Kinderzahl abhängen sollten, da die Geburt und Erziehung eines Kindes in diesem Fall auch eine negative Externalität beinhaltet. Wenn nun – wie hier angenommen wurde – ein größerer Teil des Einkommens der Individuen auf die öffentliche Finanzierungsbeteiligung im Rahmen des Ausbildungsfinanzierungsfonds zurückzuführen ist, dann wird die positive Externalität der Kindererziehung entsprechend klein. Die gefundenen Ergebnisse zeigen, dass die Verbindung eines öffentlichen Ausbildungsfinanzierungssystems mit einem hybriden Rentensystem in der Lage ist, Anreize zur Geburt und Erziehung von Kindern zu setzen und zugleich ein optimales Niveau der Ausbildungsaktivität zu gewährleisten. Ein solches „kombiniertes“ System kann insbesondere dann vorteilhaft sein, wenn eine Internalisierung positiver Konsumexternalitäten der Kindererziehung und -ausbildung angezeigt, die Beziehung zwischen Ausbildungsaktivität und Humankapitalakkumulation aus individueller Sicht jedoch nicht deterministisch ist. Wichtig an dem dargestellten System ist die explizite Verknüpfung seiner verschiedenen Bestandteile. Weder die Einführung eines Ausbildungsfinanzierungssystems neben einem herkömmlichen Umlagesystem noch die Kombination eines Ausbildungsfinanzierungssystems mit rein kinderzahlabhängigen Rentenzahlungen führen zu einer optimalen Lösung. Vielmehr muss das Ausbildungsfinanzierungssystem in das umlagefinanzierte Alterssicherungssystem integriert werden. Wie ein solches „integriertes System“ in der Praxis aussehen könnte und welche Schritte zu seiner Einführung notwendig sind, wird in Abschnitt 4.6 des folgenden Kapitels 4. beschrieben. Zusammenfassend konnte in diesem Abschnitt herausgearbeitet werden, dass bei Unterstellung paternalistisch altruistisch motivierter Eltern und Existenz eines in herkömmlicher Weise organisierten umlagefinanzierten Alterssicherungssystems sowohl von der Geburt und Erziehung von Kindern als auch von der elterlichen Finanzierung ihrer Ausbildung positive Konsumexternalitäten ausgehen können. Aus diesem Grund entsprechen indivi-

3.4 Alterssicherung und paternalistisch altruistische Eltern

181

duell optimale Kinderzahl und individuell optimale Ausbildungsfinanzierung nicht dem gesellschaftlichen Optimum. Unter Zugrundelegung einiger ergänzender Modellannahmen konnte dabei gezeigt werden, dass die Kinderzahl und das Ausmaß der Ausbildungsaktivitäten im gesellschaftlichen Optimum höher als im individuellen Optimum sind. Die Mitglieder der betrachteten Volkswirtschaft könnten besser gestellt werden, wenn die Rentenzahlungen vollständig von den Beitragszahlungen eigener Kinder abhängig gemacht werden, so dass die positive Konsumexternalität der Kindererziehung bzw. -ausbildung perfekt internalisiert wird. Im Unterschied zu dem in Abschnitt 3.2 entwickelten Modell ist dabei aber eine vollständige Abhängigkeit der Rentenzahlungen von den Beitragszahlungen der eigenen Kinder nicht gleichbedeutend mit einer vollständigen Abhängigkeit der Renten von der individuellen Kinderzahl. Individuelle Rentenzahlungen sollten vielmehr vom tatsächlichen Einkommen eines Kindes abhängen. Falls jedoch die Beziehung zwischen der Ausbildungsaktivität und dem späteren Einkommen der Nachkommen nicht deterministisch ist, könnte eine vollständige Abhängigkeit der Rentenzahlbeträge von Beitragszahlungen eigener Kinder unter Umständen suboptimal sein, da auf diese Weise ein starkes Risikoelement in das umlagefinanzierte Alterssicherungssystem eingeführt würde. Wenn die Versicherten risikoavers sind, dann könnte eine Versicherung des Ausbildungsrisikos vorteilhaft sein. Zwei Möglichkeiten einer solchen Versicherung wurden untersucht, wobei zum einen von rein kinderzahlabhängigen Rentenzahlungen und zum anderen von der Kombination eines öffentlichen Ausbildungsfinanzanzierungssystems mit einem sog. hybriden Rentensystem ausgegangen wurde. Als Nachteil eines Systems mit rein kinderzahlabhängigen Rentenzahlungen ergab sich, dass es in den individuellen Entscheidungen eine Verdrängung von Kinderqualität durch Kinderquantität zur Folge hat. Es ist dann offen, ob ein so organisiertes Umlagesystem überhaupt vorteilhafter als ein in herkömmlicher Weise organisiertes Umlagesystem ist. Die Kombination öffentlicher Ausbildungsfinanzierung mit sowohl kinderzahl- als auch beitragsabhängigen Rentenzahlungen kann hingegen Anreize für eine optimale Geburtenzahl setzen und zur gleichen Zeit ein optimales Niveau der Ausbildungsaktivität gewährleisten. Entscheidend für den beitragsabhängigen Teil der Rentenzahlbeträge sind dabei jedoch nur die Beitragszahlungen an das Ausbildungsfinanzierungssystem, während die Beitragszahlungen an das Rentensystem keinen Anspruchserwerb nach sich ziehen. Als entscheidend für die Funktionsfähigkeit des dargestellten Systems stellte sich mithin die explizite Verknüpfung des öffentlichen und privaten Erziehungs- und Ausbildungsaufwandes mit der Akkumulation von Rentenanwartschaften heraus.

182

3. Alterssicherung und Konsummotiv der Kindererziehung

3.5 Zusammenfassung und Diskussion Die in diesem Kapitel vorgenommene Untersuchung sollte vor allem der Beantwortung der drei im Einführungskapitel und in Abschnitt 3.1.2 genannten Grundfragestellungen dienen: (1) Kann mithilfe der in diesem Kapitel entwickelten Modellvarianten eine Berücksichtigung der individuellen Kindererziehungsleistung im Rahmen eines umlagefinanzierten Alterssicherungssystems ökonomisch gerechtfertigt werden? (2) Wenn eine Berücksichtigung der individuellen Kindererziehungsleistung gerechtfertigt werden kann, in welcher Form und in welchem Ausmaß sollte sie dann umgesetzt werden? (3) Können die in diesem Kapitel entwickelten Modelle die Einführung umlagefinanzierter Alterssicherungssysteme und die Entwicklung nach ihrer Einführung erklären? Im Folgenden wird noch einmal überblicksartig zusammengefasst, welche Antworten die in diesem Kapitel entwickelten Modellvarianten auf die aufgeführten Grundfragestellungen geben. Darauf aufbauend wird diskutiert, ob das in diesem Kapitel in den Mittelpunkt gestellte Konsummotiv der Kindererziehung bereits als ausreichend angesehen werden kann, um alle Aspekte der Einführung, Entwicklung und Reform umlagefinanzierter Alterssicherung darzustellen. Die angestellten Überlegungen leiten zum vierten Kapitel über. (1) Kann eine Berücksichtigung der individuellen Kindererziehungsleistung im Rahmen eines umlagefinanzierten Alterssicherungssystems ökonomisch gerechtfertigt werden? Wenn die Individuen rein altruistisch gegenüber ihren Kindern motiviert sind, dann lautet die Antwort auf diese Frage eindeutig „Nein“ (Abschnitt 3.3). In diesem Fall entspricht die individuell optimale Kinderzahl auch dann dem gesellschaftlichen Optimum, wenn ein umlagefinanziertes Alterssicherungssystem existiert. Eine Rentenbemessung nach der Kinderzahl würde in diesem Fall weder zu einer Besserstellung, noch zu einer Schlechterstellung der Individuen führen. Geht man hingegen davon aus, dass Eltern gegenüber ihren Kindern zwar altruistisch, aber nicht rein altruistisch im Sinne von Barro (1974) und Becker/Barro (1988) motiviert sind – was durch die Ergebnisse einer Vielzahl empirischer Untersuchungen nahe gelegt wird95 –, dann lautet die Antwort 95 Vgl. z. B. Menchik (1980), Cox (1987), Cox/Rank (1992), Dunn (1993), Altonji/ Hayashi/Kotlikoff (1992, 1997), Wilhelm (1996) und Arrondel/Laferrere (2001).

3.5 Zusammenfassung und Diskussion

183

auf obige Fragestellung eindeutig „ja“ (Abschnitte 3.2 und 3.4). In diesem Fall führt die Existenz eines in herkömmlicher Weise organisierten umlagefinanzierten Alterssicherungssystems dazu, dass von den individuellen Entscheidungen bzgl. der Erziehung und Ausbildung eigener Kinder positive Konsumexternalitäten ausgehen. Mit jedem zusätzlich geborenen Kind und mit jeder zusätzlichen Ausbildungsaktivität zugunsten eines Kindes nimmt die Summe der zukünftigen Beitragszahlungen an das Umlagesystem zu. Bei fixiertem Beitragssatz ist dies gleichbedeutend mit einer Erhöhung der impliziten Verzinsung dieses Alterssicherungssystems. Der investive Aspekt der Kindererziehung und -ausbildung ist für einzelne Versicherte in einem herkömmlichen Umlagesystem jedoch nicht spürbar und wird daher im individuellen Optimierungskalkül auch nicht berücksichtigt. Die Folge davon ist, dass aus gesamtgesellschaftlicher Sicht zu wenige Kinder geboren werden bzw. zu wenig in die Ausbildung geborener Kinder investiert wird. Eine Internalisierung der positiven Konsumexternalitäten in Form einer Berücksichtigung der individuell erbrachten bzw. finanzierten Erziehungs- und Ausbildungsleistungen bei der Rentenbemessung führt zu einer Zunahme der Geburtenzahl und Ausbildungsaktivitäten und darüber zu einer höheren impliziten Verzinsung des Umlagesystems. Im Ergebnis könnten die Individuen einer aktuellen Erwerbstätigengeneration und aller zukünftigen Generationen durch eine solche Rentenreform besser gestellt werden, ohne dass die aktuelle Rentnergeneration dazu schlechter gestellt werden müsste – ein Ergebnis, das sich durch die Beseitigung des Umlagesystems und den Wechsel zu einem Kapitaldeckungssystem explizit nicht erreichen lässt (Abschnitt 3.2.4). (2) In welcher Form und in welchem Ausmaß sollte Kindererziehung im Rahmen eines umlagefinanzierten Alterssicherungssystems berücksichtigt werden? Anhand der in den Abschnitten 3.2 und 3.4 entwickelten Modelle kann eine Berücksichtigung der individuellen Kindererziehungsleistung ökonomisch gerechtfertigt werden. Das optimale Ausmaß der Erziehungsberücksichtigung erscheint dabei, solange man von einer öffentlichen Finanzierungsbeteiligung an den Erziehungs- und Ausbildungskosten abstrahiert, „radikal“ (Abschnitt 3.2.4): Die im Optimum notwendige vollständige Internalisierung der Konsumexternalität bedeutet im Ergebnis, dass sich die Rentenzahlungen vollständig nach den Beitragszahlungen eigener Kinder bemessen sollten. Dies ist gleichbedeutend mit einer vollständig von der individuellen Kinderzahl abhängigen Rente – Kinderlose sollten danach keinen Rentenanspruch im Umlagesystem erhalten, wären aber weiterhin zur Leistung von Beitragszahlungen verpflichtet (Abschnitt 3.2.4). Wenn man von einem „Bismarckschen Rentensystem“ ausgeht, ergibt sich das geschil-

184

3. Alterssicherung und Konsummotiv der Kindererziehung

derte Ergebnis auch unter Berücksichtigung von Zeitkosten der Kindererziehung (Abschnitt 3.2.5). Dieses Ergebnis muss jedoch relativiert werden, wenn realistischerweise davon ausgegangen wird, dass ein Teil der elterlichen Erziehungs- und Ausbildungskosten aus öffentlichen Mitteln finanziert wird. In Abschnitt 3.2.4 wurde zunächst der Fall eines neben dem öffentlichen Rentensystem existierenden Familienlastenausgleichsystems betrachtet. Dabei konnte gezeigt werden, dass bereits ein im Verhältnis zu den gesamten Erziehungskosten relativ bescheidener Familienlastenausgleich zur Folge haben kann, dass der optimal von der Kinderzahl abhängige Teil der Rentenzahlbeträge stark zurückgeht. Der Grund dafür liegt in der in diesem Abschnitt getroffenen Annahme rein konsumtiver Erziehungsmotive der Eltern. Da Eltern auch dann Nutzen aus der Erziehung von Kindern ziehen, wenn sie von diesen keine Transferzahlungen erwarten können, sollte ihnen nicht der gesamte Erziehungsaufwand ersetzt werden. Denn in diesem Fall würde Kindererziehung aus Sicht der Eltern zu einem kostenlosen Konsumgut, von dem die maximal mögliche Menge nachfragt würde. Vielmehr sollten Eltern lediglich einen Ausgleich für den von ihnen produzierten sozialen Ertrag erhalten. Wenn die privaten Kosten sehr viel höher als die sozialen Erträge sind, dann kann bereits eine relativ geringe prozentuale öffentliche Kostenbeteiligung an den Erziehungskosten dazu führen, dass der Saldo zwischen den sozialen Erträgen im Rahmen des umlagefinanzierten Alterssicherungssystems und den sozialen Kosten im Rahmen des steuerfinanzierten Familienlastenausgleichsystems vergleichsweise klein wird96. Das in Abschnitt 3.2 gefundene Ergebnis gilt analog, wenn statt des Familienlastenausgleichsystems ein öffentliches Ausbildungssystem berücksichtigt wird, dessen Ziel in der Gewährleistung eines optimalen Ausbildungsniveaus liegt (Abschnitt 3.4). In diesem Fall geht der Anteil der Rentenzahlungen, der optimalerweise von der Kinderzahl abhängen sollte, mit einer zunehmenden Rolle des öffentlichen Ausbildungssystems bei der Generierung zukünftiger Einkommen zurück. Wenn das öffentliche Ausbildungssystem explizit über Beitragszahlungen finanziert wird, dann beteiligen sich nicht nur Eltern, sondern alle Mitglieder einer Volkswirtschaft offen an den Investitionen in den Deckungsstock des umlagefinanzierten Alterssicherungssystems. In Abschnitt 3.4.3 wurde aufbauend auf diese Zusammenhänge das Modell eines „hybriden“ Rentensystems entwickelt, in dem alle intergenerationalen Fi96 Dieses Ergebnis erscheint zunächst paradox, denn es impliziert, dass Kinderlose eine Rente erhalten sollten, die von den Kindern anderer Leute finanziert wird. Bei Existenz eines Familienlastenausgleichsystems steht aber dem Vorteil, der Kinderlosen im Rahmen der Rentenversicherung durch die Kindererziehung anderer Individuen zuwächst, auch ein Nachteil gegenüber, wenn Kinderlose die Erziehung dieser Kinder über das Steuer-Transfer-System zum Teil mitfinanzieren müssen.

3.5 Zusammenfassung und Diskussion

185

nanzierungsströme miteinander verknüpft werden und sich Rentenansprüche sowohl aus individuell erbrachten Kindererziehungs- und Ausbildungsleistungen als auch aus der Zahlung von Beiträgen an einen Ausbildungsfinanzierungsfonds ableiten. Die in den Abschnitten 3.2 und 3.4 erzielten Ergebnisse zeigen, dass die Internalisierung der positiven Konsumexternalität der Kindererziehung und -ausbildung nicht zu einem Ausschluss Kinderloser aus umlagefinanzierten Alterssicherungssystemen führen muss. Vielmehr sollten auch Kinderlose Rentenansprüche aus diesen Alterssicherungssystemen erwerben, wenn sie über das Steuer-Transfer-System an der Finanzierung der Erziehung und Ausbildung nachfolgender Generationen beteiligt werden. Die Möglichkeit einer Beteiligung Kinderloser ändert jedoch nichts an der zentralen Einsicht dieses Kapitels, dass sich Rentenansprüche aus umlagefinanzierten Alterssicherungssystemen immer nur aus (sachlichen und monetären) Investitionen in die Erziehung und Ausbildung nachfolgender Generationen, niemals aber aus der Leistung von Transferzahlungen an die sich bereits in der Ruhestandsphase befindenden Individuen ergeben sollten. (3) Können die in diesem Kapitel entwickelten Modelle die Einführung umlagefinanzierter Alterssicherungssysteme und die Entwicklung nach ihrer Einführung erklären? Keines der in diesem Kapitel entwickelten Modelle ist in der Lage, die Einführung umlagefinanzierter Alterssicherungssystems endogen zu erklären. Explizit diskutiert wurde diese Frage nur für das in Abschnitt 3.2 untersuchte Modell. Die dort angestellten Überlegungen gelten aber auch für die in den Abschnitten 3.3 und 3.4 analysierten Modelle. Wenn die betrachteten Individuen ihre Alterssicherung immer über den Kapitalmarkt organisiert und Kinder immer nur die Rolle von Konsumgütern gespielt haben, dann fällt es schwer zu erklären, warum Staaten es im Zeitraum zwischen dem Ende des 19. und den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts plötzlich für nötig hielten, in die individuellen Alterssicherungsentscheidungen einzugreifen. Die einzig denkbare modellendogene Erklärung für einen solchen Staatseingriff basiert auf der Vermutung, dass die Geburtenrate vor der Einführung umlagefinanzierter Alterssicherungssysteme so hoch war, dass die implizite Verzinsung dieses Alterssicherungssystems zum Einführungszeitpunkt höher als die Verzinsung von Anlagen auf dem Kapitalmarkt war. Wie in Abschnitt 3.2.3 gezeigt wurde, hätte die implizite Verzinsung umlagefinanzierter Alterssicherung dann aber im Zeitablauf weiter zunehmen müssen, was jedoch offensichtlich nicht der Fall gewesen ist. Wenn Kindererziehung allein konsumtiv motiviert ist, dann muss die Einführung umlagefinanzierter Alterssicherungssysteme mithin modellexogen erklärt werden.

186

3. Alterssicherung und Konsummotiv der Kindererziehung

Die Antwort auf den zweiten Teil der obigen Fragestellung hängt davon ab, welche Erscheinungsform des elterlichen Altruismus angenommen wird. Bei „schwachem Altruismus“ der Eltern gegenüber ihren Kindern kann die Einführung eines Umlagesystems per se zu einem Rückgang, zu einer Erhöhung oder aber zu überhaupt keiner Veränderung der individuell optimalen Kinderzahl führen (Abschnitt 3.2.3). Welcher Effekt eintritt, hängt allein davon ab, welchen Einfluss die Zwangsteilnahme am umlagefinanzierten Alterssicherungssystem auf das Lebenseinkommen bzw. die Ressourcenausstattung der Versicherten hat. Wenn die implizite Verzinsung des umlagefinanzierten Rentensystems geringer als die Verzinsung von Anlagen auf dem Kapitalmarkt ist, dann werden die Einkommen der Versicherten durch die Zwangsteilnahme am Umlagesystem implizit besteuert. Die daraus resultierende Reduzierung des individuell verfügbaren Einkommens führt zu einer Verringerung der Nachfrage nach dem „Konsumgut“ Kindererziehung bzw. zu einem Geburtenrückgang. Übertrifft im umgekehrten Fall die implizite Verzinsung des Umlagesystems den Marktzins, so nimmt die individuelle Ressourcenausstattung durch die Teilnahme am Umlagesystem zu und den Versicherten stehen mehr Ressourcen zur Erziehung von Kindern zur Verfügung. Die Geburtenrate nimmt mithin zu. Wenn die implizite Verzinsung des Umlagesystems gerade so hoch wie der Marktzins ist, dann verändert die Einführung des Umlagesystems die individuelle Ressourcenausstattung nicht und die individuell optimale Geburtenzahl bleibt unverändert. Die Einführung einer umlagefinanzierten Alterssicherung hat dann keinen Einfluss auf die Geburtenrate einer Volkswirtschaft. Wenn Eltern paternalistisch altruistisch motiviert sind und ihnen neben der Kinderzahl auch am Ausbildungsniveau der eigenen Kinder liegt, dann führt die Ressourceneinbuße bei Einführung/Existenz eines Umlagesystems und einem Renditenachteil dieses Systems gegenüber einem Kapitaldeckungssystem nicht nur zu einem Rückgang der optimalen Kinderzahl, sondern zudem auch zu einer geringeren Bereitschaft, Ausbildungsaktivitäten eigener Kinder zu finanzieren (Abschnitt 3.4)97. Sind Eltern hingegen „rein altruistisch“ gegenüber ihren Kindern motiviert, dann geht von der Existenz eines Umlagesystems kein Effekt auf die individuell optimale Geburtenzahl aus (Abschnitt 3.3). In diesem Fall führt die Einführung eines umlagefinanzierten Alterssicherungssystems im Ergebnis zu keiner intergenerationalen Umverteilung, so dass es auch zu keiner impliziten Besteuerung von Individuen kommt. Die in diesem Kapitel entwickelten Modelle können einen Geburtenrückgang mithin nur dann erklären, wenn Eltern schwach oder paternalistisch altruistisch gegenüber ihren Kindern motiviert sind und die implizite Verzinsung eines umlagefinanzierten Alterssicherungssystems geringer als die Verzin97 Dieses Ergebnis ergibt sich unter den in Abschnitt 3.4.2 erläuterten Modellannahmen.

3.5 Zusammenfassung und Diskussion

187

sung von Anlagen auf dem Kapitalmarkt ist. Er ist dann allein auf einen negativen Einkommenseffekt zurückzuführen. Die aus den Ergebnissen dieses Kapitels abgeleiteten Folgerungen könnten auf den ersten Blick so interpretiert werden, dass die Begründung für eine umfangreiche Berücksichtigung individueller Erziehungsleistungen bei der Rentenbemessung in dem Fall, dass sich Kinderlose in nennenswertem Umgang an den Erziehungs- und Ausbildungskosten einer nachfolgenden Generation beteiligen, schwächer ist, als es zunächst den Anschein hat. Sie hängen jedoch stark von der Annahme ab, dass Eltern ihre Kinder – in Abwesenheit kinderzahlabhängiger Rentenzahlungen – ausschließlich aus konsumtiven Motiven erziehen. Aber ist diese Annahme realistisch? Oder, anders ausgedrückt, bilden die bisher verwendeten Modelle die Realität hinreichend genau ab? Die bisherige Analyse und insbesondere die Antwort auf die dritte der oben gestellten Fragen liefern Indizien dafür, dass dem nicht so ist. Die Erziehungsmotive von Eltern scheinen in den bisher entwickelten Modellen nicht zur Gänze abgebildet zu werden. Ein erstes Indiz dafür ergibt sich aus dem Mechanismus, mit dem die in den Abschnitten 3.2 und 3.4 entwickelten Modelle einen als Reaktion auf die Einführung umlagefinanzierter Alterssicherung erfolgenden Geburtenrückgang erklären. Dieser tritt notwendigerweise nach der Einführung öffentlicher Rentensysteme auf und geht allein auf einen negativen Einkommenseffekt zurück. Betrachtet man den Geburtenrückgang, der in entwickelten Staaten seit dem Ende des 19. Jahrhunderts zu beobachten ist, dann wird deutlich, dass sich dieser kaum allein auf die implizite Einkommensbesteuerung durch umlagefinanzierte Alterssicherungssysteme zurückführen lässt. Um dies zu zeigen, ist in den Abbildungen 3.1 und 3.2 auf Seite 188 die Geburtenentwicklung in acht europäischen Staaten für den Zeitraum von 1850 bis 1975 abgetragen. Zudem ist der Zeitpunkt der Einführung obligatorischer staatlicher Alterssicherungssysteme in den betreffenden Staaten gekennzeichnet98. Die Abbildungen lassen erkennen, dass es in allen betrachteten Staaten bereits vor der Einführung obligatorischer staatlicher Alterssicherungssysteme zu einem Geburtenrückgang gekommen ist. Lediglich in Deutschland fand dabei der Hauptteil des Geburtenrückgangs erst nach dem Staatseingriff in die Alterssicherung statt, in allen anderen Staaten waren die Geburtenzahlen bereits zuvor stark rück98 Negative Effekte auf die Geburtenrate können sich nach den oben entwickelten Modellen nur bei obligatorischen staatlichen Alterssicherungssystemen ergeben. Wenn Individuen durch die Teilnahme an einem zwar staatlich organisierten, aber fakultativen Alterssicherungssystem implizit besteuert werden, dann werden sie sich nicht an einem solchen System beteiligen, so dass sich kein negativer Effekt auf die Geburtenzahl ergeben kann.

188

3. Alterssicherung und Konsummotiv der Kindererziehung

DE:1891

40 35

DÄ:1921

30 25 20 F:1910

15

B:1924

10 5

Deutschland

Belgien

Dänemark

1969

1962

1955

1948

1941

1934

1927

1920

1913

1906

1899

1892

1885

1878

1871

1864

1857

0 1850

Lebendgeborene je 1000 Einwohner

45

Frankreich

Quellen: Flora (1983, S. 454); Flora (1987, S. 41 ff.).

Abbildung 3.1: Lebendgeborene je 1000 Einwohner 1850–1975 sowie Einführungszeitpunkte obligatorischer öffentlicher Alterssicherungssysteme in Deutschland (DE), Belgien (B), Dänemark (DÄ) und Frankreich (F)

40

N:1913

35 30 25 20 S:1913

15

IT:1919

10

E:1925

5

Italien

Niederlande

Schweden

1969

1962

1955

1948

1941

1934

1927

1920

1913

1906

1899

1892

1885

1878

1871

1864

1857

0 1850

Lebendgeborene je 1000 Einwohner

45

England

Quellen: Flora (1983, S. 454); Flora (1987, S. 41 ff.).

Abbildung 3.2: Lebendgeborene je 1000 Einwohner 1850–1975 sowie Einführungszeitpunkte obligatorischer öffentlicher Alterssicherungssysteme in Italien (IT), Niederlande (N), Schweden (S) und England (E)

3.5 Zusammenfassung und Diskussion

189

läufig99. Nach der Einführung öffentlicher Rentensysteme setzte sich der Geburtenrückgang in allen Staaten – unterbrochen nur durch das Geburtenhoch nach dem zweiten Weltkrieg und den Babyboom der 1950er und frühen 1960er Jahre – weiter fort, und die Geburtenzahlen sanken in den 1970er Jahren auf ungefähr ihr heutiges Niveau100. Diese Entwicklung lässt sich nicht allein anhand der in diesem Kapitel entwickelten Modelle erklären. Denn zum einen bieten diese Modelle keine Antwort auf die Frage, warum die Geburtenzahlen bereits vor den staatlichen Eingriffen in die individuellen Alterssicherungsentscheidungen deutlich gesunken sind. Und zum anderen ist es unwahrscheinlich, dass der negative Einkommenseffekt der Zwangsteilnahme an umlagefinanzierten Alterssicherungssystemen so stark ist, dass er den fortgesetzten Geburtenrückgang nach der Einführung dieser Systeme allein hervorgerufen haben kann. Dies gilt umso mehr, wenn man bedenkt, dass die Realeinkommen im Betrachtungszeitraum um ein Vielfaches zugenommen haben. Der durch die implizite Einkommensbesteuerung ausgelöste negative Einkommenseffekt dürfte ganz einfach zu klein sein, um zu einem nennenswerten Geburtenschwund zu führen101. Dadurch ändert sich zwar nichts daran, dass mit der individuellen Erziehung von Kindern durch die Existenz umlagefinanzierter Alterssicherungssysteme eine beachtliche positive Konsumexternalität einhergehen kann102. Zur ökonomischen Rechtfertigung der Berücksichtigung individueller Erziehungsleistungen bei der Rentenbemessung ist es daher nicht notwendig nachzuweisen, dass die Einführung umlagefinanzierter Alterssicherungssysteme zu einem Geburtenrückgang führt103. Eine Vielzahl empirischer Unter99 Man könnte einwenden, dass die Gesetzliche Rentenversicherung Deutschlands in ihren Anfangsjahren nach dem Kapitaldeckungsverfahren organisiert war, so dass mit den in diesem Kapitel entwickelten Modellen kein negativer Effekt auf die Geburtenentscheidungen abgeleitet werden kann. Tatsächlich beinhaltete die GRV aber bereits in ihren Anfangsjahren starke Umlageelemente, vgl. hierzu auch Fn. 2 im ersten Kapitel. Zudem wurden die im Rahmen der GRV gebildeten Zwangsersparnisse nicht auf dem Kapitalmarkt zum Marktzins angelegt, sondern zum Ankauf von Staatsanleihen und mithin (versteckt) zur Finanzierung des Staatshaushalts verwendet, vgl. z. B. Zöllner (1982, S. 45). Eine explizite Verzinsung der gesetzlichen Renten war daher überhaupt nicht vorgesehen, vgl. Haerendel (2001, S. 119 f.). 100 In einigen Staaten – z. B. in Deutschland – sind die Geburtenzahlen seither noch weiter gesunken, in anderen Staaten – z. B. in Schweden – haben sie wieder etwas zugenommen. In historischer Perspektive verharren sie aber seit den 1970er Jahren in allen betrachteten Staaten auf sehr niedrigem Niveau. 101 Vgl. zum Ausmaß der impliziten Besteuerung z. B. Abbildung 2.17 auf Seite 101. 102 Bereits in Abschnitt 3.2.4 wurde darauf aufmerksam gemacht, dass die positive Konsumexternalität der Kindererziehung nichts mit dem unter Umständen zu beobachtenden Rückgang der Geburtenzahlen nach der Einführung umlagefinanzierter Alterssicherungssysteme zu tun hat. Vgl. hierzu auch Fn. 49. 103 Kögel (2006) unterliegt diesem Trugschluss.

190

3. Alterssicherung und Konsummotiv der Kindererziehung

suchungen belegt jedoch, dass von umlagefinanzierten Alterssicherungssystemen trotz des bereits vorangegangenen Geburtenrückgangs ein statistisch signifikanter negativer Effekt auf die Fertilitätsrate ausgeht. Dieses Resultat ergibt sich dabei sowohl bei der Querschnittsbetrachtung verschiedener Staaten104 als auch bei der Längsschnittanalyse einzelner Staaten105. Wenn mithin ein Geburtenrückgang – zumindestens im Ausmaß – nicht mithilfe von Modellen erklärt werden kann, die allein ein Konsummotiv der Kindererziehung unterstellen, dann scheint die Einführung bzw. Existenz umlagefinanzierter Alterssicherungssysteme tiefer in die individuellen Kindererziehungsentscheidungen einzugreifen, als es allein mit diesem Motiv beschrieben werden kann. Es ist daher anzunehmen, dass Individuen neben dem Konsummotiv auch andere Kindererziehungsmotive haben. Die Berücksichtigung dieser Motive könnte dazu dienen, sowohl den Geburtenrückgang vor, als auch den fortgesetzten Geburtenrückgang nach der Einführung umlagefinanzierter Alterssicherungssysteme zu erklären. Die zuletzt angestellten Überlegungen leiten zu einem zweiten Indiz dafür über, dass die in diesem Kapitel entwickelten Modelle die Realität noch nicht hinreichend genau abbilden. Es ergibt sich aus der Problematik, aus den bislang verwendeten Modellen eine Begründung für die Einführung obligatorischer öffentlicher Alterssicherungssysteme und ihre spezifische Organisation im Umlageverfahren abzuleiten. In Kapitel 1. wurde beschrieben, dass es in einem relativ begrenzten Zeitraum zwischen dem Ende des 19. und den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts in allen entwickelten Volkswirtschaften zu Staatseingriffen in die individuellen Alterssicherungsentscheidungen gekommen ist. Diese Eingriffe fanden dabei weit überwiegend in Form einer Verpflichtung zur Teilnahme an umlagefinanzierten Alterssicherungssystemen statt. Von den alternativen Möglichkeiten eines kapitalgedeckten öffentlichen Alterssicherungssystems oder eines Zwangs zur privaten Altersvorsorge wurde hingegen kaum Gebrauch gemacht. Wie können Zeitpunkt und spezifische Form dieser Staatseingriffe begründet werden? Wenn Eltern ihre Kinder zu allen Zeiten nur aus konsumtiven Gründen 104 Vgl. Friedlander/Silver (1967), Hohm (1975), Entwistle/Winegarden (1984), Ehrlich/Zhong (1998), Song (1999), Boldrin/Denardi/Jones (2005) und Ehrlich/Kim (2005). Boldrin/Denardi/Jones (2005, S. 33 f.) schätzen auf Grundlage einer Querschnittsbetrachtung, dass eine Erhöhung des Beitragssatzes zu einem umlagefinanzierten Alterssicherungssystem um 10 Prozentpunkte zu einem Rückgang der durchschnittlichen Geburtenzahl pro Frau zwischen 0,7 und 1,6 führt. 105 Vgl. Nugent/Gillaspy (1983), Swidler (1986), Cigno/Rosati (1992, 1996), Cigno/Casolaro/Rosati (2001) und Boldrin/Denardi/Jones (2005). Boldrin/Denardi/ Jones (2005, S. 35 f.) schätzen auf Grundlage von Längsschnittsbetrachtungen verschiedener Staaten, dass ein Anstieg des Beitragssatzes zum Umlagesystem von 5% auf 15% zu einem Rückgang der durchschnittlichen Geburtenzahl pro Frau zwischen 1 und 1,8 führt.

3.5 Zusammenfassung und Diskussion

191

erzogen und dementsprechend ihre Alterssicherung unabhängig von der Erziehung eigener Nachkommen organisiert haben, dann fällt eine solche Begründung offensichtlich schwer. Denn warum sollten Staaten plötzlich gehäuft Systeme installieren, die Ruhestandsgenerationen den Zugriff auf die Einkommen ihrer Nachfolgegenerationen gewähren und Renten an die zum Einführungszeitpunkt bereits alten Generationen auszahlen? Hatten diese Generationen nicht selbst vorgesorgt? Weshalb sollten sie nun auch noch staatliche Rentenleistungen erhalten? Mit Zwangssparen lässt sich die Einführung von Umlagesystemen vor diesem Hintergrund jedenfalls kaum erklären, denn dann wäre die Leistungsberechtigung der ersten Altengenerationen nicht notwendig gewesen. Es scheint somit, dass der Grund für den Staatseingriff in einer unzureichenden Alterssicherung gerade der zum Einführungszeitpunkt bereits alten Generation gelegen hat. Doch warum erkannten nur die am Ende des 19. Jahrhunderts bereits relativ weit entwickelten Staaten plötzlich die Notwendigkeit zu Eingriffen in die individuellen Altersvorsorgeentscheidungen? Man sollte doch annehmen, dass in diesen Staaten weit bessere und sicherere Möglichkeiten einer privaten Organisation der Altersvorsorge als in weniger entwickelten Staaten existierten. Die geschilderten Zusammenhänge geben zu der Vermutung Anlass, dass die Ruheständler des Einführungszeitpunktes öffentlicher Rentensysteme ihre Altersvorsorge auf eine andere Säule als (Sach-)Kapitaldeckung gestützt hatten, eine Säule, die zwischen dem Ende des 19. und den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts plötzlich brüchig wurde. Möglicherweise hatten sie bei ihrer Altersvorsorge auf Humankapitaldeckung in Form der Erziehung und Ausbildung eigener Kinder gesetzt. Mit anderen Worten: Unter Umständen existierte ein aktives Investitionsmotiv der Kindererziehung, das sich jedoch als nicht vollständig kompatibel mit den Erfordernissen erwies, die typischerweise mit der zunehmenden Entwicklung und Industrialisierung von Volkswirtschaften einhergehen. Der Frage, welche Interdependenzen öffentliche Alterssicherungssysteme und individuellen Erziehungsentscheidungen unter der Annahme investiver Erziehungsmotive aufweisen, wird im folgenden Kapitel 4. nachgegangen.

4. Umlagefinanzierte Alterssicherung und Investitionsmotiv der Kindererziehung 4.1 Einführung Am Ende des letzten Kapitels wurde die Vermutung geäußert, dass elterlichen Erziehungsentscheidungen neben dem Konsummotiv – oder an seiner statt – ein Investitionsmotiv zu Grunde liegt. Ist das Investitionsmotiv der Kindererziehung aktiv, so werden Kinder nicht – oder nicht nur – aus ideellen Gründen erzogen. Vielmehr erwarten Eltern von ihren Nachkommen eine materielle Gegenleistung für den zu ihren Gunsten vorgenommenen Erziehungsaufwand. Diese Gegenleistungen können in Form von monetären Transfers und/oder Dienstleistungen erbracht werden1. Die Annahme investiver Motive der Kindererziehung hat erst in den 1970er Jahren unter der Bezeichnung „Old-Age-Security-Hypothesis“ Einzug in formale ökonomische Modelle mit endogener Fertilität gefunden2. In diesen Modellen dienen Kinder nur3 oder auch4 der Alterssicherung. Zumeist wird die Fertilität in ökonomischen Modellen jedoch über die Annahme konsumtiver Erziehungsmotive endogenisiert. Diese Beschränkung wird häufig damit begründet, dass das Investitionsmotiv der Kindererziehung zwar geeignet sei, familiale Entscheidungen in Volkswirtschaften geringen Entwicklungsgrades – wenigstens zum Teil – zu erklären, dass es aber in entwickelten Volkswirtschaften keine Rolle mehr spiele, weil in diesen Staaten effizientere Formen der Alterssicherung zur Verfügung stünden5. Doch selbst wenn es zutreffen sollte, dass das Investitionsmotiv der Kindererziehung in entwickelten Volkswirtschaften im Ergebnis keine Rolle mehr spielt, so ist das 1

So können z. B. auch Besuche oder Telefonanrufe unter den Bereich der „Gegenleistungen“ fallen, wenn sie explizit als Folge des vorgenommenen Erziehungsaufwandes angesehen werden. 2 Vgl. für ein frühes Modell z. B. Neher (1971). Implizit angenommen wurden solche Fertilitätsmotive in der ökonomischen Diskussion bereits weit früher. So z. B. in Schreiber (1955), dessen Vorstellung von über ihren Lebenszyklus eigenverantwortlichen Individuen implizit von einem Vorherrschen investiver Motive der Kindererziehung bzw. kreditärer Beziehungen zwischen den Mitgliedern verschiedener Generationen einer Familie ausgeht. 3 Z. B. in Willis (1982), Bental (1989), Nishimura/Zhang (1992, 1995) und Park (1995). 4 Z. B. in Wigger (1999) und Werding (2003). 5 So als Beispiel für viele andere Stark (1999, S. 14) und Kögel (2006, S. 4).

4.1 Einführung

193

nicht gleichbedeutend damit, dass es im Entscheidungskalkül der Individuen nicht mehr vorhanden ist6. Vielmehr könnte es lediglich „inaktiv“ sein, d.h.: Es ist in den Motiven der Individuen noch vorhanden, aber die Unmöglichkeit, es unter den gegebenen Bedingungen durchzusetzen, führen zu seiner Inaktivität bei der Bestimmung der individuell optimalen Geburtenzahl und/oder bei der Entscheidung für eine bestimmte Erziehung/Ausbildung eigener Nachkommen. Unter diesem Gesichtspunkt ist die Annahme investiver Erziehungsmotive gerade auch bei der Untersuchung von Entscheidungsprozessen in entwickelten Volkswirtschaften geboten. Denn wenn der Erziehung von Kindern in diesen Volkswirtschaften tatsächlich kein investiver Charakter mehr zukommt, so sollte geklärt und nicht lediglich angenommen werden, warum das der Fall ist. Eine grundlegende Schwierigkeit bei der Modellierung eines Investitionsmotivs der Kindererziehung besteht darin, zu erklären, auf welche Weise Eltern den Erhalt einer Gegenleistung für den von ihnen zugunsten ihrer Kinder erbrachten Erziehungs- und Ausbildungsaufwand sicherstellen können. Denn üblicherweise können Eltern mit ihren Kindern keine rechtlich bindenden Verträge abschließen, die letztere zur Vornahme einer solchen Gegenleistung verpflichten. Verschiedene Autoren umgehen diese Schwierigkeit, indem sie einen fixen und exogen gegebenen – vorgeblich durch gesellschaftliche Normen bestimmten – Transfer unterstellen, den Nachkommen an ihre Eltern leisten, wenn diese sich in der Ruhestandsphase befinden7. Eine solche Annahme ist jedoch höchst unbefriedigend, denn sie impliziert, dass Individuen Entscheidungen über die Zahl und Ausbildung ihrer Nachkommen einem rationalen Kalkül folgend treffen, ihr Verhalten den Eltern gegenüber zur gleichen Zeit aber vollkommen fremdbestimmt ist. Gesellschaftliche Normen haben sicherlich einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf das intergenerationale Verhalten von Individuen. Sie üben diesen Einfluss aber typischerweise in beide Wirkungsrichtungen aus. Zudem wird nicht erklärt, wie die unterstellten gesellschaftlichen Normen entstehen und welchem Zweck sie dienen. Selbst wenn ein starker Einfluss gesellschaftlicher Normen auf das individuelle Verhalten vorliegt, so ist dennoch anzunehmen, dass die Erfüllung dieser Normen aus Sicht der Handelnden nicht völlig irrational bzw. gegen die eigenen Interessen gerichtet ist. Andere Autoren nehmen an, dass ein ausgeprägter Altruismus gegenüber den eigenen Eltern die Sicherstellung der von diesen erwarteten Gegenleistungen garantiert8. Ebenso wie bei der Annahme exogen gegebe6

Vgl. hierzu auch die Ausführungen in Abschnitt 3.1. So z. B. Nerlove/Razin/Sadka (1987), Bental (1989), Park (1995) und Werding (2003) in ihren Modellformulierungen. 8 So z. B. Nishimura/Zhang (1992, 1995) und Wigger (1999) in ihren Ansätzen. 7

194

4. Alterssicherung und Investitionsmotiv der Kindererziehung

ner Transfers der Nachkommen an ihre Eltern wird also auch hier eine unbefriedigende Inkonsistenz im individuellen Entscheidungskalkül angenommen9. Zudem scheint die Annahme, dass sich Individuen ihren Eltern gegenüber vollkommen altruistisch verhalten, während sie ihre Kinder lediglich als Anlagegüter zur Gewährleistung des Alterskonsums betrachten, stark kontrafaktisch zu sein10. Notwendig für die Untersuchung des Investitionsmotivs der Kindererziehung ist daher eine konsistente Modellformulierung, die davon absieht, intergenerationale Transfers einer Richtung als egoistisch und rational und intergenerationale Transfers in die andere Richtung als altruistisch und/oder irrational anzunehmen. In den Ausführungen dieses Kapitels wird dieser Notwendigkeit Rechnung getragen, indem unterstellt wird, dass Individuen weder ihren Nachkommen noch ihren Eltern gegenüber altruistisch motiviert sind. Intergenerationale Leistungs- und Gegenleistungspflichten werden stattdessen über ein System impliziter intergenerationaler Verträge bestimmt. Die vorgenommene Untersuchung baut dabei auf einem von Cigno (1993, 2003, 2006) entwickelten Ansatz auf, dieser wird jedoch wesentlich erweitert und erstmals bei der Analyse umlagefinanzierter Alterssicherungssysteme verwendet. Die Annahme völlig egoistischer Individuen und rein investiver Kindererziehungsmotive entspricht mit großer Wahrscheinlichkeit nicht der Realität. So werden z. B. in industrialisierten Staaten auch heute noch Kinder geboren, obwohl das Investitionsmotiv der Kindererziehung in diesen Volkswirtschaften – aus Gründen, die in den folgenden Abschnitten deutlich werden – bei der Entscheidung für oder gegen die Erziehung eines Kindes keine große Rolle mehr spielen dürfte. Es ist daher anzunehmen, dass es eine – individuell mehr oder weniger stark ausgeprägte – konsumtive Motivation zur Kindererziehung gibt, die unabhängig von etwaigen Gegenleistungen der Kinder vorhanden ist. In einem umfassenden formalen Modell müssten daher sowohl das Investitionsmotiv als auch das Konsummotiv der Kindererziehung Berücksichtigung finden. Aus zwei Gründen wird die Betrachtung hier dennoch allein auf das Investitionsmotiv beschränkt. Der erste Grund schließt direkt an die obigen Ausführungen an. Wenn man neben dem Investitionsmotiv auch ein Konsummotiv der Kindererziehung be9 Obwohl in den in Kapitel 3. entwickelten Modellen ebenfalls nur einseitiger Altruismus unterstellt wurde, weist ihre Formulierung die beschriebene Inkonsistenz nicht auf. Der Grund dafür ist darin zu sehen, dass private intergenerationale Transfers in diesen Modellen per Definition nur in einer Richtung vorkommen können. Im Unterschied dazu liegt es in der Natur investiver intergenerationaler Beziehungen, dass Leistungen Gegenleistungen bedingen und mithin intergenerationale Transfers in beiden Richtungen vorliegen können. 10 Sinn (2004, S. 1348) schreibt hierzu treffend: „Genetic evolution has been able to bring about forward looking altruism from parents to children, but not the other way round.“

4.1 Einführung

195

trachtet, dann muss in einer konsistenten Modellformulierung auch Altruismus von Kindern gegenüber ihren Eltern angenommen werden. Die Untersuchung einer Modellformulierung mit beidseitigem Altruismus ist analytisch jedoch kaum handhabbar. Zudem führt die gleichzeitige Annahme konsumtiver und investiver Motive dazu, dass Entscheidungen nicht mehr nur auf das eine oder andere Motiv zurückgeführt werden können. Die vorgenommene Konzentration auf das Investitionsmotiv erlaubt dagegen eine tiefere Betrachtung der Bedingungen für die Aktivität dieses Motivs sowie seiner Auswirkungen auf die spezifische Ausgestaltung – oder aber die Abwesenheit – von Transferbeziehungen zwischen den Angehörigen verschiedener Generationen einer Familie. Der zweite Grund für die Beschränkung auf das Investitionsmotiv liegt darin, dass es für die qualitativen Ergebnisse dieses Abschnitts vollkommen ausreichend ist, für bestimmte Situationen zu zeigen, ob individuelle kinderbezogene Entscheidungen von diesem Motiv aktiv beeinflusst werden oder nicht11. Eine sich dabei ergebende Geburtenzahl von Null bedeutet dann z. B., dass bei rein investiven Motiven der Kindererziehung keine Kinder geboren würden, die Geburtenzahl mit einem hinzutretenden Konsummotiv hingegen einen positiven Wert annimmt, der aber immer noch strikt kleiner ist, als er es bei einem aktiven Investitionsmotiv sein würde. Die Besonderheit der in diesem Kapitel vorgenommenen Untersuchung liegt darin, dass sie über die simple Annahme der Existenz intergenerationaler Transferbeziehungen hinausgeht. Vielmehr wird hinterfragt, warum Investitionen in die eigenen Nachkommen und die Erbringung von Gegenleistungen für in Anspruch genommene Investitionen sowohl aus individueller als auch aus gesamtgesellschaftlicher Sicht vorteilhaft sein können und welche Rolle die ökonomischen Umgebungsbedingungen in Bezug darauf spielen, ob solche Arrangements überhaupt möglich sind. Die Frage der gesamtgesellschaftlichen Vorteilhaftigkeit intergenerationaler Investitionsbzw. Kreditbeziehungen ist grundlegend für die Beurteilung der Effizienz bestimmter privater und/oder staatlicher Transferarrangements. Sie wird in Abschnitt 4.2 beantwortet. Die Untersuchung der individuellen Vorteilhaftigkeit intergenerationaler Investitionsbeziehungen im Rahmen des Familienverbandes dient der Identifikation jener Bedingungen bzw. Umstände, die solche Beziehungen auf freiwilliger und privater Basis erst ermöglichen. Sie ist Gegenstand von Abschnitt 4.3. Der Frage, welche Bedingungen die Existenz intrafamiliärer Investitionsbeziehungen erschweren oder behindern, wird in den Abschnitten 4.4 und 4.5 nachgegangen. In Abschnitt 4.4 wird dabei der Einfluss des Industrialisierungsprozesses untersucht. Die in Abschnitt 4.5 vorgenommene Analyse konzentriert sich auf die Auswirkungen 11

So auch Boldrin/Montes (2005, S. 2), und Cigno (1993, S. 505).

196

4. Alterssicherung und Investitionsmotiv der Kindererziehung

von Staatseingriffen im Bereich der Altersvorsorge. Ebenso wie im dritten Kapitel dient die vorgenommene Untersuchung der Beantwortung der drei im Eingangskapitel genannten Fragestellungen. Hinterfragt wird mithin, ob eine Berücksichtigung der individuellen Kindererziehungsleistung bei der Rentenbemessung mithilfe des in diesem Kapitel entwickelten Modells gerechtfertigt werden kann und wie eine solche Berücksichtigung ggf. aussehen sollte. Zudem wird untersucht, ob das hier vorgestellte Modell in der Lage ist, die Einführung öffentlicher Alterssicherungssysteme und die nach der Einführung zu beobachtende Entwicklung zu erklären. Im abschließenden Abschnitt 4.6 des vorliegenden Kapitels wird schließlich diskutiert, ob mit umlagefinanzierten Alterssicherungssystemen vor dem Hintergrund der in den vorangegangenen Abschnitten gefundenen Ergebnisse nicht weitere – über die Gewährleistung von Altersvorsorge hinausgehende – Ziele erreicht werden könnten und wie diese Alterssicherungssysteme zur diesem Zweck organisiert sein müssten.

4.2 Die gesamtgesellschaftliche Vorteilhaftigkeit intergenerationaler Transferbeziehungen 4.2.1 Intergenerationale Transferbeziehungen auf einem vollkommenen Markt Bevor in den folgenden Abschnitten die individuelle Vorteilhaftigkeit intergenerationaler Transferbeziehungen untersucht wird, ist es sinnvoll, zunächst einmal einen Referenzmaßstab zu bestimmen, der die Beurteilung der Effizienz solcher Arrangements ermöglicht. Ausgangspunkt der Untersuchung in diesem und allen folgenden Abschnitte ist dabei die Annahme rein egoistisch motivierter Individuen. Abweichend von allen folgenden Abschnitten dieses Kapitels werden in diesem Teilabschnitt jedoch drei besondere Annahmen getroffen. Erstens wird davon ausgegangen, dass Individuen bereits in ihrer Jugendphase Entscheidungen treffen können12. Insbesondere können sie in dieser Lebensphase selbst darüber bestimmen, wie viel Ausbildung sie in Anspruch nehmen wollen. Diese Annahme ist notwendig, da nur auf diese Weise in späteren Abschnitten beurteilt werden kann, ob die von Eltern vorgenommenen Ausbildungsinvestitionen aus Sicht ihrer Kinder optimal sind. Zweitens wird in diesem Abschnitt von einer exogen gegebenen Geburtenzahl ausgegangen, so dass lediglich über das Ausbildungsniveau endogen bestimmt wird. Zur Vereinfachung wird 12

Das in diesem Abschnitt entwickelte Modell lehnt sich dabei an einen von Boldrin/Montes (2005) entwickelten Ansatz an, der wiederum auf das Lebenszyklusmodell von Ando/Modigliani (1963) aufbaut.

4.2 Gesellschaftliche Vorteilhaftigkeit von Transferbeziehungen

197

dabei zusätzlich angenommen, dass sich die Bevölkerungsgröße im Zeitablauf nicht verändert, so dass Nt ã N€ ist. Diese Annahme widerspricht offensichtlich der sonst in dieser Untersuchung vertretenen Ansicht, dass gerade die Exogenisierung der Bevölkerungsentwicklung bei der Analyse umlagefinanzierter Alterssicherungssysteme zu Trugschlüssen führen kann. Die Exogenisierung der Geburtenzahl dient an dieser Stelle aber allein dem Ziel, die gesamtgesellschaftliche Vorteilhaftigkeit intergenerationaler Transferarrangements bzw. der Kooperation rein egoistisch motivierter Mitglieder verschiedener Generationen zu erläutern. Folgerungen werden erst in den folgenden Abschnitten gezogen, in denen die Fertilität wiederum endogenisiert wird. Die Annahme einer exogenen Geburtenzahl ist an dieser Stelle notwendig, da es in der betrachteten Ökonomie ansonsten zu keiner Reproduktion kommen würde – Kinder würden nur Kosten verursachen, aber keinen Ertrag erbringen. Erst die im folgenden Kapitel eingeführten impliziten Verträge zwischen Mitgliedern einer Familie können die Erziehung eigener Kinder auch unter der Annahme rein egoistisch motivierter Individuen rationalisieren. Da es in diesem Abschnitt jedoch zunächst nur rein abstrakt um die Vorteilhaftigkeit intergenerationaler Transferbeziehungen aus gesamtgesellschaftlicher Sicht gehen soll, kann von intrafamiliären Beziehungen abstrahiert werden, zumal die Annahme einer gegebenen Geburtenzahl an den grundlegenden Einsichten dieses Teilabschnitts nichts ändert. Drittens wird in diesem Abschnitt eine geschlossene Volkswirtschaft unterstellt. Die in diesem Teilabschnitt angestellten Untersuchungen ließen sich grundsätzlich auch unter der Annahme einer kleinen, offenen Volkswirtschaft durchführen. Die Annahme einer geschlossenen Volkswirtschaft wird hier jedoch vorgezogen, um die prinzipielle Gleichwertigkeit von Investitionen in Sachkapital und Ausbildung bzw. Humankapital zu betonen und die Folgen von (gesamtgesellschaftlichen) Unter- oder Überinvestitionen in eine der beiden Anlagearten deutlicher herauszustellen. Wie in Kapitel 3. sei auch hier angenommen, dass alle Individuen identisch sind, jedes Individuum in seinem Lebenszyklus mit Sicherheit drei Phasen gleicher Länge durchlebt – eine Jugend-, eine Erwerbstätigkeits- und eine Ruhestandsphase – und dass die betrachteten Individuen nur in ihrer mittleren Lebensphase Erwerbseinkommen erzielen können. Der Konsum in der Jugendphase eines Individuums werde – auf existenzminimalem Niveau – von den jeweiligen Eltern finanziert13, der Konsum in den beiden übrigen Lebensphasen durch die intertemporale Allokation des in der Erwerbstätigkeitsphase verdienten Einkommens. Das Nutzenniveau der Jugendphase sei 13 Egoistische Eltern haben keinen Anreiz, ihren Kindern mehr als den existenzminimalen Konsum zu finanzieren. Gleichzeitig muss angenommen werden, dass sie wenigstens für das Existenzminimum garantieren, da die betrachtete Volkswirtschaft ansonsten trotz positiver Geburtenrate aussterben würde.

198

4. Alterssicherung und Investitionsmotiv der Kindererziehung

auf Null normiert. Der Lebensnutzen eines Individuums ergibt sich somit allein aus dem materiellen Konsum in der Erwerbstätigkeits- und Ruhestandsphase. Die Nutzenfunktion eines in t  1 geborenen Individuums sei zur Vereinfachung erneut als additiv-separabel unterstellt und laute: È4:1ê

1 t1 1 U t  1 ã UÈctt  1 ; ctt  ê þ ut þ 1 Èctt  þ 1 ê ã ut Èct þ 1ê

ut und ut þ 1 seien jeweils zweifach differenzierbare, streng zunehmende und konkave Funktionen. Der gesamtwirtschaftliche Output Yt der betrachteten Volkswirtschaft werde in jeder Periode t mithilfe einer neoklassischen Produktionstechnologie mit konstanten Skalenerträgen und durch den Einsatz der Produktionsfaktoren Sachkapital Kt und Humankapital Ht produziert, so dass die Produktionsfunktion Yt ã FÈKt ; Ht ê lautet. Dabei sei Ht ã N€ht , wobei ht die Humankapitalausstattung eines repräsentativen Individuums bezeichnet. In intensiver Form lautet die volkswirtschaftliche Produktionsfunktion mithin:  È4:2ê

yt ã f

 Kt ; 1 ã f È kt ê Ht

k gibt dabei die Kapitalintensität in Termini der Humankapitalausstattung pro Kopf an. Auf den Faktormärkten herrsche vollkommener Wettbewerb, so dass die Produktionsfaktoren nach ihren Grenzprodukten entlohnt werden. Bezeichnet man die Verzinsung des Sachkapitals mit r SK und den Lohnsatz mit wt , so gilt in Periode t È1 þ rtSK ê ã f 0 Èkê und wt ã f Èkê  kf 0 Èkê. wt gibt dabei, ebenso wie in Kapitel 3.4, den Lohnsatz pro Humankapitaleinheit an. Die Humankapitalausstattung h in der Erwerbstätigkeitsphase eines Individuums ergebe sich, indem es in seiner Jugendphase eine Ausbildungsaktivität e mit der ihm zur Verfügung stehenden Ausbildungszeit g kombiniert. Von einem staatlich finanzierten oder subventionierten Ausbildungssystem sei abstrahiert, so dass die gesamte Ausbildungsaktivität privat finanziert werden muss. Der Preis der Ausbildungsaktivität sei dabei auf 1 normiert, die Ausbildungszeit g exogen gegeben14. Die Humankapitalproduktionsfunktion lautet für ein in t  1 geborenes Individuum somit: 14

Die Ausbildungszeit g steht hier für die Eigenleistung, die Individuen bei der Akkumulation von Humankapital erbringen. Wenn die Individuen zur Humankapitalakkumulation keine Eigenleistung beisteuern würden, sie aber zur Finanzierung ihrer Ausbildung einen Kredit aufnehmen müssen, der verzinst mit dem Grenzertrag der Ausbildungsaktivität eine Periode später zurückzuzahlen ist, dann müsste ihr gesamtes Erwerbseinkommen für die Tilgung und Zinslast des Kredites verwenden werden. Den Individuen würden dann keine Mittel zur Finanzierung ihres Konsums bleiben.

4.2 Gesellschaftliche Vorteilhaftigkeit von Transferbeziehungen È4:3ê

ht ã hÈet  1 ; gt  1 ê

Dabei lim

et  1 !0

199

dht > det  1 ã 1.

sei

dht det  1

0,

d 2 ht < de2t  1

0,

lim

et  1 !1

dht ã0 det  1

und

Da die betrachteten Individuen in ihrer Jugendphase über kein eigenes Einkommen oder Vermögen verfügen, kein öffentlich finanziertes Ausbildungssystem existiert und sie zudem über die Finanzierung ihres Konsums hinaus keine Transfers oder Erbschaften von ihren Eltern erhalten, können sie ihre Ausbildung nur über die Aufnahme von Krediten finanzieren. Unterstellt sei, dass ein vollkommener Markt zur Aufnahme von Ausbildungskrediten existiert. Da nur jene Individuen einen Anreiz zur Vergabe von Krediten haben, die sich gerade in der Erwerbstätigkeitsphase befinden, müssen die Ausbildungskredite einer Periode aus einem Teil der von ihnen gebildeten Ersparnisse stammen15. Bezeichnet man die in Form von Ausbildungskrediten angelegten Ersparnisse der Individuen mit sHK und die in Sachkapital angelegten Ersparnisse entsprechend mit sSK , dann lautet die Budgetrestriktion eines in t  1 geborenen Individuums – unter den getroffenen Annahmen einer konstanten Bevölkerungsgröße, eines Preises der Ausbildungsaktivität von 1 und eines komplett von den eigenen Eltern finanzierten existenzminimalen Konsums – in der Jugendphase: È4:4ê

et  1 ã sHK t1

Während der Erwerbstätigkeitsphase erziele jedes Individuum durch das unelastische Angebot einer Arbeitseinheit am Arbeitsmarkt ein Erwerbseinkommen in Höhe von wt ht Èet  1 ; gt  1 ê. Aus diesem Einkommen muss es den in der Vorperiode aufgenommenen und mit dem Marktzins rt verzinsten Ausbildungskredit et  1 zurückzahlen. Das verbleibende Einkommen verwendet es für den Konsum der Erwerbstätigkeitsphase und für die Bildung von Ersparnissen, die der Finanzierung des Alterskonsums dienen. Seine Ersparnisse st kann es dabei in Form von Humankapital oder Sachþ sSK ist. Die Budgetrestriktion seiner Erkapital anlegen, so dass st ã sHK t t werbstätigkeitsphase lautet unter Berücksichtigung von (4.4) somit: È4:5ê

HK ctt  1 ã wt ht ÈsHK t  1 ; gt  1 ê  È1 þ rt êst  1  st

15 In der Jugendphase haben die Individuen keine Mittel, in der Ruhestandsphase keine Motivation zur Vergabe von Krediten.

200

4. Alterssicherung und Investitionsmotiv der Kindererziehung

In der Ruhestandsphase konsumieren die Individuen ihre verzinsten Ersparnisse der Vorperiode. Je nach dem, in welcher Form die Mitglieder der betrachteten Volkswirtschaft ihre Ersparnisse angelegt haben, ergibt sich der Marktzinsfaktor È1 þ rt þ 1 ê gemäß: È4:6ê

È1 þ rt þ 1 ê ã

HK HK È1 þ rtSKþ 1 êsSK t þ È1 þ rt þ 1 êst st

r HK bezeichnet dabei die Verzinsung von Anlagen in Humankapital. Unter Berücksichtigung von (4.6) lautet die Budgetrestriktion der Ruhestandsphase mithin: 1 ctt  þ 1 ã È1 þ rt þ 1 êst

È4:7ê

Setzt man (4.5) und (4.7) in (4.1) ein, dann lässt sich die Nutzenfunktion eines repräsentativen Individuums umformulieren zu: È4:8ê

 HK U t  1 ã ut Èwt ht ÈsHK t  1 ; gt  1 ê  È1 þ rt êst  1  st ê þ ut þ 1 È1 þ rt þ 1 êst

Jedes Individuum maximiert (4.8) durch die optimale Wahl des in Anspruch genommenen Ausbildungskredites sHK t  1 in der Jugendphase und durch optimale Ersparnisbildung st in der Erwerbstätigkeitsphase. Die Bedingungen 1. Ordnung für ein Nutzenmaximum lauten dann:

È4:9aê

  dU t  1 dht ÈsHK t  1 ; gt  1 ê 0 ã u w  È1 þ r ê ã 0 bzw: t t t dsHK dsHK t1 t1 wt

È4:9bê

dht ÈsHK t  1 ; gt  1 ê ã È1 þ rt ê dsHK t1

dU t  1 u0 ã u0t þ È1 þ rt þ 1 êu0t þ 1 ã 0 bzw: 0 t ã È1 þ rt þ 1 ê dst ut þ 1

Gleichung (4.9b) gibt die aus dem vorherigen Kapitel bekannte Bedingung für die optimale intertemporale Konsumallokation an, wonach die Grenzrate der Substitution zwischen Gegenwarts- und Zukunftskonsum dem Zinsfaktor entsprechen muss. Gleichung (4.9a) beschreibt die Bedingung für die optimale Höhe des in der Jugendphase in Anspruch genommenen Ausbildungskredites: Im Optimum muss der Grenzertrag der mit dem Ausbildungskredit finanzierten Ausbildungsaktivität – also das dadurch erzielte zusätzliche Einkommen – den Grenzkosten des Ausbildungskredites – also dem (zusätzlichen) Zinsaufwand – entsprechen.

4.2 Gesellschaftliche Vorteilhaftigkeit von Transferbeziehungen

201

Offen ist soweit noch, wie die Individuen ihre in der Erwerbstätigkeitsphase gebildeten Ersparnisse auf Anlagen in Sach- und Humankapital aufteilen. Um dies zu klären, sei auf Gleichung (4.6) zurückgegriffen. Unter Verwendung von (4.2) lässt sich diese Gleichung umformulieren zu: È4:10ê

   0  SK dht þ 1 ÈsHK t ; gt ê È1 þ rt þ 1 êst ã f Èkê st þ wt þ 1 sHK t dsHK t

Gemäß der oben abgeleiteten Bedingung (4.9a) muss im Optimum dht þ 1 ÈsHK t ; gt ê ã È1 þ rt þ 1 ê sein. Setzt man diese Beziehung in (4.10) wt þ 1 dsHK t ein, so ergibt sich: È4:11ê

  HK È1 þ rt þ 1 êst ã f 0 Èkê sSK t þ È1 þ rt þ 1 êst

HK SK Berücksichtigt  man nun, dass st ã st  st ist, dann lässt sich (4.11) zu 0 SK È1 þ rt þ 1 êst ã f Èkê st þ È1 þ rt þ 1 êst  È1 þ rt þ 1 êsSK bzw. f 0 Èkê sSK t t SK ã È1 þ rt þ 1 êst umformulieren. Daraus folgt direkt, dass der in Sachkapital angelegte Teil der Ersparnisse im Optimum gerade so hoch sein muss, dass die Bedingung

f 0 Èkê ã È1 þ rt þ 1 ê

È4:12ê

erfüllt wird. Unter Berücksichtigung von (4.9a) muss dann auch gelten, dass È4:13ê

f 0 Èkê ã

dht þ 1 ÈsHK t ; gt ê wt ã È1 þ rt þ 1 ê HK dst

ist. Im Optimum verteilen die Individuen mithin ihre Ersparnisse gerade so auf die Anlagemöglichkeiten Sach- und Humankapital, dass sich die Grenzerträge der beiden Anlageformen gerade entsprechen. Jede Abweichung von (4.12) bzw. (4.13) zieht Arbitragebewegungen nach sich. Sind z. B. die Anlagen in Humankapital bzw. die in Anspruch genommenen Ausbildungskredite so gering, dass (4.13) nicht erfüllt ist, so muss die Verzinsung von Humankapitalinvestitionen höher als die Sachkapitalverzinsung und wegen (4.6) auch höher als der Marktzins sein. Individuen in der Erwerbstätigkeitsphase werden daher einen größeren Teil ihrer Ersparnisse in Humankapital anlegen wollen, gleichzeitig ist die Aufnahme weiterer Ausbildungskredite für die sich in der Jugendphase befindenden Individuen vorteilhaft. Da beide Marktseiten davon profitieren, wird es folglich solange zu zusätzlichen Humankapitalinvestitionen kommen, bis (4.13) wieder erfüllt ist. Das

202

4. Alterssicherung und Investitionsmotiv der Kindererziehung

sich so ergebende Gleichgewicht ist effizient: Die Mitglieder der Jugendgeneration können genau den Betrag an Ausbildungskrediten aufnehmen, der Bedingung (4.9a) erfüllt. Die Mitglieder der Erwerbstätigengeneration teilen ihre Ersparnisse so auf die Anlageformen Sach- und Humankapital auf, dass die Gesamtverzinsung ihrer Ersparnisse maximiert wird. Zu jedem Zeitpunkt profitieren somit die Mitglieder aller Generationen von intergenerationalen Transferbeziehungen bzw. intergenerationaler Kooperation. Grundlage der in diesem Abschnitt dargestellten intergenerationalen Transferbeziehungen sind auf expliziten Vereinbarungen beruhende Vertragsbeziehungen zwischen den Mitgliedern jeweils dreier Generationen. Jedes Individuum geht im Laufe seines Lebenszyklus Vertrags- und Transferbeziehungen mit der Vorgängergeneration und mit der nachfolgenden Generation ein. In der Jugendphase haben die Individuen die Möglichkeit, von der Vorgängergeneration Mittel zur Finanzierung ihrer Ausbildung zu erlangen und so ihr Lebenseinkommen und ihren Lebensnutzen zu erhöhen. Darüber hinaus eröffnet sich den Individuen in ihrer Erwerbstätigkeitsphase die Möglichkeit, ihre Ersparnisse nicht nur in Sach-, sondern auch in das Humankapital der nachfolgenden Generation anzulegen und so die Rendite ihrer Anlagen zu erhöhen bzw. ihre Alterssicherung vorteilhafter zu gestalten16. Diese vorteilhaften Beziehungen zwischen Individuen und zwischen Generationen ergeben sich dabei, obwohl keinem Individuum etwas an den anderen Individuen liegt. Allein die „unsichtbare Hand“ des Marktes führt dazu, dass auch egoistische Individuen miteinander kooperieren, indem sie Vertragsbeziehungen miteinander eingehen und diese einhalten. Die Frage ist nur: Sind die in diesem Abschnitt getroffenen Annahmen plausibel und ist die dargestellte Marktlösung eines „Ausbildungskreditmarktes“ tatsächlich erreichbar? Dieser Frage wird im nächsten Teilabschnitt nachgegangen.

4.2.2 Das Versagen anonymer Ausbildungskreditmärkte Die sehr restriktiven Annahmen, die im vorangegangenen Teilabschnitt getroffenen werden mussten, um überhaupt die Existenz nachfolgender Generationen sicherstellen zu können, weisen bereits darauf hin, dass die dort dargestellte Modellwelt den in der Realität zu findenden Zusammenhängen vermutlich nicht entspricht. So mussten sowohl eine exogen gegebene Geburtenzahl als auch eine Finanzierung des existenzminimalen Konsums der 16

Ein weiterer Vorteil käme hinzu, wenn man davon ausgehen würde, dass die Anlagen in Sach- bzw. Humankapital risikobehaftet sind. In diesem Fall könnten die Individuen durch Diversifizierung ihres Ersparnisportfolios das Anlagerisiko verringern und so – wenn sie risikoavers sind – ihren Nutzen erhöhen. Vgl. hierzu v. a. Merton (1983).

4.2 Gesellschaftliche Vorteilhaftigkeit von Transferbeziehungen

203

Kinder durch die Eltern unterstellt werden, da Kinder anderenfalls nicht geboren würden bzw. keine Möglichkeit hätten, ihre Jugendphase zu überleben. Die Individuen wären sich zwar der Vorteilhaftigkeit intergenerationaler Transferarrangements bewusst, sie könnten diese aber auch ohne die Erziehung eigener Kinder über den anonymen Kapitalmarkt organisieren. Es würde sich mithin eine typische Kollektivgutproblematik ergeben: Die Erziehung von Kindern würde private Kosten verursachen, von einer „Nutzung“ der Kinder im Sinne einer Investition in ihre Ausbildung könnte jedoch niemand ausgeschlossen werden. Doch auch die Existenz eines Ausbildungskreditmarktes ist aus verschiedenen Gründen unwahrscheinlich. Das liegt vor allem daran, dass Individuen in ihrer Jugendphase – jedenfalls solange sie noch minderjährig sind – keine bindenden Verträge über die Aufnahme von Ausbildungskrediten und die Bedingungen ihrer späteren Tilgung abschließen können17. Solche Verträge könnten daher – in ihrem Namen – nur von Dritten, also z. B. von den eigenen Eltern, abgeschlossen werden. Da es jedoch zu Interessenkonflikten zwischen Eltern und Kindern kommen kann, sind im Namen der Kinder abgeschlossene Verträge, in denen diese nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet werden, ebenfalls nicht zulässig. Und nicht nur Dritten, sondern auch den eigenen Eltern gegenüber können Kinder nicht bindend verpflichtet werden18. Eltern können daher weder das Humankapital ihrer Kinder erwerben noch dieses als Kreditsicherheit an Dritte veräußern19. Ohne durchsetzbare Ansprüche gegenüber den Mitgliedern der Jugendgeneration ist aber jede zu ihren Gunsten vorgenommene Ausbildungsinvestition „versunken“20 und wird daher von egoistischen Individuen nicht durchgeführt – weder von den Eltern noch von anonymen Investoren21. 17

So z. B. auch Becker/Murphy (1988, S. 1). Jedenfalls nicht von den Eltern selbst. Es ist aber möglich, dass Kinder vom Staat zum Unterhalt ihrer Eltern verpflichtet werden, z. B. wenn letztere Sozialhilfe beziehen. Letztlich werden die Kinder dann aber vom Staat und nicht von den eigenen Eltern in Regress genommen. 19 Vgl. Ott (2002, S. 57). 20 Vgl. Rangel (2003, S. 813). 21 Selbst wenn es möglich wäre, dass sich Individuen in ihrer Jugendphase verpflichten, einen Teil ihres späteren Einkommens zur Rückzahlung von in Anspruch genommenen Ausbildungskrediten zu verwenden, gäbe es weitere Probleme, die das Zustandekommen solcher Verträge erschweren würden. Diese Probleme spielen zwar in den hier entwickelten Modellen keine Rolle, sollten aber nicht unerwähnt bleiben. So müssen Investitionen in das Humankapital von Kindern im Allgemeinen auf einen sehr langen Zeitraum angelegt sein. Der Zeitraum zwischen Investition und Rückzahlung kann bis zu 30 Jahre umfassen. Wenn die Beziehung zwischen (monetärem) Ausbildungsinput und dem Ausbildungsoutput in Form von Erwerbseinkommen nicht deterministisch ist, beinhalten Ausbildungsinvestitionen mithin ein hohes Anlagerisiko. Schwerwiegender noch dürfte aber sein, dass die Rückzahlung 18

204

4. Alterssicherung und Investitionsmotiv der Kindererziehung

Nimmt man alle aufgeführten Punkte zusammen, dann ist es wenig überraschend, dass in der Literatur zumeist pauschal eine auf Marktversagen zurückgehende Nicht-Existenz anonymer und privatwirtschaftlich organisierter Ausbildungskreditmärkte unterstellt wird22. Die einfache Annahme, dass privatwirtschaftlich organisierte Ausbildungskreditsysteme zwangsläufig nicht existieren können, ist jedoch auch kritisiert worden. So berücksichtigt z. B. der Ansatz von Kehoe/Levine (1993, 2000) die Möglichkeit, dass Kreditinstitute Mechanismen entwickeln können, die eine Rückzahlung von in Anspruch genommenen Ausbildungskrediten trotz der geschilderten Probleme sicherstellen. Auch in ihrer Modellwelt ist es nicht möglich, Eigentumsrechte am Humankapital anderer Individuen zu erwerben. Die Kreditgeber besitzen jedoch ein Druckmittel, mit dessen Hilfe die Rückzahlung von Ausbildungskrediten dennoch durchgesetzt werden kann: Wenn Individuen die Rückzahlung verweigern, wird ihnen die Nutzung des Kapitalmarktes zur intertemporalen Konsumallokation zwischen Erwerbstätigkeitsund Ruhestandsphase verwehrt. Wenn der ökonomische Nachteil dieser Maßnahme größer als der Vorteil ist, den Individuen aus der Unterlassung der Rückzahlung aufgenommener Ausbildungskredite ziehen, werden sie die Rückzahlung auch ohne rechtlich bindende Verpflichtung vornehmen. Das Modell von Kehoe/Levine (1993, 2000) weist in seiner Argumentation jedoch einen wesentlichen Schwachpunkt auf: Die für die Mechanik des Modells zentrale Androhung eines Ausschlusses vom Kreditmarkt würde von den Individuen nur dann bei der Entscheidungsbildung berücksichtigt werden, wenn sie auch glaubwürdig ist. Eine Drohung kann dann als glaubwürdig angesehen werden, wenn ihre Ausführung im Interesse des bzw. der Drohenden liegt. Die Existenz eines Wettbewerbsmarktes für Kapitalmarktprodukte mit einer Vielzahl miteinander konkurrierender Unternehmen vorausgesetzt, ist genau das aber nicht für alle Anbieter auf dem Kapitalmarkt der Fall. Ein Interesse an der Durchsetzung der Drohung haben nämlich immer nur jene Anbieter, die einen spezifischen Ausbildungskredit selbst vervon Ausbildungskrediten in Form von Teilen des Erwerbseinkommens zu einem ausgeprägten Moral-Hazard-Problem führt, wie v. a. Becker (1975) und Stiglitz/ Weiss (1981) gezeigt haben. Wenn Individuen die Jugendphase verlassen und in die Erwerbstätigkeitsphase eintreten, dann sind die von ihnen empfangenen Ausbildungskredite irreversibel. Es stellt sich daher für sie nur noch die Frage der nutzenmaximalen Verwertung des Humankapitals am Arbeitsmarkt. Die Verpflichtung, einen Teil des Erwerbseinkommens als Tilgung der Ausbildungskredite zurückzuzahlen, hat aus Sicht dieser Individuen dann einen reinen Steuercharakter und ihre Entscheidungen zur Verwertung des Humankapitals werden dementsprechend verzerrt. Anders ausgedrückt: Durch das Moral-Hazard-Risiko werden Investitionen in Humankapital für die Investoren weniger vorteilhaft. 22 So z. B. Boldrin/Montes (2005, S. 7), Cigno (2003, S. 8), Anderberg/Balestrino (2001, S. 2), Lindbeck/Weibull (1988), Becker/Murphy (1988, S. 15), Aiyagari (1993) und Huggett (1993).

4.2 Gesellschaftliche Vorteilhaftigkeit von Transferbeziehungen

205

geben haben. Für alle anderen Anbieter hingegen bedeutet die Durchsetzung der Drohung einen Verlust, denn es geht ihnen ein profitabler Kunde verloren23. Die Drohung ist somit nicht glaubwürdig. Der Grund für ihre Unglaubwürdigkeit liegt in der Anonymität eines hinreichend von Wettbewerb geprägten Kapitalmarktes24. Diejenige Institution, über die ein Ausbildungskredit bezogen wird, muss nicht jener entsprechen, über die später die Alterssicherung organisiert wird. Die Drohung wäre insofern nur dann glaubwürdig, wenn Humankapitalkredite und Alterssicherungsprodukte von einem Monopolisten angeboten würden. Auf dem Kapitalmarkt gibt es einen solchen Monopolisten aber im Regelfall nicht und ein monopolistischer Kapitalmarkt dürfte auch wenig wünschenswert sein. Doch trotz dieser Kritik wäre es falsch, die dem Modell von Kehoe/ Levine (1993, 2003) zugrunde liegende Idee eines auf der Androhung von Nachteilen beruhenden Mechanismus, der intergenerationale (Ausbildungs-)Kreditbeziehungen trotz der Unmöglichkeit des Erwerbs von Eigentumsrechten am Humankapital anderer Individuen ermöglicht, vorschnell abzulehnen. Denn es ist denkbar, dass auch außerhalb des anonymen Kapitalmarktes Institutionen existieren, die in der Lage sind, intergenerationale Transferbeziehungen zu organisieren. So führen z. B. De Janvry/Fafchamps/ Sadoulet (1991) aus: „Market failures eventually give rise to institutional arrangements that act as complete or partial surrogates to what markets do not provide.“

Es stellt sich die Frage, welche Institutionen die Lücke eines fehlenden Ausbildungskreditmarktes schließen könnten. Zum einen ist an Clubs und Interessenverbände zu denken. In Bezug auf die Organisation intergenerationaler Transferbeziehungen dürfte das prominenteste Beispiel aber wohl die Familie sein. So schreibt z. B. Rangel (2003, S. 813): „Every society uses a range of non-market institutions to decide how much to invest in future generations. (. . .) A prominent example is the family. Every generation of parents decides how much to invest in their children. Investments include the costs of public and private education and the myriad of other sacrifices that parents make for their children.“ 23 Wäre er nicht profitabel, dann gäbe es keinen Kapitalmarkt, von dem er ausgeschlossen werden könnte. 24 Die Errichtung einer Organisation, die – wie z. B. die deutsche „Schufa“ – Kreditinstitutionen über das Verhalten von Schuldnern informiert, würde an der Glaubwürdigkeitsproblematik nichts ändern. Denn die Funktion einer solchen Organisation besteht darin, potenzielle Kreditgeber vor Kreditrisiken zu warnen. Die drohenden Kreditinstitute treten jedoch als potenzielle Kreditnehmer auf, so dass kein Kreditrisiko existiert. Allen anderen Kreditinstitutionen als jenem, das einen spezifischen Ausbildungskredit vergeben hat, würde die Umsetzung der Drohung daher lediglich schaden.

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4. Alterssicherung und Investitionsmotiv der Kindererziehung

Laferrere/Wolff (2004, S. 45) bemerken zum gleichen Zusammenhang: „In all cases, the family acts as a substitute or a complement to the credit market and transfers are a means of improving the intertemporal allocation of resources.“

Die aufgeführten Aussagen lassen offen, aus welchen Gründen Familien bei der Bereitstellung von Ausbildungskrediten und bei der Ermöglichung einer Altersvorsorge in Form von Anlagen in Humankapital gegenüber dem anonymen Markt bevorteilt sein könnten. Man sollte annehmen, dass intrafamiliäre Ausbildungskreditarrangements in Abwesenheit altruistischer Bande zwischen den Mitgliedern einer Familie mit den gleichen Problemen konfrontiert werden, die eine Marktlösung in diesem Bereich verhindern25. Es macht jedoch einen wesentlichen Unterschied, ob Individuen als atomistische Teilnehmer auf einem Markt oder als Mitglieder einer Familie auftreten. Oben wurde darauf hingewiesen, dass die für die Ergebnisse der Untersuchung von Kehoe/Levine (1993, 2000) notwendige „Androhung“ eines Ausschlusses vom Kreditmarkt nur dann glaubwürdig ist, wenn die Individuen keinen Zugang zu einem Wettbewerbsmarkt haben bzw. wenn der Kapitalmarkt monopolistisch ist. Die Familie als Leistungseinheit ist für ihre Mitglieder quasi ein solcher Monopolist. Im Regelfall kann niemand die in Familien erbrachten Leistungen durch den Wechsel in eine andere Familie substituieren. Innerhalb von Familien könnte daher genug Drohpotential vorhanden sein, um auch egoistische Individuen zu kooperativem Verhalten zu veranlassen, so dass ein intrafamiliäres Ausbildungskreditsystem erreichbar scheint. Die Beantwortung der Frage, wie ein solches System organisiert sein könnte und welche Eigenschaften und Implikationen es hat, ist Gegenstand des folgenden Abschnitts.

4.3 Die individuelle Vorteilhaftigkeit intergenerationaler Transferbeziehungen 4.3.1 Einführung In einer Modellwelt, in der alle Individuen rein egoistisch motiviert und rechtlich bindende Verträge über die Gewährung von Ausbildungskrediten zwischen den Mitgliedern einer Erwerbstätigkeitsgeneration und den Mitgliedern der ihr nachfolgenden Generation nicht erreichbar sind, erscheint die intertemporale Ressourcenallokation über Anlagen in Humankapital unmöglich. Verschiedene Autoren sehen daher z. B. Staatseingriffe in Form 25 So z. B. Boldrin/Montes (2005, S. 2): „(. . .) The ability of within family arrangements to replicate the complete market allocation (. . .) may be severely affected by the same enforcement and incentive problems that are commonly believed to make private markets for financing human capital investment hard to sustain.“

4.3 Individuelle Vorteilhaftigkeit von Transferbeziehungen

207

der Einführung umlagefinanzierter Alterssicherungssysteme als ein Mittel an, Anlagen in Humankapital realisierbar zu machen, denn durch die Ausübung staatlichen Zwangs gewährt diese Form der Alterssicherung Zugriffsrechte auf das Humankapital späterer Generationen26. Verbunden mit einem öffentlichen Ausbildungssystem könnte so auf gesamtwirtschaftlicher Ebene eine Quid-Pro-Quo-Beziehung zwischen den Generationen installiert werden, deren Finanzierungsströme die Funktionsweise eines Ausbildungskreditmarktes nachzeichnen: Jede Erwerbstätigengeneration finanziert über ihre Steuerzahlungen kollektiv die Ausbildung ihrer Nachfolgegeneration und erhält von dieser als Ausgleich dafür eine Periode später Rentenzahlungen aus einem Umlagesystem. Die Nachfolgegeneration zahlt mit ihren Beiträgen an das umlagefinanzierte Alterssicherungssystem die Kosten ihrer Ausbildung zurück und finanziert zugleich über das Steuersystem die Ausbildung der ihr selbst nachfolgenden Generation – wiederum mit der Aussicht auf eine spätere Rentenzahlung. Doch obwohl ein solches System prinzipiell in der Lage ist, sowohl die Gewährung von Ausbildungskrediten als auch ihre Rückzahlung zu institutionalisieren, weist es eine entscheidende Lücke auf: Während es eine öffentliche Kostentragung der Ausbildungskosten vorsieht, bleibt es die Antwort auf die Frage schuldig, wer denn die auszubildenden Kinder zur Welt bringt und den neben der Ausbildung anfallenden Erziehungsaufwand trägt. Diese Frage wird im Regelfall umgangen, indem eine exogene Geburtenzahl angenommen wird, gerade so wie es hier in Abschnitt 4.2.1 ebenfalls geschehen ist. Wenn die Fertilitätsentscheidung jedoch endogen ist – und davon wird im Folgenden nun wieder ausgegangen – dann könnte die Nichtbeachtung ökonomischer Anreize zur Erziehung von Kindern fatal sein. Endogenisiert man aber sowohl die Geburtenentscheidung als auch die elterliche Entscheidung über die Ausbildungsfinanzierung geborener Kinder, dann stellt sich die Frage, warum rein egoistisch motivierte Eltern zur Erziehung von Kindern und zur Finanzierung ihrer Ausbildung überhaupt bereit sein sollten, wenn doch explizite Verträge über die Rückerstattung des geleisteten Aufwands mit diesen nicht möglich sind. Eine denkbare Antwort auf diese Frage könnte darin bestehen, dass zwischen Familienmitgliedern spezifische Beziehungen existieren, die von anonymen Marktteilnehmern nicht ersetzt oder kopiert werden können, und dass diese spezifischen Beziehungen intergenerationale Transferbeziehungen auch unter rein egoistisch motivierten Individuen ermöglichen. Doch auf welcher Grundlage könnten spezifische Beziehungen zwischen Familienmitgliedern existieren, wenn diese nicht affektiv bedingt sind? Verschiedene Autoren erklären sie mit der Existenz gesellschaftlicher Normen. Dieser Ar26

So erstmals Pogue/Sgontz (1977). Jüngere Modelle dieser Art stammen von Konrad (1995), Docquier/Michel (1999), Kemnitz (2000), Rojas (2003) und Poutvaara (2006).

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4. Alterssicherung und Investitionsmotiv der Kindererziehung

gumentation nach „zwingen“ solche Normen die Individuen zur Verfolgung eines bestimmten Lebensmodells: Also z. B. zum Führen einer Ehe mit einer bestimmten Kinderzahl, zur Sorge um die Kinder und zur Unterstützung der eigenen Eltern, wenn diese nicht mehr erwerbstätig sein können. Was aussieht wie eine Quid-Pro-Quo-Beziehung zwischen verschiedenen Individuen und Generationen wäre dann in Wirklichkeit nichts anderes als die Erfüllung eines durch die vorherrschende gesellschaftliche Lebensweise gegebenen Handlungsmusters27. Da sich gesellschaftliche Normen, ihre Veränderungen im Zeitablauf, ihre unterschiedlichen Ausprägungen in verschiedenen Gesellschaften und ihr Einfluss gerade auch auf das individuelle Verhalten innerhalb von Familien in der Realität beobachten lassen, liegt die Erklärung der besonderen Beziehung zwischen Familienmitgliedern auf ihrer Grundlage nahe. Offen bleibt soweit jedoch, weshalb sich bestimmte Normen entwickeln oder im Zeitablauf an Einfluss verlieren. Offensichtlich spielen dabei die natürlichen, politischen und technologischen, vor allem aber auch die ökonomischen Umstände, unter denen Menschen leben, eine große Rolle. Normen, die ökonomisch irrational sind, werden sich in keiner Gesellschaft lange halten können. Gesellschaftliche – und dabei häufig intergenerationale und intrafamiliäre – Konflikte über Werte und Normen sind gerade Ausdruck der sich im Zeitablauf verändernden Rationalität ihrer Anwendung. Wenn man demnach die Frage beantworten will, ob, warum und wie innerhalb von Familien die Organisation intergenerationaler Transferbeziehungen möglich ist, dann gibt die Antwort nicht nur Aufschluss über die ökonomische Vorteilhaftigkeit solcher Arrangements, sondern zugleich auch über das Entstehen – oder das Verschwinden – von Normen, die diese erst ermöglichen. Cigno (1993, 2003, 2006) hat in verschiedenen Beiträgen ein ökonomisches Modell zur Erklärung des Auftretens und der spezifischen Ausgestaltung von Regeln und Normen innerhalb von Familien entwickelt, die – da die Gesellschaft letztlich die Summe der in ihr lebenden Familien ist – auch gesellschaftliche Normen sind. In seinen Modellen sind intergenerationale Transfers innerhalb von Familien ein Mittel zur optimalen Konsumallokation über den Lebenszyklus. Wenn solche Transfers für alle Mitglieder einer Familie – über den gesamten Lebenszyklus betrachtet – vorteilhaft sind, entwickelt die Familie ein System von Regeln – eine sog. „Familienverfassung“ –, das die Durchsetzung dieser Transfers zu jedem Zeitpunkt möglich macht. Da die intrafamiliären Normen im Regelfall „stillschweigend“ gelten und rechtlich nicht durchsetzbar sind, kann man auch sagen, dass intergenerationale Transferbeziehungen über implizite intrafamiliäre Verträge geregelt werden. 27

So z. B. Van de Kaa (2002).

4.3 Individuelle Vorteilhaftigkeit von Transferbeziehungen

209

In den folgenden Abschnitten wird das Modell von Cigno weiterentwickelt, indem angenommen wird, dass intergenerationale Transferbeziehungen nicht nur der intertemporalen Konsumallokation, sondern auch der Organisation eines intrafamiliären Ausbildungskreditsystems dienen28. Die Familie wird somit als eine sich außerhalb des Marktes befindende Institution betrachtet, die sowohl die Aufnahme von Ausbildungskrediten als auch die Anlage in Humankapital ermöglicht. Zudem wird der Versuch unternommen, das von Cigno (1993, 2003, 2006) rein statisch angelegte Modell für den Fall einer dynamischen (oder sich erstmals dynamisierenden) Volkswirtschaft zu formulieren. 4.3.2 Modellrahmen Betrachtet sei im Folgenden eine kleine und offene Volkswirtschaft mit vollkommen mobilen Produktionsfaktoren, so dass der Lohnsatz wt und der Zinssatz rt in jeder Periode t exogen gegeben sind. Lohnsatz und Zinssatz seien zudem im Zeitablauf konstant, so dass wt ã w und rt ã r ist. Jedes Individuum biete unelastisch eine Zeiteinheit am Arbeitsmarkt an, so dass der Lohnsatz w die Entlohnung pro Humankapitaleinheit h beschreibt. Auch in diesem Abschnitt sei unterstellt, dass alle Mitglieder der betrachteten Volkswirtschaft in ihrem Lebenszyklus mit Sicherheit drei Phasen gleicher Länge durchleben – eine Jugend-, eine Erwerbstätigkeits- und eine Ruhestandsphase – und völlig identisch sind29. Zur Vereinfachung sei von unterschiedlichen Geschlechtern und geschlechtlicher Fortpflanzung abstrahiert, so dass alle Gesellschaftsmitglieder in der Lage sind, während ihrer Erwerbstätigkeitsphase Kinder zu bekommen. Die Mitglieder der betrachteten Volkswirtschaft seien rein egoistisch motiviert, wobei ihre Präferenzen durch die Nutzenfunktion (4.1) wiedergegeben werden30. Erneut wird somit angenommen, dass der Konsum der Jugendphase außerhalb des Entscheidungsraums der Individuen liegt und gerade das Existenzminimum abdeckt. Der Nutzen dieser Phase sei auf Null normiert. Jedes Individuum sei Mitglied einer Familie. Der Mitgliedschaft in einer Familie komme insofern Bedeutung zu, als bestimmte intrafamiliäre Trans28 Anderberg/Balestrino (2001) entwickeln den Ansatz von Cigno ebenfalls in dieser Hinsicht weiter. Sie gehen in ihrem Modell jedoch von einer exogenen Geburtenzahl aus, während hier im Folgenden sowohl die Fertilitätsentscheidung als auch die Ausbildungsinvestition pro Kind endogenisiert wird. Da gerade das Zusammenspiel von Geburtenzahl und Ausbildungsniveau viele der in den folgenden Abschnitten erzielten Ergebnisse beeinflusst, ist das hier entwickelte Modell nicht mit dem von Anderberg/Balestrino (2001) vergleichbar. 29 Die Annahme homogener Individuen wird in Abschnitt 4.4 aufgegeben. 30 Für die Nutzenfunktion gelten die in 4.2.1 getroffenen Annahmen.

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4. Alterssicherung und Investitionsmotiv der Kindererziehung

ferbeziehungen interfamiliär nicht möglich sind, weil sie auf unausgesprochenen Regeln beruhen, die für familienexterne Individuen nicht beobachtbar sind bzw. von denen nur Familienmitglieder Kenntnis haben können. Die Mitgliedschaft in einer Familie erlaubt mithin spezifische Beziehungen zu anderen Mitgliedern der gleichen Familie, die durch Beziehungen zu anderen Gesellschaftsmitgliedern nicht substituierbar sind. Die Humankapitalausstattung h eines Individuums ergebe sich – ebenso wie dies in 4.2.1 angenommen wurde –, aus der Kombination einer Ausbildungsaktivität e mit der zur Verfügung stehenden Ausbildungszeit g in der Jugendphase. Zudem sei im Folgenden davon ausgegangen, dass kein öffentliches Ausbildungssystem existiert. Der Preis der Ausbildungsaktivität sei wiederum auf 1 normiert, die Ausbildungszeit g exogen gegeben. Die Ausbildungsaktivität e kann unter diesen Voraussetzungen auch als eine Ausbildungsinvestition in Höhe von e interpretiert werden. Wie im vorangegangen Abschnitt laute die Humankapitalproduktionsfunktion für ein in t  1 geborenes Individuum: È4:14ê

ht ã hÈet  1 ; gt  1 ê

Bezüglich der Eigenschaften dieser Funktion sei erneut unterstellt, dass dht d 2 ht dht dht > 0, < 0, lim ã 0 und lim ã 1 ist. Zu2 et  1 !1 det  1 et  1 !0 det  1 det  1 det  1 sätzlich sei nun jedoch angenommen, dass ht ã hÈ0; gt  1 ê > 0 ist, so dass die Individuen auch ohne Vornahme einer Ausbildungsinvestition in der Lage sind, während ihrer Erwerbstätigkeitsphase ein Erwerbseinkommen zu verdienen31. Da die Individuen in ihrer Jugend- und in ihrer Ruhestandsphase annahmegemäß nicht erwerbstätig sind, müssen die Finanzierungsmittel ihrer Ausbildung (Jugendphase) und ihres Alterskonsums (Ruhestandsphase) aus anderen Quellen stammen. Die Finanzierung des Alterskonsums kann gewährleistet werden, indem ein Teil des Erwerbseinkommens zur Bildung von Ersparnissen am Kapitalmarkt verwendet wird, die in der Ruhestandsphase aufgelöst werden können. Einkommensbestandteile werden so von der mittleren in die letzte Lebensphase umgeschichtet. Wenn am Kapital31 Die hier getroffene Annahme, dass Individuen auch ohne Ausbildung in der Lage sind ein – wenn auch nur geringes – Einkommen zu verdienen, dürfte realistisch sein. Vgl. auch Docquier/Michel (1999) und Holtz-Eakin/Lovely/Tosun (2000) für eine ähnliche Formulierung der Humankapitalproduktionsfunktion. Der Verzicht auf diese Annahme würde bedeuten, dass Individuen nach ihrer Jugendphase nur dann überleben können, wenn sie eine positive Ausbildungsinvestition vornehmen. Dies würde aber zugleich bedeuten, dass Eltern gezwungen wären, in jedem Fall einen Transfer e > 0 an ihre Kinder zu leisten, denn ansonsten könnten sie aus ihrer Erziehung unmöglich einen Vorteil ziehen.

4.3 Individuelle Vorteilhaftigkeit von Transferbeziehungen

211

markt auch Ausbildungskredite angeboten würden, dann wären die Individuen durch die Aufnahme solcher Kredite zusätzlich in der Lage, (erwartetes) Erwerbseinkommen von der mittleren in die erste Lebensphase umzuschichten. Im Folgenden sei jedoch unterstellt, dass aus den in Abschnitt 4.2.2 aufgeführten Gründen kein Ausbildungskreditmarkt existiert. Den Individuen bleibt somit nur die Option, die Ausbildungskredite von den eigenen Eltern zu erhalten. Da diese aber rein egoistisch motiviert sind und zudem mit dem Kapitalmarkt bereits über ein funktionierendes Instrument der intertemporalen Ressourcenallokation verfügen, stellt sich die Frage, unter welchen Bedingungen sie zur Vergabe solcher Kredite bereit sein könnten. Sie wären offensichtlich dann zur Vergabe von Ausbildungskrediten an ihre Kinder bereit, wenn sie auf diesem Wege eine höhere Rendite ihrer Anlagen als auf dem Sachkapitalmarkt erreichen und zusätzlich die verzinste Rückzahlung der gewährten Kredite sicherstellen könnten. Mit anderen Worten ausgedrückt, müsste die intertemporale Konsumallokation über Anlagen in das Humankapital der eigenen Kinder (im Folgenden als „Familienstrategie“ bezeichnet) vorteilhafter als über Anlagen in Sachkapital auf dem anonymen Kapitalmarkt (im Folgenden als „Marktstrategie“ bezeichnet) sein. Offen ist jedoch, wie die Rückzahlung der Ausbildungskredite sichergestellt werden kann bzw. warum ein intrafamiliäres Ausbildungskreditsystem nicht von den gleichen Durchsetzungsproblemen wie ein Ausbildungskreditsystem auf dem anonymen Kapitalmarkt betroffen sein sollte. Die Lösung dieser Problematik könnte in einem Mechanismus liegen, der dem ganz ähnlich ist, der die Durchsetzung der Rückzahlung von Ausbildungskrediten im oben beschriebenen Modell von Kehoe/Levine (1993, 2000) ermöglicht32: Individuen könnte im Rahmen impliziter intrafamiliärer Vereinbarungen angedroht werden, dass die Unterlassung der Rückzahlung von in Anspruch genommenen Ausbildungskrediten zum Verlust der Möglichkeit führt, selbst das Familiensystem zur intertemporalen Ressourcenallokation zu nutzen. Dieser Drohung kommt dann Bedeutung zu, wenn sie glaubwürdig ist und der Nachteil des Ausschlusses aus dem Familiensystem größer als der Vorteil aus der Unterlassung der Rückzahlung ist. Soweit dies der Fall ist, könnte eine solche Regelung dazu führen, dass die Vereinbarung expliziter Verträge nicht notwendig ist, da die impliziten intrafamiliären Vereinbarungen über die Vergabe von Ausbildungskrediten bzw. deren Rückzahlung selbstdurchsetzend sind. Cigno (1993, 2003, 2006) hat die Menge jener Vereinbarungen, durch die Transferbeziehungen zwischen den verschiedenen Generationen angehörenden Mitgliedern einer Familie so geregelt werden, dass die durch sie begründeten impliziten Vertragsbeziehungen selbstdurchsetzend sind, „Familienverfassung“ genannt33. Dieser Be32

Vgl. Kapitel 4.2.2.

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4. Alterssicherung und Investitionsmotiv der Kindererziehung

zeichnung sei hier gefolgt. Trotz ihrer Beschreibung als „Verfassung“, sind solche Vereinbarungen typischerweise nicht verschriftlicht, sondern gelten unausgesprochen – sie bilden ein intrafamiliäres Normengefüge, das jedem Familienmitglied bekannt ist, das von Außenstehenden jedoch nicht beobachtet werden kann. Da innerhalb einer Familie immer nur jene Individuen ein Erwerbseinkommen verdienen, die sich gerade in ihrer Erwerbstätigkeitsphase befinden, sind auch nur diese Individuen in der Lage, Transfers an andere Familienmitglieder vorzunehmen. Die intrafamiliären Vereinbarungen können sich deshalb darauf beschränken, das Verhalten dieser Individuen zu regeln34. Eine Familienverfassung lässt sich dann vollständig durch die Vereinbarung dreier Regeln bzw. Normen beschreiben: (1) Jedes Mitglied der Familie hat in seiner Erwerbstätigkeitsphase an jedes seiner Kinder einen zweckgebundenen Transfer in Höhe von mindestens eV  0 zur Finanzierung ihrer Ausbildung vorzunehmen (= Ausbildungstransfer). (2) Jedes Mitglied der Familie hat in seiner Erwerbstätigkeitsphase einen Transfer in Höhe von mindestens bV > 0 an seine Eltern zu leisten (= Alterstransfer)35. (3) Haben die Eltern eines sich in der Erwerbstätigkeitsphase befindenden Individuums gegen Regel 1 oder Regel 2 verstoßen, so muss es sich an Regel 1, nicht aber an Regel 2 halten (= Sanktionsmechanismus). Das spezifische Transferdupel Èe; bê ã ÈeV ; bV ê in den Regeln (1) und (2) sei dabei aus der Menge aller denkbaren Kombinationen von e und b jene, die die Familienverfassung vorschreibt. Es wird in Abschnitt 4.3.3 eindeutig bestimmt – an dieser Stelle ist es ausreichend, davon auszugehen, dass es existiert und allen Familienmitgliedern bekannt ist. Damit die Befolgung der in der Familienverfassung niedergelegten intrafamiliären Normen für die Individuen ökonomisch Sinn macht, muss der in der Verfassung vorgeschriebene Alterstransfer b in jedem Fall positiv sein. Anderenfalls könnte es für kein Individuum vorteilhaft sein, die Regeln der Familienverfassung zu befolgen, denn es würde ihm ein Teil des Erwerbseinkommens entzogen, ohne dass es dafür im Alter eine Gegenleistung erwarten könnte. Der vorgeschriebene Ausbildungstransfer e kann hingegen auch Null betragen, denn er ist aus Sicht eines erwerbstätigen Individuums 33

Vgl. Cigno (2006, S. 261). Da sich an die Entgegennahme eines Transfers keine rechtlich durchsetzbaren Verpflichtungen binden, hat jedes Individuum ein klares Interesse daran, eine Transferzahlung anzunehmen. Es ist daher ausreichend, nur die Familienmitglieder zu betrachten, die Transferzahlungen leisten. 35 Da von geschlechtlicher Fortpflanzung abstrahiert wird, hat jedes Individuum nur einen Elternteil. 34

4.3 Individuelle Vorteilhaftigkeit von Transferbeziehungen

213

nur ein Kostenfaktor – es selbst hat e bereits erhalten bzw. nicht erhalten und würde daher Verfassungen vorziehen, in denen es im Alter einen Alterstransfer erwarten kann, ohne dazu neben dem Transfer b an seine Eltern auch einen Transfer e an seine Kinder leisten zu müssen. Die dritte Regel beinhaltet den oben angesprochenen Droh- bzw. Sanktionsmechanismus, der den durch die Regeln 1 und 2 definierten materiellen Inhalt der Familienverfassung selbstdurchsetzend machen soll. Hält sich ein Individuum nicht an die intrafamiliären Normen, so sind seine Nachkommen – wenn es welche hat – nicht verpflichtet, ihm einen Alterstransfer zukommen zu lassen. Die Bedrohung besteht mithin darin, dass ein Verstoß gegen die Normen der Familienverfassung den Verlust der Möglichkeit nach sich zieht, die Familie als Institution der intertemporalen Ressourcenallokation zu nutzen. Offen ist soweit noch, ob diese Drohung auch glaubwürdig ist. Wie bereits in Abschnitt 4.2.2 erläutert wurde, kann eine Drohung dann als glaubwürdig angesehen werden, wenn ihre Umsetzung im Interesse des bzw. der Drohenden liegt. Die Frage ist also, ob sich ein Individuum besser stellen kann, wenn es die in der Familienverfassung enthaltene Drohung nach einem Regelverstoß seiner Eltern umsetzt. Die Antwort auf diese Frage lautet ganz offensichtlich „ja“, denn in diesem Fall könnte es das Familiensystem zu weit günstigeren Konditionen nutzen: Es müsste nur den Ausbildungstransfer eV leisten, und könnte von seinen Kindern dennoch einen Alterstransfer bV erhalten. Die Drohung ist mithin glaubwürdig. Jedes Individuum wird sich nur dann an die Regeln der Familienverfassung halten, wenn die intertemporale Ressourcenallokation über die Familienstrategie vorteilhafter als über die Marktstrategie ist. Es wird die Familienstrategie mithin dann vorziehen, wenn es durch die Befolgung der intrafamiliären Normen ein höheres Nutzenniveau erreichen kann als durch einen Normenverstoß und die Organisation der intertemporalen Ressourcenallokation über den Kapitalmarkt. Um die Entscheidungssituation eines Individuums vollständig darstellen zu können, ist es nun noch notwendig, die individuellen Budgetrestriktionen und die zur Verfügung stehenden Strategien zu bestimmen. Angenommen sei dazu zunächst, dass die in der Familienverfassung vorgeschriebene Transferkombination Èe; bê ã ÈeV ; bV ê gegeben ist. Jedes Individuum verdient dann in seiner Erwerbstätigkeitsphase ein Einkommen in Höhe von wht ÈeVt 1 ; gt  1 ê, das es für den Konsum (ctt  1 ê dieser Lebensphase, die Bildung von Ersparnissen auf dem Kapitalmarkt Èst ê, einen Transfer an die eigenen Eltern (bVt ê, die Erziehung von È1 þ nt ê Kindern zu den Kosten q > 0 pro Kind und Transferzahlungen ÈeVt ê an jedes dieser Kinder verwenden kann36. q bezeichne dabei nun die Nettokosten eines Kindes. Diese ergeben sich, wenn von den aus der Ge36

Angenommen sei dabei erneut, dass nt  1 ist.

214

4. Alterssicherung und Investitionsmotiv der Kindererziehung

burt, Erziehung und Deckung des Existenzminimums resultierenden Kosten eines Kindes die Erträge abgezogen werden, die dieses Kind in seiner Jugendphase eventuell erbringt37. Zu den Erziehungskosten seien dabei auch jene Opportunitätskosten gezählt, die Eltern dadurch entstehen, dass das Vorhandensein von Kindern ihre regionale und berufliche Flexibilität einschränkt. Unter den getroffenen Annahmen lautet die Budgetrestriktion der Erwerbstätigkeitsphase für ein in t  1 geborenes Individuum: È4:15ê

ctt  1 ã wht ÈeVt 1 ; gt  1 ê  st  bVt  ÈeVt þ qêÈ1 þ nt ê

In der Ruhestandsphase konsumiert jedes Individuum seine mit dem Kapitalmarktzins verzinsten Ersparnissen – wenn es welche gebildet hat – sowie die Transferzahlungen bVtþ 1 seiner È1 þ nt ê Kinder – wenn es welche erzogen hat und diese sich zur Vornahme von Alterstransfers entscheiden. Die Budgetrestriktion der Ruhestandsphase eines in t  1 geborenen Individuums lautet folglich: È4:16ê

V 1 ctt  þ 1 ã È1 þ rêst þ bt þ 1 È1 þ nt ê

1 Substituiert man in der Nutzenfunktion (4.1) ctt  1 und ctt  þ 1 durch (4.15) und (4.16), so kann die Nutzenfunktion eines in t  1 geborenen Individuums umformuliert werden zu:

È4:17ê

  U t  1 ã ut wht ÈeVt 1 ; gt  1 ê  st  bVt  ÈeVt þ qêÈ1 þ nt ê h i þ ut þ 1 È1 þ rêst þ bVtþ 1 È1 þ nt ê

Die Menge aller Strategien STRt , die einem in t  1 geborenen Individuum bei der Entscheidungsbildung in Periode t zur Verfügung stehen, lässt sich dann wie folgt zusammenfassen: 8 1: MS mit Èet ã 0; bt ã 0ê > > > > > 2: FS mit Èet ; bt ê  ÈeV ; bV ê; falls STRt  1 ã FS > > > > > > und Èet  1 ; bt  1 ê  ÈeV ; bV ê > > > < 3: FS mit Èe ; b ê  ÈeV ; 0ê; falls STR t t  1 ã MS oder FS t È4:18ê STRt ã V V > und Èet  1 ; bt  1 ê < Èe ; b ê > > > > > 4: FS mit Èet ; bt ê  ÈeV ; bV ê; falls STRt  1 ã FS > > > > > > und Èet  1 ; bt  1 ê  ÈeV ; 0ê und STRt  2 ã MS oder FS > > : und Èet  1 ; bt  1 ê < ÈeV ; bV ê 37

Die Erträge können z. B. aus der Mithilfe von Kindern im elterlichen Haushalt, im elterlichen Betrieb oder auf dem elterlichen Hof resultieren. Aries (2003) zeigt, dass eine solche Mithilfe in vorindustriellen Zeiten der Regelfall war.

4.3 Individuelle Vorteilhaftigkeit von Transferbeziehungen

215

FS bezeichnet dabei die Familien-, MS die Marktstrategie. Es ist selbstverständlich auch möglich, dass Individuen eine gemischte Strategie verfolgen, indem sie sowohl das Familiensystem als auch den Kapitalmarkt zur intertemporalen Ressourcenallokation nutzen38. In diesem Fall ändert sich jedoch am Inhalt der verschiedenen Strategieoptionen nichts, so dass eine Betrachtung gemischter Strategien unterbleiben kann. Strategie 1 beschreibt die Entscheidungsoption, zur intertemporalen Ressourcenallokation allein den Kapitalmarkt zu nutzen. In diesem Fall macht es keinen Sinn, intrafamiliäre Transfers vorzunehmen. Wenn ohnehin kein Wunsch besteht, dieses System zu nutzen, dann entfaltet die Androhung der Exklusion aus dem Familiensystem keine Wirkung. Wenn hingegen die Familienstrategie zur intertemporalen Ressourcenallokation genutzt werden soll, dann müssen die Regeln der Familienverfassung befolgt werden. Dies kommt in den Strategien 2 bis 4 zum Ausdruck. Wenn die eigenen Eltern die intrafamiliären Normen erfüllt haben, dann ist es zur Nutzung des Familiensystems erforderlich, die Regeln der Familienverfassung ebenfalls vollständig zu erfüllen. Anderenfalls könnten von den eigenen Nachkommen keine Transferzahlungen erwarten werden (Strategie 2). Haben stattdessen die eigenen Eltern gegen die intrafamiliären Regeln verstoßen, reicht es zur Einhaltung der Familienverfassung aus, wenn die in der Familienverfassung vorgeschriebenen Ausbildungstransfers an die eigenen Kinder vorgenommen werden (Strategie 3). Haben schließlich die eigenen Eltern die Vornahme des Alterstransfers nur deshalb unterlassen, weil ihre Eltern zuvor gegen die Regeln der Familienverfassung verstoßen hatten, haben sie aber zugleich Ausbildungstransfers in vorgeschriebener Höhe geleistet, dann macht die Nutzung des Familiensystems die Vornahme beider Transfers in mindestens der vorgeschriebener Höhe notwendig (Strategie 4)39. 4.3.3 Ableitung einer optimalen Familienverfassung Damit die Wahl der Familienstrategie für die Mitglieder einer Familie überhaupt in Frage kommt, muss eine Familienverfassung zwei Voraussetzungen erfüllen: Erstens müssen die durch ihre Normen bestimmten intergenerationalen Transferbeziehungen so ausgestaltet sein, dass die Wahl der Familienstrategie für die Individuen ökonomisch vorteilhaft ist. Zweitens muss die Familienverfassung so formuliert sein, dass die impliziten Vertragsbeziehungen, die auf ihrer Grundlage eingegangen werden, selbstdurch38 Z. B. deshalb, weil sie aus physiologischen Gründen nicht in der Lage sind, allein über das Familiensystem soviel Ressourcen intertemporal zu allozieren, wie sie wünschen. 39 Spieltheoretisch ausgedrückt beschreibt dies den Fall, dass sich das Familiensystem in einer „Sanktionsphase“ befindet.

216

4. Alterssicherung und Investitionsmotiv der Kindererziehung

setzend sind. Es ist keineswegs sicher, dass eine Familienverfassung existiert, die beide Voraussetzungen erfüllt und damit wählbar ist. Auf der anderen Seite ist es möglich, dass die beiden Voraussetzungen von einer großen Zahl von Familienverfassungen erfüllt werden. Es stellt sich dann die Frage, welche spezifische Verfassung letztlich gewählt wird und durch welche Eigenschaften sich diese auszeichnet. In diesem Teilabschnitt wird unter Punkt (a) geklärt, unter welchen Bedingungen eine Familienverfassung ökonomisch vorteilhaft ist und zudem selbstdurchsetzende implizite Vertragsbeziehungen ermöglicht. Anschließend wird unter Punkt (b) hinterfragt, ob es möglich ist, aus einer Menge solcher Verfassungen jene abzuleiten, die optimal ist und daher ausgewählt wird. (a) Eigenschaften wählbarer Familienverfassungen Für die folgenden Überlegungen sei zunächst noch einmal unterstellt, eine bestimmte Familienverfassung existiere bereits. Die Familienverfassung schreibe dabei das Transferdupel Èe; bê ã ÈeV ; bV ê vor. Den Ausgangspunkt der Untersuchung bilde die Situation, in der sich das repräsentative Mitglied der Erwerbstätigkeitsgeneration einer Periode t befindet. Angenommen sei dabei, dass die Eltern des betrachteten Individuums die Regeln der Familienverfassung erfüllt haben, so dass sich seine Auswahlmöglichkeiten auf die Strategien 1 und 2 aus (4.18) beschränken. Es wird jener Strategie den Vorzug geben, bei deren Wahl es ein höheres Nutzenniveau erreichen kann40. Zur Identifizierung dieser Strategie ist es notwendig, den maximal erreichbaren Nutzen beider Strategieoptionen zu ermitteln und die Ergebnisse miteinander zu vergleichen. Betrachtet sei zunächst die Marktstrategie. Aus den im vorangegangenen Abschnitt erläuterten Gründen wird das betrachtete Individuum bei Verfolgung dieser Strategie keinen Alterstransfer an seine Eltern vornehmen. Sein Verstoß gegen die Familienverfassung hat zur Folge, dass es auch von eigenen Nachkommen keine Alterstransferzahlungen erwarten kann. Es wird daher ganz auf die Erziehung von Kindern verzichten, denn Kinder würden lediglich Kosten verursachen. Entfernt man die intergenerationalen Transferzahlungen aus (4.17), so erhält man die Nutzenfunktion U t  1; MS bei Wahl der Marktstrategie: 40 Dabei sei davon ausgegangen, dass das betrachtete Individuum nur den Kapitalmarkt oder nur das Familiensystem zur intertemporalen Allokation nutzt. Die im Folgenden erzielten Ergebnisse verändern sich qualitativ nicht, wenn Individuen die Familienstrategie wählen und zusätzlich den Kapitalmarkt zur Ersparnisbildung in Anspruch nehmen. Die Berücksichtigung auch dieser Alternative würde daher lediglich zu einem Verlust an Übersicht führen.

4.3 Individuelle Vorteilhaftigkeit von Transferbeziehungen È4:19ê

217

    U t  1; MS ã ut wht ÈeV ; gt  1 ê  st þ ut þ 1 È1 þ rêst

Bei der intertemporalen Ressourcenallokation über den Kapitalmarkt maximiert das betrachtete Individuum seinen Nutzen allein durch die optimale Wahl von st . Im Optimum muss mithin folgende Bedingung erster Ordnung für ein Nutzenmaximum erfüllt sein: È4:20ê

dU t  1; MS u0 ã u0t þ È1 þ rêu0t þ 1 ã 0 bzw: 0 t ã È1 þ rê dst ut þ 1

Wird mithin die Ersparnis gerade so hoch gewählt, dass die Grenzrate der Substitution zwischen Gegenwarts- und Zukunftskonsum dem Zinsfaktor entspricht, so ergibt sich das maximal mögliche Nutzenniveau max U t  1; MS bei Wahl der Marktstrategie. Wenn sich das repräsentative Individuum hingegen für die Familienstrategie entscheidet, dann muss es mindestens die in der Familienverfassung vorgeschriebenen Transfers vornehmen. Wenn die Familienverfassung in optimaler Weise formuliert ist, hat es als rein egoistisch motiviertes Individuum keinen Anreiz, über die Leistung dieser Mindesttransfers hinauszugehen41 – seine Transfers können daher durch das Dupel Èe; bê ã ÈeV ; bV ê beschrieben werden. Die größere Vorteilhaftigkeit der Familien- gegenüber der Marktstrategie hat zudem zur Folge, dass das betrachtete Individuum keine Ersparnisse am Kapitalmarkt bildet. Berücksichtigt man diese Zusammenhänge in (4.17), so erhält man die Nutzenfunktion U t  1; FS bei Wahl der Familienstrategie42: È4:21ê

    U t  1; FS ã ut wht ÈeV ; gt  1 ê  bV  ÈeV þ qêÈ1 þ nt ê þ bV È1 þ nt ê

Das maximal erreichbare Nutzenniveau max U t  1; FS dieser Strategie ergibt sich allein über die Wahl der optimalen Kinderzahl, denn aus individueller Sicht sind alle anderen Variablen exogen vorgegeben. Leitet man (4.21) nach È1 þ nt ê ab, so erhält man die Bedingung erster Ordnung für ein Nutzenmaximum: È4:22ê

dU t  1; FS u0 bV ã ÈeV þ qêu0t þ bV u0t þ 1 ã 0 bzw: 0 t ã V dÈ1 þ nt ê ut þ 1 e þq

41 Weiter unten wird unter Punkt (b) erläutert, dass diese Aussage für eine suboptimal formulierte Familienverfassung nicht unbedingt gelten muss. Von dieser Möglichkeit sei hier aber noch abstrahiert. 42 Das betrachtete Individuum unterstellt in (4.21) implizit, dass sich auch seine Kinder an die Familienverfassung halten und Alterstransfers in Höhe von bV leisten werden. Würde es nicht von einer Fortsetzung des Familiensystems ausgehen, dann wäre die Wahl der Familienstrategie irrational.

218

4. Alterssicherung und Investitionsmotiv der Kindererziehung

bV beschreibt die Verzinsung der Kindererziehung und eV þ q -ausbildung im Familiensystem. Jedes Kind kostet ÈeV þ qê und erbringt in der Erwerbstätigkeitsphase bzw. in der Ruhestandsphase seiner Eltern einen Ertrag in Höhe von bV . Gemäß (4.22) ist der Nutzen eines Individuums bei Wahl der Familienstrategie mithin dann maximal, wenn es gerade so viele Nachkommen hat, dass die Grenzrate der Substitution zwischen Gegenwarts- und Zukunftskonsum der Verzinsung der Kinderziehung und -ausbildung entspricht. Der Bruch

Bei gegebenem Maximalnutzen beider denkbaren Strategien kommt die Wahl der Familienstrategie für ein Individuum immer nur dann in Frage, wenn sie relativ vorteilhafter als die Marktstrategie ist bzw. wenn folgende Bedingung erfüllt wird: (4.23)

    max U t  1; FS ã ut wht ÈeV ; gt  1 ê  bV  ÈeV þ qêÈ1 þ nt ê þ ut þ 1 bV È1 þ nt ê      max U t  1; MS ã ut wht ÈeV ; gt  1 ê  st þ ut þ 1 È1 þ rêst

È1 þ nt ê und st bezeichnen dabei die gemäß (4.22) optimale Kinderzahl bzw. die gemäß (4.21) optimale Ersparnis. Die in (4.23) aufgeführte Bedingung kann immer dann als erfüllt gelten, wenn das Verhältnis von Mitteleinsatz und Ertrag in der Familienstrategie günstiger als in der Marktstrategie ist. Bei Wahl der Marktstrategie entspricht das Verhältnis von Mitteleinsatz und Ertrag dem Kapitalmarktzinsfaktor È1 þ rê. Bei Wahl der Familienstrategie ist das Verhältnis zwischen Mitteleinsatz und Ertrag hingegen nicht mit der oben ermittelten Verzinsung der Kindererziehung und -ausbildung identisch, denn zur Nutzung des Familiensystems reicht es nicht aus, im Umfang ÈeV þ qêÈ1 þ nt ê in zukünftige Produktionsfaktoren zu investieren. Um den Ertrag bV È1 þ nt ê zu erhalten, muss zusätzlich der Alterstransfer bV an die eigenen Eltern geleistet werden. Die Familienstrategie wird mithin nur dann gewählt, wenn gilt: È4:24ê

bV È1 þ nt ê  È1 þ rê ÈeV þ qêÈ1 þ nt ê þ bV

Der Bruch auf der linken Seite von (4.24) gibt dabei die Verzinsung der Familienstrategie an, die wegen bV > 0 strikt kleiner als die Verzinsung der Kindererziehung und -ausbildung ist. Aus (4.24) folgt daher direkt, dass die Familienstrategie immer nur dann gewählt wird, wenn die Verzinsung einer (intrafamiliären) Anlage in das Humankapital der eigenen Kinder in hinreichendem Ausmaß höher als die Verzinsung von Anlagen auf dem Ka-

4.3 Individuelle Vorteilhaftigkeit von Transferbeziehungen

219

pitalmarkt ist. Eine Familienverfassung ist somit nur dann wählbar, wenn die Ungleichung È4:25ê

bV > È1 þ rê ÈeV þ qê

strikt erfüllt ist. Dieses Ergebnis ist eine Folge der unterschiedlichen rechtlichen Verbindlichkeit von Anlagen in Human- und Sachkapital. Während über letztere rechtlich verbindliche Verträge abgeschlossen werden können, beruhen intrafamiliäre Transferarrangements auf impliziten Vereinbarungen. Wären die Erziehungskosten q sowie die Transfers eV und bV Bestandteile eines expliziten und rechtlich durchsetzbaren Vertrages, so wären die Individuen auch dann zur verzinsten Rückzahlung des in sie getätigten Erziehungs- und Ausbildungsaufwandes und damit zur Leistung des Alterstransfers bV verpflichtet, wenn sie ihre eigene Altersvorsorge lediglich über den Kapitalmarkt organisieren wollten. Sie würden die Familienstrategie in diesem Fall auch dann wählen, wenn die Verzinsung von Kindererziehung und -ausbildung nur marginal höher als die Verzinsung von Kapitalmarktanlagen ist. Da eine Verpflichtung zur Vornahme von bV jedoch nicht möglich ist, wirkt sich die Option der Unterlassung des Alterstransfers günstig auf die relative Vorteilhaftigkeit der Marktstrategie aus. Die rechtliche Unverbindlichkeit der intrafamiliären Transferarrangements kann mithin zur Folge haben, dass vorteilhafte Anlagen in Humankapital unterbleiben. Damit eine Familienverfassung wählbar ist, sind an sie wesentlich striktere Anforderungen als ein Renditevorteil von Humankapitalanlagen gegenüber Sachkapitalanlagen zu stellen. Wenn eine Familienverfassung Bedingung (4.24) erfüllt und damit wählbar ist, dann kann aus den vorangegangenen Ausführungen geschlossen werden, dass sie selbstdurchsetzende implizite Vertragsbeziehungen ermöglicht. Für jedes Individuum in der Erwerbstätigkeitsphase ist es dann vorteilhaft, seine Eltern für den getätigten Erziehungs- und Ausbildungsaufwand durch die Leistung eines Alterstransfers zu kompensieren und zudem seinen eigenen Kindern Ausbildungstransfers zukommen zu lassen, obwohl es zu beiden Leistungen nicht verpflichtet ist. Denn es weiß, dass auch seine Kinder nichts Besseres tun können, als sich an die Regeln der Familienverfassung zu halten und ihrerseits empfangene Erziehungs- und Ausbildungsleistungen über Alterstransfers zurückzuerstatten. Solange sich an den ökonomischen Umgebungsbedingungen nichts verändert – und davon wird in diesem Abschnitt ausgegangen – hat die Existenz einer wählbaren Familienverfassung somit zur Folge, dass sich in der betrachteten Volkswirtschaft zu jedem Zeitpunkt t implizite und intrafamiliäre Vertragsbeziehungen zwischen den Mitgliedern jeweils dreier Generationen beobachten lassen.

220

4. Alterssicherung und Investitionsmotiv der Kindererziehung

(b) Bestimmung einer optimalen Familienverfassung Wie unter (a) erläutert wurde, ist es durchaus möglich, dass keine Familienverfassung Bedingung (4.24) erfüllt. In diesem Fall wird sich niemand für die Familienstrategie und dementsprechend niemand für Kinder entscheiden. Es ist jedoch ebenfalls möglich, dass Bedingung (4.24) von einer Vielzahl denkbarer Familienverfassungen erfüllt wird. All diese Verfassungen sind dann prinzipiell wählbar und ermöglichen selbstdurchsetzende implizite Vertragsbeziehungen. Die Menge der wählbaren Familienverfassungen lässt sich wie folgt zusammenfassen:

È4:26ê

9 8 Èe; bê= 0  ct þ Èe þ qêÈ1 þ nê þ b  whÈe; gê > > > > > > > >  > > =

> Èe þ qêÈ1 þ nê þ b > > > > > > > > ; : = b > 0; e  0

D.h.: Die Menge der prinzipiell wählbaren Familienverfassungen wird durch alle sinnvollen Kombinationen von e und b beschrieben, durch die Budgetrestriktion (4.15) nicht verletzt wird und die zur gleichen Zeit zu einer Erfüllung von Bedingung (4.24) führen. Die Frage ist nun, ob unter all diesen Verfassungen jene herausgefunden werden kann, über deren Inhalt die Mitglieder einer Familie stillschweigend übereinkommen. Cigno (2006) verwendet zur Beantwortung dieser Frage das von Bernheim/Ray (1989) und Maskin/Farrell (1989) entwickelte Konzept der „Neuverhandlungssicherheit“ einer Verfassung43. Der hinter diesem Konzept stehende Grundgedanke ist, dass die sich jeweils in der Erwerbstätigkeitsphase befindenden Mitglieder einer Familie eine Verfassung nicht nur ablehnen, sondern auch neu verhandeln können. Eine Neuverhandlung macht aber nur dann Sinn, wenn die neue Verfassung nicht gegen die Regeln der alten Verfassung verstößt. Dies ist nur dann der Fall, wenn die nach der alten Verfassung vorgeschriebenen Mindesttransfers bei Anwendung der neuen Verfassung nicht unterschritten werden, denn anderenfalls müssten die Kinder der neu verhandelnden Individuen keine Alterstransfers leisten – eine solche neue Verfassung könnte für die verhandelnden Individuen unmöglich vorteilhafter als die alte Verfassung sein. Die neu verhandelte Verfassung muss mithin die alte Familienverfassung Pareto-dominieren: Sie muss die verhandelnden Individuen besser stellen, ohne zugleich andere Individuen schlechter zu stellen. Dementsprechend kann eine Verfassung dann als Neuverhandlungssicher gelten, wenn sie von keiner anderen Verfassung Pareto43

Vgl. Cigno (2006, S. 263).

4.3 Individuelle Vorteilhaftigkeit von Transferbeziehungen

221

dominiert wird. Bei der in diesem Abschnitt vorgenommenen Suche nach einer optimalen Familienverfassung wird der geschilderten Grundidee des Konzeptes der Neuverhandlungssicherheit gefolgt. Statt von einer Neuverhandlung wird dabei aber von der Möglichkeit einer Neuformulierung der Familienverfassung ausgegangen. Der Unterschied in der Betrachtung liegt darin, dass beim Konzept der Neuverhandlungssicherheit implizit unterstellt wird, dass jede Erwerbstätigengeneration mit ihren – zu diesem Zeitpunkt noch ungeborenen – Nachkommen eine neue Familienverfassung aushandeln könne, während beim hier entwickelten Konzept der „Neuformulierungssicherheit“ davon ausgegangen wird, dass jede aktuelle Erwerbstätigengeneration eine neue Familienverfassung diktieren kann, wenn sie es will. Das hier verwendete Konzept hat zum einen den Vorteil, dass es das Verhalten von Individuen realistischer beschreibt. Der eigentliche Grund für seine Verwendung liegt jedoch darin, dass es im Gegensatz zum Modell von Cigno (1993, 2003, 2006) im hier entwickelten Ansatz möglich ist, dass Individuen über die Höhe der von ihnen geleisteten Ausbildungstransferzahlungen das Einkommen ihrer Nachkommen beeinflussen und darüber ein erwünschtes Verhalten induzieren können. Über diesen Mechanismus ist es unter bestimmten Umständen möglich, eine neue Familienverfassung zu formulieren, ohne vom gedanklichen Konstrukt einer Verhandlung mit ungeborenen Individuen ausgehen zu müssen. Zu jedem Zeitpunkt t sind immer nur jene Individuen zur Formulierung – oder Neuformulierung – einer Familienverfassung in der Lage, die sich aktuell in der Erwerbstätigkeitsphase befinden. Rein intuitiv liegt daher der Gedanke nahe, dass sich nur solche Verfassungen ergeben können, die einen möglichst hohen Alterstransfer, aber keinen Ausbildungstransfer vorschreiben44. Ein solcher Verfassungsinhalt bilde im Folgenden den Ausgangspunkt der Suche nach einer neuformulierungssicheren Familienverfassung. Betrachtet wird mithin die Situation eines repräsentativen Individuums, dass sich in der Erwerbstätigkeitsphase seines Lebenszyklus befindet und eine Verfassung formulieren will, die einen Alterstransfer b > 0 und einen Ausbildungstransfer e ã 0 vorschreibt45. Bei einem Ausbildungstransfer in Höhe von e ã 0 ist die Kinderzahl des repräsentativen Individuums gemäß (4.22) dann optimal gewählt, wenn die folgende Bedingung erfüllt ist: 44 Man beachte, dass der vorgeschriebene Alterstransfer b absolut und nicht als Anteil am Erwerbseinkommen der Individuen formuliert ist, so wie das z. B. in den Modellen von Park (1995) und Werding (2003) der Fall ist. Es gibt daher keine direkte Verbindung zwischen der Humankapitalausstattung der Nachkommen und der Höhe der von diesen vorgenommenen Alterstransfers. 45 Das betrachtete Individuum kann insofern als der Begründer des Familiensystems interpretiert werden.

222 È4:27ê

4. Alterssicherung und Investitionsmotiv der Kindererziehung u0t u0t þ 1

ã

b q

Bei gegebener Kinderzahl wird das betrachtete Individuum den in der Verfassung aufzunehmenden Alterstransfer b – den es ja zur Nutzung des Familiensystems auch selbst vornehmen muss – so wählen, dass sein Einkommen optimal über die Zeit alloziert wird. Die Bedingung für den optimalen Alterstransfer ergibt sich aus der Ableitung der Nutzenfunktion (4.21) nach b: È4:28ê

dU t  1; FS u0 ã u0t þ È1 þ nt êu0t þ 1 ã 0 bzw: 0 t ã È1 þ nt ê db ut þ 1

Bezeichnet man den gemäß (4.28) festgelegten Alterstransfer mit balt und den Ausbildungstransfer e ã 0 mit ealt , dann wird die vom Begründer des Familiensystems formulierte Verfassung mit dem Dupel Èe; bê ã Èealt ; balt ê beschrieben. Wenn durch die Anwendung dieser Verfassung Bedingung balt È1 þ nt ê (4.24) bzw. die Ungleichung > È1 þ rê erfüllt wird, dann qÈ1 þ nt ê þ balt ist sie grundsätzlich wählbar und erlaubt selbstdurchsetzende implizite Vertragsbeziehungen. Der Begründer des Familiensystems sowie alle seine Kinder und Kindeskinder können sich in diesem Fall besser stellen, wenn sie ihre Alterssicherung über das Familiensystem organisieren und zu diesem Zweck È1 þ nt ê Kinder erziehen und den Alterstransfer balt an ihre Eltern leisten. Sie gewinnen dadurch eine dem Markt überlegene Möglichkeit der intertemporalen Ressourcenallokation. Auf den ersten Blick ähnelt ein durch diese Verfassung beschriebenes Familiensystem einem in herkömmlicher Weise organisierten Umlagesystem. Die Individuen zahlen in ihrer Erwerbstätigkeitsphase eine Art „Beitrag“ in Höhe von balt an das Familiensystem. Die „Beiträge“ bzw. Alterstransferzahlungen einer Periode dienen der Finanzierung des Alterskonsums der Ruheständler der gleichen Periode. Die Gegenleistung für die vorgenommenen Beitragszahlungen besteht in der Aussicht, in der Ruhestandsphase Alterstransfers bzw. Rentenzahlungen von der Folgegeneration zu erhalten. Die Analogie mit einem herkömmlichen Umlagesystem besteht jedoch nur scheinbar: Denn obwohl die Individuen nicht in die Ausbildung ihrer Nachkommen investieren, können sie im Alter doch nur dann Rentenzahlungen erwarten, wenn sie eigene Kinder erziehen und für diese die Erziehungskosten q aufwenden. Die alleinige Leistung des Alterstransfers balt reicht dazu nicht aus. Zur Nutzung des Familiensystems ist daher in jedem Fall eine Investition in die Kopfzahl der Nachkommen in Höhe von qÈ1 þ nt ê notwendig. Mit Blick auf (4.27) und (4.28) muss dabei die folgende Beziehung gelten:

4.3 Individuelle Vorteilhaftigkeit von Transferbeziehungen È4:29ê

u0t u0t þ 1

ã

223

balt ã È1 þ nt ê q

Im Optimum muss mithin die Kinderzahl dem Zinsfaktor der Kindererziehung entsprechen. Da für die Individuen gemäß (4.25) nur Familienverfassungen in Frage kommen, durch deren Anwendung die Bedingung balt > È1 þ rê erfüllt wird, muss wegen (4.29) auch folgende Ungleichung q erfüllt sein: È4:30ê

È1 þ nt ê > È1 þ rê

Auch (4.30) liefert eine scheinbare Parallele zu einem herkömmlichen Umlagesystem: Bei gegebenem Alterstransfer b ist die Familienstrategie überhaupt nur dann vorteilhafter als die Marktstrategie, wenn die „biologische“ Verzinsung höher als der Marktzins ist. Während sich jedoch die biologische Verzinsung in einem herkömmlichen Umlagesystem aus der durchschnittlichen Fertilität ergibt und daher aus individueller Sicht exogen gegeben ist, wählen die Individuen È1 þ nt ê im Familiensystem selbst. Die bisherigen Überlegungen zeigen, dass eine Verfassung Èe; bê ã Èealt ; balt ê mit den Transfers ealt ã 0 und balt > 0 wählbar sein und ihre Anwendung selbstdurchsetzende implizite Vertragsbeziehungen zwischen Familienmitgliedern ermöglichen kann. Es ist aber soweit noch offen, ob diese Verfassung auch das Kriterium der Neuformulierungssicherheit erfüllt und daher die hier gesuchte optimale Verfassung ist. Um dies zu überprüfen, sei im Folgenden unterstellt, dass die oben beschriebene Verfassung Èe; bê ã Èealt ; balt ê die bislang innerhalb einer Familie geltende Verfassung ist. Die Anwendung dieser Verfassung führe dazu, dass Bedingung (4.24) erfüllt wird. Ein sich in der Erwerbstätigkeitsphase befindendes repräsentatives Mitglied der betrachteten Familie wird daher in jedem Fall die Familiender Marktstrategie vorziehen. Es bleibt ihm aber die Option, entweder an den Regeln der alten Familienverfassung festzuhalten oder eine neue Familienverfassung zu formulieren46. Wie oben bereits diskutiert wurde, ist eine Neuformulierung der Familienverfassung dabei nur dann sinnvoll, wenn die alte durch die neue Verfassung Pareto-dominiert wird. Der Inhalt einer neuen Verfassungsformulierung muss daher drei Bedingungen erfüllen: 46

Die folgenden Überlegungen sind als reines Gedankenexperiment zu verstehen. Die Individuen werden von Beginn an eine Pareto-dominante bzw. neuformulierungssichere Verfassung wählen, da diese aus Sicht eines Mitglieds der Erwerbstätigengeneration – wie die nachfolgenden Überlegungen zeigen werden – stets die vorteilhafteste Verfassung ist.

224

4. Alterssicherung und Investitionsmotiv der Kindererziehung

(1) Die Eltern des neu formulierenden Individuums dürfen durch den Wechsel zu einer neuen Verfassung nicht schlechter gestellt werden. Es muss mithin in jedem Fall seiner Verpflichtung zur Vornahme von balt nachkommen. (2) Die ökonomische Situation der Nachkommen des neu formulierenden Individuums darf durch den Wechsel zu einer neuen Verfassung nicht verschlechtert werden. Eine neue Verfassung mit bneu > balt ist daher nur dann möglich, wenn auch eneu > ealt ist. (3) Das neu formulierende Individuum selbst muss durch die neue Verfassung strikt besser gestellt werden, da es ansonsten keine Motivation zur Neuformulierung hat. Die erste Bedingung kann für jede überhaupt in Frage kommende neue Verfassung als erfüllt gelten. Eine neue kann die alte Verfassung nur dann Pareto-dominieren, wenn bneu > balt ist. Wenn sich eine Pareto-dominante neue Verfassung finden lässt, dann ist es für das neu formulierende Individuum problemlos möglich, balt an seine Eltern zu leisten47. Unter welchen Umständen die zweite Bedingung in denkbaren neuen Verfassungsformulierungen als erfüllt gelten kann, bedarf einer differenzierteren Betrachtung. Aus (4.28) ergibt sich zunächst, dass der Alterstransfer b ã balt für e ã ealt ã 0 bereits optimal gewählt ist. Wenn somit eine vorteilhaftere als die alte Verfassung existiert, dann muss diese zwingend einen Ausbildungstransfer eneu > 0 enthalten. Aus (4.14) und (4.15) ergibt sich dann, dass jede denkbare neue Verfassungsformulierung zur Folge hat, dass das Bruttoeinkommen der Nachkommen des neu formulierenden Individuums zunimmt. Daraus folgt jedoch noch nicht unbedingt, dass nach dem Abzug aller Transferleistungen auch das Nettoeinkommen und damit der Lebensnutzen der Nachkommen wächst. Einmal unterstellt, das neu formulierende Individuum wählt in der neuen Verfassung einen positiven Ausbildungstransfer eneu so, dass eneu > ealt ã 0 ist. Bei unverändertem Alterstransfer balt wäre diese Verfassung aus seiner Sicht eindeutig schlechter als die alte Verfassung, denn es würde einen höheren Ausbildungstransfer leisten, ohne dafür kompensiert zu werden. Doch ein höherer Ausbildungstransfer bliebe nicht ohne Einfluss auf das optimale Verhalten seiner Nachkomdht þ 1 dht > 0 und lim ã 1 zieht ein positiver Ausbilmen. Wegen et  1 ! 0 det  1 det dungstransfer eine (zunächst starke) Zunahme des Erwerbseinkommens der 47 Man beachte, dass das neu formulierende Indiviuum nicht verpflichtet ist, einen in die neue Verfassung aufgenommenen Alterstransfer bneu > balt auch an die eigenen Eltern vorzunehmen, denn die impliziten Vertragsbeziehungen zu seinen Eltern beruhen vollständig auf der alten Verfassungsformulierung.

4.3 Individuelle Vorteilhaftigkeit von Transferbeziehungen

225

Nachkommen nach sich. Aus diesem Grund wäre balt für die Nachkommen nicht mehr optimal gewählt – ihr Nutzenniveau könnte höher sein, wenn sie einen Betrag bneu > balt von der Erwerbstätigkeits- in die Ruhestandsphase umschichten. Solange das Nettoeinkommen der Nachkommen durch eine Erhöhung des Ausbildungstransfers zunimmt, könnte das neu formulierende Individuum mithin die Erhöhung von ealt auf eneu so mit einer Erhöhung von balt auf bneu verbinden, dass der Lebensnutzen der Nachkommen zunimmt. Das Nettoeinkommen der Nachkommen nimmt durch eine Erhöhung von e aber nur solange zu, wie der Grenzertrag dieser Maßnahme die damit verbundenen Grenzkosten übertrifft. Der Grenzertrag ergibt sich aus dem zusätzlichen Erwerbseinkommen, das bei höheren Ausbildungsinvestidht þ 1 Èet ; gt ê . Die tionen erreicht werden kann. Gemäß (4.14) beträgt es w det Grenzkosten bestehen darin, dass die Nachkommen den höheren Ausbildungstransfer auch selbst an ihre È1 þ nt þ 1 ê Kinder leisten müssen, wenn sie nicht gegen die Regeln der neu formulierten Familienverfassung verstoßen wollen. Die Grenzkosten einer Erhöhung von e in der Familienverfassung betragen daher gerade È1 þ nt þ 1 ê. Das Nettoeinkommen der Nachkommen nimmt bei einer Erhöhung von e somit nur dann zu, wenn die folgende Ungleichung erfüllt ist: È4:31ê

w

dht þ 1 Èet ; gt ê > È1 þ nt þ 1 ê det

Die linke Seite von (4.31) wird gemäß den für die Form von (4.14) getroffenen Annahmen mit zunehmendem e immer kleiner und strebt gegen Null. Die Reaktion der rechten Seite von (4.31) auf eine Erhöhung von e ist, wenn der gesamten Wertebereich von e betrachtet wird, offen. Weiter unten wird bei der Diskussion der dritten Bedingung für eine Pareto-dominante neue Verfassung jedoch gezeigt, dass È1 þ nt ê für jenen Wertebereich von e eindeutig zunimmt, den das neu formulierende Individuum überhaupt bereit wäre, in eine neue Familienverfassung aufzunehmen. Die rechte Seite von (4.31) nimmt daher für jeden denkbaren Ausbildungstransfer eneu zu. Aus der Abnahme der linken und der Zunahme der rechten Seite von (4.31) mit eneu folgt noch nicht unbedingt, dass (4.31) für ein bestimmtes eneu bindend wird. Um die Eigenschaften einer denkbaren neuen Verfassungsformulierung besser herausstellen zu können, sei dies jedoch im Folgenden unterstellt48. Es existiert dann ein Ausbildungstransfer eneu ã emax , dessen Überschreitung zu einem sinkenden Nettoeinkommen der Nachkommen des neu formulierenden Individuums führt. Bei jedem Transfer e > emax würde das Nettoeinkommen der Nachkommen bei Anwendung der neuen Verfassungs48

An den Ergebnissen dieses Abschnitts ändert sich durch diese Annahme nichts.

226

4. Alterssicherung und Investitionsmotiv der Kindererziehung

formulierung geringer als bei Anwendung der alten Verfassungsformulierung sein. Ein geringeres Nettoeinkommen würde aber bedeuten, dass die Nachkommen einen Alterstransfer bneu < balt vorziehen würden. Eine neue Verfassung mit eneu > ealt und bneu < balt würde aber aus Sicht des neu formulierenden Individuums ungünstiger als die alte Verfassungsformulierung sein und käme daher nicht in Frage. emax beschreibt somit jenen Ausbildungstransfer, der vom neu formulierenden Individuum maximal in eine neue Familienverfassung aufgenommen werden kann. Ausgehend von einer Verfassung mit e ã ealt ã 0 muss sich der Ausbildungstransfer eneu einer neuen Verfassung daher im Intervall eneu ã È0; . . . ; emax Å befinden. Daraus folgt zugleich, dass das Netto-Lebenseinkommen der Nachkommen für jede überhaupt in Frage kommende neue Verfassungsformulierung mindestens konstant bleibt, so dass die zweite der oben genannten Bedingungen in diesen Verfassungsfomulierungen in jedem Fall erfüllt wird. Fraglich ist nun schließlich noch, unter welchen Voraussetzungen die dritte Bedingung erfüllt bzw. das neu formulierende Individuum selbst besser gestellt wird. Wie gezeigt wurde, kommen überhaupt nur solche neuen Verfassungsformulierungen in Frage, die einen positiven Ausbildungstransfer aus dem Intervall eneu ã È0; . . . ; emax Å enthalten. Wird ein neuer Ausbildungstransfer aus diesem Intervall gewählt, so nimmt das Lebenseinkommen der Nachkommen des neu formulierenden Individuums zu und die neue Verfassung kann zusätzlich einen höheren Alterstransfer bneu enthalten. Ein Alterstransfer bneu > balt kann mithin nur durchgesetzt werden, wenn dafür zunächst der „Preis“ in Form eines neuen Ausbildungstransfers eneu > ealt gezahlt wird. Eine Motivation zur Formulierung einer neuen Familienverfassung liegt folglich immer nur dann vor, wenn der Zusatznutzen aus dem induzierten neuen Alterstransfer bneu > balt größer als der Nutzenverlust aus der Vornahme des zu seiner Induzierung notwendigen neuen Ausbildungstransfers eneu > ealt ist. Unter welchen Bedingungen diese Voraussetzung erfüllt wird, kann unter Verwendung der Nutzenfunktion (4.21) untersucht werden. Dabei sei von dem Umstand Gebrauch gemacht, dass die Höhe des durchsetzbaren Alterstransfer bneu einer neuen Verfassung mit der Höhe des neuen Ausbildungstransfers eneu verknüpft ist. bneu steht somit in quasi-funktionaler Abhängigkeit zu eneu , so dass man bneu ã bneu Èeneu ê schreiben kann. Wie oben ausgeführt wurde, ist dabei b0 neu Èeneu ê > 0 für ealt < eneu < emax , b0 neu Èeneu ê ã 0 für eneu ã emax und b0 neu Èeneu ê < 0 für eneu > emax . Bei gegebener alter Verfassung mit Èe; bê ã Èealt ; balt ê lässt sich (4.21) daher umformulieren zu: È4:32ê

  U t  1; FS ã ut wht Èealt ; gt  1 ê  balt  Èeneu þ qêÈ1 þ nt ê   þ ut þ 1 bneu Èeneu êÈ1 þ nt ê

4.3 Individuelle Vorteilhaftigkeit von Transferbeziehungen

227

Der „Schlüssel“ zu einer neuen Verfassungsformulierung liegt in der optimalen Wahl des Ausbildungstransfers. eneu ist dann optimal gewählt, wenn die folgende Bedingung 1. Ordnung für ein Nutzenmaximum erfüllt ist:

È4:33ê

dU t  1; FS ã È1 þ nt êu0t þ b0 neu Èeneu êÈ1 þ nt êu0t þ 1 ã 0 deneu u0t ã b0 neu Èeneu ê 0 ut þ 1

bzw:

Verbindet man (4.33) mit Gleichung (4.22), dann muss im Optimum somit gelten: È4:34ê

b0 neu Èeneu ê ã

bneu Èeneu ê eneu þ q

Die linke Seite von (4.34) gibt den Grenzertrag zusätzlicher Ausbildungstransfers aus Sicht des neu formulierenden Individuums an. Er ist für eneu 2 È0; :::; emax Å positiv und nimmt mit zunehmendem eneu ab. Auf der rechten Seite von (4.34) ist die Verzinsung der Kindererziehung und -ausbÈeneu ê ist, bildung im Familiensystem aufgeführt. Solange b0 neu Èeneu ê > neu e þq nimmt sie mit eneu zu, denn in diesem Fall übertrifft die Verzinsung zusätzlicher Ausbildungsinvestitionen die Verzinsung der Kindererziehung und -ausbildung ohne Vornahme weiterer Ausbildungstransfers. Jede weitere Ausbildungsinvestition ist dann in der Lage, die Verzinsung der Familienstrategie zu erhöhen49. Wenn der Grenzertrag der Ausbildungsinvestitionen gerade der Verzinsung der Kindererziehung und -ausbildung entspricht, dann ist das Optimum erreicht. Das Optimum ist mithin dadurch gekennzeichnet, dass die Verzinsung der Kindererziehung und -ausbildung im Familiensystem maximiert wird. Jeder darüber hinausgehende Ausbildungstransfer würde aus Sicht des neu formulierenden Individuums zu einer Verringerung der Verzinsung der Kindererziehung und -ausbildung 'bzw. der Familienstrategie führen und daher von diesem nicht vorgenommen werden50. In dieser Situation ist es stattdessen vorteilhafter, zur gegebenen (maximalen) Verzinsung der 49

Je höher die Verzinsung der Kindererziehung und -ausbildung ist, desto höher ist auch die Verzinsung der Familienstrategie. Denn leitet man (4.24) nach b ab, ½Èe þ qêÈ1 þ nê þ bÅÈ1 þ nê  bÈ1 þ nê > 0. ergibt sich ½Èe þ qêÈ1 þ nê þ bÅ2 50 Aus diesem Grund nimmt È1 þ n ê, wie unterhalb (4.31) unterstellt wurde, mit t der Höhe der für ein neu formulierendes Individuum überhaupt in Frage kommenden Ausbildungstransfers eneu zu. Denn solange eine Erhöhung des Ausbildungstransfers mit einer höheren Verzinsung der Kindererziehung und -ausbildung einhergeht, nimmt gemäß (4.22) auch die individuell optimale Kinderzahl zu.

228

4. Alterssicherung und Investitionsmotiv der Kindererziehung

Kindererziehung und -ausbildung in die Kinderzahl statt in die Ausbildung der Kinder zu investieren. Das erzielte Ergebnis zeigt somit, dass eine Familienverfassung mit Èe; bê ã Èealt ; balt ê dann nicht das Kriterium der Neuformulierungssicherheit erfüllt, wenn sich eine neue Familienverfassung mit balt ist. Èe; bê ã Èeneu ; bneu ê so formulieren lässt, dass b0 neu Èeneu ê > alt e þq alt b Gilt hingegen gerade b0 neu Èeneu ê ã alt , dann wird die aktuelle Verfase þq sung von keiner anderen Verfassung Pareto-dominiert und ist sicher vor einer Neuformulierung. Eine Familienverfassung, in der (4.34) erfüllt ist, ist damit die in diesem Abschnitt gesuchte optimale Familienverfassung. Eine solche optimale bzw. neuformulierungssichere Familienverfassung sei im weiteren Verlauf der Untersuchung stets mit Èe; bê ã ÈeV ; bV ê bezeichnet, so wie dies in 4.3.2 und im vorliegenden Abschnitt unter Punkt (a) bereits vorweggenommen wurde. Das Interessante an der in diesem Abschnitt gefundenen Lösung ist, dass sie die eingangs erwähnte Intuition, eine von der Erwerbstätigengeneration diktierte Familienverfassung könne keine positiven Ausbildungstransfers enthalten, nicht bestätigt. Stattdessen können sich die Mitglieder einer Erwerbstätigengeneration im Regelfall besser stellen, wenn sie in die Ausbildung ihrer Nachkommen investieren und auf diese Weise höhere Alterstransfers ermöglichen. Da auch die Nachkommen durch eine solche Verfassungsformulierung besser gestellt werden, werden sie die Ausbildungstransfers trotz der damit verbundenen Verpflichtung zur Vornahme höherer Alterstransfers annehmen – eine stillschweigende Übereinkunft über den Inhalt der Familienverfassung wird erzielt. Wenn die Familienverfassung optimal formuliert ist, wird ihr Inhalt bei Konstanz der ökonomischen Umgebungsbedingungen unverändert von Generation zu Generation weitergegeben und bildet die Grundlage selbstdurchsetzender impliziter Vertragsbeziehungen zwischen Familienmitgliedern jeweils dreier Generationen. Die außerhalb des Marktes stehende Institution der Familie kann mithin die Aufnahme von Ausbildungskrediten und die intertemporale Ressourcenallokation über die Anlage in Humankapital auch dann ermöglichen, wenn alle Individuen rein egoistisch motiviert sind. Die Formulierung einer optimalen Familienverfassung hat jedoch nicht zur Folge, dass die auf ihrer Grundlage eingegangenen impliziten Vertragsbeziehungen effizient sind, denn optimal ist die Verfassungsformulierung immer nur aus Sicht eines Mitglieds der Erwerbstätigengeneration und unter der Prämisse der Unmöglichkeit expliziter intergenerationaler Vertragsbeziehungen zwischen der Erwerbstätigen- und der Jugendgeneration. In Abschnitt 4.2.1 wurde gezeigt, dass Ausbildungsinvestitionen bei Vorliegen eines vollkommenen Ausbildungskreditmarktes so hoch sein sollten, dass

4.3 Individuelle Vorteilhaftigkeit von Transferbeziehungen

229

die Humankapitalverzinsung gerade der Sachkapitalverzinsung entspricht. Ist dies nicht der Fall, dann existieren vorteilhafte, aber ungenutzte Investitionsmöglichkeiten in Humankapital. In der optimalen Familienverfassung sind die Ausbildungsinvestitionen aber aus zwei Gründen geringer als bei Existenz eines vollkommenen Ausbildungskreditmarktes. Der erste Grund hat mit der fehlenden rechtlichen Durchsetzbarkeit intrafamiliärer Transfers bzw. mit der Notwendigkeit zu tun, dass implizite intergenerationale Vertragsbeziehungen selbstdurchsetzend sind. Oben wurde unter Punkt (a) gezeigt, dass implizite Vertragsbeziehungen zwischen Familienmitgliedern nur dann selbstdurchsetzend sind, wenn die Bedingung bV > È1 þ rê erfüllt bzw. die Verzinsung der Kindererziehung und ÈeV þ qê -ausbildung strikt größer als die Verzinsung von Anlagen auf dem Kapitalmarkt ist. Gemäß (4.29) entspricht zudem die optimale Kinderzahl bei gegebener Familienverfassung und Wahl der Familienstrategie gerade der Verzinsung der Kindererziehung und -ausbildung, so dass bei Wahl der Familienstrategie È1 þ nt ê > È1 þ rê sein muss. Der maximal mögliche Ausbildungstransfer emax einer Familienverfassung ist nun aber gemäß (4.31) dadurch gekennzeichnet, dass bei seiner Vornahme È1 þ nt ê ã dht Èemax ; gt  1 ê w ist. Daraus folgt direkt, dass für jeden denkbaren Ausdemax bildungstransfer, der Inhalt einer Familienverfassung sein kann, strikt dht Èemax ; gt  1 ê w > È1 þ rê gelten muss. D.h.: In jeder denkbaren Verfasdemax sungsformulierung, die Grundlage selbstdurchsetzender impliziter Vertragsbeziehungen sein kann, müssen die vorgeschriebenen Ausbildungstransfers zwangsläufig so gering sein, dass der Grenzertrag von Humankapitalinvestitionen auch bei Vornahme dieser Transfers stets größer als der Kapitalmarktzinsfaktor ist. Trotz der Möglichkeit, über das Familiensystem in die Ausbildung der nachfolgenden Generation zu investieren, verbleiben mithin gesamtgesellschaftlich vorteilhafte, aber ungenutzte Investitionsmöglichkeiten in Humankapital. Diese zusätzlichen Investitionen werden deshalb nicht vorgenommen, weil die Wahl der Familienstrategie für die Mitglieder einer Erwerbstätigengeneration nur dann in Frage kommt, wenn die Verzinsung der Kindererziehung und -ausbildung strikt höher als der Kapitalmarktzins ist. Wenn diese Bedingung verletzt wird, dann sind die Individuen in ihrer Erwerbstätigkeitsphase nicht bereit, in das Humankapital der nachfolgenden Generation zu investieren und zugleich Alterstransfers an ihre eigenen Eltern zu leisten. Der zweite Grund für die zu geringen Ausbildungsinvestitionen geht darauf zurück, dass eine Familienverfassung nur von Mitgliedern einer jewei-

230

4. Alterssicherung und Investitionsmotiv der Kindererziehung

ligen Erwerbstätigengeneration formuliert bzw. neu formuliert werden kann. Ein sich in der Erwerbstätigkeitsphase befindendes Individuum wird sich gemäß (4.25) nur dann für die Familienstrategie entscheiden, wenn bV > È1 þ rê ist. Falls der Zinsfaktor È1 þ rê  0 ist, muss daher ÈeV þ qê bV auch V > 0 sein. Gemäß (4.34) gilt zudem, dass der AusbildungsÈe þ qê transfer in einer neuformulierungssicheren Familienverfassung gerade so bV ÈeV ê 0 hoch sein muss, dass V ã b V ÈeV ê ist. Wie oben erläutert wurde, bee þq 0 schreibt b V ÈeV ê dabei jenen zusätzlichen Alterstransfer, den ein Individuum als Reaktion auf eine marginale Erhöhung des in seiner Jugendphase empfangenen Ausbildungstransfers in seiner Erwerbstätigkeitsphase vornehmen möchte. Ein e ã emax ist dabei dadurch gekennzeichnet, dass zusätzliche Ausbildungstransfers zu keiner Zunahme des Lebenseinkommens führen und mithin b0 Èemax ê ã 0 ist. Da durch eine Familienverfassung aber nur dann selbstdurchsetzende implizite Vertragsbeziehungen ermöglicht werden, bV ÈeV ê 0 > È1 þ rê > 0 ist, muss der aus Sicht eines Erwenn b V ÈeV ê ã V e þq werbstätigen optimale Ausbildungstransfer eV eindeutig kleiner als emax sein. Die Tatsache, dass eine Verfassung nur von Individuen in der Erwerbstätigkeitsphase formuliert werden kann, hat somit zur Folge, dass der in einer neuformulierungssicheren Verfassung vorgeschriebene Ausbildungstransfer eV geringer und die Verzinsung der Kindererziehung und -ausbildung höher ist, als es allein die Bedingung der Selbstdurchsetzbarkeit der auf Grundlage einer Familienverfassung eingegangenen impliziten Vertragsbeziehungen erforderlich machen würde. Das Familiensystem ist somit zwar in der Lage, die Anlage in Humankapital und die Aufnahme von Ausbildungskrediten trotz fehlender Ausbildungskreditmärkte zu ermöglichen. Aufgrund der Erfordernis selbstdurchsetzender impliziter Vertragsbeziehungen zwischen Eltern und ihren Kindern und der Machtposition der jeweiligen Erwerbstätigengeneration einer Familie sind die Zinskosten der Ausbildungskredite aus Sicht der Kreditnehmer jedoch höher, als sie es auf einem vollkommenen Ausbildungskreditmarkt wären. Dementsprechend ist das Volumen der aufgenommenen Ausbildungskredite aus gesamtgesellschaftlicher Sicht zu gering. Die Monopolstellung, die der Familie als außerhalb des Marktes stehende Institution bei der Vergabe von Ausbildungskrediten zukommt, hat mithin ebenso problematische Ergebnisse zur Folge, wie sie aus der Analyse von Marktmonopolen bekannt sind.

4.3 Individuelle Vorteilhaftigkeit von Transferbeziehungen

231

Die in diesem Abschnitt gefundenen Ergebnisse und ihre Implikationen in Bezug auf die Beschreibung des Verhaltens der betrachteten Individuen und dessen volkswirtschaftliche Auswirkung werden im folgenden Teilabschnitt 4.3.4 nochmals zusammengefasst und erläutert. 4.3.4 Eigenschaften und Implikationen des Modells Die Eigenschaften und Implikationen des Modells seien im Folgenden – aus Übersichtlichkeitsgründen – durchnummeriert wiedergegeben: (1) Ausgangspunkt dieses Kapitels war die Frage, ob Familien die Bereitstellung von Ausbildungskrediten über ein System impliziter Verträge gewährleisten können, wenn die Aufnahme von Ausbildungskrediten und die intertemporale Ressourcenallokation über Anlagen in Humankapital aufgrund von Marktversagen nicht über den anonymen Kapitalmarkt möglich ist. Die Antwort auf diese Frage lautet: „Bedingt ja“. Wenn sich die Transferbeziehungen zwischen den Mitgliedern einer Familie so über eine Familienverfassung organisieren lassen, dass die Befolgung der Regeln dieser Verfassung aus Sicht der sich jeweils in der Erwerbstätigkeitsphase befindenden Mitglieder dieser Familie eine vorteilhaftere intertemporale Ressourcenallokation als über den Kapitalmarkt ermöglicht, dann wird ein Inhalt der Familienverfassung typischerweise die Verpflichtung zur Vornahme von Ausbildungstransfers an die eigenen Kinder sein. Die Existenz einer solchen Familienverfassung ist im hier entwickelten Modell der einzige Grund dafür, dass überhaupt Kinder geboren, erzogen und ausgebildet werden. In der Erwerbstätigkeitsphase ihres Lebenszyklus entscheiden sich die betrachteten Individuen nur dann für Kinder, wenn sich die besonderen Beziehungen, die sie nur zu anderen Familienmitgliedern haben können, zur Optimierung ihrer intertemporalen Ressourcenallokation instrumentalisieren lassen. Doch obwohl sie rein egoistisch motiviert sind, nutzen ihre Entscheidungen auch den eigenen Nachkommen, denn die Maximierung der Verzinsung der Kindererziehung und -ausbildung macht es notwendig, in begrenztem Maße mit den eigenen Kindern zu kooperieren: Nur auf diese Weise kann ein erwünschtes Verhalten der Nachkommen induziert werden51. Obwohl es zu keinerlei Verhandlungen 51

Das hier erzielte Ergebnis weist Parallelen zu den Ergebnissen von Cox/Stark (1996) und Stark/Falk (1998) auf. In den beiden genannten Ansätzen wird angenommen, dass Eltern mit ihrem Verhalten Einfluss auf die Präferenzen ihrer Kinder nehmen können. Wenn Eltern Entscheidungen zugunsten ihrer Kinder treffen, führt die „Dankbarkeit“ der Kinder zu einer Veränderung der Parameter ihrer Nutzenfunktion und damit ihres Verhaltens. Im Gegensatz zu der von Cox/Stark (1996) und Stark/Falk (1998) modellierten Verbindung zwischen Eltern- und Kinderverhal-

232

4. Alterssicherung und Investitionsmotiv der Kindererziehung

zwischen Eltern und ihren Kindern kommt, ergibt sich so ein für beide Seiten vorteilhaftes System intergenerationaler Transferbeziehungen, dass Eltern zur intertemporalen Ressourcenallokation und Kinder zur Finanzierung ihrer Ausbildung nutzen. (2) Selbst wenn die Existenz einer optimal formulierten Familienverfassung ökonomisch vorteilhafte und selbstdurchsetzende implizite Vertragsbeziehungen zwischen den Mitgliedern einer Familie ermöglicht, werden Ausbildungskredite nicht in gesamtgesellschaftlich effizientem Ausmaß bereitgestellt. Die fehlende rechtliche Durchsetzbarkeit intrafamiliärer Ansprüche und die Machtposition der jeweiligen Erwerbstätigengeneration einer Familie bei der Vornahme von Transfers führen dazu, dass die Zinskosten von Ausbildungskrediten höher und die Ausbildungsinvestitionen geringer sind, als es auf einem vollkommenen Ausbildungskreditmarkt der Fall wäre. Familien können zwar eine (Markt-)Lücke bei der Bereitstellung von Ausbildungskrediten und der Anlage in Humankapital schließen. Das Familiensystem ist jedoch nicht in der Lage, fehlende Ausbildungskreditmärkte gleichwertig zu ersetzen. (3) Die Alterssicherung im Familiensystem ähnelt zwar in ihrer Funktionsweise einem herkömmlichen umlagefinanzierten Alterssicherungssystem, weist aber entscheidende Unterschiede auf. Ebenso wie in einem herkömmlichen Umlagesystem finanziert auch im Familiensystem jede aktuelle Erwerbstätigengeneration mit ihren Alterstransferzahlungen den Alterskonsum der aktuellen Ruhestandsgeneration und kann, wenn sie sich an die Verfahrensregeln hält, von der ihr nachfolgenden Generation ebenfalls Rentenzahlungen erwarten. Während es aber die rechtliche Ausgestaltung herkömmlicher Umlagesysteme bei der Regelung der dargestellten Beziehungen zwischen jeweils zwei Generationen bewenden lässt – der Erwerbstätigen- und der Ruhestandsgeneration –, wird im Familiensystem die realwirtschaftliche Notwendigkeit der Erziehung einer nachfolgenden dritten Generation für die Möglichkeit und Berechtigung zum Bezug von Altersrenten betont. Im Familiensystem ist somit für jeden Beteiligten klar erkennbar, dass zukünftige Generationen erst einmal geboren, versorgt und erzogen werden müssen, wenn von diesen später die Finanzierung des Alterskonsums erwartet wird. Zudem sieht eine optimale Familienverfassung typischerweise vor, dass Eltern von ihren Kindern nur dann Alterstransfers erhalten, wenn sie an diese auch ten ist es im hier entwickelten Ansatz jedoch nicht notwendig, von der problematischen Annahme endogener Präferenzen auszugehen, denn die Veränderung des Kinderverhaltes wird hier nicht über veränderte Präferenzen, sondern über eine veränderte (Lebens-)Budgetrestriktion erzielt.

4.3 Individuelle Vorteilhaftigkeit von Transferbeziehungen

233

Ausbildungstransfers in mindestens der vorgeschriebenen Höhe vorgenommen haben. Die alleinige Leistung des Alterstransfers ist – anders als in einem herkömmlichen umlagefinanzierten Alterssicherungssystem – nicht ausreichend, um Ansprüche auf eigene Rentenzahlungen zu erwerben. Das hier entwickelte Modell verdeutlicht somit, dass in realwirtschaftlicher Betrachtungsweise jede Erwerbstätigengeneration, die das Umlageverfahren zur Organisation ihrer Alterssicherung nutzen will, stets eine „doppelte Bürde“ tragen muss, um die Funktionsfähigkeit dieses Systems zu sichern52: Sie muss eine „Alterslast“ tragen, indem sie die Ruhestandsphase ihrer Elterngeneration finanziert. Und sie muss zudem zwingend auch eine „Kinderlast“ tragen, indem sie eine Folgegeneration erzieht und ausbildet53. Wenn eine Erwerbstätigengeneration hingegen keine Kinder erzieht oder nicht ausreichend in deren Ausbildung investiert, dann bleibt ihr – der Logik der Marktstrategie folgend – nichts anderes übrig, als ihre Alterssicherung über die Bildung von Ersparnissen auf dem Kapitalmarkt zu gewährleisten. (4) Das Familiensystem ist, da es nicht auf rechtlich durchsetzbaren Vereinbarungen beruht, äußerst zerbrechlich. Im vorliegenden Abschnitt wurde es explizit für eine statische Volkswirtschaft und unter der Annahme vollständiger Voraussicht der Individuen formuliert54. Es ist zwar prinzipiell möglich, eine intertemporal unveränderliche Familienverfassung auch für eine veränderliche Wirtschaft – also z. B. für einen im Zeitablauf zunehmenden Lohnsatz w – zu formulieren. Notwendigerweise muss dann aber angenommen werden, dass sich solche Veränderungen perfekt vorhersehen lassen. Zusätzlich dürfen die vorhersehbaren Veränderungen nicht dazu führen, dass das Familiensystem zu einem bestimmten Zeitpunkt unvorteilhaft wird, denn in diesem Fall würde es – der Logik der Rückwärtsinduktion folgend – niemals installiert werden. Eine wesentlich größere Bedrohung für den Fortbestand von Familienverfassungen liegt jedoch dann vor, wenn die Volkswirtschaft, in der sich die Familien bewegen, von nicht antizipierten exogenen „Schocks“ getroffen wird. Wenn solche Schocks die ökonomi52

Sinn (2000, S. 404; 2005, S. 41) hat in verschiedenen Veröffentlichungen pointiert auf diesen Sachverhalt aufmerksam gemacht. 53 Da im hier entwickelten Modell von rein egoistischen Individuen ausgegangen wird, handelt es sich im notwendigen Aufwand für die Erziehung und Ausbildung der Nachkommen und für die Versorgung der Eltern aus Sicht der Mitglieder der Erwerbstätigengeneration tatsächlich um reine „Lasten“, denn sie würden diese Zahlungen umgehen, wenn es ihnen ohne nachfolgende Sanktionen möglich wäre. 54 Die gleichen Annahmen liegen auch den ähnlichen Modellansätzen von Cigno (1993, 2003, 2006), Anderberg/Balestrino (2001) und Rangel (2003) zu Grunde.

234

4. Alterssicherung und Investitionsmotiv der Kindererziehung

sche Umgebung der aktuellen Erwerbstätigengeneration verändern, dann ist es möglich, dass die auf Grundlage der bisherigen Familienverfassungen eingegangenen impliziten Vertragsbeziehungen nicht mehr selbstdurchsetzend sind und die Mitglieder der Erwerbstätigengeneration einen unvorhergesehenen Wechsel zur Marktstrategie vollziehen. Die aktuelle Ruhestandsgeneration würde so die Mittel zur Finanzierung ihres Alterskonsums verlieren, obwohl sie ausreichend in Humankapital investiert und sich in vorgeschriebener Weise um ihre Elterngeneration gekümmert hat. Die mit der Alterssicherung im Familiensystem verbundenen Risiken verhalten sich somit in ihrer Wirkungsrichtung in gewisser Weise genau umgekehrt zu denen, die ein in herkömmlicher Weise organisiertes umlagefinanziertes Alterssicherungssystem bedrohen: In letzterem läuft eine Generation Gefahr, ihren Altersrentenanspruch – zumindestens der Höhe nach – zu verlieren, wenn sie nicht genug Mittel für ihren Nachwuchs aufgewendet hat. Im Familiensystem kann eine Generation ihren Altersrentenanspruch verlieren, weil es für ihre Nachkommen plötzlich einen günstigeren Weg der Alterssicherung gibt und sie daher zu wenig Mittel für ihre Eltern aufwenden. Es ist jedoch nicht unbedingt gesagt, dass Familienverfassungen unvorhergesehene Veränderungen nicht überstehen können. Es ist denkbar, dass alte Familienverfassungen so an neue Umgebungsbedingungen angepasst werden können, dass keine Generation gegen die Regeln der alten Verfassung verstößt und dennoch eine neue Verfassung gefunden werden kann, die selbstdurchsetzende implizite Vertragsbeziehungen zwischen Familienmitgliedern ermöglicht. Im folgenden Abschnitt 4.4 wird eine auf unvorhergesehene Veränderungen der ökonomischen Umgebung zurückgehende Destabilisierung des Familiensystems konstruiert und detailliert hinterfragt, wie sich die Individuen den veränderten Gegebenheiten anpassen und unter welchen Voraussetzungen es möglich ist, dass das Familiensystem eine solche Entwicklung übersteht. Zudem wird untersucht, welche Auswirkungen eine Destabilisierung bestehender Familienverfassungen auf die Mitglieder verschiedener Generationen haben kann.

4.4 Die Destabilisierung intrafamiliärer Transferbeziehungen 4.4.1 Einführung: Familie und Industrialisierung In einer Vielzahl ökonomischer Veröffentlichungen findet sich die Auffassung, dass das Investitionsmotiv der Kindererziehung in weniger entwickelten Volkswirtschaften ein wichtiger Grund für die Kindererziehungsentscheidung ist, während es in entwickelten Volkswirtschaften kaum noch

4.4 Die Destabilisierung intrafamiliärer Transferbeziehungen

235

oder gar keine Rolle mehr spielt55. Während es schwer ist nachzuweisen, unter welcher Motivlage Kinder in der vorindustriellen Vergangenheit der heutigen Industriestaaten erzogen wurden, kommen in Entwicklungsländern durchgeführte empirische Untersuchungen zu dem Ergebnis, dass das Investitionsmotiv – und dabei prominent das Alterssicherungsmotiv – in diesen Staaten tatsächlich (noch) eine wichtige Rolle bei der Entscheidung für oder gegen Kinder spielt56. Daher liegt der Schluss nahe, dass das Investitionsmotiv der Kindererziehung in früheren Zeiten auch in den heutigen Industriestaaten eine wichtige Rolle gespielt hat, als ihre Struktur noch jener der heutigen Entwicklungsländer ähnelte. Es stellt sich dann die Frage, warum genau der Entwicklungsprozess einer Volkswirtschaft zum Verschwinden des Investitionsmotivs der Kindererziehung führt. Auffallend ist, dass sich in ausnahmslos allen heutigen Industriestaaten ein dramatischer Rückgang der Geburtenzahlen gerade in dem Zeitraum beobachten lässt, in dem sie jenen – in Relation zur Menschheitsgeschichte – plötzlichen Wechsel von agrarisch geprägten Volkswirtschaften zu Volkswirtschaften mit industrieller Produktionsweise vollzogen haben, der heute „Industrielle Revolution“ genannt wird. Der Industrialisierungsprozess von Volkswirtschaften geht mit einer Vielzahl ökonomischer, technologischer und sozialer Veränderungen einher. Zwei typische Veränderungen sind ein zunehmender Urbanisierungsgrad und ein wachsender Anteil der im sekundären und tertiären Sektor beschäftigten Arbeitnehmer. In Abbildung 4.1 auf Seite 236 sind daher als Beispiel für die Koinzidenz von Industrialisierung und Geburtenrückgang die Entwicklungen der Lebendgeborenen je 1000 Einwohner, des in Städten mit über 20 000 Einwohnern lebenden Teils der Bevölkerung und des prozentualen Anteils der im sekundären und tertiären Sektor beschäftigten Arbeitnehmer an allen Beschäftigten für Deutschland im Zeitraum von 1880 bis 1930 aufgeführt. Die in der Abbildung dargestellte qualitative Entwicklung ist typisch für alle heutigen Industriestaaten, lediglich im Timing und im Ausmaß der aufgeführten Entwicklungen lassen sich Unterschiede beobachten57. Wie Abbildung 4.1 zeigt, hat sich die Zahl der Geburten im Betrachtungszeitraum in etwa halbiert, während zur gleichen Zeit der Anteil der Beschäftigten im sekundären und tertiären 55 So z. B. Schultz (1973, S. 5), Folbre (1994, S. 86), Burggraf (1997, S. 19), Sinn (2003, S. 26), Van Groezen/Leers/Meijdam (2003, S. 238), Henman (2004, S. 15), Laferrere/Wolff (2004, S. 63) und Kögel (2006, S. 4). 56 So z. B. DeVanzo/Chan (1994), Bommier (1995) und Lillard/Willis (1997) für Malaysia, Appleton/Bigston/Kulundu Manda (1999) für Kenia, Kochar (2000) für Pakistan, Cameron/Cobb-Clark (2001) für Indonesien, Pal (2004) für Indien und Stecklov (1999) für die Elfenbeinküste. 57 Für die Entwicklung in anderen Industriestaaten vgl. z. B. Lesthaeghe/Wilson (1986) und Boldrin/Jones (2002) sowie die dort aufgeführte Literatur.

80,00%

40

70,00%

35

60,00%

30

50,00%

25

40,00%

20

30,00%

15

20,00%

10

10,00%

5

0,00%

Lebendgeborene je 1000 Einwohner

4. Alterssicherung und Investitionsmotiv der Kindererziehung

Bevölkerung in Städten und Beschäftigte im sek. + tert. Sektor

236

0 1880 1885 1890 1895 1900 1905 1910 1915 1920 1925 1930 % Bevölkerung in Städten mit über 20000 Einwohnern % Beschäftigte im sekundären und tertiären Sektor Lebendgeborene je 1000 Einwohner

Quellen: Flora (1987, S. 57 ff., S. 262 und S. 512).

Abbildung 4.1: Lebendgeborene je 1000 Einwohner, Anteil der Bevölkerung in Städten mit über 20000 Einwohnern und Anteil der Beschäftigten im sekundären und tertiären Sektor an allen Beschäftigten in Deutschland 1880 bis 1930

Sektor stark zunahm und sich der in größeren Städten lebende Bevölkerungsanteil mehr als verdreifachte. Das erkennbare zeitliche Nebeneinander des Geburtenrückgangs und des Industrialisierungsprozesses könnte darauf hindeuten, dass zwischen beiden Entwicklungen ein enger Zusammenhang besteht. Und tatsächlich existiert mittlerweile eine große Zahl unterschiedlicher Theorien, deren Ziel die Erklärung des gleichzeitigen Auftretens des Industrialisierungsprozesses und des in den entwickelten Volkswirtschaften gegen Ende des 19. Jahrhunderts einsetzenden Geburtenrückgangs ist. Einem prominenten Erklärungsansatz nach ist der Zusammenhang zwischen Industrialisierung und Geburtenrückgang darauf zurückzuführen, dass sich im Laufe des Industrialisierungsprozesses die Lebensverhältnisse verbesserten und die Kindersterblichkeit zurückging. Wenn die Zielsetzung von Eltern die Erziehung einer bestimmten Zahl überlebender Kinder ist, dann senkt eine zunehmende Überlebenswahrscheinlichkeit der Kinder die Zahl der notwendigen Geburten58. Zwei gewichtige Beobachtungen sprechen aber gegen diese Theorie. Zum einen lässt sich ihre zentrale Implikation, dass ein Rückgang der Kindersterblichkeit immer nur in dem Ausmaß von einem Rückgang der Geburtenzahlen begleitet werden sollte, dass die Zahl 58

Die dargestellte Hypothese geht v. a. auf Notestein (1945, 1953) zurück.

4.4 Die Destabilisierung intrafamiliärer Transferbeziehungen 18,00% 16,00%

90

14,00%

80

12,00% 10,00%

70

8,00%

60

6,00% 4,00%

50

2,00%

40

Kindersterblichkeitsrate

Lebendgeborene auf 1000 Frauen und Aufwuchsziffer

100

237

0,00% 1922 1923 1924 1925 1926 1927 1928 1929 1930 1931 1932 1933 Lebendgeborene auf 1000 Frauen

Aufwuchsziffer

Kindersterblichkeitsrate Quellen: Mackenroth (1952, S. 59); eigene Berechnungen.

Abbildung 4.2: Lebendgeborene auf 1000 Frauen im Alter von 15 bis 45, Aufwuchsziffer und Kindersterblichkeitsrate in Deutschland 1922 bis 1933

überlebender Kinder bzw. die Aufwuchsziffer im Zeitablauf konstant bleibt, empirisch nicht bestätigen. So konnte z. B. Oldenburg (1916) für Deutschland bereits sehr früh zeigen, dass seit dem Ende des 19. Jahrhunderts nicht nur die Geburtenzahlen, sondern auch die Aufwuchsziffern stark rückläufig waren. Mackenroth (1952) bestätigt dieses Ergebnis für den Geburtenrückgang, der in Deutschland nach dem kurzen Geburtenhoch infolge des Kriegsendes in den 1920er und der ersten Hälfte der 1930er Jahre zu beobachten war. Beruhend auf seinen Daten sind in Abbildung 4.2 für Deutschland die Entwicklungen der Lebendgeborenen je 1000 Frauen im gebärfähigen Alter, der Kindersterblichkeitsrate und der Aufwuchsziffer im Zeitraum von 1922 bis 1933 aufgeführt. Die Aufwuchsziffer gibt dabei an, wie viele Kinder eines Geburtsjahres mindestens bis zum fünften Lebensjahr überlebt haben. Erkennbar war der deutliche Rückgang der Kindersterblichkeitsrate von 15,5% auf 9,2% im Beobachtungszeitraum nicht nur von einem Rückgang der Lebendgeborenen, sondern auch von einem deutlichen Rückgang der Aufwuchsziffer begeleitet. Der Geburtenrückgang kann daher nicht allein die Folge einer abnehmenden Kindersterblichkeit sein. Eine Untersuchung von Knodel (1974) bestätigt dieses Ergebnis. Knodel hat den Rückgang der Fertilität berechnet, der in Deutschland zwischen 1890 und 1934 ausgereicht hätte, um den in diesem Zeitraum zu beobachtenden Rückgang der Kindersterblichkeit von 34,5% auf 10,4% gerade zu kompen-

238

4. Alterssicherung und Investitionsmotiv der Kindererziehung

sieren59. Seinen Berechnungen nach wäre die Zahl überlebender Kinder in diesem Zeitraum konstant geblieben, wenn die (eheliche) Fertilität um lediglich 26,9% gesunken wäre. Tatsächlich aber nahm die Zahl ehelich geborener Kinder im Beobachtungszeitraum um 65,2% ab. Die Untersuchung von Kuzynski (1969) zeigt, dass sich qualitativ gleiche Entwicklungen in allen Industriestaaten beobachten lassen. Im Ergebnis kann man sich daher der Ansicht von Galor (2004, S. 5) anschließen, der schreibt: „Furthermore, most relevant from an economic point of view is the cause for the reduction in net fertility (i. e. in the number of children reaching adulthood). The decline in the number of surviving offspring that was observed during the demographic transition is unlikely to follow from mortality decline.“

Gegen die These eines durch sinkende Kindersterblichkeit ausgelösten Rückgangs der Geburtenzahlen spricht aber noch eine zweite gewichtige Beobachtung: Die dieser These notwendigerweise zugrunde liegende Kausalkette, dass zunächst die Kindersterblichkeit abnahm und Individuen als Reaktion darauf die Geburtenzahl verringerten, steht im Widerspruch zur historischen Entwicklung der beiden Größen in einer Vielzahl von Volkswirtschaften. In Tabelle 4.1 sind die Zeitpunkte aufgeführt, zu denen in 14 europäischen Staaten erstmals ein substantieller Rückgang der Geburtenzahlen bzw. der Kindersterblichkeit beobachtet werden konnte60. Der obere Teil der Tabelle wird dabei von den Staaten belegt, deren Entwicklung sich nicht im Widerspruch zur Theorie eines durch sinkende Kindersterblichkeit ausgelösten Geburtenrückgangs befindet. Im unteren Teil der Tabelle sind dementsprechend jene Staaten aufgeführt, deren Entwicklung mit dieser Theorie nicht erklärt werden kann, da ein Geburtenrückgang jeweils vor dem Rückgang der Kindersterblichkeit eingesetzt hat. Erkennbar ist die Entwicklung in der überwiegenden Zahl der Staaten nicht mit der Theorie eines durch sinkende Kindersterblichkeit ausgelösten Geburtenrückgangs vereinbar. Eine Vielzahl weiterer empirischer Untersuchungen kommt zu ähnlichen Ergebnissen. So zeigt z. B. Knodel (1974, S. 179), dass in 34 der 71 deutschen Regierungsbezirke der historische Geburtenrückgang zeitlich vor dem Rückgang der Kindersterblichkeit einsetzte. Der gleiche Autor weist zudem nach, dass die Fertilität in ländlichen 59 Vgl. Knodel (1974, S. 186). Die Kindersterblichkeitsrate wird in seiner Untersuchung aus der Überlebenswahrscheinlichkeit bis zum 15. Lebensjahr abgeleitet. 60 Als Beginn eines substantiellen Geburtenrückgangs wurde der Zeitpunkt angenommen, zu dem die durchschnittliche endgültige Geburtenzahl verheirateter Frauen unter 7,5 gefallen ist. Als Beginn eines substantiellen Rückgangs der Kindersterblichkeit wurde der Zeitpunkt angenommen, zu dem die Kindersterblichkeitsrate unter 10% fiel. Die Kindersterblichkeitsrate bezieht sich dabei auf die Überlebenswahrscheinlichkeit bis zum fünften Lebensjahr. Vgl. hierzu im Einzelnen Van de Walle (1986, S. 230).

4.4 Die Destabilisierung intrafamiliärer Transferbeziehungen

239

Tabelle 4.1 Zeitpunkt des Einsetzens eines substantiellen Geburtenrückgangs bzw. Rückgangs der Kindersterblichkeit in 14 europäischen Staaten Staat

Beginn des Rückgangs der Kindersterblichkeit

Beginn des Geburtenrückgangs

Irland Niederlande Norwegen Schweden

1900 1913 1882 1896

1928 1914 1913 1904

Belgien Dänemark Deutschland England Finnland Frankreich Italien Österreich Schweiz Spanien

1928 1913 1926 1914 1921 1926 1944 1932 1912 1944

1895 1901 1905 1894 1914 1831 1916 1908 1901 1916

Quelle: Van de Walle (1986, S. 231).

Gebieten Deutschlands im 19. Jahrhundert deutlich höher, die Kindersterblichkeit zugleich aber deutlich geringer als in Städten war61. Teitelbaum (1984) kommt bei einer Untersuchung des Zusammenhangs zwischen Kindersterblichkeit und Geburtenrückgang in englischen Provinzen zu gleichen Ergebnissen, ebenso Matthiessen (1985) bei einer Untersuchung belgischer und dänischer Provinzen. Van de Walle (1986) schließt aus den Ergebnissen der von ihr durchgeführten Untersuchung, dass im Europa des 19. Jahrhunderts eine zurückgehende Kindersterblichkeit nicht als Ursache für den Rückgang der Geburtenzahlen in Frage kommt. Vielmehr seien beide Entwicklungen auf eine gemeinsame Ursache zurückzuführen. Sie schreibt62: „At the end of this quest, we cannot report that the historical evidence confirms that the declines of infant mortality led to the decline of fertility. (. . .) Both declines occurred in the course of modernization.“

Sowohl der Rückgang der Kindersterblichkeit als auch der Rückgang der Geburtenzahlen sind dieser Ansicht nach gleichsam und unabhängig von61 62

Vgl. Knodel (1974, S. 177). Vgl. Van de Walle (1986, S. 233).

240

4. Alterssicherung und Investitionsmotiv der Kindererziehung

einander die Folge einer bestimmten Entwicklung, die der Industrialisierungsprozess typischerweise mit sich bringt. Einem zweiten Erklärungsansatz nach kann der Geburtenrückgang durch die im Zuge der Industrialisierung zunehmenden Pro-Kopf-Einkommen erklärt werden. Grundlage dieses Erklärungsansatzes ist die stark negative Korrelation zwischen den Entwicklungen der Pro-Kopf-Einkommen und der Geburtenzahlen in entwickelten Volkswirtschaften während des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts63. Als Beispiel für diese Entwicklung sind in Abbildung 4.3 für Deutschland die Entwicklungen der Lebendgeborenen je 1000 Einwohner und des Bruttosozialprodukts pro Arbeitsstunde in den Jahren 1880 bis 1935 dargestellt. Das Bruttosozialprodukt pro Arbeitsstunde dient dabei als Approximation der durchschnittlichen Stundenlöhne. Abbildung 4.3 lässt erkennen, dass sich die Geburtenzahlen im Beobachtungszeitraum ungefähr halbierten, während zugleich das Bruttosozialprodukt pro Arbeitsstunde um mehr als das Doppelte zunahm. Es existieren (mindestens) drei unterschiedliche Erklärungsvarianten, die einen expliziten Zusammenhang zwischen der auffälligen Koinzidenz dieser beiden Entwicklungen herstellen. Becker (1981) führt die sinkenden Geburtenzahlen auf einen Quantity-Quality-Tradeoff zurück. In seinem Modell nehmen zunächst die Einkommen potentieller Eltern zu. Aufgrund unterschiedlicher Einkommenselastizitäten hat dies zur Folge, dass aus Sicht der Eltern die optimale Kinderzahl ab- bzw. die optimale Investition in das Humankapital geborener Kinder zunimmt. Becker’s Modell befindet sich insofern im Einklang mit der empirischen Beobachtung, dass das Ausbildungsniveau im Laufe der industriellen Revolution stark zunahm. Als Beispiel für diese Entwicklung ist in Abbildung 4.4 auf Seite 242 der Teil aller Kinder im schulpflichtigen Alter dargestellt, der in Deutschland in den Jahren 1850 bis 1930 eine sekundäre Ausbildung absolviert hat. Bis 1900 wurde dabei nur die Entwicklung in Preußen berücksichtigt. Aufgrund der frühen Einführung der Schulpflicht in Preußen (1763) schwankt der Anteil der schulpflichtigen Kinder, die eine primäre Ausbildung absolviert haben, im Betrachtungszeitraum um 70%. Die hier aufgeführte sekundäre Ausbildung beschreibt die über die Schulpflicht von 8 Jahren hinausgehende fakultative Schulausbildung und kann daher als Gradmesser der elterlichen Bereitschaft zur Finanzierung der Ausbildung ihrer Nachkommen dienen64. 63

Die negative Korrelation zwischen Pro-Kopf-Einkommen und durchschnittlicher Geburtenzahl lässt sich bis heute und zudem auch in weniger entwickelten Volkswirtschaften beobachten. An dieser Stelle geht es aber zunächst nur um die Frage, wodurch der Geburtenrückgang während des historischen Entwicklungsprozesses der heutigen Industriestaaten erklärt werden kann.

BSP pro Arbeitsstunde

1934

1931

1928

1925

0

1922

5

0,00

1919

0,05

1916

10

1913

0,10

1910

15

1907

0,15

1904

20

1901

0,20

1898

25

1895

30

0,25

1892

0,30

1889

35

1886

0,35

1883

40

Lebendgeborene je 1000 Einwohner

241

0,40

1880

BSP pro Arbeitsstunde in Reichsmark (Preise = 1913)

4.4 Die Destabilisierung intrafamiliärer Transferbeziehungen

Lebendgeborene je 1000 Einwohner

Quellen: Flora (1987, S. 57 ff. und S. 380 f.); Maddison (1995, S. 248); eigene Berechnungen.

Abbildung 4.3: Lebendgeborene je 1000 Einwohner und Bruttosozialprodukt pro Arbeitsstunde in Deutschland 1880 bis 1935

Die in Abbildung 4.4 aufgeführte Entwicklung spricht dafür, dass es während der Industrialisierung tatsächlich zu einem Tradeoff zwischen der durchschnittlichen Zahl der Nachkommen und der durchschnittlichen Investition in ihre Ausbildung gekommen ist. Während die Geburtenzahlen ab ca. 1870 rückläufig waren, nahm die Zahl der Schüler in höherer Ausbildung im selben Zeitraum deutlich zu. Verschiedene Beobachtungen sprechen jedoch dagegen, dass dieser Tradeoff auf den von Becker (1981) beschriebenen Mechanismus zurückzuführen ist. Nach seiner Theorie wird der Quantity-Quality-Tradeoff durch vorhergehende Steigerungen der Pro-KopfEinkommen ausgelöst. Boldrin/Jones/Schoonbroodt (2005, S. 15 f.) weisen jedoch darauf hin, dass es auch in den Jahrhunderten vor dem Einsetzen des Demografischen Übergangs zu Einkommenssteigerungen gekommen ist, die regelmäßig zu einer Zunahme der Geburtenzahlen geführt haben. Becker’s Modell erklärt nicht, warum sich nicht bereits damals ein QuantityQuality-Tradeoff ergeben hat. Boldrin/Jones (2002, S. 783 f.) wenden zu64

Auch wenn nicht die gesamten Kosten der sekundären Ausbildung privat getragen werden müssen, wird durch den Anteil der Schüler in sekundärer Ausbildung dennoch signalisiert, inwieweit Eltern im Durchschnitt dazu bereit sind die Lebenshaltungskosten ihrer Nachkommen über einen längeren Zeitraum zu tragen, um diesen damit eine höhere Ausbildung zu ermöglichen. Zudem kann der Schüleranteil mit höheren Bildungsabschlüssen als Indikator dafür dienen, in welchem Ausmaß Eltern die Ausbildung ihrer Kinder im häuslichen Bereich unterstützen.

45

10,00%

40

9,00%

35

8,00% 7,00%

30

6,00%

25

5,00% 20

4,00%

15

3,00%

Lebendgeborene je 1000 Einwohner

1930

1926

1922

1918

1914

1910

1906

1902

1898

1894

1890

1886

1882

1878

1874

1870

1866

0,00%

1862

1,00%

0

1858

2,00%

5

1854

10

Schüler in sekundärer Ausbildung

4. Alterssicherung und Investitionsmotiv der Kindererziehung

1850

Lebendgeborene je 1000 Einwohner

242

Schüler in sekundärer Ausbildung

Quellen: Flora (1983, S. 585 ff.); Flora (1987, S. 57 ff.); Lindert (2004b, S. 139).

Abbildung 4.4: Lebendgeborene je 1000 Einwohner und Anteil der Schüler mit sekundärer Ausbildung in Deutschland 1850 bis 1930

dem ein, dass die Pro-Kopf-Einkommen in England bereits ab Mitte des 18. Jahrhunderts zunahmen, der Geburtenrückgang jedoch erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts einsetzte65. Der lange Zeitraum zwischen beiden Entwicklungen spricht dagegen, dass der Geburtenrückgang die direkte Folge zunehmender Einkommen war. Zusätzlich verlief der Geburtenrückgang, nachdem er einmal eingesetzt hatte, in vielen Staaten viel zu rasch und viel zu stark, um allein auf einen Tradeoff zwischen Kinderquantität und Kinderqualität zurückgeführt werden zu können66. Über die genannten Argumente hinaus macht Galor (2004, S. 6 f.) darauf aufmerksam, dass sich zwar innerhalb einzelner Staaten eine negative Korrelation zwischen der Einkommens- und der Geburtenentwicklung beobachten lässt, dass jedoch der Geburtenrückgang in verschiedenen Staaten zu einem Zeitpunkt einsetzte, zu dem sich die Pro-Kopf-Einkommen noch deutlich unterschieden. Dies kann am Beispiel Englands, Deutschlands, Schwedens und Finnlands belegt werden. In all diesen Staaten begannen die Geburtenzahlen ab ca. 1870 abzunehmen67. In England betrug das Bruttosozialprodukt pro Arbeitsstunde in diesem Jahr 2,61 $ (jeweils Dollarwert des Jahres 1990), 65

Tatsächlich nahmen die Geburtenzahlen sogar zunächst zu, vgl. Clark (2004, S. 3). 66 So auch Boldrin/Jones (2002, S. 784). 67 Vgl. hierzu auch die Abbildungen 3.1 und 3.2 auf Seite 188.

4.4 Die Destabilisierung intrafamiliärer Transferbeziehungen

243

in Deutschland 1,58 $, in Schweden 1,22 $ und in Finnland 0,84 $68. Boldrin/Jones (2002, S. 784) ziehen aus ihren Überlegungen daher die Schlussfolgerung: „Historical research seems to reject the idea that a pure increase in income levels and living standards would lead, or has historically lead, to a reduction in fertility rates.“

Nach Ansicht von Galor/Weil (1996) besteht der Zusammenhang zwischen der Einkommens- und der Fertilitätsentwicklung darin, dass zunehmende Pro-Kopf-Einkommen zu einer Zunahme der Opportunitätskosten der Kindererziehung und darüber zu einem Rückgang der durchschnittlichen Geburtenzahlen führen. In ihrem Modell wird der positive Einkommenseffekt, der von zunehmenden Pro-Kopf-Einkommen auf die Geburtenzahl ausgeht, dann von einem negativen Substitutionseffekt überkompensiert, wenn die Einkommen von Frauen relativ stärker als die Einkommen von Männern zunehmen. Gegen die Theorie von Galor/Weil (1996) lassen sich die gleichen Einwände vorbringen, die bereits in Bezug auf das Modell von Becker (1981) genannt worden sind. Zusätzlich steht der zentrale Wirkungsmechanismus ihres Modells, dass höhere Relativlöhne zu einer höheren Erwerbsbeteiligung von Frauen und darüber zu einem Geburtenrückgang führen, im Widerspruch zur historischen Entwicklung der weiblichen Erwerbsbeteiligung während des Einsetzens des Geburtenrückgangs in den letzten Jahrzehnten des 19. und den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. So zeigt Clark (2004, S. 12), dass die Erwerbsbeteiligung verheirateter Frauen in England während der ersten Jahrzehnte des Geburtenrückgangs rückläufig war. Sie sank von 25% (1851) auf 13% (1901) und schließlich auf 10% (1938). Dieses Ergebnis wird durch die Untersuchungen von Goldin (1990) für die USA und Knodel (1974) für Deutschland bestätigt. Knodel (1974, S. 233 f.) zeigt, dass es in Deutschland bis 1910 so gut wie keine Korrelation zwischen der Erwerbsbeteiligung und dem Geburtenverhalten verheirateter Frauen gegeben hat. Erst ab 1910 lässt sich eine schwach negative Korrelation zwischen den beiden Variablen beobachten. Steigende Opportunitätskosten der Kindererziehung kommen mithin ebenfalls nicht als Auslöser des gegen Ende des 19. Jahrhunderts einsetzenden Geburtenrückgangs in Frage. Eine dritte Erklärungsvariante eines Zusammenhangs zwischen zunehmenden Pro-Kopf-Einkommen und sinkenden Geburtenzahlen geht davon aus, dass die Industrielle Revolution von (exogenen) technologischen Innovationen ausgelöst wurde, in deren Folge die Nachfrage nach Humankapital und die Verzinsung von Ausbildungsinvestitionen zunahm. Die höhere Vorteilhaftigkeit von Ausbildungsinvestitionen habe Eltern dazu bewogen, Kinderquantität durch Kinderqualität zu substituieren, so dass im 68

Vgl. Maddison (1995, S. 249).

244

4. Alterssicherung und Investitionsmotiv der Kindererziehung

Laufe der Zeit die durchschnittlichen Einkommen zu- und die Geburtenzahlen abnahmen69. Auch diese Erklärungsvariante steht im Widerspruch zu historischen Fakten. So haben Crafts (1985) und Crafts/Harley (1992) gezeigt, dass die Industrielle Revolution – zumindestens in England – weniger durch technische Innovationen, als vielmehr durch die Akkumulation von Produktionsfaktoren ausgelöst wurde. Dies macht Tabelle 4.2 deutlich, die aus Boldrin/Jones/Khan (2005, S. 10) entnommen wurde und auf Berechnungen von Crafts/Harley (1992) beruht. Aufgeführt sind hier die durchschnittlichen jährlichen Wachstumsraten des Outputs Y, des Sachkapitalstocks K, des Humankapitalniveaus H 70, der Zahl der Erwerbstätigen N und der totalen Faktorproduktivität TFP in England im Zeitraum von 1760 bis 1913. Zu erkennen ist, dass die Akzelerierung der Outputwachstumsraten während der im 19. Jahrhundert stattfindenden Industriellen Revolution nur zu einem geringen Teil auf technologische Innovationen – ausgedrückt durch die Wachstumsrate der totalen Faktorproduktivität – zurückgeführt werden kann. Verantwortlich für die hohen Wachstumsraten war vor allem die beschleunigte Zunahme des Sachkapital- und Humankapitalstocks. Zudem scheint der technische Fortschritt eine Folge der beschleunigten Humankapitalakkumulation gewesen zu sein, nicht umgekehrt. Doch noch eine weitere Beobachtung spricht gegen die These, dass eine zunehmende Verzinsung von Ausbildungsinvestitionen der Auslöser eines Quantity-QualityTradeoffs war: Wie Clark (2001, S. 10) am Beispiel Englands zeigt, war die „Ausbildungsprämie“ in der vorindustriellen Zeit keineswegs geringer, sondern höher als während der Industrialisierung. Bezug nehmend auf diese Ergebnisse zieht er in einer anderen Veröffentlichung die Schlussfolgerung (vgl. Clark (2004, S. 10 f.)): „Thus the general result seems to be that gross fertility is highest where the premium for skills in the labour market is greatest. This strongly suggests that a demand interpretation of fertility decline will not work either in England, or as a general explanation of the fertility transition. (. . .) Since the expansion of human capital first occurred when the return to human capital was constant, the gains of the Industrial Revolution era were more plausibly from supply shifts than demand shifts.“

Ein weiterer Erklärungsansatz führt das gleichzeitige Auftreten der Industrialisierung und des Rückgangs der Geburtenhäufigkeit schließlich darauf zurück, dass die Bedingungen und Zwänge der sich mit der Industriellen Revolution verbreitenden industriellen Produktions- und Lebensweise71 zu 69

Vgl. z. B. die Modelle von Galor/Weil (2000) und Galor (2004). Abgleitet aus einem Indikator des durchschnittlichen Ausbildungsniveaus der Erwerbstätigen. 70

4.4 Die Destabilisierung intrafamiliärer Transferbeziehungen

245

Tabelle 4.2 Durchschnittliche jährliche Wachstumsraten des Outputs, des Sachkapitalstocks, des Humankapitalniveaus, der Zahl der Erwerbstätigen und der totalen Faktorproduktivität in Großbritannien 1760 bis 1913 Periode

DY= Y

DK = K

DH= H

DN= N

DTFP= TFP

1760–1780 1780–1801 1801–1831 1831–1873 1873–1899 1899–1913

0,6% 1,4% 1,9% 2,4% 2,1% 1,4%

0,25% 0,45% 0,7% 0,9% 0,8% 0,8%

0,1% 0,4% 0,55% 0,7% 0,5% 0,5%

0,2% 0,35% 0,4% 0,45% 0,3% 0,4%

0,05% 0,1% 0,25% 0,35% 0,5% –0,2%

Quelle: Boldrin/Jones/Khan (2005, S. 10); Crafts/Harley (1992).

einer nachhaltigen Schwächung des Investitionsmotivs der Kindererziehung geführt haben. Dieser Ansatz verbindet soziologische und ökonomische Argumente, indem er den Geburtenrückgang auf eine im Verlaufe der Industrialisierung abnehmende intrafamiliäre Kohäsion bzw. eine Schwächung intrafamiliärer Verhaltensnormen zurückführt, in deren Folge der ökonomische Wert von Kindern aus Sicht potentieller Eltern abnahm. So nehmen z. B. Verbon (1988, S. 12), Müller/Burkhardt (1983, S. 74) und Bauer (2000, S. 80) an, dass die im Verlaufe der Industrialisierung notwendige Zunahme der individuellen regionalen und beruflichen Mobilität alte – „eingeübte“ – Formen der Alterssicherung im Rahmen des Familienverbandes zerstörte. Folbre (1994, S. 86) geht davon aus, dass die sich im Laufe der Industrialisierung reduzierende individuelle Abhängigkeit vom Hof oder Handwerksbetrieb der Eltern dazu führte, dass hierarchische intrafamiliäre Bezeiehungen geschwächt wurden und Eltern Ansprüche gegen ihre Kinder infolgedessen schwerer durchsetzen konnten. Becker/Murphy (1988, S. 8) und Werding (2003, S. 156) unterstellen in ihren Überlegungen, dass Industrialisierung, Mobilisierung und Verstädterung die Durchsetzung intrafamiliärer Normen erschwerten. Becker/Murphy (1988, S. 8) führen in diesem Zusammenhang aus: „Children in poorer and many middle level families would be willing to help support parents who agree to invest the efficient amount in the children’s human capital. Few societies have contracts or other explicit agreements between parents and children, but many societies have social norms that pressure children to sup71

Gemeint sind damit Phänomene wie die zunehmende Urbanisierung, die Trennung von Wohnung und Arbeitsplatz, die Entwicklung einer stark arbeitsteiligen Produktion, die Erhöhung der beruflichen und regionalen Mobilität, etc.

246

4. Alterssicherung und Investitionsmotiv der Kindererziehung

port elderly parents. Although little is known about how norms emerge, it is plausible that norms are weaker in modern societies with anonymous cities and mobile populations.“

Die Vermutung eines Zusammenhangs zwischen dem Auftreten einer industriellen Produktions- und Lebensweise, einem durch die Schwächung intrafamiliärer Verhaltensnormen verursachten Rückgangs des ökonomischen Wertes von Kindern und einer daraus folgenden Abnahme der Geburtenzahlen findet sich nicht nur in ökonomischen Veröffentlichungen, sondern auch in anderen Fachdisziplinen. So schreibt z. B. der Bevölkerungswissenschaftler John C. Caldwell (1981, S. 13 und S. 24): „Morality had passed successively from being chiefly the concern of the family to that of the Church or ultimately the State. More importantly, in terms of the likely impact on fertility, it was concerned ever less with intra-family relations. This meant a declining chance of an economic return from children in later life, which together with the fact that their productive usefulness when young had crumbled, turned the wealth-flow downward and made low fertility inevitable. (. . .) High fertility was not uneconomic in the traditional family engaged in familial production, while it is uneconomic in contemporary societies with a dominant non-familiar labour market. The cost of children, or the balance between gains accruing to parents and losses experienced by them because of having children, depends very greatly on the conventional emotional and economic relations within the family (. . .).“

Noch eindringlicher wurden diese Zusammenhänge bereits 1937 von dem Soziologen Kingsley Davis geschildert72. Davis (1937, S. 289 und S. 295 f.) führt aus: „Deliberate national efforts to increase the birth rate seem but the latest result of a long trend. This trend, apparently an unlinear series of changes in our reproductive institutions, began as far back as the Middle Ages, when busy towns first appeared in the interstices of the feudal system. It reflected, at each step, a parallel stage in the progressive development of Western culture; for, as towns became increasingly larger and richer, labour increasingly specialized, technology more elaborate, and social mobility more lively, the structure of the previous reproductive institutions loosened and shrank, their functions lost, attenuated, or reduced in importance. Slow at first, the devolution gained momentum with the industrial revolution, and by the end of World War reached a remarkable acceleration. (. . .) Modern society, characterized by a high degree of urbanization, based upon an elaborate industrial technology and maintained through a great amount of geographical and social mobility, is by its very nature destructive to the family.“ 72 Davis formulierte seine Gedanken unter dem Eindruck der sehr niedrigen Fertilität während der Weltwirtschaftskrise in den frühen 1930er Jahren, nimmt aber ausdrücklich Bezug auf den Fertilitätsrückgang seit dem 19. Jahrhundert. Die Fertilitätsraten sind heute im Übrigen in den meisten Industriestaaten – vgl. z. B. für Deutschland Abbildung 2.3 auf Seite 59 – noch wesentlich geringer als während und direkt nach der Weltwirtschaftskrise.

4.4 Die Destabilisierung intrafamiliärer Transferbeziehungen

247

Caldwell/Schindlmayr (2003) kommen in einem Artikel, der die umfangreiche Literatur zum Demografischen Übergang sichtet und nach einem gemeinsamen Nenner zu dessen Erklärung durchsucht, zu ähnlichen Schlüssen wie Davis (1937). Sie formulieren (Caldwell/Schindlmayr (2003, S. 257)): „There are too many different groups of countries with very low fertility and different specific explanations for their situations for us not to conclude that there must be a common deeper explanation for all their conditions. Over-arching conditions, common to all developed countries determine fertility decline, but local and sometimes transient idiosyncrasies shape the timing and tempo. That explanation at its broadest must be the creation of a world economic system where children are of no immediate economic value to their parents.“

Die geschilderte Hypothese eines Zusammengangs zwischen Industrialisierung, intrafamiliärem Normensystem, ökonomischem Wert der Kindererziehung und Rückgang der Geburtenhäufigkeit lässt sich auf drei Kernaussagen komprimieren: (1) In vorindustriellen Zeiten bzw. in vorindustriellen Gesellschaften existiert innerhalb von Familien ein stabiles System von Verhaltensnormen, das Familienmitgliedern Rechte und Pflichten zuweist. (2) Die sich mit der Industrialisierung verbreitende spezifische Produktionsund Lebensweise ist in der Lage, das intrafamiliäre Normensystem zu schwächen. (3) Die Schwächung des intrafamiliären Normensystems destabilisiert das Familiensystem und führt zu einer Reduzierung des ökonomischen Wertes der Kindererziehung. Folge ist – unter anderem – ein Geburtenrückgang. Der dargestellte Wirkungsmechanismus bietet eine plausible Erklärung für die Beobachtung, dass der Industrialisierungsprozess einer Volkswirtschaft typischerweise von einem Geburtenrückgang begleitet wird. Durch die pauschale Annahme, dass Industrialisierung eine Schwächung intrafamiliärer Normen nach sich zieht, bleibt er soweit aber die Antwort auf wichtige Fragen schuldig. Es wird z. B. nicht erklärt, wodurch genau intrafamiliäre Verhaltensregeln im Zuge der Industrialisierung geschwächt werden und über welche Wirkungskanäle sich diese Schwächung auf individuelle Kindererziehungsentscheidungen auswirkt. Die Kenntnis dieser Zusammenhänge ist jedoch wichtig, um bestimmte Phänomene erklären zu können, die typisch für den Demografischen Übergang von Volkswirtschaften sind. So hat z. B. Knodel (1986, S. 386) gezeigt, dass sich die Zeitpunkte des Beginns eines substantiellen Geburtenrückgangs zwischen zwei unmittelbar benachbarten Dörfern bzw. Gemeinden gleicher Größe und sozialer Struktur während des Demografischen Übergangs zum Teil deutlich unterscheiden können. Wenn man davon ausgeht, dass der Industrialisierungsprozess des

248

4. Alterssicherung und Investitionsmotiv der Kindererziehung

19. Jahrhunderts eine universale Entwicklung war und ein Rückgang der Geburtenhäufigkeit tatsächlich auf die damit verbundene Schwächung intrafamiliärer Verhaltensregeln zurückging, dann muss sich diese Schwächung an verschiedenen Orten bzw. auf verschiedene Familien unterschiedlich ausgewirkt haben. Eine Antwort auf die Frage nach dem genauen Grund für die Schwächung intrafamiliärer Normen und nach dem Einfluss dieser Schwächung auf die Entscheidung für oder gegen die Erziehung von Kindern könnte zur Erklärung beitragen, warum der Industrialisierungsprozess – zumindestens temporär – nicht überall die gleichen Folgen nach sich zog. Die pauschale Erklärung des Geburtenrückgangs mit einer Schwächung intrafamiliärer Verhaltensnormen bleibt zudem eine Antwort auf die Frage schuldig, warum das Ausbildungsniveau während des Demografischen Übergangs nicht ebenfalls abnimmt bzw. oftmals sogar wächst. In Abbildung 4.4 auf Seite 242 wurde gezeigt, dass sich im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert ein Tradeoff zwischen Kinderquantität und Kinderqualität beobachten lässt. Dass sich im Verlaufe des 19. Jahrhunderts eine veränderte Einstellung zu den eigenen Kindern und in der Bereitschaft zur Finanzierung ihrer Ausbildung entwickelte, geht nicht nur aus Statistiken hervor, sondern ist auch von Soziologen beschrieben worden. So schildert z. B. Sauvy (1960) den ersten demografischen Übergang als einen „altruistischen Übergang“, da er von einer Zuwendung zum Kind begleitet wurde. Und Aries (1980, S. 129) führt im gleichen Zusammenhang aus: „I feel that a profound, hidden, but intense relationship exists between the long term pattern of the birth rate and attitudes towards the child. The decline of the birth rate that began at the end of the eighteenth century and continued until the 1930s was unleashed by an enormous sentimental and financial investment in the child.“

Allein anhand des oben dargestellten Wirkungsmechanismus ist es offensichtlich nicht möglich zu erklären, warum die mit dem Industrialisierungsprozess einhergehende Schwächung intrafamiliärer Normen zwar zu sinkenden Geburtenzahlen geführt hat, es zugleich aber zu einer Zunahme der durchschnittlichen Investitionen in die Ausbildung der Nachkommen gekommen ist. Auch zur Beantwortung dieser Frage ist es notwendig, den genauen Einfluss der Industrialisierung auf die intrafamiliären Verhaltensregeln und deren Auswirkungen auf individuelle Entscheidungen zu untersuchen. Eine solche Untersuchung wird im folgenden Teilabschnitt 4.4.2 vorgenommen. Zu diesem Zweck wird das in Abschnitt 4.3 für eine statische Volkswirtschaft und unter der Annahme vollkommener Voraussicht entwickelte Modell mit einer unerwarteten Veränderung der ökonomischen Bedingungen konfrontiert. Die Konstruktion dieser Veränderung lehnt sich an eine Entwicklung an, die typisch für Volkwirtschaften ist, die sich im Über-

4.4 Die Destabilisierung intrafamiliärer Transferbeziehungen

249

gang von einer vorwiegend agrarischen zu einer vorwiegend industriellen Produktions- und Lebensweise befinden. Als Ergebnis dieser Untersuchung ergibt sich eine Theorie des ersten Demografischen Übergangs, die sich im Einklang mit den in diesem Abschnitt geschilderten historischen Entwicklungen befindet und zudem eine Erklärung für die in Kapitel 1. gestellte Frage bietet, warum es ausnahmslos alle Industriestaaten in einem relativ begrenzten Zeitraum zwischen dem Ende des 19. und den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts für Notwendig gehalten haben, in individuelle Alterssicherungsentscheidungen einzugreifen. 4.4.2 Eine Destabilisierung des Familiensystems Abweichend von den in Abschnitt 4.3 getroffenen Annahmen sei im Folgenden unterstellt, dass sich die ökonomischen Bedingungen der betrachteten Volkswirtschaft verändern können. Solche Veränderungen seien jedoch von den Individuen nicht vorhersehbar und auch nicht mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit bezifferbar – z. B., weil sie bislang noch niemals vorgekommen sind. Zudem sei nun angenommen, dass sich die Individuen der betrachteten Volkswirtschaft unterscheiden können. Die zweite geänderte Annahme sei dabei mit der ersten verknüpft: Unterstellt sei dazu, dass sich die Unterschiede zwischen den Individuen erst dann bemerkbar machen, wenn die betrachtete Volkswirtschaft von nicht antizipierten exogenen Schocks getroffen wird. Ausgangszeitpunkt der weiteren Überlegungen sei eine Periode t. Bis Periode t sei es in der betrachteten Volkswirtschaft zu keinem Zeitpunkt zu unvorhergesehenen Veränderungen der ökonomischen Bedingungen gekommen. Die Individuen der betrachteten Volkswirtschaft wiesen daher keine wesentlichen Unterschiede auf und trafen stets die gleichen Entscheidungen. Unterstellt sei weitergehend, dass alle Individuen ihre intertemporale Ressourcenallokation bis Periode t über implizite Vertragsbeziehungen im Rahmen der Familienstrategie organisiert haben. Die den impliziten Vertragsbeziehungen zugrunde liegenden Familienverfassungen seien jeweils optimal formuliert gewesen, so dass die intrafamiliären Verhaltensnormen in jeder Periode die Vornahme des Transferdupels Èe; bê ã ÈeV ; bV ê vorgeschrieben haben. In Periode t komme es nun infolge eines einsetzenden Industrialisierungsprozesses zu einer raschen und unvorhergesehenen Veränderung der ökonomischen Umgebung. Auslöser des Industrialisierungsprozesses sei ein exogener technologischer Schock73. Angenommen sei des Weiteren, dass 73 Im vorangegangenen Abschnitt wurde gezeigt, dass der Tradeoff zwischen Kinderzahl und Kinderqualität, der während der Industriellen Revolution zu be-

250

4. Alterssicherung und Investitionsmotiv der Kindererziehung

die nicht antizipierte Veränderung der ökonomischen Umgebung zu einer Zunahme der Nettokinderkosten q führe74. Von verschiedenen Autoren ist beschrieben worden, dass mit dem historischen Industrialisierungsprozess eine Zunahme der Nettokinderkosten einherging75. Diese kann auf verschiedene Ursachen zurückgeführt werden. Eine Ursache lag darin, dass die industrielle Produktions- und Lebensweise die Erträge der Kindererziehung während der Jugendphase der Nachkommen reduzierte, da die für die industrielle Lebensweise typische Trennung von Wohnort und Arbeitsplatz eine Mithilfe der Kinder bei der Erwerbsarbeit unterband76 und/oder Kinder durch die industrielle Produktionsweise erst relativ spät in den Erwerbsprozess einsteigen konnten. So schreibt z. B. Livi-Bacci (2000, S. 94): „Widely varying opportunity seems to agree that the social transformation associated with the Industrial Revolution induced a change in the fertility choices of couples. In particular, the growth of the urban industrial society increased the cost of childrearing: children became autonomous wage earners and producers at a much later age than in agricultural societies (. . .).“

Zu einer Erhöhung der Nettokinderkosten konnte es außerdem dadurch kommen, dass die zusätzlichen Erwerbsmöglichkeiten und Erwerbschancen, obachten war, nicht die Folge einer auf exogene technologische Innovationen zurückgehenden höheren Nachfrage nach Humankapital bzw. höheren Verzinsung von Ausbildungsinvestitionen gewesen ist. Dies schließt nicht aus, dass ein exogener technologischer Schock den Industrialisierungsprozess auslöste und dieser sich infolgedessen verselbständigte. So hat z. B. Clark (2001, S. 50 ff.) gezeigt, dass die Industrielle Revolution in England allein durch Innovationen in der Textilindustrie ausgelöst wurde, in der bis 1851 nur ca. 10% der Arbeitnehmer beschäftigt waren. Diese Innovationen führten zu zusätzlichen Arbeitsplätzen im sekundären Sektor und in Städten, so dass sich für zuvor im primären Sektor beschäftigte und in ländlichen Gebieten wohnende Individuen neue Erwerbsmöglichkeiten und -chancen ergaben, ohne dass zugleich eine Zunahme der Nachfrage nach Humankapital bzw. der Verzinsung von Ausbildungsinvestitionen zu beobachten war – ein Weber brauchte in der zunehmend arbeitsteiligen Textilindustrie keine höhere Ausbildung als ein Beschäftigter in der Landwirtschaft. Wie Chapman (1967, S. 159 f.) belegt, war während der frühen Phase der Industriellen Revolution die Aufnahme einer Beschäftigung in den Fabriken der Städte für die vormals in der Landwirtschaft beschäftigten Arbeitnehmer nicht deshalb vorteilhaft, weil höhere Löhne gezahlt wurden. Stattdessen war ein Wechsel in den sekundären Produktionssektor häufig dadurch motiviert, dass Fabrikarbeitern oftmals neben der Lohnzahlung zusätzliche nicht-monetäre (und daher auch nicht übertragbare) Leistungen gewährt wurden, die z. B. in der Zurverfügungstellung kostengünstigen Wohnraums bestanden. 74 Vgl. zum Inhalt der Nettokinderkosten die Ausführungen in Abschnitt 4.3.2. 75 Vgl. z. B. Caldwell (1981, S. 20), Sharlin (1986, S. 257), Lesthaeghe/Wilson (1986, S. 264) und Lee (2003, S. 174). 76 Vgl. z. B. Mokyr (2001, S. 8), der zusätzlich darauf hinweist, dass die Trennung von Wohnort und Arbeitsplatz die kostengünstige Verbindung von Erwerbsarbeit und Kinderbetreuung unmöglich machte.

4.4 Die Destabilisierung intrafamiliärer Transferbeziehungen

251

die der Industrialisierungsprozess bot, mit höheren Anforderungen an die berufliche und regionale Flexibilität und Mobilität der Individuen verbunden waren77. Vor allem für die regionale Flexibilität und Mobilität war das Vorhandensein von Kindern hinderlich, so dass die Erziehung von Kindern die Wahrnehmung zusätzlicher Erwerbsmöglichkeiten beschränkte und infolgedessen die Opportunitätskosten der Kindererziehung zunahmen. Im Folgenden sei angenommen, dass die Erhöhung von q auf beide genannten Aspekte zurückzuführen ist. Während die Veränderung der ökonomischen Bedingungen bei ausnahmslos allen Individuen zu einer Zunahme der Nettokinderkosten führe, sei zusätzlich unterstellt, dass sie nicht alle Individuen in gleichem Maße treffe. So ist es z. B. denkbar, dass Kinder für manche Individuen trotz der veränderten ökonomischen Bedingungen noch eine relativ größere Hilfe bei der Erwerbsarbeit darstellen oder dass manche Individuen besser als andere dazu geeignet sind, die Erfordernis einer höheren regionalen Flexibilität und Mobilität mit der Erziehung von Kindern in Einklang zu bringen. Was auch immer der genaue Grund dafür ist, habe die idiosynkratische Veränderung der Nettokinderkosten q mithin zur Folge, dass sich die zuvor homogenen Individuen auf einem Intervall unterschiedlicher Typen wieder finden, deren Unterscheidungsmerkmal die Höhe der Nettokosten pro Kind ist. Angenommen sei dabei ein geschlossenes Intervall, auf dem die verschiedenen Typen gleichverteilt sind. Zur Vereinfachung sei zudem unterstellt, dass die Veränderung der ökonomischen Bedingungen einmalig ist und sich die unterschiedlichen Eigenschaften der Individuen vollständig auf ihre Nachkommen – so sie welche erziehen – übertragen. Durch die letzten beiden Annahmen wird sichergestellt, dass die Mitglieder einer Familie ab Periode t þ 1 wieder identisch sind – es wäre sonst nicht möglich, dass sich trotz der Veränderung der ökonomischen Bedingungen eine stabile Familienverfassung ergibt. Die Grenzen des Intervalls unterschiedlicher Typen seien von den Individuen mit den geringsten und den höchsten Nettokinderkosten besetzt. Dabei sei der Typ mit den geringsten Nettokinderkosten qA mit Typ A und der Typ mit den höchsten Nettokinderkosten qC mit Typ C bezeichnet. Zudem sei aus allen denkbaren Typen ein Typ B herausgehoben, dessen Nettokinderkosten qB zwischen qA und qC liegen. Die spezifischen Eigenschaften von Typ B werden weiter unten genauer definiert. Unter den getroffenen Annahmen können die Nettokosten pro Kind Werte im Intervall È4:35ê

77

q ã ½ qA ; . . . ; qB ; . . . ; qC Å

Vgl. z. B. Flora (1987, S. 10).

252

4. Alterssicherung und Investitionsmotiv der Kindererziehung

annehmen, wobei qC > qB > qA ist. Bezeichnet man die für alle Typen identischen Nettokinderkosten vor der Veränderung der ökonomischen Umgebung mit qV , so ist außerdem qA > qV . Zu untersuchen ist nun, ob und wie sich die Erhöhung der Nettokinderkosten auf das optimale Verhalten von Individuen verschiedenen Typs und damit auch auf die bestehenden impliziten Vertragsbeziehungen zwischen Familienmitgliedern verschiedener Generationen auswirkt. Die Mitglieder der zum Zeitpunkt t bereits alten Generation haben keine Möglichkeit mehr, ihr Verhalten an die veränderten Bedingungen anzupassen. Sie haben ihre Entscheidungen in Periode t  1 im Vertrauen auf die Konstanz der ökonomischen Umgebung getroffen und können diese nicht mehr revidieren. Die Jugendgeneration der Periode t ist noch nicht geboren, denn sie ist Produkt der optimalen Entscheidungen der Erwerbstätigengeneration dieser Periode. Da angenommen wurde, dass die ökonomischen Bedingungen ab Periode t þ 1 wieder konstant sind und individuelle Eigenschaften an die Nachkommen übertragen werden, ist es somit vollkommen ausreichend, das optimale Verhalten von Individuen verschiedenen Typs zu untersuchen, die der Erwerbstätigengeneration der Periode t angehören. Betrachtet sei mit Typ A zunächst jenes Individuum, für das die Nettokinderkosten nach der unerwarteten Veränderung der ökonomischen Bedingungen im vergleichsweise geringsten Ausmaß zugenommen haben. Eine denkbare Verhaltensalternative für ein Individuum diesen Typs besteht darin, trotz der Zunahme der Kindererziehungskosten von qV auf qA an den Regeln der alten Familienverfassung festzuhalten. Wenn es sich zu einem solchen Verhalten entschließt, dann ist die Verzinsung der Kindererziehung und -ausbildung aus seiner Sicht geringer, als sie es noch für seine Eltern bV bV < sein. Dennoch kann die war, denn eindeutig muss nun V e þ qA eV þ q V Verzinsung der Familienstrategie immer noch so hoch sein, dass Bedingung (4.24) erfüllt wird. In diesem Fall ermöglicht eine Familienverfassung mit den Transfers Èe; bê ã ÈeV ; bV ê weiterhin selbstdurchsetzende implizite Vertragsbeziehungen, so dass die Befolgung der Regeln der alten Familienverfassung für ein Individuum vom Typ A vorteilhafter als ein Wechsel zur Marktstrategie ist. Die einzig beobachtbare Veränderung seines Verhaltens würde dann darin bestehen, dass es weniger Nachkommen als seine Eltern erzieht. Denn bezeichnet man die individuell optimale Kinderzahl vor der Erhöhung der Nettokinderkosten mit È1 þ nêV , so gilt unter Berücksichti  bV A gung von (4.22) und (4.29) eindeutig, dass ã È1 þ nt ê   eV þ qA V b sein muss. < È1 þ nêV ã V e þ qV

4.4 Die Destabilisierung intrafamiliärer Transferbeziehungen

253

Doch auch wenn es möglich ist, dass das Festhalten an der alten Verfassung für ein Individuum vom Typ A auch nach der Erhöhung der Nettokinderkosten vorteilhafter als ein Wechsel zur Marktstrategie ist, ist damit noch nicht gesagt, dass es sich durch ein anderes Verhalten nicht besser stellen kann. In Abschnitt 4.3.3 wurde gezeigt, dass eine Familienverfassung aus Sicht eines Mitglieds der Erwerbstätigengeneration erst dann optimal formuliert ist, wenn sie das Kriterium der Neuformulierungssicherheit erfüllt. Für die bisherige Familienverfassung war dies annahmegemäß der Fall. Es stellt sich nun aber die Frage, ob eine Verfassung mit dem Transferdupel Èe; bê ã ÈeV ; bV ê auch nach der Erhöhung von qV auf qA noch optimal formuliert ist. Wäre dem so, dann müsste aufgrund von Bedingung bV ÈeV ê (4.34) gelten, dass b0V ÈeV ê ã V ist. Da aber die bisherige Familiene þ qA verfassung unter den alten ökonomischen Bedingungen optimal formuliert bV ÈeV ê bV ÈeV ê bV ÈeV ê galt, muss wegen < war und somit b0V ÈeV ê ã V e þ qV eV þ qA eV þ qV V V b Èe ê eindeutig b0V ÈeV ê > V sein. Die Erhöhung der Nettokinderkosten hat e þ qA somit bei einem Festhalten an der alten Verfassungsformulierung zur Folge, dass der Grenzertrag zusätzlicher Ausbildungsinvestitionen größer als die Verzinsung der Kindererziehung und -ausbildung ohne die Vornahme dieser zusätzlichen Ausbildungstransfers ist. Für ein Individuum vom Typ A ist es aber in dieser Situation lohnenswert, höhere Ausbildungstransfers vorzunehmen, als es die alte Familienverfassung vorsieht. Denn auf diese Weise kann es höhere Alterstransfers durchsetzen und – solange die oben aufgeführte Ungleichung erfüllt ist – die Verzinsung der Kindererziehung und -ausbildung bzw. der Familienstrategie erhöhen. Zur gleichen Zeit kann es den Regeln der alten Familienverfassung nachkommen, indem es an seine Eltern den in der alten Verfassung vorgeschriebenen Altertransfer bV leistet. Da – wie in Abschnitt 4.3.3 gezeigt wurde – auch seine Nachkommen durch eine solche Reformulierung des Verfassungsinhalts besser gestellt werden, als wenn an den Regeln der alten Verfassung festhalten würde, werden sie die höheren Ausbildungstransfers akzeptieren und daher implizit der neuen Verfassungsformulierung mit höheren Ausbildungs- und Alterstransfers zustimmen. Bezeichnet man den Ausbildungstransfer, der für ein Individuum vom Typ A nach der Erhöhung der Nettokinderkosten optimal ist, mit eA und den damit einhergehenden optimalen Alterstransfer mit bA , dann erfüllt eine neue Familienverfassung mit dem Transferdupel Èe; bê ã ÈeA ; bA ê somit genau dann das Kriterium der Neuformulierungssicherheit, wenn die Bedingung È4:36ê

b0A ÈeA ê ã

eA

bA þ qA

254

4. Alterssicherung und Investitionsmotiv der Kindererziehung

mit eA > eV und bA > bV erfüllt ist. Beide Transfers sind somit in der neuen höher als in der alten Verfassungsformulierung. Doch trotz der Möglichkeit, eine neue Verfassung mit einem höheren Alterstransfer als nach der alten Familienverfassung zu formulieren, nimmt die Verzinsung der Kindererziehung und -ausbildung durch die Erhöhung der Nettokinderkosten im Vergleich zur Vorperiode ab. Denn vor Eintritt der unvorhergesehenen Erhöhung von q war der Ausbildungstransfer eV gerade so gewählt, dass die Verzinsung der Kindererziehung und -ausbildung maximal war bzw. jede weitere Erhöhung des Ausbildungstransfers zu einer abnehmenden Verzinsung geführt hätte. Wenn nun nach der unerwarteten Erhöhung der Nettokosten pro Kind die Vornahme zusätzlicher Ausbildungstransfers plötzlich vorteilhaft wird, dann nur deshalb, weil die Verzinsung der Kindererziehung und -ausbildung durch die Erhöhung von q bei einem Festhalten an der alten Verfassungsformulierung im Vergleich zur Vorperiode abnimmt und daher aus Sicht eines Individuums vom Typ A zusätzliche Ausbildungstransfers im Bereich De ã ÈeA  eV ê lohnenswert werden. Der Grenzertrag der nun vorteilhaften zusätzlichen Ausbildungsinvestitionen muss aber eindeutig kleiner sein, als es die Verzinsung der Kindererziehung und -ausbildung in der Periode vor der Erhöhung der Nettokinderkosten war, denn ansonsten wären die zusätzlichen Ausbildungstransfers bereits Bestandteil der alten Familienverfassung gewesen. Im Ergebnis muss für ein Individuum vom Typ A daher gelten, dass È4:37ê

bA eA þ qA


qA muss die Verzinsung der Kindererziehung und -ausbildung für Individuen innerhalb der Familienstrategie umso geringer sein, je mehr sich ihre Nettokinderkosten qB annähern. Je höher folglich für ein Individuum die Nettokosten pro Kind sind, desto „knapper“ wird Bedingung (4.24) erfüllt. Individuen vom Typ B sind daher dadurch gekennzeichnet, dass die Nettokinderkosten für sie gerade so hoch sind bzw. die Verzinsung der Kindererziehung und -ausbildung für sie gerade so niedrig ist, dass nur marginal höhere Kinderkosten sie zu einem Wechsel zur Marktstrategie veranlassen würden. Sie können insofern als „marginale“ Individuen bezeichnet werden. Mit der Höhe der Nettokinderkosten nimmt jedoch nicht nur die Verzinsung der Kindererziehung und -ausbildung ab, sondern auch die optimale Zahl der Nachkommen. Auf der anderen Seite nimmt die Höhe der Ausbildungstransfers, die nach der unerwarteten Veränderung der ökonomischen Bedingungen in eine optimal formulierte neue Familienverfassung aufgenommen werden, mit zunehmenden Nettokosten pro Kind zu. Innerhalb der Familienstrategie zeichnen sich Individuen vom Typ B somit dadurch aus, dass sie die wenigsten Kinder erziehen, ihre Kinder aber die höchsten Ausbildungstransfers erhalten. Zwischen Individuen vom Typ A und B existiert innerhalb der Familienstrategie ein Kontinuum weiterer Individuen, die abhängig von den Nettokinderkosten relativ viele Kinder mit einer relativ geringen Ausbildung erziehen et vice versa. Die in diesem Abschnitt erzielten Ergebnisse haben – gerade mit Blick auf die in 4.4.1 aufgeführte historische Entwicklung verschiedener Variablen – eine Vielzahl interessanter Implikationen. Diese sind der Übersicht halber im folgenden Teilabschnitt 4.4.3 durchnummeriert aufgeführt. 4.4.3 Implikationen und Diskussion (1) Obwohl Familienverfassungen für statische Bedingungen formuliert werden, muss eine unerwartete Veränderung der ökonomischen Umgebung, die hier anhand einer unvorhergesehenen Zunahme der Nettokinderkosten exemplifiziert wurde, nicht zwangsläufig eine vollkommene Zerstörung impliziter Vertragsbeziehungen zwischen Familienmitgliedern verschiedener Generationen zur Folge haben. Individuen, deren Nettokosten pro Kind in vergleichsweise geringem Ausmaß zunehmen, können eine neue selbstdurchsetzende Familienverfassung formulieren, ohne dass sie dazu gegen die Regeln der alten Verfassung verstoßen müssen. Die Familienstrategie wird für diese Individuen zwar weniger

4.4 Die Destabilisierung intrafamiliärer Transferbeziehungen

257

vorteilhaft, als sie es vor der Veränderung der ökonomischen Bedingungen war, sie bleibt jedoch immer noch günstiger als die Marktstrategie. Individuen, deren Nettokinderkosten relativ stark zunehmen, finden hingegen keine neue selbstdurchsetzende Familienverfassung mehr und wechseln zur Marktstrategie. Die Unmöglichkeit, eine vorteilhafte und selbstdurchsetzende Familienverfassung zu formulieren, lässt das Investitionsmotiv der Kindererziehung aus ihrer Sicht inaktiv werden. (2) Die Fertilitätsrate der betrachteten Volkswirtschaft nimmt durch die unerwartete Veränderung der ökonomischen Umgebung eindeutig ab. Jene Individuen, die in der Familienstrategie verbleiben, erziehen weniger Kinder als ihre Eltern. Individuen, die zur Marktstrategie wechseln, verzichten vollständig auf die Erziehung von Nachkommen. In welchem Ausmaß die Geburtenzahl der betrachteten Volkswirtschaft insgesamt abnimmt, hängt davon ab, wie stark sich die modellierte Veränderung der ökonomischen Umgebung im Durchschnitt auf die Nettokinderkosten der Individuen auswirkt. Wird eine relativ rasche Veränderung der ökonomischen Umgebung von einem relativ starken Einfluss auf die Nettokinderkosten begleitet, so ist ein ebenso rascher wie ausgeprägter Geburtenrückgang zu erwarten. Das hier entwickelte Modell ist mithin in der Lage zu erklären, warum der Industrialisierungsprozess einer Volkswirtschaft über die damit einhergehende Erhöhung der Nettokosten pro Kind typischerweise einen ebenso schnellen wie ausgeprägten Rückgang der Geburtenhäufigkeit zur Folge hat78. (3) Ausnahmslos alle Individuen, die nach der unerwarteten Erhöhung der Nettokinderkosten in der Familienstrategie verbleiben, nehmen höhere Ausbildungstransfers an ihre Kinder vor, als sie selbst in der Vorperiode von ihren Eltern empfangen haben. Die nicht antizipierte Veränderung der ökonomischen Umgebung zieht somit eine Erhöhung der durchschnittlichen Ausbildungstransfers pro Kind und infolgedessen ein zunehmendes durchschnittliches Ausbildungsniveau bzw. Pro-Kopf-Einkommen der nachfolgenden Erwerbstätigengeneration nach sich. Anhand des hier entwickelten Modells kann mithin erklärt werden, warum der Industrialisierungsprozess einer Volkswirtschaft typischerweise von einem Tradeoff zwischen der Kinderzahl und dem durchschnittlichen Ausbildungsniveau geborener Kinder begleitet wird79. Der aus dem hier entwickelten Modell abgeleitete Quantity-Quality-Tradeoff weist dabei zwei wesentliche Unterschiede zum „klassischen“ Quantity-Quality78 Beispiele für diese typische Entwicklung finden sich in den Abbildungen 3.1 und 3.2 auf Seite 188. 79 Vgl. als Beispiel für diese Entwicklung die Abbildungen 4.3 und 4.4 und Tabelle 4.2.

258

4. Alterssicherung und Investitionsmotiv der Kindererziehung

Tradeoff auf, der aus dem Modell von Becker (1981) abgeleitet werden kann. Zum einen ist die Zunahme der Pro-Kopf-Einkommen im hier entwickelten Modell die Folge und nicht die Voraussetzung einer Substituierung der Kinderzahl durch die Kinderqualität. Zum zweiten kann es im hier entwickelten Modell dazu kommen, dass ein Teil der Individuen ganz auf Kindererziehung verzichtet. Im Gegensatz zum Modell von Becker (1981) ist es daher in der Lage, einen sehr raschen und prononcierten Geburtenrückgang zu erklären. Der während der Industrialisierung von Volkswirtschaften üblicherweise zu beobachtende QuantityQuality-Tradeoff ist mithin sowohl dem Grunde als auch der Geschwindigkeit und dem Ausmaß nach durch das hier entwickelte Modell wesentlich besser zu erklären als durch das Modell von Becker (1981). Zudem kann anhand des hier entwickelten Modells begründet werden, warum das durchschnittliche Ausbildungsniveau während des Industrialisierungsprozesses einer Volkswirtschaft üblicherweise zunimmt, obwohl weder eine zunehmende Nachfrage nach Humankapital noch eine höhere Verzinsung von Ausbildungsinvestitionen zu beobachten ist. Das zunehmende durchschnittliche Humankapitalniveau und die zunehmenden Durchschnittslöhne sind im hier entwickelten Modell Folge eines zunehmenden Angebots von und nicht einer zunehmenden Nachfrage nach Humankapital. (4) Die Veränderung der ökonomischen Umgebung hat zur Folge, dass einige Individuen die Familienstrategie verlassen bzw. zur Marktstrategie wechseln. Da die Individuen ihre Alterssicherung in den Vorperioden jeweils ausnahmslos über das Familiensystem bzw. über Anlagen in Humankapital organisiert hatten, muss infolgedessen die Sparquote und – sofern die individuellen Ersparnisse nicht vollständig im Ausland angelegt werden – die Sachkapitalakkumulation der betrachteten Volkswirtschaft zunehmen80. Das hier entwickelte Modell kann mithin erklä80 Betrachtet man beide Komponenten der individuellen Ersparnis, d.h. Anlagen in Sach- und in Humankapital, so ist erkennbar, dass die Ersparnisbildung insgesamt abnimmt, obwohl die Ausbildungsinvestitionen und die monetären Ersparnisse zunehmen. Vor der Veränderung der ökonomischen Umgebung war die Verzinsung der Familienstrategie für alle Individuen – da sie sich allesamt für die Familienstrategie entschieden haben – höher als die der Marktstrategie. Aus diesem Grund war ihre Ressourcenallokation in die Ruhestandsphase größer, als sie es bei Wahl der Marktstrategie gewesen wäre. Wie gezeigt wurde, senkt nun aber die Erhöhung der Nettokinderkosten die Verzinsung der Familienstrategie, während jene der Marktstrategie unverändert bleibt. Unabhängig davon, ob die Individuen als Reaktion darauf in der Familienstrategie verbleiben oder zur Markstrategie wechseln, wird die erzielte Verzinsung geringer sein, als sie es im Familiensystem vor der Kinderkostenerhöhung war. Folglich sinkt der Preis des Gegenwartskonsums und es wird weniger gespart. Die geringere Ersparnis äußert sich dabei allein in einer sinkenden Geburtenzahl.

4.4 Die Destabilisierung intrafamiliärer Transferbeziehungen

259

ren, warum technologische Innovationen in einem begrenzten Bereich einer Volkswirtschaft zu einer beschleunigten Zunahme der Sachkapitalakkumulation führen können. In Tabelle 4.2 auf Seite 245 wurde gezeigt, dass ein deutlich beschleunigtes Wachstum des Sachkapitalstocks typisch für den historischen Industrialisierungsprozess entwickelter Volkswirtschaften war. Auch diese Entwicklung kann daher anhand des hier entwickelten Modells erklärt werden. (5) Geht man davon aus, dass die verschiedenen Typen, denen Individuen in Bezug auf die Nettokinderkosten zugeordnet werden können, zwar in gesamtwirtschaftlicher Betrachtung mit der gleichen Häufigkeit vorkommen, es aber regional zu Häufungen eines bestimmten Typs kommen kann, dann kann anhand des hier entwickelten Modells erklärt werden, warum sich der historische Industrialisierungsprozess an zwei vergleichbaren Orten unterschiedlich auf den Zeitpunkt und das Ausmaß des Geburtenrückgangs ausgewirkt hat81. Zudem bietet das hier entwickelte Modell auch für weitere empirische Beobachtungen eine Erklärung: Livi-Bacci (1986, S. 199) und Sharlin (1986, S. 236 ff.) haben gezeigt, dass der Fertilitätsrückgang während des Demografischen Übergangs zuerst in größeren Städten zu beobachten war. Diese Beobachtung geht mit der hier aufgestellten Hypothese konform, dass die Nettokinderkosten vor allem für jene Individuen zunehmen, die während der Industrialisierung aus ländlichen Gebieten und aus dem primären Produktionssektor in die Städte und in den sekundären Produktionssektor wechseln. Wie die Untersuchung von Knodel (1974, S. 109 f.) deutlich macht, begann die Geburtenhäufigkeit während des Demografischen Übergangs jedoch auch in ländlichen Gebieten bereits kurze Zeit nach dem Beginn des Geburtenrückgangs in Städten zu sinken. Der Geburtenrückgang in ländlichen Gebieten folgte dem städtischen Geburtenrückgang dabei umso früher und umso ausgeprägter, je größer die Städte in der Umgebung der ländlichen Gebiete waren und je schneller deren Größe weiter zunahm82. Nimmt man an, dass der Flexibilisierungs- und Mobilisierungsdruck und die damit einhergehende Zunahme der Opportunitätskosten der Kindererziehung umso größer waren, je näher Individuen an großen Städten wohnten und je dynamischer sich diese entwickelten, dann ist auch diese Beobachtung mit der hier angenommenen Modellmechanik vereinbar. (6) Der durch die Veränderung der ökonomischen Umgebung induzierte Wechsel einiger Individuen zur Marktstrategie hat zur Folge, dass in der betrachteten Volkswirtschaft zwei bis dahin unbekannte Phänomene 81 82

Vgl. hierzu die Ausführungen in Abschnitt 4.4.1. Vgl. Knodel (1974, S. 222).

260

4. Alterssicherung und Investitionsmotiv der Kindererziehung

auftauchen: Die freiwillige Kinderlosigkeit und die Altersarmut. Da angenommen wurde, dass vor Periode t alle Individuen die Familienstrategie gewählt haben und zudem eine deterministische Beziehung zwischen gewünschter und tatsächlicher Kinderzahl unterstellt wurde, gab es in der Modellvolkswirtschaft vor Periode t überhaupt keine kinderlosen Individuen83. In Periode t treten nun erstmals Individuen auf, die aus freien Stücken auf die Erziehung von Nachkommen verzichten und ihre intertemporale Ressourcenallokation allein über den Markt organisieren. Weil sie die Familienstrategie ohnehin verlassen wollen, verzichten sie nicht nur auf Reproduktion, sondern nehmen zudem auch keine Alterstransfers an ihre Eltern vor. Da sich ihre Eltern auf die Konstanz der ökonomischen Bedingungen und damit auf die Erfüllung der intrafamiliären Normen verlassen hatten, haben sie außer der Erziehung und Ausbildung von Nachkommen keine Altersvorsorgemaßnahmen getroffen. Der Ausstieg ihrer Kinder aus der Familienstrategie hat mithin zur Folge, dass sie im Alter völlig mittellos werden bzw. verarmen. In Kapitel 1. wurde erläutert, dass eine zunehmende Altersarmut eine typische Erscheinung des 19. Jahrhunderts bzw. des Industrialisierungsprozesses war. Auch für diese Entwicklung bietet das hier entwickelte Modell somit eine Erklärung. Ausgangspunkt der in diesem Abschnitt vorgenommenen Untersuchung war die Frage, welche Auswirkungen eine unerwartete Veränderung der ökonomischen Bedingungen auf die individuellen Wahlentscheidungen zwischen der Familien- und der Marktstrategie bzw. auf das individuelle Verhalten innerhalb einer Strategie haben kann. Weitergehend wurde gefragt, ob der Industrialisierungsprozess von Volkswirtschaften unter Umständen in der Lage ist, eine deutliche Schwächung der Familienstrategie und darüber eine Schwächung des Investitionsmotivs der Kindererziehung zu erklären. Es konnte gezeigt werden, dass die Konfrontation des in Abschnitt 4.3 für statische Bedingungen entwickelten Modells impliziter Vertragsbeziehungen zwischen Familienmitgliedern mit einer unerwarteten Veränderung der ökonomischen Umgebung in der Lage ist eine plausible Erklärung dafür zu liefern, warum der Prozess der Industrialisierung bis dahin stabile und von tradierten Normen bestimmte intrafamiliäre Beziehungen erschüttern und zur Formulierung veränderter Familienverfassungen – und damit veränderter Normen – oder zur Zerstörung intrafamiliärer Transferbeziehungen führen kann. Zudem konnten anhand des hier entwickelten Modells eine Reihe empirischer Beobachtungen erklärt werden, die typisch für den Industrialisie83 Unter der alternativen Annahme, dass ein bestimmter Prozentsatz der Bevölkerung die Familienstrategie wählen würde, dazu aufgrund von Unfruchtbarkeit jedoch nicht in der Lage ist, hätte es auch zuvor bereits kinderlose Individuen gegeben. Diese Kinderlosigkeit wäre jedoch unfreiwillig gewesen.

4.5 Staatseingriffe in individuelle Alterssicherungsentscheidungen

261

rungsprozess und Demografischen Übergang von Volkswirtschaften sind. Als ein wichtiges Ergebnis wurde dabei herausgearbeitet, dass der Industrialisierungsprozess nicht nur zu einer abnehmenden Rolle von Familien bei der „Produktion“ von Humankapital führt, sondern vor allem auch die Altersarmut jener Individuen zur Folge haben kann, die im Vertrauen auf die fortgesetzte Gültigkeit intrafamiliärer Normen Kinder erzogen und in deren Ausbildung investiert haben. Diese Individuen verlieren einen Teil oder die gesamte Finanzierungsgrundlage ihres Alterskonsums. Es ist zu erwarten, dass ein solches Phänomen – wenn es in einer Volkswirtschaft gehäuft auftritt – zunehmend als Problem wahrgenommen wird und darüber einen Ansatzpunkt für Staatseingriffe bietet. Die in diesem Abschnitt erzielten Ergebnisse können daher auch erklären, warum Staaten plötzlich gegen Ende des 19. und zu Begin des 20. Jahrhunderts begannen, in die Alterssicherungsentscheidungen ihrer Bürger einzugreifen: Sie taten es deshalb, weil durch die zunehmende Altersarmut der Eindruck entstehen musste, dass die Individuen zur eigenverantwortlichen Altersvorsorge nicht (mehr) in der Lage sind. Im folgenden Abschnitt 4.5 wird dieser Gedanke weiter verfolgt. Auf Grundlage des in diesem Kapitel entwickelten Modells wird dort detailliert diskutiert, warum und wie Staaten in individuelle Alterssicherungsentscheidungen eingreifen und welche Folgen mit diesen Eingriffen verbunden sein können.

4.5 Paternalistische Staatseingriffe in individuelle Alterssicherungsentscheidungen 4.5.1 Einführung In Abschnitt 4.3 konnte gezeigt werden, dass in einer Situation, in der aufgrund von Marktversagen kein Markt für die Aufnahme von Ausbildungskrediten bzw. für die Anlage in Humankapital existiert, die Familie als Non-Market-Organisation in der Lage ist die fehlenden Märkte zu ersetzen, falls intrafamiliäre Transferbeziehungen über ein Normensystem geregelt werden, auf dessen Grundlage Familienmitglieder verschiedener Generationen selbstdurchsetzende implizite Vertragsbeziehungen miteinander eingehen können. Die Bereitstellung von Ausbildungskrediten und die Anlage in Humankapital auf Grundlage impliziter Vertragsbeziehungen weist jedoch zwei große Problemfelder auf. Zum einen ergab die in Abschnitt 4.3 vorgenommene Analyse, dass die auf impliziten Verträgen beruhende Bereitstellung von Ausbildungskrediten nicht zu Ausbildungsinvestitionen in effizienter Höhe führt. Zum anderen wurde in Abschnitt 4.4 gezeigt, dass die impliziten Vertragsbeziehungen zwischen Familienmitgliedern höchst fragil gegenüber unerwarteten Veränderungen der ökonomischen Umgebung sind.

262

4. Alterssicherung und Investitionsmotiv der Kindererziehung

Diese Schwachpunkte des „Familiensystems“ bieten verschiedene Ansatzpunkte für Staatseingriffe. So könnten durch Ausübung staatlichen Zwangs die Bereitstellung von Ausbildungskrediten in effizienter Höhe und die Rückzahlung dieser Kredite an die Investoren garantiert und dem System intrafamiliärer Transfers stabilisierende Versicherungselemente hinzugefügt werden. Dieser normative Aspekt der bisher erzielten Ergebnisse wird jedoch erst in Abschnitt 4.6 thematisiert. Die Betrachtungsperspektive des vorliegenden Abschnitts ist hingegen positiv. Gefragt wird im Folgenden nicht danach, wie der Staat optimalerweise handeln sollte, sondern warum er historisch auf eine bestimmte Art gehandelt hat und welche Auswirkungen mit diesen spezifischen Handlungen verbunden waren. Die Analyse setzt dabei an einem der Ergebnisse an, die im vorangegangenen Abschnitt erzielt wurden. Dort wurde gezeigt, dass die Konfrontation des „Familiensystems“ mit einer unerwarteten Veränderung zur Folge haben kann, dass einige Individuen von der Familien- zur Marktstrategie wechseln und sich nicht mehr durch das intrafamiliäre Normensystem gebunden fühlen. Sie nehmen daher keine Alterstransfers an ihre Eltern vor und verursachen so, dass es in der betrachteten Volkswirtschaft gehäuft zum Auftreten von Altersarmut kommt. Je stärker sich die Veränderung der ökonomischen Bedingungen auf individuelle Strategieentscheidungen auswirkt, desto spürbarer wird sich der Verlust der Altersvorsorge eines Teils der Ruheständler in der betrachteten Volkswirtschaft bemerkbar machen. In diesem Abschnitt wird angenommen, dass der Staat sich infolgedessen aus paternalistischen Gründen zu einem Eingriff in die individuellen Alterssicherungsentscheidungen berufen fühlt. 4.5.2 Begründung und Form der Staatseingriffe Im Folgenden sei unterstellt, dass der Staat zwar die Ergebnisse intrafamiliärer Transferbeziehungen beobachten kann – also z. B. die Zahl und das Ausbildungsniveau der Kinder und die Versorgung bzw. den Lebensstandard der Ruheständler –, er aber über die dahinter stehenden Austauschprozesse und impliziten Verträge nicht informiert ist. Diese Annahme ist insofern modellkonform, als bislang stets angenommen wurde, dass die intrafamiliären Normen und Regeln stillschweigend gelten und daher von Individuen außerhalb einer Familie nicht beobachtet werden können. Unter diesen Bedingungen ist es für den Staat eine offene Frage, warum Familienmitglieder Transferleistungen an andere Familienmitglieder vornehmen – oder dies unterlassen. Solange das Familiensystems Ausbildungskredite bereitstellt und Alterssicherung ermöglicht, wird er kein großes Interesse an seinen genauen Funktionsbedingungen haben. Er könnte z. B. davon ausgehen, dass intrafamiliäre Transfers auf ausgeprägtem Altruismus der Fami-

4.5 Staatseingriffe in individuelle Alterssicherungsentscheidungen

263

lienmitglieder untereinander oder auf exogen gegebenen und quasi unveränderlichen sozialen Normen beruhen. Wenn es zu Veränderungen der intrafamiliären Beziehungen kommt, müssen ihn die damit verbundenen Folgen – ebenso wie die Individuen der betrachteten Volkswirtschaft – überraschen. Während aber den Mitgliedern einer Familie klar ist, dass die veränderten Beziehungen zueinander auf Anpassungen an veränderte ökonomische Bedingungen zurückzuführen sind, kann der Staat nur die Ergebnisse dieser Anpassungen beobachten und bleibt insofern ursachenblind. Im diesem Abschnitt sei nun angenommen, dass es in einer Periode t – ebenso wie dies in Abschnitt 4.4.2 geschildert wurde – tatsächlich zu einer Veränderung der ökonomischen Bedingungen und darüber zu einer unerwarteten Erhöhung der Nettokinderkosten kommt, in deren Folge ein Teil der Individuen neue Familienverfassungen formuliert und ein anderer Teil von der Familien- zur Markstrategie wechselt. Wie in 4.4.2 gezeigt wurde, führen die damit verbundenen individuellen Verhaltensänderungen zu gesamtwirtschaftlichen Entwicklungen, die vom Staat beobachtbar sind: • Die Fertilitätsrate nimmt ab, das durchschnittliche Ausbildungsniveau der Kinder zu. • Ein größerer Teil der Bevölkerung organisiert seine Altersvorsorge in der Erwerbstätigkeitsphase über die Bildung von Ersparnissen auf dem Kapitalmarkt. • Ein größerer Teil der Bevölkerung ist in der Ruhestandsphase Altersarmut ausgesetzt. Nimmt man an, dass der Staat die intrafamiliären Erziehungs- und Ausbildungsentscheidungen als Privatangelegenheit betrachtet, dann dürfte er in der ersten genannten Entwicklung kein Problem bzw. an dieser Stelle keinen zwingenden Grund für einen Eingriff sehen84. Auch der wachsende Anteil von Individuen, die ihre Alterssicherung über den Kapitalmarkt organisieren, deutet aus seiner Sicht lediglich auf eine zunehmende individuelle Eigenverantwortung hin, so dass sich auch hier kein Grund für einen Staatseingriff ergibt. Insbesondere kann der Staat, da er über die Bedingungen 84 Die Beobachtung, dass Eltern mit vielen Kindern vergleichsweise wenig in die Ausbildung ihrer Nachkommen investieren et vice versa, könnte ihn jedoch dazu verleiten, aus Gründen der Chancengerechtigkeit öffentliche Schulen aufzubauen und/oder zu fördern, die eine gewisse Mindestausbildung gewährleisten. Er könnte hingegen nicht erkennen, dass die intrafamiliären Beziehungen ineffizient sind, da er Erziehungs- und Ausbildungsinvestitionen nicht als Investitionen begreift, denen notwendigerweise ein bestimmter Ertrag gegenüberstehen muss, damit sie getätigt werden. Er könnte daher geneigt sein Institutionen zu schaffen, die allen eine gewisse Grundausbildung ermöglichen, hätte jedoch zugleich wenig Anreiz, das Ausbildungsniveau aller Individuen zu erhöhen.

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4. Alterssicherung und Investitionsmotiv der Kindererziehung

und Zwänge der intrafamiliären Transferarrangements nicht informiert ist, keinen Zusammenhang zwischen den beiden zuerst genannten Entwicklungen und der Zunahme der Altersarmut erkennen, aus der sich nun ein Ansatzpunkt für einen – paternalistisch motivierten – Staatseingriff in die Alterssicherungsentscheidungen der Individuen ableiten lässt: Da der Staat beobachten kann, dass Altersvorsorge über den Kapitalmarkt möglich ist und somit auf diesem Markt kein Marktversagen vorliegt, kann er die Altersarmut eines Teils der Bevölkerung nur darauf zurückzuführen, dass die betroffenen Individuen aus bestimmten Gründen nicht ausreichend vorgesorgt haben – z. B., weil sie sich auf die (altruistische) Unterstützung von Familienangehörigen verlassen haben. Ein paternalistischer Staateingriff könnte mithin zum Ziel haben, aktuelle Altersarmut zu vermindern und/oder zukünftige Altersarmut auszuschließen. Die Hypothese, dass es tatsächlich die Beobachtung einer wachsenden Altersarmut war, die den Grund für die Einführung öffentlicher Alterssicherungssystems lieferte, wird von verschiedenen Ökonomen und Soziologen vertreten. So schreibt z. B. Werding (2003, S. 156): „Throughout the world, the process of modernisation has weakened the old family constitution – where old age provision was granted in return for prior investment in children – thus establishing an important rationale for the introduction of public pension schemes.“

Zum gleichen Sachverhalt führt Sinn (2004, S. 1347) aus: „The old age pension systems were introduced in order to improve the miserable conditions of the old who did not receive enough transfers from the working generation. (. . .) The assumption of ungrateful children (. . .) was the historical reason for the industrialized countries introducing the pension system in the 19 century.“

Köhler (1983, S. 47) untersucht eine Vielzahl soziologischer Ansätze zur Erklärung des Entstehens von Sozialversicherung und schreibt zusammenfassend: „Viele zeitgenössische Beschreibungen dessen, was den Industriearbeiter zum Proletarier macht, weisen auf den Verlust sozialen Hintergrunds hin. Es kann nicht verwundern, dass eine häufige Hypothese zu den sozialen Bedingungen der Entstehung von Sozialversicherung in dieser eine Ersatzinstitution für die Leistungen sieht, die in der ‚alten Gesellschaft‘ von der Familie, der Heimat, der ständischen Zunftversicherung erbracht worden sind. So wird z. B. in soziologischen Erklärungsmodellen die Einführung der Rentenversicherung damit als historisch notwendig beschrieben, dass durch die Industrialisierung die bis dahin intakte Familienstruktur zerschlagen wurde, womit die Familie als Ort des Ruhestandes wegfiel und die so entstandene Not andere Abhilfe dringend erforderte.“

Als Instrument zur Verminderung und/oder Verhinderung von Altersarmut bietet sich für den Staat die Errichtung eines Zwangsvorsorgesystems an. Je nach dem, ob er dabei nur das Auftreten von Altersarmut für die Zu-

4.5 Staatseingriffe in individuelle Alterssicherungsentscheidungen

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kunft ausschließen oder aber auch die Situation der bereits verarmten Ruheständler verbessern will, könnte er eine solche Zwangsvorsorge in Form eines Kapitaldeckungs- bzw. Zwangssparsystems oder eines Umlagesystems organisieren. Als dritte Möglichkeit, von der u. a. in den frühen Jahren der Gesetzlichen Rentenversicherung Deutschlands Gebrauch gemacht wurde, könnte er ein Mischsystem einführen, in dem von Beginn an aus einem Teil der Beitragszahlungen der Versicherten Rentenzahlungen an die Ruheständler geleistet werden (Umlageelement), während ein anderer Teil der Beitragszahlungen verzinslich auf dem Kapitalmarkt angelegt wird (Kapitaldeckungselement). Im weiteren Verlauf der Untersuchung werden die Auswirkungen von Staatseingriffen in individuelle Altersvorsorgeentscheidungen untersucht, indem (a) die Einführung eines Zwangsspar- bzw. Kapitaldeckungssystems und (b) die Einführung eines Umlageverfahrens angenommen wird. Unabhängig davon, in welcher Form der Staat in die individuellen Alterssicherungsentscheidungen eingreift, wird als sein Ziel die Verhinderung von Altersarmut unterstellt – entweder für die Zukunft (Kapitaldeckungssystem) oder für die Gegenwart und Zukunft (Umlagesystem). Eine Fragestellung der folgenden Untersuchungen ist somit, ob Altersarmut durch die verschiedenen Staatseingriffe effektiv verhindert werden kann. Da Staateingriffe in die Altersvorsorgeentscheidungen das optimale individuelle Verhalten und damit sowohl die Wahl zwischen der Familien- und der Marktstrategie als auch das Verhalten innerhalb einer Strategie beeinflussen können, wird zudem hinterfragt, welcher „Preis“ für das Ziel der Verhinderung und/oder Verminderung von Altersarmut unter Umständen gezahlt werden muss und ob dieses Ziel – wenn überhaupt – auch langfristig erreicht werden kann.

4.5.3 Staatseingriffe in individuelle Alterssicherungsentscheidungen und ihre Auswirkungen Oben wurde angenommen, dass der Staat in Periode t von der Veränderung der ökonomischen Umgebung ebenso überrascht wird wie seine Bürger. Die Bedeutung dieser Veränderung offenbart sich für ihn jedoch erst nachdem die Individuen bereits auf sie reagiert und ihr vom Staat beobachtbares Verhalten geändert haben. In Periode t wird er daher gewissermaßen vor vollendete Tatsachen gestellt. Unabhängig davon, wie er als Reaktion auf die von ihm beobachtbaren Veränderungen in die Alterssicherungsentscheidungen der Individuen eingreift, kann er somit die in Periode t bereits getroffenen Entscheidungen bzgl. der Wahl der Familien- oder Marktstrategie nicht mehr beeinflussen. Auch auf das Verhalten innerhalb der Familienstrategie hat er keinen Einfluss mehr, denn der Staatseingriff kann erst

266

4. Alterssicherung und Investitionsmotiv der Kindererziehung

dann erfolgen, wenn alle freiwilligen Alters- und Ausbildungstransfers geleistet und alle Kinder geboren worden sind. Die damit verbundenen Aufwendungen sind per Definition irreversibel – geborene Kinder können nicht zurückveräußert werden, geleistete Transfers sind in das Eigentum anderer Individuen übergegangen. Einzig die in Periode t auf dem Kapitalmarkt angelegten Ersparnisse können auch noch nach einem vollzogenen Staatseingriff verändert werden. Erst ab Periode t þ 1 haben Staatseingriffe schließlich Auswirkungen auf alle Entscheidungen der Individuen. Im Folgenden wird daher stets zwischen den Auswirkungen in Periode t und in Periode t þ 1 bzw. den darauf folgenden Perioden unterschieden. Betrachtet werden dabei zunächst unter (a) die Auswirkungen der Einführung eines Kapitaldeckungs- bzw. Zwangssparsystems und anschließend unter (b) die Auswirkungen der Einführung eines umlagefinanzierten Alterssicherungssystems. (a) Einführung und Auswirkungen eines kapitalgedeckten Alterssicherungssystems Angenommen sei, dass beginnend in Periode t jedes Individuum in der Erwerbstätigkeitsphase vom Staat dazu verpflichtet wird, einen Teil 0 < bKDV < 1 seines Erwerbseinkommens in einen staatlich administrierten Sparfonds einzuzahlen. Die eingezahlten Beiträge werden vom Staat bzw. von einem staatlich kontrollierten Rentenversicherungsträger in das Sachkapital von Privatunternehmen investiert. Der staatliche Rentenversicherungsträger weise dabei keine Effizienznachteile gegenüber privaten Anlagefonds auf, so dass sich die eingezahlten Beiträge mit dem Marktzins verzinsen. Ein in t  1 geborenes Individuum vom Typ m, mit m 2 fA; :::; B; :::; Cg85, dass in seiner Erwerbstätigkeitsphase ein Einkommen in Höhe von wht ÈeV ; gt  1 ê verdient hat86, kann somit in Periode t þ 1 mit einer Altersrente aus dem Kapitaldeckungssystem in Höhe von È4:39ê

KDV pm; ã È1 þ rêbKDV wht ÈeV ; gt  1 ê tþ1

rechnen. Zu untersuchen ist nun, ob und ggf. in welcher Form die Einführung des Kapitaldeckungssystems das Verhalten und die ökonomische Situation der Mitglieder verschiedener Generationen beeinflusst. 85 Vgl. zur Beschreibung der verschiedenen Typen die Ausführungen in Abschnitt 4.4.2. 86 Alle Individuen haben in Periode t  1 den gleichen Ausbildungstransfer eV erhalten und verdienen daher ein identisches Einkommen. Einkommensunterschiede ergeben sich erst ab Periode t þ 1.

4.5 Staatseingriffe in individuelle Alterssicherungsentscheidungen

267

Betrachtet sei dabei zunächst die Ruhestandsgeneration der Periode t. Auf die Mitglieder dieser Generation hat die Einführung des kapitalgedeckten Alterssicherungssystems offensichtlich keinen Einfluss, denn zum einen haben sie alle Entscheidungen bereits getroffen, zum anderen erhalten sie aus diesem System keine Rentenzahlungen. Insbesondere bleibt daher auch die prekäre Situation jener Ruheständler unverändert, deren Nachkommen die Familienstrategie als Reaktion auf die unerwartete Erhöhung der Nettokinderkosten verlassen haben. Die Erwerbstätigengeneration der Periode t bedarf einer differenzierteren Betrachtung. Ob die Einführung des Kapitaldeckungssystems Einfluss auf das Verhalten und die ökonomische Situation ihrer Mitglieder nimmt, hängt davon ab, ob diese vor der Einführung des Kapitaldeckungssystems die Markt- oder die Familienstrategie gewählt haben. Individuen, die sich für die Marktstrategie entschieden haben, werden durch die Einführung des Zwangssparsystems weder besser noch schlechter gestellt. Da sie in der Lage sind, ihre freiwilligen Ersparnisse eins zu eins im Ausmaß der Zwangsersparnis zu reduzieren, wird Bedingung (4.20) für eine optimale Ressourcenallokation von der Erwerbstätigkeits- zur Ruhestandsphase weiterhin erfüllt. Weil sie keine Kinder erziehen, kann es ihnen zudem gleichgültig sein, ob die Einführung des Kapitaldeckungssystems die Entscheidungen der nachfolgenden Erwerbstätigengeneration bzgl. der Wahl zwischen der Familien- und der Marktstrategie beeinflusst. Ein anderes Ergebnis ergibt sich für jene Individuen, die sich für die Familienstrategie entschieden haben, denn ihre innerhalb dieser Strategie getroffenen Entscheidungen sind irreversibel. Weder können sie geleistete Alterstransfers zurückverlangen, noch können sie die im Humankapital ihrer Nachkommen angelegten „Ersparnisse“ zurückgeben oder veräußern. Jede zusätzliche Zwangsersparnis hat daher für diese Individuen eine suboptimale intertemporale Ressourcenallokation zur Folge: Ihr Konsum während der Erwerbstätigkeitsphase ist suboptimal niedrig, der Konsum in der Ruhestandsphase dagegen suboptimal hoch87. Zusätzlich dazu kann die Einführung des kapitalgedeckten Alterssicherungssystems für diese Individuen noch einen zweiten negativen Effekt 87 Man könnte einwenden, dass Individuen in ihrer Erwerbstätigkeitsphase einen Kredit zum – die Existenz eines vollkommenen Kapitalmarktes vorausgesetzt – Marktzinssatz aufnehmen und so den negativen Effekt der Zwangsersparnis auf die Konsumallokation verhindern können. Unter der oben getroffenen Annahme, dass das Ziel des Zwangssparsystems die effektive Verhinderung von Altersarmut ist, wird es allerdings so ausgestaltet sein, dass die in diesem System erworbenen Ansprüche nicht als Kreditsicherheit dienen können. Da auch die Ansprüche aus den impliziten Vertragsbeziehungen im Rahmen der Familienstrategie nicht als Kreditsicherheit in Frage kommen und Individuen zudem im Alter kein Erwerbseinkommen verdienen, ist die Aufnahme eines Kredites während der Erwerbstätigkeitsphase nicht möglich.

268

4. Alterssicherung und Investitionsmotiv der Kindererziehung

haben: Denn es ist denkbar, dass ihre Nachkommen als Reaktion auf den Eingriff in ihre Altersvorsorgeentscheidungen von der Familien- zur Marktstrategie wechseln. Wann und warum sie das tun, wird bei der folgenden Betrachtung der Jugendgeneration der Periode t deutlich werden. Während der Jugendphase stellt die Einführung des Zwangssparsystems die Mitglieder der Jugendgeneration der Periode t weder besser noch schlechter. Da ihre Eltern die Ausbildungstransfers vorgenommen haben, bevor der Staat in die Alterssicherungsentscheidungen eingegriffen hat, verändert sich ihr Ausbildungsniveau nicht. Aus diesem Grund hat die Einführung des Zwangssparsystems auch keine Auswirkung auf die Höhe des Einkommens, das sie während ihrer Erwerbstätigkeitsphase verdienen. In dieser Lebensphase nimmt die Existenz des Kapitaldeckungssystems jedoch Einfluss auf ihre Entscheidung zwischen der Familien- und der Marktstrategie. Ohne den Staatseingriff in die Altersvorsorgeentscheidungen würden sich ausnahmslos alle Mitglieder der Jugendgeneration der Periode t in ihrer Erwerbstätigkeitsphase für die Familienstrategie entscheiden. Dies ist auf die oben getroffenen Annahmen zurückzuführen, wonach die Erhöhung der Nettokinderkosten ein einmaliges Ereignis ist und sich Eigenschaften der Eltern vollständig auf ihre Nachkommen übertragen. Da sich in Periode t nur jene Individuen reproduzieren, deren Nettokosten pro Kind auch nach der unerwarteten Veränderung der ökonomischen Bedingungen noch so gering sind, dass sie sich weiterhin für die Familienstrategie entscheiden, besteht die in Periode t geborene Generation nur aus Individuen mit relativ geringen Nettokinderkosten. Bei Konstanz der ökonomischen Bedingungen würden sich daher alle Mitglieder dieser Generation für die Familienstrategie entscheiden88. Durch die Einführung des Kapitaldeckungssystems verändert sich jedoch die ökonomische Umgebung erneut, was sich in einer Veränderung der Budgetrestriktionen der in Periode t geborenen Individuen äußert. Unter Berücksichtigung von (4.39) lauten sie in der Erwerbstätigkeits- bzw. Ruhestandsphase eines Individuums vom Typ m nun89: È4:40ê

ct;t þm 1 ã wh mt þ 1 Èem ; gt êÈ1  bKDV ê  smt þ 1  b m  Èem þ qm êÈ1 þ nmt þ 1 ê

È4:41ê

ct;t þm 2 ã È1 þ rêsmt þ 1 þ b m È1 þ nmt þ 1 ê þ È1 þ rêbKDV wh mt þ 1 Èem ; gt ê

Mit Èe; bê ã Èem ; b m ê wird dabei jenes Transferdupel bezeichnet, das die Eltern eines in t geborenen Individuums vom Typ m, die ebenfalls dem Typ 88 Wären die Eltern davon nicht überzeugt, dann hätten sie die Marktstrategie gewählt und keine Kinder erzogen. 89 Wobei nun m 2 fA; . . . ; Bg ist, da Individuen mit Nettokinderkosten qm > qB in der in t geborenen Generation nicht mehr vorkommen.

4.5 Staatseingriffe in individuelle Alterssicherungsentscheidungen

269

m angehören, nach der unerwarteten Erhöhung der Nettokinderkosten gemäß der in 4.4.2 beschriebenen Vorgehensweise in die Familienverfassung aufgenommen haben. Erkennbar hat die Einführung des Zwangssparsystems zur Folge, dass den Individuen die freie Verfügung über einen Teil bKDV ihrer Ressourcen entzogen wird. Es liegt daher die Vermutung nahe, dass sich infolgedessen das maximale Nutzenniveau verändert hat, der bei Wahl der Markt- bzw. der Familienstrategie erreicht werden kann. Ob diese Vermutung zutreffend ist, sei zunächst für die Marktstrategie untersucht. Der Nutzen der Marktstrategie ist dann maximal, wenn die Ersparnisse smt þ 1 gerade so hoch sind, dass Bedingung (4.20) erfüllt wird. Er beträgt somit: È4:42ê

  m max U t; MS; m ã ut þ 1 wh mt þ 1 Èem ; gt êÈ1  bKDV ê  s; tþ1   m KDV wh mt þ 1 Èem ; gt ê þ ut þ 2 È1 þ rês; t þ 1 þ È1 þ rêb

Der Einfluss des Zwangssparsystems auf den maximal erreichbaren Nutzen der Marktstrategie ergibt sich aus der Ableitung von (4.42) nach bKDV : È4:43ê

d max U t; MS; m ã u0t þ 1 wh mt þ 1 Èem ; gt ê þ u0t þ 2 È1 þ rêwh mt þ 1 Èem ; gt ê dbKDV

Gemäß (4.20) muss im Nutzenmaximum die Bedingung u0t þ 1 ã È1 þ rê  u0t þ 2 erfüllt sein. Unter Berücksichtigung dieser Beziehung lässt sich (4.43) umformulieren zu: È4:44ê

d max U t; MS; m ã È1 þ rêu0t þ 2 wh mt þ 1 Èem ; gt ê þ u0t þ 2 È1 þ rêwh mt þ 1 Èem ; gt ê dbKDV

d max U t; MS; m ã 0 ist. Die Einführung des dbKDV Zwangssparsystems hat somit keinen Einfluss auf den maximal erreichbaren Nutzen der Marktstrategie. Das erzielte Ergebnis ist darauf zurückzuführen, dass die Verzinsung der Zwangsersparnisse exakt der Verzinsung freiwilliger Ersparnisse entspricht und die Individuen ihre freiwilligen Ersparnisse bei Wahl der Marktstrategie so reduzieren können, dass ihre intertemporale Ressourcenallokation trotz des Zwangssparsystems optimal bleibt. Zu untersuchen ist nun, ob die Einführung des Zwangssparsystems den maximal erreichbaren Nutzen der Familienstrategie verändert. Der Nutzen der Familienstrategie ist dann maximal, wenn die Kinderzahl È1 þ nt þ 1 êm gerade so hoch ist, dass Bedingung (4.22) erfüllt wird. Er beträgt mithin: Aus (4.44) folgt direkt, dass

(4.45)

  max U t; FS; m ã ut þ 1 wh mt þ 1 Èem ; gt êÈ1  bKDV ê  b m  Èem þ qm êÈ1 þ nt þ 1 ê; m   þ ut þ 2 b m È1 þ nt þ 1 ê; m þ È1 þ rêbKDV wh mt þ 1 Èem ; gt ê

270

4. Alterssicherung und Investitionsmotiv der Kindererziehung

Der Einfluss des Zwangssparsystems auf den maximalen Nutzen der Familienstrategie ergibt sich aus der Ableitung von (4.45) nach bKDV : È4:46ê

d max U t; FS; m ã u0t þ 1 wh mt þ 1 Èem ; gt ê þ u0t þ 2 È1 þ rêwh mt þ 1 Èem ; gt ê dbKDV

Gemäß (4.22) und (4.29) muss für ein in Periode t þ 1 erwerbstätiges Individuum im Nutzenmaximum der Familienstrategie die Bedingung u0t þ 1 ã È1 þ nt þ 1 ê; m u0t þ 2 erfüllt sein. Unter Berücksichtigung dieser Beziehung lässt sich (4.46) umformulieren zu: d max U t; FS; m ã È1 þ nt þ 1 ê; m u0t þ 2 wh mt þ 1 Èem ; gt ê þ u0t þ 2 È1 þ rêwh mt þ 1 Èem ; gt ê dbKDV

bzw. È4:47ê

  d max U t; FS; m ã È1 þ rê  È1 þ nê; m ut þ 2 wh mt þ 1 Èem ; gt ê KDV db

Da die Wahl der Familienstrategie gemäß (4.30) zwingend zur Folge hat, dass È1 þ nt þ 1 ê > È1 þ rê ist, kann aus (4.47) direkt geschlossen werden, d max U t; FS; m dass < 0 sein muss. Durch die Einführung des obligatoridbKDV schen kapitalgedeckten Alterssicherungssystems nimmt folglich das maximal erreichbare Nutzenniveau der Familienstrategie ab. Dieses Ergebnis liegt darin begründet, dass sich Individuen nur dann für die Familienstrategie entscheiden, wenn die Verzinsung der Kindererziehung und -ausbildung strikt höher als die Verzinsung von Anlagen auf dem Kapitalmarkt ist. Wenn diese Individuen nun gezwungen werden, Zwangsersparnisse am Kapitalmarkt zu bilden, dann stellt sich dies für sie als ein Zwang zur Teilnahme an einem suboptimalen System der intertemporalen Ressourcenallokation dar. In Anlehnung an die in Kapitel 3. untersuchten Folgen der Einführung umlagefinanzierter Alterssicherungssysteme lässt sich daher sagen, dass die Lebenseinkommen der Individuen, die – wie oben erläutert wurde – in Periode t þ 1 bei Konstanz der ökonomischen Bedingungen ausschließlich die Familienstrategie wählen würden, durch die Einführung des Zwangssparsystems implizit besteuert werden. Während die implizite Besteuerung in einem Umlagesystem jedoch der Finanzierung der Einführungsgewinne der ersten Rentnergeneration dient und daher kein Zeichen für die Ineffizienz dieses Finanzierungsverfahrens ist, begründet die implizite Besteuerung durch die Teilnahme am Zwangssparsystems im hier entwickelten Modell eine Verschwendung von Ressourcen und damit einen echten Wohlfahrtsverlust.

4.5 Staatseingriffe in individuelle Alterssicherungsentscheidungen

271

Doch die Einführung des kapitalgedeckten Alterssicherungssystems führt nicht nur dazu, dass der maximal erreichbare Nutzen der Familienstrategie sinkt und daher sowohl ihre absolute als auch ihre relative Vorteilhaftigkeit im Vergleich zur Marktstrategie abnimmt, sie kann zusätzlich zur Folge haben, dass auch in Periode t þ 1 Individuen von der Familien- zur Marktstrategie wechseln, denn die individuelle Entscheidungssituation ändert sich nun grundlegend. Die Zwangsabgaben in der Erwerbstätigkeitsphase und die erwarteten Rentenzahlungen in der Ruhestandsphase führen dazu, dass die Individuen weniger Ressourcen von der Erwerbstätigkeits- in die Ruhestandsphase umschichten wollen. Grundsätzlich haben sie dazu im Rahmen der Familienstrategie zwei Möglichkeiten. Zum einen könnten sie eine Familienverfassung formulieren, die geringere Transfers vorsieht. Zum anderen könnten sie die Zahl ihrer Nachkommen reduzieren. Von der ersten Möglichkeit kann jedoch nur Gebrauch gemacht werden, wenn bislang noch keine Familienverfassung existiert, denn eine neue Familienverfassung mit geringeren Transfers lässt sich nicht formulieren, ohne gegen die Regeln einer existierenden alten Familienverfassung zu verstoßen. Ein solcher Schritt würde daher zwangsläufig zur Folge haben, dass die Individuen den „Anspruch“ auf Alterstransferzahlungen ihrer Nachkommen verlieren. Da angenommen wurde, dass bereits eine alte Familienverfassung existiert, bleibt als Anpassungsinstrument allein die Kinderzahl È1 þ nt þ 1 ê90. Ohne Veränderung des Transferdupels Èe; bê ã Èem ; b m ê wird ein Individuum vom Typ m die Kinderzahl optimalerweise so wählen, dass Bedingung (4.22) erfüllt ist. Es muss daher gelten: È4:48ê

  u0t þ 1 wh mt þ 1 Èem ; gt êÈ1  bKDV ê  b m  Èem þ qm êÈ1 þ nt þ 1 ê; m bm   ã em þ qm u0t þ 2 b m È1 þ nt þ 1 ê; m þ È1 þ rêbKDV wh mt þ 1 Èem ; gt ê

Da sich die rechte Seite von (4.48) durch die Einführung des Zwangssparsystems nicht verändert, muss die Kinderzahl im Optimum so gewählt werden, dass auch der Wert der linken Seite jenem vor dem Eingriff in die individuelle Altersvorsorgeentscheidung entspricht. Dies ist bei konstanten Transfers offensichtlich nur möglich, wenn weniger Kinder erzogen werden. Die Senkung der Kinderzahl kann nun aber zur Folge haben, dass Bedingung (4.24) nicht mehr erfüllt wird bzw. auf Grundlage der unveränderten 90

Anders als bei der Erhöhung der Nettokinderkostenkosten kommt eine Erhöhung des Ausbildungstransfers e hier nicht als Anpassungsmechanismus in bm durch Frage, da sich die Verzinsung der Kindererziehung und -ausbildung m e þ qm die Einführung des Zwangssparsystems nicht verändert hat und die Bedingung bm daher weiterhin erfüllt ist. b0; m Èeê ã m e þ qm

272

4. Alterssicherung und Investitionsmotiv der Kindererziehung

alten Familienverfassung keine selbstdurchsetzenden impliziten Vertragsbeziehungen zwischen Familienmitgliedern mehr möglich sind. Warum das so ist, lässt sich verdeutlichen, indem (4.24) so umgestellt wird, dass auf der linken Seite der „Gesamtertrag“ und auf der rechten Seite die gesamten Opportunitätskosten der Familienstrategie stehen – jeweils aus Sicht des Individuums vom Typ m: È4:49ê

  b m È1 þ nt þ 1 ê; m  È1 þ rê Èem þ qm êÈ1 þ nt þ 1 ê; m þ È1 þ rêb m

Wie zu erkennen ist, ergibt sich der Gesamtertrag aus den erwarteten Al; m (leiblichen) Kinder. Die Opportuniterstransferzahlungen der È1 þ nt þ 1 ê tätskosten entsprechen jenem Betrag, der in der Ruhestandsphase zur Verfügung stünde, wenn alle zur Nutzung des Familiensystems notwendigen Zahlungen zum Marktzinssatz auf dem Kapitalmarkt angelegt würden. Die Aussage von (4.49) ist somit, dass eine Familienverfassung nur dann selbstdurchsetzende implizite Vertragsbeziehungen ermöglicht, wenn der Gesamtertrag der Familienstrategie die gesamten mit der Befolgung der intrafamiliären Normen verbundenen Opportunitätskosten übersteigt. Inwiefern nun ; m die optimale Kinderzahl È1 þ nt þ 1 ê Einfluss auf die Erfüllung von (4.24) bzw. (4.49) nehmen kann, zeigt die folgende Überlegung: Gemäß (4.25) entscheidet sich ein Individuum vom Typ m nur dann für die Familienstrategie, wenn die Bedingung b m > È1 þ rêÈem þ qm ê strikt erfüllt ist. Wie oben erläutert wurde, ist dies für alle in Periode t geborenen Individuen vor der Einführung des Zwangssparsystems der Fall. Daraus folgt direkt, dass bei ; m die linke Seite einer Verringerung der optimalen Kinderzahl È1 þ nt þ 1 ê von (4.49) stärker als die rechte Seite abnimmt. Es kann somit eine opti; m male Kinderzahl È1 þ nt þ 1 ê existieren, die so niedrig ist, dass Bedingung (4.49) bzw. (4.24) nicht mehr erfüllt wird. Tritt dieser Fall ein, dann ist es dem Individuum vom Typ m nicht mehr möglich, auf Grundlage der alten Familienverfassung selbstdurchsetzende implizite Vertragsbeziehungen mit seinen Nachkommen einzugehen. Da aber die alte Familienverfassung – wie oben erläutert wurde – bei gegebenen Nettokinderkosten optimal formuliert ist, existiert dann überhaupt keine Familienverfassung mehr, die Bedingung (4.24) erfüllt. Für das Individuum vom Typ m wird die Familienstrategie somit unmöglich. Dieser Fall tritt umso wahrscheinlicher ein, je größer das Ausmaß des Zwangssparsystems und je geringer der Abstand zwischen dem Gesamtertrag und den Opportunitätskosten der Familienstrategie ohne Berücksichtigung der Zwangsersparnis ist. Die kapitalgedeckte Alterssicherung verdrängt daher vor allem jene Individuen aus der Familienstrategie, die relativ hohe Nettokinderkosten aufweisen. Wenn die obligatorische intertemporale Ressourcenallokation im Rahmen des kapitalgedeckten Alterssicherungssystems nicht so umfangreich ist, dass niemand mehr

4.5 Staatseingriffe in individuelle Alterssicherungsentscheidungen

273

die Familienstrategie wählt, dann führt seine Einführung folglich dazu, dass Individuen mit relativ hohen Kindererziehungskosten zur Marktstrategie wechseln und keine Kinder mehr erziehen, während Individuen mit relativ geringen Nettokinderkosten in der Familienstrategie verbleiben und die Zahl ihrer Nachkommen reduzieren. Die durchschnittliche Geburtenzahl der betrachteten Volkswirtschaft geht daher eindeutig zurück. Anders als bei einer Erhöhung der Nettokinderkosten wird der Rückgang der Fertilität nun aber auch von einem Rückgang des durchschnittlichen Ausbildungsniveaus begleitet, denn die aus der Familienstrategie verdrängten Individuen mit relativ hohen Nettokinderkosten wären gerade jene gewesen, deren Nachkommen die höchsten Ausbildungstransfers erhalten hätten. Zusätzlich dazu hat der auf die Einführung des Zwangssparsystems zurückzuführende Austritt einiger Individuen aus der Familienstrategie zur Folge, dass sie keine Alterstransfers an ihre Eltern leisten. Da sich die betroffenen Individuen anderenfalls an die intrafamiliären Normen gehalten hätten, ist der Eingriff in ihre Altersvorsorgentscheidungen mit einer deutlichen Schlechterstellung ihrer Eltern verbunden. Zu untersuchen ist schließlich noch, welchen Einfluss die Einführung des kapitalgedeckten Alterssicherungssystems auf die Situation und die Entscheidungen der Mitglieder nach Periode t geborener Generationen hat. Da sich in Periode t þ 1 nur Individuen mit relativ geringen Kinderkosten reproduzieren und diese ihre Eigenschaften annahmegemäß voll auf ihre Kinder übertragen, werden ab Periode t þ 2 alle Individuen die Familienstrategie wählen, so dass die durchschnittliche Geburtenzahl – da es keine Kinderlosen mehr gibt – wieder zunimmt. Wenn das Familiensystem die „Schocks“ der unerwarteten Nettokinderkostenerhöhung und der Einführung des Zwangssparsystems übersteht, dann wird es nach den in diesem Abschnitt erzielten Ergebnissen auch in den Folgeperioden weiterexistieren – es sei denn, es kommt zu weiteren unvorhergesehenen Veränderungen der ökonomischen Umgebung. Aus den oben geschilderten Gründen werden jedoch auch die Mitglieder der nach t geborenen Generationen durch die obligatorische Teilnahme am Kapitaldeckungssystem implizit besteuert und damit durch den Staatseingriff in ihre Altersvorsorgeentscheidungen schlechter gestellt. Zudem werden sie eine geringere Kinderzahl wählen, als es ohne das Zwangssparsystem der Fall sein würde. Die Auswirkungen der Einführung eines kapitalgedeckten Alterssicherungssystems auf die Situation und die Entscheidungen der Mitglieder verschiedener Generationen und auf die betrachtete Volkswirtschaft lassen sich wie folgt zusammenfassen: (1) Das angenommene Ziel der Einführung des Kapitaldeckungssystems besteht darin, das Auftreten von Altersarmut in der betrachteten Volks-

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4. Alterssicherung und Investitionsmotiv der Kindererziehung

wirtschaft für die Zukunft auszuschließen. Dieses Ziel kann es bedingt erreichen. Durch die Verpflichtung aller Individuen, in der Erwerbstätigkeitsphase Ersparnisse am Kapitalmarkt zu bilden, kann der Fall völlig mittelloser Ruheständler ab Periode t þ 1 nicht mehr eintreten91. Die Einführung des Zwangssparsystems führt andererseits jedoch dazu, dass auch Mitglieder der in t geborenen Generation die Familienstrategie verlassen und aus diesem Grund keine Alterstransfers an ihre Eltern vornehmen. Während das Kapitaldeckungssystem somit in der Lage ist, das Auftreten extremer Altersarmut für die Zukunft auszuschließen, verschlechtert seine Einführung kurzfristig die ökonomische Situation eines Teils der Ruheständler. (2) Die Einführung des kapitalgedeckten Alterssicherungssystems stellt kein Individuum der betrachteten Volkswirtschaft besser, aber die meisten deutlich schlechter. Die Situation der Ruheständler der Einführungsperiode t verändert sich nicht. Auch die Situation jener Erwerbstätigen der Periode t, die sich nach der unerwarteten Erhöhung der Nettokinderkosten für die Marktstrategie entschieden haben, bleibt unverändert. Individuen, die sich in Periode t trotz der Erhöhung der Nettokinderkosten für die Familienstrategie entschieden haben, werden hingegen in bis zu dreifacher Hinsicht schlechter gestellt. Erstens wird ihre intertemporale Konsumallokation verzerrt. Zweitens werden sie gezwungen, an einem für sie suboptimalen Alterssicherungssystem teilzunehmen. Und drittens erhalten sie – wenn ihre Nachkommen als Reaktion auf die obligatorische Ersparnisbildung zur Marktstrategie wechseln – keine Alterstransferzahlungen, so dass ihre Investitionen in das Familiensystem vergeblich waren. Schließlich werden auch die in t und allen Folgeperioden geborenen Individuen durch die verpflichtende Teilnahme am kapitalgedeckten Alterssicherungssystem schlechter gestellt. Zwar ändert sich an der Höhe ihres Erwerbseinkommens nichts, da ihre Eltern in jedem Fall die in der Familienverfassung vorgeschriebenen Ausbildungstransfers leisten92. Sie werden jedoch gezwungen, einen Teil ihrer intertemporalen Ressourcenallokation über ein suboptimales Alterssicherungssystem vorzunehmen, so dass ihr Lebenseinkommen implizit besteuert wird. Insbesondere werden auch jene Mitglieder der in t geborenen Generation 91 Dieser Fall wäre in der Modellvolkswirtschaft ohne eine weitere unerwartete Veränderung der ökonomischen Bedingungen allerdings ohnehin nicht mehr aufgetreten. Lässt man jedoch die Möglichkeit zukünftiger „Schocks“ zu, dann stellt die erreichte „Versicherung gegen Mittellosigkeit im Alter“ einen positiven Aspekt des Zwangssparsystems dar. 92 Dass ihre Kopfzahl geringer ist, als es ohne die Einführung des Zwangssparsystems der Fall gewesen wäre, wird hier nicht als Nachteil gesehen, da von einem „Lebensinteresse“ ungeborener Individuen abstrahiert wird. Vgl. hierzu auch die Ausführungen in Abschnitt 3.2.4.

4.5 Staatseingriffe in individuelle Alterssicherungsentscheidungen

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schlechter gestellt, die als Reaktion auf die Einführung des Zwangssparsystems zur Marktstrategie wechseln. Zwar nehmen sie in diesem Fall auch keine Alterstransfers an ihre Eltern vor und gewinnen so Ressourcen. Sie können im Ergebnis dennoch unmöglich besser als in der Situation ohne das Zwangssparsystem gestellt sein, denn ansonsten hätten sie auch ohne dessen Existenz die Strategie gewechselt, was sie jedoch – wie oben erläutert wurde – nicht tun würden. (3) Die Einführung des kapitalgedeckten Alterssicherungssystems hat zur Folge, dass die Fertilitätsrate der betrachteten Volkswirtschaft geringer ist, als es ohne diesen Staatseingriff der Fall gewesen wäre. Einige Individuen wechseln als Reaktion auf die obligatorische Ersparnisbildung die Strategie und verzichten ganz auf die Erziehung von Nachkommen. Die in der Familienstrategie verbleibenden Individuen erziehen weniger Kinder93. Da vor allem jene Individuen auf Kinder verzichten, die ohne das Zwangssparsystem die höchsten Ausbildungstransfers vorgenommen hätten, sinkt zudem das durchschnittliche Ausbildungsniveau. Das Zwangssparsystem verringert somit den Humankapitalbestand der Ökonomie sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht. Man kann sich abschließend fragen, warum die Beurteilung der Verpflichtung Erwerbstätiger zur Teilnahme an einem kapitalgedeckten Alterssicherungssystem in der in diesem Abschnitt vorgenommenen Untersuchung so negativ ausfällt. Der Grund dafür ist darin zu sehen, dass die hier betrachtete Volkswirtschaft – unabhängig von der modellierten unerwarteten Veränderung der ökonomischen Bedingungen – an einem Mangel an Ausbildungsinvestitionen leidet. Annahmegemäß existiert kein Markt, über den Anlagen in Humankapital getätigt oder Ausbildungskredite aufgenommen werden können. Familien können diesen Mangel – wie gezeigt wurde – nur unvollständig beheben. Selbst wenn alle Individuen die Familienstrategie wählen, verbleiben stets gesamtwirtschaftlich lohnenswerte Anlagemöglichkeiten in Humankapital, die aufgrund der Anreize und Zwänge der impliziten intrafamiliären Vereinbarungen nicht wahrgenommen werden. Die betrachtete Ökonomie bräuchte daher mehr und nicht weniger Ausbildungs93 Die Fertilitätsrate muss dennoch in Periode t þ 1 nicht geringer als in der Vorperiode t sein. In Periode t nimmt die Fertilitätsrate als Reaktion auf die zunehmenden Nettokinderkosten (deutlich) ab, da in der betrachteten Volkswirtschaft erstmals ein Teil der Individuen freiwillig kinderlos bleibt und alle anderen Individuen die Zahl ihrer Nachkommen reduzieren. Ohne Einführung des Kapitaldeckungssystems würde die Fertilitätsrate in Periode t þ 1 wieder zunehmen, da es in diesem Fall keine kinderlosen Individuen mehr geben würde. Durch das Zwangssparsystem ändert sich dies zwar wieder, es ist jedoch trotzdem nicht gesagt, dass die Fertilitätsrate in t þ 1 unterhalb jener in t liegt. Ob dies der Fall ist, hängt vor allem davon ab, wie umfangreich das Zwangssparsystem ist und ein wie großer Teil der Individuen als Reaktion darauf die Familienstrategie verlässt.

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4. Alterssicherung und Investitionsmotiv der Kindererziehung

investitionen. Durch die Einführung des kapitalgedeckten Alterssicherungssystems werden jedoch die Ausbildungsinvestitionen weiter verringert, während stattdessen die vergleichsweise unvorteilhaften Sachkapitalinvestitionen zunehmen. Der Eingriff in die individuellen Altersvorsorgeentscheidungen führt daher zu einer Verschwendung von Ressourcen und kann folglich, da es in einem kapitalgedeckten Alterssicherungssystem auch zu keiner inter- oder intragenerationalen Umverteilung kommt, kein Mitglied der betrachteten Volkswirtschaft besser stellen. (b) Einführung und Auswirkungen eines umlagefinanzierten Alterssicherungssystems Wenn Staatseingriffe in individuelle Alterssicherungsentscheidungen auf das akute Auftreten von Altersarmut zurückgehen, dann scheint die Einführung umlagefinanzierter Alterssicherungssysteme eine problemadäquatere Reaktion als die Verpflichtung zur Ersparnisbildung zu sein. Denn zum einem kann dem Problem der Altersarmut im Umlageverfahren bereits in der Einführungsperiode begegnet werden. Zum anderen setzt das Umlagesystem direkt an der Ursache der zunehmenden Altersarmut an, denn diese liegt im teilweisen Ausbleiben von Alterstransferzahlungen der Kinder an ihre Eltern begründet94. Angenommen sei daher nun, dass der Staat in Periode t ein umlagefinanziertes Alterssicherungssystem einführt. Dieses sei vom Bismarckschen Typ, so dass die Beitragszahlungen einkommensabhängig sind und die relative Höhe der individuellen Rentenzahlbeträge abhängig von der relativen Höhe individuell geleisteter Beitragszahlungen ist. Beginnend in Periode t werde jedes Individuum in der Erwerbstätigkeitsphase verpflichtet, einen Teil 0 < bUV < 1 seines Einkommens als Beitrag an das öffentliche Alterssicherungssystem abzuführen. Als Gegenleistung erhalte es dafür in der Ruhestandsphase eine Rentenzahlung in Höhe von p. Die Beitragszahlungen einer Periode finanzieren – einem Umlagesystem entsprechend – die Rentenzahlungen an die Ruheständler der gleichen Periode. Die Höhe einer Durchschnittsrentenzahlung p€t þ 1 an ein Mitglied der Generation t  1 kann somit aus der Budgetgleichung des Umlagesystems abgeleitet werden: 94 Oben wurde angenommen, dass der Staat ursachenblind in Bezug auf die tieferen Gründe des plötzlichen Auftretens von Altersarmut ist. Gemeint ist damit, dass er die Anreize und Zwänge des Familiensystems nicht durchschaut und daher nicht in der Lage ist, einen Zusammenhang zwischen Veränderungen der ökonomischen Umgebung und dem Ausbleiben intrafamiliärer Alterstransfers herzustellen. Trotz der getroffenen Annahme kann er aber durchaus erkennen, dass die wachsende Altersarmut eine Folge abnehmender Unterstützung der Ruheständler durch ihre Nachkommen ist.

4.5 Staatseingriffe in individuelle Alterssicherungsentscheidungen È4:50ê Nt p€t þ 1 ã Nt þ 1 wh€t þ 1 È€ et ; gt êbUV tþ1

,

277

p€t þ 1 ã È1 þ n€t êwh€t þ 1 È€ et ; gt êbUV tþ1

h€ bezeichnet dabei die durchschnittliche Humankapitalausstattung, e€ die durchschnittlich geleisteten Ausbildungstransfers und È1 þ n€ê die durchschnittliche Kinderzahl der betrachteten Volkswirtschaft. Für die Mitglieder der Generation t  1 hängt die Höhe einer Durchschnittsrente somit vom Beitragssatz, von der durchschnittlichen Fertilitätsrate und von den durchschnittlich vorgenommenen Ausbildungsinvestitionen ab. Wenn sich die individuellen Einkommen unterscheiden, weichen die individuellen Rentenzahlbeträge in einem Bismarckschen Rentensystem von der Durchschnittsrente ab. Unterstellt sei dabei, dass das Rentensystem strikt nach dem Prinzip der Teilhabeäquivalenz ausgestaltet ist. Wenn daher die Beitragszahlung eines Individuums um x% von der durchschnittlichen Beitragszahlung abweicht, erhält es auch eine Rentenzahlung, die sich um x% von einer Durchschnittsrente unterscheidet. Ein in t  1 geborenes Individuum vom Typ m, dass in seiner Erwerbstätigkeitsphase einen Beitrag in Höhe m m von bUV t wht Èe ; gt  1 ê gezahlt hat, erwirbt somit einen Rentenanspruch in Höhe von: pmt þ 1 ã

m m h i bUV t wht Èe ; gt  1 ê UV €t þ 1 È€ € È1 þ n êb w h e ; g ê t t t t þ 1 € et  1 ; gt  1 ê bUV t wht È€

bzw. È4:51ê

  € bUV et ; gt ê t þ 1 wht þ 1 È€ m m € pmt þ 1 ã bUV wh Èe ; g ê È1 þ n ê t  1 t t t wh€t È€ bUV et  1 ; gt ê t

Auf der rechten Seite von (4.51) gibt der Ausdruck vor der eckigen Klammer die individuelle Beitragszahlung und der Ausdruck in der eckigen Klammer die (implizite) Verzinsung dieser Beitragszahlungen im umlagefinanzierten Alterssicherungssystem an. In der in (4.51) gewählten Formulierung ähnelt das Umlagesystem somit dem unter (a) beschriebenen Kapitaldeckungssystem, was im weiteren Verlauf die Vergleichbarkeit der Auswirkungen beider Systeme erleichtert. Die implizite Verzinsung der Beitragszahlungen ergibt sich aus der Fertilitätsrate, der Veränderung des Beitragssatzes und der Veränderung des Durchschnittseinkommens. Im Unterschied zum Kapitaldeckungssystem, bei dem der Zinssatz als exogen gegeben und unveränderlich angenommen wurde, kann die implizite Verzinsung im Umlagesystem variieren, wenn sich ihre Bestimmungsfaktoren verändern. Bevor die Individuen Entscheidungen in Bezug auf die Wahl einer bestimmten Strategie oder das Verhalten innerhalb einer Strategie treffen, müssen sie daher Erwartungen über die Verzinsung ihrer Beitragszahlungen und damit über die Höhe zukünftiger Rentenzahlungen bil-

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4. Alterssicherung und Investitionsmotiv der Kindererziehung

den. Im Folgenden sei dabei unterstellt, dass die Individuen von statischen Bedingungen ausgehen. Diese relativ rigide erscheinende Annahme kann mit drei Argumenten gerechtfertigt werden: Erstens kam es in der betrachteten Volkswirtschaft bis Periode t annahmegemäß zu keinen unerwarteten Veränderungen. Da die Bildung rationaler Erwartungen mit hohen Informationskosten verbunden ist, ist es nachvollziehbar, wenn sich die Individuen bislang auf die Konstanz der Bedingungen verlassen haben. Zweitens wurde unterstellt, dass nur Familienmitglieder Kenntnis von den spezifischen intrafamiliären Normen ihrer Familie haben. Da sich die Mitglieder der betrachteten Volkswirtschaft unterscheiden können, ist es ihnen somit nicht möglich, von den Normen der eigenen Familie auf die Normen anderer Familien zu schließen. Zur Bildung rationaler Erwartungen über die Entwicklung volkswirtschaftlicher Aggregatsgrößen fehlen ihnen daher die notwendigen Informationen. Drittens wäre zwar alternativ auch die Annahme einer adaptiven Erwartungsbildung möglich, diese macht aber in Ökonomien, in denen Veränderungen nicht Folge eines Prozesses sondern Ergebnis punktueller Schocks sind, wenig Sinn. Unter Annahme statischer Erwartungsbildung ergibt sich der Erwartungswert der impliziten Verzinsung gemäß95:   E È1 þ rt þ 1 êUV ã È1 þ rt êUV

È4:52ê

È1 þ rêUV bezeichnet dabei den impliziten Zinsfaktor des Umlagesystems. Inwieweit die individuellen Erwartungen zutreffend sind oder von der tatsächlichen Entwicklung abweichen, hängt neben den (durchschnittlichen) Entscheidungen einer Generation auch davon ab, ob das Umlagesystem in Systemvariante EA oder in Systemvariante AE organisiert ist96. Im Folgenden werden beide Fälle betrachtet. In Systemvariante EA sei der Beitragssatz intertemporal auf den Wert bUV fixiert. (4.51) lässt sich dann vereinfachen zu: È4:53ê

m ptEA; þ1

ã

m m bUV t wht Èe ;

  wh€t þ 1 È€ et ; gt ê gt  1 ê È1 þ n€t ê € wht È€ et  1 ; gt  1 ê

Die implizite Verzinsung der Beitragszahlungen ist in dieser Systemvariante somit nur von der Veränderung der Lohnsumme abhängig. 95 Da in t  1 annahmegemäß noch kein Umlagesystem existierte, macht diese Form der Erwartungsbildung erst für die in Periode t þ 1 erwerbstätigen Individuen Sinn. Da die Erwerbstätigen der Periode t ihre Entscheidungen bereits vor Einführung des Umlagesystems getroffen haben, ist (4.52) für sie ohnehin nicht relevant. 96 Vgl. zur Beschreibung der beiden Systemvarianten Kapitel 2. der vorliegenden Untersuchung.

4.5 Staatseingriffe in individuelle Alterssicherungsentscheidungen

279

Systemvariante AE sei dadurch gekennzeichnet, dass der Staat intertemporal eine fixe Verzinsung geleisteter Beitragszahlungen garantiert97. In diesem Fall lässt sich (4.51) umformulieren zu: È4:54ê

  m UV m m €êUV pAE; t þ 1 ã bt wht Èe ; gt  1 ê È1 þ r

Der garantierte Zinsfaktor È1 þ r€êUV leite sich dabei aus jener impliziten Verzinsung ab, die das Umlagesystem nach dem Erreichen des Reifestadiums in Periode t þ 1 aufweist98. Analog zum Vorgehen unter Punkt (a) ist nun zu untersuchen, ob und ggf. in welcher Form die Einführung des umlagefinanzierten Alterssicherungssystems das Verhalten und die ökonomische Situation der Mitglieder verschiedener Generationen beeinflusst. Erneut sei zunächst die Ruhestandsgeneration der Periode t betrachtet. Die Mitglieder dieser Generation werden durch die Einführung des Umlagesystems uneingeschränkt besser gestellt. Dieses Ergebnis gilt unabhängig davon, ob die Nachkommen einzelner Ruheständler zu den Strategiewechslern zählen oder nicht. Ruheständler, deren Nachkommen als Reaktion auf die unerwartete Erhöhung der Nettokinderkosten zur Marktstrategie gewechselt sind, werden nun für das Ausbleiben der in der Vergangenheit freiwillig vorgenommenen intrafamiliären Alterstransferzahlungen kompensiert. Sie werden ebenso gestellt, als sei das Familiensystem nicht zusammengebrochen, wenn die Umlagerenten der Höhe nach gerade den ausbleibenden intrafamiliären Alterstransfers entsprechen. Sind die Umlagerenten hingegen kleiner als die ausbleibenden intrafamiliären Transfers, so befinden sie sich trotz der Einführung des umlagefinanzierten Alterssicherungssystems in einer schlechteren Position als vor der unerwarteten Veränderung der ökonomischen Bedingungen. Ihre Situation ist jedoch immer noch besser, als wenn der Staat kein Umlagesystem installiert hätte. Diejenigen Ruheständler schließlich, deren Nachkommen in der Familienstrategie verblieben sind, werden unabhängig von der Höhe der Umlagerenten wesent97 Die intertemporale Fixierung der impliziten Verzinsung und damit einhergehend auch der impliziten Besteuerung von Beitragszahlungen an ein umlagefinanziertes Alterssicherungssystem entspricht einer in der Literatur häufig vertretenen Vorstellung einer „generationengerechten“ Ausgestaltung umlagefinanzierter Alterssicherung, vgl. z. B. Sinn/Werding (2000). 98 Für die erste Ruhestandsgeneration, die Renten aus dem Umlagesystem erhält, ist die implizite Verzinsung nicht definiert, da sie keine Beitragszahlungen geleistet hat. Es liegt daher nahe, dass der Staat die Verzinsung des Umlagesystems nach der Verteilung der Einführungsgewinne als Referenzmaßstab verwendet, zumal er bei statischer Erwartungsbildung davon ausgehen wird, dass diese Verzinsung intertemporal konstant bleibt und daher ohne weitere Eingriffe in das Umlagesystem garantiert werden kann.

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4. Alterssicherung und Investitionsmotiv der Kindererziehung

lich besser als vor der Veränderung der ökonomischen Umgebung gestellt, denn sie erhalten nun zusätzlich zu den intrafamiliären Alterstransfers Transferzahlungen aus dem öffentlichen Alterssicherungssystem99. Die Situation der Erwerbstätigengeneration der Periode t stellt sich nun komplexer als im Fall der Einführung eines kapitalgedeckten Alterssicherungssystems dar. Unter (a) konnte gezeigt werden, dass durch die Einführung eines Zwangssparsystems kein Mitglied dieser Generation besser, wohl aber einige – namentlich jene, die sich für die Familienstrategie entschieden haben – schlechter gestellt werden. Wie die folgenden Überlegungen zeigen, macht die Einführung eines umlagefinanzierten Alterssicherungssystems nun aber auch die Besserstellung einiger Mitglieder der in t erwerbstätigen Generation möglich. Bei Einführung eines Umlagesystems verzinsen sich die geleisteten Beitragszahlungen der Mitglieder dieser Generation mit der – korrekt antizipierten – Wachstumsrate der Lohnsumme100. Unter den oben getroffenen Annahmen gilt dies unabhängig davon, ob das Umlagesystem in Variante EA oder in Variante AE organisiert ist. Fraglich ist jedoch, ob die Teilnahme am Umlagesystem relativ vorteilhafter als die Teilnahme an einem kapitalgedeckten Alterssicherungssystem ist, denn es ist zunächst offen, ob gesamtwirtschaftlich wh€t þ 1 È€ et ; gt ê wh€t þ 1 È€ et ; g t ê > È1 þ rê oder È1 þ n€t ê €  È1 þ rê È1 þ n€t ê € wht È€ wht È€ et  1 ; g t  1 ê et  1 ; gt  1 ê gilt. Zwar ist – wie in 4.4.2 gezeigt wurde – die Geburtenrate in t als Reaktion auf die unerwartete Erhöhung der Nettokinderkosten im Vergleich zur Vorperiode gesunken, zur gleichen Zeit haben jedoch die durchschnittlichen Ausbildungsinvestitionen zugenommen, so dass die Pro-Kopf-Einkommen zwischen t und t þ 1 gestiegen sind101. Es ist somit möglich, dass die implizite Verzinsung des Umlagesystems für die Beitragszahler der Periode t größer als der Marktzins ist. Ist dies der Fall, so werden jene Erwerbstätigen der Periode t, die sich als Reaktion auf die unerwartete Erhöhung der 99 Es ist daher nicht ganz korrekt, wenn Voigtländer/Henman (2005, S. 166) schreiben, dass die Einführung eines umlagefinanzierten Alterssicherungssystems in einer Drei-Generationen-Betrachtung nicht zur Entstehung von Einführungsgewinnen führen kann. Diese Aussage ist nur dann zutreffend, wenn die Nachkommen ausnahmslos aller Individuen zu einem bestimmten Zeitpunkt die Familienstrategie verlassen haben und die Leistungen aus dem Umlagesystem exakt den zuvor intrafamiliär erbrachten Alterstransfers entsprechen. 100 Die Wachstumsrate der Lohnsumme wird korrekt antizipiert, weil die irreversiblen Entscheidungen über die Kinderzahl und die Ausbildungstransfers bereits vor Einführung des Umlagesystems getroffen wurden und daher beobachtbar sind. 101 Aufgrund der annahmegemäß konstanten Verhältnisse veränderten sich die Pro-Kopf-Einkommen vor Periode t þ 1 nicht, so dass die Wachstumsrate der Lohnsumme bis Periode t stets der Fertilitätsrate entsprach, die wegen (4.30) stets größer als der Zinsfaktor war.

4.5 Staatseingriffe in individuelle Alterssicherungsentscheidungen

281

Nettokinderkosten für die Marktstrategie entschieden haben, durch die Einführung des Umlagesystems besser gestellt, denn sie erhalten nun die Möglichkeit an einem vorteilhafteren Alterssicherungsverfahren als der Ersparnisbildung am Kapitalmarkt teilzunehmen, ohne selbst in die Kopfzahl und Ausbildung der nachfolgenden Generation investiert zu haben. Sie partizipieren mithin von den Kindererziehungsentscheidungen anderer Individuen. Um eine optimale intertemporale Ressourcenallokation zu erreichen, werden sie zudem ihre Ersparnisse einschränken102. Wenn das Umlagesystem so umfangreich ist, dass ihre Ersparnisse auf Null absinken, erhalten sie eine höhere Altersrente als über den Kapitalmarkt, ohne überhaupt in irgendeiner Form Altersvorsorge betrieben zu haben, denn ihre Beitragszahlungen an das Umlagesystem sind ja materiell keine Investition, sondern fließen vollständig an die aktuelle Ruhestandsgeneration. Doch nicht nur Individuen in der Marktstrategie können durch die Einführung des Umlagesystems besser gestellt werden, sondern unter Umständen auch einige der Individuen, die trotz der unerwarteten Veränderung der ökonomischen Umgebung in der Familienstrategie verblieben sind. Wie in 4.4.2 gezeigt wurde, beträgt die Verzinsung der Familienstrategie für ein in t  1 geborenes Individuum vom Typ m nach der unerwarteten Erhöhung der Nettokinderkosten und nach der Neuformulierung der Familienverfasb m È1 þ nt êm und ist notwendigerweise höher als die Versung m Èe þ qm êÈ1 þ nt êm þ bV zinsung von Anlagen auf dem Kapitalmarkt103. Wenn der implizite Zinsfaktor des Umlagesystems kleiner als der Marktzinsfaktor ist, dann werden alle Individuen innerhalb der Familienstrategie durch die Zwangsteilnahme am Umlagesystem schlechter gestellt, denn zum einen wird ihre intertemporale Ressourcenallokation verzerrt, zum anderen werden sie gezwungen, an einem für sie unvorteilhaften Altersvorsorgesystem teilzunehmen. Ist hingegen der implizite Zinsfaktor des Umlagesystems größer als der Marktzinsfaktor, was – wie oben erläutert wurde – durchaus möglich ist, so ist 102 Der dämpfende Effekt, der vom umlagefinanzierten Alterssicherungssystem auf die Ersparnisbildung jener Gruppe von Erwerbstätigen der Periode t ausgeht, die ihre Alterssicherung anderenfalls allein über den Kapitalmarkt organisiert hätten, entspricht dem bekannten Ergebnis von Feldstein (1974). Im Unterschied zu Feldstein (1974), der in seinem Modell von homogenen Individuen und exogener Fertilität ausgeht, existiert im hier entwickelten Modell jedoch noch eine weiter Gruppe von Erwerbstätigen, die ohne Einführung des Umlagesysteme keine Ersparnisse gebildet hätte. Wie die weiteren Überlegungen zeigen werden, ist es im hier entwickelten Modell daher möglich, dass die Einführung eines umlagefinanzierten Alterssicherungssystems zu einer Zunahme der gesamtwirtschaftlichen Ersparnis führt. 103 Nur in diesem Fall werden sich die Nachkommen des betrachteten Individuums an die neu formulierte Familienverfassung halten, obwohl sie selbst b m > bV vornehmen müssen, vgl. Abschnitt 4.4.2.

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4. Alterssicherung und Investitionsmotiv der Kindererziehung

es auch möglich, dass für Individuen mit relativ hohen Nettokinderkosten und einer daher relativ geringen Verzinsung der Familienstrategie wh€t þ 1 È€ et ; gt ê b m È1 þ nt êm > m > È1 þ rê ist. TheoÈ1 þ n€t ê € wht È€ et  1 ; g t  1 ê Èe þ qm êÈ1 þ nt êm þ bV retisch ist daher nicht auszuschließen, dass auch Mitglieder der Erwerbstätigengeneration der Periode t, die sich innerhalb der Familienstrategie befinden, durch die Einführung des umlagefinanzierten Alterssicherungssystems besser gestellt werden. Dieser Fall tritt jedoch nur dann ein, wenn für einige Individuen die implizite Verzinsung der Beitragszahlungen an das Umlagesystem größer als die Verzinsung der Familienstrategie ist und zudem der dadurch erzielte Nutzenzuwachs den auf die Verzerrung der intertemporalen Konsumallokation zurückgehenden Nutzenrückgang übertrifft. Doch selbst wenn es tatsächlich für manche der Individuen innerhalb der Familienstrategie theoretisch möglich ist, sie durch die Einführung des Umlagesystems besser zu stellen, ist noch ein weiterer Nachteil der Einführung des Umlagesystems zu berücksichtigen, von dem sie betroffen werden können. Denn im Gegensatz zu Individuen innerhalb der Marktstrategie müssen alle Individuen innerhalb der Familienstrategie befürchten, dass ihre Nachkommen als Reaktion auf die Einführung des umlagefinanzierten Alterssicherungssystems aus der Familienstrategie aussteigen und daher keine Alterstransfers leisten. Wann und warum es dazu kommen kann, wird die folgende Betrachtung der Jugendgeneration der Periode t zeigen. Auch die Einführung einer umlagefinanzierten Alterssicherung verändert die Situation von Mitgliedern der Jugendgeneration der Periode t während ihrer Jugendphase nicht. Da das Umlagesystem annahmegemäß erst eingeführt wird, nachdem sich ihre Eltern für die Familienstrategie entschieden und die in der Familienverfassung vorgeschriebenen Ausbildungstransfers vorgenommen haben, bleibt ihr Ausbildungsniveau und damit auch ihr Einkommen während der Erwerbstätigkeitsphase unbeeinflusst. In dieser Lebensphase verändern der Abzug des Rentenversicherungsbeitrags vom Bruttoeinkommen und die Aussicht auf eine Umlagerente in der Ruhestandsphase jedoch die relative Vorteilhaftigkeit der beiden möglichen Strategien und das optimale Verhalten innerhalb einer Strategie. Um die Auswirkung dieser Veränderung zu untersuchen, sei im Folgenden wiederum ein Individuum vom Typ m 2 fA; :::; Bg, betrachtet. Für dieses Individuum lauten die Budgetrestriktionen der Erwerbstätigkeits- und Ruhestandsphase unter Beachtung von (4.52): È4:55ê

m m m m ct;t þm 1 ã wh mt þ 1 Èem ; gt êÈ1  bUV t þ 1 ê  st þ 1  b  Èe þ q êÈ1 þ nt þ 1 ê

È4:56ê

m m ct;t þm 2 ã È1 þ rêsmt þ 1 þ b m È1 þ nt þ 1 êm þ È1 þ rt þ 1 êUV bUV t þ 1 wh t þ 1 Èe ; gt ê

4.5 Staatseingriffe in individuelle Alterssicherungsentscheidungen

283

Das Transferdupel Èe; bê ã Èem ; b m ê entspricht dabei wiederum jenem, das die Eltern des betrachteten Individuums vom Typ m, die ebenfalls dem Typ m angehören, nach der unerwarteten Erhöhung der Nettokinderkosten in Periode t gemäß der in 4.4.2 beschriebenen Vorgehensweise in die neue Familienverfassung aufgenommen haben. Da das betrachtete Individuum die implizite Verzinsung des Umlagesystems in Periode t þ 2 nicht kennt, nimmt es den Erwartungswert dieser Verzinsung in seine Budgetrestriktion auf. Dieser entspricht gemäß (4.52) der von ihm beobachtbaren impliziten Verzinsung des Umlagesystems in seiner Erwerbstätigkeitsphase und beträgt UV daher È1 þ rt þ 1 ê . Analog zur Vorgehensweise unter Punkt (a) sei zunächst untersucht, ob sich die relative Vorteilhaftigkeit der beiden denkbaren Strategien durch die Einführung des umlagefinanzierten Alterssicherungssystems verändert. Betrachtet sei dabei zunächst die Marktstrategie. Der Nutzen der Marktstrategie ist maximal, wenn die Ersparnis smt þ 1 so gewählt werden, dass Bedingung (4.20) erfüllt wird. Er beträgt somit:

È4:57ê

h i ; m max U MS; m ã ut þ 1 wh mt þ 1 Èem ; gt êÈ1  bUV ê  s t þ 1 tþ1 h i ; m m m wh Èe ; g ê þ ut þ 2 È1 þ rêst þ 1 þ È1 þ rt þ 1 êUV bUV t t þ 1 tþ1

Der Einfluss des umlagefinanzierten Alterssicherungssystems auf den maximal erreichbaren Nutzen der Marktstrategie ergibt sich aus der Ableitung von (4.57) nach bUV : È4:58ê

d max U t; MS; m ã u0t þ 1 wh mt þ 1 Èem ; gt ê þ u0t þ 2 È1 þ rt þ 1 êUV wh mt þ 1 Èem ; gt ê dbUV tþ1

Unter Berücksichtigung von Bedingung (4.20) und mit È1 þ rt þ 1 êUV wh€t þ 1 È€ et ; gt ê 104 ã È1 þ n€t ê € lässt sich (4.58) umformulieren zu: wht È€ et  1 ; gt  1 ê È4:59ê

  d max U t; MS; m wh€t þ 1 È€ et ; g t ê €  È1 þ rê u0t þ 2 wh mt þ 1 Èem ; gt ê ã È1 þ n ê t € w h dbUV È€ e ; g ê t t  1 t  1 tþ1

104 Unabhängig davon, ob das Umlagesystem in Systemvariante EA oder in Systemvariante AE betrieben wird, verändert sich der Beitragssatz zwischen den Perioden t und t þ 1 nicht. In Systemvariante EA bleibt der Beitragssatz per Definition intertemporal konstant, in Systemvariante AE folgt die Konstanz des Beitragssatzes zwischen t und t þ 1 aus der oben getroffenen Annahme, dass die Verzinsung des Umlagesystems nach Erreichen des Reifezustandes in t þ 1 ausschlaggebend für das angestrebte Leistungsniveau sein soll, so dass sich eine Veränderung des Beitragssatzes erst ab t þ 2 ergeben kann.

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4. Alterssicherung und Investitionsmotiv der Kindererziehung

Der erwartete maximale Nutzen der Marktstrategie nimmt demnach durch die Einführung des Umlagesystems zu, wenn die Wachstumsrate der Lohnsumme in Periode t þ 1 größer als der Marktzinsfaktor ist105. Wie oben bereits erläutert wurde, ist dies darauf zurückzuführen, dass Individuen innerhalb der Marktstrategie in diesem Fall an einem vorteilhafteren Alterssicherungsverfahren teilnehmen können, als es der Kapitalmarkt bietet. Der erwartete maximale Nutzen der Marktstrategie nimmt ab, wenn die erwartete implizite Verzinsung des Umlagesystems kleiner als der Marktzins ist. In diesem Fall führt die Zwangsteilnahme am Umlagesystem zu einer impliziten Einkommensbesteuerung jener Individuen, die ihre Alterssicherung ansonsten autonom über den Kapitalmarkt organisiert hätten. Als nächstes sei untersucht, ob durch die Einführung des umlagefinanzierten Alterssicherungssystems das maximal erreichbare Nutzenniveau der Familienstrategie verändert wird. Der Nutzen der Familienstrategie ist dann maximal, wenn die Kinderzahl È1 þ nt þ 1 êm gerade so hoch ist, dass Bedingung (4.22) erfüllt wird. Er beträgt dann:

È4:60ê

h i ; m m m m max U t; FS; m ã ut þ 1 wh mt þ 1 Èem ; gt êÈ1  bUV t þ 1 ê  b  Èe þ q êÈ1 þ nt þ 1 ê h i m m þ ut þ 2 b m È1 þ nt þ 1 ê; m þ È1 þ rt þ 1 êUV bUV t þ 1 wh t þ 1 Èe ; gt ê

Die Ableitung von (4.60) nach bUV t þ 1 ergibt die auf die Einführung des Umlagesystems zurückgehende Veränderung des erwarteten maximalen Nutzens der Familienstrategie: È4:61ê

d max U t; FS; m ã u0t þ 1 wh mt þ 1 Èem ; gt ê þ u0t þ 2 È1 þ rt þ 1 êUV wh mt þ 1 Èem ; gt ê dbUV tþ1

Unter Berücksichtigung von (4.22) und (4.29) und mit È1 þ rt þ 1 êUV wh€t þ 1 È€ et ; gt ê ã È1 þ n€t ê € lässt sich (4.61) umformulieren zu: wht È€ et  1 ; gt  1 ê È4:62ê

  d max U t; FS; m wh€t þ 1 È€ et ; g t ê ; m €  È1 þ n ã È1 þ n ê ê u0t þ 2 wh mt þ 1 Èem ; gt ê t t þ 1 wh€t È€ dbUV et  1 ; g t  1 ê tþ1

105 Es ist allerdings nicht gesagt, dass das erwartete maximale Nutzenniveau auch tatsächlich erreichbar ist. Wenn die Wachstumsrate der Lohnsumme in t þ 2 geringer als in t þ 1 und das Umlagesystem in Systemvariante EA organisiert ist, dann ist das tatsächlich erreichbare kleiner als das erwartete maximale Nutzenniveau. Für die Entscheidungsbildung eines Individuums in Periode t þ 1 sind jedoch nur seine Erwartungen ausschlaggebend.

4.5 Staatseingriffe in individuelle Alterssicherungsentscheidungen

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Die Aussage von (4.62) ist, dass der erwartete maximale Nutzen der Familienstrategie durch die Einführung des umlagefinanzierten Alterssicherungssystems für ein Individuum vom Typ m abnimmt, wenn seine optimale Kinderzahl – und damit die Verzinsung der Kindererziehung und -ausbildung – größer als die erwartete implizite Verzinsung des Umlagesystems ist. Dies ist erneut darauf zurückzuführen, dass das betrachtete Individuum in diesem Fall gezwungen wird, einen Teil seiner intertemporalen Ressourcenallokation über ein aus seiner Sicht suboptimales Alterssicherungsverfahren durchzuführen. Spiegelbildlich nimmt in dem Fall, dass die erwartete implizite Verzinsung des Umlagesystems für ein Individuum vom Typ m größer als die Verzinsung der Kindererziehung und -ausbildung ist, der erwartete maximale Nutzen der Familienstrategie zu. Da für einige Individuen durch die Einführung des Umlagesystems der erwartete maximale Nutzen sowohl der Marktstrategie als auch der Familienstrategie zunehmen kann, stellt sich die Frage, ob der Eingriff in die individuellen Altersvorsorgeentscheidungen aus Sicht dieser Individuen eine größere relative Vorteilhaftigkeit der Familienstrategie gegenüber der Marktstrategie nach sich ziehen kann. Wie die folgende Überlegung zeigt, lautet die Antwort auf diese Frage eindeutig „Nein“: Wenn für ein Individuum vom Typ m der maximal mögliche Nutzen der Familienstrategie durch die Einführung des Umlagesystems zunimmt, dann muss wegen (4.62) wh€t þ 1 È€ et ; gt ê > È1 þ nt þ 1 ê; m sein. Da die Wahl der FamilienÈ1 þ n€t ê € et  1 ; g t  1 ê wht È€ strategie aber zwingend nach sich zieht, dass È1 þ nt þ 1 ê; m > È1 þ rê ist, wh€t þ 1 È€ et ; gt ê muss dann zwangsläufig auch È1 þ n€t ê € > È1 þ rê sein. Die et  1 ; gt  1 ê wht È€ Einführung des Umlagesystems führt daher aus Sicht dieses Individuums nicht nur zu einer Zunahme des erwarteten maximalen Nutzens der Familien-, sondern zugleich auch der Marktstrategie. Wegen È1 þ nt þ 1 ê; m > È1 þ rê muss aber der Zuwachs des erwarteten maximalen Nutzens der Marktstrategie zwingend größer als jener der Familienstrategie sein. Die relative Vorteilhaftigkeit der Familienstrategie nimmt demnach durch die Einführung des umlagefinanzierten Alterssicherungssystems in jedem Fall ab. Zu klären ist nun noch, wie sich die Einführung des umlagefinanzierten Alterssicherungssystems auf die Entscheidungen zwischen den beiden möglichen Strategien und das Verhalten innerhalb einer Strategie der Jugendgeneration der Periode t auswirkt. Die Auswirkungen lassen sich dabei anhand der gleichen formalen Argumentation ableiten, die unter Punkt (a) bei der Untersuchung der Auswirkungen eines Zwangssparsystems bereits detailliert dargestellt und erläutert wurde. Die folgenden Ausführungen kön-

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4. Alterssicherung und Investitionsmotiv der Kindererziehung

nen sich daher auf eine rein verbale Wiederholung der wesentlichen Argumente beschränken. Durch die Zwangsteilnahme am Umlagesystem wird einem in t  1 geborenen Individuum vom Typ m in der Erwerbstätigkeitsphase ein Teil bUV t þ 1 des Einkommens entzogen. Zugleich erwartet es, in der m m UV m Ruhestandsphase   eine Rente in Höhe von pt þ 2 ã bt þ 1 wh t þ 1 Èe ; gt ê UV zu erhalten. Im Ergebnis will es daher auf freiwilliger Ba È1 þ rt þ 1 ê sis weniger Einkommen von der Erwerbstätigkeits- in die Ruhestandsphase umschichten, als wenn es nicht zur Teilnahme am Umlagesystem gezwungen würde. Da es b m und em nicht senken kann, ohne gegen die Regeln der Familienverfassung zu verstoßen, kann es die intertemporale Ressourcenallokation innerhalb der Familienstrategie nur über eine Senkung der Kinm derzahl È1 þ nt þ 1 ê verringern, was zu einem Konflikt mit Bedingung (4.24) bzw. (4.49) führen kann. Wenn dieser Fall eintritt, dann ist es ihm nicht mehr möglich, selbstdurchsetzende implizite Vertragsbeziehungen mit seinen Nachkommen einzugehen und es wechselt zur Marktstrategie. Ist die obligatorische intertemporale Ressourcenallokation im Rahmen des Umlagesystems nicht so umfangreich, dass die Familienstrategie für alle Individuen unmöglich wird, dann wechselt nur ein Teil von ihnen zur Marktstrategie. Die in der Familienstrategie verbleibenden Individuen erziehen weniger Kinder, als es ohne den Staatseingriff in ihre Altersvorsorgeentscheidung der Fall gewesen wäre. Die zur Marktstrategie wechselnden Individuen erziehen keine Kinder und nehmen zudem keine Alterstransfers an ihre Eltern vor. Auf die gleiche Weise wie die Einführung eines kapitalgedeckten Alterssicherungssystems führt daher auch die Einführung eines Alterssicherungssystems im Umlageverfahren dazu, dass einige Mitglieder der Erwerbstätigengeneration der Periode t durch das überraschende Ausbleiben von Alterstransferzahlungen ihrer Nachkommen deutlich schlechter gestellt werden. Da vor allem jene Mitglieder der Jugendgeneration der Periode t die Familienstrategie verlassen, die relativ hohe Ausbildungstransfers an ihre Nachkommen vorgenommen hätten, führt die Einführung des Umlagesystems zudem dazu, dass das Ausbildungsniveau der betrachteten Volkswirtschaft sinkt. Der Anteil der Strategiewechsler ist umso größer, je größer das Ausmaß und je höher die erwartete implizite Verzinsung des Umlagesystems ist. Wenn der Umfang der intertemporalen Zwangsallokation ein bestimmtes kritisches Ausmaß übersteigt, dann wechseln alle Mitglieder der Jugendgeneration der Periode t in ihrer Erwerbstätigkeitsphase zur Marktstrategie und das Investitionsmotiv der Kindererziehung wird in der betrachteten Volkswirtschaft vollständig inaktiv. In einer solchen Situation werden – ohne ein ergänzendes Konsummotiv der Kindererziehung – keine Kinder mehr geboren, so dass die betrachtete Volkswirtschaft ausstirbt. Im Folgenden sei unterstellt, dass der zuletzt geschilderte Fall eines vollständigen Zusammenbruchs der Familienstrategie – zumindestens in Periode

4.5 Staatseingriffe in individuelle Alterssicherungsentscheidungen

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t þ 1 – noch nicht eintritt, so dass sich abschließend die Auswirkungen des Umlagesystems auf die Mitglieder der nach Periode t geborenen Generationen untersuchen lassen. Die Auswirkungen des umlagefinanzierten Alterssicherungssystems auf die Mitglieder dieser Generationen hängen nun entscheidend davon ab, ob das Umlagesystem in Variante EA oder in Variante AE organisiert ist. Zunächst sei angenommen, der Staat verfolge im öffentlichen Alterssicherungssystem eine einnahmeorientierte Ausgabenpolitik und hält daher den Beitragssatz bUV intertemporal konstant. Wie (4.53) zeigt, hängt in diesem Fall die tatsächliche implizite Verzinsung der Beitragszahlungen an das Umlagesystem allein von der Wachstumsrate der Lohnsumme ab. Die gemäß (4.52) getroffenen Erwartungen der in Periode t geborenen und in Periode t þ 1 erwerbstätigen Individuen, dass die Wachstumsrate der Lohnsumme in t þ 2 jener in t þ 1 entspricht, wird dabei mit großer Wahrscheinlichkeit nicht zutreffend sein, denn von der Einführung des Umlagesystems gehen – wie oben gezeigt wurde – negative Effekte auf die Fertilitätsrate und die durchschnittlichen Ausbildungsinvestitionen aus. Die tatsächliche Verzinsung des Umlagesystems wird daher in Periode t þ 2 mit großer Wahrscheinlichkeit geringer als in Periode t þ 1 bzw. geringer als die erwartete Verzinsung sein106. Als Reaktion darauf werden die in t þ 1 geborenen und in t þ 2 erwerbstätigen Individuen entsprechend (4.52) ihre Erwartungen anpassen und von einer geringeren Verzinsung ihrer eigenen Beitragszahlungen an das Umlagesystem ausgehen. Sie werden daher mehr Ressourcen von der Erwerbstätigkeits- in die Ruhestandsphase umschichten und daher auch mehr Nachkommen als ihre Eltern erziehen. Da die ökonomische Umgebung nun sogar günstiger für die Familienstrategie wird, wird zudem in t þ 2 kein Individuum zur Marktstrategie wechseln, so dass es keine Kinderlosen mehr gibt. Im Ergebnis werden durch diese Entwicklung sowohl die Familienstrategie als auch das umlagefinanzierte Alterssicherungssystem stabilisiert107. Für die in t þ 2 geborene Generation ergibt 106 Es kann allerdings nicht ausgeschlossen werden, dass die Wachstumsrate der Lohnsumme in t þ 2 größer als in t þ 1 ist. Denn bereits in Periode t hat die Fertilitätsrate als Reaktion auf die Erhöhung der Kindererziehungskosten abgenommen, vgl. hierzu auch die Ausführungen in Fn. 93. Da jedoch in Periode t zur gleichen Zeit die durchschnittlichen Ausbildungsinvestitionen und damit auch die Pro-KopfEinkommen in t þ 1 zugenommen haben, während in t þ 2 beide Einflussfaktoren auf die implizite Verzinsung des Umlagesystems eindeutig abnehmen, ist eine zunehmende Wachstumsrate der Lohnsumme zwischen t þ 1 und t þ 2 äußerst unwahrscheinlich. 107 Dabei ist zu beachten, dass die geringere erwartete Verzinsung des Umlagesystems nicht zur Folge hat, dass Individuen von der Markt- zur Familienstrategie wechseln oder dass der Inhalt der Familienverfassungen verändert wird. Auch wenn sich die erwartete Verzinsung nicht verändert hätte, hätten – bei Konstanz aller an-

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4. Alterssicherung und Investitionsmotiv der Kindererziehung

sich ein umgekehrtes Bild. Da die implizite Verzinsung des Umlagesystems aufgrund der geschilderten Entwicklung in Periode t þ 3 höher als in t þ 2 ist, gehen ihre Mitglieder nun wiederum von höheren Rentenzahlungen in der Ruhestandsphase aus und verringern ihre Kinderzahl. Wenn die implizite Verzinsung des Umlagesystems in t þ 3 sogar höher als in t þ 1 ist, werden zudem einige ihrer Mitglieder die Familienstrategie verlassen. Kommt es zu keinen weiteren Veränderungen der ökonomischen Bedingungen, wird sich die zyklische Entwicklung der Geburtenzahlen und der impliziten Verzinsung des Umlagesystems in den darauf folgenden Perioden wiederholen. Wenn mithin die Familienstrategie die „Schocks“ der unvorhergesehene Erhöhung der Nettokinderkosten und der Einführung des umlagefinanzierten Alterssicherungssystems der Variante EA übersteht, dann wird sie auch in den folgenden Perioden weiterexistieren, so dass das Investitionsmotiv der Kindererziehung aktiv bleibt. Alternativ sei nun unterstellt, der Staat verfolge im öffentlichen Alterssicherungssystem eine ausgabenorientierte Einnahmepolitik und lege die Höhe der Rentenzahlungen wie in (4.54) beschrieben fest. Im Ergebnis wird so die implizite Verzinsung, die das Umlagesystem in Periode t þ 1 aufweist, für alle Folgeperioden fixiert. Die Erwartungen, die die Erwerbstätigen der Periode t þ 1 im Hinblick auf die Verzinsung des Umlagesystems in Periode t þ 2 bilden, werden somit erfüllt. Da jedoch in Periode t þ 1 vom umlagefinanzierten Alterssicherungssystem negative Effekte auf die Fertilitätsrate und die durchschnittlichen Ausbildungsinvestitionen ausgehen und infolgedessen die Lohnsummenwachstumsrate in t þ 2 mit großer Wahrscheinlichkeit geringer als in t þ 1 ist, kann eine konstante Verzinsung des Umlagesystems in t þ 2 – wie (4.51) zeigt – nur dann garantiert werden, wenn der Beitragssatz zum Umlagesystem in dieser Periode erhöht wird108. Damit verändern sich aber die ökonomischen Bedingungen der in Periode t þ 1 geborenen und in Periode t þ 2 erwerbstätigen Individuen. Zwar entsprechen ihre Erwartungen bezüglich der Verzinsung des Umlagesystems jenen ihrer Vorgängergeneration, sie werden jedoch zu höheren Beitragszahlungen verpflichtet. Infolgedessen nimmt in Periode t þ 2 das Ausmaß der intertemporalen Zwangsallokation zu, was mit den gleichen deren Variablen – aufgrund der angenommenen Übertragung elterlicher Eigenschaften alle Individuen in t þ 2 die Familienstrategie gewählt. Da sich die Nettokinderkosten nicht verändern, bleiben die Familienverfassungen optimal formuliert, so dass die Individuen nun lediglich eine höhere Kinderzahl wählen. 108 Als Alternative zu einer Beitragssatzerhöhung könnte auch eine Ausweitung des Versichertenkreises oder eine Verbeitragung alternativer Einkommensquellen als den Erwerbseinkommen vorgenommen werden. In Kapitel 2. wurde gezeigt, dass die Liquidität der gesetzlichen Rentenversicherung Deutschlands in den zurückliegenden Jahren – als noch offen die Systemvariante AE verfolgt wurde – sowohl über Beitragssatzerhöhungen als auch über Systemausweitungen gesteigert wurde.

4.5 Staatseingriffe in individuelle Alterssicherungsentscheidungen

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Folgen verbunden ist, die von der Einführung des umlagefinanzierten Alterssicherungssystems auf die in t þ 1 getroffenen individuellen Entscheidungen ausgehen: Die in t þ 2 erwerbstätigen Individuen wollen nun auf freiwilliger Basis intertemporal noch weniger Ressourcen allozieren als ihre Eltern. Da sie die in der Familienverfassung vorgeschriebenen Transfers nicht reduzieren können, ist eine Verringerung der intertemporalen Ressourcenallokation im Rahmen der Familienstrategie nur über eine Senkung der Kinderzahl möglich. Für einige Individuen ergibt sich daraus ein Konflikt mit Bedingung (4.24) bzw. (4.49), so dass sie nicht mehr in der Lage sind, selbstdurchsetzende implizite Vertragsbeziehungen mit ihren Nachkommen einzugehen. Diese Individuen werden aus der Familienstrategie ausscheiden und keine Kinder erziehen. Da die Strategiewechsler erneut Individuen sind, die anderenfalls relativ hohe Ausbildungstransfers an ihre Kinder vorgenommen hätten, nehmen die durchschnittlich vorgenommenen Ausbildungsinvestitionen ab. Das Ergebnis dieser Entwicklung ist, dass die Fertilitätsrate und das Ausbildungsniveau in t þ 2 abnehmen, so dass die Wachstumsrate der Lohnsumme in t þ 3 noch geringer als in t þ 2 ist. Hält der Staat dennoch an der ausgabenorientierten Einnahmepolitik fest, wird sich die geschilderte Entwicklung in den Folgeperioden wiederholen, bis schließlich kein Individuum mehr die Familienstrategie wählt. Ein Umlagesystem der Variante AE unterminiert somit im Zeitablauf die eigene Finanzierungsgrundlage. Es entzieht den Individuen sukzessive einen immer größeren Anteil ihrer Ressourcen und nimmt ihnen damit die Möglichkeit und Motivation einer freiwilligen intertemporalen Ressourcenallokation über die Erziehung und Ausbildung eigener Kinder im Rahmen der Familienstrategie. Selbst wenn somit die Familienstrategie die „Schocks“ der unvorhergesehenen Erhöhung der Nettokinderkosten und der Einführung des umlagefinanzierten Alterssicherungssystems übersteht, kann es durch die Notwendigkeit der sukzessiven Systemausweitung im Zeitablauf immer weiter geschwächt und schließlich zerstört werden. Tritt letzterer Fall ein, so wird das Investitionsmotiv der Kindererziehung in der betrachteten Volkswirtschaft inaktiv. Die Auswirkungen der Einführung eines umlagefinanzierten Alterssicherungssystems auf die Situation und die Entscheidungen der Individuen und auf die betrachtete Volkswirtschaft lassen sich wie folgt zusammenfassen: (1) Das angenommene Ziel der Einführung des umlagefinanzierten Alterssicherungssystems besteht darin, Altersarmut in der Einführungsperiode zu vermindern und in den Folgeperioden auszuschließen. Das erste Teilziel kann es uneingeschränkt erreichen. Anders als ein Zwangssparsystem ist ein Umlagesystem in der Lage, bereits in der Einführungsperiode Renten auszuzahlen und bestehende Altersarmut abzumildern. Zur Erfüllung des weitergehenden Ziels, Altersarmut in den Folge-

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perioden auszuschließen, ist es dagegen nur bedingt geeignet. Die Zahlung von Umlagerenten verhindert zwar zunächst das Auftreten völlig mittelloser Alter und damit extreme Fälle von Altersarmut. Ebenso wie ein kapitalgedecktes Alterssicherungssystem verursacht es aber gleichzeitig, dass einige Individuen die Familienstrategie verlassen und infolgedessen keine Alterstransfers an ihre Eltern vornehmen. Die ökonomische Situation der betroffenen Eltern wird durch den Eingriff in die individuellen Altersvorsorgeentscheidungen ihrer Nachkommen deutlich verschlechtert. In einem Umlagesystem der Variante EA erfüllen sich zudem die individuellen Erwartungen über die Höhe der Altersrenten nicht. Folge kann eine zu geringe Eigenvorsorge und darüber erneut (relative) Altersarmut sein. Im Gegensatz dazu ist ein Umlagesystem der Variante AE für einen begrenzten Zeitraum in der Lage, die individuellen Erwartungen über die Höhe der Altersrenten zu erfüllen und Altersarmut effektiv zu verhindern. Dazu ist jedoch eine ständige Ausweitung dieses Systems notwendig, die mit einer fortgesetzten Schwächung der Familienstrategie verbunden ist, so dass die Finanzierungsgrundlage der Umlagerenten im Laufe der Zeit mehr und mehr zusammenschrumpft. Wenn die Familienstrategie schließlich zu einem bestimmten Zeitpunkt völlig zusammenbricht, dann wird die Auszahlung von Umlagerenten unmöglich. Die davon betroffene Ruhestandsgeneration ist extremer Altersarmut ausgesetzt109. (2) Im Gegensatz zu einem kapitalgedeckten System macht es die Einführung eines umlagefinanzierten Alterssicherungssystems möglich, die ökonomische Situation einiger Individuen zu verbessern. Besonders deutlich trifft das auf jene Ruheständler zu, deren Nachkommen als Reaktion auf die unerwartete Erhöhung der Nettokinderkosten das Familiensystem verlassen und keine Alterstransfers vornehmen. Die Möglichkeit, die Situation dieser Individuen bereits in der Einführungsperiode des öffentlichen Alterssicherungssystems zu verbessern, ist der eigentliche Vorteil eines umlagefinanzierten gegenüber einem kapitalgedeckten Alterssicherungssystem. Da die Auszahlung der Umlagerenten unabhängig davon vorgenommen wird, ob die betreffenden Ruheständler Alters109 Dieser Extremfall wird in einer realen Volkswirtschaft nicht eintreten, da eine solche Entwicklung absehbar ist und zu irgendeinem Zeitpunkt zu einer Veränderung der staatlichen Rentenpolitik führt. Dies zeigt z. B. die in Kapitel 2. beschriebene Entwicklung der Gesetzlichen Rentenversicherung Deutschlands, in der in den letzten Jahren ein Paradigmenwechsel von einer ausgabenorientierten Einnahmepolitik zu einer einnahmeorientierten Ausgabenpolitik vollzogen wurde. Das hier für die Modellvolkswirtschaft erzielte „radikale“ Ergebnis zeigt aber sehr deutlich die Probleme auf, mit denen „spätere“ Generationen in einem herkömmlichen Umlagesystem konfrontiert werden können.

4.5 Staatseingriffe in individuelle Alterssicherungsentscheidungen

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transferzahlungen ihrer Nachkommen erhalten oder nicht, werden zudem auch jene Ruheständler der Einführungsperiode besser gestellt, deren Kinder in der Familienstrategie verblieben sind. Die Einführung des umlagefinanzierten Alterssicherungssystems kann zusätzlich auch die Situation einiger Mitglieder der in Periode t erwerbstätigen Generationen verbessern. Wenn die implizite Verzinsung des Umlagesystems in der ersten Periode seiner Existenz größer als der Marktzinssatz ist – was aufgrund der hohen Verzinsung von Ausbildungsinvestitionen und der relativ hohen Kinderzahl von Individuen innerhalb der Familienstrategie ohne weiteres möglich ist – dann werden jene Individuen, die sich nach der Erhöhung der Nettokinderkosten für die Marktstrategie entschieden haben, durch die Zwangsteilnahme am Umlagesystem besser gestellt110. Zusätzlich ist auch eine Besserstellung jener erwerbstätigen Individuen der Einführungsperiode t möglich, die zwar innerhalb der Familienstrategie verbleiben, für die sich Kindererziehung und -ausbildung aufgrund relativ hoher Nettokinderkosten aber nur relativ gering verzinst. Da jedoch die intertemporale Ressourcenallokation dieser Individuen durch die Zwangsteilnahme am Umlagesystem verzerrt wird und sie zudem dem Risiko ausgesetzt sind, dass ihre Nachkommen als Reaktion auf die Einführung des Umlagesystems die Familienstrategie verlassen, ist es sehr unwahrscheinlich, dass sie im Ergebnis tatsächlich besser gestellt werden. Alle übrigen Mitglieder der in t erwerbstätigen Generation werden durch die Einführung des Umlagesystems in bis zu dreifacher Hinsicht schlechter gestellt. Erstens verzerrt die Zwangsteilnahme am öffentlichen Alterssicherungssystem ihre intertemporale Ressourcenallokation. Zweitens werden sie gezwungen, an einem für sie ungünstigen Alterssicherungsverfahren teilzunehmen. Und drittens kann die Einführung des Umlagesystems verursachen, dass ihre Nachkommen zur Marktstrategie wechseln, so dass ihre Investitionen in die Familienstrategie unter Umständen vergeblich sind111. Jene Individuen, 110 Interessanterweise sind das gerade jene Individuen, die durch ihren Ausstieg aus der Familienstrategie und die Unterlassung von Alterstransferzahlungen den Staatseingriff in die Altersvorsorgeentscheidungen provoziert haben. 111 Die Investitionen in das Humankapital ihrer Nachkommen sind dabei nur aus individueller Sicht vergeblich. Die Gesamtgesellschaft profitiert über das umlagefinanzierte Alterssicherungssystem von diesen Investitionen. In diesem Fall – und nur in diesem Fall – kann man tatsächlich davon sprechen, dass die Erträge der Kindererziehung in einem umlagefinanzierten Alterssicherungssystem sozialisiert werden (vgl. zu einer ablehnenden Einschätzung einer solchen Beurteilung bei rein konsumtiven Motiven der Kindererziehung die Ausführungen in Kapitel 3.2.4). Eltern verlieren die Unterstützung ihrer Kinder kausal durch die Einführung des Umlagesystems, während die Gesellschaft als Ganze – und insbesondere, wie oben erläutert wurde, die kinderlosen Individuen innerhalb der Marktstrategie – von ihrer Erziehungs- und Ausbildungsleistung profitieren.

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die sich bei der Einführung des umlagefinanzierten Alterssicherungssystems in der Jugendphase befinden, werden durch die Einführung des umlagefinanzierten Alterssicherungssystems unabhängig davon schlechter gestellt, ob sie sich für die Familien- oder für die Marktstrategie entscheiden. Wählen sie die Familienstrategie, so werden sie gezwungen, einen Teil ihrer intertemporalen Ressourcenallokation über ein suboptimales Verfahren vorzunehmen. Wenn das Umlagesystem in der Variante AE organisiert ist, können sie zudem dadurch schlechter gestellt werden, dass ihre Kinder die Strategie wechseln und keine Alterstransfers vornehmen. Wählen sie die Marktstrategie, so kann letzterer Fall zwar nicht eintreten. Weil sie sich aber nur deshalb für die Marktstrategie entscheiden, weil die Zwangsteilnahme am Umlagesystem ihnen die Möglichkeit nimmt, implizite Vertragsbeziehungen mit Familienmitgliedern einzugehen, werden sie im Ergebnis dennoch schlechter gestellt. Zwar müssen sie so auch keine Alterstransfers an ihre Eltern vornehmen, doch ist es – wie bereits bei der Besprechung des Zwangssparsystems erläutert wurde – unmöglich, dass sie dadurch im Ergebnis besser gestellt werden, als wenn das Umlagesystem nicht eingeführt worden wäre. Schließlich werden auch alle Mitglieder der nach Periode t geborenen Generationen schlechter gestellt. Wenn das Umlagesystem in der Variante EA organisiert ist bleiben sie zwar wieder allesamt in der Familienstrategie. Sie werden jedoch – wie ihrer Eltern – dazu gezwungen, einen Teil ihrer Ressourcen über ein unvorteilhaftes System zu allozieren. Wenn das Umlagesystem in Variante AE organisiert ist kommt hinzu, dass wiederum in jeder Generation einige Individuen zur Marktstrategie wechseln, was mit negativen Auswirkungen auf die jeweiligen Eltern verbunden ist. Besonders negativ wirkt sich das umlagefinanzierte Alterssicherungssystem in der Variante AE auf jene „letzte“ Generation aus, in der sich infolge der ständigen Systemausweitung niemand mehr für die Familienstrategie entscheidet und deren Mitglieder daher keine Umlagerenten erhalten. (3) Die Einführung des umlagefinanzierten Alterssicherungssystems hat zur Folge, dass die Fertilitätsrate der betrachteten Volkswirtschaft geringer ist, als es ohne diesen Staatseingriff der Fall gewesen wäre. Einige Individuen verlassen als Reaktion auf den Eingriff in ihre Altersvorsorgeentscheidung die Familienstrategie und bleiben kinderlos. Andere Individuen verbleiben innerhalb der Familienstrategie, erziehen aber weniger Kinder. Da vor allem jene Individuen die Familienstrategie verlassen, die ansonsten die höchsten Ausbildungstransfers vorgenommen hätten, ist zudem auch das durchschnittliche Ausbildungsniveau geringer. Der Humankapitalbestand der betrachteten Volkswirtschaft wird somit in quantitativer und qualitativer Hinsicht verringert. Dies ist

4.5 Staatseingriffe in individuelle Alterssicherungsentscheidungen

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zwar bei der Einführung eines kapitalgedeckten Alterssicherungssystems ebenso der Fall, doch wirkt sich die Verdrängung von Anlagen in Humankapital auf ein Umlagesystem wesentlich nachteiliger aus, da die Finanzierbarkeit zukünftiger Rentenzahlungen auf die Erziehung und Ausbildung nachfolgender Generationen angewiesen ist. Indem es zwar die Existenz und Ausbildung nachfolgender Generationen voraussetzt, aber die Anreize zur Erziehung und Ausbildung von Nachkommen effektiv schwächt oder – im Falle eines Umlagesystems der Variante AE – langfristig zerstört, unterminiert das umlagefinanzierte Alterssicherungssystem die Deckungsgrundlage zukünftiger Rentenzahlungen112. 4.5.4 Implikationen und Diskussion Ausgangspunkt der Überlegungen dieses Abschnitts war die Hypothese, dass Staaten mit dem Ziel in individuelle Altersvorsorgeentscheidungen eingreifen, bestehende Altersarmut abzumildern und/oder zukünftige Altersarmut zu verhindern. Die Notwendigkeit dieser Eingriffe ergab sich dabei aus der in Abschnitt 4.4 beschriebenen Schwächung des Familiensystems und dem Ausbleiben von Alterstransfers für eine spürbar große Zahl von Ruheständlern. Der eigentliche – tiefere – Grund für Staatseingriffe in Alterssicherungsentscheidungen kann daher in der strukturellen Zerbrechlichkeit der rechtlich nicht durchsetzbaren intrafamiliären Arrangements gesehen werden, wobei jedoch Staaten bzw. Regierungen – wie hier angenommen wurde – die Funktionsbedingungen dieser Arrangements gar nicht kennen, so dass sich ihre Eingriffe zwangsläufig auf die „Heilung sozialer Schäden“113 beschränken müssen. Einmal dahingestellt, warum genau Regierungen das Ziel der Vermeidung von Altersarmut verfolgen, kann ihr Handeln durchaus als „benevolent“ angesehen werden114. Davon ist insbesondere dann auszugehen, wenn 112 Dieses Ergebnis ist nicht mit dem gleichbedeutend, das in Kapitel 3. unter der Annahme rein konsumtiver Kindererziehungsmotive erzielt wurde. Dort wurde herausgearbeitet, dass ein in herkömmlicher Weise organisiertes umlagefinanziertes Alterssicherungssystem zwar die Existenz einer Nachfolgegeneration voraussetzt, aber über die konsumtiven Anreize hinaus keine zusätzlichen Anreize zur Erziehung und Ausbildung von Nachkommen bietet. Der Anreiz, überhaupt Kinder zu erziehen, wurde dort jedoch durch das Umlagesystem in keinster Weise tangiert – es konnte lediglich dazu kommen, dass es über die implizite Einkommensbesteuerung die zur Verfügung stehenden Ressourcen zur Erziehung von Kindern verringert. 113 Diese anschauliche Formulierung wurde in der Kaiserlichen Botschaft vom 17. November 1881 verwendet, um das mit der Einführung der Sozialversicherung in Deutschland verfolgte Ziel zu erläutern. 114 Von Fragen der politischen Ökonomie der Alterssicherung wird in dieser Untersuchung weitestgehend abstrahiert. In der Literatur ist die Frage, ob es so etwas

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sie als Ursache der zunehmenden Altersarmut ein geringeres „Kümmern“ von Nachkommen um ihre alt gewordenen Eltern ausmachen und auf diese Beobachtung mit der Durchsetzung von Zwangstransfers der mittleren an die alte Generation im Rahmen umlagefinanzierter Alterssicherungssysteme reagieren. Wie herausgearbeitet wurde, liegt die Problematik dieser Eingriffe nun aber darin, dass Staaten in Unkenntnis der den intrafamiliären Transferbeziehungen zugrunde liegenden Anreize und Zwänge handeln. Durch das Herausgreifen eines einzelnen Elementes dieser Transferbeziehungen – des Alterstransfers – und die Durchsetzung dieses Elementes auf kollektivem Niveau, greifen sie tief in die Funktionsbedingungen der impliziten Vertragsbeziehungen zwischen Familienmitgliedern ein und verursachen individuelle Verhaltensänderungen, die ihr eigentlich benevolentes Ziel und die Mittel, mit denen es erreicht werden soll, gefährden und in Misskredit bringen. Zacher (1983, zitiert nach Köhler (1983, S. 75)) liefert eine treffende Beschreibung dieses Dilemmas: „Sozialversicherung, als einmal gegebene Antwort auf die Elemente der Herausforderung, verändert nicht nur den Modus und die Qualität dieser Herausforderung, sondern gleichzeitig damit ihre eigenen Bedingungen, die ihre Funktion als Antwort geprägt haben.“

Staatseingriffe in individuelle Altersvorsorgeentscheidungen – unabhängig davon, ob sie in Form eines Kapitaldeckungs- oder eines Umlagesystems stattfinden – geben insofern zwar eine „Antwort auf die Elemente der Herausforderung“, bei ihrer Konstruktion wird jedoch nicht bedacht, dass sie selbst die ökonomischen Bedingungen nachhaltig und in durchaus unerwünschter Weise verändern können. Beide denkbaren Finanzierungsverfahren öffentlicher Alterssicherung schwächen das Familiensystem als Institution intergenerationaler Ressourcenallokation und verringern darüber die Bereitstellung von Ausbildungskrediten. Während aber das Kapitaldeckungssystem immerhin eine Form der Alterssicherung institutionalisiert, bei der künftige Rentenansprüche auf Investitionen in einen Deckungskapitalstock beruhen, beinhaltet das Umlagesystem im Grunde überhaupt keine Form der Altersvorsorge, denn es schreibt nur die Vornahme von Alterswie einen benevolenten Staat bzw. eine benevolente Regierung überhaupt geben kann, höchst umstritten. So werden z. B. für die Einführung der Gesetzlichen Rentenversicherung Deutschlands von verschiedenen Autoren – wohl nicht ganz zu unrecht – stark opportunistische Motive auf Seiten des damaligen Reichskanzlers Bismarck unterstellt, vgl. z. B. Verbon (1988, S. 14) und Flora/Alber (1981). Gleiches gilt für die wesentliche Erweiterung der Gesetzlichen Rentenversicherung im Zuge der Rentenreform 1957 durch die Regierung Adenauer, vgl. z. B. Hockerts (1980). Doch auch wenn eine opportunistische Motivation in den aufgeführten Fällen nicht ausgeschlossen werden kann, war das mit den vorgenommenen Eingriffen verbundene Ziel dennoch die effektive Abmilderung bzw. Behebung eines realen Notstandes, denn ansonsten hätte es keinen Raum für Opportunismus gegeben.

4.5 Staatseingriffe in individuelle Alterssicherungsentscheidungen

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transfers vor, während es die Erziehung und Ausbildung nachfolgender Generationen und damit die (zukünftige) Deckung gewährter Rentenanwartschaften lediglich voraussetzt. Die Einführung eines umlagefinanzierten Alterssicherungssystems gibt daher zwar eine Antwort auf die Herausforderung zunehmender Nachfrage nach (öffentlicher) Alterssicherung, bei der Konstruktion dieser Antwort wird aber völlig von der zukünftigen Gewährleistung des Angebots dieser Form der Alterssicherung abstrahiert115. Damit nährt es aber eine folgenschwere Illusion: Dass nämlich, analog zu einem kapitalgedeckten Alterssicherungssystem, der „Beitrag“ zu einem Umlagesystem eine echte Zwangsersparnis ist, die angelegt wird und in späteren Perioden konsumiert werden kann116. Für die erste Altengeneration nach seiner Einführung, für die Eltern von Strategiewechslern späterer Perioden und für kinderlose Individuen innerhalb der Marktstrategie erweckt es auf diese Weise den Eindruck eines enormen sozialpolitischen Fortschritts. Durch das öffentliche Rentensystem wird die individuelle Alterssicherung nicht nur vom Verhalten der eigenen Nachkommen, sondern auch von deren Existenz unabhängig. Verzichten Individuen als Reaktion auf die Zwangsteilnahme an einem solchen System nicht nur auf die Erziehung von Kindern, sondern zudem auch auf die Bildung von Ersparnissen, dann ist es ihnen im Rahmen des Umlagesystems möglich, Rentenansprüche ohne die geringste Investition in zukünftige Produktionsfaktoren zu erwerben. Sie müssen zwar einen Beitrag an das Umlagesystem leisten, materiell entspricht dieser aber nur dem Alterstransfer der Familienstrategie. Anders als in der Familienstrategie kommen sie daher in den Genuss von Alterstransfers der nachwachsenden Generation, ohne auch nur die geringste Leistung zu ihren Gunsten erbracht zu haben117. Dieses „Geschenk“ wird von den Individuen bezahlt, die trotz der Zwangsteilnahme am Umlagesystem weiterhin in der Familienstrategie verbleiben und Kinder erziehen bzw. ihre Ausbildung finanzieren. Wenn der Staat im öffentlichen Rentensystem eine ausgabenorientierte Einnahmepolitik verfolgt, dann erhalten sie für die erbrachte Erziehungsleistung aber nicht nur keine Belohnung, sondern müssen unter Umständen sogar einen sehr hohen Preis zahlen: Denn die zur Gewährleistung eines bestimmten Rentenniveaus notwendige ständige Systemausweitung erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass ihre Kinder die Familienstrategie verlassen und neben den Zwangstransfers an das Kollektiv aller Ruheständler keine weiteren freiwilligen Alterstransfers an die eigenen Eltern vornehmen. In diesem Fall verdrängen die öffentlichen Transfers die

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So auch Burggraf (1997, S. 13), Werding (2002, S. 169), Henman/Voigtländer (2003, S. 5) und Sinn (2005, S. 29). 116 Vgl. Sinn (2000, S. 9), Lüdeke (2002, S. 134) und Werding (2003, S. 213). 117 So auch Burggraf (1997, S. 93).

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freiwilligen Transfers und man kann von einer Sozialisierung der Investitionserträge der Kindererziehung sprechen118. Die Auswirkungen von Staatseingriffen in die individuellen Alterssicherungsentscheidungen sind bei Zugrundelegung eines (zuvor noch) aktiven Investitionsmotivs der Kindererziehung daher deutlich schwerwiegender, als dies in Kapitel 3. für den Fall rein konsumtiver Erziehungsmotive abgeleitet wurde. Bei rein konsumtiven Erziehungsmotiven geht von der Einführung einer umlagefinanzierten Alterssicherung nur dann ein negativer Einfluss auf die Zahl der Geburten aus, wenn die implizite Verzinsung des Umlagesystems kleiner als der Marktzins ist und die Versicherten somit einer impliziten Einkommensbesteuerung unterliegen. Da die Zwangsteilnahme an einem kapitalgedeckten System bei rein konsumtiven Erziehungsmotiven per Definition keine implizite Besteuerung zur Folge haben kann, bleibt die Fertilitätsentscheidung bei Staatseingriffen dieser Form unbeeinflusst. Bei Unterstellung investiver Kindererziehungsmotive ist dies nun völlig anders, denn jede Zwangsmaßnahme im Bereich der Alterssicherung vermindert – qualitativ unabhängig von ihrer Effizienz – die Notwendigkeit einer ergänzenden privaten Altersvorsorge. Die vorherrschende Problematik der Zwangsteilnahme an einem öffentlichen Alterssicherungssystem liegt daher nicht darin, dass sie die Ressourcen der Individuen besteuert und damit die Mittel zur Erziehung von Kindern reduziert. Vielmehr hat die intertemporale Ressourcenallokation im öffentlichen Alterssicherungssystem zur Folge, dass die Motivation zur Erziehung von Kindern und zur Finanzierung ihrer Ausbildung deutlich geschwächt wird und unter Umständen völlig erlischt. Da das Familiensystem ohnehin von einer inhärenten Instabilität geprägt ist und Anlagen in Humankapital bereits ohne Staatseingriffe in die Altersvorsorgeentscheidungen organisatorisch gegenüber Anlagen in Sachkapital benachteiligt sind, haben diese Eingriffe unabhängig von ihrer Form einen deutlich dämpfenden Effekt auf die Fertilitätsrate. Nicht nur haben einige Individuen weniger Kinder, als es ohne den Staatseingriff der Fall gewesen wäre, eine größere Zahl von Individuen reagiert zudem mit dem völligen Verzicht auf Kindererziehung. Wenn die Staatseingriffe in Form der Einführung umlagefinanzierter Alterssicherungssysteme erfolgen, bedeutet diese Entwicklung nichts anderes, als dass sich öffentliche Alterssicherungssysteme ihrer eigenen Finanzierungsgrundlage berauben – unter Umständen vollständig. Zudem geht mit der Einführung obligatorischer öffentlicher Al118 Dabei ist zu beachten, dass die Nachkommen freiwillige Transfers nicht deshalb unterlassen, weil ihnen aufgrund der Zwangsbeiträge an das Umlagesystem die Mittel dazu fehlen. Vielmehr ist es für sie nicht mehr lohnenswert, die intrafamiliären Normen zu erfüllen, da die Existenz des umlagefinanzierten Alterssicherungssystems es ihnen unmöglich macht, selbstdurchsetzende implizite Vertragsbeziehungen mit den eigenen Nachkommen einzugehen.

4.5 Staatseingriffe in individuelle Alterssicherungsentscheidungen

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terssicherungssysteme ein zweiter Effekt einher, der bislang in der wissenschaftlichen Diskussion kaum Beachtung gefunden hat: Da die Zwangsteilnahme an diesen Systemen Individuen zu einem Wechsel zur Marktstrategie und damit zur Unterlassung von Alterstransferzahlungen an die eigenen Eltern veranlassen kann, verstärken öffentliche Alterssicherungssysteme in den Perioden nach ihrer Einführung die eigene Legitimationsgrundlage. Über die Verringerung der Motivation zur Vornahme einer ergänzenden privaten Vorsorge hinaus tragen sie das Potenzial in sich, den (individuellen) Wert einer in Form der Erziehung und Ausbildung von Nachkommen vorgenommenen privaten Altersvorsorge zu vernichten und Individuen so abhängig von den öffentlichen Rentenleistungen zu machen. Die in diesem Abschnitt vorgenommene Untersuchung war ausdrücklich positiv und wurde daher – ebenso wie die Untersuchung in Abschnitt 4.4 – in einen empirischen bzw. historischen Kontext gesetzt. In Abschnitt 4.4 wurde gezeigt, dass das hier entwickelte Modell zur Erklärung einer Vielzahl von Entwicklungen in der Lage ist, die typisch für Volkswirtschaften im Industrialisierungsprozess sind und die zeitlich vor der Einführung öffentlicher Alterssicherungssysteme stattgefunden haben. Dies gilt insbesondere für den sog. Demografischen Übergang, mit dem (unter anderem) ein rascher und ausgeprägter Rückgang der Geburtenhäufigkeit beschrieben wird, der zumeist von einer Zunahme des durchschnittlichen Ausbildungsniveaus begleitet wird119. Beide Phänomene wurden in Abschnitt 4.4 auf eine Veränderung der ökonomischen Bedingungen zurückgeführt, in deren Folge einige Individuen auf Kindererziehung verzichten und andere Individuen weniger, aber besser ausgebildete Nachkommen als ihre Elterngeneration erziehen. Eine weitere Folge der veränderten ökonomischen Bedingungen ist das gehäufte Auftreten von Altersarmut, die – so wurde hier argumentiert – Staaten zur Einführung öffentlicher Alterssicherungssysteme veranlasst. Staatseingriffe in individuelle Alterssicherungsentscheidungen sind demnach eine Reaktion auf die Schwächung impliziter Vertragsbeziehungen zwischen Familienmitgliedern, die zuvor – unter konstanten ökonomischen Bedingungen – Alterssicherung über die Erziehung und Ausbildung von Kindern ermöglicht haben. Nach den im vorliegenden Abschnitt erzielten Ergebnissen sind öffentliche Alterssicherungssysteme aber nicht nur die Folge einer Schwächung des Familiensystems, sie sind zudem auch 119

Bestandteil des „Ersten Demografischen Übergangs“, der für die heutigen europäischen Industriestaaten meist auf den Zeitraum von 1870 bis 1930 datiert wird, war neben einem Geburtenrückgang auch ein signifikanter Rückgang der Sterblichkeit, vgl. hierzu auch die Diskussion in Abschnitt 4.4.1 Bestandteil des „Zweiten Demografischen Übergangs“, der in den entwickelten Staaten seit Mitte der 1960er Jahre zu beobachten ist, ist dagegen nur ein Rückgang der Geburtenhäufigkeit auf weit unter das Ersatzniveau, vgl. z. B. Lee (2003).

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4. Alterssicherung und Investitionsmotiv der Kindererziehung

eine maßgebliche Ursache für dessen weitere Erosion. Man kann sich daher abschließend die Frage stellen, ob auch die im vorliegenden Abschnitt erzielten Ergebnisse in Einklang mit empirischen Beobachtungen stehen und das hier entwickelte Modell mithin in der Lage ist, neben den Entwicklungen, die vor der Einführung öffentlicher Alterssicherungssysteme stattgefunden haben, auch jene zu erklären, die nachher zu beobachten waren. In Kapitel 3.5 wurde eine Vielzahl empirischer Untersuchungen aufgezählt, die einen statistisch signifikanten negativen Zusammenhang zwischen dem Ausmaß umlagefinanzierter Alterssicherungssysteme und der Fertilitätsrate belegen. Für das hier erzielte Ergebnis, dass die Einführung umlagefinanzierter Alterssicherungssysteme zu einem Geburtenrückgang führt, lassen sich somit zahlreiche empirische Belege finden. Konform mit den Vorhersagen des hier entwickelten Modells findet zudem Song (1999, S. 16ff) einen statistisch signifikanten negativen Zusammenhang zwischen dem Ausmaß kapitalgedeckter öffentlicher Alterssicherungssysteme und der Fertilitätsrate. Seine Untersuchungsergebnisse können zudem als indirekter Beleg für die Existenz eines Investitionsmotivs der Kindererziehung gelten, denn bei Unterstellung rein konsumtiver Kindererziehungsmotive ist es unmöglich, aus der Einführung eines kapitalgedeckten Alterssicherungssystems einen Geburtenrückgang abzuleiten. Schwieriger ist der Nachweis zu führen, dass Staaten öffentliche Alterssicherungssysteme erst als Reaktion auf die Schwächung intrafamiliärer Transferbeziehungen eingeführt und so ungewollt zu deren weiteren Schwächung beigetragen haben. Wie in Abschnitt 4.4 und im vorliegenden Abschnitt gezeigt wurde, wirkt sich sowohl die modellierte Veränderung der ökonomischen Umgebung als auch der Staatseingriff in die individuellen Altersvorsorgeentscheidungen negativ auf die Geburtenrate aus. Es gibt jedoch einen wesentlichen Unterschied: Die Veränderung der ökonomischen Bedingungen führt zu einer Zunahme, die Einführung öffentlicher Alterssicherungssysteme hingegen zu einem Rückgang der durchschnittlichen Ausbildungsinvestitionen. In Abschnitt 4.4 wurde dargelegt, dass der Geburtenrückgang vor der Einführung öffentlicher Alterssicherungssysteme in der Tat von einer Zunahme der „finanziellen und emotionalen“120 Investitionen in Kinder begleitet wurde. Für die hier entwickelte Modellmechanik würde daher sprechen, wenn nach der Einführung umlagefinanzierter Alterssicherungssysteme sowohl die Geburtenzahlen als auch die durchschnittlichen Investitionen in Nachkommen abgenommen haben. Die Belege für einen nachfolgenden Geburtenrückgang wurden oben bereits aufgeführt121. Der Nachweis, dass gleichzeitig auch die Ausbildungs120

Vgl. das in 4.4.1 aufgeführte Zitat von Aries (1980, S. 129). Vgl. hierzu auch die Abbildungen 3.1 und 3.2 auf Seite 188 der vorliegenden Untersuchung. 121

4.5 Staatseingriffe in individuelle Alterssicherungsentscheidungen

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investitionen abgenommen haben, ist jedoch aus zwei Gründen problematisch. Zum einen waren die Rentenleistungen öffentlicher Alterssicherungssysteme in vielen Staaten bis in die 1950er Jahre hinein noch sehr begrenzt. Da der Einfluss öffentlicher Alterssicherungssysteme auf die durchschnittlichen privaten Ausbildungsinvestitionen theoretisch wesentlich geringer als der Einfluss auf die Geburtenzahlen ist122, ist zu erwarten, dass sich in diesen Staaten erst nach dem massiven Ausbau dieser Systeme ab Mitte der 1950er Jahre ein spürbarer Einfluss auf die durchschnittlichen Ausbildungsentscheidungen beobachten lässt. Zum anderen haben in den betroffenen Staaten die öffentlichen Ausbildungsinvestitionen im fraglichen Zeitraum ebenfalls stark zugenommen und private Ausbildungsinvestitionen weitestgehend verdrängt. Es ist daher kaum möglich, vom durchschnittlichen Ausbildungsniveau auf die durchschnittlichen privaten Ausbildungsinvestitionen zu schließen. Dennoch lassen sich Indizien dafür finden, dass es ab den 1960er Jahren in den entwickelten Staaten nicht nur zu einem Geburtenrückgang, sondern auch zu einem Rückgang der durchschnittlichen privaten Investitionen in die eigenen Nachkommen gekommen ist. So weist z. B. Van de Kaa (2002, S. 6) auf die Unterschiede zwischen dem Ersten Demografischen Übergang und dem Zweiten Demografischen Übergang hin: „The two transitions appeared to be founded on different fertility models. The bourgeois family model underlying the first transition apparently was giving way to the individualistic family model. (. . .) In fact, while during the first transition the family was becoming a stronger institution, the weakening of that institution was considered to be characteristic of the second transition.“

Van de Kaa (2002) bezieht sich dabei in seinen Ausführungen ausdrücklich auf Aries (1980), der den Ersten Demografischen Übergang als einen – ökonomisch ausgedrückt – Quantity-Quality-Tradeoff beschreibt und darauf Bezug nehmend zum Zweiten Demografischen Übergang ausführt123: „I see the current decrease of the birth rate, on the contrary, provoked by exactly the opposite attitude. The days of the child-king are over. His existence (. . .) is related to plans for a future in which he is no longer the essential variable (. . .). The under-forty generation is leading us into a new epoch, one in which the child, to say the least, occupies a smaller place.“ 122 Während ein Teil der Individuen nach der Einführung öffentlicher Alterssicherungssysteme ganz auf die Erziehung von Kindern verzichtet, verzichtet kein Individuum innerhalb der Familienstrategie ganz auf die Finanzierung der Ausbildung seiner Nachkommen. Tatsächlich bleibt die Höhe der individuellen Ausbildungsinvestitionen von der Zwangsteilnahme am öffentlichen Alterssicherungssystem unbeeinflusst. Die Abnahme der durchschnittlichen Ausbildungsinvestitionen ist allein darauf zurückzuführen, dass vor allem jene Individuen die Familienstrategie verlassen, die anderenfalls relativ hohe Ausbildungstransfers an ihre Kinder vorgenommen hätten. 123 Vgl. Aries (1980, S. 129).

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4. Alterssicherung und Investitionsmotiv der Kindererziehung

Aries (1980) führt die verschiedenen Rollen, die Kinder im Verlaufe der beiden demografischen Übergänge gespielt haben, auf verschiedene Lebensmodelle der Eltern zurück. Seiner Ansicht nach entdeckten Eltern während des Ersten Demografischen Übergangs, dass ihnen über die Ausbildung ihrer Kinder ein sozialer Aufstieg möglich ist, zu dem sie allein nicht mehr in der Lage sind. Während des Zweiten Demografischen Übergangs forcierten sie dagegen den eigenen sozialen Aufstieg und verwendeten so weniger Mittel für die Erziehung und/oder Ausbildung ihrer Kinder. Nach den Ergebnissen des hier entwickelten Modells kann man die von Van de Kaa (2002) und Aries (1980) beschriebenen Unterschiede zwischen den beiden demografischen Übergängen jedoch auch ganz anders interpretieren. Der Erste Demografische Übergang ist danach auf die Veränderungen der ökonomischen Bedingungen im Zuge des Industrialisierungsprozesses zurückzuführen, die aus verschiedenen Gründen zu einer Verteuerung der Kindererziehung führten. Folge dieser Veränderungen war ein Rückgang der Fertilität und eine Zunahme der Ausbildungsinvestitionen pro Kind – eine Entwicklung also, die Van de Kaa (2002) als „bourgeoises Familienmodell“ und Aries (1980) als Zeitalter des „Child-King“ bezeichnet. Die als Antwort auf die Schwächung des Familiensystems vorgenommenen Staatseingriffe in die Alterssicherungsentscheidungen und insbesondere der massive Ausbau der umlagefinanzierten Alterssicherungssysteme in den westlichen Industriestaaten ab Mitte der 1950er Jahre führten dann zu einer weiteren Schwächung des Familiensystems, die erneut zu einem Sinken der Fertilitätsrate, zugleich aber auch zu einem Sinken der durchschnittlichen Ausbildungsinvestitionen pro Kind führten – zum Ende des Zeitalters des „Child-King“ bzw. zum Übergang zu Van de Kaa’s „individualistischen Familienmodell“. Das hier entwickelte Modell bietet somit in der Tat Erklärungsansätze für die Entwicklungen vor und nach der Einführung öffentlicher Alterssicherungssysteme und kann zusätzlich begründen, warum Staaten solche Systeme überhaupt einführen und dabei zumeist im Umlageverfahren organisieren. Die in diesem Abschnitt beschriebenen Auswirkungen öffentlicher Alterssicherungssysteme auf das individuelle Verhalten und die besondere Rolle des Familiensystems als Institution, die nicht nur die Reproduktion sondern darüber hinaus auch die Aufnahme von Ausbildungskrediten und die Anlage in Humankapital ermöglicht, lassen eine Reform der in herkömmlicher Weise organisierten umlagefinanzierten Alterssicherungssysteme als wesentlich dringender erscheinen, als dies in Kapitel 3. bei alleiniger Unterstellung eines Konsummotivs der Kindererziehung herausgearbeitet wurde. Darüber hinaus kann einem umlagefinanzierten Alterssicherungssystem nach den in diesem Abschnitt erzielten Ergebnissen eine ganz andere – weitergehende – Rolle als die alleinige Gewährleistung von Alterssicherung zukommen: Es

4.6 Rekonstruktion intrafamiliärer Arrangements?

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könnte eine Institution sein, die die Aufnahme von Ausbildungskrediten und die Anlage in Humankapital in jeweils effizientem Ausmaß ermöglicht und zudem – was entscheidend ist – Anreize zur Geburt und Erziehung von Kindern setzt. Wie es dazu im Idealfall ausgestaltet sein sollte und wie bestehende öffentliche Alterssicherungssysteme so umgestaltet werden können, dass sie sich diesem Ideal annähern, ist Thema des folgenden Abschnitts 4.6.

4.6 Das Umlagesystem als Instrument zur Rekonstruktion intrafamiliärer Arrangements? 4.6.1 Einführung Zu Beginn des Abschnitts 4.5 wurde ausgeführt, dass die in Abschnitt 4.4 herausgearbeiteten Schwachpunkte des „Familiensystems“ verschiedene Ansatzpunkte für Staatseingriffe bieten. So könnten durch Ausübung staatlichen Zwangs die Bereitstellung von Ausbildungskrediten in effizienter Höhe und die Rückzahlung dieser Kredite an die Investoren garantiert und dem System intrafamiliärer Transfers stabilisierende Versicherungselemente hinzugefügt werden. Solche Staatseingriffe laufen im Ergebnis darauf hinaus, verschiedene Funktionen des Familiensystems durch Staatseingriffe zu substituieren. Voraussetzung für eine effiziente Substitution dieser Funktionen ist jedoch, dass die staatlichen Eingriffe auch die Anreize des Familiensystems nachvollziehen bzw. die intrafamiliären Transferarrangements vollständig rekonstruieren124. Problematisch ist dabei, dass die Rekonstruktion intrafamiliärer Arrangements nicht „auf der grünen Wiese“ umgesetzt werden kann. Ausgangspunkt der angestellten Überlegungen war ja die Situation von Staaten, in denen bereits umlagefinanzierte Alterssicherungssysteme existieren, die gerade nicht so ausgestaltet sind, dass man von einer sinnvollen Rekonstruktion intrafamiliärer Arrangements sprechen kann. In diesen Systemen sind Ansprüche erworben und Erwartungen gebildet worden, die sich durch eine Reorganisation des Umlagesystems nicht einfach beseitigen lassen. Jeder Reformvorschlag muss daher vom Status Quo eines bereits existierenden umlagefinanzierten Alterssicherungssystems ausgehen. 124 Die im Folgenden entwickelte Idee, dass umlagefinanzierte Alterssicherungssysteme einen Ansatzpunkt zur Rekonstruktion intrafamiliärer Arrangements bieten können, ist nicht neu. Sie geht auf Werding (1998) zurück, der sich selbst auf bereits sehr viel früher von Schreiber (1955) angestellte Überlegungen bezieht. Schreiber (1955) und Werding (1998) verwenden jedoch kein formales Modell, anhand dessen sie die Funktionsweise intergenerationaler Transferbeziehungen im Familienverband erklären oder aus dem sie die Ineffizienz solcher Arrangements ableiten können.

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4. Alterssicherung und Investitionsmotiv der Kindererziehung

Zudem existieren in wohl ausnahmslos allen industrialisierten Staaten neben öffentlichen Alterssicherungs- auch staatliche Ausbildungsfinanzierungssysteme, über die ein großer Teil der Ausbildungskosten getragen wird. Berücksichtigt man zusätzlich, dass sich die meisten Staaten über Transferleistungen an den elterlichen Erziehungskosten beteiligen, ergibt sich das Bild eines komplexen Netzes staatlicher Eingriffe, die in verschiedenen Richtungen in intergenerationale Transferbeziehungen eingreifen. Diese Tatsache ist jedoch nicht nur problematisch, sondern kann auch den Weg zu einer effizienten Rekonstruktion intrafamiliärer Transferarrangements weisen. Denn wenn Staaten bereits in intergenerationale Transfers aller Richtungen eingreifen, dann ist es zur Gewährleistung effizienter Transferbeziehungen unter Umständen gar nicht notwendig, neue Transfers zu kreieren. Ein einfacherer Weg könnte vielmehr darin bestehen, das miteinander zu verknüpfen und aufeinander abzustimmen, was bereits existiert. Um sich der Frage anzunähern, wie denn eine solche Verknüpfung und Abstimmung aussehen könnte, ist es aber sinnvoll, zunächst vom Ideal einer Reform „auf der grünen Wiese“ auszugehen (Abschnitt 4.6.2). Ausgehend von diesem Idealbild kann dann genauer hinterfragt werden, ob und wie die bereits existierenden Staatseingriffe in intergenerationale Transferbeziehungen so umgestaltet werden können, dass man von einer effizienten Rekonstruktion intrafamiliärer Arrangements sprechen kann (Abschnitt 4.6.3).

4.6.2 Reform „auf der grünen Wiese“ Wie ein effizienter Staatseingriff ausgestaltet sein sollte, kann aus dem in den vorangegangenen Abschnitten entwickelten Modell abgeleitet werden. In den Abschnitten 4.3 und 4.4 wurde herausgearbeitet, dass das Familiensystem (mindestens) zwei große Schwachpunkte aufweist: Erstens führt die rechtliche Unverbindlichkeit der intrafamiliären Arrangements dazu, dass zu wenig in Ausbildung investiert wird. Zweitens ist das Familiensystem äußerst zerbrechlich und daher anfällig für jede unerwartete Veränderung der ökonomischen Umgebung. Ein denkbarer Staatseingriff könnte daher darin bestehen, die intrafamiliären Transferbeziehungen mit Rechtssicherheit auszustatten. Solange Kinder noch minderjährig sind, ist die Verrechtlichung der ihnen von den Eltern gewährten Ausbildungskredite jedoch problematisch, denn Kinder würden sich so bei ihren Eltern verschulden, ohne selbst Einfluss auf die Höhe der Verschuldung nehmen zu können. Wie in Abschnitt 4.3.3 gezeigt wurde, würden Eltern zudem selbst dann keine effizienten Ausbildungstransfers an ihre Kinder vornehmen, wenn ihnen die verzinste Rückzahlung dieser Transfers garantiert würde, denn in einer optimal formulierten Familienverfassung sind die Ausbildungstransfers gerade

4.6 Rekonstruktion intrafamiliärer Arrangements?

303

so hoch, dass die Verzinsung der Kindererziehung und -ausbildung aus Sicht eines Mitglieds der Erwerbstätigengeneration maximal ist. Als Alternative bietet sich an, dass der Staat von den jeweils Erwerbstätigen einer Periode eine Steuer im Umfang der effizienten Ausbildungstransfers e È1 þ n€ê erhebt und mit den Einnahmen die Ausbildung ihrer È1 þ n€êN Nachkommen finanziert125. Als Ausgleich dafür erhebt er eine Periode später, wenn sich die ausgebildeten Kinder selbst in der Erwerbstätigkeitsphase befinden, von diesen eine Pauschalsteuer bzw. einen Pauschalbeitrag bUV und leistet aus den Einnahmen einen Alterstransfer an ihre sich nun in der Ruhestandsphase befindenden Eltern. Ergebnis eines solchen Staatseingriffs wäre die Institutionalisierung eines „kombinierten Ausbildungsfinanzierungs- und Alterssicherungssystems“. Es stellt sich dann aber die Frage, wie hoch e und bUV sein müssen, damit die in diesem System vorgenommenen Transfers tatsächlich effizient sind. Wie bereits ausgeführt, sind die in einer optimal formulierten Familienverfassung vorgeschriebenen Ausbildungstransfers eV nur so hoch, dass die Verzinsung der Kindererziehung und -ausbildung aus Sicht eines erwerbstätigen Familienmitglieds maximal ist:Wenn sich Individuen in der Erwerbstätigkeitsphase für die Familienstrategie entscheiden, muss daher gemäß (4.25), (4.29) und (4.31) eindeutig È4:63ê

dwhÈeV ; gê > È1 þ rê deV

sein. Es verbleiben somit lohnenswerte Ausbildungsinvestitionen, die aufgrund der rechtlichen Unverbindlichkeit der impliziten Vertragsbeziehungen zwischen Familienmitgliedern und der besonderen Position, in der sich die jeweils erwerbstätigen Mitglieder einer Familie befinden, nicht vorgenommen werden. Wie in Abschnitts 4.2.1 gezeigt wurde, wären die Ausbildungsinvestitionen dann optimal, wenn e ã e gerade so hoch ist, dass die Bedingung È4:64ê

dwhÈe ; gê ã È1 þ rê de

erfüllt wird. Ausbildungsinvestitionen in effizienter Höhe könnten mithin dann gewährleistet werden, wenn der Staat von jedem Individuum in der Erwerbstätigkeitsphase eine Steuer in Höhe von e È1 þ n€ê erhebt und die Einnahmen vollständig zur Ausbildungsfinanzierung der nachfolgenden Generation verwendet. In der Folgeperiode müsste bUV dann so gesetzt wer125 Auf eine Periodenindexierung wird im Folgenden aus Gründen der Übersichtlichkeit verzichtet.

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4. Alterssicherung und Investitionsmotiv der Kindererziehung

den, dass die Individuen ihre mit dem Grenzertrag der Ausbildungsinvestitionen verzinsten Ausbildungstransfers von der nachfolgenden Generation zurückerhalten. Doch die Einführung des kombinierten Ausbildungsfinanzierungs- und Alterssicherungssystems ist allein noch nicht ausreichend, um Anlagen in Humankapital zu garantieren, denn ein solches Arrangement würde nicht sicher stellen, dass Individuen überhaupt Nachkommen erziehen, in deren Ausbildung (kollektiv) investiert werden kann. Wenn Individuen gemäß (4.64) gerade in dem Ausmaß zur Vornahme von Ausbildungstransfers an die nachfolgende Generation verpflichtet werden, dass sich jede darüber hinaus gehende freiwillige Ausbildungsinvestition geringer als eine alternative Investition in Sachkapital verzinsen muss, dann werden sie keine freiwilligen Ausbildungstransfers an ihre Nachkommen leisten. Das bedeutet aber, dass sie gegen die Regeln der Familienverfassung verstoßen. Konsequenterweise werden sie daher zur Marktstrategie wechseln und keine Kinder erziehen. Um eine solche Situation zu verhindern, muss der Staat zusätzliche Anreize zur Erziehung von Kindern schaffen, die mindestens so groß sind, dass Individuen indifferent zwischen der Erziehung von Nachkommen zu den Nettokosten q und der alternativen Anlage dieser Nettokosten auf dem Kapitalmarkt sind. Ein solcher Anreiz könnte darin bestehen, ergänzend zum Ausbildungsfinanzierungs- und Alterssicherungssystem ein „Kinderrentensystem“ einzuführen, über das kinderzahlabhängige Rentenansprüche in entsprechender Höhe erworben werden können. Damit die Erziehung von Kinder für die Individuen überhaupt in Frage kommt, müssten in diesem System pro Kind Kinderrenten in Höhe von mindestens È1 þ rêq gezahlt werden, die ebenfalls über Beitragszahlungen der Nachkommen zu finanzieren sind. Fasst man das Kinderrentensystem und das Ausbildungsfinanzierungs- und Alterssicherungssystem organisatorisch zu einem „Integrierten Intergenerationalen Transfersystem“ zusammen, dann ergeben sich die Rentenansprüche p eines Individuums aus der freiwilligen Erziehung von È1 þ nê eigenen Kindern und aus der obligatorischen anteiligen Ausbildungsfinanzierung aller Kinder: È4:65ê

  p ã È1 þ rêÈ1 þ n€êe þ È1 þ rê qÈ1 þ nê

Stellt man (4.65) um und berücksichtigt außerdem, dass bei homogenen IndividuenÈ1 þ nê ã È1 þ n€ê ist, dann beträgt die implizite Verzinsung eines solchen Systems: È4:66ê

p ã È1 þ rê Èe þ qêÈ1 þ n€ê

4.6 Rekonstruktion intrafamiliärer Arrangements?

305

Da der in der Erwerbstätigkeitsphase im Rahmen des Integrierten Intergenerationalen Transfersystems pro Kopf an die Ruhestandsgeneration zu leisp tende Pauschaltransfer bUV gerade so hoch sein muss, dass bUV ã È1 þ n€ê ist, lässt sich (4.66) weiter umformulieren zu: È4:67ê

bUV ã È1 þ rê e þ q

Ein Vergleich mit (4.25) zeigt, dass das skizzierte obligatorische staatliche Transfersystem in der Lage ist, intrafamiliäre Transferbeziehungen so zu rekonstruieren, dass Ausbildungsinvestitionen in effizienter Höhe vorgenommen werden und Individuen zudem einen Anreiz zur Erziehung von Nachkommen haben. Bei Umsetzung des skizzierten Systems lauten die individuellen Budgetrestriktionen in der Erwerbstätigkeits- bzw. Ruhestandsphase: È4:68ê

ctt  1 ã whÈe ; gê  s  bUV  e È1 þ n€ê  qÈ1 þ nê

und È4:69ê

1  ctt  þ 1 ã È1 þ rês þ È1 þ rêe þ È1 þ rêqÈ1 þ nê

Eingesetzt in die Nutzenfunktion (4.1) und abgeleitet nach È1 þ nê ergibt sich dann als Bedingung erster Ordnung für die optimale Kinderzahl È1 þ nê : È4:70ê

dU t  1 ã qu0t þ È1 þ rêqu0t þ 1 ã 0 bzw: dÈ1 þ nê

u0t 0 ut þ 1

ã È1 þ rê

Unter Annahme homogener Individuen und unter der Voraussetzung, dass alle Individuen Kindererziehung der alternativen Anlage der Nettokinderkosten auf dem Sachkapitalmarkt vorziehen, ist È1 þ nê ã È1 þ n€ê. Dazu muss es jedoch nicht unbedingt kommen, denn gemäß (4.69) sind die Individuen indifferent zwischen den beiden alternativen Möglichkeiten der freiwilligen intertemporalen Ressourcenallokation. Die Höhe ihres Konsums in der Erwerbstätigkeits- und Ruhestandsphase ist unabhängig davon, ob sie in der Erwerbstätigkeitsphase über die obligatorischen Zwangstransfers an die Nachfolgegeneration hinaus Altersvorsorgeersparnisse auf dem Kapitalmarkt bilden oder eigene Nachkommen erziehen und Ansprüche auf eine Kinderrente erwerben. Das skizzierte System verhindert somit, dass es zu Unterinvestitionen in die Ausbildung nachfolgender Generationen kommt, lässt den Individuen aber gleichzeitig völlige Entscheidungsfreiheit über die

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4. Alterssicherung und Investitionsmotiv der Kindererziehung

Größe dieser Generationen. Für die Stabilität des intergenerationalen Transfersystems ist es dabei völlig unerheblich, für welche Anlageform sich die Mitglieder einer Generation im Durchschnitt entscheiden. Erziehen sie z. B. relativ wenige Kinder, dann ist auch der Zwangstransfer e È1 þ n€ê an die nachfolgende Generation und die Höhe des daraus abgeleiteten Rentenanspruchs relativ gering. Zur Gewährleistung einer optimalen Ressourcenallokation zwischen der Erwerbstätigkeits- und der Ruhestandsphase sind die Individuen in diesem Fall gezwungen, ihre relativ geringeren Anlagen in das Humankapital der nachfolgenden Generation über höhere Ersparnisse auf dem Kapitalmarkt zu kompensieren. Völlig unabhängig davon garantiert das Integrierte Intergenerationale Transfersystem, dass die Ausbildungsinvestitionen in die relativ kleine nachfolgende Generation in effizienter Höhe vorgenommen werden126. Zudem wird die Nachfolgegeneration nur insoweit mit Zwangstransfers an ihre Elterngeneration belastet, wie sie selbst Kosten verursacht und Ausbildungstransfers erhalten hat. Die ProKopf-Belastung mit Alterstransfers ist daher unabhängig von der Größe einer Generation. Den Ausführungen zum skizzierten Integrierten Intergenerationalen Transfersystem ist jedoch noch eine Einschränkung hinzuzufügen. Obwohl seine Einführung die Vornahme effizienter Ausbildungsinvestitionen garantiert, stellt es keine Pareto-Verbesserung zum Familiensystem dar, denn die Erwerbstätigengeneration der Einführungsperiode wird zunächst einmal schlechter gestellt. Die Mitglieder dieser Generation haben selbst nur Ausbildungstransfers in Höhe von eV erhalten, so dass sie von den Vorteilen der höheren Ausbildungstransfers noch nicht profitieren. Zwar müssen sie aus diesem Grund auch nur geringere Alterstransfers an ihre Vorgängergeneration leisten. Wie in 4.3.3 gezeigt wurde, wäre es für sie jedoch zudem rational, auch an die ihr nachfolgende Generation Ausbildungstransfers nur soweit vorzunehmen, dass die Verzinsung der Kindererziehung und -ausbildung aus ihrer Sicht maximiert wird. Durch die zwangsweise Erhöhung von eV auf e sinkt die Verzinsung der Kindererziehung und -ausbildung aber auf È1 þ rê. Berücksichtigt man jedoch auf der anderen Seite die Möglichkeit zukünftiger „Schocks“ auf die ökonomischen Bedingungen, dann „gewinnt“ die Erwerbstätigengeneration der Einführungsperiode durch die Zwangsteilnahme am Integrierten Intergenerationalen Transfersystem den Vorteil einer Versicherung gegen den unerwarteten Ausstieg ihrer Nachkommen aus der Familienstrategie. Es ist daher offen, ob für die Mitglieder dieser Generation die Vorteile oder die Nachteile der Einführung 126

Man beachte, dass es zu einer Ressourcenverschwendung führen würde, eine relativ geringe durchschnittliche Kinderzahl durch eine Ausweitung der Ausbildungsinvestitionen über das effiziente Ausmaß hinaus kompensieren zu wollen.

4.6 Rekonstruktion intrafamiliärer Arrangements?

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des Integrierten Intergenerationalen Transfersystems überwiegen. Alle Folgegenerationen werden in jedem Fall besser gestellt, da ihr Lebenseinkommen zunimmt. Das skizzierte Integrierte Intergenerationale Transfersystem weist Gemeinsamkeiten mit dem in Abschnitt 3.4.3 entwickelten „hybriden Rentensystem“ auf. In beiden Systemen können Rentenansprüche durch die Beteiligung an der öffentlichen Ausbildungsfinanzierung und durch die Erziehung eigener Kinder erworben werden. Zwischen beiden Systemen existieren aber auch wesentliche Unterschiede. In Kapitel 3.4.3 wurde angenommen, dass Individuen nur aus konsumtiven Motiven in die Kopfzahl und Ausbildung ihrer Kinder investieren. Die öffentliche Finanzierung der Ausbildungskosten konnte daher zur Folge haben, dass Rentenansprüche aus der Erziehung eigener Kindern im Verhältnis zu den gesamten Rentenansprüchen selbst dann nur sehr gering sind, wenn Individuen die gesamten Erziehungskosten selbst tragen, denn bei rein konsumtiver Erziehungsmotivation der Eltern kann von der Höhe der privaten Erziehungskosten nicht direkt auf die Höhe der kinderbezogenen Rentenansprüche geschlossen werden. Vielmehr ist für die Bemessung dieser Ansprüche der positive externe Effekt entscheidend, der von der Erziehung eines Kindes über den privaten Konsumnutzen hinaus auf die Gesamtgesellschaft ausgeht. Bei Unterstellung rein investiver Kindererziehungsmotive muss hingegen jede private Beteiligung an den Erziehungskosten eines Kindes den proportionalen Erwerb von Rentenansprüchen nach sich ziehen, da es ansonsten mangels Motivation nicht zu einer solchen Beteiligung kommen würde. Darüber hinaus existiert noch ein zweiter wesentlicher Unterschied zwischen beiden Systemen. Im hybriden Rentensystem des Abschnitts 3.4.3 sind kinderbezogene Rentenansprüche deshalb vorteilhaft, weil mit ihrer Hilfe die individuell optimalen den gesellschaftlich optimalen Entscheidungen angeglichen werden können und infolgedessen die implizite Verzinsung von Beitragszahlungen an ein umlagefinanziertes Alterssicherungssystem zunimmt. Die Gewährung kinderbezogener Rentenansprüche ist insofern nicht mehr als die Subventionierung der privaten Konsumaktivität „Kindererziehung“ und bezieht sich allein auf die Vorteilhaftigkeit des öffentlichen Rentenversicherungssystems. Die Installierung des in diesem Abschnitt skizzierten Integrierten Intergenerationalen Transfersystems hat jedoch wesentlich weitergehende Ziele. Über die effiziente Ausgestaltung des öffentlichen Alterssicherungssystems hinaus soll es die effiziente Ausbildungsfinanzierung nachfolgender Generationen garantieren und zugleich Anreize zur Erziehung von Kindern bieten, die in einer modernen Industriegesellschaft – wie in Abschnitt 4.4 gezeigt wurde – nicht mehr selbstverständlich vorhanden sind. Es geht somit nicht lediglich um die Subventionierung einer privaten Konsumaktivität, die auch anderenfalls – in geringerer Intensität – vor-

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4. Alterssicherung und Investitionsmotiv der Kindererziehung

genommen würde. Vielmehr wird ein zuvor privates System vollständig durch ein öffentliches System ersetzt. Nach der Einführung des Integrierten Intergenerationalen Transfersystems wird sich kein Individuum mehr für die Familienstrategie entscheiden und implizite Vertragsbeziehungen mit seinen Familienmitgliedern eingehen, aber dennoch werden Kinder geboren, erzogen und ausgebildet werden. Dabei substituiert der Staat keineswegs alle Aufgaben der Eltern, denn er lässt ihnen weiterhin die Verantwortung für die Erziehung ihrer Kinder. Er stellt vielmehr sicher, dass sie dieser Verantwortung nicht umsonst nachkommen müssen und sich daher gegen sie entscheiden. 4.6.3 Reform bereits existierender staatlicher Transfersysteme Das im vorangegangenen Teilabschnitt skizzierte Integrierte Intergenerationale Transfersystem hat wenig mit realtypischen öffentlichen Alterssicherungs- und Ausbildungsfinanzierungssystemen gemein. In realtypischen Systemen sind jedoch bereits viele der Transfers enthalten, die auch Teil des idealtypischen Systems sind. Abschließend wird daher in diesem Abschnitt der Frage nachgegangen, ob und wie bereits existierende Staatseingriffe so angepasst und/oder aufeinander abgestimmt werden können, dass sie sich dem Idealbild intergenerationaler Transferbeziehungen zumindestens annähern. Die Ausführungen beziehen sich dabei explizit auf die Situation in Deutschland. Die dabei entwickelten Reformvorschläge lassen sich aber qualitativ auch auf andere Industrienationen übertragen. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2001) hat in einem Gutachten aus dem Jahr 2001 das Modell einer „integrierten Familien- und Rentenversicherung“ entwickelt, das in seiner Begründung und Ausgestaltung der im vorangegangenen Abschnitt entwickelten Vorstellung einer Rekonstruktion intrafamiliärer Arrangements auf der Ebene eines öffentlichen Transfersystems sehr nahe kommt. Diesem Modell soll hier zwar nicht vollständig gefolgt werden, es bietet jedoch eine fruchtbare Diskussionsgrundlage für die Ausgestaltung einer Reform jener bereits existierenden öffentlichen Transfersysteme, deren Gegenstand intergenerationale Finanzierungsbeziehungen sind. Nach dem genannten Gutachten muss ein integriertes intergenerationales Transfersystem vier wesentliche Eigenschaften aufweisen127: (1) Die Mitglieder jeder Erwerbstätigengeneration erbringen Leistungen bzw. leisten Ausgaben zugunsten einer nachwachsenden Generation. 127 Vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2001, S. 210).

4.6 Rekonstruktion intrafamiliärer Arrangements?

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(2) Die erbrachten Leistungen bzw. Ausgaben sind – zumindestens zum Teil – als kreditäre Vorleistungen interpretierbar und erfolgen daher in Erwartung einer Gegenleistung. (3) Die Empfänger der kreditären Vorleistungen – die Mitglieder der nachwachsenden Generation – leisten in ihrer eigenen Erwerbstätigkeitsphase Kapitaldienstleistungen aus ihrem Erwerbseinkommen. (4) Die Kapitaldienstleistungen fließen an die Kreditgeber der Vorperiode und tragen zur Finanzierung ihres Alterskonsums in der Ruhestandsphase bei. Die aufgeführten Eigenschaften lassen offen, auf welcher Grundlage die integrierten Transferbeziehungen durchgeführt werden. So weist z. B. das in diesem Kapitel entwickelte Familiensystem – unter bestimmten Bedingungen – alle vier Eigenschaften auf. In diesem Abschnitt soll es aber nur um solche Systeme gehen, die Staatseingriffe beinhalten. Im Folgenden werden dabei drei mögliche Organisationsformen integrierter intergenerationaler Transfersysteme unterschieden, deren Differenzierungsmerkmal das Ausmaß bzw. die Intensität staatlicher Eingriffe ist128. Die relativ geringste Eingriffsintensität weist das unter Punkt (a) vorgestellte „rein intrafamiliäre Modell“, die relativ höchste Eingriffsintensität das unter Punkt (c) diskutierte „rein staatliche Modell“ auf. Das unter Punkt (b) besprochene Modell befindet sich in Bezug auf die Eingriffsintensität zwischen den beiden anderen. (a) Rein intrafamiliäres Modell In diesem Modell finanzieren die jeweiligen Eltern die gesamten Kindererziehungskosten q und vergeben eigenständig die (effizienten) Ausbildungskredite e . Als Gegenleistungen erwerben sie Ansprüche auf Alterstransferleistungen ihrer Nachkommen. Die Rolle des Staates beschränkt sich mithin darauf, die Vornahme intergenerationaler Transfers durchzusetzen. Er trägt zum einen Sorge dafür, dass Eltern ihren Kindern tatsächlich ein effizientes Ausmaß an Ausbildung zukommen lassen, zum anderen stellt er sicher, dass die Nachkommen die zu ihrer Erziehung aufgewendeten Kosten und die erhaltenen Transfers (verzinst) an ihre Eltern zurückerstatten. Das beschriebene System entspricht insofern einem durch Ausübung staatlichen Zwangs verpflichtend gemachten Familiensystem129. Die einzige freiwillige Entscheidung der Individuen besteht darin, ganz auf Kinder zu verzichten und die eigene Alterssicherung über den Kapitalmarkt zu organi128 129

Werding (1998, S. 478 ff.) wählt eine ähnliche Differenzierung. So auch Sinn (2005, S. 41).

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4. Alterssicherung und Investitionsmotiv der Kindererziehung

sieren. Diese Alternative ist nun jedoch ungünstiger als im Familiensystem, da die Alterstransfers an die eigenen Eltern in jedem Fall geleistet werden müssen. Offensichtlich erfüllt das vorgestellte Modell die vier oben genannten Eigenschaften eines integrierten intergenerationalen Transfersystems. Im idealisierten Modellrahmen, der bei der formaltheoretischen Analyse dieses Kapitels zugrunde gelegt wurde, spricht daher wenig gegen das beschriebene Arrangement. Alle Nachteile des Familiensystems werden durch die Einsetzung eines staatlichen „Prinzipals“, der die Vornahme der „richtigen“ Transfers durch die Individuen (die „Agenten“) überwacht, beseitigt. In einer weniger idealen Welt werden in einem solchen System jedoch einige Nachteile beibehalten, die schon dem Familiensystem inhärent sind, im idealisierten Modell aber nicht berücksichtigt wurden. So würden Eltern voll dem Investitionsrisiko ihrer Ausbildungskredite ausgesetzt. Wenn die eigenen Kinder vorzeitig versterben, invalide werden oder aus sonstigen Gründen nicht im erwarteten quantitativen und/oder qualitativen Ausmaß erwerbstätig sein können oder wollen, dann tragen Eltern das volle Ausfallrisiko der erwarteten Alterstransfers ihrer Kinder. Das Investitionsrisiko ließe sich deutlich verringern, wenn Individuen statt allein in die eigenen Kinder in das Kollektiv aller Nachkommen investieren könnten. Zudem besteht die Möglichkeit, dass Eltern zwar grundsätzlich motiviert sind, Ausbildungstransfers in effizienter Höhe an ihre Kinder vorzunehmen, aber aufgrund von Einkommens- und Kreditrestriktionen die dazu erforderlichen Mittel nicht aufbringen können. In diesem Fall wäre die Option eines Eingriffs familienexterner Investoren wünschenswert, die das rein intrafamiliäre System jedoch nicht vorsieht. (b) Intrafamiliäres Kindererziehungskosten- und öffentliches Ausbildungsfinanzierungssystem Dieses Modell entspricht in seiner Funktionsweise der unter 4.6.2 skizzierten Reform „auf der grünen Wiese“. Die jeweiligen Eltern tragen die Erziehungskosten ihrer Kinder allein, während der Staat von den Individuen Steuern erhebt und mit den erzielten Einnahmen effiziente Ausbildungstransfers an die nachfolgende Generation finanziert130. Dem Staat kommen 130

Es ist selbstverständlich eine unendlich große Zahl von Mischformen denkbar, die eine andere Aufteilung der Erziehungskosten und/oder der Ausbildungstransfers auf Eltern und Staat vorsehen. Das wichtige Charakteristikum des hier beschriebenen Modells besteht darin, dass Eltern weiterhin einen (gewichtigen) Teil der gesamten Kinderkosten (Erziehungskosten + Ausbildungskosten) selbst tragen bzw. der Staat die mit der Erziehung und Ausbildung der nachfolgenden Generation verbundenen Kosten nicht vollständig sozialisiert.

4.6 Rekonstruktion intrafamiliärer Arrangements?

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in diesem System somit gleich drei Aufgaben zu: Erstens besteuert er die Einkommen der jeweiligen Erwerbstätigengeneration einer Periode und finanziert mit den Einnahmen die effiziente Ausbildung der nachwachsenden Generation. Zweitens organisiert er ein System kinderzahlbezogener Renten, das Eltern einen Anreiz zur Geburt und Erziehung von Kindern bietet. Und drittens erhebt er eine Periode später auf das Erwerbseinkommen dieser Kinder Steuern bzw. Beiträge, mit denen sowohl die kinderbezogenen Renten der leiblichen Eltern als auch die verzinsten Rückzahlungen der zwangsweise erhobenen Ausbildungstransfers an die Vorgängergeneration finanziert werden. Ergebnis ist ein integriertes Transfersystem, in dem Rentenansprüche sowohl über monetäre Beitragszahlungen – in Form zwangsweise gewährter Ausbildungskredite an die nachwachsende Generation – als auch über die Erziehung eigener Kinder erworben werden können. Im Gegensatz zum rein intrafamiliären Modell können im beschriebenen System auch kinderlose Individuen über die finanzielle Beteiligung an der steuerfinanzierten Ausbildung der nachwachsenden Generationen Ansprüche auf Umlagerenten erwerben. Zudem werden die oben aufgeführten Nachteile des rein intrafamiliären Modells weitestgehend vermieden. Denn zum einen investieren die Individuen nun in die „anonyme Masse“ der nachfolgenden Generation und nicht mehr allein in die eigenen Kinder, so dass sie gegen den frühzeitigen Tod, Invalidität oder sonstige Erwerbsrisiken ihrer Nachkommen versichert werden. Und zum anderen kann in Bezug auf die nachwachsende Generation nun „Startchancengerechtigkeit“ in dem Sinne gewährleistet werden, dass der Ausbildungserfolg eines Kindes nicht mehr von den finanziellen Möglichkeiten der eigenen Eltern abhängt. Das beschriebene Modell bietet hingegen keine Lösung für den Fall an, dass sich die finanziellen Möglichkeiten der Eltern hinsichtlich der Fähigkeit zur Aufbringung der Erziehungskosten q unterscheiden können. Unter Umständen werden einige Individuen daher nur deshalb auf die Erziehung von Kindern verzichten, weil ihnen (zu einem bestimmten Zeitpunkt) die Mittel dazu fehlen. Denkbar ist auch, dass die zeitpunktzentrierte Belastung der Eltern mit Erziehungskosten dazu führt, dass sie durch die Entscheidung für Kinder nicht mehr zu einer optimalen intertemporalen Konsumallokation fähig sind131. (c) Rein staatliches Modell In diesem Modell finanziert der Staat nicht nur die effiziente Ausbildung der jeweiligen Jugendgeneration, er übernimmt zudem auch die gesamten 131 Vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2001, S. 212 ff.).

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4. Alterssicherung und Investitionsmotiv der Kindererziehung

Kindererziehungskosten q. Die öffentliche Kinderkostenfinanzierung kann z. B. so organisiert sein, dass Eltern für die Erziehung eines Kindes ein „Elterngehalt“ vom Staat erhalten, das den gesamten Erziehungsaufwand abdeckt. Das Elterngehalt entspricht dann materiell einer öffentlichen Kreditgewährung an die Kinder, die von den Eltern treuhänderisch verwendet wird132. Da Eltern ihre Kinder ohne finanzielle Belastung erziehen können, bleibt in diesem Modell kein Platz für kinderzahlabhängige Rentenansprüche133. Völlig unabhängig davon, ob sie selbst Kinder erziehen, erwerben in diesem System alle Individuen Rentenansprüche über ihre Beteiligung an der Finanzierung der Elterngehälter und der Ausbildung der nachwachsenden Generation. Eltern kommt im beschriebenen Modell somit nur noch die Funktion einer Art staatlichen „Agentur“ zu, die bestimmte Aufgaben gegen Bezahlung erfüllt. Man kann daher auch von einem „kollektivistischen“ Modell sprechen, das sowohl die Erträge als auch die Kosten der Kindererziehung vollständig verstaatlicht. Der Vorteil des rein staatlichen Modells ist, dass theoretisch alle Nachteile des Familiensystems und der unter (a) und (b) geschilderten Modelle vermieden und gleichzeitig die Vorteile intergenerationaler Transferbeziehungen vollständig genutzt werden können. Es ist jedoch mit dem Nachteil verbunden, dass seine Umsetzung einen erheblichen Kontrollaufwand des Staates erfordert. Da Eltern rein investive Kindererziehungsmotive haben, das Elterngehalt aber direkt erhalten, werden sie die von ihnen verlangten Leistungen möglichst kostengünstig erbringen wollen, so dass die Gefahr von Missbrauch gegeben ist. Während es für den Staat noch recht einfach ist, die effiziente Verwendung von Ausbildungstransfers in Vorschulen, Schulen, Universitäten und anderen Bildungseinrichtungen zu überwachen, die sich unter seiner unmittelbaren Kontrolle befinden, dürfte ihm die Identifikation einer eventuell missbräuchlichen Verwendung der zur Finanzierung der Erziehungskosten gedachten Elterngehälter wesentlich schwerer fallen. Denn Eltern sind in diesem Systems zwar quasi „staatliche Agenturen“, der Staat kann jedoch unmöglich – oder nur zu prohibitiv hohen Kosten – in jeden Elternhaushalt hineinsehen und überprüfen, ob das Elterngehalt im besten Sinne der Kinder oder aber für den Konsum der Eltern verwendet wird. Zwar existiert auch in dem unter Punkt (b) beschriebenen System die Gefahr, dass Eltern eine aus den Kindererziehungskosten abgeleitete Rente erhalten, ohne dass im Einzelfall nachvollzogen werden kann, welche Erziehungsleistung wirklich von ihnen erbracht worden ist. Zwi132 Das Gutachten des Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2001, S. 237 ff.) spricht sich dezidiert für ein solches System aus. 133 Wenn Eltern rein egoistisch motiviert sind, muss das Elterngehalt jedoch eine „Gewinnkomponente“ enthalten, da sie ansonsten keinen Anreiz zur Kindererziehung haben.

4.6 Rekonstruktion intrafamiliärer Arrangements?

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schen dem geleisteten Erziehungsaufwand und der Gegenleistung in Form einer Rentenzahlung liegen in diesem System jedoch mehrere Jahrzehnte. Eltern müssen zunächst für einen langen Zeitraum in erheblichem Maße in Vorleistung treten und die mit Elternschaft verbundenen Opfer erbringen, bevor sie Vorteile aus ihrer Kindererziehungsentscheidung ziehen können. Die Elterngehälter werden hingegen zeitgleich mit der Erziehungsleistung ausgezahlt, so dass der Anreiz zu einem Missbrauch im rein staatlichen System wesentlich größer ist. Vergleicht man die drei aufgeführten Organisationsformen mit den realtypischen intergenerationalen Transfersystemen in Deutschland, so wird deutlich, dass diese im Status Quo am ehesten dem unter Punkt (b) aufgeführten gemischten staatlichen und privaten System entsprechen. Auch wenn sich der Staat in durchaus nennenswertem Umfang an den privaten Kindererziehungskosten beteiligt, werden diese zum weit überwiegenden Teil privat von den jeweiligen Eltern getragen134. Die Ausbildung der nachwachsenden Generation wird hingegen entweder vollständig kostenlos vom Staat bereitgestellt (z. B. in den Schulen) oder zumindestens stark subventioniert (z. B. in den Universitäten). In der Gegenrichtung – bei den Alterstransfers der nachwachsenden Generation an ihre Vorgängergeneration – ist vor allem durch die Gesetzliche Rentenversicherung, aber auch durch die Subventionierung älterer Versicherter in der Gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung135, bereits ein Zwangstransfersystem installiert, dass den Mitgliedern jeder Ruhestandsgeneration den Zugriff auf Einkommensbestandteile ihrer Nachkommen gewährt, in die sie – privat und kollektiv – investiert haben. Die heute existierenden intergenerationalen Transfersysteme weisen daher bereits zwei der wesentlichen Eigenschaften eines integrierten Transfersystems auf: Jede Erwerbstätigengeneration erbringt Leistungen bzw. leistet Ausgaben zugunsten der ihr nachfolgenden Generation (Punkt 1). 134

Vgl. hierzu die Berechnungen des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2001, S. 159 f.), die für Deutschland einen öffentlichen Finanzierungsanteil an den Erziehungskosten – je nach Zahl der insgesamt erzogenen Kinder und der Einkommens- und Erwerbssituation der Eltern – zwischen 20,5% und 39,5% ausweisen. 135 Oft wird verkannt, dass die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) in beinahe idealtypischer Weise die Eigenschaften eines integrierten intergenerationalen Transfersystems aufweist. Kinder sind in der GKV nicht beitragspflichtig, so dass das Kollektiv aller Versicherten – und in diesem vor allem die Mitglieder der jeweiligen Erwerbstätigengeneration – ihre Krankheitskosten trägt. Wenn die Kinder selbst erwerbstätig sind, zahlen sie den ihnen gewährten „Krankheitskostenkredit“ zurück, indem sie über ihre Beitragszahlungen die Krankheitskosten ihrer dann alt gewordenen Elterngeneration zu einem großen Teil mittragen. Kinder können insofern als die kollektiv finanzierte Alterungsrückstellung eines humankapitalgedeckten Krankenversicherungssystems interpretiert werden.

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4. Alterssicherung und Investitionsmotiv der Kindererziehung

Und die Empfänger der kreditären Vorleistungen leisten in ihrer eigenen Erwerbstätigkeitsphase Kapitaldienstleistungen aus ihrem Erwerbseinkommen (Punkt 3). Die anderen beiden Eigenschaften weist es hingegen – im Großen und Ganzen – nicht auf: Die erbrachten Leistungen bzw. Ausgaben erfolgen üblicherweise nicht in Erwartung einer Gegenleistung und werden daher von den Leistungserbringern nicht als kreditäre Vorleistung interpretiert (Punkt 2), weil die Kapitaldienstleistungen der nachwachsenden Generation nicht – oder nicht in einer transparenten Art und Weise – an die Leistungserbringer der Vorperiode fließen (Punkt 4). Die Problematik des gegenwärtigen Systems intergenerationaler Transferbeziehungen liegt somit weniger darin begründet, dass solche Transfers nicht existieren, problematisch ist vielmehr ihre Unverbundenheit und Intransparenz. Die Entwicklung eines effizienten intergenerationalen Transfersystems macht es daher – in einem ersten Schritt – lediglich notwendig, bislang unverbundene Finanzierungsströme miteinander zu verknüpfen und Transferbeziehungen zwischen den Generationen transparent zu machen. In einem zweiten Schritt ist dann jedoch auch dafür Sorge zu tragen, dass die intergenerationalen Transfers in der richtigen Höhe an die richtigen Adressaten fließen, denn nur auf diese Weise ist das integrierte Transfersystem in der Lage, nicht nur Einkommensbestandteile umzuverteilen, sondern auch effiziente Leistungsanreize zu setzen. Auch wenn die geschilderten Zusammenhänge auf der Hand zu liegen scheinen, stellt die Umgestaltung der bereits existierenden intergenerationalen Transfersysteme zu einem effizienten integrierten Transfersystem eine Aufgabe dar, deren Durchführungswahrscheinlichkeit negativ mit der Radikalität der angestrebten Veränderung des Status Quo korreliert sein dürfte. Zu tief hat die bisherige Unverbundenheit öffentlicher intergenerationaler Finanzierungsströme das öffentliche Bewusstsein geprägt und zu groß sind im politischen und gesellschaftlichen Raum die Vorbehalte, Aufwendungen zugunsten nachfolgender Generationen ganz unromantisch (auch) als Investitionen in Humankapital anzusehen. Im Folgenden wird daher neben einem „radikalen“ Reformkonzept (Reformkonzept A) eine „tendenzielle“ Reformalternative aufgezeigt (Reformkonzept B), die sich durch eine eher langsame und sukzessive Umsetzung einzelner Reformschritte und die Beibehaltung der bereits existierenden Institutionen intergenerationaler Transferbeziehungen auszeichnet. Reformkonzept A ist dabei an verschiedene im Gutachten des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2001, S. 242 f.) und in Lüdeke (2002) entwickelte Ideen, Reformkonzept B an einen Rentenreformvorschlag von Sinn (2005) angelehnt.

4.6 Rekonstruktion intrafamiliärer Arrangements?

315

A. Ein „radikaler“ Übergang zu einem integrierten intergenerationalen Transfersystem Der im Folgenden entwickelte Reformvorschlag kann deshalb radikal genannt werden, weil die bisherigen Institutionen intergenerationaler Transferbeziehungen mit Beginn seiner Umsetzung sukzessive durch neue Institutionen ersetzt werden. Seine Umsetzung macht mithin ein radikales Umdenken aller beteiligten Individuen notwendig. Die Stärke des radikalen Reformvorschlags liegt darin, dass mit Beginn seiner Umsetzung alle intergenerationalen Finanzierungsströme in ein geschlossenes System zu integriert und alle intergenerationalen Transferbeziehungen explizit gemacht werden. Folgende Reformschritte sind dazu notwendig: (1) Alle bis zu einem bestimmten Stichtag X in der Gesetzlichen Rentenversicherung erworbenen Rentenansprüche werden vollständig respektiert und im Verlauf der nächsten Jahrzehnte erfüllt. Die Finanzierung der auf den „alten Anwartschaften“ beruhenden Rentenansprüche kann theoretisch auf zwei Arten erfolgen: Wie bisher aus Beitragszahlungen oder aus dem allgemeinen Steueraufkommen. Um die Erfüllung der alten Anwartschaften bereits in das reformierte System einzugliedern, wird der Beitragsfinanzierung der Vorzug gegeben. Im Unterschiede zum bisherigen System ist die Entrichtung der zur Finanzierung der Altersrenten notwendigen Beitragszahlungen jedoch ab dem Stichtag X nicht mehr mit dem Erwerb von Rentenanwartschaften verbunden, da die Beitragszahlungen materiell lediglich der verzinsten Rückzahlung in Anspruch genommenen Erziehungsaufwandes und empfangener Ausbildungskredite entsprechen136. (2) Ab dem Stichtag X müssen alle Gesellschaftsmitglieder zwei einkommensabhängige Beiträge leisten. Der erste Beitrag dient der Finanzierung der Rentenzahlungen an die Ruhestandsgeneration und führt nicht zum Erwerb von Rentenanwartschaften. Der zweite Beitrag dient der Finanzierung aller öffentlichen Leistungen zugunsten der nachfolgenden Generation, d.h. der Finanzierung von Ausbildungsinvestitionen in effizienter Höhe und der staatlichen Transferleistungen an Familien, und ist mit dem Erwerb von Rentenanwartschaften verbunden. Wenn die Ausbildungsinvestitionen und die Transferleistungen ebenso hoch wie bisher sind, werden die Individuen während ihrer Erwerbstätigkeitsphase durch den zweiten Beitrag nicht zusätzlich belastet, da die Notwendigkeit zur Steuerfinanzierung der betroffenen Leistungen wegfällt. Wenn die Ausbildungsinvestitionen bisher suboptimal niedrig waren, dann wird die Erwerbstätigengeneration stärker als bisher belastet. Ihre Mitglieder erwerben jedoch entsprechend höhere Rentenansprüche. (3) Ab dem Stichtag X erwerben Eltern für die zur Erziehung ihrer Kinder erbrachten Leistungen und Aufwendungen Rentenansprüche. Neben die „alten Anwartschaften“ aus dem früheren Umlagesystem und die „neuen Anwartschaften“ aus dem Ausbildungsfinanzierungssystem treten somit Anwartschaften auf eine „Kinderrente“. Sinn der Kinderrente ist es, Anreize zur Reproduktion zu setzen, 136 Aus individueller Sicht handelt es sich damit in jedem Fall – unabhängig von ihrer Bezeichnung – um reine Steuerzahlungen. Worauf es hier ankommt ist, dass die Beitragszahlungen an einen Parafiskus außerhalb des allgemeinen Steuer-Transfer-Systems fließen.

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4. Alterssicherung und Investitionsmotiv der Kindererziehung die denen im alten Familiensystem entsprechen. Wenn die Entscheidung für Kindererziehung allein aus investiven Motiven getroffen wird, muss die Elternrente daher so hoch sein, dass sie dem mit dem Marktzinssatz verzinsten Erziehungsaufwand abzüglich der öffentlichen Beteiligung entspricht. Unterstellt man, dass Eltern Kinder auch aus konsumtiven Motiven erziehen, dann sollte die Elternrente entsprechend geringer ausfallen, da ansonsten – wie in Kapitel 3. abgeleitet wurde – eine gesellschaftlich suboptimal große Zahl von Nachkommen erzogen würde. Da die genaue Ableitung der Erziehungskosten und vor allem die Beobachtung der „wahren“ elterlichen Erziehungsmotive in der Praxis so gut wie unmöglich sein dürfte, bietet sich im Bereich der Kinderrente eine pauschalierte Berücksichtigung des privaten Erziehungsaufwandes an. Wenn jedoch das Investitionsmotiv der Kindererziehung eine gewichtige Bedeutung im Entscheidungskalkül von Eltern spielt und es nur aufgrund der inhärenten Schwächen des Familiensystems und dem massiven Eingriff des Staates in die individuellen Alterssicherungsentscheidung gegenwärtig „inaktiv“ ist, dann muss die Elternrente ein spürbar großes Ausmaß haben, will man nicht erneut den Fehler machen, die genuinen Leistungen von Eltern als selbstverständlich vorauszusetzen.

(4) Alle von der jeweiligen Erwerbstätigengeneration einer Periode geleisteten Beitragszahlungen fließen an eine zentrale Institution und werden in der gleichen Periode zur Auszahlung von Altersrenten, zur Ausbildungsfinanzierung und für Transferleistungen an Familien verwendet. Wenn alle Rentenansprüche aus dem alten Rentensystem erfüllt sind, richtet sich die Höhe der gesamten Rentenzahlungen nicht mehr nach der Größe der Ruhestandsgeneration, sondern nach der Zahl der Nachkommen und dem zu ihren Gunsten vorgenommen Erziehungsund Ausbildungsaufwand. Die Höhe der Ausbildungstransfers richtet sich nach der Höhe effizienter Ausbildungsinvestitionen und der Größe der jeweiligen Jugendgeneration. Das Ausmaß notwendiger Transferleistungen hängt ebenfalls von der Größe der Jugendgeneration ab. Die Höhe der Beitragsbelastung einer Generation hängt somit nur von der Größe der nachfolgenden Generation bzw. von der durchschnittlichen Kinderzahl ihrer Mitglieder ab. Da sich die Beitragszahlungen zugunsten der nachfolgenden Generation mit dem Marktzinssatz verzinsen, gehen dabei von den individuellen Erziehungsentscheidungen keine negativen externen Effekte auf andere Individuen der gleichen Generation aus. (5) Wenn die Rentenansprüche aus der obligatorischen Finanzierungsbeteiligung am Erziehungs- und Ausbildungsaufwand zugunsten der nachfolgenden Generation im Durchschnitt einer Erwerbstätigengeneration nicht ausreichen, um einen existenzminimalen Alterskonsum zu finanzieren, wird das beschriebene System um eine Pflicht zur Ersparnisbildung ergänzt, um strategische Unterersparnis zu Lasten der nachfolgenden Generation zu verhindern137. Die individuelle Pflicht zur Ersparnisbildung erlischt, wenn der Alterskonsum über den Erwerb von Kinderrentenansprüchen sichergestellt wird. Durch den beschriebenen Systemübergang könnte ab dem Stichtag X ein integriertes intergenerationales Transfersystem errichtet werden, das dem oben als 137

Wie hoch die absoluten Rentenansprüche aus der obligatorischen Finanzierungsbeteiligung sind, hängt letztlich davon ab, wie hoch die Fertilitätsrate einer Generation ist.

4.6 Rekonstruktion intrafamiliärer Arrangements?

317

„Typ (b)“ beschriebenen Modell entspricht. Im Laufe der Zeit laufen die Ansprüche aus der „alten“ Gesetzlichen Rentenversicherung aus und es existieren keine Rentenansprüche mehr, die nicht auf Investitionen in die Kopfzahl und Ausbildung der nachfolgenden Generation gründen. Wie oben bereits erläutert wurde, ist es jedoch fraglich, ob ein solch radikales Reformkonzept eine realistische Realisierungschance hat. Aus diesem Grund wird im Folgenden unter B eine sehr viel vorsichtigere Annäherung an ein effizientes intergenerationales Transfersystem beschrieben. B. Ein tendenzieller Übergang zu einem integrierten intergenerationalen Transfersystem Wie in Kapitel 2.4 gezeigt wurde, wird das Rentenniveau der Gesetzlichen Rentenversicherung aufgrund des mittlerweile weitestgehend vollzogenen Paradigmenwechsels zu einer einnahmeorientierten Ausgabenpolitik in den nächsten Jahrzehnten deutlich sinken. Der Paradigmenwechsel ist dabei als eine direkte Reaktion auf die demografische Entwicklung zu sehen, denn er soll verhindern, dass die prognostizierte dramatische Zunahme des Äquivalenzrentnerquotienten zu einer Überlastung zukünftiger Generationen mit Beitragsverpflichtungen führt. In intergenerationaler Betrachtung kann die Verringerung des Rentenniveaus als leistungsgerecht angesehen werden, da sie letztlich darauf zurückzuführen ist, dass die von ihr (negativ) betroffenen Generationen im Rahmen des Umlagesystems zuwenig Deckungskapital – in Form der Erziehung und Ausbildung von Nachkommen – gebildet haben. Vom intragenerationalen Standpunkt aus gesehen ist es aber gerade nicht leistungsgerecht, unterschiedslos das Rentenniveau aller Versicherten zu kürzen, denn ein Teil von ihnen hat durchaus eine größere Zahl von Kindern erzogen138. Ausgehend von dieser Überlegung schlägt Sinn (2005) die „schleichende“ Einführung einer stärkeren Berücksichtigung individuell erbrachter Kindererziehungsleistungen bei der Rentenbemessung vor. Da Kindererziehende nicht für den zunehmenden Äquivalenzrentnerquotienten verantwortlich sind, sollten sie seinem Reformvorschlag nach für die Kürzung des Rentenniveaus kompensiert werden. Die Kompensationszahlung an Kindererziehende muss daher umso höher sein, je weiter das Rentenniveau ausgehend vom Status Quo sinkt, so dass die Berücksichtigung individueller Kindererziehungsleistungen über die nächsten Jahrzehnte sukzessive zunimmt. Aufbauend auf seinen Überlegungen sind im Folgenden die notwendigen Reformschritte eines „schleichenden“ und nur „tendenziellen“ Übergangs zu einem integrierten intergenerationalen Transfersystem aufgeführt: (1) Die Gesetzliche Rentenversicherung bleibt grundsätzlich unverändert bestehen. Sie wird jedoch konsequent in die Systemvariante EA überführt, indem der Beitragssatz auf dem aktuellen Niveau eingefroren wird. Infolgedessen wird sich, da sich der Äquivalenzrentnerquotient bis zum Jahr 2040 in etwa verdoppeln wird139, das Renteniveau der Gesetzlichen Rentenversicherung im Laufe der Zeit ungefähr halbieren. (2) Beitragszahlungen an die Gesetzliche Rentenversicherung ziehen weiterhin den Erwerb von Rentenanwartschaften nach sich. Der einzige Unterschied zum bis138 139

Vgl. hierzu auch Abbildung 2.19 auf Seite 105. Vgl. Abbildung 2.16 auf Seite 95.

318

4. Alterssicherung und Investitionsmotiv der Kindererziehung herigen System besteht darin, dass der Wert der durch Beitragszahlungen erworbenen Rentenansprüche im Laufe der Zeit deutlich sinkt. Eine explizite Beitragsfinanzierung des Erziehungs- und Ausbildungsaufwandes zugunsten nachfolgender Generationen ist nicht vorgesehen. Vielmehr approximieren die reduzierten Ansprüche aus den individuell an die Gesetzliche Rentenversicherung geleisteten Beitragszahlungen den ungefähren Gegenwert der (impliziten) individuellen Beteiligung an den Erziehungs- und Ausbildungskosten der nachwachsenden Generation über das allgemeine Steuersystem140.

(3) Neben der Gesetzlichen Rentenversicherung wird ein eigenständiges Kinderrentensystem institutionalisiert, in dem alle Gesellschaftsmitglieder beitragspflichtig und – soweit sie Kinder erziehen – leistungsberechtigt sind. Die Beitragspflicht und Leistungsberechtigung im Kinderrentensystem ist insbesondere unabhängig von der Mitgliedschaft in der Gesetzlichen Rentenversicherung. Die Kinderrenten werden pauschal für die Erziehung einer bestimmten Kinderzahl ausgezahlt, der individuell tatsächlich betriebene Erziehungs- und/oder Ausbildungsaufwand spielt für die Höhe individueller Kinderrenten keine Rolle. Der Zweck der Kinderrente besteht darin, Kindererziehende für die Entwertung der in der Gesetzlichen Rentenversicherung erworbenen Rentenansprüche zu kompensieren. Aus diesem Grund werden die Kinderrenten in jedem Jahr gerade so hoch bemessen, dass das Renteniveau von Erziehenden mit einer Standardrentnerbiografie und einer bestimmten Kinderzahl – also mit z. B. zwei Kindern – im Zeitablauf unverändert bleibt. Die Höhe der Kinderrente ist mithin variabel und hängt davon ab, wie stark das Rentenniveau der Gesetzlichen Rentenversicherung im Vergleich zum Status Quo sinkt. Der Wert einer Kinderrente beträgt somit in der Einführungsperiode des Kinderrentensystems Null. Er nimmt dann sukzessive zu und erreicht ca. 2040 sein Maximum. Der Gegenwartswert des in diesem Jahr für die Erziehung zweier Kinder gewährten Kinderrentenanspruchs entspricht wertmäßig ungefähr der Hälfte des heutigen Rentenanspruchs eines Standardrentners. (4) Als dritte Säule tritt neben die Gesetzliche Rentenversicherung und das Kinderrentensystem ein grundsätzlich obligatorisches Zwangssparsystem. Ebenso wie im Kinderrentensystem besteht das Ziel dieses Systems darin, den Wertverlust der Ansprüche aus der Gesetzlichen Rentenversicherung zu kompensieren. Da individuell die Notwendigkeit einer Kompensation abnimmt, wenn Ansprüche aus dem Kinderrentensystem erworben werden, wird die Zwangssparverpflichtung nach der Geburt des ersten Kindes der Höhe nach halbiert und erlischt nach der Geburt des zweiten Kindes völlig. Zuvor bereits angespartes Kapital kann an die Eltern ausgeschüttet werden, um deren Liquidität während der frühen Erziehungsphase erhöhen. 140 Sinn (2005, S. 37) führt als weiteren Grund für die Gewährung beitragsbezogener Rentenansprüche an, dass die umlagefinanzierte Rentenversicherung auch eine Versicherung gegen unfreiwillige Kinderlosigkeit sei. Diese Frage spielte im hier entwickelten Modell keine Rolle, da davon ausgegangen wurde, dass Individuen die Zahl ihrer Kinder deterministisch wählen können. Doch selbst wenn das nicht der Fall ist, lässt sich, da sich Infertilität sehr früh im Lebenszyklus offenbart und ein effizienter Kapitalmarkt zur Altersvorsorge existiert, eine Versicherung gegen unfreiwillige Kinderlosigkeit im Rahmen eines umlagefinanzierten Alterssicherungssystems heute kaum noch begründen.

4.6 Rekonstruktion intrafamiliärer Arrangements?

319

Wenn es im Jahr 2040 voll in Funktion ist, ähnelt das Reformmodell B in seinen Auswirkungen dem Reformmodell A und weist zudem die Vorteile auf, weniger Eingriffe in den Status Quo vornehmen zu müssen und organisatorisch wesentlich einfacher handhabbar zu sein. Die Gesetzliche Rentenversicherung, das öffentliche Ausbildungssystem und die Transferleistungen zugunsten von Familien bleiben in ihrer Grundstruktur vollkommen unangetastet. Neu ist nur das Kinderrentensystem, das dazu nur schleichend über einen sehr langen Zeitraum eingeführt wird. Analog zum Reformmodell A können bei Umsetzung des Reformmodells B Rentenansprüche durch (obligatorische) Beitragszahlungen und durch die Erziehung von Kindern erworben werden. Im Unterschied zum „radikalen“ hält das „tendenzielle“ Reformmodell aber an der Fiktion fest, durch Transfers an die Vorgängergeneration könnten (realwirtschaftlich) Rentenansprüche erworben werden. Auch wenn die beitragsbezogenen Rentenansprüche die Entlohnung der impliziten Beteiligung am steuerfinanzierten Erziehungsund Ausbildungsaufwand zugunsten der nachfolgenden Generation approximieren sollen, bleiben die intergenerationalen Transferbeziehungen für alle Beteiligten unsichtbar und die Verknüpfung intergenerationaler Finanzierungsbeziehungen de facto und de jure unvollständig. Da das öffentliche Ausbildungsfinanzierungssystem unverändert fortbesteht, wird zudem durch nichts sichergestellt, dass Ausbildungstransfers in effizienter Höhe vorgenommen werden. Gerade bei den Ausbildungstransfers bleibt so auf Seiten der Finanziers der Eindruck erhalten, dass diese in erster Linie Kosten und nicht Investitionen sind, während auf Seiten der Empfänger dieser Transfers spiegelbildlich die Vorstellung einer effektiv kostenlosen Ausbildung erhalten bleibt. Der größte Nachteil des „tendenziellen“ Reformmodells besteht aber darin, dass es den erbrachten genuinen Elternleistungen keinen absoluten, sondern nur einen variablen Wert zumisst, der zudem in keinster Weise von den erbrachten Leistungen, sondern allein von der Entwicklung des Rentenniveaus der Gesetzlichen Rentenversicherung abhängt. Bei einem intertemporal konstanten Rentenniveau würde der Wert der Elternleistung demnach Null betragen, obwohl doch, wie in Kapitel 3. gezeigt wurde, selbst bei rein konsumtiven Motiven der Kindererziehung eine (teilweise) kinderzahlabhängige Rente gerechtfertigt werden kann. Reformmodell B ist daher nicht mehr als eine pragmatische Annäherung an ein effizient ausgestaltetes integriertes intergenerationales Transfersystem. Trotz der genannten Schwachpunkte würde seine Umsetzung jedoch eine wesentliche Verbesserung zum Status Quo darstellen. Es ist zudem kompatibel mit dem Reformvorschlag eines „hybriden Rentensystems“, der in Kapitel 3.4 für den Fall rein konsumtiver Erziehungsmotive entwickelt wurde. Insofern stellt es qualitativ den (kleinsten) gemeinsamen Nenner der in den Kapiteln 3. und 4. erzielten Ergebnisse dar.

5. Schlussbetrachtung Der überwiegende Teil der öffentlichen, wissenschaftlichen und politischen Diskussion öffentlicher Alterssicherungssysteme dreht sich seit mittlerweile über drei Jahrzehnten um die Frage, ob und wie nach dem Umlageverfahren organisierte Rentensysteme an die Folgen des demografischen Wandels angepasst werden können. Typischerweise werden dabei die Bestimmungsgründe des demografischen Wandels als exogen gegebene Entwicklungen angenommen, so dass sich der Inhalt von Rentenreformvorschlägen zumeist auf die problemadäquate Bewältigung der zu erwartenden Entwicklungen beschränkt, während Vorschläge einer ursachenadäquaten Umgestaltung der Organisationsweise umlagefinanzierter Alterssicherungssysteme nur eine untergeordnete Rolle spielen. Im zweiten Kapitel dieser Untersuchung wurden die Grundlagen und Fakten dieser Diskussion theoretisch anhand von Modellen und praktisch anhand der ausführlichen Analyse der vergangenen und zukünftig erwarteten Entwicklung der Gesetzlichen Rentenversicherung in Deutschland vorgestellt. Dabei konnte modelltheoretisch und anhand empirischer Fakten deutlich gezeigt werden, welch überragenden Einfluss die demografische Entwicklung auf die individuelle ökonomische Vorteilhaftigkeit der (Zwangs-)Teilnahme an umlagefinanzierten Alterssicherungssystemen hat. In umlagefinanzierten Rentensystemen, die wie die Gesetzliche Rentenversicherung weitestgehend dem Paradigma einer einnahmeorientierten Ausgabenpolitik folgen, wirkt sich dabei – entgegen der Intuition – eine zunehmende Lebenserwartung kaum auf die ökonomische Situation der Versicherten aus, denn der implizite Rentenanpassungsmechanismus dieser Systeme hat zur Folge, dass der Erwartungswert der Rentenzahlbeträge im Zeitablauf stets konstant bleibt. Die implizite Einkommensbesteuerung, der die Versicherten realtypischer Umlagesysteme zukünftig in wohl allen industrialisierten Staaten in zunehmendem Maße ausgesetzt sein werden, ist hingegen so gut wie ausschließlich auf die Geburtenentwicklung der letzten Jahrzehnte zurückzuführen. Bei strikt einnahmeorientierter Ausgabenpolitik trifft die Zunahme der impliziten Steuerlast zwar die Mitglieder jener Generationen, deren durchschnittliche Geburtenzahlen relativ gering sind, so dass es nicht – wie es in der Vergangenheit der GRV der Fall war – zu einem Weiterschieben der impliziten Steuerlasten an künftige Generationen kommen kann. Berücksichtigt man jedoch die Tatsache, dass die Mitglieder einer Generation äußerst heterogen sind und sich – trotz der im Durchschnitt sinkenden Fertilität – auch in den letzten

5. Schlussbetrachtung

321

Jahrzehnten ein Teil von ihnen für die Erziehung zweier oder mehr Kinder entschieden hat, dann stellt sich das Problem der herkömmlichen umlagefinanzierten Alterssicherungssystemen inhärenten intragenerationalen Umverteilung zwischen Individuen mit relativ vielen und Individuen mit relativ wenigen oder keinen Kindern mit zunehmender Schärfe. Es erscheint daher wenig sinnvoll, über problemadäquate Reformen umlagefinanzierter Alterssicherungssysteme zu diskutieren und gleichzeitig mit den Erziehungsentscheidungen der Mitglieder einer jeweiligen Generation den wichtigsten Bestimmungsfaktor der ökonomischen Vorteilhaftigkeit einer Teilnahme an diesen Systemen völlig unbeachtet zu lassen. Hauptgegenstand der vorliegenden Untersuchung war aus diesem Grund die in den Kapiteln 3. und 4. vorgenommene theoretische Analyse öffentlicher Alterssicherungssysteme unter der Annahme endogener individueller Erziehungsentscheidungen, wobei neben der Entscheidung für eine bestimmte Kinderzahl häufig auch (im Kapitel 3.4 und im gesamten Kapitel 4.) die elterliche Entscheidung für die Ausbildung der eigenen Kinder berücksichtigt wurde. Dem bewusst offen formulierten Titel dieser Untersuchung folgend, wurden dabei alle denkbaren Kausalitätsbeziehungen zwischen öffentlichen Alterssicherungsinstitutionen und individuellen Erziehungsentscheidungen in die Analyse einbezogen, das heißt: Es wurde zum einen hinterfragt, welchen Einfluss verschiedene Alterssicherungsinstitutionen auf individuelle Erziehungsentscheidungen nehmen können und wie umgekehrt letztere auf die Alterssicherungsinstitutionen rückwirken. Und es wurde zum anderen auch hinterfragt, ob die Art, wie Individuen Erziehungsentscheidungen treffen, die Einführung bestimmter Alterssicherungsinstitutionen verursachen kann. Der zuerst genannte Aspekt bezieht sich auf die normative Frage der optimalen Ausgestaltung von Alterssicherungsinstitutionen und dabei insbesondere auf die Begründung und Ausgestaltung einer Berücksichtigung individueller Erziehungsentscheidungen bei der Rentenbemessung. Der zweite Aspekt ist eher positiv angelegt und bezieht sich vor allem auf den Erklärungsgehalt der verwendeten Modelle. Im besten Falle sollten mithilfe der in dieser Untersuchung entwickelten Modelle drei Fragen beantwortet werden können: (1) Kann eine Berücksichtigung individueller Kindererziehungsleistungen im Rahmen öffentlicher Alterssicherungssysteme ökonomisch gerechtfertigt werden? (2) Wenn eine Berücksichtigung der individuellen Kindererziehungsleistungen ökonomisch gerechtfertigt werden kann, in welcher Form und in welchem Ausmaß sollte sie dann umgesetzt werden? (3) Ist es möglich, die Einführung öffentlicher Alterssicherungssysteme und die Entwicklung nach ihrer Einführung zu erklären?

322

5. Schlussbetrachtung

In den Kapiteln 3. und 4. wurden sehr unterschiedliche Antworten auf die drei aufgeführten Fragen gefunden. Wie diese ausfielen, hing dabei vor allem davon ab, welche individuelle Motivation zur Erziehung von Kindern in den unterschiedlichen Modellansätzen unterstellt wurde. In Kapitel 3. wurde davon ausgegangen, dass Individuen rein konsumtiv zur Erziehung und Ausbildung von Nachkommen motiviert sind. Eltern sehen dabei die Erziehung eines Kindes als eine – in verschiedenen Variationen modellierte – ideelle Bereicherung ihres Lebens an. Die in Kapitel 3. entwickelten Modelle folgen der in der Literatur vorherrschenden Ansicht, dass Kindererziehung in entwickelten Volkswirtschaften nicht – oder nicht mehr – auf das Einkommens- und/oder Alterssicherungsmotiv zurückgeführt werden kann und es daher adäquat ist, individuelle Erziehungsentscheidungen allein auf konsumtive Motive zurückzuführen. In Kapitel 4. wurde hingegen das Investitionsmotiv der Kindererziehung in den Mittelpunkt gestellt. Ausgehend von der Prämisse, dass dieses Motiv in den heute entwickelten Volkswirtschaften kaum noch eine Rolle spielt, wurde hier explizit hinterfragt, unter welchen Bedingungen es überhaupt existieren kann und welche Entwicklungen zur Folge haben können, dass es inaktiv wird. Aufbauend auf Überlegungen von Cigno (1993, 2003, 2006) wurden individuelle Erziehungsentscheidungen dabei als Teil impliziter Vertragsbeziehungen zwischen Mitgliedern einer Familie modelliert, deren Stabilität von der Entwicklung der ökonomischen Bedingungen und dabei insbesondere auch von Staatseingriffen in individuelle Alterssicherungsentscheidungen abhängt. In den folgenden Teilabschnitten 5.1 und 5.2 sind die Antworten, die verschiedene Modellansätze auf die oben aufgeführten Fragen finden, nochmals zusammengefasst. Abschnitt 5.1 geht dabei auf die beiden ersten, Abschnitt 5.2 auf die dritte Frage ein. In Abschnitt 5.3 beendet ein kurzes Schlusswort die vorliegende Untersuchung.

5.1 Zur Berücksichtigung individueller Erziehungsentscheidungen bei der Rentenbemessung Tabelle 5.1 auf der folgenden Seite fasst zusammen, ob und wie die Berücksichtigung individuell erbrachter Erziehungs- und Ausbildungsleistungen bei der Bemessung von Rentenansprüchen aus öffentlichen Alterssicherungssystemen nach den verschiedenen Modellansätzen gerechtfertigt werden kann. Zudem ist aufgeführt, welche Form eine solche Berücksichtigung annehmen sollte. Die einzelnen Modellansätze sind dabei unter den Begriffen „Schwacher Altruismus“ (Kapitel 3.2), „Reiner Altruismus“ (Kapitel 3.3), „Paternalistischer Altruismus“ (Kapitel 3.4) und „Investitionsmotiv“ (Kapitel 4.) aufgeführt.

5.1 Individuelle Erziehungsentscheidungen bei der Rentenbemessung

323

Tabelle 5.1 Ökonomische Rechtfertigung für die Berücksichtigung von Kindererziehungsleistungen in einem umlagefinanzierten Alterssicherungssystem und Art dieser Berücksichtigung nach verschiedenen Modellansätzen Modell

Ökonomische Rechtfertigung Art der Berücksichtigung

(1) Schwacher Altruismus

(a) Kein FLA: Positive Kon- Vollständige Abhängigkeit sumexternalität der Kin- der Rentenzahlbeträge von dererziehung der individuellen Kinderzahl (b) Suboptimaler FLA: Posi- Rentenzahlbeträge zum Teil tive Konsumexternalität von der individuellen Kinder Kindererziehung derzahl und zum Teil von Beitragszahlungen abhängig (c) Optimaler FLA: Keine



(2) Reiner Altruismus Keine



(3) Paternalistischer Altruismus

(a) Keine öffentl. Ausbildungsfinanzierung: Positive Konsumexternalität der Kindererziehung und -ausbildung

Vollständige Abhängigkeit der Rentenzahlbeträge von den Beitragszahlungen eigener Kinder

(b) Öffentliche Ausbildungsfinanzierung: Positive Konsumexternalität der Kindererziehung

Rentenzahlbeträge zum Teil von der individuellen Kinderzahl und zum Teil von Beitragszahlungen abhängig

(4) Investitionsmotiv

Ermöglichung effizienter – Explizite Verknüpfung inund stabiler intergeneratiotergenerationaler Finannaler Transferbeziehungen zierungsbeziehungen in einem integrierten intergenerationalen Transfersystem – Rentenzahlbeträge zum Teil von individueller Kinderzahl und zum Teil von Beitragszahlungen abhängig

Bei schwachem Altruismus von Eltern gegenüber ihren Kindern und Existenz eines herkömmlichen umlagefinanzierten Alterssicherungssystems ist die Erziehung von Kindern mit einer positiven Konsumexternalität verbunden. Wenn der Staat sich nicht an den Erziehungskosten beteiligt, entspricht das Ausmaß der positiven Externalität dem Gegenwartswert der späteren Rentenbeitragszahlungen eines Kindes. Da Eltern die positive Konsumexter-

324

5. Schlussbetrachtung

nalität bei ihrer Erziehungsentscheidung nicht berücksichtigen, ist die individuell optimale Kinderzahl aus gesamtgesellschaftlicher Sicht zu niedrig. Die Internalisierung der positiven Konsumexternalität im Sinne einer Bemessung der Rentenzahlbeträge nach der Kinderzahl führt zu einer Zunahme der impliziten Verzinsung des umlagefinanzierten Alterssicherungssystems und darüber zu einer Pareto-Verbesserung. Ein anderes Ergebnis ergibt sich, wenn der Staat über ein Familienlastenausgleichsystem an den Erziehungskosten beteiligt ist. Ist die öffentliche Kostenbeteiligung gerade so hoch, dass Eltern für die Erziehung eines Kindes Transferleistungen in Höhe des Gegenwartswertes seiner späteren Rentenbeitragszahlungen erhalten, dann kann man von einem optimalen Familienlastenausgleichsystem sprechen. In diesem Fall entspricht die individuelle der gesellschaftlich optimalen Kinderzahl und kinderzahlabhängige Rentenzahlungen lassen sich nicht mehr rechtfertigen. Wird der Gegenwartswert der zukünftigen Beitragszahlungen eines Kindes hingegen durch die Transferleistungen nicht vollständig kompensiert, dann sollten individuelle Rentenzahlbeträge zum Teil nach der Kinderzahl und zum Teil nach den geleisteten Beitragszahlungen bemessen werden. Die Aufteilung zwischen kinderzahl- und beitragsbezogenen Renten kann dabei jedoch nicht aus der prozentualen Beteiligung des Staates an den Erziehungskosten abgeleitet werden. Entscheidend ist vielmehr der Quotient aus den öffentlichen Transferleistungen pro Kind und dem Wert der durch die Erziehung dieses Kindes verursachten positiven Konsumexternalität. Bei reinem Altruismus entspricht die individuell optimale stets der gesellschaftlich optimalen Kinderzahl, so dass eine Berücksichtigung individueller Kindererziehungsleistungen bei der Rentenbemessung nicht gerechtfertigt werden kann. Bei paternalistischem Altruismus und Existenz eines herkömmlichen umlagefinanzierten Alterssicherungssystems ist nicht nur die Erziehung, sondern auch die Ausbildungsfinanzierung zugunsten der eigenen Kinder mit positiven Konsumexternalitäten verbunden. Da Eltern diese Externalitäten nicht berücksichtigen, wenn sie sich für eine bestimmte Kinderzahl und für eine bestimmte Ausbildung ihrer Kinder entscheiden, ist – unter bestimmten Modellannahmen – sowohl die Zahl ihrer Kinder als auch deren Ausbildung aus gesamtgesellschaftlicher Sicht zu niedrig. Auch in diesem Fall entspricht das Ausmaß der positiven Externalität dem Gegenwartswert der zukünftigen Rentenbeitragszahlungen eigener Kinder, wobei die Höhe der Beitragszahlungen nun auch entscheidend vom Ausbildungsniveau der Nachkommen abhängt. Wenn Eltern die gesamten Erziehungs- und Ausbildungskosten ihrer Kinder selbst tragen, wird eine vollständige Internalisierung der positiven Konsumexternalitäten dann erreicht, wenn Eltern die gesamten Beitragszahlungen ihrer Kinder als Rentenzahlung erhalten. Existiert

5.1 Individuelle Erziehungsentscheidungen bei der Rentenbemessung

325

hingegen ein gemischtes System, in dem der Staat die Kosten der Ausbildung übernimmt und Eltern die Erziehungskosten tragen, dann sollten sich individuelle Rentenansprüche zum Teil nach der individuellen Kinderzahl und zum Teil nach der anteiligen Finanzierungsbeteiligung an der öffentlich finanzierten Ausbildung der nachfolgenden Generation bemessen. Ebenso wie bei Existenz eines Familienlastenausgleichsystems kann dabei von der prozentualen Beteiligung des Staates an den Erziehungs- und Ausbildungskosten nicht auf die Verteilung beitrags- und kinderzahlabhängiger Ansprüche geschlossen werden. Der beitragsabhängige Teil der individuellen Rentenzahlbeträge entspricht vielmehr dem Quotienten aus dem verzinsten öffentlichen Ausbildungsfinanzierungsaufwand zugunsten eines Kindes und den späteren Beitragszahlungen dieses Kindes an das umlagefinanzierte Alterssicherungssystem. In Kapitel 4. wurde angenommen, dass Eltern ihre Kinder allein aufgrund eines Investitionsmotivs erziehen und mit einer bestimmten Ausbildung ausstatten. Eltern gehen dazu selbstdurchsetzende implizite Vertragsbeziehungen mit ihren Nachkommen ein, die sicherstellen, dass sie als Gegenleistung für ihre Investitionen in der Ruhestandsphase Alterstransferzahlungen von ihren dann erwachsenen Kindern erhalten. Die intrafamiliären Transferbeziehungen ermöglichen Eltern die aufgrund von Marktversagen ansonsten nicht mögliche Anlage von Ersparnissen in Humankapital und Kindern die ansonsten nicht mögliche Aufnahme von Ausbildungskrediten. Die erforderliche Selbstdurchsetzbarkeit der intrafamiliären Vertragsbeziehungen hat jedoch zur Folge, dass nicht in effizientem Ausmaß in Ausbildung investiert wird. Für Eltern ist die fehlende rechtliche Durchsetzbarkeit der Ansprüche aus den impliziten Vertragsbeziehungen zudem mit der Gefahr verbunden, dass Veränderungen der ökonomischen Bedingungen ihre Nachkommen zu einem Ausstieg aus dem Familiensystem veranlassen und sie infolgedessen die Grundlage ihrer Alterssicherung verlieren. Die Schwächen des intrafamiliären Transfersystems rechtfertigen Staatseingriffe, die effiziente und stabile intergenerationale Transferbeziehungen ermöglichen. Als ein solcher Staatseingriff wurde das Modell eines „Integrierten Intergenerationalen Transfersystems“ entwickelt, dessen Struktur die intrafamiliären Transferbeziehungen auf effiziente Weise rekonstruiert. Es verpflichtet die Mitglieder jeder Erwerbstätigengeneration dazu, in effizientem Ausmaß in die Ausbildung der nachfolgenden Generation zu investieren. Im Gegenzug werden die Mitglieder der nachfolgenden Generation verpflichtet, die zu ihren Gunsten vorgenommenen Ausbildungsinvestitionen während der eigenen Erwerbstätigkeitsphase an die Investoren zurückzahlen. Allein dadurch würden die intrafamiliären Transferbeziehungen jedoch noch nicht vollständig rekonstruiert, da Individuen keinen Anreiz hätten, die mit der Erziehung von Kindern verbundenen Kosten zu tragen. Zur vollständigen Rekonstruk-

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5. Schlussbetrachtung

tion der intrafamiliären Transferbeziehungen werden daher im „Integrierten Intergenerationalen Transfersystem“ Eltern kinderzahlabhängige Rentenansprüche gewährt, deren Höhe sich nach den aufgewendeten Erziehungskosten richtet. Die gesamten individuellen Rentenansprüche ergeben sich im „Integrierten Intergenerationalen Transfersystem“ mithin zum einen aus der Leistung obligatorischer Beitragszahlungen, die zur Ausbildungsfinanzierung der nachfolgenden Generation verwendet werden, und zum anderen aus der Erziehung von Kindern und der Übernahme der damit verbundenen Kosten.

5.2 Einführungsmotiv und Auswirkungen öffentlicher Alterssicherungssysteme In Kapitel 1. wurde auf den bemerkenswerten Umstand aufmerksam gemacht, dass in einem relativ begrenzten Zeitraum in allen heute entwickelten Volkswirtschaften öffentliche – und dabei zumeist im Umlageverfahren organisierte – Alterssicherungssysteme eingeführt worden sind. Über die Analyse der wechselseitigen Abhängigkeiten existierender öffentlicher Alterssicherungsinstitutionen und individueller Erziehungsentscheidungen hinaus war daher eine Fragestellung der vorliegenden Untersuchung, ob sich mithilfe der in den Kapiteln 3. und 4. entwickelten Modelle eine Erklärung für die beinahe synchrone Einführung öffentlicher Alterssicherungssysteme in den industrialisierten Staaten finden lässt. Die auf der Annahme rein konsumtiver Erziehungsmotive basierenden Modelle des Kapitels 3. zeigten sich dabei nicht in der Lage, die Einführung öffentlicher Alterssicherungssysteme endogen zu erklären. Da in diesen Modellen stets angenommen wurde, dass die betrachteten Individuen ihre Alterssicherung vor der Einführung öffentlicher Alterssicherungssysteme vollständig über den Kapitalmarkt organisiert haben, war es kaum möglich zu erklären, warum Staaten es im Zeitraum zwischen dem Ende des 19. und den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts plötzlich für notwendig hielten, in die individuellen Alterssicherungsentscheidungen einzugreifen, denn die Möglichkeiten einer kapitalgedeckten Alterssicherung verbesserten sich gerade in diesem Zeitraum gravierend. Die einzig denkbare modellendogene Erklärung für die Einführung umlagefinanzierter öffentlicher Alterssicherungssysteme basierte auf der Vermutung, dass die Geburtenrate vor der Einführung dieser Systeme so hoch war, dass die implizite Verzinsung von Beitragszahlungen an ein Umlagesystem zum Einführungszeitpunkt höher als die Verzinsung von Anlagen auf dem Kapitalmarkt war. In Abschnitt 3.2.3 wurde jedoch gezeigt, dass die Einführung umlagefinanzierter Alterssicherungssysteme in diesem Fall zu einer Zunahme der durchschnittlichen Geburtenzahlen hätte führen müssen, während

5.2 Auswirkungen öffentlicher Alterssicherungssysteme

327

empirische Untersuchungen belegen, dass tatsächlich das Gegenteil der Fall war. Auch diese Erklärung kann daher ausgeschlossen werden. Wenn Kindererziehung stets rein konsumtiv motiviert war, muss die Erklärung für die Einführung öffentlicher Alterssicherungssysteme mithin modellexogen gesucht werden. Aus dem in Kapitel 4. entwickelten Modell selbstdurchsetzender impliziter Vertragsbeziehungen zwischen Familienmitgliedern konnte hingegen ein Grund für Staatseingriffe in individuelle Alterssicherungsentscheidungen abgeleitet werden, der sich in Einklang mit einer Vielzahl empirischer Beobachtungen befindet1. Die Einführung öffentlicher Alterssicherungssysteme ist danach Folge einer Schwächung der impliziten intrafamiliären Vertragsbeziehungen im Zuge des Industrialisierungsprozesses von Volkswirtschaften. Die mit der Industrialisierung verbundenen Veränderungen der Produktions- und Lebensweise führen zu einer raschen und unerwarteten Erhöhung der Nettoerziehungskosten, in deren Folge es für eine spürbar große Zahl von Individuen in der Erwerbstätigkeitsphase unmöglich wird, selbstdurchsetzende implizite Vertragsbeziehungen mit Familienmitgliedern einzugehen. Für die betroffenen Individuen ist es daher nicht mehr rational, sich an die Normen zu halten, die für das Verhalten von Familienmitgliedern bis dahin maßgeblich waren. Sie verzichten auf die Erziehung eigener Nachkommen und nehmen insbesondere keine Alterstransferleistungen an ihre Eltern vor, so dass diese die Grundlage ihrer Altersvorsorge verlieren und Altersarmut ausgesetzt sind. Das für den Industrialisierungsprozess typische verstärkte Auftreten von Altersarmut ist demnach auf eine abnehmende ökonomische Vorteilhaftigkeit der Erziehung von Nachkommen zurückzuführen. Regierungen reagieren auf die zunehmende Altersarmut mit der Einführung von Zwangsvorsorgesystemen. Um bereits bestehende Altersarmut abzumildern zu können, werden diese Systeme zumeist im Umlageverfahren organisiert. Der Einfluss, der von der Zwangsteilnahme an öffentlichen Alterssicherungssystemen auf die individuellen Erziehungsentscheidungen ausgeht, hängt erneut entscheidend davon ab, mit welcher Motivation Individuen ihre Kinder erziehen. In Tabelle 5.2 auf Seite 328 ist für die verschiedenen Modellansätze aufgeführt, ob und in welche Richtung öffentliche Alterssicherungssysteme Einfluss auf die durchschnittliche Kinderzahl È1 þ n€ê und die durchschnittliche Ausbildungsaktivität e€ einer Volkswirtschaft nehmen können. Dabei werden jeweils drei verschiedene Fälle unterschieden, OA deren Differenzierungsmerkmal das Verhältnis der Verzinsung È1 þ rê von Beitragszahlungen an ein öffentliches Alterssicherungssystem zur VerOA zinsung È1 þ rê von Anlagen auf dem Kapitalmarkt ist. Die Fälle È1 þ rê 1

Vgl. hierzu im Einzelnen die Ausführungen in den Abschnitten 4.4.1 und 4.4.3.

328

5. Schlussbetrachtung Tabelle 5.2 Auswirkung öffentlicher Alterssicherungssysteme auf Erziehungs- und Ausbildungsentscheidungen nach verschiedenen Modellansätzen

Modell

Auswirkung auf Erziehungs- und Ausbildungsentscheidungen

Welcher Art?

(1) Schwacher Altruismus

È1 þ rêOA > È1 þ rê

: Ja

È1 þ n€ê "

(2) Reiner Altruismus

(3) Paternalistischer Altruismus

È1 þ rê

OA

ã È1 þ rê

: Nein



È1 þ rê

OA

< È1 þ rê

: Ja

È1 þ n€ê #

È1 þ rê

OA

> È1 þ rê

: Unmöglich



È1 þ rê

OA

ã È1 þ rê

: Nein



È1 þ rêOA < È1 þ rê

: Nein



È1 þ rê

OA

> È1 þ rê

: Ja

È1 þ n€ê ";

È1 þ rê

OA

ã È1 þ rê

: Nein



: Ja

È1 þ n€ê #;

e€ #

È1 þ rêOA < È1 þ rê (4) Investitionsmotiv

e€ "

È1 þ rê

OA

> È1 þ rê

: Ja

È1 þ n€ê #;

e€ #

È1 þ rê

OA

ã È1 þ rê

: Ja

È1 þ n€ê #;

e€ #

È1 þ rê

OA

< È1 þ rê

: Ja

È1 þ n€ê #;

e€ #

> È1 þ rê und È1 þ rêOA < È1 þ rê konnten dabei in den hier entwickelten Modellen nur bei umlagefinanzierten öffentlichen Alterssicherungssystemen auftreten. Der Fall È1 þ rêOA ã È1 þ rê konnte hingegen sowohl in umlagefinanzierten als auch in kapitalgedeckten öffentlichen Alterssicherungssystemen vorkommen. Die in Tabelle 5.2 aufgeführten Fälle decken daher alle möglichen Organisationsformen öffentlicher Alterssicherungssysteme ab. Bei schwachem und paternalistischem Altruismus haben öffentliche Alterssicherungssysteme nur über ihren Einfluss auf die individuelle Ressourcenausstattung Auswirkungen auf die Erziehungs- und AusbildungsentOA scheidung. Wenn È1 þ rê < È1 þ rê ist und die Individuen durch die Zwangsteilnahme am öffentlichen Alterssicherungssystem einer impliziten Besteuerung unterliegen, nimmt ihre Nachfrage nach den (normalen) Konsumgütern Kindererziehung und Kinderausbildung ab2. Werden sie hin2

Wobei die gleichzeitige Abnahme von Kinderzahl und Kinderqualität bei paternalistischem Altruismus nur unter den in Kapitel 3.4 getroffenen Annahmen sichergestellt werden kann. Vgl. die Ausführungen dort.

5.2 Auswirkungen öffentlicher Alterssicherungssysteme

329

gegen im Fall È1 þ rêOA > È1 þ rê durch die Zwangsteilnahme am öffentlichen Rentensystem besser gestellt als bei (privater) Altersvorsorge über den Kapitalmarkt, dann nimmt ihre Ressourcenausstattung und darüber ihre Nachfrage nach den Konsumgütern Kindererziehung und Kinderausbildung zu. Ist das öffentliche Alterssicherungssystem kapitalfundiert oder verzinsen sich die Beiträge an ein umlagefinanziertes öffentliches Alterssicherungssystem (implizit) exakt wie Anlagen auf dem Kapitalmarkt, dann ändert sich die Ressourcenausstattung der Individuen durch die Zwangsteilnahme am öffentlichen Alterssicherungssystem nicht und ihre Erziehungsentscheidungen bleiben unverändert. Die Einführung eines öffentlichen Alterssicherungssystems hat in diesem Fall keine Auswirkungen auf die durchschnittliche Kinderzahl und das Ausbildungsniveau der betrachteten Volkswirtschaft. Unabhängig davon, ob und in welche Richtung die individuellen Erziehungsentscheidungen durch die Zwangsteilnahme an einem herkömmlichen umlagefinanzierten Alterssicherungssystem beeinflusst werden, weisen sie bei schwachem und paternalistischem Altruismus aus gesamtgesellschaftlicher Sicht in jedem Fall ein zu geringes Niveau auf. Die Zwangsteilnahme an einem kapitalgedeckten Alterssicherungssystem hat dagegen weder Einfluss auf die individuellen Erziehungsentscheidungen noch auf das Verhältnis der individuellen zur gesamtgesellschaftlich optimalen Kinderzahl. Bei reinem Altruismus kann es aus modelltechnischen Gründen nicht zum Fall È1 þ rêOA > È1 þ rê kommen3. Aus den gleichen Gründen ist in OA einem umlagefinanzierten Alterssicherungssystem auch der Fall È1 þ rê ã È1 þ rê nicht möglich. Die Einführung eines kapitalgedeckten AltersOA sicherungssystems mit È1 þ rê ã È1 þ rê hat keinen Einfluss auf die individuellen Erziehungsentscheidungen. Individuen reagieren auf die Zwangsersparnis im öffentlichen Alterssicherungssystem lediglich mit einer Reduzierung der freiwilligen Ersparnisbildung. In dem bei der Zwangsteilnahme an einem umlagefinanzierten öffentlichen Alterssicherungssystem modelltechnisch einzig möglichen Fall È1 þ rêOA < È1 þ rê hat der Staatseingriff in die individuellen Alterssicherungsentscheidungen keinen Einfluss auf die Erziehungsentscheidungen, so dass die durchschnittliche Kinderzahl der betrachteten Volkswirtschaft unverändert bleibt. Dieses Resultat ist darauf zurückzuführen, dass die Einführung eines umlagefinanzierten Alterssicherungssystems in diesem Modellansatz im Ergebnis keine intergenerationale Umverteilung an die erste Ruhestandsgeneration und damit auch keine implizite Besteuerung späterer Generationen zur Folge hat. Da sich die Ressourcenausstattung der Individuen nicht verändert, ändert sich auch ihre Erziehungsentscheidung nicht. 3

Vgl. hierzu die Ausführungen in Abschnitt 3.3.2.

330

5. Schlussbetrachtung

Wenn Individuen nur aus investiven Motiven Kinder erziehen bzw. in deren Ausbildung investieren, dann haben öffentliche Alterssicherungssysteme unabhängig von ihrer Rentabilität einen negativen Einfluss auf die durchschnittliche Geburtenzahl und die durchschnittlich vorgenommenen Ausbildungsinvestitionen. Die Einführung eines öffentlichen Alterssicherungssystems hat in diesem Fall zur Folge, dass einige Individuen, die ansonsten ihre Alterssicherung über implizite Vertragsbeziehungen mit ihren Nachkommen gewährleistet hätten, das Familiensystem verlassen und keine Kinder erziehen. Andere Individuen verbleiben im Familiensystem, aufgrund der intertemporalen Zwangsallokation eines Teils ihrer Ressourcen über das öffentliche Alterssicherungssystem erziehen sie jedoch weniger Kinder, als ansonsten der Fall gewesen wäre. Zudem verdrängen öffentliche Alterssicherungssysteme gerade jene Individuen aus dem Familiensystem, die anderenfalls relativ hohe Ausbildungstransfers an ihre Nachkommen vorgenommen hätten, so dass die durchschnittliche Ausbildungsaktivität abnimmt.

5.3 Schlusswort In der vorliegenden Untersuchung konnte gezeigt werden, dass sich kinderbezogene Rentenansprüche in umlagefinanzierten Alterssicherungssystemen wie der Gesetzlichen Rentenversicherung unabhängig davon ökonomisch rechtfertigen lassen, aus welchen Motiven Eltern Kinder erziehen und ob die individuellen Erziehungsentscheidungen durch die Zwangsteilnahme an diesen Systemen überhaupt spürbar beeinflusst werden. Auch bei rein konsumtiven Erziehungsmotiven haben Rentenreformen, die eine (teilweise) Bemessung der Rentenzahlbeträge nach der Kinderzahl vorsehen, Pareto-Verbesserungen zur Folge und sind dem Systemwechsel zu einem kapitalgedeckten Alterssicherungssystem als Reformstrategie selbst dann überlegen, wenn sich die Beitragszahlungen an das Umlagesystem auch nach einer kinderbezogenen Reform geringer als Anlagen auf dem Kapitalmarkt verzinsen. Der Berücksichtigung elterlicher Erziehungsleistungen sollte bei der Rentenbemessung jedoch ein ungleich stärkeres Gewicht zukommen, wenn individuelle Erziehungsentscheidungen (auch) investiv motiviert sind. Wenn dies der Fall ist, dann ist es zudem nicht sinnvoll, Alterssicherungssysteme isoliert zu betrachten, denn die in diesen Systemen institutionalisierten intergenerationalen Transferbeziehungen beschreiben nur einen Ausschnitt aus den gesamten privaten und öffentlichen Finanzierungsbeziehungen zwischen Mitgliedern verschiedener Generationen. In dieser Untersuchung wurde daher – in dieser Form erstmals – ein formales Modell entwickelt, dass die unterschiedlichen Anreizmechanismen und Zwänge intergeneratio-

5.3 Schlusswort

331

naler Transferbeziehungen innerhalb von Familien und innerhalb öffentlicher Systeme deutlich macht und dabei zugleich die Gefahren und die Chancen staatlicher Eingriffe in individuelle Entscheidungen mit starkem Familienbezug aufzeigt. Begreift man Familien als außerhalb des Marktes stehende Institutionen, deren Funktion unter anderem in der Bereitstellung von Gütern und Dienstleistungen besteht, die aufgrund von Marktversagen ansonsten nicht handelbar sind, dann wird anhand des im vierten Kapitels der vorliegenden Untersuchung vorgestellten Modellsklar erkennbar, welchen Schaden Staatseingriffe in die zerbrechlichen intrafamiliären Beziehungen anrichten können und welche Chancen es andererseits eröffnet, durch eine intelligente Rekonstruktion intrafamiliärer Transferarrangements Familienfunktionen zu unterstützen und/oder auf effiziente Weise zu substituieren. Die in der vorliegenden Untersuchung erzielten Ergebnisse liefern daher weit mehr als alte und neue Argumente für eine stärkere Berücksichtigung individuell erbrachter Erziehungleistungen bei der Rentenbemessung in umlagefinanzierten Alterssicherungssystemen. Sie machen zudem deutlich, dass alle staatlich organisierten intergenerationalen Transfersysteme als Substitut für fehlende Märkte und für die in industrialisierten Volkswirtschaften zunehmend brüchig werdenden intergenerationalen Transferbeziehungen innerhalb von Familien verstanden werden könnnen und es daher für eine umfassende Reform notwendig ist, alle intergenerationalen Finanzierungsbeziehungen transparent zu machen und explizit miteinander zu verknüpfen. Ein System, dem das gelingt, macht nicht nur die umlagefinanzierte Alterssicherung durch eine konsequente Leistungsbezogenheit der Rentenansprüche effizienter. Es liefert zudem ökonomische Anreize zur Erziehung von Nachkommen und sorgt zusätzlich dafür, dass in effizientem Ausmaß in die Ausbildung künftiger Generationen investiert wird.

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Sachwortverzeichnis Aktueller Rentenwert 56 Alters– armut 21–22, 260, 263–265, 273–274, 289, 293, 297, 327 – konsum 39, 115, 199, 210, 222, 261 – transfer 118, 212, 215, 219, 221, 230, 253, 273, 279, 286, 290, 294, 303, 306, 325 – vorsorgeanteil 80–81, 84, 94 Altruismus 193, 262 – paternalistischer 113, 165, 180, 186, 324–325, 328–329 – reiner 113, 155, 165, 182, 186, 324, 329 – schwacher 112, 155, 186, 323, 328–329 altruistischer Übergang 248, 298 Äquivalenzprinzip 34, 39, 77, 99 Äquivalenzrentnerquotient 41–42, 49, 57–59, 83–87, 92–94, 96–97 Aufwuchsziffer 237 Ausbildungs– aktivität 168, 175–176, 198, 210, 330 – finanzierung 173, 303–304, 311 – finanzierungsfonds 176, 178, 185 – finanzierungssystem 180, 184, 302, 315, 319 – investitionen 167, 173, 210, 227–228, 243, 254, 263, 275, 287–288, 291, 298–299, 304, 315–316, 325 – investitionen, optimale 200, 303, 306 – kosten 175, 302, 318 – kredite 199, 206–207, 211, 228, 230, 262, 275, 294, 300–301, 309, 311, 315, 325 – kreditmarkt, Problematik 202, 206, 211

– niveau 113, 176, 184, 240, 248, 257, 263, 273, 275, 282, 286, 289, 292, 297, 329 – prämie 244 – risiko 173, 176, 310 – technologie 167 – transfer 212, 215, 219, 221, 230, 253, 256, 266, 271, 273, 277, 282, 286, 302, 304, 306, 310, 316, 319 – zeit 198, 210 ausgabenorientierte Einnahmepolitik 40, 48, 53, 63, 71, 100, 279, 289 Babyboom 63, 102, 189 Besteuerung von Erziehungsleistungen 127 Bourgeoises Familienmodell 300 Bruttoanpassung 56, 87 – modifizierte 80, 87 Bundeszuschuss 87 Child-King 300 Deckungskapital – im Kapitaldeckungsverfahren 34, 106 – im Umlageverfahren 106–107, 184, 295, 317 demografischer Faktor 76, 79 demografischer Übergang 20, 241, 247, 259, 297 – erster 24, 249, 297, 299 – zweiter 24, 297, 299 Destabilisierung des Familiensystems 249, 256 doppelte Bürde 136, 144, 233 Drohung 204, 211, 213, 215

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– Glaubwürdigkeit einer 204, 206, 211, 213 dynastische Nutzenfunktion 113, 158 Eckrentner 55 Einkommenseffekt 122, 125, 143, 162–163, 187, 189, 243 einnahmeorientierte Ausgabenpolitik 40, 48, 75, 79, 81, 96, 99, 101, 278, 287–288, 317, 320 Elterngehalt 312 Elterngeld 137, 139 endogene Präferenzen 232 Entwicklungsländer 192, 234 Erbschaften 115, 157, 159, 165 – Netto- 163 Erwartungen – rationale 278 – statische 278 Erwerbsbeteiligung von Frauen 243 Existenzinteresse 129 explizite Einkommenssteuer bei einem Systemwechsel 145–146 Familien– lastenausgleichsystem 137, 141, 176, 179, 184, 324 – leistungsausgleich 137 – ökonomie 26–27, 108 – strategie 211, 215, 217, 219, 223, 254–255, 258, 260, 267, 273, 279, 282, 286, 289–290, 308 – system der Alterssicherung 22, 215, 222–223, 233, 258, 262, 279, 297, 300, 309–310, 316, 330 – verfassung 208, 211, 231, 252, 256 – verfassung, optimale 220, 230, 253 freiwillige Kinderlosigkeit 260, 296 Geburten– rate 20, 23, 102, 122, 186 – rückgang 20, 89, 102, 105, 186, 190, 235, 248, 257, 273, 289, 292, 296, 298

– zahl 59, 105 Generationengerechtigkeit 107, 279 Gesamtertrag der Familienstrategie 272 Gut – normales 117, 122 – öffentliches 127, 203 – privates 127 Humankapital 108, 165, 167, 198, 201 – -akkumulation 244 – -produktionsfunktion 198, 210 – -stock 244, 275 – Anlagen in 206, 211, 218, 228, 258, 275, 293, 296, 300, 304, 314, 325 – Eigentumsrechte an 203–204 – Nachfrage nach 243, 250 – Zugriffsrechte auf 207 hybrides Rentensystem 173, 175, 180, 184, 307, 319 individualistisches Familienmodell 300 Industrialisierung 21, 191, 235–236, 244, 250, 257, 260, 297, 300, 327 Industrielle Revolution 20, 235, 240, 243–244 Industriestaaten 192, 194, 234, 300, 307, 320 integrierte Familien- und Rentenversicherung 308 integriertes Intergenerationales Transfersystem 304, 319, 325 – Radikaler Übergang zu 315, 317 – Tendenzieller Übergang zu 317, 319 intergenerationale Kooperation 202 intergenerationale Vertragsbeziehungen – explizite 202, 228, 315 – implizite 194, 219, 228, 256, 262 Internalisierungsstrategie 132, 141, 143, 146, 151, 164, 172, 324 intrafamiliäre Vertragsbeziehungen 208, 211, 228, 256, 262, 294, 297, 308, 325

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– Ineffizienz 228, 230, 263, 301–302 – Instabilität 233, 256, 262, 293, 296, 301–302, 325 – rechtliche Unverbindlichkeit 219, 229, 233, 267, 293, 302–303 – selbstdurchsetzende 211, 213, 216, 219, 223, 229, 255, 257, 272, 286, 289, 296, 327 intrafamiliäres Kindererziehungskostenund öffentliches Ausbildungsfinanzierungssystem 310–311, 317

kombiniertes Ausbildungsfinanzierungsund Alterssicherungssystem 180, 303–304 Konsumexternalität der Kindererziehung – negative 151, 155, 178 – positive 130, 155, 164, 169, 178, 180, 189, 307, 323–324

Kapitaldeckungsverfahren 34, 39, 106, 123, 141, 183, 189, 266, 275, 290, 294, 326, 329 – Ineffizienz 270, 274, 276 Kausalitätsprinzip 104 Kinder– betreuung 151 – erziehungsertrag 129–130, 136, 140, 170, 184, 250, 296, 319 – erziehungskosten 115, 127, 130, 133, 139, 148, 157, 168, 176, 183, 222, 307, 309–310, 312–313, 318, 324 – erziehungskosten, Netto- 213, 251, 255, 268, 273, 304 – erziehungstypen 251, 255, 266, 272, 283 – rente 132, 136, 174–175, 183, 304–305, 311–312, 315, 318–319 – sterblichkeit 236, 239 – zahl im gesellschaftlichen Optimum 128, 131 – zahl im individuellen Optimum bei Familienlastenausgleichsystem 139 – zahl im individuellen Optimum bei Kinderrentensystem 132 – zahl im individuellen Optimum bei reinem Altruismus 161 – zahl im individuellen Optimum bei schwachem Altruismus 123 – zahl im Laissez-Faire 117, 124

marginale Individuen 256 Marktstrategie 211, 215–216, 218–219, 223, 254–255, 258, 267, 273, 279, 282, 286, 297, 304 Marktversagen 118 Moral Hazard 204 Motive der Erziehungsentscheidung 107–108, 112, 126, 194, 235, 296, 316, 322 – aktive 111, 288, 296 – Alterssicherungsmotiv 109, 235 – Einkommensmotiv 109 – inaktive 111, 193, 257, 286, 289, 316 – Investitionsmotiv 27, 110, 112, 192, 319, 330 – Konsummotiv 27, 109, 112, 190, 194, 286, 296, 307, 319, 326

Laissez-Faire 116–117, 121, 142 Lebenserwartung 20, 23, 37, 59, 77, 89, 96, 99, 320

Nachhaltigkeit 25 Nachhaltigkeitsfaktor 83–84, 94 Nettoanpassung 71, 74, 87 Nettoquote 71 Neuformulierungssicherheit 221, 223, 228, 253 Neuverhandlungssicherheit 220 Normen – gesellschaftliche 193, 207–208, 263 – intrafamiliäre 22, 208, 210, 212, 215, 245, 248, 260, 262, 278, 286, 296, 304 – rationale 208, 327

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Old-Age-Security-Hypothesis 192 Opportunitätskosten – der Familienstrategie 272 – der Kindererziehung 243, 251 Paradigmenwechsel 55, 79–80, 87, 103, 290, 317 Pareto-Verbesserung – und Kapitaldeckungsverfahren 141, 146 – und Kinderrentensystem 133, 136 paternalistische Staatseingriffe 118, 262, 266 Politökonomie 125, 293 Quantity-Quality-Tradeoff 166, 240, 244, 257–258, 297, 299 rein intrafamiliäres Modell 309 rein staatliches Modell 311, 313 Rekonstruktion intrafamiliärer Transferbeziehungen 301, 305, 308, 325 Renten– bezugsdauer 61, 89 – niveau 58, 71, 75, 86, 93–94, 317–318 – reform 1957 55, 294 – reform 1972 23 – reform 1992 71, 74, 101 – reform 1999 76 – reform 2001 80 – reform 2004 97, 101 – reform „auf der grünen Wiese“ 302, 308, 310 – zugangsalter 60, 89, 96 Reproduktionsniveau 102, 105 Risikopooling 118 Sanktions– mechanismus 212 – phase 215 sozialer Planer 128–129, 150, 169

Sozialisierung von Erziehungsleistungen 127, 291, 296 Sparquote 258 Standardrentner 56, 71 Startchancengerechtigkeit 311 Strategien im Familienverfassungsmodell 214–215 Strategiewechsler 255, 268, 273, 279, 286, 289 Substitution von Familienfunktionen 301, 308 Substitutionseffekt 143, 243 technischer Fortschritt 243, 250, 259 technologischer Schock 249–250 Teilhabeäquivalenz 277 Transferdupel 212 Umlageverfahren – als Durchsetzungsmechanismus 118, 294, 309 – als Versicherung gegen Kinderlosigkeit 118, 318 – ausgereiftes 39, 279 – Beveridgesches 153–154 – Bismarcksches 153–154, 183, 276 – Einführungsbedingungen 118, 121, 125 – Einführungsgewinn 39, 98, 125, 162, 279 – Einführungsmotiv 118–119, 125, 185, 190, 207, 261–262, 265, 276, 289, 293, 300, 326 – Einführungszeitpunkt 187, 297 – Funktionsweise 34, 53 – herkömmliches 107, 113, 126, 168, 174, 222, 232, 290, 300, 321 – implizite Rendite 35, 46, 99, 118, 136, 164, 169, 183, 186, 277, 279, 283, 285, 287–288, 291, 307, 324, 326 – implizite Staatsschulden 162 – implizite Steuer 44, 46, 50, 66, 68, 72–73, 78, 99, 103, 121, 141, 146,

Sachwortverzeichnis 162–163, 186, 284, 296, 320, 328–329 – Kritik 23 – Legitimationsgrundlage 297 – Neutralität 156 – Paradigmen 40, 55, 92 Umverteilung – intendierte 97 – intergenerationale 48, 52, 69, 74, 97, 104, 107, 156, 165, 186, 276, 329 – intragenerationale 99, 106–107, 276, 317, 321 Urbanisierung 20–21, 235, 245

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Versicherungsprinzip 40, 97 Verzinsung der Familienstrategie 218, 254, 258, 281–282 Verzinsung der Kindererziehung und -ausbildung im Familiensystem 218, 227, 229–230, 252, 256, 270–271, 285, 303, 306 Wanderungssaldo 62 Wiedervereinigung 87, 90 Zeitkosten der Kindererziehung 148 Zwangssparen 191, 265, 270, 272, 280, 289, 295, 316, 318