Geschichte der philosophischen Terminologie: Im Umriss dargestellt 9783787343546, 9783787342730

Die »Philosophische Terminologie« (1876) des späteren Nobelpreisträgers Rudolf Eucken gilt bis heute zu Recht als Gründu

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Geschichte der philosophischen Terminologie: Im Umriss dargestellt
 9783787343546, 9783787342730

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Philosophische Bibliothek

Rudolf Eucken Geschichte der philosophischen Terminologie im Umriss

RU DOLF EUCK EN

Geschichte der philosophischen Terminologie im Umriss dargestellt

Unter Mitarbeit von Hanns Christof Brennecke, Michael Erler und Katharina Zeppezauer-Wachauer herausgegeben von

Gisela Schlüter

FELIX MEINER VERLAG HAMBURG

PHILOSOPHISCHE BIBLIOTHEK BAND 765

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bi­­­blio­g ra­phi­sche Daten sind im Internet a­ brufbar über ‹https://portal.dnb.de›. ISBN 978-3-7873-4273-0 ISBN eBook 978-3-7873-4354-6

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Inhalt

Einleitung von Gisela Schlüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . vii A. Begriffsgeschichte bei Rudolf Eucken . . . . . . . . . . . . . . . . . vii B. Kontexte und Wirkungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . xii C. Euckens Konzeption der Terminologiegeschichte und philologisch-historiographische Praxis . . . . . . . . . . xxiv D. Zeittypisches und Wegweisendes . . . . . . . . . . . . . . . . . . xxxiii E. Zur Edition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . xxxviii

Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . xliii Sitographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . lxi

Rudolf Eucken Geschichte der philosophischen Terminologie Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 I. Gesamtgeschichte der philosophischen Terminologie . . . . 17 Griechentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Terminologie der Römer und des Mittelalters . . . . . . . . . . . . Neuzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Deutsche Terminologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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II. Erörterungen zur Geschichte der einzelnen Termini . . . . . 205 Kommentare und Anmerkungen zum Teil »Griechentum« (M. Erler) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 zum Teil »Terminologie der Römer und des Mittelalters«   (H. Ch. Brennecke) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 zum Teil »Neuzeit« (G. Schlüter) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 zum Teil »Deutsche Terminologie« (K. Zeppezauer-Wachauer) . 300

vi Inhalt

Anhang Transkription des Jenenser Korrekturexemplars . . . . . . . . . . 321 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 Erweitertes Begriffsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347

Einleitung

A. Begriffsgeschichte bei Rudolf Eucken »Zurück zu Eucken« – dieses ad fontes hat Winfried Schröder im Jahr 2000 für die Begriffsgeschichte lanciert;1 die mit dem Aufruf verbundene Würdigung Rudolf Euckens als Pionier einer ›am historischen Material arbeitenden‹ Begriffsgeschichte ist allerdings nicht unumstritten geblieben.2 Anscheinend hat die Begriffsgeschichte, die sich seit der Mitte des vergangenen Jahrhunderts mehr und mehr als interdisziplinäres Forschungsprogramm versteht, den Philosophen und Philologen Eucken und dessen begriffsgeschichtliches, richtiger: terminologiehistoriographisch einschlägiges Werk, vor allem die 1879 erschienene Geschichte der philosophischen Terminologie im Umriss3, mehr oder weniger ad acta gelegt. Im Historischen Wörterbuch der Philosophie wurde Eucken 1971 im Artikel Begriffsgeschichte von Helmut Günter Meier noch als einer der frühen Protagonisten der Begriffsgeschichte eingehend gewürdigt. 4 1 Winfried Schröder: »Was heißt ›Geschichte eines philosophischen Begriffs‹?«, in: Gunter Scholtz (Hg.): Die Interdisziplinarität der Begriffsgeschichte, Hamburg 2000 (AfB, Sonderheft 1), S. 159 – 172, hier: S. 172. 2  Gunter Scholtz, über lange Zeit Herausgeber des Archivs für Begriffsgeschichte [AfB], hat, Schröder widersprechend, die mangelnde Klarheit von Euckens – wie er zu Recht anmerkt – »bescheidenerem Projekt einer Terminologiegeschichte« kritisiert, angefangen mit der angeblichen Unschärfe des Terminus Terminus in der Eucken’schen Geschichte der philosophischen Terminologie. Gleichwohl habe Ritter »mit Recht« Eucken »zu den Wegbereitern seines Projektes gezählt«. Gunter Scholtz: »Begriffsgeschichte als historische Philosophie und philosophische Historie«, in: ders. (Hg.): Die Interdisziplinarität der Begriffsgeschichte, S. 183 – 200, hier: S. 195 f. 3  Rudolf Eucken: Gesammelte Werke [GW], hg. v. Rainer A. Bast, 14 Bde. [19 Bde.], Hildesheim/Zürich/N. Y. 2005 – 2011; GW, Bd. 9 (2005): Geschichte der philosophischen Terminologie im Umriss (ND d. Ausg. Leipzig 1879); GW, Bd. 13 (2009): Rainer A. Bast: Personenverzeichnis, Verzeichnis der publizierten Schriften […]; GW, Bd. 14 (2011): Uwe Dathe: Nachlassverzeichnis. 4  Helmut G. Meier: Art. »Begriffsgeschichte«, in: Historisches Wörter-

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Gisela Schlüter

In der heutigen historischen Selbstverortung der Begriffsgeschichte sind etwa Trendelenburg, Teichmüller und Rothacker zu historischen Gründerfiguren avanciert.5 In ihren beiden Monographien zur Begriffsgeschichte aus den Jahren 2016 und 2020 haben freilich Ernst Müller und Falko Schmieder auch Euckens Beitrag zur Begründung der Begriffsgeschichte in seinem Kontext in erhellender Weise gewürdigt; ein wenig verwirrend erscheint allenfalls hier und da die Vermengung von Euckens Geschichte der philosophischen Terminologie mit der ein Jahr zuvor (1878) erschienenen, in der Sichtweise von Müller/Schmieder wohl begriffspolitisch interessanteren Geschichte und Kritik der Grundbegriffe der Gegenwart.6 Die hier vorgelegte Edition soll Euckens begriffsgeschichtliches Werk in Erinnerung rufen, in kritisch revidierter Form neu zugänglich machen und dem heutigen Informationsbedarf anpassen. Vorab sei im Rahmen einleitender Bemerkungen entlang der Wirkungsgeschichte von Euckens terminologiegeschichtlichem Werk ein Blick auf die Entwicklung der Disziplin der Begriffsgeschichtsschreibung (genauer: Terminologiegeschichtsschreibung; im Folgenden, dem geläufigen Ausdruck entsprechend: Begriffsgeschichte) geworfen (B: Kontexte und Wirkungsgeschichte). Warum, so ist im nächsten Schritt zu fragen, sollte man, dem ›Zurück-zu-Eucken‹ folgend, die Geschichte der philosophischen Terminologie im Umriss aus ihrem Schattendasein ans Licht holen (C: Euckens Konzeption der Terminologiegeschichte und philologisch-historiographische Praxis)? Welche waren und sind ihre Stärken und Schwächen als philosophisch-philologisches Mischgenre, als nicht-lexikographische Bestandsaufnahme der buch der Philosophie [HWPh], Bd. 1, Basel 1971, Sp.  788 – 808, hier: Sp.  792 – 795 zu Eucken. 5  Hier sei nur folgende Publikation angeführt: Forum für Interdisziplinäre Begriffsgeschichte [FIB], 1. Jg./H. 2 (2012): Sondernummer zu Rothacker (Erich Rothacker und die Begriffsgeschichte. Dokumentation einer Tagung). 6  Ernst Müller / Falko Schmieder: Begriffsgeschichte und historische Semantik. Ein kritisches Kompendium, Berlin 2016, S. 64 – 74: »Konstellation Rudolf Eucken – Gottlob Frege. Euckens Terminologiegeschichte«. Vgl. zu Eucken auch dies.: Begriffsgeschichte zur Einführung, Hamburg 2020, hier: S. 18 f., S. 41.

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Geschichte philosophischer Termini, als konzeptioneller Entwurf und philologisch geleitete Praxis der Begriffsgeschichte? Abschließend ist Euckens Terminologiegeschichte des Jahres 1879 knapp historisch zu situieren und forschungsgeschichtlich zu pointieren (D: Zeittypisches und Wegweisendes). Mit der Konzentration auf die Geschichte der philosophischen Terminologie im Umriss wird eine ganze Reihe weiterer thematisch einschlägiger Schriften Euckens aus der Zeit vor 1900 ausgeklammert. Schon 1872 erschien seine Aufforderung zur Begründung eines Lexicons der philosophischen Terminologie, 1878 dann, also noch vor der Geschichte der philosophischen Terminologie, sein Werk Geschichte und Kritik der Grundbegriffe der Gegenwart in erster Auflage, welches von Eucken fortlaufend überarbeitet und bis in die 1920er Jahre hinein unter verschiedenen neuen Titeln immer wieder neu aufgelegt wurde. Hier finden sich längere begriffsgeschichtliche Exkurse, die in eine umfassende Rehabilitierung des Begriffshistorikers Eucken einzubeziehen wären. Schon 1880 war in den USA eine Übersetzung ins Englische erschienen.7 Auch darüber hinaus hat Eucken ab 1880 mehrere einschlägige Aufrufe und Artikel in deutscher und in englischer Sprache, letztere vor allem für ein amerikanisches Publikum, publiziert. Am wichtigsten ist hier sein 1896 in The Monist erschienener exzellenter Artikel Philosophical Terminology and Its History. Expository and Appellatory, dem 1888 ein kurzer Appell mit dem Titel Zur philosophischen Terminologie. Ein Vorschlag und eine Aufforderung vorausgegangen war. 8 7 Verzeichnis der verschiedenen Auflagen der Geschichte und Kritik der Grundbegriffe der Gegenwart in: Eucken: GW, Bd. 13, S. 40 f. (006), 62 (094). – Eucken: The Fundamental Concepts of Modern Philosophic Thought, Critically and Historically Considered, übers. v. M. Stuart Phelps, vom Autor revidiert und erweitert, Einleitung v. Noah Porter, N. Y., Appleton, 1880, vgl. GW, Bd. 13, S. 41, Nr. 008. – Zu Euckens Kontakten, Wirkung und Aufenthalten in den USA vgl. Michael Schäfer: Sammlung der Geister. Kulturkritischer Aktivismus im Umkreis Rudolf Euckens 1890 – 1945, Berlin/Boston 2020, S. 138 ff. 8  Eucken: »Philosophical Terminology and Its History. Expository and Appellatory«, übers. v. Thomas J. McCormack, in: The Monist, vol. 6/4 (July

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Was diese und weitere Artikel Euckens sowie seine Korrespondenzen und Aufzeichnungen um die Geschichte der philosophischen Terminologie herum, was deren zeitgenössische Rezensionen sowie auch von ihm selbst genannte und weitere fremdsprachliche Quellen und Kontexte des Werkes betrifft, so ist ein Materialienband zur Dokumentation der im Jenenser Nachlass erhaltenen Manuskripte Euckens, die Begriffsgeschichte betreffend, in Vorbereitung (hg. v. Uwe Dathe u. Gisela Schlüter; erscheint als Sonderheft des Archivs für Begriffsgeschichte). Dort wird auch der Beitrag Philosophical Terminology and Its History nachgedruckt und gewürdigt werden. Zudem ist Euckens Geschichte und Kritik der Grundbegriffe der Gegenwart mehr Aufmerksamkeit zu schenken als im vorliegenden Band, der jedoch, abweichend von der Erstausgabe, im Begriffsregisterteil die einschlägigen begriffsgeschichtlichen Exkurse Euckens in den […] Grundbegriffen der Gegenwart [GG] verzeichnet. Die Geschichte der philosophischen Terminologie im Umriss erschien – gleichzeitig mit der Begriffsschrift von Euckens Jenenser Kollegen Frege9 – in einer einzigen Auflage 1879 und wurde nie neu aufgelegt, sondern nur mehrfach nachgedruckt. Zwischenzeitlich hat De Gruyter auch eine digitalisierte Fassung von Euckens Gesammelten Werken ins Netz gestellt und hält sie jetzt als eBook im Angebot.10 Eucken hat an der 1879er Ausgabe weitergearbeitet. In seinem Nachlass in der Thüringischen Landes- und Universitätsbibliothek Jena findet sich ein durchschossenes Korrekturexemplar mit 1896), S. 497 – 515, vgl. GW, Bd. 13, S. 91, Nr. 256. Ders.: »Zur philosophischen Terminologie. Ein Vorschlag und eine Aufforderung«, in: Archiv für Geschichte der Philosophie, Bd. 1, H. 3 (1888), S. 309 – 313, vgl. GW, Bd. 13, S. 83, Nr. 212. 9  Vgl. Uwe Dathe: »Gottlob Frege und Rudolf Eucken  – Gesprächspartner in der Herausbildungsphase der modernen Logik«, in: History and Philosophy of Logic 16 (1995), S. 245 – 255; Müller/Schmieder (2016), S. 64 – 74: »Konstellation Rudolf Eucken – Gottlob Frege […]«. 10  Abgesehen von dem Nachdruck im Rahmen der GW: ND Hildesheim/N. Y., Olms, 1982/2005/2021 (elektronische Ressource). – 2018 ist auch ein Nachdruck der Geschichte der philosophischen Terminologie in den USA erschienen, Wentworth Press, Reihe Scholar Select.

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Aufzeichnungen von seiner Hand (vgl. GW, Bd. 14, S. 352), welches für die vorliegende Edition transkribiert wurde und im Anhang dokumentiert wird. Euckens Ergänzungen und Korrekturen sind philosophiegeschichtlicher und philologischer Art und bringen vor allem zahlreiche neue Begriffsbelege. Aus welchem Zeitraum die recht zahlreichen Notizen stammen, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, prima vista spricht einiges dafür, dass Eucken schon Anfang der 1880er Jahre die Arbeit daran beendet hat.11 Was Euckens spätere Sicht auf die Geschichte der philosophischen Terminologie betrifft, auf deren Entstehung, Bedeutung und Resonanz, so hat er diese 1921 in seinen Lebenserinnerungen zu Papier gebracht. Als der spätere Neuidealist, Nobelpreisträger (1908), Weltanschauungsphilosoph und Vielschreiber seine Geschichte der philosophischen Terminologie publizierte, eine zweifellos beeindruckende philosophische und philologische Leistung, war er erst 33 Jahre alt.12 11  Die Datierung ist schwierig. Prima facie spricht einiges für, anderes gegen eine zeitliche Begrenzung auf das Jahr 1880. Einerseits: Auf der letzten Seite des Korrekturexemplars findet sich eine Zusammenstellung von Rezensionen bis 1880. Andererseits: An einer Stelle gibt es einen Hinweis auf die Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik und deren Herausgeber Richard Falckenberg, Letzterer übernahm aber erst 1885 die Herausgeberschaft der Zeitschrift. Der Materialienband soll diesbezüglich so weit wie möglich Klarheit schaffen. 12 Seinen Lebenserinnerungen zufolge hat Eucken später viel handschriftliches Material zur Begriffsgeschichte vernichtet, das betrifft aber offensichtlich die von ihm geplante, aber nie publizierte Gesamtgeschichte der philosophischen Grundbegriffe; vgl. Eucken: Geschichte der philosophischen Terminologie, S. V, sowie die wichtige Retrospektive Euckens auf seine begriffsgeschichtliche Arbeit in: ders.: Lebenserinnerungen. Ein Stück deutschen Lebens [ND d. Ausg. Leipzig 21922], S. 69 (GW, Bd. 11, 2008; nach dieser Ausg. wird auch im Folgenden zitiert; neue Ausgabe Berlin 2016, vgl. Bibliographie). – Zur Biographie Rudolf Euckens sei an dieser Stelle nur auf die bereits zitierte rezente Monographie hingewiesen: Michael Schäfer: Sammlung der Geister […] (2020); da diese Biographie und die Darstellung der Wirkungsgeschichte in den Jahren ab 1890 ansetzen, bleibt Euckens begriffsgeschichtliches Werk weitgehend ausgeklammert, vgl. aber ebd., S. 35 – 37. Zur Biographie und dem philosophischen und theologischen Profil Rudolf Euckens vgl. vor allem Friedrich Wilhelm Graf: »Die Positivität des Geistigen. Rudolf Euckens Programm neoidealistischer Universalintegration«, in:

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B. Kontexte und Wirkungsgeschichte Eucken hatte mit seiner Geschichte der philosophischen Terminologie im Umriss in der Philosophie unmittelbare Vorgänger wie etwa Teichmüller13 und Trendelenburg14 , auf den Eucken sich in seiner Geschichte ja explizit beruft. Eucken arbeitete in einem weiten philosophiehistoriographischen und philologischen Kontext.15 Er hatte mit seiner Dissertation über AristoteGangolf Hübinger/Rüdiger Vom Bruch/Friedrich Wilhelm Graf (Hg.): Kultur und Kulturwissenschaften um 1900. Bd. 2: Idealismus und Positivismus, Stuttgart 1997, S. 53 – 85, S. 66 – 69 zur Begriffsgeschichte Euckens. 13  Gustav Teichmüller: Studien zur Geschichte der Begriffe, Berlin 1874; ders.: Neue Studien zur Geschichte der Begriffe, 3 Bde., Gotha 1876 – 1879. Zu Teichmüller vgl. Gottfried Gabriel: »Gustav Teichmüller and the Systematic Significance of Studying the History of Concepts«,in: Studia Philosophica Estonica 8 (2015), 2, S. 129 – 1 40; vgl. auch erhellende Vergleiche zwischen Teichmüller und Eucken in: ders.: »Die Bedeutung von Begriffsgeschichte und Metaphorologie für eine systematische Philosophie«, in: Christoph Strosetzki (Hg.): Literaturwissenschaft als Begriffsgeschichte, Hamburg 2010 (AfB, Sonderheft 8), S. 17 – 2 8, hier: S. 21 – 27.  – Vgl. auch das Kapitel über Teichmüller und Trendelenburg bei Müller/Schmieder (2016), S. 59 – 64: »Die Entstehung der Begriffsgeschichte aus dem Geist des Antihegelianismus (Friedrich Adolf Trendelenburg, Gustav Teichmüller)«. 14  Vgl. S. 13 sowie Euckens Lebenserinnerungen. Zu Eucken – Trendelenburg vgl. Gunter Scholtz: »Trendelenburg und die Begriffsgeschichte«, in: Gerald Hartung/Klaus Christian Köhnke (Hg.): Friedrich Adolf Trendelenburgs Wirkung, Eutin, Eutiner Landesbibliothek, 2006, S. 239 – 256; Uwe Dathe: »›Mit der Fackel Trendelenburgs in der Hand‹. Rudolf Euckens Treue zu Friedrich Adolf Trendelenburg«, ebd., S. 105 – 122; Helmut Hühn: »Unterscheidungswissen. Begriffsexplikation und Begriffsgeschichte«, in: Lutz Danneberg (Hg.): Begriffe, Metaphern und Imaginationen in Philosophie und Wissenschaftsgeschichte, Wiesbaden 2009, S. 23 – 38. 15  Ausgeblendet wird im Folgenden der dichte philosophiehistorische und geistesgeschichtliche Kontext, in dem der Text steht. Dies gilt auch für die im 19. Jh. prosperierende gelehrte Historiographie der Philosophiegeschichtsschreibung, welcher Eucken einiges verdankt; diese Filiation ist in der Forschung noch nicht hinreichend untersucht worden.  – Hier sei am Rande vermerkt, dass schon Ueberwegs Grundriss der Geschichte der Philosophie von Thales bis auf die Gegenwart 1863 mit einem begriffsgeschichtlichen Exkurs zu dem Titelwort Philosophie eröffnet worden war. Ebenso wenig sollte aus dem Blick geraten, dass August Boeckhs 1877 erschienene Encyklopädie und Methodologie der philologischen Wissenschaften mit einer

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les,16 seiner Mitarbeit an Bonitz’ Index Aristotelicus,17 seiner Aufforderung zur Begründung eines Lexicons der philosophischen Terminologie 1872 und seinen Grundbegriffen der Gegenwart 1878 den Weg für seine allgemeine Arbeit über die philosophische Begriffsgeschichte bereitet. Die Geschichte der philosophischen Terminologie fand eine gewisse Beachtung, wurde rezensiert, im Allgemeinen beifällig, aber auch mit kritischen Akzenten. Eucken befasste sich noch eine Zeitlang mit einer Erweiterung und Überarbeitung, hat aber, wie bereits erwähnt, keine revidierte zweite Auflage publiziert. Dafür gab es mehrere Gründe, die an dieser Stelle nicht im Einzelnen erörtert werden können. Nur so viel: Zum einen arbeitete Eucken kontinuierlich weiter an seinen Grundbegriffen der Gegenwart [GG], und da er sich mehr und mehr zu einem neuidealistischen Weltanschauungsphilosophen entwickelte, mögen ihm philologisch aufwändige und weit in die Geschichte ausgreifende begriffsgeschichtliche Explorationen ohne unmittelbaren Bezug zur Gegenwart später wohl als weniger wichtig erschienen sein.18 Ihm muss aber begriffsgeschichtlichen Vertiefung der Termini Philologie und Encyklopädie eröffnet worden war. Vgl. Friedrich Ueberweg: Grundriss der Geschichte der Philosophie von Thales bis auf die Gegenwart, Erster Theil, Berlin 1863; August Boeckh: Encyklopädie und Methodologie der philologischen Wissenschaften, hg. v. Ernst Bratuschek, Leipzig 1877; eine kritische Edition, hg. von Christiane Hackel, erscheint 2023 im Meiner Verlag. 16  Schon 1869 behandelt Eucken in seiner allerersten Publikation – Beiträge zum Verständnis des Aristoteles (in: Neue Jahrbücher für Philologie und Pädagogik, Jg. 39, Bd. 99, Leipzig 1869)  – philologisch-begriffsgeschichtlich Einschlägiges: I. Die Etymologien bei Aristoteles; II. Über Bilder und Vergleichungen bei Aristoteles; III. Über den Gebrauch der sog. absoluten Infinitive bei Aristoteles. Vgl. GW, Bd. 13, S. 71, Nr. 133. 17  1869 siedelte Eucken nach Berlin über und trat dort in näheren Kontakt zu Bonitz, den er schon bei seinem ersten Aufenthalt in Berlin kennengelernt hatte. »Er hat mir sofort die Korrektur des großen Index Aristotelicus übertragen, und ich habe von dem geistvollen, lebenserfahrenen und liebenswürdigen Gelehrten vieles empfangen.« Eucken: Lebenserinnerungen (GW, Bd. 11), S. 44. 18  Zu Lebzeiten Euckens – er verstarb 1926 – waren seine Grundbegriffe der Gegenwart in insgesamt sechs, unterschiedlich betitelten, meist neu bearbeiteten Auflagen in immer weiter bearbeiteten Fassungen erschienen (vgl. GW, Bd. 13, S. 40, Nr. 006, im Weiteren 018, 030, 042, 057, 070, 094, 125),

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auch klar geworden sein, dass er sich in einem theoretisch anspruchsvollen Feld begriffsgeschichtlicher Theoriebildung bzw. Begriffstheorie (namentlich seitens Teichmüllers und Freges) und in einem expandierenden lexikographischen Kontext nicht ohne Weiteres dauerhaft als philosophischer Begriffshistoriker würde profilieren können. Sein Nachlass bezeugt freilich in zahllosen Notizen, dass er auch weiterhin seine lexikalischen Funde aufgezeichnet hat. Im Folgenden soll die Wirkungsgeschichte der Geschichte der philosophischen Terminologie in ihren großen Linien Revue passieren. Drei zentrale Rezeptionslinien, die teilweise ineinanderlaufen und von marginaleren Strängen wie etwa der Metapherntheorie begleitet werden, zeichnen sich ab: Da ist erstens die Fortführung von Euckens Werk in der philosophischen Lexikographie seit etwa 1900, gipfelnd im Historischen Wörterbuch der Philosophie [HWPh]. Es ist wohl unstrittig, dass die konkreten philologischen Funde und Befunde zu einzelnen Termini, die Eucken in seiner Geschichte der philosophischen Terminologie präsentiert hat, in einem gar nicht zu beziffernden Ausmaß in die philosophische lexikographische Produktion des 20. Jahrhunderts und konkret vor allem in das HWPh eingeflossen sind. – Zweitens wirft Euckens Werk Fragen auf, die im Rahmen der Ende des 19. Jh.s sich formierenden Semantik, Sprachkritik und Universalsprachenthematik, welche in diesen Jahren in der Philosophie zu großer Bedeutung gelangten, traktiert werden. – Und drittens, als Frage formuliert: Wie weit hat Eucken in die Mitte des 20. Jh.s entstehende und sich institutionalisierende philosophische, und hat er überhaupt in die geschichtswissenschaftliche Begriffsgeschichte hineingewirkt? Rudolf Eislers zuerst 1899 und dann in immer neuen Auf­lagen, von ihm überarbeitet zuletzt 1927–1930 erschienenes Wörterbuch der philosophischen Begriffe und Ausdrücke, quellen­mässig bearderen begriffsgeschichtliche Ausführungen Resonanz gefunden hatten, vor allem seine Rekonstruktion von Oppositionsbegriffen (z.B. mechanisch/dynamisch; theoretisch/praktisch) und – häufig auch gegensätzlich auftretenden – philosophischen Parteibegriffen bzw. typologischen Konstellationen (z.B. Monismus/Dualismus; Idealismus/Realismus).

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beitet und Fritz Mauthners Wörterbuch der Philosophie. Neue Beiträge zu einer Kritik der Sprache (1910/11) beriefen sich, mehr oder weniger marginal, aber doch zustimmend, auf Eucken. Eislers Wörterbuch wirkte traditionsstiftend und ließ Euckens Werk, das zwar enorm viel Belegmaterial, aber einen nur notdürftigen gezielten Zugriff über einen Begriffsindex bot, in den Hintergrund treten. Der enzyklopädische Anspruch und die lexikographische Form mit alphabetischer Anordnung der Lemmata erwiesen sich als kompetitiver Vorteil von Eislers Wörterbuch. Was Fritz Mauthner betrifft, so unterschieden sich seine radikale Sprachkritik und sein exzentrisches lexikographisches Programm deutlich von Euckens Begriffsgeschichte – oberflächlich betrachtet verbindet jedoch einiges die beiden, etwa ihr Interesse an begriffsprägenden Metaphern und an der Sprache der Mystiker. In seinem noch heute oft zitierten Aufsatz über Hilfsmittel des philosophischen Studiums hat Erich Rothacker 1927 Eislers Wörterbuch scharf kritisiert und Euckens Verdienste im Gegenzug deutlich herausgestellt.19 Auf Rothacker wird zurückzukommen sein. In Hermann Hirts Etymologie der neuhochdeutschen Sprache aus dem Jahre 1909 hieß es im Kapitel über die Fachsprache der Philosophie: »Was Eucken bietet, hat bisher noch keine Fortsetzung und Erweiterung gefunden.«20 Hirts Ausführungen zur historischen Lexik der Philosophie bewegten sich unter ständiger Referenz auf Euckens lexikalische Belege dicht an Euckens Parcours, von Notker, Eckhart, Nikolaus von Kues, Luther und Böhme21 bis hin zu Leibniz, Thomasius und Wolff. 19  Erich Rothacker: »Sammelbericht über Hilfsmittel des philosophischen Studiums«, in: DVjS (Jan. 1927), S. 766 – 791. 20  Herman Hirt: Etymologie der neuhochdeutschen Sprache. Darstellung des deutschen Wortschatzes in seiner geschichtlichen Entwicklung, München 1921 (11909), S. 335 – 340 (§ 199: L. »Die Sprache der Philosophie«), hier: S. 335. 21 Eines der auszeichnenden Merkmale von Euckens Geschichte der philosophischen Terminologie ist die intensive Beschäftigung mit der vorterminologischen, aber philosophisch prägenden deutschen Sprache der Vor­moderne bzw. der frühen Neuzeit, speziell auch der Mystik. Eucken rekurriert sehr häufig auf Meister Eckhart, Jakob Böhme, Paracelsus und

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Lexikographiegeschichtlich am bedeutendsten war freilich der umfangreiche und anspruchsvolle Vocabulaire technique et critique de la philosophie von André Lalande und Louis Couturat, 1902 – 1923 erschienen, mit mehrsprachig angelegten Lemmata und einer universalsprachlichen Konzeption. Dieses bis heute berühmte und immer wieder nachgedruckte Gemeinschaftswerk internationaler Philosophie löste Euckens Appelle zu einem gemeinschaftlichen und internationalen terminologischen Großprojekt ein, die er 1872, 1888 und erneut 1896 lanciert hatte. Er selbst hat 45 Observations zu diesem Lexikon beigetragen.22 Luther; die Werke etwa Eckharts und Luthers waren kurz zuvor ediert bzw. in glossarähnlichen Kompendien erschlossen worden. – Kaum Beachtung findet hingegen die europäische Philosophie der Renaissance. 22  1898, 1900, 1902 nahm André Lalandes und Louis Couturats Vocabulaire technique et critique de la philosophie Gestalt an und erschien, zunächst in einzelnen Lieferungen, 1902 – 1923, dann 1926 als Lexikon in Buchform. Das Werk, flankiert von lebhaften Diskussionen über die Mehrsprachigkeit der Philosophie am Rande der zeitgenössischen philosophischen Kongresse, ist ein Meilenstein der philosophischen Lexikographie mit Anspruch auf Vollständigkeit, mit mehrsprachigen Lemmata und unter Mitwirkung internationaler Philosophen und Gelehrter. Eucken, auf dessen terminologiegeschichtliche Arbeit Lalande in einem 1900 erschienenen programmatischen Artikel explizit Bezug genommen hatte (vgl. André Lalande: »Sur la critique et la fixation du langage philosophique«, in: Bibliothèque du Con­g rès International de Philosophie, Bd. 1: Philosophie générale et métaphysique, Paris 1900, S. 257 – 280; hier: S. 258), hat seinerseits 45 kurze Bemerkungen zu diesem Werk beigetragen (darunter etliche zu schon in der Geschichte der philosophischen Terminologie besprochenen Termini), einem Unternehmen, mit dem auch sein Postulat, Begriffsgeschichte kollektiv zu betreiben, umgesetzt wurde, und zwar sogar, wie von ihm postuliert, in einem internationalen Verbund. In dem von Rainer A. Bast besorgten Verzeichnis der publizierten Schriften Rudolf Euckens (GW, Bd. 13, 2009, S. 187 – 190, Nr. 946) findet sich eine Liste aller Beiträge Euckens zu Lalandes Vocabulaire, bezogen auf dessen spätere zweibändige Ausgabe von 1926 und selbstverständlich auf die französische (bzw. lateinische) Terminologie. – Zu Lalandes universalsprachlicher Konzeption vgl. Stefan Lorenz: »André Lalande, Henri Bergson und die ›Fixation du langage philosophique‹«, in: AfB 38 (1995), S. 223 – 235. Zum institutionell-akademischen Kontext vgl. Giuseppe Bianco: »Le long et monotone chapelet de l’Esprit universel. Disciplinarisation et internationalisation dans les congrès de philosophie«, in: Revue de métaphysique et de morale 84/4 (2014), S. 483 – 497.

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Nicht zur Kenntnis genommen wurde Eucken in einer der meistbeachteten lexikographischen Großunternehmungen der jüngeren Vergangenheit, derjenigen von Barbara Cassin. Das von ihr edierte Vocabulaire européen des philosophies. Dictionnaire des intraduisibles (Paris 2004; amerikan. Bearbeitung 2014) hat sich, den von Eucken für die neueren Sprachen angemahnten sprachvergleichenden Schritt gewissermaßen überspringend, dem Phänomen, der Problematik und programmatisch postulierten Produktivität der Unübersetzbarkeit von philosophischen Termini gewidmet.23 Einen zweiten Knotenpunkt der Wirkungsgeschichte bildet die um 1900 entstehende Disziplin der Semantik, die Sprachkritik um 1900 und die Entwicklung von Universalsprachenprojekten.24 Hier wäre wohl zu Beginn ein weitgehend in Vergessenheit geratenes Werk zu nennen, nämlich Ferdinand Tönnies’ 1897 verfasste Schrift Philosophische Terminologie in Psychologisch-Soziologischer Ansicht. Die Schrift ist mittlerweile ediert worden, und derzeit wird Ferdinand Tönnies als Soziologe umfassend gewürdigt, nachdem ein Editionsprojekt seiner Schriften in Gang gesetzt worden ist.25 Tönnies war ein Gymnasialschüler Euckens, 23  Dieses ursprünglich französische, europäisch orientierte, radikal über­ setzungsskeptische Lexikon ist  – eine gewiss gewagte Volte  – nach zehn Jahren in einer angloamerikanischen Bearbeitung erschienen: Barbara Cassin, Emily Apter, Jacques Lezra u. Michael Wood (Hg.): Dictionary of Untranslatables. A Philosophical Lexicon, Princeton University Press 2014. Das vor allem im HWPh ersichtliche Bemühen um terminologiegeschichtliche Dokumentation in den alten Sprachen, im Deutschen, Englischen und den romanischen Sprachen wird hier programmatisch auf Aporien hin pointiert, um die translatologisch postulierte Unübersetzbarkeit ins Licht zu rücken. 24  Zum Konzept einer Universalsprache bei Leibniz vgl. S. 100, 108 f. 25  1897 geschrieben, engl. Übers. 1899: Philosophical Terminology (I-III). Welby Prize essay, übers. v. Mrs. B. Bosanquet, in: Mind, N. S. 8/9 [31 – 33] (1899/1900), S. 289 – 332, S. 467 – 491, S. 46 – 61. Vgl. auch ders.: »Terminologische Anstösse«, in: Zeitschrift für Hypnotismus (Journal für Psychologie und Neurologie), 10/3 (1900), S. 121 – 130; Philosophische Terminologie in Psychologisch-Soziologischer Ansicht, Leipzig 1906. Neuausgabe durch Rolf Fechner, München 2011; zuvor im Rahmen der Ferdinand Tönnies Gesamtausgabe (1998 ff.) erschienen. Vom neuen Interesse an Tönnies zeugt etwa ein auf Soziopolis publiziertes Dossier: Der unbekannte Klassiker. Zu Werk, Wirkung

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dessen Geschichte der philosophischen Terminologie Tönnies in seiner Schrift mehrfach lobend erwähnt. Tönnies’ Schrift war als Preisschrift eines von Lady Welby 1897 ausgelobten Preises ausgezeichnet worden. Sie erschien in englischer und deutscher Sprache 1899 bis 1906 in unterschiedlichen Ausgaben und Kurzfassungen. Ohne hier auf diese Schrift weiter eingehen zu können,26 ist an dieser Stelle zumindest festzuhalten, dass Tönnies in brieflichen Kontakt zu Lady Welby trat, die ja ihrerseits mit prominenten zeitgenössischen Philosophen wie Baldwin, Bréal, Peirce und Giovanni Vailati im Austausch stand. In dieses Milieu von Sprach- und Terminologiekritik sowie Bemühungen um eine unified terminology wurde Eucken marginal einbezogen. Im Kreis um Lady Welby bewegte sich auch André Lalande. Tönnies’ Schrift verpflichtet sich dem Universalsprachenprojekt und dem gleichzeitig entstehenden Lexikon von Lalande/Couturat. Sie wird in dem hier bereits angekündigten Materialienband (hg. v. Dathe/Schlüter) auszugsweise präsentiert werden. Wie aber wirkte  – drittens  – Euckens Entwurf einer Geschichte der philosophischen Terminologie und einer Theorie der Geschichte der philosophischen Terminologie in die allmählich sich formierende und später dauerhaft so genannte Begriffsgeschichte hinein? Für die Gründer des Historischen Wörterbuchs der Philosophie blieb Euckens philosophische Begriffsgeschichte eine historische Referenz und philologische Fundgrube, 27 aber aus vielen Gründen doch gewiss kein programmatischer Leit­ faden mehr. Letzteres galt auch für Koselleck 28 und die fürderhin und Wiederentdeckung von Ferdinand Tönnies (2021) [www.soziopolis.de/ dossier/der-unbekannte-klassiker.html]. – Eine Briefedition entsteht an der Universität Essen. 26  Vgl. Walter H. Schmitz: »Tönnies’ Zeichentheorie zwischen S ­ ignifik und Wiener Kreis«, in: Zeitschrift für Soziologie, Jg. 14, H. 5 (Okt. 1985), S. 373 – 385. 27  Als philologische Arbeit wurde das Buch in ähnlicher Weise als Steinbruch genutzt, wie Eucken das mit Carl von Prantls Geschichte der Logik im Abendlande gehalten hatte, allerdings hatte Eucken Prantl, soweit ersichtlich, stets zitiert, wenn er sich seiner Funde bediente. 28  Koselleck hat jedoch gelegentlich ausdrücklich die Pionierfunktion von Euckens Terminologiegeschichte hervorgehoben: »Jede Übersetzung

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begriffsgeschichtsprägenden Geschichtlichen Grundbegriffe und alles, was folgte, wie etwa die Arbeiten des Istituto per il Lessico Intellettuale Europeo e Storia delle Idee [ILIESI], als Pendant zum HWPh und zum Archiv für Begriffsgeschichte (AfB) schon 1969 angelaufen, erst recht für disziplinär anders gelagerte Unternehmungen wie das Historische Wörterbuch der Rhetorik (hg. v. Gert Ueding) und die Ästhetischen Grundbegriffe (hg. v. Barck, Fontius, Thierse et altri). Euckens Entwurf war auf die Geschichte der philosophischen Terminologie konzentriert und schien sich kaum für eine sozialgeschichtlich ambitionierte Begriffsgeschichte und ebenso wenig für inter- oder gar transdisziplinäre Transfers anzubieten. Auch war Euckens Arbeit stark philologisch geprägt und – trotz seiner expliziten Absage an die Fixierung auf Erstbelege (vgl. S. 205 f.) – an der positivistischen Bestandsaufnahme früher Begriffswortverwendungsfälle orientiert. Die Historizität der philosophischen Begrifflichkeit, deren Dynamik und Zeitlichkeit, hat Eucken freilich durchaus ans Licht gehoben, besonders im zweiten Teil seiner Geschichte der philosophischen Terminologie. Eine nach den Maßstäben neuerer Begriffshistoriker unterschiedlicher Couleur ausformulierte und in der Gründungsphase des HWPh noch anschlussfähige philosophische Theorie der philosophischen Begriffsgeschichte i. e. S. hat Eucken hingegen wohl nicht geliefert. Hans-Georg Gadamer hat 1971 befunden: »Die Rolle, welche wort- und begriffsgeschichtliche Untersuchungen im Felde der Philosophie spielen, wird im allgemeinen als eine untergeordnete angesehen. Man bewundert die Aufschlußkraft, die etwa in Rudolf Euckens 1879 erschienenen Studien [!] zur Geschichte der philosophischen Terminologie liegt, und hat in der gleichen Richtung inzwischen manches Neue und Gute getan, dessen Frucht wir in Joachim Ritters großem Unternehmen eines in die je eigene Gegenwart impliziert eine Begriffsgeschichte, deren methodische Unvermeidbarkeit schon Rudolf Eucken in seiner Geschichte der philosophischen Terminologie exemplarisch für alle Geistes- und Sozialwissenschaften nachgewiesen hat.« Reinhart Koselleck: Begriffsgeschichten. Studien zur Semantik und Pragmatik der politischen und sozialen Sprache, Frankfurt a. M. 2006, S. 10.

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Wörterbuchs der philosophischen Begriffe mit Spannung erwarten. Aber was so als ein Hilfsmittel historischer Forschung oder philosophischer Sachbesinnung unschätzbar ist, ist als solches noch nicht Philosophie.«29 Gadamer hatte damit Euckens philologisch ansetzende philosophische Begriffsgeschichte zur Hilfswissenschaft herabgestuft, was wohl spätestens seit den 1960er Jahren und seit Beginn der Institutionalisierung der Begriffsgeschichte common sense war. Immerhin hatte Gadamer Euckens Werk noch als eigenständigen Beitrag gewürdigt. Es war merkwürdigerweise nicht zuletzt Erich Rothacker, der Euckens Prestigeverlust im begriffsgeschichtlichen Milieu seit den 1950er Jahren besiegelt hat. Nach Rothackers nachdrücklicher Würdigung Euckens, im Übrigen recht drastisch auf Kosten Eislers, im Jahre 1927 scheint Eucken ihm in seinen Initiativen zur Begründung eines Wörterbuchs kulturphilosophischer Grundbegriffe Ende der 1920er Jahre und dann 1949 kaum noch, bei der Begründung des AfB 1951/55 überhaupt nicht mehr der Erwähnung wert gewesen zu sein; 1955 erwähnt er ihn in seinem Geleitwort zum ersten Band des Archivs für Begriffsgeschichte mit keinem Wort.30 Unverständlich ist das nicht nur, weil ja ganz offensichtlich das AfB umsetzt, was Eucken mehrfach explizit ge29  Hans-Georg Gadamer: »Die Begriffsgeschichte und die Sprache der Philosophie« (1971), in: ders.: Gesammelte Werke, Bd. 4, Tübingen 1987, S. 78 – 94, hier: S. 78. Möglicherweise hätte Eucken diese Einschätzung im Allgemeinen sogar gebilligt, wie aus der Einleitung zu seinem Werk hervorgeht: »Mag bei der Arbeit im Einzelnen bald das Positiv-Historische, bald das BegrifflichPhilosophische vorwiegen, für das Ganze schwebte uns als Ziel vor, beides gemeinsam festzuhalten und miteinander zu verknüpfen. Dadurch allein kann das Kleine, welches der Gegenstand unvermeidlich mit sich bringt, in Zusammenhang mit philosophisch bedeutsamen Problemen treten, dadurch allein wird es ermöglicht, an diesem Punkt verschiedene Interessen zu gegenseitiger Unterstützung zu vereinen. Würde die Behandlung der Terminologie zu einer bloßen Sammlung von Notizen und Kuriositäten herabsinken, so würden wir voran dagegen Verwahrung einlegen, dass eine solche Beschäftigung sich als philosophische Arbeit geltend mache. Nur unter der angegebenen Bedingung dürften Untersuchungen über Terminologie einige Berechtigung haben, sich in den Dienst der Philosophie zu stellen.« S. 15. 30  Erich Rothacker: »Geleitwort«, in: AfB 1 (1955), S. 5 – 9. Müller/Schmie­ der (2016), S. 857, zufolge hat er sich freilich 1956 in einem internen »Bericht

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fordert und mit seinem frühen Werk schon in vielem realisiert hatte. Unverständlich ist Rothackers Ausblenden der Gründerfigur Eucken zudem deswegen, weil Eucken sein Projekt einer kollektiv und kumulativ verfahrenden, in einer Zeitschrift umzusetzenden Begriffsgeschichte – er war hier ja durchaus schon präziser und sprach von Terminologiegeschichte – mit dem geplanten Zeitschriftentitel Archiv für Terminologie (archive for terminology) verbunden hatte.31 Nach der Marginalisierung und tendenziellen Geringschätzung von Euckens begriffsgeschichtlichem Werk und überraschenden Ausblendungen wie der seitens Rothackers erfuhr dieses Werk jedoch sporadisch auch in der zweiten Hälfte des 20. Jh.s noch Zuspruch, freilich von einer Seite, die ihrerseits nachhaltig ignoriert worden ist. Wenn man die Entstehung der Begriffsgeschichte und deren Institutionalisierung in groß dimensionierten Unternehmungen um die Mitte des 20. Jh.s Revue passieren lässt, dann figuriert Adorno mit seinen 1962 gehaltenen und 1983 erstmals publizierten Vorlesungen zur Philosophischen Terminologie meist allenfalls am Rande.32 Dieser Marginalisierung hat Christoph Kann mit seiner 2020 erschienenen Monographie über die Sprache der Philosophie entgegengewirkt, in über die Arbeiten zur Begriffsgeschichte« vor der Mainzer Akademie u.a. auf Eucken berufen. 31  Vgl. Eucken: »Zur philosophischen Terminologie. Ein Vorschlag und eine Aufforderung«, a. a. O., S. 312: »Darum möchten wir […] an die Kreise der Forscher die Bitte richten, terminologische Entdeckungen von allgemeinerem Interesse im Archiv zur Mittheilung zu bringen […].« Gemeint ist hier die Zeitschrift, in der der Appell erscheint. In seinem 1896 in Mind erschienenen Beitrag »Philosophical Terminology and Its History. Expository and Appellatory«, a. a. O., S. 514, heißt es: »Such a body [some learned body, academy, or university] should undertake the compilation of a large thesaurus of terms, on which, in view of the prodigious mass of materials and their vast ramifications, innumerable scholars should be set to work. An archive for terminology would have to prepare the way for and support this undertaking.« 32 Das gilt selbst für das Standardwerk von Ernst Müller und Falko Schmieder. Vgl. Theodor W. Adorno: Philosophische Terminologie I und II, hg. v. Henri Lonitz, in 1 Bd., Berlin 2016 (Adorno: Nachgelassene Schriften, hg. v. Theodor W. Adorno Archiv, Abtlg. IV, Bd. 9).

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der Adornos Philosophische Terminologie eingehend gewürdigt wird.33 Adorno hatte seinerseits nachdrücklich auf die Vorgängerschaft Euckens hingewiesen, 34 und Kann schließt sich dem Rekurs auf Eucken an vielen Stellen seiner Arbeit an. Historisch gewürdigt haben Euckens Beitrag zur Formierung der Begriffsgeschichte Lutz Geldsetzer 1968, der auch die Wurzeln der Begriffsgeschichte in der Philosophiegeschichtsschreibung seit dem ausgehenden 18. Jh. und etliche Ansätze zu einer Begriffsgeschichte vor Eucken dargelegt hat, 35 Helmut Günter Meier in seinem Artikel über die Begriffsgeschichte im ersten Band des HWPh 1971 und aktuell, wie mehrfach erwähnt, Ernst Müller und Falko Schmieder in ihrem Standardwerk sowie zuletzt Christoph Kann. Eine kurze Bilanz mit Blick auf das Jahrhundert, das seit ­Euckens Tod im Jahr 1926 vergangen ist, muss sich auf die Philo­ sophie im engeren Sinne beschränken.36 Vieles von dem, was ­Eucken postuliert hatte, war schon um 1900 eingelöst worden, vor allem im international prosperierenden lexikographischen 33 Christoph Kann: Die Sprache der Philosophie, Freiburg/München 2020. Die Arbeit enthält auch einen längeren begriffsgeschichtlichen Exkurs zum Terminus Terminologie, ebd., S. 33 – 36. 34 Adorno: Philosophische Terminologie I, a. a. O., S. 46 f. Nur unter marginalen Aspekten hat er Eucken auch kritisiert, vor allem wegen dessen angeblich geringer Wertschätzung der begrifflich-terminologischen Leistungen der Scholastik, vgl. ebd., S. 47. Dieser Kritikpunkt ist unzutreffend, vgl. bes. S. 88 f., 96 ff., sowie den Kommentar von Hanns Christof Brennecke im vorliegenden Band. Max Horkheimer hatte sich schon 1923 mit Eucken befasst, vgl. Bibliographie. 35  Lutz Geldsetzer: Die Philosophie der Philosophiegeschichte im 19. Jahrhundert. Zur Wissenschaftstheorie der Philosophiegeschichtsschreibung und -betrachtung, Meisenheim am Glan 1968, S. 169 – 172. 36 In Euckens Geschichte hatten die Naturwissenschaften eine eher marginale Rolle gespielt, jedoch war ihr Einfluss auf die philosophische Begriffsbildung klar benannt worden. In der – besonders auch italienischen  – philosophischen Lexikographie des ausgehenden 19. Jh.s spielten naturwissenschaftliche und medizinische Begriffe eine nicht unerhebliche Rolle. Bei der Formierung der Begriffsgeschichte Mitte des 20. Jh.s traten sie zunächst in ihrer begriffs-/terminologieprägenden Rolle zurück, gegenwärtig sind sie in der begriffsgeschichtlichen Forschung in den Fokus gerückt worden.

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Bereich. Als konzeptioneller Entwurf einer Begriffsgeschichte hatte die Geschichte der philosophischen Terminologie hingegen wenig Anerkennung bzw. kaum Nachfolger gefunden.37 Seit Beginn der Konstituierung der Disziplin der Begriffsgeschichte und seit der Blütezeit der begriffsgeschichtlichen Großunternehmungen ab Mitte des 20. Jh.s ist Euckens Ruf als eines Pioniers der Begriffsgeschichte noch weiter verblasst. Einige mutmaßliche Gründe dafür mag man in seiner eher beiläufig daherkommenden theoretischen Ambition, seiner Beschränkung auf die Philosophiegeschichte und der nicht ohne Weiteres ersichtlichen interdisziplinären Anschlussfähigkeit seiner Geschichte der philosophischen Terminologie sehen. Hinzu kommt die Hybridität des Werkes, das in eins philosophische Geschichtsschreibung, Theorieskizze und Wörterbuch ist, eine Hybridität, die sich im Kontext und der Wirkungsgeschichte als kompetitiver Nachteil erwiesen hat. Im Übrigen ist, das von Koselleck geprägte Paradigma der Begriffsgeschichte betreffend, zu vermuten, dass auch das zeittypisch geringe Interesse des jungen Eucken an der Aufklärung als solcher38 der Fortüne seines Werkes seit der zweiten Hälfte des 20. Jh.s im Wege stand, leitete diese doch einen geradezu unerhörten Aufschwung der Aufklärungsforschung ein, der bis heute andauert. Auch lag ein historiographisches Konstrukt wie das der seit Koselleck  – und a fortiori seit ihrer neuerdings postulierten Ver37  Eucken liefert keine Theorie der Begriffsgeschichte (im Sinne der Disziplin der Begriffsgeschichtsschreibung, die sich ja erst mit und nach Eucken als Disziplin herausbildete und etablierte), sondern (Ansätze) eine(r) Theorie der Geschichte (im Sinne von geschichtlicher Entwicklung) der Terminologien. Seine Theorie der geschichtlichen Entwicklung der Terminologien impliziert zwar die Notwendigkeit terminologischer Fixierung, formiert sich aber vor-disziplinär weitgehend vor-terminologisch. 38  Vgl. insbesondere S. 136 f. Eucken hat sich allerdings verdient gemacht um die begriffsgeschichtliche Rekonstruktion des Wolffianismus, der Psychologie und Anthropologie der Aufklärung, vor allem aber der Sprache Kants. Und er hat betont, die Aufklärung habe nach ›klaren Begriffen‹ gestrebt (vgl. Eucken: GG, in: GW, Bd. 4, S. 190). Die Ansätze zu einer Begriffsgeschichte, die sich im 18. Jh. finden, hat er freilich ignoriert (zu diesen vgl. Geldsetzer, Meier, Ricken, Müller/Schmieder u. a.).

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schiebbarkeit um ein halbes Jahrhundert – höchst erfolgreichen so genannten Sattelzeit außerhalb von Euckens geschichtlichem Horizont. Deren – zwangsläufig grob bemessene – Gleichzeitigkeit mit den von Eucken ausführlich gewürdigten terminologischen Reformen Kants und der von Kant bewirkten Zäsur der Sprache der Philosophie ist allenfalls in den großformatigen Theo­rienarrativen Koselleck’scher Observanz darstellbar, im vorliegenden Zusammenhang aber als unspezifisch auszuklammern. C. Euckens Konzeption der Terminologiegeschichte und ­philologisch-historiographische Praxis Der Titel der Geschichte der philosophischen Terminologie im Umriss kündigt bereits an, dass Eucken eine Skizze und keinen ausgearbeiteten Parcours durch die Philosophiegeschichte vorlegt. In der Titelformulierung klingen Trendelenburgs Vorträge Zur Geschichte philosophischer Termini nach.39 Im Index von 39  »Wenn wir aus den diese allgemeine Bewegung führenden Männern eine einzelne Persönlichkeit herausheben sollten, so kann es kein anderer sein als Trendelenburg. Mag derselbe die Geschichte der Terminologie nirgends zusammenschließend behandelt haben, an wichtigen Punkten hat er ihre Bedeutung vollauf zur Geltung gebracht und in seiner umsichtigen und eindringenden Behandlung des Einzelnen ein Muster der einzuschlagenden Methode gegeben.« S. 13. Vgl. insbesondere Friedrich Adolf Trendelenburg: Zur Geschichte philosophischer Termini, drei Vorträge, gehalten 1870/71 in der Königlich-Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Die Vorträge befassen sich mit der Geschichte der Termini a priori, moralische Gewissheit, Person. Eucken hebt in seiner Geschichte […] Trendelenburgs Leistung in der Begriffsgeschichte der antiken Philosophie hervor (ebd.). Mit Blick auf die neuere Philosophie bemerkt Eucken wie Trendelenburg, dass man den Begriff der moralischen Gewissheit gemeinhin in Unkenntnis der Begriffsgeschichte missverstehe (moralisch traditionell im Sinne von geistig, vgl. S. 265). Trendelenburgs Ausführungen über die Geschichte von Person hat Eucken später ediert/kommentiert, vgl. Trendelenburg: »Zur Geschichte des Wortes Person.« Nachgelassene Abhandlung von Adolf Trendelenburg, eingeführt von Rudolf Eucken, in: Kant-Studien 13 (1908), S. 1 – 17. – Zur Geschichte des Terminus Begriffsgeschichte vgl. Helmut G. Meier: Art. »Begriffsgeschichte«, in: HWPh, Bd. 1, hier: Sp. 788; neuere und frühere

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­ uckens Werk findet sich kein Eintrag zum Terminus TerminoE logie und auch keiner zu Terminus (außer zu dessen logischer Bedeutung) oder terminus technicus (Eucken spricht im Übrigen stattdessen von terminus technologicus).40 Er knüpft also nicht explizit an eine der in den einschlägigen Artikeln im HWPh genannten terminologiegeschichtlichen Filiationen von Terminus und Terminologie an.41 Die hoch frequente Verwendung der Ausdrücke Terminologie und Terminus in seiner Geschichte erscheint relativ homogen: Für Eucken ist ein Terminus ein evtl. durch Definition in seinem begrifflichen Inhalt festgelegtes, von mehreren Philosophen bzw. Sprechern verwendetes (vgl. S. 228 f.), in den allgemeinen Sprachgebrauch aufgenommenes, durch Tradition eingebürgertes Fachwort zur Bezeichnung eines Begriffs. Eucken verwendet recht häufig das Wort technisch, um die Terminologisierung in der Sprache der Philosophie zu markieren. Die technische Verwendung eines Begriffswortes ergibt einen Terminus, einen terminus technologicus. Der Terminus Begriff figuriert im Index, denn Eucken liefert einige aufschlussreiche wortgeschichtliche Hinweise zur Entstehung des deutschen Nomens Begriff als Grundlage der später erfolgten Terminologisierung, vor allem aus der deutschen Mystik. Er verzichtet darauf, den von ihm verwendeten Terminus Begriff zu definieren oder explizit an eine zeitgenössische Verwendungsweise anzubinden.42 Im Übergang vom Begriff zum Terminus finBegriffsbelege (vor Eduard Gans/Hegel) bei Müller/Schmieder (2016), S. 44 (Christian Daniel Beck). 40  S. 158. Terminus technologicus schon bei B. Keckermann 1600, vgl. Eva Sietzen: Art. »Terminus«, in: HWPh, Bd. 10, Sp. 1013 – 1020. 41  Ernst W. Orth: Art. »Terminologie«, in: HWPh, Bd. 10, Sp. 1009 – 1012, hier: Sp. 2009, demzufolge ist der Terminus schon 1726 bei Walch belegt. Euckens Verwendung des Terminus Terminologie sei dann klassisch geworden. Zu Terminologie vgl. auch Jakob Barion: Philosophie. Einführung in ihre Terminologie und ihre Hauptprobleme, Bonn 21982 (1977), S. 13 – 17, sowie Christoph Kann: Die Sprache der Philosophie, S. 33 – 36. 42  In Philosophical Terminology (1896), findet sich history of ideas für Geschichte der Begriffe (»[…] the history of terms is coincident neither with that of ideas nor with that of words.« A. a. O., S. 498. – Zum deutschen Wort Begriff vgl. etwa Müller/Schmieder (2016), S. 33 f.

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den sich bei Eucken folgende Ausdrücke: Ausdrücke, gesteigert zu streng technische[n] Ausdrücke[n], Begriffswort, Kunstwort für Terminus und Kunstsprache für Terminologie (das war geläufig), dann auch, wie üblich, Schulbegriffe mit Blick auf die Scholastik. Eucken ist etwa von Gunter Scholtz im eingangs zitierten Beitrag mangelnde terminologische Präzision angelastet worden, Müller/Schmieder hingegen konstatieren, Eucken operiere »durchaus mit scharfen begrifflichen Unterscheidungen (Wort, Terminus, Begriff)«.43 Terminologie bezeichnet in Euckens Geschichte ein wissenschaftlich-technisches Vokabular zur Bezeichnung von Begriffen und nicht eine Disziplin oder Lehre. Neben der hauptthematischen philosophischen Terminologie verweist er am Rande auf andere Terminologien, die der Grammatik, der Rhetorik, der Naturwissenschaften, der Psychologie etc. So wie Eucken fortlaufend von Begriffssystem[en] spricht, spricht er gelegentlich auch von einem System der Terminologie (S. 22, S. 152). Verschiebungen innerhalb von Begriffssystemen44 haben ihm zufolge Verschiebungen innerhalb von Terminologien zur Folge (vgl. S. 200), doch können auch wie auch immer verursachte terminologische Umschichtungen Begriffssysteme in Bewegung bringen45 – ganz abgesehen von den terminologischen Transfers zwischen den 43 

Müller/Schmieder (2020), S. 180. Terminus verwendet Eucken mehrfach, auch schon mit Blick auf die griechische Antike, vgl. u. a. S. 27, S. 56 (»die technische Ausbildung eines eigentlichen Begriffssystemes«), S. 62, S. 70, S. 81, S. 84 u. ö., freilich ohne zu erklären, was er darunter versteht. Das Konzept findet sich auch, und zwar bei diesem durchaus gehaltvoll, bei Gustav Teichmüller, vgl. Gabriel: »Die Bedeutung von Begriffsgeschichte und Metaphorologie«, a. a. O., S. 23 ff. – Michael Erler betont in seinem Kommentar zum Teil Griechentum, dass es irrig sei, mit Blick auf die griechische Philosophie und Terminologie von System in einem modernen Sinne zu sprechen. Eucken schreibt schon Demokrit Ansätze zu einem Terminologiesystem zu (S. 22). 45  »Auch da kann man von einer Geschichte der Termini sprechen, wo bei Beharren des Ausdrucks eine Verschiebung der Begriffe stattfindet, und zwar eine derartige Verschiebung, dass die spätern Phasen in innerm Zusammenhang mit den frühern stehen. Eine solche Geschichte der Termini ist wesentlich verschieden von der Geschichte der Begriffe, ihre Eigentümlichkeit mag wenigstens einige Beachtung verdienen« (S. 234). 44  Diesen

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unterschiedlichen Sprachen. Wer Euckens Geschichte der philosophischen Terminologie als Beitrag zur Philosophie im engeren Sinne lesen will, wird sich vor allem mit der Klärung des wie selbstverständlich vorausgesetzten und gewissermaßen vor-terminologisch verwendeten Ausdrucks Begriffssystem auseinandersetzen und dann auch die Frage nach der Bedeutung von Terminologiesystem und Euckens Verständnis der Relation zwischen beiden Systemen beantworten müssen. Zu allgemeinen Betrachtungen schreitet Eucken im zweiten und letzten, dem theoretisch wichtigeren Teil seines Werkes (II. Erörterungen zur Geschichte der Terminologie/einzelner Termini), nachdem er im ersten Teil die Geschichte der philosophischen Terminologie im Sinne einer »zusammenhängende[n] Darlegung der geschichtlichen Entwicklung des philosophischen Ausdrucks« (S. 12) seit der griechischen und römischen Antike, bei den Kirchenvätern, im Mittelalter, in Humanismus und Reformationszeit, in der Frühen Neuzeit und Aufklärung und bis hin zu Hegel und Schopenhauer durchmessen hat (I. Gesamt­ geschichte der philosophischen Terminologie). In seinem Vorwort und den daran anschließenden Vorbemerkungen umreißt Eucken sein Vorhaben: Ursprünglich habe er eine »Gesamtgeschichte der philosophischen Grundbegriffe« schreiben wollen, »im Dienst von Forschungen zur systematischen Philosophie«, 46 und aus diesem weit gefassten und ambitionierten Projekt, das er »nicht so bald der Öffentlichkeit übergeben« werde, sei, »als Nebenschößling«, die vorliegende Arbeit »herausgewachsen« (S. 3). Dies scheint zunächst einmal nahezulegen, dass Eucken selbst von der von Gadamer ausgesprochenen Sekundärfunktion der Terminologiegeschichte innerhalb der Philosophie bzw. Philosophiegeschichte ausging. Es gebe, so Eucken, Gründe dafür, dass er die Gesamtgeschichte der philosophischen Grundbegriffe nicht ohne Weiteres werde fertigstellen können (diese Gründe präzisiert er nicht), doch »die dafür ent46  Euckens Konzeption von Philosophie verbindet sich in dieser Phase, im vorliegenden Text und vor seinem späteren Neuidealismus, substantiell mit dem Systembegriff. Es ist hier nicht der Ort, dies zu vertiefen.

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scheidenden Gründe treffen für die Geschichte der Terminologie nicht zu« (ebd.).47 Die Unterscheidung zwischen einer Geschichte der Begriffe und einer Geschichte der Terminologie wird er konsequent beibehalten.48 Es lässt sich nicht bestreiten, dass fast jede auf einen einzelnen Begriff bezogene, philologisch verfahrende begriffs-, korrekter: terminologiegeschichtliche Sondierung faktisch mit einem zumindest vorläufig als solcher geltenden Erstbeleg einsetzt. Eucken konstatiert denn auch: »Gelegentliche Äußerungen über das erste Auftreten eines Begriffswortes finden sich von Alters her« (S. 11 f.). Und doch begründet er mit starken Argumenten, warum die primäre und prioritäre Suche nach der buchstäblich 47  In seinem Rückblick auf die Geschichte der philosophischen Terminologie in seinen Lebenserinnerungen teilt Eucken mit, er habe seine Vorarbeiten zu der nie realisierten Gesamtgeschichte der philosophischen Grundbegriffe vernichtet (vgl. GW 11, S. 69). Da im Nachlass in Jena sehr viel handschriftliches Material zur Geschichte der philosophischen Terminologie erhalten ist, muss Eucken wohl eine klare Grenze zwischen seiner Geschichte der philosophischen Grundbegriffe und seiner Geschichte der philosophischen Terminologie gezogen haben. 48  Er habe, so schreibt er 1879 weiter, »schon vor mehr als 6 Jahren in den philosophischen Monatsheften dem Wunsch Ausdruck gegeben, eine gelehrte Gesellschaft möge die Herstellung eines Wörterbuches der philosophischen Terminologie in Angriff nehmen« (S. 4) – damit bezieht er sich auf seine noch heute zitierte Aufforderung zur Begründung eines Lexicons der philosophischen Terminologie –, doch sei dieser Aufruf bislang ohne Resonanz geblieben. In dieser Situation – seiner noch nicht abgeschlossenen Geschichte der philosophischen Grundbegriffe, seines erfolglosen Aufrufs zu einem kollektiv zu erarbeitenden und institutionalisierten Wörterbuch der philosophischen Terminologie  – mache er sich nun, ohne den Anspruch, eine genuine Philosophiegeschichte vorzulegen, und im Übrigen allein, daran, »zunächst überhaupt einen Anfang zu machen, einige Umrisse festzustellen und die Sache womöglich so weit zu führen, dass weitere Arbeiten hier Anknüpfung und Unterstützung finden möchten«. Ebd. Sehen wir einmal von der Wirkungsgeschichte von Euckens terminologiegeschichtlichem Programm ab: Viele Einzelerträge seiner Sondierungen sind, wie gesagt, faktisch in das HWPh und das AfB eingeflossen, und außerdem sind schon seit dem ausgehenden 19. Jh. etliche Monographien zu einzelnen Termini oder Begriffswörtern entstanden, die man durchaus als Einlösung dieses Euckenschen Desiderats auffassen kann. Seine Arbeit hat ganz offenkundig viele einschlägige terminologiegeschichtliche Forschungen angeregt.

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ersten Verwendung eines Wortes in terminologischer Bedeutung ein untauglicher Ansatz sei (vgl. S. 206 f.). Seine Funde und Belege entnimmt er den kanonischen Werken der Philosophie von der Antike bis in seine Gegenwart, sodann den Glossaren zu einzelnen Autoren und Texten, den gelehrten Kompendien und Lexika vom 17. bis ins 19. Jahrhundert sowie im Einzelnen vor allem Carl von Prantls Geschichte der Logik im Abendlande, aber auch Bonitz’ Index Aristotelicus und Zellers griechischer Philosophiegeschichte 49. Einzelne Termini sind dicht belegt und historisch breit ausgearbeitet, Anderes erscheint eklektisch und episodisch, vieles hat sich als wegweisende Trouvaille erwiesen. Eine Überprüfung von Euckens Belegmate­ rial zeigt, wie sorgfältig er unter aus heutiger Sicht anspruchsvollen Bedingungen gearbeitet hat; Werkstattgeheimnisse und Finderglück haben damals in der begriffsgeschichtlichen Arbeit noch eine erhebliche Rolle gespielt. Nach den großen historischen terminologischen Formationen – Platon, Platonismus, Neuplatonismus, vor allem Aristoteles und der Aristotelismus, sehr prägend auch die Stoa, dann die allmähliche Umgestaltung der antiken Begrifflichkeit durch das Christentum, 50 Augustinus, Thomas und die Scholastik – veranschaulicht Eucken in dem Kapitel über die deutsche Terminologie im ersten Teil die große sprachschöpferische Kraft älterer deutscher Denker wie Meister Eckhart, Paracelsus, Nikolaus von Kues, Jakob Böhme, Luther, und hier zeigt sich sein Gespür für das erhebliche begriffliche Potential subtilen Sprachgebrauchs, wie es im Vokabular der Mystiker überliefert ist, zugleich aber auch seine Vorsicht und Zurückhaltung im Ausbuchstabieren vorterminologischer Vokabulare als Terminologien in nuce. Vorsicht und Diskretion bestimmen auch seinen Umgang mit ge49  Zu Zellers Werk vgl. Gerald Hartung (Hg.): Eduard Zeller. Philosophieund Wissenschaftsgeschichte im 19. Jahrhundert, Berlin 2010. 50  Als ein Charakteristikum der Sprache der christlichen Kirche hält Eucken fest, »dass fast die ganze Terminologie der christlichen Kirche aus Wörtern besteht, welche früher in einer allgemeineren Bedeutung gebraucht wurden«. Damit rekurriert er auf eine Feststellung von John Stuart Mill. Vgl. S. 56 f.

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schichtlichen Rekurrenzen bestimmter Ausdrücke wie a priori 51 und a posteriori: Er unterscheidet, wo man versucht sein könnte, begriffliche Übereinstimmungen zu suggerieren oder gar zu erzwingen, Anachronismen sucht er zu vermeiden. Viele grundlegende methodologische Fragen formuliert er am Rande, stets bereit, ein Problem offen zu lassen. Im Kapitel über die Neuzeit richtet sich sein Blick auf die Philosophie in den großen europäischen Sprachen und bei den kanonischen europäischen Philosophen dieses Zeitraums. Als terminologisch prägend präsentiert er Descartes, Leibniz, dessen von Eucken übergangene Dreisprachigkeit von erheblichem Interesse für eine vergleichende europäische philosophische Terminologie ist, dann Wolff, der die lateinische in eine systematische deutsche Terminologie überführt, 52 und schließlich Kant. Die anderen großen Namen bis hin zu Hegel finden gleichermaßen Berücksichtigung, aber eine vollständige Neugestaltung der Terminologie schreibt er nur den zuvor Genannten zu.53 Den Kontext seiner philosophiehistorischen Sondierungen zur Terminologie bilden die »Terminologie[n] der einzelnen Wissenschaften« (S. 194). Eucken hebt die Prägung einer grammatischen Terminologie durch die Stoa, einer rhetorischen Terminologie durch die Römer, einer bereichsspezifisch gegliederten naturwissenschaftlichen Terminologie in der Frühen Neuzeit und einer psychologischen Terminologie, verstärkt im 18. Jahrhundert, hervor; Letzterer schenkt er, eingedenk der zentralen Bedeutung der Psychologie für die Philosophie seiner Zeit, in seinen Rekonstruktionen besonders viel Aufmerksamkeit. Die Leitwissenschaft ist aber die Philosophie, die Leittermino51 

Vgl. Trendelenburg. S. 161 ff. Vgl. dazu Wolfgang Walter Menzel: Vernakuläre Wissenschaft. Christian Wolffs Bedeutung für die Herausbildung und Durchsetzung des Deutschen als Wissenschaftssprache, Tübingen 1996. 53  Hervorzuheben ist an dieser Stelle, dass Eucken auch die Reflexionen der großen – vor allem der englischen – Philosophen (Hobbes, Locke, John Stuart Mill, Whewell) über die Sprachlichkeit und Begrifflichkeit von Philosophie und über ihre je eigene terminologische Situierung innerhalb der Tradition ausdrücklich einbezieht. 52 

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logie die philosophische; Eucken befindet gar, jeder Terminus sei »wie ein Apostel philosophischen Denkens« (S. 270). Innerhalb der Philosophie konzentrieren sich seine Recherchen auf Metaphysik, Erkenntnistheorie und Logik; die terminologische Ausgestaltung der Praktischen Philosophie habe erst spät eingesetzt (S. 138). In seinen Ausführungen zu Kant hebt er hervor, wie sehr sich das Vokabular der Praktischen Philosophie schließlich durch Kant angereichert habe (S. 182 f.). Im zweiten Teil skizziert Eucken Aspekte einer Theorie der Geschichte der Terminologie. Dort trägt er eine ganze Reihe von subtilen Beobachtungen am sprachlich-terminologischen Wandel und an der Persistenz und Anfälligkeit philosophischer Terminologien vor, auch die Pragmatik von Terminologieverwendungen und -verschiebungen betreffend.54 Er liest die Quellentexte mit philologischer Gründlichkeit, sprachlicher Sensibilität und einem ausgeprägten Sinn für semantische Nuancen. Viele seiner Beobachtungen lassen sich sprachwissenschaftlich und semantisch heute gewiss genauer fassen, die Breite und Triftigkeit der meisten seiner Beobachtungen an der Sprache der Philosophie bleiben aber von diesem Mangel an linguistisch-semantischer Prägnanz letztlich unberührt. Freilich rächt sich in den schwungvollen letzten Teilen seiner Arbeit sein Verzicht auf eine Offenlegung seines Verständnisses des Terminus des Begriffs. Ein Terminus, der sich, um Euckens Metaphorik zu verwenden, emporgekämpft hat, die Terminologie, die zur Dominanz gelangt ist, sie sind nicht nur dem sprachlichen Wandel ausgesetzt, sondern sie gehen unter, wenn der Begriff bzw. die Begriffe sich wandeln. Im Rahmen solcher Szenarien sieht Eucken sein Projekt einer Geschichte der Termini in Verlegenheiten grundsätzlicher Art geraten (vgl. S. 232 ff.). 54  Euckens Begriffspragmatik, seine Untersuchungen über die Arten terminologischer Wortverwendungen erscheinen auch aus heutiger Sicht erhellend und ertragreich, nicht zuletzt deswegen, weil Eucken mit besonderem Interesse Diskontinuitäten und Ambivalenzen in den Blick nimmt. Zur Begriffspragmatik in der begriffsgeschichtlichen Arbeit vgl. zuletzt Müller/ Schmieder (2020), S. 140 – 157, Kap. 9: »Praxis der Begriffsgeschichte  – Recherche, Interpretation, Darstellung«.

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Im zweiten Teil seiner Arbeit scheint sich Eucken hier und da zwischen Entwicklungen innerhalb der Wortgeschichte, Terminologiegeschichte und Begriffsgeschichte zu verzetteln. Ihm zufolge persistieren Wörter als Ausdruck von in Fluss geratenen Begriffen häufig, sie verlieren aber ihre feste terminologische Bedeutung, neue Begriffe entstehen, für die neue Termini fehlen und die oftmals weiterhin von veralteten Termini bezeichnet werden, es erweist sich als schwierig, »das Neue in einem prägnanten Terminus zu befestigen« (S. 152), Termini wandern von einer philosophischen Disziplin in eine andere ein. Aus terminologischen Krisen, in denen im Übrigen innovative Metaphern emporschießen, aus solchen terminologischen Gemengelagen resultiert der von Eucken erwähnte (vgl. S. 228 u. passim), prominent zwischen Mendelssohn und Kant ausgetragene Streit darüber, ob philosophische Gegensätze auf bloße Wortstreitereien zurückzuführen seien, was Kant bestreitet. Euckens besondere Aufmerksamkeit gilt den absinkenden Termini als Folge des ›Verschwimmens‹ der Begriffe: »Fortwährend findet dadurch ein Sinken der Termini statt, dass die Begriffe, je mehr sie sich durch bloße Übertragung erhalten, desto mehr verdunkelt werden. Weder werden die einzelnen Bestandteile deutlich vorgestellt noch die verlangte Synthese kräftig vollzogen; so verschwimmt der Begriff immer mehr und der Terminus verliert seine präzise Bedeutung« (S. 234 f.). Auf den letzten Seiten des Buches, am Ende seiner allgemeinen Überlegungen zu Faktoren und Prinzipien terminologiegeschichtlicher Entwicklung, lässt Eucken sich von der geradezu vitalistisch beseelten Vorstellung eines pulsierenden geistigen Lebens davontragen, das die gesamte historische Entwicklung in jeder ihrer Phasen präge. Zwar verwendet er das einschlägige zeitgenössische Vokabular nicht, verzichtet auf die Wörter Weltanschauung und Zeitgeist. Aber er bettet doch abschließend seine Geschichte der Entfaltung sowie der Wachstumsstörungen und Sklerosen des philosophischen Vokabulars ein in seine später neuidealistisch ausgearbeitete Vision einer dramatisch bewegten Geistesgeschichte.

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D. Zeittypisches und Wegweisendes Euckens Begriffsgeschichte ist, wie Müller und Schmieder von einem breiteren Kontext her plausibel gemacht haben, Ausdruck der Krise der deutschen Geschichtsphilosophie nach Hegel.55 Jenseits der geschwundenen (post-)hegelianischen geschichtsphilosophischen Horizonte hat Eucken eine kohärente und panoramatische philosophische ›Begriffs‹-›Geschichte‹ à travers le temps vorgelegt. Der junge Eucken stellt beeindruckende philosophiegeschichtliche Expertise und historiographisches Talent unter Beweis, und er zeigt sich als ein als Meister terminologiegeschichtlichen Emplotments:56 Begriffe und Termini sind Akteure in einem in der griechischen Antike einsetzenden geschichtlichen Geschehen von, diesen Eindruck hat der Leser hier und da, epischen Ausmaßen. Und wie im Epos ist auch diese Geschichte eine von Kriegen und Kämpfen. Die Vorstellung von semantischen Kämpfen ist in der neueren Begriffsgeschichte geläufig.57 Bei Eucken kam hier, freilich eher beiläufig, die Evolutionstheorie mit ihrem Theorem des survival of the fittest ins Spiel.58 Selbst wenn er später dem Darwi55  Müller/Schmieder: »L’eredità della filosofia della storia nella storia dei concetti, a partire di Rudolf Eucken e Joachim Ritter«, in: Dianoia. Rivista di filosofia 20 (Juli 2015), S. 201 – 226, hier: S. 207 – 214. Vgl. explizit zum Kontext Geschichtsphilosophie S. 267. 56  »Jede Begriffsgeschichte ist zu einer Narration gezwungen. Eine bloße Aneinanderreihung von Belegen ist keine Begriffsgeschichte. […] Die synthetische Leistung der Begriffsgeschichte, die diachrone Narration, trägt notwendig konstruktivistische Züge.« Müller/Schmieder (2020), S. 154. 57  Christof Dipper: »Reinhart Kosellecks Konzept ›Semantischer Kämpfe‹«, in: Forum Interdisziplinäre Begriffsgeschichte [FIB], 5. Jg./2 (2016), 32 – 41 (online). 58  »Je härter die Theorien auf einzelnen Gebieten zusammentreffen, je weniger für sie nebeneinander Platz ist, desto unerbittlicher wird auch der Kampf der Begriffe werden. Nun entscheidet freilich das Geschick des Begriffes noch keineswegs über das des Ausdrucks, namentlich wird derselbe dann die Katastrophe jenes überdauern, wenn er im allgemeinen Gebrauch ein sicheres Dasein führt, aber innerhalb der Wissenschaft wird er immerhin in eine Krise gebracht, er muss sich einem neuen Begriffe anschließen oder, wenigstens vorläufig, von dort verschwinden.« S. 263 f. Die neuere For-

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nismus kritisch gegenübergestanden hat: In seiner Geschichte der philosophischen Terminologie rekurriert Eucken auf die Evolutionstheorie, die im späten 19. Jh. bis in die entlegensten Regionen auch der später sog. geisteswissenschaftlichen Theoriebildung vorgedrungen war und in seinem Jenenser Umfeld vor allem durch Haeckel und Schleicher repräsentiert wurde. Eucken hielt offenbar das agonale Modell der Evolutionstheorie auch im Rahmen seiner Terminologiegeschichtsschreibung für anwendbar, und eine seiner Terminologiegeschichte affine Wissenschaft wie die Sprachwissenschaft war evolutionstheoretisch gefärbt, die Analogie zwischen Biologie und Sprache ohnehin geläufig.59 schung hat sich mehrfach mit dieser theoriegeschichtlichen Figur vor und um 1900 auseinandergesetzt, vgl. u.a. Gerald Hartung: »Darwin und die Philosophen. Eine Studie zur Darwin-Rezeption im 19. Jahrhundert«, in: Dialektik. Zeitschrift für Kulturphilosophie 2 (2003), S. 171 – 191, sowie Falko Schmieder: »Die Entstehungsphase des Konzepts survival of the fittest«, in: FIB 3 (2014/1) (online). 59  »[…] sie [die immer neu einsetzende geistige Arbeit] schafft mit neuen Auffassungen neue Begriffe, so dass endlich die Termini einem erheblich veränderten Inhalt gegenüberstehen. Ihre Existenz kommt dadurch in ernstliche Gefahr. Werden sie vom Begriff verlassen, so sind sie vom Untergang bedroht; es gilt also, sich also umzuwandeln, dass eine Anpassung an den neuen Begriff stattfinde. In solcher Lage macht nun oft Verschiedenes auf denselben Platz Anspruch, und es entspinnt sich ein Kampf um’s Dasein.« S. 235. Eucken fügt folgenden Kommentar in einer Fußnote hinzu: »So erweisen sich auch hier die drei Hauptfaktoren der darwinschen Theorie: Vererbung, Kampf um’s Dasein, Anpassung. Dass aber hier alle Einzelkräfte in ihrem Wirken von der Einheit der Vernunft umfasst werden, darf keinen Augenblick vergessen werden. […]« Und er fährt fort: »Die Analogie mit naturwissenschaftlichen Theorien könnte übrigens viel weiter verfolgt werden, aber die Gefahr, den Gegenstand damit schräg zu beleuchten und bei scheinbarer Erhellung des Einzelnen das Ganze zu entstellen, ist zu groß, als dass man solchem Hange nachgeben dürfte.« Ebd., Fn 1. – An der Universität Jena war auch August Schleicher tätig, der die Evolutionstheorie sprachwissenschaftlich fruchtbar zu machen suchte. Zu Schleicher vgl. u. a. James Turner: Philology. The Forgotten Origins of the Modern Humanities, Princeton University Press 2015, S. 242 – 2 44, sowie Stephen G. Alter: Darwinism and the Linguistic Image. Language, Race, and Natural Theology in the Nineteenth Century, Baltimore 1999, und Patrick Tort: Évolutionnisme et linguistique, Paris 1980. Euckens Verhältnis zur Sprachwissenschaft (über die Altphilologie hinaus) wäre für eine Neuwürdigung seines terminologie-

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Über die dauerhaft gültigen Einsichten Euckens, die von ihm skizzierten historischen Periodisierungen und seine begriffssprachpragmatischen Diagnosen, über seine zahlreichen konkreten terminologiegeschichtlichen Funde und Befunde hinaus und neben Zeittypischem wie dem modischen evolutionstheoretischen Theoriedesign findet sich in seinem Werk, in Seitenstücken zur Geschichte der philosophischen Terminologie, auch in anderen bzw. spezielleren Hinsichten Wegweisendes. 60 Dazu zählt seine 1880 erschienene kleine Schrift Ueber Bilder und Gleichnisse in der Philosophie, die nie ganz vergessen und etwa von Benjamin Specht 2017 neu gewürdigt worden ist, der von den »›proto-metaphorologischen‹ Thesen Euckens« spricht.61 Eucken, Zeitgenosse und Basler Kollege Nietzsches, hat sich hier mit einer ersten Monographie zum Thema in eine mit Lambert geschichtlichen Werkes genauer zu untersuchen; er nimmt bspw. auch Bezug auf Berthold Gustav Gottlieb Delbrück und Hermann Otto Theodor Paul. 60  Von seinen Überlegungen zur Mehrsprachigkeit und Übersetzbarkeit philosophischer Terminologie muss an dieser Stelle abgesehen werden. Nicht nur der systematischen Transferleistung der Römer, der »Übertragung des griechischen Begriffssystemes in die lateinische Sprache«, woran sich »fast Alles« geknüpft habe, »was hier im Technischen geleistet ist« (S. 62), und nicht nur der Herausbildung einer deutschen Philosophiesprache aus dem Lateinischen und den neueren Sprachen wendet sich der Autor als vergleichender Terminologiehistoriker mit großer Aufmerksamkeit und sprachlicher Sensibilität zu. Er weist auch nachdrücklich und nicht nur pflichtschuldigst auf die terminologischen Konvergenzen und Divergenzen zwischen den neueren europäischen Sprachen hin. Zum Problem der Mehrsprachigkeit und der Übersetzungen vgl. S. 98, S. 135 f., S. 217 Fn. D, S. 219, S. 230, S. 233, Fn. A, S. 237, S. 264; vgl. auch Eucken: Terminology […] (1896) mit einschlägigen Überlegungen. 61 Eucken: Ueber Bilder und Gleichnisse in der Philosophie. Eine Festschrift, Leipzig 1880, GW, Bd. 10, S. 65 – 123.– Benjamin Specht: »›Verbindung finden wir im Bilde.‹ Die Metapher in und zwischen den wissenschaftlichen Disziplinen im späten 19. Jahrhundert«, in: Metaphorologien der Exploration und Dynamik 1800/1900. Historische Wissenschaftsmetaphern und die Möglichkeiten ihrer Historiographie, hg. v. Gunhild Berg, Martina King u. Reto Rössler, AfB 59 (2017), S. 41 – 60, hier: S. 41. – Zur Bedeutung der Metaphorologie für die systematische Philosophie vgl. Gabriel: »Die Bedeutung von Begriffsgeschichte und Metaphorologie für eine systematische Philosophie«, a. a. O.

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und Sulzer einsetzende und zu seiner Zeit sich verdichtende Debatte eingeschaltet. Er hatte aber auch schon 1879 in seiner Geschichte der philosophischen Terminologie immer wieder luzide metaphorologische Beobachtungen zu metaphorisch grundierten philosophischen Termini vorgetragen und prinzipielle Betrachtungen zur Funktion von Metaphern für die Begriffsbildung, besonders in Übergangszeiten, angestellt. (Vgl. z.B. S. 94 f., S. 221 f.) Wenn seine Terminologiegeschichte zum HWPh hinführt, so seine Theorie und historische Untersuchung philosophischer Metaphern zu Blumenbergs Metaphorologie und Ralf Konersmanns Wörterbuch der philosophischen Metaphern. Erinnerungswürdig ist auch sein Beitrag Über Bilder und Gleichnisse bei Kant, der gleichfalls schon 1880 erschienen ist62 und das mittlerweile erhebliche Interesse an der Rolle von Metaphern in der Sprache Kants antizipiert. Zum Wegweisenden zählt seine Schrift über Parteien und Parteinamen in der Philosophie, in einer ersten Fassung 1884 erschienen. 63 Euckens Interesse an Partei-, Sammlungs- und Kampfbegriffen, am »Zusammentreffen, und zwar einem verhüllten Zusammentreffen, von Begriff und Affekt« 64 , zieht sich auch durch seine Geschichte und Kritik der Grundbegriffe der Gegenwart in den verschiedenen Auflagen hindurch und geht gelegentlich über rein philosophische und auch religiöse Parteibildung hinaus in Richtung auf militante Begriffswortprägungen anderer und allgemeinerer Art. Euckens Aufmerksamkeit gilt insbesondere dem Migrieren von sprachlichen Ausdrücken aus dem philosophischen in den allgemeinen und politischen Sprachgebrauch – er verwendet mehrfach das Wort wandern (vgl. S. 240), im englischen Text spricht er 1896 von der migration of a term.65 62 In: Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik 83 (1880), S. 161 – 193. ND in: Beiträge zur Einführung in die Geschichte der Philosophie, GW, Bd. 2, S. 55 – 82. 63  In einer ersten Fassung 1884 erschienen in: Philosophische Monatshefte XX (1884). ND in: Beiträge zur Einführung in die Geschichte der Philosophie, GW, Bd. 2, S. 126 – 156. 64  Ebd., S. 143. 65  Eucken: Philosophical Terminology […], a. a. O., S. 500; »migration of a

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Beispielhaft führt Eucken den ursprünglich philosophischen Terminus des Nihilismus an, der sich »immer weiter von seinem philosophischen Ursprunge entfernt« habe. 66 Ein weiteres schlagendes Beispiel, welches er anführt, ist das Migrieren des ursprünglich philosophischen Terminus Relativismus. Auch Euckens Begriffspragmatik nimmt manches Spätere vorweg. So ist die später so genannte Begriffspolitik im Werk Euckens vorgezeichnet, etwa in seiner Diagnose, in Zeiten umstrittener Terminologie habe es sich oft als hilfreich erwiesen, geschickt zu taktieren und zu »paktieren«: »Minder Verbreitetes kann wuchtigen Angriffen erliegen, sind aber Ausdrücke bis zu einer gewissen Ausdehnung des Einflusses gelangt, so muss man mit ihnen paktieren. Es gilt also ihnen neue Merkmale zuzuführen, alte abzustreifen, dabei aber das Gemeinsame beider Gestaltungen so weit überwiegen zu lassen, dass die Kontinuität mit ihren Vorteilen erhalten bleibt« (S. 238).67 Ein »allgemein eingebürgertes Wort« besitze nämlich »große Macht« (ebd.).68 Begriffspolitik setzt eingebürgerte Wörter, richtiger: eingebürgerte Begriffswörter voraus, und hier hat die politische Metaphorik der begriffspragmatischen Pointierung gewissermaßen auf die Sprünge geholfen. Eine solche Linie von Eucken hin zu Koselleck und den term from one province to another«, ebd., S. 502. Es fragt sich, ob dieser metaphorische Ausdruck Euckens Eingang in das heute kursierende Konzept der travelling concepts gefunden hat. 66 Eucken: Parteien und Parteinamen […], a. a. O., S. 153 f. 67 Er gibt aber auch zu bedenken: »[…] [es ist] nicht unbedenklich, Schlagwörter vom Gegner zu entlehnen, um sie für sich zu verwerten. Es ist schwer die ursprünglichen Züge ganz auszulöschen.« S. 239, Fn. A. »Eine wie große Macht ein allgemein eingebürgertes Wort besitzt, sehen wir namentlich aus den in Wendezeiten nicht selten gewagten Versuchen, derartige Ausdrücke einfach zu beseitigen.« Ebd. S. 193 f. 68  »Eben bei solchen Ausdrücken, die später in aller Munde leben, gewährt es einigen Reiz, die einzelnen Stufen der Ausbreitung zu verfolgen, dem nachzugehen, wie das Wort sich zuerst schüchtern herauswagt, nach und nach den Eindruck des Fremdartigen überwindet, sich allmählich ein eignes Gebiet erwirbt, dann noch wohl harte Kämpfe zu bestehen hat, nach siegreicher Behauptung aber endlich eine so sichere Stellung gewinnt, dass man mit ihm wie einer Macht verhandeln muss.« S. 232 f.

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Geschichtlichen Grundbegriffen scheint bislang kaum gezogen worden zu sein.69 In jedem Falle aber ist es der Mühe wert, Euckens terminologiegeschichtliches und metaphorologisches Werk aus dem Zustand immer weiter verblassender Nachdrucke zu erlösen und durch Einbeziehung des Nachlasses und des Kontextes mit frischen Farben zu versehen. Insofern: Ja, zurück zu Eucken, und zwar in der Linie Trendelenburg  – Eucken  – Schröder: »Den ­eigentlichen Triumph«, so schreibt Eucken, »feiern derartige Untersuchungen in der Behandlung wichtiger und verwickelter Einzelfälle […]« (ebd., S. 18).70 E. Zur Edition Euckens Geschichte der philosophischen Terminologie im Umriss ist 1879 erschienen und später nur nachgedruckt worden, dies freilich mehrfach und schließlich auch im Rahmen der Werkausgabe. Hier wird erstmals eine kritisch durchgesehene und kommentierte Neuausgabe vorgelegt. Die am Schluss der Erstausgabe von Eucken angefügten Corrigenda wurden in den Text der neuen Ausgabe eingearbeitet.

69  Vgl. Dipper: »Reinhart Kosellecks Konzept ›Semantischer Kämpfe‹«, a. a. O. 70  »Wenn wir aber einen abschließenden Blick auf die begriffsgeschichtliche Forschungspraxis werfen, so muß diese Feststellung um einen nicht unwesentlichen Zusatz ergänzt werden: So eindeutig zwar die Parole Zurück zu Eucken Ritters und Gadamers Programmentwürfen zuwiderläuft, so deutlich zeigt sich in der Forschungspraxis, daß diese Parole dramatischer klingt, als sie ist. Denn im Grunde braucht sie gar nicht erst ausgegeben zu werden. Wo Begriffsgeschichtler am historischen Material arbeiten, statt Programme zu entwerfen, wird sie seit je befolgt. Namentlich das Historische Wörterbuch der Philosophie ist eine Verwirklichung des Euckenschen Vorhabens einer Geschichte der philosophischen Terminologie, nicht des Ritterschen oder des Gadamerschen Programms.« Schröder: »Was heißt ›Geschichte eines philosophischen Begriffs‹?«, a. a. O., S. 172.

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Die Paginierung der EA wird fortlaufend in Form von Marginalien mitgeführt, Verweise darauf mit vorangestelltem Asterisk. Die Fußnotenzählung der EA beginnt auf jeder Seite mit 1, in der vorliegenden Ausgabe werden die Fußnoten hingegen auf jeder neuen Seite mit Majuskeln (A, B, C etc.) versehen. In der neuen Ausgabe finden sich zudem fortlaufend nummerierte Endnoten mit Kommentaren und Anmerkungen zu Euckens Text. Die einzelnen Kapitel zur griechischen, lateinischen, alt- und frühneuhochdeutschen und schließlich zur neuzeitlichen deutschen Terminologie wurden von Fachleuten auf sachliche Richtigkeit geprüft (Erler, Brennecke, Zeppezauer-Wachauer, Schlüter). Euckens oft verkürzte Quellen- und sonstigen Angaben in seinen Fußnoten wurden vervollständigt und überprüft, in seltenen Fällen korrigiert. Die Kontrolle erfolgte so gut wie ausschließlich an Ausgaben, die Eucken vor 1879 vorgelegen haben könnten, spätere Ausgaben und neue historisch-kritische Ausgaben wurden nur in seltenen Ausnahmefällen berücksichtigt. Die mutmaßlich von Eucken benutzten und die von Eucken zitierten Ausgaben sowie die vor 1879 erschienenen Ausgaben der zitierten Texte wurden mehrheitlich in ihrer digitalisierten Form konsultiert, fast durchgängig konnten Digitalisate der zitierten Texte benutzt werden, deren Provenienz jeweils angegeben wird (vgl. Sitographie). Kurze ergänzende Angaben oder Korrekturen werden Euckens Fußnoten in eckigen Klammern hinzugefügt und, sofern sie nicht von der Herausgeberin stammen, den einzelnen Bearbeitern zugeschrieben. Vertiefende oder nicht an Euckens Fußnoten anschließbare Anmerkungen zu dessen terminologiegeschichtlichen Ausführungen stammen von den genannten Bearbeitern und Bearbeiterinnen der einzelnen Kapitel und werden als Endnoten angefügt. Die Bearbeiterinnen und Bearbeiter leiten ihre Anmerkungen zu den entsprechenden Kapiteln von Euckens Arbeit mit einem längeren Gesamtkommentar ein, der den Endnoten jeweils vorangestellt ist. Sie setzen, ausgehend von ihren jeweiligen Disziplinen (Gräzistik, Kirchengeschichte/Pa­ tristik, germanistische Sprachgeschichte, Frühe Neuzeit/Aufklärung), unterschiedliche Akzente.

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An den kritisch revidierten und kommentierten Text schließt sich als Anhang eine Transkription des im Jenenser Rudolf-Eucken-Archiv erhaltenen durchschossenen Korrekturexemplars der EA von Euckens Hand an (vgl. GW, Bd. 14, S. 352). Die transkribierten Notate Euckens werden durchgängig der Paginierung der EA zugeordnet. Von Korrekturen betroffene Seiten sind am Rand durch einen nachgestellten Asterisk markiert. Daran schließt sich ein nach Sprachen gegliedertes Begriffsregister an. Eucken hatte der EA ein solches beigegeben, dieses wurde aber für die vorliegende Ausgabe erheblich erweitert; das Korrekturexemplar konnte dabei nicht berücksichtigt werden. Das Personenverzeichnis, das sich daran anschließt, fehlt in Euckens Ausgabe; es wurde neu erstellt, umfasst aber nur den Haupttext und nicht den Bereich der Fuß- und Endnoten und auch nicht das Korrekturexemplar. Die Bibliographie umfasst, neben der Primär- und Sekundär­ literatur zu Rudolf Eucken und seinem Frühwerk, die im Vorwort angeführte Primär- und Sekundärliteratur, Forschungslite­ratur vor allem zu Theorie und Praxis der Begriffsgeschichte und der Begriffsgeschichtsschreibung sowie der philosophischen Lexi­ kographie, sowie die wichtigsten von Eucken konsultierten lexi­ kographischen Quellen. Euckens Geschichte der philosophischen Terminologie steht in einem dichten philologisch-begriffsgeschichtlichen Kontext. Dieser wird in einem Folgeband mit Materialien zur Begriffsgeschichte um 1900 und zu Euckens einschlägigen weiteren Publikationen zur philosophischen Terminologiegeschichte sowie seiner diesbezüglichen Korrespondenz von Uwe Dathe (Jena) und Gisela Schlüter (Erlangen) in einem Sonderheft des AfB dokumentiert werden. Zu danken ist einer Reihe von Kollegen und Kolleginnen für ihre kompetente und engagierte Mitarbeit an dem vorliegenden Band, zuvörderst Herrn Prof. Dr. Michael Erler (Würzburg), Herrn Prof. Dr. Hanns Christof Brennecke (Erlangen-Nürnberg) und Frau Dr. Katharina Zeppezauer-Wachauer (Salzburg). Niemand kennt den Nachlass Rudolf Euckens (wie auch den seines Sohnes, des Ökonomen Walter Eucken) besser als Dr. Uwe Dathe

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(Jena); ihm sei für seine wohlwollende und kompetente Begleitung dieses Editionsprojekts herzlich gedankt. Jonathan Roller (Erlangen) und Johannes Leifeld (Lingen) haben die Gesamtherausgeberin tatkräftig bei der Kontrolle und Korrektur der griechischen Wörter und Termini unterstützt – diese Hilfestellung war für die Fertigstellung des Bandes von großer Bedeutung. Die schwierige Transkription des Korrektur­ exemplars haben die Herausgeberin und Elisa Memaj (Erlangen) gemeinsam vorgenommen; Letztere hat mehr als nur dies zum Band beigetragen. Der geschätzten Zürcher Kollegin Susanne Köbele (Mediävistik) sei ausdrücklich für ein erhellendes Gespräch über Meister Eckhart und die Sprache der Mystik gedankt. Marcel Simon-Gadhof vom Felix Meiner Verlag hatte die Idee, die Orthographie von Euckens Text behutsam zu modernisieren und den Text dadurch lesbarer zu machen, und er hat sich auch gleich selbst an die Arbeit gemacht. Der sprachbewusste Rudolf Eucken hätte es ihm gewiss gedankt. In jedem Falle aber ist ihm die Herausgeberin zu Dank verpflichtet, ebenso wie der heutige Leser und die heutige Leserin, denen ein philosophisch-philologischer Text in einer schönen und zeitgemäßen sprachlichen Gestalt präsentiert wird. Modifiziert wurde auch die typographische Gestaltung des Textes, der in der EA durch zahlreiche Majuskeln auch im Bereich der Fußnoten allzu kompakt wirkte. Wie heute üblich, wurden Termini kursiviert, sodass die terminologischen Argumente und Belege des Textes offenkundiger werden als in der EA. Aus Gründen der Übersichtlichkeit wurde im Haupttext auf sonstige heute übliche Kursivierungen (etwa von Titeln) verzichtet. Die Planung und komplizierte technische Umsetzung des Textes auf unterschiedlichen Gliederungsebenen sind das Werk von Jens-Sören Mann. Auch ihm sei an dieser Stelle gedankt.

Bibliographie

Die Bibliographie beschränkt sich weitgehend auf Schriften von/zu ­Rudolf Eucken sowie die für die Einleitung konsultierte Literatur und die von Eucken als maßgeblich angeführten lexikographischen Quellen. Die Sitographie bezieht sich auf die in den Fußnoten und Anmerkungen angeführten Digitalisate. I. EUCKEN

1. Primärliteratur a) Werkausgabe Eucken, Rudolf: Gesammelte Werke. Mit einer Einleitung von Rainer A. Bast, 14 Bde., Hildesheim/Zürich/New York: Olms – Weidmann 2005 – 2011 (Historia Scientiarum. Ein Editions-Programm der Fritz Thyssen Stiftung zur Geschichte der Wissenschaften in Deutschland; ND von Ausgaben und Beiträgen Euckens aus den Jahren 1872 bis 1925. Mit einer Einleitung hg. von Rainer A. Bast. Den Reprints wurde die jeweils letzte veröffentlichte Fassung der Werke zu Grunde gelegt. Die Ausgabe beschränkt sich auf die philosophischen Schriften Euckens.) – Bd. 4: Geistige Strömungen der Gegenwart [Der Grundbegriffe der Gegenwart sechste umgearbeitete Auflage] (ND der Ausg. Berlin/ Leipzig, De Gruyter, 1920), a. a. O. 2005. – Bd. 9: Einführung in die Philosophie. Geschichte der philosophischen Terminologie im Umriss (ND der Ausg. Leipzig, Verlag von Veit & Comp., 1879 [Digitalisate (001), (002)]), a. a. O. 2005. – Bd. 11: Prolegomena und Epilog zu einer Philosophie des Geisteslebens. Lebenserinnerungen. Ein Stück deutschen Lebens (ND der Ausg. Leipzig 21922), a. a. O. 2008 (vgl. auch Eucken, Rudolf: Lebenserinnerungen. Ein Stück deutschen Lebens, Leipzig 1921. Vollständige NA, hg. v. Karl-Maria Guth, Berlin: Hofenberg 2016). – Bd. 13: Rainer A. Bast: Band-Übersicht der Ausgabe. Personen­

xliv Bibliographie

register zu Band 1 – 12. Verzeichnis der publizierten Schriften Rudolf Euckens, a. a. O. 2009. – Bd. 14: Uwe Dathe: Nachlassverzeichnis, a. a. O. 2011. – Nachdrucke auch als eBooks bei Walter de Gruyter, Berlin/München/Boston. – Geschichte der philosophischen Terminologie, Berlin/München/ Boston 2020 [https://doi.org/10.1515/9783112367520] b) Einschlägige Publikationen Euckens zur ­Begriffsgeschichte Eucken, Rudolf: Beiträge zum Verständnis des Aristoteles, in: Neue Jahrbücher für Philologie und Pädagogik, Jg. 39, Bd. 99, Leipzig 1869 (I. Die Etymologien bei Aristoteles; II. Über Bilder und Vergleichungen bei Aristoteles; III. Über den Gebrauch der sog. absoluten Infinitive bei Aristoteles) (vgl. GW, Bd. 13, S. 71, Nr. 133). – : »Aufforderung zur Begründung eines Lexicons der philosophischen Terminologie«, in: Philosophische Monatshefte 8 (1872), S. 81 f. (vgl. GW, Bd. 3, S. 72, Nr. 139). – : The Fundamental Concepts of Modern Philosophic Thought, Critically and Historically Considered. Übers. v. M. Stuart Phelps. Einleitung Noah Porter, N. Y., Appleton, 1880 (vgl. GW, Bd. 13, S. 41, Nr. 008). – : Ueber Bilder und Gleichnisse in der Philosophie. Eine Festschrift, Leipzig 1880 (in: GW, Bd. 10, S. 65 – 123). – : »Ueber Bilder und Gleichnisse bei Kant«, in: Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik 83 (1880), S. 161 – 193 (dann in: ders.: Beiträge zur Einführung in die Geschichte der Philosophie, GW, Bd. 2, S. 55 – 82). – : Parteien und Parteinamen in der Philosophie, in: Philosophische Monatshefte XX (1884) (Endfassung in: ders.: Beiträge zur Einführung in die Geschichte der Philosophie, GW, Bd. 2, S. 126 – 156). – : »Zur Charakteristik der Philosophie Trendelenburgs«, in: Philosophische Monatshefte 1884, S. 342 – 366 (dann in ders.: Beiträge zur Geschichte der neuern Philosophie, vornehmlich der deutschen, Heidelberg 1886, S. 115 – 144). – : »Philosophie und deutsche Sprache«, I/II, in: Beilage zur Allgemei-

Bibliographie xlv

nen Zeitung 286/287 (15./16.10. 1885), S. 4217 f., S. 4235 f. (vgl. GW, Bd. 13, S. 79, Nr. 186). – : »Zur philosophischen Terminologie. Ein Vorschlag und eine Aufforderung«, in: Archiv für Geschichte der Philosophie, Bd. 1, H. 3 (1888), S. 309 – 313 (vgl. GW, Bd. 13, S. 83, Nr. 212). – : »Philosophical Terminology and Its History. Expository and Appellatory«, übers. v. Thomas J. McCormack, in: The Monist, Bd. 6/4 (July 1896), S. 497 – 515 (vgl. GW, Bd. 13, S. 91, Nr. 256). 2. Neuere Sekundärliteratur zu Rudolf Eucken Agard, Olivier: »Diagnostic culturel et légitimation de la guerre en France et en Allemagne. Émile Boutroux et Rudolf Eucken«, in: Agard, Olivier / Beßlich, Barbara (Hg.): Krieg für die Kultur?, Berlin 2018, S. 19 – 37. Bast, Rainer A.: »Einleitung«, in: Eucken: Gesammelte Werke, Bd. 1 (2005), S. V–XXXVI. Beebee, Thomas O.: German Literature as World Literature, N. Y. 2014, Kap. 7: »From Nobel to Nothingness. The Negative Monumentality of Rudolf C. Eucken and Paul Heyse«, S. 137 – 156. Beßlich, Barbara: »›In Zeiten der Vorbereitung größerer Dinge‹. Die Jahrhundertwende als Epochenschwelle der Moderne in Rudolf Euckens neoidealistischer Weltanschauungsliteratur«, in: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 30/1 (2005), S. 167 – 187. Cramer, Konrad: »Rudolf Christoph Eucken. Nobelpreisträger – Philosoph«, in: Göttinger Jahrbuch 44 (1996), S. 230 – 232. Dathe, Uwe: »Gottlob Frege und Rudolf Eucken – Gesprächspartner in der Herausbildungsphase der modernen Logik«, in: History and Philosophy of Logic 16 (1995), S. 245 – 255. – : »Begriffsgeschichte und Philosophie. Zur Philosophie Rudolf ­Euckens«, in: Caysa, Volker / Eichler, Klaus-Dieter (Hg.): Philosophiegeschichte und Hermeneutik, Leipzig 1996, S. 85–96. – : »Rudolf Eucken – ein Gegner des Monismus und Freund des Monisten«, in: Ziche, Paul (Hg.): Monismus um 1900. Wissenschaftskultur und Weltanschauung, Berlin 2000, S. 41 – 59.

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Vorwort

 W

enn wir der Untersuchung einige Worte voranschicken, so möchten wir nicht den gewählten Gegenstand selber ver­ teidigen. Was sich an Einwendungen und Angriffen dagegen er­ heben kann, liegt ebenso deutlich vor als die Art, wie man ver­ suchen wird, dieselben abzuwehren. Wer einer Rechtfertigung bereites Gehör schenken möchte, begehrt ihrer nicht, und wer ihrer begehrte, den würden einzelne Gründe nicht überzeugen. Umso mehr aber verlangt die Art unserer Behandlung eine Darlegung und Fürsprache. Wir müssen gestehen, dass die Ar­beit ursprünglich nicht als eine selbständige beabsichtigt war, son­ dern aus einem umfassendern Unternehmen als Nebenschöß­ling herausgewachsen ist. Im Dienst von Forschungen zur systema­ tischen Philosophie beschäftigten wir uns mit einer Gesamt­ geschichte der philosophischen Grundbegriffe. Bei solcher Arbeit forderte die Terminologie fortwährend einige Aufmerksamkeit, ja an einzelnen Punkten nahm sie die Untersuchung vollauf für sich in Anspruch.A Von hier erwuchs nun die Frage, ob nicht überhaupt der Stoff eine selbständige Behandlung verdiene, ja verlange. Dazu kam ein Anderes. Die Geschichte der Begriffe gedenken wir nicht so bald der Öffentlichkeit zu übergeben, die dafür entscheidenden Gründe treffen aber für die Geschichte der Terminologie nicht zu. So ward der Entschluss gefasst, diesen Gegenstand für sich zu behandeln, in Ausführung desselben sind die nachfolgenden Untersuchungen entstanden.B A  [ Vgl. vor allem Euckens 1878 zuerst erschienene und in insgesamt sechs Auflagen unter wechselnden Titeln publizierte Geschichte und Kritik der Grundbegriffe der Gegenwart, Leipzig 11878 (002) ; im Folgenden GG. Ver­ zeichnet in Eucken : Gesammelte Werke = GW, Bd.  13, S. 40 f. Hier wie im Folgenden durchgängig werden Einfügungen der Hg.in oder der Bearbei­ ter in Euckens Fußnoten in eckige Klammern gesetzt. Die Ziffernfolge 000, 001 ff. verweist auf die Links zu den digitalen Quellen, vgl. Sitographie ]. B  [ Zur Textentstehung und Stellung des Textes im Œuvre Euckens vgl. Gisela Schlüter : Einleitung ].

V

4 Vorwort

VI

Sobald die Wahl des Stoffes also entschieden war, haben wir natürlich seiner Eigentümlichkeit besondere Arbeit zugewandt und manches herangezogen, was der Geschichte der Begriffe fer­ ner lag. Aber ob wir der neuen Aufgabe auch nur einigermaßen nachgekommen sind, das wird manchem Zweifel begegnen. In dem, was wir boten, haben wir freilich möglichst sichere Grund­ lagen erstrebt, aber die Arbeit hätte sich unvergleichlich viel wei­ ter ausdehnen müssen, um nur annähernd einen Abschluss zu bieten. Indes wird man fragen, weshalb wir denn unter solchen Um­ ständen mit dem Unternehmen überhaupt hervortreten. Wir | glauben durch die Lage, in welcher sich die Forschung an dieser Stelle befindet, in einiger Hinsicht [ge]rechtfertigt zu sein. Das Interesse für die hier vorliegenden Fragen ist keineswegs gering, manche wertvolle Tätigkeit ist hierher gewandt, aber es fehlt noch der Versuch einer systematischen Behandlung ; eine solche aber ist durchaus notwendig, wenn das Einzelne sich nicht zer­ splittern, wenn es volle Verwertung finden, wenn ein zusammen­ hängender Fortschritt gesichert sein soll. Nun habe ich schon vor mehr als 6 Jahren in den Philosophischen Monatsheften dem Wunsch Ausdruck gegeben, eine gelehrte Gesellschaft möge die Herstellung eines Wörterbuches der philosophischen Termino­ logie in Angriff nehmen.A Manche zustimmende Äußerungen bekundeten mir, dass solcher Wunsch von vielen geteilt werde ; aber es ist mir nicht bekannt geworden, dass das Unternehmen irgendwo tatsächlich begonnen sei. Nicht unwichtige Untersu­ chungen scheinen nicht in Fluss kommen zu können, weil die Schwierigkeiten einer vollgenügenden Durchführung die For­ scher von dem Unternehmen zurückschrecken [ lassen ]. So galt es denn, zunächst überhaupt einen Anfang zu machen, einige Umrisse festzustellen und die Sache womöglich so weit zu füh­ ren, dass weitere Arbeiten hier Anknüpfung und Unterstützung finden möchten. A  [ Eucken : Aufforderung zur Begründung eines Lexicons der philoso­ phischen Terminologie, in : Philosophische Monatshefte, Bd.  8, Berlin 1872 (002), S. 81 f. ].

Vorwort 5

Musste sich aber das Ganze darauf beschränken, eine Vor­ arbeit zu sein, so war dementsprechend auch die Form zu wäh­ len. Es schien uns namentlich geboten, überall Kürze zu erstre­ ben, Ausspinnen und Folgern zu vermeiden, prinzipielle Fragen zurückzuschieben, selbst auf die Gefahr des Vorwurfes hin, dass wir eben da mit unserer Erörterung abbrechen, wo ein lebhaf­ teres Interesse sich zu bilden beginne. Uns selbst ist es schwer geworden, über manche Punkte so rasch fortzueilen, aber wir glaubten uns überall durch den Gedanken an das Ganze leiten lassen zu sollen. Dieses aber musste die Einschränkung unbe­ dingt verlangen. Ein Gegenstand dieser Art – dazu in nur vor­ bereitender Behandlung – in die Breite gezogen, das wäre un­ erträglich. Über die eigentümlichen Schwierigkeiten, welche die Natur des Stoffes mit sich bringt, brauchen wir uns nicht zu äußern, ebenso wenig darüber, dass bei einer mehr skizzenhaften Be­ handlung solche Gefahren sich steigern müssen. – So sind wir uns der Unvollkommenheit der vorliegenden Arbeit vollauf be­ wusst. Ihren Zweck wird dieselbe am besten erfüllen, wenn sie rasch durch anschließende und weiterführende Untersuchungen überholt wird. |

Vorbemerkungen

1*

 E

he wir in die Untersuchung selbst eintreten, mag es vergönnt sein, in einigen Worten an die Lage des Problems zu erinnern, sowie die Anordnung der eignen Arbeit zu vertreten. Unserm Vorhaben fehlen weder mancherlei Hilfsmittel noch unterstüt­ zende Gesamtbestrebungen. Äußerlich am nächsten stehen die philosophischen Wörterbücher.A Dieselben anzulegen trieb na­ türlich nicht so sehr der Erkenntnisdrang des Forschers als das Orientierungsbedürfnis des Gelehrten. In Zeiten, wo sich ent­ weder mannigfaches Material zusammengeschichtet hatte oder auch wo eine Fülle neuer Bildungen plötzlich hervortrat, musste eine Zusammenstellung des Begriffs- und Wortschatzes als eine Art Einführung in die philosophische Forschung erscheinen. Anfänge solcher Zusammenstellungen bietet schon das Alter­ tum, zu einem erheblichen Bestandteil gelehrter Arbeit werden sie aber an der Schwelle von Mittelalter und Neuzeit. Ein gewis­ ses Interesse erhielt sich von da an, das freilich bestimmter An­ triebe durch große Neuschöpfungen philosophischer Tätigkeit bedurfte, um selbstständigere Leistungen hervorzubringen. Von Männern wie LEIBNIZ und KANT sehen wir auch hier eine ge­ wisse Bewegung ausgehen. Durchgehend aber sind die hierher gehörigen Arbeiten mehr den Begriffen als den Begriffswörtern gewidmet, nur nebenbei findet auch der Ausdruck Beachtung, und gar hinsichtlich seiner Geschichte wagt sich nur gelegentlich eine Angabe hervor. Insofern freilich haben jene Werke einen bleibenden Wert, als sie das zu einer bestimmten Zeit Gebräuch­ liche geordnet vorführen, also gewisse Marksteine des geschicht­ lichen | Ganges bildend. Ihre Bedeutung liegt mehr in dem, was sie unmittelbar darstellen, als was sie belehrend mitteilen. Je mehr sie sich auf ein geschlossenes Gebiet oder auf eine einzige A  [ Zum Kontext, zu Euckens Quellen und Hilfsmitteln vgl. Schlüter : Ein­ leitung. – Eucken selbst hat 1888 auf folgende Nachträge zu seiner Geschichte der philosophischen Terminologie hingewiesen : Zur Geschichte der Partei­ namen. – Philosophie und deutsche Sprache (1885) ; vgl. Bibliographie ].

2

8 Vorbemerkungen

Persönlichkeit einschränken, desto nutzbarer werden sie, desto mehr bezeichnen sie freilich auch nur einzelne Punkte aus der Gesamtbewegung. Überblicken wir nun in Kurzem die hierhergehörenden Arbei­ ten der Neuzeit. Eben bei ihrem Beginn war das Bedürfnis ver­ ständigender Belehrung besonders stark. Die Scholastik behaup­ tete noch einen tiefen Einfluss auf das Denken, ohne dass doch ihr Inhalt dem Bewusstsein unmittelbar gegenwärtig war. Dazu hatte sich mehr und mehr Verschiedenartiges gehäuft, ineinan­ dergeschoben, sich den Platz streitig gemacht ; endlich kämpften sich neue Gestaltungen auf, zunächst freilich mehr auflösend als schaffend, jedenfalls aber die Verwirrung steigernd. Was immer solcher Verwirrung gegenüber durch Sammlung und Bestim­ mung der Begriffe von Frühern geleistet war, das ist aufgenom­ men und verarbeitet in dem verdienstvollen Werke GOCLENs.A Auf dasselbe berief sich LEIBNIZ in dem Streit mit CLARKE , und offenbar hat er auch sonst nicht selten – namentlich für seine Distinktionen – von hier entlehnt. Wir möchten noch heute das Werk an die Spitze sämtlicher philosophischen Wörterbücher stellen. Ein ungeheures Material ist hier nicht nur gesammelt, sondern auch gesichtet und geordnet, ein schon verfeinerter Ge­ schmack wehrt das Barbarische ab, die Wendung zum Neuen tritt an verschiedenen Stellen sichtbar hervor. Indessen lässt sich für unsere Aufgabe unmittelbar nicht eben viel gewinnen. Denn GOCLENs Interesse geht naturgemäß mehr auf die Begriffe als auf die Termini, die letztern anbelangend, sind auch die geschicht­ lichen Angaben zu vereinzelt und zerstreut, als dass sie zu einer Gesamtansicht führen könnten. Immerhin findet sich im Ein­ zelnen manches sonst äußerst schwer Zugängliche, im Ganzen aber wird man sich hier überzeugen können, wie vieles auch in der Terminologie schon im ausgehenden Mittelalter wenn nicht festgestellt, so doch vorbereitet war, was oft als ureigne Schöp­ fung der neuern Philosophie gilt. Auch später erschienen noch A  [ Rudolph Goclenius = Rudolf Goeckel d. Ältere ] : Lexicon philosophi­ cum, quo tanquam clave philosophiae fores aperiuntur. Informatum opera et studio Rodolphi Goclenii, Francofurti 1613 (002) ; ND Hildesheim 1980 ].



Vorbemerkungen

9

manche Wörterbücher der mittelalterlichen Schulbegriffe, in Deutschland | im Besonderen trieb die Nachblüte der Scholastik solche Leistungen bis zum Ausgang des 17. Jahrhunderts immer neu hervor.A Sodann führte das Verlangen, Scholastisches und Altklassi­ sches in Sprachschatz und Ausdrucksweise zu scheiden, zu be­ sonderen Arbeiten ; B zahlreicher aber sind die Versuche, neu Auftretendes und Scholastisches leidlich zu einem Ganzen zu verbinden. Unter solchen Versuchen steht obenan S. CHAUVINs Lexikon,C dem man freilich zu viel Ehre antut, wenn man es wie z. B. WALCH als bestes aller philosophischen Wörterbücher er­ klärt. Nachdem zuerst wieder ein bis ins Einzelne sich verzwei­ gendes System von LEIBNIZ entworfen war, machte es sich WOLFF zur Aufgabe, sowohl in lateinischer als in deutscher Sprache eine feste Terminologie auszubilden und durchzusetzen. Bei manchen A  S. z. B. [ Johannes Micraelius : ] Migrelii Lexicon philosophicum [ ter­ minorum philosophis usitatorum, Jenae 1653, Stettin 1661 (002) ; ND Düs­ seldorf 1966, mit einer Einleitung von Lutz Geldsetzer (Reihe Instrumenta Philosophica. Series Lexica) ], ferner [ Martin Fogel ] : Martini Fogelii 1675 de­ functi Lexicon philosophicum [ Hamburg 1689 (002) ; ND Düsseldorf 1966, mit einer Einleitung von Lutz Geldsetzer (Reihe Instrumenta Philosophica. Series Lexica) ]. B  Hier ist namentlich zu erwähnen [ M ichel Brochard/Charles Du Plessis d’Argentré : ] Lexicon Philosophicum auctore Plexiaco Hagae Comitis [ Den Haag ] 1716. In demselben sind die ciceronianischen Termini quellenmäßig in sachlich geordneten Abschnitten zusammengestellt. Dann folgt ein Le­ xikon philosophischer Ausdrücke, mit der Angabe, ob scholastisch, ob von Cicero oder ob von einem andern antiken Autor. In dem nicht auf Cicero Bezüglichen sind aber die sich hier findenden Angaben nicht immer zuver­ lässig. C  [ Étienne (Stephanus) Chauvin : ] Lexicon rationale seu thesaurus phi­ losophicus, Rotterdam 1692 [ N D Düsseldorf 1967, mit einer Einleitung von Lutz Geldsetzer (Reihe Instrumenta Philosophica. Series Lexica). Zu Étienne Chauvin vgl. Giuliano Gasparri : Étienne Chauvin e il suo ›Lexicon Philoso­ phicum‹, in : Eugenio Canone (Hg.) : Lessici filosofici dell’età moderna, Flo­ renz 2012, S. 29 – 47 ]. Von sonstigen Werken jener Art seien u. a. angeführt : Aepini [ Franz Albert Aepinus ] : Introductio in philosophiam, 1714 [ 002 ] und Metaphysicae compend., 1719 [ 1710 ] [ 002 ]. August Friedrich Müller : Einleitung in die philosophischen Wissenschaften, Leipzig 1733 [ Bd.  1, 001 ].

3

10 Vorbemerkungen

4

seiner Schriften finden die Termini sich im Anhange gesammelt, Schüler verfolgten dieses Streben weiter und gaben uns vollstän­ dige Wörterbücher der wolffischen Ausdrucksweise.A In al­ lem dem, was hinter WOLFF und LEIBNIZ zurückliegt, sind diese Schriften dürftig und auch in dem Wenigen nicht eben zuverläs­ sig. Weit reichhaltiger ist WALCHs Philosophisches Lexikon, zu­ erst erschienen 1726, dann mehrfach neu aufgelegt und bearbei­ tet.B Unter dem hier angehäuften gelehrten Material finden sich bisweilen auch für die Geschichte der Terminologie wichtige No­ tizen. Der Zusammenhang mit der Forschung der frühern Jahr­ hunderte ist hier noch aufrechterhalten, während derselbe dann zunächst aufgegeben wurde. Die Wörterbücher der kantischen Philosophie beschränken sich auf ihren spezifischen Zweck, LOS­ SIUS | und KRUG fassen das Unternehmen im allgemeinern Sinn,C doch ist die geschichtliche Grundlage weder sicher noch breit genug, um diese Werke zu einem geeigneten Ausgangspunkt der Forschung zu machen. Mit großem Schwunge hatte auch C. L . REINHOLD das Problem ergriffen. Der Mangel einer ›Kritik der Sprache‹ schien ihm mit JACOBI von fundamentaler Bedeutung, A  S. namentlich Friedrich Christian Baumeister : Philosophia definitiva, Wittenberg 1735 [ 1733 ; 1739 (002) ], und Heinrich Adam Meissner : Philoso­ phisches Lexicon, darinnen die Erklärungen und Beschreibungen aus Wolf­ fens sämmtlichen teutschen Schriften sorgfältig zusammengetragen […], [ Bayreuth/Hof ] 1737 [ 001 ]. B  [ Johann Georg Walch : Philosophisches Lexicon, Darinnen die in allen Theilen der Philosophie, als Logic, Metaphysic, Physic, Pneumatic, Ethic, natürlichen Theologie und Rechts=Gelehrsamkeit, wie auch Politic fürkom­ menden Materien und Kunst=Wörter erkläret und aus der Historie erläutert (…) werden. Leipzig 1726 (001) ; zu Walchs Philosophischem Lexikon vgl. u.a. Dagmar v. Wille : »Il ›Philosophisches Lexicon‹ di Johann Georg Walch tra Schulmetaphysik e Popularphilosophie«, in : Eugenio Canone (Hg.) : Les­ sici filosofici (…), Florenz 2012, S. 67 – 100 ; dort wird S. 78, Fn 53, Euckens positives Urteil über Walch zitiert ; zu Walch vgl. auch dies. : Lessico filoso­ fico della ›Frühaufklärung‹. Christian Thomasius, Christian Wolff, Johann Georg Walch, Florenz 1991 (Lessico Intellettuale Europeo [ LIE ] 54) ]. C  [ Johann Christian ] Lossius : Neues philosophisches allgemeines RealLexikon [ Erfurt ] 1803 ff. [ 001 ] ; [ Wilhelm Traugott ] Krug : Allgemeines Handwörterbuch der philosophischen Wissenschaften, I. Aufl. [ L eipzig ] 1827 ff. [ 001 ].

Vorbemerkungen 11

er hoffte die philosophische Bewegung in sichere Bahnen zu lei­ ten, wenn er durch Aufstellung eines erklärenden Verzeichnis­ ses der Termini das Verhältnis von Denken und Sprechen fest bestimme.A Aber es blieb wie bei den andern Unternehmungen des Mannes so auch hier beim Anlauf, abgesehen von Anderm konnte schon deswegen das Geleistete wenig eingreifen, weil es einer geschichtlichen Begründung durchweg entbehrte. Eben dieses gilt auch von andern Leistungen, die bis zur Gegenwart unternommen wurden.B So ist bei uns das Werk KRUGs der letzte Versuch eines umfassenden philosophischen Wörterbuches auf historischer Grundlage geblieben,C und ist die französische Li­ teratur aus [ uns ] durch FRANCKs Dictionnaire des sciences phi­ losophiquesD entschieden voraus. Sammlungen des Sprachge­ brauches einzelner Denker oder bestimmter Schulen sind auch in neuerer Zeit mehrfach angelegt, E zu der uns beschäftigenden Aufgabe können sie naturgemäß nur ein beschränktes beitragen. Neben jenen lexikalischen Werken förderten aber allgemei­ nere Impulse unsern Gegenstand. Gelegentliche Äußerungen A S. [ K arl Leonhard ] Reinhold : Rüge einer merkwürdigen Sprachver­ wirrung unter den Weltweisen, [ Weimar ] 1809 [ 001 ] ; Grundlegung einer Synonymik für den allgemeinen Sprachgebrauch in den philosophischen Wissenschaften, [ K iel ] 1812 [ 001 ]. B  Wie z. B. von Brothier und v. Hartsen [ Eucken bezieht sich hier wohl auf Léon Brothier : Histoire populaire de la philosophie, Paris 1862 u.ö., so­ wie Frederik Anthony v. Hartsen : Grundriss der Philosophie, Nordhausen 1875. ] C  Das im Erscheinen begriffene Werk [ Ludwig ] Noacks : Philosophie-ge­ schichtliches Lexikon [ Histor.-biograph. Handwörterbuch zur Geschichte der Philosophie, Leipzig 1879 (002) ] dient als ›historisch-biographisches Handwörterbuch‹ wesentlich anderen Zwecken. D  [ Adolphe Franck (Hg.) : Dictionnaire des sciences philosophiques (…), 6 Bde., Paris 1844 – 1852, 21875 (007) ; vgl. dazu Jean-Pierre Cotten : »Adolphe Franck, maître d’œuvre de l’encyclopédie du cousinisme, à propos du Dic­ tionnaire des sciences philosophiques«, in : ders. : Autour de Victor Cousin. Une politique de la philosophie, Paris 1992, S. 179 – 190 ]. E  S. z. B. [ Eugène ] Bourdet : Vocabulaire des principaux termes de la phi­ losophie positive […], Paris 1875 [ 002 ], ein sehr oberflächliches Werk ; ferner [ Julius ] Frauenstaedts Schopenhauer-Lexikon. [ Ein Philosophisches Wör­ terbuch (…), 2 Bde., Leipzig 1871 (002) ].

12 Vorbemerkungen

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über das erste Auftreten eines Begriffswortes finden sich von Al­ ters her. So hat z. B. DIOGENES LAERTIUS verschiedene derartige Angaben ; noch reicher daran sind in Bezug auf die lateinische Terminologie die römischen Schriftsteller, hier treffen wir auch nicht selten Mitteilungen, wie weit ein Wort sich eingelebt habe und wie es vom allgemeinen Bewusstsein empfunden werde. | Eingehendere Beachtung aber fand der Gegenstand erst, nach­ dem in der neuern Zeit die ganze Bedeutung des sprachlichen Ausdruckes zur Anerkennung gelangt war. Hier die Bahn ge­ brochen und immer wieder die Wichtigkeit der Sache vertreten zu haben, ist vom Mittelalter her ein auszeichnendes Verdienst englischer Denker. In neuerer Zeit führte diese Richtung her­ vorragende Forscher, Männer wie DUGALD STEWART, WHEWELL , STUART MILL u. a. dazu, auch der Geschichte der wissenschaft­ lichen Sprache ihre Aufmerksamkeit zuzuwenden. Regeln und Gesetze wurden erforscht, mannigfacher Stoff zu ihrer Erläute­ rung herangezogen. Aber dieser Männer Aufgabe war eine wei­ tere als die unsre. Die Terminologie überhaupt, nicht die philoso­ phische im Besondern beschäftigte sie, eine zusammenhängende Dar­legung der geschichtlichen Entwicklung des philosophischen Ausdrucks konnte daher nicht wohl versucht werden. Mehr unmittelbare Förderung brachte unserm Gegenstand die geschichtliche Erforschung der Philosophie, wie sie vor­ nehmlich bei den Deutschen ihre Ausbildung gefunden hat. An der Spitze dürfen wir hier LEIBNIZ nennen. Sowohl seine Nei­ gung, dem scheinbar Kleinen durch den Zusammenhang, in den er es bringt, Wert zu verleihen, als sein Streben, alles Eigne geschichtlich zu verknüpfen, ließen ihm die Terminologie und ihre allmähliche Gestaltung als etwas der Beachtung nicht Un­ würdiges erscheinen. Für seine allgemeinen Überzeugungen ist namentlich die Abhandlung über den philosophischen Stil des NIZOLIUS von Belang,A ferner bekunden manche zerstreute Be­ merkungen und Angaben sein lebhaftes Interesse für den Gegen­ A  [ G od. Guil. Leibnitii Opera philosophica quae exstant latina gallica germanica omnia, ed. Joannes Eduardus Erdmann, Berlin 1840, Pars Prior (Bd.  1) (002), S. 55 – 7 1 (Dissertatio de stilo philosophico Nizolii) ].



Vorbemerkungen

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stand. Doch ist hier wie an so manchen andern Punkten LEIBNIZ über die Anregung nicht weit hinausgekommen. Ein wesentlicher Fortschritt geschah erst, nachdem die histo­ rische Forschung eine selbstständige Stellung neben der eigent­ lichen philosophischen Arbeit erlangt hatte. Sobald man zur Aufgabe stellte, den Gehalt der Vergangenheit möglich[ st ] ob­ jektiv und urkundlich zu vergegenwärtigen, war die Ermittlung der spezifischen Ausdrucksweise der einzelnen Denker ein not­ wendiges Erfordernis, war der Gedanke einer geschichtlichen Behandlung der Terminologie ganz nahegelegt. Wenn wir aus den diese allgemeine Bewegung führenden Männern eine ein­ zelne Persönlichkeit herausheben sollten, so kann es kein ande­ rer sein als TRENDELENBURG. Mag derselbe die Geschichte | der Terminologie nirgends zusammenschließend behandelt haben, an wichtigen Punkten hat er ihre Bedeutung vollauf zur Geltung gebracht und in seiner umsichtigen und eindringenden Behand­ lung des Einzelnen ein Muster der einzuschlagenden Methode gegeben. Obenan stehen hier die Elemente der aristoteli­ schen Logik und die Geschichte der Kategorienlehre, aber auch kleinere Abhandlungen (wie z. B. der Aufsatz Einige Belege für die nacharistotelische Abfassungszeit der magna moralia [ His­ tor. Beiträge III ]) enthalten eine Fülle von treffenden und frucht­ baren Bemerkungen.A Endlich aber hat er auch durch die Bereit­ willigkeit, an jedem Punkt der historischen Forschung auf die vorliegende Frage einzugehen, zu ihrer Aufnahme in die wissen­ schaftliche Arbeit erheblich beigetragen. Die Bewegung ging dann weiter. Je mehr die geschichtliche Forschung sich schärfte und spezialisierte, desto mehr Beach­ tung fand die Terminologie. Eine ziemliche Anzahl von Arbei­ ten über einzelne Begriffe und Begriffswörter liegt uns heute A  [ Zur Bedeutung von Friedrich Adolf Trendelenburg für Euckens Kon­ zeption der Terminologiegeschichte vgl. Schlüter : Einleitung. Eucken weist an dieser Stelle namentlich hin auf folgende Arbeiten Trendelenburgs : Er­ läuterungen zu den Elementen der aristotelischen Logik, Berlin 1842 ; Ge­ schichte der Kategorienlehre, Berlin 1846 ; Einige Belege für die nacharisto­ telische Abfassungszeit der magna moralia (1846), in : Historische Beiträge zur Philosophie III (1867), S. 433 – 4 44 ].

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14 Vorbemerkungen

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vor. Wichtiger aber ist, dass bei großen Gesamtwerken diese Seite weit mehr hervortritt. Es genügt, dafür an PRANTLs Ge­ schichte der Logik, BONITZ ’ Index Aristotelicus, ZELLERs Philo­ sophie der Griechen zu erinnern.A Namentlich ohne die beiden erstern Werke hätte unsere Arbeit erheblich lückenhafter ausfal­ len müssen. Wir erfüllen daher eine unerlässliche Pflicht, wenn wir von vornherein unserer ehrerbietigen Dankbarkeit gegen jene Männer Ausdruck geben. So sehen wir teilnehmende Auf­ merksamkeit wie eingehende Tätigkeit für unsern Gegenstand in merklicher Steigerung begriffen, aber eine Arbeit, wie wir sie, freilich nur im rohesten Umriss, versuchen, ist unseres Wissens nicht in Angriff genommen. Befriedigend durchgeführt werden könnte sie sicherlich nur, wenn verschiedene Kräfte sich unter sachkundiger Leitung im Wirken vereinigten. Da aber dafür zu­ nächst wohl wenig Aussicht vorhanden ist, so mag einstweilen der vorliegende Umriss einige Berechtigung zum Dasein haben. Nicht geringe Schwierigkeit machte die Frage der Anordnung des Stoffes. Was zunächst vor die Augen tritt, ist eine geradezu unerschöpfliche Fülle von einzelnen Daten. Aus ihnen lediglich eine Anzahl von Beispielen zur Veranschaulichung allgemeiner Sätze auszuwählen, mochte aus verschiedenen Gründen als vor­ teilhaft erscheinen, aber bei solchem Verfahren ging zu viel von dem verloren, was der Arbeit ein eigentümliches Interesse ge­ winnen | kann. Gerade das Besondere mit seiner Eigenartigkeit und selbst Zufälligkeit kann uns anziehen, die mannigfachen Bildungen und Verwicklungen in ihrer Positivität zu verfolgen mag uns oft mehr fesseln als der Gewinn durchgehender Regeln. Sollte die Arbeit eines konkreten Inhalts nicht entbehren, so war das Eingehen auf das Einzelne unbedingt geboten. Aber ande­ rerseits musste jene Fülle sich leitenden Gedanken unterordnen, wenn die Tätigkeit sich nicht zersplittern sollte. Rasch würde das Interesse erlahmen, sähe es sich einer end- und zusammen­ A  [ C arl v. Prantl : Geschichte der Logik im Abendlande, 4 Bde., Leip­ zig 1855 – 1870 (002) ; Hermann Bonitz : Index Aristotelicus, Berlin 1870 (002) ; Eduard Zeller : Die Philosophie der Griechen (…), 4 Bde., Tübingen 1844 – 1868, 2., völlig umgearb. Aufl. u. d. T. Die Philosophie der Griechen in ihrer geschichtlichen Entwicklung, 1856 ff. (001) ].



Vorbemerkungen

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hanglosen Vielheit gegenüber. Wir suchten beiden Anforderun­ gen dadurch einigermaßen nachzukommen, dass wir den Gegen­ stand in zwiefacher Art vorführten. Einmal ist ein Umriss der Geschichte der Terminologie im Ganzen versucht. Hier erschien es als Ziel, die Entstehung der wichtigern und namentlich der noch heute gebräuchlichen Termini anzugeben, die einzelnen Persönlichkeiten und Epochen nach ihren Gesamtleistungen zu charakterisieren, die entscheidenden Wendepunkte in ihrem Zu­ sammenhange mit der allgemeinen geistigen Bewegung zu be­ leuchten. Die innere Geschichte der einzelnen Termini kommt dabei nicht zur Geltung, die Bedeutung, welche sie für die Be­ griffe haben, bleibt im Hintergrunde. So schien ein zweiter Ab­ schnitt notwendig, dessen Aufgabe darin läge, die mannigfachen Beziehungen von Wort und Begriff darzustellen und die wechsel­ vollen Geschicke des Wort und Begriff verbindenden Terminus von der Entstehung bis zum Untergang zu verfolgen. Mag bei der Arbeit im Einzelnen bald das Positiv-Historische, bald das Begrifflich-Philosophische vorwiegen, für das Ganze schwebte uns als Ziel vor, beides gemeinsam festzuhalten und miteinander zu verknüpfen. Dadurch allein kann das Kleine, welches der Gegenstand unvermeidlich mit sich bringt, in Zu­ sammenhang mit philosophisch bedeutsamen Problemen treten, dadurch allein wird es ermöglicht, an diesem Punkt verschiedene Interessen zu gegenseitiger Unterstützung zu vereinen. Würde die Behandlung der Terminologie zu einer bloßen Sammlung von Notizen und Kuriositäten herabsinken, so würden wir vo­ ran dagegen Verwahrung einlegen, dass eine solche Beschäfti­ gung sich als philosophische Arbeit geltend mache. Nur unter der angegebenen Bedingung dürften Untersuchungen über Ter­ minologie einige Berechtigung haben, sich in den Dienst der Phi­ losophie zu stellen. |

I. Gesamtgeschichte der philosophischen ­Terminologie

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ie mannigfache Dienste eine zusammenhängende Ge­ schichte der Terminologie der Geschichte der Philosophie zu erweisen vermag, das bedarf keiner eingehenden Darlegung. Mag die Terminologie je nach der Natur des Gegenstandes in einzelnen Fällen entscheidend, manchmal unterstützend, oft vorbereitend Verwendung finden, ein nicht unwichtiges Moment wird sie fast überall bilden. Reihenfolge und Echtheit der Schrif­ ten eines Denkers, seine Stellung zu Vorgängern und Nachfol­ gern, Eigenart und Mittelpunkt seines begrifflichen Schaffens, ferner der eigentümliche Gehalt von Schulen und durchgehen­ den Parteiungen, von Völkern und Zeiten, alles das wird gele­ gentlich von hier aus erörtert und neu beleuchtet werden können ; auch das Bekannte von einem veränderten Standpunkte zu be­ trachten, mag einen gewissen Reiz haben, die ganze geschicht­ liche Bewegung wird sich hier wie in einem Längsschnitt, wenn auch nicht vollständig, so doch wohl markiert darstellen. Über­ all löst sich das, was wir zunächst als Ganzes anzusehen pflegen, in verschiedne Fäden auf, wir verfolgen das Einzelne in seine Verbindungen, Verästelungen und Verwicklungen und ergrei­ fen dadurch manche sonst verborgene Zusammenhänge. Eine prä­zisere Auffassung wird also mannigfach angebahnt, grö­ bere oder feinere Missverständnisse [ werden ] beseitigt. Der allgemeinen Wertschätzung der Philosophie aber vermag sol­ che Forschung insofern Vorteil zu bringen, als sie geeignet ist, dem Herabziehen denkender Begreifung in die Sphäre des ge­ meinen Verstandes entgegenzuwirken. Es zeigt sich, dass | die Sprache der Wissenschaft und die in ihr sich bezeugende Auf­ fassung der Dinge, die wir leicht als etwas Selbstverständliches ansehen, unter harten Kämpfen durch die Arbeit von Jahrtausen­ den ausgebildet ist, dass das Einzelne ganz bestimmten geistigen Strömungen entsprang, das Ganze eine fortwährende Erhebung

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Gesamtgeschichte der philosophischen ­Terminologie

des Denkens über die unmittelbaren Eindrücke zur Vorbedingung hatte. Je mehr wir aber also die Terminologie zu wichtigen Proble­ men in Beziehung setzen, desto mehr muss darauf gedrungen werden, dass ihre Betrachtung meist nur unterstützend und die­ nend nützen kann. Bei einem mehr Äußerlichen mögen auch äußere Momente unmittelbar zur Entscheidung führen : je mehr sich die Fragen vertiefen, desto mehr werden jene sich sachlichen Erwägungen anschließen und unterordnen müssen. Jedoch was für sich allein nicht endgültig entscheidet, ist darum noch nicht zu verachten, am richtigen Punkt zur Verwendung gebracht, vermag es vielleicht bisweilen den Ausschlag zu geben. Gerade dass die Terminologie etwas Äußerliches und Untergeordne­ tes ist, kann in gewisser Hinsicht wieder zum Vorteil gereichen. Wir haben hier ein fest Ausgeprägtes und sicher zu Ergreifen­ des, eben das Kleine und darum unbeachtet Gebliebene kann der Forschung gelegentlich Anhaltspunkte bieten, wo alles Andere im Stich lässt. Mit der Feinheit der Methode steigt hier Reiz und Gewinn der Forschung. Nicht nur ist zu fragen, was vorhanden ist, sondern auch, was fehlt ; nicht nur die direkten Wirkungen der einzelnen Kräfte aufeinander, sondern auch die indirekten sind zu beachten ; nicht nur was in Aufnahme und Fortsetzung, sondern auch was in Abwehr und Bestreitung gestaltet ist, muss dem Blicke sich erschließen. Den eigentlichen Triumph feiern derartige Untersuchungen in der Behandlung wichtiger und ver­ wickelter Einzelfälle, die allgemeine Betrachtung muss sich da­ mit begnügen, derartigen Einzelforschungen den Boden zu berei­ ten und ihre Ergebnisse einem größeren Ganzen einzureihen.

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Griechentum1 In der Geschichte der griechischen Terminologie bezeigen sich wesentliche Eigentümlichkeiten und Vorzüge der griechischen Philosophie. Die Ursprünglichkeit der ganzen Bewegung und | ihre Unabhängigkeit von äußern Einflüssen sichert [ sichern ] der Terminologie einen einheitlichen Charakter, die zusammenhän­ gende Folge der Gestaltung und das Sichausleben der vorhande­ nen Kraft lässt [ lassen ] auch den sprachlichen Ausdruck zu reifer Entfaltung kommen. Wir sehen dabei eine Vielheit individueller Formen sich zu einem Ganzen verbinden, ohne darin einfach aufzugehen. Das Verschiedene tritt in lebendige Beziehung, in ausgleichende Berührung ; es verschmilzt oder bekämpft sich ; manches Einzelne geht dabei verloren, aber es wird ein Gemein­ sames gewonnen und als Gesamtbesitz durch die Zeiten geführt. Dass sich auch die innere Eigenart griechischen Denkens an unserm Gegenstande bekunde, darf vorausgesetzt werden, nur ist es nicht eben einfach anzugeben, wodurch sich jene Eigen­ art bestimme. Oft verfallen wir dem Irrtum, dem ganzen Grie­ chentum etwas als bezeichnend beizulegen, was in Wahrheit nur einer einzelnen Periode zukommt. Es durchkreuzt sich eben leicht das unmittelbar menschliche und das historische Inter­ esse. Jenes führt dazu, den Blick auf den Höhepunkt des Lebens und Schaffens zu richten : hier zu verweilen, an das hier Vor­ liegende die eigne Tätigkeit anzuschließen, scheint zweifellose Aufgabe. Nun aber beginnt die Verwirrung, wenn man sich ein­ fallen lässt, die hier gewonnene Auffassung auf das Ganze aus­ zudehnen und Vorangehendes wie Nachfolgendes lediglich nach seinen Beziehungen zu dem hier Gebotenen zu schätzen. Dann wird der Rahmen zu eng und viel Einseitigkeit wie Missverständ­ nis ist unvermeidlich. Das griechische Leben enthält weit mehr Mannigfaltigkeit, aber damit auch weit mehr Widerspruch und Kampf, als es denen erscheint, welche in der angegebenen Weise vom Teil aus das Ganze bemessen. Wir müssen uns daran ge­ wöhnen, auch hier viel Unbefriedigendes und Unvollendetes, ja viel Verfehltes anzutreffen. Aber wenn damit manche Illusion zerstört wird, das Ganze erscheint reicher, die Ergebnisse, weil ▷ Kommentar S. 271 ff.

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durch Kampf und Irrung hindurch gewonnen, [ erscheinen ] grö­ ßer ; jedenfalls aber tritt uns alles menschlich näher als in jener unhistorischen Vergötterung. So hat auch das Lob, was oft der griechischen Terminologie gespendet wird, seine volle Berechti­ gung nur für jene klassische Zeit, deren Höhepunkt auf unserm Gebiet bei ARISTOTELES liegt. Hier erfasst sich das Denken im engsten Zusammenhang mit der Welt und glaubt sich in ihr wie­ derzufinden, ihre ganze Fülle soll vom Bewusstsein aufgenom­ men, das Chaos der | unmittelbaren sinnlichen Erfahrung durch formende Tätigkeit zu seinem ursprünglichen Wesen zurückge­ führt werden. Das Mannigfache schließt sich zum Ganzen eines Systems zusammen, durch baumeisterliches Gestalten soll ein vollendeter Kosmos vor dem Auge des Geistes erstehen. Es geht zunächst das Denken in die Dinge ein, nimmt sie in sich auf und sättigt sich mit ihrem Gehalt. Aber alsdann erweist es sich mäch­ tig an dem Gegebenen, es verbindet, trennt, gestaltet und dringt dadurch zur wahren Welt vor. So überwiegt weder einseitig das Stoffliche noch das Formelle, das eine sieht sich auf das andere angewiesen. Bei einer solchen Bestimmtheit des Denkens kann in seinen Schöpfungen kein Abstand von Innerm und Äußerm zulässig sein, nicht darf sich ein Kern von der Erscheinung tren­ nen, sondern als Ziel gilt, dass Inneres und Äußeres in eins zu­ sammenfallen. Für unsere besondere Untersuchung besagt dies, dass das System der Begriffe und das der Termini sich möglichst vollständig decken sollen, die Sprache wird hier recht eigentlich Verkörperung des Gedankens, jede Differenz gilt als ein zu Be­ kämpfendes. Da solche Strebungen in großen Persönlichkeiten einen klassischen Ausdruck fanden, so lag es nahe, von hier aus einen Typus griechischer Terminologie zu entwerfen und ihn be­ wundernd den Bildungen der Neuzeit vorzuhalten. Zutreffend aber ist diese Ansicht nur insoweit, als man be­ rechtigt ist, den Höhepunkt der Bewegung, die klassische Aus­ prägung des Charakteristischen, dem Ganzen gleichzusetzen. Erweitern wir die Betrachtung, so finden wir in der griechischen Terminologie keineswegs durchgehend die Vorzüge, die wir etwa an einem ARISTOTELES hochschätzen. Es begegnen uns mannig­ fache Missstände und Irrungen, die denen späterer Zeiten eng

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verwandt sind. In der ersten Epoche der griechischen Philoso­ phie vermögen die sich aufringenden Begriffe noch zu keinem angemessenen Ausdruck zu gelangen ; sobald später die schöp­ ferische Kraft erlahmt, bekommen die Termini einen abstrak­ ten Charakter und verliert sich die reflektierende Gestaltung ins Künstliche ; endlich bildet sich gar eine Welt geistiger Innerlich­ keit, die zu dem sich vererbenden Wortschatz in einem grellen Missverhältnis steht ; kurz, alle die Schwierigkeiten, welche die Beziehung von Gedanken und Ausdruck, von Begriff und Wort mit sich bringt, gelangen schon auf griechischem Boden voll zur Geltung und führen die mannigfachsten Verwicklungen und Hemmungen | herbei. Auch hier ist das eigentlich Klassische nur ein kurzer Durchgangspunkt. Auch den Griechen ist nicht als Naturgabe mühelos in den Schoß gefallen, was einmal nur Er­ gebnis harter Arbeit und allmählich fortschreitenden Ringens sein kann. Damit ist natürlich nicht gesagt, dass nicht in allen Perioden sich in der griechischen Terminologie ein Gemeinsames und Durchgehendes bekunde, dass nicht auch in den abgezweigten, entlegenen und selbst verkümmerten Bildungen sich noch ein Schimmer griechischer Art entdecken lasse. Aber dieses Ge­ meinsame liegt einen Schritt weiter zurück, als es der ersten Be­ trachtung scheint. Um es zu finden, wird man sich in das Ganze einleben müssen. Es wird darauf ankommen, die Gesamtbewe­ gung durch das Einzelne zu verfolgen, die geschichtliche Ent­ wicklung in Eigentümlichkeit ihres Inhaltes und Ganges zu erfassen und überall ein Allgemeines zu suchen, das sich dem Einzelnen nicht entgegensetze oder doch von ihm ablöse, son­ dern welches dasselbe mit allen Kämpfen und Gegensätzen auf­ nehme und umschließe. Der Höhepunkt der Bewegung aber liegt ohne Zweifel da, wo der konkrete Lebensgehalt des gesamten Volksgeistes voll in die begriffliche Sphäre aufgenommen wird, das Denken aber seine abstrahierende, verflüchtigende und auflösende Kraft noch nicht zur Anwendung gebracht hat. Dieser Höhepunkt findet sich bei ARISTOTELES. Vom Standpunkte einer sich auf das Griechische beschränkenden Betrachtung tut man daher allerdings dem Vo­

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rangehenden und Nachfolgenden nicht Unrecht, wenn man jenes als Einleitung und Vorarbeit, dieses als Ausbau und Verwendung des hier Gewonnenen behandelt, die philosophische Ansicht aber wird, indem sie das Ganze verbindet und einem weitern Zusam­ menhange einfügt, auch dem Andern ein selbstständiges Inter­ esse erwerben. In der ersten Periode griechischer Philosophie stehen Ge­ danke und Ausdruck in einem offenbaren Missverhältnis. Das hier begrifflich Geleistete mag man nach Zeiten der Vernach­ lässigung jetzt eher zu überschätzen geneigt sein, jedenfalls ist unendlich mehr gefördert, als zur festen Gestaltung nach außen hin gelangte. Zutreffendes Verständnis und gerechte Wertschät­ zung der Denker wird hier an manchen Stellen aufs äußerste er­ schwert durch die Unbestimmtheit und Unangemessenheit des Ausdrucks.2 War es doch möglich, dass die einen in diesen Män­ nern nur unbe | holfene Anfänger erblickten, während die andern die wichtigsten Ergebnisse späterer Forschung aus ihnen heraus­ zudeuten unternahmen. In die Geschichte der Terminologie ist von hier sehr wenig eingegangen. Freilich entdecken wir bei verschiedenen der vor­ sokratischen Denker ein Streben nach einer größeren Bestimmt­ heit des Ausdrucks, mehrfach finden wir einzelne Worte wie in technischer Bedeutung wiederholt, endlich zeigt uns DEMOKRIT schon geradezu ein eigenartiges, wenigstens in den Umrissen zusammenhängendes System der Terminologie ; aber das behar­ rende Ergebnis der ganzen Tätigkeit ist trotzdem ein geringes. Das Einzelne steht nebeneinander, ohne sich zu einer Gesamtbe­ wegung zu verbinden, die sprachlichen Bildungen beginnen erst, sich dem Boden naiven Vorstellens oder dichtender Phantasie zu entwinden, manches bleibt keimartig, um erst nachher seine Vollendung zu finden, anderes, was sich hier schon entfaltet, wird von der spätern philosophischen Sprache nicht aufgenommen. Erleichtert ward dazu die Verdrängung des Ältern durch die Un­ befangenheit, mit welcher spätere Denker, vor allem ARISTOTE­ LES, die Ausdrücke jener umwandelten, die Begriffe ihrer eigenen Terminologie anpassend. Die neue Bezeichnung, gestützt durch ein zusammenfassendes System und dem damaligen Zustande

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von Begriff und Ausdruck besser entsprechend, gelangte oft so sehr zur ausschließlichen Geltung, dass sie selbst innerhalb des antiken Lebens die ursprüngliche vergessen ließ.A Bei manchen Ausdrücken vollzieht sich der Übergang in Anschluss an eine allgemeine Umwandlung allmählich. Die älteren Philosophen gebrauchen für Ding χρῆμα (χρήματα), πρᾶγμα beginnt in die­ ser Bedeutung erst aufzutreten, bei PLATO überwiegt πρᾶγμα, bei ARISTOTELES ist χρῆμα verschwunden.B Bei HERODOT und in den älteren hippokratischen Schriften finden wir als Aus­ druck für Ursache (neben ἀνάγκη) πρόφασιϛ. Das Wort behaup­ tet bei XENOPHON und PLATO | bisweilen einen solchen Sinn, während bei letzterm schon αἰτία vorherrscht. Bei ARISTOTELES ist jene Bedeutung von πρόφασιϛ verschwunden.C So ist es nur wenig von dem Erhaltenen, was auf jene erste Epoche seinen Ursprung zurückführt, und an dem Wenigen haftet noch mancher Zweifel. Es wird z. B. dem ANAXIMANDER die erste technische Verwendung von ἀρχή (Prinzip) beigelegt, aber weder in den Fragmenten dieses noch in denen der nach­ folgenden Philosophen noch in den ältern medizinischen Schrif­ ten lässt sich ein Beispiel derartigen Gebrauchs nachweisen, es scheint vielmehr PLATO zuerst das Wort begrifflich fixiert zu ha­ ben.3 Mehr Grund hat die Zurückführung der Verwendung von κόσμοϛ für das Weltall auf die Pythagoreer, jedenfalls finden wir A  So trat z. B. an die Stelle der ῥιζώματα des Empedocles bei Plato der Ausdruck στοιχεῖα, die σπέρματα des Anaxagoras wurden von den einer aristotelischen Bezeichnung entstammenden Homöomerien verdrängt, s. z. B. Lucrez I, 830 : Nunc ut Anaxagorae scrutemur homoemeriam, Stobaeus ecl. I. 10, 12 : Ἀναξαγόραϛ ἀρχὰϛ τῶν ὄντων τὰϛ δμοιομερείαϛ ἀπεφήνατο. – ὁμοιομερείαϛ αὐτὰϛ ἐκάλεσεν [ zitiert wohl nach Ioannis Stobaei Eclogarum Physicarum et ethicarum libri Duo. Recensuit August Meineke, Bd.  1, Leip­ zig 1860 ; die spätere Ausgabe von Wachsmuth (Curtius Wachsmuth, Otto Hense, 1894 : Ioannis Stobaei Anthologium, Bd.  1, Berlin 1894) liest αὐτά ἐκάλεσε. ] [ M.E. ] B  Sextus Empiricus Pyrrh. hyp. I, 216 erklärt daher den Satz des Protago­ ras : πάντων χρημάτων εἶναι μέτρον τὸν ἄνϑρωπον mit πάντων πραγμάτων κριτήριον εἶναι κτλ. C  Dass von späten Schriftstellern bisweilen das Ältere wieder aufgenom­ men wird, ist für die Gesamtbewegung ohne Bedeutung.

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das Wort bei EMPEDOCLES. ANAXAGORAS hat νοῦϛ καϑα­ρόϛ, DE­ MOKRIT τὰ ἄτομα. Ausdrücke wie φύσιϛ, λόγοϛ u. a. sind von der Gedankenbewegung schon mächtig ergriffen und weitergebildet. Eine nähere Untersuchung dieser ersten Epoche, eine Feststel­ lung der Übereinstimmung und Abweichung der einzelnen For­ scher würde mancherlei Interesse bieten, aber eine solche Unter­ suchung müsste sich mehr in das Einzelne einlassen, als es uns nach der einmal begrenzten Aufgabe möglich ist. Eine vollständige Änderung der Sachlage tritt ein, sobald wir uns der sokratischen Schule zuwenden. Zunächst empfinden wir subjektiv den Vorteil, dass nun zuerst unser Gegenstand dem Beobachter in helles Licht tritt ; musste man vorher meist aus ein­ zelnen losgerissenen Stellen ein Bild des Ganzen erraten, so brei­ tet sich nun eine reiche Fülle vor uns aus. Aber sofort werden auch neue Fragen hervorgerufen. Wenn wir von PLATO ausgehen, so handelt es sich zunächst darum, wie das Eigene und das von andern Aufgenommene ge­ schieden werden könne[ n ]. Aufgenommen aber hat PLATO nicht nur von andern Philosophen, sondern auch aus andern Wissens­ gebieten, vor allem aus der Mathematik und Medizin.A Es würde also erforderlich sein, die Entwicklungsstufe dieser Disziplinen um jene Zeit möglichst sorgfältig festzustellen. | Vor allem wird hier ein näheres Eingehen auf die hippokra­ tischen Schriften von Belang sein. Damit aber geraten wir in die Notwendigkeit, uns über die Reihenfolge und die Zeit derselben ein Urteil zu bilden, und sehen uns also wie in einen Zirkel ver­ setzt. Denn jene chronologischen Fragen zu entscheiden, ist eben die Terminologie das beste Hilfsmittel, sie scheint nicht wohl Licht von daher erwarten zu können, wohin sie vornehmlich es tragen soll. Indessen lässt sich ein ältester Kern mit ziemlicher Si­ cherheit bezeichnen und also ein Boden für die Vergleichung ge­ winnen. Viel Technisches in allgemeinen Begriffen findet sich in diesen ältesten Schriften noch nicht. Um ein Beispiel herauszu­ A  Εs würde sich bei letzterer namentlich um die Erkenntnislehre und die Psychologie handeln, s. [ Rudolf ] Hirzel : Untersuchungen zu Ciceros philo­ sophischen Schriften [ 3 Bde., Leipzig 1877 – 1883 (002) ], I, 131.

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greifen, mag es anziehend sein, den Ausdruck kausaler Verhält­ nisse zu verfolgen und mit dem der Philosophen zu vergleichen. In jenen Schriften finden sich nebeneinander πρόφασις, ἀνάγκη (öfter der Plural) und αἴτιον, während αἰτία und ἀρχή erst spä­ ter eintreten. Die spezifischen Bezeichnungen des eigenen Gebie­ tes gewinnt man hier auf einfachstem Wege, indem allgemeine Ausdrücke durch die strikte Beziehung auf den vorschweben­ den Gegenstand determiniert werden (wie z. B. ἄρξασϑαι, κρίνειν u. s. w.). Einzelne Worte, die später in der Philosophie in logischbegrifflicher Bedeutung zu weiter Geltung gelangten, haben hier einen eng begrenzten spezifischen Sinn (so z. B. ὑπόστασις = ­Bodensatz). In den spätern Schriften verrät sich dann greifbar der Einfluss der ausgebildeten philosophischen Systeme, daneben aber bleibt eine gewisse Kontinuität innerhalb der eignen Dis­ ziplin. Dies weiter zu verfolgen liegt außerhalb unserer Betrach­ tung, jedenfalls aber sollte auf die Wichtigkeit dieses Gegenstan­ des auch für die Philosophie hingewiesen werden. Ferner ist von Interesse das Verhältnis PLATONs zu XENOPHON. Es ergibt sich aus ihrer beider Vergleichung, was PLATO in der sokratischen Schule vorbereitet fand ; damit mag es sich recht­ fertigen, wenn wir einiges aus dem Wortschatze jenes Mannes zusammenstellen. XENOPHON hat u. a. ἀκρίβεια, ἀναλογίζεσϑαι, ἀπόδειξις, ἀπόκρυφος, γνῶσις, διαιρετός (was von früheren Phi­ losophen schon PARMENIDES hatte), διαλεκτικός, διαλογίζεσϑαι, διορίζειν, δόγμα, ἐμπειρία, ἔμφυτος, ἔννοια, ἕξις, ϑυμοειδής, ἰδι­ ότης (proprietas), καταλογίζεϑαι, λογίζεσϑαι, λογιστικός, μετά­ νοια, μηχανικός A, | οἰκονομικός, ὁρίζεσϑα B , πάϑημα, παράλογος, πολιτικός, πρακτικός, προκόπτεινC , σημεῖον und τεκμήριον, σκέ­ ψις, σοφιστικός, συμμετρία, τεχνικός, ὑπόϑεσις D, φιλανϑρωπία, φιλόσοφος, φυσικός (was sich zuvor in den Fragmenten des A  Memor. ΙΙΙ, I, 6 : τὸν στρατηγὸν εἶναι χρὴ καὶ ποριστικὸν τῶν ἐπι­τ η­ δείων τοῖς στρατιώταις καὶ μηχανικὸν καὶ ἐργαστικόν u. s. w. B  S. z. B. Memor. IV, 6, 6 : ὀρϑῶς ἄν ποτε ἄρα ὁριζοίμεϑα ὁριζόμενοι δικαίους εἶναι τοὺς εἰδότας τὰ περὶ ἀνϑρώπους νόμιμα. C  Das Wort kommt bei Plato und Aristoteles nicht vor, hat aber bei den Stoikern eine technische Bedeutung erlangt. D  Memor. IV, 6, 13 : ἐπὶ τὴν ὑπόϑεσιν ἐπανῆγεν ἂν πάντα τὸν λόγον.

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­ ELISSUS findet), ψυχαγωγεῖν. Von dem allen ist freilich weniges M XENOPHON eigentümlich, und eine eigentliche logisch-kausale Umbildung der Ausdrücke findet sich hier fast gar nicht. Worte wie αἰτία, ἀναλύεσϑαι, ἀξίωμα, ἀρχή, ἐνϑύμημα, ἐπιχείρημα, ϑεωρία, κατηγορία, ὁμωνύμως, οὐσία, πρόβλημα, στοιχεῖον ge­ hören noch ganz dem Gebiete des gewöhnlichen Vorstellens an. Erst bei PLATO tritt darin ein wesentlicher Umschwung ein, nun erst beginnt der Begriff sich zu voller Selbstständigkeit zu entwickeln. Eine große, bestimmt ausgeprägte, nach den ver­ schiedenen Richtungen hin durchgebildete, vor allem aber den Inhalt geistigen Lebens würdigende Weltbegreifung macht sich schaffend und gestaltend an dem sprachlichen Ausdrucke gel­ tend. Um von dem Äußerlichsten zu beginnen, führen wir zu­ nächst einiges von dem an, was uns hier neu entgegentritt. Frei­ lich wird man von solchem nicht immer erhärten können, dass PLATO selber der Schöpfer sei. Nur wo der Zusammenhang mit seinen eigentümlichen philosophischen Überzeugungen augen­ scheinlich ist, dürfen wir ihn sicher als Urheber bezeichnen.A An einzelnen Ausdrücken seien angeführt : αἱρετικός (untech­ nisch), αἰσϑητικός, αἰώνιος, ἀνάλογος, ἀναλογία, ἀνώμαλος, ἀνωμαλία, ἀπάϑεια, γνωριστικός, γνωστικός, διάγνωσις, διάϑε­ σις, διακόσμησις, διανοητικός, διαφορότης, δραστικός, εἰρω­ νικός, ἐναντιότης, ἔντεχνος, ἑτεροδοξία, ἑτεροιότης, ϑεωρητι­ κός, κριτήριον, μικρολογία, ὄντως ὄν, παιδαγωγικός, πλαστικός, ποιη­τικός, ποιότης (Theaet. 182 A)4 , προτρεπτικός, στατικός, συλλογισμός, συλλογιστικός, σύνοψις, συνοπτικός, σύστημα (selten), σχηματισμός, τελειότης, φαντασία (φάντασμα ist älter). Bemerkenswert sind ferner manche den systematischen Über­ zeugungen entspringende Unterscheidungen und Gegensätze : αἰσϑητός  – νοητός, ἀλλοίωσις  – περιφορά, γένεσις  – οὐσία, διαίρεσις – | συναγωγή, εἰκός (das Wahrscheinliche) – ἀνάγκη (s. z. B. Theaet. 162 E), ὄνομα – ῥῆμα, πρῶται und δεύτεραι αἰτίαι, φαινόμενον – ὄν und andres weiter unten Anzuführende. Groß A  Wir müssen hier mit Dank der Hilfe gedenken, welche uns das Lexikon von Ast bot [ Friedrich Ast : Lexicon Platonicum sive vocum Platonicarum index, 3 Bde., Leipzig 1835 – 1839 (001) ].

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ist endlich die Zahl der Ausdrücke, welche PLATO rein technisch bestimmte und zu philosophischen Begriffswörtern erhob. Hier­ her gehören z. B. : αἰτία, διαφορά, δύναμις, ἰδέα, ϑεωρία, μέϑοδος, ὅρος, οὐσία, πρόβλημα, στοιχεῖον, σύστασις, ὑπόϑεσις (Voraussetzung) u. a. Manches davon ist freilich weniger scharf abgeson­ dert als bei ARISTOTELES, der ursprüngliche Sinn macht sich oft noch weit mehr fühlbar (z. B. in ϑεωρία, πρόβλημα u. a.), bis­ weilen können wir den Prozess der Ablösung von ihm geradezu wahrnehmen (wie bei κατηγορεῖν, das schon die Bedeutung Aussagen anzunehmen beginnt). Vor allem wird die logische Termi­ nologie des ARISTOTELES erst vorbereitet, weit mehr Anschau­ liches und Bildliches haftet den Kunstausdrücken an. Aber die Bewegung ist mächtig begonnen und ihre Richtung auf große Ziele gesichert. Was immer auch an Einzelnem gehäuft werden mag, es kann nur als Beispiel des Einflusses gelten, den PLATOs machtvoller Geist auf die Sprache ausübte. Hier zuerst nimmt der philoso­ phische Gedanke Besitz von der ganzen Fülle des Gegebenen und gewinnt auch innerlich die Kraft, das Ergriffene von sich aus zu gestalten. Man mag über den metaphysischen Wert der plato­ nischen Ideenlehre verschieden urteilen : dass auf Grund der­ selben das erste umfassende Begriffssystem geschaffen wurde, kann niemand verkennen. Das Streben ging hier dahin, aus dem Wandel sinnlicher Erscheinung umgrenzte und beharrende Ge­ stalten herauszuheben ; dann aber alles Einzelne, was gewonnen war, zueinander in Beziehung zu setzen und zu einem großen Systeme zu verbinden. Das Mannigfaltige scheidet sich nicht, um gleichgültig nebeneinander zu verharren, sondern um sich in neuer Welt zu neuer Ordnung zusammenzufinden. Indem also das eine Anknüpfung an das andere sucht, beginnen die Teile aufeinander und jeder Teil auf das Ganze hinzuweisen. Es bilden sich Gruppen und Reihen ; mag die Betrachtung zur Einheit aufoder zur Vielheit absteigen, an jedem Punkte fühlen wir uns von dem Leben des Ganzen umfangen und weitergeführt. Zu diesem Streben des spekulativen Denkers nach einem kos­ mischen Begriffssystem gesellte sich das des Ethikers, das Man­ nigfache nach seinem Abstande von einem höchsten Ziele, nach

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seinen Leistungen für die Gesamtaufgabe abzuschätzen | und nach Stufen zu ordnen. Die Formen seelischer Tätigkeit, die Ar­ ten der Erkenntnis (εἰκασία, πίστις, διάνοια, νόησις), die Gestal­ tungen des geschichtlich-sozialen Lebens werden also geschieden und gewürdigt ; auch auf die Bildungen der Natur, ja auf Natur und Geist als Ganzes dehnt sich solche Betrachtung aus, endlich werden selbst die letzten ontologischen Bestimmungen von ihr ergriffen. Diese timologische Gestaltung verschmilzt aufs engste mit der spekulativ-metaphysischen, in der untrennbaren Eini­ gung beider beruht die Eigentümlichkeit, die Größe und die Ge­ fahr platonischer Art. Solche Grundstrebungen gelangen nun aber bei PLATO wenn auch nicht zu einem vollen, so doch einem annähernden Aus­ druck in der Sprache. Eben an dieser Stelle tritt seine Differenz von spätern Richtungen, die sich auf ihn zu berufen liebten, un­ verkennbar hervor. Wohl erhebt sich sein Denken über die vorlie­ gende Welt, aber in der Gewissheit, zur letzten Wahrheit vorzu­ dringen, und in der Hoffnung, das Ergriffene in der Erscheinung geltend zu machen. Die gegebene Welt soll nicht in unaufgelös­ tem Dunkel beharren, sondern von dem geistig geschauten Licht Helle empfangen. Überall ist der Drang mächtig, das innerlich Erfasste darzustellen und in das Äußere einzubilden. So kann auch der Begriff nicht in einer schroffen Abklüftung, ja in einem geraden Gegensatz zum sprachlichen Ausdruck verharren, wie wir es später bei den Neuplatonikern antreffen werden. Die ganze Sprache wird vielmehr von dem philosophischen Gedanken er­ griffen, verwandelt und vergeistigt. Auch was für sich unverän­ dert bleibt, erhält durch die Einfügung in ein großes eigenartiges System eine Umgestaltung. Freilich stehen der Einbildung des Begrifflichen in das Sprach­ liche erhebliche Hemmnisse entgegen, die man nicht herabzu­ mindern braucht, um an der Wertschätzung des von PLATO Geschaffenen festzuhalten. Zunächst erfasst das Interesse des Philosophen das Viele und Einzelne nicht mit voller Kraft, rasch strebt er zum Allgemeinen auf, und wenn dieses auch in die Man­ nigfaltigkeit sich ergießen und verzweigen soll, so gelangt doch solche Bewegung nicht zu vollendetem Abschluss. Vieles wird

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tatsächlich nicht vom Begriffe aufgenommen und beherrscht. Dann aber behauptet der Begriff selber eine gewisse Überlegen­ heit über alle äußere Darstellung, das Denken erhebt sich über die vorliegende Welt, wenn auch nicht um in dem Transzenden | ten zu verharren, so doch um hier den Schlüssel für das Verständnis des Gegebenen zu finden. Es hat daher seinem Inhalt nach et­ was, was sich einem vollentsprechenden Ausdruck entzieht. Bei solcher Sachlage wird die Kraft der Phantasie dem Philosophen verhängnisvoll, das Bild gesellt sich zum Begriff und verschmilzt mit ihm zu einer untrennbaren Einheit.A Nicht als ob das Denken sich gegenüber der sinnlichen Vorstellung nicht aufzuringen ver­ möchte – an manchen Punkten beweist sich PLATO in der Kunst rein begrifflicher spekulativer Dialektik als Meister aller griechi­ schen Philosophen, ARISTOTELES eingeschlossen –, aber jenes Weltüberlegene, wohin ihn das Denken führt, will er zu einem Konkreten, Lebendigen erheben, es der menschlichen Persön­ lichkeit nahebringen ; die Philosophie strebt danach, Kunst zu werden, das Gedankenhafte möchte sich in Anschauung umset­ zen, und da ist denn freilich nicht zu vermeiden, dass das Bild sich dem Begriff einmische. Hier wie an anderen Stellen mangelt es an einer genügenden Sonderung der verschiedenen Aufgaben und Gebiete. Das Man­ nigfache in Eins zusammenzuschauen und jedes Einzelne vom Ganzen her zu beleben und zu bereichern, das hat PLATO vor allen Anderen verstanden. Nicht aber hat er sich gleichmäßig bemüht, das Verschiedenartige auseinanderzuhalten und in sei­ ner spezifischen Eigentümlichkeit zu bestimmen. In den Grund­ begriffen, wie z. B. in Idee selber, trifft nicht selten Abweichen­ des zusammen und spielt ineinander über. In dem allen mag für die rein menschliche und künstlerische Betrachtung ein eigen­ artiger Zauber liegen, jene Verbindung des Vielen mag sich in hohem Grade fruchtbar und anregend erweisen : für den Stand­ punkt unserer Untersuchung bleibt das Fehlen einer abgrenzen­ den Gliederung ein unbestreitbarer Mangel. A  Es ist daher ein vergebliches Bemühen, Bildliches und Begriffliches bei Plato scharf gegeneinander abgrenzen zu wollen.

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Bei solcher Lage gerät der Ausdruck manchmal selbst ins Schwanken. Einmal verhält er sich den höchsten Begriffen gegen­ über anstrebend und nur annäherungsweise zutreffend. Es wird für den Gedanken eine Bezeichnung gesucht und gewählt, aber sie erweist sich bei näherer Betrachtung als nicht erschöpfend. Alsbald wird ein Neues herangezogen, das eine andere Seite auf­ helle. Aber auch hier stellt sich das Ungenügende heraus, und | so eilt der Gedanke weiter, vielleicht zum Alten zurück, vielleicht zu neuen Versuchen hin. Endlich stehen verschiedene Formen nebeneinander, alle mit dem Anspruch, aber keine mit dem aus­ schließlichen Recht, den Begriff zu vertreten. Andererseits aber treffen bei der geschilderten Eigenart des Denkens auch wieder mannigfache Begriffe in demselben Ausdruck zusammen ; je nach dem Zusammenhang muss er bald so, bald so verstanden werden, ohne dass doch das Verschiedene deutlich auseinander­ trete. So begründen sich jene Bemerkungen und Klagen über die Vieldeutigkeit der platonischen Redeweise, die wir schon im Altertum nicht selten vernehmen.A

A  S. z. B. Diogenes Laertius III, 38, 63 : χρῆται δὲ καὶ ἐπὶ διαφερόντων σημαινομένων τοῖς αὐτοῖς ὀνόμασιν [ C obet (Carel Gabriel Cobet : Dioge­ nes Laertius : De clarorum philosophorum vitis, dogmatibus et apophtheg­ matibus : libri decem ; Graec. et Latin. cum indicibus Didot, Paris 1850) liest διαφερόντων und übersetzt lateinisch : utitur et iisdem saepe nominibus in significandis rebus variis. Auch die frühere Edition von Hübner (Hein­ rich Gustav Hübner : Diogenis Laertii de vitis, dogmatis et apophtegmatis clarorum philosophorum : libri decem. 2 Graeca emendatiora edidit, nota­ tione emendationum, Latina Ambrosii interpretatione castigata, Appendice critica atque indicibus intruxit Henricus Gustavus Huebnerus Lipsiensis, Bd.  1, Lipsiae MDCCCXXVIII) bietet III 38, 63 διαφερόντων. Spätere (z. B. Hicks : Diogenes Laertius. Lives of eminent philosophers with an English translation by R. D. Hicks, 2 Bde., Cambridge, Mass. 1972) liest (mit Suda s.v. φαῦλος) διαφρόυτως, was in der Tat wohl passender ist. Denn es geht darum, dass dasselbe Wort in verschiedenen Kontexten unterschiedliche Bedeutung hat – und eben diese Vielfalt wird in antiken Lexica aufgearbeitet. ] [ M.E. ] – 64 : πολλάκις δὲ καὶ διαφέρουσιν ὀνόμασιν ἐπὶ τοῦ αὐτοῦ σημαινομένου χρῆται Stobaeus ecl. II, 3 u. 4 [ zitiert wohl nach Ioannis Stobaei Eclogarum Physicarum et Ethicarum libri Duo. Recensuit August Meineke, Leipzig 1860 ]. [ M.E. ]

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Wie weit sich in dem Umfange der platonischen Schrif­ ten eine Fortbewegung in den Termini dartun und von da auf die geschichtliche Folge der einzelnen Werke schließen lässt, ist sowohl wegen jener Eigentümlichkeit platonischer Darstel­ lung als auch aus anderen Gründen nicht leicht zu beantworten ; ebenso wird auch bei der Frage der Echtheit einzelner Abschnitte oder Schriften nur die sorgfältigste Untersuchung irgendwelche Ergebnisse herausstellen. Immerhin ist es nützlich, etwaige Ab­ weichungen und Besonderheiten der einzelnen Schriften zu be­ achten, wenn nur voreilige Schlüsse ferngehalten werden. Mag es bemerkenswert erscheinen, wenn in angefochtenen Schriften sich sonst nicht vorkommende Kunstausdrücke finden, so darf nicht vergessen werden, dass auch durchaus authentische Werke einzelnes Eigentümliche bieten. Es wäre auch ja ein Wunder, wenn ein so reicher und so strebend fortschreitender Geist sich an dieser Stelle überall gleichmäßig bezeigen sollte.A – Mit der platonischen Redeweise ist auch die platonische Termino­ logie bis in die letzten Zeiten griechischer Literatur nachahmend ver | wandt,B noch bei spätern Kirchenvätern können wir in der A  Beispielshalber führen wir einiges Eigentümliche aus dem Sophistes und Politikus, bekanntlich mannigfach bestrittenen Schriften, an. Im So­ phistes allein findet sich (soweit wir uns auf Asts Angaben verlassen dür­ fen) : ἀνϑρωπικός, ἀντίϑεσις, ἄτομος, ἐπιδεικτικός (aber nicht in der durch Aristoteles technisch gewordenen Bedeutung), ἱστορικός (ἱστοpία ist älter), συνέχεια (Verbindung), φανταστικός (wie überhaupt viele Ableitungen auch ικος), φάσις ; in Politikus : ἀρχιτεκτονικός, γνωστικός (oft), ἐνάργεια (was Aristoteles nicht hat), κριτικός, συγκριτικός, συνϑετικός. Ferner sind hier beachtenswert die vielen Einteilungen, aus denen die Scheidung der ἐπιστήμη πρακτική und γνωστική herausgehoben werden mag. B S. [ David ] Ruhnken, Ausg. des Lexikons von Timäus [ Timaei Sophis­ tae Lexicon Vocum Platonicarum, Leiden 1754, 21789 (002) ], Vorw. pg. XX (sq.) ] : »Vix quisquam post heroica illa tempora ad scribendum accessit, quin se totum ad aliquem antiquiorum, qui omnium consensu ingenii ac doctri­ nae principatum tenerent, exprimendum imitandumque daret. Quemcum­ que vero sibi delegisset, ejus non solum voces, formulas, complexionesque verborum, sed sententias etiam et bene dicta acerrimo consectabatur stu­ dio, in succumque, quod ajunt, et sanguinem vertebat. Sed ex illis Heroibus quatuor inprimis posterior aetas et admirata est et ad imitationem vocavit, Ηomerum, Thucydidem, Platonem, et Demosthenem.«

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Verwendung spezifischer Ausdrücke eine platonische Strö­ mung erkennen und aussondern. Wie viel günstiger ARISTOTELES’ philosophische Art der Aus­ bildung der Terminologie war, ist hinreichend bekannt. Das Stre­ ben nach einer immanenten Weltbegreifung, die Erfassung der gesamten Mannigfaltigkeit des Gegebenen bis zur individuellen Gestalt, die schärfere Scheidung der einzelnen Gebiete, die streng begriffliche, das Bildliche zurückhaltende Weise des Denkens : es vereint sich alles, um auf unserm Gebiete einzigartige Leistun­ gen hervorzubringen. Bei keinem Denker ist eine solche Aus­ gleichung von Inhalt und Form erreicht, bei keinem so sehr alles Begonnene auch zur Vollendung gebracht wie bei ARISTOTELES. Man wird keinen wichtigen Begriff aufweisen können, dem nicht auch seine bestimmte Form zugeteilt sei, aber andererseits geht auch der Ausdruck so sehr darin auf, Träger des Inhalts zu sein, dass nirgends das Formelle überwuchert. Schwerlich ist bei ihm auch nur eine Neubildung zu finden, die sich nicht durch begriff­ liche Motive vollauf rechtfertigte. Einzigartig ist ferner die baumeisterliche Kraft, mit welcher der Philosoph alles Einzelne aufsteigend zum Ganzen fügt, das Ganze im Einzelnen zum Ausdruck bringt. Wie ihm in Natur und Geistesleben der durchgehende Wertbegriff die Gliederung (διάρϑρωσις) ist A, so scheint ihm auch für die eigene Denk­tätig­ keit diese Aufgabe obenan zu stehen. Das Viele ordnet sich ihm zu einem System, das Allgemeine weiß er durch präzise und dem Wesen der Sache entspringende Einteilung bis in die feins­ ten Verästelungen zu verfolgen. Überall zeigt sich eine gewaltige analysierende und distinguierende Kraft, die nicht eher rastet, bis sie die letzten und spezifischen Unterschiede ergriffen hat. Es sind die Gliederungen und Reihen nicht nur entworfen, son­ dern auch ausge | führt, die Synonyma scheiden sich, mögen sie auch nicht immer der strengen Bestimmung nach festgehalten sein, auch die ganzen Gebiete treten innerhalb des Systems aus­ A  S. Näheres darüber in meiner Schrift über die Methode der aristote­ lischen Forschung [ Eucken : Die Methode der aristotelischen Forschung in ihrem Zusammenhang mit den philosophischen Grundprincipien des Aris­ toteles dargestellt, Berlin 1872 (002) ; vgl. GW, Bd.  13, S. 40 ].

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einander. Wie wir hier die erste streng gesonderte Behandlung einzelner Disziplinen erhalten, so gewinnen auch die besonderen Begriffe an ihrer Stelle eine eigentümliche Bedeutung. Nirgends hat in Begriffen und Termini die Philosophie so in die einzelnen Wissenschaften einzugreifen vermocht als bei diesem Denker. So sehr ist alles ineinander gekettet und steht das Ganze als ein Fertiges vor unsern Augen, dass wir nur mit Mühe zu einer genetischen Erklärung des Systemes durchdringen. Bei näherem Zusehen stellt sich freilich heraus, dass ARISTOTELES’ Begriffe nicht überall gleichmäßig durchgearbeitet sind. Seine Stärke liegt namentlich in den mittleren Begriffen, während die obersten nicht selten mit Unklarheit und Zweideutigkeit behaftet sind.A Der Grund dieser letztern Erscheinung beruht in seinem Ver­ hältnis zu PLATO. Indem er demselben die prinzipielle Grund­ lage der Weltbegreifung entlehnt, hat er seine eigne Richtung in einem gewissen Gegensatz dazu ausgebildet. So konnte es ge­ schehen, dass in wichtigen Punkten Voraussetzung und Ziel in Differenz, ja in Widerspruch gerieten. Die daraus erwachsenden Missstände verringern sich aber in dem Maße, als das Denken sich dem Vorliegenden annähert, an der Stelle, wo Einzelnes und Allgemeines sich berühren, bekundet sich vornehmlich die Meis­ terschaft des Philosophen. Da nun dieser ganze Reichtum an Begriffen nach einer ad­ äquaten Darstellung in der Sprache strebt, so muss eine ge­ waltige Fortbewegung des Überkommenen stattfinden.B Eine umfassende Untersuchung des hier von ARISTOTELES in der Gesamtheit Geleisteten wäre eine äußerst wichtige Aufgabe, für ihre Durchführung aber sind die Grundlagen in dem Index BO­ NITZENs in höchst erwünschter Art gegeben. Durchgehend ist in diesem ausgezeichneten Werk jenem Gegenstand Interesse und Arbeit in so hohem Grade zugewandt, eine solche Fülle von wich­ tigen Ergebnissen harrt nur der Zusammenstellung, dass hier an­ schließende Untersuchungen die Wege durchaus be | reitet fin­ A 

Man denke nur an Begriffe wie οὐσία, ὕλη, δύναμις u. a. oft führt Aristoteles an, dass die Sprache für einen Begriff keinen Ausdruck biete, namentlich oft vermisst er eine Bezeichnung für um­ fassende Gattungsbegriffe, s. Bonitz im Index unter ἀνώνυμος. B  Ungemein

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den. Dazu aber ist die Frage weitaus zu wichtig und schwierig, als dass man sie so nebenbei behandeln könnte, wir begnügen uns daher damit, einiges ganz an der Oberfläche Liegende zu erwähnen. Zwei Wege standen dem Philosophen zur Gestaltung des eig­ nen Begriffssystemes offen : Umbildung des Alten und Schaffen von Neuem. Beide hat er betreten, im Ganzen aber überwiegt der Anschluss an das Überlieferte. Auch hier verleugnet sich nicht die Eigentümlichkeit seines Strebens, alles was der griechische Geist hervorgebracht, aufzunehmen und denkend zu vertiefen. Das Vorliegende wird klarer erfasst und schärfer gesondert, die Definition ist zur Hand, um dem durch die Geschlechter Fort­ geführten nunmehr einen bestimmten Wert zu verleihen, die Einteilung, das sonst ineinander Überfließende auseinander zu halten. Dann aber wird ein Begriffliches aus dem Vorliegenden herausgearbeitet. Bald erweiternd, bald verengend, bald verbin­ dend, bald zerlegend, immer aber mit feinem Takt und in si­ cherm Schritt hat der Philosoph die vorgefundene Sprache sei­ nen Zwecken angepasst. Die Art dieser Umbildung näher zu verfolgen, wäre von hervorragendem Interesse. Sowohl festzu­ stellen, welche Gebiete und Punkte das Denken zum Ausgang nimmt, als zu verfolgen, wie es von hier zum reinen Begriffe vor­ dringt, das könnte eine Fülle anziehender Einsichten gewähren. Obenan steht die Ausbildung der logischen Terminologie. Hier war es Aufgabe, allen spezifischen Inhalt abzustreifen und reinen Formverhältnissen zum Ausdruck zu verhelfen. Je näher man die Art prüft, wie ARISTOTELES diese Aufgabe gelöst, desto mehr Bewunderung wird man ihm zollen. Es sind durchgehend die nächsten Wege eingeschlagen, die einfachsten Verhältnisse von Raum, Zeit und Bewegung zur Bezeichnung logischer Opera­ tionen und Verhältnisse verwandt ; das einmal Fixierte aber ist mit eiserner Energie gegen das Eindringen bildlicher Vorstellun­ gen festgehalten ; kein Wunder, dass von hier aus die Sprache der Wissenschaft für Jahrtausende bestimmt ist. An manchen Stellen aber ließ sich die Lücke durch Benutzung oder Umgestaltung eines Herkömmlichen nicht wohl ausfüllen. Dann hat ARISTOTELES Neubildungen nicht gescheut, auch hier

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aber so weit wie möglich sich an das Vorgefundene angeschlos­ sen. Wer sich gegenwärtig hält, wie viel an Begriffen er zuerst deutlich herausgestellt hat, der wundert sich vielleicht | weniger darüber, dass sich einzelnes fremdartig Anmutende bei ihm fin­ det (wie z. B. das vielbesprochene τὸ τί ἦν εἶναι), als dass solches so selten vorkommt. Einzelne seiner Schöpfungen sind sofort in die Volkssprache eingedrungen, ja haben sich Einlass in die ver­ schiedensten Sprachen unserer Kulturwelt verschafft (wie z. B. ἐνέργεια). Dass die gesamte Sprache des ARISTOTELES dem aus der An­ schauung griechischer Welt zu ihm sich Wendenden ein gewis­ ses Befremden erregt, soll nicht geleugnet werden. Aber die Schuld liegt nicht sowohl an der Einzelpersönlichkeit als an der Natur begrifflichen Denkens selber. Die Philosophie muss eine gewisse Losreißung von der unmittelbaren Welt vollziehen, um ihre eigne Aufgabe zu erfüllen, die rein begrifflichen Verhält­ nisse müssen herausgehoben, geklärt und durch die Sprache be­ festigt werden. Die den Worten anhaftenden Nebenbeziehungen verschwinden, Sympathien und Antipathien treten zurück, die lebendige Frische des unmittelbaren Eindruckes muss, wie es scheint, einem Reich der Schatten zum Opfer fallen. So liegt das Gefühl des Unmutes über die anscheinende Verarmung nahe, und leicht wendet sich die Klage gegen den Philosophen, dass er die Menschheit um die Wirklichkeit betrüge. Aber eine solche Betrachtung würde die positive Seite des Prozesses übersehen, die wenigstens bei ARISTOTELES im vollsten Maße vorhanden ist. Man darf sein Verfahren nicht in dem Sinne ein abstrahierendes nennen, als ob er nur gewisse gemeinsame Eigenschaften von den Dingen abzöge, um daraus eine begriffliche Welt zu bilden. Dann müsste sich freilich das Denken, je weiter es fortschritte, desto mehr von Wahrheit und Wirklichkeit entfernen. ARISTOTELES dringt in die Dinge ein, erfasst ihr Wesen durch den Begriff als lebendige Kraft und sucht von hier aus die ganze Fülle des Ge­ gebenen zu verstehen. Bei ihm wird alles in eine große konkrete Weltanschauung aufgenommen und dadurch bestimmt, spezi­ fische Grundgedanken umfassen und tragen alles Einzelne, er­ strecken sich bis in das Besondere und geben allen Begriffen bis

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zu den Kategorien aufwärts einen lebendigen Inhalt. Überall se­ hen wir die Eigenart des Philosophen sich mächtig bezeugen und fühlen uns an jedem Punkt auf den Zusammenhang des Ganzen hingewiesen. Wenn spätere Zeiten zu der spekulativen Tiefe des Systems nicht mehr durchdrangen, dann mochte manches in den Begriffen und Termini als bloß formal und ab | strakt erscheinen ; nachdem die treibende Kraft des Ganzen erloschen war, das Er­ starrte und Auseinanderfallende manchen Tadel finden ; an dem Philosophen lag die Schuld nicht. Die synthetisch aufbauende Kraft ist bei ihm der logisch-analytischen vollauf gewachsen, ja überlegen ; an die Stelle der Welt, welche sein Denken auflöste, setzte es eine ganz erfüllte und lebendig ineinandergreifende neue. Eben zu einer solchen Überzeugung vermag eine eingehende Untersuchung der Terminologie hinzuführen, und also kann sie die Wertschätzung des Mannes einigermaßen dem Streit der Parteien entziehen. An ARISTOTELES lässt sich viel mäkeln. Wer sich nicht die Gesamtlage damaliger Forschung vergegenwärtigt und an dem Einzelnen seine Kritik zu üben beginnt, dem wird der Stoff zum Tadel nicht leicht ausgehen. Gerade weil ARISTO­ TELES den ganzen Stoff des Erkennens in den philosophischen Gedanken verarbeitete, blieb er an den damaligen Zustand wis­ senschaftlicher Einsicht gebunden und war mannigfachen Ir­ rungen schutzlos preisgegeben. Aber wir brauchen lediglich das auf unserm Gebiet Geleistete unbefangen zu würdigen, um die überlegene Kraft seines Geistes vollauf zu empfinden. Der Schöp­ fer der universellen Sprache der Wissenschaft musste tiefer und selbstständiger in die Dinge schauen, als dass man ihn für einen bloßen Künstler der Abstraktion oder auch für einen gelehrten Kompilator ausgeben dürfte. Für unsern Gegenstand im Beson­ dern trifft jedenfalls in vollem Umfang die Überzeugung SCHEL­ LINGs zu, »dass derjenige nichts Dauerhaftes schaffen wird, der sich nicht mit ARISTOTELES verständigt und dessen Erörterun­ gen als Schleifstein seiner eigenen Begriffe benutzt hat«.A A  [ Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling : Sämmtliche Werke, II, 1, Stuttgart 1856 (002) ], S. 380.

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Es mag nun noch gestattet sein, ganz äußerlich einiges von dem durch ARISTOTELES Umgebildeten oder Geschaffenen anzu­ führen. An neuen Ausdrücken finden wir unter anderen bei ihm : ἀδιαίρετος (individuus), 5 ἀδιάφορος (im logischen Sinne), ἀϊδιό­ της, αἰσϑητήριον, αἰτεῖσϑαι τὸ ἐν ἀρχῇ oder τὸ ἐξ ἀρχῆς (­petitio principii), αἰτιατός, ἄμεσος, ἀνάλυσις, ἀναλυτικός, ἀνομοιομε­ ρής, ἀντιδιαιρεῖσϑαι, ἀντιπερίστασις, ἀντίφασις, ἀντιφατικός (nur de interp.), ἀποδεικτικός, ἀπόφανσις, ἀποφατικός, γενικός, διάρϑρωσις, διαστολή, διχοτομία, εἰδητικός, εἰδοποιός, ἐκστα­ τικός, ἐμπειρικός, ἐναντιότης, ἐνέργεια, ἐνϑυμηματικός, ἑνό­ της, ἐνστατικός, ἐντελέχεια, ἐξωτερικός, ἐπακτικός (induktiv), ἐπεισοδιώδης, ἐπιστημονικός, ἑτερογενής, ἑτερότης, ζωϊκός, ἠϑικός, ϑεολογική, καταφατικός, κατηγορικός (bejahend), κοσ­ μικός, λογικός, μεταφορικός, μονο | πωλία, νοητικός, ὁλότης, ὁμοιομερής, ὀργανικός, ὁρικός, ὁρισμός, ὁριστικός, παϑητικός, παραδειγματικός, περιπἑτεια, πνευματικός, ποσότης (nur an einer Stelle), προβληματικός, πρότασις, προτατικός, σπερματι­ κός, στερητικός, στοιχειώδης, συμπαϑής, συμπέρασμα, συστοι­ χία, σωματικός, ταὐτότης, τοπικός, ὑλικός, φυσιολογία, φυτικός, ψυχικός. Wichtiger aber als das durch Neuschöpfung Gewon­ nene ist das durch Umgestaltung Geförderte. Streng genommen lassen fast alle wichtigen Ausdrücke den Einfluss aristoteli­ schen Denkens verspüren ; wenn wir hier Einzelnes auswählen, so halten wir uns vornehmlich an solches, wo die Wendung zum Technischen und speziell rein Begrifflichen merklich hervor­ tritt. Es sind daher namentlich logische Ausdrücke, welche wir hier anführen. So seien denn u. a. erwähnt : αἴτημα, ἀκολουϑεῖν, ἀκολούϑησις, ἄκρα (terminus minor und major), ἀντίϑεσις, ἀντι­ κατηγορεῖσϑαι, ἀντικεῖσϑαι, ἀντιστρέφειν, ἀξίωμα, ἀφαίρεσις, ἔκϑεσις, ἐμπίπτειν, ἐναντίος, ἐνϑύμημα, ἔνστασις, ἐνυπάρχειν, ἐπαγωγή, ἐπαλλάττειν, ἐπαμφοτερίζειν, ἔσχατον, ἴδιον, κατηγό­ ρημα, κατηγορία A, κεῖσϑαι, λαμβάνειν, μέρος, μέσον, μετέχειν, ὁμογενής, ὁμώνυμος, παρέπεσϑαι, περιέχειν, πρόσϑεσις, πτῶ­ A  κατηγοpεῖν hat schon bei Plato an einigen wenigen Stellen die allge­ meinere Bedeutung der Aussage, s. Trendelenburg : Geschichte. d. Katego­ rienlehre [ Berlin 1846 ], S. 2 ff.

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σις A, στέρησις, συγγενής, σχῆμα, συμβεβηκός, συμπεραίνεσϑαι, σύμπτωμα, συνακολουϑεῖν, σύνδεσμος, συνεχής, συνέχεια (Kontinuität), σύνολον, ὕλη, ὑποκείμενον, ὑπόστασις. Die sondernde Kraft des Denkens zeigt sich ferner in der schärfern Scheidung oder Entgegensetzung von Ausdrücken, sei es dass dieselben schon vorhanden waren oder dass sie erst ge­ schaffen wurden. Wir erinnern u. a. nur an die Unterscheidung von γένος – εἶδος B , ἕξις – διάϑεσις, κίνησις – ἐνέργεια, σημεῖον – τεκμήριον, τύχη – ταὐτόματον, ἐνδεχόμενον – δυνατόν, συνώ­ νυμα – ὁμώνυμα, ἀντίφασις – ἐναντίον, ποιεῖν – πράττειν ; ferner an Gegensätze wie ἀφαίρεσις – πρόσϑεσις, δύναμις – ἐνέργεια, ἐπαγωγή – συλλογισμός, οὐσία – συμβεβηκότα, παϑητικός – ποι­ ητικός (aber nicht νοῦς ποιητικός), διαλεκτικός – ἀποδεικτικός, ὁμοιομερῆ – ἀνομοιομερῆ, ἀναλυτικῶς – λογικῶς, πρότερον τῇ φύσει – πρὸς ἡμᾶς, ἄνω – κάτω (logisch), ἱστάναι – εἰς ἄπειρον ἰέναι und sehr vieles andere. Aber nicht nur zu Paaren, auch zu Grup | pen ordnen sich die Termini, allgemeinste Begriffe wie Ursache, Bewegung u. s. w. zerlegen sich mannigfach, und dass wir hier die erste ausgeführte Kategorientafel erhalten, soll nicht vergessen werden. In allem diesen Bilden und Schaffen erscheint ARISTOTELES PLATO gegenüber so sehr als der Fortführende und Abschlie­ ßende, dass man sich leicht der Annahme zuneigt, alles Plato­ nische als von ihm aufgenommen zu setzen. Nun aber finden sich manche Ausdrücke jenes bei ARISTOTELES nicht. Bisweilen sicherlich deswegen, weil derselbe gewisse platonische Ge­ danken und Begriffe mit Bewusstsein ablehnt. So z. B. wenn er Ausdrücke wie τὸ ὄντως ὄν, αἰώνιοϛ u. a. nicht verwendet, wenn er zur Bezeichnung des dem Geist Ursprünglichen nicht das PLATO übliche ἔμφυτος, sondern σύμφυτος wählt. Daraus, dass auch die untergeschobenen Schriften die platonischen Wen­ dungen nicht bieten, darf vermutet werden, dass die Schule an solcher Ablehnung festhielt. Auch das ist vorauszusehen, dass A  πτῶσις = »Biegungs- und Ableitungsendung im weitesten Sinne«, s. Tren­delenburg, a. a. O., S. 27. B  Bei Plato findet sich noch kein fester Sprachgebrauch hinsichtlich die­ ser Worte, s. Zeller : [ Die Philosophie der Griechen (001) ], II, 1, S. 526.

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Ausdrücke, welche der ethisch-religiösen Stimmung PLATOs entspringen, bei ARISTOTELES nicht vorkommen ; aber auch ver­ schiedene Bezeichnungen und Termini der theoretischen Phi­ losophie, welche später zu weiter Verbreitung gelangten, sind nicht durch ARISTOTELES den folgenden Geschlechtern vermit­ telt. So z. B. κριτήριον, das sich innerhalb der aristotelischen Schriften nur in einem sicher unechten Abschnitt des Buches K der Metaphysik findet, 6 σύννοια, σύνοψις, δραστικός, συνϑε­ τικός (s. S. *20, Fn.), συνοπτικός, ferner eine Reihe Abstrakta wie ἀνωμαλότης, ἁπλότης, διαφορότης, ἑτεροιότης, ἱκανότης. Eine allmähliche Entwicklung der aristotelischen Termi­ nologie aus der platonischen lässt sich übrigens in den vorlie­ genden Schriften nicht nachweisen, im Wesentlichen tritt alles wie fertig an uns heran. Nur das eine könnte etwa Anführung verdienen, dass in den logischen Schriften die ethischen und psy­ chologischen Beispiele durchgehend der platonischen Termi­ nologie entlehnt sind. Indessen kann diese Tatsache eine ver­ schiedenartige Erklärung finden. Auch für die Frage der Echtheit aristotelischer Schriften dürfte sich von hier aus nicht eben viel gewinnen lassen. Man findet nur bisweilen von hier aus sinn­ fällig bestätigt, was man auch sonst wusste, wie z. B. den Ein­ fluss stoischer Lehre auf die Schrift über die Kategorien und auf die sogenannte große Ethik. Wertvoller erweist sich die Termi­ nologie, indem sie das Ein | dringen einzelner späterer, nament­ lich stoischer Elemente in sonst echt-aristotelische Schriften erkennen lässt. Wenigstens werden wir da, wo Ausdrücke, die später landläufige Termini geworden sind, vereinzelt und ohne Zusammenhang mit aristotelischer Lehre auftreten, guten Grund zum Zweifel haben. In solcher Weise aber finden sich fremde Ausdrücke in einzelnen Schriften öfter als in andern, so z. B. häufiger in der Politik als in der Ethik, und hier wieder häufiger als in der Psychologie. Bei näherer Erforschung würde sich für die Geschichte aristotelischer Schriften hier zweifel­ los Verschiedenes gewinnen lassen A . Im Ganzen aber spricht die A  In der Politik findet sich sonst Ungebräuchliches namentlich in den ersten Kapiteln des 7. Buches. Hier treffen wir z. B. τὰ καϑήκοντα, Pflicht,

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von der Terminologie ausgehende Prüfung aufs Entschiedenste für die Echtheit und Unverfälschtheit der Hauptschriften. Eine wesentliche Umgestaltung späterer Zeit müsste weit mehr Frem­ des im Ausdruck eingemischt haben als wir tatsächlich vor­ finden. Auf die Schule des ARISTOTELES vermögen wir nicht näher einzugehen. Nur von THEOPHRAST sei einiges angeführt. Wir begegnen hier dem Ausdruck συμπάϑεια (in physikalischem, nicht in ethischem Sinn), ἰδιότης, was freilich XENOPHON, nicht aber PLATO und ARISTOTELES hatten,7 in präziserer Bedeutung, δυναμικός A, συμπτωματικός, vielleicht auch σχολαστικός (s. DIOG. Laert. V, 2,5). Die Wendung griechischer Philosophie, welche nach ARISTO­ TELES eintritt, bekundet sich auch in der Terminologie. Äußer­ lich freilich scheint auch später ein Fortschritt stattzufinden, und im Einzelnen wird noch manches Wertvolle gewonnen : die auf den innern Gehalt der Gesamtheit achtende Betrachtung wird nicht umhinkönnen, ein allmähliches Sinken zu konstatieren. Am meisten positives Schaffen findet sich bei den Stoikern, ja hier ist äußerlich die Terminologie viel weiter entwickelt als bei ARISTOTELES. Aber der Grund einer auf dem Gesamt | leben ru­ henden, zugleich konkret bestimmten und allumfassenden Welt­ begreifung ist verloren gegangen. Freilich arbeitet sich dafür ein allgemein Menschliches heraus – das mag für die universelle Be­ trachtung als Fortschritt gelten –, aber dies Neue blieb zunächst was ausdrücklich als stoischen Ursprungs bezeugt ist, ἐξωτεpικὰ ἀγαϑά, ἐξωτερικαὶ πράξεις, αὐτοτελής in einem sonst bei Aristoteles nicht üblichen Sinne, ferner eine ganze Reihe alleinstehender oder seltener Ausdrücke, deren nähere Erörterung uns aber zu weit führen würde. Auch im ersten Buch sind Spuren stoischen Sprachgebrauchs vorhanden. Dürfte aus Allem zusammen auf eine Bearbeitung der Schrift unter dem Einfluss der älteren Stoa geschlossen werden, so wäre damit ein wichtiger Anhaltspunkt für ihre Geschichte gewonnen. A S. [ A ristoteles ] Metaph. (Didot’sche Ausg.) 14 : ἀρχαὶ ἄμορφοι καὶ οἶον δυναμικαί [ Eucken bezieht sich wohl auf die Ausgabe von Friedrich Wim­ mer : Theophrasti Eresii Opera quae supersunt, omnia Graeca recensuit, Latine interpretatus est indices rerum et verborum absolutissimos adjecit Fridericus Wimmer, Paris, Didot, 1866 ; ND Frankfurt/M. 1964 (002). ] [ M.E. ]

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ein Abstraktes und wandte sich daher mehr zerstörend gegen das Überkommene, als dass es eine neue Gestaltung hervorge­ bracht hätte. Spätern Zeiten blieb es vorbehalten, das hier dem allgemeinen Umriss nach Erkämpfte mit lebenskräftigem Gehalt zu erfüllen. Bei der Terminologie ändert sich zunächst die ganze Art der Arbeit, die Bildung wird eine mehr reflektierende, schulmäßige, zersplitterte. Es entsteht ein innerer Widerspruch daraus, dass ein lückenloses Begriffssystem durchgeführt und in der Spra­ che wiedergegeben werden soll, ohne dass doch die Kraft vor­ handen ist, das Weltganze leitenden Gedanken zu unterwerfen. Klügelndem Scharfsinn muss also oft zugemutet werden, was nur ursprüngliches Schöpfungsvermögen zu leisten vermag. An ge­ wissen Grundtendenzen fehlt es natürlich nicht, aber sie erweisen sich nicht mächtig genug, alles zu ergreifen und zu gestalten. Geht nun trotzdem das Streben zu bestimmen und zu distinguieren weiter, so ist nicht abzuwenden, dass das Denken sich ins Schul­ mäßige verliere, die Bildung der Termini über das begriffliche Interesse hinausgehe und schließlich ins Endlose verlaufe. Frei­ lich darf nicht ohne Anerkennung bleiben, dass durch die weit­ gehende Verzweigung der Terminologie die Stoiker um einzelne Disziplinen sich hervorragende Verdienste erwarben, wie sie be­ kanntlich die Begründer der grammatischen Terminologie sind ; aber dadurch werden jene Bedenken nicht widerlegt. Die sorg­ fältige Durcharbeitung im Einzelnen vermag für die mangelnde Schärfe der Gesamtauffassung keinen Ersatz zu bieten. Es entspricht jener ganzen Richtung, dass auch die Stellung zur vorliegenden Sprache eine andere wird. Das Verfahren in Umbildung und Neuschöpfung wird ein willkürlicheres und rücksichtsloseres, es fehlt jenes enge Anschmiegen, jenes Her­ ausgestalten aus dem Vorliegenden, wie wir es bei ARISTOTELES bewundern. Manches Wort freilich, was bis dahin nicht in den Dienst der Wissenschaft gezogen war, erwirbt jetzt eine bleibende technische Bedeutung ; so namentlich manche psychologische und ethische Ausdrücke, man denke z. B. an ὁρμή (Naturtrieb), ἀπάϑεια u. a. Nicht Weniges aber wird ohne innere Notwendig­ keit | gemodelt, Anderes ohne feinern Takt wie dekretiert. Ferner

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hat es etwas Missfallendes, dass auch da, wo zutreffende Bezeich­ nungen vorlagen, wie in der Logik, das Schulinteresse die Stoiker zu neuen Versuchen veranlasst. Was den Gedankengehalt der stoischen Termini anbelangt, so ist eine weit abstraktere Fassung unverkennbar. Die Begriffe entspringen eben nicht mehr durchgängig einer universell phi­ losophischen Theorie und werden nicht von einer großen geisti­ gen Anschauung getragen. So geraten sie in Gefahr, unbestimmt und inhaltsleer zu werden. Wir brauchen nur Grundbegriffe wie λόγος, φύσις u. s. w. zu betrachten, um uns dessen zu vergewis­ sern. Es lässt sich aber behaupten, dass durchgängig die Begriffe abstrakter geworden sind als bei PLATO und ARISTOTELES und dass also auch da, wo die Termini äußerlich unverändert blieben oder nur ein Wort durch ein anderes ersetzt scheint, doch eine innere Verschiebung eingetreten ist A . In dem allen ist ein Sinken gegenüber PLATO und ARISTOTE­ LES unverkennbar, nur darf man sich deswegen nicht über die Stoiker erbosen und den Persönlichkeiten zur Last legen, was nach der ganzen Lage der Zeit unvermeidlich war. Und auch das darf nicht verkannt werden, dass sie unter den veränderten Ver­ hältnissen Begriffe und Termini schufen, die für den Fortgang des Erkennens und des geistigen Lebens von erheblichster Be­ deutung waren. Im Bewusstsein des sich auflösenden Altertums haben dieselben allem andern vorangestanden, die Neuzeit hat mannigfach an sie angeknüpft. Jedenfalls werden wir das von den Stoikern Geförderte da­ nach unterscheiden, ob es mehr eine technische Bearbeitung des Überkommenen bietet oder ob es wirklich neuen Begriffen zum Dasein verhilft. Das Einzelne hier zusammenzustellen, hat schon insofern etwas Missliches, als wir bei dem Verlust der äl­ tern Quellen über den Verlauf der Entwicklung recht mangelhaft unterrichtet sind und oft aus sehr entfernt liegenden Angaben schließen müssen. Nur einiges Wichtigere soll daher hier an­

A  Man vergleiche z. B. nur den stoischen Begriff des Fortschrittes mit dem aristotelischen.

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gemerkt sein. Von einzelnen Ausdrücken A seien u. a. erwähnt : | καϑολικός, μεϑοδικός, πραγματικός, B συστηματικός, οὐσιώδης (substantiell), eine Fülle von Bildungen wie ἀναγκαιότης, ἀνϑρωπότης, σωματότης u. s. w. Sehr viele Ausdruckspaare fin­ den sich vor, bald durch Neubildung, bald durch genauere Dis­ tinktion entstanden. Dem νοητόν (intelligibilis) tritt hier zuerst das νοερόν (intellectualis) entgegenC , ferner ordnen sich nebenoder gegeneinander φαντασία – φάντασμα, ὑλικός – αἰτιώδης, ὑλικός – δραστικός, ἀγαϑὰ τελικά – ποιητικά, λόγος ἐνδιάϑετος – προφορικός, σημεῖον ἐνδεικτικόν – ὑπομνηστικόν und geradezu unzähliges andere.D ­Mehr Interesse hat es für uns, die Termini ins Auge zu f­ assen, welche wichtigen neugebildeten oder doch einflussreicher hervor­ tretenden Begriffen dienen. Eine Fortbewegung zeigt sich hier namentlich auf dem Gebiet der Erkenntnislehre und der Ethik. Dort war der Glaube an den unmittelbaren Zusammenhang von Denken und Sein, welcher die Grundlage des aristo­t elischen Systems bildete, schwer erschüttert, eine weite Kluft hatte sich zwischen Subjekt und Objekt aufgetan. Es galt nunmehr vom Innenleben aus in geregeltem Fortgange die Welt wiederzuge­ winnen, auf psychologischer Basis baut sich eine Erkenntnis­ lehre auf. Ein solcher bei allem innern Widerspruch bedeut­ A  Wir stellen hier aus den mannigfachen Quellen die Ergebnisse einfach zusammen, da es zu weit führen würde, jedes einzelne ausdrücklich zu be­ legen. B  Πραγματικὴ ἱστορία hat Polybius, doch bedeutet das Wort bei ihm nichts anderes als ὁ περὶ τὰς πράξεις (τρόπος), s. Θ 1 [ Eucken zitiert wohl Polybius Hist 9,1,6. Vielleicht bezieht er sich auf Polybii historia. Edidit Lu­ dovicus Dindorf. 4 Bde., Leipzig 1866 – 1868. Die Ausgabe von Büttner-Wobst (Polybii Historiae, editionem a Ludovico Dindorfi curatam retractavit Theo­ dorus Büttner-Wobst, Bd.  1 – 5, Leipzig 1882) lag Eucken 1879 noch nicht vor. ] [ M.E. ] Freilich hat er den Begriff, der später durch pragmatische Geschichtsschreibung ausgedrückt wurde, aber er heftet ihn nicht unmittelbar an jenes Wort. C  In echten Schriften Platons kommt νοερός nicht vor ; bei Aristoteles findet sich eine einzige Stelle, De part. an. 648a 3, aber gesetzt, man wollte dieselbe nicht beanstanden, so könnte doch von einem festen Sprachge­ brauch keine Rede sein. D  Weiteres ist hier namentlich aus Stobäus zu ersehen.

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samer Versuch musste Probleme und Gang des Erkennens in helleres Licht stellen und daher wichtige Begriffe veranlassen. Hier zuerst finden wir den Gegensatz von subjektiv und objektiv technisch fixiert (κατ’ ἐπίνοιαν – καϑ᾽ ὑπόστασιν oder ὕπαρξιν, ἐπινοεῖσϑαι  – ὑπάρχειν), hier begegnen uns συνείδησις (Bewusstsein) συνείδησις oder συναίσϑησις συστάσεως (Selbstbewusstsein), τύπωσις (Eindruck), κατάληψις (comprehensio) nebst καταληπτικός, ἐνάργεια (Evidenz), συγκατάϑεσις ; technisch ge­ schärft sind Ausdrücke wie ἔννοια (Begriff ), ἔννοιαι φυσικαί, κρι­ τήριον u. a. Auch die kausalen Termini werden mannigfach be­ reichert, z. B. durch αἰτιολογία | (αἰτιολογεῖν), αἰτιώδης (causalis), ἀκολουϑία, ἐπακολούϑημα, ἐπακοκούϑησις A, ἀποτέλεσμα (Ergebnis), die ἐμπειρία μεϑοδική tritt hier zuerst in einen bewuss­ ten Gegensatz zu der vagen Erfahrung des täglichen Lebens.B Sodann trieb das Streben, die Ethik auf die allgemeine ver­ nünftige Natur des Menschen zu begründen, manches Neue hervor. Wir finden z. B. hier zuerst eine feste Bezeichnung für Pflicht (τὰ καϑήκονταC), φιλανϑρωπία nimmt nun erst eine tie­ fere Bedeutung an, es gelangt der Gegensatz des κοινωφελής und ἰδιωφελής zur Anerkennung, ἀδιάφορος erhält eine ethische Be­ stimmung, der Begriff des Fortschrittes, für den PLATO und ARIS­ TOTELES ἐπίδοσις verwandt hatten, gewinnt hier in προκοπή A  Aristoteles hat noch keinen bestimmten Ausdruck für das Substantiv Folge. Es ist zu erinnern an das aristotelische ἀκολούϑησις, das aber eine engere logische Bedeutung hat. [ Ergänzt nach Eucken unter Corrigenda in der EA ] B  Es zeigt sich dies namentlich bei Polybius, der in der Terminologie sich den Stoikern eng anschließt, s. Θ 14 : τῶν δὲ προειρημένων τὰ μὲν ἐκ τριβῆς, τὰ δ᾽ἐξ ἱστορίας, τὰ δὲ κατ᾽ ἐμπειρίαν μεϑοδικὴν ϑεωρεῖται. [ genau zitiert : Polyb. Hist. Θ (= 9) 14.1. in : Polybii historia. Edidit Ludovicus Dindorf ]. [ M.E. ] C  S. Diogenes Laertius VII, 1, 62 : κατωνομάσϑαι δ᾽ οὕτως ὐπὸ πρώτου Ζήνωνος τὸ καϑῆκον. [ Die von Eucken aus Diogenes herangezogene Stelle findet sich bei Diog. Laert. an anderer Stelle : Diog. Laert. VII 1, 108, Cobet (zit. Ausg.), S. 182, 27. An der von Eucken angegebenen Stelle (VII 1, 62 Co­ bet, S. 172, 54) ist von Amphibolia (Doppeldeutigkeit) die Rede : Ἀμφιβολία δέ ἐστι λέξις δύο ἢ καὶ πλείονα πράγματα σημαίνουσα λεκτικῶς καὶ κυρίως καὶ κατὰ τὸ αὐτὸ ἔθος, ὥσθ᾽ ἅμα τὰ πλείονα ἐκδέξασθαι κατὰ ταύτην τὴν λέξιν. ] [ M.E. ]

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eine weit technischere Bezeichnung. Der Begriff des Individuellen und der Individualität (ἰδίως ποιόν, s. Prantl, Gesch. d. Log. I 432, ferner ἰδίωμα und ἰδιότης) tritt hier zuerst in voller Schärfe hervor. Aus der Lehre von Welt und Natur seien angeführt die Schärfung des Terminus σύστημα, des Begriffes des Weltgesetzes, ferner λόγος σπερματικός und ἀντιτυπία (vom Stoffe). Im Lauf der Jahrhunderte sinkt naturgemäß die Schärfe der Begriffe und damit die Prägnanz der Termini. Manches nähert sich der alltäglichen Auffassung an, anderes verfestigt sich zu Schlagwörtern, nicht weniges auch geht bei dem Zurücktreten rein theoretischer Bestrebungen verloren. Einen mächtigen Ein­ fluss aber hat die stoische Terminologie bis zum Ausgang antiken Denkens behauptet, war sie doch die letzte bedeutende Leistung, die das Griechentum auf diesem Gebiet hervorbrachte. Die Epikureer wie die Skeptiker haben weit weniger auf die Begriffe und Termini weiterführend gewirkt. Epikureisch sind u. a. πρόληψις, ἡ ἄτομος, κανονικός, 8 μετακόσμια (Intermundien) und verschiedenes Psychologische, das aber keine geschichtliche Bedeutung gewonnen hat. In sehr Vielem gehen die Epikureer mit | den Stoikern zusammen (z. B. in Ausdrücken wie ἐνάργεια, ἔννοια, ἐπίνοια, ἰδιότης, κριτήριον, συμπάϑεια u. a.), und wenn auch meistens näherer Betrachtung sich feinere Unterschiede herausstellen, so überwiegt doch dem Früheren gegenüber das Gemeinsame. Es lässt eben die Terminologie hier erkennen, wie das feindlich Entgegengesetzte auf gemeinsamer Grundlage ruht. Noch weniger ist von den Skeptikern zu vermelden. Wie über­ haupt die Art der Skepsis bedingt ist durch die Eigentümlich­ keit der positiven Philosophie, gegen welche sie sich richtet, so pflegt sie auch ihre Begriffe und Termini vom Gegner zu entleh­ nen, diejenigen etwa ausgenommen, mit denen sie ihre eigne Art charakterisiert. Die Kritik, welche sie an den Begriffen übt, mag dieselben erheblich umwandeln, zunächst wird solcher Einfluss ein vorwiegend auflösender sein. Die alte Skepsis bewegt sich na­ mentlich in den Begriffen und Termini der Stoa, doch lässt sich in Aufnahme des Verschiedenartigen und Abschleifung der Gegen­ sätze ein gewisser Übergang zum Eklektizismus nicht verkennen. Als eigen mögen Ausdrücke wie σκεπτικοί, δογματικοί, ἐποχή

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(Zurückhalten des Urteils) angeführt werden. Die Bedeutung die­ ser geistig sehr hervorragenden Männer besteht auf unserm Ge­ biet darin, die in den stoischen Begriffen liegenden Probleme, das Ungenügende und Widerspruchsvolle derselben ans Licht gebracht zu haben. Wesentlich war also mit der Stoa für die griechische Termi­ nologie die schaffende Zeit geschlossen. Im Einzelnen mag noch manches abgeleitet werden, eigentliche Stammtermini bilden sich nicht mehr. Es ward vielmehr Aufgabe, das Vorliegende zu bewahren, zu verschmelzen, den etwa neu eintretenden Begriffen anzupassen. Die Schulen bildeten freilich bei manchem gegen­ seitigen Einflusse gewisse Sonderströmungen : namentlich erhielt sich Platonisches, Aristotelisches und Stoisches nebenein­ ander, und man kann aus der Verwendung einzelner bezeich­ nender Worte (wie z. B. des platonischen ὄντως ὄν oder des aristotelischen ἐντελέχεια) mit einiger Sicherheit auf un­ mittelbare Berührung mit einem der großen Systeme schließen. Aber im Ganzen erwuchs doch aus dem Verschiedenen eine ge­ wisse Mischsprache ; wie sonst, so kam es auch hier darauf an, die Ergebnisse von dem ursprünglichen engern Boden abzulö­ sen und sie synkretistisch zu einem Ganzen zu verschmelzen. Dabei wird natürlich der spezifische und charakteristische In­ halt der Termini mehr und mehr | aufgegeben und eine abstrakt formale Bedeutung gewinnt die Oberhand. Wir finden oft eine Abgeschliffenheit und Verschwommenheit des Ausdruckes, die vieles mit der unserer Tage gemeinsam hat. Gleichzeitig besaßen und gewannen manche einzelne Disziplinen eine wohl durchge­ bildete feste Terminologie, aber die allgemeinen Überzeugungen verharrten in vager Unbestimmtheit. So hoch sich auch einzelne Persönlichkeiten über das gewöhnliche Niveau erheben, über den Synkretismus kommen auch Männer wie PHILO und PLUTARCH A nicht hinaus. Im Einzelnen bleibt natürlich für die individuelle Freiheit ein ziemlicher Spielraum, und es könnte aus der Ermitt­ lung der verschiedenen Sprachelemente der Schriftsteller eini­ A  Bei Plutarch begegnen wir u. a. Ausdrücken wie ἄῢλος, συμβολικός, τυπικός, χρονικός.

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ges für ihre literarische Würdigung gewonnen werden, aber dies würde natürlich eine eingehendere Behandlung verlangen. Unmittelbarer lässt sich unsere Betrachtung verwerten, den mannigfachen Fälschungen der späteren Zeit auf die Spur zu kommen und glücklichenfalls auch die Ursprungszeit der vor­ liegenden Schriften etwas näher zu bestimmen. Mannigfaches aus den verschiedenen Schulen finden wir in den Schriften des Pseudo -Okellus : Platonisches wie οὐσία und ἐκμαγεῖον, Aristotelisches wie ὕλη, ἐνέργεια, ἀντιπερίστασις u. a. ver­ bindet sich hier mit spezifisch Stoischem ; Ähnliches gilt von den meisten Fragmenten des ARCHYTAS, nur dass das Stoische hier noch mehr hervortritt und ganz späte Bildungen (wie der Gegensatz von ἐγκόσμιος und ὑπερκόσμιος) eine entlegene Ent­ stehungszeit verraten A . Es liegt nahe, unsern Maßstab auch auf die vielbesprochenen Philolausfragmente anzuwenden und von hier aus ein Urteil über ihre Entstehungszeit zu versuchen. Die Schwierigkeit, hier zu einer sichern Überzeugung zu gelangen, liegt namentlich in der Ungewissheit, wie viel von den spätern Formen des nun vor­ liegenden Textes dem Berichterstatter beigelegt werden dürfe. Das einzelne Stoische, was sich vorfindet, scheint uns also er­ klärbar, dagegen dürfte das Platonische und das Aristote­ lische ohne Gefahr für das Ganze nicht wohl entfernt werden können. Namentlich die aristotelische Terminologie dringt zu weit in das | Einzelne ein, als dass man sie wie nachträglich von außen herangebracht ansehen dürfte. Spuren spezifisch vor­ platonischer Terminologie vermögen wir dagegen nicht zu ent­ decken. In Verbindung mit anderen Erwägungen erscheint es uns daher am angemessensten, die Entstehungszeit nicht weit hinter ARISTOTELES zu setzen ; vielleicht gaben die von seiner Schule ausgehenden Forschungen zu dem Werke die Anregung.B A  Das größere Fragment aus der Harmonik (περὶ μαϑηματικῆς) hebt sich auch in der Sprache sehr von den andern ab und die Terminologie verhin­ dert die Annahme der Echtheit nicht (s. Zeller : [ Die Philosophie der Grie­ chen, (001) ], III, 2, 91. B  Möglicherweise werden wir bei anderer Gelegenheit auf diese Frage spezieller eingehen.

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An der letzten großen Wendung der griechischen Philosophie könnten wir eiligen Schrittes vorübergehen, wenn uns nur das zu fertiger Gestalt Gereifte anzöge. Denn was PLOTIN und die Neuplatoniker an neuen Termini geschaffen oder an dem Über­ kommenen sichtlich geändert, das ließe sich in Kurzem berich­ ten. Von Ausdrücken, die von hier in den allgemeinen Sprach­ gebrauch eingingen, führe ich z. B. μικρόκοσμος an, dessen Ursprung ich freilich nicht bestimmt nachweisen kann, das aber im Abendlande namentlich durch BOETHIUS in Gebrauch ge­ kommen sein dürfte. Ferner sind manche Zusammensetzungen mit ὑπέρ von hier aus eingebürgert, auch ist überall der Grund­ richtung entsprechend der Unterschied von Stufen hergestellt oder geschärft und sonst nur Getrenntes in einen vollen Gegen­ satz gebracht. Aber für eine mehr äußere Betrachtung überwiegt doch ganz das von den Andern Aufgenommene, und zwar ist mindestens so stark wie das Platonische Aristotelisches und weit mehr noch Stoisches vertreten. Der erste Eindruck ist unzweifelhaft der einer synkretistischen Zusammenfügung, aber ein weiteres Eindringen lässt erkennen, dass namentlich deswe­ gen das vordem sich Entgegenstehende miteinander festgehalten werden konnte, weil ein ganz neuer Standpunkt gewonnen war, für welchen die früher entscheidenden Differenzen verschwan­ den oder doch zurücktraten. Die Probleme und Gegensätze, welche die älteren Denker er­ füllten, möchte PLOTIN lösen und überwinden, indem er das wahre Sein über alles unmittelbar Gegebene hinausverlegt : in einem über die Welt und alle ihre Bestimmungen Erhabenen wird hier der letzte Grund gesucht. Alles Mannigfache entsteht von hier aus und wird daher begreiflich, alle Gegensätze lösen sich hier auf und dienen der Harmonie des Alls. Um aber das Viele von dem Ureinen aus zu begreifen, ward es nötig, | dieses als ein ursprünglich Tätiges, lebendig sich Offenbarendes zu fas­ sen. Kraft und Wirken tritt vor Sein und Eigenschaft, die ganze Welt wandelt sich in einen großen Prozess um, in dem sich die Kräfte die Hand reichen und zu einem Gesamtleben verbinden ; ein Einzelnes verstehen heißt die Stelle aufweisen, welche es in diesem Gesamtleben einnimmt. Dazu tritt die eigentümliche Be­

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stimmung des Weltinhaltes. Mag die letzte Tiefe unerforschlich bleiben : sobald die Einheit aus sich herausgeht, wird sie als Geis­ tiges, und zwar als Intellektuelles, begriffen. Von diesem leitet sich alles Andere ab, von ihm wird es umfasst und getragen. Es wird damit Aufgabe, überall die Beziehung auf den Geist herzu­ stellen, ja in Allem ein Geistiges als Wesentliches zu erkennen. So sind neue große Grundrichtungen wirksam, eine Fülle tief eingreifender und umwälzender Ideen ringt sich hier auf. Ja alle Begriffe müssen eine wesentliche Umwandlung erfahren. Das scheinbar Ruhende wird bewegt und belebt, das nebeneinander Liegende tritt in wesentliche, ja genetische Beziehung, das Man­ nigfache, allein nach seinem Verhältnis und nach seinem Ab­ stande von dem Ureinen gemessen, muss sich in einer Stufen­ folge darstellen und einer quantitativen Betrachtung zugänglich erweisen. Dann aber muss Alles, innerhalb eines geistigen Kos­ mos begriffen, von innen heraus Bestimmung erhalten. Wich­ tige Begriffe lösen sich ab von der sinnlichen Welt, an welche sie bis dahin gebunden schienen : ein geistig Schönes, eine intel­ ligible Materie wird verteidigt, die Idee wird hier zuerst auf rein griechischem Boden etwas Innergeistiges, Zeit und Raum, ja die ganze Außenwelt erscheinen als etwas von dem Geist aus Her­ vorgebrachtes. Und wie die Verbindung des Vielen zum Welt­ ganzen nicht durch die sinnliche Erscheinung, sondern durch einen innern Zusammenhang begründet wird, so haben wir We­ sen und Bedeutung der Dinge nicht nach ihren äußern Leistun­ gen, sondern nach ihrer innern Tätigkeit zu bemessen. Überall findet also eine Einwärtswendung, eine Befreiung von dem Äu­ ßern, ein Versenken in die innerste Tiefe geistigen Lebens statt. Damit aber das Geistige eine solche Weltstellung unangefochten behaupten könne, muss es selber substantieller gefasst werden als bisher. Es wird über die Sphäre des subjektiven Seelenlebens erhoben, man versucht zu zeigen, dass alle Reflexion auf ein Ur­ sprüngliches, alles Subjektive auf ein Objektives als notwendige Vorbedingung hin | weise. Auch die Kämpfe und Irrungen er­ scheinen nur möglich durch einen auf die Wahrheit, und zwar eine einzige Wahrheit, gerichteten Trieb. So wird prinzipiell das Geistige als objektive und allumfassende Weltmacht behauptet.

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Von derartigen Grundgedanken aus muss aller Inhalt der grie­ chischen Philosophie umgewandelt und neuen Zielen zugeführt werden. Noch mehr, als PLOTIN Vergangenes in sich aufnimmt, weist er auf die Zukunft hin. Aber dass er in einer gewissen Mittelstellung beharrt, ist un­ leugbar und erweist sich eben an unserm Gegenstande. Während neue entscheidende Begriffe eintreten, sich das ganze Begriffs­ system innerlich umwandelt, bleibt in den Ausdrücken ziemlich alles unverändert, die plastische Kraft, welche wir an den grie­ chischen Denkern zu bewundern gewohnt sind, scheint sie am Schluss zu verlassen. Die daraus entspringenden Missstände lie­ gen vor Augen. Das Neue wird nicht nur durch den Ausdruck dem Betrachtenden wie verdeckt, sondern es wird auch innerlich gestört : die den alten Bezeichnungen anhaftenden Vorstellungen lassen sich nicht einfach beseitigen, sie dringen in das Denken ein und reißen es in unbeachteten Augenblicken mit fort. Die gewaltige Bewegung wird also getrübt und entstellt, der Heran­ tretende kann des Vorliegenden nicht recht froh werden, da er sich durch ein Hemmendes wie durchkämpfen muss und nach aller Bemühung doch in Zweifel bleibt, ob er den Sinn des Den­ kers zutreffend erfasst habe. Wie ist ein solcher Widerspruch von Inhalt und Form zu er­ klären, warum misslang es, das innerlich kräftig Konzipierte nach außen hin zu angemessenem Ausdruck zu bringen  ? Man­ ches mag hier mehr äußerlich aus den Zeitumständen erklärt werden, die entscheidenden Gründe können nur in der wesent­ lichen Eigenart dieser Philosophie selber liegen. Zunächst muss schon die Stellung des letzten Prinzipes eine Gleichgültigkeit gegen den Ausdruck herbeiführen. Jenes Prinzip als ein über­ weltliches kann schlechterdings von keinem Denken erfasst werden, da alles solche mit seinem notwendigen Gegensatz von Subjekt und Objekt eine dem Grundsein fremde Zweiheit in sich schließt. Eine solche Überzeugung muss aber auf die Behand­ lung aller Begriffe einwirken. Ist der letzte Grund etwas durchaus Unerforschliches, so kann nichts durch rein begriffliche Bestim­ mungen vollauf erschöpft werden, etwas Irrationales, Unauflös­ bares muss überall in der | Tiefe verbleiben. Daraus wird sich

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aber notwendig eine gewisse Gleichgültigkeit gegen sprachliche Bezeichnung ergeben. Wie kann etwas nach außen angemessen zur Darstellung kommen, dem nicht einmal der Begriff gewach­ sen ist ? Weniger weitgreifende, aber für die Geschichte der Termino­ logie verhängnisvolle Missstände ergaben sich aus einem wider­ spruchsvollen Verhalten des Denkers zum Grundprinzip selber. Sosehr er es über Welt und Begriff erhoben hat, so möchte er doch nicht ganz darauf verzichten, es zu fassen. Nur muss sich diese Erfassung in einer über alle sonstige Tätigkeit erhabenen Weise vollziehen, durch unmittelbare geistige Berührung, durch Ekstase soll das ergriffen werden, was dem begrifflichen Denken sich ein für alle Mal entzieht. Es soll also in irgendeiner Form der Erkenntnis zugänglich werden, was nach den prinzipiellen Be­ stimmungen einmal nicht ihr Gegenstand sein kann : das ist der innere Widerspruch, an welchem sich diese und verwandte Rich­ tungen verzehren. Das Intellektuelle wird einmal an die zweite Stelle herabgesetzt und soll dann doch wie durch ein Wunder den Zugang zu der letzten Wahrheit sich eröffnen. Um nun aber diese höhere Stufe geistiger Tätigkeit abzuson­ dern, um sie namentlich von der Reflexion scharf zu scheiden, greift man zu Bezeichnungen aus dem Kreise sinnlicher Emp­ findung. Hier scheint jene Unmittelbarkeit, jene Gewissheit ge­ geben, nach der man auf geistigem Gebiet dürstete. So entstan­ den Ausdrücke wie intellektuelle Anschauung, geistiges Berühren u. s. w. Das Bildliche solcher Bezeichnungen mochte zuerst dem Bewusstsein gegenwärtig sein, bei dem Sinken geistiger Anspan­ nung lag die Gefahr nahe, dass das Niedere, Sinnliche, dessen man sich zunächst nur als eines Gleichnisses bedienen wollte, sich verfestigte, die Vorstellungen beherrschte, die Begriffe her­ abzog. Die verworrensten Gebilde konnten sich schließlich hin­ ter einer solchen Vermengung von Sinnlichem und Begrifflichem verstecken A . A  Es trat also eben das ein, wovor Plotin bei anderer Gelegenheit warnt, wenn er meint : τὸ ὑπὲρ νοῦν ἤδη ἐστὶν ἔξω νοῦ πεσεῖν (208). [ Eucken zitiert Plotin offenbar nach der Paginierung des Erstdrucks von P. Perna 1580 : Plo­ tini Platonicorum facile coryphaei Operum philosophicorum omnium libri

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Weitere Unzulänglichkeiten zeigt die Durchführung der Prinzipien. Wohl sind neue wichtige Begriffe vorhanden, aber sie bleiben wie verborgen im Grunde, da es nicht gelingt, sie in die Wirklichkeit einzubilden und ihnen also einen konkreten In­ halt zu verschaffen. Daraus PLOTIN persönlich einen Vorwurf zu machen, | wäre eine Torheit, die ein gröbliches Verkennen der Stellung des Denkers im geschichtlichen Gesamtleben anzeigte. Wie kann die Philosophie eine konkrete Weltbegreifung ausbil­ den, wenn das geistige Gesamtleben erschöpft ist und nicht mehr vermag, der Welt gegenüber eine selbstständige Tätigkeit zu ent­ falten ? Dann kann der Denker nur die Formen und Grundzüge sichern, die geeignet sind, einen neuen Inhalt in sich aufzuneh­ men, er muss sich darauf beschränken, künftiger Gestaltung die Wege zu bereiten ; dabei aber vermag er gewisse Bahnen vorzu­ zeichnen und so immer noch mächtig in die geschichtliche Be­ wegung einzugreifen. Und das hat PLOTIN, der kaum hoch genug über die andern Neuplatoniker erhoben werden kann, mit stau­ nenswerter Kraft getan. Immerhin blieb zunächst das Missver­ hältnis vorhanden, und daher vermögen die neuen Begriffe auch den Ausdruck nicht zu beherrschen, eine Differenz zwischen In­ halt und Form beharrt unausgeglichen. Aber das Missverhältnis geht noch tiefer, in die Begriffe selber dringt der Zwiespalt ein. Das Grundstreben, die ganze Welt in­ nerlich umzuwandeln, kann wegen jener Ohnmacht der Begriffe, die Wirklichkeit voll aufzunehmen, nicht zu reiner Durchfüh­ rung kommen ; nicht nur der unmittelbare Eindruck, sondern auch die Lehren der frühern Meister machen sich immer wieder LIV in sex Enneades distributi, Basel 1580 (001). Pernas Paginierung ist in der Ausgabe von Creuzer (Plotini Enneades edidit F. Creuzer, Paris 1855) notiert. Die Ausgabe von Kirchhoff (Plotini Opera recognovit A. Kirchhoff, I-II, Lipsiae 1856) bietet die Seitenzahlen von Perna nicht, und die Aus­ gabe von Müller (H. F. Müller Plotini Enneades. Antecedunt Porphyrius. Eunapius, Suidas. Eudocia de vita Plotini, edidit H. F. Müller I-II, Berolini 1878 – 1880) war wohl noch nicht zur Hand. Die Stelle τὸ ὑπὲρ νοῦν ἤδη ἐστὶν ἔξω νοῦ πεσεῖν (208) wird nach moderner Standardausgabe zitiert als II 9 (33), 9, 51 – 52. Paul Henry Schwyzer (Hg.) : Plotini opera, Paris/Brüssel 1951 – 1973 (kritische Standardausgabe) oder ders. (Hg.) : Plotini opera, Ox­ ford 1964 – 1982 (editio minor). ] [ M.E. ]

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geltend und dringen störend in die Begriffe ein. Vor allem gelingt es nicht, alles Daseiende in absteigender Reihenfolge von einem Prinzip herzuleiten, also eine einzige Kette zu bilden und alles durch die Beziehung auf den Gesamtprozess zu rechtfertigen. Trotz aller theoretischen Verwahrung wird der Abstand doch schließlich zu einem Gegensatz, das Stoffliche und die Sinnlich­ keit gewinnt [ gewinnen ] eine volle Realität, es bleibt eine Welt neben dem Geiste liegen, und so fühlt sich auch das Denken mit einem Gegensatze behaftet. Alsbald entstehen die mannigfachs­ ten Missstände, namentlich bilden sich dadurch geradezu aben­ teuerliche Gestalten, dass die innern Zusammenhänge und Be­ ziehungen, welche für den intelligiblen Kosmos behauptet waren, sich auch in der unverdrängten sinnlichen Welt Geltung zu ver­ schaffen wissen. Nun vermengt sich Geistiges und Sinnliches ; indem das Innere an ein Äußeres geknüpft, ja gefesselt wird, er­ öffnet sich ein Spielraum für jenes Magische, das wir nicht so sehr bei dem Meister als bei den Anhängern finden und beklagen. Auch hier ist die Entstellung und Herabziehung großer Wahrhei­ ten, nicht | ein einfacher Irrtum Quell des AberglaubensA . Der zur Wahrheit aufstrebende Geist wird durch widriges Schicksal zurückgehalten und abgelenkt, Niederes und Höheres beginnt sich zu verbinden und verschmilzt endlich gar zu untrennbarer Einheit. Da bei den Neuplatonikern alle diese den Begriffen in[ne] wohnenden Schwierigkeiten an dem Ausdruck zur Erscheinung kommen, so lag es für sie selber nahe, eben in der Sprache ein Haupthemmnis zutreffenden Erkennens zu sehen. Die Worte, als der Welt sinnlicher Vorstellung entlehnt, scheinen nicht wohl ge­ eignet, das Wesen der geistig geschauten Welt zur Darstellung zu bringen. Will man dem Höhern gegenüber nicht bei der bloßen Negation verharren, so gilt alle sprachliche Bezeichnung als blo­ ßes Gleichnis, ein ›gleichsam‹ sollte jedem Worte beigefügt wer­ den, wenn es auf jene Sphäre übertragen wird B . A  Man denke z. B. nur an den Begriff der Sympathie und seine Verwen­ dung. B  Plotin 748 : δεῖ δὲ συγχωρεῖν τοῖς ὀνόμασιν, εἴ τις περὶ ἐκείνου λέγων

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Bei dieser ganzen Sachlage ist es nicht eben leicht, PLOTIN richtig zu würdigen. Wer sich lediglich an das Äußere hält, kann wohl überall Irrungen und Widersprüche aufzeigen und also rasch den Stab brechen ; anders wird derjenige urteilen, der die treibenden Kräfte klarlegen, zum innern Gehalt durchdringen und das Ganze in dem geschichtlichen Zusammenhange würdi­ gen möchte. Er wird dafür eintreten, dass sich unter den veralte­ ten und unzulänglichen Formen ein machtvolles Neue verberge, dass hier ein rein Geistiges, tief Innerliches von universaler Be­ deutung sich zu entwickeln anhebeA, dass hier überhaupt eine große Wendung geistigen Lebens innerlich vollzogen sei, deren ganze Bedeutung erst in den folgenden Jahrhunderten und Jahr­ tausenden erhellen sollte. Aber dieses Neue muss wie entdeckt und alsdann in eine neue Sprache übertragen werden. PLOTIN gehört nicht zu jenen glücklichen Denkern, denen es beschie­ den war, das innerlich Ergriffene zur vollendeten Ausführung zu bringen und es damit unmittelbar zu einer Weltmacht zu er­ heben. Er, der an geistiger Kraft Männern wie PLATO und ARIS­ TOTELES vollständig gewachsen ist, blieb in unvollendeter, ja wi­ derspruchsvoller Bildung stehen, so dass sich Verworrenes und Seltsames durch | seinen Namen decken konnte. Aber wenn wir unbefangen erwägen, was er trotz aller Ungunst der Zeitverhält­ nisse gefördert, wenn wir uns in den gewaltigen Kampf hinein­ versetzen, den er im Ringen um die Wahrheit bestand, so wird er bei allem Misslingen uns ebenso verehrungswürdig sein als jene glücklicheren Denker, die auf die Höhe der Bewegung ge­ stellt waren. Können wir es auf Grund dieser ganzen Darlegung nicht für notwendig, ja nicht für erheblich erachten, die Terminologie PLOTINs im Einzelnen zu verfolgen, so haben wir noch weniger Veranlassung, bei seinen Nachfolgern zu verweilen. An speku­ ἐξ ἀνάγκης ἐνδείξεως ἕνεκα αὐτοῖς χρῆται, ἃ ἀκριβείᾳ οὐκ ἐῶμεν λέγεσϑαι. [ vgl. die von Eucken zitierte Ausgabe, M.E. ] Λαμβανέτω ϑὲ καὶ τὸ οἷον ἐφ᾽ ἑκάστου [ vgl. nach der heutigen Standardausgabe v. Henry Schwyzer VI 8 (39), 13,47 – 50 ]. [ M.E. ] A  So beginnt z. B. hier eine erhebliche Umgestaltung der psychologischen Begriffe, ohne aber sich nach außen greifbar darzustellen.

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lativer Kraft stehen sie ungemein hinter ihm zurück. Während er noch mit ganzer Macht danach strebt, alle Wirklichkeit von dem geistigen Grundprinzipe aus im wissenschaftlichen Systeme zu verstehen, vergröbern sie entweder den begrifflichen Gehalt und vermengen ihn mit allem Aberglauben der Zeit oder sie ver­ flüchtigen ihn zu abstraktem Formalismus, der sich der Wirk­ lichkeit ganz entfremdet. Dieses gilt namentlich von PROKLUS, der von allen Nachfolgern PLOTINs noch am ehesten Beachtung verdient. Hier ist der ganze Gedankeninhalt und auch die Ter­ minologie in ein ziemlich starres Schema gebracht. Ein gewisses System ist freilich hergestellt, durchgehende Gesichtspunkte be­ herrschen das Ganze, aber aller konkrete Gehalt ist formalab­ strakten Bestimmungen aufgeopfert, schemenhaft schwebt die Welt des Gedankens über der Wirklichkeit. Von einzelnen Be­ zeichnungen seien angeführt die Zerlegung des Prozesses in die drei Momente des Beharrens, Ausgehens und Umkehrens (μένειν, προιέναι, ἐπιστρέφειν), die Hervorhebung des Begriffes der Reihen (σειραί), der Ausdruck Henaden (ἑνάδες) für die göttlichen Einheiten. Alle Gegensätze, welche die Grundanschauung mit sich bringt, sind hier aufs Äußerste gesteigert. So stehen sich ent­ gegen ἐγκόσμιος – ὑπερκόσμιος, ἐγχρόνιος – αἰώνιος, und mit aller Bestimmtheit wird eine zwiefache Ewigkeit unterschieden A . Wichtiger, als dem Erlöschen griechischer Gestaltungskraft nachzugehen, ist es, die Schicksale der Terminologie in den Sys­ temen zu betrachten, welche die Grundüberzeugung des Juden­ tums oder Christentums voraussetzen, dieselbe aber mit der grie­ chischen Philosophie in Verbindung zu bringen suchen. Man | war dabei gezwungen, die vorliegenden Ausdrücke zu verwen­ den, sah sie aber an wie die ägyptischen Gefäße, die in den Hän­ den des auserwählten Volkes einem heiligeren Zwecke dienen sollten. Voran steht hier PHILO. Mit den Begriffen der verschie­ denen Schulen nimmt er auch ihre Ausdrücke auf und bestrebt A  στοιχ. ϑεολογ. 55 : διττὴ ἦν ἡ αἰδιότῃς, αἰώνιος μὲν ἄλλη, κατὰ χρόνον δὲ ἄλλη · ἡ μὲν ἑστῶσα αἰδιότης ἡ δὲ γινομένη [ vgl. die heutige Standard­ ausgabe von E. R. Dodds (Hg.) : Proclus, The Elements of Theology, a revised text with translation, introduction and commentary, Oxford 21963, Elementa theologica 55,30 – 33 ]. [ M.E. ]

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sich, das Mannigfache zu einem leidlichen Ganzen zu verweben. Für die Darstellung der letzten Prinzipien mögen ihm PLATO und ARISTOTELES obenanstehen, hinsichtlich der einzelnen techni­ schen Ausdrücke, namentlich in der Erkenntnislehre wie in der Ethik, überwiegt ganz und gar das Stoische. Innerlich wandeln sich nun gegenseitig die hier zusammentreffenden Welten um. Das vom Judentum Festgehaltene wird universeller gefasst, das Geschichtliche wird begrifflich gedeutet, das Persönliche in ein mehr Metaphysisches umgewandelt. Aber dabei wird auch das Griechische ein Anderes : das Geistige erscheint als das die ganze Welt Schaffende und Tragende, und zwar stellt es sich vor al­ lem als ethische Macht dar. Solche Überzeugung muss an den wichtigeren Begriffen zum Ausdruck kommen. Im Einzelnen ist namentlich bemerkenswert die hier zuerst erfolgende Umgestal­ tung des Begriffes Idee in ein ursprünglich Geistiges. Dass das Christentum erst allmählich auf die Gestaltung der Terminologie Einfluss gewann, liegt in seiner ganzen Eigentüm­ lichkeit begründet. Wie es keineswegs in erster Linie Theorie von der Welt sein will, so schien zu Anfang die technische Aus­ bildung eines eigentlichen Begriffssystemes nicht eben als drin­ gende Aufgabe. Aber die grundveränderte Empfindung und Er­ greifung der Welt musste auch die Begriffe wesentlich umbilden, in dem Maße natürlich mehr, als sie dem vom Christentum an erster Stelle erfüllten Gebiete des ethisch-religiösen Lebens an­ gehörten oder nahestanden. Aber solche innere Umgestaltung führte nicht unmittelbar zu neuen Schöpfungen nach außen. Auch an dieser Stelle bewährt das Christentum seine Eigenart, das Überkommene äußerlich stehen zu lassen und es von innen heraus umzuwandeln. Die vorliegenden Ausdrücke werden bei­ behalten, aber innerlich wesentlich verändert. Was aufgenom­ men und in welcher Weise es mit neuem Gehalt erfüllt wird, das zusammenfassend zu untersuchen ist eine wichtige und in­ teressante Aufgabe. Von hier lässt sich übersehen, an welchen Punkten sich das Christentum mit dem Altertume berührt und wie es an eben diesen Punkten seine Eigentümlichkeit bewährt. STUART MILL hat mit Recht | darauf aufmerksam gemacht, dass fast die ganze Terminologie der christlichen Kirche aus Wör­

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tern besteht, welche früher in einer allgemeineren Bedeutung gebraucht wurden A ; mächtiger und eindringender ist natürlich die Bewegung auf dem Gebiete des Lebens und Glaubens selber. Dieselbe an den Ausdrücken der neutestamentlichen Schriftstel­ ler, vor allem bei PAULUS, nachzuweisen und von hier aus die allmähliche Ausbildung eines spezifisch christlichen Begriffs­ kreises zu verfolgen, das wird in der dem Christentum für sich zugewandten Forschung eine wichtige Stelle einnehmen ; unsere der Gesamtbewegung sich widmende Betrachtung darf hier nicht verweilenB . Dagegen fallen in unser Gebiet hinein die Versuche, vom Chris­ tentum aus eine universelle wissenschaftliche Weltbegreifung aufzubauen, eine ›christliche Philosophie‹ den Systemen der frü­ heren Denker entgegenzusetzen. Aber so großartige Kraft in sol­ chen Versuchen aufgeboten ist, im letzten Ergebnis haben diesel­ ben doch nur dazu geführt, das Missverhältnis alles begrifflichen Erkennens zum Wesen des Christentums, wie es als historische Macht gegeben ist, zum Bewusstsein zu bringen. Gerade das dem Christentum Eigenartige und Neue widerstrebt einer begriffli­ chen Ableitung und Darstellung. Im Gegensatze zur Antike wird hier das Geistige nicht nur als absolut weltüberlegen erfasstC , son­ A  [ John Stuart Mill  : System der deductiven und inductiven Logik ], ­Uebers. von [ Jacob Heinrich Wilhelm ] Schiel, 3. Aufl. [ 1868 ] [ 002 ], II, S. 259. B  Nur das eine sei hier zu bemerken gestattet, dass jene Eigenart des Christentums, den Ausdruck nicht zu schaffen, sondern innerlich umzu­ bilden, manche Gefahren mit sich brachte. Indem hier wie sonst eine Welt vorausgesetzt wurde, die das Christentum erst durchdringen sollte, blieb nicht nur dieser Ausgangspunkt selber etwas Fremdes und wie von außen Herankommendes, sondern sehr leicht konnte bei einem Sinken der ur­ sprünglichen Kraft dieses Fremde einen Einfluss gewinnen und manches in das Leben einführen, was dem Geist des Christentums wenig entsprach. Auch hängt es mit jenem Mangel einer selbstständigen Ausprägung des spe­ zifischen Inhalts zusammen, dass im Christentum so oft um Worte gestrit­ ten ist (es sei z. B. nur an den Streit der lateinischen Kirchenväter über den ›Zorn Gottes‹ [ ira dei ] erinnert). Freilich kommen gewöhnlich in solchem Wortstreit tiefer liegende Gegensätze zum Austrag, aber dass eben an die­ sem Punkt der Kampf entbrannte, war doch für die Sache ein Unglück. C  Es tut dies am Ausgange griechischer Philosophie freilich auch Plotin, aber jedenfalls schon unter Einwirkung des Christentums.

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dern auch seinem Inhalte nach anders bestimmt. Nicht das In­ tellektuelle, sondern das Ethische ist hier das Entscheidende, der Geist hört auf, etwas Naturhaftes, in notwendigem Prozesse sich Entwickelndes zu sein, er wird absolute Potenz, die in freien | Taten sich bezeugt. Nicht das Geschehen, sondern das Handeln ist hier das Entscheidende. Endlich aber ist der Geist nicht nur welttragende und weltleitende Kraft, sondern das Ewige geht an einem bestimmten Punkte in die sichtbare Welt ein und wird also eine historische Macht mit aller Konkretheit und Positivität. Eine Welt mit solchem Inhalte lässt sich nimmer rein in Be­ griffe aufnehmen : wo freie Tat und geschichtliche Wirklichkeit alles ausmachen, da wird ebenso wenig kausales Ableiten wie be­ griffliches Zerlegen bis zum Kern vordringen. Bei solcher Lage ließen die einen die wissenschaftliche Einsicht zurücktreten und verzichteten mit Bewusstsein auf eine begriffliche Gestaltung (so manche lateinische Kirchenväter und mehr noch Luther), die anderen suchten, dem un[aus]löschlichen Erkenntnisdrange nachgebend, dem Unerreichbaren sich wenigstens anzunähern, indem sie dabei verschiedene Wege einschlugen. Auch in den Ausdrücken tritt dieser Gegensatz einer historisch-positiven und einer begrifflich-universellen Richtung hervor. Jene ist fast ängst­ lich darauf bedacht, das Spezifische des Christentums zu wahren und Fremdartiges fern zu halten, diese nimmt im Vertrauen auf die Macht der Alles umfassenden Vernunft auch das fremdem Boden Entsprossene unbedenklich auf. Bis zur Gegenwart lassen sich beide Strömungen verfolgen, im Altertum steht im Ganzen die griechische Kirche zur freieren, die lateinische zur strengeren Ansicht. Dort werden meist sorglos auch solche Ausdrücke ver­ wandt, die fast ein Bekenntnis antiker philosophischer Weltbe­ greifung zu enthalten schienen (so vor allen bei ORIGENES), hier dagegen beweist man eine bisweilen fast ins Kleinliche gehende Vorsicht. AMBROSIUS glaubt ausdrücklich nachweisen zu müs­ sen, dass das Wort officium auch von einem Christen verwandt werden dürfeA . AUGUSTIN beruft sich bei seinen Ausdrücken wie­ A  [ A mbrosius ] de offic. Ι, 8 : »videamus utrum res ipsa conveniat scribere de officiis, et utrum hoc nomen philosophorum tantummodo scholae aptum

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derholt auf den Gebrauch der Kirche (ecclesiastica consuetudo) und scheint die Redefreiheit der Philosophen nicht ohne Neid zu betrachten A . | Bei den griechischen Kirchenvätern führt die Vereinigung christlichen Inhalts und antiker Form oft zu recht seltsamen Bildungen, aber es ist doch mehr als ein Spiel der Willkür, was hier vorliegt. Die Verbindung der neuen Begriffe mit den alten Ausdrücken zeigt uns an, wie auch im Denken Neues und Altes verschmolz und an welche Vorstellungen das Emporkämpfende sich anschloss, um sie für sich zu verwenden. Wie JUSTIN den stoischen Begriff des λόγος σπερματικός verwertet, ist bekannt ; ATHENAGORAS nennt den Teufel den ›Herrscher des Stoffes‹B ; für CLEMENS ist der Glaube das Kriterium der WissenschaftC oder eine Antizipation des vernünftigen DenkensD. ORIGENES endlich kleidet seine Gedanken oft so sehr in antike Formen, dass wir mehr einen Stoiker als einen Christen zu vernehmen glauben.E sit, an etiam in scripturis reperiatur divinis. Pulchre itaque dum legimus ho­ die Evangelium (quasi adhortaretur ad scribendum) Spiritus sanctus obtulit nobis lectionem, qua confirmaremur. etiam in nobis officium dici posse.« A S. [ Augustinus ] de civitate dei Χ, 23 : »liberis verbis utuntur philosophi, nec in rebus ad intelligendum difficillimis offensionem religiosarum aurium pertimescunt. Nobis autem ad certam regulam loqui fas est, ne verborum licentia etiam de rebus quae his significantur impiam gignat opinionem.« B  [ Athenagoras ] suppl. 25 : ὁ τῆς ὕλης ἄρχων. [ Eucken bezieht sich ver­ mutlich auf die Ausgabe von Athenagoras` Supplicatio pro Christianis von Ludwig Paul, Athenagorae Atheniensis philosophi christiani supplicatio pro Christianis ; accedunt latina versio, emendationes, variantes, lectiones atque annotationes cura et studio Dr. Ludwig Paul, Halle 1856 (002). ] [ M.E. ] C  Clemens str. II, 4, 15 : κυριώτερον τῆς ἐπιστήμης ἡ πίστις καὶ ἔστιν αὐτῆς κριτήριον [ geprüft nach Clemens, Stromata, Buch I–VI, hg. v. O. Stäh­ lin, 3. Aufl. von L. Früchtel, Berlin 1906, 31960 ]. [ M.E. ] D  [ C lemens ] str. II, 4, 17 : εἰ τοίνυν ἡ πίστις οὐδὲν ἄλλο ἡ πρόληψίς ἐστι διανοίας περὶ τὰ λεγόμενα ff. [ geprüft ebd. ] [ M.E. ] E  S. z. B. [ O rigines ] c. Cels. I, 4  : πάντων ἐχόντων κατὰ τὰς κοινὰς ἐννοίας πpόληψιν ὑγιῆ περὶ τοῦ ἠϑικοῦ τόπου [ geprüft in der Ausgabe von Paul Koetschau, Origenes, Werke, Bd.  2 : Buch V-VIII gegen Celsus, hg. im Auftrag der Kirchenväter-Commission der Königlich-Preußischen Akade­ mie der Wissenschaften, Leipzig 1899 ]. [ M.E. ] An einzelnen Stellen zeigt er freilich eine gewisse Vorsicht, s. z. B. c. Cels. ΙΙΙ, 37 : ßαϑυτέρων καὶ (ὡς ἄν εἴποι τις Ἔλλην) ἐσωτερικῶν [ geprüft ebd., 233,30 – 21 ]. [ M.E. ]

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Überhaupt wird man sagen dürfen, dass diese Kirchenväter sich von hier angesehen mehr als christianisierende Philosophen denn als philosophierende Christen darstellen. Die antike Be­ griffswelt zeigt sich hier als übermächtig ; mag das persönliche Empfinden noch so sehr von dem Neuen ergriffen und erfüllt sein : sobald eine begriffliche Gestaltung erstrebt wird, kann sich das Denken der altgebahnten Wege nicht entschlagen. Freilich wird man sagen müssen, dass der ethische Grundgedanke des Christentums sich hier trotz aller Hemmungen mächtig erweist, dagegen ist das Historische, wenn auch nicht vernachlässigt, doch so sehr zum bloßen Symbol eines Begrifflichen herabge­ setzt, dass dabei das eigentümlich Christliche nicht zur Geltung kommt. Im Grunde war ihnen das Christentum doch lediglich eine neue Philosophie, eine ethische Weltauffassung ; damit aber war das am meisten Unterscheidende aufgegeben. Den einzelnen Schulen nach zeigt sich das Stoische auch hier als das die wissenschaftliche Arbeit des späteren Altertums Be­ herrschende. Auch Männer wie JUSTIN und CLEMENS haben | das Meiste von da entlehnt, noch mehr Spezifisches hat ORIGE­ NES aufgenommen. Dazu kommt dann natürlich von Anfang an viel Platonisches, doch lässt sich behaupten, dass eine engere Verknüpfung platonischer Begriffe mit dem christlichen Ge­ dankenkreise erst in Folge der Einwirkung des Neuplatonismus erfolgte. Bei näherem Eingehen zeigen sich hier bei den Ausdrü­ cken manche individuellen Eigentümlichkeiten, die zusammen­ zustellen und zu verfolgen nicht ohne Interesse wäre. Um nur Einzelnes anzuführen, so hat CLEMENS wie überhaupt mehr Pla­ tonisches so recht oft in philosophischer Verwendung das auf PLATO Zurückweisende ὄντως, während ORIGENES dafür meist ἀληϑῶς oder ἀληϑινῶς setzt A ; zur Bezeichnung der geschicht­ lichen Erscheinung JESU verwendet CLEMENS gewöhnlich den Ausdruck παρουσία, während ORIGENES dies fast nie, dagegen meist ἐπιδημία hat B . Γνωστικός, was bei CLEMENS noch die all­ A  ὄντως findet sich bei ihm namentlich in der Schrift περὶ πpοσευχῆς, die auch außerdem in der Terminologie einiges Abweichende bietet. B  Interessant ist das Zusammentreffen [ Origines ] c. Cels. IV, 5 : παρουσία

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gemeinere Bedeutung hat, ist bei ORIGENES Kennwort der beson­ deren Richtung geworden. ORIGENES bekundet seine Eigenart in manchen charakteris­ tischen Wendungen. Für seine universalistische Gesinnung darf als bezeichnend gelten der oft verwandte Ausdruck ὁ ἐπὶ πᾶσι (weit seltener ἐπὶ πάντων) ϑεός, für die Innerlichkeit seiner reli­ giösen Empfindung das in der alten Kirche vereinzelt stehende ὁ ἐμὸς Ἰησοῦς. Doch mit solchen Angaben haben wir schon die Grenzen unserer Aufgabe überschritten. Je mehr die kirchliche Literatur zur weiteren Entwicklung ge­ langt, desto mehr bildet sich eine gewisse Gleichmäßigkeit des Ausdruckes, die verschiedenen Ströme fließen immer mehr in Eins zusammen. Im Ganzen aber behauptet die alte Terminolo­ gie ihre Macht, wie sie dieselbe bekanntlich auch in den Symbo­ len der alten Kirche bekundet. Unter den späteren Schriftstellern mag uns etwa nur noch DIO­ NYSIUS zu einiger Betrachtung auffordern ; jedenfalls hat seine Ausdrucksweise namentlich durch die lateinischen Übersetzun­ gen hindurch auf die Folgezeit stark gewirkt. DIONYSIUS denkt ganz in der neuplatonischen Terminologie. Indem er seine Vor­ gänger wo möglich in dem Streben überbietet, das wahre Sein über | alles Sinnliche und Irdische hinauszurücken, tritt das Christlich-Historische vor dem Spekulativ-Mystischen zurück. Nur führt hie und da die Verschmelzung beider Elemente zu einem Schwanken auch im Ausdruck. So bezeichnen z. B. die mit πρό zusammengesetzten Wörter manchmal halb ein be­ griffliches Verhältnis, halb eine geschichtliche Folge. Eigene Ge­ staltungen finden sich so gut wie nicht. – Da über diesen Punkt hinaus die griechische Terminologie keinen Einfluss auf die all­ gemeine Entwicklung ausgeübt hat, so haben wir kein Interesse daran, sie weiter zu verfolgen. Natürlich werden wir später noch oft den Blick zu ihr zurückwenden müssen. |

δυνάμεως ϑεοῦ καὶ ἐπιδημία τoῦ λόγου εἰς ἀνϑρώπους [ geprüft ebd., 278,10 ]. [ M.E. ]

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Terminologie der Römer und des Mittelalters9 Die Betrachtung der Terminologie bei den Römern hat zur Hauptaufgabe, die Übertragung des griechischen Begriffssyste­ mes in die lateinische Sprache zu verfolgen. Denn an diese Über­ tragung knüpft sich fast Alles, was hier im Technischen geleis­ tet ist. Sie selber hatte aber mit den größten Schwierigkeiten zu kämpfen. Eine überwältigende Fülle trat fertig heran, das philo­ sophische Gestaltungsvermögen war gering, die Sprache brachte dem Begriff nicht eben viel entgegen, und ihre Sprödigkeit er­ schwerte Neubildungen in hohem Grade. Wenn trotzdem die Rö­ mer Großes geleistet haben, wenn sie es durchsetzten, dass die Philosophie eine lateinische Gewandung annahm, so ward dies durch Anspannung und Vereinigung aller Kraft erreicht. Es rich­ tete sich nicht nur das allgemeinste Interesse auf diesen Punkt, sondern was die Einzelnen schufen, ward von den Andern beach­ tet, geprüft und zusagendenfalls festgehalten. Auch hier beweist der römische Geist seine zusammenhaltende und das Besondere dem Ganzen einordnende Macht : es reihen sich die einzelnen Er­ rungenschaften aneinander und ein ansehnlicher Gesamtbesitz wird allmählich erworben. Natürlich war[en] Inhalt und Art der Aneignung von großem Einfluss auf die weitere Geschichte der Terminologie. Ein lebhaf­ teres Interesse brachten die Römer der griechischen Philosophie nur in engen Grenzen entgegen, es war namentlich die Rhetorik, der sie alles Andere nachstellten und unterordneten. Auch bei den mit ihr zusammenhängenden Gebieten, namentlich in der Logik, sind es vorwiegend die hierher weisenden Beziehungen, welche ihre Aufmerksamkeit fesseln. So wird nicht nur auf die Übertragung der Terminologie der Rhetorik die größte Kraft | verwandt, sondern auch bei jenem andern nehmen die Ausdrü­ cke von dieser Disziplin eine gewisse Färbung an. Man könnte geradezu sagen, dass wir hier eine Periode der Abhängigkeit der Terminologie von der Rhetorik vor uns haben. Lag schon darin eine Gefahr des Sinkens der philosophischen Kunstsprache, so ward dieselbe gesteigert durch das eklektische Verfahren der römischen Autoren. Verschiedene Systeme traten ▷ Kommentar S. 281 ff.



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ihnen vom Griechentum her entgegen, an eine tiefer begründete Entscheidung für das eine oder andere war nicht zu denken ; so ward ziemlich prinziplos aufgenommen, was sich gerade bot, und an mancher Zufälligkeit in der Einbürgerung fehlte es nicht. Der spekulative Grund des Begriffssystems, der bei den Griechen, wenn auch nicht mehr vollbewusst, so doch noch nicht ganz un­ wirksam war, ging nun vollständig verloren, die Begriffe sinken also bei Verlust eines innern Halts zu abstraktem Formalismus, wenn nicht eine engere Beziehung zur rhetorischen Aufgabe ih­ nen eine spezifische Bedeutung gewährt. Einer allgemeinen Ver­ breitung mochten die Begriffe durch jene abstrakte Fassung in hohem Grade fähig werden, innerlich angesehen ist der Verlust unverkennbar. Dass aber in der Umbildung des Sprachlichen sich viel Scharf­ sinn und Geschicklichkeit zeigt und dass das Ergebnis im Ein­ zelnen auch auf die Begriffe selbst förderlich zurückgewirkt hat, soll nicht geleugnet werden. Namentlich haben die Versuche der Übertragung nicht selten zu schärferer Sonderung verschiedener Begriffe und Begriffselemente geführt. Einmal behauptete sich natürlich oft der griechische Ausdruck neben dem lateinischen, den zu ersetzen er bestimmt war (ἀναλογία – proportioA), oder auch es teilten sich verschiedene Übersetzungsversuche in den Umfang des vorliegenden Begriffes (oὐσία : essentia und substantia)10 . So ward an manchen Stellen eine nicht unwichtige Diffe­ renzierung erreicht. Umgekehrt brachte die Auswahl, welche die Römer unter dem sich ihnen Darbietenden vornahmen, den Nut­ zen, dass viel spitzfindig Ausgeklügeltes der spätern griechischen Schulen einfach beseitigt wurde. Das Vorhandene musste unter wesentlich veränderten Bedingungen einen Kampf um seine Er­ haltung bestehen, und wenn auch keine Sicherheit geboten war, dass | überwiegend das Wertvolle durchdrang, so verschwand jedenfalls viel Unnützes. A Quintilian I, 6, 3 : »analogia, quam proxime ex Graeco transferentes in Latinum proportionem vocaverunt.« [ proportio als Übersetzung von ἀναλογία u. U. schon bei Cicero ; vgl. das proxime im Quintilianzitat ; vgl. dazu HWPh, Bd.  1, Sp. 214 f. ] [ H.Ch.B. ]

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Den Prozess der Aneignung etwas näher zu verfolgen, soweit es bei der Lückenhaftigkeit der Quellen möglich ist, hat man­ ches Anziehende. Die ersten Versuche sind oft recht roh, man übersetzt ganz wörtlich oder umschreibt auch ;A allmählich erst werden die sich entsprechenden Ausdrücke in feste Beziehung gebracht, Neubildungen werden gewagt und dringen, wenn in Einklang mit der Sprachanalogie, ungemein rasch durch, Ande­ res, wie z. B. essentia, bleibt trotz aller Rechtfertigung bis zum Er­ löschen der lebenden Sprache schulmäßig. Oder auch es verliert das Griechische das Fremdartige und wird unter leichter Um­ wandlung aufgenommen. – Oft wird für die Wiedergabe eines Begriffes viel Verschiedenes versucht, B umgekehrt schwankt manches Wort einige Zeit zwischen mehreren Bedeutungen, bis es sich für die Dauer befestigt ; bei Anderm findet sich hier erst der Keim für die technische Fixierung, welche bisweilen erst in weit entlegenen Jahrhunderten ihre Vollendung fand.C Unsere Betrachtung muss sich auch hier auf das Äußerlichste einschränken, ein mustergültiges Beispiel der hier zu befolgen­ den Methode hat PRANTL in seiner Geschichte der Logik gegeben. Indem wir nur solche Autoren ins Auge fassen, von denen uns ganze Werke vorliegen, zieht zunächst LUCREZ unsere Aufmerk­ A  Z. Β. wird das stoische προηγμένα von Cicero und Seneca durch producta wiedergegeben, συναίσϑησις συστάσεως (Selbstbewusstsein) übersetzt Seneca mit constitutionis conciliatio ; νοητός drückt Cicero aus durch sub intelligentiam cadens [ erster Cicerobeleg nur zu finden bei Boethius : Com­ mentarius in Cic. Tropica IV ad §§ 33 – 34. – Die Formulierung sub intelligentiam cadens begegnet bei Cicero in seiner Übersetzung der Timaios­ fragmente Platons (Plato secundum translationem quam fecit Cicero, ed. R. Giomini, Teubner 1975 ; M. Tulli Ciceronis scripta quae manserunt omnia, fasc. 46, § 27, p. 202,1). Es handelt sich um die lateinische Übersetzung von Plato, Tim. 37a 1 ; hier als Übersetzung von gr. νοητός, was dann allerdings allgemein mit intellegibilis übersetzt wurde ]. [ H.Ch.B. ] B  So z. B. die verschiedenen Ausdrücke für Urteil Prantl [:  G eschichte der Logik (002) ], 1, 519 und 580 : (proloquium [ Varro ], effatum [ Sergius ], pronuntiatum, enuntiatum, enuntiatio [ Cicero ], propositio [ Apulejus und Boe­ thius ] ; judicium hat solche Bedeutung erst im Mittelalter erworben). C  Verschiedene Beispiele dafür aus der logischen Terminologie s. bei Prantl.



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samkeit auf sich.A Derselbe hat manche technische Bildung ver­ sucht, ohne damit durchzudringen (man denke an Wörter wie dispositura, variantia, retinentia, compositura, differitas, formamentum, von denen nur einiges bei Einzelnen [ w ie ARNOBIUS ] Aufnahme fand), anderes der allgemeinen Sprache Entlehnte oder doch Näherstehende finden wir hier zuerst philosophisch verwandt. Wir begegnen bei ihm u. a. den Ausdrücken : elementa, experientia, forma, materia, moles et machina mundi, concretus | (aber nicht in dem spätern technischen Sinn), confusus, generalis (I 590), innatus, ferner dem schon länger eingebürger­ ten naturalis und vitalis (vitaliter). In mannigfacher Weise wird Atom umschrieben : z. B. principia, semina (rerum), minima natura [ Korrektur H.Ch.B. ], corpuscula, B corpora prima, elementa u. a.C Am meisten der Beachtung würdig aber dürfte sein, dass wir hier den Ausdruck Naturgesetze (foedera naturae) zuerst antref­ fen.D Es ist wohl möglich, ja recht wahrscheinlich, dass derselbe eine griechische Wendung einfach wiedergibt, indes muss ich gestehen, dass es mir nicht gelungen ist, eine frühere Stelle bei jenen aufzufinden. Sodann verdient CORNIFICIUS, der Verfasser der Schrift an HERENNIUS,11 unsere Beachtung, nicht nur weil er wohl der erste lateinische Prosaiker ist, von dem uns eine Gesamtschrift vor­ liegt, sondern vornehmlich, weil wir in dieser Schrift die rheto­ A  S. auch [ Friedrich ] Polle : De artis vocabulis quibusdam Lucretianis, [ Dresden ] 1866 (002). B  Doch stammt dies von Amafanius, s. Cicero acad. post. ΙΙ, 6 : »Quid est magnum – de corpusculorum – ita enim appellat atomos – concursione fortuita loqui ?« Hier wie an andern Stellen hat Cicero atomus rezipiert. C  [ Polle : De artis vocabulis quibusdam Lucretianis. (002), S. 149 ]. [ Viele der angeführten Begriffe sind überhaupt zuerst bei Lucrez belegt, moles schon bei Accius etwas früher bezeugt. Minima natura ist bei Lucrez zwei Mal bezeugt (de rerum natura I 599. 623). ] [ H.Ch.B. ] D  [ I n einem Nachtrag ergänzt Eucken, dass οἱ τῆς φύσεως νόμοι schon bei Plato (Tim. 83 E) vorkommt. Bei Lucrez finden sich drei Belege. ] [ H.Ch.B. ] [ Vgl. auch zu Naturgesetz Eucken : GG (in : GW, Bd.  4 , S. 147 ff.), zu foedera naturae bei Lukrez vgl. G. Frey : Art. »Naturgesetzlichkeit, Naturgesetz«, in : HWPh, Bd.  6, hier : Sp. 528 ]. [ G.S. ]

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rische Terminologie der Griechen den Hauptbegriffen nach mit nicht geringem Geschick ins Lateinische übertragen finden.A Wie weit er dabei Vorgefundenes verwendet, wie weit er selbststän­ dig schafft oder wenigstens umdeutet, das ist bei dem Verluste älterer Quellen und dem Mangel eigner Angaben über diesen Punkt schwer zu ermitteln. Im Einzelnen sei als bei ihm sich vorfindend u. a. angeführt : argumentum, argumentatio, conclusio, conjectura, conpositio, consecutio, consequentia, constitutio, definitio, demonstratio, disjunctio, dispositio, distributio, divisio, elegantia, expositio, humanitas, B inductio (indessen noch nicht in dem spätern technischen SinnC), licentia, loci communes, negatio, partitio, praecisio, propositio, ratiocinatio, ferner absolutus, conjecturalis, demonstrativus, evidens, probabilis, ratiocinalis. An griechischen Ausdrücken hat er u. a. aufgenommen : amphiboliae, barbarismus, historia, dialecticus, grammaticus, rhetoricus, soloecismus. Natürlich haben jene lateinischen Worte hier eine überwiegend rhetorische | Bedeutung, die von der später üblich gewordenen mannigfach abweicht. Über CICEROs Leistungen wird man sehr verschieden urteilen müssen, je nachdem, [ ob ] man vom philosophischen Standpunkt den begrifflichen Gehalt prüft oder sich darauf beschränkt, mehr äußerlich das von ihm sprachlich Geschaffene zu mustern. Der Mangel an scharfer Erfassung und die Haltlosigkeit seines Ek­ lektizismus führen zu jener ›grenzenlosen Unbestimmtheit‹ in der Übersetzung technischer Ausdrücke, die ΡRANTL mit Recht herbe tadelt, Geschick und Takt nach der sprachlichen Seite hin wird man ihm nicht absprechen können. Das Einzelne zusam­ menzustellen und kritisch zu erörtern, ist eine wichtige Aufgabe, A S. [ C ornifici Rhetoricorum ad C. Herennium libri III, hg. v. Carl Lud­ wig Kayser, Leipzig 1854 ], IV, 7, 10 : »nomina rerum Graeca convortimus : ea remota sunt a consuetudine ; quae enim res aput nostros non erant, earum rerum nomina non poterant esse usitata ; ergo haec asperiora primo videan­ tur necesse est, id quod fiet rei, non nostra difficultate.« B S. [ C ornificius ], IV, 16, 23 : »ut possit bellum fortitudo minuere, pacem humanitas augere«. C S. [ C ornificius ] ΙΙΙ, 16, 28 : »artificiosa est ea (memoria), quam confir­ mat inductio quaedam et ratio praeceptionis«.



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die uns aber nicht anhalten darf.A Nur einige der für die wissen­ schaftliche Arbeit wichtigeren Ausdrücke mögen hier Erwäh­ nung finden. CICERO hat u. a. affectio, anticipatio, complementum, differentia, distantia, evidentia, impressio, incrementum, inductio technisch, lineamentum, notio (Begriff ), partitio und divisio technisch unterschieden, progressio, proportio, propositio (auch = Obersatz), proprietas, qualitasB , relatio (aber noch nicht in dem spätern technischen Sinne, sondern als spezifisch rhetor. Ausdruck)C , varietasD ; ferner definitivus, disparatus (für das Ver­ hältnis von Α und Nicht-Α), dividuus und individuus, moralis, nativus, modificare. Wie immer man auch letzthin über CICERO urteilen mag, auf unserm Gebiete hat er eine entscheidende Be­ deutung.12 Während sich vorher manches zersplitterte, ist von nun an eine kontinuierliche Entwicklung gesichert, die Bewe­ gung in bestimmte Bahnen geleitet. Unter den nächstfolgenden Schriftstellern sind für uns na­ mentlich SENECA und QUINTILIAN von Belang. SENECA hat u. a. accidensE , circumstantia, elementarius, intellectus (Einsicht)F, modificatio, | positioG , praesumptio ; ferner activus, contemplativusH, intelligibilis (sowie sensibilis, das auch aus VITRUV angeführt A  Einen gewissen Beitrag dazu liefert das oben angeführte Werk Lexicon philosophicum auctore Plexiaco. Hagae Comitis [ Den Haag ] 1716. B  [ Cicero ] academica posteriora Ι, 7, 25 : »qualitates igitur appellavi, quas ποιότητας Graeci vοcant, quod ipsum apud Graecos non est vulgi verbum, sed philosophorum … audebimus ergo, inquit, novis verbis uti te auctore, si necesse erit.« [ I 25, H.Ch.B. ] C  [ s . Johann Christian Gottlieb Ernesti : Lexicon technologiae Latino­ rum rhetoricae, Leipzig 1797 (001), Lemma Relatio ]. D  [ Cicero ] de finibus bonorum et malorum ΙΙ, 3 : »Varietas Latinum ver­ bum est : idque proprie quidem de disparibus coloribus dicitur : sed transfer­ tur in multa disparia : varium poema, vare oratio, varii mores, varia fortuna.« E  [ S eneca ] eρ. 117, 3 : »incorporale est et accidens alteri« ; 10 : »accidens est sapientiae.« F  [ S eneca ] eρ. 91, 15 : »formetur animus ad intellectum patientiamque sortis suae«. G Ζ. Β. [ S eneca ], ep. 87 : »paupertas non per positionem dicitur, sed per detractionem (vel, ut antiqui dixerunt, per orbationem. Graeci κατὰ στέρη­ σιν dicunt).« H  [ S eneca ] eρ. 95, 10 : »philosophia et contemplativa est et activa.«

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wird), rationalis und irrationalis. An einer Stelle findet sich substantiaA . SENECA gehört übrigens zu den Männern, die in Folge eines Missverständnisses ihrer Ausdrucksweise prinzipiell ver­ kehrt verstanden und geschätzt wurden. Was er als Stoiker be­ hauptet, ward ins Christliche umgedeutet, er selber damit dem Christentum zu sehr angenähert.13 Wenn er geringschätzig von dem ›Irdischen‹ redet, einen heiligen Geist (sacer spiritus) uns innewohnen, die göttliche Macht ›herabsteigen‹ lässt, wenn er, nicht zufrieden mit einer sittlichen Besserung (emendari), eine volle Umwandlung (transfigurari) verlangt, so mag das Einzelne auffallend klingen, aber in dem allen ist nichts enthalten, was ihn prinzipiell vom Stoizismus entfernte. Wir brauchen nur ein we­ nig genauer zuzusehen, um den Unterschied, und nur auf andere Punkte zu achten, um den Gegensatz zum Christentum klar zu erkennen. Die Eigentümlichkeit des Christentums muss wenig zum Bewusstsein gekommen sein, wenn man es bei SENECA zu finden vermeint. Aber immerhin ist der Irrtum selber ein Zei­ chen, wie viel der Stoizismus dem Christentum auch an Begriffen und Ausdrücken entgegenbrachte. QUINTILIAN hat öfter substantia, quantitas wird aus COR­ NELIUS CELSUS angeführt, ferner treffen wir bei ihm relatio (in technisch-logischer Bedeutung),14 fictio, effectivus, possibilisB , impossibilis, specialis ; universalis scheint er selbst zu versuchen.C Überhaupt hat er dem Problem der Übertragung die größte Auf­ merksamkeit zugewandt, seine Schriften sind voll von hierherge­ hörigen Bemerkungen und Angaben. |

A  [ S eneca ] eρ. 113, 4 : »singula animalia singulas habere debent substan­ tias«. – essentia ist älter, Ep. 58 beruft sich S. dafür auf Cicero : »cupio, si fieri potest, propitiis auribus tuis essentiam dicere ; sin minus, dicam et iratis ; Ciceronem auctorem hujus verbi habeo« etc. ; s. ferner Quintilian VΙΙΙ, 3, 33 : »Multa ex Graeco formata nova ac plurima a Sergio Flavio, quorum dura quaedam admodum videntur, ut ens et essentia.« B  [ Q uintilian ] ΙΙΙ, 8, 25 : »δυνατόν quod nostri possibile nominant, quae ut dura videatur appellatio, tamen sola est.« C  [ Q uintilian ] ΙΙ, 13, 14 : »praecepta quae καϑολικά vocitant, id est (ut di­ camus quomodo possumus) universalia vel perpetualia«.



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Aus der weitern Entwicklung begnügen wir uns das bei ein­ zelnen für uns wichtigen Schriftstellern Vorhandene festzustel­ len. APULEJUS hat intellectualis, passivus, religiositas, sensualis. Am meisten Eigentümliches enthält jener dritte Teil der Schrift De dogmate Platonis, die Abhandlung περὶ ἑρμηνείας, die aber nicht unangefochten geblieben ist. Hier findet sich conditionalis, indefinitus, particularis (particulariter), praedicativus, subjectivusA, sodann die spezifisch logische Verwendung von quantitas, qualitas, formula (σχῆμα), modus, conversio, ferner propositio = Ur­teil überhaupt, propositiones aequipollentes, propositiones convertibiles, particula negativa, probatio quae dicitur per impossibile u. a.15 – GELLIUS hat proloquium (VARRO's Ausdruck für Urteil) disjunctivum (V. II, 9) [ Teubner-Ed. 1903 : proloquium diiunctivum, H.Ch.B. ], ethicus (res ethica I 2, 4), indifferentia (utriusque vocabuli indifferentia XIII. 3, 6), den Gegensatz von positivus und naturalis (X. 4).16 Manches tritt uns neu bei TERTULLIAN entgegen.17 Auch in den sprachlichen Bildungen bezeigt er eine gewisse Rücksichts­ losigkeit ; nicht weniges klingt schon ganz mittelalterlich scho­ lastisch ; manche seiner Schöpfungen sind sofort wieder unter­ gegangen, nicht weniges aber taucht hier auf, was später zu weiter Verbreitung gelangte.B Zunächst seien erwähnt die vielen Ab­ stracta wie contrarietas, corporalitas (incorporalitas), individuitas, intellectualitas, naturalitas, principalitas, rationalitas, sensualitas, singularitas, uniformitas ; sodann findet sich apparentia (apparentia Christi), inconvenientia, incongruentia, liberum arbitriumC , vitium originis ; endlich materialis, philosophicus, subA  [ Apuleius ] »Ex duabus praedictis partibus altera subjectiva nominatur, velut subdita, ut Αpulejus ; altera declarativa, ut disserit vel non disserit.« [ Es handelt sich hier um ein Zitat aus peri hermeneias 4. »Probatio quae dicitur impossibile« ist in dieser Form nicht verifizierbar ; vgl. aber peri hermeneias 12 : »est altera probatio communis omnium etiam indemonstrabilium quae dicitur impossibile apellatur.« Vermutlich bezieht Eucken sich auf diese Stelle. ] [ H.Ch.B. ] B  Unter den Schriften Tertullians enthält namentlich das Buch über die Seele viel Neues. C S. [ Tertullian ] adv. Marc. II, 6, 7 (gebräuchlicher ist libertas arbitrii).

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stantivusA, substantialiter ; spiritalis dürfte namentlich durch ihn in allgemeinen Umlauf gekommen sein. Auch die folgenden Kirchenväter enthalten einzelnes in unsere Untersuchung Einschlagende ; namentlich lässt sich für die Ge­ schichte des Einlebens der logischen Terminologie einiges aus ih­ nen gewinnen. Wesentlich Neues und Wertvolles bietet aber erst wieder AUGUSTIN, dem wir uns daher sofort zuwenden.18 Für | den sprachlichen Ausdruck bekundet er mehrfach ein gewisses Interesse, so verdanken wir ihm z. B. verschiedene Äußerungen über die Gebräuchlichkeit einzelner Worte. Er bemerkt u. a., dass schema gebräuchlicher sei als figura und tropus als modusB , ferner zeigen mehrere Stellen, dass essentia noch immer fremder emp­ funden und seltener verwandt wurde als substantia.C Ihn selbst aber treibt das Unternehmen einer universellen phi­ losophischen Weltanschauung zu mannigfacher Erweiterung und mehr noch Vertiefung des vorhandenen Wortschatzes. Die Eigentümlichkeit seines Begriffssystems werden wir unten ins Auge fassen, hier sei nur von den einzelnen Ausdrücken eini­ ges angeführt.D AUGUSTIN hat essentialiter, potentialiter E , den A Ζ. Β. [ Tertullian ] de anima 20 : »Εt hic itaque concludimus, omnia na­ turalia animae ut substantiva ejus ipsi inesse.« B  S. [ Augustinus ] de trinitate VIII, 692a (Bened. Ausg.) : »sicut schemata usitatius dicimus quam figuras, ita usitatius dicimus tropos quam modos. Singulorum autem modorum sive troporum nomina, ut singula singulis referantur, difficillimum est et insolentissimum Latine enuntiare.« [ de trini­ tate XV, 9 ] [ H.Ch.B. ] C  S. [ Augustinus ] de trinit. VIII, 594a »Essentiam dico, quae οὐσία Graece dicitur, quam usitatius substantiam vocamus.« [ V 8 ], 610b ; I, 533d [ de moribus Manichaeorum II 2 f. ] [ H.Ch.B. ] D  Besonders wichtig für die augustinische Terminologie ist die Schrift De trinitate. Das Streben, ein Unbegreifliches dem Verständnis doch eini­ germaßen zu nähern, hat auch auf die Prägnanz der Begriffswörter erheblich eingewirkt. E  [ Augustinus ] III, Α 148e : »sicut in ipso grano invisibiliter erant omnia simul, quae per tempora in arborem surgerent, ita ipse mundus cogitandus est, cum Deus simul omnia creavit, habuisse simul omnia quae in illo et cum illo facta sunt, quando factus est dies ; non solum caelum etc. –, sed etiam illa quae aqua et terra produxit potentialiter atque causaliter, priusquam per temporum moras ita exorirentur, quomodo nobis jam nota sunt in eis operi­



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Gegensatz von relative und substantialiter (die einzelnen Worte sind älter)A, combinare. Causalis (und causaliter), was freilich auch schon früher vorkommt, ist hier zuerst ein philosophi­ scher Terminus geworden. Das Böse wird mit einer später oft wiederholten Bezeichnung causa deficiens genannt.19 Oft erweist ­AUGUSTIN seinen Scharfsinn an der bestimmtern Scheidung von Ausdrücken und Begriffen. Er legt Wert darauf, dass auseinan­ dergehalten werden : nosse und cogitare (VIII. 675c [ de trinitate XIV 7, H.Ch.B. ]), nasci und procedere (VIII. 498b, c [ contra Maxi­ mum II 14,1, H.Ch.B. ]), hyle und materia.B Die Spekulation über den | Gottesbegriff bringt ihn dazu, essentia und substantia zu trennen.C Vor allem hat AUGUSTIN eine eigentümliche psychologische Terminologie ausgebildet, welche für die erste Hälfte des Mit­ telalters maßgebend blieb, aber auch später neben der ARISTO­ TELISCHEN einen Platz behauptete. Die Gesamtheit seelischen Lebens zerlegt sich in memoria, intelligentia, voluntas, beim Er­ kennen sondert sich eine höhere und niedere StufeD, drei Arten bus, quae Deus usque nunc operatur.« [ de Genesi ad litteram V 23 ]. [ Potentialiter beginnt aber schon bei Marius Victorinus. Essentialiter beginnt nach LLT überhaupt erst mit Augustin, z. B. de trinitate VII 2. IX 4. ] [ H.Ch.B. ] A  [ Augustinus ] de trinitate VIII, 592 f. : »Negativa ista particula non id ef­ ficit, ut quod sine illa relative dicitur, eadem praeposita substantialiter dica­ tur ; sed id tantum negatur, quod sine illa ajebatur.« [ de trinitate V 7, H.Ch.B. ] (der stehende Gegensatz ist hier ajere und negare). [ relative – substantialiter schon häufig bei Marius Victorinus ] [ H.Ch.B. ] B  [ Augustinus ] VIII, 358e : »hylen dico quandam penitus informem et sine qualitate materiam, unde istae quas sentimus qualitates formantur.« [ de natura boni 18 ] [ H.Ch.B. ] C  [ Augustinus ] VIII, 610c : »deus si subsistit ut substantia proprie dici possit, inest in eo aliquid tamquam in subjecto et non est simplex. – unde manifestum est deum abusive substantiam vocari, ut nomine usitatiore in­ telligatur essentia, quod vere ac proprie dicitur, ita ut fortasse solum deum dici oporteat essentiam.« [ de trinitate VII 5 ] [ H.Ch.B. ]. Ähnliche Erörterun­ gen ziehen sich durch das ganze Mittelalter. D  Der Sprachgebrauch ist aber noch kein fester. Ratio und intellectus werden bald gleichbedeutend verwandt, bald auseinandergehalten. Über­ haupt finden sich verschiedene Einteilungen, die ausgeführteste VII, 98a, wo der unvernünftigen Seele (anima irrationalis) memoria, sensus, appetitus,

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der v­ isio (corporalis, spiritalis, intellectualis) werden geschieden. Ferner finden sich bei ihm manche Ausdrücke durch die speku­ lativ-philosophische Verwertung vertieft, so namentlich convenientia und ordinare, vielleicht die wichtigsten Begriffe seines Systems.20 Von einzelnen Wendungen seien endlich angeführt : Christiana philosophia (X, 408c [ contra Iulianum IV 72 ; contra Iulianum opus imperfectum II 166. H.Ch.B. ]), esse se velle (De ci­ vit. dei 11,27 [ se esse velle, drei Belege, H.Ch.B. ]). Mit AUGUS­T INs Lehren hat auch seine Sprache einen großen Einfluss auf die fol­ genden Jahrhunderte behauptet, weswegen wir noch auf dieselbe zurückkommen ; zunächst verfolgen wir den weitern Ausbau der mehr technischen Redeweise. Von den Schriftstellern vor BOETHIUS möchte ich nur noch Folgendes bemerken. MARIUS VICTORINUS (Mitte des vierten Jahrhunderts) hat (in den bei ΒOeTHIUS vorkommenden Stel­ len) : praedicamentum neben categoria, differentia constitutiva, subalternus (s. PRANTL , I, 661) ; SIDONIUS APOLLINARIS conformis (Ep. IV, 12), finalis (Ep. ViiI, 14 : »sanctorum diffusa laus me­ ritorum stringi spatiis non est contenta finalibus«, s. auch VII, 14), ferner categoricus als eingebürgertes Wort.21 Den Abschluss fand die wortbildende Tätigkeit zunächst bei BOETHIUS. Für eine genauere Verfolgung des historischen Gan­ ges ist es freilich durchaus geboten, zwischen den in der ersten Hälfte des Mittelalters bekannten und den erst im zwölften Jahr­ hundert | in die Bewegung eintretenden Schriften A des Mannes zu scheiden ; uns möge es hier gestattet sein, das bei ihm Vorlie­ gende zusammenfassend zu behandeln.22 Zunächst führen wir hinsichtlich der logischen Terminologie aus PRANTL an : die spe­ zifische Verwendung von affirmo und nego (AUGUSTIN hatte ajo und nego), von subjectum und praedicatum, terminus und an­ derem, ferner accidentalis, affirmativus, contingens (technisch), contradictio und contradictorius, contrapositio, conversio per accidens, disparatus (in der üblich gewordenen Bedeutung), specider vernünftigen (a. rationalis) mens, intelligentia, voluntas beigelegt werden. [ de civitate dei V 11 ] [ H.Ch.B. ] A  S. darüber Prantl [ : Geschichte der Logik (002) ], Bd.  2 , S. 98 ff.



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ficus (differentia specifica), subcontrarius, affirmatio infinita, negatio infinita, u. a. Wie hier, so hat sich auch in der Schlusslehre der Sprachgebrauch des BOETHIUS bis zur Gegenwart erhalten, so dass ihm für das System der logischen Terminologie eine maßge­ bende Bedeutung zukommt. Von weiteren Ausdrücken möchte ich hinzufügen : causatus, conjecturare, constructivus (loci constructivi und destructivi, destructivus ist aber älter), coordinatio, corollariumA, deductioB (= ἀπαγωγή), demonstrativus (= ἀποδεικτικός), dualitas, immediatus, instantia (ἔνστασις), ostensivus  – privativus (privativa positio), positioC , scientificus, syllogizare, verificare (Basl. Ausg. 722), D causa sine qua non efficitur (Basl. Ausg. 834 [ Commenta­ rius in Ciceronis Tropica V comm. Ad § 60 – 61, H.Ch.B. ]), in oder ex principio petere. Im allgemeineren philosophischen Interesse möchte noch Fol­ gendes zu beachten sein. Neu gebildet wird das namentlich für die mittelalterliche Mystik (seit HUGO von s. VICTOR) wichtige intellectibileE ; formalis ist schon im Übergange zu der mittelalter­ lichen Bedeutung begriffen F ; das aristotelische ἐνεργείᾳ  – A  S. [ B oethius ] de cons. phil. ΙΙΙ : »super haec geometrae solent demons­ tratis propositis aliquid inferre, quae πορίσματα ipsi vocant, ita ego quoque tibi veluti corollarium dabo. – sive πόρισμα sive corollarium vocari mavis.« [ de cons. phil. III prosa 10 ] [ H.Ch.B. ] B  Den Gegensatz zu inductio bildet syllogismus oder demonstratio. C  Ιn verschiedenen Bedeutungen, aus denen ich hervorhebe de cons. phil. V [ prosa 4, H.Ch.B. ] : »positionis gratia, ut quid consequatur advertas, sta­ tuamus nullam esse praescientiam.« D  [ A nicius Manlius Torquatus Severinus Boethius, Opera omnia, komm. u. hg. v. Heinrich Loritus Glarean(us)/Giulio Marziano Rota, Basel 1546, Ausg. 1570 (001) ]. [ Die Stellenangabe in der Baseler Ausgabe (722) ist korrekt (Aristoteles secundum transl. Tropica rec. Alpha VII 5), der Text findet sich aber so nicht in den heute üblichen Ausgaben. ] [ H.Ch.B. ] E  [ B oethius ] Basl. Ausg., S. 2  : »Nota, quoniam Latino sermone nun­ quam dictum reperi intellectibilia, egomet mea verbi compositione vocavi. Est enim intellectibile quod unum atque idem per se in propria divinitate consistens nullis unquam sensibus, sed sola tantum mente intellectuque ca­ pitur.« [ In Porph. Isag. comm. ed. prima I 3 ] [ H.Ch.B. ] F  [ B oethius ] de cons. phil. V : (von der intelligentia) »uno ictu mentis for­ maliter, ut ita dicam, cuncta prospiciens.« [ consolatio V, prosa 4 ] [ H.Ch.B. ]

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δυνάμει wird durch actu – potestate wiedergegeben, concipi und | conceptio findet sich in technischer Bedeutung dem Sein (esse) entgegengestellt ; bei individuus beginnt die spätere Bedeutung neben der bisherigen aufzutreten A ; das aus dem Griechischen aufgenommene μικρόκοσμος wird von hier dem Abendlande zugeführt B . Beachtenswert ist ferner die hier auch in der Sprache streng durchgeführte Scheidung der mannigfachen Erkenntnis­ stufenC . Auf die philosophische Seite der Terminologie näher einzu­ gehen hatten wir bei dieser ganzen Reihe fast keine Nötigung, nur AUGUSTIN dürfen wir nicht bei Seite lassen, wenn unsere Untersuchung nicht eine beträchtliche Lücke erhalten soll.23 Bei ihm treffen wir das einzige selbstständig gedachte philosophi­ sche System der älteren lateinischen Sprache, und in diesem Sys­ teme gehen die beiden großen Mächte, welche das geistige Leben in Zukunft beherrschen sollten, Christentum und Neuplatonis­ mus, ein engeres Bündnis ein als irgendwo anders. Es lag tief in AUGUSTINs Persönlichkeit begründet, dass beide Mächte in ihm zusammentreffen, sich auseinandersetzen und ausgleichen muss­ ten. Ein Doppeltes umschloss der Geist des Mannes. Zunächst das theoretische Interesse für eine universelle Weltbegreifung, A  [ B oethius ] Basl. Ausg. S. 65 : »Individuum autem pluribus dicitur mo­ dis. Dicitur individuum quod omnino secari non potest, ut unitas vel mens ; dicitur individuum quod ob soliditatem dividi nequit, ut adamas ; dicitur individuum cujus praedicatio in reliqua similia non convenit, ut Socrates : nam cum illi sunt caeteri homines similes, non convenit proprietas et prae­ dicatio Socratis in caeteris, ergo ab iis quae de uno tantum praedicantur genus differt, eo quod de pluribus praedicetur«. [ In Porph. Isag. comm. ed. sec. II 7 ] [ H.Ch.B. ] [ zu Individuum/Individualität vgl. Eucken : GG, 61920, in : GW, Bd.  4 , S. 289 ff. ] [ G.S. ] B  [ B oethius ] S. 659 : »ἄνϑρωπός ἐστι μικρόκοσμος, id est, homo est minor mundus.« [ Commentarius in Ciceronis Tropica III comm. ad § 28 ] [ H.Ch.B. ] C  [ B oethius ] de cons. ph. V [ prosa 4, H.Ch.B. ] : »ipsum hominem aliter sensus aliter imaginatio aliter ratio aliter intelligentia contuetur. Sensus enim figuram in subjecta materia constitutam ; imaginatio vero solam sine materia judicat figuram ; ratio vero hanc quoque transcendit, speciemque ipsam, quae singularibus inest, universali consideratione perpendit. Intel­ ligentiae vero celsior oculus existit, supergressa namque universitatis ambi­ tum ipsam illam simplicem formam pura mentis acie contuetur.«



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den Drang, alles unter der Form der Ewigkeit zu erfassen. Ein bloß Partikulares, starr Positives konnte ihm nimmer genügen, es löst sich auf oder bildet sich um, sobald er es sich aneignet. Aber andererseits erfüllt ihn glühender Hass gegen das bloß For­ male und Abstrakte, er will ein lebendiges, die ganze Persönlich­ keit ergreifendes Erkennen, er möchte zu einer unmittelbaren Berührung mit dem letzten Grunde durchdringen, das Wissen soll sich ihm in unmittelbare Erfahrung und Anschauung um­ wandeln, um also voll besessen und genossen selige Befriedi­ gung zu gewähren. | Ein solcher Durst treibt ihn immer wie­ der über Alles hinaus, was ihm begriffliche Forschung gewähren konnte. Inwiefern diese beiden Richtungen einen Widerspruch erge­ ben und ob innerhalb menschlichen Lebens solcher Widerspruch zu überwinden sei, das zu untersuchen gehört nicht in unsere jetzige Aufgabe ; AUGUSTINs Größe bestand jedenfalls darin, dass er diesen Widerspruch in vollster Herbigkeit als ein per­ sönliches Geschick empfand und die ganze Kraft seines Lebens daran setzte, ihn möglichst zu lösen. Das Rationale ward für ihn durch den Neuplatonismus, das Konkrete durch das Christen­ tum vertreten. Beide trafen in der Grundüberzeugung zusam­ men, dass das Geistige das allein Wesentliche sei ; auf solchem gemeinsamen Boden ward eine tiefergehende Wechselwirkung möglich. Aber im Weitern ist der Gegensatz offenbar. Dort wird das Geistige als Intellektuelles und damit als Universelles, hier wird es als Ethisches und damit als Historisches begriffen. In AUGUSTIN strebte nun beides nach einer Ausgleichung, und es ward auch eine gewisse Einigung erreicht ; nur frägt sich, ob sie innerlich begründet war und ob nicht der Gegensatz mehr zu­ rückgedrängt, ja versteckt, als eigentlich überwunden ist. Dies näher zu verfolgen gehört indessen mehr in eine Geschichte der Begriffe als in die der Terminologie, nur insofern werden wir von dem Probleme berührt, als in Folge jenes Gegensatzes auch die Ausdrucksweise AUGUSTINs ein Doppelantlitz trägt. Insofern er seine Begriffe in den Dienst theoretischer Weltbe­ greifung stellt, haben die Ausdrücke eine universelle Bedeutung, aus der Vernunft und der allen gleichmäßig zugänglichen Erfah­

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rung erhalten sie Inhalt und Rechtfertigung. Eine rein begriff­ liche philosophische Weltansicht scheint sich zu gestalten. Aber nun tritt eine neue Welt hinzu und macht ihren Einfluss gel­ tend : eine Welt der geschichtlichen Tatsachen, der individuellen Erfahrung, des konkretesten Lebensinhaltes. Von hier kommt Wärme und Glut in die Formen und Umrisse, menschlich-per­ sönliches Leben strömt in sie ein, entscheidende Bedeutung er­ halten schließlich nicht logische oder ontologische Beziehungen, sondern ethische Verhältnisse, Verhältnisse von Willen zu Wil­ len. Aber darum wird nicht auf jenes universell Begriffliche ver­ zichtet. Es soll in dem Konkreten fortwirken, es teilt ihm alle Ansprüche mit, die es kraft seiner Natur und seiner Leistungen erheben konnte, und so entsteht ein Gesamtgebilde, das tatsäch­ lich einen Widerspruch | enthält und das doch alles daran set­ zen muss, solchen Widerspruch nicht aufkommen zu lassen. Tritt derselbe aber einmal ins Bewusstsein, so stellt sich rasch heraus, dass alle konstitutiven Grundbegriffe des augustinischen Sys­ tems eine doppelte Bedeutung haben : eine universell-rationale und eine historisch-positive. Das Christentum ist ihm bald die universelle und ewige Reli­ gion, die in der geschichtlichen Gestalt nur einen Ausdruck und Höhepunkt gefunden hat A, bald versteht er darunter die ortho­ dox-katholische KircheB . Wo immer sich die philosophische Er­ örterung dem Gottesbegriffe zuwendet, wird an das reine Sein, die alle Mannigfaltigkeit tragende und umfassende Kraft ge­ dachtC ; wo aber das religiöse Leben in Betracht kommt, ist es allein die lebendige Persönlichkeit, in der die Anschauung Ruhe findet. Ähnlich haben die Begriffe der Dreieinigkeit, des Glaubens, des Wunders sowohl eine universell spekulative als eine A  S. [ Augustinus ] retract. Ι, 13 : »ipsa res quae nunc Christiana religio nuncupatur erat apud antiquos nec defuit ab initio generis humani, quous­ que ipse Christus veniret in carne, unde vera religio quae jam erat coepit appellari Christiana.« B  S. [ Augustinus ] de vera religione 5 : »quaerenda est religio apud eos so­ los, qui Christiani catholici vel orthodoxi nominantur.« C  [ Augustinus ] z. B. ΙΙΙ, Α 145, VIII, 610d [ erste Stelle : de sermone do­ mini in monte II 3 – 6 ; zweite Stelle : de trinitate VII 5 ]. [ H.Ch.B. ]



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positiv religiöse Bedeutung. Wo AUGUSTIN das Wunder theore­ tisch verficht, ist es ihm etwas über die uns bekannte Natur Hi­ nausgehendes, und er bemüht sich darzutun, dass überall – und am meisten im Alltäglichen – unser Erkennen auf ein solches Unbegreifliche stoße ; wo er aber seine Lebensüberzeugung be­ gründen, seinen Glauben gegen allen Zweifel sichern möchte, da ist es allein das geschichtliche Wunder in bestimmter Begren­ zung, wozu er seine Zuflucht nimmt. Es lässt sich nicht leugnen, dass diese Berührung von Ver­ schiedenartigem jeder einzelnen Seite eine Bereicherung brachte. Das Christliche nähert sich dem allgemein Menschlichen und bezeugt seine universale Aufgabe, das Philosophisch-Begriffli­ che, in Sonderheit hier das Neuplatonische, wird kräftiger und lebendiger. Darum hat AUGUSTIN für die Mystik so große Be­ deutung, weil er die Begriffe und Formen, welche das letzte Auf­ leuchten griechischer Spekulation geschaffen hatte, aus der Un­ mittelbarkeit persönlichen Lebens mit frischem Gehalt erfüllte. Auch in die Worte kommt damit ein Wärmeres, Innigeres, und geht von hier in den Gebrauch des Mittelalters ein. War die latei­ nische Sprache | aus mehrfachen Gründen zum Ausdruck einer religiösen Gemütswelt geeigneter als die griechische, so kommt solcher Vorteil namentlich durch AUGUSTIN zur Geltung. Sodann aber erzeugte eben die Vereinigung der sonst geschie­ denen Elemente eine unermessliche Kraft. Indem das Positive und Geschichtliche zugleich als ein Intelligibles und Ewiges ver­ standen und die volle Wahrheit als in einem Daseienden sich kundtuend ergriffen wurde, musste sich die Vernunftnotwendig­ keit mit der geschichtlichen Gestaltung verknüpfen, ewige und unabweisbare Ideen versenkten sich hier in eine ganz bestimmte Form, scheinbar unzertrennlich sich damit verbindend. So kam die ganze Macht jener Ideen der Verteidigung dieser Formen zu­ gute, wie andererseits von ihnen in sie ein konkreter Inhalt ein­ floss. Insofern ist AUGUSTIN der christliche Philosoph vor allen andern, als er den christlichen Grundgedanken von dem Einge­ hen des Ewigen in die Geschichte, der Vernunft in die Erschei­ nung auf wissenschaftlichem Gebiet mit voller Kraft vertreten hat.

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Aber wie hoch man die Ergebnisse seines Strebens sowie seine Persönlichkeit schätzen möge, ein innerer Widerspruch des Gan­ zen bleibt unverkennbar. Zwei Welten sind durch eine kühne Tat ineinander geschoben, auch gewissermaßen verschmolzen, aber doch nicht wirklich geeinigt. Das Grundverschiedene ist nicht von der Einheit geistigen Lebens aus innerlich zu einem Ganzen verbunden oder doch in ein wesentliches Verhältnis gebracht, sondern wie mit gewaltsamer Anstrengung wird das Entgegen­ gesetzte zusammengehalten. Aber schließlich siegt immer die Wahrheit der Sache über die Leistung des Individuums. Es fallen immer wieder die zwei Seiten auseinander und bilden getrennte Welten. Für Denken und Leben gibt aber bald das Eine, bald das Andere den Ausschlag. Auf dem Gebiet der Erkenntnis, vor allem wo es auf eine wis­ senschaftliche Vermittlung und systematische Rechtfertigung des Lebens- und Glaubensinhaltes ankommt, da herrscht das begrifflich Allgemeine und Vernunftnotwendige, es wird [ wer­ den ] nicht sowohl das Christentum als das Neuplatonische oder vielmehr die neuplatonischen Voraussetzungen in ihm vertei­ digt. Auch AUGUSTINs Bemühungen um den Ausdruck dienen weit mehr der Darstellung neuplatonischer als christlicher Ge­ danken. Diese Sachlage ist durch Jahrhunderte und Jahrtausende im Wesentlichen unverändert geblieben. Die christliche Philoso­ phie hat | überwiegend nicht so sehr das Christentum verteidigt als universell begriffliche Voraussetzungen, die an das Wesent­ liche oft nicht hinanreichten, vielleicht gar dazu in einem innern Widerspruch standen. Sobald aber Empfinden und Handeln, vor allem die prakti­ sche Aufgabe im geschichtlichen Gesamtleben, in Frage kommt, hängt Alles an dem Positiven und Konkreten ; um das AllgemeinBegriffliche ist wenig Sorge, nicht selten wird es mit unverhoh­ lener Geringschätzung behandelt. So hat auch das Christentum bis in seine Begriffe hinein an dem großen Gegensatz des Theo­ retischen und Praktischen zu tragen. Wenn nun aber von beiden Seiten der Anspruch auf das Ganze aufrechterhalten wird, so sind schwere Irrungen auf jedwedem Gebiete unvermeidlich. Namentlich ist dem Fanatismus ein wei­



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tes Tor eröffnet, findet er doch überall da Platz, wo ein Ewiges an ein einzelnes Historisches, ein Universelles an ein Partikulares wesentlich gebunden wird. Aber wie immer wir über die Bewe­ gungen und Kämpfe urteilen, welche jene Art der Vereinigung bis zum heutigen Tage hervorbringt, es darf keinen Augenblick vergessen werden, dass es sich hier um ein bleibendes Problem der gesamten Menschheit handelt, dessen Lösung sie sich höchs­ tens allmählich annähern kann. AUGUSTIN aber behält wegen seiner vollen Hingabe an dieses Problem eine universelle Bedeu­ tung. Das Abschiednehmen von AUGUSTIN wird erschwert durch die Aussicht auf eine lange, mühsame und wenig lohnende Wan­ derung. Aber so gering wir auch das an selbstständigen Gedan­ ken und Begriffen vom Mittelalter Geschaffene [ver]anschlagen mögen, es lässt sich nicht verkennen, dass auf unserm Special­ gebiet Wichtiges und Bleibendes geleistet ist. Die Terminologie der Neuzeit ist ohne Rückblick auf das Mittelalter nicht wohl zu verstehen. Freilich haben die letzten Jahrhunderte meist den ent­ lehnten Formen neuen Inhalt gebracht, nicht viel von dem Mittel­ alterlichen ist unverändert durch die Zeiten gegangen, aber da­ ran, dass die Bewegung an das Mittelalterliche anknüpfte, erweist sich doch, dass unsere geistigen Bestrebungen in engerem Zu­ sammenhange mit denen jener Zeit stehen, als oft gemeint wird. Für die Ausprägung einer festen Terminologie war manches förderlich, was einem weiterschauenden Standpunkt als Nachteil erscheinen muss. Eben die Einschränkung von Interesse | und Arbeit auf bestimmte Gebiete führte zu einer spezifischen Deter­ mination der Ausdrücke. Der schulmäßige Betrieb der Philoso­ phie und Wissenschaft begünstigte das Hervortreten technischer Bezeichnungen und sicherte die Erhaltung des einmal Gewonne­ nen. Der Gebrauch einer eigentlichen Gelehrtensprache erleich­ terte die Einbürgerung von Worten, die der Stütze allgemeinüb­ licher Analogien entbehrten ; auch das Barbarische konnte sich durchsetzen, wenn es nur dem begrifflichen Interesse Dienst lei­ stete. Jedenfalls ist das Ganze einer eingehenderen Betrachtung wert, wir werden nur an einigen hervorragenden Punkten Halt machen, um dort den Bestand aufzunehmen.

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Aus der ersten Hälfte des Zeitraumes ist zunächst SCOTUS ERI­ GEnA von Wichtigkeit. Sowohl in seinen eigenen Werken als in der Übersetzung neuplatonischer Schriften hat er manche Aus­ drücke, denen wir noch nicht oder noch nicht in technischer Fassung begegneten, während sie nun gang und gäbe wurden.24 Die neuplatonische Begriffswelt hat eben in der Gestalt, welche sie hier annahm, einen mächtigen Einfluss auf die Folgezeit aus­ geübt. Mancher Versuch des SCOTUS ERIGENA ist freilich nicht durchgedrungen, an andern Stellen treibt der reiche und beweg­ liche Geist des Mannes eine Fülle von Bildungen hervor, ohne daraus eine einzige entschieden hervorzuheben und zu fixieren A, kurz es ist bei ihm weit mehr unternommen als durchgesetzt ; aber immerhin ist von hier mehr in die allgemeine Bewegung eingegangen als von irgendeinem andern Denker des frühern Mittelalters. Im Einzelnen kommt z. B. bei ihm vor : continuitas, existentia und subsistentia, pluralitas, causativus und incausale, formativus, immediatus (was auch BOETHIUS hatte), qualitativus (was sich übrigens schon in einem Auszuge des ISIDOR aus Marius Victorinus findet), B receptivus (specula receptiva principalis luminis), supermundanus, supernaturalis, modus essendi,25 purus intellectus, intellectuales oder theoreticae speculationes, intellectuales contemplationes, intuitus rationis (intuitivus aber hat er noch nicht), naturales leges et revolutiones (revolutio = Rückwälzung, Rückkehr findet sich bei AUGUSTIN)26 , specificare u. a.  – Auch verwendet er manche griechische Ausdrücke wie eingebür | gerte, z. B. atomum (in dieser Form), monas, theoria, usia, gnosticus (im weitern Sinne), mysticus u. a. Das griechische δύναμις pflegt er mit virtus zu übersetzen, der forma substantialis wird die forma qualitativaC , dem äußern Sinn (in Anschluss an A  So findet sich eine große Anzahl von Ausdrücken zur Bezeichnung des Ausgehens der Welt von Gott und ihres Zurückkehrens zu ihm, der Entwicklung und Einwicklung (z. B. complicatio, convolutio, replicatio, processio, involutus, convolutus, complicitus ; explicatio und involutio habe ich dagegen nicht bemerkt). B  [ S . Prantl : Geschichte der Logik (002), Bd.  1, S. 661 ]. C  S. [ S cotus Erigena ] de div. nat. I, 499b, III, 701a, d. [ h ier wie im Folgen­ den nach Patrol. Latina 122 ] [ H.Ch.B. ]



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die Neuplatoniker und AUGUSTINs sensus interioris hominis) der innere (sensus interior) entgegengestellt, die Natur stellt sich als geschaffene und schöpferische darA . Manches freilich ist bei ihm begrifflich vorhanden, ohne schon den später dafür üblich gewordenen Ausdruck zu finden. Von einem Sichselbstschaffen Gottes ist oft die Rede, aber causa oder principium sui kommt nicht vor (wohl dagegen per se ipsum esse), der Gegensatz des Subjektiven und Objektiven steht klar vor Au­ gen, bedarf aber zu seiner Bezeichnung mannigfacher Umschrei­ bungB , der Begriff der docta ignorantia ist unzweifelhaft wirksam, aber der Ausdruck dafür wird erst vorbereitetC . – Begriffssystem und Sprachgebrauch des Mannes haben jedenfalls Anspruch auf mehr Beachtung, als ihnen meistens zuteilzuwerden pflegt. In der Zeit zwischen SCOTUS ERIGENA und der Wiedererwe­ ckung des ARISTOTELES findet wenig Fortbewegung statt. Nur einzelne Persönlichkeiten lenken die Aufmerksamkeit auf sich. ANSELM hat z. B. certitudo, die Unterscheidung einer dreifachen Wahrheit (rectitudo cognitionis, voluntatis, rei), die Zerlegung der Notwendigkeit in eine vorangehende und nachfolgende (necessitas praecedens und consequens)D. Die Erörterungen des ANSELM und des GAUNILO über den Gottesbeweis, der später den Namen des ontologischen erhielt, zeigen aber, wie unbehilflich das Den­ ken in dem Ausdruck der Begriffe war und wie leicht bei solcher Unbehilflichkeit grobe Fehlschlüsse sich versteckten. Wo es sich darum handelt, den Gegensatz des vom Denken Gesetzten und A  [ S cotus Erigena ] de div. nat. 621a : »Eo nomine quod est natura non solum creata universitas, verum etiam ipsius creatrix solet significari.« B  S. z. B. [ S cotus Erigena ] de div. nat. 528a : in nostra contemplatione – in ipsa rerum natura ; 492d : dum in se ipsis naturaliter perspiciuntur – in ipso solo rationis contuitu ; 493d : in rebus naturalibus – sola ratione. C  [ S cotus Erigena ] de div. nat. 597c : ignorantia – infinita scientia. [ de di­ visione naturae II, H.Ch.B. ] D  [ R ectitudo cognitionis in dieser Form bei Anselm nicht auffindbar, rectitudo voluntatis (oder volendi) hingegen mehrfach belegt ; die Termini rectitudo und cognitio kommen häufig vor, aber nicht zusammen. ] [ H.Ch.B. ] Diese Sonderung führte später zu mehreren analogen Bildungen. So trennen z. B. Thomas und Leibniz voluntas antecedens und consequens, Hume scepticism antecedent und consequent u. s. w.

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des real Vorhandenen zu bezeichnen, wird bei ANSELM entwe­ der | actu und intellectu oder in re und in intellectu gewählt. Dass jener Beweis aber seiner logischen Verkettung nach nur durch den Doppelsinn des in intellectu möglich ward, ist mehrfach her­ vorgehoben. Wichtiger für uns ist ABÄLARD.27 Mag uns manches von dem hier Auftretenden mit Unrecht als neu erscheinen, da wir über die Leistungen seiner Vorgänger ungenügend unterrichtet sind : an verschiedenen Punkten tritt doch auch am Ausdruck seine in­ dividuelle Eigentümlichkeit hervor. An einzelnen Termini finden wir hier causa finalisA, identitas, inferentia (Folgerung, aus dem boethianischen Sprachgebrauch von inferre), modalis (was freilich schon älter ist B), realiter, quantitativus.C In der Schrift de generibus et speciebus, deren Verfasser unbekannt [ ist ], tref­ fen wir zuerst actualiter. Aus ABÄLARD ist ferner zu erwähnen, dass das seiner Aufnahme nach freilich bis QUINTILIAN zurück­ gehende ethica von hier aus recht eigentlich eingebürgert ist. Ebenso ist der alte Gegensatz der justitia naturalis und positiva von hier aus weitern Kreisen vermittelt (s. nam. dialog. S. 79). Die Verdienste ABÄLARDS um den Begriff des Gewissens und der Gesinnung (intentio) sind bekannt.28 Ein allgemeineres Interesse hat ABÄLARD ferner insofern für uns, als seine universalistische und rationalistische Art sich in dem Streben bekundet, alle Verschiedenheiten in Ansichten und Überzeugungen auf eine bloße Abweichung des Wortaus­ druckes zurückzuführen. Nicht nur sollen Stoiker und Epiku­ reer in ihrer Bestimmung des höchsten Gutes im Grunde das­ selbe gemeint haben, D sondern selbst zwischen den Lebenszielen A  [ Petri Abaelardi ] dialogus inter philosophum, Judaeum et christianum […] primum, hg. Friedrich Heinrich Rheinwald, Berlin 1831, S. 60 : »finem id est causam finalem.« B  [ S . hier Prantl : Geschichte der Logik (002), Bd.  2 , S. 161, 200, 157 (Belege zu inferentia, modalis) ]. C  [ Zu realiter und quantitativus s. Abélard : Ouvrages inédits, ed. Victor Cousin, Paris 1836 (007) ], S. 457, S. 198 ] [ Eucken gibt an S. 457, 176 ] [ G.S. ] D  In dem sehr merkwürdigen Dialog zwischen Philosophen, Juden und Christen sagt der Philosoph in Hinsicht auf jene Frage [ Abaelardi dialogus, a. a. O. ], S. 55 : »Nulla aut parva quantum ad sententiae summam est eorum



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der alten Philosophen und des Christentums möchte er in dieser Weise – oberflächlich genug – Frieden stiften A . Überall sollen in den ver | schiedenen Namen nur verschiedene Seiten ein und derselben Sache zum Ausdruck kommen ; wonach es für die Wis­ senschaft als Aufgabe erscheint, alles scheinbar Abweichende in seiner wesentlichen Einheit zu erkennen. Von den folgenden Gelehrten sei nur Einzelnes angeführt. Der Verfasser der Schrift de intellectibus, ein Schüler und An­ hänger ABÄLARDs, verwendet abstractio in technischer Bedeu­ tung ;29 GILBERTUS PORRETANUS hat den Gegensatz von abstract und concret, ferner in spezifischer Ausprägung conformitas ;B aus JOHANNES VON SALISBURY möge angeführt sein inhaerentia.C Manches Eigentümliche brachte ferner die mystische Rich­ tung hervor. Das meiste blieb zwar auf den ursprünglichen Kreis beschränkt, mehreres aber gelangte mit den mystischen Grund­ distantia. Hoc ipsum virtutibus pollere est hanc animae tranquillitatem ha­ bere et e converso« ; worauf der Christ bemerkt : »Una itaque sententia est utrorumque de summo bono, νero nuncupatio diversa.« A  [ Abaelardi dialogus, a. a. O., ] S. 45, sagt der Christ : »Nunc profecto, quantum percipio, ad omnium disciplinarum finem et consummationem proficiscimur. Quam quidem vos ethicam, id est moralem, nos divinitatem nominare consuevimus. Nos illam videlicet ex eo, ad quod comprehenden­ dum tenditur, id est deum, nuncupantes, vos ex illis, per quae illuc perve­ nitur, hoc est moribus bonis, quas virtutes vocatis.« Der Philosoph erwidert zustimmend : »assentio quod clarum est, et novam nuncupationem nomi­ nis vestri non mediocriter approbo.« S. 61 heißt es sogar (Worte des Philo­ sophen) : »Quam ut arbitror beatitudinem Epicurus voluptatem, Christus vester regnum caelorum nomίnat. Quid autem refert quo nomine vocetur ? dummodo res eadem permaneat, nec sit beatitudo diversa nec juste vivendi philosophis quam christianis intentio praeponatur alia.« B  [ B elege zu abstractio, abstract  – concret, conformitas bei Prantl : Ge­ schichte der Logik (…), Bd.  2, S. 209, S. 218, S. 220 ]. [ Gilbert de Poitiers (gest. 1154) hat wichtige Kommentare zu Boethius und Ps. Boethius verfasst, wel­ che in den alten Boethius-Ausgaben abgedruckt wurden, so etwa in der Ba­ seler Ausgabe von 1546. Conformitas ist im 12. Jh. oft belegt. ] [ H.Ch.B. ] C S. [ C arl Max Wilhelm ] Schaarschmidt : Johannes Saresberiensis. [ Nach Leben und Studien. Schriften und Philosophie, Leipzig 1862, ] S. 311 : »de­ monstrativa necessarias methodos quaerit, et quae illam rerum inhaeren­ tiam docent, quam impossibile est dissolvi.« [ Metalogicon II 3 ; inhaerentia insgesamt fünf Mal belegt bei Johannes von Salisbury ] [ H.Ch.B. ]

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gedanken selber zu weiterer Geltung. Namentlich charakterisiert sich das Streben nach einer über die unmittelbare Anschauung erhobenen Welt in manchen Unterscheidungen, die freilich nicht so sehr begrifflich neu sind, als sie hier mit verstärkter Kraft her­ vortreten. Bei BERNHARD ist beachtenswert die Unterscheidung der Zustände der natura, gratia und gloria, drei Stufen höherer Erkenntnis werden gesondert : consideratio, contemplatio, ecstasis, an deren Stelle bei HUGO VON S. VICTOR die Ausdrücke cogitatio, meditatio, contemplatio traten. HUGO nimmt das boethia­ nische intellectibile auf und unterscheidet bestimmt zwischen intellectus und intelligentia.A Aus BONAVENTURA mag docta ignorantia und cordialis angeführt sein. Eine entschiedene Weiterbewegung beginnt erst mit der Wie­ dererweckung des gesamten ARISTOTELES, aus den Überset­ zungen seiner Schriften ins Lateinische ist der Terminologie die mannigfachste Bereicherung erwachsen. Noch mächtiger aber | wirkten die Versuche, die nun wie neu offenbarte Erkenntnis mit dem Inhalt der religiösen Überzeugungen wenn auch nicht zu innerer Einheit zu bringen, so doch leidlich auszugleichen. Man mag das Ergebnis solcher Bestrebungen sehr abweichend schätzen, so viel ist gewiss, dass das Denken sowohl einen weit reichern Inhalt gewann als sich an seinem Stoffe kräftiger betä­ tigte. Das Interesse an der Welt war schon vorher unverkennbar im Steigen begriffen, aber da zu einer universellen selbständigen Forschung die Kraft fehlte, so kam man für sich über gewisse Umrisse nicht hinaus. Nun ward eine unübersehbare Fülle realer Einsicht wie geschenkt und mit einer Art von Heißhunger ergrif­ fen. Aber es ward denn doch nicht bloß geduldig aufgenommen, sondern eine ordnende und einfügende Tätigkeit ist versucht, mag diese Tätigkeit nach dem höchsten Maßstabe gemessen auch als eine ziemlich äußerliche erscheinen. Eine Art von Sys­ tem sollte aufgestellt und durchgeführt werden, erhebliche Pro­ bleme traten hervor, eine Weiterbildung oder doch Verschiebung A  [ Heinrich ] Ritter [ : Geschichte der Philosophie, 12 Bde., Hamburg 1829 – 1853 ] ; Bd.  7, S. 534. [ R itter weist an der angegebenen Stelle allerdings darauf hin, dass bei Hugo von St. Victor intellectus und intelligentia nicht streng geschieden sind. ] [ H.Ch.B. ]



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der Begriffe ist an manchen Stellen unleugbar. Dabei strebt das innerlich Gebildete energisch nach einer äußern Gestaltung, eine ganze Fülle von Begriffen findet eine technische Bezeichnung, und wenn auch nicht selten Barbarisches gewagt wurde, das den Spott eines geschmackvolleren Zeitalters herausforderte, man­ ches Wichtige ist von hier in die Geschichte der Wissenschaft eingegangen und hat sich bis zur Gegenwart erhalten. Den Ausgangspunkt der Bewegung bildeten bekanntlich in Spanien entstandene Übersetzungen der arabischen Texte und Kommentare des ARISTOTELES ; mit dem Inhalt wurden auch die hier verwandten Wortformen im Abendlande rasch überallhin verbreitet. Dann haben die Häupter der Scholastik in der Aus­ bildung ihrer Systeme auch manches Eigne geschaffen, jedoch könnten nur sehr sorgfältige Untersuchungen darüber Gewiss­ heit geben, ob nicht viel auch von dem anscheinend Neugebil­ deten aus Übersetzungen der arabischen Philosophen geflossen ist. Eine eingehende Untersuchung der Gestaltung scholastischaristotelischer Redeweise nach dem Vorbilde, welches PRANTL für die Logik gegeben hat, wäre überhaupt wünschenswert. Wir empfinden das Ungenügende unserer Arbeit an dieser Stelle ganz besonders. Nur Einzelnes ist von uns hier quellenmäßig durch­ forscht, natürlich suchten wir uns aus den zuverlässigsten und ausführlichsten Berichten zu orientieren, aber wie ungenügend eine solche Hilfe | bei dem vorliegenden Gegenstande bleibt, ver­ kennen wir selber am wenigsten. So beschränken wir uns denn in unsern Angaben auf einige Hauptpunkte. Aus lateinischen Übersetzungen des ALFARABI wird ange­ führt praemissae, des AVICENNA : causa sui (von Gott), causalitas, certificare (certificatio), combinationes, generalitas, specialitas, substantialitas, universalitas (intellectus agit universalitatem in formis), individualitas (individualis führt PRANTL z. Β. bei ADE­ LARD von bath an)A, principium individuationis, 30 quidditas, intentio (in mittelalterlicher Bedeutung, über die ausführlich z. B. GOCLEN [ Lexicon philosophicum ] handelt)B , die Unterscheidung A  B 

[ Prantl : Geschichte der Logik (002), Bd.  2, S. 141 ]. [ Goclen : Lexicon philosophicum (…) (002), S. 253 ff. ].

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des Sein ante multiplicitatem, in multiplicitate, post multiplicitatem. Bei AVERROES, über den wir auch aus eigner Kunde berich­ ten können, findet sich : causae motivae, causae primae, metaphysica im Singular, naturari (φύεσϑαι), certificare und verificare, res priores in esse, res posteriores in esse. Die vier aristotelischen Ursachen werden ausgedrückt durch causa materialis, formalis, agens (auch efficiens), finalis, δυνάμει und ἐνεργείᾳ wird durch potentia und actu wiedergegeben, das Erkennen Gottes als actus purus bezeichnet.31 Von den christlichen Denkern hat ALBERTUS MAGNUS u. a. entitasA, idealis, principium sui, ex prioribus – ex posterioribus, radicalis ; ThOMAS infallibilitas, influentia causae, principalitas, virtualiter, implicare contradictionem ; das Freie (im Handeln) nennt er causa sui, 32 inclinare und determinare werden (in Bezug auf die Frage der Willensfreiheit) gesondert. DUNS SCOTUS, der scharfsinnigste Denker des Mittelalters, tritt auch auf diesem Gebiete sehr hervor. Neu findet sich z. B. actualitas (auch actualis ist namentlich durch ihn zu allgemeiner Verwendung gelangt), formalitas, haecceitas (= entitas positiva), incompossibilitas, materialitas, perseitas, realitas, causa sine qua non als fester Ausdruck ; an Gegensätzen hat er zuerst objective und subjective (in einer dem heutigen Gebrauch gerade entgegen­ gesetzten Bedeutung), esse reale und intentionale B , die Gegen­ überstellung von abstractus und concretus hat er, in genauer A  Weitere aus arabischen Quellen fließende Termini s. bei Prantl : [ G e­ schichte der Logik ], III, 100. [ Die meisten der von Eucken im Folgenden angeführten Termini sind bei anderen etwa gleichzeitigen Autoren vielfach bezeugt. ] [ H.Ch.B. ] B  Über die Bedeutung des im spätern Mittelalter oft verwandten und noch bei Cartesius und Leibniz in dem Terminus species intentionalis sich erhaltenden Ausdruckes intentiοnalis s. Goclen : Lexicon Philosophicum, S. 256 : »Scholastici ens intentionale appellant ens, quod sola intellectus con­ ceptione et consideratione inest ; seu ens quod est intra animam per notio­ nes. – Intentionales dicuntur species sensiles, quia objecta materialia sensui repraesentant.« Suarez, de anima ΙΙΙ, 1, 4 rechtfertigt den Ausdruck species intentionalis also : »species quidem quia sunt formae repraesentantes ; inten­ tionales vero non, quia entia realia non sint, sed quia notioni deserviunt, quae intentio dici solet.«



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Fixierung | der Termini, zu weitester Geltung gebracht. Ferner scheidet er die konfuse und distinkte ErkenntnisA, formalisB und realis, genus physicum und metaphysicumC und vieles Andere. Bei dem Streben, durch genaue Distinktionen der Lösung der Probleme näher zu kommenD, verliert sich freilich sein Scharf­ sinn wohl in Spitzfindigkeit, und die Schule, die Eigentümlich­ keit des Meisters bis zum offenbaren Fehler steigernd, setzte sich berechtigten Vorwürfen aus. Aber dass in den grundliegenden Distinktionen wesentliche Probleme zum Ausdruck gelangen, ist gewiss ; hat doch ein LEIBNIZ von hier fruchtbarste Anregun­ gen entnehmen können. Jedenfalls dürfte um die philosophische Kunstsprache des Mittelalters kein zweiter ein selbständigeres Verdienst haben als DUNS SCOTUS. Von den Zeitgenossen und Nachfolgern dieser Männer finde nur Einzelnes Erwähnung. ROGER BACO wie LULLUS sind weni­ ger bemerkenswert wegen neuer Ausdrücke als wegen der Ein­ führung arabisch-lateinischer in den Gebrauch der christlichen Literatur. BACO verwendet u. a. aggregatio, aggregatum, experientiae (einzelne Erfahrungen), majoritas (z. B. majoritas anguli), praemissae, certificare, verificare, eliminare (technisch), totalis A  S. bei [ A lbert ] Stöckl : Geschichte der Philosophie des Mittelalters, [ 3 Bde., Mainz 1864 – 1866 (001) ], Bd.  2, S. 812 : »confuse dicitur aliquid con­ cipi quando concipitur sicut exprimitur per nοmen, distincte verο, quando concipitur, sicut exprimitur per definitionem.« [ Es handelt sich hier um ein bei Ockham überliefertes Zitat aus Duns Scotus. ] [ H.Ch.B. ] B Dass formaliter an verschiedenen Stellen zur Bezeichnung der subjek­ tiv logischen Auffassung dient, s. Prantl : [ Geschichte der Logik (002) ], III, 220. C  S. Stöckl : [ G eschichte der Philosophie des Mittelalters (001) ], Bd.  2 , S. 822. D  S. Ritter [ : Geschichte der Philosophie ], Bd.  8, S. 463 : »Der Satz des Wi­der­spruches ist sein metaphysischer Hort, aus welchem er alle seine philo­ sophischen Sätze schöpft.« Ebd., S. 464 : »Ueberall ist er bemüht, die Wi­ derspruchslosigkeit oder (sic) die Uebereinstimmung unter den Gliedern unseres Denkens nachzuweisen, überall hat er es daher auch mit einander entsprechenden Unterschieden zu thun, mit Gegensätzen, die einander for­ dern. – Dies ist das Prinzip seiner Lehre, welches er in der Formel auszudrü­ cken pflegt, dass die entgegengesetzten Begriffe einander verhältnissmässig zugeordnet sein müssen.«

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u. a. LULLUS hat ebenfalls praemissae, majoritas, ferner minoritas, inferioritas, superioritas, prioritas, posterioritas, repraesentativus, respectivus, demonstrare per inferius seu posterius und per superius sive prius u. a.33 Bei ALBERT VON SACHSEN († 1390) lässt sich zuerst a priori | und a posteriori aufweisen A, ferner findet sich hier maxima (d. h. propositio maxima) in einer Weise, die den Übergang zum spä­ tern Sprachgebrauch vermittelt.B Namentlich gegen Ausgang des Mittelalters bilden sich manche der Parteibezeichnungen, die sich bis zur Gegenwart gehalten haben, realistae führt PRANTL zuerst bei SILVESTER DE PRIERIA (†1523) an, während reales auch als Schlagwort älter ist. Über das Ganze des scholastischen Begriffssystems ist es uns Neuern nicht leicht ein unbefangenes Urteil zu fällen. Unsere ganze Weltanschauung ist so sehr in einem bewussten Gegen­ satz zu jenem erwachsen, dass feindliche Gegenüberstellung oder geringschätzende Abfertigung noch immer am nächsten liegen. Von einem einfachen Herabsehen aber könnte schon die Erwä­ gung abhalten, dass die Scholastik eben in der Behandlung der Begriffe manche Vorzüge aufzuweisen hat, die wir in der gegen­ wärtigen Lage schmerzlich vermissen. Da ist nicht eine schon die erste Auffassung trübende Unklarheit und Verschwommenheit, das Abweichende ist geschieden, das Verwandte in Verbindung gebracht, alles Einzelne in ein System verarbeitet. Das begrifflich Vorhandene sucht den Weg in die Erscheinung, bei allen bar­ A  S. Prantl : [ G eschichte der Logik (002) ], IV, S.  78 : »Demonstratio quaedam est procedens ex causis ad effectum et vocatur demonstratio a priori et demonstratio propter quid et potissima ; … alia est demonstratio procedens ab effectibus ad causas, et talis vocatur demonstratio a posteriori et demonstratio quia et demonstratio non potissima.« [ Dieses Zitat auch bei Heinrich Schepers : Art. »A priori/a posteriori«, in : HWPh, Bd.  1, S. 464 ; vgl. auch Trendelenburg zu a priori/a posteriori (vgl. Bibliographie) sowie ­Eucken zu a priori/a posteriori, in : ders. : GG, 61920, in : GW, Bd.  4 , S. 81 – 83 ; vgl. auch Rez. der Geschichte der philosophischen Terminologie in : Revue critique 1880, S. 5 ] [ G.S. ] B  Den ersten Anlass zu diesem Ausdruck gab die Wendung des Boe­ thius maximae et principales propositiones, S. Prantl : [ Geschichte der Logik (002) ], I, S. 720.



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barischen Formen ist doch das Streben nach einem angemesse­ nen Ausdruck des Gedankeninhalts unverkennbar. Die Kreise der einzelnen Wissenschaften werden hier noch von der Philo­ sophie eingeschlossen, sicherlich zum Schaden des Besonderen, aber dem Gebiet unserer Betrachtung insofern zum Vorteil, als die philosophischen Begriffe und Termini bis in die Fülle der Er­ scheinungen ihre Äste ausstrecken. Die einzelnen Arbeitenden aber bewähren technische Schulung, Sorgfalt und Präzision ; was begonnen war, ist mit Besonnenheit und Umsicht durchgeführt, das Ganze hat etwas Gereiftes, in sich Geschlossenes. So sehen wir denn die verschiedenen Teile der Philosophie in Begriffen und Termini systematisch durchgebildet. Die Logik und die Er­ kenntnislehre mögen hier an der Spitze stehen, die Psychologie und die Ethik bleiben nicht zurück, und selbst die Physik ist zu | reicher Gliederung entwickelt.A Überhaupt wird man sagen dür­ fen, dass die begriffliche Arbeit den vorliegenden Stoff ganz und gar durchdrungen und dem Denken unterworfen hat. Unter ge­ gebenen Voraussetzungen und innerhalb gewisser Schranken hat dieselbe geleistet, was sie überhaupt leisten konnte. Wenn das Einzelne manchmal absonderlich und gar unverständlich er­ scheint, so liegt die Schuld gewöhnlich an dem Mangel einer Er­ forschung des ganzen Systemes. Aber Voraussetzungen und Grundlage der Tätigkeit selber wa­ ren unbefriedigend. Vor allem fehlte ja die Selbständigkeit un­ mittelbarer Erfassung und schöpferischer Gestaltung des Welt­ inhaltes ; man sah sich darauf angewiesen, die Grundlagen des Ganzen von außen zu entlehnen, dasjenige System aber, was man erwählte und nach der Lage der Dinge allein erwählen konnte, das ARISTOTELISCHE, war zur Förderung selbsttätiger Arbeit besonders wenig geeignet. Über alle Vorteile, welche seine Auf­ nahme gebracht hat, darf diese Kehrseite nicht vergessen wer­ den. Unter allen großen Systemen der griechischen Philosophie A  Von diesem letztern kann man sich z. B. überzeugen aus dem Werk : Bartholomaei Arnoldi Usingensis in Gymnasio Erphordiensi collecta, et jam ab infinitis, quibus scatebat, mendis accuratissime repurgata etc. 1543 [ Bar­ tholomaeus Arnoldi von Usingen : Totius Naturalis Philosophiae Epitome Olim Singulari Studio, (Erfurt) 1543 ].

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hat keines weniger die Art, in unmittelbarer Übertragung auf fremden Boden lebenerweckend zu wirken, als das ARISTOTELI­ SCHE. Überall entspringen seine Lehren und Begriffe einer voll bestimmten geistigen Richtung und vertreten daher eine spezi­ fische Weltbegreifung ; in dieser Weltbegreifung ist aber recht eigentlich das Griechische zu seinem vollendeten Ausdruck ge­ kommen und auch das Universelle und Menschliche so sehr da­ ran gebunden, dass es davon nicht abgelöst werden kann, ohne zur Abstraktheit herabzusinken und gehaltlosem Formalismus zu verfallen. Die andern Systeme gestatten bei geringerer Posi­ tivität und geringerer Gliederung weit eher den Anschluss eig­ ner fruchtbarer Denktätigkeit ; wo immer man ARISTOTELES in seinen Grundlehren einfach übertragen wollte, bildete sich leicht eine knechtische Art schulmäßigen Betriebes, welche die selb­ ständige Forschung rasch erstickte. Im Mittelalter war nun die treibende Kraft wie der tiefere spe­ kulative Gehalt des aristotelischen Systems dem Bewusstsein verhüllt ; wurden trotzdem Gedanken und Begriffe festgehalten, so mussten sie lebendiger geistiger Anschauung entbehren und eine | überaus verblasste Gestalt annehmen. Was in dem Zusam­ menhange griechischen Lebens seine volle Begründung gefun­ den und seine Macht bewährt hatte, das ward nun wie zu einem schattenhaften Dasein künstlich wachgerufen. Über die weite­ ren Geschicke entschied damit nicht so sehr die aus letzter Tiefe menschlichen Wesens entspringende Notwendigkeit, als reflek­ tierendes Nachdenken und bald auch das Interesse schulmäßiger Arbeit.A Bei dieser Sachlage war es nicht bloß Schuld der Ein­ zelnen, wenn die Bewegung mehr und mehr in Künstelei und Spitzfindigkeit verlief, wenn die großen zwingenden Pro­bleme zurücktraten, die Forschung bei aller Verzweigung sich der rea­ len Welt entfremdete. Mehr und mehr behauptete klügelnde Re­ A  Auch das kommt hier in Betracht, dass die Tätigkeit bald nach Schulen auseinandergeht und sich technische Ausdrücke der verschiedenen Grup­ pen bilden, welche sofort die Parteistellung verraten. [ Vgl. Eucken : Parteien und Parteinamen in der Philosophie (1884), Endfassung in : ders. : Beiträge zur Einführung in die Geschichte der Philosophie. Leipzig 1906, Bd.  2 , S. 126 – 156 ; abgedruckt in : ders. : GW, Bd.  2, S. 126 – 156. ] [ G.S. ]



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flexion das Feld und verstrickte sich das Denken in die selbst­ gefertigten Netze. Das Begriffssystem, zu dem man schließlich gelangte, war mehr geeignet, den Problemen alle Schneide zu nehmen als ihrer Lösung zu dienen. An jeder Stelle lag eine Fülle von Distinktionen bereit, um die Dinge aufzunehmen ; wo etwa neue Schwierigkeiten auftauchten, war eine neue Unterschei­ dung rasch gefunden, in verzweifelte Enge konnte die Schultheo­ rie nimmer getrieben werden. Die gelehrte Welt war dadurch in ihrem Kreise gegen alle Einwendungen und Fortschritte wie ge­ panzert ; das Begriffssystem aber musste sich mehr und mehr aus­ breiten und endlich so verwickeln, dass es geradezu ein Hemm­ nis gedeihlicher Forschung wurde. Wir brauchen nur irgendeine spätere Zusammenstellung der scholastischen Terminologie zu betrachten, wie z. B. die von SCHERzeR A, um solches Eindruckes teilhaftig zu werden. Die Ausdrücke sind oft künstlich gestei­ gert, wie z. B. von dem transcendens noch ein supertranscendens und transcendentissime abgesondert wird, mannigfache Stufen der Begriffe scheiden sich, z. B. bei materia, dazu nimmt ein Ter­ minus so mannigfache Variationen an, dass der Zusammenhang der verschiedenen Bedeutungen nur noch mühsam aufrecht er­ halten wird, ja dass bisweilen ein und dasselbe Wort für ent­ gegengesetzte Begriffe Verwendung findet.B | Es gibt kaum ein geeigneteres Mittel, die Wissenschaft von der Wahrheit fernzuhalten, als ein solches Begriffssystem. Das Den­ ken kommt bei allem scheinbaren Fortschritt aus dem Kreise, in den es sich gebannt hat, nicht hinaus ; das Mannigfachste und Zerstreute lässt sich in einem solchen System unterbringen, das Verschiedenartige und Entgegengesetzte verträgt sich hier mit­ einander. So musste vor allem dieses System zerstört, dieser Bann gebrochen werden, wenn ein Fortschritt realer Erkennt­ A Scherzeri Vademecum sive Manuale Philosophicum 1675 [ Johann Adam Scherzer : Vademecum sive Manuale Philosophicum, Leipzig 1654, 31675 ; ND, mit einem Vorwort hg. v. Stephan Meier-Oeser, Stuttgart/Bad Cann­statt 1996 ]. B  Es wird z. B. unterschieden ein subjectum inhaesionis, attributionis, denominationis, praedicationis, habitus (welches letztere so viel bedeutet wie objectum).

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nis ermöglicht werden sollte. Die heftigen Angriffe der neuern Denker mochten im Einzelnen fehlgehen, im Ganzen waren sie vollauf berechtigt. Zum Teil in Folge jener Angriffe trat endlich freilich eine gewisse Vereinfachung ein. Namentlich verdient in dieser Hinsicht SUAREZ (1548 – 1617), der letzte große Scholastiker, ehrende Anerkennung. Aber die prinzipiellen Fehler der scholas­ tischen Terminologie haften natürlich auch ihm an.A Der Angriff auf die scholastischen Begriffe und Termini ging von verschiedenen Punkten aus. Das dem realen Leben zuge­ kehrte Interesse des praktischen Verstandes spottete über die Unfruchtbarkeit der Begriffe und sah in aller schulmäßigen Er­ örterung ein bloßes Wortgefecht B , der durch eine unbefangene und reichere Anschauung des Altertums gebildete Geschmack nahm an der Fülle barbarischer Bildungen Anstoß, die selb­ ständig aufstrebende philosophische Forschung konnte nur durch die Zerstörung des scholastischen Systemes freien Platz für die Schöpfung einer eigenen Begriffswelt erlangen. Aber so selbstverständlich auch nach veränderter Richtung des geisti­ gen Lebens die Opposition gegen das Mittelalterliche dünkte, es hat sehr lange gedauert, bis man ihm in voller Selbständigkeit gegenübertreten konnte. Mochte man noch so viel Klage über den bar | barischen ›Pariser‹ Stil erhebenC , mochte man an ein­ A  [ Franciscus ] Suarez᾿ Redeweise hat insofern für uns ein gewisses Inte­ resse, als sich mit ihm die bahnbrechenden Geister der Neuzeit unmittelbar berühren. Im Einzelnen dürfte Anführung verdienen, dass sich hier zuerst in philosophischer Verwendung clare und distincte nebeneinander finden (s. Metaph. disp. VIII, 3). B  Als Typus mag hier Michel de Montaigne gelten. S. z. B. Essais III, 13 : »La question est de paroles, et se paye de même. Une pierre c’est un corps : mais qui presserait : Et corps qu’est-ce ? Substance, – et substance, quoi ? ainsi de suite acculerait enfin le répοndant au bout de son calepin. On échange un mot pour un autre mot, et souvent plus inconnu. Je sais mieux que c’est qu’homme, que je ne sais que c’est animal, ou mortel, ou raisonnable. Pour satisfaire à un doute, ils m’en donnent trois. C'est la tête d’Hydra.« [ In der neuen Pléiade-Ausgabe (Les Essais, éd. établie par Jean Balsamo, Michel Magnien, Catherine Magnien-Simonin, Paris 2007) in abweichender Schrei­ bung, vgl. S. 1116. ] [ G.S. ] C  Eine Zusammenstellung derer, welche gegen den barbarischen Stil auf­ traten, s. [ God. Guil. Leibnitii Opera philosophica quae exstant latina gallica



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zelnen Punkten noch so viel Neues versuchen A, zunächst fehlte noch die geistige Flutwelle, welche die Bestrebungen der Indivi­ duen hätte umfassen, verbinden und weitertragen können. Dass auch auf unserm Gebiete ein Daseiendes nur durch eine positive Gegenmacht verdrängt werden kann, das zeigt das geringe Er­ gebnis der Philosophie der Renaissance. Was von hier aus in den allgemeinen Gebrauch einging, ist im Vergleich zu dem Scho­ lastischen fast verschwindend. Das eigentlich Bedeutende war vielmehr die Erschütterung der Scholastik, die Verdrängung der abstrusen und unförmlichen Bildungen, die Einschränkung auf leitende Stammbegriffe, kurz eine gewisse Freimachung des Ge­ bietes für die Schöpfungen der folgenden Epoche. Das aber war immerhin eine notwendige Vorbedingung, die nicht gering an­ geschlagen werden soll. Des Nähern erkennen wir die Ergebnisse der Übergangszeit am besten aus dem oben genannten trefflichen Werke GOCLeNs. Dasselbe führt uns mit einer gewissen Objektivität den Ge­ samtzustand der Begriffe und Termini am Ausgang jener Zeit vor. Die veränderte Lage bekundet sich zunächst in dem syn­ kretistischen Verfahren gegenüber den verschiedenen Systemen der Scholastik ; man muss einer Sache schon innerlich entfrem­ det sein, wenn man ihre Verschiedenheiten und Gegensätze so friedlich nebeneinander zu stellen vermag, wie es hier geschieht. Dann aber ist viel Scholastisches einfach beseitigt, Anderes wird mit Bedacht vorgeführt, um bekämpft zu werden. Eine Proskrip­ tionsliste barbarischer Ausdrücke wird entworfen. Dieselbe ent­ hält aber Verschiedenes, was sich nicht nur hielt, sondern noch größere Bedeutung erlangte. So z. B. qualitativus, ideales notiones (wofür exemplares n. vorgeschlagen wird), ferner das von LEIBNIz ergriffene compossibilitas und incompossibilitas, das durch SPINOZA weit verbreitete naturare (natura naturans – natura naturata). Für die philosophische Arbeit konnten eben die sprachlichen Gründe, die GOCLEN leiteten, nicht den Ausschlag germanica omnia, ed. Joannes Eduardus Erdmann, Pars Prior, Berlin 1840 (002), S. 55 ff. : Dissertatio de stilo philosophico Nizolii, S. 66 ]. A  So hat z. B. Scaliger Verschiedenes vorgeschlagen, ohne damit durch­ zudringen.

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geben. Der Begriff nimmt den Ausdruck, wo und wie er ihn fin­ det, wenn nur der Inhalt dabei zu seinem Rechte kommt. – Die wichtigern Termini | des Mittelalters behaupten bei GOCLEN im Wesentlichen noch die alte Bedeutung, indessen zeigt sich an verschiedenen Punkten, wie das Neue, das bald zur Macht ge­ langen sollte, in dem Alten nicht ohne Vorbereitung war. Man­ ches, was im Mittelalter oppositionell oder nebenbei erschien, trat in Folge des Umschwunges in den Vordergrund, jenes frü­ here Aufstreben mochte zunächst erfolglos sein, endgültig war es nicht verloren.A Auch auf diesem Nebengebiete bezeigt sich, dass die Neuzeit selbst dem positiven Inhalt nach weit enger mit dem Mittelalter zusammenhängt, als es für die äußerliche Be­ trachtung erscheint.B Erst mit der Ausbildung einer selbständigen Philosophie be­ gann die Opposition gegen die scholastische Terminologie sich zu spezifizieren. Namentlich war es zweies, was man bekämpfte : das Übermaß der Distinktionen und die versteckte Bildlichkeit des Ausdrucks. Die Gefahren, welche jenes mit sich brachte, sind im Vorangehenden dargelegt, unter den sie durch Wort und Tat siegreich Bekämpfenden muss DESCARTES an der Spitze genannt werden.C Die versteckte Bildlichkeit aber hatte ihren ­letzten | A  Um nur ein paar Beispiele anzuführen, s. Goclen [ : Lexicon philosophi­ cum (002), ] S. 210 : »ideae sumuntur nonnunquam pro conceptibus seu no­ tionibus animi communibus« ; 590 : »non solum in philosophia, sed etiam in theo­logia forma interdum accipitur pro externa repraesentatione seu specie ac similitudine.« B  Von Goclen und seinem Schüler Casmann [ auch : Cassmann ] sei hier noch das angeführt, dass sie den von Melanchthon als Vorlesungstitel ver­ wandten Ausdruck Psychologie (s. [ Wilhelm ] Volkmann [ von Volkmar ] : Lehrbuch der Psychologie [ vom Standpunkte des philosophischen Realis­ mus und nach genetischer Methode, 2 Bde., Cöthen 21875/76 (002) ], Bd.  1, S. 38) in die Literatur einführten. Goclen gab 1590 eine Psychologia heraus, Otto Casmann verfasste : Psychologia anthropologica sive animae humanae doctrina[ , 2 Bde., Hanau 1594/96 (001) ]. In diesem Werke wird die Anthro­ pologie als übergeordneter Begriff hingestellt, der Psychologie und Somatotomie umfasst ; s. S. 22 : »anthropologiae partes duae sunt : psychologia et somatotomia.«.Neben anthropologicus findet sich hier auch psychologicus. C  Näheres darüber s. u. Hier möge nur eine Stelle Erwähnung finden. Descartes sagt (Ad Voetium IV) : »perfacile [ enim ] illis est considerare sepa­



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Grund in dem Mangel an Selbständigkeit und spekulativer Kraft ; bei der abstrakten Fassung, welche die Begriffe infolgedessen an­ nahmen, waren sie nicht mächtig genug, eindringende Vorstel­ lungsbilder fernzuhalten. Der Fehler erschien dann der Folgezeit noch größer, als er tatsächlich war. Manches, was in dem Zusam­ menhange aristotelisch-scholastischer Gedanken eigentlich gemeint war, konnte nun nur noch bildlich verstanden werden. Vor allem ward jetzt das dort wohl motivierte Hineinziehen geis­ tiger Kräfte in das Naturgeschehen lediglich als ein irreführen­ des Phantasieren angesehen und verworfen. Da diese Bildlichkeit des Ausdruckes dem Denken fortwährend Fallstricke legte, so ward sie von den neuern Forschern mit besonderer Schärfe be­ kämpft. Niemand hat vielleicht seinem Unmut einen kräftigern Ausdruck gegeben als NIKOLAUS TAURELLUS,A aber auch LEIBNIZ trat, obschon in gemäßigterem Tone, gegen jenen Missstand ent­ schieden auf. Die Sprache der Scholastiker, meint er, wimmle von verborgenen Tropen, denn alle solche Ausdrücke, wie dependere, inhaerere, emanare, influere, seien im Grunde bildliche, SUAREZ

ratim rei cujuslibet propositae nomen, definitionem, genus, species, simili­ tudines, differentias, contraria, adjuncta, antecedentia, consequentia, et re­ liqua ejusmodi, quae vulgo in Topicis recensentur : cumque tantum volunt disserere, si quidquid ipsis unusquisque ex istis locis suppeditat, effutiant, diu multumque loqui possunt ; si autem aliquam opinionem velint probare, nulla est tam parum verisimilis, pro qua non possint ex iisdem multas ra­ tiones, non quidem firmas, sed saltem quae numerum faciant, colligere ; ac deinde, si sit disputandum, eas facile in syllogismos concinnant. Possuntque eodem modo ad quaslibet objectiones respondere, si tantum sint instructi viginti vel triginta distinctionibus, quales sunt inter illa, quae considerantur directe et indirecte, speculative et practice, externe et interne, ac similes, quibus in omni difficultate locum invenient, modo tantum ipsis audacter uti non erubescant.« [ Renatus Descartes : Epistola Renati Des-Cartes Ad cele­ berrimum Virum D. Gisbertum Voetium, Amsterdam 1643, Pars Quarta (002), S. 69 f. ]. A  [ Nicolaus Taurellus : ] Alpes caesae, [ h .e. Caesalpini monstrosa et su­ perba dogmata discussa et excussa, Frankfurt 1597 (002), S. 441, S. 215 ] : »Suis utantur rhetores et poetae metapheris. Si philosophari voles, omitte figuras : proprie loquitor.« »Nihil sophisticum est magis quam si de industria loqua­ ris improprie.«

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aber sei gar stolz darauf, die Ursache (causa) definiert zu haben als ›quod influit esse in aliud‹.A Bevor wir von der scholastischen Terminologie scheiden, mö­ gen noch zwei Bemerkungen verstattet sein. Einmal, dass sich dieselbe (auch abgesehen von den engern Kreisen, in denen sie noch heute fortvegetiert) weit länger erhielt, als oft angenommen wird. Im 17. Jahrhundert sehen wir auf deutschen protestanti­ schen Universitäten die Scholastik noch eine Nachblüte erleben, sie hat von hier aus auch in der Ausdrucksweise einen unmittel­ baren Einfluss auf LEIBNIZ, einen noch größern auf WOLFF aus­ geübt ; da aber an der wolffischen Terminologie sich die kan­ tische gebildet hat, so reicht schon dadurch die Scholastik bis in unsere Zeit hinein. Dementsprechend ist auch das von der scho­ lastischen Terminologie Erhaltene nicht so gar [ gar so ] gering. Es ist wahr, die vielen abgeleiteten Bildungen sind zum großen Teil, die Zusammenfügungen und systematischen Verzweigun­ gen der Termini fast ganz verschwunden ; das Meiste davon war so eng mit den spezifisch scholastischen Gedanken verwachsen, dass es ihr Schicksal | teilen musste. Bei vergleichender Betrach­ tung der großen Denker der Neuzeit sehen wir jene Ausdrücke stetig abnehmen, heute sind sie bis auf wenige Reste beseitigt. Die Stammbegriffe aber und auch vieles Einzelne vor [ von ? ] ih­ nen her Gebildete haben sich nicht nur in dem Kampfe behaup­ tet, sondern sind nach Beschwichtigung des ersten Oppositions­ sturmes zu steigender Verwertung gekommen. Es war durch die Arbeit jener Zeit, durch die streng technische Ausbildung eines Begriffskreises doch unendlich viel gefördert, was sich als un­ entbehrlich erwies und sich also auch nach Untergang des Syste­ mes aus eigner Kraft behaupten konnte. Es sind freilich überwie­ gend formale Verhältnisse, die in solchen Termini zum Ausdruck kommen ; sie mussten, um fortzuleben, sich einem neuen Inhalt anpassen ; aber dass sie dem neuern Denken eine wesentliche Hilfe in der wissenschaftlichen Umarbeitung der Welt boten, das A  [ L eibniz ] De stilo philosophico Nizolii, [ i n : ders. : Opera philosophica quae exstant Latina Gallica Germanica omnia, ed. Joannes Eduardus Erd­ mann, Pars Prior, Berlin 1840 (002) ], Sp. 64 a.



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darf nicht bezweifelt werden. Hier lagen Werkzeuge bereit, ohne deren Verwendung das Denken sicherlich nicht so rasch fortge­ schritten, ohne die es vielleicht gar bald in rohen Naturalismus gesunken wäre. Die Scholastik hat eine gewaltige Zucht ausgeübt, die eine unerlässliche Vorbedingung des Aufschwunges war. Für eine solche Ansicht mag als Zeugnis gelten, dass die neue Philo­ sophie eben in dem Maße, wie sie sich selbständig ausbildete und zu einem großen Systeme entwickelte, von dem Mittelalterlichen aufgenommen und sich angeeignet hat. An solchen angepassten Ausdrücken hat LEIBNIZ mehr als DESCARTES, KANT mehr als LEIBNIZ. Die neue philosophische Terminologie ist daher ohne Erforschung des Mittelalters nicht zu verstehen. Und sicherlich liegt es nicht bloß in engbegrenztem Schulinteresse, hier die Fä­ den genauer zu verfolgen. Denn wenn es richtig ist, was LESSING meint, A dass ein Ding, dem der Sprachgebrauch einen gewissen Namen zu geben fortfährt, auch fortfährt, mit demjenigen Dinge etwas gemein zu behalten, für welches dieser Name eigentlich er­ funden war, so ist durch jene Gemeinschaft des Ausdrucks auch eine gewisse Verwandtschaft des Inhalts angedeutet. Sodann aber hat sich auch in den Specialwissenschaften man­ ches von der scholastischen Sprache erhalten. Bei der Abhängig­ keit, in welcher während des Mittelalters alle besondern | Dis­ ziplinen dem philosophischen Schulbetriebe gegenüberstanden, war eine Einwirkung der philosophischen Terminologie bis ins Einzelne hinein gegeben. Auch die Naturwissenschaften bewah­ ren bis zur Gegenwart manches jener Zeit Entstammende, das freilich der Bedeutung nach radikal verändert zu sein pflegt. Endlich aber haben die scholastischen Ausdrücke ihren Weg auch in das Gesamtleben zu finden gewusst. Durch mannigfa­ che Vermittlung und unter wunderbaren Schicksalen sind oft die Worte zu der Bedeutung gelangt, in welcher sie jetzt im Munde Aller leben. Meistens haben sie dabei einen engern Sinn ange­ nommen, viele abstrakte Bezeichnungen des Mittelalters sind an A S. [ G otthold Ephraim Lessing : ] Zerstreute Anmerkungen über das Εpigramm, [ i n : ders. : Sämtliche Schriften, hg. v. Karl Lachmann, Bd.  8, Ber­ lin 1839 (005), S. 426 ].

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einem so Spezifischen oder auch so Unphilosophischen wie hän­ gen geblieben, dass es fast aussieht, als habe ein gewisser Humor mit ihnen gewaltet. Auch möchten wir nicht zu erwähnen unter­ lassen, dass eben unser praktisches und politisches Leben nicht wenig an scholastischen Ausdrücken entlehnt hat und fortführt. Die Einbürgerung ist natürlich von verschiedenen Punkten aus erfolgt, am meisten ist jedenfalls durch die französische Spra­ che vermittelt. Doch alles dies bedürfte eingehenderer Betrach­ tung, um Interesse zu gewinnen, uns muss ein bloßer Hinweis auf die Sache genügen. Mag bei jener Bewegung vom Mittelalter zur Neuzeit der erste Ausgangspunkt für sich wenig Anziehen­ des besitzen, alles das darf nicht als unerheblich vernachlässigt werden, was die Gegenwart in ihren geschichtlichen Grundlagen zu verstehen beitragen kann. |

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Bei dem Eintritt in die Neuzeit dürfen wir einer großen Bewe­ gung auch auf unserm Gebiete gewärtig sein. Wenn es galt, die ganze Welt in das wissenschaftliche Denken aufzunehmen, von einem sichern Punkte aus in geregelter Folge weiterzuschrei­ ten, alle Vielheit von einfachen Grundformen aus zu begreifen und das Gegebene ohne irgendwelchen widerstehenden Rest der Theorie einzufügen, so musste eine eingreifende Umarbeitung des unmittelbar Vorliegenden erfolgen, diese aber musste sich in der Schöpfung eines neuen selbständigen Begriffssystems dar­ stellen. Eben weil das Denken der Neuzeit in allen seinen ver­ schiedenen Strömungen auf eine immanente Weltbegreifung gerichtet ist, muss es das Vorgefundene bis zur Wurzel umge­ stalten. Den am meisten charakteristischen Ausdruck findet je­ nes Streben in der spekulativen Philosophie, deren Tendenz hier von Anfang an dahin geht, alles Sein seinem Wesen nach in Den­ ken umzusetzen und damit den Begriff als das schaffende We­ sen der Dinge zu erweisen ; aber auch da, wo man solche Ten­ denz im Bewusstsein ablehnt, ja bekämpft, ist eine umbildende, durch tiefdringende Analyse eine neue Synthese anbahnende Tätigkeit vorhanden. Namentlich gilt das von der Naturwissen­ schaft. Es ist ein arger Irrtum, ihren Fortschritt an erster Stelle der Induktion zuzuschreiben. Vielmehr ist die Analyse auch hier, und hier vor allem, das große Mittel des Fortschrittes, bei ihr aber ist die systematische begriffliche Tätigkeit unverkennbar. Nun aber frägt es sich weiter, inwiefern sich solches gemein­ same Streben auch im Ausdruck kundtue. Eine gewisse Aufklä­ rung darüber ergibt sich schon aus der Betrachtung der positiven Seite dessen, was im Kampf gegen die Scholastik die Negation hervorkehrte. Man verwarf dort das Überflüssige, einer | zwin­ genden Notwendigkeit Entbehrende, man tadelte das Eindrin­ gen sinnlicher Vorstellungen in den Begriff, die versteckte Bild­ lichkeit. Selbst will man demgemäß nur dort einen Terminus zulassen oder bilden, wo er augenscheinlich durch die Sache gefordert ist. Auch soll er nichts weiter enthalten, als was dem ▷ Kommentar S. 293 ff.

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Ausdruck der Sache dient, aller Schmuck wird als überflüssi­ ges und schädliches Nebenwerk verworfen. Da wo die Art der neuen Philosophie zu voller Entfaltung gekommen ist, gilt als erste und einzige Tugend der wissenschaftlichen Sprache begriff­ liche Zweckmäßigkeit. Nachdem der reale Gehalt gesichert ist, kommt es auf Knappheit und Kürze an : die einfachsten Wege sollen eingeschlagen werden, damit möglichst wenig verloren gehe, möglichst wenig Fremdes sich einmische. Daher hat die Darstellung bei den leitenden Denkern etwas Nüchternes, das Bild wird entweder ganz ferngehalten (wie bei SPINOZA) oder erst nachträglich zum Zweck der Belehrung herangezogen (wie bei LEIBNIZ). Solches Streben musste aber jene klaren und zu Ende denken­ den Männer an die Frage führen, ob nicht die Aufstellung einer Sprache möglich sei, die ganz und gar darin aufgehe, dem Be­ griffe zu dienen. Mag die Idee einer Universalsprache bei LEIB­ NIZ ihre beste Vertretung gefunden haben, auch die Gedanken der andern leitenden Geister hat sie mächtig beschäftigt und denselben Anlass gegeben, ihre Eigentümlichkeit zu bezeigen. Dass die wissenschaftliche Arbeit bei der gewöhnlichen Sprache nicht stehnbleiben könne, dass man nach einer Selbständigkeit des Ausdruckes streben müsse, darüber sind alle einig. Nähere Überzeugung und tatsächliches Verhalten der Einzelnen werden wir im Folgenden ins Auge zu fassen haben, hier sollte das der Sprache zugewandte Interesse nur dem allgemeinen Inhalt nach Erwähnung finden. Die Geschichte des Ausdrucks teilt die Epochen der philoso­ phischen Bewegung. Die Zeit der Vorbereitung, von NIKOLAUS VON CUES bis DESCARTES, der Höhe, von DESCARTES bis ΚANT, des Eintretens neuer Momente und der beginnenden Krise, von KANT bis zur Gegenwart, scheiden sich auch hier deutlich. Schon während des ersten Abschnittes erhält der sprachliche Ausdruck viel Beachtung. NIKOLAUS VON CUES freilich steht noch auf neu­ platonischem Boden, wenn er die Sprache, als dem Gebiete der reflektierenden Vernunft (ratio) angehörend, für unfähig erklärt, zum Wesen der Dinge vorzudringen. Es war nach | seiner Mei­ nung der Grundfehler des ARISTOTELES, die Dinge nur so weit

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zu betrachten, als sie unter die Sprache fallen.A Bald aber schritt man dazu weiter, den Fehler nicht in die Sprache überhaupt, son­ dern in die bestimmte überkommene Art derselben zu setzen. PARACELSUS scheut vor der Schöpfung neuer Ausdrücke nicht zurück und wehrt die solchem Unternehmen entgegentretenden Einwendungen energisch ab.B Geht das Streben hier schon da­ hin, die Bezeichnung aus dem Wesen der Sache zu gewinnen, so wagt JAKOB BÖHME den Gedanken einer Natursprache, welche die volle Wahrheit zum Ausdruck bringe.C Was aber den eignen Sprachgebrauch der Forscher dieser Peri­ ode anbelangt, so kommt es trotz mancher machtvollen Strebung noch nicht zu einem gewinnreichen Schaffen. Es fehlt eben den produktiven Geistern mit der vollen Selbständigkeit der Gedan­ ken noch die Sicherheit und Klarheit der Ausprägung. Wie in jugendlicher Stimmung ist die Phantasie übermächtig, in stürmi­ schem Kraftaufgebot möchte man erringen, was nur die beson­ A S. [ Nikolaus von Cues ] (Ausgabe von 1510), I, 82b [ geprüft und korr. ( G.S.) nach Nicolai Cusae Cardinalis Opera, ed. Jacobus Faber Stapulensis, 3 Bde., Paris 1514, ND Frankfurt/M. 1962 ; D. Nicolai De Cusa, Cardinalis, utriusque Iuris Doctoris, in omnique Philosophia incomparabilis viri Opera (…), 3 Bde., Basel 1565 (010) ] : »impositio [ igitur ] vocabuli fit motu rationis. nam motus rationis est circa res quae sub sensu cadunt, quarum discretio­ nem, concordantiam et differentiam ratio facit, ut nihil sit in ratione quod prius non fuit in sensu« I, 82b, I, 103a : »Aristoteles [ autem, qui ] omnia con­ sideravit ut sub vocabulo cadunt quae motu rationis sunt imposita«, s. ferner I, 215a »de vi vocabuli« und ΙΙΙ, 100b. B S. [ Paracelsus  : ] Die andre Defension [ i n : Ander Theil Der Bücher und Schrifften des Edlen Hochgelehrten und Bewehrten Philosophi und Me­ dici Philippi Theophrasti Bombast von Hohenheim genannt Paracelsi, ed. Johannes Huser, Basel 1589 (004), S. 130 ] : »Mir ist auch begegnet / dass ich den kranckheiten newe Nomina gebe / die niemand erkenne noch verstehe / Warumb ich nit bleib bey den alten Nominibus ? Wie kann ich die alten Nomina brauchen / dieweil sie nicht gehen auß dem grundt / auß dem die kranckheit entspringt.« C S. [ Jakob Böhme : ] Morgenröthe im Aufgang, cap. 20, [ i n : ders. : ] Werke, Amsterdam 1682 [ 001 ], Bd.  1, S. 260 : »Das ist die Wurtzel, oder Mutter aller Sprachen / die in dieser Welt sind/und stehet die ganze vοlkömliche Erkän­ tuss aller Dinge hierinnen.« S. 261 : »Dan als Adam erstlich geredet hat / So hat er allen Creaturen / nach ihren Qualitäten und instehenden Würkungen den Nahmen gegeben. / Und ist eben die Sprache der gantzen Natur […].«

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nen fortschreitende Arbeit zu gewähren vermochte. Auch selbst wo die Lehren ihrem Inhalt nach nüchtern genug sind, wie bei BACO, hat die Form, in der sie vorgetragen werden, etwas Wei­ hevolles, Prophetenhaftes. Überall ist das Bild bereit, den Begriff zu ergänzen, oft geneigt, ihn mit fortzureißen. Vergleichen wir nur Männer wie BACO und KEPLER mit CARTESIUS und NEW­ TON, und wir werden den Unterschied der Zeiten bald empfin­ den. Freilich hat die sprudelnde Kraft jener frühern Periode zu manchen Bildungen den Anstoß gegeben, aber spätere Denker mussten erst das hier Begonnene aufnehmen und aus | führen, damit es zu allgemeiner Bedeutung gelange. Auch kommt solcher Gewinn mehr den lebendigen Sprachen zugute, die ihre Zukunft noch erwarteten ; die eigentliche Sprache der Wissenschaft blieb bei aller Reinigung doch in den Grundbegriffen von der Scho­ lastik abhängig. An den Eingang der neuern Philosophie stellen wir NIKOLAUS VON CUES. In ihm vollzieht sich der Übergang des antiken Den­ kens zum neuen. Die spekulativen Ergebnisse, zu denen sich das ausgehende Altertum im Neuplatonismus aufgerafft hatte, wer­ den hier verbunden und für die Begreifung der unmittelbaren Welt fruchtbar gemacht. In den Ideen für sich ist hier wenig neu, ihre Richtung auf die Wirklichkeit, ihre Verwendung zur Um­ gestaltung des vorliegenden Daseins ist das Entscheidende. Was sich über die Welt hinausgeflüchtet hatte, um sich rein auszubil­ den und sicher zu behaupten, wird von nun an mehr und mehr in sie selber hineinverlegt und als ihr eignes Wesen erfasst. Bei solcher Wendung aber trat erst die Eigentümlichkeit und die um­ wälzende Kraft jener Ideen hervor, nun erst wurden sie zu trei­ benden Mächten des geschichtlichen Lebens. Es ist einmal so, dass auch hier dasjenige, dessen wir uns gern als eines Selbst­ erworbenen rühmen, seinem Ursprung nach bis in das Altertum zurückreicht ; aber freilich ward es erst uns bei verändertem Le­ bensinhalt und veränderter Weltstimmung in seiner vollen Be­ deutung klar, gegenwärtig und wirksam ; darauf aber kommt es schließlich ja an.A A  Über

Nikolaus von Cues’ Eigenart und geschichtliche Stellung vergl.

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Bei NIKOLAUS VON CUES versteckt sich das Neue noch ganz hinter den alten Formen. Wir finden z. B. Ausdrücke wie iditas, individualitas, intellectibilitas, praesentialitas, quidditas, stabilitas, totalitas u. a.A Nur einzelne Ausdrücke sind neu oder doch in weiter reichendem Gebrauch als bisher. So namentlich der Gegensatz der complicatio und explicatio (Einwicklung und Entwicklung), der überall zur ausgleichenden Anwendung kommt, wo sich Einheit und Vielheit begegnen. Statt explicatio kommt auch evolutio vor, das in dieser Bedeutung wie neu einzutreten | scheint.B Sonst seien noch angeführt : scientia experimentalis (schon bei R . BACO), identitas absoluta, intuitio intellectualis (der Mystik entlehnt), charitas intellectualis. Auch bei den folgenden DenkernC ist mehr das Hervorbre­ chen neuer Strömungen als der Gewinn reifer Gestaltungen zu verzeichnen. JORDANO [ Giordano ] BRUNO, der größte Schüler des NIKOLAUS VON CUES, steht unter den Männern obenan, die das Streben nach einer Erweiterung des eng menschlichen Krei­ ses zu einem unendlichen Weltall sowie nach Überwindung al­ ler Gegensätze in der Einheit dieses Alls dahin führte, auch den ­Begriffen einen weitern, wir möchten sagen mehr kosmischen In­ halt zu geben. Alles Mannigfache wird in lebendige Beziehung gebracht, das Vereinzelte und Ruhende in die Bewegung des Gan­ meinen Aufsatz in den Philos. Monatsheften 1878 [ Eucken : Nicolaus von Cusa, in : Philosophische Monatshefte 14 (1878) (002), S. 449 – 470 ; vgl. ders. : Nikolaus von Cues als Bahnbrecher neuer Ideen, in : GW, Bd.  2, Beiträge (…), S. 2 – 22 ]. A  An einzelnen Punkten mag es auch von Interesse sein, festzustellen, was er nicht verwendet. So habe ich z. B. a priori und a posteriori, subjectivus und objectivus nicht bemerkt. [ Eine Recherche im Cusanus-Portal der Uni­ versität Trier ergibt mehrere Treffer für a priori und a posteriori (in De con­ cordantia catholica, De coniecturis, in den Sermones), aber keinen für subjectivus, objectivus. ] [ vgl. https ://urts99.uni-trier.de/cusanus/index.php ] [ G.S. ] B S. [ Nikolaus von Cues ] I, 89a [ A ngabe Eucken ] : »Linea est puncti evo­ lutio.« – »quomodo intelligis lineam puncti evolutionem ?« – »evolutionem id est explicationem« [ evolutio auch in Idiota de mente ; De docta ignorantia ; Dialogus de ludo globi ; De aequalitate ] [ vgl. https ://urts99.uni-trier.de/cu­ sanus/index.php ] [ letzter Zugriff am 12.03.2023 ]. [ G.S. ] C  Wir beschränken uns an dieser Stelle auf die lateinisch redenden Au­ toren.

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zen hineingezogen. Aber es fehlt zu sehr an Festigkeit und sys­ tematischer Durchbildung, als dass für den Ausdruck mehr als Einzelnes erreicht wäre. Zur Bezeichnung der letzten Einheiten wird hier monas verwandt (Gott heisst monas monadum), wir begegnen dem charakteristischen Ausdruck Weltkörper (corpora mundi), den NIKOLAUS VON CUES nicht hat, neben complicatio findet sich implicatio. Eine halbweg entgegenstehende Richtung geht dahin, im In­ teresse einer exakten Naturerklärung die Begriffe des Physischen und Psychischen schärfer gegeneinander abzugrenzen und na­ mentlich das den Grundbegriffen der Naturwissenschaft anhaf­ tende Merkmal eines Innerlichen zu entfernen. Dahin bewegte sich z. B. das Streben des NIKOLAUS TAURELLUS, entscheiden­ den Erfolg konnte ein solches aber erst haben, nachdem es durch große Errungenschaften der Forschung gestützt und geformt wurde. An dieser Stelle verdient KEPLER ehrende Erwähnung. Durch gewaltigen innern Kampf ist er in der Klärung wichti­ ger Begriffe fortgeschritten und verdient daher auch in der Ge­ schichte der Philosophie dauernd einen Platz.A Die Terminolo­ gie lässt freilich das Neue wenig verspüren. An bezeichnenden gelegentlichen | Bemerkungen über den Wortausdruck fehlt es nicht,B aber tatsächlich überwiegt der Anschluss an die durch die Renaissance modifizierte Scholastik. Wichtige neu eintretende Begriffe bleiben verborgen (wie z. B. derjenige der unbewussten Vorstellung, die neue Bedeutung von hypothesis u. a.), weil es an einer absondernden Ausprägung fehlt. Als neu ist namentlich beachtenswert inertia materiae und physica caelestis. Auch BACO verharrt im Wesentlichen bei der mittelalterli­ chen Terminologie, und wenn es überhaupt einer Begründung A  Über das von Kepler als Philosophen Geleistete s. meinen Aufsatz in den Philosophischen Monatsheften 1878 [ Eucken : GW, Bd.  2, S. 38 – 53 ]. B  S. [ Joannis Kepleri Astronomi Opera omnia, ed. Ch. Frisch, Bd.   2, Frankfurt/Erlangen 1859 (https ://opac.plus.bsb-muenchen.de) ] [ letzter Zu­ griff am 12.03.2023 ]. Bd.  2, S. 130 [ Caput 1 : De natura lucis ] : »Si voces vari­ andae sunt ob differentes rerum naturas, praestat tales eligere, in quibus communi[ s ] vulgi usurpatione rei cujusque natura quam propriissime ex­ primitur.« Auch an dieser Stelle zeigt sich Kepler als Vorläufer Leibnizens.

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bedürfte, dass nicht von ihm die neuere Philosophie beginne, so könnte man diesem Festhalten scholastischer Termini und Be­ griffe einen Beweis entnehmen. Aber an den Punkten, um wel­ che sich vornehmlich die Tätigkeit seines Denkens bewegte, hat er durch die ihm eigne Klarheit und Frische auch auf den Aus­ druck erheblich gewirkt. Wie er die Induktion nicht als bloße Schlussform, sondern als Gesamtmethode vertrat und ausbil­ dete, wie er seine ganze Philosophie eine inductive nannte (philosophia nostra inductiva), so hat er alle Hilfsbegriffe der Induktion in klares Licht gestellt, die gemeine Erfahrung als experientia vaga zurückgewiesen und sowohl eine wissenschaftliche als eine gelehrte Erfahrung (experientia literata)A verlangt. Für die Na­ turphilosophie ist ferner der Ausdruck motus mechanicusB , auf praktischem Gebiet die genauere Bestimmung der Kultur (bei ihm auch georgica animi genannt)C als eines Teiles der Ethik be­ achtenswert. Außer den eigentlichen Termini sind viele Schlag­ wörter und Sentenzen (wie z. B. das ›scientia est potentia‹) von ihm in die neuere Wissenschaft eingegangen. Wichtiger aber als solches Einzelne ist dieses, dass er getreu seiner Forderung, die Dinge nicht nach der Analogie des Menschen, sondern nach der des Universums zu betrachten, manche | bisher auf menschliches Leben eingeschränkte Ausdrücke und Begriffe unermesslich er­ weitert, wenn sich ihm auch dabei dem Universum gewöhnlich die Natur unterschob.D A  [ Francis Bacon : Novum Organum Scientiarum, Venedig 1762 (000), S. 97 f. ], Teil I, CI [ (»experientia facta demum literata«) ]. B  Derselbe tritt für das bisher übliche motus violentus ein, s. z. B. Bacon : Nov. org. [ a . a. O., S. 290 ], Teil ΙΙ, 48 [ recte : 47 ]. C  S. [ B acon ] : De dignitate et augmentis scientiarum [ Straßburg 1654 (001), S. 349 ], Buch VII, cp. 1 : »Partiemur igitur ethicam in doctrinas prin­ cipales duas ; alteram de exemplari sive imagine boni, alteram de regimine et cultura animi, quam etiam partem georgica animi appellare consuevi­ mus. Ιlla naturam boni describit, haec regulas de animo ad illas [ recte : illa ] conformando praescribit.« [ Vgl. auch Wilhelm Perpeet : Art. »Kultur, Kul­ turphilosophie«, in : HWPh, Bd.  4 , hier : Sp. 1309 zu Georgik des Geistes ; zu Kultur vgl. auch Eucken : GG, 61920, S. 240 ff. (GW, Bd.  4) ]. [ G.S. ] D S. [ Bacon: ] Parasceve ad historiam naturalem et experimentalem [ No­ vum Organum Scientiarum, a. a. O., ] Aphor. IV : »In historia quam requiri­

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Ein scharfer und witziger, wenn auch nicht immer gerechter Gegner der Scholastik und des ›Aristotelismus‹ war GASSENDI. Unter heftigem Tadel ihres Streitens um Worte eignet er sich die Klage SENECAs an : »nostra quae erat philosophia facta philolo­ gia est.«A Dann richtet er Angriff und Spott gegen Einzelnes, so z. B. gegen die Ausdrücke a priori und a posteriori. Man würde, meint er, der Wahrheit näherkommen, wenn man ihren Sinn einfach umkehrte.B Ferner gibt der, übrigens durchaus missver­ standene, Terminus docta ignorantia zu beißenden Bemerkun­ gen Anlass. In der eignen Darstellung erstrebt GASSENDI dem allgemeinen Zuge der Zeit folgend möglichste Einfachheit des Ausdruckes.C Dem Inhalt nach sind es namentlich die skepti­ schen Grundgedanken, die in der Sprache zur Darstellung kom­ men. Vor allem tritt der Terminus Erscheinung hervor. Erscheinungen (apparentiae) nennt er einmal die Vorstellungsbilder D, dann ist ihm Erscheinung gleichbedeutend mit Erfahrung und mus et animo destinamus, ante omnia videndum est, ut late pateat et facta sit ad mensuram universi. Neque enim arctandus est mundus ad angustias intellectus (quod adhuc factum est) sed expandendus intellectus et laxandus ad mundi imaginem recipiendam, qualis invenitur.« A  S. [ Pierre Gassendi : ] Exercitationes paradoxicae adversus Aristoteleos, lib. Ι, exerc. 1. [ A msterdam 1649 (002), S. 27. Das Zitat lautet vollständig : »Postremo, ut coarguantur verba magis curare, quam sensus : efficereque ut cum Seneca exclamare merito liceat, Nostra, quae erat, Philosophia facta Philologia est, ex quo disputare docemus, non vivere (…).« ] [ G.S. ] B  S. [ G assendi  : Exercitationes (… ), ] lib. ΙΙ [ A msterdam 1659 (002), S. 99 f.) ], exerc. 5 : »Ceterum demonstrationem, quae est a priori, facere solent certiorem manifestatioremque demonstratione a posteriori ; cedo quo jure ac titulo ? Demonstratio a priori est ex causis et universalibus, demonstratio a posteriori ab effectis et minus universalibus ; at nonne effectus sunt notiores causis ? […] – Quocirca non immerito quispiam existimaverit, cum omnis notitia (et[ ac ] proinde demonstratio) quae dicitur a priori pendeat ac petatur ab [ ex ] ea, quae haberi dicitur a posteriori, necessarium esse hanc semper haberi et evidentiorem et certiorem illa […].« C  S. z. B. [ G assendi : ] Exerc. parad. ΙΙ, 5 : »hoc autem adjicio, satius longe mea sententia esse cum in aliquo consistendum sit, in prima ac simplici vocis intelligentia pedem figere quam progressu nunquam finiendo per tot amba­ ges digredi.« D  [ G assendi : ] Exerc. ΙΙ, 6 : »apparentias (sic enim quas Graeci dicunt fan­ tasias liceat vertere ac in posterum usurpare).«

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also das einzige Objekt des Erkennens.A Wird [ werden ] nun Natur und Erscheinung einander gegenübergestellt (secundum naturam – secundum apparentiam), so ist der Zugang zum Wesen der Dinge | vollständig verschlossen. Ähnlich bekundet er seinen Skeptizismus in der Entgegensetzung von Idee und Wirklichkeit. Im Anschluss an epikureische Begriffe hat er wohl zuerst dem Ausdruck nach zwischen Atom und Molekül genau geschieden.B HOBBES legt einen sehr großen Wert auf genaue Bestimmung der Worte. Das Denken ist ihm bekanntlich ein Rechnen (Addie­ ren und Subtrahieren) mit Begriffen, diese einfachen Elemente müssen von Anfang an vollständig festgestellt sein, wenn wir im Fortgange irgendetwas erreichen wollen.C Bei Anlass der Eintei­ lung der Staatsverfassungen macht er die wichtige, von spätern oft weiter ausgeführte Bemerkung, dass die Menschen mit den Worten zugleich ihre eigenen Affekte auszudrücken pflegen, jene also schon ein gewisses Urteil über die Sache einschließen.D In der eignen Darstellung hat HOBBES durchgehend nach einem prä­ zisen Ausdruck gestrebt, eigentlich Neues aber nicht geschaffen. Erst mit DESCARTES beginnt in der Terminologie eine zusam­ menhängende und sicher fortschreitende Bewegung. Nachdem durch ihn Methode, Ausgangspunkt und Ziel philosophischer A  [ G assendi : ] Exerc. ΙΙ, 6 : »scientiam quae vel experientiae vel apparen­ tiae appellari possit.« Ferner : »experimentaliter solum vel secundum appa­ rentiam.« B  [ G assendi : ] Animadversiones [ i n decimum librum Diogenis Laertii, Leiden 1649 (002) ], Bd.  1, S. 195 : »Heinc ex atomis conformari primum mole­ culas quasdam inter se diversas, quae sint semina rerum diversarum.« C  S. [ Thomas Hobbes : ] Leviathan [ sive De materia, forma, & potestate civitatis ecclesiasticae et civilis, Amsterdam 1668 (000), S. 17 (De Homine)], cp. 4 : »Vocabula sapientium quidem calculi sunt quibus computant ; stulto­ rum autem nummi, aestimati impressione alicujus nomine celebri«. cρ. 5 : »Conclusionum absurditas in caeteris scientiis defectui methodi imputanda est ; propterea quod ratiocinationes suas non incipiunt a definitionibus no­ minum. Quasi numerare vellent antequam numeralium nominum valorem intelligerent.« D  [ Hobbes : ] Elementa philosophica de cive, [ Basel 1782 (000), S. 125, cap. ] VΙΙ, 2 : »solent homines per nomina non res tantum, sed et proprios affectus […] una significare, ex quo fit, ut quod ab altero democratia, idem ab altero anarchia […] soleat nominari […].«

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Forschung gesichert waren und also eine neue geistige Welt sich zu gestalten anfing, musste auch der Ausdruck von der Tätig­ keit ergriffen, umgebildet und weitergeführt werden. Die darauf bezüglichen charakteristischen Bestrebungen der Neuzeit, auf welche wir oben hinwiesen, gewinnen nun volle Klarheit. Über­ all ist das Interesse für die sprachliche Bezeichnung wach ; dass das Denken ihr gegenüber seine Selbständigkeit wahren, seine Überlegenheit bezeigen müsse, das ist allgemeine Überzeugung. Man ist darin einig, dass der Unangemessenheit der gewöhnli­ chen Sprache viele Irrungen und Streitigkeiten entspringen. Und wie könnte dieselbe auch den Forderungen der Wissenschaft ge­ nügen ? Sind die Worte doch von sachlich Unkundigen den | Din­ gen beigelegt und verdanken der Imagination, nicht dem Intel­ lekt ihr Dasein.A Durch die überkommenen veralteten Ausdrücke in dem eig­ nen Streben mannigfach gehemmt, ist man geneigt, das sprach­ liche Moment zu überschätzen. Es scheint bisweilen beinahe, als handle es sich in dem Kampf um die Wahrheit an erster Stelle um den Ausdruck und als könnten durch Reform der Sprache die realen Probleme gelöst werden. Aber solcher im Streit für das Neue fast unvermeidliche Irrtum hatte wenigstens den Vor­ teil, die Achtsamkeit auf den sprachlichen Ausdruck zu steigern. Im Besondern finden wir überall das Bemühen um eine klare, knappe und streng sachliche Bezeichnung. Gilt aber einmal die Sprache nur als Werkzeug begrifflichen Denkens, so liegt die Idee einer wissenschaftlichen Universalsprache nahe. Bei DESCARTES hat dieselbe sich zuerst klar gestaltet B , bei LEIBNIZ ist sie aus den A  S. darüber u. a. Descartes [ : Responsiones authoris ad objectiones doc­ torum aliquot virorum in praecedentes Meditationes. Responsiones. V ad quintas objectiones (000) (AT VII [ 1904 ], S. 347 – 412)], resp. V., ep. I, 116 ; [ Baruch ] Spinoza : Tractatus de intellectus emendatione, IX [ De memoria et oblivione ] ; Ethices II, 49, Scholium. [ Vgl. Die Ethik des Spinoza im Urtexte, hg. v. Hugo Ginsberg, Leipzig 1875 (007), S. 155 ]. B S. [ Descartes : Opera philosophica omnia in tres tomos distribuita ; Renati Des Cartes Epistolae omnes, partim ab auctore latino sermone con­ scriptae. Secunda ed. Pars prima, Frankfurt 1692 (000)], Ep. 111  [ Ad R. P. Mersenne. De inventione linguae universalis, De Musica & de celeritate mo­ tus, S. 117 ]. Jene Idee ist in den Grundzügen bei Descartes vollkommen klar,

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philosophischen Grundüberzeugungen heraus zu weiterer Ent­ wicklung geführt. – Indes ist es hier, wo große Persönlichkeiten etwas durchaus Eigenartiges mit sich bringen, geboten, auf die einzelnen Gestalten näher einzugehen. Bei DESCARTES bezeigt sich zunächst jene Eigentümlichkeit des französischen Geistes, mit dem veraltet sich Weiterschlep­ penden vollständig aufzuräumen und durch rücksichtslose Ab­ streifung geschichtlichen Wustes sich die Kräfte für die un­ mittelbare Tätigkeit frei zu machen. Nicht so sehr durch lange Erörterungen bekämpft DESCARTES die scholastische Termino­ logie, als er sie durch Nichtgebrauch der Ausdrücke oder durch Fallenlassen der mit so vieler Kunst aufgestellten Distinktionen einfach beseitigt.A Namentlich bemerkenswert ist jenes Aufge­ ben der Distinktionen. Da er in ihnen einen Hauptgrund der Unfruchtbarkeit scholastischer Arbeit erblickte B , so war hier ein entschiedenes Auftreten unbe | dingt geboten. Es ist denn auch tatsächlich geradezu charakteristisch für den Stil des DES­ CARTES, dass er in einem fort Ausdrücke, an deren Sonderung sich der Scharfsinn von Jahrhunderten bezeigt und erfreut hatte, als vollständig gleichbedeutend nebeneinander verwendet. Wir finden z. B. als gleichwertig : notiones sive ideae, conceptus sive idea, idea sive cogitatio, res sive substantia, natura sive essentia, corpus sive materia, materialis sive corporeus, res corporales sive physicae, res immateriales sive metaphysicae, intellectualis sive cogitativus, formae sive species, formae sive attributa, mens sive anima, intellectus sive ratio, realitas sive perfectio, est sive existit, und vieles andere mehr. Kann die scholastische Spitzfin­ digkeit schärfer bekämpft werden, als es durch dieses sive geschieht ? die Ausführung aber hat er als utopisch abgelehnt. Er meint, »ne speres[ te ] unquam visurum illam in usu ; id magnas in orbe mutationes supponit, essetque necesse totum orbem in terrestrem paradisum converti.« S. auch S. *81 über J. Böhme. A  Dass sich einzelnes und wichtiges Scholastische erhält, brauchen wir nach dem oben über den bleibenden Einfluss des Mittelalters Erwähnten kaum in Erinnerung zu bringen. B  S. die oben S. *76, Fn., angeführte Stelle [ Descartes  : ] Ad Voetium IV.

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Manche Distinktionen hebt er auch unter näherer Begrün­ dung auf ; so will er nicht gelten lassen die distinctio rationis ratiocinantis und rationis ratiocinataeA, nicht den Unterschied der wohlwollenden und der begehrenden Liebe (amor benevolentiae und concupiscentiae B), nicht den von facultas und potentiaC . Ihm gibt es nur eine Art der Bewegung, die räumlicheD, nur eine Ma­ terie des Weltalls u. s. w. Viel Verkehrtes und Unnützes ist also hinweggefegt und da­ durch Raum für neues Schaffen gewonnen. Manche Unterschei­ dung wird freilich aufgegeben, die nicht ohne Grund war und die sich später wieder Geltung zu verschaffen wusste. Aber bei näherer Prüfung werden wir hier gewöhnlich finden, dass die Termini einen andern Inhalt bekommen, als sie vordem besaßen, und werden danach das radikale Verfahren von DESCARTES nicht verwerfen. Die Sprache musste erst einmal von den Banden der Scholastik befreit sein, ehe eine unbefangene Wiederaufnahme oder Umbildung des Früheren möglich wurde. Es liegt aber unverkennbar diesem ganzen Streben unseres Philosophen ein bestimmtes spekulatives Interesse zu Grunde. In den scholastischen Systemen ging durch jenes subtile Distinguie­ ren schließlich der lebendige Zusammenhang der Dinge ver | lo­ ren, die Begriffe werden nebeneinander ausgebreitet und ängst­ lich auseinandergehalten, nicht aber aus ursprünglichen und einheitlichen Quellen abgeleitet. Darauf aber ist das Sinnen des CARTESIUS gerichtet. Das vorliegende Mannigfache soll auf ein­ fache Kräfte zurückgeführt werden, diese selber zur klaren und deutlichen Erkenntnis kommen, von hier aus aber das Viele, als in dem Zusammensein der Dinge sich ergebende Modifikation A 

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S. [ Descartes : Opera philosophica (…) Epistolae omnes (000) ], Ep. Ι,

[ Descartes : ] De passionibus, art. LXXXI. S. [ Descartes : ] Notae ad [ i n ] programma [ AT VIII (000)], 2, S. 358, 360 f. ] : »ipsum nomen facultatis nihil aliud quam potentiam designat.« D  [ Descartes : Epistolae, partim ab auctore Latino sermone conscriptae, partim ab Gallico translatae (…), Pars secunda, ed. nova, Amsterdam 1714 (000), S. 35, Ep. 10 : Ad Dominum a Buitendijk ] »non admitto varia motuum genera, sed solum localem, qui corporum omnium tam animatorum quam [ t um ] inanimatorum communis est« [ Eucken gibt an : Ep. II, 11 ]. B 

C 

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des Einfachen, genetisch verstanden werden. Daraus ergeben sich für die begriffliche Arbeit wesentlich veränderte Aufgaben. Es gilt zunächst weitumfassende, überall durchgehende Grund­ begriffe aufzufinden ; dieselben werden sich dann freilich spezi­ fizieren, aber alle Mannigfaltigkeit stammt aus den Lagen und Verhältnissen der Dinge, keineswegs darf sie als beharrend und innerlich gesetzt werden. Die Distinktion tritt damit in zweite Li­ nie, nicht von der äußern Erscheinung, sondern von den Grund­ kräften her muss sie begriffen werden. Die Redeweise des CARTESIUS charakterisiert sich namentlich durch zwei Eigentümlichkeiten. Formell durch das Streben, den möglichst einfachen und dem allgemeinen Gebrauch naheliegen­ den Ausdruck zu wählen und also die Sprache der Wissenschaft mit der Sprache des allgemeinen Lebens in engster Verbindung zu halten ; sachlich durch das Prinzip, Neuschöpfungen oder Fi­ xierungen nur da vorzunehmen, wo neue Begriffe dazu zwingen. Durch jenes tritt die Sprache der Wissenschaft der des Lebens wieder näher, das rein Schulmäßige nimmt ab, die gewöhnlichen Ausdrücke werden unbedenklich verwandt, und zwar ohne zu­ vor erläutert zu werden. Denn es scheint überflüssig, ja schäd­ lich, das Einfache und für sich Kenntliche auseinandersetzen zu wollen A . Die also erfolgende Vereinfachung des philosophi­ schen Stiles hat sicherlich etwas der Empfindung Wohltuendes und der Sache Förderliches ; es erhellt daraus, dass die Forschung sich universell menschlichen Problemen zuwendet und statt dem Interesse der Schule jetzt dem Gesamtleben dienen will. Aber für die technische Seite der Philosophie erwachsen von hier nicht unerhebliche Gefahren. Leicht gewannen vage oder mehrdeutige Ausdrücke Zutritt in die Philosophie ; hiermit aber schlichen sich un | kontrollierte Vorstellungsmerkmale aus der gewöhnlichen A  S. [ Descartes  : ] Principia philosophiae. Pars Prima [ X (AT VIII ; Ausg. 1905 [ 000 ], S. 8) ; Eucken spezifiziert die von ihm benutzte Ausg. nicht und führt an :] I, 10 : »non hic explico alia multa nomina, quibus jam usus sum vel utar in sequentibus, quia per se satis nota mihi videntur. Et saepe adverti, philosophos in hic [ hoc ] errare, quod ea quae simplicissima erant ac per se nota, logicis definitionibus explicare conarentur ; ita enim ipsa obscuriora reddebant.«

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Ansicht in die Begriffe ein. Eben an entscheidenden Punkten, wo eine neue Fassung derselben sich durchringt, führt der Mangel an Präzision des Ausdruckes Vermengung des Alten und Neuen und dadurch mannigfache Störungen und selbst Widersprüche herbei. Zu solchen schwankenden Termini gehört z. B. cogitare, ja alle psychologischen Grundbegriffe leiden an jenem Doppelsinn. Auch die physikalischen Begriffe sind von dem Mangel nicht frei. Durch alles zusammen wird die innere Durchbildung des Sys­ tems geschädigt, eine zutreffende Auffassung erschwert, die An­ erkennung seiner Bedeutung oft beeinträchtigt. Denn das Neue und Selbständige in den Begriffen versteckte sich manchmal so sehr hinter die Alltäglichkeit des Ausdruckes, dass es dem ober­ flächlich streifenden Blick sich ganz entziehen konnte. Jedenfalls hatte LEIBNIZ volles Recht, wenn er den Mangel einer Defini­ tion der gewöhnlichen Termini bei CARTESIUS rügteA ; der Fehler hängt aber aufs Engste mit der Eigenart seiner Philosophie zu­ sammen, die Analyse nur bis zu einem gewissen Punkt zu ver­ folgen, diesen aber als unmittelbar gegeben hinzustellen. Wo DESCARTES selbständig fixiert oder Neues wagt, da darf man mit Sicherheit eine wirkliche Fortbildung der Begriffe an­ nehmen. Das eben gibt der Untersuchung seiner Terminologie einen besondern Wert, dass jede Verschiebung des Ausdrucks auf einen wichtigen Punkt in seinem System hinweist, ja eine ge­ wisse Veränderung der wissenschaftlichen Bewegung überhaupt andeutet. So mag es gestattet sein, wenigstens einiges von dem Neuen anzumerken. In der Lehre von der Erkenntnis und den allgemeinen Bestim­ mungen des Seins werden die Ausdrücke klar und deutlich (clare A  S. z. B. Wke. 723a. [ G od. Guil. Leibnitii Opera philosophica quae ex­ stant Latina Gallica Germanica omnia, ed. Joannes Eduardus Erdmann, Pars Altera, Berlin 1839 (000), Sp. 723a/b : »Il est vrai, Monsieur, que les ex­ cellents Auteurs modernes de l’Art de penser, de la Recherche de la Vérité, et des Essais sur l’Entendement, ne se sont point attachés à fixer leurs idées par des définitions ; en quoi ils ont trop suivi l’exemple de Mr. Descartes, qui méprisoit la définition des termes connus, que tout le monde, à son avis, en­ tend, et qu’on définit ordinairement per acque obscurum. Mais ma manière de définir est toute autre, et on n’entend communément ces termes que d’une manière confuse et insuffisante pour raisonner.« ]

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et distincte) zuerst zu einem philosophischen Terminus verknüpft und gegeneinander abgegrenzt A, der Gegensatz der Analysis und Synthesis als wissenschaftlicher Methoden entwickelt B , der Un­ terschied von distinguere und abstrahere als wesentlicher | hin­ gestelltC . Die Kategorienlehre gestaltet sich radikal um : Substanz, Attribut und Modus bilden die einfachen Elemente. Der Begriff der Qualität im überkommenen Sinne wird dagegen hart be­ kämpft.D Für die prinzipielle Auffassung von Gott und Welt ist wichtig, dass die alte Unterscheidung von infinitus und indefinitus hier dazu verwandt wird, den Abstand zwischen dem Unendlichen und dem Endlosen zum Bewusstsein zu bringen. Das Unendliche tritt hier durchaus als ein Positives auf ; es ist nicht etwas Quan­ titatives, sondern bedeutet im Grunde das reine, schrankenlose, aller nähern Bestimmtheit vorangehende Sein selber E . Damit ist A  S. [ Descartes  : ] Principia philosophiae [ Pars Prima, XLV (AT VIII ; Ausg. 1905 (000), S. 11 ], [ nach Eucken : ] Ι. 45 : »claram voco illam [ percep­ tionem ], quae menti attendenti praesens et aperta est ; […] distinctam autem illam quae, cum clara sit, ab omnibus aliis ita sejuncta est et praecisa, ut nihil plane aliud, quam quod clarum est, in se contineat.« B  S. namentlich die Responsiones secundae. C  In dem gegen die Objectiones quintae gerichteten Briefe [ Descartes’ ] heisst es : »Altera homonymia reperitur pg. 84, ubi distinguere et abstrahere unum idemque esse vult, cum tamen magnum inter illa sit discrimen. Nam qui substantiam ab ejusdem accidentibus distinguit, utraque considerare debet, quod non parum ad illius cognitionem adipiscendam conducit. Sed si substantia abstractione solummodo a suis accidentibus separetur, hoc est, si consideretur sola, de illis non cogitando, id impedit quominus adeo per­ fecte, ut alias fieret, cognosci possit, cum natura substantiae per accidentia innotescat.« [ Renati Des-Cartes Meditationes de Prima Philosophia (…). His adjunctae sunt variae objectiones doctorum virorum in istas (…). Cum Responsionibus Auctoris, Amsterdam 1670 (002), S. 148) ]. D  [ S . z. B. Descartes : Ep. II, 116 (Brief an Mersenne vom 26. April 1643, AT III ), S. 648 ; Eucken gibt an : ep. II 116 ]. E  Namentlich deutlich zeigt sich dies [ i n Descartes : ] Ep. I, 119 : »per in­ finitam substantiam intelligo substantiam perfectiones veras et reales actu infinitas et immensas habentem. Quod non est accidens notioni substantiae superadditum, sed ipsa essentia substantiae absolute sumptae nullisque de­ fectibus terminatae, qui defectus ratione substantiae accidentia sunt, non au­ tem infinitas vel infinitudo. Atque observandum est me nunquam ad­hibere

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einer der wichtigsten Begriffe der neueren Philosophie verkör­ pert. Ferner darf als charakteristisch gelten, dass DESCARTES mit großer Energie für die von ihm aufgenommene, vom Gegner hart angegriffene Bezeichnung Gottes als causa sui eintritt A . Auf dem speziell geistigen Gebiet finden wir den Ausdruck IchB . So wenig der Terminus cogitare einer genauen Analyse | teil­ haftig wird, so ist es doch bedeutungsvoll, dass von ihm alle be­ vocem infiniti ad significandum tantummodo aliquid terminis carens, quod utique negativum est, quodque indefinitum appello, sed ad significandum reale quid incomparabiliter majus terminato quovis. Dico autem notionem quam de infinito habeo priorem esse in me notione finiti ; quia hoc uno quod concipiam ens seu id quod est, nulla habita ratione finiti aut infiniti, infini­ tum est ens illud quod concipio.« [ Renati Descartes Epistolae omnes, partim ab Auctore conscriptae, partim cum Responsis Doctorum Virorum ex Gal­ lico translatae. Secunda ed. Pars Prima, Frankfurt 1692 (000), Ep. 119 (Ad Dominum Clerselier De variis locis tertiae Meditationis), S. 339 f. ]. A  Der Ausdruck principium sui esse war von Albertus Magnus verwandt ; in der Dreieinigkeitslehre ward der Vater principium, aber nicht causa des Sohnes genannt [ vgl. auch Thomas von Aquin (ST I q. 45, a. 3, corp. Leon. 4. 467) : »Unde relinquitur quod creatio in creatura non sit nisi relatio quaedam ad Creatorem, ut ad principium sui esse ; sicut in passione quae est cum motu, importatur relatio ad principum motus.« Zit. nach Thomas J. De Pauw : The Principles of Distinction in Material Substances in the Phi­ losophy of St. Thomas and St. Albert, in : American Catholic Quarterly 92/4 (2018), S. 37, Anm. 122 ] [ G.S. ]. S. [ Bartholomaei Arnoldi Usingensis ] Totius Naturalis Philosophiae Epitome Olim Singulari studio Bartholomaei Ar­ noldi Usingensis, [ Erfurt, 1543 ], S. 26 [ Tractatus Primus ] : »Cum principium dicat originem et causa dependentiam ultra principium […] pater in divinis conceditur esse principium filii, sed non causa, quia filius est deus, sed deus est res independens.« B  [ R enati Des-Cartes Specimina Philosophiae seu Dissertatio de methodo, Amsterdam 1685 (002), S. 21 : »(Adeo ut)] Ego, hoc est, mens [(per quam solam sum is qui sum.«) ] [ Zu ego/je/moi/Ich vgl. neben den einschlä­ gigen Artikeln im HWPh u.a. auch Stanislav Sousedik : »Das neulateinische Egoitas als philosophischer Terminus«, in : AfB 26/1 (1982), S. 144 – 1 46 ; lt. Hegel (Gesch. d. Phil. III) finden sich Ichheit und Selbheit schon bei Böhme; vgl. auch Balibar : Art. »Je, moi, soi«, in : Barbara Cassin (Hg.) : Vocabulaire européen des philosophies. Dictionnaire des intraduisibles, Paris 2004, S. 645 – 659 ; Ansgar Beckermann : »Die Rede von dem Ich und dem Selbst. Sprachwidrig und philosophisch höchst problematisch«, in : Katja Crone/ Robert Schnepf/Jürgen Stolzenberg (Hg.) : Über die Seele, Frankfurt/M. 2010, S. 458 – 473 . [ G.S. ]

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wusste Tätigkeit des Geistes umfasst wird A . Indem also das See­ lenleben auf eine Grundtätigkeit zurückgeführt wird, entsteht das Bedürfnis eines den ersten und einfachen Inhalt dieser Tä­ tigkeit bezeichnenden Ausdruckes. Nunmehr wird das Wort Idee verwandt, solchem Mangel abzuhelfen B . Es liegt danach nahe, dass die überkommenen Einteilungen der Seele in real verschie­ dene Kräfte und Stufen einfach über Bord geworfen werdenC . Auch für einen Unterschied zwischen Geist und Seele (mens – anima) ist kein Platz mehr D. Die naturwissenschaftliche Terminologie verdankt unserm Philosophen die Erhebung des Ausdruckes mechanisch zur Be­ zeichnung einer spezifischen Naturerklärung. Das Mittelalter hatte an der uns zuerst von ARISTOTELES übermittelten Bedeu­ tung des Wortes festgehalten, BACO nahm, wie wir sahen, eine Erweiterung vor ; nun aber wird die Analogie der Mechanik auf alles Naturgeschehen übertragen. Dort wie hier wird durch Zusammenfügung kleiner Teile alle Gesamtleistung hervorge­ A S. [ Renati Des-Cartes : Opera philosophica. Principia philosophiae. Ed ultima (…), Pars Prima, Amsterdam 1677 (000), S. 2 ] Ι, 9 : »cogitationis no­ mine intelligo illa omnia quae nobis consciis in nobis fiunt, quatenus eorum in nobis conscientia est. Atque ita non modo intelligere, velle, imaginari, sed etiam sentire idem est hic quod cogitare.« Ep. Ι, 110, ΙΙ, 2. Dass er in diese bewusste Tätigkeit zuerst das Wesen der Seele gesetzt habe, das erfüllte ihn mit nicht geringem Stolz. B S. [ Descartes : Meditationes de prima philosophia (000) (AT VII, Ausg. 1904, S. 181): ] Resp. III, 5 : »ego passim ubique, ac praecipue hoc ipso in loco, ostendo me nomen ideae sumere pro omni eo quod immediate a mente per­ cipitur, adeo ut cum volo et timeo, quia simul percipio me velle et timere, ipsa volitio et timor inter ideas a me numerentur«. C  S. [ Descartes : Observationes ] de passionibus [ a nimae. Ed. nova, Han­ nover 1707 (002), S. 76, Art. ] XLVII : »Nobis […] non nisi una inest anima, quae in se nullam varietatem partium habet : eadem quae sensitiva est, est etiam rationalis et omnes ejus appetitus volitiones sunt.« D  S. [ Descartes : Meditationes de prima philosophia (…) his adjunctae sunt variae objectiones doctorum virorum in istas de Deo (…) cum res­ ponsionibus auctoris, Amsterdam 1658 (001), S. 73 (Responsiones quintae, I) ] Resp. V : »mentem […] non ut animae partem, sed ut totam illam animam quae cogitat considero.« [ Zu mens vgl. Per una storia del concetto di mente. Seminari di terminologia filosofica e storia delle idee, 2 Bde., hg. v. E. Ca­ none, Florenz 2005/2007 (LIE 99, 103) ] [ G.S. ]

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bracht. Nur das unterscheidet Natur und Kunst, dass jene bei ih­ rem Gestalten sich weit feinerer, sinnlich nicht mehr wahrnehm­ barer Werkzeuge bedient.A | Wenn also an manchen Stellen die neuen Gedanken zu ei­ nem entsprechenden Ausdruck kommen, so bleibt doch vieles Wichtige ohne feste Ausprägung. So, um nur eins anzuführen, der Begriff einer mechanisch-gesetzlichen Entwicklung, der hier zuerst auftritt. An andern Punkten ist das Neue mit dem Alten verquickt, woraus natürlich ebenso Halbheiten und Unklarheiten innerhalb des Systems wie Missverständnisse für den draußen Stehenden erwachsen. So verhält es sich z. B. mit dem Gottes­ begriff, der für die cartesianische Philosophie von funda­ mentaler Bedeutung ist. Denn nur durch ihn wird es möglich, den Ergebnissen des Denkens volle Gewissheit und Allgemein­ gültigkeit zu sichern. In diesem Begriff aber vermengt sich die alte (theistisch-ethische) und neue (pantheistisch-ontologische) Fassung ; die Beweise werden für die letztere geführt, die erstere aber auch festgehalten. In einem ähnlichen Schwanken befinden sich alle Wertbegriffe, z. B. perfectio (= realitas). In der Ontologie aber entsprechen die Ausdrücke Substanz und Attribut keines­ A  S. z. B. [ Descartes : Opera philosophica. Principia philosophiae. Ed. ul­ tima (…), Amsterdam 1677 (000), S. 220, ] IV, 203 : »nullum [ enim ] aliud inter ipsa [ sc. arte facta ] et corpora naturalia discrimen agnosco, nisi quod arte factorum operationes ut plurimum peraguntur instrumentis adeo magnis, ut sensu facile percipi possint : hoc enim requiritur, ut ab hominibus fabricari queant. Contra autem naturales effectus fere semper dependent ab aliquibus organis adeo minutis, ut omnem sensum effugiant. Et sane nullae sunt in mechanica rationes, quae non etiam ad physicam, cujus pars vel species est, pertineant : nec minus naturale est horologio, ex his vel illis rotis composito, ut horas indicet, quam arbori ex hoc vel illo semine ortae, ut tales fructus producat. Quamobrem ut ii qui in considerandis automatis sunt exercitati cum alicujus machinae usum sciunt et nonnullas ejus partes aspiciunt, facile ex istis, quo modo aliae quas non vident sint factae, conjiciunt ; ita ex sensili­ bus effectibus et partibus corporum naturalium, quales sint eorum causae et particulae insensibiles, investigare conatus sum.« Der Ausdruck mechanisch in diesem weitern Sinne ist übrigens noch selten ; s. Ep. Ι, 67 [ Doctissimo et humanissimo Henrico Moro, in : Descartes : Epistolae, partim ab auctore La­ tino sermone conscriptae, partim ex Gallico translatae (…), Pars Prima, ed. nova, Amsterdam 1714 (002), S. 188 ] : mechanicum et corporeum.

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wegs der eigentlichen Tendenz des CARTESIUS. Denn nach ihnen scheint es, als ob von der Substanz als dem Ersten zum Attribut fortgegangen werde, während der Philosoph vielmehr von dem Wirken auf ein Sein schließt und so im Grunde die Substanz nur als Hilfsbegriff verwenden darf. Zu unzähligen Missverständnis­ sen führte endlich der Ausdruck des Eingebornen (innatus, ideae innatae), der an manchen Stellen in Annäherung an das a priori späterer Denker den Ursprung der Erkenntnis aus dem Geist be­ zeichnet, während er dann doch wieder, auch bei dem Denker selber, zu der Vorstellung eines gegebenen Besitzes verleitet. Man muss sich dabei gleichmäßig hüten, CARTESIUS dem Mit­ telalter wie ihn der spätern Entwicklung zu sehr anzunähern ; ge­ rade die Ungetrenntheit des Verschiedenartigen bildet das Cha­ rakteristische. Jeder einzelne von jenen Punkten weist auf ein ungelöstes Problem, das Ganze aber auf die Unfertigkeit der | neuen Gedankenbewegung hin. Den Anhängern blieb noch vie­ les zu fixieren, den Nachfolgern zu klären und weiterzuführen. Von dem bei CARTESIUS begrifflich Vorhandenen ist vieles zu technischem Ausdruck gebracht durch ROBERT BOYLE. Ihm wird zunächst die Durchsetzung des Terminus mechanisch ver­ dankt, wozu namentlich die Verwendung auf den Titeln seiner Bücher beitragen mochte. Von sonstigen Ausdrücken führe ich an : atomica philosophia und atomista, corpuscularis philosophia (corpuscular or mechanical philosophy), materialists (z. B. in dem Werke About the Excellence and Grounds of the Mechanical Hy­ pothesis, 1674). Ferner hat er den scholastischen Gegensatz der primären und sekundären Qualitäten (primariae – secundariae qualitates) auf die durch die mechanische Naturerklärung gefor­ derte und schon bei CARTESIUS begrifflich ausgebildete Unter­ scheidung der den Körpern für sich zukommenden und der ih­ nen erst durch die Sinne beigelegten Qualitäten übertragen. Der durch die neuen Lehren gefährdeten Teleologie suchte er durch den Begriff kosmischer ZweckeA zu Hilfe zu kommen. Der Ter­ A  S. namentlich [ Robert Boyle : Disquisition about the ] Final Causes of Natural Things [ L ondon 1688 (002), S. 220 ], Prop. IV : »cosmical, [ a nd there­ fore ] primary and overruling ends«.

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minus Natur, als nach bisherigem Gebrauch ein inneres Prinzip der Bewegung (internum principium motus) bezeichnend, schien ihm unerträglich, er wollte denselben durch kosmischen Mechanismus ersetzt wissen.A Dieser Angriff war freilich vergeblich, aber er trug dazu bei, den Begriff der frühern Fassung gegen­ über umzubilden. Wenn LEIBNIZ Natur gegen BOYLE verteidigt, so versteht er das Wort in einem andern Sinne als dem, wogegen der Kampf gerichtet war. Auch der bedeutendste Gegner der mechanischen Theorie, CUDWORTH, nimmt von den neuen Ausdrücken manches auf. Ihm selbst ist namentlich das Streben eigen, Schlagwörter zur Bezeichnung von Parteien zu bilden, wovon freilich nur einiges durchgedrungen ist. Er hat u. a. hylozoists, theists im guten Sinne als Gegensatz von atheists, während bei BOYLE theists und deists nicht unterschieden eine tadelnde Bedeutung hatten ; ferner fin­ det sich bei ihm selfperception, plastical nature u. a.B Dass von TOLAND der Ausdruck Pantheist stammt, ist bekanntC . Deist | gebraucht er in verwerfendem Sinne neben atheists. Die wichtig­ sten Parteibezeichnungen jener Zeit sind also in England gebildet und von da aus verbreitet.D SPINOZAs große und eigenartige Persönlichkeit bezeugt sich auch in der Terminologie.35 Zwischen Wollen und Ausführen ist keine Kluft. Da gibt es nichts Unreifes, halb sich Emporringen­ des, nichts nur Begonnenes und Angedeutetes, sondern geschlos­ A  S. [ Robert Boyle : Tractatus ] de ipsa natura [ sive libera in receptam naturae notionem disquisitio, Genf 1688 (London 1686) (001), S. 12 : »Et si loquamur de majoribus Mundi Portionibus, hi autem similes loquendi modi usui esse potuerunt, Fabrica Mundi, Systema Universi, Mechanismus Cosmicus, etc.« ]. B  [ Vgl. Ralph Cudworth : The True Intellectual System of the Universe (…), London 1678 (002), passim ; zu self-perception bei Cudworth vgl. W. H. Schrader : Art. »Selbst«, in : HWPh, Bd.  9, hier : Sp. 294 ] [ G.S. ] C  S. Eduard Boehmer : De Pantheismi nominis origine et usu et notione, [ Halle ] 1851 [ 002 ], S. 3 ff. D  [ Vgl. in diesem Zusammenhang Eucken : Parteien und Parteinamen in der Philosophie (1884), Endfassung in : ders., Beiträge zur Einführung in die Geschichte der Philosophie. Leipzig 1906, Bd. II, S. 126 – 156 ; GW, Bd.  2, S. 126 – 156 ] [ G.S. ]

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sen und vollendet steht das Ganze vor uns. Auch der Ausdruck bekundet jene intellektuelle Charakterfestigkeit, die SPINOZA vor andern Denkern eigen ist. Nichts ist in der Wendung nach außen abgeschwächt oder verhüllt, in Ja und Nein ist auch da vollkommen klar gesprochen, wo die Antwort draußen Anstoß erregen musste. Dazu ist alles Einzelne wie zu einem Massenbau verbunden. Es sind einfache Bausteine, aus denen sich das Sys­ tem zusammenfügt, aber was verwandt wird, trägt den Stempel des großen Denkers und wirkt auch durch die stete Wiederkehr umso mächtiger. Das Eine schließt sich an das Andere an, und indem sich also Alles gegenseitig stützt, scheint ein Werk für die Ewigkeit errichtet. Im Besondern zeigt sich die das ganze Weltall einigende Kraft des Mannes darin, die Identität sonst unterschiedner Begriffe durchzusetzen. Namentlich in den ontologischen, psychologi­ schen und wohl am meisten in den religionsphilosophischen Grundbegriffen tritt solche Tendenz hervor.A Gott und Natur werden hier gleichgestellt (›deus sive natura‹), die bis auf ORIGE­ NES zurückgehende Unterscheidung eines Übernatürlichen und Widernatürlichen wird bekämpft, damit aber das Wunder aus der philosophischen Weltbegreifung verbannt.B Äußerlich angesehen ist das meiste, das als SPINOZA eigen­ tümlich erscheint, aus der Scholastik entlehnt, so z. B. causa adaequata, causa immanens, causa sui, natura naturans und naturataC , amor intellectualis, scientia intuitiva, more geometrico A  Charakteristisch ist die oft wiederkehrende Wendung unum et idem sunt. B S. [ Baruch de Spinoza : ] Tractatus Theologico-Politicus […], [ Hamburg 1670 (002), S. 72 ] [ caput ] VI, 27 [ nach Eucken ] : »Neque hic ullam agnosco differentiam inter opus contra naturam et opus supra naturam ; hoc est, ut quidam ajunt, opus, quod quidem naturae non repugnat, attamen ab ipsa non potest produci aut effici. Nam cum miraculum non extra naturam, sed in ipsa natura fiat, quamvis supra naturam statuatur, tamen necesse est, ut naturae ordinem interrumpat, quem alias fixum atque immutabilem ex dei decretis concipimus.« C  S. über diesen Gegensatz Bartholomaeus Arnoldi Usingensis[ : Totius Naturalis Philosophiae Epitome Olim Singulari studio Bartholomaei Ar­ noldi Usingensis, (Erfurt) 1543 ], S. 9 f. [ Tractatus Primus ].

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u. a., | aber die Größe des Mannes gibt sich auch darin kund, dass er das Fremde ganz und gar mit seinem Geist zu durchdringen verstand und es in der nunmehr erhaltenen Bedeutung durch die Geschichte weiter sandte. Wenn wir jedoch seine Termini eingehender prüfen, so lassen sich manche Schwächen nicht verkennen. Zunächst finden sich nicht wenig unsichere Ausdrücke, und zwar bisweilen gerade an entscheidenden Stellen des Systems. Vielleicht ist die Behaup­ tung zu wagen, dass im Ganzen die Begriffe der Tätigkeit bei SPINOZA weit weniger scharf gefasst sind wie [ a ls ] das als Sub­ jekt und Substrat der Tätigkeit Hingestellte. Eben in den Verben findet sich große Unklarheit (man denke nur an Ausdrücke wie exprimere, involvere). Die Bausteine mögen fest sein, die Art des Gefüges bleibt eine unsichere. Sodann aber erweisen sich bei aller scheinbaren Konsequenz auch die leitenden Begriffe und Termini selber nicht als vollkom­ men einheitlich. In der spekulativen Grundlegung wird oft den Begriffen ein Sinn beigelegt, der in der Ausführung nicht festge­ halten wird. Einmal zieht der Sprachgebrauch des gewöhnlichen Lebens das Denken von der erstrebten Höhe herab, an andern Stellen beeinträchtigt eine spezifisch physikalische Färbung die Reinheit der philosophischen Begriffe. Anstelle jener Universal­ natur, die SPINOZA Gott gleichsetzt, tritt nicht selten Natur in der gewöhnlichen Bedeutung ; der Begriff des cogitare, ursprünglich jede bewusste Tätigkeit umfassend, ist immer in Gefahr, bloß auf das Denken bezogen zu werden, und so finden wir überhaupt oft, dass dasjenige, was Gegensätze zu überwinden bestimmt war, sich einem Gliede derselben anschließt und von da einen spezi­ fischen Inhalt empfängt. Für den äußern Erfolg des Systems mag dadurch viel gewonnen sein, innerlich ging in eben dem Maße [ v iel ] verloren. Die Schüler, oftmals die Schwäche des Meisters zur Tugend erhebend, haben dies noch weitergetrieben, so dass endlich der Spinozismus vom Materialismus oder einem den Gegensätzen der Welt durchaus nicht gewachsenen Monismus als gleichgesinnt betrachtet werden konnte. Eine umgekehrte Bewegung geht bei den timologischen Be­ griffen vor sich. Während die ontologischen umso mehr sinken,

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je mehr sie sich ins Konkrete einbilden, gewinnen jene in die­ sem Gange. Zunächst wird hier einer mechanischen Theorie, die nur nach dem Kraftquantum misst, die Alleinherrschaft zuge­ sprochen, | wir scheinen aus dem Gedankenkreise eines HOBBES nicht herauszukommen. Aber im Fortgang findet eine Umwand­ lung statt, ein Wertvolles, an sich Gültiges schiebt sich ein, und die Ausdrücke besagen also am Schluss etwas ganz Anderes als zu Anfang. Am augenfälligsten lässt sich dies in den letzten Bü­ chern der Ethik erkennen. Nachdem im dritten Buche alle Mög­ lichkeit, über den Mechanismus eines selbstischen Naturlebens hinauszukommen, aufgehoben schien, vollzieht sich fast unver­ merkt die prinzipielle Wendung. Das Nützliche, das einzige Ziel des Handelns, gestaltet sich wesentlich um, indem nun plötzlich ein wahrhaft Nützliches (revera utile) eintritt. Ähnlich erfährt auch der Terminus Natur und natürlich auf ethischem Gebiet im Lauf der Untersuchung eine Vertiefung der Bedeutung. Es schwebt eben bei aller Hinwendung des Denkens zu den ethi­ schen Problemen eine andere Welt vor als die im Zusammen­ hange des Systems dargetane : Welt und Weltinhalt, wie sie na­ mentlich die Mystik des Mittelalters gefasst hatte. Hätte SPINOZA nicht mit dieser Richtung die Innerlichkeit und Wärme mensch­ licher Empfindung geteilt, so würde sich schwerlich ein Mann wie SCHLEIERMACHER für ihn haben begeistern können. Im Allgemeinen wird man sagen dürfen, dass SPINOZA in sei­ ner ganzen Persönlichkeit wie in der Konzeption spekulativen Denkens ein weit Reicheres und Innerlicheres besaß, als er in der begrifflichen Darlegung und Zergliederung zum Ausdruck bringen konnte. Anfang und Ende sind groß, aber die eigentliche Ausführung bleibt weit zurück, und nur durch die Gleichheit des Ausdruckes wird die tatsächlich vorhandene Kluft einigerma­ ßen verdeckt. Die scheinbare Widerspruchslosigkeit des SPINOZA schwindet in dem Maße, als wir auf eine Prüfung der einzelnen Elemente und Kombinationen eingehen.A SPINOZA gehört zu den A  Das Weitere gehört in eine Geschichte der Begriffe. Hier würde vor allem die spinozistische Kategorienlehre sich als aus widersprechenden Ele­ menten zusammengefügt herausstellen.

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Denkern, die in der Totalität und dem universell-menschlichen Inhalt nach betrachtet sein wollen, um in ihrer Größe Anerken­ nung zu finden. LOCKE ist weniger hervorragend durch neue Schöpfungen oder durch Umbildung überkommener Termini, als ihn dieses auszeichnet, dass er das im täglichen Sprachgebrauch Vorlie­ gende | ergreift, klar und fasslich bestimmt und es also dem wis­ senschaftlichen Gebrauch zuführt. Damit wird gleichzeitig eine Annäherung wissenschaftlicher Arbeit an das allgemeine Leben befördert, wie das hier Vorliegende bereichert und vertieft. Im Einzelnen braucht dafür nur an die von LOCKE verwandten psy­ chologischen Ausdrücke erinnert zu werden. Es ist gewiss, dass eine solche mehr populäre Fassung der Termini für die letzten philosophischen Aufgaben nicht ausreicht, aber dieselbe bringt den Vorteil, der Absonderung der Wissenschaft entgegenzuwir­ ken und dem philosophischen Gedanken einen weitreichenden Einfluss zu sichern. Dem Inhalt nach beruht die Terminologie LOCKEs wesentlich auf der von CARTESIUS geschaffenen Grundlage. Einzelnes von dem daher Überkommenen muss aber in hartem Kampf wider Gegner behauptet und durchgesetzt werden, wie die neue Be­ deutung von Idee. Von LOCKE stammt der Ausdruck Ideenassoziation, der bekanntlich die weiteste Verbreitung gefunden und sich bis zur Gegenwart auch da erhalten hat, wo die in ihm vor­ ausgesetzte Bedeutung von Idee erloschen ist. Seine Prinzipien in Betreff des wissenschaftlichen Ausdrucks hat er namentlich im dritten Buch des Essay [ Concerning Hu­ man Understanding ] entwickelt. Die Gefahren unbestimmter Bezeichnungen sowie die einer anschauungslosen Terminologie sind hier beredt dargelegt und beachtenswerte Vorschläge zur Abhilfe der Missstände gemacht. Die Idee eines universellen Le­ xikons mit Zeichnungen der äußerlich darstellbaren Dinge be­ schäftigt ihn, wenn er auch die Ausführung der Zukunft über­ lässt. Überall erscheint ihm die begriffliche Zerlegung des in der Welt Vorliegenden gegenüber der Kontinuität der Wirklichkeit als ein Missliches und vielfachen Bedenken Ausgesetztes. Jeden­ falls sollen Begriffe und Termini reale Einsichten zum Ausdruck

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bringen und ihnen möglichst genau entsprechen. Ein Mehr wie ein Minder ist hier gleichmäßig vom Übel.A Verschiedenes Bemerkenswerte bietet uns NEWTON. Von ihm stammt die Scheidung einer absoluten und relativen Bedeu | tung der Begriffe Zeit, Raum, Ort und Bewegung.B Der Begriff einer den Naturerscheinungen immanenten Ursache, der von Anfang an der neuern Wissenschaft vorschwebte und der namentlich durch KEPLER kräftig vertreten war, erhält hier in dem Ausdruck vera causa eine festere Bezeichnung. Der Terminus Trägheit und Trägheitskraft nimmt hier zu der Ruhe auch die Bewegung in sich auf, um also fortgebildet weiteste Verbreitung zu finden.C Für die Einbürgerung der neuen philosophischen Redeweise wirkte in hohem Grade PIERRE BAYLE, namentlich durch sein Dictionnaire. Wie überhaupt, so ward auch im Ausdruck das Neue in alle konkreten Einzelheiten hineingearbeitet. Obwohl es ihm an genauer Bekanntschaft mit der scholastischen Termi­ nologie nicht fehlte, so trug er eine Gleichgültigkeit gegen ihre Distinktionen fast zur Schau. Verschiedenes neu Aufgetretene ist erst durch ihn weitern Kreisen vermittelt, so z. B. das von THO­ MAS HYDE stammende Dualismus.D A  Als Aufgabe bezeichnet John Locke es (Some Thoughts [ C oncerning ] Education), [ 7 th ed., London 1712 (002), S. 301 ] [ i n ] § 195 : »to distinguish well, that is, to have distinct notions, whereever the mind can find any real difference ; but as carefully to avoid distinctions in terms, where he has not distinct and different clear ideas.« B S. [ I saac Newton : ] Philosophiae naturalis principia mathematica, [ A msterdam 1723 (001), S. 5 ; dort von dem hier übernommenen Zitat Euckens leicht abweichende Formulierungen ; Einleitung zu Scholium ] : »[ Nam ] tempus, spatium, locum et motum ut omnibus notissima non definio. Di­ cam tamen quod vulgus quantitates hasce non aliter quam ex relatione ad sensibilia concipit. Et inde oriuntur praejudicia quaedam, quibus tollendis convenit easdem in absolutas et relativas, veras et apparentes, mathematicas et vulgares distingui.« C  S. [ Newton : Philosophiae naturalis principia mathematica ], Einl. def. III [ S. 2 ] : »per inertiam materiae fit ut corpus omne de statu suo vel quies­ cendi vel movendi difficulter deturbetur. Unde etiam vis insita nomine si­ gnificantissimo vis inertiae dici possit.« D  S. [ Pierre Bayle : ] Dictionnaire [ h istorique et critique, Bd.  4 , Basel 1738 (001), Art. ] »Zoroastre« [ S. 555 – 560, hier : S. 557 f. (Sp. 559a) ; zu Dualismus

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Eindringender als mit den vorangehenden Denkern werden wir uns mit LEIBNIZ zu beschäftigen haben, da hier für die Ter­ minologie weit mehr Kraft und weit größere Mittel aufgeboten sind.36 Manche Momente waren bei ihm der Ausbildung einer systematischen Terminologie in hohem Grade günstig, aber nicht Weniges auch wirkte entgegen und hemmte das Gelingen reiner Gestaltung. Vor allem beförderte die allgemeine Richtung seines Denkens die Schöpfung eines umfassenden Begriffssys­ temes. Alle Fülle des Seins war in sein Interesse aufgenommen, und nun ging sein Streben dahin, das Mannigfache zu sondern, zu ordnen, zu einem durchdachten Ganzen zu verbinden. Für jegliches Eigenartige ist sein Blick geschärft, aber so gern er bei der Vielheit verweilt, schließlich will er zur Einheit zurück und rastet nicht eher, als bis er alles in Zusammenhang gebracht | und leitenden Grundgedanken unterworfen hat.A Dabei wusste LEIB­ NIZ die Bedeutung sprachlichen Ausdrucks durchaus zutreffend zu schätzen. Sowohl die Abhandlung über den philosophischen Stil des NIZOLIUS als die Unvorgreiflichen Gedanken zeigen, mit wie eingehendem und richtigem Urteil er die hierher gehörigen Fragen behandelte und wie hoch er die Bedeutung sprachlicher Bezeichnung anschlug. Aber andererseits hielt er sich von der da­ mals gewöhnlichen Überschätzung derselben frei. Das Denken blieb ihm immer das Vorangehende und Entscheidende, und es schien ihm verkehrt, Schwierigkeiten, welche der Wortausdruck verursacht, in die Sache selbst hineinzutragen.B vgl. auch, unter Rekurs auf Eucken, W. Nieke : Art. »Dualismus«, in : HWPh, Bd.  2, hier : Sp. 297, sowie Eucken, GG, 61920, (GW, Bd.  4, S. 187 f.) und Eucken in : Lalande : Vocabulaire technique et critique de la philosophie, Paris 2010, S. 253. Hervorgehoben sei an dieser Stelle, dass Eucken bereits ein erstaun­ liches Interesse an Pierre Bayle entwickelt hat, das sich in mehreren ein­ schlägigen Forschungsbeiträgen dokumentiert hat. ] [ G.S. ] A  S. [ L eibniz : Lettres et opuscules inédits, précédés d’une introduction par A. ] Foucher [ de Careil, Paris 1857 (007), Bd.  2, S. 393 (Fragmentum Epis­ tolae ad Arnaldum) ], II, 393 : »Utique [ enim ] delectat nos varietas, sed re­ ducta in unitatem«. B  So bekämpft er z. B. entschieden »que les essences mêmes dépendent du choix des noms.« [ Eucken gibt an : ] 310a [ L eibniz : Œuvres philosophiques, hg. v. Paul Janet, Bd.  1, Paris 1866 (002), S. 296 (Nouveaux Essais, Livre III) ].

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Um aber seine Tendenzen auf unserm Gebiet durchzuführen, stand ihm ein unermessliches Material zur Verfügung. Sowohl die Fülle geschichtlicher Kenntnis als die Beherrschung aller Spezialwissenschaften gewährte dem Philosophen die reichste Auswahl von Mitteln, seine Begriffe zu angemessenem Ausdruck zu bringen. Aber gerade von jener Fülle geschichtlicher Kenntnis ging die erste Hemmung aus. LEIBNIZENs Art ist es, das Eigne am Frem­ den zu entwickeln. Dieses wird ergriffen, erörtert, umgestaltet und endlich so weit gebracht, dass es das Neue aufzunehmen vermag. Es ruht dies Verfahren auf der Grundüberzeugung des Mannes, dass in allem Daseienden ein Vernünftiges enthalten sei, in allem Geschichtlichen ein Ewiges sich offenbare. Es gilt nur, den überschauenden Gesichtspunkt A zu gewinnen, um in allem ein Wertvolles zu erkennen und sich vor der Verachtung ir­ gendwelcher Erscheinung zu behüten.B Befreit man die Wahrheit von der ihr anhaftenden Irrung, so schließt sich alles Einzelne aneinander und die Jahrtausende geben uns eine zusammenhän­ gende Philosophie.C | A  Leibniz dürfte auch den Ausdruck point de vue in die philosophi­ sche Sprache eingebürgert haben. [ Der Ausdruck le point de vue wird im 17. Jh. schon vor seiner philosophischen Prägung durch Leibniz bspw. in der Kunstgeschichte und in der Optik, im Sinne von ›persönlicher Standpunkt‹ etwa auch schon von Madame de Sévigné verwendet. Vgl. dazu u.a. Jean Mesnard :  »Point de vue et perspective dans les Pensées de Pascal  « (1994) (https ://doi.org/10.4000/ccibp.587) (letzter Zugriff 13.03.2023). Vgl. auch Gert König : Art. »Perspektive, Perspektivismus, perspektivisch«, in : HWPh, Bd.  7, hier : Sp. 365 – 366, sowie Kurt Röttgers : »Der Standpunkt und die Ge­ sichtspunkte«, in : AfB 37 (1994), S. 257 – 284. ] [ G.S. ] B Er [ L eibniz ] macht sich zur Maxime, »nicht leicht etwas zu verachten, welche Regel ich für besser und sicherer halte, als die, so einige stoische Lieb­ haber der Weisheit und aus ihnen Horatius gelehret : nichts zu bewundern.« Wke. 419 [ vgl. Leibniz : Opera philosophica quae exstant latina gallica ger­ manica omnia, hg. v. E. Erdmann, Bd.  1, Berlin 1840 (000), S. 419 (Brief an Gabriel Wagner, Ende 1696) ]. C  [ G od. Guil. Leibnitii Opera philosophica quae exstant latina gallica germanica omnia, hg. v. E. Erdmann, Bd.  2, Berlin 1839 (000) (Lettre III à Mr Rémond de Montmort) ] S. 704 a : »La vérité est plus répandue qu'on ne pense ; mais elle est très-sοuvent fardée et très-souvent aussi envelοppée, et même

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Solche Überzeugung von der Allgegenwart der Wahrheit be­ kundet sich auf unserm Gebiete zunächst durch die Maxime, sich möglichst der volkstümlichen Ausdrücke zu bedienen. Die Auf­ fassung des Philosophen scheint gegenüber der des Volkes nicht so sehr spezifisch verschieden als nur weiter entwickelt.A Daher kann der Sinn, auf den er bestehen muss, sehr wohl in die Aus­ drücke der allgemeinen Sprache hineingelegt werden ; mindes­ tens ist alles, was nicht in solchen erklärt werden kann, von der Philosophie fern zu halten.B Überhaupt soll man möglichst an dem Rezipierten festhalten. Selbst da, wo neue Ansichten vor­ gebracht werden, ist von den herkömmlichen Worten kaum ir­ gendwo abzugehen.C Brachte die Befolgung solcher Grundsätze schon die Gefahr mit sich, das Neue in nicht zusagende Formen zu kleiden, so steigert sich dieselbe durch das weitere Streben, die Ausdrücke der verschiedenen früheren Philosophen zur Bezeichnung der eignen Gedanken zu verwenden.D Das Mannigfachste sehen wir affaiblie, mutilée, corrompue par des additions qui la gâtent ou la rendent moins utile. En faisant remarquer ces traces de la vérité dans les anciens, οu pour parler plus généralement, dans les antérieurs, on tireroit l'or de la boue, le diamant de sa mine, et la lumière des ténèbres ; et ce seroit en effet perennis quaedam philosophia.« A  S. [ L eibnitii Opera philosophica (…), Bd.  1, Berlin 1840 (002), ] S. 61b : »[ Nam ] philosophi plebeiis non semper in eo praestant, quod alias res sen­ tiant, sed quod sentiant alio modo, id est oculo mentis, et cum reflexione seu attentione, et rerum cum aliis comparatione […].« [ De stilo philosophico Nizolii ]. Gelehrte, welche Schultermini gebrauchten, erschienen ihm »wie Schneider, welche die Nähte sehen lassen«, S. 426a [ Schreiben an Gabriel Wagner. Vom Nutzen der Vernunftkunst oder Logik ]. Auf Leibnizens Ver­ dienste um die deutsche Terminologie kommen wir unten zu sprechen. B  S. [ L eibnitii Opera (…), Bd.  1, ] S. 62 a : »illud [ igitur ] pro certo haben­ dum est, quicquid terminis popularibus explicari non potest, nisi immediato sensu constet […], esse nullum et a philosophia velut piaculari quodam car­ mine arcendum.« [ De stilo philosophico Nizolii ]. C  S. [ L eibnitii Opera (…), (002), Bd.1 (Epistola ad Thomasium), ] S. 54 a [b] : »recte [ enim ] judicas, etsi novae sententiae proferantur earumque veri­ tas evidentissime ostendatur, a receptis tamen publice vocibus vix unquam esse abeundum.« D  Wie er sich auch nicht scheut, von ihm ferner liegende[n] Richtungen aufzunehmen, zeigt z. B. die Stelle in [ L eibniz : ] Deutsche Schriften, [ hg. v.

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hier zusammentreffen, und zwar beschränkt sich LEIBNIZ durch­ aus nicht auf eine Auswahl unter dem durch die Tradition Über­ kommenen, sondern er greift selbständig zurück und erweckt manches Erloschene zu neuem Leben. Nicht nur die Meister der antiken Philosophie leihen ihm manches (wie z. B. ARISTOTE­ LES entéléchie, ecthèse u. a.), auch das ältere Christentum, na­ ment | lich AUGUSTIN, gewährt Bereicherung ; dass die neuern Denker Erhebliches beitragen, ist selbstverständlich ;A vor allem aber ist es die Scholastik, woraus viel aufgenommen und damit für die neuere Wissenschaft gerettet wird. Αusdrücke wie individualité, représentation, idéal, objectif (subjectiv scheint bei L. nicht vorzukommen), substantiel, virtuel, a priori, a posteriori u. a. sind namentlich durch LEIBNIZENs Vermittlung Besitztum der neuern Wissenschaft geworden. An sich dürfte aus solchem Anschluss an das Volkstümliche und solcher Aufnahme von mannigfachem Fremden noch keines­ wegs Schaden erwachsen oder sich ein Vorwurf begründen ; na­ mentlich bezeichnet das Streben nach unbefangener Würdigung und fruchtbarer Verwendung des von frühern Zeiten Geschaffe­ nen hier sicherlich einen Fortschritt philosophischer Bewegung. Nur musste das Aufgenommene voll und ganz vom neuen Geist durchdrungen und in dem neuen Sinne konsequent festgehalten werden. Nun aber tritt allerdings das Unliebsame ein, dass das Fremde nicht vollständig umgewandelt wird : sowohl bei dem der Volkssprache als dem der Geschichte Entlehnten bleibt ein uner­ griffener Rest des Frühern übrig. Dieser Rest aber wird im Verlauf der Forschung zu einer eigentlichen Hemmung. Immer wieder drängt sich das Niedere oder Veraltete in die Begriffe ein und beginnt, sobald die Aufmerksamkeit nicht gerade auf den Punkt Gottschalk Eduard Guhrauer, Bd.  1, Berlin 1838 (002), Unvorgreifliche Ge­ danken, betreffend die Ausübung und Verbesserung der teutschen Sprache, 14) ] I, S. 454 : »Ja selbst Diejenigen, die sich etwas zu denen Träumen der Schwärmer geneiget, brauchen gewisse schöne Worte und Reden, die man als güldene Gefässe der Egypter ihnen abnehmen, von der Beschmutzung reinigen und zu dem rechten Gebrauch wi[e]dmen könnte.« A  Man denke nur an die monas, die explicatio und implicatio des Jordano [ Giordano ] Bruno.

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gerichtet ist, die Vorstellung zu beherrschen, den Gedanken zu verwirren. So bewunderungswürdig LEIBNIZENs philosophische Kraft ist, tatsächlich ist es ihm nicht gelungen, das Neue zu ei­ ner angemessenen Gestaltung und damit zu sicherer Geltung zu bringen. Es bleibt ein gewisses Schwanken zwischen Fremdem und Eignem, in Folge dessen sogar die spekulativen Grundge­ danken Nichtzugehöriges aufnehmen, sich abschwächen und ihre Schneide verlieren. Von hier angesehen liegt meist eine Ver­ schmelzung verschiedener Weltbilder, nicht eine einzige inner­ lich zusammenhängende Welt vor unsern Augen. Aber sosehr wir dies tadeln oder beklagen mögen, nie sollte die gewaltige Fortbewegung, welche die Begriffe durch LEIBNIZ erfahren haben, über der Verwendung der alten Ausdrücke über­ sehen werden. Das Alte mag noch so sehr hemmen, | das Neue ist darum noch nicht erstickt. Fast alle wichtigen Termini zeigen eine erhebliche innere Umwandlung. Sowenig LEIBNIZ das Vor­ recht hat, allein nach den Tendenzen und nicht nach der Art der Durchführung beurteilt zu werden, so tut man ihm doch das entschiedenste Unrecht, wenn man ihn nach dem in gewöhnli­ chem Sinne verstandenen Wortlaut verurteilt. Es gibt nicht ei­ nen esoterischen und einen exoterischen LEIBNIZ wie zwei ge­ trennte Personen, sondern die Verschmelzung von Esoterischem und Exoterischem, von Eignem und Fremdem zu untrennbarer Einheit ist eben das Charakteristische. Wer allein auf den Geist seiner Lehre sich beruft, irrt ebenso gut wie der, welcher bei dem Buchstaben stehen bleibt. Nach dem allen ist es selbstverständlich, dass äußerlich neue Termini uns bei LEIBNIZ wenig begegnen. Auch werden wir bei der ungeheuren Anzahl der von ihm benutzten Hilfsquellen nur da mit Sicherheit Neubildung annehmen dürfen, wo der Zusam­ menhang mit dem System offenkundig ist. Aber eben mit diesen spezifischen Bildungen hat unser Philosoph nicht viel Glück ge­ habt. Ja man kann sagen, dass die von ihm geschaffenen Aus­ drücke bisweilen seine eigenartigen Gedanken eher verdun­ keln als erhellen, indem sie einem ganz andern philosophischen Standpunkt entsprechen als dem von ihm eingenommenen. Die LEIBNIZISCHE Verteidigung des Weltganzen als des die höchste

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Lebensfülle enthaltenden Systemes wird durch theodicée recht schlecht bezeichnet, 37 eher hätten sich ORIGENES und AUGUSTIN solches Ausdrucks bedienen können. Noch unglücklicher ist die von LEIBNIZ mindestens gebilligte und aufgenommene Benen­ nung des gesamten Systemes als des der prästabilierten Harmonie. Denn durch solche Benennung wird nicht nur unvermeidlich die Vorstellung eines reflektierenden und fast künstlichen Ge­ staltens erweckt, sondern auch der Zeitbegriff an eine hervor­ ragende Stelle gebracht, wohin er nach der spezifischen Über­ zeugung unseres Philosophen nicht gehört. Ob der Ausdruck apperception für bewusste Vorstellung glücklich gebildet war, bleibe dahingestellt, jedenfalls hat sich der Terminus nicht in je­ ner Bedeutung behaupten können. – Dies wenige mag uns zeigen, dass der Philosoph durchaus seiner Natur gemäß handelte, wenn er danach strebte, das Eigne im Anschluss an Fremdes zu entwi­ ckeln. Die Gestaltungskraft eines ARISTOTELES war ihm einmal nicht gegeben. Tadle ihn deswegen, wer Lust hat. | Unzweifelhaft wird man daher LEIBNIZENs Einfluss auf die Terminologie nicht nach der Summe des äußerlich neu Geschaf­ fenen, sondern nach der Gesamtheit des innerlich Umgebildeten schätzen müssen. Dies aber darzulegen ist nicht wohl möglich, ohne auf den Inhalt des ganzen Systemes einzugehen, was wir uns natürlich versagen müssen. Nur einige allgemeine Tenden­ zen mehr formeller Art mögen hier angemerkt werden. Zu Beginn der neuen Philosophie sahen wir das Streben nach Vereinfachung der Terminologie überwiegen. Es war ein Bedürf­ nis, die Forschung wieder auf menschlich wichtige Probleme zu konzentrieren und das Neue, woran das ganze Interesse hing, in den entscheidenden Grundzügen klar herauszustellen. Die technische Durchführung im Einzelnen überließ man der Zu­ kunft. Jetzt aber tritt in LEIBNIZ die Wendung zu einer genau­ ern Durcharbeitung ein. Gewisse Grundzüge dürfen als gesichert gelten, nunmehr erscheint es als Aufgabe, sie bis in ihre Veräste­ lungen zu verfolgen. Hier betätigt sich der Sinn des Philosophen für die Vielheit und Besonderheit, sein Streben, jedem Einzelnen im Weltganzen eine einzigartige Bedeutung zu sichern. Auch bei den Begriffen und Termini sucht er überall zu sondern, auseinan­

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der zu halten, spezifisch zu bestimmen. Das Verworrene zerlegt sich, umgrenzte Gestalten treten ans Licht. Wirklich eingreifende Macht aber erhielt dies Streben zu distinguieren erst dadurch, dass es sich auf eine weitere Eigen­ tümlichkeit LEIBNIZISCHER Denkart stützen konnte, auf die Anerkennung und Verwertung des Kleinen. Dem Auge des For­ schers erschien die ganze bisherige Arbeit als zu roh, die Größen, mit denen man umging, als viel zu kompliziert. Es galt, mittelst Auflösung des Vorliegenden zu kleinern Kräften durchzudrin­ gen, um von ihnen aus ein zutreffenderes Verständnis der Wirk­ lichkeit zu erlangen. – Im Zusammenhang solcher Erwägungen verficht LEIBNIz gegen CARTESIUS die Überzeugung, dass unsere Begriffe schon etwas Zusammengesetztes seien und ein Urteil einschließen. In ihnen können Widersprüche liegen und sie un­ haltbar machen.A Damit wird es Aufgabe, die Begriffe auf ihre Widerspruchslosig | keit zu prüfen, das Verworrene aufzulösen und endlich kleinste Elemente, elementare Begriffe zu ermitteln, mit denen das Denken es unternehmen kann, seine Welt aufzu­ bauen.B Es hat demnach die distinguierende Tätigkeit des logi­ schen Verstandes Grund und Halt in der Methode des speku­ lativen Forschens. Die Unterschiede des Vielen sollen sich von den Ursprüngen aus ableiten und begreifen lassen : das hebt das LEIBNIZISCHE Distinguieren unvergleichlich über das am Er­ A  S. [ L eibniz : Lettres et opuscules inédits, précédés d’une introduction par A. ] Foucher [ de Careil, Paris 1854 (002) ], Ι, S. 55 [ f. ] : »Je viens à votre examen du grand principe des Cartésiens et de Dom Robert […] savoir que nos idées οu conceptions sont toujours vraies. […] Je suis bien éloigné de l'admettre, parceque nous joignons souvent des notions incompatibles, en sorte que le composé enferme contradiction.« 56 : »nos idées enferment un jugement.« B  Charakteristisch ist auch die häufige technische Verwendung von primitiv [ L eibnitii Opera philosophica (…), Pars Prior, Berlin 1840 (002) ], s. forces [ agissantes ] primitives, S. 125 a, puissances primitives, S. 346 b, entéléchies primitives, S. 317 b, S. 464 a. Im Deutschen finden wir Grundwahrheiten, Grundwurzeln u. a. [ Grundwahrheiten a. a. O., S. 422b ; Grundwurzeln belegt etwa in : Transkriptionen des Leibniz-Briefwechsels 1711 für die Leibniz Aka­ demie-Ausgabe, Version 1, Hannover 2020 (011), S. 145 (Leibniz für Herzog Moritz Wilhelm von Sachsen-Zeitz, 20. Mai 1711) ] [ G.S. ]

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gebnis haftende scholastische. Auch der Technik nach ist unser Philosoph ein Meister im Einteilen. Während seine Definitionen meist den Fehler haben, das zu Bestimmende schon vorauszuset­ zen, entwickeln die Einteilungen das Mannigfaltige vor unsern Augen. Dass er dabei die Dichotomien vorzieht, hängt eng mit der vorwiegend analytischen Art seines Denkens zusammen.A Das Einzelne zusammenzustellen und zu würdigen, ist eine fast unabsehbare Aufgabe ;B das aber möchten wir als Überzeu­ gung aussprechen, dass man die wohlbegründeten und scharf­ sinnigen Bestimmungen der Begriffe umso mehr anerkennen wird, je mehr man sich in das Ganze LEIBNIZISCHEN Systemes hineindenkt. In vollem Gegensatz zu Spinoza gewinnt LEIBNIZ in dem Maße, als man näher auf das Technische eingeht. Aber auch hier folgte der Schatten dem Licht, die Macht, wel­ che das Distinguieren gewährte, verführt zu gefährlichem Miss­ brauch. LEIBNIZ verfällt nicht selten dem Fehler, durch Dis­ tinktionen sachliche Schwierigkeiten lösen, reale Gegensätze überwinden zu wollen. Oft gibt er den Begriffen und Termini eine engere Bedeutung, sondert alsdann ein Neues ab, um es ent­ gegenzustellen, und kann endlich leicht beweisen, dass dies Neue nicht von den Schwierigkeiten betroffen werde, welche dem | Aus­ gangspunkte anhafteten. Aber vielleicht wird beides, was er so sorgfältig auseinanderhalten möchte, von dem Begriff umfasst, auf den es bei der Frage allein ankommt, und die ganze Erörte­ rung hat das Problem nicht sowohl gelöst, als verlegt und ver­ deckt. Dazu wird ihm eben an dieser Stelle seine Gelehrsamkeit verhängnisvoll. Viele Distinktionen der Scholastik werden wie­ der herangezogen, und wenn sie auch eine veränderte Bedeutung A  S. [ L eibnitii Opera philosophica (…), Bd.  1, Berlin 1840 (002) ], S. 304 b : »dichotomies qui en sont la meilleure espèce et servent beaucoup pour l'invention, le jugement et la mémoire.« B  Indessen mag es verstattet sein, einige von den Unterscheidungen an­ zuführen, die für die wissenschaftliche Arbeit Bedeutung gewannen. Von Leibniz stammt z. B. die Differenzierung von Kraft und Vermögen (im neu­ ern Sinn), von Real- und Νοminaldefinition, von realen und imaginären Phänomenen (phaenomena realia und imaginaria), die Entgegensetzung des Empirischen und des Rationalen, der tatsächlichen und notwendigen Wahrheiten u. a.

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erhalten sollen, so rächt es sich doch, dass sie von außen her­ beigeholt sind. Das Alte behauptet sich, das Fremde dringt ein und bestimmt das Denken ; die Forschung verläuft schließlich ins Künstliche. So war es nicht ohne Schuld des Philosophen, wenn in seiner Schule eine Art neuer Scholastik aufwucherte.A Die weitere Bestimmung des Inhaltes und des gegenseitigen Verhältnisses der Begriffe hängt nun aber wesentlich von der Art ab, wie LEIBNIZ das Mannigfache der Welt in Verbindung zu setzen sucht. Für uns ist namentlich wichtig das Streben, al­ les Daseiende einer einzigen Stufenreihe einzufügen und alles Besondere als verschiedene Grade derselben kosmischen Kraft zu verstehen. Wo immer eine Vielheit vorliegt, möchte er ein quantitatives Verhältnis zwischen den einzelnen Gliedern wenn nicht nachweisen, so doch annehmbar machen. Selbst wo gerade Gegensätze sich auszuschließen scheinen, schreckt er nicht zu­ rück ; der Begriff des Unendlichen wird zur Hilfe gerufen, um die trennende Kluft zu überbrücken. Die Ruhe ist ihm eine unend­ lich kleine Bewegung, die Ähnlichkeit eine verschwindende Un­ ähnlichkeit, die Werke der Natur unterscheiden sich von denen der Kunst durch die unendliche Feinheit der Bildung, weswegen auch das Organische nur ein unendlich kompliziertes Mecha­ nische ist ; tatsächliche Wahrheiten sind solche, die sich nur im unendlichen Fortgange auf unmittelbar einleuchtende Gleichun­ gen zurückführen lassen ; die Einzelwesen sind dadurch von Gott unter|schieden, dass ihre Vollkommenheiten sich bei ihm ohne Schranke finden u. s. w.B A  Der Scholastik oder der Übergangszeit entlehnte Distinktionen, wel­ che zur Lösung der neuen Probleme entschieden nicht ausreichen, sind z. B. die Scheidung von necessiter und incliner, des Übervernünftigen und Widervernünftigen, des fatum Mahometanum, Stoicum und Christianum, des Erkennens und Wollens Gottes, des vorangehenden und nachfolgenden Willens Gottes, und vieles andere. Namentlich durch solche Distinktionen erhält die Leibnizische Philosophie den Charakter des Reflektierten, Zurechtgemach­ ten ; es fehlt hier jene innere Notwendigkeit, welche uns bei Spinoza selbst die Irrungen ehrwürdig macht. B  Dass in diesen Sätzen der Begriff des Unendlichen nicht überall die­ selbe Bedeutung hat, ist augenscheinlich.

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In entsprechender Weise finden wir nun überall die Begriffe in eine stufenartige Folge gebracht. Körper und Geist unterscheiden sich als deutliche und verworrene Auffassung desselben Seins, das Deutliche und Verworrene aber bemisst sich nach dem Mehr und Minder. Leben und Tod sind Stufen der Ein- und Auswick­ lung. Die seelischen Tätigkeiten hängen ab von den Graden des Bewusstseins, im Besondern ist das Gefühl eine niedere Stufe der Erkenntnis. Das Böse gilt als minder Gutes, das Heilige als Stei­ gerung des Guten u. s. w. Überall bekundet sich das Streben, Lü­ cken und Gegensätze aus dem Begriffssystem wie aus der Welt zu entfernen und in ununterbrochenem Zusammenhang das Eine, was durchgeht, bis ins Unendliche zu verfolgen.A Es ist unverkennbar, dass die Durchführung solcher Tendenz einen mächtigen Einfluss auf das ganze Begriffssystem ausüben musste, ihre Nachwirkung ist noch heute keineswegs erloschen. Im Ganzen führte sie dahin, dass das Spezifische in den Begrif­ fen abgestreift wurde, das Generelle als das Wesentliche erschien. Das der unmittelbaren Auffassung sich Bietende musste an je­ dem Punkt zugunsten des durchgehenden Weltbegriffes zurück­ treten. Es sind tatsächlich formal-ontologische Bestimmungen, die über Inhalt und Stellung jegliches Einzelnen entscheiden ; nach Verhältnissen der Einheit zur Vielheit werden endgültig die Dinge bemessen. Also wird das Besondere der einzelnen Ge­ biete zurückgedrängt, eine verallgemeinernde und angleichende Umgestaltung der Begriffe vorgenommen. Die Schule ging in dieser Richtung unbedenklich weiter, aber da sie des spekulativen Grundtriebes und der zusammenhalten­ den geistigen Anschauung ermangelte, so ward ihr die Eigen­ tümlichkeit des Meisters einfach zum Fehler : in abstrahierender Weise ward der Inhalt der Begriffe verflüchtigt, ohne dass ein le­ bendiges Neue an die Stelle trat. Bei LEIBNIZ selber mag nament­ lich das Tadel finden, dass die Grundrichtung nicht zu reiner Durchführung kommt. Der Ausbau seines Systemes ist | daran A  Also wird die ganze Philosophie zu einer universellen Mathematik und der Gedanke einer wissenschaftlichen Begriffssprache ist innerlich [ ge -] rechtfertigt.

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geknüpft, dass die Begriffe in der kosmischen Bedeutung sei­ ner Lehre genommen werden, aber von allen einzelnen Punkten dringt dann doch der reichere, wir möchten sagen anthropomor­ phe Sinn des gewöhnlichen Lebens ein, so dass wir wiederum ein zwieschlächtiges Mittelding erhalten. Dieser innere Widerspruch greift aber sehr tief in das System ein. Würde der Philosoph sei­ nen eignen kosmischen Begriffen treu bleiben, so gelangte er nimmer zu der Wirklichkeit, die sein Ziel bildet ; behauptet sich aber das Spezifische, so geht es nicht in die Erklärung auf, es könnte höchstens durch Analogien angenähert werden, damit aber würden wir nur eine bildliche Ansicht, nicht eine wissen­ schaftliche Begreifung der Welt erhalten. Der Grundgedanke der LEIBNIZISCHEN Philosophie kommt hier ins Gedränge. Vom Geist aus soll das All verstanden werden, in einen geistigen Kos­ mos soll es sich umwandeln. Aber nun entsteht im Begriffe des Geistes selber ein Dilemma. Entweder wird er in solcher Fassung genommen, dass er freilich alles einzuschließen vermag, aber fast keinen Inhalt mehr besitzt, oder er behauptet eine spezifische Be­ deutung, darf dann aber nur vergleichungsweise über das engere Gebiet ausgedehnt werden. Die Philosophie scheint entweder ein System rein formaler Begriffe zu werden oder auf wissenschaft­ liche Durchdringung des Ganzen verzichten zu müssen. Wenn solches Dilemma nicht in voller Schärfe hervortritt, so liegt dies daran, dass die allgemeinsten Begriffe bei LEIBNIZ durchgehend eine physikalisch-mathematische Färbung erhalten ; dadurch wird eine gewisse Brücke zwischen Ontologie und Daseiendem gefunden. Auch in dem Verhältnis zum Historischen und bei dem Stre­ ben nach einem ethisch-teleologischen Abschluss der Philo­ sophie zeigt sich solcher Zwiespalt einer engern und weitern Fassung der Begriffe. Was hier erwiesen wird, ist etwas ganz Anderes als dasjenige, worauf das Bemühen ging. Es sind lauter Begriffe von Kraft und Sein, die LEIBNIZ verteidigt, Wertbegriffe aber, deren Realität er dargetan zu haben vermeint. Er wirft sich zum Beschützer angegriffener ethischer Grundüberzeugungen auf, aber er gestaltet dieselben in der Abwehr also um, dass der Streitpunkt ganz verschoben ist. Ein wirklicher Anhänger des

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Alten könnte sogar in Zweifel kommen, ob die Verteidigung viel­ leicht nicht noch zerstörender wirke als der Angriff. Begriffe wie Gott, Freiheit, Unsterblichkeit, Vernünftig | keit der Weltordnung, Zweck, Wunder u. s. w. werden in der Erörterung des Philosophen etwas ganz anderes, als sie dem allgemeinen Bewusstsein waren. In seinem Schaffen ist also auch hier zwischen bewusstem Ziel und tatsächlicher Leistung eine nicht geringe Differenz. Aus dem Allen wird sich unser abschließendes Urteil über LEIBNIZ ergeben. Große und notwendige Richtungen sind auch auf unserm Gebiet von ihm eingeschlagen, gewaltige Kraft ist aufgeboten, Erhebliches erreicht, ein Einfluss wird bis zur Gegen­ wart behauptet. Gegen die Vorgänger ist die Vielseitigkeit des Interesses unvergleichlich gesteigert, die ganze Behandlung des Stoffes nicht nur umfassender, sondern auch tiefer eindringend geworden. Überall bezeugt sich eine größere und freiere Art. Aber die Einheit von Denken und Persönlichkeit ist nicht stark genug, das Mannigfache einer Gesamtbewegung unterzuordnen, die verschiedenen Seiten wollen auseinanderbrechen, und wenn dies äußerlich durch Scharfsinn und Geschicklichkeit verhin­ dert wird, so bleiben innerlich die Gegensätze unausgeglichen. Im Besondern mag daher Großes geleistet sein, eine einheitliche Gesamtwirkung war von hier aus nicht möglich. Aber die geis­ tige Überlegenheit des Mannes darf deswegen nicht in Zweifel gezogen werden. Wenn er irre ging, so geschah es vornehmlich, weil er sein Ziel weiter steckte als die Andern, vom Ganzen aus angesehen bezeugen auch die Irrungen seine Größe. Schon bei den eben erwähnten Forschern, noch mehr aber bei den folgenden beginnt die Terminologie nach den verschiedenen Sprachen auseinanderzugehen. Die begriffliche Arbeit bleibt frei­ lich in Zusammenhang, schon dadurch werden auch dem Aus­ druck gemeinsame Richtungen bewahrt, dann wirkt das Eine auf das Andere durch Mitteilung oder Anregung, und nicht we­ nige Termini verbreiten sich rasch von dem engern Kreise über die ganze Kulturwelt ;A aber daneben erweist sich auch das Parti­ kulare mächtig und treibt spezifische Bewegungen wie Gestal­ A 

Wir werden im zweiten Teil verschiedene Beispiele anführen.

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tungen hervor, ja man muss sagen, dass von nun an die Ein­ bildung der Terminologie in die einzelnen lebenden Sprachen zur Hauptsache wird und die Untersuchung vorwiegend in An­ spruch nimmt. Diesen mannigfachen Verzweigungen aber kön­ nen wir hier nicht nachgehen ; wir beschränken uns für die wei­ tere Betrachtung auf | unser eignes Volk, umso mehr, da dasselbe von nun an unbestritten die philosophische Arbeit zu leiten be­ ginnt. Jene Aufgabe wird aber nicht wohl zu behandeln sein, ohne auf die frühere Geschichte der deutschen Terminologie einen Blick zurückzuwerfen. Vorher aber mögen über Fortgang und Ergebnis der allgemeinen Bewegung einige Worte gestattet sein. In den entscheidenden Grundformen blieb die Terminologie, wie das 17. Jahrhundert sie festgestellt hatte. Das 18. Jahrhundert hat in Betreff der Stammtermini nicht so sehr Eignes geschaffen, als das Veraltete rücksichtslos beseitigt, das Neue aber zu univer­ seller Verwendung gebracht. Was die technische Arbeit des vor­ angehenden Jahrhunderts gefördert hatte, wird nunmehr in das Gesamtleben eingeführt, an die Stelle der Schule tritt der Kreis aller Gebildeten, eine eigentliche Gelehrtensprache gibt es für die allgemein menschlichen Angelegenheiten schließlich nicht mehr. Die kulturgeschichtliche Seite solcher Gestaltung haben wir nicht ins Auge zu fassen, technisch philosophisch gewürdigt wird dieselbe nicht eben eine günstige Beurteilung finden. Mag als Vorteil gelten, dass in Begriffen und Termini das allen Zu­ gängliche und unmittelbar Wertvolle hervortrat und wirkte, ihre Schärfe und Klarheit schwindet in eben dem Maße, als sie an Ausbreitung gewinnen. Der wissenschaftliche Inhalt tritt zugun­ sten einer populären Fassung zurück und gerät mehr und mehr in Gefahr, ganz zu verschwinden. Die spekulative Arbeit der frü­ hern Geschlechter ist deswegen in ihren Folgen keineswegs er­ loschen, das geistige Leben bewegt sich vielmehr in der neuen Strömung weiter, aber dieselbe wirkt mehr als Gesamtmacht ; so­ bald ausgeprägte Gestaltungen versucht werden, vermengt [ ver­ mengen ] sich naive Auffassung und spezifische Theorie, und der gemeine Verstand, auf einem gewissen Gebiet unzweifelhaft be­ rechtigt, wird unleidlich, wenn er sich halbverstandenes Wissen­

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schaftliche aneignet, um dann mit den Ansprüchen der ganzen Wissenschaft aufzutreten. Ganz anders steht die Sache in den einzelnen philosophischen Disziplinen. Hier wird nicht nur das geschichtlich Überkom­ mene eingebürgert, sondern es findet bei angespannter Arbeit wie in den Begriffen, so in den Termini ein erheblicher Fort­ schritt statt. Vor allem gilt dies von der Psychologie. Das 18. Jahr­ hundert hat hier – unter Vorgang der Engländer – die Grundzüge fest | gestellt, das 19. dieselben dahin weiter entwickelt, dass sich nunmehr das Technische des Ausdrucks in besserer Verfassung befindet als je zuvor. Auch auf andern Gebieten ist Erhebliches gefördert ; könnte die fortschreitende Spezifizierung der wissen­ schaftlichen Arbeit für das Wanken oder gar Sinken des geistigen Gesamtlebens einen Ersatz gewähren, so stünde alles vortrefflich. Jene Abschleifung und Abschwächung der Stammbegriffe und ihrer Termini hat aber keineswegs ihren Grund bloß oder haupt­ sächlich in der allgemeinen Verwendung derselben. Gefahren bringt eine solche freilich immer mit sich, wirkliche Hemmun­ gen aber weisen auf Probleme und Missstände in der Sache selbst hin. Inwiefern solche in den Begriffen der Neuzeit enthalten sind, haben wir hier nicht zu erörtern, der Frage aber können wir nicht ausweichen, ob die Terminologie diese Begriffe in angemessener Weise zum Ausdruck gebracht und dadurch eine ihrem Inhalt entsprechende Wirkung befördert habe. Diese Frage aber wird, im Großen und Ganzen betrachtet, ent­ schieden zu verneinen sein. Der mächtigen, ja unvergleichlichen begrifflichen Tätigkeit der Neuzeit ist die Gestaltung der Termini auch nicht annähernd nachgekommen : so gut wie möglich ward das Neue in den überlieferten Formen untergebracht. Daraus er­ wuchs so lange keine ernstliche Gefahr, als das neu Auftretende für sich und in seinem Gegensatz zum Alten dem wissenschaft­ lichen Bewusstsein der Forscher hinreichend gegenwärtig war. Bei lebendiger Vorstellung des innern Gehalts konnte man über die Unangemessenheit des Ausdrucks hinwegkommen. Bei dem Nachlassen der Anspannung aber musste das Alte wieder eine gewisse Macht erlangen, dem Neuen sich einmengen und da­ durch manche Verwirrung veranlassen.

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Im Weitern aber gestaltete sich die Lage auf den Gebieten der theoretischen und der praktischen Philosophie – mögen diese im Grunde unzutreffenden Ausdrücke der Kürze halber verstat­ tet sein – wesentlich verschieden. Die Tätigkeit auf jenem Gebiet ist bei weitem größer, in ihr beruht die Stärke der neuern For­ schung. Hier ist eine durchaus eigne Weltbegreifung entwickelt, alle entscheidenden Begriffe sind wesentlich umgestaltet. Die Eigentümlichkeit und Bedeutung des dabei Gewonnenen ver­ steckt sich nun aber hinter den alten Ausdrücken. Sehr bald wird dadurch viel unnützer Streit erweckt, im Verlauf immer mehr Unklarheit und Unbestimmtheit verursacht. Das Alte wirkte fort, | verband sich mit den Vorstellungen des gewöhnlichen Le­ bens, denen es viel näher stand als das Neue, und ward also an manchen Stellen ein Hemmnis präziser Erfassung. Die Grundge­ danken der neuen theoretischen Philosophie sind weit eigenarti­ ger und spezifischer, als es von den Ausdrücken her scheint. Bei dem Gleichbleiben der Form kann es leicht entgehen, dass alle wichtigen Termini innerlich gegen früher radikal umgewandelt sind.A Weit weniger erfolgreich war die Tätigkeit auf dem Gebiet der praktischen Philosophie. An mächtigen Antrieben fehlte es auch hier nicht, viel Altes ward beseitigt, neue Richtungen bahnten sich an. Aber nur an einzelnen Punkten ward Festes geschaf­ fen, zu einem selbständigen systematischen Ausbau kam es nicht. Bei solcher Lage wirkte die Festhaltung der alten Terminologie dahin, manche Lücken zu verbergen, das Wort stellte oft eine Verbindung her, wo Neues und Altes sich sonst schroff getrennt hätten. Die Begriffe selbst aber begannen nicht selten einen Dop­ pelsinn anzunehmen. Es schob sich ihnen im Verlauf der Unter­ suchung von dem Überkommenen her ein wesentlich anderer Inhalt unter, als in dem neuen Zusammenhang ursprünglich angenommen und durch die Tat rechtfertigt war. Man konnte schließlich meinen, aus eignen Mitteln vollbracht zu haben, was zum guten Teil der Entlehnung aus einer andern Welt zu verdan­ ken war. Hier erscheint also in Folge des Beharrens der Termini A 

Man betrachte z B. nur Termini wie Substanz, Gesetz, a priori u. a.

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das Neue reicher, als es wirklich ist ; jedenfalls aber ist hier wie dort das Bild der Sachlage verschoben. Wo ist der Grund dieser Erscheinung zu suchen ? Soll man alle Schuld auf die Vernachlässigung des Ausdrucks seitens der For­ scher schieben ? Soll man darüber Klage erheben, dass der neuern Zeit kein ARISTOTELES erstand, der das von innen Wirkende zu vollständigem und klarem Ausdruck hätte bringen können ? Der entscheidende Punkt würde schwerlich damit getroffen sein. – Eine neue Welt sollte geschaffen werden, aus eigner Kraft heraus, unabhängig von dem geschichtlich Vorliegenden. Großes gelang dabei, neue Ansichten setzten sich durch, neue Begriffe wurden gebildet. Aber an andern Punkten blieb die Leistung hinter dem Vorsatz zurück, erwiesen sich die Prinzipien als nicht ausrei­ chend. In solcher Lage war es natürlich, | dass vieles von dem Frühern, welches man als ein der allgemeinen Schätzung Wert­ volles nicht aufgeben wollte, sich neben dem Neuen erhielt, sich mit ihm verschmolz oder auch es durchkreuzte. Die Welt, neben welcher sich die neue aufbaut und gegen die sie sich vielfach zer­ störend und umbildend richtet, wird doch nicht eigentlich aufge­ geben ; sie bleibt eine Voraussetzung, zu der das Denken immer wieder zurückkehrt, eine Quelle, von der noch immer inhaltliche Bestimmungen in die Begriffe einfließen. So liegt in der Sache selbst ein Zwiespalt ; nur deswegen erwächst aus dem Unterlas­ sen und Irren der Einzelnen ein allgemeiner Missstand, erhalten die kleinen Mächte der Zerstörung freien Spielraum. Auch hier weisen die Probleme des Ausdruckes auf die der Begriffe und Grundrichtungen selber zurück. |

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Obschon die deutsche Terminologie erst im 18. Jahrhundert all­ gemeine Verwendung erlangt hat, so dürfte es doch nicht unan­ gemessen, ja fast geboten sein, einen Blick auf die Jahrhunderte zurückzuwerfen und die Gesamtgeschichte in raschem Fluge zu überschauen. Denn an dem, was erst spät sich der Gesamtheit fruchtbar erwies, war die lange und meist stille Arbeit vieler Ge­ schlechter beteiligt ; durch sie war mannigfach vorbereitet, was nun seinen Welttag erlebte. In wie hohem Grade die Geschichte der deutschen Terminolo­ gie eine eindringende Untersuchung verdient, bedarf keiner wei­ tern Erörterung. Ebenso wenig möchten wir uns über die hier in Betracht kommenden Vorzüge deutscher Art, deutscher Philoso­ phie und deutscher SpracheA verbreiten, noch auch die Hemm­ nisse erörtern, durch deren Schuld das Ergebnis der aufgebotenen Kraft keineswegs entsprach. Allbekanntes zu wiederholen scheint ebenso unzulässig, wie eine selbständige Untersuchung hier un­ möglich ist. Nur das Eine möchten wir gleich anfänglich bemer­ ken, dass die Geschichte der deutschen Terminologie weit mehr Zusammenhang hat und weit mehr eine Leistung der Gesamt­ heit darstellt, als der erste Anblick glauben lassen könnte. Es sind zunächst einzelne Höhepunkte, bei denen die Aufmerk | samkeit verweilt, nur bei günstiger Flut geistigen Lebens scheinen von hier angesehen deutsche Forscher den Ausdruck in der Mut­ tersprache zu wagen, ohne engere Berührung mit dem Ganzen A  Wie viel die deutsche Sprache der wissenschaftlichen Terminologie entgegenbringt, im Besondern die Leichtigkeit von Zusammensetzungen, ist auch von Fremden nicht selten anerkennend dargelegt. So z. B. William Whewell : The Philosophy of the Inductiνe Sciences, Founded upon their History, [ Second Part : Novum Organon Renovatum, London 31858 (002), Aphorisms Concerning the Language of Science, S. 263 ] : »Of modern Euro­ pean languages the German possesses the greatest facility of composition ; and hence scientific authors in that language are able to invent terms which it is impossible to imitate in the other languages of Europe.« [ Eucken zitiert eine andere Ausg., dort II, S. 486, S. 541 ]. Über der Anerkennung solcher Lichtseiten darf aber verschiedenes minder Günstige, ja Erschwerende nicht vergessen werden.

▷ Kommentar S. 300 ff.



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und ohne eingreifende Rückwirkung darauf. So stehen die ver­ schiedenen Versuche ohne Verbindung nebeneinander, schein­ bar durch lange Zeiten voller Ebbe getrennt. Nun ist unleugbar viel Zersplitterung vorhanden, aber der Zusammenhang ist nicht ganz zerrissen. Wo die bewusste Tätigkeit der Einzelnen keinen Anschluss aneinander findet, da stellt die Bewegung des Ganzen einige Gemeinschaft her und verknüpft im Fortgange Mannig­ faches zu einem Ganzen. Schon bei den ersten Anfängen wissen­ schaftlichen Lebens in unserm Volke begegnen wir einem Stre­ ben nach dem Ausdruck in der Muttersprache, und bei allen Störungen und Rückschlägen erkennen wir doch ein allmähli­ ches Fortschreiten ; an dem, was wir heute verwenden, ist tatsäch­ lich die Arbeit aller einzelnen Jahrhunderte beteiligt. Im Besondern aber vollzog sich der Prozess unter den verschie­ densten Bedingungen. Bald finden wir ein systematisches oder gar reflektierendes Vorgehen Einzelner, bald ein Aneignen des­ sen, was das Gesamtleben entgegenbrachte. Dem begrifflichen Inhalt nach ist man zuerst durchaus abhängig von Fremdem, dann arbeitet sich das Eigne heraus, ohne doch zu voller Reife zu kommen ; wiederum dringt in veränderter Lage Fremdes ein, bis endlich die deutsche Philosophie ihre ganze Selbständigkeit gewinnt und an die Spitze des geistigen Lebens tritt. Eine bunte Fülle der Gestaltung breitet sich demnach unserm Blick aus, scheinbar regellos und doch im engsten Zusammen­ hange mit der Geschichte deutschen Lebens und deutschen Geis­ tes, durch sie zu einem gewissen Ganzen verbunden. Nicht nur die Eigenart, sondern auch die Geschicke und Wandlungen uns­ res Volkes spiegeln sich in der Terminologie. Da außerdem na­ türlich manches Andere eine sorgfältigere Beschäftigung mit ihr nahelegt, so ist es merkwürdig genug, dass dieser Gegenstand verhältnismäßig so wenig Interesse gefunden hat. Sollte nicht hier eine Aufgabe für deutsche Akademien liegen ? Oder scheint uns nur die griechische Philosophie einer technisch wissenschaft­ lichen Behandlung wert ? Unsere Untersuchung beschränkt sich auch hier auf rohe Umrisse. Für das Wenige, was wir boten, suchten wir zunächst durch Betrachtung einzelner hervorragender Autoren gewisse |

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Anhaltspunkte zu gewinnen, im Weitern mussten wir zu den Ge­ samtwerken über deutsche Sprache unsere Zuflucht nehmen.A In der ältern Zeit bleibt die Terminologie ihrem begrifflichen Gehalt nach von überkommenen Systemen, namentlich von aRISTOTELES und den Neuplatonikern, abhängig, umso mehr Interesse bietet die sprachliche Seite.  – Der erste Schriftstel­ ler, dem sich unsere Betrachtung zuzuwenden hat, ist NOTKER († 1022). Namentlich die Bearbeitung der beiden pseudoaristo­ telischen Schriften κατηγορίαι und περὶ ἑρμηνείας (natürlich im Anschluss an BOETHIUS) sowie die Übersetzung der Schrift De consolatione philosophiae machen ihn uns in hohem Grade wichtigB . Bei der Lösung dieser Aufgabe entstand die Notwen­ digkeit, eine ganze Fülle eigentlicher Kunstausdrücke in eine da­ für noch gar nicht entwickelte Sprache umzusetzen. Gegenüber den daraus erwachsenden Schwierigkeiten hat NOTKER Bewun­ derungswürdiges geleistet. Mit Geschick sind einmal Ausdrü­ cke der Volkssprache zur Vermittlung des Fremden herangezo­ gen ; wo eigne Bildungen zu unternehmen waren, ist das Fremde möglich[ st ] getreu in der deutschen Sprache wiedergegeben (z. B. individuus – unspaltig), und wenn dabei zunächst die Bieg­ samkeit dieser zur Empfindung kommt, so verdient [ verdienen ] auch Umsicht und Takt des Autors volle Anerkennung. Nur sel­ ten fehlt ihm ein genau entsprechender Ausdruck, dann muss entweder ein allgemeinerer Begriff oder eine Umschreibung aus­ helfen, schlimmstenfalls wird das Fremdwort unverändert beibe­ halten. In dem Allen zeigt sich eine nicht geringe philosophische Arbeit, wie auch gelegentlich die Erläuterungen einen selbständig A  Neben den größern Arbeiten verdanken wir namentlich dem Werke Weigands vieles [ Friedrich Ludwig Karl Weigand : Wörterbuch der Deut­ schen Synonymen, 3 Bde., Mainz 1840 – 1843 ; ders. : Deutsches Wörterbuch (…), 3 in 2 Bänden, Gießen 1857 – 1871 ]. B  Ob alles hier Vorliegende von Notker selbst herrühre oder nur unter seiner Leitung verfasst sei, lassen wir als für uns nebensächlich beiseite ; die Terminologie dürfte, als an einzelnen Stellen sich verschieden darstellend, eher für das Letztere sprechen. [ Zu Notkers terminologischer Überset­ zungsleistung im Einzelnen vgl. u.a. Jürgen Jaehrling : Die philosophische Terminologie Notkers des Deutschen in seiner Übersetzung der Aristoteli­ schen Kategorien, Berlin 1969. ] [ G.S. ]



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denkenden Mann verraten. Es dürfte ihm daher auch in der Ge­ schichte der deutschen Philosophie wohl ein Platz zukommen, und wenn sein sprachliches Unternehmen auch ohne weitere Fol­ gen geblieben ist, so gebührt demselben für sich eine sorgfälti­ gere Untersuchung. Wir beschränken uns darauf, die deutschen Ausdrücke einzelner wichtiger Termini mitzuteilen.A | Wir finden z. B. accidens = mitewist, 39 aeternus = ewig, affirmatio = festenunga, causa = machunga, ding (in anderm Zusam­ menhang auch meinunga), comprehendere = ervaren, begrifen, confusus = verworren, confusio = ununderskeit, conscientia = gewizeda, continuus = zesamin, zesamine habig, contrarius = widerwartig, convertere = umbewenden, converti = umbegan, differentia = skidunga, discretum = underskeiden, essentia = wist, finis = ende, fons = urspring, forma = pild, imaginabilis = piledig, impossibile = unmahtlich, individuus = unspaltig, infinitus = unentilich, intelligere = vernemen, liberum arbitrium = selbwaltigi, 40 selbwalo (Adjektiv selbwaltig), libertas voluntatis = willewaltigi, machina = rustunga, materia = zimber (Notker, De consolatione philoso­ phiaeB daz scaffelosa zimber), mens = muot, motus = waga, wehsal, fart, motus localis = statewehsal, mundus = werlt, mundana machina = daz werlt zimber, necessarius = nothaft, notmachig, necessitas = not, notegunga, negatio = lougen, perpetuus = werig, perturbatus = irresam, possibile = mahtlich, principium = anegenge, privatio = darba, proprius = eigenhaft, qualis = wiolich, qualitas = wiolichi, rationalis = redehaft, relatio = gegensiht, ratio = reda,C sin, sensibilis = gesihtig, sinnig, singularis = sunderig, subjectum = daz undere, substantia = wist, ding, substantia sensibilis = sinnig A 

ten.

Im Wesentlichen halten wir uns dabei an die oben angeführten Schrif­

B  [ Notker : Althochdeutsche, dem Anfange des 1. Jahrhunderts angehö­ rige Übersetzung und Erläuterung der von Boethius verfassten fünf Bücher De Consolatione Philosophiae, zum ersten Male hg. v. Eberhard Gottlieb Graff, Berlin 1837 ( 002) ], S. 135. C  reda entspricht genau dem griechischen λόγος. S. [ Notker : Althoch­ deutsche (…) Übersetzung und Erläuterung der aristotelischen Abhandlun­ gen Kategoriai und Peri ermeneias, hg. v. Eberhard Gottlieb ] Graff, [ Berlin 1837 (000) ], S. 25 : »logos pezeichenit apud Graecos pediu : rationem ioh ora­ tionem. Also ouh tuot reda in diutiscun.«

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ding, substantia insensibilis = sinnelos ding, universalis = samenhaftig (auch allelih, gemeinlih), universalitas = samenthafti, tempus et locus = zit unde stat (auch die Ausdrücke für Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft entsprechen schon den unsrigen), convenientes necessariaeque causae = zuoleitende unde not machige dinge. Ferner seien erwähnt Bildungen wie ewigheit, saligheit, wizentheit ; sowie anascouunga, fliht (= Fürsorge, Aufgabe, Gebot), merheit – minnirheit, pildunga (z. B. muotes pildungaA ), rihtig, sein, scinbare, vernumenstig (= vernünftig), vernunft. Als Beispiel der Umschreibung diene Notker (De cons. phil.), B wo causas, ordinem, formas verdolmetscht werden ziu iz si, wio iz si, wiolich iz si ; actu – potestate vertritt Kateg. 128 in tate – ez mag aber werden. Nicht nachzukommen vermag NOT­ KER bei der Scheidung der Erkenntnisstufen : sensus, imaginatio, ratio, intelligentia, sensus wird durch uzero sin ausgedrückt, das andere | aber unter innero sin befasst,C und nun heißt es weiter : der innero sin, der imaginatio heizet –, der sin der ratio heizet –, daz ouga dero intelligentiae. Von dem Fremden ist aufgenommen Natur und natürlich (s. z. B. Kateg. 76 naturaliter = naturlicho). NOTKERs Werk erhielt weder allgemeineren Einfluss noch aufnehmende Fortführung ; mehreres aber, was hier gewagt war, um rasch wieder zu verschwinden, ist später neu eingetreten und unter günstigern Verhältnissen durchgedrungen. Auch sonst ge­ hen manche der später üblichen Ausdrücke bis ins Althochdeut­ sche zurück. So z. B. AnsichtD, 41 Eigenschaft E , Forschung, Gemüt (gimuati bei OTFRIED = Lust, Freude), Gesellschaft, Gewissheit, ordnen, Ordnung, Sicht, Stetigkeit, Verstand, Weisheit (z. B. bei OTFRIED) u. A. Nicht jedes davon ist uns durch das Mittelhoch­ deutsche überkommen. [ Notker : De consolatione philosophiae, hg. v. Graff ] S. 267. [ Ebd., S. 213 ]. C  Wir müssen uns dabei natürlich die weitere Bedeutung von Sinn in der alten Sprache gegenwärtig halten. D Auch anasihtig, aus dem Mhd. wird wohl ansihtic, aber nicht ansiht aufgeführt. E  [ Eigenschaft : Einfügung entsprechend Euckens Verzeichnis von Cor­ rigenda zur EA ]. A  B 



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Ein allgemeineres Streben nach Verdeutschung eines umfas­ senden Gedankenkreises ging von der Mystik aus.42 Für uns hat dieselbe freilich nur insoweit Bedeutung, als sie sich mit einer eigentlich philosophischen Weltbegreifung verbindet, und das ist, soviel wir sehen können, nur bei Meister ECKHART der Fall. Das scholastische Begriffssystem, namentlich in der Fassung des THOMAS VON AQUINO, dient als Ausgangspunkt, aber dadurch, dass die in jenem nur den Abschluss bildende Mystik nunmehr zur Hauptsache wird, findet eine Verschiebung des Ganzen statt und erhält alles Aufgenommene eine innere Umwandlung.43 Die mystischen Grundgedanken aber berühren sich hier zum ersten Mal mit einem frischen und lebendig aufstrebenden Volkstum und einer solchen Sprache. Empfangen dadurch sie selber Kräf­ tigung und Veranschaulichung, so wirken sie vergeistigend und vertiefend auf die Form zurück. Eine Einwärtswendung des Aus­ drucks geht vor sich, manches, was wir der deutschen Sprache als Naturgabe zuschreiben möchten, verdankt sie jenen Männern, vor allem ECKHART. Wie sich seine Persönlichkeit in ihrer Ho­ heit, Innigkeit und Macht auch in der Sprache bezeugt, wie ge­ waltig er das Vorhandene bewegt, um es zum Ausdruck seiner Geisteswelt zu bilden, wie selbständig und kühn er auch mit Neu­ schöpfungen vorangeht, das verdiente in der Tat eindringende | Untersuchung.44 Aber freilich müsste vor allem äußerlich der Bo­ den für eine solche gesichert sein. Wie weit nämlich das unter eCKHARTs Namen uns jetzt Vorliegende in Wahrheit von ihm stammt, ist schwer auszumachen ;A bis aber darüber einige Ge­ wissheit erworben ist, darf an Gesamtuntersuchungen nicht ge­ dacht werden. Unterstützend und vorbereitend kann freilich die Erwägung der Terminologie auch jener Echtheitsfrage manches A  An keiner Stelle empfinden wir mehr die Berechtigung des neuerdings von Denifle erhobenen Tadels, dass die Forschung auf dem Gebiete der deut­ schen Mystik Darstellungen liefere ohne genügende monographisch-kriti­ sche Vorarbeiten, dass sie das Allgemeine behandle vor dem Besondern. [ Das Buch von geistlicher Armuth, bisher bekannt als Johann Taulers Nach­ folgung des armen Lebens Christi, hg. v. Heinrich Seuse Denifle, München 1877 (000) ], S. IX.

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nützen.A Für unsere Aufgabe bringt es keine Gefahr, die ECK­ HARTs Namen tragenden Schriften unter jener Verwahrung als ein Ganzes zu behandeln. ECKHARTs Darstellung ist besonders ausgezeichnet durch die Kraft, mit der er den Gehalt des Inneren gegenständlich zu machen versteht. Die Gedanken und Empfindungen lösen sich gleichsam ab von ihrem Grunde, erhalten eine Seele einge­ haucht und stehen lebend und handelnd uns vor Augen. Die auf einen objektiven Gehalt gerichtete geistige Anspannung erfüllt so ganz das Bewusstsein, dass für eine vernünftelnde Reflexion gar kein Platz bleibt ; indem also alles naiv ergriffen wird, kann es sich auch nach außen treu spiegeln. Und in dieser ganzen Tä­ tigkeit behauptet neben allem Schaffen der Phantasie das Den­ ken seine Selbständigkeit, ja seine Obmacht. Der Begriff wird nicht vom Bilde erdrückt, er ringt sich durch, greift ein und zeigt seine Stärke. So wird eine wirkliche Umgestaltung des Alten, eine fruchtbare Neubildung eigentlicher Termini möglich. Dass Denken und Phantasie durchweg zur richtigen Harmonie gelangt sind, wollen wir damit nicht behaupten, unzweifelhaft aber ent­ sprang wesentlich ihrer beider Zusammenwirken das Große, was tatsächlich vorliegt. Nunmehr einen flüchtigen Blick auf das Einzelne richtend, zählen wir zunächst verschiedene Bildungen auf, die sich hier zeigen.B | Bekannt und hervorragend sind die vielen Ausdrücke auf -heit, von ihnen mögen Erwähnung finden : abegescheidenheit, alwaltecheit, anderheit, demüetikeit, einekeit, einvaltekeit, enpfindlicheit, ewikeit, friheit, gegenwürtekeit, geistekeit, geschaffenheit, gewordenheit (ungewordenheit), gelicheit, gotheit, grozheit, gruntlosekeit, herzelicheit, inwendikeit, klarheit, hoA  In den vorliegenden Schriften finden sich nicht wenige, zuweilen recht auffallende Differenzen der Terminologie. B  Eine nähere Untersuchung, wie viel Eckhart davon selbst geschaffen, wie viel er andern Mystikern entlehnt, sei hier bei Seite gelassen ; schon we­ gen jener Zweifel gegen verschiedenes unter seinem Namen Überlieferte ist es nicht leicht, hier zu einem abschließenden Urteil zu kommen. Unsere Angaben beziehen sich auf die Schriften, wie sie von Pfeiffer herausgegeben sind.



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heit, ingeartekeit, innekeit, inwendikeit, ledikeit, liplicheit, luterkeit, manicvaltekeit, menschheit, mügelicheit, (süne der vernünftekeit : mügelicheit und würklicheit),A mugentheit, natiurlicheit, nichtheit, obenheit, schouwelicheit, selbesheit, sinnelicheit, sunderlicheit, unbegrifelicheit, underscheidenheit, ursprunglicheit (auch ursprunclich tritt hier auf), vermügentheit, vernünftekeit, verstendikeit (oder verstantnüsse, nicht aber Verstand), verworrenheit, vollekommenheit, volmehtekeit, warheit (alt), weltlicheit, weselicheit (oft weselich), wesentheit, würklicheit (= ἐνέργεια, z. B. würklicheit siner krefte 519, 17), zitlicheit.45 Ferner seien angeführt : abegründic (= unendlich, was ECKHART nicht hat), angeborn, begirde (übrigens allgemeingeläufiger Ausdruck), begrif und begrifunge (geistig = Inbegriff, Umfang), bezeichenunge, bild (= forma, species), bildung, eigenlich, eigenminne, eigentuom, einung, enpfindig, erschinen (142, 27), fürsatz, gefüelen und enpfinden (553, 30 ; 554, 31 : daz enpfinden des gemüetes), gruntlos, hindernüsse, inbilden (und uzbilden), inbildung, indruc (ingetrucket bilde 109, 14), influz (und uzfluz), innewendig (und uzwendig), insweben, inswebung, inwürkung (354, 10), irrung, miteliden (gemeinsames Leiden), neigung, sachen (= verursachen), schöpfung, sihtic (unsihtic), umbegriff (Umfang), unmitelich (unmittelbar), unsinn, unvernunft, unwesen (wie überhaupt viele Bildungen mit -un), ursache (was älter ist), widersatzung (Gegensatz), widerwertic (entgegengesetzt), würkung, zuonemen (= Fortschritt), geist an ime selber (73,5 ; 520,10), lust und urdruz (Unlust), underscheit und zweiunge. Am wichtigsten ist für uns natürlich die Übertragung streng technischer Ausdrücke. Auch hier waltet das Streben nach möglichst genauer Wiedergabe. So hat er z. B. abgezogenez bild (65,15)46 , fürwurf  47, gegenwurf, widerwurf für Objekt (underwurf = Subject, das bei andern Mystikern vorkommt, kann ich bei | ECKHART nicht nachweisen, dagegen hat er daz undere und sonstige Ausdrücke), widerwerfung (580,18 = Objektivirung), A  [ Deutsche Mystiker des vierzehnten Jahrhunderts, hg. v. Franz Pfeif­ fer, Bd.  2 : Meister Eckhart, Leipzig 1857 (002) ], S. 110, Z. 36. [ Die folgenden Seiten- und Zeilenangaben zu den Zitaten aus dieser Ausgabe finden sich im Fließtext. ]

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stende (auch selbstende) wesen = Substanzen, A vorgende bilde = Ideen, zuoval = accidens (auch zuovellic), 48 lidende – vermügende vernunft, würkendez – schouwendez leben, inneblibendez – uzfliezendez werc (immanens – transiens), 49 istekeit = essentia, istic = essentialis, ›diu nature übertritet niht‹ (124, 4). In seiner ganzen Kraft und seinem Reichtum zeigt sich ECK­ HART, wo es sich darum handelt, den eignen leitenden Gedanken einen annähernden Ausdruck zu verschaffen. So in der Lehre von Gott. Gott ist ihm ein einvaltic instan, ein insitzen in sich selber, gruntlose substancie, ungruntliche wesentheit, gruntlose abgründe. Er ist in allen Dingen weselich, würkelich, gewalteclich (oὐσίᾳ, ἐνεργείᾳ, δυνάμει). Den Gegensatz des Immanenten und Transzendenten drückt Ε. aus durch inswebend – überswebend, inwesend – überwesend, inwonend – überwonend ; ferner hat er überswenkic, überswenklich (s. z. B. 583,12 »überswenklichez lieht des inneblibenden wortes«). Die Bedeutung des Ganzen für die geschichtliche Entwick­ lung leuchtet ein. Hüten wir uns nur, aus der Übereinstimmung der Worte stets auf Gleichheit der Bedeutung zu schließen. Man­ ches ist später mehr oder weniger verschoben,B bei anderm ist der ­u rsprünglich spezifische Gehalt einem farbloseren gewichen, C namentlich oft aber ist die bildliche Beziehung zurückgetreten.D So sehr ECKHART auf eine deutsche Redeweise bedacht ist, so hat er doch nicht pedantisch das Fremde ferngehalten, vielmehr es oft durch deutsche Endung, Beugung und Zusammensetzung assimiliert.50 Wir finden z. B. bei ihm creature, einformec, einforA S. [ Deutsche Mystiker des vierzehnten Jahrhunderts (…), hg. v. F. Pfeif­ fer, Bd.  2 : Meister Eckhart, ] S. 327, wo sich manche wichtige Übertragungen finden. B  Z. B. hat Eigenschaft bei Eckhart alle drei im Mittelalter üblichen Be­ deutungen : Besitz, Eigentümlichkeit, Unfreiheit, nicht aber die neuere ; Sache gilt oft so viel als Ursache (S. 508, Z. 10 gesachete sachen) ; miteliden heißt gemeinsames Leiden (S. 442, Z. 16, 18 ; S. 443, Z. 26). C  So z. B. bei wirklich, Wirklichkeit, Einwirkung. D  S. z. B. bei Eindruck, Einfluss, überflüssig (überflüzzeclich). Die Bilder entlehnt übrigens Eckhart einmal mit den Neuplatonikern gern den ver­ schiedenen Verhältnissen des Leuchtens und Strahlens ; dann aber auch – und das ist charakteristisch für ihn – dem Quellen, Ausfließen u. s. w.



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mekeit, elemente, form, formelich, formelos, formieren (auch formen), fundieren, glorificieren, grat, materie, materjelich (auch | unmaterjelich, s. z. B. 634,18 unmaterjelichiu substancie), materjelicheit, nature, natiurlich, übernatiurlich, natiurlicheit, ungenaturte natur und genaturte natur (537,29), person, personlich, personlicheit, 51 pfundment (auch fundament), properheit, purheit, sermon, simpelheit, subtil, subtilen (als Verbum), transformieren, visionen, zirkel. Leicht verändert sind consciencie, glorie, penitencie, substancie ; in fremder Form stehen : jubilus, memoria, relatio, sinderesis. Nicht selten finden sich deutsche und fremde Ausdrücke neben­ einander, z. B. samwizzekeit, samwizzelicheit, consciencie ; memoria, gehügnisse, enthaltendiu kraft. Überhaupt besitzt oft ein Be­ griff verschiedene Bezeichnungen, die allerdings bisweilen einer Nuancierung des Gedankens entsprechen. So dient dem Begriff des Zweckes bald ende, bald warumbe, bald zil, endlich auch meinung (was aber Absicht nähersteht). Wenn freilich in einzelnen Abschnitten sonst ungebräuchliche Ausdrücke sich häufen, so wird man sich des Verdachtes einer Unterschiebung nicht wohl erwehren können. Die andern Mystiker anlangend, bringen wir nur aus dem Buch von geistlicher Armut einiges vor. Hier findet sich : erbarmherzikeit, ganzheit, gelazzenheit (was sehr oft bei NIKOLAUS VON BASEL vorkommt), gestaltnisse, heimlicheit (was auch sonst nicht selten, aber meist weniger tief verwandt wird), irdensch (was schon DAVID VON AUGSBURG hatte), notdurft und notdürftic als fester Ausdruck für notwendig und Notwendigkeit, teilhaftic, teilhaftekeit (auch bei HERMANN VON FRITZLAR), unvermittelt, widerwertic = entgegengesetzt, A zwifelhaftic, gesetzde der naturen (144,2, Gegensatz gesetzde der heilgen kirchen ; 143,16 natiurlich gesetzede), die frien geiste (193,2, im tadelnden Sinn). Für Zweck steht zil und warumb (nicht ende), für Absicht meinung ; auch hier findet sich sachen und subtilen (168,25). A S. [ Das Buch von geistlicher Armuth (…), ] Ausg. von [ Heinrich Seuse ] Denifle, [ München 1877 (000) ], S. 48, Z. 29 : »zit und ewikeit sint widerwertig.« S. 93, Z. 29 : »got und creature sint widerwertig.« [ Die folgenden Seiten- und Zeilenangaben zu den Zitaten aus dieser Ausgabe finden sich im Fließtext. ]

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Wenn die Mystik in ihren Ausläufern uns wenig Hervorragen­ des bietet, so wird dafür im allgemeinen Leben das Verlangen nach deutschem Ausdruck immer mächtiger. Mag die Philoso­ phie zunächst sehr zurückstehen, es bildet sich doch manches, was später auch für sie Wert erhalten sollte. So können bis ins 15. Jahrhundert zurückverfolgt werden : Einheit (was aber | erst im 18. Jahrhundert durchgedrungen ist, bis dahin behauptete Einigkeit [ = unitas ] das Feld, wie z. B. noch bei LEIBNIZ), genau (untechnisch), Parteiung und parteiisch, Reizung, Selbständigkeit, Veränderung (sich verändern ist mhd.), Vermögen (daz vermügen), Widersinn (= entgegengesetzter Sinn), Widerspruch (in der Bedeutung von Widerruf ). Weit erheblicher sind aus bekannten Gründen die Leistungen des 16. Jahrhunderts. Zunächst gereichte die einzigartige Tätig­ keit LUTHERs natürlich auch unserm Gebiet zu Nutzen, indes­ sen ist es sowohl innerlich fast unmöglich, das philosophisch Wichtige auszusondern, als die Unübersehbarkeit des Stoffes eine Zusammenfassung erschwert. Nur einiges Wenige sei also angemerkt, wobei wir uns vornehmlich auf das leider noch nicht vollendete Wörterbuch zu LUTHERs deutschen Schriften von DIETZ stützen.A Neu oder doch neu aufgenommen erscheint z. B. : sich auswickeln (aber in eigentlicher Bedeutung), Bedingung, B Bildnis, Empfindung, folgern,C Folgerei (= Konsequenzmacherei),

A  [ Philipp Dietz : Wörterbuch zu Dr. Martin Luthers deutschen Schrif­ ten, Bd.  1, Leipzig 1870 (001) ]. [ Vom Wörterbuch zu Dr. Martin Luthers Deutschen Schriften von Philipp Dietz sind 1870 bis 1872 nur die ersten bei­ den Folgen erschienen. Es findet aber seit 1993 seine Fortsetzung im Wör­ terbuch zu Martin Luthers Deutschen Schriften. Wortmonographien zum Lutherwortschatz (kurz Lutherwörterbuch) von Renate und Gustav Beber­ meyer. ] [ K.Z.-W. ] B  Als älteste Stelle für dieses Wort führt Dietz an : A. Bodenstein appel­ lation bl. 5 b (1520) [ Appellation Andreas Bodenstein vo(n) Carolstad(t) zu dem allerheyligisten gemeyne(n) Co(n)cilio, Wittenberg (1520[  ? ]) (001) ]. C  S. eine bei Grimm zitierte Stelle. Alsdann verschwindet das Wort aber ganz wieder, Stieler hat es z. B. nicht, erst Steinbach (1734) führt es wieder an. [ Christoph Ernst Steinbachs Vollständiges deutsches Wörterbuch Vel Lexi­ con Germanico-Latinum, Bd.  1, Breslau 1734 (001), S. 481 ].



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Freiwille, freiwillig (Willkür kommt schon im 12. Jahrhundert vor). In neuen oder schärfer gefassten Bedeutungen treten ein : Begriff (gewöhnlich wie vorher = Inbegriff, doch an einer Stelle sich dem spätern Sinn annähernd)A, erfolgen (kausal), Folge (in kausaler Bedeutung als Gegensatz zu Grund), Gelegenheit (im Sinne von opportunitas)52 , Gewissen (nicht bloß = Kenntnis, Bewusstsein, sondern auch im engern ethischen Sinn), Pflicht (= rechtliche Verbundenheit)53. Manches, was sich vordem seltener fand, ist von hier aus weiten Kreisen zugeführt, z. B. deutlich (diutecliche hat schon ULR . VON LICHTENST.), Ende (= Zweck), Erfahrung, B Erscheinung (aber natürlich nicht in dem neuern tech­ nischen Sinn), Fühlen (auch das Fühlen), C Fürsatz, Gegenwurf, genau, Mangel (was mhd. selten ist)54 . An sonstigen Αusdrücken seien | noch erwähnt : angeboren (= durch Geburt mitgetheilt), eingeboren, eingenaturt, genaturt. A priori übersetzt LUTHER ›von vornen her‹D, a posteriori ›von dem was hernach folget‹ ; die Scho­ lastiker nennt er öfter ›Sophisten‹. Nicht selten sind wir fast erstaunt, Ableitungen und Formen nicht anzutreffen, die uns ganz naheliegend scheinen. So fin­ det sich bewusst und sich bewusst sein, nicht aber Bewusstsein, Fühlen, aber nicht Gefühl, 55 gesinnet, aber nicht Gesinnung, Beweisung, aber nicht Beweis (was nach GRIMM übrigens schon im 16. Jahrhundert entsprungen sein dürfte). – Bisweilen ist auch A  S. Dietz [  : Wörterbuch zu Dr. Martin Luthers deutschen Schriften (001), Bd.  1, S. 233b ] u. d. W. [ L emma ] : »ich will die gantze Freundschafft setzen nach meiner Idea oder Begriff.« (1543). [ Der Terminus Inbegriff, den Eucken bis zu Eckhart zurückverfolgt, hat eine erheblich komplexere Se­ mantik und verzweigtere Geschichte bis hin zu Kant, als dies aus Euckens Terminologiegeschichte ersichtlich wird ; er ist auch besonders schwer zu übersetzen. ] [ G.S. ] B  Erfahrenheit (oberdeutsch) hat Luther nicht. C Dietz [  : Wörterbuch (…) (001), Bd.  1, S. 726a ] bemerkt dazu : »Mhd. auf Mitteldeutschland beschränkt. – So geläufig das Wort auch jetzt in der Schriftsprache ist, so sah sich doch der 1523 zu Basel erschienene Nachdruck von Luthers Uebersetzung des neuen Testaments genöthigt, dasselbe als ein unbekanntes durch empfinden zu erklären.« D  [ Dr. Martin Luthers ] Tischreden [ (oder Colloquia […], hg. u. erläu­ tert von K. E. ] Förstemann [ u nd H. E. Bindseil, Abtl. 1 – 4 , Leipzig/Berlin 1844 – 1848 (002) ], Bd.  4 , S. 399.

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der Ausdruck in ganz andere begriffliche Beziehung gebracht, als später geläufig wurde, so z. B. Gegenstand = ordo adversarius. Dem Manne, der auf seinem Gebiet wohl mit LUTHER vergli­ chen ist, PARACELSUS, fehlte es nicht an gewaltigem Streben und kühnem Wagen. Jene Grundrichtungen, die Welt in ein innerlich lebendiges Ganze zu verwandeln sowie Makrokosmus und Mi­ krokosmus auseinander zu begreifen, mussten mit den Begriffen auch die Termini umwandeln. Vornehmlich vollzieht sich eine Ausstrahlung über das eng Menschliche hinaus ; der Mensch, als Mikrokosmus einen ›Auszug‹ des Ganzen darstellend, muss in seinem Wesen von dem großen Leben der Welt her verstanden werden. Indem aber das Geistige sich über das Universum aus­ breitet, nimmt es eine mehr naturhafte Färbung an, ein sinnlich Derbes macht sich geltend, und es bildet sich ein Monismus, in welchem spekulative Mystik und anschauungsdürstender Natu­ ralismus unausgeglichen nebeneinander wirken. Das Streben geht nun dahin, den neuen Lehren auch neue Worte entsprechen zu lassen, um also den Grund der Dinge zur Erscheinung zu bringen ;A ja ein gewisses System der Terminolo­ gie ist entworfen, in dem Bedeutendes mit Absonderlichem ver­ schmilzt und der Form nach manches Abenteuerliche und Zwit­ terhafte gewagt ist. Eine allgemeine Anregung mag das Ganze gebracht haben, in dem Spezifischen hat es nur auf begrenzte | Kreise Einfluss gewonnen.B – Was die einzelnen Bildungen anbe­ langt, so war PARACELSUS zu sonderartig, um in die allgemeine Bewegung erheblich einzugreifen, zu wenig geklärt, um Reifes und Beharrendes zu schaffen, zu unstet, um nur sich selber in dem Unternommenen treu zu bleiben. Selbst da, wo sein Denken in den Begriffen wesentlich fortschreitet, ist es ihm nicht gelun­ gen, das Neue in einem prägnanten Terminus zu befestigen. Der A  S. die schon oben angeführte Stelle [ Paracelsus : Die andre Defension ; vgl. S. *81, Fn.] : »Mir ist auch begegnet, dass ich den Krankheiten neue No­ mina gebe, die niemand erkenne noch verstehe. Warumb ich nicht bleib bei den alten Nominibus ? Wie kann ich die alten Nomina brauchen, dieweil sie nicht gehen aus dem Grund, aus dem die Krankheit entspringt.« B Z.  Β. haben Weigel und Böhme viel von der spezifischen Terminologie des Paracelsus aufgenommen.



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Begriff der Entwicklung z. B. wird bei ihm zuerst ein naturphi­ losophischer und macht geradezu einen Eckstein seines Systems aus, aber eine durchgehende Bezeichnung suchen wir vergebens. Demnach ist über das Einzelne wenig zu berichten. Am be­ merkenswertesten dürfte sein, dass PARACELSUS den Termi­ nus Erfahrung (Erfahrung, Erfahrenheit, das gebräuchlichste, Erfahrnuss, auch Experienz)A zu spezifisch wissenschaftlicher Verwendung bringt. Die Ausdrücke Verstand und Vernunft scheiden sich also, dass jener, als dem mittelalterlichen intellectus entsprechend, übergeordnet wird.B Ort steht hier im neuern A  Die Ausdrücke bezeichnen sowohl die Gesamtheit des Gegebenen als Objekt des Erkennens wie die Tätigkeit des Erkennens selber, s. z. B. [ Para­ celsus : Zehender Theil der Bücher und Schrifften des Edlen, Hochgelehr­ ten und Bewehrten Philosophi und Medici, Philipp Theophrasti Bombast von Hohenheim, Paracelsi genannt (Philosophische Schriften, Bd.  3), hg. v. Johannes Huser, Basel 1591 (002), S. 120 ; Eucken zitiert eine andere Aufl. ] (Ausg. von Huser), [ nach Eucken : ] II, 380 : Erforschung der Erfahrenheit ; [ nach der von Eucken zitierten Aufl./Ausg. ] ΙΙΙ, 78: Weg der Erfahrenheit [ belegt in Heinrich Adolph Preu (Hg.) : Das System der Medicin des Theo­ phrastus Paracelsus aus dessen Schriften gezogen (…), Berlin 1838 (002), S. 47 ] [ G.S. ]. – Auch die Zweideutigkeit ist schon hier vorhanden, dass die Ausdrücke die wissenschaftliche Tätigkeit des Geistes bald umfassen, bald ausschließen. S. z. B. Labyr. medicοrum cp. 6 : »Das Experimentum ad for­ tem geht ohne Scientia : aber Experientia, mit der Gewissheit, wohin zu gebrauchen, mit der Scientia. Dann Scientia ist die Mutter der Experientz und ihn die Scientia ist nichts da.« [ »Das Experimentum gehet ad fortem ohn Scientia, aber experientia mit der gewißheit wo zu gebrauchen mit der Scientia. Denn Scientia ist die Mutter der experientz, und ohn die Scientia ist nichts da.« Drey Bücher durch den Hochgelehrten Herrn Theophrastum von Hohenheim, Paracelsum genannt (…). Das ander [ Buch ] von dem Irr­ gang und Labyrinth der Ärzte, Köln 1564 (002), S. 91 ] – Dagegen Comment. in aphorism. Hippocratis : »Also ist die Arzney im Anfang gestanden, das[ s ] kein theorica gewesen ist, allein ein Erfa[h]renheit.« [ Paracelsus : Aphoris­ morum aliquot Hippocratis genuinus sensus et vera interpretatio (…), in : ders. : Sämtliche Werke, hg. v. Karl Sudhoff, München/Berlin 1931, Abtlg. 1, Bd.  4 (012), S. 497 (Deutsche Kommentare Hohenheims zu den Aphorismen des Hippokrates) ]. [ Zu Erfahrung vgl. auch Eucken : GG, 61920, GW, Bd.  4 , S. 81 ff., S. 114, Fn. 2 ] [ G.S. ] B  S. z. B. [ Paracelsus ], II, 67 : »Der Verstand ist ein[ e ] wissentliche Ver­ nunft, ist vollbracht.« [ Paracelsus : Achter Theil der Bücher und Schrifften des Edlen Hochgelehrten Philippi Theophrasti Bombast von Hohenheim

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Sinn ;A ferner erscheinen Auszug (= Extrakt), erfolgen (kausal wie bei LUTHER), notwendig. Gegenwurf ist ganz üblicher Terminus. Endlich möge noch der Welt Weisheit angeführt werden. Gelangte also PARACELSUS in der eignen Sprache nicht zu glücklichem Schaffen, so hat er beträchtlicher durch Aufnahme und Einbürgerung fremder Ausdrücke gewirkt. Im Besondern seien aufgezählt : Argument 56 , Centrum, Criterium, Doctrinen, Experiment, Fantasey57, Massa, mechanisch (mechanisch schreiben), B | Mikrokosmus, Praktick und Theorick (praktisch – theorisch), 58 Proba, Process, Sophist, Speculation, Speculierung (speculieren kommt schon mhd. vor), Substanz, quinta essentia (Fünft-Wesen), noli me tangere.C Nicht vorbeigehen dürfen wir an den dem 16. Jahrhundert an­ gehörigen beiden ältesten Kompendien der Logik in deutscher Sprache, über welche eine lehrreiche Abhandlung PRANTLs vor­ liegt.D Das eine dieser Kompendien (1533 erschienen) hat einen süddeutschen Juristen, FUCHSPERGER, das andere (1576) einen mitteldeutschen Theologen, BÜTNER, zum Verfasser. PRANTL gibt nach einer Charakteristik beider Werke eine Zusammen­ Paracelsi, Basel 1590 (001), S. 172 (»Allein zum Verstand soll es [ das Kind ] gezogen werden die Vernunft hat es selbst der Verstand ist ein wissentliche Vernunft vollbracht.«) Eucken zitiert hier eine andere Ausg. ; vgl. hingegen ders. : »Paracelsus’ Lehren von der Entwickelung« (1880), in : ders. : Beiträge zur Geschichte der neuern Philosophie, vornehmlich der deutschen, Heidel­ berg 1886, S. 32 – 53 (neu in : GW Bd.  2, Beiträge […], S. 22 – 38). Dort nimmt Eucken Bezug auf die erste Paracelsus-Ausgabe von Huser, erschienen 1589 ff., und gibt (S. 24) für das vorliegende Zitat die oben ermittelte Fund­ stelle an, nämlich Paracelsus/Huser VIII, 172 ]. [ G.S. ] A  Im Mittelalter bedeutet es gewöhnlich den ›äußersten Punkt nach Raum und Zeit‹. Freilich gilt es bisweilen auch so viel wie Platz, Stelle, aber technisch (im Gegensatz zu Zeit) tritt es wohl erst im 16. Jahrhundert auf. B  [ Mechanisch schreiben  : Paracelsus ] II, 330 [ B eleg nach Eucken ; nicht bestätigt , G.S.]. C  Im Allgemeinen mag hier bemerkt sein, dass wir weit mehr Fremd­ wörter unmittelbar aus der Scholastik – nicht durch das Französische hin­ durch – entlehnt haben, als oft angenommen wird. D  [ C arl v. Prantl : Ueber die zwei ältesten Compendien der Logik in deut­ scher Sprache ], München 1856 [ 002 ]. (Aus den Abhandlungen der K. Bayer. Akad. d. W. I. Cl. VIII. Bd. I. Abt.).



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stellung ihrer Terminologie und fügt zur Vergleichung nicht nur die entsprechenden Ausdrücke NOTKERs hinzu, sondern auch diejenigen der deutschen Rhetoriken, welche seit den letzten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts im Interesse der juristischen Praxis zahlreich verfasst wurden.A Es zeigt sich dabei, dass zwi­ schen NOTKER und den neuen Versuchen gar keine Verbindung besteht, was freilich zu erwarten war ; FUCHSPERGER hängt eng mit den Rhetoriken zusammen, BÜTNER dagegen nicht.B Eben bei solcher Lage hat die Feststellung des Gemeinsamen und des Abweichenden ein gewisses Interesse. Alle vier haben : gemein = communis. NOTKER, die Rhetoriken und FUCHSPERGER : widerwertig = contrarius, bezeichnen = significare. Die Rhetoriken, FUCHSPERGER und BÜTNER : circumstantiae = Umbständ, compositio = Zusammensetzung, definitio = Beschreibung, impossibile = unmöglich (NOTKER unmahtlich), qualitas = Eigenschaft, quantitas = Größe. FUCHSPERGER und die Rhetoriken : accidens = zufellig Aygenschafft, argumentum = Anzug, causa efficiens = würcklich Ursach, causa finalis = entlich Ursach, causa formalis = förmlich Ursach, causa materialis = materlich Ursach, convertere = umbkeren, conversio = umbkerung, effectus = Volge, exemplum = Beispiel, finitio = Beschreibung, substantia = aigenlich Wesen. FUCHSPERGER und BÜTNER : necessarius = nothwendig. Die Rhe­ toriken haben für sich : inductio = Erfahrung. | BÜTNER übersetzt locus Ort und Statt, ubi Statt, RaumC und Ort, subjectum Grundwort.D An rezipierten Fremdwörtern hat FUCHSPERGER z. B. probieren, bÜTNER Maximen. [ Ebd. ,] S. 19 ff. [ Ortholph Fuchsberger (Fuchsperger) : Ware Dialectica, 1533 ; Wolfgang Büt(t)ner : Dialectica deutsch, 11574, Eucken gibt an 1576. ] [ G.S. ] C Mhd. bedeutet rum zunächst ›leerer, ausgedehnter Raum‹. [ E s ist aber auch schon ab dem frühen 13. Jh. für die Angabe einer örtlich fest be­ schränkten Stelle in Verwendung. ] [ K.Z.-W. ] D  Neben den angeführten Ausdrücken finden sich manche andere, na­ mentlich bei Bütner, der wenig Festigkeit im Sprachgebrauch hat. Uns ge­ nügte es, Einzelnes herauszuheben, im Weitern darf auf Prantl [ Ueber die zwei ältesten Compendien der Logik in deutscher Sprache (…) (002) ] verwie­ sen werden. A  B 

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Die von PARACELSUS anhebende Bewegung findet eine ge­ wisse Fortsetzung bei V. WEIGeL und BÖHME ; auch die Termi­ nologie lässt den Zusammenhang deutlich erkennen.59 WEIGEL hat wenig Neues. Innere Erfahrung (Erfahrenheit) tritt hier ein, Pflicht findet sich in philosophischer Verwendung, neben Zeit und Statt erscheint Zeit und Ort, einmal habe ich auch Raum in ähnlichem Sinn beachtet. Weit bedeutender ist JAKOB BÖHme. Die Sinnigkeit und Inner­ lichkeit der Mystik verbindet er mit einem kräftigern Erfassen der Natur, einem gewaltigern Ringen mit dem Irrationalen und Erdhaften der Welt. Alles Erlebte und Empfundene soll bei ihm zur sichtlichen Darstellung, zur treuen Abspiegelung gelangen, und so wird der Kampf mit dem widerstrebenden Stoffe mutig aufgenommen. Bei aller Unbehilflichkeit sind doch die innern Vorgänge wunderbar gezeichnet. Die vorhandenen Ausdrücke sind durch die Beziehung auf die letzten Triebkräfte oft vertieft, auch die Fremdwörter nimmt er nicht auf, ohne sie sich in sei­ ner Weise anzueignen, was denn bei seiner Unkenntnis der ety­ mologischen Bedeutung oft zu merkwürdiger Entstellung führt.A Vor allem aber treibt die lebendige und keineswegs immer ins Gestaltlose sich verirrende Phantasie manches wertvolle Neue hervor. Hier zuerst habe ich Zweck in philosophischer Verwendung gefunden,B ebenso hier zuerst Auswicklung und sich auswickeln, durchaus entsprechend unserm Entwicklung.C Sodann treffen wir Es sei dafür nur an qualitas erinnert. [ Jakob Böhme : ] Von der Menschwerdung [ Jesu ] Christi […], [ A ms­ terdam 1660 (002), S. 93 ; Eucken führt an ] I, S. 5, Z. 11. Gewöhnlich findet sich Ende oder Ziel. [ Zweck bei J. Böhme (Von der Menschwerdung Jesu Christi) fehlt im einschlägigen Artikel in HWPh ; auch die anderen Be­ griffsbelege aus Böhme fehlen in HWPh. Zur sprachlichen Vorgeschichte des Zweckbegriffs in der Mystik vgl. auch Fritz Mauthner : Wörterbuch der Philosophie. Neue Beiträge zu einer Kritik der Sprache, 2 Bde., 1910/11 (006) ; Bd.  2, Art. »Zweck«, auch unter Rekurs auf Eucken. Zu Zweck vgl. auch Eu­ cken zu finis bei Thomas von Aquin in : Lalande : Vocabulaire (2010), S. 352 ] [ G.S. ] C  Die wichtigsten Stellen dafür enthält das 8. Kapitel der Schrift Von der A 

B S.



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hier an : Begriff (bisweilen = Vorstellung im neuern Sinn), Begreiflichkeit, Einheit (oft), Gewissen (vorwiegend im ethischen Sinn), Lebenskraft, selbständig, A Umstände (= species = qualitäten), Unendlichkeit, Ungrund, Vielheit, Widerwertigkeit (= Gegensatz) ; ferner manche | Zusammensetzungen, wie Naturrecht, Natursprache, Vernunftschlüsse, Wohltun, Wohlwollen. Nament­ lich ringt BÖHME nach einem Ausdruck für den Begriff des Bewusstseins und Selbstbewusstseins, der innerhalb seiner Weltan­ schauung eine zentrale Stellung hat.B An fremden Ausdrücken seien endlich bemerkt : theosophisch, historischer Glaube, qualifizieren. Die Hemmungen und Rückschläge, welche die Ausbildung der deutschen Sprache alsdann erlitt, namentlich die auch hier verheerende Wirkung des 30jährigen Krieges, sind zur Genüge bekannt. Ebenso sind es die patriotischen Bestrebungen gelehr­ ter Kreise, dem Verfall entgegenzuarbeiten und Neues aufzu­ bauen. Aber Inhalt und Erfolg dieser Bestrebungen wird oft un­ terschätzt. Die reflektierende Tätigkeit jener Forscher ist leicht abfällig zu beurteilen, wenn man sie mit der Innigkeit und Bild­ kraft eines ECKHART oder mit dem ursprünglichen und über­ quellenden Schaffensdrang des 16. Jahrhunderts vergleicht. Nun bleibt der Tätigkeit natürlich die Unmittelbarkeit des Produzie­ rens versagt, mit einem selbständigen Gedankengehalt fehlt auch die innere Notwendigkeit der Form, eine mehr abstrakte Art der Gestaltung lässt sich nicht verkennen, aber innerhalb der durch solche allgemeine Lage gesetzten Schranken ist recht Tüchtiges geleistet und der Sprache viel Bleibendes zugeführt. Gnadenwahl [ z . B. Kap. 8, 8 ]. [ Zur Geschichte von Entwicklung vgl. Eucken GG 61920, in : GW, Bd.  4 , S. 206 ff. ] [ G.S. ] A  [ H ier geringfügige Änderungen und Zusätze entsprechend Euckens Corrigenda zur EA. ] B  So z. B. [ B öhme : ] Von Christi Testamente[ n ] [ A msterdam 1682 (001), S. 10 ], I, 1, 4 : »Alle Anfänge gehen aus dem Ewigen Einen durch das Aushau­ chen des Ewigen Einen, dadurch sich das Ewige Eine in eine Selbst-Beschau­ lichkeit, Empfindlichkeit und Findligkeit zu seinem selbst-bewegen und formen einführet.« [Lt. Hegel (G.d.Ph. III) bei Böhme Selbheit und Ichheit] [ G.S. ]

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Die einzelnen Schritte können wir hier nicht verfolgen, wohl aber mag es gestattet sein, aus dem Werke STIELERs, welches die Ergebnisse der Bewegung einigermaßen zusammenfasst, ­etliches aufzuführen.A Bei STIELER findet sich u. a. : ableiten, augenscheinlich (ougenschinlich übrigens schon bei TSCHUDI), Beschaffenheit (= qualitas), Beziehung, Deutlichkeit, Einteilung, entwickeln, Fertigkeit, das Gefüle, Gegensatz (nicht technisch lo­ gisch), B Gegenstand (= objectum, wie WEIGAND vermutet, ein in der Fruchtbringenden Gesellschaft aufgekommenes Gebilde), Gemeinwesen, Gemütsbewegungen, Gemütskräfte, Genauigkeit (aber noch im Sinne von Sparsamkeit), Kunstwort (= terminus | technologicus), Lehrsatz, Leidenschaft,C Mitleiden, 60 Schluss (übertragen, aber nicht streng fixiert), schließlich, Schlusssatz (conclusio), selbständig (wie auch bei SCHOTTELIUS zunächst als grammatischer Terminus), D schlechtweg, Sinnbild, Stoff (St. der stoff, SCHOTTELIUS das stoff ), E Urbild, Urwesen (zunächst = Element, dann auch Natur), Undersatz (= basis), Unlust (aber nicht in scharfem Gegensatz zu Lust), Vernunftschluss (argumentatio), verursachen, vorstellen und Vorstellung (aber noch nicht in der spätern psychologischen Bedeutung), wahrscheinlich, WahrA S. [ K aspar von ] Stieler  : Der deutschen Sprache Stammbaum [ u nd Fortwachs (…), Nürnberg 1691 (001) ]. [ Zu den von Eucken konsultierten und zitierten deutschen Wörterbüchern (Stieler, Adelung, Campe, Grimm etc.) vgl. Ulrike Hass-Zumkehr : Deutsche Wörterbücher. Brennpunkte von Sprach- und Kulturgeschichte, Berlin 2001. ] [ G.S. ] B  [ Stieler : Der deutschen Sprache Stammbaum (…), S. 2041 ] : »Anderer (Satz) sive Gegensatz exceptio. Klägers Gegensatz replica, Beklagtens ande­ rer Gegensatz duplica.« C  Stieler bemerkt dazu [ ebd., S. 1136 ] : »novum vocabulum quod exponi­ tur Passio, affectus. […] Sed Leidenschaften medicis sunt passiones quae in corpore fiunt praeter naturam.« D  Adjectivum = selbständiges Beiwort, Substantiv bei Schottelius = selbst­ ständiges Nennwort. E  Das Wort ist seinem Ursprunge nach durch das von Friedrich Chris­ tian Diez : Etymologisches Wörterbuch [ der romanischen Sprachen, Bd.  1, Bonn 31869 (002) ], S. 397 [ recte : S. 399 ] Bemerkte noch nicht ganz aufgehellt. Zunächst bedeutet es Zeug, Zeugstoff, und setzt sich erst allmählich in der weitern Bedeutung durch. Leibniz und wohl auch Wolff haben noch das her­ kömmliche Materie.



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scheinlichkeit, Wortschluss (= syllogismus) ; ferner Bildursache (causa formalis), Endursache (causa finalis), Stoffursache (causa materialis), Wirkursache (causa efficiens). – Dies Wenige mag zei­ gen, dass die Bemühungen jener Männer Erhebliches gefördert haben, ihre Tätigkeit hat den Aufschwung des 18. Jahrhunderts wesentlich vorbereitet. Dass jene Bestrebungen die volle Sympathie LEIBNIZens hat­ ten, ergibt sich, wie aus sonstigen Belegen, so namentlich aus seinen Unvorgreiflichen Gedanken.A Die hier entwickelten An­ sichten über Wesen und Eigentümlichkeit deutscher Sprache be­ kunden neben patriotischer Wärme das Streben nach einer vollen Durchdringung des Gegenstandes, seine Vorschläge zur Abhilfe der Missstände verdienen noch heute Beachtung. Wichtiger für uns ist freilich, dass er selber in mehreren kleinen Schriften die deutsche Sprache mit bestem Erfolge verwandt hat. Namentlich einzelne den ethischen und religiösen Fragen gewidmete Ab­ handlungen besitzen einen eigenartigen Reiz. Zwei Strömungen treffen hier auch in dem Ausdruck zusammen und verschmelzen zu einem ansprechenden Ganzen. Die Klarheit und Feinheit be­ grifflicher Erörterung wird hier von einer Wärme und Innigkeit der Empfindung getragen, welche viele dem Mann kaum | zu­ trauen möchten. Das Gemüt ist vom Gedanken aufs Tiefste er­ griffen und möchte sich mit zur Erscheinung bringen, ohne doch den Begriff fortreißen zu wollen. In den einzelnen Ausdrücken schließt LEIBNIZ sich eng an die Ergebnisse der reformatorischen Tätigkeit jener Zeit an, es ließe sich eine Menge neugeschaffener Wörter aufzählen, die bei ihm Verwendung finden. Doch sich damit zu befassen, ist Sache einer LEIBNIZ speziell zugewandten Betrachtung, für uns hat es mehr Interesse, bei dem zu verweilen, was er von sich hinzugetan zu A  [ L eibniz : ] Unvorgreifliche Gedanken betreffend die Ausübung und Verbesserung der deutschen Sprache (1697 verfasst). Die Abhandlung ist neuerdings von Schmarsow herausgegeben, der dabei den engen Zusam­ menhang Leibnizens mit Schottelius aufgedeckt hat [ August Schmarsow : Leibniz und Schottelius. Die unvorgreiflichen Gedanken, untersucht u. hg. v. August Schmarsow, Straßburg/London 1877 ].

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haben scheint. Es findet sich hier u. a. : Beweisformen, Endzweck (neben Zweck und Hauptzweck, die auch STIELER anführt), Gesicht-Punkt, Schaupunkt (point de vue) [ s. oben, S. *100, Fn. ], Grundbeweis (demonstratio), Schlussfolge, Schlussformen, Selbststand, Selbstwesen (Substanz), Verhaltung (= proportio, während Verhältnis erst bei WOLFF eintritt) ; Naturell wird hier eingebür­ gert, ebenso Idee in dem neuern Sinn. Anderes, was ältern Ur­ sprungs, aber noch nicht durchgedrungen war, gelangt von hier zur Geltung, so z. B. Umstand  61 (welches Wort STIELER nicht an­ führt). Manches ist technisch (namentlich durch feste Entgegen­ setzung) geschärft, so z. B. Geschlecht und Unterschied, Lust und Unlust, 62 Vernunft- und Erfahrungsgründe ; Urteil findet sich auch in spezifisch logischer Verwendung. Endlich seien noch einige Übertragungen lateinischer Kunstausdrücke angeführt : definitio – Begränzung, derivatio – Abführung, effectus – Auswurf, Logik  – Vernunftkunst oder Denkkunst, Ontologie  – Wesenlehre. Mit so großer Wärme CH . THOMASIUS A den Gebrauch der Muttersprache für die wissenschaftliche Arbeit verfocht, so wollte er doch nicht erkünstelte deutsche Ausdrücke durchset­ zen, B ja er hat durch gehäufte Einfügung von Fremdwörtern in die eigne Darstellung einen recht bunten Mischmasch hervor­ gebracht. Er selbst ist in seiner Art zu wenig klar und geschlos­ sen, als dass er Erhebliches hätte schaffen und behaupten kön­ nen. Eine gewisse Frische und Lebhaftigkeit der Darstellung ist unverkennbar ; wo aber das Technische in Frage kommt, zeigt er sich der Auf | gabe nicht gewachsen. So verwendet er wenig feste Termini, und wo er es gar unternimmt, eine zusammenhängende Gruppe von Begriffen im Deutschen wiederzugeben, wie z. B. in A  Christian Weises logische Schriften waren uns leider nicht zugänglich. [ Weise : Doctrina Logica, Zittau 1681, Leipzig 1704 (002) ; ders. : Curieuse Fra­ gen über die Logica, Leipzig 1696 (001) ] [ G.S. ] B S. [ C hristian Thomasius : ] Vorrede zur Einleitung in die Vernunftlehre [ Einleitung zu der Vernunft-Lehre, Halle 1699 (001) ], S. [ 15- ]16. Ausdrücke wie selbständiges Wesen, Gegenstand, Stoff eines Dinges technisch zu verwen­ den erklärt er für zulässig, Anderes wird als übertrieben abgelehnt ; s. auch S. 41 der Einleitung selber.



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der Erkenntnislehre und Psychologie, bleiben die Ausdrücke in einem unleidlichen Schwanken. So haben wir im Einzelnen nicht viel über ihn zu berichten. Als hier vorhanden mögen zunächst verschiedene Zusammen­ setzungen angeführt werden : Einbildungskraft, Gemüths-Neigungen, Weltweisheit (als gebräuchlicher der Gottesgelahrtheit entgegenstehender Terminus ; STIELER hat Weltweisheitkunde = Philosophie). Ferner erscheint Absicht (vereinzelt neben dem häu­ figern Absehen), Motive, gesunde Vernunft. Anthropologia bedeu­ tet bei ihm ›Lehre vom menschlichen Körper‹. Bisweilen stehen ältere und neue Form nebeneinander ; so wird accidentia sowohl durch Zufälle wie durch Beschaffenheiten übersetzt. Dem von THOMASIUS zu WOLFF sich Wendenden wird das Verdienst des letztern in bester Beleuchtung erscheinen. Hier erst gewinnen die Ergebnisse des 17. Jahrhunderts volle Verwer­ tung für die Philosophie und wird das Unternommene kräftig weitergeführt. Das Werk wird nunmehr nicht in einem unge­ stümen Drang gewagt, an dieser oder jener Stelle begonnen und endlich halbfertig gelassen, sondern ruhig schreitet das Ganze in systematischem Ausbau vorwärts, das Einzelne wird an eine bestimmte Stelle gebracht, schließt sich an das andere an, und so stützt sich das Viele gegenseitig.63 Von einem eigentlich großen Schaffen kann freilich nicht die Rede sein. Eine durchdringende spekulative Weltgestaltung, eine geistige Anschauung des Ganzen mangelt, die Begriffe verfallen daher einer abstrakten Fassung, die Termini können das Künstli­ che nicht vermeiden. Namentlich brechen alle die scholastischen Triebe, welche in dem LEIBNIZISCHEN System, wenn auch nicht überwunden, so doch zurückgehalten waren, frei hervor, um nun das Feld einzunehmen. Die alte Lust zum Distinguieren erwacht wieder und erzeugt überwuchernde Bildungen. Aber bei dem Allen hat WOLFF viel Treffliches geleistet. Ge­ sunder Verstand und Geschicklichkeit erweisen sich überall, die Ausdrücke haben etwas Einfaches und Fassliches, das in der Sprache Vorliegende ist umsichtig verwandt und taktvoll fort­ gebildet. Einzelnes von WOLFF Geschaffene hat sich so bald und so weit eingelebt, dass es uns gar nicht als Ergebnis eines | un­

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serer Zeit so nahe liegenden reflektierenden Nachdenkens erscheint.A Im Allgemeinen wird man sagen dürfen, dass uns an tho­ maSIUS und WOLFF die zwiefache Gefahr entgegentritt, welche die deutsche Art bedroht : Formlosigkeit auf der einen, Pedan­ terie auf der andern Seite. Sich an keine Form zu binden, das scheint Sache der Freiheit und ursprünglichen Kraft ; treibt nun die Notwendigkeit der Dinge zu fester Bildung, so muss dieselbe nachträglich gewonnen werden, sie wird zum Inhalt wie hinzu­ gesucht. Ein Künstliches, Schulmäßiges, Einengendes lässt sich dann nicht wohl vermeiden ; leicht gilt daher die Gestaltung als ein bloß von draußen Auferlegtes und widerwillig Ertrage­ nes. In beiden Fällen fehlt jene Verbindung der Form mit dem Wesen, welche dieselbe als eine Sache der Freiheit erscheinen lässt. Ehe wir uns WOLFFs deutscher Terminologie zuwenden, möge es gestattet sein, des von ihm an lateinischen Kunstausdrücken Geschaffenen zu gedenken, umso mehr, da es meist rasch in die deutsche Sprache übergegangen ist und von hier aus all­ gemeine Verbreitung gefunden hat.B Von WOLFF stammt MoA  Wolffs schriftstellerische Tätigkeit in deutscher Sprache ward zu An­ fang natürlich aufs Verschiedenartigste beurteilt. Die Gegner machten ihm bittere Vorwürfe deswegen ; s. z. B. [ Joachim ] Lange : Bescheidene und aus­ führliche Entdeckung [ der falschen und schädlichen Philosophie in dem Wolffianischen Systemate metaphysico (…), Halle 1724 (001) ], S. 10 : »Die Schreibart hat eine gedoppelte Hauptursache der Dunkelheit. Die eine ist diese, dass der Herr Auctor die Metaphysic, so sonst von den Gelehrten in lateinischer Sprache geschrieben worden, auch der so vielen lateinischen terminorum wegen nicht wohl verständlich in teutscher Sprache tractiret werden kann, nicht allein teutsch verfasset, sondern darinnen sogar auch alle lateinische terminos teutsch gegeben hat.« Andere priesen ihn deswe­ gen begeistert und wollten ihm die höchste Ehre erweisen, indem sie (wie z. B. Brucker) ihn mit Cicero in eine Linie stellten. [ Vgl. Wolfgang Walter Menzel : Vernakuläre Wissenschaft. Christian Wolffs Bedeutung für die He­ rausbildung und Durchsetzung des Deutschen als Wissenschaftssprache, Tübingen 1996. ] [ G.S. ] B  Die lateinische Terminologie Wolffs behandelt systematisch [ Friedrich Christian ] Baumeister : Philosophia definitiva [ Hoc est Definitiones philo­



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nist, A Teleologie, B auch genetische Definition kann ich nicht | wei­ ter zurückverfolgen. Manches Ältere ist ferner aufgenommen und durchgesetzt, wie das im 16. Jahrhundert entstandene Psychologie und psychologisch ;C viel LEIBNIZISCHES ist technisch fi­ xiert, z. B. der Gegensatz empiricus – rationalis (z. B. psychologia empirica – rationalis), sowie judicium discursivum – intuitivum ;D namentlich aber ist Spätscholastisches, das von der neuern Be­ wegung zurückgedrängt war, wieder erweckt. So z. B. Kosmologie (kosmologisch), Ontologie (ontologisch), E Technica oder Technologia ;F a priori und a posteriori wurden hier wieder geläufige sophicae ex systemate Wolffii in unum collectae ], 1735 [ Wittenberg 1733 ; 1739 (002) ]. A  Öfter findet sich folgendes Schema : Skeptiker – Dogmatiker Monisten – Dualisten Idealisten – Materialisten Egoisten – Pluralisten. [ Vgl. Eucken : GW, Bd.  4 , S. 188, Anm. ] B S. [ Wolff : ] Philos. rationalis sive logica cp. III, § 85 : »rerum naturalium duplices dari possunt rationes, quarum aliae petuntur a causa efficiente, aliae a fine. Quae a causa efficiente petuntur, in disciplinis hactenus defini­ tis expenduntur. Datur itaque praeter eas alia adhuc philosophiae naturalis pars, quae fines rerum explicat, nomine adhuc destituta, etsi amplissima sit et utilissima. Dici posset teleologia.« C  Wolff behandelt diese Ausdrücke geradezu als neue, s. z. B. Philosophia rationalis sive logica discurs. praelim. ΙΙΙ, § 58 : »pars philosophiae quae de anima agit Psychologia a me appellari solet.« [ Psyche war gem. Pfeifer im Deutschen frühestens im 17. Jh. gebräuchlich (fachsprachlich und gemein­ sprachlich im frühen 19. Jh.). Auch das DWDS und das DTA listen erste Belege erst ab 1610. Vgl. Wolfgang Pfeifer et al. : Etymologisches Wörterbuch des Deutschen (1993), digitalisierte und von Wolfgang Pfeifer überarbeitete Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache sowie DWDSWortverlaufskurve für Psyche, erstellt durch das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache (DWDS) ]. [ K.Z.-W. ] D  [ Wolff : ] Logica, § 51 : »istud judicium discursivum appellamus, quod per rationem elicitur. Posset quoque dici dianoëticum.« E  Für die Verwendung von Ontologie (oder Ontosophie) für Metaphysik war vordem [ Johann ] Clauberg eingetreten, s. Prol. zur Metaphysica de ente, quae rectius Ontosophia [ 1664 ]. F  S. [ Wolff : ] Logica Disc. prael., § 71 : »possibilis quoque est philosophia

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Termini.A Von sonstigen lateinischen Ausdrücken sei erwähnt : Doctrina de facultate cognoscendi (s. Wolff : Vorrede zur Psych. emp.) und ratio pura (im neuern Sinn).B Die Grundsätze, welche WOLFF bei der Gestaltung der deut­ schen Terminologie leiteten, hat er selber wiederholt entwi­ ckelt ;C eine Übersicht des tatsächlich Geleisteten lässt sich aus dem Werke MEISSNERs gewinnen.D Im Einzelnen sei Folgendes angemerkt. Hier zuerst erscheint Bewegungsgrund, Bewusstsein, Vorstellung als Übersetzung von Idee, Verhältnis (= proportio, im math. Lex. 1716), hier findet sich vor allem eine ausgebildete lo­ gische Terminologie, E die sich der Hauptsache nach trotz aller Bedenken von ZeitgenossenF durchgesetzt hat. | Manche Ausdrücke sind hier zuerst oder doch in veränderter Weise technisch verwandt. So erhält stetig (Stetigkeit) die Bedeu­ tung von continuus und sind namentlich manche psychologische Ausdrücke bestimmter fixiert, wenn auch WOLFF selber sich da­ bei nicht immer treu bleibt.G Auch die genauere Scheidung von artium, etsi hactenus neglecta. Eam Technicam auf [ recte : aut ] Technologiam appellare posses.« A  S. darüber nam. Psych. emp., § 434 f., 461. [Zu a priori s. o., S. 88, Fn. A]. B  [ Wolff : ] Psychologia emp. § 495 : »Ratio pura est, si in ratiocinando non admittimus nisi definitiones a priori cognitas«. C  S. z. B. [ Wolff : Ausführliche ] Nachricht von seinen eigenen Schriften[ , die er in deutscher Sprache herausgegeben, Frankfurt am Main 31757 (002), Cap. 2, S. 29 ff., ] § 17. D S. [ Heinrich Adam Meissner  : ] Philosophisches Lexicon, darinnen die Erklärungen und Beschreibungen aus Wolffens sämmtlichen teutschen Schriften sorgfältig zusammengetragen ff., [ Bayreuth/Hof ] 1737 [ 001 ] [ N D Düsseldorf 1970, Einleitung von Lutz Geldsetzer (Reihe Instrumenta Philo­ sophica. Series Lexica) ]. E Z. B. beim Schlusse  : Förderglied, Mittelglied, Hinterglied, Obersatz, Untersatz, Hintersatz ; s. das Register zu den Vernünftigen Gedanken von den Kräften menschlichen Verstandes. Definitio wird Erklärung, analysis Zergliederung, principium Quelle verdolmetscht. F  S. z. B. August Friedrich Müller : Einleitung in die philosophischen Wissenschaften, [ Bd.  1, Leipzig 1733 (001) ], S. 255. G  So entspricht z. B. Empfindung bald sensatio, bald perceptio, Begriff  be­ deutet bald Vorstellung überhaupt, bald Allgemeinvorstellung (Vorstellung von Arten und Geschlechtern).



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Synonymen gehört hierher. Am wichtigsten ist das Auseinander­ treten von Grund = ratio und Ursache = causa, A und von Kraft = vis und Vermögen = facultas oder potentia (im Anschluss an LEIBNIZISCHE Bestimmungen).B Endlich ist natürlich manches Vorhandene durch WOLFF zu weiterer Verbreitung gelangt. Vor­ nehmlich mag hier Absicht genannt werden, das in der ersten Hälfte vorigen Jahrhunderts Zweck fast verdrängte. Im Weitern verfolgen wir zunächst die Bewegung innerhalb der eigentlichen Schulphilosophie des 18. Jahrhunderts. Obenan stehen hier a. BAUMGARTEN, TETENS und LAMBERT, alle drei ha­ ben auf KAnT erheblich eingewirkt. Von BAUMGARTEN stammt Aesthetik für Lehre vom Schönen,C er verwendet Erscheinung im weitern technischen Sinn, D subjectiv und objectiv beginnen hier die neuere Bedeutung anzunehmen, E Absicht, Zweck und EndA  S. [ Wolff : ] Deutsche Metaphysik II, § 13 [ Wolff : Vernünfftige Gedan­ cken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen (…) (Deutsche Meta­ physik), Bd.  2 , Halle 1751 (013), S. 674 (Grund), 677 (Ursache) (das erste Re­ gister) ]. B S. [ Wolff : ] Deutsche Metaphysik II, § 67 [ Wolff unterscheidet technisch zwischen Geschlecht und Art, s. Vernünft. Gedank. von Gott, der Welt u.s.w. II, § 53 : »Ich erkläre demnach die Species oder Arten der Dinge per simili­ tudinem individuorum, oder durch die Aehnlichkeit der eintzelen Dinge ; die Genera oder Geschlechter hingegen per similitudinem specierum, oder durch die Aehnlichkeit der Arten der Dinge.« Hinzufügung entsprechend Euckens Corrigenda zur EA. ] [ G.S. ] C S. [ A lexander Gottlieb Baumgarten : ] Diss. d. nonnullis ad poema per­ tinentibus (1735), § 115 – 117, und das ausführliche Werk Aesthetica 1750–58. D  S. nam. [ Baumgarten : ] Deutsche Metaphysik § 307 : »Eine Erscheinung, das Wahrzunehmende (phaenomenon, observabile) ist dasjenige, was wir durch unsere Sinne (verworrener) erkennen können.« [ Baumgarten : Meta­ physica, editio VII, Halle 1779 (014), § 425, S. 137 f. (»observabilia [ das Wahr­ zunehmende ] [ phaenomenon ] dicimus, quae per sensus possumus cogno­ scere [ confusius ].« Die deutschen Entsprechungen werden im lateinischen Text angegeben. ] [ G.S. ] E  [ B aumgarten  : ] Deutsche Metaphysik, §  738, ›fides sacra objective sumta‹ bedeutet den ›Inhalt des heiligen Glaubens‹, ›fides sacra subjective sumta‹ den ›Beifall, den man dieser Offenbarung gibt‹. [ Ausg. Halle 1779 (014) § 993, S. 404 ]. Eben diese Unterscheidung spielt in dem Kampf von Les­ sing und Götze eine Rolle.

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zweck werden voneinander geschieden.A Auch der Ausdruck an und vor sich (betrachtet) mag Erwähnung finden. Im Latei­ nischen hat er gnoseologia = logica latiori significatu = scientia cognitionis in genere. LAMBERT hat namentlich der Erkenntnislehre Verschiedenes zugeführt. Er hat z. B. a priori auch im strengern Sinn einer | ab­ solut erfahrungsfreien Erkenntnis, B sorgfältig werden verschie­ dene Arten des Scheins auseinander gelegt und der Terminus des physischen oder realen Scheins abgesondert (Erscheinung verwendet er nicht in diesem Sinne).C Es steht damit in Zusam­ menhang, dass der Terminus des Dinges an sich angebahnt wird, A S. [ Baumgarten  : ] Metaphysica § 341 finis = Zweck, finis repraesentatio = intentio = Absicht. § 343 finis primus = scopus = Endzweck. [ Ausg. Halle 1779 §§ 341, 343, S. 105 f. ]. B S. [ Johann Heinrich Lambert : ] Neues Organon, Dianoiologie, 9, § 639 : »Wir wollen es demnach gelten lassen, dass man absolute und im strengsten Verstande nur das a priori heissen könne, wobey wir der Erfahrung voll­ ends nichts zu danken haben. […] Hingegen werden wir ohne Schwürigkeit im weitläufigsten Verstande alles das a priori nennen können, was wir kön­ nen voraus wissen, ohne es erst auf die Erfahrung ankommen zu lassen.« [ L ambert : Neues Organon oder Gedanken über die Erforschung und Be­ zeichnung des Wahren (…), Bd.  1, Leipzig 1764 (003), § 639 (Dianoiologie), S. 414 ]. C S. [ L ambert : ] Neues Organon, Phänomenologie (auch dieser Ausdruck ist beachtenswert), I [ recte : II ], § 20 : »Hingegen wird die erste Art, wo näm­ lich die Sache wirklich da ist, und den Eindruck in die Sinnen macht, am be­ quemsten der physische Schein genannt werden können, weil der Eindruck in der That physisch ist, und der Begriff, den die Empfindung veranlasst, die Sache nicht so fast wie sie an sich ist, sondern nur, wie wir sie empfin­ den, vorstellt.« [ Bd.  2 , Leipzig 1764 (003), S. 229 ] ; § 66 : »Obwohl demnach die ­a ngeführten Begriffe uns die Körper nur unter einem sinnlichen Bilde und dem Schein nach vorstellen, so ist dennoch dieser Schein real, so oft die Begriffe wirklich durch äusserliche Gegenstände erweckt werden, und daher nicht bloss subjectiv, sondern zugleich objectiv ist.« [ a . a. O., S. 256 ]  – Die ganze Phänomenologie ist für die Geschichte der Begriffe von hoher Bedeu­ tung, wie überhaupt auf Lambert in neuerer Zeit mit Recht die Aufmerksam­ keit gelenkt ist. [ Eucken hält die Verwendung des Terminus Phänomenologie bei Lambert für beachtenswert ; vgl. dazu u.a. Ernst Wolfgang Orth : »Der Terminus Phänomenologie bei Kant und Lambert und seine Verbindbarkeit mit Husserls Phänomenologiebegriff,« in : AfB 26/ 2 (1982), S. 231 – 249. ] [ G.S. ]



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ohne freilich zur Geschlossenheit und vollendeten Schärfe zu gelangen.A Weitaus am wichtigsten aber ist für uns TETENS. Denn ihm verdanken wir die systematische Durchbildung und Befesti­ gung der psychologischen Terminologie, auf den hier festgestell­ ten Grundlagen ist bis zur Gegenwart fortgebaut. Begrifflich ist ­T ETENS namentlich von den englischen Forschern, sowie von BONNET, abhängig, indessen beweist er in seinen Distinktio­ nen nicht selten Selbständigkeit des Denkens. Weitern Kreisen ist von ihm namentlich bekannt die Zusammenfassung eines großen Gebietes seelischer Erscheinungen unter dem Terminus Gefühl und die Absonderung des Gefühls als eines dritten See­ lenvermögens.B Aber nun verzweigen sich die Unterscheidun­ gen weiter. | Empfindung und Gefühl treten auseinander. Empfindung (s. I, 214) ist in dem gesamten Eindruck dasjenige, »was wir nicht sowohl für eine Beschaffenheit von uns selbst ansehen, als vielmehr für eine Abbildung eines Objekts, das wir dadurch zu empfinden glauben. – In so ferne ist auch die ganze Empfin­ dung etwas gleichgültiges ; sie ist keine Rührung ; sie hat nichts Angenehmes oder Unangenehmes an sich.« Gefühl dagegen ist (I,  215) etwas, »wovon ich weiter nichts weiss, als dass es eine Veränderung in mir selbst sey, und es nicht so wie jenes auf äus­ sere Gegenstände beziehe.« Empfindniss (das Wort ist von tHO­ MAS ABBT zur Übersetzung des englischen sentiment einge­ führt) umfasst als »angenehme und unangenehme Empfindung« (I, 205) beides. Beim Erkennen scheidet sich Denken und VorA S. [ L ambert : Neues Organon ], Phänomenologie, § 51 : »Sodann müs­ sen wir, so lange wir die Gründe zu Beur­t heilung dessen, was die Dinge an sich sind, noch nicht haben, fast nothwendig bey solchen Vergleichungen der Empfindungen und des Scheins anfangen«. [ Neues Organon, Bd.  2 (003), S. 246 f. ]. B S. [ Johann Nicolas Tetens : ] Philosophische Versuche über die mensch­ liche Natur und ihre Entwickelung, [ L eipzig 1777 (003) ], Bd.  1, S. 169 : »das Vermögen zu fühlen und zu empfinden, welches ich mit Einem Wort Gefühl nennen will.« S. 625 : »Auf diese Art zähle ich drey Grundvermögen der Seele : Das Gefühl, den Verstand und ihre Thätigkeitskraft.« [ Auf diesen Text/diese Ausg. beziehen sich die im Folgenden im Fließtext angeführten Seitenan­ gaben. ]

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stellen, A ferner der gemeine Verstand von der räsonierenden Vernunft ;B Idee erhält (im Anschluss an BONNET) einen engern Sinn, indem es Vorstellung mit Bewusstsein bedeutet (I, 96). Im Weitern ist bei TETENS die Einführung des Terminus Entwicklung in den allgemeinen Sprachgebrauch zu bemerken. Auch Entwicklungskraft, Entwicklungstrieb und andere Zusammensetzungen sind hier gebildet. Endlich bietet er manches an Ausdrücken, was un­ mittelbar darauf von kant aufgenommen, vertieft und verbreitet wurde.C Überhaupt ist es wünschenswert, dass der Zusammen­ hang seiner Begriffe und Termini mit den KANTISCHEN näher dargelegt werde. Neben solchen Bestrebungen der Fachmänner hat natürlich die allgemeine Bewegung manches hervorgebracht, was sich bald der Philosophie mitteilte. Im 18. Jahrhundert tauchen auf : Ausdruck64 , Bildung (auf den Geist übertragen), 65 Einheit, D sich ergeben (kausal), Ergebnis, 66 Folgerung, E Fortschritt,F Gesinnung, HinA  S. z. B. [ Tetens, ] Bd.  1, S. 607 : »Selbständig [ recte : selbstthätig ] Vorstel­ lungen bearbeiten, und thätig mit dem Gefühl auf diese bearbeiteten Vor­ stellungen zurückwirken, das ist und heisst Denken.« [ Tetens setzt den Satz in Anführungszeichen ]. B  [ Tetens ], Bd.  1, S. 571 : »Der gemeine Verstand arbeitet ohne Hülfe der Speculation ; die Vernunft speculirt aus Begriffen, die sie deutlich entwi­ ckelt.« C  So z. B. [ Tetens : ] Analogie der Erfahrungen (Bd.   1, S. 464), Notion [ Bd.  1, S. 135 u. ö. ] (was übrigens schon Leibniz in deutscher Darstellung ver­ wandte), Spontaneität [ Bd.  2 , S. 8 u. ö. ], Wirkungsgesetze [ Bd.  1, S. IV u. ö. ]. Das Appercipieren ist ihm (Bd.  1, S. 290) eine »neue hinzukommende Aktion der Seele«. D  Adelung : [ Versuch eines vollständigen grammatisch-kritischen Wör­ terbuches der hochdeutschen Mundart, Leipzig 1774 (002) ] bezeichnet das­ selbe als Wort der neuern Weltweisen [ Bd.  1, Sp. 1569 ], doch s. S. 122. [ Eucken zitiert eine andere als die hier angeführte Ausg. ]. E Auch folgern [ Ausg. 1774 (002), Bd.  1, Sp. 1775 ; von Eucken zit. Ausg. S. 123 ] gelangt nun erst zu allgemeiner Geltung. F  Fortgang hat schon Luther [ vgl. Philipp Dietz : Wörterbuch zu Dr. Mar­ tin Luthers deutschen Schriften, Bd.  1, Leipzig 1870 (001), mehrere Begriffs­ belege, etwa S. 694b ], Leibniz verwendet dasselbe neben Forttrieb [ Fortgang/ Forttrieb bei Leibniz : vgl. Leibniz’ deutsche Schriften, hg. v. Gottschalk ­Eduard Guhrauer, Bd.  1, Berlin 1838 (002), S. 266, S. 36 (Fort-Trieb). ] [ G.S. ]



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sicht (Rücksicht gehört schon dem 17. Jahrhundert | an), Mit­leid, A Nachsicht, nachsichtig, das Ohngefähr, Reiz, Tendenz (entlehnt), Tatsache, B Zustand. A S. [ Friedrich Ludwig Karl ] Weigand [  : Deutsches Wörterbuch, Gießen 1860 (002), Bd.  2, S. 174, Art. Mitleid ] : »Schmerzgefühl aus Theilnahme. Für diesen Begriff, im 18. Jahrhundert gebildet, in welchem das bei Stieler, Stein­ bach und Frisch fehlende Werk [ recte : Wort ] zuerst im J. 1777 von Adelung als ein eben nicht allgemeinübliches verzeichnet wird.« [ Adelung : Versuch (…), Bd.  3, Leipzig 1777, Sp. 534 ] [ Für Mitleiden hat Eucken selbst (S. 158) einen Beleg bei Stieler angeführt. Angesichts der diversen sprachlichen Ursprünge und einzelsprachlichen Bezeichnungen für dt. Mitleid (griech. eleos, oiktos, später auch sympateia, lat. commiseratio, compassio, misericordia, frz./engl. commiseration, compassion, pitié bzw. pity ; dies die im Art. Mitleid von L. Samson im HWPh, Bd.  5, angeführten verwandten Termini) verkürzt Eucken an dieser Stelle die Geschichte des Terminus. Im Übrigen ist für die zweite Hälfte des 18. Jh.s ein kräftiger Einfluss von Rousseaus Zen­ tralbegriff der pitié auch in Deutschland anzunehmen. ] [ G.S. ] [ zu Mitleid vgl. auch die Anmerkung von K.Z.-W. ] B  Thatsache erscheint z. B. bei Lessing und Herder. [ Vgl. Lessing : »Über das Wörtlein Thatsache«, in : ders. : Grammatisch-kritische Anmerkungen, in : Lessings Sämmtliche Schriften, hg. v. Karl Lachmann, Bd.  11, Berlin 1839 (005), S. 645 f.) ]. Es tritt hier freilich schon ganz sicher auf, indessen kann es nicht sehr weit zurückliegen, da noch Baumgarten an Stellen, wo seine Verwendung durchaus angezeigt scheint, es nicht hat (s. z. B. Deutsche Meta­ physik, § 738 : Sachen und Wahrheiten). Lambert und Tetens setzen, wo wir Tatsache sagen würden, Erfahrung (s. Lambert, N. Org., [ Bd.  1 ], S. 359 : wahre Erfahrungen und wirkliche Facta), Begebenheit u. a. Bei Herder findet sich neben Thatsache Thaterscheinung. [ Johann Gottfried Herder : Ideen zur Phi­ losophie der Geschichte der Menschheit, Riga/Leipzig 1784 (001), Theil  1, S. 173 (Thatsache) ; Theil 3 (1787), S. 213 (Thaterscheinungen der Geschichte) ]. Adelung bekämpft Thatsache [ Adelung : Versuch (…), Leipzig 1780 (002), Bd.  4 , Sp. 948 (Lemma Die Thatsache) ]. [ Die heute meist als Erstbeleg angeführte Fundstelle von T[h]atsache bei Spalding (vgl. W. Halbfass : Art. Tatsache (lat. factum, res facti ; engl. fact, matter of fact ; frz. fait ; ital. fatto ; in : HWPh, Bd.  10, Sp. 910) hat auch Eu­ cken bereits gefunden und 1888 angeführt (Eucken : »Zur philosophischen Terminologie. Ein Vorschlag und eine Aufforderung«, in : Archiv für Ge­ schichte der Philosophie, Bd.  1, H. 3 (1888), S. 309 – 313 ; hier : S. 312). In dem im HWPh erschienenen Artikel findet sich viel Belegmaterial, aus dem hervorgeht, dass man Factum, matter of fact, le fait etc. einbeziehen muss ; zu den einzelsprachlichen Entwicklungen und Variationen vgl. auch Art. Fait in Cassin : Vocabulaire, 2010, S. 441, sowie Isabelle Thomas-Fogiel : Art. Tatsache, Tathandlung, ebd., S. 1277 – 1283. Besonders zu beachten ist in der

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Im Ferneren kam der philosophischen Begriffssprache der all­ gemeine Aufschwung der deutschen Literatur zustatten. Freilich bekundet sich der Einfluss desselben vorläufig weniger in der Zuführung neuer Termini als in einer Inhalt und Form umfas­ senden Gesamtbewegung. In den Begriffen erweist sich mächtig die Richtung auf ein unmittelbar Fassliches, menschlich Wert­ volles, der ganze Kampfplatz wird erweitert, die Schulbegriffe wandeln sich in Weltbegriffe um. Dazu kommt die Sorge für eine geschmackvolle Form, für die Reinheit des Ausdruckes in der Muttersprache. Das sich fortschleppende Fremde wird als solches nicht länger geduldet, es muss sich anpassen oder untergehen. Leider kommen solche Einwirkungen bei dem Manne, der nach der Kraft seines Geistes am ehesten einen bestimmenden Ein­ fluss auf die deutsche Begriffssprache hätte gewinnen können, bei KANT, noch nicht zur Geltung. Er beharrt äußerlich bei der begriffsgeschichtlichen Rekonstruktion die rechtliche Bedeutung des Aus­ drucks. Der Begriff hat zudem auch einen theologiegeschichtlichen Hinter­ grund (vgl. Reinhart Staats : »Der theologiegeschichtliche Hintergrund des Begriffes Tatsache«, in : Zeitschrift für Theologie und Kirche 70/3 [ 1973 ], S. 316 – 345).  – In Rechnung zu stellen ist aber vor allem auch die philoso­ phisch-theoretische Vorbereitung des Begriffs durch Leibniz und im Rah­ men des Historischen Pyrrhonismus seit Beginn des 18. Jh.s. In diesem Kontext sind auch erste Begriffsbelege zu verzeichnen, etwa bei Leibniz und Fréret und später prominent bei Edward Gibbon, vgl. Robert Mankin : »In­ troduction« zu Edward Gibbon : Essai sur l’étude de la littérature. A critical edition, introduced and annotated by Robert Mankin, text prepared by Pa­ tricia Craddock, Oxford 2010, S. 1 – 75, hier : S. 49 – 55. – Viel beachtet und oft kommentiert wurde der Ausdruck Factum der Vernunft bei Kant, vgl. vor allem KpV, AA V, dazu u.a. Beatrix Himmelmann : Art. Factum der (reinen praktischen) Vernunft, in : Kant-Lexikon, hg. v. Marcus Willaschek/Jürgen Stolzenberg/Georg /Mohr/Stefano Bacin, 3 Bde., Berlin/Boston 2015, Bd.  1, S. 596 – 598. – Vgl. auch, zeitlich nah an Eucken, den ironischen Artikel Logik der Tatsachen, in : Fritz Mauthner : Wörterbuch der Philosophie. Neue Beiträge zu einer Kritik der Sprache, 2 Bde., 1910/11 (006) ; Bd.  2, Art. Logik der Tatsachen. Mauthner bezieht sich, neben seinen Ausführungen zur Ent­ stehung von Tatsache im 18. Jh., auf den Begriff Logik der Tatsachen bei Otto Liebmann : Analysis der Wirklichkeit, Straßburg 21880 (000) (1. Abschnitt, Die Logik der Thatsachen oder Causalität und Zeitfolge, S. 187 – 207). Dieses Werk erschien in erster Auflage 1876, also kurz vor Euckens Geschichte der philosophischen Terminologie. ] [ G.S. ]



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Art, welche der Schulphilosophie des 18. Jahrhunderts eigen ist. Eine gewisse Schulmäßigkeit und Unbeholfenheit lässt sich bei ihm nicht verkennen. Im Einzelnen hat LESSING aufs Erheblichste zur Klärung und Schärfung der Termini beigetragen. Das eindringende Licht sei­ nes Verstandes zerstört das Dunkle und Zweideutige, ein vollbe­ stimmter und umgrenzter Inhalt wird den Begriffen gesichert, der Begriff fest an den Ausdruck gekettet. Auch das Überkom­ mene erscheint als ein eben Entspringendes und ist daher dem Bewusstsein lebendig gegenwärtig. Aber die Tätigkeit bleibt auch hier vorwiegend eine kritisch reflektierende, viel Neues hat LES­ SING ebenso wenig in den Termini wie in den Begriffen | geschaf­ fen. Im Wesentlichen bleibt er hier unter dem Einfluss der LEIB­ NIZISCHEN Philosophie. HERDER besitzt weit mehr schöpferische Kraft, aber da er, wie TETENS richtig bemerkt, die Begriffe »mehr malt als logisch zeichnet«, A so erhalten die Ausdrücke über allgemeine Umrisse hinaus selten eine Bestimmtheit. Ein mächtiges Wirken im gro­ ßen Ganzen erstreckt aber seine Folgen auch auf unser Gebiet. Schematische Begriffe wandeln sich in inhaltvolle Anschauun­ gen um, das Ruhende wird bewegt, das Zerstreute verbunden. Natur und Geschichte reichen sich die Hand, um ein Universal­ leben zu bilden. Natürlich gewinnen infolgedessen manche Aus­ drücke eine veränderte Bedeutung. Manches bis dahin nur in lo­ gischem Sinne Übliche wird nun real genommen, Anderes wird zu universeller Geltung ausgedehnt. Es sei dafür nur an Termini wie Kultur, Entwicklung, genetisch, Fortschritt u. a. erinnert. Die Enge schulmäßiger Systematik ist hier vollständig durchbrochen. Bei JACOBI zeigt sich der Zwiespalt des Denkens und Empfin­ dens auch im Ausdruck. Seine Begriffe und Termini entspringen einer allgemeinen philosophischen Anschauung der Welt, aber dann wird ein spezifisch religiöser, ja christlicher Sinn in sie hin­ eingedeutelt.B Daher war es unvermeidlich, dass JACOBI oft über A  [ Tetens : Philosophische Versuche über die menschliche Natur (…), Bd.  1, S. 748 ]. B  So in Termini wie Glaube, Offenbarung.

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Missverständnisse zu klagen hat ; die erste Schuld daran liegt un­ zweifelhaft an ihm selber.A Werfen wir, ehe wir uns zu KANT wenden, einen Blick auf die deutsche Terminologie zurück, so dürfen wir zunächst als Er­ gebnis hinstellen, dass sämtliche Jahrhunderte das haben berei­ ten helfen, was nunmehr zuerst die weltgeschichtliche Bewegung führen sollte. Freilich wechseln dabei Zeiten mächtigen Fort­ schreitens und scheinbaren Stillstandes, ja Rückganges, Man­ ches, was gesichert schien, geht wieder verloren, vieles, was spä­ terhin unentbehrlich dünkte, erweist sich als ganz jung, dafür aber reicht auch nicht Weniges weiter zurück, als nach dem ers­ ten | Eindruck vermutet werden möchte. Wesentlich verschie­ dene geistige Strömungen folgten sich. Stand Jahrhunderte lang das bewusste Bilden unter platonisch-aristotelischem Ein­ fluss, so erwies sich später nicht weniger mächtig die Aufklä­ rungsphilosophie. So lassen sich verschiedene Schichten aufwei­ sen, ja ein gewisser Gegensatz zwischen Altem und Neuem ist unleugbar.B Die deutsche Terminologie ruht also nicht auf einer innerlich einheitlichen Weltauffassung ; wenn sich nun doch das Verschiedene nebeneinander behaupten soll, so muss eine gewisse Abschwächung des Spezifischen und Anschaulichen stattfinden. Die Hauptsache bleibt freilich immer, dass bis da­ hin kein allumfassendes System selbständiger Weltbegreifung in der deutschen Sprache niedergelegt war ; so war eine durch­ gehende konkrete Determination derselben für die philosophi­ schen Zwecke nicht wohl zu erwarten. Dies ändert sich nun mit KANT. Aber bei ihm wird unsere Betrachtung sich durch weitere Gesichtspunkte leiten lassen müssen als die sprachlichen, die be­ A  Übrigens soll nicht verkannt werden, dass Jacobi manche Begriffe und auch Termini angeregt hat, die später große Bedeutung erlangten. Also sei erwähnt der Ausdruck objective Vernunft, die häufige Verwendung von organisch im Sinne der neuern spekulativen Philosophie, s. [ Friedrich Hein­ rich Jacobi : David Hume über den Glauben oder Idealismus und Realismus, Breslau 1787 (002), ] S. 172 : »[ A lso, ] um die Möglichkeit eines οrganischen Wesens zu denken, wird es nothwendig sein, Dasjenige, was seine Einheit ausmacht, zuerst : das Ganze vor seinen Theilen zu denken.« B  Namentlich zeigt sich dies bei einer Vergleichung der deutschen psy­ chologischen Terminologie früherer und späterer Zeit.



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griffliche Seite der Terminologie muss nunmehr wieder in den Vordergrund treten.67 Auch auf unserm Gebiet unterscheiden sich bei KANT die beiden Abschnitte seines Denkens erheblich. Freilich zeigt sich schon in der ersten Periode ein Streben nach bestimmter Um­ grenzung und schärferem Auseinanderhalten der Termini, auch im Einzelnen ist Mehreres beachtenswert ;A das Ganze indessen erhebt sich nicht weit über die Leistungen der hervorragenden Wolffianer . Die Eigentümlichkeit und Größe des Mannes kommt [ kommen ] erst in der zweiten Periode zum Durchbruch. Vor allem kündigt sich eine prinzipielle Umwandlung schon in der veränderten Schätzung der Bedeutung an, die der Aus­ druck für die philosophische Aufgabe besitze. Im Sinne der Aufklärungsphilosophie der früheren Jahrhunderte lag es, die Differenzen im Kampf um die Wahrheit möglichst auf Streitig­ keiten um Worte zurückzuführen. Die eine Vernunft, von de­ ren Allmacht und Allgegenwart man überzeugt war, duldete keine realen Gegensätze. So ging das Streben LEIBNIZENS da­ hin, | durch Herausstellen des richtigen Sinnes die wesentliche Übereinstimmung aller großen Denker darzutun. Minder ein­ dringende Köpfe fassten dann die Sache oft recht äußerlich, bei ihnen konnte schließlich die ganze philosophische Arbeit als ein bloßes Wortgefecht erscheinen. Dagegen erhebt sich nun kant A  So z. B. [ bei Kant ] die technische Verwendung von Auswicklung und sich entwickeln (seltener Entwicklung und sich auswickeln), die schärfere Trennung des logischen und des Realgrundes (ΙΙ, 104) u. a. [ Im Falle von Euckens Referenzen auf Kants Werk wurde  – im Gegensatz zu dem Prin­ zip, nur solche historischen Ausgaben zu konsultieren, die Eucken benutzt hat oder hätte benutzen können – die digitalisierte Akademie-Ausgabe von Kants Werken für die Belege von Euckens Kant-Zitaten benutzt (016). E ­ ucken selbst referiert auf folgende Ausgabe : Immanuel Kants sämmtliche Werke, in chronologischer Reihenfolge, hg. v. Gustav Hartenstein, 8 Bde., Leipzig 1867 (oder frühere Aufl. dieser Ausg.). Hier : Auswickelung : AA I, S. 312 ; AA  II, S. 434, S. 435 ; AA V, S. 418, S. 423 ; AA VIII, S. 104 u. ö. ; sich entwickeln : AA I, S. 196, S. 292 ; AA IX, S. 496 ; logischer Grund/Realgrund : AA  II, S. 203 u. ö. Im Übrigen sei an dieser Stelle erneut verwiesen auf das Kant-Lexikon, hg. v. Marcus Willaschek, Jürgen Stolzenberg, Georg Mohr u. Stefano Bacin, 3 Bde., Berlin/Boston 2015. ] [ G.S. ]

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mit der ganzen Wucht seines Denkens und seiner Persönlichkeit, aufs Entschiedenste steht er zu der Überzeugung, dass es sich um reale Gegensätze handelt, die nimmermehr durch subtile Dis­ tinktionen beseitigt werden können.A Fehlte schon damit ein wichtiges Motiv, sich mit dem Aus­ druck der frühern Denker eingehend zu beschäftigen, so trat hinzu die allgemeine Geringschätzung und Vernachlässigung der Geschichte der Philosophie. Wie KanT meinte, dass Ver­ nunftlehrer gemeiniglich historisch unwissend seien (VIII, 45 = AA IX, S. 45), so hatte er auch für sich wenig Neigung, sich in ein eigentliches Studium der Vergangenheit einzulassen. Natürlich ist er trotzdem vom Geschichtlichen abhängig und hat an Be­ griffen und Ausdrücken sehr vieles von Andern entlehnt ; aber A  Es sei gestattet, dafür einige Belegstellen anzuführen. [ K ant ] IV, 466 (Hartenstein’sche Ausgabe) [ = AA VIII, S. 152 ] wendet er sich gegen Men­ delssohns Maxime, »alle Streitigkeiten der philosophischen Schulen für blosse Wortstreitigkeiten zu erklären, oder doch wenigstens ursprünglich von Wortstreitigkeiten herzuleiten. […] Ich bin hingegen einer ganz ent­ gegengesetzten Meinung, und behaupte, dass in  den [ fehlt in AA ] Dingen, worüber man, vornehmlich in der Philosophie, eine geraume Zeit hindurch gestritten hat, niemals eine Wortstreitigkeit zum Grunde gelegen habe, sondern immer eine wahrhafte Streitigkeit über Sachen.« Jenes Verfahren erschien ihm, als ob man »den Durchbruch des Oceans mit einem Stroh­ wisch stopfen wollte.« [ ebd. ]. V, 100/1 [ = AA V, S. 96 ] bemerkt er gegen die­ jenigen, welche da Freiheit annehmen, wo der bestimmende Naturgrund innerlich im wirkenden Wesen liegt : »ein elender Behelf, womit sich noch immer Einige hinhalten lassen, und so jenes schwere Problem mit einer klei­ nen Wortklauberei aufgelöst zu haben meinen, an dessen Auflösung Jahr­ tausende vergeblich gearbeitet haben, die daher wohl schwerlich so ganz auf der Oberfläche gefunden werden dürfte«. V, 117 [ = AA V, S. 111 f. ] heißt es in Hinsicht auf die Lehre der Stoiker und Epicureer vom höchsten Gut : »[ A llein, erg. nach AA  ] es war dem dialektischen Geiste ihrer Zeiten ange­ messen, was auch jetzt bisweilen subtile Köpfe verleitet, wesentliche und nie zu vereinigende Unterschiede in Principien dadurch aufzuheben, dass man sie in Wortstreit zu verwandeln sucht und so, dem Scheine nach, Einheit des Begriffs blos unter verschiedenen Benennungen erkünstelt, und dieses trifft gemeiniglich solche Fälle, wo die Vereinigung ungleichartiger Gründe so tief oder hoch liegt, oder eine so gänzliche Umänderung der sonst im philosophischen System angenommenen Lehren erfordern würde, dass man Scheu trägt, sich in den realen Unterschied tief einzulassen, und ihn lieber als Uneinigkeit in bloßen Formalien behandelt.«



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einmal nahm er erheblich nur von dem auf, was ihn unmittel­ bar berührte, also vor allem | von der WOLFFISCHEN Philosophie und WOLFFISCHEN Schule, A dann aber hat er das Überkommene zum guten Teil dem eignen Gedankenkreise angepasst und sich jedenfalls nicht in seiner Unabhängigkeit dadurch beeinträchti­ gen lassen. Und darin besteht eben der unvergleichliche Wert des hier Vorliegenden, dass in ihm eine durchaus ursprüngliche Bewe­ gung hervorbricht und ganz neue Kräfte dem geistigen Leben zuführt. Was aber im Ganzen erstrebt ist, das hat auch das Ein­ zelne ergriffen und umgewandelt. Jeder wichtige Punkt ist hier in neue Beleuchtung gerückt, alles wird neu geprüft und bestimmt, tief eingreifende und klar herausstellende Definitionen machen selbst das Uralte jetzt erst zu vollem Eigentum des Denkens. In den Definitionen ist nur ARISTOTELES KANT gewachsen. Und wenn jener ihn durch unbefangene, ruhige Entwicklung des Inhalts, durch Einfachheit der Form, durch Bestimmung aller Mannigfaltigkeit von einer konkreten systematischen Weltbe­ greifung her übertreffen mag, bei KANT ist das unmittelbar Vor­ liegende weit eingreifender umgewandelt, Aufgabe und Tätigkeit des Denkens gegenüber seinen Objekten unermesslich gesteigert. Es ist hier ein so wesentlich Neues geschaffen, dass alles Frühere in gewissem Sinne als veraltet gelten, alles Folgende an das hier Geleistete anknüpfen muss. Worin aber im Besondern das Neue und Eigne der Begriffe und Termini bestehe, das könnte selbst im Umriss nur mittelst eines Eingehens auf die KANTISCHE Philosophie als Gesamtheit dargelegt werden. Da uns ein solches aber natürlich versagt ist, so sei nur einiges Wenige zur Charakterisierung bemerkt. In den Äußerungen KANTs über wissenschaftliche und philo­ sophische Methode tritt namentlich ein Zwiefaches als solches hervor, worauf er selber entscheidenden Nachdruck legt. Einmal erscheint es ihm als vornehmliche Aufgabe, das Verworrene aus­ einander zu lösen, das sachlich Verschiedene als solches erken­ nen zu lassen. Gern vergleicht er insofern die Tätigkeit des Philo­ A 

Dadurch kam sehr viel ursprünglich Scholastisches an ihn.

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sophen mit der Scheidekunst des Chemikers.A Bekanntlich gab | den Anstoß zu der prinzipiellen Entfernung KANTs von LEIBNIZ dieses, dass jener das Verhältnis von Sinnlichkeit und Verstand nicht als ein nur quantitativ Abweichendes, sondern als qualita­ tiv Unterschiedenes fassen zu müssen überzeugt war. Das Werk, aus dem die Kritik der reinen Vernunft wurde, sollte ursprüng­ lich heißen »die Gren[t]zen der Sinnlichkeit und der Vernunft«.B Des Weitern aber gilt als Aufgabe die systematische Bearbei­ tung des Mannigfachen. Das Viele soll nicht zusammengehäuft, sondern nach bestimmten Prinzipien geordnet und von ihnen aus zur erschöpfenden Vollständigkeit gebracht werden. Ein sol­ ches Streben war es, welches die von HUME empfangene Anre­ gung für KANT so fruchtbar werden ließ. An jedem Punkt seines Systemes können wir uns von der Macht desselben überzeugen,C und auch an darauf bezüglichen Bemerkungen und Reflexionen des Philosophen fehlt es nicht.D A S. [ K ant ] III, 14 [ = AA III, S. 8 ] : »Es ist nicht eine [ fehlt in AA ] Ver­ mehrung, sondern Verunstaltung der Wissenschaften, wenn man ihre Gren­ zen in einander laufen lässt.« IV, 363 [ u nklare Referenz, ohne Zitat ]. ΙΙΙ, 554 [ = AA III, S. 544 ] : »Es ist von der äussersten Erheblichkeit, Erkenntnisse, die ihrer Geltung [ recte : Gattung, vgl. AA ] und Ursprunge nach von andern unterschieden sind, zu isoliren und sorgfältig zu verhüten, dass sie nicht mit andern, mit welchen sie im Gebrauche gewöhnlich verbunden sind, in ein Gemisch zusammenfliessen. Was Chemiker beim Scheiden der Materien, was Mathematiker in ihrer reinen Grössenlehre thun, das liegt noch weit mehr dem Philosophen ob.« V, 169. VI, 105 [ = AA VI, S. 10 ] : »[ Denn, erg. nach AA ] die Wissenschaften gewinnen lediglich durch die Absonderung, sofern jede vorerst für sich ein Ganzes ausmacht, und nur dann allererst mit ihnen der Versuch angestellt wird, sie in Vereinigung zu betrachten.« VIII, 157 [ = AA IX, S. 162 ] : »Wahre Philosophie [ aber ] ist es, die Verschiedenheit und Mannigfaltigkeit einer Sache durch alle Zeiten zu verfolgen.« B  Kant, VIII, 686 [(= AA X, S. 123) ; Brief Kants an Marcus Herz vom 7. Juni 1771 ]. C  Äußerlich tritt solches Streben am meisten hervor in der steten Durch­ führung der Kategorientafel. D S. [ K ant ] IV, 77 [ = AA IV, S. 329 f. ] : »Es ist jederzeit in der Kritik mein grösstes Augenmerk gewesen, wie ich nicht allein die Erkenntnissarten sorg­ fältig unterscheiden, sondern auch alle zu jeder derselben gehörige Begriffe aus ihrem gemeinschaftlichen Quell ableiten könnte, damit ich nicht allein dadurch, dass ich unterrichtet wäre, woher sie abstammen, ihren Gebrauch



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Diese beiden Richtungen entspringen sehr charakteristischen und miteinander nicht leicht zu vereinigenden Grundzügen des Denkens. Wenn kANT überall trennt und auf Gegensätze lei­ tet, so geschah es namentlich deswegen, weil er die Dinge weit schärfer ihrem gesamten Inhalt, ihrer Konkretheit und Eigen­ tümlichkeit nach fasst. Ein gerader Gegensatz zu LEIBNIZ ist hier unverkennbar. Für diesen war die Auflösung des Spezi | fischen Vorbedingung der Verknüpfung des Vielen zu einer einheitli­ chen Weltbegreifung ; indem sich letzthin alles in einer quantita­ tiven Stufenfolge darstellte, ward an jeder Stelle das Gemeinsame das Entscheidende. KANT dagegen hat den Blick geschärft für die Fülle des eigentümlichen Inhalts, sie soll voll in das Denken auf­ genommen und von ihm festgehalten werden. Durchgehend ist daher. der Sinn der Termini gegenüber LEIBNIZ ein mehr spezi­ fischer geworden. Hier ist ein Punkt, wo sich KANT scheinbar, aber auch nur scheinbar, mit dem Empirismus berührt. Bei sol­ cher Eigenart mussten sich die Sonderheiten als wesentlich und beharrend, die Unterschiede als qualitativ herausstellen ; nicht selten sehen wir ihn gegen die Lösung von Problemen durch Zu­ rückführen des Mannigfachen auf ein nur quantitativ Abwei­ chendes geharnischte Verwahrung einlegen.A Das weitere Ver­ langen einer systematischen Ableitung, einer DeduktionB des Mannigfachen beweist, dass solche Anerkennung der Singulari­ mit Sicherheit bestimmen könnte, sondern auch den noch nie vermutheten, aber unschätzbaren Vortheil hätte, die Vollständigkeit in der Aufzählung, Classificirung und Specificirung der Begriffe a priori, mithin nach Princi­ pien zu erkennen. Ohne dieses ist in der Metaphysik alles lauter Rhapsodie, wo man niemals weiss, ob dessen, was man besitzt, g[e]nug ist, oder ob, und wo noch etwas fehlen möge.« S. IV, 70, 71 [ u nklare Referenz, ohne Zitat ]. Die Metaphysik ist ihm (III, 11) [ = AA IV, S. 13 ] ein »Inventarium aller unserer Begriffe [ recte : Besitze ] durch reine Vernunft, systematisch geordnet«. A  Kant tat dabei übrigens Leibniz oft Unrecht, indem er jenen Begriffs­ wörtern seinen eignen Sinn unterlegte. Dann musste freilich manches als ganz verfehlt, ja kaum verständlich erscheinen. Zwischen beiden Männern waltet ein scharfer Gegensatz, derselbe liegt aber tiefer als da, wo sie unmit­ telbar aufeinander stoßen. B  Auch der Terminus Deduktion ist eben durch Kant in der Philosophie zu gesteigerter Bedeutung gelangt.

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tät der Dinge nicht ein Verzichten auf ein architektonisches Ver­ ständnis des Ganzen besagt. Aber die Aufgabe der Philosophie ist nunmehr erheblich erschwert und gesteigert, Ziele und Wege müssen wesentlich anders bestimmt werden. Eben an dieser Stelle erhellt die ganze Eigentümlichkeit kan­ tischer Art. Man könnte sagen, dass in der Hauptsache drei große Versuche vorliegen, das Mannigfache der Welt zur Einheit zu bringen, ohne es zu zerstören : bei ARISTOTELES, LEIBNIZ und KANT. Bei ARISTOTELES ist es die Einheit des Kosmos als eines ineinandergreifenden, wohlgeordneten Kunstwerkes, welche das Einzelne verbindet ; dasselbe wird durch das bestimmt, was es an seinem Platz für das Ganze darstellend leistet. Die metaphy­ sischen Begriffe nehmen hier ein ästhetisches Element in sich auf. LEIBNIZ dagegen bringt das Mannigfache in eine Stufen­ folge und stellt also die Einheit der Reihe her ; hiermit bekundet sich eine physikalisch-mathematische Begreifung des Ganzen. Bei KANT endlich ist die Einheit geistiger Tätigkeit entschei­ dend. Das | Mannigfache trifft in einem Akte zusammen und wird durch ihn verbunden. Der erste Ausgangspunkt ist immer eine Tathandlung ; nachdem diese als Festes gesetzt ist, erhält die Forschung die Aufgabe, das hier Zusammentreffende auseinan­ derzulegen, die Voraussetzungen und Bedingungen zu ermitteln oder auch die Konsequenzen zu verfolgen. Dabei kann ein Man­ nigfaches sich behaupten, ohne dass eine Zersplitterung eintritt, denn jene Urakte halten das Viele zusammen und geben der gan­ zen Forschung einen systematisch architektonischen Charakter. So sehen wir die theoretische Philosophie auf das Problem der Erfahrung, die praktische auf das der Freiheit konzen­triert.A Das Ganze hat freilich darin eine Achillesferse, dass dieser erste Punkt, auf den alles zurückkommt, selber in Zweifel gezogen werden kann ; aber die Tragweite und Kraft der also entstehen­ den philosophischen Methode leuchtet unmittelbar ein. Das ganze Problem der Philosophie verlegt sich einen Schritt weiter A  Indes findet der erhebliche Unterschied statt, dass dort die Bedin­ gungen, hier aber die Konsequenzen erforscht werden, Denn eine Unter­ suchung, wie Freiheit möglich sei, wird bekanntlich entschieden abgelehnt.



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zurück.A Der Geist wird von dem Fatalismus einer bloß gegebe­ nen Welt befreit, überhaupt die Selbständigkeit und Überlegen­ heit des Geistigen prinzipiell gesichert. Gegen die Magddienste, welche die Philosophie der Theologie leisten sollte, hatten die Denker der Aufklärungszeit kräftigst protestiert, B aber jene war unterdes in eine innerlich vielleicht noch gefährlichere Abhän­ gigkeit von den Naturwissenschaften gekommen ; durch kANT gewinnt sie nunmehr ihre Selbständigkeit wieder. Dass dieses Alles auf die Terminologie bis ins Einzelne einwirken muss, be­ darf keiner Erörterung. Was wir nun aber im Großen angestrebt sehen : Verbindung des Mannigfachen zur Einheit durch Tätigkeit, das finden wir mit der bewundrungswürdigen Konsequenz KANTISCHEN Geis­ tes auch | im Einzelnen ausgeführt. Manches tritt infolgedessen neu heraus ;C in dem, was dem ersten Blick als einfach gelten mag, wird eine Vielheit als zusammentreffend aufgedeckt, das Vorlie­ gende wird in die letzten Elemente zerlegt, ein Verfahren kommt zur Geltung, das man wohl als ein mikroskopisches bezeichnen kann. Auch LEIBNIZ hatte auf größere Feinheit der Begriffe ge­ drungen, auch ihm schienen sie in ihrer gewöhnlichen Fassung ein Zusammengesetztes, aber wenn er verborgenere Elemente A  Vor allem entspringt hier der wichtige Begriff des Transzendentalen, s. Kant, ΙΙΙ, 49 [ = AA III, S. 43 ] : »Ich nenne alle Erkenntniss transscendental, die sich nicht sowohl mit Gegenständen, sondern mit unserer Erkenntniss­ art von Gegenständen, so fern diese a priori möglich sein soll, überhaupt beschäftigt.« B  Auch die bekannten Stellen Kants scheinen an eine Äußerung Wolffs anzuknüpfen, s. Wolff  [ : Ausführliche Nachricht von seinen eigenen Schrif­ ten, die er in deutscher Sprache herausgegeben, Frankfurt am Main 31757 (002), S. 536, ] § 193 : »Daher pflege ich im Schertz[ e ] zu sagen : die Welt-Weis­ heit sei in so weit die Magd der höhern Facultäten, in so weit die Frau im finstern tappen müsste und öffters fallen würde, wenn ihr die Magd nicht leuchtete.« C  Am wichtigsten ist hier der fundamentale Begriff der synthetischen Apperception. – Manche Begriffe konnten bei einem solchen Zurückgehen auf Elemente und Bedingungen rein hypothetisch gebildet werden, wie z. B. intellectuelle Anschauung, der Begriff eines vom Synthetisch-Allgemeinen zum Besondern fortschreitenden intuitiven Verstandes u. s. w. Für die Folge­ zeit wurden eben diese hypothetischen Begriffe besonders bedeutungsvoll.

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aufsuchte, so blieb die Verschiedenheit eine bloß quantitative, und eine innere Verbindung des Mannigfachen konnte nicht er­ strebt werden. Bei KANT tritt durch die Zerlegung ein wesent­ lich Neues ein, und es schließt sich das erkannte Mannigfache zu lebendiger Wechselwirkung zusammen. Wie sehr die Termini dadurch umgewandelt werden, steht klar vor Augen, wenn wir nur an Erfahrung, Anschauung u. a. denken. So konnten auch die KANTISCHEN Definitionen ihre einzigartige Bedeutung ge­ winnen. Aber freilich fehlt viel daran, dass solches Streben zu gleich­ mäßiger Vollendung gelangt wäre. Die Größe des Ganzen be­ ruht wesentlich darauf, dass analytische und synthetische Kraft sich gegenseitig steigern ; der Gegensatz, in dem sie sich befin­ den, und die Versuche, diesen Gegensatz zu überwinden, treiben die unvergleichlichen Leistungen hervor. Aber leugnen lässt sich nicht, dass die Analyse der Synthese überlegen ist, dass KANT mehr darauf bedacht ist und mehr Gelingen darin hat, das Ver­ schiedene auseinanderzuhalten, als das Getrennte zur Einheit zurückzuführen. Vielleicht am deutlichsten lässt sich dies bei seinen Einteilungen erkennen. Das Verfahren der Dichotomie und der Trichotomie steht [ stehen ] hier nebeneinander, ersteres (auf dem Boden der neuern Philosophie) mehr der analytischen, letzteres der synthetischen Richtung entsprechend. Äußerlich betrachtet könnte die Dreiteilung zu überwiegen scheinen und theoretisch gibt KANT ihr den Vorzug, aber im Grunde sind es doch große Gegensätze, welche das ihm Eigentümliche vertre­ ten, das ganze System durchziehen und sich im Einzelnen als vorwaltend be | zeigen. Die Dreiteilungen besitzen manchmal et­ was Künstliches ; wo sie tiefer begründet sind, haben sie in der Folge oft über den Standpunkt KANTs hinausgeführt. So bleibt die scharfe Scheidung des sonst Vermengten besonders charakte­ ristisch, mag sie sich in durchgehenden Grundrichtungen oder in dem Auseinanderhalten ganzer wissenschaftlicher Gebiete oder in dem Sondern der einzelnen Begriffe erweisen. Prinzipiell entscheidend ist freilich dieses, dass sich große Gegensätze durch das ganze System ziehen, vorhandene Begriffe schärfer trennen, neue hervorrufen, bei dem Allen aber den Ter­



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mini eine prägnantere Bedeutung verleihen. In dem, was sie ent­ halten und besagen, tritt recht eigentlich die Eigentümlichkeit KANTISCHER Denkweise hervor ; sie müssten sowohl in ihrer Ge­ samtheit erwogen als jeder einzelne in seine Konsequenzen ver­ folgt werden. So finden wir das Bestreben zu scheiden zwischen Subjektivem und Objektivem, A Stofflichem und Formellem, Rei­ nem und Empirischem, Absolutem und Relativem u. s. w. Sodann treten die einzelnen Disziplinen auseinander. Es ge­ langt zu vollem Bewusstsein der Unterschied der Logik und Me­ taphysik, der Logik und Psychologie, der Psychologie und Tran­ szendentalphilosophie, der Rechtslehre und Moral, der Moral und Religionslehre, der Lehre vom Schönen und vom Guten, der Philosophie und Mathematik u. s. w. Schon dadurch muss eine Determination und Spezialisierung der Begriffe und Termini eintreten ; nun aber erweisen sich jene Grundrichtungen auch auf jedem einzelnen Gebiete besonders. Da sich eben von hier die eigentümliche Gestaltung der Terminologie überhaupt eini­ germaßen überschauen lässt, so mag es gestattet sein, aus einer fast unerschöpflichen Fülle einiges wenige herauszuheben. Besonders viel Selbständiges findet sich in der Erkenntnis­ lehre, dem Höhepunkt KANTISCHEN Denkens. Auch das Über­ kommene ist hier in ein völlig neues Licht gestellt. Im Beson­ dern seien u. a. folgende Unterscheidungen und Gegensätze angeführt : theoretische – praktische Erkenntnis, B Sinnlichkeit – | Verstand (nicht quantitativ unterschieden, wie bei LEIBNIZ), Verstand – Vernunft, empirische – reine Anschauung, Verstandesbe­ griff – Vernunftbegriff (= Idee, was also wieder eine ausgesonderte Stellung bekommt), analytische – synthetische Urteile, konstitutive – regulative Prinzipien, immanente – transzendente GrundA  [ G eorg Christoph ] Lichtenberg[ : Vermischte Schriften. Neue ver­ mehrte, von dessen Söhnen veranstaltete Original-Ausgabe, Göttingen 1853 (003) ], Bd.  1, S. 101, meint, die Verhältnisse des Subjektiven gegen das Objek­ tive bestimmen, das heiße mit kantischem Geiste denken. B  [ K ant ] III, 429 [ = AA III, S. 421 ] : »Ich begnüge mich hier, die theoreti­ sche Erkenntniss durch eine solche zu erklären, wodurch ich erkenne, was da ist, die praktische aber, dadurch ich mir vorstelle, was da sein soll.« VIII, 86 ff. [ u nklare Referenz, ohne Zitat ].

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sätze, Ding an sich – Erscheinung, Schein – Erscheinung, A Phaenomena  – Noumena, intellektuell  – intelligibel.B In diesen wie andern Sonderungen erhellt durchgehend die spezifische Ver­ schiedenheit der Erkenntnisarten und die Kompliziertheit der Gesamterkenntnis, hinsichtlich des Inhaltes bekundet sich vor­ wiegend das Streben, Subjektives und Objektives auseinander­ zusetzen. In der Physik finden wir den Gegensatz der mechanischen und dynamischen Naturphilosophie,C des Unorganischen und Organisierten, D des Mechanismus und der Teleologie (ebenfalls in voller Schärfung, wobei allererst Zweck genau bestimmt wird), der innern und äußern Zweckmäßigkeit u. s. w. ; in der Lehre von der Seele : die Trennung von mechanischen und chemischen Sinnen, von Affekt und Leidenschaft E u. a. ; in der Ästhetik : bestimmende  – reflektierende Urteilskraft, ästhetische  – teleologische Urteilskraft, ästhetische – Vernunftideen, formale – reale Zweckmäßigkeit, Geschmacksurteil – Vollkommenheitsurteil, mathematisch – dynamisch Erhabenes u. a. Ungemein viel bietet sodann die praktische Philosophie. Von fundamentaler Bedeutung ist für sie die neue Abgrenzung der A  [ K ant ] VII, 453 [ = AA VII, S. 142 ] : »Der Schein ist der Grund zu einem irrigen Ur­t heil aus subjectiven Ursachen, die fälschlich für objectiv gehalten werden ; Erscheinung ist [ aber, AA ] gar kein Ur­t heil, sondern blos empiri­ sche Anschauung, die durch Reflexion und den daraus entspringenden Ver­ standesbegriff zur inner[e]n Erfahrung und hiemit Wahrheit wird.« B  [ K ant ] IV, 65 [ = AA IV, S. 142, Anm. ] : »[ Denn ] intellectuell sind die Erkenntnisse durch den Verstand, und dergleichen gehen auch auf unsere Sinnenwelt ; intelligibel aber heissen Gegenstände, sofern sie blos durch den Verstand vorgestellt werden können und auf die keine unserer sinnlichen Anschauungen gehen kann.« C  [ K ant ] IV, 427 [ = AA IV, S. 532 ]. [ Zu Kants naturtheoretischem Vo­ kabular vgl. Wolfgang Lefèvre/Falk Wunderlich : Kants naturtheoretische Begriffe (1747 – 1780). Eine Datenbank zu ihren expliziten und impliziten Ver­ netzungen ( https ://knb.mpiwg-berlin.mpg.de/kant/home) ] [ G.S. ] D  Bei Tetens noch war beides nur quantitativ verschieden. E  Ursprünglich sollte, wie wir sahen, Leidenschaft zur Übersetzung von Affekt dienen. – [ Unterscheidung mechanische vs chemische (äußere) Sinne : Kant, nach E.: V, 280 (= AA VII, S. 157 [ Anthropologie, § 21 ]). – Unterscheidung Affekt vs Leidenschaft : Kant, nach E.: VII, 571 (= AA V, S. 272, Anm.) ]. [ G.S. ]



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theoretischen und der praktischen Vernunft, indem dadurch jener ganze Zweig der Philosophie mit allen seinen Grundbegriffen eine veränderte Stellung erhält. Sodann tritt auseinander : Angenehmes | – Gutes, A pragmatisch – moralisch, B formale – materiale praktische Prinzipien,C Kultur – Moral, Freiheit – Notwendigkeit (wieder als wirkliche Gegensätze), psychologische – transzendentale Freiheit, Autonomie – Heteronomie, empirischer – intelligibler Charakter, Maximen – Gesetze,D kategorische – hypothetische Imperative, Legalität – Moralität, Rechtspflichten – Tugendpflichten, Moralisches – Statutarisches (in der Religion) u. s. w. Hier zeigt sich neben der Scheidung des Verworrenen als durchschlagend das Streben, ein bloß Relatives, Zweckmäßiges und ein Absolu­ tes, an sich Wertvolles gesondert zu halten. Dadurch gelangt die Ethik wieder zu einer Selbständigkeit und Überlegenheit ; hier bekundet sich KANT im Wesentlichen als Gesinnungsgenosse PLATONs. Indem er aber ferner durch Schärfung des Gegensat­ zes von Gut und Böse und Annahme eines radikalen Bösen den ethischen Prozess vertieft, nähert er sich der christlichen Auf­ fassung an. Bei diesen Distinktionen mag in dem Äußerlichen der Namen­ gebung Einzelnes künstlich erscheinen, wie z. B. die Trennung des sonst eng verbundenen transzendent und transzendental, die Unterscheidung von Verstandes- und Vernunftschluss : den Inhalt anbelangend herrscht ausschließlich die Notwendigkeit der Sa­ che. Dies zeichnet KANT vor LEIBNIZ aus, dessen Distinktionen, wie wir sahen, bisweilen von dem Vorwurfe des Spitzfindigen und Zurechtgemachten getroffen werden. Charakteristisch für A  [ K ant ] V, 209 [ = AA V, S. 205 ] : »Angenehm ist das, was den Sinnen in der Empfindung gefällt.« ; 211 [ = AA V, S. 207 ] : »Gut ist das, was vermittelst der Vernunft durch den bloßen Begriff gefällt.« B  [ K ant ] ΙΙΙ, 532 [ = AA III, S. 523 ] : »Das praktische Gesetz aus dem Be­ wegungsgrunde der Glückseligkeit nenne ich pragmatisch (Klugheitsregel) ; dasjenige aber, wofern ein solches ist, das zum Bewegungsgrunde nichts An­ deres hat, als die Würdigkeit, glücklich zu sein, moralisch (Sittengesetz).« C  [ K ant ] IV, 275 [ = AA IV, S. 427 ] : »Praktische Principien sind formal, wenn sie von allen subjectiven Zwecken abstrahiren ; sie sind aber material, wenn sie diese, mithin gewisse Triebfedern zum Grunde legen.« D  [ K ant ] V, 19 [ = AA IV, S. 400, Anm. (MdS) ].

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die distinguierende Art ist es endlich, dass KANT da, wo er für einen Begriff deutsche und fremde Bezeichnungen nebeneinan­ der vorfindet, sofort zu einer Unterscheidung neigt, s. z. B. Phaenomena – Erscheinungen, Empirie – Erfahrung, Notionen – Begriffe. – Bei dem Ganzen ist manches, was sich im 18. Jahrhundert gebildet hatte, aufgenommen, aber erst indem es hier seine volle Schneide erlangt und in ein weltumfassendes System verarbeitet wird, ist es in die allgemeine Bewegung eingegangen. | So z. B. a priori – a posteriori, subjectiv – objectiv. Ein Mann wie KANT zieht auch hier das Fazit einer ganzen Epoche.68 In allen diesen Sonderungen und in der verschiedenen Wert­ schätzung der einzelnen Glieder der Gegensätze bezeugen sich spezifische philosophische Theorien, aber bei allem innern Zu­ sammenhange, den sie besitzen mögen, fehlt doch viel, dass sie zu einem eigentlichen System entwickelt und dabei zur vollen Ausgleichung gelangt wären. So haben auch geschichtlich mehr die einzelnen Tendenzen als die Philosophie im Ganzen gewirkt. Hier sind die Systeme eines ARISTOTELES und LEIBNIZ im Vor­ teil, bei KANT hat sich bald an das eine, bald an das andere die weitere Bewegung angeschlossen. In einem gewissen Zusammenhang mit einem solchen Miss­ verhältnis analytischer und synthetischer Tätigkeit steht dieses, dass KANT in seinen Begriffen und Termini manches aus der da­ maligen Zeitlage aufnahm, was seinen eignen Prinzipien wenig entsprach, vielleicht gar in einem geraden Gegensatz dazu stand. Es konnte geschehen, dass im Verlauf der Untersuchung eben der Standpunkt erschüttert wurde, den jene Bildungen voraussetz­ ten. Manchmal erfasst er die Begriffe, wie er sie überliefert fin­ det, bringt sie in den Schmelztiegel seines Denkens und beginnt an ihnen zu arbeiten. Nun entsteht auch in der Tat ein Neues, aber es bleibt ein Rest übrig und ein gewisser Zwiespalt ist un­ verkennbar. Dass KANT in der Psychologie vieles von WOLFF und TETENS zur Voraussetzung nimmt, ist oft erörtert, aber nicht viel weniger hat er in der Logik, der Metaphysik, der Religionsphilo­ sophie von dem entlehnt, was seine Zeit bot. Solcher Missstand wirft seine Schatten auch auf die Terminologie, dasselbe Wort kann zu Beginn und am Ende der Forschung recht Verschiede­



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nes bedeuten, ohne dass eine klare Auseinandersetzung stattfindet. Endlich macht sich hier auch der Zwiespalt geltend, der oft als durch das Verhältnis der theoretischen und praktischen Ver­ nunft hervorgerufen erachtet wird. Es handelt sich darum, ob die Welt von der Tätigkeit aus hervorgebracht werde oder ob sie unabhängig von ihr vorhanden ›gegeben‹ sei ; danach muss die Bedeutung der Tätigkeit und ihres Inhaltes eine grundverschie­ dene werden. Hier sind tatsächlich bei KANT zwei Strömungen vorhanden, die nicht zur Einigung gekommen sind. Der Zwie­ spalt zieht sich aber durch seine ganze Philosophie, er | entsteht nicht erst im Verhältnis des Praktischen zum Theoretischen, son­ dern ist sowohl in der theoretischen als in der praktischen Ver­ nunft selber vorhanden, nur dass dort die eine, hier die andere Seite des Gegensatzes überwiegt. Bei der fundamentalen Bedeu­ tung aber, die jenes Problem für die kantische Philosophie hat, muss von hier in die wichtigsten Termini – unserer Überzeugung nach in die des theoretischen Gebiets noch mehr als in die des praktischen – Unsicherheit und Schwanken kommen. Je nach dem Zusammenhange entsprechen Termini wie Anschauung, Ding, Erscheinung, Objekt (objektiv – subjektiv), Substanz, Ursache, Wesen, Möglichkeit, Wirklichkeit, Notwendigkeit u. a. zwie­ fachen Begriffen. So fehlt es in der KANTISCHEN Terminologie wie im KANTI­ SCHEN Systeme nicht an mannigfachen Schwierigkeiten, aber die unbedingte Bewunderung des Geleisteten und die staunende Verehrung des Denkers kann dadurch nicht im Mindesten be­ einträchtigt werden. Eine große Bewegung entspringt hier, deren Entwicklung bis zur Gegenwart erst in den Anfängen vorliegen dürfte. Was zunächst hervortrat, war freilich einheitlicher ge­ schlossen und dadurch einer mehr unmittelbaren Einwirkung fähig, aber es sind doch nur einzelne Seiten des von der KAN­ TISCHEN Philosophie Enthaltenen, die hier zur Ausbildung und Macht gelangten. Von den nachfolgenden Philosophen haben auf die Begriffs­ sprache den größten Einfluss jene Männer gehabt, die wir als die konstruktiven Denker zusammenfassen möchten : FICHTE ,

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SCHELLING, HEGEL. Indem hier alles Mannigfache von einer Einheit aus ergriffen, das einzelne Seiende als Moment einem Gesamtprozesse eingefügt, und dieser Prozess selber als ein gei­ stiges und mehr und mehr als ein intellektuelles Vorgehen be­ stimmt wurde, mussten mit den Begriffen auch die Termini eine erhebliche Umwandlung erfahren. Das Augenmerk ist hier beim Einzelnen vornehmlich darauf gerichtet, seine Stellung im Gan­ zen zu erkennen, indem damit über Bedeutung und Inhalt ent­ schieden ist ; spezielle Zergliederungen finden sich sehr selten und daher ebenso wenig scharfe Definitionen. In der Festigkeit und Genauigkeit der einzelnen Termini ist ein beträchtliches Sinken gegen KANT unverkennbar. Die Grundrichtung geht nun auch dem Inhalt nach wieder gegen das Spezielle und Geson­ derte, ein Allgemeines wird überall aufgewiesen, und zwar vor­ wiegend ein logisches, die formalen Bestimmungen des Denkens erhalten hier | eine weitere Ausbildung und größere Macht als je zuvor. Die Begriffe sind deswegen keineswegs abstrakte Größen, sondern in dem systematischen Zusammenhang sollen sie sich geradezu als das Reale und Konkrete der Welt darstellen, und es ist charakteristisch, dass die Funktionen des Denkens selber gleichsam eine Selbständigkeit gewinnen und sich zu handeln­ den Wesen beleben ;A aber nach dem Sinken spekulativer Kraft entstand freilich die Gefahr, ins Inhaltleere zu verfallen und den nach Wahrheit dürstenden Geist durch bloße Phantome zu äffen. Aber wie viel Schuld dieser Missstände auch die Denker selbst treffen mag, ohne Frage ist von ihnen eine mächtige Belebung und Vergeistigung der wissenschaftlichen Sprache ausgegangen. Jedes Einzelne erscheint hier als tätiges Glied eines einzigen Ganzen, eines Ganzen, zu dem das Denken den Schlüssel bei sich selber findet. Das sonst zerstreut nebeneinander Liegende ist hier in Einen großen Prozess hineingezogen und miteinander so verwoben, dass das Eine auf das Andere hinweist. Indem überall die Tätigkeit des Geistes aufgewiesen wird, treten Begriffe und Termini dem Verständnis näher. In der Sprache wird das logische Element schärfer herausgearbeitet, im Besondern erhalten die A 

Man denke nur an Idee, Begriff, Vernunft.



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Beziehungsbegriffe eine unabhängigere Stellung und gesteigerte Bedeutung. – Dazu kommt nun der Einfluss des Aufschwunges der Gesamtliteratur auch in der Philosophie zur Geltung, neben andern Vorteilen gewinnt sie dadurch die Fähigkeit, weitere Kreise unmittelbar zu ergreifen. Eben die Terminologie lässt er­ kennen, dass die Macht dieser Systeme sich weit in die einzelnen Wissenschaften und in das allgemeine Leben hinein erstreckt. Im Einzelnen aber ist hier unter den Denkern selber viel Abwei­ chung und erst allmählich treten die charakteristischen Züge der Gesamtbewegung klar hervor. FICHTE vertritt der Möglichkeit nach »ein nach allen seinen abgeleiteten Theilen nothwendiges, und als nothwendig zu erweisendes System der philosophischen Terminologie, vermittelst der regelmässigen Fortschreitung nach den Gesetzen der metaphorischen Bezeichnung transcendentaler Begriffe«, aber da solche [ National- ]Terminologie, seiner Über­ zeugung nach, nicht eher aufzustellen ist, »ehe nicht das Ver­ nunftsystem selbst, sowohl nach seinem Umfange, als in der | gänzlichen Ausbildung aller seiner Theile, vollendet dasteht«, so muss er sich der vorhandenen Kunstwörter wohl oder übel be­ dienen. Da sie ihm also als etwas nur Provisorisches gelten, so hat er kein erhebliches Interesse für sie. Er verwendet sie »wie er sie eben vorgefunden, ob sie nun deutsch waren, oder latei­ nisch oder griechisch«, und er zeigt sich unter diesen Umständen durchaus abgeneigt, seine Gedanken an eine beharrende Form zu binden. Ja ihm schien in solchem Zusammenhange eine feste Terminologie »das bequemste Mittel für Buchstäbler, jedes Sys­ tem seines Geistes zu berauben und es in ein trockenes Geripp zu verwandeln.«.A Seine Bedeutung für uns liegt danach weniger im Durcharbei­ ten und Weiterbilden des Einzelnen als in der von ihm ausgehen­ A  [ Johann Gottlieb Fichte : Sämmtliche Werke, hg. v. Immanuel Her­ mann v. Fichte, Berlin 1845, Bd.  1 (000), S. 45, S. 87 ; Eucken gibt keine weite­ ren Belege zur Geschichte des Terminus Terminologie. Im entsprechenden Art. E. W. Orth im HWPh (Bd.  10, Sp. 1011) findet sich ein Erstbeleg aus dem Jahre 1726 (bei Walch). Eine Begriffsgeschichte von Terminologie (im 18./ 19.Jh. auch Kunstsprache) findet sich auch bei Christoph Kann : Die Sprache der Philosophie, Freiburg/München 2020, S. 33 – 36. ] [ G.S. ]

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den Gesamtbewegung. Indem er die Begriffe in Fluss bringt und viel Spezifisches abstreift, bleibt ihnen doch durch die Beziehung auf eine machtvolle Persönlichkeit und den sie beherrschenden ethischen Grundgedanken ein festerer Inhalt gesichert. Manches mag wie flüchtig an uns vorüberrauschen : an den Punkten, wo die treibenden Mächte des Ganzen hervorbrechen, sind auch die Termini kräftig herausgestellt. Im Besondern ist zunächst charakteristisch das Streben, die Termini in dem Sinne, den ihnen die spekulative Philosophie gibt, sichtlich von dem zu scheiden, den sie in der gewöhnlichen Erfahrung und dem täglichen Leben besitzen. So findet sich z. B. bei FICHTE : absolute Einheit, absolute Gewissheit, absolutes Ich, absolute Selbständigkeit, absolutes Sein, absoluter Staat, absolutes Subjekt und absolutes Objekt, absoluter Verstand, absolutes Wissen, absolute Wissenschaft, reines Ich, reine Sittlichkeit, höhere Sittlichkeit, A wahre Deduktion, wahre Sittlichkeit u. a. – Des Wei­ tern greifen wir nur einiges Bemerkenswerte heraus. Für Philosophie soll Wissenschaftslehre eintreten. Der Terminus des Ich, der seit CARTESIUS freilich nicht selten verwandt war, erhält hier eine fundamentale Stellung. Anstatt der Tatsache möchte FICHTE die Thathandlung zum Ausgangspunkt machen, das Wort setzen (etwas setzen) gewinnt vornehmlich durch ihn die spezifisch phi­ losophische Bedeutung. Die intellektuelle Anschauung, die KANT hypothetisch hingestellt hatte, wird hier als wirklich behauptet. Das Dasein gilt als Äußerung, Offenbarung des Seins. Idee und Idealismus erhalten eine wesentliche Beziehung auf das Prakti­ sche. Cultur erscheint als alle Vernunfttätigkeit | umfassender Begriff ;B von hier aus bildet [ bilden ] sich Begriff und Terminus des Culturstaates. Staat und Gesellschaft sucht FICHTE bestimm­ ter auseinanderzuhalten, als gewöhnlich geschah. – Übrigens ha­ ben die leitenden Termini mit dem FICHTESCHEN Systeme sel­ ber ihre Geschichte, z. B. an Ausdrücken wie objectiv – subjectiv, A  [ Fichte : Sämmtliche Werke, hg. v. Immanuel Hermann v. Fichte, Berlin 1845 ], Bd.  5 [ (001), Abt. 2, B : Zur Religionsphilosophie ], S. 469. B  [ Fichte : Sämmtliche Werke, Berlin 1845, Bd.  6 (002) ], S. 86 f. : »Cultur heisst Uebung aller Kräfte auf den Zweck der völligen Freiheit, der völligen Unabhängigkeit von allem, was nicht wir selbst, unser reines Selbst ist.«



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a priori – a posteriori, Idee u. a. ließe sich die allmähliche Um­ wandlung seines Denkens verfolgen. Obwohl es bei SCHELLING an geistvollen, wenn auch übertrei­ benden Bemerkungen hinsichtlich der Terminologie nicht fehlt A, so war seine Art durchaus nicht so beschaffen, um auf diesem Gebiet bleibend Bedeutendes zu leisten. Schon wegen der fort­ währenden Umgestaltung seiner Lehren konnte sich unmöglich eine geschlossene Begriffssprache bilden. Ferner zeigt sich auch hier die Eigentümlichkeit SCHELLINGs, seine Gedanken stets im Anschluss an Andere zu entwickeln. Die verschiedenen Systeme, mit denen er sich befreundete – von FICHTE an bis zur Schola­ stik zurück –, haben an den Ausdrücken merkliche Spuren hin­ terlassen. Aber dies schließt natürlich nicht aus, dass manche Termini durch den begrifflichen Gehalt, der ihnen hier zu Teil wird, wirk­ samer heraustreten, noch auch, dass eine allgemeine Bewegung sich in den Ausdrücken vollzieht. Eigentümlich ist namentlich dieses, dass Termini der Naturwissenschaft 69 über ihr eigentli­ ches Gebiet ausgedehnt werden und eine universal philosophi­ sche Verwendung erhalten. So z. B. Organismus, organisch, Polarität, Potenz, Potenzieren, Metamorphose u. s. w. Wie große Gefahren bei mangelnder Schärfe der ursprünglichen Bestim­ mung daraus erwachsen, musste einleuchten, sobald man sich dem anfänglich bezaubernden Einflusse des Systems entzogen hatte. Jene | Termini, allgemein verwandt, lassen das Denken stets in der Schwebe zwischen Bild und Begriff und verführen A  [ Friedrich Wilhelm Joseph v. Schelling : Sämmtliche Werke, 1. Abtlg., Bd.  2, 1797/98, Stuttgart/Augsburg 1857 (002), S. 216, Fn. 1 ] : »Menschenalter hindurch sind oft Ausdrücke im Gebrauch, an deren Realität kein Mensch zweifelt  – gewöhnlich weit grössere Hindernisse des Fortschreitens, als selbst solche [ recte : falsche ] Begriffe, die nicht so fest wie Worte dem Ge­ dächtniss anhängen.« [ Bd.  8 (statt Bd.  6) (1861) ], S. 286, meint er : »Es ist nicht schwer die Bemerkung zu machen, dass das Hauptgebrechen aller neueren Philosophie in dem Mangel der mittleren Begriffe liegt, wonach z. B. alles, was nicht seyend, nichts, was nicht geistig im höchsten Sinn, materiell im gröbsten, was nicht sittlich frei, mechanisch, was nicht intelligent, verstand­ los ist. Die mittleren Begriffe sind aber gerade die wichtigsten, ja die einzig eigentlich erklärenden in der ganzen Wissenschaft.«

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damit zu mannigfachen Erschleichungen. Im Besondern bleibt das Geistige immer unter dem Einfluss von Naturanalogien – nur ist es im Unterschied vom 17. und 18. Jahrhundert nunmehr die Analogie des Organischen, welche vorwaltet. Die belebenden und befreienden Einwirkungen des Ganzen sollen darüber nicht verkannt werden. Indem SCHELLING Geist und Natur in ein innerlicheres Verhältnis bringt, das Geistige als historische Gesamtmacht zu würdigen unternimmt, indem er durch Erweiterung des gesamten Horizontes über die Enge einer bloß ethischen Weltanschauung hinausführt, wird auch die Sprache lebendiger und gehaltvoller, auch der Einfluss eines künstlerisch geläuterten Geschmackes lässt sich hier nicht ver­ kennen, aber alles dieses kommt eben bei den Termini wenig zur Geltung.A Unvergleichlich bedeutender ist auf unserm Gebiet HEGEL, der auch hier die begonnene Bewegung zu ihrem Höhepunkte bringt. Hier ist auch nach der sprachlichen Seite ein ausgereif­ tes, geschlossenes, allumfassendes System aufgeführt, jedes Ein­ zelne unverrückbar an einen Platz gebracht und daselbst von dem Ganzen her bestimmt. Wenn auch die spezifische Eigen­ tümlichkeit des Besondern nicht zu voller Geltung gelangt, so kommt doch durch die verschiedene Stellung das Mannigfache zu gesteigerter Anerkennung und wird ein unvergleichlich grö­ ßerer Reichtum dem Ganzen gesichert. Dem Inhalt nach ist die logisch-formale Bedeutung der Ter­ mini aufs Äußerste gespannt, aber dieselbe erscheint nirgends in größerm Zusammenhange und besserer Begründung als hier. Indem das Denken als das Wesentliche der Welt, als ›die Wahr­ heit des Gegenständlichen‹ gilt, wirkt es auch als Weltmacht und ordnet alles Einzelne und Subjektive einem objektiven Gesamt­ prozess unter ; ja es erscheint in dem Ganzen als ein sich durch­ aus lebendig Bezeigendes. Die einzelnen Funktionen treten hier wie selbständig auf, bewegen und handeln. Das sonst als abstra­ hiert und sekundär Geltende kommt nun an die erste Stelle, der A  Auf die zweite Hauptperiode Schellingschen Denkens kommen wir unten zu sprechen.



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spezifische Inhalt wird erst später eingeführt. Von hier nament­ lich ist es aufgekommen, Beziehungsbegriffe als reale Mächte zu be | handeln, Begriffe, die der ersten Auffassung als bloß kollek­ tive erscheinen, zu ursprünglichen zu erheben, die Stufen und Formen des Denkens als von sich aus wirkend hinzustellen.A Da der Grund des Ganzen keineswegs hinreichend gesichert ist, so kann es freilich oft scheinen, als schwebten Begriffe und Termini in der Luft. Eine solche Richtung, für sich in ihre Konsequenzen verfolgt, müsste schließlich allen spezifischen Inhalt aufheben, aber bei HEGEL persönlich hält ihr die Versenkung in die Fülle der an­ schaulich gegebenen Welt ein gewisses Gleichgewicht. Das Denken ist von da aus vollauf gesättigt, wenn es seine Tätig­ keit beginnt, und es führt also meist in die logischen Formen eine reichere Bestimmtheit ein. Eben bei solchem Aufnehmen des Weltinhaltes erscheint die Kraft besonders bewunderungs­ würdig, mit welcher der Denker weit ausgedehnte und wider­ strebende Massen unter einen Begriff zwingt und von ihm aus beherrscht. Aber freilich findet jene Versöhnung wie im Indivi­ duum auch nur für das Individuum statt, in den geschichtlichen Folgen musste der rein formale Charakter des Ganzen den Aus­ schlag geben. Die Macht des Abstrakten in unserer Sprache hat hier ihre stärkste Quelle. Es musste der von HEGEL ausgehende Einfluss ein verhängnisvoller werden, nachdem die zusammen­ haltende und belebende Kraft spekulativen Denkens gesunken war. Doch verfallen wir nicht der Gefahr, wegen unliebsamer Kon­ sequenzen im allgemeinen Leben zu verkennen, was hier auf ei­ gentlich philosophischem Boden Großes geleistet ist. Bei der systematischen Verkettung des Ganzen ist es schwer, Einzelnes auszuwählen ; so möge nur verstattet sein, an die Bedeutung ei­ niger Gesamtrichtungen auch für die Begriffssprache zu erin­ nern. – Vor allem wird Erwähnung verlangen, dass erst durch Gestaltung eines solchen allumfassenden Zusammenhanges, wie A  Man denke z. B. an die Art, in der Hegel Termini behandelt wie das Positive, das Negative, Geist, Vernunft, Begriff, Idee u. a.

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er hier vorliegt, die Gesamtheit der Ausdrücke eine philosophi­ sche Bestimmung erhält. Während bis dahin die Arbeit wenn auch an wichtigen Punkten, so doch immer am Einzelnen ange­ setzt hatte, wird nun das Ganze ergriffen und jegliches an seiner Stelle fixiert. Ungemein Vieles, was bis dahin in vagen Umrissen flatterte, erhält also Ausfüllung und feste Umgrenzung, Vieles, was | ungeschieden neben- und durcheinander verwandt war, tritt nun auseinander und in gegenseitige feste Beziehung, bis in das Alltägliche und scheinbar Abgenutzte hinein macht sich die Macht des philosophischen Gedankens geltend.A Dem Grundstamm nach gehört diese Terminologie wesent­ lich der deutschen Sprache an ; freilich findet sich daneben nicht weniges Fremde, namentlich Scholastische, aber dies ist so eng mit dem Einheimischen verschmolzen, dass es ganz wie ein Ein­ gebürgertes erscheint und tatsächlich eben von hier an als all­ gemein angenommen gelten darf. In dem Äußern der Termino­ logie geht es nicht ohne einige Gewaltsamkeit ab, Unterschiede werden gemacht, die sprachlich ziemlich willkürlich erscheinen müssen, nicht wenig wird ohne Rücksicht auf die überkommene Bedeutung aufgestellt, aber solchen kleinen Anstößen gegenüber schlägt. die Anerkennung der gewaltigen, alles zusammenhalten­ den und erfüllenden Macht entschieden durch und zwingt zur Bewunderung. Nicht selten ist diese selbständige Fixierung des Einzelnen aus dem Ganzen heraus verkannt. Die Ausdrücke wurden manch­ mal im Sinne des täglichen Lebens genommen (wie z. B. wirklich, Wirklichkeit), und dann war es leicht, HEGEL zu verspotten oder zu widerlegen. Freilich lässt sich nicht leugnen, dass in der Ausführung der Gedanken er selber der Strenge seiner Begriffe oft untreu wird, die gewöhnliche Bedeutung schiebt sich unter, und also wird die Kluft zwischen spekulativer Philosophie und naiv menschlicher Vorstellung einigermaßen überbrückt, oder vielmehr verdeckt. A  Es sei z. B. erinnert an Termini wie Dasein, Erscheinung, Wirklichkeit, an sich sein, für sich sein, an und für sich sein, Unmittelbarkeit, Vermittlung u. s. w.



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Bei weiterer Erörterung des Einflusses HEGELs auf die Sprache wäre es namentlich erforderlich, die Wirkungen seiner dialek­ tischen Methode zu verfolgen. Wie in ihr der Schwerpunkt des Systems liegt, so knüpft sich auch hier an sie alles Bedeutendere. Uns muss es genügen, Einzelnes herauszuheben. Zunächst ist die hier erfolgte Veränderung der Stellung der einzelnen Begriffe und Termini zueinander beachtenswert. Nirgends ist prinzipiell und zusammenhängend das Flüssige der Begriffe, die Relativität des Einzelnen, die gegenseitige Abhängigkeit, das Ineinander­ übergehen des in der ersten Betrachtung Entgegengesetzten also dargetan wie hier.A | Indem ferner durchgehend die Stufen der unmittelbaren An­ schauung, der Reflexion und der Philosophie sich sondern, treten große Gebiete und ihnen entsprechende Termini auseinander. Namentlich wird darauf Wert gelegt, dass auch in dem Ausdruck die Unterschiede der Reflexion und der substantiellen Geistigkeit zur Erscheinung kommen.B Sodann werden die Begriffe, wie sie aus dem philosophischen Denken hervorgehen, gegen sonstige Fassungen streng abgeschlossen. Die Richtung, welche nament­ lich FICHTE begonnen hatte, wird also energisch weiterverfolgt und nun erst systematisch auch an den Begriffen der theoreti­ schen Philosophie durchgeführt. Es scheidet sich eine wahre und schlechte Unendlichkeit, zufällige und absolute Entstehung, in der A  Man verfolge z. B. die Behandlung der Begriffe des Ganzen und der Teile, des Äußern und Innern, des Quantitativen und Qualitativen, des Intensiven und Extensiven, des Kontinuierlichen und Diskreten u. s. w. S. auch [ Georg Wilhelm Friedrich Hegels Werke. Vollständige Ausgabe durch ei­ nen Verein von Freunden des Verewigten (Freundesausgabe), Berlin 1832 ff. Bd.  5/6 : Wissenschaft der Logik, Teil 2, hg. v. Leopold v. Henning, Berlin 1834, 21841 (002), Kap. 3, ] V, S. 339 f. : »So sind alle als fest angenommenen Ge­ gensätze, wie z. B. Endliches und Unendliches, Einzelnes und Allgemeines, nicht etwa durch eine äusserliche Verknüpfung in Widerspruch, sondern sind […] vielmehr an und für sich selbst das Uebergehen ; die Synthese und das Subjekt, an dem sie erscheinen, ist das Produkt der eigenen Reflexion ihres Begriffs.«  – Die Schranken und Gefahren solcher Auffassung zu er­ örtern ist hier nicht unsere Aufgabe. B  Daher scheidet er z. B. bestimmt zwischen Moralität und Sittlichkeit, s. [ Hegel : Werke. (Freundesausgabe), Bd.  8 (002), hg. v. Eduard Gans, Berlin 21840, ] S. 68 ff. (recte : S. 67 ff.).

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Zeit erscheinende Entwicklung und Entwicklung aus dem Begriff, Richtigkeit und Wahrheit u. s. w.A Solche Strebungen haben weit über die eigentliche Philosophie hinausgewirkt. Die Terminologie der einzelnen Wissenschaf­ ten legt von ihrer Macht Zeugnis ab, und auch im allgemeinen Sprachgebrauch lässt sich dieselbe noch in der Gegenwart deut­ lich erkennen. Wie viel die Kritik an dem Ganzen vermissen und bekämpfen mag, tatsächlich ist die allgemeine wissenschaftliche Redeweise noch jetzt von keinem mehr abhängig als von HEGEL. Und bei aller Opposition sollte nicht übersehen werden, dass ein großer Teil der dem Philosophen zugeschobenen Missstände vielmehr den Aufnehmenden zur Last fällt. Vom philosophisch nicht durchgebildeten Bewusstsein ergriffen, aus der | Sphäre der naiven Weltauffassung beurteilt kann Ganzes und Einzelnes leicht als verfehlt, ja töricht erscheinen. Hier wie durchgehend – und zwar nicht nur bei den konstruk­ tiven Denkern – hat die deutsche Philosophie etwas Unpopulä­ res, der gewöhnlichen Vorstellung Widersprechendes. Es fällt ihr nicht ein, sich mit dem gemeinen Verstand auf seinem Boden zu messen, sondern sie setzt eine Erschütterung, ja Aufhebung des ganzen Standpunktes voraus, auf dem er sich befindet, ein Bruch mit dem unmittelbar Vorliegenden ist ihre Vorbedingung, ohne Zwiespalt, Kampf und Schmerz ist ihre Arbeit undenkbar. Ich weiß nicht, ob ihr jemand daraus einen Vorwurf machen will. Die andern Philosophen bewegen sich, trotz mancher innern Verwandtschaft, hinsichtlich der Terminologie in einem be­ wussten Gegensatze zu den konstruktiven Denkern. Das wis­ senschaftlich Bedeutendste ist hier unzweifelhaft von HERBART A  [ Hegel : Werke. (Freundesausgabe), Bd.  5 (002), S. 83 ; Bd.  6 (002), S. 51 f. ]. : »Wer die Richtigkeit einer Anschauung oder Wahrnehmung, die Ueberein­ stimmung der Vorstellung mit dem Gegenstand Wahrheit nennte, hat we­ nigstens keinen Ausdruck mehr für dasjenige, was Gegenstand und Zweck der Philosophie ist.«  – »Gewöhnlich nennen wir Wahrheit Uebereinstim­ mung eines Gegenstandes mit unserer Vorstellung. Wir haben dabei als Vor­ aussetzung einen Gegenstand, dem unsere Vorstellung von ihm gemäss sein soll. – Im philosophischen Sinn dagegen heisst Wahrheit, überhaupt abstract ausgedrückt, Uebereinstimmung eines Inhalts mit sich selbst.«



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geleistet, in wesentlichen Punkten erweist er sich allen nach­ kantischen Denkern überlegen. Von vornherein zeigt sich weit größere Sorgfalt, weit schärfer eindringende Analyse ; die Eigen­ tümlichkeit des Systemes bringt es alsdann mit sich, dass das Einzelne mit seiner Besonderheit eine gesteigerte Bedeutung gewinnt. Das Kleine findet wieder seine Anerkennung, mit der Art der Untersuchung verfeinern sich auch die Begriffe. Wenn es mit den spekulativen Philosophen als Aufgabe erscheint, über die Widersprüche hinauszukommen, so erstrebt dies HERBART nicht durch Einfügung des Mannigfachen in einen Gesamtpro­ zess, sondern durch Auflösung des Verworrenen. Dabei musste sich das Einzelne bestimmt auseinandersetzen, das Verschieden­ artige in seiner Eigentümlichkeit behaupten. Die Begriffe werden nicht dialektisch abgerundet und somit abgeschliffen, sondern sie bleiben mit ihrer ganzen Besonderheit stehen. Es zeigt sich soweit eine gewisse Verwandtschaft mit kANT. Aber nun fehlt die große synthetische Kraft, die KANT dazu besitzt, das Getrennte bleibt oft nebeneinander stehen,A das Mannigfache beharrt, ohne nach einem Leitfaden ›deduziert‹ zu sein. Nie würde sich z. B. KANT bei der Art der Verbindung beruhigt haben, in welcher sich die fünf Ideen bei HERBART befinden. | Nach dem Allen können die einzelnen Begriffe natürlich nicht im Prozess hervorgebracht werden und durch Einfügung in ein Ganzes ihre vollgenügende Bestimmung erhalten. Sie erscheinen vielmehr als ein der Entstehung und dem Gehalt nach für sich sorgfältig zu Erwägendes. Die Definition tritt also wieder in ihre Bedeutung ein, Inhalt und Umfang wird [ werden ] genau ermes­ sen und gegen Fremdes abgegrenzt. In dieser ganzen Arbeit be­ kundet [ bekunden ] sich Besonnenheit und Überlegenheit, dem klaren Blick des Denkers muss manches, was die andern Philoso­ phen in die Termini und Begriffe hineingedeutet hatten (wie bei Anschauung, organisch u. s. w.), als überschwänglich erscheinen. Da ferner dem Ausdruck alle Fürsorge zuteil wird, mit Vorsicht A  Dass gewisse Verbindungen stattfinden, ist darum nicht zu leugnen, man denke nur an die Verwendung des Begriffs der Reihe bei Herbart, aber eine andere Frage ist, ob die hier gewonnene Einheit [ge]rechtfertigt sei und ob sie genüge.

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gewählt und das Gewählte mit Konsequenz festgehalten ist, so sind für die Terminologie unzweifelhaft erhebliche Vorzüge ge­ sichert.A Aber es fehlt auch nicht an Gefahren und Missständen. Da die analytische Tätigkeit nicht hinreichend durch große syntheti­ sche Prinzipien gelenkt wird, so kann es geschehen, dass das kri­ tisch scheidende Verfahren sich zersplittert, dass die Begriffe sich isolieren und einengen und dass damit das Ganze etwas Schul­ mäßiges annimmt. Während bei den konstruktiven Philosophen alle Begriffe einen universell menschlichen Inhalt erstreben und sich also zu Weltbegriffen erweitern, bleibt hier oft das Den­ ken, unter unvergleichlich größerer technischer Leistung, beim Schulbegriffe stehen. Das hat natürlich auch der Verbreitung der Terminologie im Wege gestanden. Mag sie in einzelnen Diszipli­ nen, wie namentlich in der Psychologie und der Pädagogik, tiefe Wurzeln geschlagen haben, der Einfluss in das allgemeine Leben ist weit geringer als derjenige der konstruktiven Philosophen. Dann aber hat die Ausdrucksweise einen besonderen Miss­ stand : sie leidet an einer Vermengung von Bild und Begriff in solchem Grade, wie schwerlich bei irgendeinem andern bedeu­ tenden Denker.B Das Bild wird zunächst herangezogen, um den Begriff durch anschauliche Vergegenwärtigung zu unterstützen ; indem es nun aber entwickelt und ausgesponnen wird, befestigt es sich, beginnt unvermerkt Einfluss auf den Gedanken zu ge­ winnen und seinen Fortgang mit zu lenken. Freilich lässt sich der Be | griff nicht so einfach verdrängen, er arbeitet sich auf und will das Bildliche unterwerfen ; aber dabei verwickelt er sich, ge­ rät von seiner Bahn ab und gelangt keinenfalls zu vollem Siege. Es bleibt immer etwas von dem Fremden an ihm haften, Unbe­ wiesenes dringt ein, die Beweisführung gerät bisweilen in einen Zirkel, und also wird das glückliche Gelingen des ganzen Ge­ A  Der Mangel einer systematischen Behandlung der Herbartischen Ter­ minologie – sei es auch nur in lexikalischer Form – ist als eine empfindliche Lücke zu bezeichnen. B  [ Vgl. dazu Eucken : Bilder und Gleichnisse in der Philosophie. Eine Festschrift, Leipzig 1880 ; in : GW, Bd.  10, S. 65 – 123 ].



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dankenprozesses gehemmt.A Ja das ganze System erhält durch die besondere Art der Bilder – ähnlich, nur noch stärker als bei LEIB­ NIZ – eine Färbung, die in den Prinzipien keineswegs angelegt ist. Die Bilder sind nämlich gewöhnlich physikalisch-mechani­ scher Art,B und so kommt in die Begriffe und in das System etwas Mechanisches und Materielles, das seinen Tendenzen beizule­ gen ein entschiedenes Unrecht sein würde. – Im Allgemeinen wird man daher sagen dürfen, dass die HERBARTISCHE Termi­ nologie innerlich und äußerlich nicht den Erfolg gehabt hat, den die bewunderungswürdige Kraft, die aufgeboten ist, verdient hätte. A  Es genügt als Beispiel die Verweisung auf die Lehre vom Mechanismus der Vorstellungen. – Im Allgemeinen zeigt sich dieser Missstand namentlich da, wo Herbart aus dem von ihm aufgestellten Sein den Schein verständlich zu machen sucht. Hier drängen sich durchgehend in die rein zu fassenden Begriffe Bilder ein, die dann freilich den Übergang zum Vorliegenden er­ leichtern. B  [ Friedrich ] Harms  : Die Philosophie seit Kant, [ Berlin 1876 (001) ], S. 550, macht darauf aufmerksam, dass die Analogien bei der Lehre von den Vorstellungen meistens dem Gebiet der Hydrostatik entlehnt sind. – An ein­ zelnen Punkten hat freilich das Bild den Übergang Herbartischer Begriffe in den allgemeinen Gebrauch erleichtert, wir erinnern nur an Schwelle. [ Johann Friedrich Herbart : Psychologie als Wissenschaft, Königsberg 1824 (003), Bd.  1, S. 231 ff. (§70) ]. [ Im HWPh gibt es kein Eintrag zu Schwelle, das Wort wird in seiner metaphorischen Verwendung nicht als Terminus behandelt. Das gilt übrigens auch für Schranke(n), ein (mit Grenze[n] konkurrieren­ der) Terminus Kants, der weder im HWPh noch im Kant-Lexikon behandelt wird. Zu Grenze/Schranke im Wortgebrauch Kants vgl. Costantino Espo­ sito : »Die Kritik der reinen Vernunft ins Italienische übersetzen : Erschei­ nungen, Grenzen, Schranken & weitere Entdeckungen«, in : Gisela Schlüter (Hg.) : Kants Schriften in Übersetzungen, Hamburg 2020, S. 547 – 570, hier : S. 559 – 570. – Schwelle – Grenze – Schranke (wie z. B. auch Sprung) sind nicht im klassischen Sinne Termini, haben aber durch ihre philosophische Ver­ wendung durch prominente Autoren einen quasi-terminologischen Status. Sie tauchen meist in den einschlägigen begriffsgeschichtlichen Lexika der Philosophie nicht auf. Alle genannten (metaphorisch grundierten) Termini werden aber behandelt (in eigenen Lemmata oder marginal) im Wörter­ buch der philosophischen Metaphern, hg. v. Ralf Konersmann, Darmstadt 2007. – Vgl. auch verschiedene hier einschlägige Beiträge in : Forum interdis­ ziplinäre Begriffsgeschichte (FIB), 10. Jg./H. 1 (2021) [ https ://www.zfl-berlin. org ]. – (Epochen-)Schwelle bei Blumenberg, Foucault, Koselleck. ] [ G.S. ]

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Mehr allgemein menschlichen als streng philosophischen Mo­ tiven entsprang eine andere Bewegung gegen die konstruktive Philosophie, sich auch im Ausdruck bekundend. Es erwächst ein Streben nach einem Positiven, Lebendigen, das anschaulich zu erfassen sei und in Begriffe nicht aufgehe. Das Irrationale (der spätere SCHELLING verwendet gern diesen Ausdruck) und Un­ logische der Welt, die ganze Herbigkeit und Unüberwindlichkeit der Gegensätze gelangt zur Anerkennung, das Individuelle und Partikulare gilt als das Wertvollste. BAADER, der ältere SCHEL­ LING, SCHOPENHAUER sind hier die Führer, untereinander frei­ lich wesentlich unterschieden. Jene beiden suchen das Positive in dem Historischen, vor­ nehmlich dem der Religion, von hier aus soll die vernunftmäßige Erfassung der Welt bestimmt und belebt werden, von hier in | die Begriffe und Ausdrücke ein reicherer Inhalt kommen. Aber der Gegensatz und das Problem wird [ werden ] weitaus nicht scharf genug gefasst, als dass die versuchte Lösung irgend befriedigen könnte. Das Verhältnis des Historischen zum Begrifflichen selber ist manchen Einwendungen ausgesetzt. Um nur einer logischen Konstruktion der Geschichte zu entgehen, verfällt man dem Irr­ tum, eine bestimmte historische Form absolut zu nehmen. Für die Gesamtgeschichte wird also der Rahmen zu klein, das be­ sondere Historische wird in einer Weise begrifflich umgewan­ delt, dass sein ursprünglicher Sinn und seine Unmittelbarkeit gefährdet ist [ sind ], das Begriffliche aber findet sich ohne seine eigne Notwendigkeit bestimmt und also eingeengt. Dabei zei­ gen eben die Ausdrücke und Begriffe, wie man von dem abhän­ gig bleibt, was so feindselig bekämpft wird. Man beharrt im We­ sentlichen in dem vorliegenden Kreise, verschiebt nur manchmal das Verhältnis des Gegebenen, kehrt auch geradezu um (wie z. B. SCHELLING Verstand und Vernunft )A, greift dann mal in die Ver­ A  [ Friedrich Wilhelm Joseph v. Schelling : Sämmtliche Werke, 1. Abt., Bd.  8, Stuttgart/Augsburg 1861 (002) ], VIII, 98 [ : »Was soll man nun also Ihnen sagen, der Sie die holde Vernunft herausreißen aus ihrer stillen Be­ schränktheit, sie zur Sprecherin, zum Mannweib hinaufnöthigen ? (…) Wo­ gegen Sie den Verstand, den Mann, zum Schweigen verdammen, ihm das göttlich gegebene Vorrecht, Herr im Hause zu seyn, entziehen.« ] [ Eucken



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gangenheit zurück, wie namentlich zu J. BÖHME, um von da eini­ ges zu entlehnen, was nun durch die gegensätzliche Verwendung auch eine gewisse Entstellung erleidet, aber es fehlt selbsteignes Schaffen, das Ganze charakterisiert sich im Wesentlichen als bloße Oppositionsbewegung, die bei aller Berechtigung der Kri­ tik von dem Gegenstand der Bekämpfung abhängig bleibt und eben den Boden teilt, welchen sie angreift. Wie immer man über die Bedeutung der von hier ausgehenden Strömung denken mag : dass sie sich nicht zu einer wirklichen geschichtlichen Macht zu erheben vermochte, bezeugt sich schon darin, dass sie an Ter­ mini und Begriffen nichts Neues geschaffen, noch der allgemei­ nen Bewegung zugeführt hat. Bei SCHOPENHAUER steht die Sache anders. Hier gewann jenes Grundstreben in der Zeit wirksame Mächte für sich. Es verband sich enger mit Ergebnissen naturwissenschaftlicher Forschung, es griff rein menschlich auf die Anschauung und Empfindung zurück. Mit einer oft abstrakten Metaphysik verschmolz sich hier eine romantisch verklärte, im Grunde aber ungebrochene Sinn­ lichkeit. Wie dabei die Begriffe dem subjektiven menschlichen Leben weit näher treten, so wird die Darstellung unvergleichbar anschaulicher. Die entscheidenden Ausdrücke des Systems, die wie Leitmotive überall durchklingen, haben sich, nachdem das Ganze Beachtung gefunden, rasch Eingang in das allgemeine | Leben gebahnt. Eine systematische Durcharbeitung der Begriffe und daher auch ein verzweigtes Ganze der Terminologie findet sich hier nicht. Im Allgemeinen verwendet SCHOPENHAUER die Sprache des gewöhnlichen Lebens  – das ist ein nicht geringer Grund seines Einflusses. Auch sind die herrschenden Begriffe al­ les eher als in sich klar und widerspruchsfrei ; nach außen mögen sie anschaulich dargestellt und mit großer Kraft durchgeführt sein, über die innerliche Beschaffenheit ist damit nicht entschie­ den. Durchgehend ist das begriffliche Moment der Sprache sehr zurückgedrängt ; wo es sich aber erhält, ist SCHOPENHAUER von

verweist konkret auf diese Stelle, zitiert aber nur die beiden Termini ; wört­ liches Zitat ergänzt von G.S. ].

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den Männern abhängig, für die er, wenn nicht derben Spott, so nur ein herablassendes Lob hat. So traten mannigfache Systeme und Richtungen auf und be­ haupteten neben- oder nacheinander Macht und Herrschaft. Aber keinem gelang es, die Überlegenheit dauernd zu wahren. Das erweist sich auch in der Terminologie. An dem im allgemei­ nen wissenschaftlichen Sprachgebrauch Umlaufenden lassen sich alle jene Systeme erkennen, wenn auch in sehr verschiedenem Grade.A Ein gewisser Synkretismus ist unleugbar vorhanden, mit allen Mängeln und Gefahren. Allerdings erfreuen sich einzelne Disziplinen, wie z. B. die Logik und Psychologie, einer durch­ gebildeten und festen Terminologie, das greift aber nicht weit über die Kreise der Fachgelehrten hinaus. Auch erhält sich bei einzelnen Genossenschaften und Sekten durch Ablehnung alles Fremden eine strenge Observanz. Indessen gleichen die Termini solcher Sekten den Scheidemünzen, deren Geltung nicht über das enge Gebiet hinausreicht. Wer die Philosophie ins Auge fasst, soweit sie sich mit dem Gesamtleben berührt, der wird die der Unsicherheit und Verworrenheit der Sprache entstammenden Missstände schmerzlich empfinden. Namentlich bei uns Deut­ schen hat sich Mannigfaches und Entgegengesetztes so sehr ge­ häuft und ineinander geschoben, dass die technisch philosophi­ sche Sprache kaum noch ein Mittel der Verständigung bildet.B Dass die neuere Terminologie von Anfang an Verschiedenarti­ ges | birgt, ist oben erwähnt. Nachdem wir aber jene aufgenom­ men hatten, ward ein Eignes versucht und mächtig durchgeführt. Die neuere deutsche Philosophie ist der Aufklärungsphilosophie gegenüber so selbständig, dass sie mit den Begriffen auch den Ausdrücken einen erheblich anderen Wert als den überkomme­ nen beilegen musste. Nun aber kam es bei KANT, dem das Ganze A 

Unbedingt überwiegt noch immer Hegel. Wie Verschiedenes kann z. B. verstanden werden, wenn man Ausdrü­ cke wie a priori – a posteriori, subjektiv – objektiv, Idealismus – Realismus, Entwicklung u. A. verwendet ? Für die philosophische Darstellung scheint es in solcher Lage am rätlichsten, Kunstausdrücke möglichst zu vermeiden und die Begriffe lieber auseinanderzulegen, als sie an einen mehrdeutigen Terminus zu heften. B 



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leitenden Geist, nicht zu einer einheitlichen Gesamtwirkung ; die unter sich so verschiedenen Nachfolger endlich mussten den Einfluss miteinander teilen, und so ward das Gesamte keine ge­ schlossene Macht. Daher wurden Begriffe und Termini der ver­ gangenen Jahrhunderte nicht endgültig verdrängt, sie konn­ ten sich bei günstiger Konstellation wieder emporarbeiten und haben dies in Wirklichkeit getan. Denn durch den Rückschlag gegen die spekulative Philosophie sind bei uns tatsächlich die Begriffe des 18. Jahrhunderts wieder zur Herrschaft gelangt. So trifft [ treffen ] in unsern Ausdrücken Aristotelisch-Scholasti­ sches, Aufklärungsphilosophie, neuere spekulative Philosophie zusammen, jegliches Einzelne wiederum in Verzweigungen und Gegensätze auseinandergehend. Das dürfte des Mannigfachen und Widersprechenden zu viel sein. Vor allem musste eine solche Lage den Einfluss der Philoso­ phie auf das allgemeine Leben schwächen, sie daran hindern, den Umfang ihrer Macht zu behaupten und ihren Inhalt vor jähem Sinken zu bewahren. Auf die allgemeine wissenschaftliche Spra­ che haben in den letzten Jahrzehnten weit mehr die Naturwis­ senschaften als die Philosophie gewirkt A und hat die Philosophie von ihnen viel mehr empfangen als ihnen gegeben. Im Gesamt­ leben aber war bei jener Lage ein rascher Verfall der philoso­ phischen Begriffe nicht zu vermeiden. Eine große geistige An­ regung war gegeben, der sich niemand entziehen konnte, aber es fehlte der Bewegung eine sichere Richtung, die das Einzelne A  Man denke nur an die vielen Termini, welche allein der Darwinismus der geistigen Bewegung zugeführt hat. [ Diese Prägung des philosophischen Diskurses durch die Sprache der Naturwissenschaften verlief schon immer und verstärkt im 19. Jh. über metaphorische Begriffsbildungen. Eucken inte­ ressierte sich, wie im vorliegenden Text mehrfach ersichtlich und in seinem einschlägigen Aufsatz 1880 ausgeführt, für die metaphorische Dimension der philosophischen Begriffsbildung und hier auch für den Bildspendebe­ reich der Naturwissenschaften ; dieses Interesse hängt zusammen mit der Konjunktur naturwissenschaftlicher Metaphorik seit ca. 1800, vgl. dazu u.a. Metaphorologien der Exploration und Dynamik 1800/1900. Historische Wissenschaftsmetaphern und die Möglichkeiten ihrer Historiographie, hg. v. Gunhild Berg/Martina King/Reto Rössler, AfB, Sonderheft 59, Hamburg 2018 ; zum Darwinismus s. S. 235, Fn. A .] [ G.S. ]

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hätte festen Zielen unterordnen können. So musste die Ausbrei­ tung der Gedanken in immer weitere Kreise, die aufnehmende oder höchstens reflektierende Teilnahme Vieler verhängnisvoll werden. Mehr und mehr ward der konkrete Inhalt der Termini und Begriffe verdunkelt, das ursprünglich Feste verflüchtigt, das Spezifische abgestumpft. Unklarheit und Unsicherheit waren | die unvermeidliche Folge.A Wir leiden geradezu an einer Sprach­ verwirrung, können uns über das Wesentlichste und Innerlichste nicht mehr verständigen und geraten damit in Gefahr einer gei­ stigen Isolierung der Einzelnen, einer Verflachung des Ganzen. Noch gefährlicher aber als durch die tatsächliche Beschaffen­ heit ist solche Lage durch den Wahn, den sie hervorruft. Könnte man mit den philosophischen Begriffen die philosophischen Ter­ mini eine Zeit lang bei Seite tun, das wäre eher zu ertragen, als dass Ungenügendes und Verworrenes sich zur Weltmacht auf­ wirft und philosophisch inhaltleere Begriffe mit dem Anspruch auftreten, alle Bedürfnisse geistigen Lebens zu befriedigen. Den realen Inhalt der deutschen spekulativen Philosophie lehnt die Zeitströmung ab, von den Tendenzen und Formen derselben bleibt sie durchaus abhängig. Wenn wir die Begriffe, Termini und Schlagwörter betrachten, B welche im allgemeinen Leben am meisten Anziehungskraft äußern, am meisten Einzelkräfte zur Gesamtwirkung verbinden, so lässt sich namentlich der fortdau­ ernde Einfluss HEGELs nicht verkennen. Nur ist es nicht der ur­ sprüngliche Hegelianismus, sondern ein in die gewöhnlichen Reflexionsformen herabgezogener und des spekulativen Inhalts entleerter Hegelianismus, ein umgekehrter, ›schlechter‹ Hege­ lianismus, wie man ihn nennen könnte. In höchst eigentüm­ A  Es gilt auch auf unserm Gebiet, was [ Friedrich Julius ] Stahl : Die Phi­ losophie des Rechts [ nach geschichtlicher Ansicht, Heidelberg 1830 (002), Bd.  1, S. Xf. ] Vorr. X/XI, in allgemeinerm Sinne ausspricht : »Eine unterge­ hende Bildung hat die letzten Fäden ihres Daseyns mit der neu heranbre­ chenden verwebt, und wie die feindlichen Kräfte einander durchdringen, so entstehen die mannigfachen verworrenen Ansichten, die sich unter uns durchkreuzen. Demselben Geist, den wir hier bekämpfen, sind wir dort ver­ fallen. Wir gebrauchen Begriffe und Meinungen, ohne uns der totalen Vor­ stellungsweise bewusst zu sein, der sie angehören.« B  Also z. B. Immanenz, Monismus, Entwicklung, Fortschritt.



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licher Weise vermögen wir es, Abstrakta wie Gottheiten zu ver­ ehren. Sich für Fortschritt und Entwicklung zu begeistern, ohne zu fragen, was sich denn in dem Prozess vollziehe, für Monismus, ohne klar zu sein, was geeinigt werden soll, für Immanenz, ohne irgendwelche Bestimmung dessen, was in der Welt sich als einwohnend bezeigen mag, das bringen wir ohne Mühe fertig.A Bei jeder nähern Betrachtung stellt sich hier heraus, dass sich die Gedanken in einem Zirkel bewegen. Wo aber den Begriffen eine konkretere Fassung gesucht wird, da schiebt sich – wie seit Beginn der Aufklärungsphilosophie – sofort ein spezifisch Na­ tura | listisches unter. Alsbald aber gerät die Form, welche auf der spekulativen Philosophie beruht und von ihr nicht losgerissen werden kann, in einen vollen Widerspruch zum Inhalt. Fürwahr kein erfreuliches Bild, aber wir glauben kaum, dass man uns der Übertreibung zeihen wird. Vor einem niederdrü­ ckenden Pessimismus wird jeder gesichert sein, der gelernt hat, die Dinge nicht von den Erlebnissen und Stimmungen des Au­ genblicks her zu betrachten. Was für den Augenblick keine Ver­ wendung findet, ist damit durchaus nicht verloren, was nicht unmittelbar weitergeführt wird, in seinen Wirkungen nicht abge­ brochen. Überhaupt aber waren ähnliche Lagen auch zu andern Zeiten zu konstatieren, der Verlauf der Bewegung hat schließlich rasch über sie hinweggeführt. Und bei allem Verwandten unter­ scheidet sich die Gegenwart von jenen Zeiten in der Hauptsache vorteilhaft. Grund der Verwirrung ist hier nicht einfach ein Sin­ ken geistiger Kraft, welches das Ausgelebtsein einer Welt verriete, sondern ein innerer Zwiespalt des Lebens, ein Hervorbrechen mannigfacher noch nicht zur Ausgleichung gekommener Kräfte, der Beginn großer Strebungen, die von der Zukunft ihre Voll­ endung erwarten. |

A  [ Vgl. hier und für das Folgende Eucken : Geschichte und Kritik der Grundbegriffe der Gegenwart, Leipzig 1878 ; mehrere überarbeitete Neuauf­ lagen unter unterschiedlichen Titeln, 6., umgearb. Aufl. Berlin/Leipzig 1920 u.d.T. Geistige Strömungen der Gegenwart, in : GW, Bd.  4 ].

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ie Geschichte der Termini hat namentlich durch das Zu­ sammentreffen und gegenseitige Einwirken mannigfacher Elemente etwas Lebendiges und Anziehendes. Begriff und Wort müssen in feste und allgemeinanerkannte Verbindung treten, das führt nicht wenig Probleme mit sich und birgt fast unüberseh­ bare Wechselfälle. Die Probleme, sofern sie weiter zurückliegen, lassen wir getreu der Anlage dieser Arbeit beiseite. Sosehr hin­ sichtlich des Grundverhältnisses von Denken und Sprechen die Lehren auseinandergehen, so verschieden man über Ursprung und Entwicklung der Begriffe urteilen mag und so abweichend danach auch die letzte Wertschätzung mancher uns berührender Punkte ausfalle : bis zu einer gewissen Grenze lassen sich die Fra­ gen behandeln, ohne dass man sich zum Streit entzweit ; inner­ halb dieser Grenze aber hoffen wir die folgenden Untersuchungen halten zu können. Sich mit Prinzipienfragen ohne Not nebenbei zu befassen ist ein Unrecht sowohl gegen jene Probleme, die als­ dann nicht zu ihrem Recht kommen, als gegen das nächste Ob­ jekt, welches unnütz mit Schwierigkeiten beladen und wenn nicht erdrückt, so doch zurückgesetzt wird. Wir begnügen uns daher mit dem Einfachsten und verknüpfen unsere Untersuchung le­ diglich durch den Faden, den die mannigfachen Schicksale der einzelnen Termini vom Ursprunge bis zum Untergange bieten. Die Erörterungen müssen dabei in Beispielen Veranschaulichung finden ; aber auch hier werden wir uns·möglichster Knappheit be­ fleißigen. Auf Grund der vorangegangenen Gesamtgeschichte lässt sich | manches Andere herbeibringen und ohne zu große Arbeit weiter verfolgen ; eine Wiederholung oder ein zu weites Ausspinnen schien besonders misslich auf einem Gebiet, das von vornherein dem Vorwurf des Kleinlichen offen liegt. Die erste Frage, welche sich einem vorhandenen Terminus gegenüber zu erheben pflegt, ist die nach dem Wann und Wo

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seiner Entstehung ; sofort aber empfinden wir dabei die eigen­ tümlichen Schwierigkeiten des Gegenstandes. Das GOETHESCHE Wort »die Literatur ist ein Fragment der Fragmente, und von diesem kennt der Einzelne wieder nur ein Fragment«A trifft hier vielleicht in höherem Grade zu als irgendwo anders. Mögen lei­ tende Begriffe stets auf große Denker hinweisen, die sprachliche Verkörperung kann von sehr untergeordneten Geistern vollzo­ gen sein, auf die auch der gewissenhaft Forschende fast nur durch Zufall gerät. Und was bürgt dafür, dass derjenige das Wort ge­ schaffen, der es in der uns vorliegenden Literatur zuerst verwen­ det ? Kann es nicht vorher, namentlich in engern Kreisen, um­ gelaufen und endlich literarisch verwandt sein, ohne dass der Autor selber ein Bewusstsein der Neuheit hatte ? Eben bei den Termini vollzieht sich der Übergang von den ersten Anfängen bis zur scheinbaren Selbstverständlichkeit oft überaus rasch, so dass dem später Herantretenden es schließlich fast unmöglich ist, die Wahrheit zu ermitteln. Bisweilen liegt die Unzulänglichkeit unserer Kenntnis klar vor, sei es, dass der Ausdruck uns an einer Stelle entgegentritt, wo er augenscheinlich nicht entstanden sein kann, sei es, dass er da schon als herkömmlich erscheint, wo wir ihn zuerst finden. So werden manche griechische Termini uns zuerst bei den Römern mitgeteilt, B verschiedenes Mittelalterliche ist mit Sicherheit nur aus der Opposition zu erkennen.C Verhältnismäßig selten befin­ A  [ Johann Wolfgang v. Goethes Werke. Vollständige Ausgabe letzter Hand, Bd.  49, Stuttgart/Tübingen 1833 (002), S. 34 (»Literatur ist das Frag­ ment der Fragmente ; das Wenigste dessen, was geschah und gesprochen wurde, ward geschrieben, vom Geschriebenen ist das Wenigste übrig geblie­ ben.« Maximen und Reflexionen). Das Gesamtzitat konnte nicht vollständig nachgewiesen werden, auch nicht unter Rekurs auf das Goethe-Wörter­ buch. ] [ G.S. ] B  Z. B. bei Cicero Logik als Bezeichnung der Disciplin (s. Prantl : [ G e­ schichte der Logik im Abendlande, Leipzig 1855 (002) ], Bd, 1, S. 514 [ Fn 27 ]), De fin. I, 7, 22 : »iam in altera philosophiae parte quae est quaerendi ac disse­ rendi, quae λογική dicitur […].« Auch ἀλληγoρία lässt sich zuerst bei Cicero nachweisen. [ Vgl. Cic. Att 2,20,3 (Plural) ]. [ M.E. ] C  So z. B. ist der Ursprung des sog. pons asinorum auch durch Prantl keineswegs vollständig aufgehellt, s. [ Prantl : Geschichte (…), Bd.  4 , [ L eip­



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den wir uns in der glücklichen Lage, dass ein Schriftsteller | sich ausdrücklich als Urheber eines Wortes bekennt A oder den Ter­ minus doch sichtlich als einen neuen einführt.B Manches bie­ ten Angaben glaubwürdiger nahestehender Schriftsteller, wenn­ schon [ obschon ] man sich darauf wegen der Leichtigkeit von Irrungen selten unbedingt verlassen darf. Anderes kann aus der Verknüpfung der Termini mit den leitenden Gedanken erschlos­ sen werden. Am meisten aber wird es darauf ankommen, die ein­ zelnen Persönlichkeiten und Zeitabschnitte zusammenfassend zu betrachten und zu vergleichen. Aus diesem Allen wird sich für das Ganze ein ziemlich sicherer Boden gewinnen lassen, im Einzelnen bleibt die Forschung manchen Gefahren ausgesetzt. Zunächst werden wir durch den Eindruck einer Unentbehr­ lichkeit bestimmter Termini leicht verführt, sie ihrem Ursprung nach zu hoch hinaufzurücken : was als Ausdruck eines wesent­ lichen Begriffs nunmehr in Aller Munde ist, scheint nicht in na­ heliegender Zeit entstanden sein zu können. So würde man von vornherein kaum vermuten, dass BewusstseinC und Vorstellung (im jetzt rezipierten Sinne) erst von WOLFF stammen, dass Gesinnung sich weder im Mittelalter noch bei LUTHER findet, ja erst im 18. Jahrhundert einzutreten scheint, dass Gefühl erst durch ­T ETENS (1777) Bezeichnung eines dritten Seelenvermögens ge­ zig 1870 (002) ], S. 206, Fn. 165. Die erste ausdrückliche Anführung geschieht in einem nicht unzweifelhaft echten Abschnitt des Petrus Tartaretus (Ende des 15. Jahrh.). Daselbst heißt es (Prantl, Bd.  4 , S. 206) : »Ut ars inveniendi medium cunctis sit facilis, plana atque perspicua, ad manifestationem poni­ tur sequens figura, quae communiter propter ejus apparentem difficultatem pons asinorum dicitur«. A  Verschiedene Beispiele dafür liefert der erste Abschnitt. B  So z. B. Plato, Theaet. 182 A : ἴσως οὖν ἡ ποιότης ἅμα ἀλλόκοτόν τε φαίνεται ὄνομα κτλ. [ Das Wort wird als fremd (ἀλλόκοτόν) bezeichnet wie an anderer Stelle Philosophen allgemein (vgl. Plat. rep. 487d). Man könnte ergänzen, dass Cicero (acad. I 25. Qualitates igitur appellavi quas ποιότητας Graeci vocant, quod ipsum apud Graecos non est vulgi verbum, sed philoso­ phorum, atque id in multis) die Stelle im Theaitet (182a) imitiert und das Substantiv qualitas von qualis neu prägt. ] [ M.E. ] C  Bewusst ist, wie wir sahen, älter. Unbewusst scheint im 18. Jahrhundert aufgekommen zu sein.

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worden ist.A Bildung ist zwar dem Wort nach auch in der Philo­ sophie alt, aber lange Jahrhunderte hindurch bezeichnet es nur Bild, Bildnis oder Form, Gestalt, erst GOETHE dürfte die neuere Bedeutung durchgesetzt haben.B Fortschritt ist erst in unserem Jahrhundert recht eigentlich aufgenommen.C Nicht selten ver | an­ lassen uns ferner antikisierende Formen, den Ursprung eines Terminus an unrichtiger Stelle zu suchen. Wir sahen, dass Psychologie dem 16. Jahrhundert angehört, Teleologie von WOLFF ge­ bildet ist ; Biologie erscheint zuerst bei LAMARCK (1801). A  Bei Wolff und seinen nähern Anhängern werden nur zwei Seelenvermögen unterschieden : Verstand und Wille. B  [ K aspar v ]. Stieler [ : Der teutschen Sprache Stammbaum und Fort­ wachs oder teutscher Sprachschatz, Nürnberg ] 1691 [ (001), S. 149 ] erklärt Bil­dung fictio, exemplum, simulacrum, species. Gemüthsbildung ­phantasia. Sinnenbildung idea. Eine treffliche Kunstbildung ›figura periti artificis manu expressa‹. Adelung [ : Versuch eines vollständigen grammatisch-kri­ tischen Wörterbuches der hochdeutschen Mundart, Leipzig 1774 (002), Bd.  1, Sp. 912 ] bemerkt unter dem Worte Bildung »so wohl von der Handlung des Bildens, als auch, und zwar am häufigsten, von der Gestalt eines Menschen, besonders von der Gestalt des Gesichtes. Ein Mensch von guter Bildung«. Lessing hat (Hamb. Dramat., 59. Stück) den Gegensatz : Der Unerzogenste – der Polirteste [ G otthold Ephraim Lessing : Sämmtliche Schriften, hg. v. Karl Lachmann, Berlin 1839 (005), Bd.  7, S. 265 ]. [ Zu Goethes Begriff der Bildung vgl. Goethe-Wörterbuch, Lemma Bildung, rund 900 Belege ; dem­ zufolge ab 1800 Dominanz des pädagogischen Bildungsbegriffs bei Goethe ;­ https ://woerterbuchnetz.de ]. [ Vgl. auch Eucken über Bildung, GG 61920, in : GW, Bd.  4 , S. 244 ff. ]. [ G.S. ] C  Selbst Adelung führt Fortschritt noch nicht an, wohl aber Fortschreitung, was auch Stieler hat. Fortschritt verwendet z. B. neben dem häufi­ gern Fortgang Herder [ Herder : Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit, Riga/Leipzig 1784 (001, 003), Bd.  1, S. 14 (Fortschritt), S. 9 und passim (Fortgang) ]. Fortgang ist überhaupt älter. Auch bei den Griechen ist der eigentlich technische Ausdruck προκοπή erst bei den Stoikern ge­ wonnen. [ Begrifflich und lexikalisch reicht die Geschichte von Fortschritt (progress, progrès etc.) ganz offenkundig erheblich weiter zurück, als Eucken dies sieht. Wort und Terminus sind im 18. Jh. in den großen europäischen Sprachen geläufig und ein Schlüsselbegriff der europäischen Aufklärung, insbesondere in Frankreich seit der Querelle des Anciens et des Modernes und bis hin zu Condorcet. Vgl. u.a. die einschlägigen Artikel im HWPh so­ wie Kosellecks Beiträge zur Geschichte des Fortschrittsbegriffs (vor allem Reinhart Koselleck : Art. Fortschritt, in : Geschichtliche Grundbegriffe, Teil­ band 2 (1975), S. 351 – 423. ] [ G.S. ]



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Umgekehrt kann manches für zu jung gelten. Auch hier leitet der von der gegenwärtigen Lage abhängige Eindruck irre. Was wir mit Vorliebe als modern betrachten, wird leicht dem Frühern abgesprochen.A Im Besondern wird oft der Punkt, wo etwas in die bis zur Gegenwart fortdauernde Bewegung eintritt, für den des Ursprunges gehalten. Aber vielleicht hat dieser Augenblick schon eine lange Geschichte hinter sich. – Oder auch wir ver­ knüpfen unzertrennlich mit dem Namen großer Denker, was in ihrem Systeme eine hervorragende Stellung einnimmt und von hier aus sich zu uns verbreitet hat. Nun aber nehmen solche Män­ ner gewöhnlich die Ergebnisse von Gesamtbewegungen und gan­ zen Epochen in sich auf, um sie freilich von sich aus einem festen Zusammenhange einzufügen und innerlich zu vertiefen. So ist von dem, was leicht als spezifisch KANTISCH erscheint, manches im Laufe des 18. Jahrhunderts durch die Arbeit vieler vorberei­ tet.B Ferner entgeht da, wo ein Denker in uns entfremdete Zeiten zurückgreift, leicht die Entlehnung. Oft sehen wir SPINOZA und LEIBNIZ etwas als eigentümlich beigelegt, was wir bis tief in die Scholastik verfolgen können. Dass jenes geflügelte Wort ›nihil est in intellectu quod non ante fuerit in sensu‹ zu Beginn der neuern Philosophie als ein allbekannter scholastischer Satz gilt, ist bis­ weilen in volle Vergessenheit geraten. – Je ferner uns die Zeiten liegen, um die es sich handelt, desto größer wird naturgemäß die A  Z. B. modern (modernus) selbst werden wir schwerlich schon bei Cas­ siodor († 577) erwarten. Im Mittelalter begegnen wir dem Wort in der phi­ losophischen Literatur oft, und in der Verwendung bezeugt sich bisweilen derselbe Stolz auf die Gegenwart wie jetzt, s. z. B. Roger Baco : Specula ma­ the­matica […] [ hg. v. Johann Combach, Frankfurt am Main 1614 (001), S. 37 ], dist. ΙΙΙ, cp. 2 : »quibus nullus modernus modo contradicit : nam trita est haec veritas in natura.« [ In der Tat lässt sich modernus schon bei Cassiodor be­ legen. Zur Geschichte von modernus vgl. auch Eucken : GG, in : GW, Bd.  4 , S. 278 ff.  – Seit dem einschlägigen Art.  Antiqui/moderni (Querelle des Anciens et des Modernes) von Hans Robert Jauß (HWPh, Bd.  1) sind bis heute enorm viele begriffsgeschichtliche Untersuchungen mit immer neuen Fun­ den zu modern – Moderne – Modernität erschienen, die hier im Einzelnen nicht anzuführen sind. ] [ G.S. ] B  So z. B. die neue Bedeutung von subjektiv  – objektiv, von a priori  – a posteriori, Verstand – Vernunft, Ding an sich – Erscheinung.

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Gefahr der Irrung. Es wird die Macht der kleinen Kräfte verges­ sen oder unterschätzt, einzelne Höhepunkte liegen unvermittelt nebeneinander, die Bewegung scheint weniger kontinuierlich, als sie tatsächlich ist. Freilich haben überall ein | zelne schaffenskräf­ tige Persönlichkeiten die entscheidenden Wendungen vollzogen, aber auch die weniger hervortretende Arbeit vieler und die gan­ zer Geschlechter hat zum Gesamtergebnis beigetragen. – Weit geringer ist die Gefahr, dass etwas einem Denker zugeschrieben wird, was erst die Schule gebildet hat. So ging es z. B. mit dem Terminus νοῦς ποιητικός, der bei ARISTOTELES nicht an einer einzigen Stelle vorkommt. Die bei dem Allen möglichen Irrungen werden oft durch ein Zusammentreffen äußerer Momente veranlasst oder befestigt. Die Übereinstimmung des Wortes erweckt den Schein einer Identität des Terminus. Wenn sich z. B. bei ECKHART miteliden findet, so ist dabei nicht an den spezifischen Begriff des Mitleids als Unlustempfindung in Folge innerer Teilnahme zu denken ;71 wenn derselbe von dem geist an ime selber redet, A so werden wir bei aller Beachtung solchen Ausdrucks nicht den Sinn der neuern Philosophie hineintragen. Bisweilen auch trifft [ treffen ] Begriff und Wort bei einem Autor zusammen, ohne doch schon in jene feste Beziehung zu treten, die zum Wesen eines Terminus ge­ hört. POLYBIUS hat unzweifelhaft den Begriff der pragmatischen Geschichtsschreibung, und er verwendet zur Bezeichnung seiner eignen Art den Ausdruck πραγματικός, aber die spezifische De­ termination, welche dieser eben durch seinen tatsächlichen Vor­ gang erhielt, ist ihm selber noch nicht scharf ausgeprägt. Pragmatische Art bedeutet ihm nichts Anderes als ὁ περὶ τὰς πράξεις τρόπος.B – Die Schwierigkeit einer bestimmten Angabe wächst, wenn ein Terminus sich allmählich und durch verschiedene Pha­ sen hindurch gebildet hat, die wir vielleicht nur vermutungsweise aufstellen können.C Hier vor allem werden wir uns damit begnü­ A  [ Deutsche Mystiker des vierzehnten Jahrhunderts, hg. v. Franz Pfeiffer, Bd.  2 : Meister Eckhart, Leipzig 1857 (002) ], S. 73, Z. 5 ; S. 520, Z. 10. B  S. oben S. 31. C  Beispiele dafür werden weiter unten zur Anführung kommen.



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gen müssen, gewisse Grenzen zu ziehen, innerhalb deren die Wandlungen gefallen sein müssen. Aber auch dies kann unter Umständen wertvoll sein. Die Probleme steigern sich, wenn wir nicht nur die einzelnen Ausdrücke, sondern Verbindungen, Gegensätze, Gruppen, ja ganze Gebiete durchmustern. Oft erhält erst in solchem Zusam­ menhang das Wort eine technische Bedeutung, so dass an jenem unser Hauptinteresse liegt. Z. B. die Ausdrücke klar (clare) und deut | lich (distincte) haben erst durch die spezifische Verknüp­ fung den Charakter eines Terminus angenommen. Die einzel­ nen Worte sind auch in philosophischer Verwendung alt, aber erst nach mannigfacher Vorbereitung scheint jene Verbindung erfolgt zu sein, die wir bei DESCARTES antreffen.A Ähnlich sind auch Glieder eines später technisch gewordenen Gegensatzes einzeln oft lange vorhanden, ehe sie in die bestimmte Beziehung treten und damit eine begriffliche Zuspitzung annehmen. So wa­ ren abstractus und concretus nicht neu, als sie auf der Höhe der Scholastik (s. S. *66, *68) die spezifisch logische Verwendung er­ hielten. ᾽Ανάλυσις findet sich zuerst, σύνϑεσις zuerst technisch bei ARISTOTELES (ἀναλυτικός hat eben dieser zuerst, während συνϑετικός einmal im Politikus,72 dagegen nicht bei ARISTOTE­ LES vorkommt), die Entgegensetzung zur Bezeichnung verschie­ dener Methoden erscheint aber erst bei ALEXANDER VON APHRO­ DISIA[ A E, Korr. Eucken ].B Auch die Frage, wann zwei synonyme A  Wir berufen uns dafür auf eine Stelle aus Wolff, deren einzelne Anga­ ben wir aber nicht genügend zu verifizieren vermögen. [ Vgl. Wolff ] : Psycho­ logia empirica, [ methodo scientifica pertractata, Frankfurt am Main/Leip­ zig 1738 (002), S. 42 ] § 76 : »Exemplum habemus in differentia perceptionum, quod aliae sint clarae, aliae obscurae ; aliae distinctae, aliae confusae. Etenim ex Elementis Opticae Euclidis apparet, jam olim visionem distributam esse in claram et obscuram, et claram subdivisam in confusam atque distinc­ tam. Ad notiones quoad rem ipsam illam differentiam applicavit Valerianus Magnus e Capucinorum familia, in Logica : Cartesius vero etiam nomina retinuit. Utriusque vestigia secutus est Leibnitius, qui multum tribuit acu­ mini Valeriani Magni, terminis cum Cartesio assumtis adjungens notiones Valeriani definitionibus Euclideis apud Herigonium in Cursu Mathematico consentientes.« B  S. die bei Prantl : [ G eschichte der Logik (…), ] Bd.  1 [ 002 ], S. 623 [ Fn. 23 ]

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Ausdrücke zuerst technisch distinguiert wurden, gehört hierher. Manches lag geraume Zeit in der Sprache nebeneinander, ehe es vom Denken ergriffen und abgegrenzt wurde. In allen bedeuten­ den Systemen sahen wir eine Sonderung sonst ziemlich gleich­ wertiger Ausdrücke stattfinden. Wenn bei den Gegensätzen die Glieder nicht miteinander ent­ standen sind, A so kann die Frage einiges Interesse bieten, wel­ ches Glied das ältere sei und vielleicht das andere hervor | gerufen habe. Sosehr von dem Negativen das Positive vorausgesetzt wird, so kann es doch recht wohl geschehen, dass die Aufmerksamkeit der Denker sich zunächst der Verneinung zuwendet. Im Weitern ist z. B. ἐξωτερικός (ARISTOTELES) älter als ἐσωτερικός, natura naturata findet sich auf der Höhe der Scholastik, hat hier aber als Gegenglied die ungenaturte Natur ;B natura naturans dürfte erst später entstanden sein. Zu Beginn der neuern Philosophie gilt freilich der Gegensatz der n. naturans und naturata schon als ein herkömmlicher.C νοητός (PLATO) ist älter als νοερός (STOA), auch in der Übertragung ging intelligibilis (SENECA) intellectualis (APULEJUS) voran. Optimismus ward in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts geschaffen, um die LEIBNIZISCHE Lehre von der besten Welt zu bezeichnen, Pessimismus dürfte erst zu Beginn angeführte Stelle : ἀναλυτικὰ δέ, ὅτι ἡ παντὸς συνϑέτου εἰς τὰ ἐξ ῶν ἡ σύνϑε­ σις αὐτοῦ ἀναγωγή, ἀνάλυσις καλεῖται, ἀντεστραμμένως γὰρ ἡ ἀνάλυσις ἔχει τῇ συνϑέσει ˙ ἡ μὲν γὰρ σύνϑεσις ἀπὸ τῶν ἀρχῶν ὁδός ἐστιν ἐπὶ τὰ ἐκ τῶν ἀρχῶν, ἡ δἐ ἀνάλυσις ἐπάνοδος ἐστιν ἐπὶ τὰς ἀρχὰς ἀπὸ τοῦ τέλους. [ Die zitierte Stelle stammt aus Alexander von Aphrodisias Alex. Aphr Ad An. 4a ; der griechische Text wurde hg. v. Max Wallies, Alexandri in Aristo­ telis analyticorum priorum librum I commentarium, Berlin 1883 (CAG 2.1). ] [ M.E. ] A  So scheint διαιρετός und ἀδιαιpετός gleichzeitig in der Philosophie zur Geltung zu kommen (bei Aristoteles), auch ins Lateinische ist beides zu­ gleich übertragen (dividuus und individuus finden sich bei Cicero). B  Die deutsche Übersetzung findet sich schon bei Eckhart [ Deutsche Mystiker des vierzehnten Jahrhunderts, hg. v. Franz Pfeiffer, Leipzig 1857 (002) ] Bd.  2, S. 537, Z. 31 : ungenaturte nature – genaturte nature. C  Bartholomaeus Arnoldi von Usingen [ : Totius Naturalis Philosophiae Epitome Olim Singulari studio Bartholomaei Arnoldi Usingensis, (Erfurt) 1543 ], S. 9,10, wo der Gegensatz besonders eingehend entwickelt wird.



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unseres Jahrhunderts entstanden und namentlich durch SCHO­ PENHAUER in Umlauf gekommen sein.73 Auch bei ganzen Gruppen von Termini und Schlagwörtern kann die Feststellung der Reihenfolge des Einzelnen insofern die Betrachtung anziehen, als sie auf die Entwicklung der Begriffe und Überzeugungen einiges Licht wirft. Als Beispiel mögen hier zunächst die weit verbreiteten Parteibenennungen innerhalb der Religionsphilosophie dienen. Obschon sie alle den letzten Jahrhunderten angehören, so bieten sie nach Ursprung und Ge­ schichte manche Verschiedenheit. Naturalist und Deist reichen bis ins 16. Jahrhundert zurück.A Zwischen Deist und Theist ward im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts mannigfach zu scheiden versucht, doch ist erst die KANTISCHE Distinktion zu größe­ rer, wenn auch keineswegs allgemeiner Geltung gekommen.B | A  Naturalist findet sich z. B. zur Bezeichnung eines die natürliche Er­ kenntnis als primäre Erkenntnisquelle setzenden Denkers in dem (nur handschriftlich vorhandenen) Werke Bodins Colloquium heptaplomeres (1588 geschrieben), s. [ Gotthard Victor ] Lechler : Geschichte des englischen Deismus [ Stuttgart/Tübingen 1841 (002) ], S. 31 [ S. 455 ]. In dem Werke fin­ det sich auch der Ausdruck naturae religio (religio naturalis als Gegensatz von r. civilis hatte schon Varro). [ Eucken übersieht, dass eine (Teil-)Tran­ skription des lateinischen Textes und die deutsche Übersetzung des Tex­ tes mittlerweile erschienen waren : Das Heptaplomeres des Jean Bodin. Zur Geschichte der Cultur und Literatur im Zeitalter der Reformation, hg. v. Gottschalk Eduard Guhrauer, Berlin 1841. Dt. Übers. u. d. T. Von den verbor­ genen Geheimnissen erhabener Dinge (002). Das Wort naturalista kommt nur im Vorwort von Guhrauer vor, der sich damit auf eine geläufige Ein­ ordnung Bodins bezieht (S. LXXIII). 1857 erschien zudem eine Edition des lateinischen Textes, vgl. Colloquium Heptaplomeres de rerum sublimium arcanis abditis, hg. v. Ludwig Noack, Schwerin/Paris/London, ND Hildes­ heim 1970 (006). – Das HWPh führt für Deist einen Erstbeleg aus dem Jahre 1564 an. ] [ G.S. ] Als Stifter der ›Sekte‹ der Deisten ward oft Wilhelm Postellus [ Guillaume Postel ] hingestellt, doch habe ich in dessen eignen Schriften das Wort Deist nicht gefunden. B  So sagt z. [ K arl Gottlieb ] Bretschneider : Systematische Entwicklung aller in der Dogmatik vorkommenden Begriffe, 4. Aufl. 1841, S. 27 [ L eipzig 31825 (002), S. 31, Anm. 26 ] : »Zwischen Theismus und Deismus ist an sich kein Unterschied des Begriffs, sondern nur der Schreibart, nach der griechischen oder lateinischen Abstammung, und eine Distinction zwischen beiden ist willkürlich.« [ Zu Deismus/Theismus vgl. auch Eucken (déisme/théisme) in :

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Scheinen Naturalist und Deist Frankreich ihren Ursprung zu verdanken, so weist das im 17. Jahrhundert entstandene Rationalist auf England hin.A Pantheist findet sich 1705 bei TOLAND, Pantheismus 1709 bei seinem Gegner FAY[ E ], die Bezeichnungen sind aber erst sehr allmählich in allgemeinern Gebrauch gekom­ men.B In dem Ganzen ist die fortschreitende Differenzierung be­ achtenswert. Zu Anfang wird jede abweichende Richtung von den Anhängern des Alten als Atheismus verketzert, bis sich die Unterschiede Anerkennung erzwingen. Auch die Reihenfolge der Ausdrücke dürfte nicht zufällig sein. Mehr spezifisch philosophisches Interesse kann es bieten, die Reihenfolge der Termini bei einer innerlich geschlossenen Gruppe zu verfolgen. Bei den Kategorien hat z. B. die Qualität Lalande : Vocabulaire (…) (2010), S. 213 ; zur frühen Geschichte von Deismus vgl. auch Günter Gawlick : Art. Deismus, in : HWPh, Bd.  2, Sp. 44 ] [ G.S. ] A Tholuck sagt in Herzogs Real-Encyclopädie [ f ür protestantische Theo­ logie und Kirche, hg. v. Johann Jakob Herzog, Gotha 1860 (002), Bd.  1 2, S. 538 ] u. d. W. [ L emma ] Rationalist : »Diese auf das sogenannte natürliche Licht gestützte Richtung erhielt ihrer Zeit den Namen Naturalismus, Deis­ mus, auch hie und da Rationalismus. Doch fällt die Entstehung des Namens nicht mit der dieses Systems zusammen, vielmehr wird der Name rationis­ tae – was das früheste Datum des Gebrauchs zu seyn scheint – schon am Anfange des (17.) Jahrhunderts den aristotelischen Humanisten der Helm­ stedter Schule von ihren Gegnern beigelegt (s. Henke, Calixt I, 248), später von Comenius (Theol. natur. 1688 ep. dedic.) auch den Socinianern (s. Hahn, De rationalismi qui dicitur vera indole 1827).« Entscheidender aber ist, was Lechler : Gesch. des engl. Deismus, [ Stuttgart/Tübingen 1841 (002) ], S. 61 [ Fn 1 ], berichtet : »In den State-papers von Clarendon Bd. II. S. XL des An­ hangs sagt ein Schreiben vom 14. Okt. 1646 : There is a new sect sprung up among them (Presbyterians and Independents) and these are the Rationa­ lists ; and what their reason dictates them in Church or state stands for good, until they be convinced with better.« Für die Verbreitung des Ausdruckes mag Anführung verdienen, was Leibniz 484 a berichtet [ f ür Rationalist und Freidenker vgl. auch God. Guil. Leibnitii Opera philosophica quae exstant latina gallica germanica omnia, hg. v. Erdmann, Bd.  2 , Berlin 1840 (000), Sp. 471b (Esprits-forts) ]. Freethinker, das sich zuerst bei Molyneux findet, ist durch Collins eigentlicher Parteiname geworden, s. Lechler, S. 457. B  S. Ulrici in Herzogs Real-Encyclopädie [ f ür protestantische Theologie und Kirche, Bd.  11, Gotha 1859 (002), S. 64 – 7 7, Lemma Pantheismus ]. Eduard Boehmer : De Pantheismi nominis origine et usu et notione, [ Halle ] 1851.



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eher ihre Bezeichnung gefunden als die Quantität : ποιότης tritt schon bei PLATO auf und ist bei ARISTOTELES ein vollständig ein­ gebürgerter Ausdruck, ποσότης findet sich bei ARISTOTELES an einer einzigen Stelle. Bei den causalen Begriffen sind in den ver­ schiedenen Sprachen die Termini für Wirkung und Folge jünger als die für Ursache und Grund. ARISTOTELES hat freilich für lo­ gische Konsequenz den Ausdruck ἀκολούϑησις,A aber eine um­ fassende Bezeichnung für das Verhältnis kausaler Abhängigkeit aufzustellen, | blieb den Stoikern vorbehalten. Bei ihnen findet sich auch zuerst ἀπoτέλεσμα = Ergebnis. Bei uns geht Wirkung freilich bis auf ECKHART zurück, B Folge in kausaler Bedeutung scheint aber nicht weiter als ins 16. Jahrhundert hinaufzurei­ chen.74 Ergebnis ist ganz jung. ADELUNG führt es noch nicht an. (LEIBNIZ übersetzt effectus »Auswurf«).C Sodann lässt sich die Frage dahin erweitern, in welcher Ord­ nung sich die Termini einer gesamten philosophischen Diszi­ plin, z. B. der Logik oder der Psychologie, ausgebildet haben. Je­ des Gebiet hat hier in den einzelnen Sprachen eine besondere Geschichte, die vergleichend zu betrachten manche Einsicht ge­ währen dürfte. Auch auf den Punkt kann sich endlich die Auf­ merksamkeit richten, ob nicht hinsichtlich der verschiedenen Disziplinen und Gebiete darin ein Unterschied bestehe, dass die einen ihre Termini früher, die andern später gestaltet haben. Na­ türlich lassen sich solche Fragen immer nur in Hinsicht auf eine bestimmte Kulturperiode behandeln, und man wird sich aufs Sorgfältigste hüten müssen, hier rasch allgemeine Sätze zu fol­ gern. Das aber wird in Betreff der uns vorliegenden Entwicklung vielleicht behauptet werden dürfen, dass eine spezifisch techni­ sche Fixierung sich eher bei den theoretischen als bei den prak­ tischen, eher bei den makrokosmischen als bei den mikrokosmi­ schen Grundbegriffen findet. A 

Insofern (s. auch S. *26) ist die Bemerkung S. *32 einzuschränken. [ Deutsche Mystiker des vierzehnten Jahrhunderts, hg. v. F. Pfeiffer, Bd.  2 : Meister Eckhart, Leipzig 1857, S. 183 : würckung ]. [ Vgl. Anm. 74, K.Z.-W. ] C  [ L eibniz : Deutsche Schriften, hg. v. G. E. Guhrauer, Berlin 1840 (002), S. 48 (»ein gewisser ohnfehlbarer Effect oder Auswurf«) ]. B 

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Sind wir also beim Terminus über die Zeit der Entstehung ei­ nigermaßen im Reinen, so werden wir einen Blick auf die Art werfen, wie dieselbe zustande gekommen ist. Die Umstände sind hier wesentlich verschieden danach, ob der Begriff, dem der Ter­ minus dient, dem technisch philosophischen Denken entspringt oder ob er einer Bewegung des allgemeinen Lebens sein Dasein verdankt. Dort hat man meist den schöpferischen Akt eines Ein­ zelnen aufzusuchen, hier wird die Gestaltung allmählich erfol­ gen und vielleicht mannigfache Stufen durchlaufen. Überhaupt stehen sich hier die bewusste, wenn auch nicht gerade reflektie­ rende Tätigkeit einzelner hervorragender Persönlichkeiten und das scheinbar instinktive Wirken des Ganzen oder vielmehr das gemeinsame Bilden ungezählter Kräfte entgegen. Im großen Ganzen überwiegt natürlich das erstere, aber auf den allgemeine Interessen unmittelbar berührenden Gebieten vermag auch die Gesamtheit erheblich beizutragen. So macht es z. B. KÄHLER in seiner Untersuchung über die | Geschichte des GewissensA wahrscheinlich, dass jene spezifisch ethische Bedeutung, an die wir jetzt zunächst denken, nicht so sehr den Lehren einzelner Philosophen als einer allgemeinen Bewegung entstammt. Συνείδησις, das uns zuerst bei CHRYSIPP begegnet, B bedeutet zunächst nur Bewusstsein (als etwas Ins­ tinktives, allen lebenden Wesen von Natur Zukommendes), die »ethische Sonderbedeutung taucht in der Literatur ohngefähr gleichzeitig für συνειδóς bei PHILON, für συνείδησις im Buche der Weisheit, bei DIODOR VON SICILIEN und DIONYS VON HALI­ KARNASS auf«.C Vieles spricht dafür, dass in dieser Weiterbil­ dung die Einzelnen einem allgemeinen Strome folgten. Ähnlich scheint conscientia nicht sowohl von der Philosophie ins Volks­ leben als umgekehrt von diesem zu jener gekommen zu sein, A S. [ Martin ] Kähler : Das Gewissen. Die Entwickelung seiner Namen und seines Begriffes […], [ Halle ] 21878 [ 002 ]. B  Freilich findet sich das Wort auch einmal in einem Demokrit beigeleg­ ten ethischen Fragmente, s. [ Friedrich Wilhelm August ] Mullach : [ Frag­ menta philosophorum Graecorum, Paris 1860 – 1881 (000) ], S. 119, doch dar­ auf ist bei der Unsicherheit dieser Fragmente kein Gewicht zu legen. C  [ K ähler : Das Gewissen (...) (002), S. 28 ].



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S­ ENECA zuerst hat den Terminus mit stoischen Begriffen enger verbunden.A Auch bei unserm Gewissen hat sich die engere ethi­ sche Bedeutung erst später herausgebildet. Der ursprüngliche Gehalt (Gewissen = Mitwissen) ist bis heute nicht ganz erloschen (z. B. ›nach bestem Wissen und Gewissen‹), im 16. Jahrhundert waltet noch der theoretische Sinn (= Bewusstsein)B vor,75 obwohl hier (z. B. bei LUTHER) auch der ethische vertreten ist.C Überall fügt sich hier die Leistung der Einzelnen einer allgemeinen Strö­ mung ein, die in diesem Falle auch durch den parallelen Gang in den verschiedenen, höchst wahrscheinlich voneinander un­ abhängigen Kreisen bemerkenswert ist.D Diese beiden Momente der Gesamtströmungen und der Einzelleistungen gegeneinan­ der abzusondern, um sie dann in ihrem Ineinander | greifen zu verfolgen, das lässt uns einen Blick in die Werkstätte geistigen Lebens tun. Übrigens mussten auch innerhalb des wissenschaftlichen Kreises die Termini nicht selten manche Stadien durchlaufen, ehe sie zu der nun vorliegenden technischen Fixierung kamen. Man kann deswegen geradezu von einer Vorgeschichte dersel­ ben reden. Die Ausdrücke a priori und a posteriori haben ihre erste Veranlassung in der ARISTOTELISCHEN Bezeichnung des Allgemeinen als des (begrifflich) Frühern, des Besondern als des Spätern. Bei den arabischen und christlichen Scholastikern ent­ A  Es darf daher nicht wohl als bloße Übersetzung von συνείδησις an­ gesehen werden. B  S. z. B. Paracelsus[ :  Achter Theil der Bücher und Schrifften des Edlen Hochgelehrten Philippi Theophrasti Bombast von Hohenheim Paracelsi, Ba­ sel 1590 (002), S. 171 ; Eucken zitiert nach einer anderen Ausg. ] II, 67 : »Chris­ tus will, dass du mit deinem Gewissen glaubest.« C  [ Philipp Dietz : Wörterbuch zu Dr. Martin Luthers deutschen Schrif­ ten, Bd.  1/2, Leipzig 1870 (001), S. 119. [ g.s. ] D Überhaupt hat eben bei solchen Grundbegriffen die Vergleichung der einzelnen Völker ein eigentümliches Interesse. Ein fester Ausdruck für Pflicht hat sich bei den Griechen erst spät und von der Schule her gebildet ; bei den Römern und Deutschen ist der philos. Terminus aus einem alten volkstümlichen Wort erwachsen. [ D t. Pflicht von ahd. phliht, ›Fürsorge‹, ›Obhut‹, ›Auftrag‹ (um 1000) bzw. mhd. phlihte, ›Fürsorge‹, ›Pflege‹, ›Dienst‹. Vgl. DWDS, Etymolog. Wb. des Dt., hg. v. W. Pfeifer u.a. (1993) ] [ K.Z.-W. ]

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wickelte sich daraus ein festerer Sprachgebrauch, A aber jene be­ stimmten Wendungen lassen sich, wie wir sahen, erst bei ALBERT VON SACHSEN (†1390) aufzeigen. Der Terminus Maxime weist auf den Ausdruck des BOETHIUS maximae et principales propositiones zurück.B Daraus entwickelte sich im Mittelalter ein Terminus maxima, den wir ebenfalls bei ALBERT VON SACHSEN antreffen, und alsdann hat sich endlich in Übertragung auf das Gebiet der praktischen Philosophie die neuere Bedeutung gestaltet. Auch rein der Form nach hat oft der Terminus eine Art Vor­ bereitung. Wenn z. B. WOLFF proportio mit Verhältnis übersetzt, so war er durch das LEIBNIZISCHE Verhaltungen (= proportiones) wie hingeleitet. So sehen wir überhaupt von hervorragenden Denkern gelegentlich gebrauchte Wendungen von den Spätern fortgebildet und zu einem eigentlichen Terminus befestigt.C Nicht selten mussten in Begriff und Wort zusammen man | nig­ fache Vorbedingungen erfüllt sein, damit der Terminus mög­ lich werde. Nachdem KEPLER die Widerstandskraft der Mate­ rie inertia materiae benannt hatte, nachdem durch GALILEI und DESCARTES die Relativität der Begriffe Ruhe und Bewegung aufgewiesen war, konnte endlich NEWTON den Ausdruck Trägheitskraft bilden.D A 

Oben S. 68, 69. Prantl : [ Geschichte der Logik, Leipzig 1855 (002), Bd.  1, S. ] 700 [ Fn. 138 ] : »et illae quidem [ sc. propositiones ] quarum nulla probatio est, maximae ac principales vocantur, quod his illas necesse est approbari, quae ut demons­ trari valeant, non recusant ; est autem maxima propositio ut haec ›si de ae­ qualibus aequalia demas, quae derelinquuntur aequalia sunt‹. […] igitur per se notae propοsitiοnes, quibus nihil est notius, indemonstrabiles ac maxi­ mae et principales vocantur.« C  Aristoteles nennt z. B. die Lust ein τέλος ἐπιγινόμενον, die Stoiker bil­ den danach ἐπιγέννημα. Oder auch Ausdrücke, die der eine Denker hier und da wie zufällig verwendet, werden später festgehalten, umgrenzt und dem System eingefügt. Aristoteles hat ein einziges Mal, und zwar durchaus untechnisch, νοερός, sowie περίστασις, die bei den Stoikern eigentliche Ter­ mini wurden, Plato ein Mal ἀνάλογος. Zu einem Zweifel gegen die Echtheit solcher gelegentlichen Ausdrücke wird man namentlich dann berechtigt sein, wenn sie in ihrem Inhalt die später vollzogene Wandlung verraten. D  S. [ Isaac Newton : ] Philosophiae naturalis principia mathematica [ L on­ don 1687 (006) ], Einl. Def. III : »per inertiam materiae fit ut corpus omne de B 



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Bei diesem ganzen Zusammenweben kann manches Zufällige mitwirken. Bekanntlich wird der Ausdruck Metaphysik gewöhn­ lich von der Stellung der ARISTOTELISCHEN Schriften hergeleitet. Was zunächst nur ein rein äußerliches Verhältnis bezeichnete, ward bald zum Kennwort der Disziplin selber. Ähnlich nehmen wir auch sonst wahr, dass Wort und Begriff wie zufällig in Ver­ bindung geraten, diese sich aber befestigt und beharrt. Indessen findet sich solches bei der wissenschaftlichen Terminologie na­ turgemäß weit seltener als in der Volkssprache, wo die Ideenasso­ ziation ganz frei walten kann. Und jedenfalls dürfte es sich nicht empfehlen, nach solchen zufälligen Gestaltungen weitere Analo­ gien zu formen. Wenigstens haben die Analogien von Metaphysik : Metalogik, Metapolitik (SCHLÖZER), Metamathematik wenig Glück gehabt.A Im Weitern aber fordern die verschiedenen Elemente, welche zur Bildung eines Terminus zusammentreffen, gesonderte Be­ trachtung. Wort und Begriff einigen sich hier zu fester Verknüp­ fung, es handelt sich nun darum, was jedes Einzelne mitbringt und was es empfängt. Von Anfang an standen nach der sprach­ lichen Seite zwei Wege offen : Verwendung herkömmlicher Wör­ ter (sei es des allgemeinen Lebens, sei es der einzelnen Wissen­ schaften), unter begrifflicher Umbildung, oder Prägung neuer Ausdrücke, natürlich in engem Anschluss an das in der Sprache Vorhandene. Später trat dazu die Möglichkeit, Fremdwörter zu benutzen, und endlich haben wir es in der Neuzeit gelernt, ins Unbegrenzte neue Wörter auch in fremden Sprachen zu schaffen. So findet eine fortschreitende Emanzipation von dem Nächst­ gegebenen statt, die freilich den Nachteil mit sich bringt, das Verhältnis der Philosophie zu der Volkssprache zu lockern und namentlich das Hervorarbeiten eines Begrifflichen | aus den ge­ wöhnlichen Ausdrücken zu mindern. Im Einzelnen sind Vorzüge und Nachteile jener verschiedenen Wege hinreichend aufgehellt, nur [ die ] eine und andere Bemerkung möge daher verstattet sein. statu suo vel quiescendi vel movendi difficulter deturbetur. Unde etiam vis insita nomine significantissimo vis inertiae dici possit.« A  [ A lle drei Termini figurieren im HWPh als Lemmata ; Metamathematik wird erst in den 1870er Jahren geprägt. ] [ G.S. ]

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Am meisten Interesse hat es jedenfalls zu verfolgen, wie die Philosophie die Ausdrücke des gewöhnlichen Lebens ergreift und umbildet. Diese Tätigkeit hat einen sehr mannigfachen In­ halt. Heraushebung eines Allgemeinen, wie determinierende Spezifizierung, Absonderung verbundener Merkmale, wie Zu­ sammenfassung sonst getrennter, Fortführung einer begonne­ nen Richtung, wie Wendung zu neuen Zielen, und vieles andere kann dabei stattfinden. Eine gewisse Unabhängigkeit des Den­ kens ist hier unverkennbar, aber es würde doch nimmer auf die allgemeine Sprache zurückwirken und seine Bildungen zu an­ erkannter Geltung bringen können, wenn es nicht den Weg geeb­ net fände, wenn es namentlich nicht das Logisch-Kausale schon in der Sprache vorbereitet anträfe. Es handelt sich hier oft mehr um ein klares Herausarbeiten eines dunkel Ergriffenen als um eigentliches Neuschaffen. Die formell umbildende und materiell weiterführende Gesamttätigkeit der philosophischen Arbeit wird da nicht im Mindesten verringert, wo sie sich als Höhepunkt eines größern Ganzen zu erkennen gibt. Im Einzelnen aber bietet jene Umwandlung ins Philosophi­ sche einen fast unerschöpflichen Gegenstand der Erörterung. Was bringt die Sprache nach Form und Inhalt dem Denken ent­ gegen ? Welche Ausdrücke zogen das Denken an ? Was konnten sie ihm bieten, und wie vollzog sich an ihnen die Veränderung ? Solche Fragen gewinnen an Bedeutung, sobald sie sich über ganze Gruppen ausdehnen und hier den Zusammenhängen von Le­ bens- und Gedankenkreisen nachgehen. Es wäre z. B. eine anzie­ hende Aufgabe zusammenzustellen, wie viele kausalen und allge­ mein logischen Begriffen dienende Termini aus dem Rechte und namentlich aus dem Prozessverfahren abgeleitet sind, zunächst bei den Griechen, aber dann nicht weniger bei den Römern und Deutschen. Hier vor allem wird eine Vergleichung der verschie­ denen Sprachen der Untersuchung erst den vollen Reiz gewähren. Bei solchem Aufnehmen und Umgestalten der Begriffe muss erstrebt werden, dass das Philosophische wenn auch nicht das Herkömmliche verdränge, doch ihm gegenüber eine hinrei­ chend | gesonderte Stellung behaupte, um nicht unvermerkt von da Vorstellungsbilder zu empfangen. Eine solche Gefahr liegt



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namentlich vor bei der Verwandlung bildlicher Ausdrücke in eigentliche Termini. Schließlich freilich können alle Ausdrü­ cke des geistigen und philosophischen Gebietes als aus bildli­ cher Verwendung entstanden gelten, überall beweist sich hier die Phantasie als ›Hebeamme des Gedankens‹ (WELCKER)A . Fort­ während sehen wir die Terminologie sich durch Überführung des Bildlichen in ein Begriffliches bereichern. Aber eine solche Umbildung verlangt eine nicht geringe Kraft, und nicht selten geschieht es, dass die eingeschlagene Bewegung nicht zu Ende verfolgt wird. Die Tätigkeit erlahmt auf halbem Wege, und nun strömen Vorstellungsbilder in den Begriff ein, welche das Den­ ken missleiten und durch den trügerischen Schein einer Erklä­ rung geradezu erschlaffen.B Ein besonders deutliches Beispiel bietet dafür der Terminus Eindruck.76 Für PLatO und ARISTOTELES war es ein bloßes Bild, wenn sie das Verbleiben der Vorstellungen im Gedächtnis mit dem eines Siegelabdruckes im Wachs verglichen, aber bei den Stoikern vergröberte sich diese Auffassung, breitete sich durch Übertragung auf die gesamte Theorie der Vorstellungen weiter aus und gewann durch die Schöpfung eines festen Ausdruckes (τύπωσις) solche Macht, dass klarer denkende Männer sich ge­ drungen fühlten, dagegen Verwahrung einzulegen.C Aber sol­ A  [ Friedrich Gottlieb Welcker : Griechische Götterlehre, Bd.  1, Göttingen 1857, S. 6 ]. B  [ Vgl. dazu Eucken : Bilder und Gleichnisse in der Philosophie. Eine Festschrift, Leipzig 1880, in : GW, Bd.  10, S. 65 – 123 ]. C  S. Diogenes Laertius, 170, 24 : φαντασία δέ ἐστι τύπωσις ἐν ψυχῇ, του­ τέστιν ἀλλοίωσις, ὡς ὁ Χρύσιππος ἐν τῇ δυωδεκάτῃ περὶ ψυχῆς ὑφίσταται · οὐ γάρ δεκτέον τὴν τύπωσιν οἱονεὶ τύπον σφραγιστῆρος, ἐπεὶ ἀνένδεκτόν ἐστι πολλοὺς τύπους κατὰ τὸ αὐτὸ περὶ τὸ αὐτὸ γίνεσδαι. [ Eucken zitiert Diogenes Laertius VII 50 (= SVF II 55, S. 22), wo es aber heißt : φαντασία δέ ἐστι τύπωσις ἐν ψυχῇ, τουτέστιν ἀλλοίωσις, ὡς ὁ Χρύσιππος ἐν τῇ β (περὶ ψυχῆς) ὑφίσταται οὐ γάρ δεκτέον τὴν τύπωσιν οἱονεὶ τύπον σφραγιστῆρος, ἐπεὶ ἀνένδεκτόν ἐστι πολλοὺς τύπους κατὰ τὸ αὐτὸ περὶ τὸ αὐτὸ γίνεσθαι. Neben der Verschreibung ist die Buchangabe von Chrysippos, De anima, different – es handelt sich demnach um das zweite, nicht das zwölfte Buch von Chrysippos, De anima, vgl. Steinmetz (1994, S. 590). Euckens Seitenan­ gabe 170,24 (sonst zitiert er Diogenes nach Buch und Kapitel) bezieht sich auf die Ausgabe von Cobet (Hg.) : Diogenis Laertii de clarorum philosophorum

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che Mahnung fruchtete wenig. Im spätern Altertum sehen wir durchgängig jenes Bild die Ansichten beherrschen. Die rohe Vor­ stellung des Geistes als eines materiellen, nur leidend aufneh­ menden und behältnisartig in sich fassenden, überhaupt jene Vorstellung, die sich in dem Schlagwort der tabula rasa aus­ spricht, ist selbst bei Denkern wie PHILO übermächtig. Dann wandte sich der schärfste prinzipielle Angriff der Neuplatoniker dagegen,A auch in der Neuzeit hat es seit Beginn nicht an lebhaf­ ter Bekämpfung des Bildes und der mit ihm gegebenen | Ansicht gefehlt, B aber die irreleitende Macht desselben ist bis zur Gegen­ wart nicht erloschen.C Ähnlich haben manche psychologische Begriffe sich der aus dem Terminus eindringenden materiellen Bilder zu erwehren. Leicht erscheint von hier aus erklärt, was eben Problem ist, den­ ken wir nur an den Ausdruck Schwelle.D Nicht besser geht es üb­ rigens mit den kausalen Termini. Die mannigfachen Irrungen, welche das griechische ἀρχή hervorrief, liegen jetzt klar vor Au­ gen ; dass wir selber bei Grund, Einfluss, Einwirkung uns oft durch bildliche Vorstellungen beherrschen lassen, entgeht leichter. Bei dem allen erwächst die Gefahr einer Abschwächung der philoso­ phischen Probleme und der Begünstigung einer sensualistischen Lösung derselben. Das Bedenkliche liegt nicht in der Heranzie­ hung des Bildes, sondern in dem Schweben zwischen Bild und vitis, dogmatibus et apophthegmatibus libri decem, sowie Cobet (Hg.), Pa­ ris, Didot, 1850 (000). Cobet (170,24) liest in seiner Ausgabe δυωδεκάτῃ (12. Buch), allerdings nicht die Verschreibung σόαγιστῆρος. Cobets Ausgabe ist also als Vorlage für Eucken anzusehen. ] [ M.E. ] A  S. z. B. Plotin 306 :  – τὰς ἐνεργείας καὶ τὰς ζωὰς καὶ τὰς ὀρέξεις οὐκ ἀλλοιώσεις συγχωροῦμεν καὶ τὰς μνήμας οὐ τύπους ἐναποσφραγιζομένους οὐδè τὰς φαντασίας ὡς ἐν κηρῷ τυπώσεις. [ Plotin wird auch hier zitiert mit der Paginierung von P. Perna 1580 (001), wobei Eucken wohl auch hier Creu­ zers Ausgabe benutzt (Plotini Enneades edidit F. Creuzer, Paris 1855). Die Stelle ist in der heutigen Standardausgabe zu finden, Plot. III 6 (26) 3, 27 – 29, Paul Henry Schwyzer (Hg.) : Plotini opera, Paris/Brüssel 1951 – 1973. ] [ M.E. ] B  Obenan steht hier natürlich Leibniz. C  Das Bildliche des Wortes Eindruck, welches übrigens schon bei Eckhart vorkommt, wurde noch im 18. Jahrhundert stärker empfunden. Man pflegte zu sagen : ›Eindruck in etwas‹. [ vgl. Anm. 76, K.Z.-W. ] D  [ Vgl. S. 197, Fn. B ].



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Begriff und der daraus entspringenden versteckten Bildlichkeit. Die glückliche Überführung von Bildern in Begriffe verlangt eine Verbindung energischer Anschauung und klaren Denkens, die selten genug vorkommt. Die Anforderungen an die formelle Seite des Ausdrucks waren nicht zu allen Zeiten vollständig gleich. In den letzten Jahrhun­ derten sehen wir ästhetische Erwägungen zugunsten der begriff­ lichen Zweckmäßigkeit zurücktreten. Das Wort soll in möglich­ ster Knappheit den Begriff erkennbar bezeichnen und für alle in Betracht kommenden Formen und Ableitungen hinreichende Biegsamkeit besitzen : das gilt überall als entscheidende Forde­ rung, wo die spezifische Art der neuern Philosophie zu voller Geltung gekommen ist. An formell recht barbarischen Bildungen wird daher kein Anstoß genommen. Wie sehr hier das sachliche Moment das formelle überwiegt, erkennen wir auch daraus, dass oft begriffliche Unterscheidungen vorgenommen wurden, die der Form nach als durchaus willkürlich erscheinen müssen.A | Alsdann aber fragt sich weiter, was der Gewinn des Terminus für den Begriff und seine Geschichte bedeute. Sind dem vorlie­ genden Terminus schon andere vorangegangen, ist er vielleicht nur eine genau abbildende Übertragung älterer Formen B oder kommt der Begriff hier zuerst zur Verkörperung ? Der letztere Fall hat für uns natürlich ein besonderes Interesse. Freilich müs­ sen wir aufs Entschiedenste die Überzeugung vertreten, dass die Existenz eines Begriffes keineswegs von dem Terminus abhängig sei. Wie immer auch das Urteil über das letzte Verhältnis von Denken und Sprechen ausfallen mag, die Kraft, verschiedene sprachliche Elemente von innen her zusammenzuhalten und A  So wenn gleichwertige Formen verschiedener Sprachen zur Sonde­ rung von Begriffen benutzt werden, z. B. Deist – Theist, Moral – Ethik (das Griechische pflegt dabei als das Vornehmere zu gelten), oder wenn kleine Abweichungen der Form Anlass zur Trennung der Bedeutung geben, z. B. transzendent – transzendental (Kant). B  Wie z. B. Umstand = circumstantia = πεpίστασις. Im Allgemeinen aber haben derartige Abbildungen selten großen Erfolg gehabt. Je mehr jede Spra­ che in den Ausdrücken ihre Selbständigkeit und Eigentümlichkeit wahrte, desto mehr Einfluss konnten dieselben erlangen.

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das im Begriff einheitlich Erfasste durch eine Mehrheit von Aus­ drücken zu umschreiben, wird dem Denken nicht abgestritten werden dürfen. Die meisten großen Systeme legen dafür Zeugnis ab, indem in ihnen Begriffe umgehen und wirken, die erst spä­ ter einen technischen Ausdruck fanden.A Aber darum bezeichnet der Gewinn einer sichern Form doch einen äußerst wichtigen Abschnitt in der Geschichte des Begriffes. Erst mit der Verkör­ perung erhält er seine volle Selbständigkeit für den Denker selbst und mehr noch für die andern, nun erst wird er eine allen sicht­ bare, hinauswirkende und beharrende Macht.B Also gefestigt ver­ mag er in die geschichtliche Gesamtbewegung als Kraft­moment einzutreten. Aber zugleich tritt damit der Begriff in eine gewisse Abhängig­ keit. Der Ausdruck ist natürlich nicht bloßes Mittel, er behauptet seine Eigentümlichkeit und wirkt also auf den Inhalt zurück. | Sowohl die Gestaltung des einzelnen Begriffes kann dadurch in eigentümliche Bahnen geleitet werden, als das gesamte System von hier eine Einwirkung empfängt. Freilich findet nicht erst durch die Wortgebung die Zerlegung eines Kontinuierlichen in Diskretes statt, da ein solcher Prozess sich vielmehr schon im Denken selber vollzieht, aber das Gesonderte gerät nun in Gefahr auseinanderzufallen, das Einzelne wird eine Macht für sich, die scheinbar des Zusammenhanges entraten kann. A  Wir werden uns daher hüten müssen, den Männern, welchen wir den Terminus verdanken, auch die Schöpfung des Begriffes beizulegen. Was z. B. bei Newton die Bezeichnung vera causa erhält, ist bei Kepler begrifflich schon vollkommen klar vorhanden. Natürlich unterscheiden sich hinsicht­ lich dieses Punktes die Denker nach ihrer Eigenart, Plato hat z. B. weit mehr freischwebende Begriffe als Aristoteles. B  Mit Recht sagt daher John Stuart Mill[ : Die inductive Logik (…). Nach dem Engl. des John Stuart Mill ins Dt. übertragen v. Jacob Heinrich Wil­ helm Schiel, Braunschweig 1849 (002), S. 506 ; geringfügige Abweichungen von der von Eucken hier zitierten 3. Aufl.) ] II, S. 269 : »Kaum finden irgend originelle Gedanken über geistige oder sociale Phänomene jemals eher ihren Weg unter die Menschen, oder erhalten in dem Geiste sogar ihrer eignen Erfinder [ i hres Erfinders, Ausg. 1849 ] eher ihre eigentliche Wichtigkeit, als [ bis ] sie durch gut gewählte Worte gleichsam angenagelt und festgehalten werden.«



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Auch dem Inhalt nach entstehen für die philosophische Be­ greifung Gefahren und Missstände. Das in der allgemeinen Spra­ che Vorliegende ist oft nach andern Gesetzen und Motiven ge­ bildet als denen des philosophischen Denkens. Beginnt dieses seine Arbeit, so findet es gewissermaßen den Platz, auf den es für sich Anspruch erheben muss, schon besetzt ; mag es dann noch so sieghaft vordringen, eine gewisse Störung bleibt un­ vermeidlich, eine wirkliche Hemmung drohend. Auch im Be­ sondern sind die mannigfachen Klagen der Denker über die vorgefundene Sprache leicht erklärlich. Viele haben darauf hin­ gewiesen, dass dieselbe oft das negativ erscheinen lasse, was das Denken als positiv setze (wie z. B. das Unendliche, Unbedingte), und umgekehrt. Und wie könnte dies anders sein ? Muss doch das sprachschaffende Verfahren in Ausgangspunkt und Rich­ tung sich zunächst oft dem philosophischen Forschen entgegen­ gesetzt bewegen. Oder auch wir hören klagen, dass die Sprache die Extreme bevorzuge, die mittlern Begriffe ohne Bezeichnung lasse, dadurch aber die Gesamtauffassung entstelle.A Die Gefah­ ren der Mehrdeutigkeit der Worte, des Zusammentreffens meh­ rerer Begriffe in einer Form sind von Alters her beredt geschil­ dert. Abgesehen von den gröbern Irrungen erwachsen daraus fortwährend insofern Missstände, als die verschiedenen Begriffe nicht zu voller Selbständigkeit gelangen, der eine auf den andern eine Art Anziehung ausübt, und also unvermerkt Bestimmun­ gen ineinander überfließen. Die Begriffe, welche conscientia um­ fasst, Bewusstsein und Gewissen,77 haben jeder seit der Spaltung des Ter | minus ungemein gewonnen. Doch hier geraten wir an ein fast unübersehbares Gebiet, in das wir uns nicht verlieren möchten. A  S. die S. 153 angeführte Stelle von Schelling : Auch für die Geschichte der Sprache ist der Gang vom Extremen zum minder Extremen als Regel hingestellt, s. [ L azarus ] Geiger : Ueber den Farbensinn der Urzeit [ u nd seine Entwickelung, in : ders. : Zur Entwicklungsgeschichte der Menschheit. Vor­ träge, Stuttgart 1871 (002), S. 48 ] : »Die Begriffe gehen von Extremen aus, und zur Bezeichnung ähnlicher Dinge von weniger extremem Charakter allmäh­ lich über.« (Nur sollte[n] nicht Begriff und Bezeichnung des Begriffes ver­ mengt werden).

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Ferner aber führt das Wort dem Begriff nicht nur gewisse Verbindungen, Merkmale, Färbungen zu, sondern es veranlasst nicht selten auch eine Wertschätzung seines Inhalts. Dass in den Bezeichnungen oft Urteile über die Dinge liegen, ist seit HOBBES namentlich von englischen Forschern warnend dargelegt. Der Ausdruck erweckt durch solche verborgene[n] Urteile dem Be­ griff geradezu Sympathien oder Antipathien. So hat das Wort Metaphysik nicht wenig Vorurteile gegen die philosophische Zentralwissenschaft geschaffen, indem dadurch die Annahme veranlasst wurde, als handle es sich um ein Transzendentes, jen­ seits aller Erfahrung Liegendes.A Andererseits finden wir oft, dass die durch das Wort erweckten Vorstellungen den Begriffen und Theorien wenigstens äußerlich Nutzen bringen. Weil wir das Or­ ganisierte höher stellen als das Unorganische, die Entwicklung als eine Zusammensetzung, erscheinen die Lehren als besser und richtiger, welche sich durch Ausdrücke bezeichnen, die von dort entlehnt sind. Ob aber der Begriff selber deutlich sei und ob er das in der Tat leiste, was die Ankündigung verheißt, wird nach einmal angeregter Stimmung oft wenig untersucht ; ja es kann ge­ schehen, dass die Theorien gerade das Gegenteil von dem enthal­ ten, was das Wort in seiner eigentlichen Bedeutung besagt.B Und so geschieht es oft, dass, wer durch den Namen sich günstige Vor­ A  Auch Kant stand unter diesem Vorurteil, s. z. B. VIII, 576 [ = AA XX, S. 316 ] : »Der alte Name dieser Wissenschaft μετὰ τὰ φυσικά [ Korrektur M.E. ] [ A A : meta ta physica ] gibt schon eine Anzeige auf die Gattung von Erkennt­ niss, worauf die Absicht mit derselben gerichtet war. Man will vermittelst ih­ rer über alle Gegenstände möglicher Erfahrung (trans physicam) hinausge­ hen, um womöglich das zu erkennen, was schlechterdings kein Gegenstand derselben sein kann.« Dies könnte doch höchstens von der neuplatonischen Fassung des Begriffes gelten, wie wir sie bei Herennius finden (s. [ Chris­ tian August ] Brandis, Abh. der Berl. Akad. 1831 [ Die Aristotelischen Hand­ schriften der Vaticanischen ­Bibliothek, verzeichnet von Herrn Brandis, vor­ gelegt am 17. November 1831 (000), Historisch-philologische Klasse, S. 47 ff. ; hier : S. 80 (Metaphysik. Nr.  234) ] μετὰ τὰ φυσικὰ λέγονται ἅπεp φύσεως ὑπερῆρται καὶ ὑπὲρ αἰτίαν καὶ λόγον εἰσίν), aber solche Fassung ward nicht die übliche. [ Euckens hier übernommene Schreibung weicht leicht ab. ] B  So wird oft in dem, was sich heute Entwicklungslehre nennt und durch diesen Namen sich manchen empfiehlt, der Begriff der Entwicklung gera­ dezu bekämpft.



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stellungen erweckt, in der Sache Recht zu haben scheint.A Nicht selten sehen wir daher die Parteien sich um eine | wohlgefällige Bezeichnung wie bewerben, während sie eine missliebige nicht kräftig genug ablehnen können. Die Ausdrücke haben dabei auch ihre Moden, Liebe und Hass wechseln, oft ohne dass der Grund leicht ersichtlich wäre. Wir glauben nicht selten über die Dinge hinweg zu sein, wenn wir die Namen gewechselt haben. Niemand will Rationalist sein ; ist damit schon die Macht der Lehre ver­ schwunden, welcher jener Ausdruck diente ? Ist bei der heutigen Anpreisung des Monismus der Dualismus wirklich überwunden oder haben wir nur neue Namen eingetauscht ? Innerhalb des geschichtlichen Ganges wird sich zwischen Ter­ minus und Begriff dadurch eine Differenz einstellen, dass die Anpassung des Ausdrucks an den Begriff immer eine gewisse Zeit kostet und sich daher die Terminologie unvermeidlich in einigem Rückstande gegen das Begriffssystem befindet. In Fäl­ len, wo die geistige Eigentümlichkeit sich berührender Zeiten erheblich verschieden war, erwuchs daraus der Forschung eine ernstliche Störung.B Ja unter besondern Umständen, wie zu Be­ ginn der Neuzeit, konnte die Differenz zwischen Termini und A  Es gilt hier für den wissenschaftlichen Kampf allgemein, was Aristo­ teles (σοφ. έλ. 165 α, 6) in engerm Sinn ausspricht : ἐπεὶ οὐκ ἔστιν αὐτὰ τὰ πράγματα διαλέγεσϑαι φέροντας, ἀλλὰ τοῖς ὀνόμασιν ἀντὶ τῶν πραγμάτων χρώμεϑα συμβόλοις, τὸ συμβαῖνον ἐπὶ τῶν ὀνομάτων καὶ ἐπὶ τῶν πραγ­ μάτων ἡγούμεϑα συμβαίνειν, καϑάπερ ἐπὶ τῶν ψήφων τοῖς λογιζομένοις. [ Geprüft nach I. Bekker : Aristotelis opera, vol. 1, Berlin 1831. Bekker hat – anders als Eucken im Zitat – ἐπεὶ γἀρ οὐκ ἔστιν (so auch Ross : Aristotelis topica et sophistici elenchi, recensuit brevique annotatione critica instru­ xit W. D. Ross, Oxford 1958) ; Bekker (auch Aristotelis opera ex recensione Immanuelis Bekkeri accedunt Indices syburgian tomus I, Oxford 1887) liest χρώμεϑα συμβόλοις (also kein ὡς), während Eucken und auch Ross ἀντὶ τῶν πραγμάτων χρώμεϑα ὡς συμβόλοις lesen. ] [ M.E. ] B  So hat Goethe wiederholt auf den hemmenden Einfluss der dem 18. Jh. entstammenden Ausdrucksweise hingewiesen, s. z. B. [ Johann Wolfgang v. Goethes Werke. Vollständige Ausgabe letzter Hand, Bd.  50, Stuttgart/Tü­ bingen 1833 (002), S. 238 ] : »Wir glauben hier im Einzelnen, so wie im Gan­ zen, die Nachwirkung jener Epoche zu sehn, wo die Nation dem Sensualism hingegeben war, gewohnt, sich materieller, mechanischer, atomistischer Ausdrücke zu bedienen ; da denn der forterbende Sprachgebrauch zwar im

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Begriffen sich an wichtigen Punkten zu einem vollen Gegensatz steigern, und dann war es erklärlich und verzeihlich, wenn die Denker in den Missständen der Sprache den Hauptgrund sach­ licher Irrungen zu ergreifen vermeinten. Tatsächlich lässt sich kein philosophisches Problem letzthin auf einen Wortunter­ schied zurückführen. Aller Streit mag sich in einem Gegensatz von Worten darstellen lassen, darum ist er noch nicht ein Streit um bloße Worte. Ist nach allen diesen Richtungen der Ursprung des Terminus festgestellt und beleuchtet, so kann es in manchen Fällen von Interesse sein zu fragen, wie der Begriff vor der Fixierung zum Ausdruck kam. Es wird aber solche Frage nicht sowohl bei den Begriffen entstehen, die der spezifisch philosophischen Tätigkeit ihr Dasein verdanken, als bei solchen, die einem einiger | maßen entwickelten geistigen Leben nicht ganz fehlen konnten und also mehr oder minder dunkel vorhanden waren. Ein Gegensatz wie subjektiv und objektiv mag erst spät seine technische Formulie­ rung erhalten haben, A begrifflich war derselbe natürlich längst vorhanden, sich mannigfacher Umschreibungen bedienend.B Ferner sahen wir, dass unser Bewusstsein auf WOLFF zurück­ kommt. Aber der Begriff war auch bei uns schon vorher wirksam, wie namentlich JAKOB BÖHME zeigte. Ähnlich haben Begriffe wie Pflicht, Gewissen u. a. schon lange vor der technischen Fixierung gemeinen Dialog hinreicht, sobald aber die Unterhaltung sich in’s Geistige erhebt, den höhern Ansichten vorzüglicher Männer offenbar widerstrebt.« A  Wir sahen, dass die Stoiker zuerst technische Ausdrücke dafür hatten, Duns Scotus aber die später üblichen Bezeichnungen (freilich in gerade um­ gekehrter Bedeutung) aufstellte. Jene Umkehrung erfolgte seit der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts von Deutschland aus. Zu allgemeiner Verwen­ dung kam der Gegensatz erst durch Kant. Näheres s. in meiner Geschichte und Kritik der Grundbegriffe der Gegenwart [ in : GW, Bd.  4 ] ; [ zu objektiv/ Objektivität // subjektiv vgl. Eucken : GG (GW, Bd.  4, S. 9 ff.) sowie Eucken in : ders. : »Philosophical Terminology« (1896), S. 504 f. ; vgl. auch Machiel Kar­ kens : »The Development of the Opposition Subjective Versus Objective in the 18th Century«, in : AfB 35 (1992), S. 214 – 256 ; zu Objektivität im 18. Jh. vgl. auch Lorraine Daston/Peter Galison : Objektivität, Frankfurt/M. 2007 ] [ G.S. ] B  Wir führten z. B. aus Scotus Erigena (S. 64) an : 493 d : in rebus naturalibus – sola ratione, 528 a : in nostra contemplatione – in ipsa rerum natura, 492 d : dum in se ipsis naturaliter perspiciuntur – in ipso solo rationis contuitu.



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Macht ausgeübt. So besitzen die Termini auch der begrifflichen Seite nach eine Vorgeschichte, deren Betrachtung uns sowohl da­ rüber aufklären kann, wie viel durch den Terminus gewonnen ist, als sie uns Inhalt und Merkmale des Begriffes deutlich vorführt. Zur Vollendung des Terminus gehört nun aber endlich die Aufnahme in den allgemeinen Sprachgebrauch. Der einzelne Denker legt seine Schöpfungen wie zur Bestätigung vor, und nicht ohne Schwanken oder Kampf vollzieht sich oft die endgül­ tige Entscheidung. Zunächst lässt sich hier aber fragen, ob die Termini notwendig von einem einzigen Punkt aus sich verbrei­ tet haben, ob nicht mehrere Forscher, sei es zur gleichen, sei es zu anderer Zeit, auf dasselbe gekommen sein können. Die Mög­ lichkeit einer solchen mehrfachen Entstehung ist durchaus nicht zu leugnen, an einzelnen Stellen ist es sehr schwer, wenn nicht unmöglich, das an verschiedenen Punkten oder Zeiten Auftre­ tende von einem Einzigen herzuleiten ; aber diese Fälle gehören meist solchen Perioden an, über die wir nicht genügend unter­ richtet sind. Mit steigender Kenntnis sehen wir gewöhnlich das Viele sich nach einem Punkt zusammenneigen. Den allgemeinen methodologischen Grundsätzen aber entspricht es, uns durch Schwierigkeiten, die lediglich dem Zustande unserer Einsicht entspringen können, nicht zu rasch zu einer weniger einfachen Er | klärung der Sache drängen zu lassen. Sowenig daher auch die einmalige Entstehung dogmatisch hingestellt werden darf, so werden wir sie überall so lange gelten lassen, bis entscheidende Gründe dagegen vorgebracht sind. Die Verbreitung der Termini kann nun sehr verschiedene Grade erreichen. Ausdrücke, die auf den Urheber beschränkt bleiben, wird man nicht wohl Termini nennen dürfen ; anders gestaltet sich schon die Sache, wenn eine Schule dieselben fest­ hält, namentlich aber, wenn sie sich innerhalb einer beharrenden Denkrichtung behaupten. So hatte die Mystik des Mittelalters sich eine eigenartige Terminologie ausgebildet, welche Indivi­ duen und Jahrhunderte verbindet. Die Termini solcher geschlos­ senen Gebiete gleichen Kulturpflanzen, die einiger Pflege bedür­ fen, um zu gedeihen ; für die geschichtliche Forschung haben sie insofern Wert, als sie uns die Ausdehnung der Sondergebiete

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ermessen lassen und das einzelne ihnen Angehörige kundtun. Manche sonst verborgene Zusammenhänge lassen sich durch solche Fäden entdecken. Ungleich wichtiger aber sind die Ter­ mini, welche sich von dem Boden des Systems oder der Schule loslösen und in die allgemeine wissenschaftliche Bewegung ein­ gehen. Schon deswegen verdienen sie ein günstiges Vorurteil, weil sie in dieser Ausbreitung allgemeingültige Vorzüge tatsäch­ lich bewährt haben. Sowohl das Begriffliche wie das Sprachliche fiel dabei in die Waagschale. Je notwendiger einer Zeit ein Begriff dünkte, desto mehr wird sie nach einem Terminus verlangen. Für das Durchdringen der bestimmten Form wird es aber nament­ lich erforderlich sein, dass sie Überkommenes und Bekanntes so weit aufnimmt, um dem Neuen eine Anschließung an Gesi­ chertes zu bieten. Vorstellungen, die an ein Wort geknüpft sind, müssen als eine Art Hebel dienen, den Begriff, der sich nunmehr mit ihm verbinden soll, im Geiste zu erwecken. Der endliche Sieg verlangte bald viel, bald wenig Zeit. Manches bewahrt wenigstens zunächst den Charakter des Schulmäßigen,A Anderes wird nicht ohne Widerstreben geduldet, wie wir dies öfter von den künstlich geschaffenen lateinischen Termini ver­ nehmen, nicht Weniges kommt erst in einer fremden Sprache | zu vollem Durchbruch, wie z. B. Idee,B einiges läuft längere Zeit in kleinen Kreisen um und gelangt dann plötzlich zu allgemeinster Verwendung. Dies gilt z. B. von dem Terminus Psychologie. Ob­ wohl schon GOCLEN und CASMANN sich desselben als Bücher­ titel bedient hatten, blieb er doch im 17. Jahrhundert ohne große Verbreitung. Freilich findet er sich mehrfach eben wieder auf Bü­ chertiteln (und zwar auch außer Deutschland, z. B. in England, Holland, Schweden)C , von hervorragenden Forschern gebrauchte ihn, freilich sehr selten, KEPLER (wie es scheint, nicht LEIBNIZ), A  S. z. B. Xenophon, memorab. I, 1, 11 : ὁ καλούμενος ὑπὸ τῶν σοφιστῶν κόσμος. B  Überhaupt hat die Übertragung auf fremden Boden oft erst die Ter­ mini zur Geltung gebracht. Manche Schöpfung der spätern Antike (wie z. B. causalis) hat in der Scholastik, manches Scholastische in der Neuzeit seinen Höhepunkt erreicht. C  [ Friedrich August Carus  : Nachgelassene Werke, Bd.  3 : ] Geschichte



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aber es blieb das Wort ein Ausdruck der Schule, bis sich WOLFF seiner annahm. Nachdem dann KANT es vielfach verwandt hatte, ward es allgeläufig und ist in den letzten Jahrzehnten auch außer­ halb Deutschlands zur Anerkennung gelangt.A – Auch Entwicklung bedurfte längerer Zeit, um siegreich durchzudringen. Schon J. BÖHME hat das vollständig entsprechende Auswicklung in phi­ losophischer Verwendung, dann aber verschwand der Ausdruck scheinbar. In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts ward entwickeln und Entwicklung namentlich von der Darlegung eines Lehr­ satzes, Beweises u. s. w. gebraucht, bis es in der zweiten Hälfte auf das reale Geschehen überging und nun rasch allgemeinste Ver­ breitung fand.B – Das von WOLFF stammende Monismus blieb im 18. Jahrhundert ein selten verwandter Schulausdruck,78 in weitere Kreise drang es als Bezeichnung der HEGELSCHEN Philosophie, seinen Höhepunkt erreichte es erst als Kennwort der sich an DAR­ WIN anlehnenden Naturphilosophie. Solche Erscheinungen zei­ gen sich aber nicht nur bei eigentlichen Kunstausdrücken. Die Geschichte der deutschen Terminologie gewährte uns manche Beispiele, dass ein Wort zunächst und vielleicht Jahrhunderte hindurch wie im Verborgenen wartet, um dann auf günstige Ver­ anlassung hin in aller Mund zu gelangen.C Anderes dagegen drang fast in dem Augenblick durch, wo | es erschien. So z. B. das ARISTOTELISCHE ὕλη und ἐνέργεια (wäh­ rend ἐντέλέχεια Schulausdruck blieb), das CARTESIANISCHE mechanisch, das WOLFFISCHE Vorstellung, Bewusstsein, Verhältnis, der von BAUMGARTEN stammende Terminus Ästhetik und ästhetisch.D In diesen Fällen war es vor allem das Bedürfnis einer fes­ der Psychologie, [ L eipzig 1808 (002), S. 467 ff. ; Eucken gibt im Fließtext an : ] S. 456 ff.  A S. [ Wilhelm ] Volkmann [ von Volkmar ] : Lehrbuch der Psychologie [ vom Standpunkte des philosophischen Realismus und nach genetischer Methode, Cöthen 21875/76 (002 ]), Bd.  1, S. 38. B  Auch bei Evolution liegt zwischen Entstehung und allgemeiner Auf­ nahme ein beträchtlicher Zwischenraum. Nikolaus von Cues nimmt es tech­ nisch = explicatio (s. S. 83), Leibniz aber setzt es durch. C  So z. B. Einheit, selbständig u. a. D  Die sprachlich vollauf berechtigte Opposition Kants blieb bekanntlich ohne Erfolg. Ästhetik ist weit über Deutschland hinaus, z. B. nach England,

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ten Bezeichnung für einen als wichtig anerkannten Begriff, was den Terminus rasch durchsetzte und selbst über etwaige Mängel der Form hinwegsehen ließ. Es war hier gewissermaßen ein Platz frei, welcher der Ausfüllung harrte. Im Gegenteil wirkt natürlich alle Unsicherheit in der Stellung des Begriffes auf den Terminus zurück. Wer den Begriff des Seelenvermögens bekämpft,A wird auch irgendwelchen Terminus da­ für nicht gelten lassen wollen. Es kann aber in solchen Fällen ge­ schehen, dass man Ausdrücke hypothetisch annimmt und sich also ihrer bedient, ohne sich dadurch zu dem Begriff bekennen zu wollen. So mag auch der Gegner der Atomistik den Terminus Atom verwenden. Nicht selten hat der Terminus den Kampf nicht nur gegen die Gleichgültigkeit, sondern auch gegen einen gerade entgegenste­ henden Feind aufzunehmen. Dieser Fall tritt namentlich ein, wenn verschiedene Ausdrücke sich um denselben Begriff bewerben oder auch Begriffe zusammentreffen, die nicht weit genug aus­ einander liegen, um nebeneinander festgehalten werden zu kön­ nen.B Muss demnach das eine dem andern weichen, so erwächst dem Beobachter die Aufgabe zu ermitteln, welche Momente den Sieg entschieden. Es liegt dabei natürlich alles an den beson | dern Umständen, in der Periode der Bildung kann der kleinste Vorzug, auch noch so zufälliger Art, den Ausschlag geben. Eben bei solchen Ausdrücken, die später in aller Munde le­ ben, gewährt es einigen Reiz, die einzelnen Stufen der Ausbrei­ Frankreich, Italien, verbreitet. Von Deutschland sind also u. a. Ästhetik, Psychologie, subjektiv  – objektiv der allgemeinen wissenschaftlichen Sprache zugeführt. Dass von England namentlich viele Parteibezeichnungen aus­ gingen, sahen wir oben ; von Frankreich stammt, abgesehen von den vielen hier angepassten scholastischen Ausdrücken (wie z. B. Motiv, exakt u. a.), Deismus, Naturalismus, die neue Bedeutung von Idee, mechanisch und vie­ les andere. A  Das aber ist von Alters her geschehen, und zwar von gerade entgegen­ gesetzten Standorten aus. Neuplatoniker (wie Porphyrius und Scotus Er­ igena) und Nominalisten (wie Wilhelm Occam), Fichte und Herbart treffen in der Bekämpfung zusammen. B  So erblicken wir im spätern Altertum einen harten Kampf der aristote­ lischen und der stoischen logischen Terminologie.



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tung zu verfolgen, dem nachzugehen, wie das Wort sich zuerst schüchtern herauswagt, nach und nach den Eindruck des Fremd­ artigen überwindet, sich allmählich ein eignes Gebiet erwirbt, dann noch wohl harte Kämpfe zu bestehen hat, nach siegreicher Behauptung aber endlich eine so sichere Stellung gewinnt, dass man mit ihm wie einer Macht verhandeln muss. Übrigens dürfte sich die Aufmerksamkeit nicht auf das sieg­ reich Durchgedrungene beschränken, auch das Versuchte, aber Unterlegene kann manches Wertvolle bieten. Manches ist gleich im ersten Keime erstickt,A Anderes schien bereits über die Ge­ fahren hinaus zu sein und versank dann doch wieder. So hat die ältere deutsche Sprache das Wort naturen (naturare) nachgebil­ det,79 in die neuere philosophische Redeweise ist dasselbe nicht aufgenommen. Von NOTKER bis BÖHME finden wir durchgehend contrarius durch widerwärtig (contrarietas  – Widerwärtigkeit) übersetzt, die neuere Sprache hat bekanntlich einen andern Aus­ druck vorgezogen. Dieses Ungeborne oder wieder Verschwun­ dene kann unter Umständen eine Wiederaufnahme verdienen. Denn wenn es unter bestimmten Verhältnissen nicht aufzukom­ men oder sich zu halten vermochte, so ist es damit nicht über­ haupt als unbrauchbar erwiesen. Steht also der Terminus als feste Größe vor uns, so wird es nun Aufgabe, seinen weiteren Schicksalen nachzugehen. Ob man freilich von einer eigentlichen Geschichte der Termini reden darf, das kann als fraglich erscheinen. Denn wenn der Terminus eine spezifische Verbindung von Begriff und Wort ausmacht, so muss jede Veränderung in den Bestandteilen ihn selber umwan­ deln, so dass von einer Geschichte bei ihm höchstens in | Hin­ A  So sahen wir manche deutsche[ n ] Übersetzungen fremder Termini er­ folglos versucht. Leibniz übersetzt substantia Selbststand, Wolff (und nach ihm Platner) principium Quelle, Abbt Sentiment Empfindnis (was schon im 16. Jh. vorkommt). Für Anderes ist erst recht spät ein Ausdruck durchge­ drungen. Materia übersetzt Notker mit zimber, Eckhart verwendet an ein­ zelnen Stellen holz so, dass es fast dem Sinn jenes Terminus gleichkommt. Aber die Versuche hatten kein Glück, so dass nichts andres übrigblieb als Materie aufzunehmen. Erst im 17. Jahrhundert tritt Stoff bei uns ein und erst im 18. Jahrhundert gelangt es zum Siege.

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blick auf einen etwaigen Wechsel seiner Verbreitung, auf etwaige Perioden der Evolution und Involution, die Rede sein könnte. Auch dies zu verfolgen mag freilich unter Umständen einige Be­ deutung haben, indem das Hervortreten eines Terminus auf be­ stimmte Strömungen geistigen Lebens hinweist, ein wiederholtes Auf- und Absteigen Schwankungen in denselben anzeigt. Aber bei genauem Zusehen wird sich hier gewöhnlich herausstellen, dass mit den verschiedenen Höhepunkten auch verschiedene Be­ deutungen des Terminus vorliegen ;A damit aber werden wir zu einer weniger starren Fassung des Begriffs der Geschichte hin­ getrieben. Auch da kann man von einer Geschichte der Termini sprechen, wo bei Beharren des Ausdrucks eine Verschiebung der Begriffe stattfindet, und zwar eine derartige Verschiebung, dass die spätern Phasen in innerm Zusammenhang mit den frühern stehen.B Eine solche Geschichte der Termini ist wesentlich ver­ schieden von der Geschichte der Begriffe, ihre Eigentümlichkeit mag wenigstens einige Beachtung verdienen.C Der Terminus besitzt die beiden notwendigen Momente einer geschichtlichen Bewegung : ein beharrendes und ein veränder­ liches. Zunächst scheint bei der Übertragung von Geschlecht auf Geschlecht jenes zu überwiegen. Der Terminus bietet dem Denken die leichtesten Bahnen und pflanzt sich also mühelos fort ; je länger er sich aber fortgeerbt hat, desto unentbehrlicher scheint er. Aber bei dieser Vererbung sind nicht nur kleine Ab­ weichungen nicht ausgeschlossen, sondern selbst in scheinbarer Ruhe Gesamtbewegungen unverkennbar. Fortwährend findet dadurch ein Sinken der Termini statt, dass die Begriffe, je mehr sie sich durch bloße Übertragung erhalten, desto mehr verdun­ kelt werden. Weder werden die einzelnen Bestandteile deutlich vorgestellt noch die verlangte Synthese kräftig vollzogen ; so ver­ A  Dass ein Terminus in unveränderter Bedeutung mehrere Höhepunkte erlebt, dürfte so gut wie nicht vorkommen. B  Denn wenn ein Wort ohne Zusammenhang zu verschiednen Zeiten verschiedne Bedeutungen erhält, ist keineswegs eine Geschichte des Terminus vorhanden. C  [ H ier und im Folgenden Kursivierungen als Hinweis auf die spätere Terminologisierung von Geschichte der Begriffe/Termini .  G.S. ]



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schwimmt der Begriff immer mehr und der Terminus verliert seine präzise Bedeutung. Aber solchem Sinken wirkt nun die immer neu einsetzende geistige Arbeit entgegen, sie macht das Empfangene zu vollem Eigentum und erhält es lebendig, so dass auch hier die scheinbare Ruhe sich als aus dem Gleichgewicht | zweier Bewegungen entstanden erweist. Aber nun vermag diese Arbeit natürlich weiter zu schreiten, sie schafft mit neuen Auffas­ sungen neue Begriffe, so dass endlich die Termini einem erheb­ lich veränderten Inhalt gegenüberstehen. Ihre Existenz kommt dadurch in ernstliche Gefahr. Werden sie vom Begriff verlassen, so sind sie vom Untergang bedroht ; es gilt also, sich also umzu­ wandeln, dass eine Anpassung an den neuen Begriff stattfinde. In solcher Lage macht nun oft Verschiedenes auf denselben Platz Anspruch, und es entspinnt sich ein Kampf ums Dasein.A Dabei brauchen die Wandlungen nicht immer durch große Umwälzun­ gen zu erfolgen, auch allmählich kann sich die Neugestaltung vollziehen, nur dass dann die Summierung des Kleinen ein neues und vielleicht schwereres Problem bietet. Wenn wir also bei der Geschichte der Terminologie nament­ lich die am Begriff erfolgende Verschiebung zu beachten haben, so kann eine solche nicht bloß von der philosophischen Theo­ rie, sondern auch von dem Wort her veranlasst sein. Zunächst vollzieht sich innerhalb jeder Sprache eine Änderung des Sinnes mancher Worte, ja selbst allgemeine Richtungen lassen sich er­ kennen, wie z. B. wegen des Sinkens der Bedeutung vieler ethi­ A  So erweisen sich auch hier die drei Hauptfaktoren der darwinschen Theorie : Vererbung, Kampf ums Dasein, Anpassung. Dass aber hier alle Einzelkräfte in ihrem Wirken von der Einheit der Vernunft umfasst wer­ den, darf keinen Augenblick vergessen werden. Wenn wir im Ausdruck die einzelnen Termini bisweilen wie selbständige Mächte behandeln, so möge solche Freiheit der Darstellung Entschuldigung finden. – Die Analogie mit naturwissenschaftlichen Theorien könnte übrigens viel weiter verfolgt wer­ den, aber die Gefahr, den Gegenstand damit schräg zu beleuchten und bei scheinbarer Erhellung des Einzelnen das Ganze zu entstellen, ist zu groß, als dass man solchem Hange nachgeben dürfte. [ Zu Euckens Referenzen auf Darwinismus/Evolutionstheorie vgl. die Einleitung von Gisela Schlüter zum vorliegenden Band .]

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schen Bezeichnungen A von einem Pessimismus der Sprache ge­ redet ist. Dem Einfluss solcher Umgestaltung kann sich natürlich die philosophische Sprache nicht entziehen. Oder auch es ver­ ändert sich die Bedeutung der Ausdrücke so, dass dem Begriff nunmehr ein anderes Wort besser zu entsprechen scheint. Das Frühere wird alsdann sich einem anderen Begriff anschließen oder ganz aus der Philosophie ausscheiden. In der langen Ge­ schichte deutscher Terminologie sehen wir nicht selten einen Begriff mannigfache Ausdrücke durchlaufen. Wo wir Zeit und Raum sagen, spricht das Mittelalter von zit unde stat 80 und finden wir im 16. und 17. Jahrhundert | auch Zeit und Ort.B Finis sahen wir übersetzt bei NOTKER mit ende, bei ECKHART mit ende, zil und warumbe, 81 in der sonstigen Mystik mit zil und warumbe, im 16. Jahrhundert mit Ende und Ziel, im 17. mit Zweck, im 18. mit Absicht und Zweck, im 19. mit Zweck und wiederum Ziel.C Definition hat bei uns die mannigfachsten Formen angenommen, ohne bis zum heutigen Tage mit einer eine dauernde Verbin­ dung einzugehen. Wir finden es (um uns nur auf die neuere Zeit zu beschränken) im 16. Jahrhundert übersetzt Beschreibung, bei LEIBNIZ Begränzung (wobei er an das holländische bepaeling er­ innert), bei WOLFF Erklärung. Letztes haben die meisten ange­ nommen (z. B. LAMBERT, KANT, FRIES, TRENDELENBURG), aber daneben findet sich in neuerer Zeit auch Begriffsbestimmung. Sol­ che verschiedene[ n ] Übersetzungen deuten bisweilen Bewegun­ gen und Probleme des Begriffes selber an. – Nicht selten endlich geschieht es, dass ein Wort in der allgemeinen Sprache so sehr abgenutzt wird, dass die Philosophie auf seine weitere Verwen­ dung verzichten muss. A  Man denke z. B. an schlecht, gemein, niederträchtig. – Die Vergleichung der einzelnen Sprachen bietet auch hier der Untersuchung einen fruchtbaren Gegenstand. B  Überhaupt sind die Termini der Zeit fester als die des Raumes. C  Ich denke dabei namentlich an Karl Ernst v. Baer [ Reden gehalten in wissenschaftlichen Versammlungen und kleinere Aufsätze vermischten In­ halts, Teil 2, St. Petersburg 1876 (002), Über Zweck und Zielstrebigkeit über­ haupt, S. 49 ff. ; Über Zielstrebigkeit in den organischen Körpern insbeson­ dere, S. 170 ff. ], der die Ausdrücke zielstrebig, Zielstrebigkeit versucht.



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Eine größere Gesamtwirkung erfolgt hier bei dem Übergange des Begriffssystemes in eine neue Sprache. Die Termini dringen alsdann wie erobernd in ein fremdes Gebiet ein und müssen da­ her des Kampfes gewärtig sein. Selbst wenn dabei gar kein Wi­ derstand geleistet und das Herantretende einfach aufgenommen würde, müsste schon durch die Notwendigkeit einer Auseinan­ dersetzung und Erklärung sich eine gewisse Auffrischung der Termini ergeben ; aber nun findet naturgemäß immer eine Gegen­ wirkung statt, und nur das macht einen Unterschied, ob dieselbe mehr instinktiv aus dem Gesamtleben heraus geschieht oder ob sie sich zu der bewussten Anstrengung steigert, das Fremde in ein Eignes umzusetzen. Je lebhafter diese Gegenwirkung ist, desto mehr muss die überlieferte Terminologie im Kampf bestimmte Vorzüge erweisen, desto mehr wird sie durch ihn verändert. Sehr vieles geht unter ; was aber in der Auslese bleibt, erfährt mehr oder weniger eingreifende Umwandlung. Zunächst fallen manche Beziehungen weg, die in der Stammsprache das | Wort begleiteten. Die spezifische philosophische Grundlage, auf der dasselbe ruhte, wird leicht vergessen, aber auch die anhaften­ den Vorstellungen des allgemeinen Lebens verschwinden. Jenes bringt natürlich den Nachteil, dass der Terminus, wenn ihm nicht neue begriffliche Momente zuwachsen, leicht eine abstrakte Fas­ sung erhält, während mit diesem der Vorteil verbunden ist, dass nun nicht mehr aus dem Wort ungeprüfte Vorstellungen in den Begriff einschleichen. Sodann bewirkt das Zusammensein der alten und neuen Aus­ drücke manche Verschiebung in der Bedeutung jener. Oft ge­ schieht es, dass das Überkommene durch das Wort, das zum Ersatz dienen sollte, nicht endgültig verdrängt wird. Altes und Neues behauptet [ behaupten ] sich nebeneinander ; statt dass das eine das streitige Gebiet allein einnimmt, teilen sich beide in seinen Umfang. Damit ist aber unmittelbar auch der Inhalt des herkömmlichen Terminus verändert. So sahen wir Analogie und Proportion, A Affekt und Leidenschaft sich differenzieren. JedenA  Bei uns stehen nun gar Analogie, Proportion und Verhältnis (ursprüng­ lich Übersetzung von proportio) nebeneinander.

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falls werden sich nicht dauernd zwei gleichbedeutende Ausdrü­ cke nebeneinander halten können, es muss Sieg, Teilung oder Untergang eintreten.A Dass endlich die geistige Eigenart des aufnehmenden Volkes, oft fast unvermerkt, dem überkomme­ nen Terminus neue Bestimmungen zuführt, bedarf keiner Aus­ einandersetzung. Das Entscheidende ist in dem allen die Bewegung der Begriffe selber, diese wird nun näher zu erörtern sein. Die Begriffe sind als in einem die Wahrheit anstrebenden Denken, wenn auch nicht immer fortschreitend, so doch in einer steten Umwand­ lung, so dass fortwährend die Termini in jene kritische Lage geraten, die wir oben darlegten. Nun könnte freilich ein stetes Neuschaffen der Worte stattfinden, wenn nicht sowohl der tat­ sächliche Zusammenhang der Begriffe als die Notwendigkeit der Verständigung zu einem Anschluss an das Vorhandene drängte. Der herkömmliche Terminus ist ein Hebel, so viele Vorstellun­ gen in bestimmter Verbindung bei allen zu erwecken, dass auf ihn nicht wohl verzichtet werden kann. Eine wie große Macht ein allgemein eingebürgertes Wort besitzt, sehen wir nament­ lich aus den | in Wendezeiten nicht selten gewagten Versuchen, derartige Ausdrücke einfach zu beseitigen. Wie vergeblich war es, wenn Männer wie BOYLE und STURM den Terminus Natur bekämpften ? Minder Verbreitetes kann wuchtigen Angriffen er­ liegen, sind aber Ausdrücke bis zu einer gewissen Ausdehnung des Einflusses gelangt, so muss man mit ihnen paktieren. Es gilt also ihnen neue Merkmale zuzuführen, alte abzustreifen, dabei aber das Gemeinsame beider Gestaltungen so weit überwiegen zu lassen, dass die Kontinuität mit ihren Vorteilen erhalten bleibt. Nun aber wiederholt sich der Prozess. Die begonnene Rich­ tung wird weitergeführt oder auch eine neue eingeschlagen, mei­ stens geht die Bewegung immer weiter in die Ferne, und es kann also geschehen, dass sie bei einem vollen Gegensatz zum Aus­ gangspunkt endigt. Indes bleibt die erste Gestalt gewöhnlich in A  Bei solchem Zusammentreffen erweist sich meistens eine große Diffe­ renzierungsfähigkeit der Termini, ein Zeichen, wie roh gewöhnlich die Be­ griffe sind, mit denen wir arbeiten.



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einigem Vorteil. Wo immer geschichtliches Bewusstsein vorhan­ den ist, kehrt der Gedanke zu ihr zurück und entlehnt ihr leicht inhaltliche Bestimmungen. So sehen wir z. B. die platonische Bedeutung von Idee bei aller Entfernung von ihr doch eine eini­ germaßen richtende Macht bewahren.A Natürlich hat nur ein Teil der Termini eine so inhaltreiche Geschichte, andere gehen unter kaum merklicher Veränderung durch die Jahrhunderte und Jahrtausende. Die Variabilität hängt hier von verschiedenartigen Momenten ab, am meisten freilich von der Beschaffenheit der Begriffe selber. Es kommt z. B. darauf an, ob dieselben eine bloße Beschreibung oder eine eigentliche Theorie enthalten, ob sie ein Einfaches oder ein Mannigfaches bieten, ob sie der unmittelbaren Anschauung nahe bleiben oder sich von ihr entfernen, ob sie sich auf geschlossene Gebiete ein­ schränken oder in den allgemeinen Kampf hinaustreten u. s. w. Danach sind alle Grade zwischen unerschütterlichem Beharren und fortwährender Umgestaltung möglich. Atom und Idee ha­ ben sich durch Jahrtausende in den verschiedensten Sprachen erhalten. Aber Idee spiegelt alle Wendepunkte der geistigen Be­ wegung, bei Atom zeigt sich nur in der Form ein Schwanken.B | Der Inhalt der Geschichte ist natürlich überaus abweichend, jeder bedeutende Terminus hat hier seine eignen Schicksale. Nur an einige Hauptrichtungen möge hier zu erinnern gestattet sein. Eine Verschiebung des Sinnes eines Terminus kann stattfin­ den, auch ohne dass er sich einem neuen Begriff anschließt. Wenn der Begriff, dem er dient, im wissenschaftlichen System eine an­ dere Stellung erhält, so muss das natürlich auf das Wort zurück­ wirken. Form und formal gelten seit Ausgang des ­A ltertums als A  Schon deswegen ist es nicht unbedenklich, Schlagwörter vom Gegner zu entlehnen, um sie für sich zu verwerten. Es ist schwer, die ursprünglichen Züge ganz auszulöschen. B  Demokrit hat τὰ ἄτομα, ἡ ἄτομος erscheint erst bei Epicur. Im Lateini­ schen ist seit Cicero atomus geläufig, doch findet sich auch atomum (z. B. bei Scotus Erigena). Im Deutschen kam früher auch der Atοm (der Atomus) vor, z. B. bei Baumgarten : Deutsche Metaphysik [ Halle 1766 (002), S. 127 ] § 310 ein materieller Atomus, ferner bei Kant [ A A IV, S. 532 (Atom) ; AA III, S. 306 (Atomus), Atomus mehrfach belegt ].

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Bezeichnung für das Wesen der Dinge. Schon bei BOETHIUS las­ sen sich Keime solcher Bedeutung erkennen, A zu voller Herr­ schaft gelangte sie, nachdem die aristotelische Philosophie unbestrittene Grundlage der gesamten Weltbegreifung geworden war.B In ihren Ausläufern und Konsequenzen erstreckt sich diese Bedeutung bis weit in die Neuzeit hinein.C Der neuern Philo­ sophie hingegen ist bei ihrem Streben, alle Gesamtbildung von einfachen Grundkräften herzuleiten, die Form notwendig ein Ergebnis des Prozesses und steht also in zweiter Linie. In Ein­ klang damit gilt auch formal den verschiedenen Zeiten ziemlich Gegenteiliges. Freilich hat sich in der Terminologie der schon im Mittelalter vorbereitete Umschwung erst mit dem Übertritt der Philosophie in die Volkssprachen endgültig vollzogen. Oft auch folgt der Terminus dem von einem Gebiet in ein an­ deres wandernden Begriff. Am leichtesten geschieht dies, wenn in dem Inhalt desselben lediglich Beziehungen und Verhältnisse ausgesagt sind. So bezeichnete Dualismus zuerst (bei HYDE, BAYLE, LEIBNIZ) die religiöse Lehre, welche ein gutes und ein böses Weltwesen annimmt, seit WOLFF aber die philosophische Theorie, der Geistiges und Körperliches substantiell verschieden sind.D Aber auch sonst gewahren wir eine Bewegung von einem | Gebiet zum andern. Dieselbe vermag in einzelnen Zeiten ausge­ dehnte Gruppen zu erfassen und damit für die Gesamtrichtung A  S. [ B oethius  : ] De consolatione philosophiae [ L ibri V, Ed. II, Padua 1744, (008) S. 114 ]: »(intelligentia) illa [ i llo ] uno ictu mentis formaliter, ut ita dicam, cuncta prospiciens.« [ S. o., S. 73, Fn. F ]. B  Die Form ist hier nicht ein Äußerliches, sondern ein innerlich Bestim­ mendes und Gestaltendes. C  Selbst bei Kant ist trotz aller Umwandlung eine gewisse Anknüpfung an das Alte unverkennbar, s. z. B. VI, 480 [ = AA VIII, S. 404 ] : »In der Form besteht das Wesen der Sache (forma dat esse rei, hiess es bei den Scholas­ tikern), sofern dieses durch Vernunft erkannt werden soll.« [ vgl. dazu Anm. 68 ,  G.S. ] D  Monismus machte eine andere Wandlung durch, indem es bei dem Ur­ heber (Wolff) diejenigen bezeichnet, welche nur ein Reales, sei es Körperli­ ches, sei es Geistiges (das eine unter Ausschluss des andern) anerkennen, in neuerer Zeit aber diejenigen, welche den Gegensatz selber nicht gelten lassen oder doch glauben, ihn überwinden zu können. [ Vgl. Eucken : GG, in : GW, Bd.  4 , S. 187 ff. ].



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des geistigen Lebens charakteristisch zu werden. So geht z. B. im spätern Altertum und noch mehr im Christentum eine Um­ wandlung der Termini von dem Theoretischen zum Praktischen und speziell Ethischen vor sich. In der Neuzeit werden nament­ lich Ausdrücke, die ursprünglich andern Gebieten angehörten, auf die Erkenntnislehre übertragen. So bezeichnen a priori und a posteriori im Mittelalter einen Gegensatz in dem Gange des Beweises, A von LEIBNIZ beginnt die in KANT abschließende Um­ wandlung, damit die Verschiedenheit des Ursprunges unserer Einsichten auszudrücken. Bei reiner Erkenntnis denken Mittelal­ ter und Übergangszeit an das von sinnlichen Vorstellungen Freie, die Neuzeit an das a priori Begriffene. Die Verschiebung der Ter­ mini transzendent und transzendental werden wir unten beson­ ders ins Auge fassen : Charakteristisch ist dabei für die Neuzeit, dass sie weit über den spezifischen Kreis der Erkenntnislehre hinaus darauf bedacht ist, vorgefundene Termini so zu distin­ guieren, dass der Gegensatz des Objektiven und Subjektiven klar hervortrete. Die aristotelisch-scholastische Sonderung der ersten und zweiten Qualitäten B wird nach der durch DESCARTES erfolgten Umgestaltung der Gesamtauffassung von BOYLE dazu verwandt, die den Dingen selber zukommenden physikalischen Eigenschaften von den erst in der Sinneswahrnehmung sich bil­ denden zu scheiden. In dieser Bedeutung sind die Worte durch LOCKE allgemein verbreitet. Natürlich lassen sich gewisse Richtungen auch in dem Ganzen der uns vorliegenden Geschichte aufweisen. Wir finden z. B. viele Termini von dem Äußern auf das Innere übergehen, z. B. Bildung, Kultur, Entwicklung, organisch, mechanisch u. a. Auch zeigt sich weit mehr eine Mitteilung vom Theoretischen zum Prakti­ schen als umgekehrt ; manches, was der Logik oder Physik seinen Ursprung verdankt, ist später auf die Ethik (in dem weitern alten A 

S. oben S. 70. S. darüber Barth. Arn. Using. [ Totius Naturalis Philosophiae Epitome Olim Singula singulari studio Bartholomaei Arnoldi Usingensis, (Erfurt) 1543 ]. Ep. S. 98 : »qualitates primae sunt a quibus aliae fluunt, et sunt qua­ tuor : caliditas et frigiditas, siccitas et humiditas. – Secundae sunt quae ab aliis fluunt.« B 

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Sinn des Wortes) übertragen. Denken wir z. B. an ἀδιά | φορος, συμπάϑεια, συνείδησις u. a. Das Logische und Methodologische wird [ werden ] im Allgemeinen mehr empfangen als geben, aber unter bestimmten Zeitläufen kann auch das Gegenteil stattfin­ den. So gewinnen z. B. im 18. Jahrhundert die deutschen Termini bei dem Übergehen aus der Schulphilosophie in das Gesamtleben statt einer formalen eine mehr reale Bedeutung, z. B. Entwicklung, genetisch u. a. Man wird annehmen dürfen, dass in jeder geistig kräftigen Zeit die Terminologie von einem Gebiet als Mittelpunkt be­ herrscht werde. Dieses Gebiet zieht auch das sonst Vorliegende an sich und bestimmt es von sich aus, zugleich bringt es am mei­ sten Neues hervor ; was immer es aber ausgebildet hat, das sendet es aus nach allen Seiten. So kann die Betrachtung unseres Gegen­ standes uns das Wirken der geistigen Mächte in den einzelnen Fäden erkennen lassen. Jene Überführung bringt naturgemäß dem Begriff und Termi­ nus auch innerlich eine Umwandlung, eine solche wird aber häu­ fig auch abgesehen von jener besondern Veranlassung stattfin­ den. Nicht selten erweitert sich der Begriff dem Umfange nach, indem das zunächst für ein beschränktes Gebiet Geltende auf ein umfassenderes ausgedehnt wird. Fanatismus und Enthusiasmus (wie auch Schwärmerei) galten zunächst nur in Hinsicht auf die Religion ; man kennzeichnete mit jenen selten genau unter­ schiedenen Ausdrücken diejenigen, welche auf der innern Er­ leuchtung als alleinigem Quell religiöser Erkenntnis bestehen.A A  Aepinus (s. ο. S.  *3) erklärt enthusiasmus  : »studium cultus interni neglecto externo«. Luther sagt (De servo arbitrio) : »satis acre mihi bellum […] cum istis fanaticis, qui scripturas suo spiritui subjiciunt interpretan­ das« [ De servo arbitrio Mar. Lutheri ad D. Erasmum Roterodamum, Wit­ tenberg 1525 (001), nicht pag., Scan 93 : »Satis acre mihi bellum isto anno fuit et adhuc est, cum istis Phanaticis, qui scripturas suo spiritui subijciunt interpretandas.« ] – Fanaticus findet sich z. B. bei Augustin V, 337 d [ bei Au­ gustinus mehrfach belegt, vgl. S. Aurelii Augustini Opera Omnia – editio latina (www.Augustinus.it) ]. Lessing (Briefe, die neuere deutsche Literatur betreffend, 49. Br.) bekämpft ›fanatische und enthusiastische Begriffe von Gott‹. [ L essing : Sämmtliche Schriften, hg. v. K. Lachmann, Bd.  6 (Berlin 1839) (005), S. 131 ]. [ Zu Fanatismus/Schwärmerei/Enthusiasmus etc. gibt es



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Erst im 18. Jahrhundert bahnt sich eine Erweiterung an, welche die Ausdrücke auch innerlich umgestaltet. Emanation kann in der mittelalterlichen Religionsphilosophie jede göttliche Offen­ barung bezeichnen,A bis später die bekannte Determination er­ folgte.B Insofern aber treffen wir hier eine allgemeine Erschei­ nung, als fortwährend spezifische Theorien und Begriffe sich auszudehnen versuchen. Jede große Weltanschauung hat sich | darin betätigt, dass sie in scheinbar partikularen Begriffen einen allgemein wertvollen Inhalt entdeckte, diesen heraushob und zu weitreichender Erklärung verwandte. Dies kann aber nicht ge­ schehen, ohne dass das Ausgangsgebiet in hellere Beleuchtung gerückt und schärfer erfasst werde. So sahen wir die Umwand­ lung der Naturphilosophie sich äußerlich in der Ausbreitung des Terminus mechanisch darstellen. Aber wurde DESCARTES bei diesem Begriffe nicht von ganz andern Momenten angezo­ gen als die Früheren, voran ARISTOTELES ? Solcher philosophischen Tätigkeit darf eine Strömung des all­ gemeinen Lebens nicht gleichgesetzt werden, die scheinbar in ähnlicher Richtung verläuft. Dringt ein Terminus einmal über das wissenschaftliche Gebiet hinaus und erwirbt sich allgemeine Gunst, so wird er sich rasch nach den verschiedensten Seiten ver­ breiten. Denn nun gelangen die einzelnen Merkmale selten zu deutlicher Vorstellung, ein Gesamteindruck entscheidet, diesen aber glaubt man, einmal zustimmend erregt, leicht zu empfan­ gen, so dass mehr und mehr zum Terminus herangezogen wird. Der Inhalt schrumpft gleichzeitig ein, endlich bleiben nur leere viel rezente Sekundärliteratur, es sei an dieser Stelle exemplarisch verwie­ sen auf einen breit dokumentierten Beitrag von Robert R. Clewis : »Schwärmerei and Enthusiasmus in Recent English Translations of Kant’s Lectures and Writings on Anthropology«, in : Gisela Schlüter (Hg.) : Kants Schriften in Übersetzungen, S. 649 – 675 ; eine ältere Arbeit stammt von Robert Spae­ mann : »Fanatisch und Fanatismus«, in : AfB 15 (1971), S. 256 – 274 ] [ G.S. ] A  S. z. B. Nikolaus von Cues II, 27 a [ vgl. D. Nicolai de Cusa Cardinalis (…) Opera (…), Basel 1565 (010), S. 386 ] : »emanatio in divinis duplex est, una per modum naturae, et haec est generatio, alia per modum voluntatis.« B  Migrel (s. ο. S.  3) [ Joh. Micraelii Lexicon philosophicum terminorum philosophis usitatorum, Stettin 1661 (001), Sp. 432 ] definiert emanatio = »ef­ fluxus rei naturalis a causa procreante sine transmutatione«.

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Abstraktionen, die sich dann doch an die Stelle des wissenschaft­ lich Allgemeinen setzen möchten. Umgekehrt geschieht eine Bewegung zur Spezifizierung hin. Jedes philosophische System muss, insofern es eine eigentüm­ liche Weltbegreifung aufstellt, empfangene Termini genauer be­stimmen, Nebeneinanderliegendes distinguieren, überhaupt umgrenztere Gestalten herausarbeiten. Wenn z. B. LEIBNIZ den Terminus Monade von JORDANO [ Giordano ] BRUNO entlehnt, so hat er das Moment des Innerlichen wenn auch nicht hinzuge­ fügt, so doch erst zu prinzipieller Bedeutung erhoben. Er spricht daher mit Recht von Monaden in seinem Sinn (›quod ego monadem appello‹). Auch hier gewährt die allgemeine Sprache eine Art Seiten­ stück. Manche Termini bleiben an einzelnen Gegenständen wie hängen und können sich hier also festsetzen, dass sie für die Phi­ losophie geradezu unbrauchbar werden. Namentlich von dem Scholastischen hat manches ein solches Geschick erfahren.A Soweit aber die Ausdehnung und Einengung der Termini wis­ senschaftlichen Zwecken dient, legt sie Zeugnis ab von jenen bei­ den Hauptaufgaben des Erkennens, das Besondere einem all | ge­ meinern Zusammenhange einzufügen und das Unbestimmte zu erfülltem Inhalt zu bringen. Das für uns Wichtigste erreichen wir aber, wenn wir uns der rein qualitativen Umgestaltung der Termini zuwenden. Denn de­ ren Verfolgung lässt uns einen Blick in die innere Arbeit der Ge­ danken tun, die Eigentümlichkeit der einzelnen Zeiten erkennen und dabei doch den Zusammenhang der verschiedenen Epochen festhalten. Soll hier indes irgendetwas Erhebliches erreicht wer­ den, so müsste sich die Betrachtung der Termini zu eigentlichen Monographien erweitern, woran für uns natürlich nicht zu den­ ken ist.B Nur einiges Wenige möge zur Andeutung der verschie­ Man denke an Accidentien, Essenz, pura naturalia u. a. kleinere Beiträge versuchten wir in unserer Geschichte und Kritik der Grundbegriffe der Gegenwart zu geben. [ Vgl. Eucken : Geschichte und Kritik der Grundbegriffe der Gegenwart [ G G ], Leipzig 1878 ; mehrere überarbeitete Neuauflagen unter unterschiedlichen Titeln, 6., umgearb. A 

B  Einzelne



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denen Gesichtspunkte, die hier in Erwägung kommen, von uns angeführt sein. Wie sich die Gesamtgeschichte in ihren wichtigern Phasen in einem einzigen Worte abdrücken kann, das zeigt der Terminus Idee, keine große Wendung geistigen Lebens ist an ihm unver­ merkt vorbeigegangen. Bei den ersten griechischen Philosophen, bei denen sich ἰδέα findet (wie bei XENOPHANES, ANAXAGORAS, DIOGENES VON APOLLONIA, DEMOKRIT), hat es noch keine tech­ nische Bedeutung. Dass es PLATO dann zur Bezeichnung der For­ men verwendet, die nach seiner Überzeugung das Wesentliche und Beharrende der Welt ausmachen, ist bekannt. Das Wort ge­ langte aber in diesem Sinne bei den Alten nicht in den allgemei­ nen Sprachgebrauch, es bleibt Kennwort einer spezifischen Welt­ erfassung und ward gewöhnlich in unmittelbarem Hinblick auf PLATO verwandt. Dem ausgehenden Altertum werden dann die Ideen etwas ursprünglich Geistiges, sie entstammen dem Geist Gottes und haben hier ihren Ort. So bei PHILO und PLOTIN. Mit dieser Bedeutung ging der Begriff ins Mittelalter über. Auch die Form hielt sich, die Übersetzungen und Umschreibungen, an denen es seit CICERO nicht fehlte, vermochten das griechische Wort von der lateinischen Sprache nicht fernzuhalten. Indessen hat dasselbe erst in der Scholastik alles Fremdartige abgestreift und hier zuerst Schößlinge wie idealis hervorgetrieben. Dem In­ halt nach erlebt nun der Begriff im Mittelalter eine so reiche Ge­ schichte, dass sich die wichtigern Parteiungen und Abschnitte des Gesamtlebens von hier aus erkennen ließen. Die Wendung | des Terminus zur Bezeichnung eines nur im subjektiven Geiste Vorhandenen hatte im Nominalismus schon begonnen, aber sie drang erst durch, nachdem sowohl die neue Philosophie zur Herrschaft gelangt war als auch der Übergang der Wissenschaft in die Volkssprachen sich vollzogen hatte. Hier wie so oft ver­ einigt sich Inneres und Äußeres zu Einem Ergebnis. Der Um­ schwung scheint in Frankreich entschieden zu sein, schon bei MONTAIGNE finden wir Idee in der neuen Bedeutung, GASSENDI Aufl. Berlin/Leipzig 1920 u. d. T. Geistige Strömungen der Gegenwart, in : GW, Bd.  4 ].

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behandelt Idee und Wirklichkeit als vollen Gegensatz.A Dann versucht CaRteSIUS eine genauere Bestimmung. Idee ist ihm alles, was unmittelbar vom Geist ergriffen wird, es bezeichnet also die elementare psychische Größe.B | In solchem Sinn drang das Wort bald nach den andern Ländern ; in England setzte es LOCKE nicht ohne Widerstand durch, in Deutschland nahm es LEIBNIZ auf, aber hier traten sofort Übersetzungsversuche her­ vor, die nach verschiedenen vergeblichen Ansätzen endlich in dem WOLFFISCHEN Vorstellung zum Ziel kamen. Freilich findet sich im 18. Jahrhundert das Wort Idee auch bei uns oft genug in derselben Bedeutung wie bei den andern Völkern, aber es war doch nicht der einzige und somit unentbehrliche Vertreter des Begriffes. Eben deswegen erwies es sich auch einer weitern Um­ wandlung zugänglich, während bei den andern Völkern die Be­ strebungen Einzelner, ihm einen mehr spezifischen Inhalt zu er­ werben, gegen die allgemeine Flut nicht aufkommen konnten. Schon vor KANT fehlt es bei uns nicht an Versuchen. ­T ETENS nimmt (in Anschluss an BONNET) Idee = Vorstellung mit Bewusstsein, aber erst nachdem KANT im Zusammenhange eines großen Systems eine Fortbildung des Terminus vollzogen hatte, begann eine fruchtbare Weiterentwicklung desselben. Für KANT bedeutete bekanntlich Idee einen notwendigen Vernunftbegriff, dem kein kongruierender Gegenstand in den Sinnen gegeben werden kann. Die folgenden Denker haben bei aller Abweichung davon und bei aller Verschiedenheit untereinander doch an sol­ che Bestimmung angeknüpft. – Indem wir bei solchem flüchti­ gen | Überblick alle Verzweigungen bei Seite ließen, stellten sich uns deutlich vier große Epochen heraus. Mit dem Inhalt wandelt A  Übrigens zeigen sich auch bei Luther und J. Böhme Spuren der Um­ wandlung, aber dies hatte keinen weitern Fortgang. B  S. oben S. *92, Fn. – Dass die ältere Bedeutung noch unmittelbar gegen­ wärtig war und die Änderung deutlich empfunden wurde, bezeugt sich da­ rin, dass Cartesius an der oben angeführten Stelle [ *92 ] fortfährt : »ususque sum hoc nomine, quia jam tritum erat a philosophis ad formas perceptio­ num mentis divinae significandas.« [ Descartes : Œuvres, Meditationes de prima philosophia. Responsio III, 5 (AT VII, Ausg. 1904, S. 181) ]. [ Zu Idee bei Descartes vgl. auch Edmund Heller : »Descartes’ Gebrauch des Wortes Idee,« in : AfB 48 (2006), S. 101 – 110. ] [ G.S. ]



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sich dabei im Wesentlichen auch die Sprache, man könnte eine griechische, lateinisch mittelalterliche, modern französische und endlich deutsche Phase des Terminus unterscheiden.A Natürlich ist das Frühere keineswegs vollständig verdrängt, es macht sich in manchen Nachwirkungen bemerklich und erhält sich in ge­ schlossenen Verbindungen.B Ist demnach ein solcher Terminus nicht eine Art Mikrokosmus, in dem sich die Geschicke der gro­ ßen Welt abspiegeln ? Erregt schon hier die Feststellung dessen, was der Terminus an jeder einzelnen Stelle bedeute, erhebliche Schwierigkeiten, so erwachsen eigentliche Missverständnisse, wenn die Wandlung nach außen weniger deutlich heraustritt. Dies ist namentlich bei Termini der eigentlich philosophischen Arbeit der Fall. Jeder selbständige Denker bezeigt hier seine Eigentümlichkeit, entgeht dieselbe in Folge äußerlicher Übereinstimmung, so wird jene zu­ treffende Erfassung gestört, die vornehmlich uns das Versenken in fremde Gedankenkreise anziehend und fruchtbar macht. Als Beispiel seien die Ausdrücke klar und deutlich erwählt, de­ ren Vorgeschichte wir schon berührten. Es genügt, ohne weite­ res Ausspinnen einige Erklärungen der Denker nebeneinander zu stellen. CARTESIUS sagt (s. oben, S. *90) : »Claram voco illam (perceptionem) quae menti attendenti praesens et aperta est ; – distinctam autem illam, quae cum clara sit, ab omnibus aliis ita sejuncta est et praecisa, ut nihil plane aliud quam quod clarum est in se contineat.« LOCKE : »As a clear idea is that whereof the mind has such a full and evident perception, as it does receive from an outward object operating duly on a well disposed organ ; so a distinct idea is that wherein the mind perceives a difference from all other.«C LEIBNIZ : »Clara cognitio est, cum habeo unde rem repraesentatam agnoscere possim. […] Distincta notio est qualem de auro habent docimastae per notas scilicet et examina sufficientia ad rem ab aliis omnibus corporibus similibus dis­ Die letzten drei Phasen macht das Wort idealis mit. Z. B. in Ideenassoziation die dritte Phase. C  [ John Locke  : The Works of John Locke, London 1824 (000), Bd.  1, S. 384 ] ; Locke : Essay […], Book II, Chap. 29. A  B 

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cernendam.«A WOLFF (Psychol. emp. § 31)B | »Si quod percipimus agnoscere vel a perceptibilibus ceteris distinguere valemus, per­ ceptio quam habemus clara est.« (§ 38) »Si in re percepta plura sigillatim enunciabilia distinguimus, perceptio clara dicitur dis­ tincta.«C KANT : »Die Verschiedenheit der Form des Erkenntnis­ ses beruht auf einer Bedingung, die alles Erkennen begleitet, auf dem Bewusstsein. Bin ich mir der Vorstellung bewusst, so ist sie klar ; bin ich mir derselben nicht bewusst, dunkel. […] Alle kla­ ren Vorstellungen, auf die sich allein die logischen Regeln an­ wenden lassen, können nun unterschieden werden in Ansehung der Deutlichkeit und Undeutlichkeit. Sind wir uns der ganzen Vorstellung bewusst, nicht aber des Mannigfaltigen, das in ihr enthalten ist, so ist die Vorstellung undeutlich.«D Auch die Nach­ folger bis zur Gegenwart weisen manche Unterschiede auf, so dass es nicht zu verwundern ist, wenn es der Philosophie nicht gelang, die Termini in fester Bestimmung dem allgemeinen Le­ ben zu übermitteln und sie den auflösenden Elementen gegen­ über zu behaupten. Die Ausdrücke sind daher so abgeschliffen, dass sich selten ein genau bezeichnender und sondernder Begriff mit ihnen verbindet. Wie in diesem Fall, so kann es auch sonst den Forscher be­ schäftigen, die Geschichte befreundet oder gegensätzlich ver­ knüpfter Termini zu verfolgen. Manches ist lange gleichgültig A  [ G od. Guil. Leibnitii Opera philosophica omnia (…), ed. Erdmann, Pars prior, Berlin 1840 (002) ], S. 79 (a, b). [ S. auch ders. : Discours de Mé­ taphysique,  i n : ders. : Nouvelles Lettres et Opuscules inédits de Leibniz, ed. Foucher de Careil, Paris 1857 (007), S. 330 – 378 ; nach Eucken : ] Foucher II, S. 357 ff. B  S. [ C hristian v. Wolff : Psychologia Empirica, Methodo Scientifica Per­ tractata, Frankfurt am Main/Leipzig 1738 (001), S. 22 (Part. 1, Sect. II, Cap. I, § 31) ]. S. auch die eingehende Erörterung in Wolff : Vernünfftige Gedancken von den Kräfften des menschlichen Verstandes. [ Halle 111742 (002), Bd.  1, S. 185 ff. (Cap. 10, §§ 19 ff). Eucken zitiert nach der 5. Aufl. : ] I, § 9 ff.  C Übereinstimmend [ Johann Friedrich ] Herbart [ : Lehrbuch zur Ein­ leitung in die Philosophie, Königsberg 21821 (002), Kap. I, § 5, S. 3 ; Eucken zitiert eine andere Ausg., dort I, 47 ] : »Die Deutlichkeit besteht in der Unter­ scheidung der Merkmale eines Begriffs, [ sowie ] die Klarheit in der Unter­ scheidung mehrerer Begriffe von einander [ u ntereinander ].« D  Kant VIII, S. 34 [ = AA IX, S. 33, 34 ].



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nebeneinander hergelaufen, um erst sehr spät in enge Beziehung zu treten. Mechanisch und organisch finden wir beide schon bei ARISTOTELES in wissenschaftlicher Verwendung, mechanisch zur Benennung der besonderen Disziplin, organisch im Sinne von werkzeuglich. So beharrten die Ausdrücke bis zu Beginn der Neuzeit, sie einander entgegenzusetzen war nicht der mindeste Anlass vorhanden, nicht selten steht organische Tätigkeit als Be­ zeichnung der an bestimmte Werkzeuge gebundenen der inneren gegenüber. Eine Erweiterung und Umwandlung des Terminus vollzieht sich zuerst an mechanisch, wie wir es oben bei CARTE­ SIUS anführten (s. S. *92, *93). Ein begriffliches Widerspiel zum Mechanischen in diesem neuen Sinn entstand bei LEIBNIZ, ohne sich aber dem Wort organisch zu verbinden. Diese Fixierung voll­ zog sich erst gegen Ende des vorigen Jahrhunderts durch JACOBI und nament | lich durch KANT, und sie ist erst durch die kon­ struk­tiven Philosophen, vor allem durch SCHELLING, in den all­ gemeinen Sprachgebrauch eingegangen. Bisweilen auch sehen wir Termini bald auseinandertreten, bald in eins zusammengehen. So wird zwischen Kraft und Vermögen von dem Cartesianer CLAUBERG kein Unterschied ge­ macht A, wie das nach den Lehren des Meisters auch nicht ge­ schehen konnte. Nachdem aber LEIBNIZ eine äußerst wichtige begriffliche Sonderung vorgenommen hatte, lag es WOLFF nahe, die Ausdrücke scharf gegeneinander abzugrenzen.B Durch kANT jedoch, der das Wesen der Dinge nicht glaubte in eine uns er­ kennbare Grundkraft setzen zu dürfen, ward das Interesse an der Sonderung erheblich erschüttert, und sehr bald sehen wir dann dieselbe aufgegeben.C A  Clauberg [ Johannis Claubergii Opera omnia philosophica, ed. Theod. Schalbruchii, Amsterdam 1691 (002) ], S. 323 : »[ Respectu actionis agens dicitur habere Vim, Facultatem, Potentiam« ] vis, facultas, potentia, Kraft, Macht, Vermögen, quae nihil est aliud quam non repugnantia ad agendum.« B  Eben wegen dieser Abgrenzung sind manche Angriffe gegen Wolffs Lehre von den Seelenvermögen (Wolff dürfte das Wort zuerst haben) nicht zutreffend. C  So z. B. [ Wilhelm Traugott ] Krug ] : Allgemeines Handwörterbuch der philosophischen Wissenschaften, Leipzig 21833 (002), S. 638 f. ] Philos. Lexi­ kon unter [ L emma ] Kraft.

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Das eigentümlichste Schauspiel aber bieten hier wohl die Ter­ mini subjektiv und objektiv. Subjectivus (zum Subjekt gehörig) findet sich schon bei APULEJUS (s. oben S. *54), den technischen Gegensatz beider Ausdrücke treffen wir bei DUNS SCOTUS. Aber hier besagen die einzelnen Glieder das gerade Gegenteil des heu­ tigen Sprachgebrauches. Nach PRANTL »hiess subjectivum das­ jenige, was sich auf das Subject der Ur­t heile, also auf die kon­ kreten Gegenstände des Denkens, bezieht ; hingegen objectivum jenes, was im blossen obicere, d. h. im Vorstelligmachen, liegt, und hiemit auf Rechnung des Vorstellenden fällt.«A So hielten sich die Ausdrücke bis ins 18. Jahrhundert, nur trat an die Stelle von subjective meist formaliter, so dass wir jenes schließlich fast nicht mehr antreffen (z. B. bei LEIBNIZ scheint es gar nicht vor­ zukommen), 82 während sich objective unverändert behauptet.B Nun aber vollzog sich eine wesentliche Umgestaltung der Be­ deutung der Grundworte. Unter Subject beginnt man zunächst den denkenden Geist zu verstehen,C Object anbelangend, | gewin­ nen die Dinge gegenüber dem Auffassenden volle Selbständig­ keit und gelten für sich als ein Reales, ja vielleicht als das allein Reale. Aber für die lateinische und die außerdeutschen neuern Sprachen hatte solche begriffliche Veränderung nur den Erfolg, den Gebrauch der scholastischen Termini zurückzudrängen ; erst mit dem Übergange in die deutsche Sprache kam die innere Um­ wandlung zu sichtlichem Ausdruck. Etwa seit 1730 finden wir Spuren der neuen Bedeutung, BAUMGARTEN verwendet dieselbe an wichtigen Stellen, bei CRUSIUS , LAMBERT, TETENS ist sie in fester Übung. Nachdem dann KANT den Gegensatz seiner Tiefe und seiner Ausdehnung nach verfolgt hatte, hat sich der Sprach­ A  [ P rantl : Geschichte der Logik (…), Leipzig 1867 (001), Bd.  3 , S. 208, Anm. 105 ]. B  So z. B. [ G eorge ] Berkeley [ :  Works, ed. Alexander Campbell ] Ausg. von Fraser, [ Oxford 1871 (002) ], Bd.  2, S. 477 : »Natural phaenomena are only natural appearances. They are therefore such as we see and perceive them. Their real and objective nature[ s ] are therefore the same.« C  S. Leibniz [ G od. Guil. Leibnitii Opera philosophica (…), Berlin 1840 (002), Bd.  1 ], Sp. 645b : subjectum ou l'âme même [ recte : à subjecto ou de l’âme même ].



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gebrauch von Deutschland aus den anderen Kulturvölkern mit­ geteilt. Ferner aber verschieben sich die Verhältnisse von Begriffspaa­ ren. Das eine Glied des ursprünglichen Gegensatzes kann von einem anderen Begriff stärker angezogen werden und eine neue Verbindung eingehen. Wenn wir jetzt immanent und transzendent einander entgegenstellen, so lässt sich solcher Sprachge­ brauch nicht über KANT zurückverfolgen. Bis dahin entsprachen sich immanens und transiens. Seit dem 13. Jahrhundert sprach man von einer actio immanens (permanens) und actio transiens, einer innerhalb des Subjektes verharrenden und einer darüber hinaus gehenden Tätigkeit A, sowie von einer causa immanens, die sich in der Wirkung erhalte, und einer causa transiens, die darin untergehe. Diesem Sprachgebrauch folgte SPINOZA, wenn er Gott ›omnium rerum causa immanens, non vero transiens‹ nannte. Immanens ward auch in die neuern Sprachen aufgenom­ men ; LEIBNIZ verwandte es, um das Fürsichsein des Lebendigen auszudrücken. Transiens dagegen blieb an den Gegensatz ge­ bunden. Dieser aber war dem 18. Jahrhundert wenig gegenwär­ tig.  – Ebenso war auch transcendent in seiner ursprünglichen Bedeutung ziemlich erloschen.B Im Anschluss an die pseudoaris­ totelisch-arabische Schrift De causis finden sich bei THOMAS die vier Begriffe des ens, unum, verum, bonum über die Kategorien hinausgehoben.C In der tHOMAS fälschlich beigelegten Schrift De natura generis wird jenen noch res und aliquid hinzugefügt, und nun erhalten alle zusammen die Bezeichnung transcendentia.D | Alsbald entstand auch das Wort transcendentalis, und man sprach von einer veritas, unitas, bonitas u. s. w. transcendentalis. Gegen den begrifflichen Inhalt dieser Termini musste die Neu­ A Eckhart [ D eutsche Mystiker des vierzehnten Jahrhunderts, hg. v. F. Pfeiffer, Leipzig 1857 (002) Bd.  2 ] hat : inneblibendez – uzfliezendez werc [ wörtlich nicht auffindbar, ähnliche Formulierungen a. a. O., S. 255, S. 321 f. ] [ G.S. ] [ Vgl. auch Anm. 49, K.Z.-W. ] B  S. auch F[ erdinand ] Schmidt : De origine termini Kantiani transcendens, [ Diss. Inauguralis ], Marburg 1873. C  [ Prantl : Geschichte der Logik (002), Bd.  3, S. 114 ]. D  [ Ebd., S. 245 ]

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zeit den schärfsten Angriff richten ; sobald aber die Begriffe er­ schüttert waren, gerieten auch die Termini in arges Wanken. Wo sie nicht ganz verschwanden, wurden sie äußerst willkürlich be­ stimmt.A So war von beiden Seiten für die KANTISCHE Feststel­ lung freier Raum.B Transzendental aber zweigte sich nun ab und ward zum Terminus eines fundamentalen Begriffes der Erkennt­ nislehre (s. oben, S. *144, Fn.). Eine derartige Betrachtung der Termini in ihren Zusammen­ hängen wird sich noch weitere Ziele setzen müssen. Je mehr es sich bei den Begriffen um geschlossene Gruppen handelt, desto mehr wird die eingreifende Änderung eines Punktes auf das Ganze zurückwirken ; die Umwandlung kann in ihren Folgen sich an scheinbar weit abliegenden Stellen bemerklich machen, so dass man, Analogien nachgehend, wohl von einer Korrelation der Teile sprechen könnte. Wenn z. B. ein Terminus wie idée oder Vorstellung aufkommt, wenn Gefühl eine technische Bedeutung annimmt, so muss das auf die psychologische Begriffssprache einen weitreichenden Einfluss ausüben. Also steigert sich das Problem dahin, die Terminologie ganzer Disziplinen in ihrer Ge­ schichte zu verfolgen. Das aber ist bei jedem Fall ein sehr umfas­ sendes und schwieriges Unternehmen. Lediglich um einige der hier auftretenden Fragen anzudeuten, möge verstattet sein, etwas von den Geschicken zu berichten, welche verschiedene deutsche psychologische Ausdrücke im Lauf der Jahrhunderte erfahren A  Von den mannigfachen Versuchen dürfte etwa der Lamberts bemer­ kenswert sein. [ Johann Heinrich ] Lambert nennt in [ Neues Organon oder Gedanken über die Erforschung und Bezeichnung des Wahren (…), Leipzig 1764 (002) ], Bd.  1, S. 484, Begriffe transcendent, insofern sie in der Körper­ welt und Intellektualwelt ähnliche Dinge vorstellen. B  Kant III, 245 [ = AA IV, S. 189 ] : »Wir wollen die Grundsätze, deren Anwendung sich ganz und gar in den Schranken möglicher Erfahrung hält, immanent, diejenigen aber, welche diese Grenzen überfliegen sollten, transcendente Grundsätze nennen.« [ leicht abweichender Wortlaut in AA : »Wir wollen die Grundsätze, deren Anwendung sich ganz und gar in den Schranken möglicher Erfahrung hält, immanente, diejenige aber, welche diese Gränzen überfliegen sollen (statt : sollten), transscendente Grundsätze nennen.« ]



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haben.A Von den Ausdrücken des intellektuellen Gebietes kommt hier besonders das Verhältnis von Verstand und Vernunft in Be­ tracht. Beide finden sich ahd., mhd. dagegen ist Verstand so gut wie | verschwunden. ECKHART, der aus jener Zeit für uns am wichtigsten ist, hat verstandnüsse, verstendikeit, auch daz verstan, nicht aber verstand. 83 Von Vernunft werden jene Ausdrücke öfter gesondert, doch scheint sich kein fester Sprachgebrauch heraus­ zuarbeiten. Freilich lag den Mystikern sehr daran, eine oberste Tätigkeit der Seele auszuzeichnen, aber wenn ein Wort dafür ge­ läufig wird, so ist es eher gemüet als vernunft oder verstandnüsse.B Bei LUTheR erscheinen Verstand und Vernunft nebeneinander, aber es ist schwer, sie fest gegeneinander abzugrenzen. Verstand wird oft (als alles Intellektuelle enthaltender Ausdruck) dem Willen gegengeordnet, wie das bis heute üblich geblieben ist, Vernunft dagegen (als prüfend und reflektierend erkennendes Ver­ fahren) befindet sich nicht selten im Gegensatz zu Glauben. In ein geordnetes Verhältnis treten die Ausdrücke erst bei den Natur­ philosophen und Theosophen des 16. Jahrhunderts. Hier strebte man ebenso wie ECKHART danach, die höchste Stufe merklich abzusondern, dafür aber wird nun Verstand gewählt.C PARACEL­ SUS sagt z. B. : »Der Verstand ist ein[e] wissentliche Vernunft, ist A  Die psychologische Terminologie hat insofern besonderes Interesse, als hier spezifisch Wissenschaftliches und allgemein Menschliches zusam­ menwirk[en]. Volkmann [ Wilhelm Volkmann v. Volkmar, Lehrbuch der Psychologie vom Standpunkte des philosophischen Realismus und nach genetischer Methode, 2 Bde., Cöthen 21875/76 (002) ] hat [ dem ] in seinem ausgezeichneten Werk der Terminologie der letzten Jahrhunderte die ein­ gehendste Behandlung zugewandt, bringt aber sehr selten Angaben über die ältern deutschen Bezeichnungen, wie das für seine Aufgabe auch ja nicht erforderlich war. B  In den vorliegenden Schriften Eckharts wird öfter verstantnüsse über vernunft gestellt, aber dann findet sich auch oberste vernunft als Gipfel. [ Deutsche Mystiker des vierzehnten Jahrhunderts, hg. v. F. Pfeiffer, Bd.  2 : Meister Eckhart, Leipzig 1857 (002), S. 110, S. 225, S. 643 (verstantnüsse), S. 126 f. (oberste vernunft) ]. – [ Dass verstantnüsse über vernunft gestellt wird, trifft nicht zu, es handelt sich um gleichwertige Begriffe, die meist in Auf­ zählungen vorkommen ; gemüet nicht häufiger als verstantnüsse. ] [ K.Z.-W. ] C  Verstand gibt intellectus, Vernunft ratio wieder. Das Geschlecht der Wörter fiel dabei ins Gewicht.

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vollbracht.«A weigel setzt Verstand (= gemüet) als ›das höchste, inwendigste‹, Vernunft als ›das innere Mittel‹, Imaginatio als ›das unterste, äußerste‹.B Dem entspricht auch BÖHMEs Verwendung der Worte. Ein ähnlicher Gebrauch lässt sich bis ans Ende des 17. Jahrhunderts verfolgen, C wenn er auch wohl nur innerhalb des besondern Kreises Geltung erlangt hat. Unterdes vollzogen sich eingreifende Veränderungen der Begriffe selber. CARTESIUS bekämpfte die Annahme verschiedener Seelenstufen und setzte intellectus und ratio einfach gleich ; die ihm sich anschließenden Denker konnten jenen Gegensatz zwischen Verstand und Vernunft nicht mehr aufrechterhalten. Aber die Sprache bewahrte die Ausdrücke, und sie harrten also einer neuen Be | stimmung. Für den wissenschaftlichen Gebrauch trat zunächst eine Art von Interregnum ein, jeder verwendet die Worte, wie es ihm eben passt. Aber nun beginnt bald eine Scheidung sich anzudeuten und allmählich schärfere Züge zu gewinnen. Nachdem LOCKE reason als das gefasst hatte, wodurch sich der Mensch vom Tier unterscheide, bahnte sich auch bei uns die Wertschätzung an, die Vernunft als das Spezifische abzusondern und über den VerA  [ Paracelsus : Achter Theil der Bücher und Schrifften des Edlen Hoch­ gelehrten Philippi Theophrasti Bombast von Hohenheim Paracelsi, Basel 1590 (001), S. 172 (»Allein zum Verstand soll es [ das Kind ] gezogen werden die Vernunft hat es selbst der Verstand ist ein wissentliche Vernunft voll­ bracht.«); s. o., S. 153, Fn. B. –Eucken zitiert andere Ausg., dort ] II, 68 : »zu diesen dreyen (nämlich Vernunft, Fürsichtigkeit, Weisheit) ist gegeben der Geist, das ist der Verstand, aus welchem die Vernunft geregirt wird, auch die Weisheit und Fürsichtigkeit.« [ Ausg. 1590 (001), S. 173 ]. Vernunft als ›Licht der Natur‹ bildet oft einen Gegensatz zu Glauben. B  [ Valentin Weigel : Der güldene Griff. Alle Ding ohne Irrthumb zu er­ kennen, Halle/S. 1613 (003), unpag., Bild 29, 30 ]. C  Volkmann [ : Lehrbuch der Psychologie (…) ], Bd.  2 , S. 488 [ Eucken zi­ tiert hier eine andere als die o.a. Ausg. Cöthen 31884/85, dort Bd.  2, S. 501 ], führt an, dass Becker [ recte : Becher ] in seiner Psychosophie [ Johann Joa­ chim Becher : Psychosophia oder Seelen-Weißheit, Frankfurt am Main 21683 (003), S. 13 ], die »Vernunft nur mit natürlichen, den Verstand mit übernatür­ lichen Dingen umgehen« lässt. [ In der Quelle findet sich dieses Zitat mit einem entscheidenden Unterschied : »Die Vernunfft gehet mit natürlichen / der Verstand mit unübernatürlichen Dingen um.« Becher: Psychosophia, S. 13 ]. [ G.S. ]



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stand zu erheben A . Nun aber muss sich näher bekunden, worin denn der Inhalt dieses spezifisch Menschlichen bestehe. Auch hierfür wies LOCKE den Weg, indem er reason als das Vermögen des Auffindens der Mittel[be]griffe betrachtete. Dies ausführend, nimmt LEIBNIZ raison als das Vermögen, den Zusammenhang der Wahrheiten wahrzunehmen, überhaupt zu schließen.B Also ist für die WOLFFISCHE Distinktion der deutschen Ausdrücke der Boden gesichert. Verstand ist ihm das Umfassende (gewöhn­ licher Gegensatz zu Wille), Vernunft wird bestimmt als ›die Ein­ sicht, die wir in den Zusammenhang der Wahrheiten haben‹. Schon hier ist die Vorbereitung der KANTISCHEN Begriffe un­ verkennbar. Aber nun kam ein weiterer Anstoß von England, auch Verstand zu determinieren. Die ohne Reflexion im Gesamt­ leben stattfindende und die sich eines wissenschaftlichen Verfah­ rens bedienende Erkenntnistätigkeit sollen geschieden werden. Dies geschieht bei uns durch die Ausdrücke (gemeiner) Verstand und (räsonierende) Vernunft ; TETENS hat das umständlich aus­ einandergesetzt.C Wenn auch solche Unter | scheidung nicht weit A  Dies finden wir z. B. bei Thomasius, der aber auch hier wenig Festig­ keit beweist. Dass diese neue Verwendung dem Überkommenen gegenüber ziemlich willkürlich ist, zeigt z. B. A[ ugust ] F[ riedrich ] Müller, wenn er sagt : »die Fähigkeit auf menschliche Art zu gedenken, nennet man Vernunft. Die Fähigkeit aber zu gedenken überhaupt, wollen wir Verstand (intellectum) nennen. (Mir ist zwar bekannt, dass das Wort Verstand mehrentheils fast nur von dem [ vor den ] menschlichen Verstand [ recte : fast mehrentheils vor den menschlichen Verstand ] genommen zu werden pflegt[ e ], jedoch weil ich kein anderes Wort zu finden vermogt« ff.), s. [ Müller : ] Einleitung in die phi­ losophischen Wissenschaften, [ L eipzig 1733) (001), Bd.  1 ], S. 78 [ Korrekturen nach der Quelle : G.S. ]. B  [ S . Volkmann : Lehrbuch der Psychologie (…). Bd.  2 , S. 488 ; Eucken zitiert hier eine andere als die o.a. Ausg. 31884/85 (002), dort Bd.  2, S. 501 ]. C S. [ Johann Nicolas Tetens : Philosophische Versuche über die mensch­ liche Natur und ihre Entwickelung, Leipzig 1777 (003) ], Bd.  1, S. 520 : »Bei al­ ler Verschiedenheit in den Bedeutungen, worin die neuern Philosophen die Worte : Menschenverstand (sensus communis ; commun [  ! ] sense ; gemeiner Verstand, und andere) genommen haben, sieht man es doch als einen allge­ meinen Charakter desselben an, dass er der raisonnirenden Vernunft entge­ gen gesetzet sey. So nahm [  ! ] Reid, auch Beattie und Oswald dies Wort, ob­ gleich sonsten ihre Erklärungen davon unbestimmt sind.« Bd.  1, S. 571 : »Was gemeiner Verstand hier sey, ist vorher deutlich bestimmet worden ; nämlich

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über die Schule hinausgedrungen zu sein scheint,A so war doch die in die Tiefe dringende KANTISCHE Bestimmung mannigfach vorbereitet.B Dieselbe bedarf keiner Darlegung weder ihrem In­ halt noch ihrem Einfluss nach. Von daher hat Vernunft bei allen Abweichungen und auch einzelnen AngriffenC den Vorrang be­ hauptet. Auch in der Namengebung der wichtigsten Funktionen erken­ nender Tätigkeit treffen wir viel Abweichung und Verwirrung. Wählen wir als Beispiel nur Vorstellung und Begriff : Vorstellung stammt bekanntlich in der uns angehenden Bedeutung von WOLFF, auch Begriff hat erst hier die seitdem übliche Bedeutung durchgesetzt.D Nun aber tritt sofort die Schwierigkeit ein, beide Ausdrücke gegeneinander abzugrenzen. Begriff ist ihm meistens jede Vorstellung, bisweilen aber die Vorstellung der Arten und Geschlechter der Dinge.E Auch in den folgenden Jahrzehnten ge­ langten die Ausdrücke nicht zu genauer Sonderung, F doch be­ kundet sich mehrfach die Tendenz, Begriff höher zu stellen. KANT nimmt Vorstellung als das Umfassende, die Einzelvorstellung das Vermögen, über die Dinge zu ur­t heilen, ohne dass es eines deutlichen Raisonnements aus allgemeinen Begriffen und Grundsätzen bedürfe. Dieser wird der höhern und raisonnirenden Vernunft entgegengesetzt. […] Der ge­ meine Verstand arbeitet ohne Hülfe der Speculation ; die Vernunft speculirt aus Begriffen, die sie deutlich entwickelt.« A  [ E rnst ] Platner : Philos. Aphorismen [ nebst einigen Anleitungen zur philosophischen Geschichte, Erster Theil, Leipzig 1793 (002), S. 306, § 650 ] nennt den Unterschied von Verstand und Vernunft »vor Wolffen wenig be­ kannt und vor Kanten wenig geachtet«. B  Kant anbelangend s. G[ otthold ] Zahn : Ueber die kantische Unterschei­ dung von Sinn, Verstand und Vernunft, [ Jena ] 1875. C S. Schelling  [ : Sämmtliche Werke, Stuttgart/Augsburg 1860 (002) ], Bd.  7, S. 471 ff., Bd.  8, S. 98. D  Eckhart, der das Wort in übertragener Bedeutung zuerst verwenden dürfte, nimmt es = Umfang, Inbegriff. Diese Bedeutung erhält sich vorwie­ gend bis Ende des 17. Jahrhunderts (z. B. bei Stieler). [ Zu Inbegriff vgl. S. 151, Fn. A, Anm. G.S. ]. E S. [ Wolff : ] Vernünfftige Gedancken von Gott, der Welt [ u nd der Seele des Menschen, Halle 1720 (001), S. 131 ], cap. 3, § 273. F  Crusius z. B. behandelt Begriff, Vorstellung und Idee als ganz gleichbe­ deutend.



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wird Anschauung, die allgemeine Begriff genannt.A REINHOLD, welcher im engen Zusammenhange mit WOLFF den Begriff der Vorstellung zergliedert, setzt freilich diesen Terminus als allum­ fassenden, unterscheidet dann aber sinnliche Vorstellung, Begriff, Idee. Diese Unterscheidung blieb für die konstruktiven Denker maßgebend. Vorstellung und Begriff entsprechen den Tätigkei­ ten des Vorstellens und Denkens, diese aber verhalten sich, nach SCHELLINGs Ausdruck, wie Existenz und Wesen. Von hier aus ist der allgemeine Sprachgebrauch am meisten bestimmt. Aber da­ neben erhielt sich in der Philosophie auch die weitere Bedeutung von Vorstellung. FRIES nennt jede | Tätigkeit des Geistes, die zur Erkenntnis gehört, eine Vorstellung B , HERBART bezeichnet die Vorstellungen als die Selbsterhaltungen der Seele, Vorstellungen und Begriffe aber trennt er nicht wie verschiedene Gebiete, son­ dern hält dafür, dass jedes Gedachte, bloß seiner Qualität nach betrachtet, im logischen Sinne ein Begriff sei, dass daher unsere sämtlichen Vorstellungen Begriffe seien in Hinsicht dessen, was durch sie vorgestellt werde.C Am meisten Unklarheit besteht von jeher und bis zur Gegen­ wart hinsichtlich der Ausdrücke empfinden und fühlen. Beide kamen, wie wir oben sahen, nebeneinander bei ECKHART vor, füelen scheint im Mhd. auf Mitteldeutschland geschränkt [ be­ schränkt ] zu sein, 84 Bildungen wie daz gefüelen und gefüelunge finden sich namentlich bei Mystikern. Dieselben haben neben enpfinden (= durch das Gefühl wahrnehmen) auch Enpfintlichkeit,D nicht aber Empfindung.85 Dieses treffen wir bei LUTHER, das A  [ K ant, ] VIII, S. 88 [ = AA IX, S. 91 : »Alle Erkenntnisse, das heißt : alle mit Bewußtsein auf ein Object bezogene Vorstellungen sind entweder An­ schauungen oder Begriffe. Die Anschauung ist eine einzelne Vorstellung (repraesentatio singularis), der Begriff eine allgemeine (repraesentatio per notas communes) (…).« ]. B  [ Jakob Friedrich Fries : System der Logik, Heidelberg 1819 (001), S. 12 ; Eucken benutzt andere Ausg. und gibt an : S. 25 ]. C  [ Johann Friedrich Herbart : Psychologie als Wissenschaft, Königsberg 1824 (003), Bd.  1, S. 141 ; Bd.  2 (1825), S. 175 ; Eucken gibt unter Rekurs auf eine andere Ausg. an : ] I, S. 285, VI, S. 160, V, S. 126. D  S . Nicolaus von Straßburg [ Deutsche Mystiker des vierzehnten Jahr­ hunderts, hg. v. F. Pfeiffer, Bd.  1 (002), ] S. 281, Z. 21 (enpfintlicheit) ; [ Bd.  2

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16. Jahrhundert bietet auch Empfindniss. Eine Verinnerlichung des Ausdrucks empfinden (= innerlich durch das Gefühl wahr­ nehmen) bieten die Theosophen. J. BÖHME stellt z. B. einander gegenüber »im Spiegel schauen« und »im Wesen empfinden«.A Dass Fühlen in einzelnen Gegenden Deutschlands im 16. Jahr­ hundert unbekannt genug war, um der Erklärung zu bedürfen, sahen wir oben (s. S. *123). Gefühl (daz gefüle) fanden wir zuerst bei STIELER, 86 derselbe nimmt fühlen und empfinden als gleich­ bedeutend. WOLFF hat Gefühl und Empfindung nebeneinander. Gefühl bedeutet ihm »ein Vermögen, dasjenige sich vorzustellen, was Veränderungen in unserm Leibe verursachet, wenn entwe­ der ihn körperliche Dinge oder er sie berühret.«B Nachdem also der Ausdruck ganz auf das Sinnliche eingeschränkt war, musste die Verwendung für das Innere ausdrücklich bezeichnet werden, wie denn LESSING inneres Gefühl hat. Empfindung ist für WOLFF gewöhnlich so viel wie sensatio, bisweilen hat es auch die allge­ meinere Bedeutung = perceptio.C Im Anschluss an die LEIBNIZI­ SCHE Auffassung gilt meistens der WOLFFISCHEN Schule (z. B. BAUMGARTEN), ja dem 18. Jahrhundert überhaupt, Empfindung gleich dunkler Vorstel | lung. Empfindniss wird (als Übersetzung des englischen sentiment) von ABBT wieder aufgenommen, ge­ langt aber nicht eben weit.D Eine fundamentale Unterscheidung (002) : ] Meister Eckhart, S. 507, Z. 32 (enpfintlicheit). [ M hd. entvindecheit/ enphindecheit bei Heinrich dem Teichner : »er [ der Mensch ] hat tail mit al­ ler sach : / er ist mit dem tievel swach, / mit dem pawm er wachsen trait, / mit dem tyer enphindichait« (V. 464,334). Vgl. Die Gedichte Heinrichs des Teichners, hg. v. Heinrich Niewöhner, 3 Bde. (DTM 44, 46, 48), Berlin 1953– 1956. ] [ K.Z.-W. ] A  [ Jakob Böhme : Von der Menschwerdung Jesu Christi (…), Amsterdam 1660 (002), S. 115 ; Eucken zitiert eine andere Ausg., dort I, 10, 5 ]. B  [ S . Heinrich Adam Meißner : Philosophisches Lexicon (…), Bayreuth/ Hof 1737 (001), S. 216 b ]. C  Ähnlich ist es bei Leibniz der Fall. Empfindung bezeichnet ihm biswei­ len Vorstellung im weitesten Sinn, bisweilen dunkle Vorstellung. D  [ Thomas Abbt : Vom Verdienste, Berlin/Stettin 31772 (002), S. 133 (Empfindniss) ]. Empfindsam (s. Grimm u. d. W. [ L emma ]) ist eine von Bode auf Lessings Vorschlag 1768 eingeführte Nachbildung von Sternes sentimental. [ Vgl. www.dwds.de, 1 DWB, Lemma empfindsam ]. Das Wort drang so rasch durch, dass der sonst so bedenkliche Adelung es schon 1774 aufgenommen



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macht dann, wie wir sahen, TETENS, indem er die Empfindung als das bestimmt, was wir als Abbildung eines Objektes und daher als etwas Gleichgültiges ansehen, Gefühl dagegen als das, »wovon ich weiter nichts weiss, als dass es eine Veränderung in mir selbst sei«A . KANT schließt sich daran insofern an, als er Gefühl das nennt, »was jederzeit blos subjectiv bleiben muss und schlechter­ dings keine Vorstellung eines Gegenstandes ausmachen kann«, Empfindung aber eine »objective Vorstellung der Sinne«. Aber an andern Stellen hat er abweichende Äußerungen, B und es fehlte nicht an Opposition wie andersartiger Abgrenzung.C Unterdes vollzog sich in der allgemeinen Schätzung des Gefühls eine we­ sentliche Umwandlung, in immer größeren Kreisen ward es als der eigentliche Brennpunkt geistigen Lebens angesehen. Sollen hier einzelne Namen genannt werden, so würden es vornehmlich TETENS und JACOBI sein, TETENS, der das Gefühl zuerst als eig­ nes Seelenvermögen absonderte und es für die ursprünglichste Grundäußerung der Seele erachtete, und JACOBI, der in seinem ganzen Wirken für diese Seite des Lebens eintrat. Der Gebrauch hat, wobei er es als sehr richtig gebildet bezeichnet [ Johann Christoph Ade­ lung : Versuch eines vollständigen grammatisch-kritischen Wörterbuchs der Hochdeutschen Mundart, Leipzig 1774 (002), Sp. 1657/58 ]. Sentimental ward von den Franzosen den Engländern entlehnt. Das später oft entgegen­ gesetzte naiv (nativus) hat bekanntlich Gellert aus dem Franzö[si]schen bei uns eingebürgert. A  [ Johann Nicolas Tetens : Philosophische Versuche über die menschli­ che Natur und ihre Entwickelung, Leipzig 1777 (003), ] Bd.  1, S. 215. B  [ K ant, ΙΙΙ, 261 (= AA IV, S. 203) : »Eine Perception, die sich lediglich auf das Subject als die Modification seines Zustandes bezieht, ist Empfindung (sensatio) ; eine objective Perception ist Erkenntniss (cognitio).« Vorangegan­ genes Zitat im Fließtext vgl. Kant, V, S. 210 (= AA V, S. 206) ]. C  [ Ernst ] Platner : Philosophische Aphorismen [ nebst einigen Anleitun­ gen zur philosophischen Geschichte. Erster Theil, Leipzig 1793 (002) ], S. 38 f. ] (§ 38) nimmt Empfindung = ›Bewusstsein des selbsteignen Zustandes‹ und bemerkt : »Was ich hier mit allgemeinem Beyfall des zeitherigen Sprachge­ brauchs Empfindung nenne : das nennt Kant Gefühl.« [ Zweiter Theil, Leipzig 1880, S. 647 ], § 1114 : »Empfindung ist das Bewusstseyn des – vollkommenen oder unvollkommenen – Zustandes. Gefühl ist das Bewusstseyn eines – in deutlich oder undeutlich gedachten Gründen beruhenden – Ur­t heils.« Hier finden sich auch verschiedene Notizen über den Sprachgebrauch in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts.

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des 19. Jahrhunderts ist sehr schwankend. Für die wissenschaft­ liche Sprache hat die Distinktion von TETENS noch am meisten Einfluss gewonnen, hinsichtlich der allgemeinen Verwendung bemerkt GRIMM unter empfinden »mit fühlen | erscheint es oft gleichbedeutend, nur ist uns jetzt fühlen sinnlicher, empfinden geistiger und abstracter«, unter Empfindung »in empfindung liegt etwas geistiges, was dem sinnlichen gefühl abgeht, die empfin­ dung ist subjectiver, das gefühl objectiver ; oft aber sind beide Wörter gleichviel.« Im Gebrauch der neuern Zeit berührt sich oft Gefühl mit Gemüt, dem wir nunmehr nachzugehen haben. Es gehört schon dem Ahd. an und findet sich mhd. in häufiger Verwendung. Meist wird es so allgemein genommen, dass man Geist überhaupt dafür einsetzen könnte. Eine Aussonderung und Vertiefung be­ ginnt auch hier bei ECKHART. Auch ihm ist Gemüt freilich im weniger strengen Sprachgebrauch Bezeichnung für Geist überhaupt ; wo er es aber genauer erklärt, ist es ihm (= mens)A die tiefste Innerlichkeit, das eigentlichste Wesen des Geistes.B Auch die Philosophen des 16. Jahrhunderts, PARACELSUS, WEIGEL, BÖHME geben dem Gemüt eine solche ausgezeichnete Stellung, vornehmlich der letzte.C Ihnen allen ist Gemüt die Übersetzung A  [ Deutsche Mystiker des vierzehnten Jahrhunderts, hg. v. F. Pfeiffer, Bd.  2 : Meister Eckhart, Leipzig 1857 (002) ], S. 318, Z.2 : »an dem ersten teile der sele, daz da mens heizet oder gemüete.« [ In einer Johannes von Ster­ nengassen zugeschriebenen Predigt (LXIX, hg. v. Wackernagel) findet sich eine ähnliche Formulierung zu mens – gemüete : »renovamini spiritu mentis vestre. Erniuwrent / iuwer gemuete.« Altdeutsche Predigten und Gebete aus Handschriften. Gesammelt und zur Herausgabe vorbereitet von Wilhelm Wackernagel. Hg. mit einem Vorwort v. M. Rieger, Basel 1876, Kap. 69, Z. 201 – 202. ] [ K.Z.-W. ] B  [ E ckhart, a. a. O., ] S. 585, Z. 34 ff. : »ein kraft ist in der sele, diu heizet daz gemüete, die hat got geschaffen mit der sele wesen, diu ist ein ufent­ halt geistlicher forme unde vernünftiger bilde.« gemüet gilt oft so viel wie unser Gesinnung (werc – gemüet, S. 360 [ recte : 560 ], Z. 37). – [ Zur genaueren Disambiguierung von mhd. gemüete/gemuote vgl. MWB Online, Lemma gemüete. ] [ K.Z.-W. ] C  [ Jakob Böhme  : Sämmtliche Werke, hg. v. Karl Wilhelm Schiebler, Leipzig 1841 (002), Bd.  3, S. 27 (Von den drei Principien göttlichen Wesens) ; Bd.  4 , Leipzig 1842, S. 111 (Vom dreifachen Leben des Menschen, Nr. 47) ].



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von mens (in dem spezifischen Sinne der Mystik). Später herrscht die allgemeine Bedeutung = Geist in der Philosophie ganz vor. Bei LEIBNIZ sind Gemüth und Gemüthskräfte nichts anders als Geist und Geisteskräfte. THOMASIUS sagt :A »Der Verstand und Wille denken alle beyde, und wenn wir alles beydes zusammen nehmen, pfleget man es das Gemüthe des Menschen zu nennen.« LESSING stellt Gemüths- und Leibeskräfte einander entgegen. Wo aber eine engere Bestimmung versucht wird, ist nichts Spezifi­ sches gewonnen.B Die allgemeinere Bedeutung überwiegt bei KANT und den meisten nachfolgenden Philosophen, doch finden wir manche Versuche engerer Bestimmung. HERBART (Lehrbuch zur Psychologie) sagt : »Die Seele wird Geist genannt, sofern sie vorstellt, Gemüth, sofern sie fühlt und begehrt. Das Gemüth aber hat seinen Sitz im Geiste, oder, Fühlen und Begehren sind zu­ nächst Zustände der Vorstellungen.«C Zu der tatsächlichen Ver­ wendung des Wortes im allgemeinen Gebrauch dürfte am besten die Erklärung passen, welche WAITZ (Lehrbuch der Psycho | logie als Naturwissenschaft) gibt. Gemüth ist ihm »der Inbegriff der­ jenigen psychischen Vorgänge, die dem Innern des Subjectes als solchem angehören und nicht über dasselbe hinausreichen [ hi­ nausweisen ].«D In manchen Wendungen hat sich die allgemeine Bedeutung behauptet, ebenso in Zusammensetzungen, wie gemüthskrank (wenigstens ist sprachlich kein Grund vorhanden, [ Eucken zitiert eine andere Ausgabe, dort : ] Von d. drei Princ., IV, 17 : »Der sy[i]derische und elementische Geist kans [ k anns ] nicht schauen, viel weni­ ger fassen, allein er fühlet es und schauet den Glanz im Gemüthe, welches ist der Seelen [ Seele ] Wagen, darauf sie fähret in dem ersten Principio.« Vom dreif. Leben, VII, 47 : »Die ganze Tiefe zwischen Erden und Sternen ist wie ein Gemüthe eines Menschen«. A  [ C hristian ] Thomasius : Von der Kunst Vernünftig und Tugendhaft zu lieben […], [ Halle 81726 (002) ], S. 83 [ z .T. leicht abweichender Wortlaut ]. B  [ Johann Georg ] Walch [ : Philosophisches Lexicon (…). Leipzig 1726 (001), S. 1167 (Lemma Gemüth) ] bemerkt u.d.W. [ L emma ] : »Man braucht dieses Wort sowohl im weitern Verstand vor die Seele überhaupt, als auch im engern vor diejenige Kraft, die man sonst den Willen nennet.« C  [ Johann Friedrich Herbart : Lehrbuch zur Psychologie, Königsberg/ Leipzig 1816 (002), S. 118 ; Eucken gibt im Fließtext an : V, 29 ]. D  [ Theodor Waitz  : Lehrbuch der Psychologie als Naturwissenschaft, Braunschweig 1849 (001), S. 273 ].

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zwischen geistes- und gemüthskrank zu unterscheiden), auch bei Gemüthsbewegung schwebte ursprünglich der allgemeine Sinn vor. Die engere Bedeutung hat sich jedenfalls mehr aus der Ge­ samtliteratur als von der Philosophie her gebildet. 87 – Weit fester waren die auf das Wollen bezüglichen Ausdrücke, in den Haupt­ zügen sind sie von ECKHART bis zur Gegenwart unverändert ge­ blieben.A Solche inhaltreiche und wechselvolle Geschichte der Begriffs­ wörter legt mannigfache Erwägungen und Probleme nahe. Sehr verschieden ist zunächst die Art der Bewegung. Natürlich darf nicht ein kontinuierliches Umwandeln stattfinden, denn dann würde die Bildung eines Terminus überhaupt nicht zustande kommen, aber manches zeigt sich zum Variieren wie geneigt und benutzt jede Wendung geistigen Lebens, um in eine neue Phase einzugehen, Anderes beharrt lange Zeiten hindurch gleich­ mäßig, bis es endlich in den Wirbel hineingezogen wird, nicht selten auch verschwindet ein Wort aus dem Gebiet der Wissen­ schaft, um später wie nach unterirdischem Laufe wieder aufzu­ tauchen. – Auch das Gesamtbild einzelner Zeiten stellt sich hier sehr abweichend dar. Bald findet sich, wenigstens scheinbar, volle Ruhe, bald rastlose Umwandlung. Je mehr geistiges Leben eine Zeit enthält, desto mehr wird sie die überkommene Lage der Ter­ minologie verändern. Ferner kann sich die Aufmerksamkeit darauf richten, unter Begleitung welcher Erscheinungen sich die Fortbildung vollzieht, welche Teile des Begriffes sie erfasst, welche sie unverändert lässt, wie sie sich im allgemeinen Gebrauch durchsetzt u. s. w. Oft | ver­ schwindet die zurückgedrängte Bedeutung nicht völlig, sondern sie wirkt nach und erzeugt in Durchkreuzung mit dem Neuen manche Verwirrungen und Missverständnisse ; wir erinnern nur A  Eckhart bietet neben wille : begirde, begerunge (was außer den Mys­ tikern sich mhd. selten findet), neigunge (wohl zuerst), u. s. w. [ M hd. begerunge ist ein relativ hochfrequentes mhd. Wort. Im Korpus der Mittelhoch­ deutschen Begriffsdatenbank (MHDBDB), das aktuell 666 Werke umfasst, kommt begerunge 71x vor, davon häufig in der Mystik, aber auch in gänzlich anderen, ›weltlichen‹ Textgattungen wie z. B. in Heinrich Münsingers Regi­ men sanitatis, im Renner Hugos von Trimberg uvm. ] [ K.Z.-W. ]



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an die verschiedenen sich nebeneinander behauptenden Bedeu­ tungen des Terminus a priori. Beeinträchtigt hier die Vergan­ genheit die Gegenwart, so sind wir umgekehrt stets in Gefahr, von dem unmittelbar Vorliegenden aus das Bild des Frühern zu entstellen. Die Irrung, dasselbe der Gegenwart zu nahe zu rü­ cken, bedarf freilich keiner Anzeigung, aber gerade indem wir sie fliehen, verfallen wir leicht dem Fehler, den Unterschied zu schroff zu fassen, namentlich da schon eine eigentliche Ableh­ nung, ja einen Gegensatz anzunehmen, wo die Frage überhaupt noch nicht aufgetaucht ist. In den Zustand der Indifferenz sich zurückzuversetzen ist äußerst schwierig, ja im strengen Sinne unmöglich ; daher werden wir zu einer vollständigen Aneignung der alten Philosophie wie des Altertums überhaupt nimmer ge­ langen. Oft auch zeigt sich in der Verwendung der Termini eine eigen­ tümliche Differenz zwischen Wissenschaft und allgemeinem Le­ ben. Dasjenige, was seine Zeit in der Wissenschaft hinter sich hat und in ihr keinen Umlauf mehr findet, ist damit noch nicht völ­ lig verdrängt, die alte Bedeutung kann sich im allgemeinen Ge­ brauch halten, ja sie kann vielleicht hier recht eigentlich zur Ver­ breitung gelangen, nachdem sie dort untergegangen ist. Es dauert eben eine geraume Zeit, bis das auf der Höhe geistigen Lebens Gewonnene seinen Weg in die Tiefe findet, es kann demnach in verschiedenen Schichten etwas nebeneinander sich erhalten und wirken, was in dem historischen Gange einander folgte und sich vielleicht schroff bekämpfte. Endlich aber darf die Untersuchung nicht allein bei den Ter­ mini weilen, die sich siegreich behauptet haben, auch das Erlo­ schene hat ein Anrecht auf Beachtung. Mögen einzelne Zeiten der Terminologie nur Gewinn zu bringen scheinen, im großen Gan­ zen muss notwendig auch vieles untergehen. Nach den beiden Seiten hin, die im Terminus sich verbinden, ist nicht ins Unend­ liche freier Platz vorhanden. Die philosophischen Begriffe haben, wenn auch in verschiedenem Grade, ihre Quelle in einer beson­ deren Art, Dinge und Welt zu begreifen ; wird dieselbe angefoch­ ten, so geraten auch sie in Erschütterung, wird sie aufgegeben, so ist den Termini ihr innerer Halt entzogen. Je härter die Theorien

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auf einzelnen Gebieten zusammentreffen, je weniger | für sie ne­ beneinander Platz ist, desto unerbittlicher wird auch der Kampf der Begriffe werden. Nun entscheidet freilich das Geschick des Begriffes noch keineswegs über das des Ausdrucks, namentlich wird derselbe dann die Katastrophe jenes überdauern, wenn er im allgemeinen Gebrauch ein sicheres Dasein führt, aber inner­ halb der Wissenschaft wird er immerhin in eine Krise gebracht, er muss sich einem neuen Begriffe anschließen oder, wenigstens vorläufig, von dort verschwinden. Es kommt nunmehr darauf an, wie viel Anziehungskraft das Wort durch Eigenschaften und erworbene Macht ausübt. – Ferner aber kann auch vom Wort her der Terminus gefährdet werden, indem bei gleichbleibendem Be­ griff eine Form die andere verdrängt. Solches sahen wir in aus­ gedehntem Umfang bei dem Eintreten neuer Sprachen eintreten, aber auch innerhalb der einzelnen Sprachen vollzog sich an man­ chen Punkten ein solcher Wechsel. Der Untergang erfolgt in sehr verschiedenen Zeiträumen und durchläuft gewöhnlich mannigfache Stufen. Zwischen dem Punkte, wo die Erschütterung beginnt, und dem völligen Ver­ schwinden kann sich noch manches ereignen. Es kann das Wort nach und nach absterben, mal wieder aufflackern, auf einige Zeit künstlich erhalten werden, bis es endlich aus dem Gebrauch ganz entfernt ist.A Freilich ist es auch dann ja, wenn sich nur die ge­ schichtliche Erinnerung erhält, einer Wiederaufnahme fähig, aber die Kontinuität der Bewegung ist einmal zerstört. Ein aus dem allgemeinen Gebrauch verdrängtes Wort kann sich unter Umständen noch längere Zeit in kleinern abgeschlos­ senen Kreisen halten. Wie jede große Umgestaltung des ge­ schichtlichen Lebens Begriffe und Termini aus begrenzten Krei­ sen der Gesamtheit zuführt, so drängt sie dagegen Anderes in solche zurück. Hier vermag dasselbe, gegen die freie Bewegung und den Kampf des Ganzen künstlich geschützt, immer noch A  Es gilt auch von der philosophischen Sprache im Besondern, was Whit­ ney ausführt, »dass jede Sprache einen bestimmten Vorrath von veraltenden Ausdrücken hat und zwar in verschiedenen Abstufungen.« William Dwight Whitney : Leben und Wachsthum der Sprache, übers. v. August Leskien, [ L eipzig 1876 (003) ], S. 104.



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kürzere oder längere Zeit sein Dasein zu fristen,A eine allgemeine Bedeutung wird ein solches sich von der Gesamtheit Separieren­ des schwerlich wieder | erlangen. Das Zurückziehen vom Kampf bedeutet auch hier den Verzicht auf den Sieg. Bei dieser Verdrängung von Begriffswörtern kann es gesche­ hen, dass, während ganze Gruppen verschwinden, einzelne Aus­ drücke sich halten und ruinenartig von untergegangenen Ge­ bilden erzählen. So bewahren wir das scholastische moralische Gewissheit, ohne dabei den Gegensatz und die frühere Verwen­ dung von moralis gegenwärtig zu haben.B Es mag die Frage entstehen, wie sich Gewinn und Verlust zu­ einander verhalten, und dieselbe mag sich dahin erweitern, ob in dem Ganzen sich ein sicherer Fortschritt erkennen lasse. Bei erster Ansicht gilt vielleicht die Bejahung dieser Frage als un­ zweifelhaft. In jedem Augenblick findet eine Anpassung an neue Lagen statt, gegen das unmittelbar Vorhergehende scheint da­ her ein Gewinn sicher, und da sich dies fortwährend wiederholt, so muss sich auch das Gesamtergebnis als ein günstiges darstel­ len. Aber jener Fortschritt von Punkt zu Punkt ist ein durch­ aus relativer, ob das Ganze weiterkomme, ist damit keineswegs ausgemacht. Dass der Gesamtinhalt der Begriffe reicher und zutreffender werde, dass die Ausdrücke das innerlich Vorhan­ dene angemessener zur Erscheinung bringen, das mag ernst­ lichen Zweifeln begegnen. Jedenfalls handelt es sich hier nicht um einen einfach verlaufenden Prozess, den man nach Formeln ›konstruieren‹ könnte ; sondern Mannigfaches und Andersarti­ ges trifft zusammen und verwickelt das Urteil. Innerhalb einzel­ ner Perioden mögen sich in Auf- und Absteigen gewisse Stufen der Entwicklung erkennen lassen, für das Ganze wird man zu­ nächst etwa nur behaupten dürfen, dass bei vorhandener geis­ tiger Kraft der Gehalt der Tätigkeit wachse ; es mag der Kampf A  So erhält sich die scholastische Terminologie in gewissen Kreisen bis auf den heutigen Tag. B  In der scholastischen Terminologie sind oft physicus und moralis ein­ ander gegengeordnet (z. B. causa physica – causa moralis). [ Zur Begriffsge­ schichte von moralische Gewissheit vgl. Trendelenburg (vgl. Bibliographie). ] [ G.S. ]

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größere Aufgaben und größere Mittel erhalten, aber in welchem Verhältnis dazu Gefahren und Hemmungen zunehmen, das ist nicht so leicht zu entscheiden, und wenn gar die Frage entsteht, ob eine spezifische Richtung des Fortschrittes nachzuweisen sei, so sehen wir Probleme eintreten, die vielleicht einer einfachen Lösung überhaupt widerstreben, die jedenfalls über die Grenzen unserer Arbeit hinausgehen. Gewisse Ergebnisse liegen freilich unmittelbar vor. Die Ter | mi­ nologie löst sich mehr und mehr von ihrem nächsten Boden ab, nimmt Mannigfaches in sich auf und führt es weiter. Immer mehr Epochen bezeugen sich in der Begriffssprache und lassen sich von da aus erschließen. Die Arbeiten, Kämpfe und Wandlun­ gen der Vergangenheit, sie liegen hier in ihren Ergebnissen ru­ hig nebeneinander. Ferner bilden sich in den Worten fortschrei­ tend Gefäße komplizierter Begriffe, eine geistige Welt arbeitet sich zusehends in das Äußere hinein. Wie viel Arbeit und Kampf setzt die Synthese voraus, welche z. B. Termini wie Gesetz, Entwicklung, Pflicht, Gewissen, Mitleid u. s. w. besagen ? Aber solche Errungenschaften besitzen nicht eigentlich für sich Wert, son­ dern erhalten ihn nach dem Maße der geistigen Kraft, welche sich ihrer bedient. Was da Bereicherung und Steigerung gewährt, wo es Verständnis und Beherrschung findet, wird zur nieder­ drückenden Last, wenn ihm gegenüber das eigne Denken nicht aufzukommen vermag. Es ward sogar die Terminologie wie die gesamte Geschichte ein Hemmnis des Denkens, indes die Schuld lag dann an erster Stelle bei dem Aufnehmenden, nicht bei dem Gegenstande. Wenn manchen Zeiten und Persönlichkeiten die Geschichte ein Totes blieb, so geschah es, weil sie selber des Le­ bens entbehrten, sie konnten keine Innerlichkeit und Unmittel­ barkeit A verlieren, weil sie dieselbe nie erkämpft hatten. Die Forschungen zur Terminologie scheinen aber insofern den höchsten Aufgaben unmittelbar zu dienen, als sie nach mancher Überzeugung zur Verminderung der Gegensätze beitragen und die in allem Streit gemeinsame Wahrheit herausstellen. Was wir A  Von einer absoluten Selbständigkeit kann freilich überhaupt nicht die Rede sein, die Welt fängt nicht bei jedem Einzelnen wieder von vorne an.



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namentlich zu Beginn der Neuzeit im Zusammenhange einer spezifischen Weltbegreifung vertreten sahen, das klingt noch oft nach : auch über die Sachen werde man sich bald einigen, wenn nur erst das Missverständnis der Worte beseitigt sei. Dem aber müssen wir vollen Widerspruch entgegensetzen. Manche klei­ nere[n] Irrungen und Streiteleien mögen dadurch allerdings ver­ schwinden : je mehr wir zu einer vollen Würdigung des den Aus­ drücken in[ne]wohnenden Begriffes durchdringen, desto mehr stoßen wir auf reale Gegensätze, die keine Interpretationskunst aus dem Wege räumen kann. Ja die entscheidenden Begriffe er­ weisen sich [ a ls ] viel verschiedener, als es nach der äußern Ge­ stalt der Termini scheinen | möchte. Das Wort schafft mehr Ver­ bindungen als Differenzen. Dahin freilich kann die Erforschung der Terminologie wirken, dass die Fragen an der richtigen Stelle aufgenommen werden, dass nicht unnützer Streit sich entspinne, das Streben irreleite und herabziehe. Konzentration des Kampfes auf die entscheidenden Punkte, dazu mag unser Gegenstand die­ nen, den Kampf selber aber wird er steigern, nicht vermindern, die Aufgabe größer, nicht kleiner erscheinen lassen. Aber solche Verwendung rechtfertigt unsern Gegenstand nur nach einer einzelnen Richtung hin, es wird der Frage nicht aus­ zuweichen sein, ob er seinem ganzen Umfange nach, mit all dem Kleinen, das er mit sich bringt, auch da Interesse verdiene, wo man die geschichtsphilosophischen Probleme einstweilen zu­ rückschiebt. Wir tragen kein Bedenken, solche Frage zu bejahen, und meinen, dass wir auch bei einer rein immanenten Betrach­ tung in dem Ganzen und Einzelnen fruchtbare Einsichten und Befestigung allgemeiner Überzeugungen zu gewinnen vermö­ gen. Jene Geschichte gewährt in der Mannigfaltigkeit der Kräfte und Lagen ein Spiegelbild der großen Weltgeschichte. Die im Stillen wirkende Arbeit des Gedankens und die Macht äußerer Umstände kommen hier im Schaffen zusammen, oft genug ging der Anstoß vom Äußern aus, und erst allmählich ward innerlich verwertet, was die Gunst anscheinenden Zufalls geboten hatte. Nichts darf hier als unbedeutend gelten, denn das Kleine sum­ miert sich zu Großem, und unter Umständen vermag auch ein scheinbar Verschwindendes den Ausschlag zu geben. Ferner ver­

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schlingt sich das Wirken einzelner hervorragender Persönlich­ keiten und das der Vielheit. Freilich zeigt sich hier deutlicher als an andern Punkten, dass auch der genialste Denker nur das zum Ausdruck bringt und zur geschichtlichen Macht erhebt, was in der Gesamtheit angelegt und vorbereitet ist, aber diese Gesamt­ heit ist nicht identisch mit der Summe der Vielen (οἱ πολλοί), ja unter Umständen vermag der Zug des Ganzen zu dem reflek­ tierenden Bewusstsein der Menge in einen vollen Gegensatz zu treten. Innerhalb des Gesamtlebens aber greift das Wirken der Einzelnen und der Vielen ineinander. Die Letztern haben auf unserm Gebiet zunächst die Auflösung des Erstarrten zu voll­ ziehen. Für ein Zurückführen der Termini auf die Begriffe ist bei ihnen weder Zeit noch Interesse vorhanden, rasch wird der ursprüngliche Inhalt verdunkelt und endlich beinahe aufgege­ ben. Wo immer daher die Macht weiterer | Kreise gegenüber der Arbeit der Wissenschaft die Oberhand gewinnt, da werden Begriffe und Termini rasch in ein Sinken geraten. Die kleinen zerstörenden Mächte sind jeden Augenblick tätig und verlan­ gen zur Bekämpfung eine stete Kraftanspannung. Kann diese nicht geleistet werden, so ist der Untergang entschieden. Solche Zerstörung kann aber bisweilen einer Befreiung gleichkommen, in der Gesamtgeschichte ist sie ebenso notwendig wie das Auf­ bauen. Unter besondern Umständen vermögen die Massenkräfte auch positiv zu wirken, indem sie in den Dienst aufstrebender geschichtlicher Bewegungen treten und eine Neugestaltung vor­ bereiten, aber durch solche Strömungen werden doch nur Be­ dingungen und Unterlagen hergestellt, großes positives Schaf­ fen erfolgt einzig und allein durch die mühevolle Arbeit jener Persönlichkeiten, welche ihr Leben an die Sache setzen. Zur Ne­ gation und zur allgemeinen Richtung genügen die elementaren Kräfte, die entscheidenden Taten vollziehen sich in jenen Einzel­ nen. – Im großen Ganzen aber wirken beide Faktoren zusam­ men, in Schaffen und Zerstören, Vorbereiten und Abschließen vollzieht sich das Gesamtwerk. Dabei fällt nichts durch die Gabe des Geschicks wie mühelos in den Schoß, in harter Arbeit und stetem Kampf wird erwor­ ben und das Erworbene erhalten, jeden Augenblick zeigt sich das



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Gleichgewicht gestört und ist neu zu gewinnen, bei fortwähren­ der Veränderung der Lebensbedingungen muss das Vorhandene sich stets umgestalten, wenn es nicht untergehen will. Aber in allem Kampf und in aller Irrung ist es doch die Ver­ nunft, welche sich herausarbeitet und mächtig erweist. Alles Mannigfache, Kleines und Großes, Aufbauendes und Zerstören­ des, es wirkt dahin zusammen, dem Inhalt des Denkens einen sichtlichen Ausdruck zu geben und es dabei als Gesamtmacht zu bekunden. Der Einzelnen Arbeit wird hier – mit oder gegen ih­ ren Willen – dem allgemeinen Zwecke dienstbar gemacht, alles Verschiedene erscheint als Glied eines Ganzen, in dem es zusam­ mentrifft, sich bekämpft oder verknüpft, jedenfalls aber ausein­ andersetzt. Durch die Jahrhunderte und Jahrtausende geht die bald sich still zurückhaltende, bald geräuschvoll hervortretende Arbeit, deren Ergebnis schließlich unser Aller Besitztum wird. Nichts ist so abgeschlossen, so entlegen, so entfremdet, dass es nicht in solches Gesamtleben hineingezogen werden könnte. An Irrungen und Missständen fehlt es dabei nirgends, überall ist | das Irrationale eine Macht, die nicht einfach vernichtet wird. Hartem, widerstrebendem Stoff muss alles abgerungen werden, und da in der Welt nichts darin aufgeht, Mittel zu sein, so hört das Fremde nicht auf, seine Natur zur Geltung zu bringen. Aber eben wegen der Widerstände und Hemmungen erscheint die Gesamtarbeit und die Macht vernünftigen Wirkens in ihr umso grösser. Die Philosophie aber erweist sich gerade auf diesem Neben­ gebiet als Weltmacht, Weltmacht freilich nur dadurch, dass sie sich in den Dienst des Ganzen stellt. Aus dem im allgemeinen Leben Vorhandenen muss sie schöpfen und alle eigne Tätigkeit daran anschließen, von da erhält sie eine positive Bestimmung, von der sie sich nicht losreißen kann, ohne sich alles lebenskräf­ tigen Inhalts zu berauben. Aber indem sie den innersten Kern herausarbeitet und das Verborgene zu seiner vollen Macht er­ hebt, steigert sie den Gehalt des Lebens und führt das Empfan­ gene weiter. Sie ist nicht eine bloße Selbstbespieglung der Welt, sondern sie macht das Gesamtgeschehen mit aus und wirkt auf das Andere zurück.

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Die Terminologie zeigt, dass die einzelnen Wissenschaften un­ zähliges von der Philosophie aufnehmen – wie sie denn alle ihr mehr entlehnt als gegeben haben –, sie zeigt ferner den Einfluss jener auf das Gesamtleben. Durch das Wort wird das Ergebnis der Forschung an tausend Stellen dem allgemeinen Bewusstsein vermittelt, jeder Terminus ist wie ein Apostel philosophischen Denkens, ja indem die gesamte Sprache im Lauf der Geschichte sich unter solcher Einwirkung vergeistigt, wird das allgemeine Denken und Empfinden umgewandelt. Wie aber die Philosophie also als Gesamtmacht hinauswirkt, so erweist sie sich auch innerlich auf diesem Gebiet als etwas ein­ heitlich Verbundenes. Gewiss haben die verschiedenen Parteiun­ gen nicht gleichmäßig schaffend beigetragen – es ist leicht dem vorangehenden Umriss zu entnehmen, wohin dabei der Schwer­ punkt fällt –, aber wo kein großes Schaffen war, fand sich viel­ leicht fruchtbares Ausbreiten, oder auch es lenkte die Kritik die Arbeit auf die richtigen Punkte, es machte die Bekämpfung den Platz frei für den Neubau. Für das Gesamtergebnis ist keines zu entbehren, es ist aller Arbeit, deren Folgen auf uns gekommen sind. Endlich aber muss sich jeder Einzelne von hier angesehen als | abhängig von dem Ganzen erkennen. Auch innerhalb der Philo­ sophie tritt in der Sprache eine geistige Welt an ihn heran, nimmt ihn auf und bildet ihn zum Denken. Wie viel er aus dem Über­ kommenen macht, wie viel er hinzufügt, das ist Sache seiner Art, aber er arbeitet mit dem Besitztum des Ganzen und steht unter dem Zwange der geistigen Gesamtmacht. Jene zugleich dürftige und hochmütige Ansicht, welche die Philosophie in erster Li­ nie auf die subjektive Reflexion der Individuen zurückführt, er­ scheint schon von hier aus als unhaltbar. Es bleibt der Zwang, aber dieser Zwang entstammt nicht blinden Naturmächten, sondern der Vernunft, der unser eignes Wesen angehört. Daher vermag sich das Äußere in ein Inneres zu verwandeln und das wie fremd Überlieferte eignes Leben zu erwecken. Solche Erhe­ bung über das Geschichtliche bleibt das Ziel, aber nur durch Ver­ senkung in die Geschichte kann dasselbe erreicht werden.

Kommentare und Anmerkungen

Michael Erler

Gesamtkommentar, Anmerkungen und Korrekturen zum Teil »Griechentum« 1  Die Griechen nehmen in Euckens Darstellung der Geschichte der philosophischen Terminologie breiten Raum ein. Ihnen ist ein eigenes Kapitel Griechentum gewidmet (I. : Gesamtgeschichte der philosophischen Terminologie. [ Teilkapitel ] Griechentum), und auch im Kapitel Erörterungen zur Geschichte der Terminologie / der einzelnen Termini rekurriert Eucken immer wieder auf die philosophische Terminologie der Griechen. Schon während seines Studiums der klassischen Alter­ tumswissenschaften und der Philosophie in Göttingen, wo Gustav Teichmüller sein wichtigster Lehrer war, befasste er sich vor allem mit Aristoteles und wurde mit einer lateinisch geschriebenen Dissertation über die Sprache des Aristoteles promoviert (De Aristotelis dicendi ratione : Pars prima. Observationes de particularum usu, Göttingen, Hofer, 1866 ; vgl. GW, Bd.  13, S. 40, Nr. 001). Sein Interesse an Aristo­ teles verfolgte er dann in Berlin bei Adolf Trendelenburg, wo er eine weitere philologisch orientierte Arbeit über Aristoteles vorlegte (Über den Sprachgebrauch des Aristoteles. Beobachtungen über die Praepositionen, Berlin, Weidmann, 1868, vgl. ebd., Nr. 002). In der Tat schufen sich die Griechen eine wissenschaftlich-philoso­ phische Begrifflichkeit, aus der – transformiert durch die Römer – das europäische philosophische Denken seither schöpft und die bisweilen sogar Bestandteil unserer Alltags- und Wissenschaftssprache gewor­ den ist (z. B. Atom, Energie, Idee, Kosmos, Kategorie, Skepsis). Im Kapi­ tel Griechentum bietet Eucken ein breites Panorama der griechischen philosophischen Terminologie von den frühen Denkern über Platon und Aristoteles bis in die Kaiserzeit und Spätantike. Vollständigkeit ist verständlicherweise nicht angestrebt. Gleichwohl vermisst man doch bisweilen wichtige Begriffe wie Philosophia (philosophos ist gelistet), mimesis oder phronesis und fragt sich nach den Kriterien bei der Aus­ wahl. Mit einer kurzen Begriffsgeschichte von Philosophie hatte freilich

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Kommentare und Anmerkungen

bereits 1863 Friedrich Ueberweg den ersten Band seines Grundrisses der Geschichte der Philosophie von Thales bis auf die Gegenwart eröff­ net (Ueber den Begriff, die Methode und die allgemeinen Quellen und Hülfsmittel der Philosophie). Bei seiner Darstellung lässt sich Eucken von einem systematischen Verständnis von Philosophie leiten. In Aristoteles sieht Eucken des­ halb den Höhepunkt des von ihm behandelten antiken Zeitraums. »Bei keinem Denker ist eine solche Ausgleichung von Inhalt und Form er­ reicht, bei keinem so sehr alles Begonnene auch zur Vollendung ge­ bracht, wie bei ARISTOTELES« (S. 32). Er habe sowohl Alltagssprach­ liches aufgegriffen als auch durch Neubildungen, von denen es keine gebe, »die sich nicht durch begriffliche Motive vollauf rechtfertigte« (ebd.)., zur philosophischen Terminologie in der Antike und bis heute beigetragen. Aristoteles hat bei der Bildung von Termini Altes umge­ bildet, aber auch eine neue Begrifflichkeit geschaffen. Es sei hier nur an den Begriff Kategorie erinnert und auch daran, dass er das Wort dynamis, das ursprünglich Fähigkeit bedeutet, um den Aspekt Möglichkeit bereichert. In dieser Bedeutung hat das Wort dynamis dann Eingang in die europäischen Sprachen gefunden, wie dies auch z. B. beim Wort energeia der Fall ist. Er hat aber auch neue Ausdrücke geprägt wie to ti en einai als neuen Terminus für das Wesen einer Sache. Der Fokus auf Aristoteles ist aus Sicht Euckens nachvollziehbar und seine Einschätzung plausibel, dass »das Lob, was oft der griechischen Terminologie gespendet wird, seine volle Berechtigung nur für jene klassische Zeit [ verdient ], deren Höhepunkt auf unserm Gebiet bei ARISTOTELES liegt« (S. 20). Aristoteles wird bei Eucken gleichsam zu einer Art Messlatte für andere antike Philosophen und geradezu zu einer Einteilung in eine Zeit vor und eine nach ihm. Denn vor Aris­ toteles sieht Eucken bei den Vorsokratikern Gedanken und sprach­ lichen Ausdruck noch in einem »Missverhältnis«, wobei Verständnis und Wertschätzung der Denker bisweilen erschwert werde »durch die Unbestimmtheit und Unangemessenheit des Ausdrucks« (S. 22). Platon wird gewürdigt, weil sich bei ihm »der Begriff zu voller Selbstständig­ keit zu entwickeln [ beginnt, M.E ]« (S. 26), wobei die Ideenlehre sich einmal als hilfreich im Sinne eines »erste[n] umfassende[n] Begriffs­ systems« (S. 27), aber für die Differenzierungen und die Bestimmung von Eigentümlichkeiten als hinderlich erweist. Eucken sieht hier einen



zum Teil »Griechentum« 273

Grund für die schon in der Antike beklagte Vieldeutigkeit der platoni­ schen Redeweise in seinen Dialogen (vgl. Diog. Laert. III 63 ff.). Für die Zeit nach Aristoteles konstatiert Eucken im Hellenismus und dann auch in der Philosophie der Kaiserzeit ein »Sinken« gegen­ über Platon und Aristoteles, das nach Eucken z. B. bei den Stoikern »nach der ganzen Lage der Zeit unvermeidlich war«. Gleichwohl wür­ digt Eucken, dass Begriffe und Termini geschaffen wurden, »die für den Fortgang des Erkennens und des geistigen Lebens von erheb­ lichster Bedeutung waren« und an welche »die Neuzeit […] mannig­ fach angeknüpft [ hat, M.E .].« (S. 42). Wird man Eucken in seiner Hochschätzung des Aristoteles unter dem von ihm gewählten Gesichtspunkt zustimmen wollen, so darf man fragen, ob es ausreicht, für die Bewertung der gesamten antiken philosophischen Terminologie allein die Systematik der Philosophie als Bewertungsgrundlage zu wählen, wie dies Eucken offenbar tut. Wie Eucken selbst anmerkt, kommt der Begriff System in der Antike nur selten vor, und es ist fraglich, ob man das moderne Verständnis von System ohne weiteres auf Platon, Aristoteles oder spätantike Denker wie Proklos gleichermaßen anwenden und zur Grundlage der Bewer­ tung des Gebrauches von Termini machen darf. In der Tat ist der Begriff des ›Systems‹ als Bestimmung von Phi­ losophie als ein Denken, das auf Vollständigkeit, Ordnung und Be­ gründung seiner Gegenstände aus ist, eher neuzeitlichen Ursprungs. In der Antike ist der Begriff System (systema) zwar vorhanden, wird aber nicht ausdrücklich entwickelt. Immerhin lassen sich z. B. in der Stoa (z. B. mit Blick auf Kosmos) Ansätze erkennen und darf man z. B. mit Blick auf den Mittelplatonismus und den Platonismus der späten Kai­ serzeit von einer Systematisierung der platonischen Lehre sprechen. Dabei haben sicherlich auch Abwehr und Konkurrenzsituationen (hel­ lenistische ›systematische‹ philosophische Schulen, Christentum) eine Rolle gespielt. Bemerkenswert ist zudem, dass Eucken selbst es als wünschenswert bezeichnet, bei der Frage der Terminologie auch das Prozesshafte der Umbildung von Alltagsbegriffen zu Fachtermini im Blick zu haben. »Die Art dieser Umbildung näher zu verfolgen, wäre von hervorragen­ dem Interesse.« (S. 34). In der Tat ist bei der Bildung von Termini bei Neuprägungen, vor allem aber bei der Umprägung von traditionellen

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Kommentare und Anmerkungen

Begriffen zu neuen philosophisch relevanten Termini nicht zuletzt das Prozesshafte der Begriffsbildung von großem Interesse für ein Ver­ ständnis dieser Begriffe und letztlich auch für die Philosophie selbst. Die Philosophie entstand in Griechenland als Versuch, neue Fragen oder Fragen neu zu stellen und dabei Sachverhalte zu erforschen, die zuvor weniger im Blick waren. Sie stand dabei vor der Notwendigkeit, für die Formulierungen dieser Fragen und ihrer möglichen Antworten eine möglichst präzise und spezifische Ausdruckweise zu finden und nicht zuletzt dadurch von anderen geistigen Beschäftigungen unter­ scheidbar zu sein. Nach frühen Anfängen hat sich Philosophie erst im 5. Jh. als eigen­ ständige und selbstbewusste wissenschaftliche Disziplin zu etablieren begonnen und entsprechend versucht, auch eine eigene Terminologie zu etablieren. Zu diesem Zweck wurden nicht zuletzt durch Anleihen an der Alltagssprache Termini entwickelt, die dann oftmals in der Öf­ fentlichkeit als fremd empfunden wurden, auf Unverständnis stießen und als Merkmal einer als absonderlich empfundenen Lebenshaltung registriert und verspottet wurden. Philosophische Sprache und Le­ benshaltung von Intellektuellen waren Ziel des Spottes im Drama und vor allem in der Komödie. Zu erinnern ist hier vor allem an die Sokra­ tesfigur z. B. in den Wolken des Aristophanes, aber auch andere ›Intel­ lektuelle‹, deren Fremdheit durch absonderliches Verhalten, aber vor allem auch durch ihre von ›Fachterminologie‹ gekennzeichnete Spra­ che unterstrichen wurde und für komische Effekte sorgte. Diese außer­ philosophischen Quellen wie Drama oder Reden als Spiegel von Ver­ halten und Reden der Philosophen stellen trotz oder auch wegen ihrer Verzerrungen eine interessante Quelle für Terminologieforschung dar, die Eucken noch mehr hätte nutzen können, gerade weil er die Ent­ wicklung der Terminologie mit Recht als so wichtig ansieht. Der Prozess der Einbürgerung der Philosophie ins kulturelle Le­ ben Athens im 5. Jh. und die Etablierung einer eigenen Terminologie werden insbesondere in Platons Dialogen illustriert und kritisch re­ flektiert. In den frühen Dialogen wählt Platon Gesprächspartner für Sokrates, die, unbelastet von philosophischer Bildung, Probleme ihres lebensweltlichen Kontextes diskutieren. In einer weiteren Gruppe von Dialogen trifft sich Sokrates dann mit Sophisten oder Sophistenschü­ lern wie Protagoras (Protagoras), Gorgias oder Kallikles (Gorgias) so­



zum Teil »Griechentum« 275

wie Hippias (Hippias Minor) oder Menon (Menon). Die Themen dieser Gespräche entsprechen dem Interesse dieser Intellektuellen : Probleme des Wissenstransfers und der Politik, Fragen nach dem Verhältnis von Gesetz und Natur, nach Tugend und ihrer Lehrbarkeit (Arete), nach Rhetorik und Dialektik. Im Spätwerk treten schließlich Vertreter phi­ losophischer Positionen und Schulen (z. B. Eleaten im Parmenides) auf. Parmenides (Parmenides) oder Anhänger seiner Schule, Mathemati­ ker wie Theodoros oder Theaitetos (Theaitetos, Sophistes) oder Ken­ ner anderer Schulrichtungen bestreiten jetzt die Gespräche. Aus einer Diskussion, die aus alltäglichen Problemen über Fragen des richtigen Lebens erwächst, wird eine Auseinandersetzung mit Schulpositionen und ihrer Begrifflichkeit. Platon reagiert dabei bisweilen auch auf den Spott und das Befremden, welche die Etablierung der Philosophie als Teil des intellektuellen Lebens in Verhaltensweise und Sprache mit sich brachte. Die Atopie der Sokratesfigur als Protophilosoph oder Intellek­ tueller trug dieser öffentlichen Haltung Rechnung und greift bisweilen ironisierend oder provozierend auf, was z. B. Aristophanes als Abson­ derlichkeit zum Gegenstand des Spottes machte. Kritisch reflektiert werden bei Platon dabei auch jene Umprägungs­ prozesse von Alltagssprachlichem zu einer philosophisch relevanten Begrifflichkeit, die Eucken für interessant hält und denen man schon bei den vorsokratischen Philosophen und sogar schon in gewisser Weise bei Dichtern begegnet, die man noch nicht als Philosophen be­ zeichnen wird. Auch Dichter nutzen den prägnanten Gebrauch bestimmter Wör­ ter der Dichtersprache, um allgemeine Überlegungen und durchaus philosophisch relevante Fragen anklingen zu lassen, die dann auch im späteren philosophischen Diskurs eine Rolle spielen. Es sei hier nur an den Versuch Hesiods in dem Gedicht Werke und Tage erinnert, aus dem religiös konnotierten Begriff für Recht – Dike – einen neuen Be­ griff von Recht zu etablieren. Anlässlich eines Streites mit seinem Bruder reflektiert Hesiod da­ rüber, dass es ein Recht (Dike) gibt, das sich von dem traditionellen grundsätzlich unterscheidet. Hesiod fragt nach der prägnanten Be­ deutung von Recht, das er nicht mehr als eine Göttin Dike vereh­ ren, sondern als ein Konzept bestimmen möchte, nach dem sich die Menschen zu richten haben. Hesiod prägt ein neues Verständnis von

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Kommentare und Anmerkungen

Dike und macht Dike geradezu zu einem Terminus, indem er auf die positiven und negativen Folgen aufmerksam macht, die aus der Befol­ gung dieser neuen Vorstellung von Recht resultieren (Werke und Tage 225 – 237.242 ff.). Hesiod formuliert hier zum ersten Mal in der griechischen Literatur die Forderung, dass es ein Recht geben muss, das über allen Rechten steht und für alle Menschen bindend ist. Zwar werden derartige Be­ stimmungsversuche unter Hinweis auf die Folgen später von Platon (Rep.) als altmodisch kritisiert und durch den Versuch einer Wesens­ bestimmung von Recht und Gerechtigkeit ersetzt. Hier ist ein Prozess von Neu- bez. Umprägung zu beobachten, für den es auch bei ande­ ren Dichtern Zeugnisse gibt, wie z. B. die Überlegungen von Sappho (frg. 16 V.= 27a D.) über das, was das wirklich Schöne ist. Wenn apeiron bei Homer für die Unbegrenztheit des Meeres steht, so wird daraus bei Anaxagoras ein Terminus für das Grenzenlose. Derartige Versu­ che sind für die Frage nach Bedeutung und Entstehen von philosophi­ scher Terminologie interessant. Das gilt auch für Platon, obgleich er zu erkennen gibt, dass er infolge seines Verständnisses von Philosophie als eines dynamischen Prozesses wenig von fester philosophischer Ter­ minologie hält und sich geradezu weigert, Fachterminologie zu prägen (vgl. Plat. Polit. 261e. rep. 533de). Selbst wenn er für seine Philosophie so zentrale Begriffe wie Idee einführt oder verwendet, behalten sie den Bezug zum allgemeinen Gebrauch (z. B. im Euthyphron), und es bleibt unklar, wann sie ›terminologisch‹ verwendet werden. Fachtermino­ logie z. B. aus der Sportlersprache oder aus der Sophistik verwendet Platon in den Dialogen zwar durchaus. Doch geschieht dies zur Cha­ rakterisierung der Partner des Sokrates oder dient der Parodie derarti­ ger Begrifflichkeit (Euthydem). Sokrates selbst entschuldigt sich gera­ dezu, wenn er einmal einen Begriff wie poiotes (Qualität) im Gespräch verwendet (Theaet. 182 A), wobei es zudem fraglich ist, ob Platon hier wirklich einen von ihm selbst geprägten neuen oder einen dem zeitge­ nössischen Diskurs entlehnten Begriff einführt. Trotz Platons Zurück­ haltung sind seine Dialoge als literarische Werke für die Erforschung von philosophischer Terminologie gerade dann von Bedeutung, wenn man an der Verbindung von Alltagssprachlichem und Terminologi­ schem interessiert ist, gerade weil sie nicht philosophisch systematisch sind, sondern als literarische Kunstwerke Sprachverhalten und Umprä­



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gungsprozesse geradezu illustrieren. Dies ist z. B. beim zentralen Be­ griff philosophos bzw. philosophia der Fall. Mit philosophos greift Platon einen Begriff aus der Alltagssprache auf, der dort jemanden bezeichnet, der gewohnten Umgang mit einem bestimmten Kontext hat : Philippos ist jemand, der sich mit Pferden gut auskennt. Dieses traditionelle Ver­ ständnis von philosophos im Sinne eines vertrauten Umganges mit et­ was formt Platon entsprechend seinem dynamischen Verständnis von Philosophie als eines Strebens nach Wissen aus dem Bewusstsein eines Mangels um. Demnach ist ein philosophos derjenige, der aus der Er­ kenntnis seiner eigenen Unwissenheit heraus nach Wissen strebt. Dies thematisiert Platon z. B. im Symposium, illustriert es zudem in der Politeia. Dort vergleicht er an einer Stelle die Wächter mit Hunden, die philosophoi seien, weil sie sich auskennen und bei Vertrautem freund­ lich, bei Unbekanntem nicht freundlich sind (rep. 376a–c), während er später im selben Dialog in einem anderen ›philosophischen‹ Kontext philosophoi als solche bezeichnet, die mit Wissen nicht vertraut sind, sondern nach Wissen streben (rep. 496a–c). Es ist dieses dynamische Verständnis von Philosophie als eigenständiges Erwerben von Wissen, das auch eine Ursache dafür ist, dass Platon eine festgelegte philoso­ phische Terminologie skeptisch sieht und manche Gesprächspartner des Sokrates nicht zuletzt dadurch diskreditiert, dass er sie, anders als Sokrates, eine Sprache gebrauchen lässt, zu der Fachbegriffe z. B. aus dem Bereich der zeitgenössischen Sophistik gehören. Platons beständi­ ges Bemühen, traditionelle Wertbegriffe zu diskutieren, nach prägnan­ ten Bedeutungen zu suchen und die mit ihnen verbundenen populären Vorstellungen als Scheinwissen zu entlarven, kann man in gewissem Sinne als Terminologiesuche sehen. Gerade infolge ihres unsystemati­ schen Charakters sind Platons Dialoge eine besonders ergiebige Quelle für die von Eucken gewünschte, aber nicht durchgeführte Analyse je­ ner Prozesse, die zur Terminologiebildung führen können. Im Hellenismus wird Philosophie dann endgültig zur Fachwissen­ schaft, die durch sich verstärkende Systematisierung und Ausbildung von Fachterminologie gekennzeichnet ist. Neben einer innerphiloso­ phischen Debatte über Konzepte und Begriffe kommt nun die Konkur­ renz zu anderen Fachwissenschaften mit ihren jeweiligen Begrifflich­ keiten hinzu. Denn im Hellenismus entwickelt sich das Berufsbild des theoretischen Lebens auch bei Wissenschaften wie Grammatik oder

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Kommentare und Anmerkungen

Astronomie, die sich nun als eigenständige Fachwissenschaften mit eigenen Fachsprachen verstehen. Philosophen hatten sich also auch in dieser Hinsicht mit eigener Terminologie zu profilieren. Mit einer gewissen Berechtigung konstatiert Eucken im Hellenis­ mus eine tendenzielle Erstarrung der jeweiligen Begriffsbildung. Bis­ weilen werden Inhalte und Termini geradezu getrennt und es wird behauptet, dass der Streit nur um Worte geht und nicht die Sache be­ trifft. In der Tat beobachtet man im Hellenismus derartige Tendenzen, die in Versuchung führten, über Termini mehr als über die gemeinte Sache zu streiten. Antiochos versuchte, die Philosophie den Römern schmackhaft zu machen, indem er terminologischen Streit als sekun­ där erklärte. Cicero greift dies auf, wenn er z. B. bei der Diskussion ver­ schiedener Schulen (Akademie, Peripatos, Stoa) über die Bestimmung des höchsten Guten (z. B. Cic., de leg. 1, 53 – 55) als Schiedsrichter auftritt und behauptet, dass es inhaltlich starke Konvergenzen gebe und Diffe­ renzen nur auf terminologischer Ebene zu beobachten seien. Die Fach­ sprache bleibt an die philosophischen Reflexionen gebunden. Zudem kommt im Hellenismus der philosophischen Terminologie im philo­ sophischen Diskurs eine wichtige Rolle zu, insofern sie als Grundlage des Dialoges der Schulen untereinander eine gemeinsame Sprache im Sinne einer Art philosophischer koine bildete, bei der auch Spielraum für individuelle Freiheiten gegeben ist, der für die Würdigung der ein­ zelnen Philosophen wichtig sein kann. Eucken konstatiert mit Grund, dass in der hellenistischen Philosophie auch neue Schwerpunkte ge­ setzt werden und es zu neuen Fragestellungen kommt, wie z. B. in der Erkenntniskritik. Dies geht einher mit einer bisweilen neuen Termi­ nologie mit stark technischem Charakter und Neubildungen, die das griechische Sprachgefühl durchaus verletzen konnten. Für die Geschichte der philosophischen Terminologie ist zudem von großer Bedeutung, dass sich seit dem Beginn des 1. Jh.s v. Chr. ein Wiederaufleben der Lehre Platons beobachten lässt. Dabei sah sich der neu aufblühende Platonismus mit Herausforderungen durch konkur­ rierende Schulen konfrontiert. Eine bestand darin, dass insbesondere die Stoa und der Epikureismus nicht nur mit Problemlösungen, son­ dern auch mit einem philosophischen System dienen konnten, das dem Schüler Zugang und Aneignung der Lehre sehr erleichterte. Die Pla­ toniker sahen sich veranlasst, ein System platonischer Philosophie zu



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konzipieren, das mit Teildisziplinen wie Logik, Physik und Ethik ein kohärentes Ganzes bildete und so leichter rezipierbar war. Also musste man versuchen, Platons problemorientiertes Denken und dessen Dar­ stellung in den Dialogen in ein System zu gießen. Man musste zu die­ sem Zweck hermeneutische Methoden entwickeln, die es erlaubten, aus der dialogisch-literarischen Darstellung Platons eine philosophische Systematik mit den Disziplinen Dialektik, theoretische und praktische Philosophie zu gewinnen, um den anderen Schulen Konkurrenz ma­ chen zu können. Es ging den Platonikern darum, Platons Lehre und seine Philosophie zu einer systematisch philosophischen Wissenschaft zu machen und deshalb die vielfältige, bisweilen widersprüchlich scheinende Begrifflichkeit in Platons Dialogen durch philologisch-phi­ losophische Bemühungen in ein System zu bringen. In diesem Kon­ text wird eine Hermeneutik des platonischen Dialoges entwickelt, die den Texten ihre bisweilen nicht zu bestreitende Widersprüchlichkeit zu nehmen versucht, ihren Mangel an technischer Fachsprache über­ winden will und mit Mitteln alexandrinischer Philologie aus Platons Werk ein kohärentes Lehrsystem mit eigener Terminologie entwickelt. Deshalb spielten Kompendien oder Handbücher eine wichtige Rolle. Es entstanden Kommentare zu einzelnen Dialogen Platons, Konkor­ danzen sowie Abhandlungen über besondere philosophische Probleme. Es ist also kein Zufall, dass in diesem Kontext auch terminologische Überlegungen eine Rolle spielten und Lexika entstanden, welche für die Lektüre der Dialoge hilfreich sein sollten. Eucken erwähnt das Lexikon des Timaios Sophista (S. *31, Fn. B). Ein derartiges Interesse an Systema­ tisierung und einer Art Terminologisierung der platonischen Dialoge setzte sich in der späteren Kaiserzeit fort. Eucken steht zwar der Be­ deutung der Philosophie der späteren Kaiserzeit, die vom Platonismus dominiert wird, für die Geschichte der philosophischen Terminologie skeptisch gegenüber. Doch ist zu bedenken, dass so bedeutende Phi­ losophen und Platoniker wie Plotin auch sprachlich prägend gewirkt und die nachantike griechische (Ps. Dionysios-Areopagita) wie auch die lateinische philosophische Tradition (Boethius) auch terminolo­ gisch mitgeprägt haben. Auch dies verdiente Beachtung. Jedenfalls ist schon in der Antike ein Interesse an Fachterminologie offenbar mit einer Auffassung von Philosophie als einer Art von System verbunden. Dem modernen Verständnis von System entspricht dieses

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Kommentare und Anmerkungen

freilich noch nicht, von welchem sich Eucken bei seinen terminologi­ schen Untersuchungen leiten lässt. Eine weitere Leitlinie von Euckens begriffsgeschichtlichen Rekon­ struktionen bildet die Frage des Anteils der Bildlichkeit an der Prägung von Begrifflichkeit und die Rolle philosophischer Metaphorik. Auch diesen Leitfaden hat er bis hin zu Platon und Aristoteles zurückverfolgt (für eine erste Notiz dazu vgl. S. 29, Fn. A). * * * 2  Zum Problem der Dichtersprache vgl. Kommentar. [ M.E. ] 3  Vgl. Adolf Lumpe : »Der Terminus Prinzip (ἀρχή) von den Vor­

sokratikern bis auf Aristoteles«, in : Archiv für Begriffsgeschichte [AfB], Bd.  1 (1955), S. 104 – 116. [ G.S. ] 4  Plato Theaet. 182 A : ἴσως οὖν ἡ ποιότης ἅμα ἀλλόκοτόν τε φαίνε­ ται ὄνομα κτλ. [ M.E. ] 5  Vgl. Theodor Kobusch : Art. : »Individuum, Individualität«, in : HWPh, Bd.  4, S. 300 (zu Aristoteles). [ G.S. ] 6  Vgl. Arist. Met 6, 1068a8. Das Buch K (XI, 1059a18 – 1069a10) be­ inhaltet in einem ersten Teil (Kap. 1 – 8) Überschneidungen mit Bü­ chern ΒΓΕ der Metaphysik und in einem anderen Teil (Kap. 9 – 1 2) Überschneidungen mit Büchern der Physik und der Metaphysik (Kap. 1 – 8 hält für sicher unecht z. B. Pierre Aubenque : »Sur l’inauthenticité du livre Κ de la Métaphysique«, in : Paul Moraux/Jürgen Wiesner (Hg.) : Zweifelhaftes im Corpus Aristotelicum. Studien zu einigen Dubia, Ber­ lin/New York 1983, S. 318 – 344). Zur Diskussion im 19. Jh. vgl. Paul Na­ torp : »Ueber Aristoteles’ Metaphysik Κ 1 – 8, 1065a26«, in : Archiv für Geschichte der Philosophie 1(2) 1888, S. 178 – 193, der für Unechtheit des ersten Teils von Κ (offenbar wie Eucken) plädiert. [ M.E. ] 7  Vgl. aber Plat. Polit. 305d. διὰ ταῦτα ἄρα ἃς μὲν ἄρτι διεληλύ­ θαμεν, οὔτ᾽ ἀλλήλων οὔθ᾽ αὑτῶν ἄρχουσαι, περὶ δέ τινα ἰδίαν αὑτῆς οὖσα ἑκάστη πρᾶξιν, κατὰ τὴν ἰδιότητα τῶν πράξεων τοὔνομα δικαίως εἴληφεν ἴδιον. Im Politikos geht es an dieser Stelle um Handlungen und passende Bedeutung der Wörter. [ M.E. ] 8  Diese Schreibung folgt Euckens Korrekturen in seinem Nachtrag ; zu lesen ist κανοικός. [ M.E. ]



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Hanns Christof Brennecke

Gesamtkommentar, Anmerkungen und Korrekturen zum Teil ­»Terminologie der Römer und des Mittelalters« 9  Rudolf Eucken begann seine wissenschaftliche Laufbahn nicht als Philosoph, sondern als klassischer Philologe, wie der mit ihm fast gleichaltrige Friedrich Nietzsche (1844–1900) und wie schon eine Ge­ neration früher der von Eucken immer wieder herangezogene Carl von Prantl (1820–1888). Hermann Bonitz (1814–1888) war als klassischer Philologe mit philosophiegeschichtlichen Themen befasst, der Philo­ sophiehistoriker Eduard Zeller (1814 – 1908) war ursprünglich evange­ lischer Theologe. Als Eucken die Geschichte der philosophischen Terminologie im Umriss schrieb, die 1879 erstmals erschien, war er Anfang dreißig. Seine 1866 in Göttingen abgeschlossene Dissertation De Aristotelis dicendi ratione ist eine philologische Untersuchung. Nach eini­ gen Jahren im höheren Schuldienst (Latein, Griechisch, evangelische Religion) in Husum, Berlin und Frankfurt wurde er 1871 allerdings Professor für Philosophie in Basel (Friedrich Nietzsche war 1869 als Extraordinarius für klassische Philologie nach Basel berufen worden) ; 1874 wurde er nach Jena berufen. Eine klassisch-philologische Ausbil­ dung galt als Grundlage einer akademisch verantworteten Philosophie an deutschen Universitäten. Und die klassisch-philologische Basis sei­ ner Arbeit ist in seiner Geschichte der philosophischen Terminologie im Umriss noch ganz deutlich geprägt durch die klassische Philologie in ihrer im Deutschland des 19. Jh.s etablierten Form. Eucken will keine Geschichte der Philosophie schreiben, sondern eine Geschichte der philosophischen Terminologie. Das zweite Kapitel des ersten Teils untersucht vor allem die Übernahme der philosophi­ schen Terminologie aus der griechischen in die lateinische Sprache, die eigentlich erst im ersten Jh. v. Chr. beginnt, als die griechische Philoso­ phie nach der von ihm geteilten und das 19. Jh. weithin beherrschenden Auffassung bereits ihre eigentliche Blütezeit hinter sich hatte. Schwerpunkt dieses Kapitels ist die Frage nach der Rezeption der griechischen philosophischen Terminologie im Lateinischen. Es geht ihm um die Terminologie, nicht um die Begriffe an sich (S. 3). Ange­ sichts der in einigen Fällen großen Probleme, die die Römer damit hatten, die griechische philosophische Terminologie adäquat in die

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Kommentare und Anmerkungen

lateinische Sprache zu transferieren, eine überaus sinnvolle Arbeit, unerlässlich für ein angemessenes Verständnis der antiken und mit­ telalterlichen Philosophie (vgl. hier etwa auch Mario Puelma : »Die Re­ zeption der Fachsprache griechischer Philosophie im Lateinischen«, in : Freiburger Zeitschrift für Philosophie und Theologie 33, H. 1 – 2 [ 1986 ], S. 45 – 70 ; Carlos Lévy : »Du grec au latin«, in : Jean-François Mattéi (Hg.) : Encyclopédie philosophique universelle IV, Le discours philosophique, Paris 1998, S. 1145 – 1154). Eucken selbst sah seine Untersuchung als eine Vorarbeit zu einem (dann allerdings nie in der ihm vorschwebenden Art geschriebenen) Wörterbuch der Philosophie an, die ihren Zweck eigentlich erfüllt hat, wenn sie schnell von anderen überholt wird (S. 4), was allerdings – zu­ mindest vor dem Historischen Wörterbuch der Philosophie – so nie pas­ siert ist. Er benutzte das Lexicon philosophicum von Rudolf Goclenius (Frankfurt 1613), das Vademecum sive Manuale philosophicum des Leipziger Theologen Johann Adam Scher(t)zer (Leipzig 1654), das Lexicon philosophicum von Michel Brochard/Charles Du Plessis d’Argen­ tré (Plexiacus) (1716), vor allem aber die Werke von Carl von Prantl, Hermann Bonitz und Eduard Zeller. Eucken wollte mit seinen Unter­ suchungen ein Hilfsmittel für eine Geschichte der Philosophie zur Ver­ fügung stellen. Deshalb ging es ihm vor allem um die Übertragung der philosophischen Termini aus dem Griechischen ins Lateinische. Carl von Prantl dagegen, den er intensiv benutzte, ging es um eine Darstel­ lung der Geschichte der Logik. Deutlich ist Euckens Prägung durch den Neuhumanismus, der eigentlich alle vor allem deutschen klassischen Philologen des 19. Jhs. geformt hatte. Aber er durchbricht dieses Erbe dann auch immer wie­ der, was seine Untersuchungen bis heute außerordentlich interessant macht. Der sogenannte Neuhumanismus, der eng mit dem Namen Wilhelm von Humboldts verbunden ist, gibt die bis in die Aufklärung geltende traditionelle Vorherrschaft der lateinischen Überlieferung auf und ist im Gegensatz zur bisher verbindlichen Tradition gekennzeichnet durch eine neue Konzentration auf die griechische literarische Überlie­ ferung, die gegenüber der lateinischen nicht nur als älter, sondern vor allem als höherwertig gilt. Als Höhepunkt nicht nur der griechischen



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Philosophie, sondern überhaupt der griechischen Literatur galt die li­ terarische Überlieferung des 5./4. Jh.s v. Chr. Die spätere griechische Literatur galt weithin als Abfall von der klassischen Epoche. Der Neuhumanismus ist so ein Bildungskonzept zur Aneignung der griechischen Antike, aber nur der paganen griechischen Überlieferung der Antike, also mit sehr eindeutigen Werturteilen. Wichtig ist bei die­ sem Konzept, dass die christliche griechische und lateinische litera­ rische Überlieferung, die mit dem ersten Jh., also der frühen Kaiser­ zeit, beginnt, als eigentlich nicht zur Antike gehörig angesehen wurde (vgl. noch die Geschichte der griechischen Literatur von Albin Lesky [ 1896 – 1981 ], die in erster Auflage 1957 erschien). Der Neuhumanismus vertrat ursprünglich ein ausgesprochen a­christ­ liches, nicht selten auch antichristliches Bildungsideal. Das Christen­ tum hat aus der Sicht des Neuhumanismus die antike Bildung und Kultur im Grunde illegitim vereinnahmt. Der Neuhumanismus will die Antike – so Humboldt immer wieder – gleichsam aus einer christli­ chen Umklammerung und Vereinnahmung herauslösen (vgl. dazu M. Landfester : »Neuhumanismus«, in : Der Neue Pauly [ DNP ] 15/1 (2001), 918 ff.). Auch wenn der betont antichristliche Impetus des Neuhuma­ nismus bei Wilhelm v. Humboldt sich in dieser Form im 19. Jh. nicht durchsetzen konnte, so ist doch die Auffassung, dass die christliche literarische Überlieferung eigentlich nicht zur Antike gehöre, in der deutschen klassischen Philologie durchaus verbreitet gewesen (und ist es manchmal noch immer). Die Prägung durch den Neuhumanismus bemerkt man noch an vie­ len Stellen von Euckens Werk, auch wenn er sie häufig durchbricht. Da­ raus resultieren nach meinem Eindruck an einigen Stellen Lücken, die sich wohl nur durch seine neuhumanistische Prägung erklären l­ assen. Nach dem Kapitel ›Griechentum‹ (S. 19 – 61) ist die griechische Lite­ ratur und Kultur des 5./4.Jh.s v. Chr. eine Idealzeit (ebd., S. 20). Aris­ toteles ist für ihn der Höhe- und eigentlich auch Endpunkt der grie­ chischen philosophischen Entwicklung, von da konstatiert er einen kontinuierlichen Abfall. Nach dem 5./4. Jh. erlahmt die schöpferische Kraft der griechischen Literatur und Philosophie (ebd.). Die lateinische Philosophie ist für Eucken gegenüber den Höhen der klassischen griechischen Epoche eigentlich ein Abstieg. Das Christen­ tum nimmt dann seit dem 2. Jh. immer mehr Einfluss auf die Aus­

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Kommentare und Anmerkungen

gestaltung der philosophischen Terminologie, übernimmt zwar das Überkommene, wandelt es aber ab. Das Christentum steht für Eucken der Philosophie eigentümlich gegenüber, für das Christentum ist Ethik die Hauptsache (S. 58), was man angesichts der intensiven Erforschung des Themas ›Philosophie und Christentum in der Antike‹ und den zahlreichen Untersuchungen zum Beitrag des Christentums zum phi­ losophischen Diskurs und zur Weiterentwicklung der philosophischen Terminologie so sicher nicht mehr sagen kann. Origenes und Andere sind für ihn eher christianisierende Philosophen als philosophierende Christen (ebd., S. 60). Mit Plotin († um 270 n. Chr.) und Origenes († wahrscheinlich 253 n. Chr.) endet für Eucken eigentlich die griechische Philosophie. Die Zeit da­ nach ist für ihn auch hinsichtlich der Entwicklung einer philosophi­ schen Terminologie nicht mehr wichtig (vgl. S. 54). Weder die pagane noch die christliche Weiterentwicklung der griechischen philosophi­ schen Terminologie, die ja besonders seit dem 4. Jh. in der griechischen Theologie stattgefunden hatte, werden behandelt. Die Behandlung der griechischen philosophischen Terminologie schließt mit einem ganz knappen, nur wenige Zeilen umfassenden Ausblick auf das vermutlich am Ende des 5. Jh.s entstandene, umfas­ sende und später auch in lateinischen Übersetzungen wie in Überset­ zungen in verschiedene Sprachen des christlichen Orients wirkmäch­ tige Werk des Ps.-Dionysius Areopagita (S. 61), ein wichtiges Zeugnis für den christlichen Neuplatonismus der Spätantike. Der etwas frü­ here Augustin dagegen ist ein Beispiel für den lateinischen christ­lichen Neuplatonismus. Und so fehlt auch die Benutzung und z. T. Neuformu­ lierung der griechischen philosophischen Terminologie durch christ­ liche Autoren vom 4.–6. Jh. in den großen theologischen Auseinan­ dersetzungen der Spätantike, bei denen es ganz wesentlich um die angemessene Wiederaufnahme und dadurch auch Weiterentwicklung der philosophischen Terminologie ging. Hinsichtlich der Entwicklung der griechischen philosophischen Terminologie der byzantinischen Zeit wären auch Johannes von Damaskus oder Johannes Philoponus interessant.



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Einzelne Beobachtungen zum Kapitel ›Terminologie der Römer und des Mittelalters‹ An dem Kapitel über die lateinische Rezeption der griechischen phi­ losophischen Terminologie ist auffällig die philosophische Unter­ schätzung Ciceros, die allerdings im 19. Jh. durchaus üblich war. Das hängt auch an der damals geltenden Frühdatierung der Rhetorica ad Herennium (Cornificius nach Quint. III 1,21). So galt Cicero als von diesem Werk abhängig und damit als wenig originell (s. o. ; vgl. dazu J. Leonhard : »Cicero II. Cicero als Redner und Schriftsteller«, in : DNP II [1997], S. 1196 – 1202). Nach Eucken ist Seneca geradezu christlich vereinnahmt worden. Hier ist die neuhumanistische Prägung von Euckens Sicht sehr deut­ lich. Diese ›Vereinnahmung‹ sieht er im Grunde als illegitim an (zur in der Tat erstaunlichen christlichen Rezeption Senecas schon in der An­ tike vgl. Chr. Schubert: »Seneca«, in : Reallexikon für Antike und Christentum XXX (2021), S. 311 – 340, sowie die reich kommentierte Ausgabe des pseudepigraphischen Briefwechsels zwischen Seneca und Paulus : A. Fürst / Th. Fuhrer / F. Siegert / P. Walter : Der apokryphe Briefwechsel zwischen Seneca und Paulus, Tübingen 2006 [ SAPERE XI ]). Aber Eucken behandelt im ersten Teil sowohl im Kapitel über die griechische als auch im zweiten Kapitel über die lateinische Termino­ logie durchaus antike und spätantike christliche Autoren. Dass die eindeutig christlichen Schriften hinsichtlich der philo­ sophischen Terminologie aber für ihn als weniger ertragreich gelten, wird vor allem an seiner durchaus intensiven Behandlung von Marius Victorinus deutlich. An Marius Victorinus interessiert ihn vor allem dessen z.T. bei Boethius überlieferte Aristotelesrezeption. Nicht be­ handelt hat dagegen Eucken die bei Marius Victorinus im lateinischen Bereich begegnende Differenzierung zwischen substantia und subsistentia als Übersetzungen von οὐσία und ὑπόστασις. Für die Entwick­ lung der philosophischen Terminologie ist die in der zweiten Hälfte des 4. Jh.s zuerst auftauchende inhaltliche Differenzierung zwischen οὐσία und ὑπόστασις ungeheuer wichtig. Leider ist nicht feststellbar, ob diese Differenzierung zuerst im rein philosophischen oder christlich-theo­ logischen Gebrauch entstand. Sie begegnet für uns erkennbar zuerst in den Auseinandersetzungen über die Ausformulierung einer christ­

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Kommentare und Anmerkungen

lichen Lehre von der Trinität, wobei die klassischen philosophischen Termini wichtig waren. Bis ins 4. Jh. wurden die Begriffe οὐσία und ὑπόστασις eigentlich inhaltlich nicht unterschieden, weder im Grie­ chischen noch im Lateinischen. Die inhaltliche Unterscheidung beider Begriffe muss zuerst im grie­ chischen Sprachbereich nach den 50er Jahren des 4. Jh.s erfolgt sein – und zwar in den Debatten der christlichen Theologie. οὐσία bezeichnet die gemeinsame Gottheit, die drei göttlichen Personen Vater, Sohn und Geist werden als ὑποστάσεις bezeichnet. Der trinitarisch gedachte und durchaus monotheistisch verstandene Gott wird so als eine Usia in drei Hypostasen verstanden. Diese sogenannte ›neunizänische‹ Formulie­ rung des trinitarisch verstandenen Gottesbegriffes (als ›neunizänisch‹ in der moderneren Forschung bezeichnet, weil es sich um eine aus der Theologie der Beschlüsse des Konzils von Nizäa im Jahre 325 wei­ terentwickelte Theologie handelte), die seit den 80er Jahren offizielle kirchliche Lehre war, wurde aller Wahrscheinlichkeit nach von den kappadokischen Theologen der zweiten Hälfte des 4. Jh.s formuliert. Und diese Differenzierung wird auch im Lateinischen rezipiert und begegnet erstmals bei Marius Victorinus in den 60er Jahren des 4. Jh.s in seiner theologischen Abhandlung adversus Arium II 4,51 (eben eine dem Titel nach polemische theologische Schrift, die Eucken offenbar nicht herangezogen hat). Οὐσία = lat. substantia/essentia ; ὑπόστασις, die lateinische Überset­ zung dieses Terminus ist ja eigentlich substantia, übersetzt Marius Vic­ torinus mit dem bis dahin in der Latinität nicht belegten neuen Begriff subsistentia. Interessant ist, dass die lateinische Sprache hier regelrecht einen neuen Terminus erfindet, um ὑπόστασις in seiner Unterschei­ dung zu οὐσία angemessen übersetzen zu können. Im theologischen Gebrauch wird dann im Lateinischen subsistentia oft mit persona gleichgesetzt ; beide Begriffe können im theologischen Sprachgebrauch nahezu identisch gebraucht werden. Nach Drecoll ist wahrscheinlich der neue lateinische Terminus subsistentia von Marius Victorinus selbst geprägt worden (für die philosophische Terminologie des Ma­ rius Victorinus vgl. Volker H. Drecoll : »Marius Victorinus«, in : RAC 24 [2012] S. 122 – 147 ; vgl. auch J. Hammerstaedt : »Hypostasis«, in : RAC 16 [1994], S. 1025 f.). Nach Eucken taucht der neue Terminus subsistentia dann erst viel später bei Boethius auf, wo er aber längst traditionell ist.



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Bei Boethius fehlt die berühmte Personendefinition aus contra Eutychen III. Die Schrift lag Eucken aber in der von ihm benutzten Baseler Ausgabe von 1570 vor. Offenbar hat er diese ihrem Titel nach eindeutig theologisch-polemische Schrift als für seine Fragestellung weniger in­ teressant nicht herangezogen. An Boethius interessieren ihn vor allem die Aristotelesübersetzungen und -kommentare. Im Grunde endet die Antike für Eucken aber mit Augustin. Cassiodor und Isidor von Sevilla als Tradenten auch der antiken philosophischen Überlieferung (und ihrer Terminologie) fehlen ganz. Den mittelalterlichen Teil beginnt er mit Johannes Scotus Eriugena, der durch seine Übersetzung Ps.-Dionys dem lateinischen Mittelalter zugänglich gemacht hatte. Im Mittelalter ist das corpus Dionysiacum dann unendlich oft kommentiert worden. In dem Kapitel über die griechische philosophische Terminologie hatte Eucken allerdings nur einen sehr knappen Hinweis auf Ps.-Dionys gegeben, dessen Schrif­ ten schon kurz vor Johannes Scotus Eriugena von Hilduin ins Latei­ nische übersetzt worden waren. Für die mittelalterliche lateinische philosophische Terminologie ist dann auch die Übersetzung der Scho­ lien durch Anastasius Bibliothecarius wichtig geworden, der auch die Übersetzung des Johannes Scotus Eriugena kritisch kommentiert hat. Bei Euckens Behandlung der arabischen/persischen Philosophen des Mittelalters geht er selbstverständlich auf die Terminologie nur in den lateinischen Übersetzungen ein, nicht auf die arabischen oder persischen Übersetzungen der griechischen Philosophen. Die jüdische Rezeption des Aristotelismus und des Neuplatonismus im Mittelalter und ihre Bedeutung für die lateinische Philosophie des Mittelalters (z. B. Maimonides) kommen bei Eucken nicht vor. Gemessen am Neuhumanismus eines Wilhelm von Humboldt und derer, die ihm dann folgten, hat Eucken die Spätantike und das latei­ nische Mittelalter für die Entwicklung der philosophischen Termino­ logie hoch veranschlagt und damit seine neuhumanistische Prägung vielfach durchbrochen. Die byzantinische Rezeption und Weiterent­ wicklung der philosophischen Terminologie spielen dagegen für ihn keine wichtige Rolle. Die heftige Kritik Adornos, der Eucken vorgeworfen hat, dass es ihm »fast vollkommen an Verständnis für die wirklich originäre Denkleis­ tung der Scholastik, die ja für unsere Terminologie entscheidend ist,

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Kommentare und Anmerkungen

[…]« fehle, kann ich so nicht nachvollziehen. Sicher ist richtig, dass für Eucken zunächst die mittelalterliche Aristotelesrezeption wichtig war. Aber dies als ›eigentlich nur [als] eine mehr oder minder mecha­ nische und eklektische Aufwärmung des Aristotelismus‹ zu bezeich­ nen, halte ich für oberflächlich. Wenn Adorno hier überhaupt dem 19. Jh. das Verständnis für die Leistungen der Scholastik abspricht, ein Vorwurf, der nicht zutrifft, dann hätte er zumindest Euckens Vorstoß in die Sprache und Terminologie der mittelalterlichen Philosophie er­ kennen müssen. Außerdem scheint mir Adorno Eucken grundsätzlich falsch zu verstehen. Eucken wollte bekanntlich, was er immer wieder betont hat, keine Philosophiegeschichte schreiben, was ihm Adorno – eigentlich anachronistisch – vorwirft. Dem Problem der Beziehung der Scholastik zur feudalen Gesellschaftsordnung nachzugehen, war nicht Euckens Fragestellung (vgl. Theodor W. Adorno : Philosophische Terminologie, hg. v. Henri Lonitz, Bd.  1, Berlin 2016 [ Adorno: Nachgelassene Schriften, hg. v. Theodor W. Adorno Archiv, Abtlg. IV, Bd.  9 ], Berlin 2016), S. 47 : »[ ... ] es fehlt diesem Buch [ Euckens Geschichte der philosophischen Terminologie ] vor allem, wie es für diese Periode charak­ teristisch ist, noch fast vollkommen an Verständnis für die wirklich originäre Denkleistung der Scholastik, die ja für unsere Terminologie entscheidend ist, und die bei ihm eigentlich nur als eine mehr oder minder mechanische und eklektische Aufwärmung des Aristotelismus erscheint, während er die originären Erfahrungen, die in dem scholas­ tischen Denken sich niedergeschlagen haben, ebensowenig sieht wie die tiefen Beziehungen der Scholastik zu der zu ihrer Zeit bereits ver­ blassenden feudalen Ordnung, die natürlich dem hierarchisch-scholas­ tischen Denken von vornherein einen ganz anderen Akzent verleihen, als er in ihrem aristotelischen Vorbild eigentlich zu finden ist.«) Bei aller Prägung durch seine neuhumanistische Herkunft bleibt das Werk Euckens, auch da, wo wir heute zeittypische Defizite meinen erkennen zu können, überragend. Eucken hat seine Arbeit als einen Anfang gesehen, einen Grund, auf dem Andere weiterbauen sollen. * * *



zum Teil »­ Terminologie der Römer und des Mittelalters« 289

Zur Überprüfung der Texte und Begriffe wurde v. a. benutzt : Library of Latin Texts ([LLT]; das Mittelalter ist nicht komplett e­ rschlossen. 10  Zu den Übersetzungen von οὐσὶα/essentia/substantia vgl. oben Brennecke : Gesamtkommentar/Einzelne Beobachtungen. 11  Es handelt sich nach heutigem Kenntnisstand um eine anonym überlieferte Schrift (entstanden ca. 50 v. Chr.), deren Quelle auch Ci­ cero vermutlich benutzt hat (nicht jedoch die Schrift selbst). Seit der Spätantike galt Cicero oft als ihr Verfasser, nach Quintilian, inst. III 1, 21 : (scripsit de eadem materia non pauca Cornificius, aliqua Stertinius, non nihil pater Gallio, adcuratius vero priores Gallione Celsus et Laenas et aetatis nostrae Verginius, Plinius, Tutilius) einem Cornifi­ cius zugeschrieben. – Eucken benutzt die Ausgabe von Kayser, Leipzig 1854/1860. – Da diese Schrift mit Cicero faktisch gleichzeitig ist und weithin dieselben Termini bietet, ist die chronologische Einordnung nicht ganz eindeutig. Eigentlich muss man nahezu alle von Eucken für die Rhetorica angegebenen Termini auch bei Cicero anführen. Im 19. Jh. (und noch weit bis in das 20.) wurde die Schrift deutlich früher (um 85 v. Chr.) datiert und Cicero als von der Rhetorica abhängig angese­ hen. Das ist heute nicht mehr der Forschungsstand. Vermutlich ist die These der Unselbstständigkeit Ciceros (und seiner Abhängigkeit von der Rhetorica) auch ein Hintergrund für die etwas abschätzigen Be­ merkungen Euckens über Cicero, vgl. oben S. 66. Allgemein galten Ci­ ceros philosophische Schriften im 19. Jh. als unselbstständig. Die Ein­ schätzung Ciceros hat sich inzwischen völlig geändert. – Der Terminus evidens ist in der Rhetorica nicht zu finden. [ H.Ch.B. ] 12  Die von Eucken angeführten Termini finden sich alle bei Cicero, viele als Übersetzungen griechischer Termini. Sehr oft ist Cicero der erste Autor, durch den sie lateinisch bezeugt sind. Distantia ist bei mehreren Autoren des 1. Jh.s v. Chr. bezeugt. [ H.Ch.B. ] 13  Seneca (es handelt sich um den Jüngeren) ist in der Tat schon in der Antike sehr stark christlich rezipiert worden. Was Eucken über die (in seinen Augen fälschliche bzw. irrtümliche) christliche Rezep­ tion Senecas schreibt, wird man in dieser Form nicht mehr akzeptieren können ; zur christlichen Rezeption Senecas in der christlichen anti­ ken Überlieferung vgl. Christoph Schubert : »Seneca«, in : Reallexikon für Antike und Christentum XXX (2020), S. 311 – 340. – Im Einzelnen :

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Kommentare und Anmerkungen

circumstantia = ἀντιπερίστασις ; intellectus ist zwar bei Seneca häufig (mindestens 19 Fundstellen), aber auch in der älteren Literatur oft be­ legt, vor allem auch bei Cicero ; praesumptio = πρόληψις ; irrationalis : in den modernen Editionen Senecas immer inrationalis. [ H.Ch.B. ] 14  Quintilian baut terminologisch in vieler Hinsicht auf Cicero auf. Relatio kommt schon bei Cicero häufig vor, specialis auch bei anderen Autoren des 1. Jh.s n. Chr., bei Quintilian allerdings häufig. [ H.Ch.B. ] 15  Apuleius betreffend : Hinsichtlich der Schrift peri hermeneias wird die Echtheit noch immer diskutiert, ebenso, ob es sich bei ihr u. U. um das 3. Buch von de Platone et eius dogmate handeln könnte (die Library of Latin Texts zählt peri hermeneias zu den dubia). Im Einzel­ nen : intellectualis weder bei Apuleius noch peri hermeneias zu verifi­ zieren, allerdings häufig bei Tertullian, in etwa Zeitgenosse. [ H.Ch.B. ] Zur Geschichte von intellectualis/intelligibilis vgl. Werner Beierwal­ tes : Art. »intellektuell«, in : HWP, Bd.  4, Sp. 445. [ G.S. ] Conditionalis ist bei Apuleius nicht verifizierbar (nach LLT erst im 5. Jh. nachweisbar). [ H.Ch.B. ] 16  Aulus Gellius, 2. Jh. Es handelt sich um Lesefrüchte aus der grie­ chischen Literatur. [ H.Ch.B. ] 17  Für die sog. Kirchenväter standen Eucken wohl in erster Linie die (noch vorkritischen) Editionen der Benediktiner (der Kongrega­ tion der Mauriner in Paris) aus dem 17. und frühen 18. Jh. zur Ver­ fügung, die in der Patrologia latina von Migne im 19. Jh. (manchmal mit etlichen Fehlern) nachgedruckt wurden. Gelegentlich hat Eucken auch noch frühere Editionen benutzt (so etwa für Boethius). Für Ter­ tullian könnte er die Edition von Oehler (Leipzig 1853 – 1854) benutzt haben, die man als erste kritische Edition ansehen könnte. – Die von Eucken angeführten Termini tauchen bei Tertullian, der stark von der Stoa geprägt ist (was Eucken nicht explizit erwähnt), in der Tat weithin erstmals auf. Auch ist auffällig, dass sich diese Termini in der Schrift de anima häufen. Der dann für das Mittelalter so wichtige Terminus vitium originis begegnet bei Tertullian aber nur ein Mal (de anima 41). [ H.Ch.B. ] 18  Wie im Folgenden von ihm angegeben, hat Eucken für Augustin die Ausgabe der Benediktiner, 11 Bde., Paris 1679 – 1700, benutzt. Die Stellenangaben in Euckens Anmerkungsapparat beziehen sich auf die Bände dieser Ausgabe mit Angabe der Spalten. Auch hier werden im



zum Teil »­ Terminologie der Römer und des Mittelalters« 291

Folgenden die jeweiligen Schriften Augustins auf diese Weise mit ge­ nauen Stellenangaben versehen, unter zwar unter Rekurs auf die Digi­ talisate der Edition der Mauriner, die die Bayerische Staatsbibliothek zur Verfügung stellt. – Zu Recht weist Eucken darauf hin, dass für die Frage der Terminologie vor allem die Spätschrift de trinitate wichtig ist. [ H.Ch.B. ] 19  Causa deficiens : vor Augustin gibt es offenbar keinen Beleg. [ H.Ch.B. ] 20  Convenientia und ordinare bei Augustin oft belegt. [ H.Ch.B. ] 21  Marius Victorinus ist chronologisch vor Augustinus einzuord­ nen. Die von Eucken angegebenen Termini praedicamentum, categoria, differentia constitutiva finden sich so bei Marius Victorinus nicht, allerdings dann bei Boethius in den Kommentaren, wo er auf Marius Victorinus zurückgreift. Subalternus findet sich bei Marius Victorinus direkt und in seiner von Boethius benutzten Porphyriusübersetzung. Die Zuschreibungen an Marius Victorinus in den Schriften des Boe­ thius werden heute sehr viel zurückhaltender als im 19. Jh. beurteilt. Die Rekonstruktion des Marius Victorinus aus dem bei Boethius Über­ lieferten ist sehr unsicher. [ H.Ch.B. ] 22  Eucken benutzt wie Prantl die Erstedition der Werke des Boe­ thius, erschienen in Basel 1546, vermutlich in der zweiten Auflage von 1570, er folgt hier weitgehend Prantl. Die Ausgabe ist digitalisiert (Ani­ cius Manlius Torquatus Severinus Boethius : Opera omnia, komm. u. hg. v. Heinrich Loritus Glarean[us] u. Giulio Marziano Rota, Basel 1546, 21570, www.digitale-sammlungen.de [ 001 ]). – Die berühmte Personen­ definition des Boethius in contra Eutychen III (›naturae rationabilis individua substantia‹) kommt bei Eucken hier nicht vor, die krit. Edi­ tion von Peiper war allerdings erst 1871 erschienen. [ Vgl. u.a. Ber­t hold Wald : »Aristoteles, Boethius und der Begriff der Person im Mittelal­ ter«, in : AfB 39 (1996), S. 161 – 179, G.S. ]. Euckens einleitende Behaup­ tung »Für eine genaue Verfolgung des historischen Ganges […]« ist unverständlich und falsch. Nach der von Eucken zitierten Angabe von Prantl (II, S. 98 ff.) muss sich dieser Satz auf die Kenntnis der Schriften des Aristoteles beziehen. – Die von Eucken Boethius zugeschriebenen Termini entstammen zu einem erheblichen Teil dessen Übersetzungen aus dem Griechischen. Im Einzelnen : Conversio per accidens ist frei­ lich bei Boethius nicht auffindbar, sondern erst bei Ockham. Causatus

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Kommentare und Anmerkungen

findet sich auch schon bei früheren Autoren häufig, etwa bei Augus­ tin. [ H.Ch.B. ] 23  Überraschenderweise nimmt Eucken eine Zweiteilung seiner Ausführungen zu Augustin vor, indem er Boethius’ Beiträge zur Be­ griffsbildung zwischenschaltet. Wie er im Folgenden ausführt, ist Augustin in mehrfacher Hinsicht der Ausgangspunkt für die mittel­ alterliche Terminologie. Die Forschungen zu Augustin und dem Neu­ platonismus und überhaupt zum lateinischen Neuplatonismus der Spätantike (vor allem im 4. Jh.) füllen mittlerweile ganze Bibliothe­ ken. [ H.Ch.B. ] 24  Iohannes Scotus Eriguena (so die heute allgemein übliche Schreibweise) zitiert Eucken offensichtlich nach der Edition von Heinrich Joseph Floss, die 1865 in der Patrologia latina 122 abgedruckt wurde. Einige der von Eucken zitierten und Scotus zugeschriebenen Termini kommen auch schon gehäuft vor allem seit dem 6. Jh. (Boe­ thius) vor. Im Einzelnen : modus essendi lässt sich nicht verifizieren, die Sache (essendi) findet sich aber oft. [ H.Ch.B. ] 25  Modus essendi lässt sich nicht ohne Weiteres verifizieren. [ H.Ch.B. ] 26  Seit der klassischen und immer wieder neu aufgelegten Studie von Karl Griewank (Karl Griewank : Der neuzeitliche Revolutions­ begriff. Entstehung und Entwicklung, Weimar 1955) ist der frühneu­ zeitlich kosmologisch geprägte und dann ausgesprochen polyvalente Revolutionsbegriff, der im späten 18. Jh. seine heute dominante poli­ tische Prägung erhalten hat, vielfach begriffsgeschichtlich untersucht worden. [ G.S. ] 27  Petrus Abaelardus : Eine kritische Edition von Victor Cousin er­ schien 1849/59 (2010 nachgedruckt). Patrologia latina 178 ist ein ND der Ausgabe von 1626. Eucken zitiert nach der Ausgabe von Reinwald, Berlin 1831, sowie nach der Ausgabe der Ouvrages inédits durch Cousin, 1839. Die im Folgenden von Eucken angeführte Schrift de generibus et speciebus stammt von einem anonymen Autor des 12./13. Jh.s. [ H.Ch.B. ] 28  Vgl. H. Reiner, Art. »Gesinnungsethik«, in : HWPh, Bd.  3, hier : Sp. 539 [ G.S. ] 29  Die Schrift de intellectibus hatte Cousin noch als Werk Abaelards angesehen. Abstractio ist schon seit Boethius häufig belegt. [ H.Ch.B. ] 30  Combinationes ist bei Avicenna nicht auffindbar. Der Begriff er­



zum Teil »Neuzeit« 293

scheint aber bei vielen mit Avicenna etwa gleichzeitigen Autoren, das­ selbe gilt für principium individuationis. [ H.Ch.B. ] 31  Averroes : Hier bleibt unklar, welche lateinischen Übersetzungen Eucken zur Verfügung hatte. Unter Rekurs auf die lateinische Über­ setzung (durch Wilhelm de Luna, 13. Jh.) des Kommentars zu Peri hermeneia des Aristoteles lassen sich von Euckens Begriffsbelegen bei Avicenna verifizieren : verificare, res priores in esse, potentia  – actu. [ H.Ch.B. ] 32  Zur Geschichte des Ausdrucks causa sui vgl. auch Eucken in : An­ dré Lalande (Hg.) : Vocabulaire technique et critique de la philosophie, Ausg. Paris 2010, S. 128, sowie Pierre Hadot : Art. causa sui, in : HWPh, Bd.  1, hier bes. Sp. 976. [ G.S. ] 33  Es handelt sich um für Lullus charakteristische Begriffe. Repraesentativus ist allerdings bei Lullus nicht auffindbar, tritt bei Ockham und Bonaventura aber häufig auf. [ H.Ch.B. ]

Gisela Schlüter

Gesamtkommentar, Anmerkungen und Korrekturen zum Teil »Neuzeit« 34  Eucken lässt, im späten 19. Jh., die Neuzeit im 16./17. Jh. beginnen

und bis in seine Gegenwart reichen ; Descartes und Kant und, mit Ein­ schränkungen, Leibniz verdanken sich die begriffsgeschichtlich prä­ genden Formationen zwischen dem frühen 17. und dem späten 18. Jh. Die Epochenbezeichnung Frühe Neuzeit datiert aus dem 20. Jh. und stand Eucken ebenso wenig zur Verfügung wie der Epochenbegriff der Moderne. Das 18. Jh. und damit auch die Aufklärung fallen für ihn in die von ihm so genannte Neuzeit. Was Euckens Periodisierung betrifft, so entspricht sie der in der umfangreichen Philosophiegeschichts­ schreibung des 19. Jh.s geläufigen. Der Aufklärung als solcher schenkt Eucken vergleichsweise wenig Beachtung  – dies gilt trotz seiner vertieften Beschäftigung mit Er­ kenntnistheorie, Psychologie und auch Anthropologie bei den (vor al­ lem deutschen) Philosophen des 18. Jh.s. Dass er die Aufklärung als Epoche und als Projekt kaum wahrnimmt, hängt sicherlich auch da­ mit zusammen, dass die Aufklärung in der zweiten Hälfte des 19. Jh.s

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Kommentare und Anmerkungen

wie auch im frühen 20. Jh. im Allgemeinen als geistesgeschichtliche Referenz verblasst war. Mit Euckens selektiver Wahrnehmung des 18. Jh.s, der Aufklärungs­ epoche – für ihn hauptsächlich geprägt durch die Schulphilosophie, Wolff und Kant –, geht auch ein weiteres Defizit seiner Sondierun­ gen einher : seine geringe Aufmerksamkeit für den Anteil der Sprache des Rechts an der philosophischen Begriffsbildung (vgl. hingegen, nur marginal, aber prononciert, zur Bedeutung des Rechts für die Begriff­ lichkeit der Logik S. 220) speziell in der Aufklärungszeit. Hier sei ex­ emplarisch verweisen auf Ulrich Kronauer / Jörn Garber (Hg.) : Recht und Sprache in der deutschen Aufklärung, Tübingen 2001 (Hallesche Beiträge zur Europäischen Aufklärung, Bd.  14). Besondere Aufmerksamkeit schenkt Eucken Kants Philosophie und Terminologie. Hier konnte er auf einschlägige Kompendien und Lexika zur Terminologie Kants zurückgreifen. Im philosophiehistorischen Kontext seiner Forschungen ist sein Zurück-zu-Kant naheliegend und als lexikographisches Projekt zugleich auch wegweisend. Rudolf Eislers Kant Lexikon (Nachschlagewerk zu Kants sämtlichen Schriften, Briefen und handschriftlichem Nachlass) sollte dann erst 1930 erscheinen. Für einen Abgleich von Euckens Ausführungen zu Kants Termino­ logie im Einzelnen sei verwiesen auf das Kant-Lexikon, hg. v. Markus Willaschek, Jürgen Stolzenberg, Georg Mohr u. Stefano Bacin, 3 Bde., Berlin/Boston 2015 (Studienausgabe 2021). Im Sinne der Notwendigkeit eines sprachvergleichenden und translatologischen Blicks auf die Ter­ minologiegeschichte sei im Zusammenhang der Philosophie Kants an dieser Stelle verwiesen auf Kants Schriften in Übersetzungen, hg. v. Gi­ sela Schlüter unter Mitwirkung von Hansmichael Hohenegger, Ham­ burg 2020. Auf eine Prüfung von Euckens begriffsgeschichtlichen Son­ dierungen zu Kant anhand des neuen Kant-Lexikons wird im Rahmen der hier vorgelegten Ausgabe im Folgenden verzichtet. Als Altphilologe besitzt Eucken einen geschärften Blick für die Be­ sonderheiten der Übertragung griechischer Begriffswörter ins Lateini­ sche und auch für das Einwandern der lateinischen Terminologie vor allem in die romanischen Sprachen. Bemerkenswert erscheint heute seine Aufmerksamkeit für die Bedeutung des Frühneuhochdeutschen für die Geschichte der philosophischen Terminologiebildung. Eucken betont im Weiteren durchaus die Bedeutung einzelsprachlicher Diffe­



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renzen in der Terminologie der Neuzeit. Und doch erscheint aus heu­ tiger Perspektive ein genauerer und breiter angelegter vergleichender Blick auf Übertragungen, Verschränkungen, Interferenzen innerhalb der großen europäischen Sprachen, zwischen den romanischen Spra­ chen, dem Deutschen und dem Englischen, seit Beginn der volks­ sprachlichen (Neu-)Formierung der philosophischen Terminologie als dringliches Desiderat. An dieser Stelle sei exemplarisch verwiesen auf Pina Totaro (Hg.) : Tradurre filosofia. Esperienze di traduzione di testi filosofici del Seicento e del Settecento, Florenz 2011 (Lessico Intellettuale Europeo 109), sowie auf die einschlägigen Arbeiten der Germersheimer Übersetzungswissenschaftler Andreas Gipper und Lavinia Heller. Eucken spricht dieses Problem zwar mehrfach explizit an, doch ge­ ben seine Begriffsbelege aus der Epoche der Frühen Neuzeit und des 18.  Jh.s mannigfach Anlass, solche terminologischen Diskrepanzen oder auch Transfers zu vertiefen oder doch zumindest exemplarisch aufzuzeigen. So wird etwa auch die Mehrsprachigkeit der Schriften von Leibniz von Eucken nicht als terminologiegeschichtliche Heraus­ forderung in den Blick genommen. Dieser blinde Fleck in Euckens Blick auf die Geschichte der Termi­ nologie[n] mag sich vor allem aus heutiger Perspektive abzeichnen – es sei jedoch daran erinnert, dass bereits im ausgehenden 19. Jh. und um die Jahrhundertwende in der europäischen Philosophie die Frage nach der Vielsprachigkeit der Philosophie[n] virulent wurde, vor allem im Zusammenhang der ersten internationalen philosophischen Kon­ gresse. Esperanto wurde entwickelt, und die Philosophie interessierte sich wieder für historische Universalsprachentheorien und -projekte und die Entwicklung einer philosophischen Universalsprache. Kontrastiv dazu sei an dieser Stelle an ein lexikographisches Groß­ unternehmen erwähnt, das sich, den von Eucken kaum geleisteten sprachvergleichenden Schritt gewissermaßen überspringend und das vor allem im HWPh ersichtliche Bemühen um terminologiegeschicht­ liche Dokumentation im Deutschen, Englischen und den romanischen Sprachen auf Aporien hin pointierend, dem Phänomen, der Problema­ tik und der Produktivität der Unübersetzbarkeit von philosophischen Termini gewidmet hat : ein französisches, europäisch orientiertes Le­ xikon, das  – in einer gewiss gewagten Volte  – nach zehn Jahren in einer angloamerikanischen Bearbeitung erschienen ist : Barbara Cassin

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Kommentare und Anmerkungen

(Hg.), Vocabulaire européen des philosophies. Dictionnaire des intraduisibles, Paris 2004 ; angloamerikanische Neubearbeitung : Barbara Cassin/Emily Apter/Jacques Lezra/Michael Wood (Hgg.): Dictionary of Untranslatables : A Philosophical Lexicon, Princeton University Press 2014. Euckens Werk findet hier – zumindest den Indices zufolge – keine Erwähnung. Euckens historischer Parcours durch die Terminologiegeschichte bewegt sich, mit aus heutiger Sicht geringer Würdigung der Renais­ sancephilosophie, hauptsächlich in den Bahnen der Theoretischen Philosophie, konzentriert auf Metaphysik, Erkenntnistheorie und Lo­ gik. Der Praktischen Philosophie wird weniger Aufmerksamkeit ge­ schenkt, bedingt durch den philosophiegeschichtlichen und philolo­ gischen Kontext, in dem Eucken sich bewegt. Relativ wenig Beachtung findet, neben der Politischen Philosophie, auch die jüngere Disziplin der Ästhetik ; einmal abgesehen vom Hinweis auf Kants spezielle Ver­ wendung des Terminus Ästhetik und vom Rekurs auf ästhetische und psychologische Termini in Kants KdU finden sich, im allgemein-dis­ ziplinären Sinne, nur einige Hinweise auf die Prägung des Terminus durch Baumgarten. Da, auch dies zeittypisch, die Entstehung des Vo­ kabulars der Psychologie Eucken besonders interessiert, werden auch psychologische Termini vor allem des 18. Jh.s berücksichtigt, die auch für die Ästhetik relevant sind. * * * Folgende Wörterbücher/Lexika/Kompendien/begriffsgeschichtlichen Periodica wurden für die Überprüfung/Ergänzung der terminologiegeschichtlichen Befunde Euckens konsultiert (genaue bibliographische Angaben in der Bibliographie) : ▷ Hirt, Herman  : Etymologie der neuhochdeutschen Sprache. Darstellung des deutschen Wortschatzes in seiner geschichtlichen Entwicklung, München 1921 (11909), S. 335 – 339 (§ 199 : L. Die Sprache der Philosophie). Hirt stellt fest : »Was Eucken bietet, hat bisher noch keine Fortsetzung und Erweiterung gefunden.« (ebd., S. 335). Seine Ausführungen zur his­ torischen Lexik der Philosophie bewegen sich unter ständiger Referenz auf die lexikalischen Belege in Euckens Geschichte der philosophischen



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Terminologie dicht an Euckens Parcours, von Notker, Eckhart, Luther und Böhme bis hin zu Leibniz, Thomasius und Wolff. ▷ Eisler, Rudolf  : Wörterbuch der Philosophischen Begriffe und Ausdrücke, quellenmässig bearbeitet, Berlin 1899 (001). Eisler, dessen Wörterbuch die zentrale historische Referenz des HWPh bildet, bezieht sich in seinen Artikeln immer wieder auf Euckens be­ griffsgeschichtliche Befunde in seiner Geschichte der philosophischen Terminologie, aber auch in Euckens [ Geschichte und Kritik der ] Grundbegriffe der Gegenwart (11878). Im Vorwort seines Werkes erläutert Eis­ ler sein eigenes Programm einer »Geschichte der philosophischen Terminologie« (S. V) und merkt an : »Für die Geschichte der äusseren [ Hervorhebung Eisler ] Terminologie (des Vorkommens der Ausdrücke bei den verschiedenen Denkern) von hohem Werte ist Euckens Ge­ schichte d. philos. Terminologie im Umriss, 1879, sowie desselben Au­ tors Geschichte und Kritik der Grundbegriffe der Gegenwart, 1878.« Eisler, a. a. O., S. IV, Fn. Eisler übernimmt mithin den Ausdruck Geschichte der philosophischen Terminologie, und in seinem Wörterbuch finden sich Lemmata zu den Termini Terminus und Terminologie (ebd., S. 766 f.). Terminus wird als »Ausdruck eines Begriffes, Begriff« definiert und bei Lullus, Wilhelm von Occam, Albert von Sachsen, Goclenius und Wolff be­ legt (wie Eucken referiert Eisler für seine Belege oft und auch hier auf Prantls Geschichte der Logik). Terminologie definiert Eisler folgender­ maßen : »Terminologie ist der Inbegriff der in einer Disciplin herr­ schenden Ausdrücke (termini technici). Die philosophischen termini haben eine Entwicklung durchgemacht, da die Philosophen dem alten Ausdruck oft einen neuen oder doch abweichenden Sinn unterlegen. – Chr. Wolf[  ! ] : ›In philosophia non utendum est terminis nisi accurata definitione explicatis.‹ (Log. dis. prael. §116).« Eisler, a. a. O., S. 766. ▷ Lalande, André  : Vocabulaire technique et critique de la philosophie, 1902 – 1923/11926 (Paris 32010). Eucken hat 45 Observations, begriffsgeschichtliche Ergänzungen, zu einzelnen Artikeln in André Lalandes Vocabulaire technique et critique de la philosophie verfasst, darunter etliche zu schon in der Geschichte der philosophischen Terminologie besprochenen Termini. In dem von

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Kommentare und Anmerkungen

Rainer A. Bast besorgten Verzeichnis der publizierten Schriften Rudolf Euckens (GW, Bd.  13, 2009, S. 187 – 190) findet sich ein Verzeichnis aller Beiträge Euckens zu Lalandes zuerst 1902 ff. erschienenem Vocabulaire, bezogen auf dessen zweibändige Ausgabe von 1926 und selbstverständ­ lich auf die französische (bzw. lateinische) Terminologie. Bast gibt für Euckens Beiträge auch die Paginierung in der NA an. Im folgenden Textstellenkommentar wird sporadisch auf Euckens Observations in Lalandes Dictionnaire verwiesen (Lalande 32010). ▷ Mauthner, Fritz  : Wörterbuch der Philosophie. Neue Beiträge zu einer Kritik der Sprache, 2 Bde., München 1910/11. In seinem 1910/11 in zwei Bänden erschienenen Wörterbuch der Philosophie. Neue Beiträge zu einer Kritik der Sprache zitiert Fritz Mauthner recht häufig Euckens Geschichte der philosophischen Terminologie und dessen Grundbegriffe der Gegenwart. Auch Mauthner ist sehr an der deutschen Sprache der Vormoderne und speziell der Mystiker gelegen, in die Eucken als Begriffshistoriker relativ tief eingedrungen war. Zum anderen interessierte er sich für das, was Eucken als ›philosophische Parteinamen‹ bezeichnet und in einer eigenen Schrift untersucht hatte. Und schließlich widmet sich auch Mauthner, wohl an Nietzsche und Eucken anknüpfend, der später so genannten philosophischen Meta­ phorologie. Vieles von dem, was Eucken mit Akribie und Ernsthaftig­ keit aufgezeichnet hatte, wird von Mauthner in spöttischem Ton und skeptischer Pointierung aufgegriffen. ▷ Historisches Wörterbuch der Philosophie [ H WPh ], hg. v. Joachim Ritter, Karlfried Gründer u. Gottfried Gabriel, Basel 1971 – 2007. Allgemein zum Verhältnis des HWPh zu Euckens Geschichte der philosophischen Terminologie vgl. Gisela Schlüter : Einleitung. Euckens terminologiegeschichtliche Forschungen zählen zu den wesentlichen Quellen der Artikel des HWPh, werden freilich nicht immer angeführt. ▷L  essico Intellettuale Europeo [ ILIESI ]. Reihe Instrumenta Philoso­ phica. Series Lexica. U. a. Eugenio Canone : Lessici filosofici dell’età moderna. Linee di ricerca, Florenz 2012 (Lessico Intellettuale Europeo CXIV = LIE 114), ­sowie



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▷G  eschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-­ sozialen Sprache in Deutschland, hg. v. Otto Brunner, Werner Conze u. Reinhart Koselleck, 8 Bde., Stuttgart 1972 – 1997. ▷A  rchiv für Begriffsgeschichte. Begründet von Erich Rothacker Allgemein zum Verhältnis des AfB zu Euckens Geschichte der philosophischen Terminologie vgl. Gisela Schlüter : Einleitung. ▷F  orum Interdisziplinäre Begriffsgeschichte [ FIB ], 2012 ff. [ https :// www.zfl-berlin.org ]. ▷W  örterbuch der philosophischen Metaphern, hg. v. Ralf Konersmann, Darmstadt 2007. * * * Anmerkungen, Korrekturen und Ergänzungen zu den Kapiteln über die Neuzeit und zum zweiten Teil sind weitgehend in den Fußnotenapparat eingearbeitet. 35  Zur Terminologie Spinozas vgl. u.a. Pina Totaro : Instrumenta mentis. Contributi al lessico filosofico di Spinoza, Florenz 2010 (LIE 107). [ G.S. ] 36  Zur Terminologie von Leibniz : Eine gewisse terminologische Orientierung gibt der umfangreiche Index in Maria Rosa Antognazza (Hg.) : The Oxford Handbook of Leibniz, Oxford University Press 2013 ; allerdings werden die Termini in englischer Sprache angeführt. – Der Index ist online zugänglich über https://academic.oup.com [ letzter Zu­ griff am 17.03.2023,  G.S. ] 37  Eucken hat den Beleg von théodicée bei Leibniz präzisiert : Die­ ser finde sich in einem Brief von Leibniz an Magliabecchi aus dem Jahre [ 20./30.09. ] 1697 ; vgl. Eucken : »Zur philosophischen Termino­ logie […]«, in : Archiv für Geschichte der Philosophie […] (1888), S. 312. Diese Stelle gilt auch noch im HWPh als frühester Begriffsbeleg. – Zu Theodizee vgl. auch Ulrich Dierse : »Umformulierungen einer unver­ meidlichen Frage. Über prominenten und weniger prominenten Ge­ brauch von Theodizee«, in : AfB 47 (2005), S. 141 – 161. [ G.S. ]

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Kommentare und Anmerkungen

Katharina Zeppezauer-Wachauer

Gesamtkommentar, Anmerkungen und Korrekturen zum Teil »Deutsche Terminologie« 38  kommentar: Rudolf Eucken, Nobelpreisträger für Literatur, stu­

dierte von 1863 bis 1866 Alte Sprachen bei Professor Hermann Sauppe in Göttingen und Berlin. 1866 promovierte er mit einer Studie zur Spra­ che des Aristoteles. Selbst unterrichtete Eucken von 1869 bis 1871 Alte Sprachen als Gymnasiallehrer am Städtischen Gymnasium Frankfurt am Main und forschte weiterhin zur Sprachebene der Philosophiehis­ torie, insbesondere bei Aristoteles, Plato und Thomas von Aquin. Dieser (neu-)humanistische, bildungsbürgerliche Ausbildungsweg mit Spezialisierung auf Klassische Philologien zeichnet sich in seinem Schaffen in vielerlei Hinsicht ab. Einerseits wirkte Eucken als Univer­ salgelehrter seiner Zeit und verfügte über beeindruckendes univer­ selles Wissen. Andererseits ist seiner Geschichte der philosophischen Terminologie anzumerken, dass es eben nicht fachspezifisches Spe­ zialwissen aus dem Bereich der Altgermanistik ist, das das Werk in erster Linie antreibt, sondern dass Latein und Altgriechisch eine we­ sentlich größere Rolle für den Gesamtbefund spielten. Hinzu kom­ men diverse Erschwernisse, die zur Entstehungszeit der Geschichte der philosophischen Terminologie 1879 freilich anders zu bewerten sind als heute : Quellenrecherche war enorm aufwändig. Weder waren die aus­ gewählten Belege aus mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Texten mit repräsentativer Genauigkeit bewältigbar bzw. nach heutigen Stan­ dards exakt dokumentierbar, noch war ein wirklich empirisch-quanti­ tativer Zugang möglich. Eucken vermochte stets nur einige Textbelege als repräsentativ herauszustellen, ein Umstand, dessen er sich selbst durchaus gewahr ist und den er mit der »Unübersehbarkeit des Stoffes« (S. 150) kommentiert. Diese Belegquellen waren zum einen kanonisiert, zum anderen von einem gewissen Bias geprägt, der seinem Interesse für religionsphilosophische Fragen entsprang. Seine Untersuchungsund Auswahlmethoden für mittel- und frühneuhochdeutsche Texte führten mitunter zu einer Verzerrung des Ergebnisses dieser vermeint­ lichen Repräsentativerhebung. Besonders auffällig dabei sind gedank­ liche Annahmen und statistische bzw. Rechercheirrtümer. Dieser Befund sei kursorisch an einigen Beispielen illustriert :



zum Teil »Deutsche Terminologie« 301

1. Zeitliche Einordnung von Belegen und Etymologie Eucken gesteht der Literatur des Mittelalters allenfalls eine vorberei­ tende Rolle für die sprachphilosophischen »Leistungen des 16. Jahr­ hunderts« zu, die er als »[w]eit erheblicher« (S. 150) bezeichnet. Zur Untermauerung dieser These führt er eine Reihe an Wörtern an, die im Dietz’schen Lutherwörterbuch neu gegenüber älteren Wörterbüchern seien und die er daher als Wortneuschöpfungen der Frühen Neuzeit interpretiert. Vieles davon ist akkurat ; einige Wörter wie z. B. Pflicht (im Sinne von »rechtliche[r] Verbundenheit«) oder Mangel (Eucken : »was mhd. selten ist«) sind jedoch mit heutigen Recherchemethoden bereits erstmals bzw. in durchaus hoher Wortfrequenz für das Mittel­ hochdeutsche nachweisbar. Ähnliche Fehlbefunde stechen auch an an­ deren Stellen hervor : »Nicht selten sind wir fast erstaunt, Ableitungen und Formen nicht anzutreffen, die uns ganz naheliegend scheinen. So findet sich […] Fühlen, aber nicht Gefühl« (S. 151) (mhd. gevüelunge ist allerdings in Wahrheit vielfach belegt ; vgl. Anm. 55). Auch Paracelsus soll gemäß Eucken die deutsche Sprache um Vokabular bereichert ha­ ben, das zuvor nicht vorhanden war. Beispiele von Wörtern, die jedoch schon lange vorher überliefert sind und die Eucken als Verdienst des Paracelsus wertet, sind etwa Argument (mhd. argument) und Fantasey (mhd. fantasîe) (S. 154). Ebenso hätten, so Eucken, Stieler, Leibniz und Wolff Termini geprägt oder zumindest dahingehend geschärft, dass sie in den Allgemeinwortschatz übergegangen seien. Das Gegensatzpaar Lust – Unlust sei eine solche »Schärfung« gewesen (S. 160). In concreto sind mhd. lust und mhd. unlust jedoch vielfach überliefert ; sogar im bewusst antonymischen Gebrauch. Das Wort Ausdruck ist nach Eu­ cken erst im 18. Jh. aufgetaucht (S. 168), dabei gibt es mhd. ûʒdruc be­ reits bei den Mystikern des 14. Jh.s.

2. Semantische Wortstudien Einige Wörter, die von Eucken deutlich hervorgehoben werden, schei­ nen mit anderen Bedeutungen assoziiert zu sein, als er annimmt. Ein besonders prominentes Beispiel in seinem Werk ist Mitleid, da er dies an mehreren Stellen immer wieder aufgreift (S. 147, 158, 169, 210). Eu­

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Kommentare und Anmerkungen

cken konstatiert : »Wenn sich z. B. bei Eckhart miteliden findet, so ist dabei nicht an den spezifischen Begriff des Mitleids als Unlustemp­ findung in Folge innerer Teilnahme zu denken« (S. 210). Tatsächlich aber deutet in den Quellen nichts auf eine solche Interpretation hin ; das innere ›Mit-Leiden‹ ist im Grunde schon seit den Anfängen dieses Lexems wesentlich. Manch andere Befunde gehen in eine ähnliche Richtung : »Mhd. be­ deutet rum zunächst ›leerer, ausgedehnter Raum‹.« (S. 155, Fn. C). Mhd. rum ist jedoch realiter auch schon ab dem frühen 13. Jh. für die Angabe einer örtlich fest beschränkten Stelle in Verwendung gewesen. Dabei handelt es sich allerdings um seltene Irrtümer. Die meisten semantischen Feststellungen Euckens sind für seine Zeit und Möglich­ keiten beeindruckend präzise.

3. Bias, Attributions- und Bestätigungsirrtümer Das Problem des Bias und der Eigengruppenbevorzugung  – nicht nur – in Quellen des 19. Jh.s erfordert im Grunde eine ausführlichere Betrachtung, die nicht vollständig in einem knappen Kommentar untergebracht werden kann. Rudolf Eucken hatte, bedingt durch seine Biographie und seine fachliche Spezialisierung, großes Interesse an philosophischen und theologischen Texten entwickelt. Nichts lag nä­ her als eine spezifische Begeisterung für Meister Eckhart, der ja tat­ sächlich bis heute als Begründer der Rheinischen Mystik im Geiste des Aristotelismus gilt und dessen starke Wirkung auf seine Zeitgenossen und Nachfolger*innen sich beispielsweise über philosophische Neolo­ gismen oder eine sich insbesondere sprachlich niederschlagende aris­ totelische Tradition manifestiert. Euckens Werk entspricht zudem dem androzentrischen Zeitgeist (Gender Bias), wenn er sagt : »Ein allgemeineres Streben nach Ver­ deutschung eines umfassenden Gedankenkreises ging von der Mystik aus. Für uns hat dieselbe freilich nur insoweit Bedeutung, als sie sich mit einer eigentlich philosophischen Weltbegreifung verbindet, und das ist, soviel wir sehen können, nur bei Meister Eckhart der Fall.« (S. 145) und »Die andern Mystiker anlangend bringen wir nur aus dem Buch von geistlicher Armut einiges vor.« (S. 149) Tatsächlich aber ha­



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ben mehrere mittelalterliche Mystiker*innen einen großen Beitrag zur philosophischen Weltauffassung geleistet, nicht zuletzt die Frauenmys­ tik, die Eucken nicht erwähnt. Schon Joseph Bernhart lieferte gut 40 Jahre nach Entstehung der Geschichte der philosophischen Terminologie Euckens (nämlich 1922) eine ausführliche Untersuchung über das Verhältnis von Mystik und Philosophie. Diese bis heute mehrfach neu aufgelegte Darstellung der Mystik in Verbindung mit der Philoso­ phie von ihren antiken Grundlagen bis ins hohe Mittelalter orientiert sich in weiten Teilen zwar ebenfalls an Meister Eckhart und lässt die weibliche Mystik nahezu unerwähnt, berücksichtigt aber zumindest Dietrich von Freiberg und die sogenannte Eckhart-Schule (insbeson­ dere Heinrich Seuse, Johannes Tauler sowie Jan van Ruusbroec). (Vgl. Joseph Bernhart : Die philosophische Mystik des Mittelalters von ihren antiken Ursprüngen bis zur Renaissance. Mit Schriften und Beiträgen zum Thema aus den Jahren 1912–1969, hg. v. Manfred Weitlauf, Weißen­ horn 2000 [ Digitalisat der Erstauflage verfügbar via archive.org (000) (abgerufen am 28.03.2022) ]. Die Philosophiegeschichtsschreibung hat der Frauenmystik stets wenig(er) Aufmerksamkeit geschenkt. Wäh­ rend Meister Eckhart oder Hugo von St. Viktor als rationale philoso­ phische Impulsgeber betrachtet werden, werden Texte beispielsweise einer Mechthild von Magdeburg einer emotions- und affektgeladenen ›Liebes- und Leidensmystik‹ zugeschrieben, aber keiner seriösen Wis­ senschaftsphilosophie. Mechthild verstand sich selbst als intellektuelle Frau, die im Auftrag Gottes die Wahrheit niederschreibt und dennoch Gott ihre Selbstzweifel offenbart, die aus ihrer Rolle als Frau resultie­ ren (eya herre, were / ich ein geleret geistlich man […] so moehtistu sin ewige ere enpfahen – »Herr, wäre ich ein gelehrter geistlicher Mann, […] so würdest Du seine ewige Verehrung empfangen wollen.«). Man ist geneigt, ihr mit Blick auf Euckens Korpusauswahl Recht zu geben, denn weder finden in seiner Geschichte der philosophischen Terminologie Mechthilds umfangreiche (neu-)platonische Ansätze Platz noch ihre sokratischen bzw. apologetischen Narrative und Formelschätze, die für eine erschöpfende Terminologie der Philosophie möglicher­ weise von Relevanz gewesen wären. Detailliertere Studien zur Wahr­ nehmung weiblicher Philosophie im Mittelalter gibt es inzwischen einige wenige ; besondere Hervorhebung verdient sicher Isabelle Man­ drellas einschlägiger Aufsatz (vgl. Isabelle Mandrella : »Meisterinnen

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Kommentare und Anmerkungen

ohne Schüler. Philosophierende Frauen im Mittelalter«, in : Schüler und Meister, hg. v. Andreas Speer u. Thomas Jeschke, Berlin/Boston 2016, S. 135 – 156). Auch Theo Kobuschs provokantes Urteil in seiner Philoso­ phie des Hoch- und Spätmittelalters bringt das Bias-Problem Euckens und seiner Zeitgenossen auf den Punkt, ohne ihn namentlich zu apos­ trophieren : »Zur Entwicklung der Philosophie im Mittelalter hat in einem erstaunlich hohen Maße die Frauenmystik beigetragen, die sich selbst fast durchweg als Philosophie verstanden hat. […] Was die gro­ ßen Mystikerinnen des 13. Jh.s in ihren Werken inhaltlich auf die Beine stellten, war ohne Frage eine Art Gegengewicht zu dem Überhandneh­ men der aristotelischen Philosophie. Einige von ihnen fanden denn auch keine Gnade vor den Gerichten der aristotelisch gebildeten oder sonstwie bornierten Betonköpfe. Die meisten Mystikerinnen finden zudem bis auf den heutigen Tag keinen Platz in Philosophiegeschich­ ten, denn Philosophiehistoriker pflegen die Nase zu rümpfen über die Texte der Mystikerinnen – die sie nicht gelesen haben.« (Theo Kobusch : Die Philosophie des Hoch- und Spätmittelalters, München 2011, S. 359). Es soll nun aber nicht der Eindruck entstehen, an Euckens Werk gäbe es ausschließlich Kritik zu üben ; das Gegenteil ist der Fall. Trotz der erwähnten – und vermutlich lediglich aus heutiger Sicht als solche zu benennenden – Defizite ist die Geschichte der philosophischen Terminologie geprägt von einem immensen Wissen und einer bemerkens­ werten Analysefertigkeit. Eucken entsprach einem genius universalis mit ungewöhnlich vielseitigen Kenntnissen nicht nur in der Philoso­ phiegeschichte, sondern auch in verschiedenen Philologien. Dieser un­ geheure Wissensschatz äußert sich in akribisch geführten Wortlisten genauso wie im Einbetten einzelner mittelhochdeutscher Lexeme in einen wort-, fach- und sprachsensiblen Deutungshorizont. Die Termini werden oftmals in kausalem Zusammenhang betrachtet ; Euckens Stu­ dien berücksichtigen die kulturellen Codes der Quellen ebenso wie ihre literarisch-philosophischen Strömungen und Traditionen. Die Geschichte der philosophischen Terminologie ist eigentlich mehr als das : Das Werk ist geprägt von einem heuristischen Ansatz, der die Termi­ nologie der Philosophiegeschichte in ihrer Gesamtheit skizzieren sollte und keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhob. Wird sie als Begriffs­ geschichte und nicht als philologische Sammelarbeit verstanden, lässt sie sich für Forschung aus dem Bereich der Mediävistischen Germa­



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nistik als ein wertvolles lexikographisches Hilfsmittel für philosophi­ sche Fachsprache, als ein Findebuch der Mystik und Scholastik, als ein Quellenverzeichnis mit Erklärungen zu historischem Wortgebrauch und historischer Wortbedeutung nutzen. Da Eucken leider aus seinem Begriffsregister seine deutschen mittel­ alterlichen Begriffsfunde ausklammert und sich in der Liste zur deut­ schen Terminologie auf neuhochdeutsche Begriffe beschränkt, haben wir unsererseits dem Register eine Liste der mittelhochdeutschen und frühneuhochdeutschen Begriffe hinzugefügt. Damit wird der deut­ schen Mediävistik und philosophisch-mystisch fokussierten Sprach­ geschichte ein nützliches zusätzliches Rechercheinstrument zur Ver­ fügung gestellt. * * * 39  Philosophischer Terminus bei Notker für das Zusammen-Vorkommen : »tero diu umbegang habint iro miteuuiste. ih meino daz iouuederez note mit andermo ist eorum enim quae convertuntur se­ cundum essentiae consequentiam.« Vgl. Althochdeutsches Wörterbuch. Auf Grund der von Elias v. Steinmeyer hinterlassenen Samm­ lungen im Auftrag der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig bearb. u. hg. v. Elisabeth Karg-Gasterstädt u. Theodor Frings, Leipzig 1952 – 2015 ff. [ U RL : http  ://awb.saw-leipzig.de/cgi/WBNetz/ wbgui_py ?sigle=AWB&lemma=mitiuuist (abgerufen am 23.03.2022) ]. [ K.Z.-W. ] 40  Philosophischer Terminus bei Notker für Selbstbestimmtheit : »ist nu dehein selbuualtigi unseres uuillen an dirro rihti dero zesami­ ne haftenton urhabo ?« Vgl. Deutsches Rechtswörterbuch. Wörterbuch der älteren deutschen Rechtssprache. Hg. von der Heidelberger Aka­ demie der Wissenschaften. Unveränd. photomechan. Nachdr. der ers­ ten 7 Bän­de bei Hermann Böhlaus Nachfolger Weimar 1998. Bd. XIII Schwefel – Stegrecht, bearb. v. Andreas Deutsch. 2018. Sp. 319. [ K.Z.-W. ] 41  Mhd. anesiht (stF.) bzw. anesihte (stN.) ist nicht hochfrequent, jedoch mehrfach belegt. Die Mittelhochdeutsche Begriffsdatenbank (MHDBDB) listet anesiht zehnmal, dabei sechsmal in den von Wa­ ckernagel herausgegebenen Altdeutschen Predigten, zweimal in Pfaffen Lamprechts Alexander und einmal in der anonymen religiösen Vers­ dichtung Himmel und Hölle. Meist ist damit ›im Angesicht jemandes‹ (meist Gottes) gemeint, das Wort kann aber auch den Anblick einer

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Kommentare und Anmerkungen

Person oder die Augenpartie betreffen. MHDBDB, Lemma anesiht. [ URL : https ://mhdbdb.sbg.ac.at/mhdbdb/App ?action=Dic&lid=69414 (abgerufen am 28.03.2022) und vgl. weiters MWB Online, Lemma ane­ siht. URL : http ://www.mhdwb-online.de/wb.php ?buchstabe=A&por­ tion=1620&link_lid=6711000#6711000 (abgerufen am 28.03.2022) ]. [ K.Z.-W. ] 42  Eine begriffs-/terminologiegeschichtlich einschneidende und wegweisende Entscheidung Euckens betrifft seine umfassende Ein­ beziehung der Sprache der Mystik (mit den von Katharina Zeppe­ zauer-Wachauer monierten Einseitigkeiten, vor allem die Nicht-Be­ rücksichtigung der Mystikerinnen betreffend – hier wäre freilich die Quellenlage zu seiner Zeit zu untersuchen). Euckens kenntnisreiche und sprachsensible Würdigung der Mystiker ist wohl vor allem durch die zweibändige Edition mystischer Schriften durch Franz Pfeiffer (Deutsche Mystiker des 14. Jahrhunderts, 2 Bde., Leipzig 1845, 1857) er­ möglicht worden.– In Herman Hirts historischer Darstellung der Ent­ wicklung der deutschen philosophischen Fachsprache wird Euckens diesbezügliche Leistung ebenso gewürdigt, wie auch Fritz Mauthner in seinem Wörterbuch der Sprache der Mystiker viel Beachtung schenkt, vgl. Herman Hirt : Etymologie der neuhochdeutschen Sprache. Darstellung des deutschen Wortschatzes in seiner geschichtlichen Entwicklung, München 1921 (11909), S. 335 – 339 (§ 199 : L. Die Sprache der Philosophie) (000) ; Fritz Mauthner : Wörterbuch der Philosophie. Neue Beiträge zu einer Kritik der Sprache, 2 Bde., München 1910/11. [ G.S. ] 43  Die terminologisch produktive lateinisch-volkssprachliche Kon­ kurrenz und das Nebeneinander von Latein und Volkssprache hat Su­ sanne Koebele breit untersucht und pointiert analysiert, vgl. Susanne Koebele : Bilder der unbegriffenen Wahrheit. Zur Struktur mystischer Rede im Spannungsfeld von Latein und Volkssprache, Tübingen/Basel 1993, Teil 1, Kap. II, S. 32 ff. : »Latein und Volkssprache in der Mystik. Zum konkurrierenden Sprachstatus«, sowie ebd., Teil 2, Kap. II : »abgescheidenheit. Unio und sprachlicher Ausdruck bei Meister Eckhart«, S. 123 ff. Koebele hebt auch die starke Bedeutung der Metaphorik in der mystischen Begriffsbildung hervor – ein Thema, das Eucken epochen­ übergreifend intensiv beschäftigt hat. [ G.S. ] 44  Eine solche Untersuchung wurde 2003 von Alessandra Beccarisi durchgeführt, vgl. Alessandra Beccarisi : »Philosophische Neologismen



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zwischen Latein und Volkssprache : ›Istic‹ und ›Isticheit‹ bei Meister Eckhart«, in : Recherches de Théologie et de Philosophie Médiévales 70 (2003), S. 329–358. [ K.Z.-W. ] 45  Darüber hinaus verwendet Meister Eckhart barmherzecheit, blôzheit, drîvaltekeit, einförmicheit, gebornheit, gerehticheit, gesuntheit, gropheit, heilecheit, isticheit (=essentia), juncvröuwelicheit, kranc­ heit, minneclîcheit, nôtwârheit, rîcheit, sælekeit, stilleheit, süeʒecheit, tôrheit, übervlüzzecheit, ungelîcheit, ungeschaffenheit, unstætecheit, unwiʒʒenheit, vihelîcheit, viuhtecheit, wîsheit, zuovellicheit. [ K.Z.-W. ] 46  »dû hâst aber wol gesehen in einem abgezogenen / bilde die wâr­ heit in einem glîchnisse.« Deutsche Predigten Meister Eckharts. Eine Auswahl. Auf der Grundlage der kritischen Werkausgabe und der Reihe Lectura Eckhardi hg., übersetzt u. kommentiert v. Uta StörmerCaysa, Stuttgart 2001, S. 88, Abs. 5, Z. 4 – 5. [ K.Z.-W. ] 47  »Der vernunft vürwurf und ir enthalt ist wesen und niht zuoval, sunder daz blôz lûter wesen in im selber.« (Predigt 104, Z. 270 – 282) ; »und dâ sprichet si ir wort vernünfticlîche von dem vürwurfe, den si dâ hât.« (Predigt 104, Z. 285 – 286) ; »Und alle die wîle sô daz ist, sô en­ wirt diu vernunft niht enthalten, daz si niht ruowe enhabe als in einem unwandellîchen vürwurfe« (Predigt 104, Z. 314 – 317) ; »Die wîle enwirt diu vernunft niht enthalten in keinem wesenlîchen vürwurfe« (Predigt 104, Z. 324 – 326). Vgl. Meister Eckhart : Die Deutschen und Lateinischen Werke. Meister Eckharts Predigten. Deutsche Werke. Bd. IV, 1 u. 2, hg. v. Georg Steer, Stuttgart 2003. [ K.Z.-W. ] 48  »Diz wort kumet uns gar ebene ze unser rede, die wir ze sprech­ enne hân von der êwigen geburt, diu zîtlich ist worden und noch te­ gelîche geborn wirt in der sêle innerstem und in irm grunde âne al­ len zuoval.« (Predigt 104, Z. 2 – 7) ; »Diu würkende vernunft houwet diu bilde abe von den ûzern dingen und entkleidet sie von materie und von zuovalle und setzet sie in die lîdende vernunft, und diu gebirt ir geist­ lîchiu bilde in sie.« (Predigt 104, Z. 208 – 213) ; »daz werk und diu zît, in der ez geschach, enist noch heilic noch sælic noch guot, wan güete, heilicheit und sælicheit ist ein zuovallender name des werkes und der zît, und enist sîn eigen niht.« (Predigt 105, Version A, Z. 75 – 79) ; »Hie solt dû wizzen, daz rehtiu abegescheidenheit niht anders enist, / wan daz der geist alsô unbewegelich stande gegen allen zuovellen liebes und / leides, êren, schanden und lasters als ein blîgîn berc unbewegelich

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Kommentare und Anmerkungen

ist gegen / einem kleinen winde.« (Von der Abgeschiedenheit, S. 411, Z. 12 – S. 412, Z. 3). Vgl. Meister Eckhart : Die Deutschen und Lateinischen Werke. Meister Eckharts Predigten. Deutsche Werke. Bd. IV,1 u. 2, hg. v. Georg Steer, Stuttgart 2003 ; ders. : Die deutschen und lateinischen Werke. Die deutschen Werke, Bd.  5 : Meister Eckharts Traktate. Hg. u. übersetzt v. Josef Quint, Stuttgart 1963, S, 377–468 (Text, Anmerkun­ gen, Nachtrag) und S. 539–547 (Übersetzung). [ K.Z.-W. ] 49  Der Gegensatz inne belîben – ûzvliezen wird auch von anderen als Meister Eckhart bedient. Anonym etwa in Paradisus anime intelligentis (Paradis der fornuftigen sele) : »daz andere daz sint inblibinde werc des forstentnisses und des willin, wan di blibint inne« (V. 67,23) ; besonders häufig auch in Werken der so genannten Eckhart-Schule, z. B. bei Heinrich Seuse : »heint ein innebliben oder aber ein emziges inkeren wider in úch selben« (V. 431,16). Vgl. Paradisus anime intelligentis (Paradis der fornuftigen sele). Aus der Oxforder Handschrift Cod. Laud. Misc. 479 nach E. Sievers Abschrift hg. v. Philipp Strauch (DTM 30), Berlin 1919 (ND Hildes­ heim 1998. Mit einem Nachwort versehen v. Niklaus Largier u. Gil­ bert Fournier). – Vgl. Heinrich Seuse : Deutsche Schriften, hg. v. Karl Bihlmeyer, Stuttgart 1907 (ND Frankfurt a.M. 1961). Zur Überliefe­ rung vgl. [https ://handschriftencensus.de/werke/714 (abgerufen am 02.05.2022)]. – Vgl. MWB Online, Lemma inne belîben. [URL : http :// www.mhdwb-online.de/wb.php ?buchstabe=I&portion=440 (abgeru­ fen am 02.05.2022)]. [ K.Z.-W. ] 50  Wörter mit ersichtlich lateinischer Herkunft finden sich 878 im Werk Meister Eckharts, dabei mehr als die Hälfte in vollständig latei­ nischer Schreibweise. Suchergebnis gem. Mittelhochdeutscher Begriffsdatenbank (MHDBDB). [ K.Z.-W. ] 51  Zur Geschichte von Person/Persönlichkeit vgl. auch Eucken : GG, in : GW, Bd.  4, S. 351 – 356, sowie Eucken in : Lalande : Vocabulaire […], 2010, S. 759 f. ; Friedrich Adolf Trendelenburg : »Zur Geschichte des Wortes Person«, eingeführt von Rudolf Eucken, in : Kant-Studien 13 (1908), S. 1 – 17. [ G.S. ] 52  Mhd. gelegenheit meint noch die Lage eines Umstandes, den Stand der Dinge. Erst im Fnhd. entsteht unter Einfluss des mhd. Ad­ jektivs gelegenlich (›gelegen‹, ›sich darbietend‹) die heutige Bedeutung. Vgl. Wolfgang Pfeifer et al. : Etymologisches Wörterbuch des Deutschen



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(1993), digitalisierte und v. Wolfgang Pfeifer überarb. Version im Di­ gitalen Wörterbuch der deutschen Sprache [ URL : https ://www.dwds. de/d/wb-etymwb (abgerufen am 23.03.2022) ]. [ K.Z.-W. ] 53  Hier irrt Eucken, wenn er sagt, dass Pflicht erst im 16. Jh. die Be­ deutung von Rechtspflicht, Verpflichtung, Schuldigkeit erlangt. Schon bei Notker ist zu lesen : »sîn testamentum (scriftkebot) daz sint siniu man­ data (flihte).« Die Belege mit der Semantik der Rechtsverpflichtung neh­ men im 12. und 13. Jh. stark zu. Vgl. Deutsches Rechtswörterbuch. Wörterbuch der älteren deutschen Rechtssprache. Hg. von der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Unveränd. photomechan. Nachdr. der ersten 7 Bände bei Hermann Böhlaus Nachfolger Weimar 1998. Bd. X : Notsache bis Ræswa, bearb. v. Heino Speer. 2001. Sp. 954 – 962. [ K.Z.-W. ] 54  Im Mhd. ist mangel bzw. mangelen gar nicht selten. Eine Beleg­ stellensuche in der Mittelhochdeutschen Begriffsdatenbank (MHDBDB) ergibt mit Stand 23.03.2022 in 666 E-Texten 122 Vorkommen des No­ mens und 30 des Verbs. [ K.Z.-W. ] 55  Die Ableitung gevüelunge ist allerdings schon im Mhd. belegt : »in aller gevu lͤ unge mines herzen« (Mechth 5 : 16,3) ; »ein sunderlîch bekentnisse und ein sunderlîch gevulunge« (HvFritzlHl 150,29) ; »ein gefu lͤ en in innewendigem gebruchende innewendiger gefu lͤ ungen der gegenwertikeit gottes in dem geiste« (Tauler 57,6). Vgl. Mechthild von Magdeburg : Das fließende Licht der Gottheit. Nach der Einsied­ ler Handschrift in kritischem Vergleich mit der gesamten Überliefe­ rung hg. v. Hans Neumann, Bd.  1 : Text, besorgt v. Gisela VollmannProfe (MTU 100), München/Zürich 1990 ; Hermann von Fritzlar : Das Heiligenleben, in : Franz Pfeiffer (Hg.) : Deutsche Mystiker des 14. Jahrhunderts, Bd.  1, S. 1 – 258 ; Die Predigten Taulers. Aus der Engelber­ ger und der Freiburger Handschrift sowie aus Schmidts Abschriften der ehemaligen Straßburger Handschriften hg. v. Ferdinand Vetter (DTM 11), Berlin 1910 (ND Dublin/Zürich 1968). Recherche via MWB Online, Lemma gevüelunge. [ U RL : http ://www.mhdwb-online.de/ wb.php ?buchstabe=G&portion=2840&link_lid=59490000#59490000 (abgerufen am 23.03.2022) ] [ K.Z.-W. ] 56  Mhd. argument findet sich bereits vor Paracelsus : »Und lêre si denne ein argument« (Renner 17569) ; »wan uns was in diseme vlîze des argumentis niht zu swîgene den sûchinden (EvBeh 8) ; Aristotyles [ ... ], / der warheit durch argumente / gar wol hait erkennet« (Pilgerf.

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Kommentare und Anmerkungen

1618) ; »obe ich durch argumente / die lude wolde dun verstan« (Pilgerf. 2811) etc. Vgl. Der Renner von Hugo von Trimberg, hg. v. Gustav Ehrismann, 4 Bde. Tübingen 1908 – 1911 (ND Berlin 1970. Mit einem Nachwort und Ergänzungen v. Günther Schweikle) ; Des Matthias von Beheim Evangelienbuch in mitteldeutscher Sprache. 1343, hg. v. Rein­ hold Bechstein (Mittheilungen der Deutschen Gesellschaft zur Erfor­ schung Vaterländischer Sprache und Alterthümer in Leipzig 3), Leipzig 1867 (ND Amsterdam 1966) ; Die Pilgerfahrt des träumenden Mönchs. Aus der Berleburger Handschrift hg. v. Aloys Bömer (DTM 25), Ber­ lin 1915. – Zitate der mfrz. Quelle folgen der Ausgabe : Le pelerinage de vie humaine de Guillaume de Deguileville, hg. v. J[ ohann ] J[ a kob ] Stürzinger (Roxburghe Club [ 124 ]), London 1893. Recherche via MWB Online, Lemma argument. [ U RL : http ://www.mhdwb-online.de/ wb.php  ?buchstabe=A&portion=2080&link_lid=8976000#8976000 (abgerufen am 23.03.2022) ] [ K.Z.-W. ] 57  Mhd. fantasîe (›Einbildung‹, ›Trugbild‹) findet sich bereits vor Paracelsus : »Sprich diner fantasien zu« (FR1, V. 3,4,1) ; »der sêl / kraft, die dâ haizt fantastica oder imaginaria« (KVM, 1,10,23–24). Vgl. Frau­ enlob (Heinrich von Meissen). Leichs, Sangsprüche, Lieder. 1. Teil : Ein­ leitungen, Texte. Auf Grund der Vorarbeiten von Helmuth Thomas hg. v. Karl Stackmann u. Karl Bertau, Göttingen 1981 ; Konrad von Me­ genberg : Das Buch der Natur : die erste Naturgeschichte in deutscher Sprache, hg. v. Franz Pfeiffer, Stuttgart 1861 (ND 1962, Hildesheim/ New York 1971, 1994). Recherche via Mittelhochdeutsche Begriffsdatenbank (MHDBDB), Lemma fantasîe. [ U RL : http ://mhdbdb.sbg.ac.at/ mhdbdb/App ?action=Dic&lid=29969 (abgerufen am 23.03.2022) ]. [ K.Z.-W. ] 58  Paracelsus, Practick, Theorick, vgl. J. K. Proksch : Paracelsus als medizinischer Schriftsteller. Eine Studie, Wien/Leipzig 1911, zit. aus Paracelsus’ Schrift über die Frantzösische Krankheit, 1530 : (vgl. Proksch, a. a. O., S. 13) : »Die ›Theorick‹ und ›Practick‹ dieser Krankheit könne überhaupt ›on grosse Erfarenheit der Astronomey nicht besche­ hen.‹« – Ausg. 1552 (001), vgl. z. B. Scan 47 – zu theoretisch/praktisch vgl. auch Eucken GG, in : GW, Bd, 4, S. 34 ff. [ G.S. ] 59  Vgl. hier u.a. Massimo L. Bianchi : Natura e sovrannatura nella filosofia tedesca della prima età moderna. Paracelsus, Weigel, Böhme, Florenz 2011 (Lessico Intellettuale Europeo, 112). [ G.S. ]



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60  Mhd. mitelîden (stN. und stV.) sowie mitelîdunge (stF.) meinen durchaus auch Mitleid bzw. mitleiden, gemeinschaftlich leiden im heu­ tigen Sinne. Eucken kommt mehrfach und deutlich darauf zu sprechen, dass dies nicht der Fall sei (»Wenn sich z. B. bei ECKHART miteliden findet, so ist dabei nicht an den spezifischen Begriff des Mitleids als Unlustempfindung in Folge innerer Teilnahme zu denken«, s. o., S. 210), doch dieser Rückschluss entbehrt jeder Grundlage. Beispiele : »[ da ] vile sy dem patron des schiffes für die füsse und erzelet im ir / grosses un­ gefell und / pat sÿ ir parmherczig zuo sein daz ir leÿb / unvermeÿliget beleiben möchte / und bezwang sÿ mit iren vernüfftigen worten / das keiner under in was der nit eyn mitleÿden mit ir hette.« (Apollonius von Tyrus, S. 117, r3–v3) ; »so hett er ain mittlyden und stat im by mit rat und/ hilff « (Facetiae Latinae et Germanicae, S. 118, r9–r10) ; »wel­ ches menschen prüst mag so eýsenen gesein, / welichs hertz so steinen, das es nit erseüfftze, clag vnd waine seiner / eltern, freünde vnd gün­ ner kranckheit, / tode oder / widerwertigkeit vnd nit mitleýden hab ?« (Ehebüchlein, Teil 3, S. 47, 2, B27 – S. 48, 2, A2) ; »hab / mitleiden mit den betrübten wilt du lang jung erscheinen so / vertreib groß sorg.« (Lehre und Unterweisung, S. 13, r7–r9). Heinrich Steinhöwel : Apollonius von Tyrus. Historia Apollonii regis Tyri, Augsburg, Johann Bämler, 1476. E-Text aus der MHDBDB auf Basis der elektronischen Edition hg. v. Angus Graham (o. J.). – Augustin Tünger : Facetiae Latinae et Germanicae, hg. v. Adelbert von Keller, Facetiae (Bibliothek des Litterarischen Vereins in Stuttgart ; Bd.  118). Tübingen 1874. – Deutsche Schriften des Albrecht von Eyb, Erster Band : Das Ehebüchlein, hg. v. Max Herrmann, Berlin 1890 (= Schriften zur germanischen Philologie, 4). – Augsburger Sittenlehre : Lehre und Unterweisung, Augsburg, Johann Bämler, 1476. E-Text aus der MHDBDB auf Basis der elektronischen Edition hg. v. Angus Graham (o.J.). [ K.Z.-W. ] 61  Mhd. umbestandunge (circumstantia) existiert bereits im Mit­ telhochdeutschen/Frühneuhochdeutschen, jedoch sind die Belege rar und erst ab dem 14. Jh. breiter auszumachen. [ K.Z.-W. ] 62  Die konträren Nomina Lust (mhd. lust) – Unlust (mhd. unlust) sind bereits im Mittelhochdeutschen vorhanden. Im Korpus der Mittelhochdeutschen Begriffsdatenbank (MHDBDB) finden sich 437 Belege für lust, 18 für unlust. Im Ackermann aus Böhmen (entstanden um 1400) wird sogar das Gegensatzpaar thematisiert : »Alle jrdische

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Kommentare und Anmerkungen

lieb / muß zu leyde werden·/ Leyt ist liebes ende·/ der frew­ den ·/ Nach lust verlust muß kommen·/ Willens ende ist vnwillen«· (Kapitel XII, 14–19). Zitiert nach : Johannes de Tepla, Civis Zacensis : Epistola cum Libello ackerman und Das büchlein ackerman, Berlin/New York 2011. [ K.Z.-W. ] 63  Zur Terminologie Wolffs vgl. u. a. Pietro Pimpinella : Wolff e Baumgarten. Studi di terminologia filosofica, Florenz 2005 (LIE 100), sowie Wolfgang Walter Menzel : Vernakuläre Wissenschaft. Christian Wolffs Bedeutung für die Herausbildung und Durchsetzung des Deutschen als Wissenschaftssprache, Tübingen 1996. [ G.S. ] 64  Mhd. ûʒdruc gibt es bereits bei den Mystikern des 14. Jh.s, kon­ kret bei Hermann von Fritzlâr : »di phantasîe und di bildende kraft dî mugen wol valsche bilde wirken und valschen ûʒtruc haben« (S. 129,29). Vgl. Franz Pfeiffer : Hermann von Fritzlar, Nicolaus von Strassburg, David von Augsburg. In : Deutsche Mystiker des vierzehnten Jahrhunderts, hg. v. Franz Pfeiffer, Bd.  1, Leipzig 1845 (001). [ K.Z.-W. ] 65  Es ist korrekt, dass mhd. bildunge häufig ›Abbild‹ oder ›Eben­ bild‹ meint, was sich bereits in ahd. bildunga (›Abbild‹) zeigt. Schon Notker verwendet es aber für lat. imaginatio als ›Vorstellungskraft‹. Diese Bedeutung als ›Vorstellungs-‹, ›Einbildungskraft‹ oder ›Fanta­ sie‹ findet sich ebenso im Mittelhochdeutschen, insbesondere bei den Mystikern (Eckhart, Tauler, Seuse etc.). Heinrich der Teichner verwen­ det pildung für ›Gleichnis‹ oder ›Beispiel‹ ; eine philosophische Anwen­ dungsform, die der heute gebräuchlichen bereits nahekommt : »des wil ich ew pildung sagen : / wer seinen nächsten hat erschlagen,/ der muß darumb leiden ser« (V. 697,33). Vgl. Die Gedichte Heinrichs des Teichners, hg. v. Heinrich Niewöhner, 3 Bde. Berlin 1953 – 1956. Vgl. weiters MWB Online, Lemma bildunge. URL : http ://www.mhdwb-online.de/ wb.php ?buchstabe=B&portion=2520&link_lid=20460000#20460000 (abgerufen am 28.03.2022). [ K.Z.-W. ] 66  Das seltene Wort ergëbnusse war tatsächlich noch nicht im Sinne von ›Resultat‹ in Gebrauch, sondern meinte einen Gegenstand, der übergeben wird, bzw. eine Schenkung. [ K.Z.-W. ] 67  Zu Kants Vokabular vgl. vor allem Kant-Lexikon, hg. v. Mar­ cus Willaschek, Jürgen Stolzenberg, Georg Mohr u. Stefano Bacin, 3 Bde., Berlin/Boston 2015 ; auch als einbändige Studienausgabe 2017. [ G.S. ]



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68  An dieser Stelle sei Kants prägnante Einlassung zu seiner ter­ minologischen Praxis – zwischen terminologischem Konservatismus und Neuprägungen sowie Hybridisierungen – in toto zitiert, zumal sie allzu oft übergangen wird (KRV, B 368, A312 f. ; AA III, S. 245 f.) : »Bei dem großen Reichthum unserer Sprachen findet sich doch oft der den­ kende Kopf wegen des Ausdrucks verlegen, der seinem Begriffe genau anpaßt, und in dessen Ermangelung er weder andern, noch sogar sich selbst recht verständlich werden kann. Neue Wörter zu schmieden, ist eine Anmaßung zum Gesetzgeben in Sprachen, die selten gelingt, und ehe man zu diesem verzweifelten Mittel schreitet, ist es rathsam, sich in einer todten und gelehrten Sprache umzusehen, ob sich daselbst nicht dieser Begriff sammt seinem angemessenen Ausdrucke vorfinde ; und wenn der alte Gebrauch desselben durch Unbehutsamkeit seiner Ur­ heber auch etwas schwankend geworden wäre, so ist es doch besser, die Bedeutung, die ihm vorzüglich eigen war, zu befestigen (sollte es auch zweifelhaft bleiben, ob man damals genau eben dieselbe im Sinne ge­ habt habe), als sein Geschäfte nur dadurch zu verderben, daß man sich unverständlich machte. Um deswillen, wenn sich etwa zu einem gewis­ sen Begriffe nur ein einziges Wort vorfände, das in schon eingeführ­ ter Bedeutung diesem Begriffe genau anpaßt, dessen Unterscheidung von andern verwandten Begriffen von großer Wichtigkeit ist, so ist es rathsam, damit nicht verschwenderisch umzugehen, oder es bloß zur Abwechselung synonymisch statt anderer zu gebrauchen, sondern ihm seine eigenthümliche Bedeutung sorgfältig aufzubehalten ; weil es sonst leichtlich geschieht, daß, nachdem der Ausdruck die Aufmerksamkeit nicht besonders beschäftigt, sondern sich unter dem Haufen anderer von sehr abweichender Bedeutung verliert, auch der Gedanke verloren gehe, den er allein hätte aufbehalten können.« – Zu den Begriffsdublet­ ten bei Kant vgl. François Ottmann : »›Daß es also am Ende eben so we­ nig wahre Homonyma als Synonyma giebt.‹ Einige Bemerkungen zum ›Dublettenproblem‹ in der Übersetzung kantischer Texte«, in : Kants Schriften in Übersetzungen, hg. v. Gisela Schlüter unter Mitwirkung von Hansmichael Hohenegger, Hamburg 2020 (AfB, Sonderheft 15), S. 415 – 4 46. Zu Kants terminologischen Entscheidungen vgl. Norbert Hinske : »Kants neue Terminologie und ihre alten Quellen. Möglichkei­ ten und Grenzen der elektronischen Datenverarbeitung im Felde der Begriffsgeschichte«, in : Akten des 4. Internationalen Kant-Kongresses

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Kommentare und Anmerkungen

Mainz, 6.-10. April 1974, Teil I, hg. v. Gerhard Funke u. Joachim Kop­ per, Kant-Studien 65, Sonderheft, 1974, S. 68 ff. ; Thorsten Roelcke : Die Terminologie der Erkenntnisvermögen. Wörterbuch und lexiko­seman­ tische Untersuchung zu Kants Kritik der reinen Vernunft, Berlin/Bos­ ton 1989. [ G.S. ] 69  In den letzten Jahren haben die Terminologien der Naturwis­ senschaften viel Aufmerksamkeit in der begriffsgeschichtlichen For­ schung gefunden. Exemplarisch sei an dieser Stelle verwiesen auf Ernst Müller/Falko Schmieder (Hg.) : Begriffsgeschichte der Naturwissenschaften. Zur historischen und kulturellen Dimension naturwissenschaftlicher Konzepte, Berlin/N.Y. 2008 ; Michael Eggers/Matthias Rothe (Hg.) : Wissenschaftsgeschichte als Begriffsgeschichte. Terminologische Umbrüche im Entstehungsprozess der modernen Wissenschaften, Berlin 2009. [ G.S. ] 70  Im Inhaltsverzeichnis der Erstausgabe ist dieser Teil mit einem abweichenden Titel versehen (Erörterungen zur Geschichte der Terminologie). An diesem Teil orientiert sich Euckens wichtige amerikani­ sche Publikation »Philosophical Terminology and Its History. Expo­ sitory and Appellatory«, in : The Monist 6, H. 4 (July 1896), S. 497 – 515. [ G.S. ] 71  Vgl. Anm. 60 [ K.Z.-W. ] 72  Vgl. Plat. Polit. 308C. [ M.E. ] 73  Vgl. Horst Günther : Art. Optimismus, in : HWPh, Bd.  6, Erst­ beleg 1737 in frz. jesuitischer Polemik gegen die Theodizee von Leib­ niz (ebd., Sp. 1240) ; dann prominente Begriffsverwendung in Voltaire : Candide ou l’optimisme, 1759 ; Pessimismus : Belege schon 1759 in den Debatten um Voltaires Candide und 1776 bei Lichtenberg, vgl. Volker Gerhardt : Art. Pessimismus, in : HWPh, Bd.  7, hier : Sp. 387 ; zu Optimismus/Pessimismus vgl. Eucken : GG, in : GW, Bd.  4, S. 382, Fn 1. [ G.S. ] 74  Diese Formulierung suggeriert, Meister Eckhart habe den Ter­ minus mhd. wirkunge/würkunge erfunden. Eine solche Interpretation ist zumindest mit Vorsicht zu betrachten, denn auch wenn Eckharts Werk zu den frühesten gehört, in denen das Wort Verwendung findet, so ist die Verbreitung regional doch zu breit, um Eckhart untrüglich als alleinigen Urheber ausweisen zu können. So steht es beispielsweise in der Pulkava Chronik, einer deutschen Übersetzung der lateinisch ge­ schriebenen Böhmischen Chronik des Přibík Pulkava von Radenín, ent­



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standen im Auftrag und mit programmatischer Beteiligung des römi­ schen Kaisers und böhmischen Königs Karl IV. Für die Datierung der deutschen Übersetzung fehlen stichhaltige Anhaltspunkte ; es könnte noch das ausgehende 14. Jh. oder das 15. Jh. angesetzt werden. Eine gleichermaßen schnelle wie große Verbreitung des Wortes, sollte es tat­ sächlich Eckhart’schen Ursprungs sein, ist nicht besonders plausibel : »In das werck einen priester, der do vnterweyset sey tzu dem ersten / in den lateinischen puchstaben vnd der do sneyde das newe getreyde / des hertzen der heyden, mit der schare des wortes, das / er genuck sey zu seen den waytz der gutten wurckung.« (Pulkava Chronik, S. 70, Kap. 21, Z. 35, verso – S. 71, Kap. 21, Z. 6, recto). Text aus der Mittelhochdeutschen Begriffsdatenbank (MHDBDB), zur Verfügung gestellt von Vlastimil Brom. Vgl. Vlastimil Brom : Aus der offiziellen böhmischen Historiographie Karls IV. – Die Pulkava-Chronik in drei Sprachversionen. Brünner Beiträge zur Germanistik und Nordistik, 15 [ 24 ], č. 1–2, 2010, S. 5–19. [ K.Z.-W. ] 75  Mhd. gewiʒʒen lässt sich semantisch in die beiden von Eucken genannten Hauptbereiche ›Wissen‹/›Kenntnis‹ und ›moralisches Be­ wusstsein‹ disambiguieren, wobei die Belege auch für die zweite Be­ deutung weiter zurückreichen und recht zahlreich sind. Beispiels­ weise findet das moralisch-ethische Gewissen mehrfach Eingang in die Rechtssumme Bruder Bertholds in der Bearbeitung Johannes’ von Freiburg (Vollendung bis 1298), bei Heinrich Seuse (Ende 13. Jh. bis Mitte 14. Jh.), im Renner des Hugo von Trimberg (Mitte 13. Jh. bis An­ fang 14. Jh.) uvm. Vgl. Die ›Rechtssumme‹ Bruder Bertholds. Eine deutsche abecedarische Bearbeitung der ›Summa Confessorum‹ des Johannes von Freiburg. Synoptische Edition der Fassungen B, A und C, hg. v. Georg Steer, Wolfgang Klimanek, Daniela Kuhlmann, Freimut Löser u. Karl-Hei­ ner Südekum, 4 Bde. (TTG 11–14), Tübingen 1987 ; Sabine Schmo­ linsky : »Johannes von Freiburg«. Verfasser-Datenbank. Berlin/New York 2012 ; Markus Enders : »Seuse, Heinrich«. Verfasser-Datenbank. Berlin/New York 2012 ; Christoph Huber : »Hugo von Trimberg«. Verfasser-Datenbank. Berlin/New York 2012 ; MWB Online, Lemma gewiʒʒen. [ U RL http : //www.mhdwb-online.de/wb.php ?buchsta­ be=G&portion=3100&link_lid=60630000#60630000 (abgerufen am 29.04.2022) ] ; Etymologisches Wörterbuch des Deutschen (1993), digita­

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Kommentare und Anmerkungen

lisierte und v. Wolfgang Pfeifer überarb. Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache [ URL : https ://www.dwds.de/d/wb-etymwb (abgerufen am 29.04.2022) ]. [ K.Z.-W. ] 76  Mhd. îndruc wird vorwiegend von Eckhart und der EckhartSchule (insbes. Heinrich Seuse) benutzt, es gibt aber auch einen Be­ leg bei der Frauenmystikerin Margareta Ebner : »und die vier indrük des namen Jhesus Cristus wurden mir ain wenig mere denne in ainem jar nach anander geben«, V. 130,13. MWB Wörterbuch : »Bildspender scheint der Abdruck eines Siegels oder die Prägung einer Münze zu sein. ›Prägung, bleibende Spur, wesensmäßige innere Veränderung‹«. MWB Online, Lemma îndruc. [ URL : http ://www.mhdwb-online.de/ wb.php ?buchstabe=I&portion=260&link_lid=82017000#82017000 (abgerufen am 29.04.2022) ]. – Vgl. Offenbarungen der Margaretha Ebner, in : Philipp Strauch : Margaretha Ebner und Heinrich von Nördlingen. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Mystik, Freiburg/Tü­ bingen 1882 (ND Amsterdam 1966), S. 1 – 166. – Vgl. außerdem S. 148, Fn. D. [ K.Z.-W. ] 77  Zu Bewusstsein (in Abgrenzung gegen Gewissen) Eucken in La­ lande : Vocabulaire technique et critique […], 2010, S. 173 : »Sur Conscience : – Bewusstsein (conscience psychologique) et Gewissen (con­ science morale), correspondant à l’anglais consciousness et conscience, ont été pour la première fois distingués en allemand par Wolff. Sur l’histoire de ces mots, on peut consulter avec fruit Siebeck, Geschichte der Psychologie, t. I.« Zur Ausdifferenzierung von conscientia vgl. auch Roberto Palaia (Hg.) : ›Coscienza‹ nella filosofia della prima modernità, Florenz 2013 (LIE 119), sowie, neben den einschlägigen Artikeln im HWPh, auch Étienne Balibar : Art. Conscience, in : Barbara Cassin (Hg.) : Vocabulaire européen […], 2004, S. 260 – 274. [ G.S. ] 78  Zu Monismus vgl. Horst Hillermann : »Zur Begriffsgeschichte von Monismus«, in : AfB 20 (1976), S. 214 – 235, sowie Eucken, GG, in : GW, Bd.  4, S. 187 ff. [ G.S. ] 79  Mhd. natûren : ›natürlich schaffen, bilden‹ bzw. genatûret (Part.Adj.) : ›natürlich/von der Natur beschaffen sein‹. [ K.Z.-W. ] 80  Der hier von Eucken angeführte mhd. Phraseologismus zît unde stat ist nicht so umfassend belegbar, wie es suggeriert wird, und vor allem ist es nicht ›das Mittelalter‹, das ihn benutzt, sondern ein sehr eingeschränkter Kreis rund um Meister Eckhart. In Fried­



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richs Phraseologischem Wörterbuch des Mittelhochdeutschen kommt die Formulierung gar nicht vor ; im Korpus der Mittelhochdeutschen Begriffsdatenbank (MHDBDB), das 666 Werke umfasst, lediglich in vier Quelltexten jeweils spirituellen bzw. häufig ›Eckhart’schen‹ Ur­ sprungs : 3x bei Meister Eckhart (13./14. Jh.), 2x bei Frauenlob (13. Jh.), 2x bei Augustin Tünger (15. Jh.), 1x in einer Johannes von Sternengas­ sen zugeschriebenen Predigt (LXV, hg. v. Wackernagel). Insbesondere im Werk Frauenlobs (Heinrichs von Meißen) glaubt die Forschung, Spuren der Terminologie Meister Eckharts zu identifizieren. Johannes Korngin von Sterngassen wird ebenfalls der Eckhart-Schule zugerech­ net. Vgl. Jesko Friedrich : Phraseologisches Wörterbuch des Mittelhochdeutschen. Redensarten, Sprichwörter und andere feste Wortverbindungen in Texten von 1050–1350. Tübingen 2006 ; Altdeutsche Predigten und Gebete aus Handschriften. Gesammelt und zur Herausgabe vorbereitet v. Wilhelm Wackernagel, hg. mit einem Vorwort von M. Rieger, Basel 1876. Digitalisat der Erstauflage verfügbar via archive.org (000) ; Volker Hone­mann : »Johannes von Sterngassen«. Verfasser-Datenbank. Ber­ lin/New York 2012. [ K.Z.-W. ] 81  Mhd. warumbe (Nom.) : ›das Warum‹ (der Zweck, das Ziel). Aus­ geprägt bei Meister Eckhart, z. B. : »ûzer disem innersten grunde solt dû würken / alliu dîniu werk sunder warumbe.« Deutsche Predigten Meister Eckharts. Eine Auswahl. Auf der Grundlage der kritischen Werk­ ausgabe und der Reihe Lectura Eckhardi hg., übersetzt u. kommentiert v. Uta Störmer-Caysa. Stuttgart 2001, S. 90, Abs. 5, Z. 9 – 12. [ K.Z.-W. ] 82  Vgl. André Robinet : »Subjectivité ou subjectivité du cogito Leibnizien ?«, in : Renato Cristin (Hg.) : Leibniz und die Frage nach der Subjektivität. Leibniz-Tagung Triest 11. bis 14.5. 1992, Stuttgart 1994 (Studia Leibnitiana. Sonderhefte, 29), S. 47 – 62. »Je demande encore aujourd’hui que l’on me procure une occurrence de subjectivité ou de subjectivitas ou de Subjectivität dans l’œuvre de Leibniz, s’il est vrai que l’on trouve quelques emplois logiques et psychologiques du quali­ ficatif subjectif.« Ebd., S. 47. [ G.S. ] 83  Mhd. verstandnisse meint bei Eckhart allerdings (auch) den Ver­ stand, nicht nur das Verständnis : »Dô enworhte weder gehugnisse noch verstantnisse noch sinne noch ouch die krefte, die irn învluz in der wîse solten haben, daz sie den lîchamen solten vuoren und zieren.« (Predigt 101, Z. 273 – 276) ; »Alle die wârheit, die alle meister ie gelêrten mit irer

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Kommentare und Anmerkungen

eigen vernunft und verstantnisse oder iemer mê suln biz an den jün­ gesten tac, die enverstuonden nie daz allerminste in disem wizzenne und in disem grunde.« (Predigt 101, Z. 444 – 459). Meister Eckhart : Die Deutschen und Lateinischen Werke. Meister Eckharts Predigten. Deutsche Werke. Bd. IV, 1 u. 2, hg. v. Georg Steer, Stuttgart 2003. [ K.Z.-W. ] 84  Nicht ganz zutreffend, vgl. z. B. Ulrich von Etzenbach (mutmaß­ lich der erste deutschsprachige Dichter Böhmens) im Alexander : »als ist dem vertorben, / der an êren ist erstorben, / der sîn deheine vüele hât, / waz der lîp schanden begât.« (V. 1475 – 1478). Ulrich von Eschen­ bach : Alexander, hg. v. Wendelin Toischer. Tübingen 1888. Zur Per­ son Ulrichs vgl. Hans-Joachim Behr : »Ulrich von Etzenbach«. Verfasser-Datenbank. Berlin/New York 2012. – Zu gevüelunge vgl. Anm. 55. [ K.Z.-W. ] 85  Das ist nicht korrekt. Mhd. entvindunge/enphindunge findet sich z. B. bei David von Augsburg : »als von dem hovpt flivzzet in div geli­ der rvrvnge vnd enphindvnge, also flivzzet vns von Ihesv Cristo al­ liv geistlichiv tvgent vnd gnade in alliv div gelider der christenheit« (V. 196) ; Heinrich Seuse : »als die sternen klein schinent und doch gross sint, also son dinú liden klein schinen vor ungeu pͤ ter menschen ogen, dú doch na eigenr enpfindung dir gross werden ze tragene« (V. 56,25) ; Berthold von Regensburg : »sô hât ez [ holz unde krût ] allez wesen unde leben ; ez hât aber niht enpfindunge unde vernunft.« (Bd.  1, V. 375,22) etc. – Vgl. Sister Francis Mary Schwab : David von Augsburg’s ›Paternoster‹ and the Authenticity of his German Works (MTU 32), München 1971 ; Heinrich Seuse : Deutsche Schriften, hg. v. Karl Bihlmeyer, Stutt­ gart 1907 (ND Frankfurt a.M. 1961) ; Berthold von Regensburg, voll­ ständige Ausgabe seiner Predigten, Bd.  1 : mit Anm. und Wörterbuch v. Franz Pfeiffer, Wien 1862, Bd.  2 : nebst Einl., Lesarten u. Anm. v. Jo­ seph Strobl, Wien 1880 (ND Berlin 1965). MWB Online, Lemma entvindunge. [ K.Z.-W. ] 86  Vgl. hingegen Anm. 55. 87  Zu Gemüt : vgl. Denis Thouard : Art. Gemüt, in : Barbara Cassin (Hg.) : Vocabulaire européen […], 2004, S. 493 – 495. [ G.S. ]

A N H A NG

Transkription des Korrekturexemplars im Rudolf-Eucken-Archiv in Jena* Euckens Kurrentschrift ist z. T. nachlässig und schwer entzifferbar. Daher sind im Folgenden einzelne Lücken der Transkription auf Grund von Unleserlichkeit und einzelne Konjekturen durch eckige Klammern markiert. Seitenangaben zu Euckens Zusätzen und Anmerkungen beziehen sich auf die Paginierung der EA 1879, welche in der vorliegenden Ausgabe am Rand verzeichnet ist; die überarbeiteten Seiten der EA sind mit einem nachgestellten Asterisk versehen. Die Zuordnung von Euckens Zusätzen zu den Zeilen bzw. Abschnitten der jeweiligen Seite ist nur ausnahmsweise eindeutig, oft beziehen sich längere Blöcke seiner Zusätze auf die gesamte Seite der EA oder einzelne Abschnitte oder Sätze der jeweiligen Seite. Wo die Zuordnung der handschriftlichen Zusätze eindeutig ist, werden im Folgenden auf die Paginierung und die Zeilen der EA bezogene Zeilenangaben gemacht. Aus Gründen der Raumersparnis werden die einzelnen Zusätze, Anmerkungen und Korrekturen Euckens als fortlaufender Text präsentiert. Einzelne zeilenübergreifende zusammengehörige Zusätze und Anmerkungen (Zeilenarrangement im Korrekturexemplar durch Schrägstriche markiert) werden durch Gedankenstriche voneinander getrennt, die einzelnen Notate jeweils mit einem Punkt abgeschlossen. Die Notate des Korrekturexemplars konnten nicht in den Anmerkungsapparat des Textes der Geschichte der philosophischen Terminologie eingearbeitet werden. *  Vgl. Eucken, GW, Bd. 14: Dathe, Uwe, Nachlassverzeichnis (2011), 2. 11: Handexemplare eigener Veröffentlichungen [ S. 351 ff. ]. Diese Exemplare werden nicht in Kästen aufbewahrt, sondern stehen beim Nachlass. Geschichte der philosophischen Terminologie. Durchschossenes Ex. mit handschr. Anmerkungen. – Die Transkription wurde besorgt von Gisela Schlüter und Elisa Memaj (Erlangen), die griechischen Teile wurden von Jonathan Roller (Erlangen) transkribiert.

322 Anhang

* * * [ zwischen Inhaltsverzeichnis und Vorbemerkungen ] Nachträglich zu benutzende Werke./ Vocabulary of the philosophical sciences / von Fleming (verschiedene Ausgaben, s. / Journal of speculative philosophy 1878 IV). – Walch IV Ausg. von Hennings (verif. / d. Bibliothek). – Wolff sämmtl. Werke. – Thucydides bemerkt über viele seiner Zeit-/genossen III 82: τὴν εἰωθυῖαν ἀξίωσιν / τῶν ὀνομάτων ἐς τὰ ἔργα ἀντήλλαξαν / τῇ δικαιώσει. (angef. von xxx [ Cajus? Bajus? Bagus? ] Antik. 43). – Lichtenberg II 139: Man muß zuweilen / wieder die Wörter untersuchen, denn die / Welt kann wegrücken, und die Wörter / bleiben stehen. Also immer Sachen und / keine Wörter! Denn sogar die Wörter / unendlich, ewig, immer haben ja ihre / Bedeutung verloren. – Kant III, 256, 264. – Ausdruck: / rechtfertigt / also. – [ zu Beginn der Vorbemerkungen, S. *1 ] Termini, die aufzuführen: – Erkenntnißheorie, Nihilist, Ontolog. Beweis, Absolut (in speculat. Bedeut.) [ evtl. zu Z. 10 ] – κοσμοπολίτης (s. Diogenes). – functio (technisch, untechnisch schon bei d. röm. Classikern). [ zu S.  *8, vor Beginn des Kapitels Gesamtgeschichte der philosophischen Terminologie ] Interessant z.B. was alle Richtungen einer Zeit / gemeinsam [ fordern ] / z.B. jetzt: Anschauung, Auffassung, Gesichtspunkt [ zu S.  *11, Z. 31 :]  aufstrebend [ statt: sich aufringenden ] [ zu S.  *14, Z. 7: ]  über ἀρχή bei Anaximander s. Zeller / I 203. [ zu S.  *15, Z. 12 ff. ] Auch noch bei Aristoteles (z.B.) 277a12 [ 62? ] / ἀνάγκη = zwingender Grund, 287b34.



Transkription des Korrekturexemplars 323

[ zu S.  *16 ] Wildauer d. Psychol. u. Wildauer II Plato’s Beg. [ zeichnet ] / frühes was neu und Begriffe bei Plato auf: / keiner d. 4 Hauptaffekte, s. S. 6, 7 – 12. δύναμις bezeichnet bei Plato wohl Möglichkeit, aber / niemals Möglichkeit im Sinne des aristot. δυνάμει ὄν. – 22. der Begriff einer potentia ad plura, wie die Scholasti-/ ker sich ausdrückten, findet sich nicht erst bei Aristoteles, / sondern schon bei Platon, ja selbst bei Sokrates. – 32. Mangel zusammenfassender Namen bei Plato, der / Grund mag, abgesehen von der mangelhaften Entwick-/lung der Psychologie, vorzüglich darin liegen, daß Pla-/to vom metaphysischen und ethischen Standpunkt aus / zugleich höheres Interesse hatte, das Unterscheidende wie / das Gemeinsame hervorzuheben…– 36 der Ausdruck »Seelenvermögen« in der Mehrzahl / δύναμις τῆς ψυχῆς erst bei Aristot (414a29, 31) / nicht bei Plato. – 55. Plato Stammvater des Begriffs des »Triebes«. – 58 φιλία (als aufs Allgemeine gehend) bestimmt / von der Begierde oder konkreten Gestaltung abgeschieden. – 127 über Liebesleiter (ἀναβασμοί) Symp. 210, 211 A, B, C). – 159. daß Plato in der Lehre von der ἕξις ein Vor-/läufer des Aristoteles. – 130 bei Plato Unterscheidung der mathemat. u. psychol. / Nothwendigkeit (γεωμετρικαί - ἐρωτικαὶ ἀνάγκαι). / rep. V 458 0. [ zu S.  *21 oben ] Zwischen Plato u. A.: / Stilpo: ἀπάθεια technisch / Antisthenes τὸ τὶ ἦν ἢ ἔστι δηλῶν [ zu S.  *22, Z. 17 ff.: ]  Wäre etwas genauer auszuführen [ zu S.  *22 :]  292a19 d. Sterne als μονάδες bezeichnet [ Jonathan Roller konnte die Stelle bei Aristoteles 292a, Z. 19 ausfindig machen, ihm verdankt sich die Lesart Sterne ] [ zu S.  *25, 2. Abschnitt ] Einen Ausdruck für reale (nicht bloß logische) / Folge hat Aristo­ teles nicht. 78a29, b12 drückt / eine Wirkung aus τὸ μὴ αἴτιον, τὸ ἀναίτιον.

324 Anhang

[ zu S.  *25, 3. Abschnitt ] Sprachgebrauch von ἡ φύσις / Vielleicht κάθαρσις (vergl. Bernays) zu erwähnen. – noch Wildauer II 36 d. Ausdruck Seelen [-] / vermögen im Plural δυνάμεις τῆς ψυχῆς / zuerst bei Arist. 414a 29,31. / ἐθισμός [ zu S.  *28, 2. Abschnitt ] ? ältere peripatet. Schule? – ὑποθετικός s. Prantl (auch I 522). [ zu S.  *31 ] διεζευγμένον (disjunctivum) / S. Prantl I 446. – τὸ ὑπάρχον [ verschmiert ] Objekt. – ἐνάργεια [ zu S.  *33, 2. Abschnitt ] Sextus Πυρρ. ὑποτυπώσεις [ = Πυρρώνειαι Ὑποτυπώσεις, lateinisch Pyrrhoniae Hypotyposes ] S. 100: περιστάσεις / λεγόντων ἡμῶν τὰς διαθέσεις. [ zu S.  *35 ] ἐνέργειαι (als Gegensatz von ποιότητες) / im Plural wohl zuerst von Plotin. / Zeller I 806. Nach David Schol. in Arist. / 14b12 soll Demokrit den Menschen / einen μικρὸς κόσμος genannt haben. [ zu S.  *46: ]  γνῶσις selbst, dafür σοφία etc. (s. Überweg) [ zu S.  *47, Z. 7 ff. ] Hier eine zusammenfassende Würdigung und / auch eine Anzeigung der Mißverständnisse nöthig, / welche nahe liegen. [ zu S.  *49: ]  S. über disjunctivus u. hypotheticus Prantl / I 522 [ zu S.  *50, Fn. 2 ] dann Differenzierung, in der propos. Urtheil als / Theil eines Schlusses. [ zu S.  *51, oben: ]  s. u. Platon.



Transkription des Korrekturexemplars 325

[ zu S.  *52 ] Revue critique 1880 [ Rezension von Euckens Geschichte der philosophischen Terminologie ] pg. 3 für Cicero / »grenzenlose Unbestimmtheit«. On ne sau-/rait nier qu’elle ne soit généralement vague et / obscure. Et elle devait l’être, dès qu’il vou-/lait rendre en bon latin la terminologie / de la philosophie grecque. / allgemein il faut se poser la question: une / technologie quelconque est-elle susceptible d’être / traduite? Je crois qu’on ne peut que la trans-/ porter. Traduire, c’est rendre par des équivalents / qui ne peuvent qu’être inexacts et ambigus, qui / ne peuvent pas réveiller immédiatement / les idées mêmes attachées au mot traduit, et / seulement celles-là. – relatio bei Tacitus technisch »Relatio« (!) / s. annal. II 38, III 53. – individuus unzertrennlich Tac. ann. VI 16 [ zu S.  *54, Mitte ] s. d. Programm von Gauschild. – Tacitus annal. XI 3 liberum mortis / arbitrium. – Bayle II 620b führt auch apolog. II an: / hesterni sumus et vestra omnia implevimus. [ zu S.  *55 ] Augustin I 345d (de Musica) sagt: non sunt / contemnenda vetusta vocabula, nec facile a con-/suetudine recedendum, nisi quae rationi ad-/versatur. [ zu S.  *57 ] nach Grabmann d. Geschichte d. / scholast. Methode (1909) S. 157 hat Boethius folgende Übersetzungen / arist. Termini: actus ἐνέργεια, species / εἶδος, principium (ἀρχή), universale / (καθ’ ὅλον), affirmatio (κατάφασις), negatio / (ἀπόφασις), dubi­tatio (ἀπορία), differentia / (διαφορά), divisio (διαίρεσις), a­ ccidens / (συμβεβηκός), contingens (ἐνδεχόμενον), / appositio (πρόσθεσις), potentia (δύναμις), / subjectum (ὑποκείμενον), speculatio / (θεωρία), definire (ὁρίζεσθαι), determinare / (προσδιορίζεσθαι, διορίζεσθαι), aequivocum / (ὁμώνυμον), contradictio (ἀντίφασις), / contradictorie (ἀντιφατικῶς), contraria / (ἐναντία), contrarie (ἐναντίως), convertitur / (ἀντιστρέφει), alteratio (ἑτερότης)

326 Anhang

[ zu S.  *65, Z. 15: ]  actualis schon bei Macrobius [ zu S.  *66, ab Mitte ] 1882 Gesammtausgabe von Bona-/ventura (studio et cura pp Collegii a / S. Bonaventura) / Bonaventura (op. theol. II S. 49) / per consequens / potentialis I 357 [397?] / theosophia / ramificatio öfter / manevium [ manerium? ] / intuitiva cognitio / visio intellectualis / synderesis / tendentia = Streben II 461b, 463b / inhaerentia II 462b (Anhang) / quietationes desiderii II 463b / influentia (II 463b), actualiter / stulta sapientia / optima stultitia / personalitas (honesta) II 429 / differentia (ae) II 492a [452?] [ zweite Spalte ]: Begriff z.B. / minorem probandam / assumo, / causalitas, / idealis, / actus, / potentia, / actus purus [ zu S.  *67, Mitte ] In dem lat. Aufsatz (aus dem 12. Jahrh.) d. ältesten / Arab. Philos. al-Kindi finden sich die / Ausdrücke: specialitas rerum, quidditas, / formae individuales, causa finalis, via / resolutionis, causa essendi, causa essentialis, / causa accidentalis, constituentia essentiam. – d. spanische Kalifat in Cordova muß aus-/drücklich erwähnt und ausdrücklich hervorgehoben werden. [ zu S.  *69, oben ] Sola naturalia, inductivus (hinzufügend), fidei prae-/ambula, partes subjectivae, partes potentiales, per-/sonalitas, partes integrales, reveritas, prin-/cipium petere (ponit erinnerlich, an einer / Stelle auch concretus – abstractus). – Duns Scotus: univoce, s. Monist 1893 S. 584. [ zu S.  *70 oben ] Raymondus Sabundus: fraternias, Deitas, / Christianitas (Christenthum u. Christenwelt), / prioritas – posterioritas (mortis), inductivum / ad poenitentiam. [ zu S.  *70, Fußnoten ] Revue critique 1880 [ Rez. von Eucken, Geschichte d. philosoph. Terminologie ], S. 5 führt an: / St. Thomas (Summa I q. 2 art. 2) dit:



Transkription des Korrekturexemplars 327

»Duplex / est demonstratio, una quae est per causam, et / dicitur propter quid et haec est per priora sim-/pliciter; alia est per effectum, et dicitur demonstra-/tio quia, et haec est per ea quae sunt priora quoad / nos.« [ zu S.  *79 oben ] Nicht unvernünftig wäre eine zusammenfassende / Behandlung d. Versuche d. Philos., d. Sprache / den neuen Begriffen anzupassen. [ zu S.  *82, letzter Abschn. ] ordo progressivus. – sub specie infinitatis cap. II 16, s. Fal-/ckenberg S. 145.

[ zu S.  *90, letzter Abschn. ]  Notabene Suarez [ zu S.  *94, Z. 19 ] Könnte zu einer kleinen Monographie / verwandt werden. [ zu S.  *98, 2. Abschn. ] Hier ist nothwendig genauer auf d. engl. / Terminologie des 18. Jahrh. einzugehen. / Lichtenberg II 383: »Die Engländer folgen / ihrem Gefühl mehr als andere Menschen, da-/her sind sie so geneigt, neue Sinnen an-/zunehmen, z.B. sense of truth, sense of / moral, sense of beauty.« – Weiter wäre die feinere Distinction der / psychol. Termini zu beachten. – Locke IV 316 hat self consciousness, / moral sense von Hutcheson s. Heft III [ Verweis auf Euckens Manuskripte, vgl. GW 14 ]. [ zu S.  *99 ] Bayle sah einflußreich / scholastisches abgestreift oder als gleichgültig (so / wenn er sagt, daß kein Unterschied zwischen personne, individu, nature / vieles ins Französ. aufgenommen, z.B. spontanéité, velléités, iden-/tité / neu z. B. oder doch bewußter auch / atomistes s.o. wird gebraucht / parties virtuelles / unitaires 674b die nur eine Substanz in d. Natur anerkennen (bloß theolog.) / les Tolérans Schlagwort, z.B. 2 915a [ ? Band-/Seiten-/

328 Anhang

Spaltenangaben hier wie im Folgenden schwer entzifferbar ] / Rigoristes 2 452 [?] in den Niederlanden entstanden, für die Janse­ nisten / point de vue, z.B. 2 483b [?] / vérité de fait 2 988a [?] / wohl colleges rationaux, 2 352 b, aber meist rationaliste[s], auch / wohl naturalistes im [ unleserlich; Grand (?) St(?) ] / Deisme (oft naif) bei Vinet (1511 – 1571) als neues Wort / Unitaires – Dualistes 2 998 eigene Definition. – Schelling XI 279 bemerkt, »daß Leibniz hin-/zugefügt hat, statt: das vollkommenste, oder / gar: das unendliche Wesen, zu sagen: das ab-/solute Wesen« (Es sei ihm allerdings Gior-/dano Bruno vorausgegangen). – Schmid aus / Schwarzenberg führt an (Vorrede VII), daß Tau-/rellus Gott als »absolutissimum« bezeichnet / habe. (notabene: Ausdruck somit älter). – zu Bayle / doch theol. Färbung d. Terminologie / z. B. particulariste – universaliste – précisiste / nicht: rationalist[e], sondern Socinien. [ zu S.  *100 oben ] Leibnitz 147a mutandi leges / Gesetz in d. Veränderung. – Leibnitz hat 469b perfectionner nous/mêmes / öfter perfections  / Lieblingsausdruck dans le fond. – 527a beim Menschen bleiben nicht nur / d. Seele, sondern auch la personalité. –[ zu S. 100, Fußnote 3: Eucken versieht diese Anmerkung zur Einführung von point de vue durch Leibniz mit einem Fragezeichen ]. [ zu S.  *102, ab Z. 26 ] Oft leitet bei Leibnitz der Ausdruck insofern / irre, als die Worte bei ihm einen ganz anderen Sinn als den gewöhnlichen haben, ohne daß dies / deutlich hervortritt. S. necessiter – incliner, / d. Problem nicht gelöst, etwas ganz anderes ge-/meint als zunächst scheint. [ zu S.  *105, Fußnote 3 ] Revue critique 1880 S. 4 [ aus der Rezension von Euckens Geschichte der philosophischen Terminologie ] / C’est à tort que M. E. attribue à Leibnitz la distinction / entre les définitions de nom et les définitions de chose; / elle est développée dans la Logique de Port-Royal.



Transkription des Korrekturexemplars 329

[ zu S.  *111 oben ] Hier wären an neuen Erscheinungen zu würdigen: / a. d. Positi­ vismus / b. die Einflüsse des Subjektivismus / Ausdrücke wie Anschauung, Auffassung usw. [ zu S.  *112 oben ] Es wäre nicht unwichtig für die Hauptrichtungen / darzulegen, welche sich zu d. neuen Termino-/logie zwingen [ Lesart unsicher ], sowie daranknüpfend die Irrun-/gen, welche von da der begriffl. Arbeit er-/wachsen. [ zu S.  *114 oben ] s. Dunger (Geschichte der Verdeut-/schung von Fremdwörtern) [ zu S.  *116 ] Notker herausgeg. von Paul Piper I / (Einl. zu philos. Schriften) / (Mohr in Freiburg) / Über Notkers philos. Ausdrücke eine / lat. Schrift von Keller / auch die Münchener Akad. darüber / eine Abhandl. [ zu S.  *120 ] stetekeit 668 23 / (wirklich scheint noch im 18. Jahrh. andere Bedeutung / zu haben, bei Gottsched einmal = gegenwärtig). – bewisung 242 32- – menige [?] 1835, 37. – vermügen 668 2 ff. – wandelung 668 32. – widerschin 152 24. – Verben: geisten, vergeisten, sachen [ zu S.  *123, Z. 17, 21: ]  Notabene / folgern? / erfolgen? [ zu S.  *125 ] Paracelsus Hat nicht: Entwicklung, Zweck, selbständig, Ein-/heit, allgemein, Gefühl, Begriff, Umstände, / Vielheit, einigen (eini[ unleserlich ] findet sich). – in den ihm zugeschriebenen Werken kommt / vor: / [ etliche Streichungen ] Gewissen / (vorn. ethisch], von ihm selbst, für sich selbst, / augenscheinlich, zerlegen, zertheilen, Ver-/einigung, Spaltung, Inhalt, Urtheil [ unleserlicher Einschub ], fol-/

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gen (logisch), Umkehrung, Absonderung, Gegen-/theil, zusammensetzen, auflösen. – fraglich: / scharfsinnig, entfernen, Entfernung (weitentfernt), / Fürbildung, abtheilen, Gelegenheit, ver-/ neinen, Geltung, Vorbild, fürstellen, / Pflicht (interess. Stellen), verpflichten, Werkzeug, / sinnreich, Bildung, Freywilligkeit, Sitz / der Seele, verneinen, angeboren, eingeboren, / Ungewißheit, anziehende Kraft, Fürgang / (= Fortschritt), Wahrnehmung, webende Crea-/turen (einmal untechnisch »einwickeln«). – Karl Krieß hat / folgen aus [ zu S.  *127 ] Böhme hat / notabene später wohl = Gegensatz I (Andeutung d. Titul Figur über d. 3 Principien) / etliche I 194 / vorsetzlich I 194 / über den Eindruck, den das Wort Idee auf J. Böhme / machte, s. d. Vorrede in seinen Werken. – I = selbständig Einleitung i. de signat. rerum B. III / Triangel de sig. rerum (III 11) / Widerwille de sign. III 14 / übernatürlich III 43 de sign. / I = Einheit IV 802 ff (oft). – hier manches nachzutragen, s.u. / Formung / Werkzeug (max) von wahrer Gelassenheit III 98 / Empfindnüß I 8 (von d. 3 Princi.) / Gewerk [ Lesart unsicher ] I 21 / Fürbild III 149, 152 Selbheit oft / auch seit: Ichheit IV 802 (technisch III 11), Deinheit III 149, Bildligkeit III 151, Sterblichkeit / allwissenthaft IV 802 / Widerwillen (z.B. technisch III 11) / Fühlung I 21, 35 / sichtbar / allgemein III 148 (wenn übers. [ gemeint: übersinnliches ] Leben) / oft »webend« z.B. IV 23, III 18 / Darstellung III 18 / unfühlend IV 22 / übersinnlich (III 143), freywillig III 43, übernatürlich III 156 (von d. 3 Prin. 20) / = selbständig III 4 (de sign. rer), I 20 / fühlen oft, nicht das Gefühl / Fremdwörter: [ unlesbares Wort ], modell, Titul, Impression, / Triangel, Proba, modeln, Idioten (I 9), Materia / auch Microcosm, / Macrocosm / oft materialist. I 99 [?], Secten I 423 / abtheilich III 14, heimlich III 15 / III 43 begierdelos, affectelos / Schlüsse der menschl. Selbheit (von wahr. Gelassenheit III 98) / = III 152 Gegenspiel (= Gegensatz) / scharfsinnig I 378 (von d. drey Principien) / I 422 zu dem Ende / I 423 in der That / Ungrund III 18 de sign. rer



Transkription des Korrekturexemplars 331

[ zu S.  *128 ] I 30 (Morgenröthe) der Locus oder der / Orth und warum dieser Welt / I 186 Zweck (von d. 3 Principien) / I 199 unterscheiden (von den 3 Principien) / II 92/94 (von d. Gnadenwahl) / innerer Grund / II 93 (von d. Gnadenwahl) außwendige Zufälle / II 93 Förmlichkeit / II 96 nehmlich / II 96 mit-würcklich / II, 3 (von d. Gnadenw.) Unterschied / II 174 Lust und Unlust (von d Menschen.) / Zweck wenn damit Leben 92 / II 176 freyer Wille / III Böhme 91 25 hat Gegensatz / wenn damit Leben der Menschen S. 67 / selbständige Wesen / d. Geist ist selbständiges Wesen / Nach einer Zeitungsnotiz soll [ unklar; vermutlich ist gemeint: Ph. ] von Zesen / für Person selbstand haben einführen wollen. – notabene s. Dunger 34. – Subjekt: Unterstand. – Fertigkeit Ratich (= habitus). – hier zu beachten / Guhrauer Joachim Jungius und sein Zeitalter / Barthold: Geschichte der fruchtbringenden / Gesellschaft [ zu S.  *129, Z. 3 f. ] selbständig Dunger 34 / von Zesen. – »schlechtweg« gebraucht Thomasius [ zu S.  *129, Fußnotenbereich: ]  Notabene s. Ratich [ zu S.  *130: ]  Endzweck gebraucht Thomasius. – hat »eintheilen« [ zu S.  *134 ] Bei Walch (II. Aufl.) Zusammenstellung / d. Terminologie; wichtig, zu / beachten. – In einem Artikel der Grenzboten N. 34 vom / 22. Aug. 1901 hebt Eugen Reichel die Ver-/dienste Gottscheds um die deutsche Wortbildung / hervor. Als von ihm gebildet worden sei-/en angeführt: / Absicht (notabene Stieler) / Dasein (= Leben) / Einbildungskraft (Thomasius) / Endzweck (Leibniz) / Erfolg / Freidenker / Freigeist / Gewißheit (Notker) / Gründlichkeit  / Obersatz (Wolff) / Sacherklärung / schöne Seele 1725. – [ Marginalie mit Bezug auf die nächste Seite ] stellt für Herbst 1902 ein »Kleines Gottsched-Wörterbuch« in Aussicht

332 Anhang

[ zu S.  *135 ] Gottsched Beobachtungen über den Gebrauch / und Misbrauch vieler deutscher Wörter / und Redensarten 1758 / nur * von G., sonst von Kölner / Vorr. / pedantisch / classische Schriftsteller (Def Lalande) / 8/9 Absehen, Absicht K. / [ unleserlich ] »Rücksicht« (einige / Curialisten / haben auch das Wort Rücksicht für Absicht / zu brauchen angefangen (Absicht beim Gewehr etc.) / 14/15 gegen »un« in Zusammensetzung / 55x Auswahl ist auch ein neugebackenes Wort, / um eine Elite zu sagen / x entschatten (neugebackenes Modewort), es ist eine / ganz malerische Schreibart aufgekommen, von der / man aber oft denken möchte: Geschmiert ist nicht gemalet. / S. 106 Antithesis für Gegensatz / oppositum Widerspiel / 145 ins Elend verweisen (erbarmen) / 146/7 ihro sei bloßer Schnitzer / 183 im metaphorischen Verstande werden heute / zu Tage alle diese Wörter des [ zurück interlinear ] Zeichnens, Malens und Schilderns bis zum Ekel / gemisbraucht. Alles zeichnet, malet, / und schildert. / 187 gegen »Urbild« (Vorbild seit über 200 Jahren eingeführt) / 208 über »nehmlich« (versetzt geschrieben: spaltend) / 210 niederschreiben (spaltend) [ zu S.  *136 ] 261 Gottsched gegen Rücksicht, Rücksprache [ unsicher; folgendes Wort unlesbar ] / (Kölner) / 371 gegen unerfindlich / (= unerweislich) / 3[?]78 Urteilskraft, Zustand Vernunft [ unsicher; verblasst ] / 413 gegen »Seher« (Prophet) / 47[?]7 Ziel Zweck, Absicht. – Gottsched Versuch einer c [k gestrichen]ritischen / Dichtkunst 1730 / 4 männlich schöne Bildung / 5 Wortfindung »Critick« [ K ritik gestrichen ] = Beurteilungs/Kunst / und Kritik auf die freyen Künste begrenzen / »ein Criticus ist also dieser Erklärung nach ein Gelehrter, / der die Regeln der freyen Künste philosophisch / eingesehen hat, und also im Stande ist, die Schönheiten und Fehler / aller vorkommenden Meisterstücke oder Kunstwercke, vernünftig / darnach zu prüfen und richtig zu beurteilen / Berufung dafür auf Shaftesbury 1. Thl. seiner / Characteristicks und zwar / in dem Tractat Advice to an Author / Vorr. »der innere Charakter und das wahre Wesen / eines jeden Gedichtes« / über



Transkription des Korrekturexemplars 333

gout bei Leibniz u. taste bei Shaftesbury / für Criticism / 79ff von dem Charakter eines Poeten – Abriß / 80 guter Geschmack 83[5?] Farbigkeit 91 Beurteilungs Kraft / 94 Franz. öfter zweifel wegen ihrer Anständigkeit (99 will erst / untersuchen [?] wann und wo Geschmack [ unleserlich ] / König und Bodmer, 99 Vernunftlehre [ unleserlich ] / Logik, 104 Definition von Geschmack, 109 und [?] soll man / diesen zur Bildung d. Affectes 111 Reformen Gottscheds Poetik, 117 / Unfehlbarkeit 119 Bodmer über 122 Charaktere aber = Stillegung / 127 wahre Begebenheiten, oft Begebenheit 137 [1?] Charakter = [ unleserlich ] / Art [ zu S.  *137 ] Gottsched / 139 bester Roman bei uns Deutschen Zieglers ­Banise / 140 unser Vaterland hat noch keinen großen Poeten hervorgebracht / 147 dogmatische Dinge wissenschaftlich bearbeitet / 153 das Märchen von Dr. Faust hat lange genug den Pöbel belustiget / und man hat ziemlicher maßen aufgehört solche / Alfanzereien gern anzusehen. / 187 von poetischen Werken / 200 neue Worte bei deutschen Dichtern (gebilligt) / furchtlos, Flügelroß  / 514 dogmatische Poesie = lehrhaft / 573 dreyfache Einheit (d. Schauspiele) / 574 Tragödie vom Wallenstein von der Banise / 575 Einigkeit des Ortes / 577 Charakter = Gemütsbeschaffenheit / 578 Naturel od. Charakter / 604 pedantisch über Oper. – Bei Lessing beginnt bei manchen Terminis / eine wichtige Verschiebung / mechanisch [-] tadelnd / dogmatisch [-] tadelnd / »inneres Gefühl« X 96, i. Anf. Gefühl. – Dungar 45 [ die folgenden beiden Wörter verblasst, unleserlich ] [ S.  *138, letzter Abschnitt ] Wichtig wäre es alles was Kant an Aus-/drücken der Vergangenheit entlehnt hat, / zusammenzustellen und zu ordnen. [ zu S.  *139, Mitte ] Kant’s erste Periode / mechanisch II 337 eine physische Erklärung, die / zugleich mathematisch ist, und zusammen mechanisch / genannt wird. – [81] de mundi sensibilis et int. forma et pr. / Begriff d. apparentia, unterschieden von experientia, / experien-

334 Anhang

tiae conceptus communes dicuntur empirici. – 2. Per. / III 263 sehr interessante Bemerkungen über / das Wort »absolut« / es wurde jetzt öfters gebraucht, um bloß anzuzeigen, / daß etwas von einer Sache an sich selbst betrachtet / und also innerlich gelte.« / [ Zusatz zu Sache an sich selbst: für selbst vielmehr ] / 264: »In dieser erweiterten Bedeutung werde ich mich / denn des Worts: absolut, bedienen, und es dem bloß com-/parativ oder in besonderer Rücksicht Gültigen entgegensetzen; / denn dieses Letztere ist auf Bedingungen restringiert, jenes aber / gilt ohne Restriction.« [ zu S.  *150 oben ] Goethe Italien. Reise / ästhetisch, Vorstellung, interessant, an und für / sich (29 120), Zeithen, manche [ unsicher ] Gebildete (29 136), [ zwei unlesbare Wörter ] / gebildet, Bildung (29 181), bedingt (29 17[?]8) / 29 337 Vernunft und Verstand unterschieden / Lieblingswörter: Großheit, Zusammensetzungen mit / un (unglaublich, undenkbar, umfänglich, unendlich, / unaussprechlich). – statistische Zeiten 27 34 / Terminologie 28 150. – Lichtenberg II 323 klagt über den Mißbrauch / des Wortes »unendlich«. »der Begriff muß / etwas Angenehmes haben, sonst hätte der Miß-/ brauch nicht so allgemein werden können. / Was haben die Alten davon?« [ zu S.  *157, Z. 6, 7., Fn. 1 ] überhaupt [ statt sodann ]. – niedere [ statt sonstige ]. – z. B. Fichte u. Schelling [ S.  *164 oben ] Neuere deutsche Ausdrücke: / Völkerpsychologie Lazarus u. Steinthal / 1860. [ S.  *165 oben ] So kommen wir nicht aus dem Schwanken / zwischen abstraktem Formalismus und unserem / Werteidealismus heraus.



Transkription des Korrekturexemplars 335

[ zu S.  *166 ] Es wäre doch wichtig, hier principieller / zu entwickeln, wie in d. Worten Vorstel-/lungsmassen sich fortpflanzen. / Auch über d. Stellung d. Wortes zum Gedanken überhaupt / (doch nicht bloß Wortlegung [?]) zu reden. – Interesse [ durchgestrichen ] / Begriff / Recht / Geist d. Terminologien / folglich Terminus [?] / greift Analogien mit d. Entwicklungs [ Rest unleserlich ], aber [ es folgen drei unlesbare Wörter ]. – Was kann d. Beschäftigung mit d. T. nützen? / Stützen / a Verständniß des folgenden / b Gesamtbild [ zu S.  *168, Fußnoten ] Lichtenberg II 44, poliert – auf 49 poliert / 49 Wildheit – Verfeinerung / Bildung (im Sinne Adelung’s) z. B. bei Schiller / Briefwe. mit Goethe: – hat eine sehr angenehme / Bildung, (Juli 1799) die auch durch ihren Fehler / am Aug‘ nicht ganz verstellt werden kann. / Lichtenberg II 48 Fortgang der Menschheit. [ zu S.  *169 oben; zu S. 168, Fn. 6 ] Oken gab 1805 heraus: Abriß des / Systems der Biologie. Göttingen. – Fortschritte hat u. a. Lichtenberg II 311 [ zu S.  *172, unten ] Kant III 428 der so allein eine / transcendentale Theologie einräumt, / wird Deist, der, so auch eine natürli-/che Theologie annimmt, Theist genannt. – [ weiter unten, Fn. ] s. S. 99 [?]. [ zu S.  *173, Fn. 1 ] Überweg Heinze III 109: »Toland, von welchem die Be-/zeichnung »Freidenker« herrührt – und spricht von sich / und den ihm Gleichgesinnten: we freethinkers [ zu S.  *175 ] Bei Theophrastus Paracelsus und den ihm / zugeschriebenen Schriften freilich beide Be-/deutungen, aber die ethische doch schon vor-/wiegend, namentlich eine prägnante / (freilich unächte) Stelle.

336 Anhang

[ zu S.  *176 ] Revue critique 1880 pg 6: [ aus der Rez. von Euckens Geschichte der philosophischen Terminologie ] / Kant a adopté et répandu l’expression a priori / avec l’acception que lui a donnée Lambert, et / ce qui est curieux, cette acception se prend défa-/vorablement en français: »se dit aussi en par-/lant des systèmes, des raisonnements, créés par / l’imagination, avant d’avoir observé et recueil-/ li les faits positifs qui devraient leur servir / de base (Acad. 1835, 1878). L’ancienne acception / d’a priori est devenue vague chez nous. L’A-/cadémie dit très inexactement: »démontrer / une vérité a priori, d’après un principe antérieur, / évident d’où elle dérive.« Aujourd’-/hui les savant[s] disent souvent: »c’est évi-/dent a priori«, pour dire: c’est évident avant / qu’on ait recours à un raisonnement, indé-/pendamment de tout raisonnement. [ zu S.  *182, Z. 24: ]  verhalten [ statt bewegen ] [ zu S.  *183, unten ] Revue critique 1880 5 Jan. / S. 7 über Metaphysik: Le chef de l’école positiviste, / Auguste Comte, employait même métaphysicien / comme un terme d’injure, qui, comme tel, perdait / tout sens précis et n’exprimait plus que le mépris / pour celui qu’il qualifiait. C’est surtout en / France, au XVIIIe siècle, que le terme de métaphy-/sique a pris un sens défavorable. Voir le diction-/ naire de M. Littré, aux articles métaphysicien, / métaphysique. [ zu S.  *186, Z. 5 ff. ] Über Sinken der Wortbedeutung / s. R. Bechstein in Pfeiffer’s »Germania« 1863. [ zu S.  *187 ] Es ist von einiger Bedeutung zu erörtern, / weswegen gerade von Deutschland aus / die fremden Ausdrücke wie Psychologie, / subjectiv – objectiv, Monismus etc. in / den allgemeinen Sprachgebrauch gekom-/men sind. Doch wohl weil hier eine freiere / Stellung zu dem Fremden, nicht sofort / Auseinandersetzung mit dem allgemeinen / Sprachgebrauch. Bei d. anderen konnte



Transkription des Korrekturexemplars 337

es sich / nur einbürgern, weil es schon mit einer / gewissen Macht ­eintrat. [ zu S.  *189, oben ] Die Volkssprache immer ein gutes Stück hin-/ter der Wissenschaft zurück; dort hält sich oft, / was hier schon verdrängt: Idee (= Vorstellung). – [ zu Z. 20 ff. ] selbst noch bei Goethe [ zu S.  *190, unten ] Dies eingehender zu entwickeln und kräftiger / hervorzustellen. [ zu S.  *191, oben ] Hier wären allgemeine Gesichtspunkte zu ge-/winnen; wie verschieben sich d. Termini? / z. B. manches vom Menschen auf d. Christen-/welt, dann aber umgekehrt Menschliches / von außen her benannt (Comte). – Verhältniß d. einzelnen philosoph. Gebiete. [ zu S.  *194, oben, Mitte, unten ] s. darüber d. Abhandlung des Siebenbürgener Ballu [ ? schwer lesbarer Eigenname ] in Falckenbergs Zeitschrift. – Hier müßte hervorgehoben werden, daß / immer eine Erschütterung des Alten / Voraussetzung für das Durchbrechen des / Neuen ist. – Zusammenfassende Termini [ Begriff durchgestrichen ] (wie Vorstellung) sich stets zu einer Determination / neigend. [ zu S.  *197, Mitte ] Voltaire hat in seinem dictionaire [!] fanatis-/me schon allein im engeren Sinne. – Für Enthusiasmus wohl Shaftesbury wichtig, / s. Windelband. – Enthusiasmus (uß) bei Lichtenberg in unserem Sinne. [ zu S.  *198, 3. Abschn. ] Hier anzuführen, daß zusammenfassende / Termini sich leicht zur Specialisie-/rung eignen (Vorstellung)

338 Anhang

[ zu S.  *200, Mitte ] Leibnitz 696a – bei Malebranche sollte zwischen / idée (unendlich) und pensée (endlich) unter-/schieden werden. L. dagegen. [ zu S.  *208, oben ] Goethe unterscheidet z. B. Verstand und Vernunft / 29 337. [ zu S.  *210: ]  s. Buchmann [?] S. 195 ff. vielmehr Richardson [ zu S.  *211 ] Böhme IV Myst. Magnum S. 8: Der Wille ist Vatter, / das Gemüth ist das Gefassete des Willens als des Willens Sitz / oder Wohnung, oder das Centrum zum / Etwas, und ist des Willens Hertze: Und der Außgang / vom Willen und Gemüthe ist die Krafft und der Geist. ff IV 803. – Gemüth ist auch bei J. Böhme = Geist. – I 199 nam. wichtig »Das Gemüthe aber / an ihren selbst ist der begehrende Wille.« / (wichtig d. folgende) [ zu S.  *212 ] Vielleicht auch auf d. Unterschiede d. Zeiten / hinzuweisen, ob entwickelte oder sinkende / Terminologie. [ zu S.  *220 ] Arist. 268a 13 παρὰ τῆς φύσεως εἰληφότες ὥσπερ νόμους ἐκείνης.



Transkription des Korrekturexemplars 339

Nachträge über συντήρησις Nitzsch i. d. Prot. Jahrb. 79 III [ vgl. Dr. Friedrich Nitzsch, Ueber die Entstehung der scholastischen Lehre von der Synteresis, ein historischer Beitrag zur Lehre vom Gewissen, in: Jahrbücher für protestantische Theologie, 5. Jg., 1873, H. 3, S. 492 – 507 ]. – Bach in seiner Anzeige citiert [ s. unten ]. – Leibnitz: considération sur la culture et la perfection de la langue Allemande opp. VI P II p 611. – Summa Rainerici [ Rainerius de Pisis, Pantheologia sive summa universae theologiae ]. – Bernardo: seminarium totius philosophiae Aristotelicae, Platonicae et Stoicae. – Lexicon Scholasticorum verborum auctore Josepho Zamae Mellinio. – Dissertationes de Rubeis [ Bernardo Maria De Rubeis ]. – Commentar eines Cagetan. – Hinweis auf d. alten Ausgaben: Albertus, Bonaventura, Thomas, Heinrich v. Gent, Duns Scotus. – Bayle u. Voltaire hätten mehr hervorgehoben werden müssen. Anzeigen, die mir zu Gesicht gekommen: [18]79 1) Jenaische Literaturzeitung (8 Febr 1879) [Name abgekürzt, unleserlich] 2) Theolog. Literaturzeitung (:) (Febr. 79) Kaftan [Julius Kaftan] 3) Philosophische Monatshefte 1879 III Schaarschmidt 4) Academy 5 April 79 Edwin Wallace 5) Literar. Centralblatt 31. Mai 6) Literarische Rundschau N. 11 August (Bach in München). 7) Zeitschrift für Philos. u. philos. Kritik (Sept. 79) 79 II, Ulrici, 8) Revue philosophique November von Ch. Bernard 1880 Revue critique 5 Janvier Y

Personenregister

Verzeichnet werden in diesem neu erstellten Register nur die Namen der Autoren, welche in Euckens Text aufgeführt werden. Ein tiefgestelltes F nach der Seitenangabe verweist auf eine Fußnote. Abaelardus, Petrus 82 f., 292 Abbt, Thomas 167 Adelard von Bath 85 Adelung, Johann Christoph 158F , 168 f.F , 208F , 215, 258 f.F  Aepinus, Franz Albert 9F , 242F  Albert von Sachsen 88, 218 Albertus Magnus 86, 114 F  Alexander von Aphrodisias 211 f.F  Al-Farabi 85 Amafanius, Gaius 65F  Anaxagoras 23F , 24, 245, 276 Anaximander 23 Anselm von Canterbury 81 f.F  Apuleius 69, 290 Archytas von Tarent 47 Aristoteles 13 f., 20 ff., 27, 29, 31 f.F , 33–44, 46 ff., 54, 56, 71, 73, 81, 84 ff., 89 f., 95, 100, 101 F , 106, 115, 127, 129, 139, 142, 143F , 172, 175, 178, 184, 201, 210 ff., 215, 217 f.F , 219, 221, 224 F , 226 ff.F , 231 ff.F , 240 f., 243, 249, 271 ff., 280 f., 283, 285, 287 f., 291, 293, 300, 302, 304 Arnoldi, Bartholomäus 89F , 114 F , 119F , 212F , 241 F  Athenagoras 59

Augustinus, Aurelius 58 f., 70 ff., 74 ff., 77 ff., 127, 129, 242F , 284, 287, 290 ff. Averroes 86, 293 Avicenna 85, 292 f. Baader, Franz v. 198 Baco, Roger 87, 103, 115, 209 Bacon, Francis 102, 104 f. Baer, Karl Ernst v. 236F  Baumeister, Friedrich Christian 10, 162 Baumgarten, Alexander Gottlieb 165, 166F , 169F , 231, 239F , 250, 258, 296, 312 Bayle, Pierre 123, 124 F , 240, Beattie, James 255 Becher, Johann Joachim 254 F  Berkeley, George 250F  Bode, Johann Joachim 258F  Bodenstein (von Carolstadt), Andreas Rudolf 150F  Bodin, Jean 213 f. Böhme, Jakob 101, 152F , 156 f., 199, 228, 231, 233, 246F , 254, 258, 260, 297, 310 Boehmer, Eduard 118F , 214 F  Boethius, Anicius Manlius Severinus 48, 64 F , 72 ff.F , 80,

342 Personenregister

83F , 88F , 142 f.F , 218, 240, 279, 285 ff., 290 ff. Bonaventura 84, 293 Bonitz, Hermann 14, 33, 281 f. Bonnet, Charles 167 f., 246 Bourdet, Eugène 11 F  Boyle, Robert 117 f., 238, 241 Brandis, Christian August 226F  Bretschneider, Karl Gottlieb 243 Brothier, Léon 11 F  Brucker, Johann Jakob 162F  Bruno, Giordano 103, 127 F , 244 Bütner, Wolfgang 154, 155F  Carus, Friedrich August 230F  Casmann, Otto 94 F , 230 Cassiodor 209F , 287 Celsus, Aulus Cornelius 68 Chauvin, Étienne 9 Chrysippos 221 F  Cicero 9F , 24 F , 63F , 64 f.F , 66 ff.F , 73, 162, 206 f.F , 212F , 239F , 245, 278, 285, 289 f. Clarke, Samuel 8 Clauberg, Johannes 163F , 249 Clemens von Alexandria 59 f. Collins, Anthony 214 F  Comenius, Johann Amos 214 F  Cornificius, Quintus 65, 285, 289 Cousin, Victor 82F , 292 Crusius, Christian August 250, 256F  Cudworth, Ralph 118 Darwin, Charles 201 F , 231, 235 David von Augsburg 149, 312, 318

Demokrit 22, 24, 216F , 239F , 245 Denifle, Friedrich Heinrich Suso 145F  Descartes, René [ Cartesius ] 86F , 94, 97, 100, 102, 107–117, 122, 130, 188, 211, 218, 231, 241, 243, 246 f., 249, 254, 293 Dietz, Friedrich Christian 158F  Dietz, Philipp 150 f.F , 168F , 217 F , 301 Diodor von Sizilien 216 Diogenes von Apollonia 245 Diogenes Laertius 12, 30F , 44 F , 221 F  Dionysios von Halikarnassos 216 Ps. Dionysius Areopagita 61, 279, 284, 287 Duns Scotus 86 f.F , 228F , 250 Du Plessis d’Argentré, Charles (Plexiacus) 9F , 282 Eckhart (Meister Eckhart) 145 ff., 151 F , 157, 210, 212F , 215, 222F , 233F , 236, 251 F , 253, 256 f.F , 258F , 260, 262, 262F , 297, 302 f., 306 ff., 311 f., 314 ff. Empedocles 23F , 24 Epikur 45, 82, 107, 278 Ernesti, Johann Christian Gottlieb 67 F  Faye, J. de La 214 Fichte, Johann Gottlieb 185, 187 ff., 193, 232F  Förstemann, Karl Eduard 151 F  Fogel(ius), Martin(us) 9F 

Personenregister 343

Foucher de Careil, Louis-­ Alexandre 124 F , 130F , 248F  Franck, Adolphe 11 Frauenstädt, Julius 11 F  Fries, Jakob Friedrich 236, 257 Fuchsperger (Fuchsberger), ­Ortolf 154 f. Galilei, Galileo 218 Gassendi, Pierre 106 f., 245 f. Gaunilo von Marmoutiers 81 Geiger, Lazarus 225 Gellert, Christian Fürchtegott 259F  Gellius, Aulus 69, 290 Gilbertus von Poitiers (Porretanus) 83 Goclen(ius) d. Ältere, Rudolf (Göcken) 8F , 282, 297 Goethe, Johann Wolfgang v., 206, 208, 227 F  Graff, Eberhard Gottlieb 143 f.F  Grimm, Jacob u. Wilhelm 150 f.F , 158, 258, 260 Harms, Friedrich 197 F  Hartsen, Frederik Anthony v. 11 F  Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 186, 190 ff., 193 ff., 200F , 202, 231 Herbart, Johann Friedrich 194 ff.F , 197, 232F , 248F , 257, 261 Herder, Johann Gottfried 169F , 171, 208F  Hermann von Fritzlar 149, 309, 312 Herodot 23 Hobbes, Thomas 107, 121, 226

Hugo von St. Victor 73, 84 Hume, David 81 F , 176 Hyde, Thomas 123, 240 Isidor von Sevilla 80, 287 Jacobi, Friedrich Heinrich 10, 171, 172F , 249, 259 Johannes von Salisbury 83 Justinus 59 f. Kähler, Martin 216 Kant, Immanuel 7, 10, 96 f., 100, 151 F , 165 f.F , 168, 170, 172–186, 188, 195, 197 F , 200, 209, 213, 223F , 226F , 228F , 231, 236, 239F , 240 ff.F , 246, 248 ff., 255 ff.F , 259, 261, 293 f., 296, 312 ff. Kepler, Johannes 102, 104, 123, 218, 224 F , 230 f. Krug, Wilhelm Traugott 10 f., 249 Lamarck, Jean-Baptiste de 208 Lambert, Johann Heinrich 165 ff., 169F , 236, 250, 252F  Lange, Joachim 162F  Lechler, Gotthard Victor 213, 214 F  Leibniz, Gottfried Wilhelm 7 ff., 10, 12 f., 81 F , 86 f.F , 93, 95 ff., 100, 104 f., 108, 112, 118, 124–135, 150, 158 f.F , 161, 163, 165, 168F , 170 f.F , 173, 176 ff., 181, 183 f., 197, 209, 212, 214 f.F , 218, 222F , 230 f.F , 233F , 236, 240 f., 244, 246 f., 248 f.F , 250, 255, 258,

344 Personenregister

261, 293, 295, 297, 299, 301, 314, 317 Lessing, Gotthold Ephraim 97, 165F , 169F , 171, 208F , 242, 258, 261 Lichtenberg, Georg Christoph 181 F , 314 Locke, John 122, 123F , 241, 246 f., 254 f. Lossius, Johann Christian 10 Lukrez (Titus Lucretius Carus) 23F , 64, 65F  Lullus, Raimundus 87 f., 293, 297 Luther, Martin 58, 150 ff., 154, 168F , 207, 217, 242, 246, 253, 257, 297, 301 Meissner, Heinrich Adam 10, 164, 258 Melanchthon, Philipp 94 Mendelssohn, Moses 174 F  Micraelius, Johannes (Migrel) 9F  Mill, John Stuart 12, 56 f., 57 F , 224 Molyneux, William 214 F  Montaigne, Michel de 92F , 245 Müller, August Friedrich 9F , 164, 255F  Mullach, Friedrich Wilhelm ­August 216F  Newton, Isaac 102, 123, 218, 224 F  Nikolaus von Basel 149 Nikolaus von Kues 100 ff., 231 F , 243F  Nizolius, Marius 12, 124

Noack, Ludwig 11 F , 213F  Notker d. Deutsche (Notker III.) 142 ff., 155, 233, 236, 297, 305, 309, 312 Origenes 59F  Otfried 144 Paracelsus (Theophrast Bombast von Hohenheim) 101, 152 ff., 156, 217 F , 253, 254 F , 260, 301, 309 f. Paulus 57, 285 Pfeiffer, Franz 146F , 148F , 210F , 212F , 215, 251, 253, 257 F , 260F , 306, 309 f., 312, 318 Philon von Alexandria 216, 245 Platner, Ernst 233F , 256F , 259F  Platon 23–33, 37 F , 38 ff., 42 ff., 46 ff., 54, 56, 60, 64 F , 65F , 172, 183, 207 F , 212, 215, 218F , 221, 224 F , 239, 245, 271–280, 300 Plotin 48, 50–55, 57 F , 222F , 245, 279, 284 Plutarch 46 Polle, Friedrich 65F  Polybius 43F , 44 F , 210 Porphyrius 232F , 291 Postel, Guillaume (Postellus) 213 Prantl, Carl von 14, 45, 64, 72, 80F , 81 F , 83F , 85 f., 87 f., 154 ff., 206 f.F , 211 F , 218F , 250 f.F , 281 f., 291, 297 Quintilian 63F , 67 f., 82, 289 f.

Personenregister 345

Reinhold, Karl Leonhard 10, 11 F , 257 Ritter, Heinrich 84 F , 87 F  Ruhnken, David 31 F  Scaliger 93 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 36, 186, 189 f., 198, 225F , 249, 256 f. Scherzer (Schertzer), Johann Adam 91 Schleiermacher, Friedrich 121. Schlözer, August Wilhelm v. 219 Schmarsow, August 159F  Schopenhauer, Arthur 11 F , 198 f., 213 Schottelius, Justus Georg 158, 159F  Scotus Erigena (Eriguena), ­Johannes 80 f., 228, 232F , 239, 287, 292 Seneca 64 F , 67 f., 106, 212, 217, 285, 289 f. Sergius 64 F  Sextus Empiricus 23F  Sidonius Apollinaris 72 Silvester de Prieria (Mazzolini von Prierio/Prierias) 88 Sokrates 274 ff. Spinoza, Baruch 93, 100, 108F , 118–121, 131, 132F , 209, 251, 299 Stahl, Friedrich Julius 202F  Steinbach, Christoph Ernst 150F , 169F  Sterne, Laurence 258F  Stewart, Dugald 12

Stieler, Kaspar v. 150F , 158, 160 f., 169F , 208F , 256F , 258, 301 Stobaeus, Ioannes 23F , 43 Stöckl, Albert 87 F  Suárez, Francisco 86F , 92, 95 f. Tartaretus, Petrus 207 F  Taurellus, Nicolaus 95, 104 Teichmüller, Gustav 272 Tertullian 69 f., 290 Tetens, Johannes Nicolaus 165, 167 ff., 171, 182F , 184, 207, 246, 250, 255, 259 f. Tholuck, August 214 F  Thomas von Aquin 81 F , 114 F , 145, 156F , 251, 300 Thomasius, Christian 10F , 160 ff., 255F , 261, 297 Toland, John 118, 214 Trendelenburg, Friedrich Adolf 13, 37 F , 38F , 88F , 236, 265F , 271, 308 Tschudi 158 Ulrici 214 F  Varro, Marcus Terentius 64 F , 69, 213F  Victorinus, Marius 71 F , 72, 80, 285 f., 291 Vitruv 67 Volkmann von Volkmar, Wilhelm 94 F , 231, 253 ff.F  Waitz, Theodor 261 Walch, Johann Georg 9 f., 187, 261 F 

346 Personenregister

Weigand, Friedrich Ludwig Karl 142F , 158, 169 Weigel, Valentin 152F , 156, 254 Weise, Christian 160 Welcker, Friedrich Gottlieb 221 Whewell, William 12, 140F  Whitney, William Dwight 264 F  Wilhelm von Ockham (William Occam) 87, 232F , 291, 293, 297 Wolff, Christian 9 f., 96, 158F , 160–165, 173, 175, 179F , 184, 207 f., 211, 218, 228, 231, 233F , 236, 240, 246, 248 ff.F , 255 ff., 294, 297, 301, 312, 316

Xenophanes von Kolophon 245 Xenophon 23, 25 f., 40, 230 Zahn, Gotthold 256F  Zeller, Eduard 14, 38F , 47 F , 281 f.

Register der wichtigern Termini* [ der Geschichte der philosophischen Terminologie im Umriss ]

[ Das Register folgt Euckens Vorgaben. Mehrere Lemmata wurden er­ gänzt, viele Stellenangaben waren nachzutragen. Dennoch weist es Lücken auf, die sich aus Rücksicht auf den Umfang des Registers nicht beseitigen lassen (die Terminologie Kants beispielsweise findet kaum Be­ rücksichtigung). Seitenangaben beziehen sich auf die neue Paginierung der vorliegen­ den Ausgabe; Zusatz F  zur Seitenangabe = Verweis auf Fußnote; tief­ gestellte Zahl hinter einer Seitenangabe = Verweis auf Anmerkung (End­ note). Eingefügt und mit  ° markiert sind handschriftliche Zusätze Euckens zu dem von ihm erstellten Register der Ausgabe der Geschichte der philosophischen Terminologie (1879). Mit  ◉ markiert sind jene Termini, die auch in Geistige Strömungen der Gegenwart (GG) (1920 = 6., überarb. Aufl. von Grundbegriffe der Gegenwart [ 1878 ]) begriffsgeschichtlich vertieft werden. Ein Register aller begriffsgeschichtlich vertieften Termini aus (GG) be­ schließt den vorliegenden Band.  Dieses von der Herausgeberin erstellte Begriffsregister führt von Euckens umfangreichem Sachregister in GG (vgl. Gesammelte Werke, Bd. 4, S. 413 ff.) nur Einträge mit begriffsge­ schichtlich vertieften Termini auf und ist auf die Paginierung dieser Aus­ gabe bezogen. Im Regelfall werden hier lediglich die sprachlichen Grund­ formen aufgenommen, Ableitungen sind inbegriffen.]

*  [ Eucken: ] Das Missliche einer Auslese verkennen wir nicht, glauben sie aber nicht vermeiden zu können. – Wo ein Terminus im Wesentlichen unverändert in andere Sprachen eingegangen ist, wird das den spätern Gebrauch Betreffende gleich bei der ersten Erwähnung angeführt

348

Register der wichtigern Termini

Griechische Ter mini ,Aδιάφορος 37, 44, 242 αἰσϑητήριον 37 αἰσϑητικός 26 αἰσϑητός – νοητός 26 αἰτεῖσϑαι τὸ ἐν ἀρχῇ 37 αἰτία 23, 25 f., 27 αἰτιατός 37 αἰτιολογία 44 αἰτιώδης 43 f. αἰώνιος 26, 38, 55 ἀκρίβεια 25, 53 f.F  ἀλληγορία 206F  ἄμεσος 37 ἀναλογία 26, 63, 63F  ἀνάλογος 26, 218F  ἀνάλυσις 37, 211 ἀνάλυσις – σύνϑεσις 211 ἀναλυτικός 37, 211 ἀντίϑεσις 31 F , 37 ἀντίφασις 37 f. ἀντιφατικός 37 ἀνωμαλία 26 ἀνώμαλος 26 ἀξίωμα 26, 37 ἀπάϑεια 26, 41 ἀποδεικτικός 37 f., 73 ἀρχή 23, 25 f., 37, 222, 280  3   ἀρχιτεκτονικός 31 F  ἄτομος 24, 31 F , 45, 239F 

διαλεκτικός 25, 66 διαφορά 27 διχοτομία 37 δογματικός 45 δραστικός 26, 39, 43 δυναμικός 40 δύναμις 27, 33F , 38, 80

γένος – εἶδος 38 γνωστικός 26, 31 F , 60, 80

ϑεολογική 37 ϑεωρητικός 26, 80 ϑεωρία 26, 80

διάγνωσις 26 διαίρεσις 26

ἐγκόσμιος 47, 55 εἰδοποιός 37 ἐμπειρία 25 ἐμπειρία μεϑοδική 44 ἐμπειρικός 37 ἐνάργεια 31 F , 44 F  ἐνέργεια 37 f., 47, 73, 86, 147 f., 222, 231 ἐνϑύμημα 26, 37 ἔνστασις 37, 73 ἐντeλέχεια 37, 46, 231 ἐξωτερικός 37, 40F , 212 ἐπαγωγή 37 ἐπακτικός 37 ἐπιδεικτικός 31 F  ἐπεισοδιώδης 37 ἐπιστήμη πρακτική – γνωστική 31 F  ἑτερογενής 37 ἠϑικός 37, 82

ἰδέα 27, 245



Griechische Termini 349

ἰδιότης 25, 40, 45 ἰδίωμα 45 ἰδίως ποιός 45 ἰδιωφελής 44 ἱστορικός 31 F  καϑήκοντα 39F , 44, 44 F  καϑολικός 43 κοινωφελής 44 κανονικός 45, 45F  κατηγορία 37, 37 F  κατηγορικός 37, 72 κοσμικός 37, 117 f. κόσμος 23, 230F  κριτήριον 26, 39, 44, 154 κριτικός 31 F  λογική 206F  λογικός 37 λόγος 42 f., 143F  λόγος σπερματικός 45, 59 μεϑοδικός 43 μέϑοδος 27 μεταφορικός 37 μηχανικός 25F , 115, 154, 249 μικρόκοσμος 48, 74, 74 F , 154 νοερός 43, 212 νοητός 26, 43, 212 νοῦς καϑαρός 24 νοῦς ποιητικός 210 ὁμογενής 37 ὁμώνυμος 37 ὁργανικός 37, 138, 189, 249 ὁρισμός 37

ὃρος 27 οὐσία 26 f., 285 f. οὐσιώδης 43 παϑητικός 37 παιδαγωγικός 26 περιπέτεια 37 περίστασις 218F  πλαστικός 26 πνευματικός 37 ποιητικός 26 ποιότης 26, 215 ποσότης 37, 215 πρᾶγμα 23 πραγματικός 43, 210 πρακτικός 25 πρόβλημα 27 προβληματικός 37 πρότασις 37 πρόφασις 23, 25 πτῶσις 37 f.F  σκεπτικός 45, 162 σκέψις 25 σπερματικός 37 στατικός 26 στοιχεῖον 23F , 27 συλλογισμός 26 συλλογιστικός 26 συμβολικός 46F  συμπάϑεια 40, 45, 242 συμπαϑής 37 συμπέρασμα 37 σύμπτωμα 38 συμπτωματικός 40 συνείδησις 44, 216, 217 F , 242

350

Register der wichtigern Termini

συνέχεια 31 F , 38 συνϑετικός 31 F , 39 συνοπτικός 26, 39 σύνοψις 26, 39 συνώνυμος 38 σύστασις 27 σύστημα 26, 45 συστηματικός 43 σχῆμα 38, 69 σχηματισμός 26 σχολαστικός 40 σωματικός 37

ὑλικός 37, 43 ὑπερκόσμιος 47, 55 ὑπόϑεσις 25, 27 ὑποκείμενον 38 ὑπόστασις 25, 38, 285 f.

τεχνικός 25 τοπικός 37 τυπικός 46F  τύπωσις 44, 221, 221 F  ὕλη 38, 47, 231

φαινόμενον – ὄν 26 φαντασία 26, 43, 221 f.F  φάντασμα 26, 43 φανταστικός 31 F  φιλανϑρωπία 25, 44 φιλόσοφος 25 φυσικός 25 φυσιολογία 37 χρονικός 46F  ψυχικός 37

Altlateinische Ter mini [ auch in ihrer Fortführung ] absolutus 66 accidens 67, 72, 113F , 143, 148, 155, 161, 291 accidentalis 72 activus 67 actu – potestate 74, 144 aequipollens 69 affectio 67 affirmatio (infinita) 73, 143 affirmativus 72 affirmo – nego 72 anticipatio 67 apparentia 69, 106 f.

argumentum/argumentatio 66, 154,155, 158, 309 56  causalis 44, 71, 230F  causatus 72 f., 291 f. 22  circumstantia 67, 155, 157, 223F , 289 f. 13 , 311 61  complementum 67 concipi 74, 87 F , 114 F  conclusio 66, 158 concretus 65, 86, 211 conditionalis 69, 290 15  conformis 72



Altlateinische Termini 351

confusio/confusus 65, 87 F , 143, 147 conjectura/conjecturare/conjecturalis 66, 73 conscientia 143, 149, 216 f., 225, 316 77  consequentia 66, 94 f.F  constitutio 66 constructivus 73 contemplativus 67 contingens 72 contradictorius 72 contrapositio 72 convenientia 72 conversio 69, 72, 155 conversio per accidens 72, 291 22  convertibilis 69 coordinatio 73 corollarium 73, 73F  deductio 73, 73F  definitio 66, 112F , 131 F , 155, 160, 163 (genetische D.), 164 F , 236 definitivus 67 demonstratio 66, 73F , 88F , 106F , 160 demonstrativus 66, 73 destructivus 73 differentia 67, 143 differentia constitutiva 72, 291 21  disjunctio 66 disjunctivus 69 disparatus 67, 72 dispositio 66 distantia 67, 289 12  distributio 66 dividuus 67, 212F 

divisio 66 f. divisio – partitio 67 dualitas 73 effectivus 68 elementa 65, 148 f. [ elementarius 67 ] essentia 63 f., 68F , 70 f., 109, 143, 244 F , 286, 28910 , 307 45  essentialis 70, 148 evidens 66, 289 11  evidentia 44, 67 experientia 65, 87, 105 (e. lite­ rata), 153F  expositio 66 fanaticus 242, 242F  fictio 68, 208F  finalis 72, 82, 86, 155, 159 foedera naturae ◉ 65, 65F  forma 65, 109, 143 f., 147, 239 f. formalis/formaliter 73, 73F, 86 ff., 155, 159, 182 f., 183F , 239, 240, 250 generalis 65 humanitas 66, 147 immediatus 73, 80, 147, 149 impossibilis 68 f., 143, 155 impressio 67, 147, 148F , 222F , 316 76  incongruentia 69 inconvenientia 69 incrementum 67 indefinitus 69, 113

352

Register der wichtigern Termini

indifferentia 69 individuus (37), (45), 67, 74, 74 F, 142 f., 212F  [ individuitas 69 ] [ individualis/individualitas ◉ 85, 103, 127 ] inductio 66 f., 73F , 105 (philosophia inductiva), 155 innatus 65, 117, 147, 151 instantia 73 intellectibilis 73 intellectualis (43), 69, 73, 80, 103, 109, 119, 212, 290 15  intellectus 67, 71 F , 80, 84, 290 13  intelligentia – ratio 74 F  intelligibilis [ auch: intellegibilis ] 43, 64 F , 67, 212 irrationalis 68, 71 F , 290 13  iudicium 64 F  liberum arbitrium 69F , 143 loci communes 66 materia 65, 71, 74 F , 91, 104, 109, 143, 149, 233F  materialis 69, 109 [ memoria 71, 71 F , 149 ] modernus ◉ 209F  modificatio/modificare 67 moralis 67, 265 nativus 67, 259F  naturalis 65 [ naturalis vs positivus 69, 82 ] negatio 66, 73, 143 negatio infinita/affirmatio infinita 73

notio 67, 93, 109, 168F , 184, 247 [ officium 58F  ] ostensivus 73 particula negativa 69 particularis 69 partitio 66 f. passivus 69 petere in (ex) principio (37), 73 philosophicus 69 positio 67 F , 73F  positivus 69, 82 possibilis 68 potentialiter 70 praecisio 66 praesumptio 67, 290 13  probabilis 66 progressio 67 proportio (63). 63F , 67, 160, 164, 218, 237, 237 F  propositio 64 F , 66 f., 69, 88, 88F , 218 proprietas 67 qualitas 67, 69, 113, 143, 155, 156F , 158, 207 F  quantitas 68 f., 146, 155 [ ratio – intellectus 71 F , 109, 253F , 254 ] rationalis/irrationalis 68, 72, 143, 163 ratiocinatio/ratiocinalis 66 relatio 67 f., 143, 149, 290 14  [ relative – substantialiter 71 ] relativus 71, 71 F 



Lateinische Termini des Mittelalters 353

scientificus 73 sensibilis/[ insensibilis ] 67, 143 f. sensualitas/sensualis 69 specialis 68, 290 14  specificus [ /specificare ] 72 f., 80 spirit[ u ]alis 70, 72 subalternus 72, 291 21  subcontrarius 73 subjectivus 69, 103F , 232F , 250 [ subjectum 72, 143, 155, 250F  ] subjectum – praedicatum 72 substantia 63, 68, 70F  (substantia/essentia), 71 F , 109, 113, 143 f., 148 f., 154, 160, 233F , 285, 28910 

substantialis/substantialiter 70, 71 F , 80, 127 [ substantialitas 85 ] syllogizare 73 terminus 37 (t. minor/maior), 72 universalis 68, 144 varietas 67 verificare 73, 86 f., 293 31  vitalis 65 voluntas 71

Lateinische Ter mini des Mittelalters [ auch in ihrer Fortführung ] abstractio 83, 113, 292 29  abstractus – concretus ◉ 83, 86, 211 actualis ◉ 82, 86 actualitas ◉ 86, 146 actus purus 86 [ actu – intellectu 82 ] actu – potentia 86, 293 31  [ actu – potestate 74, 144 ] aggregatio/aggregatum 87 a priori/a posteriori  ◉ 88, 88F , 103F , 106, 117, 127, 138F , 151, 163 f., 166, 179F , 184, 189, 200F , 209F , 217 f., 241, 263 [ atomus (atomum) 65F , 80, 232, 239, 239F  ] [ categoria/categoricus 72, 291 21  ]

causa agens (efficiens) 86 [ causa deficiens 71, 291 19  ] causa finalis  ◉ 82, 86, 155, 159 causa formalis 86, 115, 159 causa materialis 86, 155, 159 causa sine qua non 73, 86 causa sui 81, 85 f., 114 F , 119, 293 32  causae motivae 86, 161, 231 f.F  causalitas 85 certificatio/certificare 85 ff. certitudo 81, 144, 188, 265 certitudo moralis 265, 265F  [ c(h)aritas intellectualis 103 ] combinare 71 combinatio 85, 292 30  [ compossibilitas/incompossibilitas 86, 93 ]

354

Register der wichtigern Termini

conformitas 83, 83F  confusio 143 confusus – distinctus 87, 87 F , 143, 147 continuitas 80 cosmologia (163) docta ignorantia 81, 84, 106 emanatio 243, 243F  esse reale – intentionale 86F  existentia 80 formalis – realis 87 formalitas 86 forma substantialis – qualitativa 80 formativus 80 generalitas 85 haecceitas 86 (entitas positiva) idealis 86, 93, 127, 245, 247 F  identitas 82, 103 (i. absoluta), 147, 157 F  immanens – transiens 119, 148, 181, 251, 252F , 308 49  [ implicatio 104, 127 F  ] inclinare – determinare 86 [ individualitas ◉ 85, 103, 127, 280 5  ] [ infallibilitas 86 ] inferentia 82 inferioritas/superioritas 88 influentia causae 86 inhaerentia 83, 95

[ intellectibilis – intellectibilitas 73F , 84, 103 ] [ intellectualitas 69 ] [ intellectus – intelligentia 71, 84 ] intellectus purus 80 [ intentio 85 ] intentionalis 86F  intuitio intellectualis 103 [ iustitia naturalis – positiva 82 ] majoritas/minoritas 87 f., 144 [ materialitas 86 ] maxima 88, 155, 183, 218 metaphysica (ae) ◉ 86, 162F , 219, 226 metaphysicus ◉ 87, 109 modalis 82 modus essendi 80, 292 24 ,25 [ more geometrico 119 ] [ natura 121 ] naturare 93, 233, 316 79  natura naturans – naturata 93, 119, 149, 212, 316 79  objective – subjective ◉ 86, 165F , 228F , 250 ff. ontologia ° 160, 163F  [ perseitas 86 ] [ persona ◉ 287, 291 22 , 308 51  ] [ philosophia, Christiana 72 ] pluralitas 80 pons asinorum 206F  posterioritas 88 [ praedicamentum 72, 291 21  ] praemissae 85, 87 f.



Termini der Neuzeit 355

principalitas 69, 86 principium individuationis 85, 293 30  [ principium sui 81, 86, 114 F  ] prioritas 88 qualitativus 80, 93 quantitativus 82F  quidditas 85, 103 radicalis 86 realis 82, 82F , 87, 131 F  realista ◉ 88 realitas 86, 109, 116 receptivus 80 repraesentativus 88, 293 33  respectivus 88 [ res priores/posteriores in esse 86, 293 31  ] [ revolutio 80, 292 26  ]

scientia experimentalis 103 [ scientia intuitiva 119 ] sensus interior 81 specialitas/specialis 68, 85, 290 14  specificare 80 subsistentia 80, 285 f. superioritas 88 supermundanus 80 supernaturalis 80, 149 [ subjective – objective 86 ] transcendens (supertranscendens) ◉ 91, 223, 251 f.F  transcendentalis 179F , 223, 251 f. universalitas 85, 144 virtualiter 86, 127 virtus (= δὐναμις) 80

Ter mini der Neuzeit (außer den spezifisch deutschen) aesthetica/Ästhetik 165, 182, 231 F , 296 [ A nalyse – Synthese 113 ] analytische – synthetische Urteile 181 anthropologia/anthropologicus 94 F , 161 apperception 129, 168F , 179F  association of ideas/Ideen­ assoziation 122, 247 F  [ Atheist/Atheismus 118, 214 ] atomi – moleculae 107 atomista 94, 117 (atomica philo-

sophia) Biologie ° 208 clare et distincte 92F , 112 f., 211, 211 F , 247 f. complicatio 80F , 103 f. [ complicatio – explicatio 103 ] [ conceptus 109 ] consciousness ° 316 77  constitutiv (konstitutiv) – regulativ 181 corpora mundi 104

356

Register der wichtigern Termini

corpuscularis philosophia/ atomica philosophia 117 cosmical ends 117 F  Cultur ◉ (Kultur) 105 [ georgica animi ], 105F , 171, 183, 188, 241 Cultur – Moral 183 [ Definition 112F , 155, 160 ] Real-/ Nominaldefinition 131 F  definitio genetica 163 Deist 118, 213 f., 213F ., 223F  Dualismus ◉ 123F , 227, 240 Dualist ◉ 163F  Ego 114, 114 F  [ auch: egoitas ], 188 [ Egoist 163F  ] empiricus – rationalis 131 F , 163 empirisch – intelligibel 183 evolutio[ n ] ◉ 80F , 103, 231 F  experientia literata 105 explicatio 103, 127, 231 F  freethinker 214 F  [ georgica animi 105 (Kultur) ] [ gnoseologia 166 ] hylozoist 118 [ Ich s. Ego ] Idealist ◉ 163F  [ Idee/idea/idée (29), 107 (I. – Wirklichkeit), 189, 191 F , 230, 232F , 239, 245 ff, 252, 256F  ] [ Identität (Selbesheit) 147, 157 F  ] identitas absoluta 103

immanent – transcendent ◉ 148, 181, 251, 252F , 308 49  indefinitus – infinitus 69, 113, 132, 143, 147 [ Individuum, Individualität 45, 67, 74, 74 F , 85, 103, 127, 280 5  ] [ inertia materiae 104, 123, 218 ] [ intellectualis – cogitativus 109 ] intellektuell – intelligibel 69, 112, 182, 290 15  intellektuelle Anschauung 51, 179F , 188 judicium intuitivum – discursivum 163 [ konstitutiv s. constitutiv ] [ Kultur ◉ s. Cultur ] [ lingua universalis 108 fF, (133F ) ] Materialist ◉ 117, 163F  mechanisch – dynamisch ◉ 182 [ mechanisch – organisch 249 ] monas/Monade 80, 104, 127 F , 244 Monist ◉ 162, 162 fF Monismus ◉ 202F , 203, 227, 231, 240, 316 78  motus mechanicus 105F  naiv 259F  Naturalist 213, 213F  [ nomen (terminus) 101 F , 111 F , 124 F  ] [ Objekt 147, 151, 154, 158 (Gegenstand), 185, 250 ]



Termini der Neuzeit 357

[ Objektivierung 147 (wider­ werfung) ] objektive Vernunft 172F  [ Ontologie 160, 163, 163F  ] [ Ontosophie 163F  ] Optimismus ◉ 212 f., 31473

qualitates primariae – secundariae 117, 241 F 

Pantheist/Pantheismus ◉ 118, 214 Pessimismus ◉ 212 f., 31473 phaenomena realia – imaginaria 131 F  [ Phänomenologie 166F  ] philosophia inductiva 105 plastical nature 118 point de vue 125F , 160 (Gesichtspunkt) pragmatisch – moralisch 183 [ primitif (frz.) 130F  ] psychologia/Psychologie/psychologicus 94 F , 163, 163F , 208, 230 f., 231 f.F  [ psychologia empirica – ratio­ nalis 163 ]

self-perception 118 sentimental 258F , 259F  [ Subjekt 250, 317 82  ] [ subjektiv – objektiv (44), 86, 103F , 165, 166F , 184, 188, 228F , 232F , 250, 259 f ]

[ raison 255 ] Rationalist 214, 214 F  reason 254 f.

Teleologie ◉ 163, 182, 208 [ terminus technologicus 158 ] Theist 118, 213, 223F  theodicée/Theodizee 129, 299 37  [ t heoretisch – praktisch ◉ 154, 310 58  ] [ t heosophisch 157 ] verités de fait – de raison 131 F  vis inertiae 123, 218 fF

358

Register der wichtigern Termini

[ Mittelhochdeutsche u nd frühneuhochdeutsche Wörter /Ter mini ] Normalisierte Ansatzform (Schreibweise bei Eucken) [ Register erstellt von Katharina Zeppezauer-Wachauer ] abegescheidenheit 146, 307 48  abegründec (abegründic) 147 f. (unendlich) anascouunga 144 (Anschauung) anderheit 146 anebërn (angeborn) 147, 151 anesiht/anesihte (ansiht) 305 41  argument 154, 301 begirde, begerunge 147, 262F  begrif, begrifen 143, 147 begrifelicheit/unbegrifelicheit 147 begrîfunge (begrifunge) 147 bezeichenunge 147 bilde (bild) 147, 208 bilde, abgezogenez 147, 307 46  bildunge, pildunga 144, 147, 312 65  conscienzje (consciencie) 149 crêatiure (creature) 148, 149F  diemüetecheit (demüetikeit) 146 ding 143 f. diuteclîche (diutecliche) 151 eigenminne 147 eigentuom 147 einecheit (einekeit) 146 einformec/ einförmecheit (­einformekeit) 148 einunge (einung) 147

elemënt (elemente) 149 ende 143, 149, 151 enphindec (enpfindig)/ enphin­ decheit (enpfindlicheit) 146 f., 258F , 318 85  enphinden/entvinden (enpfinden), entvindunge 147, 257 f., 318 85  erbarmhërzecheit (erbarmherzikeit) 149 ergebnüsse 168, 312 66  erschînen (erschinen) 147 ervaren 143 êwicheit (ewikeit) 146, 149F  fantasîe (fantasey) 154, 301, 310 57 , 312 64  fisîôn/visiôn (visionen) 149 fliht 144, 151, 217 F , 309 53  (Pflicht) forme (form) 149 formelich/formeclîche (formelich) 149 formelôs/formelôsiclich (formelos) 149 formen/formieren 149 füelen 151, 257 f., 318 84  fürsatz/vürsaz 147, 151 fürwurf/vürwurf 147 (Objekt), 307 47  fundamënt (fundament, pfundment) 149 fundieren 149



Mittelhochdeutsche und frühneuhochdeutsche Wörter 359

ganzheit 149 gefüelen/gevüelen 147, 151, 257 f., 309 55 , 318 84  gegensiht 143 (relatio) gegenwertecheit (gegenwürtekeit) 146 gegenwurf 147, 151, 154 geiste an in sëlber (geist an ime selber) 147, 210 geistecheit (geistekeit) 146 gelâʒenheit (gelazzenheit) 149 gelîcheit (gelicheit)/ungelicheit 146, 307 45  gemüete/gemuote 147, 253 f., 260 ff., 318 87  genatûrte/ungenaturte natûr (genaturte natur) 149 geschaffenheit/ungeschaffenheit 146, 307 45  gesetze der natûren 149 gestaltnisse 149 gewizeda 143, 315 75  (Gewissen) gewordenheit/ungewordenheit 146 gimuati 144 grât (grat) 149 grôʒ heit (grozheit) 146 grundelôs (gruntlos) 147 grundelôse abgründe 148 grundelôse substanzje 148 grundelôsecheit (gruntlosekeit) 146

147 f.F , 222F , 316 76  innebelîbendez werc (inne­ blibendez werc)/ ûʒ vlieʒendez werc (uzfliezendez werc) 148, 251 F , 308 49  innebelîbendez wort (inne­ blibendez wort) 148 innegeartecheit (ingeartekeit) 147 innere/uzero sinn 144 innicheit (innekeit) 147 innewendic/inwendic (inne­ wendig)/ûʒ wendic (uzwendig) 147, 309 55  innewendicheit (inwendikeit) 147 însitzen/în sitzen (insitzen) 148 (in sich selber) înswëbunge (inswebung)/ înswëbende (inswebend) 147 f. învaltec/einvaltec instân/inne stân (einvaltic instan) 148 învluʒ (influz)/ ûʒ vluʒ (uzfluz) 147 f.F , 222 inwësende/inne wësend (in­ wesend) 148 inwonende (inwonend)/über ­wonende (überwonend) 148 înwürkunge (inwürkung) 147, 222 istic 148, 306 f. 44  isticheit (istekeit) 148, 306 f. 44 , 45

înbilden/în bilden (inbilden)/ ûʒbilden 147 înbildunge (inbildung) 147 îndruc (indruc, ingetrucket)

klârheit (klarheit) 146 lîdende vernunst (lidende vernunft)/vermügende v. 148

360

Register der wichtigern Termini

lust/urdruz 147, 311 62  lûterheit (luterkeit) 147

nothaft, notmachig, notegunga 143

mahtlich/unmahtlich 143 (­possibile), 155 mangel 151, 309 54  manicvalticheit (manicvaltekeit) 147 matërje/matërge (materie) 143, 149 matërjelich (materjelich)/ unmatërjelich (unmaterjelich) 149 matërjelîcheit (materjelicheit) 149 meinunga 143, 149 (Absicht) memôrje (memoria) 149 menschheit 147 merheit/minnirheit 144 mitelîden/mite lîden (miteliden) 147, 148F , 158, 169F , 210, 311 60  mitewist 143, 305 39  (Zusammen-Vorkommen) mügelîcheit (mügelicheit)/würk­ licheit 147

obenheit 147 ougenschinlich 158

natûre (nature) 149 natûren (genaturt/ungenaturt) 149, 151, 212, 212F , 316 79  natûrlich (natiurlich)/ natûrlîcheit (natiurlicheit) 147, 149 natûrlich gesetze (natiurlich ­gesetzede) 149 neigunge (neigung) 147, 262F  nichtheit 147 nôtdurft (notdurft)/ nôtdürftic (notdürftic) 149

pênitënze (penitencie) 149 përsône/përsônlîch/përsônlîcheit 149, 308 51  properheit 149 pûrheit (purheit) 149 reda (logos, ratio) 143F  rûm (rum) 154 ff., 236, 302 sache 148F  (Ursache) sachen 147, 148F , 149 (verursachen) samewiʒʒecheit (samwizzekeit, samwizzelicheit) 149 (vgl. consciencie) schouwelîcheit (schouwelicheit) 147 schouwendez leben 148 scinbare 144 sein 144 selbwaltigi 143 (liberum arbitrium), 305 40  sëlplîcheit (selbesheit) 147, 157 F  sëlpstâunge/sëlbestâunge (selbstende) wesen 148 simpelheit 149 sinn (s. innere sinn) sinnelîcheit (sinnelicheit) 147 speculieren/speculirung (80), 154 stât (stat) 144, 155 f., 316 80  substanzje (substancie) 148 f.



Mittelhochdeutsche und frühneuhochdeutsche Wörter 361

subtîl (subtil)/ subtîlen (subtilen) 149 sunderlich/sunderlîcheit (sunderlicheit) 147, 309 55 

ursprunclich/ ursprungetheit (ursprunglicheit) 147 urwesen 158 ûzdruc 168, 312 64 

teilhaftic/ teilhafticheit (teil­ hafte­keit) 149 transformieren 149

vermügen/vermügenheit (vermügentheit) 147, 150 vermügende vernunst (ver­ mügende vernunft) 148 vernumenstig 144 (vernünftig) vernunst/vernust (vernunft) 144, 153 f.F  vernünsticheit/vernünfticheit (vernünftekeit)147 verstân (verstan) 153 f.F  verstantnisse (verstantnüsse, verstandnüsse) 147, 253, 317 83  verstendicheit (verstendikeit) 147, 253 verworrenheit 147 volge 155 volkomenheit (vollekommenheit) 147 volmahtheit/volmehticheit (­volmehtekeit) 147 vorgende bilde 148 (Ideen) vrîen geiste (frien geiste) 149 vrîheit (friheit) 146

übernatûrlich/(übernatiurlich) 149 überswëbende (überswebend) 148 überwësende/über wësende (überwesend) 148 umbegrif (umbegriff) 147 (­Inbegriff) umbestandunge 311 61  umbkerung 155 (conversio) umbstand 155 undersatz 158 (Basis) underscheit/ underscheidenheit 143, 147 underwurf 147 (Subjekt) unendeclîche/unendelicheit 147, 157 ungrüntlich wësentheit (ungruntliche wesentheit) 148 unmatërjelichiu substanzje (unmaterjelichiu substancie) 149 unmittellich/unmittellîche (­unmitelich) 147, 149 unspaltig 142 f. unvernunst (unvernunft) 147 unwësen (unwesen) 147 urdruz 147, 311 62  ursache 147, 148F

wârheit (warheit) 147 warumbe (warumb) 149, 236, 317 81  wërltlîcheit (weltlicheit) 147 wësen (wesen) 148, 154 f. wësentheit (wesentheit) 147 f. wësentlich (weselich)/wësentlîcheit (weselicheit) 147 f.

362

Register der wichtigern Termini

widersatzunge (widersatzung) 147 widerspruch 150 (Widerruf) widerwërfunge (widerwerfung) 147 widerwertic/widerwertigkeit 147, 149, 233 (contrarius, contrarietas), 155 widerwurf 147 (Objekt) wirkendez leben (würkendez ­leben) 148 wirkelîcheit/würkelîcheit (­w ürklicheit) 147 f.F  wirkunge 147, 215, 314 74 

zil 149, 156F , 236 zimber 143 (materia), 233F  zirkel 149 zît (zit) 144, 149F , 236, 307 48 , 316 80  zîtlîcheit (zitlicheit) 147 zuonëmen/zuo nëmen (zuo­ nemen) 147 (Fortschritt) zuoval/ zuovellic (zufellig) 148, 307 48 zweck 156 zwîvelhaftic/zwîvelhaft (zwifelhaftic) 149

[ Neuer e ] Deutsche Ter mini [ u nd anderssprachige Entsprechungen ] [ Die von Eucken in der EA im Folgenden verzeichneten dt. Wörter/­ Begriffe älterer Sprachstufen wurden in das vorausgehende Teilregister transferiert. ] ableiten 158 Absicht 149, 161, 165 f.F , 236 an und vor [ f ür ] sich 166, 192F  Anfang – Grund ° angeboren 65, 67, 117, 147, 151, 259F  Anschauung 51, 144, 179 ff., 185, 188, 195, 257 Ansicht 144, 144 F , 305 41  augenscheinlich 158 Ausdruck 168, 312 64  Auswicklung/[ sich ] auswickeln 150, 156 f.F , 173F Bedingung 150F 

Begehrung 212 Begierde/Begehren 110, 147, 261 f.F  begreifen 143 Begreiflichkeit 157 [ Begrifelicheit/Unbegrifelicheit 147 ] Begriff (44), (109), 147, 151, 157, 164 F , 184 (Begriff – Notion), 256, 256 f.F , 257 [ s. u. Inbegriff ] [ Begriffsbestimmung 236 ] Beschaffenheit 158 (qualitas), 161 Beschreibung (definitio) 155, 236 Bestimmtheit ° Bewegungsgrund 164, 183F 



[ Neuere ] Deutsche Termini 363

Beweis 151, 160 Bewusstsein/bewusst 149, 151, 157, 164, 168, 207, 207 F , 216 f., 225, 228, 231, 246, 248, 257, 259F , 316 77  Bezeichnung/bezeichnen 147, 155 Beziehung 143, 158 Bildung ◉ 147, 168, 208F , 312 65  Dasein 188, 192F  Deutlichkeit/deutlich 112, 151, 158, 247 f.F  Ding 23, 143 f., 185 Ding an sich 166 f., 182, 209F  Ding an sich – Erscheinung 182 Eigenschaft 144, 148, 155 Eigentum 147 Einbildung 147, 310 57  Einbildungskraft 144, 161, 312 65  Eindruck (44), (67), 147 f.F , 221 f.F , 316 76  Einfluss 95 (influere), 147 ff., 222 Einheit 150, 157, 168, 188, 231 Einteilung 158 Einwirkung 147 f.F , 222 empfinden 147, 167 F , 257 ff. Empfindlichkeit 146, 157 F , 257 Empfindnis 136, 167, 189, 209 f., 233F , 258 empfindsam 258F  Empfindung 150, 164 F , 167, 257 ff.F , 318 85  Ende (finis, Zweck) 143, 149, 151, 236 Endursache (causa finalis) 155, 159

Endzweck 160, 165 f.F  entwickeln ◉ 158, 173F , 231 Entwicklung ◉ 80F , 103, 153, 156 f., 168, 171, 173F , 193 f., 200F , 202 f.F , 226F , 231, 241 f., 266 [ Entwicklung aus dem Begriff 194 ] [ Entwicklungskraft 168 ] [ Entwicklungslehre 226F  ] [ Entwicklungstrieb 168 ] erfahren 143 [ Erfahrenheit 151 F , 153, 153F , 156 ] Erfahrung ◉ 105 f., 151, 153, 155 f., 169F , 180, 182F , 184 [ Erfahrung, innere 156 (Erfahrenheit) ] erfolgen 151, 154 ergeben (sich) 168 Ergebnis (44), 168, 215, 312 66  [ Erkenntnis, theoretische – praktische 181 ] Erklärung (definitio) 164 F , 236 Erscheinung/erscheinen 106 f., 147, 151, 165 f.F , 182, 184 f., 192F , 209F  Ewigkeit/ewig 143 ff., 149F  Fertigkeit 158 Folge (effectus) 151, 155, 163, 215 folgern/Folgerung/Folgerei 82, 150 f.F , 155, 168 Forschung 144 Fortschritt ◉ (42F ), (44), 147, 168F , 171, 202 f.F , 208F  freiwillig 151 fühlen/Fühlen 147, 151 F , 257 f., 260 f.

364

Register der wichtigern Termini

Fürsichsein ° (251)

Hinsicht 168 f.

Gefühl 147, 151, 158, 167 F , 252, 257 ff., 260, 309 55 , 318 84  Gefühl – Gemüt ° 147 Gefühl – Empfindung ° 258 Gegensatz 72, 147, 157 Gegenstand 152 (ordo adversarius), 158 (objectum), 160F  gegenständlich ° Geist ° Gelegenheit 151, 308 f. 52  Gemüt 144, 147, 253 f. (Verstand), 260 ff.F  (Gefühl), 318 87  Gemütsbewegungen 158, 262 Gemütskräfte 158, 261 Gemütsneigungen 161 Genauigkeit/genau 150, 158 Geschlecht – Art 165F  Geschlecht – Unterschied 160 Gesellschaft 144, 188 Gesetze der Natur/Natur­ gesetze ◉ 62, 65, 85, 149 Gesicht[ s ]punkt/Schaupunkt 125F , 160 [ s. o. point de vue ] Gesinnung 82, 151, 168, 207 gesunde Vernunft 161 Gewissen 82, 143, 149, 151, 157, 175, 216 f., 225, 228, 266, 315 75 , 316 77  Gewissheit 144, 188, 265 [ Gewissheit, moralische 265, 265F  ] Größe (quantitas) 155 Großheit 146 Grund – Ursache 165

[ Ich (s. o. Ego) 114, 114 F , 188 ] [ Ich, absolutes 188 ] [ Ichheit (s. o. Egoitas) 157 F  ] [ Inbegriff 147, 151 F , 256F  ] innere Erfahrung 156 innerer/äußerer Sinn 144 Innigkeit 147 Inwendig(keit) 147 Irrung 147 Klarheit 146 Kraft – Möglichkeit ° Kraft – Vermögen ° 165, 249F  [ K ritik der Sprache/Sprach­ kritik 10 ] [ Kulturstaat 188 ] Kunstwort [ /Kunstsprache 10F , 158 (terminus technologicus/ Terminologie) ] 187, 187 F  Lauterkeit 147 Lebenskraft 157 Lehrsatz 158 Leidenschaft 158F , 182, 182F , 237 Leidenschaft – Affekt 158F , 182F , 237 Lust – Unlust 147, 158, 160, 218F , 301, 311 62  Mangel 151, 309 54  Mannigfaltigkeit 147, 176F  Mehrheit/Minderheit 144 Meinung 122 (Absicht), 143, 149 [ Metalogik 219 ] [ Metamathematik 219 ]



[ Neuere ] Deutsche Termini 365

[ Metapolitik 219 ] Mitleid 147, 148F , 158F , 169F , 210, 311 60  Mittelglied 164 F  Naturrecht 157 Natursprache 157 Neigung 147, 161, 262F  Notwendigkeit/notwendig 143, 149, 154 f., 183, 185 Obersatz/Untersatz 67, 164 F  [ Objekt 147 (fürwurf/Vor­wurf) ] das Ohngefähr/Ungefähr 169 Ort 153 ff.F , 236, 236F  [ Partei/Parteiung 150 ] [ Person 149, 308 51  ] persönlich 149 [ Persönlichkeit ◉ 149, 308 51  ] Pflicht 39F , 44, 144, 151, 156, 183, 217 F , 228, 266, 301, 309 53  [ Phantasie (Fantasey) 154, 301, 310 57 , 312 64  ] [ Quelle 164 F  (principium) ] Raum 154 f.F , 156, 236, 302 Reiz/Reizung 150, 169 Schein/scheinbar 144, 166 schlechtweg 158 schließlich 158 Schluss 158 Schlussfolge 160 [ Schlussformen 160 ]

Schlusssatz 66, 158 Schwelle 197 F , 222 Seele ° [ Seele – Geist 109, 115 (anima – mens) ] Seele, schöne ° Seelenvermögen 207 f.F , 232, 249F  Sein ° 74 (esse) [ Selbstbestimmtheit 305 40  ] [ Selbstbewusstsein (64), 157 ] Selbstheit 147, 157 F  [ Selbststand 160, 233F  (substantia) ] selbst[st]ändig 148, 157 f., 160F , 231 F  Selbst[st]ändigkeit 150, 188 [ Selbstwesen 160 (Substanz) ] setzen 188 setzen (formal) ° Sinnbild 158 Sinnlichkeit (69), 147, 181 Stetigkeit/stetig (38), 144, 164 Stoff 158, 158F , 160F , 233F  Stoffursache 159 [ Tathandlung 169F , 188 ] Tatsache/Faktum 169 f.F  Umstand (67), 155, 157, 160, 223F , 308 52 , 311 61  Unbegreiflichkeit/[ Unbegrifflichkeit ] 147 unbewusst 104, 207 F  Unendlichkeit/unendlich 143, 147, 157, 193 Ungrund 157

366

Register der wichtigern Termini

Unterschied/unterscheiden/Unterschiedenheit 143 (discretum), 143, 147 unvermittelt/unmittelbar 147, 149 Urbild 158 Ursache (23), 86, 96, 147 f.F , 159, 165, 185 Urteil 64 F , 69, 160, 181 f.

Vielheit 157 von vornherein ° Vorstellung 104 (unbewusste V.), 157 f., 164, 164 F  (Idee), 168, 194 F , 197 F , 207, 231, 246, 248, 252, 256 ff. Vorstellung –Begriff 256 f. vorstellen – denken 167 f.

Veränderung/sich verändern 150 Verhältnis 160, 164, 218 Vermögen 131 F , 147, 150, 165, 249, 249F  Vernunft/[ Unvernunft (s. o. vernunst) ] 144, 147 F , 153 f.F  (Vernunft vs. Verstand), 160, 168, 181, 198F , 209F , 253, 256 [ Vernunft, reine (ratio pura) 164 ] Vernunft – Erfahrungsgründe 160 Vernünftig(keit)/vernünftig [ (s. o. vernünsticheit ] 144, 147, 153 Vernunftschluss[ / Verstandesschluss ] 157 f., 183 Verstand 144, 147, 153 f.F , 181, 188, 198, 209, 253 ff, 254 (gemüet), 317 83  [ Verstand, gemeiner vs. räsonierende Vernunft, 168F , 255 ] verursachen 158 Verworrenheit/verworren 143, 147

Wahrscheinlich(keit)/wahrscheinlich 26, 158 f. Weisheit 144, 254 F  Weltweisheit 11 F , 154, 161, 179F  Widerspruch 150 Wirklich(keit) 107, 147 f.F , 185, 192, 246 Wirkung 147, 215 ff., 314 74  Wirkursache 155, 159 Wohlwollen 110, 157 Wort ° [ Wortschluss 159 (Syllogismus) ] Zergliederung 164 F  (analysis) Ziel 149, 156F , 236, 317 81  Zielstrebigkeit/zielstrebig 236F  Zufall/zufällig 148, 161 zureichend ° Zusammensetzung 155 (compositio) Zustand 169 Zweck ◉ 135, 149, 151, 156F , 160, 165 f.F  (Absicht, Endzweck), 182, 236, 317 81  [ Zweckmäßigkeit 182 ]



Begriffsgeschichtlich vertiefte T ­ ermini in GG

367

R egister der begriffsgeschichtlich vertieften ­T er mini in GG (Geistige Strömungen der Gegenwart [ GG ] (1920 = 6., überarb. Aufl. von Grundbegriffe der Gegenwart [ 1878 ])

Abstrakt 51 f., Fn. 1 Agnostizismus 398 f., Fn. 2 Aktuell 234, Fn. 2 A priori – a posteriori 81–83

Modern 278 ff. Monismus 187 ff.

Bildung 244 ff.

Objektiv/Objektivität 9 ff. Ontologie 105, Fn. 1 Optimismus 382, Fn. 1 Organismus/organisch 118 ff.

Causa finalis 127, Fn. 4 Charakter 363–366 Determinismus 367, Fn. 3 Dualismus 187 f. Entwicklung 206 ff. Erfahrung 81 ff., 114, Fn. 2 Fortschritt 213 f., Fn. 1 Genie 313, Fn. 1 Gesetz 147 ff. Idealismus 65 ff. Immanenz 396 f. Individuum, Individualität 289 ff. Intellektualismus 34 ff. Kultur 240 ff. Materialismus 192 Fn. 1 Mechanismus/mechanisch 118 ff. Metaphysik 105 f. Fn. 1 Mikrokosmos 291 f. Milieu 295, Fn. 1

Naturgesetz 147 ff.

Pantheismus 398, Fn. 1 Person, Persönlichkeit 351–356 Pessimismus 382, Fn. 1 Pragmatismus 43 f. Realismus 65 ff. Rein (reiner Verstand, reine Vernunft) 83, Fn. 1 [ s. o. pûrheit (purheit) ] Seele, schöne 313, Fn. 1 Soziologie 295 Subjektiv 9 f. Teleologie 127 Theoretisch/praktisch 34 ff. Transzendenz 396 f. Typus/typisch 363, Fn. 1 Voluntarismus 34, Fn. 1 Zivilisation 243 ff. Zweck 124