Alexander Lernet-Holenia : Grundzüge seines Prosa-Werkes dargestellt am Roman "Mars im Widder" 3416015525

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Alexander Lernet-Holenia : Grundzüge seines Prosa-Werkes dargestellt am Roman "Mars im Widder"
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Franziska Müller-Widmer

Alexander Lemet-Holenia Grundzüge seines Prosa-Werkes dargestellt am Roman „Mars im Widder”

Studien zur Germanistik, Anglistik und Komparatistik, herausgegeben von Armin Arnold und Alois M. Haas Band 94

Alexander Lemet-Holenia Grundzüge seines Prosa-Werkes dargestellt am Roman „Mars im Widder” Ein Beitrag zur neueren österreichischen Literaturgeschichte

von Eranziska Müller-Widmer

1980

Bouvier Verlag Herbert Grundmann • Bonn

Ich danke all jenen, die durch ihre Mithilfe die Entstehung dieser Arbeit ermöglicht haben, denn sie wäre nicht zustande gekommen ohne die zahlreichen mündlichen und schriftlichen

Hinweise von verschiedenster Seite. Mein Dank geht zunächst nach Wien, wo mir vor allem Frau Dr. Maria Felsenreich, Frau

Annemarie Franchy und Regierungsrat Ing. Lambert Binder be­ hilflich waren, sowie an Herrn Dr. Hermann Leisinger in

Küsnacht, Zürich. Im besonderen danken möchte ich meinen verehrten Lehrern Prof. Dr. Wolfgang Binder und Prof. Dr.

Alois Haas, die diese Arbeit von Anfang an beratend unter­ stützten.

Bryn Mawr, Philadelphia, im Januar 1980

Franziska Müller-Widmer

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek MÜLLER-WIDMER, FRANZISKA: Alexander Lernet-Holenia: Grundzüge seines Prosa-Werkes, dargest. am Roman ,,Mars im Widder“: e. Beitr. zur neueren österr. Literaturgeschichte / von Franziska Müller-Widmer. - Bonn: Bouvier, 1980. (Studien zur Germanistik, Anglistik und Komparatistik; Bd 94)

ISBN 3-416-01552-5 1SSN 0340-594X Alle Rechte Vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Buch oder Teile daraus zu vervielfältigen. ©Bouvier Verlag Herbert Grundmann, Bonn 1980. Printed in Germany. Druck und Einband: Hövelborn Druck und Verlag GmbH, Siegburg.

Für Felix

7

INHALTSVERZEICHNIS

I

VORWORT

II

ALEXANDER LERNET-HOLENIA UND SEIN WERK

1. Zum Stand der Lernet-Holenia-Forschung

11

2. Biografie

14

3. Persönlichkeit

16

4. Ueberblick über das Gesamtwerk

22

5. Vorbilder und künstlerische Entwicklung

III DER ROMAN "MARS IM WIDDER"

45

2. Romanhandlung

50

3. Grundmotive

55

VI

Leitmotiv: Schicksal und menschlicher Wille Verknüpfung von Liebe und Tod Die Hauptfigur Wallmoden Cuba und das Identitätsproblem Das Phantastische 1. Wirklichkeit und Traumwelt 2. Herr Oertel und Baron Drska 3. Astrologie 4. Die Wanderung der Krebse

55 61 68 73 80 80 95 98 104

4. Grenzen zur Trivialliteratur

109

5. Formale Aspekte

118

a) b) c) d) e) f)

V

27 45

1. Entstehungsgeschichte und historische Treue

a) b) c) d) e)

IV

9 11

Erzählperspektive und Rahmentechnik Standort des Lesers Dialogtechnik Spannung - Entspannung Sprache und Stil Abgrenzung gegen den modernen Roman

STELLUNG DES ROMANS "MARS IM WIDDER" IM GESAMTEN PROSA-WERK

118 122 125 128 131 135

142

STELLUNG LERNET-HOLENIAS IN DER OESTERREICHISCHEN LITERATUR SEINER ZEIT

150

1. Musil, Roth, Doderer und Lernet-Holenia

150

2. Entstehungszeiten und Erzählte Zeit

152

3. Grundthemen

156

4. Hauptpersonen der Romane

167

5. Verhältnis der Autoren zur Vergangenheit

175

ANMERKUNGEN

183

8

VII BIBLIOGRAFIE 1. Primärliteratur a) Werke von Alexander Lernet-Holenia 1. Gedichte 2. Dramen 3. Prosa 4. Aufsätze und Essays b) Werke anderer Dichter

2. Sekundärliteratur a) Ueber Lernet-Holenia b) Allgemeines

VIII REGISTER

194 194 194 194 194 195 197 197 198 198 200

203

I

VORWORT

In der vorliegenden Arbeit sollen die Grundzüge des epischen Werks von Alexander Lernet-Holenia untersucht werden. Da bis

anhin noch keine Gesamtwürdigung des dichterischen Schaffens

des Schriftstellers vorliegt, schien es angebracht, die We­ sensmerkmale an einem besonders geeigneten Beispiel, dem

Roman "Mars im Widder" darzustellen. Die Wahl fiel auf dieses

Werk, weil es einerseits alle für die Erzählweise des Dichters typischen Merkmale aufweist, andererseits auch durch die in­ haltliche Aussage zum Verständnis des Dichters Wesentliches

beiträgt und schliesslich - wie Kapitel IV zu zeigen

versucht - auch innerhalb des Gesamtwerkes eine bedeutende

Stellung einnimmt. Die Beurteilung in der eher spärlichen Li­ teratur über dieses Werk ist dementsprechend auch vorwiegend

positiv. Mit Rücksicht auf den ausserhalb Oesterreichs nicht

sehr hohen Bekanntheitsgrad des Autors habe ich dem zentralen Kapitel über die Untersuchungen zum Roman "Mars im Widder"

einige Abschnitte über Leben und Werk des Dichters vorange­

stellt, in denen Forschungsstand, Persönlichkeit Lernet-Hole-

nias und Gesamtwerk überblickartig dargestellt werden. Ebenso ist dort die Frage nach den geistigen und literarischen Vor­ bildern und der künstlerischen Entwicklung des Dichters unter­

sucht worden. Bei der Interpretation des Romans "Mars im

Widder" schien es mir angebracht, das umfangreiche übrige Prosawerk so oft als möglich in die Untersuchung miteinzu­

beziehen, um die Grundsätzlichkeit der Ergebnisse zu belegen. Das anschliessende Kapitel beschäftigt sich mit den Unterschie­

den, die sich zwischen dem vorliegenden Roman und der übrigen Prosa feststellen liessen. Durch einen Vergleich mit Romanen von Robert Musil, Joseph

Roth und Heimito von Doderer wird im Schlusskapitel LernetHolenias Stellung innerhalb der zeitgenössischen österreichi­

schen Literatur erörtert.

10

Neben dem umfangreichen Prosa-Werk mussten für die vorliegende Arbeit auch einzelne Dramen und Gedichte, vor allem aber zahlrei­

che Essays und Aufsätze des Autors in Zeitungen und Zeitschrif­ ten berücksichtigt werden. Auf die bereits vorhandenen Untersu­ chungen über den Autor und sein Werk wird der erste Abschnitt

näher eingehen.

II

ALEXANDER LERNET-HOLENIA UND SEIN WERK

1. Zum Stand der Lernet-Holenia-Forschung

"Alexander Lernet-Holenia ist schon deshalb als eine Art

von Genie festgelegt, weil es seiner Mitwelt, und vor allem seinem Vaterlande, noch ganz unmöglich erscheint,

ihn als ein solches anzuerkennen." Was Hilde Spiel schon im Jahre 1957, anlässlich des 60. Ge­ burtstages des Dichters feststellte, blieb bis in die jüng­ ste Vergangenheit gültig. Lernet-Holenias Werk galt gerade wegen seiner Vielfältigkeit nicht unbedingt als literarisch

hochstehend und gehaltvoll. An Kritikern, die sich über Ler-

nets Produktionen äusserst abschätzig äusserten, fehlt es denn auch nicht. Es sei hier nur auf die Aufsätze von 2) 3) Otto Basil und Tadeusz Nowarowski hingewiesen. Es versteht sich, dass ein so umstrittenes Werk wie LernetHolenias Dramen, Romane und Gedichte von der Forschung lan­

ge Zeit üoerhaupt nicht erfasst wurde. Die ersten Disserta­ tionen unter Professor Castle wurden 1950 in Wien geschrie­

ben:

Ingeborg Kowarna Jank

befasste sich mit dem epischen, Elfriede

' mit dem dramatischen Werk des Dichters. Beide Arbei­

ten gehen aber kaum über Inhaltsangaben hinaus und unterneh­

men keinerlei Versuche, die bis damals publizierten Werke zu interpretieren oder zu bewerten. Sie sind daher ledig­

lich als Gedächtnishilfe für Inhaltszusammenfassungen ver­ wendbar. Ganz anders verhält es sich mit der 1963 erschie6) nenen Dissertation von Ingeborg Brunkhorst über den Ro­ man "Die Standarte": wenn sich diese Arbeit auch ganz aus­

schliesslich mit dem bekannten Roman befasst, so wird doch

vieles deutlich, was ebenso für das ganze Schaffen LernetHolenias gesagt werden könnte. Der Dichter äusserte sich

12

denn auch sehr lobend und bezeichnete die Arbeit als "ausserordent­ lich" und "erstaunlich"7’.

Eine weitere Dissertation, die im Jahre 1972 erschien, darf nicht unerwähnt bleiben, obwohl sie sich nicht mit dem epischen Werk

Lernet-Holenias befasst: Die Untersuchungen zum dramatischen Werk des Dichters von Peter Pott ' . Diese Arbeit ist von beachtlicher

Ausführlichkeit und legt Wert auf einen umfassenden Ueberblick über sämtliche Dramen, ohne in schematischen Inhaltsangaben stecken zu bleiben. Damit hat das dramatische Werk Lernet-Holenias eine an­ gemessene Würdigung gefunden, die jedoch sowohl für das epische als

auch für das lyrische Schaffen des Dichters noch aussteht. Nach dem Grundsatz, dass ein Dichter zuerst sterben müsse, um offi­

zielle Anerkennung zu erlangen, sind denn auch zahlreiche kürzere

Arbeiten in Zeitungen und Zeitschriften zu erwähnen, die kurz nach Lernet-Holenias Tod (1976) erschienen. Ebenso finden sich anläss­ lich verschiedener Geburtstage, Preisverleihungen und Neuerschei­

nungen mehrere Artikel in den verschiedensten kulturellen Blättern, die in der vorliegenden Arbeit im Literaturverzeichnis aufgeführt

sind. Da der Tod Lernet-Holenias noch kaum drei Jahre zurückliegt, haben

auch in den Literaturgeschichten und Nachschlagewerken noch keine verbindlichen Gesamtdeutungen Eingang gefunden. Einzig die Kindler Literatur-Geschichte der Gegenwart in ihrem Band über die Zeitge9) nössische Literatur Oesterreichs beschreibt und interpretiert

das Gesamtwerk Lernet-Holenias in drei getrennten Kapiteln: Prosa,

Lyrik, Dramatik. Allerdings beruhen auch diese Artikel auf der Vor­ aussetzung eines noch nicht abgeschlossenen dichterischen Schaffens.

Erwähnenswert ist hier vor allem der Gesamtüberblick, der es ermög­ licht, Lernet-Holenias Werk in einen weiteren Rahmen der zeitge­

nössischen österreichischen Literatur einzuordnen. Zahlreiche

österreichische literaturgeschichtliche Nachschlagewerke befassen sich vorwiegend mit den epischen und lyrischen Werken des Dichters, so vor allem Norbert Langer^*^’ , Adalbert Schmidt^’ und Joseph

Nadler

12)

. Hingegen finden sich einige grundsätzliche Betrachtun­

gen über Lernet-Holenias Prosa-Werk in der Reihe "Untersuchungen

13

zur österreichischen Literatur des 20. Jahrhunderts" im Band 13) "Novellistik" von Robert Blauhut und im Band "Der Roman 14) (1. + 2. Teil) von Roland Heger ; hingegen geht Leo Kober (Hsg.)15) in derselben Reihe im Band "Das Erscheinungsbild der österreichischen Gegenwartsliteratur" kaum auf Lernet-Holenias

Werke ein.

Angesichts der Tatsache, dass die eigentliche Lernet-Holenia-

Forschung noch in ihren Anfängen steckt, habe ich neben zahlrei­ chen Abhandlungen in Zeitungen und Zeitschriften auch Essays und andere Publikationen des Dichters beigezogen. Es ist anzunehmen,

dass in nächster Zeit sowohl verschiedene Untersuchungen über

Einzelaspekte als auch Gesamtdarstellungen an die Oeffentlichkeit gelangen werden. Diese Entwicklung beruht nicht nur auf dem durch

den Tod Lernet-Holenias zu seinem Abschluss gelangten Schaffen, sondern begann schon erheblich früher, nämlich mit den Neu-Aufla­ gen von "Der Mann im Hut"

(1975), "Mars im Widder"

"Der Graf von Saint-Germain"

(1976) und

(1977) in der Reihe "Phantastische

Romane" im Zsolnay-Verlag, Wien. Derselbe Verlag plant auch die

Herausgabe eines Bandes "Ausgewählte Briefe" von Lernet-Holenia.

Aufgrund dieser Publikationen ist man versucht, von einer eigent­

lichen "Lernet-Holenia-Renaissance" zu sprechen; es wird eine der Aufgaben der vorliegenden Arbeit sein, den Ursachen dieser Renais­ sance nachzugehen.

14

2. Biografie

Lernet-Holenias Werke sind - wie sich in dieser Arbeit mehrfach zeigen wird - nicht nur durch seine Persönlichkeit, sondern

auch durch die äussern Lebensumstände deutlich geprägt, so dass es angebracht erscheint, auf den Lebens lauf des Dichters

kurz einzugehen. Alexander Lernet-Holenia wurde am 21. Oktober 1897 als Sohn

eines Marineoffiziers aus einem alten lothringisch-spanischösterreichischen Geschlecht, Alexander von Lernet in Wien gebo­

ren. Seine Mutter war eine geborene Holenia und in erster Ehe * mit einem Baron Boyneburgk verheiratet gewesen. Da die Eltern

Alexanders getrennt lebten und sich niemand um den Knaben küm­ merte, übernahm die Familie Holenia die erzieherischen Pflich­ ten: Alexander wurde von der Familie seiner Mutter in Kärnten

adoptiert und erhielt dadurch den Doppelnamen Lernet-Holenia. Mit knapp achtzehn Jahren leistete er bereits im ersten Welt­

krieg an der Ostfront Kriegsdienst. Seine Erlebnisse als Ka­

vallerieoffizier und vor allem der Zusammenbruch der Donaumo­ narchie, den Lernet-Holenia miterleben musste, fanden in zahl­

reichen späteren Werken ihren Niederschlag. Nach dem Krieg lebte er in Kärnten, wo er seine ersten Gedich­ te schrieb, die noch stark unter Rilkes Einfluss standen. Ril­ ke, wie auch Hermann Bahr, nahmen sich seiner an, und mit bei­

den pflegte er einen regen Briefwechsel. Im Jahre 1925 wandte

er sich vermehrt dem Theater zu, wo er mit seinem ersten Stück “Demetrius" auf Anhieb Erfolg hatte. Er erhielt 1926 den Kleist-Preis und 1927 den Goethe-Preis der Stadt Bremen. In der Zwischenkriegszeit hielt sich Lernet-Holenia vorwie­

gend in Südamerika auf, kehrte aber noch vor Ausbruch des Krieges nach Oesterreich zurück, wo er auch sofort wieder

Kriegsdienst zu leisten und am Polenfeldzug teilzunehmen hatte.

15

Wegen einer Verwundung wurde er jedoch noch im Jahre 1939 in rück­

wärtige Dienste versetzt und musste die Aufgabe eines Filmzensors

bei der Heeresfilmstelle in Berlin übernehmen. In den Kriegsjahreri konnte Lernet-Holenia mit seinen Werken nicht mehr an die Oeffent-

lichkeit gelangen: Abdruck und Aufführungen seiner Dramen und Er­

zählungen, insbesondere des Romans "Mars im Widder", wurden verbo17) ten. In dieser "inneren Emigration" wandte er sich vermehrt dexx

Romanen und Erzählungen zu, auf denen bis zu seinem Tode das Haupt­ gewicht seines Schaffens liegen sollte. Zwar schrieb er auch nach

dem Krieg weiterhin vereinzelt Dramen und Gedichte, aber die Prosa gewann zusehends an Bedeutung.

Zahlreiche Preise ehrten sein Schaffen: Der Preis der Stadt Wien (1951), der Grosse österreichische Staatspreis für Literatur (1961), der Adalbert Stifter-Preis der Stadt Linz (1967) und weitere Ehrun­

gen im In- und Ausland wurden ihm zuteil.

Von 1969 bis 1972 war Lernet-Holenia Präsident des Oesterreichi-

schen PEN-Clubs, legte aber anlässlich der Verleihung des Litera­ tur-Nobel-Preises an Heinrich Böll sein Präsidium unter Protest nieder.

Bis zu seinem Tod lebte er mit seiner Frau abwechslungsweise in

Wien und St. Wolfgang am See und vorübergehend auch in Küsnacht/ZH in der Schweiz. Er verstarb nach längerer Krankheit am 3. Juli 1976 im Alter von knapp 79 Jahren in Wien.

16

3. Persönlichkeit

Der Vielseitigkeit von Lernet-Holenias Werken und seinem Erfolg in allen drei Gebieten literarischer Gattungen entspricht auch die schillernde Persönlichkeit des Dichters. Es fällt schwer,

ihn an einem Standpunkt festzunageln, ja oft kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Lernet-Holenia selbst mit Absicht nichts dazu beiträgt, das Rätsel um seine Person zu lö­

sen. Hans Weigel kleidet dieses Phänomen mit einem gleichzeiti­ gen Lob in den Ausspruch:

"Die österreichische Literatur be­

steht derzeit aus zwei Autoren, aus dem Lernet und dem Holenia. Auch Siegfried Melchinger betont die Schwierigkeiten, Lernet-Ho­ lenias Persönlichkeit zu erfassen: "Janus, sagt man, hatte zwei

Gesichter. Menschen, lehrt uns die Psychologie, können mehr als zwei Gesichter haben. Der Mensch Alexander Lernet-Holenia...

besitzt eines der am wenigsten eindeutigen Gesichter, die ich 19) kenne." Und Friedrich Torberg betitelt seinen Aufsatz über 20) Lernet-Holenia schlicht: "Ein schwieriger Herr" . Zitate und

Aeusserungen dieser Art sind in der Literatur über Lernet-Hole­ nia in grosser Zahl zu finden. Sie alle zeigen uns einen Men­

schen mit seinen Widersprüchen und seiner Neigung, der Umwelt nicht ohne weiteres Einblick in seine persönliche Sphäre zu ge­ statten.

Will man den Dichter nach seinen eigenen Aeusserungen beurtei­

len, so zeigen sich grundsätzliche Schwierigkeiten: In allen

zur Veröffentlichung bestimmten Aufsätzen versteckt sich Ler­ net-Holenia hinter einer Maske aus Humor und Selbstironie,

die dem Leser einen eindeutigen Eindruck verunmöglicht. Am deutlichsten zeigt sich die bewusste Distanzierung des Dich­ ters von seiner eigenen Persönlichkeit

in einem autobiografi­

schen Artikel, in dem er über sich selbst in der dritten Person schreibt und so die Distanzierung und Ironie erst ermöglicht:

"Er hätte die ganze Zeit für einen liebenswürdigen Menschen gelten können, ist aber in den letzten Jahren immer schärfer geworden. Die Umwelt schiebt1s auf sein Alter. Er selbst, in

18

17

seinem Alter, schiebt’s auf die Umwelt— Wir meinen freilich, dass er mit seinem wachsenden Hang zum Kohlhaasischen immer mehr auch

die kohlhaasischen Schwächen an den Tag legt, wie denn Kohlhaas selbst auch in Kleists Novelle zum Scheitern verurteilt ist—"

21)

Der Vergleich mit Kleist und Kohlhaas ist sehr aufschlussreich,

nicht nur weil - wie wir sehen werden - Lernet-Holenias Sprache

und Satzkonstruktionen mit den kleistischen verwandt sind, son­

dern mehr noch weil sich Lernet-Holenia tatsächlich gerne wie ein Kohlhaas gebärdet:

Schon anlässlich der Verleihung des Kleist-Preises 1926 sorgte

Lernet-Holenia für Aufregung bei den offiziellen literarischen Kreisen. Von einem Theaterkritiker des Plagiats beschuldigt, ent­ schloss er sich kurzerhand, durch öffentliche Briefe die Rückgabe

des Preises bekannt zu geben.' Auch hier versteckt er sich gleich­ sam hinter einem bissig-polemischen Ton: "Ich selbst aber hatte keinerlei Idee, denn mir fällt leider prinzipiell fast nichts ein. ■

Ob die "Attraktion" tatsächlich vom "Krokodil"

(von Karl Strecker)

kopiert ist, weiss ich also nicht... Ich schreibe meine Stücke nur

der Tantiemen halber, und alle jene, die ihre Stücke auch nur der Tantiemen halber schreiben, sollten sich schämen, dass sie's nicht 22) ebenfalls eingestehen." Und "... ich mache aber dem vorwurfs­

vollen Geschwätz über meinen Kleistpreis einfach dadurch ein Ende,

dass ich diesen Kleistpreis zurückgebe."

Dieses Ende der Affä­

re war allerdings nur ein vorläufiges, denn kurz darauf nahm Ler­ net-Holenia den zurückgegebenen Kleist-Preis ein zweites Mal ent­

gegen .'

Dieselbe Vorliebe, gewisse literarische Kreise vor den Kopf zu stossen, zeigt sich im aufsehenerregenden Rücktritt vom PEN-Club-

Präsidium, der eine grosse Umwälzung im Club zur Folge hatte. Die

österreichische Avantgarde mit Schriftstellern wie Ernst Jandl und Friederike Mayröcker waren schon seit längerer Zeit um eine Aufnah­

me in den PEN-Club bemüht, die Lernet-Holenia allerdings als Prä­ sident zu verhindern trachtete. Mit dem spektakulären Rücktritt

aus Protest gegenüber Böll 1972 trat auch die österreichische Avantgarde in einen offenen Kampf mit dem PEN-Club und trat zum

"Anti-PEN-Club" unter der Leitung von Jandl zusammen.

18

So verschieden die beiden Beispiele auch sein mögen - im einen Fall wendet sich Lernet-Holenia gegen die etablierten kulturel­

len Kreise, im andern gegen die um Anerkennung bemühte Avantgarde

so sind sie doch nicht nur ein Beweis für Lernet-Holenias Alter und die Tatsache, dass er es nach all seinen Ehrungen und Preis­

verleihungen nicht mehr nötig hat, reformfreudig zu sein. Weit

eher lassen sich grundsätzliche Gemeinsamkeiten zwischen diesen beiden Affären erkennen:

Lernet-Holenia wollte offensichtlich nicht einfach der distinguier­ te Aristokrat sein, als der er von seinem Aeussern her und auch im Gespräch wirkte. Seine äussere Erscheinung war die eines Grand­

seigneurs mit perfekten Umgangsformen; sein Monokel und die Unter­ haltungen in vornehmem Flüsterton, verliehen ihm das Gehabe eines 24) Aristokraten aus der Donaumonarchie . Tatsächlich hatte ja Ler­

net-Holenia auch unmittelbaren Kontakt zur Welt des alten Oester­ reich als Kavallerie-Offizier und als Vertreter eines alten Adels­ geschlechtes. Nicht nur die meisten seiner Werke sind in der Ver­

gangenheit verankert, auch Lernet-Holenia selbst war geprägt vom Charakter der Donaumonarchie, deren Untergang er lange nicht ver­

schmerzen konnte. Vielleicht gründet seine Vorliebe für Polemik jeder Art gerade dar­ in, dass die Kreise, denen er sich zugehörig fühlte, eigentlich

längst der Vergangenheit angehörten. Es mag ein letzter Versuch

sein, die alte Welt, so wie sie uns in zahlreichen Romanen entge­ gentritt, gegen die neue, noch nicht verstandene, zu verteidigen

und aufrecht zu erhalten. Dass ein solches Unterfangen zum voraus zum Scheitern verurteilt ist, wusste Lernet-Holenia selbst sehr genau, wie sein Vergleich mit Kleists Kohlhaas beweist.

Es wäre allerdings verfehlt, anzunehmen, Lernet-Holenia habe sich

aus dieser unglücklichen Situation heraus in seiner Zeit nicht

mehr wohlfühlen können; im Gegenteil, die Fähigkeit, eigenen Pro­

blemen mit Humor und Selbstironie zu begegnen, ist eine besondere Stärke Lernet-Holenias. So kann es auch nicht erstaunen, dass es

ihm schliesslich doch gelang, die veränderten Zustände wenigstens

19

gelassen hinzunehmen. Dieser Wandel war allerdings nur durch das Erlebnis des zweiten Weltkriegs möglich, von dessen Auswirkungen auf Lernet-Holenias Werke noch die Rede sein wird.

Viele Werke, in denen aktuelle Themen angeschnitten werden, sind nur zu verstehen, wenn man erkennt, dass Lernet-Holenia nicht ausschliesslich ein einsamer Vertreter des K. u. K. Reiches war, sondern auch ein Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Nur so sind

auch Lernet-Holenias spitzige Publikationen über den österreichi­ schen Adel zu verstehen: Allen voran muss der Artikel "Adel und

Gesellschaft in Oesterreich"

' erwähnt werden, in dem sich Ler­

net-Holenia mit derartiger Unverfrorenheit über die adelige Ge­

sellschaftsschicht mockierte, dass die Reaktionen in den betrof­ fenen Kreisen an einen Skandal grenzten. Zu Recht fühlten sie sich

von einem der ihren angegriffen, besonders wenn sich Lernet-Hole­

nia nicht scheute, die gesamte aristokratische Klasse auf ihre

zoologische Abstammung vom Menschenaffen aufmerksam zu machen: "Seltsame Vorstellung, dass auch die edelsten Häuser, die gröss­

ten Grandseigneurs und die hübschesten Frauen von nichts anderem stammen.’"

; Die ganze Problematik um die adelige Herkunft, die

in seinen Werken durch ausführlichste genealogische Erläuterungen

zum Ausdruck kommt, wurde durch die Arier-Nachweisung des Dritten Reiches in ein anderes Licht gerückt. Daher ist es nicht erstaun­ lich, wenn Lernet-Holenia die Abstammungsfrage parodiert, indem

er bis zur Verwandtschaft aller mit allen zurückgeht: "Auf jeden Fall aber wird dabei klar, dass es wirklich keinen König zu geben scheint,

in dessen Adern nicht Bettlerblut, und keinen Bettler, 27)

in dessen Adern nicht Königsblut flösse."

Auch andere Schriften wie "Die Wiener Gesellschaft zu Anfang des 28) 29) Jahrhunderts” ' und "Die K. u. K. Vergangenheit" ' waren seinen Sympathien bei den aristokratischen Kreisen nicht gerade förder­ lich. So steht denn Lernet-Holenia letztlich allein da: mit der

Vergangenheit und ihren adeligen Relikten schliesst er ab, aber auch die literarische Avantgarde ist nicht seine bevorzugte Umge­

bung.

20

Hilde Spiel bezeichnet diese Entwicklung als den weiten Weg vom bewussten Erben und Glorifikator des alten Oesterreich, dessen

Konservativismus... auf Erhaltung des Bestehenden... gegründet war, bis zum liberalen Demokraten, der die Wiener Salons durch

seine plötzliche Renitenz zur Verzweiflung bringt. Doch ist es eine Entwicklung zu jenem geistigen Alleinsein zwischen allen La­ gern, das des genialen Menschen Bürde und Vorrecht ist."30) Wie genau sich Lernet-Holenia seiner Isolierung bewusst war, zeigt

die halb ernst-, halb scherzhafte Bemerkung über sich selbst: "Im Grunde bin ich ein konservativer Revolutionär."33) Das Bemühen, sich nirgends festzulegen, zeigt sich aber nicht nur in den gesellschaftlich-politischen Belangen und den Aeusserungen

über seine Persönlichkeit. Auch zu seinem Beruf als Schriftsteller hatte Lernet-Holenia ein eigentümliches Verhältnis: So konnte er beispielsweise in einem oben zitierten Brief behaupten, . 32) er schreibe wegen der Tantiemen möglichst publikumsgerechte Stücke. Ebenso gefiel er sich "in der Rolle des Herrn, der schreibt, um sein Brot zu verdienen".33) Diese Abwehrhaltung gegenüber dem Image eines

Künstlers und Bohémien zeigt, wie sehr Lernet-Holenia trotz vielfa­ cher gegenteiliger Aeusserungen den Konventionen verpflichtet war und sich durch seinen Beruf keinesfalls in Opposition zur bürgerli­ chen Gesellschaft stellen wollte. Sein Arbeitstisch war kaum grös­

ser als ein Nachttisch, sein Arbeitszimmer durfte nie nach schrift­

stellerischer Tätigkeit aussehen, und er selbst schrieb meist nur nachts, gewissermassen heimlich, während er am Tage seinen gesell34) schaftlichen Verpflichtungen nachkam. Es ist wohl kaum übertrie­

ben, zu behaupten, dass Lernet-Holenia den Dichter in sich nicht akzeptierte, ihn sogar verleugnete. Zu den Schwierigkeiten, die er hervorrief durch sein polemisches Verhalten jenen Kreisen gegenüber, zu denen er eigentlich auch gezählt hätte, treten also auch noch Schwierigkeiten mit seiner persönlichen Berufung. Lernet-Holenia

hat sich das Leben auf diese Art nicht leicht gemacht: Die Vergan­ genheit ist unversehens entschwunden, und was davon übrig blieb,

war nicht dazu angetan, des Dichters Sympathien zu erwecken.

21

Also blieb er ein Einzelgänger, dem wenigstens noch die Möglich­ keit geblieben wäre, sich in seinen Werken eine Welt aufzubauen, mit der er sich identifizieren könnte. Von dieser Möglichkeit

hat Lernet-Holenia nur ganz beschränkt Gebrauch gemacht: wohl hat er die ihm am ehesten entsprechende Zeit der Donaumonarchie

und ihres Untergangs immer wieder auferstehen lassen, aber über

seine Persönlichkeit erteilen diese Werke keinerlei Aufschlüsse. Gerade in den Reiter- und Militärromanen benützt er stets die Ge­ legenheit, sich durch (manchmal mehrere) Rahmen und Einleitungen

von der Erzählung zu distanzieren. Wer durch Lernet-Holenias Wer­ ke unmittelbaren Einblick in seine Persönlichkeit sucht, wird sich

daher enttäuscht sehen: seine Werke sind keine "Beichten" oder Be­ kenntnisse, sondern liefern dem Dichter weit eher eine Maske, hin­ ter der er sich geschickt zu verbergen weiss. Dieselbe Distanzie­ rung ist in allen Essays und Aufsätzen festzustellen und fehlt ei­

gentlich nur in den Briefen, die an enge Freunde gerichtet und nicht zur Veröffentlichung bestimmt waren.

Das Bedürfnis, nicht erkannt zu werden, spricht der Held des Ro­ mans "Die Auferstehung des Maltravers" stellvertretend für den Dichter aus:

"Nichts ist interessanter, als verwechselt zu werden"

35)

22

4. Ueberblick über das Gesamtwerk

Lernet-Holenia mochte sich zeitlebens nicht für eine bestimmte

literarische Gattungsform entscheiden. Im Gegenteil, gerade die Fähigkeit, sowohl auf dem Gebiet der Prosa, als auch der Dra­

matik oder Lyrik Wesentliches zur Literatur des 20. Jahrhunderts

beizutragen, ist in seinem Gesamtwerk nicht zu übersehen. Darüberhinaus beschränken sich seine Beiträge nicht etwa auf

einige wenige Gedichte, Dramen und Romane, sondern vor allem

auf den Gebieten der Dramatik und - fast noch auffallender der Prosa kennt seine Schaffenslust kaum Grenzen: Neben acht Gedicht-Bänden erschienen nicht weniger als dreissig Dramen-

und über fünfzig Romane und Erzählungen, ganz abgesehen von zahlreichen Essays, Aufsätzen und Uebersetzungen oder Gemein­ schaftsarbeiten mit andern Autoren für die Bühne.

Da aber Lernet-Holenia bekanntlich nicht ein ausschliessliches Schriftsteller-Leben führte, sondern den gesellschaftlichen

Verpflichtungen stets entgegenkam und die schriftstellerische Tätigkeit auf die Nachtstunden beschränkte, kann man wohl

schwerlich ein Staunen über so viel Produktivität und Schaf­

fensdrang unterdrücken. Lernet-Holenia musste sich denn weder die Einfälle noch deren sprachliche Gestaltung mühevoll abrin­

gen, der Text floss ihm sozusagen direkt in die Feder. Dement­ sprechend hat er auch kaum viel Zeit und Mühe für die Ueberar-

beitung und Korrekturen seiner Texte aufgewendet. Lernet-Hole­ nia macht aus der Leichtigkeit, mit der er Dramen und Romane verfasste, durchaus kein Geheimnis: Gegenüber Zuckmayer, der

an seinen Dramen manchmal über ein Jahr gearbeitet hat, meinte Lernet-Holenia: "Für ein Theaterstück braucht man ein verreg­ netes Wochenende."36^

Dass bei so grosser Produktivität nicht ausschliesslich Meister­ werke entstehen konnten, versteht sich von selbst. Vor allem

die vielen Dramen sind eigentlich zur Hauptsache Schwänke, de­

nen jegliche geistige Tiefe fehlt. Hans Weigel versucht zu

23

erklären, warum es den Theaterstücken an Gehalt mangelt: "Nebst

einem Hirn verfügt er (d. i. Lernet-Holenia) über ein lockeres Handgelenk, und diese Mischung ist unschätzbar. Nur geht es allerdings bei seinen etlichen Stücken solcher Art... so zu, dass die Verbindung Hirn-Handgelenk nicht schulgerecht funktio­ niert. Man. könnte auch sagen, sie funktioniert zu gut. Denn

was immer man - auf welcher Ebene auch immer - schreibt: Man muss daran glauben. Und Alexander Lernet-Holenias Hirn glaubt

nicht bedingungslos an das, was sein Handgelenk aufs Papier 37) schüttet." . Wie sehr sich Lernet-Holenia tatsächlich von sei­ nen Schwänken distanziert, erhellt schon ein offener Brief, der trotz des ironischen Tones durchaus des Dichters Standpunkt

sichtbar macht: "An wirklicher Dichtung gemessen, sind 'unsere'

Stücke ohnedem nur Quark. Das Publikum hat ein Recht darauf, das von Fachleuten gesagt zu bekommen, denn das Publikum selber _ „38) bemerkt es zu selten.

Die einstimmig negative Meinung der Kritiker über den literari­ schen Wert dieser Stücke verhinderte lange Zeit eine etwas ob­

jektivere Beurteilung derjenigen Dramen, die nicht zu den Schwän­ ken zu zählen sind. Immerhin stellt Gotthard Böhm fest, dass Ler­

net-Holenia mit seinem unbeschwerten Theater Neues liefere, "wo

das Angebot aus traditioneller ungarischer Quelle (von Molnar über 39) Bush-Fekete zu Fodor) versiegt ist." Ein Kompliment, über das sich der aristokratische Oesterreicher wohl nicht sonderlich ge­ freut hätte. Vor allem Peter Pott zeigt in seiner Arbeit über

Lernet-Holenias Dramen sehr deutlich, dass ernsthafte und heitere

Stücke, gehaltvolle und rein unterhaltsame nicht in denselben

Topf geworfen werden dürfen, denn zur Aufführung gelangten in den 20er und 30er Jahren tatsächlich fast ausschliesslich Schwän­ ke, die zahlreichen, erst später bekannt gewordenen, gehaltvolle­

ren Dramen

drangen

kaum an die Oeffentlichkeit und vermochten

so den Ruf Lernet-Holenias als Dramatiker nicht zu verbessern. Anlässlich des 50. Geburtstages und noch viel ausgeprägter des

60. Geburtstages des Dichters (21.10.1947 und 1957) erschienen etliche Würdigungen in Zeitungen und Zeitschriften, deren Verfas­

ser versuchten, dem Phänomen Lernet-Holenia

auf die Spur zu

24

kommen. Oskar Fontana erwähnt stellvertretend für viele Kritiker die erstaunliche Diskrepanz zwischen den humoristischen Theater­ stücken und den "echten" Dramen:

"Aber wie krass entgegengesetzt

solchem Spiel der geschliffenen Pointen und maskierten Figuren sind dann seine visionären Dramen, wie seine "Alkestis", sein

"Saul", sein "Demetrius"-Fragment, als hätte sie ein ganz ande­ rer geschrieben. Hier "Poetisches Theater" im höchsten Sinn, und 40) auf der andern Seite Schaumschlägereien eines Pfiffikus"

Nun beschränkt sich aber Lernet-Holenias "Virtuosität" keineswegs nur auf sein dramatisches Schaffen, fast noch auffallender ist die Vielfalt im erzählenden Werk.

"Wieviel Eingekapseltes ist

da, wie viel Verschlüsseltes, Verborgenes, Finguiertes, spiele­ risch Verschlungenes, Blendendes und Bluffendes, Anekdotisches 41) uid Maskenhaftes, aber immer wieder Faszinierendes". LernetHolenia hat auch über seine Romane einem Journalisten gegenüber

ähnliche Aeusserungen gemacht wie über seine Dramen, indem er ironisch und scheinbar seine eigenen Werke herabsetzend erklärte:

"Ein Roman muss sich vor allem zur Lektüre eignen. Eignet er sich

aber nicht zur Lektüre, das heisst: ist er nicht das, was man sich unter einem richtigen Roman vorstellt, so können ihn die Anhänger

des Autors für noch so schön halten, es wird ihn trotzdem niemand 42) lesen." Trotz aller Ironie streift Lernet-Holenia hier ein Grundmerkmal seiner Prosa: Die Leichtigkeit, mit der sich seine

Texte lesen, ist tatsächlich auffallend und erklärt, warum viele Werke eindeutig der Sparte "Unterhaltungsliteratur" zuzuordnen

sind. Ingeborg Brunkhorst weist in diesem Zusammenhang auf die

Einheitlichkeit des Prosa-Werkes hin, die man trotz der gewalti­

gen Unterschiede im literarischen Wert nicht übersehen darf. Der tiefere Grund, warum sich ein Roman oder eine Erzählung von Ler­

net-Holenia so leicht liest, ist wohl die Vorliebe des Dichters

für das Geschehen, für die Handlung, die Fabel. Im Zentrum sämt­

licher Prosa-Texte stehen Ereignisse, die den Leser durch ihren

spannenden Verlauf zu fesseln vermögen. Handlung, nicht episch­

breite Schilderung und schon gar nicht gedankenschwere Reflexio­ nen kennzeichnen die Erzählungen und Romane. Insofern besteht

25

also durchaus eine Einheit in der Vielfalt des epischen Werkes.

Der Unterschied im literarischen Wert liegt aber darin, dass es

Lernet-Holenia in seinen guten Romanen und Erzählungen gelingt, in die vordergründig sich abwickelnde Handlung gewissermassen einen inneren Handlungsablauf auf einer zweiten Ebene einzubauen,

der es dem Leser erlaubt, das Geschehen nicht nur vordergründig

zu verstehen (etwa im Sinne eines Kriminalromans), sondern gleich­ sam symbolisch auf eine höhere Stufe zu transponieren. Davon wird

aber im dritten Hauptkapitel noch ausführlich die Rede sein.

Zunächst werfen wir noch einen Blick auf das lyrische Schaffen des Dichters:

Erwartungsgemäss gewähren die Gedichte einen weit persönlicheren

Einblick in Lernet-Holenias Wesen, als dies die Dramen und Romane erlauben. Allerdings stammen die meisten Gedichte aus früheren Jah­ ren, nach dem 2. Weltkrieg hat Lernet-Holenia nur noch vereinzelte

Gedichte geschrieben. Der Dichter empfand seine Lyrik auch durch­

aus als persönliches Bekenntnis. So sind denn seine lyrischen Werke

weitaus am stärksten mit dem Zeitgeschehen, den Kriegser­

lebnissen, dem Untergang der Donaumonarchie, und einer längst ent­ schwundenen Vergangenheit verbunden. In einem Brief an Eduard

Hebra nennt Lernet-Holenia seine Gedichte sogar ein Mittel, um

mit der Gegenwart und der Vergangenheit fertig zu werden: schreibe Gedichte, um mir die geistige Haltung zu wahren."

"Ich 43)

Lernet-Holenias Ruhm gründete vorwiegend auf dem Erfolg seiner

ersten Gedicht-Sammlungen. Bereits 1921 erschien der Band "Pasto­

rale" und 1923 die Sammlung "Kanzonnair", mit der ihm der Durch­ bruch gelang. Selbst auf der Höhe seines Erfolges

galt bei vielen

Kritikern in erster Linie das lyrische Schaffen für das Wertvoll­ ste, mit dem sich weder Dramatik noch Epik messen konnten, so auch Otto Basil:

"Wir glaubten, über den Lyriker Lernet-Holenia einge­

hender handeln zu müssen, weil wir sein Gedichtwerk als ungemein bedeutsam für die österreichische Literatur ansehen; tatsächlich

ist es aus der Kunst- und Sprachentwicklung der nachexpressionisti44) sehen Aera nicht mehr wegzudenken." Die Ansichten über das ly­ rische Werk sind aber durchaus nicht so einheitlich, vor allem Karl Kraus hielt nicht zurück mit Spötteleien über die erfolgrei451

chen Gedichtbande

26

Unserer Ansicht nach ist es keineswegs erstaunlich, dass die

wissenschaftliche Forschung bis anhin das lyrische Werk LernetHolenias noch völlig unberücksichtigt liess. Zwar widmen die

auf Ueberblick und umfassende Gesamtinterpretationen angelegten

literaturgeschichtlichen Werke mehrheitlich auch dem Lyriker

Lernet-Holenia einen Abschnitt, aber eine Untersuchung, vergleich­ bar mit den Dissertationen von Ingeborg Brunkhorst und Peter Pott,

fehlt für die Lyrik gänzlich, obwohl ja Lernet-Holenia schon kurz nach dem 2. Weltkrieg sein lyrisches Werk abgeschlossen hat. Die

Ursache hierfür liegt m.E. darin, dass es Lernet-Holenia auf dem Gebiete der Lyrik am schwersten gelang, über seine Vorbilder denen das anschliessende Kapitel gewidmet ist - hinauszukommen.

Für alle seine Gedichte - von wenigen Ausnahmen abgesehen - gilt grundsätzlich dasselbe: Lernet-Holenia bleibt in einer festen, vor ihm bereits mehrfach erprobten Form stecken, aus der er den eigenen Weg nicht zu finden vermag. Lernet-Holenia ist nirgends

so ausschliesslich Epigone wie in seinem lyrischen Werk.

Wenn wir von den Schwierigkeiten gesprochen haben, Lernet-Holenias Wesen zu erfassen, müssen wir abschliessend festhalten, dass auch

seine nonchalante Haltung in mancher Hinsicht trügt: Lernet-Hole­ nia ist nicht der "leichtfertige" Schriftsteller, der seine Pro­ duktionen unkritisch und selbstbewusst der Oeffentlichkeit über­

lässt. Vielmehr legt er Wert darauf, diesen Eindruck - auch wenn er nicht immer der Wirklichkeit entsprach - überall zu erwecken, wie die Zitate aus den offenen Briefen deutlich belegen. In per­

sönlichen Briefen, die nicht für die Veröffentlichung bestimmt wa­

ren und in denen deshalb Lernet-Holenias wirkliche Haltung eher

zu erkennen ist, kommt sehr wohl zum Ausdruck, wie ernst auch

Lernet-Holenia seine Aufgabe als Dichter nehmen konnte: "Es gibt nichts Wichtigeres für den Künstler, als immer aufmerksam und sorg46) fältig zu sein, als läsen gleich Zehntausende mit."

27

5. Vorbilder und künstlerische Entwicklung

Nach den bisherigen Ausführungen erstaunt es wohl kaum, dass es Lernet-Holenia keinerlei

Schwierigkeiten bereitete, von

einer literarischen Gattung zur andern zu wechseln und sich hier wie dort in seinem Element zu fühlen. Und dennoch sind nicht alle drei Gattungen zu allen Zeiten seines Schaffens

gleichermassen vertreten: Die ersten literarischen Werke wa­

ren Gedichte, die allerdings ganz unter Rilkes Einfluss ent­ standen. Nicht nur Form und Gehalt dieser Gedichte, son­ dern auch die

Gesinnung und Weltanschauung des Dichters

wurden in den 20er Jahren stark von Rilke geprägt. Wie sehr ihm Rilke als Vorbild galt, erhellt schon die Tatsache, dass

er sich in den frühen 20er Jahren Alexander Maria Lernet nann­ te, auch in seinem Briefwechsel mit Rilke selbst kommt seine

grosse Verehrung für den Dichter der "Sonette an Orpheus"

und der "Duineser Elegien" zum Ausdruck. Umgekehrt äussert sich auch Rilke sehr anerkennend über Lernet-Holenia: So

schreibt er beispielsweise an die Fürstin von Thurn und Taxis über den Gedichtband "Kanzonnair":

"Es ist überra'schend, oft

herrlich, weit über die Erwartung hinaus... die reinste hin­

reissende Bewegung flutet und drängt aus ihr... man denkt nicht mehr, dass es anders sein dürfte... Enfin c'est un poèteJ"47^ Auch in seinem Briefwechsel mit Katharina Kippen­

berg erwähnt Rilke den jungen Lernet verschiedentlich und 48) weist auf seine hohe Begabung hin. Selbst Otto Basil, der sich über Lernet-Holenias spätere Wer­

ke nur noch sehr kritisch äussert, gesteht Lernet-Holenia in seiner frühen Lyrik Meisterwerke von besonderer Grösse zu: “Unverkennbar kam der neue Mann auch von einem Dichter her, dessen magisch-magnetische Persönlichkeit den um 1920 Jun­

gen und Jüngsten beinahe zum Verhängnis geworden wäre: von Rainer Maria Rilke." Ueber die "Sonette an Orpheus" und die "Duineser Elegien" hinaus "schien ein Vortasten in neuen Sprachraum nicht möglich. Für den jungen Alexander Lernet-

28

Holenia war es jedoch eine Kraftprobe von entscheidender Bedeu­

tung, etwa dort anzusetzen, wo der abendlich umschattete Rilke 4 9)

aufgehört hatte. Und diese Probe war gelungen."

Worin liegt nun die offensichtliche Nachahmung? Die Ueberein-

stimmungen lassen sich in vier verschiedenen Bereichen feststel­

len: in der elegischen Sprache, der Metaphorik, den religiösen Gefühlsinhalten und dem Grundgedanken der Weltverwandlung durch rühmende Sprache.

Selbst in späteren Gedichten Lernet-Holenias ist Rilkes Einfluss unverkennbar, wie beispielsweise im Gedicht “Die Bilder" aus der

Sammlung "Die Trophäe"

(1946):

Du über dem Spieltisch, über den silbernen Leuchtern; due Halbversteckter im Schatten des Vorhangs; du Schöne, nahe der Uhr; du im weissen Rocke? Herkunft und Ursprung? Verwandte.' Ihr meines Vaters Väter, ihr Männer der Mütter? Ihr Hundert (und mehr) jähr'ge als Jünglinge, ihr um Jahrhunderte älter als Alte? Bin ich denn wirklich, was ihr einst wart? Seid denn ihr, was ich bin, gewesen?

Also sind nicht nur die frühen Gedichte durch Rilke geprägt, ob­

wohl sich Lernet-Holenia schon mit der Sammlung "Das Geheimnis

St. Michaels"

(1927) deutlich von seinem Vorbild abwendet. Den­

noch bleiben Rilkesche Einflüsse bis in die am berühmtesten ge­ wordenen Romane hinein sichtbar: In der "Standarte"

(1934)

ist

von einem Soldaten (Menis) die Rede, der im Augenblick höchster Gefahr zum Fähnrich wird und trotz Meutereien und Verfolgungen seiner Standarte treu bleibt, ja sogar sein Leben aufs Spiel setzen muss. Rilkes "Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph

Rilke" hat die Handlung in der "Standarte" offensichtlich beein­ flusst. Selbst die Verknüpfung des Fähnrich-Schicksals mit dem

einer wartenden geliebten Frau (in beiden Werken auf einem

Schloss) und vor allem der Vergleich der Standarte mit einer liebenden Frau stimmen in beiden Dichtungen überein. Selbstver­

ständlich beschränken sich aber diese Aehnlichkeiten lediglich auf den Handlungsverlauf; weder die Charaktere der beiden Helden

29

noch die sprachliche Gestaltung und die Auffassung vom stets 50) drohenden Tod sind vergleichbar. Und dennoch beweist gerade die Gegenüberstellung der beiden Werke, dass sich Rilkes Ein­ fluss erstens nicht nur auf die Lyrik, zweitens nicht nur auf

die sprachliche Gestaltung und drittens nicht nur auf die frühe­ sten Werke beschränkte. Die spöttische Bezeichnung "Sterilke", 51) , ist aber sicher

mit der Karl Kraus den Dichter bedachte

nur inbezug auf wenige ganz frühe Gedichte gerechtfertigt.

Schon die nächsten Gedichtbände "Das Geheimnis St. Michaels" (1927) und "Die Goldene Horde"

(1933)

finden nicht überall ein

positives Echo. Basil meint, die Gedichte seien "in einer merk­

würdig künstlichen, dem erfundenen Dante-Deutsch Rudolf Borchardts verwandten Sprache geschrieben, gespickt mit preziös-antiquierten Ausdrücken, altfranzösischen und spät-lateinischen Vokabeln...

Die geistige Signatur dieser frühen Lernetschen Dichtung ist je52) denfalls unverkennbar: das Barock."

Der unmittelbare Einfluss Rilkes wird später durch einen weniger offensichtlichen Einfluss Hölderlins abgelöst: Die intensive Meta­

phorik und die Dynamik der frühen Gedichte weichen einer strengen, ausgewogeneren Form. Basil sieht in dieser Wandlung die Loslösung

vom Barock und die Hinwendung zu einer neuen Klassizität. Ausdruck dieser Entwicklung sind die Sammlungen "Die Titanen"

Trophäe"

(1946) und das Gedicht "Germanien"

(1945), "Die

(1946). Basil erhoffte

sich in seinem Aufsatz zum 50. Geburtstag des Dichters die Fort­ setzung dieser nun eingeschlagenen Richtung, die seiner Meinung nach zu einem "wirklichkeitsnahen Klassizismus" hinführen sollte.

Aber die Wandlung zur klassizistischen Form erwies sich rückblik-

kend beurteilt als Endstufe: Es trifft zwar durchaus zu, dass Lernet-Holenia in seinen Gedichten nach dem 2. Weltkrieg erstmals aktuelle Themen aufgreift, aber er kleidet die Problematik nicht

von ungefähr in die strenge, distanzierende Form fester Rhythmen. Das Gedicht "Germanien" zeigt, welche Aufgabe für ihn die Lyrik

übernommen hat:

30

In dir war niemand mehr, der nicht, zuletzt,

den Zaum, den er einst andern angelegt,

ins eigne Maul genommen ... Keinen gab es unter deinen Kriegern, der sich nicht, wenn man ihn mit dem Stocke schlug, den Stock erhofft, einst andere zu erschlagen...

Lernet-Holenia macht hier den letzten Versuch, mit den Ereignis­ sen des 2. Weltkrieges fertig zu werden. Wie schon in früheren Kapiteln erwähnt, ist es Lernet-Holenia nur in der Lyrik möglich, solchen persönlichen Anliegen Ausdruck zu verleihen. Die Thematik

dieser letzten Gedichtbände (nach 1950 erschien nur noch der Band "Gedichte"(1958)), beschränkt sich auf die Bewältigung der jüng­

sten Ereignisse. Es versteht sich daher, dass damit für den Lyriker Lernet-Holenia das Oeuvre abgeschlossen war, wollte er sich nicht

durch eine ganz andere Thematik und Form einen neuen Weg erschlies­ sen. Zugunsten der Prosa hat Lernet-Holenia nach dem 2. Weltkrieg

kaum mehr Gedichte verfasst. Interessanterweise fand aber bereits um 1925 nach Abschluss der

"Rilke-Phase" eine Loslösung von der Lyrik statt, damals aller­ dings zugunsten der Dramatik. Dieser Wandel erregte begreifli­ cherweise grosses Aufsehen, denn bis anhin war Lernet-Holenia

ausschliesslich als Lyriker an die Oeffentlichkeit getreten.

Sein erstes Drama "Demetrius"

(1926) rief Begeisterung hervor:

"Mit einem Satz sprang aus dem Wortgoldschmied des "Kanzonnair" der vollendete Tragiker heraus", rühmt Hermann Bahr, der zu den

wohlwollendsten Förderern und Freunden Lernet-Holenias gehörte, 53) die Leistung des Dichters auf dem Gebiet der Tragödie. Auch

Otto Basil kann nicht umhin, den "Demetrius" “neben Bronnens "Vatermord11 und Brechts "Baal“ als das stärkste Drama des Nach54 ) Die Verleihung des Kleist-

expressionismus" zu bezeichnen.

Preises (1926) und des Goethe-Preises der Stadt Bremen (1927) beweisen die Anerkennung, die Lernet-Holenias dramatisches Schaf­

fen überall fand. Ueber die Loslösung von der Lyrik und die Hin­

wendung zum Drama äusserte sich Lernet-Holenia selbst in einem

31

Aufsatz: "Ich halte nämlich den modernen Menschen für typisch

aktivistisch, und die Kunst, die ihm angemessen, muss aktivi­ stisch, dramatisch sein. Die rein betrachtende Kunst der Lyrik ist erledigt. Den ausgesprochenen Zusammenbruch der Lyrik hal­ te ich nicht für eine vorübergehende Erscheinung, sondern für

entscheidend und bleibend. Das war der Grund, warum ich zum Theater übergegangen bin. Das Gedicht ist eine private Beichte,

das Theaterstück ein ausgesprochenes Kunstwerk, das mit Beherr55) schung geschrieben werden muss."

Wie recht Lernet-Holenia mit diesen Ausführungen vor allem inbezug auf seine eigene künstlerische Entwicklung haben sollte,

zeigt die oben erwähnte Tatsache, dass auch der Versuch, nach dem zweiten Weltkrieg nochmals Gedichte zu schreiben, nicht von

Dauer sein konnte.

Mit dem Wechsel von der Lyrik zur Dramatik orientiert sich LernetHolenia auch an neuen Vorbildern. Wegweisend sind ihm Hugo von

Hofmannsthal, Arthur Schnitzler, Hermann Bahr. Vor allem mit Hofmannsthal verbinden ihn zahlreiche grundsätzliche Gemeinsam­ keiten. Zunächst stehen beide Dichter vor einer ähnlichen Situa­

tion: beiden ist die Zeit, in der sie aufwuchsen, und in der sie zeitlebens dachten, entschwunden, beide wenden sich in ihren Wer­ ken rückwärts und zeigen dadurch ihre Verbundenheit mit einer be­ reits vergangenen Zeit. Die Tatsache, dass sich sowohl für Hof­

mannsthal wie auch für Lernet-Holenia zahlreiche Vorbilder aufzäh­

len lassen, beweist die Vertrautheit der beiden Dichter mit dem li­ terarischen Geschehen der Vergangenheit. Beiden wird es dadurch

möglich, aus einem grossen Repertoire an Formen und Sprachstilen zu schöpfen, ohne sich deshalb auf rein epigonale Nachahmung zu beschränken. Die Virtuosität der Lernetschen Dichtungen, die

zahllosen Wechsel von literarischen Meisterwerken zu oberfläch­ lichen Unterhaltungsromanen und Boulevard-Stücken findet in der

umfassenden Kenntnis und Beherrschung verschiedenster Stilelemen­ te eine weitere Ursache.

32

Wie eng Lernet-Holenia mit Hofmannstahl auch geistig verwandt ist, mag folgendes Zitat von Lernet-Holenia belegen:

"Wir wis­

sen nicht, woher wir kommen, und nicht, wohin wir gehen. Wohl

kann die Philosophie versuchen, uns zu versichern, dass nichts

alles ist und alles ein Nichts. Wohl gibt es die Religion und ihre Tröstungen. Aber ist das mehr als eine Dekoration in unse­

rem Lebenstheater mit seinem undurchdringlichen Hintergrund, Maske vor dem Unerfassbaren — der Wahrheit, dem Absoluten? Der tiefste Grund liegt unendlich weit hinter diesem Dekor, unend­

lich weit hinter allem, was uns zugänglich ist, wie der Schnitt­ punkt der beiden Parallelen.Diese Bemerkungen sind für Lernet-Holenias Werk und Persönlichkeit sehr aufschlussreich, sie dokumentieren nicht nur seine Heimatlosigkeit in der Gegen­

wart und auch nicht nur die allgemeine Isolierung und Einsamkeit

des modernen Menschen des 20. Jahrhunderts, sondern sie sind gleichsam ein Zeugnis für die zutiefst persönliche Problematik

des Künstlers, aus der seine zahlreichen, auch allzu leicht hin­ geworfenen Werke entstanden: eine unüberhörbare Resignation: welche Aufgabe kann sich ein Dichter denn noch stellen, wenn die

Wahrheit nicht zu erfassen, nicht darzustellen und damit auch durch die Sprache nicht mehr auszudrücken ist?

Diese Gedankengänge führen einerseits zu Hofmannsthals "Brief des Lord Chandos", zeigen aber auch die Nähe Kleists, mit dem Lernet-Holenia tatsächlich in einer späteren Phase seiner künst­

lerischen Entwicklung bedeutende Gemeinsamkeiten aufweisen wird. Zunächst soll Lernet-Holenias Beziehung zum "Chandos-Brief" er­ läutert werden. Lernet-Holenia deutet die "Leere der Worte",

die"sich unaufhaltsam drehen", nicht nur als Verstummen der Spra­ che, sondern der modernen Literatur schlechthin:

"... was hier

zum ersten Mal gefühlt und gesagt ist, sollte ein halbes Jahrhun­

dert später nochmals von uns allen gefühlt und auf eine Weise ge­ sagt werden, als sagten wir1s zum ersten Male: der Begriff, die

Abstraktion, das Wort habe uns zuletzt dorthin geführt, wo wir

das Nichts erblicken. Wir wissen, dass es das Nichts in der Tat gibt, dass es vorhanden ist, wir glauben jetzt daran, wie wir

33

früher an Gott geglaubt haben, und wenn es überhaupt noch einen 57)

Gott gibt, wird er das Nichts sein."

Freilich haben sich diese Erkenntnisse auf Lernet-Holenias Werke

nicht in der Weise ausgewirkt, dass er sich von der Aufgabe

eines Dichters losgesagt hätte; aber immerhin ward er nicht müde,

sich gegen alles Avantgardistische abzusetzen, wie ja schon die Ereignisse um den österreichischen PEN-Club deutlich gezeigt ha­

ben.

Viel unmittelbarer ist Hofmannsthals Einfluss auf Lernet-Holenias

Komödien: "Ollapodrida"

(1926) und "Oesterreichische Komödie"

(1927). In beiden Theaterstücken geht es um die österreichische aristokratische Gesellschaft der K. und K. Monarchie, um Vertre­ ter einer vergangenen Epoche, die über den Verlust ihrer Welt nicht

hinwegkommen. Wie Hofmannsthal zeigt auch Lernet-Holenia die alte Welt in einer Form der Erstarrung. Ironie und Humor gegenüber den

nicht mehr "zeitgemässen"Aristokraten ist offensichtlich, aber beide Dichter kennen diese vergangene Welt so gut wie ihre Hel­ den, so dass sie sich niemals wirklich über die Helden mockieren, sondern sie eigentlich trotz ihrer Marotten und veralteten Ansich­

ten sympathisch finden. Das Wiener Publikum hat aus denselben Grün­

den die Lustspiele von Lernet-Holenia längst zu den österreichi­ schen Klassikern erhoben und ihnen stete Wiederaufführungen er­

möglicht: Im Theater an der Josefstadt wurde "Ollapodrida" zur

Eröffnung der Spielzeit 1974/75 zusammen mit Schnitzlers "Puppen­ spielern" aufgeführt.

Im Zusammenhang mit Lernet-Holenias Lustspielen von gesellschafts­ kritischen Tendenzen zu sprechen, Wie dies Vogelsang tut, scheint etwas gefährlich und missverständlich

: Von Gesellschaftskritik

im heutigen Wortgebrauch kann nämlich bei Lernet-Holenia nicht die Rede sein: Seine Kritik wendet sich nicht gegen Missstände

der gegenwärtigen Gesellschaftsschicht mit der damit verbundenen Forderung nach strukturellen Aenderungen. Er will vielmehr die Si­ tuation einer allzusehr in der Vergangenheit verwurzelten Gesell­

schaftsschicht aufzeigen, ohne dabei in irgend einer Weise Verän­

derungen am gegenwärtigen System zu bewirken. Der Blick des Autors

34

richtet sich gleichsam rückwärts und nicht vorwärts wie bei einem

modernen gesellschaftskritischen Stück. Betrachtet man aber Lernet-

Holenias Werke in einem grösseren Zusammenhang, so muss man sein Werk als letzten Vertreter jener Gesellschaftsliteratur erkennen,

die durch die politisch-soziologischen Umwandlungsprozesse in der Mitte des 19. Jahrhunderts hervorgerufen wurden. Diese "gesell­ schaftskritische" Literatur hatte ihren Höhepunkt mit Schnitzler

und Hermann Bahr um 1900 erreicht, Lernet-Holenia gilt also durch­ aus zu recht als Nachfahre dieser beiden österreichischen Dramati­ ker.59»

Insbesondere ist ein Vergleich mit Arthur Schnitzler aufschluss­

reich: als Darsteller einer vergangenen Epoche versuchen beide allerdings mit verschiedenen Mitteln - eine bestimmte Gesellschaft auferstehen zu lassen. Während Schnitzler differenzierte, psycho­ logisch analysierte Figuren zeichnet, bleibt Lernet-Holenia stets

der psychologisierenden Interpretation fern, zugunsten einer Dar­ stellung, die mehr Wert auf einen äusseren Handlungsreichtum legt.

Lernet-Holenias Lustspiele weisen allerdings grösstenteils auch die bei Hofmannsthal bekannte Feinfühligkeit und Differenzierung

in der Charakteristik der Figuren nicht auf: Lernet-Holenias Lust­ spiele wirken im Vergleich mit Hofmannsthals "Schwierigem" ver­

gröbert, derber und vordergründiger. Auch die besondere "Aristo­ kratensprache", durch die sich Hofmannsthals Lustspiele auszeich­

nen, wird bei Lernet-Holenia durch eine Mischung aller möglichen Dialektfärbungen ersetzt, "Vom fesch-schlampigen Rittmeisterjargon

der K. und K. Armee bis zum "Schönbrunnerisch" des alten Provinz60) adels". Hofmannsthals Bemühen um ein korrektes "Wienerisch" wird

durch zahlreiche Publikationen vor allem aber im Aufsatz "Unsere Fremdwörter" belegt, wo Hofmannsthal die österreichische Sprache

als Resultat der historischen Entwicklung und der vielfältigen

politischen internationalen Beziehungen begreift.

J Solche Studien

hat Lernet-Holenia kaum betrieben, einzig mit dem Gebrauch der

Fremdwörter bei Goethe und Stifter hat er sich kurze Zeit beschäf­ tigt, allerdings mit einer Hofmannsthal entgegengesetzten Absicht:

35

er strebte in vielen Prosa-Werken ein möglichst von jeder Dialekt62) färbung freies Deutsch an; Auf zwei Aspekte der Prägung durch Hofmannsthal soll hier noch

in Kürze eingegangen werden. Eines der Grundthemen im Gesamtwerk Lernet-Holenias bildet die Frage nach der Verwandlungsmöglichkeit

des Menschen, ein Thema, mit dem sich auch Hofmannsthals "Ariadne"

auseinandersetzt. Beiden Dichtern ist diese Frage durch die Ereig­ nisse der Zeit in besonderem Masse bewusst geworden. Lernet-Hole-

nia schrieb 1939 an Carl Zuckmayer, der unmittelbar vorher emi­ griert war: "Beklage dein Schicksal nicht, ich beneide dich darum.

Du wirst die Welt sehen, deren Gesetz die Verwandlung ist, Du

wirst in einer neuen Welt ein neuer Mensch sein. Verwandle Diehl 6 3) Verwandle Dich.’ Nur in der Verwandlung ist Leben.’ " Lernet-Holenia selbst hat diesen Aufruf in mancherlei Hinsicht für sein eige­

nes Leben zum Grundsatz gemacht.’ Ingeborg Kowarna weist darauf hin, dass Lernet-Holenia als genauer Kenner von Hofmannsthals Werken in seinem Roman "Der Graf von

Saint-Germain" (1948) eine Umdeutung des "Märchens der 672. Nacht" von Hofmannsthal eingebaut hat& : Im Gegensatz zu Hofmannsthals Held, kann sich der reiche Kaufmannssohn bei Lernet-Holenia nicht

gänzlich von der Umwelt abschliessen, die Zurückgezogenheit schützt

ihn vor der "Hässlichkeit der Welt" nicht. Hier taucht die bekannte Frage auf, wie weit die Rückgewandtheit in eine längst vergangene Welt überhaupt möglich ist, ohne dadurch

die Verbundenheit mit der Gegenwart, dem Leben schlechthin preis­ zugeben. Hofmannsthal verlor seinen Halt in der Gegenwart, Lernet-

Holenia hielt ihn dadurch aufrecht, dass er in seinem Werken die Vergangenheit überwinden und den Verlust der alten Welt wenigstens

teilweise verschmerzen konnte, um sich, wenn auch distanziert, der Gegenwart zuzuwenden. Zum Abschluss sollen zwei Zitate Hofmannsthals über Lernet-Holenia

die Einstellung des Aelteren zum Jüngeren erkennen lassen: "Er hat eine geistige und künstlerische Spannweite, die sich von der

Gestaltung des Idealen bis zur Gestaltung des völlig Unidealen

36

erstreckt, und der dabei immer bemüht ist, den Boden des Realen 65) zu gewinnen und nicht im luftleeren Raum zu bauen." Und in einem Aufsatz von Hilde Spiel heisst es: "Will man ihm den Lor­

beer nicht zugestehen, diesem Kavalier der Kunst, der, wie Hof­ mannsthal von ihm sagte, alles kann, was er will, dem so vieles zufliegt, um das andere sich vergeblich mühen, und der doch nur anerkennt, was er in seinen wahrsten und schwersten Stunden er-

Zwischen 1926 und 1939 sind zahlreiche Schwänke zur Aufführung gelangt: "Parforce" (1928),

"Lauter Achter und Neuner"

(1931)

bilden einen krassen Gegensatz zur Tragödie "Demetrius"

und den ebenfalls ausgezeichneten Einaktern "Saul"

"Alkestis"

(1926)

(1926) und

(1926). Man kann ganz offensichtlich nicht von einer

Entwicklung des Autors in Richtung Unterhaltungslektüre sprechen oder - wenn man sich die Gedichte nach 1945 vergegenwärtigt -

gar von einer Rückkehr zum gehobenen literarischen Werk. Viel­ mehr gehört es zu den Merkmalen von Lernet-Holenias Gesamtwerk, dass zwischen den Meisterwerken und der anspruchslosen Literatur

keine zeitliche Trennung besteht, dass beide Varianten seiner

dichterischen Arbeit gleichzeitig nebeneinander anzutreffen sind. Mit dieser Tatsache mag sich Otto Basil kaum abzufinden:

"Und wir

fragten uns, ob es nicht sonderbar sei, dass der sprachgewaltige

Tragiker des "Demetrius" und der wortbegnadete Hymniker des "Kanzonnair" und der "Goldenen Horde" sich in solch scharmant-ver­

sumpften Niederungen aufzuhalten vermag, ja dort zuhause zu sein

scheint, ohne die Contenance zu verlieren."

' oder:

"Lernet-Ho-

lenia ist also nicht nur ein Doppelname, sondern - unter den li­

terarischen Vögeln - auch ein Doppeladler: indes nämlich der eine

Kopf die Hymne "Germanien" dichtet, heckt der andere etwa "Das Finanzamt" aus... kurzum, es scheint manchmal der Lernet nicht zu 68 ) wissen, was der Holenia tut, und umgekehrt."

Während sich die Zeit, in der sich Lernet-Holenia intensiv mit der Lyrik befasste, klar abgrenzen liess, bleibt der Dichter ei­ gentlich bis fast zu seinem Tode immer noch gelegentlich Dramati­

ker. Allerdings sind seine späten Werke "Tohuwabohu"

(1961) und

3?

"Das Finanzamt" Umarbeitungen früherer Erzählungen und deshalb nicht unbedingt dazu geeignet, Lernet-Holenias schöpferische Tä­

tigkeit auf dem Gebiete des Dramas zu dokumentieren. Darüber

hinaus sind die späten Theaterstücke ausnahmslos Schwänke, auf die wir hier nicht weiter einzugehen brauchen. Tatsächlich fehlt es denn auch nicht an kritischen Stimmen, die

mit der Hinwendung Lernet-Holenias zur Dramatik den unaufhaltsa­

men Uebergang zur Trivialliteratur prophezeit hatten:

"Der Fall

Lernet, die Abwendung eines höchst produktiveA Talentes von dem lyrisch-dramatischen, dem Literaturmarkt fern gelegenen Quellge­

biet seiner Kunst, ist symptomatisch für das Theater der Gegenwart,

das seine Gesetze nicht mehr von einer kultivierten Minderheit, sondern von einer sensationsgierigen, künstlerischen Forderungen längst überdrüssigen Menge empfängt."

Lernet-Holenia rechtfer­

tigt sich mit einer bemerkenswerten Entgegenung: "Ich bin im Be­ griff, mich sehr zu verändern. Statt wie ein Chevalier errant auf 70)

Erden zu irren, finde ich mich irgendwie ins Leben".

Die "volksverbundenen", allem Elitären abgeneigten Theaterstücke sind also das vorhin erwähnte Mittel, sich der Gegenwart nicht

zu entziehen, sich nicht in der Retroperspektive aufzuzehren, sondern dem Leben zu stellen. Es wird aber noch eine nächste Ent­

wicklungsstufe (das Erlebnis des zweiten Weltkrieges) nötig sein,

um sich von der Vergangenheit endgültig lösen zu können.

Hierzu ist aber zunächst die schon früh (um 1930) erfolgte Hinwen­ dung zur Prosa erforderlich. Es ist ganz offensichtlich, dass Ler­ net-Holenias Interesse sich schon kurz nach der Entstehung der

ersten Dramen auf das Gebiet der Prosa verlagerte: Aus dem Theater­ stück "Nächtliche Hochzeit. Haupt- und Staatsaktion"

(1929) ent­

stand schon ein Jahr später unter demselben Titel der erste Roman.

In der Folge blieb das Prosa-Werk Lernet-Holenias Lieblingsgattung, auch wenn er im Anschluss an den 2. Weltkrieg nochmals zur Lyrik

zurückkehrt oder zwischendurch wieder einen Abstecher auf das

Theater wagt.

38

Die Gründe für diesen Wandel mögen vielfältig sein. Am naheliegend­ sten ist sicher die Feststellung, dass sich Lernet-Holenias

Grundprobleme - von denen im Kapitel IV die Rede sein wird weder für die Bühne noch für die persönlichkeitsbezogene Lyrik

eigneten. Darüber hinaus liegt Lernet-Holenias Stärke gewiss mehr in der zurückgezogenen Beschäftigung mit einem Stoff als im dauern­ den Kontakt mit Publikum, Schauspielern, Regisseuren auf der Bühne.

Carl Zuckmayer gesteht Lernet-Holenia allerdings noch eine weitere Motivation zu:

"Vielleicht verspürte er auch schon, hinter der

glanzvollen Fülle des damals theatralisch Dargebotenen, die kommen­

de Agonie des Theaters. Denn Lernet-Holenia hatte immer das Gespür

für den geheimen Wind- und Wellengang seiner Zeit, auch wenn er sich in seinen Schriften niemals, wie man das heute nennt, gierte'. "71)

'enga­

Wie dem auch sei, unbestreitbar bleibt Lernet-Holenias Hinwendung zur Prosa Ende der 20er Jahre und damit der Anfang eines umfang­ reichen epischen Werks. Der für viele unerwartete Uebergang von

der Dramatik zur Prosa kann durchaus nachvollzogen werden, wenn man sich die Stilmerkmale der Lernetschen Prosa vergegenwärtigt. Von

der Vorliebe für packende Ereignisse war schon die Rede. Gesche­

hen und Handlung wird stets so mitgeteilt, dass der Leser sich die Vorgänge vorstellen kann, ohne dass er mit allzu detaillier­ ten Schilderungen gelangweilt würde. Daneben aber wickeln sich

gerade die spannendsten Ereignisse nicht im (oft zu sehr Distanz schaffenden) Erzählstil ab, sondern sind in ein Gespräch, meist

in Dialoge eingefügt. Es ist naheliegend, dass der Dramatiker sei­ ne Vorliebe für Wechselreden und Streitgespräche auch in der Prosa

zum Ausdruck kommen liess. Dadurch wird der formale Unterschied

zwischen den beiden Gattungen kleiner, und die Möglichkeit, auch abwechslungsweise Dramen und Erzählungen zu schreiben, grösser. Es ist ja durchaus nichts Aussergewöhnliches, dass ein Dramatiker

ebenso anerkannte Leistungen auf dem Gebiete der Prosa vollbrach­

te, zu erwähnen wäre in erster Linie Max Frisch, mit dessen Werk Lernet-Holenias Werk allerdings keine weiteren Gemeinsamkeiten

aufweist.

39

Weit auffallender ist der Vergleich mit Heinrich von Kleist: auch er hat auf dem Gebiete der Dramatik und dem der Prosa

gleichermassen Meisterwerke vollbracht. Und ebenso wie bei

Lernet-Holenia sind seine Prosawerke von einer "inneren Dra­ matik" geprägt, die sich ebenfalls in der Dialogführung äus-

sert. Die Uebereinstimmungen sind so auffallend, dass auf den sprachlichen Aspekt im entsprechenden Kapitel nochmals auf

Kleists Einfluss einzugehen sein wird.

Aber Kleists Einfluss beschränkt sich keineswegs nur auf die sprachliche Gestaltung und den Aufbau von Wechselreden. In Lernet-Holenias Werken werden gewisse Grundthemen immer wie­

der angeschnitten, die sich mit der kleistischen Grundthematik

decken: Zunächst taucht die Frage nach der Identität eines Menschen immer wieder auf. Sie gründet sowohl bei Lernet-Hole­ nia als auch bei Kleist auf der Erkenntnis, dass die Wahrheit letztlich dem Menschen nicht zugänglich sei. Während sich Kleist

vor allem durch die "Kant-Krise" in seinem Weltverständnis zu­ tiefst erschüttert fühlte, war dieselbe Erkenntnis für Lernet-

Holenia nicht Anlass zu einer fundamentalen Erschütterung, son­ dern lediglich ein Grund mehr zu seiner resignierten Haltung.

"Aber ist das nicht alles Dekoration in unserem Lebenstheater mit seinem undurchdringlichen Hintergrund, Maske vor dem Unfassbaren

der Wahrheit, dem Absoluten? Der tiefste Grund liegt unendlich

weit hinter diesem Dekor, unendlich weit hinter allem, was uns 72) zugänglich ist, wie der Schnittpunkt der beiden Parallelen." Dagegen wirken Kleists Briefe im Anschluss an seine Kant-Lektü­

re wie Notschreie. "Wir können nicht entscheiden, ob das, was wir Wahrheit nennen, wahrhaft Wahrheit ist, oder ob es uns nur

so scheint. Ist das letzte, so ist die Wahrheit, die wir hier sammeln, nach dem Tode nicht mehr - und alles Bestreben, ein

Eigentum sich zu erwerben, das uns auch in das Grab folgt, ist

vergeblich - r...l Mein einziges, mein höchstes Ziel ist gesun73) ken, und ich habe nun keines mehr. Eine weitere Uebereinstimmung zwischen Kleist und Lernet-Holenia

hängt mit der Wahrheitsproblematik zusammen: Bei beiden schlug sich die Feststellung, dass die Wahrheit nur bedingt erkennbar

40

sei, unmittelbar im Werk nieder. Die Thematik der Verwechslungen

und die damit verbundene Frage nach der Identität eines Menschen taucht bei beiden Dichtern mehrfach auf. Kleists Alkmene sieht

sich vor die unmögliche Unterscheidung zwischen Jupiter und Amphitryon gestellt, Lernet-Holenias Helden haben oft Doppelgän­

ger (z.B. Cuba Pistohlkors in "Mars im Widder"), sind selbst von den Toten auferstanden (wie Maltravers in "Die Auferstehung des

Maltravers") oder tragen so viele verschiedene Namen, dass ihre Identifizierung nicht mehr möglich ist (Hackenberg

in der

"Standarte"). Während aber bei Kleist die Situation des Menschen,

der seiner Unfähigkeit, Wahrheit zu erkennen, bewusst wird, emi­

nent tragisch ist, vermag sie bei Lernet-Holenia niemals eine innere menschliche Not auszudrücken. Vielmehr haftet den Ver­

wechslungsfällen meist etwas Unheimliches an, das durch mancher­

lei bis zum Schluss der Erzählung ungeklärte Fragen noch verstärkt wird, gelegentlich kann das Unheimliche sogar ins Komische umschla­ gen. In jedem Falle aber steht der Leser soweit ausserhalb des Ge­

schehens, dass er sich zwar durchaus in die Ereignisse einbezogen

fühlen kann, aber die Identifikation mit einem Menschen, der einer

Verwechslung unterliegt, und den damit sich aufdrängenden Problemen wird selten ermöglicht.

Dieser grundsätzliche Unterschied in der Behandlung des "Identi­ tätsproblems" ist nicht nur auf die verschiedenen Charaktere der

beiden Dichter zurückzuführen, auf den Gegensatz zwischen Kleists

fundamentaler Erschütterung durch die Kant-Lektüre und Lernet-Ho­ lenias distanzierter Resignation. Darüber hinaus stehen sich hier zwei grundsätzlich verschiedene Gestaltungs- und damit auch Deu­

tungsmöglichkeiten von literarischen Stoffen gegenüber.

Auf der einen Seite steht die Tatsache, dass bei gewissen Schrift­ stellern jedes auch noch so ernste Thema in einen humoristischen Ton umschlägt, dass aus jeder Tragödie schliesslich eine Komödie

mit

glücklichem Ausgang wird. Auf der andern Seite steht der Dich­

ter, unter dessen Einfluss auch die heitersten Ausgangssituationen

zu einem unglücklichen tragischen Ende führen oder mindestens zu führen drohen. Kleist mit seinem "Amphitryon" gehört zu dieser

Gruppe, Lernet-Holenia hingegen gehört - nicht nur mit seinen

41

"leichten Stücken" - durchwegs zur erstgenannten Art von Dichtern.

Mit diesen letzten Feststellungen sind wir aber bereits bei den

trennenden Merkmalen zwischen den beiden Dichtern angelangt. Den­ noch sind die Uebereinstimmungen nicht zufällig: Lernet-Holenia

selbst hat in einem Interview mit Ingeborg Brunkhorst Kleist als 74) . • sein grosses Vorbild bezeichnet. Freilich bezog sich diese

Aussage vorwiegend auf sprachliche und stilistische Elemente, lässt sich aber, wie wir gesehen haben, auch auf inhaltlicher

Ebene nachweisen. Die Einflüsse auf Lernet-Holenias Prosa beschränken sich aber kei­ neswegs auf Kleist allein, vielmehr ist Lernet-Holenia noch mit

einem typischeren Vertreter der romantischen Epoche verbunden. Dies erstaunt einerseits ziemlich. Denn es ist nicht selbstver­ ständlich, dass sich ein Vertreter des 20. Jahrhunderts, dem alle naturwissenschaftlichen und technischen Errungenschaften des 19. Jahrhunderts und die Erfahrungen der Gegenwart bewusst sind, mit einer Epoche wie der Romantik verbunden fühlen kann. Tatsächlich

hat sich Lernet-Holenia unseres Wissens auch nie dahingehend ge-

äussert. Andererseits lässt die offensichtliche Vorliebe Lernet-Holenias für phantastische Stoffe aber durchaus einen Vergleich mit E.T.A.

Hoffmann zu. Beide Dichter bauen ihre Erzählungen gerne so auf,

dass sich zwar am Schluss das Rätsel löst, aber dennoch beim Le­ ser ein Gefühl des Unbehagens zurückbleibt. Das Unheimliche ist bei beiden nicht durch ein glückliches Ende der Erzählung wegzu­ schaffen, der Leser kann zwar - und ist es bei Lernet-Holenia fast ausschliessslich - am Schluss erheblich erleichtert sein,

aber das Gefühl, nicht alles verstehen zu können, bleibt. Bei

E.T.A. Hoffmann ist diese Reaktion des Lesers allerdings viel ausgeprägter als bei Lernet-Holenia, denn im Vergleich zu E.T.A.

Hoffmann bleibt Lernet-Holenia in allen Erzählungen der Wirklich­ keit wesentlich näher verbunden, das Phantastische erhält eigent­

lich keine Selbständigkeit wie in vielen Werken E.T.A. Hoffmanns.

Dementsprechend sind auch Handlung, Stoff und Handlungsverlauf

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durchaus unserer Wirklichkeit entnommen. Umso deutlicher treten

dann allerdings die Uebergänge ins Phantastische hervor. Am Rande sei noch auf eine Aehnlichkeit der beiden Autoren inbezug auf ihre Lebenseinstellung hingewiesen; Sowohl E.T.A. Hoffmann als auch Lernet-Holenia schrieben ihre Erzählungen sozusagen heim­ lich, nachts, während sie tagsüber ihrem Beruf (E.T.A. Hoffmann

als preussischer Beamter) oder ihren gesellschaftlichen Verpflich­

tungen nachgingen. Für beide war die schriftstellerische Tätigkeit ein Bereich für sich, der offenbar mit der Wirklichkeit des Alltags, dem Leben und der Gegenwart schlechthin wenig gemein hatte.

Hilde Spiel weist auf eine weitere Parallele zur Romantik hin: die

in vielen Werken des Dichters feststellbare Auffassung, dass nur die unerreichbare Liebe wirkliche Erfüllung bringen könne, ent­ springt durchaus romantischen Vorstellungen und wird in einem spä75) tern Kapitel noch zu erläutern sein.

Die bereits erwähnten Einflüsse auf Lernet-Holenias Gesamtwerk

bedürfen noch einiger Ergänzungen: Verschiedene österreichische Zeitgenossen sollen hier überblickartig mit Lernet-Holenia in Be­

ziehung gebracht werden:

Der Versuch, den Untergang der Donaumonarchie dichterisch zu gestal­ ten, erinnert zunächst an Robert Musils "Mann ohne Eigenschaften".

In der "Standarte" schliesst auch Lernet-Holenia mit der K. u. K.

Monarchie ab, er tut es aber weit weniger kritisch als Musil und blickt im Grunde genommen wehmütig auf die vergangene Zeit zurück; dementsprechend ist auch die Wiener Aristokratengesellschaft kei­ neswegs dekadent dargestellt. Die epische Ausführlichkeit, ver­

knüpft mit zahlreichen Reflexionen und Einschüben, wie sie Musils

Werk kennzeichnet, ist Lernet-Holenia ebenfalls fremd. Viel näher stehen ihm Heimito von Doderer, Joseph Roth, Franz Kiessling und Karl Kraus. Alle vier lassen die Vergangenheit in ihren Werken

immer wieder auferstehen, nicht zum Zwecke der kritischen Aus­

einandersetzung, sondern die Vergangenheit wird als Bestandteil unseres Daseins betrachtet wie die Gegenwart: Doderer war nicht

zufälligerweise Mitglied des Institutes für österreichische Ge­

schichtsforschung und Karl Kraus nannte sich selbst mit Stolz

43

einen Epigonen, aber auch Kiesslings Werke befassen sich mit der

Vergangenheit in einem umfassenden Sinne: der rückwärtsgewandte

Blick scheint für mehrere österreichische Dichtergenerationen typisch zu sein: auch Rilkes Weltverständnis gründet auf der

Verwandlung des Vergangenen in den berühmten "Weltinnenraum". So verschieden sich die genannten Dichter mit der Vergangenheit

auch auseinandersetzen, gemeinsam bleibt ihnen die Verbundenheit mit der eigenen Geschichte. Adalbert Schmidt erinnert in diesem Zusammenhang an einen Ausspruch Hofmannsthals, der gleichfalls

fraglos zu den oben erwähnten Dichtern gehört: "Wer Oesterreich sagt, sagt ja: tausendjähriges Ringen um Europa, tausendjährige 7 6) Sendung durch Europa, tausendjähriger Glaube an Europa."

Lernet-Holenias Distanzierung von der Gegenwart, seine Rückge­ wandtheit entsprechen mithin einer alten österreichischen Tra­

dition, die fortzusetzen sich Lernet-Holenia keineswegs bewusst bemühte, vielmehr entsprach die Beschäftigung mit der Vergangen­

heit in jeder Hinsicht seiner Persönlichkeit. Hier drängt sich freilich die.Frage auf, wieweit sich solche grundsätzlichen Merkrrale tatsächlich durch das gesamte Schaffen Lernet-Holenias nach­

weisen lassen. Inwiefern kann bei Lernet-Holenia überhaupt von

einer künstlerischen Entwicklung gesprochen werden? Zunächst haben wir festgestellt, dass der Dichter schon sehr früh (1921) mit seinen ersten Gedichten an die Oeffentlichkeit gelangte, sich aber bereits vier Jahre später von der Lyrik distanzierte,

um sich dem Drama zuzuwenden. Fast gleichzeitig schrieb er aber seine ersten Erzählungen. Fortan blieb das Hauptgewicht seines

Schaffens auf dem Gebiet der Prosa, weshalb sich Veränderungen in seiner Weltanschauung und seiner Einstellung zur Vergangenheit

auch vorwiegend im erzählenden Werk erkennen lassen, weit weniger in der Lyrik und nahezu überhaupt nicht in den Dramen. Diese Tat­ sache veranlasste Hebra zur Feststellung, dass sich im Grunde in

Lernet-Holenias Werk keine grundsätzlichen Veränderungen ergeben haben:

"Er tritt fertig in Erscheinung. Er beherrscht das Handwerk

seiner Kunst so früh, dass in diesem Punkt kaum eine Entwicklung festzustellen ist, und wenn das allzu genaue Wissen um Wirkungs­

mittel sonst eine Gefahr der Gereiften, der Alternden ist, so

44

fühlt sich Rilke gedrängt, den in den Anfängen seiner Kunst Ste77) 'Vous abusez de vos moyens.'" Wie recht

henden zu warnen:

Hebra mit diesen Bemerkungen hat, zeigen die wesentlichen Kon­ stanten in Lernet-Holenias Werk: schon von allem Anfang an zei­

gen sich vollendete Werke neben völlig oberflächlichen. Guido

Gaya formulierte dies treffend: "Dieser Gegensatz war schon von Anfang einer Entwicklung zu konstatieren, deren Zweigleisigkeit

auch weiterhin andauerte, und hatte zur Folge, dass Lernet-Hole78) nia zwiespältig, ja ungerecht beurteilt wurde." In der Tat wurde es Lernet-Holenia sehr übel genommen, dass er sich erlaubte, mit sogenannter "Unterhaltungsliteratur" an die Oeffentlichkeit

zu gelangen. Man wollte daher auch gewisse Veränderungen in sei­ nem literarisch anerkannten Werk nicht zur Kenntnis nehmen. Eine

- wie mir scheint - grundlegende Entwicklung wird dem Dichter da­ her kaum zugestanden. Es liegt mir daran, im Verlaufe dieser Ar­ beit auf die Möglichkeiten einer solchen Entwicklung hinzuweisen

und gerade am Beispiel des Romans "Mars im Widder" zu zeigen, dass Lernet-Holenia mit dem zweiten Weltkrieg auch seine Einstellung

zur Gegenwart, zur Vergangenheit und vor allem auch zu seinem ei­ genen Werk grundsätzlich ändert. Zusammenfassend bleibt erstens festzuhalten, dass sich Lernet-Ho­ lenia sowohl als Nachfahre der romantischen Epoche und der litera­

rischen Strömungen um 1900 wie auch als Vertreter der den Tradi­

tionen verbundenen österreichischen Schriftsteller-Generation be­

greift.

Zweitens sind ihm auf allen Gebieten seines Schaffens grosse Vor­

bilder wegweisend geworden: Rilke für die Lyrik, Hofmannsthal und Schnitzler für die Dramatik und Kleist für die Prosa. Drittens darf Lernet-Holenias "Zweigleisigkeit" in seiner schrift­

stellerischen Tätigkeit nicht zum Schluss verleiten, in Lernet-Ho­

lenias Werken sei keine künstlerische Entwicklung feststellbar. Vielmehr darf letztens eine Veränderung in Lernet-Holenias Welt­

verständnis nicht übersehen werden, was am Roman "Mars im Widder" belegt werden soll.

III

DER ROMAN "MARS IM WIDDER

1. Entstehungsgeschichte und historische Treue

Die Entstehung dieses Romans ist aus mehreren Gründen so eng mit der Frage nach der historischen Treue ver­

knüpft, dass sich die beiden Themen nicht in gesonder­

ten Kapiteln behandeln lassen. Lernet-Holenia musste im August 1939, also unmittelbar

vor Ausbruch des zweiten Weltkrieges, zu einer Waffen­ übung einrücken und am Polenfeldzug teilnehmen. In die­

sen Tagen führte er eifrig Tagebuch, während die Trup­

pen immer mehr nach Osten vorstiessen. Bei einem Angriff auf polnische Truppenteile wurde er - allerdings nicht

schwer - verwundet und konnte nach Beendigung des Polen­

feldzuges seinen Abschied nehmen. Die vorzeitige Rück­ kehr vom Militärdienst hatte er zum Teil auch dem Ull­

stein-Verlag zu verdanken, der sich für seihe Entlassung eingesetzt hatte. Auf diese Weise fand Lernet-Holenia

unerwartet Zeit, sich mit den eben erlebten Ereignissen

auseinanderzusetzen, und es entstand in der Folge zwi­

schen dem 15. Dezember 1939 und dem 15. Februar 1940

der Roman "Mars im Widder". Die Erlebnisse des Polen­ feldzuges waren dem Dichter in verschiedener Hinsicht eine Belastung.

Zunächst äusserte sich dies im damals

sehr zuverlässig geführten Tagebuch, aber fast noch deutlicher in seinem neuen Roman. Die auffallend kurze Entstehungsdauer ist nicht nur ein weiterer Beweis von

Lernet-Holenias Fähigkeit,

in knappster Zeit mit gröss­

ter Leichtigkeit ein literarisches Werk zu verfassen,

sondern ist ebenso Ausdruck der persönlichen Anteilnah­

me des Dichters an den unmittelbar vergangenen Erlebnis­ sen. Wie sehr sich Lernet-Holenia mit der Problematik

46

des Polenfeldzuges, ja des Kriegsausbruchs schlechthin ausein­

andersetzte, zeigen die vielen Parallelen zwischen persönlichen

Erlebnissen des Dichters während seiner Dienstzeit und den Er­ eignissen in seinem Roman: auch der Held Wallmoden hat im August

zu einer Waffenübung einzurücken, auch er wird verwundet. Dar­

über hinaus stimmen auch zahlreiche Einzelheiten mit der Wirk­ lichkeit überein: Bis in kleinste Details hat sich Lernet-Holenia an seine Erinnerung und an sein Tagebuch angelehnt, aber

auch in der Schilderung der grossen militärischen Operationen hält sich Lernet-Holenia ganz an die Tagebücher. Daher nehmen die Beschreibungen des Aufmarsches an Deutschlands Ostgrenze, der genaustens vorbereitete Angriff auf Polen und der ganze wei­ tere Verlauf des Feldzuges verhältnismässig viel Raum in Anspruch.

Auch taktische Einzelheiten, Beschreibung von geografischen Be­ sonderheiten sind von Lernet-Holenia nicht erfunden, sondern

seinen genauen Aufzeichnungen entnommen worden. Selbst die Per­

sonen des Romans sind den tatsächlichen Kameraden Lernet-Holenias nachgebildet. Es ist kaum erstaunlich, dass sich in der

Hauptperson der Dichter selbst nachgezeichnet hat, wenigstens 79)

was die äussern Umstände betrifft.

Eine derart enge Anlehnung an die historischen Tatsachen ist

für das Werk Lernet-Holenias keineswegs kennzeichnend. Ein Ver­ gleich mit der "Standarte" beweist sogar eine ganz gegensätzli­ che Behandlung des Stoffes: Zwar ist das Thema des Zusammenbruchs der K. u. K. Monarchie durchaus historisch, aber ihre Glorifizie­

rung ist absolute Erfindung des Dichters; ebenso weist Ingeborg Brunkhorst nach, dass Standarten schon damals eigentlich längst

nicht mehr die symbolische Rolle gespielt hatten. Darüber hinaus

ist die den inneren Zusammenbruch auslösende Meuterei ebenfalls 80) der Phantasie Lernet-Holenias zuzuschreiben. Diese Feststel­ lungen gelten gleichermassen für die übrigen Werke des Dichters

mit ähnlicher Thematik: Es geht ihm keinesfalls darum, dem Leser ein möglichst wirklichkeitsgetreues Abbild der Vergangenheit zu vermitteln. Wann immer Lernet-Holenia die alte Welt auferstehen

lässt, geschieht es nicht um der historischen Fakten willen, son­ dern ausschliesslich subjektiv, das heisst, aus der Sicht des

47

Dichters: das alte Reich erscheint in Lernet-Holenias Werken nicht

als das, was es historisch gesehen wirklich war, sondern als das, was es dem Dichter selbst bedeutete. Im Roman "Beide Sizilien"

formuliert Lernet-Holenia diese Einstellung trefflich: "Aber kommt es denn wirklich darauf an, wie die Dinge und Ereignisse

waren? Es kommt darauf an, wie. sie sind. Nichts Vergangenes exi­ stiert mehr, es sei denn in der Gegenwart, und nichts ist wirklich

gewesen, als was noch ist. Es ist gleichgültig, wie es war. Es ist 811 nur mehr das, als was es sich für uns darstellt." Umso mehr hebt sich das vorliegende Beispiel eines "Tatsachenberichtes"

von den übrigen Werken ab. Einerseits liegt der Grund für diese Wandlung wie erwähnt in der persönlichen Anteilnahme des Dichters. Sicherlich hat er in seinen Werken auch an den bisher geschilder­ ten Ereignissen Anteil genommen, aber was da erzählt und im Roman erlebt wurde, blieb letztenendes gleichwohl Fiktion. Hier aber

ist der Dichter mit seinem eigenen Erlebten konfrontiert, er be­ gegnet sich in seinem Werk gewissermassen selbst. Es versteht sich, dass somit ein Mindestmass an historischer Treue erforder­

lich wird. Der zweite Grund für die enge Anlehnung an die Wirk­ lichkeit liegt in der Tatsache, dass wir es hier erstmals mit

einem Gegenwartsroman zu tun haben. Was nun geschildert wird, gehört nicht einer längst vergangenen Welt an, in der Wirklich­

keit und Phantasie miteinander verschmelzen können. Schauplatz

ist nun die unmittelbare Gegenwart, die Handlung betrifft Ereig­

nisse von höchster Aktualität, die nicht durch unpräzise Wider­

gabe verfälscht werden dürfen, weil ja der Leser zur Gegenwart ein unmittelbareres Verhältnis hat, die Vergangenheit ist ihm selten bis ins letzte Detail bekannt. Unter dem persönlichen Ein­

druck der Kriegsereignisse ist dieses Werk geschrieben worden,

also mussten diese Ereignisse auch mindestens das Gerüst der Handlung bilden.

Trotz der weitgehenden historischen Treue, konnte Lernet-Holenia seiner Phantasie auch in diesem Werk freien Lauf lassen, denn

die geschlichtlichen Tatsachen und Umstände bilden trotz der stellenweisen Ausführlichkeit keineswegs den Kern der Erzählung,

vielmehr sind sie nur der Anlass, gewissermassen der Rahmen für

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die eigentliche Handlung. Die zentralen Motive und Themen des Romans haben sogar meist mit dem historischen Hintergrund gar

keinen - oder wenigstens keinen auf den ersten Blick ersichtli­ chen - Zusammenhang. Zu den "Erfindungen" des Dichters gehört

vor allem die Verknüpfung der historischen Begebenheiten mit einer Liebesgeschichte, der ständige Wechsel von Wach- und Traumzuständen, ja überhaupt die ganze Sphäre des Phantasti­

schen. Das Grundmotiv, die Frage nach der Schicksalshaftigkeit aller Ereignisse, gewinnt aber dadurch an Ueberzeugung, dass

sie an der Verknüpfung historischer Kriegsereignisse mit der er­

fundenen Handlungskette aufgezeigt wird. Daraus wird bereits an dieser Stelle ersichtlich, dass der Roman "Mars im Widder" unter

Lernet-Holenias Werken eine Sonderstellung einnimmt und ihm, als der Verbindung von Dichtung und Wahrheit, besondere Beachtung gebührt. Bis dieses Werk an die Oeffentlichkeit gelangen konnte, dauerte

es allerdings noch eine Weile: Zunächst erschien die Erzählung als Fortsetzungsgeschichte im Jahre 1940 in der Zeitschrift "Dame"

im Ullstein-Verlag.

1941 sollte die Buchausgabe gedruckt werden.

Das Propaganda-Ministerium des Dritten Reiches verbot aber die

Auslieferung der bereits bei S. Fischer gedruckten Bücher. Die Gründe für diese Massnahme sind naheliegend: die Darstellung

des Polenfeldzuges und die damit verbundene Charakterisierung der beiden Parteien, vor allem aber auch die wohlwollende Beur­

teilung der Polen und ihrer Tapferkeit passten nicht in das Leitbild vom deutschen Soldaten und den Feinden des Dritten Rei­

ches. Von einem Ueberfall auf Polen durfte selbstverständlich nicht die Rede sein; Lernet-Holenia stellt aber die damalige Verteilung von Angriff und Verteidigung in einem kurzen Satz

fest:

"Es war klar, dass Polen überhaupt noch nicht mobilisiert

gehabt hatte..."

; Was immer auch den Zorn des Propaganda-Mi­

nisteriums erregt haben konnte - das Schreibverbot gegen Lernet-

Holenia ging jedenfalls nicht so weit, dass er nicht im Jahre 1942 den Roman "Beide Sizilien" hätte veröffentlichen können,

der allerdings wieder in der Vergangenheit (im Jahre 1925) spielte und sich nicht in die politische Gegenwart einmischte.

49

Hingegen wurde die ganze Auflage des "Mars im Widder" von 15'000

Exemplaren im Keller des Verlages gestapelt, verbrannte aber

gänzlich bei einem Angriff auf Leipzig im Winter 1943/44, so dass äusser einem Fahnenexemplar, das Lernet-Holenia für sich

behalten hatte, von diesem Roman nichts mehr übrig blieb.

Erst nach dem Krieg konnte aufgrund dieses Fahnenexemplares 1947 bei Bermann-Fischer in Stockholm die eigentliche Erstaus­

gabe erscheinen.

50

2. Romanhandlung

Bevor die eigentliche Erzählung beginnt, betont Lernet-Holenia, dass es sich bei diesem Roman um einen "wahrheitsgetreuen Be­

richt" handle, und weist

bereits hier auf die zentrale Frage

des Werkes hin: Ist das Handeln jedes einzelnen einem unbe­

einflussbaren Schicksal unterworfen, oder hängt unser Tun und Lassen nur von unserem eigenen Willen ab? "Allein die zwei Machtbereiche, des Willens sowohl wie des Schicksals, sind inkongruent, sie decken sich niemals vollkommen. Bestimmt

ist nur eines: dass diese Sphären ineinandergreifen und dass das Schicksal dem Willen und der Wille letzten Endes nur dem 8 3)

Schicksal dient - wovon das Folgende ein Beispiel sein möge." Die Hauptperson - Wallmoden - hatte sich entschlossen, eine militärische Uebung am 15. August 1939 zu beginnen. Die Fest­

legung des Termins war ihm freigestanden, er hätte ebenso gut früher oder später einrücken können. An diesem Beispiel stellt

sich die Frage, unter welchen Einflüssen Wallmoden ausgerech­

net den 15. August und damit die Vorbereitungen und den Aus­ bruch des zweiten Weltkrieges gewählt hatte. Schon der Ab­

schied von seinem Haus gestaltet sich voller Ahnungen einer düsteren Zukunft: Der Garten, die Bilder seiner Vorfahren,

das ganze Haus mit allen Einrichtungsgegenständen scheinen be­ reits von ihm endgültig Abschied genommen zu haben und nicht

mehr mit ihm zu rechnen. Die Gespräche mit seinen Kameraden in der Truppe setzen die Reihe der unheimlichen Themen und Er­ scheinungen fort. Es steht gleichsam alles unter einem schlech­

ten Vorzeichen: Nach einem Ertrunkenen wird erfolglos gesucht, die Soldaten unterhalten sich über die Möglichkeit, dass man immerhin dem Geist des Ertrunkenen begegnen könne, und fügen Gespensterepisoden jeder Art bei. Der Rittmeister Sodoma ver­

leiht den ernsthaften Gesprächen wieder eine humoristische Wendung, indem er versichert, Wallmoden stets mitzuteilen, ob

er, Sodoma, selbst oder lediglich als sein eigener Geist er­ scheine.

51

Wallmoden und Sodoma fahren bei nächster Gelegenheit nach Wien

auf Urlaub. Im Hause von Sodomas Schwiegereltern treffen sie auf eine kleinere Gesellschaft, in der sich auch eine allen un­

bekannte Baronin befindet. Wallmoden fühlt sich augenblicklich an die Schilderung einer Frau aus den Gespensterepisoden erin­ nert und versucht, mit der Unbekannten in ein Gespräch zu ge­

langen. Die Baronin verhält sich aber auf geradezu unhöfliche Art

abweisend; erst als Wallmoden sie heimfahren will, beginnt sie, ihre Reserviertheit abzulegen und geht sogar auf den Vorschlag Wallmodens ein, den Abend gemeinsam zu verbringen. Zunächst

soll aber Wallmoden - anstelle der Baronin - in der Piaristengasse einen Brief abgeben. Die erste Begegnung Wallmodens mit Herrn Oertel, dem Bewohner des Hauses an der Piaristengasse, steht wiederum unter einem

seltsamen Vorzeichen: Wallmoden wird aufs freundlichste empfan­

gen. Es zeigt sich, dass Herr Oertel über alles informiert ist. Tatsächlich werden sich seine auch nur sehr verschlüsselten Pro­

phezeiungen bewahrheiten: er rät Wallmoden, sich ein zweites Paar Militärstiefel schustern zu lassen. Wiederum wendet sich das Ge­

spräch der Frage nach Wirklichkeit und Einbildung zu. Beim gemeinsamen Nachtessen mit Wallmoden erzählt ihm die Baro­

nin ihre Lebensgeschichte: Sie wuchs in Mittelamerika auf und

war schon zweimal verheiratet gewesen. Nach ihrem Namen befragt,

meint sie - von Wallmoden als Scherz interpretiert - sie müsse zuerst in ihrem Pass nachschauen, wie das bei Abenteurerinnen

üblich seiJ Sie heisse Cuba Pistohlkors. Ihre aufgeräumte Stim­ mung ist allerdings augenblicklich dahin, sobald Wallmoden über

Herrn Oertel Näheres zu erfahren wünscht, und Wallmoden fährt sie nachhause.

Nach Wallmodens Rückkehr zu seiner Truppe erlebt er während einer Gefechtsübung seine erste Vision:

Er gerät nach ei­

nigen Gedankenassoziationen über Zeit und Raum in einen Zustand der Entrückung, ein Schwindelanfall droht ihm die Besinnung zu

rauben, seine Leute heben ihn vom Boden auf. Wallmoden vermeidet jedes Gespräch über dieses Erlebnis und meint lediglich im Rahmen

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Wallmoden und Sodoma fahren bei nächster Gelegenheit nach Wien

auf Urlaub, im Hause von Sodomas Schwiegereltern treffen sie auf eine kleinere Gesellschaft, in der sich auch eine allen un­ bekannte Baronin befindet. Wallmoden fühlt sich augenblicklich

an die Schilderung einer Frau aus den Gespensterepisoden erin­

nert und versucht, mit der Unbekannten in ein Gespräch zu ge­ langen. Die Baronin verhält sich aber auf geradezu unhöfliche Art abweisend; erst als Wallmoden sie heimfahren will, beginnt sie,

ihre Reserviertheit abzulegen und geht sogar auf den Vorschlag Wallmodens ein, den Abend gemeinsam zu verbringen. Zunächst

soll aber Wallmoden - anstelle der Baronin - in der Piaristengasse einen Brief abgeben. Die erste Begegnung Wallmodens mit Herrn Oertel, dem Bewohner des Hauses an der Piaristengasse, steht wiederum unter einem

seltsamen Vorzeichen: Wallmoden wird aufs freundlichste empfan­ gen. Es zeigt sich, dass Herr Oertel über alles informiert ist. Tatsächlich werden sich seine auch nur sehr verschlüsselten Pro­ phezeiungen bewahrheiten: er rät Wallmoden, sich ein zweites Paar

Militärstiefel schustern zu lassen. Wiederum wendet sich das Ge­ spräch der Frage nach Wirklichkeit und Einbildung zu.

Beim gemeinsamen Nachtessen mit Wallmoden erzählt ihm die Baro­

nin ihre Lebensgeschichte: Sie wuchs in Mittelamerika auf und war schon zweimal verheiratet gewesen. Nach ihrem Namen befragt,

meint sie - von Wallmoden als Scherz interpretiert - sie müsse zuerst in ihrem Pass nachschauen, wie das bei Abenteurerinnen

üblich sei; Sie heisse Cuba Pistohlkors. Ihre aufgeräumte Stim­ mung ist allerdings augenblicklich dahin, sobald Wallmoden über

Herrn Oertel Näheres zu erfahren wünscht, und Wallmoden fährt sie nachhause.

Nach Wallmodens Rückkehr zu seiner Truppe erlebt er während

einer Gefechtsübung seine erste Vision:

Er gerät nach ei­

nigen Gedankenassoziationen über Zeit und Raum in einen Zustand der Entrückung, ein Schwindelanfall droht ihm die Besinnung zu

rauben, seine Leute heben ihn vom Boden auf. Wallmoden vermeidet jedes Gespräch über dieses Erlebnis und meint lediglich im Rahmen

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einer abendlichen Unterhaltung über derartige Themen, es sei

"ob wir selbst tatsächlich Menschen oder eigentlich 84) nur eine Art von Gespenstern sind" fraglich,

Die folgenden Ereignisse bleiben Wallmoden (wie auch dem Leser)

weitgehend undurchschaubar: Baumgarten, ein mit den Offizieren der Truppe befreundeter Gutsbesitzer, fragt ihn über alle Erleb­

nisse an der Piaristengasse aus. Er macht ihm die dortige Anwe­

senheit zum Vorwurf und weist ihn noch viel mehr zurecht, als er vom Umgang Wallmodens mit Cuba Pistohlkors vernommen hat,

was ihm Wallmoden ahnungslos selbst mitgeteilt hat. Es stellt

sich heraus, dass Cuba einen äusserst schlechten Ruf geniesst. Die Gründe hierfür versucht Wallmoden zu erfahren, indem er Cuba

bei seinem nächsten Urlaub selbst auf die Spur kommen will. In ihrem Gespräch bleibt gleichwohl alles offen, und die Abendge­

sellschaft, zu der Cuba Wallmoden mitnimmt, ist keineswegs dazu angetan, Wallmodens Bedenken über Cubas Ruf gänzlich zu zerstreuen. Bei einem gewissen Baron Drska treffen sich zahlreiche Gäste zu

einer Unterhaltung, deren Thema über die Kräfte des menschlichen

Willens wiederum an das Leitmotiv des Romans anknüpft. Trotz po­ lizeilichem Verbot wird anschliessend Karten gespielt. Seltsamer­ weise verschwindet Cuba mit zwei Gästen spurlos und Wallmodens

Suche nach ihr im ganzen Haus bleibt erfolglos. Hingegen stellt sich heraus, dass der Baron Drska diese Wohnung erst seit acht Tagen gemietet hat. Eine Polizeikontrolle wegen des Kartenspiels

bleibt glücklicherweise ohne Folgen, aber bei der Passkontrolle erweisen sich sämtliche Gäste äusser Wallmoden als Ausländer.

Ueber Cubas Verhalten erzürnt, will Wallmoden sie tags darauf in

ihrer Wohnung zu Rede stellen, wo er allerdings nur das Dienst­ mädchen trifft. Baron Drska verweist ihn nach Baden, wo sie sich

in Gesellschaft von Herrn Oertel befindet. Wiederum ist aber

Wallmoden so von Cuba hingerissen, dass er ihr das seltsame Ver­ halten bei Drska nicht mehr vorwerfen kann. Im Gegenteil: sie vereinbaren ein Treffen bei Cuba zu Hause, nachdem sie ihm ihre

Liebe und ihren Glauben an die Schicksalshaftigkeit ihrer Begeg­ nung gestanden hat.

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Zu diesem Treffen kann es allerdings nicht mehr kommen, denn

Wallmodens Regiment ist bei seiner Ankunft bereits marschbereit. Während des Marsches wird ihm die Unmöglichkeit der Zusammen­ kunft mit Cuba bewusst, und er versucht, sie telegrafisch und

brieflich zu benachrichtigen. In der nächsten Marschpause in

Jedenspeigen träumt er von badenden Mädchen, die eine nasse

Spur in seinem Zimmer hinterlassen. Da diese Traumerscheinun­ gen beängstigend wirklichkeitsnah waren, entschliesst er sich

zu einem Arztbesuch, wo er erfolglos die nächtlichen Erlebnisse in Worte zu fassen versucht. Der Arzt geht kaum auf die Proble­ me seines Patienten ein. Während der letzten Tage vor dem Polen­

feldzug und Kriegsausbruch herrscht gewissermassen Stille vor dem Sturm: Die Regimenté rücken langsam ostwärts.

"Es waren die

zwei oder drei wirklich kritischen Tage, an denen die Entschei­ dung über das Schicksal Europas fallen sollte. Hier aber, wenn­

gleich man sich in vollem Aufmärsche befand, merkte man eigentlieh nichts davon."

' Wallmoden beauftragt den Rittmeister Rex,

Cuba mitzuteilen, er werde am 16. September zurücksein, sie solle

ihn um 17 Uhr erwarten, denn Wallmoden glaubt nicht an eine län­ gere militärische Aktion.

"Weil die Dinge, die sich hier abspiel­

ten, zur Vorstellung, die Wallmoden sich machte, nicht passten,

gab er allem eine falsche Deutung."

J Unmittelbar vor der Be­

fehlserteilung, Tschysne zu beschiessen, entdeckt Wallmoden in der Nacht ein ganzes Heer von Krebsen, welches sich bedächtig

von Osten nach Westen schreitend über eine Strasse vorwärtsbeweg­ te. Der Vergleich mit einem auf dem Rückzug befindlichen Heer weitet sich für Wallmoden zu einer Untergangs-Vision aus. Der

nächste Morgen ist der 1. September und der Befehl, Polen anzu­ greifen, erfolgt in der Dämmerung.

Es finden kaum Gefechte statt, da Polens Mobilmachung noch nicht erfolgt war. Bei kleineren Kämpfen wird Wallmoden an der Hand verletzt, kann aber gleichwohl weitermarschieren. Mit der Schil­

derung mehrerer kleinerer Gefechte vergeht die Zeit rasch, und der Tag kommt, an dem Wallmoden Cuba hatte treffen wollen. Der

Rittmeister Rex gesteht Wallmoden, dass es ohnedem nicht zu einem Rendez-vous gekommen wäre, weil er Cuba in Wien gar nicht getrof­ fen habe, da sie bereits verstorben sei. Sie sei im Zusammenhang

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mit einer Polizeirazzia an der Piaristengasse verhaftet worden,

habe sich aber zur Wehr gesetzt und dabei ihr Leben verloren.

In Wirklichkeit sei sie Oertels Frau gewesen. Ein Bombenangriff unterbricht das Gespräch. In der Nähe von Uschilug

begegnet

Wallmoden dem völlig zerlumpten Sodoma, der ihm erklärt, sein eigenes Gespenst zu sein, und warnt ihn vor bevorstehenden Bom­

beneinschlägen. Tatsächlich wird Wallmoden mitgeteilt, Sodoma sei bereits im Morgengrauen gefallen, und bald darauf verliert

Wallmoden als Folge zahlreicher Granateinschläge das Bewusstsein. Die Bewusstlosigkeit geht nahtlos in einen Traum über. Erst viel

später erwacht Wallmoden wieder in einem Sanitätswagen. Man hatte

ihn seiner Hand wegen für verletzt gehalten und mitgenommen. Nach einer Panne des Fahrzeuges in Janowka begibt sich Wallmoden zu

Fuss auf einen verlassenen Gutshof, der ihn an sein eigenes Haus erinnert durch die Hirschgeweihe und Ahnengalerie. Die Besitzer haben den Hof offensichtlich überstürzt verlassen, alle Türen stehen offen. Seltsamerweise entdeckt Wallmoden auf dem Boden

Spuren von nackten nassen Füssen, die ihn an sein Traumerlebnis

in Jedenspeigen erinnern. Sofort,zerrinnt für ihn die inzwischen vergangene Zeit, sein Bewusstsein knüpft unmittelbar an jenes Erlebnis an. Er folgt den Spuren, und entdeckt eine unbekannte

Frau vor einem Spiegel. Im Gespräch stellt sich heraus, dass die Frau auf einer Reise von Krakau nach Wiesbaden ihrer Papiere be­

raubt und (weil sie dennoch über die Grenze zu kommen versucht hatte) wieder nach Krakau zurückgebracht und verhört worden war. Seither marschiert sie zu Fuss nach Westen und hat hier - genau

wie er - zufälligerweise Unterschlupf gesucht. Wallmoden seiner­ seits erzählt von seinem geplanten Rendez-vous mit einer Baronin,

das eben jetzt, zu dieser Stunde, in Wien hätte stattfinden sol­

len, die Begegnung mit der Fremden betrachtet er als Ersatz da­ für. Umso grösser ist sein Erstaunen, als sich herausstellt, dass sie Cuba Pistohlkors heisst. Damit hat für ihn das Rendez­

vous mit der Geliebten dennoch stattgefunden, und die Erzählung endet mit einigen abschliessenden Bemerkungen über das Ende des Polenfeldzuges am 23. September 1939.

55

3. Grundmotive

a) Leitmotiv: Schicksal und menschlicher Wille

Im vorliegenden Roman hat Lernet-Holenia am Beispiel von Wallmoden die Unabänderlichkeit des Schicksals aufgezeigt:

Der Ausbruch des Krieges verhindert Wallmoden zunächst,

Cuba zur vereinbarten Stunde wiederzutreffen. Das neue Datum (16. September) wird von Wallmoden genauso willkür­ lich festgesetzt, wie der Zeitpunkt seiner militärischen

Uebung. Es stand in beiden Fällen absolut in Wallmodens

Macht und Ermessen, andere Termine zu wählen. Gerade deshalb ist es erstaunlich, dass solche freien Entscheidungen eine

schicksalshafte Folge haben können: Cuba Pistohlkors er­

fährt zwar nie etwas über das vereinbarte Rendez-vous vom

16. September, da sie bereits vorher stirbt, und dennoch trifft eine - die eigentliche - Cuba Pistohlkors zum fest­

gelegten Zeitpunkt mit Wallmoden zusammen. Die Ausserge­

wöhnlichkeit dieser Begegnung wird durch die seltsamen Be­

gleitumstände bewusst unterstützt: das gänzlich verlasse­

ne Haus, die Fussspuren, die unmittelbar an den Traum Wall­ modens anknüpfen, und die zahlreichen Zufälle, die sich so­

wohl in Cubas wie auch in Wallmodens Leben ereignen muss­ ten, damit sich beide in Janowka begegnen konnten (bei­

spielsweise die Panne des Sanitätsfahrzeuges). Wallmoden spielt durchaus keine passiv-duldende Rolle ge­ genüber den Ereignissen, er versucht mehrfach, allerdings

vergeblich, Cuba zu benachrichtigen. Trotz seines Eingrei­

fens wickelt sich das Schicksal ab, besser noch: es wickelt

sich gerade erst wegen seines Eingreifens ab, denn den Zeit­ punkt des Rendez-vous hat er ja selbst bestimmt. Daher stellt

sich die berechtigte Frage, ob denn diese seltsame Verknüp­ fung der Ereignisse nicht eher als Zufälle zu deuten seien.

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Wallmodens Ansicht ist ganz eindeutig: "Man glaubt zwar, das Schicksal sei ein zufälliges, aber in Wirklichkeit passt alles, 87) ' Er zweifelt daher auch

was man erfährt, zu einem selbst."

keineswegs, dass das Erscheinen der richtigen Cuba Pistohlkors

durchaus mit seiner Geliebten, der falschen Cuba, zusammenhing: insgeheim verbinden sich für ihn die beiden Frauen zu einer ein­

zigen, eben zu der, die trotz aller widrigen Umstände das Stell­ dichein (von dem ja in Wirklichkeit beide Frauen gar nichts wis­

sen konnten) eingehalten hat. "Sie mag eine Person gewesen sein, die sich von diesem Zwischenfall, dem Tod, vielleicht doch nicht 88) so sehr unterbrechen lassen..." .

Um den Zusammenhang zwischen dem Leitmotiv und der Handlung des Romans aufrecht zu erhalten, werden die zahlreichen Gespräche

über die Beeinflussbarkeit des Schicksals, über die Stärke des menschlichen Wollens und über seltsame, dem menschlichen Verstand nicht mehr zugänglichen Erlebnisse eingestreut. Freilich wäre die­

se fortwährende Verknüpfung nicht notwendig, da Lernet-Holenia in seinen einleitenden Worten und den gelegentlichen Kommenta­ ren zum Geschehen selbst auf den Zusammenhang hinweist: "er war

ganz zufällig eingetreten. Aber wir wissen ja alle nicht, was für Aufträge es sind, die wir, in Wahrheit erfüllen, was für Din8 9) J

ge es sind, die wir tun."

Damit stellt sich die grundsätzliche Frage, was für Lernet-Hole­

nia "Schicksal" überhaupt bedeutet. Zunächst muss festgestellt werden, dass Lernet-Holerilas Schicksalsbegriff nicht mit einer Prädestinationslehre vereinbar ist: Schicksal ist nicht ausschliess­

lich eine von aussen auf den ausgelieferten Menschen wirkende Kraft; denn Wallmodens Handeln war, wie wir gesehen haben, notwendige Vor­ aussetzung für die Abwicklung des Schicksals. Ebenso wenig lässt

sich Lernet-Holenias Schicksalsverständnis mit der antiken Vor­ stellung eines unbeeinflussbaren Fatums in Einklang bringen, ob­

wohl Ingeborg Kowarna meint: "Die Vorgänge folgen einander mit

derselben Notwendigkeit, die in einem antiken Schicksalsdrama 90) herrscht". Der grundsätzliche Unterschied zur griechischen Vorstellung besteht darin, dass der Mensch das verhängnisvolle Schicksal durch sein Verhalten heraufbeschwören kann. So meint

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Lernet-Holenia in diesem Zusammenhang etwas überspitzt formu­ liert: "Das Schicksal ist nichts als eigene Schuld." Dementspre­

chend sollen seine Helden durch die Erfüllung des Schicksals

eine innere Läuterung, eine eigentliche Katharsis erfahren, wie 91) Sebestyen ausführt. Allerdings führt der Weg bei Lernet-Ho­ lenia nicht in einen glücklichen Zustand zurück, sondern bringt

den Helden vielmehr in eine höchst ungewisse Situation, indem

er nämlich in den meisten Fällen nicht im Stande ist, die Bedeu­ tung des Schicksals zu erfassen: Wallmoden wird durch das uner­ wartete Erscheinen von Cuba dazu veranlasst, Unglaubliches, näm­

lich die Auferstehung von Toten, für möglich zu halten. Dass dies

nicht eine Beruhigung für ihn bedeutet, zeigen seine Reaktionen auf die Gespräche zu ebendiesem Thema und sein Erschrecken beim

Zusammentreffen mit dem bereits verstorbenen Rittmeister Sodoma. Wenn sich allenfalls zur antiken Schicksalsauffassung Parallelen

feststellen lassen, dann weit eher darin, dass das Handeln des Menschen trotz seiner Aktivität ein schicksalshaftes Verhängnis nicht aufhalten kann. Der Mensch kann zwar das Schicksal auslö­

sen, aber nicht verhindern. Die Vorstellung, dass der Mensch ge­

rade durch den Versuch, das Unheil zu verhindern, dieses erst recht heraufbeschwört wie Oedipus, ist aber in Lernet-Holenias

Werken, mit Ausnahme des Romans "Traum in Rot" nicht vorhanden.

Noch viel weniger Gemeinsamkeiten weist Lernet-Holenias Schick­ salsbegriff mit dem der deutschen Klassik auf: Wenn der Mensch

aus innerer Freiheit (wie Iphigenie)

sein Schicksal überwinden

kann, besitzt er bereits ein Persönlichkeitsbewusstsein, das sich dem Fatum nicht zu unterwerfen hat. Lernet-Holenia versteht Schicksal aber nicht als einen sich im Innern des Menschen ab­

spielenden Konflikt, sondern als von aussen auf den Menschen einwirkende Kraft. Damit distanziert er sich entschieden von

der deutschen Klassik. Da diese Kräfte aber auch nicht unbeein­ flussbare Götter sind, ist auch der Vergleich mit dem antiken

Schicksalsbegriff nicht zwingend. Hingegen besteht eine keines­ wegs erstaunliche Uebereinstimmung mit den Auffassungen der Ro­

mantik: Die Vorstellung von einem dämonischen, unheimlichen, dem

menschlichen Verstand nicht zugänglichen Schicksal, dem sich auch

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die menschliche Persönlichkeit vergeblich entgegensetzt, ent­ spricht dem Schicksalsverständnis Lernet-Holenias durchaus.

Gero von Wilpert weist nach, dass der Mensch in einem roman­ tischen Schicksalsdrama auch keine Katharsis und deshalb der

Zuschauer oder Leser anstatt Läuterung, lediglich Spannung und 92) Dies gilt grundsätzlich auch für Lernet-

Nervenkitzel erlebt.

Holenias Werke: Von einer Läuterung kann weder inbezug auf den

Helden noch auf den Leser die Rede sein, dagegen kann man den Romanen Spannung keinesfalls absprechen. Auch vermag diese weite­

re Verknüpfung mit dem romantischen Gedankengut nach den entspre­ chenden Einleitungskapiteln wohl gleichfalls nicht zu erstaunen.

Im Roman "Traum in Rot" ist die Verbindung von Spannung un Un­

heimlichem mit der Frage nach dem Schicksal auf besondere Weise verknüpft, indem die Zukunft genauso eintritt, wie sie durch ei­

ne dämonische Figur namens Ananchin prophezeit worden ist. Da­ durch erhält das im "Mars im Widder" durchaus wohlwollende Schick­ sal einen verhängnisvollen Zug: "Aber erst in der Auslösung sinn­

loser Zufälle, im wüsten Missverständnis, durch welches das ur­ sprünglich gar nicht Gemeinte, das eigentlich Sinnvolle in Bewe93) gung gerät, offenbart sich der Wille des Schicksals". Umgekehrt ist es aber auch möglich, die Unausweichlichkeit des Schicksals und seine Verknüpfung mit scheinbar Zufälligem in

einem Ton zu berichten, der völlig frei ist von allem Phantasti­

schen. Die Novelle "Der zwanzigste Juli", in der es um die Fol­ gen des misslungenen Attentats auf Hitler geht, ist ein nüch­

tern-sachlicher Bericht, in dem auf Ausschmückungen und alle Mittel der Spannungserzeugung verzichtet wird. Der Höhepunkt be­

steht darin, dass Lernet-Holenia zu zeigen versucht, dass sich wohl an den besonderen erwähnten Ereignissen nichts Wesentliches verändert hätte, wenn auch das Attentat auf Hitler erfolgreich

gewesen wäre: "Das Geschick ist stärker als sogar seine eigenen

Bedingungen. Den Fall überhaupt gesetzt, dass es auch anders hätte kommen können, - es wäre dennoch nicht erheblich anders 94) gekommen."

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Freilich ist die Verbindung der Schicksalsthematik mit dem Phan­ tastischen weitaus häufiger als der sachliche Bericht; daher

treten auch immer wieder undurchschaubare Personen auf, welche die Zukunft prophezeien: Hackenberg in der "Standarte", Cazotte in "Der Herr von Paris"oder der Graf von Saint-Germain, Einen weiteren Hinweis auf Lernet-Holenias Schicksals-Verständ­

nis erhalten wir durch den im Roman "Mars im Widder" geprägten

Gegenbegriff "menschlicher Wille". Schon in den Einleitungswor­ ten weist Lernet-Holenia auf die gegenseitige Abhängigkeit der beiden "Machtbereiche" hin, indem der Roman zeigen soll, dass

sich Wille und Schicksal nicht auszuschliessen brauchen, sondern sich gegenseitig "dienen". Besonders wird auf diesen Zusammen­ hang in einem Gespräch bei Baron Drska hingewiesen, wo man all­ gemein die Ansicht vertritt, eine die Gewehrsmündung verlassen­

de Kugel unterstehe bis zur Erreichung eines Ziels dem Willen des Schützen und demjenigen des Opfers. So stark der menschliche

Wille manchmal auch sein kann, so vermag er doch nicht, gegen das Schicksal anzukämpfen, wie Aussagen aus anderen Romanen be­

legen. Maltravers in seiner durch den ersten Tod erreichten Di­ stanz zum Leben meint: "Alles geschieht nur von selbst. In Ereig­

nisse kann man vielleicht eingreifen, aber sie nie wirklich be­ stimmen.

Ebenso verhindert der Verstand oft die Sicht auf

die schicksalshaften Zusammenhänge: Ueber Wallmoden heisst es: "Er sah nicht - oder wollte nicht sehen - dass der Ablauf des 96) Schicksals, auch seines eigenen, schon in vollem Gange war." Auch Gasparinetti (ebenfalls eine zwielichtige Persönlichkeit)

in "Beide Sizilien" äussert sich ähnlich:

"Wenn das Schicksal

wirklich zu walten beginnt, kommt alles immer ganz anders, als 97) man geglaubt hat." Oder der Graf von Saint-Germain meint:

"Wenn wir das Kommende nicht voraussehen, so ist es unsere Schuld, weil wir nur das glauben, was geschehen kann, nicht das,

was geschehen wird. Im Innersten wissen wir das Kommende genau

voraus, wir dürfen nur nicht fürchten oder hoffen, es könne an98) ders kommen." ' Hier wird auch schon angedeutet, wie es dem Menschen möglich ist, sein Schicksal nicht als über ihn herein­

brechende Ueberraschung zu erleben: Nicht mit Hilfe des Verstan­

des, sondern mit Intuition.

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Im Roman "Beide Sizilien" wird dieses vom Verstand losgelöste Füh­ len des Schicksals folgendermassen ausgedrückt:

"Die Zeichen, die

uns das Schicksal gibt, haben ja genau so viel oder so wenig Be­ deutung, wie wir selber davon erraten..."^00^ Gefühl und Intuition

stehen ganz auf der Seite der Liebenden; daher sind auch die Be­ gegnungen zwischen Liebenden oft von überraschender Direktheit,

als habe sie eben das Schicksal zusammengeführt.

Die Frage nach der Abhängigkeit des Menschen von einem Schicksal ist bei Lernet-Holenia nicht nur im Roman "Mars im Widder" von

zentraler Bedeutung, was allerdings einer berühmten Wiener Tra­

dition entspricht. Die Österreicher Psychologen Szondi und Freud

legen mit ihren Untersuchungen über die verborgenen Kräfte und

mit der "Schicksalsanalyse" den wissenschaftlichen Grundstein zu diesen Fragen. Guido Gaya bestätigt die Grundsätzlichkeit die­

ses Themas in Lernet-Holenias Werken mit einem Zitat des Dichters: "Die Menschheit hat alle ihre Götter verloren, nur die gewaltig­

ste Halbgottheit, das Schicksal, nicht, wenngleich sie sich ih­ rer nicht bewusst, ja ihrer kaum mehr würdig ist. Dennoch waltet das Schicksal grösser denn je, und im Grunde gibt es nur eine Auf­ gabe der Dichter: das Schicksal zu gestalten."101^ In dieser auf­ schlussreichen Aeusserung des Dichters verbinden sich alle reli­

giösen, mythischen und romantischen Aspekte seines Schicksalsbe­ griffes, und es wird deutlich, dass sich Lernet-Holenias Ansich­ ten über das menschliche Schicksal zwar mit verschiedenen tradi­ tionellen Vorstellungen vergleichen lassen, aber dass er selber

in seinem Werk eine eigene, von Klischee-Vorstellungen weitgehend

losgelöste Deutung des menschlichen Schicksals gefunden hat.

61

b) Verknüpfung von Liebe und Tod

Zwei Grundthemen sind bei Lernet-Holenia in vielen Werken mit­

einander verknüpft: Liebe und Tod. Meist ist diese Verknüpfung schon durch Lernet-Holenias Vorliebe für Kriegs- und Reiterge­ schichten gegeben: der Soldat hat seine Geliebte zu verlassen

und in den Krieg zu ziehen, wo ihm der Tod stets gegenwärtig

ist. Daraus ergibt sich die häufige Verbindung von Liebes­ und Militärgeschichten. Nun werden allerdings in den meisten Romanen noch tiefere Bezüge zwischen diesen beiden Themen her­ gestellt. Zunächst sollen aber die Themenkreise einzeln kurz

umrissen werden:

Vor allem in seinen frühen Werken spielen Liebespaare eine entscheidende Rolle, aber meist geht es nicht um die glück­

liche Liebe, um sorgloses Zusammenleben, sondern der Sinn der Liebe ist (in romantischer Tradition) oft gerade ihre

Unerfüllbarkeit. Daher gehören diejenigen Liebenden beson­ ders zueinander, die voneinander getrennt worden sind. Die Liebe des Baron Bagge zu Charlotte ist gerade wegen ihrer

Unerfüllbarkeit (Charlotte ist längst verstorben) besonders

stark. Erfüllte Liebe ist stets langweiliges Dahinleben: Der Boxer Henrikstein und Lola im Roman "Die Auferstehung des Maltravers" sind ein typisches Beispiel eines ganz ge­ wöhnlichen Liebespaares, dessen Verhalten klischeehaft und

konformistisch ist. Wenn also nur gerade die unerfüllte Liebe wahre Liebe sein

kann, gehört sie nicht in den Bereich der Wirklichkeit, son­ dern entspringt dem Unglaublichen, Romantisch-Phantastischen. Es war im vorherigen Kapitel bereits von der Schicksalshaftigkeit die Rede, welche den Begegnungen zwischen Liebenden

anhaften kann: Diese erste Begegnung zeichnet sich stets

durch ihre Unglaublichkeit aus: Menis im Roman "Die Standarte" seht in der königlichen Loge im Theater Resa Lang, in die er

sich sofort verliebt, weshalb er sich erdreistet, die Loge

gewissermassen zu "stürmen", um der Schönen ein Kompliment zu machen. Als Folge dieser Unverschämtheit wird er in ein

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entferntes Regiment versetzt, damit ihm die Erfüllung seiner Wün­

sche nicht möglich werde. Auch hier muss also die wahre Liebe das Opfer einer Trennung bringen. Noch unglaublicher mutet al­

lerdings der Empfang an, den Charlotte dem Baron Bagge in NagyMihaly bereitet: als ob man sich bereits kennen würde. Die Di­

rektheit ihrer Liebeserklärung ist Ausdruck der Unwirklichkeit des Geschehens. In den Liebesbeziehungen kommt sowohl die Schick­ salsgebundenheit der Handlung als auch die Unmöglichkeit, die

Ereignisse durch den Verstand zu erfassen, zum Ausdruck. Für die Liebenden gelten denn auch keineswegs die Gesetze der Logik,

es muss nicht alles mit rationalen Ueberlegungen erklärbar sein,

gerade das Unerklärliche ist den Liebenden besonders selbstver­ ständlich. Deshalb kann auch Charlotte, nach den Gründen ihres

überaus herzlichen Empfangs für einen Unbekannten, Baron Bagge,

befragt, diesem die schlichte Antwort geben:

"Das kam so, weil

ich Sie liebe.Liebe als unumstössliches Argument, dem die

vielleicht ganz gegensätzliche Wirklichkeit nichts anhaben kann,

bedarf keiner weiteren rationalen Begründungen. Zu dieser näch­

sten und unbedingten Form von Liebe sind die Helden in LernetHolenias Romanen selten fähig: sie verlassen sich zu sehr auf

ihren Verstand. Die Frauen hingegen bringen die weitaus besseren Voraussetzungen mit, indem sie ihre Gefühle mit aller Ausschliess­ lichkeit dem Geliebten zuwenden können, oft sogar entgegen jeder Vernunft. Wenn Resa in der "Standarte" wider alle Vorsicht heim­

lich Menis im Konak empfängt, setzt sie zunächst ihren Ruf, spä­ ter, wie sie als einzige den Konak nicht verlässt, um auf Menis zu warten, sogar ihr Leben aufs Spiel. Fast unheimlich ist der Liebesbeweis von Jo in der Erzählung "Jo und der Herr zu Pferde",

deren Abhängigkeit vom Geliebten noch über seinen Tod hinaus an­ dauert. Den Männern ist diese Hingabe fremd.

Aber auch wenn die Liebe sich völlig auf das Objekt bezieht und

sich scheinbar ganz vom eigenen Subjekt zu lösen vermag, spielt doch die Persönlichkeit des Geliebten nur eine ganz untergeord­ nete Rolle. Nicht die Liebenswürdigkeit eines Menschen löst echte Liebe aus, sondern die eigene Liebesfähigkeit des Subjektes

ist entscheidend. Wiederum Charlotte (als das reinste Beispiel einer Liegenden) gesteht, dass Bagge für sie lediglich der Anlass

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zu ihrem Gefühl war: "Sie wurden für mich einfach der Mensch, von dem ich träumte... Liebe oder Hass, sie entstehen in uns... keine wirklichen Fäden spinnen sich vom einen zum andern."103’

Weil alle Gefühle vom Subjekt abhängig sind, können weder die widrigen Umstände, noch das Verhalten des Geliebten die Liebende

in ihrem Gefühl irremachen: Resa wartet auf den Geliebten, hält auch während der langen Flucht zu ihm, obwohl er sie durchwegs

abweisend behandelt.

Mit solchem unbeirrbaren Verhalten bringen die Liebenden stets neue Beweise ihrer Gefühle, aber auf den grössten möglichen Lie­

besbeweis werden wir erst nach den Ausführungen über den Tod zu sprechen kommen. Abschliessend sei festgehalten, dass sich die

Liebesgeschichten in den späteren Werken Lernet-Holenias nicht mehr so zahlreich nachweisen lassen, in den Romanen "Der Graf

von Saint-Germain" und "Der Graf Luna" ist das Motiv der Liebe

keineswegs zentral. Oft wandelt sich die Darstellung der echten Liebe ins Gegenteil: Die Eifersucht wird zum dominierenden Gefühl.104’

Nun soll auch die Bedeutung des Todes in Lernet-Holenias Werken

überblickartig dargestellt werden:

Ein Schriftsteller, der selbst in beiden Weltkriegen an der Front Dienst geleistet und sich in seinen Werken sehr ausführ­ lich mit Militär- und Reitergeschichten befasst hat, sieht sich

wie selbstverständlich immer wieder vor die Problematik des Ster­ bens gestellt. In allen Werken spielt der Tod eine wesentliche

Rolle. Während in den früheren Werken dem Tod noch alle Schrecken des unüberwindbaren. Endgültigen anhaften, wird er später zu ei­ ner Chance, das Leben zu überwinden, den Uebergang in eine ande­ re Wirklichkeit zu finden. Am Beispiel des Romans "Die Auferste­ hung des Maltravers" finden wir die beiden Auffassungen von Tod

besonders überzeugend miteinander verbunden: Am Anfang der Erzäh­ lung wehrt sich der Held nach dem erfolgten Sterben derart gegen den Tod, dass es ihm gelingt, ins Leben zurückzukehren. Hier al­

lerdings findet er an seinen zwielichtigen Beschäftigungen nicht mehr denselben Gefallen, distanziert sich vom Leben und nimmt

schliesslich seinen zweiten Tod mutig und freiwillig an. Ganz

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ähnlich verhält es sich im Roman "Die Standarte": das grosse Heer

der Toten ist am Anfang Ausdruck der Ungerechtigkeit und kann den Lebenden nur Furcht und Schrecken einflössen, aber am Schluss

sind es gerade die vielen Toten, die recht behalten haben, das heisst, die dem Kaiser treu geblieben sind, indem sie ihm sein Le­

ben geopfert haben, während er Schönbrunn verlässti

Der Roman "Mars im Widder" zeigt dieses doppelte Gesicht des To­ des aber noch viel deutlicher: Wallmoden wird schon beim Abschied

von seinem Haus von Todesahnungen befallen, an deren Schrecklich­ keit nicht gezweifelt werden kann: "Stand er, zum Beispiel, am Fenster und blickte auf den Garten, so schien ihm, es habe dieser

Garten seine Rechnung mit ihm bereits abgeschlossen..." und der Anblick seiner Ahnen war ihm "keine Beruhigung, sondern sie blick­ ten ihn, unter hochgezogenen Brauen, ein wenig spöttisch, ja ge­ radezu abweisend an..."''05’ Auch die zahlreichen Gespräche über die Wiederkehr Verstorbener oder die Begegnung mit menschlichen

Geistern versetzen Wallmoden in einen Zustand der Erregung. Dass ihm Tod nicht Erlösung oder Uebergang in ein anderes Leben bedeu­ tet, zeigt seine Einstellung zum Kriegsausbruch, den er so lange als möglich für unwahrscheinlich hält. Cuba gegenüber äussert er: "Es ist sonderbar, dass alle Welt annimmt, ich müsse längst fort

sein.Er will es nicht wahrhaben, dass sich seine militäri­ sche Uebung in einen echten Kriegsdienst verwandelt hat. Alle Prophezeiungen dieser Art, weist er weit von sich: er lässt

sich weder von Herrn Oertel zum rechtzeitigen Kauf eines zwei­ ten Paars Stiefel bewegen, noch nimmt er die Zweifel, die Rex

an einer rechtzeitigen Rückkehr äussert, zur Kenntnis. Als wei­

tere Bestätigung für Wallmodens Furcht vor dem Tode seien seine Träume erwähnt, in denen es stets um die fliessenden Grenzen zwi­

schen Wirklichem und Phantastischem geht; deshalb fürchtet Wall­ moden nichts so sehr wie den Verlust seines Bewusstseins. Der Graf von Saint-Germain begründet die Todesfurcht folgender­ massen: "Die Angst, die wir vor dem Leben, die wir vor dem Tode

haben, ist so gross, weil wir niemals wissen, wo wir uns gerade , . „107) befinden."

65

Leben und Sterben, meint Cuba zu Wallmoden, würden von ihm weit überschätzt. Aber für Wallmoden besteht zwischen den beiden Be­ reichen freilich ein grundsätzlicher Unterschied, im Gegensatz

zu Cuba, wie sich noch herausstellen wird. Wallmoden äussert sich denn auch verschiedentlich über den Tod, besonders während

den Gefechten: "Von weitem sah er sich noch erträglich an, etwa wie ein Trommelfeuer aus der Ferne, aber aus der Nähe war er wie ein Kantenschlag vor die Stirne."108^ Oder: "Der Tod hatte un­

endlich viele Varianten, aber alle waren von der ungeheuren Ge­ waltsamkeit der Natur selbst."^08’ Wie elementar der Tod in Lernet-Holenias Werken durchweg ist, zeigt die Tatsache, dass

die Schwadron des Barons Bagge die Toten zunächst riecht oder dass man den Tod als eigenartigen Ton hören kann:

"Jetzt frei­

lich weiss ich, dass der Tod, wenn er klanglich festzuhalten wäre, einen solchen Ton haben müsste."^0)

Zweimal erlebt Wallmoden selbst Todesgefahr: Zunächst bei sei­ ner - glücklicherweise harmlosen - Handverletzung, dann - weit

schlimmer - während der Granateneinschläge, die eine längere Bewusstlosigkeit verursachen: Er glaubt, in einem von der Bom­

be aufgerissenen Krater nach Toten und Ueberlebenden zu wühlen. Da er aber auch dieses Ereignis unbeschadet übersteht, da sein Einsatz an der Front vorüber ist, muss ihn die Tatsache, dass

seine Geliebte - aus andern Gründen freilich - den Krieg nicht überlebt hat, umso härter treffen. Nicht ihn hat der Tod ereilt, sondern Cuba. Dadurch spitzt sich selbstverständlich seine Ein­

stellung zum Tod nur noch mehr zu, und es wird ihm erst recht unmöglich, den Tod auch als etwas Positives oder Versöhnliches

anzunehmen, wie dies verschiedene Helden (v.a. Maltravers) in Lernet-Holenias Werken können. Der Umschlag in seiner Einstellung erfolgt erst, als er der richtigen Cuba in Janowka begegnet.

Allerdings muss er hierzu die richtige Cuba zunächst mit sei­ ner Geliebten vertauschen, er muss annehmen, dass ihm Cuba das

Versprechen des Rendez-vous halten wollte. Dies aber war ihr

nur möglich, indem sie den Tod überwand und ins Leben zurückkehr­ te. Da Wallmoden, wie seine letzten Aussagen über dieses Gesche­

hen belegen, an Cubas Ueberwindung des Todes nicht im mindesten

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zweifelt, verliert auch für ihn der Tod seine Ausschliesslichkeit

und damit seine Schrecklichkeit. Der Tod ist besiegbar, das Schick­ sal eines Menschen kann sich über die Schranken zwischen Leben

und Tod hinwegsetzen. Cuba bewies ihm die Ueberwindbarkeit des Todes.

Im Roman "Beide Sizilien" geht Lernet-Holenia ein Jahr später

von einer durchaus positiven Deutung des Todes aus: Die Helden dieses Romans nehmen sämtliche ihren Tod als Selbstverständlich­ keit auf sich, als befänden sie sich noch im Krieg; sie sterben um der Ehre willen und empfinden den Tod nicht als Vernichtung. Wie kommt nun Lernet-Holenia dazu, diese so grundsätzlich verschie­

denen Themenkreise von Liebe und Tod zu verbinden? Zunächst ergibt

sich geradezu eine zwingende Notwendigkeit zur Verknüpfung der Grundthemen, und zwar aus der Tatsache, dass die Erzählungen sich

sowohl als Liebes- wie auch als Kriegsgeschichten erweisen. Es ist daher unerlässlich, die beiden Motive miteinander zu verbinden,

wenn das Werk eine Einheitlichkeit der Handlung und des Inhaltes

aufweisen soll. Gerade weil ja der Held nicht als Geliebter bei seiner Geliebten und gleichzeitig Soldat im Krieg sein kann,

könnte durchaus die Gefahr bestehen, dass sich die Erzählung in zwei voneinander unabhängige Ereignisketten trennt, die zu ver­

binden Lernet-Holenia aber meisterhaft gelingt: Wie sehr sich die beiden Welten von Krieg, Tod und Liebe ausschliessen, zeigt

ein Blick auf die "Standarte" sehr deutlich: Sobald Menis zum Fahnenträger geworden ist, ja sogar schon vom Augenblick an, da

er an die Möglichkeit, Fahnenträger zu werden, denkt, verblasst

seine feurige Liebe zu Resa. Es ist fast so, als könne Menis nicht gleichzeitig der Standarte (und damit dem Reich) und sei­ ner Geliebten die Treue halten. Er verhält sich Resa gegenüber absolut ablehnend, solange er das Standartentuch unter seiner Uniform trägt; erst wenn er den Untergang des Reiches als defi­

nitiv ansehen muss und seine Standarte mit vielen andern in

Schönbrunn verbrennt, findet er wieder zur geduldig wartenden Resa zurück. Da aber die Frauen ihren Gefühlen treu bleiben,

kann der Geliebte wieder zurückkehren. Mit dieser unbedingten Treue schafft Lernet-Holenia gewissermassen die Voraussetzung

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für eine äussere Verknüpfung der Motive. Die innere und entschei­

dende Verbindung gelingt dadurch, dass Lernet-Holenia in einigen

Beispielen die Frau an der Daseinsproblematik des Soldaten Anteil

nehmen lässt: Nicht nur für ihn wird die Konfrontation mit dem möglichen Tod zum Thema vieler Erzählungen. Gelegentlich ist es

sogar vielmehr die Frau,die den Tod erleidet, während der Gelieb­

te unversehrt den Krieg übersteht. Wie eng verbunden die Themen­ kreise sind, ist am Beispiel des "Mars im Widder" ersichtlich: Es genügt nicht, dass Cuba "anstelle" von Wallmoden stirbt (er ist ja schliesslich im Krieg, nicht sie, sein Tod wäre für den

Leser weniger unerwartet gewesen), vielmehr überwindet sie ihren

eigenen Tod, um zur abgemachten Zeit zum Rendez-vous zu erschei­

nen. Die Ueberwindung des Todes ist also letztlich nichts anderes als der grösste mögliche Liebesbeweis, den eine Frau überhaupt er­

bringen kann. Wallmodens Nachdenklichkeit am Schluss des Romans

beweist, dass er sich dieser Tatsache durchaus bewusst ist. "Gibt es einen grösseren Beweis für die Liebe einer Frau, als wenn sie auch dann noch zu ihm kommt, wenn sie gar nicht mehr kommen kann?

Und wenn sie sogar eine Verabredung einhält, die einzuhalten ihr schon unmöglich ist?"Diese Sätze könnten durchaus von Wall­ moden gesprochen werden, stammen aber aus der Novelle "Das Rendez­

vous", in der Lernet-Holenia dieselbe Thematik in knapperer Form, aber mit vielen verblüffenden Uebereinstimmungen behandelt, eben­ so wie in der Erzählung "Eine Liebesgeschichte aus der Zeit der

Napoleon-Kriege". Lernet-Holenia hat bereits im "Baron Bagge" ei­ nen Versuch gemacht, die beiden Themenkreise zu verbinden. Auch dort ist ihm dies vortrefflich gelungen, allerdings auch mit ei­

ner anderen Absicht: Nicht Charlotte, sondern Bagge muss den Tod

überwinden, und er überwindet ihn gleichfalls durch die Liebe: er ist - neben Maltravers - der einzige Held, der den Tod aus eigener Kraft überwinden kann, indem er sich im Zwischenreich

von Leben und Tod, wo er Charlotte kennen- und liebengelernt

hat, weigert, die Brücke, die endgültig zum Tod führt, zu über­ schreiten. indem Bagge gar nicht wirklich stirbt, ist seine Ueber­ windung des Todes zwar wirklichkeitsnaher, dagegen aber ist Cubas Liebesbeweis grösser. Die Verknüpfung von Liebe und Tod dient al­

so nicht nur vordergründig der Einheitlichkeit der Romanhandlung, sondern wird im "Mars im Widder" zu einem erst eigentlich zentra­ len Motiv.

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c) Die Hauptfigur Wallmoden

Wallmoden wird vom Autor in seiner Einleitung als die "Hauptperson - um nicht zu sagen: der Held" bezeichnet. In­

sofern ist er sicher Hauptperson, als sich das Geschehen ausschliesslich um ihn dreht; der Leser erfährt keine ande­

re Information, nimmt an keinem andern Gespräch teil, kurz: erlebt die gesamte Romanhandlung aus der Perspektive Wall­

modens. Dennoch ist Wallmoden in zweifacher Hinsicht kein typischer Held: zunächst erfahren wir über seine Persönlich­

keit so gut wie nichts; der Dichter erachtet es nicht für notwendig, nur seine Eigenschaften oder auch nur seine Le­

bensumstände mitzuteilen: Man erhält weder über seinen Be­

ruf noch über seine Familie den kleinsten Hinweis, geschwei­ ge denn über seinen Charakter. Offenbar spielen alle diese vordergründigen Informationen nur eine untergeordnete Rolle.

Wichtig ist nicht Wallmodens Persönlichkeit, sondern sein Er­ lebnis. Von einer psychologischen Charakterisierung des Hel­

den kann auch da nicht die Rede sein, wo man seine Träume und Visionen miterlebt, die Figur Wallmodens bleibt sche­ menhaft: er ist lediglich der Träger einer Rolle, die ihm

der Autor auferlegt: an ihm soll die Verbindung von Schick­ sal und menschlichem Willen demonstriert werden.

Wenn Wallmoden also kein Charakterheld im üblichen Sinne ist, stellt sich die Frage, ob der Roman überhaupt eine

Heldenfigur aufweise. Aufgrund des bisher Gesagten würde

sich allenfalls Cuba dazu eignen. Auch ist ihre Charakte­ risierung und Beschreibung verhältnismässig informativ,

auch die Pointe des Romans baut absolut auf der Person Cubas auf. Aber wir sehen sie ausschliesslich mit Wallmodens Augen,

so dass eine andere Perspektive - abgesehen von Rex' Erklä­ rungen über ihren Tod - nicht ermöglicht wird.

Wallmoden bleibt also eine Hauptperson, deren Charaktereigen­ schaften sich ausschliesslich aus dem Handlungsverlauf heraus­

lesen lassen. Seine Einstellung zu den sich abwickelnden Er­ eignissen ist erstaunlich: er leistet zwar pflichtgemäss seinen

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Militärdienst, aber mit der modernen Kriegsführung ist er nicht

mehr vertraut. Er fühlt sich bei allen Manövern und Gefechten an den ersten Weltkrieg erinnert, mit dem die gegenwärtige Stra­ tegie nicht mehr viel gemeinsam hat. Entsprechend naheliegend ist es, dass Wallmoden zu keinem Zeitpunkt weiss, was eigentlich

geschieht. "So, dachte er, die Schrapnellwolken sind jetzt schwarz, früher waren sie weiss oder pfirsichblütenfarben gewe­

sen. Aber man erklärte ihm, es gebe keine Schrapnells mehr. Es 112) sei ein Richtschuss gewesen. Es gebe nur noch Granaten."

Oder anlässlich eines Abmarsches kommen ihm fast wehmütige Er­ innerungen: "Früher, wenn Geschwader sich auf den Marsch bege­

ben hatten, war es mit dem Rauschen unzähliger Hufe geschehen,

als wirble der Wind welke Blätterhaufen empor oder als fielen 113) Die Zeit seiner

Eisschlossen. Nun tosten die Motoren."

Kriegserlebnisse bezieht sich ganz auf den ersten Weltkrieg: auch seine Stiefel stammen noch aus dem letzten Krieg.

Selbst im Zivilleben scheint er der Gegenwart nicht besonders

verhaftet zu sein: Die Ereignisse in der Piaristengasse und bei Baron Drska weiss er nicht zu deuten. So hinterlässt Wall­ moden beim Leser eher einen etwas weltfremden Eindruck. Charak­

teristisch für diese Distanz zur Gegenwart sind Wallmodens Vi­

sionen, Träume oder - wie er selbst sagt - "Zustände". Da ihm die Wirklichkeit nicht als selbstverständlich gegenwärtig ist, wird ihm in Gedanken der Uebergang in eine Traumwelt leicht mög­

lich.

(Von diesen Uebergängen wird in einem eigenen Kapitel

ausführlich die Rede sein.) Seine Haltung allem Uebersinnli-

chen gegenüber wird dem Leser in den zahlreichen Gesprächen mitgeteilt: Wallmoden interessiert sich durchaus für die Er­ zählungen und Geschichten über Wiederauferstandene und Geister­ erscheinungen und trägt selbst Berichte zur Unterhaltung bei,

aber er legt sich im Gegensatz zu Rittmeister Sodoma oder Leut­ nant Obentraut mit seinen Ansichten nicht eindeutig fest. Wäh­ rend Sodoma über die Vorstellung, als sein eigener Geist andern

zu erscheinen, nur lachen kann und Obentraut im Gegenteil die Existenz übersinnlicher Mächte als unumstrittene Tatsache an­

sieht, meint Wallmoden, dass sich "unser ganzes Leben eigentlich

70

nirgendwo anders als in einem solchen Zwischenreich abspielt",

und:

"Vielleicht haben dennoch diejenigen Berichte am meisten

für sich, die weder ganz geisterhaft noch ganz natürlich sind".

114)

Mit dieser Aussage charakterisiert Wallmoden nicht nur seine Einstellung zum gegebenen Thema, sondern gleichzeitig auch den Bericht "Mars im Widder", der sich ja gleichfalls zwischen Realität und Traumwelt abspielt. Wallmoden sah sich zu diesen

Bemerkungen veranlasst, nachdem der "sonst durchaus nüchtern­

denkende" Major Baron Dombaste eine Geschichte erzählt hatte,

in der eine gewisse Nadja durch eine spiritistische Sitzung zu ihrem Gatten zurückgerufen wurde, obwohl sie bereits als ver­ storben galt. Die Technik, die Hauptpersonen nicht durch Be­

schreibungen, sondern durch Gespräche mit andern zu charakte­

risieren, ist bei Lernet-Holenia sehr beliebt. Fast alle seine Helden geben dem Leser erst in den Dialogen Aufschluss über ihre Persönlichkeit. Daraus ergibt sich eine Fülle von Dialo­

gen und Streitgesprächen in jedem Roman. Oft werden sogar die Handlungen an sich in eine Wechselrede eingefügt, so dass sämt­

liche Informationen über die Ereignisse in der direkten Rede

vermittelt werden. Dadurch wird die Lektüre sehr lebhaft, wirk­ lichkeitsnah und dramatisch, man kann sich die Situationen sehr

leicht bildlich vorstellen, was bei einem Verfasser zahlreicher Dramen auch nicht erstaunt. Die zahlreichen Dialoge mit Cuba

sind genauso aufschlussreich wie die Gespräche mit den Offizie­ ren: Wenn Wallmoden auch unbedingt die Absicht hatte, Cuba zur

Rede zu stellen, - zuerst wegen ihres angeblich schlechten Ru­ fes, beim zweiten Mal wegen ihres seltsamen Verschwindens bei

Baron Drska - so verläuft in beiden Fällen das Gespräch völlig

den Plänen Wallmodens zuwider, und am Ende der Diskussionen um­ armen sich die beiden bzw. vereinbaren einen Zeitpunkt für ein nächstes Treffen. Mit diesen plötzlichen Wendungen in den Ge­

sprächen wird allerdings mehr als Wallmoden Cuba selbst charak­ terisiert. Ueber Wallmoden lässt sich aber feststellen, dass er offenbar nicht zu jenen Helden in den Werken Lernet-Holenias ge­

hört, die sich mit ihrem Willen gegen die ganze Welt durchzuset­

zen vermögen. Die meisten Helden zeichnen sich durch ein gewisses

71

Mass an Draufgängertum aus: sie beschäftigen sich vorwiegend

mit Krieg, Kartenspiel oder sogar nicht ganz sauberen Geschäf­ ten, jedenfalls sind sie ihren Geliebten gegenüber nicht sehr

einfühlsam und kennen die differenzierte Weltanschauung Woll-

modens nicht. Oft stammen sie aus der adeligen Gesellschafts­

schicht, gehören aber zur Gruppe der Abenteurer. Tatsächlich

gibt es auch zahlreiche Beispiele von Helden, die weit eher dem Typ des Verbrecherhelden entsprechen: Maltravers, Strahlen­ heim u.a. Im Roman "Mars im Widder" ist das Abenteurer- und

Draufgänger-Element auch vorhanden, aber es wird durchaus nicht auf Wallmoden bezogen. Wallmoden ist kein Draufgänger,

auch wenn er sich in die Gesellschaft des Baron Drska mitneh­ men lässt. Sein ungutes Gefühl an jenem Abend ist dafür Beweis

genug: Er gestand sich,

"in ein Netz von Geschehnissen verstrickt

zu sein, die er nicht begriff und denen er nicht mehr zu entrin­ nen vermochte.Wäre Wallmoden ein Abenteurer, so würde er

alles daran setzen, die seltsamen Begebenheiten aufzuklären, und würde keinesfalls alles stillschweigend auf sich beruhen

lassen. Das Element des Abenteuers

und des Unheimlichen aber konzen­

triert sich in diesem Roman nicht auf den Helden, sondern auf

seine "Gegenspielerin" Cuba. Lernet-Holenia hat sich sicherlich ganz bewusst bei der Charakte­ risierung von Wallmoden Zurückhaltung auferlegt: zunächst liegt

diese Zurückhaltung - wie gesagt - im Interesse der Handlung: nicht Wallmodens Persönlichkeit, sondern die Ereignisse, in die er gleichsam wider Willen verwickelt wird, sind wichtig.

Darüber hinaus haben wir es aber mit einem "wahrheitsgetreuen Bericht" zu tun. Das heisst, der Autor hat tatsächlich verschie­

dene Begebenheiten selbst erlebt. Deshalb stellt sich hier die

Frage, wieweit der Dichter sich mit seinem Helden identifiziert und deshalb selbstverständlich keine Charakterisierungen anfügt. In vielem kann man sicherlich auch in Wallmoden Lernet-Holenias Persönlichkeit erkennen, so vor allem in einigen Bemerkungen,

72

die der Autor nicht einmal zuerst Wallmoden in den Mund legen

muss:

"Doch besteht kein Zweifel, dass wir... manchmal...

in

ganz anderen Reichen sind... und dass wir dort ein Leben füh­ ren und Dinge tun, von denen wir nichts wissen. Aber wir füh­ ren es, dieses Leben, und vielleicht ist es das wirkliche.

Also stimmt nicht nur die äussere Situation Wallmodens mit der

biografischen Lernet-Holenias überein, sondern auch im Welt­

verständnis und in der Distanzierung zur Gegenwart entspricht

Wallmoden in vielem Lernet-Holenias Persönlichkeit, wie sie im entsprechenden Kapitel erläutert wurde. Dennoch würde es m.E. zu weit führen, eine grundsätzliche Identifizierung Lernet-

Holenias mit seinen Helden erkennen zu wollen, wie dies Guido Gaya tut^^^^; denn, wie wir bereits festgestellt haben, geht es Lernet-Holenia in seinen Erzählungen nicht um die Entschlüs­ selung seiner Persönlichkeit, in die er kaum jemandem Einblick gewährt. Lernet-Holenias epische Werke sind zwar keine Bekennt­

nisse des Dichters zu seiner Person, wohl aber lassen sich Grund­ züge seines Weltverständnisses erkennen.

73

d) Cuba und das Identitätsproblem

Man kann den Roman "Mars im Widder" durchaus als einen "Mili­ tärroman" bezeichnen, wie dies Hilde Spiel tut, sogar gestützt

auf Aussagen des Dichters selbst. Dennoch spielt das Element des Krieges eine sehr untergeordnete Rolle. Wallmoden erlebt

die Ereignisse des Polenfeldzuges am eigenen Leib mit, und

trotzdem wirkt er wie von allem Geschehen gänzlich unberührt:

wenn man weitermarschiert, bedeutet dies für ihn zunächst Ab­ schied von Cuba, aber nicht in erster Linie Krieg. Selbst wenn bei einem Angriff seine Kameraden links und rechts umkommen, bleibt Wallmoden unbeteiligt. Im Sanitätswagen tropft das Blut eines Schwerverletzten auf Wallmoden, der davon zwar Kenntnis

nimmt, aber nur in der Weise, dass er beim nächsten Halt dem

Unteroffizier befiehlt, die Blutflecken aus seiner Uniform mit dem noch verbliebenen Tee auszuwaschen. Ebenso ist vom chaotischen Zustand der polnischen Armee und der Zivilbevöl­

kerung nur kurz und sehr distanziert die Rede: "Alle Strassen­

gräben waren voll Unrat, das ganze Land schien bei lebendigem Leibe in Verwesung übergegangen, von einem Hundert Soldaten

standen nicht mehr zehn bei den Fahnen, es war der beispiello118) seste oder zumindest jäheste Zusammenbruch aller Zeiten."

Die eigentlichen Kriegsereignisse werden meist völlig sach­ lich und nüchtern berichtet: " Bald darauf ward es Nacht. In

der Dunkelheit zogen die Polen sich zurück. Gegen Mitternacht erreichten die Schwadronen die Höhen. Am andern Morgen waren

die Polen verschwunden. Die Geschütze hatten sie stehenlassen." 119) Wir haben bereits festgestellt, dass wir nichts erfahren, was nicht auch Wallmoden erfährt, dass wir die Ereignisse von

seiner Perspektive aus betrachten. Dementsprechend nehmen wir

am eigentlichen Kriegsgeschehen ebenso wenig Anteil wie Wall­ moden selbst. Sicher ist der Zusammenbruch Polens tragisch; aber es wird nichts unternommen, uns diese Tragik fühlen zu

lassen. Wallmodens Anteilnahme gilt nicht den gegenwärtigen

Kriegsereignissen, sondern den längst vergangenen, an die er sich bei jeder Gelegenheit wieder erinnert fühlt: "

'Von hier

aus', sagte er plötzlich, indem er an einer besimmten Stele

74

stehenblieb,

'von hier aus bin ich zum erstenmal ins Feld gegan­

gen... Ich war damals achtzehn Jahre, oder wenig mehr... Mir ist,

es sei gestern gewesen. Es ist ja auch nicht allzu lange her. Es war vor ungefähr dreiundzwanzig Jahren.' "^20’ Aber diese feh­ lende Anteilnahme am Kriegsgeschehen ist nicht nur typisch für

Wallmoden, sondern gleichzeitig ein Merkmal dieses Romans über­

haupt: Der Leser soll offensichtlich nicht einfach in den Dar­

stellungen von Gefechten und Kämpfen mitfiebern, sondern seine Aufmerksamkeit - genau so, wie es auch Wallmoden tut, - auf die

zweite Handlungskette richten: Die Ereignisse um Cuba. Der Roman beginnt mit einzelnen Episoden rund um Cuba, wendet sich dann mit

Wallmoden dem Polenfeldzug zu (wo allerdings Wallmodens Gedanken

an Cuba gleichfalls nicht abbrechen), um sich am Schluss wieder ausschliesslich auf Cuba zu konzentrieren. Nicht der Polenfeld­ zug, sondern die Eigentümlichkeiten rund um die Person Cubas vermögen den Leser zu fesseln. Aus diesem Grunde soll hier Cubas

Funktion innerhalb des Romans näher untersucht werden. Die erste Begegnung Wallmodens mit Cuba ist durch eine aufschluss­ reiche Assoziation Wallmodens geprägt: sie erinnert ihn zunächst

an Nadja, die Russin aus der Erzählung des Majors Dombaste, wel­

che man für tot geglaubt und in einer spiritistischen Sitzung zurückgerufen hatte: "Wallmoden hätte schwören mögen: nur so

wie diese hier (Cuba) und nicht anders könne sie (Nadja) ausge­ sehen haben. Denn auf sonderbare Weise begann er. Erzähltes und 121) Erlebtes zu verwechseln." Für den Leser verwechseln sich hier

aber nicht nur Erzähltes und Erlebtes, sondern der Dichter mischt

gleichzeitig Vergangenes mit Zukünftigem: Der Vergleich Cubas mit Nadja nimmt bereits die kommenden Geschehnisse vorweg: auch Cuba

wird sterben und - wenigstens für Wallmoden - wieder zurückkehren.' Damit ist die auffallendste Eigenschaft Cubas bereits erwähnt: sie wird all die unglaublichen Geschichten, die sich die Offizie­

re gegenseitig erzählen und auch die Träume Wallmodens durch ihr Erscheinen in Janowka bestätigen. Damit kommt ihr eine weitere,

für den Verlauf des Romans entscheidende Bedeutung zu: sie hat die Funktion, die theoretischen Bemerkungen, die der Dichter der

75

Erzählung voranstellt, durch ihr Handeln in die Praxis umzusetzen. Das heisst: Cuba wird beweisen, dass sich Schicksal und Wille

nicht gegenseitig auszuschliessen brauchen. Indem Cuba stirbt,

aber dennoch zur vereinbarten Stunde erscheint, überwindet sie alle dem Menschen sonst unüberwindbaren Schranken. Freilich wirkt eine Figur, der Uebermenschliches gelingt, für den Leser

unheimlich. Lernet-Holenia hätte durchaus den Charakter des Un­ heimlichen auszuklammern vermocht. In seiner schon erwähnten, verblüffend ähnlichen Erzählung "Das Rendez-vous" haftet tatsäch­

lich der Geliebten Marie Tassis nichts Unheimliches an. Hingegen ist sie selbst Opfer eines Verbrechens geworden. Hier in unserem Beispiel ist Cuba an den zweilichtigen Ereignissen selbst durch­

aus aktiv beteiligt und gewinnt dadurch für den Leser an Unheim­

lichkeit. Ihre Verbindung mit dem Kreis um Herrn Oertel und den Baron Drska erfährt man nur indirekt durch die knappen Informa­

tionen des Rittmeisters Rex, wirklichen Aufschluss geben diese Bemerkungen aber weder über Cubas Person, noch über ihre Tätig­

keit. So bleibt uns wiederum nur die Möglichkeit, Cuba aus der Perspektive Zu beurteilen, aus der wir sie stets sehen, nämlich aus Wallmodens Blickrichtung: Nach der ersten Verblüffung über Cubas Aehnlichkeit mit der unbekannten Nadja, stellt Wallmoden

fest, dass sie ausserordentlich hübsch sei, und der Dichter fügt hier eine genaue Beschreibung von Cubas Gesicht an. Wie bei al­

len Frauen in Lernet-Holenias Werk wird besonderer Wert auf die Beschreibung ihres Aeussern gelegt. Alle diese Beschreibungen

gleichen sich in verschiedener Hinsicht: stets werden die Stel­ lung der Zähne, die Augenfarbe, die Haare und der Mund beurteilt. Dabei stellt man fest, dass die Unterschiede in den Beschreibun­

gen ziemlich gering sind, es geht also nirgends um eine eigentli­

che Charakterisierung der Personen. Ein Vergleich mit den für die Männer äusserst spärlichen Beschreibungen lässt allerdings einen

interessanten Schluss zu:

Die Helden, Frauen und Männer, denen in irgendeiner Art Unheimli­ ches anhaftet, haben durchwegs blaue Augen: "Charlottes Augen wa­

ren von strahlendem, phantastischem Blau, als spiegelten ganze Himmelsräume sich in ihnen."

', ebenso sind Michail in "Ein

76

Traum in Rot", Gabriel Klamm in "Die Inseln unter den Winden"

und Hackenberg in der "Standarte" alle auffallend blauäugig. Dies gilt auch für Cuba: "Sie hatte Augen von dunklerem und 123)

hellerem, in Strahlen um die Pupillen geordnetem Blau."

Nur die unheimlichen Figuren haben blaue Augen, von den an­

dern wird entweder über die Augenfarbe nichts ausgesagt, oder aber es heisst ausdrücklich - wie von der in Janowka erschei124) nenden Cuba: "Sie hatte braune Augen". Damit wird nicht nur das Dämonische in Cuba bestätigt, sondern gleichzeitig

deutlich gemacht, dass die Cuba Pistohlkors in Janowka zwar nicht die gleiche, schon aus dem Anfang des Romans bekannte Ge­

liebte Wallmodens , dafür aber die "richtige", nämlich braunäu­

gige Cuba und damit die alleinige rechtmässige Trägerin dieses

Namens ist. Lernet-Holenia lässt uns keinen Augenblick im Zwei­

fel hierüber: es sind unverwechselbar zwei verschiedene Frauen, ihre Identität ist nur inbezug auf den Namen ungesichert. Wie

sehr aber der Name Ausdruck einer Identität ist, wie eng er mit der Persönlichkeit verknüpft ist, hat Lernet-Holenia in etlichen

Werken in den verschiedensten Varianten aufgezeigt: In der No­

velle "Der 20. Juli" übergibt Elisabeth Josselin ihrer sterben­ den jüdischen Freundin ihre eigenen Papiere und damit ihren Na­

men. Dadurch "sah sich Elisabeth in dem Falle,

... nicht einmal

sie selbst mehr zu sein. Sie war nun im Grunde überhaupt nie125) Menschen, die den Namen und damit die Identi­

mand mehr."

tät eines andern annehmen, sind in Lernet-Holenias Werken zahl­ reich: So heisst es im Roman "Beide Sizilien", nachdem Alexjew

die Identität eines andern angenommen hat, Menschen "werden im­

mer wieder zu neuen Menschen und spielen die Rollen anderer, während andere vielleicht die ihren spielen. "ßie ihrer

Identität beraubten Menschen können daher eine innere Krise nur

schwer überwinden. So meint Michail in "Ein Traum in Rot": "Wie kann es sein, dass ich nicht der bin, der ich zu sein meine,

sondern ein ganz anderer bin, ... der da ist, und ich bin nicht 127) mehr da.' " Noch unmittelbarer zeigt Gasparinetti in "Beide

Sizilien" die innere Haltlosigkeit durch den Identitätsverlust: "Ueberhaupt merkte ich, in welche Gefahr man geriet, wenn man

jemand anders vorstellen wollte... Man wusste auf einmal nicht mehr, wer man wirklich war. Es überkam mich wie ein Schwindel."

2

77

Von einer Identitätskrise kann freilich inbezug auf den "Mars im Widder" nicht die Rede sein: Dazu werden wir mit der Person der

rechtmässigen Cuba Pistohlkors zuwenig bekanntgemacht. Sie ist ja für den Autor, und den Leser, wie auch für Wallmoden, nur we­

gen ihres Namens von Interesse. Aus ihrer Perspektive stellen

sich keine eigentlichen Probleme, weil sie ihrer Doppelgängerin, der falschen Cuba, nicht begegnet. Im Zentrum steht nicht die rechtmässige, sondern die vorgetäusch­

te Cuba. Wir erhalten allerdings schon sehr früh einen Hinweis

darauf, dass sich diese Person nicht so ohne weiteres identifi­ zieren lässt: Sie sagt von sich selbst:

"Ich bin eine Abenteure129

rin, und den Vornamen , der im Pass steht, habe ich vergessen."

Für Cuba sind Namen offenbar nicht wichtig, damit gibt sie den deutlichsten Hinweis auf ihre kaum identifizierbare Person. Men­

schen aber, die nicht dem Bereich des Unheimlich-Phantastischen

angehören, wie Wallmoden, betrachten einen Namen als etwas Ver­ bindliches, ihnen ist das Auswechseln von Identitäten fremd. Da­

her kann Wallmoden mit dem eigenartig direkten Geständnis Cubas

auch gar nichts anfangen: für ihn ist sie Cuba Pistohlkors und kommt deshalb in seinen Augen auch selbst an das vereinbarte Treffen. Nur weil Wallmoden zwischen echter und bloss angenomme­

ner Identität nicht unterscheidet, müssen für ihn am Schluss die beiden Frauen identisch werden. Wallmoden ist aber deswegen nicht eine besonders naive Figur, denn die Entschlüsselung einer Person gehört für Lernet-Holenia zu den fast unmöglichen Dingen

im Leben: "Will man eben wirklich einmal die Identität eines Men­ schen nachweisen, so stürzt man ins Bodenlose. Wissen doch auch

wir selber nicht, wen wir, in Wahrheit, vorstellen;Auch wenn"die Identität eines Menschen feststellen" nach Rizzo-Baur

in der österreichischen Schriftsprache nur so viel heisst wie "feststellen, wer er ist",'*’^ ’ wird hier doch deutlich, dass ge­ rade dieses einfache Erkennen eines Menschen ein unmögliches Un­ terfangen ist. Darüber hinaus weitet sich bei Lernet-Holenia die­ se Frage auf den Fragenden selber aus: Wallmoden kann Cubas Iden­

tität nicht erforschen, weil er im Grunde selbst nicht weiss, wer er ist. Diese Ungewissheit der eigenen Identität gegenüber kommt

78

in Wallmodens Beziehung zur Wirklichkeit überzeugend zum Ausdruck:

Seine Träume sind von so gewaltiger Intensität, dass es ihm nicht

mehr möglich ist, die Grenze zwischen Traum und Wirklichkeit zu erkennen. Er ist ebenso sehr der in den Krieg ziehende, kämpfen­

de, mehr oder weniger aktiv am Leben teilnehmende Wallmoden wie

auch die völlig von jenem losgelöste, eigenständige und unbeein­

flussbare Hauptperson seiner Träume. Die Unmöglichkeit, die eine oder andere Person ausschliesslich als das eigene Ich zu identi­ fizieren, verursacht bei ihm sogar physische Beschwerden, Kopf­

schmerzen und Schwindelanfälle. Freilich ist derselbe Themenkreis

in Lernet-Holenias Werken auch unbeschwert und ohne die hier auf­ gezeigte Tragik anzutreffen: Der auferstandene Maltravers ver­

steht es geradezu, mit seiner Identität zu spielen, wie zahlrei­ che Helden, die sich auf der Grenze von Gesetz und Illegalität befinden; deshalb bereitet es auch Cuba keinerlei Schwierigkeiten,

einen andern Namen anzunehmen.

Mit seiner Vorliebe für Doppelgängermotive befindet sich LernetHolenia in einer vielfältigen Tradition. Es seien nur kurz die zahlreichen Doppelgänger-Geschichten in der Romantik erwähnt,

aber auch Oskar Wilde in seinem "Bildnis des Dorian Gray" gehört in diesen Kreis. Lernet-Holenia hat allerdings die Doppelgänger­ thematik auf eine grundsätzliche Daseinsproblematik ausgedehnt:

denn nicht nur Cuba, sondern in erster Linie Wallmoden wird mit der Identitätsfrage auch inbezug auf seine eigene Person konfrontiert. Diesen weit problematischere Aspekt, als ihn die Romantiker kennen, haben wir bereits beim Vergleich Lernet-Ho­ lenias mit Kleist feststellen können. Ebenso lässt sich hier eine Verbindung zu modernen Themen des

20. Jahrhunderts herstellen: Robert Blauhut spricht von der für unsere Zeit typischen "Auswechselbarkeit des Ichs", die sich in 132) Brechts "Mann ist Mann" erstmals dokumentiert. Auf österrei­

chischem Boden ist Lernet-Holenia durch diese Thematik mit einem, seinem Werk sonst völlig fremden Schriftsteller verbunden: mit George Saiko und dessen Roman "Auf dem Floss"

der Diener

(1948), in dem

Joschko zu einer Komplementär-Figur seines Herrn

79

"ummontiert" wird. Bei Lernet-Holenia hat das Identitätsproblem aber keinerlei Zusammenhang mit irgendwelchen zeittypischen Er­

scheinungen: Der Dichter will nicht etwa den Bewusstseinszustand des modernen Menschen, sondern stets die grundsätzlichen Möglich­

keiten, die Welt wahrzunehmen, aufzeigen.

80

e) Das Phantastische

Der Roman "Mars im Widder" wird durch zahlreiche phantastische und unheimliche Begebenheiten geprägt: Von merkwürdigen Be­ wusstseinszuständen und Träumen Wallmodens über vielsagende Interpretationen von Sternkonstellationen bis zu den geheim­ nisvollen Vorgängen rund um Cuba und die Herren Oertel und

Drska. Allen diesen Begebenheiten ist das Aussergewöhnliche gemeinsam, das wir hier unter dem Begriff des "Phantastischen"

zusammenfassen wollen. In einzelnen Abschnitten sollen die oft eng miteinander verbundenen Aspekte behandelt werden, eben­ so wird die Frage nach der Entstehung des Phantastischen und

seinem Stellenwert für die Interpretation des Romans zu be­ antworten sein.

1. Wirklichkeit_und Traumwelt

Zunächst wollen wir den Aspekt des Phantastischen - wie es auch dem Handlungsverlauf des Romans entspricht - auf die Hauptfigur Wallmoden beziehen: An ihm werden grundsätzlich­ ste Wahrnehmungserfahrungen aufgezeigt.

Wir haben bereits in anderem Zusammenhang festgestellt,

dass Wallmoden mit der Gegenwart nicht verwurzelt ist, in seinen Gedanken liegen ihm die Erlebnisse des ersten Welt­ krieges viel näher als die des zweiten. Durch die geringe

Anteilnahme an der Gegenwart werden die Voraussetzungen für einen möglichen Uebergang in eine Traumwelt geschaffen. Ebenso kommt Wallmodens Beziehung zum "Unwirklichen" in seinem Interesse an den Erzählungen über die Rückkehr von

Geistern und Toten deutlich zum Ausdruck. Wie intensiv

aber die Erzählungen in seinem Innern nachwirken, zeigt sich

in der Verwechslung von Cuba mit Nadja, wodurch der Dichter die künftigen Ereignisse kunstvoll verschlüsselt bereits vorwegnimmt. Wallmoden ist sich durchaus bewusst, dass er

hier zwei eigentlich unverwechselbare Dinge vermischt, da Nadja ja nur dem Bereich der Fiktion, einer Erzählung ange-

81

hört: "Denn auf sonderbare Weise begann er, Erzähltes und Erleb­ tes zu verwechseln. Ja der Eindruck war so stark, dass er sogleich

auch bei ihr die kleinenUnregelmässigkeiten der Zähne zu entdecken

suchte... Aber ihre Zähne schimmerten wie die Perlen einer ausge133) ... ' Dieses Bewusstsein schützt ihn jedoch nicht

suchten Schnur."

vor andern, noch merkwürdigeren Erlebnissen. Im Gegenteil: gerade weil Wallmoden weiss, dass er den Boden der Realität verlässt, be­

fallen ihn Furcht und Schrecken. Würde er beispielsweise Cuba tat­ sächlich für Nadja halten, könnte ihm diese Verwechslung gar nicht

auffallen, denn es wäre in seinen Augen ja gerade keine Verwechs­ lung. Eigentliche Panik befällt ihn erst anlässlich der Waffenübung

bei Würmla: Die Vision ist von so grosser Intensität, dass sie physische Auswirkungen (Schwindelgefühle) zeigt. Wie schon beim ersten Beispiel ist sich auch hier Wallmoden der Unwirklichkeit

des Erlebnisses bewusst; aber im Gegensatz zum obigen Beispiel ist es ihm hier nicht mehr möglich, das Bewusstsein von einer,

der Vision parallel verlaufenden Wirklichkeit aufrecht zu erhal­

ten, das heisst: er verliert für kurze Zeit die Besinnung. Dieser Umstand erst löst die Panik aus. Solange Wallmoden sich der (wenn auch zeitweise nur aus Distanz wahrnehmbaren) Wirklichkeit noch bewusst ist, bleibt auch seine Anwesenheit in der Realität ge­

wahrt. Sein Ich befindet sich zwar in einer visionären Verfassung

oder, wie Wallmoden sagt, in einem "Zustand", ist sich aber seiner

Teilnahme am realen Geschehen immer noch bewusst. In Würmla ver­ liert nun Wallmoden dieses Bewusstsein von der Wirklichkeit. Für

ihn ist plötzlich nur noch das Erlebnis der Vision vorhanden; was sich in der Zwischenzeit in dem Bereich der Realität abge­ spielt hat, weiss Wallmoden durchaus nicht: Er ertappt sich ge1'

wissermassen in einer "knienden Stellung, in die er geraten war",

ohne es zu bemerken, und aus der ihn seine Kameraden wieder auf­ heben, weil sie glauben, er sei gestolpert. Es gibt also zwei verschiedene Möglichkeiten, den Boden der Realität zu verlassen:

Entweder ist man sich der Doppelspurigkeit des Geschehens bewusst: Realität und Traumwelt existieren gleichzeitig nebeneinander, oder

man verliert dieses Bewusstsein und erlebt ausschliesslich die Er­ eignisse in der Traumwelt. Im ersten Fall befindet sich der Mensch gewissermassen auf der Grenze der beiden Bereiche

und hat dadurch

82

an beiden Anteil, im zweiten hingegen überschreitet er diese

Grenze und verliert die Verbundenheit mit der Wirklichkeit.

Beide Arten von Realitätsverlust sind bei Wallmoden mehrfach feststellbar. Nach dem Verschwinden Cubas bei Baron Drska will Wallmoden sie

in ihrer Wohnung aufsuchen, findet aber nur das Dienstmädchen vor, ein - wie er später erfährt - "zwielichtiges Frauenzimmer", das er aus ihm selbst unerklärlichen Gründen umarmt. Gleichzeitig

hat er aber das Gefühl, diese unangebrachte Tat nicht selbst zu vollbringen. Es steht gewissermassen ausserhalb sich selbst, hat gleichzeitigen Anteil an Wirklichkeit und Traumwelt:

"er dachte,

zugleich, zwei voneinander ganz unabhängige Gedankenreihen. Wäh­ rend der eine von den beiden Menschen, aus denen er bestand, so tat, als mache er sich über sie (d.i. das Dienstmädchen) her,

dachte der andere - sozusagen - im Zimmer herum, um nach einem Brief zu suchen, den Cuba hinter lassen hätte. "^S) In einer ver­ gleichbaren Situation befindet sich Wallmoden während des Abmar­ sches kurz nach seiner letzten Begegnung mit "Cuba": "Er hatte

wiederum das Gefühl, in zwei Personen zerfallen zu sein, die

ganz verschieden handelten.... Dies Nebeneinander war das son­ derbarste. Aber es gab immer wieder nur dies Nebeneinander." -^G) Diese Gespaltenheit erlebt Wallmoden verhältnismässig distanziert, jedenfalls versteht es sich, dass das Ueberschreiten der Grenze

zwischen Wirklichkeit und Traumwelt ungleich beängstigender wirkt. Wenn Wallmoden selbst die Welt nicht mehr versteht, bleibt sie

auch dem Leser undurchschaubar. So sind denn die sogenannten "Zu­ stände" Wallmodens auch zahlreicher und für die Vermittlung des Phantastischen besonders geeignet.

Im Verlaufe der Romanhandlung sind (abgesehen vom Schluss in Janowka) drei solche Zustände beschrieben: Zunächst die Vision bei Würmla, dann das Traumerlebnis in Jedenspeigen und zuletzt Wallmo­

dens Bewusstlosigkeit während des Bombenangriffs bei Uschilug. Allen

drei Erlebnissen ist die bereits erwähnte Unerklärlichkeit gemein­ sam, in allen drei Fällen überschreitet Wallmoden die Grenze zwi­

schen Wirklichkeit und Traum, und jedesmal erschreckt er zutiefst

83

über den Verlust der Realität. Im ersten Fall vermeidet er es interessanterweise, seinen Kameraden gegenüber auch nur andeu­

tungsweise über das Erlebnis zu berichten. Wie unnatürlich, ja geradezu krankhaft ihm dieser Zustand erscheint, beweist seine

Reaktion auf das Traumerlebnis. In Jedenspeigen sieht er im Traum zwei Mädchen in einem Zuber in seinem eigenen Zimmer ba­

den, die aber zu seinem Erstaunen verschwinden, als zwei Kame­ raden mitten in der Nacht mit ihm Karten spielen wollen. Selt­ samerweise ist von den beiden Frauen nur die Spur eines Paars

nackter Füsse zurückgeblieben; wie die andere,die gleichfalls

gebadet hatte, den Raum verlassen hat, bleibt Wallmoden schleier­ haft. Der Leser kann diese Erscheinung selbst auch erst verste­ hen, wenn er den Roman zuende gelesen und von der Austauschbar­

keit der Identität der Cuba Pistohlkors Kenntnis genommen hat. Die beiden Frauen aus dem Waschzuber hinterlassen in gleicher

Weise nur eine einzige Spur, so wie die richtige und die falsche

Cuba auch nur einen gemeinsamen Namen haben. Lernet-Holenia weist auf diesen Zusammenhang mit aller Deutlichkeit hin, indem

Wallmoden auch im Gutshof in Janowka zuerst die nassen Spuren nackter Füsse entdeckt und sich folgerichtig an das Jedenspeiger

Traumerlebnis erinnert. Die Anknüpfung an den Traum ist für Wall­ moden so intensiv, dass "die Zeit, die zwischen dem Traum und

dem Wiederauffinden der Fährten lag, auf einmal wie nicht mehr , „ 137) da" war. In Jedenspeigen aber war der Traum "deshalb so merkwürdig, weil er sich in nichts - oder fast nichts - vom Wachsein unterschied...

Wallmoden träumte, er liege wach im Bett, in welchem er in Wirk138) lichkeit schlafend lag." Damit wird das erste Erlebnis eines "Zustandes" zu einer grösseren Intensität gesteigert: Während

sein Bewusstsein in Würmla offenbar kurzfristig ausgesetzt hatte, meint hier Wallmoden stets, bei Bewusstsein gewesen zu sein, das

heisst, er erlebt den Traum als Wirklichkeit. Deshalb hat er am folgenden Morgen Schwierigkeiten, zwischen Geträumtem und Tat­

sächlichem zu unterscheiden. Da er überdies (wie schon beim er­

sten Beispiel)

Schwindelanfälle verspürt, entschliesst er sich,

84

einen Arzt ins Vertrauen zu ziehen. Auch hier ist dieses Erlebnis als Steigerung des ersten anzusehen: die Beunruhigung ist zu

gross geworden, als dass man sie für sich hätte behalten können. Es ist aufschlussreich, dass gerade der Versuch, solche Erlebnis­

se in Worte zu fassen, scheitern muss:

"Seine Unfähigkeit, einen

vernünftigen Bericht zu geben, brachte ihn in Verlegenheit, er fühlte, dass Schweisstropfen auf seiner Stirn austraten, und 13 9) Offenbar ist die Sprache nicht

schliesslich... schwieg er."

fähig, solche Bewusstseinszustände auszudrückenj aber viel eher noch ist Wallmoden ausserstande, die Gefühle und Erregungen zu

analysieren, in Gedanken und dann in Worte zu fassen. Weil die Erlebnisse dem Verstand nicht zugänglich sind, muss die Sprache

versagen. Ebenso muss der Arzt, gegenüber den vagen Aeusserungen Wallmodens versagen: er hält einen wortreichen Vortrag über die

wissenschaftlich-kulturhistorische Bedeutung von Schwindelanfäl­

len und erklärt dann aber durchaus zu Recht, Wallmoden Sei nicht krank, sondern befinde sich "wahrscheinlich nur in einem gestei­ gerten Zustand". 14°) jjoch bevor Wallmoden das dritte Beispiel ei­

nes "gesteigerten Zustandes" erlebt, begegnet ihm der Geist Sodomas. Auch diese Begegnung wird wegen zahlreicher Gespräche zu

diesem Thema vom Leser geradezu erwartet. Der Schreck darüber kann aber kaum von Wallmoden Besitz ergreifen, denn bereits ver­

liert Wallmoden während eines Bombenangriffs bei Uschilug das Be­ wusstsein. Wie beim zweiten Beispiel wird er aber des Uebergangs

von der Wirklichkeit zur Traumwelt nicht gewahr: "Allein er hat141) te nicht den Eindruck, das Bewusstsein zu verlieren." Infolgedessen hält er die weiteren Ereignisse für Wirklichkeit:

er flüchtet sich in den von einer Granate aufgerissenen Krater,

wo er über die lockere Erde staunt. Der Boden unter ihm scheint grundlos zu sein.

"Es war in der Tat ein merkwürdiges Gefühl, in 142)

etwas so Loses zu greifen... der Boden war völlig schwammig."

Indem Wallmoden während seiner Bewusstlosigkeit gleichsam doppelt,

d.h. sowohl in Wirklichkeit als auch im Traum, den "Boden unter den Füssen" verliert, zeigt sich erneut eine Steigerung gegenüber

dem vorigen Erlebnis.

(Ganz abgesehen davon, dass es sich nicht

mehr nur um einen Traum, sondern um eine tiefe Bewusstlosigkeit

handelt.) Völlig überraschend beginnt Wallmoden, nach einem Wesen,

85

einem möglichen Verschütteten, Toten, zu graben, bleibt aber plötz­

lich mit den Händen in der Erde stecken und erwacht unversehrt im

Sanitätswagen. Es gelang ihm nicht - wie es ausdrücklich heisst -, das Gesicht des Geschöpfes aufzudecken. Auch hier wird ein Aspekt des Schlusses vorweggenommen: Es wird Wallmoden nie gelingen, die

Identität der falschen Cuba aufzudecken. So eigenartig Wallmodens

Wühlen in der Erde dem Leser auch erscheinen mag, so drängen sich doch einige ähnliche Ereignisse aus andern Romanen zum Vergleich

auf:

Nikolaus Toth ("der Mann im Hut") dringt gleicherweise in

die Begräbnisstätte der Nibelungen ein wie Graf Luna in die Kata­

komben und Menis in die unterirdischen Gänge des Konak. Annie

Reney und Maria Felsenreich bezeichnen diese Begebenheiten als "Sinnbilder eines Menschen, der die Distanz zu den Dingen und 143)

Menschen schmerzlich fühlte, nach dem Schoss der Mutter."

In der Tat machte Lernet-Holenia als Kind die Erfahrung, von Va­ ter und Mutter nicht geliebt, nicht akzeptiert zu sein. "Diese tiefe Kränkung scheint Lernet-Holenia nie aufgelöst, nie überwun­

den zu haben. Sie liegt auf dem Grund seiner distanzierten Hal­ tung, seiner Angst vor dem Verletztwerden, seiner Lust, im Tod 144) den Weg ins Innere des Weltenschosses zu finden."

Die beiden zuerst erwähnten Erlebnisse und die drei "Zustände"

fallen durch ihre Losgelöstheit von der Wirklichkeit auf. In allen Beispielen entfernt sich Wallmoden deutlich von der Reali­

tät; und weil er seine Wahrnehmungen selbst nicht zu deuten ver­ mag und auch der Dichter keine erklärenden Erläuterungen abgibt, ergeht es dem Leser nicht anders: er kann sich die phantastischen

Ereignisse ebensowenig erklären und erlebt sie daher gleichfalls mit. Es sind allerdings noch einige aufschlussreiche Aeusserungen Wallmodens hierüber zu erwähnen, in denen seine Auffassung

von Wirklichkeit zu erkennen ist: "Der (gute oder schlechte) Ruf

ist ein Missverständnis. Er bezeichnet nur die Art, auf die wir die Dinge sehen. Aber wie sehen wir die Dinge? Meist ganz falsch. 145) Es käme darauf an, sie so zu sehen, wie sie wirklich sind." Wallmoden masst sich keineswegs an, seine Sicht der Dinge als

die objektive aufzufassen; im Gegenteil, er scheint sich bewusst

zu sein, dass er an der Realität vorbeilebt. Deshalb ist er den

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Erlebnissen der Traumwelt auch besonders zugänglich und kann so­

gar behaupten: "Nur die Augenblicke, in denen man vor Entsetzen zu sterben glaubt, lebt man wirklich. " ^46) Die Vollendung des

Lebens im Augenblick des Todes, diese Vorstellung ist bei LernetHolenias Helden verbreitet, nur bedarf es nicht unbedingt eines

physischen Todes, um Lebenserfüllung zu erlangen; die Zustände

Wallmodens, die Träume, ja überhaupt jedes "unwirklich" geführte

Leben vermittelt eigentliches Lebensgefühl. In der Tat führen Lernet-Holenias Helden zumeist ein höchst sonderbares Leben, in

dem sie sich von allem distanzieren, was üblicherweise als "Wirk­ lichkeit" angesehen wird. Im Roman "Der Mann im Hut" finden sich

folgende Sätze: "Alles wirkliche verwest zuletzt bei lebendigem Leibe. Nur das Unwirkliche ist schliesslich die Rettung der Welt."^ Baron Bagge, Maltravers, Gasparinetti, um nur einige weitere Na­

men zu nennen, nehmen wie Wallmoden am Bereich

des "Unwirklichen"

teil. Aber selbstverständlich konzentriert sich diese Auffassung

noch viel mehr auf jene Figuren, die Lernet-Holenia ganz dem Be­ reich des "Unwirklichen" zuordnet: Cuba, Hackenberg, Gabriel Klamm und Ananchin. In diesen Kreis gehört auch Herr Oertel, dem LernetHolenia eine bemerkenswerte Aeusserung in den Mund legt: "Selbst

der schlechteste Schriftsteller ist doch imstande, bessere Ge­

schichten zu erfinden, als das Leben. Es zu ertragen ist uns nur möglich, weil wir es ganz unwirklich führen. Es gibt nichts

Hoffnungsloseres, als in der Tat zwischen die Mühlsteine des Le­ bens zu geraten. Man wird dann genau wie die andern."^) Zunächst ist der Wille, sich von den andern, den gewöhnlichen Menschen

unterscheiden zu wollen, auffallend und erinnert uns an die Si­ tuation, in der sich auch der Dichter befindet. Dass er sel­ ber an dieser Aussage Anteil nimmt, beweisen die Aeusserungen

über den Schriftsteller: Lernet-Holenia selbst schreibt "unwirk­

liche" Geschichten, solche, die das Leben nicht hätte schreiben können (obwohl er sich in der Einleitung auf das Gegenteil beruft). Damit distanziert er sich von jeder Art "naturalistischer", wirk­

lichkeitsgetreuer Erzählung,

(selbst wenn er formal dem Realismus

verbunden bleibt - wie sich noch zeigen wird). Zahlreiche ähnliche

Aeusserungen bestätigen dies: "Es gibt kein Kunstwerk, das nicht

87

eine ganze Welt in sich enthielte - und wahrscheinlich sogar 149) eine wirklichere, als die wirkliche Welt es ist." Man kann noch einen Schritt weitergehen und feststellen, dass Lernet-

Holenia das Ineinanderflechten von Wirklichkeit und Fiktion,

von Realität und Traumwelt, Leben und Tod zum wesentlichsten Prinzip seiner schriftstellerischen Arbeit erhoben hat. In

sämtlichen Erzählungen soll der Leser über irgendeine, ihm

letztlich nicht verständliche Begebenheit staunen, und wenn es nur eigenartige Verknüpfungen von Zufällen oder schicksalshaften Ereignissen sind. Obwohl dieses Grundmotiv ohne Zweifel

das auffälligste ist, hat sich Lernet-Holenia nie zu diesem

Thema geäussert, wie er sich bekanntlich überhaupt nur zu

ironisierenden Bemerkungen über seine Arbeit bequemen liess. Umso grössere Bedeutung kommt den diesbezüglichen Bemerkungen

der Romanfiguren selbst zu, hinter denen sich sehr oft die Mei­ nung des Autos verbirgt. Ein aus diesem Grunde in der Lernet-Ho-

lenia-Forschung vielzitierter Abschnitt kann hier nicht übergan­

gen werden: Gasparinetti im Roman "Beide Sizilien" prägt folgen­ de Sätze: "Interessant zu werden beginnt das Leben überhaupt erst in den Augenblicken,

in welchen es unwirklich wird; und

die vollkommensten Erzählungen sind jene, welche bei grösster

Wahrscheinlichkeit, die sie für sich beanspruchen können, den höchsten Grad von Unwirklichkeit erreichen."1^°) ausschliess

lieh die Vermittlung der phantastischen Welt, sondern ihre Ver­ bindung mit dem gewöhnlichen, wirklichen Leben ist entscheidend.

Gerade die "Verbindung prägnantester Realistik mit dem Geheim­ nisvollen, mit dem Hereinbrechen ausserirdischer Elemente ist 151)

charakteristisch für den Dichter."

Auch in diesem Merkmal erkennen wir eine Parallele zur Spätro­ mantik E.T.A. Hoffmanns: Beiden Dichters geht es um die Darstel­ lung und Verbindung einer realen und einer übernatürlichen Welt.

Diese beiden Welten können sich durchaus so vermischen, dass es den Helden der Erzählungen oft nicht mehr möglich ist, Phantasie­

welt und Wirklichkeit zu trennen. Allerdings bleibt die Wirklich­ keit bei Lernet-Holenia im Gegensatz zu Hoffmanns Erzählungen

viel gegenwärtiger, der Leser bleibt der Realität näher verbunden

88

und erlebt daher nicht dasselbe Gefühl des Unheimlichen wie bei Hoffmann, dessen reale Welt durch die Ironisierung an Wirklich152) Desgleichen zeichnet sich die

keitscharakter verliert.

übernatürliche Welt Hoffmanns durch blühende Phantastik aus, verglichen mit der die gelegentlichen Abstecher in eine Traum­

welt bei Lernet-Holenia wirklichkeitsnah scheinen, denn Lernet-

Holenias übernatürliche Welt ist keine Märchen- und Zauberwelt sondern der Bereich des menschlichen Unbewussten, das Grenzge­

biet zwischen rational Erklärbarem und nur mehr intuitiv Erfass­ barem. Gemeinsam aber bleibt den beiden Dichtern ihre Stellung

im literarhistorischen Ablauf: beide sind Vertreter einer Spät­

zeit: Hoffmann wehrt sich gegen den Realismus, Lernet-Holenia wendet sich in seinen Werken betont von der modernen Literatur ab, indem er sich thematisch, wie auch formal, der Vergangen­

heit mehr verbunden fühlt als der Gegenwart.

Die Möglichkeiten, den Uebergang von der realen zur phantasti­

schen Welt darzustellen, sind vielfältig: Zunächst soll der Be­

griff des "Zwischenreichs " näher untersucht werden: Während des Marsches gegen Osten nimmt Wallmoden, wie schon ver­

schiedentlich festgestellt worden ist, wenig Anteil am Geschehen, weshalb Lernet-Holenia in diesem Zusammenhang bei der Vorüber­

fahrt eines Zuges folgendes über Wallmoden bemerkt: "Es schien ihm, dass der Zug, aus einer ganz andern Welt kommend, in eine

ganz andere Welt fuhr. Hier jedoch war keine Welt, Hier war et153) Das Zwischenreich ist nicht die

was wie ein Zwischenreich."

Traumwelt selbst, sondern gewissermassen eine Vorstufe dazu. Die

Augenblicke, in denen sich Wallmoden gespalten fühlt, gehören

ganz ins Zwischenreich. Wer sich im Zwischenreich befindet, nimmt sowohl an der Wirklichkeit wie auch an der Traumwelt teil, erlebt eigentlich den vom Arzt bei Wallmoden diagnosti­ zierten "gesteigerten Zustand", ohne deswegen die Verbindung

mit der Realität zu verlieren. Von Carl Zuckmayer stammt die prägnante Formulierung: "Das Zwischenreich ist eigentlich kein Traum, sondern eine exaktere, stärker belichtete Wirklichkeit."15

Infolgedessen ist es oft nicht möglich, zwischen Wirklichkeit

89

und Traumwelt klare Grenzen zu ziehen. Der Uebergang geschieht un­ merklich, indem man zunächst ins Zwischenreich gelangt. Wie

fliessend die Grenzen tatsächlich sind, zeigt das Gedicht "Lazarus"

aus der Sammlung "Das Feuer" besonders eindrücklich:

Dass ich, vorher, geträumt, was ich nun nicht mehr erinnere, ist möglich. Beginnt nicht auch das Leben so? Beginnt der Tod nicht

so, und man weiss nicht einmal, dass er x. 4-r>155) beginnt?

Hier befinden wir uns nicht mehr nur im Grenzbereich zwischen Wa­ chen und Träumen, zwischen Wirklichkeit und Phantasie, sondern gleichfalls im Zwischenreich von Leben und Tod. Dass auch dieser

Bereich mit den übrigen eng verknüpft ist, versteht sich nicht

nur aus früheren Kapiteln dieser Arbeit, sondern auch aus zahl­ reichen Romanen und Erzählungen. Besonders bemerkenswert ist

Baron Bagges Erlebnis: Nach einer schweren Verwundung in einem

Gefecht im ersten Weltkrieg bleibt er (dem Leser allerdings nicht bewusst)

ohnmächtig auf einer Brücke liegen. Die Erzählung nimmt

aber ungehindert ihren Fortgang, genau so, wie sich die Handlung in Wirklichkeit hätte abspielen können. Gleichwohl ist die ganze

Liebesgeschichte um Charlotte nur ein Traum. Bagge befindet sich während neun Tagen (nach einem keltischen Mythus, wie der Dich­

ter erklärt)

im Zwischenreich von Leben und Tod. Am neunten Ta­

ge gelingt es ihm, wieder ins Leben zurückzukehren, indem er

sich weigert, die endgültig in den Tod führende goldene Brücke zu überschreiten, - und erwacht. Seine anschliessenden Gedanken charakterisieren dieses Zwischenreich, indem er die Unwirklich­

keit seines Traumes schlichtweg nicht glauben kann,

"es sei

denn, dass, wenn der Tod ein Traum ist, auch das Leben bloss ein Traum vfere. Zwischen den Träumen aber führen Brücken hin und wider, und wer könnte wirklich sagen, was Tod und was Le­ ben sei oder wo der Raum und die Zeit zwischen beiden beginnen 1 RA 1 und wo sie enden.'" Dieselbe Unsicherheit ist uns bei Wall­

moden bereits bekannt; auch ihm ist es unmöglich, den Uebergang

der beiden Reiche zu bestimmen: "Allein er hatte nicht den Ein­

druck, das Bewusstsein zu verlieren... Vielleicht ging auch

90

zwischen dem Aufhören des Bewusstseins und dem Beginn des Trau­ mes etwas in ihm vor. Aber was da geschah, vollzog sich in ei­ nem Reich, aus welchem wir, wenngleich wir es hin und wieder be­

treten, keine Kunde mitzubringen vermögen - so wenig wie aus einem früheren Leben oder in ein nächstes. Es gibt ja keine voll­

kommene Bewusstlosigkeit, sondern wenn wir bewusstlos werden,

geraten wir (wie im Tode) bloss aus einem Reich in ein anderes." Die Unmöglichkeit, über dieses Reich etwas auszusagen,

1

zeigte

sich vor allem während Wallmodens Versuch, den Arzt ins Vertrauen

zu ziehen. Hier aber ist von einer noch grundsätzlicheren Unmög­ lichkeit die Rede: wir können die Grenzüberschreitung oft nicht einmal wahrnehmen, geschweige denn in Worte fassen. Vielmehr geraten Traum und Wirklichkeit durcheinander. So drängt sich

denn die Frage auf, ob das reale Geschehen in Wirklichkeit Traum und das Geträumte Wirklichkeit geworden sei. Die Frage nach dem Grenzbereich hat sich zu einem tieferen Problem gesteigert:

Nicht nur die Uebergänge, das Zwischenreich der beiden Welten

bleiben unbestimmbar, sondern die Welten selbst entziehen sich einer genaueren Erkenntnis: "Doch besteht kein Zweifel, dass wir .... manchmal... in ganz andern Reichen sind, wenngleich

wir meinen, hier zu sein, und dass wir dort ein Leben führen, und Dinge tun, von denen wir nich'ts wissen. Aber wir führen es, 158) dieses Leben, und vielleicht ist es das wirkliche." Die Ver­

knüpfung von wirklichen Ereignissen und Traumerlebnissen ist

eine in der gesamten Weltliteratur beliebte Thematik. Hier sind

vor allem die Vergleiche mit Grillparzers "Der Traum ein Leben" und Calderons "Das Leben ein Traum" aufschlussreich. Alle drei Dichter schaffen Bezüge zwischen einer realen und einer nur

vom Helden geträumten Welt. Während Rustan, der Held im Grill­ parzer-Drama, durch seinen Traum von seinem Verlangen nach

Abenteuern und grossen Taten geheilt wird und seine Aufgabe in der Welt erkennt, zeigt Calderón durch Segismundos Traum die Nichtigkeit alles Irdischen vor der einzig gültigen Wirklich­

keit des Ewigen. In beiden Dramen aber verhilft der Traum und die darin dargestellte Scheinwelt zu einer tieferen Erkenntnis

des wahren, im Traum nicht möglichen Seins. Bei Grillparzer ist

91

das wahre Sein die Beschränkung auf die den Helden umgebende

Realität, bei Calderon der Hinweis auf das Jenseits. Dieser Gegensatz kommt im von Grillparzer umgekehrten Titel deutlich

zum Ausdruck. Lernet-Holenias Wirklichkeit und Traumwelt sind dagegen in keiner Weise auf einen solchen Gegensatz angelegt: es soll nicht durch eine Scheinwelt eine Erkenntnis über das wahre

Sein vermittelt werden. Schein und Sein sind nicht Ausdruck negativer und positiver Weltbetrachtung, sondern gewissermas­

sen wertneutral. Daher können die beiden Bereiche bei LernetHolenia auch ineinander übergehen, was sowohl bei Grillparzer als auch bei Calderon unvorstellbar wäre. Insbesondere die

Möglichkeit, Traum und Wirklichkeit miteinander zu verknüpfen, sogar zu vertauschen, ist Lernet-HOlenias Anliegen. Wirklich­ keit und Traum sind für ihn vertauschbar, letztlich ist es

nicht auszumachen, welcher Bereich der wirklichere ist. Josef Halperin weist darauf hin, dass die Kameraden Wallmodens, ihre

Gespräche und Verhaltensweisen, eher einer traumhaften als einer

wirklichen Sphäre angehören, und sucht den Grund in der politi­ schen Situation des Dritten Reiches: man habe unter dem Alb­

druck einer bevorstehenden Katastrophe nicht anders handeln können.159' Diese Interpretation geht gewiss an der Absicht Lernet-Holenias vorbei: nicht die aktuellen Ereignisse sind wichtig (man denke nur an die geringe Anteilnahme Wallmodens

am Polenfeldzug), sondern im Gegenteil: die ständige Verflech­ tung von

Wirklichkeit und Traum, losgelöst von jeder zeitli­

chen Gebundenheit, kommt dadurch zum Ausdruck. Deshalb muss

auch die Wirklichkeit, die Aktualität, den Uebergang in einen andern Bereich ermöglichen, indem sie (darüberhinaus auch aus der Sicht Wallmodens) traumhaft dargestellt wird. Umgekehrt er­

scheint Wallmoden - wie Bagge - das Traumerlebnis durch diese Vertauschbarkeit

weit "wirklicher" als die Wirklichkeit, auch

wenn Bagge dafür die deutlichere Formulierung findet: "Doch ist mir im Innersten der Traum noch Wirklichkeit und die Wirklich­ keit eigentlich nur mehr wie ein Tfaum. ,,1®°' Weder Bagge noch

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Wallmoden geraten durch die Erkenntnis der Vertauschbarkeit von Traum und Wirklichkeit in Panik, wie dies bei Wallmodens "Zu­

ständen" stets der Fall war, sondern werden eher nachdenklich,

besinnlich. Sie lehnen sich keineswegs gegen die seltsamen Er­ fahrungen auf, sondern scheinen um eine positive Erkenntnis rei­

cher geworden zu sein. Wallmoden vor allem erlebte ja das Un­ glaubliche: die Rückkehr seiner Geliebten aus dem Reich der To­ ten. Wenn bis anhin solche dem Verstand unzugänglichen Erleb­

nisse beängstigend sein konnten, so bewirken sie am Schluss des Romans das Gegenteil: Die Treue Cubas lässt sich nur durch den

Einfluss dieser andern, unbegreiflichen Macht erklären. Dies

wiederum wollte uns ja der Dichter mit seinem Roman schon in der Einleitung deutlich machen: Das Schicksal braucht sich nicht

gegen den menschlichen Willen zu stellen, es können sich Dinge

zu unserem Wohle ereignen, die der Mensch als unmöglich zu be­ trachten pflegt.

Daher ist die ursprüngliche Furcht Wallmodens vor solchen Zustän­ den am Schluss nicht mehr am Platz. Das Unbegreifliche bleibt

nach wie vor unbegreiflich, aber das Unheimliche verschwindet, indem Lernet-Holenia solchen sonderbaren Erlebnissen eine tiefe­

re Bedeutung zuspricht, ja sie gleichsam als letzte Möglichkeit begreift, das Schicksal eines Menschen in einem durchaus positi­ ven Sinn zu bestimmen: "Manchmal vollendet sich, was drüben

nicht geschehen kann, hier - und wieder müssen wir, damit wir uns wandeln, durch jene schattenhaften Flüsse. Denn es gibt, ohne Verwandlung, keine Wiederkehr."^!) Damit wird das unver­

bindliche Spiel um Realität und Phantastik unvermutet zu einer Offenbarung von Lernet-Holenias Weltanschauung.

György Sebestyen fasst die grundsätzliche Absicht des Dichters in folgende Worte: "Er schildert in allen kleineren und grösseren Abenteuern das einzige wirklich grosse Abenteuer des Menschen: seine Konfrontation mit sich selbst als einem Wesen zwischen 16 2) '

Augenblick und Ewigkeit."

93

In diesem Zusammenhang soll kurz auf das Problem der Zeit und

Zeiterfahrung in Lernet-Holenias Werken eingegangen werden. Die Vermittlung zwischen Wirklichkeit und überwirklicher Welt kann auf

verschiedene Weise stattfinden: Zunächst unvermittelt bei völli­

gem Bewusstsein des Menschen durch den Eintritt ins Zwischenreich

oder aber über den Zustand verminderten Bewusstseins, den Traum, und drittens über die Bewusstlosigkeit schlechthin. In allen

drei Fällen sind die Sinneswahrnehmungen des Menschen mit dem Normalzustand nicht mehr vergleichbar. Bei Wallmoden zeigt sich

diese Veränderung in physischen Beschwerden wie Kopfschmerzen

und Schwindelanfällen. Noch viel auffallender ist der andern Zeitbegriffen unterliegende Bewusstseinszustand im Traum zu erkennen: Während man in Wirklichkeit schläft, sieht man sich

handeln, sprechen, kurz an einem wirklichkeitsfremden Geschehen Anteil nehmen, das man allerdings für Wirklichkeit hält. Am in­

tensivsten ist aber die Diskrepanz von Wirklichkeit und Traum­ welt während der Bewusstlosigkeit: Baron Bagge erlebt alles dem

Traumbereich Angehörende so intensiv, dass er kaum mehr in die Wirklichkeit'zurückkehren kann. Wie in allen drei Fällen ist gerade in diesem Beispiel das Zeitempfinden völlig ausgeschal­ tet: Bagge lebt im Traum während neun Tagen in Nagy-Mihaly, wäh­ rend er in Wirklichkeit nur einige Sekunden bewusstlos auf der Brücke gelegen hat. Genauso verliert Wallmoden jedes Zeitempfin­

den während des Bombenangriffs und versucht im Sanitätswagen er­ folglos, die nicht bewusst erlebte Zeitspanne abzumessen. We­

sentlich aufschlussreicher sind aber jene Zustände, in denen

der Mensch an beiden Welten gleichzeitig Anteil nimmt, denn in diesem Zwischenreich ist das Zeitempfinden nicht ausgeschaltet

oder in eine Traumzeit umgesetzt, sondern lediglich gestört. Von Wallmoden heisst es inbezug auf das Jedenspeiger Traumer­

lebnis:

"Ueberhaupt hatte er von da an den Eindruck, dass seine

Wahrnehmungsgabe zwischendurch, in ziemlich regelmässigen Inter­ vallen, auf kurze Zeit aussetzte, sie liess, gewissermassen, im­ mer einen Takt aus, sie piaffierte sozusagen, und wenn er wie­ der Wahrnehmungen machte, war alles immer, wie mit einem Ruck, •u • , weiter. -x „163) schon um ein Stuck

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Deutlicher als durch dieses gestörte Zeitempfinden könnte die Ver­ mischung von Traum und Wirklichkeit wohl kaum vermittelt werden.

Auch andere Helden, wie beispielsweise Menis in der "Standarte"

oder Bagge auf seinem Ritt nach Nagy-Mihaly machen dieselben Er­ fahrungen.

Wallmodens Zeitgefühl verdient aber auch deshalb besondere Beach­ tung, weil er sich während seiner bewussten Zustände oft Gedan­

ken über die Erfüllung der Zeit macht: so kann er sich verschie­ dentlich darüber wundern, dass das Getreide noch nicht reif ist,

und meint angesichts vieler Kriegsopfer über die Erntezeit: "Vielleicht war sie noch vor der Zeit gekommen."1^4) AUCh jie zahlreichen Vorausdeutungen beruhen oft auf Wallmodens Zeit­

empfinden: wenn er von seinem Haus Abschied nimmt, hat er in Ge­

danken diesen Abschied selbst schon vorweggenommen. Diesem be­

wussten Registrieren von Zeitabläufen stehen die Erfahrungen mit Cuba gegenüber: Bei ihr wird er gleichsam aus den Zeitzusam­ menhängen herausgerissen. Nicht nur der Ausgang der Geschichte

zeigt ihre Losgelöstheit vom zeitlich-bedingten Geschehen, son­

dern Wallmoden fällt auf, dass bei Cubas Augen ein Wimpernschlag

fehlt, was ebenso von Charlotte in "Baron Bagge" ausdrücklich be­ merkt wird. Umsomehr muss Wallmodens Zeitempfinden beim Anblick der nassen Fussspuren in Janowka erstaunen:

"Für Wallmoden war

die Zeit, die zwischen dem Traum und dem Wiederauffinden der Fähr­

ten lag, auf einmal wie nicht mehr

Die Unterscheidung

zwischen wesentlichen und unwesentlichen Ereignissen lässt sich sehr anschaulich durch das Zeitempfinden ausdrücken: Wesentlich

für Wallmoden waren nur die Erlebnisse mit Cuba und allem, was ihn mit ihr verband. Alle störenden Zwischenfälle, wie der Polen­

feldzug, können deshalb aus seinen Erinnerungen getilgt werden. Das heisst aber, dass nicht die Traumerlebnisse zerstört werden,

was sich Wallmoden vom Arztbesuch versprochen hatte, sondern ge­

rade umgekehrt: Die Wirklichkeit wird zerstört und das Traumge­ schehen erhält die Bedeutung der Wirklichkeit. Das Zeitgefühl ist

also bei Lernet-Holenia genauso wie Träume und veränderte Bewusst­

seinszustände ein Mittel, Traumwelt und Wirklichkeit ineinander übergehen zu lassen, ja sie sogar zu vermischen oder auszutauschen.

95

2. Herr Oertel_und_Baron_prska

Ein ganz anderer Aspekt des Phantastischen darf natürlich nicht

übersehen werden: Die Ereignisse und Begebenheiten rund um Cuba und die Herren Oertel und Drska. Von allem Anfang an wird dem Leser über die Piaristengasse nur Unheimliches mitgeteilt. Tat­

sächlich ist das Verhalten von Herrn Oertel in hohem Masse ge­ heimnisvoll: er besitzt offenbar die Fähigkeit, kommende Ereig­

nisse vorauszusehen, was seine Bemerkungen über Wallmodens Mi­ litärstiefel beweisen. Aber auch inbezug auf Wallmoden und

seine Bekanntschaft zeigt er eine rasche Kombinationsfähigkeit.

Freilich stellt sich gegen den Schluss des Romans heraus, dass

er mit Cuba verheiratet war. Unter diesen veränderten Voraus­

setzungen erscheint erst recht alles rätselhaft, insbesondere die höchst eigenartigen Bemerkungen über Cuba und ihre "weissen Ehen". Auch Cubas Behauptung, nur gerade auf Wallmoden als den

Mann ihrer Träume gewartet zu haben, bleibt ungeklärt. Selbst über die Zusammenkünfte bei Baron Drska erfährt man nichts Auf­ schlussreiches. Dem Leser ist es nicht klar, was eigentlich un­

ter dem Vorwand eines Kartenspiels geschieht, wozu Cuba ohne jede Ankündigung verschwindet und vor allem, weshalb man auf Wallmodens Anwesenheit so grossen Wert legt.

Die sachlichen Erklärungen von Leutnant Rex vermögen das Rät­ sel gleichfalls nur teilweise zu lösen:

"Es waren Existenzen

aus einer ganz andern Welt als unsereins, mit ganz andern Ehr­

begriffen, wenn man das so nennen kann, und andern Vorstel­ lungen. Genau weiss man es, übrigens, noch immer nicht, denn als die Geschichte herauskam, stand der Krieg vor der Tür, und die meisten waren schon fort."

Alle hatten sie ihre

Informationen, so dass sie rechtzeitig die Flucht ergreifen konnten, mit Ausnahme von Cuba, die in Wien geblieben war und,

als sie sich zur Wehr setzte, erschossen wurde. Die Frage, warum Cuba nicht gleichfalls geflohen war, bleibt offen. Sie konnte keinesfalls annehmen, ungefährdet zu sein, nachdem

ihr Wallmoden von Baumgartens Zweifeln an ihrem guten Ruf

96

berichtet hatte. Nur kurz wagt Wallmoden den Gedanken, sie sei

vielleicht seinetwegen geblieben, um das Rendez-vous nicht zu

verpassen. Unbestritten bleibt die Tatsache, dass die Tätigkeiten der be­

treffenden Kreise sowohl in Teilen der Armee als auch bei der Polizei in einem schlechten Ruf standen. Da es sich in beiden

Fällen um Vertreter des Dritten Reiches handelt, glaubt Otto

F. Beer folgenden Schluss ziehen zu können: "Möglicherweise wird der Leser von heute nicht aufs erste verstehen, dass der

Kreis um den geheimnisvollen Herrn Oertel, den Empfänger von

Geheimbotschaften, aus Oesterreichern bestand, denen das Dritte Reich gegen den Strich ging und die sich in verborgenen Konven-

tikeln organisierten.piese Interpretation ist aufgrund der sachlichen Schilderungen des Leutnant Rex durchaus gerecht­ fertigt, vermag aber die Anhäufung von Phantastischem und den Charakter des Unheimlichen nicht zu erklären. Lernet-Holenia

lässt aber gerade das Geheimnisvolle nicht aus der Welt schaf­ fen: selbst die gründliche polizeiliche Untersuchung vermag

keine weiteren Aufschlüsse zu vermitteln. Ueberdies wird Rex

in seinen Erläuterungen durch den Ausbruch neuer Kämpfe plötz­

lich unterbrochen, so dass auch Wallmoden (und damit der Leser) keine Gelegenheit mehr hat, weitere Einzelheiten zu erfahren. Wenn es sich also bei diesen geheimnisvollen Zusammenkünften um

eine politische Widerstandsbewegung handelt, dann ist alles über­ flüssig, was den Beteiligten den unübersehbaren Anstrich einer

kriminellen Gruppe verleiht. Man müsste von einer Fehlkonzeption

sprechen. Die Theorie Beers, Lernet-Holenia habe diese Anti-Hitler-Vereinigung nahezu in eine Verbrecherbande verwandeln müssen,

um nicht zum vornherein an der Zensur zu scheitern, scheint et­ was weit hergeholt und vermag letztlich nicht zu überzeugen. Es

liegen aber m.E. durchaus andere Gründe für die geheimnisvolle Darstellung jener Kreise vor als die Furcht Lernet-Holenias vor

der Zensur. Um dies zu veranschaulichen, müssen wir uns auf die Absicht des Dichters zurückbesinnen, die er in der Einleitung

zum Roman äussert: Wir haben keinerlei Veranlassung anzunehmen,

Lernet-Holenia wolle mit seinem Roman ein politisches Werk ver-

97

fassen, es geht ihm vielmehr um grundsätzliche Erfahrungen eines

Menschen, wenn er mit Schicksal und Traumwelt konfrontiert wird. Hätte Lernet-Holenia einen politischen Beitrag verfassen wollen, so hätte er die mit Rücksicht auf die Zensur angeblich verschlüs­

selten Stellen, nach dem Kriege, als das Werk erst erscheinen konnte, in seiner unverschlüsselten Version publiziert. Auch

wenn diese These noch nicht Beweis genug ist für die völlige Distanz Lernet-Holenias zur politischen Aktualität, so mögen folgende Ueberlegungen überzeugen:

Wallmoden macht die Erfahrung, dass eine Frau trotz ihres Todes

imstande ist, ein vereinbartes Treffen einzuhalten. Aber er kann diese Begebenheit nur als Tatsache ansehen, wenn er sich

über einige Fakten aus der Realität hinwegsetzt: erstens ist die erschienene Frau nicht dieselbe, mit der er befreundet war, sondern trägt lediglich ihren Namen. Zweitens hat aber die erste

Cuba diesen Namen nur zu unrecht getragen, indem sie sich des fremden Passes bemächtigt hatte. Drittens kann diese Frau gar nicht erscheinen, da sie ja tot ist, äusser sie besitzt über­

menschliche Fähigkeiten.

Wallmodens Vermischung von Wirklichkeit und Traumwelt kann aber nur nachvollziehbar sein, wenn auch der Leser den Eindruck nicht loswird, Cuba (die falsche, namenlose) besitze solche übermensch­

lichen Fähigkeiten, auch wenn man deswegen keinesfalls an eine wirkliche Rückkehr der betreffenden Frau denken muss. Daraus er­

gibt sich folgerichtig, dass Lernet-Holenia alles daran setzte, der betreffenden Cuba einen Anstrich von Undurchschaubarem, Ge­

heimnisvollem zu verleihen. Cuba - als nüchterne politische Un­ tergrundkämpferin würde niemals den Eindruck des Unbegreiflichen,

Phantastischen vermitteln können, der für Wallmodens Vermischung von Traumwelt und Wirklichkeit eine Voraussetzung ist. Cuba musste also im Sinne einer folgerichtigen Handlung und einer

überzeugenden Aussage des Romans mit allen Mitteln ein undurch­ schaubares geheimnisvolles Wesen bleiben. Im Interesse der Dar­

stellung Cubas und damit des Aussagewertes des Romans mussten

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alle mit Cuba zusammenhängenden Geschehnisse bei Herrn Oertel, bei Baron Drska so gut wie in Cubas Wohnung an der Salesianer­ strasse in diesem geheimnisvollen Licht erscheinen. Das Wesent­

liche bleibt der Eindruck des Phantastischen und nicht der poli­ tischen Widerstandsbewegung, die trotz aller Verschlüsselungs­

taktik wenigstens im Kern positiv hätte dargestellt werden müs­ sen. In seiner im ganzen allerdings höchst einseitigen Bespre­

chung des Romans macht Nowakowski den berechtigten Einwand: "Falls Beers Interpretation zutrifft, sollte man sich aber

schon fragen, ob die karikierende Schilderung einer Widerstands­ bewegung als opositionelle Leistung des Erzählers wirklich akzep168) tabel ist. " _ Damit ist klar geworden, dass es sich bei der Darstellung jener Kreise weder um eine politische Karikatur t

noch um eine Verschlüsselung der wahren, edlen Motive der Wi­

derstandskämpfer ging, sondern um die Vermittlung einer geheim­ nisvollen Atmosphäre rund um Cuba, die für den weltanschauli­

chen Aussagewert des Romans eine Voraussetzung ist.

3. Die_Bedeutun2_der_Astrolo2ie

Dem Leser fällt auf, wie zahlreich die Hinweise auf Naturerschei­ nungen jeder Art sind: Die Bemerkungen über die bevorstehende

Ernte wurden bereits erwähnt. Sehr eindrücklich sind aber auch die Schilderungen der Grassteppen Polens und des alles durch­

dringenden Staubes: "Die Wege, die man fuhr, waren schmal, die

Räder mahlten im Staub. Es stob, in Wolken, empor und zog über 169) das Hügelland davon. Es begann hier das Land des Staubes." ' Eine bedeutende Rolle für die Stimmung der Soldaten und der gan­ zen militärischen Aktion spielen Sonne und Hitze:

"Und die Sonne

schwand, äusser des Nachts, nicht mehr vom Himmel, bis der ganze Feldzug in Polen zu Ende war."^^’ Gleichermassen kann der Mond

die augenblickliche oder auch künftige Atmosphäre ausdrücken:

"Ein halber Mond stand, zwischen fliehenden Wolken, am Himmel 171) und sandte veilchenfarbenes, fast krankhaftes Licht herab."

99

Die Verbindung von besonderen Ereignissen im Roman mit einer be­ stimmten Naturerscheinung ist durchaus keine Erfindung LernetHolenias. Auch die Vorwegnahme von Geschehnissen durch entspre­

chende Bemerkungen über Wetter und Natur sind in der Literatur ein bekanntes Stilmittel. Man denke nur an die "Judenbuche" von Anette von Droste-Hülshoff, in der die Unheimlichkeit der Hand­

lung bereits in der Natur vorausgedeutet wird. Wenn nun LernetHolenia diese Verknüpfung auch auf die Sterne anwendet, leistet er zunächst gewiss nichts Aussergewöhnliches. Es ist geradezu selbstverständlich, dass nach Wallmodens erster Begegnung mit Cuba

"der Himmel über seinem Wagen mit einer so ungeheuren Menge von

Sternen besät war, als sei Goldstaub... über schwarzen spanischen 172) Samt ausgeschüttet worden." Dass die Verknüpfung von Liebe und Sternen bereits einem Klischee entspricht, wird das Kapitel

über die Trivialliteratur noch beweisen. Zunächst aber stellen wir fest, dass Lernet-Holenia mit seinen Bemerkungen über die Sterne durchaus nicht im Klischee verhaftet bleibt, sondern ei­

ne neue, tiefere Verknüpfung findet: Nach einem Nachtessen mit seinen Kameraden steht Wallmoden in der Dämmerung: "Aber noch

stand am Himmel der einzelne rote Stern, den Wallmoden schon in der Strohgasse wahrgenommen hatte. Er neigte sich bereits dem Westen zu. Dem Zenit näherte sich ein zweiter, mit kaltem Blick, 173) ... wie ein Auge aus Glas." Zunächst verheisst diese Ablösung gefühlsmässig nichts Gutes: Das warme rote Licht weicht einem

toten. Hier ergibt sich erstmals ein Zusammenhang zur Astrolo­ gie: Die Sterne sind nicht mehr als Gesamtheit, sondern als ein­ zelne, offenbar bedeutungsvolle, individuelle Gestirne darge­

stellt. Zunächst entspricht die Beschreibung des roten Sternes durchaus der wissenschaftlichen Erkenntnis, dass der Planet

Mars aufgrund seiner Oberflächenbeschaffenheit ein rötliches Licht verbreitet, während Saturn gelblich-fahl leuchtet. Ler­ net-Holenia deutet die beiden Sterne tatsächlich als die beiden

Planteten und charakterisiert sie in Uebereinstimmung mit astro­ nomischen

und astrologischen Erkenntnissen:

"Zur linken schien

Mars durch das Wagenfenster. Er stand wie eine glühende Speer­ spitze im Zenit. Oestlich war, gläsernen Blicks wie das Auge

100

eines Wahnsinnigen, Saturn über den Horizont gestiegen."

174)

Freilich steht der hier durch die Beschreibung Unglück prophe­

zeiende Stern im Osten, wo sich der Polenfeldzug auch abspielen

wird. Einer strengen astrologischen Interpretation vermögen die

hier gegebenen Charakterisierungen allerdings nur teilweise zu entsprechen: Mars trägt in Anlehnung an den Kriegsgott zwar die Eigenschaften Krieg, Streit, Konflikt oder Zerstörung, aber glei­ chermassen die dazu notwendigen auch positiven Voraussetzungen wie Wille, Trieb, Energie. Alle namhaften Astrologen wehren

sich gegen die einseitige Auslegung der Sternzeichen. Daher lässt sich nach Alexander von Pronay die typischste Eigenschaft

des Mars neutral als "Energiefeld" bezeichnen. Dasselbe gilt für Saturn, der nicht nur Kälte, Erstarrung, Lebenshemmung, Tod und

Böses ausdrückt, sondern auch Konzentration, klare Form, Ver175) stand und Geradheit. Die Verbindung zur Astrologie schafft

Lernet-Holenia nicht nur mit seiner Charakteristik der Planeten, sondern auch mit den immer wiederkehrenden Hinweisen auf ihre

veränderte Stellung am Himmel und der für ihn offensichtlich da­

mit verbundenen Handlung des Romans: "Nur Saturn glänzte noch. Er stand jetzt im bläulichen Zenit. Die Gesichter und Gestalten der schlafenden Mannschaft zeigten sich mit einer bleichen Staub1 7fi A schicht bedeckt, als lägen die Körper von Erfrorenen im Schnee." '

Vor allem aber beweist der Dichter den bewussten Zusammenhang mit der Astrologie durch den Titel: Das Sternbild Widder gilt als das Domizil des Planeten Mars. Wenn nun der Mars im Widder

steht, sich der Planet in seinem Domizil befindet, spricht der Astrologe von einer "Erhöhung", das heisst: die dem Mars zuge­

ordneten Eigenschaften treten während der Dauer dieser Konstel­ lation in verstärktem Ausmasse hervor. Inbezug auf den Planeten

Mars tritt diese Phase alle zwei Jahre während ungefähr zwei 177) Monaten auf. Der Schluss liegt nahe, dass sich zur Zeit ei­ ner "Mars-Erhöhung" die Menschen kämpferischer, aggressiver oder willensstärker, energiegeladener gebärden. Ohne Zweifel hat Ler­

net-Holenia mit diesem Titel einen Hinweis auf einen möglichen Zusammenhang zwischen astrologischer Schicksalshaftigkeit und

dem Kriegsausbruch geben wollen.

101

Aeltere Astrologen neigten denn auch oft dazu, Kriege auf solche Art vorauszudeuten, wie auch unter Vertretern einer mehr spekula­

tiven Astrologie das Jahr 1984 als möglicher Beginn eines dritten

Weltkrieges angesehen wird, weil sich dann der Planet Pluto in

seinem Domizil Skorpion befinden wird und Pluto wegen seiner

gleichzeitigen Entdeckung mit derjenigen der Atombombe (1930) der Inbegriff von Massenvernichtung und Krieg bedeutet. Pr6nay wendet sich allerdings gegen diese Spekulationen, indem er jede

astrologische Deutung, die über die Interpretation von Einzel17 8) Schicksalen hinausgeht, für fragwürdig hält.

Dennoch zeigen die Charakterisierungen des Mars durch Lernet-Holenia die eindeutige Verbindung mit dem bevorstehenden Krieg.

Leider gibt ihm die wissenschaftliche Astrologie nur sehr bedingt

recht: Die "Mars-Erhöhung" schafft nach ihrer Meinung zwar einen

Zustand, der zu einem Weltkrieg führen kann, aber leider befand sich Mars im August und September 1939 durchaus nicht im Widder, wie der Romantitel wahrhaben will, sondern erst im kommenden Ja­ nuar, worauf sich sicher gegebenenfalls die Sternkonstellation

ebenfalls beziehen könnte. So wichtig war Lernet-Holenia die wis­ senschaftliche Belegbarkeit der astrologischen Beziehungen offen­

bar nicht. Es ist deshalb anzunehmen, dass durch die Astrologie noch auf etwas anderes als auf den bevorstehenden Krieg hingewie­ sen werden soll. Einen günstigen Ausgangspunkt für diese These

bildet die Darstellung des Planeten Saturn, dessen Domizil sich

im Sternbild Steinbock befindet. Die Sternkonstellation für den

1. September 1939 zeigt Verblüffendes: Mars befindet sich zwar nicht im Widder, sondern im Steinbock, also im Domizil des Sa­

turn. Wie aufschlussreich diese Feststellung ist, ergibt sich zunächst aus der Tatsache, dass Lernet-Holenia stets die beiden Planeten, den roten und den fahlen Stern, erwähnt und sie dadurch

absichtlich in eine innere Beziehung bringt. Darüber hinaus besteht aber auch aus astrologischer Sicht ein interessanter Zusammenhang:

Wenn sich der energiegeladene Mars im Sternbild des • lebenshemmen­ den, verzögernden Saturn befindet, entstehen aus diesen widerstre­

benden Kräften grosse Spannungen, die sich ohne Zweifel auch im

102

Romangeschehen erkennen lassen. An Wallmoden zeigen sich diese Spannungen besonders deutlich: Der Eindruck, dass Wallmoden zwi­

schen zwei gegensätzlichen Machtbereichen, zwischen Wirklichkeit

und Traumwelt, zwischen Krieg und einem ersehnten Wiedersehen mit Cuba, hin und her gerissen wird, zieht sich durch den gan­

zen Roman. Freilich bleibt dadurch die Frage ungeklärt, warum

Lernet-Holenia seinen Roman nicht - astrologisch korrekt - "Mars im Steinbock" genannt hat. Hierüber können nur Mutmassungen ange­

stellt werden, doch scheint die Erklärung am überzeugendsten, dass Lernet-Holenia bei seinen Lesern genauere Kenntnisse der

Astrologie nicht voraussetzen konnte und sich daher auf einen noch allgemein verständlichen Titel beschränken musste. Denn auch einem mit Astrologie in keiner Weise vertrauten Leser fällt auf, dass die Handlung mit irgendwelchen astrologischen Erkennt­

nissen verknüpft sein muss. Gerade solche grundsätzlichen Anlie­

gen der Astrologie bringt Lernet-Holenias Roman zum Ausdruck. Das heisst: Lernet-Holenia vertritt in diesem Werk eine Ansicht, die sich mit den ursprünglichsten Absichten der Astrologie deckt:

nämlich die Suche nach dem Zusammenhang zwischen unbeeinflussba­

rem Schicksal und freiem Willen; Die heutige Astrologie geht ge­ nau von der in Lernet-Holenias Roman-Einleitung festgehaltenen Ansicht aus:

"Was wir Schicksal nennen, entsteht aus dem Zusam­

menwirken von Notwendigkeit und Freiheit." Auch die Astrologie

kann ein Ereignis nicht mit Gewissheit prophezeien, aber sie

zeigt die Tendenzen auf, die zu bestimmten Entwicklungen führen können. Lernet-Holenia verwendet dieselben Begriffe in etwas an­

derer Bedeutung: "Schicksal" ist bei ihm die astrologische "Not­ wendigkeit", dem astrologischen Begriff "Schicksal" würden bei Lernet-Holenia die Ereignisse entsprechen, und schliesslich

sind mit "Freiheit" und"menschlichem Willen" dasselbe gemeint.

Die Uebereinstimmung ist offensichtlich: die sich im Leben oder im Roman abspielenden Begebenheiten verstehen sich stets als Kombination von freien unabhängigen Entscheidungen (man denke

an Wallmodens Festsetzung des Termins für seine Militärübung)

und dem Menschen von seinem Schicksal auferlegten, durch ihn in keiner Weise beeinflussbaren Geschehnissen. Wer allerdings

dieses Schicksal "schickt", bleibt bei Lernet-Holenia eine

103

offene Frage. Freilich liegt die astrologische Interpretation

nahe, dass die Gestirne ihren Einfluss auf die Menschheit aus­ üben, aber eine eindeutige Stellungnahme des Dichters bleibt aus. Der Leser hat sich - gewiss ganz im Sinne des alles in

der Schwebe lassenden Romans - mit den zahlreichen astrologi­ schen Anspielungen zu begnügen und seine eigene Interpretation

von menschlichem Schicksal herauszulesen. Aus dem bisher Gesagten geht hervor, dass sich der astrologische Aspekt des Romans - trotz des Titels - durchaus nicht nur auf

das Kriegsgeschehen beschränkt, sondern wiederum dem Dichter die Möglichkeit bietet, seiner eigenen Weltanschauung Ausdruck zu

verleihen. Abschliessend soll ein Zitat C.G. Jungs das menschliche Bedürf­

nis, die Zusammenhänge der Welt zu erkennen, erläutern. C.G. Jung zählt die Astrologie wie auch die Alchemie (man denke nur

an Faust) zu den seelischen Urerlebnissen: "Beide spiegeln in

ihrem Vorstellungsgut erste Entdeckungen von unbewussten Domi­ nanten des menschlichen Seelenlebens, Dominanten, die ehemals jedoch nicht als zur Seele gehörig erkannt werden konnten, viel­ mehr als 'Mächte' objektiver Art empfunden und an den Himmel pro­

jiziert wurden. Ihr Ursprung aber liegt im autonomen Seelengrund 179) An diese Erkenntnis knüpft C.G.

des kollektiven Unbewussten."

Jung seine Archetypen-Theorie.

Indem die Astrologie offenbar einem Urbedürfnis des Menschen nach Erklärung rational nicht erfassbarer Phänomene entgegenkommt, ist sie - wie Ernst Jünger feststellte - "der Religion benachbarter als der Wissenschaft".l80’ so wird auch die Tatsache verständlich,

dass Lernet-Holenia in seinem Roman durchaus keine streng wissen­ schaftliche Erläuterung astrologischer Erscheinungen anstrebt,

sondern lediglich dem Leser das Gefühl seiner (durchaus nicht nur

negativen) Abhängigkeit von überirdischen, letztlich nicht erklär­

baren Mächten vermitteln will. Es versteht sich daher auch, dass das Thema Astrologie unter dem Kapitel über das Phantastische zu

behandeln war.

104

4. Die Wanderung der Krebse

Wenn auch das Motiv der Krebse unter den Begriff des "Phanta­ stischen" eingeordnet wird, lässt sich dies folgendermassen

begründen: Die Krebs-Episode bleibt ohne jeden weiteren Zusam­ menhang mit dem übrigen Geschehen im Roman, weder ist man

durch Vorausdeutungen auf eine Krebswanderung gefasst, noch

geht der Autor auf eine Deutung des Phänomens ein. Der Ein­ druck auf den Leser ist zwar im Augenblick des Geschehens

enorm, bleibt aber vage und verflacht am Schluss des Romans zugunsten der Haupthandlung gänzlich. Ebenso reagiert Wallmo­

den: er ist zutiefst beeindruckt, kann aber weder den Krebs­

zug bis zu seinem Ende beobachten, noch über diese Erschei­

nung nachdenken, da nach dem plötzlich heranfahrenden Ueber-

mittlungssoldaten der Zug bereits vorüber ist. Lernet-Holenia hält es offenbar für überflüssig, nach dem für das Auge bereits Sichtbaren noch weitere Bemerkungen über das Vorgefallene zu machen, sondern führt die Haupthandlung ohne Umwege dem Höhe­

punkt und Ende zu. Ganz ähnlich verhält es sich mit einer an­ dern, allerdings viel bedeutenderen Nebenhandlung: dem Polen­ feldzug. Auch hier sind wir als Leser am Anfang ins Geschehen miteinbezogen, was die exakten, historisch getreuen Schilde­ rungen unterstützen, verlassen aber die Szene noch vor dem

Ende des Feldzuges, um am Hauptereignis, der Begegnung Wall­

modens mit der richtigen Cuba, teilzunehmen. Vom Ende des Po­ lenfeldzuges braucht eigentlich im Sinne der durch die Einlei­

tung festgehaltenen Aussage des Romans nicht mehr die Rede zu sein; und Lernet-Holenia kann tatsächlich das weitere militä­

rische Geschehen- gewissermassen nur noch der Vollständigkeit halber - in wenigen Sätzen zusammenfassen.

Die Parallele zwischen dem Polenfeldzug und der Krebswanderung ist keine zufällige: Nachdem der Zug nur als breites Band im

Mondlicht zu erkennen war, hört Wallmoden die eigenartigen Ge­ räusche, welche die Panzer und Scheren der Krebse auf dem

Asphalt erzeugen: "Der Zug, schabend und schleifend, rasselnd und klirrend wie ein Geschwader von Gerüsteten, bewegte sich

105

dahin... Wozu, wenn sie schon keine

Soldaten waren, taten sie 181) Der Ver­

sich die Unannehmlichkeit dieses Nachtmarsches an?"

gleich mit einem marschierenden Heer wird noch dadurch verstärkt,

dass die Krebse von Osten nach Westen ziehen wie die von Deutschen und Russen eingeschlossenen Polen. Mit allem Nachdruck weist Beer

auf diese Parallele hin und spricht von einem "Bild des grossen Unterganges", das Lernet-Holenia mit Rücksicht auf die Zensur 182) nur chiffriert darstellen konnte. ' Die Vision ist denn auch

ausschliesslich in lateinischer Sprache verfasst, aber wohl eher um die Stimmung Wallmodens auszudrücken, der den Krebszug als einziger zufälligerweise miterlebt, als aus Rücksicht auf die Zen­

sur. Die Krebse werden im lateinischen Text zu phantastischen Pfer­

den, die der Hölle entstammen. Höllenreiter bringen Unglück und Tod als Feuer, Rauch und Schwefel, wodurch ein Drittel der Mensch­ heit zugrunde geht. Als Inbegriff des Bösen schlechthin sind die

Krebse und die aus ihnen hervorgegangenen Pferde und Reiter zu

verstehen. Damit weitet sich die auf das Schicksal der Polen be­ schränkte Interpretation zu einer umfassenden Untergangsvision

der Menschheit aus, wodurch Lernet-Holenia den Ausgang des Krie­ ges am Beispiel des Polenfeldzuges bereits 1939 vorwegnimmt. Die Problematik des Untergangs ist für Lernet-Holenia nicht nur zur Zeit des zweiten Weltkrieges von Bedeutung gewesen. In der Tat

lassen sich auch zahlreiche frühere Beispiele anfügen, in denen

Lernet-Holenia das Thema des Untergangs behandelte: Nicht nur die bereits bekannte Thematik des Zusammenbruchs der Donaumonar­ chie gehört fraglos in diesen Zusammenhang, sondern auch die

Stoffe aus älterer Vergangenheit, wie das Ende der Hunnen im Ro­

man "Der Mann im Hut", wo eine Bemerkung Hagens zu jeder Art von Untergang über Lernet-Holenias Einstellung zu diesem Thema Auf­

schluss gibt: "Das Verhängnis erfüllt sich nicht in der Rettung, sondern im Verderben, das Leben im Tode, das Wirkliche im Ueber-

wirklichen."

' Die hier angeschnittenen Gedanken gehören zu

den bereits bekannten Grundvorstellungen des Dichters.

Die Krebswanderung als Vision des nahenden Zusammenbruchs Polens

stellt einen Bezug zur politischen Aktualität dar, der von der Zensur freilich nicht toleriert werden konnte, selbst wenn diese

106

Krebs-Episode über die politische Anspielung hinaus noch eine

weitere Interpretation zulässt. Ausgangspunkt hierfür ist Wallmodens Erschrecken, das wir be­

reits aus seinen verschiedenen "Zuständen" kennen. Zunächst er­ schrickt er freilich wegen der unübersehbaren Parallele zum

Schicksal der Polen, aber einige seiner Bemerkungen führen weit darüber hinaus: "Und es schien ihm - so lächerlich er es auch fand -, dass er selber diese Wanderung verursacht habe."18^

Wallmodens Beteiligung am Feldzug ist für dieses Schuldgefühl

nicht massgebend, vielmehr spielt er auf eine vorausgegangene

Episode an, in der zum ersten Mal von Krebsen die Rede war: Rosthorn und Wallmoden lehnten sich über das Brückengeländer

eines Baches, aus dem zuvor für das Regiment Krebse gefangen worden waren, und äusserten sich über die gegenwärtige militä­

rische Lage skeptisch: sie vermuteten, dass ihre Truppe einen Angriff vorbereitete. Im Verlauf dieses Gesprächs erzählte Wall­

moden auch von einer Krebswanderung, die ihm aus seiner Kind­

heit noch gegenwärtig war. Nun, angesichts der nächtlichen Wanderung der Krebse, denkt

Wallmoden für einen Augenblick, den Auszug der Tiere durch das

erwähnte Gespräch bewirkt zu haben. Selbstverständlich verwirft er den "törichten Gedanken" sogleich wieder, aber die Frage nach

den Ursachen dieser Wanderung bleibt weiterhin bestehen: Durchaus nicht überraschenderweise bleibt uns der Autor die letzte Be­ gründung schuldig. Aber immerhin bietet er Ansätze zu mehreren spekulativen Interpretationen: Im Abschnitt über die Fortbewe­

gungsart der Krebse legt Lernet-Holenia Wert darauf, dem Leser mitzuteilen, dass sich Krebse, entgegen der verbreiteten Volks­ meinung, auf dem Trockenen vor- und nicht rückwärts fortbewegen

und nur im "Krebsgang", also rückwärts, schwimmen. Diese Fest­ stellung entspricht vollumfänglich der naturwissenschaftlichen 1851 Weit weniger gesichert ist das Phänomen von

Erkenntnis.

Krebswanderungen, vorab aus den im Roman anzunehmenden Motiven. Es ist aber selbst aus streng naturwissenschaftlicher Sicht nicht abzustreiten, dass gewisse Tierarten über Sinne verfügen, die dem Menschen fehlen: beispielsweise die Flugtechnik der Fledermäuse,

107

die auf einem Radarsystem beruht. Ebenso können gewisse Tierarten auch übersinnliche Wahrnehmungsfähigkeiten aufweisen, wie verschie­ dene Versuche in der Erdbebenforschung in China und Japan mit der

Fischart Wels bestätigen. Das Sprichwort "Die Ratten verlassen das sinkende Schiff" würde in diesen Zusammenhang gehören. Solche "Vor­ ausdeutungen" gewisser Tierarten auf kommende Ereignisse beruhen

auf der Annahme von kosmischen Magnetfeldern, wie sie auch in

der Astrologie eine bedeutende Rolle spielen. Deshalb erstaunt auch die von alten Astrologen vertretene Ansicht nicht, dass

nicht nur die Menschen, sondern alle Lebewesen, also auch die i qc\ Tiere, den astrologischen Einflüssen unterliegen. ' Damit wäre

erneut ein Zusammenhang zwischen dem Krieg und der Krebswanderung feststellbar, indem die Mars-Saturn-Kombination als gemeinsame Ur­ sache der Ereignisse angesehen würde. Freilich handelt es sich hier um reine Spekulationen auf dem bei Lernet-Holenia allerdings

sehr beliebten Grenzgebiet zwischen Wissenschaft und Mythos. Ein Zitat aus dem Roman "Der Mann im Hut" soll die Ambivalenz der bei­

den Bereiche erhellen:

"Ueber all das Geheimnisvolle, von dem uns

selber manchmal ist, als hätten wir1s vor unserer Geburt miter­

lebt, ist die Sage besser unterrichtet, als die Wissenschaft es . , „187) je sein wird. Wenn also die wissenschaftlichen Untersuchungen keine letzte Er­

klärung liefern können, entspricht dies voll und ganz der Absicht Lernet-Holenias: Gerade die Tatsache, dass wir die Ursache der

Krebswanderung letztlich nicht verstandesmässig erfassen können, zwingt uns, einen anderen, weit über das dem Intellekt Zugängliche hinausgehenden

Einflussbereich anzunehmen. Lernet-Holenia lässt

jede Deutung offen, um zu zeigen, dass der menschliche Wille nicht

imstande ist, solche Phänomene wissenschaftlich zu belegen; nicht der Verstand kann uns weiterhelfen, sondern oft - wie in einem vorhergehenden Kapitel erläutert - nur die Intuition. Allerdings ■ vertritt auch hier Lernet-Holenia das Postulat einer glücklichen

Synthese von Intellekt und Gefühl:

"Es gibt nichts Treffenderes

und dennoch Bescheideneres als die menschliche Ahnung, und nichts 188)

Anspruchsvolleres und Mangelhafteres als den Verstand."

108

Die Verbindung zweier Bereiche - seien es Gefühl und Verstand

oder Schicksal und menschlicher Wille, Wissenschaft und Sage immer bleibt eine Entscheidung zugunsten des einen oder andern Bereiches aus. Nur dadurch kann der Dichter den Leser zur Ver­

bindung zweier Gegensätze veranlassen. In der Tat wird gerade bei der Krebswanderung dieses Prinzip sehr weit getrieben, indem nämlich, nach dem Erscheinen des Uebermittlungssoldaten, die Krebse derart spurlos verschwunden

sind, dass es ausdrücklich heisst: "Wallmoden war nicht ganz IRQ) sicher, dass er nicht geträumt habe". Mit dieser alles in der Schwebe lassenden Bemerkung knüpft Lernet-Holenia wieder an all das über das Phantastische bereits

Erwähnte an: auch die Krebswanderung hat also die Funktion, den

Leser mit dem Geheimnisvollen, letztlich nicht Erklärbaren zu

konfrontieren.

109

4. Grenzen zur Trivialliteratur

Ein Ueberblick über Lernet-Holenias dichterische Leistung wäre

nicht vollständig ohne den Versuch, seine literarisch anspruchs­

vollen Werke gegen die trivialen abzugrenzen. In der gesamten Forschung über Lernet-Holenia herrscht Einigkeit über die ver­ blüffenden Unterschiede, um nicht zu sagen über die Zwiespäl­

tigkeit, innerhalb seines Oeuvres. Selbst die treuesten An­

hänger können sich der Tatsache nicht verschliessen, dass Ler­ net-Holenia neben vielen guten literarischen Werken auch reine

Unterhaltungslektüre verfasst hat. So schreibt Hilde Spiel:

"Die Reichweite seiner Prosa ist erstaunlich. Es finden sich in ihr philosophische Betrachtungen, historische Exkurse und

Visionen von grosser sprachlicher Schönheit, aber auch jene geschliffenen Aperçus und angenehm nichtssagenden Dialoge, die

seinen Büchern Einlass in die mondänen Zeitschriften der frü­ hen Dreissigerjahre verschafften und der Dame wohlgefielen, welche "Die Dame" las."^^ Auch Siegfried Melchinger stellt fest, dass sich "dieser rätselhafte Geist der Laune zufälli­

ger Erfindungen und blosser Unterhaltung überlässt und im Ro-

man ebenso wie im Lustspiel oft bedenkenlos den Erfolg sucht."

191)

Tatsächlich sind solche Urteile nicht überraschend, wenn man

sich der Aeusserungen Lernet-Holenias über seine eigenen Ar­ beiten erinnert: Das hohe Mass an Selbstironie und Distanz-

nahme gegenüber den eigenen Werken wurde bereits festgestellt. Lernet-Holenia hat also keineswegs dazu beigetragen, den zwie­ spältigen Eindruck, den sein Gesamtwerk notwendigerweise hinter­ lässt, zu verbessern: im Gegenteil gefiel er sich gewiss in

der Rolle eines letztlich nicht durchschaubaren Schriftstel­

lers, wie die Einleitungskapitel zu zeigen versuchten. Dennoch sind einige Aufsätze erwähnenswert, die den Gründen

für das festgestellte Qualitätsgefälle nachgehen: "In einem an­

sehnlichen Werk, das von der reinsten und edelsten Lyrik bis zum leichtesten und seichtesten Salonstück und Fortsetzungs­

roman reicht, ist Lernet-Holenia jeder Laune seiner eigenwil­ ligen Phantasie gefolgt, ohne sich im geringsten um ihre je­

110

weilige Wirkung zu bekümmern."

' Wenn Hilde Spiel auch mit al­

ler Deutlichkeit auf die Diskrepanzen innerhalb Lernet-Holenias

Gesamtwerk hinweist, so deutet sie diesen Umstand dennoch letztenendes positiv, indem sie dem Dichter ein "So-und-nicht-anders193) sein-können" zugesteht und den Drang, sich jeder Laune der Phantasie hinzugeben, als ein "Merkmal des Genialen"'"^^^bezeichnet.

Selbst diese ausschliesslich positive Interpretation eines eher

zweifelhaften Sachverhaltes vermag den Verdacht nicht zu zer­ streuen, dass Lernet-Holenia seine eigenen Arbeiten zu wenig

selektionierte, dass er - um mit Hans Weigels Worten zu sprechen 195) über ein zu "lockeres Handgelenk" verfügte. Es kann allerdings nicht Gegenstand dieser Arbeit sein, LernetHolenias Gesamtwerk nach verbindlichen Kriterien in sogenannt

literarische und triviale Werke aufzuteilen. Vielmehr soll an­

hand des untersuchten Romans aufgezeigt werden, dass sich ge­ wisse Elemente, die für Trivialliteratur kennzeichnend sind,

auch hier feststellen lassen. Dabei ist naheliegenderweise von der These auszugehen, dass der Roman "Mars im Widder“ als ganzes

Werk nicht zur Trivialliteratur gezählt werden kann, selbst wenn

Elemente des Trivialen feststellbar sind. Erweist sich die These als richtig, so ist auch das dieser Arbeit zugrundeliegende Vor­

gehen gerechtfertigt, die Grundzüge von Lernet-Holenias Prosa­

werk an ebendiesem Roman darzustellen. Zunächst sollen die Kriterien bestimmt werden, die uns erlauben. Triviales von Literarischem zu unterscheiden. Die von Wolfgang Binder in seiner Vorlesung "Literatur als Denkschule"196) erwähn­

ten Merkmale von Dichtung vermögen hier weiteren Aufschluss zu geben: Erstens müssen in dichterischen Werken die Elemente ihrer

Darstellung zusammenstimmen, und zweitens muss das Dargestellte übertragbar sein. Zunächst zum ersten Kriterium: Stimmen die Zeichen und Motive des Werkes tatsächlich zusammen? Sicher ist eine gewisse Einheitlich­

keit im Handlungsverlauf zu erkennen: wir haben im Kapitel über das Phantastische mehrfach scheinbar isolierte Motive einzuord­

nen versucht und dabei festgestellt, dass sie durchaus in einen

111

grösseren Zusammenhang gehören: beispielsweise die undurchschau­

baren Vorgänge im Hause des Barons Drska oder rund um die Perso­ nen Cuba und Herrn Oertel. Dennoch finden sich bei einer näheren Untersuchung Elemente, die sich nicht ins Ganze einordnen las­

sen, sondern als blinde Motive stehen bleiben. Meist handelt es

sich bei diesen isolierten Elementen um Beschreibungen und Ver­

gleiche im Zusammenhang mit Cuba. So ist bei ihrer ersten Begeg­ nung mit Wallmoden folgende Beschreibung anzutreffen: Ihr Mund

"drückte Leidenschaftlichkeit aus, wies aber, zugleich, Züge von Spasshaftigkeit um die Winkel auf, als amüsiere er sich 197) heimlich über sein eigenes Temperament." Solche Beschrei­ bungen können zwar unter Umständen aufschlussreich sein, in un­ serem Falle aber weisen sie nicht weiter, denn sie lassen den

Zusammenhang mit dem übrigen Handlungsverlauf vermissen. Noch ausgeprägter sind die blinden Motive, die sich aus Vergleichen

ergeben:

"Sie blieb, vor sich hinblickend, unbeweglich, nur ihre

Schulterblätter rührten sich leise, wie zur Ruhe kommend,die

Schwingen eines flügelfaltenden Vogels."

Noch erheblich un­

passender wirken andere Vergleiche, die ohne Zweifel die Grenzen zur Trivialität bereits überschreiten:

"Vielleicht trägt sie auf

ihren schlanken Beinen die Knospen ihres Busens, vielleicht ih­ ren unaufgeblühten Mund wie langstielige Rosen jemandem entgegen, 199) der niemals kommen wird, sie zu pflücken." Freilich kann man

feststellen, dass sich diese Anspielung auf Cubas Jungfräulich­ keit durchaus nicht ohne Zusammenhang zum übrigen Geschehen be­

findet, denn schliesslich trifft genau das hier symbolisch Vor­

weggenommene ein: die "falsche" Cuba, von der hier die Rede ist, stirbt ja vor dem Rendez-vous mit ihrem Auserwählten, Wallmoden. Dennoch steht dieser Vergleich isoliert, weil nämlich dem gesamten

Motiv von Cubas Jungfräulichkeit keine tiefere Bedeutung zukommt; es unterstreicht lediglich das Geheimnisvolle dieser Person.

Franziska Ruloff-Häny stellt in ihrer Untersuchung über die Lie­ bes-Heftchen romane ein ähnliches Phänomen fest: Die ausschliess­ liche Charakterisierung der weiblichen Heldenfiguren konzentriert sich auf deren Kindhaftigkeit, mehrfach wird auf ihre Unschuld

hingewiesen, und selbstverständlich lieben sie in ihrem Leben nur einen einzigen, nämlich den eigenen Mann.

Gewiss lässt sich

112

Cubas undurchsichtige Persönlichkeit nicht mit dem einfachen Ge­

müt einer Heftchenroman-Heldin vergleichen, aber die Parallele ist gleichwohl aufschlussreich und zeigt uns Lernet-Holenias

unmittelbare Nähe zur Trivialliteratur. Unter diesem Blickwin­ kel sind auch die Umarmungsszenen im "Mars im Widder" zu be­

trachten, die oft ebenso unvermittelt und häufig vorkommen wie

in Liebes-Heftchenromanen. Ganz anders verhält es sich allerdings mit den Gesprächen und Diskussionen: Während die ersten Erzählungen über GespensterErlebnisse zunächst wie Publikums-Unterhaltung und Zeitvertreib der Soldaten wirken, zeigt uns die weitere Handlung deren Bedeu­

tung sehr deutlich: Der ungläubige Realist Sodoma muss nach sei­ nem Tode selbst als Gespenst erscheinen und damit die Existenz

fremder, dem eigenen Willen nicht unterzuordnender Mächte an sich

selbst beweisen. Dieses eine Beispiel mag genügen, die bereits andernorts festgestellte Dichte und Konsequenz von Lernet-Hole­

nias Dialogen zu unterstreichen. Von diesen durchwegs sinnvollen Gesprächen unterscheiden sich

die Bemerkungen Herrn Oertels über Schönheit und Geistlosigkeit von Frauenbeinen. Man kann diese Aeusserungen wie Tadensz Nowakowski^0!) als Beweis von Lernet-Holenias Vorliebe für die weib­ liche Anatomie verstehen, man kann aber sicher mit noch grösse­

rem Recht auf Herrn Oertels bewusst unverbindlichen Konversations­

stil schliessen.

Tatsache bleibt zweifellos, dass Lernet-Holenias Roman durchaus nicht frei von Klichees ist: Auf die Bedeutung der Sterne haben

wir bereits ausführlich hingewiesen und ihre häufige Erwähnung im Rahmen der grundsätzlichen Absicht des Romans begründet. Den­

noch kann Lernet-Holenia das Sternen-Motiv in einer Art verwenden, die sich in nichts von den gängigen Klischees unterscheidet:

"Der

Himmel über seinem Wagen war mit einer so ungeheuren Menge von Sternen besät, als sei Goldstaub, wie die Konquistadoren ihn den

Königen über das Meer gesendet. Goldstaub aus ledernen Beuteln, 202) über schwarzen spanischen Samt ausgeschüttet worden."

113

Dem Klischee entspricht in erster Linie die Situation: nachdem

Wallmoden sich von Cuba verabschiedet hat und glücklich über die

neue Bekanntschaft heimkehrt, passt seine Stimmung sehr gut zu einem Sternenhimmel. Wiederum zeigt ein Vergleich mit Texten aus

Heftchenromanen, wie nahe auch gewisse Attribute im Lernet-Holenia-Text der Trivialliteratur stehen: "Die Sterne standen be­

reits hoch am Himmel, funkelten wie kostbare Diamanten auf schwarzem Samt. 1,203 Hier wie dort sind die Sterne Ausdruck für die innere Verfassung von Liebenden und unterstreichen deren Stimmung. Dennoch fällt Lernet-Holenias anspruchsvoller Stil auf,

wenn er die Sterne mit von Konquistadoren gesendetem Goldstaub

vergleicht. Aber gerade die Verbindung von völlig leeren Klischees mit unerwarteten, auf umfassendem Wissen beruhenden Vergleichen,

ist ein auffallendes Merkmal der Werke Lernet-Holenias. Die Dar­ stellung Cubas weist dieselbe Mischung von Klischeehaftem und Ori­

ginalem auf. Abschliessend soll noch ein letzter Aspekt untersucht

werden, in dem Lernet-Holenia die Grenzen zur Trivialität berührt: Das vorherige Zitat über den Sternenhimmel unterschied sich vom

Beispiel aus dem trivialen Bereich durch seinen anspruchsvollen Stil. Franziska Ruloff-Häny weist nach, dass die gehobene Sprache

durchaus kein Merkmal für literarische Texte zu sein braucht, sondern dass sich ganz im Gegenteil viele Heftchenromane durch

bewusstes Abheben von der Wirklichkeit auszeichnen. Die Distan­ zierung vom Alltagsleben geschieht nicht nur durch den unwirkli­ chen Inhalt, sondern vor allem auch durch die gehobene Sprache.20^ Freilich heisst das keinesfalls, Lernet-Holenias Werke seien ih­ res anspruchsvollen Stils wegen trivial, sondern die gehobene

Sprache allein ist noch kein ausreichendes Kennzeichen von Dich­ tung. In Lernet-Holenias Gesamtwerk fällt aber auf, dass nur ganz bestimmte Situationen in dieser gehobenen Sprache dargestellt wer­

den: im Roman "Mars im Widder" fast ausschliesslich im Zusammen­ hang mit den Sternen und in der "Standarte" nur wenn Menis mit

seiner Standarte allein ist. Dies bedeutet, dass bei Lernet-Ho­ lenia die gehobene Sprache eine ganz bestimmte Funktion übernimmt, die in der Trivialliteratur fehlt: sie hat den Symbolcharakter ge­

wisser Motive auszudrücken.

114

Zusammenfassend stellen wir fest, dass im Roman "Mars im Widder" gewisse Elemente der Darstellung nur bedingt zusammenstimmen: Es

gibt eine beträchtliche Anzahl blinder Motive, die sich aller­

dings ganz auf den Kreis um Cuba beschränkt, so dass für die Haupt­ figur des Romans dieser Schluss nicht zutrifft. Weit weniger zwiespältig verhält es sich mit der zweiten an die Dichtung erhobenen Forderung, wonach das Dargestellte übertrag­

bar sein muss: Das gesamte Geschehen steht unter einem gemein­

samen Aspekt, der vom Dichter selbst formulierten Absicht. Alles, was sich wesentliches in diesem Roman ereignet, hat seinen Stellen­

wert innerhalb der gesamten Erzählung, und diese wiederum ist ein illustratives Beispiel für die in der Einleitung vom Autor geäusserten Ansicht. Die Forderung nach Uebertragbarkeit ist mit aller Konsequenz durchgeführt und erfüllt: Der Leser wird nicht nur mit

dem Schicksal von Wallmoden und Cuba konfrontiert, sondern mit

aller Deutlichkeit gezwungen, sich zu den gelesenen Ereignissen

eigene Ueberlegungen zu machen. Wenn ein Autor mit einem Eingangs­ wort sich gewissermassen persönlich an sein Leser-Publikum wendet, um ihm seine Absicht zu erläutern und um auf den beispielhaften

Charakter des Werkes aufmerksam zu machen, dann ist dies gerade­

zu der Inbegriff von Uebertragbarkeit des Inhaltes auf allgemein gültige Strukturen der Wirklichkeit. Der Leser soll schon von al­

lem Anfang an die Erzählung nur als Beispiel auffassen und den

zugrunde liegenden Gedanken in seiner über dieses eine Beispiel hinausweisenden Gültigkeit erfassen, das heisst: das Erzählte

wird vom Leser sowohl auf eine allgemein gültige Ebene wie auch auf sein eigenes Weltverständnis übertragen. In den meisten li­ terarischen Werken wird die Uebertragbarkeit nicht so überdeut­

lich gefordert: allenfalls bezieht der Autor am Schluss der Er­ zählung noch Stellung, oder er übersetzt das Geschehen durch

eingeschobene Reflexionen auf eine umfassendere Stufe; aber mei­

stens spricht ein Werk für sich selbst, das heisst, die Ueber­ tragbarkeit in einen allgemeinen Wirklichkeitsbezug geschieht

durch die Handlung, durch die Ereignisse innerhalb des Werkes selbst. Die bei Lernet-Holenia beliebte Form der vorgängigen

Interpretation spricht keineswegs gegen den literarischen Wert

11

seiner Romane. Nachteilig würde sie sich nur dann auswirken, wenn die auf die deutende Einleitung folgende Handlung für sich

allein nicht überzeugend genug wäre. Wir haben aber mehrfach

festgestellt, wie folgerichtig und überzeugend die Erzählung zu ihrer Aussage hinführt, dass die Deutung Lernet-Holenias

ebensogut an den Schluss gestellt werden könnte. Die Forde­

rung nach Uebertragbarkeit ist also durchaus erfüllt und be­ weist den literarischen Charakter des Romans. Da es letztlich im Roman um die Frage der Abhängigkeit von

Schicksal und menschlichem Willen geht, also um eine der grund­ sätzlichsten Fragen des menschlichen Wirklichkeitsbezuges, ist der Roman selbst ein Versuch, Wirklichkeit zu deuten, ein eige­ ner Weltentwurf schlechthin. Als Versuch einer Weltdeutung be­ ansprucht er durchaus nicht, realitätsbezogen zu sein, wie das

für einen Trivialroman typisch wäre, sondern behält den fiktio­ nalen Charakter aufrecht, selbst wenn der Autor seine Erzählung

einen "wahrheitsgetreuen Bericht" nennt. Es soll keine Scheinwelt vor uns entstehen, sondern ein fiktionales Gebilde, das über unser eigenes Weltverständnis Aufschluss geben soll. An einem letzten,

grundsätzlichen Beispiel, soll die These des literarischen Wer­ tes abschliessend bewiesen werden:

In den Liebes-Heftchenromanen ist das Wort "Schicksal" das zweit­ häufigst gebrauchte Substantiv überhaupt.im ROman "Mars

im Widder" taucht dieser Begriff nicht nur am Anfang, sondern auch während entsprechenden Ereignissen immer wieder auf. Die Unterschiede im Gebrauch dieses Begriffes vermögen auch die Di­

stanz des Romans von Lernet-Holenia zur Trivialliteratur zu bele­

gen: Während in den Heftchenromanen Schicksal nur als Zufall ver­ standen wird, ist es bei Lernet-Holenia Inbegriff all dessen, was

dem verstandesmässigen Erfassen und damit auch dem menschlichen Willen unzugänglich bleibt. Schicksal ist im Heftchenroman der

glückliche Zufall, der den Menschen ins Glück stösst., ohne dass eigene Aktivität nötig würde. "Der so verstandene Zufall organi­

siert den Ablauf der Geschichte, er stellt die Weichen der Hand­ lung richtig."2O5) wie viel differenzierter und komplexer hebt

116

sich dagegen Lernet-Holenias Schicksalsbegriff davon ab.' Seine Weltdeutung speist den Leser nicht mit lächerlichen Zufällen ab, sondern fordert ihn dazu auf, sein eigenes Weltverständnis

zu hinterfragen und unter neuen Gesichtspunkten zu beurteilen.

Daher kann sich der Leser auch nach der Lektüre mit diesem Ro­

man und seiner Aussage weiterhin auseinandersetzen, während der

Leser von Heftchenromanen keine weiteren Anregungen erhält und bereits das nächste Heftchen konsumiert. Zusammenfassend halten wir fest, dass sich zwar inbezug auf die

Forderung nach zusammenstimmenden Elementen auffallende Aehnlichkeiten mit Trivialliteratur aufzeigen liessen, dass sich aber

diese blinden Motive und klischeehaften Vergleiche nicht auf die Haupthandlung beziehen und deshalb lediglich Ausdruck gewis­ ser trivialer Tendenzen sind, die sich im Werk Lernet-Holenias relativ häufig und vor allem in den Theaterstücken wesentlich

deutlicher feststellen lassen. Die trivialen Tendenzen beschrän­

ken sich aber auf die isolierten Elemente und betreffen die zwei­ te Forderung nach der Uebertragbarkeit des Dargestellten keines­ wegs. Somit kann die These als bewiesen gelten, dass der Roman "Mars im Widder" ein dichterisches Werk ist, selbst wenn er ge­ wisse Elemente aus der Trivialliteratur übernimmt. Abschliessend bleibt die Frage zu untersuchen, warum Lernet-Ho­ lenias Werke überhaupt triviale Elemente aufweisen: Zunächst

war von der enormen Produktivität des Dichters die Rede, was

allerdings noch nicht als letzte Begründung angesehen werden

kann. Vielmehr kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, Lernet-Holenia habe die Aehnlichkeiten mit der Trivialliteratur

zeitweise absichtlich gesucht. Im Hinblick auf Lernet-Holenias Vorliebe, sich in seinem Werk zu verstecken,

liegt der Schluss

nahe, dass auch die verschiedensten Stilmittel diesem Zwecke dienen. In der Tat verfügt der Dichter als Epigone durchaus

über ein reiches Repertoire an Stilmitteln, die er bewusst und mit Bedacht verwendet und hinter denen er sich, seinem We­ sen gemäss, verbergen kann.

117

Darüber hinaus weist die Nähe von Lernet-Holenias Werken zur

Trivialliteratur auf die Diskrepanz zwischen der vom Dichter

dargestellten, vergangenen und der gegenwärtigen, ihn umge­ benden Welt: Wenn Lernet-Holenia in seinen Werken stets Ver­

gangenes wiederauferstehen lässt, kommt dadurch zwar seine Verbundenheit mit dieser Vergangenheit zum Ausdruck; aber

gleichzeitig beginnt die abgeschlossene Welt zu erstarren: die Beschreibungen der Situationen und Helden sind in vielen

Werken so ähnlich, dass sie klischeehaft werden. Offenbar hat auch für den Dichter die alte Welt in gewisser Hinsicht ihre unmittelbare Lebendigkeit verloren, was die Erstarrung

im Klischee und Trivialen belegt.

118

5. Formale Aspekte

a) Erzählperspektive und Rahmentechnik

Ein Ueberblick über Lernet-Holenias gesamte Prosa zeigt,

dass der Roman "Mars im Widder" inbezug auf die Erzähl­ struktur nicht zu den typischsten Werken Lernet-Holenias gehört. Während sich die meisten Erzählungen und Romane

durch eine sorgfältige Rahmentechnik auszeichnen, ver­ zichtet hier der Autor auf eine eigentliche Einbettung

des Geschehens in einen Rahmen. Die Gründe hierfür sol­ len in der folgenden Untersuchung dargelegt werden.

Zunächst vergegenwärtigen wir uns die dem Roman zugrunde liegende Erzählperspektive: Der Autor ergreift gleich zu Beginn das Wort für eine persönliche Stellungnahme. Er richtet sich an den Leser und erläutert die Absicht, die

er mit dem Buch verfolgt. Nach Eberhard Lammerts Gruppie­ rungen20^^ gehört diese Art von Einleitung zu den soge­ nannten "Beispiel-Erzählungen", in denen der Autor das Geschehen durch die Bekanntgabe der Thematik vorausdeu­

tet. Dadurch wird dem Leser nicht nur ein roter Faden für die Handlungsabläufe, sondern gleichzeitig eine bereits

vorweggenommene Interpretation der Ereignisse mitgegeben. Die Handlung behält von allem Anfang an ihren Beispiel­ charakter, sie illustriert die in der Einleitung erwähn­

te Thematik. Zu diesen Vorausdeutungen gehört auch der

Titel, der durch die Anspielung auf die Astrologie gleich­

falls auf das Thema "Schicksal und menschlicher Wille" hin weist. Freilich könnte der Autor, nachdem er Thematik und

Absicht bekanntgegeben hat, zurücktreten und die folgenden Ereignisse einem andern Erzähler in den Mund legen, um an

diese Vorbemerkungen eine eigentliche Rahmenerzählung an­ zuknüpfen. Lernet-Holenia hat dieses Prinzip häufig ange­ wendet: besonders deutlich sind diese Strukturen im Roman "Der Graf von Saint-Germain" ersichtlich.

119

Hier aber im Roman "Mars im Widder" bleibt der Autor durch die

gesamte Handlung hindurch anwesend. Sein Held Wallmoden übernimmt nirgends die Funktion des Erzählers, sondern bleibt durchwegs

Erzählgegenstand. Damit verzichtet der Autor auf die Vorteile, die eine Ich-Erzählung mit sich bringt, zugunsten der Möglich­ keit, das Geschehen zu kommentieren und in den Zusammenhang zur

Thematik einzuordnen. In der Tat macht Lernet-Holenia in diesem Roman gelegentlich von dieser Möglichkeit Gebrauch, indem er vor

allem die seelische Verfassung Wallmodens inbezug auf seine Träu­ me und Zustände genau beschreibt. Zu eigentlichen Kommentaren kommt es aber höchst selten: erst gegen das Ende wird das Ge­

schehen mit der Einleitung verknüpft, wenn der Erzähler über die schicksalshafte Begegnung Wallmodens mit der richtigen Cuba

folgendes bemerkt: "Aber wir führen es, dieses (andere) Leben, und vielleicht ist es das wirkliche. Manchmal entschwinden wir einander in jenen Bereichen, manchmal vollendet sich, was drü­

ben nicht geschehen kann, hier...j-)£e meisten übrigen Bemer­ kungen zum Grundthema sind in ein Gespräch eingebettet und wer­

den den verschiedensten Figuren (besonders oft Herrn Oertel) in den Mund gelegt: "Freilich gibt es Leute, die behaupten, dass es

kein Schicksal gebe. Aber damit ist nichts gesagt. Es scheint zwar, einen Moment lang, sehr bequem, es zu leugnen, leugnet man's 209)

aber, so wird alles sofort noch viel unverständlicher..."

Obwohl hier Lernet-Holenia keine Ich-Erzählung geschrieben hat,

beabsichtigte er offenbar nicht, sich kommentierend zwischen Handlung und Leser zu stellen. Dadurch erreicht er zweierlei:

Zunächst wirken Aeusserungen zur Grundthematik weniger künstlich und aufgesetzt, wenn sie den handelnden Personen in den Mund ge­

legt und nicht vom Autor bei jeder Gelegenheit apodiktisch vor­

getragen werden. Zweitens aber lässt sich feststellen, dass der Autor die letzte Deutung der Ereignisse nicht vorwegnehmen, son­ dern dem Leser überlassen will. Die Ueberzeugungskraft soll nicht

in Argumente und Kommentare, sondern in die beispielshafte Hand­

lung verlegt werden. Daher verzichtet der Erzähler am Schluss auf einen deutlichen Verweis zum Leitmotiv, der Zusammenhang ist durch

120

das Beispiel offensichtlich, und lässt das Geschehen mit den letz­ ten Ereignissen des Polenfeldzuges ausklingen. Damit erreicht Lernet-Holenia eine zusätzliche positive Wirkung: Der Leser er­

hält keine unumstössliche Interpretation als Schlusswort, son­

dern hat das Gelesene selbst mit dem Leitmotiv zu verknüpfen und dadurch seine eigene Interpretation zu leisten. Es wäre allerdings ungerechtfertigt, hier von einem "offenen Schluss"2^0’ zu sprechen, dem die Anknüpfung an die Vorausdeutung fehlt, vielmehr liegt erstens die Aussage im Beispiel selbst, so dass

Kommentare überflüssig werden, und zweitens entspricht gerade der Eindruck des letztlich nicht Erfassbaren und dem Menschen

Unbegreiflichen dem Leitmotiv des Romans. Damit ist auch klar­ geworden, warum sich der Erzähler hier nicht in die Ich-Form und die Person Wallmodens versetzen kann, ohne dadurch die für die Thematik notwendige Distanz preiszugeben. Ein kurzer Ueberblick soll uns einen Vergleich mit andern ProsaWerken Lernet-Holenias ermöglichen: Der Roman "Mars im Widder"

ist insofern eine Ausnahmeerscheinung, als dass der Erzähler seinen Standpunkt ausserhalb des Geschehens und vor allem aus­ serhalb der Hauptperson beibehält. Meistens schlüpft Lernet-Ho­

lenia durch die Rahmentechnik in die Ich-Form und verzichtet

darauf, die entstandene Identifikation am Schluss wieder zu lö­ sen. Manchmal sind die Rahmen sehr umfangreich und könnten eben­ so Beginn eines eigenen Handlungsablaufes sein. Besonders frag­

würdig werden allzu ausführliche Rahmen, wenn sie beim Leser Erwartungen wecken, die dann die Erzählung nicht zu erfüllen

oder zuwenig zu verbinden vermag. So bleibt das Geschehen um Johannes Lott im Roman "Die Standarte" in der Binnenerzählung

völlig nebensächlich, während doch im Rahmen die Begegnung von Menis und Johannes Lott Anlass für Menis' Lebensgeschichte war.

Ebenso locker ist der Rahmen mit der eigentlichen Erzählung in der Novelle "Der Baron Bagge" verbunden, so dass es nicht er­ staunt, wenn Lernet-Holenia nur ganz selten am Schluss seiner

Romane zum Rahmen zurückkehrt: im allgemeinen fehlt der Schluss­

teil des Rahmens. Ingeborg Brunkhorst begründet das Fehlen des zweiten Rahmenteils damit, dass dadurch eine Abschwächung im

121

Ausdruck, ein eigentlicher Antiklimax, entstünde.

211)

Dies trifft

sicher zu, weist aber gleichzeitig auf die oft wenig überzeugen­ de Gestaltung des Rahmens hin. Allen epischen Werken ist die

innere Anteilnahme des Autors gemeinsam: Seine Identifikation mit dem Helden kommt auf ideale Weise seinem Bedürfnis entge­ gen, sich in seinen Werken zu verstecken. Da er aber keine Auf­ schlüsselung ermöglichen will, bleiben auch die Helden wenig charakterisiert, wie bereits festgestellt wurde. Die These,

dass sich Lernet-Holenia mit seinen Helden identifiziere, be­ darf noch eines Beweises: Im Roman "Nächtliche Hochzeit" be­

ginnt der Erzähler die Erlebnisse eines Grafen Sommerstorff zu berichten. Im Augenblick intensiverer Anteilnahme - schon nach 212) wenigen Seiten - lässt Lernet-Holenia die Distanz fallen

und schlüpft in die Person Sommerstorffs: aus der Er-Erzählung wird völlig unvermittelt und übergangslos eine Ich-Erzählung) Freilich findet Lernet-Holenia dazwischen wieder zur Ausgangs­

perspektive zurück, in Augenblicken weniger intensiver Identi­

fikation. Solche Beispiele zeigen wiederum die Leichtigkeit, mit der Lernet-Holenia an einem Roman arbeitet, die der Quali­

tät des Werkes nicht unbedingt förderlich ist. Der Rahmen schafft offenbar nur eine scheinbare Distanz zum Ge­ schehen, sobald der Erzähler der Binnenhandlung die Funktion

hat, den Autor zu vertreten. Umgekehrte Verhältnisse liegen

beim "Mars im Widder" vor: Scheinbare Distanz des Autors ent­ steht durch die Er-Erzählung, aber intensive Anteilnahme wird durch die zugrunde liegenden biografischen Erlebnisse und die

persönliche Stellungnahme in der Einleitung zum Roman bewiesen.

122

b) Standort des Lesers

Der Standort des Lesers kann durchaus mit der Erzählperspek­

tive verknüpft sein: ein Autor kann sich absolut in eine IchErzählung versenken und gleichzeitig den Leser zu weitgehen­

der Identifikation mit dem Erzähler bewegen, so dass schliess­

lich zwischen den einzelnen Standpunkten nur noch bedingt zu unterscheiden ist. Im Roman "Die Standarte“ hat Lernet-Holenia gleich mehrere Verknüpfungen dargestellt: Zunächst fin­ den wir den Autor selbst im Rahmen als erstes Ich, dann Me­ nis, der als zweites Ich seine Lebensgeschichte erzählt, in

der er als erlebendes Ich auftritt. Die Schilderung der Ver­

gangenheit ist so unmittelbar, dass der Leser sich ohne wei­

teres dem erlebenden Ich anschliesst und darob das erzählende Ich der Gegenwart aus den Augen verliert. Die wenigen Bemer­ kungen, die Menis als Erzähler in seine Erlebnisse kommentie­

rend einflicht, in Form von Vorausdeutungen oder lediglich später erhaltener Informationen, vermögen den Leser kaum aus

dem Zusammenhang der erzählten Vergangenheit hinauszureissen.

Lernet-Holenia hat dieses Prinzip der weitgehenden Identifi­ kation des Lesers mit dem Geschehen sehr gepflegt: auch in

der Novelle "Der Baron Bagge" wird der Leser über die Ereig­

nisse nur so weit informiert, wie auch Bagges Informationen

reichen. In der Folge ist dann der Leser ebenso erstaunt über den Ausgang der Erzählung wie Bagge als erlebendes Ich. Es versteht sich, dass in solchen Ich-Erzählungen alle Ereignis­

se aus der Perspektive des Erzählers mitgeteilt werden, selbst

Ereignisse, die eine gewisse Distanz oder Objektivität erfor­ dern würden, können konsequenterweise nur aus dem Blickwin­ kel des unter Umständen völlig subjektiven, erlebenden Ichs erzählt werden. Aber gerade hierin zeigt sich eine besondere

Stärke Lernet-Holenias: seinen Helden kann durchaus der Ueber-

blick über politische Zusammenhänge fehlen, und der Leser ist

auch meist durch spätere Informationen über die Vergangenheit besser informiert, und dennoch vermögen beispielsweise Menis 1

Vorstellungen über den Untergang der Donaumonarchie

durchaus

123

zu überzeugen. Auch Wallmodens Polenfeldzug-Erlebnis gehört in

diesen Zusammenhang: Selbstverständlich weiss der Leser inzwi­ schen längst, dass der Krieg ausgebrochen ist, auch wenn Wall­

moden noch nicht zu dieser Erkenntnis gelangt ist, aber die Situation, die Umstände, in denen sich der Held befindet, schliessen den Leser auf eine Art mit ein, dass er dennoch die Verhaltensweisen des Helden versteht. Im Roman "Mars im Widder"

fällt aber der Standpunkt des Lesers nicht einfach mit dem des Helden, Wallmoden, zusammen. Als Folge der Er-Erzählung kann der Autor das Verhalten Wallmodens stets kritisch kommentie­

ren und dem Leser dadurch eine gewisse Distanz zum Helden ver­ schaffen. Wir haben aber bereits im vorhergehenden Kapitel fest­

gestellt, dass Lernet-Holenia von dieser Möglichkeit nur selten Gebrauch macht. Immerhin ist ein solcher Kommentar für den wei­

teren Handkngsverlauf von Bedeutung:

"Weil die Dinge, die sich

hier abspielten, zur Vorstellung, die Wallmoden sich machte, 213) nicht passten, gab er allem eine falsche Deutung." So kom­ mentiert Lernet-Holenia Wallmodens Unvermögen, den nahenden

Kriegsausbruch zu erkennen. Hier kann mitnichten von einer Iden­

tifikation des Lesers mit Wallmoden die Rede sein. Wir stehen gewissermassen ausserhalb, wissen mehr als er, lernen aber

gleichzeitig, sein Verhalten durch die Erklärungen des Autors zu verstehen. In den beiden oben erwähnten Erzählungen versteht

der Leser den Helden zwar gleichfalls, aber sein Verständnis beruht nicht auf zusätzlicher Information, sondern ist rein gefühlsmässiger Natur, weil sich der Leser mit dem Helden iden­

tifiziert. Allerdings dürfen wir von diesem einen zitierten Kom­ mentar des Autors über Wallmodens Verhalten nicht gleich auf

den ganzen Roman schliessen. Es zeigt sich nämlich, dass diese Erzählung zwar keine "Identifikations-Erzählung" durch die Ich-

Form ist, aber dass sie auch keine analysierende und dadurch distanzierende ist: Vielmehr bleibt der Standpunkt des Lesers im allgemeinen die Perspektive Wallmodens. Lernet-Holenia er­

reicht diese Uebereinstimmung dadurch, dass er keine Handlungs­

abläufe beschreibt, an denen Wallmoden nicht teilnimmt und zwingt so den Leser, vor allem auch die persönlichen Probleme

124

des Helden mit seinen eigenen Augen anzusehen. Während der Träu­

me und Bewusstlosigkeiten folgt der Leser Wallmoden ins Reich des Unbewussten und erfährt etwa nicht irgend ein anderes, sich

in der Zwischenzeit abspielendes Ereignis. Diese weitgehende von wenigen Kommentaren unterbrochene - Uebereinstimmung der

Standpunkte ist in zweifacher Hinsicht für den Handlungsverlauf notwendig: Erstens müssen die Ereignisse rund um Cuba für den

Leser geheimnisvoll bleiben, wie sie es auch für Wallmoden sind. Also kann der Autor keine andern Informationen vermitteln, als diejenigen, die auch Wallmoden erhält. Zweitens bietet erst die konsequente Uebereinstimmung der Standpunkte von Leser und Wall­

moden die Möglichkeit, über das Erscheinen der richtigen Cuba

am Ende des Romans zu staunen. Hätten wir hier die objektivierende Distanz eingenommen, so vermöchte der Roman keineswegs zu über­

zeugen. Der Leser muss genau so überrascht sein wie Wallmoden

und das Unerklärbare ebenso hinnehmen wie er. Erst unter diesen Voraussetzungen ist er in der Lage, das Gelesene wieder zu rela­ tivieren und distanzierter mit dem Leitmotiv der Einleitung in

Verbindung zu stellen. Es hat sich somit gezeigt, dass zwar der Standpunkt des Lesers

durchaus von der Erzählperspektive abhängig sein kann, dass es aber nicht durchwegs so sein muss. Im vorliegenden Roman haben

wir festgestellt, dass Lernet-Holenia mit Rücksicht auf Ereig­ nisse und Aussage des Romans nicht die Ich-Erzählung wählt, und dennoch eine weitgehende Identifikation der Standpunkte von Le­

ser und Held ermöglicht. Wenn man davon ausgeht, dass in einem literarisch

wertvollen Werk die äusseren Bauformen mit den in­

haltlichen Strukturen zusammenstimmen sollen, muss Lernet-Hole-

nias Roman als besonders einheitlich betrachtet Werden. Es zeigt sich, dass manches, was auf den ersten Blick nach grosser Leich­

tigkeit, ja sogar Zufälligkeit aussieht, in Wahrheit das Resul­ tat reiflicher Ueberlegungen ist.

125

c) Dialogtechnik

Es ist in dieser Arbeit bereits auf die Lebendigkeit der Lernetschen Dialoge hingewiesen worden. Auch die grosse

Anzahl von Dialogen und Gesprächen ist auffallend. Wir haben festgestellt, dass Lernet-Holenia offenbar den Dra­ matiker in sich nicht zu verleugnen vermag. Interessanter­

weise hat er auch einige Prosawerke zu Dramen umgeschrie­

ben (z.B.

"Die nächtliche Hochzeit").

Wie sehr sich die Dialoge der Romane an eine gesprochene (oder gespielte) Gesprächssituation anlehnen, zeigen zahl­ reiche Elemente, welche den Gesprächspartner zu Antworten

und Entgegnungen herausfordern. Sehr häufig sind deshalb

Fragesätze von folgender Struktur anzutreffen: "Aus welchem

Anlass?",

"Finden Sie?", "Was meinen Sie damit?", "Was soll

das heissen?", oder auch nur Satzfragmente die "Nun?", "So?",

"Wie bitte?",

"Wozu?" oder "nun, und?". In allen Fällen wird

der Gesprächspartner zu näheren Ausführungen gezwungen. Je kürzer die Frageelemente sind, desto schneller folgen sich Fragen und Antworten. Dadurch entsteht der Eindruck grosser

Hektik, in stürmischem Tempo wechseln Rede und Gegenrede

und reissen den Leser mit. Die häufigen Einwürfe und Wech­

sel von Rede und Gegenrede erinnern an Kleists StichomythieDialoge. Kleist hat auch in seinen epischen Werken mit vie­

len blossen Satzfragmenten die Spannung gesteigert: besonders auffallend in der "Anekdote aus dem letzten preussischen Krie­

ge". Diese Uebereinstimmung in der Dialogtechnik verrät so­

wohl das dramatische Talent wie auch die geistige Verwandt­ schaft der beiden Dichter. Es versteht sich, dass Lernet-Holenia in solchen Dialogsitu­ ationen mit Vorteil auf Einleitungen verzichtet, welche gewöhn­

licherweise die direkte Rede kommentieren. Erst wenn der Ge­

sprächshöhepunkt bereits vorbei ist, sind Bemerkungen folgen­ der Art möglich: "Mit diesen Worten näherte er sein Gesicht

dem ihren." oder "Er begriff die heftige Wendung nicht, die das Gespräch plötzlich genommen hatte". Innerhalb einer Dia­ logszene fehlen solche Kommentare gänzlich. Es geschieht auch

126

höchst selten, dass Bemerkungen im Stile von "sagte er" oder

"verlangte sie zu wissen" eingeschoben werden, und wenn schon,

dann lediglich zur Orientierung des Lesers, denn die Wechsel­ reden können sich oft über mehrere Seiten kommentarlos hinzie­ hen. Die Wirkung solcher Gespräche ist eine doppelte: einer­ seits empfindet der Leser das Geschehen im Gespräch besonders

intensiv und lebendig, und andererseits fühlt er sich durch die

kurzen herausfordernden Frageelemente wie der Gesprächspartner in eine schnellere Gangart versetzt, die die Spannung des Ge­

schehens beträchtlich steigert. Lernet-Holenias Dialogtechnik zeichnet sich darüberhinaus durch drei weitere Merkmale aus: Zunächst entsteht durch die dauern­

den Zwischenfragen eine Art "Verhör-Situation", in der die ver­

schiedenen Meinungen und Argumente besonders wuchtig aufeinan­ derprallen. Wenn jede Aussage mit einem kurzen "Wieso?" oder

"Nun und?" in Frage gestellt wird, polarisiert sich das Gespräch

sehr schnell. Es ist daher berechtigt, wenn Ingeborg Brunkhorst

alle Dialoge in Lernet-Holenias Romanen als eigentliche Streit214) gespräche bezeichnet . Solche Wechselreden drängen einem raschen Höhepunkt zu, der aber oft geschickt durch immer wieder

neue Aspekte hinausgezögert wird. Die Gefahr, dass die Gesprächs­ partner tatsächlich in einen Streit geraten, ist dadurch oft ge­

geben und kann manchmal nur durch versöhnliche Bemerkungen des

einen Partners gebannt werden. Wallmoden macht einen solchen Ver­ such, nachdem er mit Cuba über Baumgartens Verhöre beinahe in

Streit geraten wäre:

"Vor allem aber ist es lächerlich, dass

wir hier über eine Angelegenheit streiten, von der er (d.i.

Baumgarten) schliesslich selber gesagt hat, dass sie wahrschein215 ) lieh ein Missverständnis ist." Damit nennt Wallmoden ein

weiteres Merkmal von Lernet-Holenias Dialogtechnik: Die erbitter­ ten Diskussionen, die mitunter entstehen können, beruhen nicht

selten auf reinen Missverständnissen. Sobald das Missverständ­ nis erkannt wird, ist der Höhepunkt erreicht, und das Gespräch

nimmt einen raschen und friedlicher Ausgang. Der Leser weiss allerdings auch erst gleichzeitig mir dem Sprechenden, dass es

sich um Missverständnisse handelt. Sc ist ihm beispielsweise

127

Charlottes düstere Vorahnung bei der Abreise von Baron Bagge ebenso unbegreiflich wie diesem selbst. Damit findet sich eine

weitere Bestätigung für die bereits weiter oben gemachte Fest­ stellung, dass Lernet-Holenia die Dialoge als Mittel zur Span­ nungssteigerung einsetzt. Freilich klären sich nicht alle Miss­

verständnisse im ersten Gespräch auf, so dass die Gesprächspart­ ner oft lange aneinander vorbeireden, wie schon Ingeborg Kowarna festgestellt hat

J. Solche Gespräche nehmen dann einen ganz

anderen Verlauf, sie gelangen nicht an einen Höhepunkt, in dem

sich die Spannungen lösen, sondern die Gesprächspartner brechen unter irgendeinem Vorwand

das Gespräch ab. Wallmoden sagt in

dieser Absicht "Allein wie gleichgültig ist, letzten Endes, die-

se Meinung;"

und schliesst Cuba in die Arme. Ebenso häufig

werden Gespräche, die zu keiner Lösung führen können, durch äussere Bedingungen abgebrochen: Auf dem Polenfeldzug wird im

entscheidenden Augenblick ein Angriff gestartet oder ähnliches. Als letztes Kennzeichen von Lernet-Holenias Dialogtechnik sei die enge Verbindung zum Handlungsablauf erwähnt: Die für den

Roman entscheidenden Geschehnisse werden wie im Drama in ein Gespräch verpackt: Alles was der Leser über Cuba erfährt, wird ihm in Gesprächen Wallmodens und anderer mitgeteilt. Besonders

deutlich zeigt sich diese Technik in der entscheidenden Szene,

da die richtige Cuba in Janowka im Gespräch mit Wallmoden ih­ ren Namen nennt. Wie viel unmittelbarer wirkt doch der Satz "Ich bin Cuba Pistohlkors"

ten Feststellung:

verglichen mit einer distanzier­

"Sie war Cuba Pistohlkors". Auch dadurch

wird der Leser ganz ins Geschehen miteinbezogen und erfährt dieselbe Ueberraschung wie Wallmoden. Indem die Gespräche in Lernet-Holenias Prosawerken auch die Funktion von Handlungsbe­

richten übernehmen, könnte man durchaus von einem Dialogroman

sprechen. Ein Vergleich mit Fontanes "Die Poggenpuhls" zeigt aber, dass der Anteil der Gespräche und monologischen Gedanken

am ganzen Roman bei Lernet-Holenia wesentlich geringer ist, was gewiss auch mit den zahlreichen Briefen im Fontane-Roman zu er, 219) klaren ist.

128

Zusammenfassend sei festgehalten, dass Lernet-Holenias Dialoge

einerseits die Verbindung von Leser und Text erheblich ver­ tiefen und dadurch eine grössere Anteilnahme bewirken- Ande­

rerseits dienen sie als Mittel zur Spannungssteigerung, wel­ che Gegenstand des folgenden Abschnittes sein soll.

d) Spannung - Entspannung

Zu den einfachsten Mitteln, Spannung zu erzeugen, gehört sicher das Prinzip, das auch in Kriminalromanen anzutreffen ist: Irgend­

ein ungelöstes Problem oder eine dem Leser nicht verständliche Handlung klärt sich erst am Schluss der Erzählung auf, danach

fällt die Spannung ab, und die Handlung muss gleichfalls zuende gehen. Lernet-Holenia hat sich dieser Technik sehr oft bedient:

So durchschaut beispielsweise der Leser im Roman "Die Auferste­ hung des Maltravers" die seltsamen Aktivitäten des Helden erst in dem Augenblick, da sie auch Henrikstein erfährt. Besonders berühmt für diese Technik ist die Novelle "Der Baron Bagge", in

der wir erst nach der Schilderung der ungewöhnlichsten Erlebnis­ se erfahren, dass wir uns in einer Traumwelt befunden haben. Sicher gehört auch der Roman "Mars im Widder" zu jenen Werken,

die in ihrem Spannungsaufbau ganz auf die Lösung im Schlussteil der Erzählung hinsteuern. Obwohl dieses Mittel zur Spannungser­ zeugung auch in der Trivialliteratur anzutreffen ist, braucht

es nicht Ausdruck trivialen Vorgehens zu sein. Es wäre aller­ dings verfehlt, in Lernet-Holenia einen Dichter zu sehen, dem

es in erster Linie auf Spannungs-Effekte ankäme. Gewiss fördert er eine spannende Atmosphäre in mancherlei Hinsicht - wie noch

zu zeigen sein wird -, aber dennoch seien zunächst einige Stil­ elemente erwähnt, die der Spannung keineswegs förderlich sind, sondern im Gegenteil die Erwartungen des Lesers enttäuschen. Im

Roman "Die Standarte" nimmt Lernet-Holenia mit seinen Vorbemer­

kungen in der Rahmengeschichte das Hauptereignis bereits vorweg: der Leser erfährt zum voraus, dass Menis einmal Standartenträger

129

wird. Dadurch kann dieser Handlungsstrang beim Leser keine be­ sondere Spannung mehr erzeugen: man weiss ja, dass Menis die Standarte übernehmen wird. Hingegen kennt der Leser keine Grün­

de und Hintergründe, auf welche sich nun die ganze Spannung ver­ lagert. Lernet-Holenia beabsichtigt hier offenbar, das Interes­ se des Lesers nicht einfach auf Fakten zu richten, sondern viel­ mehr auf die den Fakten zugrunde liegenden Umstände.

Etwas anders verhält es sich im Roman "Mars im Widder": Zwar ha­

ben wir auch hier durch die Einleitung Vorausdeutungen erhalten, die die Spannung vermindern könnten. Aber weil die Hinweise des Autors rein theoretischer Art sind und das Faktische

des Romans

überhaupt nicht berühren, erzielt Lernet-Holenia damit ein dop­ peltes Interesse beim Leser: noch ist nichts verraten, so dass

die Spannung durch die theoretischen Hinweise nur noch verstärkt wird. Diese Art von Vorausdeutung kann deshalb als besonders

gelungen gelten. Auch die bei Lernet-Holenia im allgemeinen sehr beliebten Exkurse über Themen, die mit der Haupthandlung in kei­ ner engen Verbindung stehen, fehlen im "Mars im Widder" durch­ wegs. Sowohl im Roman "Der Mann im Hut" wie auch in "Beide Si­

zilien" und "Die Auferstehung des Maltravers" weiten sich die Exkurse des Autors über genealogische, historische oder wissen­

schaftliche Fragen oft zu langen Monologen aus. Im "Mars im Widder" aber wird die Handlung durch nichts unterbrochen, selbst die Kommentare des Autors sind - wie wir festgestellt haben sehr selten. Dadurch erhält das Werk nicht nur eine grössere

Spannung, sondern auch einen überzeugenderen und dichteren Ge­

halt. Neben den schon erwähnten Möglichkeiten, Spannung durch

"Entspannungs-Elemente" wieder zu lösen, soll hier eine Erzäh­ lung erwähnt werden, die in anderer Hinsicht aufschlussreich

ist: In der Novelle "Der zwanzigste Juli" wird zwar der Leser gleichfalls durch das Geschehen mitgerissen, aber dennoch ist

eine eigentümliche Nüchternheit feststellbar, die zwar die

Spannung nicht verhindert, aber sie auch keinesfalls-unter­

stützt: Lernet-Holenia berichtet die Vorfälle gleichsam pro­

tokollartig, sachlich, distanziert, während er auf alle Aus­ schmückungen verzichtet, welche die spannende Stimmung fördern

130

würden. Die Aehnlichkeit dieses Vorgehens mit Kleists Verfahren

in der Novelle "Das Bettelweib von Locarno" ist auffallend:

auch Kleist berichtet "aktenmässig" und verzichtet auf die

Vermittlung des Atmosphärischen, das bei den romantischen Spuk2 20) geschrchten eine zentrale Bedeutung erhält. In beiden Wer­ ken entsteht die Spannung nicht durch Stimmungsschilderungen, sondern durch stilistische Mittel. Der Roman "Mars im Widder"

weist allerdings diesen Berichtcharakter nicht auf, verzichtet

aber gleichfalls nicht auf stilistische Mittel zur Spannungser­ zeugung. Ingeborg Brunkhorst hat in ihrer Untersuchung über die "Stand­

arte" zahlreiche retardierende Elemente festgestellt, die ihrer 221) Meinung nach "den Leser schonen". Vor allem die zahlreichen Vorausdeutungen und die gelegentlichen Rückgriffe auf die Situa­

tion des Rahmens brechen den Spannungsverlauf. Von diesen Mitteln hat aber Lernet-Holenia im Roman "Mars im Widder" keinen Gebrauch gemacht, obwohl auch hier verzögernde Elemente zu erkennen sind:

sie lassen sich alle unter dem Stichwort "Polenfeldzug" zusammen­

fassen. Der Leser merkt von Anfang an, dass das eigentliche Er­ eignis des Romans mit Cuba in Zusammenhang stehen wird, und em­

pfindet deshalb (genau wie Wallmoden) den dazwischentretenden Krieg als Verzögerung. Wie geschickt Lernet-Holenia dieses Mit­ tel einsetzte, zeigen die zahlreichen Szenenwechsel: Wallmoden

fährt dreimal nach Wien und wieder ins Lager zurück, und schliess­ lich, wenn er nicht mehr nach Wien fahren kann, zieht sich der Polenfeldzug nicht nur für Wallmoden, sondern auch für den Leser

endlos in die Länge. Umso überraschender gestaltet sich die Be­ gegnung mit der richtigen Cuba, durch welche die beiden Schau­

plätze gewissermassen miteinander verbunden werden. Solche retardierende Elemente sind in allen Werken Lernet-Hole-

nias von Bedeutung, um die Spannung nur desto deutlicher zu stei­ gern. Gerade die Verzögerungen schaffen keine eigentliche Ent­

spannung - wie sie die Lösung der Ereignisse am Schluss herbei­ ruft, sondern bereiten den Leser erst recht auf bevorstehende

Spannung vor, so dass man selbst die Verzögerungen als Mittel

131

der Spannungserzeugung betrachten muss.

Neben der bereits erwähnten Dialogtechnik wird in Lernet-Holenias Werken auch mit sprachlichen und stilistischen Mitteln Spannung

erzeugt. Hierüber soll das folgende Kapitel Aufschluss geben.

e) Sprache und Stil

Nachdem nun mehrfach von den Möglichkeiten der Spannungserzeugung

die Rede war, sollen auch die stilistischen Mittel berücksichtigt werden.

Lernet-Holenia hat in einem Interview mit Ingeborg Brunkhorst

Kleist auch in sprachlicher Hinsicht als sein Vorbild bezeichnet.

22'.

Es drängt sich daher auf, die sprachlichen Kennzeichen in den Wer­ ken der beiden Dichter zu untersuchen. Siegfried Grosse schreibt in seiner Abhandlung über "Die deutsche Satzperiode":

"Die Periode

spiegelt die Individualität des Schreibers wieder wie keine ande223) re Satzkonstruktion. " In der Tat ist Kleists hypotaktischer

Stil unverwechselbar, während für Thomas Mann die Unterordnungen ohne Einschübe kennzeichnend sind. Lernet-Holenia hat Kleists cha­

rakteristische Sprache sehr geschätzt und sie sogar in der bereits erwähnten Novelle "Der zwanzigste Juli" nachgeahmt, was folgendes Zitat belegen möge: "Alberti, in einer Arbeit begriffen, welche

den Zusammenhang der sabäischen Mondreligion mit dem Jahwekult bestätigen und ihn als Dozenten habilitieren sollte, hatte sich,

um gewisse Einzelheiten, an Joel gewandt; und dieser zeigte sich vorurteilsfrei genug, nicht nur die Entdeckungen Albertis anzu­ erkennen, die auf den erschreckend einfachen Ursprung einer Welt­ religion wiesen, sondern auch einer Verbindung Albertis mit seiner, 224) Joels, Tochter zuzustimmen." Nicht nur die hypotaktischen Un­

terordnungen lassen Kleist als Vorbild erkennen, sondern auch die Vorliebe, ein Subjekt isoliert an den Satzanfang zu stellen,

indem gleich unmittelbar darauf der erste Einschub folgt. Als dritte Uebereinstimmung wäre vollständigkeitshalber auch noch

132

die Interpunktion zu nennen, Kleist und Lernet-Holenia trennen

nicht nur Partizipien, sondern auch alle Arten von Adverbial­ konstruktionen durch Kommas ab. Diese drei Merkmale sind auch

im Roman "Mars im Widder" gelegentlich feststellbar, wenn auch nicht so konzentriert: "Er stellte eine einigermassen wirre Theorie von den Religionen auf, in denen zu kultischen Zwecken getanzt worden war, und behauptete, es könne, ursprünglich,

überhaupt nur eine einzige solche, sozusagen internationale Re­

ligion gegeben haben, die unter den Nationen der Vorzeit -

welche inzwischen längst untergegangen seien und deren Namen wir nicht einmal mehr wüssten - allgemein verbreitet gewesen

sein müsse, so dass es also damals schon, und zwar in einem die Gegenwart weit übertreffenden Masse, wirkliche Internatio-

nalität gegeben habe."

(Auf das bei Lernet-Holenia stets

wiederkehrende und auch im"Mars im Widder" indirekt behandelte Grundthema einer ursprünglich einheitlichen Weltreligion sei

hier nur am Rande hingewiesen;) Die von Kleist überzeugend dar­ gestellte Gleichzeitigkeit verschiedener Ereignisse drückt Ler­

net-Holenia ähnlich aus: "Er hörte die Stimme Kaufmanns, der, indem er zugleich anpochte, fragte, warum er, Wallmoden, nicht öffne."

' Die hypotaktischen Konstruktionen prägen allerdings

Lernet-Holenias Stil nicht in dem Masse, wie sie die Werke Kleists kennzeichnen. Dennoch entspricht die Vorliebe für Un­

terordnungen - wie Emil Staiger nachweist - den dramatischen 227) Demnach kann auch die weit in­

Fähigkeiten eines Dichters.

tensivere Verwendung der Hypotaxe bei Kleist als bei Lernet-Ho­ lenia nicht erstaunen.

Vor allem die Unterschiede im Gebrauch der Hypotaxe im Textzu­ sammenhang sind aufschlussreich: Während Kleist eine ruhig da­

hinfliessende Handlung durch zahlreiche Unterordnungen ausdrückt,

wechselt er bei erhöhtem Tempo, erhöhter Spannung und plötzlich

eintretenden Ereignissen oft in einen parataktischen Erzählstil, wie die Novelle "Das Bettelweib von Locarno" zeigt. Das Verfah­ ren von Lernet-Holenia verhält sich nun absolut gegensätzlich: Ruhige Erzählsituationen werden in parataktischen Satzkonstruk­

tionen vermittelt, wie es im allgemeinen einer rein beschreiben­

133

den Schilderung in einem Prosatext entspricht.

"Die Geschwader

flogen langsam, er hatte nicht gewusst, dass sie so langsam fliegen konnten. Es war fast, als ruhten sie auf ihrem Fluge eine Zeit aus. Der Feldzug war zu Ende. Sie waren im Begriff, 228) Polen zu verlassen. Sie flogen nach Westen." In diesen

letzten Sätzen stimmen Inhalt und Form mit dem Ausklingen des

Werkes in idealer Weise zusammen.

Trotz dieser gegensätzlichen Verwendung von Parataxe und Hypotaxe ist der Wechsel zwischen den beiden Möglichkeiten sowohl bei

Kleist wie auch bei Lernet-Holenia Ausdruck eines Tempowech­

sels, einer Umstellung auf ein anderes Zeitmass. Neben solchen Problemen der Satzkonstruktion stellt sich bei Lernet-Holenias Sprache natürlich die Frage nach ihrer regiona­ len Prägung: Denn die Annahme, dass in Lernet-Holenias Werken

eine österreichische Dialektfärbung feststellbar sei, ist ziem­ lich naheliegend: Zumal sich der Dichter vorwiegend mit der

österreichischen Vergangenheit auseinandersetzt und auch als Persönlichkeit seine Beziehung zu seiner Heimat nicht durch

eine Art "Weltbürgertum" verleugnete. Dennoch ist Lernet-Hole­ nias Sprache verglichen mit der Hofmannsthals, keineswegs öster­

reichisch. Die bei Hofmannsthal so berühmt gewordenen Austriazis­ men fehlen bei Lernet-Holenia vollständig. Lernet-Holenia verzich­

tet bewusst auf alle Dialektausdrücke und Wendungen aus dem "Aristokratendeutsch". Auch grammatische Austriazismen, wie z.B.

die Vermeidung des Imperfekts, fehlen durchwegs. Aeusserst sel­ ten sind Ausdrücke wie z.B. "Person", anzutreffen, die nach Hil229) degard Rizzo-Baur der österreichischen Sondersprache angehören. Gelegentliche Wendungen wie "nur mehr" anstelle von "nur noch"

u.ä. können ebenfalls als österreichische Umgangssprache ange­

sehen werden. Dennoch mag das Fehlen von eigentlichen Austria­ zismen ein wenig befremden, wenn man bedenkt, dass weite Teile des Romans aus gesprochener Sprache bestehen)

Ingeborg Brunkhorst weist in ihrer Dissertation über die "Stand­

arte" nach, dass Lernet-Holenia bewusst auf alle Austriazismen verzichtet hat, um im ganzen deutschen Sprachraum gelesen zu wer­ den. 230)

134

In der Tat hat Lernet-Holenia seine Manuskripte zwar selten mit

grundsätzlichen Korrekturen versehen, aber die wenigen Aenderun-

gen weisen alle auf sein Bestreben hin, eine möglichst überre23 1) gionale deutsche Hochsprache zu schreiben. ' Trotz dieser Feststellungen hat der Leser stets den Eindruck,

ein typisch österreichisches Werk vor sich zu haben. Es bleibt daher abzuklären, worin dieses Oesterreichische liegen kann, wenn offenbar der Sprache diese Eigenart fehlt. Von der bei

Lernet-Holenia bevorzugten Thematik war bereit die Rede: Alle Werke befassen sich in irgendeinem Zusammenhang mit der öster­

reichischen Geschichte; aber auch die Personen wirken durch ihr

galantes, korrektes Verhalten und das oft sogar bei den Aben­ teurern ganz besonders auffallende aristokratische Gebaren aus­

gesprochen österreichisch. Selbst wenn nun diese Helden eine

ganz durchschnittliche hochdeutsche Sprache sprechen, wirkt schon der höflich-zuvorkommende Ton für den Leser österreichisch. Wenn der alte Diener Anton in der "Standarte" sagt: "Das Pferd liegen 23 2) da und sind total erschöpft" , dann kommt die Eigenart eines

wirklich unterwürfigen Dieners aus der Donaumonarchie besonders

schön zum Ausdruck. Solche Ausdrucksweisen sind allerdings in

Lernet-Holenias Werk verhältnismässig selten anzutreffen, wenn man wiederum mit Hofmannsthals Werken vergleicht. Dennoch haben

solche Besonderheiten den Eindruck, den Lernet-Holenias Romane beim Leser hinterliessen, stark geprägt und Urteile wie das fol­ gende mitbeeinflusst: "Von einem korrekten Deutsch zu sprechen, erklärt freilich wenig im Zusammenhang mit einem Stil, der nicht

ohne Manierismen und einem gewissen Starrsinn hinsichtlich des

Gebrauchs leicht antiquierter Wendungen und Konstruktionen auch noch in den trivialsten Hervorbringungen eine Leichtigkeit, Ele­

ganz und Sicherheit bewahrt, wie sie jedenfalls in der zeitge233) nössischen österreichischen Literatur ihresgleichen suchen." Mithin lässt sich das österreichische Element im Werk Lernet-Ho­

lenias zwar nicht in der Sprache im Sinne der Verwendung von österreichischen Dialekt-Ausdrücken erkennen, hingegen weisen die Leichtigkeit und Eleganz gewisser Formulierungen, die Charak­ terisierung der Personen und nicht zuletzt die thematische Gebun­ denheit auf die österreichische Eigenart der Werke hin.

135

f) Abgrenzung gegen den modernen Roman

Im Zusammenhang mit dem Roman "Mars im Widder" von Modernität zu sprechen, scheint zunächst gänzlich unberechtigt. Eine Ana­ lyse der sprachlichen Merkmale und des strukturellen Aufbaus zeigt denn auch keineswegs auffallende Gemeinsamkeiten mit

den modernen Romanen des 20. Jahrhunderts. Karl Migner hat 234) in seiner "Theorie des modernen Romans" die Kriterien, nach

denen ein Werk als modern gelten kann, zusammengefasst. Ueberblickartig soll hier der Roman "Mars im Widder" nach Migners Gesichtspunkten untersucht werden: 1. Der Erzähler: Der traditionelle Erzähler ist allwissend,

überlegen: souverän und erzählt aus einer olympischen Per­

spektive das Geschehen. Daher kann der Erzähler der klassisch­ realistischen Tradition jederzeit mit Kommentaren, Hinweisen und Deutungen eingreifen und den Leser in die von ihm ge­

wünschte Richtung lenken. In diese Tradition gehören auch die psychologisierenden Romane, denn durch die Psychologie

wird gleichfalls ein Geschehen vom Erzähler gedeutet, sie

gilt als letzte konsequente Weiterführung der Interpretation durch den Erzähler. Der moderne Erzähler aber verzichtet auf diese olympische Ueberlegenheit, greift nicht mehr ins Geschehen ein, kom­

mentiert und deutet nicht und überlässt dadurch die Inter­ pretation der Ereignisse ganz dem Leser. Es bedarf keiner langen Erläuterungen, um Lernet-Holenias Roman einzuordnen:

Die Absicht eines Autors wird selten so deutlich formuliert

wie in einer Einleitung im Stile der vorliegenden. LernetHolenia deutet nicht nur nachträglich, sondern bereits vor

der Lektüre die künftigen Ereignisse. Dieses Vorgehen er­

möglicht ihm eine relative Zurückhaltung am Ende der Erzäh­

lung, aber auch Zwischenkommentare sind daher selten. 2. Der Leser: Indem der traditionelle Erzähler versucht, sei­

nen Leser möglichst mitleben und mit den Ereignissen mit­ fiebern zu lassen, sich bis zu einem gewissen Grad mit dem

136

Helden zu identifizieren, kann er die Leserreaktionen steuern,

den Leser durch die Handlung zu gewissen gewünschten Erkennt­

nissen führen. Dagegen wendet der moderne Erzähler alle Mittel auf, um beim Leser jede Art von Illusion zu zerstören. Er zwingt

ihn zur Distanznahme und zum Nachdenken. Hierzu verwendet er zahlreiche Verfremdungsmittel aus der Stilistik und Syntax.

Aber auch Stoffauswahl und gewisse strukturelle Eigenarten wie

die Montage-Technik dienen dazu, Illusionen zu verhindern. Da­ her ist der Leser im modernen Roman ganz auf sich selbst ange­ wiesen, er muss sich den Weg durch das Werk selber suchen und

die Deutung selber leisten.

Lernet-Holenia gehört auch hier in die Reihe des traditionellen Vorgehens: Seine Leser werden geführt, nicht nur durch die Vor­ ausdeutung, sondern auch durch das Geschehen, zu dem der Leser

keine desillusionierende Distanz gewinnen muss. 3. Der Standpunkt: Zur Aufrechterhaltung einer illusionistischen Wirkung dient dem traditionellen Roman in erster Linie die feste

Erzählperspektive: Der Leser verfolgt das Geschehen durch die Augen des Helden.

Im modernen Roman werden die illustionistischen Wirkungen ver­ mieden, indem die Erzählperspektive häufig wechselt: Der Leser muss seinen Standpunkt stets ändern und sieht oft dasselbe Ge­ schehen mehrfach aus verschiedenen Perspektiven.

(Anderschs

"Sansibar oder der letzte Grund" zeigt diesen Wechsel der Stand­ punkte deutlich.) Dadurch bedient sich der moderne Erzähler mit

Vorliebe einer "objektiven", neutralen Schreibweise, so dass es dem Leser unmöglich wird, den Standpunkt des Autors festzustel­

len oder ihn hinter einer bestimmten Figur zu vermuten. Von diesen Tendenzen kann bei Lernet-Holenia gleichfalls nicht

die Rede sein. 4. Der Held: Durch den Helden, an dessen Schicksal der Leser eines

traditionellen Romans lebhaft Anteil nimmt, bringt der Erzähler

eine bestimmte Weitsicht zum Ausdruck: Der Held macht eine be­ stimmte Entwicklung durch und gelangt am Schluss zu einer eige­

nen Weltanschauung. Die errungene Erkenntnis überträgt sich

137

selbstverständlich auf den Leser. Der moderne Erzähler will jede Erkenntnisvermittlung im Sinne

einer Weltdeutung verhindern, Ideologien sind ihm verdächtig.

Daher kann der moderne Held nicht mehr Träger eines vom Autor

vermittelten Gedankenguts sein, sondern er wird geradezu als

Anti-Held dargestellt: sein Verhalten und seine Person werden dem Leser zunächst verdächtig gemacht, er ist undurchschaubar,

ja negativ, schwach gezeichnet und muss am Schluss des Romans

nicht durch neue Erkenntnis an sich wachsen, sondern weit eher

an der Welt oder an sich selbst scheitern. Die Beispiele von Helden mit physischen oder psychischen Defekten - Oskar Matze­

rath in Grass' "Blechtrommel" oder Frischs Stiller - sind zahl­ reich. Die Wirkung solcher Helden auf den Leser ist verblüffend:

statt sich zu identifizieren, beginnt der Leser den Helden zu hinterfragen und stellt damit den Roman als Vermittler einer Ideologie überhaupt in Frage.

Lernet-Holenias Wallmoden ist ohne Zweifel im Sinne des tradi­ tionellen Romans Vermittler der vom Autor beabsichtigten "Ideo­

logie” und erfährt an sich selbst eine neue Erkenntnis. Er

macht eine persönliche Erfahrung, die ihn selbst weiterbringt, aber darüberhinaus auch dem Leser zu einer neuen Erkenntnis

verhelfen soll. Dennoch darf nicht übersehen werden, dass der Leser sich gelegentlich von Wallmoden distanziert: die eigen­

artigen Zustände und Gespaltenheitserlebnisse Wallmodens bewir­

ken beim Leser eine ähnlich

abwartende Haltung, wie sie der

moderne Roman von seinen Lesern fordert. Hierin ergibt sich eine erste, wenn auch nur unbedeutende Uebereinstimmung mit den

Merkmalen moderner Romane. Allerdings kann von einer Infrage­

stellung des Helden grundsätzlicher Art bei Lernet-Holenia nicht die Rede sein, denn durch die dem Leser unbegreiflichen Ereignisse will Lernet-Holenia nicht seinen Helden oder gar die Aussage seines Romans in Frage stellen, sondern im Gegen­ teil: indem er die Unerklärbarkeit zahlreicher Phänomene und Ereignisse an seinem Helden sozusagen demonstriert, wird der

Aussagegehalt des Romans nur noch verstärkt und keinesfalls

abgeschwächt. Somit entpuppt sich auch dieses scheinbare Merk­ mal von "Modernität" als unzutreffend. Darüber hinaus fehlen

138

den Lernetschen Helden selbstverständlich typische Charakterei­ genschaften von modernen Menschen: Sie gehören keiner der von

W. Binder festgestellten Gruppen an: es sind weder isolierte, 235) noch daseinsblinde, noch existenzblinde Menschen. 5. Die Erzähltechnik: Auf diesen letzten Punkt brauchen wir kaum

mehr einzugehen, denn die für den modernen Roman typischen Stil­ merkmale, wie Montage- oder Collage-Technik, die Verwendung ver­

schiedener Sprachschichten und dergleichen mehr, fehlen bei Ler-

net-Holenia durchwegs. Auch von den Möglichkeiten, Zeitebenen zu vermischen, Rückblenden einzufügen oder einen Bewusstseins­

strom in inneren Monologen darzustellen, macht er nirgends Ge­ brauch. Selbst wenn für den Nachweis eines modernen Romans nicht alle fünf

Kriterien erfüllt sein müssen, bleibt doch dieser Vergleich sehr

aufschlussreich: Lernet-Holenias Romane sind in jeder Hinsicht traditionell, sie wei­

sen durchwegs engere Verwandtschaft mit dem klassisch-realistischen

Roman und der romantischen Erzählkunst auf als den modernen Roma­

nen des 20'. Jahrhunderts. Hierbei stellt sich die Frage nach der

Berechtigung dieser ausführlichen Analyse: Wir haben zwar festge­ stellt, dass Lernet-Holenias Romane nach den heutigen Romantheorien

nicht als modern gelten können, aber dennoch soll hier die These

aufgestellt werden, dass Lernet-Holenias Prosawerk einige Eigenar­

ten aufweist, die trotz aller Gebundenheit in den Traditionen in unserer Zeit verwurzelt sind. Es ist doch immerhin erstaunlich,

dass drei grosse Romane von Lernet-Holenia in den 70er Jahren mit beachtlichem Erfolg wieder neuaufgelegt wurden:

(1975), "Mars im Widder"

"Der Mann im Hut"

(1976) und "Der Graf von Saint-Germain"

(1977). Es wäre ungerechtfertigt, diesen Werken jede Aktualität abzusprechen. Der Erfolg liegt aber offensichtlich nicht in ihrer

"Modernität" im engeren Sinne, sondern soll hier genauer umschrie­

ben werden: Sowohl Fritz Martini23^’ wie auch Wilhelm Grenzmann237’

stellen

fest, dass sich der Mensch des 20. Jahrhunderts aus seiner frühe­

ren Geborgenheit herausgerissen fühlt. Das 19. Jahrhundert kannte

139

ein "Gefühl oder Bewusstsein der göttlichen Erfülltheit mensch­ lich-irdischen Daseins"^®) , das später vom Glauben ans tech­

nische Zeitalter abgelöst wurde. Dadurch löste sich der Mensch

aus den "göttlichen Bezügen". "Das zunächst mehr politisch-so­ zial bestimmte Bewusstsein gefährdeter Lebensgrundlagen weitet

sich zum Bewusstsein einer Existenz ohne Gott,,., in den offe239) nen Abgrund der Verzweiflung." Der Mensch ist allen Mächten und Unbilden schutzlos ausgeliefert, in dem Augenblick, da er

seine Bedingtheit in einer Weltordnung aufgibt. Die Vernunft

als mögliches Ordnungsprinzip vermag aber die Welt nicht bis ins letzte zu deuten. Daher versteht es sich, dass die moder­ nen Romane grundsätzliche Existenzfragen der Menschheit aufwer­ fen. Solche Tendenzen sind mit Grenzmann durchaus als neue reli­

giöse Themen aufzufassen. Ein Mensch, für den weder Vernunft noch göttliche Weltordnung

letzte Instanzen sind, verliert auch den Glauben an die Frei­

heit seines Ichs. Dadurch ist der moderne Mensch zwar losge­ löst von allem, was ihm früher Geborgenheit vermittelte, ge­ langt aber deswegen noch keineswegs zu einer neuen Freiheit und Unbedingtheit, zu einem neuen Selbstbewusstsein. Im Gegen­

teil: die Loslösung aus den alten Bindungen, in denen sich der Mensch geborgen fühlte, bringen eine neue Abhängigkeit: der Mensch ist allem Unerklärbaren, Uebeimächtigen schutzlos ausge­

liefert. Willensfreiheit und Selbstbestimmung kennt der sol­ cherart unfrei gewordene Mensch nicht mehr. Der moderne Erzäh­

ler kann diese Situation der Menschheit entweder unmittelbar

zum Gegenstand seiner Werke machen, wie dies bei Kafka der Fall

ist, oder aber die "literarische Flucht in ein abgewandtes . , .. „ . . 240) Reich der Traume vorziehen.

Diese Flucht ist allerdings nur dem möglich, der sich der mo­

dernen Problematik in ihrer ganzen Schwere bewusst ist. Aufgrund des bisher über Lernet-Holenia Gesagten liegt der Schluss nahe,

dass auch er vor der neuen Wirklichkeit flieht und sich in sei­ nen Werken eine eigene Welt der Vergangenheit aufbaut. Diese Vor­

stellung trifft aber für Lernet-Holenia nur bedingt zu: Wohl

140

kehrt er zum traditionellen Roman zurück und verzichtet auf die

Experimentierlust moderner Autoren, wohl spielen seine Werke grösstenteils in einer längst entschwundenen Vergangenheit im Bereich der Historie, wohl weist seine Vorliebe für das Gesche­

hen, die Ereignisse auf einer geringe Beziehung zu den tief­

schürfenden Problemen der Gegenwart - und dennoch ist sein Werk

nicht ausschliesslich das Ergebnis der Distanznahme von der Ge­ genwart. Zwei Merkmale im Bereich der Thematik sollen die oben

erwähnte Aktualität seiner Romane belegen: Zunächst muss die Vorliebe für das Unerklärbare, das Geheimnis­

volle und dem Verstände nicht mehr Zugängliche als ein modernes

Thema angesehen werden. Nicht nur die heute festzustellenden Tendenzen, metaphysischen Aspekten - auch in den Naturwissen­ schaften - wieder vermehrte Aufmerksamkeit zu schenken, zeigen

die Bereitschaft des heutigen Menschen, auf offene Fragen, die

der Verstand nicht beantworten konnte, in der Metaphysik Antwort

zu suchen. Daher kann es auch kaum erstaunen, dass die drei bei Zsolnay neu aufgelegten Romane von Lernet-Holenia in einer Reihe

unter dem Thema "Die phantastischen Romane" erschienen sind. Die Aktualität der Lernetschen Romane liegt aber nicht nur in der heute beliebten Phantastik, sondern auch im - freilich da­ mit zusammenhängenden - Versuch, einer grundsätzlichen Existenz­

frage nachzugehen, nämlich der Frage, wieweit sich Schicksal und menschlicher Wille gegenseitig ausschliessen. Die Zweifel

an den Möglichkeiten menschlichen Wollens treten in Lernet-Holenias Werk sehr deutlich zutage und müssen jedenfalls als ty­ pisch modern, als Zeichen unserer Zeit angesehen werden. Indem

allerdings Lernet-Holenia diese grundsätzliche Frage beantwor­

tet, indem er Schicksal und menschlichen Willen zueinander in Beziehung setzt, schafft er ein neues Weltverständnis, er deu­

tet die Welt neu. Dadurch distanziert er sich wiederum von den

modernen Romanen, deren Anliegen es ist, gerade auf eine sol­ che Weltdeutung zu verzichten.

141.

Damit lässt sich abschliessend festhalten, dass Lernet-Holenias

Romane zwar mitnichten modern sind, weder aus formaler noch aus

weltanschaulicher Sicht, dass aber dennoch einzelne Aspekte im thematischen Bereich den Dichter als Vertreter des 20. Jahrhun­

derts kennzeichnen.

IV

DIE STELLUNG DES ROMANS "MARS IM WIDDER" IM GESAMTEN PROSA-WERK

In den bisherigen Ausführungen ist mit Absicht immer wieder

der Versuch gemacht worden, den Roman "Mars im Widder" nicht

isoliert, sondern stets im Vergleich mit dem übrigen ProsaWerk zu beurteilen. Durch dieses Vorgehen liessen sich auch typische Merkmale der Lernetschen Prosa an andern Werken

darstellen, weil sie im "Mars im Widder" zum Teil fehlen

oder nicht mit der notwendigen Deutlichkeit zu erkennen sind. Daher soll in diesem Kapitel der Versuch gemacht werden, den vorliegenden Roman in das gesamte Prosa­

werk einzuordnen, seinen Stellenwert zu bestimmen und die wesentlichen Merkmale zu untersuchen, die ihn von den übri­

gen Romanen des Dichters unterscheiden. Zunächst seien die bereits erwähnten Grundzüge der Ler­ netschen Prosa im Ueberblick zusammengefasst: In allen Wer­

ken stellten wir die Vorliebe des Dichters für geschichtli­ che Themen - vorwiegend der österreichischen Vergangenheit

fest. Dementsprechend stammen auch die Figuren aus der ari­ stokratischen Gesellschaft, selbst dann, wenn es sich um recht zweifelhafte Helden handelt (z.B. Maltravers), die

auch des Dichters besondere Vorliebe für Abenteurer und deren Erlebnisse bestätigen. Neben den Abenteurer-Romanen nehmen die Militärromane in Lernet-Holenias Gesamtwerk ei­

nen grossen Platz ein: oft wird das Thema Krieg mit irgend­

einer Liebesgeschichte verbunden, so wie der Abenteurerro­ man mit einer Liebesaffäre ausgeschmückt wird. Stets geht

es aber dem Dichter nicht ausschliesslich um diese immer wiederkehrenden Motive, sondern um weltanschauliche Fragen, der er in die Geschehnisse einbaut, ohne die Spannung der Handlung zu vermindern. Der ideelle Gehalt ist nie so ge­ wichtig, dass er sich mit der meist heiteren und leichthin vermittelten Erzählung nicht vertragen würde. Diese Grund­ themen sind wie die im "Mars im Widder" ausgeführte Frage

143

nach dem menschlichen Schicksal unter einen Aspekt zusammenzu­ fassen: Immer geht es um die Abhängigkeit des Menschen von

überirdischen Kräften: ob nun der Mensch (wie im "Mann im Hut") seiner eigenen weit zurückliegenden Vergangenheit nachforscht oder ob er als gewöhnlicher Mensch der Gegenwart ein völlig

ereignisloses Leben führt (wie Holena in der Erzählung "Riviera") stets wird er mit dem Hereinbrechen fremder Mächte konfrontiert

und dadurch in seiner eigenen Existenz verunsichert. Es wäre allerdings falsch, wenn man diese überirdischen Mächte als feindlich ansehen würde. Nirgends geht der Mensch an den mythi­

schen Mächten zugrunde. Meistens zeigen sie lediglich die mensch­ liche Abhängigkeit von andern, verstandesmässig nicht erfassba­

ren Kräften, aber diese Kräfte können sogar ausdrücklich dem Menschen wohlgesinnt sein. Es geht also keineswegs um das Aus­

geliefertsein eines völlig isolierten oder haltlos gewordenen

Menschen. Als Beispiel hierfür sei nochmals auf die zahlreichen Liebesgeschichten verwiesen, die trotz ihrer Unwirklichkeit dem Helden kein Unglück bringen. Baron Bagge ist durch die Erlebnis­

se im Totenreich nicht um seine irdische Existenz gebracht wor­

den. Das Unheimliche ist also nicht Selbstzweck, nicht menschli­ ches Schrecknis, sondern neutrale Darstellung dessen, was der

Mensch nicht durch seine Sinne und seinen Intellekt, sondern nur durch Gefühl und Intuition erfassen kann. Der Mensch hat sich in allen Werken Lernet-Holenias als ein "Wesen zwischen 241) Augenblick und Ewigkeit" zu begreifen , ohne dass ihm des­

wegen das Leben in dieser Welt zur Unmöglichkeit würde. Unter diesem Grundgedanken stehen selbst die oberflächlichsten Aben­

teurer-Geschichten, in denen dann allerdings das Problem an Ge­ wicht verliert und zum blossen Spiel mit dem Phantastischen wird. Es ist verschiedentlich behauptet worden, Lernet-Holenia wende

sich in seiner Prosa vom rein Erzählenden, Faktischen ab, um sich nur noch auf die Vermittlung des Mythischen zu verlegen. Ingeborg Kowarna sieht im Werk Lernet-Holenias eine deutliche 24 2) Diese Ansicht,

Entwicklung vom Dramatiker zum Mystiker.

so verbreitet sie auch sein mag, wird durch Lernet-Holenias

Werke selbst widerlegt: Zu allen Zeiten hat Lernet-Holenia

144

leichte, unbeschwerte Abenteurer-Romane neben phantastischen,

mystischen Erzählungen geschrieben. Selbst die frühen Novel­ len wie "Baron Bagge" weisen denselben mythischen Horizont auf, der die Spätwerke (wie beispielsweise "Die Hexen") kenn­

zeichnet. Es trifft auch keineswegs zu, dass die überirdischen Mächte im Verlaufe der Jahre unheimlicher würden oder dem Men­

schen negativer gegenübertreten. Weit eher könnte man den um­ gekehrten Vorgang feststellen: dass nämlich die Welt in Lernet-Holenias Frühwerken durchaus noch einer Interpretation be­

darf, während skin den Spätwerken bereits als gedeutetes Ge­

füge feststeht. Diese These erfährt durch die vielen leichten

und wenig tiefschürfenden Erzählungen in den 50er Jahren eine Bestätigung. Darüber hinaus wird der Roman "Mars im Widder" in

einer weiteren Hinsicht zeigen, dass Lernet-Holenias spätere Werke nicht mehr und mehr Distanz zum Leben gewinnen, wie man

vielleicht erwarten würde, sondern dass im Gegenteil der Dich­

ter auf allzu grosse Distanzierung durch die Mystik verzichtet.

Damit sind wir bereits bei der Frage nach dem Stellenwert des vorliegenden Romans in Lernet-Holenias Prosa-Werk angelangt. Lernet-Holenia hat den "Mars im Widder" selbst als den letzten

Militärroman bezeichnet, mit dem er "die Schilderung einer da-

mals untergehenden, jetzt schon untergegangenen Welt abschloss".

Er selbst sieht also in diesem Werk einen Wendepunkt. In der Tat nimmt der Roman in verschiedener Hinsicht durchaus eine Sonderstellung ein: Die Tatsache, dass es sich um den letzten

Militärroman handelt, ist bereits aufschlussreich. Lernet-Hole­ nia hat später keine eigentlichen Kriegsromane mehr geschrieben, das Thema schloss er offenbar mit dem "Mars im Widder" ab. Nun müsste eigentlich dieser Roman der letzte einer ganzen Reihe

thematisch ähnlicher Werke sein, damit man ihn als die letzte Realisierung eines Grundthemas ansehen könnte. Gerade diese Tradition scheint aber nicht unbedingt vorhanden. Zwar schrieb

Lernet-Holenia zahlreiche Kriegs- und Militärromane, aber sie behandeln alle das Thema des ersten Weltkrieges, den Untergang

der Donaumonarchie. Der Roman "Mars im Widder" ist weniger eine Endstation als ein Neubeginn, indem

nun zum ersten Mal die

243)

145

unmittelbare Gegenwart im Roman dargestellt wird: Die Ereignisse

liegen mitnichten weit zurück, nicht vom ersten Weltkrieg, son­

dern vom zweiten ist die Rede. Kurz: Der Roman "Mars im Widder" ist das erste Werk, in dem sich Lernet-Holenia mit der Gegenwart

beschäftigt.

Man fragt sich an dieser Stelle zu Recht, wie denn der Dichter überhaupt dazukomme, diese Neuerung gewissermassen zu negieren

und den Roman in eine Traditionsreihe mit andern, thematisch weit zurückliegenden Werken zu stellen. Hilde Spiel hat dieses

Phänomen zu deuten versucht: "Denn wie Thomas Mann das 19. Jahr­ hundert erst im Jahre 1918 enden sah, so ist für Lernet-Holenia

die Habsburgermonarchie erst mit der Hitlerherrschaft gänzlich 244) zu Ende gegangen." Erst durch die Erfahrungen des zweiten Weltkrieges, vermochte sich Lernet-Holenia von der Vorstellung

zu lösen, dass die alte Welt wieder auferstehen müsse.

"Er be­

durfte wohl eben all dieser Zeit, um den Zusammenbruch zu über245) winden." Unter diesem Gesichtspunkt gehört natürlich der Ro­ man "Mars im Widder" durchaus noch zur Militärroman-Tradition

des ersten Weltkrieges. Die Hauptfigur Wallmoden zeigt dies ein­ drücklich: Er gehört nach wie vor in die Soldatengeneration des

ersten Weltkrieges. Es ist mehrfach auf seine Rückgewandtheit hingewiesen worden, er nimmt zwar am gegenwärtigen Geschehen An­

teil, seine Gedanken bleiben aber an den viel gegenwärtigeren Erinnerungen an den ersten Weltkrieg hängen. Wallmoden erklärt dadurch nicht nur seine und des Dichters Rückgewandtheit, son­ dern auch die Stellung des Romans im Gesamtwerk.

Die Tatsache, dass Lernet-Holenia dieses Werk in wenigen Wochen

und noch unter dem direkten Eindruck seiner eigenen Kriegserleb­

nisse schrieb, beweist gleichfalls die These, dass Lernet-Hole­ nia hier mit einem grundsätzlichen Problem abrechnet. Um die Si­ tuation nachzufühlen, in der sich Lernet-Holenia vor dem zweiten Weltkrieg befand, sucht Hilde Spiel einen ungewöhnlichen Ver­

gleich: "In ihrer Gesamtheit strahlten diese Werke [ in denen die vergangene Welt heraufbeschworen wird} so sehr auf den, der

sie schrieb, zurück, dass er zu Beginn des zweiten Weltkriegs,

146

wie ein Täter, der magisch an den Tatort zurückgerufen wird, als Offizier der Wehrmacht in den Polenfeldzug fuhr."^^^’

Und in der Tat muss auch im Roman Wallmoden an den Ort kommen, an dem er bereits im ersten Weltkrieg gekämpft hatte: "Von 24 7) hier aus bin ich zum erstenmal ins Feld gegangen " und

Wallmoden erzählt ausführlich seine Erlebnisse aus dem er­

sten Weltkrieg, er war damals achtzehn Jahre alt - genau wie Lernet-Holenia. Der zweite Weltkrieg war für Wallmoden wie auch für LernetHolenia Anlass, alle früheren Kriegserlebnisse wieder aufer­

stehen zu lassen. Lernet-Holenia bewältigt diese emotionale Belastung, indem er den Roman "Mars im Widder" schreibt. Da­

mit schliesst er tatsächlich nicht nur mit dem Polenfeldzug und dem zweiten (damals ja noch nicht zuende gegangenen Welt­

krieg) , sondern eben in erster Linie mit den Ereignissen des ersten Weltkrieges ab. Von nun an bemüht er sich nicht mehr, die vergangene Welt der Donaumonarchie wieder auferstehen zu lassen, er räumt gewis­

sermassen mit der Vergangenheit auf. Der zweite Weltkrieg hat auf die künstlerische Entwicklung des Autors also einen entscheidenden Einfluss ausgeübt. Einerseits wirkten die

Kriegsereignisse ernüchternd: es mutet fast wie ein Erwachen

Lernet-Holenias an, wenn er aus seiner Traumwelt der unterge­ gangenen Donaumonarchie in die Gegenwart zurückkehrt. Ander­

seits aber hinterliess der zweite Weltkrieg eine pessimisti­ sche Einstellung des Dichters. Freilich hängen diese beiden

Wirkungen eng miteinander zusammen: wenn eine Welt, an der man hing und die aufrecht zu erhalten die wesentliche Lebens­ aufgabe bedeutete, plötzlich endgültig zusammenstürzt, bleibt

nur noch Raum für eine pessimistische, enttäuschte Grundhal­

tung, zumal die Gegenwart nicht dazu geeignet war, durch die nun folgenden Kriegsereignisse eine düstere Einstellung zu verhindern. Die während des zweiten Weltkrieges entstandenen Werke belegen die neue, zu den heiteren Erzählungen der Zwi­ schenkriegszeit so gegensätzliche Grundstimmung Lernet-Holenias.

147

In der Novelle "Der siebenundzwanzigste November" wird über den sterbenden Horaz berichtet, der durch Maecenas' Tod seine Stütze verloren hat und sich nun auf sich selbst zurückzieht. Die ge­

dankliche Nähe von Hermann Brochs "Tod des Vergil" ist offen­

sichtlich. Auch die wegen ihrer eigenartigen Distanziertheit anderweitig erwähnte Novelle "Der zwanzigste Juli" gehört in

diesen Zusammenhang. Die Ereignisse der Zeit waren an sich schon

schrecklich genug, wie viel mehr mussten sie aber einen Menschen verunsichern, dessen ganze bisherige Welt dadurch zusammenstürzt.'

Wer im Roman "Mars im Widder" lediglich ein Zeitdokument sieht, schliesst entschieden zu kurz. Es geht gleichsam um einen doppel­

ten Untergang: den offensichtlichen, aktuellen des zweiten Welt­ krieges, der aber nur eine Wiederholung des früheren Unterganges der Donaumonarchie in endgültiger Form darstellt. Der Anschluss

an Deutschland bedeutete den definitiven Untergang Oesterreichs, weil dadurch nicht nur eine Staatsform vernichtet wurde, sondern

ein Kulturgut, das trotz des Untergangs der Donaumonarchie noch bis zum zweiten Weltkrieg weiterbestanden hatte.^8) Bevor Lernet-Holenia einen neuen Weg aus der pessimistischen Grund­ haltung findet, rechnet er 1946 mit der jüngsten Vergangenheit ab:

Er muss die Ereignisse bewältigen, sowohl dichterisch, als auch

geistig, um einen neuen Weg in die Zukunft zu finden: Die lite­ rarische Bewältigung der Hitler-Zeit gelingt ihm in seinem Ge­

dicht "Germanien", in dem er alle Grausamkeiten in hymnischer Form ein letztes Mal auferstehen lässt.

Hilde Spiel, wie auch Ingeborg Kowarna und zahlreiche andere In­

terpreten glaubten, von nun an sei für Lernet-Holenia der Weg in die Gegenwart geöffnet, nun werde er sich aktuellen Themen zuwen­ den. In der Tat hat Lernet-Holenia zur Gegenwart eine neue Be­

ziehung gefunden: seine zahlreichen "Einmischungen" in die lite­

rarische Szene Oesterreichs und seine polemischen Aeusserungen über die längst überlebten adeligen Kreise belegen diesen Wandel.

Auch in den Werken werden

nun Themen behandelt, die nichts an

Aktualität vermissen lassen: "Die vertauschten Briefe" entstehen,

"Das Finanzamt" und "Das Goldkabinett". Die Helden in den Erzäh­

148

lungen sind zwar immer noch meistens adeliger Herkunft, aber ihr

Abenteurertum beschränkt sich nun nicht mehr nur aufs Spielen

oder Falschspielen, sie sind jetzt häufig Industrielle und Ver­ treter der Finanzwelt. Im Roman "Der Graf von Saint-Germain",

in dem er die Novelle Hofmannsthals "Das Märchen der 672. Nacht"

umdeutet, sind zwei Themenkreise von Bedeutung: Der unerbittli­ che, unausweichliche Tod und die Zurückgezogenheit von der Welt

und der Gegenwart, die allerdings auch nicht vor dem Tode zu schützen vermag. Wenn Ingeborg Kowarna die Verknüpfung der bei­

den Themen als Ausdruck für des Dichters Hinwendung zur Gegen249) trifft dies nur sehr bedingt zu: Zwar setzt

wart versteht,

sich Lernet-Holenia nun tatsächlich vermehrt mit der Gegenwart auseinander, lässt in seinen Werken keine verklärte, längst ver­

gangene Welt mehr auferstehen, aber seine ablehnende skeptische Haltung gegenüber der Aktualität bleibt unverändert. Maria Fel­

senreich spricht sogar von einer "Protesthaltung" des Dichters

gegenüber dem österreichischen Staat, so dass es nicht erstaunt,

wenn man Lernet-Holenia stets als einen letzten Zeugen einer un­ tergegangenen Epoche betrachtet hat.2^0^ Der Dichter selbst hat

freilich nichts unternommen, dieses Urteil zu korrigieren. In einem Brief Lernet-Holenias an die Redaktion der Monatszeit­ schrift "Turm" zeigt er sehr deutlich, was er von der Gegenwart

hält und welche Bedeutung für ihn die Ereignisse der Hitler-Zeit hatten: "In der Tat brauchen wir nur dort fortzusetzen, wo uns

die Träume eines Irren unterbrochen haben, in der Tat brauchen

wir nicht voraus-, sondern zurückzublicken. Um es vollkommen klar zu sagen: Wir haben es nicht nötig, mit der Zukunft zu kokettie­ ren und nebulöse Projekte zu machen, wir sind, im besten und wertvollsten Verstände, unsere Vergangenheit, wir haben uns nur

zu besinnen, dass wir unsere Vergangenheit sind - und sie wird 251) unsere Zukunft werden." Diese Aeusserungen beziehen sich in

erster Linie auf literarische Probleme: Lernet-Holenia konnte bekanntlich den neuen Tendenzen in Literatur und Kunst keine

Sympathie entgegenbringen. Es ist offensichtlich nach wie vor

so, dass für Lernet-Holenia nicht das, was kommen wird, sondern das Gewesene gültig ist, nicht die noch unausgeschöpften Möglich­ keiten, sondern die zugrundegegangenen, die es deshalb neu auf-

149

erstehen zu lassen gilt. Von einem "Triumph über jenes grosse Trauma" der beiden Weltkriege und von einer "Einkehr in die heutige Zeit und Gegenwart" zu sprechen, geht daher nicht an.

252)

Lernet-Holenia bleibt nach wie vor mit der Vergangenheit verbun­

den und tritt den modernen Erscheinungen insgesamt höchst skep­

tisch gegenüber. Dennoch markiert der Roman "Mars im Widder" als erstes gegenwarts­

bezogenes Werk einen Wendepunkt in Lernet-Holenias künstlerischer Entwicklung:

Als letzter Militärroman schliesst er mit den Kriegs- und Reiter­ geschichten ab, welche die Donaumonarchie in verklärter Form wie­ der auferstehen liessen: das alte Oesterreich erfährt dadurch

seinen endgültigen Untergang. Aber dieser Wendepunkt bedeutet

keine Kehrtwendung: die Folge ist nicht etwa eine persönliche

Anteilnahme und Verbundenheit mit der Gegenwart, sondern der Dichter verharrt in der ihm eigenen Distanziertheit. Er hat durch

diesen Wandel zwar die Vergangenheit endgültig verloren, aber als Ersatz nicht etwa die Gegenwart gewonnen. Er wird eigentlich erst

jetzt zum letzten Vertreter einer untergegangenen Epoche, weil er von nun an gewissermassen isoliert zwischen Vergangenheit

und Gegenwart steht.

In diesem "Zwischenreich" befindet sich der Roman "Mars im Widder", der mit der Hauptfigur Wallmoden und der Frage nach dem menschli­ chen Schicksal für Lernet-Holenias Situation ein deutliches Zeug­ nis ablegt. Trotz der Tragik, die eine solche Isoliertheit mit sich bringt, ist Lernet-Holenias Werk keineswegs schwermütig;

im Gegenteil: Der Dichter bewahrt stets seine Haltung, die Er­ zählungen bleiben heiter, ihr Ausgang glücklich. Lernet-Holenia

war sich-dieser Problematik durchaus bewusst; sein Werk ist der erste Schritt zu Bewusstwerdung und Bewältigung des Konfliktes.

STELLUNG LERNET-HOLENIAS IN DER OESTERREICHISCHEN LITERATUR SEINER ZEIT

1. Musil, Roth, Doderer und Lernet-Holenia

Die Besonderheiten des Werks von Alexander Lernet-Holenia sind letzten Endes nur im Vergleich mit anderen österrei­

chischen Werken dieser Zeit zu erkennen. Schon im Kapitel II wurde deutlich, dass Lernet-Holenia durchaus keine Einzel­ erscheinung des 20. Jahrhunderts darstellt, sondern in man­

cherlei Hinsicht schon bestehende Traditionen weiterführt;

insbesondere haben Kleist, Hölderlin, Rilke, Hofmannsthal und Schnitzler sein Werk entscheidend geprägt. Aber auch

innerhalb seiner Zeit ist Lernet-Holenia mit zahlreichen andern Autoren verbunden: Die stets wiederkehrende Thema­ tik rund um den Untergang der Donaumonarchie ist nicht

ausschliesslich bei Lernet-Holenia anzutreffen. Der Zusam­ menbruch des Kaiserreiches hat neben Robert Musil, Joseph

Roth und Heimito von Doderer eine grosse Zahl von Schrift­ (Roland Heger widmet daher in seiner Li253) teraturgeschichte diesem Thema ein ganzes Kapitel. ) stellern geprägt.

Die Suche nach den Hintergründen des Endes der Donaumonar­ chie stellt eine verbreitete Möglichkeit der Vergangenheits­

bewältigung dar. Wenn auch jeder Schriftsteller andere Schwer punkte setzt, verschiedene Aspekte berücksichtigt und ande­

re Ursachen für jene historisch entscheidenden Ereignisse sucht, ist doch eine grundsätzliche Uebereinstimmung unver­ kennbar: Musil, Roth und Doderer haben wie Lernet-Holenia

aus einer zeitlichen Distanz die Jahre vor dem Zusammen­ bruch der Monarchie wieder auferstehen lassen. In den Wer­ ken aller vier Schriftsteller ist das alte Oesterreich zum Grundthema geworden.

151

Unter diesen Voraussetzungen soll in der Folge eine genauere Analyse der jeweiligen Hauptwerke die Einordnung von LernetHolenias Werk in seine Zeit ermöglichen. Die Untersuchungen

stützen sich in der Hauptsache auf die folgenden Werke: "Der 254) Mann ohne Eigenschaften" von Robert Musil , "Radetzkymarsch" 2 5 5) von Joseph Roth , und "Die Strudelhofstiege oder Melzer und 2 56) die Tiefe der Jahre" von Heimito von Doderer

Die Tatsache, dass die vier Autoren derselben Generation ange­ hören, unterstreicht die Gemeinsamkeiten, die sich zum Teil auch in biografischer Hinsicht erkennen lassen. Während LernetHolenia 1897, Joseph Roth 1894 und Heimito von Doderer 1896 geboren wurden, zählt Robert Musil trotz seines mehr als ein

Jahrzehnt weiter zurückliegenden Geburtsdatums (1880) zweifel­ los zu derselben Dichtergeneration.

Der Vergleich mit Lernet-Holenias Werk und seiner Art, die öster­

reichische Vergangenheit darzustellen, erfordert neben dem hier

entscheidenden Roman "Mars im Widder" aber stets auch einen Aus­

blick auf die übrigen Romane Lernet-Holenias, da manches erst durch die Unterschiede innerhalb des Gesamtwerkes deutlich auf­ gezeigt werden kann.

152

2. Entstehungszeiten und Erzählte Zeit

Die Uebereinstimmungen in den Werken von Musil, Doderer, Roth

und Lernet-Holenia sind zahlreich: alle vier Autoren beschäf­

tigen sich mit der Vergangenheit ihres Vaterlandes und wählen mit Vorliebe die Zeit unmittelbar vor dem ersten Weltkrieg zum Gegenstand ihrer Betrachtungen. Daraus ergibt sich die keines­

wegs überraschende Tatsache, dass Entstehungszeit und Erzählte Zeit meist nicht zusammenfallen: Robert Musils "Mann ohne Eigen­

schaften" spielt ausschliesslich in der unmittelbaren Vorkriegs­ zeit von 1913 und 1914, während die ersten Kapitel erst 1930 er­

schienen; allerdings hat sich Musil schon sehr viel früher (seit 1900) mit Teilen des späteren Romans beschäftigt und ist

noch vor seiner Beendigung im Jahr 1942 gestorben. Auch Joseph

Roths "Radetzkymarsch" behandelt die Zeit um 1914, holt aller­ dings etwas weiter aus: indem meist die Lebensgeschichte der Trottas und die Heldentat Joseph Trottas auf dem Schlachtfeld

von Solferino, die zum Verständnis für die nachfolgenden Gene­ rationen wichtig sind, erzählt werden. Auch dieser Roman ent­ stand in der Emigration, im Jahr 1932 in Paris. Die Tatsache,

dass es leichter fällt, sich in der Emigration als in der Hei­

mat mit der eigenen Vergangenheit auseinanderzusetzen, ist wohl bei beiden Autoren nicht entscheidend gewesen. Auch Doderers "Strudelhofstiege" widmet einen grossen Teil der Erzählzeit den

Vorkriegsjahren, befasst sich allerdings ebenso ausführlich mit der Nachkriegszeit in der ersten Hälfte der 20er-Jahre. Entspre­

chend später ist dieser Roman erschienen: im Jahr 1951. Aber auch für Doderers Werk gilt die auffallende Tatsache eines rela­

tiv grossen zeitlichen Abstandes zwischen Erzählter Zeit und

Entstehungszeit. Die zeitliche Distanz kann somit geradezu als Voraussetzung für eine gedanklich-kritische Auseinandersetzung

mit dem alten Oesterreich betrachtet werden. Umso erstaunlicher fällt der Vergleich mit Lernet-Holenias "Mars im Widder" aus: Der 1939/40 entstandene Roman befasst sich vordergründig keineswegs mit einer weit zurückliegenden

Vergangenheit, sondern spielt

in der unmittelbaren Gegenwart:

153

kurz vor dem Ausbruch des zweiten Weltkriegs und in den ersten

Kriegsmonaten. Auf den ersten Blick gehört gerade Lernet-Holenias Werk nicht in die Reihe der übrigen historischen Romane. Die vor­

gängigen Untersuchungen haben aber gezeigt, dass sich Lernet-Holenia nur scheinbar mit den Ereignissen des zweiten Weltkrieges aus­

einandersetzt, in Wirklichkeit nimmt Wallmoden nur äusserlich am Geschehen teil: innerlich und gefühlsmässig ist er im Jahre 1914 stehen geblieben. So haben ihn auch alle Gedanken und Assoziatio­

nen wieder in den ersten Weltkrieg zurückgeführt. Wir haben daher auch festgestellt, dass Lernet-Holenia im "Mars im Widder" nicht

die unmittelbar gegenwärtigen, sondern die längst historisch ge­ wordenen Ereignisse aus der Donaumonarchie zu bewältigen sucht.

Insofern gehört also gerade auch dieser Roman in die Umgebung

der sich offensichtlicher mit der österreichisch-ungarischen Ver­ gangenheit beschäftigenden Erzählungen. Lernet-Holenias "Mars im

Widder" hat sich gerade durch die kunstvolle Verflechtung von vor­ dergründiger Erzählter Zeit oder Gegenwart und hintergründig impli­

zierter Vergangenheit als Ausnahmeerscheinung im Gesamtwerk Lernet-

Holenias erwiesen. Völlige Uebereinstimmung mit den Zeitverhältnis­ sen bei Roth, Doderer und Musil ist aber in fast allen übrigen Roma­

nen und Erzählungen feststellbar: Während die Entstehungszeiten

grösstenteils in den 30er Jahren liegen, behandelt der Dichter fast ausschliesslich die Zeit des ersten Weltkriegs. Besonders deutlich

zeigt sich Lernet-Holenias Bemühen, den Zusammenbruch der Donaumo­ narchie und der sie repräsentierenden Welt literarisch zu bewälti­

gen, im 1934 erschienenen Roman "Die Standarte". Er beschwört die

Vergangenheit in diesem Werk noch ganz realistisch herauf und lässt sie wiederauferstehen durch die von Menis durch alle Widrig­

keiten erfolgreich verteidigte, symbolische Fahne. Im Vergleich da­

zu geht er im "Mars im Widder" subtiler vor: die entscheidende Zeit um 1914 lebt nur noch in der Phantasie Wallmodens und damit auch des Lesers und selbstverständlich des Autors wieder auf. Lernet-

Holenia hat somit den Weg von der realistischen zur symbolischen, von der konkreten zur abstrakten, von der unmittelbaren zur mittel­

baren Vergangenheitsbewältigung zurückgelegt. Die Romane von Robert

Musil und Joseph Roth wirken demgegenüber sehr viel direkter: sie spielen in den Vorkriegsjahren und sie meinen damit keineswegs hin­

tergründig eine andere Zeit. Wesentlich komplizierter verhält es

154

sich mit Doderers "Strudelhofstiege": Die eigentliche Erzählzeit

betrifft die frühen 20er Jahre, aber die Handlung entwickelt sich keineswegs chronologisch, sondern greift über weite Strecken bis

ins Jahr 1911 zurück, um die mit der Hauptfigur Melzer verknüpf­ ten Ereignisse

wieder aufzurollen und dessen individuelle Vergan­

genheit auszuleuchten. Die Vorliebe für Zeitwechsel ist geradezu charakteristisch für Doderers Werk: schon der Untertitel "Melzer

und die Tiefe der Jahre" weist auf die zeitliche Vielschichtigkeit hin. So ist denn der Leser auch dauernd damit beschäftigt, die zahlreichen Episoden und Ereignisse miteinander zu verknüpfen und

zu einem zeitlich sinnvollen Ablauf zu ordnen. Doderer hat es al­ lerdings durchaus nicht darauf angelegt, den Leser unnötig zu ver­

wirren, sondern bringt selbst mit Vorliebe vorausdeutende oder rückblickende Kommentare. So wird bereits nach wenigen Seiten (auf

denen wir Mary K. im Jahr 1923 kennenlernen) auf ihre gemeinsame Vergangenheit mit Melzer und auf die bedeutungsvolle Zeit in Ischl zwischen 1908 und 1911 hingewiesen. Noch offensichtlicher ist der

Brückenschlag in die Zukunft, bevor der Leser überhaupt mit der Gegenwart der Erzählten Zeit richtig bekannt geworden ist. Der

Roman beginnt nämlich mit folgendem aufschlussreichen Satz: "Als

Mary K.s Gatte noch lebte, Oskar hiess er, und sie selbst noch auf zwei sehr schönen Beinen ging (das rechte hat ihr, unweit ihrer

Wohnung, am 21. September 1925 die Strassenbahn über dem Knie abge­ fahren), tauchte ein gewisser Doktor Negria auf, ein rumänischer Arzt, der hier zu Wien an der berühmten Fakultät sich fortbildete 257) und im Allgemeinen Krankenhaus seine Jahre machte." Nicht nur

mit den Zeiten geht Doderer sehr virtuos um; ebenso vielfältig sind die einzelnen Handlungen und Episoden; und die im Roman er­

wähnten Namen und Personen sind zahllos. Joseph Roths "Radetzky­ marsch" bildet den grössten Gegensatz dazu: ein kontinuierlicher,

geordneter und auf die Hauptpersonen der Familie Trotta ausgerich­

teter Ablauf der Ereignisse. Im zeitlich sehr weit gesteckten Rah­

men lässt sich Roth niemals vom Hauptthema ablenken. Auch Musil ordnet die einzelnen Handlungsstränge einem Hauntthema unter, aber

die Vielfalt der einzelnen Episoden hat wie bei Doderer eine Viel­ zahl von Personen und Handlungsschwerpunkten zur Folge. Die Proble­

matik des kontinuierlichen Zeitablaufs stellt sich bei Musil kaum,

da er sich ausschliesslich auf die Jahre 1913 und 1914 konzentriert.

155

Das Thema aber, unter dem alle Ereignisse zusammenzufassen sind,

ist die Situation Oesterreichs vor dem angeblich bevorstehenden

Regierungsjubiläum und dem in Wirklichkeit bevorstehenden Welt­ krieg. Entscheidend sind daher nicht die einzelnen Episoden an

sich, denn "es war durchaus nichts in Kakanien geschehen und frü­ her hätte man gedacht, das sei eben die alte, unauffällige kakani-

sche Kultur, aber dieses Nichts war jetzt so beunruhigend wie 258) Auch die

Nichtschlafenkönnen oder Nichtverstehenkönnen."

Ueberschrift des zweiten Teils im ersten Buch "Seinesgleichen ge­

schieht" verweist auf die Tatsache, dass nicht die vordergründigen

Ereignisse Hauptthema des Romans sind. Wie gross die Unterschiede zwischen Erzählzeit und Erzählter Zeit oft sind, zeigt ein Vergleich zwischen den Romanen von Musil und

Roth: Der Konzentration auf die Jahre 1913 und 1914 steht die gros­ se Zeitspanne von 1859 bis 1916 gegenüber. Trotzdem ist Musils Werk noch beträchtlich umfangreicher als das Roths. Die beiden Schrift­

steller benützen offensichtlich gegensätzliche Mittel: Musil be­ schreibt den gegenwärtigen Zustand, Roth leitet ihn aus der indi­

viduellen Vergangenheit der Familie Trotta ab,

(um dann freilich

ebenfalls in den Vorkriegsjahren besonders ausführlich zu werden). Die Wirkung auf den Leser ist in beiden Romanen interessanterweise dieselbe: der Zusammenbruch des Habsburgerreiches erfolgt nicht als

ein unbegreiflicher Zufall, sondern aus innerer Notwendigkeit: Die in den beiden Romanen geschilderten Zustände und Ereignisse lassen den Leser den historischen Untergang als zwingend empfinden. Diesen

Eindruck erwecken die Romane von Doderer und Lernet-Holenia keines­ wegs, obwohl Lernet-Holenia der Frage von Zufall und Schicksal aus­

führlich nachgegangen ist. In den frühen Romanen wird der Zusammen­ bruch als unbegreiflich und tragisch dargestellt; im Roman "Mars im Widder" wählt Lernet-Holenia für die grundsätzliche Frage nach den

Ursachen alles Geschehens ein anderes Beispiel als den Untergang der

Monarchie: das persönliche Schicksal Wallmodens und Cubas. Auch Doderer schildert weder Voraussetzungen noch Ereignisse des Unter­

gangs, sondern widmet sich einer andern Art, Vergangenheit wieder

aufzurollen und zu bewältigen, von der noch die Rede sein wird.

156

3. Grundthemen

In der Einleitung zu diesem Kapitel war hauptsächlich von den Uebereinstimmungen zwischen den vier Romanen die Rede, die in

erster Linie den thematischen Bereich betrafen. Nun zeigt sich aber, dass offenbar nicht einmal in der Thematik von klaren

Parallelen gesprochen werden kann: nur Robert Musil und Joseph

Roth befassen sich wirklich mit den gesellschaftlichen Voraus­ setzungen für den ersten Weltkrieg. Lernet-Holenia hat ein kom­ pliziertes System der ineinanderverflochtenen Zeiten des ersten

und des zweiten Weltkrieges geschaffen, und Doderer schliesslich

fragt in keiner Art und Weise nach den historischen Begebenhei­ ten: die geschichtlich-politische Dimension bleibt ganz ausge­

klammert. Auch Lernet-Holenia geht es nicht um die Fakten, selbst wenn er sich genau an seine eigenen Erlebnisse im zweiten Welt­

krieg hält. Das Schicksal des Individuums Wallmoden ist weit wichtiger. Ebenso zeigt sich, dass auch Musil und Roth ihre Untersuchungen zum Untergang der Donaumonarchie an die Erlebnisse

bestimmter Personen knüpfen: Ulrich und Carl Joseph von Trotta sind sich hierin in ihrer Aufgabe ganz ähnlich. In beiden Roma­

nen lässt der Dichter die vergangene Welt auferstehen, indem er die Repräsentanten jener Zeit und ihre gesellschaftliche Umge­

bung schildert. Diesem verhältnismässig einfachen Verfahren

steht Doderers Figur Melzer gegenüber: Die Vergangenheit wird nicht unmittelbar dem Leser vorgezeigt, sondern erst durch die Person Melzers rekonstruiert, indem er seine gemachten Fehler

analysiert und überwindet. Es geht deshalb bei Doderer auch keineswegs um das zeitgeschichtliche Phänomen des Zusammenbruchs der Monarchie, sondern ausschliesslich um die individuelle Ver­

gangenheit Melzers und deren Bewältigung. Weit mehr sind Wall­ moden im "Mars im Widder" und Ulrich im "Mann ohne Eigenschaf­

ten" mit den Zeitereignissen verknüpft. Und ganz besonders gilt

dies für die Familie Trotta, deren Leben seit der Schlacht von Solferino unmittelbar mit den Ereignissen innerhalb des öster­ reichischen Staatsgefüges verbunden ist: nicht nur rettet Leut­

nant Joseph Trotta dem Kaiser in der Schlacht

(von Solferino)

157

das Leben, sondern auch sein Sohn, der Bezirkshauptmann, bleibt mit dem Schicksal des Kaisers verknüpft: er legt sich nach dessen Tod nieder und stirbt, da er "den Kaiser nicht überleben konnte".

259)

Der Enkel des Helden von Solferino allerdings stirbt keinen ruhm­ reichen Tod, sondern wird beim Versuch, Wasser für seine Mannschaft

aus einem Brunnen zu schöpfen, vom Feind erschossen. Diesem letzten Spross der Trotta-Familie widmet Roth den grössten Teil des Romans, an ihm wird der Untergang der alten Welt demonstriert. Dadurch kann Roth als der eigentliche "Schriftsteller des Zusammenbruchs der österreichisch-ungarischen Monarchie"260' schlechthin bezeichnet

werden. Musil hingegen hat - auch wenn er sich auf die österreichischen Ver­

hältnisse vor dem ersten Weltkrieg konzentriert - durchaus nicht nur dieses eine historische Beispiel im Auge: "Dieses groteske Oester­

reich ist nichts anderes als ein besonders deutlicher Fall der modernen Welt."

; Man würde Musils Werk aber auch zu einseitig inter­

pretieren, wenn man es nur als Kritik an der modernen Welt verstün­ de. Musil hat neben allen zeitkritischen Aspekten, die sich auf die

gesellschaftlichen Verhältnisse beziehen und in den verschiedenen

Kapiteln über Kakanien besonders deutlich zum Ausdruck kommen, auch die individuellen Möglichkeiten des modernen Menschen zum Gegenstand

seines Romans gemacht. Schon im Titel ist die Ambivalenz von Indi­

viduum und Gesellschaft feststellbar. Vermutlich war diese umfas­

sende Themenstellung mit ein Grund dafür, dass der Roman unvollen­ det bleiben musste. Um diesen beiden Themenkreisen gerecht zu wer­

den, erleben wir den Helden Ulrich einerseits als aktives Mitglied der Wienergesellschaft, sogar als Sekretär der "vaterländischen Aktion" zur Gestaltung des Regierungsjubiläums, und andererseits

als individuellen, modernen, von den gesellschaftlichen Verhältnis­ sen losgelösten Menschen, der ein Jahr Urlaub von seinem Leben braucht. Wie eng für Ulrich seine Person mit seiner Umgebung

ver­

bunden ist, zeigt seine Beurteilung der Gegenwart: "Heute hat die Verantwortung ihren Schwerpunkt nicht im Menschen, sondern in den

Sachzusammenhängen. Es ist eine Welt von Eigenschaften ohne Mann 26 2) Musil

entstanden, von Erlebnissen ohne den, der sie erlebt."

sagt denn auch selbst, dass ihm nicht allein die Situation vor dem

ersten Weltkrieg oder die individuelle Entwicklung Ulrichs, sondern

158

ein umfassenderes Anliegen vorschwebte: "Ich möchte Beiträge zur 26 3) geistigen Bewältigung der Welt geben. Auch durch den Roman." Die hier aufgezeigte Bewältigung der Welt lässt sich mit dem Ge­ gensatz von Möglichkeitsmenschen und Wirklichkeitsmenschen zusam­

menfassen: nicht das, was zufällig Wirklichkeit geworden ist, ist

allein von Bedeutung für die Menschheit. Möglichkeitsinn als "Fähig­ keit..., alles, was ebenso gut sein könnte, zu denken und das, was ist, nicht wichtiger zu nehmen als das, was nicht ist"^^ lässt auch das ganze Romanwerk mit seinen zahllosen Handlungen und Neben­

handlungen ins Unermessliche anschwellen. Die durch den Möglichkeits­ menschen erschaffene Welt bleibt aber Utopie, der "andere Zustand"

ist kein allgemeines Lebensrezept. Da es im Grunde niemals eine end­

gültige Lösung der menschlichen Daseinsproblematik geben kann, ist die ironisch-satirische Grundhaltung Musils durchaus.folgerichtig. Auch seine Vorliebe für Mystik, die Gedankenspiele im Konjunktiv 26 5) und, wie L.G. Seeger nachweist, die Tendenz, bestimmte Erzähl­

teile in die Form des Kunstmärchens im Stile Novalis'zu kleiden, bestätigen das Bedürfnis Musils, letztlich alles offen zu lassen: 266) "Eine fertige Weltanschauung verträgt keine Dichtung." Die Ein­ schränkung der Welt auf das zufälligerweise Wirklichkeit Gewordene

widerspricht Musils wie auch Lernet-Holenias Weltverständnis. Wäh­ rend Musil den Gegensatz zur Wirklichkeit in der Möglichkeit findet,

erschafft sich Lernet-Holenia den ganzen Bereich des Phantastischen. Wie im Roman "Der Mann ohne Eigenschaften" ist auch im "Mars im Wid­

der" die Welt nicht auf das Faktische beschränkt. Musil lässt aller­ dings das Nicht-Wirkliche lediglich in Form von andern Möglichkeiten anklingen, während bei Lernet-Holenia das Nicht-Wirkliche wirklich, das Phantastische zu einer zweiten Welt wird. Die Uebergänge von

der realen zur geträumten Welt und ihre Auswirkungen auf das Gesche­ hen im Roman sind denn auch Hauptthema der Erzählung. Es geht ihm allerdings - wie auch Musil - nicht nur um eine Konzession an die

Leserschaft, vielmehr kommt der phantastischen Welt eine wesentli­

che Funktion für die dichterische Aussage des Werks zu: Die Frage, wieweit der Mensch sein Schicksal selbst bestimmen, wieweit es vom Zufall oder von fremden Mächten abhängig ist, kann gerade im Grenz­

bereich zwischen Wirklichkeit und Traumwelt besonders nachdrücklich

159

gestellt werden. Lernet-Holenia widmet daher dem phantastischen

Aspekt seiner Erzählung äusserste Sorgfalt. Für Musil ist der

Gegensatz zur Wirklichkeit nicht eine zweite andere, unreale Welt, sondern eine Vielzahl von offenen Möglichkeiten. Dadurch wird der Verlust an Wirklichkeit bei Musil nicht durch eine gleichwertige

zweite Welt kompensiert und entschädigt, sondern erhält einen tra­ gischen Aspekt: "Ist denn die Wahrheit, die ich kennenlerne, meine

Wahrheit? Die Ziele, die Stimmen, die Wirklichkeit, alles dieses Verführerische, das lockt und leitet, dem man folgt und worein man 26 7) sich stürzt - ist es denn die wirkliche Wirklichkeit?" Auch

Lernet-Holenia beklagt in zahlreichen Werken den Verlust an Wirk­

lichkeit, aber die phantastische Welt leistet vollwertigen Ersatz, ja eigentlich wird die zweite Welt zur neuen Wirklichkeit im "Mars

im Widder", denn nur dort können sich Wallmoden und Cuba wieder be­ gegnen. Das Problem der Vielschichtigkeit ist uns bereits in der Behandlung der Zeitstufen bei Doderer begegnet. Es erstaunt daher nicht, dass

auch er oft ausdrücklich von einer "zweiten Wirklichkeit" spricht. Er meint mit diesem Ausdruck allerdings wieder etwas ganz anderes als Musils Möglichkeit oder Lernet-Holenias phantastische Welt. Er

prägt 1924 in.seinem Tagebuch im Anschluss an ein Erlebnis in der

Oper den Begriff des "zweiten Lebens":

"Ich fühlte mich da sitzen -

wie von aussen gesehen - und ich fühlte, dass ich neben einem zwei­

ten Leben herlebte, wie durch eine dünne Wand davon getrennt, und 26 8) Die

dass dieses zweite mein eigenstes Leben in Wahrheit sei."

Vorstellung von zwei unabhängigen Wirklichkeitsebenen prägte auch den Roman "Die Strudelhofstiege" ganz entscheidend. Melzer muss

lernen, sein zweites Leben als das eigentliche zu erkennen und zu

akzeptieren. Der Zugang zu seinem zweiten verborgenen Ich wird ihm nur durch die Bewältigung seiner eigenen Vergangenheit möglich. Der erste Schritt dazu findet durch Selbstentfremdung statt: "Wir treten hinaus aus allem, was uns mitgegeben war und jetzt um uns herumsteht, und wir sehen mit dem Justizgebäude, das langweilig da­

steht, wie ein leerer Lehnsessel - wir sehen gleich auch diese Fron­ ten neu: und erkennen sie als einen Teil des Lagemässigen unseres ei­ genen Charakters durch Jahre."269) erstarrte Wirklichkeit soll neu belebt, das eigentliche Leben hinter dem vordergründig-gegenwär-

160

tigen entdeckt werden. Doderer prägt für diesen Vorgang den Begriff der Apperzeption, den er folgendermassen erläutert: "Es gibt also zwei Arten des Wahrnehmens, ein rein formales Kenntnis-Nehmen und

eine existentiell verändernde Wahrnehmung, die eigentliche Apper­ zeption. .. Die erste Art von Wahrnehmung wäre einem physikalischen Vorgänge vergleichbar, etwa einer blossen Mischung zwischen Teil­

chen des Subjekts und Teilchen des Objekts, die zweite aber einer chemischen Verbindung, wobei ein neuer Stoff entsteht, der bisher

nicht da war. Das also ist die existentielle Apperzeption, die chemi­ sche sozusagen, die bis ins unbewusste Denken dringt. Sie allein ver­

bindet den Menschen wirklich und wirksam mit der Objektwelt. Sie 270) ist produktiv." Doderer wehrt sich gegen die Vorstellung einer

rational erfassbaren oder gar willentlich machbaren Wirklichkeit und setzt als Gegeninstanz das unmittelbare Erleben, indem er,

wie Anton Reininger einleuchtend schildert, in erster Linie eine 271) "Oeffnung des Ichs nach aussen" verlangt. Apperzeption bedeu­ tet für Doderer gerade dieses Offenbleiben, sich nicht auf einen

Gegenstand Fixieren. "Die existenzielle Apperzeption erfordert Hin272) gäbe." In dieser Forderung ist eine bemerkenswerte Parallele

zu Musils offenbleibenden Möglichkeiten feststellbar. Allerdings bezieht sich Doderers Vorstellung der zwei Wirklichkeiten haupt­

sächlich auf die zwei verschiedenen Aspekte eines individuellen

Ichs; er verlegt also die Thematik vermehrt auf die Stufe des menschlichen Bewusstseins von sich selbst, und zwar folgerichtig

in dem Masse, in dem er sich von den eigentlichen zeitgeschichtli­

chen Ereignissen distanziert. Wie im "Mann ohne Eigenschaften" fin­ den wir auch in der "Strudelhofstiege" eine unermessliche Vielfalt von Handlungen und Nebenhandlungen, die oft mit dem Kern der Erzäh­ lung in keinerlei Verbindung mehr stehen. Man kann sogar sagen,

dass in Doderers Roman eine eigentliche Handlung fehlt, denn die

von Melzer zu leistende Apperzeption ist eine Angelegenheit, die

nicht mit zahlreichen äusseren Ereignissen verbunden ist. Es er­ staunt daher keineswegs, dass sogar Doderer selbst für den Verlag nur eine ganz unverbindliche Inhaltsangabe zu seinem Roman verfass­

te: "Das Buch zeigt, was alles zum Dasein eines verhältnismässig einfachen Menschen gehört und welcher langen Hebel - von Konstantin­

opel bis Wien, von Budapest bis Buenos Aires - das Leben bedarf und

161

sich bedient und wievielerlei Kräfte es daran wendet, um auch nur einen einzigen solchen einfachen Mann durch die Etappen sei­

nes Schicksals zu bewegen; welches so sehr zum Kreuzungspunkt vieler Schicksale wird, dass es mitunter fast nur als deren Ver27 3) bindendes erscheint." Die zahllosen Details wirken denn auch

recht verwirrend auf den Leser, und es fällt schwer, in der Fülle

von Begebenheiten eine sinnvolle Ordnung zu entdecken. Aber gera­ de darauf, auf eine sinnvolle Ordnung, kam es Doderer nicht an; im

Gegenteil: Ziel seiner Darstellung ist ja nicht das geordnete, überschaubare, machbare und rational erfassbare Leben, die unumstöss­

liche Wirklichkeit, sondern ihr Gegenteil: die Abbildung des Chaos. Das Chaos stellt aber für Doderer wenigstens teilweise einen posi­ tiven Wert dar, insofern als dass es einen klaren Gegensatz zu den lebensfeindlichen Ordnungen darstellt. Denn für Doderer schliessen

sich Leben und Ordnung gegenseitig aus. Den Versuch, Ordnung in

ein Leben zu bringen, nennt er "die grösste Sünde gegen die Schöp­ fung".2^4^ Mittel zum verfehlten menschlichen Ordnungswillen ist

das Denken, das aber dem Leben niemals gerecht zu werden vermag, "weil seine logischen Bahnelemente vom Irrationalen her nicht irri­

tierbar sind, welche tiefe Irritierbarkeit durch das Einschliessen

irrationaler Elemente aber das Wesen allen Lebens, allen geschicht275) liehen Lebens ausmacht." Die Parallele zu Lernet-Holenias Weltverständnis ist offensichtlich: beide misstrauen sie dem rein rational Erfassbaren und beide legen

sie ihrem Werk dieses Misstrauen zugrunde. So sind denn im "Mars im Widder" wie auch in der "Strudelhofstiege" alle banalen Begeben­ heiten und trivialen Handlungen funktionell dem Anliegen der Auto­

ren untergeordnet. Es wäre allerdings allzu einfach, das Geschehen in Doderers Roman ausschliesslich auf die gewollte Unordnung fest­ zulegen. Denn trotz aller divergierenden Einzelheiten findet sich

auch im Geschehen ein ruhender Pol: Die Strudelhofstiege, in deren Umkreis sich das Wesentliche ereignet, wo sich die verschiedenen

Personen treffen oder verabreden. Die Stiege bleibt unverändert und

überdauert alle Ereignisse des Romans und die Veränderungen der Per­ sonen .

162

Das rational nicht Erfassbare ist sowohl für Doderer wie auch für

Lernet-Holenia das eigentliche Leben. Aber während Doderer das

Chaos und den Zufall als Weltprinzip darstellt, erkennt LernetHolenia im "Mars im Widder" einen höheren Sinnzusammenhang: Gerade

nicht der Zufall, sondern eine unbegreifliche Macht, die er Schick­ sal nennt, fügt die Welt wieder zu einem sinnvollen Ganzen. Aller­ dings kann auch für Doderer die Welt wieder zu einem sinnvollen

Ganzen werden, indem sie nicht durch Vernunft und Denken, sondern

durch schrankenlose Apperzeption erfasst wird. Diesen Vorgang nannte Doderer die "Menschwerdung", wovon im Kapitel über die Hauptfiguren

noch die Rede sein wird.

Vergleichen mit Musil, Doderer und Lernet-Holenia wirkt Joseph Roths Roman geradezu einfach mit seiner streng linearen und ge­

mächlich dahinziehenden Handlung. Ebenso ist das Hauptthema im

"Radetzkymarsch" von Anfang an klar umrissen: als Leser, sollen wir

den langsamen Untergang der Donaumonarchie in aller Ausführlichkeit über drei Generationen hinweg miterleben. Der Roman ist ein Beweis für das unabwendbare Zeitgeschehen, dafür, dass der Zusammenbruch

schon mit der Schlacht von Solferino begann: Die Welt hatte sich verändert, aber das österreichisch-ungarische Kaiserreich bemerkte

die Veränderung nicht. Die Diskrepanz zwischen Wirklichkeit und

Scheinwirklichkeit zeigt Roth bereits an den Folgen der Schlacht

von Solferino: Der Leutnant Joseph Trotta hatte im Augenblick höch­

ster Gefahr den die Truppen besuchenden Kaiser Franz Joseph völlig unheldenhaft - aber dafür sehr wirkungsvoll - an der Schulter zu Boden gerissen und ihm dadurch das Leben gerettet. Kurze Zeit spä­

ter entdeckt Trotta in einem Schüler-Lesebuch eine völlig verzerr­

te Schilderung jener Begebenheit: Der Kaiser darf vor der Oeffentlichkeit nicht von einem gewöhnlichen Leutnant zu Boden gerissen werden, sondern der Leutnant hat sich einer grossen Zahl von Geg­

nern und ihren Waffen entgegenzuwerfen, um das Leben des Kaisers zu schützen. Alle Versuche Trottas, im Lesebuch eine Richtigstel­ lung der Tatsachen zu erreichen, scheitern, da sogar der Kaiser

persönlich auf der Beibehaltung der idealisierten Version be­

steht. Dieses Beharren auf einer von der Zeit längst überholten

Situation wird damit zum Grundthema des Romans. Der Leutnant Trotta zieht die Konsequenzen,

(er tritt aus der Armee aus und zieht

163

sich auf sein Landgut zurück), ohne damit die Diskrepanz von Sein und Schein aufheben zu können. Er verbietet zwar seinem Sohn jede militärische Laufbahn, erreicht damit allerdings nur das Gegenteil

des Beabsichtigten: der Bezirkshauptmann geht vollständig in des

Kaisers Scheinwirklichkeit auf und verlangt deshalb seinerseits

von seinem Sohn Carl Joseph trotz dessen Widerstreben eine mili­ tärische Laufbahn als treuer Diener des Kaisers und als Enkel des

Helden von Solferino. Für beide, den Bezirkshauptmann und Carl

Joseph ist deshalb das Porträt des Helden von Solferino stets ge­ genwärtig und für beide auf je andere Weise vorbildlich. Umgekehrt wird aber auch die Existenz der Trottas vom Kaiser abhängig, indem die immensen Spielschulden Carl Josephs nur durch die höchstpersön­ liche Intervention des Kaisers getilgt und damit die Ehre der Trottas

gerettet werden können.

Freilich ist der Kaiser selbst daran inte­

ressiert, die Ehre der Nachkommen seines Lebensretters aufrecht zu

halten.

Durch die kaiserliche Unterstützung war "nach der Auffas­

sung Herrn von Trottas die Sache seines Sohnes zu der des Helden

von Solferino und somit zu einer Sache des Kaisers geworden: ge2 76) wissermassen zur Sache des Vaterlandes." Das Verhalten der drei Trotta-Generationen zeigt einerseits die gegenseitige Ver­

knüpfung mit dem Schicksal des Kaisers und damit der Monarchie,

andererseits aber auch die Unabänderlichkeit der Ereignisse: der

Versuch des Leutnants Joseph, sich und alle seine Nachkommen vom Schicksal des Kaiserreiches zu lösen, musste sich als erfolglos er­

weisen. Weder Musil noch Doderer sind in diesem Masse von der Un­ abänderlichkeit der Ereignisse überzeugt. Beide stellen sie der

Wirklichkeit eine Gegeninstanz gegenüber, ähnlich wie Lernet-Holenias zweite Wirklichkeit des Phantastischen. Roth hingegen kennt neben

der Wirklichkeit nur die Welt des Scheins. Damit wird sein Roman zu einer pessimistisch-melancholischen Darstellung des Untergangs einer

nicht mehr lebensfähigen Welt. Gleichzeitig bedeutet der Untergang dieser Welt auch das Ende ihrer menschlichen Vertreter: am eindrück-

lichsten an der Familie Trotta und vor allem am Beispiel des sich

selbst

überlebenden und senilen Kaisers Franz Joseph. Wie sehr ihn

die Zeit bereits überholt hat, wird ihm während eines Manöverbesuchs

selbst bewusst: "Durch den Feldstecher sah Franz Joseph die Bewegun­

gen jedes einzelnen Zuges, ein paar Minuten lang fühlte er Stolz auf

164

seine Armee und ein paar Minuten auch Bedauern über ihren Verlust. Denn er sah sie schon zerschlagen und verstreut, aufgeteilt unter den vielen Völkern seines weiten Reiches. Ihm ging die grosse, gol­

dene Sonne der Habsburger unter, zerschmettert am Urgrund der Wel­ ten, zerfiel in mehrere kleine Sonnenkügelchen, die wieder als

selbständige Gestirne selbständiger Nationen zu leuchten hatten.

Es passt ihnen halt nimmer, von mir regiert zu werden! dachte der Alte. Da kann man nix machen! fügte er im stillen hinzu. Denn er war 277) ein Oesterreicher. . . " Wie sehr es Joseph Roth darauf ankam, das ganze Geschehen, selbst die belanglosesten Ereignisse, stets mit dem bevorstehenden Unter­

gang der Monarchie zu verbinden, zeigen die zahlreichen Vorausdeu­ tungen. Der Leser liest diesen Roman noch weit mehr als bei Musil,

im ständigen Bewusstsein des nahenden Endes. Dadurch verstärkt sich natürlich der Gegensatz zwischen der Wirklichkeit und der

immer noch mühsam aufrecht erhaltenen Scheinwelt. Oft führt dies dazu, dass der Leser über die Naivität und unverständliche Blind­ heit der Personen staunt. Vor allem das geordnete Leben des Bezirks­

hauptmanns, aus dem alle Anzeichen des Untergangs verbannt werden,

ist frappant: so tauchen beispielsweise in den Akten des Bezirks­ hauptmanns niemals "Revolutionäre", sondern blosse "suspekte Sub­ jekte" auf. Auch sein ganzer Tagesablauf ist zu einem Ritus erstarrt,

den erst der Tod des Dieners Jacques zu ändern vermag. Dieser Tod bedeutet untrügliches Ende der Welt des Bezirkshauptmanns: der Die­

ner ist unersetzbar, kein anderer Bediensteter ist bereit, den Na­

men Jacques anzunehmen, was der Bezirkshauptmann, gleichsam um die unverletzliche Existenz seiner Welt zu beweisen, vergeblich verlangt

hatte. Gegen diese erstaunliche Blindheit wirken die Worte Chojnickis geradezu prophetisch. Als einziger verschliesst er sich der unauf­

haltsamen Wirklichkeit nicht: "Wir alle leben nicht mehr... Die Zeit

will uns nicht mehr... Die Monarchie zerfällt, sie ist schon verfal­ len! Ein Greis, dem Tode geweiht, von jedem Schnupfen gefährdet,

hält den alten Thron, einfach durch das Wunder, dass er auf ihm 2 78) noch sitzen kann. Wie lange noch, wie lange noch?" Chojnicki ist denn auch der einzige, der es wagt, vom nahen Ende zu sprechen, der

dem Bezirkshauptmann die veränderte Wirklichkeit zu erklären sucht. Die sich abwickelnden Ereignisse sind für Chojnicki, den Leser und

165

selbstverständlich den Autor, keine Ueberraschung: nur die Trottas und mit ihnen eine grosse Zahl der österreichischen Gesellschaft sehen das Unabänderliche erst zu spät. Die tragische Ironie er­

reicht ihren Höhepunkt als während eines rauschenden Sommerfestes beim Grafen Chojnicki die Nachricht vom Attentat in Sarajewo ein­

trifft. Wie aussergewöhnlich Chojnickis Hellsichtigkeit war, be­

weist sein Ende: er wird als Wahnsinniger in eine Irrenanstalt ge­ bracht, wo er auch den Tod des Kaisers voraussagt. Das krampfhafte

Festhalten der übrigen Personen an dieser überlebten Welt kommt

einer Flucht in die Vergangenheit gleich. Da Joseph Roth uns dauernd diese Flucht aufzeigt, kritisiert er sie auch deutlich: selbst der

Kaiser wird in seiner Senilität nicht selten der Lächerlichkeit

preisgegeben. So fällt er während seines Manöverbesuchs dauernd durch einen lästigen Tropfen an der Nase auf, dessen er sich nicht

zu erwehren weiss. Ebenso machtlos steht er dem unmittelbaren Unter­ gang seines Reiches gegenüber.

Das grosse und umfassende Thema des Untergangs ist nicht nur im

"Radetzkymarsch" Hauptthema, sondern wird im Roman "Kapuzinergruft" noch breiter und grundsätzlicher behandelt. Die Frage nach den

Gründen für diese unaufhaltsame Auflösung einer einst lebenskräf­ tigen Welt ist aber in beiden Romanen nicht die zentrale Frage. Es

geht Joseph Roth weit weniger um ein historisch-kritisches Analysie­

ren einer bestimmten Situation. Vielmehr versucht er, dem Leser ein

Stimmungsbild zu vermitteln, das für sich selbst zu sprechen vermag. Erst in der "Kapuzinergruft" werden Gründe und Ursachen für den Zu­ sammenbruch genannt. In einem Wutausbruch des Grafen Chojnicki, der

wie die Familie Trotta und der Diener Onufrij dem Leser schon aus

dem "Radetzkymarsch" bekannt ist, heisst es: "An allem seid ihr schuid... Ihr habt mit euren leichtfertigen Kaffeehauswitzen den

Staat zerstört.

Ihr habt nicht sehen wollen, dass diese Alpentrot­

tel und Sudetendeutschen, diese kretinischen Nibelungen, unsere Na­ tionalitäten so lange beleidigt und geschändet haben, bis sie an­ fingen, die Monarchie zu hassen und zu verraten. Nicht unsere

Tschechen, nicht unsere Serben, nicht unsere Polen, nicht unsere Ruthenen haben verraten, sondern nur unsere Deutschen, das Staats2 7 91 So dezidierte Worte sind im "Radetzkymarsch" noch nicht

volk."

anzutreffen, und selbst in der "Kapuzinergruft" können sie nur dem

166

kritischen Chojnicki in einem Augenblick verlorener Selbstbeherr­

schung in den Mund gelegt werden. Joseph Roth selbst vermeidet

jede Analyse und steht damit in einem grossen Gegensatz zu Robert

Musil. Die geschilderten Situationen vor allem im Leben Carl

Josephs vermögen durchaus glaubwürdig für sich zu sprechen.

Somit wenden auch die beiden Schriftsteller Musil und Roth in ih­ ren Werken trotz der übereinstimmenden Thematik durchaus verschie­ dene Mittel an. Das zu erreichende Ziel bleibt allerdings in allen vier Romanen dasselbe: Die vier Autoren stellen am Beispiel des

Untergangs ihres Vaterlandes die Frage nach Notwendigkeit und Ver­ meidbarkeit menschlichen Schicksals.

167

4. Hauptpersonen der Romane

Eine weitere Uebereinstimmung zwischen den vier hier zu unter­

suchenden Romanen besteht darin, dass alle Autoren das Hand­

lungsgeschehen um eine Hauptperson gruppieren. Die zentralste

Figur ist wohl Ulrich im "Mann ohne Eigenschaften", dem er ja auch den Titel gab. Besonders aufschlussreich ist die Charakte­

risierung Ulrichs, die bereits im Titel Schwerpunkte setzt: Ulrich ist - entgegen allen Klischee-Vorstellungen - ein eigen­

schaftsloser Titelheld; das heisst, er hat gerade nicht die

Eigenschaften, die der Leser und die übrigen Figuren des Romans von ihm erwarten. Die Ironie Musils ist deutlich spürbar. Die

Eigenschaftslosigkeit bewirkt eine überdurchschnittliche Passi­

vität Ulrichs: Die Unfähigkeit, Entscheidungen zu treffen, liegt aber auch in der einen besonders hervorstechenden Eigenschaft Ulrichs: im Möglichkeitssinn. Als Möglichkeitsmensch bleibt er

Dingen und Ereignissen gegenüber distanziert, aber gerade weil

er alles als relativ erkennt und neben dem zufällig Wirklichkeit

Gewordenen auch alle nicht realisierten Möglichkeiten sieht, wird er unfähig zu handeln. Die Folgen dieser Passivität sind in zweifacher Hinsicht auf­ schlussreich: Zunächst verunmöglicht sie eine eigentliche Ent­

wicklung des Charakters: Ulrich ist kein Held aus einem klassi­

schen Entwicklungsroman.

(So wählt Ulrich am Schluss weder den

Weg in den Mythus, noch in die Mystik, wie Wolfgang Binder fest? R f)) stellt. ). Seine Haltung der Welt gegenüber ist ironisch­ distanziert und verunmöglicht ihm daher die Absolutheit, die

jede Entscheidung fordert. Zweitens bewirkt Ulrichs Passivität

als Gegensatz eine besonders aktive und vielfältige Umgebung: Die zahlreichen Handlungen und Nebenhandlungen spielen sich ohne eigentliche Einflussnahme Ulrichs ab. Die Nebenpersonen

werden dadurch aufgewertet und tragen wesentlich zum Verständ­

nis der gesellschaftlichen Situation jener Zeit bei.

Zur Charakterisierung Ulrichs meint Musil: Er sei "...am besten Wissen seiner Zeit, an Mathematik, Physik, Technik geschult...

168

Der also sieht zu seinem Erstaunen, dass die Wirklichkeit um min­

destens hundert Jahre zurück ist hinter dem, was gedacht wird. Aus diesem Phasenunterschied, der notwendig ist und den ich auch

zu begreifen suche, ergibt sich ein Hauptthema: wie soll sich ein

geistiger Mensch zur Ralität verhalten?"

' Mit diesen Worten

charakterisiert Musil auch sich selbst; nicht nur seine Biografie, seine wissenschaftlichen Studien weisen daraufhin, sondern auch

die Einstellung Ulrichs seiner Welt gegenüber lässt sich mit Musils

Verhalten sehr gut vergleichen. Die Entstehungsgeschichte des Ro­

mans ist in dieser Hinsicht sehr aufschlussreich: Ulrich hätte zu­ erst Robert, dann Achilles, später Andreas heissen sollen. Und die früheren Titel "Der Spion" und "Der Erlöser" zeigen die verschiede­ nen Intentionen, die Musil mit seinem Titelhelden verbindet. Die ersten Vorstufen zu Ulrich finden sich denn auch bereits im 1906

erschienenen "Törless". Entsprechend der charakterlichen Differen­

zierung ist auch die Funktion Ulrichs für die Aussage des Romans sehr vielschichtig: Ulrich ist seinen Fähigkeiten gemäss ein ana­ lytisch-kritisch denkender Mensch. Er ist in der Lage, die gegen­

wärtige Situation mit Vergangenem und Künftigem in Beziehung zu setzen, von der Gegenwart Distanz zu gewinnen (Der"Urlaub vom Leben"

deutet darauf hin). Daher begebnet er seiner Umwelt mit jener auch

für Musil sehr typischen ironischen Distanz, die ihn zum eigentli­

chen Kritiker der österreichischen Gesellschaft befähigt, der er allerdings selbst auch angehört und zu der er sich keineswegs in grundsätzlichem Widerspruch befindet. Ulrich ist nicht nur ein

"monsigneur le vivisecteur"

', sondern gleichzeitig durch seine

Passivität und Entscheidungsschwäche auch typischer Vertreter der

österreichischen Gesellschaft um 1914. Damit wird er zur schillernd­ sten und kompliziertesten hier zu besprechenden Romanfigur.

Erheblich einfacher verhält es sich mit Joseph Roths Carl Joseph von Trotta. Er ist zwar keineswegs eine leicht durchschaubare Persönlich­

keit, aber er muss nicht gleichzeitig typischer Vertreter einer von ihm durchschauten Gesellschaftsschicht sein. Vielmehr kann Carl

Joseph in Haltung und Benehmen als ein typischer österreichischer Offizier gelten, in dem das Reich sich bereits überlebt hat. Carl

Joseph fällt zwar wie Ulrich durch eine erstaunliche Handlungsun­

fähigkeit auf, aber die Gründe hierzu beruhen nicht auf einem allzu

169

weiten, sondern wohl eher zu engen Horizont: Er ist vollumfänglich

ins gesellschaftliche Leben integriert, macht - wenn auch mit Schwierigkeiten - eine militärische Karriere, ist aber dabei kei­ neswegs glücklich: seine Problematik besteht darin, dass er den

Wunschtraum eines ländlichen Daseins aufgrund seiner Vergangenheit

und der Prägung durch die Denkschemata seines Vaters nicht verwirk­ lichen kann. Dadurch fühlt er sich zwischen zwei Polen hin- und hergerissen, die ihm jede Aktivität rauben. Für alle Missgeschicke

müssen sein Vater - dem alles an der militärischen Ehre seines Soh­

nes liegt - und einmal sogar der Kaiser persönlich geradestehen. In Carl Joseph lernen wir also den

typischen

dekadenten Menschen

jener Zeit kennen, der weder vor- noch rückwärts gehen kann, des­ halb seine Zeit mit Frauen, Spiel und Alkohol verbringt und dabei selbst am unglücklichsten ist, weil er sich seiner Entwicklung

durchaus bewusst wird und sich nach der alten, noch intakten Ver­ gangenheit zurücksehnt. Die Denkfreiheit, welche Ulrich von seiner

Umgebung absetzt, fehlt Carl Joseph. Dementsprechend kann auch nur mit Vorbehalten von einer Identifizierung des Autors mit der Haupt­ person gesprochen werden. Werner G. Hoffmeister weist sehr ausführ­

lich nach, mit welch kritischer Haltung Roth seine Figuren stets 28 3) So wird Carl

ironisiert, ja manchmal geradezu desavouiert.

Josephs Handlungsunfähigkeit als eigentliche Willensschwäche darge­

stellt, wenn Roth schreibt: "Der kleine Leutnant ballte seine Faust, trat zum Fenster, um sie gegen den Himmel zu erheben. Aber er erhob nur seine Augen."284’ Besonders deutlich ist Roths Ironie zu spüren,

wenn Carl Joseph einen Brief schreiben sollte und während Stunden nicht über die Anrede hinwegkommt. In solchen Situationen gleichen sich Musils und Roths satirischer Stil in erstaunlichem Masse. Ab­

gesehen von solchen Einzelfällen begegnet Roth seinen Figuren natür­ lich nicht satirisch: trotz aller spürbaren Ironie sind auch Sympa­ thien deutlich festzustellen: So tritt er niemals den Figuren gegen­

über, sondern erzählt alle Handlungen stets aus der Perspektive der

jeweils zentralen Person. Die Ambivalenz von Identifizierung und

kritischer Distanz ist mit Franz Stanzels Unterscheidung von auktorialer und personaler Erzählperspektive zu vergleichen.

Am deut­

lichsten zeigt sich Roths halb distanzierte Anteilnahme in seiner

Vorliebe für das Pronomen "man": "Wie aber sollte man jetzt, zumal da man dank dem neuen Rang nicht mehr den alten Turnus mitmachte,

170

die gesetzmässige, für ein ganzes Soldatenleben berechnete Form

der Briefe ändern und zwischen die normierten Sätze ungewöhnliche Mitteilungen von ungewöhnlich gewordenen Verhältnissen rücken, die man selbst noch kaum begriffen hatte?"

;

In diesem stets

wiederkehrenden "man" findet die eigentliche Synthese von "er" und "ich" statt, die gerade bei ganz persönlichen Aussagen be­

sonders überrascht: "Am besten starb man für den Kaiser bei Mili287) tärmusik, am leichtesten beim Radetzkymarsch." Tatsächlich wird Carl Joseph im Krieg für den Kaiser sterben, allerdings nicht so

heldenhaft wie "man" es sich erträumt hatte, und nachdem Carl Joseph seinen Dienst bereits aufgekündigt hatte.

Die Entscheidung, Carl Joseph als Hauptperson des Romans anzusehen, bedarf noch einer Begründung: weder der Titel, noch ein Hinweis

Roths im Roman selbst deuten auf diese Vorzugsstellung. Beispiels­ weise ist die Figur des alternden Kaisers unbestritten geistiger Mittelpunkt als Symbol der noch immer lebenden Monarchie. Oder das Porträt des Helden von Solferino schwebt ebenfalls dauernd über den

Nachkommen und beeinflusst ihr Leben entscheidend. Mit ebenso gros­ ser Berechtigung kann auch der Bezirkshauptmann als Verbindung zwi­

schen dem Anfangs- und Endpunkt der Trotta-Familie und als treue­ ster kaiserlicher Diener angesehen werden. Dennoch bleibt Carl

Joseph inbezug auf das Hauptthema des Romans, den Untergang der Mo­ narchie, unbestrittener Mittelpunkt. Immerhin ist es aufschlussreich, dass jedes Mitglied der Familie Trotta im Romangefüge seine ganz

bestimmte Funktion erhält. Es zeigt sich damit, dass es Roth nicht nur um die Darstellung individueller Persönlichkeiten, sondern eben­

so um deren Bedeutung innerhalb einer gesellschaftlichen Situation

ging. Ein Blick auf die Funktion Melzers in Doderers "Strudelhofstiege" zeigt bereits in der Titelsetzung zwei verschiedene Schwerpunkte:

Einerseits bildet die Stiege den Mittelpunkt, den ruhenden Pol, um

den sich alle Ereignisse der Welt drehen

und zu dem alle Personen

wieder zurückkehren. Die Stiege ist gewissermassen der Kristalli­ sationspunkt der Wiener Gesellschaft um 1920. Also geht es offen­

sichtlich auch Doderer um die Darstellung einer Milieuschilderung mit verschiedensten Nebenhandlungen, Nebenfiguren und Ereignissen,

171

so dass die eigentliche Haupthandlung kaum zu erkennen ist. In der Tat haben viele Zeitgenossen diesen Roman ausschliesslich als

Milieuschilderung verstanden, und gewiss beruht auch die Populari­

tät Doderers in Wien auf dem Bild, das er in seinen Romanen von dieser Stadt gezeichnet hat. Man darf dennoch nicht darüber hin­

wegsehen, dass der Untertitel eindeutig auf die Figur Melzer hin­ weist. Wie wir bereits festgestellt haben, wird an ihm die eigent­ liche Aussage dieses Romans exemplifiziert: die "Menschwerdung",

zu der Melzer gelangen soll, muss damit beginnen, dass er zu sei­ ner eigenen Vergangenheit eine neue Beziehung findet. Mit dieser

Grundthematik steht Doderer in unmittelbarer Nähe zu Lernet-Holenias "Mars im Widder", dessen Hauptfigur Wallmoden ebenfalls mit den Er­ lebnissen der eigenen Vergangenheit fertig werden muss. Demgegenüber

haben weder Musil noch Roth in ihren Romanen eine Figur mit dieser Aufgabe versehen, sondern ihr Werk selbst ist ein Beitrag zur Ver­

gangenheitsbewältigung, die sie als Autoren im Roman leisten. Daher spielen diese beiden Erzählungen in den unmittelbaren Vorkriegsjäh­ ren, während Wallmoden und Melzer eine zeitliche Distanz zu den Er­ lebnissen vor dem ersten Weltkrieg brauchen. Erst indem sie in jene

Zeit - bewusst oder im Traumzustand - zurückkehren, bewältigen sie

die Vergangenheit. Was Melzer bewusst leisten muss, nennt Heger 2 88) eine "autobiografische Selbstdurchbohrung" . Er darf die Erinne­ rungen an seine Vergangenheit nicht länger von sich schieben. Sein Verhalten Mary gegenüber im Jahre 1911 in Bad Ischl ist ihm selbst

bis in die Gegenwart fragwürdig geblieben. Er war damals - ähnlich wie Musils und Roths passive Helden - unfähig gewesen, einen Ent­

scheid zu fällen, und war daher ausserstande, Mary zu heiraten.

"Unseres Leutnants Zögern in Ischl aber war ein von vornherein hoffnungsloses gewesen. Ein Lagern und Beobachten gegenüber dem Unmöglichen. Die Gefängnismauer lief sozusagen mitten durch ihn hindurch und erlaubte ihm nicht, ein Terrain seiner eigenen Seele

zu betreten, das doch handgreiflich vor ihm lag. In diese Mauer eine Bresche zu schlagen, wäre ihm als Selbstvernichtung schlecht289) hin erschienen." Erst mehr als zehn Jahre später lernt er vor allem in Gesprächen mit Stangeler sein unbegreifliches Verhalten zu analysieren und schliesslich zu akzeptieren. Dieser Vorgang der

Apperzeption führt vom krampfhaften Verdrängen und Vergessen zur Bewusstwerdung und schliesslich zur Akzeptierung der Vergangenheit.

172

Die zahllosen äusseren Begebenheiten der Romanhandlung sind für

diesen inneren Vorgang völlig belanglos. Ebenso bleiben die welt­ historischen Ereignisse des ersten Weltkriegs und des Zusammen­

bruchs der Monarchie völlig peripher. Sie haben mit dem Bewusstwerdungsprozess Melzers nicht das geringste zu tun. Damit tritt

Doderer in deutlichen Gegensatz zu allen drei anderen Autoren,

die das Schicksal ihrer Helden sehr eng mit dem des Kaiserreichs verknüpfen. Nur die Schilderung der Wienergesellschaft ist bei Doderer selbstverständlich unmittelbar zeitgebunden. Auf dem Wege

der Vergangenheitsbewältigung muss Melzer die Angst, am Leben vor­

beigelebt zu haben, überwinden lernen. Dadurch erreicht er eine gewisse Distanz zu den Dingen, die ihm eine unabhängigere Beurtei­ lung der Lage ermöglicht. Dank dieser veränderten Perspektive,

wird er fähig, die Vergangenheit so anzunehmen, wie sie wirklich war, das heisst sie als Wirklichkeit zu akzeptieren. So wird Melzer frei von seinen eigenen Zwangsvorstellungen und öffnet sich nun selbst

den Weg in die Zukunft. Denn erst die Ueberwindung der Vergangen­ heit ermöglicht den Schritt in die Zukunft. Die Notwendigkeit der Vergangenheitsbewältigung hat auch Lernet-

Holenia erkannt; sein ganzes Werk ist von dieser Erkenntnis geprägt, und der Roman "Mars im Widder" steht unmittelbar an der Schwelle

zwischen Vergangenheitsbewältigung und akzeptierter Gegenwart. Da­

her sind die Parallelen zwischen Wallmoden und Melzer nicht uner­ wartet, wenn man davon absieht, dass Wallmoden die Vergangenheit

nicht bewusst, sondern höchstens in Traumzuständen bewältigen kann, und dass ihm deshalb eine eigentliche Bewältigung gar nicht möglich

ist. Vielmehr könnte man behaupten, dass durch den Roman zwar nicht der Held des Geschehens, aber dafür umso mehr der Autor des Werkes mit seiner eigenen Vergangenheit erfolgreich abgeschlossen hat.

Wallmoden wäre der Erfolglose, dessen weitere Existenz nur noch in einer Traumwelt möglich ist, in der Menschen, die der Gegenwart

längst entschwunden sind wie Cuba, wieder zurückkehren können. Wohin wird nun Melzer geführt, nachdem er die Vergangenheit akzep­

tiert hat? “Zum Erkennen wird vorausgesetzt, dass man eine Sache

so sein lässt, wie sie nach ihrem Wesen sein will, ohne daran herum zu zerren und zu zupfen, zu hacken, zu glätten oder zu schlichten, 290) . Melzer lernt

oder das Ding überhaupt loswerden zu wollen."

173

auch das Negative zu akzeptieren: "Wenn Sie das Verfehlte wirklich klar und wahrheitsgemäss sehen, aber nicht dagegen revoltieren, son­ dern damit leben wollen, dann ist es nicht mehr verfehlt, denn Sie 291) haben es in den Kern getroffen." Damit wird Melzer frei und kann den längst fälligen Entscheid treffen, Thea zu heiraten.

Apperzeption führt von der Selbstanalyse zur Freiheit und Lebens­ fähigkeit in der Gegenwart. Wesentlich ist aber, dass sich in diesem Prozess weder die Dinge noch die Umstände ändern, nur das Subjekt,

der Mensch selbst hat sich zu ändern, indem er seine Individualität

der Wirklichkeit anpasst. Deutlichster Ausdruck dafür ist die Gewin­ nung einer eigenen angemessenen Sprache, wie Doderer selbst erläu­ tert: durch Apperzeption entsteht "die entscheidende Tatsache un­

seres Zeitalters...: die Zweite Sprache. Zwischen ihr, der Rahmen­ sprache der Unanschaulichkeit und einer apperzeptionsgebundenen

Sprache und ihren Bildinhalten gibt es eine Verständigung nicht

Wenn nun Melzer endlich angemessen leben kann, weil er sich mit

sich selbst und seiner Vergangenheit im Einklang befindet, wird er gleichzeitig zu einer neuen, ebenfalls passiven Lebenshaltung

verurteilt: Doderer begründet die notwendige Passivität folgender­ massen: "Jede wirkliche Apperzeption ist konservierend. Was man

genau sehen will, wünscht man nicht geändert zu haben. Die Grund­

haltung des Geistes in Bezug auf seine Objektswelt ist konservativ." Freilich kann dieser neue Zustand durchaus positiv sein, die Passi­ vität ist nicht Ausdruck eines Unvermögens wie bei Carl Joseph, sondern eher Zeichen von distanzierter Ueberlegenheit. Deshalb

fallen Doderers übrige Figuren, welche die Apperzeption noch nicht geleistet haben, durch besondere Wünsche und Sehnsüchte auf, mit

denen sie die Wirklichkeit ihren Vorstellungen entsprechend ver­ ändern wollen. Zur Erkenntnis, dass die Wirklichkeit unveränder­

bar ist, gelangen nur Melzer und Stangeler. Stangeler stellt in

diesem Erkenntnisprozess einen interessanten Gegenspieler zu Mel­ zer dar: Er bleibt trotz seiner weit rationaleren Bemühungen um die Bewältigung der Wirklichkeit bis zum Ende des Romans eine prob­

lematische Figur. Daher kann Doderer sein Schicksal im späteren Ro­ man "Die Dämonen" wieder aufnehmen und weiterverfolgen (wie dies

mit zahlreichen andern Figuren gleichfalls geschieht), während

174

Melzers Probleme gelöst und damit für weitere Werke nicht mehr

zu berücksichtigen sind. Interessanterweise verzichtet Doderer in den "Dämonen" überhaupt auf einen Titelhelden und noch vermehrt auf einen sinnvollen Zusammenhang im Handlungsgeschehen.

Abschliessend bleibt festzuhalten, dass sich alle vier Helden in ihrer erstaunlichen Handlungsunfähigkeit gleich sind. Offenbar

drückt sich in dieser Eigenart nicht nur ein Charakteristikum des modernen, der Wirklichkeit nicht mehr mächtigen Menschen aus, son­

dern zeigt auch eine grundsätzliche Uebereinstimmung im Weltver­ ständnis der vier Autoren. Alle versuchen sie ihren Helden einen

neuen Weg zum Verständnis der Wirklichkeit zu weisen, wobei natür­ lich gerade die Unterschiede dieser Wege aufschlussreich sind:

Joseph Roth blickt wehmütig zurück, findet also kaum einen eigent­ lichen Ausweg aus dem Konflikt, Robert Musil begegnet dem Problem mit Ironie und Ueberlegenheit, Doderer konstruiert einen äusserst komplizierten psychologischen Prozess und Lernet-Holenia schliess­ lich öffnet seinem Helden den Weg in eine zweite, phantastische

Wirklichkeit. Diese grundsätzlichen Unterschiede sollen im folgen­ den Kapitel anhand der Beziehungen der vier Autoren zur österrei­ chischen Vergangenheit untersucht werden.

175

5. Verhältnis der Autoren zur Vergangenheit

Das Bild des alten Oesterreich, das die Autoren in ihren Roma­

nen zeichnen, ist wesentlich geprägt von der persönlichen Ein­

stellung zur Vergangenheit im allgemeinen und zur HabsburgerMonarchie im besonderen.

In Joseph Roths "Radetzkymarsch" erlebt der Leser eine beson­ ders breite Schilderung der damaligen Verhältnisse, weil die

Familie Trotta nicht als Kritiker, sondern als typische Vertre­

ter jener Gesellschaft und Zeit auftreten. Trotz aller Hinweise auf ironische Untertöne bleibt Joseph Roths Sympathie zu den Trottas und zum Leben vor dem ersten Weltkrieg unübersehbar. In der Tat hat er sich nach dem Krieg - ähnlich wie Lernet-Holenia in der Gegenwart kaum mehr heimisch gefühlt: "Mein stärkstes Erlebnis war der Krieg und der Untergang meines Va­

terlandes, des einzigen, das ich je besessen: der österreichisch294) ungarischen Monarchie." Tatsächlich hatte Roth auch keine Veranlassung, sich in der Gegenwart zu Hause zu fühlen: Nationalis­

mus und Antisemitismus raubten dem galizischen Juden in doppel­ ter Hinsicht die Heimat. Roth fand weder in Berlin noch in Paris einen Ersatz für diesen Verlust und starb einsam, dem

Alkohol verfallen, in der Emigration. Mit allen ihm zur Ver­

fügung stehenden Mitteln hatte er sich als Journalist und Feuilletonist gegen den neuen Zeitgeist, gegen Literatur und Technik und vor allem gegen die nationalsozialistische Politik

gewehrt. Angesichts des sich verbreitenden Nationalitätengedan­ kens erhielt der Universalismus des alten Oesterreich eine ver­ klärte und symbolische Bedeutung. Die Monarchie wurde zum Inbe­

griff der Sehnsucht nach allem, was Krieg und Zeitgeist zer­

stört hatten. So pflegt Roth in seinen Werken eine verklärte Zeit als Mythos wiederauferstehen zu lassen und mit zahlrei­ chen eigenen Erinnerungen an die "gute alte Zeit" auszuschmükken. Daher lassen sich auch für zahlreiche Romanfiguren Vorbil­ der aus dem Bekanntenkreis Roths nachweisen, vor allem aber fal­

len die Uebereinstimmungen zwischen Carl Joseph und dem Autor

auf: auch Joseph Roth ist ein Nachfahre, von seiner Zeit bereits überholt, wie Carl Joseph stammt er von bäuerlichen Vorfahren

176

ab und hat die Loslösung von der bäuerlichen Herkunft innerlich

noch nicht vollzogen. Infolgedessen sind beide - Carl Joseph von Trotta wie Joseph Roth - eigentlich Entwurzelte: sie können weder vor- noch rückwärts gehen: So bringt Carl Joseph den auf­ ständischen Bauern und Arbeitern gegenüber im Grunde genommen

Verständnis entgegen, auch wenn er seine Truppen auf die Aufstän­ dischen schiessen lassen muss. In ähnlicher Weise ist auch Roths verlorene Heimat nur eine Traumheimat: am Leben eines Trotta hat­

te er als galizischer Jude ohne Adel niemals teilgenommen. Aber

umso mehr konnte die Figur des Kaisers für den vaterlosen Joseph Roth zum Symbol des Beschützers der Trottas werden.

(In der Tat

rettet er ja auch Carl Josephs Ehre.) Auch aus dieser Sicht wird

Roths Rückgewandtheit sehr verständlich: die alte Welt musste auf­ rechterhalten bleiben, wenn möglich noch in idealerer Form als sie wirklich war. Den Versuch einer Restauration haben freilich auch Musil, Hofmannsthal und Lernet-Holenia unternommen, aber

keiner von ihnen hatte den Bezug zur Gegenwart derart verloren

wie Joseph Roth. Sicher trug auch seine jüdische Herkunft eini­ ges dazu bei, daher hat sich Roth gegen Ende seines Lebens zum

Katholizismus bekannt. Er nannte sich selbst: "Reaktionär, gläu295) biger Katholik, Legitimist, Monarchist." Seine reaktionäre Einstellung verhinderte auch den Erfolg seiner Romane. Noch viel

mehr als Musil geriet Roth in völlige Vergessenheit, denn seinen Werken fehlt der satirisch-kritische Aspekt fast ausschliesslich.

Wie ernsthaft Roth auch noch unmittelbar vor dem zweiten Weltkrieg

an eine Wiederbelebung des habsburgischen Reichsgedankens glaubte, belegt folgende Aeusserung: "Ich glaube nicht an "die Menschheit"

- daran habe ich nie geglaubt, sondern an Gott und daran, dass die

Menschheit, an der er keine Gnade übt, ein Stück Scheisse ist.

Aber ich hoffe auf seine Gnade.

"Palästina",

"Menschheit" sind

mir längst zuwider. Wichtig allein ist mir Gott - und, vorläufig, auf Erden als Bereich, innerhalb dessen ich arbeiten darf und

meine irdische Pflicht erfüllen muss, ein deutsches katholisches

Reich. Das werde ich mich, nach meinen schwachen Kräften, durch die Habsburger zu schaffen bemühen... Und ich werde Recht behal­ ten, denn Hitler dauert nicht länger mehr, als nur von 1 V2 Jahre, und es kommt ein neues deutsches Reich, langsam, aber sicher."2^)

Die bevorstehende Enttäuschung durch den Ausbruch des zweiten Welt­

177

kriegs blieb Roth erspart, er starb am 27. Mai 1939. Den denkbar grössten Gegensatz zu Roths Vergangenheitsbeziehung bildet wohl Musils Oesterreichbild. Seinem kritisch-analysierenden

Verstand vermag auch die Donaumonarchie nicht mehr als ideale Staatsform standzuhalten. Vielmehr stellt er fest, dass der Un­ tergang Oesterreichs bereits 1867 mit dem Erwachen der Selbstän­

digkeitsbedürfnisse der nationalen Minderheiten begonnen habe.

Musil war noch kurz vor Ausbruch des ersten Weltkriegs überzeugt gewesen, dass die "Zeit der Katastrophen vorbei sei; daher hat

er selbst das Jahr 1913 fünfundzwanzig Jahre später als die "Hauptillusion seines Lebens" bezeichnet und seine Einstellung 297) Im Gegensatz zu

zur Politik auf jene Erfahrung zurückgeführt.

Roth hatte sich Musil dem bevorstehenden Krieg gegenüber noch 1913 ganz optimistisch geäussert; Er glaubte an eine Erneuerung der gei­ stigen Kräfte: "Wenn daraus nicht ein neuer Mensch hervorgeht, so 29 8) ist die Hoffnung auf lange aufgegeben." Und nach dem Krieg hät­

te sich seine Hoffnung tatsächlich beinahe als erfüllt erwiesen: "Können Utopien plötzlich Wirklichkeit werden? Ja. Siehe den Kriegs­

schluss. Beinahe wäre eine andere Welt dagewesen. Dass sie ausblieb, 299) Die andere Welt, die sich Musil

war keine Notwendigkeit."

wünscht, würde mit dem alten Oesterreich endgültig aufhören. Musil hängt nicht an einer längst vergangenen, nun verklärten und mystifi­

zierten Monarchie. Entsprechend kritisch sind denn auch seine

Aeusserungen über den alten Staat in den "Kakanien"-Kapiteln im "Mann ohne Eigenschaften". Die Kakanier erscheinen schonungslos

als Vertreter einer irregeleiteten Gesellschaft, die sich bemühen, eine Scheinwirklichkeit aufrecht zu erhalten, hinter welcher der

drohende Untergang bereits begonnen hat. Die Ordnungen entlarvt er in ihren Widersprüchlichkeiten und ihren "Als-ob-Situationen", in

einem "seither untergegangenen, unverstandenen Staat, der in so vielem ohne Anerkennung vorbildlich gewesen ist."^^ Musil schlägt

hier nicht zufällig einen ironischen Unterton an: einerseits unter­ streicht er dadurch die Unerbittlichkeit seiner Kritik, anderer­ seits zeigt sich gerade hier auch der positive Asnekt Kakaniens: Für Musil ist das alte Oesterreich ein Land der Möglichkeiten ge­ wesen, das Märchenkakanien des Konjunktivs zwischen Wahn und Wirk­ lichkeit. Damit hätte es den Ausgangspunkt für die Utopie des

178

"andern Zustands" bilden können. Nur bestand seine Tragik darin,

dass es von diesen Möglichkeiten nicht Gebrauch gemacht hatte. In seinen Tagebüchern äusserte sich Musil mehrfach zu dieser

Fehlentwicklung: "Die österreichische Kultur war ein perspekti­ vischer Fehler des Wiener Standpunktes; sie war eine reichhal­ tige Sammlung von Eigenarten..., das durfte einen aber nicht dar­ über täuschen, dass sie keine Synthese war."^^ Aus der Ambivalenz von positiven und negativen Aspekten Kakaniens erklärt sich auch

Musils Beziehung zur Vergangenheit und das Wechselspiel zwischen Ernst und Satire, das schon den Titel kennzeichnet. Aus dieser

Doppelbödigkeit einen "merkwürdigen Gefühlszwiespalt" herauszule­ sen, wie Lothar Seeger dies tut3®2’, würde allerdings zu weit füh­ ren. Vielmehr soll die Satire den Leser auch auf den Ernst der nachfolgenden Situation vorbereiten. Dennoch ist Musils Verhält­

nis zur Vergangenheit derade wegen seiner Fähigkeit, Fakten zu

analysieren und einzuordnen, kein so unreflektiert-melancholisches wie das Roths. Entsprechend differenziert ist auch seine Haltung der Gegenwart gegenüber. Er hat sich zwar politisch kaum engagiert, ergreift aber dennoch öfters die Gelegenheit, sich gegen Monarchie,

Republik und parlamentarische Demokratie zu äussern: "Die Demokra­

tie ist der politische Absolutismus des Durchschnittsmenschen, ist die Diktatur der Mittelmässigkeit." 3®3’ Solche pointierten Aeusserungen dürfen allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass

Musil weder ein Revolutionär, noch ein Reaktionär war. Sein Pro­

blem bestand im Gegenteil gerade darin, überhaupt einen Weg zu finden, denn wie bereits verschiedentlich deutlich geworden ist, sind für ihn die ironischen, doppelbödigen und deshalb nicht in

ein Klischee einzuordnenden Aeusserungen typisch. So macht er es sich mit seinen Stellungnahmen nicht einfach; Ulrich sagt zu sei­ ner Kusine: "Gestatten Sie mir, es als eine merkwürdige Lage zu bezeichnen, wenn es weder vorwärts noch rückwärts geht und der gegenwärtige Augenblick auch als unerträglich empfunden wird."3®2”

Unmissverständlich ist das Hin und Her zwischen mehreren Möglich­ keiten im "Mann ohne Eigenschaften” stets wieder anzutreffen, oft

unter dem Begriff "Sowohl-als-auch-Zustand" . Das Bild der siamesi­ schen Zwillinge und noch deutlicher das des Habsburgischen Doppel­

adlers bringt die Gleichzeitigkeit zweier sich gegenseitig aus­

schliessenden Positionen sehr anschaulich zum Ausdruck. Musil

179

selbst äusserte sich dazu mit der ihm eigenen Art, alles offen

lassen zu wollen:

"Was ich im Grunde hasse, ist das Revolutionäre?

...Sein Inhalt scheint mir gleich zu sein; ich mag die Art seiner

Aeusserungen nicht. vative nicht... Was

. Ich mag aber auch das Stationäre, das Konserfolgt aus beidem? Evolutionäre Gesinnung?">

Und mit einem Stosseufzer fragt er: "Warum müssen immer einige 306 Damit Dichter um zwanzig bis dreissi g Jahre voraus sein?" kennzeichnet Musil seine Aufgabe als eine doppelte: er ist gleich­

zeitig Chronist und Künder des Schicksals. Auch Lernet-Holenia hat sich im "Mars im Widder" sowohl als Chro­

nist, wie auch als Künder des Schicksals verstanden, und hat da­

mit die einseitig rückwärts orientierte Position Roths überwunden. Dennoch bleibt Lernet-Holenia der Donaumonarchie nach wie vor weit

mehr verbunden als Musil. Er hat sogar durch seine Persönlichkeit das alte Oesterreich weiterleben lassen, was Musil niemals gewollt

und Roth niemals gekonnt hätte. Denn Lernet-Holenias eigene Welt war stark genug, der Gegenwart die Stirn zu bieten. Die zweite

Wirklichkeit gewinnt in seinen Werken derartige Lebendigkeit, dass sich Leser und Figuren über die Gegenwart hinwegzusetzen vermögen. Joseph Roth konnte keine mit Lernet-Holenias phantastischer Welt

vergleichbare

Gegeninstanz errichten und blieb deshalb in sehn­

süchtiger Melancholie und Erinnerung am alten Oesterreich hängen.

Robert Musil, dessen Vater als typischer Kakanier im "Mann ohne

Eigenschaften” zwischen den Zeilen zu erkennen ist, brauchte sich keine Traumwelt aufzubauen: die Vergangenheit hatte die erwartete

Verbesserung der Zustände ebenso wenig gebracht wie die Gegenwart Dadurch konnte sich Musil eine objektivere und weniger emotional

geprägte Sicht auf die historischen Ereignisse bewahren. Auch Doderers Beziehung zur Vergangenheit erweist sich als sehr

vielschichtig. Er hat ähnlich wie Lernet-Holenia die Folgen des

Zusammenbruchs der Donaumonarchie bis in die letzten Konsequenzen miterlebt, also auch den zweiten Weltkrieg und die Nachkriegszeit

Doderer starb zehn Jahre vor Lernet-Holenia im Jahre 1966. Beide haben in ihren politischen Ansichten deutliche Wahndlungen durch­ gemacht, wobei wohl ihre Wege

in mancherlei Hinsicht gegensätz­

lich waren: Lernet-Holenia hat nach langer negativer Einstellung

180

zur Gegenwart und völliger Rückgewandtheit in die Vergangenheit eine neue Beziehung zum veränderten Alltag gefunden und die

Ausschliesslichkeit seiner Affinität für die vergangenen Zeiten

überwinden können. Im Gegensatz dazu war Doderer unmittelbar nach dem ersten Weltkrieg seiner Zeit gegenüber sehr aufgeschlos­

sen. Seine Sympathien für den aufkommenden Nationalitäten-Gedanken veranlassten ihn sogar dazu, im Jahr 1933 der Nazionalsozialistischen Partei beizutreten. Die drohende Vermassung der Mensch­ heit und die nationalsozialistische Kulturpolitik bewirkten dar­

aufhin Doderers Abwendung von der Partei. In der Folge schlug er

einen ganz andern Weg ein, der ihn von der Politik weit weg füh­

ren sollte: nicht mehr die Nation, sondern die einzelnen Individuen sollen nun im Vordergrund stehen. In der "Strudelhofstiege" trägt er diesem Postulat vollumfänglich Rechnung: nicht nur die Ueber-

fülle an voneinander unabhängigen Personen deutet darauf hin, son­ dern auch die Tatsache, dass der eigentliche geistige Gehalt des Romans als Konflikt ins Innere Melzers verlegt wird. Auf den kon­

servativen Charakter des Apperzeptionsvorgangs ist bereits hinge­

wiesen worden: Doderer will die errungene Ueberzeugung nicht mehr preisgeben. Politik ist als absolute Ordnung seiner Meinung nach

ein Widerspruch zum Leben schlechthin. Jede Ideologie bedeutet eine Einschränkung des Blickfeldes und verunmöglicht

die Apperzep-

tionsleistung. Als Folge seiner Erfahrungen der 30er-Jahre blickt Doderer wieder vermehrt rückwärts, wobei sich das Bild des alten Oesterreich je länger je mehr verklärt. Dieser Prozess ist im Ro­

man "Die Dämonen" weit deutlicher nachvollziehbar als in der "Strudelhofstiege"; denn die Entstehung der "Dämonen" zog sich über Jahrzehnte hinweg, während die "Strudelhofstiege" in kurzer

Zeit, noch vor der Fertigstellung der "Dämonen" entstand und, wie wir gesehen haben, Doderers grundsätzliche Erkenntnisse in überzeugender Form enthält. Beide Romane sind völlig "entideologi­

siert"; wenn von historischen und politischen Ereignissen die Rede

ist, dann nur von Fakten und niemals von deren Interpretationen.

Nur wegen dieser völligen Distanzierung von politischen Aeusserungen kann das Bild Wiens geradezu idyllisch gezeichnet werden. Doderers stetige Entwicklung zum konservativen Anti-Revolutionär

zeigt folgender Ausspruch: "Revolutionär wird, wer es mit sich

181

selbst nicht ausgehalten hat: dafür haben ihn dann die andern aus­ zuhalten."307) Je mehr sich Doderer von der unmittelbaren Gegenwart

distanzierte, desto deutlicher wurde sein Mangel an zeitgeschicht­ lichen Beziehungen: Er wirkte oft geradezu weltfremd. In seinem

Werk äussert sich die Distanz zur Gegenwart einerseits im reali­

stischen Aufleben der alten Donaumonarchie und andererseits dadurch, dass er die Problematik ins Innere der Figuren verlegt. So gipfelt denn Doderers Ueberzeugung in der schon erwähnten Aussage, dass

nicht die Umgebung, sondern die Subjekte sich zu ändern haben. Melzers Entwicklung hat dafür den Beweis erbracht. Wer sich aber

selbst ändert, für den ändern sich auch die Umstände: "Nicht Sie ändern ihre Umstände; auch ich nicht; sie ändern sich eben. Sie

haben von solcher Aenderung der Umstände nie etwas abhängig machen wollen. Sie haben nie gesagt: "Hätf ich nur die Zeit dazu, ich

würde studieren." Oh nein, keineswegs! Wer nichts von einer Aende­ rung seiner Umstände abhängig macht, der wird auch von geänderten 308) Mit diesen Worten des Prinzen

Umständen nicht abhängig werden."

Croix in den "Dämonen" ist auch Doderers Verhältnis zu Vergangen­ heit, Gegenwart und allen Zeitereignissen charakterisiert.

Die vorliegende Zusammenfassung hat zu zeigen versucht, dass LernetHolenia sowohl in thematischer wie auch in weltanschaulicher Hin­ sicht mit seinen Romanen durchaus keine Einzelerscheinung darstellt. Der wehmütige Klang aus der "Standarte" erinnert ganz an Joseph

Roths "Radetzkymarsch", die kritisch-satirischen Aeusserungen an

Musils "Mann ohne Eigenschaften" und die Vorliebe für die Belang­ losigkeiten und Trivialitäten an Doderers Wiener Romane. Zu unrecht

wird daher in den meisten österreichischen Literaturgeschichten auf Lernet-Holenias Erwähnung verzichtet. Lernet-Holenia gehört ohne Zweifel in die traditionsreiche Reihe der Schriftsteller, die sich

in ihren Werken dem alten Oesterreich widmen. Trotz der grossen

Zeitspanne zwischen der Entstehung der Romane Musils und Roths und den Romanen Doderers und Lernet-Holenias sind die Uebereinstimmungen erstaunlich. Dennoch gilt es hier, abschliessend auf Lernet-

Holenias Sonderstellung auch innerhalb dieser Tradition hinzuwei­ sen :

182

In den Frühwerken Lernet-Holenias, die wie die Romane Joseph Roths

in den 30er Jahren entstanden sind, ist das Trauern um eine ver­ lorene Wirklichkeit noch deutlich spürbar. Später beschränkt sich

Lernet-Holenia nicht auf das Beklagen eines vergangenen Zustandes, sondern lässt seine alte Welt kurzerhand wieder auferstehen. Er

blickt nicht wehmütig zurück, sondern weckt die Vergangenheit zu neuem Leben. Dieser Prozess ist auch im "Mars im Widder" - aller­

dings in sehr subtiler Form - ersichtlich: Wallmodens eigentliche Welt der Vergangenheit, wird angesichts der Ereignisse des zweiten Weltkriegs wieder lebendig. Was in der Gegenwart geschieht, ist

nur Anlass zu Wallmodens Erinnerungen. Lernet-Holenia zieht auch aus dieser Entwicklung die Konsequenzen:

die wiederbelebte Welt ist trotz allem nicht mit der Wirklichkeit

identisch, sie wird zu einem eigenen Lebensbereich, zur Welt des

Phantastischen. Hier ist es Lernet-Holenia gelungen, beiden Wel­ ten und damit auch der Gegenwart ihr Existenzrecht zuzusprechen.

Durch die Trennung in eine wirkliche und eine phantastische Welt und durch deren vielfältige Verknüpfungen in den Werken, unter­

scheidet sich Lernet-Holenia von der österreichischen Literatur seiner Zeit. Damit stossen wir wiederum auf die schon erwähnte

Isoliertheit des Dichters, die auf der Tatsache beruht, dass er weder ganz der Vergangenheit noch ganz der Gegenwart angehört. Seine Son­ derstellung innerhalb seiner literarischen Epoche ist damit nur die

letzte Konsequenz aus einer tieferliegenden Einsamkeit, die in sei­ ner Weltanschauung gründet. Dass seine Werke trotz dieser tragi­ schen Ausgangslage stets heiter bleiben, ist Ausdruck der überle­

genen Haltung, die in seinen Augen den typischen Oesterreicher kenn­

zeichnet.

Lernet-Holenia begründet seine Gelassenheit in einer seiner selte­ nen Aeusserungen zu seiner Person, die wir als Schlusswort zitieren möchten:

"Ich kann mich nie hingeben, weil ich mich nie ganz besitze

VI.

ANMERKUNGEN

1)

Spiel,Hilde, Alexander Lernet-Holenia, zu seinem 60. Ge­ burtstag, in: Monat 10. Jg H. 109, Berlin 1957, S. 65 ff

2)

Basil, Otto, Alexander Lernet-Holenia in: Neues Oester­ reich, 26.10.47 und 20.10.57

3)

Nowakowski, Tadeusz, “Charmant, charmant..." in: Frankfuter Allgemeine Zeitung, 16.11.76

4)

Kowarna, Ingeborg, Das erzählende Werk Alexander LernetHolenias, Diss. Wien 1950

5)

Jank, Elfriede, Alexander Lernet-Holenia (Dramen), Diss. Wien 1950

6)

Brunkhorst, Ingeborg, Studien zu Alexander Lernet-Holenias Roman "Die Standarte", Diss. Stockholm 1963

7)

zit. nach Peter Pott, siehe 8), S. VII

8)

Pott, Peter, Alexander Lernet-Holenia, Gestalt, Drama­ tisches Werk und Bühnengeschichte, Diss. Wien 1972

9)

Kindlers Literaturgeschichte der Gegenwart, Die zeitge­ nössische Literatur Oesterreichs, Zürich/München 1976, Hilde Spiel, Paul Kruntorad, Kurt Klinger, Gotthard Böhm

10)

Langer, Norbert, Dichter aus Oesterreich, Wien/München 1963

11)

Schmidt, Adalbert, Dichtung und Dichter im 19. und 20. Jahrhundert, Salzburg/Stuttgart 1964

12)

Nadler, Josef, Literaturgeschichte Oesterreichs, 2. Auf­ lage, Salzburg 1951

13)

Blauhut, Robert, Oesterreichische Novellistik im 20. Jahrhundert, Wien 1966

14)

Heger Roland, Der österreichische Roman im 20. Jahrhun­ dert, Wien 1. Teil 1971, 2. Teil 1972

15)

Kober Leo (Hsg.) Das Erscheinungsbild der österreichi­ schen Gegenwartsliteratur, Wien 1969

16)

Nach Auskunft von Herrn Reg.Rat Lambert Binder, 1180Wien, Theresiengasse 26

17)

Pott, Peter, a.a.O. S. 2

18)

Weigel, Hans, 1948, zit. nach Kindlers Literaturgeschich­ te der Gegenwart, a.a.O. S. 499

19)

Melchinger, Siegfried, Poeta Seigneur, in: Alexander Lernet-Holenia, Festschrift zum 70. Geburtstag des Dichters, Wien 1967, S. 19

184

20)

Torberg, Friedrich, Ein schwieriger Herr, in: ebenda S. 15

21)

Lernet-Holenia, in: Spiel, Hilde, Welt im Widerschein, München 1960 S. 277 f

22)

Lernet-Holenia, in: Die Literatur, 32. Jg., Sept. Stuttgart/ Berlin 1930 S. 679 f

23)

Lernet-Holenia, in: Die Literatur, 33. Jg., Oktober, Stuttgart/ Berlin 1930, S. 58

24)

Die Verfasserin hatte Gelegenheit, Lernet-Holenia vier Jahre vor seinem Tode persönlich kennenzulernen.

25)

Lernet-Holenia, Adel und Gesellschaft in Oesterreich, in: Der Monat, 9. Jg, H 101, Berlin 1957 S. 33 ff

26)

Lernet-Holenia, ebenda, S. 43

27)

Lernet-Holenia, ebenda, S. 41

28)

Lernet-Holenia, Die Wiener Gesellschaft zu Anfang des Jahr­ hunderts, in: DU, 23. Jg. H. 40, Zürich 1963, S. 63 ff

29)

Lernet-Holenia, Die K. u. K. Vergangenheit, in: Forum, 10. Jg. H. 109, Wien 1963, S. 31 ff

30)

Spiel, Hilde, a.a.O. S. 278

31)

Lernet-Holenia, in einem Gespräch mit Peter Pott, a.a.O. S. 4

32)

Vgl. Lernet-Holenia, in Literatur, 32. Jg. Sept. a.a.O. S. 679 f

33)

Sebesty^n, György, Vermutungen über Lernet-Holenia in: Fest­ schrift, a.a.O. S. 23

34)

Vgl. Aufsatz von Hebra Eduard, Alexander Lernet-Holenia in: Wort in der Zeit, 1. Jg. H 4, Wien 1955 S. 4 f

35)

Lernet-Holenia, Die Auferstehung des Maltravers, Wien 1936, S. 100

36)

Lernet-Holenia in: Carl Zuckmayer, Die Siegel des Dichters, Festschrift, a.a.O. S. 11

37)

Weigel, Hans, in Kindlers Literaturgeschichte der Gegenwart, a.a.O. S. 503

38)

Lernet-Holenia in: Die Literatur, 32. Jg. Sept. Stuttgart/ Berlin 1930, S. 679 f.

39)

Böhm, Gotthard, Kindlers Literaturgeschichte der Gegenwart, a.a.O. S. 638

40)

Fontana, Oskar Maurus, Alexander Lernet-Holenia 60 Jahre in: Die Presse, Wien, 20.10.1957

41)

Fontana, Oskar Maurus, ebenda

42)

Lernet-Holenia in: Siegfried Melchinger, Festschrift a.a.O. S. 19/20

43)

Lernet-Holenia an Hebra Eduard, August 1944, in: Wort in der Zeit, 1. Jg. H 4, Wien 1955

185

44)

Basil, Otto, Alexander Lernet-Holenia zum 50. Geburtstag des Dichters in: Neues Oesterreich, 26.10.1947

45)

Vgl. Kindlers Literaturgeschichte der Gegenwart, a.a.O. S. 317

46)

Lernet-Holenia zit. nach Hebra Eduard, Alexander Lernet-Hole­ nia in: Wort in der Zeit, a.a.O.

47)

Rilke, Rainer Maria an Fürstin Marie von Thurn und Taxis, 8.4.1921

48)

Rilke, Rainer Maria - Kippenberg Katharina, Briefwechsel, Wiesbaden 1954

49)

Basil, Otto, Alexander Lernet-Holenia zum 50. Geburtstag des Dichters in: Neues Oesterreich, 26.10.1947

50)

Vgl. Brunkhorst,Ingeborg, a.a.O.

51)

Vgl. Kindlers Literaturgeschichte der Gegenwart, a.a.O. S. 317

52)

Basil, Otto, a.a.O.

53)

Basil, Otto, ebenda

54)

Bahr, Hermann, 1926, zit. nach Basil, Otto, a.a.O.

55)

Basil, Otto, a.a.O.

56)

Lernet-Holenia, in: Der Morgen, 31.1.1927 S. 6 zit. hach Pott, Peter a.a.O.

57)

Lernet-Holenia, in: La Table Ronde Nr. 131, Paris 1958, zit. nach Kindlers Literaturgeschichte der Gegenwart a.a.O. 5. 499

58)

Lernet-Holenia, Der Brief des Lord Chandos, in: Der Monat, 6. Jg. H. 68, Wien 1954 S. 182 ff

59)

Vogelsang, Hans, Modernes Oesterreichisches Theater in: Kober Leo, Das Erscheinungsbild der österr. Gegenwartsdich­ tung 122

60)

Vgl. Pott, Peter, a.a.O. S.

61)

Basil, Otto, a.a.O.

62)

Hofmannsthal, Hugo von, "Unsere Fremdwörter", Gesammelte Wer­ ke, Frankfurt a.M. 1945-59

63)

Vgl. Brunkhorst, Ingeborg, a.a.O. S. 169

64)

Lernet-Holenia an Zuckmayer Carl, zit. nach C. Zuckmayer, Als wär's ein Stück von mir, Frankfurt 1966 S. 123

65)

Hofmannsthal, Hugo von, zit. nach Kindlers Literaturgeschich­ te der Gegenwart, a.a.O. S. 499

66)

Spiel, Hilde, Welt im Widerschein, a.a.O. S. 282

67)

Basil, Otto, a.a.O.

68)

Basil, Otto, Lernet-Holenia und das Austriakische in: Neues Oesterreich, 20.10.57

69)

Pirker, Max, Alexander Lernet-Holenia in: Die Horen, 2. Jg. H 4, Berlin 1926, S. 363 ff

25

186

70)

Lernet-Holenia, zit. nach Hebra, Eduard in: Wort in der Zeit, a.a.O.

71)

Zuckmayer, Carl, in: Festschrift, a.a.O. S. 11 f

72)

Lernet-Holenia, Vgl. Anmerkung 57

73)

Kleist, Heinrich von, Brief an Wilhelmine von Zeuge, Berlin, 22.3.1801, zit nach "Schriftwerke deutscher Sprache Bd IV Aarau 1964" S. 53 f

74)

Lernet-Holenia in einem Interview mit Ingeborg Brunkhorst, 1961, a.a.O. S. 150

75)

Spiel, Hilde, a.a.O. S. 271 f

76)

Hofmannsthal, Hugo von, zit. nach: Adalbert Schmidt, Vom We­ sen österreichischer Dichtung in: Kober, Leo, Das Erschei­ nungsbild der österr. Gegenwartsdichtung S. 145

77)

Hebra, Eduard, Alexander Lernet-Holenia in: Wort in der Zeit, a.a.O.

78)

Gaya, Guido, Das Porträt: Alexander Lernet-Holenia in: Frankfurter Hefte 8. Jg. H 10 Frankfurt 53 S. 793

79)

Vgl. Beer, Otto F., Nachwort zu "Mars im Widder", Wien 1976 S. 261 ff

80)

Vgl. Brunkhorst,, Ingeborg, a.a. 0. S. 138

81)

Lernet-Holenia, Beide Sizilien, Wien 1942/73 S.

27

82)

Lernet-Holenia, Mars im Widder, Stockholm 1947, Wien 1976 S. 182

83)

Lernet-Holenia, Mars im Widder, Wien 1976 S. 8

84)

Lernet-Holenia, Mars im Widder, a.a.O. S. 48

85)

Lernet-Holenia, ebenda S. 144

86)

Lernet-Holenia, ebenda S. 144

87)

Lernet-Holenia, ebenda S. 252

88)

Lernet-Holenia, ebenda S. 259

89)

Lernet-Holenia, ebenda S. 245

90)

Kowarna,Ingeborg, Das erzählende Werk Alexander Lernet-Holenias, Diss. Wien 1950, S. 84

91)

Sebestyin, György, Poeta Seigneur, in: Festschrift, a.a.O. S. 25 f

92)

Wilpert, Gero von, Sachwörterbuch der Literatur, Stuttgart 1969, S. 685

93)

Lernet-Holenia, Ein Traum in Rot, 1939 S. 260 f

94)

Lernet-Holenia, Der zwanzigste Juli in: Die Neue Rundschau, Jg. 47, H. 1 S. 43/4

95)

Lernet-Holenia, Die Auferstehung des Maltravers a.a.O. S.

96)

Lernet-Holenia, Mars im Widder, a.a.O. S. 145

97)

Lernet-Holenia, Beide Sizilien, Wien 1942, 1973, S. 16

178

187

98)

Lernet-Holenia, Der Graf von Saint-Germain, a.a.O. S. 33

99)

Vgl. Gaya,Guido, Das Portrait: Alexander Lernet-Holenia in: Frankfurter Hefte 8. Jg. H 10, Frankfurt a.M. 1953, S. 796

100) Lernet-Holenia, Beide Sizilien, a.a.O. S. 24 101) Lernet-Holenia, zit nach Gaya, Guido, a.a.O. S. 794

102) Lernet-Holenia, Der Baron Bagge, Wien 1936, S. 44 103) Lernet-Holenia, ebenda S. 46 104) Vgl. Brunkhorst, Ingeborg, a.a.O. S. 118

105) Lernet-Holenia, Mars im Widder, a.a.O. S. 9 106) Lernet-Holenia, ebenda S. 66 107) Lernet-Holenia, Der Graf von Saint-Germain, a.a.O. S. 218 108) Lernet-Holenia, Mars im Widder, a.a.O. S. 223 109) Lernet-Holenia, ebenda S. 222

110) Lernet-Holenia, ebenda S. 88 111) Lernet-Holenia, "Das Rendez-vous" in der Sammlung "Spangen­ berg", Wien 1946 S. 84

112) Lernet-Holenia, Mars im Widder, a.a.O. S.

174

113) Lernet-Holenia, ebenda S. 116

114) Lernet-Holenia, ebenda. S. 14 115) Lernet-Holenia, ebenda 116)

S. 96

Lernet-Holenia, ebenda S. 241

117) Gaya, Guido, a.a.O. S. 791 f. 118) Lernet-Holenia, Mars im Widder, a.a.O. S. 200

119) Lernet-Holenia, ebenda S. 196 120) Lernet-Holenia, ebenda S. 197 f 121) Lernet-Holenia, ebenda S.

18 f

122) Lernet-Holenia, Baron Bagge, a.a.O. S. 29

123) Lernet-Holenia, Mars im Widder, a.a.O. S. 19 124) Lernet-Holenia, ebenda S. 247 125)

Lernet-Holenia, Der zwanzigste Juli, in: Die Neue Rundschau Jg. 47 H 1, Wien 1947 S. 29

126) Lernet-Holenia, Beide Sizilien, a.a.O. S. 341

127) Lernet-Holenia, Ein Traum in Rot, a.a.O. S. 265 Lernet-Holenia, Beide Sizilien, a.a.O.

S. 18

129) Lernet-Holenia, Mars im Widder, a.a.O.

S. 32

130) Lernet-Holenia, Beide Sizilien, a.a.O.

S. 24

128)

131) Rizzo-Baur, Hildegard, Die Besonderheiten der deutschen Schriftsprache in Oesterreich, Duden-Beiträge, H 5, Mann­ heim 1962 S. 62

188

132)

Blauhut, Robert, a.a.O. S. 114

133)

Lernet-Holenia, Mars im Widder, a.a.O. S. 19

134)

Lernet-Holenia, ebenda S. 44

135)

Lernet-Holenia, ebenda S. 101

136)

Lernet-Holenia, ebenda S. 115, 118

137)

Lernet-Holenia, ebenda S. 241

138)

Lernet-Holenia, ebenda S. 122

139)

Lernet-Holenia, ebenda S. 130

140)

Lernet-Holenia, ebenda S. 133

141)

Lernet-Holenia, ebenda S. 224

142)

Lernet-Holenia, ebaida S. 227 f

143)

Reney, Annie und Felsenreich, Maria, Alexander Lernet-Holenia: Ein Komplex, in: Der Graf von Saint-Germain, Wien 1977 S. 269

144)

Reney,Annie und Felsenreich, Maria, ebenda S. 270 f.

145)

Lernet-Holenia, Mars im Widder, a.a.O. S. 60

146)

Lernet-Holenia, ebenda S. 75

147)

Lernet-Holenia, Der Mann im Hut, a.a.O. S. 297

148)

Lernet-Holenia, Mars im Widder, a.a.O. S. 29 f

149)

Lernet-Holenia, Die Auferstehung des Maltravers, a.a.O. S. 196

150)

Lernet-Holenia, Beide Sizilien, a.a.O. S. 22

151)

Gaya, Guido, a.a.O. S. 791

152)

Vgl. Binder, Wolfgang, Die Epochen der neueren deutschen Literatur, Zürich 1976 2 S. 349

153)

Lernet-Holenia, Mars im Widder, a.a.O. S. 139

154)

Zuckmayer, Carl , Die Siegel des Dichters, a.a.O. S. 10

155)

Lernet-Holenia, Lazarus in: Das Feuer, Wien 1949

156)

Lernet-Holenia, Baron Bagge, a.a.O. S. 70

157)

Lernet-Holenia, Mars im Widder, a.a.O. S. 224 f

158)

Lernet-Holenia, ebenda, S. 241

159)

Halperin,Josef, Alexander Lernet-Holenia in: Neue Rundschau, 58. Jg. H 1, Stockholm 1947 S. 462

160)

Lernet-Holenia, Baron Bagge, a.a.O. S. 74

161)

Lernet-Holenia, Mars im Widder, a.a.O. S. 241

162)

Sebestyön, György, a.a.O. S. 26

163)

Lernet-Holenia, Mars im Widder, a.a.O. S. 127

164)

Lernet-Holenia, ebenda S. 174

165)

Lernet-Holenia, ebenda' S. 241

166)

Lernet-Holenia, ebenda S. 214

189

167)

Beer, Otto F., a.a.O. S. 267

168)

Nowakowski, Tadeusz, a.a.O.

169)

Lernet-Holenia, Mars im Widder, a.a.O. S. 119

170)

Lernet-Holenia, ebenda S.

176 160

171)

Lernet-Holenia, ebenda S.

172)

Lernet-Holenia, ebenda S. 39

173)

Lernet-Holenia, ebenda S. 64

174)

Lernet-Holenia, ebenda S.

175)

Pronay, Alexander von. Die Sterne haben doch recht. Eine kritische Untersuchung der Astrologie, München 1978

112

176)

Lernet-Holenia, Mars im Widder, a.a.O. S. 118

177)

Vgl. Löhlein, Herbert A., Handbuch der Astrologie, München 1976

178)

Pronay, a.a.O. S.

179)

Jung, Carl Gustav, zit. nach: Strauss-Kloebe, Sigrid, Kosmi­ sche Bedingtheit der Psyche, Weilheim 1968, S. 9

180)

Jünger, Ernst, in: Urania, Das astrologische Magazin, H 1, Bietigheim 1973, S. 27

181)

Lernet-Holenia, Mars im Widder, a.a.O. S. 163 ff

233 ff, 240 ff

182)

Beer, Otto, F.,a.a.O. S. 267

183)

Lernet-Holenia, Der Mann im Hut, a.a.O. S. 306

184)

Lernet-Holenia, Mars im Widder, a.a.O. S. 162

185)

Laut Information von Graf, Max, dipl. biol. ETH

186)

Vgl. Pronay, a.a.O. S. 90 ff

187)

Lernet-Holenia, Der Mann im Hut, a.a.O. S. 80

188)

Lernet-Holenia, Mars im Widder, a.a.O. S. 144

189)

Lernet-Holenia, ebenda S. 168

190)

Spiel, Hilde, Welt im Widerschein, S. 271

191)

Melchinger, Siegfried, in: Oesterr. Theater, Büchergilde Gutenberg, Frankfurt a.M. 1964, zit. nach Pott. S. 14

192)

Spiel, Hilde, a.a.O. S. 265

193)

Spiel, Hilde, ebenda,S. 265

194)

Spiel, Hilde, ebenda S. 264

195)

Weigel, Hans, a.a.O. S. 503

196)

Binder, Wolfgang, Literatur als Denkschule, Dichtung und Trivialliteratur, Zürich 1972 S. 15 ff

197)

Lernet-Holenia, Mars im Widder, a.a.O. S. 19

198)

Lernet-Holenia, ebenda S. 79

199)

Lernet-Holenia, ebenda S.

109

190

200) Ruloff-Häny, Franziska, Liebe und Geld, Der moderne Trivial­ roman und seine Struktur, Diss. Zürich, 1976 S. 20 ff 201)

Nowakowski, Tadeusz, a.a.0.

202)

Lernet-Holenia, Mars im Widder, a.a.O. S. 39

203)

Ruloff-Häny, a.a.O. S.

204)

Ruloff-Häny, ebenda S. 68

205)

Ruloff-Häny, ebenda S.

71

206)

Ruloff-Häny, ebenda S.

17

207)

Lämmert, Eberhard, Bauformen des Erzählens, Stuttgart 1955 S. 148 f

208)

Lernet-Holenia, Mars im Widder, a.a.O. S. 241

209)

Lernet-Holenia, ebenda S. 110

210)

Lämmert, Eberhard, a.a.O. S. 160

211)

Brunkhorst, Ingeborg, a.a.O. S. 138 f

25

212)

Lernet-Holenia, Nächtliche Hochzeit, Berlin 1930 S. 35

213)

Lernet-Holenia, Mars im Widder, a.a.O. S.

144

214)

Brunkhorst, Ingeborg, a.a.O. S.

215)

Lernet-Holenia, Mars im Widder, a.a.O. S. 74

216)

Kowarna, Ingeborg, a.a.O. S. 79

217)

Lernet-Holenia, Mars im Widder, a.a.O. S.

218)

Lernet-Holenia, ebenda S. 256

219)

Vgl. Lämmert, Eberhard, a.a.O. S. 226 ff

137 f

75 f

220)

Brunkhorst, Ingeborg, a.a.O. S.

221)

Vgl. Staiger, Emil, Meisterwerke deutscher Sprache, Zürich 1961, S. 100 ff

146 f

222)

Brunkhorst, Ingeborg, a.a.O. S. 150

223)

Grosse, Siegfried, Die deutsche Satzperiode, in: Der Deutsch­ unterricht, Jg. 12, H 5, 1960 S. 66 f

224)

Lernet-Holenia, Der zwanzigste Juli, a.a.O. S.

225)

Lernet-Holenia, Mars im Widder, a.a.O. S.

226)

Lernet-Holenia, ebenda S.

227)

Staiger, Emil, a.a.O. S. 115 f

228)

Lernet-Holenia, Mars im Widder, a.a.O. S. 259 f

229)

Vgl. Rizzo-Baur, a.a.O.

20

135

124

230)

Brunkhorst, Ingeborg, a.a.O. S. 159

231)

Vgl. Brunkhorst,, Ingeborg, ebenda S. 148 ff

232)

Lernet-Holenia, Die Standarte, a.a.O. S. 116

233)

Kruntorad, Paul,, Die zeitgen. Literatur Oesterreichs, a.a.O. S. 154

191

234)

Migner, Karl, Theorie des modernen Romans, Stuttgart 1970

235)

Binder, Wolfgang, Das Bild des Menschen in der modernen deutschen Literatur, Zürich 1969

236)

Martini, Fritz, Wandlungen und Formen des gegenwärtigen Ro­ mans, in: Der Deutschunterricht, Der Roman der Gegenwart Jg 3 H 3, Stuttgart 1951

237)

Grenzmann, Wilhelm, Der religiöse Roman im deutschen Schrifttum der Gegenwart, Stuttgart 1951

238)

Martini, Fritz, a.a.O.

239)

Martini, Fritz, ebenda

240)

Martini, Fritz, a.a.O.

S.

11

S.

15

241)

Sebestyän György, a.a.O. S. 26

242)

Kowarna, Ingeborg, a.a.O. S. 214

243)

Lernet-Holenia, zit. nach Spiel, Hilde, a.a.O. S. 270

244)

Spiel, Hilde, a.a.O. S. 270

245)

Spiel, Hilde, ebenda S. 270

246)

Spiel, Hilde, ebenda S. 274

247)

Lernet-Holenia, Mars im Widder, a.a.O. S. 197

248)

Vgl. Felsenreich, Maria, Nachwort zu "Der Graf von Sa main" Wien 1977, S. 267

249)

Kowarna, Ingeborg, a.a.O. S. 98

250)

Felsenreich, Maria, a.a.O. S. 268

251)

Lernet-Holenia, Brief an die Redaktion des "Turm", Sept. 1945 zit. nach: Kindlers Literaturgeschichte, a.a.O. S. 54

252)

Spiel, Hilde, a.a.O. S. 274

253)

Heger, Roland, Der österreichische Roman des 20. Jahrhunderts, Wien 1971, Bd 1 S. 133 ff

254)

Musil,Robert, Der Mann ohne Eigenschaften, Berlin 1930, Hamburg 1952, Hamburg 1970

255)

Roth, Joseph, Radetzkymarsch, Berlin 1932, Zürich 1978

256)

Doderer, Heimito von, Die Strudelhofstiege oder Melzer und die Tiefe der Jahre, Wien 1951

257)

Doderer, Heimito von, Die Strudelhofstiege a.a.O. S. 9

258)

Musi 1,Robert, Der Mann ohne Eigenschaften, a.a.O. S. 541

259)

Roth, Joseph, Radetzkymarsch, a.a.O. S. 323

260)

Schwarz, Egon, Joseph Roth und die österreichische Literatur, in: Joseph Roth und die Tradition S. 139

261)

Musil, Robert, Tagebücher, Aphorismen, Essays und Reden (Hsg. Adolf Frisé), S. 226

262)

Musil, Robert, Der Mann ohne Eigenschaften, zitiert nach Strittmatter Horst Klindlers Literatur Lexikon Bd 14

263)

Musil, Robert, Utopie Kakanien, Usa. v. H.H. Hahnl, 1962, S. 31

192

264)

Musil, Robert, zit. nach Heger, Roland, a.a.O. S. 17

265)

Seeger, Lothar Georg, Die Demaskierung der Lebenslüge, S. 83 ff

266)

Musil, Robert, zit. nach Thöming, Jürgen c., Der optimistische Pessimismus eines passiven Aktivisten, in Studien zum Werk Robert Musils, a.a.O. S. 230

267)

Musil, Robert, zit. nach Martini, Fritz, Robert Musil - Der Ingenieur und Dichter, in: Studien zu Robert Musils Werk, a.a.O. S. 127

268)

Doderer, Heimito von, Journal, Heft 1-5, 21.3.1924, zit. nach Reininger, Anton, Die Erlösung des Bürgers, S. 65

269)

Doderer, Heimito von, Journal, a.a.O., 27.11.1938

270)

Doderer, Heimito von, Tangenten, 19.12.1944

271)

Reininger, Anton, Die Erlösung des Bürgers, S. 90

272)

Doderer, Heimito von, Tangenten, 23.12.1944

273)

Doderer, Heimito von, Tangenten, 28. 1.1948

274)

Vgl. Paul Kruntorad, Die zeitgenössische Literatur Oesterreichs, S. 171 f.

275)

Doderer, Heimito von, Commentarii, 22.8.36

276)

Roth,Joseph, Radetzkymarsch, a.a.O. S. 270

277)

Roth, Joseph, Radetzkymarsch, a.a.O. S. 222

278)

Roth, Joseph, Radetzkymarsch, a.a.O. S. 160 f.

279)

Roth,Joseph, Die Kapuzinergruft, 1938, Zürich 1978 Bd II, S. 951 f.

280)

Binder, Wolfgang, in: Vorlesung über Robert Musil, Zürich WS 71/72

281)

Musil, Robert, Utopie Kakanien, Hsg. v. H.H.Hahnl, S. 28

282)

Seeger, Lothar Georg, a.a.O. S. 35 ff.

283)

Hoffmeister, Werner G., in: Joseph Roth und die Tradition, a.a.O. S. 170

284)

Roth, Joseph, Radetzkymarsch, a.a.O.,, S.. 101

285)

Zit. nach Böning, Hansjürgen, Joseph Roths "Radetzkymarsch S. 42 ff.

286)

Roth, Joseph, Radetzkymarsch, a.a.O. S.

14

287)

Roth, Joseph, Radetzkymarsch, a.a.O. S .

32

288)

Heger, Roland, a., a. 0. S. 37

289)

Doderer, Heimi to von t Die Strudelhofstieqe, S. 64

290)

Doderer, Heimito von, ebenda S. 679

291)

Doderer, He imito von, ebenda S. 678

292)

Doderer, Heimi to von, Tangenten, 18.10.1942

293)

Doderer, Heimito von, Repertorium. Ein Begreifbuch von höhereni und niederen Lebens-Sachen, hrsg. v. D. Weber

193

294)

Roth, Joseph, in einem Brief an Otto Forst de Battaglia 28.10.1932, zit. nach: Egon Schwarz, Joseph Roth und die österreichische Literatur in: Joseph Roth und die Tradi­ tion, a.a.O. S. 150

295)

Vgl. Marchand, Wolf, Joseph Roth und völkisch-nationalisti­ sche Wertbegriffe, S. 170

296)

Roth, Joseph, zit. nach Egon Schwarz, a.a.O. S. 150

297)

Vgl. Thöming, Jürgen C., a.a.O. S. 217

298)

ebenda, S. 220

299)

ebenda, S. 220

300)

Musil, Robert, Der Mann ohne Eigenschaften, a.a.O. S. 32

301)

Musil, Robert, Tagebücher, Aphorismen, Essays und Reden, S. 604

302)

Seeger,, Lothar Georg, a.a.O. S. 86

303)

Musil, Robert, zit. nach Thöming, a.a.O. S. 323

304)

Musil, Robert, Der Mann ohne Eigenschaften, a.a.O. S. 272

305)

Musil, Robert, Tagebücher, a.a.O. S. 512 f.

306)

Musil, Robert, ebenda, S. 363

307)

Doderer, Heimito von, zit. nach Heger, a.a.O. S. 38

308)

Doderer, Heimito von, Dämonen, S. 1111

309)

Lernet-Holenia, zit. nach Felsenreich, Maria, a.a.O. S. 265

VII

BIBLIOGRAFIE

1.

Primärliteratur

a) Werke von Alexander Lernet-Holenia 1. Gedichte

Pastorale, Wien 1921

Dies Büchlein sagt von hoher Minne, Berlin 1921 Kanzonnair, Leipzig 1923 Das Geheimnis Sankt Michaels, Berlin 1927

Die qoldene Horde, Wien 1933

Olympische Hymne, Wien 1935 Die Titanen, Wien 1945

Die Trophäe, Zürich 1946

Germanien, Stockholm 1946

Das Feuer, Wien 1949

2. Dramen Demetrius, Berlin 1926 Ollapotrida, Berlin 1926 Alkestis und Saul, Berlin 1926

Oesterreichische

Komödie, Berlin 1927

Flagranti, Wien 1927 Erotik, Berlin 1927 Parforce, Berlin 1928

Die Frau in der Wolke, Berlin 1928 Gelegenheit macht Diebe, Berlin 1928

Die nächtliche Hochzeit, Wien 1929

Attraktion, Wien 1930

Kawaliere, Berlin 1930

Kapriolen (Lauter Achter und Neuner), Wien 1931 Die Lützowschen Reiter, Berlin 1932

Die Abenteuer der Kascha, Berlin 1934 Die Frau des Potiphar, Berlin 1934

195

Glastüren, Stockholm 1939

Lepanto, Zürich 1946

Spanische Komödie, Wien 1948 Radetzky, Frankfurt a.M. 1956 Das Finanzamt, Frankfurt a.M. 1956 Das Goldkabinett, Frankfurt a.M. 1957

Die Schwäger des Königs, Wien 1958 Tohuwabohu, Wien 1961

Die Thronprätendenten, Wien 1965

3.

Prosa

Romane

Die nächtliche Hochzeit, Berlin 1930 Die Abenteuer eines jungen Herrn in Polen, Berlin 1931

Ljubas Zobel, Berlin 1932

Jo und der Herr zu Pferde, Berlin 1933 Ich war Jack Mortimer, Berlin 1933

Die Standarte, Berlin 1934

Die Auferstehung des Maltravers, Wien 1936 Der Mann im Hut, Berlin 1937

Riviera, Berlin 1937 Strahlenheim, Berlin 1938

Ein Traum in Rot, Berlin 1939 Mars im Widder (Berlin 1941), Stockholm 1947

Beide Sizilien,

Berlin 1942

Der Graf von Saint-Germain, Zürich 1948 Die Inseln unter dem Winde, Frankfurt a.M. 1952

Der junge Moncada, Zürich 1952

Der Graf Luna, Wien 1955

Das Finanzamt, Wien 1955 Das Goldkabinett, Wien 1957

Die vertauschten Briefe, Wien 1958

Das Halsband der Königin, Wien 1962 Drei Reiterromane (Strahlenheim, Ljubas Zobel, Jo und der Herr zu Pferde), Wien 1963

Die weisse Dame, Wien 1965 Pilatus, Ein Komplex, Wien 1967

196

Die Hexen, Wien 1969

Die Geheimnisse des Hauses Oesterreich, Zürich 1971

Wendekreis der Galionen (Riviera, Die Inseln unter dem Winde, der junge Moncada), Wien 1972 Die Standarte, Jubiläumsausgabe, Wien 1973 Der Mann im Hut, Wien 1975, Reihe: Die Phantastischen Romane

Mars im Widder, Wien 1976, Reihe: Die Phantastischen Romane Der Graf von Saint-Germain, Wien 1977, Reihe: Die Phantasti­ schen Romane

Die Standarte, ergänzte Ausgabe, Wien 1977

Erzählungen und Novellen

Die Eroberung von Brody, Wien 1933

Der Herr von Paris, Wien 1935 Die neue Atlantis (9 Erzählungen), Berlin 1935 Der Baron Bagge, Berlin 1936 Maresi, Stockholm 1936

Mona Lisa, Wien 1937 Die Heiligen Drei Könige von Totenleben, Stockholm 1940 Spangenberg (10 Erzählungen, u.a. "Das Rendez-vous"), Wien 1946

Der siebenundzwanzigste November (8 Erzählungen), Wien 1946 Der zwanzigste Juli, Wien 1947 Stimme der Völker (5 Erzählungen), München 1948 Seltsame Liebesgeschichten (5 Erzählungen aus "Spangenberg") Wien 1949 Drei grosse Liebesgeschichten (Mona Lisa, Der Baron Bagge, Jo und der Herr zu Pferde) Die Wege der Welt (17 Erzählungen), Wien 1952 Die drei Federn, Wien 1953 Der blinde Gott, Wien 1958

Die Weheims, Wien 1959 Mayerling (7 Erzählungen), Wien 1960

Prinz Eugen, Eine Biografie, Wien 1960 Naundorff, Eine Biografie, Wien 1961

Das Bad an der belgischen Küste (20 Erzählungen), Wien 1963

Götter und Menschen (15 Erzählungen und "Ein Traum in Rot") Wien 1964

197

4. Aufsätze_und Essays

Autobiographie, in: Masken, 22. Jg, H 9, Düsseldorf 1928/29 S. 167 f "Ich gebe den Kleistpreis zurück", in: Die Literatur, 33. Jg, Oktober, Stuttgart/Berlin 1930 S. 58

Das gestohlene Krokodil, in: Die Literatur, 32. Jg. Septem­ ber Stuttgart/Berlin 1930 S. 679 f

Mongolische Kunst? Ein Briefwechsel zwischen Alexander Lernet-Holenia und Gottfried Benn, Wiesbaden 1953

Der Brief des Lord Chandos von Hugo von Hofmannsthal, in: Der Monat, 6. Jg, H 68, Wien 1954 S. 182 ff Notizen aus Griechenland, in: Wort in der Zeit, H 4, Jg 1, Wien 1955 S. 8 f

Adel und Gesellschaft in Oesterreich, in: Der Monat, 9. Jg, H 101, Berlin 1957 S. 33 ff

Zwischen Gross- und Kleinbürgertum, in: Forum, 8. Jg, H 96, Wien 1961 S. 446 ff

Die Wiener Gesellschaft zu Anfang des Jahrhunderts, in: DU, 23. Jg, H 40, Zürich 1963, S. 63 ff Die K. u. K. Vergangenheit, in: Forum, 10. Jg, H 109, Wien 1963 S. 31 ff Autobiographisches, in: Jahr und Jahrgang 1897, Hamburg 1967, S. 115 ff

b) Werke anderer Dichter

Andersch, Alfred, Sansibar oder der letzte Grund, Zürich 1970

Bahr, Hermann, Tagebücher, Hildesheim 1925 und 1927

Calderon, Pedro, Das Leben ein Traum, in: W. v.Scholz, Spani­ sche Meisterdramen, Wien 1961 Doderer, Heimito von, Die Strudelhofstiege oder Melzer und die Tiefe der Jahre, München 1951

Doderer, Heimito von, Die Dämonen, München 1956 Grillparzer, Der Traum ein Leben, in: Gesammelte Werke, Zürich 1971, Band II

Hoffmann, E.T.A., Fantasiestücke in Callots Manier und Die Elixiere des Teufels, in: Werke, Frankfurt a.M. 1967 Bd I Hofmannsthal, Hugo von, Gesammelte Werke, Frankfurt a.M. 1945 - 1959

Kafka, Franz, Die Romane, Frankfurt 1966 und Die Erzählungen, Zürich 1953.

Kleist, Heinrich von, Gesamtwerk, Werke, Briefe, Lebensspuren, München, 1964 - 69

198

Musil, Robert, Der Mann ohne Eigenschaften, Berlin 1930 Hamburg 1952, 2. Auflage 1956

Musil, Robert, Die Erzählungen, Hamburg 1957 Musil, Robert, Tagebücher, Aphorismen, Essays und Reden, Hsg. von Adolf Frisé, Hamburg 1955, 2. Auflage 1957 Rilke, Rainer Maria, Werke in drei Bänden, Frankfurt a.M. 1966

Rilke, Rainer Maria und Marie v. Thurn und Taxis, Briefwechsel, Zürich/Wiesbaden 1951

Rilke, Rainer Maria - Katharina Kippenberg, Briefwechsel, Wies­ baden 1954 Roth, Joseph, Radetzkymarsch, Berlin 1932, Zürich 1978

Roth, Joseph, Hiob, 1930, Zürich 1978 Roth, Joseph, Die Kapuzinergruft, 1938, Zürich 1978

Roth, Joseph, Die Erzählungen, Köln 1973 Saiko, George, Auf dem Floss, Zürich 1970

Schnitzler, Arthur, Casanovas Heimfahrt, Erzählungen, Frankfurt a.M. 1973

2. Sekundärliteratur

a) über Alexander Lernet-Holenia

Basil, Otto, Alexander Lernet-Holenia zum 50. Geburtstag des Dichters, in: Neues Oesterreich, 26.10.1947 Basil, Otto, Alexander Lernet-Holenia und das Austriakische in: Neues Oesterreich, 20.10.57 Beer, Otto F., Nachwort zu: Alexander Lernet-Holenia, Mars im Widder, Wien 1976 S. 261 ff

Binder, Lambert, Nachwort zu: Alexander Lernet-Holenia, Der Baron Bagge, Stuttgart 1974 Brunkhorst, Ingeborg, Studien zu Alexander Lernet-Holenias Roman "Die Standarte", Diss. Stockholm 1963

Felsenreich, Maria, Alexander Lernet-Holenia: Ein Komplex, in: Der Graf von Saint-Germain, Wien 1977 S. 69 Festschrift, Alexander Lernet-Holenia Festschrift zum 70. Ge­ burtstag des Dichters, Wien/Hamburg 1967

Fontana, Oskar Maurus, Alexander Lernet-Holenia 60 Jahre, in: Die Presse, Wien, 20.10.1957

Gaya, Guido, Das Porträt: Alexander Lernet-Holenia, in: Frankfurter Hefte, 8. Jg , H 10, Frankfurt a.M. 1953 S. 790 ff Halperin, Josef, Alexander Lernet-Holenia, in: Neue Rundschau, 58. Jg, H 1, Stockholm 1947, S. 456 f

Haeussermann, Ernst, Ein Herr der Feder, in: Der Kurier, 8.2.1969 S. 25

199

Hebra, Eduard, Alexander Lernet-Holenia, in: Wort in der Zeit, 1. Jg, H 4, Wien 1955 S. 1 ff

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Nowakowski, Tadeusz, "Charmant, charmant..." Lernet-Holenias Roman "Mars im Widder" in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.11.1976 Pirker, Max, Alexander Lernet-Holenia, in: Die Horen, 2. Jg, H 4, Berlin 1926, S. 363 ff

Pott, Peter, Alexander Lernet-Holenia, iGestalt Werk und Bühnengeschichte, Diss. Wieni 1972

Dramatisches

Reney, Annie, Alexander Lernet-Holenia: Ein Komplex, in: Der Graf von Saint-Germain, Wien 1977, S. 69

Sebestyen, György, Vermutungen über Lernet-Holenia, in: Alexander Lernet-Holenia Festschrift zum 70. Geburtstag des Dichters, Wien/Hamburg 1967

Spiel, Hilde, Alexander Lernet-Holenia, Zu seinem 60. Geburts­ tag, in: Der Monat, 10. Jg, H 109, Berlin 1957 S. 65 ff Spiel, Hilde., Alexander Lernet-Holenia, in: Welt im Widerschein, München 1960 S. 264 ff Stranik, Erwin, Alexander Lernet-Holenia und das Problem der modernen Dichtung, in: Die Kultur, 5. Jg, H 6, Wien/Leipzig 1927 S. 210 ff Süskind, Wilhelm Emanuel, Pilatus im Spiegelkabinett, in: Alexander Lernet-Holenia, Festschrift zum 70. Geburtstag des Dichters, Wien/Hamburg 1967

Torberg, Friedrich, Ein schwieriger Herr, in: Alexander LernetHolenia, Festschrift zum 70. Geburtstag des Dichters, Wien/ Hamburg 1967, S. 15 ff

Weigel, Hans, zit. nach: Kindlers Literaturgeschichte der Gegen­ wart. Die zeitgenössische Literatur Oesterreichs, Zürich/ München 1976, S. 499 f Zuckmayer, Carl, Die Siegel des Dichters, in: Alexander LernetHolenia, Festschrift zum 70. Geburtstag des Dichters, Wien/ Hamburg 1967

200

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Binder, Wolfgang, Literatur als Denkschule, Zürich 1972 Binder, Wolfgang, Vorlesung über Robert Musil, Universität Zürich, WS 71/72 Blauhut, Robert, Oesterreichische Novellistik im 20. Jahrhundert, Wien 1966

Böhm, Gotthard, Kindlers Literaturgeschichte der Gegenwart, Die zeitgenössische Literatur Oesterreichs, Dramatik, Zürich/München 1976 S. 678 ff Böning, Hansjürgen, Joseph Roths "Radetzkymarsch", München 1968 Bronsen, David (Hsg) , Joseph Roth und die Tradition, Darmstadt 1975 Dinklage, Karl (Hsg), Robert Musil, Studien zu seinem Werk, Kla­ genfurt 1970

Doppler, Alfred, Wirklichkeit im Spiegel der Sprache, Aufsätze zur Literatur des 20. Jahrhunderts in Oesterreich, Wien 1975

Drevermann, Ingrid und Bauer,Sibylle, Studien zu Robert Musil, Köln/Graz 1966

Fischer, Roswitha, Studien zur Entstehungsgeschichte der "Stru­ delhofstiege" Heimito von Doderers, Wien 1975

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201

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202

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Zürcher, Richard, Oesterreich - Versuch einer Deutung, in: Schweizer Monatshefte, H 1, Jg 41, Zürich, April 1961 S. 169 ff

PERSONENREGISTER

Andersch, Alfred

136

Bahr, Hermann Binder, Wolfgang Böll, Heinrich Borchardt, Rudolf Brecht, Bertolt Broch, Hermann

14, 31, 34 110, 138, 167 15 29 30, 78 147

Calderon, Pedro

90f

Dante 29 Doderer, Heimito von 42, 150ff Droste-Hülshoff, Anette von 99 Fontane, Theodor Freud, Sigmund Frisch, Max

161ff, 179ff

127 60 38, 137

Goethe, Johann Wolfgang von Grass, Günther 137 Grillparzer, Franz 90f

57, 103

Hölderlin, Friedrich 29, 150 Hoffmann, E.T.A. 41ff, 87ff Hofmannsthal, Hugo von 31f, 43, 133, 148, 150 Jandl, Ernst 17 Jung, Carl Gustav 103 Jünger, Ernst 103 Kafka, Franz 139 Kiessling, Franz 42f Kippenberg, Katharina von 2 7 Kleist, Heinrich von 17, 18, 31, 39ff, 78, 125, 130, 131ff, 150 Kraus, Karl 29, 42 Mann, Thomas 131 Mayröcker, Friederike 17 Musil, Robert 42, 150ff, 162ff, 177ff Novalis

158 57

Rilke, Rainer Maria 14, 27f, 43f, 150 Roth, Joseph 42, 150ff, 162ff, 175ff Saiko, George 78 Schnitzler, Arthur 31, 33, 34, 44, 150 Strecker, Karl 17 Szondi, Leopold 60

Thurn und Taxis, Fürstin von

27

Wilde, Oscar

Zuckmayer, Carl

22, 35, 38, 88

204

SACHREGISTER

Adalbert-Stifter-Preis 15 "Alkestis" 24,36 'anderer Zustand' 178 Apperzeption 160, 162, 171, 173, 180 Aristokratie 19, 33, 42, 134, 142, 168 Astrologie 98ff, 118 "Attraktion" 17 Augen 75f, 94

"Die Trophäe" 28, 29 direkte Rede 70, 125 Donaumonarchie 18, 21, 25, 42, 46, 144, 146, 147, 149, 153, 175, 177, 180f Doppelgänger 40, 70, 78 Drama 22ff, 30f, 36-37, 38ff

"Eine Liebesgeschichte aus der Zeit der napoleonischen Kriege" 67 Einheit des Romans 66, 67, 87, 118, 122 Barock 29 "Baron Bagge" 61f, 65, 67, 75, 86, 89, Emigration 152 Entstehungszeit-Erzählte Zeit 152ff 91, 93f, 120, 122, 127, 128, 143f Entwicklungsroman 167 Baron Dombaste 70 Baron Drska 52, 59, 69, 70, 80, 95ff, Epigone 31, 116 Erzählperspektive 118ff, 122f, 135f 111 Erzähltechnik 138 Baumgarten 52, 95, 126 Expressionismus 25 "Beide Sizilien" 47, 48, 59, 60, 66, 76, 86, 129 gehobene Sprache 113 blinde Motive 120ff "Germanien" 29f, 36, 147 Chaos 161 Gesellschaftskritik 33f Chojnicki 164f Goethe-Preis 14, 30 "Goldkabinett" 147 Graf Luna 63, 85 "Das Feuer" 89 "Das Finanzamt" 36, 37, 147 Handlung 24f, 34, 38, 127, 160, 162, 167 "Das Geheimnis St. Michaels" 28f Happy End 41, 149 "Das Rendez-Vous" 67 Helden 28, 32, 57, 62, 68f, 70f, 86, 117 "Demetrius" 14, 24, 36 121f, 136f, 142f, 147f, 167, 170 "Der Graf von St. Germain" 13, 35, Herr Oertel 51, 54, 61, 80, 86, 95ff, 59, 63, 64, 118, 138, 148 111, 119 "Der Mann im Hut" 13, 85, 86, 105, Hypotaxe 131ff 107, 129, 138, 143 "Der Mann ohne Eigenschaften" 151, Ich-Erzählung 119f, 122 152, 156, 158, 160ff "Der siebenundzwanzigste November" 'Identität des Menschen' 39f, 73ff, 76 "Inseln unter dem Winde" 76 147 Intuition, Gefühl 59, 62, 66, 107, 143 "Der zwanzigste Juli" 58, 76, 129, Ironie 15, 24, 33, 87, 109, 167, 169 131, 147 Dialekt 34f, 133f Janowka 54, 55, 65, 76, 82f, 94 Dialoge 38, 39, 70, 112, 125, 127 Jedespeigen 53, 54, 82f, 93 "Die Auferstehung des Maltravers" "Jo und der Herr zu Pferde" 62 21, 40, 59, 61, 63, 65, 67, 78, 86, 128, 129 Kaiser 156f, 162f, 170 "Die Dämonen" 173, 180 'Kakanien' 155, 157, 177 "Die goldene Horde" 29, 36 "Kanzonnair" 25, 27, 36 "Die Hexen" 144 Katharsis 57f "Die Kapuzinergruft" 165 Klassik 29, 57 "Die Standarte" 28, 40, 42, 46, 59, 61 'Kleist-Preis 14, 17, 30 62, 64, 66, 76, 85, 87, 94, 113, 120, Klischee 61, 99, 112f, 167 122, 128, 130, 132, 153, 181 Krebse 53, 104ff "Die Strudelhofstiege" 151, 152, 154, 159, 160ff

205

"Lauter Achter und Neuner" 36 Leutnant Obentraut 69 Liebe 42, 52, 60, 61ff, 99, Ulf, 142 Lyrik 22, 25f, 27f, 31, 36

Mary 171 Melzer 154, 156, 159, 160f, 170ff, 181 Menschwerdung 162, 171 Missverständnis 126 moderner Roman 135ff Möglichkeitssinn 158f, 160, 167 Mond 9 8 Mystik 143f, 167 Mythos 107 "Nächtliche Hochzeit" 37, 121, 125 Nadia 70, 74, 80f Namen 76ff

"Oilapodrida" 33 "Oesterreichische Komödie" 33 Oesterreichischer PEN-Club 15ff, 33 Oesterreichischer Staatspreis 15

Parataxe 132f "Parforce" 36 Passivität 167, 169, 173 "Pastorale" 25 Phantastik 41, 48, 53, 55, 58, 61f, 64, 77, 80ff, 87ff, 95ff, 110, 140, 143, 158, 163, 182 Piaristengasse 51f, 54, 69, 95 Polenfeldzug 14, 45f, 48, 53, 54, 73, 91, 98, 104f, 123, 127, 130, 146 Prosa 24ff, 37f

"Radetzkymarsch" 151, 152, 154, 162, 165ff Rahmenerzählung 21, 118ff, 128 Realismus 86, 88 Reiter- und Militärroman 21, 61, 63, 73, 142, 144, 149 Rendez-Vous 53-55, 65, 67, 95, 111 Resignation 31, 39, 40, 146f, 149 Rittmeister Rex 53, 64, 68, 95 Rittmeister Sodoma 50f, 54, 57, 69, 84, 112 "Riviera" 143 Romantik 41f, 57f, 61, 78, 87, 138 Sarajewo 165 "Saul" 24, 36 Schicksal 48, 50, 52, 55ff, 59f, 61, 68, 92, 102f, 115, 118, 119, 140, 143, 149, 155, 158, 162, 166 Sein und Schein 91, 115, 163f

Spannung 58, 125ff, 128ff Standort des Lesers 122ff, 135 Stangeler 171, 173 Sterne 80, 98ff, 112f Stichomythie 125 Stil 131f

Tagebuch 45f Thea 173 "Titanen" 29 Tod 29, 56, 59, 61ff, 63ff, 80, 85, 86, 89, 92, 105 "Tohuwabohu" 36 traditioneller Roman 135f tragische Ironie 165 Trivialliteratur 24, 31, 36, 37, 44, 99, 109ff Trotta 154, 155, 156, 162f, 168, 175ff Uebertragbarkeit 120, 122f Ulrich 156, 157, 167f Untergang der Donaumonarchie 105, 150, 155, 156f, 162, 164ff, 170, 172, 179 Unterhaltungsliteratur siehe Trivialliteratur Uschilug 54, 82f Vergangenheitsbewältigung 150, 155, 159, 171f, 177 Verstand 59, 60, 62, 84, 107, 143, 161f "Vertauschte Briefe" 147 Verwechslungen 21, 40 Vision 51f, 53, 55, 68f, 81, 90, 93, 105 Vorausdeutungen 118, 129, 130, 154, 164 'wahrheitsgetreuer 71, 115 Wahrheitssuche 32, Weltdeutung 138f, Wille 50, 55ff, 59, 115, 118, 140 Wirklichkeitssinn Würmla 81f

Bericht' 45f, 50f, 39f, 47, 56, 80f, 85 142 68, 92, 102f, 107,

158

Zeitgefühl 83, 93ff Zeitstufen 159 Zensur 48, 96, 97, 105 Zufall 55f, 58, 115, 155, 158, 162 'Zustände' 59, 81ff, 106, 137 'zweite Sprache' 173 Zweiter Weltkrieg 14, 19, 26, 37, 44, 45, 105, 145, 153, 156, 179 'zweites Leben' 159 Zwischenreich 67, 70, 80ff, 88ff, 93f, 149