Das ferne und nahe Wort. Festschrift. Leonhard Rost zur Vollendung seines 70. Lebensjahres am 31.11.1966 gewidmet

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Das ferne und nahe Wort. Festschrift. Leonhard Rost zur Vollendung seines 70. Lebensjahres am 31.11.1966 gewidmet

Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Prophetische Züge im Buche Hiob
Das Freiheitsverständnis in der zelotischen Bewegung
Zur Frage der theologischen Deutung der messianischen Psalmen
Tendenz und Theologie der David-Salomo-Erzählung
Der neue Tempel in der Heilshoffnung Hesekiels
Die Komposition von I Reg 16 29—II Reg 13 25
Ein neuer Zugang?
Micha 1
Τό δέ Άγάρ Σινά ὅροϛ έστὶν έν τῇ Άραβίᾳ (Gal 4 25)
Kultreligion und Buchreligion
Warum?
Eichhorn und Kant
Der Tempel Salomos und der »syrische Tempeltypus«
Der Begriff בְּרִית in vordeuteronomischer Zeit
Dtn 254 בדישו לא־תחסם שוד Du sollst dem Rinde bei seinem Dreschen nicht das Maul verbinden
»Tritojesaja« ?
Die Septuaginta-Fassung von Psalm 1511-5 als Ergebnis einer dogmatischen Korrektur
Struktur und Sinn des Psalms 131
The Knowledge of the Suffering Servant
Wann wirkte Joel?
Serubbabel in der Sicht Haggais und Sacharjas
Gedanken zur Heldensage in den Samuelbüchern
«Le lieu que Yahvé a choisi pour y établir son nom»
Wesen und Struktur der Botschaft Maleachis
Das Reden von Schöpfer und Schöpfung im Alten Testament
Zur Komposition von I Reg 221-38
Abraham und Melchisedek
Bibliographie Leonhard Rost

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DAS F E R N E U N D N A H E WORT

DAS FERNE UND NAHE WORT FESTSCHRIFT LEONHARD ROST ZUR VOLLENDUNG SEINES 70. LEBENSJAHRES AM 30. NOVEMBER 1966 GEWIDMET

IM A U F T R A G DER MITARBEITER H E R A U S G E G E B E N VON FRITZ M A A S S

V E R L A G A L F R E D TÖPELMANN BERLIN 1967

B E I H E F T E ZUR Z E I T S C H R I F T FÜR ALTTESTAMENTLICHE

DIE

WISSENSCHAFT

H E R A U S G E G E B E N VON GEORG F O H R E R

105

© 1967 by Alfred Töpelmann, Berlin 30, Genthiner Straße 13 Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege (Photokopie, Mikrokopie) zu vervielfältigen. Printed in Germany Satz und Druck: Walter de Gruyter & Co., Berlin 30 Archiv-Nr. 3822676

Vorwort Die Mitarbeiter dieser Festschrift grüßen LEONHARD R O S T anläßlich der Vollendung seines 70. Lebensjahres in Verehrung und Dankbarkeit. Alle hier zusammengestellten Arbeiten wollen — jede auf ihre Weise — die Verbundenheit der Verfasser mit ihm bekunden. Der anfangs gehegte Wunsch nach einer sachlich einheitlichen Ausrichtung aller Beiträge wurde aufgegeben. Der Zwang einer solchen Vereinheitlichung schien mit der Vielseitigkeit der wissenschaftlichen Interessen und persönlichen Beziehungen des Jubilars schwer in Einklang zu bringen. Zudem ist auch die bei einem solchen Unterfangen geforderte und mühsam zuwegegebrachte Einheitlichkeit meist unausgewogenes Stückwerk. Wenn diesem Band dennoch ein Gesamttitel gegeben wurde, so erklärt sich das als ein Hinweis darauf, daß hinter allem wissenschaftlichen Bemühen LEONHARD R O S T S die Bereitschaft zum Hören auf das fremde Wort aus einer vergangenen Welt steht; daß die exegetische, historische, archäologische Arbeit des Jubilars dem Zweck dient, das ferne Wort zum nahen zu machen. Diesem Bemühen wollen die hier vereinigten Festgaben ihre Reverenz erweisen. Herrn Professor D. D r . G E O R G FOHRER und dem Herrn Verleger gebührt der aufrichtige Dank der Verfasser für die Aufnahme der Sammlung in die Reihe der »Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft«. 30. November 1966 F . MAASS

Inhaltsverzeichnis : Prophetische Züge im Buche Hiob 1 B A U M B A C H , G Ü N T H E R : Das Freiheitsverständnis in der zelotischen Bewegung . 11 B A U M G Â R T E L , F R I E D R I C H : Zur Frage der theologischen Deutung der messianischen Psalmen 19 D E L E K A T , L I E N H A R D : Tendenz und Theologie der David-Salomo-Erzählung . . 26 EICHRODT, W A L T H E R : Der neue Tempel in der Heilshoffnung Hesekiels . . . . 37 E I S S F E L D T , OTTO : Die Komposition von I Reg 16 29—II Reg 13 25 49 E L L I G E R , K A R L : Ein neuer Zugang ? 59 F O H R E R , G E O R G : Micha 1 66

BARDTKE, HANS

G E S E , H A R T M U T : T Ö 6È " A Y À P ZIVÀ ÔPOÇ ÈORLV ÈV RRJ ' A P A ß I G (GAI 4 2 5 )

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: Kultreligion und Buchreligion. Kultische Funktionen in Israel und in Ägypten 95 J E P S E N , A L F R E D : Warum ? Eine lexikalische und theologische Studie 106 K A I S E R , OTTO : Eichhorn und Kant. Ein Beitrag zur Geschichte der Hermeneutik 1 1 4 K U S C H K E , A R N U L F : Der Tempel Salomos und der »syrische Tempeltypus« . . . 1 2 4 K U T S C H , E R N S T : Der Begriff I T H 3 in vordeuteronomischer Zeit 133 L I S O W S K Y , G E R H A R D : Dtn 25 4 "lETTl "TIE? DOnrPXV Du sollst dem Rinde bei seinem Dreschen nicht das Maul verbinden. In religionsgesetzlicher und ethischer Sicht erläutert 144 M A A S S , F R I T Z : »Tritojesaja«? 153 M E Y E R , R U D O L F : Die Septuaginta-Fassung von Psalm 1511-5 als Ergebnis einer dogmatischen Korrektur 164 Q U E L L , GOTTFRIED : Struktur und Sinn des Psalms 1 3 1 173 R E I C K S , B O : The Knowledge of the Suffering Servant 186 R U D O L P H , W I L H E L M : Wann wirkte Joel ? 193 S A U E R , G E O R G : Serubbabel in der Sicht Haggais und Sacharjas 199 S T O E B E , H A N S J O A C H I M : Gedanken zur Heldensage in den Samuelbüchern . . . 2 0 8 DE V A U X , R O L A N D : »Le lieu que Yahvé a choisi pour y établir son nom« . . . . 219 W A L L I S , G E R H A R D : Wesen und Struktur der Botschaft Maleachis 229 W E S T E R M A N N , C L A U S : Das Reden von Schöpfer und Schöpfung im Alten Testament 238 W Ü R T H W E I N , E R N S T : Zur Komposition von I Reg 2 2 1 - 3 8 245 Z I M M E R L I , W A L T H E R : Abraham und Melchisedek 265 K E L L E R M A N N , D I E T H E R : Bibliographie Leonhard Rost 265 HERRMANN, SIEGFRIED

Prophetische Züge im Buche Hiob Von Hans B a r d t k e (Leipzig, Güldengossaer Str. 13)

Das Buch Hiob hat nach dem zweiten Weltkrieg wieder wie nach dem ersten Weltkrieg eine gesteigerte Anteilnahme gefunden, die sich in der theologischen Literatur äußerte. Innerhalb alter und neuer Kommentarreihen zum Alten Testament sind dem Buch Hiob große und umfassende Bearbeitungen gewidmet worden. Diese haben alle nur irgend möglichen Gesichtspunkte berücksichtigt, so daß es eigentlich überflüssig erscheint, in einem Festschriftaufsatz noch einmal zu dieser Thematik Stellung zu nehmen, zumal kürzlich mit Recht geäußert worden ist, daß dem Verfasser eines großen Kommentarwerkes zugestanden werden muß, die z. Z. bestmögliche Vertrautheit mit Stoff und Problematik zu besitzen. Nur weniges könne geäußert werden1. Trotzdem soll im folgenden der Versuch unternommen werden, das Buch Hiob auch einmal unter einem anderen Gesichtspunkt zu sehen, als es herkömmlich gesehen zu werden pflegt. Im Lobpreis der Väter im Buch Jesus Sirach wird Hiob erwähnt und zwar an einer Stelle, an der man es nicht erwarten würde, nämlich zwischen Ezechiel und dem Buch der Zwölf Propheten (Sir 49 8-10). Der Wortlaut der Stelle läßt verschiedene Deutungsmöglichkeiten zu. V. HAMP (Echterbibel) sieht in der Erwähnung des Hiob »eine kluge schriftstellerische Wendung«, die »auch den Nichtisraeliten Job indirekt in den Preis der frommen Vorfahren hinein«-bringt und als Begründung dafür anführt: »Der die Wege der Gerechtigkeit einhielt«. Eine andere Auffassung sieht in dieser Erwähnung einfach eine Bezugnahme auf Ez 14 14. 20. Aber warum wird gerade Hiob genannt ? Noah wurde schon in Sir 44 17 aufgeführt, doch Daniel fehlt. Da das Danielbuch damals noch nicht in der heutigen masoretischen Form bestand, hatte der Verfasser Jesus Sirach keinen Anlaß, den Daniel besonders zu erwähnen. Jedenfalls ist der Gedanke nahegelegt, daß er mit Hiob zugleich auf sein Buch sich bezog, das damals sicher schon vorgelegen haben dürfte. So haben seinerzeit R. SMEND2 und V. RYS1

2

So V. HAMP in seiner Rezension des Kommentars von G. FOHRER, BZ N.F. 10 (1966), S. 298ff. Die Weisheit des Jesus Sirach erklärt, 1906, S. 471f.

Rost

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Hans Bardtke

SEL 3 sich unter Annahme einer älteren Lesart TDTN oder T3T3 — der WirStil auch in 49 2.11.13 — dafür entschieden, hier eine Bezugnahme auf das Buch Hiob zu finden. Dann würde an dieser Stelle das Buch Hiob unter der prophetischen Literatur erscheinen. Diese Einordnung steht nicht einzig da. Auch Flavius Josephus (Contra Apionem I, 8) dürfte das Buch Hiob unter die dreizehn zwischen Mose und Artaxerxes geschriebenen Bücher gerechnet haben, da er es unter den vier Hymnen und Lebensregeln enthaltenden Büchern nicht aufzählt. Noch später ist die talmudische Tradition (Baba batra 15b 16a), die Hiob ebenfalls als Propheten bezeichnet, wobei die Frage offenbleibt, ob er ein israelitischer oder nichtisraelitischer Prophet gewesen ist. Man kann für diese Einordnung des Buches Hiob verschiedene Gründe vermuten. Der Hauptgrund wäre der, daß das Buch in die Offenbarungsperiode von Mose bis Artaxerxes eingeordnet werden sollte. Außerdem war die dritte Gruppe kanonischer Bücher des Alten Testaments, die Ketubim, erst im Entstehen begriffen, wie der Prolog des Enkels des Jesus Sirach um 130 v. Chr. zeigt. SMEND glaubte, in der Hochschätzung der Prophetie durch Jesus Sirach selbst (24 33 und 50 27) die Ursache für diese Einordnung des Buches Hiob finden zu dürfen. Aber es ist die Frage zu stellen, ob diese Einfächerung des Hiobbuches von Jesus Sirach selbst stammte, oder ob er hier von einer älteren Tradition abhängig war. Da der Lobpreis der Väter mehr von der Gerechtigkeit und Gottwohlgefälligkeit der hervorragenden Gestalten des Volkes Israel berichtet und kein spezielles Interesse an der Weisheit zeigt, darf man wohl mit J. FICHTNER 4 vermuten, daß der Lobpreis nach Vorbildern gedichtet war, die nicht aus den Kreisen der Weisheitslehrer stammten. Somit dürfte Jesus Sirach eine Tradition erhalten haben, derzufolge das Buch Hiob unter die prophetische Literatur gerechnet wurde. Diese Tradition ist um so sonderbarer, als das Buch Hiob in seiner Form und auch in seinem Inhalt von den übrigen Prophetenbüchern des Alten Testaments erheblich abweicht. In der Form zeigt es nicht Sammlungen verschiedener prophetischer Sprüche, die jeweils auf kasuelle Situationen bezogen sind, es fehlt der Berufungsbericht mit dem Sendungsauftrag, es fehlt die einheitliche Anordnung der verschiedenen Spruchsammlungen nach dem Schema Unheil für das eigene Volk, Unheil für die Fremdvölker, Heil für das eigene Volk. Es fehlen ferner die zeitgeschichtlich orientierenden Angaben am Eingang des Buches sowie alle Bezugnahmen auf geschichtliche Ereignisse 3

4

Bei E . KAUTZSCH, Die Apokryphen und Pseudepigraphen des Alten Testaments, I 1900, S. 466. Zum Problem Glaube und Geschichte in der israelitisch-jüdischen Weisheitsliteratur, ThLZ 76 (1951), Sp. 146.

Prophetische Züge im Buche Hiob

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oder historische Persönlichkeiten. Aber auch die national-religiösen Traditionen, Erzväterzeit, Auszug aus Ägypten, Landverheißung und Landnahme, Erwählung, Bund, Gesetz, spielen im Buch Hiob gar keine Rolle. Diesen fehlenden Größen gegenüber fällt es gar nicht so ins Gewicht, daß manche Gattungen, die im Hiobbuch verwendet werden, auch in der prophetischen Literatur verwendet erscheinen. Die Verwendung prophetischer Gattungen wie etwa die Disputationsrede kann nicht den Ausschlag gegeben haben, das Buch als ein prophetisches zu bezeichnen und entsprechend einzuordnen. Der einheitliche Kompositionsplan, der dem Werk des Hiobbuches offensichtlich zugrunde liegt — ohne die Möglichkeit späterer Einfügungen und Bearbeitungen bestreiten zu wollen — ist ebenfalls nicht geeignet, dem Buch das Gepräge eines prophetischen Buches, wie es die unter dem Namen des Jesaja, Jeremia oder Ezechiel oder anderer bestehenden Bücher tragen, zu verleihen. Gegenüber diesen Beobachtungen will es scheinen, als sollte jener sonderbaren Einreihung unter die Prophetenbücher gar keine Aufmerksamkeit gezollt werden, wie das tatsächlich auch geschehen ist. Auf der anderen Seite läßt sich aber nicht bestreiten, daß doch einige Züge sich geltend machen lassen, die jene anfechtbare Einreihung letztlich doch rechtfertigen. Schon in der sogenannten Rahmengeschichte begegnen gewisse prophetische Züge. Die himmlische Ratsversammlung aus Hi 1 und 2 findet sich auch in I Reg 22 19-23 im Rahmen der Verkündigung des Jahwepropheten Micha ben Jimla. An beiden Stellen wirkt jeweils ein Mitglied dieser himmlischen Ratsversammlung ad malam partem eines Menschen. Die innergeschichtliche Verwirklichung der Plagen, die über Hiob kommen, Krieg, Naturkatastrophen, Krankheit, entsprechen den angedrohten Strafen prophetischer Gerichtspredigt. Schwert, Hunger, wilde Tiere und Pest werden in Ez 14 21 als Strafen Jahwes aufgezählt. Prophetischem Geist würde es auch entsprechen, daß der Kult, insbesondere das Opfer ganz am Rand stehen und nur in der Rahmengeschichte genannt werden. Die fehlende Bezugnahme auf nationalreligiöse Traditionen, die an den Heiligtümern gepflegt wurden, kann mit dieser kultlosen Frömmigkeit des Hiob in Verbindung gebracht werden. Zum Propheten gehört die persönliche Offenbarung Jahwes, das Angeredetsein durch Jahwe selbst. Aber Hiob erlangt auch diese persönliche Offenbarung und erfährt jenes persönliche Angesprochensein (38 1 4 0 i . e ) . Er übt die Fürbitte, die ihm von Jahwe aufgetragen wird (42 8). Schon im Opfer für die Kinder (1 5) dürfte dieses fürbittende Eintreten bereits vorhanden sein. l»

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Hans Bardtke

Zu den prophetischen Zügen sollte auch das retardierende Element gerechnet werden, das zwischen dem Abschluß der Herausforderung Gottes (31) und der Offenbarung Gottes in 38 in Gestalt der Elihureden gegeben ist. Es kann hier nicht unsere Aufgabe sein, in die Diskussion um die Elihureden einzutreten. Viele Forscher sehen diese Kapitel 32—37 als nachträglichen Einschub an. Aber läßt man sie aus dem ursprünglichen Entwurf fort, so würde die Antwort Gottes in 38 iff. gleich auf die Herausforderung folgen. Das wäre nicht alttestamentlich gedacht. Der Prophet muß oft warten, bis die Antwort Jahwes auf die Frage nach einem auszudeutenden Ereignis oder nach dem zu verkündenden Wort ergeht. Jeremia bietet dafür den häufig genannten Beweis (Jer 28 liff. 42 7). Auch auf Elia in der Überlieferung von I Reg 19 dürfte in diesem Zusammenhang hingewiesen werden. In der Gestalt des Elihu erscheint aber der inspirierte Mensch, der Prophet, der vom Geist Gottes getrieben wird und der sprechen muß ( 3 2 8.18-20). G. FOHRER hat in seinem Buch »Studien zum Buche Hiob« ( 1 9 6 3 ) diesen Zug der Elihureden gut herausgearbeitet. Wenn auch nur die Stadienlehre nach FOHRER der weiterführende Gedanke des Elihu ist, so ist doch die Tatsache, daß in der einleitenden Rede Kap. 32 die Inspiration5 betont wird, im Zusammenhang des Hiobbuches von Wichtigkeit. Neben die weisen Freunde und ihre beständige Bezugnahme auf die Weisheitslehren, neben den nach Gott fragenden und ihn herausfordernden Menschen Hiob tritt nun noch der vom Geist Gottes inspirierte Prophet, der zwar nicht die Bezeichnung eines solchen für sich in Anspruch nimmt, aber durch den Hinweis auf den Inspirationscharakter seiner Ausführungen seinen besonderen Charakter im Chor der Stimmen deutlich macht. Es lassen sich noch zahlreiche weitere Einzelzüge nennen, die als Belege für den prophetischen Charakter des Hiobbuches verwendet werden könnten. Sie zu nennen, muß einer weiteren Untersuchung vorbehalten bleiben. Hier soll nur skizzenhaft angedeutet werden, was in der Gesamtlage des Buches zum Ausdruck kommt. Von der Rahmengeschichte aus wird das Leiden des Hiob als Prüfung seiner Frömmigkeit deutlich, aber dem Hiob selbst ist diese Absicht verborgen. Für ihn bleibt nur das Handeln Gottes, das sich an ihm vollzogen hat, und das er für sich deuten muß. So wie die Propheten die Geschichte beobachteten und zu deuten versuchen mußten, um aus dem geschichtlichen Geschehen das Wort Gottes, das ihnen zur Verkündigung aufgegeben war, erkennen zu können, so ist auch Hiob in die Notwendigkeit versetzt worden, das an ihm vollzogene Geschehen als das Wort Gottes an ihn und an seine Zeit zu verstehen und dementsprechend zu deuten. Hiob ist der Typ des 6

32 8.18-20. Weiteres bei G. FOHRER, Studien, S. 103.

Prophetische Züge im Buche Hiob

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Menschen, der von einer unbegreiflichen Not getroffen worden ist, obwohl nach seinem Dafürhalten und nach dem ihm unbekannten Geschehen im Himmel nichts in seinem Leben Anlaß dazu geboten haben dürfte, solche Not verdientermaßen auf sich heraufbeschworen zu haben. M. WEBER6 hat einmal in seinen Aufsätzen zur Religionssoziologie die Frage aufgeworfen, woher die unbeirrbare Gewißheit des Propheten käme, daß er das Wort Gottes verkündige. Diese Frage wurde von ihm beantwortet mit dem Hinweis auf die endgültig erlangte Klarheit des Propheten über das, was ihm als schwer deutbares Ereignis vor die Seele getreten war. Aus vielen Erwägungen vor Gott, aus vielen Überlegungen, aus dem Hin und Her der Einsichten und Meditationen brach die Gewißheit über die gemeinte Bedeutung hervor. Der Prophet hatte sich als Empfänger und als Hermeneut des Gotteswortes bewährt. Es kann gar keinem Zweifel unterliegen, daß diese Gewißheit im Hiobbuch in den Gottesreden von Kap. 38 ff. ausgedrückt ist. Die direkte Jahwerede ist angewendet, so wie auch der Prophet nach erlangter Gewißheit seine Verkündigung einleitet mit mn1 "löX HD. Von diesen Schlußkapiteln aus betrachtet gewinnt das gesamte Hiobbuch den Charakter eines angespannten Ringens um die Deutung des erlittenen Geschehens. Die Voraussetzung ist, daß Hiob von den Vorgängen im Himmel nichts weiß. Dann nimmt das Ringen von dem Tiefpunkt der menschlichen Verzweiflung in Kap. 3 seinen Anfang, indem Hiob sein Leben verflucht. Es folgt dann der dreimalige, nicht ganz vollständig erhaltene Redewechsel zwischen Hiob und seinen Freunden, wobei in den vom Geist der Weisheit bestimmten Reden der Freunde und Hiobs Antworten niemals eine genaue logische Entsprechung sich findet. Stärker als die Logik ist die weiterdrängende Meditation, die die Gedanken hin und her wendet und jedenfalls eine deutliche Ablehnung der aus der Weisheitslehre stammenden Argumentation darstellt. Den zweiten großen Abschnitt gedanklicher Erwägungen stellt der Rechtsstreit mit Gott dar in den Kapiteln 29—31, an dessen Ende Hiob den Reinigungseid mit allen Selbstverwünschungen ablegt und Gott herausfordert. G. FOHRER hat die hinter diesen Kapiteln stehende Haltung des Hiob als häretische Theologie bezeichnet7. Aber auch diese führt selbstverständlich nicht zum Ziel. Auch die Stadienlehre des Elihu kann nicht zu einem befriedigenden Ende führen. Mit dem Hinweis auf die Unzugänglichkeit Gottes schließt dieser Redeabschnitt. Band I I I : Das antike Judentum, 1921, S. 3 0 5 . M . W E B E R urteilte hier im Anschluß an E. S E L L I N , dessen Buch »Der alttestamentliche Prophetismus«, 1912, er zitiert. ' Studien, S. 8.

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Damit sind alle Bereiche im Raum zwischen Gott und Mensch durchmessen, ohne daß eine gültige Deutung sich ergeben hat. Aber eine Deutung ist vorbereitet worden in der Herausforderung Gottes durch Hiob und durch den seine Reden abschließenden Hinweis des Elihu. Die Lösung kann nur noch von Jahwe selbst kommen. Von Kap. 38 iff. an wird die Deutung gegeben, daß mit Jahwe nicht gerechtet werden dürfe, daß alle gedanklichen Erwägungen, alles Bemühen um denkerische Bewältigung seines Handelns nur führen können zu der Anerkennung seiner göttlichen Überlegenheit, die einer rationalen Durchleuchtung und Durchdringung spottet. Diese Anerkennung wird von Hiob sofort vollzogen (40 3-5 42 i-6). Auch diese Anerkennung gehört zur Deutung des Geschehens, von dessen Verursachung im Himmel Hiob nichts wissen konnte. In dieser Eigenart des Buches Hiob, das Zustandekommen eines prophetischen Wortes mit dem Anspruch, Wort Gottes zu sein, zu zeigen, liegt der stärkste Beweis für seinen prophetischen Charakter. Es lassen sich aber noch drei weitere Beobachtungen anschließen. Zunächst bietet sich das Problem von Prophet und Gegenprophet an, wenn man Elihu als inspirierten Jahwepropheten auffaßt. Die klassische Prophetie ist mit diesem Problem vertraut gewesen. In der Situation des Micha ben Jimla (I Reg 22) wird das Problem in der göttlichen Entscheidung gesehen, die einen Teil der Propheten mit einem Lügengeist belegt. Jeremia 8 kritisierte die Mittel des Offenbarungsempfanges, die von jenen Propheten angewendet wurden. Und dabei wurzelten diese Propheten in den heilsgeschichtlichen Traditionen und vertraten ein Erwählungsbewußtsein, dem jedoch die Interpretation aus der gegenwärtigen geschichtlichen Situation fehlte. Im Hiobbuch wird der dramatische Zusammenstoß zweier Propheten nur angedeutet durch die in den Elihureden vorausgesetzte Bereitschaft des Hiob, dem Elihu ins Wort zu fallen9. Beider Verkündigung erscheint schroff nebeneinander gestellt, wobei die des Hiob deutlich die umfassende und überraschend konsequente ist, indem sie im Willen Gottes allein, der der Durchdringbarkeit von Seiten des Menschen spottet, die Deutung des Geschehens sucht. Eine denkerische Durchdringung und Lösung des Problems Prophet-Gegenprophet wird nicht gegeben. Die zweite Beobachtung, die den prophetischen Charakter des Buches unterstreicht, gilt dem Hiob und seiner total geschlagenen Existenz. Das Geschehen, das im Himmel beschlossen und vom Satan ausgeführt wurde, betrifft seine gesamte Existenz. Wie Hosea10 durch den Verlauf seiner Ehe existentiell ganz betroffen wurde und den 8 9 10

23i6ff. 33 31. Hos 1 und 3.

Prophetische Züge im Buche Hiob

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Symbolcharakter für das Verhalten Israel-Jahwe deutend erkannte, wie Jesaja 11 sich und seine Kinder als Sinnbilder und Wahrzeichen im Zeitraum des syrisch-ephraimitischen Krieges erkannte und bezeichnete, so muß auch Hiob diesen Zeichencharakter zugebilligt erhalten. Freilich bleibt dabei die Frage offen, für wen, für wessen Unterrichtung und Orientierung denn dieses Verkündigungszeichen gedacht war. Alle Zeichenhandlungen der Prophetie stehen im Dienst ihrer Verkündigung. Das führt auf die dritte Beobachtung. Eine Volksgemeinde fehlt im Hiobbuch. An dem Geschick, das den Hiob betroffen hat, nehmen nach dem Zeugnis des Buches nur die Freunde teil, auch seine Frau, die aber nur kurz (2 9) auftaucht. Die 42 11 genannten Brüder, Schwestern und Verwandten sind Figuren der Rahmengeschichte und müssen hier außer Betracht bleiben. So sind es nur die drei Freunde und der vorauszusetzende Elihu, an die Hiobs Zeichen und seine Deutung sich richten. Insofern hat Hiob nicht für sich allein um die Deutung des ihn betreffenden Geschehens gerungen, sondern für einen mitbeteiligten Personenkreis. An ihn und an sie war diese Deutung gerichtet, so wie das Wort eines Propheten ihn mit zu betreffen pflegt, denn er ist miteingeschlossen in das Volk und in die Jahwegemeinde. Freilich muß die im vorhergehenden angestellte Beobachtung der prophetischen Züge im Hiobbuch, so sehr sie die Einordnung des Buches unter die prophetischen Schriften des Alten Testaments verständlich macht, noch ergänzt werden durch die Beantwortung der Frage, aus welchen Gründen von den national-religiösen Traditionen der Volksgeschichte kein Gebrauch gemacht worden ist im Hiobbuch. Oben war schon auf die fast kultlose Frömmigkeit des Hiobbuches hingewiesen worden. Die Frage ist deshalb von Wichtigkeit, weil das Absehen von Kult und national-religiöser Tradition auch für die Weisheit charakteristisch ist. Wenn nun die prophetischen Züge für die Beurteilung des Hiobbuches maßgebend sein sollen, müßte dieses eigenartige Fehlen erklärt werden. Die Grundtendenz des prophetischen Ringens um die Deutung des an Hiob geschehenen Schlages ist allein auf dieses Leiden und diesen Mann gerichtet. Er hat nicht als Glied des Bundesvolkes die Schläge und Verluste erlitten, weil er sich in eine falsche politische Entscheidung hineinbegeben hätte, die die Rache der außenpolitischen Feinde auf ihn lenkte. Er hatte sich nicht mit seinem König oder einer Partei verbündet, um von daher den Wechsel seiner Lage ausreichend klar begründen zu können. Er befand sich nicht in einer Stadt, deren traditionsreiche Geschichte auf Verheißungen zurückblicken könnte. Er gehörte nicht zu einem Stamm, der aus der Geschichte des Gottesvolkes in der Not der Gegenwart 11

Jes 8 18. Siehe zu den exegetischen Einzelheiten die Kommentare.

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Hans Bardtke

hätte trösten können. Der Verfasser des Buches hat folgerichtig gehandelt, als er die heilsgeschichtlichen Traditionen des Bundesvolkes fortließ. Von seiner Ansetzung des Lebens des Hiob im Steppengürtel des Ostjordanlandes konnte er nicht anders handeln. Aber in einem Zug ist er der Überlieferung des Bundesvolkes treu geblieben, und das ist die Anschauung von Gott, die das Buch entwirft. In ihr ist das alttestamentliche Bild von Jahwe in seiner Entzogenheit und Rätselhaftigkeit, aber auch in seinem Willen zum Offenbarwerden und in seiner Selbstmitteilung an den Menschen deutlich und ohne Einschränkung vorhanden. Das ist nicht das Gottesbild der Weisheit, das der prophetische Geist des Hiobbuches gerade überwindet, und damit wird auch der inspirierte Prophet, der aus dem Gottesbild der Weisheit die Stadienlehre entwickelt, überwunden. Lassen sich die vorstehenden Beobachtungen über den prophetischen Charakter des Hiobbuches etwa auch verwenden, hinsichtlich der zeitlichen Entstehung zu einer Aussage zu kommen? Dazu seien andeutungsweise einige Bemerkungen gegeben. Weiteres muß einer ausführlichen Untersuchung und Darstellung vorbehalten bleiben. Zunächst muß gesagt werden, daß die Überwindung der Weisheit durch die Prophetie auch bei Jesaja vorhegt. J. FICHTNER 1 2 hat dies im einzelnen gezeigt. Auf ihn sei hier verwiesen. Da der Lohnarbeiter, den das Hiobbuch (7 2 14 e) nennt, ebenfalls frühestens in Jesajatexten erwähnt wird, wird man gut tun, die Jesaj azeit als terminus a quo zu nehmen. Dann setzen die beobachteten prophetischen Züge des Hiobbuches voraus, daß die Prophetie noch nicht verachtet, sondern in voller Geltung war. Das würde die Nehemiazeit und alle folgenden Zeiten ausschließen. Von Ez 14 wird behauptet, daß der Prophet wohl nur die Volksgeschichte vom gerechten Hiob gekannt habe. Aber dieser Einwand ist nicht ausreichend, da die Zitierung der Hiobgestalt gerade diese den Zuhörern des Propheten als bekannt voraussetzt. Wirkungskräftiger und überzeugender ließe sich sagen, daß das Schwerwiegende an der Erwähnung des Hiob im Munde des Propheten gerade in folgender Hinsicht zu suchen ist: Nicht einmal der Mann, der einst in ähnlicher Lage wie die Exilierten jetzt sich vor Gott befand, würde für sie rettend eintreten können, wie er für seine Freunde am Ende des Buches hatte eintreten dürfen. Daß Ezechiel, falls er das Buch Hiob, nicht nur die Rahmengeschichte, gekannt haben sollte, nur wenig Anleihen bei ihm gemacht hat, daß kein Hiobproblem bei ihm aufgeworfen wird, erklärt sich aus der logisch ordnenden Denkweise des Priesters, dem es wichtiger erscheint, die Anschauung von der Ge12

Jesaja unter den Weisen, ThLZ 74 (1949), Sp. 75—80.

Prophetische Züge im Buche Hiob

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rechtigkeit Gottes logisch sicherzustellen13. Außerdem mag dem im Mittelpunkt der Ereignisse von 597 oder 586 stehenden Propheten Ezechiel das geschichtliche Geschick nicht überraschend gekommen sein, zumal er um die schuldhaften Verwicklungen etwa des Königs Jojakim Bescheid gewußt haben muß. Ferner ist die Prophetie nach dem Zeugnis des Hiobbuches noch nicht so fortgeschritten, daß jedem Jahwegläubigen die Möglichkeit der persönlichen Verbindung mit Jahwe zugestanden wird und er deshalb zur Fürbitte wie ein Prophet aufgefordert werden konnte. Das würde in die Zeit vor Jer 29, jedenfalls in die Zeit vor 597, führen. Die literarische Abhängigkeit des Kapitels Hi 3 von Jer 15 und 20 hat schon J. WELLHAUSEN14 behauptet. E. KÖNIG15 hat umgekehrt gemeint, daß, wenn man schon von einem Abhängigkeitsverhältnis sprechen wolle, diese Abhängigkeit bei Jeremia obwalte und nicht bei Hiob. Selbst FOHRER16, der WELLHAUSEN folgt, muß zugeben, daß nicht immer der entwickeltere Text bei Hiob vorhanden ist. Zwei dichterische Entwürfe über das Motiv der Selbstverfluchung können gleiche oder doch ähnliche Ausdrucksweisen schwerlich vermeiden. Eine solche mir möglich erscheinende Ansetzung im siebten Jh. v. Chr. hat sich allerdings mit der Behauptung zu befassen, daß im Hiobbuch der Dualismus der persischen Religion vorausgesetzt sei, indem Gott und Satan einander gegenübergestellt seien. Das würde in das 6. Jh. hineinführen. Aber wo liegt denn im Hiobbuch ein Dualismus vor ? Etwa in der Satansgestalt ? Dieser Satan ist hier ein himmlischer Hofbeamter, der unter dem Befehl Jahwes steht und seine Befehle bzw. seine Freigabe bestimmter Handlungen innerhalb festgesetzter Grenzen genau befolgt. Wie iranischer Religionseinfluß sich im Bereich israelitisch-jüdischen Glaubens bemerkbar machen kann, ohne den alttestamentlichen Monotheismus aufzuheben, zeigen die Texte von Qumrän, insbesondere 1QS 3, 13 ff. Auch die Bisutun-Inschrift, die in das 6. Jh. führen würde, kann datierungsmäßig nicht den Ausschlag geben, da sie bisher als einziges archäologisches Faktum bekannt ist, daher nicht ausgeschlossen ist, daß das Verfahren auch schon in früherer Zeit angewendet worden ist. Die Perserkönige haben zahlreiche Gepflogenheiten der Vorgängerreiche übernommen. Die Veranlassung zur Abfassung des Buches würde dann gegeben sein in dem Ende des Nordreiches 722/21, das auch für das Ostjordanland politisch neue Verhältnisse brachte. Vielleicht ist das Buch auch im Südreich entstanden unter dem Eindruck der Katastrophe des 13

Siehe Ez 18, die Lehre von der individuellen Vergeltung.

14

In der Besprechung des Kommentars von FRANZ DELITZSCH über Hiob, ThLZ 2 (1877), Sp. 73—77.

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Das Buch Hiob eingeleitet, übersetzt und erklärt, 1929, S. 68f. Kommentar, S. 113.

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Hans Bardtke

Jahres 701 v. Chr. Mit den nationalen Katastrophen könnte auch das starke Zurücktreten der national-religiösen Überlieferungen zusammenhängen. Da die starke innere Beteiligung des Verfassers an seiner Problematik deutlich ist, ließe sich an einen Israeliten denken, der im Zusammenbruch des Nordreiches alles verloren hatte und nun zur Deutung und Bewältigung des Geschehens sich aufgerufen wußte. Dann würde das Hiobbuch ein seltenes Zeugnis sein aus der Zeit Manasses in der ersten Hälfte des 7. Jh., als die Prophetie schwieg, das erste Zeugnis eines schreibenden Propheten, über ein Jahrhundert früher als Deuterojesaja.

Das Freiheitsverständnis in der zelotischen Bewegung Von G ü n t h e r B a u m b a c h (Berlin 55, Hosemannstr. 33)

Meinem sehr verehrten Lehrer, Herrn Prof. D. Dr. R O S T , zur Vollendung des 70. Lebensjahres in herzlicher Dankbarkeit gewidmet Im ThWB II, S. 484—500, hat H. SCHLIER die Begriffe IXeüfcpos, eXsuÖEpia, eXsuöepöco, öcTreAeüOepos behandelt, wobei er sich bei der Darstellung der Vorgeschichte dieser Termini ganz auf den Bereich des Griechentums und des Hellenismus beschränkt hat, ohne den jüdischen Bereich zu berücksichtigen. Eine solche Einseitigkeit dürfte aber kaum gerechtfertigt erscheinen; denn der Freiheitsbegriff spielt auch im Judentum eine nicht unwesentliche Rolle. Besonders für eine jüdische Gruppe war er von konstitutiver Bedeutung: für die sog. »Zeloten«. Umstritten ist allerdings die Interpretation des zelotischen Freiheitsbegriffs. Während ihn die ältere Forschung hauptsächlich rein profan-politisch verstand 1 , hat ihn M. H E N G E L im Gegensatz dazu unter betont religiösem Vorzeichen zu sehen versucht und eine eschatologische Deutung vorgetragen 2 . Diese unterschiedliche Auslegung läßt es uns geraten erscheinen, dem Freiheitsbegriff der zelotischen Bewegung einmal kurz nachzugehen. Wir wollen uns jedoch nur der Richtung innerhalb dieser Gruppe zuwenden, die von Josephus (Jos.) als »Sikarier« bezeichnet wird und die — im Unterschied zu den priesterlichen Jerusalemer Zeloten — eine Laienbewegung darstellte 3 . Bevor wir in die Betrachtung des Freiheitsverständnisses dieser 1

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Vgl. z. B. E. S C H Ü R E R , Die Geschichte des jüdischen Volkes im Zeitalter Jesu Christi, I 19014, S. 486, 574ff., 617ff.; H. P R E I S K E R , Neutestamentliche Zeitgeschichte, 1937, S . 227; B. S A L O M O N S E N , in: New Testament Studies 12 (1966), S. 164 ff. (»The Zealots formed a patriotic resistance movement without any specific religious ideology«, S. 167). Vgl. M. H E N G E L , Die Zeloten, 1961, S. 114—1B0. Vor H E N G E L hatten schon A. 4 SCHLATTER (Die Geschichte der ersten Christenheit, 1927 , S. 102f.; Geschichte Israels, 1925 s , S. 262 ff.) und W. R. F A R M E R , Maccabees, Zealots, and Josephus, 1956, S. 110, 123 f., 177 ff., die religiöse Motivierung des zelotischen Freiheitskampfes hervorgehoben. Vgl. dazu G. B A U M B A C H , Zeloten und Sikarier, ThLZ 90 (1965), Sp. 727—740.

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Richtung eintreten, soll zuvor ein kurzer Uberblick über die im sog. »Spätjudentum« vorhandenen Verstehensmöglichkeiten des Freiheitsbegriffs versucht werden4. I. Die von H. SCHLIER aufgezeigten Verständnisarten der Freiheit: A) der politische Begriff der Freiheit im Griechentum und B) der weltanschauliche Begriff der Freiheit im Hellenismus lassen sich auch im Judentum nachweisen, allerdings nur im hellenistischen Judentum. Während der politische Freiheitsbegriff z. B. in I Macc 14 26 begegnet, herrscht der weltanschauliche vor allem bei Philo vor5. Daneben finden sich aber im Judentum noch andere Arten eines FreiheitsVerständnisses. An erster Stelle ist hier das zu ¿ÄEufcpia in Lev 19 20 Sir 7 21 gebrauchte hebräische Äquivalent rtttfpn bzw. tfßn, das »Freiheit« im Sinne von »Freilassung« (bezogen auf Sklaven) bedeutet, und das ebenfalls sozial orientierte eAsuGepos in Ex 21 2.5.26.27 Dtn 1512.13 T Jud 21 7 T Naph 110 u. ö. zu nennen. Ein solcher sozialer Freiheitsbegriff liegt in manchen jüdischen Apokalypsen vor, wobei häufig die Versklavung der »Freien« als Zeichen der »messianischen Wehen« angesehen und dementsprechend eine Entmachtung und Vernichtung der den »alten Äon« repräsentierenden Könige und Bedrücker vom Endgericht erwartet wird6. Die Zukunftshoffnung richtet sich somit hier auf einen radikalen Umsturz, der die Befreiung von aller Verknechtung und die Wiederherstellung des auserwählten Volkes und seines Heiligtums in Jerusalem mit sich bringt7. Sofern eine solche Verknüpfung mit dem apokalyptischen Umsturzgedanken vorliegt, möchten wir von einem apokalyptischen Freiheitsbegriff sprechen. Im rabbinischen Judentum wurden, wie die verschiedenen Interpretationen des als MTp gelesenen Uli n von E x 32 16 zeigen, hauptsächlich drei Freiheitsvorstellungen vertreten: Freiheit vom Todesengel, Freiheit von Knechtschaft bzw. von fremden Regierungen und Freiheit von Leiden8. Die erste, die sich mit der stoischen Freiheit von Dieser Überblick kann nur ganz schematisch geschehen, um den Rahmen unseres Artikels nicht zu überschreiten. 5 Vgl. bes. Quod omnis probus liber sit ( C O H N - W E N D L A N D VI). 8 Vgl. TLev 18 lff. TJud 21 7ff.24 3 I Hen 17ff. 5 5ff. 91 Ufr. u. ö. IV Esr 7 I7ff. 25 u. ö. 'Vgl. Dan 718ff. I Hen I I a 2Ö4lf. IV Esr 13 26.36 SyrBar 402 72 4ff.ApAbr 29i7ff. 312 fl. Diese Aussagen knüpfen an die prophetischen Verheißungen von dem Goldenen Zeitalter der Gerechtigkeit, des Friedens und des Heils an, vgl. Jes 2 2ff. 11 61T. 65l7ff. Joel 4l8ff. Sach 9—14; ferner Jes 24 23, wonach »der Herr seine Königsherrschaft auf dem Berge Zion» antritt. Von einer Verjenseitigung der Zukunftserwartung ist an den genannten Stellen noch nichts zu merken. 8 Vgl. E x R 321 417 LevR 18 3 NumR 10 8 16 24 H L R 8 6.

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Todesfurcht berührt9, und die zweite, die apokalyptisch geprägt erscheint, sind von den Rabbinen zugunsten der dritten abgelehnt worden, die dem pharisäischen Standpunkt am klarsten entsprechen dürfte. Da es nach pharisäischer Auffassung kein Leiden ohne vorherige Schuld gibt10, das Leiden deshalb als Züchtigung für begangene Sünden aufgefaßt wird11, geht es bei der zuletzt genannten »Freiheit« um die Erlassung der Sündenstrafen. Eine solche Freiheit wird erlangt durch das Studium der dem Volk Israel als Zeichen der Erwählung gegebenen Tora; denn es heißt NumR 10 8: »Man findet keinen Menschen frei außer demjenigen, der sich mit dem Tora-Studium beschäftigt«. Diesem an der Tora ausgerichteten pharisäischen Freiheitsverständnis kommt im rabbinischen Judentum große Bedeutung zu12. II. Für die Erarbeitung des Freiheitsverständnisses der Sikarier stehen uns keine direkten Quellen zur Verfügung, weil uns diese Gruppe keine eigenen Schriften hinterlassen hat. Deshalb sind wir auf indirekte Zeugnisse angewiesen: auf die Münzen des 1. Jüdischen Krieges, in dem die zelotische Bewegung die Führung innehatte, und auf die Geschichtsdarstellung des Jos. 13 Die auf den Aufstandsmünzen angebrachten Umschriften zeigen, daß sich das »heilige Jerusalem«, die »Freiheit« und die »Erlösung Zions« »gegenseitig entsprachen«14. Bei dieser »Freiheit« handelte es sich somit nicht um eine individuelle, dem Bereich der Innerlichkeit zugehörige sittliche oder religiöse Entscheidung oder Haltung, sondern um eine reale Veränderung äußerer Verhältnisse. Die Erwähnung Jerusalems und Zions weist darauf hin, daß es einerseits um die Befreiung des gesamten, um Jerusalem als Kultzentrum gescharten jüdischen Volkes ging und daß andererseits eine solche Befreiung soteriologisch-eschatologischen Charakter hatte 15 . Ein derartiges Freiheitsverständnis unterscheidet sich grund9 10 11 12

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Vgl. Epictet Diss IV, 1, 103ff.; Seneca Ad Marc 19f. u. ö. Vgl. Schab 65 a LevR 17. Vgl. S T R . - B . II, S . 193—197. Vgl. Ab 3 5 6 2 Ab. d. R. Nathan I I BQ 90b BM 85b MechEx 14 2 u. ö. Die zur Erfüllung der Tora notwendige Willensfreiheit wird deshalb von den Pharisäern vorausgesetzt — allerdings in der im Blick auf die Erwählung notwendigen Form von Ab 3 1 5 . Zu weiteren, jedoch für unsere Frage unergiebigen Zeugnissen vgl. M. H E N G E L , a. a. O. S. 19 ff. M . H E N G E L , a. a. O . S. 1 2 3 . Für »Erlösung« steht das im AT auf den Sklavenloskauf bezogene Wort " l l p i j ? (vgl. dazu auch unsere Anm. 3 0 ) . Ob damit »die Erfüllung der prophetischen Verheißung« Jes 52 lf. (so M . H E N G E L , a. a. O. S. 123) zum Ausdruck gebracht werden soll, erscheint fraglich.

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legend von dem hellenistischen und dem pharisäischen und dürfte wegen der eschatologischen Ausrichtung auch nicht mit dem griechischen in Berührung stehen. Darum überrascht es nicht, daß Jos. als hellenistisch eingestellter Schriftsteller für die von ihm häufig erwähnte zelotische Freiheitsliebe16 nichts übrig hat. Das »Verlangen nach Freiheit« ist zwar für ihn »das ehrenhafteste und natürlichste aller Gefühle« (TÖ TIIJUCOTOCTOV TCOV -rrocöcöv Kai (puaiKcoTarov) 1 7 , aber diese Freiheit ist in typisch hellenistischer Weise mit der Tugend identisch 18 und konkretisiert sich für ihn als pharisäischen Juden im Leben unter der Tora19. Gehören somit für Jos. Freiheit, Tugend und Leben unter der Tora zusammen, dann wird verständlich, daß er in BJ V, 406 ff. seinem Volk vorwirft, es verdiene nicht die Freiheit, weil es seine Sünden nicht bekennt und bereut. Auf Grund dieser Sündhaftigkeit und Unbußfertigkeit ist nach BJ V, 412 die Gottheit aus dem Jerusalemer Heiligtum gewichen und hat sich auf die Seite der Römer gestellt. Wenn die Aufständischen dennoch gegen die unter Gottes Schutz stehenden Römer kämpfen, erweisen sie sich nach Jos. als verstockt; denn die Römer verboten ja nicht die Ausübung des jüdischen Kultus und die Befolgung der Tora, wie es Antiochus IV. angeordnet hatte. Darum wertet Jos. den makkabäischen, auf die Erringung der religiösen Freiheit gerichteten Kampf positiv, den andersartigen zelotischen dagegen negativ 20 . Die Besonderheit der zelotischen Freiheitsbewegung tritt darin in Erscheinung, daß von ihr gesagt wird, sie beschritte »ganz neue 16 17 18

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Vgl. Ant XVIII, 4f. 23 BJ II, 264. 346ff. 357. 480 u. ö. BJ IV, 176. Zur Hochschätzung der Freiheit im Hellenismus vgl. Epictet Diss IV, 1, 52: d y a 6ov (joi SOKET F| £Aeu6ep!A; — Tö P£ytorov. — Aüvorrai oöv Tis TOÜ nsylcrrou dyaöoö Tuyxavcov KaxoSaiiJiovsiv f) KOCKCOS TTpaacrsiv; — Ou. — und Diss IV, 1. 54: SOKET CTOI Heya T t slvai Kai y E v v c c i o v F| iAeuScpia KAI d^iöAoyov; — ITCOS yctp oü; — 6 6 : AOKST 6 £ aoi F) lAsuöepla aÜTE^ouaiöv Tt slvai Kai CÜÜTÖVOHOV; — NEOS yatp ou; —• ferner Diog. Laert. VI, 71 VII, 121. Zur Gleichsetzung von Freiheit und Tugend vgl. Epictet Gnom Stob 31: Freiheit ist TÖ T f j s d p E T f j s övo|ia. Vgl. Ant X I I , 281, wo Mattathias daran erinnert, daß Gott den in der Tugend Verharrenden TTIV ¿Aeuöepiav Iv fj £R|CTEA0E HET' dSsias TWV ISUov d-rroAca/o VTES tOcov diroKOTaarriaEi. Vgl. Ant XII, 302. 304. 312. 316. 433f. u. ö. Diese verschiedenartige Bewertung der beiden Freiheitskämpfe dürfte in dem andersartigen Freiheitsbegriff der zelotischen gegenüber der makkabäischen Bewegung gründen. Es erscheint uns deshalb nicht legitim zu sein, diese Verschiedenheit dadurch wegzuinterpretieren, daß mit W. R. F A R M E R (a. a. O . S . 20) auf Jos.' »dual role as apologist for both the Romans and the Jews« oder mit M. H E N G E L auf den »Unterschied zwischen 'Bellum' und 'Antiquitates'« (a. a. O. S. 118 Anm. 1) mit den dort waltenden unterschiedlichenTendenzen hingewiesen wird. Von den Zeloten als »Neomakkabäern« (vgl. W. R. F A R M E R , a.a. O. S. 26, 30, 123 f.) sollte man schon deshalb nicht reden, weil die Makkabäer nicht apokalyptisch ausgerichtet waren.

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und ungewöhnliche Wege«21. Gemäß BJ II, 427 bemächtigten sich nämlich diese »Revolutionäre«22 gleich zu Beginn des Jüdischen Krieges des Jerusalemer Archivs und vernichteten alle dort aufbewahrten Schuldurkunden. Eine solche Aktion stellte einen eindeutigen Protest gegen die bestehende Sozialordnung dar, wie sie mit dem Vordringen des Hellenismus auch in Palästina entstanden war und zu dem scharfen Gegensatz zwischen den hauptsächlich in den Städten wohnenden »Reichen« und den »Armen« auf dem Land geführt hatte 23 . Indem nun die Römer mit den hellenisierten oberen Schichten gemeinsame Sache machten, betätigten sie sich als ß S ß A I C O T A S TCOV voiacov, d. h. als Garanten der bestehenden Ordnung24, so daß notwendigerweise beiden Gruppen die Kampfansage der Aufständischen gelten mußte; denn »zwischen ihnen (d. h. den Reichen) und den Fremden sei ja doch kein Unterschied, weil sie die hartumkämpfte Freiheit der Juden so schmählich verraten und zugestandenermaßen die römische Knechtschaft erwählen«25. Die von den Sikariern ausgegebene Freiheitslosung, der sich zunächst auch manche Angehörige der alten jüdischen Oberschicht angeschlossen hatten 26 , weil sie sie wahrscheinlich rein politisch verstanden, entpuppte sich nach und nach in ihrer umfassenden Radikalität, so daß der Aufstand gegen die Römer immer offenkundiger die Gestalt eines Bürgerkriegs annahm 27 . Wenn nämlich irgendwo die Aufständischen an die Macht gelangten, ermordeten sie alle Reichen und Besitzenden, denen nicht rechtzeitig eine Flucht zu den Römern gelungen war28. Gemäß BJ IV, 365 entging dem Tod nur, »wer der alleruntersten Schicht angehörte, sei es wegen seiner niedrigen Herkunft (nach L: wegen Armut) oder infolge von Schicksalsschlägen«29. Gerade dieser durch die hellenistische Wirtschaftsentwicklung ver21 22 23

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B J V, 402: £EVCCS KOCIVOTOHEITS KOCKICCS öSoüs. TÖ vecoTGpi^öv vgl. B J I, 4 III, 463 u. ö. Vgl. dazu J. HERZ, Großgrundbesitz in Palästina im Zeitalter Jesu Christi, PJ 24 (1928); J. K L A U S N E R , Jesus von Nazareth, 1930, S . 238ff.; M . R O S T O V T Z E F F , Gesellschafts- und Wirtschaftsgeschichte der hellenistischen Welt, II 1955, S. 802 ff. Nach Ant XVII,307 hatte Herodes das Volk »mit mittelloser Armut angefüllt« (TTEvias S£ dnröpov TÖ £6VOS äuaTrrrrAr)Kivai). B J I V , 1 8 4 . Zur Rolle der Römer vgl. E . L O H M E Y E R , Soziale Fragen im Urchristentum, 1 9 2 1 , S. 4 2 . BJ VII, 255; vgl. auch BJ VI, 4: »Mit vom Brudermord besudelten Händen stürzten sie zum Krieg gegen die Fremden«. Vgl. bes. BJ II, 648, wo der Hohepriester Ananos und einige römerfeindlich eingestellte Vornehme erwähnt werden, und BJ II, 566 ff., wo die Feldherrn aufgezählt werden. Vgl. B J IV, 276: TÖV Karra TCOV 6uoq>üAoov TTOAE^OU II, 620: TTOAE^OU £ncpuA(ou ferner V, 27 f. 257 u. ö. Vgl. BJ II, 265. 441 IV, 139ff. 315ff. u. ö. Siecpuysv oüSeis, EI uA CT9O8PA TIS n v TOCTTEIVÖS F) 6t' äyeveiav F| 5ICT T0XT|V.

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armten »alleruntersten Schicht« wollten die Sikarier die Freiheit bringen. Simon bar Gioras Tätigkeit wird darum in BJ IV, 508 in die Worte gefaßt: irpoKripü^as SouAois ÖVeuÖEpiav. Das Auftauchen unseres Begriffs eAeuöepia in diesem Zusammenhang macht sichtbar, worum es dieser Bewegung ging: um die Befreiung des Gott geheiligten Volkes von aller Sklaverei: von der sozialen wie von der politischen, von der durch einheimische wie von der durch fremde Herren30. Für diese »Armen« war der Kampf gegen Rom das Mittel, um endlich Rache zu nehmen an allen Unterdrückern. Wie die israelitische »Prophetie in ihren früheren Stadien . . . die Erhebung gegen die Fremdherrschaft und die Revolution im Inneren befürwortete«31, wobei die Vertreibung der Fremdherrschaft die notwendige Voraussetzung für Reformen im Inneren darstellte, so war für die Sikarier der Kampf gegen die römische Fremdherrschaft notwendig um der erstrebten radikalen Umwandlung der Verhältnisse im Inneren willen. Das Ziel dieses Freiheitskampfes war aber nicht profan-politisch oder rein sozial, sondern theokratisch ausgerichtet; denn es ging den Sikariern um die gewaltsame Heraufführung einer Zukunft, die inhaltlich an der idealen Vorzeit Israels orientiert war32. Dementsprechend lehnten sie die durch den Hellenismus bedingte wirtschaftliche, kulturelle und religiöse Entwicklung ab und mußten darum notwendigerweise in einen Gegensatz zu den Pharisäern geraten33. Durch ihre Vorstellungen von der Wüste als dem Ort der Heilsoffenbarung Gottes34 und von dem »Kosmos« als dem »besseren Tempel Gottes«35 unterschieden sie sich zugleich auch von den priesterlichen Jerusalemer Zeloten, die auf Grund ihres kultisch geprägten Freiheitsbegriffs die Befreiung des Tempels von dem damaligen illegitimen Hohenpriestergeschlecht durch die Einsetzung eines legitimen sadokidischen Hohenpriesters und die Erneuerung des Jerusalemer Heiligtums erwarteten36. 30

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Bezeichnenderweise findet sich deshalb auf den Münzen der Terminus der sich im A T auf den Sklavenloskauf bezieht, vgl. M. HENGEL, a. a. O. S. 122 Anm. 4. H. H. ROWIEV, Apokalyptik. Ihre Form und Bedeutung zur biblischen Zeit (dt. Ü b e r s , v . R . P E S C H ) , 1966 3 , S. 22.

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Vgl. dazu M. HENGEL, a. a. O. S. 138f., 296ff. Die Pharisäer verhielten sich in ihrer Mehrzahl dem zelotischen Freiheitskampf gegenüber auf Grund ihres andersartigen Freiheitsverständnisses ablehnend, wie es das Verhalten R. Jochanan ben Zakkais besonders deutlich zeigt, vgl. dazu J. NEUSNER, A Life of Rabban Yohanan ben Zakkai, 1962, S. 104—128.

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V g l . M . H E N G E L , a. a . O . S. 2 5 5 f f .

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BJ V, 458f.; vgl. dazu O. MICHEL—O. BAUERNFEIND, Flavius Josephus. De Bello Judaico, II, 1 1963, S. 269 Anm. 185. Für die Sikarier kann es sich dabei nur um den apokalyptischen Gegensatz (»zukünftige Welt — irdischer Tempel«) gehandelt haben, der nicht im Schema Jenseits-Diesseits gesehen wurde. Vgl. BJ IV, 153ff., wonach diese Zeloten einen Hohenpriester mit Namen »Pinchas« wählten. Da auch von den Qumran-Essenern sadokidische Tendenzen vertreten

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Indem für die Sikarier Gottes Verheißung nicht an den Tempel, sondern an die »Welt« gebunden war, wurde der Kampf für den Anbruch der neuen Gottesordnung in der Welt, speziell der jüdischen »Welt«, zur religiösen Pflicht. Die Freiheitsforderung der Sikarier begegnet deshalb immer in Verbindung mit der Proklamierung des radikal verstandenen 1. Gebots37. Es geht also bei dieser »Freiheit« um die Aufrichtung von Gottes Herrschaft über das Land und von Gottes Gerechtigkeit in dem Land. Da die Unterdrückung der Armen eine Mißachtung des göttüchen Willens und insofern eine eklatante Gottlosigkeit darstellt, erscheinen in der apokalyptischen Literatur die Reichen und Mächtigen als die Gottlosen kat' exochen36. Die Beseitigung dieser Unterdrücker und die Befreiung der versklavten Landbevölkerung gehörten darum notwendig in die Zukunftserwartung hinein, die die Sikarier zu verwirklichen trachteten. Die von ihnen erstrebte Freiheit bedeutete als völlige Unterwerfung unter Gottes Herrsein die Befreiung von allen menschlichen Herren und damit zugleich die Aufrichtung einer neuen eschatologischen Ordnung, in der es keine Herren und Sklaven, keine Besitzenden und Armen gibt39. III. Der von den Sikariern vertretene Freiheitsbegriff ähnelte somit weder dem alten griechisch-politischen, noch dem hellenistisch-weltanschaulichen, noch dem pharisäisch-gesetzlichen, sondern könnte wohl am besten im Blick auf die sich in ihm aussprechende jüdischapokalyptische Grundhaltung als apokalyptischer Freiheitsbegriff bewurden (vgl. 1QS V, 2. 9 lQSa I, 2. 24 II, 3 lQSb III, 22f. CD IV, 2ff.), wird verständlich, daß beide Gruppen im Jüdischen Krieg gemeinsame Sache machen konnten (vgl. BJ II, 152f. 567). Die »Lösung« aus dem »gewissen Gegensatz zwischen Tempel und Wüste als zweier verschiedener Orte, an die Gottes Heilsverheißungen geknüpft waren«, »ergab sich« also nicht, wie es M . HENGEL, a. a. O. S. 261, formuliert, »aus der wechselnden politisch-religiösen Lage«. Diese Doppelheit weist vielmehr darauf hin, daß es sich hier um die Heilserwartung der nicht miteinander zu identifizierenden Gruppen der »Sikarier« und »Zeloten« handelt. Das unterschiedliche Verhalten der einzelnen Sikarierverbände in Jerusalem und Masada gegen Ende des Krieges dürfte mit den in dieser Zeit entstandenen neuen Gruppierungen zusammenhängen (vgl. G. BAUMBACH, a. a. O. Sp. 734—36). 37 Vgl. BJ II, 118. 433 VII, 253f. Ant XVIII, 23f. Hippolyt Refutatio IX, 26. 38 Vgl. I Hen 94 6fr. 96sff. u. ö. SyrBar 8317 Sib III, 40ff. IV, 32 CD IV, 17 VIII, 5 1QS X, 19. 39 Mit O. MICHEL und O. BAUERNFEIND, a. a. O. I 1962 2 , S. 447 Anm. 194, könnte darum vermutet werden, diese Gruppe wäre »wie die Essener der Ansicht« gewesen, »daß das Land und aller Besitz Gott geheiligt sei und darum kollektiv verwaltet werden müsse«. Rost

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zeichnet werden. Indem sich diese Freiheit als »Zerrüttung der staatlichen Ordnung«40 auswirkte, wird erkennbar, daß hier die bestehende Ordnung im Sinne der apokalyptischen .Vorstellung vom »alten Äon« begriffen wurde. Als Repräsentanten dieser zum Vergehen bestimmten Weltordnung galten die Mächtigen und Besitzenden, die ihren Besitz der hellenistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsform verdankten, sowie die Römer, die als Beschützer einer solchen Ordnung auftraten. Der Kampf gegen alle den »Äon der Ungerechtigkeit«41 in ihrer Person verkörpernden »Herren« wurde deshalb für die Sikarier zur unabdingbaren Voraussetzung für die Gewinnung der Freiheit. Daraus ergibt sich, daß ohne den apokalyptischen Umsturzgedanken Lehre und Handeln dieser Bewegung unverständlich bleiben42. Da ein solcher Umsturz immer auch die politischen Verhältnisse betrifft, mußte der zelotische Freiheitskampf auch politischen Charakter annehmen, wobei die Führer in diesem »heiligen Krieg« wahrscheinlich messianische Ansprüche erhoben43. Wegen der grundlegenden Unterschiedenheit dieses Freiheitsbegriffs von dem politischen des Griechentums müssen wir eine rein profan-politische Deutung der von den Sikariern erhobenen Freiheitslosung ablehnen. Aber auch der von M. HENGEL ververtretenen eschatologischen Deutung können wir nicht vorbehaltlos zustimmen, weil diese zu wenig den revolutionären, alle Bereiche betreffenden Umsturzgedanken berücksichtigt. Die dem Begriff »Freiheit« vom A T her anhaftende soziale Bedeutung brauchte von den Sikariern deshalb nicht spiritualistisch verflüchtigt zu werden, weil die von ihnen erstrebte »Freiheit« als »Erlösung Zions« eine Neuordnung aller Verhältnisse, auch und gerade der sozialen, innerhalb des von Gott erwählten und darum Gott allein zum Gehorsam verpflichteten Volkes betraf. 10