Aktuelle Probleme der Marktwirtschaft in gesamt- und einzelwirtschaftlicher Sicht: Festgabe zum 65. Geburtstag von Louis Perridon [1 ed.] 9783428456536, 9783428056538

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Aktuelle Probleme der Marktwirtschaft in gesamt- und einzelwirtschaftlicher Sicht: Festgabe zum 65. Geburtstag von Louis Perridon [1 ed.]
 9783428456536, 9783428056538

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FESTGABE FtJR LOUIS PERRIDON

Ak tueHe Probleme der Marktwirtschaft in gesamt- und einzelwirtschaftlicher Sicht

Festgabe zum 65. Geburtstag von Louis Perridon

herausgegeben von

Reinhard Blum und Manfred Steiner

DUNCKER &

HUMBLOT I BERLIN

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Aktuelle Probleme der Marktwirtschaft in gesamt- und einzelwirtschaftIicher Siebt: Festgabe zum 65. Geburtstag von Louis Perridon / hrsg. von Reinhard Blum u. Manfred Steiner. Berlin: Duncker und Humblot, 1984. ISBN 3-428-05653-1

NE: Blum, Reinhard [Hrsg.]; Perridon, Louis: Festschrift

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 1984 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1984 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berlln 61 Printed in Germany ISBN 3-428-05653-1

Inhaltsverzeichnis Louis Perridon zum 65. Geburtstag .....................................

7

I. Aktuelle marktwirtschaftliche Grundfragen Reinhard Blum

Mehr Markt: Problemlösung oder Flucht aus der politischen Verantwortung ................... ,........................................ 13

Bernhard Gahlen

Stagflation und die Kosten von Arbeitslosigkeit und Inflation ........

25

Ludwig Huber

Tendenzverstärker und Gegengewicht. Die öffentlichen Banken im Wettbewerb ........................................................ 39

11. Probleme der Sozialpolitik und Sozialpartnerschaft in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft Heinz Lampert

Sozialpolitik in der Sozialen Marktwirtschaft bei reduziertem Wirtschaftswachstum und Unterbeschäftigung. Anmerkungen zur "Wende" in der Sozialpolitik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

51

Horst Reimann

Anmerkungen zur Gastarbeiterpolitik: Insulation - ein neues Integrationskonzept? ...................................................

65

Hans Schlosser

Der Mensch als Ware: Die Galeerenstrafe in Süddeutschland als Reaktion auf Preisrevolution und Großmachtpolitik (16. - 18. Jahrhundert) ............................................................... 87

Feter Atteslander

Konturen zukünftiger Sozialpartnerschaft. Vom Kampf um materielle Arbeitsbedingungen zur Auseinandersetzung über Formen und Inhalt menschlicher Arbeit - ein Essay ............................. 115

m. ökonomische Führungsentscheidungen Zwischen Moral und Rationalität

Hans A. Hartmann

Vom Sollen zum Sein und retour. über normative, positivistische, strukturgenetische und evolutionstheoretische Ansätze zur Bestimmung des moralischen Bewußtseins ................................. 137

Oswald N euberger

Rational, rationaler, irr rational, irrational. über die Allgegenwart irrationalen HandeIns in Organisationen ............................ 169

Inhaltsverzeichnis

6

Lutz von Rosenstiel Wandel der Werte -

Zielkonflikte bei Führungskräften?

203

Friedlich Hoffmann

Verhalten deutscher und US-amerikanischer Manager. Eine Analyse ausgewählter Verhaltensmerkmale .................................. 235 IV. Einzelwirtschaftliche Entscheidungen in ihrer Abhängigkeit von Wirtschaftspolitik und Rechtsordnung

Günter Bamberg

Auswirkungen progressiver Steuertarife auf die Bereitschaft zur Risikoübernahme ................................................... 265

Lutz Haegert Ist die Förderung des sozialen Wohnungsbaues in Berlin unsozial? ... 279 Adolf Gerhard Coenenberg

Jahresabschlußinformation und Aktienkursentwicklung. Empirische Ergebnisse über die Entscheidungswirkungen von Jahresabschlußinformationen am Aktienmarkt ..................................... 307

Michael Gaitanides

überlegungen zum Investitionsbegriff in Wirtschafts- und Unternehmenspolitik ..................................................... 333

v. Unternehmenskrisen und ihre Bewältigung durch einzel- und gesamtwirtschaftliclle Maßnahmen Walter A. Dechsler

Unternehmenskrisen und strategisches Krisenmanagement ...... . . . .. 345

Manfred Steiner

Insolvenzrechtliche Unternehmensanierung und Marktwirtschaft

373

Dtto Dpitz, Klaus Ambrosi, Norbert Turulski

Zur Beschreibung mehrdimensionaler Daten durch Gesichter. Dargestellt am Beispiel einiger Bilanzkennzahlen deutscher Aktiengesellschaften ............................................. . . . . . . . . . . . . . .. 393 VI. Der Privathaushalt - marktwirtschaftlicller Elementarbaustein von zunehmender ökonomiscller Bedeutung

Hermann Brandstätter, Erich Barthel, Vera FünfgeZt

Beruf "Hausfrau". Eine psychologische Studie mit dem Zeitstichproben-Tagebuch ...................................................... 407

Berndt Tschammer-Dsten

Möglichkeiten und Grenzen computergestützter Entscheidungsfindung im Haushalt ............................................. . . . . . . . . . .. 433

Bibliographie .......................................................... 451 Mitarbeiterverzeichnis ................................................. 457

Louis Perridon zum 65. Geburtstag Louis P'err,~don, den es hier zum 65. Geburtstag als Freund, Kollegen, Lehrer und Gründungsprä's~denten der Universität Augsburg zu ehren gilt, würde sich bei der Lektüre des Bandes unwohl fühlen, wenn viel über Aner~ennung und Würdigung von persönlichen Leistungen geschrieben wÜl'de. Ein BCliIld mit Beiträgen von Fr,eunden, Kollegen und Schül'ern, di!e ihn während gemeinsamer Aufbauarbeit an der Universität Augsburg kennen- und schätzen lernten, schien uns jredoch genau Louis Perri!dons Wertschätzung für Gebur:tstagsgeschen~e zu treffen. Die unter dem Generalthema des Bandes von den einzelnen Autoren behandelte Pluralität der Perspektiven spiegelt am besten den weiten Horizont ,der wissenschaftlichen Interessen des Jubilars wider. Ein Schwerpunkt des Wirkens von Louis Perridon lag und liegt im Bereich der internationalen Betriebswirtschaftslehre. Sein fachwissenschaftliches Herz schlug hrer besonders für Fragen des Finanz- und Bankwesens sowIe der Rechnungslegung. In zahlreichen Veröffentlichungen ·erwies er sich als Kenner des spezifischen Entwicklungsstandes der Betdebswirtschaftslehre in den westlichen Ländern Europas, speziell des romanischen Sprachraumes. Er war Begründer und Herausgeber oder mehrspra,chigen Zeitschrift "Management International Review". Besondere Betonung fand der international,e Schwerpunkt in seinem Wirken durch die langjährig,e Tätigkeit als Generalsekretär der Union Europeenne des Experts Comptables Economiques et Financiers (UEC), ,einer europäischen Vereinigung der Wktschaftsprüfer. In dieser Funktion war er Mittler zwischen Praxis und Wissenschaft einerseits und, prädestiniert durch seine Mehrspra,chigkeit, zwischen Wirtschaf.tsfachleuten unterschiedlicher Muttersprache andel'lerseits. Das .allgemeine fachwisse'IllSchaftliche Interesse Louis Perridons galt in Lehl'e und Forschung der engen Verzahnung der Wirtschaftswissenschaften mit den wirtschaftlich relev1anten Sozialwissenschaften, insbesondere der Psychologie und Soziologie. Daraus :entstand auch das besondel'e ReformkonZiept bei Gründung des wirtschaftswissenschaftlichen Fachbereichs der Universität Augsburg: €Im sozialw.issenschaftlich umf,assend ausg,ebildeter und gebildeter "Diplomökonom" mit Spezialisierungsmöglichkeiten während des Hauptstudiums nach den Studiengängen Betriebswirtschaftslehre, Volkswirtschaftslehre und Sozioöko-

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nomire, :mIzügltch weiterer ergänzender Schwerpunktfächer aus diesen drei Studiengängen. unter Einbeziehung der methodischen Wissensch,aften. Der wissenschaftlichen Fort- und Weiterbildung im Berufsleben stehender Ökonomen di'ent das von Perridon ~ns Leben geruf,ene Kontaktstudium der Universität Augsburg, das als gleichberechtigte dritte Säule der Universität neben der Lehre für Studenten rund der wissenschaftlichen Forschung institutionalisiert wurde. Mit einer in die Universität integrierten Erwachsenenbildung betrat die Universität Augsburg in der Bundesrepubl1k Neul,and. Heute kann d~eses Experiment bereits als voll geglückt bezeichnet werden. Insbesondere ein von Louis Perridon betreuter und vom Bund finanzierter Modellversuch "Kontaktstudium Management" gewann bundesweite Aufmerksamkeit und Aner~ennung.

Schlteßl,ich gehörte und gehört eirne heimliche Liebe Louis Perridons alten Werken der wirtschaftswissenschaftlichen Ideengeschichte und der Philosophie. Viele Kostbarkeiten sammelte er im Laufie der letzten Jahrzehnte, las und liest darin, sooft es der ausgefüllte Tagesablauf ~u­ läßt, und liebt es besonders bei einem Glas guten französischen Rotweins und einer guten Zigarre über ideengeschichtliche und philosophische Fragen zu dis~utieren. In Lehre und Schrifttum hat sich Perridon u. a. mit sozialpolitischen Problemstellungen, der W,iirkiUng der Rechtsordnung auf das Handeln der Wirtschaftssubjekte, dem Konsumhaushalt als wichtigem einzelwirtschaftlichem Erklenntnisobjekt und einer problemadäquaten. Verbindung von einzel-und gesamtwirtschaftlicher Analyse beschäftigt. So bilden. die in dem vorHegenden Bandenthaltenen Aufsätze mit sehr unterschiedlicher Themenstellrung keine zufällige Sammlung von Beiträgen der Freunde, Kol1egen und Schüler, sondern stellen ein echtes Spiegelbild der vielfältig,en wissenschaftlichen Interessen des Jubilars dar. Seine ersten wissenschaftlichen Grundl,agen Legte der in Rotterdam am 1. 10. 1918 geborene Louis Perddonan den Universitäten von Paris und Bordeaux. In Bordeaux promovierte er :mIm Docteur en DroH. Praktische Erfahrungen sammelte er als Attache bei der Gen:eraldirektion der Philips S. A., Paris sowie als Vize direktor der Niederländischen Handelskammer in Paris. Die wissenschaftliche Karriere setzte er als Professor an der Univ,ersität Caen sowie mit der HabHitatlon für das Fach Betriebswirtschaftslehre an der Universität Saarbrücken fort. 1965 erhielt Lou~s Perridon einen Ruf an d~e Universität München ,auf den Lehrstuhl mr Vergleichende Betriebswirtschaftslehre. Vom Bayerischen Staatsministerium für Unterricht UiIld Kultus wurde er 1967 2lum Mitglied des Ausschusses für die Gründungsvorbereitungeiner wirtschafts- und soziialwilsseIl!Schaftlichen HochschuLe in Augsburg be-

Louis Perridon zum 65. Geburtstag

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stellt. In dieser Funktion entwarf er hochschul politische und fachwissenschaftliche Reformkonzeptionen, die große Beachtung fanden, so daß ihm 1970 das ,ehl"'envolle Amt eines Gründungspräsidenten der Universität AJUgsbUJr:g übertl1agen wurde. Gleichzeitig erfolgte iseme Berufung mIf emen Lehmtuhl für Betriebswirtschaftsl,ehre am Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fachber:eich der Universität Augsburg. Die Publikation dieses Bandes wäre in der vorliegenden Form bei der Vielzahl von angebotenen Beiträgen ohne finanzielle Förderer nicht möglich gewesen. Unser Dank gilt vor allem der Bayerischen Landesbank - Girozentrale, München und ihrem Präsidenten, Staatsminister a. D. Dr. Dr. h. c. Ludwig Huber, sowie der Gesellschaft der Freunde der Universität Augsburg.

Reinhard Blum

Man/red Steiner

I. Aktuelle marktwirtschaftliehe Grundfragen

Mehr Markt: Prohlemlösung oder Flucht aus der politischen Verantwortung Von Reinhard Blum Die freiheitlich-demokratische Ordnung, der sich die Bundesrepublik verpflichtet fühlt, läßt sich 'auf zwei dezentrale Abstimmungssysteme individueller Interessen reduzieren: Die politische Abstimmung über demokratische Prozesse nach Mehrheit der Stimmen und die marktwirtschaftliche Abstimmung nach Mehrheit der Kaufkraft. Daraus entsteht in der Wirklichkeit das, was als Gemeinwohl umschrieben wird. Die historische Erfahrung mit marktwirtschaftlichen Prinzipien lehrt, daß die Ergebnisse der marktwirtschaftlichen Prozesse durch politische Entscheidungen korrigiert wurden und werden. Dies wird - mißverständlich vereinfacht - mit "mehr Staat" umschrieb.en. Erg·ebnis ist die Soziale Marktwirtschaft und der moderne Wohlfahrtsstaat in den westlichen Industrieländern. Besserer Staat und bessere Marktwirtschaft wäre aus diesem Blickwinkel eine überzeugendere Alternative als mehr Markt bzw. weniger Staat. Dies soll in folgenden Schritten untermauert werden: 1. Gemeinwohl aus der Perspektive der (reinen) Wirtschaftstheorie

2. "Mehr Markt" als Freiheitsnorm und Organisationsprinzip 3. "Mehr Markt" als mehr Gemeinwohl oder Abwehr politischer Organisation. 1. Gemeinwohl aus der Perspektive der (reinen) Wirtschaftstheorie Traditionelles (klassisches) wirtschaftstheoretisches Denken unterstützt die wirtschafts- und gesellschaftspolitische Empfehlung zu "mehr Markt" und scheut sich, von Sozialer Marktwirtschaft zu sprechen. Bevorzugt wird Marktwirtschaft oder - um Mißverständnisse zu vermeiden - freie Marktwirtschaft. Gemeinwohl ergibt sich - rein theoretisch - dann als Wohlfahrtsmaximum aus den durch staatliche Eingriffe nicht gestörten Marktpro~essen. Dies mag einer der Gründe gewesen sein, warum der geistige Vater der Sozialen Marktwirtschaft, Alfred MüUer-Armack, rückblickend beklagte: "Ich habe mir gewünscht, daß die geistige Durcharbeitung dieses Gedankens auch in einem wei-

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Reinhard Blum

teren Kreise gründlicher erfolgt wäre. Nur allzu häufig begnügte man sich mit dem Hinweis auf das politische Gewicht dieser Konzeption, ohne bereit rlU sein, an ihrer gedanklichen Fassung weiter zu arbeiten l ." Soziale Marktwirtschaft gerät im Lichte der "reinen Wirtschaftstheorie" in den Verdacht, als "Mischsystem" nur eine "zweitbeste Lösung" hervorzubringen. Damit verbindet sich die Sorge, 'eine Mischung von Markt und sozialer bzw. politischer Lenkung der Wirtschaft führe - gemäß einer Art wirtschaftlicher Domino-Theorie - zum Abgleiten von Wirtschaft und Gesellschaft in Unfreiheit und Zwang. Lehrbücher der Volkswirtschaftslehre beschreiben diese Automatik als "Ölflecktheorie" . Der bis heute überragende und anerkannte Repräsentant dieses wirtschaftswissenschaftlichen Denkens ist der Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften, Friedrich von Hayek. Sicher ist es jedoch kein Zufall, daß er den Preis mit dem schwedischen Ökonomen Gunnar Myrdal, einem frühen Kritiker klassischen ökonomischen Denkens, teilen mußte. Von Hayek beschrieb die Triebkräfte eines "Mischsystems" in dem auf,sehenerregenden Buch "Weg zur Knechtschaft". Folgerichtig bezweifelt ,er später, daß Soziale Marktwirtschaft noch als Marktwirtschaft gelten kann. Der in den westlichen Industrieländern aus dem Zusammenwirken von marktwirtschaftlichen und demokratischen Abstimmungsprozessen entstandene Wohlfahrtsstaat erhält aus dieser Perspektive ebenfalls eine negative Bewertung. Er behindert die Verwirklichung des Wohlfahrtsmaximums, das sich bei strenger Befolgung marktwirtschaftlicher Prinzipien einstellen würde. "Mehr Markt" als wirtschafts- und gesellschaftspolitische Strategie legt aus dieser Perspektiv,e die Vorstellung nahe, es ließe sich so eine Annäherung an dieses Wohlfahrtsmaximum erreichen. Die Theorie der Wirtschaftspolitik weist diese "Theorie des Zweibesten" jedoch zurück. Die gedankliche Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft nach dem ökonomischen Prinzip - eine Spielart des platonischen Idealstaats, der statt von Philosophen von Ökonomen regiert wird - erhält in der gegenwärtigen, modernsten Form der klassischen Wirtschaftstheorie eine neue theoretische Grundlage durch eine "ökonomische Theorie" der Politik, der Demokratie, des Rechts und der Gerechtigkeit. Den krönenden Abschluß liefert wiederum der Nobelpreisträger Friedrich von Hayek mit einer entsprechenden "kulturellen Evolutionstheorie". In dieser Perspektive zeigt sich deutlich ein "Alleinherrschaftsanspruch" des traditionellen ökonomischen Prinzips, begründet aus der 1 A. Müller-Armack, Wirtschaftsordnung und Wirtschaftspolitik, Studien und Konzepte zur Sozialen Marktwirtschaft und zur Europäischen Integration, Beiträge zur Wirtschaftspolitik Bd.4, Freiburg i. Breisgau 1966, S.I1.

Mehr Markt

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historischen Entwicklung der westlichen Industrieländer. "Mehr Markt" wird zur "Marktgesellschaft" -als überlegene Organisation der menschlichen Gesellschaft fortgedacht, der in die gesellschaftliche und politische Ordnung eingebettete Markt wird zur (freien) Marktwirtschaft ohne staatliche Eingriffe. Die "ökonomische Theorie der Politik" fördert und begründet den Verdacht, (demokratische) Politik sei unsachlich, irrational. Folglich sei es auch bei "Marktversagen" besser, sich Marktprozessen -als "Suchmechanismus" anzuvertrauen als der Politik bzw. dem Staat (Theorie des Staatsversagens). Dieser Wirtschaftsliberalismus untergräbt damit die staatliche Autorität, die die freiheitlich-demokratische Ordnung braucht, um Recht und Ordnung zu garantieren. Daraus wird besonders deutlich, daß es für die erfolgreiche Lösung der zukünftigen Aufgaben der Gesellschafts- und Wirtschaftspolitik nicht um mehl' Markt und weniger Staat, sondern nur um bessere Marktwirtschaft und besseren Staat gehen kann. Mehr Markt, weniger Staat als GarantIe für mehr individuelle Freiheit sowie als Organisationsprinzip zur Erreichung größerer volkswirtschaftlicher Effizienz, gar zur Realisierung des "Wohlfahrtsmaximums" , verleiten nicht nur zur Flucht aus der politischen Verantwortung, sondern verwischen auch die Verantwortung der Politik bzw. der Marktproz-esse für wirtschaftliche Fehlentwicklung und wirtschaftliche Effizienz sowie für individuelle Freiheit in der Gesellschaft. 2. "Mehr Markt" als Freiheitsnorm und Organisationsprinzip

Die von der Wirtschaftstheorie gestützte Strategie "mehr Markt, weniger Staat" unterstellt die gleichzeitige Verbindung von mehr wirtschaftlicher Freiheit, größerer einzelwirtschaftlicher und volkswirtschaftlicher Effizienz sowie mehr Gemeinwohl. Diese Identifizierung wird bereits durch den Wandel der Beziehungen -zwischen Wirtschaft und Staat beim Übergang vom alten zum neuen Wirtschaftsliberalismus der Sozialen Marktwirtschaft in Frage gestellt. In der Sozialen Marktwirtschaft braucht wirtschaftliche Freiheit soziale und wirtschaftspolitische Steuerungl. Abwehr dieser Steuerung bedeutet es deshalb indirekt, wenn die Berufung auf die Soziale Marktwirtschaft bei unserer Wirtschaftsordnung unterbleibt und einfach von "unserer marktwirtschaftlichen Ordnung", freier Marktwirtschaft, freier Soztaler Marktwirtschaft oder "Marktwirtschaft deutscher Prägung" gesprochen wird. Die pauschale Forderung nach "mehr Markt, weniger Staat" 2 Siehe dazu R. Blum, "Marktwirtschaft, soziale", in: Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaft (HdWW), 16. Lieferung, Stuttgart, New York 1980, S. 153 - 166.

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müßte ebenfalls unter dieser Perspektive eingeordnet werden. Dabei wird unterstellt, daß mehr Markt weniger Organisation für die Volkswirtschaft oder in der Volkswirtschaft bedeutet und damit mehr individuelle Freiheit in der Gesellschaft. Diese Unterstellung marktwirtschaftlichen Denkens bedarf unter den Bedingungen der Wirklichkeit der modernen Wirtschaft einer Überprüfung. 2.1. Die Produktion von Gütern erfolgt heute zu einem wesentlichen Teil nicht mehr in (Eigentümer-)Unternehmen, in denen der Eig,entümer der Produktionsmittel für seine geschäftlichen Dispositionen mit dem gesamten Vermögen haftet, sondern sie erfolgt in Personen- oder Kapitalgesellschaften mit beschränkter Haftung. Die Unternehmensleitung besteht aus Managern im Angestelltenverhältnis - mit Pensions- bzw. Abfindungsber,echtigung auch bei Versagen, wie aktuelle spektakuläre Fälle demonstrieren. Die Menschen, die in einem Unternehmen als "einzelwirtschaftlicher Organisation" einen Arbeitsplat,z finden, unterwerfen sich und ihren Anspruch als Bürger auf individuelle Freiheit dem Organisationszwang und Organisationszweck des Unternehmens. Je größ.er ein Unternehmen ist und je konsequenter die Eigentümer der Produktionsmittel bzw. die Manager (gemäß alten hierarchischem Führungsstil) auf die Rechte aus dem Eigentum pochen, desto mehr bedeutet größere wirtschaftliche Freiheit durch mehr Markt nicht größere individuelle Freiheit in der Gesellschaft, sondern "unternehmerische Freiheit" von einzelwirtschaftlichen Organisationen. Aus dieser Sicht leitete die Zuerkennung des gleichen Rechts .auf individuelle Freiheit auch an juristische Personen (so bereits sehr früh in einer Korrektur der amerikanischen Verfassung geschehen) eine Entwicklung ein, in der wirtschaftliche Freiheit mit zunehmender Organisation und Konzentl"lation der Wirtschaft nur unternehmerische Freiheit und Organisationsfreiheit, nicht aber individuelle Freiheit bedeutete. Der moderne Mensch ist, wie es der Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaft, H. A.Simon, heschl"leibt, ein "organisierter Mensch"3. Sein Anspruch auf individuelle Freiheit manifestiert sich nicht in der Organisation, sondern in der Wahl zwischen Org,anäsationen mit vielfältigen Zielen, Organisationsstrukturen und Größenordnungen. Kleine und mittlere Unternehmen, mitbestimmte Unternehmen, öffentliche Unternehmen, gemischtwirtschaftliche Unternehmen, Genossenschaften und gemeinwirtschaftliche Unternehmen erhalten aus dieser Sicht ein neues, weniger ideologisch geprägtes Gewicht in der modernen wirtschaftlichen Organisation. 3 H. A. Simon, Das Verwaltungshandeln Eine Untersuchung der Entscheidungsvorgänge in Behörden und privaten Unternehmen (Orig.: Administrative Behaviour. 2nd Ed., New York 1970), Stuttgart 1955.

Mehr Markt

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2.2. Einzelwirtschaftliche und volkswirtschaftliche Effizienz erzwingt gemäß den marktwirtschaftlichen Modellen der Wettbewerb. Je nach Stand der daraus abgeleiteten speziellen Wettbewel'bstheorie muß er vollständig, wirksam oder funktionsfähig sein. Dafür aber kann nicht das wirtschaftliche Teilsystem selbst sorgen, sondern das ihm Rahmenordnung setzende politische System, als Kurzformel mit "Staat" bezeichnet. Es war ein entscheidender Fehler des alten Wirtschaftsliberalismus, daß er wirtschaftliche Freiheit im Sinne von Vertragsfreiheit auch als Koalitionsfreiheitzuließ, d. h.als Freiheit, den für die Marktwirtschaft unerläßlichen Wettbewerb zu beschränken. Derselbe Fehlschluß droht unter der P,arole "mehr Markt, weniger Staat", wenn sie als einzelwirtschaftliche Organisationsfreiheit verstanden wird, bei der - ohne Prüfung der Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs - unterstellt wird, daß einzel- und volkswirtschaftliche Effizienz sowie Gemeinwohl sich entsprechen. Bereits Studenten der Volkswirtschaft im 1. Semester sollten dagegen lernen, daß nicht ,alles das, was einzelwirtschaftlich richtig ist, auch volkswirtschaftlich richtig sein muß und daß Gemeinwohl nicht nur aus marktwirtschaftlichen Prozessen entsteht. Die gegenwärtigen Diskussionen um quantitatives oder qualitatives Wachstum signalisieren darüber hinaus, daß im politischen Bewußtsein der Bürger nicht jede wirtschaftliche Leistungssteigerung auch als Erhöhung des Gemeinwohls empfunden wird. Deshalb gab es im Laufe der Ausgestaltung des Leitbildes der Sozialen Marktwirtschaft "mehr Staat" durch Wirtschaftspolitik als Ordnungs- und Prozeßpolitik, beispielhaft repräsent1ert durch das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen von 1958 sowie das Stabilitäts- undWachstumsgesetz von 1967. Bereits 1960 forderte darüber hinaus Alfred Müller-Armack eine "zweite Phase der Sozialen Marktwirtschaft" als gesellschaftspolitische Ergänzungt. 2.3. GeseUschaftspolitische Effizienz - als Steigerung des Gemeinwohls umschrieben - wird auf diese Weise einmal durch funktionsfähigen Wettbewerb in den Marktprozessen und zum anderen durch demokrtatische Entscheidungsprozesse gemäß der fr·eiheitlich-demokr,atischen Ordnung erreicht. Mit steigendem überfluß an materiellen Gütern durch immer ·effiz1entere Organisation zur Nutzung des technischen Fortschritts verliert mit 'zunehmender Größe einzelwirtschaftHcher Organisation die wirtschaftliche Freiheit an Bedeutung für die 4 A. Müller-Armack, Die zweite Phase der Sozialen Marktwirtschaft. Ihre Ergänzung durch das Leitbild einer neuen Gesellschaftspolitik (1960), Wiederabdruck in: Ders., Genealogie der Sozialen Marktwirtschaft, Bern, Stuttgart 1974, S. 129 ff.

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individuelle Freiheit in der Gesellschaft. Mehr Markt gibt nur mehr Raum für unternehmerische Freiheit und Organisationsfreiheit der Unternehmen. Nicht nur wegen des größere Unternehmen erfordernden technischen Fortschritts nimmt die wirtschaftliche Organisation zu, sondern auch, um Tr·ansaktions- und Kommunikationskosten zu sparen und um der Unsicherheit des Marktes durch größere, umfassendere Organisation und Planung 'zu begegnens. Um so wichtiger wird damit gemäß dem neuen Wirtschaftsliberalismus als Soziale Marktwirtschaft die "gesellschaftspolitische Anbindung" wirtschaftlicher Organisationsfreiheit durch Wirtschafts- und Wettbewerbsordnung, Wirtschaftsverfassung, Unternehmens- bzw. Betriebsverfassung. Ohne diese Verknüpfung wirtschaftlicher Organisation und Gesellschaft droht - wie die Erfahrung zeigt, die zur Sozialen Marktwirtschaft führte - die marktwirtschaftliche Ol'dnung als Abstimmung nach Mehrheit der Kaufkraft das Gemeinwohl zu gefährden. Mehr Markt und größere wirtschaftliche Freiheit wird zum "Recht des wirtschaftlich Stärkeren" bzw. zum Vorteil der wirtschaftlich besser Organisierten. Der Anspruch der freiheitlich-demokratischen Ordnung auf Organisation des Gemeinwohls nach Mehrheit der Stimmen könnte so an Gewicht verlieren. Das bedeutet eine Minderung der politischen Verantwortung. Mehr Markt eröffnet dann die Möglichkeit, eine Flucht aus der politischen Verantwortung für das Gemeinwohl zu rechtfertigen. Viel schwerwiegender jedoch ist - ordnungspolitisch - die damit verbundene Verwischung der Verantwortung für soziale und wirtschaftliche Fehlentwicklungen. Im politischen Bewußtsein der Bürger könnten sie in oder nach einer Phase "mehr Markt, weniger Staat" als Marktversagen eingeordnet werden und damit der überzeugungskraft marktwirtschaftlicher Prinzipien - gerade durch zu oberflächliche Berufung auf sie - einen schlechten Dienst erweisen. Einer Phase unter dem Schlagwort "mehr Markt" droht dann eine Phase unter dem Schlagwort "mehr Staat" zu folgen, wie das Beispiel Großbritannien zeigt. Der Sozialen Marktwirtschaft ist es dagegen gelungen, Vertrauensverlust bei marktwirtschaftlichen Prinzipien durch Fehlentwicklungen der Vergangenheit mit dem Wirtschaftswunder in der Bundesrepublik wieder wettzumachen. Die Erhaltung dieses Vertrauens erfordert jedoch ständige Nutzung der Offenheit des Leitbildes für Maßnahmen zur Erhaltung und Steigerung des Gemeinwohls unter sich verändernden wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen. Der dargestellte soziale Konflikt zwischen Sozialer Marktwirtschaft als Freiheitsnorm 5 Siehe O. E. Williamson, Markets and Hierarchies: Analysis and Antitrust Implications, New York, London 1975; sowie K.-E. Schenk, Märkte, Hierarchien und Wettbewerb. Elemente einer Theorie der Wirtschaftsordnung, München 1981.

Mehr Markt

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und als wirtschaftliches Organisationsprinzip soll im folgenden abschließend an Beispielen aus der Wirtschaftspolitik demonstriert werden. 3. "Mehr Markt" als mehr Gemeinwohl oder Abwehr politischer Organisation Aus der unter 1. dargestellten Perspektive wird versucht, das Wirtschaftswunder der Bundesrepublikentweder zum Beweis der Überlegenheit marktwirtschaftlicher Prinzipien oder staatlicher Lenkung zu benutzen. Be1des sind verfehlte Ansätze, um dal1aus eine Orientierung für die Zukunft der ISozialen Marktwirtschaft als Freiheitsnorm und Organisationsprinzip zu gewinnen. Ihr Vorteil als "Mischsystem" bestand und besteht gerade darin, daß sie je nach den wirtschaftlichen sozialen und politischen Bedingungen Organisationsimpulse zu mehr oder weniger Markt oder Staat erlaubt. Wenn es dem Gemeinwohl dient, so brauchen die staatlichen Eingriffe gemäß Entscheidung des Bundesv,erfassungsgerichts zum Investitionshilfegesetz aus dem Jahre 1952 auch nicht marktkonform zu sein. Dieser "Pragmatismus" läßt sich nicht mehr allein mit einem Prinzip und der daraus folgenden Entscheidungslogik begründen. Sie neigt im Gegenteil dazu, die Soziale Marktwirtschaft als nur "zweitbeste Lösung" abzustempeln. Es bedarf eines neuen volkswirtschaftlichen Denkens für wirtschaftliche und soziale Organisation in Systemen, die gleichzeitig durch marktwirtschaftliche und demokratische Abstimmung (Regelkreise) erwartete und gewünschte Leistungen zugunsten des Gemeinwohls erbringen6• Das erfordert den Verzicht auf den unter 1. dargestellten "Alleinherrschaftsanspruch" ökonomischen, marktwirtschaftlichen Denkens bei der Gestaltung des Gemeinwohls. Dieser Anspruch ist vor allem durch die Vorstellung eines festlegbaren und aus dem Rationalitätsprinzipableitbaren Wohlfahrtsmaximums mit der freiheitlich-demokratischen Ordnung unvereinbar. Denn individuelle Freiheit - auch zu irrationalem, nicht dem ökonomischen Prinzip entsprechendem Verhalten - erlaubt wegen der mit ihr vel'bundenen Unberechenbarkeit keine Unterstellung maximaler oder optimaler Zustände von Wirtschaft und Gesellschaft, sondern nur die Einordnung wirtschaftlicher und sozialer Zustände als besser oder schlechter im Hinblick auf Ziele und Normen der Gesellschaft. Ein solcher Wandel von "entscheidungsorientiertem" zu "systemorientiertem" Denken vollzieht sich in der Betriebswirtschaftslehre. In ihr entspricht die Vorstellung eines Gewinnmaximums der volkswirtschaftlichen Vorstellung eines Wohlfahrtsmaximums. 6 R. Blum, Organisationsprinzipien der Volkswirtschaft, Neue mikroökonomische Grundlagen für die Marktwirtschaft, Frankfurt a. M., New York 1983.



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Den richtigen Weg zum Gemeinwohl weist in der freiheitlich-demokr:atischen Ordnung letztlich der politische, demokratische Abstimmungsmechanismus; den so gefundenen W,eg richtig zu gehen, darin liegt die Stärke der marktwirtschaftlichen Prozesse als Such- und Anpassungsmechanismus. Nur so läßt sich auch die Verantwortung des politischen bzw. marktwirtschaftlichen Abstimmungsmechanismus für das Gemeinwohl bei festgestellten Fehlentwicklungen abgrenzen. Konflikte zwischen mehr Markt als Freiheitsnorm und Organisationsprinzip sollen abschließend an Beispielen näher erläutert werden. 3.1. Die Wirtschaftswissenschaftler nach dem Zweiten Weltkrieg waren überzeugt, daß sie, insbesondere mit Hilfe der "Keynesianischen Revolution" des wirtschaftswissenschaftlichen Denkens, Fehlentwicklungen im grundsätzlich marktwirtschaftlich organisierten Wirtschaftsablauf vermeiden könnten. Der Staat, das politische System, erhielt den Auftrag zur Stabilisierung des volkswirtschaftlichen Kreislaufs durch Globalsteuerung (Makrosteuerung). Die "Mikro-Steuerung" oblag weiterhin dem Wettbewel"b in den Marktprozessen. Vor allem langfristig sollte auf diese Weise die Steuerung der Volkswirtschaft über Märkte statt staatlicher Lenkung erhalten bleiben. Diese Vorstellung der bloßen (kurzfristigen) Stabilisierung letztlich durch den Markt vorangetriebener wirtschaftlicher Entwicklung nährte die Hoffnung auf einen konjunkturellen Verlauf mit gleichmäßiger Verteilung VOn Konjunkturen und Krisen, so daß die finanziellen Mittel für die Stabilisierungspolitik in der Hochkonjunktur gehortet und ,in der Krise ,ausgegeben werden könnten. Defizite im Staatshaushalt erhielten bei leeren Kassen die Rolle der "Vorfinanzierung" des neuen Booms durch Staatsverschuldung. Diese Strategie mußte scheitern, als sich aus hier nicht zu erläuternden Gründen der Konjunkturverlauf immer deutlicher a1s nicht symmetrisch erwies und Krisenzustände mit Verpflichtung zu staatlicher Stabilisierungspolitik häufiger auftraten sowie länger währten, gefolgt von nur bescheidener wirtschaftlicher Erholung. Die neue Diagnose lautete: "Strukturkrise" . Ob sie einen neuen Bedarf an politischer Organisation, politischer Weichenstellung hervorruft, genau darüber wird nach den traditionellen Prinzipien "mehr Markt" oder "mehr Staat" kontrovers diskutiert. Den Verfechtern marktwirtschaftlicher Prinzipien gilt 'bereits die Diagnose einer "Strukturkrise" als "systemüberwindendes Denken". Denn wer keine Strukturkrise d~agnostiz~ert, braucht auch keine Strukturpolitik. Die gegenwärtige Behandlung der Krise im Stahlbereich entspricht dem traditionellen Muster: Der Staat zahlt Milliarden, aber tut so, als liege die Verantwortung bei den Marktprozessen. In Wirklichkeit ist es genau umg,ekehrt: Stahlunternehmen werden gegen den Markt erhalten, weil

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der Staat es angeblich so will. Die politische Verantwortung leidet unter dem ordnungspoliti:schen Konflikt, ob die Stahlkrise noch Stabilisierungspolitik oder schon Strukturpolitik ist und damit ordnungspolitisch als "Investitionslenkung" zu ächten wäre7 • D1e "Zukunftsinvestitionen" (Atomenergie, Umweltschutz, neue Massenkommunikation), um die es zur AnkuJ."lbelung des Wirtschaftswachsturns geht, zeig,en zumindest zu einem nicht unwesentlichen Teil, daß ohne neue politische Weichenstellung, ohne Problembewußtsein und politischen Konsens über den richtigen Weg in den demokratischen Abstimmungsprozessen der soziale Frieden und die politische Stabilität gefährdet erscheinen - gerade deshalb, weil Gemeinwohl den in demokratischen Abstimmungsprozessen autonomen Bürgern zu sehr als technisch-äkonomischer Sachzwang zugunsten des hypothetischen Wohlfahrtsmaximums vorgestellt wird. Dagegen haben sich Manager der Wirtschaft schon längst daran gewöhnt bzw. damit abgefunden, in ihrer Unternehmenspolitik die "Akzeptanz" der Produkte bei den Verbr,auchern in Rechnung zu stellen. 3.2. Bei "Zukunftsinvestitionen" der privaten Wirtschaft zeigt sich zudem, daß hier 'andere Maßstäbe für die Finanzierung gelten als bei staatlichen Investitionen: Sie ·dürfen und sollen mit Hinweis ,auf den Ausgleich zwischen den Genevationen ~Generationenv.ertrag) durch Verschuldung des Staates statt durch Steuern finanziert werden. Dagegen beanspruchen ,bzw. rechtfertigen Großunternehmen hohe Preise und Gewinne mit notwendigen Zukunftsinvestitionen. Der Ausgleich zwischen den Generationen durch Verschuldung bzw. Anwerbung privater Ersparnisse über nach marktwirtschaftlichen Prinzipien funktionsfähige K:apitalmärkte - und damit Eigentumsbildung über Beteiligung an Zukunftsinvestitionen - spielt in dieser Argumentation keine Rolle. Im Gegenteil, es findet teilweise eine Art "priv,ate Besteuerung" statt. Sie äußert sich in der erwähnten Rechtfertigung hoher Preise und Gewinne sowie in Preisaufschlägen mit Namen wie "Atom-, Verkabelungsgroschen" , "Kohl,epfennig". 3.3. Eine besonders marktwirtschaftlich evscheinende neue Form der Preisbildung auf dem Wohnungsmark~ entpuppt sich aus dieser Perspektive ebenfalls eher als eine Art "privater Besteuerung" denn als richHge Anwendung marktwirtschaftlicher Prinzipien, nämlich die Staffelmiete. Der dadurch garantierte Preisanstieg erinnert - noch deutlicher in der Form der diskutierten Bindung an einen Index der Wohlstandssteigerung - nicht zufällig an die Forderung der ÖUänder, 7 R. Blum, Strukturpolitik als Problemlösung oder Prinzipienstreit, in: W. Petwaidic (Hrsg.), Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik in kritischen Zeiten, Festschrift für H. Dräger, Frankfurt a. M. 1978, S. 13 ff.

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Relnhard Blum

ihren Ölpreis an die Entwicklung der Preise für Industriegüter zu koppeln. Diese Forderung galt aber gerade den Industrieländern ·als Verstoß gegen marktwirtschaftliche Prinzipien. Aus der vertraglich vereinbarten Staffelmiete wird geradezu eine Aufforderung zur Preiserhöhung entsprechend dem zunehmenden Wohlstand, wenn der zuständige Bundesminister einen Anteil von 25 010 des Einkommens als angemessenen Preis für eine Wohnung in der Öffentlichkeit herausstellt. Gemäß den Marktmodellen sind jedoch steigende Preise für ein Gut nur .ein Signal, dasein höheres Angebot herausfordert und auf diese Weise wieder zur Preissenkung beiträgt. Niemand wird jedoch unterstellen wollen, daß dies ausgerechnet auf dem Wohnungsmarkt dazu führen soll, daß die fehlenden Sozialwohnungen zur Verfügung gestellt werden. Dazu wäre es erforderlich, so etwas wie Soziale Marktwirtschaft in einem Sektor zu praktizieren und mit dem Leitbild nicht die Hoffnung zu nähren, daß durch mehr Markt mehr Sozialwohnungen geschaffen werden können. Auf diese Weise wird bestenfalls versucht,Sozialwohnungen durch staatliche Subventionen für privates Kapital rentabel zu machen. Das aber hat wenig mit Marktwirtschaft zu tun, sondern ·entspricht eher dem, was in der Unternehmenspolitik "pretiale Lenkung" heißt. Ihre wirtschaftspolitische Effizienz ließe sich aber zuverlässiger nach den Erfolgen gegenwärtiger Agrarpolitik beurteilen als nach der Entscheidungslogik marktwinscb:aftlicher Modelle. 3.4. Die Finanzierung der Stabilisierungspolitik sowie der gestiegenen Ansprüche an staatliche Investitionen und Subventionen über Staatsschulden statt Steuern hat die demokratische Kontrolle des Bürgers beim Staatshaushalt weitgehend unwirksam gemacht, die bei Steuererhöhungen hel'lausgefordert worden wäre. Das Steuerrecht folgt sogar noch dem feudalistischen finanzpolitischen Prinzip, die Steuerlast gerade so zu verteilen und zu verstecken, daß sie der Bürger möglichst wenig spürt. Die nach der Devise "mehr Markt, weniger Staat" erzwungene gleichzeitige Verringerung des Zuwachses der Staatsausgaben und der Nettovevschuldung läßt zwar noch politische Weichenstellung für Marktprozesse mit grundlegender Bedeutung für das zukünftige Gemeinwohl zu, aber nur ordnungspoIitische Maßnahmen, die "nichts kosten". Sie trifft jedoch die Ächtung durch die Orientierung an "weniger Staat, weniger Bürokratie". Hieran wird besonders deutlich, daß der für die Staatsverschuldung - vor allem von Ökonomen - konstruierte Generationenvertrageine sehr vordergründige Rechtfertigung alter, am marktwirtschaftlichen Renditedenken orientierter finanzpoIitischer Prinzipien des Staates ist. 3.5. Ein prominenter Partei-Theoretiker und Mitarbeiter an Grundsatzprogrammen der marktwirtschafUichen Prinzipien verpflichteten

Mehr Markt

23

Unionsparteien, Kurt Biedenkopf, warnte auf größeres wirtschaftliches Wachstum drängende Partei- und Zeitgenossen mit Recht, sie könnten nicht weniger Staat und mehr wirtschaftliches Wachstum gleichzeitig haben. Die gegenwärtige Krise, so diagnostizierte er nach kür:zlichen Pressemeldungen die gegenwärtige Situation weiter, sei eine Verteilungskrise. Gerade die Einsicht jedoch, daß sich Verteilungsprobleme gemäß dem politischen Bewußtsein über Gemeinwohl nicht bzw. nicht nur über Marktprozesse lösen lassen, führte zu Erklärungen von Fehlentwicklungen der Vergangenheit als "Marktversagen" und zur Neuinterpretation der marktwirtschaftlichen Ordnung als Soziale Marktwirtschaft. An diesem Punkt wird besonders deutlich, wo die Gefahren für politische Stabilität und sozialen Frieden bei einer wirtschaftspolitischen Strategie nach der Devise "mehr Markt, weniger Staat" liegen. Die Politik sollte sich nicht nur der Manager der Wirtschaft bedienen, sondern auch ihrer modernen Organisationskonzepte. Sie vereinen "Organisationsentwicklung von unten" und "strategische Planung" von oben zu einer einheitlichen Management-Stl"lategie. Die "j,apanische Herausforderung" demonstriert bei genauerer Analyse, daß die Herausforderung nicht so sehr in niedrigeren Löhnen und geringeren Kosten der sozialen Sicherung liegt, sondern darin, daß ein ganzes Land zur Schaffung und Verbesserung internationaler Wettbewerhsfähigk;eit sich unter partnerschaftlicher Abstimmung (und nicht nach dem Feindbild von Markt- und Pl1anwirtschaft) zwischen privatwirtschaftlicher und politischer, d. h. staatlicher Organisation, durch "marktwirtschaftliche Organilsationsentwicklung" und "politische strategische Planung" des Staates organisiert.

Stagflation und die Kosten von Arbeitslosigkeit und Inflation Von Bernhard Gahlen Im Vergleich zu den offenkundigen Kosten der Massenarbeitslosigkeit sind die Kosten der Inflation weniger bekannt. In der ÖffenUichkeit bestehen Widersprüche gegen die Inflation. Diese sind nach den Ergebnissen der älteren Literatur zum Thema (Bailey [1956] und Cagan [1956]) nicht rational. In neueren Beiträgen z. B.: Jaff.ee und Kleiman (1977), Fischer und Modigliani (1978) und Fischer (1981 b) wird auf die Minderung der allokativen Effizienz des Wirtschaftssystems durch die Inflation hingewiesen. Lucas (1981) kritisiert diese Analysen. Wenn die Kosten der Inflation und der Arbeitslosigkeit abgewogen werden, dann scheint der Wirtschaftspolitiker eine rationale Wahl zwischen diesen übeln zu haben. Hierauf wird im ersten Abschnitt eingegangen. Danach behandeln wir die Stagflation und diskutieren die Kostenproblematik der Arbeitslosigkeit und InUation in stagfLationären Zeiten (2. Abschnitt). Kurze wirtschaftspolitische Schlußfolgerungen bilden den Abschluß dieses Beitrags.

1. Zum Output-Inflation Tradeoff Die traditionelle keynesianische Vorstellung, daß man über eine genel'elle Nachfrageankurbelung mehr Beschäftigung (sei es zu Lasten der Pr,eisstabilität) erreichen könne, ist in der wirtschaftspolitischen Praxis und in der Wirtschaftstheorie in Mißkredit gerat·en. Dieses bedeutet aber noch lange nicht, daß wichtige gesellschaftspolitische Gruppen die Idee aufgegeben haben, mit Hilfe von Beschäftigungsprogrammen positive Mengeneffekte zu erzielen. Auch die Versuche, die wirtschaftspolitischen Ziele Geldwertstabilität und Vollbeschäftigung nach ihrer Wichtigkeit einzuordnen, deuten darauf hin, daß eine Wahlmöglichkeit zu bestehen scheint. Zur Begründung einer solchen Wahlmöglichkeit wird einmal die Phillipskurve herangezogen. Ein weiteres Argument wird aus den Kosten der Arbeitslosigkeit und der Inflation hergeleitet. Wenn die Kosten der Arbeitslosigkeit 'diejenigen der Inflation bei weitem übersteigen, dann liegt es nahe, das Ziel der Geldwertstabilität zu relativieren. Vorst·ellungen dieser Art haben in der Arbeit der

26

Bernhard Gahlen

Kommission für wirtschaftlichen und sozialen Wandel eine erhebliche Rolle gespielt. Die Gewerkschaftsseite warf die Frage auf, ob nicht die Hinnahme der Inflation einfacher zu ertragen sei als die Kosten der Inflationsbekämpfung? Hierauf hin wurde von Steißler u. a. (1976) ein vielbeachtetes Gutachten zum Thema erstellt, welches zu dem Schluß kam, daß es zwei Relativierungen der Geldwertstabilität gäbe: "Die erste besagte: als einziges im wirtschaftspolitischen Fünfeck ist Geldwertstabilität kein diTekt relevantes Ziel. Die zweite hält fest: als indiTektes Zwischenziel zwecks Erreichung von Vollbeschäftigung, optimalem Wirtschaftswachstum, weltanschauungsentsprechender Einkommens- und Vermögensverteilung sowie außenwirtschaftlichem Gleichgewicht hat GeldweTtstabilität keineTlei zeitöTtlich invariante Bedeutung. Die genannten Ziele hängen wedeT in einfacheT noch in gleichbleibendeT Weise vom Grade deT GeldweTtstabilität odeT deT Inflationsrate ab." (S. 14 f.) Obgleich die letzten Sätze einschränkend formuliert sind, war die Wirkung dieses Gutachtens in der wirtschaftspolitischen Beratung negativ. Auch heute noch ist die Lektüre des Kommissionsgutachtens zum Thema der Rangordnung der wirtschaftspolitischen Ziele (und vor allem der Minderheitsvoten) lohnend. Hierauf komme ich zurück. Die Phillips-Kurve (oder der Output-Inflation Tradeoff) legt eine Wahlmöglichkeit zwischen Inflation und Beschäftigung nahe. Es handelte sich um eine empirische Regelmäßigkeit, bei der die Inflationsrate und die Arbeitsquote negativ korreliert sind. Ursprünglich wurde davon ausgegangen, daß der Tradeoff auf strukturellen Eigensch,aften der Volkswirtschaft beruhe, und damit von der Globalsteuerung unabhängig sei. Gilt eine solche Kurve, dann 'hat der Politiker die Wahl. Erörtert wurde meist nur die angenehme Variante, daß mit einer expansiven Politik über mehr Inflation der Beschäftigungsgrad erhöht werden könnte. Die umgekehrte Aussage, daß die Inflation nur durch mehr Arbeitslosigkeit bekämpft werden kann, wurde nicht so sehr hervorgehoben. Heute ist zu konstatieren, daß dieser zweite Aspekt der Phillips-Kurve die jüngste Wirtschaftsgeschichte dominiert hat. Die Problematik der Phillips-Kurve liegt darin begründet, daß lediglich eine empirische Regelmäßigkeit, die in der Vergangenheit gegolten hat, in der "reduzierten Form" geschätzt wird. Solche "reduzierten Formen" ändern sich, wenn der Wirtschaftspolitiker sie ausnutzen will. Die Phillips-Kurve hat sich gründlich gewandelt. Die Wirtschaftstheorie hat hierfür die "strukturelle Form" geliefert. Landmann (1982) gibt einen nützlichen überblick über die Entwicklung. Lucas kommt zu dem Ergebnis: "The alternative explanation of the same observed traideoff is that the positiveassociation of price changesand output

Stagflation und die Kosten von Arbeitslosigkeit und Inflation

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arises because suppliers misinterpJ.1et general price movements for relative price changes in average inflation ~ates will not increase average output, and secondly, that the higher the variance in average prices, the less ,favorable' will be the observed tradeoff" (S. 333). Kurzfristig hat sich der Tradeoff erheblich verschlechtert. Vor allem die Kosten der InfLationsbekämpfung sind immer höher geworden. Hier ist dann schnell der Vorwurf erhoben worden, die Keynes'sche Politik habe langfristig ihr Debakel eJ.1lebt. Dieser Vorwurf hat nur ,bedingt' seine Berechtigung. In der ursprünglichen Phillipskurve wdrd das Beschäftigungs- und Inflationsproblem auf derselben Ebene behandelt. Die Erklärung von Arbeitslosigkeit und Innation ist symmetrisch. Die politischen Rezepte zur überwindung dieser "übel" sind gleich: lediglich die Vorzeichen sind verschieden. In der General Theory lieferte Keynes jedoch nur eine Beschäftigungstheorie. Laidler und Parkin (1975) ist zuzustimmen: "Although mainstream post-Keynesian macroeconomics represents a major ladvance in our understanding of fluctuations in real output and employment, as far inflation analysis is concerned, it ia a retrogression..." (S. 114 f.). Auch Hieks (1974) weist darauf hin, daß diese Theorie zeitgebunden war: "The extreme position which he takes, by implication, in the General Theory, is surely explained by the oircumstances of ita time. Inflation, in 1936, seemed far from being la danger; the important thing to say was that deflation would not help" (S. 61 f.)l. Diese Ansicht ist in einer Weltwirtschaftskrise mit deflatdonären Tendenzen verständlich. Sie gilt nicht für normale Zeiten. Dieses geht aus dem folgenden Zitat von Hicks (1974) hervor: "Thus the view which emerges from the General Theory is more radical than ,full employment without inflation'; it is nothing less than the view that innation does not matter" (S. 61). Hier wird deutlich, daß die Keynes'sche Theorie keine generelle Theorie ist. Sie ist eine spezielle Beschäftigungstheorie für deflationäre Weltwirtschaftskrisen. Keynes hat sich zur Innation, zu ihren Ursachen und Kosten, vor allem in den zwanziger J·ahren geäußert. Dabei erklärte er die Inflation keineswegs entlang der "inflatorischen Lücke". Hier betont er u. a. "cost-push"-Elemente. Nach dem Erscheinen der "General Theory" blieben Keynes nur wenige Lebensj,ahre, um zu den Gefahren der BeschäftigungspoJiitik, die selbst noch 1983 als Keynes'sche Politik offeriert wird, Stellung 'zu nehmen. Das Keynes-Jahr 1983 (vor hundert Jahren I

Siehe hierzu auch: Patinkin (1975, S. 258 f.).

Bernhard Gahlen

28

geboren) hat viele negative Kommentare hervorgerufen. Sie sind gegenüber Keynes ,bedingt' unfair. Hutchison (1981) enthält im 4. Kapitel einen hervorragenden Essay über die Problematik: "Keynes versus the Keynesians." Ihm geht es um Folgendes: "Dur main cancern is with the wide divergences between the policy objectives which Keynes formulated in the last decade of his life, and those propagated in his name in the decades after his death" (S.110). Die Dokumentation von Hutchisan sollte heute zur Pflichtlektüre für alle Vertr,eter aktiver BeschäftLigungsprogramme, die sich auf Keynes berufen, gehören. In dem Beitrag wirdanhand von Keynes' eigenen Äußerungen herausgestellt, daß Keynes keineswegs die Inflationsproblematik der Beschäftigungsprogramme übersah. Bereits 1937, bei einer Arbeitslosenquote über 11 Ofo, argumentierte Keynes für eine Reduktion der Staatsausgaben2 • Dieses war sicher zeitlich bedingt. Jedoch kann Keynes nicht für die Ansicht herangezogen werden, man müsse die Beschäftigung um jeden Preis erhöhen. Kürzlich wies auch Hayek (1983, S. 45) hierauf hin: "Keynes never recognised that progressive inflation was needed in order that any growth in monetary demand could lastingly incl'ease the employment of labour. He was thoroughly aware of the danger of growing demand degenerating into progressiv,e inflation, and towards the end of hils life greatly concerned that this might happen. It was not the liV'ing Keynes but the continuing influence of his theorles that determined what did happen. I can report from firsthand knowledge that, on the last occasion I discussed these matters wdth hirn, he was seriously alarmed by the agitation for credit expansion by same of his closest ,associates. He went so far as to assure me that if his theories, which had been badly needed in the deflation of the 1930s, should ev,er produce dangerous effects he would rapidly change public opinion in the right direction. A few weeks later he was dead anld could not da so." - So waren dann die Keynesraner in der Lage (im Namen von Keynes)3, Wahlmöglichkeiten zwischen der Inflation und der Arbeitslosigkeit anzubieten. Hierbei spielen dann Kostenvergleiche eine große Rolle. Siehe hierzu auch Bombach (1983) und Meltzer (1981, S. 62). Meist ging dieses nach dem Motto: "Was würde Keynes geraten haben, wenn er heute noch lebte?" (Siehe: Hutchisan [1981]). Friedman (1983, S.36) stellt hierzu fest: "I have always regarded it as a tragedy - for Britain and the world - that Keynes's life was cut so short: He was the only person in postwar Britain who had the prestige, the intellectual force, and the persuasive power to have prevented his disciples from carrying his ideas to extremes that he would have avoided and applying them under conditions very different from these that they were constructed to explain." 2

3

Stagflation und die Kosten von Arbeitslosigkeit und Inflation

29

Die Kosten der Arbeitslosigkeit sind offensichtlich. Hierin stimmt die Öffentlichkeit und die Wirtschaftstheorie überein. Bei den Kosten der Inflation 'ist dieses anders. In der Bevölkerung ist die Inflation nicht populär. Die Mehrheit der Wähler 'zieht die Inflation keineswegs der Arbeitslosigkeit vor. Mit einer Inflationspolitik lassen sich keine Wahlen gewinnen. Selbst bei sehr hoher Arbeitslosigkeit honoriert der Wähler Erfolge bei der Inflationsbekämpfung4. Die Wirtschaftstheorie sieht dieses anders. So steIlte Fl1ank Hahn (1982, S. 101) neulich fest: "I am after all this, left with the outstanding problem in inflation theory: Why do people seem to hate it? Why does it drive politicians to destructive frequency?" - Zunächst einmal ist Hahn zuzustimmen: Dieses ist ein Problem der Infl,ationstheorie; sie hat Schwierigkeiten, die Kosten der Inflation richtig zu erfassens. Wenn bei dieser Sachlage wirtschaftspolitische Beratung geleistet wird, so ~ann es leicht zu Fehlschlüssen kommen. Der Öffentlichkeit wird dann eine "naive" Inflationsfurcht bescheinigt. Der WirtschaftswissenschafHer gibt die Empfehlung, die Inflation nicht so ernst zu nehmen. Bevor hierauf eingegangen wird, drehe ich die Fr:agestellung um, um ,einen offenkundigen Einwand vorwegzunehmen: Die Mehrheit der Wirtschaftswissenschaftler spricht sich eindeutig gegen die Innation aus. Fischer (1981 c, S.53) betont die Notwendigkeit der weiteren Forschung über die Kosten der Inflation mi:t dem folgenden Argument: "Such research is needed if economistsare ever to feel confident that their views on inflation r,eflect professional knowledge rather than common prejudice. We as a profession do not hesitate to criticise polides because they have produced inflationand to support policies designed to end inflation despite considerable uncertainty about their other effects. What professional knowledge entitles us to do this?" Damit ist d.as Dilemma der Fachwissenschaft bei der Behandlung der Inflationsproblematik angesprochen: Die Kostender Inflation sind umstritten. Dennoch werden handfeste wirtschaftspolitische Empfehlungen gegeben. Dabei spricht sich die Mehrheit für die populäre Sicht aus, daß dlie Inflation erhebliche Kosten habe, und daher unter erheblichen Opfern zu vermeiden sei. Ich werde in diesem Essay zeigen, daß diese Mehrheit Recht hat. Die Glaubwürdigkeit der Mehrheit würde zunehmen, wenn sie dem Rat von Fischer folgen würde. Nun zur M.inderheit: Sie bringt den unbefriedigenden Wissensstand der Wirtschaftstheorie in die wirtschaftspolitische Beratung ein. Hierzu zwei Beispiele:a) Die Brusseler Expertengruppe zu Fragen der In4 Eindrucksvoll belegen dieses die letzten Unterhauswahlen in Großbritannien. 5 Hierauf wird später in diesem Beitrag näher eingegangen.

30

Bernhard Gahlen

flation und Arbeitslosigkeit; b) Das Gutachten "Relativierung des Ziels der Geldwertstabilität". Bewußt werden zwei Beispiele aus der wirtschaftspolitischen Beausgewählt. Der Wirtschaftswissenschaftler als Berater der Öffentlichkeit muß einkalkulieren, wie seineF,achaussagen in der Öffentlichk!eit aufgenommen werden. ~atung

ad a: Die EG-Expertengruppe erstellt u. a. einen Survey über die Kosten der ADbeitslosigkeit und Inflation (Report [1982]). Sie stellt dann überlegungen darüber an, ob die Ziele Geldwertstabilität und Arbeitslosigkeit unabhängig sind oder ob sie zusammenhängen. Da ein Zusammenhang zwischen den Zielen bestehe, seien die Kosten ,abzuwägen. Da die Kosten der AI'beitslosigkeit weit höher seien, wiI'd eine klare wirtschaftspolitische Empfehlung gegeben. ad b: Streißler (1976, S. 118 - 121) behandelt u.a. die Wohlfahrtsverluste vollständig antizipierter Inflationen. Diese sind nur ein kleiner Ausschnitt aus den Kosten der Inflation. Fischer und Modigliani (1978: Tabelle 1) geben einen nützlichen übeI'blick über die realen Effekte von Inflationen. Die WohHahrtsverluste, die StI'eißler behandelt, nehmen nur einen kleinen Raum in dieser Tabelle ein. Sie sind zugegebener Maßen gering;. Ger,ade laus diesem Grunde unternehmen Fischer und Modigliani (1978), Fischer (1981 b) und Jafiiee und Kleiman (1977) - um nur ;einige Autoren zu nennenden Versuch, die Kosten der Inflation umfassender zu behandeln. Streißler ignoriert viele dieser anderen Inflationseffekte, auf die hier noch eingegangen wird. Statt dessen behandelt er ironisch die Kosten deranUzipierten Inflation'. Hier wird Streißlers Schlußfolgerung gleich im vollen Wortlaut wiedergegeben (1976, S. 121) und dann kommentiert: "Als Ergebnis bleibt festzuhalten: Selbst für die wesentlich höheren Inflationsr,aten der Mitte der 70er Jahre dieses Jahrhunderts in MiHeleuropa, also für Werte um 10 Ufo, bleibt es nur ein faszinierendes Spiel für Theoretiker, Wohl,standsverluste andel'S als durch Einkommens- und Vermögensumverteilung dartun zu wollen, während der Politiker solche Wohlfahrtsverluste ruhigen Gewissens ignorieren kann. Solche theoretischen Spiele sind im übrigen in denjenigen Ländern besonders populär, in denen das - in jedem Fall politisch unbedeu6 Es geht um die Kosten der Bargeldhaltung. Sie werden bei inflationär steigenden Nominalzinsen höher. , Siehe hierzu den kritischen überblick bei Fischer (1981 b, S. 15 - 24). Er hält die Kosten entlang der Bailey-Analyse für fast völlig vermeidbar (S. 24). Daher sucht er nach "realistischeren" Kosten der Inflation.

Stagflation und die Kosten von Arbeitslosigkeit und Inflation

31

tende - soziale Grüppchen der Hochschullehrer keine Inflationssicherung genießt." Davor streift er kunz die Erhöhung der Unsicherheit durch die Inflation und stellt fest, daß "unterhalb einer Schl"'anke von 20 Ofo Inflation pro Jahr oder sogar mehr" nichts zu befürchten sei. Man kann sich Ieicht vorstellen, was solche Sätze in der wirtschaftspolitischen Beratung, in der die Adressaten die dahinterliegenden Theorien nur bedingt vertehen, bewirken8• Aber ,es ist einfach nicht richtig, daß es nur ,auf WohUahrtsverlUrSte der Inflation durch Einkommensund Vermögensumverteilungankomme9. Keynes behandelt in seinem Tract (1923) neben Verteilungswirkungen der Inflation die Auswirkungen der Inflation auf die Investitionen und damit .auf die Kapiert werden.

3. Ein Exempel: Der Wert des Wachstums Als ein Beispiel für eine Kofliktsituation, die sich aus gesellschaftlichen Veränderungen ergibt, und die sich innerhalb der Organisationen sowie zwischen und in den Individuen widerspiegelt, seien Bewertungskonflikte, die mit der Wachstumsthematik zusammenhängen, genannt. Obwohl entsprechende empirische Analysen hier nicht vorliegen, darf man doch annehmen, cLaß - um eine jüngere historische P,erspektive zu wählen - in der Zeit des Wiederaufbaus nach dem 47 48

E. Witte: Führungskräfte der Wirtschaft. Stuttgart 198!. B. Rüttinger: Konflikt und Konfliktlösen. München 1977. K. Berkel:

fliktforschung und Konfliktbewältigung Ansatz, BerUn 1984.

Konein organisationspsychologischer

Wandel der Werte - Zielkonflikte bei Führungskräften?

221

zweiten Weltkrieg Wachstum ein von vielen hoch geschätzter Wert war. Dabei ist das WlB.chstum wohl kaum ,als "Letztwert" anzusprechen, sondern sein Wert ergibt sich - im ,SinIl!eder Wert-IIl!strumentalitätsErwartungstheorie Vrooms49 - daraus, daß W,achstum, nach Auffassung einer breiten Mehrheit, eine positive Instrumentalität für das Erreichen hoch bewerteter Zie"1e gehabt haben dürfte. Man kann oorüber hinaus davon ausgehen, daß diese subjektiven Theorien die realen Zusammenhänge rel,ativ gut abbilden. Heute ist das Wachstum "ins Gel'ede" gekommen. Während di'e einen glauben, nur mit Hilfe des Wachstums internationale Wettbewerbsfähigkeit zu sichern und Arbeitsplätze ru bewahren, verweisen die anderen auf die "Grenzen des Wachstums"so und sehen im Wachstum eine wesentliche Ursache vielfältiger Dysfunktionalitäten in unserer Gesellschaft und einen wesentlichen Grund der fortschreiteIl!den Umweltzerstörung. Selbst wenn diese zweite Gruppe eine Mehrheit verkörperte, würde -sich dadurch zunächst wenig an den gegebenen Verhältnissen ändern. Die Struktur unserer Wirtschaft, das Funktionieren der in ihr tätigen Organisationen sind auf Wachstum progrnmmiert und d1ese Strukturen sind stabiler und auf eine längerfristige P.erspektive eingest'eIlt als die bei den Individuen beobachtbaren Wertorientierungen. Ein sich verschärfender Konflikt zwischen den einzelnen und den Organisationen, in denen sie tätig sind, kann die Folge sein, der - hat man das gesellschaftliche System als ganzes vor Augen - bis zur Legitimationskrise reichen kiann. Wir haben, um dieser Frage nachzugehen, im J,ahre 1982 Führungskräfte der Wirtschaft und Nachwuchskräfte für entsprechende Führungspositionen (Swdentenaus Studiengängen, die für Führungspositionen in der Wirtschaft qualifizieren) nach der lnstrumentalität wirtschaftlichen Wachstums gefrag.p1. Diese Ergebnisse haben wir mit jenen verglichen, die an einem Alusschnitt der Berliner Bevölkerung gewonnen wurdenS2 (vgl. Tabelle 6). Es wird erkennbar, daß die "gestandenen" Führungskräfte mehrheitlich das verkörpern, was strukturell im 3ielsystem der Organisation der Wirtschaft festgeschrieben ist: Wachstum "gibt uns finanzielle Mittel, die Umweltbelastung zu verringern", "wird die Avbeitsbedingungen verbessern" und ,iden sozialen Frieden sichern". Die Berliner "Normalbevölkerung" und die Nachwuchskräfte sind mehrheitlich der ent49 V.

H. Vroom: Work and motivation. New York 1964.

so D. Meadows: s. Fn. 27.

51 L. V. Rosenstiel & M. Stengel: Identifikationskrise? Wertkonflikte junger Akademiker beim Berufseintritt. Als Manuskript vervielfältigt. München 1982. S2 Elisabeth Noelle-Neumann, B. Strümpel & M. v. Klipstein: s. Fn. 12.

222

Lutz von Rosenstiel Tabelle 6

Vermutete Folgen wirtschaftlichen Wachstums

Weiteres wirtschaftliches Wachstum - gibt uns finanzielle Mittel, die Umweltbelastung zu verringern .. - führt zu stärkerer Umweltbelastung ....................... - unentschieden ...................

Studenten

Führungskräfte

Berliner Bevölkerung

%

'%

'%

15

61

16

53 32

11

28

70 14

Weiteres wirtschaftliches Wachstum - macht die Arbeit eintöniger ...... - wird die Arbeitsbedingungen verbessern ......................... - unentschieden ...................

42

15

48

27 31

70 15

32 20

Weiteres wirtschaftliches Wachstum - sichert den sozialen Frieden ..... - führt zu sozialen Konflikten ..... - unentschieden ...................

15 55 30

59 16 25

12 68 20

gegengesetzten Auffassung. Hier deutet sich ,ein Konflikt an, der auch für die derzeitige Labilisierung der politischen Strukturen bis hin zur Parteienlandschaft in unserem Lande kennzeichnend ist und der sehr wohl zu einem Kriseniiaktor innerhalb der Organisationen der Wirtschaft werden kann. Es wäre eine zu kurz gewählte Betrachtungsweise, würde man hier nur einen Konflikt zwischen Individuum und Organisation oder einen Konflikt zwischen verschiedenen Personen und unterschiedlichen Auffassungen sehen wollen. Hier liegt aruch vieliiach ein intraindividueller Konflikt vor. Qualitative Untersuchungen zeigen53 , wie l'abil die hier angesprochenen Wertauffassungen sind. Je nach Kontext wird das Wachstum unterschiedlich bewertet. Spricht man z. B. zunächst über Japan, so wird Wachstum für erfol"'derlich gehalten, ist dagegen vom Baumsterben die Rede, so wird da:s Wachstum V'eroammt. Nicht selten widersprechen rationale Argumente und spontane emotionale Äußerungen einander, so daß auch hier von den "technokratischen Argumenten mit den grünen Gefühlen" gesprochen werden kann. 53

Elisabeth Noelle-Neumann, B. Strümpel & M. v. Klipstein: s.

Fn. 12.

Wandel der Werte - Zielkonflikte bei Führungskräften?

223

V. FtJHRUNGSKRÄFTE UND NACHWUCHSKRÄFTE IM VERGLEICH

Die in Tabelle 3 mitgeteilten Daten entstammen einer Pilotstudie, die wir 1982 durchführten und 1n der wir bei Führungs-54 und Nachwuchskräftens5 neben den zitierten Fragen zum Wachstum auch Fragen zur Karriere, Arbeit, Technik und Freizeit, zu den Ist- und Soll-Zielen von Ol"ganisationen sowie zu den politischen Ztelen im Sinne Ingleharts stellten. Die wichtigsten Ergebnisse seien ref.eriert, wobei auf die Methodik nicht näher eingegangen sein soll.

1. Arbeit, Technik und Freizeit Eine Kurzfassung der wichtigsten gestellten Fragen zu Arbeit, Freizeit und Technik, sowie die Daten der Vergleichsuntersuchung zeigt Tabelle 7. W,as wird erkennbar? ,Führungs- und Nachwuchskräfte unterscheiden sichz. T. stark in ihren Wertorientierungen. Der Nachwuchs 1st weit weniger als die Führungskräfte dazu bereit, einem Arbeitsethos im Sinne unbedingter Pflichterfüllung zuzustimmen und im Leben eine Aufgabe zu sehen; er steht der Technik reserviert-kritisch gegenüber und plädiert für eine Reduzierung der Arbeits~eit.

2. Der Materialismus-Postmaterialismus-Index Den Führungs- und Nachwuchskräften in unserer Studie hatten wir auch die von Inglehart5ti entwickelten Wertitems vorgelegt und zwar mit der Aufforderung, die vier ihnen jeweils am wichtigsten erscheinenden anzukreuzen. Die Ergebnisse zeigt Darstellung 5. Man sieht, daß für die Nachwuchskräft.e postmaterielle Werte die höchste Bedeutung haben: die freie MeinungsäuUerung, eine freundliche, weniger unpersönliche Gesellschaft, eine Gesellschaft, für die Geist und Ideen wichtiger sind -als Geld, sowie der Schutz und die Verschönerung unserer Umwelt. Für die Führungskräfte dagegen spielen materialistische Werte eine größel"e Rolle. Zwar setzen auch sie die freie Meinungsäußerung auf Platz 1 - hier sind sich beide Gruppen einig - , -es folgen jedoch Wirtschaftwachstum und wirtschaftliche Stabilität auf den nächsten Plätzen. 54 L. v. Rosenstiel: Karrieremotivation beim Führungsnachwuchs. In: Bildungswerk der Bayerischen Wirtschaft (Hrsg.): Führungsprobleme heute. Schriftenreihe Bd. 9, 1983, 13 - 22. 55 L. v. Rosenstiel: Müde? Uni Berufswahlmagazin 1983. 56 R.lnglehart: s. Fn. 28.

Lutz von Rosenstiel

224

Tabelle 7

Vergleichsuntersuchung zwischen Studenten und Führungskräften Studenten

Frage

'%

1. Ein Leben ohne Arbeit wäre

Führungskräfte

,%

am schönsten ........................... . nicht schön ............................. . unentschieden ........................... .

25 57 28

10 82 8

2. Die Stunden sind mir am liebsten, wenn ich - nicht arbeite ............................ . - arbeite .................................. . - unentschieden

37 1 62

9 4 87

3. Das Leben - ist eine Aufgabe ......................... . - möchte ich genießen ..................... . - unentschieden

15 48 37

46 12 42

4. Die Technik - hat das Leben leichter gemacht - hat sich zur Last entwickelt ............. . - unentschieden ........................... .

43 21 36

83 5 12

5. Durch die Technik - hat sich die Menschheit befreit ........... . - hat sich die Menschheit versklavt ........ . - unentschieden ........................... .

15 42 43

56 15 29

6. Arbeit und Freizeit - Arbeitszeit sollte reduziert werden - Einkommen sollte steigen ............... . - unentschieden ........................... .

53 9 38

27 34 39

-

3. Ist- und Sollwerte von Organisationen

Ol'ganisationen verfolgen Ziele. Dies wird von Mitgliedern und von Außenstehenden - mehr oder weniger 'zutreffend - wahrgenommen. Man kann annehmen, daß die Bereitschaft zur Identifikation mit der Organisation bei den Mitgliedern um so höher ist, je mehr die wahrgenommene Zielverfolgung mit der erwünschten übereinstimmt. Aus

Wandel der Werte - Zielkonflikte bei Führungskräften?

225

wichtig für

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Darstellung 5: Antworthäufigkeiten bei den von Inglehart entwickelten Wertitems

diesem Grunde legten wir den Befragten acht Organisationsziele vor, mit der Bitte, jene drei anzukl"euzen, die von den großen Organisationen unserer Wirtschaft tatsächlich verfolgt werden und sodann jene anzugeben, die eigentlich v,erfolgt werden sollten, Die Ergebnisse zeigt Darstellung 6, Die Asymmetrie zwischen wahrgenommenen Ist- und Sollzioelen bei beiden befragten Gruppen: Wachstum, Gewinn und technischer Fortschritt werden fast übereinstimmend als die zentralen Ziele der Organisationen betrachtet, Als Soll-Ziele stehen dagegen die Sicherung der Arbeitsplätz,e und der Schutz der Umwelt im Vordergrund, 15 Festgabe Perridon

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Persönlichkeitsentfaltung der Mitarbeiter

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244

Friedrich Hoffmann

durch Nutzung des Fachwissens von Mitarbeitern. Personalentscheidungen dagegen sind in größerem Ausmaß von neutralen, übergeordneten Stellen aus zu treffen. Diese Verhaltenstendenzen sind nach unseren Ergebnissen charakteristisch für die befragten Führungskräfte der obersten wie auch der Teilbereichsebene. Teils niedrigere Verhaltensausprägungen auf Teilbereichsebene sind Folge einer starken bzw. stärkeren zentralen Beeinflussung von Entscheidungen durch den Vorstand zur Koordination von Bereichsaktivitäten. Personalentscheidungen werden in noch höherem Maße als auf Unternehmungsebene von den Führungskräften allein getroffen. In den untersuchten US-amerikanischen Unternehmungen zeigen die befragten Führungskräfte ebenso wie in der deutschen Stichprobe in verschiedenen Problemsituationen unterschiedliches Entscheidungsverhalten. Die durchschnittlichen Ausprägungen der Boardmitglieder erreichen jedoch überwiegend nicht die Werte von Vorstandsmitgliedern. Daraus leitet sich eine stärkere Einflußzentralisation ab. Unternehmungsgesamtbezogene Probleme sind vollständig auf die obersten Gremien konzentriert. In keinem Fall war ein Boardmitglied allein für diese Entscheidungen verantwortlich. Eine Einbeziehung von Teilbereichsleitern in den Gremien erfolgt nach unseren Ergebnissen nicht. In ihrem eigenen Kompetenzbereich neigen die Boardmitglieder mehr zu Alleinentscheidungen als Vorstandsmitglieder, insbesondere wenn über Personalprobleme zu entscheiden ist. Davon ausgenommen sind arbeitsspezifische Probleme, die einzelne direkt unterstellte Mitarbeiter betreffen. Die befragten Boardmitglieder konsultieren in diesem Problembereich tendenziell ihre Mitarbeiter vor einer Entscheidung und akzeptieren bzw. erwünschen sogar ihren Einfluß. Trotz einer Konzentration von Aufgaben allgemein und von Entscheidungen im speziellen auf Boardmitglieder wird den Mitarbeitern ein Handlungsspielraum in ihrem Aufgabengebiet gewährt, selbständiges verantwortungsbewußtes Handeln keineswegs unterbunden. Eine Konzentrationstendenz wird auch auf Teilbereichsebene deutlich. Wie ihre deutschen Kollegen unterliegen US-amerikanische Teilbereichsleiter einem zentralen (Board-)Einfluß bei teilbereichsbezogenen Entscheidungen. Mitarbeiter werden überwiegend nicht in gleichem Ausmaß in Entscheidungen einbezogen wie von deutschen Teilbereichsleitern. Der durchschnittlich höhere Partizipationsgrad in personellen Angelegenheiten, die direkt unterstellte Mitarbeiter betreffen, ist aufgrund der hohen Antwortstreuungen nicht als richtungsweisend zu werten.

Verhalten deutscher und US-amerikanischer Manager

245

c) Informationsverhalten

Die befragten deutschen und US-amerikanischen Führungskräfte unterscheiden sich grundsätzlich in der Art der Kommunikationsbeziehungen, sowohl im Rahmen des Empfangs als auch der Weitergabe von Informationen (vgl. Abbildungen 3 und 4). In den untersuchten deutschen Unternehmungen erfolgt der Austausch von Informationen vor allem auf formalem Wege. Intensive Kontakte von Vorstandsmitgliedern bestehen einerseits zu Mitarbeitern und Sammelstellen (Informationsempfang), andererseits zu Kollegen und MitaJ."lbeitern (Informationsweitergabe). D1ese Austauschprozesse sind notwendig für eine effektive Entscheidungsfindung und -realisation -sowie für die Kontrolle von Handlungsprozessen. Dementsprechend dominant ist der entscheidungs- und kontrollunterstützende Charakter der empfangenen und weitergeleiteten Informationen. Umfangreiche Regelungen sollen eine rechtzeitige und ausrei:chende Vernorgung mit Informationen sichern. Informale Informationen und Kontakte ergänzen diese formalen Beziehungen von Vorstandsmitgliedern nur in geringem Maße. Soweit solche Kontakte vorhanden sind, werden als Kommunikationspartner vor allem KoUegen und Mitarbeiter genannt. Anweisungen spielen auf der obersten Ebene praktisch keine Rolle. Die Vorstandsmitglieder geben kaum Anweisungen weiter. Dies unterntreicht die im Rahmen des Führungsverhaltens Jiestgestellte GrundeinsteIlung der obersten Manager in bezug auf ihre Mitarbeiter. Mitarbeiter werden vorwiegend als verantwortungsbewußte Unternehmungsmitglieder und nicht als reine Anordnungsempfänger betrachtet. Auf der Teilbereichsebene erfolgt der Informationsaustausch ebenfalls hauptsächlich auf formalem Wege. Die hierarchische Stellung der befragten Teilbereichsleiter bedingt dabei intensive Kontakte auch zu übergeordneten Stellen; insbesondere werden in hohem Maße formale Informationen an Vorgesetzte weitergegeben. Gleichzeitig geben die Teilbereichsleiter tendenziell mehr Anweisungen als Informationen mit rein informierendem und entscheidungs- bzw. kontrollunterstützendem Charakter weiter, auch mehr als sie selbst empfangen. Die größere Nähe zum Vollzug erhöht den Ausführungscharakter von Aufgaben und damit die Bedeutung von Weisungsprozessen. Entgegen den Ergebnissen in der deutschen Stichprobe erfolgt der Informationsaustausch in den US-amerikanischen Unternehmungen vorwiegend auf informaler Basis. Dies gilt insbesondere für die Boardebene. Die befragten Boardmitglieder empfangen tendenziell die meisten informalen Informationen von Kollegen und Mitarbeitern, bezeichnen aber auch ihre informalen Kontakte zu übergeordneten Stellen

2 3

in nicht unerheblichem Maße, 4

5 5

in hohem Maße,

4 ~

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Abb. 3: Informationsverhalten von Führungskräften der untersuchten deutschen und US-amerikanischen Unternehmungen im Rahmen des Informationsempfangs

Skala: 1 = in sehr geringem Maße, 2 in geringem Maße, 3 5 = in sehr hohem Maße deutsche Führungskräfte US-amerikanische Führungskräfte

- entscheidungs- und kontrollunterstützend

- anweisend

- rein informierend

Charakter der Informationen

zu anderen

zu Mitarbeitern

§

~

o

a.

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4

::l.

3

Teilbereichsleiter

zu Kollege!}

2

Vorstands· blW. Boardmitglieder

zu übergeordneten Stellen

- informale Beziehungen (Gesamtmaß)

·zu anderen

zu Sammelstellen

zu Mitarbeitern

zu Kollegen

zu übergeordneten Stellen

- formale Beziehungen (Gesamtmaß)

Informationsbeziehungen

Informationsempfang

Mittelwerte

\

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2 3

in nicht unerheblichem Maße, 4

5

5

in hohem Maße,

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Abb.4: Informationsverhalten von Führungskräften der untersuchten deutschen und US-amerikanischen Unternehmungen im Rahmen der Informationsvermittlung

in geringem Maße, 3 Skala: 1 = in sehr geringem Maße, 2 5 = in sehr hohem Maße deutsche Führungskräfte US-amerikanische Führungskräfte

- entscheidungs- und kontrollunterstützend ....:J

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N

IIQ

~

_,.,..,J.

I ~

...,

4

~

3

Teilbereichsleiter

- anweisend

... ~

2

Vorstands- bzw. Boardmitglieder

- rein informierend

Charakter der Infonnationen

zu anderen

zu Mitarbeitern

zu Kollegen

zu übergeordneten Stellen

- infonnale Beziehungen (Gesamtmaß)

zu anderen

zu Sammelstellen

zu Mitarbeitern

zu Kollegen

zu übergeordneten Stellen

- fonnale Beziehungen (Gesamt maß)

Infonnationsbeziehungen

Informationsvermittlung

Mittelwerte

248

Friedrich Hoffmann

(Chairman of the Board 17) als fast ebenso intensiv. In beinahe gleichem Ausmaß leiten die Boardmitglieder informale Informationen an die genannten Personen weiter. Kommunikationsvorschriften bestehen für sie nur in geringem Maße. Die dabei hauptsächlich betroffenen Kommunikationspartner (übergeordnete Stellen, Mitarbeiter) weisen auf eine Dominanz vertikaler Austauschbeziehungen hin, und zwar nach oben jeweils zunehmend. Es ist zu vermuten, daß formale Beziehungen vor allem festgelegt werden, um den Rückfluß von KontrolIinformationen zu gewährleisten. Der überwiegend entscheidungs- und kontrollunterstützende Charakter der ausgetauschten Informationen, das generell sehr geringe Ausmaß an Anweisungen auf der Board- (und Teilbereichs-)Ebene sowie die festgestellte Tendenz zur Einflußzentralisation stützen diese Schlußfolgerung. Sammelstellen als entscheidende Informationsquellen für die Vorstandsmitglieder werden von den Boardmitgliedern durchschnittlich nur wenig in Anspruch genommen. Für Informationsprozesse auf der Teilbereichsebene der untersuchten US-amerikanischen Unternehmungen sind dieselben Grundaussagen zu treffen. Allerdings nimmt der Anteil formaler Informationen etwas zu, damit die Tendenz zur formalen Absicherung vertikaler Beziehungen, insbesondere zu Mitarbeitern, und die Inanspruchnahme von Sammelstellen als Quelle formaler Informationen.

3. Situation-Verhaltens-Zusammenhang Dem Situationsansatz und Ergebnissen darauf aufbauender Untersuchungen folgend sind stabile Verhaltensmuster von Führungskräften nicht realistisch18• Vielmehr ist das Verhalten in Abhängigkeit von den jeweils vorliegenden Bedingungen zu betrachten und zu beurteilen. In unserem Forschungsprojekt haben wir deshalb unserer Verhaltensanalyse theoretische Konzepte zugrundegelegt, die Erkenntnisse bisheriger Forschungsbemühungen integrieren und verhaltensprägende Faktoren mitberücksichtigen. Im folgenden soUen anhand einiger ausgewählter Einflußfaktoren und Hypothesen unsere Grundkonz,epte dargelegt und mit der Realität konfrontiert werden.

17 In keiner der US-amerikanischen Unternehmungen wurde der Chairman of the Board befragt, während in Deutschland in ca. der Hälfte der Unternehmungen die Vorstandsvorsitzer sich selbst für ein Interview bereit erklärten. Dies mag mit ein Grund für die intensiven Kontakte der Boardmitglieder zu übergeordneten Stellen sein. 18 Vgl. F. Hoffmann: Führungsorganisation, Band I, Stand der Forschung und Konzeption, a.a.O., S. 475 ff.

Verhalten deutscher und US-amerikanischer Manager

249

a) Situationsspezijische Analyse des Führungs- und Entscheidungsverhaltens

Die Betrachtung von Führungsprozessen als situationsabhängige Interaktionsprozesse erfordert eine Verhaltensanalyse unter Berücksichtigung der intra- und interpersonalen Sphäre sowie der Aufgabensituation19 • Personenspezifische Merkmale der Führungskräfte (intrapersonale Sphäre) erfassen Einstellungen und Qualifikationen der Führungspersonen und prägen die Disposition zu einem Verhalten. Die Führungsqualifikation wird bei den untersuchten Führungskräften grundsätzlich vorausgesetzt. Umfangreiche Einstellungsmessungen waren im Rahmen unseres Forschungsprojektes nicht möglich und, weil anderen Disziplinen vorbehalten, auch nicht beabsichtigt. Im folgenden werden jedoch Alter und Betriebszugehörigkeit der Führungskräfte als verhaltensprägende Faktoren in die Analyse einbezogen. Die interpersonale Sphäre wird durch das Arbeitsklima (Offenheit des Informationsaustausches) und den Eindruck des Managers von der Qualifikation der Mitarbeiter (Ausmaß aufgabenbezogener Entlastung und mitverantwortlichen HandeIns) erfaßt. Als relevante Merkmale der Aufgabensituation werden Dringlichkeit, Einmaligkeit und Wiederholungshäufigkeit von Aufgaben berücksichtigt. Folgende Hypothesen leiten unsere Zusammenhangsanalyse von Einfluß faktoren des Führungsverhaltens und Verhaltensmerkmalen: -

-

Je älter die Führungskräfte sind bzw. je länger sie dem Betrieb angehören (langjährige Praxis), desto mehr neigen sie zu zentraler Führung (Konzentration von Aktivitäten). Je besser das Arbeitsklima ist, desto mehr neigen Führungskräfte zu mitarbeiterorientiertem Verhalten (bzw. vice versal. Je höher die Qualifikation der Mitarbeiter ist, desto mehr neigen die Führungskräfte zu mitverantwortlicher Einbeziehung der Mitarbeiter in das Unternehmungsgeschehen (hohe Kooperation und Mitarbeiterorientierung, geringe Konzentration von Aktivitäten).

-

Je höher der Zeitdruck durch zunehmend dringliche Aufgaben ist, desto weniger neigen die Führungskräfte zu Kooperation und Mitarbeiterorientierung.

-

Je höher der Anteil einmaliger Aufgaben ist, desto mehr neigen die Führungskräfte zu vertrauens- und verantwortungsvoller Zusammenarbeit mit den Mitarbeitern (Kooperation und Mitarbeiterorientierung).

19 Zur Konzeption vgl. F. Hoffmann: Führungsorganisation, Band I, Stand der Forschung und Konzeption, a.a.O., S. 481 ff. Die Erhebung der Situationsmerkmale erfolgte jeweils mit Hilfe von 5-Punkte-Skalen.

Friedrich Hoffmann

250

-

Je höher der Wiederholungsgrad der Aufgaben ist, desto mehr neigen die Führungskräfte zur Gewährung von Handlungsspielräumen (geringe Konzentration von Aktivitäten) und zu Aufgabenorientierung.

Entscheidungsverhalten betrachten wir vor allem als von der spezifischen Entscheidungssituation (Entscheidungsprobleme) abhängig. Führungsverhalten beeinflußt unserer Meinung nach nur in geringem Ausmaß den Partizipationsgrad der Mitarbeiter. Die überprüfung unserer Hypothesen erfolgt für die befragten Führungskräfte insgesamt. Eine ebenenspezifilSche Analyse der Zusammenhänge ist nicht Gegenstand dieser Ausführungen. Es werden deshalb die Antworten aller Führungskräfte der deutschen Unternehmungen einerseits (Vorstandsmitglieder und Teilbereichsleiter) und der USamerikanischen Unternehmungen andererseits (Boardmitglieder und Teilbereichsleiter) in eine Korrelationsanalyse einbezogen und die Ergebnisse der beiden Stichproben gegenübergestellt. Ziel der Analyse ist die Ableitung geeigneter Bedingungsrahmen für unterschiedliches Führungs- und Entscheidungsverhalten. Die Ergebnisse unserer Zusammenhangs analyse in der deutschen wie auch der US-amerikanischen Stichprobe zeigen, daß die untersuchten Bedingungsfaktoren einen Einfluß auf das Führungsverhalten ausüben (vgl. Tabelle 120). Intra- und interpersonale Sphäre sowie die Aufgabensituation wirken jedoch nicht generell verhaltensprägend, vielmehr eher merkmalsspezifisch. Zusätzlich bestehen zwischen beiden Ländern Unterschiede. Bei den befragten deutschen Führungskräften reduziert tendenziell ein mit dem Alter zunehmend umfangreiches Erfahrungspotential die Notwendigkeit ausgeprägter Strukturi'erung von Vorgesetzten-Mitarbeiter-Beziehungen (Aufgabenorientierung). Erfahrung schafft Voraussetzungen und Spielräume für eine stärkere Berucks1chtigung individueller Belange der Mitarbeiter und für Kooperation. Unsere Annahme einer mehr 2lentralen Führung nach langjähriger Praxis wird nicht bekräftigt. Bei zunehmend offenem Informationsaustausch (gutes Arbeitsklima) neigen die deutschen Manager zu weniger Konzentration von Aktivitäten und Kooperation. Sie betonen stärker ihre Koordinationsfunktion und gewähren den Mitarbeitern mehr Selbständigkeit in ihrem Aufgabengebiet. Individuellen Belangen wird hierbei also durch Gewährung von Handlungsspielräumen entsprochen. Dies gilt tendenziell auch dann, wenn die befragten Führungskräfte von der Qualifikation 20

Tabelle 1 enthält alle Korrelationskoeffizienten mit einem Wert von

T;;' 10.20 I.

Tabelle 1

~

Aufgabenstruktur -- Dringlichkeit .......... -- Einmaligkeit .......... -- Wiederholungshäufigkeit ...................

Aufgabensituation

Arbeitsklima .. , ............ Qualifikation der Mitarbeiter -- aufgabenbezogene Entlastung ........... . -- mitverantwortliches Handeln ............. .

Interpersonale Sphäre

Alter ...................... Betriebszugehörigkeit ......

Intrapersonale Sphäre

Einflußfaktoren

des Führungsverhaltens

- 0.41

- 0.36

- 0.20

Deutschland

I

0.26

USA

Konzen tration von Aktivitäten

- - 0.28

- 0.21

0.21

I

I

I

I

Deutsch- II land

0.38

- 0.64

USA

Kooperation

- 0.38

- 0.39

Deutschland

I

I

I

- 0.26

0.22

- 0.34

0.33

USA

0.23

i

I

-- 0.60

0.31

0.47

Deutschland

Mitarbeiterorientierung

0.42

0.32

0.21

- 0.47

USA

Aufgabenorientierung

Beziehungszusammenhänge zwism.en EinßuBfaktoren und Merkmalen des Führungsverhaltens (Pearson-Korrelationen)

t-'

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g.

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252

Friedrich Hoffmann

ihrer Mitarbeiter überzeugt sind. Eine aufgabenbezogene Entlastung durch d~e Mitarbeiter mindert die Notwendigkeit ausgeprägt regelungsbezogenem Verhalten der Führungskräfte und ermöglicht ein stärkeres Eingehen auf individrueUe Belange. Zeitdruck durch dringliche Aufgaben begegnen die Manager tendenziell durch ein geringeres Maß an Kooperation, ohne gleichzeitig zusätzliche Aufgaben auf sich zu konzentrieren. Entgegen unseren Erwartungen werden gute zwischenmenschliche Bez~ehungen (Mitarbeiterorientierung) diesem Druck nicht unmittelbar preisgegeben. Ebensowenig bedingt Einmaligkeit von Aufgab.en nicht "automatisch" eine höhere Zusammenarbeit, sondern eher eine stärkere Kone;entration von Aufgaben. Die -entsprechende Kapazität wird dadurch gesichert, daß die Manager bei Aufgaben mit hohem Routinecharakter tendenziell nur kOOl":dinierend in die Handlungsprozesse der Mitarbeiter eingreifen. Der damit gewährte Handlungssp1elraum wird tendenziell nicht durch zunehmende Aufgabenorientierung kompensi:ert. Die Ergebnisse widerlegen damit unsere Annahme. Aus den dargelegten Einzelergebnissen können zusammenfassend spezifische Bedingungsrahmen für spezifische Verhaltensmerkmale abgeleitet werden:

-

Konzentration von Aktivitäten kann als Reaktion auf fachliche Anforderungen interpretiert werden. Sie ist tendenziell sehr ausgeprägt bei schlechtem Arbeitsklima, geringer Qualifikation der Mitarbeiter hinsichtlich Aufgaben- und Entscheidungsmitverantwortung, geringem Routinecharakter der Aufgaben.

-

Kooperation stellt sachliche und zeitliche Bedingungen: langjährige Erfahrung und gutes Arbeitsklima (offener Informationsaustausch) sowie weniger dringliche Aufgaben.

-

Aufgaben- und Mitarbeiterorientierung sind vor allem gebunden an personelle und damit verknüpfte zeitliche Bedingungen: langjährige Erfahrung der Führungskräfte und das Ausmaß, indem Mitarbeiter ihre Vorgesetzten entlasten. Aufgabenorientierung soll einen möglichst -r,eibungslosen Ablauf unterstützen und steigt deshalb tendenziell bei geringer Erfahrung und Entlastung der Führungskräfte. Die bei den befragten deutschen Führungskräften bereits hohe Mitarbeiterorientierung nimmt zu, wenn durch langjährige Praxis und aufgabenbezogene Entlastung der Führungskräfte unter sachlichen und zeitlichen Aspekten zusätzlich Raum für die Berücksichtigung individueller Belange gewonnen wird.

Diese Tendenzaussagen sind nach unseren Ergebnissen nur bedingt für die untersuchten US-amerikanischen Unternehmungen zutreffend. Insbesondere interpersonale Sphäre und Aufgabensituation beeinflussen

Verhalten deutscher und US-amerikanischer Manager

253

das Verhalten der US-amerikanischen Führungskräfte tendenziell in anderer Weise als das Verhalten der deutschen Manager, teils sogar entgegengesetzt. Ein offener Informationsaustausch (gutes Arbeitsklima) vermindert tendenziell Mitarbeiterorientierung. Ein besonderes Bemühen um gute zwischenmenschliche Beziehungen wird von den US-amerikanischen Führungskräften unter diesen Bedingungen weniger für notwendig erachtet als bei schlechtem Arbeitsklima. Aufgabenbezogene Entlastung ist tendenziell mit Aufgabenorientierung verbunden. Dies gilt auch für Dringlichkeit und Einmaligkeit von Aufgaben. Die generell festgestellte geringe Neigung US-amerikanischer Manager zur Regelung von Beziehungen wird unter Belastung und Zeitdruck überwunden. Zusätzlich wird tendenziell unter steigendem Druck dringlicher und einmaliger Aufgaben Mitarbeiterorientierung vermindert. Zunehmender Routinecharakter dagegen läßt mehr Zeit für Kooperation und intensive Auseinandersetzung mit dem Handeln der Mitarbeiter {Konzentration von Aktivitäten). Aus diesen im Vergleich zur deutschen Stichprobe unterschiedlichen Einflußbeziehungen resultieren für US-amerikanische Unternehmungen teils spezifische Bedingungsrahmen der betrachteten Verhaltensmerkmale: -

Die befragten US-amerikanischen Manager neigen tendenziell zur Konzentration von Aktivitäten und stärken diese Neigung, wenn ein zunehmender Routinecharakter der Aufgaben unter zeitlichem Aspekt eine Einflußzentralisation ermöglicht.

-

Kooperation erfordert wie in deutschen Unternehmungen einen zeitlichen Dispositionsspielraum: bei geringer Dringlichkeit von Aufgaben bzw. hohem Routinegrad.

-

Aufgabenonentierung unterstützt nicht nur einen reibungslosen Ablauf. Für die US-amerikanischen Führungskräfte ist sie zugleich ein Instrument der zentralen Führung: bei geringer aufgabenbezogener Entlastung, bei hoher Belastung durch zunehmend dringliche und einmalige Aufgaben. Mitarbeiterorientierung ist an personelle Bedingungen gebunden: Erfahrung und Qualifikation der Manager und der Mitarbeiter. Sie muß jedoch sachlichen Zwängen weichen.

-

Hinsichtlich des Entscheidungsverhaltens haben unsere deskriptiven Analysen für unterschiedliche Entscheidungsprobleme unterschiedliche Partizipationsgrade der Mitarbeiter ergeben und damit unsere Annahme einer problemspezifischen Ausprägung des Entscheidungsverhaltens gestärkt. Unse,l'e Ergebnisse der Zusammenhangsanalyse :lJeigen,

254

Friedrich Hoffmann

daß die Merkmale des FührungsverhalteIliS das Entscheidungsverhalten in den vier Problembereichen teils nur im geringem Maße, teils sogar in entgegengesetzter Richtung beeinflussen (vgl. Tabelle 221 ). Eine einheitliche p'artizipationsföl'dernde oer partizipationsmindernde Wirkung ist für die Konzentration von Aktivitäten, Kooperation und Aufgabenorientierung in der deutschen Stichprobe nicht feststellbar. Lediglich zunehmende Mitarbeiterodentierung erhöht vermutlich die Neigung der befragten Manager Z'Ur stärkeren Einbeziehung der Mitarbeiter in Entscheidungsprozesse. In bezug auf die befragten US-amerikanischen Führungskräfte weisen unsere Ergebnisse auf einen stärkeren Einfluß des Führungsverhaltens auf das Entscheidungsverhalten hin. Unter Berücksichtigung der engeren Zusammenhänge ist jedoch eher auf eine generelle Tendenz zu mehr Alleinentscheidung zu schließen und weniger auf eine merkmalsspezifische Variation des Entscheidungsverhaltens. Kooperation, Aufgaben- und Mitarbeiterorientierung wirken tendenziell gleichermaßen negativ auf den Partizipationsgrad der Mitarbeiter in Entscheidungsprozessen ein. Eine Ablehnung unserer Annahme erscheint uns in Anbetracht dieser Ergebnisse auch für US-amerikanische Manager nicht gerechtfertigt.

b) Situationsspezifische Analyse formaler und informaler Informationsaustauschprozesse Die Struktur von Informationsaustauschprozessen beschreibt das Ausmaß formaler und informaler Beziehungen von Führungskräften generell und die Intensität von Beziehungen zu einzelnen Kommunikationspartnern im speziellen. Generell ist davon auszugehen, daß Empfang und Weitergabe von Informationen nach einem bevorzugten Grundschema (formal oder informal) ablaufen. Die Austauschbeziehungen zwischen den befragten Führungskräften und einzelnen Kommunikationspartnern dagegen bestehen nach Bedarf und entsprechender Notwendigkeit zur Weitergabe von Informationen. Daraus resultieren personenspezifische einseitige und/oder wechselseitige Kommunikationsbeziehungen. Die relative Intensität einseitiger Informationsaktivitäten verdeutlicht die dominierende Richtung eines Informationsflusses (horizontal, vertikal, lateral). Informationsaustauschprozesse verlaufen nicht störungsfrei. In unserer Konzeption unterscheiden wir zwischen sachbedingten (z. B. über21 Die Tabelle enthält die Ergebnisse der semipartiellen Korrelationsanalyse unter Berücksichtigung der jeweils fünf wesentlichen Einflußfaktoren der Merkmale des Führungsverhaltens.



••••

•••••••

0

••••

Konzentration von Aktivitäten Kooperation Aufgabenorientierung ........ Mitarbeiterorientierung ......

Führungsverhalten

:s;: -- 0.25

- 0.31 0.03

0.19 0.01 0.44

0.19

0.01

- 0.01

Deutschland

0.07

USA 0.45

I

I

I

- 0.28

- 0.41

0.12

-·0.17

USA

Teilbereich

-- 0.02

Deutschland

Gesamtunternehmung

0.04

0.03

- 0.12

0.03

Deutschland

I

I

- 0.25

0.08

- 0.25

0.13

USA

direkt unterstellte Mitarbeiter

Zusammenhang zwischen Führungs- und Entscheidungsverhalten

Tabelle 2

----

-

0.23

0.15

- 0.31

- 0.08

Deutschland

I

0.05

- 0.22

- 0.68

0.18

USA

indirekt unterstellte Mitarbeiter

~

tn tn

~

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C/l

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~

g.

Friedrich Hoffmann

256

mittlungsfehler, schlechte Kontakte durch unzureichende Kompetenzabgrenzung) und personell bedingten Störungen (z. B. Informationsvorenthaltung aufgrund von Mißtrauen, Konkurrenzdenken)22. Störungen sind einerseits Folge bestehender bzw. nicht bestehender Kommunikationsregelungen, andererseits Einflußfaktoren formaler und informaler Austauschprozesse. Entsprechend dieser Grundannahmen werden folgende Hypothesen geprüft: -

Je mehr der Informationsempfang auf formaler (informaler) Basis erfolgt, desto mehr werden formale (informale) Informationen weitergegeben.

-

Je mehr der Informationsaustausch formal geregelt ist, desto weniger treten sachbedingte Störungen auf.

-

Je mehr sachbedingte Störungen auftreten, desto mehr Informationen werden zum Ausgleich auf informalem Wege ausgetauscht.

-

Je mehr der Informationsaustausch informal erfolgt, desto mehr treten personell bedingte Störungen auf.

Die Ergebnisse unserer Zusammenhangsanalyse in deutschen und US-amerikanischen Unternehmungen stützen unsere Tendenzaussagen im Rahmen der deskriptiven Analyse und unsere Annahme einer Grundtendenz zu mehr formalem bzw. informalem Informationsaustausch. Je mehr die Informationszuleitung formal geregelt ist, desto mehr ist tendenziell die Informationsweitergabe geregelt (vgl. Tabelle 3). Tabelle 3

Zusammenhang zwischen Informationsempfang und -vermittlung (Pearson-Korrelationen)

~ vermittlung

Informationsempfang

formal Deutschland

informal USA

Deutschland

USA

formal .................

0.70

0.85

- 0.56

- 0.83

informal ...............

- 0.64

- 0.88

0.61

0.94

22 Vgl. F. Hoffmann: Führungsorganisation, Band I, Stand der Forschung und Konzeption, a.a.O., S. 499 ff.

Verhalten deutscher und US-amerikanischer Manager

257

Der Grad informaler Beziehungen nimmt mit steigendem Grad formaler Kontakte ab. Die Ergebnisse der differenzierten Analyse dagegen weisen auf unterschiedliche Strukturen des Informationsaustausches in den Unternehmungen beider Länder hin (vgl. Tabellen 4 und 5). Tabelle 4

Zusammenhang zwisclten formalem Informationsempfang und formaler Informationsvermittlung (Pearson -Korrelationen)

Deutschland

USA

an Kollegen

an Kol- an Mitlegen arbeiter

von Vorgesetzten

0.12

von Kollegen .... von Mitarbeitern

0.17 0.17

0.56

....

'0.10

... ...

Tabelle 5

Zusammenhang zwischen informalem Informationsempfang und informaler Informationsvermittlung (Pearson-Korrelationen)

Deutschland

USA

an Kol- an Mit- an Vor- an Kol- an Mitlegen arbeiter gesetzte legen arbeiter von Vorgesetzten

0.13

von Kollegen .... von Mitarbeitern

0.32

0.41

0.31

0.48

0.35

-0.61

0.52

t I 0.49

0.53

In den untersuchten deutschen Unternehmungen bestehen wechselseitige formale bzw. informale Austauschbeziehungen. Die befragten Führungskräfte geben tendenziell um so mehr Informationen an Vor17 Festgabe Perridon

258

Friedrich Hoffmann

gesetzte, Kollegen und Mitarbeiter ab, je mehr sie von der jeweiligen Personengruppe erhalten. Zusätzlich lassen die bestehenden einseitigen Beziehungen auf eine stärkere vertikale Ausrichtung formaler Kontakte schließen: Mit zunehmendem Empfang formaler Informationen von Vorgesetzten geben die Führungskräfte tendenziell mehr formale Informationen an Mitarbeiter weiter. Bei einer Umkehrung des Informationsflusses weisen unsere Analyseergebnisse mit einer Ausnahme keine entsprechend hohen Beziehungszusammenhänge auf. Eine weitgehende Standardisierung des Informationsflusses dient der Vermeidung von Informationsverlusten und der Sicherung, daß übergeordnete Ziele und Maßnahmen auf untergeordneten Ebenen realisiert werden. Die hierarchische Struktur des Informationsflusses spiegelt die Nutzung dieser formalen SteuerungsmechaniJsmen wkler. Informale Informationen ergänzen unter diesen Bedingungen den formalen Informationsaustausch, wenn aufgrund hoher Aufgabenkomplexität und -variabilität eine Regelung nur in vermindertem Maße möglich ist. Entsprechend sind informale Beziehungen tendenzilell entgegengesetzt dem formalen Informationsfluß mehr zu den übergeordneten Stellen hin gerichtet. In den US-amerikanischen Unternehmungen beschränken sich die wechselseitigen formalen Austauschbeziehungen der befragten Führungskräfte tendenziell auf Vorgesetzte und Kollegen. Zu den Mitarbeitern bestehen wechselseitig,e Beztehungen, insbesoIlidel'e im Rahmen des informalen Informationsaustausches. Der formale Informationsfluß weist entgegen den Ergebnissen der deutschen Stichprobe eher zu den Vorgesetzten hin. Im Rahmen des informalen Informationsflusses ist keine dominante Richtung feststellbar. Die Ergebnisse deuten vielmehr darauf hin, daß die befragten Führungskräfte generell mit zunehmendem Empfang informaler Informationen tendenziell an alle Personen zunehmend mehr informale Informationen weitergeben ("sternförmiger" Informationsfluß). Informale Kontakte ermöglichen eine direkte und flexible Steuerung des Handlungsgeschehens, insbesondere in komplexen Strukturen mit umfangreichem horizontalem und vertikalem Abstimmungsbedarf. Regelungen des Informationsaustausches haben unter diesen Bedingungen vor allem eine Sicherungs- und Kontrollfunktion im Rahmen des Informationsrückflusses an jeweils übergeordnete Stellen. Aus diesen Unterschieden US-amerikanischer Führungskonzeptionen im Vergleich zu deutschen Unternehmungen resultieren - wie dargestellt - spezifische, von deutschen Führungskräften abweichende Verhaltensstrukturen im Rahmen des Informationsaustausches.

Verhalten deutscher und US-amerikanischer Manager

259

Die unterschiedlichen Strukturen des Informationsaustausches in den untersuchten deutschen und US-amerikanischen Unternehmungen verstärken bzw. reduzieren in unterschiedlichem Maße sach- und personell bedingte Störungen. Während in den deutschen Unternehmungen sachbedingte Störungen des Informationsaustausches tendenziell relativ eng mit dem Grad formaler bzw. informaler Beziehungen zusammenhängen, beeinflußt die Art der Beziehungen in den US-amerikanischen Unternehmungen vor allem das Ausmaß personell bedingter Störungen (vgl. Tabelle (23). Tabelle 6

Zusammenhang zwischen Informationsbeziehungen und Störungen der Austauschprozesse (Kendall-Korrelationen)

~ Austauschbeziehungen

Deutschland

- 0.36 0.32

Informationsvermittlung - formal - informal ..........

- 0.18 0.13

0

••••

I

I

USA

Deutschland

USA

I

Informationsempfang - formal ........... - informal ..........

••••••

personell bedingt

sachbedingt

0.05

0.15 - 0.15

0.14 - 0.05

0.32 0.27

0.02 - 0.09

- 0.18 0.29

In den untersuchten deutschen Unternehmungen reduzieren umfangreiche Regelungen wie angenommen sachbedingte Störungen des Informationsaustausches. Bei steigendem Grad informaler Austauschbeziehungen nimmt tendenziell das Ausmaß schlechter informatorischer Kontakte zu. Ungenügende Regelungen behindern eine ausreichende Informationsversorgung. Es werden tendenziell zunehmend informale Informationen empfangen und weitergegeben, zum Ausgleich des gestörten formalen Austausches und als Ergänzung. Personell bedingte Störungen treten relativ unabhängig vom Empfang und der Weitergabe formaler bzw. informaler Informationen auf. Diese Störungen sind in rein persönlichen Gründen und Interessen zu suchen. Sie werden, entgegen unserer Annahme, durch die Art der Bedingungen weder begünstigt noch verhindert. 23 Störungen wurden nominal erfaßt, entsprechend wurden die Korrelationen nach dem Kendall-Verfahren ermittelt.

17*

260

Friedrich Hoffmann

Die untersuchten US-amerikanischen Unternehmungen und das Verhalten ihrer Führungskräfte sind stark geprägt durch den hohen informalen Charakter der Informationsaustauschprozesse. Informale Prozesse bergen ein hohes Potential schlechter informatorischer Kontakte in sich, insbesondere wenn aus persönlichen Gründen die Bereitschaft zu offenem Informationsaustausch gering ist. Regelungen greifen unter diesen Bedingungen wie angenommen tendenziell unterstützend und störungsmindernd in die Prozesse ein.

4. Schlußbetrachtung Das Verhalten der befragten deutschen und US-amerikanischen Führungskräfte ist entsprechend ihrer ökonomischen und sozialen Verpflichtung sowohl sachbezogen auf die Aufgabenerfüllung als auch mitarbeiterbezogen auf individuelle Bedürfnisse ausgerichtet. Nach unseren Ergebnissen unterscheiden sich die Manager beider Länder jedoch hinsichtlich der jeweiligen Intensität und der wesentlichen Verhaltensmerkmale!4. Die befragten deutschen Manager stellen Leistungs- und fachliche Anforderungen an die Mitarbeiter. Umfangreicher Informationsaustausch, überwiegend auf formaler Basis, ermöglicht eine weitgehende Kontrolle und sichert eine ausreichende Entscheidungsvorbereitung. Von der Verantwortung über das Handeln der Mitarbeiter werden die Führungskräfte auch bei qualifizierten Mitarbeitern nicht entbunden. Individuellen Belangen und Bedürfnissen der Mitarbeiter wird trotz des Sachzwangs eine hohe Bedeutung beigemessen. Im Verhalten der Führungskräfte kommt die soziale Komponente vor allem zum Tragen durch hohe Mitarbeiterorientierung, weitreichende Kooperation und Partizipation der Mitarbeiter sowie ein geringes Maß an Anweisungen. Auch bei Gefahr zeitlicher Verzögerungen des Arbeitsprozesses hat die Mehrheit der Befragten ein offenes Ohr für persönliche Belange der Mitarbeiter. Die befragten US-amerikanischen Führungskräfte gewichten nach unseren Ergebnissen die sachliche Komponente stärker als deutsche Manager. Sie sind stärker leistungsorientiert und dokumentieren dies durch eine hohe Bedeutung von Leistungsstandards, durch eine weitgehende Beschränkung der Besprechungen auf Sachprobleme und durch eine Tendenz zu mehr Alleinentscheidungen. Formale Informationsbeziehungen zeichnen in einem weitgehend informalen Informationsaustausch vor allem Kontrollwege nach. Dennoch werden Mitarbeiter 24 Vgl. auch F. Hoffmann: Führungsorganisation, Band 11, Ergebnisse eines Forschungsprojektes, a.a.O., S. 269 ff.

Verhalten deutscher und US-amerikanischer Manager

261

nicht als Anordnungsempfänger und Ausführungsorgane betrachtet. Vielmehr werden ihnen Handlungsspielräume in ihrem jeweiligen Aufgabengebiet gewährt, die den Bedürfnissen nach Selbständigkeit gerecht werden. Ihr Fachwissen wird in Entscheidungen zu aufgaben- und arbeitsspezifischen Problemen im Rahmen der Konsultation und Informationsgewinnung weitgehend genutzt und die Mitarbeiter dadurch als mitverantwortliche Unternehmungsmitglieder am Handlungsgeschehen beteiligt.

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IV. Einzel wirtschaftliche Entscheidungen in ihrer Abhängigkeit von Wirtschaftspolitik und Rechtsordnung

Auswirkungen progressiver Steuertarife auf die Bereitschaft zur Risikoühernahme* Von

Günter Bamberg

Summary The impacts of progressive income taxes on risk neutral investors is unambiguous: risk-taking is reduced. The proof of a corresponding proposition is valid for arbitrary distributions of the risky alternaiÜve. The impacts of progressive taxation on risk averse investors is ambiguous unless the utility function or the tax schedule are restricted to special classes of functions. Zusammenfassung Die Auswirkungen progressiver Einkommenssteuertarife auf risikoneutrale Investoren ist eindeutig: Die Bereitschaft zur Risikoübernahme wird durch den Progressionstarif reduziert. Dieser in der Literatur teilweise inkorrekt dargestellte Effekt wird allgemein bewiesen. Für den Fall risikoaverser Investoren lassen sich nur dann Aussagen über die Wirkung der Progression machen, wenn die Risikonutzenfunktion oder der Progressionstarif auf spezielle Funktionsklassen eingeschränkt werden. 1. Einführung In der einschlägigen Literatur, z. B. Perridon/ Steiner (1980, S. 73), besteht Einmütigkeit darüber, daß steuerliche Gesichtspunkte bei der Investitionsrechnung berücksichtigt werden sollten. Die Berücksichtigung von Steuern bei einem bereits in der Realisierungsphase befindlichen Investitionsobjekt wirft zwar rechnerische Probleme, jedoch keine gravierenden theoretischen Probleme auf. Werden dagegen auf einer vorgelagerten Stufe die entscheidungstheoretischen Wirkungen der Steuern im Zusammenhang mit risikobehafteten Investitionsprojekten erörtert, so treten eine Fülle von (zum Teil ungelösten) Problemen auf. So werden in der Literatur die Auswirkungen unterschiedlicher Einkommenssteuertarife auf die Bereitschaft zur übernahme von • Wertvolle Anregungen zu einer früheren Fassung verdanke ich L. Haegert und Th. Siegel.

266

Günter Bamberg

wirtschaftlichen Risiken kontrovers beurteilt. Dies erscheint natürlich, wenn man sich die Tatsache vor Augen führt, daß es viele denkbare Tarife, Risiken und Typen von Investoren gibt. Ferner existieren darüber hinaus konkurrierende Theorien über das Entscheidungsverhalten in Risikosituationen und unterschiedliche Präzisierungen des Begriffs und Ausmaßes der "Risikoübernahme" . Man könnte sich auf den Standpunkt stellen, der hier jedoch nicht vertreten wird, daß die Frage nach den steuerlichen Auswirkungen primär ein empirisches Problem ist. In der Tat ist eine theoretische Behandlung insbesondere deswegen erforderlich, weil Steuertarifänderungen vom Gesetzgeber erst nach einer gewissen Abwägung theoretischer (und praktischer) Argumente vorgenommen werden. Weitgehende Einmütigkeit besteht in der theoretischen Beurteilung der Auswirkungen eines Proportionaltarifs (mit vollem Verlustausgleich) auf risikoaverse Investoren: Je höher der Proportionaltarif, desto stärker wird die Risikoübernahme gefördert. Diese der landläufigen Meinung zuwiderlaufende These läßt sich dadurch plausibel machen, daß der Proportionaltarif zwar die Gewinnerwartung schmälert, jedoch gleichzeitig auch die Gewinnstreuung reduziert, wobei der letztere Effekt die erwartete Gewinnschmälerung überkompensiert. Demgegenüber erschöpft sich die theoretische Diskussion der Auswirkungen progressiver Tarife größtenteils in Kasuistik. Wegen einer kritischen übersicht über die in der Literatur bewiesenen Theoreme und vertretenen Thesen sei insbesondere auf Schneider (1977) verwiesen. Schneider versucht, anhand von geeigneten Zweipunktverteilungen zu demonstrieren, daß der Effekt eines progressiven Tarifs unbestimmt ist. Nach Schneider gibt es für risikoneutrale wie auch für risikoaverse Investoren sowohl Progressionstarife, die die Risikoübernahme fördern als auch Progressionstarife, die die Risikoübernahme hemmen (man vergleiche auch Schneider, 1980, S. 331 - 333). Im Gegensatz zu dieser differenzierten Sicht vertritt Schneider (1983) relativ dezidiert die These "Eine Senkung der Progression verringert die Risikobereitschaft bei Investitionen". Die bei der Argumentation benutzten Tarife sind zwar progresssiv in dem Sinne eines monoton wachsenden Durchschnittssteuersatzes; sie sind jedoch nicht durchwegs progressiv im Sinne eines monoton wachsenden Grenzsteuersatzes. Deshalb erscheint eine Neubetrachtung der erwähnten These angebracht. Nach einer kurzen Erörterung des Begriffs der Risikoübernahme in Abschnitt 2 werden in Abschnitt 3 die beiden Auffassungen von Progressivität einander gegenübergestellt. Die Abschnitte 4 und 5 behandeln die Auswirkungen von Progressionstarifen auf risikoneutrale bzw. risikoaverse Investoren.

Auswirkungen progressiver Steuertarife

267

2. Bereitschaft und Ausmaß der Risikoübernahme Für die Untersuchung der Auswirkungen der Einkommenssteuer bieten sich die in den Abschnitten a) und b) beschriebenen Wege an. a) Qualitative Charakterisierung der Risikobereitschaft

Zunächst werden ohne Berücksichtigung von Steuern einander gegenübergestellt: -

Ein risikobehaftetes Einkommen, präzisiert durch eine Zufallszahlung X,

-

ein risikoloses Einkommen, d. h. eine sichere Zahlung in Höhe von s.

Sowohl in X als auch in s seien die sonstigen festen Einkommensbestandteile enthalten. Die reelle Zahl s wird sodann so gewählt, daß Indifferenz eintritt. Im Falle eines risikoneutralen Investors bedeutet dies, daß s gleich dem Erwartungswert von X gesetzt wird, s = E (X)

Im Falle eines risikoaversen Investors mit einer (konkaven und streng monoton wachsenden) Risikonutzenfunktion u bedeutet dies, daß s gleich dem Sicherheitsäquivalent von X gesetzt wird, u (s)

=

E [u (X)] .

Nun wird der zu untersuchende Steuertarif angewandt und beide Alternativen nach Steuern miteinander verglichen. Besteht dann eine Präferenz für die risikobehaftete (bzw. risikolose) Alternative, so fördert (bzw. hemmt) der Steuertarif die Bereitschaft zur Risikoübernahme. Die Definition hat i. a. nur lokalen Charakter, d. h. die gewonnene Aussage gilt nur für das spezielle, durch X verkörperte Risiko. Ferner kann damit nur festgestellt werden, ob di,e Ri'sikoübernahme g,efördert wird oder nicht; es kann jedoch keine Intensität der induzierten Risikobereitschaft festgestellt werden.

b) Quantitative Charakterisierung der Risikoübernahme Zur Messung der Intensität der Risikoübernahme wird ein einfaches einperiodiges Portfoliomodell verwendet, das lediglich eine risiko freie und eine einzige risikobehaftete Anlagemöglichkeit beinhaltet. Der Investor kann nur in die beiden Anlagemöglichkeiten investieren. Der riskant angelegte Betrag wird als Maß für die Risikoübernahme interpretiert. So verfahren beispielsweise Richter (1960), Penner (1964), Mos-

Günter Bamberg

268

sin (1968), Stiglitz (1969), Allingham (1972), Ahsan (1974) und Haegert/ Kramm (1975). Die risikobehaftete Anlagemöglichkeit wird üblicherweise durch eine stochastische Rendite R beschrieben. Unterschiedliche Ausgestaltungen dieses Modellrahmens ergeben sich je nachdem, ob die Risikonutzenfunktion auf Endvermögenspositionen oder auf Periodeneinkommen definiert wird, der Investor Kredite aufnehmen darf oder nicht, Soll- und Habenzins gJ.eichgesetzt werden oder nicht. Bezeichnet w das Periodenanfangsvermögen des Investors, T den risikofreien (Soll = Haben-)Zinssatz und y den riskant angelegten Betrag, so ist das Periodenendvermögen vor Steuern gegeben durch (1)

(w - y) (1

+ T) + Y (1 + R)

.

Bezeichnet ferner t (x) die beim Einkommen x zu entrichtende Steuerschuld, so ist das Periodenendvermögen nach Steuern unter der Prämisse eines vollständigen Verlustausgleichs gegeben durch (2)

(w - Y) (1

+ T) + Y (1 + R)

- t [(w - Y) T

+ yR]



Für den Fall, daß die Risikonutzenfunktion auf Endvermögenspositionen definiert ist, der Investor unbegrenzt Kredite aufnehmen kann und Soll- und Habenzins übereinstimmen, ist der Nutzenerwartungswert der Zufallsvariablen (1) bzw. (2) jeweils bzgl. y > 0 zu maximieren. Die Veränderung der Maximalstelle mißt das Ausmaß der vom Steuertarif t induzierten Verringerung oder Förderung der Risikoübernahme. Die Nichtnegativitätsrestriktion y > 0, die im Portfoliokontext immer dann entbehrlich ist, wenn Leerverkäufe zugelassen sind, ist hier sinnvoll, da negative MaximalstelIen zu Interpretationsschwierigkeiten führen würden. 3. Wachsende Durchschnittssteuersätze versus wachsende Grenzsteuersätze Es bezeichne wiederum x das zu versteuernde Einkommen und t (x) die entsprechende Steuerschuld, wobei t (x) die beiden (selbstverständlichen) Forderungen erfülle: t (0)

= 0 und

t (x)

sei monoton wachsend in

x.

Die erste Ableitung t' (x) eines differenzierbaren Tarifs gibt den Grenzsteuersatz an. Reale Tarife sind i. a. stückweise differenzierbar zusammengesetzt, wobei an den Nahtstellen die links- und die rechtsseitige Ableitung differieren können. So ist beispielsweise die links-

Auswirkungen progressiver Steuertarife

269

seitige Ableitung in x = 4212 DM (= Grundfreibetrag) noch Null, während die rechtsseitige Ableitung 0,22 beträgt (Beginn der Proportionalzone). Ein Tarif, der bis zu einem gewissen Freibetrag den Grenzsteuersatz 0 und ab dann einen konstanten positiven Grenzsteuersatz beinhaltet, wird als indirekt progressiv bezeichnet. Dagegen ist nach Schneider (1977, S. 652) die direkte Progression durch steigende Grenzsteuersätze gekennzeichnet. Da die Unterscheidung zwischen der direkten und der indirekten Progression im folgenden irrelevant ist, wollen wir einen (Nichtproportional-)Tarif als progressiv bezeichnen, wenn er streng oder schwach monoton steigende Grenzsteuersätze besitzt; an den Nichtdifferenzierbarkeitsstellen ist die Bedingung natürlich dahingehend zu interpretieren, daß die rechtsseitige Ableitung mindestens so groß wie die linksseitige Ableitung ist. Für einen zweimal differenzierbaren Tarif t (x) hat das monotone Wachstum des Grenzsteuersatzes t' (x) die Nichtnegativität von t" (x) zur Folge t' (x) wächst monoton ~ t" (x) ;:::: 0 .

(3)

Bekanntlich besagt die Nichtnegativität der 2ten Ableitung, daß die Funktion t (x) konvex ist. Die Konvexitätseigenschaft läßt sich generell für jeden im obigen Sinne progressiven Tarif folgern. Es läßt sich ferner nachweisen, daß ein progressiver Tarif stets monoton wachsende Durchschnittssteuersätze impliziert, (4)

t (x)

konvex

t (x)

=9 - -

x

ist monoton wachsend .

Aus der Monotonie der Durchschnittssteuersätze kann zwar noch gefolgert werden, daß der Grenzsteuersatz stets mindestens so groß ist wie der Durchschnittssteuersatz, (5)

t'(x)

> ~ x

'

wie man aus der Nichtnegativität der Ableitung (6)

_d_ [~] =

dx

x

xt' (x) -

x

t (x)

direkt ersehen kann. Die Umkehrung von (4) gilt jedoch nicht, worauf in der Literatur (vgl. z. B. Eichhorn / Funke / Gleissner 1983 oder Richter 1984) bereits mehrfach hingewiesen wurde. D. h. aus dem monotonen Wachstum des Durchschnittssteuersatzes kann nicht auf die Progressivität des Tarifs geschlossen werden. Gegenbeispiele liefern alle nichtkonvexen Kurvenverläufe, bei denen der "Fahrstrahl" vom Koordinatenursprung zu einem auf der Kurve laufenden Punkt stets steiler wird.

Günter Bamberg

270

Dies erfüllt beispielsweise der in Fig.l skizzierte und für den Bereich

o

'"'-

6 5

4

(l)

3

(l)

2

""'"0

.s=

'" N

"

..:

r--

-

0

n

.50 .55 .60

-

-

..---

65 .70

.75 .80 ·85

.90

n .95

Befindensquotient

Abb. 6. Verteilung der allgemeinen Befindensquotienten

424

Hermann Brandstätter, ErichBarthel, Vera Fünfgelt

Einen ersten Eindruck von den individuellen Unterschieden erhält man aus Abbildung 6, in der die Verteilung der allgemeinen Befindensquotienten dargestellt ist. Der allgemeine Befindensquotient einer Person ergibt sich aus dem Verhältnis der Häufigkeit positiven Befindens zur Summe der Häufigkeiten positiven und negativen Befindens. Mit .74 liegt der durchschnittliche allgemeine Befindensquotient deutlich über dem, der bei Studenten der Universität Augsburg gefunden wurde (Brandstätter, 1981). Um die Fehlervarianz von den Wechselwirkungseffekten zu trennen, wurden die Protokolle einer Person laufend numeriert. Für jede Situationsklasse und Person wurde dann ein Befindensindex für die geradzahligen und einer für die ungeradzahligen Protokolle berechnet. J,ede Zelle der aus P.ersonen und Bituationsk1assen gebildeten Datenmatrix enthält daher zwei Werte. Beide Faktoren des varianz analytischen Versuch:splans, d1e P'ersonen und die Situationsklassen, wurden als Zufallsvariablen behandelt. Bei der Interpretation der Anteile erklärter Varianz ist zu beachten, daß diese wesentlich von der Anzahl der gewählten Situattonsklassen und ihrer Heterogenität abhängen. Wenn wir nur zwei Klassen von Orten unterscheiden, nämlich "zu Hause" und "außer Haus", erhalten wir durchschnittliche situationsspezifische Befindensindizes von .72 bzw ..80, ein Unterschied der auf dem 1 ~/o-Niveau signifikant ist. 9 Glo der erklärten Varianz geht auf die Situationsklassen und 53 010 auf die p.el"'Son zurück. Die Wechselwirkung ist nicht signifikant. Eine Varianzanalyse mit 4 Kategorien von Tätigkeiten (Arbeit zu Hause, X = .68, Arbeit außer Hause, X = .62; Freizeit zu Hause, X = .77; Fre~eit außer Hause, X = .90) ergibt ebenfalls zwei signifikante Haupteffekte (p< .01), aber keinen Wechselwirkungseffekt. Tätigkeiten und Personen erklären 22 010 bzw. 19 °/0 der Varianz. Für eine Varianz analyse mit den 5 häufigsten Kategorien anwesender Personen, nämlich ,,~eine andere Person anwesend" (X = .66), "Ehemann" (X = .79), "Kinder" (X = .72), "Bekannte" (X = .81), und "Fremde" (.K = .74) ergibt die Varianz analyse erneut nur signifikante Haupteffekte (p < .01), aber keinen Wechsel!wirkungseffekt. Der Faktor "Anwesenheit anderer Personen" erklärt 10 ~/o der Varianz, 22 Ofo der Varianz sind durch individueUe Unterschiede erklärt. Es sei an dieser Stelle erwähnt, daß in der Befindensstudie, die mit Studenten durchgeführt wurde (Brandstätter, 1981), aUe Wechselwirkungseffekte signifikant waren.

425

Beruf "Hausfrau"

d) Vergleich von Tagbuch- mit Interviewdaten

Ein Teil der mit dem Interview gewonnenen Daten kann direkt in Beziehung gesetzt werden zu den Daten des Zeitstichprobentagebuchs, da sie sich auf dieselben Fakten beziehen. Zunächst prüfen wir, ob die Zeitbudgetschätzungen übereinstimmen. Dann vergleichen wir die aus dem Tagebuch und dem InteJ."VILew abgeleiteten Zufriedenheitswerte. In Tabelle 11 findet man den pro Woche geschätzten Zeitbedarf für die verschiedenen Arten von Hausarbeiten und zwar gesondert für die repräsentative Stichprobe von Pross (1976), für die Interviews unserer Stichprobe und für die Tagebuchergebn~sse unserer Stichprobe. Zwischen den Interviewdaten von Pross und unseren Interviewdaten besteht eine gute Übereinstimmung, wenn man von der Frage "Betreuung der Kinder" absieht. Das Item 2 der Tagebuchdat,en bezieht sich auf Geschirrspülen. Etwa 1/S der Zeit, dIe für Wohnungspflege benötigt wird, wäre hier dazuzugeben, umdi,e Daten besser mit den Interviewkategorien vergleichen zu können. "Einkauf,en" ist im Tagebuch mcht beschränkt auf Nahrungsmittel und aIl!dere Haushaltsgegenstände, sondern umfaßt alle Arten von Einkäufen, z. B. auch den Kauf von KleiTabelle 11

Zeitaufwand (Stunden pro Woche) für verschiedene Hausarbeiten Art der Hausarbeit 1. Kochen ........................ . 2. Geschirrspülen und Aufräumen der Küche ..................... . 3. Wohnungspflege ............... . 4. Waschen ....................... . 5. Bügeln ........................ . 6. Einkaufen ..................... . 7. Betreuung der Kinder ......... . Summe ........................ ,... . Globale Schätzung (ohne Betreuung der Kinder) ..................... .

Zeitaufwand in Stunden pro Woche (a) (c)· (b) 15.0

17.5

13.1

8.5 19.5 2.5 2.0 3.0 (10.0)

8.2 13.8 2.9 2.5 2.9 3.7

4.4 12.5 2.7 2.0 4.1 4.9

60.5

51.5

43.7

49.0

32.4

Anmerkung:

a) Interviewdaten nach Prass (1976). b) Interviewdaten der vorliegenden Studie. c) Zeitstichproben-Daten der vorliegenden Studie . .. Die relativen Häufigkeiten wurden zur Schätzung des Zeitaufwandes mit 112 (= 16 Stunden mal 7 Tage) multipliziert.

426

Hermann Brandstätter, Erlch Barthel, Vera Fünfgelt

dem. Im allgemeinen liegen die Schätzungen des Zeitbedarfs aufgrund des Tagebuchs etwas niedriger, ausgenommen Item 6 und 7. Dies könnte darauf zurückzuführen sein, daß die Tagebuchdat'en nur die Erstnennungen von Tätigkeiten umfassen, währ,enddie Antworten auf die Fragen des Interviews auch gleichzeiti,g ausgeführte Tätigkeiten berücksichtigen und aufsummieren können (z. B. Bügeln und Beaufsichtigen der Kinder). Die von unseren Versuchspersonen im Interview abgegebenen Gesamtschätzungen der Arbeits~eit liegen niedriger als die Summen, die sich aus den Interviewdaten oder aus dem Tagebuch ergeben. Vergleicht man die Präferenz rangordnungen der verschiedenen Arten von Hausarbeit des Interviews mit den Rangordnungen, wie ,sie sich aus den tätigkeitsspezifisclJ.en Befindens quotienten el"geben, finden wir, allerdings bei nur n = 7,ei:ne gute Übereinstimmung (r = .75). Man kann also sagen, daß beide Methoden in der Schätzung d,es durchschnittlichen Zeitbedarfs und der durchschnittlichen Tätigkeitspräferenz einigermaßen übereinstimmen. Die Korrelation zWLschen den 'individuellen Schätzungen {n = 24) des für die Hausarbeit insgesamt benöHgten Zeitaufwands, abgeleitet von Interviewdaten auf der einen Seite und Tagebuchdaten auf der anderen Seite, ist dagegen nahezu null (r = - .11)! Die Reliabilität der Meßwerte ist nur ,für die Tagebuchdaten bekannt; sie beträgt r = .89. Die einzig,e Tätigkeitskategorie, bei der eine g,ewisse Übel"einstimmung der Zeitschätzung zwischen Interview und Tagebuch besteht, ist "Kochen" (r = .40). Kaum eine Korrelation best,eht auch zwischen dem allgemeinen Befindensindex einer Person und ihrer Antwort auf die Interviewfrage nach der alLgemeinen Zufri,edenheit. Von den spezifischen Zufriedenheitsskalen des Intel"V'iews, nämlich Zufriedenheit mit Hausarbeit, in der Ehe und mit den sozialen Kontakten, war nur die Zufriedenheit mit der Hausarbeit signifikant mit dem situationsspezifischen Befindensquotienten "Arbeit zu Hause" korreliert (n = 24; r = .51; vgl. auch Barthel 1980).

4. Diskussion Die Methode des Zeitstichproben-Tagebuchs, die zuerst mit Erfolg bei Studenten und Hochschullehrern angewendet worden war, erwies sich auch mit ,einer nach sozialer Schicht heterogenen Gruppe von Hausfrauen als brauchbar. Die verschiedenen Diskussionen mit den T,eilnehmem an der Untersuchung zeigten, daß diJe Aufgabe für sie sinnvoll, interessant und nicht zu schwierig war. Da wir unsere Zusicherung vollständiger Anonymität sehr ernst nahmen und die Teilnehmerinnen darauf vertrauten, können wir annehmen, daß die TagebuchprotokoUe

Beruf "Hausfrau"

427

weitgehend wahrheitsgemäß 'erstellt wurden, obwohl eine direkte überp,rüfung der Sorgfalt nicht möglich war. Immerh1n ist die übeI'einstimmung der durchschnittlichen Schätzungen des ,für die einzelnen Arten von Hausarbeiten benötigten Zeitaufwands, gewonnen aus dem Tagebuch und aus dem Intervtew, in den Stichproben-Mittelwerten I'elativ gut. Die unterschiedlichen emotionalen Bewertungen der verschiedenen Situationen erscheinen plausibel, aber durchaus nicht trivial. Obwohl jedermann vorhersagen würde, daß !Sich Menschen in der Freizeit im allgemeinen besser fühlen als bei der Arbeit, dürften die gefundenen Unterschiede innerhalb der beiden Klassen von Aktivitäten nicht von vornherein bekannt sein. Zur theoretisch vorrangig wicl1.tigen Frage, weI-che Merkmale der Person UIl!d der Situation auf welche Weise das Befinden von Menschen beeinflussen, ist diese vorwiegend explorativ und deskriptiv ang,elegte Studte allerdings nur ein erster Schritt. Es bedarf nicht nur einer Präzisierung theoretischer Kon~epte und theoretisch fundierter Hypothesen, sondern genauer Informationen darüber, warum bestimmte Aktivitäten positiv, andeI'e negativ bewertet werden. Hier könnte sich ein analytisches Verfahren der Arbeitsbeschreibung (vgl. Frieling, 1978) als nützlich erweisen, wenn es auf einzelne Tätigkeiten und nicht auf den Arbeitsplatz als ganzes angewendet wird {Arvey & Begalla, 1975). Am meisten Schwiedgkeiten bereitet die Bedingungsanalyse der emoHonalen Reaktionen auf andere Per:sonen. Wir haben gesehen, daß die Hausfrauen ihre KiIl!der relativ oft als Quelle von Unbehagen nennen. Was könnte das bedeuten? Wir können auf -die betroffenen Motive achten, auf die Tätigkeiten, die di'e Hausfrauen ausüben, wähl"end sie mit ihren Kindern zusammen sind, oder auf die sonst anwesenden Personen. All das ist in den Tagebuchdaten zu finden. Was uns jedoch fehlt, sind objektive Informationen über das Verhalten der Kinder. Zwar ist anzunehmen, daß die OriginalprotokoUe Informationen über relevantes Verhalten anderer Personen enthalten; aber zur Sicherung der Anonymität der Daten haben wir uns den Zugang zu diesen Protokollen verbaut. Man könnte künftig dte Versuchsteilnehmer bitten, das ihnen für ihr Befinden relevant erscheinende Verhalten anderer Personen zu charakterisieren. Aber auch dann können wir nicht erwarten, daß diese Verhaltensbeschreibungen ein1germaß,en objektiv sind. Sie werden mehr in einer Bewertung (z. B. er oder sie irritiert mich, hilft mir, ermutigt mich) als in einer Beschreibung bestehen; das aber entspricht im wesentlichen dem, was die Angaben zu den betoffenen Motiven sagen. Um einigermaßen objektive Daten über das Verhalten anderer Personen zu bekommen, bedürfte es der Mitarbeit unbeteiligter Beobachter. Diese können aber nur in öffentlich zugänglichen Situationen eingesetzt werden.

428

Hermann Brandstätter, Erlch Barthel, Vera Fünfgelt

Wir haben gesehen, daß das Befinden in konsistenter Weise mit der Tageszeit, den Räumen, den Aktivitäten und den anwesenden Personen variiert. Die spezifischen Konstellationen, die sich aus den jeweiligen Kombinationen von Tageszeit, Ort, TäUgkeit und anwesenden Personen ergeben, konnten bis jetzt wegen zu :geringer Anzahl von Beobachtungen nicht analysiert werden. Bauder (1980, S. 84) analys~erte in einer Diplomarbeit Daten dieser Studie und zeigte, daß zwei Drittel der Zeit, die die Hausfrauen gemeinsam mit dem Ehemann verbringen, in die Fl'eizeit fallen. In der Freizeit hebt die Anwesenheit des Ehemannes die Stimmung; bei gemeinsam verbrachter Freiz,eit beträgt der Befindensquotient .86, wähl1end allein verbrachte Freizeit mit .66 wenig Freude macht. In der Arbeitszeit sind die entspl'echendenQuotienten .68 und .71. Offensichtlich besteht 'eine Wechselwirkung zwischen Tätigkeit und Anwesenheit anderer Personen. Da die Analyse von komplexen Situationskonfigurationeneine kaum zu l1ealisierende Anzahl von Beobachtungen erfordern würde, erscheint es aus ökonomischen, aber vieUeicht auch aus theoretischen Gründen ratsam, komplexe Situationskonfigurationen ,auf Grunddimensionen wie z. B. Privatheit, Vertrautheit, Kontrollierbarkeit, Aktivität ·einstuf,en zu lassen. Die so gewonnenen Situationscharakteristiken könnten dann zusammen mit Persänlichkeitsmerkmalen zur Erklärung des Befindens hel'angezogen werden. Mossuz-Lavau & Sineau .(1980) haben in einer französischen Studie gezeigt, daß die Einstellungen von Frauen zu politischen und beruflichen Problemen wesentlich davon abhängen, ob sie berufstätig sind, ob sie als Hausfrauen mit vorausgehender Berufstätigkeit oder ohne eine solche Erfahrung arbeiten. In jeder dieser drei Gruppen macht es dann noch etwas aus, welcher sozialen Schicht die Frauen angehören. Wir müssen annehmen, daß ein Teil der in dieser Studie gefundenen individuellen Differenzen damit in Zusammenhang stehen. Eine vergleichende Zeitstichprobenstudie mit Hausfrauen aus verschiedenen sozialen Schichten könnte genauer zeigen, wie sich die Alltagserfahrungen von Hausfrauen aus sozialen und individuellen Bedingungen ergeben. Beide Methoden, das Tagebuch und das Interview, ergeben nur bei den durchschnittlichen Zeitbedarfsschätzungen und bei den durchschnittlichen Tätigkeitspräferenzen ähnliche Werte. Die übereinstimmung der individuellen Angaben aus den beiden Methoden ist hingegen erstaunlich niedrig bzw. geradezu null. Sind nun Zweifel an der Gültigkeit der individuellen Daten ,eher bei den Interviewergebnissen oder bei den Zeitsti,chprobendaten angebracht? Unsel'e Beobachtung im Laufe des Versuches, die überprüfung der Fragebogen, mit denen die

Beruf "Hausfrau"

429

Versuchsteilnehmer am Ende die gaIl2e Studie bewertet haben, läßt keinen Zwei~el daran, daß die Versuchspersonen hoch motiviert waren und die Anweisungen fast durchwegs sorgfältig befolgt haben. Was die Schätzungen für den individuellen Zeitbedarf der verschiedenen Haushaltstätigkeiten betrifft, ist demnach eher ein Zweifel an den Interviewdaten angebracht. Der Mangel an Übereinstimmung zwischen Interview und Tagebuch in der allgemeinen Lebenszufriedenheit auf der einen Seite und dem allgemeinen Befindensquotienten auf der anderen Seite ist vermutlich ebenfalls eher dem Interview anzulasten. Der allgemeine Befindensindex ist aus einer Zeitstichprobe von insgesamt 120 introspektiven Berichten über den augenblicklichen Gefühlszustand ,einer Person im Verlauf von vier Wochen berechnet. Wenn die Interviewskala tatsächlich allgemeine Lebenszufriedenheit mißt, müßte sie mit dem allgemeinen Befindensquotienten korreliert sein, zum al die meisten Versuchsteilnehmerinnenangaben, daß die für die Untersuchung ausgewählten vier Wochen durchaus typisch waren. Die Annahme liegt daher nahe, daß die Versuchspersonen, wenn sie nach der allgemeinen Lebenszufriedenheit befragt werden, nicht die relativen Häufigkeiten glücklicher und unglücklicher Momente gegeneinander abwägen. Man könnte allerdings einwenden, daß der allgemeine Befindensquotient auf r,elativen Häufigkeit'en positiver und negativ1er Stimmungen basiert und nicht die Intensität der Emotionen berücksichti:gt. Andererseits ist anzunehmen, daß eine tiefe Depression oder eine ausgesprochen gehobene Stimmung länger andauern und auf diese Weise den auf ZeitsUchproben basierenden Befindensquotienten beeinflussen. Sollte diese Annahme nicht gerechtfertigt sein und sollte sich herausstellen, daß in der Beantwortung der Frage nach allgemeiner Lebenszufri.edenheit nicht nur die Häufigkeiten, sondern auch die Intensitäben positiver und negativer Gefühle "verrechnet" werden, dann müßte man sich nicht wUIl!dern, daß die Korrelation zwischen aUgemeiner Lebenszufri.edenheit und allgemeinem Befindensquotienten nicht hoch ausfällt. Da die Versuchspersonen ihr BefiIl!den nicht nur als negativ, neutral oder positiv klassifiziert, sOIl!dern nochgenauer mit Adj.ektiven beschrieben haben, die nicht nur 'Qualität'en sondern 'auch Intensitäten von Gefühlen ausdrücken, können diese Annahmen an!hand der vorliegenden Daten überprüft werden. Hier wi'rd deutlich, daß wir nicht nur einer Theor1e des Gefühls in Alltagssituationen bedürfen, sondern auch einer Theori!e, die erklärt, wie Aussagen über Gefühl'serregungen und Stimmungen zustandekommen.

430

Hermann Brandstätter, Erich Barthel, Vera Fünfgelt

5. Zusammenfassung 24 zufällig aus dem Adl'eßbuch von AUJgsburg-Gö!?igingen ausgewählte Hausfrauen nahmen an einer Untersuchung mit dem ZeitstichprobenTagebuch nach BraIl!dstätter (1977) teil. Im DurchschIl!itt viermal täglich protokollierten sie 30 Tage lang, wo sie sich gerade bef.anden, womit sie sich beschäftigten, wer 'sonst noch anwesend war, wte ihnen zumute war und wie frei sie 's~ch fühlten. Außerdem char,akterisierten sie ihr Befinden mit einigen wenigen Eigenschaftswörtern. Nach Ablauf der Tagebuchperiode kodLerten die Hausfr:auen selbst ihre Notizen, wobei sie jeweils noch anmerkten, welches Motiv betroffen war und worauf sie ihr Befinden zurückführten. Aufgrund der so gewonnenen Daten läßt sich nicht nur ein beliebig differenziertes Zeitbudget der Hausfrauen ermitteln, sondern auch die Abhängigkeit des Befindens von den wechselnden Umständen erkunden. Man gewinnt darüber hinaus einen zuverlässigen Einblick in die Wichtigkeit der verschiedeIl!en Motive und die Häufigkeit ihrer Befriedigung. Ein Vergleich der durch Befragung gewonnenen Zeitbugeischätzungen und Zufriedenheitsdaten mit den entsprechenden Werten des Tagebuchs läßt eher an der Validität des Interviews als an der des Zeitstichproben-Tagebuchs zweifeln.

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Beruf "Hausfrau"

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Möglichkeiten und Grenzen computergestützter Entscheidungsfindung im Haushalt Von Berndt Tschammer-Osten 1. Die Bedeutung computergestützter Entscheidungsfindung für die Haushaltsführung

Die Diskussion um die Möglichkeit einer computergestützten Entscheidungsfindung ist saalt wie die Entscheidungstheorie selbst. Sie wurde bereits von dem heute ,aIs Begründer der entscheidungsorientierten Betriebswirtschaftslehre angesehenen amerikanischen Wissenschaftler Simon Anfang der sechziger Jahve eröffnet, der in seinem berühmten Buch über "The New Science of Management Decision" zwischen programmierbaren und nicht-programmierbaren Entscheidungen unterschied l .

Simon und andere Managementwissenschaftler untersuchten in zahlreichen weiteren VeröffentIichungen2 die Frage, wie man das menschliche Problemlösungs- und Entscheidungsverhalten durch Computerprogramme so nachbilden könne, daß man Computer als heuristische Problemlösungsautomaten einsetzen kann. Diese Diskussion wurde seinerzeit von den Theoretikern der Betriebswirtschaftslehre und erst recht von den Praktikern der Unternehmensführung mit großer Skepsis verfolgt, galt es doch als typisches Merkmal unternehmerischer Führungspersönlichkeit, Probleme zu lösen und Entscheidungen treffen zu können. Wer damals die Frag,e diskutiert hätte, ob der Computer nicht auch die Hausfrau bei ihren täglichen Entscheidungen unterstützen könne, wäre gl.att für verrückt erklärt worden. nie Entwicklung der Mikroelektronik in den siebziger Jlahren hat dann um 1977 dazu geführt, daß die ersten Mikrocomputer auf den Markt kamen, die schon von ihrer Bezeichnung als "Heimcomputer" 1 Vgl. H. A. Simon: The new science of management decision, New York 1960. 2 Vgl. ders.: The shape of automation for men and management, New York 1964 und H. A. Simon, A. Newell: Heuristic problem solving by computers, in: M. A. Sass, W. B. Wilkinson (Hrsg.), Human problem solving, Sondon, Sydney, New York 1972.

28 Festgabe Perridon

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Berndt Tschammer-Osten

oder "Persönliche Computer", aber auch von ihrer Leistungsfähigkeit und vom Preis her gesehen direkt den privaten Haushalt als Käufer anspr,echen sollten3• Konnte man die ersten Heimcomputer noch 'als teures Spielzeug für "Spinner" abtun, so läßt sich diese Betvachtungsweise angesichts der Millionen-Stückzahlen, die inzwischen weltweit verkauft worden sind, nicht mehr aufrechterhalten. Die zukünftigen Verkaufsprognosen für Mikrocomputer lassen 'Zudem den Tag nicht mehr als allzu fern erscheinen, an dem nahezu jeder Haushalt mit einem Mikrocomputer ausgerüstet sein wird, viele freilich auch bereits mit einem Zweit- oder Drittgerät. Zu welchem Zweck diese Geräte angeschafft worden sind oder werden, ist natürlich eine ganz andere Frage. Sicherlich spielt dabei der Spieltrieb der Kinder und Jugendlichen, möglicherweise auch der Väter, eine bedeutende Rolle. Aber im Spielen von immer neuen Videospielen muß sich der Gebrauch von Mikrocomputern }a nicht erschöpfen. Es ist daher für den Haushaltswissenschaftlereine lohnenswerte Aufgabe, sich mit der Frage zu beschäftigen, wie die "Neue Haushaltstechnik" sinnvoll zur Unterstützung haushälterischer Entscheidungen eingesetzt werden kann.

a) Die Raushaltsjührung als Entscheidungsprozeß betrachtet Die Haushaltsführung kann, formal gesehen, als ständiger Prozeß des Lösens von Problemen betrachtet werden, in dessen Zentrum das Treffen von Entscheidungen, d. h. die bewußte W,ahl ~ischen mehreren Handlungsalternativen steht4•