Zwischen Streik und Meuterei 9783205157823, 3702800778, 3486479113, 9783205781752

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Zwischen Streik und Meuterei
 9783205157823, 3702800778, 3486479113, 9783205781752

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V E R Ö F F E N T L I C H U N G E N DES Ö S T E R R E I C H I S C H E N OST- U N D SUDOSTEUROPA-INSTITUTS Band VIII PLASCHKA/HASELSTEINER/SUPPAN · INNERE FRONT Erster Band

V E R Ö F F E N T L I C H U N G E N DES Ö S T E R R E I C H I S C H E N OST- U N D SUDOSTEUROPA-INSTITUTS Band VIII PLASCHKA/HASELSTEINER/SUPPAN · INNERE FRONT Erster Band

RICHARD GEORG PLASCHKA HORST HASELSTEINER ARNOLD SUPPAN

INNERE FRONT Militärassistenz, Widerstand und Umsturz in der Donaumonarchie 1918

Erster Band

ZWISCHEN S T R E I K UND M E U T E R E I

@

VERLAG FÜR G E S C H I C H T E UND POLITIK WIEN 1974

Gedruckt mit Unterstützung des Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung.

© 1974. Richard Georg Plaschka, Horst Haselsteiner, Arnold Suppan Druck: R . Spies Sc Co., 1050 Wien Einbandentwurf: Maria E. Wessely I S B N 3-7028-0077-8 Auch erschienen im R. Oldenbourg Verlag München I S B N 3-486-47911-3

INHALT VORWORT

9

EINLEITUNG VORAUSSETZUNGEN, ORGANISATIONSFORMEN, R E S E R V E N A.

B.

D I E RECHTLICHEN VORAUSSETZUNGEN

17

„Assistenzen" Dekrete, Erlässe, Instruktionen „Jeder Kommandant hüte sich vor halben Maßregeln . . . " .

17 21 28

.

.

D I E KRÄFTEMÄSSIGEN VORAUSSETZUNGEN

33

Neuformierung des Heeres 1917 Multinationale Truppen im multinationalen Hinterland . . . . Erschöpfung in der personellen und materiellen Ergänzung . . . Der Krisendruck auf die Bevölkerung

33 37 44 53

I. A.

.

HERAUSFORDERUNG

REVOLUTIONÄRE ANSÄTZE IM ZIVILBEREICH

59

1. Der Streik im Jänner

59

Linksradikale Initiativen: „Wählt Arbeiter- und Soldatenräte!" Von Triest bis Krakau, von Linz bis Temesvär Einer Absprache entgegen: Verhandlungen mit der Führung der Sozialdemokratie in Wien und Budapest Der absichernde Gegenzug der Staatsgewalt: Truppenaufmarsch . Rückgriff auf Fronteinheiten

59 61 70 76 84

6

Inhalt

2. Demonstrationen in Galizien Aufruhr im Polnischen Hilfskorps Ringplatz in Krakau: „Feuer einstellen!" Nationaler Trauertag B.

93 97 101

REVOLUTIONÄRE ANSÄTZE IM MILITÄRISCHEN BEREICH

107

1. Die Matrosenrevolte in Cattaro

107

Aufkommende Resistenzbereitschaft Rote Flaggen über den Schiffen Einsetzende Gegenmaßnahmen Die Krisis der Aktion „Bei jeder Revolution muß Blut fließen . . . " Standgericht und Exekution 2. Erste Unruhen im Heer Szabadka und Mostar Capljina, Konjica, Sinj C.

90

109 114 121 127 136 141 148 148 154

AKTIVIERUNG DER MILITÄRISCHEN MACHTPOSITIONEN

159

1. Um die Zusammenfassung der Sicherungskräfte

159

An der Schwelle zur Militärdiktatur Die verfügbaren Assistenzen der Ersatztruppen Feldeinheiten als Rückgrat 2. Militarisierung in Industrie und Verkehr Rechtlicher Ausgangspunkt: das Staatsnotredit Neureglementierung der Arbeitsverhältnisse in den Industriebetrieben Der Zugriff auf die Eisenbahnen „ . . . wenn der erste baumelt, ist jeder Streik gebrochen..." — Pilsen, Lemberg, Wien 3. Requisition in der Landwirtschaft Um Brot aus Ungarn Der Einsatz der Truppen: Requisitionsassistenzen Interpellation im Reichstag: „Kriegszug" gegen die Landbevölkerung 4. Ideologische Entlastungsoffensive Die Feindespropaganda-Abwehrstelle Die organisatorischen Ansätze „ . . . Pflichterfüllung, Opferbereitschaft, die Tat fürs Vaterland"

159 166 174 183 183 189 197 202 209 209 216 223 233 233 240 245

7

Inhalt I I . ZERREISSPROBE IN DEN EIGENEN R E I H E N A.

B.

IM H I N T E R G R U N D DER M E U T E R E I E N

251

1. Demonstrationen, Streiks, Plünderungen im Zivilbereich . . . Prag, Pilsen, Jaslo, Lemberg, Tarnöw, Bochnia Böhmen und Mähren — Raum Mährisch Ostrau, Raum BrüxDux-Teplitz-Falkenau, Pilsen, Rumburg, Raum Schlan-Kladno, Neupaka, Strakonitz, Zichlitz, Böhmisch Trübau, Pardubitz . . Ungarn — Budapest, Revier Zsilvölgy, Resiczabanya, Somsaly, Tatabanya, Felsögalla Alpenländer, Krain, Galizien — Eisenerz, Graz, Raum Wien, Laibach, Krakau, D^browa, Jaworzno, Stryj Der 1. Mai

251 251

268 274

2. Die Heimkehrer aus Rußland Der Weg aus der Kriegsgefangenschaft Die Wiedereinstellung beim Ersatztruppenteil

278 278 284

A K T I O N S H E R D E AUF BREITER F R O N T

291

1. Böhmen und Mähren — Böhmisch Leipa, Reichenberg, Jicin, Mährisch Schönberg

291

2. Galizien — Zurawica, Sambor, Krakau, Bielitz

299

3. Militärgeneralgouvernement Lublin — Lublin, Krasnik, Kielce, Piotrkow, Zamosc

309

4. Oberungarn Sajöecseg

315



Rimaszombat,

Trencsen,

Losoncz,

Pozsony,

C . D I E GROSSEN E M P Ö R U N G E N

3. Rumburg „Platzt das Hinterland, ist der Krieg zu Ende . . . "

260

324

1. Judenburg — Murau „Umhängen, Bolseviki, hoch das Brot, nieder mit dem Krieg!" Jesuiten-Kaserne, Bahnhof und Pfarrhof Standrecht in Judenburg — „Hoch Judenburg!" in Leoben . . Neues Assistenzziel: Murau 2. Radkersburg Bangende Stadtbevölkerung Parole am Beginn: „Hoch die Südslawen!" Auf dem Weg zum Richtplatz: „Nieder mit Österreich!"

252

.

.

. .

.

324 324 329 335 341 345 345 349 355 357 357

8

Inhalt

Uberrannte Bataillonsoffiziere und eingreifende Assistenzen . Salzburger als Exekutionskommando Offiziere unter Anklage 4. Pees Entfaltung ohne Gegenwirkung Durchbruch in die Friedrichs-Kaserne und Gegenangriff Honveds Arbeiter als Verbündete 5. Kragujevac „ . . . das russische Volk hat dem ein Ende gemacht.. ." . . Der Funke in der Baracke: „Die Decke auf den Feldwebel!" Die Hinrichtung der Vierundvierzig D.

.

361 364 367 370 370

der 375 379 . .

. .

385 385 393 396

FOLGERUNGEN UND PARALLELE GEFAHRENHERDE

401

1. Auswertung und Konsequenz der Untersuchungen Um die Schichten der Motivation „Die Schuld fällt in erster Linie auf die Offiziere!"

401 401 406

2. Konspirativer Widerstand in der Marine — Sebenico und Torpedoboot 80

415

Anhang, Abkürzungsverzeichnis, Quellen- und Literaturverzeichnis, Personenund Ortsregister, Abbildungen, Karten und die Inhaltsübersicht beider Bände am Ende des zweiten Bandes.

VORWORT

Juni 1918. Eine Kolonne in den Straßen von Kragujevac: an der Spitze Offiziere zu Pferd, dahinter Einheiten im Gleichschritt, in ihrer Mitte gefesselte Soldaten, elf Viererreihen, sie begleitend ein Priester. Das Ziel: der Exerzierplatz vor der Stadt. Der Zweck: die Hinrichtung der Vierundvierzig. Draußen das Peloton — ein Aufschrei: „Schießt nur, Ihr Mörder! . . D a s Schlußbild: Der Kommandant, der, sich aufrichtend in den Bügeln, über den Exekutierten ein dreifaches Hoch auf den Kaiser und König a u s b r i n g t . . . Die Szene in Kragujevac war ein extremer, aber kein Einzelfall. Sie muß verstanden werden als Teil einer sich verdichtenden Entwicklung, als Teil des Kräftemessens zwischen einer in Krisenlage geratenen Staatsgewalt und Resistenzansätzen im Inneren des Staates, in dessen Verlauf die Staatsgewalt auf ihre letzte und schärfste Waffe zurückgriff: auf das Militär. Jedoch standen auch jene Truppen nicht mehr außerhalb der allgemeinen Entwicklungsstrukturen, fanden sich miterfaßt, unterlaufen, durchsetzt, waren in ihrem Zugriff zugleich Objekt der Auseinandersetzung geworden. Die Zielbereiche dieses staatlichen Vorgehens markierten eine breite Front der Einflußnahme und des Drucks: von der materiellen Versorgung — Landwirtschaft, Industrie, Verkehr — bis zur politischen Meinungsbildung und Meinungsäußerung. Die Extremakzente lagen im Gebrauch der Waffe. Rasch wechselnd präsentierten sich O r t und Vorgänge, Zug und Gegenzug: Demonstrationen, Streiks, Generalstreiks — Assistenzkompanien, Assistenzbataillone, Divisionen; Militarisierung in Betrieben und Revieren — Soldaten in den Arbeitervierteln; Requisitionen auf dem Land — Patrouillen in den Dörfern; Ausschreitungen, Plünderungen — Bajonettangriffe, Feuerbefehle; Offiziere vor der Front — Proteste in den Parlamenten; Deserteure, Grüne Kader — Streifungen, SchußWechsel; Bolseviki-Parolen, Selbstbestimmungsrecht — vaterländische Gegenpropaganda; Heimkehrer-Meutereien, Revolten auf Kriegsschiffen, Gefechte in Garnisonen — Auditoren, Standgerichte, Hinrich-

10

Vorwort

tungen; Umsturzbewegung in den Hauptstädten: das Militär in seiner letzten Zerreißprobe — Ariere- und Avantgarde. Ariέregarde und A v a n t g a r d e . . . Die Szene der Exekution verdeutlicht die im militärischen Bereich bis zum Äußersten verschärfte Lage: das Peloton da, die Reihe der Hinzurichtenden dort. Zwei Gruppen einander diametral entgegengesetzter politisch-funktioneller Stoßrichtungen: eine, die Widerstand leistet, und eine, die Widerstand bricht, der Soldat als erstes Treffen der Empörung gegen die Staatsgewalt und als ihre letzte Barriere. Eine N a h t stelle, an der das Militär als Träger der Politik und als ihr Mittel zugleich hervortritt, als Teil des Staatsvolkes und als Instrument der Staatsführung, als Glied der gesellschaftspolitischen Entwicklung, Vorkämpfer ihrer Forderungen und — auf Distanz gehend — als operative Einheit der Staatsgewalt. Eine Gruppe, die sich von anderen im Staate nur unterscheidet durch ihre besondere Zuordnung zu diesem Staat, ihre besondere Konsistenz und ihre besondere Wirkungsmöglichkeit, auf Grund ihrer Gehorsamsbindung, ihrer Disziplin und ihrer Waffenausstattung. Die Geschichte dieser Gruppe, die Militärgeschichte, muß sich in diesem Zusammenhang in zwingender Verklammerung mit der allgemeinen Geschichte präsentieren, vor allem mit der politischen, mit der Sozial-, Wirtschafts- und Rechtsgeschichte, als einer ihrer Teile, als einer ihrer unverzichtbaren Teile. Diejenigen, die die Rolle des Militärs in solchen Verklammerungen übersehen wollten, wären ebenso auf verfehltem Wege wie diejenigen, die Militärgeschichte nur als Aufeinanderfolge militärisch-operativer Ereignisse, als Kette von Schlachten und Gefechten zu erkennen meinen. In der vorliegenden Arbeit mußte die Verbindung zur Sozialgeschichte in den Vordergrund treten, Fragen der Rechts- und Wirtschaftsgeschichte waren einleitend zu berücksichtigen. Der zeitliche und regionale Bereich der Arbeit — Erster Weltkrieg, sein Endstadium im J a h r e 1918, Ostmitteleuropa, die Donaumonarchie — bietet für die Untersuchung des aufgeworfenen Fragenkomplexes jenes innerstaatlichen Kräftemessens schlüssige Voraussetzungen. Drei Elemente an der Basis: die sich wandelnde Struktur des Krieges, die daraus resultierende Bereitschaft zum Widerstand, die Ausgangsposition der im Gegenzug antretenden Armee. Die Bevölkerung der Donaumonarchie war im Jahre 1918 von einem Krieg neuer Dimensionen erfaßt: vom Druck der Strategie dieses Krieges, der die bisher üblichen Begrenzungen einer kriegerischen Auseinandersetzung überschritt, der dem Vernichtungsstreben neue Wirkungstiefen geöffnet und das Hinterland bis an die Wurzeln seiner K r ä f t e miterfaßt hatte — bis zur materiellen Erschöpfung und bis zur Ausschaltung seines Widerstandswillens in der ideologischen Auseinandersetzung. U n d die ideologische Offensive aus den Zentren jenseits der Fronten hatte ebenso den Umsturz in der sozialen Schichtung der Gesellschaft wie die nationale Ausgliederung als Ziele vorgezeichnet. In der Gegenbewegung aber stieg zugleich der Druck der Forderungen der eigenen Staatsführung. Die Führung rang um die Zusammenfas-

Vorwort

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sung der Kräfte in einem Staatswesen, in dem die egozentrischen, die zentrifugalen Tendenzen schon in belastungsleichten Zeiten nicht gering gewesen waren. Um so schwerer mußte es nun fallen, den in steigendem Maße abgeforderten Opferwillen mit der Werbewirksamkeit der Gesamtstaatsidee, der bestehenden Gesellschaftsstruktur und der in ihrem Sinn gesteckten Ziele aufzuwiegen. Die Folge: Die Rivalität der in differenzierten Richtungen wirksamen Integrationskräfte steuerte — von Flügelgruppen vorangetrieben — schließlich jenem Grad entgegen, der auch im Inneren des Staates das Heil der einen allein in der Niederlage der anderen sehen wollte. Und die Frage der politischen Entscheidung eskalierte schließlich — vom Gegner präsentiert — bis zu einer der Moral: Vom heiligen Krieg spradi Lloyd George, der mehr sei als eine Auseinandersetzung von Mächtegruppen, vom Kampf unvereinbarer Ideen — auf der einen Seite Kräfte, die für den Fortschritt der Menschen kämpften, auf der anderen Seite Kräfte, die früher oder später alles unterdrükken würden, was die Welt erheben könnte. Der Krieg war damit zugleich zum gesellschaftspolitischen und politisch-moralischen Krisenherd geworden. Ausdruck solcher Krise war zu allen Zeiten der Widerstand. Widerstand leisten heißt Beschwerde kundtun, aufbegehren, bedeutet zunächst und im weitesten Sinn die Auflehnung eines Individuums oder einer Gruppe gegen einen Machtträger. Es wäre zu eng, wie es stellenweise heute noch geschieht, den Begriff Widerstand an die Zusammenhänge des Zweiten Weltkrieges allein zu binden und demgemäß sich zu scheuen, ihn für oppositionelle Bewegungen auch zu anderen Zeiten und in anderen regionalen Bereichen zu verwenden. Wohl wird dem heutigen Wortverständnis insofern zu folgen sein, als der Begriff des Machtträgers quantitativ und qualitativ einzugrenzen ist, und zwar auf den Träger der Staatsgewalt und auf den als unrechtmäßig oder als unrecht tuend empfundenen Gewaltinhaber. Diese negative Empfindung gegenüber dem Träger der Staatsgewalt hatte in der Donaumonarchie im Jahre 1918 zweifellos Raum gewonnen, breitere Schichten der Bevölkerung motivierend erfaßt und das von manchen nationalen Geschichtsbildern vorgeprägte und nun vom Gegner propagandawirksam vorgezeichnete, imperialistisch pointierte Leitbild von den herrschenden und beherrschten Nationen ins Treffen geführt — wie jenen Appell Orlandos: „Ihr wart unterjocht und zerrissen durch Deutsche und Magyaren und unterdrückt durch diese wie jene. Ihr wart getäuscht und betrogen durch das verräterische Haus Habsburg, Ihr hattet das Recht und die Pflicht, dagegen zu revoltieren." Aufstand der beherrschten Nationen — bemerkenswerte Forderung eines Repräsentanten der Kolonialmächte seiner Z e i t . . . Vom politischen Leitbild her mit mehr Recht, wenn audi im Ergebnis weder übereinstimmend noch stets überzeugend, wurde die Frage im Hinblick auf die Donaumonarchie von Historikern der Nachfolgestaaten bis in die jüngste Zeit diskutiert. Daß solche vom Gegner mitbeeinflußte Motivation in jenem Krieg jedoch nicht wenig zählte, dafür spricht nicht zuletzt das Jahr 1918 in der Donaumonarchie:

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Vorwort

das breite Spektrum widerstandsrelevanter Bewegungen, mit oft ineinandergreifenden Strukturen und Inhalten, punkt- oder regionsweise sich entfaltend, bewußt oder spontan, defensiv oder offensiv, mit primär sozial-ökonomischen oder primär politischen Zielsetzungen, von noch systemkonform laufenden Aktionen wie vom bewußt ausgelösten Streik und Generalstreik und von der spontan einsetzenden Zusammenrottung und Plünderung bis zu Bandenbildungen, Terroransätzen mit Raub und Mord, bis zum revolutionären Vorgang, der auf breiter sozialer Basis, getragen von einer programmatischen Idee, über eine stoßweise gewalttätige oder gewaltdrohende Aktion System und Staat in Frage stellte. Manche erwartungsvolle Leninsche Vorstellung von 1906 über die Entwicklung zum Aufstand schien in der Donaumonarchie 1918 reflektiert: vom — wenn auch nur regional auftretenden — Zug zum Terror, von den „verwegenen Uberfällen" durch kleine Gruppen, Zweier-, Dreier-, Zehnergruppen, bis zum weit ausholenden Generalstreik und bis zum „Kampf um das Heer", und da wieder von der Forderung nach der „geistigen B e arbeitung' der Truppen" bis zur möglichen letzten Konsequenz: „ . . . wir werden traurige Pedanten sein, wenn wir vergessen, daß im Augenblick des Aufstands auch ein physischer Kampf um die Truppen erforderlich ist." Was stand dagegen? Noch hatte die bedrängte alte Macht nicht aufgegeben. Noch wirkten Bindekräfte, wenn auch verblassend, auch im Sinn des in Frage Gestellten, im Sinn von Kaiser und Reich, der traditionellen Bindungen im Sinne einer übernationalen Zusammenfassung der Völker im Raum. Noch funktionierte der Staats- und Beamtenapparat als Schirm dieser Kräfte, Zivilbehörden, Polizei, Gendarmerie, noch versahen Beamte und Offiziere Dienst an den Schalthebeln der staatlichen Macht, von den Ministerien abwärts über die Landesbehörden und Militärkommanden bis zu den Bezirkshauptmannschaften und Militärstationskommanden, noch setzte diese Macht sich in der Regel auch durch. Und wo sie in ernste Gefahr geriet — marschierte Militärassistenz auf. Der Respekt vor der Armee hielt in weiten Kreisen — auch der Gegner im Inneren des Landes — überraschend lange an. Rein äußerlich, auf der Landkarte, schien Anfang 1918 die militärische Macht des Reiches auch noch in sich gefestigt, ja expansiv — man sah den Machtbereich der Donaumonarchie mit ihren Heeresgruppen und Armeen noch tief in fremdes Gebiet vorgeschoben, in die Ukraine, bis an das Schwarze Meer, weit in den Balkan und nach Oberitalien. Und eben setzte man noch dazu an, dem neuen Regime in Rußland in Brest-Litovsk und bald wohl auch den Rumänen gemeinsam mit dem Deutschen Reich den Frieden zu diktieren. Aus solcher Sicht war der Faktor der Armee auch auf dem Schachbrett der inneren Front hoch in Rechnung gestellt. Ihre Fähigkeit, gegen innere Unruhen wirksam vorzugehen, wurde bis in den Herbst, bis in die Endlagen grundsätzlich angenommen — trotz der nicht zu übersehenden Rückschläge und Verluste, die sie im äußeren Kampf der letzten Jahre erlitten hatte, trotz der im Grund aussichtslosen

Vorwort

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Gesamtsituation, in der sie sich — die Mittelmächte umstellt — befand, und obwohl die mehrfache Herausforderung der vom Gegner initiierten ideologischen Leitbilder immer deutlicher auch diese Armee erfaßte. Immer schwieriger mußte es demgemäß werden, die von ihren Führungsgruppen verlangte politische Abstinenz und damit den letztlich konservativ wirkenden Charakter dieser Institution aufrechtzuerhalten. Schon der Fluktuationsprozeß in den Ständen, die den Armeekörper im Verlauf des Krieges in ununterbrochenen Strömungen durchsetzende rollende Personalbewegung öffnete ihn immer neuen Einflüssen. Und die Aufnahmebereitschaft mußte zunehmen mit der im Verlauf des Jahres 1918 eintretenden Zuspitzung der Lage an den Fronten: Die letzten militärischen Kraftanstrengungen der Mittelmächte mißglückten — die Offensive des österreichisch-ungarischen Heeres in Italien ebenso wie die Offensive des deutschen Heeres im Westen. Die Initiative an den Fronten ging auch für das Hinterland immer wahrnehmbarer auf die Gegner über. Die Folge in der Donaumonarchie: Die Kritik an der Armeeführung regte sich immer deutlicher, in den politischen Machtzentren, in den Volksvertretungen, von der Zensur mühsam und gerade noch im Zaum gehalten in der Presse. Aufmerksam registrierte man die Schwächezeichen dieser Armee, voll Sorge unter denen, die die Niederlage fürchteten, voll kaum verheimlichter Hoffnung unter jenen, die sie herbeisehnten. Unter soldier Belastungsprobe suchte die innere Front der Armee ihre Position zu halten — nun auch zunehmend gefordert in den eigenen Reihen: von der Fahnenflucht bis zur Rebellion, bis zu der da und dort in unbewältigter Spannung explosionsartig aufbrechenden Front in der Front: ökonomisch wie politisch motiviert, aus schwer ertragener Disziplin, aus angespeicherter Widersetzlichkeit, aus materieller Not, nicht selten erlebt in einer in die Einheiten übertragenen Klassenkampfstellung gegenüber den Offizieren, hinüberreichend bis zu den grundsätzlichen Vorstellungen von Frieden und Freiheit und vom Selbstbestimmungsrecht der Nationen. Als national personifiziertes Angriffsziel gerieten audi in der Armee vor allem Deutsche, Magyaren und Juden ins Visier der Aufbegehrenden. Die Abwehr des Widerstands in den eigenen Reihen aber trieb in letzte Konsequenzen: Wo Waffen und Militärstrafgesetz mitspielten, war oft der Tod mit von der Partie, im Kampf wie vor dem Peloton. Informationsziel und Quellenbezug mußten in vieler Hinsidit die Darstellung zwingend mitprägen. Zur Detaillierung der Zahlenunterlagen: Die Frage nach dem Vorgehen der militärischen Kräfte im Hinterland ließ in der vorliegenden Arbeit zunädist die Frage ihrer Stärken aufwerfen. Darüber — ebenso wie über die nationale Zusammensetzung der Einheiten — herrschten bisher nicht immer zutreffende Auffassungen. Es wurde daher versucht, anhand zum Großteil neu erschlossener Quellen exakte Aussagen in dieser Hinsicht zu erzielen. Daß das Zahlenmaterial bis zu kleineren Einheiten und regionalen Bereichen auf-

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Vorwort

geschlüsselt wurde, soll audi der örtlich orientierten Forschung, die oft sichtlich auf eher fragliche Hinweise angewiesen war, zweckentsprechende Angaben bieten. Erst von soldier audi das Detail erfassenden Grundlage war die Berechtigung gegeben, die Frage nach dem Einsatz der Truppen und seiner Wirksamkeit zu stellen. Auf eine besondere, das nationale Problem berührende Frage im Rahmen der Darstellung sei gleich an dieser Stelle hingewiesen: die der Ortsnamen. Mehrere Lösungsarten boten sich an. Die durchgehende Verwendung der vorhandenen deutschen Ortsnamen stand ebenso zur Wahl wie die Anführung aller — damals wie heute — üblichen Namen, die heute in Ostmitteleuropa verwendeten Namen ebenso wie die im Jahre 1918 gültigen amtssprachlichen Bezeichnungen. Kriterien für die Entscheidung für eine der Lösungsformen mußten Quellentreue, Einheitlichkeit und Verständlichkeit sein. Wir haben uns — nicht zuletzt auch, um in Übereinstimmung mit den gegebenen Quellenzitaten zu sein — entschieden, die im Jahre 1918 nach der Amtssprache gültigen Ortsnamen zu verwenden. Mit Rücksicht auf gute Lesbarkeit aber haben wir in manchen Fällen im Text zusätzlich die deutschsprachigen, manchmal audi die heute amtlichen Ortsbezeichnungen angeführt. Ein vollständiges Ortsnamenregister mit Weiterverweis auf die anderssprachigen Bezeichnungen der verwendeten Ortsnamen soll dem Leser darüber hinaus die Palette der möglichen Ortsnamensbezeichnungen, vor allem auch der heute amtlichen, zugänglich machen. Zwei weitere Hinweise für den nationalen Bereich: Aus Gründen der Ubereinstimmung mit den Quellen wurde für die Bezeichnung ukrainisch in vielen Fällen die im amtlichen Verkehr im Jahre 1918 überwiegende Bezeichnung ruthenisch verwendet. Die Wandlung in Richtung ukrainisch wird in den Umsturztagen deutlich. Die sich aus Bosnien-Herzegowina rekrutierenden Soldaten werden in der nationalen Aufschlüsselung in den entsprechenden Quellen, vor allem in den Farbentabellen 1918, als „Serbo-Kroaten" ausgewiesen. Dieser Begriff ist allerdings als Nationalitätenbezeichnung nicht zutreffend. In Bosnien-Herzegowina sind zur Zeit des Ersten Weltkrieges drei ethnisch-religiöse Gruppen festzustellen: orthodoxe Serben, katholische Kroaten und Bosnier und Herzegowiner muslimischen Bekenntnisses. Da die letztgenannte Gruppe nicht als nationale Gruppe zu bezeichnen ist, wurden die bosnisdi-herzegowinischen Soldaten der nationalen Bezeichnung „Serben und Kroaten" zugeordnet. Die Schreibung der Personennamen — in den Quellen oft offensichtlich fehlerhaft wiedergegeben — wurde grundsätzlich in normalisierter, heute gültiger Form durchgeführt. Lediglich in Zitaten und zitatenähnlichen Aufzählungen mußte unter dem Aspekt der Quellentreue auf die in den Dokumenten verwendete Form zurückgegriffen werden. So wurde zum Unterschied von der heute gültigen Schreibweise „Jelacic" in der Regimentsbezeichnung die historische Form — der Banus selbst variierte seine Unterschrift — „Jellacic" beibehalten.

Vorwort

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Die vorliegende Arbeit ist aufgebaut auf das Entgegenkommen der einschlägigen Archive, Institute und Bibliotheken in so gut wie allen Nachfolgestaaten. Für die gewährte Hilfe, vor allem im Quellenbereich — von wertvollen Hinweisen bis zur freundlichen Zurverfügungstellung von Quellenmaterial —, haben wir in Österreich und außerhalb Österreichs, vor allem in den sozialistischen Nachbarländern, besonders zu danken: Dr. J . Böhm (Budapest), Dr. P. Broucek (Wien), Prof. J . Buszko (Krakow), 2 . Domljan (Zagreb), Dr. R. Egger (Wien), Dr. M. Farkas (Budapest), Doktor V. Fejlek (Praha), I. Filipovic (Zagreb), Dr. H. Gabor (Budapest), B. Gadanecz (Budapest), Dr. T. Hajdu (Budapest), Dr. P. Hanak (Budapest), Dr. E. Hillbrand (Wien), Dr. M. Hronsky (Bratislava), Dr. T. Islamov (Moskva), Dr. J . Jablonicky (Bratislava), Dr. A. Jozsa (Budapest), Dr. G. Kemeny (Budapest), Prof. B. Krizman (Zagreb), L. Moser (Wien), Dr. R. Neck (Wien), Prof. C. Nu^u (Bucure$ti), Prof. §t. Pascu (Cluj), Dr. K. Peball (Wien), Dr. K. Pichlik (Praha), Prof. J . Pleterski (Ljubljana), Dr. E. Rutkowski (Wien), Doz. A. Siklos (Budapest), Dir. B. Stulli (Zagreb), Prof. V. Turok (Moskva), Dr. W. Wagner (Wien), Dr. J . Werstadt (Praha). Nützliche Vorarbeit zum Problem der Heimkehrermeutereien leistete Herr Dr. O. Wassermair. Ihm sei für teilweise Erschließung des für diese Frage relevanten Materials und manche kritische Überlegung zu den Schlußfolgerungen gedankt. Herrn Univ.-Doz. Dr. J . Breu haben wir für Beratung bei Ausarbeitung der Karten und des Ortsnamenregisters, Herrn H . Putz für die kartographische Herstellung der Karten zu danken. Wertvolle Hinweise für das Gebiet der Wirtschaft verdanken wir Herrn Ministerialrat Dr. A. Gröger, der uns auch im administrativen Bereich mit Rat und Tat zur Seite stand. Zu Dank verpflichtet fühlen wir uns ebenso dem Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung, der Gemeinde Wien und dem Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung für die materielle Unterstützung und schließlich dem Verlag für Geschichte und Politik für die Veröffentlichung der Arbeit. Die Veranlassung, uns dieser Arbeit zu widmen, war mehrschichtig: Die Anziehungskraft dieses Jahres 1918 an sich, die Spannung und Erwartung, die es im ostmitteleuropäischen Raum hochschnellen ließ; die Gleise, die es, wirksam bis zum heutigen Tag, gelegt hat; die Menschen, die in diesem Jahr die Zeichen setzten, bewußt oder unbewußt, in ihrer Stärke und in ihrer Schwäche, in äußersten Lagen herausgefordert bis zum letzten Engagement, das des Lebens — auf beiden Seiten der Front. Und in diesem Rahmen als Phänomen der Krise ein bis in die Gegenwart stets aufs neue einschneidendes Modell: das Ein- und Ubergreifen der bewaffneten Madit in die Zone der Staatsgewalt, Aufmarsch des Militärs in Richtung Politik. Der Versuch, diese Arbeit zu dritt, als Team, zu bewältigen, hatte ein

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Vorwort

notwendig hohes Maß an Einvernehmen zur Voraussetzung: aus dem LehrerSchüler-Verhältnis gewachsene Partnerschaft, aus dem Erlebnis gemeinsamer Arbeit an der Universität gestelltes gemeinsames Forschungsziel, der Reiz, über die Stufung getrennter wie gemeinsamer Arbeitsgänge zur gemeinsamen Aussage vorzustoßen, als gemeinsames Anliegen schließlich der Wunsch, zum Verstehen über Grenzen beizutragen. Das Dreier-Team aber hatte einen zusätzlichen Dreier-Rückhalt: Für Hilfe bei der Revision des Manuskriptes und bei der Durchsicht von Fahnen und Umbruch schulden wir unseren Gattinnen aufrichtigen Dank.

Richard Georg Plaschka Horst Haselsteiner Arnold Suppan

Wien, September 1974

EINLEITUNG

V O R A U S S E T Z U N G E N , ORGANISATIONSFORMEN, RESERVEN A. D I E R E C H T L I C H E N

VORAUSSETZUNGEN

„Assistenzen" Wo das Kriegsministerium im Jahre 1918 zur Unterdrückung allfälligen Widerstandes Bataillone, Regimenter, Divisionen bereitstellte, wo Truppen gegen Demonstranten vorgingen, wo Schüsse fielen und gegen meuternde Verbände wahre Gefechte geliefert wurden, wo Standgerichte tagten und Exekutionspelotons antraten, dort hatte der konstitutionelle Rechtsstaat sein Eingreifen unter Normen gesetzt. Die Entwicklung dieser Normen, die dem „außerordentlichen Sicherheitsdienst" galten, läßt ihre Bedeutung für die Staatsgewalt, aber auch ihre Problematik im rechtlichen Sinn erkennen . . . Truppen, die im außerordentlichen Sicherheitsdienst eingesetzt waren, wurden in Österreich-Ungarn „Assistenzen" genannt 1 . Bestimmungsgemäß waren sie „zur Unterstützung der öffentlichen Behörden aufgeboten", um ihnen „die nötige materielle Kraft zur Bewältigung eines gewaltsamen Widerstandes zuzuwenden" 2 . Die staatsrechtliche Verankerung der „militärischen Assistenz" war zweifach gegeben: von der Zweckbestimmung des Heeres und von der Exekutivgewalt der politischen Behörden her. „Die erste und wesentlichste Aufgabe des Heeres besteht in der Verteidigung der Monarchie und ihrer Teilgebiete gegen äußere Feinde sowie in der Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit im Innern" 3 , so war die Zweckbestimmung des Heeres im weiteren Sinn den Richtlinien des Heeresrechtes gemäß umrissen. Das Heer der Doppelmonarchie präsentierte sich allerdings in staatsrechtlich unterschiedlich einzuordnenden Aufgebotsorganisationen. 1

2

3

Handbuch für Heer und Flotte. Enzyklopädie der Kriegswissenschaften und verwandter Gebiete, ed. Georg von ALTEN. 1. Bd. Berlin/Leipzig/München 1909. 579. Dienstreglement für das kaiserliche und königliche Heer. 1. Teil. 2. Aufl. des Reglements vom Jahre 1873. Nachdruckausgabe vom Jahre 1909 mit Berücksichtigung der Nachträge 1 - 1 0 . Wien 1909. 230. § 70. P. 506. Ferdinand SCHMID, Das Heeresrecht der österreichisch-ungarischen Monarchie. Wien/ Leipzig 1903. 202.

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Voraussetzungen, Machtträger, Reserven

Jene differenzierten Heeresaufgebote hatte in Österreich-Ungarn die Heeresreform von 1868 geschaffen. Ihre Verwendung war nicht im gleichen Umfang und nicht unter denselben Voraussetzungen zulässig. Die Verwendung des „gemeinsamen Heeres" war sowohl für zwischenstaatliche als audi für innerstaatliche Interventionen in beiden Reichshälften vorgesehen. Über diese Verwendung verfügte vorbehaltlich der parlamentarischen Bewilligung der finanziellen Mittel lediglidi der Kaiser kraft seines militärischen Oberbefehls 4 . Zusätzliche Gesichtspunkte mußten für die beiden Landwehren berücksichtigt werden. Sie waren im Krieg zur Unterstützung des gemeinsamen Heeres und zur inneren Verteidigung, im Frieden ausnahmsweise auch zur Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit im Inneren bestimmt 5 . Die Einberufung und Mobilisierung der Landwehrtruppen erfolgte auf Befehl des Kaisers unter Gegenzeichnung des jeweiligen Landesverteidigungsministers6. Ihre Verwendung war in der Regel zwar auf das Gebiet der entsprechenden Reichshälfte beschränkt, im Bedarfsfall konnte sie auch außerhalb ihrer Reichshälfte erfolgen. Der Einsatz der Landwehren zum Zweck der Aufrechterhaltung der inneren Ordnung und Sicherheit war subsidiär vorgesehen, die Landwehr sollte nur bei Abwesenheit von Truppen des gemeinsamen Heeres in Aktion treten 7 . Bei Kriegsgefahr oder im Kriegsfall war die Mobilisierung eines dritten Treffens in Aussicht genommen: der Landsturmtruppen. Sie waren zur Unterstützung des Heeres und der Landwehren bereitzustellen. Der Landsturm konnte sowohl gegen äußere Feinde als audi zur Aufrechterhaltung der inneren Ordnung und Sicherheit verwendet werden. Die Aufbietung erfolgte über Befehl des Kaisers nach Anhören des betreffenden Ministerrates für die Dauer des drohenden oder ausgebrochenen Krieges in jenem Umfang, der im Interesse der Landesverteidigung erforderlich schien. Der Landsturm sollte in der Regel innerhalb der Grenzen seiner jeweiligen Reichshälfte verwendet werden, ausnahmsweise war auch in diesem Fall die Verwendung außerhalb dieses Bereiches zulässig8. Eine besondere Gruppe bildeten die territorialen Sondereinheiten. Solche Einheiten gab es in Tirol-Vorarlberg und in Bosnien-Herzegowina. Die tirolisch-vorarlbergischen Landesschützen, grundsätzlich zur Verteidigung ihrer Länder bestimmt, durften schon im Frieden ausnahmsweise auch zur Aufrechterhaltung der inneren Ordnung und Sicherheit aufgeboten werden. Die Mobilmachung erfolgte auf Befehl des Kaisers unter Gegenzeichnung des Ministers für Landesverteidigung 9 . Die bosnisch-herzegowinischen Truppen konnten sowohl gegen äußere Feinde als auch zur Aufrechterhaltung der inneren Ordnung und Sicherheit in Bosnien und der Herzegowina sowie 4

ÖG vom 21. XII. 1867, RGBl. Nr. 146,§5al. 2; GAXII/1867, § 11; ö. StGG vom 21. XII. 1867, RGBl. Nr. 145, Art. 5; § 3 WG. — SCHMID, Heeresrecht. 202. Fußnote 611. s § 4 WG und § 1 LWG. — SCHMID, Heeresrecht. 202 f. Fußnote 612. • § 12 ö. LWG und § 10 LWG. — SCHMID, Heeresrecht. 203. 7 SCHMID, Heeresrecht. 203. » § 6 WG. — SCHMID, Heeresrecht. 203. Fußnote 616. " Gesetz betreffend das Institut der Landesverteidigung für Tirol und Vorarlberg § 7 al. 2 bis 4. — SCHMID, Heeresrecht. 204.

Die rechtlichen Voraussetzungen

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in der gesamten Monarchie eingesetzt werden. Ihre Verwendung bestimmte ausschließlich der Kaiser 1 0 . D a ß das Militär audh ein Element des inneren Sicherheitsdienstes sei, galt in Europa allgemein. In der ersten H ä l f t e des 19. Jahrhunderts war zwar in den meisten europäischen Staaten durch die Heranbildung eigener Sicherheitseinheiten das Militär vom unmittelbaren Einsatz im Sicherheitsdienst entlastet worden 1 1 . D a s war auch in Österreich der Fall. 1849 war man an die Aufstellung des Gendarmerie-Korps geschritten. Aber dennoch war das Militär auch weiterhin mit Sicherheitsaufgaben betraut: mit dem Sicherheitsdienst aus eigenem Recht, dem ordentlichen Sicherheitsdienst, und mit dem Sicherheitsdienst zur Ergänzung der Polizei oder der Gendarmerie, dem außerordentlichen Sicherheitsdienst 12 . Im ordentlichen Sicherheitsdienst wirkte das Militär in Form des Garnisonswachdienstes. D a s waren jene Dienstleistungen, die zum Schutz der militärischen Zwecken dienenden Gebäude und Plätze verrichtet 13 oder die nach Vereinbarung mit den zuständigen Zivilverwaltungsstellen zur Sicherung staatlicher oder kommunaler Anstalten ständig geleistet wurden. Eine solche Heranziehung der Truppen des Heeres war vor allem zur äußeren Bewachung von Staatskassen, Gefängnissen und Strafanstalten möglich. Die Einstellung entsprechender Wachen war von der Bewilligung des Kriegsministeriums abhängig 1 4 . Neben solchen speziellen Aufgaben kam den im Garnisonsdienst stehenden Einheiten aber auch die Mitwirkung bei Wahrung der allgemeinen Sicherheit zu 1 5 . D a s Militär stellte Wachen auf und sandte Patrouillen aus. In größeren Garnisonsstädten bildete die sogenannte „Hauptwache" die Zentralstelle für alle übrigen Wachen. Die Führung des Garnisonswachdienstes oblag dem Militärstationskommando. Dieser Wachdienst hatte auch die Aufgabe, strafbare Handlungen zu verhindern; in diesem Rahmen durften audi Verhaftungen vorgenommen werden. U n d im Sinne „nachdrücklicher Erfüllung" des ihnen übertragenen Sicherheitsdienstes stand den militärischen Wachen auch das Recht des administrativen Waffengebrauches zu 1 6 . 10 11

12 13

14

SCHMID, Heeresrecht. 204. Fritz van CALKER, D a s Recht des Militärs zum administrativen Waffengebrauch. München 1888. 1 1 . Ebenda. 12. Ausnahmsweise wurden militärische Objekte auch von der Gendarmerie bewacht. S o versah die k. k. Gendarmerie den äußeren Bewachungsdienst im k. u. k. Seearsenal in Pola und seit 1896 auch die Bewachung der Marinemunitionsanlagen in Vallelunga. — SCHMID, Heeresrecht. 204 f. SCHMID, Heeresrecht. 205; Dienstreglement für das k. u. k. Heer. 1. Teil. 2. Aufl. Wien 1886/87. P. 532.

15 16

SCHMID, Heeresrecht. 205; Dienstreglement 1886/87. P. 577. SCHMID, Heeresrecht. 205; vgl. dazu August WILFLING, Administrativer Waffengebrauch der öffentlichen Vollzugsorgane und des Militärs. I n : österreichisches Staats Wörterbuch. Handbuch des gesamten österreichischen öffentlichen Rechtes, ed. Ernst MISCHLER und Josef ULBRICH. 4. Bd. 2., wesentlich umgearbeitete Aufl. Wien 1909. 864 f.

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Voraussetzungen, Machtträger, Reserven

Anders waren die Zusammenhänge im außerordentlichen Sicherheitsdienst. Organisation und Einheiten der Gendarmerie und der Polizei entsprachen den normalen Sicherheitsbedürfnissen im Staat. Sie wurden als nicht ausreichend für den Fall angesehen, daß außerordentliche Gefahren die Funktionsfähigkeit der Staatseinrichtungen oder die Sicherheit des Lebens und Eigentums der Staatsbürger bedrohten. Eine solche Bedrohung sahen die Behörden in der Regel dann eintreten, wenn die Verletzung der Rechtsordnung oder ihre Gefährdung nicht von einzelnen, sondern von Massenbewegungen ausging 17 . Dann hatte der außerordentliche Sicherheitsdienst des Militärs wirksam zu werden: die „Assistenzen" 18 . Die Assistenzen traten an der Seite der politischen Behörden auf. Im Staatsgrundgesetz vom 21. Dezember 1867 wurden bezüglich der Ausübung der Regierungs- und Vollzugsgewalt folgende Grundsätze ausgesprochen: „Die Staatsbehörden sind innerhalb ihres amtlichen Wirkungskreises befugt, auf Grund der Gesetze Verordnungen zu erlassen und Befehle zu erteilen, und sowohl die Beobachtung dieser letzteren, als der gesetzlichen Anordnungen selbst gegenüber den hiezu Verpflichteten zu erzwingen. Besondere Gesetze regeln das Exekutionsrecht der Verwaltungsbehörden sowie die Befugnisse der bewaffneten Macht, die zur Erhaltung der öffentlichen Sicherheit, Ruhe und Ordnung dauernd organisiert ist oder in besonderen Fällen aufgeboten wird." 1 9 Die Exekutivgewalt der politischen Behörden äußerte sich in zweifacher Hinsicht: in der Erzwingung der Durchführung von Anordnungen und in der zwangsweisen Eintreibung der gesetzlich auferlegten Leistungen, ζ. B. der Steuern 20 . Die Militärassistenz sollte in Fällen der Widerspenstigkeit ganzer Gemeinden oder einer größeren Zahl von Personen gegen die Anordnungen der Regierung und ihrer Organe herangezogen werden 21 . Die Militärbehörden standen dabei zu den Zivilverwaltungsbehörden, wie es hieß, in einem Hilfsoder requisitorischen Verhältnis. Die rechtliche Stellung des Kommandanten einer Militärassistenz war dabei von der eines militärischen Befehlshabers, der ein spontanes Einschreiten seines Truppenkörpers veranlaßt, grundsätzlich zu unterscheiden. Solches Vorgehen war zum Zweck der Erfüllung der dem Heer durch § 3 des Wehrgesetzes von 1889 zugewiesenen Aufgabe der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit im Inneren und zur Abwehr unmittelbarer Angriffe auf Abteilungen des Heeres oder auf militärische Anstalten im äußersten Fall auch selbständig vorgesehen. Bei der Militärassistenz aber handelte es sich grundsätzlich darum, der Behörde, deren normale Macht17 18 18

20 21

CALKER, Waffengebrauch. 18. SCHMID, Heeresrecht. 206. Ernst MAYERHOFENS Handbuch für den politischen Verwaltungsdienst in den im Reichsrate vertretenen Königreichen und Ländern mit besonderer Berücksichtigung der diesen Ländern gemeinsamen Gesetze und Verordnungen, ed. Graf Anton PACE. 1. Bd. 5., vermehrte und verbesserte Aufl. Wien 1895. 354. Ebenda. 363. Ebenda. 364.

Die rechtlichen Voraussetzungen

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mittel im konkreten Fall nicht ausreichten, jene „nötige materielle Kraft" zu verleihen, die ihre Anordnungen gegenüber Widerstrebenden durchsetzen sollte 22 . D i e aus der Assistenz geschöpfte „nötige materielle Kraft" mußte freilich im modernen Verfassungsstaat im Interesse der individuellen Freiheit des Staatsbürgers eine rechtliche Regelung des Vorgehens, besondere Gesetze, erheischen 23 . D a s Staatsgrundgesetz v o n 1867 hatte eine dementsprechende Ausgangsbasis geschaffen 24 . D i e darin ausgesprochene Berechtigung im Interesse des Staates forderte eine Begrenzung im Interesse der Staatsbürger 25 . Zu einer solchen gesetzlichen Regelung aber sollte es in Österreich-Ungarn nicht kommen. Als Folge davon säumten dekretierte oder auf dem Erlaßweg getroffene Teilregelungen, die bis in das 18. Jahrhundert zurückreichten, die Bahn der Assistenzeinsätze als nicht immer zweifelsfreie Wegweiser — bis 1918.

Dekrete,

Erlässe,

Instruktionen

D i e Hofdekrete v o m 25. N o v e m b e r 1785 und v o m 2. Jänner 1786 hatten eine erste Klärung der Begriffe „Militärexekution" und „Militärassistenz" 22

23 24

25

Friedrich TEZNER, Handbuch des österreichischen Administratiwerfahrens. Wien 1896. 463. Die Assistenz konnte freilich auch als Hilfsdienst in Katastrophengefahr zur Geltung kommen, beispielsweise im Fall von Hochwasser. So wurde Ende April 1918 infolge des ständigen Steigens der Drau ein Arbeitsdetachement in Sopje in Slawonien als HochwasserAssistenz gestellt. — k. u. k. Sappeur-ErsBaon Osijek, Res. Nr. 32/34 (Hptm. i. d. Res. F. Jambor) an MilKmdo in Zagreb, 29. IV. 1918 - KA, KM Abt. 5 v. 1918, 1 - 1 / 1 1 . Auch wurden Assistenzen zur Bekämpfung von Feuersbrünsten angefordert: Am 1. Juni 1918 geriet die Hainburger Tabakfabrik in Brand, und Soldaten der Brucker Garnison rückten zur Hilfeleistung aus. Für die Bekämpfung der Brände im Ecseder Moor bei Szatmär-Nemeti wurde einige Monate später eine Schwadron HR 14 als Assistenz beigestellt. - Telegr. KM Abt. 5, Nr. 6.066, an MKSM, 2. VI. 1918 - KA, MKSM v. 1918, 2 8 - 2 / 4 0 - 1 7 (19); MilKmdo Kassa, Ma.Nr. 85.782/r II, an KM Abt. 5, 27. IX. 1918 KA, KM Abt. 5 v. 1918, 1 - 2 / 1 - 2 (11.688). Vgl. das Kapitel „Benehmen der Truppen bei Feuersbrünsten" in: Entwurf. Instruktion bezüglich Anforderung, Beistellung und Verwendung militärischer Assistenzen. Nachdruckausgabe mit Berücksichtigung der bis Ende 1908 ergangenen, ergänzenden Erlässe. Wien 1908. 23. Daneben hatte man in bezug auf eine bestimmte Bevölkerungsgruppe militärische Assistenz für eine weitere Sonderaufgabe vorgesehen: für die „Invigilierung auf Zigeuner". Handelte es sich um die Begleitung besonders starker Zigeunergruppen zum oder vom Gericht, so konnte Militärassistenz in Anspruch genommen werden. MAYERHOFER'S Handbuch. 3. Bd. Wien 1897. 666. CALKER, Waffengebrauch. 1. Vgl. den Artikel August WILFLING, Administrativer Waffengebrauch. 856—870. — Die Abhandlung von Fritz van CALKER über das „Recht des Militärs zum administrativen Waffengebrauch" verdient ebenfalls hervorgehoben zu werden. Parallele aus einer späteren Entwicklung: Erfahrungen anläßlich der Assistenzleistungen zur Unterdrückung der Aufstände im Jahre 1934, ed. Bundesministerium für Landesverteidigung. Zu 7.658 Präs. von 1935. CALKER, Waffengebrauch. 2.

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Voraussetzungen, Machtträger, Reserven

beinhaltet 26 . Die „Militärexekution" war demnach lediglich als ein Zwangsmittel zur Hereinbringung rückständiger Steuern oder ähnlicher Lasten zu betrachten. Der „Militärassistenz" war ein umfassenderer Wirkungsraum zugedacht. Sie sollte in Fällen „der Widerspenstigkeit ganzer Gemeinden oder doch einer größeren Zahl von Personen wider die Anordnungen der Regierung und ihrer Organe, es mochten diese die Staatsauflagen oder andere Einrichtungen und Maßregeln betreffen", zur Geltung kommen 27 . Die Anwendung der Waffengewalt war vor der Aufstellung der Gendarmerie grundsätzlich dem regulären Militär vorbehalten gewesen. Trotz fehlender ausdrücklicher gesetzlicher Regelung wurde als selbstverständlich angenommen, daß das Militär entsprechenden Aufforderungen der Behörden zu folgen habe, sobald diese erklärten, mit ihren Mitteln nicht mehr für die öffentliche Ordnung einstehen zu können 28 . Die Ära Metternich hinterließ die Vorschriften des Hofkriegsrats-Präsidialreskriptes vom 8. Oktober 1844. Das Reskript bezog sich auf eine kaiserliche Genehmigung und wurde durch ein Hofkanzleidekret vom 19. Oktober 1844 in Gesetzform kundgemacht 29 . Die Voraussetzungen für ein Einschreiten der Militärassistenzen mit Waffengewalt präzisierte das Präsidialreskript dahingehend, daß entweder a) der politische Kommissär, an den die Assistenz gewiesen und der für die Anwendung der Gewalt in erster Linie verantwortlich sei, wegen Fruchtlosigkeit seines abwehrenden Einschreitens die Anwendung der Waffengewalt fordern müßte oder daß b) die Assistenz von den Tumultanten selbst angegriffen sein müßte, auch wenn in diesem Fall eine Aufforderung des politischen Kommissärs zum bewaffneten Vorgehen nicht vorläge 30 . Das Reskript vom 8. Oktober 1844 enthielt auch die ausführungsbezogene Bestimmung, daß es der Beurteilung des Kommandanten der Assistenztruppe überlassen bleiben müsse, ob zuerst von der Infanterie ein Bajonettangriff angesetzt oder ob sogleich zur vollen Anwendung der Feuerwaffen geschritten werden solle 31 . Stärke und Führung der Truppe wurden als wesentliche Elemente eines erfolgreichen Auftretens erkannt: „Es fließt aber hieraus erneuert die ohnehin in den bestehenden Vorschriften ausgesprochene Notwendigkeit, bei der Zusammensetzung von Assistenz-Commanden der fraglichen Art, sowohl auf die 26

Zu älteren gesetzlichen Erwähnungen der „Militärassistenz" vgl. WILFLING, Administrativer Waffengebrauch. 866.

27

MAYERHOFENS H a n d b u c h . 1. B d . 3 6 4 .

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Lorenz STEIN, Die Verwaltungslehre. 4. Teil: Innere Verwaltungslehre. 1. Hauptgebiet. 3. Teil: Das Polizeirecht. Stuttgart 1867. 65. TEZNER, Administratiwerfahren. 464. Die kaiserliche Genehmigung dürfte sich auf eine von Josef ULBRICH erwähnte Ah. Entschließung vom 27. VIII. 1844 beziehen. — Josef ULBRICH, Grundzüge des österreichischen Verwaltungsrechtes. Prag/Leipzig 1884. 111. SCHMID, Heeresrecht. 208. Der wörtliche Text des Hofkriegsrats-Präsidialreskriptes ist abgedruckt in: MAYERHOFER'S Handbuch. 3. Bd. 681. Fußnote 1. Mit dem Hofkanzleidekret vom 19. X . 1844 wurde den Landesstellen eine Abschrift des infolge einer Ah. Entschliessung vom 27. VIII. 1844 vom Präsidium des k. k. Hofkriegsrates unter dem 8. X . 1844 an sämtliche landeskommandierende Generale erlassenen Reskriptes übergeben. SCHMID, Heeresrecht. 208.

Die rechtlichen Voraussetzungen

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entsprechende Bestimmung ihrer Stärke, als auf die Wahl der ihnen vorzusetzenden Führer die möglichste Sorgfalt zu verwenden." 32 Bald sollte auch die Funktion der Assistenz als letzte, nur im äußersten Fall anzuwendende Möglichkeit unterstrichen werden. Mit dem Erlaß des Ministeriums des Innern vom 29. Jänner 1849 wurde verordnet, daß die Behörden erst dann, wenn alle gütlichen Mittel der Belehrung, Ermahnung, Warnung und Drohung fruchtlos ausgeschöpft worden seien und wenn selbst die gegen die Anstifter und Rädelsführer „geübte Strenge" ohne Eindruck geblieben wäre, zur Anwendung der militärischen Gewalt zu schreiten hätten. Dann aber sei mit aller Entschiedenheit aufzutreten und nicht nur die momentane Widersetzlichkeit zu brechen, sondern es sei für den gewaltsamen Widerstand auch empfindlich zu strafen, es sei für die verletzte Würde des Gesetzes „die vollste Sühne" herbeizuführen 33 . Eine nächste Frage mußte sich als dringlich stellen: Wem stand das Ansprechen der Assistenz zu? Nach den mit Entschließung vom 14. September 1852 genehmigten und mit Verordnung vom 19. Jänner 1853 kundgemachten Organisationsbestimmungen bedurften die Bezirksämter zur „Requisition" der Militärassistenz der Zustimmung der Kreisbehörde. Nur in dringlichen Fällen und bei Gefahr im Verzug hatte das Bezirksamt das Recht, die Militärassistenz unter eigener Verantwortung des Amtsvorstehers unmittelbar heranzuziehen 34 . Durch kaiserliche Verordnung vom 20. April 1854 war dann ganz allgemein bestimmt worden, daß die politischen Behörden ermächtigt seien, ihren Anordnungen durch Aufbietung von Militärassistenz Nachdruck zu geben und insbesondere audi Vorführungsbefehle nötigenfalls durch sie zu vollstrecken 35 . Die Voraussetzungen für den Einsatz der Militärassistenz waren in dieser Verordnung eher dürftig behandelt 36 . 32 33

34

MAYERHOFENS Handbuch. 3. Bd. 681. Fußnote 1. Ebenda. Selbst die Reihenfolge im Falle der Bekämpfung mehrerer Widerstandszentren wurde bestimmt: Habe die Widersetzlichkeit bereits um sich gegriffen und mehrere Gemeinden erfaßt, dann sei beim Vorgehen der Militärassistenz „stets mit jener Gemeinde der Anfang zu machen", von der der Widerstand ausgegangen oder die im Widerstand besonders hartnäckig verharrt sei. SCHMID, Heeresrecht. 270. Fußnote 644; TEZNER, Administrativverfahren. 464 f.; MAYERHOFER'S H a n d b u c h . 3. B d . 3 9 6 — 3 9 8 .

35 33

SCHMID, Heeresrecht. 207. TEZNER, Administratiwerfahren. 464. In dieser Zeit ergingen auch Anordnungen über die Gebühren für die Militärassistenz. Sie waren in der Ministerial-Verordnung vom 17. VI. 1856 enthalten. Jeder Offizier erhielt vom T a g des Abmarsches an den neuen Bestimmungsort bis zu seiner Abberufung und seinem Einrücken bei seinem Truppenkörper nebst der Durchzugsunterkunft eine Zulage von monatlich 20 Gulden oder täglich 40 Kreuzern bei einem nicht vollen Monat, jeder Mann vom Feldwebel oder Wachtmeister abwärts nebst der vorschriftsmäßigen Durchzugsunterkunft und Verpflegung eine tägliche Zulage von drei Kreuzern. „Wenn Cavallerie verwendet wird, so ist sich nach den Bestimmungen der §§ 1—3 der Verordnung vom 20. VI. 1855, RGBl. Nr. 110, auch hier zu benehmen." Der Militärfonds trug die Zahlungen soweit notwendig vorschußweise, erhielt jedoch durch halbjährige Abrechnung aus der Dotation des betreffenden Zweiges der Zivilverwaltung diese geleisteten Vorschüsse vergütet und außerdem für jeden Mann vom Feldwebel oder

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Voraussetzungen, Machtträger, Reserven

Alle bis dahin ergangenen Dekrete, Reskripte, Erlässe, Entschließungen und Verordnungen aber enthielten für das komplexe Problem „Militärische Assistenz" nur Teilverfügungen. Es mußte sich daher als zweckentsprechend erweisen, im „Dienst-Reglement für das kaiserliche königliche Heer vom 9. August 1873" der „Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit" ein eigenes Kapitel zu widmen 37 . Das Dienstreglement enthielt demgemäß Bestimmungen über „Assistenzen", „Verhalten vor und bei einem Aufstande oder Aufruhr" und „Anwendung der Waffengewalt zur Bewältigung von Tumulten", weiters Bestimmungen über „Verhalten der Wachen überhaupt", „Verhalten der Schildwachen" und „Runden und Patrouillen". Das Dienstreglement, das in Österreich-Ungarn sowohl im Hinblick auf das Einschreiten des Militärs aus eigenem Recht als auch über Anforderung der Zivilbehörde geltendes Recht war, erfuhr 1886/87 seine zweite Auflage. Darin waren einige Erweiterungen festgehalten, so ζ. B. Vorschriften über Meldung von Assistenzbeistellungen 38 . Nochmals tauchte die Frage der Befugnis des Ansprechens der Assistenz auf. Vom 5. Jänner 1891 datiert ein instruktioneller Erlaß des Ministeriums des Innern, wonach die politischen Behörden — nun nach dem Wegfall der Kreisämter die Bezirksbehörden — die Militärassistenz grundsätzlich durch Vermittlung des vorgesetzten politischen Landeschefs anzusprechen hätten. Das Requisitionsbegehren wäre dabei an die Militärterritorialkommanden zu stellen. Nur in dringenden, keinerlei Verzögerung zulassenden Fällen dürften sich diese Behörden — unter sofortiger Anzeige des Falles an den Landeschef — unmittelbar an die Militärstationskommanden wenden 39 .

87

Wachtmeister abwärts eine Pauschalvergütung für Verpflegung, Transportmittel, Monturabnützung, Gewehrreparatur usw. Der Transport der Militärassistenzen hatte dort, wo Eisenbahnen bestanden, per Bahn zu erfolgen. Die Staatseisenbahnen hatten den Transport sowohl der Offiziere als auch der Mannschaft um drei Kreuzer pro Kopf und Meile und 1 Vi Kreuzer für jeden Zentner Gepäck pro Meile zu übernehmen. — MAYERHOFENS Handbuch. 1. Bd. 3 9 6 - 3 9 8 . Die unmittelbar die Assistenzen betreffenden Paragraphen und Punkte finden sich abgedruckt i n : CALKER, W a f f e n g e b r a u c h . 6 0 — 6 4 .

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Zu den betreffenden Paragraphen der zweiten Auflage vgl. MAYERHOFER'S Handbuch. 1 . Bd. 399. Fußnote 1. Nur geringfügige Korrekturen enthielt die Nachdruckausgabe der zweiten Auflage des Dienstreglements vom Jahre 1909. Die Ergänzungen betrafen den Abschnitt über Assistenzen nicht. — Dienstreglement für das kaiserliche und königliche Heer. 1. Teil. 2. Aufl. des Reglements vom Jahre 1873. Nachdruckausgabe vom Jahre 1909 mit Berücksichtigung der Nachträge 1 — 10. Wien 1909. TEZNER, Administratiwerfahren. 4 6 5 ; vgl. SCHMID, Heeresrecht. 2 0 7 . Fußnote 6 4 4 ; M A Y E R HOFER'S Handbuch. 1. Bd. 399; Ferdinand SCHMID, Militärassistenzen. In: österreichisches Staatswörterbuch. Handbuch des gesamten österreichischen öffentlichen Rechtes, ed. Ernst MISCHLER und Josef ULBRICH. 3 . Bd. 2 . Aufl. Wien 1 9 0 7 . 5 6 3 f. Im Staatswörterbuch werden als weitere Verfahrensregelungen für das Ansprechen einer Assistenz genannt: Gemeindevorsteher bedürfen zur Erwirkung der Militärassistenzen der Vermittlung der politischen Bezirksbehörde — kaiserliche Verordnung, 20. IV. 1854, RGBl. 96, § 4, Schlußalinea. Dagegen sind die Strafgerichte und die Staatsanwälte befugt, erforderlichenfalls die bewaffnete Macht unmittelbar in Anspruch zu nehmen — Strafprozeßordnung §§ 28 und 36.

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Trotz des Erlasses von 1891 waren nach § 70 Punkt 508 des Dienstreglements für das k. u. k. Heer in dringenden Fällen „bei grundhältiger Motivierung" seitens der eine Beistellung ansprechenden politischen Beamten und Polizei- oder Sicherheitsorgane auch die Truppen- oder Kasernkommandanten, die Käsern- und die Garnisons-Inspektionsoffiziere und der General oder Stabsoffizier vom Tag ermächtigt, in einem Garnisonsort Assistenzen von den ihnen unterstehenden Bereitschaften unter eigener Verantwortung ausrücken zu lassen40. Das Dienstreglement zog damit den Kreis der für die Gewährung der militärischen Beihilfe zuständigen Militär- und Zivilstellen deutlich weiter als der Ministerialerlaß41. Im Jahre 1908 erschien in der Hof- und Staatsdruckerei eine Schrift unter dem Titel „Entwurf. Instruktion bezüglich Anforderung, Beistellung und Verwendung militärischer Assistenzen"42. Obwohl diese Instruktion „für normale Zeiten"43 vorgesehen war, galt sie grundsätzlich — wohl zuzüglich einiger Ergänzungen — audi im Jahre 19 1 8 44 . Damit war die zeitlich letzte verbind-

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Die Zivilvollstreckungsorgane haben sich wegen Erwirkung militärischer Hilfe behufs Beseitigung eines ihnen entgegengesetzten Widerstandes an den Vorsteher des Exekutionsgerichtes zu wenden — Exekutiv-Ordnung, § 26, Alinea 2. Dienstreglement 1886/87. XI. Abschnitt. §70. Punkt 508. I n : MAYERHOFENS Handbuch. 1. Bd. 399. Fußnote 1. TEZNER, Administratiwerfahren. 465; SCHMID, Militärassistenzen. 564. Entwurf. Instruktion bezüglich Anforderung, Beistellung und Verwendung militärischer Assistenzen. Nachdruckausgabe mit Berücksichtigung der bis Ende 1908 ergangenen, ergänzenden Erlässe. Wien 1908 (zu Abt. 5, Nr. 2.382/1905). K M Abt. 5, Nr. 3.171, an MilKmdo Kassa, 4. IV. 1918 - KA, K M Abt. 5 v . l 9 1 8 , 1 - 1 9 / 5 . Das Jahr 1918 ließ die Nachfrage nach dieser Instruktion besonders steigen. Einige Beispiele : Der General für Assistenztruppen in Leitmeritz, F M L Josef Poleschensky, forderte beim Kriegsministerium am 4. März 1918 die Zusendung von mindestens 30 Exemplaren „Entwurf. Instruktion bezüglich Anforderung, Beistellung und Verwendung militär. Assistenzen" zur Weitergabe an die Ersatzkörper an. — General für Assistenztruppen Leitmeritz an K M , 4. I I I . 1918 - KA, K M Abt. 5 v. 1918, 2 2 - 1 5 / 3 (2.542). Eine Woche später war in einem Schreiben des Kriegsministeriums an das Militärkommando Wien von einem Mangel an „Instruktionen" die Rede, und das Bücherarchiv des Ministeriums wurde aufgefordert, den Nachdruck von 2.000 Exemplaren zu betreiben. — K M (Obstlt. Zieritz) an MilKmdo Wien, 12. III. 1918 - KA, K M Abt. 5 v. 1918, 2 2 - 1 5 / 1 (1.846/1). Auf welchem Weg ein Feldbataillon zu einer Assistenzvorschrift gelangte, zeigt folgender Vorgang: Am 23. April 1918 bat das Feldbataillon II des IR 84 das Regimentskommando, es solle vom Ersatzbataillon Assistenzvorschriften anfordern, da das Feldbataillon täglich Assistenzkompanien abstellen müsse. Das Regimentskommando forderte mit 25. April beim Ersatzbataillon drei Exemplare an. Das Ersatzbataillon wandte sich am 2. Mai an die k. u. k. Hof- und Staatsdruckerei. Der Verlag der Hof- und Staatsdruckerei teilte jedoch am 4. Mai dem Ersatzbataillonskommando mit, „daß die Assistenzvorschrift hierorts nicht zum Verkauf gelangt und nur dienstlich beim k. u. k. Kriegsministerium erhältlich sein dürfte". Da das Ersatzbataillon dem Militärkommando in Wien unterstand, leitete es die Bitte des Regimentskommandos dorthin weiter, und das Militärkommando legte es mit „der Bitte um direkte Erledigung" mit 11. Mai dem Kriegsministerium vor. Das Ministerium gab Anweisung an das Bücherarchiv, und die drei Exemplare der „Instruktion" — hier fand sich auch die Bestätigung, daß es sich um den Entwurf von 1908 handelte —

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liehe Basis gegeben: Die Bestimmungen der Instruktion und des Dienstreglements bildeten für die Militärbehörden in Österreich-Ungarn die wesentliche rechtliche Grundlage für Assistenzeinsatz und administrativen Waffengebrauch. Freilich, die tiefere gesetzliche Verankerung fehlte. Ein Vergleich mit den Regelungen anderer Staaten macht die Schwäche der Position deutlich. Die erste, in einem modernen Staat als Gesetz formulierte, das administrative Waffenrecht zur Geltung bringende Bestimmung war die 1714 in England ergangene „Riot Act" gewesen. Sie hatte Richtlinien über die Verhinderung und Unterdrückung von Tumulten und aufrührerischen Versammlungen sowie über die schnelle und wirkungsvolle Bestrafung der Aufrührer enthalten 45 . Ihr folgte in Frankreich die sogenannte „Loi martiale" von 1789 bzw. 1791. Die Grundsätze dieser Bestimmungen wurden für die meisten kontinentalen Vorschriften über das Recht des administrativen Waffengebrauchs des Militärs richtunggebend 46 . In Preußen erfloß einige Jahrzehnte später — mit 20. März 1837 — ein Gesetz über den Waffengebrauch des Militärs 47 . In Bayern erging am 4. Mai 1851 ein Gesetz, „das Einschreiten der bewaffneten Macht zur Erhaltung der gesetzlichen Ordnung betreifend" 4 8 . Demgemäß waren im Deutschen Reich hinsichtlich des militärischen Waffengebrauchsrechtes nach der Reichsverfassung vom 16. April 1871 zwei Rechtsgebiete zu unterscheiden 49 : Mit Ausnahme Bayerns hatten sich alle anderen Bundesstaaten in Militärkonventionen mit Preußen verpflichtet, die Bestimmungen der preußischen Gesetzgebung über die Voraussetzungen, unter denen das Militär zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Ordnung und zur Durchsetzung der Gesetze herangezogen werden könne, und über den Waffengebrauch des Militärs im Fall eines solchen Einschreitens einzuführen 50 . standen am 18. Mai für das Ersatzbataillon zur Verfügung. Über das Regimentskommando erreichten sie am 25. Mai II/IR 84. — Alle Bitten, Anforderungen, Mitteilungen usw. - KA, K M Abt. 5 v. 1918, 2 2 - 1 5 / 6 (5.192). Weitere Ansuchen: Am 3. Mai 1918 stellte die k. k. Statthalterei in Prag, ZI. 13.381, an das k. k. Ministerium des Innern die Bitte „um die Übersendung eines Exemplares der Instruktion . . das Ministerium des Innern wandte sich mit einem Ersuchen an das Kriegsministerium. — Ersuchen des k. k. Mdl an K M , o. D. — KA, K M Abt. 5 v. 1918, 22—15/7 (5.269). Noch am 16. Oktober 1918 bat das Militärkommando in Innsbruck die Abteilung 5 des Kriegsministeriums um die beschleunigte Zusendung von 30 Exemplaren der Assistenzvorschrift, die schließlich am 2. November ausgehoben wurden. — MilKmdo Innsbruck an K M Abt. 5, 16. X . 1918 - KA, K M Abt. 5 v. 1918, 1 - 1 7 8 (12.498). 45 CALKER, Waffengebrauch. 77 — 80: „Act for preventing Tumults and riotous Assemblies and for the more speedy and effectual punishing, the Rioters." Vgl. SCHMID, Heeresrecht. 216 f. " CALKER, Waffengebrauch. 3. "

E b e n d a . 4 6 — 4 8 ; SCHMID, H e e r e s r e c h t . 2 1 7 .

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CALKER, W a f f e n g e b r a u c h .

48 50

54—57.

Ebenda. 5 f. SCHMID, Heeresrecht. 217. Punkt 2.

Die rechtlichen Voraussetzungen

27

In Frankreich sind in dieser Zeit das Gesetz vom 7. Juni 1848, die „Loi sur les Attroupements", und das „Decret du 23 Octobre 1883 portant Reglement sur le service dans les places de guerre et les villes de garnison" erlassen worden 51 . Hollands militärisches Assistenzrecht wurde im Gemeinderecht und im Strafprozeß prinzipiell und zusätzlich durch eine eigene Instruktion ausführlich geordnet 52 . Die gesetzliche Regelung in Italien erfolgte durch das Dekret vom 22. November 1886 „Truppa in servizio di Pubblica Sicurezza", das den Bestimmungen des durch Dekret vom 8. Juli 1833 eingeführten „Regolamento sul Servizio Territoriale" entsprach und alle entgegenstehenden früheren Vorschriften aufhob 53 . Die dominierende Entwicklung in Europa hatte demgemäß das Recht über den administrativen Waffengebrauch des Militärs unter gesetzliche Regelung gestellt. Staatsrechtlich, nicht militärisch motivierte Gesichtspunkte waren dort in erster Linie bestimmend 54 . Anders in Österreich-Ungarn. Was das Verhältnis zwischen den Militärbehörden und den militärische Assistenz ansprechenden Zivilbehörden anbelangt, so hatte das Staatsgrundgesetz vom 21. Dezember 1867 über die Regierungs- und Vollzugsgewalt gesetzliche Regelung zwar in Aussicht gestellt. Es hatte bestimmt, daß das Exekutionsrecht der Verwaltungsbehörden ebenso wie die Befugnisse der bewaffneten Macht, die zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit, Ruhe und Ordnung organisiert war oder in besonderen Fällen aufgeboten wurde, durch spezielle Gesetze geregelt werden sollten 55 . Da aber entsprechende gesetzliche Bestimmungen zur Feststellung der Voraussetzungen für die Militärassistenz nicht erflossen sind 56 , so galten für die Militärbehörden die Anordnungen des Dienstreglements bzw. der Instruktion und für die Zivilbehörden jene schon genannte Gruppe älterer Bestimmungen, wie das Hofkriegsrats-Präsidialreskript von 1844, der Erlaß des Ministeriums des Innern von 1849, die Organisationsbestimmungen von 1852/53, die kaiserliche Verordnung von 1854 und — für die zisleithanische Reichshälfte — der Erlaß des Ministeriums des Innern von 1891. Den Grundsätzen eines modernen Rechtsstaates — so ist festzustellen — entsprach es allerdings nicht, daß das Recht des Einsatzes von Militärassistenzen und des administrativen Waffengebrauchs seine formale Regelung vor allem durch militärische Bestimmungen gefunden hatte 57 . Das läßt auch gleich die Frage nach ihrem materiellen Inhalt stellen. 51

CALKER, W a f f e n g e b r a u c h . 7 0 f. u n d 6 6 — 7 0 .

52

STEIN, Verwaltungslehre — Polizeirecht. 66: Stein zitiert DE BOSCH-KEMPER, Staatsregiment. § 342 und § 196.

53

CALKER, W a f f e n g e b r a u c h . 7 1 — 7 7 .

51 55 56

57

SCHMID, Heeresrecht. 216. Punkt 2. Ebenda. 207. Fußnote 641. SCHMID, Militärassistenzen. 563 f.; TEZNER, Administratiwerfahren. 4 6 4 ; Johann Christoph ALLMAYER-BECK, Das Heerwesen. In: Probleme der franzisko-josephinischen Zeit 1848 bis 1916, ed. Friedrich ENGEL-JANOSI und Helmut RUMPLER. Wien 1967. 73—75. = Schriftenreihe des österreichischen Ost- und Südosteuropa-Instituts. I. V g l . SCHMID, H e e r e s r e c h t . 2 1 6 .

28

Voraussetzungen, Machtträger, Reserven

„Jeder Kommandant hüte sich vor halben Maßregeln

..."

In der Instruktion von 1908 wurde — und nicht ohne Erfolg — versucht, eine umfassende Regelung herbeizuführen. Das Dienstreglement — seine Nachdruckausgabe aus dem Jahre 1909 — hatte ergänzenden, wenn audi nicht immer deckungsgleichen Charakter. Aus diesen Richtlinien ergab sich der Rahmen für die späteren Einsätze. Gleich die Einleitung der Instruktion umriß — im wesentlichen der Definition des Dienstreglements folgend — den ins Auge gefaßten Begriff und Zweck: „,Assistenzen' heißen jene Truppen, welche zur Unterstützung der öffentlichen Behörden . . . aufgeboten werden, um diesen bei ihren Anordnungen und Amtshandlungen die nötige materielle Kraft überhaupt, insbesondere zur Bewältigung eines gewaltsamen Widerstandes zuzuwenden." 58 Die Grundsätze für die Inanspruchnahme berührten die schwierige Ermessensfrage: „Militärassistenzen können in Anspruch genommen werden, um den Anordnungen der öffentlichen Behörden und Organe innerhalb ihres gesetzlichen Wirkungskreises behufs Vollziehung der Gesetze sowie zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit, Ruhe und Ordnung den nötigen Nachdruck zu geben, falls die ihnen zu Gebote stehenden Mittel zur Erreichung jener Zwecke nicht mehr auslangen." 59 Nach dem Dienstreglement waren die Organe der öffentlichen Behörden nur bei „Gefahr im Verzuge" 60 befugt, Assistenzen von der bewaffneten Macht anzusprechen. Der Verantwortungsgrad der begehrenden Behörde für die Prüfung ihrer Legitimation zur Inanspruchnahme war damit in der Instruktion offensichtlich erhöht worden 61 . Waren die Voraussetzungen der Inanspruchnahme gegeben, mußte sich die Frage der Truppenstärke stellen. Der Einsatz von Truppen sollte in massiver Weise, aber nicht voreilig erfolgen: „Bei Inanspruchnahme von Truppen ist einerseits zu beachten, daß dort, wo aufrührerische Bewegungen und Gesetzwidrigkeiten vorausgesetzt werden können, die gesetzliche Ordnung durch das Auftreten einer entsprechend starken Assistenz gesichert und die Notwendigkeit der tatsächlichen Anwendung der Waffengewalt im vorhinein verhindert werden kann, anderseits aber zu bedenken, daß dort, wo zu der bezeichneten Voraussetzung kein genügender Grund vorhanden ist, die Verwendung einer Assistenz leicht den Anschein einer unbegründeten voreiligen Machtentfaltung erwecken kann." 6 2 Der optische Eindruck wurde in die Überlegung jedenfalls 58

59 60 61 62

Instruktion 1908. V. Zusätzlich erfolgte die weitere, wesentlich als „Katastrophenhilfe" gedachte Zweckbestimmung: „Im weiteren Sinn werden im nachfolgenden als ,Assistenzen' auch jene Truppen bezeichnet, welche zur Hilfeleistung bei Elementarereignissen zur Verfügung gestellt werden." Instruktion 1908. 1. Dienstreglement 1909. 230. § 70. Punkt 506. Vgl. TEZNER, Administrativverfahren. 465 f. Instruktion 1908. 1 f.

Die rechtlichen Voraussetzungen

29

nachdrücklich mit einbezogen: „Ein entscheidendes, planmäßiges Auftreten gleich am Beginn der Assistenzleistung sichert meist auch ohne Anwendung der Waffengewalt den Erfolg." 6 3 Und die Stärke der beizustellenden Verbände war außerdem so anzusetzen, „daß das Gelingen der Aufgabe sowie die Wahrung der Waffenehre unter allen Umständen gesichert sei" 64 . Der Einsatz konnte bis zum Waffengebrauch führen. Dreifach waren die Voraussetzungen dafür umrissen: ,,a) bei Tumulten und aufrührerischen Bewegungen auf ausdrückliches und begründetes Verlangen des ermächtigten politischen Beamten (berufenen Organes) in jenen Fällen, in welchen dessen vorausgegangene Aufforderungen zur Herstellung des gesetzlichen Zustandes erfolglos geblieben sind, und auch der Kommandant der ihm beigegebenen Truppen von der Notwendigkeit eines solchen Einschreitens überzeugt ist; b) wenn eine Truppe tätlich insultiert oder gar mit Waffen angegriffen wird, desgleichen, wenn Leute mit Waffen oder sonstigen Gewaltwerkzeugen in feindseliger Absicht gegen die Truppen drängen und zu besorgen ist, daß hiedurch deren Aktionsfähigkeit verhindert oder übermäßig beengt werde; c) wenn bei einer zur Wiederherstellung der Ordnung und Sicherheit ausgerückten Truppe oder einem selbständigen Teile derselben ein politischer Beamter nicht anwesend ist, so hat bei Eintritt von Gewaltakten gegen die Sicherheit der Person, des Eigentums oder öffentlicher Einrichtungen der Kommandant dieser Truppe die Aufforderung zur Herstellung des gesetzlichen Zustandes zu erlassen und im Falle diese Aufforderung nicht befolgt wird — selbst wenn die Truppe nicht behelligt würde — mit der Anwendung von Gewaltmaßregeln nach eigenem Ermessen einzuschreiten." 65 Für die Art der „Gewaltmaßregeln" der Truppenführer fand sich zusätzlich kurze Anleitung. Die Eskalation der Machtentfaltung reichte vom Bajonettangriff bis zum Gebrauch der Feuerwaffe: „Zum Zerstreuen eines aufrührerischen Volkshaufens haben, wo die Umstände es gestatten und zweckmäßig erscheinen lassen, die Fußtruppen, nach fruchtlos ergangener Aufforderung zur Räumung des Platzes, vorerst unter dem Schutz einer Reserve mit dem Bajonett anzugreifen, wobei unbewaffnete Weiber, Kinder und hinfällige Greise geschont werden sollen. Reicht der Bajonettangriff nicht aus, wird die Truppe beschossen oder zur Notwehr gezwungen, so ist von der Feuerwaffe Gebrauch zu machen, wobei aber ein Blind- oder Hochschießen nie angewendet werden darf." Im Ernstfall später oft umstritten sollte die geforderte Abgabe 63 64 65

Ebenda. 7. Ebenda. 27; vgl. Dienstreglement 1909. 230. § 70. P. 507. Instruktion 1908. 8 f.; Dienstreglement 1909. 236 f. § 72. P. 516. War nach dem Hofkriegsrats-Präsidialreskript noch der politische Kommissär, dem die Militärassistenz zugewiesen war, für die Anwendung von Gewaltmaßregeln in erster Linie verantwortlich, so ist nach der Instruktion auch der Kommandant der Truppe verhalten, die Voraussetzungen des Einschreitens selbständig zu beurteilen. Der Kommandant ist für dieses Einschreiten in der gleichen Weise verantwortlich wie der Zivilbeamte für seine Aufforderung an den Kommandanten. — TEZNER, Administrativverfahren. 466; SCHMID, Heeresrecht. 208.

30

Voraussetzungen, Machtträger, Reserven

des Warnsignals sein: „Dem Bajonettangriff hat womöglich das ,Sturmsignal', dem Schießen das Signal,Schießen' voranzugehen." Berücksichtigt war auch der Einsatz von Kavallerie. Die Reiterei sollte vorwegnehmend zersprengen: „Die Kavallerie, welche in den ersten Stadien eines Tumultes meist mit Nutzen verwendet werden kann, um durdi rasche Bewegungen die Räumung der Straßen und Plätze zu bewirken, ohne zur eigentlichen Anwendung von Waffengewalt zu schreiten, hat eine derartige Aufstellung zu nehmen, daß nötigenfalls eine Attacke stattfinden könne." Wie im Falle der Infanterie wurde bei der Kavallerie auf ein Warnsignal vor der Attacke Wert gelegt: „Audi vor Beginn einer Kavallerieattacke soll, womöglich, das Signal hiezu geblasen werden." 66 Der Gebrauch der Waffe sollte — ebenso wie die gesamte Aktion — nicht leichtfertig erfolgen, wenn befohlen, allerdings durchschlagend sein. Über den Waffengebrauch entschied, wie nach preußischem, bayerischem, französischem und italienischem Recht, auch nach der österreichischen Instruktion letztlich der militärische Befehlshaber 67 . Zurückhaltung war geboten: „Vereinzelte Herausforderungen, sowie das mit den Volkstumulten gewöhnlich verbundene Geschrei und Pfeifen der aufgeregten Menge dürfen, insolange solche feindselige Kundgebungen keine für die Truppe Gefahr drohenden Folgen haben, nicht gleich zur Anwendung der Waffengewalt, namentlich zum Schießen, verleiten." 68 Allerdings: „Ist aber die Notwendigkeit zum Waffengebrauch eingetreten, so muß die vollständige Zerstreuung oder die unbedingte Unterwerfung der Ruhestörer gefordert und es darf unter keinem Vorwand irgend eine Kapitulation abgeschlossen oder ein Vergleich eingegangen werden. Die Waffengewalt ist hiebei besonders gegen die Führer der Bewegung zu richten." 69 Ging es um Aufstand oder Aufruhr, mündeten Entscheidung und Verantwortung über die politischen Behörden hinweg zur Gänze in den militärischen Bereich: „Wird die Verwendung der bewaffneten Macht zur Unterdrückung einer aufständischen Bewegung zur Notwendigkeit, so hat der betreffende Kommandant seine Dispositionen ganz selbständig, mit Beseitigung jedes anderen Einflusses, der ihn nie vor der vollen Verantwortung seiner Maßnahmen schützen kann, lediglich nach militärischen Rücksichten zu treffen." 70 Die Assistenzleistung gewann damit ebenso wie bei einer tätlichen Insultierung der Truppe selbständigen, ausschließlich militärischen Charakter und geriet auf eine Ebene, die bereits außerhalb der Eingriffsmöglidikeiten der Zivilbehörden lag 71 . Warnend hieß es für diesen Fall: „Jeder Kommandant hüte sich Instruktion 1908. 10 f.; Dienstreglement 1909. 237 f. § 72. P. 518. Preussisches Gesetz über den Waffengebrauch des Militärs vom 20. III. 1837, § 8; Bayerisches Gesetz vom 4. V. 1851, Art. 4, 7; Dicret du 23 octobre 1883. art. 177; Truppa in servizio. Art. 2. § 14. — CALKER, Waffengebrauch. 47, 54, 70 und 74. 68 Instruktion 1908. 9. «· Ebenda. 9; Dienstreglement 1909. 237. § 72. P. 517. 70 Instruktion 1908. 44; Dienstreglement 1909. 235. § 71. P. 515. 71 TEZNER, Administrativverfahren. 467; SCHMID, Heeresrecht. 208 f. In diesen Rahmen fällt ein vom Honvid-Ministerium im Mai 1918 an alle Honved-Distriktskommandanten in be66

67

Die rechtlichen Voraussetzungen

31

vor halben Maßregeln . . ." 72 Und weiters: „Er schreite . . . an jenen Punkten, wo die Niederwerfung der Aufständischen voraussichtlich die Dämpfung der revolutionären Aktion am schnellsten herbeiführt, rasch und möglichst mit solchen Kräften ein, daß der Erfolg außer Frage s t e h t . . ." 73 Noch aber gab es eine Steigerung: entsprechende Maßnahmen in den eigenen Reihen, den Schnitt ins eigene Fleisch. Der äußerste Fall eigenverantwortlichen Vorgehens des militärischen Führers ohne „halbe Maßregeln" mußte dann gegeben sein, wenn der Widerstand sich im Bereich der Truppe erhob. Die Schärfe des geforderten Einschreitens spiegelt sich — der Mannschaft über die Kriegsartikel verlautbart — in der H ä r t e der im Militärstrafgesetz angedrohten Strafen, die jedem Trotz die Schwingen brechen sollte: „Wer sich dem Vorgesetzten mit Waffen oder mit gewalttätiger H a n d anlegung an dessen Person im Dienste oder auf einen erhaltenen Dienstbefehl widersetzt . . . wird in Kriegs- und Friedenszeiten mit dem Tode durch Erschießen bestraft. Wer in Kriegszeit auch nur auf eine ungestüme oder beleidigende Weise die Vollziehung eines Dienstbefehles verweigert . . . , ist ebenfalls mit dem Tode durch Erschießen zu bestrafen . . . Soldaten, welche in Gemeinschaft mit anderen gegen die bestehende Dienstordnung, gegen Vorgesetzte, Höhere oder gegen deren Befehle sich auflehnen oder sich hiezu audi nur verabreden . . . , machen sich der Meuterei schuldig. Uber die Urheber und Rädelsführer ist die Todesstrafe durch Erschießen zu verhängen . . . " „Wenn es bei einer meuterischen Zusammenrottung einer Masse bewaffneter Mannschaft durch deren Widerspenstigkeit oder durch die von ihr in Anwendung gebrachten gewaltsamen Mittel dahin gekommen ist, daß eine bewaffnete Gegengewalt zur Herstellung der Ordnung und des Gehorsams für notwendig erachtet wird, so ist Empörung vorhanden . . . Wenn der Empörung durch Standrecht Einhalt zu tun f ü r nötig erachtet wird, so ist jeder Teilnehmer, der nach kundgemachtem Standrecht nicht zum Gehorsam zurückkehrt, mit dem Tode durch Erschießen zu bestrafen. Bei einer großen Zahl von Empörern ist diese Strafe an jedem zehnten Manne, den das Los trifft, und an jedem mitschuldigen Offizier und Unteroffizier zu vollstrecken. Auch wenn das Standrecht nicht kundgemacht wurde, hat die Todesstrafe durch Erschießen die

zug auf Ausschreitungen übermittelter Befehl: In allen Fällen, in denen die Zivilbehörden ihre Pflicht versäumten oder mit Absicht die Erfüllung dieser Pflicht verhinderten, seien die Distriktskommandanten verpflichtet, nach eigenem Entschluß selbständig einzugreifen bzw. die entsprechenden Anordnungen zu treffen. — HMer an alle Honvid-Distriktskommandanten, 10. V. 1918 - MOL, Κ 26, ME 1918, II. tetel, 4.414 res. ™ Instruktion 1908. 44. 73 Ebenda. 44 f.; Dienstreglement 1909. 235 f. § 71. P. 515. Freilich konnte auch Abwarten und Hinhalten geboten sein. Es hieß: Der Kommandant „beschränke sich, wenn für ein . . . entschiedenes Vorgehen genügende Streitkräfte nicht zur Verfügung stehen, insolange bis ausreichende Verstärkungen eintreffen, auf eine mit Klugheit geführte, zähe Verteidigung der wichtigsten Objekte".

32

Voraussetzungen, Maditträger, Reserven

Urheber und Rädelsführer, ferner die mitschuldigen Offiziere und Unteroffiziere, und von den sonstigen Teilnehmern an der Empörung diejenigen zu treffen, welche jemanden von der gegen sie aufgebotenen Mannschaft verwundet oder getötet haben."74 Standrecht und Standgericht waren auf schnelles und einschneidendes Verfahren ausgerichtet: „Das standrechtliche Verfahren ist ein außerordentliches, summarisches Verfahren mit sofortiger Vollstreckung des regelmäßig auf Tod lautenden Urteils. Ordentliche Rechtsmittel sind mithin ausgeschlossen."75 Zur Durchführung des standrechtlichen Verfahrens war weder ein Ermittlungsverfahren noch Übermittlung einer Anklageschrift vorgesehen. Die Beschuldigten waren sofort nach dem Zusammentritt des Standgerichts vorzuführen, das Verfahren „so viel als möglich ohne Unterbrechung" abzuwickeln. Die Höchstdauer des Verfahrens gegen den einzelnen Beschuldigten war einschließlich der Urteilsfällung mit dreimal 24 Stunden festgesetzt, wobei diese Frist von dem Zeitpunkt an zu rechnen war, da der Beschuldigte vor das Standgericht gestellt wurde 76 . Das Urteil hatte — wie erwähnt — grundsätzlich nur auf Todesstrafe oder Freispruch zu lauten. Seelsorger, Arzt und Scharfrichter sollten daher jedenfalls bereitgestellt sein. Zu seiner Rechtskraft bedurfte das Urteil der Bestätigung durch den zuständigen Kommandanten. Bei ihm lag auch das Recht zu begnadigen. Ein Gnadengesuch hatte allerdings keine aufschiebende Wirkung. 74

75 76

Eid und Kriegsartikel. Nachdruckausgabe vom Jahre 1913. Wien 1874. Die Kriegsartikel für das österreichisch-ungarische Heer, erläutert zum Gebrauche in den Mannschaftsschulen von Karl Skala, Hauptmann-Auditor im k. u. k. IR Wilhelm Herzog von Württemberg Nr. 73. Prag 1882. Vgl. Das Militärstrafgesetz über Verbrechen und Vergehen vom 15. I. 1855 samt den einschlägigen und ergänzenden Gesetzen und Verordnungen. 3., vollständig umgearbeitete Aufl. von Alexander KOLLER. Wien 1914. ( = MStG), § 145—171. Im MStG wird der Tatbestand der Empörung und der Meuterei wie folgt festgelegt: „§ 159. Der Meuterei machen sich jene auf die Kriegsartikel oder besondere Satzungen beeideten Militärpersonen schuldig, die entweder a) in Gemeinschaft mit anderen — gegen die bestehende Militärdienstordnung, gegen ihre Oberen oder deren Befehle sich auflehnen, oder sich hiezu verabreden; oder b) einzeln — sich aufwiegelnder oder sonst auf die Mitwirkung anderer abzielender Äußerungen oder Handlungen vermessen, wodurch eine solche Auflehnung entstehen könnte." „§ 167. Wenn es bei einer nach vorläufiger Verabredung, oder aus was immer für einer Ursache entstandenen Zusammenrottung oder Vereinigung einer Masse bewaffneter Mannschaft durch ihre Widerspenstigkeit, oder durch die von ihr in Anwendung gebrachten gewaltsamen Mittel dahin gekommen ist, daß eine bewaffnete Gegengewalt zur Herstellung der Ordnung und des Gehorsams notwendig erkannt wird, so ist Empörung vorhanden, und jeder dieses Verbrechens schuldig, der bis zu dem Zeitpunkte, wo die Gegengewalt schon in Bereitschaft steht, die Teilnahme an dem Verbrechen fortgesetzt oder den Empörern sich später beigesellt hat." Rudolf NOWAK, Der Strafprozeß der gemeinsamen Wehrmacht. Wien/Leipzig 1 9 1 4 . 3 9 4 . Die Militärstrafprozeßordnungen Österreich-Ungarns für die gemeinsame Wehrmacht und für die beiden Landwehren ( = MStPO). Wien 1 9 1 2 . §§ 4 3 3 — 4 5 0 ; NOWAK, Der Strafprozeß. 399 f. Konnte die Frist von dreimal 24 Stunden nicht eingehalten werden, so hatte nach § 441 MStPO das ordentliche Verfahren einzutreten.

Die kräftemäßigen Voraussetzungen

33

Das Urteil war „nach einer entsprechenden Frist zur Vorbereitung auf den Tod", in der Regel binnen zwei Stunden nach der Urteilsverkündung, zu vollziehen 77 .

B. D I E K R Ä F T E M Ä S S I G E N

Neuformierung

VORAUSSETZUNGEN

des Heeres 1917

Die Assistenzen waren aufzubieten, um mit der „nötigen materiellen Kraft" den Interessen des Staates zum Durchbruch zu verhelfen. Demgemäß mußten für den Effekt des Einsatzes neben den rechtlichen die kräftemäßigen Voraussetzungen entscheidend sein. Die Frage danach weitet sich zur Frage nach dem Kräftereservoir, vor allem nach dem Heer. Das Heer, das als übergeordneter Begriff audi Landwehr und Landsturm umfaßte und zu dem auch die Ersatzformationen zu zählen waren, bildete den Gesamtrahmen für Abruf und Einsatz der Assistenzen; das Heer, wie es sich 1918 präsentierte, ist zugleich in hohem Maße repräsentativ für die Assistenzen, die es stellte. Die Gliederungsübersichten spiegeln das Bild eines eben neu formierten und neu gestrafften Heeresorganismus. Seit Mai 1917 hatte man die Neuordnung in die Wege geleitet. Sie sollte die den modernen Erfordernissen des Krieges, die der Kampferfahrung und der Ausstattung mit zusätzlichen und neuen Kampfmitteln — vor allem im Hinblick auf die verstärkte Dotierung mit Maschinenwaffen — entsprechende Einteilung herbeiführen 1 . Das Heer wurde in 60 Infanterie- und zwölf Kavalleriedivisionen—letztere im Jahre 1918 nahezu durchwegs zu Fuß formiert — zusammengefaßt. Zwölf Infanteriedivisionen waren zunächst noch über die vorgesehene Zahl hinaus vorhanden 2 . " § 446 MStPO; NOWAK, Der Strafprozeß. 402 f. Besondere Berücksichtigung im standrechtlichen Verfahren hatte die Frage der etwaigen Notwendigkeit einer vorausgegangenen Kundmachung — wie ζ. B. im Falle der Empörung — zu erfahren. Vgl. dazu: §§ 433 und 434 MStPO; NOWAK, Der Strafprozeß. 394 ff.; Aktennotiz der M K S M zum Standrecht von 1918 - K A , M K S M v. 1918, 5 7 - 2 / 2 4 ex 1918. 1

Neuorganisationen während des Krieges. Geheimer Orientierungsbehelf. Wien 1917 (evident b i s 1 5 . I X . 1 9 1 7 ) . K M A b t . 5 v . 1 9 1 7 , N r . 1 1 . 0 0 0 r e s . ; v g l . J o h a n n C h r i s t o p h ALLMAYER-

2

BECK, Heeresorganisation vor 50 Jahren. Planungen und Maßnahmen für den Friedensausbau der k. u. k. Wehrmacht nach beendigtem Kriege. In: ÖMZ. Sonderheft „1917". Wien (1967). 18—27. Zur Neugliederung meldeten sich auch kritische Stimmen: Die Neugestaltung hätte — wie General Krauß vermerkte — ein sinnverwirrendes Umnumerieren und Herumschieben der Verbände herbeigeführt. Die ohnedies unter der Last der Transporte fast zusammenbrechenden Eisenbahnen wären dadurch mit zahllosen zusätzlichen Transporten belastet worden. — Alfred KRAUSS, Die Ursachen unserer Niederlage. Erinnerungen und Urteile aus dem Weltkrieg. 2. Aufl. München 1921. 247. Österreich-Ungarns letzter Krieg 1914—1918. Hrsg. vom österreichischen Bundesministerium für Landesverteidigung und vom Kriegsarchiv. VII. Bd.: Das Kriegsjahr 1918.

34

Voraussetzungen, Maditträger, Reserven

Im Herbst 1917 war der Umbau der Organisation der Infanterie in vollem Gang. Die neuen Infanteriedivisionen wurden — unter Beibehaltung der Einteilung in zwei Infanteriebrigaden und eine Feldartilleriebrigade — aus vier Regimentern zu je drei Bataillonen oder aus drei Regimentern und drei selbständigen Bataillonen formiert. Aus den von den alten Regimentern abgetrennten vierten oder weiteren überzähligen Bataillonen wurden neue Regimenter gebildet 3 . Zu den nun vorhandenen 138 Regimentern des gemeinsamen Heeres traten wie bisher die vier Regimenter der Tiroler Kaiserjäger und die auf acht Regimenter erweiterte bosnisch-herzegowinische Infanterie, weiters die Feldjäger- und Grenzjägerbataillone. Damit bestand die Heeresinfanterie aus 150 Regimentern und 42 selbständigen Bataillonen 4 . Bleibt die Frage nach der Art dieser für Assistenzen in erster Linie zu verwendenden Truppen. Die Infanterie hatte zunehmend den Charakter von Verbänden gemischter Waffenausstattung angenommen. Zu den vier Infanteriekompanien je Bataillon traten in den Feldregimentern bataillonsweise Maschinengewehrkompanien mit je acht sdbweren Gewehren dazu, zunächst ebenfalls bataillonsweise, später kompanieweise Handmaschinengewehrzüge zu vier Gewehren 5 , weiters die Technische Infanteriekompanie, in ihrem Rahmen der Nahkampfmittelzug mit Minenwerfer- und Granatwerferschwärmen und einem Scheinwerferschwarm, außerdem bis zu zwei Infanteriegeschützzüge 6 . In den Divisionsverbänden wurde zusätzlich zu den zwölf Bataillonen ein dreizehntes, das Sturmbataillon, gebildet 7 . Mit Maschinenwaffen, weiters mit Infanteriegeschützen, Nebel-, Minen- und Flammenwerfern relativ reich ausgestattet, sollte das Bataillon — als Eliteeinheit — aus besonders leistungsfähigen Mannschaften zusammengestellt sein. Die zwölf Kavalleriedivisionen, in deren Rahmen Dragoner-, Husaren- und Ulanenregimenter nun zu Fuß eingeteilt waren, zählten je vier bis fünf Mit 39 Beilagen und 1 Anlageheft. Wien 1938. 50 ff. Die Grundgliederung des Heereskörpers in die des gemeinsamen Heeres und der beiden Landwehren blieb weiter bestehen. Die Korpsbereiche im Hinterland sollten von 16 auf 20 erhöht werden. — ALLMAYERBECK, Heeresorganisation. 26 f. 8 Diese Regimenter führten die Nummern 103 bis 138. Die Infanterie des gemeinsamen Heeres erfuhr damit eine Vermehrung um 35 Regimenter. Von der Neuordnung unberührt blieben die Regimenter der Landwehr und der Honved, die stets zu drei Bataillonen formiert gewesen waren. — ÖU1K VII. 54 f.; vgl. ALLMAYER-BECK, Heeresorganisation. 21 f. 4 ÖU1K VII. 55. Die neuen Regimenter 103 bis 138 hatten allerdings keine eigenen Ersatzkörper, sondern blieben an die Ersatzformationen jener Truppenkörper gewiesen, aus denen sie hervorgegangen waren. Die Ersatzkörper galten als primäre Plattform für die Aufstellung von Assistenzverbänden. Vgl. I. 169 f. 6 Die Zahl der Maschinenwaffen im Regiment stieg auf 72. — ÖU1K VII. 56 f. 6 ÖU1K VII. 57. Freilich waren die Assistenzverbände nicht grundsätzlich in dieser Form ausgestattet; als einsatzfähig samt solchen Waffen konnten stellenweise zum Assistenzdienst herangezogene Feldeinheiten gelten. ' Selbständige Brigaden bildeten ein Sturmhalbbataillon, die Kavalleriedivisionen ein Sturmhalbregiment. — ÖU1K VII. 58.

35

Die kräftemäßigen Voraussetzungen

Regimenter. Das Regiment war in zwei Halbregimenter zu zwei bis vier Schwadronen und eine Maschinengewehrschwadron gegliedert. An K a m p f stärke einschließlich Artillerieausrüstung entsprach die Kavalleriedivision ihren Ständen gemäß höchstens einer Infanteriebrigade 8 . Im Assistenzeinsatz weniger in Erscheinung trat die Artillerie. Die Artillerieeinheiten, im Verlauf der Kriegsjahre relativ stark entwickelt, sowohl in der Divisionsartillerie als auch im schweren und schwersten Gerät, waren dem Einsatz nach grundsätzlich frontbezogen 9 . Eine Reihe von Assistenzbatterien war allerdings im Hinterland bereitgestellt worden. Mit Geschützen bestückt waren audi die stellenweise als Assistenzwaffe vorgesehenen Panzerzüge 10 . Nicht zuletzt ausschlaggebend f ü r die Durchschlagskraft der Armee — besonders in ihrem Einsatz im Hinterland — mußte ihre innere Haltung, der Grad ihrer Motivation im Sinn ihrer Führung sein. Bis zum Jahr 1918 war für diese militärische Führung die Sorge vor der Gefahr motivierender Einwirkung nationaler Ideologien bei weitem im Vordergrund gestanden. Ein Blick auf das Nationalitätenbild der Armee scheint diese Besorgnis zu rechtfertigen. Im Kriegsjahr 1915 hatte die k. u. k. Armee folgende nationale Gliederung aufgewiesen 11 : Es waren von 1.000:

Offiziere Deutsche Magyaren Tschechen Slowaken Polen Ruthenen Slowenen Kroaten und Serben Rumänen Italiener

761 107 52 1 27 2 5 27 10 8

Aktive Offiziersaspiranten 648 170 76 1 18 2 4 60 17 4

Offiziere 568 245 106 1 33 5 8 19 7 8

ReserveOffiziersaspiranten 514 255 120 2 47 9 15 23 7 8

Mannschaftspersonen 248 233 126 36 79 78 25 92 70 13

Die Form, in die der Krieg geraten war, ließ die kleinen Einheiten zu oft entscheidenden Trägern des Kampfgeschehens werden. Die Führung dieser 8

ÖU1K VII. 62, 66. Im Assistenzdienst eingesetzte Schwadronen, vor allem der Ersatzkörper, konnten freilich auch beritten Verwendung finden. * Die Divisionsartillerie — als Feldartilleriebrigade formiert — sollte nach dem Ausbau der Waffe aus 100 Geschützen, davon 20 schweren Feldhaubitzen, und acht mittleren und schweren Minenwerfern bestehen. — ÖU1K VII. 65. 10 Evidenzkarte (Oleate) vom 23. I. 1918. - KA, M K S M v. 1918, 2 8 - 1 / 5 . Neben den Ausbau der genannten traditionellen Waffengattungen trat der der technischen Truppen, in deren Bereich unter anderem die Flammenwerferzentralen fielen, der Transportverbände auf Schiene und Straße und der Luftstreitkräfte. 11 ÖU1K II. Bd.: Das Kriegsjahr 1915. 1. Teil. Wien 1931. Beilage 1. Tabelle 5.

36

Voraussetzungen, Machtträger, Reserven

Einheiten m u ß t e demgemäß v o n besonderer Bedeutung sein. In diese Führungsposition gelangten i m Verlauf des Krieges z u n e h m e n d Reserveoffiziere 1 2 . D a s Reserveoffizierskorps wieder w a r in seiner Zusammensetzung v o n der E n t wicklung der Schulbildung in den einzelnen Nationalitätenbereichen bestimmt — vor allem auf die R e i f e p r ü f u n g bezogen — , denn das Recht zur Absolvierung der Einjährig-Freiwilligen-Dienstzeit stand den Maturanten aller N a t i o n a l i t ä t e n der Monarchie zu; die nicht-deutschen Einjährig-Freiwilligen m u ß t e n w o h l die ausreichende Kenntnis der deutschen Dienstsprache nachweisen. D e m g e m ä ß näherte sich die nationale Aufgliederung des Reserveoffizierskorps in steigendem M a ß e der der Mannschaft 1 3 . N u n w a r es für die Armee z w e i f e l l o s v o n Vorteil, daß der Reserveoffizier — oft aus dem Ergänzungsbezirk seines Regiments stammend — meist die Regimentssprache beherrschte. D i e Einteilung des konationalen Reserveoffiziers aber k o n n t e gefährlich w e r den, w e n n seine national-politischen Intentionen mit seinen militärischen Führungsaufgaben in Kollision gerieten. D i e N e u o r d n u n g der Armee in der z w e i t e n H ä l f t e des Jahres 1 9 1 7 hatte z w a r zusätzliche, in nationaler Hinsicht gemischte Regimenter geschaffen. Allerdings hatte damit nun der Offizier häufig auch Mannschaften zu führen, mit denen er sich — nicht weniger gefährlich in der A u s w i r k u n g — k a u m zu verständigen vermochte 1 4 . D i e mehrnationale Zusammensetzung der Regimen12

ls

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Diese Entwicklung war eine Folge der starken Abgänge beim aktiven Offizierskorps: Von allen zum Kriegsdienst herangezogenen Männern der Monarchie sind im Weltkrieg 9,82% gefallen oder einer Verletzung oder Krankheit erlegen, vom gesamten Offizierskorps 13,5%, vom Berufsoffizierskorps 16%, von den Berufsoffizieren des Soldatenstandes 20,4%. — ÖU1K VII. 48. Die Reserveoffiziere, die die während des Krieges entstandenen Lücken im aktiven Offizierskorps aufzufüllen hatten, beeinflußten nicht selten die Haltung ihrer Mannschaft auch im nationalen Sinn. — Vgl. Rudolf KISZLING, Das Nationalitätenproblem in Habsburgs Wehrmacht. In: Der Donauraum. IV. Wien (1959). 85. Bei der k. u. k. Armee wurden drei Arten von dienstlich verwendeten Sprachen unterschieden: Die „Kommandosprache" umfaßte rund 80 Worte und war die Sprache, in welcher die Truppen exerziert und im Gefecht geführt wurden; sie mußte allen Soldaten gleich den Trompetensignalen geläufig sein. In der „Dienstsprache" vollzog sich der innere Dienst im Regiment in schriftlicher wie mündlicher Form. Die „Regimentssprache" war die Muttersprache der Soldaten eines Truppenkörpers. — Vgl. KISZLING, Nationalitätenproblem. 85. Gunther IPSEN, Erfahrungen aus der österr.-ungar. Armee im Ersten Weltkrieg. In: Vielvölkerheere und Koalitionskriege. Schriftenreihe der Auslandswissenschaftlichen Gesellschaft e.V. Heft 1. Darmstadt 1952. 47. Das IR 129 als Beispiel multinationaler Zusammensetzung: Die sprachliche Zusammensetzimg des Regiments ergab im Mai 1918 folgendes Bild: 29% Deutsche, 24% Serben, 20% Magyaren, 20% Rumänen, je 3,5% Kroaten und Slowaken. Noch differenzierter war die sprachliche Zusammensetzung im IR203: 27,5% Kroaten, 20% Magyaren, 13% Serben, 12,5% Slowaken, 7,5% Tschechen, 6,5% Deutsche, 5,5% Rumänen, je 3,5% Polen und Ruthenen, 0,5% Slowenen — Farbentabellen über die sprachliche Zusammensetzung der Infanterie- und Kavallerie-Truppenkörper (selbständigen Unterabteilungen). Die Tabellen basieren auf den im Mai 1918 eingelaufenen Meldungen. — AO Κ Op.Nr. 109.100, Evidenz-Nr. 28, an MKSM, 26. VIII. 1918 - KA, MKSM v. 1918, 3 0 - 1 / 2 .

Die kräftemäßigen Voraussetzungen

37

ter und Bataillone, die auch bei den alten Einheiten eingeleitet worden war 1 5 , hätte jedenfalls in erster Linie vorkehrend gegen national desintegrierende Tendenzen wirken sollen 16 . Die Heeresführung hatte vor allem ein spektakulär gewordenes, wenn auch in seiner nationalen Motivation überschätztes Gefahrenmodell vor Augen behalten: Tschechische Soldaten des Prager I R 28, rund 1.000 Mann, hatten am Karsamstag des Jahres 1915 an der Karpatenfront — wie man meinte ohne Widerstand, jedenfalls ohne nachhaltigen Widerstand — die Waffen vor anstürmenden Russen gestreckt 17 . Die differenzierte Nationalitätenzusammensetzung innerhalb der Truppenkörper erwies sich nun zwar als retardierendes Element, um Überläufe größeren Ausmaßes zu verhindern, allerdings drückte man damit auch den Kampfwert der Truppe. Denn von der sprachlichen Frage in der Führung abgesehen, konnte die nationale Geschlossenheit ein ausschlaggebender Faktor auch für die Leistungskrafl der Einheit sein 18 . Trotz dieser Maßnahmen aber sollten bis zuletzt für den Einsatz eines Truppenkörpers — erschwerender Faktor für die höhere Führung — über taktische oder strategische Erwägungen hinaus auch nationalpolitische Überlegungen maßgebend bleiben 19 . Diese Überlegungen aber mußten in besonderem Maße für die im Hinterland stationierten Verbände gelten.

Multinationale Truppen im multinationalen

Hinterland

Die militärische Großgliederung des Hinterlandes entsprach mit den dem Kriegsministerium unterstellten Militärkommanden im wesentlichen der Korpseinteilung der Friedenszeit. Demgemäß ergaben sich folgende 16 Militärkommandobereiche: Krakau, Wien, Graz, Budapest, Pozsony (Preßburg), Kassa (Kaschau), Temesvar, Prag, Leitmeritz, Przemysl, Lemberg, Nagyszeben (Hermannstadt), Zagreb (Agram), Innsbruck, Sarajevo und Mostar — zuvor in Ragusa. Parallel zu dieser Gliederung waren in der österreichischen Reichshälfte für die Landwehr eigene Landwehrgruppen bei den Militärkommanden eingerichtet. In Ungarn deckten sich die Organisationsbereiche von Heer und 15

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Über 90% Soldaten einer Nationalität hatten im Mai 1918 nur mehr folgende Truppenkörper: IR 14, 49, 59, 94, 114, F J B 21, DR 3 und 4, SchR 2 (alle deutsch); IR 34, 44, 68, IB V/69, F J B 24, 26, GrenzJgB III, HR 6, 7, 13, H I R 10, H H R 1, 6, 7, Lst. IR 29 (alle magyarisch); IR 3 (tschechisch); IR 78, bh. IR 1, 3, 6, 8, bh. JgB 1, 2, 4 (alle serbisch und kroatisch); IR 96, F J B 31, U R 5 (alle kroatisch); SchR 16 (polnisch). — KA, Farbentabellen 1918. IPSEN, Erfahrungen aus der österr.-ungar. Armee. 47. Zu den Ursachen vgl. Richard Georg PLASCHKA, Zur Vorgeschichte des Überganges von Einheiten des Infanterieregiments Nr. 28 an der russischen Front 1915. In: Österreich und Europa. Festgabe für Hugo Hantsch zum 70. Geburtstag. Graz/Wien/Köln 1965. 455—466. Vgl. IPSEN, Erfahrungen aus der österr.-ungar. Armee. 4 7 ; Zoltan SZENDE, Die Ungarn im Zusammenbruch 1918. Oldenburg i. O. 1931. 16. KISZLING, Nationalitätenproblem. 85.

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Voraussetzungen, Machtträger, Reserven

Landwehr nur z u m Teil, es gab die H o n v e d - D i s t r i k t e Budapest, Szeged, Kassa (Kasdiau), P o z s o n y (Preßburg), K o l o z s v a r (Klausenburg) u n d den kroatischslawonischen Landwehrdistrikt Zagreb (Agram). In der Ubergangszone zwischen H i n t e r l a n d und Armeebereich w u r d e im Frühjahr u n d Sommer 1918 stellen- u n d zeitweise eine Reihe v o n G e n e r a l k o m m a n d e n errichtet: das 1. G e n e r a l k o m m a n d o in Kronstadt, das 4. in Lemberg, das 7. in C z e r n o w i t z , das 16. in Pite$ti, zusätzlich i m Oktober noch ein G r u p p e n k o m m a n d o Siebenbürgen. Für die besetzten Gebiete w u r d e n außerdem drei Militärgeneralgouvernements gebildet, das M G G P o l e n mit dem Sitz in Lublin, das M G G Serbien mit dem Sitz in Belgrad u n d das M G G Montenegro mit d e m Sitz in Cetinje 2 0 . I m H i n t e r l a n d befanden sich nun, eingeordnet in den R a h m e n der Militärk o m m a n d o - und Landwehrbereiche, die für die Regeneration der Armee generell und zugleich für die A u f b i e t u n g v o n Assistenzverbänden primär zuständigen Kernzellen: die Ersatzkörper. D i e militärpolitischen Vorgänge des Jahres 1918 sollten diese Einheiten mit ihrer Schlüsselfunktion in besonderer Weise in den Vordergrund treten lassen. D i e Basis der Ersatzkörper w a r i m Krieg sehr w e i t gezogen 2 1 . Sie w a r e n Sammelkader. In ihren Stand fielen zunächst alle jene, die dem Präsenzstand der Feldformation angehörten, aber aus irgendeinem Grunde, w i e nicht v o l l endete Ausbildung, Krankheit usw., zurückgeblieben waren, weiters alle jene

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Das Militärkommando Lemberg war im Verlauf des Krieges als „Militärkommando Lemberg in Mährisch Ostrau" nach Mährisch Ostrau verlegt gewesen. Die Rückverlegung erfolgte im Juli 1918. — Zirkularverordnung vom 14. VII. 1918, KM Abt. 4/G., zu Nr. 1.586 — KA, Normalverordnungen, Verordnungsblatt für das k. u. k. Heer, 60. Jg. Wien 1918, 27. Stück, 20. VII. 1918; vgl. ÖU1K VII. 146 f., 414 f., 536, Beilagen 11 und 32. Die unmittelbare Einflußnahme der Militärbehörden auf die wirtschaftliche Produktion kam auch in der Einrichtung von Stellvertretenden Militärkommanden in den Industrie- und Bergbauzentren Mährisch Ostrau, Brüx-Dux und auf dem Steinfeld zum Ausdruck. Von Belang für die Kompetenz der Militärkommanden in den frontnahen Zonen der Monarchie waren auch die vom AOK festgelegten Bereiche der Kriegsgebiete. Nach der Neuregelung vom Jänner 1918 zählten noch Teile Ostgaliziens und der Bukowina, Südtirol unter Einschluß des Bezirkes Landeck, Görz-Gradiska, Triest, Istrien, Fiume, Teile Hochkroatiens, Dalmatien, der Großteil Bosniens und der Herzegowina und Teile Ostsiebenbürgens zum engeren Kriegsgebiet. Als weiteres Kriegsgebiet des südwestlichen Kriegsschauplatzes war das Land Vorarlberg genannt. — KM Abt. 10,5.600/1918 (Separatdruck) — KA, MfLV Präs. 1918, Fasz. 17, 8.885/II. Nach der Niederlage von 1866 war es zu einer umfassenden Heeresreform gekommen. Durch die Wehrgesetze der Jahre 1868 und 1869 wurden eigene Ersatzformationen geschaffen. Die Ersatzkörper hatten ganz allgemein die Funktion, für den möglichst raschen Nachschub an ausgebildeten Soldaten für die Front zu sorgen, wobei jeweils ein bestimmter Ersatzkörper eine bestimmte Fronteinheit versorgte. In Friedenszeiten hatten die Ersatzkörper nur aus sehr schwachen Kadern bestanden, die die Aufgabe hatten, alle Nichtaktiven des Truppenkörpers evident zu halten, für die Ausbildung der Ersatzreservisten zu sorgen und die Verwaltung, Instandhaltung und Ergänzung des gesamten, für den Truppenkörper im Kriegsfalle nötigen Materials zu besorgen. — Otto WALDSCHÜTZ, Einführung in das Heerwesen. 2. Aufl. Wien 1910. 1. Heft. 37, 65.

Die kräftemäßigen Voraussetzungen

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Reservisten, die man zur Auffüllung der Feldformation nicht herangezogen hatte, außerdem die Ersatzreservisten und schließlich die neu eingezogenen Rekruten. Der Ersatzkörper sollte vor allem für rollenden personellen Nachschub für seine Fronteinheit sorgen, laufende Ausbildung sollte dazu die Voraussetzungen schaffen. Sooft sich dann die Notwendigkeit der Stellung eines Ersatzes für die Front ergab, wurden von den Ersatzkörpern aus den zur Verfügung stehenden ausgebildeten Offizieren, Unteroffizieren und Mannschaften sogenannte Marschbataillone zusammengestellt, die als geschlossene Marschformationen in den Etappenraum des Feldheeres abgingen, dort eine letzte Unterweisung erhielten und anschließend den Frontregimentern zur Auffüllung zugeteilt wurden 22 . Was den Standort der Ersatzkörper, ihre Dislokation, anbelangt, galt der Grundsatz, daß sie im eigenen Militärterritorialbereich, oft sogar in den Orten der zuständigen Ergänzungskommanden, zu stationieren seien. Das war nun, 1918, freilich nicht immer der Fall. Einer der Gründe hiefür lag darin, daß Einheiten der Ersatzbataillone zu Assistenzdiensten herangezogen und die Bataillone dann in jene Gebiete verlegt wurden, in denen der entsprechende Assistenzbedarf eingetreten war. Eine viel wesentlichere Ursache aber ergab sich aus der nationalen Frage: Eine Reihe von Ersatzbataillonen war auf Grund nationalpolitischer Überlegungen in für sie national fremdes Gebiet verlegt worden. Die Dislokation der Ersatzbataillone der Infanterieregimenter — und damit der bedeutendsten Basis des Heeres im Hinterland — ergibt für das Frühjahr 1918 folgendes Bild 2 3 : Die Ersatzkörper von Regimentern mit überwiegend deutscher Nationalität waren in der Regel in ihrer Friedensgarnison belassen worden. Das gilt für die Ersatzbataillone der Infanterieregimenter 4 („Hoch- und Deutschmeister", Wien), 7 (Klagenfurt), 14 (Linz), 27 (Graz), 42 (Theresienstadt), 47 (Marburg), 49 (St. Pölten), 59 (Salzburg), 61 (Temesvar), 84 (Wien), 92 (Komotau) und 99 (Znaim). Ersatzbataillone mit größtenteils magyarischer Mannschaft wurden mit Vorliebe in tschechische Gebiete ver22

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WALDSCHÜTZ, Heerwesen. l.Heft. 37, 2. Heft. 3. Aufl. Wien 1914. 186; vgl. Gliederung eines Ersatzbataillons im Jahre 1918, K M Erlaß Abt. 10, Nr. 109.000 v. 1917, 4. V. 1917 - KA, K M Abt. 10 v. 1918, 6 - 4 2 / 1 0 9 . Entnommen der „Dislokationsübersicht aller Formationen des k. u. k. Heeres, der k. k. Landwehr, der k. u. Honved, des k. k. und k. u. Landsturmes und der Gendarmerien im Hinterlande". Wien 1918; vgl. K M Abt. 5, Nr. 6.560, 10. VI. 1918 - KA, K M Abt. 5 v. 1918, 6—59/61. Für den Jänner 1918 vgl. Karte 1. Über die Nationalitätenverhältnisse bei den Ersatzformationen liegen für das Jahr 1918 keine Aufschlüsselungen vor, wohl aber genaue Aufzeichnungen über die nationale Zusammensetzung der Infanterie- und Kavallerie-Truppenkörper. Die nationale Zusammensetzung eines Regiments entsprach wohl nicht immer zur Gänze der des entsprechenden Ersatzbataillons, es lagen aber doch zumindest in nationaler Hinsicht ähnliche Verhältnisse vor. Für die folgenden Ausführungen durften demgemäß als Unterlage die Farbentabellen, 26. VIII. 1918 — KA, M K S M v. 1918, 30—1/2 verwendet werden.

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Voraussetzungen, Machtträger, Reserven

legt. So wurden die Ersatzbataillone des IR 2 (Brasso/Kronstadt) sowie des IR 68 (Szolnok) nach Prag, die Ersatzformationen des IR 48 (Nagykanizsa) und des IR 69 (Szekesfehervar) nach Pilsen eingewiesen. Das Ersatzbataillon des Debreczener IR 39 kam nach Königgrätz, das des Erlauer IR 60 (Eger in Ungarn) nach Kuttenberg im Militärkommandobereich Leitmeritz und das des IR 101 von Bekescsaba, das im Militärkommandobereich Temesvar lag, nach Neuhaus in Südböhmen. Eine Ausnahme: Die Ersatzformation des IR 83 (Szombathely) wurde nach Wien transferiert 24 . Tschechische Ersatzbataillone galten gegenüber konationalen monarchiefeindlichen Einflüssen als besonders anfällig. Sie wurden daher mit wenigen Ausnahmen in ungarischem bzw. deutsch-österreichischem Gebiet disloziert. Das Ersatzbataillon des Brünner IR 8 kam in das im Südosten der Monarchie gelegene Nagyszeben, das siebenbürgische Hermannstadt, das Ersatzbataillon des IR 11 von Pisek nach Gyula im Militärkommandobereich Temesvar. Die Ersatzformationen des IR 21 (Caslau) und des IR 54 (Olmütz) wurden nach Eger in Ungarn bzw. nach Sanok in Galizien verlegt. Das Ersatzbataillon des IR 75 transferierten die Militärbehörden von Neuhaus nach Debreczen. Der Ersatzkörper der Budweiser 91er wurde nach Bruck an der Leitha, die Berauner 88er wurden nach Szolnok, Militärkommandobereich Budapest, eingewiesen. In deutsches Sprachgebiet wurden die Ersatzbataillone des IR 28 und des IR 35 sowie des IR 102 verlegt: Die Infanteristen des Prager Hausregiments kamen nach einem Zwischenaufenthalt in Ungarn nach Bruck an der Mur, die Pilsener nach Hermagor, die Ersatzformation des Beneschauer IR 102 wurde nach mehrjähriger Stationierung in Bekescsaba nach Hartberg in der Oststeiermark befohlen 25 . Eher sparsam waren die Eingriffe im slowakischen Bereich: Von den slowakischen Ersatzbataillonen wurde nur das Trencsener IR 71 in fremdes Sprachgebiet verlegt, und zwar nach Kragujevac im Militärgeneralgouvernement Serbien. Da dieser Ersatzkörper aber im Juni 1918 meuterte, erfolgte eine neuerliche Verlegung nach Besztercze, in den Bereich des Militärkommandos Nagyszeben. Besonderes Augenmerk widmete man Truppenkörpern mit serbischem Mannschaftsanteil. Das serbisch durchsetzte Ersatzbataillon des IR 6 wurde von tJjvidek ins ungarische Fünfkirchen, nach Pees verlegt. Die Ersatzformation des Nagybecskereker IR 29, bei der serbische, deutsche und magyarische Mannschaft in etwa gleichem Prozentsatz vertreten war, beorderte man ins ungarische Komorn, nach Komärom im Militärkommandobereich Pozsony. Bezeichnenderweise wurde auch die mehrheitlich kroatische, allerdings ebenfalls mit serbischem Einschlag versehene Mannschaft der Ersatzbataillone IR 2226 (Sinj) und IR 70 (Petrovaradin, das alte Peterwardein) in fremdes Gebiet transferiert: die 22er Infanteristen zunächst zwar nach Mostar, dann 21 25 26

„Dislokationsübersicht", Wien 1918. „Dislokationsübersicht". Wien 1918. Beim IR 22 waren auch Serben sehr stark vertreten: 55% Kroaten, 35% Serben.

Die kräftemäßigen Voraussetzungen

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aber nach Gyulafehervar, nach Karlsburg, die Ersatzformation des IR 70 nach Nagy-Varad, nach Großwardein, in den Bereich des Militärkommandos Temesvar. Slowenische Ersatzformationen dislozierte man in deutschem Sprachgebiet. Das Ersatzbataillon des Laibacher IR 17 wurde in Judenburg stationiert, die slowenisch-italienische Mannschaft des Ersatzbataillons IR 97 war von der Friedensgarnison Triest nach Radkersburg verlegt worden 2 7 . Nationale Motive spielten auch bei der Dislokation dominant rumänischer Ersatzbataillone eine Rolle. Die Ersatzformation des IR 31 wurde von Nagyszeben nach Zemun, in das gegenüber Belgrad gelegene Semlin, im Militärkommandobereich Zagreb verlegt, das Ersatzbataillon des IR 50 kam von Gyulafehervar im Militärkommandobereich Nagyszeben, also dem Hermannstädter Bereich, in das Militärgeneralgouvernement Serbien 28 und anschließend nach Temesvar. Der Ersatzkörper des Kolozsvarer IR 51 wurde in Prag, der des IR 64 (Szaszvaros) in Wien stationiert 29 . Weniger deutlich sind nationale Momente bei der Dislokation polnischer bzw. ruthenischer Ersatzformationen nachzuweisen. Von den Ersatzkörpern mit überwiegend polnischer Mannschaft wurde das Ersatzbataillon IR 10 (Przemysl) nach N o w y S^cz im Militärkommandobereich Krakau, das Ersatzbataillon IR 40 (Rzeszow) nach Palmanova in Venetien, das IR 56 (Wadowice) nach Kielce im Militärgeneralgouvernement Lublin verlegt 30 . Von den ruthenischen Ersatzformationen kam das IR 30 von Lemberg nach Zamosc, das ebenfalls im Militärgeneralgouvernement Lublin lag. Das Ersatzbataillon IR 55 wurde von Brzezany im Militärkommandobereich Lemberg in den Bereich des Militärkommandos Krakau, nämlich nach Bielitz, transferiert. Die Infanteristen des Ersatzbataillons IR 80 (Zloczow) fanden in Rimaszombat im Militärkommandobereich Kassa eine neue Garnison 31 . Untersucht man die Dislokation der Ersatzformationen der k. u. k. Infanterieregimenter, wie sie im Jahre 1918 vorlag 32 , so wird der Zweck der „Fremdumgebung" nicht nur im Hinblick darauf sichtbar, die Truppe in fremdsprachigem Umkreis von zivilen Einflüssen möglichst freizuhalten, sondern auch im Hinblick auf gegebene Einsatzmöglichkeiten als Assistenzen. Tschechische 27

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Da die Ersatzformationen der IR 17 und 97 im Mai 1918 meuterten, mußten sie abermals verlegt werden, und zwar das Ersatzbataillon IR 17 von Judenburg nach Villa Santina bei Tolmezzo in Venetien und das Ersatzbataillon IR 97 von Radkersburg nach Szekesfehervär im Militärkommandobereich Budapest. Der Garnisonsort wird in der „Dislokationsübersicht" nicht genannt. Laut Karte 1 vom Jänner 1918 war es Palanka. „Dislokationsübersicht", Wien 1918. Beim IR 10 waren neben 52% Polen auch 31 % Ruthenen. — Vgl. KA, Farbentabellen 1918. „Dislokationsübersicht", Wien 1918. Bei der bisherigen Darstellung wurden nur solche Ersatzkörper genannt, die während des Krieges aus der Friedensgarnison in fremdes, das heißt außerhalb des ursprünglichen Militärkommandobereiches liegendes Gebiet verlegt wurden. Eine genaue Übersicht der Dislokation der Ersatzbataillone der k. u. k. Infanterieregimenter im Jahre 1918 bietet die Karte 1 und als Ergänzung der Anhang 4.

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Voraussetzungen, Machtträger, Reserven

Truppen galten — wenn auch bedingt — in Ungarn, magyarische jedenfalls in Böhmen gegen Widerstandsaktionen als verwendbar, deutsche Einheiten sollten gegen Slowenen, Polen und Tschechen, magyarische und bosnische gegen Deutsche, polnische gegen Ukrainer zum Einsatz kommen. Trotz aller Umsicht in den Verlegungen konnte man national begründete Reibungsflächen freilich nicht ausschließen. Einige Beispiele aus dem ungarischen Bereich machen dies besonders deutlich. Seit Juni 1915 war das Ersatzbataillon des tschechischen IR 10233 in Bekescsaba disloziert. Die Ersatzformation war damit allerdings in eine zum Teil slowakische Stadt geraten. Die Slowaken von Bekescsaba hatten bisher zwar als durchaus staatstreu gegolten. Seit Ende 1917 aber erhoben die politischen Behörden massive Klagen und Anklagen, wonach die gegebene Dislozierung und das Verhalten der Mannschaft des Ersatzbataillons der Stadt in nationalpolitischer Hinsicht „zum schwersten Nachteil" gereiche. Die zuständige Polizeidirektion Temesvar hatte alle negativen Daten gesammelt. Die slowakische Bevölkerung wende sich zunehmend den tschechischen Soldaten zu, auch den anwesenden Familienmitgliedern der Offiziere und Unteroffiziere, die tschechischen Soldaten würden von den Slowaken „wahrhaftig angebetet", es gebe Heiraten und beim Abmarsch der Marschformationen weinende Bevölkerung am Bahnhof. Wo die Magyarisierung schon mit Erfolg im Gang gewesen sei, trete nun ein neues slawisches Zusammengehörigkeitsgefühl auf, und „wenn es so weitergeht, wird die Einwohnerschaft von Bekescsaba zu tschechisch fühlendem Gegner umgeformt". Der Ministerpräsident schaltete sich ein, sprach von „schweren Insulten an den Gefühlen der edelsten Vaterlandsliebe und Treue zu König und Dynastie". Die Polizei meldete die sich häufenden Tatbestände: Da sei ein angesehener magyarischer Gutsbesitzer von einem tschechischen Leutnant beleidigt, als „ungarisches Schwein" bezeichnet worden, hier hätten tschechische Soldaten im Kaffeehaus, noch dazu in dem „Zum ungarischen König", einen Mulatsag abgehalten und dabei ein Bild des Königs Franz Joseph mit ihren Bajonetten zerstochen, dort habe ein tschechischer Offizier, der im Gasthaus Schwetzner von der Wirtstochter auf tschechische Anrede eine ungarische Antwort bekommen hätte, geäußert: „Pfui, Sie sprechen Ungarisch, schämen Sie sich nicht?" — Die 102er hätten in der Tat Bekescsaba zu einem „der größten panslawistischen Nester gemacht"34. Das war freilich bei weitem nicht die einzige Beschwerde aus Ungarn. Die Forderungen nach Verlegung von Truppenkörpern und Versetzung von Militärpersonen summierten sich. Der Obergespan von Trencsen erbat die Ab33 34

IR 102: 85% Tschechen, 14% Deutsche, 1% Polen — RA, Farbentabellen 1918. Kopie des Berichtes der PolDion Temesvär an ung. IMer, 20. XI. 1917; streng vertrauliches Schreiben des ung. MP an KMer (Entwurf), 23. XII. 1917 - MOL, Κ 26, ME 1918, II. tetel, 350 res.

Die kräftemäßigen Voraussetzungen

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berufung einer ganzen Reihe tschechischer Militärärzte, so des Oberstabsarztes Dr. Pixa, Kommandant des Reservespitals in Zsolna: Er lese die „Narodni politika", ein antimagyarisches Blatt, ja er unterstreiche sogar die antimagyarischen Stellen, er spreche viel Tschechisch, viel zu viel, und er benachteilige das magyarische Personal. Und mit dem Dr. Pixa sollte gleich audi der Oberarzt Dr. Malek versetzt werden und der Dr. Mraz und aus Trencsenteplicz der Dr. Capek. Tschechische Militärärzte — so hieß es — seien gerade im slowakischen Gebiet Oberungarns eine Gefahr 35 . Andere Obergespane schlossen sich an. Aus dem Komitat Lipto wollte man die Ersatzkompanie des FJB 236 entfernt sehen, aus dem Komitat Szepes die tschechischen militarisierten Arbeiter des Sägewerks bei Alsolechnicz, aus dem Komitat Pozsony, dem Preßburger Komitat, die tschechischen Landsturmarbeiter der Dynamitfabrik in der Stadt Pozsony selbst, aus dem Komitat Bars die Ersatzbatterie des GbAR 25, aus dem Komitat Also-Feher einen Oberarzt und einen Rechnungsoffizier, aus dem Komitat Szatmar einen Stabsarzt, und der Obergespan von Maramaros wollte in Bausch und Bogen die Dislozierung der nichtmagyarischen Soldaten aus seinem Komitat durchsetzen. Der Obergespan des Komitates Somogy beschwerte sich über die tschechischen Soldaten des Ersatzbataillons IR 9837. Und der Obergespan des Komitates Brasso hatte auf seiner Versetzungs-Wunschliste nicht nur einen Hauptmann und zwei Oberleutnante, sondern auch den römisch-katholischen Feldkuraten Brousil vom Feldlazarett Nr. 817, der durch unpatriotische Äußerungen und offensichtliche Freude über die Siege der Gegner loyal Denkende vor den Kopf gestoßen habe und von dem mit Recht angenommen werden könne, daß er als geistlicher Beistand der meist slawischen Verwundeten auch nicht eben patriotisch wirke 38 . Das Kriegsministerium, mit solchen Fällen wiederholt konfrontiert, leitete Untersuchungen ein, entschied nach Prüfung im Sinne mancher Versetzung 39 . Den in den vorliegenden Fällen vorgebrachten Beschwerden über Ersatztruppenteile wurde im Hinblick auf das FJB 2 und das GbAR 25 nicht ent35

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Obergespan Trencs0n an ung. IMer, 15. XII. 1917 — ebenda, 350 res.; Brief Obergespan Trencsen an IMer, 20. II. 1918 - MOL, Κ 26, ME 1918, III. tetel, 1.821 res. FJB 2: 53% Tschechen, 41% Deutsche, 2% Magyaren, 2% Slowaken, 1% Slowenen, 1% Kroaten — KA, Farbentabellen 1918. IR 98: 65% Tschechen, 29% Deutsche, 5% Polen, 1% Ruthenen — KA, Farbentabellen 1918. Auszüge aus Berichten der Obergespane an ung. IMer, IM ad 2.260/1918 res. an MP, 8. III. 1918; Aktennotiz des ung. MP, 16. III. 1918; Kopie eines Berichts des Obergespans des Komitates Brasso an IMer, 10. III. 1918 - MOL, Κ 26, ME 1918, II. tetel, 350 res.; Obergespan Somogy an HMer, 19. V. 1918 - MOL, Κ 26, ME 1918, II. tetel, 4.621 res. AOK, Op.Nr. 130.366, anMPWekerle, 16. IV. 1918; HMer an ung. MP, 3. V. 1918; Schreiben KM an ung. MP, 6. VIII. 1918; Meldung des KM, Abt. 5, Nr. 3.611 res. (vertraulich), an MP Wekerle, 16. IV. 1918; KM, Präs.Nr. 23.310, an MP Wekerle, 15. VII. 1918; vgl. Geniedirektion in Krakau, Res.Nr. 263/1, an MilKmdo in Kassa, 25. VI. 1918; KM, Präs.Nr. 22.717, an MP Wekerle, 6. VIII. 1918 (vertraulich) — MOL, Κ 26, ME 1918, II. titel, 350 res.

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Voraussetzungen, Machtträger, Reserven

sprochen, allerdings wurde im März 1918 die Verlegung des Ersatzbataillons I R 102 von Bekescsaba nach Hartberg befohlen 40 .

Erschöpfung in der personellen und materiellen

Ergänzung

Man war sichtlich bestrebt, in nationaler Hinsicht sehr umsichtig zu disponieren. Das multinationale Heer schien der Führung im Hinblick auf den Einsatz auch noch weitgehend belastungsfähig. Freilich aber blieb für den eben neugegliederten Organismus die zusätzliche Belastungsprobe des dauernden kräftezehrenden Verschleißes gegeben. Die Armee bedurfte ständiger Erneuerung, ununterbrochener Nährung — personell wie materiell. Die Reserven jedoch begannen gerade an der Wende zum Jahr 1918 zu versiegen. Die Krise hatte die personelle Ergänzung mit ganzer Schärfe erfaßt. In der Monarchie waren mehr als 70 % aller Männer wehrpflichtigen Alters eingezogen worden. Bis Ende 1917 waren insgesamt 8,420.000 Mann eingerückt. Von diesen Eingerückten waren etwa 780.000 gefallen oder gestorben 41 , 1,600.000 in Kriegsgefangenschaft geraten, 500.000 als invalid und 130.000 als älteste Jahrgänge aus der Wehrmacht entlassen, 400.000 in Rüstungsbetriebe kommandiert und 600.000 nach ihrer Einrückung enthoben worden. Insgesamt waren demgemäß 4,010.000 Mann aus der Wehrmacht ausgeschieden42. In ihrem Stand befanden sich daher am 1. Jänner 1918 noch 4,410.000 Mann, und zwar 2,850.000 bei der Armee im Felde und 1,560.000 bei den Ersatzkörpern, militärischen Behörden, Kommanden und Anstalten in der Heimat. Die Ersatzlage für die Front war angespannter denn je. Nur die Hälfte des Ersatzbedarfes für 1918 schien gedeckt. Nach den Berechnungen des Chefs des Ersatzwesens fehlten 600.000 Mann 43 . Der Chef des Ersatzwesens, G O Baron Hazai, hatte versucht, Abhilfe zu 10

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KM, Präs.Nr. 22.717, an MP Wekerle, 6. VIII. 1918 (vertraulich); HMer an MP, 23. III. 1918 — M O L , Κ 26, M E 1918, II. tetel, 350 res. Mit der Untersuchung des Falles Ersatzbataillon IR 102 hatte der Kaiser schon Anfang Jänner den Obersten Kary betraut. — M K S M an MP Wekerle, 9. I. 1918; ung. MP an HMer und IMer, 17. I. 1918 - M O L , Κ 26, M E 1918, II. tetel, 350 res. Welche Interventionen sich auch in der österreichischen Reichshälfte im Falle von Verlegungen aus materiellen und nationalen Gründen ergeben konnten, beweist das Beispiel des von Szekesfehervär ins Gailtal zu transferierenden Ersatzbataillons IR 35. Neben dem „nationalfremden" Charakter des Regiments wurde die Sorge vor dadurch entstehender Verknappung in der Lebensmittelversorgung und vor Übergriffen der Truppe geltend gemacht. Das K M änderte die Verlegungsverfügung nicht. — k. k. Landespräs. Klagenfurt, Z. 5.867/Präs., an KM, 4. VII. 1918 - AVA, Mdl Präs. 1918, 1 9 - 1 6 . 5 9 2 ; IR 35: 51,5% Tschechen, 46,5% Deutsche, 2% Polen — KA, Farbentabellen 1918. Zur Frage von im Vordergrund stehenden Verpflegsschwierigkeiten im Zusammenhang mit Verlegungen vgl. II. 21, 26, 43. Die in der Kriegsgefangenschaft Verstorbenen sind nicht mitgezählt. ÖU1K VII. 41. Fußnote 1. ÖU1K VII. 41. Fußnoten 1 und 2; 42.

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schaffen. Eine Reihe von Aktionen war eingeleitet worden: Die Verringerung der Stände bei zahlreichen Verbänden und Einrichtungen — sogar die Infanterie-Bataillonsstärke wurde nochmals um 100 Mann herabgesetzt —, die Verwendung von Waffenunfähigen und von Frauen zu Hilfsdiensten 44 , die Beschränkung der Zahl der Enthobenen und der Kommandierten 45 . Dennoch hatte es Ende 1917 in der Monarchie 1,256.000 Enthobene und 448.000 in verschiedene Wirtschaftsbetriebe Kommandierte gegeben. Im Februar 1918 wurde die „generelle Aufhebung" der Enthebungen der sechs jüngsten Jahrgänge verfügt. Aber es gab immer noch zahlreiche Ausnahmen: So rückten in der ersten Hälfte des Jahres 1918 zwar ungefähr 213.000 ehemals Enthobene zum Waffendienst ein, in der selben Zeit wurden jedoch 91.000 andere neu enthoben 46 . Der Ersatzbedarf der Armee, die im Mai 1917 mit 3,196.000 Soldaten im Felde, davon 1,035.000 im Kampfstand, die Spitze ihrer Stände erreicht hatte, konnte audi mit Hilfe „fliegender Kommissionen" nicht mehr zufriedenstellend gedeckt werden 47 . Deutlich zeichnete sich die kritische Ersatzlage bei den Marschbataillonen ab. Ihre Wellen hatten in den ersten Kriegsjahren jeweils gegen 250.000 Mann gezählt. Die X X X V I . bis X L I V . Marschformationen vom Jänner bis Oktober 1918 erreichten demgegenüber nur mehr einen Schnitt von 100.000 Mann 48 . Die Armee im Felde hatte binnen eines Jahres jedenfalls einen Abgang von fast 400.000 Mann zu verzeichnen. Sie zählte im Mai 1918 2,818.000 Mann, von denen 946.000 zum Kampfstand zu rechnen waren 49 . Hoffnungsvoll blickten manche der Rückkehr der Kriegsgefangenen aus Rußland entgegen. Aber auch sie sollte keine wesentliche Wendung herbeiführen. Zwar waren bis zum 16. März 1918 rund 192.000 Mann heimgekehrt 50 , bis Ende April insgesamt 380.000, bis Ende Juni 517.000, bis zum 28. Juli 609.000 und bis zum 12. Oktober 671.000 Mann 51 . Zur Neueinteilung und Neueinschulung der Heimkehrer waren allerdings mindestens drei Monate Im Oktober 1918 betrug die Zahl der weiblichen Hilfskräfte zu Kanzlei-, Haus- und Küchendiensten 107.000 in der Heimat und 33.000 in der A. i. F. — ÖU1K VII. 39. Redlich berichtet von einer Meinungsäußerung am Rande: Frontoffiziere hätten während einer Fahrt im Triester Schnellzug das Unwesen der weiblichen Hilfskräfte in den Kanzleien und Etappenunterkünften angeprangert und auf die „sexuelle Verheerung" hingewiesen. — Schicksalsjahre Österreichs 1908—1919. Das politische Tagebuch Josef Redlichs, ed. Fritz FELLNER. II. Bd. 1915—1919. Graz/Köln 1954. 291. = Veröffentlichungen der Kommission für Neuere Geschichte Österreichs 40. 45 ÖU1K VII. 42. 48 ÖU1K VII. 42 f. 47 Peter FIALA, Die letzte Offensive Altösterreichs. Führungsprobleme und Führerverantwortlichkeit bei der öst.-ung. Offensive in Venetien, Juni 1918. Boppard am Rhein 1967. 19. = Wehrwissenschaftliche Forschungen. Abteilung Militärgeschichtliche Studien 3. 48 ÖU1K VII. 46. " FIALA, Offensive Altösterreichs. 19. 50 A O K Ch. d. G., Op.Nr. 130.163, an M K S M , Baden 18. III. 1918 K A , M K S M v. 1918, 69-9/32. 51 Übersicht des K M Abt. 10/Kgf„ o. D. KA, M K S M v. 1918, 6 9 - 9 / 2 5 ad. 44

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Voraussetzungen, Machtträger, Reserven

erforderlich. Daher gingen erst mit den XLII. Marschformationen im Juni 1918 Heimkehrer in größerer Zahl zur Armee im Felde ab52. Der verringerte Kräftebedarf der russischen Front und die lange Kampfruhe im Südwesten entlasteten zwar für kurze Zeit auch die Ersatzzuführung. Kritisch im höchsten Ausmaß aber sollte die Ersatzfrage sich gestalten, als nach den gesteigerten Verlusten zur Zeit der Junioffensive vor allem Hunger und Grippe weitere Lücken in die Armee im Felde rissen53. Neben die Fragen der personellen Ergänzung aber hatten sich zunehmend und ebenfalls in hohem Maße besorgniserregend die materiellen geschoben. Die materielle Erschöpfung der Monarchie hatte auch die Versorgungsquellen der Armee erfaßt: Verpflegung, Bekleidung, Bewaffnung, rollendes Material. Im Vordergrund stand die Verpflegskrise. Sie fand ihren Niederschlag selbst schon in den Magazinen der Feldarmee. Der Verpflegsbedarf der Armee betrug ab Juli 1917 bis Juli 1918 nach Abzug der vom Armeeoberkommando in den Militärgeneralgouvernements Polen, Serbien und Montenegro sowie in den Armeebereichen aufgebrachten Vorräte rund sieben Millionen q Mehl, zwei Millionen q Kartoffel, 800.000 q Hartgemüse und 3,8 Millionen q Fleisch. Weiters waren 14 Millionen q Hartfutter erforderlich. Die Brotportion war in dieser Zusammenstellung für 70 °/o des Verpflegsstandes mit 700 g, für 30 °/o mit 560 g, die Fleischportion für 70 °/o des Verpflegsstandes mit 300 g, für 30 % mit 200 g pro Tag angesetzt 54 . Einlösungspartner gegenüber diesen Forderungen waren die Ernährungsministerien55. Der österreichische Ernährungsminister, General Höfer, hatte

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ÖU1K VII. 44. Eine ganz andere, außerhalb der Zahlen liegende Frage war die der psychologischen Haltung der Heimkehrer und damit ihrer Einsatzfähigkeit von diesem Gesichtspunkt aus. ÖU1K VII. 45 f. Die Stände der Kampftruppen mußten immer wieder eingeschränkt werden, so daß beim Infanterieregiment das Bataillon einen Feuergewehrstand von 832 Frontgewehren bei einem Soll-Verpflegsstand von 1.275 Mann aufwies, nach vollendeter Ausrüstung mit Hand-Maschinengewehren nur 628 Frontgewehre bei einem Verpflegsstand von 1.207 Mann. Die Kavallerieregimenter hatten einen Soll-Verpflegsstand von 2.627 Mann erreicht, dem 1.664 Karabiner gegenüberstanden; nach Aufstellung der HandMaschinengewehr-Züge sank der Verpflegsstand auf 2.491 Mann und der Karabinerstand auf 1.256. - ÖU1K VII. 46. Der Verpflegsstand bei der A. i. F. betrug am 1. August 1918: 99.000 Offiziere (auch Fähnriche und Kadetten), 2,463.000 Mannschaftspersonen und 260.000 Arbeiter, Kriegsgefangene und weibliche Hilfskräfte, d. s. 2,822.000. Der Kampfstand betrug am gleichen Tag 34.000 Offiziere und 831.000 Feuergewehre der Infanterie und Kavallerie, einschließlich der im Armeebereich befindlichen Marschbataillone, die beinahe die Hälfte ausmachten. Der Gesamt-Verpflegsstand im Hinterland betrug am 1. September 1918 1,785.000 Personen, davon 86.000 Offiziere, 1,591.000 Soldaten, 16.000 nicht landsturmpflichtige Arbeiter und 92.000 weibliche Hilfskräfte. - ÖU1K VII. Beilage 2. Tabelle 2 und 3. AOK Ch. d. G., Qu.Nr. 119.083 (geheim), Darstellung der materiellen Lage der Armee im Felde, 18. VIII. 1918 - KA, MKSM v. 1918, 2 5 - 1 / 9 , Beilage 1, 1. Zusätzlich war Anfang 1917, um innerhalb des Gesamtstaates vermittelnd einzugreifen und

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von vornherein erklärt, daß Österreich der Armee kein Mehl und mit Rücksicht auf die schlechte Haferernte auch nur geringe Hafermengen werde liefern können. Der ungarische Ernährungsminister, Graf Hadik, hatte sich zwar bereit erklärt, die Überschüsse Ungarns der Armee zur Verfügung zu stellen. Diese sollten sich aber in der Folge als nicht ausreichend erweisen. Denn auch die österreichische Reichshälfte benötigte Aushilfen f ü r die Zivilbevölkerung. Tatsächlich erhielt die Armee in der Zeit vom 1. August 1917 bis 31. Juli 1918 5,084.200 q Mehl aus Ungarn, weiters an H a r t f u t t e r 546.700 q aus Österreich und l,727.200q aus Ungarn, zusammen also 2,273.900 q. Das ergab einen Ausfall von 1,915.800 q Mehl und 11,726.100 q H a r t f u t t e r . Auf die Tagesportion des einzelnen Mannes umgerechnet, zeigte sich ein durchschnittlicher Abgang von täglich 164 g Mehl; beim Pferd fehlten täglich 3,6 kg der angeforderten Hartfutterportion. Das ständige Zulieferungsmanko an Mehl und H a r t f u t t e r brachte es mit sich, daß die Armee ihre Reservevorräte aufzehrte und seit Ende des Jahres 1917 „von der H a n d in den Mund" lebte 56 . Immer drängender mahnten die Militärbehörden. Um der verhängnisvollen Diskrepanz zwischen Forderung und Lieferung zu entgehen, hatten beide Regierungen die mathematisch einfachste Lösung vorgeschlagen: den Verpflegsbedarf der Armee im Felde durch Standesreduzierung zu drosseln. Das A O K war solchen Vorschlägen gegenüber zurückhaltend geblieben. Man hatte sich lediglich zur Freigabe von Minderkriegsdiensttauglichen und von für zivile Wirtschaftszwecke notwendigem Personal entschlossen. Die Auswirkung dieser Maßnahmen auf den Verpflegsbedarf hatte nicht wesentlich sein können 57 . Blieb die Hoffnung auf die besetzten Gebiete. Da aber auch die Getreidezuschüsse aus diesen Gebieten 58 die katastrophale Ernährungslage kaum zu verbessern vermochten, mußten im Laufe des Wirtschaftsjahres 1917/18 wiederholt Kürzungen der Rationen vorgenommen werden. Die zunehmende Anspannung wird an folgenden Quoten der täglichen Mehlzuteilung in Gramm an das Heer deutlich 59 :

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einheitliche Gesichtspunkte zu wahren, der Gemeinsame Ernährungsausschuß eingesetzt worden. Zu seinem Vorsitzenden war mit 27. Februar 1917 der GM Ottokar Landwehr von Pragenau ernannt worden. Er war dem Monarchen direkt unterstellt. Befehlsgewalt hatte er allerdings keine. Darstellung der materiellen Lage der Armee im Felde — KA, M K S M v. 1918, 25 — 1/9, Beilage 1, 1 f. Zur Frage der Versorgung der Armee vgl. Nachlaß Oberst d. G.Ritter von Zeynek - KA, B/151, Nr. 2. Ebenda, Beilage 1, 3. Vgl. in bezug auf die Ukraine Wolfdieter BIHL, Österreich-Ungarn und die Friedensschlüsse von Brest-Litovsk. Wien/Köln/Graz 1970. 123—125. = Studien zur Geschichte der österreichisch-ungarischen Monarchie VIII. Gustav GRATZ - Richard SCHÜLLER, Der wirtschaftliche Zusammenbruch ÖsterreichUngarns. Die Tragödie der Erschöpfung. Wien/New Haven 1930.80.= Carnegie-Stiftung für internationalen Frieden. Abteilung für Volkswirtschaft und Geschichte. Wirtschaftsund Sozialgeschichte des Weltkrieges, österreichische und ungarische Serie.

Voraussetzungen, Machtträger, Reserven

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bis ab ab ab 15. April 15. April 11. Aug. 1. Sept. 1917 1917 1917 1917

Dez. 1917

April 1918

August 1918

Feldtruppe

500

478

480

470

470

283

300

Hinterland

400

240

240

263

320

180

200

Neben der Deckung des Mehlbedarfs war für den Soldaten besonders die Fleischration von Bedeutung. Der Fleischbedarf der Monarchie war im Frieden nicht eben hoch gewesen: 29,9 kg pro Kopf und Jahr, in Deutschland vergleichsweise 52,6 kg. Nach der Mobilisierung hatte jeder Soldat — man schöpfte zunächst aus dem vollen — täglich 400 g Fleisch zugeteilt erhalten, später waren es 200 g und weniger gewesen 60 . Die Fleischanlieferung an die Armee hatte bis Ende 1917 in einem eben noch hinreichenden Maß funktioniert. Seit Beginn des Jahres 1918 wurde sie so gering, daß auf die Tagesration kaum mehr als 100 g entfielen61. Pferdefleisch begann auch für die Offiziersküchen eine Delikatesse zu werden 62 . Requisitionen im Inneren und erhöhte Zufuhren aus dem Ausland sollten auf dem Ernährungssektor Abhilfe schaffen. D a die ungarischen Getreide- und Mehllieferungen Anfang Jänner auch für die Armee fast zur Gänze ausgesetzt hatten, entschloß man sich in Budapest zur Durchführung von Requisitionen. Bereits am 18. Jänner 1918 wurde außerdem ein erstes Mehldarlehen von 4.500 t mit dem Deutschen Reich vereinbart. Am 3. Februar traf man ein Ubereinkommen über die Lieferung von 500.000 t Lebens- und Futtermitteln aus Rumänien, bestimmt für Österreich-Ungarn und das Deutsche Reith. Am 5. Februar gewährte das Deutsche Reich ein Mehldarlehen von 30.000 t für die österreichisch-ungarische Armee 63 . Ende April griff das A O K in die Versorgung des Hinterlandes ein. Die Verpflegslage Wiens war dem Zusammenbruch nahe. Das Armeeoberkommando sandte 20 Waggon Mehl vom Reservedepot Pola. Am 30. April schritt der G M von Landwehr, der Vorsitzende des Gemeinsamen Ernährungsausschusses, zu einer Verzweiflungstat. Der General setzte im Einvernehmen mit dem A O K durch, 2.400 Waggon Mais zu beschlagnahmen, die, aus Rumänien kommend und für das Deutsche Reich bestimmt, eben auf Getreideschleppern und Lastzügen die Monarchie passierten 64 . Scharfe Proteste aus Deutschland waren die Folge. 60

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General [Ottokar] LANDWEHR [von Pragenau], Hunger. Die Erschöpfungsjahre der Mittelmächte 1917/18. Zürich/Leipzig/Wien 1931. 164. Darstellung der materiellen Lage der Armee im Felde — K A , M K S M v. 1918, 25 — 1/9, Beilage 1, 2. Edmund von GLAISE-HORSTENAU, Die Katastrophe. Die Zertrümmerung ÖsterreichUngarns und das Werden der Nachfolgestaaten. Zürich/Wien/Leipzig 1930. 247. LANDWEHR, Hunger. 162. GRATZ - SCHÜLLER, Wirtschaftlicher Zusammenbruch. 78. Schon am 29. April telegraphierte Sektionschef Freiherr von Flotow im Einvernehmen mit G M Landwehr und dem ungarischen Handelsminister Szter6nyi, aber ohne Einwilligung seines Außenministers

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Im Mai fanden Verhandlungen in Berlin statt: Deutschland übernahm gegen wirtschaftliche Zugeständnisse Österreich-Ungarns die Verpflichtung, 15.100 Waggon Getreide zu liefern. Armee und Bevölkerung wären damit bis Mitte Juli notdürftig versorgt gewesen. Rückschläge audi da: Deutschland konnte seine Verpflichtungen infolge von Schwierigkeiten, die sich der Aufbringung in Bessarabien und in der Ukraine entgegenstellten, nicht erfüllen 65 . Wohl wurden in Österreich-Ungarn und im Militärgeneralgouvernement Serbien nun alle Maßnahmen für die Erfassung des Frühdrusches getroffen. Schließlich aber konnte doch nur der Zuschub von 2.000 Waggon Mehl aus Deutschland der Monarchie über die besonders kritische Zeit vom 1. bis 15. Juli hinweghelfen 66 . Die Hoffnungen konzentrierten sich auf die Ernte. Sie erreichte die Quoten des Jahres 1917 wohl nicht ganz 67 . Dennoch beurteilte das Armeeoberkommando die Aussichten für das neue Wirtschaftsjahr als zu gewissen Hoffnungen Anlaß gebend, falls es den zuständigen staatlichen Stellen gelänge, die Ernte voll zu erfassen und zweckentsprechend zu bewirtschaften 68 . Das Armeeoberkommando seinerseits wollte jedenfalls Hand auf die Ernteüberschüsse der unter seiner Verwaltung stehenden besetzten Gebiete legen und sie der Armeeverpflegung zuführen 69 . Die Entwicklung aber sollte voll Unsicherheiten bleiben. Buriän, der gerade in Bukarest weilte, an den österreichisch-ungarischen Botschafter in Berlin. Er kündigte ihm die Beschlagnahme der derzeit durch Österreich schwimmenden und rollenden Maistransporte an und ersuchte den Prinzen Hohenlohe um Mitteilung an den Reichskanzler. Ohne den Kaiser zu verständigen, allerdings mit zögernder Zustimmung des AOK und im Einvernehmen mit dem Präsidenten des k. k. Volksernährungsamtes und den ungarischen Ministern Szterenyi und Windischgrätz, richtete Landwehr am 30. April an die Zentraltransportleitung die „Aufforderung zur Aufhaltung der für Deutschland bestimmten, in der Monarchie rollenden und schwimmenden Transporte von Mais, Mehl und sonstigen Getreide- und Mahlprodukten . . .". Im Einvernehmen mit dem Chef des Feldeisenbahnwesens ließ die Zentraltransportleitung insgesamt 51 Schleppschiffe — in Linz, Wien, Vukovar und Orsova — sowie 39 Waggons — in Kolin, Oderberg und Wien/Lagerhaus — beschlagnahmen. — KA, AOK/FEW, Eb.Nr. 10.616, 3. V. 1918; HHStA, F 36/199 Dep. 9/50, D.R. 2/1, ZI. 43.393 — Johanna PATTERA, Der Gemeinsame Ernährungsausschuß 1917—1918. Phil. Diss. Wien 1971. 189 — 216 a. 65 Darstellung der materiellen Lage der Armee im Felde — KA, MKSM v. 1918, 25—1/9, Beilage 1, 4. 66 Darstellung der materiellen Lage der Armee im Felde — KA, M K S M v. 1918, 25 — 1/9, Beilage 1, 4. · ' Ernte 1918 in Millionen Meterzentnern ( = 100 kg): Weizen Roggen Gerste Hafer Mais Summe Österreich Ungarn Kroatien

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ββ

5,8 11,2 5,1 8,6 1,3 32,0 25,0 8,0 8,5 6,5 29,0 77,0 3,5 0,4 0,6 0,8 7,0 12,3 LANDWEHR, Hunger. 2 4 2 f. Darstellung der materiellen Lage der Armee im Felde — KA, MKSM v. 1918, 25—1/9, Beilage 1, 5 f. Ebenda, 5.

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Voraussetzungen, Machtträger, Reserven

Lichtblicke im August: Die Brotration wurde bei der Feldtruppe auf 300 g und bei den Formationen des Hinterlandes auf 200 g erhöht70. Skeptisch beurteilte man weiterhin die Fleischzuteilung: „Die Fleischportion wird mit Rücksicht auf die schweren Einbußen, die der Viehbestand der Monarchie erlitten hat, nicht mehr über 200 g erhöht werden können, dürfte wahrscheinlich sogar unter dieses Ausmaß sinken."71 Drohender Engpaß Anfang September: Am 10. September lagerten in den Kontraktmühlen und in den Militärverpflegsmagazinen Brotfrucht und Brotmehl für nur ca. vier Tage, Hartfutter für ca. zehneinhalb Tage und Gemüse für ca. zwei Tage 72 . Vergebens hatte das Armeeoberkommando in seinem Bericht über das Wirtschaftsjahr 1917/18 angekündigt, mit allen Mitteln zu trachten, daß die Armeen einen 12- bis 14tägigen Verpflegsvorrat in ihren Bereichen ständig zur Verfügung haben würden 73 . War die Ernährungslage des Heeres im Jahre 1918 in hohem Maße kritisch, stand es um die Bekleidung nicht besser. Menge wie Güte sanken. Im 1. Halbjahr 1918 wurden 3,850.000 Blusen, 4,730.000 Hosen und 1,988.000 Mäntel angefordert. Die Anforderungen vermochten bei weitem nicht erfüllt zu werden. In den Militärdepots waren am 20. Juli insgesamt 451.000 Blusen, 98.000 Hosen und 101.000 Mäntel vorrätig 74 . Das gleiche Bild bot die Wäscheversorgung. Papiermischgewebe kamen in Verwendung. Am 1. August waren die Vorräte der Depots trotzdem erschöpft. Der monatliche Bedarf 70

GRATZ - SCHÜLLER, Wirtschaftlicher Zusammenbruch. 8 0 . Darstellung der materiellen Lage der Armee im Felde — KA, MKSM v. 1918, 25—1/9, Beilage 1, 6. 7ä K M Abt. 12, Nr. 7.025 v. 1918, Extraktbogen für die MKSM, o. D. - KA, MKSM v. 1918, 93—5/9. Im Spätsommer sollte der Fehlbetrag der Zuschübe an Rauhfutter — Heu und Stroh — an die Armee im Felde besonders deutlich werden. Täglich sollte dieser Zuschub 2.080 t betragen, im August wurden nur durchschnittlich 176 t Rauhfutter zur Feldarmee geleitet. Der Ausfall im Pferdebestand war entsprechend. Das Kriegsministerium intervenierte bei den zuständigen Ministerien und erließ Befehl an die Militärkommanden, für verläßliche Aufbringung zu sorgen. Ab 1. Oktober hatten demgemäß die Militärkommanden täglich eine bestimmte Zahl von Rauhfutterzügen zu 50 t stellig zu machen: Krakau — 1, Wien — 2, Graz — 2, Prag — 3, Leitmeritz — 3, Innsbruck — 2, Budapest, Pozsony, Kassa, Temesvär und Nagyszeben — je 5, Zagreb — 4. Przemysl und Lemberg hatten für ihren eigenen Bedarf und den Bedarf der durchgehenden Pferde- und Schlachtviehtransporte aufzukommen. Im Nichtaufbringungsfalle war unmittelbar militärische Requisition zu beantragen. — K M Abt. 12, Nr. 92.846, an MP Wekerle, 18. IX. 1918; KM Abt. 12, Nr. 96.071, an ung. IMer, 21. IX. 1918 - MOL, Κ 26, ME 1918, III. tetel, 8.172 res. ™ Darstellung der materiellen Lage der Armee im Felde — KA, MKSM v. 1918, 25 — 1/9, Beilage 1, 6. Eine besondere Aktion: Im Auftrag des Kaisers, mit dessen Generalvollmacht ausgestattet, die selbst sofortige Enthebungen miteinschloß, bereiste im September 1918 F M L Frh. v. Bardolff die Bereiche der 10. und 11. Armee, um in die kritische Entwicklung des Verpflegsnachschubs einzugreifen. — Carl Freiherr von BARDOLFF, Soldat im alten Österreich. Erinnerungen aus meinem Leben. Jena 1938. 324—333. 74 Darstellung der materiellen Lage der Armee im Felde — KA, MKSM v. 1918, 25-1/9, Beilage 3, Subbeilage a. 71

Die kräftemäßigen Voraussetzungen

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betrug 700.000 Garnituren. In Auslieferung bzw. noch in Erzeugung befanden sich 4,197.000 Garnituren. Der Erzeugungsgang aber stockte auf Grund ungenügender Belieferung mit Kohle 75 . An Schuhen hatte zwar die Herbstoffensive in Venetien beträchtliche Beutebestände eingebracht. Dennoch wurden im ersten Halbjahr 1918 pro Mann eineinhalb Paar neue Schuhe, insgesamt 4,065.000 Paar, angefordert. Radikale Sparmaßnahmen wurden angeordnet: Die Ausrüstung der Mannschaft mit je einem zweiten Paar Schuhe sollte eingestellt werden. Der Vorrat an Fußbekleidung betrug am 1. August 300.000 Paar Schuhe, 650.000 Paar Bergschuhe und 235.000 Paar Stiefel und Halbstiefel. 450.000 Paar Schuhe und Stiefel wurden pro Monat neu angeliefert. Obwohl kein ausgesprochener Ledermangel herrschte, konnte die Anlieferungszahl vor allem wegen fehlender Arbeitskräfte in den Industriebetrieben nicht erhöht werden 76 . Auch an Decken begann es zu fehlen. Vom Frühjahr 1917 bis zum Frühjahr 1918 war ein Ausfall von 3,830.000 Stück Felddecken festzustellen. Für einen fünften Kriegswinter wären nur mehr 1,800.000 Felddecken zur Verfügung gestanden. Weitere drohende Lücken: Im Winter 1917/18 hatten die Anforderungen an Kälteschutzbekleidung mit Ausnahme langer Pelze noch fast restlos befriedigt werden können; die Rückgaben im Frühjahr standen jedoch in keinem Verhältnis zu den Zuweisungen im Herbst 19 1 777. Schließlich bleibt die Frage nach jener Ausstattung, die für den Soldaten erst die Voraussetzung für seinen Kampfeinsatz bilden mußte — die Versorgung mit Waffen und Munition und die Sicherstellung der nötigen Transportmittel. Ein Blick auf die Basis: Seit 1916 war die Eisen- und Stahlerzeugung der staatlichen Bewirtschaftung unterworfen. Bis März 1916 hatten sich Bedarf und Produktion fast die Waage gehalten. Während jedoch ab diesem Zeitpunkt der Bedarf auf das Dreifache angestiegen war, sank die monatliche Roheisenerzeugung von durchschnittlich 196.000 t im Jahre 1916 auf 127.000 t im Jahre 1918, die Rohstahlproduktion im selben Zeitabschnitt von 3,336.000 t auf 1,767.000 t. Da außerdem Kupfer, Zinn und Blei vielfach durch Eisen ersetzt werden mußten, war der Bedarf auf dem Eisen- und Stahlsektor 1917 und 1918 weitgehend nicht gedeckt78. Die Rückwirkung auf die Waffen- und Munitionsproduktion konnte nicht ausbleiben. 75

Darstellung der materiellen Lage der Armee im Felde — KA, M K S M v. 1918, 25—1/9, Beilage 3, Subbeilage b. Die Feldarmee versuchte — so im Bereich der HG FM v. Boroevic — die Engpässe in der Wäscheversorgung durch Requisitionsmaßnahmen in okkupierten Gebieten zu überbrücken. — AO Κ Ch. d. G., Qu.Nr. 24.881 an HGK Boroevic, 11. III. 1918 - MOL, Κ 26, ME 1918, III. tetel, 4.699 res. " Darstellung der materiellen Lage der Armee im Felde — KA, MKSM v. 1918, 25-1/9, Beilage 3, Subbeilage c. " Darstellung der materiellen Lage der Armee im Felde — KA, M K S M v. 1918, 25—1/9, Beilage 3, Subbeilage c. 78 GRATZ - SCHÜLLER, Wirtschaftlicher Zusammenbruch. 97 und 100.

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Voraussetzungen, Machtträger, Reserven

Hatte die Armee bei Kriegsbeginn über 3.400 Geschütze verfügt, so waren es 1918 9.600, darunter 172 schwerste Mörser. Ab Mitte 1917 trat jedoch ein deutlicher, die Nachschubquoten drückender Produktionsrückgang ein79. In der ersten Hälfte 1917 wurden 2.285 Geschütze hergestellt, in der zweiten Hälfte 1917 1.906, in der ersten Hälfte 1918 1.29680. Maschinengewehre hatte die Armee 1914 nur 2.800 zur Verfügung gehabt. Bis Ende September 1918 wurden über 40.000 nachgeliefert, 17.000 waren zu Kriegsende noch verwendbar 81 . Den 2,474.000 Gewehren von 1914 waren 3,580.000 Stück nachgeliefert worden. Nach Verlust von fast 4,2 Millionen Stück blieben nicht ganz 1,9 Millionen greifbar 82 . Entscheidend für die Einsatzfähigkeit der Armee waren auch die Faktoren ihrer Mobilität: Pferd, Kraftfahrzeug, Eisenbahn. Die Frage der Pferde stand in der zweiten Kriegshälfte im Zeichen ständig steigender Futternot. Hatte man 1915 bei der Armee im Felde 709.000, Ende 1916 sogar 969.00083 und im Juni 1917 immerhin noch 809.000 Pferde gezählt, so verringerte sich der Pferdebestand bis Ende Juni 1918 auf 459.00084. Dem zusätzlichen Bedarf von über 120.000 Pferden stand im Laufe des Jahres 1918 nur eine Aufbringung von 40.000 gegenüber85. Dabei hätte vor allem der Ausbau der Artillerie weitere Pferdebespannungen erfordert, da eine durchgreifende Ausstattung mit Motorzügen auf Grund nicht ausreichender Lieferfähigkeit der Industrie nicht möglich war 86 . Die Motorisierung war in der Armee zwar zunehmend vorangetrieben worden. Die Gesamttonnage der Autotruppe hatte man bis Mitte 1917 verzehnfacht. Sie erreichte im Frühjahr 1918 ca. 12.000 t. Im Juni 1918 besaß die Armee 266 Autokolonnen zu je 20 Lastkraftwagen. Treibstoff- und Reifenmangel schränkten jedoch deren Einsatzfähigkeit ein87. Nach wie vor waren die Eisenbahnen der wichtigste Transportträger. Auch in ihrem Bereich aber traten trotz Steigerung in der Erzeugung und Neuaufnahmen auf dem Personalsektor Engpässe auf. Im Winter 1917/18 erhöhte '· Ebenda. 110. 80 ÖU1K VII. Beilage 2. Tabelle 10. 81 GRATZ - SCHÜLLER, Wirtschaftlicher Zusammenbruch. 113. 82 Ebenda. 114. Die Produktion der österreichisch-ungarischen Waffenindustrie ergab in den letzten beiden Kriegsjahren folgendes Bild (ÖU1K VII. Beilage 2. Tabelle 10): Gewehre MG Geschütze Schuß Artilleriemunition/Monat

83 84

85 86 87

1. Hälfte 1917 617.000 2. Hälfte 1917 475.000 1. Hälfte 1918 130.000 VIII, IX, X von 1918 107.000 ÖU1K VII. 61. Darstellung der materiellen Lage der Beilage 10. Ebenda. ÖU1K VII. 61. ÖU1K VII. 86.

7.000 8.500 6.000 6.200

2.285 1.906 1.296 742

1,476.000 1,290.000 750.000 400.000

Armee im Felde — KA, M K S M v. 1918, 25—1/9,

Die kräftemäßigen Voraussetzungen

53

sich der Stand des in Reparatur befindlichen rollenden Materials empfindlich: bis auf 28 °/o bei den Lokomotiven und 7,5 °/o bei den Waggons. Stockungen und Stauungen erschwerten die Dispositionsfähigkeit selbst für operative Truppenbewegungen: Der Abtransport einer Division dauerte Anfang 1918 bis zu 14 Tagen, früher hatte er vier Tage beansprucht 88 . Eng im Zusammenhang mit dem Eisenbahnwesen stand die Krise in der Kohleversorgung. Zeitweise trat vor allem wegen Verteilungsschwierigkeiten ein empfindlicher Mangel auf: So hatten ζ. B. die Budapester Mühlen im Jänner 1917 wegen Kohlenmangels den Betrieb einen Monat lang einstellen müssen, ebenso im Winter 1917/18 die Waffenwerke in Steyr. In diesem Winter 1917/18 war der Kohlebedarf der Kriegsindustrie in Österreich nur noch zu 40 % , in Ungarn zu 55 % gedeckt 89 . Aber es krankte nicht nur an der Verteilung. Die trotz gegebener Bemühungen nicht ausreichende Lebensmittelversorgung der Bergarbeiter und Beschränkungen beim Bezug von wichtigem Grubenbedarf bewirkten zusätzlich eine stetige Verminderung der Kohlenförderung. Der Kreislauf Schloß sich in verhängnisvoller Art. Der Krisendruck auf die Bevölkerung

Keine Frage, daß selbst in dieser Situation deutlicher materieller Erschöpfung die wesentlichen Produktionskapazitäten der Wirtschaft nach wie vor im Sinne der Kriegsführung ausgerichtet wurden. Noch versuchte man unter Ausschöpfung der Möglichkeiten des Kriegsleistungsgesetzes und der in dieselbe Richtung zielenden späteren Verordnungen in dieser Hinsicht zu wirken, wenn auch die der Zusammenfassung der Kräfte entgegenstrebenden Elemente, vom zweifachen Kreislauf der Doppelstaatlichkeit und den steigenden partikularen Interessen bis zu versäumten rechtzeitigen organisatorischen Maßnahmen, zunehmend zur Geltung kamen 90 . Unter diesen Umständen fand sich die Zivilbevölkerung in zwei lebensbestimmenden Bereichen in besonderer Weise in Mitleidenschaft gezogen: in dem der Lebensmittelversorgung und in dem des Geldwertes. Auf dem Lebensmittelsektor ging es vor allem um Mehl, Kartoffeln und Fleisch. Vor dem Weltkrieg hatte man in Österreich-Ungarn Mehlprodukte aus durchschnittlich 380 g Mehl pro Kopf und Tag verzehrt, dazu freilich auch 88 89

,0

Ebenda. 83. GRATZ- SCHÜLLER, Wirtschaftlicher Zusammenbruch. 92—97. Für 1918 stand eine Steinkohlenförderung von 14,5 Millionen t in Aussicht. Davon sollte das Armeeoberkommando in den polnischen Gruben 2,4 bis 2,5 Millionen t fördern. — Darstellung der materiellen Lage der Armee im Felde - K A , M K S M v. 1918, 2 5 - 1 / 9 , Beilage 13. GRATZ - SCHÜLLER, W i r t s c h a f t l i c h e r Z u s a m m e n b r u c h .

2 0 3 f . ; J u r i j KSIZEK, D i e

Kriegs-

wirtschaft und das Ende der Monarchie. In: Die Auflösung des Habsburgerreiches. Zusammenbruch und Neuorientierung im Donauraum, ed. Richard G. PLASCHKA und Karlheinz MACK. Wien 1970. 45 f. = Schriftenreihe des österreichischen Ost- und Südosteuropa-Instituts III.

54

Voraussetzungen, Maditträger, Reserven

andere Lebensmittel aller Art, die im Krieg in einem noch viel höheren Ausmaß fehlten 91 . Demgegenüber weisen nicht zuletzt jene Senkungen der Mehlquoten, die von der österreichischen Regierung zum 17. Jänner 1918 festgelegt werden mußten, auf die Bedenklichkeit der Entwicklung hin: Nichtselbstversorger: von 200 g pro Tag auf 165 g; Nichtselbstversorger (Schwerarbeiter): von 300 g pro Tag auf 264 g; Selbstversorger: von 300 g pro Tag auf 225 g; Selbstversorger (Schwerarbeiter): von 366 g pro Tag auf 300 g 92 . Für die Nichtselbstversorger, die von der Entwicklung besonders betroffen waren, ergab die Zuteilung der Mehlquoten in der gesamten Monarchie im Jahre 1918 folgende Werte in g 93 : Österreich

Ungarn

KroatienSlawonien

BosnienHerzegowina

April

165

220

251

200

August

165

240

240

200

Hinzuzufügen bleibt, daß vor allem in Bosnien-Herzegowina die vorgesehenen Quoten niemals ganz ausgefolgt worden sind. Besonders kritisch aber entwickelte sich die Lage in Wien. Am 17. Juni erfolgte in der Reichshauptstadt eine neuerliche, wenn auch vorübergehende Kürzung der Mehlration, und zwar um nicht weniger als die Hälfte, das heißt auf eine Quote von 82,5 g pro Kopf und Tag 94 . Weder in Österreich noch in Ungarn war der Bezug von Kartoffeln durchgehend rationiert. Waren in der Vorkriegszeit auf Kopf und Tag in Österreich 493 g Kartoffeln entfallen, so wären dem Ertrag von 1916 bzw. 1917 gemäß nur Tagesquoten von 118 g bzw. 156 g anzuweisen gewesen. In Ungarn gestaltete sich die Lage insgesamt zwar etwas günstiger, doch gab es auch dort Gegenden, die vergleichsweise noch schlechter situiert waren 95 . Besonderen Tiefstand hatte die Versorgung mit Fleisch erreicht. Berechnete man in der Monarchie in der Vorkriegszeit die Fleischquote pro Kopf und Tag mit rund 82 g, so wurde der Fleischkonsum in Österreich in einer vom April " M

GRATZ - SCHÜLLER, Wirtschaftlicher Zusammenbrach. 4 1 . Gustav GRATZ - Richard SCHÜLLER, Die äußere Wirtschaftspolitik Österreich-Ungarns. Mitteleuropäische Pläne. Wien/New Haven 1925. 131. = Carnegie-Stiftung für internationalen Frieden. Abteilung für Volkswirtschaft und Geschichte. Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Weltkrieges, österreichische und ungarische Serie; Hans L O E W E N FELD-RUSS, Die Regelung der Volksernährung im Kriege. Wien/New Haven 1 9 2 6 . 6 8 . = Carnegie-Stiftung für internationalen Frieden. Abteilung für Volkswirtschaft und Geschichte. Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Weltkrieges, österreichische und ungarische Serie;

LANDWEHR, Hunger. 151. M

GRATZ - SCHÜLLER,

M

Ebenda. 79 f.

»5 GRATZ - SCHÜLLER,

Wirtschaftlicher Zusammenbruch.

80.

Wirtschaftlicher Zusammenbruch. 8 1 . In Wien wurde mit dem 2 1 . X . 1917 eine KartofFelkarte eingeführt. Die Wochenration, die freilich nicht immer ausgefolgt werden konnte, betrug anfangs 1 Vz, später 1 kg. — LANDWEHR, Hunger. 116 f.

Die kräftemäßigen Voraussetzungen

55

1917 datierten „vertraulichen Information" mit 17 g pro Kopf und Tag, in Ungarn mit etwa der doppelten Menge ausgewiesen. Für Wien war die Fleischmenge durch Verordnung vom 1. Februar 1918 auf wöchentlich 200 g einschließlich Vs Zuwaage festgesetzt worden, so daß mit einer Tagesquote von rund 23 g reinen Fleisches zu rechnen war 9 6 . An diesem bedenklichen Gesamtbild der Versorgungssituation vermochte audi die Tatsache wenig zu ändern, daß man partiell — in besonders kriegsintensiven Bereichen wie im Bergbau und bei den Eisenbahnen — Sonderzubußen gewährte. Den Bergarbeitern in Österreich und deren Angehörigen leitete das Amt für Volksernährung Mehl- und Fettzubußen zu, die über die für die Schwerarbeiter festgesetzten Zusatzquoten hinausgingen 97 . Die Eisenbahnbediensteten wurden Ende 1917 von der Staatseisenbahnverwaltung samt den in ihrem Haushalt verpflegten Angehörigen aus der allgemeinen Versorgung herausgelöst, um sie auf gesondertem Wege über zentral belieferte Eisenbahnlebensmittelmagazine mit Brot, Mehl, Zucker, Kartoffeln und Kaffee, teilweise auch mit Fett und Fleisch in günstigerer Weise zu versorgen 98 . Die Berechnungen f ü r das nächste Wirtschaftsjahr eröffneten f ü r den Komplex der Lebensmittelbereitstellung weitere ernste Sorgen. Für den Sommer sollte der Chef der Quartiermeisterabteilung des A O K polternd zusammenfassen: „Die Aufbringung in Böhmen war elend, die Wirtschaft in Galizien unter dem Statthalter Graf H u y n in voller Unordnung und audi die Alpenländer, die ihre Söhne ohne Zögern an die Front schickten, weigerten sich, ihr Vieh herauszugeben . . I m September mußte sich der ungarische Ernährungsminister warnend an den Kaiser wenden: „Die von der österreichischen Regierung als Existenzminimum angeforderten 5 Mio. q wurden meinerseits zur Beschlagnahme vorgeschrieben . . . , gleichzeitig muß ich aber schon heute · · LANDWEHR, Hunger.

164 u n d 170 f . ; GRATZ - SCHÜLLER, Wirtschaftlicher Z u s a m m e n -

bruch. 81. 87 Franz AGGERMANN, Die Arbeitsverhältnisse im Bergbau. In: Die Regelung der Arbeitsverhältnisse im Kriege, ed. Ferdinand HANUSCH und Emanuel ADLER. Wien 1927. 215 f. = Carnegie-Stiftung für internationalen Frieden. Abteilung für Volkswirtschaft und Geschichte. Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Weltkrieges, österreichische und ungarische Serie. Darüber hinaus Schloß das Ministerium eine besondere Vereinbarung mit ungarischen Regierungsstellen ab, wonach es sich für die an Ungarn erfolgten Kohle- und Kokslieferungen im Gegenzug Mehllieferungen, fallweise auch Speck-, Fett- und Viehlieferungen zugunsten der Bergarbeiter ausbedang. Vgl. GRATZ - SCHÜLLER, Wirtschaftlicher Zusammenbruch. 82 f. ,e Josef TOMSCHIK, Die Arbeitsverhältnisse der Eisenbahner in Österreich in den Jahren 1914—1918. In: Die Regelung der Arbeitsverhältnisse im Kriege, ed. Ferdinand HANUSCH und Emanuel ADLER. Wien 1927. 319 ff. = Carnegie-Stiftung für internationalen Frieden. Abteilung für Volkswirtschaft und Geschichte. Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Weltkrieges. österreichische und ungarische Serie. Zusätzlich wurden zur Verköstigung des außerhalb des Wohnortes diensttuenden Eisenbahnpersonals über 100 Personalküchen eingerichtet, die anfangs Tee, Kaifee und Suppe verabreichten, im Zuge der fortschreitenden Verschlechterung der Ernährungsverhältnisse jedoch zur Ausgabe von kompletten Mahlzeiten übergingen, die in die normalen Quoten nicht eingerechnet wurden. " Nachlaß Oberst d. G. Ritter von Zeynek, 210 - KA, B/151, Nr. 2.

Voraussetzungen, Maditträger, Reserven

56

erklären, daß die tatsächliche Beschlagnahme dieser Menge unter den heutigen Verhältnissen als unmöglich angesehen werden muß." 1 0 0 Und Mitte Oktober konnte der österreichische Ernährungsminister die Versorgung der Alpen- und Küstenländer, wenn überhaupt, im Schnitt nur noch nach Wochen berechnen101. Die wirtschaftliche Selbstisolierung der Kronländer sollte damit ihren Höhepunkt erreicht haben. Zur Notsituation auf dem Lebensmittelsektor trat der Verfall der Währung hinzu. Durch Kriegsanleihen und verstärkte Inanspruchnahme der Notenbank hatte die Regierung die Deckung der Kriegskosten zu erreichen versucht. Die Folge war eine Vermehrung der Zahlungsmittel ohne gleichzeitige Vermehrung der vorhandenen Gütermengen — die Inflation. Die Kaufkraft der Krone sank. Die Preise stiegen. Und sie stiegen umso mehr, als sie nicht nur von den inflationären Störungen auf der Geldseite beeinflußt, sondern zusätzlich durch die Entwicklung auf der Warenseite, nämlich den Warenmangel und die damit zusammenhängende steigende Nachfrage, bestimmt wurden. Hatte die Preisgestaltung in der ersten Zeit des Krieges der Geldwertverdünnung zunächst ungefähr entsprochen, so waren die Preiserhöhungen schließlich der Zunahme der im Verkehr befindlichen Banknoten davongeeilt. Zwar war der Staat bemüht, fördernde und regulative Maßnahmen zu setzen. So erfolgte eine direkte behördliche Einflußnahme auf die Preisgestaltung. Dadurch sollte verhindert werden, daß die allmählich aufgetretenen Verknappungserscheinungen im Warenangebot zu einer Ausnützung durch überhöhte Preisforderungen führten. Um die Versorgung der Bevölkerung mit Bedarfsgütern zu angemessenen Preisen sicherzustellen, war daher noch im März 1917 eine kaiserliche Verordnung ergangen, auf Grund derer Kriegswucherbehörden und Preisprüfungsstellen eingerichtet wurden. Der Erfolg blieb aber zweifelhaft 102 . Zwei Zahlenreihen vermögen die eingetretene Entwicklung im Hinblick auf ihre Bedeutung für den Letztverbraucher deutlich zu machen. Die erste Reihe gibt den Anstieg der Lebenshaltungskosten im allgemeinen, die zweite die der reinen Haushaltskosten einer Arbeiterfamilie wieder 103 : Juli 1914

Juni 1915

Juni 1916

Juni 1917

100

153

317

100

179 (Juli)

382 (Juli)

100

101

102

103

Juni 1918

Oktober 1918

650

1.082

1.285

616 (Juli)

1.560 (Juli)

1.876

Prinz Ludwig WINDISCHGRÄTZ, Vom roten zum schwarzen Prinzen. Mein Kampf gegen das k. u. k. System. Berlin/Wien 1920. 268. GRATZ - SCHÜLLER, Wirtschaftlicher Zusammenbruch. 88; LOEWENFELD-RUSS, Regelung der Volksernährung. 71. GRATZ - SCHÜLLER, Wirtschaftlicher Zusammenbruch. 164—188. Zum Stand der Staatsfinanzen und Einfluß des Auslandskapitals vgl. KFTFZEK, Kriegswirtschaft. 48; RGBl. 131, kaiserliche Verordnung vom 24. III. 1917; vgl. Preisregelungsgesetz 1957, Einleitung. GRATZ - SCHÜLLER, Wirtschaftlicher Zusammenbruch. 184.

Die kräftemäßigen Voraussetzungen

57

In der Mühle solcher Entwicklung des Geldwertes blieb ein guter Teil des Bürgertums, vor allem die Gehaltsempfänger, und die Arbeiterschaft in existenzgefährdender Weise verstrickt — in Hungerzonen bis an den Rand des physischen Zusammenbruchs. Das Bürgertum zahlte mit dem Verlust seiner Reserven, die Arbeiterschaft hatte von vornherein auch die nicht besessen. Sicher ist, daß der steigende Bedarf der Kriegswirtschaft als Herausforderung und als oft audi leistungsfördernder Impuls f ü r Produktionsorganisation und Erfindergeist wirkte. Was am Rande dieser vielfach überhitzten Wirtschaftsentwicklung mit emporstieg, aber war die Schichte jener, die aus der gegebenen Situation in oft zwielichtiger Weise Kapital zu schlagen verstanden hatte. Ihr Prototyp: der Emporkömmling der schwarzen Märkte, der zur Symbolgestalt avancierte „Kriegsgewinnler", einerseits Sinnbild für die durch die Kriegsumstände verursachte sozial bedrohliche Krisenentwicklung, anderseits Verkörperung des Schuldigen eben an der Krise, zugleich Kompensation f ü r schwindende Sieg- und Überlegenheitsgefühle. Nicht sosehr der Soldat an der Front, vielmehr der Soldat im Hinterland war von dieser sich vor seinen Augen abspielenden Entwicklung entscheidend mitbetroffen. Nicht nur in nationalpolitischer, audi in sozialpolitischer Hinsicht geriet er nun unter unmittelbare Einwirkung seiner Umwelt, ihrer Erlebnisund Leitbilder: auf der einen Seite die N o t der Zivilbevölkerung, Frauen, um Brot Schlange stehend, Männer, die Fäuste geballt, das Ende des Krieges fordernd, auf der anderen Seite diejenigen, die das Elend nicht kümmerte oder die an ihm noch verdienten 104 . Dabei fand sich f ü r den Soldaten das Bild seines Offiziers nicht außerhalb der Reihe, im Gegenteil, oft wurde es bestimmend: Der Soldat registrierte die bessere Verpflegung in den Offiziersmessen — und der Unterschied zum Inhalt seiner eigenen Eßschale war gerade im Hinterland manchmal besonders deutlich 105 . Dazu kamen der schön gedeckte Tisdi, die bessere Uniform und der Befehlston der oft eben der Schule entwachsenen Herren. Wo die Vertrauenskrise hinzutrat, mochte der Offizier das Gesicht des Klassengegners, ja des Ausbeuters gewinnen. Damit pochte der Geist des Klassenkampfes an die Tore der Kasernen, an die Niedergänge der Kriegsschiffe. Das Jahr 1918 sollte zeigen, ob und wie der zum Einsatz im Hinterland bestimmte Soldat sich dieser Herausforderung stellte. 104

ÖU1K VII. 95; vgl. auch Hans HERZFELD, Der Erste Weltkrieg. München 1968. 275 f . = dtv-Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts. Bd. 1. LOS Ygj_ Hugo KERCHNAWE, Der Zusammenbruch der österr.-ungar. Wehrmacht im Herbst 1918. München 1921. 25. Der Anregung, ebenso wie in Deutschland dem Offizier dieselbe Kost zu verabreichen wie den Mannschaften, trat das AO Κ nicht näher, da nach dessen Meinung „die Voraussetzungen hiefür bei uns andere sind als in Deutschland". Die Begründung des AOK scheint nicht ganz schlüssig: „Bei uns ist die Differenz im Bildungsniveau zwischen Offizier und Mann viel größer, dann treten noch Unterschiede in der Kostzubereitung bei den einzelnen Nationen hinzu, die dem Offizier oft unerträglich sind, schließlich ist es bei uns unbedingte Notwendigkeit, im Interesse des Dienstes für den Offizier auch bei den Verpflegskrisen besonders vorzusorgen." — Darstellung der materiellen Lage der Armee im Felde - KA, MKSM v. 1918, 2 5 - 1 / 9 , Beilage 1, 6 f.

I. H E R A U S F O R D E R U N G

Α. R E V O L U T I O N Ä R E

A N S Ä T Z E

IM

Z I V I L B E R E I C H

1 . D E R STREIK IM JÄNNER

Linksradikale

Initiativen:

„Wählt Arbeiter-

und

Soldatenräte!"

Die schwierige Versorgungslage hatte schon im Verlauf des Jahres 1917 Streiks und Demonstrationen entfacht. Das Jahr 1918 eröffnete wenig Hoffnung auf Besserung. Im Gegenteil, die ersten Streikwellen zu Jahresbeginn erfaßten selbst die verpflegsmäßig noch besser gestellte ungarische Reichshälfte. Assistenzen traten an. Bereits am 3. Jänner gab es in den Messerwarenfabriken Wlaslovits und Komporday in Stosz teilweisen Streik. 50 Mann des IR 34 wurden als Assistenz beigestellt1. Elf Tage später, am 14., rückte eine Assistenzkompanie desselben Regiments anläßlich eines bei der österreichischen Berg- und Hüttenwerksgesellschaft in Mariahuta-Zakarfalva ausgebrochenen Streiks aus2. Am selben Tag mußte „wegen Arbeitergärung" im Kohlenrevier von Petrozseny in Siebenbürgen dem dortigen Landsturm-Bergarbeiterkommando I V eine Assistenzkompanie — 100 Mann des Ersatzbataillons IR 82 3 — zur Verfügung gestellt werden4. Aber auch in der österreichischen Reichshälfte setzten gleich am Beginn des neuen Jahres Streikbewegungen ein. Die ersten Meldungen weisen nach Galizien: Am Sobieski-Schacht in Bori in Westgalizien brachen „wegen vorübergehenden Zuckermangels" in den ersten Jännertagen Arbeiterunruhen aus. Nach Verhaftung dreier Arbeiterführer stellten alle Bergarbeiter des Sobieski-Schachts aus Solidarität am 3. Jänner die Arbeit ein. 60 Mann des 1

2

s

4

Telegr. MilKmdo Kassa, Ma.Nr. 93.726/KW, an K M Abt. 5, 3 . 1 . 1918 - KA, K M Abt. 5 v. 1918, 1 - 3 / 4 - 1 7 (172); IR 34: 94% Magyaren, 4 % Slowaken, je 1% Deutsche und Tschechen - KA, Farbentabellen 1918. Telegr. MilKmdo Kassa, Ma.Nr. 93.728/KW, an K M Abt. 5,14. I. 1918 - KA, K M Abt. 5 v. 1918, 1 - 3 / 4 - 1 7 (172). IR 82: 78% Magyaren, 12% Rumänen, 7% Deutsche, je 1% Tschechen, Slowenen und Serben und Kroaten — KA, Farbentabellen 1918. Telegr. MilKmdo Nagyszeben, Ma.Nr. 1.810, an K M Abt. 5,14. I. 1918 - KA, K M Abt. 5 v. 1918, 1 - 3 / 4 - 1 7 (383).

60

Herausforderung

Ersatzbataillons des polnisch-ruthenischen SchR 34 5 wurden als Assistenz herangeführt®. In verschärfter Weise reagierte auf den zunehmenden Druck des Krieges Wien. Der Zwang des Kriegsleistungsgesetzes, dazu die sich abzeichnende Aussichtslosigkeit des Ringens an den Fronten und die fieberhaften Friedenserwartungen, die man vielfach in die Verhandlungen in Brest-Litovsk setzte, förderten zusätzlich zur materiell bedrängten Situation die Neigung zum Aufbegehren. Radikal-sozialistische Tendenzen unterstützten sie. Ein „Flugblatt zur Lage" rief das „arbeitende Volk" auf: „ . . . Schon das vierte Jahr liegen Millionen im Schmutz der Schützengräben, Millionen hungern und darben im Hinterland und gehen an Unterernährung und Tuberkulose zugrunde. Widerspruchslos ertragen wir alle den Jammer und das Elend . . . In Rußland wird das Land unter das Volk aufgeteilt, Fabriken und Bergwerke gelangen in den Besitz der Allgemeinheit. Nur der russischen Revolution verdanken wir es, daß es zu Friedensverhandlungen gekommen ist . . . " Die Konsequenz: „ . . . Wählt Arbeiter- und Soldatenräte! . . . Zum Kampf für den sofortigen allgemeinen Frieden! Zum Kampf für politische und soziale Freiheit! Nieder mit dem Krieg! Nieder mit der Regierung!" 7 Und dem Ruf nach Frieden gab auch ein Beschlußantrag des sozialdemokratischen Partei Vorstandes Raum: „Die Arbeiterschaft fordert mit leidenschaftlicher Entschiedenheit den allgemeinen Frieden.. ." 8 Die Ernährungssituation spitzte sich gefährlich zu. Eine Aktion der Arbeiter schien unmittelbar bevorzustehen. Am 13. Jänner versammelten sich sozialdemokratische Führer zu einer Besprechung in Wien — Deutsche und Magyaren, Polen und Südslawen. Es stand die Frage zur Diskussion, ob der zu erwartende Streik in revolutionäre Bahnen gelenkt werden sollte. Dr. Viktor Adler verneinte. Dazu sei nicht die Zeit. Jetzt könne nichts getan werden als politische Schritte zur Demokratisierung Österreichs. Die slowenischen SozialSchR 34: 46% Ruthenen, 43% Polen, 9% Deutsche, 2% Tschechen — KA, Farbentabellen 1918. 6 Telegr. MilKmdo Krakau, Landwehrgruppe Präs. 81, an K M , 5. I. 1918 — KA, KM Abt. 5 v. 1918, 1 - 3 / 4 - 1 7 (171). ' Dokumente zum Jännerstreik 1918: Ein Flugblatt zur Lage. In: Weg und Ziel. Monatsschrift für Fragen der Demokratie und des wissenschaftlichen Sozialismus. 11. Jg. Wien (1953). Nr. 1. 55 f. Das Flugblatt wurde von der Polizei in der Nacht vom 12. auf den 13. gefunden. — Hans HAUTMANN, Die Anfänge der linksradikalen Bewegung und der Kommunistischen Partei Deutschösterreichs 1916—1919. Wien 1970. 21; vgl. V. M. TUROK, Ocerki istorii Avstrii 1918—1929 (Abriß der Geschichte Österreichs 1918—1929). Moskva 1955. 27 f. 8 Um Friede, Freiheit und Recht! Der Jännerausstand des innerösterreichischen Proletariats, ed. Vorwärts-Verlag. Wien 1918. 4. — Zur Entwicklung der Sozialdemokratie vgl. Rudolf NECK, Arbeiterbewegung und soziale Frage 1848 — 1916. In: Probleme der franziskojosephinischen Zeit 1848—1916, ed. Friedrich ENGEL-JANOSI und Helmut RUMPLER. Wien 1967.49—65. = Schriftenreihe des österreichischen Ost-und Südosteuropa-Instituts I. Vgl. weiters Hans MOMMSEN, Die Sozialdemokratie und die Nationalitätenfrage im habsburgischen Vielvölkerstaat. 1. Band. Wien 1963.

5

Revolutionäre Ansätze im Zivilbereich

61

demokraten schnitten das nationale Problem an. Auch die Sozialdemokraten sollten doch gemeinsam mit ihrer jeweiligen Nation vorgehen. Der Vorschlag stieß auf Zurückhaltung. Allerdings meinte man, daß die Sozialdemokratie „als einzige fähig sei, das Selbstbestimmungsrecht der Nationen" auch in der Zeit nach dem Kriege zu verwirklichen 9 . Revolutionären Widerstand sah die Sozialdemokratie jedenfalls nicht v o r . . . Den Anlaß zum Streik im Jänner sollten die Ernährungsverhältnisse geben. Die Verpflegssituation, vor allem in den Industriegebieten der österreichischen Reichshälfte, hatte sich nach Neujahr in unerwarteter Weise verschlimmert. Die inländische Aufbringung an Getreide war weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben, Ungarns Liefermengen sanken, und die Zufuhren aus Rumänien stockten, solange die Donau nicht eisfrei war. Das Amt für Volksernährung sah sich genötigt, zunächst im Wege der Praxis, ohne allgemeine Verordnung, den Bezug von Kochmehl um die H ä l f t e zu verkürzen 1 0 . Am Montag, dem 14. Jänner, wurde die Kürzung der Mehl-Kopfquoten ab 17. verkündet. Die neuen österreichischen Mehlquoten betrugen 165 g für Nichtselbstversorger und 225 g für Selbstversorger; nur die Schwerarbeiter erhielten noch 264 bzw. 300 g pro K o p f und Tag 1 1 . Hinzu kam, daß seit Anfang Dezember ein strenger Winter eingebrochen war und daß es in Wien die schwersten Schneefälle seit Jahren gegeben hatte 1 2 . In den Behörden sah man der Entwicklung mit Sorge entgegen. Schon am 13. Jänner hatte der österreichische Ernährungsminister, G M H ö f er, dem Vorsitzenden des Gemeinsamen Ernährungsausschusses, dem G M von Landwehr, gegenüber am Telephon bemerkt, „daß er Krawalle in Triest und Prag befürchte" 1 3 . Den Anfang aber machte Wiener Neustadt.

Von Triest bis Krakau, von Linz bis Temesvar Am 14. Jänner um 7 Uhr 30 legte die Arbeiterschaft der Daimler-Motorenwerke in Wiener Neustadt die Arbeit nieder. Die Arbeiter der Lokomotivfabrik, der Fabrik für Heizungsanlagen, des Flugzeugwerkes, der Munitionswerke G. Rath und die Liditenwörther Arbeiter schlossen sich an 1 4 . 200 jugend• Milada PAULOVA, Tajny vybor (Maffie) a spolupräce s Jihoslovany Ν letech 1916—1918 (Der geheime Ausschuß [Maffia] und die Zusammenarbeit mit den Südslawen in den Jahren 1916—1918). Praha 1968. 388; vgl. Janko PLETERSKI, Prva odlocitev Slovencev za Jugoslavijo. Politika na domacih tleh med vojno 1914—1918 (Die erste Entscheidung der Slowenen für Jugoslawien. Die Politik in der Heimat während des Krieges 1914 — 1918). Ljubljana 1971. 200. Die Tschechen waren bei der Besprechung am 13. nicht vertreten. 10 Vgl. U m Friede, Freiheit und Recht! 5. 11

12 13 14

GRATZ - SCHÜLLER, Ä u ß e r e W i r t s c h a f t s p o l i t i k . 131.

Schicksalsjahre Österreichs. Tagebuch Redlichs. 2. Band. 254. (10. Jänner 1918). LANDWEHR, Hunger. 151. Um Friede, Freiheit und Recht! 5; vgl. Bruno FREI, Die Matrosen von Cattaro. Berlin 1963. 15.

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Herausforderung

liehe Arbeiter, darunter Landsturmarbeiter in Uniform und etliche Matrosen, warfen die Fenster des Rathauses mit Steinen ein. Rufe nach der Wahl von Arbeiterräten wurden laut 15 . Aber Wiener Neustadt stand an diesem Tag nicht allein. Aus dem Süden, aus Triest, woher der General Höfer sie befürchtet hatte, kam parallele Kunde. Auf den Austria-Werften und beim österreichischen Lloyd wurde gestreikt. Auch da hatte die Verpflegslage den Anlaß gegeben. Es ging um die Brotration. Die Initiative lag bei der italienischen Sozialdemokratie. Ein Demonstrationszug — meist Jugendliche — wurde von Militärpolizei zerstreut. Die militarisierten Betriebe wurden militärisch besetzt, starke Bereitschaften alarmiert. Zum Statthalter begab sich eine Arbeiterdeputation und stellte achttägige Frist für die Erfüllung der Forderungen . . . 1 6 Die Streikwelle im Wiener Bereich griff um sich. Am Morgen des nächsten Tages, des 15., erfaßte die Streikbewegung die Ternitzer Arbeiterschaft. „Im geschlossenen Zuge" marschierten die Ternitzer nach Wimpassing. Dort schlossen sich die Arbeiter der Gummifabrik und aller anderen Betriebe an. Die Arbeiter zogen weiter nach Neunkirchen. Auch dort setzten die Betriebe mit der Arbeit aus. Noch am selben Tag traten die Arbeiter des Triestingtales und von St. Pölten in den Ausstand 17 . Die Bereitschaft zum Widerstand erfaßte ganze Gruppen von Betrieben. Zusätzlich hatten die Linksradikalen Wiener Neustadts schon am 14. Kuriere ausgesandt, um weitere Arbeiterzentren zu gewinnen: nach Wien, Linz, in die Obersteiermark, nach Budapest und Laibach; man versuchte sogar Verbindung mit Berlin aufzunehmen 18 . Die Wiener Parteileitung der Sozialdemokraten, die erst Stunden später vom Ausbruch des Streiks in Wiener Neustadt erfahren hatte, war bemüht, sich in die Bewegung einzuschalten19. Die „Arbeiter-Zeitung" veröffentlichte am 16. Jänner einen Aufruf der Parteiführung und des Klubs der deutschen sozialdemokratischen Abgeordneten: „Für die schleunigste Beendigung des Krieges! Für den Frieden ohne offene und ohne verhüllte Eroberungen! Für den Frieden auf der Grundlage des unverfälschten Selbstbestimmungsrechtes der Völker!" 2 0 Telegr. MilStatKmdo Wr. Neustadt an M K S M , 15.1. 1918 - K A , M K S M v. 1918, 2 8 - 2 / 7 ad X I . 16 Bernard STULLI, Prilozi gradji za historiju 1918-e. u Istri i Trstu (Materialbeiträge zur Geschichte des Jahres 1918 in Istrien und Triest). In: Vjesnik Drzavnog arhiva u Rijeci. V. Rijeka (1959). 466; K A , K M / M S , P K 1918, X V - 3 / 1 0 , 221 und 249; Bernard S T U L L I , Ustanak mornara u Boki Kotorskoj (Der Matrosenaufstand im Golf von Kotor). Split 1959. 84 f. " U m Friede, Freiheit und Recht! 6. 15

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HAUTMANN, A n f ä n g e . 22.

Robert GLOCK, Die österreichische Sozialdemokratie und der Weltkrieg. Phil. Diss. Wien 1952. 192. Arbeiter-Zeitung ( = AZ). Zentralorgan der Deutschen Sozialdemokratie in Österreich, X X X . Jg. Wien 1918, Nr. 16, 16. I. 1918, 1.

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Ab 15. hatte die Ausstandsbewegung auch auf Wien übergegriffen 21 . Zunächst waren die Forderungen noch primär wirtschaftlicher Art, so in der Floridsdorfer Lokomotivwerkstätte. Später wurde zusätzlich der Aufruf der Arbeiter-Zeitung wirksam. In Floridsdorf traten am 16. die Fiat-Werke in den Streik, in Favoriten standen bereits nahezu alle Betriebe still, unter anderem die Südbahn- und Staatsbahnwerkstätten, ebenso in Ottakring und in Stadlau, in Simmering und in der Brigittenau. Auch in Margareten, Meidling — Kapsch —, Hietzing, Rudolfsheim, Hernais — Reichert — und Döbling — Gräf und Stift — wurde in einigen Betrieben die Arbeit niedergelegt 22 . Am Abend des 16. — an diesem Abend standen bereits 84.300 Arbeiter im Ausstand — bewegte sich ein Demonstrationszug von Favoriten in Richtung Innenstadt. Schon schien auch das „Eingreifen anarchistischer Gruppen fühlbar" 2 3 . Noch diskutierte man um die Zielrichtung. Am 16. hatte in Wiener Neustadt, nach ergebnislosen Verhandlungen mit dem Ernährungsminister am 15., eine große Vertrauensmännerversammlung stattgefunden. Nicht die Kürzung der Mehlquote sollte als Beweggrund des Aufbegehrens zielbestimmend werden — die Ziele wollte man nun breiter und weiter Stedten. Gewicht sollte vor allem die Forderung nach Frieden bekommen 24 . Am nächsten Tag wurde die Ausstands-Erklärung des Parteivorstandes veröffentlicht: „Diese Arbeitseinstellung ist das Ergebnis einer elementaren Bewegung, die ohne das Zutun der politischen und der gewerkschaftlichen Organisation eingesetzt hat, einerseits infolge der Nachrichten über den Verlauf der Friedensverhandlungen in Brest-Litovsk, andererseits infolge der jüngsten Maßregeln auf dem Gebiet des Verpflegungsdienstes." Die Forderungen waren in vier Richtungen konkretisiert: Nichtbeharren auf territorialen Forderungen in Brest-Litovsk, Reorganisation des Verpflegungsdienstes, Demokratisierung der Gemeindevertretungen, Aufhebung der Militarisierung der Betriebe 25 . Die Bewegung, spontan aufgebrochen, blieb von linksradikalen Strömungen durchsetzt. Vertreter der streikenden Großbetriebe bildeten auf eigene Faust ein ständiges Komitee. Kleine Gruppen von Radikalen führten an einigen Stellen die Bewegung an 26 . Ein zweites Flugblatt am 16. abends erklärte: „ . . . In Brest-Litovsk haben die Grafen und Generäle, gestützt auf das Schwert, 21

Vgl. die Akten-Dokumentation von Rudolf NECK, Arbeiterschaft und Staat im Ersten Weltkrieg 1914 — 1918. (A. Quellen) I. Der Staat (2. Vom Juni 1917 bis zum Ende der Donaumonarchie im November 1918). Wien 1968. 185 — 340; HAUTMANN, Anfänge. 22. 22 Um Friede, Freiheit und Recht! 6; vgl. Otto BAUER, Die österreichische Revolution. Wien 1923. 76. 23 Um Friede, Freiheit und Recht! 7; HAUTMANN, Anfänge. 23. 24 Um Friede, Freiheit und Recht! 8; HAUTMANN, Anfänge. 24. 25 AZ 1918, Nr. 17, 17. I. 1918, 1. " Vgl. Julius DEUTSCH, Radikale Strömungen. In: Der Kampf, 11. Jg., Nr. 2, Wien Februar 1918, 7 1 - 7 8 ; FREI, M a t r o s e n . 16; TUROK, Ocerki. 2 7 - 4 3 .

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den Friedenswillen unserer russischen Brüder brutal zurückgewiesen. Die russischen Arbeiter und Bauern haben mit den schärfsten Mitteln des Klassenkampfes, mit Massenstreiks, Meuterei und Straßenkampf, nicht nur für die eigene Freiheit gestritten... Die Arbeiter der anderen Länder müssen sich um die rote Fahne der russischen Revolution scharen! Vor allem sind wir österreichischen Proletarier berufen, die Revolution vor der gewalttätigen Hinterlist unserer Regierung zu retten." Radikaler tönten da die Forderungen: „Die Friedensdelegierten sind vom Volke zu wählen! An allen Fronten ist sofort Waffenstillstand zu schließen! Kriegsleistungsgesetz und Militarisierung der Betriebe sind sofort aufzuheben! Alle Beschränkungen des Koalitionsrechtes und der politischen Freiheit sind abzuschaffen!" Und zusätzlich sollten Friedrich Adler und alle anderen politischen Gefangenen sofort freigelassen werden. Einvernehmliche Lösungen waren nicht mehr gefragt: „Mißtraut jenen patriotischen ,Arbeiterführern', die Euch seit dem ersten Tage des Krieges verraten (und auch jetzt Eure Streikgelder vorenthalten). Hört nicht auf ihre Beschwichtigungsreden, sondern bleibt fest im Streite für unser Ziel! Habt Ihr und Eure Arbeitsbrüder im Schützengraben Euer Leben für die Interessen Eurer Unterdrücker gewagt, dann fürchtet auch jetzt nicht die Säbel der Polizisten und ihre Maschinengewehre . . . Laßt alle Räder stillstehen . . . Wählt Arbeiterräte, so wie in Rußland! — und der Massengewalt des Proletariats wird der Sieg gehören!" 27 Und in Reden tauchten die Parolen auf, zu den Waffen zu greifen, das Arsenal zu stürmen und den Kaiser zu stürzen . . . 2 8 Keine Frage, zum ersten Mal war bei diesem Streik der zunehmende Einfluß einer revolutionären Gruppe, die links der Sozialdemokratie vorging, deutlich in Erscheinung getreten 29 . Ihr Ziel: ein Streik, der alle Dämme brechen 87

86 28

Ludwig BRÜGEL, Geschichte der österreichischen Sozialdemokratie. V . B a n d : Parlamentsfeindlichkeit und Obstruktion/Weltkrieg/Zerfall der Monarchie (1907-1918). Wien 1925. 336; Dokumente zum Jännerstreik 1918. In: Weg und Ziel. Wien (1953). 55 f. Zur Problematik des Einflusses der Sozialdemokratie auf die streikenden Arbeiter vgl. auch Diskussionsbeitrag Rudolf NECK in Historical problems of the Austro-Hungarian monarchy, 1900 bis 1918 (Conference held in Budapest from the 4th to 9th of May 1964). In: Acta Historica. Zeitschrift der Ungar. Akademie der Wissenschaften. Tom. X I . Budapest (1965). Nr. 1—4. 371. Zum Bezug zur Oktoberrevolution vgl. Vladimir M. TUROK, Die russische Oktoberrevolution und ihre Rückwirkungen auf den Zusammenbruch der österreichisch-ungarischen Monarchie. In: Die Auflösung des Habsburgerreiches. Zusammenbruch und Neuorientierung im Donauraum, ed. Richard G. PLASCHKA und Karlheinz MACK. Wien 1970. 226—230. = Schriftenreihe des österreichischen Ost- und Südosteuropa-Instituts III. Zur Verhaftung des Flugblattverfassers Rothziegel vgl. Franz BRANDL, Kaiser, Politiker und Menschen. Leipzig/Wien 1936. 237. HAUTMANN, Anfänge. 27. Vgl. Friedrich FUNDER, Vom Gestern ins Heute. Aus dem Kaiserreich in die Republik. 2. Aufl. Wien 1953. 572. Das Interesse der Bol'äeviki an dieser Entwicklung wird daran deutlich, daß sie ab Anfang Jänner 1918 in Wien ein eigenes Informationsbüro unterhielten. — ΚΑ, M K im K M 1918, Nr. 9.972, 9.1. 1918; vgl. Konrad SCHRÖDER, Die pazifistische Propaganda der österreichischen Sozialdemokraten im Ersten Weltkrieg. Phil. Diss. Wien 1969. 189.

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würde. Der sozialdemokratische Parteivorstand — um „Ruhe und Ordnung" bemüht — steuerte mit Weisungen entgegen: „Im Interesse der gesamten Bevölkerung ersuchen wir die Arbeiter aller Lebensmittelindustrien, die Bergarbeiter, die Arbeiter der Eisenbahnen, der Straßenbahnen und der anderen Transportgewerbe, der Gas- und Elektrizitätswerke dringend, nicht die Arbeit einzustellen. Solche Ausstände würden die Notlage der gesamten Arbeiterschaft überaus verschärfen und müssen daher unterbleiben." 30 Von den Vertrauensmännern der streikenden Arbeiter gewählte Bezirkskomitees sollten für die Regelung des Ausstandes bezirksweise Sorge tragen. Tätliche Auseinandersetzungen sollten jedenfalls unterbleiben: „ . . . bitten wir die Arbeiter und Arbeiterinnen dringend, Ruhe und Ordnung aufrecht zu erhalten und alle Zusammenstöße auf der Straße zu vermeiden. Ihr demonstriert durch den Streik — die Wirksamkeit dieses Demonstrationsmittels könnte durch die Straßenexzesse nicht gesteigert, sondern eher gefährdet werden!" 31 Für die Leitung der Streikbewegung wurde am 17. Jänner abends vom Parteivorstand ein Permanenzkomitee eingesetzt. Es war berechtigt, den aus den Bezirksexekutiven gewählten Arbeiterrat einzuberufen 32 . Inzwischen aber hatte die Ausstandsbewegung eine weitere Ausbreitung in territorialer Hinsicht erfahren. Telegramme darüber liefen nun audi über die militärischen Führungsstellen ein: Bereits am 15. nachmittags waren — wie es hieß — infolge Brotmangels unter der Zivilbevölkerung Krakaus „ernste Unruhen" ausgebrochen33. Krakau hatte sich neben Wien und Triest zu einem dritten Startzentrum des Jännerstreiks entwickelt. Der Brotmangel in der Stadt bewog die Bevölkerung am 15., sich an den Fürstbischof zu wenden — mit der Bitte um Intervention. Die Bemühungen des Bischofs Sapieha beim Statthalter Grafen Huyn und telegraphisch in Wien vermochten keine sofortige Abhilfe zu erwirken. Die Folge: am 16. Demonstrationen vor dem bischöflichen Palais und Raub und Überfälle auf Lebensmittelgeschäfte. Daraufhin blieben am 17. die meisten Läden geschlossen. An diesem Tag schalteten sich die Krakauer Reichsratsabgeordneten mit Hilferufen an Wien ein. Versprechungen fanden kein Gehör mehr. In den Kundgebungen waren bereits die Parolen von demokratischem 30 31 32

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AZ 1918, Nr. 17, 17. I. 1918, 1. AZ 1918, Nr. 17, 17. I. 1918, 1. U m Friede, Freiheit und Recht! 14. Eine Delegation der Wiener Neustädter Arbeiter hatte am 17. dem Parteivorstand zu den bereits gestellten noch zusätzliche Forderungen vorgetragen: die nach Aufhebung der Zensur, Einführung des 8-Stunden-Tages und Konfiskation und Verteilung der Lebensmittel durch Arbeiterkomitees. — Der Januarausstand der österreichischen Arbeiterschaft und der Verrat der sozialpatriotischen Führer. Zürich 1918. 10. Die Schrift wurde — ohne Nennung des Verfassers — im September 1918 von linksradikaler Seite herausgegeben. Telegr. des Stadtkommandanten in Krakau, FML Zaleski, an M K S M , 16. I. 1918, 14 h - KA, M K S M v. 1918, 2 8 - 2 / 6 .

Herausforderung

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Frieden und nationaler Selbstbestimmung zu hören. In den Straßen aber tauchte Kavallerie auf 3 4 . Der 18. stand im Zeichen weiterer Demonstrationen und Streikaktionen. In den Bäckereien gab es audi weiterhin kein Brot. Am 19. verordnete die Krakauer Polizeidirektion das Verbot von Zusammenrottungen auf Straßen und Plätzen, die Sperre öffentlicher Lokale um 16 und Ausgangssperre ab 18 Uhr. Am 20. fanden die Demonstrationen ihre Fortsetzung, vor allem vor dem Mickiewicz- und dem Grunwald-Denkmal. Der Ringplatz wurde von der Polizei geräumt 35 . Im Wiener Bereich war inzwischen die Streikbewegung ihrer Kulmination entgegengetrieben. Auch in Laxenburg dämmerte der Ernst der Entwicklung. Kaiser Karl sandte ein beschwörendes Telegramm an den Außenminister Graf Czernin, der in Brest-Litovsk verhandelte: „Für Kurland und Livland und polnische Träumereien können wir hier nicht die Situation umwerfen. Kommt der Friede in Brest nicht zustande, so ist hier die Revolution, wenn auch noch so viel zu essen ist. Dies ist eine ernste Weisung in ernster Zeit." 3 6 Bald darauf zog sich der Kaiser mit seiner Familie vom Laxenburger Schloß in die „bürgerliche Enge" des Badener Kaiserhauses zurück. Er fühlte sich in der Nachbarschaft des Badener Armeeoberkommandos sichtlich sicherer37. Am 18. stellten sämtliche Industriebetriebe in Linz, die Pulverfabrik in Blumau in Niederösterreich, in der Steiermark die Betriebe in Graz, Weiz, Kaisdorf sowie im Mürz- und Murtal — Veitsch, Bruck, Donawitz und Knittelfeld —, die Werft der D D S G in Korneuburg, die Waffenfabrik in Steyr, aber auch Betriebe in Tirol ihren Betrieb ganz oder teilweise ein 38 . Am 19. sollte der Erzberg in Eisenerz einbezogen werden. Allein in Wien stieg am 17. und 18. die Zahl der Streikenden auf über 100.000. Als Höchstzahl an Streikenden sind für Wien 113.000 genannt, für Niederösterreich ohne Wien 153.000. Weitere Meldungen sollten für den 19. Jänner in Oberösterreich 15.000 Streikende, im Mur-Mürztal — Mürzzuschlag, Donawitz,Thörl, Bruck/ Mur, Knittelfeld — 35.000, dazu am Erzberg 6.000, in Graz schon ab 17. Jänner 22.000 festhalten. Und die Streikwellen griffen über die Alpenländer hinaus: Neben Krakau war auch der Brünner Industriebezirk erfaßt, Mährisch

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Bericht des StadtKmdten F M L Zaleski über den 16. Jänner an K M und M K S M , 17. I. 1918 - K A , M K S M v. 1918, 2 8 - 2 / 7 ad I I ; Telegr. des StadtKmdten an K M und M K S M , 17. I. 1918 - K A , M K S M v. 1918, 2 8 - 2 / 7 ; Kurjer Lwowski, Nr. 28, 30, 34 - 17., 18. und 20. I. 1918. Kurjer Lwowski, Nr. 32, 34, 36 — 19.,20. und 21. 1.1918; vgl. Jerzy HOLZER — Jan MoLENDA, Polska w Pierwszej Wojnie iSwiatowej (Polen im Ersten Weltkrieg). Warszawa 1963. 283 ff. GRATZ — SCHÜLLER, Äußere Wirtschaftspolitik. 159 f.; vgl. Ottokar CZERNIN, Im Weltkriege. 2. Aufl. Berlin/Wien 1919. 324 f. GLAISE-HORSTENAU, D i e K a t a s t r o p h e . 1 4 2 .

U m Friede, Freiheit und Recht! 18.

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Ostrau zum Teil, und im Süden hatten die Schiiiswerften in Triest und Muggia von A n f a n g an auslösend gewirkt 3 9 . Die militärischen Zentralstellen wollten durchgreifen. D a s Kriegsministerium hatte den Kommandanten der unter militärischer Leitung stehenden Betriebe befohlen, ihre Arbeiter durch Kundgebungen zur Wiederaufnahme der Arbeit zu veranlassen. Verabredete Arbeitseinstellung von Soldaten sei als Meuterei anzusehen: „Falls die kommandierten Soldaten nicht sofort die Arbeit wiederaufnehmen, werden sie insgesamt die schwersten Folgen zu tragen haben." D a s Ministerium des Innern mahnte zu gedämpfterem Vorgehen: „ . . . durch ähnliche Kundmachungen untergeordneter Stellen" könnten „unabsehbare Folgen ausgelöst werden" 4 0 . Der Streik nahm nicht nur an Breite, er nahm auch an Intensität weiter zu. Die Setzer und Drucker stellten die Arbeit ein, und die Eisenbahner wurden aufgefordert, sich für die Arbeitsniederlegung bereitzuhalten. Am 18. abends erschienen in Wien keine Zeitungen mehr. Die Straßenbahn fuhr zwar, ebenso arbeiteten Gas- und Elektrizitätswerke 4 1 . Der sozialdemokratische Parteivorstand beschwor die für den Eisenbahnverkehr tätigen Arbeiter, eine Störung auf ihrem Gebiet zu vermeiden: „Niemand ist berechtigt, diese Arbeit, die im Interesse der gesamten Arbeiterschaft notwendig ist, als Streikbruch anzusehen!" 4 2 D a flammte der Streik audi in Ungarn auf. Selbst die warnende Rede des ungarischen Ministerpräsidenten im Abgeordnetenhaus hatte dies nicht hintanzuhalten vermocht: So wie man alles aufbieten werde, den Frieden herbeizuführen, werde man allerdings auch verhindern, „daß unter dem Schlagwort Chiffre-Telegr. des K M an M K S M , 18. I. 1918, 13 h - K A , M K S M v. 1918, 2 8 - 2 / 7 ; Rudolf NECK, Die österreichische Arbeiterbewegung vom Jänner bis November 1918. I n : Die Auflösung des Habsburgerreiches. Zusammenbruch und Neuorientierung im Donauraum, ed. Richard G . PLASCHKA und Karlheinz MACK. Wien 1970. 74. = Schriftenreihe des Österreichischen Ost- und Südosteuropa-Instituts I I I ; U m Friede, Freiheit und Recht! 19; Zusammenstellung über die Situation am 20. und 21. I. 1918 — K A , M f L V 1918, Präs. 22, N r . 1.822/11; NECK, Arbeiterschaft und Staat. 289; Josef KOLEJKA, Ohlas Velke rijnove revoluce na Brnensku (Der Widerhall der Großen Oktoberrevolution im Brünner Gebiet). I n : Casopis Matice moravske. Brno (1951). 274 f. In Triest und Muggia gingen italienische und slowenische Arbeiter gemeinsam vor. Neben den allgemeinen Forderungen verlangte man das allgemeine, gleiche, direkte und geheime Wahlrecht für den Landtag des Küstenlandes. — Dragovan SEPIC, Italija, saveznici i Jugoslavensko pitanje 1914—1918 (Italien, die Alliierten und die südslawische Frage 1 9 1 4 - 1 9 1 8 ) . Zagreb 1970. 272. 10 Kundmachung des militärischen Leiters der staatlich geschützten Fabriken des M i l K m d o Wien, 17. I. 1918 - AVA, M d l Präs. 1918, 22 N Ö 2.414; NECK, Arbeiterschaft und Staat. 255. 11 Vgl. J a n OPOCENSKY, Umsturz in Mitteleuropa. Der Zusammenbruch Österreich-Ungarns und die Geburt der Kleinen Entente. Hellerau bei Dresden 1931. 72 f . ; Schicksalsjahre Österreichs. Tagebuch Redlichs. 2. Band. 256 (19. Jänner 1918). " A Z 1918, N r . 18, 18. I. 1918, 1. 39

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des Friedens wirkende, in Wirklichkeit aber nur die gesetzliche Ordnung gefährdende Bewegungen zur Geltung gelangen" 43 . Am 18. begann der Generalstreik. Budapest machte den Anfang. Schon am 13. hatte in der ungarischen Hauptstadt eine Reihe von Friedenskundgebungen der sozialdemokratischen Partei stattgefunden. Tags darauf waren Jugendliche des sogenannten Galilei-Ringes verhaftet worden, weil sie in den Kasernen Flugblätter gegen den Krieg verbreitet hatten. In einigen Fabriken, so in Csepel, waren Ansätze zu Arbeiterräten geschaffen worden. Die Nachricht vom Ausbruch des großen Streiks im Raum Wien hatte schließlich den Aktionsbeginn auch in Budapest bewirkt 44 . Ab 18. streikten in Budapest sämtliche Industriebetriebe, weiters Eisenbahnwerkstätten, Straßenbahnen und Druckereien. Auch hier schaltete sich die Parteileitung der Sozialdemokratie ein, um die Lenkung des Streiks in die Hand zu bekommen 45 . Am 19. Jänner gab die Sozialdemokratische Partei Ungarns einen Aufruf heraus: „Wir verlangen Garantien, daß man die Wahlrechtsreform nicht weiter zurückhält und daß man augenblicklich das Tisza-Parlament auflöst, wenn es wagen sollte, sich der Bewegung entgegenzustellen, die den Massen ihre Rechte bringen will. Wir fordern Frieden, Recht und Brot. Die Regierung muß Garantien abgeben, daß sie dem Elend des Krieges, der Lebensmittelknappheit und der Teuerung ein Ende bereiten will. Der Massenstreik hunderttausender Proletarier will von den Mächtigen Zugeständnisse erzwingen . . ."46 Freilich fanden audi hier die Radikalen den Aufruf nicht scharf genug, bestückt nur mit zurückgesteckten Zielen, ohne Hinweis auf die Oktoberrevolution 47 . Dennoch bildeten die Forderungen des Aufrufs in Budapest die Ausgangsbasis für mächtige Massenversammlungen am 19. und 20. Jänner 48 . Die Fäden der Streikagitation führten auch sofort hinaus ins Land. Vertrauensleute der Partei aus Budapest tauchten in den Provinzstädten auf. Ort um Ort wurde vom Streik erfaßt: Aszod, Vac, Nagykanizsa, Szeged, Szabadka, Temesvar, Györ (Raab), Magyarovar, Kolozsvar (Klausenburg), Szombathely (Steinamanger), Kaposvar, Arad, Kassa (Kaschau), Tatabanya, Debreczen, Salgotarjan, Losoncz, Pozsony (Preßburg), Czegled, Ersekujvar, 43

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Bila SZÄNTO, Umriß der Geschichte der ungarischen proletarischen Revolution im Jahre 1919. Moskau o. J. (maschinschriftliches Manuskript). 162; U m Friede, Freiheit und Recht! 18. Telephondepesche (Abschrift) FML Cvrcek an KM Abt. 10, 19. I. 1918 - KA, K M Abt. 5 v. 1918, 1 — 3/4—10; Helene GÄBOR, 1918 — Der Jännerstreik in Ungarn. In: Die Auflösung des Habsburgerreiches. Zusammenbruch und Neuorientierung im Donauraum, ed. Richard G. PLASCHKA und Karlheinz MACK. Wien 1970. 79. = Schriftenreihe des österreichischen Ost- und Südosteuropa-Instituts III; SZÄNTO, Revolution. 162.

45

GABOR, Jännerstreik. 79.

46

PI, Röpiratgyüjteminy 1918-1919 (Flugschriftsammlung 1918-1919), 11/11/53/1918; vgl. auch A magyar munkäsmozgalom törtenetenek välogatott dokumentai (Ausgewählte Dokumente der Geschichte der ungarischen Arbeiterbewegung). 5. Band. Budapest 1956. 64 f. Nr. 44.

47

V g l . SZÄNTO, R e v o l u t i o n . 162. GÄBOR, J ä n n e r s t r e i k . 7 9 .

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Ruttka, Szolnok, Z o l y o m , N y i t r a b a n y a , Selmecz-es Belabanya 4 9 . M i t rund 2 0 0 . 0 0 0 Streikenden schätzte man ihre Zahl eher vorsichtig 5 0 . Besonders beunruhigend e m p f a n d m a n die Entwicklung im Bereich der ungarischen Eisenbahnen. V o r allem in Heizhäusern u n d Werkstätten w u r d e gestreikt, die wichtige Bahnlinie Kassa-Oderberg blockiert 5 1 . Auch außerhalb v o n Budapest w u r d e n Ansätze zu Arbeiterräten deutlich, so in N a g y k a n i z s a u n d Szeged 5 2 . Ein Landsturm-Oberarzt tritt im Unruhebereich der Bahn in den Vordergrund, der D r . Jeno Hamburger, eben in N a g y k a n i z s a . D e r Oberarzt hat versucht, im dortigen Arbeiterheim die Lokomotivführer der ungarischen Südbahn zur Arbeitsniederlegung zu überreden. D a z u sekundierte ein Flugblatt: „ V o m Menschenschlachten haben wir genug. A m heutigen Tag schidien w i r an unsere revolutionären russischen Genossen ein Grußtelegramm; an die den Krieg weiter fortsetzenden großen Herren, Industriebarone und Kriegshetzer schikken wir ein U l t i m a t u m . Arbeiter, Genossen, Frauen! Wir haben nichts zu verlieren, entweder es k o m m t der sofortige Friede oder es soll die alle w e g f e g e n d e große Flut kommen!" 5 3 Dennoch w a r der Streik im Bereich der ungarischen Bahnen nicht durchschlagend 54 . " Iren NEVELÖ, Nihäny adat az 1918 januäri tömegszträjk törtenetihez (Einige Angaben zur Geschichte des Massenstreiks vom Jänner 1918). In Pärttörteneti Közlemcnyek. Budapest (1958). 2. 113 — 117; GABOR, Jännerstreik. 80. Zu den Ereignissen in Oberungarn vgl. L'udovit HOLOTIK, Oktöbrovä revolücia a närodnooslobodzovacie hnutie na Slovensku ν rokoch 1917—1918 (Oktoberrevolution und nationale Befreiungsbewegung in den Jahren 1 9 1 7 - 1 9 1 8 ) . B r a t i s l a v a 1958. 61 f . 50

NEVELÖ, Nehäny adat. 120; vgl. GÄBOR, Jännerstreik. 79. Telephondepesche (Abschrift) FML Cvrcek an KM Abt. 10, Budapest 19. I. 1918 — KA, KM Abt. 5 v. 1918, 1 — 3/4—10. Vgl. dazu die Berichte aus zwei MilKmdo-Bereichen: MilKmdo-Bereich Pozsony (zwischen 19. und 22. Jänner): firseküjvär — Streik im Heizhaus und in der Eisenbahnwerkstätte; Szombathely — Heizhaus, Eisenbahnwerkstätte; Ruttka — Streik von 800 Heizern, am 22. I. traf eine AssKomp. vom HIR 15 ein; Nagykanizsa — Heizhaus, Eisenbahnwerkstätte; Magyarövär — Streik in der Schießpulverfabrik und der Militärbauarbeiter, auch Demonstrationen; Tatabänya — alle Betriebe im Ausstand; Györ — zuerst Eisenbahnwerkstätte, dann sämtliche Betriebe, Demonstrationen; Dorog und Tokod — Streik am 21.; Zölyom — Streik im Heizhaus, ein Offizier und 35 Mann als Assistenz; Pics — 240 Mann Assistenz am 22. in Bänyatelep bereitgestellt. MilKmdo-Bereich Nagyszeben: Streik in Eisenbahnwerkstätten in Nagyszeben, Hermannstadt; ebenso in Eisenbahnwerkstätten in Öpiski; Verkehr jedoch nicht behindert. — Η IL, HM ein. 1918, Β I. 2/3 — 3.584. Bela GADANECZ, Közlekedesi es hirközlesi dolgozok a Magyarorszägi munkäsmozgalomban. Väzlatos ättekintes (Verkehrs- und Nachrichtenübermittlungsarbeiter in der Arbeiterbewegung Ungarns. Allgemeine Übersicht). 1. Teil 1845-1945. Budapest 1968. 129. 62 GABOR, Jännerstreik. 80. 53 Fötärgyaläs Dr. Hamburger Jenß nipfelkelö föorvos is Sneff Jozsef ügyeben (Hauptverhandlung in der causa Dr. Hamburger Jeno, Landsturm-Oberarzt, und Sneff Josef) — PI, Fond 721, 1/83. ö. e. 2 Bde. 436 Blatt. Hamburger ist am 31. V. 1883 in Udvarnok geboren, mosaischen Bekenntnisses und Arzt; der Prozeß begann am 24. August 1918 nach viermonatiger U-Haft; Vädirat (Anklageschrift) verfaßt vom Staatsanwalt des k. u. HonvedDistriktskommandos, Ü 1.537/17, Pozsony 24. VI. 1918, 1 f. Die Anklage hob hervor: Der Oberarzt rief in Nagykanizsa einen revolutionären Arbeiterrat ins Leben. 54 Vgl. zu dieser Situation GADANECZ, Közlekedesi es hirközlesi dolgozok. Nach Gadanecz ist 51

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Herausforderung

In Budapest aber wurde die Spannung audi im Straßenbild deutlich. Starke Gendarmerie- und Polizeimannschaften, verstärkt durch MG-Abteilungen, gaben den verkehrsreichen Straßen und Plätzen der Stadt einen kriegerischen Hintergrund 5 5 . D i e Verhandlungen, das Ende des Ausstandes herbeizuführen, waren jedoch — in Wien — bereits e i n g e l e i t e t . . .

Einer Absprache

entgegen: Verhandlungen mit der Führung kratie in Wien und Budapest

der

Sozialdemo-

Noch in der Nacht zum 17. hatte die Führung der Partei in Wien dem Ministerpräsidenten ihre Forderungen übersandt. D r . Seidler hatte sie als Verhandlungsgrundlage angenommen. Schon im Lauf des 17. waren die Reichsratsabgeordneten Adler, Ellenbogen, Renner und Seitz mit den Mitgliedern der Regierung in Verhandlungen über die vier Forderungspunkte ihrer Partei getreten. Freilich gelang es zunächst nicht, ein einvernehmliches Ergebnis zu erzielen 56 . D i e Verhandlungen wurden auf mehreren Ebenen fortgesetzt. N o c h am selben Tag hatten die Sozialdemokraten die Budgetausschußsitzung zum Anlaß genommen, eine außenpolitische Debatte über Brest-Litovsk abzuführen 5 7 . Sie mündete in Verhandlungen zwischen dem Minister des Innern, dem Grafen Toggenburg, und dem Abgeordneten Seitz. U n d aus Brest-Litovsk meldete sich der Graf Czernin über das Telegraphenbüro mit beruhigender Erklärung — er werde den Frieden nicht an Eroberungsabsichten scheitern die verhältnismäßige Zurückhaltung des fahrendenPersonals und der Beamten der ungarischen Bahnen gegenüber dem Jännerstreik vor allem darauf zurückzuführen, daß viele Bedienstete nicht der illegalen Gewerkschaftsbewegung, die oft in Opposition zur Spitze der sozialdemokratischen Partei gestanden war, angehörten. Auch der Führer dieser Bewegung, Dr. Landler, war allerdings — so wurde vor dem Militärgericht festgestellt — zur Zeit des Jännerstreiks nicht für die totale Opposition mit Einschluß der Eisenbahnarbeiter eingetreten. Zusätzliche mündliche Mitteilung Bela Gadanecz', Budapest 12. XII. 1970. 55 GABOR, Jännerstreik. 80. Auch durch zensurpolitische Maßnahmen versuchten Zivil- und Militärbehörden eine weitere Entfaltung der Streikbewegung zu blockieren. Diese Maßnahmen reichten bis in die Schützengräben. So verbot das AOK „wegen des aufreizenden Inhaltes" zweier Artikel die Verbreitung einer Nummer der Budapester Zeitung „Az Est" im Bereich der Armee im Felde. — Telegr. KÜK Budapest an AOK, 17. I. 1918; Telegr.Abschrift AOK Ch. d. G., an alle Armee-,Feld- und Etappen-Postdirektionen, 18. I. 1918 — HIL, 1. Viläghäborü 1914—1918. Hadifelügyeleti bizottsäg iratai 1918, 4.471 doboz, Nr. 129. Bei den inkriminierten Artikeln handelte es sich um „Több szäzezer munkas sztrajkol Becsben es Ausztriäban" (Mehrere 100.000 Arbeiter streiken in Wien und Österreich) und „A Galilei kör bezäräsa" (Die Schließung des Galilei-Kreises). 56 Um Friede, Freiheit und Recht! 17; vgl. HAUTMANN, Anfänge. 25. 57 Da auswärtige Angelegenheiten der Beratung in den Delegationen vorbehalten waren, hatte der Abgeordnete Seitz beantragt, die Budgetpost über die Beitragsleistung für gemeinsame Angelegenheiten zur Verhandlung zu stellen. Vgl. Victor ADLERS Aufsätze, Reden und Briefe. Hrsg. vom Parteivorstand der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Deutschösterreichs. IX. Heft: Victor Adler der Parteimann, gesammelt und in vier Heften zusammengestellt von Dr. Gustav POLLATSCHEK, mit einer Einleitung von Dr. Otto Bauer. 4. Um Krieg und Frieden. Wien 1929. 234 ff.

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lassen: „Wir wollen nichts von Rußland, weder Gebietsabtretungen noch Kriegsentschädigungen." 58 Langsam vermochten die Standpunkte einander angenähert zu werden: über die Reorganisation des Verpflegsdienstes in Verhandlungen zwischen dem Minister Höfer und dem Generalernährungsinspektor Oberst Wallenstorfer und den Abgeordneten Eldersch und Renner 59 , über die Frage der Militarisierung der Betriebe zwischen dem Minister für Landesverteidigung, FML von Czapp, und den Abgeordneten Seitz und Domes. Schließlich führten auch die besonders schwierigen Gespräche über das Gemeindewahlrecht und den Ernährungsdienst der Gemeindeverwaltungen zwischen Toggenburg, Adler, Renner und Seitz zu grundsätzlichem Einvernehmen 60 . Noch am Abend des 19. kam es zum Spitzentreffen. Der Ministerpräsident Seidler und die Minister Höfer, Toggenburg und Czapp empfingen die Abgeordneten Adler, Domes, Hanusch, Renner und Seitz. Die Regierung teilte ihre Haltung zu den vier Forderungspunkten mit. Die Abgeordneten erklärten, sie würden das Ergebnis der Besprechung den Vertrauensmännern der Arbeiterschaft bekanntgeben und deren Beschlüsse der Regierung zur Kenntnis bringen 61 . Die Vertrauensmänner — im Wiener Arbeiterrat zusammengefaßt — verhandelten noch in der Nacht vom 19. auf den 20. Jänner. Man legte vor, was man erreicht hatte: Der Friede mit Rußland werde angestrebt, wie es dem Willen der Arbeiterschaft entspreche, in der Ernährungsfrage wolle man die Privilegien der Selbstversorger beseitigen, die Regierung wolle Initiativen in der Demokratisierung des Gemeindewahlrechts setzen und schließlich sollten Kriegsleistungsgesetz und Militarisierung der Betriebe auf zivilrechtliche Basis übergeführt werden 62 . Die Resolution für die Wiederaufnahme der Arbeit wurde dennoch erst nach langer, heftiger Debatte mit 308 gegen zwei Stimmen angenommen. Viktor Adler hatte den gesamten Einfluß seiner Persönlichkeit, seine ganze Beredsamkeit in die Waagschale geworfen: „ . . . Der Ernährungsminister hat uns leid getan. Man hat es ihm angesehen, er gäbe gern etwas, aber er kann es n i c h t . . ." 63 Diese Entschließung traf zwar nur der Wiener Arbeiterrat, aber Wien durfte als entscheidend, als beispielgebend angesehen werden. Der Parteivorstand der deutschen Sozialdemokraten forderte die Arbeiterschaft ganz Österreichs auf, die Arbeit wieder aufzunehmen. Man wies auf die in allen vier Forderungspunkten erzielten Zusagen hin: „Dafür, daß sie nicht leere Versprechungen bleiben, bürgt uns die Macht der Arbeiterklasse selbst." 64 Die Entschließung des Arbeiterrates zu verteidigen, wurde den sozialdemoUm Friede, Freiheit und Recht! 20—22. Minister Höfer hatte schon am 18. Jänner mit Vertrauensmännern der Metallarbeiter und einer Vertretung der Unternehmer verhandelt. — Ebenda. 19. 60 Ebenda. 22—26; ΑΖ 1918, Nr. 19, 1; GLOCK, Sozialdemokratie. 193. " Um Friede, Freiheit und Recht! 27 — 32. 62 Mitteilungen an die Arbeiter, Nr. 2, 20. I. 1918. 63 V. Adler der Parteimann. 237 f. M AZ 1918, Beilage zu Nr. 20, 2 1 . 1 . 1918, 1; Um Friede, Freiheit und Recht! 32—43. 58

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Herausforderung

kratischen Führern nicht leicht gemacht. In Versammlungen am 20. Jänner kam es zu Sturmszenen. In Wiener Neustadt mußte Dr. Renner sich sogar gefangensetzen lassen. Schon hatte an diesem 20. die Polizei 20 linksradikale Agitatoren verhaftet. Linksradikale Forderungen aber drangen immer wieder durch. Ein zusätzlicher Vorwurf: Man hätte die ungarischen Genossen im Stich gelassen . . . 6 5 Aber auch die ungarische Partei wollte es nicht zum Äußersten kommen lassen. Am 20. um 14 Uhr wurden die Verhandlungen in Budapest eröffnet. Im Palais des Ministerpräsidenten erschien eine Deputation der Sozialdemokratischen Partei. An der Spitze der 30köpfigen Vertretung standen Garami Erno, Garbai Sandor und Kunfi Zsigmond. Dem Ministerpräsidenten Dr. Wekerle wurde ein Memorandum überreicht. Sein Inhalt entsprach dem in einer Reihe von Versammlungen gefaßten Beschlußantrag, wonach die Arbeiter Garantien in drei Richtungen forderten: Die Monarchie solle unter Umgehung jeder fremden militärischen Einmischung den annexionslosen, auf dem Selbstbestimmungsrecht der Völker beruhenden Frieden abschließen; der dem Abgeordnetenhaus unterbreitete Wahlrechtsgesetzentwurf solle ohne Verzug seiner Erledigung zugeführt, bei auftretenden Schwierigkeiten solle das Abgeordnetenhaus zur Vornahme von Neuwahlen aufgelöst werden; die Regierung solle mit den energischesten Mitteln für gerechte und preiswerte Verteilung der Lebensmittel, besonders im Hinblick auf die Arbeiter, Sorge tragen. Der Ministerpräsident sagte entsprechendes Vorgehen im Sinne der Forderungen zu 66 . Die Folge der Verhandlungen mit dem Ministerpräsidenten: Der Ansatz zum Streikende. Die Sozialdemokratische Partei Ungarns gab einen Aufruf heraus. Die Voraussetzungen zur Arbeitswiederaufnahme seien gegeben: „Die Körperschaft der Parteivertrauensmänner hat . . . beschlossen, daß sie den Streik beendet; sie ruft die gesamte Arbeiterschaft auf, daß sie Montag früh überall in Budapest und im ganzen Land mit der Arbeit beginne." 67 Die Rückkehr zu den Arbeitsplätzen war damit auch in Ungarn eingeleitet68. Freilich war der Sieg nicht durchschlagend. War es überhaupt ein Sieg? Daß sie Maß zu halten verstanden hatte, wurde der Sozialdemokratie in der Nachrede schlecht honoriert. Josef Redlich notierte: „Der Streik ist nur teilweise beendet, ein großer Teil der Arbeiterschaft scheint unzufrieden zu sein. In der Tat sind die positiven Errungenschaften des Streiks gering. Sie haben bloß Versprechungen erhalten, und diese noch dazu unerhört verklausu65

66 67

68

HAUTMANN, A n f ä n g e . 26 f.

Pester Lloyd, 21. I. 1918, Abendblatt. A magyar munkäsmozgalom. 5. Bd. 69 f.: Aufruf der Sozialdemokratischen Partei Ungarns an die streikenden Arbeiter bezüglich Einstellung des Streiks vom 21. I. 1918 — PI, Röpiratgyüjtem6ny I, 1/1918/1/233; vgl. SZANTO, Revolution. 163. Pester Lloyd, 21.1. 1918, Abendblatt.

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liert!" 69 Auch die „Reichspost" — dem Streik und der sozialdemokratischen Streikführung gegenüber zweifellos kritisch eingestellt — berichtete nun von einer „furchtbaren Enttäuschung" für die Arbeiterschaft, „so sehr sich der Parteivorstand bemüht, dies zu verschleiern" 70 . Radikale von links außen polemisierten: „Der Kampf zur Erzwingung des sofortigen allgemeinen Friedens . . . ist vom Parteivorstand und einem sogenannten ,Arbeiterrat' in schmählicher Weise an die Regierung des kapitalistischen Klassenstaates verraten worden." 71 Und auch in Ungarn versuchten radikal-sozialistische Kreise noch das Feuer des Streiks weiterzuschüren, hoffend, „die wahlrechtsgegnerische und kriegsfreudige Reaktion" nicht nur zurückzudrängen, sondern „die politische Macht selbst und den sofortigen Frieden" zu erkämpfen 72 . Die radikalen Gruppen wollten auch zunächst nicht gelten lassen, daß der Regierung nach fünf Tagen Streik ganz andere Machtmittel zur Verfügung standen als bei Streikausbruch. Darüber wieder wußten die sozialdemokratischen Führer wohl Bescheid 73 . Jedenfalls, als am 22. Jänner die Arbeiter Böhmens einen Sympathiestreik antraten, hatten die Arbeiter in den übrigen österreichischen Gebieten und in Ungarn bereits in ihre Betriebe zurückzukehren begonnen 74 . A m 22. streikten in Wien noch 56.000 Arbeiter, am 23. wurde in den Wiener Betrieben die Arbeit allgemein wieder aufgenommen 75 . Der Sympathiestreik in Böhmen war ein relativ später Höhepunkt. Freilich hatten audi in Böhmen Einzelstreiks schon früher eingesetzt. A m 19. war die Poldi-Hütte in Kladno mit 7.000 Arbeitern und ein Betriebskomplex in D u x 69 70

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Schicksalsjahre Österreichs. Tagebuch Redlichs. 2. Band. 256 (21. Jänner 1918). Reichspost. Unabhängiges Tagblatt für das christliche Volk Österreich-Ungarns, XXV. Jg., Nr. 32, Wien 21.1. 1918, Mittagsblatt, 2. Dokumente zum Jännerstreik 1918. Flugblatt nach dem Streik. In: Weg und Ziel. (1953). 56; vgl. NECK, Arbeiterschaft und Staat. 395 f. Die Broschüre „Der Januarausstand der österreichischen Arbeiterschaft und der Verrat der sozialpatriotischen Führer" hat die Vorwürfe der Linksradikalen zusammengefaßt: Die Sozialdemokratie hätte die Linksradikalen, die als einzige zur Massenaktion aufgefordert hätten, „rücksichtslos bekämpft", die Sozialdemokraten hätten sich als „Spießgesellen des Kapitals" erwiesen und sie hätten die revolutionären Ideen der Linksradikalen, so ζ. B. die Arbeiterräte, in betrügerischer Absicht verwendet und sie den Arbeitern als „Spielzeug" zugeworfen, tun sie damit um so leichter im Zaume halten zu können. Die Arbeiterschaft selbst aber sei durch die eingefahrene „Nachlauferei und Leithammelei" in ihrer Durchschlagskraft gehemmt gewesen. — Januarausstand. 2 f. SZÄNTÖ, Umriß der ungarischen Revolution. 167; vgl. zur Widerstandsfrage im konkreten Fall: Zoltän BAKSAY, Csepel az elsö viläghäborü idejen. A nagy oktöberi szocialista forradalom es a csepeli munkässäg (Csepel zur Zeit des Ersten Weltkrieges. Die Große Sozialistische Oktoberrevolution und die Arbeiterschaft von Csepel). In: Csepel törtinete a vasgyär alapitäsäig (Die Geschichte Csepels bis zur Gründung der Eisenfabrik), ed. Andräs KUBINYI. B u d a p e s t 1 9 6 5 . 2 0 9 - 2 2 3 .

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74 75

Julius DEUTSCH, AUS Österreichs Revolution. Militärpolitische Erinnerungen. Wien 1921. 5. In den Erwägungen der Parteiführung spielte auch die Frage eventuellen militärischen Eingreifens Deutschlands eine Rolle. — NECK, Österreichische Arbeiterbewegung. 75. Vgl. OPOCENSK^, Umsturz in Mitteleuropa. 83. N Ö L A , Präs.-P.—VI a—421—2.635/1918, Nr. 527/23. Nach: HAUTMANN, Anfänge. 27.

Herausforderung

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mit 1.300 Arbeitern in den Ausstand getreten. In Pilsen hatten am selben Tag 15.000 Skoda-Arbeiter demonstriert. Am 20. und 21. verdichtete sich die Streikbewegung vor allem in Kladno. Es streikten die Arbeiter in Walzwerken, Hochöfen und Schächten, in den Kohlenbergwerken der Staatseisenbahngesellschaft, der Prager Eisenindustriegesellschaft und der Buschtehrader Eisenbahn — rund 27.000. Als Aufwiegler — so notierten die Militärbehörden — taten sich „kommandierte Soldaten" hervor. In Kladno gab es auch eine Kundgebung. Die Bewegung war sichtlich von den Forderungen der Wiener Sozialdemokratie mitbestimmt. Schon sahen sich die Militärbehörden veranlaßt, vier Assistenzkompanien nach Kladno zu entsenden76. Am 21. Jänner setzten Streiks in einer Reihe böhmischer Industriestädte ein: in Jungbunzlau und Königinhof, in Reichenberg und Landskron, in Schlan und Taus. Für den 22. aber hatte die Führung der tschechischen Sozialdemokratie bereits am 18. einen eintägigen Generalstreik beschlossen, falls der Streik in den Alpenländern mindestens bis zum 21. andauern sollte 77 . Ein Schwerpunkt des Generalstreiks war Prag, ein zweiter Pilsen. Auch in Prag hatte es schon Tage vorher Unruhe gegeben. Bereits am 17. Jänner hatte eine Frauendemonstration vor der Statthalterei und eine Vorsprache von Vertretern der Prager Arbeiterschaft beim Statthalter Grafen Coudenhove stattgefunden. Die Solidarität mit den Wiener Streikenden war unterstrichen worden. Der Generalstreik am 22. Jänner ließ rund 50.000 Arbeiter auf dem Altstädter Ring zusammenströmen. Demonstrationszüge hatten sie hergeführt. Aber was nun in Prag vorging, war den Teilnehmern wie dem Geist der Kundgebungen nach keine reine Arbeiteraktion mehr. Die tschechischen Kaufleute hatten ihre Läden gesperrt, die tschechischen Gastwirte ihre Schankstuben. Und die Ansprache des Reichsratsabgeordneten Nemec vom Balkon des Altstädter Rathauses brachte die Forderung nach dem Selbstbestimmungsrecht und dem selbständigen tschechischen Staat. Und zur „Roten Fahne" sang man die nationalen Lieder „Kde domov müj" — die aufkommende Staatshymne — und „Hej Slovane!". Ein Linksradikaler wahrte mit einem Hoch auf die Arbeiter in Wien und Budapest, die die Initiative zum Streik ergriffen hätten, jene Solidarität, die bei den tschechischen sozialistischen Parteien sichtlich nicht mehr in ganz reiner Form vorhanden war. Auf die nationale Komponente wiesen im Ausklang auch die Demonstrationen vor dem Deutschen Haus und dem Neuen Deutschen Theater hin. Inzwischen hatte sich eine Delegation der sozialistischen Parteien unter Führung der Reichsratsabgeordneten Nemec und Stribrny — für die auto76

Souhrnnä hläseni presidia Prazskeho mistodrzitelstvi ο protistätni, protirakouske a protivälecne cinnosti ν Cechäch 1915 — 1918 (Summarische Meldungen des Präsidiums der Statthalterei über antistaatliche, antiösterreichische und antikriegerische Tätigkeit in Böhmen

1915-1918),

ed.

Libuäe

OTAHALOVA. P r a h a

1957.

N r . 2.368, 2.371, 2.373, 2.374, 2.384, 2.385; Hoftelegr. K M

21. I. 1918, 19,32 h -

Sb.

147, 2.593

präs./1918,

A b t . 5, N r . 5 8 4 , a n

MKSM,

K A , M K S M v. 1918, 2 8 - 2 / 7 ad X X I I ( X X V ) .

™ S o u h r n n ä hläseni, S b . 147, N r . 2.369, 2.370, 2.380, 2.381,

sturz in Mitteleuropa. 83.

2 . 3 8 8 — 2 . 3 9 1 ; OPOCENSKY,Um-

Revolutionäre Ansätze im Zivilbereich

75

nomistischen Sozialdemokraten und die Nationalen Sozialisten — und Gruncl für die zentralistische Sozialdemokratie zum Statthalter begeben. Neben den allgemeinen sozialistischen Forderungen dieser Tage kamen auch hier weitere im nationalen Sinn zur Geltung: die nach liberalerer Handhabung der Pressezensur und die nach Anerkennung des Selbstbestimmungsrechtes 78 . Der Statthalterei gegenüber sollten freilich am Nachmittag dieses Tages noch kräftigere Töne angeschlagen werden, als rund 1.000 Demonstranten sich auf dem Radetzkyplatz versammelten und Einlaß in das Statthaltereigebäude verlangten. Erst das Einschreiten der Wache machte diesem letzten Aufbegehren des Tages in Prag ein Ende 79 . In Pilsen hatte schon am 18. Jänner eine Arbeiterdeputation auf der Bezirkshauptmannschaft vorgesprochen. Auch dort trat bereits die Forderung nach dem Selbstbestimmungsrecht auf. Über die Demonstration am 19. gelangte dann die Bewegung am 22. mit einem Massenstreik von rund 30.000 Arbeitern zu ihrem Höhepunkt 8 0 . Die Streikzentren in Prag und Pilsen fanden Ergänzung in den Städten ringsum: Königgrätz und Pisek, in Horowitz und Kolin, in Königinhof, Laun, Nachod und Pardubitz, in Raudnitz, Tynischt, Strakonitz und Wittingau. In Komotau wurden zwei Kompanien bereitgestellt. Bis zum 23. flackerte der Streik in Budweis weiter, bis zum 25. in den Schächten des Brüx-DuxerKohlenreviers 81 . Insgesamt streikten in diesen Tagen in Böhmen rund 150.000 Arbeiter 82 . Der Generalstreik vollzog sich unter straffer Führung der Funktionäre der sozialistischen Parteien in relativer Ruhe. Allzusehr befürchteten die Führer der Tschechen nicht nur den Einsatz österreichisch-ungarischer, sondern auch den Einmarsch reichsdeutscher Truppen 8 3 . Am Tag des Generalstreiks in Böhmen, am 22. Jänner, hatte die Ausstandsbewegung in einem abschließenden Aufflammen allerdings auch noch einen militärischen Platz erfaßt: die Seefestung Pola. Einige Unruhe hatten schon die Matrosen auf den Kriegsschiffen gezeigt. Und am 21. hatte der „Hrvatski list" soziale und nationale Wünsche verbunden: „Wir fordern den südslawischen Staat, als Staat der Arbeiter und Bauern . . . Wir wollen unseren Kindern einen südslawischen Staat übergeben, . . . der f ü r unsere Bauern- und Arbeiterkinder auch in der Zukunft nach bestem Wissen gesichert sein wird." 8 4 78

Souhrnnä hläseni, Sb. 147, Nr. 2.395, 2.399, 2.400; Bohemia. Deutsche Zeitung, Prag 23. I. 1918, Nr. 23, Abend-Ausgabe, 3. '» Bohemia, 23. I. 1918, 3 f. 80 Souhrnnä hläseni, Sb. 147, Nr. 2.384, 2.385. 81 Ebenda. Nr. 2.378, 2.379, 2.386, 2.410, 2.413, 2.414, 2.416, 2.421, 2.423, 2.429, 2.430, 2.434, 2.436, 2.377, 2.406, 2.404. 82 83

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PAULOVA, T a j n y vybor. 389. OpocENSKi, Umsturz in Mitteleuropa. 8 3 ; vgl. GLAISE-HORSTENAU, Die Katastrophe. 1 4 2 .

Hrvatski list, 21. I. 1918. Nach Ferdo CULINOVIC, Odjeci Oktobra u jugoslavenskim krajevima (Der Widerhall des Oktobers in den südslawischen Gebieten). Zagreb 1957. 362.

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Herausforderung

10.000 Arsenalarbeiter streikten, vor allem Italiener und Südslawen. A m 22. und 23. fanden Massenversammlungen statt. U n d im „Kaiserwald", bei der zweiten Versammlung, gab es bereits Verbrüderung — zwischen Arbeitern und anwesenden Matrosen und Soldaten. Aber bei Demonstrationsversuchen in der Stadt gab es Konfrontation mit der Militärpolizei. Steine flogen und Rufe gellten: „Nieder mit der Regierung!" und „Hoch die Republik!" 8 5 Eine Abordnung der Arsenalarbeiter erschien schon am 22. erstmals beim Festungskommissär und trug eine Reihe von Forderungen vor: Rückkehr der Familien nach Pola bis zum 15. Februar, Lohnerhöhungen, die Beteilung mit Kleidungsstücken und Schuhen und die Besserstellung der Landsturmarbeiter. Nach Verhandlungen mit dem Hafenadmiral und Kriegshafenkommandanten, dem Admiral Fiedler, und unter Beiziehung des aus Wien herbeigeeilten sozialdemokratischen Reichsratsabgeordneten Domes wurde schließlich auch in Pola Einigung auf dem Vergleichsweg erzielt. Der Hafenadmiral gab eine Erklärung ab, das Ministerium des Äußern strebe den Frieden an, und er gab den Weg frei für Zugeständnisse in der Lohnfrage und die Wahl von Arbeiterausschüssen. Am 27. erließ der Festungskommissär einen Aufruf, die Arbeit wieder aufzunehmen, am 28. kehrten die Arbeiter an ihre Arbeitsstätten zurück. Der Festungskommissär faßte in seinem Bericht an das Statthaltereipräsidium in Tri est die überstandene Gefahrensituation zusammen, wonach es „sich um eine ausgesprochen revolutionäre Bewegung gehandelt hat, die nur — dank dem ganz besonders einsichtsvollen Entgegenkommen der Marineverwaltung und dem sehr geschickten Eingreifen des Abgeordneten Domes — auf das ökonomische Gebiet übergeleitet und so zum Stillstand gebracht w u r d e . . ." 8 6

Der absichernde Gegenzug der Staatsgewalt:

Truppenaufmarsch

Auch in Pola hatten Gespräche, hatte letztlich das Einvernehmen den Ausstand beigelegt. Dennoch hatten die Verhandlungen in den Streikgebieten bereits im Vorfeld des Aufmarsches der Truppen stattgefunden. Daraus resultiert die Frage: Welche Machtmittel waren der österreichischen bzw. der 85 86

STULLI, Ustanak mornara. 97 f . ; vgl. SEPIC, Italija. 272. Hugo SOKOL, Österreich-Ungarns Seekrieg 1914—1918. Zürich/Leipzig/Wien 1933. 654; STULLI, Ustanak mornara. 102 ff. Admiral Ritter von Keil und Hofrat Dr. von Kesslitz wiesen in einer späteren Studie auf die besondere Situation in der Seefestung auf Grund des zum Hinterland vergleichsweise stärkeren Polizeidruckes und die Vergleichsmöglichkeit der Arbeiter im Hinblick auf die Rückständigkeit ihrer Entlohnung gegenüber denen des Cantiere navale und der in Pola arbeitenden reichsdeutschen Spezialkommanden hin. — „Österreich-Ungarns Kriegsmarine im Weltkriege". Manuskript für die CarnegieStiftung; siehe SOKOL, Seekrieg. 653. Über das Ergebnis des Streiks vgl. SEPIC, Italija. 272. Ein kurzatmiges Echo des Jännerstreiks im Küstengebiet gab es noch a m 28. Jänner in Triest mit Ansätzen zu Arbeiterräten. — STULLI, Ustanak mornara. 86.

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ungarischen Regierung zur B e k ä m p f u n g des Streiks zur Verfügung gestanden 8 7 ? Eine Aufschlüsselung der Standesnachweise v o m 1. Jänner durch das Kriegsministerium ergab folgendes Zahlenbild der insgesamt für Assistenzzwecke bereitstehenden Truppen: Bei den Ersatzkörpern der Infanterie des k. u. k. Heeres, ausgenommen die X X X V I . Marschformation, die M G - E r s a t z k o m p a nien, die Ausbildungskurse, die Instruktionskader und die „derzeit Undienstbaren", befanden sich zu diesem Stichtag insgesamt 75.541 Mann 8 8 . Wesentlich für ihre Verwendbarkeit mußte der Grad ihrer Ausbildung sein. D a zu Assistenzzwecken „nur gut disziplinierte Truppen" einzuteilen waren, standen für Assistenzen — einschließlich der Kavallerieeinheiten — 4 1 . 1 8 1 M a n n zur Verfügung 8 9 . D i e Heranziehung v o n Assistenztruppen anläßlich des Jännerstreiks setzte 87

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Vgl. auch Karel PICHLIK, Lednovä generälni stävka Ν roce 1918 a rakousko-uherskä armäda (Der Generalstreik im Jänner des Jahres 1918 und die österreichisch-ungarische Armee). In: Historie a vojenstvi. 6. Heft. Praha (1962). 817—838. Der Chef des Ersatzwesens — GO Baron Hazai — zählte dagegen 104.799 Mann. Die Differenz ergab sich daraus, daß der Chef des Ersatzwesens „Undienstbare" und Teile der XXXVI. Marschkompanien hinzuzählte, außerdem waren die Standesnachweise nicht immer ganz einwandfrei geführt. In einer auf dem 1. Jänner 1918 basierenden Standesübersicht des Chefs des Ersatzwesens, Res.Nr. 109.057/5 vom 15. Jänner dieses Jahres, waren insgesamt 324.158 Mann als für den rollenden Ersatz verfügbar und 34.911 Mann als Instruktionskader ausgewiesen. Von diesen Ständen sollten 72.000 mit den XXXVI. Marschkompanien und -schwadronen zur Armee im Felde abgehen. Nach Ansicht des AOK hätten danach Mitte Jänner über 250.000 frontdiensttaugliche, zum allergrößten Teil ausgebildete Mannschaften für Assistenzzwecke im Hinterland zur Verfügung stehen sollen. — KM Abt. 10, Nr. 50.762 res. (Verschluß), an AOK, 14. II. 1918 - KA, KM Abt. 10 v. 1918, 2 - 1 / 2 ; Telegr. Abschrift des AOK, Op.Nr. 102.395 (Sehr dringend), an KM Abt. 5, Ende Jänner 1918 - KA, KM Abt. 5 v. 1918, 1 - 3 1 (4.071). Die 75.541 Mann setzten sich zunächst zusammen aus 288 höheren Unteroffizieren, 8.436 sonstigen Chargen, 19.128 Mannschaften mit wenigstens zehn Wochen Ausbildung, 8.438 Mannschaften mit 9wöchiger Ausbildung, 2.500 Mann von 25 nach Erl. KM Abt. 10, Nr. 109.000 res. von 1917 formierten, für Marschformationen noch nicht verwendeten Marschkompanien. Diese Stände ergaben insgesamt 38.790 Mann. Mit 14.150 Mannschaften mit sechs bis acht Wochen Ausbildung und 22.601 Mannschaften mit weniger als sechs Wochen Ausbildung stellten die Minder- und Unausgebildeten nahezu die gleiche Zahl. Noch bedenklicher war es mit ausgebildeten Mannschaften bei den Ersatzkörpern der Kavallerie bestellt: Sie umfaßten nach den im Kriegsministerium eingelaufenen Standesnachweisen der Ersatzkörper 10.068 Mann zu Fuß und 2.508 zu Pferd. Davon waren 2.391 höhere Unteroffiziere, Chargen und Mannschaften mit neun- und mehrwöchiger Ausbildung, 1.577 Männer mit sechs bis acht Wochen Ausbildung und 6.110 Männer mit weniger als sechs Wochen Ausbildung. Die Summe der Minder- und Unausgebildeten von 7.687 Männern betrug also mehr als das Dreifache der genügend Ausgebildeten. Ersatztruppen von Spezialformationen und der Artillerie zog man nicht in Betracht, da es an entsprechender Ausbildung mangelte und auch keine Ausrüstung für eine sofortige Assistenzverwendung vorhanden war. — KM Abt. 10, Nr. 50.762 res. (Verschluß), an AOK Ch. d. G., 14. II. 1918 — KA, KM Abt. 10 v. 1918,2—1/2; bei den zitierten 2.500 Mann handelt es sich um das Ausbildungspersonal bei den Ersatzkörpern der Infanterie- und Jägertruppe — KA, KM Abt. 10 v. 1918, 4 3 - 4 / 1 7 4 - 3 0 6 .

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Herausforderung

im Raum Wiener Neustadt ein. Über Ersuchen der Fabriksdirektoren, die für den 15. Jänner bereits Demolierungen und Sabotage befürchteten, war noch am 14. durch den Stadtmagistrat von Wiener Neustadt vom Militärstationskommando Assistenz erbeten worden. Zwei Kompanien und zwei MG-Züge des Ersatzbataillons des vorwiegend rumänischen IR 6490 gingen noch in der folgenden Nacht, am 15. Jänner um 0 Uhr 20, von Wien ab und trafen um 4 Uhr 30 in Wiener Neustadt ein91. Uber Befehl des Militärstationskommandos wurden zusätzlich 160 Mann der Ersatzschwadron des DR 1592 für Assistenzzwecke aus der Garnison Wiener Neustadt beigestellt93. Die ersten Streiktage sahen auch militärische Vorkehrungen in Galizien. In diesem Zusammenhang gab es zusätzlich nationalpolitische Überlegungen zum Truppeneinsatz. In Krakau traten am 16. Jänner die Soldaten der Ersatzbataillone der Schützenregimenter 17, 18, 33 und 34 in Bereitschaft94. Die Bereitschaft blieb auch für den 17. aufrecht 95 . Am Nachmittag dieses Tages befürchtete der Statthalter von Galizien, der GO Graf Huyn, ein Umschwenken der Unruhen in Krakau in nationaler Richtung. Da die Ersatzbataillone der in Krakau dislozierten Schützen regimenter vor allem aus Truppen polnischer und ruthenischer Nationalität 96 bestanden, bat das Militärkommando Krakau um die Zuführung eines Feldjägerbataillons mit Maschinengewehren und einer berittenen Assistenzschwadron, nach Möglichkeit „Ungarn oder Deutsche"97. Noch am gleichen Tag erging vom Kriegsministerium an das Militärkommando Budapest der Befehl, von den Ersatzbataillonen der ungarischen IR 32, 38 und 5 298 insgesamt drei Assistenzkompanien mit Maschinengewehren „sofort nach Krakau zur Verfügung des dortigen MilKmdos" zu leiten. Außerdem wurde der GM Naumann in Mährisch Ostrau angewiesen, auf eventuelle direkte Anforderung des Militärkommandos Krakau eine Husarenschwadron 80

IR 64: 73,5% Rumänen, 16,5% Magyaren, 8% Deutsche, je 1% Tschechen und Slowenen— KA, Farbentabellen 1918. Telegr. MilStatKmdo Wr. Neustadt an KM Abt. 5, 15. I. 1918 - KA, M K S M v. 1918, 2 8 - 2 / 7 ad XI. 92 DR 15: Schwadronen als Divisionskavallerie aufgeteilt — KA, Farbentabellen 1918. 93 Telegr. MilStatKmdo Wiener Neustadt an KM Abt. 5, 15. I. 1918 - KA, K M Abt. 5 v. 1918, 1 - 3 / 4 - 1 7 . 91 Telegr. FML Zaleski an M K S M , 16. I. 1918 - KA, MKSM v. 1918, 2 8 - 2 / 6 . 95 Bericht des FML Zaleski an KM und M K S M , 17. I. 1918 - KA, M K S M v. 1918, 2 8 - 2 / 7 ad II. 90 SchR 17: 90% Polen, 5% Deutsche, 3% Tschechen, 2% Ruthenen; SchR 18: 46% Ruthenen, 41% Polen, 9%. Deutsche, 4% Tschechen; SchR 33: 62% Ruthenen, 23% Polen, 8% Tschechen, 7% Deutsche; SchR 34: 46% Ruthenen, 43% Polen, 9% Deutsche, 2% Tschechen — alle: KA, Farbentabellen 1918. 9 ' Telegr. MilKmdo Krakau, Präs. 331, an KM Abt. 5, 17. I. 1918 - KA, KM Abt. 5 v. 1918, 1 - 3 1 (600). 98 IR 32: 76% Magyaren, 15% Tschechen, 6% Deutsche, 2% Rumänen, 1% Serben; IR 38: 73% Magyaren, 11% Rumänen, 6,5% Tschechen, 5,5% Deutsche, 2,5% Serben und Kroaten, 1,5% Slowaken; IR 52: 67% Magyaren, 21% Deutsche, 5% Kroaten, 3% Rumänen, 2% Tschechen, 1,5% Slowenen, 0,5% Polen — alle: KA, Farbentabellen 1918. 91

Revolutionäre Ansätze im Zivilbereidi

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als Assistenz nach Krakau in Marsch zu setzen". Bereits am 18. Jänner wurden die drei ungarischen Assistenzkompanien dem Militärkommando Krakau zugeschoben 100 . An diesem Tag wurde überdies für die Bahnhofswerkstätte in Lemberg eine Assistenzkompanie des FJB 30 101 beigestellt 102 . Aufmarsch audi in Ungarn. Die dort verfügbaren Truppen — wir erinnern uns an die Verlegung der Ersatzeinheiten — hatten einen besonderen Einschlag: In der ungarischen Reichshälfte standen auf Grund der Standesnachweise vom 1. Jänner bei Ersatzkörpern österreichischer und bosnisch-herzegowinischer Ergänzungszuständigkeit immerhin insgesamt 60 Assistenzkompanien zu 100 Mann zur Verfügung 103 . Die nach Ungarn verlegten Ersatzkörper stammten mit einer einzigen Ausnahme — IR 80 aus Ostgalizien — aus Böhmen und Mähren sowie aus Bosnien und der Herzegowina. In Budapest konnten bei Ausbruch des Streiks am 18. Jänner von den dort dislozierten Ersatzkörpern der IR 32, 38 und 52, der bh. IR 1 und 3 sowie der H I R 1, 29 und 30 104 . 17 Assistenzkompanien ausrücken. Die Garnison der Stadt wurde außerdem durch Heranziehen von Truppen aus dem Militärkommandobereich Budapest verstärkt 105 . Auf Anforderung des Ministeriums des Innern und der Oberstadthauptmannschaft Budapest wurden für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit im Bereich der Stadt am 19. Jänner 21 Assistenzkompanien verwendet 1 0 6 , am 20. 42 Kompanien und 14 MG-Züge 1 0 7 , am 21. genügten «9 Telegr. K M an M i l K m d o Budapest, Krakau u n d G M N a u m a n n , 17. I. 1918 — KA, K M Abt. 5 v. 1918, 1—3/1. In M ä h r . Ostrau waren drei Alarmschwadronen Husaren stationiert. - K A , M K S M v. 1918, 2 8 - 1 / 5 (Oleate). Chiffre-Telegr. K M Abt. 5, N r . 495, an M K S M , 18. I. 1918 - K A , M K S M v. 1918, 28-2/7. 101 F J B 30: 56% Ruthenen, 17,5% Rumänen, 13,5% Deutsche, 9% Polen, 2 % Slowenen, je 1% Magyaren u n d Tschechen — K A , Farbentabellen 1918. 102 Telegr. MilStatKmdo Lemberg an K M , 18. I. 1918 - KA, K M Abt. 5 v. 1 9 1 8 , 1 - 3 / 4 - 1 7 (561). 103 Zu diesen Aufstellungen zählten folgende Assistenzkompanien: Beim Ersatzbaon I R 8 (Brünn) - 2; I R 11 (Pisek) - 2 y2; I R 21 (Caslau) - 1; I R 35 (Pilsen) - 1; I R 75 (Neuhaus) - 2; I R 8 0 (Zloczow) - 1; I R 88 (Beraun) - 3; I R 9 1 (Budweis) — 3; I R 94 (Turnau) — 1; I R 98 (Hohenmauth) — 2; I R 102 (Beneschau) — 3; bei der Ersatzkompanie F J B 2 - y 2 ; F J B 6 - 2; F J B 12 — I i beim Ersatzbaon bh. I R 1 (Sarajevo) - 4 ; bh. I R 3 (Donja Tuzla) — 5; bh. I R 4 (Mostar) — 3; bei der Ersatzkompanie bh. JgB 2 — 4; bh. JgB 3 — 1; b h . J g B 4 - 2 ; bh. J g B 5 - l ; b h . JgB 6 - 1 y2; bh. JgB 7 - 5; bh. JgB 8 - 2. - K M Abt. 2/W ( H p t m . Vogel) an Chef des E W , 12. I. 1918 - K A , Chef des Ersatzwesens f ü r die gesamte bewaffnete Macht, 49 — 8 (Res. N r . 1 — 19—024/3). ιοί Verteilung der Ersatzkörper des k. u. k. Heeres, der k. k. Landwehr u n d der k. u. Honved während des Jännerstreiks 1918. Gehorsamste Meldung der M K S M , 20. I. 1918 — KA, M K S M v. 1918, 2 8 - 1 / 5 . 105 Telephondepesche (Abschrift) F M L Cvrcek an K M Abt. 10, 19. I. 1918 - K A , K M Abt. 5 v. 1918, 1 - 3 / 4 - 1 0 . 106 Telegr. M i l K m d o Budapest, Präs. N r . 538/1, an K M , 2 0 . 1 . 1 9 1 8 - K A , K M Abt. 5 v. 1918, 1 - 3 / 4 - 2 (621). 107 Ebenda, Präs.Nr. 538/11, 21. I. 1918 - (681).

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Herausforderung

13 Assistenzkompanien und 12 MG-Züge 108 , am 22. wurden 23 Assistenzkompanien und 5 MG-Züge 109 und am 23. Jänner 25 Assistenzkompanien und 5 MG-Züge zur Verfügung gestellt110. Auch außerhalb von Budapest war man bestrebt, der Arbeiterbewegung mit Militärassistenz entgegenzutreten. Im Militärkommandobereich Pozsony gelangten während des Jännerstreiks aus dem Rahmen der Ersatzkörper des Heeres und der Honved folgende Truppen als Assistenzen zum Einsatz: In Pozsony IV2 Kompanien des H I R 131'11, ein MG-Zug des Hausregiments IR 72112 und ein Zug Sappeure; am Bahnhof in Nagykanizsa eine Kompanie H I R 20 113 ; in Ersekujvar eine Kompanie H I R 13; in Magyarovar eine Kompanie bh. IR 4 114 . Über Anforderung des Vizegespans in Szombathely wurde dort eine Kompanie des Ersatzbataillons IR 19 beigestellt115. Auf Grund einer Demonstration in Selmecz-es Belabanya ließ die dortige Ersatzbatterie des GbAR 11 als Assistenz einen Offizier und 25 Mann ausrücken. Eine in Ruttka befindliche Kompanie des H I R 15116 wurde angewiesen, eine halbe Kompanie nach Selmecz-es Belabanya zu entsenden117. Die Bereitstellungen in Wien. Als der Streik begonnen hatte, „war die militärische Situation in Wien für die Regierung recht ungünstig" gewesen. „Wie ich aus einem amtlichen Beridit an das Kriegsministerium ersah, verfügte die Regierung am Tage des Streikausbruches nur über 3.000 Mann wirklicher Kampftruppen", erinnerte sich der spätere Staatssekretär für Heerwesen, Julius Deutsch118. Folgende Ersatzkörper waren im Jänner 1918 in der Reichshauptstadt disloziert: die Ersatzbataillone der IR 4, 49, 64, 76, 83 und 84, die 108 108 no 111

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Ebenda, Präs.Nr. 538/IV, 22. I. 1918 - (711). Ebenda, Präs.Nr. 538/V, 23. I. 1918 - (740). Ebenda, Präs.Nr. 538/VIII, 24. I. 1918 - (794). HIR 13: 48% Magyaren, 37,5% Slowaken, 14% Deutsche, 0,5% Kroaten - KA, Farbentabellen 1918. IR 72: 65% Slowaken, 23,5% Magyaren, 10,5% Deutsche, 1% Tschechen — KA, Farbentabellen 1918. HIR 20: 71% Magyaren, 12% Rumänen, 10% Kroaten, 4% Deutsche, 3% Slowaken — KA, Farbentabellen 1918. bh. IR 4: 53% Serben, 40% Kroaten, 3% Deutsche, 2% Tschechen, 1% Polen, je 0,5% Magyaren und Slowenen — KA, Farbentabellen 1918; Telegr. MilKmdo Pozsony, Präs.Nr. 1.693 an KM Abt. 5, 20. I. 1918 - KA, KM Abt. 5 v. 1918, 1 - 3 / 4 - 1 7 (652). Telegr. MilKmdo Pozsony, Präs.Nr. 1.713, an KM Abt. 5, 20. I. 1918 - KA, KM Abt. 5 v. 1918, 1 - 3 / 4 - 1 7 (651); IR 19: 88,5% Magyaren, 8% Tschechen, 2,5% Deutsche, je 0,5% Polen und Rumänen — KA, Farbentabellen 1918. HIR 15: 70% Slowaken, 24% Magyaren, 5% Deutsche, 1% Serben und Kroaten — KA, Farbentabellen 1918. Telegr. MilKmdo Pozsony, Präs.Nr. 2.052, an KM Abt. 5, 24. I. 1918 - KA, KM Abt. 5 v. 1918, 1 — 3/4—17. Die Bereitschaft in Pozsony — 1 % Kompanien HIR 13 und 1 MGZug IR 72 — wurde nun auf 34 Kompanie vermindert. DEUTSCH, Österreichs Revolution. 5. Julius Deutsch war Ende 1917 von der Isonzo-Armee, in der er als Artillerieoffizier eingeteilt war, als sozialpolitischer Referent in die Kriegswirtschaftliche Abteilung ins KM berufen worden.

Revolutionäre Ansätze im Zivilbereich

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Ersatzkompanie des FJB 21, die Ersatzschwadron des DR 3 und die Ersatzbataillone der k. k. SchR 1 und 24 119 . Von diesen in Wien stationierten Ersatzkörpern waren nur 11 3 A Kompanien als Assistenzen zu verwenden120. Auf Grund dieser Lage hatte sich das Ministerium des Innern aber schon am 16. mit der Bitte um Verstärkung der Garnison von Wien um zwei Regimenter und der von Laxenburg um ein Bataillon an das AOK gewandt121. Ab 17. war über die wichtigsten Wiener Betriebe militärische Bewachung verhängt122. Obwohl die sozialdemokratische Parteileitung die Arbeiter zum Streikabbruch aufgefordert hatte, befürchtete man für den 22. Jänner in Wien — vor allem in den äußeren Bezirken — Demonstrationen der damit unzufriedenen Arbeitergruppen. Der Stadtkommandant ordnete daraufhin umfangreiche Assistenzbeistellungen an. Die Stadt, vor allem die Innere Stadt, sollte von einer Kette von Ausfallsbasen aus gesichert werden: Gruppe I: in der Schwarzenberg-Kaserne — 2 Kompanien IR 64 und 2 MG-Züge; Gruppe II: im Freihaus — 4 Kompanien IR 91 und 4 MG-Züge; Gruppe III: in der Stiftskaserne — 1 Bataillon (3 Kompanien) des IR 44 123 und 2 MG-Züge der MG-Instruktionskompanie; Gruppe IV: im Militärkommandogebäude, Liebiggasse 6 — 1V2 Kompanien IR 64, V2 Kompanie SchR 24 und 1 MG-Zug SchR 24; Gruppe V: im Garnisonsspital Nr. 1 — IV2 Kompanien IR 76 und 2 MG-Züge dieses Ersatzbataillons; Gruppe VI: in der Roßauer-Kaserne — 2 Kompanien IR 49 mit 2 MG-Zügen dieses Ersatzbataillons und die Alarmschwadron zu Pferd des DR 3. Diese Alarmschwadron blieb zur Verfügung des Stadtkommandanten124. Die Donaubrücken zu sperren hatte das Ersatzbataillon IR 83 einen Zug, die Gruppe Oberst Ramann einen MG-Zug zur Verteilung der Ersatzkörper des k. u. k. Heeres, der k. k. Landwehr und der k. u. Ηοηνέά während des Jännerstreiks 1918. Gehorsamste Meldung der M K S M , 20. I. 1918 — K A , M K S Μ ν. 1918, 2 8 - 1 / 5 . I R 4 : 7 6 , 5 % Deutsche, 18,5% Italiener, 4 % Tschechen, 1% Magyaren; I R 4 9 : 94,5% Deutsche, 4 , 5 % Tschechen, je 0 , 5 % Magyaren und Polen; IR 6 4 : 73,5% Rumänen, 16,5% Magyaren, 8% Deutsche, je 1% Tschechen und Slowenen; IR 76: 4 6 % Deutsche, 4 0 % Magyaren, 8 % Tschechen, 3 % Kroaten, 2 % Slowaken, 1% Serben; I R 8 3 : 7 2 % Magyaren, 16,5% Deutsche, 4 , 5 % Slowenen, 4 % Tschechen, 2 % Serben und Kroaten, 1% Rumänen; IR 84: 7 4 % Deutsche, 2 0 % Italiener, 5 % Tschechen, 1% Polen; F J B 2 1 : 9 4 % Deutsche, 4 % Tschechen, je 1% Slowaken und Polen; D R 3: 9 4 % Deutsche, 4 % Tschechen, 1% Ruthenen, je 0 , 5 % Magyaren und Polen; S c h R l : 74,5% Deutsche, 15% Tschechen, 9,5% Polen, 1% Ruthenen; SchR 2 4 : 7 6 % Deutsche, 17% Tschechen, 5 % Polen, je 1 % Magyaren und Serben und Kroaten — alle: KA, Farbentabellen 1918. 120 Verteilung der Ersatzkörper, 20. I. 1918 - KA, M K S M v. 1918, 2 8 - 1 / 5 . 121 Der Stadtkommandant von Wien, G M von Mossig, hatte Quartiere zugesichert. — Aktennotiz des M d l über Vorsorgen gegen Unruhen in Laxenburg und Wien, 16. I. 1918 — AVA, M d l Präs. 1918, 22 NÖ 1.145; NECK, Arbeiterschaft und Staat. 248. 122 N Ö L A , Präs.—P.—VI a—421 bis 2.635/1918, Nr. 5 2 7 / 2 3 ; vgl. HAUTMANN, Anfänge. 27. 123 Das Bataillon kam vom Feldregiment. IR 4 4 : 9 1 % Magyaren, 7 % Tschechen, je 1% Deutsche und Kroaten — KA, Farbentabellen 1918. 124 k. u. k. StadtKmdt in Wien an die Ersatzbaone der I R 49, 64, 76, 83 und 84, an die Ersatzschwadron D R 3, an die Ersatzbaone der SchR 1 und 24, an das I R 44 und an die Gruppe Ramann, 22. I. 1918, 0,15 h - KA, M K S M v. 1918, 2 8 - 2 / 7 - 3 .

119

82

Herausforderung

Kaiser-Franz-Josephs-Brücke, das Ersatzbataillon IR 84 einen Zug, die Gruppe Oberst Ramann einen MG-Zug zur Kronprinz-Rudolph-Brücke — der späteren Reichsbrücke — zu entsenden. Die Sicherungsgruppen hatten in den am rechten Donauufer befindlichen Finanzwachhäusern und Kasernen Aufstellung zu nehmen und erst über Aviso der dort anwesenden politischen Beamten die Absperrung der zugewiesenen Donaubrücken am linken Donauufer durchzuführen 125 . Des Einsatzes der aufgebotenen Macht bedurfte es nicht, denn inzwischen begann der Streik in Wien auszulaufen. Am 21. Jänner waren zwar nur in einigen Bezirken die Streikenden an ihre Arbeitsstätten zurückgekehrt. Ebenso war die Arbeitsaufnahme in Niederösterreich nur teilweise erfolgt, so in Gloggnitz, Payerbach, Wollersdorf, in Baden, Klosterneuburg, Korneuburg, Schwechat und Scheibbs. Nur in der Pulverfabrik Blumau im Bezirk Wiener Neustadt wurde am 21. schon voll gearbeitet 126 . Erst in der Frühschicht des 22., zum Teil am 23. wurde in Wien und Niederösterreich die Arbeit wieder voll aufgenommen. Allerdings ging die Arbeitsaufnahme nicht überall in Ruhe vor sich. Der militärische Druck war jedoch zunehmend fühlbar geworden. Und schon begannen auch Truppen der Armee im Felde in den Streikgebieten einzutreffen . . . Bleibt noch ein Blick nach Böhmen. In Böhmen hatten — wie wir wissen — die Arbeiter gezögert. Bereits am 18. aber war vom Militärkommando in Prag die Möglichkeit eines Assistenzeinsatzes erwogen worden. In Prag befanden sich im Jänner die Ersatzbataillone der IR 2, 51, 68 und 73, in Pilsen die Ersatzbataillone der IR 43 und 69 und die Ersatzkompanie des FJB 22127. Von den in Prag stationierten Ersatzeinheiten standen 24 Kompanien für einen Assistenzeinsatz zur Verfügung, von den in Pilsen stationierten Einheiten acht Kompanien und eine 125

129

127

Die Gruppen mußten bis 22. Jänner 6 Uhr morgens die vorgesehenen Dislozierungen eingenommen haben. Die Gruppenkommandanten, mit Ausnahme der letztgenannten Brückensicherungsgruppen, und der Kommandant der Alarmschwadron hatten um 6 Uhr morgens im Dienstzimmer des Stadtkommandanten — Wien I., Liebiggasse 6 — zur Dispositionsausgabe zu erscheinen. Das Ersatzbaon SchR 1 hatte für die drei Kompanien IR 44 — Stiftskaserne — sechs ortskundige Wegweiser beizustellen. — k. u. k. StadtKmdt in Wien an die Ersatzkörper, 22.1. 1918, 0,15 h - KA, M K S M v. 1918, 2 8 - 2 / 7 - 3 . Zusammenstellung über die Situation am 20. und 21.1. 1918 - KA, MfLV 1918, Präs. 22, Nr. 1.822/11; HAUTMANN, Anfänge. 27. IR 2: 50% Magyaren, 31,5% Rumänen, 10,5% Deutsche, 6% Slowenen, je 1% Tschechen und Kroaten; I R 5 1 : 48% Rumänen, 46,5% Magyaren, 2,5% Deutsche, 2% Tschechen, 1% Slowaken; I R 6 8 : 90% Magyaren, 3,5% Deutsche, 2,5% Tschechen, 2% Rumänen, 1% Ruthenen, je 0,5% Polen und Kroaten; I R 7 3 : 87% Deutsche, 8% Tschechen, 2% Serben und Kroaten, je 1% Polen, Ruthenen und Slowenen; I R 4 3 : 75% Rumänen, 12% Deutsche, 8% Magyaren, je 1,5% Tschechen und Serben und Kroaten, je 1% Polen und Slowenen; I R 6 9 : nur über das V. Baon dieses Regiments Angaben — 93% Magyaren, 3% Tschechen, 2,5% Deutsche, 1,5% Slowenen; FJB 22: 61 % Deutsche, 30,5% Tschechen, 7% Serben und Kroaten, 1,5% Polen — alle: KA, Farbentabellen 1918; Verteilung der Ersatzkörper, 20. I. 1918 - KA, M K S M v. 1918, 2 8 - 1 / 5 .

83

Revolutionäre Ansätze im Zivilbereich

Hinterlandsbatterie 128 . Die Verwendung von Truppen „mit tschechischem Einschlag" schien der militärischen Führung freilich nicht zweckmäßig zu sein. D a „vollkommen verläßlich nur die Ersatzbaone der hier dislozierten, in Ungarn ergänzungszuständigen Regimenter" wären, reduzierte sich die Anzahl der dem Militärkommando zu Assistenzzwecken geeignet erscheinenden Einheiten beträchtlich. Deshalb war schon am 17. Jänner Antrag auf zusätzliche Zuführung von je zehn Assistenzkompanien mit M G für Prag und Pilsen gestellt worden 129 . Am 23. Jänner gab es nach einer Evidenzkarte der Militärkanzlei bei den Ersatzkörpern des k. u. k. Heeres, der k. k. Landwehr und der k. u. Honved 335 assistenz-verwendungsfähige Kompanien. Außerdem standen 13 Hinterlandsbatterien zur Verfügung 130 . Bei einem Sollstand von 100 Mann je Kompanie ergibt dies, daß von den Ersatzkörpern des Hinterlandes nicht viel mehr als 33.500 Mann zu Assistenzzwecken herangezogen werden konnten. Da in dieser Zahl die Kavallerieersatzkörper nicht enthalten sind, führt auch diese Zusammenstellung zu jener Anzahl der Mannschaften mit neun- und mehrwöchiger Ausbildung, die nach den Standesnachweisen vom 1. Jänner etwas über 41.000 Mann betrug 131 . 128 129

130

l3J

Evidenzkarte (Oleate) vom 23. I. 1918 - K A , M K S M v. 1918, 2 8 - 1 / 5 . Situationsbericht des k. u. k. MilKmdo Prag, Präs.Nr. 1.204/Gstb., an K M Abt. 5, 18. I. 1918 - K A , K M Abt. 5 v. 1918, 1 - 3 / 4 - 1 0 (612). MilitärkommandoAnzahl der HinterlandsStandort Anmerkung Kompanien batterien bereich der Batterien Krakau Wien

23 18 (!)

2

Prerau, Olmütz

Graz Budapest

11 49

1 1

Marburg Budapest

Pozsony Kassa Temesvär Prag

26 32 24 42

2 1 1 1

Leitmeritz Przemyäl Lemberg Nagyszeben Zagreb Innsbruck Sarajevo Zara M G G Polen

23 14 3 29 18 15 1

1

Pozsony, Sopron Kassa Temesvär Pilsen davon 24 in Prag Theresienstadt

1 1 1

Nagyszeben Osijek Linz









7

335 Kompanien 13 Hinterlandsbatterien Evidenzkarte (Oleate) vom 23. I. 1918 — KA, M K S M v. 1918, 2 8 - 1 / 5 . Vgl. I. 77.

davon 11% Komp. in Wien davon 18 in Budapest

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Herausforderung

Jedenfalls standen die Chancen, mit 35.000 oder 40.000 Soldaten hunderttausende streikende Arbeiter „zur Räson" zu bringen, nicht sehr hoch. Dazu registrierte man im Kriegsministerium ein weiteres: Die Streikbewegung im Jänner hatte nicht nur die Stärke des möglichen Aufgebots, sondern audi die Madit der Organisation der Arbeiter unter Beweis gestellt 132 . In der Schere zwischen zu geringer Truppenstärke auf der einen und sichtlich anschwellender Widerstandskraft auf der anderen Seite hatte die militärische Führung zu einem letzten Mittel gegriffen: Sie hatte Truppen von den Frontarmeen als Assistenz zum Einsatz im Hinterland herangezogen.

Rückgriff auf

Fronteinheiten

Schon am 16. Jänner hatte das AOK dem Kriegsministerium mitgeteilt, daß es den Oberbefehlshaber Ost 1 3 3 gebeten habe, folgende Truppen aus dem Bereich der Heeresgruppe GO Frh. von Böhm-Ermolli und der Heeresgruppe GO von Linsingen zur Verfügung des Kriegsministeriums ehestens nach Wien in Marsch zu setzen: IR 6 mit drei Bataillonen; je ein Bataillon der IR 25, 34 und 67; ein Bataillon SchR 15 und die F J B 5 und 10. Die Truppen hatten mit Maschinengewehren und Nahkampfmitteln abzugehen. Die Weiterinstradierung über Wien sollte seitens des Kriegsministeriums veranlaßt und dem A O K bekanntgegeben werden 134 . Am selben Tag sicherte das AOK dem Kriegsministerium und dem Militärkommando Wien die Verlegung des IR 44 nach Wien und die des IR 69 nach Laxenburg und in das Industriegebiet des Wiener Beckens zu 135 . Die Dislozierung dieser 15 Bataillone der Armee im Felde ergab folgendes Bild: Bis zum 21. Jänner waren ein Bataillon IR 34 nach Prag, ein Bataillon IR 67 nach Pilsen und ein Bataillon IR 25 nach Budweis verlegt worden 136 . An diesem Tag waren auch schon zwei Bataillone des IR 44 in Wien disloziert 137 . Am 21. vormittags war das IV. Feldbataillon des IR 69 in Laxenburg angekommen, im Laufe dieses Tages auch das II. Feldbataillon desselben Regiments Gehorsamste Meldung des K M an M K S M , 20. I. 1918 - KA, M K S M v. 1918, 2 8 - 1 / 5 . Oberbefehlshaber Ost war im Jänner 1918 G F M Prinz Leopold von Bayern, sein Chef des Stabes G M Hoffmann. 131 Telegr. AOK Ch. d. G „ Op.Nr. 49.287, an K M Abt. 5, 16.1. 1918 KA, K M Abt. 5 v. 1918, 1 - 3 / 5 - 2 (498); Telegr. des Ch. d. G., Op.Nr. 49.900, an M d l , 22. I. 1918 AVA, Mdl Präs. 1918, 2 2 - 1 . 1 9 9 . 135 Telegr. AOK Ch. d. G., Op.Nr. 49.400, an K M Abt. 5 und MilKmdo Wien, 16.1. 1918 - KA, K M Abt. 5 v. 1918, 1 - 3 / 5 - 2 . 136 IR 34: 94% Magyaren, 4 % Slowaken, je 1% Deutsche und Tschechen; IR 67: 60% Slowaken, 26% Magyaren, 8% Deutsche, 4 % Rumänen, je 1% Kroaten und Serben; IR 25: 80% Magyaren, 16% Slowaken, 2,5% Deutsche, 1% Rumänen, 0,5% Tschechen — alle: KA, Farbentabellen 1918. 137 IR 4 4 : 9i o/o Magyaren, 7% Tschechen, je 1 % Deutsche und Kroaten — KA, Farbentabellen 1918. 132

133

Revolutionäre Ansätze im Zivilbereich

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mit dem Regimentsstab in Wiener Neustadt und ein weiteres Feldbataillon dieses Regiments in Neunkirchen 138 . Am 22. Jänner um 18 Uhr traf das FJB 10 139 in Brünn ein 140 . Am nächsten Vormittag kam das FJB 5 141 in Leoben an, und am gleichen Tag gelangte ein Bataillon des SchR 15 142 nach Leitmeritz 143 . Am 24. Jänner trafen die Bataillone des IR 6 144 in ihren Bestimmungsorten ein: Der Regimentsstab in Mährisch Ostrau, ein Bataillon in Witkowitz, ein Bataillon in Karwin und ein Bataillon in Prerau145. Der Durchschnittsstand pro Bataillon sollte mit einer MG-Kompanie 35 Offiziere, 1.200 Mann und 150 Pferde betragen. Dieser Stand wurde bei den Infanteriebataillonen nicht ganz erreicht, die Feldjägerbataillone waren etwas höher dotiert 146 . Die Reaktion auf der Gegenseite: Die Machtmittel der österreichischen Regierung — so ließ sich Deutsch vernehmen — waren nach dem 20. Jänner weit genug angewachsen, „um jede Ausschreitung der Streikenden im Blute zu ertränken. Die weitere Fortführung des Streiks unter dem Kriegsrecht und unter den drohenden Bajonetten volksfremder Soldaten war zu einem gefährlichen Wagnis geworden." 147 Das Wagnis eingehen wollte man nicht. Das Eintreffen der Fronttruppen hatte nicht zuletzt auch psychologisch gewirkt. Denn Fronttruppen waren im Hinterland ungewohnt. Vor dieser ihrer ersten stärkeren Heranziehung im Jänner waren in der österreichischen Reichshälfte nur das II. Bataillon IR 68 in Mährisch Ostrau, das Wachbataillon IR 99 in Wien und je ein Halbregiment Husaren 2 in Prag und Pilsen disloziert gewesen148. 138

IR 69: Nur über das V. Baon Angaben — 93% Magyaren, 3% Tschechen, 2,5% Deutsche, 1,5% Slowenen - KA, Farbentabellen 1918. 139 FJB 10: 86,5% Deutsche, 11,5% Italiener, 2% Tschechen — KA, Farbentabellen 1918. 110 StadtRmdt in Brünn, Nr. 148, an KM, 22. I. 1918 — KA, KM Abt. 5 v. 1918, 1 - 3 / 5 - 2 . 141 FJB 5: 45% Deutsche, 33% Tschechen, 21% Polen, je 0,5% Serben und Kroaten und Italiener — KA, Farbentabellen 1918. 112 SchR 15: 65% Deutsche, 22% Tschechen, 12% Polen, 1% Ruthenen - KA, Farbentabellen 1918. Iis Teiegr. KM an MilKmden in Wien, Graz, Prag und Leitmeritz, 18. I. 1918 - KA, KM Abt. 5 v. 1918, 1 - 3 / 5 - 2 . 144 IR 6: 33% Deutsche, 23,5% Magyaren, 15,5% Slowaken, 13,5% Serben, 10% Kroaten, 2% Rumänen, 1,5% Ruthenen, je 0,5% Tschechen und Polen — KA, Farbentabellen 1918. 115 Teiegr. KM an MilKmdo in Krakau, 18. I. 1918 - KA, KM Abt. 5 v. 1918, 1 - 3 / 5 - 2 . " · Die Militärkommanden in Krakau, Wien, Graz, Prag und Leitmeritz wurden angewiesen, eine möglichst geschlossene Unterkunft vorzubereiten, die Bataillone sollten mindestens zugsweise untergebracht werden. Die Truppen blieben im Bezug ihrer Feldgebühren. Als Naturalverpflegung bekamen die Truppen jedoch die der Hinterlandsformationen. Das bedeutete ζ. B. bei der Mehlquote den Verlust von je 150 g pro Tag. Die Soldaten sollten zuerst im Assistenzdienst geschult werden, dann war die normale Ausbildung fortzusetzen. — Teiegr. KM Abt. 5, Nr. 498, an MilKmden in Krakau, Wien, Graz, Prag und Leitmeritz, 18.1. 1918 — KA, KM Abt. 5 v. 1918, 1 — 3/5—2; vgl. GRATZ - SCHÜLLER, Wirtschaftlicher Zusammenbruch. 80. 147 DEUTSCH, Österreichs Revolution. 5. 148 IR 68: 90% Magyaren, 3,5% Deutsche, 2,5% Tschechen, 2% Rumänen, 1% Ruthenen, je 0,5% Polen und Kroaten; I R 9 9 : 63% Deutsche, 36% Tschechen, 1% Magyaren; HR 2: 79% Magyaren, 10% Rumänen, 9% Deutsche, 2% Serben und Kroaten — alle:

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Herausforderung

Selbst der Kaiser in Baden nahm das Problem der Feldassistenzen in seiner Umgebung schwer genug, um sich persönlich — um ihre Verpflegung zu sorgen. Der Kaiser ordnete am 21. Jänner an, daß das nach Laxenburg, Wiener Neustadt und Neunkirchen verlegte IR 69 „mit Rücksicht auf seine besondere Aufgabe sogleich in den Bezug der Verpflegsgebühren der Ostfront" zu treten habe. Diese Verpflegsgebühr betrug damals 560 g Brot, 400 g Fleisch, 100 g Gemüse pro Tag bzw. die entsprechenden Surrogate. Als die 12. Abteilung des Kriegsministeriums mit Rücksicht auf die „mißliche Verpflegslage" ersuchte, die erhöhte Gebühr auf die mit einer besonderen Aufgabe betrauten Truppenteile zu beschränken, bestätigte die Quartiermeisterabteilung, daß die „Allerhöchst verfügte Verpflegsgebühr" für das ganze IR 69 gelten solle 149 . Hofburg und Schloß Schönbrunn in Wien sollten nun ebenfalls stärker abgesichert werden. Anläßlich des Generalstreiks waren in der Hofburg zwei Maschinengewehre bereitgestellt gewesen. Ebenso hatte man zur Sicherung Schönbrunns Maschinengewehre herangezogen. Am 26. Jänner bat das Militärkommando Wien um Zuweisung von vier MG für die Aufstellung eines HMG-Zuges beim Wachbataillon IR 99X50. Truppen rollten inzwischen audi aus Ungarn über die Leithalinie. Am 23. Jänner war als Verstärkung für das Industriegebiet des Wiener Beckens das V. Bataillon IR 97 aus Budapest herangezogen worden 151 .

KA, Farbentabellen 1918; Evidenzkarte (Oleate) vom 23. I. 1918 - KA, MKSM v. 1918, 28-1/5. Die Zugänge an Feldtruppen hatten schwerpunktmäßig die Assistenzstände verbessert. Das beweist ζ. B. die Entwicklung in Mährisch Ostrau: Der Stand der Assistenztruppen (Truppen von Feldformationen plus Truppen von Hinterlandsformationen) hatte am 19. Jänner abends 2.811 Mann, 345 Reiter und 28 M G betragen. Bis zum 23. abends konnte ein Zuwachs durch das I. Baon IR 6 — 660 Mann, 8 M G — und eine Assistenzkompanie SchR 6 — 108 Mann — verzeichnet werden, wonach der Stand 3.369 Mann, 345 Reiter und 36 M G betrug, denn zwei Assistenzkompanien des IR 15, 210 Mann, waren verlegt worden. Nach Zuwachs des II. Baons IR 6 — 563 Mann, 8 M G , 2 IG — und einer Assistenzkompanie IR 24 — 104 Mann — waren im Industrierevier von Mährisch Ostrau am 24. Jänner 4.036 Mann und 345 Reiter mit 44 M G und 2 IG disloziert. — Lagebericht an K M Abt. 5, 19. I. 1918 — KA, KM Abt. 5 v. 1918, 1 - 3 / 4 - 4 4 (553); SchR 20: 57% Ruthenen, 21% Polen, 14% Deutsche, 3% Rumänen, je 2% Tschechen und Kroaten, 1% Magyaren; IR 15: 52% Ruthenen, 22% Polen, 18% Deutsche, 4% Tschechen, je 2% Slowenen und Rumänen — beide: KA, Farbentabellen 1918; I R 2 4 : in den Farbentabellen keine Angaben; Lagebericht an K M Abt. 5, 23.1. 1918 — KA, K M Abt. 5 v. 1918, 1 - 3 / 4 - 4 9 (729); Lagebericht GM Naumann an KM Abt. 5, 25.1. 1918 - KA, K M Abt. 5 v. 1918, 1 - 3 / 4 - 5 0 (735). "» Hughes-Express (Sehr dringend) an MilKmdo Wien und K M Abt. 12, 21.1. 1918, 18,30 h - ΚΑ, AOK Qu.Abt. 1918, Nr. 100.437; Telegr. KM Abt. 12, Nr. 11.168, 23.1. 1918 ebenda; Telegr. Qu.Abt., Feldpost 51, an K M Abt. 12, 23.1. 1918 - KA, AOK Qu.Abt. 1918, Nr. 100.446. 150 k. u. k. MilKmdo Wien, Präs.Nr. 1.854/Ia, an K M Abt. 5, 26.1. 1918 - KA, K M Abt. 5 v. 1918, 1 6 - 1 5 / 3 - 2 (853). 151 IR 97: in den Farbentabellen keine Angaben; der Ergänzungsbezirk dieses Regiments war Triest.

Revolutionäre Ansätze im Zivilbereich

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Neben dem Raum Wien aber wurde anderseits auch dem Raum Budapest besonderes Augenmerk gewidmet. Die vom Kriegsministerium zur Verstärkung der Budapester militärischen Assistenzen aus den Militärkommandobereichen Pozsony, Kassa und Temesvar herangezogenen Truppen der Hinterlandsformationen waren schon am 18. Jänner wegen „bedrohlichen Anwachsens der Arbeiterunruhen" als nicht ausreichend angesehen worden. Die Budapester Stellen gaben in diesem Zusammenhang zu bedenken, daß bei rechtzeitiger Unterdrückung von Unruhen in der Hauptstadt die Gefahr für ganz Ungarn wegfallen würde. In diesem Sinn hatte vor allem der ungarische Innenminister interveniert. Und er hatte an das Kriegsministerium die Bitte hinzugefügt, aus den genannten Militärkommandobereichen sowie aus dem Zagreber Bereich womöglich bosnische und kroatische Truppen in der Stärke von 8.000 Mann als Assistenzen nach Budapest zu beordern 152 . Der Kriegsminister zeigte sich den Budapester Sorgen gegenüber aufgeschlossen. Er betonte in seinem Antwortschreiben das Vorhandensein von „derzeit" 230 für Assistenzzwecke verwendbaren Kompanien im Bereich Ungarns, von denen sich 79 Kompanien, also mehr als ein Drittel, im Raum Budapest befänden. Die übrigen seien zum überwiegenden Teil im Land in kleinen Abteilungen für Requisitionsdienste verstreut. Eine Zusammenziehung dieser Truppen und ihre Verschiebung nach Budapest würde mehrere Tage in Anspruch nehmen und überdies die Requisitionen unterbrechen, wogegen wieder der ungarische Landesernährungsminister Einspruch erheben müßte. „Ich habe daher", so führte der Kriegsminister aus, „mit dem Herrn ungarischen Ministerpräsidenten persönlich vereinbart, daß von den nach Ungarn gelangenden Truppen der Armee im Felde außer den für den Bereich Budapest bestimmten zwei Bataillonen und einem Kavalleriehalbregiment überdies noch zwei weitere Bataillone und zwei weitere Halbregimenter Husaren, zusammen also etwa 6.000 Mann, nach Budapest gelangen" 153 . Nach Budapest wurden demgemäß während des Generalstreiks folgende Truppenkörper der Armee im Felde verlegt: Das III. Bataillon IR 37154 und das III. Bataillon IR 60155, die schon vor dem 21. Jänner dort eingetroffen waren 156 , weiters nun das II. Bataillon IR 29 und das IV. Bataillon IR 101157. Von den Kavalleriehalbregimentern war ursprünglich nur eines des H R 7 für Budapest bestimmt, auf Grund der Intervention des Innenministers kam je ein 182 153 154

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Telegr.k. u. I M e r a n K M A b t . 10,18. I. 1918 - Κ Α , Κ Μ Abt. 5 v. 1918, 1 - 7 / 2 (615 res.). KM Abt. 5, Nr. 615 res., an k. u. M d l , 20.1. 1918 - KA, KM Abt. 5 v. 1918, 1 - 7 / 2 . IR 37: 49% Magyaren, 35% Rumänen, 5% Deutsche, 4% Tschechen, 3,5% Serben und Kroaten, 2,5% Slowaken, 1% Italiener — KA, Farbentabellen 1918. IR 60: 88,5% Magyaren, 2,5% Deutsche, je 2% Tschechen und Ruthenen, je 1,5% Slowaken und Polen, je 1% Rumänen und Italiener — KA, Farbentabellen 1918. Truppen der A. i. F. im Hinterland, Stand vom 21. I. 1918 — KA, K M Abt. 5 v. 1918, 1 - 1 0 / 6 1 (Skizze). IR 29: 29% Serben, 25% Deutsche, 23% Magyaren, 14% Rumänen, 6% Slowaken, je 1,5% Tschechen und Italiener; IR 101: 86,5% Magyaren, 10% Rumänen, 1,5% Deutsche, je 1% Tschechen und Serben — beide: KA, Farbentabellen 1918.

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Herausforderung

Halbregiment der H R 6 und 8 hinzu 158 . Vor dem Eintreffen dieser Truppenkörper war in Budapest an Feldtruppen je ein Halbregiment des H R 7 und Landsturm-HR 1 bereitgestanden 159 . Nach Pozsony/Preßburg wurden nach dem Jännerstreik zwei Bataillone des H I R 6 und das I. Bataillon des k. u. Lst.IR 5 verlegt 160 . Um den 25. Jänner standen damit — zählt man die für Requisitionen eingesetzten Verbände hinzu — in der ungarischen Reichshälfte 17 Bataillone und sechs Halbregimenter der Armee im Felde für Assistenzzwecke zur Verfügung 181 . Das Schwergewicht bei der Unterdrückung der Streikbewegung hatte das Kriegsministerium, wie aus der Verteilung der Feldbataillone deutlich hervorgeht, auf die Ballungszentren Wien und Budapest gelegt. Aber die militärische Führung gab sich noch nicht zufrieden. D a vor allem Galizien und Westösterreich unterdotiert seien und Wien nach Ansicht der Militärbehörden noch immer ungenügend gesichert wäre, schien dem Kriegsministerium am 25. Jänner der sofortige Zuschub weiterer Assistenztruppen von den Feldarmeen unerläßlich. Das Ministerium hatte „im eminenten Interesse des Staates und der Armee" am 20. Jänner zehn Bataillone „tunlichst deutscher und ungarischer Nationalität" für Österreich erbeten 162 . Und es meldete sich am 25. mit der zusätzlichen Bitte, daß „unter den gegebenen Gesichtspunkten" mindestens 15 weitere Bataillone erforderlich wären 163 . Bereits am nächsten Tag entgegnete das A O K , machte Vorbehalte. Von der Armee im Felde seien 15 Bataillone für Österreich und 24 Bataillone für Ungarn, durchwegs „ausgesuchte, besonders kampftüchtige Truppen", bereitgestellt worden. Fast alle Divisionen an der Ostfront seien um „etliche Einheiten" geschwächt worden. Besonders fühlbar und auf die Dauer unzulässig seien diese Schwächungen bei den an die Südwest-Front abgegangenen Divisionen. Der 32. ID fehle die Hälfte ihrer Infanterie, die 1. K D sei um ganze 158

159

leo

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H R 7: 94% Magyaren, 4% Deutsche, 2% Slowaken; H R 6: 90% Magyaren, 4% Slowaken, 3,5% Rumänen, je 1% Deutsche und Kroaten, 0,5% Slowenen; H R 8: 70% Magyaren, 14% Deutsche, 5% Serben, je 3,5% Kroaten und Rumänen, 2% Slowaken, je 1% Tschechen und Polen — alle: KA, Farbentabellen 1918; Evidenzkarte (Oleate) vom 23. I. 1918 - K A , M K S M v. 1918, 2 8 - 1 / 5 . Lst. HR 1: 81% Magyaren, 9% Deutsche, 4% Slowaken, 3% Kroaten, 2% Serben, 1% Rumänen — K A , Farbentabellen 1918. H I R 6: 61% Magyaren, 15% Deutsche, 12,5% Serben, 5,5% Rumänen, 4% Slowaken, je 1% Ruthenen und Kroaten — K A , Farbentabellen 1918; Evidenzkarte (Oleate) vom 23. I. 1918 - K A , M K S M v. 1918, 2 8 - 1 / 5 . Ebenda. Zusammenstellung auf Evidenzkarte vom 23. I. 1918. Die von den Feldformationen eingetroffenen Truppen waren „nach den bestehenden Vorschriften und vom K M ergangenen Erlässen" im Assistenzdienst zu schulen, im übrigen hatten sie aber ihre Ausbildung fortzusetzen. — Telegr. K M Abt. 5, Nr. 616 res., an alle MilKmden in Ungarn, 20. I. 1918 - K A , K M Abt. 5 v. 1918, 1 - 2 4 . Hughestelegr. K M Abt. 5, Nr. 611 res., an den Ch. d. G., 20. I. 1918 - K A , K M Abt. 5 v. 1918, 1 - 3 / 5 . K M Abt. 5, Nr. 611/1 res., an A O K , 25. I. 1918 - K A , K M Abt. 5 v. 1918, 1 - 3 / 5 - 1 .

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zwei Regimenter und die 70. H I D um drei Bataillone verringert worden. Eine solche Schwächung der Front wäre auf die Dauer unvertretbar. Die 39 Bataillone im Hinterland seien schließlich nicht „als ständige Garnisonen" zu betrachten, sondern „mobil dort zu verwenden, wo es jeweils die Verhältnisse" erforderten. Als unmittelbare Drohung oder Einschüchterung gegenüber 50 Millionen Einwohnern würden diese 39 Bataillone gewiß nicht genügen. Aber der Chef des Generalstabes wollte audi nicht annehmen, „daß ein Eingreifen mit der Waffe diesen Bataillonen je gestattet wird". Arz blieb schließlich verbindlich. Da „in der nächsten Zeit" ständige Truppenverschiebungen von der Ost- zur Südwest-Front und umgekehrt vor sich gehen würden, sagte der Generalstabschef dem Kriegsminister zu, im „faktischen Bedarfsfalle" von diesen Kräften Bataillone dem Kriegsministerium zur Verfügung zu stellen. Er erbat aber — sichtlich vorbeugend — auch gleich die Mitteilung, wann Teile der „derzeit in der Monarchie stehenden Truppen" wieder zur Armee im Felde abgehen könnten 164 . Das AOK hatte deutlich gezögert. Dennoch veranlaßte es bereits am 27. Jänner die Instradierung des SchR 9 mit je einer MG-Kompanie pro Bataillon nach Wien und die von zwei Bataillonen und dem Stab des IR 34 sowie von einem Bataillon IR 23 nach Prag 165 . Die Truppen hatten mit Maschinengewehren und Nahkampfmitteln ins Hinterland abzugehen166. Die zahlenmäßige Aufstockung der Assistenzen aber konnte noch auf verläßlidi scheinender Basis erfolgen: Die Schlagworte der Radikalen während des Jännerstreiks hatten bei den Assistenztruppen keinen Widerhall gefunden, nicht bei den Assistenzen der Hinterlandsformationen und schon gar nicht bei jenen der Armee im Felde167. Nicht zuletzt auch die jungen Rekruten waren fest in der Hand ihrer Kommandanten geblieben168. Große Streikaktionen hatten im Hinterland der Mittelmächte das Jahr 1918 eingeleitet. In Österreich-Ungarn waren im Jännerstreik über 700.000 Arbeiter 161

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AOK Ch. d. G., Op.Nr. 49.568, an KMer Stöger-Steiner, Baden 26. I. 1918 - KA, K M Abt. 10 v. 1 9 1 8 , 2 - 1 . SchR 9: 71,5% Deutsche, 22,5% Tschechen, 4% Polen, 2% Ruthenen; IR 34: 94% Magyaren, 4% Slowaken, je 1% Deutsche und Tschechen; IR23: 43% Magyaren, 33% Deutsche, 15% Serben und Kroaten, 8% Rumänen, 1% Slowaken — alle: KA, Farbentabellen 1918. Telegr. AOK Ch. d. G„ Op.Nr. 48.405, an 2. AK bei HG Linsingen und KM Abt. 5, 27. I. 1918 - KA, KM Abt. 5 v. 1918, 1 - 3 / 5 - 2 / 1 (498/1). Für die Bereitstellung der Truppen innerhalb der Monarchie waren „feldnahe" Gesichtspunkte vorgesehen: Die Truppen unterstanden jenem Militärkommando, in dessen Bereich sie verwendet wurden. Sie meldeten ihren jeweiligen Aufenthaltsort ihren vorgesetzten Divisionskommanden. Nach Eintreffen im Bestimmungsort traten die Truppen in die Versorgung des betreffenden Militärkommandos, blieben aber im Bezug der Feldgebühren. Die Rückinstradierung, so hieß es, würde vom AOK verfügt. Karel PICHLIK, Das Ende der österreichisch-ungarischen Armee. IN: österreichische Osthefte. V. Wien (1963). 354 und 365. Otto BAUER, Die österreichische Revolution. Wien 1923. 64.

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Herausforderung

in den Ausstand getreten. Ende Jänner folgte der große Munitionsarbeiterstreik in Deutschland. Für einen Augenblick schienen die Aktionen weltpolitischen Charakter anzunehmen. Die Führer der russischen Revolution hatten die Streikwellen erwartungsvoll verfolgt. Für sie bildeten die Streikaktionen jenen verheißungsvollen Auftakt, von dem sie eine allgemeine Revolutionierung der Mittelmächte und später der westeuropäischen Staaten erhofften. Ihre Hoffnungen sollten sich nicht erfüllen. Am 25. Jänner war mit der Arbeitsaufnahme im Ostrauer Revier der große Streik in Österreich-Ungarn beendet 169 .

2 . DEMONSTRATIONEN IN GALIZIEN

Aus den Bewegungen des Aufbegehrens, die zu Jahresbeginn die Monarchie erschütterten, sollte sich im Norden eine mit besonderem nationalpolitischem Aspekt lösen: im Bereich der Polen. Dort schien sich Anfang des Jahres 1918 zwar noch eine für Wien verheißungsvolle Entwicklung anzubahnen. Verhandlungen des Regentschaftsrates mit polnischen Mitgliedern des österreichischen Abgeordnetenhauses hatten zu einer Einigung über eine austropolnische Lösung geführt. Kaiser Karl sollte am 17. Februar in Warschau zum König von Polen ausgerufen werden 1 . Auf der anderen Seite aber zeichnete sich östlich des polnischen Bereichs ein neues, die polnische Ostgrenze in Frage stellendes Staatswesen ab: Am 22. Jänner erfolgte die Proklamierung der Ukrainischen Volksrepublik zum souveränen, vom russischen Staatsverband losgelösten Staat. Die wachsende Unruhe der nun um ihren territorialen Interessenbereich besorgten Polen mündete im Kronland Galizien in erregte Kundgebungen. Am 2. Februar kam es als erstes Alarmzeichen in Lemberg zu Zusammenstößen: Man demonstrierte gegen ein wienorientiertes neues Polen, auch gegen preußischen Imperialismus, wobei die einsetzenden Ausschreitungen zunehmend antideutschen Charakter gewannen. Jugendliche an der Spitze, Republikaner, die an ein Polen von der Ostsee bis weit nach Südosten dachten, vor allem Studenten und Gymnasiasten, zertrümmerten Fensterscheiben, rissen Bilder des österreichischen Kaiserpaares aus den Auslagen, wandten sich dann gegen reichsdeutsche militärische Dienststellen, so gegen das deutsche Feldpostamt, und gegen die Delegation des deutschen Roten Kreuzes. Eine reichsdeutsche Fahne wurde her abgerissen und verbrannt. Schüsse fielen: Ein Gymnasiast wurde tödlich, ein anderer schwer, elf Personen wurden leicht verletzt 2 . ι«» OPOCENSKLF·, Umsturz in Mitteleuropa. 85. 1

2

Vgl. Leon BILINSKI, Wspomnienia i dokumenty 1846—1922 (Erinnerungen und Dokumente 1 8 4 6 - 1 9 2 2 ) . T o m I I : 1 9 1 5 - 1 9 2 2 . Warszawa 1925. 159 ff. Bericht des Oblt. Boelling an den Bevollmächtigten des Königlich Preußischen K M beim k. u. k. K M , Lemberg 7. II. 1918 - KA, K M Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 3 8 / 4 ; Kurjer Lwowski, 12. II. 1918, Nr. 71. Eine Kommission polnischer Reichsratsabgeordneter trat zur Untersuchung des Vorfalls zusammen.

Revolutionäre Ansätze im Zivilbereich

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Am 3. und 4. zogen Demonstranten durch die Straßen, attackierten Deutsche, versammelten sich am Fuß des Mickiewicz-Denkmals, sangen und jubelten den Sprechern zu. Am 6. fand die Beerdigung des erschossenen Gymnasiasten statt. Sie war eine Demonstration gegen die Deutschen, angefangen von der starken Präsenz der Geistlichkeit — darunter der eben wegen Beleidigung eines deutschen Soldaten verurteilte Domherr Graf Badeni — bis zu den Aufschriften auf den Kranzschleifen — „Dem jungen Helden, ermordet von den Feinden". Und auf den affichierten Traueranzeigen prangten handschriftliche Zusätze — »Gemordet von den Preussen" und „Noch ist Polen nicht verloren" 3 . Generalstreik wurde angekündigt... Der Statthalter von Galizien, G O Graf Huyn, befürchtete ernste Unruhen. An Assistenztruppen stünden dem Militärkommando Przemysl 900, dem Militärkommando Krakau einschließlich Mährisch Ostrau 1.600 Mann zur Verfügung. Mit dieser schwachen Assistenz wäre die Durchsetzung der Staatsgewalt und die Aufrechterhaltung der Ruhe ausgeschlossen. In einer interministeriellen Konferenz im Ministerium des Innern am 28. Jänner hätten Vertreter des Kriegsministeriums der galizischen Statthalterei 8.000 Mann für Assistenzzwecke in Aussicht gestellt. Der Statthalter bat, vor allem die Stadt Lemberg durch das 2. Armeekommando mit ausreichenden Assistenztruppen absichern zu lassen. Weiters würden das Militärkommando Przemysl 2.500 und der galizische Bereich des Militärkommandos Krakau 3.500 Mann als Minimum an Assistenzen benötigen4. Das Kriegsministerium wies demgegenüber auf seine Vorkehrungen hin 5 . Das AOK hatte dem Ministerium die im Gang befindliche Zusammenziehung von Feldeinheiten in Lemberg und Umgebung mitgeteilt 6 . 3

4

5

Ebenda; Telegr. AOK Ch. d. G„ Op.Nr. 49.727, an KM Abt. 5, 5. II. 1918 - KA, KM Abt. 5 v. 1918, 1 — 3/6 (1.242 res.); vgl. Schicksals jähre Österreichs. Tagebuch Redlichs. 2. Band. 258. Telegr. AOK Ch. d. G„ Op.Nr. 49.727, an KM Abt. 5, 5. II. 1918 - KA, KM Abt. 5 v. 1918, 1 - 3 / 6 (1.242 res.). Nach Mitteilungen des KM standen an Hinterlandsformationen den Militärkommanden Krakau und Przemysl zur Verfügung:

bis 8. II. 8 . - 2 0 . II. 20. II. —1. III.

6

MilKmdo Krakau

MilKmdo Przemysl

38 16 24 16 25

32 6 18 10 15

MaKomp. AssKomp. MaKomp. AssKomp. AssKomp.

MaKomp. AssKomp. MaKomp. AssKomp. AssKomp.

Außerdem verfügte das MilKmdo Lemberg in Mähr. Ostrau bis 20. II., abgesehen von den Militärassistenzen für das Mähr. Ostrauer-Kohlenrevier, über 49 Marsch- und 13 Assistenzkompanien in verschiedenen Orten Nordmährens und Schlesiens, die im Bedarfsfall auch von diesem MilKmdo zur Verfügung gestellt werden konnten. — Mitteilung KM an M d l , o. D . — AVA, Mdl Präs. 1918, 2 2 - 2 . 6 9 1 . Das AOK gab bekannt, daß sich Anfang Februar folgende Truppen der A. i. F. in Lemberg und Umgebung befänden: 1 Baon IR 85 ( = 1.000 Mann); % UR 1 ( = 300 Mann);

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Herausforderung

Das Kriegsministerium wandte sich unmittelbar auch an die Militärkommanden in Krakau, Przemysl und Lemberg in Mährisch Ostrau: Der Statthalter solle verständigt werden, daß Assistenztruppen im Bedarfsfall bei den Militärkommanden anzusprechen seien. Den Militärkommanden stünden außerdem für Assistenzzwecke audi die X X X V I I . Marschformationen bis zum Abrollen zur Verfügung, ferner neuformierte und weiter hinzuwachsende Kompanien der Ersatzkörper. Die Militärkommanden hätten nur im Falle unbedingter Notwendigkeit beim Kriegsministerium um weitere Verstärkungen vorstellig zu werden 7 . Der am 9. Februar zwischen den Mittelmächten und der Ukrainischen Volksrepublik abgeschlossene Friedensvertrag beinhaltete im Artikel II/2 die Abtretung des Gouvernements Cholm — eines national gemischten, mehrheitlich ukrainischen Gebietes — an die Ukraine 8 . Eine solche Vereinbarung war Treibsatz für die nationale Erregung . . . Die ukrainische Bevölkerung Galiziens frohlockte. In zahlreichen Städten Ostgaliziens kam es zu Demonstrationen, die den Dank der Bevölkerung zum Ausdruck bringen sollten. 12.000 Teilnehmer meldeten die Behörden für Lemberg, je 10.000 für Kolomea und Stanislau, 20.000 für Drohobycz 9 . Gegenteilig mußte die Reaktion bei den Polen sein. Ein Sturm der Entrüstung fegte durch die polnischen Teile Galiziens und das neu gegründete Königreich Polen. Die Regierung Kucharzewski demissionierte, der Fürst % DR 5 ( = 300 Mann); 1% Etappenbaone ( = 700 Mann); 8 MG-Kompanien ( = 800 Mann); insgesamt also 3.100 Mann. — Telegr. AO Κ Ch. d. G., Op.Nr. 49.727, an KM Abt. 5, 5. II. 1918 - KA, KM Abt. 5 v. 1918, 1 - 3 / 6 (1.242 res.). IR 85: 37% Rumänen, 31% Magyaren, 25% Ruthenen, 5% Deutsche und 2% Tschechen; UR 1: 65% Polen, 15% Ruthenen, je 10% Deutsche und Tschechen; DR 5: 56% Deutsche, 34% Slowaken, 5% Tschechen, je 2% Polen und Italiener, 1% Ruthenen — alle: KA, Farbentabellen 1918. ' Telegr. KM an MilRmden in Krakau, Przemyäl und Lemberg in Mähr. Ostrau, o. D. — KA, KM Abt. 5 v. 1918, 1 - 3 / 6 . 8 Vgl. BIHL, Brest-Litovsk. 72—75; Henryk BATOWSKI, Rozpad Austro-Wggier 1914—1918 (Der Zerfall Österreich-Ungarns 1914-1918). Wroclaw/Warszawa/Kraköw 1965. 147 ff. Hinzu kam noch ein für die polnische Frage besonders brisanter Bestandteil der Friedensregelung mit der Ukraine: das Geheimprotokoll vom 8. II. über die Bildung eines ruthenischen Kronlandes in der österreichischen Reichshälfte, das die Vereinigung Ostgaliziens mit der Bukowina vorsah. Die k. k. Regierung verpflichtete sich, ihr möglichstes zu tun, daß ein von ihr bis spätestens 20. VII. 1918 im Reichsrat eingebrachter entsprechender Gesetzentwurf Gesetzeskraft erlange. Obwohl über die das ukrainische Kronland betreffenden Geheimverhandlungen in Brest-Litovsk manches durchgesickert zu sein schien, so selbst zu den südslawischen Vertretern im Reichsrat, wurde den Polen der Inhalt des Geheimprotokolls erst später, nach Seyda offiziell im April, bekannt. Am 20. VI. sah sich die österreichische Regierung schließlich veranlaßt, den Vertretern des Polenklubs die Erklärung abzugeben, daß sie ohne dessen Zustimmung in der Organisation Galiziens keine Änderung eintreten lassen werde. — BILINSKI, Wspomnienia. 1 6 9 ; Marian SEYDA, Polska na przelomie dziejöw. Fakty i dokumenty (Polen am Wendepunkt der Geschichte. Tatsachen und Dokumente). II. PoznaA 1931. 418; BIHL, Brest-Litovsk. 126 f., 137—142. • AVA, MdIPräs. 1918, 22-6.676.

Revolutionäre Ansätze im Zivilbereidi

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Lubomirski brach im Namen des Regentschaftsrates alle Beziehungen zu Ugron, dem Vertreter Österreich-Ungarns, ab 1 0 . Führende polnische Politiker legten österreichische Auszeichnungen und Würden zurück. Und der k. u. k. Militärgeneralgouverneur in Lublin, der GM Graf Szeptycki, erbat seine Abberufung 11 . Auch dort, im Militärgeneralgouvernement, stieg die Erregung an. In Städten und Dörfern kam es in diesen Tagen zu Versammlungen und Demonstrationen. Freiheitsreden wurden gehalten, Drohungen gegen die Okkupationsmächte ausgesprochen. Die Zeitungen umgingen die Zensur und veröffentlichten Artikel gegen Österreich-Ungarn 12 . Aufruhr im Polnischen

Hilfskorps

Die Empörung in Kongreßpolen und Galizien über die Abtretung des Cholmer Kreises an die Ukraine veranlaßte den Chef des Generalstabs, Gdl von Arz, schon am 9. Februar, das Heeresfrontkommando FM von Kövess und das 7. Armeekommando anzuweisen, besonders auf das Polnische Hilfskorps zu achten und es unter keinen Umständen in der ersten Linie zu verwenden 13 . Am 15. Februar abends meldete das 7. Armeekommando nach Baden, daß der Gendarmeriekommandant von Galizien und der Bukowina, GM Fischer, im Kantonierungsraum des Hilfskorps erregte Stimmung festgestellt habe. Befragte Legionäre hätten geäußert, sie müßten nunmehr gegen ÖsterreichUngarn Krieg führen, und der würde länger dauern als der Kampf gegen Rußland. Das Armeekommando beantragte nun die Verlegung des Freiwilligenverbands in den südostgalizischen Raum von Kalusz-Dolina. Es forderte aber zugleich ernstere Konsequenzen: Nach regimentsweiser Aufteilung auf einzelne Ausbildungsgruppen sollte das Hilfskorps, falls politisch durchführbar, überhaupt aufgelöst werden 14 . Noch am selben Abend, kurz vor Mitternacht, aber meldete sich das 7. Armeekommando erneut beim A O K : Das Polnische Hilfskorps meutere und versuche, unter Führung eines Brigadekommandanten, Legionsoberst Jozef Haller, zu den russischen Linien durchzustoßen 15 . 10

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Jözef BUSZKO, Die polnischen Politiker über die Ereignisse des Jahres 1918 in ÖsterreichUngarn. I n : Die Auflösung des Habsburgerreiches. Zusammenbruch und Neuorientierung im Donauraum, ed. Richard G. PLASCHKA und Karlheinz MACK. Wien 1970. 181. = Schriftenreihe des österreichischen Ost- und Südosteuropa-Instituts I I I . BILINSKI, Wspomnienia. 166. Generalmajor Graf Szeptycki wurde über „Allerhöchste Entschließung" vom 18. II. von seinem Posten enthoben. — A O K , Pers. Nr. 15.748, Extraktbogen für die M K S M über die Ah. Entschließung vom 18. II. 1918 — K A , M K S M v. 1918, 6 9 - 3 / 1 5 . Arthur HAUSNER, Die Polenpolitik der Mittelmächte und die österreichisch-ungarische Militärverwaltung in Polen während des Weltkrieges. Wien 1935. 229. A O K Ch. d. G. an H F K Kövess und 7. A K , 9. II. 1918 - KA, AOK Op.Abt. v. 1918, 4 9 . 8 0 8 ; vgl. Rudolf HECHT, Fragen zur Heeresergänzung der gesamten bewaffneten Macht Österreich-Ungarns während des Ersten Weltkrieges. Phil. Diss. Wien 1969. 548. Telegr. 7. A K , Op.Nr. 879, an AOK, 15. II. 1918, 20 h - KA, 7. A K , Fasz. 507 a (313/d). Telegr. 7. A K an A O K , 15.11. 1918, 23,25 h - KA, A O K Op.Abt. v. 1918, 140.038.

Herausforderung

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Es waren zwei Regimenter des Polnischen Hilfskorps — Polski Korpus Posilkowy —, die sich unter dem Kommando Hallers anschickten, in der Nacht vom 15. auf den 16. Februar die Front zu wechseln und auf feindliches bessarabisches Gebiet zu gelangen. Ihr Ziel war das Polnische Korps unter Führung des GM Dowbör-Musnicki, das sich aus polnischen Offizieren und Soldaten der ehemaligen russischen Armee gebildet und in der Ukraine und in Bessarabien gesammelt hatte. Die ausbrechenden Polen — rund 5.000 bis 6.000 Mann — verhafteten den Kommandanten ihres Korps GM Zielinski samt Stab, zogen ab 20 Uhr von Luzan los, zerstörten die für sie greifbaren Verkehrsverbindungen im Raum Czernowitz, marschierten nördlich an Czernowitz vorbei in Richtung Rarancze, wurden allerdings zum Kampf gestellt. Einheiten der 7. Armee konnten den Hauptteil des meuternden Hilfskorps in einem Wald östlich von Sadagora einschließen. An dieser Gegenaktion waren Truppen der 5. und 36. ID sowie der 2. KD unter dem Kommando der Gruppe FML Kosak beteiligt. Das von den Legionären verhaftete Kommando des Polnischen Hilfskorps und der auf die erste Nachricht von der Meuterei vom 7. AK zum Hilfskorps entsandte FML Schilling und sein Generalstabsoffizier, die gleichfalls in die Hand der Aufrührer geraten waren, konnten befreit werden. Lediglich drei Kompanien — etwa 500 Mann — unter Führung des Obersten von Haller und der beiden Regimentskommandanten, Oberstleutnant Zymierski und Major Sajac, vermochten sich zu den russischen Linien durchzuschlagen. Das Gefecht mit den Legionären forderte auf Seiten der österreichischungarischen Truppen elf Gefallene und 38 Verwundete, darunter je einen Offizier. Bis zum 23. Februar konnten schließlich 160 Offiziere und 4.700 Mannschaften des Polnischen Hilfskorps gefangen eingebracht werden 16 . Diesem Sachverhalt gegenüber hatte der Legionsoberst von Haller vergleichsweise anspruchsvolle Worte gefunden. Beim Uberschreiten der Front hatte der Oberst eine Proklamation „An das polnische Volk!" erlassen: „Der [richtig: Den, A. d. V.] Schlag, der das kaum entstandene Polnische Reich getroffen hat, empfinden wir samt dem ganzen polnischen Volke sehr tief . . . Ein schweres Schicksal hat uns gestählt, und heute im Momente des Unglücksschlages stehen wir ungebrochen da und haben unser Haupt vor der Ubermacht nicht gebeugt. Desto höher erheben wir unsere Standarte im Sinne des " Telegr. 7. AK, Op.Nr. 879/1, an AOK, 15.11.1918, 22,50 h; Telegr. 7. A K , Op.Nr. 879/11, 16. II. 1918, 1 1 H - KA, AOK Op.Abt. v. 1918, 140.038; Handschriftl. Aufzeichnung über Poln. Hilfskorps, o. D . - KA, M K S M v. 1918, 6 9 - 1 6 / 2 - 8 ad V I ; SEYDA, Polska. II. 312 ff.; Michal BOBRZYNSKI, Wskrzeszenie panstwa polskiego. Skiz historyczny (Die Auferstehung des polnischen Staates. Ein historischer Abriß). T o m I. Kraköw 1920. 222 ff.;

HOLZER - MOLENDA, P o l s k a .

299;

Wladyslaw

POBOG-MALINOWSKI,

Najnowsza

historia polityczna Polski 1864—1945 (Neueste politische Geschichte Polens 1864—1945). T o m I. Paryz 1953. 338; ÖU1K VII. 109 f.; Anhang zu den stenographischen Protokollen des Hauses der Abgeordneten des österreichischen Reichsrates im Jahre 1917 und 1918. V. Band. Wien 1918. Schriftl. Anfrage des Abg. Denk an F M L von Czapp, Nr. 2.584/1; v g l . GLAISE-HORSTENAU, D i e K a t a s t r o p h e . 1 5 1 .

Revolutionäre Ansätze im Zivilbereich

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Feldrufes Kosciuszkos: Um die Freiheit und Unabhängigkeit des ganzen Vaterlandes!!! . . . Die Soldatenpflicht hat uns dorthin zu gehen befohlen, wo die polnische bewaffnete Macht im Entstehen begriffen ist, da die Möglichkeit aufgehört hat, im Lande selbst eine polnische Armee zu errichten. Die in der Bukowina verteilten Abteilungen der polnischen Legionen haben unter Führung des Hilfskorps die Grenzen überschritten, um die Vereinigung mit der polnischen bewaffneten Macht jenseits der Front anzustreben." 17 Schon am Tag nach der Ubergangsbewegung setzten die Maßnahmen der österreichisch-ungarischen Kommandostellen ein: Das A O K befahl die Entwaffnung des Hilfskorps, die Festsetzung der österreichischen und ungarischen Staatsbürger, jedoch die Übergabe der entwaffneten Ausländer an die Russen. Das 7. Armeekommando — der Armeekommandant G O Kritek war Tscheche — trat für schärfere Vorgangsweise ein: Waffengewalt und Zerstörung von Verkehrseinrichtungen ließen eine milde Behandlung nicht zu. Auch der Eindruck auf die eigenen Einheiten und auf die in Mitleidenschaft gezogene Zivilbevölkerung sei in Erwägung zu ziehen. G O Baron Arz schloß sich den Anträgen des Armeekommandos an. Der Armeekommandant stieß noch am Abend des 16. mit konkreten Forderungen nach: offizielle Auflösung des Polnischen Hilfskorps; Internierung der gefangenen Legionäre als Kriegsgefangene; Durchführung des ordentlichen Feldverfahrens; Aberkennung der Charge und Dekoration gegenüber geflüchteten österreichisch-ungarischen Offizieren — bei gefangenen Offizieren erst nach der Untersuchung — ; nach durchgeführter Untersuchung Einreihung der österreichisch-ungarischen Dienstpflichtigen in die ergänzungszuständigen Truppenkörper; Behandlung der aus Kongreßpolen stammenden Meuterer als Kriegsgefangene; Einziehung des gesamten Kriegsmaterials und der Pferde der an der Aktion beteiligt gewesenen Einheiten zugunsten der 7. Armee 18 . Das A O K versuchte die scharfen Forderungen des Armeekommandos zu bremsen: Angehörige der eigenen bewaffneten Macht seien keine Kriegsgefangenen; von der Proklamation des Standrechts solle Abstand genommen werden; das Ausmaß des Verbrechens müsse erst durch ein kriegsgerichtliches Verfahren festgestellt werden; die Auflösung höherer Kommanden und Anstalten als außerordentliches Strafmittel dürfe erst nach Ah. Genehmigung erfolgen, und schließlich sei die Aberkennung der Offizierscharge ohne Gericht und Ehrenrat nicht möglich 19 . Das Gerichtsverfahren sollte von der Expositur des Gerichtes der 7. Armee " Übersetzung durch die NaAbt. des AOK - KA, AOK Op.Abt. v. 1918, 104.298; vgl. HECHT, Heeresergänzung. 548 if. " Telegr. AOK Ch. d. G., Geh.Nr. 1.039, an 7. AK und H F K Kövess, 16. II. 1918; Telegr. 7. AK, Op.Nr. 379/III, an AOK, 1 6 . 1 1 . 1 9 1 8 ; Telegr. 7. AK, Op.Nr. 900, an AOK, 16. II. 1918, 20,15 h - KA, AOK Op.Abt. v. 1918, 140.038. F M von Kövess Schloß sich diesen Anträgen vollinhaltlich an. " Stellungnahme des Justizreferenten des AOK, 18. II. 1918 - KA, AOK Op.Abt. v. 1918, 140.038.

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Herausforderung

bei der Armeeausbildungsgruppe in Huszt — in der Karpato-Ukraine — durchgeführt werden. Dorthin wurden auch die gefangengenommenen Legionäre gebracht. Nach durchgeführtem Verfahren hatte das A O K die Verlegung zur Armeeausbildungsgruppe der Isonzo- und der 6. Armee vorgesehen 20 . Nach Rückfrage beim Minister des Äußern, ob außenpolitische Rücksichten gegen eine Auflösung des Polnischen Hilfskorps sprächen — was Graf Czernin verneinte —, erfolgte schon am 19. Februar die vom A O K beim Kaiser beantragte Auflösung des Verbandes 21 . Der Regentschaftsrat hatte sie wohl noch zu verhindern gesucht. Aber sowohl die Interventionen von militärischer Seite — F M L Rozwadowski — als auch solche des Regentschaftsrates beim Kaiser am 17. waren erfolglos geblieben. Auch der Außenminister, der sein rasches Einverständnis angesichts der polnischen Proteste sichtlich bedauerte, vermochte an der vollzogenen Auflösung nichts mehr zu ändern 22 . österreichische und ungarische Staatsangehörige des Hilfskorps, die an der Meuterei nicht beteiligt gewesen waren, wurden über eine beim Militärkommando Graz eingerichtete ambulante Musterungskommission von der 7. Armee direkt zur Isonzo-Armee verlegt. Dies sichtlich mit wenig Gegenliebe bei den Betroffenen, denn schon am 14. April meldete das Heeresgruppenkommando FM von Boroevic die Zunahme sozialrevolutionärer Strömungen unter den einstigen Legionären. Gleichzeitig beantragte es beim A O K die Einschleusung von Geheimagenten in die aus ehemaligen Legionären formierten Bataillone 23 . Die festgenommenen Polen wurden als Meuterer in Huszt in Gewahrsam genommen. Gegen die Rädelsführer wurde über Anklagebefehl des kommandierenden Generals des 7. Generalkommandos als zuständigem Kommandanten ein kriegsgerichtliches Verfahren eröffnet 24 . 20 21

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23

21

Telegr. 7. AK, Op.Nr. 879/13, an AOK, 18. II. 1918, 10,20 h; Hughes AOK Ch. d. G „ Op.Nr. 140.035, an 7. AK, 18. II. 1918, 1 1 h - KA, AOK Op.Abt. v. 1918, 140.038. Telephondepeschen Graf Czernin an Herrn von Storck, 16. und 20. II. 1918; AOK Ch. d. G „ MV.Nr. 305.900/P., an AOK Op.Abt., 21. II. 1918 - KA, AOK Op.Abt. v. 1918, 140.146. Telephondepeschen Graf Czernin an Herrn von Storck, 17. und 21. II. 1918 — KA, AOK Op.Abt. v. 1918, 140.038. Die Durchführungsbestimmungen für die Auflösung des Polnischen Hilfskorps erließ das k. k. MfLV im Einvernehmen mit dem KM und dem Chef des Ersatzwesens am 6. III. 1918. Alle ehemaligen Legionäre österreichischer oder ungarischer Staatsbürgerschaft bzw. bh. Landesangehörigkeit im Hinterland, die noch der Dienstpflicht unterworfen waren, wurden einer Sichtung unterzogen. Das Ministerium ließ die Legionsoffiziere und die Mannschaften nach der Musterung gemäß einem besonderen Aufteilungsschlüssel dem Heer und den beiden Landwehren überstellen. Polnische Staatsbürger aus den Reihen des ehemaligen Hilfskorps, die nicht an der Meuterei beteiligt gewesen oder freigesprochen worden waren, wurden zur Verfügung des Generalinspekteurs des polnischen Heeres nach Dublin in Marsch gesetzt. — KA, AOK Op.Abt. v. 1918, 103.854 und 103.849; vgl. HECHT, Heeresergänzung. 556 ff. H G K B o r o e v i c an A O K , 14. I V . 1918 -

K A , A O K O p . A b t . v. 1918, 1 0 4 . 9 0 8 ; vgl. HECHT,

Heeresergänzung. 558. Nachdem das 7. Generalkommando in Czernowitz aufgehoben und sein Territorium in den 4. Generalkommandobereich eingegliedert worden war, hatte FZM Goiginger die Funktion

Revolutionäre Ansätze im Zivilbereich Ringplatz

in Krakau:

„Feuer

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einstellen!"

Inzwischen hatte in Galizien die Zivilbevölkerung aufbegehrt. D i e Bewegung erfaßte noch im Februar zentrale polnische Positionen. Krakau zeichnete sich als besonderer Gefahrenherd ab. Schon am 11. Februar hatten Unruhen eingesetzt. Tausende demonstrierten vor dem Deutschen Konsulat. Eine wütende Menschenmenge, vorneweg ein k. u. k. Offizier polnischer N a t i o nalität, den Säbel in der Faust. D i e Menge brach in das Konsulatsgebäude ein, demolierte die Einrichtung. D i e Polizisten der Absperrung waren passiv geblieben, hatten keinen Gebrauch v o n der Waffe gemacht 25 . Sofort nach Bekanntwerden der Unruhen hatte das Kriegsministerium die Heranziehung v o n Assistenzeinheiten aus anderen Militärkommandobereichen veranlaßt. So hatte das Militärkommando Pozsony sdion am 12. Februar zwei Schwadronen Husaren, je eine Kompanie Infanterie und Feldjäger sowie vier MG-Züge v o n den in seinem Bereich dislozierten Ersatzkörpern als Assistenzen für das Militärkommando Krakau bereitgestellt 26 . In Krakau selbst wurden an diesem 12. um 8 U h r morgens die v o m Polizeidirektor erbetenen Assistenztruppen zur Verfügung gehalten: 500 Mann Infanterie und ein Zug von 20 Reitern standen in der inneren Stadt bereit. A n diesem 12. aber verstärkten sich auch die Demonstrationen. Im Rathaus

des zuständigen Kommandanten inne. — Strafantrag Gericht des k. u. k. 7. GenKmdo, Expos. I, Feldpost 650, 46 S., 19. V. 1918 - KA, MKSM v. 1918, 6 9 - 1 6 / 2 - 8 ad VI. 91 Offiziere und 24 Mann wurden unter Anklage gestellt. Unter den Hauptangeklagten — die Anklage lautete unter anderem auf Desertionskomplottstiftung, Meuterei, Empörung, Mitschuld am Morde, Verbrechen der öffentlichen Gewalttätigkeit — befanden sich der Hptm.-Intendant Dr. Gorecki, der Legions-Rittmeister Okolowicz und ein Feldkurat. Die Hauptverhandlung wurde am 8. Juni in Märamarossziget eröffnet. Unter den Verteidigern befanden sich zwei Reichsratsabgeordnete, Dr. Liebermann und Dr. von Loewenstein. Am 27. September ließ der Kaiser das Verfahren einstellen. Der Einstellungsbefehl wurde damit begründet, daß der Kaiser durch diesen Akt die polnische Nation „fester an Kaiser und Reich zu binden" gedenke. Dabei wurde auch der Argumentation der Verteidigung zumindest zum Teil recht gegeben: „Zu diesem Ah. Gnadenakt trug auch die Erwägung bei, daß die Stellung der polnischen Legion innerhalb der österr.-ungar. Armee an Klarheit zu wünschen übrig ließ und daß sich insbesondere in der Frage ihrer Beeidigung ein Zwiespalt zwischen politischen Zielen und militärischen Interessen ergeben hatte." Das Polnische Hilfskorps blieb dennoch aufgelöst. — Strafantrag Gericht des 7. GenKmdo, 19. V. 1918; Referat über die Verantwortung der angeklagten polnischen Legionäre, wonach sie sich nicht mehr als österreichische oder ungarische Staatsbürger betrachtet hätten, Reichenau 20. VI. 1918; Telegramme MKSM, Nr. 6.312 an Feldgericht Märamarossziget, Kmdo FML Schilling, 4. GenKmdo, AOK, k. k. MP, k. k. Minister f. LV, k. u. MP, zur Kenntnis an Ch. d. G., Baden 27. IX. 1918; Handschriftl. Aufzeichnung über Poln. Hilfskorps, o. D. — KA, MKSM v. 1918, 6 9 - 1 6 / 2 - 8 ad VI; ÖU1K VII. 110. 25 Klemens B^KOWSKI, Kronika Krakowa Ζ lat 1918—1923 (Chronik von Krakau aus den Jahren 1918—1923). Krakow 1925. 3; Adam CHMIEL, Oswobodzenie Krakowa 31 pazdziernika 1918 (Die Befreiung Krakaus am 31. Oktober 1918). Krakow 1919. 5. 2e Telegr. MilKmdo Pozsony, Präs. Nr. 3.850 (Sehr dringend!), an KM Abt. 5, 12. II. 1918 - KA, KM Abt. 5 v. 1918, 1 - 3 / 4 - 1 7 .

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Herausforderung

fand eine Protestversammlung statt 27 . Gegen Mittag bewegte sich ein Demonstrationszug — vor allem Studenten, später, wie es hieß, audi „Pöbel" und „Angehörige des polnischen Hilfskorps" — zum Ringplatz. Dabei wurde ein Offizier, ein Hauptmann, von der Menge angegriffen und mißhandelt. Zum Bahnhof wurde über Anforderung des Bahnhofskommandanten eine Halbkompanie als Verstärkung der Bahnhofswache entsandt. Um 14 Uhr 30 durchzog das Volk singend und lärmend die Straßen der Innenstadt. Abgerissene Schilder mit Doppeladlern wurden zerstampft, die Doppeladler auf Briefkästen übermalt und sdiwarz-gelbe Fahnen verbrannt. Der Stadtkommandant befahl die Bereitstellung aller noch verfügbaren militärischen Kräfte in ihren Ubikationen 28 . Der Polizeidirektor meldete: Anschwellen der Menschenmenge, sie bedrohe öffentliche Gebäude, Amtsgebäude der Militär- und Zivilämter sowie die Polizeiarreste 29 . Vor der Hauptwache auf dem Ringplatz, die im Turm des alten Rathauses untergebracht war, kam es zu tumultösen Ansammlungen. Die Wache nämlich hatte vier Legionäre in Demonstrantengruppen aufgegriffen und in Gewahrsam genommen. Der Polizeidirektor forderte nun Assistenztruppen für den Ringplatz an. Die Polizei wäre nicht mehr imstande, sich der Angriffe der Menge zu erwehren. Polizeibeamte und Militärpolizisten seien in erheblicher Anzahl zum Teil schwer verletzt. Der Polizeidirektor ersuchte um Verschärfung der militärischen Maßnahmen 30 . Die Militärbehörden trugen der Bitte Rechnung: Außer den bereits in der Innenstadt zusammengezogenen 5 V2 Kompanien wurden weitere 8 Kompanien a 100 Mann mit 12 Maschinengewehren, 3 Batterien zu Fuß a 100 Mann, 1 berittener Zug mit 16 Reitern und 1 bespannter Geschützzug aktionsbereit gestellt. Von diesen Truppen wurden zur unmittelbaren Verstärkung einige Kompanien, zwei davon mit MG-Zug, an Einsatzpunkte herangeführt: zum Hauptbahnhof, zur Hauptwache auf dem Ringplatz und als Reserve in die Franz-Josephs-Kaserne. Alle übrigen Truppen verblieben zunächst ausmarschbereit in ihren Ubikationen. Auf dem Ringplatz aber sollte es zu Schüssen kommen 31 . Um 16 Uhr war eine Assistenzkompanie des Ersatzbataillons SdiR 1732 27

B4KOWSKI, Kronika Krakowa. 3; CHMIEL, Oswobodzenie Krakowa. 5. In Krakau standen nur Assistenzkompanien von Ersatzkörpern zur Verfügung. 2 » Telephondepesche des StadtKmdo Krakau an KM Abt. 5, 13. II. 1918, 7 h - KA, KM Abt. 5 v. 1918, 1 — 3/4—178. In der Meldung der Militärpolizei wurde berichtet: Drei Pferde des berittenen Zuges seien durch vorgelegte Bretter zu Fall gebracht worden, hätten Verletzungen erlitten; einige Unteroffiziere hätten von der blanken Seitenwaffe Gebrauch gemacht. Durch Steinwürfe verletzte Soldaten seien der Waffen beraubt und tätlich angegriffen worden, wenn sie von ihren Kameraden isoliert gewesen waren. — Meldung an Staatspolizeiliches Bureau des M d l , 12. II. 1918 — AVA, Mdl Präs. 1918, 22-5.796. 30 Telephondepesche des StadtKmdo Krakau an KM Abt. 5, 13. II. 1918, 7 h — KA, KM 31 Abt. 5 v. 1918, 1 - 3 / 4 - 1 7 8 . Ebenda. 32 SchR 17: 77% Polen, 11% Ruthenen, 7% Deutsche, 4%Tschechen, 1% Rumänen — KA, Farbentabellen 1918. 28

Revolutionäre Ansätze im Zivilbereich

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vom Bereitschaftsbereich Franz-Josephs-Kaserne auf den Ringplatz dirigiert worden. Die Kompanie bestand aus Rekruten mit erst 7wöchiger Ausbildung, sie waren ruthenischer Nationalität. Auf dem Platz hatte die Kompanie in entwickelter Linie mit Front gegen die Häuser Aufstellung genommen. Dort stand sie rund eine Stunde Gewehr bei Fuß. Ein Zug war bereits wieder in die Kaserne zurückgekehrt. Inzwischen war vor der Hauptwache audi berittene Militärpolizei abgesessen. Da schlugen Steinwürfe ein Fenster des Inspektionszimmers der Hauptwache ein. Der anwesende Garnisons-Inspektionsoffizier Oberleutnant Straube eilte heraus und rief „Schießen!". Die Militärpolizisten gaben einige Schüsse „hoch" ab. Das Steinewerfen nahm zu. Da forderte der der Assistenzkompanie beigegebene politische Beamte den Kommandanten der Assistenzkompanie, Oberleutnant Migdal, auf, die Räumung des Platzes vorzunehmen. Je ein Halbzug ging auf beiden Seiten der Hauptwache vor. Die angesammelte Menge schrie auf die Soldaten ein: „Nicht schießen, nicht stechen, ihr seid Polen!" Anfangs wichen die Demonstranten vor den Soldaten zurück, dann stockte die Rückflutbewegung. Und die beiden Assistenz-Halbzüge fanden sich von drei Seiten von der Menschenmenge eingekeilt. In diesem Augenblick erschien der aus der Franz-Josephs-Kaserne zurückgerufene Zug, geführt von Leutnant i. d. Res. Klang. „Aushilfe!" rief ihm der Assistenzkommandant zu. Der Leutnant rückte nun von der Hauptwadie aus mit seinem Zug in einem Glied in Richtung des einen Halbzugs unter Oberleutnant Migdal vor, trieb die Menge zurück. Der Oberleutnant räumte dann mit seinen Soldaten den Platz an den Tuchhallen vorbei bis zur Kapelle, der Leutnant Klang ging westlich der Hauptwadie vor. Während dieser Bewegung fielen Schüsse. Die Soldaten fanden sich von mehreren Stellen aus, so aus dem Eckhaus an der Einmündung der BrackaGasse in den Ringplatz, aus den Fenstern der Ostfront des Platzes und vom Dach der Tuchhallen durdi Pistolen beschossen. Und zusätzlich flogen Steine auf die Assistenzmannschaften. Da verloren die Soldaten die Beherrschung. Die an der Bracka-Gasse postierte Mannschaft schoß ohne Befehl auf die Fenster. Der Zug unter Oberleutnant Migdal, „der vom heulenden und johlenden Mob mit Steinen beworfen worden war", schoß ebenfalls. Der Assistenzkommandant schrie, den Lärm der Demonstranten übertönend: „Feuer einstellen!" Die Mannschaft gehorchte sofort. Verletzte hatte es keine gegeben33. Kein Zweifel, die Assistenzmannschaft hatte ohne Befehl das Feuer auf Zivilisten eröffnet und verstieß damit gegen die bestehenden Vorschriften 34 . 33

34

Es wurde gemeldet, daß insgesamt etwa 36 Schüsse von den Soldaten abgegeben worden waren. — k. u. k. StadtKmdt in Krakau (FML Zaleski), Res.Nr. 128/14, an KM Abt. 5, 15. II. 1918; ErsBaon k. k. SchR 17, Res.Nr. 202 Adj.: Protokoll über die Verwendung der AssKomp. Oblt. Migdal, 14. II. 1918 - KA, KM Abt. 5 v. 1918, 1 - 3 / 6 - 1 7 (2.804). Instruktion 1908. 8 f.; Dienstreglement 1909. 236 f. § 72. P. 516.

100

Herausforderung

Das Militärkommando versuchte den Vorfall zu rechtfertigen: Die in Verwendung gestandene Assistenzkompanie SchR 17 hätte aus Rekruten mit nur „am Papier 7wöchiger, in Wirklichkeit aber durch die Feiertage, Entlausung und Kirchgang etc. nur 6wöchiger Ausbildung und 80 °/o Ruthenen minderen Materials" bestanden 35 . Die gespannte Atmosphäre in Krakau dauerte an. Am 13. gab es weitere Demonstrationen. Das Auftreten der Polizei ließ in seiner Entschiedenheit zu wünschen übrig, ihre Verläßlichkeit mußte stellenweise angezweifelt werden. Ausschreitungen auf dem Bahnhof: Aus Waggons wurden Gefangene befreit, es kam zu Plünderungen. Ein Bürgerkomitee, aus allen Parteien gebildet, trat in den Vordergrund, eine Bürgerwehr sollte aufgestellt werden. Die Polen hielten fest: Die Österreicher schienen die Kontrolle zu verlieren . . . Der in diesen Tagen im Stadtkern, vor allem am Plankenzaun an der Ecke Johannesgasse—Hauptplatz, in Form von Plakaten auftauchende Spott schien das zu bestätigen: „Weg mit Preußen!" und „Auf die Laterne mit Wilhelmchen!" In der Nacht beleuchtete man den Zaun mit Kerzen. Und am 14. höhnte dort eine Zeichnung, einen Preußen und einen Österreicher auf dem Galgen darstellend, mit der Aufschrift „Viribus unitis". Und polnische Legionäre hefteten ihre österreichischen Auszeichnungen darüber, und andere hingen sie an die Halsbänder umherlaufender Hunde. D a griff die militärische Führung ein: Sie verlangte die Entfernung der provozierenden Plakate und Aufschriften, drohte mit dem Gebrauch der Waffe 36 . Truppen rollten nach Galizien. Am 13. Februar waren aus dem Militärkommandobereich Pozsony je eine Assistenzkompanie mit MG-Zug von den Ersatzkörpern der H I R 5 und 9 sowie des IR 29 und des F J B 11 in Krakau eingetroffen. Noch am selben Tag wurde das Feldbataillon II/IR 68 von Mährisch Ostrau nach Krakau verlegt. Am 14. Februar sollte das III. Bataillon IR 37 aus Wien ankommen 37 . Daß sich polnische Eisenbahnbedienstete um Sabotage der Transporte bemühten 38 , konnte nicht mehr entscheidend ins Gewicht fallen. Am 14. wurde das Gerücht verbreitet, daß sich die Studenten bewaffnen 35

3E 37

38

MilKmdo Krakau ( F M L Brandner), Präs. Nr. 1.019, an K M Abt. 5, 14. II. 1918 - K A , K M Abt. 5 v. 1918, 1 - 3 / 6 - 1 7 (1.604). B4KOWSKI, Kronika Krakowa. 3; CHMIEL, Oswobodzenie Krakowa. 5. Telegr. K M Abt. 5, Nr. 1.413, an M K S M , 13. II. 1918,13,10 h - K A , K M Abt. 5 v. 1918, 1 - 3 / 4 - 1 5 9 bzw. M K S M v. 1918, 28—2/7; H I R 5: in den Farbentabellen keine Angaben; Ergänzungsbezirk war Szeged; H I R 9: 59% Magyaren, 37% Slowaken, 3% Deutsche, 1% Rumänen; I R 2 9 : 29% Serben, 25% Deutsche, 23% Magyaren, 14% Rumänen, 6% Slowaken, je 1,5% Tschechen und Italiener; F J B 11: 60,5% Magyaren, 22% Deutsche, 12% Slowaken, 3,5% Kroaten, 2% Tschechen; I R 6 8 : 90% Magyaren, 3,5% Deutsche, 2,5% Tschechen, 2% Rumänen, 1% Ruthenen, je 0,5% Polen und Kroaten; I R 3 7 : 49% Magyaren, 35% Rumänen, 5% Deutsche, 4% Tschechen, 3,5% Serben und Kroaten, 2,5% Slowaken, 1% Italiener — alle: KA, Farbentabellen 1918. B^KOWSKI, Kronika Krakowa. 3; CHMIEL, Oswobodzenie Krakowa. 6.

Revolutionäre Ansätze im Zivilbereich

101

würden 39 . Der Kommandant der Assistenztruppen in Krakau, Major Niederhafner, wurde angewiesen, seine Einheiten verwendungsbereit zu stellen40. Weitere Verstärkungen wurden nach Galizien dirigiert. Am 16. Februar entsandte das Kriegsministerium auf Anforderung des Generalmajors von Naumann zusätzliche Einheiten in den Raum Westgalizien: je eine Assistenzkompanie mit MG-Zug nach Dziedzitz, Brzeszcze, Jaworzno, Trzebinia, sodann nach Ciersza und Krzeczowice bei Trzebinia 41 . Am nächsten Tag wurden der Stab und zwei Bataillone IR 44 aus Wien und ein Bataillon IR 23 aus Iglau nach Krakau in Marsch gesetzt42. Nationaler

Trauertag

Für den 18. Februar wurde die polnische Bevölkerung — vom „Komitee der verbundenen polnischen Parteien und Vereinigungen" — zu großen nationalen Kundgebungen aufgerufen. Die für diesen Tag in den Städten Galiziens geplante Manifestation, die als Protest aller Polen ohne Parteiunterschied gegen die Angliederung des Gouvernements Cholm an die Ukrainische Volksrepublik gedacht war, sollte durch eine allgemeine Arbeitseinstellung, den Generalstreik, besonders unterstrichen werden. Der Bewegung würden sich — so lauteten die am 17. vorliegenden Meldungen — auch die Eisenbahnbediensteten anschließen43. Der 18. Februar wurde dementsprechend von den Militärbehörden als „kritischer Tag" angesehen44. Der Statthalter erwog, das Land unter Militärverwaltung zu stellen45. Der Druck der militärischen Sicherungen war gleichwohl wirksam. Auch die Polen befürchteten sichtlich Zusammenstöße. Ein Beispiel versuchter Gegenwirkung auf unterer Ebene: Am 17. noch war in Krakau eine Frau beobachtet worden, die in einer griechisch-katholischen Kirche an die bei einem Gottesdienst anwesenden Soldaten ukrainischer Nationalität Flugblätter in ukrainischer Sprache verteilte — gezeichnet von einem „Komitee der Nationalverteidigung". Der Inhalt: „Brüder Ruthenen! Soldaten! . . . Wir polnischen 3

» Telegr. KM Abt. 5, Nr. 1.482, an MKSM, 14. II. 1918, 14 h - KA, MKSM v. 1918, 28-2/7. 40 StadtKmdt in Krakau, Res.Nr. 128/22, an KM, 14. II. 1918, 18,55 h - KA, KM Abt. 5 v. 1918, 1 — 3/33. Gemeint ist zweifellos der Kommandant der von den in Krakau dislozierten Ersatzkörpern aufgestellten Assistenzkompanien. 41 Telegr. KM Abt. 5, Nr. 1.647, an MilKmdo Lemberg in Mähr. Ostrau, 16. II. 1918 KA, KM Abt. 5 v. 1918, 1 - 3 / 2 - 1 2 ; Telegr. KM Abt. 5, Nr. 1.481, an MKSM, 16. II. 1918, 19,30 h - KA, MKSM v. 1918, 28-2/7. 42 Telegr. KM Abt. 5, Nr. 1.644 (Lagebericht), an MKSM, 17. II. 1918, 19,40 h - KA, KM Abt. 5 v. 1918, 1 - 3 / 4 - 1 6 9 ; vgl. Telegr. KM Abt. 5, Nr. 1.674, an MilKmden Wien und Krakau, 17. II. 1918 - KA, KM Abt. 5 v. 1918, 1-51/2. 43 k. k. Mdl, Staatspolizeiliches Bureau, an MKSM, 17. II. 1918, 12 h - KA, MKSM v. 1918,28—2/7; Ignacy DASZYNSKI, Pamietniki (Erinnerungen). Tom II. Krakow 1926; Kurjer Lwowski, 19. II. 1918, Nr. 83/84. 44 45

Lagebericht vom 17. II. abends - KA, KM Abt. 5 v. 1918, 1 - 3 / 4 - 1 6 9 . OPOCENSKY, Umsturz in Mitteleuropa. 117 f.

102

Herausforderung

Arbeiter und Bauern verlangen Gerechtigkeit und Freiheit für uns und für Euch. Darum schießt nicht auf uns, wenn Ihr dazu Befehl bekommen werdet! Denkt daran, daß Eure Brüder, Väter, Frauen und Kinder Freiheit und ein besseres Schicksal verlangen, und wenn die österreichische Regierung gegen sie polnische Soldaten aussenden sollte, werden diese auch nicht schießen. Schleudert die Gewehre und jede Waffe weg und seid keine Seelenvernichter!" 46 Den von den Militärbehörden als kritischen Tag angesehenen 18. wollten die Polen als nationalen Trauertag begehen. Den Generalstreik sollten nicht nur alle Arbeiter durchführen, audi die Landes- und Gemeindeämter, die Eisenbahn-, Telephon- und Telegraphenbehörden sollten an diesem Tag ihren Dienst einstellen47. Eine gemeinsame nationale Front sollte wirksam werden. Die Aufrufe reichten in ihrer ideologischen Spannweite auf deren linkem Flügel bis zur „Volksrevolution": „Demonstrieret! Kämpfet! Haltet Versammlungen ab, am Dorfe und in der Stadt! Die Volksrevolution ist nahe und der Sieg über die Ausbeuter und Tyrannen wird das Ende des Krieges und der Beginn der Freiheit und der Gleichberechtigung der Völker sein." 48 Und die Worte „Revolution", „Aufstand", „Kampf gegen Deutschland und Österreich" erhielten in Galizien für die Militärbehörden bis dahin ungeahnte Breitenwirkung 49 . Der nationale Streik am 18. erfaßte in der Tat ganz Galizien. Ab 9 Uhr früh standen alle Züge, auch Militärtransporte. Es ruhten Post und Telegraph, Behörden und private Betriebe. Die Generallinie der Initiatoren: wenig Lärm, viel Würde. Vor allem Krakau war bestrebt, den Tag entsprechend zu begehen. Zeitig war man in den Kirchen. Fürstbischof Sapieha hatte Trauergottesdienst angeordnet. Vormittag fand eine große Versammlung auf dem Hauptplatz statt. Zehntausende waren anwesend. An vier Stellen waren Rednerpulte aufgestellt, die Vertreter der verschiedenen politischen Parteien sollten zu Wort kommen, dann leistete man den gemeinsamen Schwur. Ein Demonstrationszug, darunter Eisenbahner, weiße Adler an den Kappen, neben den Polen auch Tschechen, zogen zum Mickiewicz-Denkmal. Nachmittag hielten Professoren der Universität in den Kinos Vorträge über die Bedeutung der Vereinbarungen von Brest-Litovsk 50 . Buntes Bild der Manifestationen wird aus Lemberg gemeldet. Auch dort K M Abt. 5, Nr. 1.767, an k. k. M d l , 9. III. 1918 - AVA, M d l Präs. 1918, 2 2 - 5 . 7 2 4 . BUSZKO, Die polnischen Politiker. 182; Helmut RUMPLER, Max Hussarek. Nationalitäten und Nationalitätenpolitik in Österreich im Sommer des Jahres 1918. Graz/Köln 1965. 39. = Studien zur Geschichte der öst.-ung. Monarchie. Band IV. 48 Revolutionsaufruf der Polnischen sozialdemokratischen Partei Galiziens und Schlesiens an die polnischen Arbeiter, 18. II. 1918 - AVA, M d l Präs. 1918, 22-3.902. « k. u. k. MilKmdo Przemysl, Na.Nr. 676/18 res., 19. II. 1918 - AVA, M d l Präs. 1918, 22-4.761. 50 B^KOWSKI, Kronika Krakowa. 3; CHMIEL, Oswobodzenie Krakowa. 6; DASZYNSKI, Pamigtniki. 2 9 3 - 2 9 6 ; Kurjer Lwowski, 19. II. 1918, Nr. 83/84. 46

47

Revolutionäre Ansätze im Zivilbereich

103

eröffneten Gottesdienste in den katholischen Kirchen und in einer Synagoge den Tag. Um 10 Uhr formierte sich auf dem Ringplatz der Demonstrationszug, Pfadfinder und Bauern, Mittelschuljugend und Studenten, Arbeiterorganisationen, Gruppen von Straßenbahnern und Postbeamten, Bürger-, Handwerker- und Kaufleutevereinigungen, christliche und jüdische, Frauenorganisationen, vor dem Hauptportal des Rathauses Vertreter der Behörden, des Landtags und der Universität. Die Bürgergarde schloß den sich in Bewegung setzenden Zug ab. Um 11 Uhr trafen die Demonstrierenden vor dem Statthaltereigebäude ein. Reden, Lieder, „Warszawianka" . . . 5 1 Die Welle der Kundgebungen hatte das ganze Land erfaßt: Przemysl, Rzeszow, Rawa Ruska, Stanislau, Jaroslau, Stryj, Tarnopol. Wissenschaftliche Institutionen und zahlreiche Vereine erließen Protesterklärungen 52 . Das Einschreiten der bereitgestellten Assistenzen hielt sich in Grenzen. Zwar registrierte man in der militärischen Führung mit kritischer Aufmerksamkeit die Entwicklung: von der Feststellung, daß jene Eisenbahner am 18. in Krakau auf der Dienstkappe statt des staatlichen Emblems den polnischen Adler getragen hätten 53 , bis zu der, daß in Krakau und Lemberg polnische Studenten und polnische Legionäre in Uniform unter der Bevölkerung agitierend aufgetreten seien. 600 bis 800 Legionäre — so schätzte man — hielten sich allein in Krakau auf. Und resignierend hieß es: „Die Beamtenschaft toleriert alles." 54 Nur in wenigen Fällen kam es zu unmittelbarer Einwirkung militärischer Einheiten. So in Wadowice, wo das Abnehmen des Doppeladlers vom Postamt von Militärassistenz verhindert wurde 55 . So in Tarnow, wo im Zuge einer Versammlung Demonstranten ein militärisches Denkmal, das eine deutsche und magyarische Inschrift trug, mit Steinen bewarfen. Der Militärstationskommandant — vorgewarnt — hatte eine Assistenzkompanie angeboten, der Bezirkshauptmann hatte abgelehnt: Die Bevölkerung sollte nicht gereizt werden 56 . Aber in Tarnow ereilte der Volkszorn auch gleich den verhaßten Kommandanten der Militärpolizei, den Rittmeister Kilian samt „Konkubine": Nicht nur, daß der Rittmeister attackiert wurde, nachdem ein Legionär verhaftet worden war, man demolierte auch seine Wohnung 57 . Folgenschwerer freilich verlief der Tag in N o w y Targ: Dort mündete die Protestkundgebung in tiefer gehende Unruhen. Lebensmittelmagazine wurden 51

DASZYNSKI, Pami?tniki. 293—296; Kurjer Lwowski, 19. II. 1918, Nr. 83/84. Unter den Rednern wurde der RRAbg. Graf Skarbek genannt.

52

DASZYNSKI, Pami§tniki. 2 9 3 — 2 9 6 ; K u r j e r L w o w s k i , 1 9 . 1 1 . 1918, N r .

83/84.

k. u. k. MilRmdo Krakau, Präs. Nr. 1.148, an KM, 19. II. 1918 - AVA, M d l Präs. 1918, 22-5.796. 61 Situationsbericht des MilKmdo Krakau, 18. II. 1918 - AVA, Mdl Präs. 1918,22-11.226. 55 Telegr. K M Abt. 5, Nr. 1.645, an M K S M , 18. II. 1918, 19 h KA, M K S M v. 1918, 28-2/7. » KM Abt. 5, Nr. 2.202, an alle MilKmden, 16. IV. 1918 - AVA, Mdl Präs. 1918,19-9.215. Um die Frage des Eingreifrechtes der militärischen Stellen trotz Ablehnung durch die politische Behörde kam es zu einem Notenwechsel zwischen KM und Mdl. 57 k. k. LandesgendarmerieKmdo Nr. 5, Abt. Tarnow Nr. 8, E.Nr. 235 res., an BH in Tarnow, 3. IX. 1918 - AVA, Mdl Präs. 1918, 19-23.131. 53

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Herausforderung

ausgeraubt. Uber Anforderung der politischen Bezirksbehörde wurden vom Militärstationskommando über 200 Mann als Assistenz herangezogen. Sie stellten „Ruhe und Ordnung" wieder her. Am nächsten Tag fanden die Unruhen jedoch ihre Fortsetzung. Die Soldaten wurden von der Zivilbevölkerung mit Steinen beworfen. Und als die Menge versuchte, das Militärverpflegsmagazin zu plündern, machte die militärische Assistenz — von den Gebirgsartillerieregimentern 1 und 15 — unter dem Kommando des Leutnants Gyargy von der Waffe Gebrauch. Dabei wurde eine Frau erschossen58. Die gespannte Situation hielt an. Ein bezeichnender Vorfall: Am 21. Februar sollten von der Armee im Felde zwei russische Offiziere unter Bedeckung eines Leutnants, des Leutnants Struz, nach Kenyermezö überstellt werden. Auf der Fahrt, in Podgorze, befreite das Bahnhofspersonal die russischen Offiziere. Die Offiziere flüchteten. Einer von ihnen konnte wieder verhaftet werden. Er wurde auf dem Bahnhof im Wartesaal interniert. Vor dem Bahnhof versammelte sich daraufhin eine Menschenmenge von rund 3.000 Personen, Bahnarbeiter, Frauen, und sie verlangten die Freigabe des russischen Offiziers. Sie vermuteten, daß der Offizier ein verkleideter Legionsoffizier sei. Die Menge nahm „drohende Haltung" an. Die am Bahnhof befindliche Assistenzkompanie wurde verstärkt. Eine Infanteriekompanie und zwei Husarenschwadronen zogen auf. Nun zerstreute sich die Menge. Der russische Offizier wurde unter Eskorte per Auto nach Zabierz ΚΑ, AOK FASt 1918, Fasz. 6.004.

II. Z E R R E I S S P R O B E IN D E N E I G E N E N R E I H E N

A. I M

H I N T E R G R U N D

D E R

M E U T E R E I E N

1. DEMONSTRATIONEN, STREIKS, PLÜNDERUNGEN IM ZIVILBEREICH

Prag, Pilsen, Jaslo, Lemberg, Tarnow,

Bochnia

Ab dem großen Streik im Jänner rissen die Assistenzalarmierungen nicht mehr ab. Die N o t — besonders auf dem Ernährungs- und Kohlesektor —, parallel dazu der immer klarer hervortretende Hang zur Radikalisierung, hatten zum Aufbegehren vor allem in den Industrierevieren der Monarchie geführt. Demonstrationen und Streiks flammten während der ersten Monate des Jahres immer wieder auf. Unruhe — Nachbeben zum großen Streik — hatte es in Böhmen und Galizien noch im Jänner gegeben. Vom 24. bis 26. gab es Ausschreitungen im Raum Prag, vor allem in Königliche Weinberge und Wrschowitz. Die Ursache war in Verpflegsschwierigkeiten, in der Kürzung der Mehlration, zu suchen. Die Fensterscheiben von zahlreichen Geschäften, Gast- und Kaifeehäusern wurden von Demonstranten eingeschlagen. Auf dem Wenzelsplatz brach die Menge in ein Schuhgeschäft ein. Die Polizeidirektion hatte jeweils Militärassistenz angefordert, allerdings vermochte die Sicherheitswache sich allein durchzusetzen1. Am 29. Jänner meldete sich audi Pilsen wiederum mit Demonstrationen. „Weiber und Pöbel" — so hieß es in der Diktion der Militärbehörden — demolierten Geschäfte und zerschlugen Hotel-Spiegelscheiben. Auf dem Ringplatz kam es zur Ansammlung einer gewaltigen Menge. Die herangezogene Militärassistenz — vier Kompanien — drängte die Menge in die Seitengassen ab 2 . Auch in Galizien gab es bald nach Ende des Jännerstreiks erneut Lebensmittelkrawalle. Am 23. und 24. Jänner schon kam es in Jaslo zu Plünderungen und Ruhestörungen. Aus Krakau wurde eine Assistenzkompanie entsandt. Drei Tage später fanden Unruhen in Lemberg, Tarnow und Bochnia statt. Lebens1

8

Telegramme K M Abt. 5, Nr. 781, 811, 812, an M K S M , 25. und 26.1. 1918 - K A , M K S M v. 1918, 2 8 - 2 / 7 ; Souhmnä hldseni, Sb. 148, Nr. 2 . 4 3 9 - 2 . 4 4 4 . Telegr. K M Abt. 5, Nr. 884, an M K S M , 30.1.1918, 12, 50 h - K A , M K S M v. 1 9 1 8 , 2 8 - 2 / 7; Souhrnnä hläSeni, Sb. 148, Nr. 2 . 4 2 4 - 2 . 4 2 6 .

252

Zerreißprobe in den eigenen Reihen

mittelläden wurden ausgeraubt, Fensterscheiben zertrümmert. Auch dort wurden Assistenzen eingesetzt. Sie vermochten ohne Waffengebrauch die Ruhe wiederherzustellen3. Die Gefahr, daß solche Demonstrationen und Streiks die kriegswichtige Industrie erfassen könnten, war nicht zu übersehen. Die Militärbehörden hatten im Gegenzug ab Februar das Hinterland der Monarchie, insbesondere die Industriegebiete, durch verstärkte Truppenbereitstellungen abgesichert4. Böhmen und

Mähren

Raum Mährisch Ostrau, Raum Brüx-Dux-Teplitz-Falkenau, Raum Schlan-Kladno, Neupaka, Strakonitz, Zichlitz, Pardubitz

Pilsen, Böhmisch

Rumburg, Trübau,

Ein Ballungszentrum kriegsbezogener Industrie war Mährisch Ostrau. „Im mährisch-schlesischen Kohlenreviere wurde gestern die Arbeit auf 13 Schächten zur Gänze, auf drei weiteren Schächten zum Teile eingestellt; insgesamt streikten 6.322 Bergarbeiter. Als Ursache der Ausstandsbewegung werden die ungünstigen Verpflegsverhältnisse bezeichnet. Ruhestörungen sind nach bisher eingelaufenen Meldungen nicht vorgefallen", berichtete am 31. Jänner der Minister des Innern dem Kaiser 5 . Die Militärs hatten freilich im Revier Vorkehrungen getroffen, um gegen einen Ausstand der 42.000 Arbeiter auf den 42 Schächten und der 23.000 Arbeiter in den Stahl- und Walzwerken und den Maschinen-, Rohr- und Brikettfabriken wirkungsvoll auftreten zu können 6 . Schon am 3. Dezember 1917 war vom Kriegsministerium verfügt worden7, daß im Ostrauer Gebiet vom Militärkommando Lemberg, das nach dem Rückzug 1914 nach Mährisch Ostrau verlegt worden war, je acht Assistenzkompanien und MG-Züge, vom Militärkommando Krakau je sieben Assistenzkompanien und MG-Züge ständig zu dislozieren wären. Diese Assistenzkompanien waren von den Ersatzbataillonen der I R 15, 24, 55, 95 — in 3

1

5 6 7

Hoftelegr. MilKmdo Krakau, Präs. 334/6, an M K S M , 24. I. 1918, 14,10 h - KA, M K S M v. 1918, 2 8 - 2 / 7 ad; Telegr. K M Abt. 5, Nr. 836, an M K S M , 27. I. 1918, 13,30 h - KA, M K S M v. 1918, 2 8 - 2 / 7 . Vgl. 1.174 ff. Neben der Aufstellung von Assistenzkompanien bei den Ersatzkörpern wurden bis April 1918 die Edelweiß-Division nach Böhmen, die 7. ID nach Niederösterreich und in die Steiermark, die 25. ID ins mährisch-schlesische Industriegebiet und die 21. SchD nach Galizien verlegt. Die 106. Lst.ID sicherte das Gebiet des M G G Lublin. Die drei im März nach Ungarn und Kroatien-Slawonien verlegten HID waren wohl in erster Linie für Getreiderequisitionen bestimmt, sollten aber im Bedarfsfall ebenfalls als „politische Assistenzen" bereitstehen. - Telegr. AO Κ Ch. d. G„ Op.Nr. 140.699, an k.u. LVMer, 12. III. 1918 - KA, K M Abt. 5 v. 1918, 1 - 3 / 5 - 6 . HHStA, KabA Geh.Akten, Kart. 37, 12/TR. Nach: NECK, Arbeiterschaft und Staat. 338. KA, K M Präs. 1918, 5 3 - 5 / 2 . Telegr. K M Abt. 5, Nr. 33.460, an MilKmden Lemberg und Krakau, 3. X I I . 1917 — KA, K M Abt. 5 v . 1 9 1 7 , 7 - 9 / 5 0 .

Im Hintergrund der Meutereien

253

Mährisch Ostrau, Freudenthal, Bielitz und Mährisch Schönberg stationiert — und der SdiR 19, 20 und 35 — mit den Standorten Mährisch Trübau, Wadowice und Sternberg — gestellt worden 8 . Der Jännerstreik war Veranlassung zu weiterer Erhöhung der Truppenstärken gewesen. Das Kriegsministerium hatte den Stab des Pecser IR 6 nach Mährisch Ostrau, ein Bataillon dieses Regiments nach Witkowitz und ein zweites nach Karwin beordert. Damit war — nachdem zwei Assistenzkompanien vom Ersatzbataillon des I R 15 aus dem Industrierevier verlegt worden waren — mit dem schon in Mährisch Ostrau befindlichen II. Bataillon I R 68 und den Hinterlandsformationen am 24. Jänner ein Assistenztruppen-Stand von 4.036 Mann und 345 Reitern mit 44 Maschinengewehren und 2 Infanteriegeschützen erreicht worden 9 . Nun hatten am 30. Jänner die Bergarbeiter eine sichtlich umfangreiche Streikaktion eröffnet. Die Arbeiterschaft in den Eisenwerken in Witkowitz stellte am 1. Februar die Arbeit ein. Den Arbeitern seien Brotkarten ohne Zusatzkarten ausgefolgt worden. „Die Einhändigung der Brotzusatzkarten an die Arbeiter konnte bisher lediglich aus technischen Gründen nicht erfolgen; eine Kürzung der Brot- und Mehlration ist nicht beabsichtigt. Es ist zu gewärtigen, daß die Arbeiterschaft in den Witkowitzer Eisenwerken nach entsprechender Aufklärung die Arbeit in Kürze wieder aufnehmen wird", versuchte der Minister des Innern dem Kaiser den Streik zu erklären 10 . Immerhin waren bis zum 3. Februar 33.600 Bergarbeiter in über 30 Schächten und 22.000 Eisenindustriearbeiter in den Ausstand getreten 11 . Zwar war in der interministeriellen Sitzung am 28. Jänner im Falle gewaltsamen Vorgehens gegen streikende Bergarbeiter eine etwas längere Frist für gütliche Verhandlungen in Aussicht genommen worden 12 . Die Eisenwerke des Reviers nahm man von solcher Erstreckung sichtlich aus. Schon am 4. Februar wurden in den Witkowitzer Eisenwerken „etwa 5.000 Arbeiter unter Anwendung militärischen Zwanges zur Arbeit verhalten" 1 3 . Am nächsten Tag forderten die Arbeiterführer in einem von 13 Organisationen der Bergarbeiter unterzeichneten und öffentlich angeschlagenen Aufruf die Arbeiter auf, „am 6. Februar d. J . die Arbeit bedingungslos wieder aufzunehmen". Daraufhin erschienen immerhin 70 °/o der Arbeiterschaft der Eisenwerke 8

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Verteilung der Ersatzkörper des k. u. k. Heeres, der k.k. Landwehr und k.u. Honv6d während des Jännerstreiks 1918, 20. I. 1918 - KA, M K S M v. 1918, 2 8 - 1 / 5 . Telegr. K M an MilKmdo in Krakau, 18. I. 1918 - KA, K M Abt. 5 v. 1918, 1 - 3 / 5 — 2 ; Evidenzkarte (Oleate) vom 23. I. 1918 — KA, M K S M v. 1918, 2 8 - 1 / 5 ; Lageberichte des G M Naumann an K M Abt. 5,23. und 2 5 . 1 . 1 9 1 8 - KA, K M Abt. 5 v. 1918, 1 - 3 / 4 - 4 9 , 50. Vortrag des Ministers des Innern an den Kaiser über Arbeiterbewegung und deren Gegner, 3. II. 1918 - HHStA, KabA Geh. Akten, Kart. 37, 15/TR. Nach: NECK, Arbeiterschaft und Staat. 343. Telephon. Meldung des Landespräs, in Troppau, 3. II. 1918 — KA, K M Präs. 53 — 5/2; HHStA, KabA Geh.Akten, Kart. 37, 15/TR. Nach: NECK, Arbeiterschaft und Staat. 342f. AVA, M d l Präs. 1918, 2 2 - 2 . 3 9 6 . Vgl. I. 194 f. HHStA, KabA Geh.Akten, Kart. 37, 16/TR. Nach: NECK, Arbeiterschaft und Staat. 351.

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Zerreißprobe in den eigenen Reihen

in Witkowitz wieder zur Arbeit 14 . Mit 6. Februar war der Ausstand in den Eisenwerken als beendet anzusehen 15 . Noch nicht beendet war hingegen der Bergarbeiterstreik. Zunehmend schien er auch mit nationalpolitischen Tendenzen durchsetzt 16 . Die militärischen Zwangsmaßnahmen wurden fortgesetzt. Vor allem in Orlau, Karwin und Niedersuchau wurden die Bergarbeiter wiederholt zur Einfahrt gezwungen. Lebensmittelknappheit, neu auftretender Fleischmangel brachten zusätzliche Beunruhigung. Dennoch konnte die Einbringung der Arbeiter durch die Assistenztruppen und ihre Perlustrierung ohne besondere Zwischenfälle durchgeführt werden. Am 10. Februar klang der Streik fast im gesamten Kohlenrevier aus. 477 Bergarbeiter hatte man nach der Perlustrierung zum Landsturm abgeschoben. Es war zwar am 10. abends weder im Ostrau-Karwiner Revier noch im westgalizischen Kohlenrevier die Perlustrierung beendet. Allerdings in Witkowitz: „Einrückungen" hatten nachgeholfen 17 . Die Assistenztruppen im Revier hatten sichtlich Wirkung erzielt. Wirkung aber zeigten auch die Truppen. Das galt vor allem im Hinblick auf ihren Ausbildungsgrad. Als die Assistenzkompanien der Ersatzbataillone Ende Februar als X X X V I I . Marschkompanien zur Armee im Felde abgingen, meldete das Militärkommando Lemberg in Mährisch Ostrau, daß diese Truppen die vorgeschriebenen Schießübungen nur zum Teil oder gar nicht hätten absolvieren können. Der Grund: einerseits die ständige Bereitschaft, verbunden mit Patrouillengängen, anderseits der Mangel an geeigneten Schießplätzen im Assistenz-Einsatzgebiet 18 . Die Truppen im Revier wechselten. Anfang März wurde der Stand der Assistenztruppen der Ersatzkörper durch Zuschub von sechs Marschkompanien U R 4 wieder ausgeglichen. Am 31. Jänner schon hatte das Kriegsministerium im Einvernehmen mit dem A O K bestimmt, zwei Bataillone des IR 114 — von der Edelweiß-Division — an Stelle der beiden Bataillone IR 6 nach Mährisch Ostrau zu verlegen 19 . Der Minister des Innern setzte optimistisch hinzu, daß zahlreiche Arbeiter nur aus dem Grund nicht in ihre Arbeitsstätten gekommen seien, weil sie wegen der Entfernung ihres Wohnortes von dem Beschluß zur Wiederaufnahme der Arbeit nicht rechtzeitig Kenntnis erhalten hätten. — HHStA, KabA Geh.Akten, Kart. 37,17/TR. Nach: NECK, Arbeiterschaft und Staat. 375. 15 Ebenda. Kart. 37, 18/TR. Nach: NECK, Arbeiterschaft und Staat. 377. 16 Ebenda. Kart. 37, 19/TR. Nach: NECK, Arbeiterschaft und Staat. 378. 17 Von den 1.060 „zur Einrückung" bestimmten Landsturmarbeitern rückten 699 zu ihren zuständigen Ersatzkörpern ein, 289 zwecks Musterung zum Landwehrergänzungsbezirkskommando Teschen. 72 Nichtgeeignete und Nicht-Musterungspflichtige wurden aus den Betrieben entlassen. Lageberichte des K M vom 6. II. mittags bis 10. II. abends — K A , K M Abt. 5 v. 1918, 1 - 3 / 4 - 1 4 7 bis 156. 18 MilKmdo Lemberg in Mährisch Ostrau, Präs.Nr. 1.292/Gstb., an K M , 25. II. 1918 — K A , K M Abt. 5 v. 1918, 1 - 3 / 2 - 4 . " Lageberichte 8. und 11. III., K M Abt. 5, Nr. 3.624 und 3.754/1 - KA, K M Abt. 5 v. 1918, 1 - 3 / 4 - 1 8 ; Hughesdepesche K M an A O K , 31. I. 1918 - K A , K M Abt. 5 v. 1918, 1 - 3 / 14

Im Hintergrund der Meutereien

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Im April und Mai gab es im Steinkohlenrevier weitere Verpflegsschwierigkeiten. Vom 1. bis 11. April konnte kein Fleisch ausgegeben werden. Die Militärbehörden überprüften ihr Aufgebot: 3.809 Mann und 345 Reiter mit 28 M G und zwei I G standen bereit 20 . Am 13. Mai demonstrierten 650 Arbeiterfrauen vor dem Amtshaus in Mährisch Ostrau und riefen nach Brot. Bald hatten sich an die 4.000 Personen angesammelt. Der Platz wurde von Gendarmerie, Polizei und Militär geräumt 21 . Der Druck des Militärs hielt die Lage im Gleichgewicht. Den stellvertretenden Militärkommandanten für das mährisch-schlesisch-westgalizische Kohlenrevier, GM von Naumann, veranlaßte die Jugendlichkeit und Unerfahrenheit der Kommandanten der Assistenzkompanien der Ersatzkörper zwar zu einiger Skepsis 22 , aber vor allem die laufende Stationierung von Feldtruppen in Mährisch Ostrau — ab Ende Mai waren es zwei Bataillone SchR 6 — hat die Streikbereitschaft der über 60.000 Arbeiter weitgehend gelähmt. Dennoch blieb der tschechische Bereich der Monarchie ganz allgemein ein von den Militärbehörden stets kritisch betrachtetes Gebiet. Abgesehen von den sozialpolitischen Gründen zählte der Bereich schon aus nationalpolitischen Ursachen zu den besonders gefährdeten. Möglichkeiten eines gezielten Aufbegehrens wurden selbst in der Presse erörtert. Das „Nordböhmische Tagblatt" warnte Mitte Februar vor einem tschechischen Staatsstreich in Böhmen: „Es wäre also gut, wenn ein solches Ereignis wohl vorbedacht wird, und vor allem die beiden Korpskommandanten ihren Aufmarschplan hiefür sicherstellen würden. Die Prager Kleinseite mit den staatlichen Verwaltungszentralen, aber auch die Post- und Telegraphendirektion und die Eisenbahndirektion in Prag müßten durch rascheste Tat vor der Überrumpelung geschützt werden und schleunigst müßten Truppen aus den innerösterreichischen Kronländern die durch tschechisches Land laufenden Hauptbahnlinien ausreichend sichern." 23 So umfassend sollte die Gefahr zunächst freilich nicht werden. Aber Unruheherde, die Militärassistenz erforderten, brachen gleichwohl auf. Auch die deutschen Randgebiete Böhmens, ihre Industriezentren, Einzugsgebiete deutscher wie tschechischer Arbeiter, waren miterfaßt. Einige Beispiele für Böhmen:

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5—2/IV. Mitte Februar trafen die Einheiten des IR 114 im Industrierevier ein, und das P6cser Regiment wurde ab 20. marschbereit gestellt. Ende März ordnete das K M neuerlich Verschiebungen an, und in der ersten April-Hälfte rollte das IR 128 von der 25. ID nach Mährisch Ostrau. - ÖU1K VII. Big. 12. Lagebericht des GM Naumann, 11. IV. 1918, 9 h - KA, K M Abt. 5 v. 1918, 1 - 3 / 4 - 2 9 . Mdl, Staatspol. Büro, an M K S M , 15. V. 1918, 1 1 h - KA, M K S M v. 1918, 2 8 - 2 / 7 . MilKmdo Krakau, Präs.Nr. 4.130/Ass., an K M Abt. 5, 28. V. 1918 - KA, K M Abt. 5 v. 1918, 1 — 3/2—14 (5.958); Stellvertreter des MilKmdt Krakau für das mähr.-schles.-galiz. Kohlenrevier, Präs.Res.E.Nr. A-850, an K M Abt. 5, 15. VI. 1918 — Ebenda; K M Abt. 5, Nr. 5.958, an MilKmdo Lemberg in Mährisch Ostrau, o. D. — Ebenda. Stimmungsbericht, Prag 1. III. 1918: „Nordböhmisches Tagblatt", Nr. 37 - KA, M K S M v. 1918, 2 8 - 2 / 8 - 6 .

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Zerreißprobe in den eigenen Reihen

Teplitz. Am 11. März kam es zu einem größeren Streik im nordwestböhmischen Braunkohlenrevier im Raum Teplitz. Teplitz war Kurstadt. Und die Arbeiter verlangten nun jenes weiße Mehl, das für die Teplitzer Kurgäste ausgegeben würde, audi für sich. Aber nicht nur die abgestufte Qualität des Mehls, auch eine vorgenommene Kürzung der Zuteilungen hatte die Arbeiter in Erregung versetzt. 2.500 Arbeiter traten in den Ausstand. Die Militärbehörden bauten vor: Schon am 12. März morgens trafen an Assistenzmannschaften 4 Kompanien und 2 MG-Züge aus Eger, 1 Kompanie aus Aussig und V2 Kompanie mit 4 MG aus Komotau in Teplitz ein. Für den 13. März wurden weitere Truppen erwartet. Dann sollte für die Teplitzer Arbeiter die zwangsweise Einrückung beginnen24. Da schloß sich Brüx an. Brüx. Audi die dortigen Arbeiter traten in den Ausstand. 5 V2 Kompanien mit 2 MG standen bereit. Am 15. März wurde zusätzlich von Leitmeritz je ein halbes Bataillon mit Maschinengewehren nach Teplitz und Brüx verlegt. 6.100 Arbeiter befanden sich nun im Ausstand. Jedoch bereits am 14. März hatte die zwangsweise Einrückung planmäßig begonnen25. Am 16. März trafen im Teplitzer Revier weitere Verstärkungen, rund 230 Mann, ein. Der Streik war damit zwar unter Kontrolle des Militärs gebracht. Endgültige Ruhe, so betonte die militärische Führung, aber könne erst durch eine Wendung zum Besseren in der Verpflegslage herbeigeführt werden 26 . Pilsen. Am 20. März traten in Pilsen einige tausend Eisenbahnarbeiter in den Streik. Es ging um Lohnzuschüsse und Mehlquoten. Das Militärstationskommando Pilsen setzte am Abend dieses Tages eine Assistenzkompanie ein, sechs weitere Kompanien Infanterie blieben in den Skoda-Baracken in Bereitschaft27. Am nächsten Tag streikte das Personal des gesamten Bahnhofs. Die Kohlenversorgung der Skoda-Werke war beeinträchtigt. Militärischer Zwang wurde angesetzt: Die Eisenbahnhauptwerkstätte mußte die Arbeit sofort erneut aufnehmen 28 . Rumburg. Wieder im Norden Böhmens, in Rumburg, fanden am 16. April abends wegen des herrschenden Lebensmittelmangels Demonstrationen statt. Über 100 Fensterscheiben wurden durch Steinwürfe zertrümmert und mehrfach Versuche unternommen, in Lebensmittelgeschäfte einzudringen. Zur Wiederherstellung der Ruhe und Ordnung wurde eine Militärassistenz von 100 Mann herangezogen29. 21

Tel.-Dep. Stv. MilKmdt in Teplitz, GM von Schiessler, an KM Abt. 5,12. III. 1918,4,30 h - KA, K M Abt. 5 v. 1918, 1 - 3 / 4 - 1 8 (3.624). 25 Tel.-Dep. Stv. MilKmdt in Teplitz, Präs.Nr. 1.406, Situationsbericht vom 16. III. 1918, 17 h — Ebenda; vgl. Souhrnnä hlääeni, Sb. 155/Z, Nr. 2.539. 26 Tel.-Dep. Stv. MilKmdt in Teplitz, Präs.Nr. 1.406, Situationsbericht vom 16. III. 1918, 17 h - KA, KM Abt. 5 v. 1918, 1 - 3 / 4 - 1 8 . 27 Telephonat des Statthalterei-Präsidiums Prag an Mdl, Staatspol. Büro, 20. III. 1918, 20,30h - KA, KM Abt. 5v. 1918,1 - 3 / 4 - 1 8 ( 3 . 6 2 4 ) ; Souhrnnä hläsem, Sb. 156/3, Nr. 2.558. 28 Telegr. K M Abt. 5, Nr. 2.915, an MKSM, 21. III. 1918 - KA, M K S M v. 1918, 2 8 - 2 / 7 . Vgl. I. 202 fT. a » M d l , Staatspol. Büro, an MKSM, 18. IV. 1918, 1 1 h - KA, MKSM v. 1918, 2 8 - 2 / 7 .

Im Hintergrund der Meutereien

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Schlan-Kladno. Am 4. Mai brach Streik im Schlan-Kladnoer Steinkohlenrevier aus. Gestreikt wurde in den Gruben der Prager Eisenindustriegesellschaft, der Staatsbahngesellschaft und der Buschtehrader Bahn, aber auch der EnglischBöhmischen Steinkohlengewerkschaft in Lana. Bald streikten in 15 Schächten rund 9.000 Arbeiter. Die Ursache: die Lebensmittelnot und die Forderungen nach Lohnerhöhung. Aber es wurde nicht nur gestreikt, es wurde audi geplündert, und in diesem Fall in großem Stil. Ganze Banden traten auf, zu 50, 100, 500 Mann, Menschenmengen zu Tausenden drängten zur Gewalt. Es wurden Meierhöfe, Bauerngehöfte und Mühlen überfallen. Es wurde erpreßt, geraubt und gestohlen, vor allem Mehl und Getreide — Selbstjustiz gegen die Besitzenden. Vereinzelte Gegenwehr, Schüsse, ein toter Plünderer, Verletzte 30 . Die Gegenmaßnahme: Zunächst wurden Gendarmen herangeführt 3 1 . Das 5. Infanterie-Brigadekommando wurde als Kommando über die zusammenzuziehenden Assistenztruppen bestimmt. In Kladno und Schlan trafen zwölf Kompanien ein. Das Brigadekommando stellte in jene Betriebe, in denen Streik ausgebrochen war, Abteilungen ab und übernahm audi den Schutz von einzelnen Meierhöfen und Mühlen gegen Plünderungen. Patrouillen, auch fliegende Patrouillen in Automobilen, ergänzten die Vorkehrungen. Am 8. Mai wurde in den Gerichtsbezirken Kladno, Unhoscht, Schlan, Neustraschitz, Rakonitz und Pürglitz das zivile und militärische Standrecht wegen des Verbrechens des Aufruhrs und des Raubes verhängt. Bis 12. Mai wurden 600 Personen verhaftet 3 2 . Der Widerstand in Böhmen schien sich auszuweiten. In Neupaka hatten am 10. und 11. Mai einige tausend Demonstranten aufbegehrt, Fensterscheiben eingeschlagen, einen Selcherladen erbrochen, die Wohnungen des Bezirkshauptmanns und des Bürgermeisters attackiert, Brand zu legen versucht, und die Aufgebrachten waren mit Steinwürfen gegen die Gendarmerieassistenz vorgegangen. Die Gendarmerie hatte von der Schußwaffe Gebrauch gemacht. 150 Mann Militär waren bereitgestellt worden 33 . Am Vormittag des 13. Mai griff eine mehrtausendköpfige Menge — darunter neben streikenden Arbeitern „hauptsächlich Weiber" — die Bezirkshauptmannschaft in Strakonitz an. Der Amtsvorstand wurde mißhandelt, geschlagen, Möbel flogen auf die Gasse, Scheiben klirrten, unter dem Schutz eines Wachmannes konnte sich der Bezirkshauptmann gerade noch retten. Am Nachmittag zog eine Assistenzkompanie in Strakonitz ein 34 . Und vorher schon hatte es in Zichlitz einen Mord 30 31 32

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Souhrnnä hläseni, Sb. 163, Nr. 2.671-2.692. Mdl, Staatspol. Büro, an MKSM, 7. V. 1918, 1 1 h - KA, MKSM v. 1 9 1 8 , 2 8 - 2 / 7 . MilKmdo Prag, Präs.Nr. 9.223/Gstb., an KM Abt. 5, 18. V. 1918 - KA, KM Abt. 5 v. 1918, 1 - 3 / 7 1 (5.701); Telegr. KM Abt. 5, Nr. 3.341, an MKSM, 8. V. 1918, 18,50 h - KA, MKSM v. 1918, 2 8 - 2 / 7 ; vgl. Souhrnnä hläseni, Sb. 163, Nr. 2.689 u. 2.691; Bericht der Statthalterei Prag, 15. V. 1918 - AVA, Mdl Präs. 1918, 22-11.405. Mdl, Staatspol. Büro, an MKSM, 12. V. 1918, 11h — KA, M K S M v. 1918, 2 8 - 2 / 7 ; vgl. Souhrnnä hläseni, Sb. 163, Nr. 2.700-2.702. MilKmdo Prag, Präs.Nr. 9.223/Gstb„ an KM Abt. 5,18. V. 1918 - KA, KM Abt. 5 v. 1918, 1 - 3 / 7 1 (5.701); Souhrnnä hläseni, Sb. 164, Nr. 2.740.

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Zerreißprobe in den eigenen Reihen

gegeben: Dort hatte angesichts einer aufgebrachten Menge der Steuerassistent Hucl am 6. Mai eine Mühlenrevision mit dem Leben zu bezahlen 35 . Zurück nach Kladno-Schlan. Am 12., 13. und 14. Mai wurde die zwangsweise Aufbringung der Arbeiter im Kladnoer Kohlenrevier durchgeführt. Kladno hielten nun starke militärische Kräfte besetzt: vier Kompanien des Ersatzbataillons I R 51, drei Kompanien I R 68 und zwei Kompanien T K J R 2, Einheiten vor allem deutscher und magyarischer Nationalität 3 6 . Das Brigadekommando beantragte, daß der Industriebezirk Kladno-Schlan eine ständige Besatzung von etwa drei Bataillonen behalten solle. Das Militärkommando Prag nahm ein Bataillon als ständige Garnison in Aussicht37. Brüx-Dux-Teplitz. In der zweiten Hälfte Mai brach im Brüx-Dux-Teplitzer Braunkohlenrevier erneut ein Streik aus. Am 22. standen 29 Schächte mit rund 8.000 Grubenarbeitern im Streik. Das Falkenauer Revier streikte ebenfalls. Es ging nicht nur um Lohn- und Verpflegszuschüsse, auch um Sonderzulagen für die Beschaffung von Kleidung und Schuhen. Noch am 22. trafen Militärassistenzen aus Komotau, Kaaden, Eger und Postelberg ein. Im Zuge der militärischen Einbringung streikender Bergarbeiter kam es bei der Verfolgung Fliehender zum Waffengebrauch einer Militärpatrouille. Ein Arbeiter wurde verletzt. Da für die am 22. neu in den Streik getretenen Schächte keine Assistenzen des Militärkommandobereichs mehr zur Verfügung standen, wurde im Kriegsministerium um die Zuweisung von vorläufig drei Bataillonen deutschsprachiger Truppen angesucht. Aus Kaaden waren nämlich Assistenzen vom Ersatzbataillon des überwiegend tschechischen I R 74 3 8 herangeführt worden, und diese Truppen konnten auf den Schächten mit vor allem tschechischer Belegschaft nicht als unbedingt verläßlich angesehen werden 39 . Zwischenfall in Pilsen. Militärpolizei hatte am 23. Mai nach verlorengegangenen Frachtgütern gefahndet und dabei das Handgepäck militarisierter Arbeiter durchsucht. Sämtliche 2.500 Werkstättenarbeiter protestierten daraufhin, demonstrierten, Arbeiter bewarfen die Soldaten mit Steinen, schlugen auf einen Zugsführer ein, verletzten vier der Soldaten. Revolverschüsse waren die Antwort der Militärpolizei, Arbeitsunterbrechung am 24. wieder die der Arbeiter, Assistenzeinsatz und Verhaftungen darauf die der Behörden 40 . Böhmisch Trübau. Im Juni kam es zu neuerlichen Zusammenstößen, insbesondere wegen Specktransporten, die von Ungarn her durch Böhmen rollten. Souhrnnä hläseni, Sb. 163, Nr. 2.705. IR 51: 48% Rumänen, 46,5% Magyaren, 2,5% Deutsche, 2 % Tschechen, 1 %Slowaken; IR 68: 90% Magyaren, 3,5% Deutsche, 2,5% Tschechen, 2% Rumänen, 1% Ruthenen, je 0,5% Polen und Kroaten; T K J R 2: 86% Deutsche, 8% Tschechen, 6% Italiener — alle: KA, Farbentabellen 1918. 3 ' MilKmdo Prag, Präs .Nr. 9.223/Gstb„ an K M Abt. 5 , 1 8 . V. 1918 Κ Α , Κ Μ Abt. 5 v. 1918, 1 - 3 / 7 1 (5.701). 3 8 IR 74: 62% Tschechen, 37% Deutsche, 1% Serben und Kroaten — KA, Farbentabellen 1918. 3» Telegr. Stv. MilKmdt in Teplitz, Präs.Nr. 2.927, 22. V. 1918 KA, K M Abt. 5 v. 1918, 1 - 3 / 4 - 3 4 (6.237); Souhrnnä hlääeni, Sb. 165/2, Nr. 2.756. 4 0 Souhrnnä hlääeni, Sb. 165/12, Nr. 2.766 und 2.767. 35

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Im Hintergrund der Meutereien

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Am 6. Juni plünderten Eisenbahnbedienstete und Fabriksarbeiter auf dem Bahnhof in Böhmisch Trübau einen mit Speck beladenen Waggon. Bahnbeamte wurden mißhandelt, einschreitende Gendarmerie mit Steinwürfen empfangen. Am Nachmittag zogen 800 Arbeiter auf. Die Gendarmen machten von der Schußwaffe Gebrauch. Dann schritt eine Kompanie Infanterie ein. Verhaftungen folgten 41 . Pardubitz. Ein Zwischenfall zur selben Zeit in Pardubitz war ernsterer Natur. Er forderte Tote. Auch dort ging es um einen Specktransport. Bahnbedienstete am Pardubitzer Bahnhof hatten Vorschub geleistet. Am 6. Juni wurden einige mit Spedk beladene Waggons vom Bahnhof nicht weitergeleitet. Man lenkte sie auf ein Nebengleis. Die Waggons lockten, und am 7. Juni gegen 8 Uhr drängte sich um die Speckwaggons eine ansehnliche Menge. Einige Frauen drangen in die Waggons ein und begannen zu plündern. Die Bahnhofsverwaltung verständigte die Bezirkshauptmannschaft. Vertreter der Bezirkshauptmannschaft fanden sich ein, aber audi neue Wellen der Bevölkerung. Schließlich waren es gegen 2.000 Personen. Das Bahnhofsgebäude wurde zwar behördlich geschlossen, die Menge aber drang durch einen Seiteneingang in das Bahnhofsareal ein und besetzte die Rampen bei den Magazinen. Einige anwesende Gendarmen schienen zu schwach. Da rief der für das Stationskommando anwesende Oberstleutnant Roth Militärassistenz herbei: von der in Pardubitz liegenden MG-Abteilung des Ersatzbataillons I R 39 — Königgrätz 42 . Zwei MG-Züge traten an. Der Oberstleutnant drohte mit der Eröffnung des Feuers, wenn es nicht gelänge, die Menge zum Verlassen des Bahnhofsareals zu bewegen. Nach kritischen Augenblicken wich die Menge zurück. Die Assistenz rückte in die Kaserne ein 43 . Gegen 3 Uhr nachmittags kam es zu einem neuerlichen Übergriff. Im Pardubitzer Bahnbereich stauten sich — auf Grund der Ereignisse am Bahnhofsgelände — angehaltene Züge. An einem Bahnübergang hielt wiederum ein verlockender Transport: Waggons mit Zucker, Mehl, Kaffee, Reis. Und wieder sammelte sich die Menge. Und wieder griffen einige zu, Frauen und Halbwüchsige, warfen Lebensmittel aus den unbewachten Waggons, trugen sie in Schürzen und in herbeigeschafften Behältern davon. Als Polizei auf dem Plan erschien, verstreuten sich die Plünderer. Die Züge erhielten wieder freie Fahrt. Gegen 17 Uhr erschien auf dem Bahndamm eine Militärpatrouille, zehn Mann, geführt von Oblt. Remenyi. Der Oberleutnant hatte Befehl erteilt, gegenüber jedem von der Schußwaffe Gebrauch zu machen, der sich auf dem Bahndamm zeige 44 . « Ebenda, Sb. 167/2, Nr. 2.790. " Fr. RÜZICKA, Mad'arskä zvüle (Magyarische Willkür). In: Domov za välky. V/1918. Praha 1931. 174; Stenograph. Protokolle 1917/18. III. 3.878; IR 39: 82% Magyaren, 16% Rumänen, je 1% Tschechen und Slowaken — KA, Farbentabellen 1918. 43 RÜIIIKA, Mad'arskä zvüle. 175. « Ebenda; Stenograph. Protokolle 1917/18. III. 3.878.

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Zerreißprobe in den eigenen Reihen

Kurz nach 6 Uhr abends drängten sich am Bahnübergang bei der Kreuzung Sladkovskystraße—Karlsstraße rund 30 Personen. Da kam, den Bahndamm entlang, die Patrouille. Sie führte eine Frau mit sich. Die Frau sträubte sich. In der Nähe des Bahnschrankens riß die Frau sich los, wollte flüchten, wurde wieder gefaßt, abgeführt. Dazwischen — so meldete später die Staatspolizei — Schüsse aus der Menge, Rufe: „Laßt sie frei!" Dann Schüsse der Patrouille. Ungezielt, einfach unter der Achsel hervor, in die Sladkovsky- und Karlsstraße hinein. Die Folge: Drei Tote, darunter ein 12jähriger Schüler, zwei Verletzte 45 . Ein Stein flog der abziehenden Patrouille nach. Fast wäre damit erneuter Befehl zum Feuern ausgelöst worden . . . Die Ursache des Zwischenfalls bleibt offen: Die Menge habe unter Abgabe von Schüssen das Abführen der Frau zu vereiteln versucht, heißt es in der Meldung der Staatspolizei 46 . Anders sollten es tschechische Abgeordnete im Wiener Parlament darlegen: „Diese Metzelei ist dem Umstände zuzuschreiben, daß für so kritische Dienste magyarische Soldaten verwendet werden, welche weder böhmisch noch deutsch sich der Bevölkerung verständigen können, und ohne Ursache und Grund in Leute hineinfeuern, welche die Straße passieren oder auf die Hebung der Bahnschranken warten. Diese Soldaten sind gegenwärtig für die Bevölkerung von Pardubitz eine wahre Provokation." 4 7

Ungarn Budapest, Revier Zsilvölgy, Resiczabanya, Somsaly, Ύatab any α, Felsogalla Unruhe auch in Ungarn. Besorgt erörterte man am 7. Februar im Ministerrat in Budapest die dem Widerstand zuneigende Stimmung in der Arbeiterschaft. Der Innenminister berichtete: Die Industriestädte des Landes, vor allem Budapest, seien „durch revolutionäre Tendenzen ganz unterminiert". Mehr noch: „Die gesellschaftliche Ordnung wird von den in Vorbereitung befind15

M d l , Staatspol. Büro, an M K S M , 8. VI. 1918, 1 1 H - KA, M K S M v. 1918, 2 8 - 2 / 7 ; Souhrnnä hläseni, Sb. 167/4, Nr. 2.793. Die Angabe der Zahl der Toten und Verletzten variiert. Es darf die ursprüngliche Zahl im Statthaltereibericht, die auch durch tschechisches Zeugnis erhärtet wird, als richtig angenommen werden. — Stenograph. Protokolle 1917/18.

46

M d l , Staatspol. Büro, an MKSM, 8. VI. 1918, 1 1 h - KA, M K S M v. 1918, 2 8 - 2 / 7 . Stenograph. Protokolle 1917/18. III. 3.878. Die Abgeordneten wollten nachstoßen: Die Verfasser der Anfrage verlangten von der Regierung die Bekanntgabe, ob das Einschreiten des Militärs über Aufforderung der hiezu kompetenten politischen Behörde erfolgt sei, ob hiebei die Vorschriften des gültigen Dienstreglements für das k. u. k. Heer eingehalten worden seien, ob die politischen Beamten ausdrücklich und auf Grund hinreichender Motive um das Einschreiten des Militärs angesucht hätten und ob vor diesem Einschreiten das Publikum zum Auseinandergehen aufgefordert und Signale abgegeben worden seien, schließlich warum gegen Frauen, ja sogar gegen Kinder, von der Waffe Gebrauch gemacht worden sei. — Stenograph. Protokolle 1917/18. III. 3.879.

III. 3.878; RÜZICKA, Mad'arskä zvüle. 176. 47

Im Hintergrund der Meutereien

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liehen Massenstreiks und revolutionären Bewegungen auf das ernstlichste bedroht." Die Entwicklung in Rußland stelle den Hintergrund dar. Über die Front in Rußland würden aufreizende Schriften eingeschleppt, und die heimkehrenden Kriegsgefangenen sorgten für die Verbreitung dieser Propaganda. Der Handelsminister ergänzte: Auch der Bereich der Eisenbahnen sei durch die Umsturzideen gefährdet. Der Justizminister wies auf die strafrechtliche Verantwortlichkeit hin: Im Falle von gegen die bewaffnete Macht gerichteten Delikten könne unter Umständen die Militärgerichtsbarkeit in Anspruch genommen werden 48 . Der Innenminister hatte richtig geurteilt. Im Hinblick auf Streikbewegungen war vor allem das industrielle Ballungsgebiet Budapest anfällig 49 . In Budapest sollte es Anfang März gleich zu einer Kraftprobe kommen. Die Hauptvertrauensmänner der Budapester Fabriken beschlossen am 3. März abends, ab 5. einseitig eine Arbeitszeitverkürzung vorzunehmen, nämlich nur noch acht Stunden täglich zu arbeiten 50 . Der Kommandant der mobilen Truppen in Ungarn, FML Baron Lukachich, mußte für den 5. März im Raum Budapest mit Unruhen rechnen. Der General wollte rigoros vorbauen. Er ordnete die Heranziehung von 103 Assistenzkompanien an 51 . Auch die Regierung wollte sich voll absichern. Sie hatte die Bereitstellung von 14.000 Mann, einigen hundert Reitern und einer entsprechenden Anzahl von Maschinengewehren verlangt 52 . In der Nacht vom 4. auf den 5. März leitete Lukachich die letzten Maßnahmen ein. Der General für Assistenztruppen des Militärkommandos Budapest erhielt Befehl, auch auf die mit dem Marschbereitschaftstag 5. März angemeldeten Marschkompanien zu greifen. Im Stabe Lukachich' zog man audi Unruhen außerhalb Budapests in Betracht. Der General für Assistenztruppen wurde daher angewiesen, bei Heranziehung von Verbänden innerhalb des Militärkommandobereiches darauf Rücksicht zu nehmen, daß Szabadka und Szolnok, dann der Raum um Pees nicht entblößt würden. Und noch im Laufe der Nacht wurden die Generale für Assistenztruppen der Militärkommandobereiche Kassa und Pozsony beauftragt, zusätzlich folgende Truppen für den Abtransport nach Budapest sofort bereitzustellen: 6 Assistenzkompanien und 4 MG-Züge von Ersatzkörpern im Militärkommandobereich Pozsony, 3 Kompanien des zur Armee im Felde gehörenden Bataillons I/HIR 6 in Nyitra, 48

49 50 51

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Auszug aus dem beglaubigten Protokoll des ungar. Ministerrates vom 7. II. 1918 — MOL, Κ 26, ME 1918, XVI. titel, 2.985 res. NECK, Arbeiterbewegung und soziale Frage. 56. MOL, Κ 26, Schriften des MP 1918, XVI. t£tel, 45 res. Bl. 48 f. Chiffre-Telegr. FML Lukachich an KM Abt. 5, 5. III. 1918 — KA, KM Abt. 5 v. 1918, 1 - 3 / 4 - 1 8 (3.624). Im Februar standen in Budapest 2.700 Mann Polizei und Gendarmerie sowie 8.000 Mann Militär zur Verfügung. - Ung. IMer an HMer, 2. II. 1918 - MOL, Κ 26, ME 1918, II. titel, 966 res.; Kmdt der mobilen Truppen in den MilKmdo-Bereichen Budapest, Pozsony, Kassa, Temesvär, Nagyszeben und Zagreb, FML Baron Lukachich, an KM Abt. 5, 5. III. 1918, 12 h - KA, KM Abt. 5 v. 1918, 1 - 3 / 4 - 1 2 (3.042).

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Zerreißprobe in den eigenen Reihen

3 MG-Züge des Infanterie-MG-Kurses in Kenyermezö. Das Militärkommando Kassa sollte von Ersatzbataillonen 12 Assistenzkompanien und 2 MG-Züge und vom Honved-Infanterie-MG-Kurs in Iglo 1 Assistenzkompanie und 3 MG-Züge bereitstellen. Noch in der Nacht zum 5. wurde bei der Staatsbahndirektion auch die Instradierung der Transporte eingeleitet. Nach Eintreffen aller von außen heranbefohlenen Assistenztruppen standen damit schon für den 5. März abends ca. 15.500 Mann, 145 MG, 200 Reiter und 18 Geschütze in Budapest für eventuelle Assistenzeinsätze bereit. Die von der Regierung erbetene Stärke war damit nicht nur voll erreicht, sondern der General Lukachich hatte auch Reserven zur Verfügung, die als Ersatz für möglicherweise unverläßliche Truppen eingesetzt werden konnten 53 . Diesem Aufmarsch und dieser Drohung gegenüber blieb die Protestbewegung der Arbeiter machtlos. Die Arbeiter der Budapester Maschinenfabriken und der Eisenindustrie setzten zwar drei Tage hindurch eigenmächtig die achtstündige Arbeitszeit durch und verließen jeweils um 16 Uhr die Fabriken. Seit 6. März wurde auch in den Hauptwerkstätten der Ungarischen Staatsbahnen passive Resistenz geleistet. Die Fabriken stellten am 8. den Betrieb ein. 55.000 Arbeiter waren damit ausgesperrt 54 . Das Eingreifen des Militärs bewährte sich nach Meinung des ungarischen Handelsministers jedenfalls „beispielgebendst". Die energischen Anordnungen der Regierung verfehlten unter dem Eindruck der Bajonette ihre Wirkung nicht. Vertrauensmänner forderten die Arbeiter zur vollen Aufnahme der Arbeit auf, um die Anwendung von Repressalien zu vermeiden. Und die Arbeiter gehorchten. Der Handelsminister lobte: Der Erfolg der ministeriellen Maßnahmen „basierte nur auf der vorzüglich organisierten und bewährten Intervention des Militärs" 5 5 . Die Aktion lief aus. Am 9. März abends wurden die Assistenzen in Budapest eingezogen. Ab 10. März morgens war nur mehr strenge Bereitschaft angeordnet, und nur noch die exponierten öffentlichen Gebäude und Fabriken wurden bewacht. Zwar war für kurze Zeit auch für Straßenpassanten das Eingreifen des Militärs noch deutlich: In den größeren Straßen zogen Patrouillen auf 5 6 . Aber die Verhandlungen mit den Gewerkschaften liefen.

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Rmdt der mobilen Truppen in den MilRmdo-Bereichen Budapest, Pozsony, Kassa, Temesvär, Nagyszeben und Zagreb, F M L Baron Lukachich, an K M Abt. 5, 5. III. 1918, 12 h - KA, K M Abt. 5 v. 1918, 1 - 3 / 4 - 1 2 (3.042). Im Falle der eventuell weniger verläßlichen Truppen dachte man an IR 32 und H I R 1. IR 32: 76% Magyaren, 15% Tschechen, 6 % Deutsche, 2 % Rumänen, 1% Serben; H I R 1: 78% Magyaren, 15% Rumänen, 4 % Deutsche, je 1,5% Kroaten und Serben — beide: KA, Farbentabellen 1918. k.u. Handelsminister Szterenyi an M K S M , 8. III. 1918 - KA, M K S M v. 1918, 2 8 - 2 / 7 ; Magyar minisztertanäcsi jegyzökönyvek. Nr. 292, 7. III. 1918. Meldung des k.u. Handelsministers an den König, 8. III. 1918 — KA, M K S M v. 1918, 28-2/7. Telegr. ung. IMer Töth an M K S M , 10. III. 1918,21,40 h - KA, M K S M v. 1918, 2 8 - 2 / 7 .

Im Hintergrund der Meutereien

263

Und das Fazit blieb: Mit Hilfe der drohenden Truppenmadit hatten die Betriebsleitungen ihre Positionen zu wahren vermocht57. Freilich war der Geist des Widerstandes keineswegs erloschen. Der FML Cvrcek, Inspizierender der für die Heeresverwaltung arbeitenden Betriebe in Ungarn, vermerkte in einem Schreiben an den Ministerpräsidenten den verbleibenden Spannungszustand: „Die Arbeiter verlautbaren ständig ihre Unzufriedenheit, befolgen nicht bloß die Anordnungen ihrer Vorgesetzten und Höheren nicht, sondern setzen sich damit direkt in Widerspruch . . . die Staatsgewalt und das Militär höhnend, berufen sie sich hoffärtig auf ihre Macht, mit einem Worte, es besteht zwischen der Arbeiterschaft und ihrer Obrigkeit ein schleichender Kampf, welcher aus Anlaß des geringsten Zwischenfalles mit großer Gewalt ausbrechen kann." 58 Der Feldmarschalleutnant nannte audi einen besonderen Gefahrenherd: die Emissäre der Budapester Arbeiterorganisationen. Durch sie würde die im allgemeinen ruhigere Arbeiterschaft in der Provinz in laufender Beeinflussung zu immer neuen Forderungen angeeifert und „gegen die bestehende staatliche Ordnung und Gesellschaft" aufgebracht. Zwar gebe es bereits eine Anordnung des Innenministers an die Obergespane, solche Einflußnahme zu verhindern, aber gegen die Emissäre erweise sich nun, so erklärte der General, eine Regierungsverfügung als nötig, „denn nur durch die Ausschließung dieser städtischen Elemente ist eine erfolgreiche und ruhige Arbeit zu erhoffen" 59 . Der General Cvrcek hatte guten Grund für seine Vorstellungen an den Ministerpräsidenten. Warnungen militärischer Stellen aus der Provinz lagen vor. So hatte das Landsturmbataillon in Resiczabanya um energische Maßnahmen gebeten. Die Agitation in der Provinz solle untersagt werden, überhaupt das Reisen nicht vertrauenswürdiger Personen. „Agitatoren und als solche Verdächtige wären bei Betreten von Arbeitervierteln, Fabriken etc. ohne Rücksicht darauf, ob man sie der Agitation bezichtigen kann oder nicht — da dies in den seltensten Fällen möglich ist — verhaften zu lassen."60 " HIL, H M ein. 1918, Β 1 - 2 / 4 6 - 3 . 5 8 4 (6.159), 23. III. 1918. 58 Brief des FML Franz Cvrcek als Inspizierender der für die Heeresverwaltung arbeitenden Betriebe in den Ländern der ung. Krone, Nr. 3.770, an MP Wekerle, 21. III. 1918 — MOL, Κ 26, Schriften des MP 1918, XVI. titel, 45 res., Bl. 33 ff. Der Offensivgeist der Arbeiterbewegung fand seinen Niederschlag auch in Publikationen: Die Redaktion der „Ndpszava" gab als 13. Heft der sozialistischen Agitationsschriften folgendes heraus: „A gyözelmes tömegszträjk. Α magyarorszägi munkäsok tömegmozgalma a vilägbekeert es a demokräciäirt 1918, januär 18—21-ig." (Der siegreiche Massenstreik. Die Massenbewegung der ungarischen Arbeiter für den Weltfrieden und die Demokratie. Vom 18. bis zum 21. Jänner). — Gem. FinMin. an ung. MP, 31. III. 1918 - MOL, Κ 26, Schriften des MP 1918, XVI. titel, 3.035 res. Brief FML Cvrcek an MP Wekerle, 21. III. 1918 - MOL, Κ 26, ME 1918, XVI. tetel, 45 res. Meldung des Kommandos des k.u. Lst.Baons in Resiczabänya (GM Hauser) an MilKmdo in Temesvär, 7. III. 1918 - MOL, Κ 26, ME 1918, XVI. t6tel, 45 res.

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Zerreißprobe in den eigenen Reihen

Die Meldungen über Unruhen in der Provinz ließen nicht lange auf sich warten. Am 18. März stellten einige hundert Bergarbeiter der UrikanyZsiltaler-ungarischen-Steinkohlen-Gruben A. G. in Zsilvölgy und Lupeny in den Südkarpaten die Arbeit ein. Als Ursache wurde Mangel an Verpflegung und Bekleidung angegeben. Man wollte durchgreifen. Die Landsturmarbeiter hätten zu gehorchen. Ein Tagesbefehl wurde verlesen. 400 Landsturmarbeiter widersetzten sich der Arbeitsaufnahme, 200 demonstrierten vor den Werkstätten. Um die Ausbreitung des Streiks auf das gesamte Zsiltaler Kohlenbecken zu verhindern, ersuchte der FML Cvrcek das Militärkommando Nagyszeben, 2.000 Mann mit Maschinengewehren als Assistenz in das gefährdete Gebiet abzusenden. 19 V2 Kompanien und 5 V2 MG-Züge wurden in das Steinkohlenrevier verlegt. Verhandlungen mit der Gewerkschaft wurden aufgenommen. Ab 22. klang der Streik ab61. Die Auseinandersetzung im Grubenrevier Zsilvölgy-Banyatelep, Vulkany, Lupeny und Petrozseny zwischen Arbeitern einerseits und militärischen Leitern und Bergwerksdirektionen anderseits stand in den nächsten Wochen noch zur Diskussion. Die Gewerkschaften der Bergarbeiter und der Eisen- und Metallarbeiter protestierten. Sie erhoben Einspruch gegen Arbeiterverfolgung, vor allem gegen die Einziehung von Arbeitern, und dabei besonders von Vertrauensleuten. Diese Einrückendmachung werde als Schikane gegenüber der Arbeiterschaft empfunden: „Weil als Folge dieser Ereignisse früher oder später die Geduld der Arbeiterschaft doch zu Ende sein wird und dann überhaupt nicht erwünschte Ereignisse eintreten könnten." 62 Die militärischen Stellen wiesen den Protest zurück. Der Kommandant des zuständigen IV. Landsturmarbeiterbataillons hielt fest: Die Haltung der Arbeiterschaft werde zunehmend besorgniserregend. Die Arbeiter benähmen sich provokant und aggressiv, sie lehnten Befehle ab. Sie erweiterten selbständig die Feiertage, es komme zu Verspätungen bei der Heimkehr vom Urlaub und überhaupt zu unlegitimierten Arbeitsunterlassungen, durch Streikdrohungen wollten sie eine Lockerung der Disziplin erzwingen, und in Lonyatelep hätten sie das Gefängnis angegriffen, demoliert und die Gefangenen befreit. Die Arbeiter weigerten sich, den Befehl einzuhalten, die Soldatenmütze 61

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Bericht Kmdt des IV. Bergarbeiter-Lst.Baons, Lupiny 21. III. 1918, 11,05 h — HIL, HM ein. 1918, Β I - 2/47 - 3.584 (6.224); Tel.-Dep. FML Cvrcek, Insp.Nr. 3.845 res., an KM, 20. III. 1918; Tel.-Dep. FML Cvrcek, Insp.Nr. 3.880 res., an KM, 22. III. 1918, 12,30 h; Telegr. MilKmdo Nagyszeben, Präs. 18/2.749, an KM Abt. 5, 29. III. 1918; Telegr. MilKmdo Nagyszeben, Präs. 18/2.793, an KM Abt. 5, 31. III. 1918 - KA, KM Abt. 5 v. 1918, 1 - 3 / 4 - 1 8 (3.624); Telegr. T6th an MKSM (Übersetzung), 1.896 res., 19. III. 1918 - KA, MKSM v. 1918, 2 8 - 2 / 7 . Verständigung der Gewerkschaftsorganisation an die Bergwerksdirektion Urikäny-Zsilvölgy in Lupiny, Mitteilung der Bergwerksdirektion an Honvid-Kmdo und MilKmdo Nagyszeben, 12. V. 1918; Schreiben der Gewerkschaft der Eisen- und Metallarbeiter und der Bergarbeiter an FML Cvrcek, 14. V. 1918; Telegr.-Abschrift MilKmdo Nagyszeben, Präs. 37.317/Gstb., an Obst. Kreutzer, Ass Kmdt in Petrozsiny, 26. IV. 1918 — MOL, Κ 26, ME 1918, XVI. titel, 45 res.

Im Hintergrund der Meutereien

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zu tragen, und sie mißachteten die Anmeldepflicht für öffentliche Versammlungen. Die Vertrauensleute der Arbeiter forderten Kontrolle und Verfügung über die Lebensmittelmagazine. Anderseits komme es vor, daß die Landsturmarbeiter ihre Vertrauensleute, die zu betriebskonformen Maßnahmen stünden, verdächtigten, beschimpften, ja terrorisierten. Die vorgenommenen Einziehungen, so unterstrich der Bataillonskommandant, aber seien stets korrekt und der gegebenen rechtlichen Lage entsprechend erfolgt 63 . Der FML Cvrcek in Budapest sekundierte: Kein Zweifel, die verfügten Einziehungen, unter zusätzlicher Einschaltung einer Kommission des Honved-Ministeriums, seien korrekt erfolgt. Eine „gemeinsame Arbeiterverfolgung von Werksdirektion und den militärischen Leitern", so stellte der General abschließend fest, „ist völlig ausgeschlossen"64. Der Widerstand im Land aber schwelte weiter. Widerstandsherde brachen allenthalben auf. Nochmals im März meldete sich Budapest. Am 23. streikten in der Schuh- und Lederfabrik Wolffner 2.000 Schuhmacher. Der Grund: Drei Arbeiterinnen, denen man Renitenz nachsagte, waren entlassen worden. Der Betrieb war militarisiert. Das Militärkommando ließ die Fabrik schließen und ging gegen die Arbeiter mit Zwangsmaßregeln vor 65 . Resiczabanya. Nicht umsonst hatte man von dorther gewarnt. In den Walzwerken der Staatsbahnen in Resiczabanya traten am 7. April 600 Mann in den Ausstand. Sie rissen auch Arbeiter anderer Fabriken mit. Die Zahl der Streikenden stieg auf über 6.500, darunter ein bedeutender Teil enthobener oder militarisierter Arbeiter. Die Ursache: Unzufriedenheit mit den Gebühren. Darüber wurde zwar verhandelt. Zugleich aber sollte die eingeleitete Verstärkung der Assistenzen Wirkung ausüben66. Somsaly. In den Somsalyer Braunkohlen-Gruben im Bükk-Gebirge westlich von Miskolcz kam es zu einer folgenschweren Aktion. Die Arbeiter hatten am 7. April wegen Erschöpfung um einen Tag Arbeitseinstellung gebeten. Der Kompaniekommandant der Landsturmarbeiter, der Oberleutnant i. d. Res. Nobel, zeigte wenig Verständnis, im Gegenteil: Er drohte dem Wortführer und Vertrauensmann der Arbeiter, dem Dando Pal, mit zehn Tagen Gefängnis. Der Oberleutnant sorgte für wirkungsvollen Hintergrund seiner Worte. Er holte eine Gendarmeriestreife von 14 Mann heran. Die Arbeiter wurden tätlich. Die Gendarmen wurden mit Steinen, Hacken und Erdschollen beworfen. Zwei Gendarmen wurden verletzt. Da machten die Gendarmen — in der eingebrochenen Dunkelheit — von ihren Waffen Gebrauch. Ohne zu zielen, 63

Kmdt des IV. Lst.Arbeiter-Baons an FML Cvrcek, 24. V. 1918 - MOL, Κ 26, ME 1918, XVI. titel, 45 res. FML Cvrcek an Magyarorszägi Vas— es Fimmunkäsok Központi Szövetsige (Zentralverband der ungarischen Eisen- und Metallarbeiter), 7. VI. 1918 — MOL, Κ 26, M E 1918, XVI. t Ions das, was sie „bolschewistische Propaganda" nannten. Von den ToilettenBeschriftungen bis zu Reden in aller Öffentlichkeit: Überall warben die Heimkehrer des Bataillons für bolschewistische Ideen ebenso wie für slowenischoder italienisch-nationale Ziele. Zwei bezeichnende Vorfälle: Der Zugsführer Bozac hatte unter seiner Führung sechs Infanteristen zu einer „Patrouille" zusammengestellt. Mit dieser Patrouille „visitierte" der Zugsführer Gasthäuser in der Stadt und der näheren Umgebung. Wollte man ihm nicht freiwillig öffnen, verschaffte er sich mit dem Befehl Eintritt: „Patrouille!" Traf nun Bozac in einer der Gaststätten Soldaten des Ersatzbataillons, ließ er sie Haltung annehmen und belehrte die Soldaten, daß sie Bolschewiken seien, daß es bald Revolution geben werde und daß sich alle anschließen müßten. Und auf der Oberradkersburger Brücke hatte die Patrouille von Soldaten und Zivilisten den Vorweis von Passierscheinen verlangt. Der vom Treiben der Patrouille in Oberradkersburg verständigte Garnisons-Inspektionsoffizier in Radkersburg machte ein rasches Ende. Bozac samt seiner Patrouille wurde verhaftet. Sie waren betrunken. Einer, der Infanterist Grakalic, erregte sich noch: „Wir sind Kroaten, wir müssen es so machen!" und „Wir sind Bolseviki, wir werden es ihnen schon zeigen, es wird eine schöne Revolution werden!" 12 Ein zweiter Vorfall, über dessen Verlauf freilich zivile und militärische Stellen verschiedener Meinung waren: Eine Kompanie des Ersatzbataillons IR 97 wurde nach Graz abkommandiert. In der Meinung, als Assistenz gegen 11

12

Stellungnahme ErsBaon IR 17 zu den Vorwürfen des Oberstuhlrichters von Muraszombat, an MilKmdo Graz, dieses unter Na.Nr. 98.943/C an KM, präs. 20. VI. 1918 - KA, K M Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 7 8 / 2 (7.214). Beim Verhör gaben sämtliche Verhaftete an, zum Zeitpunkt der Tat — der Vorfall hatte sich in der Nacht vom 15. auf den 16. Mai abgespielt — betrunken gewesen zu sein und sich an nichts mehr erinnern zu können. Das Militärkommando Graz, durch diese Ereignisse einigermaßen beunruhigt — in der Zwischenzeit hatten sich auch die Meutereien in Judenburg und Murau ereignet —, forderte Oberst Kornmüller auf, im Falle des Zugsführers Bozac scharf durchzugreifen: „Selbst wenn die Untersuchung kein Resultat wegen Aufreizung gegen die Wehrmacht des Staates ergeben sollte, ist es Gebot der Stunde, die Haupträdelsführer exemplarisch zu bestrafen, damit endlich ein Exempel statuiert werde." — Strafanzeige gegen Zugsführer Bozac und Genossen wegen revolutionärer Umtriebe in Radkersburg, 17. V. 1918 — KA, Gerichtsakten, Radkersburg, 2.977/11, Referatsbogen Bozac Josef, ErsBaon IR 97, Alarmkompanie.

Die großen Empörungen

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die Judenburger Meuterer eingesetzt zu werden, ließen sich Unteroffiziere der Kompanie zu Widersetzlichkeiten gegen Offiziere hinreißen und riefen: „Wir schießen nicht auf unsere Leute!" U n d Mannschaften w a r f e n Munition aus den Waggonfenstern 1 3 . So stellten zumindest die Zivilbehörden von Radkersburg den Vorfall dar. Der K o m m a n d a n t der betreffenden Kompanie, H a u p t m a n n Del Cott, spricht in seinem Bericht lediglich vom Trunkenheitsexzeß eines Zugsführers, der sich einem Offizier gegenüber renitent benommen habe und bereits bestraft worden sei 14 . Die Besorgnis der Stadt aber drang bis ins Kriegsministerium. Die Stadtgemeinde Radkersburg w a n d t e sich am 21. Mai mit folgendem Appell an das Ministerium am Stubenring in Wien: „Die derzeitigen Verhältnisse beim Ersatzbataillon des IR 97 machen es der Stadtgemeinde zur Pflicht, die A u f merksamkeit des k. u. k. Kriegsministeriums auf die Zustände in Radkersburg zu richten und zu verlangen, daß zur Verhütung einer Wiederholung der Meuterei in Judenburg ehestens die erforderlichen Maßnahmen zum Schutz der einheimischen deutschen Stadtbevölkerung getroffen werden, und zwar durch Kommandierung einer Wachabteilung eines vollkommen verläßlichen fremden Truppenkörpers . . ." 15 Noch ehe diese Zeilen in Wien eine Stellungnahme herbeiführen konnten, w a r in Radkersburg die Revolte ausgebrochen: jene Revolte, die man schon seit geraumer Zeit befürchtet hatte. D a ß es in Radkersburg nicht zu einer ähnlichen Entwicklung wie in Judenburg kam, war vor allem dem Vorgehen einiger Offiziere zuzuschreiben.

Parole am Beginn: „Hoch die Südslawen!" Am Abend des 23. Mai w a r ein Großteil der Soldaten des Ersatzbataillons IR 97 in den Gaststätten der Stadt Radkersburg anzutreffen gewesen. Besonderer Beliebtheit erfreuten sich die Gasthäuser „Maitzen" und „Ristl", beide in der Langgasse gelegen. D o r t ging es hoch her. Die Soldaten sangen slowenische Lieder, und immer wieder klangen laute „ 2 i v j o " - R u f e auf die Heimat, auf eine selbständige, von Österreich-Ungarn unabhängige Heimat auf. N u r wenn Wachpatrouillen vorbeikamen, wurde man etwas zurückhaltender, d ä m p f t e man die Stimme. Aber mit der Zeit, und vor allem mit fortschreitendem Alkoholkonsum, achtete man nicht einmal mehr auf die Patrouillen. 13

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Stadtamt Radkersburg, Bgm Kodolitsch, Nachtrag zum Bericht vom 21. V. 1918, 31. V. 1918 - KA, K M Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 7 / 2 - 8 (6.384); vgl. AVA, M d l Präs. 1918, 2 2 - 1 3 . 4 6 0 . Der Vorfall ereignete sich am 14. Mai 1918. — ErsBaon IR 97, Res.Nr. 1.115/Adj., an MilKmdo Graz, Stellungnahme zu den Berichten der Stadtgemeinde Radkersburg, präs. K M 4. VI. 1918 - KA, K M Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 7 / 2 - 8 (6.384). Stadtamt Radkersburg, Bgm. Kodolitsch, ZI. 13/Präs. 1918, an KM, Bericht vom 21. V. 1918 - KA, K M Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 7 / 2 - 8 (6.384).

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Zerreißprobe in den eigenen Reihen

Als es im Gasthof „Maitzen" allzu laut wurde, mußte Militärpolizei einschreiten. Feldwebel Zadkovic forderte die Soldaten auf, unverzüglich das Lokal zu verlassen. Ohne Schwierigkeiten zu machen, kamen die Soldaten dem Befehl nach. Anders im Gasthaus „Ristl". Hier war der Zugsführer Melihen auf einen Tisch geklettert und hielt eine Ansprache an seine ihm begeistert Beifall spendenden Kameraden. Was Melihen wirklich sagte, sollte nie mehr so recht geklärt werden. Jedenfalls aber hatte Melihen seine Ansprache mit dem Ruf „Hoch die Südslawen!" beendet. Hatte Melihen die anwesenden Soldaten zur Meuterei aufgerufen? Die spätere Standgerichtsverhandlung kam zu dem Ergebnis: Ja, Melihen wollte die Mannschaft zur Revolte bewegen. Wie dem auch sei, Melihen wurde von der Patrouille des Feldwebels Zadkovic verhaftet und abgeführt. Die übrige Mannschaft begab sich in die KodolitschKaserne zurück16. Aber der Vorfall, die Verhaftung Melihens, wurde noch aufgeregt weiterdiskutiert. Von allen Seiten strömte Mannschaft der Alarmkompanie im Kasernenhof zusammen. Und auf einmal war auch die 2./XL. Marschkompanie und die 2. Ersatzkompanie da. Wer nun die Revolte ausgelöst hatte, sollte ebenfalls nicht restlos geklärt werden. Plötzlich hieß es „Vergatterung!", plötzlich waren Waffen da, und unter lautem Geschrei begann die Menge die ersten Schüsse in die Luft zu feuern. Immer mehr Soldaten schlossen sich an, der Lärm wuchs von Minute zu Minute, die Kodolitsch-Kaserne glich einem Hexenkessel. Die Garnison Radkersburg meuterte 17 . Wenig später meldete der Fernschreiber nüchtern an das Militärkommando Graz: „Am 23. Mai 1918, kurz nach 22 Uhr, brachen bei der in der Kodolitsch-Kaserne bequartierten 1. Alarmkompanie und 2. Ersatzkompanie des IR 97 (Ergänzungsort Triest) größere Exzesse aus. Zirka 12 Uhr nm. sollen sich Leute der Stabsabteilung angeschlossen haben . . . vermutlich Heimkehrer, die noch nicht gerechtfertigt und daher nicht beurlaubt sind." 18 Inzwischen hatten die Meuterer die Kanzleien der Kodolitsch-Kaserne gestürmt. Sämtliche Standeslisten wurden vernichtet, auf dem Boden zertrampelt. Die Kompaniekassen wurden erbrochen. Um das Geld setzte ein wüstes Handgemenge ein. Man raffte zusammen, zerrissene Hundertkronen-, ja Tausendkronenscheine blieben liegen. Einrichtungsgegenstände, die nicht nietund nagelfest waren, wurden zertrümmert, selbst die Schreibmaschinen blieben nicht verschont. Ein Kaiserbild wurde von der Wand gerissen, zertrampelt, aus dem Fenster geworfen. Die Monturmagazine wurden geplündert, die Kantinen und Wirtschaftskammern ausgeraubt. Most- und Weinfässer rannen aus, Lebensmittel, die nicht mitgenommen oder auf der Stelle verzehrt werden 16

17 18

ErsBaonKmdo IR 97, Res.Nr. 846/Adj., an MilKmdo Graz, 26. V. 1918 - KA, M K S M v. 1918, 2 8 - 2 / 4 0 - 2 . Ebenda. Depeschen ErsBaonKmdo IR 97 an MilKmdo Graz bzw. Statth. Graz, 24. V. 1918, 0,15 h und 0,45 h - KA, K M Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 5 0 / 9 1 .

Die großen Empörungen

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konnten, wurden vernichtet. Und die Zerstörungswut griff auf die benachbarte Kloster-Kaserne und die Kavallerie-Kaserne über 19 . Was die Meuterer aber nun in ihre H a n d bringen wollten, waren Waffen, Maschinengewehre, Munition. Schon bei der Plünderung der Kasernen hatte man sämtliche „Wachpatronen" aus den Verschlagen gerissen und sich angeeignet. Aber das war zuwenig. Und die Meuterer wußten genau, wo es Munition gab, wo man sich Maschinengewehre aneignen konnte. Ihre nächste Parole daher: „Sturm auf das Munitionsdepot!" Das Munitionsdepot der Garnison befand sich am Hauptplatz, im Zentrum der Stadt. Wenn es den Meuterern gelang, das Munitionsdepot zu nehmen, dann war Radkersburg den meuternden 97ern ausgeliefert 20 . Wo blieben die Offiziere? Der Ersatzbataillonskommandant Oberst Kornmüller, der Bataillonsadjutant H a u p t m a n n Lenarduzzi, der Kommandant der Alarmkompanie, Rittmeister Fort, und Oberleutnant Dequal waren eben im Gasthof „Kaiser von Österreich" beisammengesessen, als sie die ersten Schüsse vernahmen. Die Offiziere eilten ins Freie. Das weithin hörbare Schreien und Johlen der Meuterer ließ keinen Zweifel aufkommen: Die Garnison revoltierte. Der Oberst Kornmüller behielt die Nerven: Was man den meuternden Mannschaften der Kodolitsch- und Kavallerie-Kaserne, rund 1.600 Mann, entgegenwerfen konnte, waren die 3. Ersatzkompanie, die 6./XL. Marschkompanie und die MaschinengewehrErsatzkompanie. Diese Einheiten waren in Baracken in der N ä h e des Bahnhofs untergebracht und daher von den Meuterern getrennt. Aber würden sie gegen die Meuterer vorgehen? Auch in der 6./XL. Marschkompanie waren Heimkehrer eingeteilt. Die 3. Ersatzkompanie aber setzte sich aus jenen jungen Rekruten zusammen, die erst vor wenigen Monaten eingezogen worden waren. Würden die Achtzehnjährigen diese Zerreißprobe bestehen? Würden sie nervlich durchhalten? Blieben noch die Maschinengewehre. Sie mußten die Hauptlast im Kampf tragen. N u r durch Maschinengewehrfeuer war die Meuterei auf die Kasernen zu beschränken. Vor allem aber galt es, die Telephonverbindung mit den Nachbargarnisonen sowie mit dem Militärkommando in Graz aufrechtzuerhalten 21 . 19

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Stadtamt Radkersburg, Bgm. Kodolitsch, Nachtrag zum Bericht vom 21. V. 1918, an KM, 31. V. 1918 - KA, KM Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 7 / 2 - 8 (6.384); ErsBaonKmdo IR 97, Res.Nr. 846/Adj. — Bericht über Revolte in Radkersburg —, an MilKmdo Graz, 26. V. 1918 — KA, MKSM v. 1918, 2 8 - 2 / 4 0 - 2 . Telegr. MilKmdo Graz, Präs.Nr. 14.439/C, an KM und MKSM, 24. V. 1918; k. k. BH Radkersburg, Präs.Nr. 503, an k. k. steiermärkische Statth., 25. V. 1918 — KA, MKSM v. 1918, 28-2/40-2. Telegr. MilKmdo Graz, Präs.Nr. 14.439/C, an KM und MKSM, 24. V. 1918 - KA, M K S M v. 1918, 2 8 - 2 / 4 0 - 2 ; ErsBaonKmdo IR 97, Res.Nr. 846/Adj., an MilKmdo Graz, 26. V. 1918 - KA, M K S M v. 1918, 2 8 - 2 / 4 0 - 2 .

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Zerreißprobe in den eigenen Reihen

Oberst Kornmüller handelte rasch. Die 3. Ersatzkompanie, die 6./ XL. Marschkompanie und die MG-Ersatzkompanie hatten augenblicklich anzutreten. Der Bataillonsadjutant wurde zum Bahnhof abkommandiert, um sofort das Militärkommando Graz von den Vorfällen zu verständigen und Assistenztruppen anzufordern. Zwei weitere Offiziere wurden als Telephonoffiziere zum Postamt beordert, um ständig mit den Nachbargarnisonen Kontakt zu halten. Auch die benachbarte Bahnstation Spielfeld wurde alarmiert 22 . Mehr konnte Oberst Kornmüller im Augenblick nicht tun. Schon kam der Lärm der Meuterer bedrohlich näher. Immer wieder hörte man laute „2ivjo"-Rufe, aber auch Ausrufe wie „Hoch lebe die Republik!", „Bofseviki naprej!", „Nieder mit Österreich!" Kein Zweifel, die Meuterer wollten die Stadt stürmen. Und wie in Judenburg war es auch hier ein Korporal, der die Massen anführte, der Kommandos erteilte: der Korporal Ukovic 23 . Doch da stießen die meuternden Soldaten auf Widerstand. Rittmeister Fort und Oberleutnant Dequal stellten sich mit vier Militärpolizisten den Meuterern entgegen: zwei Offiziere und vier Militärpolizisten — Feldwebel Zadkovic, die Zugsführer Kodrin und Sulz, Korporal Zec — gegen eine Menge von über 1.000 Meuterern. Aber es galt unbedingt, den Zugang zum Hauptplatz, den Zugang zum Munitionsdepot abzusperren. Mit Pistolen und Revolvern feuerten die Sechs auf die Vorrückenden. Die ließen sich zunächst einschüchtern. Sie wagten es nicht, aus der sicheren Deckung der KodolitschKaserne vorzugehen. Auf diese Weise gewannen die Sechs Zeit, und das war für sie zunächst das Wichtigste. Aber allmählich erkannten die Meuterer, daß es nur ein lächerlich schwacher Gegner war, der ihnen da widerstand, und abermals setzten sie zum Angriff an. Die beiden Offiziere und die Militärpolizisten mußten sich ins Post- und Telegraphenamt zurückziehen. Hier konnten sie sich zunächst verschanzen, den Zugang zum Platz noch kontrollieren. Dennoch schien der Durchbruch zum Munitionsdepot bevorzustehen 24 . Im letzten Augenblick, es mag gegen 22 Uhr 30 gewesen sein, kam die 3. Ersatzkompanie zu Hilfe. 80 Mann waren es zunächst, die unter Führung des Leutnants i. d. Res. Antoncic Entsatz brachten. Die jungen Rekruten schlugen sich überraschend gut. Sofort wurde die Ecke Theatergasse-Hauptplatz abgesperrt und besetzt gehalten. Auch in der Murgasse wurden die Meuterer zurückgedrängt. Hier kam es zu einem heftigen Feuerwechsel. Einer der Meuterer brach im Feuer nieder. Die ärgste Gefahr war vorläufig gebannt. Die meuternden 97er zogen sich wieder in die Kodolitsch-Kaserne zurück. 22

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21

Meldung des k. u. k. Bahnhofsoffiziers in Spielfeld, Res.Exh.Nr. 127, an k. u. k. Eisenbahnlinienkommando in Wien-Südbahn, 24. V. 1918 - KA, KM Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 5 0 / 9 1 (2.713). Statthalterei-Präsidium in Graz, Dr. Kozesnik, an Mdl, Staatspol. Büro, präs. K M 21. V. 1918 - KA, KM Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 5 0 / 9 1 (5.657); ErsBaonKmdo IR 97, Res.Nr. 846/Adj., an MilKmdo Graz, 26. V. 1918 - KA, M K S M v. 1918, 2 8 - 2 / 4 0 - 2 . Telegr. MilKmdo Graz, Präs.Nr. 14.439/C, an KM und MKSM, 24. V. 1918 - KA, MKSM v. 1918, 2 8 - 2 / 4 0 - 2 .

Die großen Empörungen

353

Bald kündigte lautes Hämmern an, daß sie sich auf eine Belagerung einrichteten und verbarrikadierten 2 5 . Eine Möglichkeit, zum Munitionsdepot zu gelangen, stand den Meuterern freilich noch offen: der Weg über die Schulgasse und Sporgasse zum H a u p t platz. Es kam also für die Offiziere darauf an, möglichst rasch die Schulgasse zu sperren, da den Meuterern sonst eine Umgehung möglich gewesen wäre. Vom Postamt mußten sich die Rekruten daher in die Schulgasse durchkämpfen. Kein leichtes Unternehmen, denn der Weg führte an der KodolitschKaserne vorbei, und hier lagen die Meuterer in sicherer Deckung. Doch die jungen Soldaten wagten den „Durchbruch". Sofort wurden sie von den Meuterern unter Feuer genommen, und nun kostete die Revolte auch auf seiten der verläßlichen Mannschaft das erste Opfer. Der Rechnungsführer-Leutnant Barsa erhielt einen Bauchschuß und einen Oberschenkel-Durchschuß. Hilflos blieb der tödlich Verwundete an der Einmündung zur Schulgasse liegen, ehe er von Angehörigen der 3. Ersatzkompanie weggetragen werden konnte 26 . Die Abriegelung der Schulgasse war jedoch geglückt. Die Meuterer waren vom Munitionsdepot endgültig abgeschnitten. Damit war der Ausgang der Revolte entschieden. Denn es war nur mehr eine Frage der Zeit, bis den Meuterern die Munition ausgehen würde. Das Gewehrfeuer wurde auch zunehmend spärlicher, und die Meuterer begannen mit Steinen zu werfen 27 . Der Oberst Kornmüller aber wollte in diesem Augenblick nicht einfach auf das Erscheinen der Assistenztruppen warten, sondern das Gesetz des Handelns an sich reißen. Der Oberst wußte zwar genau, daß die Mannschaft der 6./XL. Marschkompanie, in der Heimkehrer eingeteilt waren und die mittlerweile zur Verstärkung herangeführt worden war, zu den Meuterern überlaufen würde, wenn das Blatt sidi nur irgendwie zugunsten der Meuterer wenden sollte. Der Oberst gab dennoch Befehl: „Sturm auf die Kasernen!" 28 Der Angriff war nidit leicht. Die Meuterer hatten den Vorteil sicherer Deckung und vollkommener Dunkelheit. Die angreifenden Abteilungen hingegen lagen im Licht der Bogenlampen. Zudem wurde jetzt audi die gefechtsmäßige Unzulänglichkeit der bisher nur kurz ausgebildeten Rekruten deutlich. 25

MeldungMilKmdo Graz, Präs.Nr. 14.439/C,anKMundMKSM,24.V. 1918 - K A , M K S M v. 1 9 1 8 , 2 8 - 2 / 4 0 - 2 ; ErsBaonKmdo IR 97, Res.Nr. 846/Adj., an MilKmdo Graz, 26. V. 1918 — KA, MKSM v. 1918,28—2/40- 2; Stadtamt Radkersburg, Bgm. Kodolitsch, Nachtrag zum Bericht vom 21. V. 1918, an KM, 31. V. 1918 - KA, KM Abt. 5 v. 1 9 1 8 , 6 4 - 7 / 2 - 8 ( 6 . 3 8 4 ) . 26 ErsBaonKmdo IR 97, Res.Nr. 846/Adj., an MilKmdo Graz, 26. V. 1918; Meldung des MilKmdo Graz, Präs.Nr. 14.439/C, an KM und MKSM, 24. V. 1918 — KA, M K S M v. 1918, 2 8 - 2 / 4 0 - 2 . " ErsBaonKmdo IR 97, Res.Nr. 846/Adj., an MilKmdo Graz, 26. V. 1918 - KA, MKSM v. 1918, 2 8 - 2 / 4 0 - 2 . 28 Ebenda; Stadtamt Radkersburg, Bgm. Kodolitsch an KM, 31. V. 1918 — KA, KM Abt. 5 v. 1918,64—7/2—8 (6.384). Die BH Radkersburg gab die Kampfstärke der treu gebliebenen Mannschaft mit 130 Mann an. Dazu nannte sie 30 Offiziere — k. k. BH Radkersburg, Präs. 503, an k. k. stmk. Statth., 25. V. 1918 - KA, MKSM v. 1918, 2 8 — 2 / 4 0 - 2 .

354

Zerreißprobe in den eigenen Reihen

Wiederholt stürmten die Gruppen gegen die Kasernen vor, wurden jedoch blutig abgewiesen. Ein Gefreiter der 3. Ersatzkompanie fiel, ein Feldwebel wurde verwundet 29 . Die Erstürmung der Kaserne gelang vorläufig nicht. Gegen 4 Uhr morgens ließ der Oberst Maschinengewehre gegen die Meuterer in Stellung bringen. Maschinengewehre wurden außerdem an allen ins Zentrum der Stadt führenden Straßenzügen postiert 30 . Die Meuterer wehrten sich trotz Munitionsknappheit weiter. Nur noch vereinzelte Scharfschützen feuerten auf die Angreifer. Als der Morgen des 24. Mai graute, gab Oberst Kornmüller erneut Befehl zum Vorgehen. Die Maschinengewehre nahmen die Stellungen der Meuterer unter konzentriertes Feuer, die 3. Ersatzkompanie konnte die Kodolitsch- und die Kavallerie-Kaserne eng umschließen. Unter dem Feuerschutz der Maschinengewehre drangen die Rekruten in die Kasernen ein. Die Meuterer ergaben sich widerstandslos. Etwa 300 Mann wurden gefangengenommen, der Großteil, etwa 1.300 Mann, floh31. Inzwischen hatte das Militärkommando Graz die Assistenzen angesetzt. Vom Militärkommando waren unter dem Befehl von GM von Herzmansky 32 in Graz zwei Marschkompanien IR 7, in Marburg vier Marschkompanien IR 47 mit zwei MG-Zügen alarmiert worden — Truppen vor allem deutscher Nationalität 33 . Die Einheiten waren um 3 Uhr 45 bzw. 4 Uhr 15 abgerollt. Um 7 Uhr morgens war von Marburg ein Geschützzug nach Radkersburg abgegangen. Um 8 Uhr rückte der Generalmajor mit den Marschkompanien aus Graz und Marburg in Radkersburg ein. Dort herrschte vollkommene Ruhe. Eine Halbkompanie des IR 7 hatte der General in Spielfeld belassen, die 1. Kom29

ErsBaonKmdo IR 97, Res.Nr. 846/Adj., an MilKmdo Graz, 26. V. 1918 - KA, M K S M v. 1918, 2 8 - 2 / 4 0 - 2 . 30 Ebenda; Meldung MilKmdo Graz, Präs.Nr. 14.439/C, an KM und MKSM, 24. V.1918 KA, M K S M v. 1918, 28 — 2/40—2. Besonders hervorgehoben wurde der Einsatz der Ordonnanzen, die trotz des heftigen Feuers immer wieder Meldungen zu überbringen hatten. Der Zugsführer Zivec, der Korporal Klavic sowie der Gefreite Martinovic waren im Meldedienst eingeteilt. 31 Als die ersten Meuterer verhört wurden, erklärten sie, insgesamt nur 300 bis 400 Schuß Munition gehabt zu haben, darunter neben Mannlicherpatronen auch deutsche und russische Patronen. Einige Tage vor Ausbruch der Revolte war allen Unterabteilungen die gesamte Munition abgenommen und gesichert verwahrt worden. — Ebenda; ErsBaonKmdo IR 97, Res.Nr. 846/Adj., an MilKmdo Graz, 26. V. 1918 - KA, M K S M v. 1918, 2 8 - 2 / 40-2. 32 Qualifikationsliste Otto Herzmansky Edler von San, geb. 1860 — KA, Fasz.Nr. 1.118: Vormerkblatt für die Qualifikationsbeschreibung vom 17. III. —30. IX. 1917: „Strebt wegen seines Gesundheitszustandes eine Frontverwendung nicht an. — Zum Armee-Ausbildungs-Gruppen-Kommandanten und für ruhige Generalposten im Hinterland geeignet . . . von reicher Truppenerfahrung und gutem taktischen Urteil . . . " " IR 7: 74% Deutsche, 18% Slowenen, 4% Tschechen, 3% Serben und Kroaten, 1 % Polen; IR 47: 71,5% Deutsche, 22,5% Slowenen, 5% Tschechen, je 0,5% Serben und Kroaten und Italiener — beide: KA, Farbentabellen 1918.

Die großen Empörungen

355

panie dieses Regiments in Mureck. Bis 11 Uhr waren audi die beiden Geschütze eingetroffen. Das ebenfalls herandirigierte Halbbataillon SchR 26 aus Marburg kam nicht mehr zum Einsatz 34 . Die anderen Truppenkörper bildeten Streifkommanden, jagten die ausgebrochenen Meuterer. Nicht wenige von ihnen kehrten freiwillig zurück. Gegen 11 U h r vormittags fehlten noch 800 Mann 3 5 . Die Streifungen wurden fortgesetzt. Die nächstgelegenen Stationskommanden, Gendarmerieposten und Bahnhofskommanden wurden instruiert, eventuell flüchtende Mannschaften sofort zu verhaften 3 6 . Am 26. Mai mittags fehlten noch 328 Mann 3 7 , 24 Stunden später nur mehr 177 Mann 3 8 . Vier Tote hatte die Meuterei gekostet, unter ihnen ein Offizier und ein Gefreiter der den Offizieren treu gebliebenen Mannschaft, außerdem sechs Schwerverwundete und zahlreiche Leichtverwundete 39 . Das Militärkommando betonte das mustergültige Verhalten der Offiziere und eines Teils der Mannschaft und stellte Anträge auf Auszeichnung: Der Kampf gegen eigene meuternde Mannschaft stelle härtere Anforderungen an die moralische Kraft als jener gegen den offenen Feind . . . 40

Auf dem Weg zum Richtplatz:

„Nieder

mit

Österreich!"

Die militärgerichtliche Untersuchung erwies sich im Falle Radkersburg als äußerst schwierig, da die Mannschaft zunächst jede Aussage verweigerte. Erst als GM von Herzmansky androhte, die gesamte Mannschaft, die gemeutert hatte, dezimieren zu lassen, waren einzelne Angehörige des Ersatzbataillons bereit, vor Gericht auszusagen. Aber das auf diese Art zustande gebrachte Beweismaterial war spärlich. Die gefangengenommenen Meuterer äußerten nur 31

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Tel.-Dep. MilKmdo Graz an MKSM, 24. V. 1918, 12,15 h; Telegr. MilKmdo Graz, Präs.Nr. 14.439/I-C, an MKSM, 25. V. 1918, 1 1 h - KA, MKSM v. 1918, 2 8 - 2 / 4 0 - 2 ; SchR 26: 61% Slowenen, 31% Deutsche, je 3% Tschechen und Polen, je 1% Ruthenen und Kroaten — KA, Farbentabellen 1918. AssRmdo GM von Herzmansky an MilKmdo Graz, 28. V. 1918 - KA, MKSM v. 1918, 2 8 - 2 / 4 0 - 2 ; Telegr. MilKmdo Graz, Präs.Nr. 14.439/I-C, an MKSM, 25. V. 1918, 11 h - KA, MKSM v. 1918, 2 8 - 2 / 4 0 - 2 . Telegr. KM an MKSM, 24. V. 1918, 12,15 h - KA, MKSM v. 1918, 2 8 - 2 / 3 8 - 1 3 . Telegr. KM Abt. 5, Nr. 5.752, an MKSM, 26. V. 1918, 12,40 h - KA, MKSM v. 1918, 28-2/40-9. Telegr. KM Abt. 5, Nr. 5.751, an MKSM, 27. V. 1918, 12 h - Ebenda. MilKmdo Graz, Präs.Nr. 14.439/I-C, an MKSM, 25. V. 1918, 10,30 h - KA, MKSM v. 1918, 28—2/40—2. Das Stadtamt sprach von sieben Toten und acht Schwerverwundeten. MilKmdo Graz, Präs.Nr. 15.041/IR/H, an MKSM: Gehorsamstes Referat zum Bericht über die Meuterei beim Ersatzbaon IR 97 in Radkersburg, 2. VI. 1918 — KA, MKSM v. 1918, 28 — 2/40—2. Auf Antrag des KM genehmigte die MKSM zahlreiche Auszeichnungen für Offiziere und Mannschaften. - MKSM Hofzug an KM, MfLV und LVM, 14. VI. 1918 - KA, MKSM v. 1918, 2 8 - 2 / 4 0 - 2 / 1 ; KM Präs.Nr. 22.414, an MKSM, 8. VII. 1918 KA, MKSM v. 1918, 13-10/112/fol. 2, 3.

356

Zerreißprobe in den eigenen Reihen

wiederholt, daß sie es beim nächsten Mal geschickter anstellen und sich schon vorher reichlich Munition verschaffen würden 41 . Bis zur Abkommandierung des Ersatzbataillons IR 97 sah sich der Generalmajor daher genötigt, einige Kompanien des Ersatzbataillons IR 7 in Radkersburg zu belassen. In seinem diesbezüglichen Ansuchen an das Militärkommando meinte der General: „Gegen ein früheres Abziehen aller verläßlichen Assistenztruppen spricht der Umstand, daß von der großen Zahl der Empörer doch nur ein kleiner Teil überwiesen und bestraft werden kann und daß es nicht ausgeschlossen ist, daß sich die durch das Leben in Rußland stark demoralisierten Leute nach einiger Zeit wiederum zu irgendeiner Aktion entschließen."42 Das Standgericht verurteilte acht Meuterer zum Tode. In 583 Fällen wurden die Ermittlungen im ordentlichen Verfahren noch weitergeführt 43 . Am 29. Mai fanden die ersten Exekutionen statt. Die verurteilten Meuterer gingen tapfer in den Tod. Noch auf dem Weg zum Richtplatz sangen sie slowenische Lieder, und immer wieder hörte man sie „Hoch die Slowenen und Kroaten!" und „Nieder mit Österreich!", aber auch „Hoch Italien!" rufen. Bevor man ihnen die Augen verband, brachten sie zum letzten Mal ein „Zivjo" auf ihre Heimat aus44. Bis Mitte Juni wurden die Streifungen nach flüchtigen Meuterern fortgesetzt. Immer wieder kam es vor, daß Deserteursbanden des IR 97 Ortschaften überfielen und die Bevölkerung terrorisierten. GM von Herzmansky setzte sich mit der Grenzpolizei des Bezirkes Muraszombat in Verbindung, und gemeinsam kam es nun zu ausgedehnten Streifungen. Sämtliche Grenzortschaften wurden systematisch abgekämmt, alle in Richtung Süden führenden Straßenzüge überwacht. Das Ergebnis war dürftig. Nur 16 Mann des Ersatzbataillons konnten verhaftet werden. Dem Rest war die Flucht geglückt45. Das Ersatzbataillon IR 97 wurde schließlich nach Szekesfehervar, nach Stuhlweißenburg, in den Bereich des Militärkommandos Budapest verlegt. Obwohl die slowenisch-italienische Mannschaft des Bataillons damit nun in ein — vom nationalen Standpunkt aus — vollkommen „fremdes" Gebiet transferiert worden war, hielt es der militärische Abwehrdienst für erforderlich, Agenten unter die Mannschaft einzuschleusen — wie auch beim Ersatzbataillon IR 17 in Tolmezzo. Damit sollte jede neuerliche revolutionäre Entwicklung im Keim erstickt werden 46 . 41

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AssKmdo GM von Herzmansky an MilKmdo Graz, 25. V. 1918 - KA, M K S M v. 1918, 28-2/40-2. Ebenda. Bericht MilKmdo Graz, Präs.Nr. 20.448/D, an KM, 29. V. 1918 - KA, KM Abt. 5 v. 1918, 64-50/91. Ebenda; Bgm. Kodolitsch an KM, 31. V. 1918 - KA, KM Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 7 / 2 - 8 (6.384). Muraszombater Expositur der Soproner Grenzpolizei, 84 res./1918, Meldung des Josef Incinger und des Lst.Lt. Karl Gerle an Ersatzbataillon IR 97, präs. KM 9. VII. 1918 — KA, KM Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 5 0 / 1 1 - 4 (8.165). AOK, Na.Nr. 21.166/2, an Na.Stellen des MilKmdo Budapest und an die Na.Stelle in Udine, präs. KM 20. IX. 1918 - KA, KM Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 5 0 / 8 - 1 2 (11.254).

357

Die großen Empörungen 3.

RUMBURG

„Platzt das Hinterland,

ist der Krieg zu Ende

..."

Am Abend des 4. April war es in der nördlichsten Bezirksstadt Böhmens, in Schluckenau, zu Hungerdemonstrationen der deutschen Arbeiterschaft gekommen. Rund 1.000 Demonstranten waren aufgetreten, man hatte Fensterscheiben zertrümmert und Auslagen ausgeraubt. Auf Verlangen des Bezirkshauptmanns war zunächst die in Schluckenau stationierte Rekonvaleszentenabteilung des Ersatzbataillons SchR 7 1 gegen die Demonstranten vorgerückt. Außerdem hatte das Militärkommando Leitmeritz dem Ersatzbataillon in Rumburg befohlen, eine Assistenzkompanie nach Schluckenau in Marsch zu setzen. Die Kompanie kam dort am Nachmittag des nächsten Tages an. Bei neuerlichen Demonstrationen wurde der intervenierende politische Beamte durch Steinwurf verletzt. Man nahm Verhaftungen unter den Demonstranten vor. Tschechische Soldaten hatten sich hier bei der Niederhaltung der vor allem durch die katastrophale Ernährungslage gereizten deutschen Arbeiter des nordböhmischen Industriegebietes als durchaus verläßlich erwiesen 2 . Aber die Verläßlichkeit trog . . . Das Ersatzbataillon des SchR 7 ergänzte sich aus dem Raum Pilsen und lag in Rumburg im Militärkommandobereich Leitmeritz, nahe der sädisischen Grenze. Der starke tschechische Einschlag war der Grund gewesen, weshalb man das Ersatzbataillon von Pilsen in den Nordbereich Böhmens, in vorwiegend deutsches Gebiet, überstellt hatte. Das Bataillon war im übrigen auch dem Generalinspektor der Fußtruppen schon negativ aufgefallen. Im Jänner hatte der G O Pflanzer-Baltin das Ersatzbataillon des SchR 7 als „nicht entsprechend" eingestuft. Er hatte im Dezember 1917 das Bataillon inspiziert und festgestellt, daß es öfterer, gründlicher Kontrolle bedürfe und daß der Kommandant den Anforderungen seiner Stellung nicht gewachsen sei3. Da bis Mitte Mai dem Ersatzbataillon 839 Heimkehrer zugeteilt worden waren, dürften sich die Verhältnisse kaum gebessert haben 4 . Im Gegenteil, die Heimkehrerfrage bereitete dem vorgesetzten Militärkommando in Leitmeritz mehrfach Sorge. Seit dem Einsetzen der Heim1

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SchR 7: 48% Tschechen, 41% Deutsche, 6% Polen, 5% Ruthenen - KA, Farbentabellen 1918. Die Angaben beziehen sich nur auf das Feldregiment; beim Ersatzbataillon dürfte den Berichten und den Erfahrungswerten gemäß das tschechische Element stärker gewesen sein. 9. KK - Leitmeritz, Präs. 1918/5.080, 5.133, 5.148, 5.214 - VHA. Nach: Karel PICHLIK, Vzpoury navrätilcü ζ ruskeho zajeti na jare 1918 (Meutereien der Heimkehrer aus russischer Kriegsgefangenschaft im Frühjahr 1918). Praha 1964. 76; Souhrnnä hlääeni, Sb. 158/4, Nr. 2.583 und 2.584; Bericht über Streiks im nordwestböhmischen Kohlenrevier, KM Abt. 12, Nr. 48.121, 18. IV. 1918 - KA, MKSM v. 1918, 9 3 - 2 / 3 1 . k. u. k. Generalinspektorat der Fußtruppen, Res.Nr. 56, an MKSM, 31. I. 1918 — KA, M K S M v. 1918, 2 9 - 1 / 1 . VHA, 8. Κ Κ Präs. 1918, 5 6 - 1 / 4 - 9 0 . Nach: PICHLIK, Vzpoury navrätilcü. 77.

358

Zerreißprobe in den eigenen Reihen

kehrbewegung waren den Ersatzkörpern, die dem Militärkommando unterstellt waren, rund 7.000 Heimkehrer zugewiesen worden. Und audi bei diesen Verbänden hatte sich die Eingliederung der Heimkehrer allgemein ungünstig auf „Geist und Gesinnung" der Truppe ausgewirkt 5 . Im Ersatzbataillon des SchR 7 wurde diese Entwicklung besonders deutlich. Die Unzufriedenheit — vor allem wegen schlechter Behandlung und verschleppter Gebührenauszahlung — mündete in aufrührerische Gedanken. Das Programm: Von dem, der die Seele des Aufstandes werden sollte, dem Schützen Noha, sind Hinweise überliefert. Rußland war ihm Beispiel: „Bei uns sind keine Soldaten — das sind alles ausgemachte alte Weiber. Das ist in Rußland etwas anderes. Wir haben die Revolution durchgemacht... Wir haben vor dem Tod keine Angst mehr, und mehr kann uns nicht passieren. Wir werden das hier a n g e h e n . . . " Für die kommende Erhebung hatte er fertige Vorstellungen: „Sowie wir anfangen, werden wir sofort Bahn und Telegraph in der Hand haben, und schon wird es gehen. Die Unseren sind in allen Regimentern, in tschechischen, deutschen, magyarischen und polnischen, kurz überall." Noha schien durchdrungen von der weitausgreifenden Aktion: „ . . . die Front wird zusammenbrechen als Folge der inneren Revolution. Dasselbe wird in allen Staaten ausbrechen und zuallererst in Deutschland. Wir sind mit diesem Gedanken hierher zurückgekehrt, und wir werden das auch bald durchführen. Umsonst waren wir nicht in Rußland . . . " Und gegenüber Vorhalten hat er nur gelacht: „Platzt das Hinterland, ist der Krieg zu Ende . . ." 6 Am 20. Mai hatte das Ersatzbataillonskommando des SchR 7 Befehl erhalten, am nächsten Tag die Aufstellung der Marschformationen zu vollziehen. Der Befehl traf auf resistenzbereite Stimmung. Am 21., 6 Uhr morgens, sollte die in der Knabenschule einquartierte Mannschaft im Hof antreten. Das Bataillonskommando hatte angeordnet, daß die 3. Ersatzkompanie, darunter auch die Heimkehrer, die dem 7. Zug dieser Ersatzkompanie zugeteilt worden waren, ohne Waffen Aufstellung zu nehmen habe. Die Heimkehrer traten befehlswidrig mit Waffen an. Und eigentlich konnte audi von einem „Antreten" nicht recht die Rede sein. Die etwa 65 Heimkehrer des 7. Zuges erklärten, daß sie passive Resistenz leisten würden, gleichgültig, was immer befohlen werden sollte. Sie verlangten zuerst die Auszahlung ihrer Gebühren. Da schritt zunächst der Korporal Beller ein. Beller war Deutscher. Er 5

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MilRmdo Leitmeritz, Übersicht über Heimkehrer, an KM, präs. 28. III. und 26. V. 1918 — KA, KM Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 5 0 / 1 9 (4.395). FrantiSek LEITL, Pravda Ο rumburske vzpoure (Die Wahrheit über den Rumburger Aufstand.) In: Domov za välky. V/1918. Praha 1931. 70 ff. Der tschechische Offizier, mit dem Noha in diesem Zusammenhang gesprochen hatte, äußerte sich zurückhaltend zu Nohas nationalem Engagement: „Ob Noha manchmal an die tschechische Selbständigkeit gedacht hat, davon weiß ich nichts, zumindest hat er mir gegenüber nichts derartiges erwähnt. Seine Idee war: ,Friede — Kriegsende — heim!' "

Die großen Empörungen

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wollte die rebellischen Heimkehrer „disziplinieren". Beller pflanzte sich vor dem Zug auf: „Reihen, links um, marsch! Gewehre ablegen!" Niemand rührte sich. Noch einmal wiederholte der Korporal sein Kommando. Wiederum keine Reaktion. Einer schrie: „Wir werden die Gewehre nicht abgeben, wir werden sie heute vielleicht noch brauchen!" 7 Der Korporal Beller wußte nicht weiter. Eilig holte er den Offiziersstellvertreter Cerveny. Die Szene wiederholte sich. Audi Cerveny befahl zweimal: „Links um, marsch!" Nur ein kleiner Teil der Mannschaft vollführte die Wendung. Das „Marsch!" blieb unausgeführt. Und ein Heimkehrer, eben jener Schütze Noha, trat vor: „Wir gehen nirgends hin, bevor man uns nicht unsere Gebühren gibt!" Sofort brach es auch aus der übrigen Mannschaft hervor: „Ja, die Gebühren wollen wir!" 8 Der Lärm steigerte sich. Da kam der Hauptmann. Hauptmann Klepfer, der Kommandant der 3. Ersatzkompanie, ein als scharf bekannter Offizier, wollte nach dem Rechten sehen: „Vergatterung!" 9 Aber niemand achtete mehr auf den Befehl des Hauptmanns. Im Gegenteil, das Lärmen und Schreien wurde noch lauter. Abermals hieß es: „Vergatterung!" Die entgegengeschriene Antwort: „Dreck!" 10 Der Hauptmann ging wütend an die Reihen heran: „Wer hat das gesagt?" Einer schrie: „Hau' ihm eine herunter!" Und ein wuchtiger Kolbenhieb krachte dem Hauptmann auf den Schädel. Blutüberströmt stürzte Hauptmann Klepfer zusammen11. Da war der Bann gebrochen. Die Heimkehrer stürmten in die Kompaniequartiere, erbrachen das Munitionsmagazin und raubten die scharfe Munition. Die anderen Züge wurden mitgerissen, schlossen sich an. Ausgiebig wurden Tabak- und Verpflegsvorräte geplündert. Auch suchte man einen wenig beliebten jüdischen Feldwebel, den Feldwebel Herrmann. In einem Faß soll er versteckt gewesen sein . . . Nun wurden die Bataillonsarreste gestürmt und die Arrestanten befreit. Dann hieß die Losung: „Auf, zum Bahnhof!" Wer nicht mitwollte, wurde durch aufgepflanzte Bajonette rasch eines Besseren belehrt. Aber vor dem Bahnhof gab es noch mehrere Zwischenaufenthalte. Noch in der Stadt trat den Meuterern der Major Zupanc entgegen, Slowene, Kanzleioffizier des Bataillons. Er war unbewaffnet. Er versuchte, an die Vernunft zu appellieren. Wiederum war es der Schütze Noha, der als Wortführer dem Major gegenübertrat, sie hätten die Sache begonnen, sie würden 7

Bericht der Landwehrgruppe MilKmdo in Leitmeritz, Präs.Nr. 5.055/L.G. — Detailbericht über Meuterei in Rumburg —, an KM, 22. V. 1918 — KA, KM Abt. 5 v. 1918, 64—26/15—2 (6.931, 7.737) — (weiterhin: Bericht der Landwehrgruppe . . . ). 8 Bericht der Landwehrgruppe . . . ; LEITL, Pravda ο rumburski vzpoufe. 74. Leid nennt als zusätzlich eingreifende Charge den Feldwebel Vlach. • Bericht der Landwehrgruppe . . . 10 11 Ebenda. Ebenda.

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Zerreißprobe in den eigenen Reihen

sie auch zu Ende führen. Und zu den Seinen gewendet: „Alle für einen und einer für alle!" 12 Das nächste Ziel: die Gasthäuser „Böhmerwald" und „Schützenhaus". Dort waren der 9. Zug der 3. Ersatzkompanie und die Stabsabteilung untergebracht. Auch diese Mannschaften wurden aufgefordert „mitzumachen", und wer nicht aus freien Stücken dazu bereit war, dem half die Drohung mit den Bajonetten nach. Zu diesem Zeitpunkt schälte sich auch so etwas wie eine Führung unter den Meuterern heraus. Ein Einjährig-Freiwilliger Korporal trat auf, Stanislav Vodicka: ein intelligenter Bursche mit Zwicker, leicht erregt und schnell entbrannt, sich zurückgesetzt fühlend in der Beförderung, sich zurückgesetzt fühlend auch als Tscheche, mitgerissen jetzt auf dem Gang der Stabskompanie, als er eben auf den Rapport gewartet hatte. Der Einjährig-Freiwillige übernahm das Kommando. Seine nächste Überlegung: Maschinengewehre müßte man haben! Die MaschinengewehrErsatzkompanie war in der kleinen Ortschaft Oberhennersdorf untergebracht. Dorthin kommandierte Vodicka die meuternden Schützen13. Der Kommandant der Maschinengewehr-Ersatzkompanie, Oberleutnant Himmel, befand sich mit seiner Mannschaft gerade bei einer Übung am Exerzierplatz. Er sah die Haufen der Meuterer johlend und schreiend heranrücken. Der Oberleutnant erkannte die Gefahr, ließ antreten, abrücken14. Aber zu spät. Die Kompanie wurde umzingelt. Drei Maschinengewehre und zwei Zugpferde fielen den Meuterern in die Hände, der größte Teil der Bedienungsmannschaft wurde zum Anschluß gezwungen. Noch aber hatten die meuternden Schützen zuwenig Munition. Also ging's zur Werkstätte der Maschinengewehr-Ersatzkompanie. Die Waffenmeister mußten das Munitionsmagazin öffnen 15 . Dann teilten sich die Gruppen der Revoltierenden. Ein Trupp zog zum Bahnhof, ein anderer gegen Niederehrenberg, wo die 1. Ersatzkompanie untergebracht war. Rasche Arbeit auf dem Bahnhof: Telephon und Telegraph des Bahnhofspostamtes wurden zerstört. In Niederehrenberg wurden die in den Gasthäusern „Stern" und „Nordbahn" untergebrachten Rekruten — zum Teil waren sie erst vor wenigen Tagen eingerückt — gezwungen, als „Munitionsträger" mitzumarschieren. Dort stießen die Meuterer aber auch auf den ersten Widerstand. Hauptmann Weiser hatte 20 Mann treu gebliebener Mannschaft gesammelt und versuchte, die Meuterer anzugreifen. Aber 20 gegen 300 bis 400 waren zuwenig: Der Hauptmann mußte die Waffen strecken16. 12

Ebenda. Ebenda; Leitl, Pravda ο rumburske vzpoure. 86. Bericht der Landwehrgruppe . . . 15 Ebenda. l * Der Hauptmann mußte seinen Dienstrevolver abgeben, erhielt ihn wieder, nachdem die Meuterer das Patronenmagazin entleert hatten. Unter Bewachung wurden der Hptm. Weiser, der Feldwebel Tichy und der Zugsführer Lupai abgeführt, schließlich aber wieder freigelassen. — Ebenda. 13

14

361

Die großen Empörungen

Nodi einmal durchkämmten die meuternden Schützen Rumburg. Dann hieß die weitgreifende, ins Konationale zielende Parole: „Nach Böhmisch Leipa, Prag, Pilsen!" 17 Warum als nächstes Ziel Böhmisch Leipa vorgesehen war, liegt nahe. Vor kurzem erst, am 12., hatten Heimkehrer dieser Garnison, die Heimkehrer des IR 18, des Königgrätzer Regiments, den Gehorsam verweigert. Sicherlich, das energische Einschreiten der Offiziere hatte dort bald die Oberhand behalten. Aber jetzt hofften die 7er: Die 18er würden sicher mitmachen, und dann würde man gemeinsam nach Prag und Pilsen marschieren . . . 18 Überrannte

Bataillonsoffiziere

und eingreifende

Assistenzen

Schon jetzt fällt auf, daß die Meuterei in Rumburg zielbewußter geführt, straffer durchorganisiert war als die Revolten in der Steiermark. Die Meuterer hielten sich nicht lange mit Plünderungen auf. Sie setzten Ziele. Es ging ihnen vor allem darum, möglichst rasch die Revolte auf Nachbargarnisonen zu übertragen, möglichst rasch rein tschechisches Gebiet zu erreichen. Es fällt aber auch auf, daß seitens des Rumburger Offizierskorps — wenn man von den Hauptleuten Klepfer und Weiser absieht — kaum der Versuch unternommen wurde, den Meuterern entgegenzutreten. Der Kommandant des Ersatzbataillons, Oberstleutnant Bucek, war am Tage der Meuterei überhaupt — und noch dazu ungerechtfertigt — abwesend. Die Revolte konnte sich zunächst ohne wesentliche Gegenwirkung entfalten. Um 8 Uhr 30 war immerhin das zuständige Militärkommando verständigt worden 19 . Um 9 Uhr 10 meldete das Bahnstationskommando KreibitzTeidhstatt die Geschehnisse nach Prag. Die Militärkommanden in Prag und Leitmeritz, die Statthalterei und das Landesgendarmeriekommando schalteten sich ein. Rasche Maßnahmen waren geboten 20 . Das Militärkommando Leitmeritz bot ein Bataillon des in Lobositz stationierten IR 59, des Salzburger Hausregiments, sowie je eine Kompanie des Aussiger FJB 1 und des Grenzjägerbataillons I auf. Dazu kam eine MG-Abteilung des SchR9 2 1 . Das 17

Ebenda; KM an Kmdo des k. k. SchR 7, 21. VI. 1918 - KA, KM Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 2 6 / 1 5 - 2 (6.931). 18 MilKmdo Leitmeritz, Präs.Nr. 9.308 an KM, Bericht über Unruhen bei Ersatzformationen, 12. VI. 1918 - KA, KM Abt. 5 v. 1 9 1 8 , 6 4 - 2 6 / 3 - 6 (6.775). IR 18: in den Farbentabellen 1918 keine Angaben; Ergänzungsbezirk war Königgrätz, ein überwiegend tschechisches Gebiet. 19 Bericht der Landwehrgruppe . . . ; Bericht der Ldw.Gr. MilKmdo Leitmeritz, Präs.Nr. 5.155/L.G. - Bericht über Verhalten der Offiziere an MfLV, 14. VI. 1918 - KA, KM Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 2 6 / 1 8 (6.830). 20 k. k. Direktion für die Böhmische Nordbahn in Prag, ZI. 32/1—Präs., Militäraufstand in Rumburg, an KM Präs.Abt., präs. 11. VI. 1918 - KA, KM Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 2 6 / 4 5 (6.500). » IR 59: 95% Deutsche, 5% Tschechen; FJB 1: 51 % Deutsche, 42% Tschechen, 4% Slowaken, 3% Serben und Kroaten; GrenzJgB I: 49% Deutsche, 29% Slowenen, 15% Tschechen,

362

Zerreißprobe in den eigenen Reihen

Gendarmeriekommando Prag entsandte mit Sonderzug ab Prag um 12 Uhr 30 50 Mann. Der stellvertretende Militärkommandant des Militärkommandos Leitmeritz, Generalmajor von Mader, übernahm das Kommando über sämtliche Assistenzeinheiten22. Der General mußte damit rechnen, daß die Meuterer in südlicher Richtung vorstoßen würden. Den Weg nach Süden galt es also abzuriegeln. Am späten Vormittag des 21., bevor noch in Prag die Gendarmerie losfuhr, verließen die Meuterer Rumburg und zogen entlang der Bahnstrecke in Richtung Schönlinde. Um 11 Uhr 35 kamen die ersten 200 Mann in Schönlinde an. Der Bahnhof wurde besetzt. Vor allem aber bemächtigten sich die Meuterer des aus Prag kommenden und in Richtung Rumburg weiterfahrenden Mittagszuges. Die Reisenden wurden genötigt auszusteigen, der Lokomotivführer und der Heizer mußten den Zug umkuppeln und in Richtung Tannenberg-Haida führen. Ein anderer Trupp hielt in Kitlitz-Falkenau ein Lastauto an, die Meuterer luden Maschinengewehre und Munition auf und zwangen den Chauffeur, ebenfalls in Richtung Haida weiterzufahren 23 . Die Assistenztruppen hatten demgemäß Haida im Auge zu behalten. Der General Mader hatte inzwischen außerdem von der Bezirkshauptmannschaft Böhmisch Kamnitz die Nachricht erhalten, daß Meuterer den von Kreibitz nach Prag abgehenden Zug bestiegen hätten 24 . Sowohl in Kreibitz als auch in Schönfeld hatten Meuterer überdies die Telegraphenbeamten aufgefordert, die Leitungen zu zerstören. Die Beamten gingen aber nur zum Schein darauf ein. Kreibitz und Schönfeld blieben mit Haida in Verbindung 25 . Überraschend verließ eine Gruppe der Meuterer in Tannenberg die gekaperten Waggons. Und sie nahmen zu Fuß den Vormarsch in Richtung Haida und Böhmisch Leipa auf 26 .

22

23

24

2e

je 2% Polen und Kroaten, je 1% Magyaren, Ruthenen und Serben; SchR9: 71,5% Deutsche, 22,5% Tschechen, 4% Polen, 2% Ruthenen — alle: KA, Farbentabellen 1918. Qualifikationsliste Karl Mader, geb. 1866 — KA, Fasz.Nr. 1.859: Vormerkblatt für die Qualifikationsbeschreibung, 1. X. 1917—30. IX. 1918 — „Wirkt auf seine Untergebenen sehr günstig ein." Einsichtsakt des k. k. MfLV, Präs.Nr. 1 5 . 7 0 3 - X X , an KM, 5. VI. 1918 - KA, K M Abt. 5 v. 1918, 64—26/13 (6.271); k. k. Direktion für die Böhmische Nordbahn in Prag, ZI. 32/1- Präs., an K M Präs., 11. VI. 1918 - KA, KM Abt. 5v. 1918, 6 4 - 2 6 / 4 5 ; Bericht der Landwehrgiuppe . . . Es waren dies Soldaten, die, wie die nachträglichen gerichtlichen Einvernahmen ergaben, nach Prag wollten, um dort weiteren Widerstand zu entfachen. Wegen eventuell nach Prag und Pilsen gelangender Soldaten des Ersatzbataillons SchR 7 wurde das Militärkommando Prag um entsprechende Maßnahmen ersucht. — KM an Kmdo des SchR 7, 21. VI. 1918 — KA, K M Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 2 6 / 1 5 - 2 (6.931); Telegr. des Ldw.-StatKmdo Rumburg an MilKmdo Leitmeritz, 21. V. 1918, 15,55 h - KA, KM Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 5 0 / 9 1 (6.792, 25 5.657). Ebenda. Bericht der Landwehrgruppe . . . ; Telegr. des Ldw.-StatKmdo Rumburg an MilKmdo Leitmeritz, 21. V. 1918 — KA, KM Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 5 0 / 9 1 . Bei Haida gab es erste Gefechts berührung mit herangerückter Gendarmerie. — Telegr. KM Abt. 5, Nr. 6.347, an MKSM, 21. V. 1918,20 h - KA, M K S M v. 1918, 2 8 - 2 / 3 9 - 1 , 2.

Die großen Empörungen

363

Bei Blottendorf kam es zur Berührung mit den Militärassistenzen. Eine von Haida aus vorfühlende Patrouille der Grenzjäger-Ersatzkompanie I wurde von den Meuterern in einen Kugelwechsel verwickelt und gefangengenommen 27 . Generalmajor Mader hatte zunächst Böhmisch Leipa durch das II. Bataillon des IR 59 abgesichert und in Ausdia eine Kompanie SchR 9 bereitgestellt. Haida schien durch die Garnison, die Ersatzkompanie des Grenzjägerbataillons I, gedeckt. Damit stand die Bahnstrecke bis Leitmeritz unter Kontrolle der Assistenzen. Offen war allerdings geblieben, wie sich die 18er-Infanteristen in Böhmisch Leipa verhalten würden. Als Oberst Tirschek, der Kommandant des Ersatzbataillons IR 18, meldete, daß mit der Verläßlichkeit der 18er zu rechnen sei, daß sie bereits den Bahnhof Böhmisch Leipa besetzt hätten und zur Gendarmerieverstärkung — um 16 Uhr 30 war die Gendarmeriestaffel aus Prag in Böhmisch Leipa angelangt — eingesetzt seien, atmete man in den Stäben auf 2 8 . Die Assistenzkräfte erwarteten den Angriff. Gegen 18 Uhr war es soweit. Der Kommandant der Grenzjäger, Hauptmann Flibor, meldete, daß auf den Höhen nördlich Haida erste Gefechte zwischen Meuterern und Assistenztruppen einsetzten. Die Meuterer brächten Maschinengewehre und H a n d granaten zum Einsatz 29 . Der General von Mader entschloß sich daraufhin, mit seinen Assistenztruppen bis Haida vorzufahren, um den Meuterern mit dem Bataillon IR 59 und der Kompanie des FJB 1 in den Rücken zu fallen 30 . Von drei Seiten waren binnen kurzem die Meuterer umstellt: im Süden von der Grenzjägerkompanie und dem Ersatzbataillon IR 18, im Südwesten von Assistenzeinheiten unter GM Mader und im Norden von GendarmerieEinheiten 31 . Der Hauptmann Flibor hatte in der Zwischenzeit seinen Grenzjägern befohlen, sich langsam zurückzuziehen, um die Meuterer aus den Wäldern nach Haida zu locken. Prompt gingen die 7er in die gestellte Falle 32 . Siegessicher zogen sie in Haida ein, rissen die schwarz-gelbe Fahne vom Dach des Militärstationsgebäudes und verlangten den Bürgermeister zu sprechen. Als aber die Grenzjäger, verstärkt durch Gendarmerie und zwei Maschinengewehre des IR 18, auftauchten, war das Ende der Rumburger Revolte nahe. In einer Mulde, nächst der Stadt, spielte sich das letzte Gefecht ab. Nach vergeblicher Aufforderung zur Waffenstreckung hatte der Hauptmann Flibor 27 28 29

30 31 32

KM an Kmdo des SchR 7, 21. VI. 1918 - KA, KM Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 2 6 / 1 5 - 2 (6.931). Ebenda. Teleph. Statth.Präs. in Prag, Dr. Rotter, an Mdl, Staatspol. Büro, 21. V. 1918, 19,30 h — KA, KM Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 5 0 / 9 1 (6.792, 5.657). KM an Kmdo des SchR 7, 21. VI. 1918 - KA, KM Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 2 6 / 1 5 - 2 (6.931). Vgl. PICHLIK, Vzpoury navrätilcu. 84. Teleph. Statth.Präs. Prag an Mdl, Staatspol. Büro, 21. V. 1918, 19,30 h - KA, KM Abt. 5 v. 1918, 64—50/91; Bericht der Landwehrgruppe . . .

364

Zerreißprobe in den eigenen Reihen

gegen 21 Uhr das Feuer eröffnen lassen. Die Meuterer antworteten mit Gewehr- und MG-Feuer. Nach kurzem Feuerwechsel, als die ersten Verwundeten um Hilfe schrien, ergaben sich die Aufrührer. Ungefähr 300 Meuterer mit Gewehren und mit drei M G wurden gefangengenommen. Damit war der Widerstand im Kern gebrochen 33 . Ein Meuterer war gefallen, vier waren verwundet. Die Assistenztruppen hatten keine Verluste zu beklagen. N u r mehr vereinzelte Gruppen von Meuterern trieben sich in den Wäldern zwischen Haida und Rumburg umher. Die Mannschaft des I R 18 brachte noch am Abend des 21. Mai weitere 80 Mann ein. Schon am späten Nachmittag hatte der Gendarmerie-Bezirkswachtmeister in Warnsdorf mit seiner Patrouille in den Wäldern von Kreibitz 70 Rekruten gefangengenommen. Sie waren offensichtlich froh, der Gewalt der Meuterer entronnen zu sein. Auch in Tetschen konnten 18 Meuterer gefangengenommen werden 34 .

Salzburger als

Exekutionskommando

In Rumburg zogen Einheiten vom IR 59 ein. Die Salzburger kamen in Feldausrüstung — wie in Feindesland, meinte ein Offizier der Rumburger Garnison. Kein Kontakt zu den 7er-Schützen kam auf. Auch unter den Offizieren entfielen kameradschaftliche Gespräche. Im Inspektionszimmer der Kaserne trat ein tschechischer Offizier, Freund vom Studium und von der Offiziersschule her, noch einmal rasch an den eingebrachten Vodicka heran. Der Gefangene saß in der Ecke des Raumes am Boden, verdreckt, zerrissen, bleich, ohne Augenglas, an Händen und Füßen gefesselt, zwei Soldaten des I R 59 in Stahlhelm und Gewehr bei Fuß als Wachen wie Säulen neben ihm. Noch sprach Vodicka hastig von Schicksal und K a m p f gegen die Unterdrücker, und der Freund — Vodicka versagte die Stimme — möge daheim alle grüßen lassen 35 . Auch Noha war eingeliefert worden. Als sie ihn nach der Vernehmung abführten, zeigte er sich verbittert, enttäuscht, zwischen den Zähnen stieß er im Vorbeigehen hervor: „Ich habe nichts getan, was kann mir geschehen? . . . die anderen sind davon, und ich lecke es aus!" 3 6 Wieder tagten die Standgerichte. An zwei Orten, in Rumburg und in Haida, begannen am 23. Mai die militärgerichtlichen Untersuchungen. Schon am 21. Mai abends war vom Kommandanten des Militärkommandobereichs Teleph. des Statth.Präs. Prag an M d l , Staatspol. Büro, 22. V. 1918, 10,25 h - K A , K M Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 5 0 / 9 1 ; K M an Kmdo des SchR 7, 21. VI. 1918 - K A , K M Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 2 6 / 1 5 - 2 (6.931). 34 Ebenda; Telegr. K M Abt. 5, 6.347/1, an M K S M , 22. V. 1918, 18,30 h KA, M K S M v. 1918, 28—2/39—11, 12; Bericht der Landwehrgruppe . . . ; Dep. MilKmdo Leitmeritz an K M , 22. V. 1918, 9,16 h - K A , K M Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 5 0 / 9 1 (6.792, 5.657). 35 LEITL, Pravda Ο rumburske vzpoufe. 86 ff. " Ebenda. 87. 33

Die großen Empörungen

365

L e i t m e r i t z , F Z M v o n D a n i e l , das S t a n d r e c h t i m Bereich der B e z i r k s h a u p t m a n n s c h a f t e n R u m b u r g , W a r n s d o r f , Tetschen, B ö h m i s c h L e i p a , der E x p o s i t u r B ö h m i s c h K a m n i t z u n d D e u t s c h G a b e l w e g e n der „Verbrechen des A u f r u h r e s , d e r E m p ö r u n g , der D e s e r t i o n u n d der e i n r e i ß e n d e n P l ü n d e r u n g " v e r h ä n g t worden37. 3 8 M a n n h a t t e n sich v o r d e n S t a n d g e r i c h t e n in R u m b u r g , H a i d a u n d T h e r e s i e n s t a d t z u v e r a n t w o r t e n 3 8 . 31 w u r d e n f ü r schuldig b e f u n d e n , sieben F ä l l e w u r d e n v o n den S t a n d g e r i c h t e n a n das o r d e n t l i c h e V e r f a h r e n a b g e t r e t e n . D i e U r t e i l s s p r ü c h e w a r e n hart: 2 4 M a n n w u r d e n z u m T o d e verurteilt, der R e s t erhielt h o h e F r e i h e i t s s t r a f e n . Bei 14 M e u t e r e r n w u r d e d i e T o d e s s t r a f e a u f d e m G n a d e n w e g in eine F r e i h e i t s s t r a f e u m g e w a n d e l t 3 9 . 37

Teleph. Statth.Präs. Prag an M d l , Staatspol. Büro, 21. V. 1918, 19,30 h - KA, K M Abt. 5 v. 1918, 64—50/91; k. k. Landesgendarmerie-Kmdo Nr. 2, Abt. B. Leipa Nr. 15, Nr. 96 res., an k. k. M f L V , Einsichtsakt des M f L V , Präs.Nr. 15.703-XX, 5. VI. 1918 - KA, K M Abt. 5 v. 1918, 64—26/13 (6.271). Das Standrecht galt also für alle in diesen Bezirken befindlichen Militärpersonen und für alle Angehörigen des Ersatzbaons SchR 7. Die Kundmachung des Standrechtes in Rumburg konnte infolge der gegebenen Situation erst um 2 Uhr des 22. Mai erfolgen, als die Mehrzahl der Empörer bereits in Gewahrsam gebracht worden war. - K M an Kmdo des SchR 7, 21. VI. 1918 - KA, K M Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 2 6 / 15-2. Für den Kommandanten der Grenzjäger-Ersatzkompanie und Militärstationskommandanten in Haida, Hptm. Rudolf Flibor, beantragte das MilRmdo Leitmeritz die Verleihung einer Auszeichnung. Am 22. VII. 1918 wurde die Verleihung der Silbernen M V M am Bande des M V K genehmigt. - KA, M K S M v. 1918, 1 3 - 1 0 / 1 1 2 fol. 2, 3. 38 K M an Kmdo des SchR 7, 21. VI. 1918 - KA, K M Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 2 6 / 1 5 - 2 (6.931). Nach Abinstradierung des Gros der Assistenztruppen wurde für die Standgerichte in R u m burg und Haida je eine Kompanie vom IR 59 belassen. Für die Eskortierung der von Haida in den Garnisonsarrest Theresienstadt zur weiteren gerichtlichen Behandlung zu überstellenden Meuterer war eine Assistenzkompanie SchR 9 von Auscha herangezogen worden. " „Urteilsspruch der Standgerichte in Rumburg und Haida: ,Das Standgericht Rumburg hat die vor dasselbe gestellten Meuterer des angelasteten Verbrechens für schuldig erkannt und wurden Einj.-Freiw.-Tit.-Korporal Stanislav Vodicka wegen des Verbrechens der Meuterei nach §§ 159 a, 161 M S t G , sowie die Schützen Franz Noha und Adalbert Koväf wegen des Verbrechens der Meuterei nach §§ 159 a, 160 Z. 3, 5, 161, 163 M S t G zum Tode durch Erschießen verurteilt; Lst.Sch. Josef Zelenka wegen Verbrechens der Meuterei nach §§ 159 a, 160 Z. 3, 5, 161, 163 M S t G zur Strafe des Kerkers in der Dauer von 10 Jahren, Lst.Sch. Wenzel Plass (unter 20 Jahre alt) wegen des Verbrechens der Meuterei nach §§ 159 a, 161, 163 M S t G zum Kerker in der Dauer von 5 Jahren verurteilt. . . Auch vom Standgericht Haida wurden sämtliche 21 Angeklagten des Verbrechens der Meuterei nach §§ 159 a, 160 Z. 3, 5,161,163 M S t G schuldig erkannt und wurden alle Angeklagten zum Tode durch Erschießen verurteilt. Das Urteil wurde bestätigt und die Todesstrafe . . . vollzogen an: den Lst.Sch. Heinrich Svehla, Franz Paur, Jakob Nejdl, Johann Pelnar, Georg Kovafik, Anton Stastny, Jakob Bernard. Die Todesstrafe nachgenannter verurteilter Landsturmschützen wurde im Gnadenwege in Kerkerstrafe. . . umgewandelt, und zwar: Alexander Kohout: 7 Jahre, Thomas Hldvka: 6 J., Franz Simek: 6 J., Wenzel Stastny: 10 J., Josef Kacer: 8 J., Anton Martinek: 5 J., Wenzel Martinek: 7 J., Josef Drizal: 7 J., Johann Nädrazsky: 5 J., Josef Blazek: 7 J., Johann Hora: 8 J., Johann Fort: 8 J., Franz Hradecky: 10 J., Josef Sajfert: 10 J.' " — Bericht der Landwehrgruppe. . . ; Bericht K M Abt. 5 an SchR 7 in Tarnöw über Meuterei des Ersatzbaons, 21. VI. 1918 — Κ Α , Κ Μ Abt. 5 ν. 1918, 6 4 - 2 6 / 1 5 - 2 (6.931).

366

Zerreißprobe in den eigenen Reihen

In Rumburg waren Vodicka, Noha und Kovar zum Tode verurteilt worden. Am 28., um halb 11 Uhr nachts, kam die Bestätigung des Urteils. Um 3 Uhr morgens am 29. wurden die Verurteilten im Gerichtssaal vorgeführt, dies zu erfahren. Hier erfolgte auch Vodickas Degradierung. Von der Exekution liegt ein Augenzeugenbericht vor. Gegen 5 Uhr früh waren die drei zum Tode Verurteilten, gefesselt, aus dem Tor des Bezirksgerichtes Rumburg herausgeführt worden. Unter dem Läuten des Totenglöckleins vom Kloster setzte sich der Zug in Bewegung, durch die Rumburger Straßen, in denen Bevölkerung und Gendarmerie am Rande harrten: vorn ein Teil der zur Hinrichtung befohlenen Schützen Nr. 7, waffenlos, dann die Verurteilten, unter starkem Kordon, in voller Feldausrüstung eine Einheit der Salzburger 59er, ein weiterer Teil der Rumburger 7er und schließlich als Abschluß eine Einheit vom SchR 9. Major Zupanc von den 7er-Schützen führte das Kommando. Der Major hatte sich krank melden wollen, er hatte strikten Befehl erhalten, die Vollstreckung jedenfalls zu befehligen. Der Sportplatz hinter dem Friedhof war die Hinrichtungsstätte. Drei Pflöcke ragten aus dem Boden. Die 59er bildeten ein Karree, innen nächst den Verurteilten der Exekutionskommandant, die Auditoren, der katholische und der evangelische Pfarrer. Nochmals wurde das Urteil verlesen, die Priester sprachen leise mit den Dreien, traten zurück. Vodicka rief dem Pastor noch nach: „Grüßen Sie mir dort alle meine Teuren!" Die Verurteilten gaben einander die Hand, wurden zu den Pflöcken geführt. D a riß sich Kovar nochmals los, eilte hin vor das Pferd des Exekutionskommandanten, hielt dem Major eine Photographie entgegen: „Herr Major, denken Sie daran, ich habe Frau und Kinder!" Der Major, wachsbleich, nahm sein Pferd zurück, wies auf die Richter: „Ich kann Ihnen nicht helfen, hier ist das Gericht!" Stumm winkte der Auditor ab, Kovar trat zum Pflock zurück. Einem nach dem anderen wurden die Augen verbunden. Vodicka weinte, Noha stand ruhig, ausgeglichen. Die drei knieten nieder, das Peloton, zwölf Mann, trat vor, zwölf Mann standen in Reserve. Der Major auf dem Pferd gab durch Säbelsenken Feuerbefehl 40 . Wenige Stunden später krachten audi in Haida die Gewehrsalven des Exekutionskommandos. Als die Meuterer dort zur Verlesung des Urteils durch den Ort zum Hotel „Adler" geführt worden waren, wo das Militärgericht tagte, waren sie an den Altären vorbeigekommen, die man eben für Fronleichnam baute. „Schau, Bruder", hatte einer gesagt, „da bauen sie uns die Galgen, siehst D u ? " Draußen auf einer Wiese nächst dem Friedhof, unter jungen Kiefern, war der Richtplatz in Haida ausgewählt. Hunderte Zuseher drängten sich dort, Frauen und Kinder mußten die Stätte verlassen. Verlesung des Urteils, Frage nach dem letzten Wunsch der sieben. Einer wollte eine Zigarette, einer bat, 40

LEITL, Pravda Ο rumburske vzpoure. 90 ff.

Die großen Empörungen

367

die Mutter zu grüßen. N u n band man ihnen die Augen zu. Zwei flehten jetzt um Gnade, sie seien schuldlos... 28 Salzburger, Deutsche — so hielten die Tschechen fest — vom Regiment 59, stellten unter Hauptmann Flibor das Exekutionskommando. Je vier wurden vor jeden Delinquenten gestellt, einen halben Schritt Abstand, je zwei zielten auf die Brust, zwei auf den Kopf, schössen. Die Tschechen registrierten Stimmen aus der Menge der meist deutschen Zuschauer: „Bravo! Ganz richtig!" Dann sprach der Feldkurat: „Diese . . . Soldaten sind schuldig geworden, aber in diesem Augenblick ist ihre Schuld getilgt, denn sie haben sie gesühnt. Sie sind versöhnt mit Gott . . . daher sind sie versöhnt audi mit uns. Auch wir verzeihen ihnen in dieser S t u n d e . . . " Ein deutsches „Vater unser", die Salzburger fielen ein, ein tschechisches „Otce nas", die Tschechen blieben stumm 41 .

Offiziere

unter

Anklage

Dennoch waren die Akten im Falle „Rumburg" noch nicht völlig abgeschlossen. Auch in Theresienstadt kam es noch zu Standgerichtsverhandlungen gegen Meuterer des SchR 7. Das Ergebnis: schwere Kerkerstrafen in fünf Fällen 42 . Weiters wurden 126 Angehörige des SchR 7 dem ordentlichen militärgerichtlichen Verfahren übergeben, gegen 492 weitere 7er-Schützen liefen Ermittlungsverfahren 43 . Einschneidende Folgen hatte die Revolte in Rumburg audi für die Offiziere des Schützenregiments. Der Verlauf der Ereignisse hatte nicht übersehen lassen, daß das Offizierskorps der Garnison während der Meuterei weitgehend ver41

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Frantisek PALA, Vzpoura Rumburskä (Der Rumburger Aufstand). Plzen 1920. 12 ff. Der tschechische Beobachter — Symptom der Haltung der Tschechen — schrieb dazu: Der Priester „betete das ,Vater unser' deutsch, und alle Salzburger Deutschen, die die Verblichenen zusammengeschossen hatten, beteten eifrig mit ihm. Vielleicht hatten sie doch so ein wenig ein unruhiges Gewissen. Dann fing er an, das ,Vater unser' tschechisch zu beten, aber nur ein einziger tschechischer Soldat folgte ihm in seinem Glauben, daß er den Gemordeten helfen könnte . . . Dieser einzige tschechische Soldat merkte das und hörte auch auf, denn er begriff, daß alle tschechischen Soldaten durch ihr Schweigen gegen diesen Mord protestieren wollten. Danach zogen die Salzburger Mörder vom Platz der Hinrichtung ab." — PÄLA, Vzpoura Rumburskä. 14. Eine Bestandsaufnahme der Meuterei in Rumburg ergibt folgendes Bild: 650 Mann, darunter 116 Rekruten, hatten am 21. Mai gemeutert. Weitaus der größte Teil der Meuterer war schon am darauffolgenden Tage wieder festgenommen worden. Bis auf 42 Mann konnten innerhalb von zehn Tagen sämtliche Meuterer eingebracht werden. Ein Meuterer war bei den Gefechten mit den Assistenztruppen ums Leben gekommen, vier waren verwundet worden. 38 Mann wurden vor die Standgerichte gestellt, 31 wurden für schuldig befunden. In 24 Fällen lautete der Spruch des Gerichtes: Tod durch Erschießen. In 14 Fällen wurde vom Begnadigungsrecht Gebrauch gemacht. — Bericht der Landwehrgruppe . . . ; Telegr. MilKmdo Leitmeritz an KM, 11. VI. 1918 - KA, K M Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 5 0 / 9 1 (6.792, 5.657). Ebenda; MilKmdo Leitmeritz an K M — Statistik betreffend Heimkehrermeuterei bei ErsBaon SchR 7, 23. VII. 1918 - KA, KM Abt. 5 v. 1918, 1 - 3 / 4 - 3 4 .

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sagte. Das Militärkommando Leitmeritz wollte auch in dieser Richtung durchgreifen. Das Militärkommando ordnete eine Untersuchung gegen sämtliche Offiziere des Ersatzbataillons SchR 7 an. Das Ergebnis der Erhebungen der Untersuchungskommission war für das Offizierskorps des Bataillons nicht schmeichelhaft: Gegen zwölf Offiziere des Ersatzbataillons wurde ein militärgerichtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet. Sämtliche zwölf Offiziere wurden des Verbrechens der Vorschubleistung zur Meuterei nach § 165 MStG und des Verbrechens der Feigheit nach §§ 235, 243 MStG bezichtigt. Ein Offizier, der Hauptmann Purm, wurde darüber hinaus noch des Verbrechens der Subordinationsverletzung nach §§ 145, 146 c, 149 MStG angeklagt 44 . In der Tat war das Verhalten dieser Offiziere den Meuterern gegenüber zweifelhaft: So hatte der Hauptmann Purm kurz nach Ausbruch der Meuterei von Major Zupanc den Befehl erhalten, sich sofort in der Bataillonskanzlei einzufinden. Der Hauptmann war diesem Befehl nicht nachgekommen. Er hatte sich dann auch außerhalb Rumburgs aufgehalten. Vor der Untersuchungskommission rechtfertigte sich der Hauptmann Purm damit, daß er bemüht gewesen sei, die Mannschaft zu beruhigen und Genaueres über Umfang und Ausmaß der Meuterei zu eruieren. Das Argument wurde von der Untersuchungskommission nicht anerkannt 45 . Der Garnisons-Inspektionsoffizier Oberleutnant i. d. Res. Vesin hätte befehlsgemäß sofortige Verbindung zur Maschinengewehrkompanie herstellen sollen. Oberleutnant Vesin hatte diese Anordnung zwar befolgt, war aber dann verschwunden gewesen. Ubereinstimmende Aussagen ergaben, daß er sich in Oberhennersdorf verstecktgehalten hatte. „Feigheit vor den Meuterern" wurde auch dem Kommandanten der Stabsabteilung, Oberleutnant Mossner, sowie dem Leutnant i. d. Res. Böhm vorgeworfen 46 . Beide waren gleich bei Ausbruch der Revolte in ein bei Seifersdorf an der österreichisch-sächsischen Grenze gelegenes Zollgebäude geflüchtet und hatten sich dort bis Mittag verborgengehalten. Ebenso waren Oberleutnant i. d. Res. Baierl sowie Leutnant i. d. Res. Peuker und Fähnrich i. d. Res. Dimpl vor den Meuterern geflohen. Dimpl hatte, um nicht erkannt zu werden, sogar die Uniform gegen Zivilkleider vertauscht 47 . Energieloses Verhalten hatten auch Oberleutnant i. d. Res. von Szemere, die Leutnante i. d. Res. Gross und Kasper sowie Fähnrich i. d. Res. Leitl an den Tag gelegt. Als die Meuterer ihnen mit aufgepflanztem Bajonett den Eintritt in die Mannschaftsküche der 3. Ersatzkompanie verweigerten, waren sie keineswegs eingeschritten, sondern hatten 44

45 46

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Landwehrgruppe MiiRmdo Leitmeritz, Präs.Nr. 5.155/L.G. — Verhalten der Offiziere bei der Meuterei in Rumburg, an MfLV, 14. VI. 1918 - KA, KM Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 2 6 / 1 8 (6.830); Zusatzbericht der Ldw.Gr., Präs.Nr. 5.347, 20. VI. 1918 - KA, KM Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 2 6 / 1 8 - 2 (7.112). Ebenda. Ldw.Gr. MilKmdo in Leitmeritz, Präs.Nr. 5.155/L. G. — Verhalten der Offiziere bei der Meuterei in Rumburg - , an MfLV, 14. VI. 1918 - KA, KM Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 2 6 / 1 8 (6.830). Ebenda.

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erst beim Bataillonskommando anfragen lassen, wie sie den Meuterern gegenüber auftreten sollten. Ähnliches Verhalten wurde auch bei Oberleutnant i. d. Res. Kodl festgestellt. Das Militärkommando Leitmeritz verfügte neben der Einleitung des Verfahrens gleich die entsprechenden Dienstenthebungen. Ebenso wurde die Versetzung des Ersatzbataillonskommandanten Oberstleutnant Bucek beantragt 48 . Die Verlegung des Bataillons lehnte Wien ab. Nach Wien kam Nachricht vom Feldregiment der 7er-Schützen. Das Feldregiment distanzierte sich in einem Schreiben an das k. k. Ministerium für Landesverteidigung von den Ereignissen in Rumburg. Man sprach noch von „erkämpftem Ruhm", und man „verurteilte", was in Rumburg geschehen war, „schärfstens" 49 . Wenn audi die Rumburger Revolte im wesentlichen keine Anziehungskraft auf die Zivilbevölkerung deutlich werden ließ 50 und verhältnismäßig rasch niedergeschlagen werden konnte, so hinterließen die Ereignisse doch nicht nur bei den Militär-, sondern auch bei den Zivilbehörden nachhaltigen Eindruck. Der Statthalter Graf Coudenhove hatte schon am 24. Mai in einem Schreiben an das Kriegsministerium eingehend davor gewarnt, die Entwicklung im. Hinblick auf die ihr innewohnenden Möglichkeiten zu unterschätzen. Es werde immer deutlicher, so führte Graf Coudenhove aus, daß russische Sozialrevolutionäre Erscheinungen audi auf die Monarchie übergriffen. Welche furchtbare Gefahr damit für Böhmen gegeben sei, liege auf der Hand. Schließlich hatte

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Ldw.Gr. MilKmdo Leitmeritz, Präs.Nr. 5.347, Verhalten der Offiziere bei der Meuterei in Rumburg, an K M , 20. VI. 1918 - KA, K M Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 2 6 / 1 8 - 2 (7.112). " Im Schreiben des Feldregiments hieß es: „Die Ereignisse beim Ersatzbataillon des Regimentes vom 21. Mai d. J. haben beim Feldregiment durch Offiziere und Mannschaft die schärfste Verurteilung erfahren. Mit Entrüstung sieht das Feld regiment seinen im schwersten Ringen erkämpften Ruhm durch die Rumburger Vorgänge gefährdet und weist im vorhinein jedes Bedenken über seine unbedingte Verläßlichkeit ab. Bei der Mannschaft des Regimentes herrscht nach wie vor jene entschiedene Stimmung, von der das Offizierskorps behaupten kann, das sie hervorragend ist. Sie wird auch durch die allgemein bekannte, mitunter empfindlicher wirkende Verpflegslage keine Einbuße erfahren und stark genug sein, um jeden Versuch, ähnliche wie die Rumburger Vorkommnisse in die Reihen des Feldregimentes zu tragen, im Keime zu ersticken." — k. k. SchR 7, Res. Nr. 574/b, an K M , Tarnöw 29. VI. 1918 — KA, K M Abt. 5 v. 1918, 64—26/15—2 (7.737); k. k. M f L V , Präs. Nr. 21.486/11, an K M , o. D. - KA, M K S M v. 1918, 2 8 - 2 / 3 9 - 3 . 50 Der Rumburger Bezirkshauptmann wandte sich gegen Beschuldigungen der Zivilbevölkerung: „Der Auffassung, daß die arbeitende Zivilbevölkerung leicht geneigt ist, Ausschreitungen von meuternden Mannschaften sympathisch zu begrüßen, ja zu unterstützen, vermag ich nicht beizupflichten. Denn hätte sich im vorliegenden Falle die arbeitende Zivilbevölkerung mit Ausnahme einiger Frauen nicht ruhig verhalten, so wäre es unbedingt zu Plünderungen, Eigentumsbeschädigungen und anderen Ausschreitungen gekommen." Der Meldung des k. k. Bezirksgendarmeriekommandos gemäß ging die arbeitende Zivilbevölkerung am kritischen Tag ruhig ihrer Beschäftigung nach. — k. k. BH in Rumburg, 287 Präs., an k. k. Statth.Präs. in Prag, 17. VII. 1918 - ΚΑ, M K im K M 1918, 31.871.

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der Graf die Militärbehörden aufgefordert, in Rumburg mit „eiserner, drakonischer und jede Gnade und Barmherzigkeit beiseite lassender, exemplarischer Strenge" durchzugreifen 51 . Der Graf Coudenhove konnte mit den Urteilen der Standgerichte zufrieden sein.

4. PECS

Entfaltung ohne Gegenwirkung Seit Kriegsbeginn war das Ersatzbataillon I R 6 in die südungarische Stadt Pees, nach Fünfkirchen, verlegt. Das I R 6 ergänzte sich aus dem Raum Üjvidek, aus Neusatz, und der national stark gemischte Ergänzungsbezirk umfaßte vorwiegend deutsch, südslawisch, magyarisch und slowakisch besiedelte Gebiete der Batschka 1 . Beim Ersatzbataillon trat das serbische Element stärker hervor, und das war auch der Grund gewesen, warum das Ersatzbataillon ins magyarische Pees verlegt worden war. Pees war Industriestadt. In unmittelbarer Umgebung, in Pecsbanyatelep, befanden sich die Bergwerke der 1. k. k. Donau-Dampfschiffahrtsgesellschaft. Das Pecser SteinkohlenRevier war schon seit Kriegsbeginn militarisiert, und aus den Arbeitern waren „Landsturm-Bergarbeiter" geworden. Bei den Soldaten, besonders bei den Heimkehrern des Ersatzkörpers, wie bei den Bergarbeitern gab es Unzufriedenheit. Die Heimkehrer brachten die üblichen Klagen vor: schlechte Ernährung, die Brotration war auf 250 g pro Mann und Tag gesunken, und die 6er-Infanteristen erhielten nur vier Wochen Urlaub, die ebenfalls in Pees stationierten Honved-Truppen hätten zwölf Wochen. Die Landsturm-Bergarbeiter forderten Verkürzung der Arbeitszeit: den „Achtstundentag". Die Verhandlungen erwiesen sich als zäh und langwierig. Und Streikdrohungen war immer mit dem Hinweis begegnet worden, daß die Bergarbeiter dem Militärstrafgesetz unterstünden. Streiks würden als „Meuterei" militärgerichtlich geahndet. Aber diese Hinweise auf rigoroses Vorgehen der Militärjustiz hatten die Arbeiter nicht zu überzeugen vermocht. U n d man hatte schließlich durchgesetzt, daß der achtstündige Arbeitstag den Bergarbeitern bewilligt wurde, freilich nur unter der Bedingung, daß die Arbeiter wöchentlich zweimal „Überschichten" einlegen müßten. Das hatte neue Empörung hervorgerufen, und die Arbeiter hatten erklärt, daß sie zu 51

k. k. Statth.Präs. in Prag, Präs .Nr. 17.175, an den KMer, streng geheim!, präs. 24. V. 1918 — KA, KM Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 4 0 / 8 - 3 (5.846).

1

IR 6: 33% Deutsche, 23,5% Magyaren, 15,5% Slowaken, 13,5% Serben, 10% Kroaten, 2% Rumänen, 1,5% Ruthenen, je 0,5% Tschechen und Polen — KA, Farbentabellen 1918. Diese nationale Zusammensetzung gilt für das Feldregiment. Bei den Heimkehrern ist der Anteil der Serben als höher anzusetzen. — Vgl. PICHLIK, Ende der öst.-ung. Armee. 359.

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dieser übermäßigen Arbeitsleistung auf Grund der schlechten Ernährungslage physisch nicht in der Lage seien. Die Unzufriedenheit der Arbeiter wie der Soldaten war evident 2 . Das Ersatzbataillon IR 6 war eingehend inspiziert worden. Der Generalinspektor der Fußtruppen, G O von Pflanzer-Baltin, war am 17. Mai beim Ersatzbataillon gewesen. Auch dieser Inspektionsbericht war negativ ausgefallen. Besonders bemängelte der General die Führung des Bataillons, das Fehlen eines geschulten Offizierskorps. Die dem Ersatzbataillon zugeteilten Offiziere, durchwegs Reserveoffiziere, seien ihren Aufgaben keineswegs gewachsen. Ausbildung und Disziplin ließen zu wünschen übrig. Man verstehe es nicht, die Ersatzkompanien zielgerecht für den Einsatz vorzubereiten, der General sprach von „Plänklerausbildung". Die Disziplin beim Ersatzkörper und in diesem Zusammenhang vor allem die der Heimkehrer sei ungenügend. Desertionen seien an der Tagesordnung, und die Serben zeichneten sich dabei besonders aus. Seitdem am 20. März das Standrecht verkündet worden sei, habe sich zwar manches gebessert, aber eigenmächtige Entfernungen vom Truppenkörper kämen immer noch vor. Die Rekruten seien zwar willig, stünden aber unter dem bedenklichen Einfluß der Heimkehrer. Einen besonders ungünstigen Einfluß auf die Mannschaft übe auch das in Pees untergebrachte Spital f ü r venerisch Erkrankte aus. Zudem sei es vor allem bei den Honveds schon zu zahlreichen Fällen von Selbstansteckung gekommen. Mit einem Wort, das Ersatzbataillon des IR 6 hatte auf den Generalinspektor einen ungünstigen Eindruck gemacht 3 . Aber der General hat wohl nicht annehmen können, daß schon drei Tage nach seiner Inspektion das Ersatzbataillon revoltieren würde. Am 20. Mai, 6 Uhr, war die 3. Ersatzkompanie, bestehend aus 500 Heimkehrern und etwa 70 Rekruten, zum Antreten befohlen. Der Mannschaft war erklärt worden, daß nun die Einteilung in die Marschformation vollzogen würde. Aus der Ersatzkompanie sollte eine Marschkompanie gebildet werden. Das war an sich keine freudige Eröffnung gewesen. Der 20. aber war audi 2

3

Telephondepesche des FML Cvrcek an KM Abt. 10, 21. V. 1918; Bericht des FML Gössmann über Meutereien in Pees an MilKmdo Budapest, 21. V. 1918 — KA, KM Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 5 0 / 9 1 . Der Generalinspektor hatte Kompanie für Kompanie untersucht: Für die ca. 300 Heimkehrer und 32 Rekruten der 1. Ersatzkompanie stünden nur 2 Offiziere zur Verfügung; bei der 2. Ersatzkompanie befehligten 3 Offiziere 90 Rekruten mit fünf Wochen Ausbildung; zur 3. Ersatzkompanie gehörten 5 Offiziere mit ca. 500 Heimkehrern und ca. 70 Rekruten der siebenten Ausbildungswoche. Der GO tadelte die Chargen der 4 Marschkompanien. Nur mit der MG-Kompanie mit 8 Offizieren und 370 Mann, darunter 5 HMG-Züge, und den Offizieren der 2. Ersatzkompanie zeigte er sich zufrieden, ebenso mit den Rekruten dieser Kompanie. Das Ersatzbataillon, das einen Stand von 2.918 Mann aufwies, habe gegenüber dem vorgeschriebenen Stand 20 Offiziere zuwenig. Außerdem seien die Gruppen ohne Rücksicht auf Sprache und Ausbildungsgrad zusammengesetzt. — k. u. k. Generalinspektorat der Fußtruppen, Res.Nr. 21/5, an MKSM, 20. V. 1918 - KA, MKSM v. 1918, 2 9 - 1 / 1 - 6 .

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Pfingstmontag, und an diesem Festtag war in der Stadt noch dazu eine Wohltätigkeitsveranstaltung für das Hausregiment IR 52 vorgesehen. Die angekündigte Neueinteilung mit den damit verbundenen Ausstattungsübernahmen ließ nun befürchten, daß der 3. Ersatzkompanie ein guter Teil des Tages verlorengehen würde 4 . Die Heimkehrer rebellierten. Sie rebellierten, noch bevor sie antraten: „Nieder mit dem Krieg!" und „Es lebe der Frieden!" Im Barackenlager der sogenannten Rekonvaleszentenabteilung — dort war die 3. Ersatzkompanie untergebracht — schlug Mißstimmung gefährlich hoch. Die Chargen wurden nervös. Der Zugsführer Ritzmann befahl zwar: „Gewehr und Tasche aufnehmen!" Aber niemand achtete darauf. Erregt sprachen im Barackenhof die Heimkehrer durcheinander. Da wurde der Ruf laut: „Die Ausrückung ist abgesagt!" Die Mannschaft kehrte in die Baracken zurück. Aber bald war sie wieder im H o f . Man wußte nicht recht, was man unternehmen sollte. Unschlüssig standen die Heimkehrer herum. Wenn in diesem Augenblick ein Offizier oder Unteroffizier energisch durchgegriffen hätte, wäre es wahrscheinlich zu keiner Revolte gekommen. Aber kein Offizier, kein Unteroffizier der Ersatzkompanie schritt ein. Die späteren Untersuchungen ergaben, daß von den 33 Chargen, die zu diesem Zeitpunkt im Barackenlager der Rekonvaleszentenabteilung hätten anwesend sein sollen, nur fünf am Platz waren. Aber selbst die anwesenden Chargen taten so, als gehe sie die ganze Entwicklung nichts an. Sie nahmen die sich anbahnende Revolte nicht zur Kenntnis. Und der Zugsführer Ritzmann kehrte, als wäre nichts geschehen, in seine Kanzlei zurück 5 . In der Zwischenzeit war es 6 Uhr 30 geworden. Endlich tauchte ein Offizier auf, der Leutnant Kiss. Audi er sah, mußte sehen, daß die Heimkehrer untätig im Hof herumstanden, auch ihm mußte es auffallen, daß da etwas nicht in Ordnung war. Der Zugsführer Ritzmann machte Meldung, daß die Mannschaft jedwede Befehle ignorierte. Der Leutnant erinnerte sich später dieser Meldung nicht, und er fühlte sich auch nicht veranlaßt einzuschreiten 6 . Aber das tat auch der Kompaniekommandant nicht. Um 8 U h r — recht spät — erfuhr der Kommandant der Ersatzkompanie, Oberleutnant Daffe, von den Vorfällen. Der Oberleutnant kam ins Barackenlager. Er gab Befehl, die Rekruten von den Heimkehrern zu trennen. Er konnte zwar die Erregung der Mannschaft nidit übersehen, die ständigen Rufe „Hoch der Frieden! Nieder 4 5

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Nachlaß Gössmann, 106 - KA, B/51. MilKmdo Budapest, Präs.Nr. 5.507, Meuterei in Pees, an KM, 14. VI. 1918; Evidenzbureau des k. u. k. Gstb., Evb.Nr. 15.112, Bericht Hptm. Walter Perathoner über die Ereignisse in P6cs am 20. und 21. Mai 1918, 27. V. 1918; Bericht des FML Gössmann über Meuterei inPics an MilKmdo Budapest, 21. V. 1918 - KA, KM Abt. 5 v. 1918,64-50/91. MilKmdo Budapest, Präs.Nr. 5.507, an KM, präs. 14. VI. 1918; Bericht des FML Gössmann an MilKmdo Budapest, 21. V. 1918 - KA, KM Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 5 0 / 9 1 .

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mit dem Krieg!" nicht überhören. Aber selbst der Oberleutnant Daffe griff nicht ein. Der Oberleutnant verließ seine renitent gewordene Kompanie. Er begab sich in die in der Friedrichs-Kaserne gelegene Bataillonskanzlei und erklärte dem Bataillonsadjutanten Hauptmann Palmay 7 , daß er keine Verantwortung für die Geschehnisse bei seiner Ersatzkompanie übernehmen könne und um weitere Befehle bitte. Wieder war kostbare Zeit vergangen. Der Hauptmann hatte schon einen Parallelfall. Auch in der FriedrichsKaserne waren die Heimkehrer an diesem 20. Mai gleich morgens unruhig gewesen. Auch hier waren Rufe wie „Es lebe der Frieden!" laut geworden. Der Hauptmann Palmay hatte den Kasern-Inspektionsoffizier Leutnant Bernhart zu sich gerufen und ihm befohlen, augenblicklich für Ruhe zu sorgen und die „Schreier" zu eruieren. Der Leutnant hatte die Ruhe auch sofort hergestellt. Als er dem Hauptmann anschließend Meldung erstattete, hatte dieser noch abgewunken: „Es wird sich wohl um einen Pfingstscherz handeln." 8 Das Wort vom Scherz war nun nach der Meldung des Oberleutnants Daffe verflogen. Der H a u p t m a n n Palmay griff zum Telephon. Er rief den Kommandanten des Ersatzbataillons, den Obersten Tomic, in seiner Wohnung an. Der H a u p t mann meldete, daß man mit den Heimkehrern Schwierigkeiten habe, er bitte den Obersten, in die Friedrichs-Kaserne zu kommen 9 . Der Oberst kam nicht, er befahl vielmehr den Adjutanten zunächst einmal zu sich. Und das kostete wieder Zeit. Rasch versuchte der Hauptmann Palmay, nun wenigstens noch Kontakt mit den Pecser Honveds aufzunehmen. Er konnte jedoch keinen Offizier des Ersatzbataillons H I R 19 und auch keinen vom Stab des in der Umgebung requirierenden H I R 9 erreichen. Resignierend begab er sich gemeinsam mit Oberleutnant Daffe auf den Weg zum Bataillonskommandanten. Die Chance, die Meuterei im Keime zu ersticken, war vertan 1 0 . Aus der schwelenden Glut aber schlug die Stichflamme. Denn nachdem der Oberleutnant Daffe das Barackenlager der 3. Ersatzkompanie verlassen hatte, war dort der Aufruhr offen losgebrochen. Die Baracken wurden gestürmt, die Kanzleiräume demoliert, die Rekruten zum „Mithalten" gezwungen. Und schon ging es den Heimkehrern darum, das Munitionslager in die H a n d zu bekommen. Im Handstreich wurde die Wache 7

Dieser Name wird in den Akten auch Palmai geschrieben. Evidenzbureau des Gstb., Nr. 15.112, Bericht des Hptm. Perathoner, 27. V. 1918; Bericht des FML Gössmann über Meuterei in Pics an MilKmdo Budapest, 21. V. 1918 — KA, KM Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 5 0 / 9 1 . * Das Telephongespräch scheint mehrmals unterbrochen worden zu sein. Oberst Tomic erklärte jedenfalls später vor der Untersuchungskommission, daß ihm nur gemeldet worden sei, er solle in die Friedrichs-Kaserne kommen. Er hätte aber nicht gewußt, warum seine Anwesenheit in der Kaserne erforderlich sei. — MilKmdo Budapest, Präs. Nr. 5.507? an KM } 14. VI. 1918; Bericht des FML Gössmann an MilKmdo Budapest, 21. V. 1918 - KA, KM Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 5 0 / 9 1 . 10 Ebenda; Evb. d. Gstb., Nr. 15.112, 27. V. 1918 - Ebenda. 8

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überrumpelt, 32 Gewehre und Munition fielen in die Hände der Meuterer. Und neuerlich hatte das Versagen der Offiziere weitere Schleusen geöffnet. Daß die Wache so schnell überrumpelt werden konnte, wird verständlich, wenn man bedenkt, daß deren Mannschaft durchwegs aus Rekonvaleszenten bestand. Aber man hätte nicht nur die Rekonvaleszenten zur Hand gehabt. Im Barackenlager der Rekonvaleszentenabteilung war audi eine Assistenzeinheit untergebracht, gebildet aus „verläßlicher Mannschaft" der 3. Ersatzkompanie. Diese Assistenzeinheit sollte eben an diesem 20. Mai gegen die widerspenstigen Arbeiter in Pecsbanyatelep eingesetzt werden. Sowohl der Leutnant Kiss als audi der Oberleutnant Daffe aber hatten, wie sie später angaben, „übersehen", diese Assistenzeinheit rechtzeitig gegen die Rebellen einzusetzen. Der Fehler hatte Folgen: Nun schloß sich die Assistenzeinheit den Meuterern an 11 . Nachdem man im Barackenlager geplündert hatte, hieß die Parole der Meuterer: Auf in die Friedrichs-Kaserne! Dort waren die 1. und 2. Ersatzkompanie, vor allem aber die MG-Ersatzkompanie des Bataillons untergebracht. Die Mannschaften dieser Einheiten sollten nun zum Anschluß bewegt werden 12 . Und dazu schienen — auf Grund der Unruhe dort am Morgen — die Voraussetzungen günstig. Inzwischen trafen der Hauptmann und der Oberleutnant um etwa 8 Uhr 30 beim Obersten Tomic ein. Der Hauptmann erläuterte die Situation. Man sollte meinen, daß nun der Oberst sofort bei den Honved-Truppen um Assistenzleistung vorstellig geworden wäre. Aber der Oberst zögerte, wußte nicht recht, was er unternehmen sollte, und er schob schließlich die Entscheidung auf den Stationskommandanten von Pees ab, den GM Pillepic von Lippahora 13 . Der Hauptmann Palmay erhielt den Auftrag, sich zum Herrn Generalmajor zu begeben. Der Hauptmann ging. Aber der Hauptmann traf den Stationskommandanten nicht in dessen Wohnung an. Der Herr General, so erfuhr der Hauptmann, sei ausgeritten. Dem Hauptmann Palmay blieb nichts anderes übrig, als in die Friedrichs-Kaserne zurückzukehren. Seit dem Ausbruch der ersten Unruhen waren nahezu drei Stunden vergangen, und nichts war geschehen, um den Meuterern entgegenzutreten 14 . Der Hauptmann Palmay handelte nun auf eigene Faust. Er nahm abermals Verbindung mit dem Ersatzbataillon H I R 1 9 auf und bat um sofortige Assistenzbeistellung. Dann befahl er, die Mannschaften der FriedrichsKaserne zu alarmieren und fünf Maschinengewehre in der Kaserne in Stellung zu bringen. Noch einmal telephonierte der Hauptmann mit den Honveds 11

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Bericht des F M L Gössmann über Meuterei in Pees an MilKmdo Budapest, 21. V. 1918 — KA, KM Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 5 0 / 9 1 . Ebenda. Evidenzbureau des Gstb., Nr. 15.112, Bericht des Hptm. Perathoner, 27. V. 1918; Bericht FML Gössmann an MilKmdo Budapest, 21. V. 1918 - KA, KM Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 5 0 / 9 1 . Bericht des FML Gössmann an MilKmdo Budapest, 21. V. 1918 - KA, KM Abt. 5 v. 1918, 64-50/91.

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und ersuchte eindringlich, möglichst rasch zu Hilfe zu kommen. Um 9 Uhr wurden die Tore der Friedrichs-Kaserne geschlossen15. Durchbruch in die Friedrichs-Kaserne

und Gegenangriff der Honveds

Einige Minuten später, um 9 Uhr 10, hörte man in der Kaserne die ersten Rufe: „Sie kommen!" Und wieder fünf Minuten später setzten die Meuterer zum Sturm auf die Friedrichs-Kaserne an. Rasch wurden die Kasernentore genommen, die Kasernwache und Kasernbereitschaft überrumpelt. Die Mannschaften der 1. und 2. Ersatzkompanie hatten sich im Hof noch nicht einmal richtig gesammelt gehabt, da waren sie von den Meuterern auch schon überrannt. Eben hatte die MG-Ersatzkompanie ihre Maschinengewehre gegen die Meuterer in Stellung bringen wollen. Sie konnten nur mehr am Stiegenaufgang und an einem Fenster der Bataillonskanzlei postiert werden. Die Meuterer nützten den ersten Schock der Überrumpelung. Die Kasernarreste wurden gestürmt. Die befreiten Arrestanten wurden mit den Gewehren und der Munition der überwältigten Wachmannschaft versehen. Audi die russischen Kriegsgefangenen wurden freigelassen. Sie nützten das ausgebrochene Chaos, um möglichst rasch unterzutauchen 16 . Das nächste Ziel der Meuterer war wie im Barackenlager das Munitionsmagazin. 172 Gewehre und ca. 70.000 Schuß Munition fielen den Revoltierenden in die Hände. Schließlich wurde noch das Proviantmagazin geplündert. Aber den Meuterern ging es nicht zuletzt um die Gewinnung weiterer Kampfgefährten, es ging ihnen vor allem darum, die Mannschaften der Friedrichs-Kaserne zum Anschluß zu bewegen. Die Rekruten waren viel zu eingeschüchtert, als daß sie Widerstand geleistet hätten. Der Rest der 1. und 2. Ersatzkompanie schwenkte angesichts der drohenden Bajonette um 17 . Blieben die Maschinengewehre. Die MG-Ersatzkompanie leistete den Meuterern ernsteren Widerstand. Die am Stiegenaufgang in Stellung gebrachten zwei Maschinengewehre eröffneten das Feuer. Das am Kanzleifenster postierte M G konnte infolge des Gegenfeuers der Meuterer nicht bedient werden, ein viertes M G befand sich am Gang in Reservestellung. Allerdings: Die Bedienungsmannschaft des fünften Gewehres der Kompanie war zu den Meuterern übergelaufen. Zunächst aber schienen die Maschinengewehre immerhin sicherzustellen, daß die revoltierenden 6er bis zum Eintreffen der HonvedAssistenz in Schach gehalten würden. Aber zur MG-Ersatzkompanie gehörten auch drei Handmaschinengewehr-Züge. Die waren zum Zeitpunkt, da die 15 16

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Ebenda. Ebenda; MilKmdo Budapest,Präs.Nr. 5.507, an KM, präs. 14. VI. 1918;Telegr. StatKmdo Pecsan MilKmdo Budapest, 20. V. 1918, 19,15 h — KA, K M Abt. 5 v. 1918, 64—50/91. Wohl gab es noch einige Offiziere, die bemüht waren, gegen die Meuterer Widerstand zu organisieren. Aber die Überrumpelung war vollkommen. Die Meuterer forderten sogar den Oberleutnant Polcsa auf, sich die Distinktionen von der Uniform zu reißen und der Bewegung anzuschließen. — Ebenda.

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Meuterer die Kaserne gestürmt hatten, noch nicht ausgerückt. Jetzt sollten auch diese Züge zum Einsatz gebracht werden. Da setzte deren Bedienungsmannschaft geschlossen zum Überlaufen an. Verzweifelt versuchten Offiziere entgegenzuwirken. Als alles Zureden nichts fruchtete, gingen der Oberleutnant Rieß, die Leutnante Bertsch und Molnar und der Stabsfeldwebel Huber mit der Waffe gegen die überlaufende Bedienungsmannschaft vor. Ein Kolbenhieb streckte den Leutnant Molnar zu Boden. Der treu gebliebene Teil der MG-Ersatzkompanie wurde von zwei Seiten angegriffen und gab den Widerstand auf. Insgesamt acht Handmaschinengewehre gelangten in den Besitz der Meuterer, zudem noch zahlreiche Karabiner und Pistolen samt der zugehörigen Munition 18 . Die Friedrichs-Kaserne war genommen. Das Schicksal der Offiziere: Ein Teil der Offiziere, unter ihnen auch Hauptmann Palmay und Oberleutnant Daffe, einige Unteroffiziere und ein kleiner Rest treu gebliebener Mannschaft floh auf den Dachboden der Kaserne 19 . Drei Leutnante — Molnar, Bertsch und Heindel — gerieten in die Hände der Meuterer. Mit Kolbenstößen wurden sie auf den Kasernenhof getrieben. Dort fiel die Menge über sie her, mißhandelte sie. Der H a ß richtete sich vor allem gegen den Leutnant Molnar. Von zahlreichen Kolbenhieben halb bewußtlos geschlagen, versuchte der Leutnant, sich mühsam vom Boden aufzurichten und in Richtung Marodenzimmer zu schleppen. Ein Meuterer schoß ihn nieder. Molnar erlag seinen Verwundungen. Schwer verwundet wurde auch der Leutnant Bertsch; einer der Meuterer rannte ihm das Bajonett in den Leib. Mit einer schweren Stichwunde in der Nierengegend brach Bertsch zusammen 20 . Inzwischen waren die Gegenmaßnahmen angelaufen. Um 9 Uhr 30 hatte das Militärkommando Budapest von den Ereignissen Kenntnis erhalten. In Pees hatte der GM von Pillepic die ersten Honved-Assistenzen alarmiert 21 . Das Militärkommando Budapest teilte dem General mit, daß ihm außer den in Pees befindlichen Truppen — ein Feldbataillon H I R 9, das Ersatzbataillon H I R 19 und die Ersatzschwadron H H R 8 22 — zur Niederwerfung der Meute18

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MilKmdo Budapest, Präs.Nr. 5.507, an K M , 14. VI. 1918 - K A , K M Abt. 5 v. 1918, 6 4 50/91; Bericht des F M L Gössmann an MilKmdo Budapest, 21. V. 1918 — Ebenda. MilKmdo Budapest, Präs.Nr. 5.507, an K M , 14. VI. 1918 - K A , K M Abt. 5 v. 1918, 64-50/91. Ebenda; K M Präs.Nr. 22.414, an M K S M , 8. VII. 1918 - K A , M K S M v. 1918, 1 3 - 1 0 / 112/f. 6; Bericht des FML Gössmann an MilKmdo Budapest, 21. V. 1918 — K A , K M Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 5 0 / 9 1 . Bericht des F M L Gössmann an MilKmdo Budapest, 21. V. 1918 - K A , K M Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 5 0 / 9 1 . Qualifikationsliste Rudolf Pillepic, geb. 1862 — K A , Fasz.Nr. 2.261: Als Oblt. (1884) „ . . . gegen Untergebene entschieden und konsequent . . . "; vgl. H O F M A N N HUBKA, D e r Militär-Maria-Theresien-Orden. 246.

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HIR 9: 59% Magyaren, 37% Slowaken, 3% Deutsche, 1 % Rumänen; HIR 19: 65,5% Magyaren, 12,5% Rumänen, 11% Deutsche, 5% Kroaten, 4% Serben, je 1% Slowaken und Italiener; HHR 8: 80% Magyaren, 7% Deutsche, 4% Rumänen, je 3% Slowenen und Kroaten, 2% Serben, 1% Italiener — alle: K A , Farbentabellen 1918.

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rei auch die Assistenzeinheiten der bosnisch-herzegowinischen Jägertruppen von Siklos und Villany 23 zur Verfügung stünden. Außerdem wurden Verlegungen nach Pees befohlen: der Regimentsstab, die Technische Kompanie, die MG-Kompanie, ein Infanteriegeschütz-Zug und zwei Feldbataillone des auf Getreiderequisition in Westungarn befindlichen H I R 9 ; das II. Bataillon dieses Regiments sowie die Garnison von Kaposvar wurden sogleich marschbereit gestellt. Und das Militärkommando Budapest entsandte den FML Gössmann als stellvertretenden Militärkommandanten nach Pees 24 . Vorläufig jedoch diktierten noch die Meuterer das Geschehen. Im Hof der Friedrichs-Kaserne ging es hoch her. Unter ständigem Schreien und Johlen, mit Trompetensignalen und in die Luft gefeuerten Maschinengewehrsalven feierten die revoltierenden 6er ihren Sieg. Dann aber hieß die Parole: „Zum Bahnhof, zu den Honveds, jetzt geht's auf die Juden!" Damit waren die nächsten Ziele der Meuterer gesetzt: der Bahnhof und die Fehervary-Kaserne. Durch das Westtor der Friedrichs-Kaserne begannen die Meuterer — unter Zurücklassung von Sicherungen — abzuziehen 25 . In der Fehervary-Kaserne waren Teile des Ersatzbataillons H I R 19, einschließlich der MG-Ersatzkompanie, einer Verwundeten- und Sanitätsabteilung sowie einer Telegraphenabteilung untergebracht. Die Honveds waren bereits alarmiert. Der Kasern-Inspektionsoffizier, Kadettaspirant Szekeres, hatte die Tore schließen, Wachen aufziehen und die Mannschaft, soweit sie einsatzfähig war, bereitstellen lassen. Viel vermochte der Kadettaspirant nicht aufzubieten, denn in der Fehervary-Kaserne waren in erster Linie Verwundete und Rekonvaleszente untergebracht 26 . Kurz vor 10 Uhr rückten die ersten Meuterer an. 250 Mann waren es, und sie führten zwei Maschinengewehre mit sich. Die Kasernwache leistete zwar Widerstand, aber sie wurde überwältigt. Rücksichtslos krachten die Kolbenschläge der Meuterer gegen die Türen der Räume. Da zeigte es sich, daß selbst

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Es handelte sich um die Ersatzkompanien der bh. JgB 7 und 3. MilKmdo Budapest, Präs.Nr. 5.507, an KM, 14. VI. 1918 - KA, KM Abt. 5 v. 1918, 64—50/91. Die Züge, mit denen die bh. Jäger von Siklos geholt werden sollten, wurden um 10 Uhr 30 am Ausfahren gehindert. Zur Person des FML Gössmann vgl. Qualifikationsliste Otto Gössmann, geb. 1861 — KA, Fasz.Nr. 899: Hauptbericht für das Jahr 1912 (FML Paul Frh. Puhallo von Brlog) über den Obersten Gössmann: „ . . . wirkt durch seine Konsequenz und gerechte Strenge sehr vorteilhaft auf die Truppe ein . . . ist konsequent in der Durchführung seines Entschlusses; zeigt viel Initiative." Diesen Augenblick nutzten einige Offiziere — Major Heraut, Hauptmann Zamolo und Oberleutnant Polcsa — und einige Unteroffiziere, um über das Ostgitter der FriedrichsKaserne zu flüchten. Sie wurden entdeckt und unter Beschüß genommen. In Privathäusern suchten sie Unterschlupf. — Telegr. des StatKmdo Pees an MilKmdo Budapest, 20. V. 1918, 19,15 h - KA, KM Abt.5v. 1918,64-50/91 (5.657); Bericht FML Gössmann an MilKmdo Budapest, 21. V. 1918 - Ebenda. MilKmdo Budapest, Präs.Nr. 5.507, an KM, 14. VI. 1918 - KA, KM Abt. 5 v. 1918, 64—50/91; Bericht FML Gössmann an MilKmdo Budapest, 21. V. 1918 — Ebenda.

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in diesem Chaos der Revolte ein energischer Ton noch durchzudringen vermochte. Zwei Honved-Offiziere, der Hauptmann Bartonicsek und der Oberleutnant Weil, stellten sich den Meuterern entgegen. „Was wollt ihr eigentlich? Hier gibt es nur Verwundete!" brüllten sie die Meuterer an. Die Meuterer zögerten, wichen langsam zurück — und verließen die Kaserne, freilich nicht ohne vorher aus dem Inspektionszimmer 8.000 Kronen entwendet und die Telephonleitungen zerstört zu haben. Wie in der Friedrichs-Kaserne waren audi hier die Arrestanten befreit worden. Und auch die Fehervary-Kaserne wurde nun von den Meuterern mit Sicherungsposten umstellt 27 . In der Zwischenzeit war das Gros der Meuterer zum Bahnhof gezogen. Sie besetzten das Heizhaus, nahmen die Lokomotivführer fest und gaben Befehl, die Lokomotivfeuerungen zu lösdien. Dann wurde der Bahnhofsvorstand gezwungen, die telephonischen und telegraphischen Anlagen zu zerstören. Pees sollte von der Außenwelt abgeschnitten werden. Dabei begingen die Meuterer jedoch einen Fehler. Sie ließen sich täuschen, sie gaben sich damit zufrieden, daß der Stationsbeamte mehrere Kabel durchschnitt. Damit waren aber nicht die Verbindungen mit den Nachbarstationen unterbrochen worden, sondern lediglich der Kontakt einer Signalanlage eines Nebengleises und einige weniger bedeutende Telephonverbindungen. Die Verbindung nach Budapest aber blieb erhalten. Vor allem konnte nach Budapest die Meldung durchgegeben werden, daß von Pees selbst kein Zug abfahren könne 28 . Nun wechselte auch in Pees die Initiative auf die Gegenseite. Die HonvedTruppen rückten gegen die Meuterer vor. Zunächst galt es, die beiden Kasernen in die Hand zu bekommen. Gegen 11 Uhr 30 erschien die erste Patrouille der Honveds vor der Friedrichs-Kaserne. Die hier zurückgebliebenen Meuterer leisteten keinen ernstlichen Widerstand. Um die Mittagszeit war sowohl die Friedrichs- als auch die Fehervary-Kaserne wieder voll in der Hand der Honveds. Noch hielten die Meuterer den Bahnhof besetzt. Aber auch dort gingen die Honveds nun zum Angriff über. Und audi die Bahnhofsanlagen konnten von den Assistenzeinheiten genommen werden 29 . Die Meuterer suchten einen festen Sammelplatz. Sie zogen sich auf den Friedhof von Pees zurück. Dort verschanzten sie sich, gruben sich ein. Im Gasthof „Fel^r Farkas" richteten sie unter Anleitung des Korporals Novako' Ebenda. In ihrem Bestreben, Zuzug zu gewinnen, hatte eine Gruppe der Meuterer sich auch in das Reservespital Pees begeben. — Vgl. Erinnerungsbericht des dortigen Chefchirurgen Dr. Albert LORENZ, Alte Autos — junge Liebe. Wien o. J. 262 ff. 28 Das Militärkommando beauftragte daraufhin die Bahnstation Üszög, die Transferierung der bh. Jäger-Assistenzeinheiten von Siklos und Villany nach Pees zu übernehmen. — MilKmdo Budapest, Präs.Nr. 5.507, an K M , 14. VI. 1918 - K A , K M Abt. 5 v. 1918, 64—50/91; Bericht F M L Gössmann an MilKmdo Budapest, 21. V. 1918 — Ebenda. 29 Ebenda; k. u. LVMer, Präs.Nr. 19.421, Abt. 2 - 1 9 1 8 , an M K S M , 6. VIII. 1918 KA, M K S M v. 1918, 13 —10/172/fol. 2, 3; Evb. d. Gstb., Nr. 15.112 — Bericht des Hptm. Perathoner, 27. V. 1918 - K A , K M Abt. 5 v. 1918, 64-50/91.

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vie, der anscheinend den Befehl übernommen hatte, eine A r t Kommandostelle ein. Zwischen Honveds und Meuterern entwickelte sich nun ein zäher K a m p f . N u r mühsam konnten sich die Honveds in der Linie Realschule—Bahnlinie an die Stellungen der Meuterer heranarbeiten. A m Dach der Realschule wurde von einem Fähnrich ein Maschinengewehr in Stellung gebracht, mit dem er die Meuterer unter ständigen Beschüß nahm. Aber die meuternden 6er hatten sich geschickt eingeigelt. Die Honveds konnten kaum Gelände gewinnen 3 0 . U m 14 U h r 30 meldete der Generalmajor Pillepic nach Budapest, daß die Kasernen und der Bahnhof von den Meuterern gesäubert seien, die Stellungen der Meuterer am Friedhof aber noch nicht genommen werden konnten. Die Stärke der Assistenzeinheiten betrage 1.200 Mann, die Meuterer würden auf 1.500 M a n n geschätzt 31 . Besonders hervorgehoben wurde der Einsatz einer kleinen Gendarmerieeinheit. Der Wachtmeister, der sie führte, fiel32. Doch Verstärkung nahte. U m etwa 15 U h r 30 sollten die Assistenzeinheiten aus Villany eintreffen, die Einheiten aus Siklos erwartete man f ü r 17 U h r . Mit diesen Truppen wollte der Generalmajor Pillepic die Meuterer dann vom Rücken her fassen. Der Generalmajor konnte zu diesem Zeitpunkt audi melden, daß die Bevölkerung von Pees sich bis jetzt durchwegs ruhig verhalten habe. N u r in den Vorstädten sei es zu kleineren Sympathiekundgebungen f ü r die Meuterer gekommen, und die Kinder hätten den revoltierenden 6ern Munition zugebracht 33 . Arbeiter als

Verbündete

Aber es ging nicht um Pees allein. Während sich dort Assistenzeinheiten und Meuterer gegenüberlagen, w a r es in Pecsbanyatelep zu schweren 30

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Evidenzbureau des Gstb., Nr. 15.112, 27. V. 1918; MilKmdo Budapest, Präs.Nr. 5.507, an KM, 14. VI. 1918 - KA, KM Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 5 0 / 9 1 ; KM Präs.Nr. 22.414, an M K S M , 8. VII. 1918 - KA, M K S M v. 1918, 13-10/112/fol. 10. StatKmdo Pees an MilKmdo Budapest, 20. V. 1918, 14,30 h - KA, KM Abt. 5 v. 1918, 64-50/91. HIL, HM 1918, 3.583, Β I - 3/4. Einen kleinen Einblick in das Ausmaß der Einsatzbereitschaft gibt eine Episode im Reservespital, geschildert vom dortigen Chefchirurgen Dr. Albert Lorenz: Zwei Verwundete, Gendarmen aus der Front der Gegenaktion, hatten sich eingefunden. „Sie waren keineswegs verzagt, nur ungehalten darüber, daß sie den Kampf zeitweise unterbrechen mußten . . . Dem einen schnitt ich einen Schläfenstreifschuß vorschriftsmäßig aus und vernähte die Wunde, der zweite hatte einen Weichteildurchschuß des Oberschenkels, er wurde auf gleiche Weise versorgt. ,So, und jetzt legts Euch ins Bett und ruhts Euch ordentlich aus!' sagte ich. Sie fuhren auf. ,Wir ausruhen ? Abär, Härr Chefarzt — wir sind doch, bittä, gonz frisch und werden gebraucht von Komeroden!' Und sie nahmen ihre Puschkas, salutierten stramm und waren weg. Den einen der beiden sah ich noch am selben Tag wieder, tot und kalt, mit einer Kugelwunde mitten in der Stirn . . . " — LORENZ, Alte Autos — junge Liebe. 261 f. Meldung des StatKmdo Pees an KM, 20. V. 1918 - KA, KM Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 5 0 / 9 1 ; MilKmdo Budapest, Präs.Nr. 5.507 — Meuterei in Pees: Verhalten der Beteiligten —, an KM, 14. VI. 1918 - KA, KM Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 5 0 / 9 1 .

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Zwischenfällen gekommen. Die Arbeiter waren längst in gereizter Stimmung gewesen. Schon am Pfingstsonntag, am 19., hatten sie gestreikt. Daraufhin hatte der militärische Leiter des Landsturm-Bergarbeiterkaders Pecsbanyatelep, Oberstleutnant von Herszenyi, gedroht, er werde mit Waffengewalt die Wiederaufnahme der Arbeit erzwingen. Als auch dies nichts gefruchtet hatte, waren am Pfingstsonntag 30 Arbeiter verhaftet worden 34 . Am Montag aber schlugen neben den 6ern auch die Arbeiter los. Bereits am Vormittag des 20. Mai hatten die Meuterer die ersten Kontakte mit den Arbeitern aufgenommen. Am Nachmittag kam es auch in Pecsbanyatelep zur offenen Revolte 35 . 150 Arbeiter, die von den meuternden Infanteristen mit Waffen und Munition versorgt worden waren, befreiten ihre inhaftierten Kameraden und stürmten die Kanzlei des Oberstleutnants von Herszenyi. Wäsche, Silbergegenstände, Bekleidung und nicht zuletzt die ärarische Kassa mit 40.000 Kronen Inhalt fielen in die Hände der Revoltierenden. Der ganze Haß, die ganze Erbitterung gegen das Zwangssystem des „Militarismus" waren wachgerüttelt. Die Arbeiter kannten keine Gnade. Sie legten Hand an die Aufseher. Zwei brachte man in das Lazarett — als Tote: „Die Männer waren viehisch verstümmelt, statt Augen hatten sie gelbe Uniformknöpfe in die blutigen Höhlen gespießt." 36 Sie legten Hand an die Offiziere, den Kommandanten, Oberstleutnant von Herszenyi, und dessen Adjutanten, Hauptmann Meiszner. Mit Kolbenhieben wurden die beiden Honved-Offiziere in Richtung Cassian getrieben 37 . Als gegen Abend Honved-Assistenzeinheiten gegen Cassian aufklärten, prallten die Männer bei Szentjanos entsetzt zurück. Der Oberstleutnant und der Hauptmann waren auf grausame Weise ermordet worden. Die Körper beider Offiziere lagen da, von Bajonettstichen zerfetzt, der Schädel des Oberstleutnants total zertrümmert. Noch einige Meter vom Auffindungsort der Leichen entfernt fand man Reste des Gehirns 38 . In Pees selbst zeigte sich um 17 Uhr die Situation noch unverändert. Eine Anzahl von Meuterern, in erster Linie Deutsche — „Donauschwaben" — und Magyaren, hatten sich den Assistenzeinheiten zwar bereits ergeben. Vor allem die Serben aber kämpften verbissen weiter. D a gelang es dem Oberleutnant David vom H I R 9, mit seiner Mannschaft die Meuterer zu umgehen und von Süden her anzugreifen. Der Oberleutnant ließ auch zwei Maschinengewehre und ein Infanteriegeschütz auf einen von einer Lokomotive geschobenen Waggon montieren und flankierend feuern. Die Meuterer wichen nun Bericht des F M L Gössmann an MilKmdo Budapest, 21. V. 1918; Tel.-Dep. F M L Cvrcek an K M , 21. V. 1918 - KA, K M Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 5 0 / 9 1 . 35 Ebenda. 30 Erinnerungsbericht des Chefchirurgen des Reservespitals Pees, LORENZ, Alte Autos — junge Liebe. 259. « Bericht des F M L Gössmann an MilKmdo Budapest, 21. V. 1918 — KA, K M Abt. 5 v. 1918, 64-50/91. 38 Ebenda. 34

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gruppenweise in Richtung Pecsvarad und Pecsudvard aus. Zwei Abteilungen der Meuterer hatten sich an den sogenannten „Teufelsgraben" bei Uszög zurückgezogen und versuchten dort noch Widerstand zu leisten 39 . Gegen 2 0 Uhr war der Ausgang der Revolte entschieden. Die Meuterer befanden sich in drei Kolonnen im Rückzug: die erste Kolonne gegen Pecsbanyatelep-Szabolcs, die zweite gegen Osten in Richtung Mohäcs und die dritte gegen Nemetboly 4 0 . Die durch G M von Pillepic heranbeorderten Marsch- und Assistenzeinheiten der bosnisch-herzegowinischen Jägerkompanien von Villany und Siklos waren abends in Pees versammelt. Unterwegs hatten sie ein kurzes Gefecht mit zurückgehenden Meuterern bei Uszög-Puszta gehabt, 30 Meuterer gefangengenommen. Die Jägereinheiten blieben nun teilweise zum Schutz des Uszöger Bahnhofes und der Elektro-Zentralstation zurück, drei Kompanien wurden sofort nach Pecsbanyatelep dirigiert, während die übrigen — insgesamt leisteten acht Jägerkompanien Assistenzdienst 41 — in den Honved-Baracken in Pees untergebracht wurden. Noch am selben Abend traf auch eine 2 0 0 Mann starke Gendarmerie-Assistenz ein, die sofort den inneren Sicherungsdienst übernahm 4 2 . Aus der Rückzugsrichtung der Meuterer war die Absicht zu erkennen, Donau oder Drau zu erreichen. Der Kommandant der Ausbildungsgruppe Villany-Siklos alarmierte die ihm unterstehenden Truppen und ließ sie auf Suche nach Meuterern streifen. Seine Streifgruppen konnten auch einen Teil der Flüchtigen festnehmen 4 3 . Die Garnisonen Mohacs und Nemetboly sperrten sowohl die Straßen als auch die in der N ä h e gelegenen Donau- und Drauübergänge 4 4 . 39 40

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Ebenda. MilKmdo Budapest, Präs.Nr. 5.507, an KM, 14. VI. 1918 - KA, K M Abt. 5 v. 1918, 64—50/91. Ca. 120 Mann, nach Pecsbänyatelep ausgewichene Meuterer, hatten das dortige Wachdetachement überrumpelt. — Evidenzbureau des Gstb., Nr. 15.112, 27. V. 1918 — Ebenda; Auskunft des Referenten der Abt. 5 des KM, 21. V. 1918, 12 h - KA, M K S M v. 1918, 2 8 - 2 / 3 8 - 2 . Vgl. PlCHLiK, Vzpoury navrätilcü. 72. Bericht des F M L Gössmann an MilKmdo Budapest, 21. V. 1918 - KA, K M Abt. 5 v. 1918, 64-50/91. Evidenzbureau des Gstb., Nr. 15.112, 27. V. 1918 - KA, K M Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 5 0 / 9 1 . MilKmdo Budapest, Präs.Nr. 5.507, an KM, 14. VI. 1918 - KA, K M Abt. 5 v. 1918, 64-50/91. Die Drau- und Donaulinie wurde nach Ausbruch der Meuterei in P6cs vom Militärkommando Zagreb aus besonders gesichert, um den Übertritt versprengter Meuterer auf slawonisches Territorium zu verhindern. Der Militärstationskommandant von Osijek, GM Schlichting, verfügte Vorkehrungen: Alarmübungen der Truppen der Garnison, Sicherung der Draubrücke bei Tag und Nacht, Doppelposten bei der Eisenbahnbrücke, Patrouillierungen längs der Drau, Überwachung der Überfuhren. Der Festungskommandant von Petrovaradin, GM Harl, ordnete die Bewachung der Eisenbahnbrücke, die Legitimierung aller dorthin kommenden Personen vor Offizieren und die Abpatrouillierung der Donau stromauf- und -abwärts mit Motorbooten an. Das Landesgendarmeriekommando von Kroatien befahl

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Bis 9 Uhr 30 vormittags des 21. konnten von rund 2.000 ca. 1.500 Meuterer eingebracht werden. Schon vermochte man das zahlenmäßige Resume der Verluste zu ziehen 45 : Von den Assistenztruppen waren drei Offiziere und elf Mann vom HIR 19 und IR 6 gefallen, 21 Mann verwundet. Auch ein Kind hatte tödliche Verletzungen erlitten46. Von den Meuterern wurden neun Mann getötet 47 , die Zahl der Verwundeten konnte nicht ermittelt werden, da sie alle mitgeschleppt worden waren 48 . Das HIR 9 wurde vom Requisitionsdienst abgezogen und sollte nun die gesamte Umgebung von Pees abstreifen49. Am 26. Mai fehlten von den Meuterern noch 401 Mann, außerdem zwei Maschinengewehre. Die ausgedehnten Streifungen wurden fortgesetzt 50 , da Verdacht bestand, die Aufständischen hätten Verbindung mit dem „Grünen Kader", der ein Zentrum in der SzenoPuszta zwischen Indjija und Vukovar haben sollte. Die streifenden Assistenzeinheiten bemühten sich, den Aufständischen den Weg auch dorthin abzuschneiden 51 . Im Raum von TJjvidek sympathisierte die Bevölkerung mit den versteckten Meuterern. In Szenttamas wurde eine Gendarmerie-Patrouille von bewaffneten Meuterern beschossen. Ein Bataillon HIR 10 52 wurde zur Streifung in diesen Raum verlegt 53 . In der Umgebung von Üjvidek und im Komitat Bacs-Bodrog wurden laufend Deserteure und Meuterer aufgegriffen. Am 5. Juni waren vom Ersatzbataillon IR 6 noch 169 Mann abgängig54. In Pees selbst hatte ab 21. Mai wieder Ruhe geherrscht55. Gegen Mittag ständige Patrouillierung an den Drauübergängen. — MilKmdo Zagreb, Präs.Nr. 7.594/ Gstb., an KM Abt. 5, 31. V. 1918 - KA, KM Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 2 6 / 5 (6.098). 45 MilKmdo Budapest, Präs.Nr. 5.507, an KM, 14. VI. 1918 - KA, KM Abt. 5 v. 1918, 64-50/91; vgl. HIL, HM 1918, 3.583, Β I - 3/4. 46 Telegr. StatKmdt in Pees an MKSM, 21. V. 1918, 17 h - KA, MKSM v. 1918, 2 8 - 2 / 38 — 5, 6, 7; vgl. Bericht des k. u. k. Heeresanwaltes in Budapest, G.Z.A. 10.033/1918 an KM, 24. IX. 1918 - KA, KM Abt. 5 v. 1918, 64-50/91. 47 Der Militärkommandant in Budapest machte dazu die Anmerkung: „sehr wenig!" 48 Bericht des F M L Gössmann an MilKmdo Budapest, 21. V. 1918 — KA, KM Abt. 5 v. 1918, 64-50/91; HIL, H M 1918, 3.583, Β I - 3/4. 49 Auskunft des Referenten der Abt. 5 des KM an MKSM, 21. V. 1918, 12 h - KA, MKSM v. 1918, 2 8 - 2 / 3 8 - 2 . s ° Telegr. KM Abt. 5, Nr. 5.752, an MKSM, 26. V. 1918, 12,40 h - KA, MKSM v. 1918, 2 8 - 2 / 4 0 - 9 , 10. 51 Telegr. KM Abt. 5, Nr. 5.891, an MKSM, 29. V. 1918, mittags - KA, MKSM v. 1918, 28-2/38-16. 52 HIR 10:96% Magyaren, 2% Slowaken, je 1 % Deutsche und Ruthenen—KA, Farbentabellen 1918. 53 Telegr. KM Abt. 5, Nr. 5.992/1, an MKSM, 1. VI. 1918, 18 h - KA, MKSM v. 1918, 28-2/38-23. 54 Telegr. KM Abt. 5, Nr. 6.304, an MKSM, 6. VI. 1918, 17,45 h - KA, M K S M v. 1918, 2 8 - 2 / 3 8 - 3 3 , 35, 36. 55 Das Militärkommando Budapest stellte Antrag auf zahlreiche Auszeichnungen, darunter für Hauptmann Pälmay und die von den Meuterern erschossenen Obstlt. von Herszenyi, Hptm. Meiszner und Lt. Molnär und für über 250 Mannschaften. Mit Auszeichnungen für den Assistenzeinsatz in Pees waren die Militärbehörden sichtlich keineswegs zurück-

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des 21. hatten die ersten standgerichtlichen Untersuchungen eingesetzt. Vier Standgerichte waren bemüht, die Ereignisse des 20. Mai zu rekonstruieren. Zunächst wurde der nationale Aspekt der Revolte geprüft:: Es wurde festgestellt, daß es in erster Linie Serben gewesen seien, die sich an der Meuterei aktiv beteiligt hätten. Die deutschen und magyarischen Angehörigen des Ersatzbataillons hätten mehr oder minder unter Zwang an der Revolte teilgenommen, als Mitläufer 5 6 . Was die Ursachen der Meuterei betrifft, so konnte ein Zusammenhang mit der südslawischen Bewegung nicht nachgewiesen werden. Das Beweisverfahren ergab lediglich, daß sich mehrere der 6er-Infanteristen im Kameradenkreis als „Bolseviki" bezeichnet hatten 5 7 . Und — „daß sie Bolschewiken wären und aus diesem Grund sich empört hätten", betonten eingebrachte 6er noch nach der Gefangennahme. Und die roten Tücher, die sie während des Kampfes schon getragen oder an Stöcke gebunden hatten, unterstrichen das primär sozialistische Element ihrer Haltung 5 8 . Scharf kritisiert wurde wieder das Verhalten des Offiziers- und Unteroffizierskorps. 14 Offiziere, unter ihnen Oberst Tomic, und 37 Unteroffiziere wurden wegen des „Verbrechens der Vorschubleistung zur Meuterei gemäß § 1 6 5 MStG" vor Gericht gestellt. Ihnen allen wurde „mangelnde Energie, Unerfahrenheit, mangelnde militärische Erziehung und Vorbildung" sowie „gänzlich unmilitärisches Verhalten" zur Last gelegt. Die Militärjustiz wies vor allem auf die „jedweden militärischen Geist und jedwede Disziplin zersetzende zivilistische Rechts- und Gesetzesauffassung" jener Reserveoffiziere hin, die juristische Studien absolviert hatten 5 9 . Der bisherige Kommandant des Ersatzbataillons wurde seines Postens enthoben 60 . Auch im Falle Pees hatte die Militärjustiz den Auftrag, rigoros durchzugreifen. Noch während der Beweisaufnahme sind zwei Auditoren, die in Verdacht standen, prinzipielle Gegner der Todesstrafe zu sein, abgelöst und durch „energischere Offiziere" ersetzt worden. Der Inspizierende des Militärkomhaltend; sie hatten auch Gründe dafür, denn anstatt sich der Rebellion anzuschließen — wie die Meuterer des Ersatzbaons IR 6 hofften —, hatten die Honved-Truppen sich im Kampf bewährt: gegen die Rebellen, zugleich gegen Serben und „Schwaben". Einmal mehr war nicht zuletzt der Gegensatz der Nationalitäten als ein Moment der Verläßlichkeit erschienen. — KM Präs.Nr. 22.414 an MKSM, Anträge des MilKmdo Budapest an KM, 8. VII. 1918 - KA, MKSM v. 1918, 13-10/112/fol. 6 - 13; k. u. LVM, Abt. 2, Präs.Nr. 19.421, Vortrag des k. u. LVMer, 6. VIII. 1918; Ah. Entschließung, Reichenau 16. IX. 1918 - KA, MKSM v. 1918, 13-10/172/fol. 2, 3; k. u. LVMer, Abt. 3,Präs.Nr. 19.937, Vortrag des k. u. LVMer, 29. IX. 1918; Ah. Entschließung, 1. XI. 1918 - KA, M K S M v. 1918, 13-10/220. 56 MilKmdo Budapest, Präs.Nr. 5.507, an KM, 14. VI. 1918 - KA, KM Abt. 5 v. 1918, 64-50/91. " Bericht des Hptm. Karl Bornemann über die Ursachen der Meuterei in Pees, an KM, o. D. - KA, KM Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 5 0 / 9 1 . 58 HIL, H M 1918, 3.583, Β I - 3/4. 59 Bericht des Hptm. Karl Bornemann über die Ursachen der Meuterei in P6cs, an K M , o. D. - KA, KM Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 5 0 / 9 1 . 60 MilKmdo Budapest, Präs.Nr. 5.507, Meuterei in Pees: Verhalten der Beteiligten, an KM, 14. VI. 1918 - Ebenda; vgl. MKSM v. 1918, 5 7 - 3 / 3 8 .

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mandos Budapest, FML von Gössmann, überwachte persönlich die Durchführung der gerichtlichen Untersuchungen. Im standrechtlichen Verfahren wurden schließlich 13 Soldaten des Ersatzbataillons IR 6 und zwei LandsturmBergarbeiter zum Tode verurteilt, 22 Soldaten und 14 Landsturm-Bergarbeiter erhielten Freiheitsstrafen im Ausmaße von je fünf bis zehn Jahren 6 1 . Sensationslust noch an der Schwelle zur Exekution: Dr. Lorenz — Chefchirurg im Pecser Lazarett — berichtet von „Damen aus der Pecser besseren Gesellschaft, die sich damals um den Hinrichtungsplatz drängten, als gäbe es einen J a h r m a r k t . . . " , und von Wirten, „die ihren Vorteil blitzschnell wahrzunehmen wußten und über Nacht am Rand der Hinrichtungsstätte Würstelstände und Bierbuden aus dem Boden zauberten . . ." 6 2 Im ordentlichen Verfahren, das sich noch bis Mitte September hinziehen sollte, wurden zwei Soldaten und zwei Landsturm-Bergarbeiter zum Tode verurteilt, 23 Soldaten und sechs Landsturm-Bergarbeiter erhielten Freiheitsstrafen. Von den 14 angeklagten Offizieren wurden zwei für schuldig befunden und verurteilt. Von den 37 angeklagten Unteroffizieren kam es nur in einem Fall zur Verurteilung. In 25 weiteren Fällen aber wurden die Akten den Feldgerichten übergeben. Schließlich stellte man noch 13 Wachleute der Bergwerke in Pecsbanyatelep vor Gericht. Fünf von ihnen wurden verurteilt 63 . Um neue Unruhen von vornherein im Keime zu ersticken, traf man nun in Pees verstärkte Sicherheitsmaßnahmen. Die Unterkünfte des Ersatzbataillons IR 6 wurden hermetisch abgeriegelt, an den wichtigen Punkten der Stadt starke Wachpatrouillen postiert. Gendarmerie und Militärpolizei wurden angewiesen, besonders die Zivilbevölkerung der Vorstadtbezirke zu überwachen 64 . Man war besonders bemüht gewesen, etwaige Beziehungen der Meuterer zur Zivilbevölkerung aufzudecken. Das Ergebnis war negativ. Uber „Sympathiebezeugungen" und die Funktion von Frauen und Kindern als „Munitionsträger" hinaus war nichts zu eruieren 65 . Die Bevölkerung von Pees war durch die Revolte zweifellos wesentlich weniger berührt worden, als dies etwa in Judenburg oder Radkersburg der Fall gewesen war. Dennoch intervenierte selbst von kirchlicher Seite der Bischof von Pees Graf Zichy. Er bat in einem Schreiben an den Generaladjutanten Prinz Lobkowitz, das Ersatzbataillon IR 6 möglichst bald aus Pees 61

62 M

64

Ebenda; Bericht des k. u. k. Heeresanwaltes in Budapest, G.Z.A. 10.033/1918, an K M , 24. IX. 1918; MilKmdo Budapest, Präs.Nr. 5.507, an K M , präs. 14. VI. 1918 - Ebenda; vgl. Div.Ger. Budapest, Res.Nr. 541 ad, an K M Abt. 4, 31. V. 1918 - K A , K M Abt. 4 v. 1918, 18 — 9/125—9. F M L Gössmann ordnete ausdrücklich an, daß die Mannschaft des Ersatzbaons IR 6 den Hinrichtungen partienweise beizuwohnen habe. — Evb. d. Gstb., Nr. 15.112, 27. V. 1918 - K A , K M Abt. 5 v. 1918, 64-50/91. LORENZ, Alte Autos — junge Liebe. 269. Bericht des k. u. k. Heeresanwaltes in Budapest, G.Z.A. 10.033/1918, an K M , 24. IX. 1918 - K A , K M Abt. 5 v. 1918, 64-50/91. 65 Ebenda. Ebenda.

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zu verlegen. Die Begründung: In Pees wohnten viele Fabriks- und Bergarbeiter, die völlig „sozialdemokratisch verseucht" seien und die „in Gemeinschaft mit bewaffneten Elementen" zu einer ganz unberechenbaren Gefahr für die Stadt und die ganze Umgebung werden könnten 6 6 . 5.

KRAGUJEVAC

„.. . das russische Volk hat dem ein Ende gemacht. . In der Zeit von Mitte April bis Anfang Mai waren etwa 2 . 4 0 0 Heimkehrer des I R 71, das sich aus dem slowakischen Ergänzungsbezirk Trencsen rekrutierte, aus den Heimkehrerlagern Galiziens zu ihrem in Kragujevac stationierten Ersatzbataillon eingerückt 1 . Bald mehrten sich die Klagen der N e u eingetrofFenen. Ebenso wie im Heimkehrerlager habe man ihnen, den H e i m kehrern, auch hier beim Ersatzbataillon Kleidungsstücke, die sie aus der Kriegsgefangenschaft mitgebracht hätten, abgenommen, und man habe ihnen dafür nur qualitativ minderwertigere Sorten zugeteilt. M a n gebe ihnen nur vier Wochen Urlaub, die Dragoner v o m ebenfalls in Kragujevac in Garnison liegenden D R 7 aber, die seien für zwei, ja selbst für drei Monate beurlaubt worden. Die Verpflegung der Mannschaft sei schlecht, geradezu erbärmlich, das Offizierskorps jedoch habe ein ausgezeichnetes Essen, und die Offiziere hielten v o r den Augen der hungrigen Mannschaft in den Lokalen der Stadt ein Gelage nach dem anderen ab. Dabei seien noch die wenigsten Offiziere des Ersatzbataillons jemals an der F r o n t gewesen. U n d wie in den H e i m kehrerlagern seien auch hier die meisten Offiziere Juden 2 . „Juden", dieses W o r t *· Brief des Bischofs von P£cs, Julius Graf Zichy, an Generaladjutanten F M L Prinz Lobkowitz, betreffend die Verlegung des IR 6 aus Pees, 27. V. 1918; KM Abt. 5, int.Nr. 673 res., an k. u. k. Obersten des Generalstabskorps B£la Kary von Gyergyöszentmiklos, Stellvertreter des Chefs der MKSM - KA, M K S M v. 1918, 6 5 - 1 / 7 . Das KM hatte auch ursprünglich eine Verlegung des Ersatzbaons nach Budapest vorgesehen. Das in Budapest stationierte Ersatzbaon IR 52 sollte dafür in seine Heimatgarnison Pics verlegt werden. Aber das k. u. LVM legte gegen eine derartige Maßnahme Protest ein. In Budapest sei der Boden für bolschewistische Elemente unter den Heimkehrern des Ersatzbaons IR 6 noch günstiger als in Pdcs. Das Ersatzbaon IR 6 blieb, wo es war, freilich unter ständiger Sicherung durch die in Pics und Umgebung stationierten Honved-Truppen und bh. Jägereinheiten. 1 IR 71: 80% Slowaken, 13,5% Magyaren, 4,5% Deutsche, je 1% Polen und Kroaten — KA, Farbentabellen 1918. Zur Meuterei in Kragujevac vgl. Karel PICHLIK, Vzpoura 71. peSiho pluku ν iervnu 1918 (Die Meuterei des IR 71 im Juni 1918). In: Historie a vojenstvi. Praha (1955). 4. Heft. 444 ff.; Bernard STULLI, Vojna pobuna u Kragujevcu (Militärrevolte in Kragujevac). Zagreb 1960. 2 Nach Angabe der militärgerichtlichen Untersuchungskommission setzte sich das Offizierskorps des Ersatzbataillons IR 71 zu 60% aus jüdischen Offizieren zusammen. — Militärgericht des k. u. k. KreisKmdo Kragujevac, Κ 403/18 an MGG/S, 29. VI. 1918 - KA, KM Abt. 5 v. 1918,64—50/9—20. Hptm. i. d. Res. Franz Tasch gibt in seinen „Beobachtungen betreffend der Heimkehrer" 80% an. Den Standeslisten gemäß waren am 15. V. 1918 von den Säbelchargen 30% mosaischen Bekenntnisses. — Bericht des Hptm. der NaAbt. Tasch an MGG, 9. V. 1918 - KA, KM Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 5 0 / 9 - 1 7 , Big. 2.

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schien zunehmend aufreizend auf die Heimkehrer zu wirken, antisemitische Äußerungen wurden laut: „Wir werden es ihnen schon zeigen, diesen jüdischen Schweinen!"3 Der jüdische Offizier — ein gewolltes Feindbildklischee. Der angespeicherte Unmut mündete in eine Reihe von Zwischenfällen. Am 24. April war es zum ersten gekommen. Ein Heimkehrer, der noch keine Montur erhalten hatte und daher noch Zivil trug, war von einem Offizier zur Rede gestellt worden, weil er nicht vorschriftsmäßig gegrüßt hatte. Der Heimkehrer erklärte, er werde sich erst dann wieder an militärische Vorschriften halten, wenn er Uniform trage. Als der Offizier den Mann abführen lassen wollte, sah er sich einer entschlossenen Front von Heimkehrern gegenüber. Unter dem Hohngelächter der Heimkehrer mußte der Offizier, der es offensichtlich nicht zum Äußersten kommen lassen wollte, samt Wacheskorte wieder abrücken. Schon am nächsten Tag, dem 25. April, ereignete sich ein ähnlicher Vorfall. Diesmal war es ein Rittmeister der Dragoner, der von zwei Heimkehrern des IR 71 nicht gegrüßt wurde. Wiederum kam es zu einem Wortwechsel. Als der Rittmeister die beiden verhaften lassen wollte, verhinderte eine Gruppe Heimkehrer abermals das Festnehmen ihrer Kameraden 4 . Bereits zwei Tage später der nächste Zwischenfall: Ein Heimkehrer, der Korporal Benyovszki, wollte in die Kompaniekanzlei der 3. Ersatzkompanie, um hier wegen der noch immer ausständigen Heimkehrgebühren vorzusprechen. Ein Rechnungs-Unteroffizier, ein Jude, verwehrte ihm den Eintritt. Wieder kam es zum Wortwechsel, gesteigert bis zur Äußerung: „Wir gehen nicht mehr an die Front, die Juden, die in den Kanzleien sitzen, sollen an die Front!" Auch Benyovszki hätte verhaftet werden sollen, aber wiederum waren die Heimkehrer, und zwar sämtliche Heimkehrer der 3. Ersatzkompanie geschlossen, gegen die Wacheskorte aufgetreten. Ein weiterer Vorfall: Am Nachmittag des 30. April sollte ein junger Fähnrich den Heimkehrern taktischen Unterricht erteilen. Am Schluß sprang einer der Heimkehrer auf und brüllte den Fähnrich an: „Wir haben genug gekämpft! Nieder mit dem Kriege! Nieder mit den Juden!" 5 Der Fähnrich wollte den Zwischenrufer zur Rede stellen, die übrigen Heimkehrer begannen zu randalieren. Erst ein älterer Offizier konnte die Ruhe wiederherstellen. Die Folge dieser Vorfälle: Das Ersatzbataillonskommando setzte Gegenmaßnahmen an. Der Kommandant, ein ausgezeichnet beschriebener Offizier, der Oberstleutnant Marx 6 , nahm Fühlung mit dem militärischen Abwehrdienst 3

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Hptm. i. d. Res. Tasch, MGG/S - NaAbt. an KM, 15. VI. 1918 - KA, KM Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 5 0 / 9 - 1 7 , Big. 2 (6.832, 7.042). k. u. k. MGG/S NaAbt. — Bericht des Hptm. i. d. Res. Franz Tasch über das Verhalten der Heimkehrer beim Ersatzbaon IR 71, an AOK, 9. V. 1918 — KA, KM Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 2 6 / 4 5 (6.127). k. u. k. MGG/S NaAbt. - Bericht des Hptm. Tasch - an AOK, 9. V. 1918 - KA, KM Abt. 5 v. 1918, 64 - 26/45 (6.127). Qualifikationsliste Arthur Marx, geb. 18. VII. 1867 — KA, Fasz.Nr. 1.901: Vormerkblatt für die Qualifikationsbeschreibung vom 18. X. 1917 bis 10. IX. 1918 (GM Rudolf von

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auf. Der Abwehrdienst sollte etwaige „bolschewistische Hetzer" unter den Heimkehrern ausfindig machen. Der Abwehrdienst des Militärgeneralgouvernements Serbien war für seine gründliche Arbeit ebenso bekannt wie beim Gegner berüchtigt. Belgrad entsandte vier Agenten nach Kragujevac. Die vier meldeten sich bei der örtlichen Nachrichtenstelle. Sie wurden als „Heimkehrer-Infanteristen" auf die Kompanien des Ersatzbataillons angesetzt 7 . Sie hatten den Auftrag, die Heimkehrer zu überwachen und etwaige „bolschewistische Agitationen" sofort der Nachrichtenstelle bzw. den Kompaniekommandanten zu melden. Die Agenten, vor allem der bei der 1. Ersatzkompanie eingeteilte Agent Jindra, arbeiteten mit großem Geschick. Jindra gelang es, binnen kürzester Zeit das Vertrauen der Heimkehrer zu gewinnen. Und die Berichte des Agenten vermitteln ein deutliches Bild der Stimmung unter den Heimkehrern wenige Tage vor Ausbruch der Meuterei. Über die Zeit der Kriegsgefangenschaft war ein ganzes Register von bestimmenden Erlebnissen zu hören: „Beim alten russischen Regime im Jahre 1914—15", so hieß es einleitend, „ist es uns noch ziemlich schlecht gegangen. Verpflegung war nicht gut, arbeiten mußte man viel." Allerdings: „Ein sehr gutes Leben ist für uns eingetreten, als die Bolseviki die Regierung übernahmen. Von diesem Zeitpunkt an war kein Unterschied mehr zwischen Offizieren und Soldaten, auch kein Unterschied zwischen russischen Soldaten und Kriegsgefangenen. Wir wurden als freie Menschen und Brüder erklärt. Wir konnten Geschäfte, Gewerbe etc. betreiben, wir sind unbelästigt von einem Orte in den anderen gegangen. Wir hatten eigene Zeitungen und konnten öffentliche Versammlungen abhalten. Viele unserer Kameraden heirateten in Rußland und sind heute glückliche Leute." 8 Die schlüssige Folgerung: „Wir bedauern, daß wir zurückgekommen sind. Hier wird man nur als ein Vieh behandelt. Verpflegung, Bekleidung und überhaupt alles ist sehr schlecht, ein großer Unterschied gegen Rußland. Bei alledem verlangt man, daß wir noch für das Vaterland kämpfen sollen." Daraus wieder resultierend die Motivation des Aufbäumens: „Das wird mit uns sehr schlecht gehen, da wir sehen, daß dieser Krieg nicht wegen uns Armen geführt wird, sondern damit die Kapitalisten sich die Taschen voll machen können." Und schon ist ein konkretes Angriffsobjekt da: „Warum gehen die Fiebich-Ripke, Gouverneur-Insp. für Nordkreise des M G G ) — „Entschiedener, fester Charakter, hervorragend pflichttreu und initiativ, rastlos fleißig und unermüdlich tätig . . . Hat als Kmdt des ErsBaon IR 71 vorzüglich entsprochen und hat stets in allen Zweigen gleich vorzügliche Ausbildungsresultate erzielt . . . Von bester Einwirkung auf Untergebene. Führt und leitet sein Offizierskorps tadellos." ' k. u. k. M G G / S NaAbt., Bericht des Hptm. i. d. Res. Tasch, an K M ; k. u. k. Nachrichtenoffizier in Kragujevac, Na.Nr. 70, an k. u. k. Kreiskommando in Kragujevac, 5. VI. 1918 — KA, K M Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 5 0 / 9 - 1 7 (7.042, 6.832). 8 Tagesbericht Agent Hubert Jindra an k. u. k. Nachrichtenoffizier in Kragujevac, 21.V.1918 — K A , K M Abt. 5 v. 1918, 64—26/28.

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Juden nicht an die Front? Jeder ist ausgefressen, schön angezogen und ist die ganze Zeit im H i n t e r l a n d e . . . die Armen aber müssen kämpfen und sich erschlagen lassen." 9 Die sich zunehmend deutlich abzeichnenden Zielgruppen der Angriffe: Offiziere und Feldkuraten, Juden und Deutsche. Jindra arbeitete sich an immer neue Informationen heran. In Rußland waren nicht wenige, so berichteten die Heimkehrer, bei der „Druzina" gewesen. Und hier in der Heimat wollte man jedenfalls nicht an die Front. Wie man es anzustellen habe, solche Einteilung zu verzögern, wußte der Infanterist Svoboda zu sagen: „Unsere Herren glauben, daß sie mich gleich in die Front bekommen. Nein! Ich habe mir folgenden Plan ausgedacht, welcher mir bis heute gelungen ist, und zwar: Aus der Kriegsgefangenschaft bin ich direkt zu I R 77 eingerückt. Von dort aus erhielt ich einen Monat Urlaub, welchen ich mir um ca. drei Wochen allein verlängerte. Als ich wieder zu I R 77 eingerückt bin, verlangte ich Transferierung zu I R 71, welche ich auch erhielt. Jetzt gehe ich am 21. V. . . . wieder auf Urlaub, diesen werde ich mir ebenfalls allein verlängern. Und dann, wenn ich schon einrücken werde müssen, verlange ich wieder Transferierung, da ich doch hier fremd bin, zu I R 83. Dort werde ich dasselbe machen." Und schließlich: „Wenn es mit (dem) Urlaub nicht weiter gehen wird, dann werde ich einfach marodieren." 10 Gespräch mit dem Gefreiten Brna und dem Infanteristen Grausei: Brna war der Wortführer, erzählte über die Zeit seiner Gefangenschaft. Auch hier die Reue, zurückgekehrt zu sein: „Ich bedauere, daß ich aus Rußland gekommen bin. Dort lebte ich, wie ich hier nie leben werde. Ich war in einer Schusterei angestellt und verdiente auch 40 Rubel täglich. Ein anderes Leben ist hier. Da kann man verhungern und nur solange, daß man eigenes Geld hat, kann man halbwegs leben." Und wieder das Angriffsobjekt: „Hier leben nur sehr gut die Offiziere und die Juden . . . " n Erfahrungen, die man gemacht haben wollte: „Im Lager Kurkus, Galizien, sind neun Offiziere, von denen sind sechs Juden, der Kommandant ist auch einer. Sie haben dort ihre ,Huren', mit welchen sie sich täglich bei Musik unterhalten. Im Lager sind vier Kantinen, alle sind von Juden b e s e t z t . . . Wenn man wirklich mit uns Soldaten gut denkt, warum gibt man diese Kantinen nicht unseren Soldaten, welche bereits Invalide sind, oder Frauen, die die Männer verloren haben? Im Lager Kurkus waren wir ca. ein Monat und erhielten in dieser Zeit nur sechsmal Brot. Uns wurde das Brotrelutum vom Hauptmann versprochen. Wie wir aber abgehen sollten, und als es vor der Auszahlung war, ist der Hauptmann direkt durchgegangen und wir erhielten für diese Zeit im Ganzen ca. 23 Kronen." Nicht besser als die jüdischen Offiziere kamen die katholischen Feldkuraten weg: „Damit sie uns den Mund zumachen, wollen sie, daß wir so oft als mög• Ebenda. Ebenda. 11 Tagesbericht Agent Hubert Jindra an Nachrichtenoffiizier in Kragujevac, 25.V. 1918 — KA, K M Abt. 5 v. 1918, 64—26/28. 10

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lieh in die Kirche gehen und beichten sollen, da sie wissen, daß die Pfaffen beste Erfolge beim Volke haben." Und gleich ein Beispiel: „Am besten hat es uns ein böhmischer Feldkurat gesagt: Burschen! Mädchen kann ich Euch nicht geben, aber . . . beten muß ich Euch lernen, da ich monatlich melden muß, wieviel Leute gebeichtet haben und in der Kirche waren. Wer gescheit ist, kann sich meine Lage vorstellen." 12 Korruption bei Liebesgaben — Brna fuhr fort: „Ich habe in der Zeitung gelesen, daß für die Heimkehrer Liebesgaben gesendet wurden, wir hatten jedoch bis heute keine gesehen. Dafür mußten aber wir den Juden eine ungarische Zigarette mit 20 h bezahlen, welche wahrscheinlich aus den Liebesgaben stammt. Es ist uns audi Flaschenwein in die Hände gekommen, auf welchem die Aufschrift ,für Kgf.' war. Den Wein verkauften die Juden um teures Geld." Zorn auf die Deutschen: „Am besten haben es die Deutschen. Die haben alles was sie wollen. Sie sind die Herren, und wir sind ihre Sklaven. Wo wir mit ihnen zusammengekommen sind, waren wir nur von ihnen ausgelacht." Für den Kaiser zu schlecht, für die Front gut genug: „Am 23. Mai sollten wir von Belgrad nach Kragujevac fahren, da kam das Aviso, daß Seine Majestät nach Belgrad kommen wird. Da haben sie uns gleich vergattert und haben uns in den Seitengassen der Stadt herumgeführt, aus Angst, damit wir eventuell nicht von Seiner Majestät gesehen werden." Resignation: „Ja hier im Hinterlande werden wir ,Zerlumpten' versteckt und die Schönen gezeigt, aber in die Front werden wir geschickt, und die Schönen bleiben hier." Da band auch der Eid nicht mehr: „Am besten war es bei der Eidesleistungs-Abnahme im Lager Kurkus. Als der Pfaffe vorgelesen hatte: Ich verbleibe am Lande, Wasser und in der Luft treu, hörte man: Ich bleibe meiner Frau, meinen Kindern treu, oder andere Leute antworteten überhaupt nichts." 13 Am 26. sprach Jindra mit dem Infanteristen Janicsek und Korporal Bacsa. Janicsek führte das Wort, holte rückblickend aus: „Als der Krieg angefangen hat, ging man wirklich noch mit Freude ins Feld, da man wirklich glaubte, daß wir eine gute Sache verteidigen. Ein anderes Bild jedoch kam schon nach kurzer Zeit zum Vorschein: Man fing an, uns zu buserieren, mit dem Erschießen zu drohen, mit einem Worte: Man wollte mit Gewalt (die) Vaterlandsliebe heben." Und nochmals ging es gegen die Feldkuraten: „Am besten hat mir immer so ein Feldkurat gefallen, wenn er mit dem Kreuze in der Hand beim Vorgehen ins Gefecht schrie: ,Burschen, nur vorwärts, vorwärts!' Er aber zog sich immer zurück, damit ihn, den heiligen Mann, eine Feindeskugel nicht treffe." Und neuerlich gegen Offiziere und Juden: „Die Offiziere zeigten sich als die besten Vaterlandsverteidiger, wie zum Beispiel Hauptmann Spira, welcher sich allein eine Revolverkugel in die Fleischgegend des Fußes jagte, damit sein Jüdisches Leben' erhalten b l e i b t . . . " 12 13

Ebenda. Ebenda.

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Nochmals die Reue über die Heimkehr und schon der Zug zur Rebellion: „Am besten hatten wir es in Rußland. Dort lebten wir wie die Herren . . . Als wir ,Trotteln' jedoch zurückgekommen sind, fing das Sauleben an. Im Lager Krasno, Galizien, erhielten wir in der Zeit von einem Monat höchstens sechsmal Brot, die Offiziere jedoch fressen, saufen und unterhalten sich mit den Huren. Und dabei wollen sie, daß wir, die Schweinehunde, und wie sie uns sonst nennen, kämpfen sollen. J a aber für wen? Für die Juden, welche sich die Taschen auf unser Konto voll machen, oder vielleicht für die Herren, welche gut leben wollen? Nein! So blöd sind wir nidht mehr! Wir haben an der Sache schon übergenug, und außerdem erhielten wir in Rußland eine sehr gute Schule. Dort waren auch solche Verhältnisse, aber das russische Volk hat dem ein Ende gemacht.. ." 14 Neuerlich traf es die Deutschen: „Wir werden aufgefordert, für das Vaterland zu kämpfen, und dabei kämpfen wir eigentlich für die Deutschen. In unserem Lande wird alles bis zum letzten requiriert, unsere Kinder und Frauen hungern und die Deutschen fressen, saufen und rauchen unseren Tabak und dabei blasen sie sich auf, daß sie die ganzen Erfolge des Krieges haben. Ja, was haben wir denn gemacht, wir haben nicht gekämpft?" Und Janicsek bezog andere ein, begann zu drohen: „Ich werde schon dem ein Ende machen! Weh dem Juden, Pfaffen oder sonst jemandem, wenn ich auf Urlaub komme und sehen werde, daß meine Kinder gehungert haben und die Herren des Landes alles haben. Dem breche ich alle Knochen." Da gingen sie zum Parkfest der Kaiser-Karl-Woche. Janicseks Kommentar: „Ja, wieder ein guter Schwindel. Ich möchte nur wissen, welche Invalide aus dem Geld etwas bekommen, da doch bekannt ist, daß unsere Kameraden, welche bereits Invalide sind, hungern müssen. Ich glaube, daß das ganze nur für die Herren, welche bereits volle Taschen haben, bestimmt ist. Wenn diese Sache so aufrichtig ist, warum sind hier so viel Gendarmen? Ich möchte gleich Lust haben, einen zu entwaffnen und ein bißchen die Herren dort beim Tische mit dem Bajonett oder Kolben zu bearbeiten." Und Janicsek spuckte aus: „Ja, jeder hat bei sich seine Hur, welche wie eine Prinzessin angezogen ist, und wir hungern und gehen zerrissen wie die Lumpen." Und die Konsequenz: „Burschen, wir müssen uns für die Arbeit vorbereiten." Und mit Arbeit war der Aufstand gemeint. Und man vereinbarte, wie man agitieren, „aufhetzen" werde . . . 15 Andere kamen hinzu . . . Starinszky, der Offiziersdiener des Hauptmanns Spira: „Das größte Schwein ist doch mein Herr. Das, was er macht, kann man nur von einem Juden wie er ist haben. Wo er nur kann, buseriert er die Leute. So ζ. B. hat er unlängst einen Infanteristen, da er einem Einjährig-Freiwilligen Korporal nicht Schuhe putzen wollte, auf zwei Tage e i n g e s p e r r t . . . " 14

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Tagesbericht Agent Hubert Jindra an Nachrichtenoffizier in Kragujevac, 26.V.1918 — K A , K M Abt. 5 v. 1918, 64—26/28. Ebenda.

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Janicsek provozierte: „Du bist auch wie ein General ausgezeichnet." Starinszky darauf: „Ich scheiße auf die Medaillen." Und eine Gruppe sang das verbotene „ N a d Tatru se bliska". Dazwischen Rufe: „Hoch die Slaven! Tovarisi!" und „Nieder mit den Ungarn!" und „Hoch Revolution!" und „Hund!" und „Schwein!" hieß es nochmals über Hauptmann Spira . . . 16 Dann führten Jindras Erkundungen sogar zu einem Feldwebel. Der Feldwebel Jankulik war ganz offen: Jindra gegenüber bezeichnete er sich als „Agitator der Revolutionspartei". Er erklärte, daß es binnen zwei, drei Monaten in der Monarchie zur Revolution kommen würde. Bereits im Lemberger Heimkehrerlager seien diesbezüglich Gespräche unter den Heimkehrern geführt worden und man habe folgendes beschlossen: Zunächst wolle man die Bevölkerung aufklären und gegen die Monarchie aufhetzen. Dann werde man sich mit sozialdemokratischen Abgeordneten in Verbindung setzen. Wenn es schon nicht zu umgehen sei, daß man wieder an die Front geschickt werde, so werde man auf ein gegebenes Zeichen den Kampfplatz verlassen, wie es die Bolseviki gemacht hätten 1 7 . Die Folgen der Berichte blieben nicht aus. Die Nachrichtenstelle Kragujevac sorgte dafür, daß jene Heimkehrer, die sich verdächtig gemacht hatten, unauffällig verhaftet und in das Heimkehrer-Übergangslager Kenyermezö abtransportiert wurden. Die Tätigkeit der Agenten zeigte damit zweifellos gewisse Erfolge. Aber sie sollte bald lahmgelegt werden. Und ausgerechnet der von den Heimkehrern so sehr gehaßte Hauptmann i. d. Res. Spira war es, der den Weiterverbleib der Agenten beim Ersatzkörper untergrub. Der H a u p t mann Spira erklärte nämlich den ihm unterstellten Unteroffizieren warnend, sie mögen nur aufpassen, er werde schon alles in Erfahrung bringen, was gegen ihn geplant sei. Er habe bei der Kompanie Agenten eingestellt, die ihm alles melden würden 1 8 . Diese Äußerung machte rasch die Runde. Die Heimkehrer wurden vorsichtiger, und ihr Verdacht richtete sich audi bald gegen Jindra. Der sah sich daraufhin genötigt, seine Arbeit einzustellen. Eine der letzten Meldungen, die Jindra weiterleitete, war ein Gespräch mit dem Infanteristen Simko der MG-Abteilung. Simko erklärte: „Jetzt können wir nichts machen. Wie wir erfahren haben, sollen die Leute, die in der russischen Kriegsgefangenschaft waren, beim Abmarsch der Marschkompanie ins Feld keine Munition erhalten, jedoch jene Rekruten, die mit uns gleichzeitig gehen werden, sollen Munition bekommen. Diesen Rekruten werden wir auf eine Art und Weise die Munition abnehmen und dann komplett bewaffnet uns dem Abmarsch an die Front widersetzen." 19 16

Ebenda. Als Jindra die Frage stellte, woher Jankulik denn die finanziellen Mittel für seine Pläne nehme, antwortete dieser, dafür würden schon Rußland und Frankreich sorgen. — MGG/S NaAbt. an AOKNaAbt. in Wien, 28. V. 1918 - Κ Α , Κ Μ Abt. 5 ν. 1 9 1 8 , 6 4 - 5 0 / 9 - 1 7 , Big. 4. 18 Ebenda. " Meldung des Agenten Jindra an NaOffz. Kragujevac, 30. V. 1918 — KA, KM Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 5 0 / 9 - 1 7 . 17

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Mißgeschick für den Abwehrdienst, daß die Agenten gerade zu dem Zeitpunkt ausfielen, da sich unter den Heimkehrern des Bataillons die ersten Ansätze für eine Revolte abzeichneten. Und Ironie am Rande, daß gerade jener Mann die Tätigkeit der Agenten unterbrach, der ein gerüttelt Maß Anlaß für den Ausbruch der Meuterei in Kragujevac gegeben hat: jener Hauptmann Spira, Kommandant der 1. Ersatzkompanie. Er war bei der Mannschaft nicht nur unbeliebt, weil der Zug zum Antisemitismus sie erfaßt hatte oder weil er nur daheim, noch nie an der Front gewesen war, nein, man haßte ihn, weil der Hauptmann übermäßig streng und hart war, weil er sogar — wie man zu berichten wußte — prügeln ließ. Man warf ihm vor, er habe dem Infanteristen Mihok am 27. Mai 50 Stockhiebe versetzen lassen, weil dieser Infanterist ärarische Schuhe gestohlen habe, um sie in der Stadt gegen Lebensmittel einzutauschen. Und am meisten hatte die Mannschaft empört, daß sie hatte antreten müssen, um der Züchtigung zuzusehen20. Noch am 30. Mai hatte die Nachrichtenstelle Kragujevac auf Grund der von den Agenten eingelangten Meldungen die vorgesetzten Behörden in Belgrad und Wien eingehend über die Situation in Kragujevac informiert. Die Stimmung unter den Heimkehrern sei durchaus staatsfeindlich, hieß es in dieser Information, die Erbitterung gegen das Offizierskorps groß. Man dürfe auch nicht vergessen, wie die serbische Bevölkerung der Monarchie gegenüber eingestellt sei. Sollte es zu einer Revolte kommen, so sei es nicht ausgeschlossen, daß die revolutionäre Bewegung um sich greifen würde. Die einzelnen Vorfälle, die sich bis jetzt beim Ersatzbataillon abgespielt hätten, seien der Zivilbevölkerung von Kragujevac weitgehend bekannt und mit großer Sympathie aufgenommen worden. Bis jetzt hätten die Heimkehrer noch keine Verbindung mit der serbischen Zivilbevölkerung angestrebt. Aber es könne nicht garantiert werden, daß dies in Zukunft nicht der Fall sein würde 21 . Möglich, daß die Nachrichtenabteilung in Belgrad und die zuständigen Behörden in Wien und Pozsony 22 die Dinge nicht ernst genug nahmen. Möglich auch, daß der Behördenweg zu lange Zeit in Anspruch nahm. Wirksame Gegenmaßnahmen wurden jedenfalls nicht ergriffen. Die zuständigen Militärbehörden wiesen vielmehr auf den Inspektionsbericht des Generalobersten von Pflanzer-Baltin hin. Und dieser Inspektionsbericht lautete auf „vorzüglich". Der Generalinspektor hatte das Ersatzbataillon Ende April inspiziert und war dabei zu folgendem Urteil gelangt: „Ich habe mit Befriedigung wahrgenommen, daß der bereits 1917 festgestellte hohe Ausbildungsstand des Ersatzbataillons IR 71 andauert. Der Kommandant Oberstleutnant Marx hat das Bataillon sowohl disziplinär als auch in 20

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k. u. k. NaOffz. Kragujevac, Rttm. Ritzoffy, an k. u. k. Kreiskommando in Kragujevac, 5. VI. 1918 - KA, KM Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 5 0 / 9 - 1 7 . k. u. k. NaOffz. Kragujevac, Bericht über die Stimmung der Heimkehrer, an MGG/S NaAbt., o. D. - KA, KM Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 5 0 / 9 - 1 7 . Das Militärkommando Pozsony war für die Ergänzungsangelegenheiten des IR 71 zuständig.

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punkto Ausbildung in der Hand. Die Ausbildung kann in allen Zweigen als vorzüglich bezeichnet werden." 2 3 Was die Führung anbelangt: Die Offiziere seien sehr gut, die älteren Unteroffiziere sogar vorzüglich, die jüngeren gut 24 . Mit seiner Beurteilung der Bataillonsführung hatte der Generaloberst — wie nicht zuletzt die Ereignisse der Revolte beweisen sollten — nicht unrecht. Außerdem rückte das Gros der Heimkehrer erst nach der Inspektion zum Ersatzbataillon ein. Damit ergaben sich in personeller Hinsicht neue, für eine Revolte grundlegende Voraussetzungen. Rund einen Monat später, am 2. Juni, brach der Aufruhr los. Der Funke in der Baracke: „Die Decke auf den Feldwebel!" Der 2. Juni — ein Sonntag — war ein glühend heißer Tag. Schon am Nachmittag war die Mannschaft des Ersatzbataillons in den verschiedenen Gast- und Schanklokalen der Stadt und der näheren Umgebung anzutreffen. Der Alkohol erhitzte die Gemüter, und in erregten Worten kam die Mißstimmung über die Zustände beim Ersatzbataillon zum Durchbruch. Die Heimkehrer der 6 . / X L I . Marschkompanie, die erst kurze Zeit vom Heimaturlaub zurück waren, taten sich dabei besonders hervor. Sie hatten eben die Not in der Heimat erlebt, und sie mußten jeden Tag damit rechnen, an die Front abzugehen. Reden voller H a ß gegen Vorgesetzte, gegen Militär- und Zivilstellen griffen um sich . . . Aber noch war es allein beim Widerwillen geblieben. Der Großteil der Mannschaft kehrte pünktlich zur Retraite in die Quartiere zurück. Gegen 21 Uhr 30 schien alles ruhig — in der Kaserne ebenso wie in den Heimkehrerbaracken —, die Heimkehrer waren audi hier von der übrigen Mannschaft getrennt untergebracht. Aber es sollte nicht lange ruhig bleiben. Einer kam eben verspätet daher: der Infanterist Riljak. Angeheitert stapfte er in die Heimkehrerbaracke herein. Und er begann in dem im Parterre gelegenen Zugszimmer zu randalieren. Da erschien der Feldwebel Bednar. Er wies Riljak energisch zurecht. Aber Riljak wurde immer lauter und brüllte den Feldwebel an, er solle sich nicht einmischen und sich zum Teufel scheren25. Der Feldwebel befahl daraufhin Riljak für den nächsten Tag zum Rapport. Gerade in diesem Augenblick betrat ein größerer Trupp Heimkehrer die Baracke, etwa 30 bis 50 Mann, ebenfalls alkoholisiert; sie kamen am Zugs" Genlnsp. der Fußtruppen, Res.Nr. 200, an M K S M , 15. V. 1918 - KA, M K S M v. 1918, 29-1/1-7. " Ebenda. 25 M G G / S NaAbt., Bericht des Obstlt.-Auditors Cornelius Bärdosy an KM, 11. VI. 1918; MilKmdo Pozsony, Präs.Nr. 14.432/Gstb. an KM, 14. VI. 1918; M G G / S , Na.Nr. 893 res., an AOK NaAbt., 5. VI. 1918; NaOffz. Kragujevac an k. u. k. Kreiskommando in Kragujevac, 5. VI. 1918 - KA, K M Abt. 5 v. 1918, 64 - 5 0 / 9 - 1 7 ; Militärgericht des k. u. k. Kreiskommandos Kragujevac, Κ 403/1918, an MGG/S in Belgrad, 29. VI. 1918 - KA, K M Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 5 0 / 9 - 2 0 (8.167).

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zimmer vorbei. Da begann Riljak lauthals zu schreien: „Helft mir, der Feldwebel will midi zum Rapport haben!" Unmut der Heimkehrer gegen den Vorgesetzten, Mut, den ihnen der Alkohol machte, trafen zusammen: „Die Decke auf den Feldwebel!" 26 Und der Feldwebel bekam „die Decke" . . . Aber dabei sollte es nicht bleiben. Eine Lawine kam ins Rollen. Plötzlich waren sämtliche Heimkehrer der 3. bis 6. Marschkompanie bewaffnet, und schon wurden die ersten Parolen laut: „Auf, jetzt kämpfen wir für unsere Freiheit!" und „Nur zuerst die Offiziere erschlagen, dann wird die Sache schon klappen!" Und unter diesen Rufen wurde die Kaserne gestürmt 27 . Dem Feldwebel Bednar war es im letzten Augenblick noch gelungen zu entweichen und den Kasern-Inspektionsoffizier zu alarmieren: den Oberleutnant i. d. Res. Deutsch. Der Oberleutnant setzte sofort die Kasernwache in Alarmbereitschaft. Aber die elf Mann starke Bereitschaft war, kaum da, auch schon überrannt. Der Oberleutnant erhielt dabei einen Lungendurchschuß und einen Kolbenhieb über den Kopf 28 . Plünderung der Kaserne. Das Munitionsmagazin wurde aufgebrochen und die Kantine demoliert, die Standesdokumente wurden zerfetzt. Dann wurde noch die eiserne Kasse der 3.Ersatzkompanie ausgeraubt, etwa 110.000 Kronen entwendet 29 . Der erste Vernichtungsrausch war verflogen. Wie sollte es weitergehen? Zwei Chargen übernahmen das Kommando: der Zugsführer Hugyesz und der Gefreite Klenyar. Hugyesz zog mit einem Trupp zum Arsenal, um Munition zu verschaffen, Klenyar mit einem weiteren Trupp zum Bahnhof. Klenyars Absicht: Kragujevac sollte von der Außenwelt abgeschnitten werden. Immer wieder aber klang der Ruf auf: „Sucht nach Offizieren, tötet die Offiziere, dann wird die Sache schon klappen!" Eine Schar revoltierender 71er drang in das Reservespital in der Stadt ein. Audi hier sollte die Mannschaft zum Anschluß gezwungen werden. Der diensttuende Zugsführer stellte sich entgegen. Ein paar Ohrfeigen ließen ihn weichen. Ein Korporal, der Korporal Kremen, wurde entdeckt: Er hatte sich 26

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Der Ausdruck „die Decke" bedeutete im Soldatenjargon: Über denjenigen, der „die Decke" bekommen sollte, wurden Kotzen geworfen und der Betreffende darunter gründlich verprügelt, wobei dieser Vorgang für die Angreifer den Vorteil hatte, daß der Verprügelte unter der Decke später nicht angeben konnte, wer ihn geschlagen hatte. — Militärgericht des Kreiskommandos in Kragujevac, Κ 403/1918, an MGG/S, 29. VI. 1918; Kreiskommando Kragujevac, Res.Nr. 1.496/11, an MGG/S, 7. VI. 1918 - KA, KM Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 5 0 / 9 - 2 0 und 6 4 - 5 0 / 9 - 1 7 . Ebenda. Ebenda; k. u. k. ErsBaon IR 71, Res.E.Nr. 1.259/Adj., an MilKmdo Pozsony, Kragujevac 3. VI. 1918 - KA, KM Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 2 6 / 4 5 . Ein Teil des Geldes wurde später bei einem Heimkehrer-Feldwebel gefunden, der es in einem Seifenstück verborgen hatte. — MGG/S, Na.Nr. 893 res., an AOK NaAbt., 5. VI. 1918 — KA, KM Abt. 5 v. 1918, 64—50/9—17, Big. 5; Militärgericht des Kreiskommandos Kragujevac, Κ 403/1918, an MGG/S, 29. VI. 1918 - KA, KM Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 5 0 / 9 - 2 0 (8.167).

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im Spital verstecken wollen. Er mußte sich unter dem Gelächter der Meuterer die Distinktionen von der Uniform reißen. In der Zwischenzeit hatte der Gefreite Klenyar mit den ihm folgenden Heimkehrern den Bahnhof besetzt und sämtliche Telephonkabel zerstört 30 . N u n hing alles davon ab, ob es den Meuterern gelingen würde, das Arsenal samt den dort befindlichen Waffen- und Munitionsvorräten zu nehmen. Aber audi in Kragujevac dachten die Heimkehrer zunächst vor allem ans Plündern. So wurden auf dem Marsch durch die Stadt Kaufläden ausgeraubt, ein mit Besuchern voll besetztes Feldkino beschossen31. Der Angriff auf das Arsenal verspätete sich. Der Angriff auf das Arsenal, in dem auch die Maschinengewehr-Ersatzkompanie des Bataillons untergebracht war, erfolgte erst zu einem Zeitpunkt, da die Garnison alarmiert worden war und da der Oberstleutnant Marx die Gegenaktionen bereits eingeleitet hatte. Der Bataillonskommandant hatte entschlossen gehandelt. Er konnte sich in erster Linie auf die in Kragujevac stationierten Dragoner des D R 7 32 sowie auf eine lOcm-Haubitz-Batterie des Militärgeneralgouvernements Serbien stützen. Bei der MaschinengewehrErsatzkompanie des IR 71 erschien es schon eher fraglich, ob die Mannschaft gegen ihre Kameraden vorgehen würde. Gleich, als er gegen 23 Uhr von den Vorgängen informiert worden war, hatte der Ersatzbataillonskommandant die Dragoner-Schwadron im Arsenal alarmiert. Auch die Batterie der Gebirgsartillerie erhielt Befehl, in Richtung der Kaserne aufzufahren. Bald hatte sich der eine oder andere Subalternoffizier des Bataillons eingefunden. Die Offiziere brachten wiederum treu gebliebene Mannschaft mit, vor allem Rekruten, die froh waren, den Händen der Meuterer entronnen zu sein. Die Gegenaktion gewann an Nachdruck 33 . Der Oberstleutnant ging mit einem Zug der Dragoner-Schwadron — zu Fuß formiert — und drei MG-Zügen gegen die Kaserne vor. Nächst der Brücke über die Lepenica stießen die Züge auf die ersten meuternden Heimkehrer. Sie wurden durch einige Feuerstöße verjagt. Die Maschinengewehre wurden in der Hauptstraße in Stellung gebracht, der Dragoner-Zug am Rand des Platzes vor der Kaserne in Schwarmlinie aufgelöst. Ein weiterer Trupp Meuterer erschien. Der Anführer wurde von einem Offizier vorbefohlen. Als er Anstalten machte, den Offizier anzugehen, ihn niederzustechen, wurde er von Oberstleutnant Marx „über den Haufen geschossen". Der Oberstleutnant ließ den Platz vor der Kaserne durch die Maschinengewehre abstreuen. Aus der überzähligen MG-Mannschaft und aufgefangenen 30

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Militärgericht des Kreiskommandos Kragujevac, Κ 403/1918, an MGG/S in Belgrad, 29. VI. 1918 - KA, KM Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 5 0 / 9 - 2 0 . Ebenda. In den Farbentabellen keine Angaben. DR 7 ergänzte sich aus dem Bereich des MilKmdo Prag. Militärgericht des Kreiskommandos Kragujevac, Κ 403/1918, an MGG/S, 29. VI. 1918 — KA, KM Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 5 0 / 9 - 2 0 (8.167).

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Soldaten, größtenteils Rekruten, wurde eine halbe Kompanie als Reserve formiert 34 . Die Meuterer zogen sich nun in die Kaserne zurück und sammelten sich im Kasernenhof. Da gab der Oberstleutnant Marx der Artillerie Feuerbefehl. Es war 1 Uhr morgens. Nach einem Warnschuß wurden 31 scharfe Schüsse gegen die Kaserne abgegeben35. In die Gassen der Stadt wurden Patrouillen entsandt. Systematisch wurde Kragujevac nach Meuterern durchkämmt. Schon gegen 1 Uhr 30 war die Stadt frei passierbar. Die Meuterer verteidigten ihr letztes Bollwerk, die Kaserne, mit Energie. Das Artilleriefeuer ließ sie zwar nicht unbeeindruckt, aber die Gruppen des Oberstleutnants Marx konnten sich dennoch nur mühsam an die Kaserne heranarbeiten. Die revoltierenden 71er hatten sich geschickt verschanzt. Mit Leuchtraketen erhellten sie immer wieder das Vorfeld der Kaserne und erschwerten jede Annäherung. Es war halb 5 Uhr morgens, als der Sprung in die Kaserne gelang, als der Oberstleutnant Marx mit seiner Mannschaft in die Kaserne eindringen und sie besetzen konnte. Die Rückführung in die militärische Einteilung folgte auf dem Fuß. Der Hornist des Ersatzbataillons blies zur „Vergatterung". Nach 5 Uhr morgens war der größte Teil der Mannschaft in Marschkompanien und Rekrutenzüge formiert, vor der Kaserne stellig gemacht36. Von den 500 bis 600 Meuterern standen um 5 Uhr 45 bis auf ca. 50 Mann alle in Reih und Glied. Bei den Kämpfen waren auf Seiten der Meuterer sechs Mann getötet und zehn verwundet worden. Ein weiterer Meuterer wurde, als er bei seiner Festnahme am 3. Juni Widerstand leistete, erschossen37. Das noch in der Nacht vom 2. auf den 3. Juni vom Militärgeneralgouvernement Serbien nach Kragujevac befohlene V I I I . Bataillon bh. I R l 3 8 traf am Nachmittag des 3. ein. Es sollte bis auf weiteres in Kragujevac bleiben. Die beim Ersatzbataillon aus Rekruten und Nichtheimkehrern gebildeten Marschkompanien aber durften nun als vollkommen verläßlich bezeichnet werden 39 . Die Hinrichtung der

Vierundvierzig

Es folgte die Konfrontierung mit der Militärjustiz. Oberstleutnant-Auditor Cornelius Bardosy und Hauptmann-Auditor Dr. Kappel leiteten die stand34

K

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Bericht des Kmdt des ErsBaon IR 71, Obstlt. Marx, ErsBaon IR 71, Res.Nr. 1.259/Adj., an MilKmdo Pozsony, 3. VI. 1918 - KA, K M Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 2 6 / 4 5 . Militärgericht des Kreiskommandos Kragujevac, Κ 403/1918, an MGG/S, 29. VI. 1918 — KA, K M Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 5 0 / 9 - 2 0 (8.167). Bericht des Kmdt des ErsBaon IR 71, Res.Nr. 1.259/Adj., an MilKmdo Pozsony, 3. VI. 1918 - KA, K M Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 2 6 / 4 5 . Militärgericht des Kreiskommandos Kragujevac, Κ 403/1918, an MGG/S, 29. VI. 1918 — KA, K M Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 5 0 / 9 - 2 0 . VIII/bh. IR 1: 79% Serben und Kroaten, 12% Magyaren, 5% Deutsche, je 1,5% Slowenen und Italiener, 1% Tschechen — KA, Farbentabellen 1918. Bericht des Kmdt des ErsBaon IR 71, Res.Nr. 1.259/Adj., an MilKmdo Pozsony, 3. VI. 1918 - KA, K M Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 2 6 / 4 5 .

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gerichtlichen Untersuchungen40. Am 4. Juni wurde das Verfahren eröffnet, bereits einen Tag später standen 58 Hauptbeteiligte fest. Uber sie wurde ab 6. Juni standgerichtlich verhandelt. Noch während des Verfahrens wurde ein weiterer Meuterer vor das Standgericht gestellt, so daß das Gericht über insgesamt 59 angeklagte Angehörige des Ersatzbataillons zu urteilen hatte. Am 8. Juni, 10 Uhr, wurde das Urteil des Gerichtes verkündet. Es war hart. Es lautete in nicht weniger als 44 Fällen: „schuldig" und „Tod durch Erschießen". 15 Angeklagte wurden mangels an Beweisen dem ordentlichen Verfahren übergeben41. Audi über die letzten Stunden der Verurteilten in Kragujevac liegt ein Augenzeugenbericht vor. Gegen 14 Uhr formierte sich im Hof des Kreiskommandos der Zug. Die Begleit- und Exekutionsmannschaft stellte das Assistenzbataillon der Bosnier. Durch die von der Bevölkerung dicht gesäumten Straßen der Stadt ging es hinaus zum Schießplatz — vorneweg, auf weißem Pferd, der Bataillonskommandant, ein weiterer Offizier zu Pferd, danach in breiter Front eine Assistenzeinheit, dann in elf Viererreihen die zum Tode Verurteilten. In ihrer Mitte ein Priester mit dem Kruzifix. Abschließend wieder Assistenztruppen. Frauen am Straßenrand, weinend, händeringend, sie riefen die Verurteilten mit Vornamen an, sie boten letzten Gruß, ein Mädchen riß sich aus der Menge los, stürzte heran, um noch einmal den Ihren zu umarmen. Die Eskorte trennte. Der Großteil der Verurteilten schritt den letzten Weg ruhig und gefaßt. Manche grüßten zurück in die Menge im Spalier, aber auch Schmerz und Angst zogen mit, und einer rief nach der Mutter. Am Schießplatz draußen, vor der ersten Aufschüttung, hielt der Zug. Rechterhand stand die Kragujevacer Garnison angetreten, linkerhand drängte sich die Zivilbevölkerung. Vor der Aufschüttung wurden die Verurteilten aufgestellt, das Peloton auf 20 Schritt gegenüber. Nochmals Verlesung des Urteils, der Priester sprach das „Vater unser", den Verurteilten wurden die Augen verbunden, manche lehnten ab, einer schrie gellend in die Stille: „Schießt nur, Ihr Mörder . . . " Das Peloton trat vor, der Kommandant senkte den Säbel, die Salven krachten. Furchtbare Szenen — eine Reihe der Exekutierten war nur schwer verletzt, wand sich im Blut. Die Soldaten schössen erneut auf die Sterbenden . . . Ärzte in weißen Mänteln tauchten auf, den Tod festzustellen. Der Exekutionskommandant ritt an den Garnisonskommandanten heran, meldete den Vollzug des Befehls. Der Garnisonskommandant erhob sich in den Bügeln, hielt kurze Ansprache, vom Verrat und von den Pflichten des Soldaten dem Kaiser und König gegenüber, und über den Toten brachte er auf ihn, den 40 41

Oberstleutnant-Auditor Cornelius Bärdosy war der Justizreferent des M G G Serbien. MGG/S, Bericht des Obstlt.-Auditors Cornelius Bärdosy an MGG/S, 29. VI. 1918 — KA, KM Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 5 0 / 9 - 1 7 , Big. 7.

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Monarchen, in dessen Namen hier gerichtet worden war, ein dreifaches Hoch a u s . . . 42 Auf Befehl des Militärgeneralgouverneurs, Generaloberst Freiherr von Rhemen, mußte die gesamte im Bereich des MGG Serbien stationierte Mannschaft aller Chargengrade der Armee, der Landwehr und der Honved über die Vorfälle in Kragujevac unterrichtet werden. In dem Befehl hieß es: „Es hat sich der bedauerliche Fall ergeben, daß Heimkehrermannschaft des IR 71 in Kragujevac, von bolschewikischen Ideen besessen, ihren Seiner Majestät, unserem allergnädigsten Kaiser und König geleisteten Treueid schmählich vergessend, gemeutert haben . . ."43 42

Militärgericht des Kreiskommandos Kragujevac, Κ 403/1918, an MGG/S, 29. VI. 1918 — KA, K M Abt. 5 v. 1918, 64—50/9—20; Jozef HUDECEK in Alois Z I P E K : Vojenske vzpoury Ν roce 1918 (Militärische Aufstände im Jahre 1918). In: Domov za välky. V/1918. Praha 1931. 51 f. Die Szene der Exekution hat in dichterischer Freiheit auch Karl Kraus festgehalten. 13 Der Befehl führte weiter aus: „ . . . Dem energischen und initiativen Eingreifen des Kreiskommandanten in Kragujevac und des Ersatzbataillons-Kommandanten im Vereine mit dem wackeren und getreuen Verhalten der 6. Schwadron des DR 7, der 10 cm Haub.-Batterie des MGG/S, der MG-Komp. IR 71 und den übrigen ihres Eides eingedenk verbliebenen Teile des Ersatzbataillons IR 71 ist es gelungen, mit Waffengewalt der Meuterei in kürzester Zeit Herr zu werden. Am 8. Juni 1918 nachmittags wurden nach standrechtlicher Behandlung die 44 eidvergessenen Rädelsführer: Feldwebel Viktor Kolibik, Zugsführer Johann Hugyecz, Korporal Johann Fabr, Korporal Josef Zsorial, Gefreiter Adam Danis, Gefreiter Paul Klenar, Gefreiter Alois Seliger, Gefreiter Georg Dvorszky, Infanterist Paul Salaga, Infanterist Andreas Baläzs, Infanterist Andreas Szmrtnik, Infanterist Martin Riljak, Infanterist Andreas Jarjabka, Infanterist Stephan Racz, Infanterist Alfons Gal, Infanterist Stephan Radzo, Infanterist Franz Gyurkacs, Infanterist Denes Jeszenszky, Infanterist Joseph Csuvaj, Infanterist Karl Miklusicsak, Infanterist Alois Vojar, Infanterist Petar Piatos, Infanterist Matthias Frnyak, Infanterist Josef Lasso, Infanterist Paul Kubicza, Infanterist Vinzenz Csimbora, Infanterist Joseph Hotyko, Infanterist Johann Krizsan, Infanterist Johann Gohr, Infanterist Valentin Miko, Infanterist Adam Bicsanik, Infanterist Johann Kasper, Infanterist Josef Hajdik, Infanterist Martin Kulisek, Infanterist Martin Czingel, Infanterist Stephan Szokolik, Infanterist Laurenz Rakovan, Infanterist Johann Pittner, Infanterist Stephan Bednarik, Infanterist Stephan Sznorak, Infanterist Johann Szlezak, Infanterist Andreas Brvenik, Infanterist Andreas Kisa, Infanterist Andreas Mikus (Namensschreibung unverändert nach der Quelle, A. d. V.) in Kragujevac angesichts der Garnison erschossen. Gegen einzelne in die Wälder von Kragujevac verschlagene und noch nicht ergriffene Meuterer wird nach Habhaftwerden mit aller Strenge des Gesetzes vorgegangen. Dies ist der gesamten unterstehenden Mannschaft aller Chargengrade von den Unterabteilungs- oder Abteilungskommandanten persönlich zu verlautbaren und sind dieser eingehendst und eindringlichst die Konsequenzen vor Augen zu führen, die solch eidvergessenes, schurkisches Vorgehen zur Folge hat. Ich verleihe für tapferes, entschlossenes und beispielgebendes Vorgehen anläßlich der Niederwerfung der meuternden Heimkehrer des IR 71 am 3. Juni d. J. die silberne Tapferkeitsmedaille II. Klasse: dem Fähnrich d. R. Richter Max und dem Res.Zugsführer Mohr Anton, beide vom k. u. k. DR 7 (Schwadron 6). Belgrad, 10. Juni 1918 gez. Freiherr v. Rhemen, Generaloberst m.p." — MGG/S, Reservat-Befehl Nr. 23 - KA, KM Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 5 0 / 9 - 1 7 , Big. 6. Vgl. Nachlaß Obstlt. Marx — KA, B/51; vgl. Karel P I C H L I K , Bojovali proti välce (Sie kämpften gegen den Krieg). Praha 1953. 64.

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Nochmals standen 71er vor dem Richtertisch, nun im ordentlichen Verfahren. A m 27. Juni wurden ein Korporal zu 15 Jahren und vier Infanteristen zu je acht Jahren verschärften Kerkers verurteilt 44 . Strafgericht audi für die Offiziere. 26 Offiziere, denen nachgewiesen werden konnte, daß sie sich überhaupt nicht bzw. nicht energisch genug an der Niederwerfung der Meuterei beteiligt hatten, wurden wegen „Hintansetzung der Dienstvorschriften und Nichterfüllung der militärischen Pflichten" vor Gericht gestellt. Die Urteile waren vergleichsweise mild. Die Offiziere wurden zu je 30 Tagen Zimmerarrest verurteilt. Man hatte ihnen vor allem zum Vorwurf gemacht, daß sie erst zu einem Zeitpunkt in Erscheinung getreten waren, da die Revolte bereits niedergeschlagen war. Der Strafvollzug wurde bis zum Kriegsende ausgesetzt 45 . Das Urteil von Kragujevac war das härteste gewesen, das Meuterer der k. u. k. Armee im Jahre 1918 getroffen hatte. Wirkte es abschreckend? Seit dem Zeitpunkt der Meuterei mehrten sich beim Kreiskommando Kragujevac die Anzeigen über Gewalttaten, die von serbischer Bevölkerung verübt worden seien. So wurden am 7. Juni im Bezirk Arandjelovac vier Gendarmen, die nach flüchtigen Meuterern gefahndet hatten, meuchlings ermordet. Es galt bei den Militärbehörden als erwiesen, daß sich die beim Ersatzbataillon abgängigen Meuterer mit Einheimischen zusammengetan und Banden gebildet hatten 46 . Die Ruhe beim Ersatzbataillon IR 71 selbst währte nur kurze Zeit. Schon sehr bald nach der Meuterei vom 2. Juni wurden neuerlich Unmutsäußerungen laut, wieder loderte der H a ß der Heimkehrer gegen die vorgesetzten Offiziere auf. Abermals wurden Agenten in die Kompanien des Ersatzbataillons eingeschleust 47 . Tagesgespräch erster Ordnung unter den Heimkehrern war die 44

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Militärgericht des Kreiskommandos Kragujevac, Κ 403/1918, an M G G / S , 29. VI. 1918 — KA, K M Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 5 0 / 9 - 2 0 (8.167). Es handelte sich dabei um folgende Offiziere: Hauptmann Nikolaus von Rudnay, Oberleutnant Rudolf Orlinsky, Oblt. i. d. Res. Zoltän Magyar, Oblt. i. d. Res. Markus Hochfelder, Oblt. i. d. Res. Stephan Ungar, Oblt. i. d. Res. Stephan Kada, Lt. Karl Löschner, Lt. i. d. Res. Alexander Münk, Lt. i. d. Res. Georg Lang, Lt. i. d. Res. Karl Fink, Lt. i. d. Res. Ferdinand Saitz, Lt. i. d. Res. Josef Jindacsek, Lt. i. d. Res. Ignaz Gabel, Lt. i. d. Res. Alexander Jako, Lt. i. d. Res. Eugen Wagner, Lt. i. d. Res. Geza Sztarna, Lst.Lt. Dr. Franz Schmelzer, Fhr. i. d. Res. Anton Klacsko, Fhr. i. d. Res. Gustav Viszolaj, Fhr. i. d. Res. Daniel Drobaszky, Fhr. i. d. Res. Karl Miliska, Fhr. i. d. Res. Paul Benko, Fhr. i. d. Res. Julius Epstein, Fhr. i. d. Res. Stephan Joboru, Fhr. i. d. Res. Leo Wenczel, Fhr. i. d. Res. Eugen Schoffan. - KA, K M Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 5 0 / 9 - 2 0 (8.167). M G G / S , Bericht über Meuterei in Kragujevac, Präs.Nr. 18.630, an K M , 15. VI. 1918 — KA, K M Abt. 5 v. 1918, 64 — 50/9—17. In einem Lagebericht, den das Militärgeneralgouvernement Serbien am 26. Juli nach Wien sandte, wurde ausdrücklich auf diese Tatsache hingewiesen und dem Kriegsministerium mitgeteilt, daß man die Anwesenheit einer größeren Kampftruppe im Raum für erforderlich halte. Das M G G sprach in diesem Zusammenhang von mindestens vier Bataillonen, drei Batterien und einer Sappeurkompanie. Damit sollte auch der immer stärker um sich greifenden Bandenbewegung im allgemeinen Einhalt geboten werden. — Vgl. dazu Hugo KERCHNAWE, Der Zusammenbruch der österr.-ung. Wehrmacht im Herbst 1918. München 1921. 9 f. Diesmal ging die Nachrichtenstelle Belgrad umsichtiger vor. Die Kompaniekommandanten wurden von der Tatsache, daß die Heimkehrer beobachtet würden, gar nicht mehr unter-

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mißlungene Revolte. D a meinte der Korporal Z a h u m e n s k y : „Unsere Leute sind blöd, daß sie sich nicht in den K o p f hineintrompeten lassen, einig zu sein, u n d den Gescheiteren z u folgen, dann wäre alles schon weiter gekommen!" Derselben Ansicht w a r auch der Infanterist Bacsko: „Sie haben es blöd gemacht, daß sie das M a g a z i n u n d die Kantine ausgeraubt haben u n d sich gegenseitig erschlagen haben. Sie hätten die Offiziere erschlagen sollen . . . " und: „ D i e Bosniaken sind audi blöde, d a ß sie die eigenen Brüder erschlagen haben." D i e Konsequenz: D a s nächste Mal m ü ß t e n sie klüger vorgehen . . . 4 8 richtet. — k. u. k. ErsBaon IR 71, Abwehrstelle unter Res.Nr. 77, Spitzelberichte über Heimkehrer, an MGG/S NaSt., 20. VIII. 1918 - KA, KM Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 2 5 / 7 (10.520); MGG/S an AOK und K M über Stimmung unter den Heimkehrern nach der Meuterei, 15. VII. 1918 - KA, KM Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 5 0 / 8 - 7 (8.579). " Ebenda. Das Justizreferat des M G G Serbien beantragte für das Ersatzbaon IR 71 eine Reihe von Maßnahmen: „1. Schleunige und gründliche Sichtung des Offizierskorps. Einteilung solcher Offiziere an die Front, die trotz ihrer Tauglichkeit noch nicht oder zu kurze Zeit im Felde waren, ferner einen möglichst weitgehenden Austausch der Offiziere gegen erfahrene, umsichtige und energische, die auch sprachenkundig sind und für die Mentalität des Mannschaftsmateriales beim Ersatzbataillon Interesse besitzen. 2. Gleiche Sichtung auch hinsichtlich der Chargen, namentlich der in den Verwaltungszweigen tätigen. Das Kriegsministerium möge trachten, daß nur geeignete Unteroffiziere, die für das Wohl und Wehe des Mannes und dessen Behandlung Verständnis haben, eingeteilt werden. 3. Telegraphische Veranlassung der Abtransferierung des Hauptmanns Spira, gegen den sich der allgemeine Haß der Mannschaft richtet, da er für die Behandlung der Heimkehrer kein Verständnis besitzt. 4. Gründliche Inspizierung des Bataillons, um alle Klagen der Mannschaft entgegenzunehmen, die Ursache der fortgesetzten Unzufriedenheit festzustellen und sofortige Abhilfe zu schaffen. 5. Das Kriegsministeriinn möge verfügen, daß der Feldkurat Cserni, der im Reserve-Spital in Arandjelovac Dienst tut, allwöchentlich einmal zum Bataillon reist, um dort den Seelsorgedienst zu versehen. Eine Zutransferierung des Feldkuraten Cserni zum Bataillon erscheint nicht unbedingt notwendig. 6. Dem genannten Feldkuraten wäre aufzutragen, über seine Wahrnehmungen bezüglich der Unzufriedenheit der Mannschaft unmittelbar dem Militär-General-Gouvernement Serbien Bericht zu erstatten." — MGG/S, Bericht des Obstlt.-Auditor Cornelius Bärdosy an MGG, an KM, 11. VI. 1918 — KA, K M Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 5 0 / 9 - 1 7 , Big. 7. Das Kriegsministerium war prinzipiell mit den Vorschlägen einverstanden. In seine Maßnahmen bezog es allerdings überraschenderweise auch die Ablösung des Obstlt. Marx ein. Es verfügte: 1. Verlegung des Ersatzbaons nach Besztercze in Siebenbürgen; 2. Sichtung des Offizierskorps, Reduktion des Anteils der jüdischen Offiziere; 3. Ablösung des Kommandanten des Ersatzbaons; 4. Belehrung der Offiziere aller Ersatzkörper über den Werdegang der Heimkehrer und ihre Gesinnung, um eine entsprechende Behandlung anzubahnen. — Einsichtsakt des KM Abt. 5, Nr. 7.042, 13. VIII. 1918 - KA, M K S M v. 1918, 2 8 - 2 / 4 5 - 2 .

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D. F O L G E R U N G E N U N D PARALLELE GEFAHRENHERDE

1. AUSWERTUNG UND KONSEQUENZ DER UNTERSUCHUNGEN

Um die Schichten der Motivation Die Heimkehrermeutereien hatten Krisenherde der Armee offen sichtbar werden lassen. Die Untersuchungen zielten — soweit es der oft gegebene Zeitdruck zuließ — darauf ab, neben den Anlässen die Ursachen der Bewegungen zu erfassen. Die sozialpolitischen Ursachen standen außer Zweifel. Darüber hinaus verfolgte man Spuren in den nationalen Bereich, in eventuelle national-politische Befehlszentren. In dieser Richtung versandeten die Nachforschungen freilich in Vermutungen. In beschränkter Weise Rumburg, in erweitertem Maße Judenburg, Murau und Radkersburg boten noch die wesentlichsten Anhaltspunkte. Aber audi diese letzteren Fälle zeigen — darauf untersucht — deutlich Grenzen ihrer national-politischen Relevanz. Sowohl der Leiter der standgerichtlichen Untersuchung wie der Kommandant der Assistenztruppen, GM von Kosel, waren sich in ihren Berichten an das Kriegsministerium zunächst darüber einig, daß die Meuterei in Judenburg spontan ausgebrochen und nicht von langer Hand vorbereitet gewesen sei. So meldete der Generalmajor in seinem ersten ausführlichen Bericht an das Kriegsministerium: „Die Meuterei scheint von einigen wenigen Rädelsführern spontan veranlaßt und einem plötzlichen Auflodern der allgemeinen Unzufriedenheit, keinesfalls aber einer lange vorbereiteten und organisierten Bewegung entsprungen zu sein."1 Zur selben Ansicht gelangte das Standgericht. Wörtlich heißt es im Ermittlungsakt, den das Divisionsgericht Graz, Expositur in Judenburg, dem Kriegsministerium in Wien vorlegte: „Die Meuterei ist zweifellos spontan entstanden. Als Hauptursache kann . . . die Unzufriedenheit über die Ernährung angegeben werden." 2 General von Kosel fügte in seinem Bericht allerdings hinzu, daß diese Unzufriedenheit mit der Verpflegung durch drei weitere wesentliche Elemente geschürt worden sei. Sie führten in den Bereich ideologischer Bindung. Da sei zunächst die „nationale Verhetzung" der Mannschaft seitens der KorosecPartei zu nennen3. Zweitens dürfe man nicht vergessen, daß es die Heimkehrer gewesen seien, die die Meuterei ausgelöst hätten, und diese seien zweifellos Träger bolschewistischer Ideen. Audi sei in letzter Zeit beobachtet worden, daß Mannschaft des IR 17 mit kriegsgefangenen Russen des Lagers Knittelfeld, die mit dem Rad nadi Judenburg gekommen waren, fraternisiert 1

Bericht des GM Kosel über die Vorfälle in Judenburg an KM, 18. V. 1918, — KA, MKSM v. 1918, 28-32/2. ' Divisionsgericht Graz: Ermittlungsakt Judenburg — KA, KM Abt. 5 v. 1918, 64—26/45. * GM von Kosel wies in diesem Zusammenhang darauf hin, daß 130 Mann des Ersatzbataillons IR 17 Abonnenten national-slowenischer Zeitungen seien.

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habe. Drittens aber müsse man auch die allgemeine Respektlosigkeit gegenüber der Staatsgewalt, nicht zuletzt bedingt durch die fortwährende Amnestierung von Hochverrätern, für die eingetretene Entwicklung verantwortlich machen4. Was die Heimkehrer anbelangt, so war sich selbstverständlich auch das Standgericht darüber im klaren, daß ihnen ein „eminenter Anteil an der Urheberschaft und Inszenesetzung der Ausschreitungen zukommt" 5 . So heißt es im Gerichtsakt: „Die Heimkehrer haben die günstigen Ernährungsverhältnisse in Rußland den mangelhaften Ernährungsverhältnissen in der Heimat entgegengesetzt und sich dahin geäußert, daß sie nicht freiwillig aus der Gefangenschaft zurückgekehrt seien, um an die Front geschickt zu werden. Sie waren über den geringen Urlaub nach der Heimkehr und die unmittelbar erfolgte Einteilung in eine Marschformation nicht nur enttäuscht, sondern auch unzufrieden. Die äußeren Begleitumstände der Ausschreitungen in Betracht ziehend, kann man diese mit denjenigen der Bolseviki wohl gleichhalten." 6 Bezüglich „nationaler Verhetzung" gelangte das Standgericht zu folgender Meinung: „Uber den Einfluß national-politischer Ursachen kann wohl gesagt werden, daß dem Wirken der jugoslawischen Parteien und im weitesten Maße auch der Revolutionskampagne der Entente gegen die Monarchie und so dem englischen Propagandaministerium irgendeine Rolle zugeschrieben werden kann, ohne daß dafür unmittelbare Anhaltspunkte vorhanden wären." 7 Am 21. Mai sandte der General von Kosel einen weiteren Bericht an das Kriegsministerium, und in diesem Bericht revidierte er zumindest zum Teil seine ursprüngliche Ansicht über die Ursachen der Judenburger Meuterei. Der General war nun zu der Auffassung gelangt, daß die Meuterei doch vorbereitet und von bestimmten Kreisen gelenkt gewesen sein könnte. Der Grund solcher Meinungsänderung wird deutlich, wenn man bedenkt, was sich seit dem ersten Bericht, der mit 18. Mai datiert gewesen war, abgespielt hatte. Auf Grund der gerichtlichen Untersuchung glaubte man nun nicht nur gewisse Parallelen zur Meuterei in Murau zu erkennen, der General hatte inzwischen auch von der Meuterei in Rumburg Kenntnis erhalten. Eine der wesentlichen Parolen der meuternden 17er hatte „Wir gehen nach Hause!" gelautet, die Meuterer des Murauer 7.FJB hatten „Auf nach Laibach!" gerufen,und in Rumburg hatten die Heimkehrer die Losung „Auf nach Prag!" ausgegeben8. Man war nun der 4

Bericht des GM von Kosel über die Vorfälle in Judenburg an KM, 18. V. 1918 — KA, M K S M v. 1918, 28—32/2. Die geäußerte Annahme, daß die Heimkehrer von russischen Kriegsgefangenen beeinflußt worden seien, bleibt fragwürdig. 6 Divisionsgericht Graz: Ermittlungsakt Judenburg — KA, KM Abt. 5 v. 1918, 64—26/45. 7 * Ebenda. Ebenda. 8 GM von Kosel, Ergänzung zum Bericht vom 18. V. 1918 über Vorfälle in Judenburg an KM — KA, MKSM v. 1918, 28 — 32/2. Der Generalmajor glaubte zwar auch Hinweise dafür zu haben, daß die Meuterei in Judenburg geplant gewesen sei. So hatten die Heimkehrer des IR 17 versucht, Munition herzustellen: Sie bastelten Patronen. In einer Heimkehrerbaracke hatte man eine gebastelte 8mm-Patrone gefunden. Ein durchschlagender Beweis war das freilich nicht.

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Meinung, daß sowohl in Judenburg wie in Murau Laibach die H a n d im Spiel gehabt haben könnte. Die gerichtlichen Verhandlungen hatten zudem ergeben, daß von den Rädelsführern Aussprüche wie „Hoch der Panslawismus!", „Hoch die Jugoslawen!", „Hoch die Freiheit der Slowenen!" gefallen waren 9 . Wie in Judenburg verfolgte die Militärjustiz auch in Murau Spuren, welche die Meuterer als von extrem national-slowenischen Kreisen beeinflußt erscheinen lassen könnten. Vor allem aus dem Bericht der Bezirkshauptmannschaft: Murau an die Statthalterei Graz über das Ergebnis der militärgerichtlichen Untersuchungen 10 geht hervor, daß auch im Falle Murau das einschlägige Beweismaterial dürftig war. Man vermochte nicht viel mehr, als auf verschiedene Äußerungen der Meuterer während der Unruhen hinzuweisen, so auf den Ruf „Auf nach Laibach!", und schließlich auf den Abschiedsbrief des Unterjägers Olip 1 1 . Auch Murau konnte nicht als eine erstrangig von nationalen Beweggründen getragene Erhebung gewertet werden. Bleibt Radkersburg. Hier traten zweifellos stellenweise nationale Momente in den Vordergrund. Selbst slowenische Flüchtlinge hätten, so unterstreichen die städtischen Behörden, und das sicher nicht ganz unvoreingenommen, sich aktiv an der Meuterei beteiligt. Aus am Hauptplatz und in der Murgasse gelegenen Flüchtlingswohnungen seien in der Nacht der Meuterei Schüsse auf die Offiziere des Ersatzbataillons abgegeben worden. Und es müsse konstatiert werden, so heißt es weiter, daß die slowenische Mannschaft des Ersatzbataillons IR 97 selbst von einem fanatischen H a ß gegen die deutsche Bevölkerung besessen sei. Die italienische Mannschaft hingegen habe sich während der ganzen Meuterei auffallend zurückgehalten und sich nur zögernd den Slowenen angeschlossen. Die Stadtbehörden stellten den nationalen Antrieb zur Meuterei außer Zweifel 12 . Aber auch in Radkersburg waren für den Ausbruch der Meuterei zweifellos materielle Gründe ausschlaggebend. Binnen kurzer Zeit, zwischen dem 12. und 23. Mai, hatten drei Garnisonen in der Steiermark gemeutert. Immer hatte es sich um slowenische bzw. slowenisch-italienische Mannschaft gehandelt. Immer waren es Heimkehrer * Ebenda. Außerdem waren 17-er mit slowenischen Farben auf den Kappen aufgegriffen worden. BH Murau an Statth. Graz, 13. VI. 1918 - KA, KM Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 2 6 / 1 7 (6.956). 11 Die Militärjustiz gelangte zu der Auffassung, daß die Rädelsführer ihre nationalen Ziele lange Zeit vor der übrigen Mannschaft, die zum Großteil durchaus loyal eingestellt gewesen sei, verborgen gehalten hätten. Wenn aber die Haltung des Unterjägers Olip als Beweis dafür angesehen wird, daß der Aufstand der 7er-Jäger auf nationale Einwirkung zurückzuführen sei, dann wird man allerdings nicht außer acht lassen dürfen, daß Olip erst wenige Tage vor dem Ausbruch der Meuterei vom Heimkehrerlager zum Ersatzkörper eingerückt war. Dies erklärt auch die Tatsache, daß Olip noch Zivilkleider trug. — Ebenda. 12 Nachtrag des Stadtamtes Radkersburg — Bgm. Kodolitsch — zum Bericht vom 21. V. 1918 — KA, KM Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 7 / 2 - 8 (6.384). Der Bürgermeister faßte scharf zusammen: „Die Meuterei ist der Erfolg der von der österreichischen Regierung noch immer geduldeten, verhetzenden, aufrührerischen, auf die Zerreissung der Monarchie gerichteten Tätigkeit des slowenischen katholischen Priesters und Reichsratsabgeordneten Korosec und seiner geistlichen und sonstigen Anhänger . . . " — Stadtgemeinde Radkersburg an KM, 31. V. 1918 - AVA, Mdl Präs. 1918, 22-13.460.

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gewesen, die den Stein ins Rollen gebracht hatten. Besteht ein Zusammenhang zwischen diesen Meutereien? War eine Art „Marsch auf Laibach" geplant? Halten wir uns zunächst noch einmal vor Augen, wie das Militärkommando Graz das Verhalten der Heimkehrer, die in den Monaten März und April zum Ersatzkörper einrückten, beurteilte: „Die durch die Sammelstellen eingebrachten Heimkehrer haben bis zu ihrer Beurlaubung keinen Anlaß zu besonderen Klagen oder Beobachtungen gegeben. Sie schienen froh, den östlichen Verhältnissen entronnen zu sein, zeigten wohl mehr einen gleichgültigen Zustand, doch schienen sie sich mit der Zeit wieder in die früheren Verhältnisse einzugewöhnen. Anders jedoch, als die ersten Heimkehrer vom vierwöchigen Urlaub zurückkehrten. Die Sprache der Heimkehrer war nun sehr viel selbstbewußter. Viele waren über die zu Hause angetroffenen tristen Verhältnisse verstimmt. Es erschienen daher die Heimkehrer nach dem Urlaube bedenklicher als vor dem Urlaube." 1 3 Nach dem Einrücken vom Urlaub hatte es demgemäß erste wesentliche Schwierigkeiten gegeben. Das ist verständlich. Die Heimkehrer hatten die N o t ihrer Angehörigen miterleben müssen, die Verpflegsschwierigkeiten, sicherlich auch manchen Ubergriff seitens der militärischen Verwaltung. Und mehr noch, die Heimkehrer waren nach oft langen Jahren der Gefangenschaft gerade zu jenem Zeitpunkt in die Heimat gekommen, da die Parteien in nationaler Hinsicht zunehmend zu entschlossener, gegenüber dem Gesamtstaat negativer und radikaler Haltung ansetzten. Die Heimkehrer waren in der Heimat zweifellos auch mit den neuen Zielsetzungen der nationalen südslawischen Politik konfrontiert worden. Nicht zuletzt in der Zeit des Urlaubs war aus dieser Sicht daher das Heranreifen der Bereitschaft zur Auflehnung zu suchen14. Wir werden demgemäß die Werbewirksamkeit der nationalen Bewegung auf die in nationaler Hinsicht besonders relevanten Meutereien, ihre auch nationale Motivation, im slowenischen Bereich in Rechnung zu stellen haben. Dasselbe darf — allerdings in viel begrenzterem Umfang — für Rumburg festgestellt werden. Eine unmittelbare Steuerung durch politische Zentren wurde dagegen auch auf slowenischer Seite nie bewiesen und erscheint nicht gegeben 15 . 13

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15

MilRmdo Graz, Präs.Nr. 13.331/7 — Übersicht über Heimkehrer im Monate April — an K M , 26. V. 1918 - K A , K M Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 5 0 / 2 0 (5.883). Vgl. dazu auch den Bericht des AssKmdo G M von Herzmansky an MilKmdo Graz, 28. V. 1918 — KA, M K S M v. 1918, 28 - 2 / 4 0 - 2 . Die Militärbehörden waren sich der „Gewitterschwüle" in den südslawischen Gebieten auch durchaus bewußt. Bereits die Laibacher Unruhen im April hatten in dieser Hinsicht alarmierend gewirkt. — AOK, Evb.Nr. 19.617, Na.-Studie über die südslawische Frage und deren Rückwirkung auf die Armee — K A , M K S M v. 1918, 28 — 3/3 — 21. Vgl. OPOCENSKY", Umsturz in Mitteleuropa. 122. Mit Recht unterstreicht auch Pleterski das Nichtvorhandensein unmittelbar politischer Führung von der slowenischen Nationalbewegung her, wohl aber die sachliche Verbindung zwischen den Meutereien slowenischer Heimkehrer und der Werbewirksamkeit vor allem der Deklarationsbewegung. — PLETERSKI, Odlocitev. 239. Im selben Sinne dürfen die Feststellungen Farkas' in bezug auf den Mangel von strategischen Vorstellungen der revoltierenden Soldaten hervorgehoben werden. — FARKAS, Katonai összeomläs. 156 f.

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In viel geringerem Maße durfte der nationale Faktor in anderen Bereichen in Rechnung gestellt werden. Ein Beispiel: Przemysl. Das Militärkommando Przemysl konnte mit Recht folgende Gründe für die Meutereien anführen: Zu geringe Bindekraft der Monarchie: „Die Heimkehrer haben absolut kein Verständnis für staatliche Zusammengehörigkeit, für die Allgemeinsituation der Monarchie, f ü r die eiserne Notwendigkeit des Durchhaltens bis zum endgültigen Sieg." Die Ursachen für diese geringe Bindekraft: „Teils muß für diese Verständnislosigkeit die geringe Intelligenz und die mangelnde Schulbildung verantwortlich gemacht werden, teils haben die Eindrücke im anarchistischen Rußland die Leute schlecht beeinflußt." Die Werbekraft des Bolschewismus: „Besonders verderblich ist der jedwede Disziplin untergrabende und demoralisierende Einfluß der von bolschewikischen Ideen angesteckten Heimkehrer auf den Großteil der sich ruhig verhaltenden Heimkehrer und die Mannschaften des rollenden Ersatzes und der sonstigen Hinterlandsformationen." Erkennungssignal f ü r den Kern der Meuterer: „Diese zu disziplinwidrigen, unbotmäßigen Handlungen neigenden Heimkehrer sind meist jene Elemente, welche bereits vor dem Kriege als Fabriksarbeiter, Professionisten, Halbintelligenz etc. sozialistischen Vereinen oder Verbänden angehörten und durch Aufnahme der revolutionären bolschewikischen Anschauungen ihren zersetzenden Einfluß auf die übrige Mannschaft ausüben." 16 Zusätzlich der schädigende Einfluß der Umgebung: Als besonders bedenklich wurde angesehen, daß die Heimkehrer mit unzufriedener Zivilbevölkerung in Berührung kämen, daß sie von der Zivilbevölkerung über die Hinterlandsverhältnisse, audi über Streiks und Demonstrationen, genau informiert würden 1 7 . Die Konsequenz, die das Militärkommando gezogen sehen wollte: Am besten wäre es, die Heimkehrer sofort nach Beendigung des Rechtfertigungsverfahrens zur Armee im Felde abzuschieben, audi die Ausbildung — nicht zuletzt aus Gründen des Mangels an Ausbildungspersonal — außerhalb der Heimat vorzunehmen 18 . Ganz andere Konsequenz erwog man freilich im Kriegsministerium. Die Konsequenz, an die man im Kriegsministerium dachte, sollte dem breiten Band der Motivation entsprechen, die man festgestellt hatte. Dabei faßte man drei Motiv-Gruppen zusammen: soziale, politisch-nationale und militärische. Zu den sozialen Ursachen zählte das Kriegsministerium „die Ausbreitung der bolschewistischen Ideen durch Heimkehrer, die mangelhafte Verpflegung, die Urlaubsproblematik, die Nichtausfolgung der sogenannten Heimkehrgebühren und die Mißstände hinsichtlich der Bekleidung und Unterbringung". Unter die politisch-nationalen Ursachen ordnete das Kriegs16

17 18

MilKmdo Przemysl, Präs.Nr. 9.701/M. — Bericht über die Heimkehrer im Anhang an die Meutereien bei den Ersatzbataillonen IR 9, IR 40 und IR 55 - an KM — KA, KM Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 5 0 / 2 4 (6.435). Ebenda. Ebenda. Das Armeeoberkommando wies den Gedanken des Abschubs freilich zurück. Das AOK stellte fest, daß der Front mit Ersatztruppen, die Ausbildungsmängel aufwiesen, nicht gedient sei.

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ministerium vor allem Einflüsse aus dem Zivilbereich ein, „die nationalen Verhetzungen durch gewissenlose Politiker und durch Agenten der Entente, die Respektlosigkeit vor der Staatsgewalt und den Gesetzen infolge der zu erwartenden Amnestien und der allzu großen Pressefreiheit, die Anwesenheit fremder Zivilpersonen bzw. Flüchtlinge in den Garnisonen und deren Umgebung und die nichtgenügende Überwachung der Flüchtlingslager". Mit der dritten Motiv-Gruppe mußte man zur Selbstkritik schreiten. Zu den militärischen Ursachen wurden vor allem Führungs- und Organisationsmängel gezählt: „Mangel an Berufsoffizieren, die mangelhafte Qualität der Hinterlandsoffiziere, der Mangel an brauchbaren Unteroffizieren, die Gewährung von Strafaufschub, die zu frühe Marschbereitschaft der Marschformationen . . ." 19 „Die Schuld fällt in erster Linie auf die

Offiziere!"

Das Kriegsministerium erkannte offenbar deutlich, in welch hohem Maße durch die „tief bedauernswerten Vorfälle" die Verläßlichkeit der Wehrmacht in Frage gestellt war: „ . . . treten im Gefüge der Wehrmacht erschreckend deutlich und in beängstigender Häufigkeit Symptome jener planmäßigen Verhetzung hervor, die bisher im großen Ganzen doch immer nur auf Einzelfälle beschränkt waren und niemals ernsten Anlaß geboten hatten, für den traditionell guten Geist der Armee . . . bangen zu müssen." Die getragene Form der Darlegung und die darin gezeichnete scharfe Frontstellung macht die Tiefe des Bruches besonders deutlich: „Die Erfüllung der erhabenen Aufgabe der Kriegsmacht des Staates, nicht nur Schild und Schwert nach außen, sondern auch Stütze des Thrones und Hüterin der Ordnung im Innern zu sein, muß in Zweifel gezogen werden, wenn den gewissenlosen Schreiern und Hetzern nicht endlich das Handwerk gelegt wird." 20 Den Einfluß aus dem Zivilbereich wollte der Kriegsminister GO StögerSteiner sichtlich nicht gering eingeschätzt wissen. Die beiden Ministerpräsidenten machte der Minister daher auch in eindringlicher und mahnender Weise darauf aufmerksam. Gegen jene „gewissenlose Schreier und Hetzer" sollte jeweils die volle Strenge des Gesetzes zur Anwendung kommen, wobei jede Hoffnung auf zu erwartende Amnestie, Strafnachsicht oder Begnadigung von vornherein auszuschalten wäre. Noch hoffte der Generaloberst, mit den „gemeingefährlichen Volksbeglückern, Agitatoren und Demagogen" fertig zu werden, ehe das „Gift ihrer Umsturzideen" in die breite Masse und in die Reihen der Armee verpflanzt würde. Freilich mußte der Kriegsminister mit in Rechnung stellen, daß die politische Führung die fatalen Vorfälle in der le

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KM Abt. 5, Nr. 5.657: Studie über Ursachen der Meutereien, präs. Ende Mai 1918 — KA, KM Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 5 0 / 9 1 ; vgl. KM Präs. 20.272 an MP Wekerle, 22. VI. 1918 - MOL, Κ 26, ME 1918, II. t6tel, 7.248 res. KM Präs.Nr. 17.481, mit Beziehung auf Erl. Abt. 5, 5.535 res., an MKSM, 24. V. 1918; Erlaß KM Abt. 5, Nr. 5.535 res. an alle MilKmden, alle Ersatzkörper des k. u. k. Heeres, zur Kenntnis an MKSM, AOK, k. k. MfLV und k. u. LVM, 24. V. 1918 - KA, M K S M v. 1918, 2 8 - 2 / 4 1 - 1 bis 3.

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Armee, die sie mit Grund als ihre letzte Stütze anzusehen gewohnt war, mit Unbehagen registrierte. Kooperationsbereit sicherte er nun den beiden Ministerpräsidenten zu, die für die Ruhe im Innern verantwortlichen höchsten Verwaltungsbehörden über alle im Bereich der Armee zutage tretenden einschlägigen Vorfälle „ohne Beschönigung" auf dem laufenden zu halten. Weniger auf dem laufenden gehalten wollte der Kriegsminister die Öffentlichkeit wissen: „Zwingt der Ernst der Lage zu offener Sprache gegenüber den amtlichen Stellen, so ist es anderseits umsomehr geboten, Nachrichten über diese bedenklichen Erscheinungen der Zeit in der Presse unbedingt zu unterdrücken, weil alle als Anzeichen beginnender Zersetzung gedeuteten oder deutbaren Erscheinungen innerhalb der Kriegsmacht von den feindlichen Mächten begierig aufgenommen werden und sie ermutigen, die Last des Krieges noch weiterhin auf sicii zu nehmen, in der Hoffnung, daß ihnen die ,inneren' Feinde der Monarchie in die Hände arbeiten und behilflich sein werden, das Blatt zu ihren Gunsten zu wenden." Der Kriegsminister ersuchte demgemäß die beiden Ministerpräsidenten, der Handhabung der Zensurbestimmung in dieser Richtung ein ganz besonderes Augenmerk zuzuwenden 21 . Gegenüber der Öffentlichkeit auf diese Art abgesichert, wollte das Kriegsministerium „geeignete Maßnahmen" einleiten, um inneren Unruhen im eigenen Bereich künftig vorzubeugen — Selbstprüfung und Verhaltensforderungen für die Armee an der Schwelle zum letzten Gefecht: Das Ministerium zielte zunächst ohne Umschweife auf die Offiziere, auf die Frage der Führung. Die Disziplin, so hielt das Ministerium fest, für deren Begründung und Erhaltung der Offizier voll verantwortlich sei, habe im allgemeinen in erschreckender Weise nachgelassen: „Die Schuld fällt in erster Linie auf die Offiziere!" Aber der Schuldrahmen konnte gleich erweitert werden: Die Offiziere hatten nicht nur in der disziplinären Führung der Truppe, sie hatten auch in der Selbstdisziplin versagt. Es sei doch sehr auffallend, hatte sich der Kriegsminister vom ungarischen Ministerpräsidenten sagen lassen müssen, wie wenig Offiziere bei den Meutereien in Erscheinung getreten seien 22 . Zum Versagen der Offiziere stellte das Kriegsministerium nun kritisch fest: „Untersuchungen haben ergeben, daß bei den letzten Soldatenrevolten Offiziere in ihren Wohnungen geblieben sind, trotzdem sie auf den Straßen andauerndes Schießen und das Alarmsignal gehört haben, oder daß sie sich dem Einschreiten entzogen, indem sie sich unter nichtigen Vorwänden — Telephonmeldungen zu erstatten etc. — vom Schauplatze entfernten. Dieses Verhalten verstößt gegen die Standespflichten und ist schimpflich. Das strafgerichtliche Verfahren gegen diese Offiziere ist eingeleitet." 23 Note des KMer Stöger-Steiner, Präs.Nr. 17.481, an k. k. und k. u. MP, 24. V. 1918 — Κ Α , M K S M ν. 1918, 2 8 - 2 / 4 1 - 2 , 3 (mit Beziehung auf Erl. Abt. 5, Nr. 5.535/res.). "-2 MP Wekerle an Stöger-Steiner, 26. V. 1918 - HIL, HM ein. 1918, 15 a — 11. 384 (12.736). 23 K M Abt. 5, Erl.Nr. 5.535/res„ 24. V. 1918 K A , K M Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 2 6 / 6 . 21

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Und das Ministerium vermochte gleich das gegenteilige Verhalten in seinen Konsequenzen anzuführen: „Wo Offiziere am Fleck waren und sofort energisch eingegriffen haben, waren ihre Bemühungen auch von vollem Erfolg gekrönt; dies ist der Beweis, daß der pflichtbewußte und energische Offizier audi der schwierigsten Situationen Herr werden kann." Primär aber ging es nicht nur um die Uberwindung eines kritischen Augenblicks, es ging um langanhaltende Vorbeugung: Jeder Offizier sei verpflichtet, mahnte das Ministerium, sich unablässig um die Stimmung der ihm anvertrauten Abteilung zu kümmern. Alle Kommandanten wieder hätten die unterstehenden Offiziere zu überwachen und auf diese ununterbrochen einzuwirken, daß sie ihren Pflichten gegenüber der Mannschaft auch tatsächlich nachkämen. Auf stramme Disziplin sei seitens aller Offiziere strengstes Gewicht zu legen. Genaue Visitierungen der Ubikationen und Wachen bei Nacht seien durch die hiezu berufenen Offiziere laufend vorzunehmen. Die Welle des Aufbegehrens hatte zum Teil unbewaffnete Offiziere angetroffen und überspült. Das Ministerium dekretierte: Alle Offiziere haben stets mit Seitengewehr bewaffnet zu sein und, wo es die Verhältnisse erfordern, über Anordnung der Stationskommandanten auch mit Pistole, und zwar im und außer Dienst 24 . Im Moment der Krise jedoch sollte nicht gezaudert werden: Träten aufrührerische Strömungen und Äußerungen in Erscheinung, so müsse vom ersten Augenblick an energisches Einschreiten der Offiziere einsetzen. In Fällen von Meuterei würden vielleicht anfänglich keine geschlossenen taktischen Ver-> bände zur Niederringung der Bewegung zur Verfügung stehen. Es sei dann Pflicht der Offiziere, durch rasches Zugreifen die Treugebliebenen zu sammeln, die Schwankenden an sich zu reißen und mit ihrer Hilfe die Ordnung wiederherzustellen. Das Ministerium rief den Punkt 659 (2. Absatz) des Dienstreglements I. Teil in Erinnerung: „In Notfällen, namentlich bei Alarmierungen, Ausrückung zur Erhaltung der öffentlichen Ruhe und Ordnung, sowie gegen einen sich ungestüm oder tätlich widersetzenden Untergebenen, ist jeder Offizier berechtigt, von seiner Waffe Gebrauch zu machen, um seinen Befehlen den nötigen Gehorsam zu verschaffen, wenn ihm hiezu kein anderes Mittel zur Verfügung steht." Im Hintergrund stand auch schon die Drohung: Alle Kommandanten seien verpflichtet, Offiziere, die in dieser Hinsicht versagten, sofort der strafgerichtlichen Behandlung zuzuführen 25 . 24

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„Belehrung der Offiziere (anläßlich der Heimkehrermeutereien)", KM Abt. 5, Nr. 5.535/res. Beilage 1 - KA, MKSM v. 1918, 2 8 - 2 / 4 1 - 4 . Ebenda. Zu den militärischen Ursachen der Heimkehrermeutereien wurden unter anderem der Mangel an Berufsoffizieren und die meist mangelhafte Qualität der Offiziere und Fähnriche der Reserve für die Erziehung und Ausbildung der Mannschaft gezählt. Da aber der Mangel an Berufsoffizieren in absehbarer Zeit nicht zu beheben sei, schlug das AOK eine längere Ausbildungszeit für die Einjährig-Freiwilligen vor: Sie sollten erst nach zehn Monaten als Fähnriche ausgemustert werden. Auch eine strengere Auswahl an den Reserveoffiziersschulen wurde in Erwägung gezogen. — „Gegenmaßnahmen bei Meutereien von Ersatzkörpern",

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Die Lehren aus den Meutereien sollten freilich auch an die Mannschaften herangetragen werden. Den Mannschaften der Ersatzkörper, aber audi denen, die im Frontbereich standen, besonders jedoch den Heimkehrern, sollten die meuterischen Vorfälle in einigen Schwerpunkten warnend vor Augen geführt werden: 1. Die Verwerflichkeit der Meuterei: Sie sei es besonders zu einem Zeitpunkt, da die Monarchie den Kampf um ihre Existenz führe. 2. Die Erfolglosigkeit der Meuterei: Beim Eintreffen der nächsten Assistenzabteilungen würden die Meutereien jedesmal sofort gänzlich unterdrückt. Selbst größere Meutereien seien aussichtslos. 3. Die Folgen der Meuterei: Gegen Meuterer werde mit der ganzen Schärfe des Gesetzes vorgegangen und keinerlei Gnade gewährt. Standrechtsurteile würden sofort vollzogen. 4. Der Ursprung der Meuterei: In allen Fällen sei die Mannschaft durch den Terror einer kleinen Anzahl agitierender Elemente zu diesen Ausschreitungen gebracht worden. Ein energisches Eingreifen besonnen gebliebener Leute habe genügt, um den Terror zu brechen. Geschähe das nicht, so gelte das Wort: mitgegangen, mitgefangen, mitgehangen! Daher die Mahnung: Wenn irregeleitete Elemente eine Meuterei planten, sei es im ureigensten Interesse aller gutgesinnten Soldaten gelegen, dies sofort bei den ersten Anzeichen den Offizieren zu melden. Breche dennoch eine Meuterei aus, sei es die Pflicht jedes Soldaten, sich dem Terror der Meuterer zu widersetzen und sich mit anderen „Gutgesinnten" zusammenzuschließen, um die Meuterei im Keim zu ersticken . . . 26 Neue Voraussetzungen f ü r erfolgversprediende Bekämpfung von Unruhen in den eigenen Reihen aber sollten nicht nur durch Einwirkung auf die H a l tung von Offizieren und Mannschaften erzielt werden, sondern auch durch Vorkehrungen in der Disposition. Das Ministerium rügte, daß in manchen Garnisonen die laut Dienstreglement 27 vorgeschriebenen Alarmdispositionen überhaupt nicht bestünden, in anderen veraltet oder den gegebenen Verhältnissen nicht angeglichen seien. N u n wurde festgelegt: 1. In allen Stationen sind Alarmdispositionen von den Militärstationskommanden unter sorgfältiger Berücksichtigung nicht nur der Eventualität AOK Ch. d. G., Op.Nr. 107.772, an KM, 21. VI. 1918 - KA, KM Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 2 6 / 16-2. 2e „Belehrung der Mannschaft (anläßlich der Heimkehrermeutereien)", KM Abt. 5, Nr. 5.535/ res. Beilage 2 - KA, M K S M v. 1918, 2 8 - 2 / 4 1 - 5 . Als fünfter Punkt war der konkrete Anlaßfall der Einreihung von Mannschaften in die Marschkompanien genannt. Dieser Anlaß hatte oft zur Unruhe geführt. Das Ministerium verlangte nun Belehrung der Mannschaft in folgender Richtung: Die vom Hinterland abgehenden Marschkompanien würden nicht sofort in die Front eingeteilt, sondern deren Mannschaft werde rund zehn Wochen im Armeebereich weiterausgebildet. Im Armeebereich aber seien die Ausbildungs- und Verpflegsverhältnisse weit bessere als im Hinterland. " Dienstreglement. I. Teil. 1909. 222: § 66 — Alarmierungen.

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eines Aufruhrs der Bevölkerung, sondern audi mit Rücksicht auf etwa unverläßliche Truppen sofort neu zu verfassen. 2. Militärisch besonders wichtige Objekte der Station, wie Munitionsdepots, Waffendepots, Sprengmitteldepots, Munitions- und Waffenfabriken, Magazine usw., sind innerhalb jeder Garnison ausschließlich jenen Truppenkörpern zur Bewachung zu übertragen, die infolge ihrer inneren Zusammensetzung den geringsten Nährboden für die zweifelhaften Tendenzen bieten. Da es sich bei den bisherigen Meutereien zeigte, daß die Meuterer vor allem trachteten, sich in den Besitz der Munitionsdepots zu setzen, ist der Bewachung dieser Objekte ein ganz besonderes Augenmerk zuzuwenden. 3. Alle Vorkehrungen zur Sicherung der Bahnanlagen, der Telegraphen- und Telephonverbindungen, der militärischen und politischen Behörden sowie der wichtigsten öffentlichen Institutionen — z. B. E-Werke — müssen für den Bedarfsfall, wie Unruhen oder Eisenbahnerstreiks, sorgfältig durchdacht und derart vorbereitet sein, daß ein kurzer Befehl genüge, sie mit den im Bereich befindlichen Truppen zur verläßlichen Durchführung zu bringen. Bahnunterbrechungen sind tunlichst auszuschalten. Sollten bei Unruhen dennoch die normalen Verbindungsmittel versagen, muß auf eine andere Art für die Verbindung sowohl der Militärkommanden zum Ministerium als audi der Militärkommanden zu den größeren Garnisonen vorgesorgt sein — ζ. B. sind Kraftwagen in Richtung der nächsten Telegraphen-, Telephon- und Radiostationen abzusenden. Um schon bei Anzeichen drohender Unruhen zeitgerecht die Besetzung der militärisch oder für den Verkehr wichtigen Objekte bewirken zu können, sind — soweit notwendig — in diese selbst oder in deren Nähe verläßliche Abteilungen zu verlegen28. 4. Was für die Stationskommanden galt, war auch von den Truppenkörpern zu berücksichtigen: Im Rahmen der von den Stationskommanden zu erstellenden Alarmdispositionen haben die einzelnen Truppenkörper bzw. Ersatzkörper auch ihre Alarmdisposition sofort neu auszuarbeiten. Auch sie haben bei der Zuweisung der Aufgaben innerhalb des Truppenkörpers die größere oder geringere Verläßlichkeit der einzelnen Teile zu berücksichtigen. Und sie haben hiebei ebenso die in der Station zufallenden Aufgaben in ihre Planung einzubeziehen wie innerhalb des Truppenkörpers sich ergebende Sicherungsmaßnahmen vorzusehen. 5. Eine vorbeugende Maßnahme: Bei Anzeichen drohender Unruhen sind von den Militärstations- und Stationskommanden oder auch von den Truppenkommandanten unverläßliche Truppen zu entwaffnen 29 . Die beiden Verteidigungsministerien und die Militärkommanden gaben die Weisung des Kriegsministeriums weiter, ergänzten sie. Das Honved-Ministe28

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Erl. K M Abt. 5, Nr. 5.294: „Sicherung der Verkehrsanlagen und Verbindungen bei Unruhen (Vorbereitung)", 14. V. 1918 - KA, KM Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 8 2 . „Lokale Sicherheitsmaßnahmen (gegen Meutereien)", KM Abt. 5, Nr. 5.535/res. Beilage 3 - KA, M K S M v. 1918, 2 8 - 2 / 4 1 - 6 .

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rium in Budapest drängte seinerseits auf größtmögliche Energie in der Bekämpfung von Meuterern 30 . Die Weitergabe über die Militärkommanden führte bereits in Details. Ein Beispiel: Das Militärkommando Pozsony befahl konkrete Sicherungsmaßnahmen in den Truppenkörpern: Der Wach-, Bereitschafts- und Inspektionsdienst bei Nacht sollte verschärft werden. Die Bereitschaften — aus verläßlichen Mannschaften gebildet, mit Maschinengewehren verstärkt, unter dem Kommando eines Offiziers — seien nächst der Zimmer der Kasern-Inspektionsoffiziere unterzubringen. Im Laufe der Nacht sollten wiederholte Patrouillen in alle Mannschaftsunterkünfte durchgeführt werden. Im Ernstfall seien alle Kasernein- und -ausgänge sowie Stiegenaufgänge von Bereitschaften, eventuell mit Maschinengewehren verstärkt, zu besetzen, ein Verlassen der Kaserne sei unter allen Umständen zu verhindern. Der Rest der Bereitschaft habe zur Verfügung des Kasern-Inspektionsoffiziers — zur Alarmierung und Abholung der Offiziere, Verstärkung von Munitionsund Waifendepot-Wachen usw. — zu verbleiben. Teile der Bereitschaften sollten auch in der Nähe der Wohnung des Kommandanten des Ersatzkörpers bzw. der Station bereitstehen. Und ganz konkret hieß es für die Artillerie: „Die Artillerie (Hinterlandsbatterien) hat nach Weisung der Stationskommandanten die für den Bedarfsfall voraussichtlich zu beziehenden Stellungen zu rekognoszieren und die notwendigen Schußelemente für Tag- und Nachtschießen (gegen Kasernen, Brücken, Plätze, Bahnhöfe etc.) festzulegen." 31 Das Ministerium aber nahm auch zum Wirkungsgrad der einzuleitenden Maßnahmen Stellung. Es verlangte in jeder Hinsicht nachdrückliches Vorgehen bis zur Vernichtung: Die zur Niederwerfung einer Meuterei verwendeten Truppen haben mit größter Energie gegen die Meuterer vorzugehen. Ihr Ziel muß die unbedingte und bedingungslose Niederwerfung jedweden Widerstandes sein. Wo es die Verhältnisse gestatten, hat man sich nicht damit zu begnügen, den Widerstand der Meuterer zu brechen, sondern muß auch trachten, durch konzentrisches Ansetzen der Assistenztruppen zu verhindern, daß die Meuterer bloß zersprengt würden und sich in die Umgebung zerstreuten 32 . Den schweren Waffen war besondere Sorgfalt zu widmen: MG-Abteilungen und nach Möglichkeit IG-Abteilungen sind den Assistenztruppen zuzuteilen. Die Assistenztruppen sind nach Bedarf auch mit Artillerie und besonderen Kampfmitteln auszustatten. Weiters zur Mannschaftsfrage dieser Einheiten: Die MG-Kompanien bei den Ersatzkörpern sollen nur aus einwandfrei verläßlichen Mannschaften formiert werden 33 . 30

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Zusätzliche Anordnungen des H M (Beilage 5) zu K M Abt. 5/1918, Nr. 5.535/res., 27. V. 1918 - H I L , H M ein. 1918, Β 1/3 - 3.583 (12.380). MilKmdo Pozsony, Präs.Nr. 14.085/Gstb. (Verschluß), an K M , 8. VI. 1918 — KA, K M Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 2 6 / 4 5 . „Verhalten der Assistenztruppen beim Niederwerfen einer Meuterei", K M Abt. 5, Nr. 5.535/res. Beilage 4 - KA, M K S M v. 1918, 2 8 - 2 / 4 1 - 8 . Ebenda.

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Besondere Strafmaßnahmen waren für die Marschformationen vorgesehen: Für alle Marschformationen hat vom Zeitpunkt der Verlautbarung der Marschbereitschaft an bis zum Eintreffen an ihrem Bestimmungsort des Armeebereiches die Anwendung der Strafe des Schließens in Spangen als Strafverschärfung, des Anbindens als Ordnungsstrafe und als Strafverschärfung in Kraft zu treten 34 . Auch die eigenmächtige Entfernung von der Truppe bekam für die Marschformationen ernstere Akzente: Jedes eigenmächtige Fernbleiben vom Zeitpunkt der Einteilung in die Marschformation an ist als das Verbrechen der Desertion strafrechtlich zu verfolgen, da angenommen wird, daß die betreffende Mannschaft sich dem Dienst im Felde — daher der ihr im konkreten Fall obliegenden Dienstpflicht — entziehen wolle35. Der Eid sollte nochmals seine Funktion als letztes Bindemittel erfüllen: Bei jenen Ersatzkörpern, bei welchen Meutereien vorgekommen sind, ist die an der Meuterei beteiligt gewesene Mannschaft erneut zu beeiden. Die Eidesleistung hat in kleinen Gruppen — zu höchstens 50 Mann — und in Anwesenheit sämtlicher Offiziere und geistlicher Assistenz in feierlicher Weise vorgenommen zu werden 36 . Aber das Kriegsministerium wollte sich auf den Eid allein nicht mehr verlassen. Es legte Wert auf Kontrolle bis in die Gedankengänge: auf ideologische Beeinflussung und auf Überwachung der Haltung zum Staat. Gerade die Heimkehrer hätten vor allem deshalb gemeutert, weil diese Haltung zum Staat brüchig geworden sei. Daher wurde besonderer Wert auf die Erteilung „vaterländischen Unterrichtes" gelegt. Aus den Heimkehrerformationen sollten außerdem verläßliche Vertrauensleute ausgewählt und eingehend geschult werden. Sie sollten dann als Konfidenten eingesetzt werden, sie sollten aber in erster Linie positiv auf die Stimmung der Mannschaft einwirken 37 . Auch der strafferen Organisation des Abwehrdienstes im Hinterland — das AOK war schon Mitte Mai in dieser Richtung vorstellig geworden 38 — wurde 34

„Bestimmungen bezüglich Meutereien", KM Abt. 5, Nr. 5.535/res. Beilage 5 — KA, M K S M v. 1918, 2 8 - 2 / 4 1 - 9 . 35 36 Ebenda. Ebenda. 3 ' FA-Stelle des AOK an KM Abt. 5: „Heranziehung von Heimkehrern für den vaterländischen Unterricht", 30. VII. 1918 - KA, K M Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 5 1 / 2 - 4 9 (8.934); AOK Op.Nr. 141.676: „Richtlinien für den vaterländischen Unterricht"; AOK Ch. d. G.,Evb.Nr. 5.000 v. 1918, Evidenz Nr. 510 — streng geheim — „Der militärische Abwehrdienst", 22. II. 1918 - beide: KA, KM Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 5 1 / 4 2 . 88 Das AOK hatte auf Grund von ihm zugekommenen Meldungen schon am 16. Mai den Ausbau des Abwehrdienstes im Hinterland im Hinblick auf die Heimkehrer befohlen bzw. gefordert: „Nach verläßlichen Nachrichten ist ein Teil der Heimkehrer stark bolschewistisch verhetzt. In den Heimkehrlagern im Armeebereiche kommt diese Gesinnung anscheinend unter dem Drucke der militär. Disziplinierung noch nicht besonders zum Ausdrucke. Im Hinterlande jedoch, wo sie mehr diesem Zwange entrückt sind, vermögen ihre gefährlichen Anschauungen event, folgenschwere Strömungen hervorzurufen, insoferne derartige Tendenzen nicht bereits in der Bevölkerung selbst wurzeln. Es erscheint daher dringend geboten, die milit. Aw-Organisationen auch auf alle Formationen des Hinterlandes auszudehnen (ErsKörper, Spitäler, Sammellager etc.), bei welchen sich Heimkehrer befinden. Auch dem Verkehre der Heimkehrer mit der Zivilbevölkerung und in öffentlichen Lokalen

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nun wesentlich mehr Augenmerk zugewandt. Vor allem den verschiedenen Heimkehrerinstitutionen und den heimkehrerstarken Ersatzkörpern sollten Nachrichtenoffiziere zugewiesen werden. Sie wiederum sollten einen Kreis von Agenten heranziehen, um auf diese Art jede verdächtige Entwicklung zu verfolgen 39 . Durch Perlustrierung sowie Brief- und Paketzensur, durch das Anlegen von Deserteursverzeichnissen, durch Beobachtung bestimmter Nationalitätengruppen, nicht zuletzt natürlich audi durch sorgfältige Durchführung der Rechtfertigungsverfahren hoffte man jenen Heimkehrern auf die Spur zu kommen, die gegen die geltende Ordnung konspirierten. Allerdings schaltete sich auch in diesem Bereich die Macht der kriegsbedingten Umstände ein. Es sollte sich bald erweisen, daß es audi dem militärischen Abwehrdienst am nötigen Personal fehlte. Allein zur Errichtung einer Abwehrstelle bei einem Ersatzkörper wären ein Nachrichtenoffizier, zwei Unteroffiziere und mindestens acht bis zwölf Vertrauensleute nötig gewesen. Da der Nachrichtenoffizier ein Stabsoffizier sein sollte, konnten einzelne Militärkommanden schon die erforderliche Zahl an Offizieren kaum aufbringen. Dazu kam noch, daß es sich als äußerst schwierig erwies, Vertrauensleute anzuwerben. Die Heimkehrer standen den Militärbehörden durchwegs mißtrauisch gegenüber. Oft kam es audi vor, daß Heimkehrer wohl die Vertrauensmann-Funktion annahmen, dann aber nicht daran dachten, entsprechende Meldungen zu erstatten. Schließlich blieb den Vertrauensleuten oft auch keine oder nur sehr wenig Zeit, um mit den Heimkehrern in näheren Kontakt zu treten40.

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wird das Augenmerk zuzuwenden sein. Es sind hiezu, soweit mit dem zur Verfügung stehenden Agentenpersonal nicht das Auslangen gefunden wird, unter der Mannschaft Vertrauensleute fürzuwählen, welche nach entsprechender Schulung durch die N-Offze den Verkehr und die Stimmung der Heimkehrer zu überwachen haben. Hiebei wird bemerkt, daß im Armeebereiche in zweifelloser Weise als vertrauenswürdig erkannte Heimkehrer mit Erfolg mit dieser Aufgabe betraut wurden." — AOK, Na.Nr. 9.128, an Generalstabschefs der Generalkommanden, GO Sarkotic, M G G , Chef des Ersatzwesens, M K S M , K M , M f L V , LVM, Innenministerien und Ministerpräsidenten, 16. V. 1918 (Streng geheim! Sehr dringend!) - M O L , Κ 26, M E 1918, II. tetel, 4.432 res. Zum Aufgabenbereich des in dieser Hinsicht eingeteilten Nachrichtenoffiziers gehörte: „1) Die Ausforschung aller revolutionär gesinnten Elemente (Bolschewisten, Nihilisten, Anarchisten), 2) die Ermittlung der im fremden Solde stehenden national-separatistischen Emissäre und Agitatoren, 3) Entdeckung und Aufgreifung aller Personen, die vom Feinde mit dem Auftrag gesendet wurden, Spionageakte gegen Eisenbahnen, Industrieobjekte, Lebensmittel etc. auszuführen, 4) Feststellung jener Militärpersonen, die bei ihrer Gefangennahme oder während der Gefangenschaft strafbare Handlungen begangen haben, derentwegen sie außer dem Rechtfertigungsverfahren noch einer weiteren Behandlung zu unterziehen wären." — AOK Ch. d. G., Evb.Nr. 16.000/1918: Instruktionen für die vom Abwehrstandpunkt zu erfolgende Behandlung der aus der Kriegsgefangenschaft heimgekehrten Militär- und Zivilpersonen, präs. K M 31. VII. 1918 - KA, K M Abt. 5 v. 1918, 6 4 - 5 1 / 2 4 (9.136). Charakteristisch sind in diesem Zusammenhang die Ausführungen des Kommandanten des Ersatzbataillons SchR 6, der zur Zeitfrage der Heimkehrerüberwachung meldete: „ U m die Schwierigkeiten bei der Eruierung nicht einwandfreier Heimkehrer beim Ersatzbataillon beurteilen zu können, muß man sich zuerst über den Aufenthalt der Heimkehrer beim

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Außerdem sprach manches dagegen: Bestand hier nicht die Gefahr eines schrankenlosen Denunziantentums? Bestand hier nicht die Gefahr der Pauschalverdächtigung gegenüber bestimmten Nationalitätengruppen? U n d w u r d e da nicht das Vertrauensverhältnis zwischen O f f i z i e r u n d M a n n zusätzlich gefährdet? N i c h t alle Ersatzkörperkommandanten sahen dem Konfidentensystem, das sich über die Einheiten des Hinterlandes erstrecken sollte, mit positiven Erwartungen entgegen 4 1 . M a n m u ß den Militärbehörden zubilligen, daß sie vieles unternahmen, um weitere Heimkehrerunruhen im K e i m e zu ersticken. D a z u zählte schließlich

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Ersatzbataillon im klaren sein. Der Heimkehrer, der heute zum Ersatzbataillon einrückt, wird sofort der Rechtfertigung unterzogen und bereits nach 3 bis 4 Tagen der Beurlaubung von 8—12 Wochen zugeführt. Während dieser Zeit können daher nur jene Leute, welche bereits in den Heimkehrerinstitutionen als ,verdächtig' konstatiert wurden, beobachtet und eruiert werden. Für eine Überprüfung aller anderen durch Vertrauensleute ist diese Zeit zu kurz. Nach Rückkehr vom Urlaube sind die Heimkehrer, wenn sie mehr als eine achtwöchige Ausbildung genossen haben, nach vierzehntägigem Aufenthalte beim Ersatzbataillon sofort in die Marschformation einzuteilen, wobei es laut Erlaß des Ministeriums für Landesverteidigung, Präs.Nr. 23.664/VIII vom 29. VII. 1918, auf das tatsächliche militärische Können gar nicht anzukommen hat. Da nur ein geringer Teil der Heimkehrer diesen Bedingungen nicht entspricht, so ist wieder zu ersehen, daß der Großteil nur verschwindend kurze Zeit beim Ersatzbataillon verbleibt. Es ist daher vorauszusehen, daß während dieser kurzen Zeit selbst bei der eingehendsten Überwachung und bei Vorhandensein der zuverlässigsten Konfidenten das Zustandebringen nicht einwandfreier Heimkehrer sehr fraglich erscheint und hauptsächlich dem Zufall überlassen werden muß." — MilKmdo Prag,Präs.Nr. 15.732/Gstb„ an K M : Heimkehrer-Abwehr-Organisation, präs. KM 31. VII. 1918 - KA, KM Abt. 5 v. 1918, 64-51/24 (9.136). Ein gewisses Mißtrauen dem System der „Vertrauensleute" gegenüber brachte beispielsweise der Kommandant der Ersatzschwadron DR 7 zum Ausdruck. In einer Stellungnahme zur „Organisation des Abwehrdienstes im Hinterlande" meinte er: „Auf Grund meiner Erfahrungen mit Heimkehrern birgt das System der Vertrauensleute die Gefahr, daß der Heimkehrer, der ja in der Zeit seiner Gefangenschaft durch seine Erlebnisse und die politischen Ereignisse Rußlands, die jeder der Heimkehrer in irgendeiner Form miterlebt hat, geistig reifer und politisch aufgeklärter wurde, sowie er spürt, daß er beobachtet wird, kopfscheu wird, seine eventuellen Gesinnungsgenossen auf das System aufmerksam macht und dadurch demselben die Wirkung zum größten Teile nimmt. Meiner Ansicht nach genügt es, den Heimkehrer nur während seines achtwöchigen Urlaubes durch die Gendarmerie bzw. die politischen Behörden beobachten zu lassen, da sich der Mann unter der Zivilbevölkerung sicher viel freier benehmen wird als in der Kaserne. Einen auf Grund solcher Beobachtungen als verdächtig gemeldeten Heimkehrer würde ich dann allerdings durch einen Vertrauensmann bei der Unterabteilung weiter beobachten lassen, aber eben nur so einen Mann, der verdächtig erscheint, die anderen nicht." — MilKmdo Prag, Präs.Nr. 15.732/Gstb., an KM - KM Abt. 5 v. 1918, 64-51/24. Ob die Tätigkeit der den Ersatzkörpern zugewiesenen Nachrichtenstellen von Erfolg war, läßt sich nur schwer beurteilen. Die Zeit vom Sommer bis Ende Oktober 1918 war für ein verläßliches Urteil jedenfalls zu kurz. Zwar ist es ab Mitte Juli 1918 zu keiner Heimkehrerrevolte mehr gekommen. Die Zahl der Deserteure sollte aber beträchtlich ansteigen, und auch die Kette der Unruhen bei Marschformationen nicht abreißen. — Vgl. KA, MKSM v. 1918, 1—28/7; 28-2/38, 67; 2 8 - 2 / 5 4 - 1 , 2, 3; 2 8 - 2 / 5 5 - 1 , 2 , 3; ferner KA, KM Abt. 5 v. 1918, 64-50/40; ÖU1K VII. 361.

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auch die Entwurzelung der unsicher gewordenen Ersatzkörper. Denn zu den bedenklichen Aktionen der Heimkehrer w a r es vor allem dort gekommen, wo sie mit dem zivilen Bereich, seinen N ö t e n und Forderungen in enge Fühlung geraten und von sozialen und nationalen Bewegungen beeinflußt worden waren 4 2 . Dem nach Möglichkeit vorzubeugen, hat das Kriegsministerium bereits A n f a n g Juni die Verlegung einer Reihe von Ersatzkörpern, bei denen Meutereien ausgebrochen waren, verfügt: Das Ersatzbataillon IR 17 wurde von Judenburg nach Villa Santina bei Tolmezzo verlegt, die Ersatzkompanie FJB 7 von Murau nach Dogna 4 3 . Das Ersatzbataillon IR 97 wurde von Radkersburg nach Szekesfehervar überstellt, das dort stationierte Ersatzbataillon I R 35 mußte nach Kötschadi in K ä r n t e n ausweichen. Aus „disziplinären G r ü n d e n " wurde das Ersatzbataillon IR 40 von Sambor nach Palmanova, die Ersatzschwadron U R 12 von Sabac nach Tolna verlegt, das Ersatzbataillon IR 44 kehrte aus „Garnisonsrücksichten" aus Reichenberg in seine H e i m a t Kaposvar zurück 44 . Was damit freilich nicht auszuschalten w a r : das wachsende Einbinden des Urlaubers in nationale Solidaritäten und sein oft tristes Heimatbild. Die daraus resultierende letzte Konsequenz f ü r die Führung: in Rechnung zu stellen, daß alle ihre Gegenmaßnahmen grundsätzlich den Charakter von Abschreckungsmaßnahmen erhalten mußten, wenn es nicht gelang, den Einsatzwillen der Heimkehrer zu heben, ihre Motivation im Sinne des Staates zu stärken, d. h. in ihnen das Bewußtsein zu wecken, daß es sich nach wie vor lohne, f ü r den Habsburgerstaat an die Front zu gehen.

2 . KONSPIRATIVER W I D E R S T A N D IN DER M A R I N E

Sebenico und Torpedoboot

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Audi in der Marine gab es erneut Krisenzeichen. Das Uberlaufen des Torpedobootes 11 am 5. O k t o b e r 1917 nach Italien hatte Wellen besonders in seinem Heimathafen, in Sebenico, geschlagen: im Sinne verschärfter Sicherheitsvorkehrungen der Stäbe, im Sinne erhöhter Beunruhigung der Marinemannschaften. Eben in Sebenico aber hatten seit Ende 1917 Marineunteroffiziere Fäden einer Konspiration gezogen, hatten sie im Februar 1918 12

Vgl. PICHLIK, Ende der öst.-ung. Armee. 358. Daß anderseits die politische Führung negative Beeinflussung der Zivilbevölkerung befürchtete, darauf deuten nicht zuletzt Weisungen des Presseausschusses des ungarischen Ministerpräsidenten an die Zeitungsredaktionen hin, Berichte über Meutereien zu unterlassen. — Presseausschuß des ung. MP, Weisungen an Redaktionen, 14. V. 1918 (betreffend Rimaszombat) und 20. V. 1918 (betreffend Pees) - M O L , Κ 26, M E 1918, IV. tetel, 4.394 res. und 4.541 res. " Extraktbogen für die M K S M , zu K M Abt. 5, Nr. 6.203/1, vom 1. VI. 1918 - KA, M K S M v. 1918, 6 5 - 1 / 8 (17).

" Extraktbogen für die M K S M , zu K M Abt. 5, Nr. 6.217, vom 7. VI. 1918 - KA, M K S M v. 1918, 6 5 - 1 / 9 (16).

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verdichtet. Sie waren Südslawen, Franjo Petretic vom Schulschiff „Schwarzenberg", Petar Deltreppo vom Marine-Ergänzungsbezirkskommando, Ivo Tkalcevic vom Torpedoboot 31 — er fungierte als Vorsitzender eines „revolutionären Ausschusses". Ziel der Bewegung: im geeigneten Augenblick Auslösung eines Aufstandes, Machtübernahme in Stadt und Hafen. Vlado Mileta, ein Postbeamter, stellte die Verbindung zu einem zivilen Widerstandskreis und dessen Ausschuß her. Auch finanzielle Unterstützung von zwei Bauunternehmern aus Spalato flöß zu, von den Brüdern Franjo und Valentin Zic 1 . Die Konspirierenden hatten große Pläne 2 . Auf Sitzungen des um weitere Marine-Unteroffiziere auf insgesamt zehn Mitglieder erweiterten Ausschusses ab April 1918 wurde der militärische Plan für die Machtübernahme in Sebenico entworfen: Die revolutionäre Aktion sollte um Mitternacht mit der Besetzung des Postamtes beginnen, gleichzeitig sollte der Bahnhof besetzt werden, ebenso die Festung Sv. Ivan. Für Tkalcevic und Petretic war der Einsatzbeginn um 1 Uhr auf dem „Schwarzenberg" vorgesehen — Besetzung aller Aufgänge durch energische Matrosen, Festsetzung der Offiziere, aber auch der deutschen und magyarischen Mannschaften, die als „unzuverlässig" galten, Bewachung durch bewaffnete Revolutionäre —, in gleicher Weise für Deltreppo mit anderen Verschwörern auf dem Hulk „Frundsberg" und dem Depotschiff „Aurora". Eine Abteilung hatte unter Mithilfe von dort wartenden Verschwörern die Batterie in Mandalina, die Flug- und die Radiostation zu besetzen. Eine Gruppe unter Tkalcevic sollte die Torpedoboote übernehmen, immerhin audi gleich den Panzerkreuzer „Kaiser Karl VI." und den Werkstättenhulk „Vulkan". Dann hatte die Gruppe Deltreppo die Stadt abzusperren, das Gerichtsgebäude mit dem Militärgefängnis, das Militärstationskommando, das Gendarmeriekommando, das Seebezirkskommando und die übrigen militärischen Objekte zu besetzen und alle in der Stadt wohnenden deutschen und magyarischen Offiziere gefangenzunehmen. An Kühnheit fehlte es dem Plan auch weiter nicht: Der als besonders gefährlich angesehene Gegner, das am Stadtrand kantonierende magyarische Bataillon, sollte von der Gruppe Petretic einfach umstellt und entwaffnet werden. Im Falle einer Gegenwehr wäre von der Festung Sv. Ivan aus Geschütz- und MG-Feuer auf die 1

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Ferdo CULINOVIC, 1918 na Jadranu (1918 an der Adria). Zagreb 1951. 41—44; derselbe, Odjeci Oktobra u jugoslavenskim krajevima (Der Widerhall des Oktobers in den südslawischen Gebieten). Zagreb 1957. 170 f.; Dinko FORETIC, Antiaustrijski pokreti u ratnoj mornarici u Sibeniku 1917/1918 (Antiösterreichische Bewegungen in der Kriegsmarine in Sibenik 1917/1918). In: Radovi filozofskog fakulteta — Zadar, Razdio historije, arheologije i historije umjetnosti. 3. 1964/65, 1966/67. Zadar (1969). 202—205; PAULOVÄ, Tajny vybor. 482 f. Neben Deltreppo wird in der Literatur der Name Trepov genannt, wohl auf Grund einer Namensänderung nach 1918. Foretic stellt die Identität in der Person in Frage. Die geheime Vereinigung der Matrosen hatte sich zur Aufgabe gestellt: die Schaffung einer starken revolutionären Organisation in Sebenico, die Herstellung der Verbindung mit führenden südslawischen Politikern, von denen sie Direktiven entgegennehmen wollten, vor allem die Herstellung der Verbindung mit dem Jugoslavenski odbor. — CULINOVIC. 1918 na Jadranu. 44.

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Barackenunterkünfte des Bataillons zu eröffnen. Audi die Festung Sv. Nikola und alle Batterien an der Hafeneinfahrt sollten besetzt werden 3 . Die anzusetzenden Kräfte: Für die gesamte Aktion rechnete der Matrosenausschuß mit der Unterstützung durch 500 Matrosen und 100 bewaffneten Zivilisten, die der revolutionäre Stadtausschuß stellen wollte. Als Abschluß der Aktion war die Internierung der festgenommenen deutschen und magyarischen Offiziere auf zwei Handelsschiffen vorgesehen 4 . Die Machtübernahme sollte audi durch Blockierung der Zufahrtswege nach Sebenico abgesichert werden. Die Eisenbahnverbindung wollte man in Knin durch den dort Dienst tuenden Regimentsarzt Dr. Bogic und seinen Widerstandskreis unterbrechen lassen 5 . Die Verschwörer hatten Verbindung audi nach außen gesucht, zu den großen Marinezentren in Pola und Cattaro, freilich mit geringem Erfolg 6 . Auch 10.000 Kronen, die man in Cattaro geboten hatte, hatten — so klagte man — nichts genützt 7 . Darüber hinaus war Kontakt nach Zagreb aufgenommen worden, zum Sabor-Abgeordneten Dr. Drinkovic, dem späteren Leiter des Verteidigungsressorts im Narodno vijece, und seinem Kreis. Und man erwog den Einbau der Sebenico-Bewegung in eine hochfliegend geplante Aufstandsaktion, die den gesamten Südslawenbereich der Monarchie erfassen sollte — Zagreb sollte das Signal zur Auslösung geben8. Im wesentlichen ist es in Sebenico offensichtlich bei Plänen geblieben. Man war sich der ausreichenden Zahl von Matrosen nicht sicher. Und man hatte Sorge vor dem am Ort liegenden magyarischen Bataillon 9 . Aufbegehren der Besatzung eines Forts, Desertion eines Matrosen — beides von der organisierten Bewegung noch gar nicht getragen —, dann Hilfestellung bei einer Politikerflucht über die Adria 1 0 , in solch bescheidenem Effekt im Verhältnis 3

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Revolucionarni pokret jugoslavenskih mornara u Sibeniku god. 1917—18 (Die revolutionäre Bewegung der südslawischen Matrosen in Sibenik in den Jahren 1917—18), ed. „jedan biväi revolucionarac". Split, februar 1919. 22—25. Petar Trepov behauptete, der Verfasser dieser Broschüre zu sein. — Vgl. CULINOVIC, 1918 na Jadranu. 47 f . ; FORETIC, Antiaustrijski pokreti. 202. Revolucionarni pokret. 25. Dr. Prvislav GRISOGONO, Mitteilung an Milada Paulovä aus dem Jahre 1921. — PAULOVA, T a j n y vybor. 574. Beilage 31; CULINOVIC bringt die Schreibung „Grizogono" — 1918 na Jadranu. 51 f. Zu den erfolglosen Kontaktnahmen Deltreppos und Petretic' in Pola vgl. den Bericht Petar Trepovs vom 29. V I I . 1950 in: CULINOVIC, 1918 na Jadranu. 2 4 0 - 2 4 5 . GRISOGONO, Mitteilung an Paulovä aus dem Jahre 1921. — PAULOVA, T a j n y vybor. 574. Beilage 31. FORETIC, A n t i a u s t r i j s k i p o k r e t i . 2 0 5 f . ; CULINOVIC, 1 9 1 8 n a J a d r a n u . 5 1 , 2 4 1 ; CULINOVIC,

Odjeci Oktobra. 171; PAULOVA, T a j n y vybor. 482—486. • CULINOVIC, Odjeci Oktobra. 176; FORETIC, Antiaustrijski pokreti. 208; GRISOGONO nimmt — „wenn ich mich nicht irre" — nur zwei Kompanien an. — Mitteilung an Paulovä aus dem Jahre 1921. PAULOVA, T a j n y vybor. 574. Beilage 31. 10 U m Verbindung mit dem Jugoslavenski odbor, aber auch mit der serbischen Regierung und den Regierungen der Entente aufzunehmen, fuhr Valentin Zic am 3. X . mit weiteren Flüchtlingen, darunter dem Tschechen Stepänek, von Lissa aus auf einem Segelboot nach

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Zerreißprobe in den eigenen Reihen

zum Umfang der Pläne blieb der Ansatz zum Widerstand in Sebenico stecken11. Ohne Durchschlagskraft blieb in diesen Frühjahrswochen auch manche Renitenz auf den Schiffen der Kriegsmarine, vor allem in Pola 12 . Allerdings meldete Pola darunter auch eine folgenschwere Konspiration, und dies nochmals von der engen Plattform eines Torpedobootes. Nationale Ausgangspositionen wurden deutlich: Ein Tscheche und ein Dalmatiner als potentielle Träger einer Meuterei, ein Deutschböhme, der Meldung erstattete. Die entsprechende Mitteilung war am 11. Mai aus Pola im AOK eingelaufen: „Auf Tb 80 durch einen Maschinen-Unteroffz. Komplott von 11 Mannschaftspersonen behufs Ubergehens mit Tb zum Feinde aufgedeckt. Zwei Rädelsführer, Küchenquartiermeister Franz Koucky (Tscheche) und Marsgast Mitrailleusenvormeister Ljubomir Kraus (Dalmatiner) . . . heute nachm. im Marinegefangenenhaus erschossen.. ."13 Denen, die auf Torpedoboot 80 an Meuterei gedacht hatten, war sichtlich das Beispiel des Torpedobootes 11 vor Augen gestanden. Torpedoboot 11 — das war bekannt — war übergelaufen, von Sebenico aus, von einer Boje vor dem Fort S. Nicolo weg, aus dem Rundendienst, am 5. Oktober 1917. Nach nächtlicher Überrumpelung der beiden Offiziere und zweier Stabsunteroffiziere, nach Ausschalten eines Teiles der Mannschaft durch Absperren des Zugangs zum Heizerraum, hatte das von einem tschechischen Stabsmaschinenwärter und einem slowenischen Bootsmannsmaat samt einer meuterischen Besatzungsgruppe geführte Boot 11 unter weißer Flagge die italienische Küste bei Porto Recanati angesteuert.. , u „Madien wir es so wie das Torpedoboot 11", hatte der Marsgast Kraus dem Steuermatrosen Stein am 5. Mai angetragen und einen Tag später ebenso dem Marsgast Ronzel 15 . Und den Leuten vom Torpedoboot 11 gehe es in Italien besser als ihnen, denen von 80 hier, hatte der Küchenquartiermeister Koucky dem Maschinenquartiermeister Böhm am 5. Mai erklärt, und deshalb wollten sie „bei der ersten sich bietenden Gelegenheit" nach Italien, nach Ancona „skampieren" 16 . Italien, wo sie jedoch als Gefangene angesehen und verhaftet wurden. — CULINOVIC, 1918 na Jadranu. 52—55; vgl. Bericht des mitfahrenden Publizisten Giunio — Ebenda. 245—252. 11 Die Renitenz ereignete sich am 5. II. 1918 in der Festung Sv. Nikola. — FORETIC, Antiaustrijski pokreti. 205. 12 Vgl. Bernard STULLI, Revolucionarni pokreti i pobune u austrougarskoj mornarici tokom 1917—1918. godine (Revolutionäre Bewegungen und Aufstände in der österreichischungarischen Kriegsmarine in den Jahren 1917—1918). In: Jugoslovenski istorijski casopis. Nr. 1 - 4 . Beograd (1967). 4 6 - 4 9 . 13 Hughesdepesche (streng geheim, Verschluß!) des Flottenkommandos, Res.Nr. 3.311/p, an AOK (Marinereferent) und KM/MS, auch für Admiral zur Ah. Disposition, Pola 11. V. 1918, 23,50 h - KA, KM/MS, PK 1918, X V - 4 / 6 9 . M SOKOL, Seekrieg. 651 f.; vgl. FORETIC, Antiaustrijski pokreti. 195—214. 15 KA, KM/MS, PK 1918, X V - 4 / 6 9 ; Κ 1 0 0 / 1 8 - 4 . » KA, KM/MS, PK 1918, X V - 4 / 6 9 ; Κ 100/18-19.

Folgerungen und parallele Gefahrenherde

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Böhm war — so registrierte Koucky — anscheinend interessiert, anscheinend bereit mitzuhalten 17 . Wie sie denn, so fragte jener nun, das durchführen wollten? — Nun, die Brücke müsse man in die Hand bekommen, „ein Mittel gibt es immer, was helfen tut, um die Offiziere unschädlich zu machen", und was die Maschinisten anging, die brauchten sich „um die Vorgänge weiters nicht zu kümmern": „Ihr wißt von nichts, und richtet Euch nach dem Maschinentelegraphen." 18 Und in dieser Nacht vom 5. auf den 6. sah man spätabends noch Mannschaften an Deck beisammenstehen, flüstern, beraten 19 . Das Vorhaben schien zu reifen. Aber der Maschinenquartiermeister Böhm hatte an Teilnahme an einem Überlaufversuch nicht gedacht, ausgehorcht vielmehr hatte er seinen Gesprächspartner, auch nach dessen Mitwissern. Dann hat der Maschinenquartiermeister Böhm einige ihm Vertraute vor dem Komplott gewarnt, und am 7. Mai hat er seinem Kommandanten, dem Linienschiffsleutnant Freiherrn von Call, Meldung erstattet 20 . Damit war der Weg zum Standgericht beschritten. Nach standrechtlichen Erhebungen gegen elf Besatzungsmitglieder des Torpedobootes wurden neun Fälle an das ordentliche Ermittlungsverfahren verwiesen. Zwei traf das standrechtliche Verfahren 21 . Am 10. Mai standen Franz Koucky und Ljubomir Kraus, des Verbrechens der versuchten Desertionskomplottstiftung und des Verbrechens der Meuterei angeklagt, vor dem Standkriegsgericht des 2. Divisionskommandos auf dem Schlachtschiff „Radetzky". In der Hauptverhandlung geriet die Position der Angeklagten sichtlich ins Wanken, manches gaben sie bereits zu, allerdings seien ihre Erklärungen damals unter dem Einfluß von Alkohol erfolgt 22 . Aber selbst das wurde von Zeugen bestritten. Und Böhm, der Hauptbelastungszeuge, blieb audi über Vorhalt der Tragweite seiner Aussage durch den Verhandlungsleiter bei seiner Stellungnahme: „Ich bin mir der Folgen meiner Aussagen für die Angeklagten bewußt, ich weiß, daß ihr Leben auf dem Spiel steht." 23 Der Bootskommandant hatte die Gefahr umrissen: „Wenn die Komplottanten einmal die Kommandobrücke in den Händen gehabt hätten, so wären sie auch Herren des Bootes gewesen, denn der gesamte Deckdienst wäre von den Verschworenen nach der ihnen jetzt zukommenden Dienstverrichtung rollengemäß bestritten worden . . . Maschinenmannschaft und Heizer hätten von den Vorgängen oben nichts gewußt." 24 Dabei ließ der Linienschiffsleutnant Freiherr von Call keinen Zweifel an der bisher guten Führung der beiden: „Das 17 18 1β 20 21 22 23 24

KA, KM/MS, ΚΑ, KM/MS, ΚΑ, KM/MS, ΚΑ, KM/MS, ΚΑ, KM/MS, ΚΑ, KM/MS, Ebenda. ΚΑ, KM/MS,

PK PK PK PK PK PK

1918, Κ 100/18-19; Κ 100/18-3. 1918, X V - 4 / 6 9 ; Κ 100-18/19. 1918, Κ 100/18-4. 1918, Κ 100/18-3, 4, 6; X V - 4 / 6 9 . 1918, Κ 100/18-18. 1918, Κ 100/18-19.

PK 1918, Κ 100/18-5.

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Zerreißprobe in den eigenen Reihen

dienstliche Verhalten beider Angeklagten war tadellos, sie gaben zu keinen Klagen Anlaß . . ." 2 5 Binnen drei Stunden — zwischen 8 Uhr 30 und 11 Uhr 30 — lief die Hauptverhandlung ab. Das Urteil lautete für beide Angeklagten auf Tod durch Erschießen. Im Hof des Marinegefangenenhauses in Pola fand am 11. Mai um 17 Uhr, unter Anwesenheit des Flottenkommandanten Admiral von Horthy und zweier Matrosenkompanien, die aus den Schiffsbesatzungen zusammengestellt worden waren, die Exekution statt: ausgeführt durch vier Matrosen, die auf das Kommando eines Linienschiffsleutnants zuerst Kraus und wenige Minuten später Koucky erschossen. Uber den Leichen hielt nach Aussage des Marinekuraten der Admiral von Horthy eine Ansprache: jene Gefallenen ehrend, die für das größere Vaterland gestorben seien, diese Verräter hier brandmarkend, deren man sich entledigen müsse, so wie der Arzt faulende Teile eines kranken Menschenkörpers beseitige 26 . Dennoch sollten Uberläufer wenige Wochen später nochmals von sich reden machen: diesmal bei den Seefliegern. Am 3. Juni ist ein Wasserflugzeug vom Seeflugstützpunkt Lussin nach Italien abgeflogen. Sechs von Pola aus startende Flugzeuge hatten es vergeblich verfolgt 27 . In Hinkunft sollte energisch vorgekehrt werden. Man scheute auch davor nicht mehr zurück, die als unverläßlich angesehenen Nationalitäten zu nennen: „Auf Befehl des Admirals zur Ah. Disp. wurden sämtliche Stationen nochmals angewiesen, die Mannschaft genauestens zu überwachen und soweit tunlich Italiener, Serben und Czechen von solchen Punkten zu entfernen, wo ähnliche Vorkommnisse in den Bereich der Möglichkeit treten könnten." 2 8 K A , K M / M S , P K 1918, Κ 100/18-19. Aussage des ehemaligen Marinekuraten Marius Trampus. In: ZIPEK, Vojenske vzpoury. 50 f. Der Ausklang im ordentlichen Ermittlungsverfahren: Einstellung wegen Mangels an Beweisen mit einer Ausnahme — gegen den Reserve-Marsgast Torpedovormann Mate Peric wurde am 16. Juni wegen Unterlassung der Anzeige des meuterischen Planes Strafantrag erhoben und am 27. Juni in der Hauptverhandlung vor dem Flaggenkriegsgericht des 2. Divisionskommandos das Urteil gefällt: Degradierung und vier Monate Kerker. — KA, K M / M S , P K 1918, Κ 1 0 0 / 1 8 - 3 5 ; Strafantrag, Hauptverhandlung und Urteil Mate Peric - K A , K M / M S , P K 1918, Κ 100/18-36, 41, 43. 27 Bernard STULLI, Prilozi gradji za historiju 1918-e. u Istri i Trstu (Materialbeiträge zur Geschichte des Jahres 1918 in Istrien und Triest). In: Vjesnik Driavnog arhiva u Rijeci. V. Rijeka (1959). 481; STULLI, Revolucinarni pokreti. 47. »» K A , K M / M S , P K 1918, X V - 4 / 7 7 , 3.219, 3.524, 4.127. Nach: STULLI, Prilozi gradji za historiju 1918-e. u Istri i Trstu. 482 f. 25

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