Streik und Staatsnotstand unter Berücksichtigung der Rechtslage in der Schweiz [1 ed.] 9783428420445, 9783428020447

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Streik und Staatsnotstand unter Berücksichtigung der Rechtslage in der Schweiz [1 ed.]
 9783428420445, 9783428020447

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 90

Streik und Staatsnotstand Unter Berücksichtigung der Rechtslage in der Schweiz

Von

Volker Heinrich Lohse

Duncker & Humblot · Berlin

V O L K E R H E I N R I C H LOHSE

Streik und Staatsnotstand

Schriften

zum ö f f e n t l i c h e n Band 90

Recht

Streik und Staatsnotstand unter Berücksichtigung der Rechtelage in der Schweiz

Von

Dr. Volker Heinrich Lohse

DUNCKER & HUMBLOT /

BERLIN

Alle Rechte vorbehalten © 1969 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1969 bei Buchdruckerei Bruno Luck, Berlin 65 Printed in Germany D 6

Meinen lieben Eltern

Nec ardua sistunt

Vorwort Diese Untersuchung ist die geringfügig überarbeitete und ergänzte Fassung meiner Dissertation, die von der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität i n Münster 1968 angenommen wurde. Literatur und Rechtsprechung w u r den bis zum 30. Juni 1968 ausgewertet. Nach der Einfügung der A r t i k e l der sogenannten Notstandsverfassung i n das Grundgesetz am 24. Juni 1968 ist die fast zehnjährige Diskussion u m die Regelung innerer und äußerer Staatskrisen i n der Bundesrepub l i k Deutschland i n ein „ruhigeres Fahrwasser" gekommen. Sie w i r d aber angesichts der Bedeutung der Staatsnotstandsprobleme und der herben K r i t i k , die die grundgesetzliche Regelung teilweise erfahren hat, weiterhin andauern. Diese Untersuchung soll dazu einen Beitrag leisten. Die Zulässigkeit von Streiks während des inneren und (oder) äußeren Notstands und die Möglichkeiten zur Einschränkung von Streiks, die einen Staatsnotstand hervorriefen, gehörten zu den umstrittensten Fragen der Notstandsverfassung und wurden i n den Texten der Entwürfe erst spät berücksichtigt. Die Rechtslage i n der Schweiz, die als eines der demokratischen Musterländer gilt und deren Rechtsordnung mehrere Notstandsfälle bewältigte, wurde ergänzend zur Erörterung deutscher Notstandsprobleme dargestellt. Mein aufrichtiger Dank gilt meinem verehrten Lehrer, Herrn Professor Dr. Friedrich Klein, der trotz großer Arbeitsbelastung durch Rektorat und Prorektorat die Untersuchung betreut und durch wertvolle Hinweise und Anregungen gefördert hat, Herrn Senatspräsidenten Professor Dr. Dr. Boldt, dem zweiten Berichterstatter der Fakultät, und Herrn Dr. Heinrich Radek. Herrn Ministerialrat a. D. Dr. Johannes Broermann, dem Inhaber des Verlages Duncker und Humblot, danke ich besonders für die freundliche Aufnahme der Studie i n die Reihe ,Schriften zum öffentlichen Recht4. Münster, i m September 1968 Volker Heinrich Lohse

Inhaltsverzeichnis 1. T e i l Streik nach deutschem Redit 1. Kapitel Wesen und Erscheinungsformen A. Einführung

21

B. Bedeutung des Wortes „Streik"

23

I. Worterklärung I I . Geschichte des Streikbegriffs C. Geschichtliche Entwicklung der Streikhandlungen (Überblick) I. Altertum 1. Ägyptische Antike 2. Römische Antike I I . Mittelalter und Neuzeit I I I . Streikstatistik für die Jahre 1950—1967 D. Wesentliche Merkmale des Streiks und Begriffsbestimmung I. Anzahl von Arbeitnehmern I I . Planmäßig und gemeinsam durchgeführte Arbeitseinstellung I I I . Kampfziel IV. Bereitschaft zur Wiederaufnahme der Arbeit nach Beendigung des Streiks V. Definition des Streiks E. Zwei Erscheinungsformen: Arbeitsrechtlicher und politischer Streik . . I. Arbeitsrechtlicher Streik I I . Politischer Streik 1. Möglichkeit der Abgrenzung des arbeitsrechtlichen vom politischen Streik 2. Streikfälle, Abgrenzungskriterien und Begriffsbestimmung a) Fallgruppen aa) Politische Materie (1) Staatsorgane als Adressaten (2) Arbeitgeber oder Arbeitgeberorganisationen als Adressaten? bb) Arbeitsrechtliche Materie (1) Staatsorgane als Adressaten

23 23 24 24 24 26 27 31 31 31 34 35 36 36 37 37 38 38 40 40 40 40 41 41 41

nsverzeichnis

10

(2) Arbeitgeber oder Arbeitgeberorganisationen als Adressaten cc) Umschlagen arbeitsrechtlicher in politische Streiks (1) Möglichkeit des Umschlagens (2) Feststellung im Einzelfall b) Abgrenzungskriterien aa) Adressat bb) Objektive Staatsgefährdung c) Begriffsbestimmung

...

42 42 42 44 44 44 46 46

2. Kapitel Verfassungsgarantie

des Streiks

A. Streikrecht und Streikfreiheit

47

B. Streikrecht — gesetzliche Garantie

47

I. Entwurf eines Streikgesetzes I I . Rechtslage vor dem 26. Februar 1965 I I I . Gesetzliche Streikgarantie — europäische Sozialcharta C. Streik — Verfassungsgarantie I. Geschichtliche Entwicklung

47 48 49 50 50

1. Vor 1919

50

2. Weimarer Reichsverfassung

50

I I . Rechtslage nach dem Grundgesetz

50

1. Artikel 2 Abs. 1 GG als verfassungsrechtliche Streikgarantie? • •

50

2. Art. 9 Abs. 3 GG als verfassungsrechtliche Garantie des Streiks? a) Historische Auslegung b) Teleologische Auslegung c) Ergebnis

52 54 59 63

3. Artikel 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 S. 1 G G als Verfassungsgarantie des Streikrechts a) Historische Auslegung b) Teleologische Auslegung

64 65 68

aa) Substanzloser Blankettbegriff — Programmsatz — Auslegungsregel — Staatszielbestimmung — Kernbereichgarantie

72

bb) Grundsatz sozialer Selbstverwaltung cc) Ergebnis

73 81

4. Streikgarantie durch Art. 9 Abs. 3 i. V. mit Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 S. 1 GG? 5. Umfang der grundgesetzlichen Streikgarantie a) Garantie arbeitsrechtlicher Streiks b) Garantie politischer Streiks?

81 82 82 82

Inhaltsverzeichnis

11

3. Kapitel Ergebnis 2. T e i l Staatsnotstand nach deutschem Recht 1. Kapitel Wesen und Erscheinungsformen A. Staatsnotstand — Begriff I. Notstand des Staates — Notstand im Staat I I . Abgrenzung zu anderen rechtlich erheblichen Notstandsfällen 1. 2. 3. 4.

Notstand Notstand Notstand Notstand

nach nach nach nach

bürgerlichem Recht dem Strafrecht dem Polizei- und Ordnungsrecht dem Völkerrecht

I I I . Begriffsbestimmung B. Notstandsregelungen nach historischem deutschen Verfassungsrecht (Überblick) I. I n der Reichsverfassung von 1849 I I . I n den Verfassungen der Staaten des Deutschen Reiches vor 1918

88 88 89 89 90 91 93 94 95 95 96

I I I . I n der Reichsverfassung von 1871

98

IV. I n der Reichsverfassung von 1919

98

C. Regelung von Notstandsfällen nach vor 1968 geltendem Recht I. Nach dem Grundgesetz und dem Generalvertrag 1. Nach dem Grundgesetz a) b) c) d) e) f) g) h)

Art. 91 G G Art. 143 G G Art. 37 G G Art. 81 G G Art. 17a GG Art. 59a G G Art. 65a Abs. 2 G G Ergebnis

101 101 101 102 103 105 106 107 107 109 109

2. Nach Art. 5 Abs. 2 des Vertrages über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den drei Mächten vom 26. M a i 1952 in der Fassung vom 23. Oktober 1954 109

12

nsverzeichnis I I . Überverfassungsgesetzlicher Notstand

114

I I I . Sogenannte „einfache" Notstandsgesetze

119

IV. Ergänzung durch Recht der Bundesländer

122

D. Entwürfe für eine das Grundgesetz ergänzende Notstandsregelung und 1968 ergangene Notstandsverfassung 123 I. Änderung oder Ergänzung des Grundgesetzes?

123

I I . Ergänzungsentwürfe zum Grundgesetz „für die Stunde der Not" — Notstandsverfassung und Streikrecht 124 1. Entwürfe und Notstandsverfassung

124

a) Entwurf der Bundesregierung vom 13. Januar 1960 (SchröderEntwurf) — Kritik 124 b) Entwurf der Bundesregierung vom 31. Oktober 1962 (HöcherlEntwurf) — Kritik 125 c) Rechtsausschuß-Entwurf vom 31. M a i 1965 (Benda-Entwurf) — Kritik 130 d) Entwurf der Bundesregierung vom 10. März 1967 (LückeEntwurf) — Kritik 139 aa) Änderung von Art. 10 und Art. 12 GG bb) Schaffung eines gemeinsamen Ausschusses — V I a. Abschnitt, Art. 53a cc) Regelung für den inneren Notstand (Art. 91) dd) Normen für den Zustand äußerer Gefahr (X a. Abschnitt, Art. 115a—Art. 115e)

140 140 140 140

e) Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung der rechtsstaatlichen Ordnung im Verteidigungsfall, vorgelegt von der FDPFraktion des Deutschen Bundestages (FDP-Entwurf) — Kritik 144 f) Entwurf eines Siebzehnten Gesetzes zur Ergänzung des Grundgesetzes, vorgelegt zur Zweiten Lesung der Notstandsverfassung im V. Deutschen Bundestag vom Rechtsausschuß des Bundestages am 9. Mai 1968 (Lenz-Entwurf) — Kritik . . 146 g) Notstandsverfassung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland, eingefügt am 24. Juni 1968 (BGBl. I S. 709) — Kritik 147 aa) Grundrechtsergänzungen und Grundrechtsabänderungen (Art. 9 Abs. 3, 10, 11 Abs. 2, 12, 12a GG) und Ergänzung von Art. 19 Abs. 4 und 20 G G 148 bb) Schaffung eines Gemeinsamen Ausschusses und Festlegung seiner Zuständigkeiten ( V I a. Abschnitt, Art. 53a; Art. 1151 Abs. 1 GG) 148 cc) Änderung der Wehrverfassung und des V I I . Abschnitts des GG (Art. 59a, 65a, 73 Nr. 1, 80a, 87a GG) und Einfügung eines X a. Abschnitts „Verteidigungsfall" (Art. 115 a bis 1151 GG) 148 dd) Regelung des inneren Notstands (Art. 35, 91 GG) 148 2. Streik im Notstand in Entwürfen, Beratungen und öffentlicher Diskussion 159

nsverzeichnis 2. Kapitel Zusammenfassung 3. T e i l Verhältnis von Streik und Staatsnotstand 1. Kapitel Nach geltendem Recht A. Streik im Falle des äußeren Notstands

. 172

I. Streik bei eingetretenem Zustand äußerer Gefahr I I . Streik im Spannungszustand B. Streik während des inneren Notstands I. Streik während des Zustandes innerer Gefahr I I . Streik als Ursache des inneren Notstands

172 174 176 177 179

C. Zuständigkeit zur Feststellung der Rechtswidrigkeit von Streiks im Staatsnotstand

180

I. Ordentliche Gerichte?

180

I I . Gerichte für Arbeitssachen

183

I I I . Bundesverfassungsgericht

183

IV. Alliierte Stellen

184

V. Parlament und Bundesregierung

185

2. Kapitel Lösungsversuch de lege ferenda A. Rechtliche Erforderlichkeit einer Verfassungsergänzung

187

B. Feststellung der Verfassungswidrigkeit von Streiks im Zusammenhang mit dem Staatsnotstand 187 I. Stunde der Exekutive I I . Parlament oder Notparlament

187 189

I I I . Bundesverfassungsgericht

191

IV. Gerichte für Arbeitssachen

191

V. Ergebnis

192

V I . Überprüfung des Ergebnisses an den möglichen Nostandsfällen . • 192 1. Äußerer Notstand a) Streik bei eingetretenem Zustand äußerer Gefahr

192 192

14

nsverzeichnis b) Streik i m Spannungszustand 2. Innerer Notstand

192 193

a) Streik während eines inneren Notstandes

193

b) Streik als Grund für einen inneren Notstand

194

C. Lösung von Arbeitskonflikten während des Staatsnotstands I. Private Schlichtungsabkommen I I . Staatliche Schlichtung

194 194 196

I I I . Richterliche Entscheidung?

197

D. Vorschlag für eine Verfassungsergänzung hinsichtlich des Streiks im Staatsnotstand

198

3. Kapitel Ergebnis 4. T e i l Streik und Staatsnotstand nach schweizerischem Recht

1. Kapitel Streik A. Geschichtliche Entwicklung I. Vor dem Abschluß des Friedensabkommens in der Maschinenund Metallindustrie I I . Nach dem 19. Juli 1937 B. Gegenwärtige Rechtslage

201 201 202 204

I. Verfassungsrechtliche Streikgarantie in Art. 56,31,34ter Abs. 2 BV? 204 1. Arbeitsrechtliche Streiks a) Art. 56 BV b) Art. 31 Abs. 1 B V c) Art. 34ter Abs. 2 B V 2. Politische Streiks

204 204 205 206 207

I I . Gewohnheitsrechtliche Garantie des Rechts auf arbeitsrechtlichen Streik 207 I I I . Ergebnis

208

nsverzeichnis 2. Kapitel Staatsnotstandsrecht A. Geschichtliche Entwicklung

209

I. Bundesverfassung von 1848

209

I I . Bundesverfassung von 1874

211

I I I . Notstandsfall von 1914—1918

212

IV. Generalstreik von 1918 und Krisenrecht der 30er Jahre

214

V. Notstandsfall von 1939—1945

217

1. Beschluß der Bundesversammlung und Setzung von Notrecht durch den Bundesrat

217

2. Abbau der Notmaßnahmen nach 1945

219

B. Geltendes Recht

220

I. Notstandsrecht intra constitutionem 1. Art. 2 BV als Staatsnotstandsregelung

220 220

2. Art. 85, 102 BV als Grundlage für Notstandsmaßnahmen?

221

3. Art. 29, 31, 32 BV, Zoll- und Wirtschaftsnotrecht

223

4. Rechtslage nach der Ergänzung des Art. 89 BV durch Art. 89 bis B V

225

a) b) c) d) e) f)

Befugnisse der Bundesversammlung Rechte des Bundesrats Befugnisse des Bundesgerichts Rechtsstellung der Kantone Rechte des Volkes Umfang der Regelung des Art. 89 bis Abs. 3 B V

I I . Notstandsrecht extra constitutionem

230 231 232 233 234 234 234

1. Begründung des Notrechts aus der Rechtsüberzeugung des Volkes

235

2. Gewohnheitsrecht im Staatsnotstand 3. Überverfassungsgesetzlicher Notstand a) b) c) d) e)

Befugnisse der Legislative Rechte der Exekutive Befugnisse des Bundesgerichts Befugnisse der Kantone Rechte des Volkes

236 238 239 239 239 240 240

3. Kapitel Verhältnis

von Streik und Staatsnotstand

A. Trennung der Notstandsfälle

241

B. Notstand — Stunde der Exekutive

241

16

nsverzeichnis 5. T e i l Schlußfolgerungen aus der schweizerischen Rechtslage für die zukünftige deutsche Regelung und Zusammenfassung von Ergebnissen der Untersuchung 1. Kapitel Lehren aus Recht und Praxis der Schweiz für das künftige deutsche Recht

A. Bezüglich des Streiks

243

B. Den Staatsnotstand betreffend

244

C. Für die rechtliche Behandlung von Streiks im Falle des Staatsnotstands

246

2. Kapitel Zusammenfassung von Ergebnissen der Untersuchung Anhang

248

Literaturverzeichnis

288

Abkürzungsverzeichnis Abg. ABl. a. F. althd. AöR ArbGG ArbMin. ArbuR ( = AuR) AS

AVAVG AZO BAB1. BAG BAGE Bayer. P A G BB BBG BB1. BDA BE BG BGB BGBL BGE BGG BGH BGHZ BIT BK BMinI BRD BRDrucks. BS BSG BT BTDrucks. 2 Lohse

Abgeordneter Amtsblatt alter Fassung althochdeutsch Archiv des öffentlichen Rechts Arbeitsgerichtsgesetz Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung Arbeit und Recht (Zeitschrift) Amtliche Sammlung der Bundesgesetze und Verordnungen der Schweizerischen Eidgenossenschaft Band 1—63 (1874 bis 1947) Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung Arbeitszeitordnung Bundesarbeitsblatt Bundesarbeitsgericht Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts (Amtliche Sammlung) Gesetz über die Aufgaben und Befugnisse der Polizei in Bayern Der Betriebs-Berater (Zeitschrift) Bundesbeamtengesetz Bundesblatt der Schweizerischen Eidgenossenschaft Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände Benda-Entwurf einer Notstandsverf assung Schweizerisches Bundesgericht Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts (Amtliche Sammlung) Bonner Grundgesetz Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bureau International du Travail = Internationales A r beitsamt Bonner Kommentar zum Grundgesetz Bundesminister des Iniiern Bundesrepublik Deutschland Bundesratsdrucksache Bereinigte Sammlung der (schweizerischen) Bundesgesetze und Verordnungen 1848—1947 Bundessozialgericht (Deutscher) Bundestag Bundestagsdrucksache

18

Abkürzungsverzeichnis

BV BVerfGE

(Schweizerische) Bundesverfassung Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Sammlung)

CDU CH

Christlich Demokratische Union Confoederatio Helvetica = Schweizerische Eidgenossenschaft

const. CSU DB D JurT DGB Diss. DM DöV DRZ E F FAZ FDP GewO GG GMH GR GS GSA

constitutionnel (französisch) = verfassungsmäßig Christlich Soziale Union Der Betrieb (Zeitschrift) Deutscher Juristentag Deutscher Gewerkschaftsbund Dissertation Deutsche Mark Die öffentliche Verwaltung (Zeitschrift) Deutsche Rechts-Zeitschrift Entwurf Frankreich Frankfurter Allgemeine — Zeitung für Deutschland — Freie Demokratische Partei Deutschlands Gewerbeordnung für das Deutsche Reich Grundgesetz Gewerkschaftliche Monatshefte Grundrecht Großer Senat Ausschuß für Grundsatzfragen des Parlamentarischen Rates

GVG HA HA-Prot. HA-Steno. HdbStR

Gerichtsverfassungsgesetz Hauptausschuß des Parlamentarischen Rates Protokolle des Hauptausschusses Stenographische Berichte des Hauptausschusses Handbuch des Deutschen Staatsrechts, herausgegeben von Anschütz-Thoma

HdSW IG JJ JöR JR JZ KPD KRG LAG LK MdB MDR mhd. ndsSOG

Handwörterbuch der Sozialwissenschaften Industriegewerkschaft Juristen-Jahrbuch Jahrbuch des öffentlichen Rechts Juristische Rundschau (Zeitschrift) Juristenzeitung (Zeitschrift) Kommunistische Partei Deutschlands Kontrollratsgesetz Landesarbeitsgericht Leipziger Kommentar zum Strafgesetzbuch Mitglied des Bundestages Monatsschrift für Deutsches Recht (Zeitschrift) mittelhochdeutsch Niedersächsisches Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung

n. F. NF No Nr. NR

neuer Fassung Neue Folge Numero = Nummer, Zahl Nummer (Schweizerischer) Nationalrat

(Amtliche

Abkürzungsverzeichnis nwOBG NZZ OLG PolGBad-Würt. PrPVG P V G Rh-Pf. RdA RGB1. RGRK RGSt. Rss. RV SBZ sfr. SJZ SMUV SPD Sten. Bull. Stenogr. Ber. Steno. Prot. StR SVN TVG Verf. VerwAbk. VO vol. WDStRL WiGBl. WRV WuR ZSR ZStW

Nordrhein-westfälisches Ordnungsbehördengesetz Neue Zürcher Zeitung Oberlandesgericht Polizeigesetz des Landes Baden-Württemberg Preußisches Polizeiverwaltungsgesetz Polizeiverwaltungsgesetz von Rheinland-Pfalz Recht der Arbeit (Zeitschrift) Reichsgesetzblatt Reichsgerichtsräte-Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Revue syndicale suisse — Zeitschrift des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes Reichsverfassung Sowjetisch besetzte Zone Deutschlands = sog. Deutsche Demokratische Republik Schweizer Franken Schweizerische Juristenzeitung (Zeitschrift) Schweizerischer Metall- u. Uhrenarbeiterverband Sozialdemokratische Partei Deutschlands Stenographisches Bulletin (des Schweizerischen Nationalrats oder des Schweizerischen Bundesrats) Stenographischer Bericht des Deutschen Bundestages Stenographische Protokolle (Schweizerischer) Ständerat Satzung der Vereinten Nationen Tarifvertragsgesetz Verfassung Verwaltungsabkommen Verordnung volume — Band Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Wirtschaftsgesetzblatt Weimarer Reichsverfassung Wirtschaft und Recht (Zeitschrift) Zeitschrift für Schweizerisches Recht Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft

l.Teil

Streik nach deutschem Recht 1.

Kapitel

Wesen und Erscheinungsformen A . Einführung S e i t d e m die „ i n d u s t r i e l l e R e v o l u t i o n " 1 z u B e g i n n des v e r g a n g e n e n Jahrhunderts zu i m m e r stärkerer wirtschaftlicher Konzentration i n riesigen F a b r i k a n l a g e n f ü h r t e , s e i t d e m E r f i n d u n g e n die technische E n t w i c k l u n g i n b i s d a h i n u n b e k a n n t e m A u s m a ß beschleunigten, s e i t d e m Tausende v o n A r b e i t e r n das L a n d v e r l i e ß e n u n d sich i n i n d u s t r i e l l e B a l l u n g s r ä u m e begaben, h a b e n d i e A r b e i t e r v e r s t ä r k t i h r w i r t s c h a f t l i c h e s , soziales u n d politisches L o s d u r c h k o l l e k t i v e H a n d l u n g e n z u verbessern versucht2. Das gemeinsame w i r t s c h a f t l i c h e Schicksal u n d d e r gemeinsame G e gensatz z u d e n A r b e i t g e b e r n f ü h r t e n dazu, daß d i e zunächst f o r m 1 Der Begriff „industrielle Revolution" wurde zuerst von dem britischen Soziologen A. Toynbee (1883—1952) verwandt Er umschreibt damit anschaulich die Umwälzungen, die durch die mechanische Massenproduktion von I n dustriegütern und die damit zusammenhängende gesellschaftliche Umschichtung hervorgerufen wurden. Vgl. Walter Hoffmann in HdSW Band V, S. 228 (Stichwort „Industrialisierung" I); Radek, Das Problem des Eigentums in der Wettbewerbsordnung (Diss. S. 19 f.); Ramm, Der Arbeitskampf und die Gesellschaftsordnung des GG, S. 2; Rüthers, Streik und Verfassung, S. 3; Madjidi, Le Droit de Grève (Diss. S. 9). * Auch die Arbeitgeber griffen zu kollektiven Maßnahmen — Aussperrungen —, um den auf sie ausgeübten Drude der Arbeitnehmer abzuwehren oder auf die Arbeitnehmer Pressionen auszuüben. Für die Aussperrungen gelten alle Ausführungen dieser Untersuchung entsprechend, weil sie das dem Streik korrespondierende Mittel der Arbeitgeber sind. B A G (GS Beschluß v. 28.1. 1955, GS 1/54 (BAG 1 A Z R 165/54, BAGE 1/291 (308/309); Meissinger in Arbeit und Recht 1954, S. 66; Losacker, RdA 1964, S. 98 ff.; Hueck-Nipperdey, Grundriß des Arbeitsrechts, S. 274; a. A. Abendroth, G M H 1954, S. 634/35; Radke, Der Gewerkschafter 1963, S.204f. und S. 208; derselbe, Der Gewerkschafter 1966, S. 85 f. ; derselbe in ArbuR 1964, S. 71; Schmid, Richard, Der Gewerkschafter 1964, S. 222; derselbe in G M H 1964, S. 331; Tacke in G M H 1964, S. 8 und 13; dagegen ausführlich: Bötticher, Waffengleichheit und Gleichbehandlung der A r beitnehmer im koll. Arbeitsrecht, S. 6 ff.

22

1. Teil: Streik nach deutschem Recht

und machtlosen Arbeitermassen sich i n Gewerkschaften sammelten, u m für ihre gemeinsamen Ziele zu kämpfen 3 . Der Streik wurde ihr Hauptkampfmittel 4 . Der wirtschaftlichen Macht der Arbeitgeber wurde die kollektive Macht der Arbeiter als Produktionsfaktor entgegengesetzt. Streiks erfüllten i m Ausgleich der Faktoren Arbeit und Kapital eine „durchaus nützliche Funktion", indem sie „ m i t dem K n a l l eines heilsamen und belebenden Donnerschlags" die Atmosphäre reinigten 5 . Diese Vorgänge sind bekannt und von Soziologen, Politologen, H i storikern, Nationalökonomen und Juristen oft beschrieben worden, so daß sie hier keiner näheren Erläuterung bedürfen. A l l e i n das juristische Schrifttum zu Problemen des Streiks hat einen schier unübersehbaren Umfang angenommen. Zivilrechtliche und strafrechtliche Abhandlungen zu diesem Thema sind i n großer Zahl erschienen 8 ; verfassungsrechtliche Untersuchungen liegen vor 7 . Probleme des Staatsnotstandsrechts sind „weit ausgreifend, wenn auch nicht ohne politische Emotion diskutiert worden" 8 . Aber die Fragen der Einwirkung des Staatsnotstands auf den Streik und des Streiks auf den Staatsnotstand sind, soweit ersichtlich, bisher nicht umfassend untersucht worden. Die vorliegende Untersuchung soll helfen, diese Lücke zu schließen. Sprachliche und historische Untersuchungen sollen, wie die Prüfung der rechtlich erheblichen Merkmale und Erscheinungsformen des Streiks, eine klare Begriffsabgrenzung ermöglichen. Die folgende Trennung der arbeitsrechtlichen von den politischen Streiks ist Voraussetzung für die Behandlung des Verhältnisses Streik— Staatsnotstand. Über die verfassungsrechtliche Garantie von Streikrecht oder Streik herrscht i n Rechtsprechung und Literatur noch immer Streit. s Die Sammlung in politischen Parteien soll im Rahmen unserer Erörterung unbeachtet bleiben. 4 Daneben wurde teils als Ergänzung zum Streik, teils als Einzelkampfmaßnahme der Boykott angewandt. Brox-Rüthers, Arbeitskampfrecht, S. 36 ff.; Hueck-Nipperdey, Grundriß, S. 273; Siebrecht, Das Recht im Arbeitskampf, S. 27; Maschke, Boykott..., passim; Zschaler, Diss. S. 2. Der Boykott war bevorzugtes Kampfmittel der französischen Syndikalisten: Camerlynck-Lyon-Caen, Droit du Travail, S. 370; Rouast-Durand, Droit du Travail, S. 250. Seine Behandlung hier würde zu weit führen. 8 De Muralt, L'fitat et les conflits collectifs du travail (Diss.), S. 65; vgl. auch Bauer in ArbuR 1955, S. 70. 6 Umfangreiche Literaturnachweise bei Rüthers, Streik und Verfassung, S.l. 7 Z. B. Rüthers, Streik und Verfassung; Kaiser, Der politische Streik; Ohl, Der politische Streik in verfassungsrechtlicher Sicht (Diss.); Ramm, Der A r beitskampf und die Gesellschaftsordnung des GG, passim, jeweils mit weiteren Nachweisen, 8 Evers, AöR Band 91 (1966), S. 1; vgl. auch Seifert, GMH1963, S. 551 ff.

1. Kapitel: Wesen und Erscheinungsformen

23

Die Frage w i r d hier behandelt, u m den Umfang der Einschränkbarkeit von Streikrecht oder Streik i m Staatsnotstand festzustellen. Auch beim Staatsnotstand muß die Untersuchung der Rechtslage m i t einer Begriffsklärung beginnen, an die sich die Darstellung des geltenden Staatsnotstandsrechts, die Erörterung i n der Diskussion befindlicher Entwürfe zur Notstandsverfassung und das Verhältnis von Streik und Staatsnotstand de lege lata anzuschließen haben. Erst dann kann versucht werden, de lege ferenda eine rechtlich und praktisch brauchbare Lösung für die Zulässigkeit von Streiks i m Staatsnotstand aufzuzeigen. Die Rechtslage i n der Schweizerischen Eidgenossenschaft w i r d berücksichtigt, u m Anhaltspunkte für die Lösung i m deutschen Recht noch offener Fragen zu finden. B. Bedeutung des Wortes „Streik" I . Worterklärung

Ein klar abgegrenzter Streikbegriff ist Voraussetzung für die K l ä rung von Umfang und Einschränkbarkeit des Streikrechts. Trotz intensiver wissenschaftlicher Erörterung der Streikprobleme ist ein allgemein anerkannter Streikbegriff bisher nicht erarbeitet worden. Es muß daher eine Begriffsbestimmung gesucht werden, die dieser Untersuchung zugrunde gelegt werden kann. Das Wort „Streik" ist die verdeutschte Schreibweise des englischen Wortes „Strike". I m Englischen bedeutet „to strike" als nautischer Ausdruck „herablassen, niederlegen", z. B. to strike the yards — die Rahen herunterlassen 9 . Das Wort „to strike" hat denselben sprachlichen U r sprung wie das deutsche Wort „streichen" 10 . „Die Segel streichen" bedeutet „sie von den Rahen herablassen" und findet sich bereits i m M i t telhochdeutschen. Das Verb „to strike" hat i m Laufe des 18. und 19. Jahrhunderts eine Sinnerweiterung erfahren und kann heute i m nichtnautischen Bereich m i t „die Arbeit m i t eindrucksvoller Wucht niederlegen" übersetzt werden 11 . I I . Geschichte des Streikbegriffs

Als 1768 i n Sunderland (Großbritannien) Seeleute gegen schlechte A r beitsbedingungen ankämpfen wollten, gingen sie an Bord einiger i m 9

The Oxford English Dictionary Vol. X , 5,1128. Althd: strihan; mhd: strichen, Trübners Deutsches Wörterbuch Band V I , S. 634. 11 Dommack, Das Streikrecht ... (Diss.) S. 3. 10

1. Teil: Streik nach deutschem Recht

24

Hafen liegender Schiffe und ließen deren Rahen herunter 1 2 , u m sie am Auslaufen zu hindern. 1768 schon w i r d das Wort „strike" dann für die gemeinsame Arbeitsniederlegung i n nicht seemännischen Berufszweigen verwandt 1 5 , besonders von den Arbeitern i n den Kohlengruben von Wales. Von da bringt J. G. K o h l 1844, „Reisen i n England" 2, 25 „strike" = Arbeitseinstellung nach Deutschland. Das Wort w i r d zunächst i n lateinischer Schrift gedruckt. I n jenen Jahren w i r d auch zum ersten M a l das Verb „striken" verwandt 1 4 . Die endgültige Form „Streik" findet sich i m Preußischen Jahrbuch 53 (1884) S. 16615. Seit 1890 verwandte man für „Streik" auch das Wort „Ausstand", als Verb „ausstehen". Beide Begriffe konnten sich gegenüber Streik, streiken jedoch nicht durchsetzen. C. Geschichtliche Entwicklung der Streikhandlungen (Überblick) Z u r weiteren Klärung des Streikbegriffs kann neben die Geschichte des Begriffs auch die Geschichte der Streikhandlungen treten. I . Altertum

Während die Arbeiterbewegung ihre große Bedeutung erst m i t dem Aufbau der Industrie i m vergangenen Jahrhundert erhielt und der Streikbegriff erst i m 18. Jahrhundert geprägt wurde, ist das Phänomen „Streik" wesentlich älter 1 6 . Zwar sind das genaue A l t e r und die Herkunft des Streiks nicht zu ermitteln, er ist jedoch ein verhältnismäßig lange bekanntes, früh nachweisbares Kampfmittel 1 7 . 1.

Ägyptische

Antike

1490 v. Chr. stellten hebräische Ziegelbrenner i n Ägypten die Arbeit ein, u m durchzusetzen, daß sie Ziegel ohne Stroh fabrizieren durften. Sie verlangten besseres Arbeitsmaterial 1 8 . A l l e i n w e i l es sich nicht u m 12

Struck their yards s. Oxford English Dictionary, Vol. X , S. 1128, Anm. 17 zu „to strike". Siehe Oxford English Dictionary, Vol. X , S. 1128, Anm. 23. 14 Kladderadatsch 1844, S. 75. 15 Kluge-Mitzka, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, S. 757. 19 Göller, Der Arbeitgeber 1964, S. 635; a. A. zu Unrecht Doerk, Der Streik als unerlaubte Handlung i. S. des § 826 BGB, S. 17; dagegen bereits Seeler, Der Arbeitskampf in der deutschen und ausländischen Gesetzgebung, S. 9. 17 Madjidi, Diss., S. 9. 18 Sidney und Beatrice Webb, Die Geschichte des britischen Trade Unionismus, S. 1. 13

1. Kapitel: Wesen und Erscheinungsformen

25

Arbeitnehmer, sondern u m ägyptische Staatsgefangene handelte, die Sklavenarbeit leisteten, liegt ein Streik nicht vor. Für die Zeit von 1400—1100 v. Chr. berichtet Spiegelberg 10 , daß bestimmte Gruppen freier gestellter Arbeiter wegen verweigerter Lohnzahlung die Arbeit gemeinsam niederlegten. Durch den Ägyptologen Gaston Maspero 20 wurden Hieroglyphen übersetzt, die ausführlich einen antiken Streik beschreiben 11 : Als Pharao Ramses I I 1240 v. Chr. i n seiner Hauptstadt Theben einen neuen Tempel errichten ließ, traten die Maurer i n den Ausstand. Die Arbeitermassen, die Pharon, dem Stadtgouverneur und Leiter der königlichen Bauten unterstanden, hatten wie gewöhnlich zu Monatsanfang ihren kargen Lohn erhalten. Nach dem 20. des Monats herrschte i n den Arbeiterfamilien der Hunger. Während die Maurer zuerst nur Beamte und Sekretäre der falschen Zumessung des Naturallohnes bezichtigt hatten, zogen sie nun i n großer Zahl durch die Straßen und verlangten Korn, ö l und Bekleidung. Sie gingen erst wieder an die Arbeit, als der Gouverneur versprochen hatte, sie könnten ihre Forderung dem König bei dessen Besuch der Baustelle selbst vortragen. Der König gewährte jene Forderungen der Maurer, erhöhte jedoch den Lohn nicht allgemein. A m 15. des folgenden Monats trat eine ähnliche Notlage ein wie i n den vergangenen Monaten. Von den Maurern wurde daraufhin vom 16.—19. die Arbeit eingestellt. A m 20. fanden sich die streikenden Arbeiter am Gouverneurspalast ein und forderten erneut von Pharon mehr Lohn. U m dem König bei der neuen Besichtigung der Baustelle nicht wiederum das B i l d der streikenden Arbeiter zu bieten, lenkte der Gouverneur ein und ließ zusätzliches K o r n austeilen. U m eine wirtschaftliche Forderung durchzusetzen, stellten hier freie ägyptische Arbeitnehmer die Arbeit ein. Dieses Ziel hat jene A k t i o n m i t der der Seeleute von Sunderland gemeinsam. Ferner ist durch antike Historiker ein altägyptischer Streik überliefert, dessen Zielsetzung uns ganz modern anmutet: Unter der Herrschaft von Ptolemäos Philadelthos (283—246 v. Chr.) verweigerten Arbeiter, die m i t umfangreichen Bau-, Trockenlegungs- und Bewässerungsarbeiten beschäftigt waren, gewisse Arbeitsleistungen, w e i l sie nicht i n ihren Arbeitsverträgen vorgesehen waren. 19 Spiegelberg, Arbeiter und Arbeiterbewegung im Pharaonenreich, zi* nach Bogs, Geschichtliche Entwicklung des deutschen Koalitionsrechts, S. 1/2 in Kaskel, Koalitionen und Koalitionskampfmittel. 80 Professor am Collège de France, zit. nach Mottaz, Gazette de Lausanne v. 5. März 1949. 21

Dazu ausführlich Lohse in GMH1967 S. 292 ff.

26

1. Teil: Streik nach deutschem Recht

Anläßlich dieses Streiks kam es zu Ausschreitungen gegenüber den Gruppenleitern 22 . 2.

Römische Antike

Der — legendäre — Auszug der römischen Plebejer auf den Heiligen Berg i m Jahr 494 v. Chr., die sogen, secessio i n montem sacrum, wies streikähnliche Züge auf 23 . Die schlechte wirtschaftliche Lage der Plebejer, die durch überhöhte Steuern und Knebelverträge hervorgerufen war, trieb die armen Schichten des römischen Volkes zu offenem Klassenkampf gegen die Patrizier 2 4 . Der aufgestaute Haß entlud sich schließlich i n jener Arbeitsverweigerung, die den Zusammenbruch der patrizischen Vorherrschaft bewirken sollte. Dabei forderten die Plebejer auch mehr politische Rechte. I n der Fabel vom Magen und den Gliedern m i t der Menenius Agrippa die Plebejer zur Rückkehr bewog 25 , liegt ein Eingeständnis der ungerechten wirtschaftlichen Zustände i n der Stadt. Der Auszug endete m i t einem Erfolg der Plebejer. Politisch wurde das Volk durch das Tribunat an der Macht beteiligt und wirtschaftlich wurde seine Lage durch Schuldnachlässe verbessert 26 . A u f einen anderen politischen Aspekt dieses Streiks weist zu Recht Rüthers 27 hin: Da die Plebejer als Fußsoldaten i m römischen Heer dienten, ist die secessio zugleich eine Rebellion, also zugleich eine der stärksten Formen des politischen Streiks. I m 4. Jahrhundert nach der Gründung Roms traten die Flötenspieler höherer Löhne wegen i n den Ausstand 28 . Sklavenaufstände, die durch wirtschaftliche Not und gesellschaftliche Mißachtung hervorgerufen wurden, sind keine Streikbeispiele: Sklaven hatten nicht die Stellung freier Arbeitnehmer. I h r Kampf ging auch nicht von Koalitionen (collegia) aus, die es i n Rom für Handwerker, nicht aber für Sklaven gab". 22

Madjidi, Diss., S. 10. Bernstein, Der Streik, S. 9; Madjidi, Diss., S. 10. 24 Livius, Ab urbe condita I I , 23 (1,2) und I I 24,27,28. 25 Livius, Ab urbe condita I I , 32 (8—12). 26 Livius, Ab urbe condita I I , 33 (1—3). 27 Streik und Verfassung, S. 4; auch Bouère, Le Droit de Grève, S. 20; Bernstein, Der politische Massenstreik..., S. 19; Lehmkuhl, Arbeitsvertrag und Strike, S. 36. 28 Livius, Römische Geschichte I X , 30; Bouère, Le Droit de Grève, S. 20; Müller, H. E., Diss., Über die Rechtsnatur des „Streikrechts", S. 9, hält Livius' Darstellung für zu „mystisch". 29 So zu Recht Bogs, a. a. O., S. 2; a. A. Rüthers, Streik und Verfassung, S. 5. 28

1. Kapitel: Wesen und Erscheinungsformen

27

I I . Mittelalter und Neuzeit

Die wirtschaftliche und gesellschaftliche Lage i m Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation unterscheidet sich wesentlich von der i n den antiken Staaten. Das Christentum hatte die Sklaven frei gemacht, statt der antiken Stadtkulturen gab es nun auf dem Land gewaltige Lehnsherrschaften. Erst i m ausgehenden Mittelalter, i m 14. und 15. Jahrhundert, entwikkelten sich die Städte zu den entscheidenden Zentren des Handels und des Handwerks. Das Zunftwesen entstand. Später spalteten sich von den Zünften die Brüderschaften der Handwerksgesellen ab 30 . Straff organisiert, stellten sie vor allem gegenüber den Zünften der Meister einen beachtlichen gesellschaftlichen Machtfaktor dar 31 . Die Bindimg, die zur Zeit der Treudienstverträge (Gierke 32 ) durch die M u n t an den Herrn des personenrechtlichen Dienstvertrages bestanden hatte, w i r d nun durch die Vereinsbindung an die Berufsgenossen ersetzt. I n „Gesellenschenken" wurde für die „gewanderten (geschenkten) Handwerken", d.h. für die Handwerke, i n denen Wanderzwang herrschte, die Arbeitsvermittlung organisiert. Die Gesellenschaften förderten als Vereinigungen auch die Standesinteressen und wollten die wirtschaftliche und soziale Lage ihrer M i t glieder den Meistern gegenüber verbessern. Das wurde allmählich ihre Hauptaufgabe 33 . Zwischen Gesellenschaft und Zunft bestand ursprünglich ein Abhängigkeitsverhältnis. Die Gesellenschaft wurde als Teil der Zunft angesehen. Die Gesellenordnung bedurfte der Bestätigung durch die Zunft. Es bestand hier also ein ähnliches Verhältnis wie von der Zunft zur Stadt und ihren Repräsentanten. I n dieser abhängigen Stellung war ein Streik der Gesellen undenkbar. Aber nach und nach wurden die Gesellenschaften unabhängiger von den Zünften. Zwar war auch jetzt noch das Hauptinteresse der Gesellen m i t dem der Meister identisch: Förderung des Gedeihens des Handwerks und der Ehre des Standes. Allein, soziale und wirtschaftliche Konflikte drängten zur Entladung. Vor allem gegen die einseitige Festsetzung des Arbeitsentgelts durch die Zünfte kämpften die Gesellen an. Auch u m Mitbeteiligung an der Handwerksverwaltung, u m Unterstüt80

Zunächst waren kirchliche Bruderschaften gegründet worden, die nach ihren Ordnungen die Repräsentation in der Kirche und die Sorge für kranke und notleidende Gesellen zur Aufgabe hatten, Bogs, a. a. O., S. 3; Boos, Diss., S. 3 ff. und Hannes, Diss., S. 1—4. 31 Rüthers , a. a. O., S. 5; Göller, Der Arbeitgeber 1964, S. 635. 32 Zitiert nach Bogs, a. a. O., S. 3. 33 Bogs, a. a. 0.,S. 3.

.Teil: Streik nach deutschem Recht

28

zung der wandernden Gesellen und u m die Reihenfolge i n Prozessionen 8 4 wurde gestritten. Kampfmittel der Gesellen waren der Verruf (Schelten) und das Aufstehen und Austreten 85 . K a m ein Meister oder ein Geselle i n „Verruf", so durfte kein Geselle bei jenem Meister oder m i t dem verrufenen Gesellen arbeiten. Sowohl gegen Meister als auch gegen Gesellen richtete sich der Verruf und war insoweit ein wirksames Kampfmittel gegen einzelne. Gegen die Gesamtheit der Meister wurde vorgegangen, indem die Gesellen gemeinsam die Arbeit verweigerten und fremde Arbeitskräfte an der Arbeit bei allen betroffenen Meistern zu hindern suchten. Nach der Arbeitseinstellung (Aufstehen) verließen die Gesellen die Stadt und zogen i n Dörfer i n der Umgebung. Dort warteten sie das Nachgeben der Meister ab. Das Verweilen i n den Dörfern hatte neben der Arbeits- und Verdienstmöglichkeit bei „unzünftigen" Handwerkern auch den Vorteil, daß die Gesellen sich den Maßnahmen der Stadtpolizei entzogen. Von den Dörfern der Umgebung konnte zudem Zuzug arbeitswilliger Gesellen i n die Stadt verhindert werden. Das gemeinsame Aufstehen und Austreten der Gesellen einer Zunft aus einer Stadt hatte die gleiche Wirkung wie die Verrufserklärung aller Meister. Wollte ein Geselle „ehrlich" bleiben, durfte er i n der betreffenden Stadt keine Arbeit nehmen. Die Beendigung der Arbeitskämpfe erfolgte durch eine Verständigung zwischen Zünften und Gesellenschaften. Dabei versuchten die Gesellen, zumal während des Niederganges des Zunft- und Bruderschaftswesens i m 16. Jahrhundert, zu erreichen, daß die Meister die Zeche, die sie auf den Dörfern gemacht hatten, bezahlten 86 . Wegen des Versuchs der Meister, sich gegenüber der Konkurrenz abzuschirmen, indem sie möglichst wenig Gesellen Meister werden ließen, verschärften sich die Arbeitskämpfe. Die Unruhe, die durch solche harten Arbeitskämpfe i m Lande verursacht wurde, veranlaßte die Reichsgesetzgebung zum Eingreifen. A u f dem Reichstag zu Augsburg 1530 erging die Reichspolizeiordnung (Polizeireformation), die ein direktes Koalitionsverbot (§ 6 Titel 39) und ein Streikverbot (§ 1 Kap. 31) enthielt 8 7 . 84

Rüthers, a. a. 0 . , S . 7.

85

Bogs, a. a. O., S. 5.

88

Zum Vorangehenden ausführlich: Bogs, a. a. O., S. 5—6.

87

Mummenhoff, Der Handwerker in der deutschen Vergangenheit, S. 85; Hannes, Diss., S. 5/6; Bogs, a. a. O., S. 8; Rüthers, a. a. O., S. 8.

1. Kapitel: Wesen und Erscheinungsformen

29

A u f eine umfassende Aufzählung der mittelalterlichen Streiks i n Deutschland kann hier verzichtet werden 88 . Es seien nur einige besonders markante Streiks herausgegriffen: 1329. Ältester bekannter Gesellenausstand des Mittelalters: Die Breslauer Gürtlergesellen streikten ein Jahr lang für höheren Lohn 8 9 . 1414. Die Gerber i n Straßburg traten i n den Ausstand, u m vom Rat das Recht der eigenen Gerichtsbarkeit zu erlangen 40 . 1447 ff. I n Freiberg i n Sachsen kam es zu Bergleutestreiks und Ausschreitungen wegen zu geringen Lohnes und zu langer Arbeitszeit i n den Gruben 41 . 1490. Gegen die Verringerung der Zahl der Feiertage durch einen landesherrlichen Bergabschied streikten die Inntaler Knappen erfolgreich 42 . 1495—1505. Streik der Bäckerknechte i n Kolmar wegen der Rangfolge der Innungen i n der Fronleichnamsprozession; Einsatz von Streikposten. Obgleich die Knechte einen Rechtsstreit, der bis zum Reichskammergericht geführt wurde, i n allen Instanzen verloren, blieben sie am Ende siegreich. Ihre Macht war größer als die aller Gerichtsurteile. 1548. Reichspolizeiordnung mation.

bestätigte

die

Augsburger

Polizeirefor-

1687. Wegen Streitigkeiten m i t den Meistern streikten die Tuchmachergesellen i n Zittau. Die Stadt geriet i n wirtschaftlichen Verfall. 1731. Erlaß der Reichszunftordnung, die ein strenges Verbot von Koalitionen und Arbeitskämpfen enthielt 4 3 . 1753. Protestmärsche unzufriedener Knechte und Arbeiter i n Hamburg 4 4 . Die Reihe von Streiks und Antistreikmaßnahmen ließe sich bis i n die jüngste Gegenwart verlängern 45 . U m den Rahmen dieses kurzen historischen Überblicks nicht zu sprengen, sei nur darauf hingewiesen, daß durch die Reichszunftordnung Koa88

Sie findet sich bei Rüthers , a. a. O., S. 6—9. Göller , Der Arbeitgeber 1964, S. 635; Meyer , Steen, Diss., S. 5; zur danach erfolgten Abwehraussperrung der Gürtlermeister, siehe Ratsprotokoll v. 4.11. 1329, Ebel , Quellen zur Geschichte d. deutschen Arbeitsrechts, S. 28—29. 40 Rüthers , Streik und Verfassung, S. 7. 41 Vgl. die bei Ebel, a. a. O., abgedruckten Dokumente: Beschwerden, Berichte, Gutachten und Beschlüsse. 42 Zum folgenden Rüthers , a. a. O., S. 7—9. 48 Bogs, a. a. O., S. 11; Göller , Der Arbeitgeber 1964, S. 636. 44 Verbotsbefehl des Senats v. 6.4.1753, abgedruckt bei Ebel, a. a. O., S. 207/208. 45 Umfassende Bibliographie zur Entwicklung von Arbeiterbewegung und Streik bei DolMans-Crozier : Mouvements ouvrier et socialiste, S. 95—126 und 185—221. 89

30

1. Teil: Streik nach deutschem Recht

litionen der Arbeitnehmer bis i n die Mitte des 19. Jahrhunderts hinein unterdrückt wurden. Erst nach 1850 wurden für die gewerbliche W i r t schaft die Koalitionsverbote beseitigt. Die Arbeiter konnten Vereinigungen bilden und Verabredungen zur Erlangung günstigerer Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen treffen 46 . Die Koalitionen und ihre Abmachungen unterlagen jedoch den Beschränkungen der §§ 152, 153 GewO. Der ebenfalls geduldete Arbeitskampf konnte durch Reichs- oder Landesgesetz eingeschränkt, ja ganz verboten werden. Die Anerkennung der Koalitionen als Ordnungsfaktoren i n der nationalen Wirtschaft erfolgte durch das Hilfsdienstgesetz vom 5.12.1916 (RGBl. S. 1333). Das unbeschränkte Vereins- und Versammlungsrecht proklamierte der Rat der Volksbeauftragten i n einem Aufruf vom 12. November 1918. A m 4. März 1919 erhielt der Aufruf i m Übergangsgesetz der Nationalversammlung Gesetzeskraft. Für jedermann und alle Berufe gewährleistete A r t . 159 WRV das Recht der Vereinigungsfreiheit zur Wahrung und Förderung der Arbeitsund Wirtschaftsbedingungen m i t Verfassungsrang als Grundrecht. A b reden und Maßnahmen, die diese Freiheit einzuschränken oder zu behindern suchten, waren nach A r t . 159 S. 2 WRV rechtswidrig 47 . I n den zwölf Jahren des Nationalsozialismus regelten staatliche Treuhänder der Arbeit die Arbeitsbedingungen. Streitigkeiten i n den Betrieben wurden von der „Betriebsgemeinschaft", notfalls von der „Deutschen Arbeitsfront" beigelegt. Formell wurde A r t . 159 WRV nicht abgeändert. 1953. (17.6.) streikten die Bauarbeiter der Baustellen an der Stalinallee i n Ost-Berlin gegen die Erhöhung ihrer Arbeitsnormen. Während der Streik sich schnell in fast allen Städten der SBZ ausbreitete, wurden Forderungen gestellt, die weit über die Verringerung der Normen hinausgingen, z. B. die Zulassung freier Wahlen i n ganz Deutschland 48 . 1956. Schleswig-holsteinischer Metallarbeiterstreik. Schon diese unvollständige historische Übersicht erhellt, daß beim Streik stets eine Mehrzahl von Arbeitnehmern kraft gemeinschaftlichen Entschlusses die Arbeit niederlegte, u m wirtschaftliche, soziale oder politische Ziele zu erreichen. Für die Begriffsbestimmung haben w i r aus der Streikgeschichte m i t h i n wertvolle Hinweise erhalten 49 . 46 Hueck-Nipperdey, Lehrbuch der Arbeitsrechts, Bd. I I , 1, S. 117 f.; dem Zugeständnis, daß die Arbeitnehmer die Arbeit einstellen konnten, entsprach gegenüber den Arbeitgebern die Konzession der Aussperrungsberechtigung. 47 Ausführlich Nikisch, Arbeitsrecht I I , S. 18/19 und 102/104; vgl. auch Göller, Der Arbeitgeber 1964, S. 638/39. 48 Rüthers, Streik und Verfassung, S. 11. 49 Dafür, daß das Ziel früherer Arbeitskämpfe meist außerhalb „der Bedingungen des Arbeitsvertrages" lag, haben sich nach dieser Betrachtung

1. K a p i t e l : W e s e n u n d Erscheinungsformen

31

I I I . S t r e i k s t a t i s t i k f ü r die J a h r e 1950—1967 A u c h i n d e r n e u e s t e n Z e i t h a t d e r S t r e i k als W a f f e

der

Arbeitneh-

m e r nichts v o n seiner B e d e u t u n g u n d W i r k s a m k e i t eingebüßt. E r ist das entscheidende D r u c k m i t t e l der A r b e i t n e h m e r kann

höchste volkswirtschaftliche

Schäden

auf die Arbeitgeber anrichten.

Um

hier

und einen

Ü b e r b l i c k über den U m f a n g der A r b e i t s k ä m p f e z u geben, folgt eine v e r g l e i c h e n d e S t r e i k s t a t i s t i k d e r J a h r e 1950 b i s 1 9 6 7 5 0 v o n D e u t s c h l a n d



D —61, der Schweiz — C H — u n d Frankreich — F —.

1. Vom Streik

D CH F

Betriebe

52

1950

1951

1952

1953

1954

1344

1528

2 529

1395

538

866

268

86

1484

68

70

47

513

283

4

15

3

3

k. Z.

k. Z.

24 392

13 629

9 804

6 749

8 585

23 312

4 609

1959

1960

1961

1962

1963

1964

1965

1966

1967

D

55

k. Z .

CH

15

20

4 349

3 395

F

betroffene

119 —

8 913

1955

1956

1957

1958

k. Z.

187

34

20

205

742

2

73

4

2

2

1

7 903

9 794

12 908

10 191

10 872

30 888

k e i n e A n h a l t s p u n k t e ergeben. Z w a r m ö g e n die a k t u e l l e n S t r e i k s nach U m f a n g u n d K a m p f f ü h r u n g Folge d e r n e u z e i t l i c h e n kapitalistischen E n t w i c k l u n g sein, a l l e i n es h a t schon i m A l t e r t u m u n d i m M i t t e l a l t e r b e d e u t s a m e S t r e i k s gegeben. W i e h i e r Rüthers , a. a. O., S. 4/5 m i t w e i t e r e n Nachweisen. A . A . Doerk, Diss., S. 17. 50 E i n e v o m D G B herausgegebene vergleichende S t a t i s t i k findet sich i n Recht d e r A r b e i t 1965, S. 67/68; z u r historischen deutschen S t r e i k s t a t i s t i k seit 1889 vgl. Tuchtfelds G M H 1951, S. 242 ff. u n d A d o l f Weber, K a p i t a l u n d A r beit, S . 2 7 9 ff. 51 G e m e i n t ist die B u n d e s r e p u b l i k Deutschland. 52 Z u dieser Statistik ist folgendes zu beachten: a) für Deutschland: Die deutsche Statistik weist nur Streiks aus, die mindestens 10 Arbeitnehmer umfassen und die länger als einen Tag dauern oder die Insgesamt einen Verlust von mehr als 100 Arbeitstagen verursacht haben, nur sie sind gem. A V A V G vom 16. Juli 1927 (RGBl. I , S. 127) meldepflichtig. Die Statistik wurde vom Statistischen Bundesamt in Wiesbaden erstellt. Sie wurde für den Zeitraum von 1950—1959 der Zeitschrift „Wirtschaft und Statistik", von 1960—1965 der Fachserie A, Bevölkerung und Kultur, Reihe 6. Erwerbstätigkeit V I . Streiks, des Statistischen Bundesamtes entnommen. Die Statistik für 1950 bezieht sich nur auf das Vereinigte Wirtschaftsgebiet. Das Saarland ist bis 1957 nicht erfaßt. Der Metallarbeiterstreik in SdileswigHolstein figuriert unter 1957, weil die Statistik nur beendete Streiks ausweist. b) für die Schweiz: Die Statistik wurde vom Eidgenössischen Statistischen Amt in den „Statistischen Jahrbüchern der Schweiz" herausgegeben. Sie umfaßt Streiks und Aussperrungen. c) für Frankreich: Die angegebenen Zahlen umfassen nicht die Streiks im öffentlichen Dienst. Sie sind dem Annuaire Statistique de la France entnommen, das vom Institut National de la Statistique et des Études Economiques herausgegeben wird.

1. Teil: Streik nach deutschem Recht

32

Wurden allein i n Deutschland i n den Jahren 1950—1967 11 744 926 Arbeitstage durch Streik verloren, so läßt sich daraus unschwer erkennen, welche Verantwortung i n die Hände der streikfähigen Arbeitnehmer bzw. der Gewerkschaften und ihrer Funktionäre gelegt ist. Die Schäden der deutschen Wirtschaft durch Streik sind geringer als die i n Frankreich verursachten Einbußen. Die Volkswirtschaft der Schweiz wurde — auch verhältnismäßig — am wenigsten durch Streik behindert. Die Bedeutung, die dem Streik auch gegenwärtig zukommt, erklärt, daß Streikprobleme i n Rechtslehre und Rechtsprechung erhebliche, verdiente Beachtung gefunden haben, bewirkt allerdings auch, daß von Interessentenkreisen mannigfache Versuche zur Beeinflussung von Rechtslehre und Rechtsprechung unternommen wurden, die u. a. bisher einen einheitlichen Streikbegriff nicht zustande kommen ließen. D. Wesentliche Merkmale des Streiks und Begriffsbestimmung I . Anzahl von Arbeitnehmern

I n allen historischen Beispielen handelte ein Arbeitnehmerkollektiv. Unbestritten 5 8 ist daher, daß ein einzelner Arbeiter von sich aus nicht 2. Zahl der beteiligten Arbeitnehmer 1950 D CH F

D CH F

1951

1952

1953

1954

1955

79 270

174 325

84 097

50 625

115 899

597 353

288

985

1207

2 079

2 997

430

1 527 300

1 754 000

1 155 200

1 783 700

1 269 000

792 000

1956

1957

1958

1959

1960

1961

25 340

45 134

202 483

21 648

17 065

21 052

286

71

815

126

214

666 000

2 963 800

1 112 500

581 000

838 600



2 251 800

63 Statt vieler: Brox-Rüthers, Arbeitskampf recht, S. 29; Hueck-Nipperdey, Grundriß, S. 271/72; Nikisch, Arbeitsrecht I I , S. 79. B A G GS Beschluß v. 28. 1. 1955 GS 1/54 in B A G E 1/281 (304); B G H Zwischenurteil v. 29.9.1954, V I ZR 232/53, B G H Z 14/347 (354 ff.); Streikrichtlinien . . . , S. 7, und Boldt, Streik und Aussperrung, S. 92/93; Hessel in BB 1959, S. 1310; Hoeniger in BB 1955, S. 705; Müller, K., Streik und Aussperrung, S. 5.

1. Kapitel: Wesen und Erscheinungsformen 1962 D CH F

1963

1964

1965

33

1966

1967

79 177

100 853

5 629

6 250

196 013

59 604

163

1120

350

23

38

65

1 472 400

1 147 782

1 047 273

687 857

1 028 600

2 823 600

i n den Streik treten kann. Entgegen einigen Versuchen i n der deutschen und ausländischen Literatur und Gesetzgebung 54 läßt sich jedoch eine Mindestzahl von Streikenden nicht bestimmen. Es ist denkbar, daß auf Beschluß einer großen Mehrheit von Arbeitnehmern nur einige wenige ihrer Kollegen i n Schlüsselpositionen die Arbeit niederlegen. Brox-Rü-

3. Zahl der durch Streik verlorenen Arbeitstage

D CH F

D CH F

D CH F

1950

1951

1952

1953

1954

1955

380 121

1 592 892

442 877

1 488 218

1 586 523

846 647

5 447

8 469

21 588

61124

25 963

1036

11 710 100

3 294 000

1 752 600

9 722 100

1 440 100

3 078 700

1956

1957

1958

1959

1960

1961

263 884

2 385 965

782 123

61 825

37 723

64 350

1439

740

227

1987

1016

1 422 500

4 121 300

1 137 700

1 938 400

1 070 000

2 600 600

1962

1963

1964

1965

1966

1967

450 948

878 026

16 711

48 520

27 086

389 581

1386

70 700

4 550

163

62

1690

6 001 500

2 496 800

979 861

2 523 500

4 203 700

1 901 500



64 Italienisches Gewerkschaftsgesetz v. 3. April 1926: Mindestens 3 Arbeiter (Bureau International du Travail, Etudes et Documents Serie A No. 31, S. 426, Serie A Nr. 34, S. 490). Rumänisches Gesetz vom 4. Sept. 1921 betr. die Regelung von Arbeitsstreitigkeiten: Mindestens Vs der Belegschaft eines Betriebes, B I T Etudes et Documents Serie A Nr. 34, S. 551.

3 Lohse

34

1. Teil: Streik nach deutschem Recht

thers 65 halten sogar den F a l l für denkbar, daß nur ein einzelner Arbeitnehmer i n einer betriebsbeherrschenden Schlüsselposition die Arbeit auf Grund eines kollektiven Beschlusses niederlegt. Ferner kann i n einem Betrieb m i t nur einem Arbeiter dieser einem Aufruf seiner Gewerkschaft folgen und nicht weiterarbeiten 56 . I n der Tat, nicht die Zahl der Handelnden ist für das Vorliegen eines Streiks entscheidend, sondern die der i h n Beschließenden. Das w i r d schon dadurch deutlich, daß der überwiegende Teil einer Belegschaft i m Ausnahmefall während eines Streiks Notstandsarbeiten i m Betrieb leistet und das Unternehmen dennoch bestreikt wird. Ausdruck des kollektiven Handelns bei der Arbeitsniederlegung ist auch der Zusammenschluß der Arbeitnehmer vor dem Streik zu bürgerlich-rechtlichen Gesellschaften i. S. der §§ 705 ff. BGB oder zu Interessengemeinschaften ohne rechtliche Bindung 5 7 . I I . Planmäßig und gemeinsam durchgeführte Arbeitseinstellung

Die Arbeitnehmer stören beim Streik den Arbeitsfrieden dadurch, daß sie gemeinsam die Arbeit einstellen oder ihre Kollegen dazu veranlassen. Das geschieht auf Grund eines vorher entworfenen Planes. Dabei können die Methoden des Entzuges der Arbeitskraft höchst unterschiedlicher Natur sein: Die Arbeitnehmer bleiben der Arbeitsstelle fern, sie erscheinen dort und arbeiten nicht, sie verrichten ihre Arbeit langsam oder schlecht oder fügen den Arbeitgebern dadurch Schaden zu, daß sie die Produktion durch übergenaue Beachtimg von Sicherheitsbestimmungen oder Ordnungsvorschriften behindern 58 . Daß die Willensbildungsakte der Arbeitnehmer auf die rechtliche Bewertung einer Arbeitsniederlegung als Streik keinen Einfluß haben, ist anerkannt. Sie sind Handlungen i m Vorfeld des Streiks. Z u der Streitfrage, welche Handlung der Arbeitnehmer oder ihrer Gewerkschaft „bereits Kampfmaßnahme" ist, braucht hier nicht Stellung genommen zu werden 5 9 . 56

Arbeitskampfrecht, S. 29; a. A. Dommack, Diss., S. 4,16,17, der das Wesen des Kollektivakts verkennt. 66 Beispiel von Madjidi, Diss., S. 18. 57 Brox-Rüthers, a. a. O., S. 29/30. 58 Brox-Rüthers, a. a. O., S. 29. 59 Hier handelt es sich nur um die rechtliche Qualifizierung einer Arbeitseinstellung als Streik, nicht aber um die Feststellung ihres Beginns. Ob die im allgemeinen der Arbeitsniederlegung bei gewerkschaftlich organisierten Streiks vorangehenden Handlungen vorgenommen wurden, ist lediglich verbandsintern von Bedeutung. Regelmäßig erfolgt die gewerkschaftliche W i l -

1. Kapitel: Wesen und Erscheinungsformen

35

I I I . Kampfziel

Für die Volksgesamtheit, die Arbeitgeber und die Arbeitnehmer, bringt die Störung des Arbeitslebens durch Streiks Nachteile: Störung des Wirtschaftslebens, Einnahmeverlust und Verdienstausfall® 0. Daher w i r d ein Streik, wie von der weitaus h. M. 8 1 anerkannt, nicht ohne konkretes Ziel geführt; wegen dieses Zieles werden die m i t dem Ausstand verbundenen Nachteile i n Kauf genommen. Ziele von Streiks waren nach den historischen Beispielen die Verbesserung der wirtschaftlichen oder sozialen Stellung der Streikenden, politische Einflußnahme oder Protest 62 . Es hieße diese historische Entwicklung verkennen und eine unnötige K l u f t zwischen Lehre und Rechtswirklichkeit aufreißen, wollte man die Kampfziele von Streiks auf arbeitsrechtliche Fragen beschränken 63 . Dam i t würden unnötigerweise Fragen der Rechtswidrigkeit m i t Fragen der Begriffsbestimmung des Streiks verknüpft. Eine solche Beschränkung w i r d zu Recht von der h. M. 6 4 abgelehnt und kann einer umfassenden Streikdefinition nicht zugrunde gelegt werden. Dem historischen und dem gegenwärtigen Sprachgebrauch (Massenstreiks, politische Streiks) entspricht ebenfalls eine weite Fassung, Ausstände m i t nicht arbeitsrechtlichem Ziel wurden stets auch als Streik bezeichnet 65 . lensbüdung so: a) Antrag auf Arbeitseinstellung durch die regionale Tarifkommission; b) Zustimmung des Hauptvorstandes der Gewerkschaft zur Veranstaltung einer Streikurabstimmung; c) mit qualifizierter Mehrheit der regionalen Tarifkommission gefaßter Beschluß, ob den betroffenen Gewerkschaftsmitgliedern empfohlen werden soll, sich für den Streik zu entscheiden; d) erneuter Beschluß des Hauptvorstandes; e) Urabstimmung der betroffenen Gewerkschaftsmitglieder; f) bei Entscheid mit qualifizierter Mehrheit für den Streik: Genehmigung des Haupt Vorstandes für die Durchführung des Streiks (Abwägung, Wirtschafts- und Arbeitsmarktlage etc.). eo Begemann, Der Streik und das Recht am Gewerbebetrieb, S. 7. ei Statt vieler: Hueck-Nipperdey, Grundriß, S. 272; Kaskel-Dersch, A r beitsrecht, S. 326; Lasar, Diss., S. 6 ff. (10); Nikisch, Arbeitsrecht I I , S. 80, 83. 62 Eschbacher, Diss., S. 11 und 21; Adolf Weber, Kapital und Arbeit, S. 278/79; Rüthers in BB 1964, S. 312; Burchardt, Arbeitsprivatrecht und A r beitskampfrecht, S. 75; Baumgardt, Diss., S. 16; Hirsch, Diss., S. 10; Völckers, Diss., S. 7; Meusel, Diss., S. 1; Tietze, Der Streikbefehl der Organisation, S. 1; Neumann-Duesberg in BB 1963, S. 1442; Juvigny, Juris-Classeur du travail et de la main d'oeuvre, Nr. 36, S. 1. 88 So fälschlich u. a. Rewolle-Lorentz, Arbeitsrecht, S. 105/106, und früher Kaskel, Arbeitsrecht, bis zur 3.Aufl. (z.B. 2. Aufl., S.202/203); ihnen folgend Reinhold, Diss., S. 55; Osswald, Der Streik und die ihm durch das Strafrecht gezogenen Grenzen, S. 11; Doerk, Diss., S. 34 f.; für die Schweiz Schlatter, Diss., S. 70; Reisch, Diss., S. 3; heute noch h. M . in Frankreich: Hülster, Le droit de grève et sa réglementation, S. 6; Brun-Galland, Droit du travail, S. 917—922. 64 Bulla, RdA 1962, S.386; Bötticher, RdA 1955, S. 81; Dommack, Diss., S. 19, jeweils mit weiteren Nachweisen. 65 Nur eine historische Ausnahme ist bekannt: I n Österreich trugen politische Streiks gegen Ende des 19. Jahrhunderts den Namen „Massenspaziergänge".

3*

.Teil: Streik nach deutschem Recht

36

I V . Bereitschaft zur Wiederaufnahme der Arbeit nach Beendigung des Streiks

Von verschiedenen Autoren 0 8 w i r d die Bereitschaft der Arbeitnehmer, nach dem Arbeitskampf die Arbeit wieder aufzunehmen, verlangt: Der Streik sei nicht als Kündigung anzusehen, das Arbeitsverhältnis werde nur suspendiert 07 . Der Wille zur Wiederaufnahme der Arbeit sei somit wesentlich 68 . Er brauche nicht besonders zum Ausdruck zu kommen, könne vielmehr aus der Natur der Sache folgen. Damit w i r d i n den Streikbegriff ein subjektives Element hineingebracht, das i m Einzelfall schwer feststellbar sein dürfte, das sich ändern kann, ja das u. U. je nach Einstellung der einzelnen Belegschaftsmitglieder verschieden ist. Geht man m i t dem B A G 0 9 und der h.M. 7 0 davon aus, daß der Streik die Arbeitsverhältnisse nur suspendiert, nicht aber löst, so ist die Wiederaufnahme der Arbeit nach Streikende eine Verpflichtung, die sich aus den Einzelarbeitsverträgen ergibt, nicht aber aus dem Ausstand 71 . Der Wille zur Fortsetzung der Arbeit ist für einen Streik also nicht begriffsnotwendig. V. Definition des Streiks

W i r kommen m i t der h. M. 7 2 zu folgender Begriffsbestimmung: Streik ist die von einer Mehrzahl von Arbeitnehmern planmäßig und gemeinsam durchgeführte Arbeitseinstellung zur Erreichung eines Zieles 73 . 66

Hueck-Nipperdey, Grundriß, S. 272; Kaskel-Dersch, Arbeitsrecht, S. 328; Nikisch, Arbeitsrecht I I , S. 86; Dietz in JuS 1968, S. 2. 67 Z u dem Gegensatz zwischen der sogen. Suspendierungs- und der Lösungstheorie vgl. Brox-Rüthers, Arbeitskampfrecht, S. 222 ff. mit dem neuesten Streitstand. 68 Hueck-Nipperdey, Grundriß, S. 253. ö® B A G GS Beschluß vom 28.1.1955, GS 1/54 in BAGE 1/291, (302, 305). 70 Statt vieler: Siebrecht, a. a. O., S. 15, der zu Recht darauf hinweist, daß durch die Auflösung der Arbeitsverhältnisse der Druck auf die Arbeitgeber entfallen würde. Vgl. auch Bulla in Festschrift für Erich Molitor, S. 294 mit weiteren Nachweisen. 71 Das verkennt Dommack, Diss., S. 21. 72 Begemann, Diss., S. 7; Müller, Recht d. Arbeit 1951, S. 247; Dommack, Diss., S. 10; Fabricius, RdA 1962, S.94; Hoeniger, RdA 1953, S.204; Kreuzer, Diss., S. 1; Siebrecht, a.a.O., S. 13; für das schweizerische Recht: Gauthier, Diss., S. 12; Schlatter, Diss., S. 70/71; Thilo, De l'influence de la grève sur le contrat du travail, in Journal des tribunaux 1922, S. 514; für das französische Recht Camerlynck-Lyon-Caen, Droit du travail S. 467; Durand, Cours de droit du travail S. 263/264; Lyon-Caen, Manuel de droit du travail, S. 92. 78 Auf Erscheinungen, die mit abhängiger Arbeit in keinem direkten Zusammenhang stehen, wird der Ausdruck Streik häufig angewendet: Steuer-,

1. Kapitel: Wesen und Erscheinungsformen

37

E. Zwei Erscheinungsformen: Arbeitsrechtlicher und politischer Streik Die vielfältigen Formen von Streiks kann man unter verschiedenen Gesichtspunkten systematisch erfassen. Für den Umfang einer verfassungsgesetzlichen Streikgarantie und die Einschränkbarkeit von Streiks i m Staatsnotstand ist die Unterscheidung zwischen arbeitsrechtlichem und politischem Streik von zentraler Bedeutung. I . Arbeitsreditlicher Streik

Huber 7 4 hat den Streik als „die in einem oder mehreren Betrieben oder ganzen Berufszweigen von einem größeren Teil oder der Gesamtheit der Arbeitnehmer durchgeführte faktische Kollektivverweigerung der Arbeitsleistung m i t dem Ziel, den bestreikten Sozialpartner zu zwingen, die gegebenen Arbeitsbedingungen nicht zu verschlechtern oder günstigere zu gewähren" bezeichnet. Diese Abgrenzung ist — wie gezeigt — als Streikdefinition zu eng, enthält aber alle Elemente des arbeitsrechtlichen Streiks und kann daher für diesen zugrunde gelegt werden. Ein arbeitsrechtlicher Streik liegt vor bei 1. planmäßiger gemeinsamer Arbeitseinstellung einer Mehrzahl von Arbeitnehmern. A u f diese Elemente arbeitsrechtlicher Streiks wurde bereits 75 eingegangen. 2. Kampfziel i m Bereich der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen. Daß jeder Streik ein konkretes Ziel haben muß, wurde ebenfalls nachgewiesen 76 . Beim arbeitsrechtlichen Streik wollen die beteiligten Arbeitnehmer ihre wirtschaftliche und (oder) soziale Stellung erhalten oder verbessern. Sie wollen die Arbeitgeber 77 zu Konzessionen zwingen, die sie i n Verhandlungen nicht erreichen konnten. Beispiele sind Streiks u m Lohnerhöhungen, Arbeitszeitverkürzung oder andere Ziele, die einer tarifvertraglichen Regelung fähig sind 78 . 3. Arbeitgeber oder Arbeitgeberorganisation als Adressaten. Schon daraus, daß das Kampfziel arbeitsrechtlicher Streiks i m Bereich der A r beits- und Wirtschaftsbedingungen liegen muß, folgt eine KonkretiBürger-, Gemeinderats-, Schul-, Eltern-, Studenten-, Ärzte-, Apotheker- und Käuferstreiks. Es handelt sich hierbei nicht um Streiks i m Rechtssinne. Vgl. Ramm, AcP, Bd. 160 (1960) S. 341; Reuss, AcP, Bd. 156 (1957) S. 89 ff. 74 Wirtschaftsverwaltungsrecht I I , S. 390. 75 Vgl. oben, S. 33/34 dieser Untersuchung. 76 Vgl. oben, S. 35 dieser Untersuchimg. 77 Zum Druck auf Staatsorgane zur Erzwingung wirtschaftlicher oder sozialer Konzessionen siehe unten, S. 40 ff. dieser Untersuchung. 78 Dazu näher Brox-Rüthers, Arbeitskampf, S. 132 ff.

38

1. Teil: Streik nach deutschem Recht sierung möglicher Adressaten: N u r die Sozialpartner und der Staat als Arbeitgeber können die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen einzelner Arbeitnehmer verbessern 79 . Für das Beamten-, das A n gestellten- und das Arbeiterverhältnis i m öffentlichen Dienst gelten Besonderheiten. Die i n dem Dienst des Staates Stehenden sind besonderen Treuepflichten unterworfen, die ihnen i n der Regel den Streik verbieten.

Möglicher Adressat arbeitsrechtlicher Streiks sind m i t h i n nur ein oder mehrere Arbeitgeber oder Arbeitgeberorganisationen 80 . I n Anlehnung an Huber kann man den arbeitsrechtlichen Streik also definieren als: Faktische Kollektivverweigerung der Arbeitsleistung durch Arbeitnehmer m i t dem Ziel, den bestreikten Sozialpartner zu zwingen, die gegebenen Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen nicht zu verschlechtern oder günstigere zu gewähren. n . Politischer Streik

1. Möglichkeit

der Abgrenzung des arbeitsrechtlichen politischen Streik

vom

Daß der politische Streik i m Rechtssinne Streik ist, w i r d heute von der h. M. 8 1 angenommen. Nachdem sich insoweit schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein klarer Sprachgebrauch entwickelt hatte, versuchte Kaskel i n den ersten Auflagen seines „Arbeitsrechts" den Rechtsbegriff Streik auf von Arbeitnehmern zur Verbesserung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen geführte Ausstände zu beschränken: Der Streik habe als Arbeitskampf eben nur die Möglichkeit, arbeits- und wirtschaftsrechtliche Ziele anzustreben. Dersch hat schon i n der 4. Aufl. dieses Lehrbuches von Kaskel klargestellt, daß „die Ansicht Kaskels i n der früheren Auflage, daß nur die Erkämpfung günstigerer Arbeitsbedingungen das Ziel des Arbeitskampfes sei, m i t den Tatsachen i n Widerspruch steht." Auch politische Streiks, Sympathiestreiks und Sympathieaussperrungen seien möglich 82 . Dieses Ergebnis entspricht auch dem der Untersuchung zugrunde gelegten weiten Streikbegriff. 79 Die interessante Frage hoheitlicher Regelung von Mindestarbeitsbedingungen soll hier unberücksichtigt bleiben, vgl. dazu Berenstein, Le droit du travail en Suisse, in: Die Schweiz im universellen Arbeitsrecht, S. 24 ff.; derselbe in Zeitschrift für Schweiz. Recht N F Band 67 (1948) S. 253 ff. 80 Brox-Rüthers, Arbeitskampfrecht, S. 32; Rüthers, Streik und Verfassung, S. 16. 81 Statt vieler: Hueck-Nipperdey, Lehrbuch I I , S. 652; Brox-Rüthers, A r beitskampfrecht, S. 30; Madjidi, Diss., S. 29; Haasis, Diss., S. 79. 82 Kaskel-Dersch, Arbeitsrecht, 4. Aufl., S. 421.

1. Kapitel: Wesen und Erscheinungsformen

39

Besteht insoweit Einigkeit, so hat es unter den Befürwortern der h. M. Streit darüber gegeben, ob sich der politische Streik vom arbeitsrechtlichen abgrenzen lasse, oder ob sich eine Grenze zwischen beiden Streikarten „ k a u m " 8 8 ziehen lasse, w e i l es keinen unpolitischen Streik gebe. Schon die Wahl des Wortes „kaum" bei der Erörterung jener Abgrenzung deutet auf eine gewisse Unsicherheit hin: Gibt es nämlich keinen unpolitischen Streik, so ist der Rechtsbegriff „arbeitsrechtlicher Streik" überflüssig, die Grenzziehung unnötig. Versteht man unter Politik 8 4 den Inbegriff der Kunst, die Führung menschlicher Gruppen zu ordnen und zu vollziehen, oder begreift man Politik als Summe von Handlungen, die sich auf die Beeinflussung der allgemeinen sozialen Ordnung richten 85 , könnte es i n der Tat nur politische Streiks geben. Fragen der Arbeitszeit, der Lohnhöhe, der Lohnart oder des Urlaubs sind insoweit Fragen politischer Natur, mindestens dann, wenn sie ganze Industriezweige betreffen 86 . Jede wirtschaftliche oder soziale Besserstellung einer nicht unbedeutenden Zahl von Arbeitnehmern gestaltet nämlich die Beziehungen und das Verhältnis der Arbeitnehmer zu anderen Gruppen des Volkes um. Der Konsum und die finanzielle K r a f t jener Arbeitnehmer werden gesteigert, ihr gesellschaftliches Ansehen wächst, die entsprechenden Berufe werden für die potentiellen Nachwuchskräfte anziehender. Andererseits schädigt jede ausgefallene Arbeitsstunde, jeder durch Streik verlorengegangene Arbeitstag die nationale Wirtschaft und damit das Volksganze. Ist daher eine Abgrenzung des arbeitsrechtlichen vom politischen Streik i n der Tat unmöglich? Sie ist ist nur dann unerreichbar, wenn jede Auswirkung eines Streiks auf politischer Ebene, jedes M i t t e l und jedes politische Ziel ausreichen, u m einen Streik als politischen Ausstand zu werten. Nun gibt es aber Streiks, die subjektiv oder objektiv darauf angelegt sind, politische Folgen hervorzurufen, indem sie Träger politischer Macht bei ihren Entscheidungen beeinflussen. Diese Streiks lassen sich also von Ausständen, die Arbeitgeber oder Arbeitgeberverbände unter Druck setzen wollen, durchaus unterscheiden 87 . 88 Richard Schmid, G M H 1954, S. l ; Abendroth , G M H 1954, S.259; Hessel , G M H 1954, S. 438; Molitor in BB 1955, S. 455. 84 Bergstraeßer „Politik I " in Staatslexikon V I , Sp. 335. 85 Pirker , G M H 1952, S. 76. 86 Richard Schmid, G M H 1954, S. 1; Abendroth , G M H 1954, S. 259; Tacke , G M H 1964, S. 9/10; Boukre, a. a. O., S. 122; Briefs , Das Gewerkschaftsproblem gestern und heute, S. 63. 87 Kaiser „Politischer Streik" in Staatslexikon V I , Sp. 377, 378 mit weiteren Nachweisen; Hueck, Herschel-Festschrift, S. 34; Fikentscher in The American Journal of Comparative Law 1953, S. 72.

1. Teil: Streik nach deutschem Recht

40 2. Streikfälle,

Abgrenzungskriterien

und Begriffsbestimmung

a) Fallgruppen Geht man von der Abgrenzbarkeit der arbeitsrechtlichen von den politischen Streiks aus, so stößt man bei der weiteren Prüfung auf unterschiedliche Gruppen von Streiks, die politische Fragen berühren, unmittelbar oder mittelbar politische Folgen hervorrufen oder sich an Staatsorgane wenden. aa) Politische Materie (1) Staatsorgane als Adressaten A m augenfälligsten sind Streiks, die gegenüber Staatsorganen Druck ausüben, u m sie i n politischen Fragen zu Entscheidungen i. S. der Streikenden zu zwingen. Obrigkeitliche Handlungen sollen also „unter dem Druck eines durch die Arbeitsniederlegung geschaffenen Notstandes" 88 erreicht werden. Daß dabei auch auf Arbeitgeber durch die Entziehung der Arbeitskraft Druck ausgeübt wird, ist bei jenen Arbeitskämpfen zweitrangig. Entscheidend ist die Pressionswirkung auf die Organe des Staates. Kampfgegner ( = unmittelbar Betroffene) sind die Arbeitgeber, Adressat ( = Einwirkungsobjekt) ist der Staat 89 . Unerheblich ist es, ob auf Entscheidungen von Legislative, Exekutive oder Judikative eingewirkt w i r d oder eingewirkt werden soll. Es reicht aus, daß „eine staatliche Instanz bestreikt" 9 0 w i r d und die bestreikten Arbeitgeber rechtlich und (oder) tatsächlich nicht i n der Lage sind, die Forderungen der Arbeitnehmer zu erfüllen, selbst wenn sie es wollten. Als Beispiel kommt ein Streik während der parlamentarischen Beratung eines Wahlgesetzentwurfes m i t dem Ziel, das Parlament zur Einführung des reinen Verhältniswahlrechts zu zwingen, i n Betracht. Darüber, daß ein solcher Streik politischer Natur ist, besteht Einigkeit. A u f die formelle Adressierung durch die Streikenden kommt es nicht an. 88

Dittmar in BB 1948, S. 516; v. Roesgen, Diss., S. 15.

89

Diese von Abendroth in G M H 1954, S. 259, eingeführte und von BroxRüthers, Arbeitskampfrecht, S. 34, für den Sympathiestreik übernommene Unterscheidung ist klarer als die von Hueck-Nipperdey, Lehrbuch I I , S. 610, gewählte Bezeichnung vom Durchgangsadressaten (Arbeitgeber) und Endadressaten (Staat). Die Arbeitgeber sind nur Betroffene, gegen sie wird der Streik nicht gerichtet. Sie erleiden zwar finanzielle Verluste, sind aber nicht bewußt und gewollt dem Druck ausgesetzt worden. Die Streikenden wissen genau, daß die Arbeitgeber ihre Forderungen nicht erfüllen können. Zudem kann logisch eine Forderung den Endadressaten erst nach Passieren des Durchgangsadressaten erreichen. 90

Rüthers, Streik und Verfassung, S. 80.

1. Kapitel: Wesen und Erscheinungsformen

41

(2) Arbeitgeber oder Arbeitgeberorganisationen als Adressaten? Daß m i t dem Ziel eine den Streikenden genehme Regelung politischer Fragen zu erreichen, also m i t politischer Materie gegen Arbeitgeber oder ihre Organisationen gestreikt wird, ist auf den ersten Blick wenig wahrscheinlich. Allein, es ist zunächst der Fall denkbar, daß die bestreikten Arbeitgeber Parlamentsabgeordnete sind und durch Streik dazu gezwungen werden sollen, bei Abstimmungen i n bestimmter Weise abzustimmen. Hier richtet sich der Streik gegen die Arbeitgeber i n ihrer Funktion als Parlamentsmitglieder. Diese sollen nach A r t . 38 Abs. 1 S. 2 GG nur ihrem Gewissen unterworfen und als Vertreter des ganzen Volkes an Aufträge und Weisungen nicht gebunden sein. Trotz der „Adressierung" an bestimmte Arbeitgeber handelt es sich bei dem Beispiel u m einen Streik, der gegen Organwalter der Legislative gerichtet ist. Die einzelnen Abgeordneten haben das Recht, als Organ (Institution) unmittelbar am Verfassungsleben teilzuhaben 91 . Das angeführte Beispiel gehört also i n die Gruppe (1) Streiks m i t politischer Materie gegen Staatsorgane. Praktisch und juristisch wesentlich komplizierter sind die Fälle, i n denen durch Streik von den Arbeitgebern i n einer politischen Frage lobbyistische oder publizistische Unterstützung erzwungen werden soll, z.B. die Arbeitgeberunterstützung für das Verlangen nach staatlichen Subventionen 92 . Diesem Verlangen können die Arbeitgeber nachkommen. Es w i r d kein Druck auf Staatsorgane ausgeübt, sondern auf jene bestreikten Arbeitgeber. Es handelt sich also u m einen Fall arbeitsrechtlichen Streiks. bb) Arbeitsrechtliche Materie (1) Staatsorgane als Adressaten Bei Streiks m i t arbeitsrechtlicher Materie gegen Staatsorgane w i r d wegen einer Frage, die grundsätzlich vertraglicher Regelung unter den Sozialpartnern unterliegt, gegen ein Organ des Staates gekämpft, das es i m Rahmen seiner Zuständigkeit übernommen hat, diese Frage zu regeln. Beispiel für diese Fallgruppe ist der Streit um das Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer i n den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie vom 21. Mai 1951 (BGBl. I S. 347): Nach umfangreichen Beratungen zwischen den Sozialpartnern unter vermittelnder M i t w i r kung des Bundeskanzlers war dem Bundestag der Entwurf des M i t bestimmungsgesetzes zur Beratung vorgelegt worden. Wie bei den Verhandlungen drohten auch bei der parlamentarischen Beratung die 01 92

v. Mangoldt-Klein, Kommentar, Art. 38 GG, Anm. I V 1 . Vgl. Roeper, Lohnsubventionen a. d. Staatskasse, in F A Z v. 4. Juli 1966.

42

1. Teil: Streik nach deutschem Recht

Gewerkschaften für den Fall, daß das Gesetz nicht unverändert verabschiedet würde, m i t dem Generalstreik. Das Gesetz wurde ohne Änderungen verabschiedet. Wäre es geändert worden und der Generalstreik daraufhin ausgebrochen, ergäbe sich folgende rechtliche Würdigung: Zur Zeit der Diskussion über Mitbestimmungsmöglichkeiten unter den Sozialpartnern und i n der Öffentlichkeit war die tarifvertragliche Regelung jener Frage noch möglich. Die Gewerkschaften konnten noch versuchen, i m Wege des Streiks gegenüber den sozialen Gegenspielern ihre Vorstellungen durchzusetzen. Als aber der entsprechende Gesetzentwurf i m Parlament zur Beratung und Abstimmung eingebracht worden war, waren die M i t bestimmungsfragen der Einflußnahme der Sozialpartner durch Streik und Aussperrung entzogen. Der Streik hätte sich gegen die i n A r t . 38 Abs. 1 S. 2 GG verbürgte Willensfreiheit der Abgeordneten gerichtet. Es wäre eine staatliche Instanz bestreikt worden. Ebenfalls i n diese Gruppe gehören Streiks wegen Lohnforderungen i m öffentlichen Dienst. (2) Arbeitgeber oder Arbeitgeberorganisationen als Adressaten Grundsätzlich werden politische Folgen von Streiks, die sich m i t arbeitsrechtlicher Materie gegen Arbeitgeber wenden, nur mittelbar hervorgerufen. Da m i t einem Kampfziel i m Bereich der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen gegenüber Arbeitgebern gestreikt wird, handelt es sich u m arbeitsrechtliche Streiks i. S. unserer Begriffsbestimmung. A l l e i n i n einem Ausnahmefall entfalten solche Streiks politische Primärwirkungen. Dieser „Umschlagsfall" w i r d i m folgenden behandelt. cc) Umschlagen arbeitsrechtlicher i n politische Streiks (1) Möglichkeit des Umschlagens Wenn Streiks ein so großes Ausmaß annehmen, daß sie lebenswichtige Interessen der Nation gefährden, rufen sie politische Primärwirkungen hervor. „Hier verwirklicht sich also das Politische i n der äußeren W i r kung, nämlich der Gefährdung der staatlichen Ordnung 9 8 ." Bei der engen Verflechtung der Produktionsstätten i n der arbeitsteiligen Wirtschaft moderner Industriestaaten ist verhältnismäßig schnell ein für die A l l gemeinheit unerträglicher Störungsgrad erreicht. Man braucht nur an eine Unterbrechung von Leistungen der Daseinsvorsorge zu denken. Übt der Streik solchen Druck nicht nur auf die sozialen Gegenspieler, sondern auf alle Bürger aus, so w i r d die politische Wirkung von einer akzidentellen zu einer essentiellen. Der Streik richtet sich primär nicht 93

Brox-Rüthers, Arbeitskampfrecht, S. 33.

1. Kapitel: Wesen und Erscheinungsformen

43

mehr gegen Arbeitgeber, sondern gegen die Allgemeinheit, gegen den Staat. Ein zu Beginn arbeitsrechtlicher Ausstand schlägt i n einen politischen Streik um, obgleich sich die Ziele der streikenden Arbeitnehmer — Verbesserung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen — nicht geändert haben. Es findet ein Adressatenwechsel statt. Der Staat kann als nunmehr Angesprochener den Streik nicht mehr als eine res inter alios acta ansehen 94 . Schon Hegel 95 hat die Lehre vom Umschlag der Qualität durch Ä n derung der Quantität entwickelt. Von den sozialistischen Theoretikern Kautsky 9 8 und Bernstein 97 war diese Lehre auf den Streik angewendet worden: „Indes auch hier kann schließlich die Quantität i n Qualität umschlagen. Eine Streikbewegung kann eine solche Ausdehnung und Bedeutung gewinnen, daß sie ein Übel nicht nur für die Beteiligten, sondern für die ganze Gesellschaft w i r d und dadurch den Staat zum Einschreiten auffordert. Damit bekommt sie einen politischen Charakter 98." Erst i n der jüngsten Entwicklung der arbeits- und staatsrechtlichen Streikdoktrin hat diese Lehre für die Abgrenzung arbeitsrechtlicher von politischen Streiks wieder Beachtung gefunden. Kaiser 99 , Hüthers 1 0 0 und Bouere 1 0 1 ziehen sie heran, u m alle Fälle politischer Streiks einzugrenzen. „Es wäre gewiß verfehlt, ihn (einen größeren Streik—der Verfasser) solcher akzidentellen Wirkungen wegen unbesehen i n die Kategorie des politischen Streiks einordnen zu wollen. Wenn aber ein arbeitsrechtlicher Streik offensichtlich lebensnotwendige Belange der politischen Gemeinschaft gefährdet, so w i r d er eo ipso zum politischen Streik" (Kaiser). „Nicht beliebige, i n der Praxis des Arbeitskampfes selbstverständliche politische Nebenwirkungen bewirken den Umschlag vom arbeitsrecht94

Gauthier, Diss., S. 38; a. A. Reuss in DVB1.1968, S. 57 ff. (61). Wissenschaft der Logik I, 1 Objektive Logik. Sämtliche Werke Band I I I , 1. Teil, S. 231—239. (Zit. S. 231, 238): „Nur im qualitativen Gegensatze geht die gesetzte Unendlichkeit, das Fürsidisein, hervor, und die quantitative Bestimmung selbst geht, wie sich zugleich näher ergeben wird, in das Qualitative ü b e r . . . Dies Qualitative ist noch näher bestimmt, nämlich als Fürsichsein; denn die Beziehung auf sich selbst, zu der es gekommen ist aus der Vermittlung, der Negation der Negation, hervorgegangen. Das Quantum hat die U n endlichkeit, das Fürsichbestimmtsein nicht mehr außer ihm, sondern an ihm selbst. Das Unendliche, welches im unendlichen Progresse nur die leere Bedeutung eines Nichtseins, eines unerreichten, aber gesuchten Jenseits hat, ist in der Tat nichts anderes als die Qualität." 96 Der Politische Massenstreik, S. 11. 97 Der Streik, S. 110/111. 98 Kautsky, Der politische Massenstreik, S. 11. Ebenso Bernstein, La grève et le Lock-out en Allemagne, S. 90. 99 Der politische Streik, S. 32, mit weiteren Nachweisen. 100 Rüthers, Streik und Verfassung, S. 83/84 und S. 128; a. A. Seeler, Der Arbeitskampf in der deutschen und ausländischen Gesetzgebung, S. 19. 101 Bouère, Le droit de grève, S. 123. 95

44

1. Teil: Streik nach deutschem Recht

liehen zum politischen Streik; dazu muß vielmehr von dem Streik eine Gefahr für die unabdingbaren Lebensinteressen der staatlichen Gesamtheit ausgehen" (Rüthers). I n der Tat kann man sich der Logik dieser Ausführungen nicht entziehen: Wenn der Staat als Organisationsform der Allgemeinheit zwei Gruppen von Staatsbürgern, den Arbeitnehmern und den Arbeitgebern, das Recht gibt, wirtschaftliche Kämpfe ohne gerichtlichen oder schiedsrichterlichen Ausgleich auszutragen, dann sind diese Gruppen verpflichtet, Schädigungen von Lebensinteressen der Allgemeinheit zu vermeiden. (2) Feststellung i m Einzelfall Wegen des großen Beurteilungsspielraums bei der Frage, welcher Streikumfang i m Einzelfall lebenswichtige Interessen der Gesamtheit verletzt, ist die Feststellung des Umschlags schwierig. Sie kann nicht von den interessengebundenen kämpfenden Parteien, sondern muß von dem staatlichen Hoheitsträger, der nur dem Gesamtwohl verpflichtet ist, getroffen werden. Der Staat hat die Feststellungszuständigkeit seiner Organe i m Einzelfall zu regeln 102 . b) Abgrenzungskriterien aa) Adressat Rein deduktiv sind verschiedene Fälle von Streiks m i t politischen W i r kungen anhand von Beispielen ermittel worden. — Streiks m i t politischer Materie gegen den Staat, — Streiks m i t arbeitsrechtlicher Materie gegen den Staat, — Streiks m i t arbeitsrechtlicher Materie gegen den Arbeitgeber, die allein durch ihren Umfang einen politischen Effekt hervorrufen. Bei der Abgrenzung dieser politischen Streiks von arbeitsrechtlichen Ausständen stellten einige Autoren auf das Kampfziel ab. Kautsky 1 0 3 z. B. fragte, ob ein Gegenstand der Regelung durch die Sozialpartner zugänglich sei — arbeitsrechtlicher Streik — oder ob das umstrittene Problem dem politischen Sektor angehöre — politischer Streik. Allein, daß der arbeitsrechtliche und der politische Raum, i n dem die Kampfziele danach liegen müssen, sich nicht klar voneinander trennen lassen, zeigt das Beispiel des Streits u m das Mitbestimmungsgesetz. 102

Wie hier Rüthers, Streik und Verfassung, S. 128/129. Kautsky, Der politische Massenstreik, S. 12; ihm folgend Bernstein, Der Streik, S. 111. Weitere Nachweise bei Rüthers, G M H 1960, S. 31. I m französischen Recht Rivero-Savatier, Droit du travail, S. 196. 103

1. Kapitel: Wesen und Erscheinungsformen

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Würde hier nach dem Kampfziel abgegrenzt, so käme man zu dem merkwürdigen Ergebnis, daß es sich bei dem Streik gegen das Parlament u m einen arbeitsrechtlichen Ausstand gehandelt hätte. Die ebenfalls betroffenen Arbeitgeber hätten eine entsprechende gesetzliche Regelung nämlich gar nicht treffen können. W i r d somit eine arbeitsrechtliche Frage Gegenstand parlamentarischer Erörterung und Regelung, so sind — worauf Rüthers 1 0 4 m i t Recht hinweist — die Bereiche arbeitsrechtlicher (wirtschaftlicher) und politischer Materie nicht mehr abgrenzbar. Das zeigt sich auch beim Umschlagsfall, auch hier liegt das Kampfziel i m arbeitsrechtlichen Bereich. Nach dem Kampfziel kann also nicht klar zwischen arbeitsrechtlichem und politischem Streik unterschieden werden. D i t t m a r 1 0 5 und Kaiser 1 0 6 haben auf den Adressaten als Abgrenzungskriterium verwiesen. Wendet sich der Streik gegen die Arbeitgeber m i t einem Kampfziel, das sie erfüllen können, so handelt es sich um einen arbeitsrechtlichen Streik. Sollen obrigkeitliche Handlungen unter Streikdruck erzwungen werden, richtet sich der Streik also gegen den Staat, liegt ein politischer Streik vor. „ I m politischen Streik wendet sich eine Interessentengruppe, immer eine Minderheit, gegen das politische Ganze, wobei es für den Begriff des politischen Streiks unerheblich ist, ob sie sich zu diesem A k t aus eigensüchtigen Motiven entschließt oder ob sie m i t mehr oder weniger Recht vorgibt, die Belange der Allgemeinheit zu wahren 1 0 7 ." W i r d hier eine bewußte Adressierung an den Staat vorausgesetzt? Kaisers Formulierung legt diesen Gedanken nahe 108 . Dann könnten zwei Fälle politischer Streiks nicht mehr klar abgrenzbar sein: — Ein an Arbeitgeber und Staatsorgane adressierter Streik, — ein Streik, der durch seinen Umfang primär politische Bedeutung gewonnen hat. I m ersten Fall verleiht die Teiladresse an die Allgemeinheit dem Streik bereits ein derart starkes politisches Gewicht, daß diese Adressierung allein maßgeblich ist. Der Streik ist nach dem Abgrenzungskriterium des Adressaten als politischer Streik einzuordnen 109 . 104

Rüthers in GMH1960, S. 32. Dittmar , BB 1948, S. 516. 104 Kaiser, Der politische Streik, S. 21 und passim; ihnen folgend BroxRüthers, Arbeitskampf recht, S. 32; Haasis, Diss., S. 79; Rüthers, Streik und Verfassung, S. 82. 107 Kaiser, Der politische Streik, S. 21/22. 108 Darauf weist Rüthers, G M H 1960, S. 33 hin. 109 So im Ergebnis auch Rüthers, G M H 1960, S. 33. 105

46

1. Teil: Streik nach deutschem Recht

bb) Objektive Staatsgefährdung I m Umschlagsfall haben die Arbeitnehmer eine Adressierung gegen den Staat nicht i n ihren Willen aufgenommen. Der Streik hat objektiv staatsgefährdende Wirkung erlangt. Von einem Adressaten kann aber logischerweise nur gesprochen werden, wenn zuvor jemand vorhanden ist, der den Streik „adressiert" 110 . Rüthers 1 1 1 w i r f t daher Kaiser Inkonsequenz vor, wenn er (Kaiser) nach seiner Adressatenlehre aus einem arbeitsrechtlichen Streik wegen seines Umfangs eo ipso einen politischen werden läßt, andererseits aber einräumt, daß nach dem Willen der Streikenden der Streik immer noch gegen die Arbeitgeber gerichtet ist. Nach Rüthers ist i n diesem Umschlagsfall das Bewußtsein der Streikenden unbeachtlich. Es kommt nur darauf an, ob der Einsatz des Kampfmittels geeignet ist, lebenswichtige Belange der Nation zu gefährden. Die Adresse an den Hoheitsträger — grundsätzlich entscheidendes Abgrenzungskriterium — reicht zur Abgrenzung dieses Falles politischen Streiks nicht aus. Die Formulierung von Kaiser umfaßt i n der Tat den von Rüthers angeführten Fall nicht. Schon rein begrifflich ist eine unbewußte „Adressierung" nicht denkbar. Zur Abgrenzung aller Fälle arbeitsrechtlicher von politischen Streiks muß die objektive Staatsgefährdung als weiteres K r i t e r i u m m i t herangezogen werden. A l l e i n würde aber dieses Merkmal für eine klare Eingrenzung der politischen Streiks nicht ausreichen. A n den Staat gerichtete Demonstrationsstreiks würden damit nicht erfaßt werden können. Sie stellen i m Gegensatz zu an den Staat gerichteten oder umgeschlagenen Kampfstreiks keine erhebliche Gefahr für die Allgemeinheit dar, sind aber auch keine arbeitsrechtlichen Streiks. Unter Heranziehimg der beiden genannten Abgrenzungskriterien ergibt sich für den politischen Streik folgende c) Begriffsbestimmung Wollen Teilnehmer an einem Streik sich gegen den Staat wenden, oder w i r d ein Streik durch sein Ausmaß zu einer Gefährdung lebensnotwendiger Belange der Allgemeinheit — des Staates —, so ist er politischer Streik.

110 Vulgärlateinisch: ad-directiare = ausrichten auf; Französisch: adresser = richten (wenden) an. 111 Rüthers in GMH1960, S. 34.

2. Kapitel Verfassungsgarantie des Streiks A. Streikrecht und Streikfreiheit I n der Literatur werden die Begriffe Streikrecht und Streikfreiheit nicht immer sorgfältig auseinandergehalten. Das liegt zum T e i l an der Mehrdeutigkeit der Begriffe selbst. Schon der Ausdruck „Streikrecht" k a n n auf zweierlei Weise ausgelegt werden: A l s Einzelnorm bzw. aus einzelnen Normen bestehende Rechtsordnung oder als der einem Rechtssubjekt aus der Rechtsordnung erwachsende Anspruch 1 . Mangels eines kodifizierten Streikrechts, d. h. einer umfassenden gesetzlichen Regelung des Streiks, w i r d der Begriff i n Deutschland und i n der Schweiz fast ausschließlich i. S. eines subjektiven Rechts verwandt, als „Berechtigung des einzelnen, zusammen m i t anderen i n den Streik zu treten" 8 . Die Verfassimg von Württemberg-Hohenzollern vom 31. M a i 1947 definierte das Streikrecht als das „Recht der Arbeitnehmer auf gemeinsame, geregelte Einstellung der A r b e i t zur Erhaltung ihrer Lebensgrundlage und zur Erreichung günstigerer Arbeits-, insbesondere Lohnverhältnisse". Besteht ein subjektives Recht auf Streik i n einer Rechtsordnung, so w i r d dem Streik eine legitime Ordnungsfunktion zuerkannt 3 . Dem Streikrecht gegenüber steht die Streikfreiheit, d. h. die Hinnahme von Arbeitskämpfen durch die Rechtsordnung, solange durch ihre Handhabung nicht allgemeine Gesetze, allgemeine Ordnungsregeln oder allgemein anerkannte Rechte anderer verletzt werden 4 . B. Streikrecht — gesetzliche Garantie I. Entwurf eines Streikgesetzes I m Anschluß an den sogenannten Zeitungsstreik v o m 27.-29. M a i 1952 stritt man i n der Tagespresse, den Organen der Sozialpartner und 1

Dommack, Das Streikrecht ... (Diss.), S. 30. Dommack, a. a. O., S. 31; Boos, Diss., S. 104. 8 Brecher, Streik I I in Staatslexikon, Band 7, Sp. 804. 4 Bulla, Soziale Selbstverantwortung der Sozialpartner als Rechtsprinzip, in Festschrift für Nipperdey 1965, I I , S. 94/95; Brecher, Streik I I , a.a.O., Sp. 804; Benda in Der Arbeitgeber 1967, S. 387. 1

48

1. Teil: Streik nach deutschem Recht

den juristischen Zeitschriften heftig u m Zulässigkeit und Umfang des Streikrechts 5 . A m 30. September 1953 veröffentlichte der damalige Justizminister Dehler i n der „Freien Demokratischen Korrespondenz" den Entwurf eines Streikgesetzes. Dieser Entwurf verdient noch heute Beachtung, w e i l er eine mögliche Begrenzung des Streiks i n Zeiten eines funktionierenden demokratischen Systems aufzeigt. Der Entwurf enthält i m einzelnen folgende Regelungen: — Ein Schlichtungsverfahren m i t verbindlichem Schiedsspruch auf freiwilliger Grundlage unter ausdrücklicher Ablehnung der staatlichen Zwangsschlichtung; — ein Verbot politischer Aussperrungen und Streiks sowie die Untersagung von Protest- oder Sympathiestreiks, w e i l sie außerhalb der Koalitionsfreiheit lägen; — ein Verbot von Aussperrungen und Streiks i n lebenswichtigen Betrieben (Bahn, Post, öffentliche Verkehrsunternehmen, Wasser-, Licht-, Wärme-, Kraftversorung, Krankenhäuser u. ä.); — Verfahrensregelung bei Arbeitskämpfen: die Gewährleistung der freien Willensentscheidung bei Urabstimmungen über Arbeitskämpfe; Unverbindlichkeit der Abstimmung für nichtorganisierte Arbeitnehmer; — die Beschränkung des Streikrechts auf Arbeitsniederlegung und das Verbot zusätzlicher Maßnahmen gegen bestreikte Betriebe und gegen Arbeitswillige. I I . Rechtslage vor dem 26. Februar 1965

Dieser Entwurf wurde nicht Gesetz6. So fehlte es weiter an einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung des Streikrechts i n Deutschland. Auch durch Gewohnheitsrecht wurde auf Gesetzesebene der Streik nicht geregelt. Von den beiden Voraussetzungen für die Entstehung von Gewohnheitsrecht ist schon der usus communis wegen der Beschränkung des Streikrechts auf die gewerblichen Arbeitnehmer zweifelhaft. Es fehlte jedenfalls der opinio iuris vel necessitatis, w e i l nicht nur i n den Kreisen der sozialen Gegenspieler der Streik nicht als notwendig zur Lösung wirtschaftlicher und sozialer Fragen angesehen wurde, sondern auch weite Kreise der unbeteiligten Bevölkerung ihn ablehnten 7 . M i n 5

Einzelheiten bei Niese, Streik und Strafrecht, S. 6. Z u dieser gesetzgeber. Regelungsaufgabe: Mayer-Maly in RdA 1965, S. 134 t 7 Das B A G z. B. bezeichnete den Streik als Übel. B A G GS Beschluß vom 28. Januar 1955, GS 1/54 in BAGE 1/291 (300). 6

2. Kapitel: Verfassungsgarantie des Streiks

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destens eine Geltungsvoraussetzung für eine Streikregelung kraft Gewohnheitsrechts lag also nicht vor. I I I . Gesetzliche Streikgarantie — europäische Sozialcharta

Eine Änderung i n der Rechtslage auf Gesetzesebene trat am 26. Februar 1965 ein. A n diesem Tag wurde die Europäische Sozialcharta völkerrechtlich i n K r a f t gesetzt, nachdem sie am 18. Oktober 1961 i n T u r i n unterzeichnet worden war 8 . Die Charta soll auf sozialem Gebiet die Menschenrechtskonvention des Europarates von 1950 ergänzen und enthält 19 soziale Grundsätze, die als Rechte ausgestaltet sind. Dazu gehören das Streikrecht und das Aussperrungsrecht — A r t . 6 Nr. 4 9 : „Um die wirksame Ausübung des Rechtes auf Kollektivverhandlungen zu gewährleisten, verpflichten sich die Vertragsparteien: 1 ,2 ,3 und anerkennen: 4. das Recht der Arbeitnehmer und Arbeitgeber auf kollektive Maßnahmen im Falle von Interessenkonflikten einschließlich des Streikrechts, vorbehaltlich der Verpflichtungen, die sich aus den in Kraft stehenden Gesamtarbeitsverträgen ergeben können."

I m 5. Teil i n A r t i k e l 30 Abs. 1 enthält die Europäische Sozialcharta eine Notstandsklausel: „ I n Kriegszeiten oder bei einem anderen, das Leben der Nation bedrohenden öffentlichen Notstand kann jede Vertragspartei Maßnahmen treffen, um sich von den i n dieser Charta vorgesehenen Verpflichtungen 10 so weit zu befreien, als dies nach der Lage unbedingt erforderlich ist, vorausgesetzt, daß diese Maßnahme nicht m i t ihren anderen völkerrechtlichen Verpflichtungen in Widerspruch steht." Dazu präzisiert Teil 5 des Anhangs zur Sozialcharta (Artikel 30), der Ausdruck „ i n Kriegszeiten oder bei einem anderen öffentlichen Notstand" sei dahin zu verstehen, daß er auch den Zustand einer drohenden Kriegsgefahr m i t einschließe. Nach der Sozialcharta ist das Streikrecht also i m Staatsnotstand einschränkbar. Ist das Streikrecht i n Deutschland somit durch die Europäische Sozialcharta gesetzlich garantiert, so bleibt noch festzustellen, ob eine Verfassungsgarantie von Streik oder Streikrecht besteht. 8

Abgedruckt in RdA 1962, S. 24 ff. Das deutsche Zustimmungsgesetz zu dem Vertragswerk erging am 19. September 1964, BGBl. I I , S. 1261. Nach Art. 35 Abs. 2 trat die Charta am 30. Tage nach der Hinterlegung der 5. Urkunde über Ratifikation oder Annahme in Kraft. Nach den Ratifikationen Großbritanniens, Norwegens, Schwedens und Irlands wurde die deutsche Radifikationsurkunde am 27. Januar 1965 beim Europarat in Straßburg hinterlegt, RdA 1965, S. 139. 9 Kommentiert von Hey de, Arbeit und Recht 1962, S. 70 ff.; Knopp in RdA 1965, S. 5; Ramm in ArbuR 1967, S. 97 ff. 10 Die Bundesrepublik Deutschland beschränkte ihre vertraglichen Verpflichtungen bereits in Normalzeiten durch Nichtratiflzierung von Absätzen 4Lohse

1. Teil: Streik nach deutschem Recht

50

C. Streik — Verfassungsgarantie I. Geschichtliche Entwicklung

1. Vor 1919 Weder i n der Verfassung vom 28. März 1849 (Paulskirchenverfassung) noch i n der Reichsverfassung von 1871 findet sich ein Hinweis auf Streikfreiheit oder Streikrecht. Das ist nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, daß beide Verfassungen aus liberalen, auf das Individuum gerichteten Intentionen geschaffen wurden und ihnen kollektive Phänomene wie Streiks fremd waren. 2. Weimarer Reichsverfassung Die Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919 enthielt keine ausdrückliche Anerkennung des Streiks. Versuche, eine verfassungsrechtliche Streikgarantie aus A r t . 159 W R V 1 1 abzuleiten, sind von der h. M. 1 2 stets zurückgewiesen worden: Das Wort Koalitionsfreiheit sei i n der Nationalversammlung durch Vereinigungsfreiheit ersetzt worden, w e i l es die Befugnis zu streiken, d. h., wie es das Reichsgericht 18 einmal formuliert hat, „selbst unter Verletzung bestehender Vertragspflichten zur Durchsetzung gewisser w i r t schaftlicher oder politischer Zwecke gemeinsam die Arbeit niederzulegen, i n sich schließe". Das sei bei dem Wort Vereinigungsfreiheit nicht der Fall. Die Weimarer Reichsverfassung gewährleistete demnach kein Streikrecht. I I . Rechtslage nach dem Grundgesetz

1. Artikel

2 Abs. 1 GG als verfassungsrechtliche

Streikgarantie?

Weil das Grundgesetz eine ausdrückliche Garantie des subjektiven öffentlichen Rechts auf Streik weder für den einzelnen noch für eine der Artikel 4, 7, 8 und 10. Vgl. Recht der Arbeit 1964, S. 170. Die Bekanntmachung über das Inkrafttreten der ratifizierten Artikel der Europäischen Sozialcharta erfolgte im BGBl. I I 1965, S. 1122. 11 Art. 159 W R V : „Die Vereinigungsfreiheit zur Wahrung und Förderimg der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ist für jedermann und alle Berufe gewährleistet. Abreden und Maßnahmen, welche diese Freiheit einzuschränken oder zu behindern suchen, sind rechtswidrig." Vgl. Ramm, ArbuR 1964, S. 131. 12 Vgl. statt vieler Anschütz, Kommentar WRV, Art. 159, Anm. 5 mit weiteren Nachweisen; Jacusiel in Kaskel, Koalitionen S. 70; Zusammenstellung bei Boos, Diss., S. 60. 13 Urteil v. 30. Oktober 1920 I I I 402/22 in RGSt 56/419 (420); vgl. auch Protokolle der Weimarer Nationalversammlung, S. 389/90 und Kaiser, Die Repräsentation organisierter Interessen, S. 200, Fußnote 48.

2. Kapitel: Verfassungsgarantie des Streiks

51

Personengesamtheit enthält, wurde versucht, eine Verfassungsgarantie des Streiks i m Wege der Verfassungsauslegung zu finden. Dabei ging die ältere Lehre 1 4 von A r t . 2 Abs. 1 GG aus. Sie betrachtete die Norm als lückenschließendes „Auffanggrundrecht", das als Rechtssatz die Handlungsfreiheit des Individuums gewährleiste 15 . Dieses „Hauptgrundrecht" gelte i m Arbeitsrecht insofern, als Arbeitnehmer und Arbeitgeber i m Wirtschaftsleben, soweit es ihrer Gestaltung unterliege, ein Recht auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit hätten. Die Möglichkeit freier Gestaltung der Arbeitsbedingungen sei durch diese Norm m i t Verfassungsrang eingeräumt worden 16 . Ist schon die Qualifizierung des A r t . 2 Abs. 1 GG als „Auffang-" oder „Hauptgrundgrecht" m i t Rücksicht auf seine unbestimmte Fassung und die weitgehende Relativierung des 1. Halbsatzes des Absatz 1 durch den 2. zweifelhaft 17 , so erweist sich die Norm als Verfassungsgarantieartikel für das Streikrecht als ungeeignet. Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit ist eine liberale Freiheitsgarantie für das Individuum. Beim Streik dagegen handelt es sich u m ein kollektives Kampfmittel, das den „kampfmäßigen Ausgleich sachbedingter Spannungen" unter den sozialen Gegenspielern — Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden — herbeiführen soll 18 . Die modernen sozialen und wirtschaftlichen Kämpfe können nur als Massenerscheinungen rechtlich gewürdigt werden. Der Arbeitskampf ist m i t h i n mehr als ein Ausfluß des Rechts auf freie Entfaltung der Einzelpersönlichkeit. Wie andere überkommene frühliberale Begriffe reicht er nicht aus, u m die Sachverhalte des modernen Wirtschafts- und Gesellschaftslebens zu erfassen und zu regeln 19 . Das bewußte und gewollte Zusammenwirken von einer u. U. großen Zahl von Einzelhandlungen zu einer gewaltigen Kollektivaktion kann einer beliebigen, Außenwirkungen erzeugenden Handlung eines Individuums nicht gleichgesetzt werden und entspricht nicht einmal einer Bündelung von Individualaktionen 2 0 . 14

Nachweise bei Rüthers , Streik und Verfassung, S. 16 und 22; Kaiser , a. a. O., S. 201; Kaskel-Dersch, Arbeitsrecht, S. 317 und 431. 15 Art. 2 Abs. 1 GG: „Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt." 16 Hueck-Nipperdey, Lehrbuch I I , S. 31 und S. 109. 17 v . Mangoldt-Klein, Kommentar, Art. 2 Anm. I I und I I I 5 b; Dommack, Das Streikrecht, S. 81/82. 18 Rüthers, Streik und Verfassung, S. 16, derselbe (einschränkend) in ArbuR 1967, S. 130; Hoeniger, RdA 1953, S. 207; Hueck, RdA 1956, S.205; Jaerisch, JR 1965, S.92; Müller, RdA 1951, S. 247; Nipperdey, Gutachten, S.42, Anm. 10, hat seine entgegengesetzte Auffassung ausdrücklich aufgegeben. BAG, Urt. v. 20.12.1963 — 1 A Z R 428/62 in BAGE 15/174 (187). 19 Rüthers, a. a. O., S. 17. 20 Bulla in Festschrift für Nipperdey 1955, S. 163 ff.; Rüthers, a. a. O., S. 18; Ramm in JZ 1961, S. 273/74; Nikisch, Arbeitsrecht I I , S. 102; B A G (GS), Beschluß v. 2a. 1.1955 — GS 1/54 BAGE 1/291 (300).

4*

52

1. Teil: Streik nach deutschem Recht

M i t der h. M. ist somit eine verfassungsrechtliche Arbeitskampfgarantie aus A r t . 2 Abs. 1 GG abzulehnen 21 . 2. Art. 9 Abs. 3 GG als verfassungsrechtliche

Garantie des Streiks?

A r t . 9 GG garantiert i m 1. Absatz die Vereinigungsfreiheit 22 . I m Bereich der Wirtschafts- und Sozialordnung gewährleistet A r t . 9 Abs. 3 den Zusammenschluß zu Koalitionen 2 8 , d. h. zu Vereinigungen zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen. Für Schaffung und Bestehen von Arbeitgeberverbänden und Arbeitnehmerverbänden, die i n der sozialen Ordnung der Bundesrepublik beachtliche Funktionen erfüllen, ist A r t . 9 Abs. 3 GG die Grundlage 24 . I m Verhältnis zum Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden — A r t . 9 Abs. 1 GG —, enthält der 3. Absatz des A r t . 9 GG kein rechtlich selbständiges Grundrecht 25 . Er ist daher auch i m Grundgesetz m i t dem Vereinigungsrecht i n einem A r t i kel zusammengefaßt worden. Dieses Ergebnis w i r d durch A r t . 18 GG bestätigt, nach dem nur insgesamt „die Vereinigungsfreiheit (Art. 9)" v e r w i r k t werden kann. Das Grundgesetz unterscheidet dort nicht zwischen der allgemeinen Vereinsfreiheit und der Koalitionsfreiheit 2 6 . Daß A r t . 9 Abs. 3 GG ein Individualgrundrecht i. S. eines subjektivöffentlichen Rechts darstellt, ist unbestritten 2 7 : Er billigt den einzelnen Arbeitnehmern oder Arbeitgebern das Recht zu, sich zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu vereinigen oder solchen Zusammenschlüssen fernzubleiben 28 . W i r d aber das Recht von einzelnen, sich zu sozialen Koalitionen zusammenzuschließen, geschützt, so muß, um seine Effektivität zu sichern, der Schutz auf den Zusammenschluß ausgedehnt werden. Auch die Koa21 Brox-Rüthers, a. a. O., S. 42; Dommack, Das Streikrecht, S. 83; NeumannDuesberg, JR 1954, S. 441 ff.; Nikisch, Arbeitsrecht I I , S. 182; Ramm, AuR 1964, S. 326 f. 22 Von der Behandlung der Art. 5 Abs. 1 GG und Art. 12 Abs. 2 S. 1 GG als Träger eines verfassungsrechtlich geschützten Streikrechts wird hier abgesehen. Diese Normen sind früher mit herangezogen worden (z. B. Bauer, JZ 1953, S. 648 [651 f.]); daß sie für die Lösung des Problems unbrauchbar sind, ist jedoch von Wedler, Diss., S. 112—114, dargelegt worden. 2S Der Ausdruck soll in der nachfolgenden Begriffsbestimmung in dieser Untersuchung verwendet werden. 24 Z u Geschichte und Garantiegehalt des Art. 9 Abs. 3 GG hat Rüthers, Streik und Verfassung, S. 19—37, ausführlich Stellung genommen. 25 Dabei wird die Bezeichnung „Unter-, Sonder- oder Spezialfall" verwandt. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht I I , S. 381; v. Mangoldt-Klein, Kommentar, Art. 9, Anm. V 1; Wernicke in BK, Erläuterung I I 3 vor Art. 9 GG. 26 Nikisch, Arbeitsrecht I I , S. 21. 27 Statt vieler v. Mangoldt-Klein, Kommentar, Art. 9, Anm. V, 3; Rüthers, a. a. O., S. 29. 28 Hamann, Kommentar, Art. 9, Anm. B 7; Gitter, in: JZ 1965, S. 198.

2. Kapitel: Verfassungsgarantie des Streiks

53

litionen selbst werden durch A r t . 9 Abs. 3 GG somit geschützt, die Norm enthält für sie die Bestandsgarantie 29 . Das hat auch das Bundesverfassungsgericht i n einem Leitsatz des Urteils vom 18. November 1954 — 1 BvR 629/52 — ausgesprochen 80: „ A r t . 9 Abs. 3 GG schützt auch die Koalition als solche." W i r d dem einzelnen i n A r t . 9 Abs. 3 GG ein individuelles Freiheitsrecht als Grundrecht eingeräumt — negatives Statutsrecht 81 — und stellt der Schutz des Bestands der Koalition eine notwendige Vervollständigung dieses Grundrechtsschutzes dar, so kann man ihn als „Konnexgarantie" bezeichnen 32 . Es ist dem Text des Absatzes nicht zu entnehmen, ob Koalitionen als Rechtseinrichtungen oder als gesellschaftliche Sachverhalte garantiert werden sollen 83 . Da die Verfassung Bildung und Rechtsformen der Koalitionen nicht reglementiert, liegt es nahe, die Bestandsgarantie des Koalitionssystems als Garantie eines gesellschaftlichen Sachverhaltes i . V . m i t einem Grundrecht anzusehen, als Einrichtungsgarantie i. S. der Terminologie Kleins 3 4 . Eine institutionelle Gewährleistung der einzelnen Koalition enthält A r t . 9 Abs. 3 GG also nicht. Die einzelne Koalition w i r d jedoch über die Einrichtungsgarantie des Koalitionssystems hinaus durch den Sinn des A r t . 9 Abs. 3 GG als korporatives Daseinsrecht durch ein Gruppengrundrecht 35 geschützt. Es liegt m i t h i n ein doppelter Schutz 19 Nipperdey, Hueck-Nipperdey, Lehrbuch I I , S. 106; Leibholz-Rinck, Art. 9 Anm. I Rdnr. 1; BVerfG in ständ. Rechtsprechung: Beschluß v. 30.11.1965 — 2 BvR 54/62 in BVerfGE 19/303 (312); Urt. v. 6. 5.1964 — 1 BvR 79/62 in BVerf GE 18/18 (25/26); Beschluß v. 14. 4. 1964 — 2 BvR 69/62 in BVerfGE 17/31 9 (333); Urt. v. 18.11.1954 — 1 BvR 629/52, BVerfGE 4/96 (101 f., 106). B A G Urt. v. 28. 4.1966 — 2 A Z R 176/65 in DB 1966, S. 905; Schnorr, Molitor-Festschr. S. 230. 80 BVerfGE 4/96 ff. = JZ 1955, S. 203 ff. = NJW 1954, S. 1881 ff. = A P Nr. 1 zu Art. 9; vgl. ferner BAG, Urt. v. 28. April 1966 — 2 A Z R 176/65, in ArbuR 1967, S. 96. Daß ein dem Art. 165 W R V entsprechender Artikel im Grundgesetz fehlt, kann wegen der rechtlichen Anerkennung der Sozialpartner in ihrer korporativen Existenz bei Ergehen des Grundgesetzes nicht als Argument für das Fehlen eines korporativen Koalitionsschutzes gewertet werden. 31 v. Mangoldt-Klein, Kommentar, Vorbem. A I I 3 a. 32 Zur Terminologie: Zuerst von Karl Renner, „Die Rechtsinstitute des Privatrechts und ihre soziale Funktion", Tübingen 1929, passim, verwandt, dann von Carl Schmitt, Freiheitsrechte, S. 28, übernommen. 88 Zur Unterscheidung: Rüthers, Streik und Verfassung, S. 33 ff. 34 v. Mangoldt-Klein, Kommentar, Vorbem. A I V 3 c und Art. 9, Anm. A I I I 2, in Ergänzung zu Klein, Institutionelle Garantien und Rechtsinstitutsgarantien, S. 96 ff. und passim. Die h. M. ist Klein gefolgt, vgl. Abel, Die Bedeutung der Lehre von den Einrichtungsgarantien für die Auslegung des Bonner Grundgesetzes, S. 29 ff. (31 Fußnote 6). 85 v. Mangoldt-Klein, Art. 9, Anm. V 4; Rüthers, a. a. O., S. 36; beiden wird von Abel, a. a. O., S. 81, zu Unrecht vorgeworfen, eine neben dem Gruppengrundrecht überflüssige Einrichtungsgarantie anzunehmen. Abel übersieht, daß Einrichtungsgarantie und Gruppengrundrecht einen verschiedenen Schutzbereich haben. Seine Bezeichnung „Gruppenrecht" statt Gruppengrundrecht ist zudem ungenau.

1. Teil: Streik nach deutschem Recht

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der Koalitionen durch einander nicht ausschließende Garantiefunktionen von A r t . 9 Abs. 3 GG vor 3 9 . Da Koalitionen, deren Zweck oder Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderläuft oder sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richtet oder den Gedanken der Völkerverständigung bekämpft, vom Verfassunggeber nicht geschützt werden können, gilt die Schranke des 2. Absatzes des Artikels 9 GG auch für den 3. Absatz 37 . Schon i m Parlamentarischen Rat — 44. Sitzung des Hauptausschusses38 — hatte der Abg. Schmid (SPD) vorgeschlagen, die Reihenfolge der Absätze 2 und 3 des Artikels 9 GG zu ändern. Ob i n A r t . 9 Abs. 3 GG die Betätigungsfreiheit der Koalitionen m i t Verfassungsrang geschützt wird, ist umstritten. Für die Frage der Verfassungsgarantie des Streikrechts liegt hier das entscheidende Problem. Grundsätzlich ist zwar nach der objektiven Auslegungsmethode primär auf den objektivierten Willen des Gesetzgebers abzustellen und nicht auf die subjektive Vorstellung der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe oder einzelner ihrer Mitglieder über die Bedeutung einer Bestimmung, es können sich jedoch aus der Entstehungsgeschichte Aufschlüsse ergeben, die Zweifel i n der Sinndeutung beheben 39 . Gerade bei der Erörterung der Streikrechtsgarantie i m Grundgesetz wurden daher häufig die Materialien zu Art. 9 Abs. 3 herangezogen 40 . a) Historische Auslegung I m Vergleich von A r t . 9 Abs. 3 GG und A r t . 159 WRV ist eine rechtlich bedeutsame Änderung des Textes jenes Artikels nicht festzustellen. A r t . 159 WRV wurde, wie w i r oben (S. 50 der Untersuchung) gesehen haben, i n fast einhelliger Ansicht dahin ausgelegt, daß er eine Anerkennung des Streikrechts nicht enthielt 4 1 . 86

So auch Wedicr, Diss., S. 82. Rüthers, Streik und Verfassung, S. 28/29; im Sinne der Terminologie Kleins, der hier gefolgt werden soll: ausdrückliche, spezielle Gewährleistungsschranke. Zum Verbotsverfahren nach Art. 9 Abs. 2 GG Brox-Rüthers, A r beitskampfrecht, S. 62/63. 38 H A Steno., S. 572. 39 v. Mangoldt-Klein, Kommentar, Einleitung, S. 9; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts in der BRD, S. 20—31; BVerfG, Urt. v. 21. 5. 1952 — 2 B v H 2/52 in BVerfGE 1/229 (312). 40 Für die Auslegung nach der geschichtlichen Entwicklung und den Gesetzgebungsmaterialien wird hier der Ausdruck historische Auslegung verwandt. I m Sinne der Terminologie von Klein (v. Mangoldt-Klein, Kommentar, Einl. S. 8) handelt es sich um eine historisch-genetische Interpretation. 41 Vgl. Nikisch, Arbeitsrecht I I , S. 25; Dietz in „Grundrechte", Band I I I 1. Halbband, S. 462; Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht I I , S. 389; Doerk, Der Streik als unerlaubte Handlung i. S. des § 826 BGB, S. 30. A. A.: Potthoff, Die Arbeit 1927, S. 171; Bendix, Das Streikrecht der Beamten, S. 88. 87

2. Kapitel: Verfassungsgarantie des Streiks

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I m Gegensatz zur Weimarer Nationalversammlung hat der Parlamentarische Hat i n seiner Mehrheit zum arbeitsrechtlichen Streik eine positive Haltung eingenommen 42 . Der politische Streik wurde allgemein abgelehnt 48 . Einmütig wurde auch der Beamtenstreik verworfen 4 4 . A m 5. Oktober 1948 — i n seiner 6. Sitzung 4 5 — nahm der Ausschuß für Grundsatzfragen des Parlamentarischen Rates den A r t . 12 (jetzt: A r t . 9 GG) i n einer Fassung an, die vier Absätze enthielt. Der vierte Absatz lautete: „Das Streikrecht w i r d i m Rahmen der Gesetze anerkannt 4 6 ." I n der vorangehenden Aussprache hatte der Abg. Zinn (SPD) 47 darauf hingewiesen, daß eine Anerkennung des Streikrechts unvermeidbar sein werde. Es sei bereits i n einigen Landesverfassungen garantiert 4 8 . Der Abg. v. Mangoldt (CDU) 49 erklärte, Einzelheiten des Streikrechts habe man nicht i n die Verfassung aufnehmen wollen, sie sollten der Gesetzgebung überlassen bleiben. I n der 25. Sitzung des Grundsatzfragen-Ausschusses (GSA) vom 24.11. 1948 setzte sich der Abg. Heuss (FDP) 50 für eine von der FDP-Fraktion vorgelegte Fassung des A r t . 12 Abs. 4 des Entwurfes ein 5 1 : „Das Recht der gemeinschaftlichen Arbeitseinstellung, u m eine Regelung der Lohnund Arbeitsbedingungen durchzuführen, w i r d i m Rahmen der Gesetze anerkannt." Der GSA formulierte den Abs. 4 des A r t . 12 später jedoch nach dem Vorschlag des Vorsitzenden v. Mangoldt (CDU) 52 wie folgt: „Das Recht der gemeinsamen Arbeitseinstellung zur Wahrung und Förderimg der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen w i r d anerkannt. Seine Ausübung w i r d durch Gesetz geregelt." Der Verhandlung des Hauptausschusses (HA) des Parlamentarischen Rates vom 4.12.1948— 17. Sitzung — lag dieser Entwurf zugrunde 53 . Allein, bei dieser Ausschußerörterung traten Meinungsverschiedenheiten zutage. Zunächst ging es u m die Abgrenzung des arbeitsrechtlichen vom politischen Streik, dann u m den 42

Vgl. u. a. Gross in GMH1963, S. 560. Der Abg. Zinn (SPD) erklärte, rein politische Streiks trügen den Charakter der Rechtswidrigkeit (StenoProt. S. 17). Auch die Abg. Eberhard (SPD), StenoProt. S. 79 f., und Heuss (FDP), StenoProt. S. 80, erteilten dem politischen Streik eine Absage. 44 StenoProt. S. 92 und H A Steno, S. 327. 45 StenoProt. S. 12—24; vgl. JöR N F Band I, S. 117 ff. 46 Zur historischen Interpretation der Norm: Gross in G M H 1963, S. 559 f. 47 StenoProt., S. 17. 48 Übersicht bei Rüthers , Streik und Verfassung, S. 23, Fußnote 88. 49 StenoProt. S. 18, vgl. auch S. 90. 80 StenoProt., S. 80. 51 Drucksache Nr. 296 v. 18.11.1948. 52 StenoProt. S. 90; v. Mangoldt, Grundgesetz-Kommentar, Art. 9, Bern. 1; Gross, G M H 1963, S. 559. 53 Wedler, Diss., S. 128. 48

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1. Teil: Streik nach deutschem Recht

Ausschluß des Beamtenstreiks und die Frage der Privilegierung des gewerkschaftlichen Streiks. Der Abg. Kaufmann (CDU) 54 schlug i n Abänderung des GSA-Entwurfes folgende Fassung des 4. Absatzes des A r t . 12 vor: „Das Recht des Streiks zur Wahrung und Förderung der Arbeitsund Wirtschaftsbedingungen w i r d anerkannt. Seine Ausübung w i r d durch Gesetz geregelt. Politische Streiks zur Bekämpfung bestehender Rechtsordnungen sowie Streiks von Beamten und Angestellten des öffentlichen Dienstes sind verboten." Der Allgemeine Redaktionsausschuß (ARA) hatte den Gewerkschaften bereits ein Streikmonopol einräumen wollen. A r t . 12 a Abs. 2 sollte nach der Drucksache 282 vom 16.11.1948 bestimmen: „Das Streikrecht w i r d anerkannt, wenn die Gewerkschaften den Streik erklären. Wer sich an einem gewerkschaftlichen nicht tarifwidrigen Streik beteiligt, handelt nicht rechtswidrig. Beschränkungen sind nur i m Interesse des gemeinen Wohls und nur durch förmliches Gesetz zulässig." Auch der Abg. Eberhard (SPD) 55 hatte bereits i n der 25. Sitzung des GSA einen ähnlichen Entwurf eingebracht, der folgenden Wortlaut hatte: „Das Streikrecht der Gewerkschaften 58 ist gewährleistet. Wer sich an einem gewerkschaftlichen, nicht tarifwidrigen Streik beteiligt, handelt nicht rechtswidrig." Als eine Einigung m i t den Abgeordneten, die gegen ein gewerkschaftliches Streikmonopol waren, nicht erzielt werden konnte 5 7 , beantragte der Abg. Eberhard (SPD) 58 i n der 18. Sitzung des Hauptausschusses vom 4.12.1948, den Absatz ganz zu streichen, w e i l man m i t dem Einbau mehrerer Beschränkungen i n eine zu große Kasuistik gerate. Er schlug vor, i n der zweiten Lesung des Entwurfes auf seinen Antrag i n der 25. Sitzung des GSA zurückzukommen. I n der Verhandlung über diesen Antrag führte der Abg. Greve (SPD) 59 aus: Kein Mitglied des H A behaupte, ein Streikrecht solle überhaupt nicht gewährleistet sein. I n einem Zuruf bezeichnete der Abg. Laforet (CSU) diese Gewährleistung als „selbstverständlich". Der Abg. Eberhard (SPD) ergänzte: „ Z u r Begründung des Streichungsantrages sagte ich ausdrücklich, damit werde natürlich der Streik als gesellschaftliche Einrichtung nicht gestrichen." Der Streichungsantrag wurde einstimmig angenommen 60 . 54

H A Steno., S. 211. StenoProt., S. 79 f. Der Ausdruck „Streikrecht der Gewerkschaften" ist juristisch nicht zutreffend. Die Gewerkschaften können den Streik nur erklären, die Arbeitnehmer müssen das Streikrecht wahrnehmen. Bessere Formulierung: Art. 29 Abs. 4 Hess. Verf. 87 Dagegen: Abg. Heuss (FDP), StenoProt. S. 80. w H A Prot., S. 215; vgl. Eberhard in RdA 1948/49, S. 127. 59 Vgl. auch Eberhard, in: RdA 1949, S. 125 (127). 60 H A Steno., S. 215. 55 56

2. Kapitel: Verfassungsgarantie des Streiks

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I n der zweiten Lesung des H A — 44. Sitzung vom 19. Januar 1949 — beschäftigte man sich jedoch nicht mehr m i t der Streikrechtsgarantie, wie es der Abg. Eberhard vorgeschlagen hatte 6 1 . A m 8. Februar 1949 — 47. Sitzung — wurde der jetzige A r t i k e l 9 GG nur geringfügig redaktionell geändert und dann angenommen. I n der 57. Sitzung des H A am 5. M a i 1949 wurde diese Fassung i n vierter Lesung beibehalten 62 . Der Entwurf eines 4. Absatzes zum heutigen A r t . 9 GG wurde also nicht Gesetz. Die Beratungen i m Parlamentarischen Rat zeigen, daß die große Mehrheit der Mitglieder ein Streikrecht grundsätzlich bejahte. Das ist ein Unterschied zu den Verhandlungen i n der Weimarer Nationalversammlung, i n der man die Frage des Streikrechts nicht entscheiden wollte 6 8 . Aus der Erörterung i m Parlamentarischen Rat und der Nichtaufnahme des Streikrechts trotz entsprechender Anträge verschiedener A b geordneter und der Vorlagen von GSA und A R A ist folgendes zu entnehmen: Es wurde ein besonderer Absatz als Streikgarantie i n A r t . 9 GG für erforderlich gehalten. I m dritten Absatz des Artikels sollte das Streikrecht nicht garantiert sein. Der vorgesehene vierte Absatz wurde Art. 9 nicht hinzugefügt und expressis verbis auch i n keiner anderen Norm durch den Verfassunggeber getroffen. Damit w i r d — selbst für eine subjektive Auslegung eine Stützung auf die Materialien unergiebig 64 . M i t Wedler 6 5 ist festzustellen, daß sich aus der Behandlung der Streikrechtsgarantie i m Parlamentarischen Rat entscheidende Anhaltspunkte für die Auslegung des A r t . 9 Abs. 3 GG nicht gewinnen lassen. Warum die Erörterung eines so wichtigen Rechts wie des Streikrechts i m Hauptausschuß des Parlamentarischen Rates einfach abgebrochen wurde, ist nach den Materialien nicht eindeutig zu klären. I n seinem „schriftlichen Bericht zum Entwurf des Grundgesetzes" hat der Abg. v. Mangoldt (CDU) Streichung und NichtWeiterbehandlung der Streikrechtsregelung damit begründet, daß der Wunsch der Gewerkschaften, ein Streikmonopol i n die Hand zu bekommen, i m Parlamentarischen Rat keine Mehrheit gefunden habe. Auch andere Autoren 6 6 erklären damit die NichtWeiterbehandlung der Streikrechtsfragen durch den Verfassunggeber. 81

Wedler, Diss., S. 129. Wedler, Diss., S. 130. 95 Sinzheimer, Prot. S. 390. 84 Zum Vorrang der objektiven Auslegung: Löffler in N J W 1962, S. 1601; Wedler, Diss., S. 130 u. a. 65 Wedler, Diss., S. 138. 66 Bulla, Festschrift für Nipperdey 1955, S. 167; Grewe in JZ 1951, S. 182 f.; v. Mangoldt-Klein, Art. 9, Anm. V I I 1 . 02

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1. Teil: Streik nach deutschem Recht

Dagegen nimmt Rüthers 67 an, der gewerkschaftsfreundliche Vorschlag sei i n der 25. Sitzung des GSA nicht angenommen worden. Er habe daher dem Hauptausschuß, i n dessen 18. Sitzung der Streikrechtsabsatz gestrichen worden sei, nicht vorgelegen. Die dort zugrunde liegende v. Mangoldtsche Fassung habe zu Befürchtungen bezüglich eines gewerkschaftlichen Streikmonopols keinen Anlaß gegeben. Die Furcht vor einem solchen Streikmonopol habe daher nicht zur Streichung geführt. Diese Ansicht berücksichtigt nicht genügend, daß bereits i m GSA die Frage des gewerkschaftlichen Streikmonopols erörtert worden war, daß Abgeordnete, die i n beiden Ausschüssen saßen, die gewerkschaftbegünstigenden Pläne ihrer Kollegen kannten und daß der Abg. Eberhard (SPD) vor der Abstimmung i n der 18. Sitzung des H A auf seinen i m GSA eingebrachten Antrag ausdrücklich zurückkam und seine damalige Formulierung für die zweite Lesung i m H A als Grundlage vorschlug. Ein gewerkschaftliches Streikmonopol zu verhindern und das brisante Thema dem einfachen Gesetzgeber oder der Rechtsprechung und der Rechtslehre zu überlassen, kann also sehr wohl Grund für die Nichtaufnahme des Streikrechtsabsatzes i n Art. 9 GG gewesen sein. Die geänderte Haltung der Abgeordneten des Parlamentarischen Rates i m Vergleich zur Mehrheit der Abgeordneten der Weimarer Nationalversammlung kann für die Auslegung des Begriffs „sozialer Rechtsstaat" i n den A r t i k e l n 20, 28 GG von Bedeutung sein. Für A r t . 9 GG ergibt sich jedoch, daß das Streikrecht ausdrücklich nicht garantiert ist und die Beweggründe für die Nichtregelung nicht klar erkennbar sind 68 . Bei der Erörterung des A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG i m Deutschen Bundestag i m M a i 196869 bestand bei allen Rednern Einigkeit darüber, daß der bestehende Rechtszustand erhalten werden sollte 70 . Diese Debatten ergeben für die historische Auslegung somit keine neuen Gesichtspunkte. Die historische Auslegung ist also unergiebig 71 . 67

Rüthers, Streik und Verfassung, S. 25. W edler, Diss., S. 130; Boos, Diss., S. 87, entnimmt — weitergehend — den Materialien, daß der „Verfassungsgesetzgeber eine (Streik-)Freiheitsgarantie nicht aufstellte." 6 ® Die Untersuchung wurde nach der mündlichen Doktorprüfung am 23. April 1968 ergänzt, soweit Veränderungen nach der Einreichung der Arbeit bei der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen W i l helms-Universität in Münster am 13. Januar 1967 bezüglich der Sach- und Rechtslage eingetreten sind. 70 Siehe unten S. 163 ff. der Untersuchung. 71 Dasselbe gilt für die Auslegung nach dem Wortsinn und für die systematische Interpretation: — das „Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden", besagt sprachlich nichts darüber, mit welchen Mitteln die Vereinigungen nach ihrer Büdung jene Bedingun98

2. Kapitel: Verfassungsgarantie des Streiks

59

b) Teleologische Auslegung U m so mehr Bedeutimg kommt der teleologischen Auslegung des Art. 9 Abs. 3 GG hinsichtlich des Streikrechts zu, d. h. der Sinnerklärung nach dem Zweck des auszulegenden Artikels. Ausgangspunkt ist hier die unbestrittene Bestandsgarantie der Koalition i n A r t . 9 Abs. 3 GG. Folgt aus dieser Garantie nun, daß aus der freien Bildung auch die Betätigung der Gewerkschaften gegebenenfalls m i t Einschluß des Streikrechts i n A r t . 9 Abs. 3 GG m i t Verfassungsrang gewährleistet ist? Z u dieser Frage haben sich i n der Literatur drei Meinungen herausgebildet: Eine Auffassung lehnt die Garantie jedes Aktionsrechts der Gewerkschaften durch A r t . 9 Abs. 3 GG ab. Wie unter der Geltung der Weimarer Verfassung sei nur die Koalitionsabrede durch A r t i k e l 9 Abs. 3 GG geschützt, Koalitionsmittel 7 2 seien dort nicht garantiert. Die zweite Ansicht erkennt grundsätzlich ein allgemeines Betätigungsrecht der Koalitionen an 78 . Es sei dem korporativen Gründungs- und Bestandsschutz zugeordnet, beinhalte aber kein Kampfrecht, allenfalls eine historisch gewordene Kampffreiheit. Das Grundgesetz wolle m i t der Koalitionsfreiheit nicht auch alle Maßnahmen der Koalitionen schützen, die zur Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen dienen könnten. Aus dem Schutz der Koalitionsfreiheit folge nicht der Schutz des Streiks als subjektiv-öffentliches Recht durch die Verfassung. Eine dritte Ansicht 7 4 endlich bezieht jede Betätigung der sozialen Koalitionen i n den verfassungsrechtlichen Bestandsschutz m i t ein. Damit sei auch das Streikrecht, das i m Tatsächlichen untrennbar m i t dem Gewerkgen wahren und fördern sollen. Mittel und Umfang zulässiger Wahrung und Förderung können in einer anderen Norm geregelt sein. Nach dem Wortsinn werden also nur Bildung und Bestand der Koalitionen in Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistet; — systematisch stellt Art. 9 GG als Kollektivrecht unter den Individualrechten eine Ausnahme dar. Deshalb w i l l z. B. Wernicke in BK, Art. 9, Erläut. I I 3 d, die Norm als reines Individualgrundrecht ansehen. 72 So i m Ergebnis auch die h. M., vgl. unten Fußnote 90. 78 Umfassend und rechtsvergleichend zur gewerkschaftlichen Betätigung. Bureau International du Travail, La liberté syndicale I (Allgemeines) und I I I (Deutschland vor 1928) Études et Documents, Série A, Vie Sociale N° 8 28, 30. Für die W R V Eschbacher, Diss., S. 24/25; RGSt Urt. v. 19. 10. 1922-VI 541/22RGSt. 56/412; Urt. v. 30. 10. 1922 — I I I 402/22. RGSt. 56/419; für die Zeit nach 1945 Meissinger in RdA 1956, S. 404; Dittmar, Das Streikrecht nach den Länderverfassungen der US-Zone, BB 1948, S. 515; Wittkämper, Grundgesetz und Interessenverbände, S. 73; Wedler, Diss., S. 124; Rüthers, Streik und Verfassung, S. 20; Brecht, Diss., passim. 74 Wedler, Diss., S. 114; Dommack, Das Streikrecht..., S. 99ff.; Richard Schmid in G M H 1954, S. 4, mit dem Hinweis auf die Wertlosigkeit eines Waffenscheins, der ein Schießverbot enthalte; Abendroth in G M H 1954, S. 259; Wlotzke in RdA 1963, S. 49; Gross in G M H 1963, S. 561; Höcherl-Lechner in

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1. Teil: Streik nach deutschem Recht

schaftsbegriff verbunden sei, verfassungsrechtlich geschützt. Das Streikrecht sei integrierender Bestandteil der Koalitionsfreiheit. Weil die Sanktionierung der Existenz der Koalitionen nicht zweckfrei u m ihrer selbst w i l l e n gemeint sein könne, umfasse sie auch den Schutz ihrer typischen Betätigungsformen. Der Streik sei als eine solche Betätigungsform der Gewerkschaften zu bezeichnen. Seit ihrem Entstehen seien Androhung, Vorbereitung und Durchführung von Arbeitskämpfen Aufgaben der Arbeitnehmerkoalitionen gewesen. Die Behauptung, daß die Fähigkeit, Arbeitskämpfe durchzuführen, zu den Wesensmerkmalen der Koalition gehört und daß infolgedessen die Koalitionsfreiheit die Streikfreiheit einschließt 75 , ist aber unzutreffend: I n Schlichtungsabkommen können die Koalitionen auf die Austragung von Arbeitskämpfen verzichten, ohne dadurch i n ihrem Wesen als Vereinigungen zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen eine Änderung zu erfahren. Der Aufbau einer besseren Grundlage der Arbeit und des Lebens der Arbeitnehmer ist nicht nur durch Streik, sondern u. U. sogar besser durch Verhandlungen zu erreichen. Das Beispiel der schweizerischen Gewerkschaften, die das Schlichtungsabkommen i n der Maschinen- und Metallindustrie vom 19. J u l i 1937, das eine absolute Friedenspflicht enthält, abgeschlossen haben, beweist das augenfällig. Ob der Arbeitskampf als letztes M i t t e l zum Ausgleich und zur Austragung sozialer Spannungen und Gegensätze i n den Industriestaaten auf die Dauer gebraucht werden wird, ist stark zu bezweifeln. Freiwillige Schlichtungsverfahren können an die Stelle der Arbeitskämpfe treten. Insofern ist, wie Nikisch7® m i t Recht feststellt, die Ansicht, daß das Koalitionsrecht begriffsnotwendig eine Arbeitskampfgarantie enthält, nicht fortschrittlich, sondern ausgesprochen reaktionär. Gehört das Streikrecht nicht zu den Wesensmerkmalen der Arbeitnehmerkoalition, so unterfällt es nicht automatisch dem Bestandsschutz der Gewerkschaften in A r t . 9 Abs. 3 GG. Die Garantie des Arbeitskampfes kann aber in einem anderen A r t i k e l des Grundgesetzes gegeben sein, sie muß nicht m i t der Bestandsgarantie-Norm der Koalitionen zusammengefaßt sein 77 . Daher wurde auch i m Parlamentarischen Rat nicht die G M H 1963, S. 549; Eschenburg, Staat und Gesellschaft in Deutschland, S. 406; Müller, Diss., S. 29 passim; so wohl auch Hoffmann in G M H 1964, S. 612/613, der allerdings auch (!) für möglich hält, daß das Grundgesetz das Streikrecht als Verfassungsgrundsatz in seinem System voraussetze; Reuss in ArbuR 1958, S. 329. 75 So aber: Hinkel, G M H 1951, S. 137; Enderle, G M H 1951, S. 548, Adolf Weber, Kapital und Arbeit, S. 278/279. 78 Arbeitsrecht I I , S. 26. 77 Meissinger, AuR 1954, S. 70, formuliert daher richtig: „ . . . Fragen, deren Lösung aus der Quelle der Erkenntnis kommt, daß das Koalitionsrecht des

2. Kapitel: Verfassungsgarantie des Streiks

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Ansicht geäußert, die Streikrechtsgarantie i n einem besonderen vierten Absatz des A r t . 9 sei überflüssig. Durch A r t . 9 Abs. 3 GG hat auch das Bundesverfassungsgericht 78 uneingeschränkt nur Bildung und Bestand der Koalition, der „Vereinigung als solche", als geschützt angesehen. M i t dem Gericht ist davon auszugehen 79 , daß auch Vereinigungen, die nicht tariffähig sind, sich aber zur Wahrimg und Förderung gemeinsamer wirtschaftlicher und sozialer Interessen zusammengeschlossen haben, und sich nicht zum Arbeitskampf bekennen, den Schutz des A r t . 9 Abs. 3 GG genießen 80 . Das ergibt sich schon aus dem Wortlaut der Bestimmung — „ f ü r jedermann und alle Berufe". Würde die Koalitionsfreiheit das Streikrecht einschließen, d.h. es inzidenter mitgarantieren, so könnte eine solche Vereinigung den Schutz des A r t . 9 Abs. 3 GG nicht genießen, weil sie sich gerade zum Streik als Lösungsmittel sozialer Konflikte nicht bekennt. Gegen die Garantie des Streikrechts durch die Gewährung der Koalitionsfreiheit spricht ferner die Regelung i m Beamtenrecht: Nach allgemeiner Ansicht dürfen Beamte i n Deutschland nicht streiken. Dennoch haben sie bereits seit langem das Recht, sich i n Koalitionen zusammenzuschließen. Das bringt § 91 B B G 8 1 zum Ausdruck. Diese Rechtslage hat A r t . 9 Abs. 3 GG m i t Verfassungsrang garantiert. Jedermann, also auch der Beamte, hat das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden 8 2 . Wäre das Streikrecht integrierender Bestandteil der Koalitonsfreiheit, verstieße zudem jede Abwehraussperrung gegen A r t . 9 Abs. 3 S. 2 GG, jeder den Arbeitskampf ausschließende oder einschränkende Tarifvertrag wäre ebenso wie jede freiwillige Schlichtungsvereinbarung verfassungswidrig, w e i l für die Zeit der damit begründeten Friedenspflicht Kampfmaßnahmen i n bestimmtem Umfang verboten sind. Jede die Koalitionsfreiheit einschränkende Maßnahme ist nämlich nach dem 3. Absatz von A r t . 9 GG rechtswidrig. Daß der Koalitionsfreiheit ein Naturrecht auf Arbeitskampf innewohne, durch das ein „gerechter Lohn" erstritten werden könne, wurde Art. 9 Abs. 3 GG nur im verfassungsrechtlichen Rechtsprinzip der sozialen Selbstverwaltung steht,..." und in AuR 1954, S. 136: „Es wäre deshalb falsch, im Koalitionsrecht selbst eine Rechtsquelle der sozialen Selbstverwaltung zu erkennen." 78 BVerfG Urt. v. 18.11.1954 — 1 BvR 629/52 — BVerfGE 4/96 (101). 79 h. M.: Hamann, Kommentar, Art. 9, Anm. B 7 a mit weit. Nachw.; Bertele , a. a. O., S. 21. 80 Wedler, Diss., S. 127: „Gelbe Gewerkschaften" (!) verzichteten auf den Streik. 81 I n der Fassung vom 18. 9. 1957, BGBl. I, S. 1338, vgl. Bochalli, Kommentar BBG, § 91 Anm. 1 und 2. 82 Vgl. statt aller v. Mangoldt-Klein, Art. 9 GG, Anm. V 9.

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1. Teil: Streik nach deutschem Recht

vom L A G München 88 behauptet. Abgesehen von dem nicht zu führenden Beweis der Naturrechtsqualität des Lohnäquivalenzprinzips scheitert seine juristische Verwendbarkeit schon an seiner Unbestimmtheit und Unbestimmbarkeit: Der Umfang des Streikrechts kann nicht von der moralischen, weltanschaulichen, religiösen oder politischen Überzeugung seiner Träger abhängig gemacht werden. Entgegen den vorstehenden Argumenten w i r d von einigen Autoren versucht, eine verfassungsrechtliche Streikgarantie aus dem Grundsatz der sozialen Selbstverwaltung i m Zusammenhang m i t A r t . 9 Abs. 3 GG zu gewinnen. Dieser Grundsatz sei nämlich aus A r t . 9 Abs. 3 GG entwickelt worden 8 4 . Für seine grundgesetzliche Gewährleistung sei von A r t . 9 Abs. 3 GG als der zentralen Strukturnorm des Arbeits- und W i r t schaftslebens auszugehen 85 . Tarifvertragsrecht und Streikrecht seien Bestandteile der sozialen Selbstverwaltung, beide seien i n A r t . 9 Abs. 3 GG m i t Verfassungsrang gewährleistet 86 . „Eine grundlegende Änderung dieses gesamten gewerkschaftlichen Tätigkeitsbereiches oder gar seine Beseitigung würde den Charakter der Koalitionen ebenfalls völlig verändern; die weitgehende Selbstbeschränkung des Staates, die er sich durch die Beleihung der Verbände m i t so vielfältigen Aufgaben auferlegt, hat dazu geführt, daß die soziale Selbstverwaltung nunmehr als Ganzes Bestandteil des verfassungsrechtlich garantierten Koalitionsrechts ist 8 7 ." Als Beweis für eine teilweise Anerkennung dieser Ansicht i n der Rechtsprechung w i r d das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18. November 1954 — 1 BvR 629/52 inBVerfGE 4/96 ff., herangezogen. Das Urteil beinhalte eine Anerkennung des Tarifvertragssystems m i t Verfassungsrang i n A r t . 9 Abs. 3 GG 8 8 . I n der Tat hat das BVerfG i n jener Entscheidung — S. 106 — ausgeführt: „Die historische Entwicklung hat dazu geführt, daß solche Vereinbarungen (Gesamtvereinbarungen zur Gestaltung der Löhne und Arbeitsbedingungen — der Verfasser) i n Gestalt geschützter Tarifverträge mit Normativcharakter und Unabdingbar88 Urt. v. 26. 10. 1953 — I I 158/53 —, ABlBayer ArbMin. 1953, CS 165 in BB 1953, S. 1062. Dagegen schon: Kleemann, (Diss., 1955), S. 41, und NeumannDuesberg, JR 1954, S. 442. 84 Rüthers, Streik und Verfassung, S. 56, 66 und passim. 85 Rüthers, a. a. O., S. 56. 88 Wedler, Diss., S. 120/121; zum Streitstand zu Art. 9 Abs. 3 GG vgl. auch Bulla, Das zweiseitig kollektive Wesen des Arbeitskampfes, in NipperdeyFestschrift 1955, S. 166 ff. 87 Wedler, Diss., S. 122. 88 Diese Rechtsprechung wurde in den in Fußnote 29 dieser Untersuchung aufgeführten Urteilen bestätigt und unter Vermeidung der Stellungnahme zum Streikproblem für die koalitionsmäßige Betätigung weiter ausgebaut. Wedler, Diss., S. 121. Die neueste Bestätigung dieser Rechtsprechung findet sich im Beschluß des BVerfG vom 19. Oktober 1966 — 1 BvL 24/65, in NJW 1966, S. 2305 (2306).

2. Kapitel: Verfassungsgarantie des Streiks

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keit abgeschlossen werden. Wenn also die i n A r t . 9 Abs. 3 GG garantierte Koalitionsfreiheit nicht ihres historisch gewordenen Sinnes beraubt werden soll, so muß i m Grundrecht des A r t . 9 Abs. 3 GG ein verfassungsrechtlich geschützter Kernbereich auch i n der Richtung liegen, daß ein Tarifvertragssystem i. S. des modernen Arbeitsrechts staatlicherseits überhaupt bereitzustellen ist, und daß Partner dieser Tarifverträge notwendig freigebildete Koalitionen sind." Diese Erwägimg des Bundesverfassungsgerichts überzeugt nicht. Der historisch gewordene Sinn der Koalitionsfreiheit kann als Anerkennung bestimmter Betätigungsformen von Koalitionen nicht ausreichen. Sinn und Aufgaben von Vereinigungen können sich wandeln. Bei Gewerkschaften kann das bereits durch eine Satzungsänderung geschehen. Schnorr 89 hat daher m i t Recht das Urteil des Bundesverfassungsgerichts beanstandet: „Überblickt man die Gründe des Bundesverfassungsgerichtsurteils i m ganzen, so kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß hier eine Entscheidung ex aequo et bono gefällt wurde, die einen klaren richtungsweisenden verfassungsdogmatischen Ausgangspunkt vermissen läßt." Die i n A r t . 9 Abs. 3 GG geschützte Autonomie der Gewerkschaften beinhaltet nach Schnorr i n erster Linie deren Bestandsgarantie. Das bedeute, daß der Staat daran gehindert sei, i n die korporativen und organisatorischen Selbstbestimmungsrechte der Koalitionen einzugreifen. Verboten seien Zwangsauflösungen, Zwangszusammenschlüsse von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden zu „Arbeitsgemeinschaften", Staatsaufsicht, staatliche Vermögenskontrolle, die Beschränkung der Koalitionen auf bestimmte Organisationsformen und die Einführung der Zwangsmitgliedschaft. Das bestätigt unser Ergebnis, daß die Koalitionsfreiheit keine Garantie des Kernbereichs eines Tarifvertragssystems beinhaltet. Auch eine weiterreichende Garantie einer sozialen Selbstverwaltung, die das Streikrecht einschließen könnte, läßt sich der Norm nicht entnehmen. Zwar ist eine reine Bestandsgarantie für die Koalitionen nicht sinnvoll. Das bedeutet aber nicht, daß eine Betätigungsgarantie i n der Bestandsgarantie-Norm enthalten sein muß. Eine Betätigungsgarantie, die das Streikrecht einschließen könnte, kann i n der Sozialstaatsklausel der A r t i k e l 20,28 GG enthalten sein. c) Ergebnis Aus dem Ausgeführten folgt, daß i n A r t . 9 Abs. 3 GG eine verfassungsrechtliche Streikgarantie nicht enthalten ist. Es ist also der ersten 89 I n RdA 1955, S. 3 ff. (4); a. A. Brox, Zur Wirkung der rechtmäßigen Aussperrung auf den Arbeitsvertrag, in Festschrift für Nipperdey 1965, I I , S. 64.

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1. Teil: Streik nach deutschem Recht

Ansicht 90 zu folgen, die keine Abweichung zwischen A r t . 159 WRV und A r t . 9 Abs. 3 GG hinsichtlich des Streikrechts anerkennt. Diesem Ergebnis widerspricht der 1968 i n das GG eingefügte Satz 3 des Abs. 3 von A r t i k e l 9 GG nicht. Er ist negativ formuliert worden: Notstandsmaßnahmen dürfen sich danach nicht gegen arbeitsrechtliche Streiks richten 91 . Die Ergänzung geht daher von einem bestehenden, verfassungsrechtlich garantierten Streikrecht aus. Welchem A r t i k e l des Grundgesetzes dieses Streikrecht zu entnehmen ist, gibt sie nicht an. 3. Artikel 20 Abs. 1,28 Abs. 1 SA GG als Verfassungsgarantie des Streikrechts Es wäre vermessen, sollte i n dieser Untersuchung eine umfassende Deutung der ersten Absätze der A r t i k e l 20 und 28 GG oder auch nur eine vollständige Untersuchung des Sozialstaatsprinzips gegeben werden. Schier unübersehbar ist die Literatur geworden, die zu diesem Problem Stellung nimmt, und i n vielen Urteilen von Gerichten aller Instanzen w i r d darauf eingegangen. Hier würde eine eingehende Erörterung jener Fragen den Rahmen des Themas sprengen. Daher soll i m folgenden nur das Verhältnis von Sozialstaatsklausel zu sozialer Selbstverwaltung und zum Streikrecht näher untersucht werden. Das Grundgesetz enthält zwei ausdrückliche Sozialstaatsaussagen i n A r t i k e l 20 Abs. 1 und A r t . 28 Abs. 1 S. 1. A r t i k e l 20 Abs. 1 GG: „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat". A r t i k e l 28 Abs. 1 S. 1 GG: „Die verfassungsmäßige Ordnung i n den Ländern muß den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates i m Sinne dieses Grundgesetzes entsprechen". Beide A r t i k e l befinden sich i m 2. Abschnitt des Grundgesetzes „Der Bund und die Länder". 90 Bulla, Festschrift Nipperdey 1955, S. 163 ff.; Doerk, Der Streik als unerlaubte Handlung i. S. des § 826 BGB, S. 31; Boos, Diss., S. 46 ff.; Hueck, Rechtsgutachten, S. 43; Jacusiel, Wesen und Inhalt des geltenden Koalitionsrechts, S. 66—70; Erdsiek in N J W 1959, S. 2198; Krüger in BB 1955, S. 613, Fußnote 3; Kreuzer, Diss., S. 9—16; Müller, H. E., Diss., S. 29; Nikisch, Gutachten „Die privatrechtlichen Wirkungen des sog. Streikrechts", S. 13; Nipperdey, Streikrecht in HdSW Band 10, S. 227; r . Mangoldt, Kommentar, Art. 9, Bern. 4; Seeler, Der Arbeitskampf in der deutschen und ausländischen Gesetzgebung, S. 44; Siebrecht, Das Recht im Arbeitskampf, S. 28; Reinhold, Diss., S. 56 ff.; Wernicke in B K Art. 9, Erläut. I I 3 d; Zusammenfassung bei Wedler, Diss., S. 124/125; Rüthers, Streik und Verfassung, S. 19/20; Bertele, Rechtsnatur und Rechtsfolgen der Aussperrung, S. 21/22; Hueck-Nipperdey, Lehrbuch I I , S. 103, Fußnote 34; Nikisch, Arbeitsrecht I I f S. 186 ff.; v. Mangoldt-Klein, Art. 9, Anm. V I I ; Richardi in RdA 1966, S. 247; Bundessozialgericht, Urt. vom 27. Januar 1956—7 RAr 126/ 55, BSGE 2,171. 91 Vgl. i m einzelnen S. 163 ff. der Untersuchung.

2. Kapitel: Verfassungsgarantie des Streiks

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Obgleich einmal von sozialem Bundesstaat und zum anderen von sozialem Rechtsstaat die Rede ist, bezeichnen Rechtsprechung und Rechtslehre übereinstimmend den sozialen Teil der Normen als „Sozialstaatsklausel"". Neben der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit, dem föderalistischen Prinzip und der republikanischen Staatsform ist die Sozialstaatsklausel eine der tragenden Säulen des westdeutschen Verfassungssystems. Sie gehört zu den Grundsätzen, die nach A r t . 79 Abs. 3 GG einer Verfassungsänderung entzogen sind. I n A r t . 20 GG sind die wichtigsten Staatsgrundsätze zusammengefaßt. Man kann ihn als eine Verfassung i n Kurzform bezeichnen. Nur der Grundrechtsteil hat ähnliche Bedeutung wie die i n A r t . 20 GG aufgenommenen Grundsätze 98 . Von allen Prinzipien des A r t . 20 Abs. 1 GG ist die Sozialstaatsklausel das einzige, das i m deutschen Verfassungsrecht ohne Vorbild ist 9 4 , eine Tatsache, die die Auslegung erschwert. Daher muß i m Rahmen unseres Themas zunächst untersucht werden, ob die Entstehungsgeschichte 95 über ihren Inhalt hinsichtlich des Streikrechts bzw. der sozialen Selbstverwaltung sichere Aussagen ermöglicht. a) Historische Auslegung Bei den Beratungen des Grundgesetzes i m Parlamentarischen Rat hat die Sozialstaatsklausel nicht die Beachtung gefunden, die ihr nach Sinn und Formulierung zukommt. I m Entwurf von Herrenchiemsee fehlte eine entsprechende Norm. Die Einführung der Formulierung i n die Beratimg geht nach einer Mitteilung des Abg. v. Mangoldt 9 6 auf den Abg. Carlo Schmid (SPD) zurück. I n einem Vorschlag zum Absatz 1 des A r t . 20 an den GSA — 14. Oktober 1948 — war folgende Formulierung enthalten: „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Rechtsstaat m i t parlamentarischer Regierungsform und bundesstaatlichem Aufbau." Ob neben der Anregimg von Carlo Schmid auch Einflüsse von Landesverfassungen ausgingen, die zur Zeit der Beratungen des Parlamenta92 bzw. Sozialstaatserklärung, Sozialstaatsprinzip, vgl. Rüthers, Streik und Verfassung, S. 57 ff.; Hamann, Kommentar, Art. 20, Anm. B 3; Werner Weber, Die verfassungsrechtlichen Grenzen sozialstaatlicher Forderungen in „Der Staat 1965, S. 409. Anm. 2—5, s. S. 57. Reuss, Die Bedeutung des Sozialstaatsprinzips, S. 8 ff. 93 Hamann, Komm., Art. 20, Anm. A 1 . 94 Rüthers, Streik und Verfassung, S. 57; Forsthoff, Begriff und Wesen des sozialen Rechtsstaats, W D S t R L H. 12, S. 23 f. 95 Vgl. Menger, Der Begriff des sozialen Rechtsstaats i m BGG, S. 3; Rüthers, a.a.O., S. 59; zur Geschichte des Begriffs Heller, Rechtsstaat oder Diktatur, S. 9,10 und 26; Triepel in W D S t R L H. 7, S. 197. 96 t?. Mangoldt, Kommentar, S. 131 f.

5 Lohse

1. Teil: Streik nach deutschem Recht

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rischen Rates schon verabschiedet waren, ist nicht sicher festzustellen. Ähnliche Formulierungen enthielten jedenfalls die Verfassungen von — Baden (1947), A r t . 50, „Sozialer Freistaat"; — Bayern (1946), A r t . 3, „Sozialstaat"; — Rheinland-Pfalz (1947), A r t . 74, „Sozialer Gliedstaat Deutschlands"; — Württemberg-Baden (1946), A r t . 43, „Sozialer Volksstaat". Die Absätze des späteren A r t . 20 GG wurden i n den Beratungen der Ausschüsse des Parlamentarischen Rates lebhaft diskutiert 9 7 . Ohne jede Erörterung blieb dagegen das A d j e k t i v „sozial" i m ersten Absatz des A r t i k e l 20 ebenso enthalten wie i n der Wiederholung der Sozialstaatsklausel i n A r t . 28 Abs. 1 S. 1 GG 98 . Die i h m zugeordneten Substantive wechselten dagegen während der Beratungen. Es finden sich „Rechtsstaat", „Republik", „Bundesrepublik" und „Bundesstaat". Andere als redaktionelle Gründe sind für den Wechsel jedoch nicht ersichtlich 99 . Der GSA verabschiedete den A r t . 20 Abs. 1 des Entwurfes nach mehreren Lesungen am 10. November 1948 i n der Fassung: „Deutschland ist eine demokratische und soziale Republik bundesstaatlichen Aufbaus, deren Regierung der Volksvertretung verantwortlich ist." Der A R A kürzte am 16. November 1948 diese schwerfällige Formulierung: „Deutschland ist eine demokratische und soziale Bundesrepublik". Nachdem diese Formulierung i n der 1. Lesung i m Hauptausschuß nicht geändert worden war — 17. November 1948 — folgte der Hauptausschuß i n der 2. Lesung am 15. Dezember 1948 einem Abänderungsvorschlag des Abg. Heuss (FDP), den Namen des Staatswesens an den Anfang der Bestimmimg zu stellen. Das war auch i m Vorschlag v. Mangoldts (CDU) vorgesehen gewesen: „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat". Diese Formulierung passierte unverändert weitere Lesungen i m Hauptausschuß und i m allgemeinen Redaktionsausschuß. Sie wurde ohne Aussprache vom Plenum des Parlamentarischen Rats gebilligt. Aus diesen Beratungen läßt sich m i t h i n nicht entnehmen, welcher Sinn der Sozialklausel vom Parlamentarischen Rat beigelegt werden sollte. Allein, eine Parallelerörterung darf hier nicht unberücksichtigt bleiben: Die Diskussion der Ablehnung, soziale und wirtschaftliche Grundrechte und Grundpflichten i n das Grundgesetz aufzunehmen. 97

Einzelheiten JöR Band 1 N F (1951), S. 195 ff.

98

JöR Band 1 (1951), S. 244 ff.

99

Werner Weber in Der Staat 1965, S. 412 f.

2. Kapitel: Verfassungsgarantie des Streiks

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Hatte i n der Weimarer Nationalversammlung der entsprechende Versuch Friedrich Naumanns 100 nur zu dilatorischen Formelkompromissen geführt, so wollten die Schöpfer des Grundgesetzes diesen Fehler nicht wiederholen. N u r die klassischen Freiheitsrechte des einzelnen sollten Berücksichtigimg finden, u m den verschiedenen Interessengruppen keinen Anlaß zur Störung zu bieten 1 0 1 . „ M i t Rücksicht auf die vorläufige Natur des Grundgesetzes" sind schon vom Konvent auf Herrenchiemsee keine Grundrechte bezüglich korporativer Ordnungen i n den Entwurf aufgenommen worden 1 0 2 . Das wurde i n der 2. Plenarsitzung des Parlamentarischen Rates am 8. September 1948 bei der 1. Lesimg des Grundgesetzes von den Abg. Carlo Schmid (SPD) und Heuss (FDP) ausdrücklich gutgeheißen. Heuss nannte es „leichtfertig" und „hoffärtig", die sozialwirtschaftliche Struktur der kommenden Zeit vorauszusagen 103 . I m GSA führte der Abg. Zinn (SPD) aus, die Zeit sei für Gemeinschaftsgrundrechte i m Sinne Friedrich Naumanns 1948 ebensowenig reif wie 1918. Ein heterogener Niederschlag von Parteiprogrammen i m Grundgesetz müsse vermieden werden 1 0 4 . A m 6. M a i 1949 berichtete der Abg. Carlo Schmid (SPD) vor dem Plenum des Parlamentarischen Rates i n 2. Lesung über den i n den Ausschüssen erarbeiteten Entwurf des GG. Dabei führte er aus 105 : „ M i t einigen wenigen Ausnahmen hat man sich auf die sogen, klassischen Grundrechte beschränkt und bewußt darauf verzichtet, die sogen. Lebensordnungen zu regeln. Hätte man dies hier versucht, so wäre man, wenigstens nach Auffassung der Mehrheit dieses Hauses, über die durch den Auftrag, nur ein Provisorium zu schaffen, gezogenen Grenzen hinausgegangen." Er fügte aber gleich hinzu, daß ein Gemeinwesen bundesstaatlichen Charakters geschaffen werden solle, dessen Wesensgehalt das demokratische und soziale Pathos der republikanischen Tradition bestimme, „nämlich einmal der Satz, daß alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht, weiter die Begrenzung der Staatsgewalt durch die verfassungsmäßig festgelegten Rechte der Einzelpersonen, die Gleichheit aller vor dem Gesetz und der M u t zu den sozialen Konsequenzen, die sich aus den Postulaten der Demokratie ergeben." Werner Weber 1 0 6 macht zu Recht darauf aufmerksam, daß an dieser Stelle deutlich werde, daß die Sozialstaatsklausel i n A r t . 20, 28 GG „sozusagen" das Surrogat für das Weglassen sozialwirtschaftlicher Grundsätze oder sozialer Lebensordnungen sein sollte. Widersprüchlich sind aber seine weiteren Schlußfolgerungen aus der historischen Inter100 Vgl. Carl Schmitt, Verfassungslehre, S. 32; derselbe, Handbuch des Deutschen Staatsrechts (Anschütz-Thoma) I I , S. 580 f. 101 Statt vieler: Werner Weber in Der Staat 1965, S. 413. 102 Darstellender Teil des Berichts, S. 21. 103 Stenographischer Bericht, S. 44. 104 Sitzung vom 21. September 1948, JöR Band 1 (1951), S. 44. 105 Stenographischer Bericht, 9. Sitzung, S. 172. 108 I n Der Staat 1965, S. 414.

5*

.Teil: Streik nach deutschem echt

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pretation: Die Sozialstaatsklausel enthalte nach dem Willen ihrer Schöpfer kein bestimmtes Verfassungsprogramm für konkrete Forderungen an die künftige Sozialordnung 107 . Und andererseits: Es sei aber m i t Rohwer-Kahlmann i n das Sozialstaatsgebot einzuschließen, daß das überlieferte System der sozialen Sicherheit i n seiner Grundstruktur und i n seiner Ausprägung als Versorgung, Versicherung und Fürsorge (Sozialhilfe) durch die Entscheidung des Grundgesetzgebers für den Sozialstaat institutionell gewährleistet sein solle 108 . Auch das System sozialer Sicherheit ist schließlich eine konkrete Forderung an die Sozialordnung. Wenn — wie hier m i t Werner Weber — angenommen wird, daß nach dem Willen der Schöpfer des Grundgesetzes die Sozialstaatsklausel Surrogat für weggelassene sozialwirtschaftliche Grundsätze sein soll, so muß daraus gefolgert werden, daß sie gewisse sozialwirtschaftliche Einrichtungen m i t Verfassungsrang garantiert sehen wollten. Die historische Interpretation ergibt also, daß die Sozialstaatsklausel nach dem Willen des Parlamentarischen Rates den Charakter einer sozialwirtschaftlichen Generalklausel haben sollte, deren Garantiegehalt i m einzelnen i m Parlamentarischen Rat jedoch nicht erörtert wurde. Er ist durch teleologische Interpretation zu klären. b) Teleologische Auslegung Über den Sinngehalt des Adjektivs „sozial" sollen zunächst einige allgemeine Aussagen versucht werden: „Sozial verweist jedenfalls auf den Vorgang des Teilens, Verteilens und Zuteilens und hat i n der Bindung an das Gewähren einen anderen Grundbezug als der gewährleistende Rechtsstaat" 109 . Das Wort hatte i m politischen Sprachgebrauch der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine „polemische", den wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Status quo kritisierende und bekämpfende Richtimg. Es enthielt das Postulat einer anderen, „gerechteren" Güterverteilung. „Sozial" kann aber auch unpolemisch auf Bestehendes bezogen sein und Institute, Begriffe und Rechtssätze meinen, die zu einer besseren Güterzuteilung von der sozialen Entwicklung hervorgebracht und zum Bestandteil der Rechtsordnimg geworden sind. Überträgt man das Fremdwort „Sozialstaatsprinzip" ins Deutsche, so heißt der Begriff „Grundsatz der Gemeinschaftsbezogenheit des Staates (des Gemeinwesens)". Wahrlich kein klarer, leicht abgrenzba107

Werner Weber, a. a. O., S. 415. Werner Weber, a. a. O., S. 416. 109 Forsthoff, W D S t R L H. 12, S.25; ähnlich Fechner, RdA 1955, S. 162; Bauer in Der Gewerkschafter 1964, S. 210, der darunter ein System von Mindestarbeitsbedingungen, Tarifverträgen, Betriebsverfassungen, Mitbestimmung, Kündigungsschutz, progressiven Steuern und (staatlichen) Eingriffen in die Wirtschaft versteht. 108

2. Kapitel: Verfassungsgarantie des Streiks

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rer Begriff! Während Forsthoff 110 wegen der Schwierigkeiten „mangelnder Bestimmbarkeit" resigniert und sich weigert, der Klausel eine Garantiefunktion einzuräumen, soll hier m i t Bachof 111 davon ausgegangen werden, daß der Sozialstaatsklausel eine Garantiefunktion innewohnt, daß diesem Begriff ein „einigermaßen bestimmbarer Vorstellungsgehalt entnommen werden kann, wenn man ihn weder m i t notwendig unfruchtbaren philologischen Interpretationskünsten seziert, noch ihn isoliert betrachtet, sondern i h n i n seiner Situationsbedingtheit als Verfassungsprogramm 1 " eines i n der sozialen Wirklichkeit unserer Zeit stehenden modernen Massenstaates und somit i n dem notwendigen Zusammenhang m i t seiner Geschichte und Umwelt sieht." Das Bekenntnis des Grundgesetzes zum Sozialstaatsprinzip enthält eine Entscheidung, nicht nur die Bekräftigung einer Aufforderung an staatliches Verhalten. Es steht neben den i m Grundgesetz näher präzisierten, die Staatsform bestimmenden Adjektiven „republikanisch" und „demokratisch", die institutionelle Gewährleistungen darstellen. Ohne besonderen Grund kann man daher nicht annehmen, daß i m Gegensatz dazu die i n dem Begriff „sozial" enthaltene Gewährleistung ohne institutionelle Prägung und ohne spezifisch materiellen Gehalt sei. I m Text der A r t i k e l und i n den Materialien des Grundgesetzes fehlt jeder H i n weis auf eine solche Minderrangigkeit des Adjektivs „sozial" gegenüber den Adjektiven „republikanisch" und „demokratisch". Auch durch den Umfang und die Vielfalt der Rechtsgebiete, die durch die Ergebnisse teleologischer Auslegung der Sozialstaatsklausel berührt werden können, sollte der Interpretationsversuch nicht verhindert werden. Selbst Begriffe wie das Erfordernis von „Treu und Glauben m i t Rücksicht auf die Verkehrssitte" i n § 242 BGB sind von Rechtsprechung und Z i v i l rechtslehre mit hinreichender Genauigkeit ausgelegt worden 1 1 8 . 110 Forsthoff, a.a.O., S.27. Die Formel „sozialer Rechtsstaat" ist kein Rechtsbegriff in dem Sinne, daß sie einen besonderen Rechtsstaatsbegriff von eigener institutioneller Prägung und spezifischem materiellen Gehalt bezeichnet. Allein aus dieser Formel lassen sich weder Rechte noch Pflichten begründen, noch Institutionen (wie das Mitbestimmungsrecht) ableiten. 111 Bachof, Begriff und Wesen des sozialen Rechtsstaates in W D S t R L H. 12, S. 39. Damit im Ergebnis übereinstimmend Günther Kiichenhoff, Einwirkungen des Verfassungsrechts auf das Arbeitsrecht, Nipperdey-Festschrift 1965, I I , S. 327; Menger, Der Begriff des sozialen Rechtsstaates im BGG, S. 19 und 24; Hoppe, Diss., S. 122 f.; Leibholz-Rinck, Komm. Art. 20, A n m . D Rdnr. 12; BVerfG Beschl. v. 19.12.1951— 1 BvR 220/51 — in BVerfGE 1/97 (105). 112 Von Bachof nicht i m Sinne eines Programmsatzes gewertet: die Sozialstaatsklausel enthält seiner Meinung nach eine Entscheidung über Zuständigkeit und Aufgabe des Staates zur Sozialordnungsgestaltung (S. 39). Daß die von Bachof (S. 40/41) eingeführte „soziale Gerechtigkeit" als Kriterium zur Klärung des Sozialstaatsbegriffs dienen kann, muß wegen ihrer großen Unbestimmbarkeit bezweifelt werden. 118 So Nipperdey in W D S t R L H. 12, S. 92 und 97 (Diskussionsbeitrag). Daß auch mit der Bestimmung der Aktionsmöglichkeiten zivil- und polizeirechtlicher Generalklauseln ohne Präjudizien begonnen wurde, übersieht Werner

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1. Teil: Streik nach deutschem Recht

I m Grundgesetz finden sich zudem Bestimmungen, die m i t dem Sozialstaatsprinzip i n eine gedankliche Verbindung gebracht werden können, Gesetzesvorbehalte zur Einschränkung der Rechtsstellung von Individuen zugunsten schutzwürdiger Gemeinschaftsbelange: A r t i k e l 2, 5 Abs. 2, 8 Abs. 2, 10, 12 Abs. 1 S. 2 GG. Auch besteht eine Beziehung zwischen dem Sozialstaatsprinzip und dem Gebot, die Würde des Menschen zu achten und zu schützen — A r t . 1 Abs. 1 GG, dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz — A r t . 3 Abs. 1 GG, dem Schutz der Mütter — A r t . 6 Abs. 4 GG, dem Gebot nichtdiskriminierender Behandlung unehelicher Kinder — A r t . 6 Abs. 5 GG, und der Koalitionsfreiheit — A r t . 9 Abs. 3 GG. M i t Recht w i r d auch darauf hingewiesen 114 , daß die Sozialstaatsklausel durch 19jährige höchstrichterliche Anwendung 1 1 5 und Kommentierung festere Konturen gewonnen hat. I h r Garantiebestand hinsichtlich des Streikrechts w i r d nur ermittelt werden können, wenn der Rechtscharakter der Sozialstaatsklausel klargestellt w i r d und seine Grenzen gefunden werden. aa) Substanzloser Blankettbegriff — Programmsatz — Auslegungsregel — Staatszielbestimmung — Kernbereichgarantie Einen „substanzlosen Blankettbegriff" nannte Grewe 1 1 8 in einem viel 117 beachteten und m i t Recht kritisierten Aufsatz die Sozialklausel. Daß die verfassungsmäßige Ordnung i n den Ländern auf einen substanzlosen Blankettbegriff ausgerichtet sein soll, auf eine verfassungsrechtlich nicht erhebliche, ausfüllungsbedürftige Bestimmung, kann nämlich nicht unterstellt werden. Programmsatz nannte die Rechtslehre Bestimmungen der Weimarer Reichsverfassung, die konkrete Gewährleistungen nicht enthielten, sondern auf die Bekundung einer Verpflichtung beschränkt waren, deren Konkretisierung und Erfüllung Gesetzgebung und Verwaltung überlassen blieb 1 1 8 . Weber in Der Staat 1965, S. 418: Die verantwortliche Exaktheit rechtlicher Ordnungsbewahrung werde bei der Verwendung der Sozialstaatsklausel aufgelöst. Die sonstigen Generalklauseln seien entweder in eine festgefügte Ordnungsbeziehung eingebettet oder durch eine langherangereifte Judikatur in ihren Aktionsmöglichkeiten markiert. 114 Werner Weber in Der Staat 1965, S. 417. 115 Ein Überblick über die Rechtsprechung findet sich für das Bundesverfassungsgericht bei Werner Weber in Der Staat 1965, S. 420—429, für das Bundesarbeitsgericht bei A. Hueck in Festschrift für Apelt, S. 57 ff.; Gerhard Müller, DB 1956, S. 524, 549; derselbe in BAB1. 1964, S. 723 ff.; für das BSG Bogs, Die Rechtsprechung des BSG zum GG in JöR Band 9 (1960), S. 169 f. 116 Grewe in D R Z 1949, S. 351. 117 v. Mangoldt-Klein, Art. 20 GG, A n m . V I I 3; Rüthers, Streik und Verfassung, S. 57 f. 118 Forsthoff, W D S t R L H. 12, S. 10.

2. Kapitel: Verfassungsgarantie des Streiks

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Sozialstaatliche Programmsätze fanden sich schon i m Grundrechtskatalog der französischen Verfassung vom 24. Juni 1793 (Nr. 21), der auf den Verfassungsentwurf der Gironde zurückgeht, die folgende „Sozialstaatsklausel" enthielt (Nr. 24—4): „Les secours publics sont une dette sacrée de la société; et c'est à la L o i en déterminer l'étendue et l'application". Dieser Programmsatz sollte der „fraternité" verfassungsrechtlichen Ausdruck verleihen. War während der Geltung der Weimarer Reichsverfassung nahezu unbestritten, daß die sozialstaatlichen Grundrechte des Zweiten Teils Programmsätze dieser A r t waren, so könnte das auch für die Sozialstaatsklausel der A r t i k e l 20, 28 GG, die soziale Generalklausel des Grundgesetzes, zutreffen. Aus zwei Gründen ist das nicht der Fall: Zunächst gehört das Sozialstaatsprinzip zu dem unveränderlichen Kern der Verfassung, A r t . 79 Abs. 3 GG. Sollte ein Programmsatz durch Unveränderlichkeit besonders geschützt werden, so hätte es eines Hinweises i m Gesetz bedurft 1 1 9 . Der zweite Grund ist oben bereits erläutert worden; das A d j e k t i v „sozial" steht i n Verbindung m i t den beiden Verbürgungen „republikanisch" und „demokratisch", die unbestrittenermaßen 120 keine Programmsätze sind. Die Sozialstaatsklausel des Grundgesetzes ist also mehr als ein Programmsatz 121 . Als Auslegungsregel wurde die Sozialstaatsklausel vom Bundesverfassungsgericht mehrfach herangezogen. Schon 1951122 führte es aus: „Wenn auch die Wendung vom »Sozialen Bundesstaat 4 nicht i n den Grundrechten sondern i n A r t . 20 des Grundgesetzes (Bund und Länder) steht, so enthält sie doch ein Bekenntnis zum Sozialstaat, das bei der Auslegung des Grundgesetzes wie bei der Auslegung anderer Gesetze von entscheidender Bedeutimg sein kann." Eine Behörde sei an das Prinzip der Sozialstaatlichkeit als Teil der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung gebunden 128 . Könnte man nach diesen Entscheidungen, deren Erwägungen i n anderen Erkenntnissen des Bundesverfassungsgerichts aufgegriffen werden, noch Zweifel daran haben, daß das Gericht aufgrund der Sozialstaatsklausel entscheidet und nicht nur Folgerungen damit bestätigt, zu denen es ohnehin gelangt wäre 1 2 4 , so werden sie i m Urteil vom 18. November 119

Forsthoff, W D S t R L H. 12, S. 23. Vgl. statt aller Gerber, Die Sozialstaatsklausel des Grundgesetzes, in AöR Band 81,1956, S. 27,28 und 53 mit weiteren Nachweisen. 121 Klein, Bonner Grundgesetz und Rechtsstaat, in ZStW 106 (1950), S. 400. 122 BVerfG, Urt. v. 19. 12. 1951 — 1 BvR 220/51 in BVerfGE 1/97 ff. (105); ihm folgend Hueck, Apelt-Festschrift, S. 71 f.; ebenso: v. Mangoldt-Klein, Art. 20 GG, Anm. V I I 2 b, die in ihr zudem noch eine Staatszielbestimmung sehen. 123 BVerfG, Beschl. v. 29. 4.1954 — 1 BvR 328/52 in BVerfGE 3/377 (381). 120

124

So aber Werner Weber, Der Staat 1965, S. 431.

1. Teil: Streik nach deutschem R e t

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1954125 beseitigt: „Entscheidend für die hier gefundene Auslegung des A r t . 9 Abs. 3 GG (Anerkennimg des verfassungsrechtlichen Schutzes der Koalition ,als solcher' — der Verfasser) ist das ausdrückliche Bekenntnis des Grundgesetzes zum sozialen Rechtsstaat (Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 S. 1 GG)." Allein, eine Auslegungsregel dient dazu, den Garantiebestand einer anderen Norm festzustellen. M i t dem Ergebnis, daß die Sozialstaatsklausel entscheidende Auslegungsregel ist, ist die Frage nach dem Garantiegehalt des Prinzips nicht beantwortet. Für unsere Frage: es ist nicht festgestellt, daß A r t . 20, 28 GG die Garantie des Streikrechts enthalten. Z u dieser Frage hatte das Bundesverfassungsgericht noch nicht Stellung zu nehmen. Staatszielbestimmung hat Ipsen 128 die Sozialstaatsklausel genannt. Sie sei nicht nur für den Gesetzgeber verbindlich und „damit programmatischer Natur", sondern binde auch die Gesetzesanwendung unmittelbar. Es ließen sich aus der Formel Rechte und Pflichten begründen und Institutionen ableiten 127 . I n Fortentwicklung der Theorie von Ipsen w i r d es nunmehr darauf ankommen, die Grenzen der Effektivität der Grundgesetzentscheidung für den Sozialstaat zu erkennen. Auch Forsthoff 128 gibt zu, daß die sozialstaatliche Entwicklung „natürlicherweise" dahin dränge, soziale Verbürgungen nicht in der Schwebelage einer programmatischen Verheißung zu belassen, sondern ihnen unmittelbare Rechtsverbindlichkeit zuzuerkennen. a) Kernbereichsgarantie Zunächst ist der Sozialstaatsklausel zu entnehmen, daß der Staat sozialordnungsgestaltend tätig werden darf und muß 1 2 9 . Er darf die Ordnung des Wirtschafts- und Gesellschaftslebens grundsätzlich nicht sich selbst überlassen und nur akute Störungen beseitigen. Er hat die Sozialordnung i n seine Obhut zu nehmen. Wäre diese Zuständigkeit 125

BVerfGE 4/96 ff. (102). Über das Grundgesetz, S. 16; derselbe „Enteignung und Sozialisierung" passim; ihm folgend Thieme, Liberalismus und Grundgesetz, ZStW. Band 113 (1957), S. 296; vgl. auch Ballerstedt, in GR I I I , 1, S. 49 ff. 127 A. A. Forsthoff, W D S t R L H. 12, S. 27, und Olbersdorf, AuR 1955 S. 135; gegen sie: Ridder, Die verfr. Stellung der Gew. S. 5 ff. 128 W D S t R L H. 12, S. 21. 129 Insoweit wird nicht nur ein „Sollen" (Bachof, W D S t R L H. 12, S. 39), sondern ein „Müssen" anzunehmen sein, um soziale Ungerechtigkeiten zu verhindern. Vgl. auch Abendroth, Zum Begriff des demokratischen und sozialen Rechtsstaats im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, BergstraeßerFestschrift, S. 288. 126

2. Kapitel: Verfassungsgarantie des Streiks des Staates zur Ordnung des nicht vorhanden, so wäre sie schen Gehalts" 1 8 0 . Das kann nicht ohne zwingenden Grund

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Soziallebens i n der Sozialstaatserklärung „schlechthin bar jeden konkreten juristiman von den Normen des Grundgesetzes annehmen.

Aber damit ist der Inhalt der Sozialstaatsgarantie nicht erschöpft. Der soziale Rechtsstaat beruht auf einem System des Ausgleichs, des Gleichgewichts, i m Wirtschafts- und Sozialleben. Er verbietet die Allmacht des Staates auf diesem Sektor ebenso wie schrankenloses Tätigwerden des Individuums 1 8 1 . Als M i t t e l des Ausgleichs von Spannungen zwischen Staat und Gesellschaft 132 galt i n Deutschland schon i m vergangenen Jahrhundert die Heranführimg breiterer Bevölkerungskreise an die staatliche Verantwortung. So wurde z.B. i n Preußen die kommunale Selbstverwaltung geschaffen 188. A n die soziale Verantwortung müssen i m Sozialstaat der Gegenwart breitere Kreise der Bevölkerung herangebracht werden. Das ist seit 1900 i n Deutschland i n steigendem Maße geschehen. I n der juristischen Literatur w i r d dieser Bereich heute „soziale Selbstverwaltung" genannt. bb) Grundsatz sozialer Selbstverwaltung Der Begriff „soziale Selbstverwaltung" wurde von Meissinger 184 geprägt. Er sieht i n der sozialen Selbstverwaltung einen leitenden Grundsatz unseres Arbeits-, Wirtschafts- und Gesellschaftslebens, das den gesamten Tätigkeitsbereich der Berufsverbände umfaßt. Der Begriff ist von Brox-Rüthers 1 8 5 , Bertele 188 , Bulla 1 8 7 , Hammer 1 8 8 , Nikisch 1 8 9 , Nipperdey 1 4 0 , Rüthers 141 , Tillmann 1 4 2 , Werner Weber 148 , Wedler 1 4 4 und 180

Bachof, W D S t R L H. 12, S. 39. Bachof , W D S t R L H. 12, S.45; Maunz in Mang (u.a.), Staats- u. Verwaltungsrecht in Bayern, S. 439. i3f BVerfG, Urt. v. 18. Juli 1967, — 2 BvF 3 — 8/62; 2 BvR 139/62; 2 BvR 334—335/62, in BB 1967 S. 858. Carlo Schmid, Das Streikrecht in der Demokratie, S. 33; vgl. auch Forsthoff , Haben wir zu viel oder zu wenig Staat? S. 75; Kaiser , Carl-Schmitt-Festschrift, S. 75, 79; Rosenberg, Gewerkschaften im sozialen Rechtsstaat, S. 232 f. iss Vgl. V t Ranke, Preuß. Geschichte, bearb. von Schoeps, I I I (1806—1815), S. 59 ff. ; Merk, Deutsches Verwaltungsrecht I, S. 616 ff. (640—644); v. Unruh in Der Staat Bd. 4 (1965), S. 442 ff.; Müthling, Die Geschichte der deutschen Selbstverwaltung, passim. 184 RdA 1951, S. 46 ff. ; DB 1951, S. 230; Reliefbild, passim; Müller-Meissinger, Probleme . . . , S. 27 ff.; AuR 1954, S. 66 ff., 1955, S. 2 ff., 200 f. 135 Arbeitskampfrecht, S. 43. 156 Rechtsnatur und Rechtsfolgen der Aussperrung, S. 15 f. 187 Soziale Selbstverwaltung..., in Nipperdey-Festschrift 1965 I I , S. 79 ff. 188 Diss., S. 163. 189 Arbeitsrecht I I , S. 43 ff. 140 „Streikrecht" in HdSW Bd. 10, S. 230. 141 Streik und Verfassung, S. 37 ff. (41—43). 142 Politischer Streik und Verfassung, S. 58/60. 143 I n Der Staat 1965, S. 434. 144 Wedler, Diss., S. 120/121. 181

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1. Teil: Streik nach deutschem Recht

anderen 145 übernommen worden. Er soll einer einheitlichen Terminologie wegen auch hier verwendet werden, weil er plastisch die Handlungsfreiheit der Koalitionen als Ordnungsgewalt i n einem ihnen vom Staat i n freiwilliger Selbstbeschränkung eingeräumten Sektor des W i r t schafts- und Soziallebens dartut 1 4 6 . Einige kritische Bemerkungen zum Begriff sind jedoch an dieser Stelle unerläßlich; zu nahe liegt der Vergleich m i t dem Begriff der kommunalen Selbstverwaltung. Beide Begriffe sind jedoch verschieden. I m Zusammenhang m i t der eigenverantwortlichen Tätigkeit der Gemeinden und Gemeindeverbände beinhaltet „Selbstverwaltung" definitionsgemäß die Unterordnung der Organe unter staatliche Aufsicht 1 4 7 . Sie ist das Korrelat für die öffentlichrechtliche Privilegierung. Herkömmlicherweise werden Selbstverwaltungskörperschaften definiert als 1 4 8 dem Staat eingeordnete engere Verbände, Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts, die unter Staatsaufsicht öffentliche Verwaltung insbesondere i n öffentlichrechtlicher Weise i m eigenen Namen nach eigenem Ermessen führen. I m Bereich der sozialen Selbstverwaltung w i r d eine Staatsaufsicht nicht ausgeübt. Zwar obliegt es dem Staat aufgrund seiner Verpflicht i m g aus der Sozialstaatsklausel 149 , den Umfang des Sektors zu bestimmen, der den Selbstverwaltungsgremien zur Verwaltung anvertraut wird. Aber wegen der Neutralität des Staates i n Streitfragen zwischen den Sozialpartnern kann eine Staatsaufsicht nicht stattfinden 150 . Allein, es besteht keineswegs eine Verpflichtung, d$n Grundsatz der Selbstverwaltung stets m i t den Merkmalen klassischer öffentlichrechtlicher Selbstverwaltung zu behaften. Forsthoff 151 versteht den Grundsatz der Selbstverwaltung als „konstruktives M i t t e l zur Disziplinierung von Sozialbereichen". Rüthers 1 5 2 weist m i t Recht darauf hin, daß sich 145 Z. B. L A G München , Urt. v. 28. 6. 1954 — 391/53 I — Abi. BayrArb Min. 1954 CS 153 = BB 1954, S. 836; Reuss, Die Bedeutung des Sozialstaatsprinzips, S. 14. 146 Näher zur Bedeutung der „Freigabe eines gesellschaftlichen Bereichs durch den Staat" Conrad, Freiheitsrechte und Arbeitsverfassung, S. 79 ff.; Bogs, Zur Entwicklung der Rechtsform des Tarifvertrages, in Festschrift für Julius v. Gierke, S. 39; vgl. auch Peters, öffentliche und staatliche Aufgaben, in Festschrift für Nipperdey 1965, S. 878 ff.; kritisch zum Problem der Delegation staatlicher Befugnisse: Klein, Die Übertragung rechtsetzender Gewalt nach deutschem Verfassungsrecht, in: Die Übertragung rechtsetzender Gewalt im Rechtsstaat, S. 112 f. 147 Merk, a. a. O., S. 615 ff. 148 Merk, a. a. O., S. 618/619; vgl. Klein, a. a. O., S. 110; Schunck, in: Staatsund Kommunal Verwaltung 1965, S. 23 f. 149 Fechner in RdA 1955, S. 163. 150 Bertele, a. a. O., S. 15. im Verwaltungsrecht I, S. 442. 152 Streik und Verfassung, S. 42.

2. Kapitel: Verfassungsgarantie des Streiks

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für den so verstandenen Selbstverwaltungsbegriff i m sozialwirtschaftlichen Bereich eine Rechtfertigung aus seiner geschichtlichen Entwicklung geben läßt: Zwischen Staat und Gesellschaft, die i m liberalen Rechtsstaat als Antinomie aufgefaßt wurden, war die Selbstverwaltung das verbindende Element, durch welches die bürgerliche Gesellschaft unter Aufsicht des Staates zu den Staatsfunktionen herangezogen wurde. Weil sich der Gegensatz Staat—Gesellschaft i m modernen Massenstaat weitgehend abgebaut hat, kann der Staat Verbänden von Staatsbürgern öffentliche Aufgaben zur eigenverantwortlichen Erledigung anvertrauen 1 5 3 , ohne sich ein Aufsichtsrecht vorzubehalten. Welche Stellung nimmt nun der Streik i n der sozialen Selbstverwaltung ein? Träger der sozialen Selbstverwaltung sind die Koalitionen, also Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände 154 . Rüthers 155 , der die Probleme der sozialen Selbstverwaltung gründlich untersucht hat, zeigt, daß die Koalitionen trotz ihrer öffentlichen Funktionen und Mitwirkungsrechte, die sie als „staatlich legitimierte Ordnungsfaktoren des Arbeitslebens" ausweisen, rechtlich bürgerlich-rechtliche Vereine sind 156 . Wegen der öffentlichen Aufgaben nehmen sie jedoch i m Kreis der bürgerlichrechtlichen Vereine eine besondere Stellung ein 1 5 7 . Neben den öffentlichen Aufgaben nehmen sie aber i m großen Umfang die Interessen ihrer M i t glieder wahr. Es entstehen für jede Koalition vier Interessensphären: — I n der einen n i m m t sie m i t dem sozialen Gegenpart soziale Funktionen wahr. Die Sozialpartner werden gemeinsam als gesellschaftliche Ordnungsfaktoren tätig 1 5 8 . — I n der zweiten kämpft sie — zum Teil m i t dem Sozialpartner — u m Vorteile gegenüber dem Staat und der von i h m repräsentierten A l l gemeinheit. 153

Karl, Diss., S. 88 f. Nikisch, Arbeitsrecht I I , S. 47. 155 Rüthers, Streik und Verfassung, S. 37—78; vgl. auch Schnorr, Das A r beitsrecht als Gegenstand internationaler Rechtsetzung, S. 33 ff. 158 So auch Nipperdey, Lehrbuch I I , S. 143; Meissinger, AuR 1954, S. 67; derselbe, AuR 1955, S. 339; Scheuner in DöV 1965, S. 578; Dietz, Die Koalitionsfreiheit, in GR I I I , 1, S. 438; Ossenbühl, N J W 1965, S. 1572, der mit Recht darauf hinweist, daß Tätigkeit im Bereich des öffentlichen nicht immer mit öffentlich-rechtlicher Tätigkeit gleichgesetzt werden kann. Diese Gleichsetzung nimmt fälschlicherweise Scheffler in N J W 1965, S. 851, vor. Vgl. auch Schwaabe, AuR 1954, S. 362; Reuss, GR Bd. 3,1. Halbbd., S. 119 ff. 157 B G H Urt. v. 6. 10. 1964 — V I ZR 176/63 — in BGHZ 42/210 (217), der feststellt, daß die Gewerkschaften wegen ihrer zahlreichen öffentlichen Funktionen über die sonstigen privaten Vereine hinausgehoben worden sind. Noch weitergehend Carlo Schmid in GMH1952, S. 649. 158 Bulla, Nipperdey-Festschrift I I , S. 91 f. 154

1. Teil: Streik nach deutschem Recht

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— I n der dritten versucht sie, gegenüber dem sozialen Gegenspieler Vorteile für Verband und Mitglieder zu erstreiten. — I n der vierten endlich betätigt sie sich wirtschaftlich zum Vorteil von Verband und Mitgliedern. Daß die Wahrnehmung von Aufgaben i n vier Sphären mancherlei Interessenkollisionen heraufbeschwört, die dazu angetan sind, das Gemeinwohl auf Kosten der Gruppeninteressen zu schädigen, ist nicht zu leugnen. Andererseits bietet die Integrierung mächtiger sachverständiger Gruppen i n die staatliche Ordnung nicht zu übersehende Vorteile. Das Volksganze w i r d dadurch vor Zerrissenheit und tiefen Gegensätzen, kurz, vor Klassenhaß und Klassenkampf besser geschützt als durch die Isolierung mächtiger Komponenten des Gemeinwesens. Bei der Untersuchung der verschiedenen Interessensphären der Sozialpartner ergibt sich, daß die erste Sphäre juristisch klar erfaßbar und abgrenzbar ist. Sie umfaßt den Abschluß von Tarifverträgen und die M i t w i r k u n g an staatlicher Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung, soweit sie i n Gesetzen geregelt ist. Nach den §§ 1, 2, 4 T V G setzen die Berufsverbände zwingendes Recht. Das Mitbestimmungsgesetz 159 und das Mitbestimmungsergänzungsgesetz 180 übertragen den Koalitionen i m Bergbau und i n der eisenschaffenden Industrie bei der Unternehmensführung Mitbestimmungsbefugnisse. Schlichtungsrechte enthalten A r t . I, V I I I , X und X I K R G Nr. 35. Mitwirkungsrechte befinden sich auch i n den §§ 2, 20 Abs. 3, 29 Abs. 4, 31, 34, 45, 49 Abs. 1, 50 Betriebsverfassungsgesetz. Nach der AZO regeln die Sozialpartner tarifvertraglich Verlängerungen der Regelarbeitszeit, §§ 7, 9 AZO. Z u den Aufgaben der Koalitionen gehören ferner u. a. l f l l das Antragsrecht zur Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen, § 5 Abs. 1 T V G und die Prozeßvertretungsbefugnis für sich und ihre Mitglieder vor den Arbeitsund Landesarbeitsgerichten, § 11 ArbGG. Die zweite Sphäre entzieht sich genauer juristischer Beurteilung. Sie w i r d i n der Literatur der politischen Wissenschaft 162 als Arbeitsfeld von Interessengruppen — pressure groups — oder als Lobbyismus bezeichnet und bedient sich u. a. der Einflußnahme i n Parlamenten durch die Entsendung den Sozialpartnern zuneigender Abgeordneter, i n der Exekutive durch Vortragen des gruppenbezogenen Standpunktes und 189

Vom 21. M a i 1951, BGBl. I, S. 347. Vom 7. 8.1956, BGBl. I, S. 714. 161 Weitere Beispiele bei Rüthers, Streik und Verfassung, S. 39/40. 162 Ygi s t a t t vieler Ellwein, Das Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland, S. 97 ff. (100,110); Eschenburg, Staat und Gesellschaft in Deutschland, S. 289 f., jeweils mit weiteren Nachweisen. 160

2. Kapitel: Verfassungsgarantie des Streiks

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i n der Öffentlichkeit durch die Beeinflussung von Presseorganen durch interessenbestimmte Artikel, Annoncen u. ä. 183 . I n der dritten Sphäre treten die Koalitionen gegeneinander an, u m für ihre Mitglieder Vorteile zu erkämpfen. Es handelt sich hier u m die überkommenen Aufgaben der Koalitionen. Sie umfassen das Aushandeln und den Abschluß von Tarifverträgen (Gesamtarbeitsverträgen) und den Arbeitskampf in allen Erscheinungsformen: Streik, Aussperrung und Boykott. Durch Führung von Wirtschaftsunternehmen oder die Beteiligung an Fabriken, Banken u. ä. nehmen die Koalitionen aktiv am Wirtschaftsleben teil. Die erwirtschafteten Gelder werden für Zwecke des Verbandes und der Mitglieder verwandt — vierte Sphäre. I n der ersten Sphäre w i r d durch die Sozialpartner Ordnungsgewalt wahrgenommen 164 . Das hat auch das Bundesverfassungsgericht 185 unter Berufimg auf die geschichtliche Entwicklung bestätigt. I m zweiten Sektor w i r d keine Ordnungsgewalt wahrgenommen. Hier werden Maßnahmen ergriffen und M i t t e l angewandt, deren sich jede Einzelperson und jedes Unternehmen bedienen könnten. Für die Rechtmäßigkeit und Nichtrechtmäßigkeit der vorgenommenen Handlungen gelten die allgemeinen Gesetze. Unter die soziale Selbstverwaltung fällt die Tätigkeit von Koalitionen i n der vierten Sphäre nicht. Sie üben i m Wirtschaftsleben insoweit keine Ordnungsgewalt aus, sondern sind wie jedes Unternehmen des i n Rede stehenden Sektors allen staatlichen Normen unterworfen — Zivilrecht, Handelsrecht, Strafrecht usw. Heftig umstritten 1 8 8 ist dagegen, ob die dritte Sphäre, das Ringen m i t dem sozialen Gegenspieler bei Verhandlungen oder i m Arbeitskampf, sozialer Selbstverwaltung unterfällt. Das w i r d i n der Literatur zum Teil abgelehnt 187 . Es ist i n der Tat auf den ersten Blick merkwürdig, daß der moderne Staat, der grundsätzlich jede außerhoheitliche Machtkonzentration bekämpft, der das Selbsthilferecht weitestmöglich einschränkt und einen totalen justizförmigen Rechtsschutz anstrebt, Arbeitskämpfe, d. h. auch gesellschaftliche Machtkämpfe 168 , erlaubt, sich 183

Stammer, Verbände und Gesetzgebung, S. 201 und passim. Brox-Rüthers, Arbeitskampf recht, S. 44; Hueck-Nipperdey I I , S. 37; Beispiele für die herrschende „Delegationstheorie" bei Rüthers, Streik und Verfassung, S. 39/40; Ossenbühl, N J W 1965, S. 1563; Dürig in JZ 1953, S. 195/96; BVerfGE 4/96 (108); BAG, Urt. v. 23. 3.1957 — 1 A Z R 326/5 B A G E 4/240 (251). iss BVerfGE 4/96 (106). 164

166

Vgl. Rüthers, Streik und Verfassung, S. 73 ff. Nikisch, Arbeitsrecht I I , S. 49: „Seltsame Verirrung"; Scheuner, Rechtsgutachten . . . , S. 71. 168 So schon Frey , Strike und Straf recht, S. 36/37. 187

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1. Teil: Streik nach deutschem Recht

i m Bereich der Arbeitskämpfe seines Kontrollrechts i n bestimmtem Umfang begibt und Ordnungsgewalt durch Kampf ausüben läßt 1 6 9 . Allein, mehrere Gründe sprechen entscheidend dafür, daß die Austragung von Gegensätzen zwischen den sozialen Gegenspielern Bestandteil ihrer Ordnungsfunktionen ist, das Arbeitskampfrecht also der sozialen Selbstverwaltung angehört. Der Ausgleich gesellschaftlicher Gegensätze ist an sich Aufgabe des modernen Staates. Durch einen exekutiven Dirigismus ließe sich jene Obliegenheit nur unvollkommen erfüllen. Dirigismus i n der Wirtschaft würde den einzelnen und die gesellschaftlichen Gruppen einem Zwang unterwerfen, der i n der Normalsituation i n einem freiheitlichen Staat unerträglich ist. Hinzu kommt die enge Verflechtung des Rechts auf Arbeitskampf m i t dem Recht auf den Abschluß von Tarifverträgen m i t Normcharakter: Kommt ein Vertragsabschluß nicht zustande, w e i l die zukünftigen Vertragspartner sich nicht einigen können, und besteht kein dirigistisches 170 Schlichtungsrecht, so muß die Austragung der Gegensätze i m Kampf gesucht werden, u m nach dem Ende der Auseinandersetzung einen Vertrag zustande zu bringen. Die Rechtsordnung hat bisher keine wirksame Möglichkeit gefunden, alle zum Streik führenden sozialen Probleme justizmäßig zu schlichten 171 . Daß i n Rechtsprechung und Lehre Streik i m gewissen Umfang als zulässig angesehen w i r d 1 7 2 , kann als Indiz für diese These gelten. Wie das Tarifvertragssystem als ein Kernbereich sozialen Ausgleichs ist auch der Streik als gesellschaftlicher Sachverhalt — Einrichtung 1 7 8 — Bestandteil der sozialen Selbstverwaltung. Ob der Grundsatz der sozialen Selbstverwaltung durch A r t i k e l 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 S. 1 GG — Sozialstaatsprinzip — garantiert ist, ist die i n diesem Zusammenhang jetzt noch offene Frage. M ü l l e r 1 7 4 behauptet, der Gedanke der sozialen Selbstverwaltung sei für den rechtlichen A u f 169 Neumann, Koalitionsfreiheit und RV, S. 89; Reuss, Die Grenzen legaler Arbeitskämpfe in J J I V , S. 163. 170 Bei freiwilliger Schlichtung bestände die Möglichkeit, den Spruch des Schlichtungsgremiums zu ignorieren oder einen Schlichtungsspruch zu verhindern. A. A. Brox-Rüthers, Arbeitskampfrecht, S. 44, die eine freiwillige Schlichtung für wirkungsvoll halten. 171 Kaiser, Politischer Streik, S. 6. Darauf, daß im vollendeten sozialen Rechtsstaat ein Streikrecht nicht mehr erforderlich ist, weist Fechner, RdA 1955, S. 167, hin. Bis zu seiner vollen Verwirklichung sei ein Streikrecht als ultima ratio aus dem Sozialstaatsprinzip herzuleiten. 172 Rüthers, Streik und Verfassung, S. 72. 173 Siehe oben, S. 53 der Untersuchung. 174 Gerhard Müller in Probleme des Koalitionsrechts in der sozialen Selbstverwaltung, S. 17.

2. Kapitel: Verfassungsgarantie des Streiks

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bau der Gesellschaft der entscheidende Ordnungsgedanke und spricht ihm deshalb als Grundsatz materiellen Verfassungsrang zu. A u f die Garantie dieses Grundsatzes i m Verfassungstext geht er nicht ein. Schon aus den Worten des Abgeordneten Carlo Schmid (SPD) am 6. Mai 1949 i m Plenum des Parlamentarischen Rates (Stenographischer Bericht S. 172), daß das Grundgesetz sich auf die klassischen Grundrechte beschränke, dennoch aber ein Gemeinwesen geschaffen werden solle, dessen Wesensgehalt das demokratische und soziale Pathos der republikanischen Tradition bestimme, w i r d erkennbar, daß die Sozialstaatsklausel das Surrogat für das Beiseitelassen sozialwirtschaftlicher Grundsätze und sozialer Lebensregelungen 175 sein sollte. Als solche bildet sie nicht nur die entscheidende Auslegungsregel für das Grundrecht der Koalitionsfreiheit des A r t . 9 Abs. 3 GG, sondern auch seine notwendige Ergänzung hinsichtlich der Tätigkeit der Vereinigungen zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen. Ist dem Staat durch das Grundgesetz die Ordnung des sozialen Bereichs aufgegeben, so kann er diese Aufgabe, wenn er nicht „zum totalitären Planstaat entarten soll" 1 7 6 , nur wahrnehmen, wenn er die gesellschaftlichen Gruppen eigenverantwortlich zur M i t w i r k u n g heranzieht. „Die Schaffung und Erhaltung einer Gesellschaftsordnung auf der Grundlage ausgleichender Gerechtigkeit, die Verwirklichung eines ausgewogenen Verhältnisses aller Bevölkerungsgruppen zueinander, der Schutz des einzelnen i n den vielfältigen Gefährdungen kollektiver Daseinsweise, all das, was als das inhaltliche oder materielle Element der Sozialstaatlichkeit erkannt wurde, läßt sich i n der massengesellschaftlichen Wirklichkeit unserer Zeit nicht m i t hoheitlichen Weisungen und Zwangsmitteln allein erreichen. . . . Von daher ist dem Sozialstaatsgedanken der Selbstverwaltungsgrundsatz notwendig zugeordnet 177 ." Danach garantiert die Sozialstaatsklausel die soziale Selbstverwaltung als Einrichtung . Als bewährter und gesicherter Bestand des staatlichen Lebens wurde sie als Kernbereich der Sozialordnung gewährleistet, nicht i n den Einzelheiten der tatsächlichen und rechtlichen Ausprägimg 1 7 8 , w e i l sonst die soziale Entwicklung gehemmt worden wäre. Das folgt auch daraus, daß ein dialektisches Verhältnis zwischen der Sozialstaatsklausel und dem Verfassungsleben besteht. Bei der Schaffung der Klausel wurden Institute vorgefunden 179 , die der Verwirklichung der sozialen Ordnung i m Staate 175 Vgl. dazu: Tomandl, Der Einbau sozialer Grundrechte in das positive Recht, passim; Daum, Soziale Grundrechte in RdA 1968 S. 81 ff. (85). 176 Rüthers , Streik und Verfassung, S. 64. 177 Rüthers , a. a. O., S. 65; vgl. auch bezüglich mehrerer Landesverfassungen Boos, Diss., S. 112. 178 Hueck-Nipperdey, Lehrbuch I I , S. 37; Rüthers, a. a. O., S. 67. 179 Stauder in ZStW Bd. 123 (1967) S. 163 ff.

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1. Teil: Streik nach deutschem Recht

dienten und weiter dienen sollten, z. B. Koalitionsfreiheit, Tarifvertragssystem usw. Dazu gehört auch „das überlieferte System der sozialen Sicherheit i n seiner Grundstruktur 1 8 0 ." Weil i m sozialen Bereich staatlicher Dirigismus vermieden werden soll und der Staat keine Möglichkeit hat, alle zum Streik führenden sozialen Probleme wirksam justizmäßig zu schlichten, überläßt der Staat diesen Bereich den Sozialpartnern zur Regelung und verhält sich insoweit neutral. Der Kampf der sozialen Gegenspieler, durch den diese sozialen Gegensätze ausgetragen werden, also der Arbeitskampf, ist deshalb Bestandteil der sozialen Selbstverwaltung und als Bestandteil der sozialen Selbstverwaltung als Einrichtung verfassungsrechtlich garantiert 1 8 1 . Dieses Ergebnis vermeidet ein Auseinanderfallen von Verfassungstext und Verfassungswirklichkeit, eine Abweichimg die den Verfassungstext diskreditieren würde. Es w i r d weder das „Sein" dem „Sollen", noch das „Sollen" dem „Sein" geopfert 182 . Damit ist vermieden worden, daß die „innere Zuordnung der Verfassungsnorm auf die gesellschaftlichen Realitäten verloren geht" 1 8 3 , die Norm von einer bestimmenden Größe des Verfassungslebens zu einer Fiktion herabgewürdigt wird. Zwischen der „statischen Natur des Verfassungsrechts" und der „Dynamik des Verfassungslebens" 184 w i r d kein unnötiger Graben ausgehoben. Das ist nicht unbestritten. Die Gegenansicht zerfällt i n zwei Gruppen. Eine Meinung hält die jederzeitige und beliebige Beschränkung oder Aufhebung des Streiks für zulässig 185 ; die andere erachtet ein generel180 Rohwer-Kahlmann, Zur Rechtsnatur der Rentenversicherung der A r beiter, in Festschrift für Lenz, S. 363, 366; Werner Weber in Der Staat 1965, S. 416; Rüthers, Streik und Verfassung, S. 67; vgl. auch Bobrowski-Gaul, Das Arbeitsrecht im Betrieb, S. 487 und 502. 181 So im Ergebnis auch: Daum in RdA 1968, S. 81 ff. (85), der im Streik als soziales Grundrecht eine spezielle „Ausprägung" des Sozialstaatsprinzips sieht. 182 Zihlmann, Diss., S. 17; Dommack, Das Streikrecht..., S. 55 ff., verwendet in diesem Zusammenhang die Begriffe „Verfassung im materiellen Sinne" und „Verfassung im formellen Sinne". Der weitergehenden Auslegung von Zihlmann, Diss., S. 39, in der er zugesteht, daß Realien zwingen könnten, die Verfassung zu verlassen, weil die Wirklichkeit selber den für die Verfassung erträglichen Spielraum verlassen habe, kann nicht zugestimmt werden. Das ist eine Bankrotterklärung geschriebener Verfassungen. Es ist in einem Rechtsstaat nicht zulässig, von einem Dualismus von Verfassungstext und Verfassungswirklichkeit auszugehen, wie Zihlmann, Diss., S. 62—67, es tut. Die Verfassung ist die Rechtsordnung für das Leben im Staat. Zur Auseinandersetzung mit der „Reinen Rechtslehre" Kelsens vgl. Zihlmann, Diss., S. 40—62. 183 Rüthers, Streik und Verfassung, S. 38. 184 Ossenbühl, Probleme und Wege der Verfassungsauslegung in DöV 1965, S. 650. 185 v. Mangoldt-Klein, Art. 9 GG, Anm. V I I 2; Neumann-Duesberg, JR 1954, S. 443; Osswald, Streik und Straf recht, S. 27; Giese-Schunck, Komm., Art. 9 I I 2; Wernicke in BK, Art. 9 I I 3.

2. Kapitel: Verfassungsgarantie des Streiks

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les Arbeitskampfverbot für unzulässig 186 . Die zweite Ansicht ist nicht folgerichtig; wenn sie nämlich aus den oben näher erörterten Verfassungsartikeln kein Streikrecht ableiten zu können meint, bestände konsequenterweise nämlich kein verfassungsrechtlich garantiertes Streikrecht oder kein m i t Verfassungsrang garantierter Kernbereich des Streiks. Der Gesetzgeber könnte durch Bundesgesetz den Streik ganz oder teilweise verbieten. Daß die erste Meinung unzutreffend ist, ist oben (S. 73 ff. der Untersuchung) nachgewiesen worden. cc) Ergebnis Die A r t i k e l 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 S. 1 GG — Sozialstaatsklausel — enthalten i m Rahmen der Einrichtungsgarantie der sozialen Selbstverwaltung die Einrichtungsgarantie des Streiks. Durch die Beschränkung der Gewährleistung des Streiks auf eine Einrichtungsgarantie bleibt nach dem Grundgesetz die Ausgestaltung des Instituts dem Gesetzgeber überlassen 187 . Aufhebung und Aushöhlung der Streikgarantie sind dem Gesetzgeber jedoch durch die Einrichtungsgarantie der Verfassung untersagt. Maßstab für den Umfang hoheitlicher Beschränkung des Streiks ist die Wesensgehaltsgarantie des A r t . 19 Abs. 2 GG. Sie ist auf Einrichtungsgarantien entsprechend anwendbar 188 . 4. Streikgarantie durch Art 9 Abs. 3 i. V. mit Art 20 Abs. 1,28 Abs. ISA GG? Ist oben (S. 68 ff. der Untersuchung) dargetan worden, daß die verfassungsrechtliche Streikgarantie aus A r t . 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 S. 1 GG abzuleiten ist, so bedeutet das gleichzeitig, daß die Streikgarantie nicht i n einer Kombination von Koalitionsfreiheitsgarantie und Sozialstaatsklausel zu suchen ist. Die Bezugnahme auf beide Regelungen zugleich ist geeignet, die Betrachtung zu verwirren 1 8 9 . Die Bedenken gegen eine A b leitung der Streikgarantie aus A r t . 9 Abs. 3 GG — Koalitionsfreiheit — werden durch die Kombination verdeckt. 18« Nikisch, Arbeitsrecht I I , S. 706; Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht I I , S. 414; Tillmann, Politischer Streik und Verfassung, S. 47; Dietz in WeberScheuner-Dietz, Koalitionsfreiheit — Rechtsguthaben, S. 107. 187 Wie hier Brox-Rüthers, Arbeitskampf recht, S. 43; ein mit Verfassungsrang garantiertes Streikrecht bejahen u. a. Rüthers, Streik und Verfassimg, S. 76, 78; Hueck-Nipperdey I I , S. 112 f. (in Widerspruch zu S. 101); Wedler, Diss., S. 121 ff.; zu den staatlichen Eingriffsmöglichkeiten; Dommade, Das Streikrecht, S. 113—135. 188 v. Mangoldt-Klein, Art. 19, V 2 d; Brox-Rüthers, a. a. O., S. 46. 189 Es erscheint zudem sehr zweifelhaft, daß sich aus dem Normzusammenhang zwischen zwei Verfassungsregelungen eine institutionelle Garantie ergeben kann. (So aber Rüthers, Streik und Verfassung, S. 73 und Schnorr in 6 Lohse

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1. Teil: Streik nach deutschem Recht

Es erscheint auch nicht logisch, aus einer Kombination von Vorschriften eine Garantie abzuleiten, wenn sie i n keiner der herangezogenen Einzelregelungen enthalten ist. 5. Umfang der grundgesetzlichen

Streikgarantie

a) Garantie arbeitsrechtlicher Streiks Das Streikrecht ist i m Rahmen der sozialen Selbstverwaltung garantiert. Die soziale Selbstverwaltung verdankt i h r Entstehen der Selbstbeschränkung des Staates i m sozialwirtschaftlichen Bereich. Nur dort, nicht i m politischen Bereich, hat der Staat den Koalitionen Ordnungsfunktionen zugewiesen. Sie sollen für die Gestaltung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Belange einer Vielzahl von Staatsbürgern verantwortlich sein. U m deren Einzelheiten sollen sie notfalls kämpfen dürfen. Daraus folgt bereits, daß sich die verfassungsrechtliche Streikgarantie nur auf diesen sozialen und arbeitsrechtlichen Sektor erstreckt. Dies Ergebnis w i r d durch folgende Überlegung bestätigt: Soll die verfassungsrechtliche Streikgarantie i n der Sozialstaatsklausel die Koalitionsfreiheit des A r t . 9 Abs. 3 GG sinnvoll ergänzen, so muß sie sich i n deren Rahmen halten. A r t . 9 Abs. 3 G G gewährleistet das Recht, „zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen" Vereinigungen zu bilden. N u r zur Erkämpfung besserer oder zur Erhaltung der bestehenden Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen gewährleistet die Verfassung den Streik. Das war auch die Ansicht der Mehrheit i m Parlamentarischen Rat 1 9 0 . b) Garantie politischer Streiks? Das Gegenstück zum arbeitsrechtlichen Streik ist der politische Streik 1 9 1 , der an den Staat adressiert ist oder eine objektive Gefährdung lebenswichtiger Interessen der Gesamtheit enthält. Schon i m Parlamentarischen Rat war man der Ansicht, daß Streiks als politische Aktionen nicht durch die künftige Verfassung geschützt werden sollten 192 . Die diesbezüglichen Äußerungen während der RdA 1955, S. 5). Ein Zusammenhang wird in der Regel zur Erläuterung einer Einzelnorm dienen, nicht aber zur Begründung eines Instituts. So: BVerfGE 4/96 ff. (102) für das Verhältnis von Art. 20 Abs. 1 zu Art. 9 Abs. 3 GG. 190 Vgl. S. 55 der Untersuchung. 191 Beispiele von politischen und arbeitsrechtlichen Streiks mit soziologischen Analysen bei Gubbels, La grève phénomène de civilisation, S. 9—91. 192 Brox-Rüthers, Arbeitskampfrecht, S. 45 mit weiteren Nachweisen. Vgl. auch S. 55 der Untersuchung.

2. Kapitel: Verfassungsgarantie des Streiks

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Debatten und i m Plenum gaben die auch i n der Zeit der Weimarer Repub l i k i n Rechtsprechimg und Literatur herrschende Meinung wieder. Koalitionen haben kein Recht, gegen den Staat zu kämpfen, diesen also zum Adressaten von Streiks und Aussperrungen zu machen 198 . Wo Gruppeninteressen gegen das Wohl des Ganzen verstoßen, haben sie zurückzutreten 194 . M i t der Wahrnehmung einer Ordnungsfunktion i n einem gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ganzen ist es unvereinbar, zu versuchen, Gruppeninteressen gegen Gesamtinteressen durchzusetzen und die i n der Verfassung vorgesehene Herrschaftsausübung anzugreifen 195 . Der Ordnungsfaktor darf die Ordnung nicht stören. Beim Kampf von Partikularinteressen gegen das Volksganze ist der vom Staat gezogene Rahmen sozialer Selbstverwaltung gesprengt. Der Staat ist berechtigt, die Koalitionen zu zügeln. Der Grundsatz der sozialen Selbstverwaltung „setzt, wenn er nicht i n das Chaos gruppenegoistischer Maßlosigkeit führen soll, bei den »Sozialpartnern 4 die Einsicht voraus, daß jedes Gruppeninteresse eines Berufsverbandes letzten Endes sinnvoll nur i n Korrespondenz m i t dem Gemeinwohl der Gesamtgesellschaft und nicht i m Gegensatz dazu verwirklicht werden kann 1 9 6 ." Die äußerste Grenze sozialer Selbstverwaltung liegt i n der staatlichen Rechtsordnung 1 9 7 , die den Kampf gegen den Staat verbietet. Ein Streik gegen den Staat würde gegen Grundsätze des Grundgesetzes — und anderer Gesetze 198 , die Bestandteile der Rechtsordnung sind — verstoßen: — Die Volkssöuveränität, A r t . 20 Abs. 2 GG, würde durch die Souveränität pluralistischer Elemente ersetzt; — die demokratische Staatsordnung, A r t . 20 Abs. 1 GG, würde durch Gruppenegoismus und Verbandseinflüsse zersetzt; — der Gleichheitssatz des A r t . 3 Abs. 1 GG, der jedem Bürger gleiche Chancen bei der Wahrnehmung seiner Interessen gegenüber dem Staat zusichert, wäre durch ein Privilegiensystem entwertet; — die Entschlußfreiheit der Abgeordneten, die nur ihrem Gewissen unterworfen und an Aufträge und Weisungen nicht gebunden sind, A r t . 38 Abs. 1 S. 2 GG, würde aufgehoben; 193 Carlo Schmid verweist mit Recht darauf, daß soziale Autonomie nur innerhalb des Ordre public des Gesamtgemeinwesens möglich ist — G M H 1951, S. 117. 194 Dort sind die Allgemeininteressen „werthafter", Schnorr v. Carolsfeld, Arbeitsrecht, S. 322; unter ausdrücklicher Bezugnahme auf den Verfassungsgrundsatz der Sozialstaatlichkeit Bulla in Festschrift für Nipperdey 1965, I I , S. 95 ff. und S. 89. 195 Galperin, Nipperdey-Festschrift I I , S. 198; Müller , RdA 1951, S. 247 ff. 196 Rüthers , Streik und Verfassung, S. 53. 197 Vgl. Galperin , AuR 1965, S. 3 und Helfritz , Streik und öffentliche Ordnung in Jellinek-Gedächtnisschrift, S. 551. 198 vgl. Brox-Rüthers, Arbeitskampfrecht, S. 45.

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1. Teil: Streik nach deutschem Recht

84

— unabhängige, nur dem Gesetz unterworfene Richter, Art. 97 Abs. 1 GG, würden unter einen Gruppenwillen gezwungen. Einen solchen Arbeitskampf kann die Verfassung nicht zulassen. Dieser „verfassungsdurchbrechende" 199 Streik w i r d daher von der h. M. 2 0 0 m i t Recht abgelehnt. Es soll noch kurz auf einige Argumente der Mindermeinung eingegangen werden, die den politischen Streik für zulässig erachtet. Bauer 2 0 1 hält einen Streik gegen den Staat dann für rechtmäßig, wenn er zur Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen geführt wird. Er stützt sich dabei auf A r t . 9 Abs. 3 GG. Selbst wenn man aber, wie Bauer es anscheinend befürwortet, ein Streikrecht aus A r t . 9 Abs. 3 GG ableiten könnte, wäre ein solcher Streik rechtswidrig. Die Staatswillensbildung, die das Grundgesetz bestimmten Staatsorganen vorbehält, würde bei einem solchen Ausstand von den Streikenden beeinflußt. Weil der politische Streik ein Kampfmittel sei, das i n der Vergangenheit eines der wichtigsten und wirksamsten M i t t e l i m Ringen u m die Lebensinteressen der Arbeitnehmer, ihre demokratischen Rechte und die jeweils fälligen oder überfälligen ökonomischen Reformen war, ist er nach Richard Schmid 202 erlaubt. Schmid verkennt dabei, daß i n einem freiheitlich sozialen Rechtsstaat von den gesellschaftlichen Gruppen zu sozialen und wirtschaftlichen Reformen nur Anregungen gegeben werden dürfen, die Entscheidung über solche Maßnahmen muß den von der Verfassimg dafür vorgesehenen Organen vorbehalten bleiben. Wenn Schmid weiter meint, der arbeitsrechtliche Streik lasse sich vom politischen nicht unterscheiden, so ist das bereits 2 0 8 widerlegt worden. Wenn angeführt w i r d 2 0 4 , die Arbeitgeber hätten i n der Bundesrepub l i k wegen ihrer wirtschaftlichen Machtstellung bessere Einwirkungs199

Brox-Rüthers, Arbeitskampfrecht, S. 57. Arras, N J W 1953, S. 242 f.; Bobrowski-Gaul, Das Arbeitsrecht im Betrieb, S. 490; Brox-Rüthers, Arbeitskampfrecht, S. 58; Hessel, Das Bundesarbeitsgericht zum Arbeitskampf, S. 34 f.; derselbe in BB 1951, S. 87; Hohenester, Diss., S. 55 ff.; Hueck, Gutachten, S. 40; Kaiser, Politischer Streik, S. 33; Laufenberg, Der politische Streik, S. 239; v. Mangoldt-Klein, Art. 9 GG, A n m . V I I 2; Niese, Streik und Strafrecht, S. 110; Osswald, Der S t r e i k . . . , S. 19 ff.; Forsthoff, Gutachten, S. 23ff.; Reding, Über Arbeitskampf und Arbeitsfrieden, S. 63/64; Reuss in AuR 1965, S. 98 und 102; derselbe in RdA 1965, S. 133 — Streik nur im Rahmen der Tarifhoheit; Rüthers, Streik und Verfassung, S. 117; Tomandl, S t r e i k . . . , S. 17; L A G Frankfurt Urt. v. 18. 9.1950 — I L A 344/49 — in RdA 1950, S. 428; Urt. v. 20. 2.1953 — I V L A 360/52 — in RdA 1953, S. 196 f.; a. A. L A G Freiburg, Urt. v. 13.4.1953 Sal 31/52 — in N J W 1953, S. 1279; Borucki in ArbuR 1962, S. 230/231. 201 Bauer in JZ 1953, S. 649. 202 Schmid, R., G M H 1954, S. 1 ff.; Friedeberg, Parlamentarismus . . . , S. 30. 203 Vgl. S. 38 f. der Untersuchung. 204 Abendroth in G M H 1951, S. 60; Schmid, R., Streik und Aussperrung, S. 5. 200

2. Kapitel: Verfassungsgarantie des Streiks

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möglichkeiten auf die staatliche Willensbildung als die Gewerkschaften, indem sie politische Parteien finanzierten oder die Presse durch Geldzuwendungen, Anzeigen und ähnliches beeinflußten, und diese Einflußmöglichkeiten könnten nur durch Streik gegen den Staat ausgeglichen werden, so ist dieses Argument juristisch und praktisch unzutreffend. Zunächst könnte eine verfassungswidrige Einflußnahme — Beeinflussung der Staatsorgane durch wirtschaftliche und finanzielle Macht — eine andere nicht legalisieren. Außerdem sind auch die Gewerkschaften erwerbswirtschaftlich i n erheblichem Umfang tätig 8 0 5 . Durch ihnen nahestehende Zeitungen und Zeitschriften nehmen sie politisch Einfluß. I n mehreren politischen Parteien gibt es ihnen nahestehende Abgeordnete oder Minister. I n diesen Argumenten gegen die h. M. lebt auffallend viel „altes klassenkämpferisches Gedankengut" 206 . Auch der umgeschlagene arbeitsrechtliche Streik ist verfassungswidrig. Es ist unzulässig, unter Inkaufnahme der Schädigung der Allgemeinheit selbst u. U. berechtigte wirtschaftliche Ziele zu verfolgen, vor allem, wenn der angerichtete Schaden i n keinem Verhältnis zum erstrebten Erfolg steht. I n diesen Fällen verbietet es der Grundsatz des Sozialstaates, die Interessen auf dem Rücken Dritter auszutragen 207 . Der politische Demonstrationsstreik ist rechtlich anders zu werten als der politische Kampfstreik. Demonstrationen gegen den Staat und seine Organe i n Form von Streiks sind als Meinungsäußerungen anzusehen und als solche durch A r t i k e l 5 Abs. 1 S. 1 GG verfassungsrechtlich geschützt. Zwar nennt A r t . 5 GG als Formen der Meinungsäußerung nur „Wort, Schrift und B i l d " und ist insofern enger gefaßt als A r t . 118 Abs. 1 der Weimarer Reichsverfassung, der die Meinungsäußerung auch „ i n sonstiger Weise" garantierte; aber es ist m i t der h. M . 2 0 8 davon auszugehen, daß diese Aufzählung nur beispielhaft ist und daß Demonstrationen auch als Form der Meinungsäußerung gelten. Zulässig ist ferner der politische Streik als M i t t e l der Ausübung des Widerstandsrechts, wie das Beispiel des Kapp-Putsches vom März 1920 zeigt 209 . 205 unvollständige Zusammenstellung bei Hueck-Nipperdey I I , S. 42 f. Rüthers , Streik und Verfassung, S. 121. 207 Dommack, Das Streikrecht ..., S. 49. 208 v. Mangoldt-Klein, Art. 5, Anm. I I I 3; Wernicke in BK, Art. 5, Anm. I I 1 b; Giese-Schunck, Art. 5, Anm. I I 2. 209 Zu diesem bedeutsamen Rechtfertigungsgrund: Vgl. Art. 20 Abs. 4 G G und BVerfG. Urt. v. 17.8.1956 — 1 BvB 2/51 — KPD-Urteil — BVerfGE 5/85; Bertram , Widerstand und Revolution, passim; J. v. Gierke, Widerstandsrecht und Obrigkeit, S. 23; Küchenhoff, Allg. Staatslehre, S. 234; Hinkel, G M H 1951, S. 238; Kaiser, Politischer Streik, S. 50 ff.; Schneider, R., Das Widerstandsrecht 208

3. Kapitel

Ergebnis Ein Streik recht besteht i n Deutschland nach A r t . 6 der Europäischen Sozialcharta auf Gesetzesebene. Nach dem Grundgesetz ist arbeitsrechtlicher Streik als Bestandteil der sozialen Selbstverwaltung durch eine Einrichtungsgarantie i m Rahmen der Sozialstaatsklausel — A r t . 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 S. 1 GG — m i t Verfassungsrang gewährleistet. I n A r t . 9 Abs. 3 S. 3 GG w i r d das Recht auf Arbeitskampf (Streik und Aussperrung) i n negativer Formulierung bestätigt.

. . . passim; Seeler , Der Arbeitskampf ..., S. 21; Sternberger, G M H 1952, S. 477; Rüthers , Streik u. Verfassung, S. 94 ff. Tillmann , Politischer Streik und Verfassung, S. 67; Alfred Weber in G M H 1952, S. 481; Weinkauff , Über das Widerstandsrecht, passim; derselbe in Staatslexikon V I I I , Sp. 677; Dokumente bei Grote, Der Streik, S. 46 ff. Zum Kapp-Putsch vgl. Dolleans, Histoire .. . Bd. 3, S. 62; Hirsch-Weber, Gewerkschaften in der Politik, S. 26—28.

2. T e i l

Staatsnotstand nach deutschem Recht 1. Kapitel

Wesen und Erscheinungsformen M i t Recht hat Hesse1 darauf hingewiesen, daß der Staatsnotstand nicht als eine Anomalie außerhalb staatsrechtlicher Betrachtung bleiben kann. Die Theorie vom „Ende des Rechts i m Staatsnotstand" kommt einer „ U n lösbarkeitstheorie" formalistisch-positivistischer Prägung gleich. Die These, daß i m Staatsnotstand das Staatsrecht „aufhöre" und die auftretenden Fragen sich nur politisch lösen ließen, beruht auf einem isolierten Denken von der Normalsituation her. Die entgegengesetzte Auffassung, nach der i m Notstand das Wesen von Staat und Recht am deutlichsten i n Erscheinung trete, w e i l hier die Gelegenheit zu souveränen, von allen normativen Bindungen befreiten Entscheidungen sei, durch die rechtliche Ordnung erst ermöglicht werde, (Carl Schmitt) 8 , ist ebenso falsch. Sie geht von dem zwangsläufigen Vorrang des Existentiellen über das Normative aus und drängt damit das Staatsrecht „ i n die positivistische Ecke zurück". Dieses Denken konstruiert einen Gegensatz zwischen Wirklichkeit und Norm wie der dem ehemaligen Reichspräsidenten Friedrich Ebert zugeschriebene Satz: „Wenn w i r wählen müssen zwischen Deutschland und der Verfassung, werden w i r nicht Deutschland zugrundegehen lassen wegen der Verfassung." Damit w i r d aber das Wesen der Verfassungsurkunde, die Ausdruck der „Verfassung", also der Lage, des Standes, eines Volkes sein soll, verkannt. Beide Theorien kommen zu dem gleichen abzulehnenden Ergebnis, daß das Recht i m Staatsnotstand aufzuhören habe. Zwar ist es i n der Tat nicht möglich, jede konkrete Notstandssituation positivrechtlich zu erfassen8. Das kann aber nicht hindern, vorhersehbare Notstandsfälle zu re1 1 8

Hesse, Staatsnotstand und Staatsnotrecht in Staatslexikon V I I , Spalte 608. Hesse, a. a. O., Sp. 608. Vgl. Hesse, a. a. O.

2. Teil: Staatsnotstad nach deutschem Recht

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geln, um eine „Globallegitimation für Rechtsbrüche" zu verhindern. Gerade i m Notstand hat sich eine Verfassung zu bewähren. Die Staatsrechtslehre hat daher ihre Aufmerksamkeit i n gleicher Weise auf Normalsituationen und vorhersehbare Ausnahmelagen zu richten, u m den rechtsfreien Raum möglichst zu verkleinern. Das haben die Reichsverfassungen von 1849, 1871 und 1919 m i t verschieden großem Erfolg getan, und das versuchten auch die Schöpfer des Grundgesetzes. I n welchem Umfang das Grundgesetz Notstandsregelungen trifft und welche Ergänzungen noch erforderlich sein könnten, w i r d i m folgenden noch zu untersuchen sein. Dabei muß man i m Auge behalten: I n einer Notlage sind außerordentliche Maßnahmen zur Gefahrenabwehr erforderlich. Sie müssen das Ziel haben, die verfassungsmäßige Ordnung baldmöglichst wiederherzustellen. Dieser Zielsetzung verdanken sie ihre Legitimation. „ A n die Stelle der für die Normallage erforderlichen Verfassungsmäßigkeit des staatlichen Akts t r i t t die Verfassungsmäßigkeit seiner Zielsetzung 4 ." A . Staatsnotstand — Begriff I. Notstand des Staates — Notstand im Staat

Staatsnotstand ist begrifflich ein aus dem Lehnwort „Staat", dem aus dem Althochdeutschen stammenden Hauptwort „Not" und dem Verbalsubstantiv „stand", das aus dem Mittelhochdeutschen stammt, zusammengesetzt. Selbst i n umfangreichen etymologischen Wörterbüchern neueren Datums findet man eine Erklärung des Gesamtbegriffs nicht. Für eine sprachliche Auslegung ist daher von den Einzelbegriffen auszugehen. „Staat", vom Mittellateinischen „status" 5 , w i r d heute als „Gemeinwesen" i n der Hauptbedeutung dem klassisch lateinischen Begriff „res publica" gleichgestellt. „Not"* findet sich i n der gegenwärtigen Bedeutung von „Mühe, Drangsal, Kampf". Der ursprüngliche Sinn „Zwang" hat sich abgeschwächt. Allgemein bezeichnet Not daher auch einen schweren Druck, der niederhält und beengt. „Stand" schließlich bezeichnet i n wörtlicher oder figürlicher Bedeutung Handlung, Ort oder A r t des Stehens7. 4

Hesse, a. a. O., Sp. 608, und in DöV 1955, S. 742. Nachweisbar i m Deutschen zuerst 1414 in Braunschweig, vgl. KlugeMitzka, Etym. Wörterbuch, S. 735; „res publica" korrespondierend zuerst 1677 verwandt. • Althd. „not", Wasserzieher, „Woher"?, S.318; Götze, Dt. Wörterbuch I V , S. 816. 7 Mittelhd. „stant", Götze-Mitzka, Trübners Deutsches Wörterbuch, V I , S. 523. 5

1. Kapitel: Wesen und Erscheinungsformen

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Zusammengenommen ergibt sich die sprachliche Sinnerklärung des Wortes „Staatsnotstand": Stehen des Gemeinwesens unter schwerem , beengendem Druck . M i t dieser Erklärung ist schon deutlich geworden, daß es sich beim Staatsnotstand u m eine Notlage des gesamten Gemeinwesens handeln muß, also u m einen Notstand des Staates, nicht um einen Notstand im Staat. M i t Hilfe dieses Ergebnisses muß nun versucht werden, rechtlich geregelte Notstandsfälle auf ihre Bedeutung für unser Thema zu prüfen. I I . Abgrenzung zu anderen rechtlich erheblichen Notstandsfällen

1. Notstand nach bürgerlichem Recht I n den §§ 228, 904 BGB werden der zivilrechtliche Angriffsnotstand und der Verteidigungsnotstand geregelt. I n beiden Fällen läßt das Gesetz notstandsbedingte Eingriffe gegen Sachen — nach h. M. 8 also auch gegen Tiere — zu. Die Notstandshandlungen i m Rahmen der §§ 228, 904 BGB sind weder i m Zivilrecht noch i m Straf recht rechtswidrig 9 . Voraussetzungen für § 228 BGB sind: Notstandslage 10 , Notstandshandlung 1 1 und Verhältnismäßigkeit zwischen Gefahr und Schaden 12 . Die Notstandslage besteht bei drohender Gefahr, d. h. nahem E i n t r i t t eines schädigenden Erfolges. Die drohende Gefahr muß von einer fremden Sache ausgehen. Die Notstandshandlung besteht i n der Beschädigimg oder Zerstörung der fremden Sache. Die Handlung muß objektiv erforderlich sein. Verteidigungswille (Gefahrabwehrwille) hat vorzuliegen. Die drohende Gefahr darf nicht unverhältnismäßig geringer sein als der durch die Abwehr entstandene Schaden. Bei schuldhafter Herbeiführung der Gefahr durch den Handelnden ist dieser schadensersatzpflichtig. Bei nur vermeintlichem Notstand — Putativnotstand — ist die Widerrechtlichkeit nicht ausgeschlossen13. Für den Eingriff i n das Eigentum eines anderen nach § 904 BGB w i r d vorausgesetzt, daß bei einer gegenwärtigen Gefahr nach objektiven Maßstäben der Zugriff auf eine unbeteiligte Sache zur Abwehr eines unverhältnismäßig großen Schadens notwendig ist. Ein gefahrbringendes 8 9 19 11 11 18

Soergel-Siebert, BGB, § 227, Rdnr. 3 mit weit. Nachweisen. Staudinger-Going, BGB, § 228, Rdnr. 7. Soergel-Siebert, § 228, Rdnr. 7—12. Soergel-Siebert, § 228, Rdnr. 13—16. Staudinger-Coing, § 228, Rdnr. 11. Staudinger-Coing, §228, Rdnr. 13; §227, Rdnr. 14.

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2. Teil: Staatsnotstad nach deutschem Recht

Ereignis" muß also eine sofortige Abhilfe dadurch notwendig 1 5 machen, daß objektiv ein unverhältnismäßig großer Schaden durch einen Eingriff auf eine fremde Sache, von der keine Gefahr droht, verhindert w i r d oder verhindert werden soll. Daß die Einwirkung zum Erfolg führt, w i r d nicht gefordert. I n jener Lage ist die Einwirkung rechtmäßig, verpflichtet aber zum Schadensersatz, weil auf eine fremde unbeteiligte Sache zurückgegriffen werden mußte1®. I m Gegensatz zum Staatsnotstand betrifft der zivilrechtliche Notstand nur eine gefährdete Person oder eine Personenmehrheit, i n keinem Fall das Staatsganze. Zur Abwehr der Gefahr w i r d auf eine gefährdende oder rettende Sache zurückgegriffen. Die Handlung richtet sich nicht gegen Menschen. Durch die Gewährung von Schadenersatzansprüchen w i r d versucht, die Schädigung auszugleichen. Zwischen dem zivilrechtlichen Notstand und dem staatsrechtlichen Notstand besteht also sowohl ein quantitativer als auch ein qualitativer Unterschied. 2. Notstand nach dem Straf recht Der i n den §§ 54 und 52 StGB geregelte strafrechtliche Notstand erfaßt die Anwendungsfälle der Unzumutbarkeit rechtmäßigen Verhaltens 17 . Der strafrechtliche Notstand hat zur Voraussetzimg, daß Leib oder Leben des Täters oder eines Angehörigen, § 52 Abs. 2 StGB, schuldlos i n Gefahr geraten sind und der Täter sie nur unter Verletzung strafrechtlich geschützter fremder Interessen retten kann 1 8 , ohne daß seine Handlung durch das allgemeine Rechtsprinzip des angemessenen Mittels zum anerkannten Zweck gerechtfertigt werden könnte 19 . Die Notstandslage des § 54 StGB entsteht bei Gefährdung von Leib oder Leben des Täters oder eines nahen Angehörigenkreises. Sie muß gegenwärtig 20 und unverschuldet 21 sein. Die Notstandshandlung darf auch i n einer Notstandslage nur als letzter Ausweg vorgenommen werden 22 . Objektiv muß die am wenigsten 14 Die Gefahr braucht mit Sicherheit nicht zu erwarten zu sein, es genügt ein hoher Grad von Wahrscheinlichkeit, Soergel-Siebert, Baur, § 904, Rdnr. 5. 15 RGRK BGB I I I , 1, § 904, Anm. 6. 16 Staudinger-Seufert, § 904, Rdnr. 22—32. 17 Zur Problematik der künftigen Regelung des Notstands im Straf recht: Lenckner, Der rechtfertigende Notstand, passim. 18 Zur Gefahr vgl. L K , § 54 StGB (Jagusch), Anm. 3. 19 Welzel, Das Deutsche Strafrecht, S. 160. 20 Gegenwärtig ist die Gefahr, wenn nach menschlicher Erfahrung bei natürlicher Weiterentwicklung der gegebenen Sachlage der Eintritt einer Schädigung sicher oder wahrscheinlich ist, wenn nicht alsbald eine Abwehrmaßnahme ergriffen wird. Schönke-Schröder, § 54, Rdnr. 5 (§ 52, Rdnr. 10). 21 Welzel, a. a. O., S. 161; L K , § 54 (Jagusch), Anm. 4; Schönke-Schröder, § 54, Rdnr. 8. 22 Baumann, Strafrecht, Allg. Teil, S. 414.

1. Kapitel: Wesen und Erscheinungsformen

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einschneidende Verletzung gewählt werden, subjektiv muß der Täter Rettungswillen haben. Täter der Notstandshandlung ist der Gefährdete selbst. Unter diesen Voraussetzungen ist die Notstandsaktion rechtswidrig, w i r d aber wegen Unzumutbarkeit anderen Verhaltens entschuldigt 23 . I m Gegensatz dazu ist Nötigungsnotstand 24 des § 52 StGB lex specialis 25 für die Notstandslage, die von einem Menschen durch Nötigung geschaffen wurde. Die Nötigung kann durch vis compulsiva 28 ebenso erfolgen wie durch Drohung. Auch i m Nötigungsnotstand ist die abgenötigte Straftat rechtswidrig, die Handlung des Täters w i r d jedoch entschuldigt. I n der strafrechtlichen Literatur 2 7 w i r d für das Phänomen, daß der „Staat i n seinem Bestand bedroht ist" 2 8 oder eine allgemein bestehende Notlage wirtschaftlicher A r t 2 9 gegeben ist, der Begriff Staatsnotstand verwendet. Dieser stellt das Pendant von Staatsnotwehr und Staatsnothilfe für den Fall dar, daß es an einem rechtswidrigen Angriff auf ein Rechtsgut des Staates fehlt 8 0 . Diese Staatsnotstandsdefinition betrifft den Staatsnotstand als Unterfall des strafrechtlichen Notstandes. Sie ist für unsere Untersuchung nicht genau genug. Vom Fall der „Staatsbedrohung" abgesehen, liegt beim strafrechtlichen Notstand i m Gegensatz zum Staatsnotstand eine Gefahr nur für den Täter oder einen i m Gesetz näher bezeichneten Angehörigen vor. Es werden nur Einzelpersonen gefährdet. 3. Notstand nach dem Polizei - und Ordnungsrecht I m Polizei- und Ordnungsrecht gibt es Fälle, i n denen zwar eine Störung, d.h. eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung vorliegt, ein Störer, eine Person, von deren Lebenskreis die abzuwendende Gefahr ausgeht, aber nicht vorhanden ist (z. B. Naturkatastrophe). Ferner kommen Situationen vor, i n denen ein Störer zwar vorhanden ist, aber die Polizei ihn nicht kennt, oder er nicht i n der Lage ist, die Störung 28

Schönke-Schröder , § 54, Rdnr. 16. Schönke-Schröder, § 52, Rdnr. 4 „Nötigungsstand". 25 Welzel, a. a. O., S. 162; L K , Jagusch, § 52, Anm. 1. 26 Bei vis absoluta liegt nicht einmal eine gewollte Handlung vor, so daß bereits die Tatbestandsmäßigkeit der Handlung entfällt. L K , Jagusch, §52, Anm. 3 a. „ 27 L K , Jagusch, § 54, Anm. 11. 28 Schönke-Schröder, § 53, Rdnr. 8. 29 Schönke-Schröder, § 54, Rdnr. 12. 30 Baumann, Strafrecht, Allg. Teil, S. 300. 24

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2. Teil: Staatsnotstad nach deutschem Recht

zu beseitigen. Wenn i n einem solchen Fall auch die Polizei die Gefahr nicht m i t eigenen Mitteln beseitigen kann, liegt ein polizeilicher Notstand vor, i n dem i n diese Rechtssphäre eines unbeteiligten Dritten eingegriffen werden kann, vgl. § 21 PrPVG 8 1 . Weil der Dritte als Nichtstörer an der Herbeiführung des polizeiwidrigen Zustandes unbeteiligt ist, kann dieser Eingriff nur unter folgenden Voraussetzungen vorgenommen werden: — eingetretene Störung oder gegenwärtige oder unmittelbar bevorstehende Gefahr, — sofortige Abhilfe gegenüber der Einwirkung des schädigenden Ereignisses erforderlich, — Erheblichkeit von Gefahr oder Störung, Unmöglichkeit, Unzulässigkeit oder Unzulänglichkeit bei der Heranziehung des Störers, — Außerstandesein der Polizei- oder Ordnungsbehörde zum Erlaß anderer gefahrenabwehrender Maßnahmen, — Verhältnismäßigkeit zur Gefahrenabwehr und zum Schaden für den Nichtstörer, — Beschränkung auf sachliches und zeitliches Mindestmaß der Inanspruchnahme. Liegen diese Voraussetzungen vor, kann die Polizei sowohl persönliche Hilfstätigkeit als auch Sachleistungen vom Nichtstörer verlangen. M i t „polizeilicher Notstand" w i r d jede erhebliche Notlage bezeichnet, i n der eine objektive Möglichkeit vorhanden ist, die Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung zu beseitigen, der Rückgriff auf den Nichtstörer. Wie i m Staatsnotstand ist auch i m polizeilichen Notstand die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gestört. Während sich beim Staatsnotstand jedoch die existenzbedrohende Störung notwendig auf einen größeren Personenkreis erstreckt, betrifft sie beim polizeilichen Notstand einzelne oder wenige. Sind beim Staatsnotstand Exekutivmaßnahmen aller Behörden erforderlich, zulässig oder möglich, handelt es sich beim polizeilichen Notstand ausschließlich u m Maßnahmen der Polizei- oder Ordnungsbehörden. I m Staatsnotstand, bei welchem nach Carl Schmitt" „alles geschehen kann, was nach Lage der Sache erforderlich ist", werden weder der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit noch die Unterscheidung von individueller und genereller Gefahr volle Beachtung finden können.

31 Vgl. ferner §§ 9 PolGBad-Württ.; 15 HessPolG; 8 ndsSOG; 19 nwOBG; 27 P V G RhPf.; Art. 12 BayerPAG. 32 Carl Schmitt in V V D S t R L H. 1, S. 92, Fußnote 1.

1. Kapitel: Wesen und Erscheinungsformen

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4. Notstand nach dem Völkerrecht I m Völkerrecht ist der Begriff des Notstandes nicht eindeutig festgelegt 83 . Ausgangspunkt für seine Eingrenzung ist folgende Überlegimg: Wenn das Befolgen einer Völkerrechtsnorm unmöglich geworden ist, besteht eine Rechtspflicht dazu nicht mehr. Hindert die Erfüllung der Verpflichtung aus einer Völkerrechtsnorm i n einer konkreten Lage die Befriedigimg lebenswichtiger Interessen 84 des Verpflichteten, liegt für diesen ein Notstand vor, der die verpflichtende K r a f t der Norm suspendiert. „Als Notstand dürfte es i m allgemeinen gelten, wenn ein Staat Verpflichtungen aus einem Vertrag nicht erfüllen kann, ohne das Leben seiner Bewohner aufs Spiel zu setzen, wenn also z. B. eine vertragliche Verpflichtung zur Lieferung von Waren nicht erfüllt werden kann, ohne eine Hungersnot i n dem betreffenden Lande hervorzurufen 85 ." Ist dieser Fall i n der Völkerrechtslehre noch anerkannt, so ist es andererseits umstritten, ob und inwieweit ein Staat sich auf Notstand berufen kann, wenn er wegen nicht vorhergesehener Umstände seinen Bestand als Staat oder das Fortbestehen seines Regimes oder eine bisherige Machtstellung gefährdet, indem er einer völkerrechtlichen Verpflichtung nachkommt. Es hat i n diesem Falle richtiger Meinung nach eine Interessenabwägung (Güterabwägung) stattzufinden 86 . Dahm 8 7 : „Vielleicht geht es nicht zu weit, wenn man annehmen w i l l , daß ein Staat bei unmittelbarer und unverschuldeter, anders nicht vermeidbarer Bedrohung seiner Gesamtexistenz oder lebenswichtiger Interessen i n die Interessen anderer Staaten eingreifen darf, wenn diese gegenüber den bedrohten Interessen nicht ins Gewicht fallen und daher die Preisgabe dieser Interessen gegen Entschädigung zumutbar ist." Obgleich die Grenzen des Notstands i m Völkerrecht also noch nicht klar festgelegt sind, sind entscheidende Unterschiede zum Staatsnotstand doch erkennbar: Völkerrechtlicher Notstand und Staatsnotstand unterscheiden sich durch die Richtung der auf Grund einer — möglicherweise identischen — Notlage getroffenen Maßnahme. I m völkerrechtlichen Notstand werden aufgrund einer Notlage i m Innern Maßnahmen außerhalb des Staatsgebietes oder m i t Wirkung gegen das Ausland ergriffen — 83 Dahm, Völkerrecht I I , S. 438 mit weiteren Nachweisen; 1. Ansicht: Der Staat hat ein allgemeines Recht auf Erhaltung seines Bestands und damit auf die Vornahme aller Handlungen, die zur Erhaltung seiner Unabhängigkeit und seiner lebenswichtigen Interessen notwendig sind. 2. Ansicht: Selbsthilferecht so zu weit gefaßt; es steht im Gegensatz zum letzten Ziel des Völkerrechts, der Erhaltung und Entwicklung der internationalen Gemeinschaft. 84 Dahm, a. a. O., „Fälle der äußersten Not und Bedrängnis". 35 Wengler , Völkerrecht I, S. 388; auf den Zusammenhang mit der Lehre der clausula rebus sie stantibus verweist Dahm, a. a. O., S. 443. 86 Wengler , Völkerrecht I, S. 389. 37 Dahm, Völkerrecht I I , S. 443/444.

2. Teil: Staatsnotstad nach deutschem Recht

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Nichteinhaltung von Völkerrechtsnormen oder von vertraglichen Abreden. Maßnahmen i m Innern sind dagegen Folgen des Staatsnotstandes, wenn auch der Anlaß von außen kommen kann — z. B. Angriff eines Nachbarstaates. Alle hier erörterten Notstandsfälle unterscheiden sich vom Staatsnotstand schon bei der Überprüfung nach der oben gefundenden Worterklärung. Sie werden deshalb hier nicht weiter erörtert. I I I . Begriffsbestimmung

I n der sprachlichen Auslegung blieb jedoch offen, w o r i n die Notlage des Staates besteht, die Voraussetzung für den E i n t r i t t eines Staatsnotstandes ist. Ist schon jede Störung des gesamten Staatsverwaltungsapparates ein Notstand, sind es jeder größere Streik, jede gewaltige Naturkatastrophe? U m eine A n t w o r t hat sich die juristische Staatsnotstandsdefinition zu bemühen. A r t . 48 Abs. 2 WRV verstand unter Staatsnotstand eine „erhebliche Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung". Allein, diese Begriffsbestimmung scheint zu weit gefaßt zu sein. Sie erfaßt auch Fälle des polizeilichen Notstandes und sagt nichts darüber, ob die Notlage nicht auf dem normalen, von Verfassung und einfachen Gesetzen vorgesehenen, Wege behoben werden kann. I n einem solchen Falle läge zwar eine Notlage vor, nicht aber ein Staatsnotstand. Hesse38 engt daher die Begriffsbestimmung des Staatsnotstandes ein: „Staatsnotstand bezeichnet eine erhebliche Störung oder Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, die nicht auf den normalen von der Verfassung vorgesehenen Wegen behoben werden kann, sondern deren Beseitigung nur m i t exzeptionellen Mitteln möglich ist." I n dieser Begriffsbestimmung ist die Verfassungsstörung, die dadurch gekennzeichnet ist, daß eine staatsrechtlich abnorme Lage entstanden ist, w e i l ein Staatsorgan aus Gründen, die bei i h m selbst liegen, die Funktionen nicht wahrnehmen kann, die i h m von der Verfassung zugewiesen w u r den, ausgeklammert worden. Es liegt dabei eine Situation vor, die gerade gebietet, die Verfassung zu achten. M i t Notstandsmaßnahmen kann einer Verfassungsstörung nicht wirksam begegnet werden, w e i l zur Beseitigung der Störung allenfalls eine Verfassungsänderung erforderlich ist. Gerade die Ausnahmegewalt hat aber intentionell die Aufgabe, die Verfassung zu schützen, zu erhalten oder wieder i n Geltung zu bringen 3 9 . 88 Hesse, in Staatsnotstand und Staatsnotredit in „Staatslexikon" Sp. 607; zum Begriff ausführlich: Folz, Diss. S. 23—31.

39

Hesse, Staatslexikon VII, Sp. 607.

VII,

1. Kapitel: Wesen und Erscheinungsformen

95

H i e r s o l l die S t a a t s n o t s t a n d s d e f i n i t i o n v o n H e c k e l 4 0 u n d Hesse 4 1 ü b e r n o m m e n w e r d e n , w e i l sie u m f a s s e n d u n d t r e f f e n d i s t : Staatsnotstand i s t die e x i s t e n t i e l l e G e f a h r f ü r d e n B e s t a n d des Staates oder die öffentliche S i c h e r h e i t u n d O r d n u n g , d i e aus d e r ä u ß e r e n L e b e n s s p h ä r e 4 2 s t a m m t u n d d e r e n B e s e i t i g u n g a u f n o r m a l e m verfassungsm ä ß i g e n Wege n i c h t m ö g l i c h ist.

B. Notstandsregelungen nach historischem deutschem Verfassungsrecht (Überblick) I . I n der Reichsverfassung von 1849 M i t verfassungsrechtlichen N o t s t a n d s r e g e l u n g e n setzten sich i n D e u t s c h l a n d schon d i e V e r f a s s u n g g e b e r des 19. J a h r h u n d e r t s a u s e i n a n der. So e n t h i e l t die v o n d e r verfassunggebenden Deutschen N a t i o n a l v e r s a m m l u n g a m 28. M ä r z 1849 b e u r k u n d e t e V e r f a s s u n g des Deutschen Reiches — P a u l s k i r c h e n v e r f a s s u n g 4 3 — d e n N o t s t a n d s p a r a g r a p h e n 197 des A r t . I V des V I I . A b s c h n i t t s „ D i e G e w ä h r d e r V e r f a s s u n g " : „Im Falle des Kriegs oder Aufruhrs können die Bestimmungen der Grundrechte über Verhaftung, Haussuchung und Versammlungsrecht von der Reichsregierung oder der Regierung eines Einzelstaates für einzelne Bezirke zeitweise außer Kraft gesetzt werden; jedoch nur unter folgenden Bedingungen: 1. Die Verfügung muß in jedem einzelnen Falle von dem Gesamtministerium des Reiches oder Einzelstaates ausgehen; 2. Das Ministerium des Reiches hat die Zustimmung des Reichstages, das Ministerium des Einzelstaates die des Landtages, wenn dieselben zur Zeit versammelt sind, sofort einzuholen. Wenn dieselben nicht versammelt sind, so darf die Verfügung nicht länger als 14 Tage dauern, ohne daß dieselben zusammenberufen und die getroffenen Maßnahmen zu ihrer Genehmigung vorgelegt werden. Weitere Bestimmungen bleiben einem Reichsgesetz vorbehalten. Für die Verkündigung des Belagerungszustandes in Festungen bleiben die bestehenden gesetzlichen Vorschriften in Kraft." Die Paulskirchenverfassung unterschied drei Notstandsfälle: den äuß e r e n N o t s t a n d ( F a l l des K r i e g s ) , d e n i n n e r e n N o t s t a n d ( F a l l des A u f r u h r s ) u n d d e n B e l a g e r u n g s z u s t a n d i n Festungen. I n d e n e r s t e n b e i d e n 40

I n AöR Band 22 (1932), S. 269 f. Hesse, in DöV 1955, S. 741/42; ähnlich: Giacometti, Das Staatsrecht der schweizerischen Kantone, S. 505; Töndury , Diss., S. 28 und 42; Wägenbaur in M D R 1958, S. 885. 42 Von Arndt , Notstandsgesetz — aber wie? S. 20 als „aus einer außerrechtlichen Macht erwachsend" gekennzeichnet. 48 Deutsche Verfassungen, Die grundlegenden Elemente deutscher Demokratie (1965), danach: in Kraft getreten am 18. M a i 1849. 41

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2. Teil: Staatsnotstad nach deutschem echt

Notstandsfällen sah die Verfassung selbst eine Regelung vor: Die Außerkraftsetzung der Grundrechte der §§ 138, 140 des A r t . I I I und des § 161 des A r t . V I I I des VI. Abschnitts „Die Grundrechte des Deutschen Volkes", i m Gegensatz zu ihrer grundsätzlichen Unbeschränkbarkeit nach § 130 des VI. Abschnitts. Den Belagerungszustand sollten weiterhin die Landesmilitärgesetze regeln. Die Exekutivbefugnis war auf einen bei den damaligen Verkehrsbedingungen i m Reich sehr kurzen Zeitraum von 14 Tagen befristet. Danach waren die Regierungsverfügungen der Legislative vorzulegen. Bereits innerhalb der Frist waren die Parlamentsabgeordneten zusammenzurufen. Die Verantwortung für die Grundrechtsbeschränkung trug das Gesamtministerium, also der Kaiser und die verantwortlichen, von i h m ernannten Minister, vgl. § 73 des A r t . I I des I I I . Abschnitts „Das Reichsoberhaupt". Bei dem Regierungsakt handelte es sich u m eine „Verfügung", also nicht u m ein (Not-)Gesetz. Nach der Genehmigung durch den Reichstag — Staatenhaus und Volkshaus — wurde die Exekutivverfügung Gesetz. I n einem Minderheitsgutachten hatten u. a. die Historiker Droysen, Waitz und Dahlmann ein weitergehendes Notrecht vorgeschlagen. Das Kriegsrecht sollte damals schon „bei dringender Gefahr i m Falle eines Krieges oder Aufruhrs, wenn die regelmäßige Wirksamkeit der obrigkeitlichen Gewalten oder Gerichte tatsächlich gehemmt ist", verkündet werden können. Die Exekutivgewalt sollte m i t dem Recht, die i n § 197 Reichsverfassung von 1849 genannten Grundrechte außer Kraft zu setzen, auf die höchste Militärbehörde des Notstandsgebiets übergehen. Nach heftiger Debatte 44 wurde der Vorschlag der Minderheit abgelehnt. Man wollte keinen „paragraphierten Windisch-Grätz". I I . I n den Verfassungen der Staaten des Deutschen Reiches vor 1918

Der Monarch ist i n den deutschen konstitutionell-monarchischen Staaten des 19. Jahrhunderts Träger des Notrechts 45 . I h m kommt es i n Ausnahmesituationen zu, Notrecht zu setzen. Darin zeigt sich der grundlegende Unterschied zur Paulskirchenverfassung, die die Notrechtskompetenz auf Gesamtexekutive und Legislative verteilte. Durch den Erlaß von Notverordnungen, selbständigen gesetzesvertretenden Verordnungen oder selbständigen verfassungsvertretenden Normen soll der Monarch die Gefahr abwehren. Der Begriff Notstand oder Staatsnotstand ist nur i n A r t . 63 der Verfassung von Preußen vom 31. Januar 1850, § 88 der Verfassung Sachsens vom 4. September 1831 und i n §130 des Staatsgrundgesetzes von Coburg44 45

Freund in „Notstandsgesetz — aber wie?", S. 108—112. Töndury, Diss., S. 42 ff.

1. Kapitel: Wesen und Erscheinungsformen

97

Gotha zu finden. Er umschreibt dort die Voraussetzungen, an die die Verfassungen besondere Hechtsfolgen für eine Notlage knüpfen. Mehr oder weniger umfassende Voraussetzungen werden i n den verschiedenen Staaten des Reiches zur Voraussetzung des Erlasses von Notrecht gemacht, mehr oder weniger starke Rechtsfolgen werden für zulässig erklärt. Töndury 4 6 hat die Frage der Notstandsregelung i n den Verfassungen der Länder des Deutschen Reiches ausführlich untersucht. Hier sollen nur vier Beispiele herausgegriffen werden. Ein sehr beschränktes Notverordnungsrecht kannte Waldeck 47 . Die A n wendung von Notverordnungen war an folgende Voraussetzungen gebunden: — Daß zur Zeit des Erlasses der Landtag nicht versammelt ist, — daß i n keinem Gesetz eine anwendbare Vorschrift oder die Befugnis zum Erlaß derselben vorgesehen ist und — daß die Notverordnung zur Abwendung einer dringenden Gefahr erforderlich ist. Volle Gesetzeskraft hatten die Notverordnungen als unmittelbare gesetzesvertretende Verordnungen i n folgenden Staaten: Oldenburg 48 , Schaumburg-Lippe 49 , Sachsen-Weimar-Eisenach 50 . I n ihnen w a r jede A b änderung der Verfassungen durch die Notverordnungen ausdrücklich untersagt. Voraussetzungen für den Erlaß von Notverordnungen waren: — daß der Landtag nicht versammelt ist und Aufschub bis zum nächsten ordentlichen Landtag nicht möglich ist, — daß die Berufung eines außerordentlichen Landtages unmöglich oder ungerechtfertigt ist und — daß der Erlaß durch die Umstände dringend geboten ist. Das Notrecht der monarchisch regierten Teile des Reiches wies bis auf die Trägerschaft des Notverordnungsrechts — Monarch — wenig gemeinsame Züge auf. Jene Trägerschaft folgte aus dem Wesen der deutschen konstitutionellen Monarchie des vergangenen Jahrhunderts, nach dem eine physische Person verfassungsmäßig berufen ist, aus eigenem Recht Träger der Staatsgewalt zu sein 51 . Die Zuständigkeit leitet sich daher aus der Verfassung her. Die Befugnis, Träger der Staatsgewalt zu sein, be46

Töndury, a. a. O., S. 42—80. Verfassung vom 17. August 1852, vgl. Stoerk, Handbuch der Deutschen Verfassungen, S. 49. 48 Art. 137 des Staatsgrundgesetzes vom 22. November 1852, vgl. Stoerk, S. 315. 49 Art. 31 der Verfassung vom 17. November 1868, vgl. Stoerk, S. 514. 50 § 61 der Verfassung, vgl. Stoerk, S. 286. 51 H. Schulze, Preuß. Staatsrecht I I , S. 132. 47

7 Lohse

2. Teil: Staatsnotstad nach deutschem Recht

98

ruhte jedoch auf a priori bestehendem Recht. Die Lehre von dem eigenen Recht des Monarchen ist das moderne Gewand der alten, schon den p r i m i tiven Sozialtheorien eigenen, Vorstellungen von dem göttlichen U r sprung des Herrschers 52 . Damit verkörperte der Herrscher auch den pouvoir constituant, seine Verfassungsbindung ist daher eine Selbstbeschränkung. Sie entfällt i m Notstand i n mehr oder weniger großem Umfang. Der Herrscher erlangt seine volle Herrschaftsmacht zurück 53 . I I I . I n der Reichsverfassung von 1871

Die Reichsverfassung vom 16. A p r i l 187154 enthielt i n A r t . 68 eine Regelung des Kriegs- (Belagerungs-)zustandes 55 . Der A r t i k e l hatte folgenden Wortlaut: „Der Kaiser kann, wenn die öffentliche Sicherheit in dem Bundesgebiete bedroht ist, einen jeden Teil desselben in Kriegszustand erklären. Bis zum Erlaß eines die Voraussetzungen, die Form der Verkündigung und die W i r kungen einer solchen Erklärung regelnden Reichsgesetzes gelten dafür die Vorschriften des Preußischen Gesetzes vom 4. Juni 1851 (GS 1851, S. 451 ff.)"

Dieser A r t i k e l stand i m X I . Abschnitt der Verfassung über das „Reichskriegswesen". Das vorgesehene Gesetz wurde nie erlassen. — A r t . 68 Reichsverfassimg galt für alle Notstandsfälle. Für den inneren Notstand stellte der § 2 des Preußischen Gesetzes vom 4. Juni 1851, auf das der A r t i k e l Bezug nimmt, klar: „Auch für den Fall eines Aufruhrs kann bei dringender Gefahr für die öffentliche Sicherheit der Belagerungszustand sowohl in Kriegs- als in Friedenszeiten erklärt werden."

Träger des Notrechts war, wie i n den Staaten des Reiches, der Monarch, der Deutsche Kaiser. I V . I n der Reichsverfassung von 1919

Nach A r t . 1 der Reichs Verfassung vom 11. August 1919 — Weimarer Reichsverfassung 56 — ging die Staatsgewalt vom Volk aus. Ein Notrechtsträger „von Gottes Gnaden" war nicht mehr vorhanden. Neben dem Reichstag wurde auch der Reichspräsident durch Volkswahl bestimmt. Die verfassungsmäßige Stellung des Reichspräsidenten war 52

Kelsen, Allgemeine Staatslehre, S. 331. Carl Schmitt, W D S t R L H. 1, S. 84. 54 RGBl. 1871, S. 64. 55 Diese Regelung galt nicht in Bayern — Vertrag vom 23. November 1870, vgl. Poetzsch-Heffter, Art. 48 WRV, (II), Anm. 7. I n Bayern erging am 5. November 1912 das Bayerische Gesetz über den Kriegszustand, Anschütz, Kommentar, Art. 48 (II), Anm. 6. 56 RGBl. 1919, S. 1383. 58

1. Kapitel: Wesen und Erscheinungsformen

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besonders stark, w e i l er nicht nur auf die Legislative, sondern auch auf die Exekutive Einfluß hatte 57 . Durch den Notstandsartikel, A r t . 48 WRV, erhielt der Reichspräsident erhebliche Machtbefugnisse: (Art. 48 Abs. 2 WRV): „Der Reichspräsident kann, wenn im Deutschen Reich die öffentliche Sicherheit und Ordnung erheblich gestört oder gefährdet wird, die zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nötigen Maßnahmen treffen, erforderlichenfalls mit Hilfe der bewaffneten Macht einschreiten. Zu diesem Zwecke darf er vorübergehend die in den Artikeln 114, 115, 117, 118, 123, 124 und 153 festgesetzten Grundrechte ganz oder zum Teil außer Kraft setzen." (Art. 48 Abs. 3 WRV): „Von allen gemäß Abs. 1 oder Abs. 2 dieses Artikels getroffenen Maßnahmen hat der Reichspräsident unverzüglich dem Reichstag Kenntnis zu geben. Die Maßnahmen sind auf Verlangen des Reichstags außer Kraft zu setzen." (Art. 48 Abs. 5 WRV): „Das Nähere bestimmt ein Reichsgesetz.)

A n dem hier interessierenden 2. Absatz des A r t . 48 WRV fällt zunächst auf, daß er mehrere imbestimmte Rechtsbegriffe m i t Beurteilungsspielraum enthält: „erheblich", „gestört", „gefährdet", „nötige Maßnahme". Dem pflichtgemäßen Ermessen 58 des Reichspräsidenten 59 als Notrechtsträger kam bei der Prüfung der Voraussetzungen des Notstandes und der Maßnahmen seiner Bekämpfung entscheidende Bedeutung zu. Während § 197 der Paulskirchenverfassung nur die Außerkraftsetzung von 3 Grundrechten auf 14 Tage ohne M i t w i r k u n g des Parlaments zuließ, ging A r t . 48 WRV weiter: Die Freiheit der Person, die Unverletzlichkeit der Wohnung, das Briefgeheimnis, die Meinungsfreiheit, die Versammlungsfreiheit, die Vereinsfreiheit und die Eigentumsgarantie konnten vorübergehend außer K r a f t gesetzt werden. Bereits aus der sprachlich weiten Fassung ergibt sich, daß A r t . 48 Abs.2 WRV zwar eine „knappe und griffige" 8 0 Formel war, jedoch eine Formel von mehr politischer als juristischer Brauchbarkeit. Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung treten i n großen Gemeinwesen von Zeit zu Zeit auf. „Diese Gefahren werden auch immer mehr oder weniger erheblich" sein, je nachdem (inwieweit) man m i t dem E i n t r i t t von Möglichkeiten, die eine Erhöhung der Gefahr m i t sich bringen, als wahrscheinlich rechnet" 61 . Hatte noch § 197 der Paulskirchenverfassung m i t 57 Poetzsch, Handausgabe der Reichsverfassung, S. 65; vgl. Art. 19, 24, 25, 31, 45, 46, 47, 48, 49, 53, 55, 70, 73, 74 und 76 W R V ; vgl. ferner: Schulz, Art. 48 W R V in politisch-historischer Sicht, in: Fraenkel, Der Staatsnotstand, S. 40 ff. 58 Vgl. dazu Arndt , Notstandsgesetz — aber wie?, S. 20; Gather, Diss., S. 14 ff.; Hesse, Staatslexikon V I I , Sp. 607. 59 Grau , Die Diktaturgewalt des Reichspräsidenten und der Landesregierungen, S. 133; Anschütz, Komm., Art. 48 WRV, (II) Anm. 9. 60 Wie sie Bernhardt in F A Z v. 22. Februar 1966 von einer Notstandsnorm verlangt (S. 9/10). 61 Grau, HdbStR I I S. 277; vgl. Jacobi, W D S t R L H. 1, S. 133; Maunz-Dürig,

7*

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2. Teil: Staatsnotstad nach deutschem Recht

„Krieg" und „ A u f r u h r " als Notstandsvoraussetzungen festgelegt, daß nur Notstandsfälle, nicht Verfassungsstörungen 62 zu Grundrechtssuspendierungen berechtigten, so fehlen diese Voraussetzungen i n A r t . 48 Abs. 2 WRV. Nach dem Preuß.Gesetz über den Belagerungszustand vom 4. J u n i 1851, das die Voraussetzung der Verkündung und die Wirkungen des Kriegszustandes regelte, war der Belagerungszustand „bei Trommelschlag und Trompetenschall" zu verkünden. Damit wurde eine deutliche Abgrenzung der Notlage zur Normalsituation angestrebt. Nach der Weimarer Verfassimg w a r der Übergang von der Normallage i n den Ausnahmezustand nicht für jedermann erkennbar, eine besondere Form der Verkündung w a r nicht vorgeschrieben 68 . A r t . 48 WRV „kannte keine Merkmale für die Form, m i t der Notrecht anhub und keine Frist, i n der es auslief. Alles vollzog sich i n der Brust des Reichspräsidenten, der Notverordnungen schleudern konnte wie Jupiter Blitze oder die Reichswehr marschieren ließ, wenn es i h m gefiel 84 ." Daß dem Reichspräsidenten ohne verstärkte Kontrolle seiner Amtsführung i m Notstandsfall wichtige Rechte auf unbestimmte Zeit übertragen wurden, stellte eine Beeinträchtigung des Gewaltenteilungsprinzips dar: Es gab zwei vom V o l k gewählte Gesetzgebungsorgane, die nebeneinander legiferieren konnten, sobald nach der Meinung des einen (Reichspräsident) eine Verfassungsstörung bei dem anderen (Reichstag) vorlag. Daß ein Reichsminister oder der Reichskanzler die Verfügungen oder A n ordnungen des Reichspräsidenten gegenzeichnen mußte (Art.50 WRV), stellte keine besondere Notrechtsschranke dar, w e i l die Gegenzeichnung auch i n der Normallage erforderlich war. „Nötige Maßnahmen" i. S. des A r t . 48 WRV waren sowohl gesetzesvertretende, einfache Reichsgesetze und alle Landesgesetze derogierende Notstandsverfügungen(= Notstandsverordnungen = Notverordnungen 65 ) als auch militärische Exekutionen 6 6 und die Außerkraftsetzung gewisser Grundrechte der Reichsverfassung. Kommentar, Art. 81 Rdnr. 1; zur Praxis der Weimarer Zeit vgl. Gross in G M H 1964, S. 145 ff. 68 Vgl. Arndt, Notstandsgesetz — aber wie?, S. 20; Verfassungsstörung = Staatsorgane sind aus Gründen, die bei ihnen selbst liegen, nicht oder nicht ausreichend imstande, die ihnen nach der Verfassung obliegenden Aufgaben wahrzunehmen. » Grau, a. a. O., S. 20—22; Poetzsch-Heffter, Art. 48 W R V (II), A. 11 B a. 64

65

Arndt, a. a. O., S. 22.

Zur Terminologie Schoenborn, Die Notverordnungen in HdbStR. I I , S. 300; hier wird der Begriff „Notverordnungen" im weiteren Sinne, d. h. synonym mit „Notstandsverordnungen" und „Ausnahmeverordnungen" verwandt. Wie hier Poetzsch-Heffter, Art. 48 W R V [II], Anm. 9 b. 68 Thoma in HdbStR I I , S.231; vgl. Seifert, Gefahr im Verzuge, S. 17/18; Grau, a. a. O., S. 289.

1. Kapitel: Wesen und Erscheinungsformen

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A r t . 48 Abs. 2 WRV bildete i m Gegensatz zu bundesstaatlicher Kräfteverteilung einen Faktor einheitsstaatlicher Konzentration und beschwor Konflikte m i t den Gliedstaaten des Reiches herauf 67 . Ob man dagegen A r t . 48 Abs. 2 WRV vorwerfen kann, i h m fehlte die bei allen Notstandsregelungen erforderliche Absicht, die Grundprinzipien der Verfassung — Recht und Freiheit — zu wahren 6 8 , erscheint zweifelhaft. M i t Sicherheit und Ordnung i.S. von A r t . 48 Abs. 2 WRV kann, wenn man i h n i m Zusammenhang m i t den übrigen Befugnissen des Reichspräsidenten sieht, nur die verfassungsmäßige Ordnung gemeint sein 69 . Diese hat als Ziel die Verwirklichung der freiheitlich rechtsstaatlichen Demokratie. T r o t z — oder wegen — d e r juristisch ungenauen Fassung ist A r t . 48 Abs. 2 WRV von den Reichspräsidenten Ebert und Hindenburg i n der Zeit von 1919—1932 etwa 250mal angewandt worden, davon 136mal von Friedrich Ebert 7 0 . Das i n A r t . 48 Abs. 5 WRV vorgesehene Reichsgesetz, das das „Nähere" hinsichtlich der Anwendung des A r t . 48 regeln sollte, wurde trotz der Mahnung des 33. Deutschen Juristentages i m Jahre 1925 und des Reichstagsbeschlusses vom 22. Januar 1926, nach dem die Regierung das Ausführungsgesetz unverzüglich vorlegen sollte, nicht erlassen. C. Regelungen von Notstandsfällen nach vor 1968 geltendem Recht Nach diesem kurzen Überblick über die historischen Notstandsregelungen i n Deutschland ist nun auf das vor 1968 geltende Staatsnotstandsrecht einzugehen. Danach sollen die Entwürfe einer Grundgesetzänderung für die „Stunde der Not" und die i m Juni 1968 i n das Grundgesetz eingefügte Notstandsverfassung erörtert werden. I. Nach dem Grundgesetz und dem Generalvertrag

1. Nach dem Grundgesetz Es werden i n der Literatur 7 1 7 A r t i k e l des Grundgesetzes genannt, die vor 1968 Notstandsregelungen enthalten sollten: A r t i k e l 91, 143, 37, 81, 67

Jacobi, V V D S t R L H. 1, S. 134. Arndt, a. a. O., S. 25. 89 Grau , HdbStR I I , S.274 und S.279; Carl Schmitt, V V D S t R L H. 1, S. 91. 70 Arndt, a. a. O., S. 30. Dabei folgt die Zahl der Anwendungsfälle der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung der Weimarer Republik: 1919: 5; 1920: 22; 1921:12; 1922: 6; 1923: 38; 1924: 18; 1925:1; 1926: 0 — Poetzsch-Heffter, Art. 48 I I , Anm. 7. 71 Seifert, Gefahr i m Verzuge, S. 20; Hamann, Komm., Art. 91 GG, Schäfer in NJW1956, S. 532. 68

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2. Teil: Staatsnotstad nach deutschem Recht

17a, 59a, 75a Grundgesetz 72 . Dazu Hamann 7 3 : „Diese Vorschriften geben i m Hinblick auf die abschreckenden Erfahrungen der Weimarer Zeit m i t A r t . 48 W V nur i n begrenztem Umfange und unter Einbau entsprechender rechtsstaatlicher Sicherungen die Möglichkeit zu Notstandsmaßnahmen". Die Weimarer Reichsverfassung hat also auch hier, u m m i t Werner Weber 74 zu sprechen, „den Verfassungsschöpfern von Bonn, wenn auch i n Widerspruch und Umkehrung, das Gesetz des Handelns diktiert". Neben den zitierten A r t i k e l n waren Notstandsregelungen i m Grundgesetz nicht ersichtlich. Diese Normen sind nun daraufhin zu prüfen, ob sie Notstandsregelungen enthalten oder alle Fälle des Staatsnotstandes abschließend behandeln. a) A r t . 91 a.F. GG Der erste Absatz des A r t . 91 a.F. GG behandelt die Hilfe der Länder für den Bund oder der Länder untereinander bei ihrer Bestandsgefährdung oder bei Gefährdimg der freiheitlichen Grundordnung. Das Gesetz sieht diesen Fall als den Regelfall an 75 . Weil i m Rahmen dieser Untersuchung nur die Notstandsregelungen auf Bundesebene erörtert werden sollen, kann der 1. Absatz des A r t i k e l 91 a.F. GG hier außer Betracht bleiben. I m 2. Absatz des A r t . 91 a.F. GG erhält die Bundesregierung als Ausnahmebefugnis, das Recht, die Polizeikräfte 78 des betroffenen und anderer Bundesländer ihren Weisungen zu unterstellen. Voraussetzung dafür ist, daß das Land, dem eine Gefahr für seinen Bestand droht oder i n dem die freiheitliche demokratische Grundordnung gefährdet ist, bzw. bei entsprechender Gefahr für den Bund nicht willens oder i n der Lage ist, die Gefahr zu bekämpfen. Die Bundesregierung hat also nur ein subsidiäres Eingriffsrecht i n dem Fall, daß die Existenzgrundlage eines Gliedstaates oder des Gesamtstaates oder die innere Ordnung, die von den Grundsätzen von Freiheit, sozialer Rechtsstaatlichkeit, Föderalismus und Volkssouveränität 77 bestimmt ist, gefährdet wird. 71

Seifert, a. a. O., S. 23; vgl. auch Maunz-Dürig, Art. 37 Rdnr. 10. Hamann, Komm., Art. 91. 74 Spannungen und Kräfte i m westdeutschen Verfassungssystem, S. 9. 75 Hamann, Komm., Art. 91; Martens, GG und Wehrverfassung, S. 54; es ist bei den Verflechtungen der Länder untereinander in Wirtschaft und Politik und bei der geringen Größe der Landesterritorien eine idyllische, an das Postkutschenzeitalter gemahnende Vorstellung, ein innerer Notstand sei in der Regel auf das Gebiet eines Bundeslandes beschränkt. 76 Vgl. das VerwAbk. zwischen Bund und Ländern bezüglich der Bereitschaftspolizei v. 27. Oktober 1950, abgedr. bei Schneider, Polizeirecht (13), S. 644 ff.; v. Mangoldt, Komm. Art. 91, Anm. 4. 77 r . Mangoldt, Komm., Art. 91, Anm. 2. 73

1. Kapitel: Wesen und Erscheinungsformen

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Daß i n diesem Fall auch ein Einsatz des Bundesgrenzschutzes zulässig ist, ist folgerichtig: Wenn dem Bund schon gestattet ist, auf fremde Polizeimachtmittel (Polizeikräfte der Länder) zurückzugreifen, muß er auch die eigenen Polizeimachtmittel einsetzen können, u m den Notstand zu bekämpfen 78 . A r t . 91 a.F. GG enthält m i t h i n die Regelung von „Polizeieinsatz zur Abwendung eines Staatsnotstandes" 79 . Durch die Begründung „echter" 8 0 polizeilicher Zuständigkeiten des Bundes soll ein „gewisser Ersatz für ein fehlendes polizeiliches Notverordnungsrecht des Bundes geschaffen werden" 8 1 . Aber auch bei diesem Polizeieinsatz kann der Bundesrat der Bundesregierung jederzeit „ i n den A r m fallen" 8 2 . Angesichts der Erfahrungen i n der Zeit der Weimarer Republik und nach der Erörterung des A r t . 11 des Herrenchiemsee-Entwurfes konnte der Parlamentarische Rat nicht der Ansicht sein, daß m i t der Schaffung des A r t . 91 a.F. GG die Gesamtregelung des Staatsnotstandsproblems getroffen wurde. Es wurde nur das Teilproblem des Polizeieinsatzes geordnet. Und auch auf diesem Sektor ist es m i t der bewußten Nichtbegründung einer umfassenden Polizeizuständigkeit des Bundes 88 unvereinbar, daß die Bundesregierung sich die gesamten Polizeikräfte aller Bundesländer unterstellt. Damit würde — auf Zeit — eine i m Grundgesetz nicht vorgesehene volle Polizeizuständigkeit des Bundes begründet und den Ländern eine ihrer wesentlichen Kompetenzen entzogen. I m Text des A r t . 91 a.F. GG kommt das dadurch zum Ausdruck, daß von den Polizeikräften „anderer" und nicht „aller anderen" Länder die Rede ist. A r t . 91 a.F. GG enthält also eine partielle, ergänzungsbedürftige Notstandsregelung für Fälle des inneren Notstands. Es ist nun behauptet worden, diese Ergänzung sei i n den A r t i k e l n 143, 37, 81 und i n der Wehrverfassung vorgesehen. b) A r t . 143 GG Durch A r t . I Ziff. 14 des Gesetzes zur Ergänzung des Grundgesetzes vom 19. März 1956 (BGBl. I, S. 111) wurde A r t . 143 n.F. i n das Grund78

So auch: B M i n I Lehr in den Bundestagssitzungen vom 15.2. und 10.10. 1951,1. Wahlperiode, Stenograph. Berichte, S. 4516 C, 4528 A und 6788 C. 79 v. Mangoldt, Komm., Art. 91, Anm. 2; vgl. auch Schäfer in N J W 1960, S. 1130. 80 v . Mangoldt , Komm., Art. 91, Anm. 4. 81 Hamann, Komm., Art. 91, Erläuterungen. 82 Flor in JR 1954, S. 125. 88 Hamann, Komm., Art. 91 GG, Erläut.

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2. Teil: Staatsnotstarid nach deutschem Recht

gesetz eingefügt (Wehrverfassungsrechtliche Ergänzung des Grundgesetzes)84. Da sich der A r t i k e l auf den Einsatz der Streitkräfte i m Staatsnotfall bezog, war er auch Bestandteil der Notstandsregelung i m Grundgesetz vor 196885. Der Einsatz der Streitkräfte i m Staatsnotstand w i r d durch die Norm selbst jedoch nicht geregelt. Art. 143 GG war inhaltlich negativer Bestandteil 88 der Staatsnotstandsregelung, er stellt einen Vorbehalt des — verfassungsergänzenden — Gesetzes dar. Aus dem Wortlaut — „Die Voraussetzungen, unter denen es zulässig wird 87, die Streitkräfte i m Fall eines inneren Notstandes in Anspruch zu nehmen . . . " — konnte man folgern, daß jeglicher Einsatz der Streitkräfte beim Notstand vor der Regelung des vorgesehenen Gesetzes, „das die Erfordernisse des A r t . 79 erfüllt", unzulässig war. A l l e i n bei der Hamburger Flutkatastrophe 1962, die einen Fall des inneren Notstandes (Katastrophenzustand) darstellt, wurde auch die Bundeswehr zum Hilfseinsatz herangezogen. War dieser Einsatz verfassungswidrig? I n Hamburg wurden die Einheiten der Bundeswehr als Nothelfer eingesetzt, also nicht als Streitkräfte verwandt. Die Bundeswehr nahm bei der Hilfe eine Pflicht, die § 330 c StGB dem einzelnen auferlegt (Umkehrschluß aus der Bestrafung der Nichthilfe) wahr. Aus diesem Beispiel erhellt, daß A r t . 143 GG nur den Einsatz der Bundeswehr als Waffenträger — hier: innenpolitisches Machtinstrument — der Regelung in einem zukünftigen verfassungsergänzenden Gesetz vorbehielt. Bis zum Erlaß dieses Gesetzes w i r k t e A r t . 143 GG als „Sperrvorschrift" 8 8 . Ein bewaffneter Einsatz der Streitkräfte i m Falle des inneren Notstandes war bis zum Erlaß des betreffenden Gesetzes unzulässig. Zweifelhaft war, ob nach A r t . 143 GG ein Streikeinsatz der Streitkräfte zulässig war. Streiks, i n denen entgegen den Richtlinien des DGB 8 9 kein Notdienst eingerichtet wird, gefährden u. U. Leib und Leben der Bevölkerung. Durch unbewaffneten Einsatz der Streitkräfte, insbesondere ihrer technischen Einheiten, kann die Aufrechterhaltung lebenswichtiger Betriebe— Wasserwerke, Elektrizitätswerke usw. — sichergestellt werden. Bei einem solchen Streik liegt eine gemeine ( = allgemeine) Gefahr i. S. des § 330 c StGB vor 9 0 . Leib oder Leben oder bedeutende Sachwerte, die i n 84

Zur Entstehungsgeschichte: Maunz-Dürig, Art. 143 GG, vor Rdnr. 1. Zugleich aber Bestandteil der Wehrverfassung, weil er auf die Streitkräfte Bezug nimmt. Maunz-Dürig, Art. 143, Rdnr. 2; Streitkräfte = Einheiten der Bundeswehr. 88 Maunz-Dürig, Art. 143, Rdnr. 2/3. 87 Hervorhebung vom Verfasser. _88 Maunz, Deutsches Staatsrecht, S. 166. ~ 8 9 Beschlossen i m Oktober 1949, abgedr. in RdA 1950, S. 71 f.; vgl. auch BB 1950, S. 786. Vgl. § 315 I I I StGB und Schönke-Schröder, Vorbem. vor 306, Rdnr. 4 und § 330 c Rdnr. 6. 85

1. Kapitel: Wesen und Erscheinungsformen

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fremdem Eigentum stehen oder deren Vernichtung gegen das Gemeinwohl verstößt, sind bedroht. Jedem einzelnen würde hier eine Hilfspflicht erwachsen. Sie ist gerade von den Streitkräften wegen ihrer besonderen technischen Ausbildung und Ausrüstung m i t Erfolg zu erfüllen. I n diesem Fall wollen Maunz-Dürig 9 1 , obwohl die Streitkräfte bei solchem unbewaffneten Einsatz als innenpolitisches Machtinstrument handeln, trotz des A r t . 143 GG den Einsatz zulassen. Anders entschieden sie den Fall, i n dem ein nicht wiedergutzumachender Schaden für die Gesamtvolkswirtschaft auf wirtschaftlichem Gebiet entsteht, wie es etwa beim „Absaufen" bestreikter Berkwerke der Fall wäre. I n jener Lage müsse bei einem arbeitsrechtlichen Streik der Einsatz der Armee durch das verfassungsergänzende Gesetz ausdrücklich gestattet werden. Die Auffassung, daß der Einsatz von Streitkräften als „Streikbrecher" bei arbeitsrechtlichen Streiks verfassungsw i d r i g ist, ist grundsätzlich richtig, w e i l die staatliche Neutralität i m Arbeitskampf Streikbrecherdienste von Soldaten verbietet. Ein Streik, bei dem kein Notdienst zur Erhaltung von Hochöfen, Kohlengruben u. ä. gestellt wird, ist, auch wenn es sich um einen arbeitsrechtlichen Ausstand handelt, rechtswidrig. I m Falle so bedeutender, nicht wiedergutzumachender drohender Sachwertverluste für die Allgemeinheit ist wegen der vorliegenden Gemeingefahr jedermann, also auch die Bundeswehr, zur Hilfe verpflichtet. Das Streikrecht geht nicht so weit, i n solcher Lage Hilfsbereite zur Tatenlosigkeit zu „verurteilen". Die oben zitierte, nicht näher begründete Ansicht von Maunz-Dürig, ein solcher Einsatz sei nach A r t . 143 GG verfassungswidrig, ist also nicht richtig. A r t . 143 GG zeigte als negative Ergänzung zu A r t . 91 GG die Lückenhaftigkeit der Notstandsregelung i m Grundgesetz hinsichtlich des Einsatzes der Streitkräfte. Ob die anderen zitierten A r t i k e l des Grundgesetzes den Staatsnotstand hinreichend regelten, w i r d die folgende Untersuchung zeigen müssen. c) A r t . 37 GG A r t . 37 GG regelt den Bundeszwang, d.h. Maßnahmen seitens oberster Bundesorgane gegen ein Bundesland, u m es zur Erfüllung seiner i h m nach dem Grundgesetz oder einem anderen Bundesgesetz obliegenden Bundespflichten anzuhalten 92 . Die A r t i k e l über die Reichsexekution waren die Vorläufer der geltenden Regelung 98 . Seifert 94 , der die Norm 81

Maunz-Dürig, Art. 143 GG, Rdnr. 5. v . Mangoldt-Klein , Art. 37, Anm. I V , 1. 93 Art. 19 Reichsverfassung 1871, Art. 48 W R V ; Maunz-Dürig, Art. 37, Rdnr. 1; zur Entstehungsgeschichte der Norm v. Mangoldt, Art. 37, Anm. 1. 94 Seifert, Gefahr im Verzuge, S. 20. 92

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2. Teil: Staatsnotstad nach deutschem Recht

i m Kapitel „Die i n unserer Rechtsordung vorhandenen allgemeinen Notstandsregelungen" abhandelt, meint: „ F ü r die Gefahr eines Konfliktes zwischen Bund und Ländern sind somit (durch A r t . 37 und 91 GG — der Verfasser) dem Bund i m Grundgesetz bereits heute sehr weitgehende Befugnisse zugebilligt, die i m inneren Notstand ausreichen dürften 9 5 ." Diese Verquickung von Bundeszwang und Staatsnotstand ist möglicherweise auf die Weimarer Reichsverfassung zurückzuführen, die Reichsexekution und reichspräsidentielle Notstandsbefugnisse „bedauerlicherweise i m gleichen A r t i k e l " 9 6 , A r t . 48 WRV regelte. Bundeszwang und Staatsnotstandsmaßnahmen sind aber streng zu trennen 97 . A r t . 37 GG enthält „keine irgendwie geartete Notstands-Regelung" 98 , ist vielmehr als ein Ausfluß des Bundesstaatsprinzips — A r t . 20 Abs. 1 GG — anzusehen 99 . Der Bundeszwang gewährleistet Aufrechterhaltung und Sicherimg des Bundesstaates 100 . Er kann nur bei Verletzung von Bundespflichten durch einzelne Bundesländer angewandt werden, nicht bei existentieller Gefahr für den Bestand der Bundesrepublik. Aufgrund des Bundesstaatsprinzips ist die Anwendung des Bundeszwangs gegen die Gesamtheit der Bundesländer unzulässig. Sie würde die föderale Struktur der Bundesrepublik aufheben. d) A r t . 81 GG Auch i n A r t . 81 GG, Gesetzgebungsnotstand, sieht Seifert 1 0 1 eine i n unserer Rechtsordnung vorhandene Notstandsregelung. „ F ü r den Fall einer durch die innere Zerrissenheit des Parlaments bedingten Aktionsunfähigkeit des Bundestages" habe das Grundgesetz i n bestimmten Ausnahmesituationen durch A r t . 81 GG die Exekutive i. V. m i t dem Bundesrat die Funktion des Bundestages übernehmen lassen. Er übersieht dabei, daß es sich bei A r t . 81 GG auch nach seiner eigenen Definition u m die Regelung einer Verfassungsstörung handelt 1 0 2 . A r t . 81 GG enthält also keine Staatsnotstandsregelung und ist für unsere weiteren Erörterungen damit gegen standslos 108 . 95

Seifert, a. a. O., S. 22. Maunz-Dürig, Art. 37 GG, Rdnr. 2. 97 v. Mangoldt-Klein, Art. 37, Anm. I I 1. 98 v. Mangoldt-Klein, Art. 37, Anm. I I 4; so im Ergebnis auch Maunz-Dürig, Art. 143, Rdnr. 2; Art. 37, Rdnr. 2. 99 Hamann, Art. 37, Anm. A. 100 Maunz-Dürig, Art. 37, Rdnr. 9. 101 Seifert, a. a. O., S. 20,22/23. 108 Vgl. v. Mangoldt, Art. 81, Anm. 2 mit näherer Begründung der Unterscheidung von Staatsnotstand und Gesetzgebungsnotstand. Die Unterscheidung übersieht auch Gather, Diss., S. 127 ff. 108 So im Ergebnis auch: Hamann, Komm., Art. 81, Anm. A 1; Maunz-Dürig, Art. 143, Rdnr. 2 ;v.d. Heydte, Laforet-Festschrift, S. 73—79. 96

1. Kapitel: Wesen und Erscheinungsformen

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e) A r t . 17a GG Eine Staatsnotstandsregelung war für einige Autoren 1 0 4 i n den Grundgesetzartikeln über den Verteidigungsfall enthalten, also i n den A r t i k e l n 17a, 59a, 65a GG. A r t . 17a Abs. 1 GG regelt die durch die Wiedereinführung v o n Wehrdienst und Wehrpflicht notwendig gewordenen Einschränkungen gewisser Grundrechte 105 . Er gilt nur für die Angehörigen der Streitkräfte und des Ersatzdienstes während ihrer Dienstzeit, enthält also keine Notstandsregelung allgemeiner A r t . Voraussetzung für die Grundrechtseinschränkung nach A r t . 17 a Abs. 2 GG ist, daß die einschränkenden Gesetze der Verteidigung, d.h. der Abwehr eines militärischen Angriffs dienen. Fälle inneren Notstands werden von A r t . 17 a Abs. 2 GG nicht erfaßt. Wenn ferner durch die Norm die Einschränkbarkeit von zwei Grundrechten festgelegt wird, so bedeutet das positiv gewendet, daß der Bestand aller anderen Grundrechte auch durch Gesetze, die der Verteidigung dienen, nicht eingeschränkt werden darf 1 0 6 . Gerade das beweist aber, daß A r t . 17a GG nur einen kleinen Teil des äußeren Notstands regeln w i l l und regeln kann. f) A r t 59a GG Wie A r t . 17a GG wurde auch der 1968 aufgehobene A r t . 59a GG durch das Gesetz zur Ergänzung des Grundgesetzes vom 19. März 1956 (BGB1.I, S. 111) i n das Grundgesetz eingefügt (Art. I Ziff. 7 107 ). Die Absätze 1-3 des A r t . 59a GG behandelten Feststellung und Verkündung des Verteidigungsfalles 108 und ihre Rechtswirkung. Den Verteidigungsfall konnte man m i t Maunz-Dürig 1 0 9 i n Parallele zum individuellen Notwehrfall definieren als „Ausgelöst-werden derjenigen Verteidigung, welche erforderlich ist, u m einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff bewaffneter äußerer Gegner von der Bundesrepublik abzuwenden" 110 . Nach A r t . 59a GG Abs. 1 sollte grundsätzlich der Bundestag i n einem vom Bundespräsidenten zu verkündenden Beschluß die Feststellung treffen, daß der Verteidigungsfall eingetreten war. Wenn seinem Zu104

Seifert , a. a. O., S. 25/26 mit weiteren Nachweisen. Hamann, Art. 17 a, Anm. A ; Martens, GG und Wehrverfassung, S. 108 ff.; zur Entstehungsgeschichte Maunz-Dürig, Art. 17 a vor Rdnr. 1 u. Rdnr. 27. 106 So mit Recht Maunz-Dürig, Art. 17 a, Rdnr. 7/8. 107 Zur Entstehungsgeschichte: v. Mangoldt-Klein, Art. 59, Anm. I. 108 v. Mangoldt-Klein, Art. 59 a, Anm. I I I . 109 Maunz-Dürig, Art. 59 a, Rdnr. 2. 110 Vgl. jetzt die Legaldefinition in Art. 115 a Abs. 1 S. 1 GG. 105

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2. Teil: Staatsnotstad nach deutschem Recht

sammentritt unüberwindliche Hindernisse entgegenstanden und Gefahr i m Verzuge war, konnte 1 1 1 der Bundespräsident m i t Gegenzeichnung des Bundeskanzlers feststellen, daß der Verteidigungsfall eingetreten war und die Entscheidimg verkünden — A r t . 59 a Abs. 2 GG, Notfeststellungsrecht der Exekutive. Vor der Feststellung sollte er die Präsidenten des Bundestages und des Bundesrates hören. Der 2. Absatz des A r t . 59a GG behandelte die völkerrechtliche Erklärung des Bundespräsidenten und der 4. verhielt sich über den Friedensschluß. Nach der Feststellung des Verteidigungsfalles wäre i m Innern der Bundesrepublik der Verteidigungszustand ( = Kriegszustand) eingetreten. Dieser war i m Grundgesetz nicht ausführlich geregelt. Es wurden nur zwei Rechtsfolgen festgelegt: — Nach A r t . 59 a Abs. 3 GG durfte der Bundespräsident nach Feststellung und Verkündung völkerrechtliche Erklärungen über das Bestehen des Verteidigungsfalles abgeben; — Nach A r t . 65 a Abs. 2 GG sollte nach Feststellung und Verkündung des Verteidigungsfalles die Befehls- und Kommandogewalt über die Streitkräfte vom Bundesminister für Verteidigung auf den Bundeskanzler übergehen. Weitere verfassungsrechtlich bedeutsame Wirkungen hatte die Feststellung des Verteidigungsfalles nicht. Insbesondere begründete die Verkündung des Verteidigungsfalles weder irgendwelche organisatorischen Notstands-, Ausnahmezustandsoder Kriegszustandsbefugnisse 112 , noch irgendwelche Eingriffsbefugnisse i n die Grundrechte, soweit solche Befugnisse nicht bereits aufgrund anderer Vorschriften des Grundgesetzes zulässig waren. Daß weitreichende Folgen der Feststellung des Eintritts des Verteidigungsfalles i n einfachen Bundesgesetzen 118 getroffen wurden, kann bei der Erörterung der Not111 Dazu, daß dieses „kann" in teleologischer Auslegung als „muß" zu lesen war, weil der Bundespräsident bei gegebenen Voraussetzungen dem Verteidigungsfall mit denselben Rechten gegenüberstehen sollte wie der Bundestag, vgl. v. Mangoldt-Klein, Art. 59 a, Anm. I I I 5 a; a. A. Maunz-Dürig, Art. 59 a, Rdnr. 13. 111 Etwa zum Erlaß von „Ausnahmeverordnungen", „Notverordnungen" oder „Gesetzesvertretenden Verordnungen" durch Bundespräsident, Bundesregierung, Bundesminister des Innern, Bundesminister für Verteidigung oder (und) eines anderen Fachministers. 118 Es handelt sich um: a) das Soldatengesetz v. 19. März 1956, (BGBl. I, S. 114); b) das Wehrpflichtgesetz in d. Fassung vom 14. Mai 1965 (BGBl. I, S. 391), c) das Bundesleistungsgesetz vom 19. Oktober 1956 (BGBl. I, S. 815) — vgl. Seifert, a. a. O., S. 26; d) das Gesetz über die Sicherstellung von Leistungen auf dem Gebiet der gewerblichen Wirtschaft v. 22. Dezember 1959 (BGBl. I, S. 785 — vgl. Seifert, a. a. O., S. 26) und e)—h) die „einfachen" Notstandsgesetze, s. unten C I I I Nr. 1—4.

1. Kapitel: Wesen und Erscheinungsformen

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standsverfassung unbeachtet bleiben. Auch A r t . 59 a GG enthielt keine ausreichende Staatsnotstandsregelung. g) A r t . 65 a Abs. 2 GG Selbst A r t . 65a Abs. 2 GG, der 1968 gestrichen wurde, sollte Notstandsbefugnisse enthalten 114 , weil durch den Übergang der Befehlsgewalt über die Streitkräfte auf den Bundeskanzler i m Verteidigungszustand eine Konzentration wesentlicher Kompetenzen bei i h m eingetreten wäre. Allein, neben dem Übergang der Befehls- und Kommandogewalt i m Verteidigungsfall enthielt A r t . 65 a Abs. 2 GG keine Rechtsfolge, insbesondere keine Anordnung irgendwelcher Staatsnotstandsbefugnisse. Nachdem der Einsatz der Streitkräfte m i t der Waffe i m Innern durch A r t . 143 GG bis zum Erlaß des verfassungsändernden Gesetzes verboten war, ist nicht ersichtlich, welchen Inhalt die Norm als Staatsnotstandsregelung beinhalten sollte. h) Ergebnis Es ergibt sich somit, daß das Grundgesetz vor 1968 eine ausreichende Staatsnotstandsregelung weder für den inneren noch für den äußeren Notstand enthielt 1 1 5 . 2. Nach Art 5 Abs. 2 des Vertrages über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Drei Mächten vom 26. Mai 1952 in der Fassung vom 23. Oktober 1954 Einen Notstandsvorbehalt zugunsten der USA, Großbritanniens und Frankreichs enthält der 2. Absatz des A r t . 5 des Vertrages über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Drei Mäch114 115

Maunz-Dürig , Art. 65 a, Rdnr. 18.

Evers, Rechtsprobleme des äußeren Notstandes in „material zum notstand", S. 54; Gather, Diss., S. 126; Gretue, in Bulletin v. 10. November 1954, S. 1920; Hesse in JZ 1960, S. 105; Klein , Zur Frage der Notstandsbefugnisse in den deutsch-alliierten Vertragswerken vom 26. und 27. M a i 1952 in „Der Wehrbeitrag" I I , 2, S. 507; Martens , GG und Wehrverfassung, S. 56; SchmittVockenhausen, Notstand 1966 in „politische Studien" H. 165 (1966) S. 49; Wägenbaur, M D R 1958, S.883; Werner Weber, Rechtsgutachten... in „material zum notstand", S. 46/47; A. A. zu Unrecht MdB Berghahn (SPD) in BMinI, Das Gesetz für die Stunde der Not, S. 70; MdB Menzel (SPD) in „Die Quelle" 1959, S. 504f.; Neuhöffer , in Holz-Neuhöffer, Griff nach der Diktatur?, S. 33; Otto Brenner, vgl. „Welt der Arbeit" vom 30. April 1965 und 22. April 1966; derselbe auf dem Berliner Gewerkschaftstag 1960, vgl. BMinI, a. a. O., S. 41 und Seifert , a. a. O., S. 42 und 44.

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2. Teil: Staatsnotstad nach deutschem Recht

t e n v o m 26. M a i 1952 — i m f o l g e n d e n : G e n e r a l v e r t r a g 1 1 6 . E r h a t f o l genden W o r t l a u t : „Die von den Drei Mächten bisher innegehabten oder ausgeübten Rechte in bezug auf den Schutz der Sicherheit von in der Bundesrepublik stationierten Streitkräften, die zeitweilig von den Drei Mächten beibehalten werden, erlöschen, sobald die zuständigen deutschen Behörden entsprechende Vollmachten durch die deutsche Gesetzgebung erhalten haben und dadurch instandgesetzt sind, wirksame Maßnahmen zum Schutz der Sicherheit dieser Streitkräfte zu treffen, einschließlich der Fähigkeit, einer ernstlichen Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu begegnen. Soweit diese Rechte weiterhin ausgeübt werden können, werden sie nur nach Konsultationen mit der Bundesregierung ausgeübt werden, soweit die militärische Lage eine solche Konsultation nicht ausschließt, und wenn die Bundesregierung darin übereinstimmt, daß die Umstände die Ausübung derartiger Rechte erfordern. I m übrigen bestimmt sich der Schutz der Sicherheit dieser Streitkräfte nach den Vorschriften des Truppenvertrags oder den Vorschriften des Vertrags, welcher den Truppenvertrag ersetzt und nach dem deutschen Recht, soweit nicht in einem anwendbaren Vertrag etwas anderes bestimmt ist." U n z w e i f e l h a f t i s t h i n s i c h t l i c h dieser N o r m n u r , daß sie i n K r a f t get r e t e n i s t 1 1 7 . Höchst z w e i f e l h a f t ist, ob sie noch g i l t , w i e sie — besonders i h r erster Satz — auszulegen i s t u n d ob sie ganz abgelöst w u r d e . D e r erste u n d d e r z w e i t e Satz k ö n n t e n d a d u r c h i h r e G e l t u n g v e r l o r e n haben, daß deutsche B e h ö r d e n d u r c h deutsche Gesetzgebung i n s t a n d gesetzt w u r d e n , d i e S i c h e r h e i t d e r T r u p p e n der D r e i M ä c h t e z u g e w ä h r leisten. W e n n n u r f ü r v o n außen k o m m e n d e Notstandsereignisse e i n V o r b e h a l t z u g u n s t e n d e r D r e i M ä c h t e gemacht w o r d e n w ä r e u n d d u r c h die W e h r v e r f a s s u n g d e m S i c h e r h e i t s b e d ü r f n i s der M ä c h t e G e n ü g e g e t a n w ä r e , k ö n n t e m a n e i n Erlöschen d e r V o r b e h a l t s r e c h t e d e r A l l i i e r t e n schon v o r 1968 a n n e h m e n 1 1 8 . D e r V e r h a n d l u n g s l e i t e r d e r deutschen D e l e g a t i o n i n Paris, G r e w e , schrieb a m 10. N o v e m b e r 1954 i m „ B u l l e t i n " 1 1 9 z u A r t . 5 A b s . 2 des G e n e r a l v e r t r a g e s : „ E s g e h t daher, s o w e i t es sich u m verfassungsändernde V o r s c h r i f t e n h a n d e l t , u m d e n F a l l d e r äußeren B e d r o h i m g oder eines Angriffes auf die Bundesrepublik." 116 I n der gemäß Liste I zu dem am 23. Oktober 1954 in Paris unterzeichneten Protokoll über die Beendigung des Besatzungsregimes in der Bundesrepublik Deutschland geänderten Fassung (BGBl. 1955 I I , S. 305); vgl. im einzelnen Klein, „Das Gutachten" in „deutsches panorama" H. 5 (1966), S. 70 ff., Werner Weber, Rechtsgutachten... in „material zum notstand", S. 31 ff.; Schäfer, Der Notstand im Rechtsstaat, S. 13. 117 v. Mangoldt-Klein, Art. 37, Anm. I I 4; Maunz-Dürig, Art. 81 GG, Rdnr. 28; Hamann, Art. 143 GG, Erläut.; Seifert, Gefahr im Verzuge, S. 27. 118 So im Ergebnis Seifert, Gefahr im Verzuge, S. 29; Hamann, Art. 143, Erläut., nimmt an, daß die Bundesrepublik durch die Neufassung des Art. 143 GG ihre Verpflichtungen aus Art. 5 Abs. 2 Generalvertrag „jedenfalls teilweise" erfüllt hat. Zweifelnd Klein, „Das Gutachten" a. a. O., S. 71. 119 Der neue Deutschlandvertrag, Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung 1954, Nr. 212, S. 1917—1922.

1. Kapitel: Wesen und Erscheinungsformen

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Vorsichtiger — oder zumindest unklarer — drückte sich am 24. Februar 1955 bei der Beratimg des Generalvertrages i m Bundestag 120 der Berichterstatter des Auswärtigen Ausschusses, Furier, aus, der i n Kenntnis einer unveröffentlichten 121 Interpretationserklärung der Drei Mächte zu A r t . 5 Abs. 2 S. 1 Generalvertrag an die Bundesregierung, die dem Auswärtigen Ausschuß bekanntgemacht worden war, u. a. folgendes erklärte: „Es w i r d aber von den Drei Mächten nur verlangt, diese Vollmacht für alle Fälle zu geben, i n denen die öffentliche Ordnung und Sicherheit und damit die Sicherheit der ausländischen Streitkräfte aufgrund eines A n griffs (auf die BRD — der Verfasser) oder einer äußeren Bedrohung der Bundesrepublik gefährdet sind. Besondere Situationen, die ihre Ursache i m Vorgehen innerhalb der Bundesrepublik haben, brauchen nicht 122 von der hier gesetzgeberisch zu erfassenden Ermächtigung erfaßt zu sein, so Notlagen, die durch innere Ursachen, Streiks, Wassergefahr, Seuchen etc. entstehen können. Daneben w i r d gefordert, daß militärische Notwendigkeiten bei der Überwachung des Post- und Fernmeldewesens berücksichtigt werden 1 2 8 ." Der Wortlaut des Vertrages spricht gegen diese enge Auslegung. Es fehlt i m Text jeder Hinweis darauf, daß die Sicherheit der Streitkräfte der Drei Mächte durch eine äußere, notstandsverursachende Gefahr bedroht sein muß 1 2 4 . Auch die Sinninterpretation bestätigt nur diese Wortauslegung. Die Sicherheit der Streitkräfte der USA, Großbritanniens und Frankreichs kann ebensogut durch eine Naturkatastrophe oder einen von Ausschreitungen gegen alliierte Einrichtungen begleiteten Generalstreik bedroht werden, wie durch einen äußeren Angriff. Auch die Forderung der Berücksichtigung militärischer Notwendigkeiten bei der Überwachung des „Post- und Fernmeldewesens" (gemeint ist wohl: der Post und der Telefongespräche von einzelnen oder Organisationen — der Verfasser) deutet eher auf eine Sicherheitsbedrohung für die Streitkräfte der Drei Mächte durch innere, vom Gebiet der Bundesrepublik ausgehende Gefahren hin, als auf die Abwehr von Gefahren durch einen äußeren A n griff. 120 Bericht der 69. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 24. Februar 1955, I I . Wahlperiode, Anlage 5, S. 3597/3598, vgl. auch S. 3519 und 3520. 121 Hier wirkt sich zum ersten M a l die Geheimhaltung von Dokumenten und Reden zum Staatsnotstand durch Bundestag und Bundesregierung auf die juristischen Erörterungen der Untersuchung negativ aus. 122 Hervorhebung vom Verfasser. 128 I n der Beurteüung des Umfangs der Alliierten Vorbehaltsrechte stimmte die Rechtsausschußmehrheit i m 4. Deutschen Bundestag mit Furier überein; vgl. Benda-Bericht, zu BTDrucks. IV/3494, S. 3. 124 Martens, GG und Wehrverfassung, S. 196; zur grammatischen Interpretation vgl. Klein „Das Gutachten", a. a. O., S. 71 ff.

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2. Teil: Staatsnotstad nach deutschem Recht

Nach dem Vertrag vom 26. M a i 1952, der die Grundlage der geltenden Regelung der Liste I des Pariser Protokolls vom 23. Oktober 1954 bildete, waren Voraussetzung für das Entstehen von Staatsnotstandsbefugnissen der Drei Mächte: — ein Angriff auf die Bundesrepublik oder Berlin, — eine umstürzlerische Störung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, — eine schwere Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder — der ernstlich drohende E i n t r i t t dieser Ereignisse und — die dadurch hervorgerufene Gefährdung der Sicherheit der Streitkräfte der Drei Mächte nach deren Auffassung. Vor 1968 konnten die Drei Mächte m i t h i n unter den oben dargelegten Voraussetzungen i m inneren und i m äußeren Notstand Notrecht setzen und Notmaßnahmen ergreifen 125 . Sie hatten auf ihre Befugnisse nicht ausdrücklich verzichtet und der Bundesregierung demgemäß keine entsprechende Erklärung notifiziert. Es war daher gar nicht zu prüfen, ob durch die Ergänzung des Grundgesetzes durch die Wehrverfassung i m Jahre 1956 für den Schutz der alliierten Truppen auf deutschem Boden i m Notstand ausreichende Vorsorge getroffen worden war. Da die Wehrverfassung nur den Verteidigungsfall regelte, wäre sie zudem auch nur i m Falle des äußeren Notstands als gesetzliche Vorsorgeregelung i n Betracht gekommen. A m 24. M a i 1967 fand zwischen Vertretern der Bundesregierung und Vertretern der Botschaften der Drei Mächte i n Bonn eine Konsultation statt. Vorher hatte die Bundesregierung den Drei Mächten den LückeEntwurf einer Notstandsverfassung übergeben 126 . Daraufhin ließen die Regierungen der Drei Mächte der Bundesregierung am 13. Dezember 1967 eine Note überreichen, i n der sie den Verzicht auf ihre Notstandsbefugnisse ankündigten. Abs. 2 der Note hatte folgenden Wortlaut: iss ßTDrucks. V/1879 (LE), Begründung S. 12; Hamann, Art. 143, Erläut.; Klein, Das Gutachten, a. a. O., S. 71, weist mit Recht darauf hin, daß sich die Drei Mächte den Vorbehalt einseitig ausbedungen hatten. Zudem ist — so mit Recht Klein, a. a. O. — der Zeitpunkt des Erlöschens des Vorbehalts im Vertrag ungenau umschrieben; v. Mangoldt-Klein, Art. 37, Anm. I I 4; MaunzDürig, Art. 37 Rdnr. 4; Art. 143 Rdnr. 19; Lübke, Wirksame Maßnahmen zum Schutz der Freiheit, in: „Bulletin..." 1966, Nr. 63, S.493; Lücke, Sicherheit nach innen, in: „Bulletin..." 1966 Nr. 63, S. 498. Z u den Schwierigkeiten, die sich allein bei der Auslegung des Begriffs „Konsultationen" als Voraussetzung alliierten Eingreifens ergab, vgl. Klein, Das Gutachten, a. a. O., S. 72/73. Vgl. ferner Schäfer, in NJW 1960, S. 1130; Rode, in DöV 1966, S. 118 ff.; Wägenbaur, in M D R 1958, S. 881. 126 Vgl. zu den Konsultationen: „Bulletin..." vom 19. Januar 1968, S. 57/58, wo auch die alliierte Note vom 13. Dezember 1967 abgedruckt ist.

1. Kapitel: Wesen und Erscheinungsformen

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„2. Bezüglich des Erlöschens der in Artikel 5 Absatz 2 des DeutschlandVertrages genannten Rechte, die zeitweilig von den Alliierten vorbehalten wurden, um die Sicherheit ihrer Streitkräfte zu stützen, erachten die Drei Regierungen, daß sie sich, falls Rechtsvorschriften, die im wesentlichen den in Absatz 1 dieses Schreibens 127 erwähnten geplanten Rechtsvorschriften entsprechen, angenommen würden, in der Lage sähen, sich damit einverstanden zu erklären, daß diese vorbehaltenen Rechte im Sinne von Artikel 5 Absatz 2 erloschen sind. Selbstverständlich können die Drei Regierungen zu dieser Frage erst dann eine endgültige Erklärung abgeben, wenn die in Frage stehenden Gesetzesentwürfe verabschiedet worden sind." Daß die D r e i M ä c h t e n i c h t v o r b e h a l t l o s a u f i h r e Notstandsbefugnisse v e r z i c h t e n w o l l t e n , g e h t b e r e i t s aus dieser N o t e h e r v o r . Das besagen auch die g l e i c h l a u t e n d e n N o t e n , die die D r e i M ä c h t e v o r d e r d r i t t e n B e r a t u n g d e r N o t s t a n d s v e r f a s s u n g a m 27. M a i 1968 i n B o n n ü b e r g e b e n h a b e n 1 2 8 . D a n a c h bestehen noch E i n f l u ß n a h m e m ö g l i c h k e i t e n u n d S o n d e r rechte d e r D r e i M ä c h t e nach d e r V e r a b s c h i e d u n g d e r N o t s t a n d s v e r f a s s u n g u n d d e r einfachen Notstandsgesetze f o r t : — Es muß ein wirksames deutsches Gesetz zur Post- und Fernmeldeüberwachung vorgelegt, in Kraft gesetzt und weiter gehalten werden; — in Berlin bleiben die Post- und Fernmeldeüberwachungsrechte der Alliierten in vollem Umfang bestehen; sie ermöglichen technisch auch die Kontrolle der Post und des Fernmeldewesens in der Bundesrepublik; — die Bundesregierung muß ein Verwaltungsabkommen über die Zusammenarbeit hinsichtlich der Sammlung und des Austausches von Nachrichten, die für die Sicherheit der alliierten Truppen wichtig sind, mit den Drei Mächten abschließen; — die Vorbehaltsrechte aus dem Deutschlandvertrag hinsichtlich Gesamtdeutschlands und Berlins bestehen fort; — die allüerten Militärbefehlshaber haben hinsichtlich ihrer Streitkräfte das Recht, im Falle der Bedrohung angemessene Schutzmaßnahmen zu ergreifen (einschließlich des Gebrauchs von Waffengewalt), um Gefahren von den Streitkräften abzuwehren; dazu soll die Bundesregierung einen Brief des ehemaligen Bundeskanzlers Adenauer vom 23. Oktober 1954 bestätigen, der den Alliierten ein entsprechendes Notwehrrecht einräumte. Diese Rechte w u r d e n d e n A l l i i e r t e n d u r c h eine V e r b a l n o t e d e r B u n d e s r e g i e r u n g a m 28. M a i 1968 b e s t ä t i g t 1 2 9 . Es ist d a h e r z u m i n d e s t u n g e nau, w e n n der B u n d e s m i n i s t e r des A u s w ä r t i g e n , B r a n d t 1 8 0 , i n d e r d r i t t e n L e s u n g d e r N o t s t a n d s v e r f a s s u n g a m 30. M a i 1968 i m B u n d e s t a g e r klärte: 127 I n Absatz 1 der Note, der sachlich ähnlich unklar ist, wie Absatz 2 und der sprachlich ebenso ungenau gefaßt wurde, wie die ganze Note, ist von einfachen Notstandsgesetzen die Rede. 128 v g l < F A Z v o m 28. M a i 1968 S. 1 und F A Z vom 29. M a i 1968 S. 1 und S. 4 (dort findet sich der Wortlaut der Verbalnote). 129 130

8 Lohse

F A Z vom 29. M a i 1968 S. 4. StenoBer. S. 9625.

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2. Teil: Staatsnotstad nach deutschem Recht

„Der Bundestag und die deutsche Öffentlichkeit wissen: A n dem Tage, an dem eigene deutsche Gesetze zum Schutze unserer Demokratie in Notzeiten in Kraft treten, erlöschen die Rechte, die sich unsere Alliierten bis dahin vorbehalten haben. So ist es mit ihnen in Art. 5 Abs. 2 des DeutschlandVertrages vereinbart. Diese Vereinbarung gilt und begründet die Ablösung der alliierten Rechte, die praktisch noch immer auf das Besatzungsstatut zurückgehen. Diese Vorbehaltsrechte räumen in einem Notstandsfall den Alliierten einen fast unbegrenzten Handlungsspielraum ein. Die uns im Deutschland-Vertrag gegebene Möglichkeit zur Ablösung der Vorbehaltsrechte wird jetzt genutzt. I n dem Notenwechsel, den ich Ihnen, meine Damen und Herren, zur Kenntnis gebracht habe, wird nur noch einmal zur Gewißheit der Alliierten und zu unserer eigenen festgestellt, daß wir uns über die Rechtslage einig sind."

Auch der Abgeordnete Even 1 8 1 (CDU/CSU) übersieht die umfangreichen Notstandsbefugnisse, die die Drei Mächte nach Inkrafttreten der Notstandsverfassung und der einfachen Notstandsgesetze noch innehaben, wenn er ausführt: „Die Alliierten haben nunmehr rechtsverbindlich erklärt, daß sie ihre Notstandsrechte aus dem Deutschlandvertrag als erloschen betrachten, wenn die deutsche Vorsorgegesetzgebung in der vorliegenden Form in Kraft tritt. Es wäre vom demokratischen wie vom deutschen Standpunkt her unverantwortlich, werin der Bundestag von dieser Gelegenheit, die deutschen Bürger in Notzeiten sicherer und freier zu machen, keinen Gebrauch machen würde." I I . Überverfassungsgesetzlicher Notstand

Bestehen Lücken i n der verfassungsrechtlichen Notstandsregelung, so ist zu fragen, wie sie ausgefüllt werden. Es besteht die Möglichkeit, daß fehlende positivrechtliche Vorschriften oder bestehende Verfassungsnormen durch überverfassungsgesetzliches Notstandsrecht ausgefüllt bzw. abgeändert werden. Während i m Strafrecht 182 und i m Zivilrecht 1 3 3 rechtfertigende oder entschuldigende Fälle übergesetzlichen Notstands allgemein anerkannt sind, ist die Frage, ob es ein überverfassungsgesetzliches Notstandsrecht gibt, bestritten. A r t . 89 bis Abs. 3 der Schweizerischen Bundesverfassung geht von einem solchen Recht aus. „Die sofort i n K r a f t gesetzten Bundesbeschlüsse, welche sich nicht auf die Verfassung stützen, müssen innert Jahresfrist nach ihrer Annahme durch die Bundesversammlung von 181 178. Sitzung des Deutschen Bundestages am 30. M a i 1968 StenoBer. S. 9637. 182 Nachweise bei Mezger, L K , Bern. 10 e vor § 51 StGB; Schönke-Schröder, Vorbem. zu §51 StGB, Rdnr.45 und R G Urt. v. 11.3.1927 — I 105/26 — in RGSt. 61/242 (254). 188 Soergel-Siebert, vor § 227 BGB, Rdnr. 25.

1. Kapitel: Wesen und Erscheinungsformen

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Volk und Ständen genehmigt werden; andernfalls treten sie nach Ablauf dieses Jahres außer Kraft und können nicht erneuert werden" 1 3 4 . A u f die Bedeutung dieser Vorschrift i m einzelnen w i r d unten, S. 225 ff. noch näher einzugehen sein. Gegen ein überverfassungsgesetzliches Notstandsrecht haben sich Hamann 1 3 5 , Hesse 138 und Maunz 1 8 7 ausgesprochen: Ein solches Recht w i derspreche der Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes und seiner gedanklichen Grundhaltung, so daß es, selbst wenn es aus der Natur und dem Wesen des Staates folge, i n der Bundesrepublik nicht gelten könne, weil der Verfassunggeber es bewußt ausgeschlossen habe. Die Anerkennung des überverfassungsgesetzlichen Staatsnotstandsrechts führe zu einer Legitimierung der Rechtlosigkeit, was paradox sei. Alle Maßnahmen, die nicht durch den Verfassungstext zu rechtfertigen seien, seien Verfassungsbruch und Verfassungsverrat. Das erste, in den Ausführungen seiner Verfechter nicht näher bewiesene Argument von dem Widerspruch zwischen einem überverfassungsgesetzlichen Staatsnotstandsrecht und der Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes überzeugt nicht. Zunächst sollte der Staatsnotstand i m Text des Grundgesetzes geregelt werden. Selbst wenn bei den Beratungen der Regelung des „technischen" Notstandes Gründe für das Wegfallen des A r t . 111 Herrenchiemsee-Entwurf vorgebracht worden wären, was nicht der Fall war 1 3 8 , so kann nicht übersehen werden, daß die gesamten Staatsnotstandsbefugnisse für das jetzige Gebiet der Bundesrepublik i n den Jahren 1948/49 bei den westlichen Alliierten lagen. Ein Staatsnotstandsrecht wurde damals also nicht ausgeschlossen, weil es m i t dem Geist oder dem Text des Grundgesetzes unvereinbar gewesen wäre, sondern nur, w e i l es nicht für notwendig erachtet wurde. Freund 1 3 9 drückt das — überspitzt — so aus: „Die Gefahr, die Not und die Ausnahme waren den Schöpfern des Grundgesetzes nicht sehr bewußt. Über das Grundgesetz war die westliche Macht gestülpt wie eine Glasglocke. Sache der Deutschen w a r es damals nicht, um ihren Staat zu fürchten und i h n schützen zu müssen. Ja, sie waren ihrer Machtlosigkeit froh, Staatskatastrophen schienen i n einem Land nicht möglich, das total entwaffnet war und i n dem fremde Armeen standen. Die Sieger trugen die 134 Vgl. Favre , Droit Constitutionen suisse, S. 422 und Fleiner-Giacometti , Schweizerisches Bundesstaatsrecht, S. 786. 135 Hamann, Art. 81, Anm. A 2. 136 Hesse, Staatsnotstand und Staatsnotrecht in Staatslexikon V I I , Sp. 609. 137 Maunz, Deutsches Staatsrecht, S. 175 und 294. 138 Es wurden vielmehr Einwände gegen den Text des Art. 111 Herrenchiemsee-Entwurf, seine Lücken und angebliche Widersprüche vorgebracht. Vgl. v. Mangoldt, Vorbem. zum V I I . Abschnitt des GG, Anm. 6. 139 Freund in „Notstandsgesetz — aber wie?", S. 87.

8'

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2. Teil: Staatsnotstad nach deutschem Recht

Last des Notstandes und hatten die Gefahren abzuwehren, so daß die Deutschen sich freuten, nicht gesiegt zu haben". Selbst wenn aber die Verfassunggeber versucht hätten, i m Grundgesetz ein überverfassungsgesetzliches Staatsnotstandsrecht auszuschließen, so wäre dieser Ausschluß wirkungslos, falls sich aus dem Wesen des Staates ein solches Recht ergeben sollte. Auch für den Verfassunggeber ist das Wesen des Staates eine vorgegebene Größe 140 . Das gibt auch Maunz, der zunächst vom Ausschluß des übergesetzlichen Verfassungsstaatsnotstandsrechts durch den Parlamentarischen Rat ausging, später zu 1 4 1 . Die Frage könne vom Standpunkt des positiven Rechts aus nicht klar beantwortet werden. Folgt nun aus dem Wesen des Staates ein überverfassungsgesetzliches Staatsnotstandsrecht? Es würde den Rahmen des Themas sprengen, den rechtsphilosophischen Grundlagen des Staates nachzugehen. Das muß Spezialuntersuchungen vorbehalten bleiben. Hier soll hinsichtlich des Wesens des Staates von der Küchenhoff sehen 142 Begriffsbestimmung ausgegangen werden: „Staat ist die höchstorganisierte Ordnungseinheit des menschlichen Zusammenwirkens; er ist als Organisation einer genossenschaftlichen Gemeinschaft, nicht als obrigkeitlicher Machtapparat aufzufassen". Als Ordnungseinheit hat er „die beiden Fundamentalaufgaben der Existenz" 1 4 8 zu lösen: — die Bewältigung des schwierigen und gefährlichen Zusammenlebens der Menschen (Sicherheit) und — die Bewältigung des schwierigen und gefährlichen Lebens i n der nicht auf den Menschen abgestimmten Natur (Wohlfahrt). I n Wahrnehmung dieser Aufgaben muß der Staat Unordnung und Unsicherheit bekämpfen. Das geschieht i m Regelfall durch Anwendung der Verfassung und der Gesetze. I m Ausnahmefall (status extraordinarius) 144 , der i m geschriebenen Recht nicht geregelt ist, darf der Staat als ordnende Gewalt sich nicht i n eine „splendid isolation" zurückziehen. Seine Aufgaben sind nicht an bestimmte Zeiträume und die Funktionsfähigkeit von einzelnen staatlichen Organen gebunden. Für die ganze genossenschaftliche Gemeinschaft haben die Staatsorgane, solange sie selbst funktionsfähig sind, m i t den notwendigen und ausreichenden Mitteln einzuschreiten. Dabei muß man nicht so weit gehen wie Krüger 1 4 5 , der der Ansicht ist, daß Notrecht seinem Begriffe nach den Rückgriff auf das na140

Brox-Rüthers, Arbeitskampfrecht, S. 66, Fußnote 64. Widerspruch zwischen S. 175 (§ 20 V) und S. 294 (§ 29 I I I 4) im Deutschen Staatsrecht. 142 Allgemeine Staatslehre, S. 23. 148 Conrad, Freiheitsrechte und Arbeitsverfassung, S. 140. 144 Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 30. 145 Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 31. 141

1. Kapitel: Wesen und Erscheinungsformen

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türliche Recht gegen das positive Gesetz beinhalte, daß die Konstitutionalisierung also ausgeschlossen sei. Richtig ist, daß i m Falle der Nichtkonstitutionalisierung oder der Noch-nicht-Konstitutionalisierung die Staatsorgane ein Recht besitzen zu handeln, u m Gefahren von der Staatsgemeinschaft abzuwenden 146 — eben jenes überverfassungsgesetzliche Staatsnotstandsrecht. Daß bei solchen Handlungen gegen Bestimmungen der geschriebenen Verfassung gehandelt wird, ist möglich und nicht unwahrscheinlich. A l lein, die Maßnahmen dürfen nicht gerade zu einer Abschaffung der Verfassung führen, sondern nur zu einer Suspendierung auf Zeit m i t dem Ziel, die geschriebene Verfassung nach dem Ende der Notlage wieder i n Geltung zu setzen 147 . Zwei weitere Erwägungen stützen dieses Ergebnis: Nirgendwo ist ein „Recht" auf Revolution positivrechtlich anerkannt. Seine Anerkennung würde das gesamte geschriebene Recht relativieren, wäre — u m m i t Hamann 1 4 8 zu sprechen — paradox. I n den Strafgesetzbüchern werden für Vorbereitung und Durchführung von Revolutionen harte Strafen angedroht. Dennoch besteht dieses Recht, wie daraus erhellt, daß sobald die Revolutionäre eine beruhigte Ordnung geschaffen haben, die auch den Erfordernissen sozialer Legitimität gerecht wird, von ihnen nach innen gesetzmäßiger Gehorsam beansprucht werden kann 1 4 9 . Während die völkerrechtliche Notwehr i n A r t . 51 SVN positivrechtlich gewährleistet und die Verteidigimg eines Staates gegen einen bewaffneten Angriff danach rechtens ist, ist der Notstand als weiterer Unterfall der Selbsthilfe 150 nicht durch die Satzung der Vereinten Nationen oder andere Völkerrechtsnormen geregelt worden 1 5 1 . Dennoch wurde i m völkerrechtlichen Schrifttum 1 5 2 die Ansicht vertreten, daß man dem Staat ein allgemeines Recht auf Erhaltung seines Bestands und damit auf die Durchführung von Aktionen zubilligen müsse, die zur Erhaltung seiner Unabhängigkeit und seiner lebenswichtigen Interessen notwendig seien. Selbst wenn diese Lehre dadurch eingeschränkt wurde, daß „letztes 148

Auch Krüger , schränkt seine erste Aussage (a. a. O., S. 31) später (a. a. O., S. 836) dahin ein, daß äußerstenfalls sogar zu einem nichtverfaßten (d. h. nicht konstitutionalisierten — der Verfasser) Vorgehen Berechtigung bestände. 147 Hesse, Staatslexikon V I I , Sp. 609. 148 Hamann, Art. 81, Anm. A 2. 149 Küchenhoff, Allg. Staatslehre, S. 227, und Bertram, Widerstand und Revolution, S. 73/74. 180 Dahm, Völkerrecht I I , S. 409. 151 Art. 15 der Europäischen Menschenrechtskonvention setzt einen öffentlichen Notstand voraus, ohne ihn näher zu definieren. 152 Wengler, Völkerrecht I, S. 387; Dahm, Völkerrecht I I , S. 438/39 mit weiteren Nachweisen.

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2. Teil: Staatsnotstad nach deutschem Recht

Z i e l " 1 5 8 des Völkerrechts die Erhaltung und Entwicklung der internationalen Gemeinschaft sei, und selbst wenn man an der naturrechtlichen Grundlage jenes Rechts Zweifel hat, so bleibt doch folgendes beachtlich: Es besteht ein ungeschriebenes — möglicherweise nicht positivierbares — Recht, das es den Staaten der Völkerrechtsgemeinschaft gestattet, ihren Bestand und ihre vitalen Interessen gegenüber anderen Völkerrechtssubjekten durch Notstandsmaßnahmen zu erhalten. Nach allem folgt ein überverfassungsgesetzliches Staatsnotstandsrecht aus dem Wesen des Staates. Damit ist jedoch noch nichts über seinen Umfang und über die Zuständigkeiten bei seiner Wahrnehmung gesagt. Auf die Schwierigkeiten, die sich bei jenen Festlegungen ergeben, verweist Hesse 154 : Sätze ungeschriebenen Notrechts seien zu allgemein, um der Gefahr eines Mißbrauchs wirksam zu begegnen. Wegen mangelnder Eindeutigkeit könne das ungeschriebene Notrecht zur Handhabe werden, um sich über die Verfassung dort hinwegzusetzen, wo ihre rechtlichen Normierungen einer politischen Zielsetzung i m Wege ständen, und zwar umso eher, je komplizierter i m Verfassungstext das Zusammenspiel der staatlichen Organe geregelt sei und je mehr die staatliche Gewalt durch Grundrechte beschränkt worden sei. Dann sei nämlich umso eher der Punkt erreicht, an dem die Normierungen der Verfassung es nicht mehr ermöglichten, jene politischen Ziele zu erreichen. Diese Einwände sind unbestreitbar. Groß ist auch die Gefahr, daß unter Berufung auf ein überverfassungsgesetzliches Staatsnotstandsrecht das mächtigste Staatsorgan die Kompetenz aus dem ungeschriebenen Recht für sich i n Anspruch nimmt. Daher ist es schon wegen der rechtlichen Kompetenzabgrenzung sachgerechter, das Notstandsrecht weitestmöglich zu positivieren 155 . Allein, auch diese Bedenken können gegenüber dem Argument, daß ein überverfassungsgesetzliches Staatsnotstandsrecht aus dem Wesen des Staates folgt, nicht durchgreifen. Es bestehen das Recht und die Pflicht der verfassungsmäßig eingesetzten Organe, existenzbedrohende Schäden auch i n den Fällen vom Volk abzuwenden, die nicht i n der Verfassung vorgesehen sind, und dabei notfalls gegen Verfassungs153

Dahm, a. a. O., S. 439. Hesse, Staatslexikon V I I , Sp. 609/610; derselbe, JZ 1960, S. 106. 155 So auch Krüger, Allg. Staatslehre, S. 837, der allerdings einschränkt: „Im Grunde lassen sich weder die Voraussetzungen noch die Rechtsfolgen eines solchen Ereignisses (des Staatsnotstandes — der Verfasser) kodifizieren. Der Natur der Sache nach erweisen sich nur zwei Themen einer Regelung im voraus ebenso bedürftig wie fähig: Die Frage, wer den Staatsnotstand festzustellen hat und das Problem, wer mit der Meisterung der Situation zu betrauen ist." Falsch insoweit: Hesse in DöV 1955, S. 744, der eine Formel, wie die des Art. 48 W R V als Notstandsartikel vorschlägt und dabei übersieht, daß eine derart weitgefaßte Generalklausel den Mißbrauch durch gewissenlos ausgeübte Staatsgewalt mindestens ebenso herausfordert wie ungeschriebenes Notrecht. 154

1. Kapitel: Wesen und Erscheinungsformen

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n o r m e n z u verstoßen. Das Recht besteht, w e n n es auch A n s ä t z e z u m M i ß b r a u c h i n sich t r a g e n m a g 1 5 6 . I I I . Sogenannte „einfache" Notstandsgesetze Z u m g e l t e n d e n Staatsnotstandsrecht g e h ö r e n f e r n e r sieben „ e i n f a c h e " Notstandsgesetze 1 5 7 , die b e r e i t s 1965 i n K r a f t g e t r e t e n sind. Z u m T e i l w u r d e jedoch i h r e V e r w i r k l i c h u n g w e g e n z e i t w e i l i g e r U n m ö g l i c h k e i t der F i n a n z i e r u n g aufgeschoben. B e s t a n d t e i l d e r N o t s t a n d s v e r f a s s u n g s i n d diese Gesetze n i c h t , w e n n auch b e h a u p t e t w i r d 1 5 8 , sie seien verfassungsä n d e r n d e Gesetze u n d h ä t t e n demgemäß i m Wege des A r t . 79 G G ergehen müssen. Sie w e r d e n h i e r n u r e i n e r gewissen V o l l s t ä n d i g k e i t h a l b e r k u r z e r w ä h n t . E i n e a u s f ü h r l i c h e B e h a n d l u n g w ü r d e d e n R a h m e n dieser U n t e r suchung sprengen: 1. Gesetz über die Sicherstellung von Leistungen auf dem Gebiet der gewerblichen Wirtschaft sowie des Geld- und Kapitalverkehrs 159 vom 24. August 1965 (BGBl. I S. 920) — Wirtschaftssicherstellungsgesetz; 2. Gesetz zur Sicherstellung des Verkehrs vom 24. August 1965 (BGBl. I, S. 927) — Verkehrssicherstellungsgesetz 160; 3. Gesetz über die Sicherstellung der Versorgung mit Erzeugnissen der Ernährungs- und Landwirtschaft sowie der Forst- und Holzwirtschaft vom 24. August 1965 (BGBl. I, S. 938) —-Ernährungssicherstellungsgesetz 161; 4. Gesetz über die Sicherstellung von Leistungen auf dem Gebiet der Wasserwirtschaft für Zwecke der Verteidigung vom 24. August 1965 (BGBl. I, S. 1225) — Wassersicherstellungsgesetz 162, Berichtigung vom 3. November 1965 (BGBl. I, S. 1817); 5. Gesetz über den Selbstschutz der Zivilbevölkerung vom 9. September 1965, (BGBl. I, S. 1240) — Selbstschutzgesetz168 —, geändert durch Haushalts156 So im Ergebnis auch Augstein in Der Spiegel 1966, Nr. 16, S. 61; Abg. Hoogen (CDU) in der 56. Sitzung der I V . Wahlperiode des B T vom 24. Januar 1963, Stenograph. Bericht, S. 2492; Folz, Diss., S. 191/192. 157 Hannover in Der totale Notstandsstaat, S. 47 ff.; Holz-Neuhöffer, Griff nach der Diktatur?, S. 68 ff. (Texte mit Anm.); Ridder-Stein, Der permanente Notstand, S. 9/10 und 18 ff.; Vulpius , Rechtsfragen der Notstandsgesetzgebung, in Bulletin v. 15.11.1963 Nr. 203, S. 1781 f.; vgl. auch Jahresbericht der B D A 1965, S. 43/44; Evers in Jz 1964, S. 697ff.; I G Metall, Perfekter Notstand S.7ff.; Beermann , Gefahren durch Notstandsgesetze, S. 11 ff. 158 Augstein , Der Spiegel 1966, Nr. 16, S. 37, der der Ansicht ist, von den vier Sicherstellungsgesetzen (Nr. 1—4) hätten mindestens drei als verfassungsändernde Gesetze eingebracht werden müssen (Nr. 1—3), weil sie der Regierung in Widerspruch zu Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG die Ermächtigung zum Erlaß von Rechtsverordnungen gäben, ohne daß Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung im Gesetz bestimmt würden. 159 Entwurf: BTDrucks. IV/892. 160 Entwurf: BTDrucks. IV/894. 161 Entwurf: BTDrucks. IV/893. 182 Entwurf: BTDrucks. IV/1448. 163 Entwurf: BTDrucks. IV/897; kritisch zum Gesetz: Ridder, Notstand '66, S. 23 ff.

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2. Teil: Staatsnotstad nach deutschem Recht

sicherungsgesetz (Artikel 18) vom 20. Dezember 1965 (BGBl. I, S. 2065 [2069]); 6. Gesetz über bauliche Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung vom 9. September 1965 — Schutzbaugesetz (BGBl. I, S. 1232) 164 geändert durch Haushaltssicherungsgesetz (Art. 18). 7. Gesetz über das Zivilschutzkorps vom 12. August 1965 185 (BGBl. I, S. 782), geändert durch Haushaltssicherungsgesetz (Art. 18).

Noch nicht vom Bundestag verabschiedet sind der Entwurf eines „Gesetzes über den Zivildienst i m Verteidigungsfalle (Zivildienstgesetz)" 168 , der Entwurf eines „Gesetzes über Erkennungsmarken (Erkennungsmarkengesetz)" 167 . Erwogen w i r d vom Bundesministerium des Innern ferner die Einbringung eines Gesetzentwurfs über die Einführung einer Grenzschutzpflicht zur Sicherstellung des Personalbedarfs des Bundesgrenzschutzes für den Notstandsfall 168 . Der Entwurf eines Aufenthaltsregelungsgesetzes 189 wurde ebenfalls noch nicht verabschiedet. A u f die Stellungnahmen der einzelnen politischen Parteien zu jenen Gesetzen und Gesetzentwürfen kann hier nicht näher eingegangen werden 170 . Auffallend ist, daß mehrere einfache Notstandsgesetze Regelungen auch für den Nicht-Verteidigungsfall — m. a. W.: den Normalzustand — enthielten, so die Sicherstellungsgesetze der Nummern 1—4. Sie waren auf sog. „Spannungszeiten" zugeschnitten. Grundgesetzlich war der „Spannungsfall" bis 1968 nicht geregelt, er ist Bestandteil der Notstandsverfassung. Der Gedanke, diese Gesetze seien „ohne eine angemessene verfassungsrechtliche Absicherung" (Abg. Jahn [SPD]) 171 zustandegekommen, erscheint demnach nicht als abwegig. Es ist bei der „Vorbereitung auf einen Verteidigungsfall", wie man den Spannungsfall definieren könnte, nicht ausgeschlossen, daß Lebensinteressen der Nation noch nicht bedroht sind, m i t h i n auch auf ein überverfassungsgesetzliches Staatsnotstandsrecht nicht zurückgegriffen werden kann. Für die verfassungsrechtliche Absicherung jener einfachen Notstandsgesetze war m i t h i n ebenfalls die 184

Entwurf: B T Drucks. IV/896. Entwurf: B T Drucks. IV/2106. i6« BTDrucks. IV/450; dazu kritisch: Hannover in Kogon u.a., Der totale Notstandsstaat, S. 48 ff. 187 BTDrucks. IV/2105. 168 Vgl. Ausarbeitung des B M i n I zur Frage des Personalbedarfs und der Rechtsstellung der Arbeitnehmer vom April 1966 S. 9, abgedruckt in RdA 1966, S. 215 ff. 185

189

BTDrucks. IV/895. Dazu vgl. Seifert, Gefahr im Verzuge, S. 14—115; Augstein, Der Spiegel 1966, Nr. 16, S. 37—71. 170

171

Augstein in Der Spiegel 1966, Nr. 16, S. 38.

1. Kapitel: Wesen und Erscheinungsformen

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Schaffung einer weitestmöglich positivierten Notstandsverfassung unerläßlich. Wegen der K r i t i k 1 7 2 an den einfachen Notstandsgesetzen wurden zusammen m i t der Beratung der Notstandsverfassung i m V. Bundestag Neufassungen und Ergänzungen einfacher Notstandsgesetze sowie drei neue einfache Notstandsgesetze (siehe unten Nr. 4. 5 und 6) erörtert und beschlossen 173 . 1. Gesetz zur Änderung des Wirtschaftssicherstellungsgesetzes vom 9. J u l i 1968 (BGBl. I S . 780) 174 ; 2. Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Sicherstellung des Verkehrs vom 9. Juli 1968 (BGBl. I S . 784) 175 ; 3. Gesetz zur Änderung des Ernährungssicherstellungsgesetzes 9. J u l i 1968 (BGBl. I S . 782) 178 ;

vom

4. Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (Gesetz zu A r t i k e l 10 GG) vom 13. August 1968 (BGBl. I S . 949) 177 ; 5. Gesetz über Erweiterung des Katastrophenschutzes vom 9. J u l i 1968 (BGBl. I S . 776) 178 ; 6. Gesetz zur Sicherstellung von Arbeitsleistungen für Zwecke der Verteidigung einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung (Arbeitssicherstellungsgesetz) vom 9. J u l i 1968 (BGBl. I S . 787) 179 . Nach der Verabschiedung der Notstandsverfassung besteht für die einfachen Notstandsgesetze, also sowohl für die 1965 ergangenen unveränderten 180 als auch für die 1965 ergangenen und 1968 geänderten und die 1968 neu ergangenen Gesetze eine ausreichende verfassungsgesetzliche Absicherung. Einzelregelungen der Gesetze, besonders des Gesetzes zu A r t . 10 GG, wurden i n der zweiten Lesung am 29. Mai 1968 von Abgeordneten der FDP 1 8 1 scharf kritisiert. Die umfassende Untersuchung dieser 172

Vgl. Benda, in: Der Arbeitgeber 1967, S. 388—390. Erste Beratung in der 117. Sitzung des Bundestages vom 29. Juni 1967, StenoBer. S. 5862 ff.; Zweite Beratung in der 177. Sitzung vom 29. M a i 1968 StenoBer. S. 9550—9586; Dritte Beratung, 178. Sitzung vom 30. M a i 1968 StenoBer. S. 9655, 9656. 174 Entwurf: BTDrucks. V/2387, V/2931. 175 Entwurf: BTDrucks. V/2388, V/2933. 176 Entwurf: BTDrucks. V/2361, V/2934. 177 Entwurf: BTDrucks. V/1880, V/2930. 178 Entwurf: BTDrucks. V/2585, V/2935. 179 Entwurf: BTDrucks. V/2362, V/2932, zu V/2932; vgl. dazu ferner die ausführlichen Erörterungen im Rahmen der 5. öffentlichen Informationssitzung des Rechtsausschusses und des Innenausschusses des Deutschen Bundestages am 14. Dezember 1967, Protokoll S. 2—97. 180 Wassersicherstellungsgesetz (BGBl. I 1965, S. 1225), Selbstschutzgesetz (BGBl. 1 1965, S. 1240), Schutzbaugesetz (BGBl. 11965, S. 1). 181 StenoBer. S. 9551 ff. 173

122

2. Teil: Staatsnotstad nach deutschem Recht

Ergänzungen der Notstandsverfassung muß einer Spezialbearbeitung vorbehalten bleiben. I V . Ergänzung durch Recht der Bundesländer

Die Notstandsregelung i m Grundgesetz, durch alliiertes Notstandsrecht, durch überverfassungsgesetzliche Notstandsbefugnisse und durch die „einfachen" Notstandsgesetze werden durch Landesrecht 182 ergänzt. Staatsnotstandsregelungen enthalten die Verfassungen von (1) Baden-Württemberg — A r t . 62, (2) Bayern

— Art. 48,

(3) Bremen

— A r t . 101 Abs. 2,

(4) Hamburg

— A r t . 31 Abs. 2 Nr. 3,

(5) Hessen

— A r t . 110, A r t . 125,

(6) Niedersachsen

— A r t . 35,

(7) Nordrhein-Westfalen — Art. 60, (8) Rheinland-Pfalz

— A r t . 111,112.

Diese Bestimmungen treffen Staatsnotstandsregelungen bei „unmittelbarer Gefahr für den Bestand des Staates" (1), „drohender Gefährdung der öffentlichen Ordnung" (2), Vorliegen „außerordentlicher Umstände", die ein sofortiges Eingreifen erfordern (3), i n „dringenden Fällen" (4), „ungewöhnlichem Notstand, der durch Naturkatastrophen oder andere äußere Einwirkungen hervorgerufen worden ist", oder wenn „der verfassungsmäßige Zustand des Landes gefährdet ist" (5), wenn der „Landtag durch höhere Gewalt daran gehindert ist, sich frei zu versammeln,... zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Ordnung oder zur Beseitigung eines Notstandes" (6) (7) oder „zur Behebung eines ungewöhnlichen Notstandes, der durch Naturkatastrophen oder andere äußere Einwirkungen verursacht ist" und dringende Maßnahmen erfordert und wenn „die öffentliche Sicherheit und Ordnung erheblich gestört (wird) und dadurch der verfassungsmäßige Bestand des Landes gefährdet (wird)"

(8). Allen diesen Regelungen ist gemeinsam, daß sie nur für Staatsnotstandsfälle innerhalb eines Bundeslandes gelten. Das ergibt sich schon aus dem Geltungsbereich der einzelnen Landesverfassungen. Für eine Staatsnotstandsnormierung auf Bundesebene wären die angeordneten Rechtsfolgen nur als Beispiele de lege ferenda brauchbar. A u f eine nähere Erörterung von Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Notstands182 Vgl. „Welt der Arbeit" vom 15. April 1966; Klein, Neues Deutsches Verfassungsrecht, S. 211.

1. Kapitel: Wesen und Erscheinungsformen

123

artikel i n den acht genannten Landesverfassungen kann daher hier verzichtet werden. D. Entwürfe für eine das Grundgesetz ergänzende Notstandsregelung und 1968 ergangene Notstandsverfassung I. Änderung oder Ergänzung des Grundgesetzes?

A m Beginn der Erörterungen über die Entwürfe und die 1968 eingefügte Notstandsverfassung soll die Frage stehen, ob die Notstandsregelung das Grundgesetz änderte oder ergänzte. Ob der Parlamentarische Rat 1 „die Frage des Staatsnotstandes nicht m i t genügender Deutlichkeit ins Auge gefaßt" hat, w e i l er unter der „Sicherheitsglocke der Alliierten" 2 stand, ist für die Lösung des Problems, ob die Notstandsverfassung das Grundgesetz änderte oder ergänzte nur von sekundärer Bedeutung. Entscheidend ist, ob der vor 1968 geltende Text des Grundgesetzes eine ausreichende Notstandsregelung enthielt. Das war, wie w i r oben 3 gesehen haben, nicht der Fall: — die Notstandsregelung des A r t . 91 GG regelte nur den Polizeieinsatz bei Notständen i n einem oder mehreren Bundesländern. — A r t . 143 GG legte die Mehrheit für ein Gesetz über den Einsatz der Bundeswehr i m Falle eines inneren Staatsnotstandes fest. — A r t . 81 GG behandelte Fälle von Verfassungsstörungen und — Die Wehrverfassung enthielt nur Teillösungen von Fragen des äußeren Notstandes. Andere Fragen der Staatsnotstandsverfassung waren i m Grundgesetz nicht geregelt, z. B. Verkündung des Notstandes, Kompetenzen zum Ergreifen von Notstandsmaßnahmen, Sicherheit für die alliierten Truppen, Einsatz der Bundeswehr bei innerem Notstand und Streikrecht. Es bestand bezüglich des Staatsnotstandes also eine Lücke i m Grundgesetz4. Die Verfassung mußte nicht geändert, sondern ergänzt werden. Bestätigt w i r d dieses Ergebnis dadurch, daß die Drei Mächte sich mangels hinreichender Sicherung ihrer Truppen i n Deutschland beim Staatsnotstand Sonderrechte vorbehalten hatten, die sie erst bei ausreichender gesetzlicher deutscher Regelung aufzugeben vertraglich gehalten waren. 1

Vgl. zur Debatte dort, Seifert, Gefahr im Verzuge, S. 15 ff. So der damalige B M i n I Schröder in der BT-Debatte vom 28. September 1960, vgl. Seifert, a. a. O., S. 16. 3 Vgl. oben, S. 101 ff. der Untersuchung. 4 Das war auch die Meinung der Sachverständigen bei der 1. und 2. öffentlichen Informationssitzung des Rechtsausschusses und des Innenausschusses des Deutschen Bundestages am 9. November 1967 (Protokoll S. 1—90) und am 16. November 1967 (Protokoll S. 1—103). 2

124

2. Teil: Staatsnotstad nach deutschem echt I I . Ergänzungsentwürfe zum Grundgesetz »tür die Stunde der Not" — Notstandsverfassung und Streikrecht

1. Entwürfe und Notstandsverfassung a) Entwurf der Bundesregierung vom 13. Januar 1960 (Schröder-Entwurf) — K r i t i k Der Schröder-Entwurf 1 hat herbe, berechtigte K r i t i k erfahren 2 . Der Entwurf 1960 vermengt zunächst Staatsnotstand und Verfassungsstörung. Wenn es i n Abs. 2 des geplanten A r t . 115a heißt „Stehen der Beschlußfassung des Bundestages unüberwindliche Hindernisse entgegen. ..", so kann das ebenso den Fall betreffen, daß der Bundestag durch einen von außen kommenden Notstand — Aggression, Revolution, Generalstreik — daran gehindert ist, sich frei zu versammeln (Staatsnotstandsfall), als auch, daß das Parlament an der Arbeit gehindert ist, w e i l i m Innern des Bundestages die Möglichkeit der Beschlußfassung durch Obstruktion verhindert wird. Dann ist das Haus aus Gründen, die bei i h m selbst liegen, außerstande, die i h m durch die Verfassung zugewiesenen Aufgaben wahrzunehmen (Fall der Verfassungsstörung). Gerade für solche Verfassungsstörungen hat das Grundgesetz aber durch A r t . 81 Vorsorge getroffen. Die Vermengung von Staatsnotstand und Verfassungsstörung beruht darauf, daß i m Entwurf der Staatsnotstand nicht klar umrissen wird 8 . Als der Entwurf für den Ausnahmezustand der Bundesregierung legislative und über den Rahmen des i m Grundgesetz Vorgesehenen hinaus exekutive Befugnisse auch für den Fall verlieh, daß die Maßnahmen auf normalem Wege getroffen werden konnten, wurde der allgemeine öffentlich-rechtliche Grundsatz von der Verhältnismäßigkeit des Mittels verletzt 4 . Die Befugnisse der Regierung wurden stärker vermehrt als erforderlich und die Rechte des Parlaments mehr geschmälert als notwendig 6 . 1 Wortlaut: Siehe Anhang S. 1 f.; vgl. auch Bettermann, Notstandsentwürfe der Bundesregierung, in Fraenkel, Der Staatsnotstand, S. 190 ff. 2 u. a. von Arndt in Notstandsgesetz — aber wie?, S. 36 ff.; Gerhard Müller, Notstandsgesetzgebung und Koalitionsrecht — Gespräch in der „Kommende", Dortmund-Brackel, in G M H 1960, S. 625 f. (Deus); Martens, GG und Wehrverfassung, S. 194 ff.; Seifert in G M H 1963, S. 76 ff. 8 4

Darauf weist Gerhard Müller, G M H 1960, S. 625 f. zu Recht hin. Arndt in Notstandsgesetz — aber wie? S. 36.

5 Daß der Ausnahmezustand mit „einfachem" Bundestagsbeschluß festgestellt werden sollte, ist dagegen juristisch nicht zu beanstanden. Die Festlegung von erforderlichen Parlamentsmehrheiten ist, von Art. 79 GG abgesehen, eine politische Entscheidung.

1. Kapitel: Wesen und Erscheinungsformen

125

Nicht sachgerecht war die Zusammenfassung aller Notstandsfälle i n einer „knappen und griffigen" 6 Formel. Die Unterscheidung zwischen äußerem und innerem Notstand und Spannungszustand mußte zumindest gemacht werden 7 . Sie war erforderlich, w e i l die Kompetenzen der Exekutive, um Mißbrauch zu verhindern, gestaffelt werden müssen. Gerade i m Spannungszustand z. B. sind i n der Regel die verfassungsmäßig vorgesehenen Organe von Legislative, Exekutive und Judikative noch handlungsfähig. Sie sollten nicht ohne Zwang aus Pflichten und Rechten entlassen werden. Diese Unterscheidung ist also eine Konsequenz aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit des Mittels. Die Abgrenzung zwischen den Notstandsfällen ist auch möglich. Zwar t r i t t jeder Notstand i m Innern ein, die Unterscheidung zwischen äußerem und innerem Notstand kann aber klar durchgeführt werden, wenn man nicht von dem Gebiet ausgeht, i n dem sich der Notstand auswirkt, sondern auf die Ursache des Notstands abstellt und fragt, woher er kommt. Dann ergibt sich, daß ein äußerer Notstand eintritt, wenn eine fremde Macht einen bewaffneten Angriff auf die Bundesrepublik vornimmt, ein innerer aber durch staatsbedrohende innere Unruhen wie Putsch, Revolution, politische Streiks oder ähnliches ausgelöst wird. Schon aus rein juristischen Erwägungen kann also der Schröder-Entw u r f nicht befriedigen. Es ist deshalb nicht verwunderlich, daß er i n der Aussprache i n Parlament und Öffentlichkeit nicht wieder aufgegriffen wurde. Wesentlich differenzierter ist der Höcherl-Entwurf, den die Bundesregierung dem 4. Deutschen Bundestag vorlegte. b) Entwurf der Bundesregierung vom 31. Oktober 1962 (Höcherl-Entwurf) — K r i t i k I n den Verhandlungen des Bundestages, des Bundesrates, ihrer Rechtsausschüsse, i n Zeitungen, Zeitschriften und anderen Kommunikationsmitteln, auf Parteiversammlungen, Gewerkschaftskongressen, A r beitgeberversammlungen, Akademietagungen und anderen Zusammenkünften ist zu den Problemen des Entwurfs 1962 viel gesagt und geschrieben worden. Hier können nicht alle Stellungnahmen und Argumente kritisch gewürdigt werden. Aus unserer Betrachtung müssen grob vereinfachende und

® Bernhardt, in F A Z v. 22. Februar 1966, S. 9/10 (Notstand und Verfassung). 7 Gerhard Müller in G M H 1960, S. 625; Hamann, in AuR 1962, S. 324; zur Unterscheidung der Notstandsfälle vgl. Abendroth in Kogon u. a. „Der totale Notstandsstaat", S. 16 ff. und die Texte der Entwürfe 1962 und 1965 im Anhang d. Arbeit. Rode in DöV 1966, S. 117.

126

2. Teil: Staatsnotstad nach deutschem R e t

interessendiktierte Ansichten 8 und die rein parteipolitischen mente 9 ausscheiden.

Argu-

Eine „Bedrohung des Grundrechts-Systems" nannte Abendroth 1 0 den Regierungsentwurf der Notstandsverfassung wegen der darin enthaltenen Möglichkeit, Grundrechte zu suspendieren. Wenn aber eine Notsituation vorliegt, die conditio sine qua non für Notstands-Sondervollmachten ist, kann auf Zeit die Einschränkung der Ausübung bestimmter Grundrechte erforderlich werden, u m die Allgemeinheit vor irreparablen Schäden zu bewahren. Die Freiheitssphäre des Bürgers, die i n Friedenszeiten i n seinem Interesse möglichst weit sein sollte, kann i n Ausnahmesituationen einer wirksamen Bekämpfung der Gefahren entgegenstehen, die dem Gemeinwohl drohen. M a n braucht beispielsweise nur an eine große Fluchtbewegung i m Falle des äußeren Notstands zu denken, die Flüchtende und Verteidigung gleichermaßen bedrohen kann. U m sie zu verhindern, müßte i n einem solchen Falle das Grundrecht der Freizügigkeit, A r t . 11 GG, eingeschränkt werden. Selbst i n vergleichsweise ruhigen Zeiten ist aus ähnlichen Überlegungen i n die Paulskirchenverfassung die Möglichkeit einer Grundrechtssuspendierung aufgenommen worden. Einzelheiten über den Umfang möglicher Grundrechtseinschränkungen würden den Rahmen der Untersuchung sprengen. Auch andere kritisiert:

Einzelregelungen

des

Höcherl-Entwurfes

wurden

Es verstoße gegen den Grundsatz rechtsstaatlicher Notstandsregelungen, wenn derjenige, der i m Notstandsfall Ausnahmebefugnisse erhalte, zugleich das Recht besitze, den E i n t r i t t des Notstands zu erklären, d. h. die Voraussetzung für diesen Machtzuwachs zu schaffen. Das aber könne nach der Regelung des Entwurfs geschehen, wenn der Bundespräsident m i t Gegenzeichnung des Bundeskanzlers feststelle, daß der Zustand der äußeren Gefahr eingetreten sei 11 . Bei dieser Überlegung w i r d nicht genügend berücksichtigt, daß diese Regelung dem entsprechenden Beschluß von Bundestag und Bundesrat (bzw. des Notparlaments) gegenüber subsidiär ist. Zunächst haben diese Gremien also den Machtzuwachs zu bewirken. Sind die parlamentarischen Instanzen aber am Beschluß durch äußere, vom Notstand verur8 Otto Brenner: „Wir lassen uns durch keine Notstandsgesetze diese schärfste Waffe der Arbeitnehmer (den Streik — der Verfasser) entreißen...!" Zitiert nach Seifert, a. a. O., S. 41. 9 Zur Haltung der Parteien vgl. Seifert, a. a. O., S. 27 ff. und Schäfer (Fritz), Die Notstandsgesetze, passim. 10 I n Kogon u. a., Der totale Notstandsstaat, S. 15; so auch Gerth in Blätter für deutsche und internationale Politik 1962, S. 530 ff. 11 Seifert, Gefahr im Verzuge, S. 108.

1. Kapitel: Wesen und Erscheinungsformen

127

sachte Einflüsse gehindert, so muß bei Gefahr i m Verzuge eine entscheidungsfähige Instanz handeln, u m die Not vom Staate abzuwenden. Das könnten Bundespräsident und Bundeskanzler sein. Die K r i t i k geht also insoweit fehl. I n diesem Zusammenhang muß dem Entwurf jedoch zum Vorwurf gemacht werden, daß er die Verhinderung des Bundestages und des Bundesrates unter zwei Voraussetzungen vorsieht: wenn dem Zusamment r i t t oder der rechtzeitigen Beschlußfassimg eines oder beider Gremien unüberwindliche Hindernisse entgegenstehen. Bei der zweiten Alternative kann ein Fall der Verfassungsstörung vorliegen, und gerade dieser Fall ist, wie w i r bereits gesehen haben, i m Grundgesetz geregelt (Art.81 GG). Er darf nicht Voraussetzung dafür sein, daß Notparlament bzw. Bundespräsident und Bundeskanzler gemeinsam subsidiär zur Feststellung des Eintritts des Zustands der äußeren Gefahr zuständig werden. Der Forderung, es sei zu garantieren, daß i m Notstandsfall nicht eine an der Macht befindliche Gruppe oder Partei die M i t t e l der Exekutive zur Unterdrückung der anderen ausnutzen könne, widerspricht es, der Regierung i m äußeren Notstand, wenn die Lage unabweisbar sofortiges Handeln erfordert, ein Notverordnungsrecht einzuräumen. Das verbiete — so w i r d argumentiert — auch die verhängnisvolle Praxis bei der A n wendung des Notrechts zur Zeit der Weimarer Republik 1 2 . Von den Verfechtern dieses Arguments w i r d die mögliche Größe der Gefahr für den Staat unterschätzt 13 . Bei unvermutet hereinbrechender Bedrohung, etwa bei einem geheimgehaltenen plötzlichen Angriff auf das Bundesgebiet, kann es durchaus erforderlich sein, sogleich Verordnungen m i t Gesetzeskraft zur Gefahrenbekämpfung zu erlassen. Für diese Lage ist ein Notverordnungsrecht der Exekutive unentbehrlich. Allerdings erscheint es erforderlich, das Notverordnungsrecht an die Voraussetzung zu knüpfen, daß Parlament oder Notparlament durch äußere Einwirkungen daran gehindert werden, Notgesetze zu erlassen. Gegen die Schaffung eines Notparlaments (gemeinsamer Ausschuß) ist vorgebracht worden, es könne sich dort i m Verhältnis zum Bundestag eine Veränderung der Mehrheitsverhältnisse durch die Verminderung der Abgeordnetenzahl von 516 auf 20 nach dem de Hondt'schen System ergeben. Eine Partei könne i n diesem Gremium die absolute Mehrheit erhalten, auch wenn sie i m Parlament weniger als die Hälfte der Mandate besitze 14 . Das ist i n der Tat möglich, ist aber logische Folge jeder 12

Seifert , Gefahr im Verzuge, S. 109/110. Die Freiheitsvermutung (in dubio pro übertäte) wird durch eine Vermutung zugunsten des Gemeinwohls (in dubio pro bono commune) ersetzt; vgl. Ossenbühl in DöV 1965, S. 657 f. 14 Seifert , Gefahr im Verzuge, S. 110. 13

128

2. Teil: Staatsnotstand nach deutschem Redit

Repräsentation einer großen Anzahl von Individuen durch wenige. Auch bei der Berechnung der dafür vorgesehenen Sitze i m Bundestag nach den Zweitstimmen w i r d nach dem de Hondt'schen System vorgegangen, und schon dort ist eine ganz gerechte Verteilung der Sitze nach den Stimmanteilen nicht erreichbar. I m übrigen wiegt dieses Argument gegenüber den Vorteilen, die das Notparlament i n Zeiten, „ i n denen es unvermeidlich ist, gewisse parlamentarische Vorgänge zu komprimieren, auf einen kleinen Teil des Parlaments zusammenzudrängen" 15 , i m Hinblick auf die Gewaltenhemmung durch Gewaltentrennung bietet, nicht sehr schwer. Die Einsetzung eines Notparlaments für das infolge von Notstandsauswirkungen funktionsunfähig gewordene Parlament nach dem Höcherl-Entwurf ist posit i v zu werten. Sie bietet eine weitere Möglichkeit, den Machtzuwachs der Exekutive i m Notstandsfall i n Grenzen zu halten. Nach Äußerungen von Regierungsmitgliedern und Abgeordneten hat das Notparlament i n der Nato-Stabsrahmenübung „Fallex 66" seine praktische Funktionsfähigkeit unter notstandsähnlichen Bedingungen bewiesen 16 . Ob für Entscheidungen des Notparlaments die einfache oder eine qualifizierte Mehrheit verlangt werden muß, ist eine offene Frage. Sie ist jedoch politischer Natur. Weiteren Anlaß zur K r i t i k bot die Regelung, daß die Bundesregierung i m inneren Notstand die Streitkräfte, wenn die Lage unabweisbar einen sofortigen Einsatz m i t der Waffe erfordert, ohne Zustimmung des Bundestages bewaffnet einsetzen darf — A r t . 1151 Abs. 3 E 1962, wie das i m äußeren Notstand bereits durch A r t . 115 b Abs. 3, lit.a E 1962 vorgesehen war. Diese Regelung widerspreche dem Sinn des A r t . 143 GG, der die Bundeswehr davor bewahren solle, in innere Auseinandersetzungen m i t hineingezogen und als innenpolitisches Machtinstrument mißbraucht zu werden 17 . Bei einem inneren Notstand besteht die Möglichkeit, mindestens das Notparlament einsatzbereit zu halten. Dazu bedarf es einer entsprechenden Regelung in der Geschäftsordnung des Notparlaments. Es ist sogar wahrscheinlich, daß das Gesamtparlament entscheidungsfähig ist. Der Einsatz der Streitkräfte m i t der Waffe i m Innern sollte daher i n der Notstandsverfassung nur bei Einwilligung von Bundestag oder Notparlament zugelassen werden. Die Alternative in A r t . 1151 Abs. 3 E 1962 ist zudem zu unbestimmt gefaßt. Auch bei einem Mißbrauch durch Par15

S. 83. 16 17

Nach der Formulierung des Abg. Wehner (SPD), zit. nach Seifert, Vgl. F A Z v. 12. Oktober 1966, S. 4 und vom 27. Oktober, S. 1. Seifert, Gefahr im Verzuge, S. 113.

a. a. O.,

1. Kapitel: Wesen und Erscheinungsformen

129

tei- oder Regierungsinteressen könnte die Exekutive zunächst behaupten, die Lage verlange unabweisbar einen sofortigen Einsatz der Streitkräfte. Zwar müßte auf Verlangen des Bundestages nach dem Entwurf der Einsatz eingestellt werden. Ein solcher Beschluß könnte aber von der Regierung dadurch verhindert werden, daß sie den Zusammentritt des Parlaments nicht zuläßt. Der zweite Satz von A r t . 115 e Abs. 3 des Entwurfs sollte also gestrichen werden. A r t . 143 GG stände der Regelung des Entwurfs nicht entgegen, w e i l er nach § 3 E 1962 aufgehoben werden soll. Daß eine Befristung der Erklärung des Notstandes nicht vorgesehen ist, kann dem Entwurf nicht zum Vorwurf gereichen 18 . Es ist nicht vorhersehbar, wie lange eine Notsituation andauert und ob gegebenenfalls die Proklamation des Notstandes wiederholt werden kann. Daß Notgesetze und Notverordnungen bei Nichterneuerung nach Ablauf von 6 Monaten außer K r a f t treten, und daß das Parlament durch einen vom Bundespräsidenten verkündeten Beschluß den Zustand der äußeren Gefahr für beendet erklären kann, muß daher ausreichen. Für den inneren Notstand sollte eine entsprechende Regelung vorgesehen werden. Die nach dem Entwurf mögliche Suspendierung des Rechts der Verfassungsbeschwerde durch einfaches Gesetz — das ist ein weiterer Einwand gegen den E 1962 — schränke die Möglichkeiten des Bundesverfassungsgerichts, die Notstandsmaßnahmen möglichst zu kontrollieren, zu weit ein 19 . Es erscheint zweckmäßig, dem Bundesverfassungsgericht als Hüter der Verfassung i m Staatsnotstand starke Kontrollrechte einzuräumen und dem einzelnen Staatsbürger die Möglichkeit zu geben, den Schutz seines Spruches gegen nicht notwendige oder zu weitgehende Exekutivmaßnahmen i m Staatsnotstand zu erhalten. Die Bestimmungen über das Bundesverfassungsgericht und die Regelungen der Verfassungsbeschwerde i m Bundesverfassungsgerichtsgesetz sollten daher auch i n der Ausnahmesituation Änderungen entzogen werden. Einer Überlastung des Gerichts w i r d bereits nach geltendem Recht durch den Vorprüfungsausschuß entgegengewirkt. Die Möglichkeit der „Gleichschaltung" 20 w i r d dem Entwurf vorgeworfen. Es widerspreche dem gemäß A r t . 79 Abs. 3 GG unantastbaren Grundsatz des bundesstaatlichen Aufbaus, der auch i m Notstandsfall nicht suspendiert werden dürfe, wenn die Befugnisse der Länder unter Berufung auf eine Ausnahmesituation erstickt würden. Nach dem Ent18 19 20

Dagegen aber: Seifert, a. a. O., S. 109. Seifert, a. a. O., S. 113; Spanner in DöV 1963, S. 659 ff. Seifert, Gefahr im Verzuge, S. 111.

9 Lohse

130

2. Teil: Staatsnotstand nach deutschem Hecht

w u r f könnten die Proklamation eines Notstandes, Notgesetze und Notmaßnahmen gegen den Willen des Bundesrates aufrechterhalten werden. Bei funktionsunfähigem Bundestag könne ein funktionsfähiger Bundesrat bereits durch das Notparlament ausgeschaltet werden. Der Bund erhalte zudem i m Zustand der äußeren Gefahr das Recht zur Gesetzgebung auf Sachgebieten, die sonst zur Zuständigkeit der Länder gehörten. Dieser V o r w u r f ist nicht berechtigt. Ein Widerspruch zu A r t . 79 Abs. 3 GG liegt nicht vor. Weder w i r d nach dem Entwurf i m Staatsnotstand die Gliederung des Bundes i n Länder noch die grundsätzliche M i t w i r kung der Länder bei der Gesetzgebimg aufgehoben. Daß Notmaßnahmen gegen den Willen des Bundesrates aufrechterhalten werden können, ist sachgemäß, w e i l i m Staatsnotstand eine zentrale Bekämpfung der Gefahr wirksamer ist als eine dezentralisierte. I m Notparlament haben die Länder nach dem Höcherl-Entwurf 10 Stimmen von 30, die sie wegen der parteipolitischen Zersplitterung der 20 Abgeordneten des Bundestages i m Gemeinsamen Ausschuß wirksam zur Verteidigung ihrer Interessen einsetzen können. Daß der Bundesrat bei funktionsunfähigem Bundestag nicht neben dem Notparlament entscheiden kann, ist die Folge seiner Repräsentation durch 10 Stimmen i n jenem Gremium. Wegen der vielfachen Ansatzpunkte zur K r i t i k , die der Entwurf bietet, kann er — auch juristisch — nicht v o l l befriedigen 21 . Das hat der Rechtsausschuß des Bundestages erkannt und i n einem von i h m vorgelegten Entwurf zu vermeiden gesucht. Ob jener ganz den Anforderungen entspricht, die i n einem demokratischen Rechtsstaat an die Notstandsverfassung gestellt werden müssen, w i r d i m folgenden zu untersuchen sein. c) Rechtsausschuß-Entwurf vom 31. M a i 1965 (Benda-Entwurf) — K r i t i k I n 38 Sitzungen 22 hat der Rechtsausschuß des Bundestages unter Vorsitz des Abg. Wilhelmi (CDU) m i t dem Abg. Benda als Berichterstatter den Regierungsentwurf 1962 beraten. Die Vorlage war i h m federführend 2 3 zur Beratung überwiesen worden. Bei der Beschlußfassung über den geänderten E n t w u r f 2 4 ist insbesondere das Ergebnis von Bespre21 Das ist nach Schubart in G M H 1965, S. 455 der Grund dafür, daß er in der gegenwärtigen juristischen und politischen Erörterung keine große Rolle mehr spielt. Auf die Stellungnahme des Bundesrates zum E 1962 kann hier nicht eingegangen werden, weil sie für die gegenwärtige Erörterung ebenfalls kaum mehr von Bedeutung ist. Auf die dort vorgeschlagene Streikrechtsregelung (BTDrucks. IV/891, Anl. 2, S. 17 ff., Seifert, a. a. O., S. 141 ff.) wird unten näher eingegangen werden. 22 Bericht des Abg. Benda zu BTDrucks. IV/3494, S. 1. 23 Mitberatend: BT-Ausschüsse für Inneres und Verteidigung. 24 Die umfangreiche Änderung kommt einer Neufassung gleich.

1. Kapitel: Wesen und Erscheinungsformen

131

chungen zwischen den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP berücksichtigt worden 25 . I n der Schlußabstimmung i m Ausschuß stimmten die 14 Mitglieder des Rechtsausschusses, die der CDU/CSU- und FDP-Fraktion angehörten, für den Entwurf; das einzige der SPD angehörige anwesende Ausschußmitglied enthielt sich der Stimme 2 6 . Während die Bundesregierung i m E 1962 der Exekutive eine überragende Stellung i m Notstandsfall einräumen wollte, „stand i m M i t t e l punkt der Überlegungen des Rechtsausschusses, daß das Parlament seine Verantwortimg für das Wohl des Staates auch und gerade i m Zustand der Gefahr wahrnehmen muß, und daß daher nach Möglichkeiten gesucht werden muß, u m die Volksvertretung i n die Lage zu setzen, dieser Aufgabe gerecht zu werden" 2 7 . U m dieses Ziel zu erreichen, w i l l die Vorlage des Rechtsausschusses das Grundgesetz i n 21 A r t i k e l n ergänzen oder ändern. 28 Der E 1962 hatte 14 A r t i k e l einfügen oder ändern wollen. Die Ausschuß vorläge hat einen komplizierten Mechanismus zur Regelung der Notstandsfälle vorgeschlagen. Zu diesem umfassenden Entwurf eines Gremiums, das an der Rechtsetzung hinsichtlich der Notstandsverfassung beteiligt war, liegt bisher verhältnismäßig wenig 2 9 juristische K r i t i k vor 3 0 . Es sollen daher hier einige kritische Bemerkungen zum Benda-Entwurf (BE) gemacht werden, ohne jedoch zu übersehen, daß für diese Untersuchung nur seine Streikregelung von entscheidender Bedeutung ist. Die Vorlage mutet noch „technischer" an als der Höcherl-Entwurf und w i r k t durch die Änderungen hinsichtlich 21 A r t i k e l des Grundgesetzes noch unübersichtlicher als dieser. Sie ist keine „knappe und griffige" Notstandsformel, wie sie sich Bernhardt 3 1 wünschte und auch nicht nur „auf den ersten Blick so kompliziert und umständlich", wie Benda 82 meint. 25 Vgl. zum Benda-Entwurf Schubart in G M H 1965, S. 457 ff. und Der Spiegel 1965, Nr. 23, S. 21 f. 26 Benda, Die Notstandsverfassung, S. 62. 27 Benda, Die Notstandsverfassung, S. 62. 28 Die Vorlage gliedert sich in zwei Paragraphen: § 1 enthält den Wortlaut der Grundgesetzergänzung, und § 2 bestimmt, daß das Gesetz am Tage nach seiner Verkündung in Kraft tritt. 29 Positiv: Benda, Die Notstandsverfassung, S. 62 ff. ; derselbe, Bericht des Rechtsausschusses zu BTDrucks. IV/3494 und Schubart in G M H 1965, S.463 hinsichtlich des äußeren Notstands: „Wohl ausgewogene Regelung". Kritischer Evers, Die perfekte Notstandsverfassung in AöR Band 91 (1966), S. 1—41 und 193—222. 80 Vgl. bezüglich der Stellungnahme der politischen Parteien: BT-Debatte vom 16. Juni 1965, I V . Wahlperiode, 190. Sitzung, 2. Lesung, Höcherl-Entwurf, Beratung über den BE. StenoBerichte, S. 9525—9566. 81 I n F A Z vom 22. Februar 1966, S. 10. 82 Benda, Die Notstandsverfassung, S. 65,66.

9•

132

2. Teil: Staatsnotstand nach deutschem R e t

A l l e i n bei der Mannigfaltigkeit der Probleme, die der Staatsnotstand einer modernen Industrienation stellt, ist eine differenzierende Lösung unerläßlich, wenn man — eine wirksame Bekämpfung drohender Gefahren ermöglichen und — Mißbrauch von Notstandsbefugnissen durch einen Machthaber, eine Gruppe oder eine Institution verhindern w i l l , m i t einem modernen Wort, einem „Establishment" mißbrauchter Macht entgegentreten w i l l 3 3 . Der Entwurf versucht sowohl eine wirksame Gefahrenabwehr zu erreichen als auch die Rechtssicherheit weitestmöglich zu gewährleisten. Daß die Vorlage komplizierte Regelungen enthält, sollte ihr also dann nicht zum V o r w u r f gemacht werden, wenn befriedigende Lösungen für alle anfallenden Notstandsprobleme gefunden wurden. Zur sehr i n Einzelheiten gehende Regelungen gefährden nämlich Effektivität und Sicherheit nur, „wenn sie nicht glasklar sind und sich widerspruchslos ineinanderfügen, w e i l besonders i n Ausnahmesituationen jede Auslegungsfrage einen politischen Konflikt heraufbeschwört" 34 . Sprachlich ist der Entwurf nicht v o l l gelungen 35 . Wendungen, wie die folgende sollten vermieden werden: „Die Bundesregierung darf eine i n Bundesgesetzen über die Verteidigung einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung vorgesehene Feststellung m i t gesetzlich festgelegten Rechtswirkungen nur treffen, nachdem der Gemeinsame Ausschuß sie gebilligt hat" (Art 53a Abs. 3 BE). Solche Formulierungen sind unschön und ungenau. Sachlich ist die zentrale Neuerung 36 des BE i m Vergleich zum Höcherl-Entwurf die Stärkimg des Notparlaments für den Fall des äußeren Notstands („Zustand der äußeren Gefahr"). Das Notparlament („Gemeinsamer Ausschuß") soll als Verfassungsorgan eigener A r t i n Friedenszeiten und i m Notstand wichtige Aufgaben übernehmen. Dazu Benda 37 : „Während nach damaliger Meinung der Bundesregierung der Notstand die „Stunde der Exekutive" ist, also alle Verantwortung für die erforderlichen Sofortmaßnahmen auf Regierung und Verwaltung übergehen soll, stand i m Mittelpunkt der Überlegungen des Rechtsausschusses, daß das Parlament seine Verantwortung für das Wohl des Staates auch und gerade i m Zustande der Gefahr wahrnehmen muß und 38

Evers, in AöR Band 91,1966, S. 4. Evers, a. a. O., S. 5. 85 Evers, a. a. O., S. 21: „Umständliche Formulierungen". 88 Bericht des Rechtsausschusses zu BTDrucks. IV/3494, S. 8: „Eigentliches Kernstück" der Notstandsverfassung. 87 Die Notstandsverfassung, S. 62/63. 34

1. Kapitel: Wesen und Erscheinungsformen

133

daher nach Möglichkeiten gesucht werden muß, u m die Volksvertretung i n die Lage zu setzen, dieser Aufgabe gerecht zu werden." Der i n der Vorlage des Rechtsausschusses enthaltene Vorschlag, für den wahrscheinlichen Fall der Funktionsunfähigkeit des Parlaments ein Notparlament aus 11 Vertretern der Bundesländer und 22 Abgeordneten des Bundestages zu schaffen, ist jeder Alleinbevollmächtigung der Exekutive i m Notstand vorzuziehen, w e i l er dem demokratischen Normalzustand näher ist. Die Vertrauensgrundlage i m Verhältnis Bürger — Staat ist größer, wenn die Gewißheit besteht, daß vom Volk gewählte Abgeordnete die Maßnahmen i n der Stunde der Not mitbestimmen und kontrollieren, die Staatswillensbildung also auch dann entscheidend beeinflussen, wenn das Gemeinwesen ernsthaft bedroht ist. Verfassungssystematisch ist es folgerichtig, die Regelungen über das Notparlament den Abschnitten über Bundestag und Bundesrat i n einem besonderen Abschnitt IVa des Grundgesetzes nachzustellen und sie nicht — wie der E 1962 — i n den 1. A r t i k e l des Zustandes der äußeren Gefahr — A r t . 115a Abs. 2 E 1962 — einzufügen. Daß bei der Zusammensetzung des Notparlaments jedem Bundesland eine Stimme gegeben werden soll, daß also das „Stimmengewicht der Länder nivelliert" 8 8 wird, muß i n Kauf genommen werden, u m jedem Bundesland eine Repräsentation i n der Notlegislative zu schaffen und — andererseits — den Gemeinsamen Ausschuß nicht unpraktisch groß werden zu lassen. Daß das Notparlament schon i n Friedenszeiten tätig werden und Gesetze, die nach Meinung der Bundesregierung bei äußerem Notstand erlassen werden müssen, vorberaten soll, stellt gegenüber dem E 1962 eine weitere Verbesserung dar: Der Kontrolle der Volksvertretung werden damit Entwürfe unterworfen, die sonst nur den Experten der Exekutive bekannt sind und i n den Panzerschränken der Regierung lagern. Die gesamte Diskussion über „Schubladengesetze" 88 würde damit gegenstandslos. Wegen der geringen Mitgliederzahl ist auch die Geheimhaltung i m Notparlament zu gewährleisten. Bundestag und Bundesrat, die nach A r t . 53a Abs. 1 BE die Geschäftsordnung des Gemeinsamen Ausschusses beschließen, haben es i n der Hand, diese so zu gestalten, daß i n Friedenszeiten ihre Rechte nicht unzulässigerweise beeinträchtigt werden. Seine „eigentliche und wichtigste Funktion" 4 0 erhält das Notparlament ohneh i n erst i m Zustand der äußeren Gefahr. Dann erst ersetzt der Gemeinsame Ausschuß u.U. Bundestag und Bundesrat. I n „ruhigen Zeiten" soll er jene Tätigkeit vorbereiten. Daß grundsätzlich alle einfachen Gesetze 38 30 40

Evers in AöR Band 91 (1966), S. 6. Vgl. Ridder, Notstand '66, S. 41 statt vieler. Benda, Die Notstandsverfassung, S. 74.

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2. Teil: Staatsnotstand nach deutschem R e t

auf dem i m Grundgesetz vorgesehenen Gesetzgebungsweg erlassen werden sollen, selbst wenn sie der Abwehr der Gefahr für den Staat dienen und erst i m äußeren Notstand wirksam werden, folgt schon aus dem subsidiären Charakter des Notparlaments. Die vorbereitende Tätigkeit der Notlegislative kann sich nur auf geheimhaltungsbedürftige Regelungen und auf Gesetzgebungsmaterien beziehen, für die eine Bundesgesetzgebungskompetenz erst i m Falle des äußeren Notstands entsteht. Daß ein so kleines Gremium wie das vorgesehene Notparlament i m Falle des äußeren Notstands verfügbar und beschlußfähig ist, ist mindestens ebenso wahrscheinlich wie die Handlungsfähigkeit der Bundesregierung i n einer solchen Krisensituation. Für ein verkleinertes „ K r i senkabinett" i. S. des A r t . 115 f BE besteht allerdings eine Vermutung schnellerer und wahrscheinlicherer Handlungsfähigkeit als für das Notparlament. K a n n das Notparlament nicht zusammenkommen, so w i r d seine Beteiligung am Notrechtsetzungsverfahren nicht verlangt, wenn — dem sofortigen Zusammentritt unüberwindliche Hindernisse entgegenstehen oder es nicht beschlußfähig ist und — die Lage unabweisbar ein sofortiges Handeln verlangt, A r t . 115 e Abs. 4 BE. I n diesem Falle kann die Regierung diejenigen vorläufigen Maßnahmen beschließen, die nach den vom Notparlament beratenen, noch nicht i n K r a f t gesetzten Gesetzentwürfen zulässig wären. Diese Regelung soll ein Notverordnungsrecht der Regierung bzw. des Krisenkabinetts ersetzen. Ist sie dazu i n der Lage? Zwar entfällt m i t der vom Rechtsausschuß angestrebten Regelung u . U . „einer der schwierigsten Streitpunkte, der der Verabschiedung einer Notstandsverfassung bisher entgegengestanden hat" 4 1 , aber die Effektivität der Regelung muß bezweifelt werden. Selbst eine stark i n Einzelheiten gehende Planung kann nicht jeden Notstandsfall erfassen. Angriffsart, Angriffsziel, Angriffsintensität, Angriffsdauer, Verwüstungsgrad, Fluchtbewegungen und viele andere Faktoren können beim Notstand unvorhersehbar variieren. Wenn i n einem solchen Fall das Notparlament nicht handlungsfähig ist, muß der Regierung ein Notverordnungsrecht zugestanden werden, schon u m i m Ernstfall zu verhindern, daß die Exekutive auf das übergesetzliche Notstandsrecht zurückgreift und damit alle jene Fesseln abstreift, die i h r auch i m Notstand i m Interesse sozialer Rechtsstaatlichkeit auferlegt werden müssen. Dieses Notverordnungsrecht muß i m Interesse wirksamer Ausübung der Staatsgewalt i m Falle der Zernierung des Bundesgebietes (Kataraktfall) sogar auf die Landesexekutiven übertragbar sein. I n Anlehnung an A r t . 115c Abs. 2 E 1962 erscheint folgende Regelung diskutabel: 41

Benda, Die Notstandsverfassung, S. 71.

1. Kapitel: Wesen und Erscheinungsformen

135

„Stehen dem rechtzeitigen Zusammentritt des Notparlaments unüberwindliche Hindernisse entgegen und erfordert die Lage unabweisbar ein sofortiges Handeln, so kann die Bundesregierung Verordnungen m i t Gesetzeskraft auch gem. A r t . 115 d (BE-Entwurf — der Verfasser) — Notverordnungen erlassen und diese Befugnisse für einzelne Aufgaben auf von ihr zu bestimmende Behörden übertragen. Die Notverordnungen können vom Bundestag m i t Zustimmung des Bundesrates oder vom Notparlament aufgehoben werden". Die hier gewählte Lösung w i r d auch der Möglichkeit von Kataraktfällen gerecht. Die abgetrennten Teile des Bundesgebietes können auf diese Weise selbst dann regiert werden, wenn das Notparlament nicht zusammentreten kann, auch zur Bundesregierung keine Verbindung mehr besteht und die Lage sofortiges Handeln einer regionalen Exekutive unabweisbar erforderlich macht. I n dieser Lage ist es besonders wahrscheinlich, daß gesetzesvertretende Verordnungen erforderlich werden, die Regelungen enthalten, die i m Notparlament nicht vorberaten wurden. Da nämlich i n Normalzeiten weder die Größe des abgetrennten Gebietes noch die Dauer der Abtrennung vorhersehbar sind, können insoweit mögliche Maßnahmen nicht vorher erwogen werden. I m Falle des A r t . 115 e Abs. 4 BE wurde der Verzicht auf ein Notverordnungsrecht der Bundesregierung zudem 42 m i t der Durchbrechung des Grundsatzes von der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung erkauft: Die Bundesregierung wird, wenn dem sofortigen Zusammentritt des Notparlaments unüberwindliche Hindernisse entgegenstehen oder es nicht beschlußfähig ist, m i t der Ermächtigung zum Handeln nach den vorberatenen, aber nicht i n Kraft befindlichen Texten von Gesetzentwürfen zu Handlungen ermächtigt, die i m geltenden Recht keine Stütze haben. Die Lösung des Benda-Entwurfs weist auch einen weiteren Nachteil auf: Nach der Wahl eines neuen Bundestages und der Neuwahl anderer Notparlamentsmitglieder muß die Meinung des Notparlaments zu allen vorberatenen Gesetzentwürfen neu ermittelt werden. I m Falle geänderter Beurteilung eines Entwurfs i m neugewählten Notparlament ist dieser zu modifizieren. Wenn während der u.U. langwierigen Änderung ein Fall äußeren Notstands eintritt, liegt entweder nur der alte Entwurf vor, oder es bestehen ein alter Entwurf und Fragmente eines neuen. Kann i n dieser Lage das Notparlament nicht zusammentreten, so besteht Unklarheit darüber, welche Vorschriften angewandt werden sollen. U m die Verwaltung und damit auch die Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen, muß die Bundesregierung ein Notverordnungsrecht haben. 42

Evers, AöR Band 91 (1966), S. 8.

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2. Teil: Staatsnotstand nach deutschem R e t

Daß das Recht der Opposition zur K r i t i k an Parlamentsmehrheit u n d Regierung durch Teilnahme an den Beratungen des Notparlaments und die daraus sich ergebende Geheimhaltungspflicht „verblassen" 4 3 kann, ist dem Benda-Entwurf nicht anzulasten. Auch bei der Mitarbeit i n einigen Parlamentsausschüssen (Verteidigung, Inneres) w i r d dieser Preis f ü r die konstruktive Beteiligung der Opposition am Parlamentsleben bezahlt. I n bezug auf das Notparlament hat Evers 4 4 einen weiteren Einw a n d gegen die Ausschuß vorläge: „ D o r t (in A r t . 53 a Abs. 3 B E — der Verfasser) w i r d die Inanspruchnahme bestimmter Notstandsbefugnisse von einer vorherigen generellen B i l l i g u n g des Gemeinsamen Ausschusses abhängig gemacht. Aber nach A r t . 53 a Abs. 3 aaO. k o m m t eine B i l l i g u n g n u r dann i n Betracht, wenn das einfache Gesetz hierfür Raum läßt, so daß der einfache Gesetzgeber durch eine verfassungsrechtlich zulässige, n u r anders gestaltete K o n s t r u k t i o n der Notstandsbefugnisse die Bremse des A r t . 53a I I I aaO. wieder außer F u n k t i o n setzen kann;...". Diese K r i t i k beachtet nicht genügend, daß das Notparlament i n Friedenszeiten u n d i m äußeren Notstand n u r den einfachen Gesetzgeber ersetzen kann und ersetzen soll 4 5 . Auch dann soll es n u r Aufgaben w a h r nehmen, die der einfache Gesetzgeber auf Zeit nicht erfüllen kann. T r i f f t daher der einfache Gesetzgeber bereits eine Regelung, so ist f ü r eine Entscheidung des Notparlaments n u r dann Raum, w e n n er v o m Gesetzgeber ausdrücklich offengelassen w i r d . M i t der Entscheidung des einfachen Gesetzgebers w i r d das Notparlament nicht etwa überspielt, sondern es hat insoweit überhaupt keine Rolle. Aber schon aus den anderen Bedenken ergibt sich die Notwendigkeit einer Ergänzung der Notparlamentsnormen i n der Rechtsausschußvorlage. Die Präzisierung, die i n der geplanten Neufassung des A r t . 59a Abs. 2 G G enthalten ist, ist zum T e i l sachdienlich. Statt des ersten Satzes der geltenden Fassung „stehen dem Zusammentritt des Bundestages unüberwindliche Hindernisse entgegen, so kann bei Gefahr i m Verzuge der Bundespräsident m i t Gegenzeichnung des Bundeskanzlers diese Feststellung (daß der Verteidigungsfall eingetreten ist — der Verfasser) treffen u n d verkünden", sollte folgende Formulierung verwandt werden: „Stehen dem rechtzeitigen Zusammentritt des Bundestages unüberwindliche Hindernisse entgegen, oder ist er durch äußere E i n w i r kungen nicht beschlußfähig u n d erfordert die Lage unabweisbar ein so48

Evers, a. a. O., S. 11/12. Rechtsprobleme des äußeren Notstandes (Gutachten, S. 54), vgl. auch AöR Band 91,1966, S. 12 ff. 45 Das Grundgesetz kann nicht durch Notgesetz geändert oder ganz oder teilweise außer Kraft gesetzt werden. — Art. 115 e Abs. 1 BE. 44

1. Kapitel: Wesen und Erscheinungsformen

137

fortiges Handeln, so kann der Bundespräsident m i t Gegenzeichnung des Bundeskanzlers die Feststellung treffen." Schon K l e i n 4 6 hatte eine nähere zeitliche Bestimmung für den Nichtzusammentritt des Bundestages für erforderlich gehalten und von der Unmöglichkeit „rechtzeitigen" Zusammentretens gesprochen. Der Rechtsausschuß hat die Unmöglichkeit „sofortigen" Zusammentritts zur Voraussetzung des Handelns von Bundespräsident und Bundeskanzler gemacht. Diese Anforderung ist übertrieben hoch: Erst wenn ein rechtzeitiges Zusammentreten des Parlaments nicht gewährleistet ist und schnell gehandelt werden muß, sollte man die Rechte des Parlaments verlagern. Ein Gremium von der Größe des Bundestages benötigt Zeit zum Zusammentreten, selbst wenn alle Abgeordneten sich i n Bonn befinden würden. Schon rein logisch kann ein Zusammentritt nicht „sofort" erfolgen. Auch i n anderen A r t i keln der Vorlage sollte das A d j e k t i v „sofortig" durch „rechtzeitig" ersetzt werden: A r t . 53a Abs. 3, A r t . 59a Abs. 4, A r t . 115a Abs. 2,3 und 5, A r t . 115e Abs. 1 und 4 und A r t . 115h Abs. 3 und 4. Die klarere Abgrenzung von Rechten und Pflichten des Notparlaments i n der Rechtsausschußvorlage (z. B. i n A r t . 115c BE — Notparlament hat u.U. Rechte eines Untersuchungsausschusses und des Richterwahlausschusses) gegenüber dem E 1962 ist sachdienlich. Auch geht die K r i t i k von Evers 47 an der sofortigen Wahl eines Stellvertreters des Bundespräsidenten durch das Notparlament (Art. 115 h Abs. 3 BE) ohne Abwarten der 30-Tage-Frist des A r t . 54 Abs. 4 GG fehl, w e i l das A m t des Bundespräsidenten i m Staatsnotstand nicht 30 Tage vakant bleiben kann. Berechtigt ist dagegen Evers' 48 , Einwendung gegen die leichte Absetzbarkeit des Bundeskanzlers nach A r t . 115h Abs. 5 BE. Sie widerspricht dem bewußt schwerfälligen Verfahren nach A r t . 67 GG. Daß i m äußeren Notstand nach A r t . 115d BE die volle Organisationsgewalt i m Bundesgebiet dem Bund zukommt, ist bei intensiver Bedrohung zweckmäßig. U m einen Mißbrauch der schweren und schwersten Waffen durch die Streitkräfte bei einem Einsatz i m Innern für polizeiliche Aufgaben während des Zustandes der äußeren Gefahr auszuschließen, sollten, Evers' 49 Vorschlag folgend, i n A r t . 115d Abs. 3a BE die Worte „ f ü r polizeiliche Aufgaben" durch „als Polizeikräfte" ersetzt werden. Als der E 1962 den inneren Notstand („Zustand der inneren Gefahr") in einem Abschnitt X d besonders und einheitlich regeln wollte, hatte 46 47 48 49

v. Mangoldt-Klein, Art. 59 a, Anm. I I I 5 a. Evers , AöR Band 91 (1966), S. 20. Evers, a. a. O., S. 20. Evers, a. a. O., S. 26 ff. (32).

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2. Teil: Staatsnotstand nach deutschem R e t

sich eine merkwürdige Systematik ergeben, w e i l die bereits vorhandene Normierung i n A r t . 91 GG i m Text des Entwurfes ignoriert wurde. A n scheinend beziehungslos stand sie weiter i m V I I I . Abschnitt „Ausführung der Bundesgesetze und die Bundesverwaltung". Zwar hatte die Begründung in der Bundestagsdrucksache IV/891, S. 15 darauf Bezug genommen und erklärt, die Vorschrift des A r t . 115k stelle „systematisch" eine Erweiterung des A r t . 91 Abs. 1 GG, die des A r t . 1151 „rechtssystematisch" eine Ergänzung des A r t . 91 Abs. 2 GG dar. Warum dann aber die systemgerechte Einordnung bei A r t . 91 GG nicht vorgenommen wurde, geht aus der amtlichen Begründung nicht hervor. Es ist ein Vorteil der Rechtsausschußvorlage, die Regelungen des inneren Notstands i n A r t . 91 und 91a BE getroffen zu haben. Daß der Entwurf zwischen regionalem und überregionalem inneren Notstand unterscheidet 50 , und so eine Unklarheit des geltenden Rechts beseitigen w i l l , ist ebenfalls positiv zu werten. Ein Versäumnis des Entwurfes ist es dagegen, daß die drohende Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes nicht definiert wurde. Warum das nicht geschah, ist dem Bericht des Abg. Benda nicht zu entnehmen. Der E 1962 hatte eine solche Umschreibung i n A r t . 115 i versucht. Sie hätte für die Benda-Vorlage umso näher gelegen, als i n Abs. 6 des geplanten A r t . 91 ein Fall des inneren Notstands von Abwehrmaßnahmen ausdrücklich ausgenommen wurde: der arbeitsrechtliche Streik. Gegenüber jener negativen Umschreibung hätte eine positive Begriffsbestimmung hier präzisierend gewirkt. Wie bei der Regelung des äußeren Notstands fehlt auch bei der Regelung der inneren Gefahr ein eng begrenztes Notverordnungsrecht der Bundes- oder Landesexekutiven. Nach Benda 51 geht der Entwurf davon aus, daß bei einem inneren Notstand alle Verfassungsorgane immer voll funktionsfähig bleiben. Das mag i n der Regel richtig sein. Bei einer Revolution, einem Putsch oder einem Generalstreik ist diese Einstellung zu optimistisch. Die Zufahrtswege zum Parlament könnten unterbrochen sein, oder Parlamentsmitglieder könnten i n den Wirren festgehalten oder getötet werden. Schon diese Beispiele zeigen, daß auch i m inneren Notstand ein Notverordnungsrecht der Exekutive unentbehrlich ist. Bereits der E1962 hatte es i n A r t . 1151 Abs. 2 vorgesehen. Bei überregionalen Notständen i. S. des A r t . 91 Abs. 2 BE w i r d die Weisungsbefugnis der Bundesregierung gegenüber den Ländern i m Entw u r f auf die Rechte beschränkt, die das Grundgesetz der Bundesregierung bei der Auftragsverwaltung einräumt. Wegen der laufenden Prak50 51

Benda, Die Notstandsverfassung, S. 133. Benda, a. a. O., S. 134.

1. Kapitel: Wesen und Erscheinungsformen

139

tizierung dieser Regelung i n Normalzeiten ist sie besonders geeignet, auch i n Notfällen zu funktionieren. Warum der Benda-Entwurf den Katastrophenzustand, wenn er i h n schon i m Grundgesetz regeln w i l l , nicht als Fall des inneren Notstands behandelt 52 und damit die Notstandsverfassung weiter kompliziert, bleibt unklar. Auch der Katastrophenzustand ist ein „Zustand der inneren Gefahr". Es hat sich gezeigt, daß nach dem Benda-Entwurf der Notstand — auch — die „Stunde der Legislative" ist. Allerdings w i r d der Machtzuwachs der Exekutive nach den Befugnissen aus den einfachen Notstandsgesetzen und den vom Notparlament vorzubereitenden Ermächtigungen nicht unterschätzt werden dürfen. Aber „offenbar könnte auch eine perfekte Notstandsverfassimg diese Verlagerung von der Legislative zur Exekutive nur u m den Preis ihrer Effektivität verhindern" 5 8 . Z u den Grundrechtsverkürzungen des Benda-Entwurfs, der Stellung des Bundesverfassungsgerichts, den Sicherungen gegen Mißbrauch der außerordentlichen Befugnisse und der Rückkehr i n die Normallage nach dem Notstand nimmt Evers 54 ausführlich und zutreffend Stellung. A u f seine Ausführungen zu diesem wichtigen Teilproblem der Notstandsverfassung kann hier verwiesen werden. Es bestehen auch i m Benda-Entwurf m i t h i n noch Unebenheiten, Unzweckmäßigkeiten und Lücken. d) Entwurf der Bundesregierung vom 10. März 1967 (Lücke-Entwurf) — K r i t i k I n der 5. Wahlperiode legte die Bundesregierung dem Bundestag erneut einen Entwurf der Notstandsverfassung vor, der Fehler des BendaEntwurfs verbessern sollte 55 . Er w i r d in der Diskussion allgemein nach dem damaligen Bundesminister des Innern Lücke-Entwurf (LE = E 1967) genannt 58 . Der L E läßt i n der Formulierung und i n den Regelungen erkennen, daß er ein politischer Formelkompromiß ist, der keine ausreichende, rechtlich einheitliche Regelung enthält. Er wurde daher mehr82

Insoweit in Übereinstimmung mit dem E1962. Evers in AöR Band 91 (1966), S. 25. 54 Evers, a. a. O., S. 200 ff. 55 Der Entwurf wurde am 10. März 1967 im Bundeskabinett beraten und gebilligt (vgl. den ungezeichneten Artikel „Sicherung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung" im Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung vom 14. März 1967 [Nr. 26] S. 209/10). Bundesverteidigungsminister Schröder soll bei der Kabinettsentscheidung geg§n den LückeEntwurf gestimmt haben (nach: „Die Welt" vom 14. März 1967 S. 2). 58 Wortlaut: s. Anhang S. 262 ff. 58

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2. Teil: Staatsnotstand nach deutschem Redit

fach als unzureichende Vorlage für eine Notstandsverfassung siert 57 .

kriti-

Der L E ändert oder ergänzt das Grundgesetz i n 20 Artikeln. Er ist untergliedert in: aa) Grundrechtsänderung (Art. 10,12 GG), bb) Schaffung eines Gemeinsamen Ausschusses ( = Notparlament) — IVa. Abschnitt A r t . 53 a, cc) Regelung für den inneren Notstand (Art. 91), dd) Normen für den Zustand äußerer Gefahr (X a. Abschnitt, A r t . 115a — Art. 115 e). Z u aa) Änderung von Art 10 und Art 12 GG Wenn A r t . 10 GG eine Überwachung der Post und der Telefongespräche von Bewohnern des Bundesgebietes aus bestimmten, i m einzelnen angeführten Gründen des Staatsschutzes ermöglicht, so w i r d man dieser Regelung wegen des Gewichts der geschützten Rechtsgüter zustimmen können, soweit nicht das Grundrecht des A r t . 10 i n seinem Wesensgehalt angetastet w i r d (Art. 19 Abs. 2 GG) 58 . Die entsprechende Regelung des L E wurde daher auch i n das Grundgesetz aufgenommen. Dagegen ist die i m L E vorgesehene Kontrolle der Überwachung i m Interresse der Überwachten durch von der Volksvertretung bestellte Organe und Hilfsorgane (sogenannte Parlamentslösung) abzulehnen. Zu eng ist die überwachende Regierung m i t der regierungstragenden Parlamentsmehrheit verbunden, zu groß ist die Gefahr, daß durch Geheimhaltungsvorschriften die Oppositionsvertreter i n dem Kontrollgremium zum Schweigen veranlaßt werden, nachdem sie vorher überstimmt wurden. N u r ein unabhängiger Richter vermag hier wirksam die Überwachung zu kontrollieren (sogenannte Richterlösung). W i r d dem Überwachten schon nicht der Rechtsweg gegen die Maßnahmen der Überwachungsbehörde geöffnet, wie es grundsätzlich nach A r t . 19 Abs. 4 GG gegen behördliche Maßnahmen zu geschehen hat, so sollte über die Beschwerde gegen Überwachungsmaßnahmen ein Organ der Judikative angerufen werden können. 57 Vgl. statt vieler: Entschließung des Bundesausschusses des DGB vom 5. Juli 1967 S. 3 ff.; Stellungnahme des Kuratoriums „Notstand der Demokratie" — Pressedienst (ohne Datum); „Die Welt" vom 28. Juni 1967 (HertzEichenrode: Vorsorge für den Notfall); Seifert: Rennt die SPD blind in eine Falle?, in: Holzarbeiterzeitung 1967 (Heft 7) S. 8/9; Dorn, Die Notstandsgesetzgebung im Deutschen Bundestag, in: Vorbereitung auf den Notstand? S. 37; Lohse, Der Entwurf 1967 der Notstandsverfassung und seine Vorläufer, in: ZStW 1968 (Heft 2) S. 369 ff., jeweils m. w. N. Entgegen diesen kritischen Beiträgen wurde der Entwurf positiv beurteilt in: Notstandsgesetzgebung, Behauptungen und Tatsachen, S. 2 ff. (herausgegeben vom Vorstand der SPD). 58 Sträter, Diss., passim.

1. Kapitel: Wesen und Erscheinungsformen

141

Die Anordnung einer Dienstleistungspflicht i m Notstand durch A r t . 12 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 beinhaltet i n der Fassung des E 1967 die Gefahr, daß das Recht zum arbeitsrechtlichen Streik praktisch entwertet werden kann. Sie ist zudem nur unter unverhältnismäßig großem Verwaltungsaufwand zu verwirklichen. Daher wurde der geplante Zusatz zu A r t . 12 GG m i t Recht kritisiert 5 9 . Arbeitsrechtliche Streiks dürfen wegen ihrer verfassungsrechtlich garantierten Zulässigkeit (Art. 20 A.bs. 1 GG) bei innerem Notstand nicht m i t Dienstverpflichtungen bekämpft werden. Ursprünglich arbeitsrechtliche Streiks können dagegen ausnahmsweise einen Umfang annehmen, der die Bekämpfung eines inneren Notstands gefährdet, sie können selbst unter Umständen einen inneren Notstand hervorrufen. Daher mußte i m Interesse der Rechtssicherheit genau festgelegt werden, wann i m inneren oder i m äußeren Notstand arbeitsrechtliche Streiks i n politische umschlagen und damit ungesetzlich werden. Der L E läßt dieses Problem ungelöst (vgl. A r t . 12 Abs. 2 und 91 Abs. 4 LE). Z u bb) Schaffung eines gemeinsamen Ausschusses — IV a. Abschnitt, Art 53 a Wie i m HE und i m BE ist auch i m L E die Schaffung eines Notparlaments unter der unscharfen Bezeichnung „Gemeinsamer Ausschuß" vorgesehen (Art. 53 a LE). Die Befugnisse des Notparlaments sind nach dem Entwurf ähnlich ausgestaltet wie die Befugnisse des Gemeinsamen Ausschusses nach A r t . 53 a BE. Für den Fall, daß Parlament und Notparlament nicht legiferieren können, enthält der L E keine Regelung. Daß durch diese Lücke der Regierung ein Rückgriff auf das überverfassungsgesetzliche Staatsnotstandsrecht ermöglicht wird, erscheint bedenklicher als ein eng begrenztes Notverordnungsrecht der Regierung. 59 Vgl. im einzelnen: Ramm (ausgehend vom Text des BE) in: ArbuR 1967 S. 39 ff.; Brenner, Gewerkschaften und Notstandsgesetzgebung, in: Vorbereitung auf den Notstand? S. 49 ff.; Entschließung des Bundesausschusses des D G B vom 5. Juli 1967 (Stellungnahme) S. 11 ff.; Wahsner in ArbuR 1967 S. 290ff.; Augstein, Notstand — Das Ende aller Sicherheit?, in: Vorbereitung auf den Notstand S. 137; „Welt der Arbeit" (ungezeichneter Kommentar zur IG-Metall-Denkschrift — 23. Juni 1967 S. 6); Reiser (Hans), Langer Weg zur Notstandsverfassung in Süddeutsche Zeitung vom 30. Juni 1967; Menzel in DöV 1968 S. 1—10 und S. 297—308 (mit dem Kieler Entwurf 1967 einer Notstandsverfassung, verfaßt von dem aus Professoren, Assistenten und Studenten bestehenden „Kuratorium für die öffentliche Diskussion der Notstandsgesetzgebung an der Universität Kiel"); Schäfer (Hans), Die lückenhafte Notstandsverfassung. Kritische Bemerkungen zur dritten Regierungsvorlage, in: AöR Bd. 93 (1968) S. 37—80; Hall in JZ 1968 S. 159—163; Lohse in ZStW 1968 S. 382; Reuter in der 5. öffentlichen Informationssitzung des Rechtsausschusses und des Innenausschusses am 14. Dezember 1967. Protokoll S. 17ff.; Seifert, ebenda S. 67 ff.; Nipperdey, ebenda S. 95 f.

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2. Teil: Staatsnotstand nach deutschem R e t

Wenn durch die i n A r t . 53 a Abs. 1 Satz 2 L E geforderte Zweidrittelmehrheit bei der Wahl der Bundestagsmitglieder für das Notparlament ein Ausschluß von Oppositionsmitgliedern denkbar ist, so kann darin nur ein Rückschritt gegenüber der i m BE vorgesehenen Verhältniswahl zur Bestimmung der Bundestagsmitglieder für den Gemeinsamen Ausschuß (Art. 53 a Abs. 1 Satz 2 BE) gesehen werden. Zu cc) Regelung für den inneren Notstand (Art. 91) Es kann bezweifelt werden, daß eine Naturkatastrophe und ein besonders schwerer Unglücksfall Fälle inneren Notstands darstellen, die i m Grundgesetz geregelt werden müßten. Weil es der erschwerten verfassungsgesetzlichen Abänderbarkeit zur Vorbereitung von Maßnahmen organisatorisch-technischer A r t bei Unglücksfällen und Naturkatastrophen nicht bedarf, wäre eine Regelung durch einfaches Gesetz ausreichend. Ein echter Fall inneren Notstands ist dagegen der i n A r t . 91 Abs. 1 L E geregelte Fall einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnimg des Bundes oder eines Landes 60 . Daß A r t . 91 Abs. 1 Satz 2 L E den Einsatz von Streitkräften zur Bekämpfung inneren Notstands vorsieht, ist bedenklich. Nach Ausrüstung, Ausbildung und derzeitigem Kampfauftrag i m Rahmen der NATO kann die Bundeswehr einen derartigen „Kampfauftrag" i m Notstand nicht ausführen. Das gilt ebenso für den i n A r t . 115 f Abs. 1 Nr. 1 L E geplanten Bundeswehreinsatz i m äußeren Notstand. Z u dd) Normen für den Zustand äußerer Gefahr (X a. Abschnitt, Art. 115a—Art. 115e) Nach A r t . 115 a Abs. 1 L E umfaßt der Zustand der äußeren Gefahr ( = äußerer Notstand) zwei Fälle: — den Angriff auf das Bundesgebiet m i t Waffengewalt und — das Drohen eines solchen Angriffs. W i r d vom Bundestag m i t Zustimmung des Bundesrates auf Antrag der Bundesregierung festgestellt, daß der Zustand der äußeren Gefahr eingetreten ist, so ergeben sich daraus nach den A r t . 115 b bis 115 e L E von der Normallage abweichende rechtliche Möglichkeiten: 60 Vgl. v. u. z. Guttenberg, Angst vor dem Notstand — oder Angst vor den Notstandsgesetzen, in: Vorbereitung auf den Notstand, S. 27 f.

1. Kapitel: Wesen und Erscheinungsformen

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— der Bund erhält erweiterte Gesetzgebungsbefugnisse zur Abwehr der äußeren Gefahr (Art. 115 c LE), — durch den Gemeinsamen Ausschuß w i r d ein vereinfachtes und abgekürztes Gesetzgebungsverfahren möglich. Da auch die amtliche Begründung des Entwurfs 196761 davon ausgeht, daß grundsätzlich auch i m Notstand das normale Gesetzgebungsverfahren eingehalten werden soll, ist es rechtlich bedenklich, wenn nach A r t . 115 e Abs. 1 L E neben dem funktionsfähigen Parlament das Subsidiärorgan „Notparlament" tätig werden soll. Dadurch w i r d eine vermeidbare Rechtsunsicherheit geschaffen, die Flucht i n die Geheimsitzungen des Notparlaments gefördert und das Überspielen der parlamentarischen Opposition herausgefordert. A r t . 115 f Nr. 2 L E (zentrale Gefahrbekämpfung) und A r t . 115 i L E (Kataraktfall) hätten systematisch hintereinander gestellt werden müssen: Die erste Norm betrifft die Zentralisierung der Gesetzgebungs- und der Regierungsgewalt bei Organen des Bundes, u m eine einheitliche Gefahrenabwehr zu ermöglichen, die zweite die vorübergehende Übertragung aller Gefahrenabwehrrechte auf die noch handlungsfähige Verwaltung abgeschnittener Teilgebiete i m Bundesgebiet. Wenn durch A r t . 115 h Abs. 2 L E dem Notparlament ein konstruktives Mißtrauensvotum zum Sturz des Bundeskanzlers eingeräumt wird, so erhält das Gremium zu weitgehende Befugnisse. Es ist zur Gefahrenabwehr nicht erforderlich, daß der Gemeinsame Ausschuß den Beschluß des Gesamtparlaments, einen bestimmten Bundeskanzler zu wählen, abändern kann. Nur für den Fall, daß der Bundeskanzler stirbt oder nicht i n der Lage ist, seine Amtsgeschäfte wahrzunehmen, sollte das Notparlament einen neuen Bundeskanzler wählen können. Andernfalls könnte i m Notparlament eine A r t „Gegenregierung" entstehen, was ohnehin durch die kleine Mitgliederzahl dieses Ausschusses begünstigt wird. Schon diese kurz dargestellten Mängel des Entwurfs 1967 beweisen, daß er trotz der langen Erörterungen i n Parlament und Öffentlichkeit i n den Jahren vor 1967 eine befriedigende Notstandsregelung nicht enthielt. Daher hat die i n der Opposition stehende FDP einen Alternativentwurf vorgelegt; der Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages hat den L E i n wesentlichen Punkten verändert und als Rechtsausschußentw u r f (Lenz-Entwurf) dem Bundestag zur zweiten Beratimg der Notstandsverfassung am 15./16. Mai 1968 vorgelegt. 61

BRDrucks. 162/67 S. 27.

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2. Teil: Staatsnotstand nach deutschem R e t e) Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung der rechtsstaatlichen Ordnung i m Verteidigungsfall, vorgelegt von der FDP-Fraktion des Deutschen Bundestages (FDP-Entwurf) 8 2 — K r i t i k

Der Entwurf der FDP, den die Abgeordneten Dorn, Busse (Herford), Frau Dr. Diemer-Nicolaus, Mischnick und die Fraktion der FDP i n der Drucksache V/2130 am 2. Oktober 1967 als Antrag dem Bundestag zur Beratung vorlegten, hat nicht dieselbe Beachtung i n der Öffentlichkeit und i n der rechtswissenschaftlichen Literatur gefunden wie die vorher besprochenen Entwürfe 6 3 . Das mag politisch damit erklärt werden, daß er wegen der Mehrheitsverhältnisse i m V. Deutschen Bundestag während des Fortbestehens der sogenannten „großen" Koalition aus CDU/CSU und SPD nicht die erforderliche Zweidrittelmehrheit für die Abänderung des Grundgesetzes finden konnte. Rechtlich könnte die geringe Beachtung bei den Erörterungen über eine Notstandsregelung für die Bundesrepublik Deutschland darauf zurückzuführen sein, daß der FDP-Entwurf nur für den Verteidigungsfall eine Sonderregelung trifft 6 4 , für den Spannungsfall und für den inneren Notstand also keine Möglichkeit zur Gefahrenbekämpfung eröffnet, die über die insoweit bis 1968 unzulänglichen A r tikel des Grundgesetzes hinausgehen würde. Diese Lücke macht den Entwurf als Notstandsverfassung unbrauchbar, w e i l sie der Regierimg i m inneren Notstand und i m Spannungsfall den Rückgriff auf das überverfassungsgesetzliche Notstandsrecht freigibt und damit nicht genügende Rechtssicherheit verbürgt. A r t . 12 Abs. 3 des FDP-Entwurfs (FDPE) sieht vor, daß i m Verteidigungsfall wehrpflichtige Männer durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes auch zu zivilen Dienstleistungen und zu Dienstleistungen i m Bundesgrenzschutz dienstverpflichtet werden können — zum Zwecke der Verteidigung, — zur lebensnotwendigen Versorgung und — zum Schutz der Zivilbevölkerung. 62

Wortlaut: s. Anhangs. 268ff.

M

Der Entwurf wurde in zweiter Lesung am 30. M a i 1968 im Bundestag abgelehnt; die Vorlage war damit erledigt (vgl. StenoBer. S. 9655). 64 Ohne Begründung findet sich in der BTDrucks. V/2130 S. 6 (Allgemeiner Teil I V ) die Behauptung der FDP-Antragsteller: „Zeitliche Schranke für das Eingreifen einer Sonderregelung ist zunächst der Eintritt des Verteidigungsfalles. Hinzu kommen muß eine konkrete Gefahr, die die Anwendung einer Ausnahmeregelung zwingend erfordert." So auch: Entschließung des Bundesausschusses des DGB vom 5. Juni 1967 S. 7 mit der unzutreffenden Begründung, das geltende Recht enthalte für den inneren Notstand eine ausreichende Regelung.

1. Kapitel: Wesen und Erscheinungsformen

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Für alle Beschäftigten, also auch Frauen und Jugendliche, kann nach dem FDPE i m Verteidigungsfall zu dem vorstehend genannten Zweck durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes die Freiheit, den Beruf oder den Arbeitsplatz aufzugeben, beschränkt werden. Diese Regelung verstößt gegen das grundgesetzlich garantierte Streikrecht und ist zu unbestimmt. Ausreichende Rechtssicherheit gewährleistet sie daher nicht. Dagegen bietet A r t . 48 Abs. 4 FDPE die Klarstellung der Verpflichtung aller Staatsorgane, den Bundestagsabgeordneten und den Bundesratsmitgliedern i n der Normallage und i m Notstand den Zusammentritt zu ermöglichen, u m das Parlament weitestmöglich beschlußfähig zu halten. Diese Regelung wäre allerdings besonders nützlich i m Spannungsfall, also während einer Mobilmachung, weil dann das Parlament regelmäßig noch beschlußfähig ist. Gerade diesen Fall regelt der FDPE aber nicht. Es liegt i m Interesse klarer Terminologie, wenn der FDPE statt des verschwommenen Ausdrucks „Gemeinsamer Ausschuß" i n A r t . 115 a Abs. 2 und i n den folgenden A r t i k e l n den klaren, sachdienlichen Ausdruck „Notparlament" verwendet. Das vorgesehene Notparlament soll nach A r t . 115 b FDPE aus 44 Bundestagsabgeordneten und aus 11 M i t gliedern des Bundesrates bestehen. Obgleich darin besser als bei den bereits besprochenen Entwürfen der Gefahr vorgebeugt ist, daß ein zu kleines Notparlament sich zu einer „Gegenregierung" entwickelt, muß bezweifelt werden, daß i m Verteidigungsfall, also bei einem Angriff auf das Bundesgebiet, eine so große Mitgliederzahl des Notparlaments, wie sie der FDPE vorsieht, am Tagungsort zusammenkommen kann. Daß die Abgeordneten des Notparlaments nach A r t . 115 b Abs. 2 und Abs. 6 FDPE nach den Grundsätzen der Verhältniswahl bestimmt werden und nur legiferieren können, wenn der Bundestag nicht zusammentreten kann und beschlußunfähig ist, stellt eine Verbesserung gegenüber dem L E dar, die die Rechtssicherheit fördert. A r t . 115 c Abs. 2 FDPE spricht ein Problem an, das bis zur dritten Lesung der Notstandsverfassung i m Bundestag, am 30. M a i 1968 umstritten geblieben ist: die Frage der Rechtswirkung von Maßnahmen der Bundesregierung auf Grund von Beschlüssen i m Rahmen internationaler Bündnisverträge. Nach dem FDPE sollen Maßnahmen der Bundesregierung und Beschlüsse, durch die i m Rahmen eines Bündnisvertrages die beschleunigte Herstellung der Verteidigungsbereitschaft stufenweise angeordnet wird, erst rechtswirksam werden, wenn der Bundestag zugestimmt hat. Diese Regelung sprengt den Rahmen, den sich der Entwurf selbst gesteckt hat, w e i l sie, zumindest regelmäßig, den Spannungsfall betrifft. Art. 115 d FDPE gibt dem Bund i m Verteidigungsfall besondere Gesetzgebungszuständigkeiten zur Gefahrenabwehr; A r t . 115 e FDPE 10 Lohse

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2. Teil: Staatsnotstand nach deutschem R e t

räumt der Bundesregierung ein Weisungsrecht gegenüber den Landesregierungen i m Verteidigungsfall ein. Auch der FDPE (Art. 115 g Abs. 3) enthält das Recht des Notparlaments, den Bundeskanzler durch konstruktives Mißtrauensvotum abzulösen. Wenn i h m ein solches Recht eingeräumt wird, so w i r d dabei nicht berücksichtigt, daß der vom Bundestag gewählte Kanzler das Recht hat, die Gefahr für das Gemeinwesen abzuwehren, solange er nicht vom Bundestag, also dem Gremium, das i h n ursprünglich gewählt hatte, abgewählt worden ist. Der Vorrang des Gesamtparlaments w i r d inkonsequenterweise i n A r t . 115 i Abs. 1 FDPE zudem ausdrücklich hervorgehoben. Daher bedeutet A r t . 115 g FDPE einen Bruch m i t der Gesamtkonzeption des Entwurfs. Da L E und FDPE keine ausreichenden Regelungen zur Abwehr des Staatsnotstands enthielten, hat der Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages (mit Unterstützung des Innenausschusses) eine abgewandelte Fassung des L E dem Bundestag zur Beratung in zweiter Lesung vorgelegt, nachdem der L E i n erster Lesung i m Juni 1967 auf die K r i t i k der Sprecher aller Fraktionen des Bundestages gestoßen war 8 5 . f) Entwurf eines Siebzehnten Gesetzes zur Ergänzung des Grundgesetzes, vorgelegt zur Zweiten Lesung der Notstandsverfassung i m V. Deutschen Bundestag vom Rechtsausschuß des Bundestages am 9. Mai 1968 (Lenz-Entwurf) 0 0 — K r i t i k Der Rechtsausschuß des Bundestages hat den L E i n der Zeit vom 7. September 1967 bis zum 9. Mai 1968, teilweise gemeinsam m i t dem Innenausschuß, i n zwanzig Sitzungen beraten 67 . Er hat fünf öffentliche Informationssitzungen 68 abgehalten, i n denen Persönlichkeiten aus verschiedenen wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Bereichen Gelegenheit zur Stellungnahme zu Fragen der Notstandsgesetze gegeben wurde. Der Entwurf des Rechtsausschusses (Lenz-Entwurf = LeE) wurde i n der zweiten und dritten Lesung der Notstandsverfassung i m Bundestag am 15./16. und 29./30. Mai 1968 nur noch geringfügig geändert. Daher sollen die Vorschläge des Rechtsausschusses, die i n das Grundgesetz aufgenommen wurden, unter g) bei der Erörterung der geltenden Notstandsverfassung abgehandelt werden. Hier soll nur auf die später geänderten Vorschläge des LeE eingegangen werden. 65

Vgl. StenoBer. S. 5856—5902. Wortlaut siehe Anhang S. 272 ff. 67 Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses BTDrucks. V/2873. 68 I n Anlehnung an den angelsächsischen Parlaments-Sprachgebrauch auch als „Hearings" bezeichnet. 68

1. Kapitel: Wesen und Erscheinungsformen

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I n A r t . 12a Abs. 5 LeE war festgelegt, daß vor dem Verteidigungsfall Dienstverpflichtungen nur nach Maßgabe des „ A r t . 80a GG" begründet werden können sollten. Das war ungenau, da nur A r t . 80a Abs. 1 GG den Spannungsfall umschreibt. Entsprechend wurde A r t . 12 a Abs. 5 LeE ergänzt. Da A r t . 80 a Abs. 2 LeE die Bestimmung enthielt, daß Maßnahmen i m Spannungsfall aufzuheben waren, wenn der Bundestag es verlangte, wurden Maßnahmen nach Maßgabe eines Beschlusses, der von einem internationalen Organ i m Rahmen eines Bündnisvertrages gefaßt werden würde, nicht erfaßt. Diese Regelung des LeE scheint m i t dem geltenden Völkervertragsrecht i n Einklang. Die Ergänzung des Abs. 3 des A r t . 80a GG, die die Aufhebung derartiger Maßnahmen aufgrund eines Mehrheitsbeschlusses des Bundestages (Art. 121 GG) vorsieht, ist dagegen völkerrechtswidrig (siehe unten S. 155 der Untersuchung). Dennoch wurde sie Gesetz. A r t . 87 a Abs. 4 LeE betrifft die Sonderrechte der Bundesregierung zum Einsatz von Streitkräften und Polizeikräften i m inneren Notstand. Da die Norm nicht genau genug formuliert war, um nur den Fall zu erfassen, i n dem die primär zuständigen Länder nicht handeln können oder wollen, wurde sie i n der zweiten Lesung des Bundestages auf den Fall des A r t . 91 Abs. 2 GG beschränkt 69 . A r t . 91 Abs. 2 LeE wurde ebenfalls neu gefaßt. Die Weisungsrechte der Bundesregierung gegenüber einer Landesregierung nach dem LeE waren auch bei Gefahr für nur ein Bundesland vorgesehen. Bei der Bedrohung nur eines Landes ist ein Weisungsrecht der Bundesregierung gegenüber der Regierimg des bedrohten Landes ein sachlich noch nicht erforderlicher Verzicht auf das Bundesstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG). Daher enthält das geltende Recht (Art. 91 Abs. 2 Satz 3 GG) ein Weisungsrecht der Bundesregierung nur bei Gefahr für das Gebiet mehr als eines Landes. g) Notstandsverfassung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland, eingefügt am 24. Juni 1968 (BGBl. I S . 709) — K r i t i k A m 30. M a i 1968 hat der Deutsche Bundestag nach der Dritten Lesung der Notstandsverfassung (178. Sitzung) i n namentlicher Abstimmung m i t der nach A r t . 79 Abs. 2 GG erforderlichen Zweidrittelmehrheit die Notstandsartikel als GG-Ergänzungsgesetz angenommen 70 . A m 14. Juni 69

Vgl. BTDrucks. V/2917 S. 3. Es stimmten von 485 und 21 Berliner Abgeordneten, die an der Abstimmung teilnahmen, mit Ja: 384 und 20 Berliner Abgeordnete, mit Nein: 100 Abgeordnete und 1 Berliner Abgeordneter; es enthielten sich der Stimme: 1 Abgeordneter und 1 Berliner Abgeordneter (vgl. StenoBer. S. 9653 f.). 70

10*

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2. Teil: Staatsnotstand nach deutschem Redit

1968 hat der Bundesrat m i t verfassungsändernder Mehrheit (einstimmig) die Annahme des Entwurfs beschlossen71. I n 29 A r t i k e l n ändert oder ergänzt das neue Gesetz das Grundgesetz. Es stellt eine ins einzelne gehende Regelung für Fälle äußeren und (oder) inneren Notstands dar. Sprachlich sind einige Absätze der Ergänzungsartikel nicht v o l l gelungen. Sie enthalten zu lange, schwer lesbare Sätze, die Nichtjuristen zunächst unverständlich bleiben. Das ist bei einem Verfassungstext, der jedem Bürger Auskunft über seine Rechte und Pflichten und über die Organisation des Gemeinwesens geben soll, bedauerlich. Beispiele für zu umfangreiche Satzgebilde sind A r t . 11 Abs. 2 und A r t . 12 a Abs. 3 Satz 1 GG. I m Interesse eines klaren Verfassungstextes hätte es gelegen, genaue, treffende Begriffe i n den Notstandsartikeln zu verwenden. Das ist bezüglich des inneren Notstands nicht geschehen. Eine klare Begriffsbestimmung (Legaldefinition) fehlt. Es ist auch unscharf, wenn vom Spannungszustand (oder drohenden Notstand) als „Zeit vor dem Verteidigungsfall" (Art. 12 a Abs. 5 GG) gesprochen w i r d und das Notparlament die Bezeichnung „Gemeinsamer Ausschuß" (vgl. z. B. Überschrift zum I V a. Abschnitt) erhält. Auch wenn darin keine bewußte Verschleierung der beschriebenen Sachverhalte zu liegen braucht, wäre mehr begriffliche Klarheit der Rechtssicherheit förderlich gewesen. Dagegen ist es begrüßenswert, wenn die früher getrennten Begriffe äußerer ( = von außen kommender) Staatsnotstand und Verteidigungsfall nunmehr unter dem Begriff „Verteidigungsfall" zusammengefaßt werden. Die Notstandsverfassung gliedert sich in: aa) Grundrechtsergänzungen und Grundrechtsabänderungen (Art. 9 Abs. 3, 10,11 Abs. 2,12,12 a GG) und Ergänzung von Art. 19 Abs. 4 und 20 GG; bb) Schaffung eines Gemeinsamen Ausschusses und Festlegung seiner Zuständigkeiten ( V I a. Abschnitt, Art. 53 a, Art. 1151 Abs. 1 GG); cc) Änderung der Wehrverfassung und des V I I . Abschnitts des GG (Art. 59 a, 65 a, 73 Nr. 1, 80 a, 87 a GG) und Einfügung eines X a. Abschnitts „Verteidigungsfall" (Art. 115 a bis 1151 GG); dd) Regelung des inneren Notstands (Art. 35,91 GG).

Dem Aufbau des Ergänzungsgesetzes, der annähernd der Gliederung des LeE, des LE, des BE und des HE entspricht, soll i n der Untersuchung gefolgt werden. Dabei w i r d auf die Erörterung von Fragen verzichtet, die bei den Entwürfen einer Notstandsverfassung bereits ausführlich behandelt wurden.

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F A Z v. 15. Juni 1968 S. 3.

1. Kapitel: Wesen und Erscheinungsformen

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Zu aa) Grundrechtsergänzungen und Grundrechtsabänderungen (Art. 9 Abs. 3,10,11 Abs. 2,12,12 aGG) und Ergänzungen von Art. 19 Abs. 4 und 20 GG A r t . 9 Abs. 3 G G erhält einen Zusatz, der gewährleisten soll, daß arbeitsrechtliche Streiks nicht durch Notstandsmaßnahmen behindert werden. Auf diesen Zusatz w i r d unten (S. 164 ff. der Untersuchung) noch näher einzugehen sein. A r t . 10 GG entspricht der Fassung des LE. Die dort i n Abs. 2 ausgesprochene Beschränkung des Post-, Brief- und Fernmeldegeheimnisses ist so schwerwiegend, daß ein Verstoß gegen A r t . 19 Abs. 2 GG möglich erscheint. U m eine größere Klarheit bei der Abgrenzung des Grundrechts und der Einschränkungsmöglichkeit zu erreichen, wurde äußerlich eine Trennung i n zwei Absätzen vorgenommen. Ferner wurde i n Abs. 2 der Begriff „Sicherheit" (des Bundes) durch „Sicherung" ersetzt und der zweite Halbsatz geringfügig umformuliert. Z u den Bedenken gegen die Parlamentslösung bei der Kontrolle der Überwachung (siehe oben S. 140 der Untersuchung). Daß A r t . 19 Abs. 4 durch den Satz „ A r t . 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt" ergänzt wurde, beweist, daß der Gesetzgeber die Gefahr der Versagung richterlichen Rechtsschutzes gegen die Überwachungsmaßnahmen gesehen hat 7 1 . Bedauerlicherweise konnte der Gesetzgeber sich jedoch nicht dazu entschließen, statt der Parlamentslösung die Richterlösung zu wählen. A r t . 11 Abs. 2 G G wurde durch eine Alternative erweitert. Danach kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes die Freizügigkeit eingeschränkt werden, falls es zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes erforderlich ist. Durch die Umstellung dieser Regelung von A r t . 91 Abs. 3 L E i n A r t . 11 Abs. 2 GG hat der Rechtsausschuß eine bessere Systematik erreicht, als sie der L E enthielt: A n der Stelle des GG, an der die Freizügigkeit geregelt ist, ist zweckmäßigerweise auch ihre Einschränkbarkeit zu regeln. Die Normierung ist auch sachdienlich. Gerade i n Notstandsfällen, i n denen für Nachschub zur Versorgung der Bevölkerung oder für die kämpfenden Truppen alle verfügbaren Verkehrswege benötigt werden, würde das Umherziehen 72 Wenn der Abgeordnete Reischel (SPD) in der zweiten Lesung der Notstandsverfassung im Bundestag am 15. M a i 1968 (StenoBer. S. 9322) die Parlamentslösung als „Ersatzrechtsweg" bezeichnete, so zeigt das die Außerachtlassung der Gewaltenteilung i m Grundgesetz ebenso wie die Behauptung dieses Abgeordneten in der dritten Lesung der Notstandsverfassung am 30. M a i 1968 (StenoBer. S. 9611), in der „Richterlösung" liege eine Denaturierung des gerichtlichen Verfahrens. Eine Denaturierung des Anspruchs der Bürger auf eine Entscheidung von Rechtsverletzungen auf dem Rechtsweg (Art. 19 Abs. 4 S a t z l GG) liegt vielmehr in der Kontrolle u . U . schwerwiegender Rechtsverletzungen durch Parlamentsorgane. Wie hier der Abgeordnete Rutschke (FDP) am 30. M a i 1968 im Bundestag (StenoBer. S. 9608).

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2. Teil: Staatsnotstand nach deutschem R e t

größerer Teile der Bevölkerung die Abwehr des Notstands zumindest stark erschweren. Durch die Einfügung des A r t . 12 a GG wurde eine klare Trennung zwischen der Freiheit der Berufswahl in der Normallage (Art. 12 GG) und der Beschränkung der Berufsfreiheit durch Dienstverpflichtungen i n der Ausnahmesituation gezogen. Es ist i m Interesse der Systematik des GG zu begrüßen, wenn die Regelung des Wehrdienstes, der Dienstverpflichtung i m Bundesgrenzschutz und i m Zivilschutz vor, nicht i n der Kompetenznorm des A r t . 73 Nr. 1 GG getroffen wird, sondern i n A r t . 12 a Abs. 1 GG, der der Freiheit der Berufswahl und der -ausübung i n A r t . 12 GG nachgestellt ist. Durch A r t . 12 a Abs. 3 G G können Wehrpflichtige dienstverpflichtet werden. Sie können also zu zivilen Dienstleistungen herangezogen werden. Es ist sachdienlich, Wehrpflichtige für Zwecke der Verteidigung einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung nicht nur bei der kämpfenden Truppe, sondern auch zur Sicherung des Fortgangs der Arbeit i n Betrieben, die für die Verteidigung oder die Zivilbevölkerung besonders wichtig sind, heranzuziehen. Allerdings stellt sich sogleich die Frage, warum Frauen i m Alter der Wehrpflichtigen nicht auch zu zivilen Dienstleistungen, besonders zum Schutz der Zivilbevölkerung herangezogen werden können. Zwar ermöglicht A r t . 12 a Abs. 4 G G die Heranziehung von Frauen vom vollendeten 18. bis zum vollendeten 55. Lebensjahr zur gesundheitlichen Betreuung von Verletzten und Kranken i m Verteidigungsfall. Es ist aber nicht einzusehen, warum diese Regelung nicht auf andere für die Bevölkerung lebenswichtige Tätigkeiten ausgedehnt wurde, und ferner, w a r u m sie sich auf den äußeren Notstand und den Spannungsfall (Art. 12 a Abs. 5, 80 a GG) beschränkt. Für die Beschränkung gibt der Rechtsausschuß keine Begründung 73 . Sie könnte darauf beruhen, daß i n Kreisen der Parlamentsmehrheit ein hinreichender sachdienlicher Kompromiß nicht gefunden werden konnte. Insoweit enthält die Staatsnotstandsregelung des GG eine Lücke. A r t . 12 a Abs. 6 GG eröffnet die Möglichkeit, i m Spannungs- und i m Verteidigungsfall die Freiheit, die Ausübung des Berufs oder den Arbeitsplatz aufzugeben, zu beschränken, soweit das für Zwecke der Verteidigung und des Schutzes der Zivilbevölkerung erforderlich ist. Diese Beschränkung gilt nicht nur für Männer. Sie erscheint i m Interesse des Uberlebens der Bürger notwendig. Es könnte sogar i m inneren Notstand eine entsprechende Regelung erforderlich werden. Dieser Fall ist i m Grundgesetz nicht geregelt. I m Hinblick auf die damit verbundene Rückgriffsmöglichkeit der Regierung auf das überverfassungsgesetzliche Notstandsrecht erscheint diese Lücke als besonders einschneidend. 78

S. 5 ff.

Vgl. den schriftlichen Bericht des Rechtsausschusses, BTDrucks. V/2873

1. Kapitel: Wesen und Erscheinungsformen

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A n A r t . 20 GG wurde i n einem neuen Abs. 4 ein Widerstandsrecht angefügt. Nach dem Bericht des Rechtsausschusses entspricht die A u f nahme des Widerstandsrechts i n den Verfassungstext „dem Ziel der Notstandsverfassung, den Rückgriff auf ungeschriebene Verfassungssätze durch ausdrückliche Regelungen zu erübrigen" 7 4 . Gegen die Aufnahme des Widerstandsrechts i n die Verfassung bestehen Bedenken. Das Widerstandsrecht berechtigt zum Widerstand nicht nur gegen formelllegale oder mißbrauchte oder angemaßte öffentliche Gewalt, sondern auch zum passiven Widerstand und (oder) zum aktiven Einschreiten gegenüber Handlungen von Kräften aus dem nichtstaatlichen Bereich. Der Begriff „unternehmen" soll hier — wie i m Strafrecht — Versuch und Vollendung erfassen 75. Die Formulierung des A r t . 20 Abs. 4GG, die ein Recht zum Widerstand dann gewährt, „wenn andere Abhilfe nicht möglich ist", überläßt die Wertung, wann diese Bedingung eingetreten ist, dem Widerstand-Leistenden. Darin liegt die Gefahr zu extensiver oder zu restriktiver Auslegung des Widerstandsrechts. Etwas überspitzt könnte man m i t Seifert 78 i n einem solchen Widerstandsrecht die Gefahr sehen, daß es „ i n erster Linie als Rechtfertigungsgrund für sogenannte Selbstjustiz' gegen Demonstranten herangezogen w i r d " . Der Abgeordnete Borm (FDP) 77 schrieb dazu: „Widerstandsrecht ist nun nicht mehr nur das heiligste und höchste Recht des Volkes gegen eine verfassungsbrechende Regierung, sondern es ist i n ein Widerstandsrecht des einen Bürgers gegen den anderen umgebogen worden. Das bedeutet i n letzter Konsequenz den Bürgerkrieg. Ich warne vor einer solchen Pervertierung des Widerstandsrechts i n der vorliegenden Form." Aber nicht nur Umfang und Formulierung des Widerstandsrechts sind verfehlt. Seine Stellung in A r t . 20 GG legt i h m Unabänderbarkeit bei (Art. 79 Abs. 3GG). Das ist bei einem so übereilt formulierten Recht besonders bedenklich. Das Widerstandsrecht ist zudem überflüssig i n einer Verfassung, deren A r t i k e l sich u m möglichst umfassenden justizförmigen Rechtsschutz bemühen. Fehdeähnliche Selbstjustiz ist ein Anachronismus i n einem modernen Rechtsstaat. Es ist auch bezeichnend, daß zwei von drei i n der Begründimg des Rechtsausschu$ses78 angeführ74 Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses, BTDrucks. V/2973 S. 9. Die Formulierung ähnelt der von dem SPD-Bundestagsabgeordneten Matthöfer vorgeschlagenen Fassung (vgl. „Süddeutsche Zeitung" vom 13./14. Januar 1968, S. 1). 75 Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses, BTDrucks. V/2873 S. 9. 78 „Neue Notstandsvorlage enttäuscht alle Hoffnungen", in: „Frankfurter Rundschau" vom 18. April 1968 S. 5. 77 Schriftliche Erklärung als Anlage zum StenoBer. der Bundestagssitzung vom 30. M a i 1968 (StenoBer. S. 9659). 78 Landesverfassung der Freien Hansestadt Bremen vom 21. Oktober 1947 (GBl. S. 251 bis 257), Art. 19; Verfassung des Landes Hessen vom 11. Dezember 1946 (GVB1. S. 229—240), Art. 147.

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2. Teil: Staatsnotstand nach deutschem Hecht

ten deutschen Landesverfassungen, die ein Widerstandsrecht enthalten, i n den Jahren 1946 und 1947 entstanden sind, also i n der Zeit kurz nach dem von außen erfolgten Sturz des nationalsozialistischen Unrechtsregimes, i n der ein deutscher Rechtsstaat noch nicht wieder bestand und die vorangegangenen Rechtsverletzungen durch die staatliche Gewalt ein ausschließlich gegen den Staat gerichtetes Widerstandsrecht nahelegten. Die dritte Verfassung, die Landesverfassung von Berlin 7 9 , entstand 1950 und enthält nur ein Widerstandsrecht gegen Grundrechtsverletzungen (Art. 23 Abs. 3). Selbst die Aufnahme dieses beschränkten Widerstandsrechts dürfte noch i n der besonderen Lage Berlins zu erklären sein. M i t Recht nennt Fromme 8 0 daher das Widerstandsrecht eine „entbehrliche Balancierstange". Zu bb) Schaffung eines Gemeinsamen Ausschusses und Festlegung seiner Zuständigkeiten (IV a. Abschnitt, Art 53 a; Art 1151 Abs. 1 GG). Der Gemeinsame Ausschuß 81 , also das Notparlament, w i r d nach A r t . 53 Abs. 1 GG zu Zweidritteln 8 2 von Abgeordneten des Bundestages gebildet, die entsprechend dem Stärkeverhältnis der Fraktionen vom Bundestag bestimmt werden. Das ist gegenüber A r t . 53 a Abs. 1 LE, der Zweidrittelmehrheit bei der Wahl der Bundestagsmitglieder für das Notparlament verlangte, eine zweckmäßigere Lösung. Die Ausschaltung der Opposition durch eine breite Regierungsmehrheit w i r d dadurch verhindert. Größe und Zuständigkeiten des Notparlaments weichen von der i m L E vorgesehenen Regelung nicht wesentlich ab. Es wurde aber auf Art. 53 Abs. 3 L E verzichtet. Der Bündnisfall, also die Zustimmung der Bundesregierung zu einem Beschluß i m Rahmen eines Bündnisvertrages, durch den die beschleunigte Herstellung der vollen Verteidigungsbereitschaft stufenweise angeordnet wird, ist i n Art. 53 a GG ausgeklammert worden. Er ist jetzt i n A r t . 80 a Abs. 3 GG geregelt. Das Notparlament w i r d nach A r t . 115 a Abs. 2, 115 e, 115 f, 115k Abs. 2 als Notlegislative für Bundestag und Bundesrat tätig, wenn dem rechtzeitigen Zusammentritt des Bundestages unüberwindliche Hindernisse entgegenstehen oder er nicht beschlußfähig ist. Diese Regelung erscheint insoweit sachdienlich als sie den Fehler früherer Entwürfe, Legislative und Notlegislative nebeneinander legiferieren zu lassen, ver79

Verfassung von Berlin vom 1. September 1950 (VOB1. S. 440). F A Z vom 27. M a i 1968 S. 1. 81 Ausführlich nimmt Seifert, Der Notstandsausschuß, passim, zu Fragen des Notparlaments Stellung. M Das dritte Drittel besteht aus je einem Vertreter jedes Bundeslandes im Bundesrat. 80

1. Kapitel: Wesen und Erscheinungsformen

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meidet. Bedenklich ist jedoch A r t . 115 e Abs. 1 GG. Danach kann das Notparlament m i t Zweidrittelmehrheit, mindestens m i t der Mehrheit seiner Mitglieder i m Verteidigungsfall feststellen, daß dem rechtzeitigen Zusammentritt des Bundestages unüberwindliche Hindernisse entgegenstehen oder daß der Bundestag nicht beschlußfähig ist. I m Anschluß an diese Feststellung kann es einheitlich die Rechte von Bundestag und Bundesrat wahrnehmen. Sollte sich durch die Verschiebung von Mehrheiten, die bei der Verminderung der Abgeordnetenzahl von 516 Bundestagsabgeordneten auf 22 Mitglieder des Notparlaments rechnerisch auftreten kann, die absolute Mehrheit einer regierenden Partei oder Parteiengruppe i m Notparlament ergeben, so könnte diese durch einen Beschluß nach A r t . 115 e Abs. 1 GG, ergänzt durch Regierungsmaßnahmen gegen Parlamentsabgeordnete der Opposition, die Zuständigkeit des Notparlaments begründen. Dieser Gefahr kann nur durch eine Umformulierung von A r t . 115 e GG begegnet werden. Daß A r t . 115 e Abs. 1 GG dem Notparlament auch i m Verteidigungsfall verbietet, das Grundgesetz zu ändern, zu ergänzen oder außer K r a f t oder Anwendung zu setzen, ist wegen der Vorläufigkeit der Regelungen des Gemeinsamen Ausschusses folgerichtig. Die Notstandsverfassung hat für die besonders schwere Notlage, in der Parlament und Notparlament nicht legiferieren können, keine Regelung getroffen. Zwar gilt nach A r t . 115 a Abs. 4 GG der Verteidigungsfall als festgestellt und verkündet, wenn das Bundesgebiet m i t Waffengewalt angegriffen w i r d und die zuständigen Bundesorgane außerstande sind, die Feststellung des Verteidigungsfalls nach A r t . 115 a Abs. 1 Satz 1 GG zu treffen. Die Feststellung des Spannungsfalls und des inneren Notstands i n einer solchen besonders schweren Notlage ist jedoch i m GG ebensowenig geregelt wie die Befugnis, Notgesetze zu erlassen, wenn Parlament und Notparlament nicht tätig werden können. Nicht nur für Anhänger einer „perfekten" Notstandsverfassung zeigt sich hier eine Lücke, die schwerwiegende Konsequenzen haben kann, w e i l sie der Exekutive ermöglicht, auf das überverfassungsgesetzliche Staatsnotstandsrecht zurückzugreifen. Ein begrenztes Notverordnungsrecht der Regierung würde diese Lücke sachgerecht ausfüllen, und den weniger Rechtssicherheit verbürgenden Rückgriff auf das überverfassungsgesetzliche Staatsnotstandsrecht ausschließen. Dieses Recht der Bundesregierung müßte durch die Grundsätze des „klassischen" 88 Notverordnungsrechts begrenzt sein: strikte Subsidiarität, unbedingte Vorläufigkeit und zwingender Genehmigungsvorbehalt für die ordentlichen Gesetzgebungsorgane; ferner wäre aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit die unverzügliche Veröffentlichung der Notverordnungen vorzuschreiben. 88 Evers, Die perfekte Notstandsverfassung, in: AöR Bd. 91 (1966) S. 10 m. w. N.

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2. Teil: Staatsnotstand nach deutschem R e t

Abs. 2 von A r t . 115 h GG führt das konstruktive Mißtrauensvotum des Gemeinsamen Ausschusses zum Sturz des amtierenden Bundeskanzlers i m Verteidigungsfall ein, wenn der Bundestag zur A b w a h l außerstande ist. Diese Regelung ist bedenklich. Der Bundeskanzler ist vom Bundestag, also durch die Mehrheit von 516 vom Volk gewählten Abgeordneten gewählt worden. Soll er durch 22 Mitglieder des Notparlaments gestürzt werden können? I n der Stunde der Gefahr für den Bestand des Staates sollte weitestmöglich die i n der Normallage geschaffene Legitimierung der Staatsorgane bestehenbleiben. Es sollten bis zur Abwehr der Gefahr die Organe tätig bleiben, die das Volk vor der Stunde der Not berufen hat. Gerade bezüglich des Bundeskanzlers, der zur Gefahrenabwehr regelmäßig einschneidende Maßnahmen treffen muß, könnte sich i m Notparlament eine Mehrheit für ein konstruktives Mißtrauensvotum finden. Einer Regierung stände i n der Notparlamentsmehrheit eine A r t „Schattenkabinett" gegenüber, jederzeit bereit, den amtierenden Bundeskanzler durch einen Mann ihres Vertrauens, vielleicht aus den eigenen Reihen zu ersetzen. Durch eine solche Lage würde ein Unsicherheitsfaktor bei der Gefahrenabwehr geschaffen. Gerade i n einer Notlage ist aber eine kontinuierliche Gefahrenabwehr erforderlich. Daß i m Falle des Todes oder der Amtsunfähigkeit des Bundeskanzlers eine Neuwahl durch das Notparlament vorgesehen ist (Art. 115 h Abs. 2 Satz 1 GG), ist zur Aufrechterhaltung der Handlungsfähigkeit der Regierung sachdienlich. Zu cc) Änderung der Wehrverfassung und des VII. Abschnitts des GG (Art. 59 a, 65 a, 73 Nr. 1,80 a, 87 a GG) und Einfügung eines X a. Abschnitts „Verteidigungsfall" (Art. 115 abis 1151 GG) A r t . 59 a und A r t . 65 a Abs. 2 GG wurden m i t Inkrafttreten der Notstandsverfassung aufgehoben. Verteidigungsfall und Befehlsgewalt i m Verteidigungsfall wurden aus systematischen Gründen richtigerweise i m X a . Abschnitt des Grundgesetzes geregelt (Art. 115 a und A r t . 115 b GG). Durch A r t . 73 Nr. 1 n. F. wurde folgerichtigerweise der Zivilschutz i n den Katalog der ausschließlichen Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes aufgenommen. Die jetzt i n A r t . 12 a Abs. 3 GG geregelte Wehrpflichtbestimmung konnte i n Art. 73 Nr. 1 a. F. gestrichen werden. I n der Notstandsverfassung wurden zwei Fälle des äußeren Notstands geregelt: — der Verteidigungsfall und — der Spannungsfall. Während ein Teil der Regelung für den Verteidigungsfall bereits durch die Wehrverfassung am 19. März 1956 (BGB1.I S. 111) i n das Grundgesetz eingefügt worden war, ist der „Spannungsfall" als ver-

1. Kapitel: Wesen und Erscheinungsformen

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fassungsgesetzlicher Rechtsbegriff erst durch A r t . 80 a Abs. 1 GG i n die Verfassung aufgenommen worden. Er erfaßt die Zeit drohender Gefahr von außen vor dem Verteidigungsfall (vgl. A r t . 12 a Abs. 5 Satz 1 GG). Weil der Begriff „Spannungsfall" als Rechtsbegriff ohne Vorbild ist, wäre eine Legaldefinition erforderlich gewesen. Den E i n t r i t t des Spannungsfalls stellt der Bundestag m i t Zweidrittelmehrheit fest (Art. 80 a Abs. 1 Satz 1 GG). Art. 80 a Abs. 3 Satz 2 GG billigt dem Bundestag die Befugnis zu, die Aufhebung von Maßnahmen zu verlangen, die von einem internationalen Organ i m Rahmen eines Bündnisvertrages m i t Zustimmung der Bundesregierung beschlossen wurden. Gedacht ist dabei derzeit nach der Begründung des Lenz-Entwurfs an Maßnahmen abgestufter Mobilmachung durch den NATO-Rat 8 4 . Der Bundestag hat i n der zweiten und dritten Lesung der Notstandsverfassung i m Mai 1968 entgegen dem Vorschlag des Rechtsausschusses85 das Recht, die Aufhebung solcher Beschlüsse zu verlangen, der Volksvertretung zugebilligt. Schon die Rechtsausschußbegründung 88 legt die Unzulässigkeit dieser Bestimmung klar: Die Erfüllung völkerrechtlicher Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland, die durch Beschlüsse eines von den Bündnispartnern konstituierten internationalen Organs begründet werden, kann nicht zusätzlich von der nachträglichen Billigung des Deutschen Parlaments abhängig gemacht werden. Der durch die Wehrverfassung eingefügte A r t . 87 a GG w i r d durch die Ergänzung i m Rahmen der Notstandsverfassung zu der Norm, i n der die Bestimmungen über den Einsatz der Streitkräfte — abgesehen vom Fall der Katastrophenhilfe — zusammengefaßt sind. Wenn dort (in Abs. 3 und 4) der Einsatz der Streitkräfte „zur Unterstützung polizeilicher Maßnahmen" bzw. „zur Unterstützung der Polizei" vorgesehen ist, so erscheint das bedenklich. Die Ausbildung der Bundeswehr ist auf die Bekämpfung eines von außen kommenden feindlichen Angreifers abgestellt; dem entspricht auch die Ausrüstung der Streitkräfte. Daher ist ihr Einsatz i m Innern allenfalls gegen militärisch bewaffnete Aufständische sinnvoll und zulässig. A r t . 115 a Abs. 1 GG regelt die Feststellung des Verteidigungsfalls. Er w i r d durch Abs. 2 ergänzt, der i m Falle der Handlungsunfähigkeit des Bundestages dem Notparlament die Feststellung (mit Zweidrittelmehrheit) überträgt. Die Verkündung der Feststellung des Verteidigungsfalls nach Abs. 3 soll die Zäsur zur Normallage verdeutlichen. Bei einem 84 85 86

Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses, BTDrucks. V/2873 S. 12. Vgl. auch BTDrucks. V/2917 S. 3. BTDrucks. V/2873 S. 12.

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2. Teil: Staatsnotstand nach deutschem R e t

feindlichen Angriff mit Waffengewalt auf das Bundesgebiet gilt der Verteidigungsfall als festgestellt, wenn Parlament und Notparlament zur Feststellung außerstande sind (Art. 115 a Abs. 4 GG). A r t . 115 c Abs. 1 GG erweitert die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes i m Notstand. Der Bund hat die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit (Art. 72) auch für Materien, für die i n der Normallage die Länder zur Gesetzgebung zuständig sind. Es handelt sich dann um Zustimmungsgesetze (vgl. A r t . 77 Abs. 2 und 3 GG). Z u wirksamer, zentraler Gefahrenabwehr ist diese Vermehrung der Zuständigkeiten des Bundes erforderlich. I n A r t . 115 c Abs. 2 G G kann durch Bundesgesetz erforderlichenfalls die Entschädigung bei Enteignungen abweichend von A r t . 14 Abs. 2 Satz 3 GG geregelt werden. Ferner ist die Frist für Freiheitsentziehungen ohne Richterspruch i m Notstand u m vier Tage verlängert worden. Verwaltung und Finanzwesen können nach A r t . 115 c Abs. 3GG, dem Verteidigungsfall entsprechend, abweichend von den diesbezüglichen Grundgesetzbestimmungen für die Normallage geregelt werden. Bedenklich ist A r t . 115 c Abs. 4 GG. Zwar dient die Anwendung der Bundesgesetze auf dem Gebiet, auf dem die Länder zur Gesetzgebung zuständig sind, und zur vorläufigen Regelung der Entschädigung bei Enteignungen vor dem Verteidigungsfall zur Vorbereitung ihres Vollzuges nach der Begründung des Rechtsausschusses87 der „rein verwaltungsinternen, organisatorischen Vorbereitung des Vollzuges". Sie soll nur „ausnahmsweise" 88 erfolgen und „den Staatsbürger selbst nicht betreffen". Aber die beiden letztgenannten Einschränkungen enthält der Gesetzeswortlaut nicht. Zudem ist es unlogisch, ein Gesetz anzuwenden zur Vorbereitung seines Vollzuges. M i t der Anwendung eines Gesetzes w i r d es vollzogen. Davon gibt es keine Ausnahme. Der vierte Absatz von A r t . 115 c G G leistet m i t seiner Unklarheit und Unlogik der Anlegung neuer Geheimvorschriften Vorschub. Es kann durch die Vorbereitung ein Mechanismus i n Gang gesetzt werden, der die Länder vorzeitig entmachtet und eine Krisensituation verschärft, anstatt sie abzubauen. Durch A r t . 115 d GG w i r d i m Verteidigungsfall ein vereinfachtes (beschleunigtes) Gesetzgebungsverfahren ermöglicht. Dieses Verfahren ist i m Interesse schneller Reaktion in einer Krise sachdienlich. A r t . 115 f G G regelt i m äußeren Notstand den Einsatz des Bundesgrenzschutzes i m ganzen Bundesgebiet, das Weisungsrecht der Bundesregierung gegenüber den Landesregierungen und den Landesbehörden 87 88

Schriftlicher Bericht BTDrucks. V/2873 S. 16. Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses BTDrucks. V/2873 ebenda.

1. Kapitel: Wesen und Erscheinungsformen

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sowie die Unterrichtungspflicht der Regierung bezüglich der Notmaßnahmen gegenüber Bundestag, Bundesrat und Notparlament. Nach § 2 des Gesetzes über den Bundesgrenzschutz und die Einrichtung von Bundesgrenzschutzbehörden vom 16. März 1951 (BGSG) (BGBl. I S. 201) kann der Bundesgrenzschutz die Sicherheit der Grenzen gefährdende Störungen der öffentlichen Ordnung nur i m Grenzgebiet bis zu einer Tiefe von 30 k m abwehren. Diese Regelung für die normale Lage entspricht der Aufgabe des Bundesgrenzschutzes als Grenzsicherungskraft (vgl. § 1 BGSG). I m Verteidigungsfall haben die Streitkräfte das Bundesgebiet zu schützen. Zur Abwehr feindlicher Armeen ist der Bundesgrenzschutz zahlenmäßig zu schwach und nicht ausreichend bewaffnet. Es ist daher sachdienlich, ihn nicht gegen solche feindlichen Streitkräfte, sondern als Polizeitruppe i m gesamten Bundesgebiet einzusetzen. Das erweiterte Weisungsrecht der Bundesregierung gegenüber den Landesexekutiven entspricht der vergrößerten Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes i m Verteidigungsfall (Art. 115 c Abs. 1 GG). Eine sachdienliche Sicherung der Rechtsprechung i m Verteidigungsfall durch das Bundesverfassungsgericht enthält A r t . 115 g GG. Sachlich entspricht er A r t . 115 g L E . Bedenken gegen die Regelung könnten nur insoweit bestehen, als sie ausschließlich i m äußeren Notstand gilt. Auch i m Fall des inneren Notstands ist aber eine Behinderung des Bundesverfassungsgerichts nicht ausgeschlossen. Daher wäre es zweckmäßig gewesen, auch für diesen Fall Notmaßnahmen zur Erhaltung der Arbeitsfähigkeit des Gerichts vorzusehen. A r t . 115 h G G betrifft die Verlängerung von Wahlperioden und Amtszeiten i m Verteidigungsfall. Da einerseits bei einem äußeren Angriff auf das Bundesgebiet Wahlen nicht stattfinden können, andererseits aber die Weiterarbeit der Staatsorgane gesichert werden muß, ist die Verlängerung der Wahlperioden des Bundestages, das Ausschließen seiner Auflösung, die Verlängerung der Wahlperioden der Volksvertretungen der Länder und die Verlängerung der Amtszeit des Bundespräsidenten erforderlich. Der sogenannte Kataraktfall ist i n Art. 115 i GG sachdienlich geregelt worden. Wenn Teile des Bundesgebietes durch einen Angreifer vom übrigen Bundesgebiet abgeschnitten worden sind (Insellage) und die Bundesorgane bei der Gefahrenabwehr dort nicht mehr tätig werden können, müssen die „Insel"-gebiete in die Lage versetzt werden, die Gefahr weitestmöglich allein zu bekämpfen. # A r t . 115 k Abs. 1 GG ordnet die Suspendierung des Rechts an, das den Notgesetzen und Not-Rechtsverördnungen entgegensteht. Diese für eine wirksame Gefahrenabwehr notwendige Regelung w i r d i n Absatz 2 für

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2. Teil: Staatsnotstand nach deutschem R e t

Gesetze des Notparlaments und darauf beruhende Not-Rechtsverordnungen dahin ergänzt, daß diese spätestens 6 Monate nach Beendigung des Verteidigungsfalls außer K r a f t treten. Absatz 3 bestimmt, daß die Finanzgesetze für den Verteidigungsfall längstens bis zum Ende des zweiten Rechnungsjahres gelten, das auf die Beendigung des Verteidigungsfalls folgt. Die Subsidiarität der Maßnahmen des Notparlaments verdeutlicht A r t . 1151 GG. Nach seinem ersten Absatz kann das Gesamtparlament (Bundestag und Bundesrat) die Gesetze des Notparlaments ebenso aufheben, wie Notmaßnahmen des Gemeinsamen Ausschusses und (oder) der Bundesregierung. Abs. 2 regelt den Beschluß über die Beendigung des Verteidigungsfalls. A r t . 1151 Abs. 3 GG entspricht dem vormaligen A r t . 59 a Abs. 4 GG. Z u dd) Regelung des inneren Notstands (Art. 35,91 GG) I m Rahmen des II. Abschnitts des Grundgesetzes (Der Bund und die Länder) enthält die Notstandsverfassung eine erweiterte Rechts- und Amtshilferegelung für den Fall der Naturkatastrophe oder eines besonders schweren Unglücksfalls (Art. 35 Abs. 2 und 3 GG). Daß die gesetzliche Regelung dieser Sachverhalte Verfassungsrang erfordert, muß bezweifelt werden. I n A r t . 35 Abs. 2 GG w i r d den Ländern das Recht eingeräumt, die personellen und die sächlichen M i t t e l anderer Länder und (oder) des Bundes bei der Gefahrenabwehr heranzuziehen. Absatz 3 räumt der Bundesregierung ein Recht zur Gefahrenabwehr für den Fall ein, daß das Land, i n dem die Gefahr droht, zur Bekämpfung der Gefahr selbst nicht bereit oder i n der Lage ist. Diese für eine schnelle, zentrale Gefahrenabwehr sachdienliche Regelung w i r d durch die Erweiterimg des A r t . 91 GG a. F. ergänzt. Den Ländern w i r d i n A r t . 91 Abs. 1 GG zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes die Möglichkeit eingeräumt, neben Polizeikräften anderer Länder, deren Heranziehung schon A r t . 91 Abs. 1 GG a. F. vorsah, Kräfte und Einrichtungen anderer Verwaltungen und des Bundesgrenzschutzes anzufordern. Nach dem Bericht des Rechtsausschusses89 sollen Anforderung und Zurverfügungstellung keine neuen Befugnisse begründen. Die Polizeikräfte anderer Länder und die Einheiten des Bundesgrenzschutzes unterstehen daher bei einem Einsatz nach A r t . 91 Abs. 1 GG dem i m Einsatzland geltenden Polizeirecht. „ F ü r die Kräfte und Einrichtungen anderer Verwaltungen gelten auch i n diesem Falle die besonderen, für sie maßgebenden Bestimmungen 90 ." Ob es sich insoweit u m das Recht des Einsatz89 90

BTDrucks. V/2873 S. 15. Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses BTDrucks. V/2873 S. 15.

1. Kapitel: Wesen und Erscheinungsformen

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landes, das Recht des Entsendungslandes oder um das Recht des Bundes handelt, geht weder aus A r t . 91 Abs. 1GG noch aus dem Rechtsausschußbericht hervor. I m Interesse der Rechtssicherheit bedurfte diese Frage aber einer Regelung. A r t . 91 Abs. 2 G G gibt der Bundesregierung Sondervollmachten zur Bekämpfung eines inneren Notstands. Er regelt zwei Fälle: — einmal den Fall, i n dem das Land, i n dem die Gefahr droht, nicht selbst zur Bekämpfung der Gefahr bereit oder i n der Lage ist, — zum andern den Fall, i n dem sich die Gefahr auf das Gebiet mehr als eines Landes erstreckt. Die Sonderrechte entsprechen nahezu denen des A r t . 35 Abs. 2 GG. Ein Einsatz der Streitkräfte i m inneren Notstand ist jedoch nicht vorgesehen. Das ist i m Hinblick auf Kampfauftrag und -ausrüstung der Bundeswehr sachdienlich 91 . 2. Streik im Notstand, in Entwürfen, Beratungen und öffentlicher Diskussion Weder der Entwurf 1960 noch der Entwurf 1962 einer Notstandsverfassung enthielt eine Regelung oder einen Hinweis hinsichtlich des Streiks oder des Streikrechts. I n den Diskussionen dagegen nahmen die Frage des Streiks und die Stellungnahme der Gewerkschaften einen breiten Raum ein. Es wurde sogar geschrieben, hinter der Notstandsdebatte verberge sich i n Wirklichkeit die Frage, ob die Gewerkschaften sich m i t einer staatlichen oder wirtschaftlichen Ordnung versöhnen w o l l ten, die so anders ausgefallen sei, als sie es sich vorgestellt hätten 1 . Selbst wenn man diese Ansicht für übertrieben hält, bleibt auffällig, daß i n den ersten Entwürfen ein Sachgebiet übergangen wurde, das nach Ansicht vieler Parlamentarier und Autoren einer Lösung bedurft hätte. Schon bei der Stellungnahme zu dem Entwurf 1960 hatte der Bundesrat seinem Vorschlag einer Neufassimg hinzugefügt, er halte die Feststellung für nötig, daß Arbeitskämpfe der nach A r t . 9 Abs. 3 GG gebildeten Vereinigungen die Ausrufung des Ausnahmezustandes nicht rechtfertigten 2 . I n seiner Stellungnahme zu A r t . 115 i des Entwurfes 1962 hielt der Bundesrat es für erforderlich, folgenden Passus ergänzend einzufügen: 91 Vgl. dazu die ausführlichen Erörterungen während der dritten öffentlichen Informationssitzung des Rechtsausschusses und des Innenausschusses des Deutschen Bundestages am 30. November 1967 (Protokoll S. 1—82). 1 Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 220. 2 Arndt in „Notstandsgesetz — aber wie?", S. 59.

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2. Teil: Staatsnotstand nach deutschem R e t

„Die Vorschriften über den Zustand der inneren Gefahr finden keine Anwendung auf Arbeitskämpfe, die von nach A r t . 9 Abs. 3 des Grundgesetzes gebildeten Vereinigungen geführt werden 3 ." Die Bundesregierung war — nach ihrer Äußerung zur Stellungnahme des Bundesrates — bereit, die Anregungen des Bundesrates i m weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens zu prüfen 4 . Sie hat ihre Auffassung später klarer dargelegt 5 : „Einschränkungen der Arbeitskampffreiheit sind nach geltendem Verfassungsrecht lediglich durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes ausschließlich aus Gründen des Gemeinwohls und äußersten Falls insoweit zulässig, als der Wesensgehalt i. S. des A r t . 19 Abs. 2 GG dabei nicht angetastet wird. A n diesem für Normalzeiten geltenden Zustand soll auch i m äußeren Notstand nichts geändert werden." Auch die Vorlage des Rechtsausschusses (Benda-Entwurf) hielt eine Regelung des Streikrechts i m Staatsnotstand für möglich und notwendig. Sie verneint i n einem 6. Absatz des A r t . 91 BE, daß von einem arbeitsrechtlichen Streik drohende Gefahren für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes ausgehen können, die den Einsatz von Polizeikräften anderer Länder, des Bundesgrenzschutzes oder der Streitkräfte als Polizeikräfte erforderlich machen, daß besondere Gesetzgebungskompetenzen zur Beendigung des Streiks erforderlich werden oder gewisse Grundrechte außer K r a f t gesetzt werden müßten (Art. 91 Abs. 1—5 BE): „Die Absätze 1—5 finden keine Anwendung auf Arbeitskämpfe, die zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen von Vereinigungen i. S. des A r t . 9 Abs. 3 GG geführt werden 6 ." Schon i n der 1. Lesung des Höcherl-Entwurfes i m Bundestag — 56. Sitzung der IV. Wahlperiode vom 24. Januar 1963 — kam die Frage der Einfügung einer Streikklausel i n die Notstandsverfassung zur Sprache 7. Nachdem der damalige Bundesinnenminister den Gewerkschaften versichert hatte, es sei i n keiner Weise an eine Einschränkung der Koalitionsfreiheit gedacht und der Bestand der Gewerkschaften solle unangetastet bleiben, 3

BTDrucks. IV/891, Anlage 2, S. 21. BTDrucks. IV/891, Anlage 3, S. 26. 5 Ausarbeitung „Zur Frage des Personalbedarfs und der Rechtsstellung der Arbeitnehmer im äußeren Notstand", S. 11, RdA 1966, S. 217. 6 BTDrucks. IV/3494, Schriftl. Bericht d. Rechtsausschusses, S. 4; vgl. auch Werner Weber, Koalitionsfreiheit und Tarifautonomie als Verfassungsproblem, S. 8 und 49 f.; Evers in AöR Band 91 (1966), S. 201, der den Artikel 91 Abs. 6 BE für überflüssig hält, weil ein arbeitsrechtlicher Streik sich schon seinem Begriff nach nicht gegen die Rechtsgüter des Art. 91 Abs. 1 BE wende. Daß diese Ansicht falsch ist, zeigt der Fall objektiver Staatsgefährdung durch einen der Intention nach arbeitsrechtlichen Streik. 7 StenoBerichte, S. 2485 ff.; vgl. auch Benda, Notstandsverfassung und A r beitskampf, S. 6—9 und passim. 4

1. Kapitel: Wesen und Erscheinungsformen

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fuhr er wörtlich fort 8 : „Das kommt i m Regierungsentwurf deutlich darin zum Ausdruck, daß eine zusätzliche Einschränkbarkeit des die Koalitionsfreiheit gewährleistenden A r t . 9 Abs. 3 des Grundgesetzes auch für den Zustand der äußeren Gefahr nicht vorgesehen ist. Dies gilt auch für die Freiheit zum legitimen arbeitsrechtlichen Streik i. S. der Rechtsprechimg des Bundesarbeitsgerichts." I m Schlußwort zu dieser Debatte erklärte der Minister: „Genauso bleibt es dabei und das ist hier ausdrücklich niedergelegt, daß der Arbeitskampf i n der rechtlich zugelassenen Form selbst i m äußeren Verteidigungsnotstand 9 durch die Bestimmung des A r t . 9 Abs. 3 GG absolut geschützt ist, obwohl ich das für blasse Theorie h a l t e . . . " A u f den Zwischenruf des Abg. Schäfer (SPD) „Wenn w i r uns demnach einig sind, kann man es doch auch hineinschreiben", fuhr der Minister i n bildhafter Sprache fort „Ich habe gar nichts dagegen. M. E. steht es schon d r i n . . . Aber wenn Sie es absolut noch einmal haben wollen, noch einmal unterstrichen haben wollen, dann sollen Sie das auch noch bekommen: von m i r aus Gürtel und Hosenträger 10 ." I n der Debatte, die zwischen den beiden Äußerungen des damaligen Bundesinnenministers stattfand, hatten die Abg. Schäfer (SPD), Dorn (FDP), Leber (SPD) und Güde (CDU) sich zur Zulässigkeit von arbeitsrechtlichen Streiks i m Staatsnotstand bekannt. Schäfer (SPD) 11 nannte den auf der Vorseite wörtlich zitierten Vorschlag des Bundesrates zum Streik i m Staatsnotstand eine „Legaldefinition der demokratischen Grundordnung". Der Deutsche Gewerkschaftsbund sei die stärkste K r a f t zur Verteidigung dieser demokratischen Grundordnung neben den bewaffneten Streitkräften der Bundeswehr. Nach Dorn (FDP) 12 spielt das Problem des Streikrechts für den inneren Notstand absolut keine Rolle. Ob das auch für den Zustand der äußeren Gefahr gelten könne, müsse geprüft werden. Der politische Streik stehe — auch für die Gewerkschaften selbst — überhaupt nicht mehr zur Diskussion. Der damalige Vorsitzende der I G Bau-Steine-Erden, Leber 13 , ergriff i n der Debatte als SPD-Abgeordneter das Wort und sagte u.a. vom Streik, daß er „ein legales M i t t e l ist, daß er so legal ist wie das Arbeiten selber ... ein legitimes Recht, das i m Grundgesetz verankert ist. Es muß 8

StenoBerichte IV/S. 2485. Gemeint war wohl: äußerer Notstand durch Eintritt und Feststellung des Verteidigungsfalles gem. Art. 59 a GG. 10 StenoBerichte, I V . Wahlperiode, S. 2531, 2532; Hinweis auf die Garantie des Streikrechts im Notstand auch bei Höcherl/Lechner, Brief a. d. Redaktion der G M H , G M H 1963, S. 549. 11 StenoBerichte I V . Wahlperiode, S. 2502. 12 StenoBerichte IV. Wahlperiode, S. 2506. 18 StenoBerichte IV. Wahlperiode, S. 2510. 9

u Lohse

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2. Teil: Staatsnotstand nach deutschem R e t

eindeutig Klarheit bestehen, daß das Recht des Arbeitskampfes und die Freiheit und Unabhängigkeit der Gewerkschaften erhalten bleiben. I n den vorgelegten Entwürfen sind diese Klarheit und diese Sicherung nicht i n ausreichendem Maße vorhanden." Güde 14 verlangte eine Prüfung der Frage, ob i n jeder Stunde unter allen Umständen gestreikt werden könne. Jedenfalls sei man darin einig, daß dieses Notstandsrecht kein Kampfmittel gegen Gewerkschaften und i h r allgemeines Streikrecht sein dürfe, und werde es auch nicht sein.

und sich die das

I n der 2. Lesung 15 des Höcherl-Entwurfs, i n der vornehmlich der schriftliche Bericht des Rechtsausschusses (der Benda-Entwurf) zur Sprache kam, nahm nur der Abg. Dorn (FDP) 19 klar zum Streikrecht Stellung: „Die Frage des Streikrechts war das 3. Problem, das i n der Auseinandersetzung hier bis zum Schluß, bis i n die interfraktionellen Besprechungen hinein, eine große Rolle gespielt hat. Z u dieser Frage haben w i r zu sagen: w i r sind überzeugt davon, daß ein großer Teil der Arbeitnehmer für unsere bereits i n der 1. Lesung dargetane Auffassung Verständnis hat, daß für die Dauer des äußeren Notstandes, d.h. für die Dauer des Krieges, der militärischen Auseinandersetzung das Streikrecht ruhen sollte. W i r wollen das Streikrecht nicht abschaffen. W i r halten es aber nicht für vertretbar, das Streikrecht noch für eine Zeit zu statuieren, i n der besondere Verpflichtungen für jeden einzelnen i n unserem Volk denkbar sind und Wirklichkeit w e r d e n . . . " I m A p r i l 1962 hatte der Kölner Parteitag der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands 7 Punkten zur Notstandsverfassung zugestimmt, die am 17. März 1962 von Parteivorstand, Parteirat und Kontrollkommission beschlossen worden waren. Der Punkt 4 1 7 beschäftigt sich m i t gewerkschaftlichen Rechten. 4. „Es ist auszuschließen, daß eine Einschränkung oder Drosselung der demokratischen Grundrechte i m gewerkschaftlichen und betrieblichen Bereich unter dem Vorwand des Notstandes praktiziert werden kann." A u f dem Parteitag der SPD i n Karlsruhe erklärte der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Fritz Erler 1 8 , dazu erläuternd, der Regierungsentwurf über den Zustand der inneren Gefahr sei überflüssig. Bei 14

StenoBerichte IV. Wahlperiode, S. 2525/26. 190. Sitzung der I V . Wahlperiode vom 16. Juni 1965, StenoBerichte S. 9525—9566. 18 190. Sitzung der IV. Wahlperiode, StenoBericht S. 9550. 17 Abgedruckt bei Seifert, Gefahr im Verzuge, S. 39. 18 Vgl. Seifert, Gefahr im Verzuge, S. 39. 15

1. Kapitel: Wesen und Erscheinungsformen

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den Weiterberatungen werde von A r t . 91 GG auszugehen sein. Dabei müsse klar sein, daß Notstandsregelungen nicht für Arbeitskämpfe gelten könnten. Durch den L E wurde A r t . 91 BE auf vier Absätze verkürzt. I n A r t . 91 Abs. 4 L E wurde bestimmt: „Die Absätze 1—3 finden keine Anwendung auf Arbeitskämpfe, die zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen von Vereinigungen i m Sinne des Art. 9 Abs. 3 geführt werden." I n der ersten Lesung des L E i m Deutschen Bundestag am 29. Juni 196719 wies der damalige Bundesinnenminister Lücke 20 die K r i t i k , nach der den Gewerkschaften durch die Streikregelung des A r t . 91 Abs. 4 L E ein Recht zum bewaffneten Aufstand und zur Gefährdung der Freiheit und Demokratie gewährleistet werde, zurück. Anschließend stellte der Bundesminister des Innern klar: „Ich wiederhole an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich, daß ich keinen Entwurf einer Notstandsverfassung vorlegen würde, der gegen die Deutschen Gewerkschaften und gegen die Deutsche Arbeitnehmerschaft gerichtet wäre." Der L E schlug nach Ansicht des Ministers 2 1 weder vor, die Streikfreiheit i m Zustand äußerer Gefahr ausdrücklich versassungsrechtlich zu garantieren 22 , noch hat er einen Vorschlag aus der Beratung i n IV. Deutschen Bundestag aufgegriffen, nach dem die Streikfreiheit i m Zustand der äußeren Gefahr suspendiert wird. Der Abgeordnete Dorn 2 3 , Mitglied der Fraktion der nunmehr i n der Opposition stehenden FDP, warf der SPD vor, sie habe an einem Entw u r f mitgewirkt, der nach der Stellungnahme des Abgeordneten Matthöf er (SPD) „eindeutig eine Strömung gegen die Arbeitnehmerschaft enthalte". Die FDP habe i n der IV. Legislaturperiode bereits gesagt und wiederhole auch jetzt, daß es i m inneren Notstand und i m Spannungszustand keine Einschränkung des Streikrechts geben dürfe, daß dieses Recht i m Verteidigungsfall dagegen suspendiert werden solle. Das wiederholte der Abgeordnete Busse (Herford) (FDP) 24 . Der Abgeordnete Even (CDU/CSU) 25 führte i n der Beratimg vom 29. Juni 1967 aus: „Es ist bekannt, daß der legale Streik nicht angetastet werden soll, weder i m inneren noch i m äußeren Notstand. Darunter 19

StenoBer. der 117. Sitzung S. 5856—5902. StenoBer. S. 5861. 21 StenoBer. S. 5860. 22 Dazu, daß entgegen der Ansicht von Lücke nicht nur die Streikfreiheit, sondern weitergehend das Streik recht in Art. 20 Abs. 1 GG grundgesetzlich garantiertest, siehe oben S. 64 ff. der Untersuchung. 28 StenoBer. S. 5866. 24 StenoBer. S. 5888. 25 StenoBer. S. 5875. 20

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2. Teil: Staatsnotstand nach deutschem R e t

fällt, was w o h l nicht bestritten ist, nicht der sogenannte wilde Streik. Insoweit gibt es eine sehr weitgehende Übereinstimmung, gerade auch m i t den Gewerkschaften." Der politische Streik ist dagegen nach Ansicht des Abgeordneten Even regelmäßig schon i n der Normallage illegal und nur als Widerstandsrecht ausnahmsweise gerechtfertigt. Der Abgeordnete Zink 2 6 , ein Fraktionskollege des Abgeordneten Even, setzte sich ebenfalls für die Formulierung des A r t . 91 Abs. 4 L E ein. Ein Lohnstreik, etwa i m Zustand der äußeren Gefahr, ist nach seiner Ansicht unvorstellbar, zumal die Satzungen der Gewerkschaften qualifizierte Mehrheiten für den Streikbeschluß i n Urabstimmungen verlangten. Der Abgeordnete Hirsch (SPD) 27 begrüßte die Sicherung des Streikrechts durch den L E und führte zum Widerstandsrecht aus, er glaube nicht, daß es möglich sei, ein politisches Widerstandsrecht i n Verfassungsbestimmungen niederzulegen. Entweder sei der Bürger bereit, Widerstand für eine gute Sache zu leisten, oder nicht. Vor Beginn der zweiten Beratung über den L E i m V. Bundestag am 15. M a i 196828 hatte der Rechtsausschuß i n Zusammenarbeit m i t dem Innenausschuß den L E erheblich abgeändert. Der geänderte Entwurf (Rechtsausschußentwurf, nach dem Berichterstatter des Rechtsausschusses Lenz-Entwurf [LeE] genannt) enthält i n Art. 9 Abs. 3 Satz 3 folgende Bestimmimg, die auch i n das Grundgesetz aufgenommen wurde: „Maßnahmen nach den Artikeln 12 a, 35 Abs. 2 und 3, 87 a Abs. 4 und Artikel 91 dürfen sich nicht gegen Arbeitskämpfe richten, die zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen von Vereinigungen im Sinne des Satzes 1 geführt werden."

Die Umstellung der Regelung, die i n gewissem Umfang Arbeitskämpfe (Streiks und Aussperrungen) gewährleistet, von A r t . 91 Abs. 4 L E i n A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 LeE begründet der Rechtsausschuß wie folgt 2 9 : „Der in Artikel 9 Absatz 3 anzufügende Satz 3 soll Arbeitskämpfe vor einer Beeinträchtigung durch mißbräuchliche Anwendung von Notstandssondervollmachten schützen. Der Ausschuß verfolgt mit der Änderung nicht die Absicht, hinsichtlich der allgemeinen verfassungsrechtlichen Beurteilung von Arbeitskämpfen irgend etwas zu ändern 80 . . . . Zweck der neu eingefügten Bestimmung des Art. 9 Abs. 3 Satz 3 ist die Gewährleistung des bisherigen 28

StenoBer. S. 5893. StenoBer. S. 5884. 28 174. Sitzung, StenoBer. S. 9311—9379. 29 BTDrucks. V/2873 S. 3. 80 Der Ansicht, die Notstandsverfassung ändere an der früheren Rechtslage bezüglich des Streiks nichts, sind: Benda, in der 5. öffentlichen Informationssitzung des Rechtsausschusses und des Innenausschusses des Deutschen Bundestages vom 14. Dezember 1967, Protokoll S. 5; Scheuner, ebenda S. 7; Ehmke, ebenda S. 18; Apel, ebenda S. 34, Kley, ebenda S. 42. 27

1. Kapitel: Wesen und Erscheinungsformen

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Rechtszustandes auch im Rahmen der Notstandsverfassung Durch die A n nahme der hier vorgeschlagenen Ergänzung von Art. 9 Abs. 3 würde die von der Bundesregierung vorgeschlagene Einfügung eines Art. 91 Abs. 4 über T flüssig."

I n der zweiten Lesimg des Entwurfs der Notstandsverfassung i m V.Bundestag nahm der Ausschuß-Berichterstatter, der Abgeordnete Lenz (Bergstraße) (CDU/CSU) 81 zum Streikrecht Stellung: „Es ist nicht wahr, daß durch diesen Entwurf den gewerkschaftlichen Rechten der Boden entzogen wird. I m Gegenteil, der Entwurf verankert das bestehende Arbeitskampf recht ausdrücklich i n der Verfassung 82 ." Der SPD-Abgeordnete Matthöfer 8 8 legte dar, daß die Einfügung des Wortes „Arbeitskämpfe" i n das Grundgesetz auf einem Kompromiß zwischen den Regierungsparteien CDU/CSU und SPD beruhe und arbeitsrechtliche Streiks und arbeitsrechtliche Aussperrungen auch i n Notlagen grundgesetzlich schütze. Die SPD hätte seiner Meinung nach nur für den Schutz arbeitsrechtlicher Streiks eintreten sollen. Der Schutz der arbeitsrechtlichen Aussperrung sei unsinnig, schädlich und überflüssig. Es sei kein Fall denkbar, i n dem die i n A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG ausgeschlossenen Maßnahmen gegen Aussperrungen gerichtet sein könnten. Dem stimmte der Abgeordnete Dorn (FDP) 84 zu. Der Abgeordnete Hirsch (SPD) 85 hielt die grundgesetzliche Regelung bezüglich der Arbeitskämpfe vor Einfügung der Notstandsverfassung für verbesserungsbedüftig. Anders als der Abgeordnete Matthöfer, der nur seine persönliche Meinung äußerte, sprach er sich auch namens der SPD-Fraktion für die vorgesehene Einfügung des Satzes 3 i n A r t . 9 Abs. 3 GG aus. Auch der Abgeordnete Lenz (Bergstraße) (CDU/CSU) 88 hielt diese Verfassungsergänzung unter Gleichbehandlung von Streik und Aussperrung als „Gewährleistung des bisherigen Rechtszustandes auch i m Rahmen der Notstandsverfassung" für erforderlich. Ebenso wie der Abgeordnete Hirsch (SPD) setzte er sich m i t den Argumenten des Abgeordneten Matthöfer (SPD) nicht auseinander. Bei der dritten Beratung des Entwurfs der Notstandsverfassung i m V.Bundestag am 30.Mai 196887 wurde das Streikproblem nur kurz von zwei SPD-Abgeordneten angesprochen. 81 StenoBer. S. 9313. ** Da das arbeitsrechtliche Streikrecht, ebenso wie das Recht zur arbeitsrechtlichen Aussperrung bereits in Art. 20 Abs. 1 G G verfassungsrechtlich festgelegt ist, ist hier auf das Wort „ausdrücklich" besonderes Gewicht zu legen. Die Grundgesetzergänzung hat insoweit klarstellende Wirkung (vgl. oben S. 64 ff. der Untersuchung). 88 StenoBer. S. 9314/15. 84 StenoBer. S. 9315. 85 StenoBer. S. 9315. 88 StenoBer. S. 9316. 87 178. Sitzung, StenoBer. S. 9606—9655.

2. Teil: Staatsnotstand nach deutschem R e t

166

Der Abgeordnete Matthöfer (SPD) 88 wies noch einmal auf die Bedenken gegen die Streikregelung i n der Notstandsverfassung hin: „Die vorgesehene Schutzklausel für Arbeitskämpfe führt, wenn man die augenblickliche Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zugrunde legt, i m Gegensatz zur Lösung i n den anderen großen EWG-Ländern Aussperrimg und Streik gleicherweise i n unser Grundgesetz ein, allerdings ohne die faktische, ökonomische, moralische und politisch-ethische Verschiedenheit der beiden Kampfmaßnahmen schon dadurch zu einer rechtlichen Gleichrangigkeit machen zu wollen. Sie verhindert nicht eindeutig, daß auch Streiks, die zum Schutz der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen geführt werden — übrigens eine sehr enge Auslegung des Streikbegriffs —, beeinträchtigt werden können." Der Abgeordnete Schmidt (Hamburg) (SPD) 89 führte die Verwendung des Begriffs „Arbeitskämpfe" i n Art. 9 Abs. 3 Satz 3 LeE darauf zurück, daß seine Partei i m Bundestag keine Zweidrittelmehrheit besäße. Andernfalls hätte sie nur arbeitsrechtliche Streiks verfassungsrechtlich geschützt. Die Sozialdemokraten hätten die grundsätzliche Zulässigkeit des Streiks immer bejaht und hätten die „ausgetüftelte Lehre" von der Sozialadäquanz immer für völlig überflüssig gehalten. Auch wer ihnen bisher i n dieser Meinung nicht habe zustimmen wollen, werde sich nunmehr zu einer Veränderung seiner Position gezwungen sehen. Es werde nach der Einfügung der Notstandsverfassung ins Grundgesetz keine Maßnahme gegen den gewerkschaftlich geführten Streik geben. Der Abgeordnete zitierte aus dem Godesberger Programm seiner Partei: „Das Streikrecht gehört zu den selbstverständlichen Grundrechten der Arbeiter und Angestellten." Daran werde kein Sozialdemokrat deuteln lassen. Bei der Beratung des L E am 28. A p r i l 1967 i m Bundesrat 40 , dessen Zustimmung zu der Verfassungsänderung nach A r t . 79 Abs. 2 GG erforderlich war (Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmen) hatte der hessische Minister Strelitz 4 1 darauf hingewiesen, daß das Streikrecht in A r t . 9 GG geregelt werden solle. M i t der Bedeutung des Streikrechts für die freiheitliche demokratische Ordnung sei es nach Auffassung der Hessischen Landesregierung nicht vereinbar, dieses wesentliche kollektive Grundrecht gewissermaßen nur durch die Hintertür i n die Verfassung hereinzulassen und beim Notstand zu erörtern. I n der abschließenden Debatte des Bundesrats über die Notstandsverfassung am 14. Juni 196842 stellte Minister Strelitz fest, daß es zu den besonderen Vorzügen 88 39 40 41 42

StenoBer. StenoBer. StenoBer. StenoBer. StenoBer.

S. 9632. S. 9644, S. 9647 u. S. 9648. der 308. Sitzung, S. 51—63. S. 59. der 326. Sitzung, S. 137—150 (S. 141).

1. Kapitel: Wesen und Erscheinungsformen

167

der vom Bundestag verabschiedeten Notstandsverfassung gehöre, daß das Streikrecht auch gegen Maßnahmen der Exekutive i m Notstand geschützt sein solle. Auch der Berichterstatter des Rechtsausschusses des Bundesrates, Senator Heinsen (Hamburg) 48 hielt es für eine wesentliche Verbesserung des Regierungsentwurfs, daß die negative Arbeitskampfgarantie, die nach dem Regierungsentwurf nur für den inneren Notstand gegolten habe, auf alle Notstandsmaßnahmen ausgedehnt worden sei. Demgegenüber bedauerte Minister Strelitz 4 4 , daß durch die Arbeitskampfgarantie auch die Aussperrung gegen Eingriffe der Notstandsgewalt geschützt werden solle. Diese Regelung könne als eine Aussage dahin mißverstanden werden, daß Streik und Aussperrung verfassungsrechtlich als M i t tel des Arbeitskampfes auf der gleichen Stufe ständen. Eine solche A u f fassung erscheine der Hessischen Landesregierung verfassungsrechtlich nicht haltbar. Dennoch stimmte Hessen, wie die anderen Bundesländer i m Bundesrat der Notstandsverfassung zu 45 . Gegen alle Parlamentarier und Autoren, die i m Notstand ein uneingeschränktes Streikrecht zulassen wollen, hat sich Freund 4 6 gewandt. Zwar ist er mit den meisten von ihnen in zwei Punkten einig: — das Streikrecht i m Staatsnotstand müsse i n der Grundgesetzergänzung geregelt werden und — ein Gesamtverbot des Streiks komme nicht i n Betracht. Allein, die Streikmöglichkeiten müssen nach Freund i m Staatsnotstand erheblich eingeschränkt werden. Zunächst müsse zwischen legalem und illegalem Streik unterschieden werden. Selbst ein legaler Streik 4 7 aber, z. B. der Bergarbeiter, könne einen Staat morden, ein Streik, dem jede staatsfeindliche Absicht fehle. Das Notstandsrecht werde wertlos, wenn i n der Zeit des Ausnahmezustands der durchaus legitime (und legale — der Verfasser) Interessenkampf weitergehe. Der Streik sei der gefährlichste Notstand. Jeder große Streik müsse auf die Dauer das W i r t 48 44 45 48

154).

StenoBer. S. 138 f. StenoBer. S. 141. StenoBer. S. 149f. Freund in Arndt-Freund,

Notstandsgesetz — aber wie?, S. 152 ff. (153/

47 Nach Freund: Streik, der von den Gewerkschaften bewilligt wurde und bei dem die arbeitsrechtlichen Regeln eingehalten wurden. (Auf die Verwechslung von „legal" und „legitim" bei Freund kann hier nicht näher eingegangen werden). Die gewerkschaftlichen Richtlinien zur Verhinderung von Notständen als Folge von Arbeitskämpfen (RdA 1950, S. 71/72) sind keine ausreichende Sicherung für die Erledigung aller Notstandsarbeiten im Staatsnotstand. Als Satzung können sie zudem von den Gewerkschaften jederzeit abgeändert werden. A. A. Abg. Leber (SPD) in der BTSitzung v. 24. Januar 1963, StenoBerichte, S. 2511.

168

2. Teil: Staatsnotstand nach deutschem R e t

schaftsieben einer Industrienation zum Erliegen bringen, was immer zu diesem Streik geführt haben möge. Ein totaler Verkehrsstreik müsse bedeuten, daß binnen kurzer Zeit die Bevölkerung der großen Städte verhungere. Ob i n einem solchen Krisenzustand solch ein Streik zulässig sei, könne nicht von den Gewerkschaften allein entschieden werden. Der Ausnahmezustand sei dadurch gekennzeichnet, daß die ansonsten legitimen Interessen der sozialen Gruppen zurückzutreten hätten, wenn es u m das Dasein der Nation und die Freiheit an sich gehe. Der verstorbene Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts Katz 4 8 hatte i n einem Vortrag am 20. November 1959 eine ähnliche Auffassung vertreten: Staatsrechtlich bedenklich müsse die Lage i m Falle des sog. inneren Notstandes, a l s o . . . i m Fall des Verkehrsstreiks, des Generalstreiks, von Versorgungsschwierigkeiten i n unseren industriellen Zentren und ähnlichem w e r d e n . . . Dabei dürften wahrscheinlich i n der heutigen Zeit nicht so sehr die rein politischen, sondern eher die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse den Anlaß für einen Notstand bieten. Er, Katz, sei nicht sicher, ob ein totaler Metallarbeiterstreik von 4 Monaten, wie ihn die Vereinigten Staaten erst jetzt — 1959 — durchgemacht hätten, . . . von Deutschland als einem Export- und Industrieland m i t geringen Rohstoffquellen ohne Krisenzustand verdaut werden könnte, ob etwa ein Streik solchen Ausmaßes nicht schon einen Zustand der inneren Krise und des inneren Notstandes hätte hervorrufen können. Benda 49 befürwortet die Möglichkeit, gegen solche Arbeitskämpfe vorzugehen, die wegen ihrer wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen die Belange der Allgemeinheit berühren. Sie ständen der Hoffnung der Rechtsordnung entgegen, i m geordneten Ausgleich der Gruppeninteressen ein M i t t e l der Förderung des Gesamtwohles zu sehen 50 . Die Rechtsordnung sei gehalten, die Belange des Allgemeinwohls zu vertreten. Auch diese an sich selbstverständliche Verpflichtung lasse sich aus der Sozialstaatsklausel entnehmen 51 . Auch die Gewerkschaften hätten m i t der Aufstellung von Richtlinien zur Verhinderung von Notständen als Folge von Arbeitskämpfen i m Grundsatz selbst anerkannt, daß Arbeitskämpfe über die Auswirkungen auf die unmittelbar Beteiligten hinaus berechtigte Belange Dritter gefährden könnten 5 2 . Als Beispiel verweist Benda auf Arbeitskämpfe, die die i n A r t . 5 GG geschützte In48 Katz, Auszüge bei Seifert, a. a. O., S. 33/34 und Freund in Arndt-Freund, Notstandsgesetz — aber wie?, S. 153 f. 49 Notstand, Verfassung und Arbeitskampf, S. 9 ff., Zusammenfassung, S. 28. 50 Evers, Notstand — Grenze des Rechtsstaats, S. 9; Gerhard Müller in G M H 1960, S. 626 (Deus); Benda, a. a. O., S. 25. 51 So auch Werner Weber, Koalitionsfreiheit und Tarifautonomie, S. 27. 52 Benda, Notstandsverfassung und Arbeitskampf, S. 29.

1. Kapitel: Wesen und Erscheinungsformen

169

formationsfreiheit verletzen könnten: Druckerstreik und Streik von A n gestellten der Rundfunk- und Fernsehsender. Beide Meinungen, die weder nach „Autoritätsbeweis" noch numeral beurteilt werden können, haben gewichtige Gründe ins Feld geführt, die teils de lege lata, teils de lege ferenda von Bedeutung sind. W i r werden uns m i t ihnen i m folgenden auseinanderzusetzen haben. Eines sei schon vorab festgestellt: m i t der großen Mehrheit der zitierten Autoren sind w i r schon aus den von ihnen angeführten Gründen der Meinung, daß eine Regelung des Staatsnotstandes eine Lücke aufweist, wenn sie sich nicht m i t dem Problem des Arbeitskampfes i n der Ausnahmesituation auseinandersetzt. Eine solche Lücke enthalten die Regierungsentwürfe 1960 und 1962. Bezüglich des Streikrechtes kann also nur auf die Lösung des Benda-Entwurfes, des Lücke-Entwurfes, des LenzEntwurfes und des A r t . 9 Abs. 3 S. 3 GG eingegangen werden.

2. Kapitel

Zusammenfassung Bei der geschichtlichen Betrachtimg, der Erörterung verschiedener Entwürfe für eine Ergänzung des Grundgesetzes durch Staatsnotstandsregelungen und des geltenden Notstandsrechts hat sich ergeben, daß eine knappe und griffige Notstandsformel, d. h. eine Staatsnotstands-Generalklausel aus Rechtssicherheitsgründen und wegen der Komplexität der Materie für das Grundgesetz nicht i n Betracht kam. Die i m Grundgesetz bis 1968 bestehende Lücke mußte vielmehr durch eine detaillierte Regelung geschlossen werden. Die Regelung mußte einmal umfassend sein, damit der Regierung weitestmöglich der Rückgriff auf das überverfassungsgesetzliche Notstandsrecht versperrt wurde und zum anderen, damit die bis 1968 i n vollem Umfang bestehenden Staatsnotstandsrechte der Drei Mächte wenigstens teilweise abgelöst wurden. Unklarheiten, Lücken und unzweckmäßige Lösungen finden sich sowohl i n den Notstandsverfassungs-Entwürfen, die vor 1968 erörtert wurden, als auch i n der Notstandsverfassung i m Grundgesetz. Vor allem das Verhältnis von Streik- und Staatsnotstand blieb trotz der zehnjährigen Diskussion i n Öffentlichkeit und Parlament i n den Entwürfen und i n A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG noch weitgehend ungeklärt. I m folgenden muß versucht werden, festzustellen, welchen Umfang das Recht zum Arbeitskampf, also das Streikrecht der Arbeitnehmer und — entsprechend der Waffengleichheit i m Arbeitskampf — das Aussperrungsrecht der Arbeitgeber i m Staatsnotstand hat.

3. T e i l

Verhältnis von Streik und Staatsnotstand 2. Kapitel

Nach geltendem Recht I n Deutschland ist, wie ausgeführt, für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerorganisationen das Recht zu streiken durch die Europäische Sozialcharta gesetzlich garantiert, wenn der Streik zur Wahrung oder Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen durchgeführt w i r d — gesetzliche Garantie des Rechts auf arbeitsrechtlichen Streik. Durch die A r t . 20, 28 GG w i r d eine Institutsgarantie des arbeitsrechtlichen Streiks m i t Verfassungsrang gewährt. Diese Erkenntnisse sind i n den Debatten um die Notstandsverfassung — und auch das haben w i r bereits gesehen — als eine A r t von Binsenwahrheit, eine „Frage der Kleiderordnung" (Minister Höcherl: Gürtel und Hosenträger) 1 auf staatliche Notsituationen übertragen worden. Dabei wurde übersehen, was i n der kurzen Bemerkung des Abg. Güde (CDU) zum Ausdruck kam: Es müsse geprüft werden, ob die Ausübung des Streiks i n jeder Stunde und unter allen Umständen möglich sein werde. Kann doch schon inmitten einer großen wirtschaftlichen Krise ein Streik für einen Staat lebensgefährlich werden 2 . Wieviel mehr müßte ein großer Streik i m inneren oder äußeren Notstand zur Staatsgefährdung werden. Diese scheinbar rein wirtschaftlichen und politischen Probleme bedürfen einer juristischen Lösung. Der Gesetzgeber darf sich nicht darum herumdrücken 8 . Daß die rein negative Formel des A r t . 9 Abs. 3 S. 3 GG eine ausreichende verfassungsgesetzliche Lösung bietet, erscheint fraglich. Eine Scheinlösung ist es, auf der einen Seite ohne nähere Prüfung von einem Fortbestehen des Streikrechts i n vollem Umfang auch bei einer staatsbedrohenden K r i sensituation auszugehen und andererseits durch eine übermäßig große Ausweitung des Dienstverpflichtungsrechts wieder zu nehmen, was zunächst zugestanden wurde 4 . 1 2 8 4

Benda, Notstandsverfassutig und Arbeitskampf, S. 9. Freund in Arndt-Freund, Notstandsgesetz — aber wie?, S. 153. So auch Evers, Notstand — Grenze des Rechtsstaats, S. 9. So angeblich der frühere B M i n I Höcherl, der angeblich zu dem Abg. Dorn

172

3. Teil: Verhältnis von Streik und Staatsnotstand

Dem Problem soll i m folgenden nachgegangen werden. Dabei w i r d von der Zweiteilung zwischen äußerem und innerem Staatsnotstand ausgegangen. Zusätzlich w i r d der Streik i m Spannungsfall erörtert. A. Streik im Falle des äußeren Notstands Eine gesetzliche Regelung des Streiks i m äußeren Notstand gibt es i n der Bundesrepublik Deutschland seit 1968 i m Grundgesetz. Demgegenüber sieht die Europäische Sozialcharta für Notstandsfälle gerade die Möglichkeit einer Außerkraftsetzung des Streikrechts vor. I . Streik bei eingetretenem Zustand äußerer Gefahr

Für den Fall, daß vor der anzustrebenden Änderung des A r t . 9 Abs. 3 S. 3 GG bei eingetretenem Ausnahmezustand ein Streik ausgerufen wird, muß auch nach geltendem Recht eine Lösung hinsichtlich der Zulässigkeit oder Unzulässigkeit jenes Ausstandes gesucht werden. I m Verteidigungszustand wollte der ehemalige B M i n I Höcherl den „legitimen 5 arbeitsrechtlichen Streik i. S. der Rechtsprechimg des Bundesarbeitsgerichts" 6 ohne jede Einschränkung zulassen. Die Bezugnahme auf die Streikrechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts mag für Streiks von A r t und Umfang, wie sie die Bundesrepublik bisher erlebt hat, ausreichend sein. Z u einem Streik i m Falle der Bedrohung lebenswichtiger Interessen des Staates hat das BAG, soweit ersichtlich, noch nicht Stellung genommen 7 , also auch nicht zu dem Umschlag arbeitsrechtlicher i n politische Streiks während eines Staatsnotstands. Nach welchem Maßstab soll also i n jenen Grenzbereichen zwischen arbeitsrechtlichem und politischem Streik festgestellt werden, ob ein Streik legal ist? Wann w i r d ein Streik auch ohne Willensrichtung gegen den Staat sich gegen die Allgemeinheit richten, w e i l sein Ausmaß i. V. m i t dem eingetretenen Notstand objektiv die Interessen der Allgemeinheit i n unerträglichem Maße gefährdet? (FDP) gesagt hat: „Warum das (mögliche Einschränkungen des Streikrechts — der Verfasser) ausdrücklich erwähnen. Wir dienstverpflichten dann einfach." Vgl. Seifert, Gefahr im Verzuge, S. 80. 5 Gemeint ist wohl: „legaler" Streik. 6 I V . Wahlperiode, StenoBerichte, S. 2485 und 2531/32. 7 Zwar hat der 1. Senat im Beschluß v. 19.1.1962 — 1 ABR 14/60 (BAGE 12/194) formuliert: „Mit der h. L. steht auch er (der Senat — der Verfasser) auf dem Standpunkt, daß die Durchführung eines Arbeitskampfes nur auf einem Sektor erfolgen kann, auf dem nicht höherwertige Interessen einen solchen Kampf verbieten, wie z. B. bei den Beamten und regelmäßig auch bei Ärzten und Pflegepersonal"; allein, man kann den Staatsnotstand nicht als einen Sektor des Berufslebens ansehen. M i t jener Formulierung des B A G ist unsere Frage daher nicht beantwortet.

1. Kapitel: Streikfälle

173

Schon die Wahl von Begriffen wie „staatsgefährdende Wirkung" und „unerträgliche Gefährdung allgemeiner Interessen" zeigt, daß hier letztlich Wertungsfragen die entscheidende Rolle spielen. Dennoch muß versucht werden, eine Lösung zu finden, die dem geltenden Verfassungsrecht und der Interessenlage gerecht wird. Ausgangspunkt ist folgender: Das Institut des arbeitsrechtlichen Streiks ist m i t Verfassungsrang geschützt. Der Staat soll i n Interessenkonflikte der sozialen Gegenspieler nur eingreifen, wenn es unvermeidbar ist. Es hat sich nämlich oben 8 bereits gezeigt, daß der vom Staat unbeeinflußten Austragimg der w i r t schaftlichen Gegensätze der Sozialpartner i m demokratischen Staat wesentliche Bedeutimg zukommt. Dafür müssen Unbequemlichkeiten, ja leichte Schädigungen der Allgemeinheit i n Kauf genommen werden. Es entfällt die Möglichkeit, bei jedem Streik i m äußeren Notstand wegen seiner politischen Auswirkungen den Umschlag zum politischen Streik 9 festzustellen und i h n damit für unrechtmäßig zu erklären. Es sind vielmehr durchaus Fälle denkbar, daß i m äußeren Notstand legal gestreikt wird. Wenn zum Beispiel die 150 Arbeitnehmer einer westfälischen Polstermöbelfabrik die Arbeit niederlegen 10 , u m zu erzwingen, daß die Firma sie unentgeltlich m i t einem Bus von den umliegenden Dörfern, i n denen sie wohnen, zur Arbeitsstelle fahren läßt, w e i l die Züge nicht regelmäßig verkehren, so sind die schädigenden Wirkungen auf die A l l gemeinheit gering. Es liegt ein nach A r t . 2 0 , 2 8 G G i . V . m i t A r t . 6 Europ. Sozialcharta zulässiger Streik zur Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen vor. Anders wäre es beispielsweise , wenn ein Streik m i t ähnlichen Zielsetzungen von allen Arbeitern und Angestellten der Molkereien i n Nordrhein-Westfalen durchgeführt würde. Die Milchversorgung der Bevölkerung i n einer Notsituation ist gegenüber den Interessen der Arbeitnehmer, schneller und zuverlässiger zu ihrem Arbeitsplatz zu kommen, vorrangig. Daß ein Streik (drittes Beispiel ) i n der Rüstungsindustrie um höhere Löhne während des äußeren Notstands, d. h. nach geltendem Recht nach der Erklärung des Verteidigungszustandes, i n einen politischen Streik umschlägt, folgt aus dem Interesse der Allgemeinheit an der Erhaltung des Staates und an der Abwehr des Angreifers. Zweifel an diesem Ergebnis könnten aufkommen, w e i l eine Gefährdung des Gesamtstaates und seiner Ordnung selbst durch einön Ausstand einiger 100 Molkereiarbeiter oder nur einiger weniger Arbeiter 8

Siehe oben, S. 75 der Untersuchung. Siehe oben, S. 44 der Untersuchung. 10 Es soll davon ausgegangen werden, daß es sich bei den Beispielen im von der Gewerkschaft unterstützte Streiks handelt, die nach den Regeln arbeitsrechtlicher Streiks durchgeführt werden. 9

174

3. Teil: Verhältnis von Streik und Staatsnotstand

i n einem Rüstungsbetrieb gemeinhin nicht bewirkt wird. Allein, i m Zustand der äußeren Gefahr liegt bereits eine Gefährdung der staatlichen Ordnung durch einen militärischen Angriff vor, gleichgültig, ob bereits ein Teil des Bundesgebietes vom Feind besetzt ist oder nicht. Hinzu kommt die Schädigung des Gemeinwohls durch die streikenden Arbeiter. Daher ist die „Schwelle" für einen staatlichen Eingriff i n den Interessenkampf der Sozialpartner entsprechend niedriger. Schon durch geringfügigere Eingriffe durch Schädigungen der Streikenden ist die staatliche Ordnimg unerträglich gefährdet. Bei gleich intensiven Streikschädigungen i m Normalzustand hätte möglicherweise nur eine leichte, hinzunehmende Schädigung der Allgemeininteressen vorgelegen. Die Voraussetzung für den Umschlag eines arbeitsrechtlichen i n einen politischen Streik, die den Ausstand rechtswidrig macht, kann nicht mehr nur i n der Gefährdung der staatlichen Ordnung gesehen werden 11 . Bei eingetretenem Zustand äußerer Gefahr ist somit jede erhebliche Störung des geordneten Wirtschaftsablaufs durch Streik, die die Abwehr der Staatsgefährdung behindert oder die lebenswichtige Versorgung der Bevölkerung erschwert, politischer Streik und damit rechtswidrig. Die Schwierigkeit bei der praktischen Anwendung dieser Begriffsbestimmung des Umschlags eines arbeitsrechtlichen i n einen politischen Streik i m äußeren Staatsnotstand liegt i n dem Beurteilungsspielraum der zentralen Begriffe: „erhebliche Störung", „Erschwerung der lebenswichtigen Versorgung der Bevölkerimg" und „Behinderung der Abwehr der Staatsgefährdung". Es liegt nahe, diesen unbestimmten Rechtsbegriffen m i t Beurteilungsspielraum die Wertung des Urteilenden unterzuschieben. Allein, da es bestimmte Rechtsbegriffe zur Umschreibung des Umschlags von arbeitsrechtlichen i n politische Streiks i m Notstand nicht gibt, muß diese Schwäche der Begriffsbestimmung i n Kauf genommen werden. Sie unterscheidet sich i m übrigen kaum von der Schwierigkeit, die es bereitet, festzustellen, wann ein Streik i n Friedenszeiten „die staatliche Ordnung" gefährdet, also von einem arbeitsrechtlichen zu einem politischen wird. Daß es bei der großen Bedeutung jener Wertungsfrage darauf ankommt, diese Entscheidung einer für alle Beteiligten vertrauenswürdigen Stelle anzuvertrauen, ist augenfällig. Dieses Problem w i r d uns noch beschäftigen. I I . Streik im Spannungszustand

Für den Spannungszustand, d.h. die Lage vor E i n t r i t t des Zustands der äußeren Gefahr ( = des Verteidigungsfalls), könnte die Um11

Brox-Rüthers, Arbeitskampfrecht, S. 33.

1. Kapitel: Streikfälle

175

schlagsschwelle vom arbeitsrechtlichen zum politischen Streik höher sein als i m Falle der äußeren Gefahr, w e i l die Bedrohung i n jener Lage u.U. geringer ist. Die staatlichen und nichtstaatlichen Einrichtungen sind i m Spannungszustand noch funktionsfähig. Kann für das geltende Recht i m äußeren Notstand noch auf die Legaldefinition des Verteidigungsfalls i n A r t . 115 a Abs. 1 S. 1 GG als verfassungsgesetzlichen Anknüpfungspunkt verwiesen werden, so besteht i m Spannungsfall eine grundgesetzliche Begriffsbestimmung nicht. Bei der Beratung des Regierungsentwurfs zur Änderung des Wehrpflichtgesetzes (BTDrucks. III/1423) hat der Abg. Jäger (CSU) eine Begriffsbestimmung versucht: Spannimgszeit 12 sei die Zeit besonders kritischer Beziehungen zwischen den Staaten. Diese Begriffsbestimmung ist zu weit gefaßt. Sie würde die Rechte der Bürger i n der Normallage zu früh einschränken. Eine Staatsnotstandsregelung darf nicht den Politikern zur Erleichterung von Verhandlungen dienen. I n der Diskussion u m die Notstandsverfassung wurde daher eine engere Umschreibung versucht. Der Entwurf 196213 und der Benda-Entwurf 1 4 bezeichnen als Spannungszustand die Zeit, i n der „ein Angriff (auf die Bundesrepublik m i t Waffengewalt — der Verfasser) droht". Was m i t dieser allgemein gehaltenen Formel gemeint ist, erläutert die amtliche Begründung zum E 196215: „Bei der zweiten Alternative (Spannungsfall — der Verfasser) ist i n erster Linie an offenkundige internationale Spannungszustände gedacht, die einen solchen Grad erreicht haben, daß m i t einem alsbaldigen bewaffneten Angriff eines fremden Staates oder einer fremden Regierung auf das Bundesgebiet gerechnet werden muß. Die zweite Alternative wäre aber auch dann als erfüllt anzusehen, wenn aufgrund nachrichtendienstlicher oder anderer geheimer Quellen, die den vorliegenden Erfahrungen nach als zuverlässig gelten können, ein bewaffneter Angriff eines fremden Staates oder einer fremden Regierung auf das Bundesgebiet als unmittelbar bevorstehend erscheint oder wenigstens ernstlich m i t einem solchen Ereignis gerechnet werden muß, auch ohne daß eine für alle Welt offenkundige internationale Spannung zu bestehen braucht". Diese Umschreibung beließe dem Inhaber des Rechts auf Feststellung des Spannungsfalles noch immer einen sehr breiten Beurteilungsspielraum, ist aber bereits wesentlich genauer gefaßt. Allein, das gel 12 Die Begriffe „Spannungszeit", „Spannungsfall" und „Spannungszustand" werden synonym verwendet; vgl. zu den Begriffen v. Mangoldt-Klein, Art. 59 a GG, Anm. I I 4 c und I I I 1. 18 Art. 115 a Abs. 1 des Höcherl-Entwurfs. 14 Art. 115 a Abs. 1 des Benda-Entwurfs. 15 BTDrucks. IV/891 (Begründung, besond. Teil) S. 9.

176

3. Teil: Verhältnis von Streik und Staatsnotstand

tende Verfassungsrecht enthält eine derartige Regelung nicht. A r t . 12 a Abs. 5 S. 1 GG spricht n u r ungenau von der „Zeit vor dem Verteidigungsfalle". Darauf, daß insoweit eine Lücke i n der Verfassung vorliegt, ist bereits hingewiesen worden. Daß aber auch gegenwärtig eine Beschränkung der Zulässigkeit von Arbeitskämpfen i n einer Spannungssituation erforderlich ist, folgt aus der engen Verwandtschaft jener Lage m i t dem eingetretenen Zustand äußerer Gefahr. Ist ein feindliches Heer drohend an den Grenzen des Bundesgebietes aufmarschiert und beginnen Verteidigungsvorbereitungen — Aufmarsch deutscher und alliierter Truppen an der bedrohten Grenze, Evakuierungen, Requisitionen, Rationierungen usw. — so ist einleuchtend, daß durch einen Streik erheblichen Umfangs das überragende Interesse an der Abwehr der Gefahr und der Erhaltung der Bevölkerung beeinträchtigt wird. Es werden politische Wirkungen durch den Streik ausgelöst. Die staatliche Ordnimg w i r d bedroht. Weil auch i m Spannungszustand der Staat gefährdet und Leib und Leben der Bevölkerung bedroht sind, muß die oben (S. 174) gegebene Begriffsbestimmung für den Umschlag auch i m Spannungszustand gelten, obgleich die staatliche Verwaltung noch arbeitsfähig ist. E i n arbeitsrechtlicher Streik, der i m Spannungsfall eine erhebliche Störung des geordneten Wirtschaftsablaufs hervorruft, indem er die Abwehr der Staatsbedrohung behindert, oder die lebenswichtige Versorgung der Bevölkerung erschwert, ist politischer Streik und damit rechtswidrig.

B. Streik während des inneren Notstands Z u r Regelung von Fällen des inneren Staatsnotstands enthält das Grundgesetz einen Ansatz i n A r t . 91. E i n Bundesland kann, wie w i r gesehen haben 18 , danach die Polizeikräfte anderer Länder zur A b wehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche Grundordnung des Bundes oder dieses Landes anfordern (Abs. 1). Die Bundesregierung erhält, wenn das Land zur Bekämpfung der Gefahr nicht willens oder i n der Lage ist, die gleichen Rechte (Abs. 2). Was ist unter Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Bundeslandes zu verstehen? Nach v. Mangoldt 1 7 muß entweder das Staatswesen i n seinen Existenzgrundlagen überhaupt oder seine auf den Grundsätzen der Freiheit und VolkssQUveränität aufgebaute innere Ordnung (wie etwa bei inneren Unruhen) gefährdet sein. 18

Vgl. oben, S. 102 ff. der Untersuchung.

17

v. Mangoldt, Kommentar, Art. 91 GG, Anm. 2.

1. Kapitel: Streikfälle

177

Konkreter als A r t . 91 Abs. 1 GG versuchte A r t . 115 i E 1962 den inneren Notstand zu umschreiben: — durch Einwirkung von außen, — durch Gewalt oder Drohung m i t Gewalt, — durch Nötigung eines Verfassungsorgans oder — durch Mißbrauch oder Anmaßung von Hoheitsbefugnissen, sollte der Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes ernstlich und unmittelbar bedroht sein, um den Zustand innerer Gefahr eintreten zu lassen. Zwar ist weder i n der geltenden Regelung des Grundgesetzes noch i m E 1962 von Streik anläßlich des inneren Staatsnotstandes oder als Verursachung des Zustandes der inneren Gefahr die Rede. Man könnte aber der Ansicht sein, auch der Streik falle bei weiter Auslegung unter die Voraussetzungen des E 1962 für den inneren Notstand, w e i l auch durch Streik ein Verfassungsorgan genötigt werden könnte. Weitergehend könnte man die Ansicht vertreten, der Streik falle auch unter die Voraussetzungen des A r t . 91 GG. Für den politischen Streik, der gegen den Staat gerichtet ist und unruheähnlichen Charakter annimmt, braucht das nicht besonders bewiesen zu werden. Wie aber ist das Verhältnis des A r t . 91 GG zum arbeitsrechtlichen Streik? Freund 1 8 hält den Streik auch i m Innern für den gefährlichsten Notstand. Streik sei — methodisch gehandhabt und nicht nur als Erpressung auf die menschlichen Gefühle benutzt — ein unschätzbares Machtmittel. Der ehemalige B M i n I Höcherl 19 hält staatliche Gegenmaßnahmen für gerechtfertigt, wenn ein Streik den Händen der Gewerkschaften entgleitet, und die lebensnotwendige Versorgung der Bevölkerung gefährdet ist oder wenn Versorgungsschwierigkeiten auftreten. Zur genaueren Untersuchung des Verhältnisses von Streik und innerem Staatsnotstand soll zwischen zwei Fällen unterschieden werden: dem Streik während des Zustands innerer Gefahr und dem Streik als Ursache des inneren Notstands. I. Streik während des Zustandes innerer Gefahr

Ausgangspunkt soll folgender Beispielsfall sein: Eine extreme Gruppe, die es verstanden hat, Einheiten der Streitkräfte und der Bereitschaftspolizei auf ihre Seite zu bringen, versucht, die Macht i m Staate an sich 18 19

I n Arndt-Freund, Notstandsgesetz — aber wie?, S. 153/54. Zit. bei Seifert, Gefahr im Verzuge, S. 64.

12 Lohse

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3. Teil: Verhältnis von Streik und Staatsnotstand

zu reißen 20 . Die Bundesregierung bemüht sich, zusammen m i t den noch handlungsfähigen Landesregierungen die Gefahr zu bekämpfen. I n dieser Lage brechen — so wollen w i r unterstellen — drei Streiks aus: (1) Weil die 150 Arbeiter der oben (S. 173) erwähnten westfälischen Polstermöbelfabrik wegen Ausfallens der Züge nicht rechtzeitig von ihren Heimatdörfern zum Arbeitsplatz kommen können, streiken sie m i t gewerkschaftlicher Unterstützung, um den Arbeitgeber zu zwingen, sie unentgeltlich m i t einem Bus zur Arbeitsstelle zu fahren. (2) Die Arbeiter und Angestellten der nordrhein-westfälischen Molkereien streiken für eine Arbeitszeitverkürzung m i t Unterstützung der Gewerkschaft. (3) Die Arbeitnehmer einer Munitionsfabrik streiken m i t gewerkschaftlicher Unterstützung für eine Lohnerhöhung. Obgleich bei dem vorliegenden Ringen der legalen Regierung m i t einer aggressiven inneren Gruppe ein der Feststellung des Verteidigungsfalls entsprechender A k t von Legislative und Exekutive fehlt, gefährdet der Kampf der Gruppe gegen die demokratische Regierung m i t den M i t t e l n bewaffneter Gewalt die öffentliche Ordnung i. S. des Verfassungs-, des Polizei- und Ordnungs- und des Strafrechts. Wie beim äußeren Notstand t r i t t der Streik kumulativ hinzu. Der Streik der 150 Arbeiter i n der Polstermöbelfabrik w i r d den zur Gefahrenabwehr notwendigen Wirtschaftsprozeß nicht so erheblich stören, daß der arbeitsrechtliche Streik i n einen politischen umschlägt. Anders bei dem Streik der Arbeitnehmer i n den Molkereien. Er bedroht die Versorgung der Bevölkerung m i t Milch und anderen Molkereiprodukten so erheblich, daß er zu einem gegen die Allgemeinheit gerichteten Streik wird. Die Abwehr des Aufstands der Extremisten w i r d behindert, w e i l die Versorgung der Bevölkerung anderweitig sichergestellt werden muß. Ähnlich ist es bei dem Streik der Arbeitnehmer hinsichtlich der Munitionsversorgung der kämpfenden Einheiten. Ob der Angriff von außen oder aus dem Innern kommt, ist hinsichtlich der i n beiden Fällen für das Allgemeinwohl entstehenden schweren Schäden unbeachtlich. Die für den äußeren Notstand gefundene Formel hat also auch für die Abgrenzung zwischen arbeitsrechtlichem und politischem Streik anläßlich des inneren Notstands Geltung: Jede erhebliche streikweise Störung des geordneten Wirtschaftsablaufs, die die Abwehr der Staatsgefährdung behindert oder die lebens20

Wie beim Kapp-Putsch von 1920.

1. Kapitel: Streikfälle

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notwendige Versorgung der Bevölkerung erschwert, ist anläßlich des inneren Notstands politischer Streik und damit rechtswidrig. Die Anwendung der M i t t e l des Artikels 91 GG gegen die Streikenden kommt allerdings nicht i n Betracht, w e i l die Gefahr für den Bestand des Bundes und die freiheitliche demokratische Ordnung von den Insurgenten und nicht von den Streikenden ausgeht. Sie bewirken nur eine zusätzliche, sekundäre Gefährdung der Allgemeinheit. Diesen Fall regelt A r t . 91 GG nicht. Eine andere Rechtslage besteht, wenn die Streikenden m i t den A u f ständischen zusammen die staatliche Ordnung bedrohen wollen, das politische Element des Streiks also aus der Intention der Streikenden folgt. Dann liegt ein rechtswidriger politischer Streik vor, der m i t den M i t t e l n des A r t . 91 GG bekämpft werden kann. Es handelt sich dabei jedoch nicht u m einen Streik während eines inneren Notstandes, sondern anläßlich des Zustandes der inneren Gefahr. Bei Ausübung des Widerstandsrechts durch die Streikenden, etwa i n einem Gebiet, das von den Aufständischen besetzt ist, ist der politische Streik ausnahmsweise rechtmäßig. I I . Streik als Ursache des inneren Notstands

Als Beispiel soll uns hier der Vollstreik i n der Alternative des totalen Streiks 21 dienen: Die Arbeiter aller Fabriken der metallverarbeitenden Industrie treten i n einen arbeitsrechtlichen Streik. M i t gewerkschaftlicher Unterstützung verlangen sie höhere Löhne und mehr bezahlten Urlaub. U m der Abwehraussperrung der Unternehmer die Gefährlichkeit zu nehmen, führen die Arbeitnehmer der anderen Industriebranchen einen Sympathiestreik durch. Ein extremes Beispiel, gewiß, aber es zeigt, daß auch durch Streik u. U. ein Staatsnotstand hervorgerufen werden kann: Man braucht nur an die katastrophalen Folgen eines solchen totalen Streiks für die Versorgung der Bevölkerung der großen Städte, insbesondere Berlins zu denken, um zu sehen, daß einem solchen Streik ein immens politisches Element innewohnt, ein lebenswichtige Interessen der Allgemeinheit bedrohendes Element, das Abwehrmaßnahmen der verantwortlichen Stellen verlangt — und das, obgleich es sich zunächst nur u m einen arbeitsrechtlichen Streik handelte. Da i n diesem und ähnlichen, weniger schwerwiegenden Fällen eine zusätzliche Gefährdung der staatlichen Ordnung weder durch einen 21 Die 2. Alternative — Generalstreik — ist per definitonem politischer Streik und interessiert daher hier nicht.

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3. Teil: Verhältnis von Streik und Staatsnotstand

Aggressor (äußerer Notstand) noch durch Insurgenten (innerer Notstand) vorliegt, sondern nur der Streik eine Gefahr darstellt, muß hier die allgemeine, von der Lehre" erarbeitete Formel des Umschlags arbeitsrechtlicher i n politische Streiks angewandt werden: N i m m t ein arbeitsrechtlicher Streik durch sein Ausmaß eine nicht gewollte politische „Nebenauswirkung" an, so löst er objektiv politische Folgen aus und gefährdet die staatliche Ordnimg. Ein solcher Streik bewirkt einen politischen Notstand 28 und ist rechtswidrig. Schon nach geltendem Recht kann gegen einen solchen Streik nach Art. 91 GG vorgegangen werden. Der große Beurteilungsspielraum, den die unbestimmten Rechtsbegriffe der Begriffsbestimmung des Umschlags arbeitsrechtlicher i n politische Streiks den Urteilenden einräumen, bedingt, daß nur sachkundige, verantwortungsbewußte, entscheidungsfreudige, schnell arbeitende Einrichtungen, die sich allgemeiner Anerkennung bei den Beteiligten — Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Regierungsstellen — erfreuen, den Umschlag feststellen können. Wie ist diese Frage i m geltenden Recht gelöst? C. Zuständigkeit zur Feststellung der Rechtswidrigkeit von Streiks i m Staatsnotstand Das Grundgesetz enthält keine Regelung hinsichtlich der Feststellung des Umschlags arbeitsrechtlicher i n politische Streiks, d.h. bezüglich der Rechtswidrigkeit der Ausstände. Nach geltendem Recht müssen daher dieselben Einrichtungen, die generell über die Rechtswidrigkeit von Streiks entscheiden, diese Frage prüfen und beurteilen, d. h. primär die Gerichte. Aber auch die geltenden Prozeßordnungen enthalten diesbezüglich keine ausdrückliche Regelung. Für die Entscheidung könnten daher sowohl die ordentlichen als auch die Arbeits- und die Verfassungsgerichte i n Betracht kommen. Ferner könnten alliierte Stellen oder Parlament und Bundesregierung zuständig sein. I . Ordentliche Gerichte?

Die sachliche Zuständigkeit ordentlicher Gerichte für die Entscheidung von Fragen politischer Streiks gem. §§ 13, 711GVG wurde vom L G Duisburg 24 , vom OLG Düsseldorf 25 und vom Bundesgerichtshof 80 be22

Vgl. statt vieler Brox-Rüthers, Arbeitskampfrecht, S. 33, 56 f. und 64. So auch Ehard in BMinI, Das Gesetz für die Stunde der Not, S. 51; Evers in AöR Bd. 91, S. 201 f. 24 Urt. v. 11.12.1952 — 8 O 63/52 in NJW 1953, S. 268 ff. 25 Urt. v. 18. 8.1953 — 4 U 6/53 — in BB 1953, S. 735. 26 Zwischenurt. v. 29. 9.1954 — V I ZR 232/53 — in B G H Z 14/347 ff. = NJW 23

1. Kapitel: Streikfälle

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jaht, die übereinstimmend die ausschließliche Zuständigkeit der Arbeitsgerichte gemäß § 2 1 Nr. 1 ArbGG 2 7 verneinten. Diese Gerichte (LG Duisburg, OLG Düsseldorf und der Bundesgerichtshof) hatten einen Schadensersatzprozeß zu entscheiden, i n dem die Klägerin K . als Zessionarin des Cl. Verlages i n D. auf Zahlung des Schadens klagte, den sie anläßlich des Setzer- und Druckerstreiks am 28. und 29. M a i 1952 dadurch erlitt, daß die vom Cl. Verlag herausgegebene Tageszeitimg „D. G. A." an den beiden Tagen nicht erscheinen konnte. Der Setzerund Druckerstreik war vom Deutschen Gewerkschaftsbund ausgerufen worden, um das Parlament zu veranlassen, ein „einheitliches und fortschrittliches Betriebsverfassungsgesetz, das dem gewerkschaftlichen Willennach einer neuen Ordnung gerecht w i r d " 1 8 , zu beschließen. Es handelte sich nach der hier vertretenen Abgrenzung von politischem und arbeitsrechtlichem Streik u m einen politischen Arbeitskampf: Durch den Ausstand sollte auf Staatsorgane Druck ausgeübt werden. Die angerufenen Gerichte gingen dabei davon aus, daß es sich bei dem Rechtsstreit zwar u m eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit zwischen Tarifvertragsparteien 29 handelte, die sich auf eine unerlaubte Handlung bezog, verneinten aber, daß es sich u m eine Maßnahme „zu Zwekken des Arbeitskampfes" gehandelt hätte. Z u diesem Ergebnis kommen sie, weil sie einen engen Arbeitskampfbegriff zugrunde legen. Arbeitskampf ist danach 30 „ n u r eine derartige Störung (des Arbeitsfriedens — der Verfasser), die durch Kampf, also durch Auseinandersetzung zwischen zwei streitenden Parteien hervorgerufen wird. Zum Unterschied von gewöhnlichen Kämpfen handelt es sich beim Arbeitskampf u m eine Auseinandersetzung zwischen zwei am Arbeitsleben beteiligten Parteien". Diese Begriffsbestimmung entspreche dem Wesen des A r beitskampfes und überschätze nicht die äußere Form der Auseinandersetzung. Die dann von den Gerichten, wie i n dieser Arbeit, vorgenom1954, S. 1804 f. = BB 1954, S. 994 — Revisionsgerichtliche Überprüfung der Zuständigkeitsfrage nach §§ 566, 528 ZPO. 27 Danach sind die Arbeitsgerichte ausschließlich zuständig „1. für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Tarifvertragsparteien oder zwischen diesen und Dritten aus Tarifverträgen oder über das Bestehen oder Nichtbestehen von Tarifverträgen und für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen tariffähigen Parteien oder zwischen diesen und Dritten aus unerlaubten Handlungen, soweit es sich um Maßnahmen zum Zweck des Arbeitskampfes oder um Fragen der Vereinigungsfreiheit handelt". 28 Die zitierte Wendung ist dem Brief des DGB-Vorsitzenden Fette vom 9. M a i 1952 an den damaligen Bundeskanzler Adenauer entnommen. 29 Die Klägerin machte den Schadensersatzanspruch eines Arbeitgebers geltend, der nach § 2 Abs. 1 T V G vom 9. April 1949 (WiGBl. S. 55) in der Fassung vom 11. Januar 1952 (BGBl. I, S. 19) tariffähig ist. Auch die Beklagten sind tariffähig. 30 L G Duisburg in dem zit. Urteil in NJW1953, S. 268.

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3. Teil: Verhältnis von Streik und Staatsnotstand

mene Abgrenzung des politischen vom arbeitsrechtlichen Streik führt folgerichtig dazu, daß — nach Meinung der erkennenden Gerichte — der politische Streik kein Arbeitskampf i. S. von § 2 1 Nr. 1 ArbGG ist, und damit nach den Regelungen der §§ 13, 7 1 I G V G der Zuständigkeit der Zivilgerichte unterfällt: Der politische Streik sei keine Streitigkeit i m Rahmen des Arbeits-Lebens. Daher seien nicht die für das Arbeitsleben eingesetzten besonderen Gerichte, sondern die allgemeinen, ordentlichen Gerichte sachlich zuständig. Hinsichtlich der Zuständigkeit zur Feststellung des Umschlags von arbeitsrechtlichen i n politische Streiks wäre in Konsequenz dieser Überlegungen weiter zu argumentieren 31 : Da aus dem ursprünglich arbeitsrechtlichen Streik i m Staatsnotstand unter den erarbeiteten Voraussetzungen ein politischer Streik wird, haben die für den politischen Streik sachlich zuständigen ordentlichen Gerichte auch den Umschlag festzustellen — notfalls i m Verfahren für einstweilige Verfügungen nach den §§ 935 ff. ZPO. Allein, die von den angeführten Gerichten vertretene Auffassung gründet sich auf einen zu engen Arbeitskampfbegriff. Es soll hier nicht der gesamte Streit i n der Literatur zum Begriff des Arbeitskampfes aufgegriffen werden 32 . Wie zur Zeit der Entscheidung des Bundesgerichtshofs, 1954, ist auch heute noch h. M. 3 3 , daß neben den allgemein anerkannten Elementen des Begriffs „Arbeitskampf" (kollektive Maßnahme zur Störung des Arbeitsfriedens, — von Arbeitnehmer- oder Arbeitgeberseite ergriffen) zwar ein Ziel der Maßnahme als Voraussetzung gefordert werden muß, daß dieses Ziel aber nicht auf dem Gebiete des Arbeitslebens zu liegen braucht. Dem Kampf mittel w i r d bei dieser weiteren Fassung mehr Gewicht beigelegt, der Tatsache also, daß eine von einem bestimmten Kampf- oder Demonstrationswillen getragene Unterbrechung des Arbeitsprozesses vorliegt. Das w i r d dem Wesen des Arbeitskampfes gerecht und ermöglicht zugleich eine systematische Durchdringung der verschiedenen Fälle jener Auseinandersetzungen 34 . Daher wurde auch der weite Arbeitskampfbegriff dieser Untersuchung zugrunde gelegt. Da somit sowohl der zugrunde liegende arbeitsrechtliche Streik als auch nach dem Umschlag der politische Streik „Arbeitskämpfe" i. S. des 81 Diese Argumentation brauchten die angerufenen Gerichte nach Lage des Falles jedoch nicht mehr vorzunehmen. 82 Ausführlich: Brox-Rüthers, Arbeitskampf recht, S. 23 ff. 88 Nachweise in B G H Z 14/347 ff.: Der B G H geht von dieser seiner Ansicht entgegengesetzten h. M. i m arbeitsrechtlichen Schrifttum aus und versucht ihre Argumente mit dem Hinweis auf den Sprachgebrauch und die historische Auslegung zu widerlegen. 34 Siehe oben, S. 40 ff. der Untersuchung.

1. Kapitel: Streikfälle

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§ 2 1 Nr. 1 ArbGG sind, ist die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte zu prüfen. I I . Gerichte für Arbeitssachen

Soweit es sich u m Maßnahmen zum Zwecke des Arbeitskampfes handelt, sind für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen den tariffähigen Parteien nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 ArbGG die Gerichte für Arbeitssachen zuständig. Ein tariffähiger Arbeitgeber oder Arbeitgeberverband könnte also während eines Staatsnotstandes i m Rahmen eines Schadensersatzprozesses — notfalls i m Wege einstweiliger Verfügung gem. § 62 I I ArbGG i. V. m i t §§ 935 ff. ZPO — geltend machen und gerichtlich klären lassen, daß ein politischer und damit rechtswidriger Streik vorliegt. Diese Zuständigkeit gilt nur für bürgerlichrechtliche Streitigkeiten und ist nur insoweit von der h. L. anerkannt 85 . A u f Antrag staatlicher Behörden kann das Arbeitsgericht also nicht feststellen, daß ein arbeitsrechtlicher Streik i n einen politischen umgeschlagen ist. Damit kann die Bundesregierung seine Einstellung durch ein Arbeitsgerichtsverfahren nicht erzwingen. Es hätte derVorwegnahme eines Teils der Notstandsregelung bedurft, um zur Zeit des Erlasses des Arbeitsgerichtsgesetzes — 3. September 1953 (BGBl. I, S. 1267) — eine entsprechende Zuständigkeit der Arbeitsgerichte bei einem Antrag der Regierung bei drohendem oder eingetretenem Notstand zu begründen 88 . I I I . Bundesverfassungsgericht

Dem Bundesverfassungsgericht ist nach geltendem Recht die Entscheidung über mehrere Fälle des Staatsschutzes vom Verfassunggeber übertragen worden — A r t . 93 Abs. 1 Nr. 5 GG. Zur Beschränkung eines politischen Streiks i m Staatsnotstand könnte sich das Bundesverfassungsgericht sachlich nur auf A r t . 9 Abs. 2 und A r t . 18 GG stützen 87 . Beide Eingriffsmöglichkeiten sind indessen zur Bekämpfung einer streikweisen erheblichen Störung des geordneten Wirtschaftsablaufs, die die A b wehr der Staatsgefährdung i m Staatsnotstand behindert oder die lebenswichtige Versorgung der Bevölkerung erschwert, nicht geeignet: — Nach A r t . 9 A b s . 2 G G sind u.a. Vereinigungen, die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richten, verboten. Die m i t Zielen i m Be36 Vgl. neben den in B G H Z 14/354 Zitierten L A G Frankfurt Urt. v. 20.2. 1953 — I V L A 360/52 — in RdA 1953, S. 195 ff. ( = BB 1953, S. 290 ff.); L A G Freiburg, Urt. v. 13. 4.1953 — Sal 31/52 in N J W 1953, S. 1278 ff.; L A G München, Urt. v. 17.4.1953 — BerReg. I 2/53 in BB 1953, S. 559 ff.; L A G Berlin Urt. v. 17.8.1953 — 4 L A G 835/52 in N J W 1954, S. 124 ff. ( = BB 1954, S. 96 ff.); BroxRüthers, Arbeitskampfrecht, S. 24 ff. 36 So mit Recht Brox-Rüthers , a. a. O., S. 60. 37 So auch Brox-Rüthers , a. a. O., S. 60.

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3. Teil: Verhältnis von Streik und Staatsnotstand

reich der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen streikenden Arbeitnehmer richten, d.h. wenden sich aber gerade nicht bewußt und gewollt ( = vorsätzlich) gegen die verfassungsmäßige Ordnung. I h r Tun t r i t t nur — objektiv — zu einer Gefährdung der verfassungsmäßigen Ordnung durch andere hinzu. Weder auf die Streikenden noch auf die den Ausstand organisierenden Arbeitnehmerorganisationen ist A r t . 9 Abs. 2 GG m i t h i n anwendbar. — I n A r t . 18 GG ist die Verwirkung von näher bestimmten Grundrechten für denjenigen festgelegt, der sie zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mißbraucht. Maßgebend ist also die Zweckrichtung der Handlung des einzelnen; ein natürlicher Wille, gegen die Grundordnung zu verstoßen, ist erforderlich 88 . Gerade dieser fehlt den i m arbeitsrechtlichen Streik befindlichen Arbeitnehmern, auch wenn objektiv eine Staatsgefährdung ausgelöst oder unzumutbar gesteigert wird. Zudem wäre auch i m Falle der Anwendbarkeit des A r t . 18 GG die dort festgelegte Rechtsfolge — Verwirkung von Grundrechten — nicht geeignet, eine Staatsgefährdung wirksam zu bekämpfen. I V . Alliierte Stellen

Solange eine umfassende deutsche Staatsnotstandsgesetzgebung nicht i n K r a f t getreten war, konnten die alliierten Drei Mächte „wirksame Maßnahmen zum Schutz der Sicherheit dieser (Stationierungs-)Streitkräfte treffen" und „einer ernstlichen Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung begegnen". Das ergibt der Umkehrschluß aus A r t . 5 Abs. 2 S. 1 des Generalvertrages. Wenn die militärische Lage es nicht ausschloß, mußten allerdings die Allüerten-Stellen, deren interne Zuständigkeit von den Drei Mächten allein bestimmt wurde, vor den Aktionen die Bundesregierung konsultieren. Die Deutsche Regierung mußte dann m i t den zuständigen Stellen darin übereinstimmen, daß die Umstände die Ausübung derartiger Notstandsrechte erforderten. Wenn durch einen arbeitsrechtlichen Streik i m äußeren oder inneren Staatsnotstand die Sicherheit der Truppen der Drei Mächte bedroht war, konnten diese m i t Zustimmung der Bundesregierung jede geeignet erscheinende Maßnahme zur Bekämpfung des Streiks treffen. Ließ die militärische Lage die Konsultation der Bundesregierung nicht zu, so konnten die alliierten Drei Mächte sogar ohne ihre Zustimmung handeln. Voraussetzung dafür, daß ein arbeitsrechtlicher Streik die Sicherheit der Streitkräfte der Drei Mächte i n der Bundesrepublik bedrohte, w a r i n der Regel sein Umschlag i n einen politischen Streik. Nur ausnahmsweise konnten 88 Maunz-Dürig, Kommentar, Art. 18 GG, Rdnr. 35—38; v. Art. 18 Anm. I I I 4 a.

Mangoldt-Klein,

1. Kapitel: Streikfälle

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arbeitsrechtliche Ausstände Leib oder Leben der alliierten Streitkräfte bedrohen oder sie an der Wahrnehmung übernommener Pflichten hindern. U m gegen einen Streik vorgehen zu können, mußten die zuständigen alliierten Stellen — i m Regelfall — feststellen, daß ein politischer, sicherheitsbedrohender Streik vorlag. A u f Anordnung fremder Regierungen wäre also i n diesem Falle von weisungsgebundenen alliierten Militärbehörden m i t Zustimmung der Bundesregierung der Umschlag arbeitsrechtlicher i n politische Streiks festgestellt worden. Eine Bekanntmachung war nach dem Text des Generalvertrages nicht vorgesehen. V. Parlament und Bundesregierung

Nach Brox-Rüthers 8 9 sind, soweit die Zuständigkeit für das Handeln i m Falle des Staatsnotstandes nicht besonders geregelt ist, als Träger eines unabdingbaren „verfassungsimmanenten Notwehrrechts" 40 des Staates i n erster Linie Parlament und Bundesregierung für die Feststellung von drohenden oder eingetretenen Notstandsfällen zuständig. Sie haben auch den Umschlag eines arbeitsrechtlichen Ausstands i n einen politischen Streik und damit seine Rechtswidrigkeit festzustellen. „ W i r d ein Arbeitskampf fortgesetzt, obwohl eines dieser Staatsorgane den Staatsnotstand feststellt und die Kampfeinstellung geboten hat, so ist es von da an für jedermann klar, daß es sich um einen verfassungswidrigen (revolutionären) Arbeitskampf handelt". Folgt dieses „verfassungsimmanente Notwehrrecht" — wie die Autoren später 41 erläutern — aus der Grundfunktion jedes Staates zur Abwehr von Existenzgefahren für den Stand der verfassungsmäßigen Ordnung, so ist daraus zu schließen, daß Brox-Rüthers ein überverfassungsgesetzliches Staatsnotstandsrecht zum ungeschriebenen (immanenten) Kernbestand jeder Verfassung, also auch des Grundgesetzes, rechnen 42 . Das war auch das Ergebnis dieser Untersuchung 48 . Für den Fall, daß ein arbeitsrechtlicher Streik in einen politischen umschlägt, muß nunmehr ermittelt werden, welche deutsche Institution Träger des überverfassungsgesetzlichen Staatsnotstandsrechts ist. Aus der Verpflichtimg des Staates, die Gefahr für den Bestand der verfassungsmäßigen Ordnung bestmöglich abzuwehren, folgt, daß das oberste Bundesorgan zu handeln hat, das die am schnellsten zur Gefahrenabwehr geeigneten Maßnahmen ergreifen kann. Das ist eine theoretisch 39 40 41 41 43

Arbeitskampfrecht, S. 60. Bezeichnung von Brox-Rüthers , a. a. O., S. 60. Arbeitskampfrecht, S. 66. Wenn auch die Bezeichnung von Brox-Rüthers mehrdeutig ist. Vgl. oben, S. 114 ff. der Untersuchung.

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3. Teil: Verhältnis von Streik und Staatsnotstand

brauchbare, aber nicht sonderlich praktikable Formel. Wenn die verfassungsmäßigen Zuständigkeiten von Legislative und Exekutive nicht ausreichend sind, so daß ein überverfassungsgesetzliches Notstandsrecht eingreifen muß, ist fraglich, ob das Parlament oder die Bundesregierung jene Befugnisse überschreiten darf, ob also zuständigkeitsüberschreitende Gesetze oder Notverordnungen der Exekutive eine optimale Gefahrenabwehr gewährleisten. Diese Frage läßt sich abstrakt, d. h. ohne einen praktischen Anwendungsfall, nicht beantworten. Zugunsten von Notgesetzen des Parlaments spricht, daß nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit des Mittels die Gewaltenteilung erst dann eingeschränkt oder aufgehoben werden sollte, wenn es unvermeidbar ist, wenn das Parlament also nicht zusammentreten kann. Andernfalls darf es in seinen Rechten nicht beschnitten werden. Zugunsten der Regierung können ihre schnelle Handlungsfähigkeit und ihre Befehlsgewalt über Bundesgrenzschutz und Streitkräfte angeführt werden. Es ergibt sich damit, daß nach geltendem Recht hinsichtlich der Feststellung des Umschlags arbeitsrechtlicher i n politische Streiks i m Staatsnotstand eine unklare Zuständigkeitsverteilung besteht, die i m Notfall das stärkste, noch handlungsfähige Organ zur A k t i o n herausfordert, eine Lage, die Formeln wie „Macht vor Recht", „Not kennt kein Gebot" oder „salus populi suprema lex" bedenklich nahekommt.

2. Kapitel Lösungsversuch de lege ferenda A. Rechtliche Erforderlichkeit einer Verfassungsergänzung Daß die sachliche Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen für die Feststellung des Umschlags von arbeitsrechtlichen i n politische Streiks nur i m Falle bestimmter Schadensersatzprozesse gegeben ist, ist nachgewiesen worden. I n allen übrigen Fällen muß — wie w i r gesehen haben — auf das überverfassungsgesetzliche Staatsnotstandsrecht zurückgegriffen werden, aus dem sich eine klare, praktikable Lösung nicht entnehmen läßt. I n Zweifelsfällen w i r d danach der Bundesregierung, die m i t verhältnismäßig wirksamen Mitteln zur Gefahrenabwehr ausgestattet ist, die Bekämpfung des Staatsnotstandes und die Beendigimg des Streiks überlassen. Voraussetzung für das Ergreifen von Maßnahmen gegen die streikenden Arbeitnehmer oder die Gewerkschaften, die den Streik organisieren, ist hinsichtlich eines arbeitsrechtlichen Streiks die Feststellung, daß er i n einen politischen umgeschlagen ist. Die Zuständigkeit für die Umschlagsfeststellung gehört sachlich zur Notstandsregelung 44 . Sie entspricht nämlich sachlich der Feststellung des drohenden oder eingetretenen Staatsnotstands oder einer unzumutbaren Häufung von Staatsnotstand und Gefährdung der Bevölkerung durch den Streik. Die i m geltenden Recht vorhandene Lücke muß vom Gesetzgeber durch eine Ergänzung von A r t . 9 Abs. 3 S. 3 GG geschlossen werden. B. Feststellung der Verfassungswidrigkeit von Streiks im Zusammenhang mit dem Staatsnotstand I. Stunde der Exekutive

Nach einem vielbekämpften Wort des ehemaligen Bundesinnenministers Schröder 45 ist der Staatsnotstand „die Stunde der Exekutive". Es gibt nun gewichtige politische Gründe, die die Übertragung des Rechts, 44 45

Brox-Rüthers, Arbeitskampfrecht, S. 60. Vgl. Benda, Die Notstandsverfassung, S. 57.

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3. Teil: Verhältnis von Streik und Staatsnotstand

den Umschlag arbeitsrechtlicher i n politische Streiks festzustellen, auf die Exekutive gefährlich erscheinen lassen: U. a. allzugroße Machtkonzentration i n den Händen weniger, Möglichkeiten einer wenig arbeiterfreundlichen Regierimg zum Kampf gegen die Gewerkschaften. Es gibt aber auch rechtlich bedeutsame Argumente gegen die Übertragung jenes Rechts auf die Bundesregierung: I n A r t . 20 GG w i r d ein System der Gewaltentrennung i. S. der Gewaltenhemmung angestrebt. Durch A r t . 79 Abs. 3 GG ist den i n A r t . 20 GG enthaltenen Grundsätzen eine erhöhte Bestandsgarantie verliehen worden. Das zeigt, daß i m Grundgesetz auch jener Grundsatz zu den Essentialia gehört. Die Gewaltenhemmung kann hier erreicht werden, wenn ein legislativer A k t exekutiven Maßnahmen gegenüber einem Streik vorgeschaltet wird. Zudem ist die verfassungsrechtliche Garantie des Streiks i n A r t . 20, 28 GG — Sozialstaatsklausel — auch de lege ferenda Verpflichtung. Die Beurteilung der Notwendigkeit von Einschränkungen eines Streiks darf erst nach kritischer Würdigung i n der Aussprache des Parlaments erfolgen, damit alle politisch wichtigen Gruppen ihre Meinung dazu vortragen können. Auch das spricht grundsätzlich gegen eine Feststellungsbefugnis der Regierung. Da die Regierung aber faktisch die Gefahrenabwehr durchführen muß, und da sie durch die Verwaltung besser über die Sachlage informiert ist als das Parlament, sollte ihr ein Antragsrecht bei der Legislative (hier: Bundestag und Bundesrat oder Notparlament) eingeräumt werden. Durch den Antrag der Regierung müßte das Parlament zu Aussprache und Abstimmung veranlaßt werden. Falls dem rechtzeitigen Zusammentritt des Bundestages und des Bundesrates oder des Notparlaments unüberwindliche Hindernisse entgegenstehen, oder sie aufgrund äußerer Einwirkungen nicht beschlußfähig sind, und die Lage unabweisbar ein sofortiges Handeln erfordert, muß der Bundespräsident m i t Gegenzeichnung des Bundeskanzlers den U m schlag feststellen können, damit die Regierung den Notstand bekämpfen und den Streik beenden kann. Der Bundespräsident, der „abseits der Parteifronten steht" und bei seinem Handeln nicht m i t tagespolitischen Detailfragen belastet ist, kann nach Abwägung der Vorzüge und Nachteile für das bonum commune das Verfahren für die Feststellung des Umschlags arbeitsrechtlicher in politische Streiks einleiten. Der Bundeskanzler, der die Richtlinien der Politik bestimmt und dafür die Verantwortung trägt — A r t . 65 S. 1 GG —, hat die Feststellung des Umschlags gegenzuzeichnen, w e i l er der Chef der demokratisch legitimierten Regierung ist und die politischen, wirtschaftlichen und militärischen Maßnahmen zur Gefahrenabwehr treffen muß.

2. Kapitel: Zukünftige Regelung

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Die Maßnahmen von Bundespräsident und Bundeskanzler sollten dem Parlament zur Verfügung stehen: Wenn das Parlament wieder zusammentreten kann, muß es die Umschlagsfeststellung aufheben können. I I . Parlament oder Notparlament

U m die Gewaltenhemmung i. S. des A r t . 20 GG weitestmöglich zu gewährleisten und bei Entscheidungen, die für große Teile des Volkes von einschneidender Bedeutung sind, alle politischen Meinungen zu Wort und Abstimmung kommen zu lassen, muß die Feststellung, daß ein arbeitsrechtlicher Streik i n einen politischen umgeschlagen ist, wie w i r gesehen haben, grundsätzlich dem Parlament überlassen bleiben. So kann verhindert werden, daß die Regierung aus Machtstreben oder unter dem „Zwang" vermeintlicher administrativer Notwendigkeit voreilig einen Streik „abwürgt". Ist neben dem Votum des Bundestages zur Feststellung des Umschlags auch die Zustimmung des Bundesrates erforderlich? Durch den Bundesrat wirken die Länder bei der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes m i t (Art. 50 GG). Sie sollen also auch an Angelegenheiten des Gesamtstaates, an denen die Gliedstaaten ein legitimes Interesse haben, teilnehmen. Bei einem Streik, der zumeist i n einem Bundesland ausbricht und sich dann ausweitet oder i n einer Branche stattfindet, deren Bedeutung i n einem Land besonders groß ist, w i r d ein legitimes Interesse der Länder an der Feststellung des Streikumschlags vorliegen. Die Teilnahmeberechtigung der Länder an dem Verfahren zur Beendigung des Streiks folgt auch daraus, daß das geltende Recht wie auch der E 1962 und der Benda-Entwurf davon ausgehen, daß i m inneren Notstand, also bei regionaler Gefahr, zunächst die Bundesländer zur Gefahrenabwehr zuständig sind. W i r d die Gefahr später überregional, müssen die Erfahrungen der Bundesländer bei der Bekämpfung der Gefahr verwertet werden. Zur Feststellung des Streikumschlags sind also ein Feststellungsbeschluß des Bundestages und die Zustimmung des Bundesrates dazu erforderlich. Für den Fall, daß der Bundestag und (oder) der Bundesrat nicht zusammentreten können oder aufgrund äußerer Einwirkungen nicht beschlußfähig sind, und die Lage unabweisbar ein sofortiges Handeln erfordert, sieht A r t . 115 e GG vor, daß das Notparlament bei der Gefahrenbekämpfung ihre Funktionen übernimmt. U m eine möglichst weitreichende parlamentarische Kontrolle zu gewährleisten, sollte das auch bei der Feststellung des Streikumschlags geschehen. I n jenem Falle hätte also das Notparlament die Feststellung des Umschlags zu treffen.

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3. Teil: Verhältnis von Streik und Staatsnotstand

Ein vorbereitendes Handeln des Notparlaments i n Normalzeiten ist hinsichtlich der Feststellung des Streikumschlags nicht notwendig, w e i l insoweit kein Anlaß zur Geheimhaltung besteht. M i t welcher Mehrheit haben die parlamentarischen Gremien zu entscheiden? Für die Entscheidung sind die einfache Mehrheit oder die Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder der parlamentarischen Gremien rechtlich und politisch denk- und vertretbar. A r t . 115 a Abs. 1 S. 2 G G versucht für die Feststellung, daß der Zustand der äußeren Gefahr ( = Verteidigungsfall) eingetreten ist, eine Kombination: Die Feststellung bedarf danach einer Mehrheit von zwei Dritteln, mindestens der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages. Benda 48 verteidigt diese Lösung für den äußeren Notstand m i t drei Argumenten: — Die Entscheidung stehe nach ihrer Bedeutung eher einer Verfassungsänderung als der Verabschiedung eines einfachen Gesetzes gleich, zumal das normale Verfassungsrecht durch Ausnahmebestimmungen für die Zeit des Notstandes ersetzt werde; — die Regierung sei ohnehin auf eine einfache parlamentarische Mehrheit gestützt, dieser gegenüber könne sie ihre Meinung leichter durchsetzen; — gerade i n kritischer Situation benötige die Regierung eine breite Vertrauensgrundlage. Die Feststellung des Streikumschlags hat nicht die umfassende Bedeutung wie die Feststellung des Eintritts des äußeren Notstands. Sie ist eine Detailregelung der Notstandssituation m i t der Rechtsfolge der Verpflichtung zur unverzüglichen Einstellung des Streiks. Daß die Regierung sich auf eine einfache Mehrheit i m Parlament stützt, entspricht dem parlamentarischen System. Danach werden auch Gesetze von großer Bedeutung, sofern sie nicht die Verfassung ergänzen oder ändern, mit einfacher Mehrheit beschlossen. Es hieße A r t . 38 GG und die Tatsache, daß jede größere Partei einen den Arbeitnehmern zuneigenden Flügel hat, außer acht lassen, wenn man meint, eine Regierung könne eine einfache Mehrheit für den Feststellungsbeschluß des Streikumschlags i m Parlament leicht erreichen. Eine breite Vertrauensgrundlage i m Parlament ist für eine Regierung i n kritischer Lage wünschenswert. Allein, wenn die Gefahrenabwehr durch lange Überredungs- und Überzeugungsversuche gegenüber oppositionellen Abgeordneten Schaden erleidet oder gar ganz an politischer Obstruktion scheitert, so ist das m i t effektiver Gefahrenabwehr unvereinbar. Es sollte also vom Regelmodus parlamentarischer Beschlußfassung nicht abgewichen und für die Feststellung, daß ein ar46

Benda, Die Notstands Verfassung, S. 90/91.

2. Kapitel: Zukünftige Regelung

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beitsrechtlicher Streik i n einen politischen umgeschlagen ist, die einfache Mehrheit i n Bundestag, Bundesrat oder Notparlament festgelegt werden. Falls auch das Notparlament nicht zusammentreten kann oder nicht beschlußfähig ist, muß der Regierung Handlungsbefugnis i n der oben besprochenen A r t eingeräumt werden. I I I . Bundesverfassungsgericht

U m jeden Mißbrauch bei der Feststellung des Umschlags arbeitsrechtlicher i n politische Streiks durch Legislative und Exekutive auszuschließen, könnte ein besonderes Verfahren beim Bundesverfassungsgericht erwogen werden. Der Beschluß, i n dem der Umschlag festgestellt wird, könnte wegen nicht erheblicher Störung des Wirtschaftsablaufs oder Nichtbehinderung von Gefahrenabwehr oder Versorgung der Bevölkerung für unwirksam erklärt, Notstandsmaßnahmen könnten aufgehoben werden. Die A n tragsberechtigung könnte einzelnen Arbeitnehmern oder den Gewerkschaften eingeräumt werden. M i t der Zulassung eines solchen Verfahrens würde jedoch dem Bundesverfassungsgericht eine mehr politische Entscheidung übertragen 47 ; die Verantwortlichkeit von Parlament und Exekutive würde unnötig ausgehöhlt. Bei jeder Umschlagsfeststellung würden sie schließlich immer m i t der Maßgabe entscheiden, daß das Bundesverfassungsgericht „ i m Zweifel" noch korrigieren könne. Unter den Beteiligten, vor allem unter den Streikenden, würde die Möglichkeit eines solchen Verfahrens unnötige Zweifel über die legale Weiterführung des Streiks entstehen lassen, solange das Bundesverfassungsgericht noch nicht entschieden hat. Die Bekämpfung des Staatsnotstandes würde i n der Zeit zwischen A n trag und Entscheidung durch das Bundesverfassungsgericht verzögert; die Gefahr für das Allgemeinwohl würde sich vergrößern. Ein besonderes Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht zur Kontrolle des Umschlagsbeschlusses ist daher nicht sachdienlich. I V . Gerichte für Arbeitssachen

Unberührt bleibt die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte, i m Rahmen von Schadensersatzprozessen festzustellen, daß ein arbeitsrechtlicher Streik zu einem bestimmten Zeitpunkt i n einen politischen umgeschlagen ist. 47 Z u den Grenzen der Beurteilung politischer Fragen durch das Bundesverfassungsgericht: Klein (Friedrich), Bundesverfassungsgericht und richterliche Beurteilung politischer Fragen, S. 19 ff.

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3. Teil: Verhältnis von Streik und Staatsnotstand

Damit w i r d zwar einem Gerichtszweig eine teilweise politische Ermessensentscheidung übertragen. Diese kann aber nicht zur Korrekt u r von Entscheidungen und Maßnahmen der Legislative oder Exekutive verwandt werden. A n die Entscheidungen der verfassungsmäßig berufenen Instanzen sind die Arbeitsgerichte nämlich gebunden. Es ist erforderlich, daß die Arbeitsgerichte die öffentlich-rechtliche Vorfrage des Umschlags prüfen. Sonst können sie über eventuelle bürgerlich-rechtliche Schadensersatzansprüche der Arbeitgeber nicht entscheiden. Haben sich i n einem solchen Fall Legislative und Exekutive zum Umschlag noch nicht geäußert, so müssen die Arbeitsgerichte die Frage nach eigenem Ermessen entscheiden. V. Ergebnis

Die Lücke, die hinsichtlich der Regelung von Streiks i m Staatsnotstand i m Grundgesetz besteht und die de lege lata nur durch den Rückgriff auf überverfassungsgesetzliches Staatsnotstandsrecht unzureichend geschlossen werden kann, sollte de lege ferenda so ausgefüllt werden, daß i m Regelfall das Parlament (Bundestag und Bundesrat oder Notparlament) und ausnahmsweise der Bundespräsident i m Zusammenwirken m i t dem Bundeskanzler das Umschlagen arbeitsrechtlicher i n politische Streiks feststellen kann. V I . Überprüfung des Ergebnisses an den möglichen Notstandsfällen 1. Äußerer

Notstand

a) Streik bei eingetretenem Zustand äußerer Gefahr Die Lösung erweist sich hier als praktikabel, w e i l sie der Feststellung des äußeren Notstands, deren Unterfall sie ist, nach den insoweit billigenswerten Entwürfen (E 1962, Benda-Entwurf, E 1967 und LeE) und A r t . 115 a Abs. 1 GG angepaßt ist. Daß aus dem arbeitsrechtlichen Streik nimmehr durch Umschlag ein politischer geworden ist, beinhaltet zugleich die Rechtswidrigkeit des Streiks und verpflichtet die Streikenden zu seiner Beendigung. b) Streik i m Spannungszustand Ein Streik i m Zustand drohender Gefahr verzögert oder behindert in vielen Fällen präventive Abwehrmaßnahmen und die Herstellung der Verteidigungsbereitschaft. Das Parlament, das sich in diesem Zustand in der Regel noch versammeln kann, repräsentiert auch Arbeit-

2. Kapitel: Zukünftige Regelung

193

nehmerinteressen und kann daher beurteilen, wann ein Streik, der m i t einem grundsätzlich billigenswerten Ziel geführt wird, für die Abwehr des drohenden Schadens eine unzumutbare Behinderung bedeutet. Die Lösung erscheint auch für diesen Fall brauchbar. 2. Innerer

Notstand

a) Streik während eines inneren Notstandes I m Gegensatz zum äußeren Notstand, i n dem Streiks selten vorkommen dürften 4 8 , besteht i m inneren Notstand eine erhebliche Gefahr, daß Streiks das Gesamtwohl unerträglich schädigen. Bei einem von außen gesteuerten inneren Notstand könnten sich z. B. die Gegner der freiheitlichen demokratischen Ordnung den Zeitpunkt eines Streiks bedeutenden Umfangs aussuchen, u m die bereits vorhandene Erregung von Teilen der Bevölkerimg für ihre Ziele auszunutzen. Dann muß das Parlament, das i n dieser Lage i n der Regel 49 noch funktionsfähig ist, den Streik unverzüglich beenden können, u m den Gegnern der Verfassung die Möglichkeit, den Streik für sich auszuwerten, zu nehmen. Benda 50 meint m i t Recht, daß es unvertretbar sei, „daß ein Arbeitskampf selbst unter den extremen Voraussetzungen eines inneren Notstands stets zulässig sein soll, ohne daß der Gesetzgeber z. B. dafür sorgen dürfte, daß Streitigkeiten von untergeordneter Bedeutung zurückgestellt werden, bis die viel größere Gefahr beseitigt ist". Umso unverständlicher ist es, daß i m Benda-Entwurf — A r t . 91 Abs. 6 — eine Formulierung auftauchte, die wie A r t . 9 Abs. 3 S. 3 GG geeignet ist, die Möglichkeit des Umschlags arbeitsrechtlicher i n politische Streiks zu ignorieren und eine sachgerechte Lösung zu verhindern. Den Interessen der Allgemeinheit an einer schnellen, wirksamen Beseitigung des Angriffs auf die verfassungsmäßige Ordnung i m Innern w i r d der i n dieser Untersuchung gemachte Vorschlag gerechter. Er überläßt die Umschlagsfeststellung grundsätzlich der Volksvertretung und erreicht damit eine möglichst umfangreiche Aufrechterhaltung des demokratischen Systems. Dadurch, daß i m Ausnahmefall Notparlament oder Bundespräsident i m Zusammenwirken m i t dem Bundeskanzler die Feststellung treffen können, bleibt das Ergebnis auch i n den schwersten denkbaren Fällen praktikabel. 48

Benda, Notstandsverfassung und Arbeitskampf, S. 31 „ . . . der (äußere) Notstand wird die Existenz der Nation angreifen, und es ist eine fast rührende Vorstellung, daß in dieser Situation um höhere Löhne gestreikt werden könnte." 49 Nach Notstandsplanspielen, vgl. Benda, Die Notstandsverfassung, S. 134. 50 Notstands Verfassung und Arbeitskampf, S. 31. 13 Lohse

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3. Teil: Verhältnis von Streik und Staatsnotstand b) Streik als Grund für einen inneren Notstand

Wie es gefährlich ist, zu übersehen, daß ein Streik während eines inneren Notstands eine unerträgliche Steigerung der Gefahr bewirken kann, so ist es kurzsichtig, zu leugnen, daß durch einen großen Streik ein innerer Staatsnotstand hervorgerufen werden kann. Z u sehr ist jeder Bürger auf mannigfache fremde Leistungen aller A r t angewiesen, als daß sie i h m ohne nicht wieder gutzumachenden Schaden auf Zeit entzogen werden könnten, zu groß ist die Interdependenz i n unserer modernen Industriegesellschaft. Es ist oben 51 schon dargelegt worden, daß i n diesem Falle der Umschlagsmaßstab ein anderer ist als i n den vorangegangenen. Die Allgemeinheit muß i m Interesse legitimer Interessen der Arbeitnehmer ein gewisses Maß an Behinderung hinnehmen. Bei Gefährdung der staatlichen Ordnung jedoch verlieren die Arbeitnehmer den Anspruch auf Duldung ihres Interessenkampfes durch die A l l gemeinheit 52 . Wer wäre besser imstande, den Zeitpunkt festzustellen, an dem die Schädigung die Gesamtinteressen unerträglich verletzt, als die Volksvertretung? Daher hat der hier gemachte Vorschlag auch für diesen Fall Geltung. Die Hilfsfeststellungsfunktion des Bundespräsidenten m i t Gegenzeichnung des Bundeskanzlers ist für die Fälle vorgesehen, i n denen beispielsweise ein totaler Streik oder ein allgemeiner Verkehrsstreik Parlament oder Notparlament am Zusammentreten hindert. Bei unseren Erörterungen blieb unberücksichtigt, daß sich i m Notstand — wie i n Normalzeiten — anerkennenswerte Arbeitnehmerinteressen ergeben können, denen die Arbeitgeber Widerstand entgegensetzen. Die Arbeitgeber könnten i m Notstandsfall versucht sein zu denken, daß ein Streik möglicherweise vom Parlament verboten w i r d und damit die Durchsetzung von arbeits- und wirtschaftsrechtlichen Forderungen der Arbeitnehmer streikweise nicht möglich ist. Dem muß entgegengewirkt werden. Verlangt das Interesse der Allgemeinheit, daß Arbeitnehmer einen Streik einstellen oder nicht beginnen, so ergibt sich die Verpflichtung, den Arbeitnehmern andere Möglichkeiten zur Durchsetzung ihrer legitimen Interessen zur Verfügung zu stellen. C. Lösung von Arbeitskonflikten w ä h r e n d des Staatsnotstands I. Private Schlichtungsabkommen

Es ist nicht Aufgabe dieser Untersuchung, Geschichte und Aufgaben des Schlichtungswesens i m einzelnen abzuhandeln, um zu ermitteln, wie 51 52

Vgl. oben, S. 179 der Untersuchung. Vgl. Werner Weber, Koalitionsfreiheit..., S. 42.

2. Kapitel: Zukünftige Regelung

195

die Aufgaben zwischen staatlichen Stellen und frei vereinbarten Einrichtungen der Tarifpartner zu verteilen sind. A u f das umfangreiche Spezialschrifttum zu diesem wichtigen Problem w i r d verwiesen 58 . Von den 4 Aufgaben 54 der Schlichtung, — Einigungsfunktion, — soziale Schutzfunktion, — lohnpolitische Funktion und — Funktion der Stützung und Förderung der kollektiven Arbeitsverfassung, interessieren hier nur die beiden ersten. Die Einigungsfunktion der Schlichtung besteht darin, daß der Arbeitsfriede erhalten bleibt oder wieder hergestellt wird. „Sie dient nicht nur den streitenden Verbänden selbst, sondern w i l l zugleich die Allgemeinheit vor den Gefahren schützen, die aus einer gewaltsamen Austragung sozialer Streitigkeiten erwachsen können 55 ." Bei der sozialen Schutzfunktion der Schlichtung handelt es sich u m die Aufgabe, einem sozialen Mißstand abzuhelfen, z.B. unzureichende Löhne einer nicht ausreichend kampfkräftigen Arbeitnehmergruppe angemessen zu erhöhen oder ein Streikverbot auszugleichen. U m diese beiden Funktionen der Schlichtung zu erfüllen, werden Schlichtungsverfahren und Schlichtungsstellen von den Tarifpartnern vereinbart. Auch während des Staatsnotstands können unter den Sozialpartnern auftretende Meinungsverschiedenheiten ohne Inanspruchnahme staatlicher Stellen beigelegt werden. Die Schlichtung ist so Bestandteil der sozialen Selbstverwaltung, die sich nicht i n freier Verhandlung und Arbeitskampf erschöpft 56 . Durch friedliche Verständigung der Sozialpartner i m Wege der Schlichtung kann i n Zeiten allgemeiner Bedrohung der Nation erreicht werden, daß die Beteiligten und die Allgemeinheit vor Schäden bewahrt werden. 53 Bureau International du Travail, La conciliation et l'arbitrage des conflits du travail, S. 18—173; Bührig, Schlichtung von Arbeitsstreitigkeiten, passim; Cornelssen in AuR 1955, S. 51 ff.; Kirchner in RdA 1966, S. l f f . ; Herschel, Das Arbeitsrecht in GR I I I , 1, S. 363 f.; Lobeck in BB 1957, S. 231 ff.; Haasis, Diss., passim; Nikisch, Festschrift Deutsch. JurTag I (1960), S. 317 ff.; Raupach, Die Schlichtung von kollektiven Arbeitsstreitigkeiten und ihre Probleme, passim; Sitzler in Festschrift für Nipperdey (1955), S. 193 ff.; Weber, Koalitionsfreiheit und Tarif autonomie als Verfassungsproblem, S. 40 ff. ; Eschbacher, Diss., S. 62 ff.; zur Geschichte Schelp, in AuR 1955, S. 4; mit besonderer Berücksichtigung der Rechtslage in der Schweiz Gauthier, Contribution à l'étude de la conciliation et de l'arbitrage dans les conflits du travail, S. 17 ff. und passim; Durand, La grève, S. 30 ff. 54 Vgl. Sitzler, a. a. O., S. 193—196. 55 Sitzler, a. a. O., S. 193; vgl. auch: Maus, Handb. des Arbeitsrechts I X — X A , Schlichtungsrecht, passim. 56 Sitzler, a. a. O., S. 196.

13*

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3. Teil: Verhältnis von Streik und Staatsnotstand

Die vereinbarte Schlichtung für Staatsnotstandsfälle gibt es i n Deutschland bisher nicht. Sie wäre der Idealfall einer zukünftigen Regelung und würde dann eine erweiterte, über die geltenden Tarifverträge hinausgehende Friedenspflicht beinhalten 57 . Da eine vertragliche Regelung seitens der Tarifpartner noch nicht besteht, muß der Staat zum Schutz der Allgemeinheit eine umfassende Schlichtungsordnung für Fragen der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen während eines Staatsnotstands bereitstellen, die als subsidiäre Regelung für Lücken i n einem System vereinbarter Schlichtimg dienen muß. Vor einem staatlichen Schlichtungsverfahren sollte ein vereinbartes den Vorrang haben, weil es die Freiheitssphäre, die die Sozialstaatsklausel gewährt, weniger einschränkt 58 . I I . Staatliche Schlichtung

Die erforderliche staatliche Schlichtung kann sich nicht darauf beschränken, i m Notstandsfall dem Streik ein Schlichtungsverfahren vorzuschalten, was unbestrittenermaßen 59 zulässig ist. Dadurch würde der Streik nur hinausgeschoben, könnte aber u. U. dennoch während des Notstands ausbrechen. Die staatliche Schlichtung muß also weitergehende Maßnahmen ermöglichen, einschließlich der Verbindlicherklärung eines nicht von beiden Tarifpartnern angenommenen Schlichtungsspruchs durch staatliche Anordnung (privatrechtsgestaltender Verwaltungsakt 8 0 ), m i t einem Wort die Zwangsschlichtung 81 . Staatliche Zwangsschlichtung wurde i n der Zeit der Weimarer Repub l i k m i t geringem Erfolg praktiziert 6 2 . Heute würde sie i n Normalzeiten den durch die soziale Selbstverwaltung garantierten Kernbereich verbandsmäßiger Lohngestaltung angreifen; sie wäre damit verfassungswidrig 8 8 . Wegen der Existenzbedrohung der Nation erfährt das System 57 Zum Verhältnis Schlichtung—Friedenspflicht vgl. Brox-Rüthers, Arbeitskampfrecht, S. 86. 58 Die von den Spitzenverbänden der Arbeitgeber und Arbeitnehmer getroffene Mustervereinbarung vom 22. Sept. 1954 ist nur eine unverbindliche Empfehlung und sieht Regelungen für Staatsnotstandsfälle nicht vor. Vorschläge für eine vereinbarte Schlichtungsstelle und ein Schlichtungsverfahren bei Sitzler, a. a. O., S. 198 ff. 59 Vgl. statt vieler Werner Weber, Koalitionsfreiheit und Tarifautonomie als Verfassungsproblem, S. 42 mit weiteren Nachweisen. 80 Vgl. Hueck-Nipperdey, Lehrbuch I I , S. 588. 61 Krüger, Allg. Staatslehre, S. 520; Werner Weber, Koalitionsfreiheit und Tarifautonomie als Verfassungsproblem, S. 50 f.; zu den Kantonalen Einigungsämtern in der Schweiz vgl. u. a. Wengler, Die Kampfmaßnahme im A r beitsrecht, S. 31/32. 62 Aufgrund der V O über das Schlichtungswesen vom 30. Oktober 1923 (RGBl. I, S. 1043), vgl. dazu Treichel, in „Der Gewerkschafter" 1964, S. 170 ff.; Dersch, Die neue Schlichtungsverordnung, S. 72. 88 Werner Weber, a. a. O., S. 45.

2. Kapitel: Zukünftige Regelung

197

sozialer Selbstverwaltung i n Staatsnotstandszeiten jedoch Einschränkungen. I n der Ausnahmesituation ist die Zwangsschlichtung zulässig. Es müßte durch Bundesgesetz zur Regelung auf Bundesebene — und nur um diese Regelung geht es hier — ein „Bundesschlichtungsamt" geschaffen werden, ein Spruchkörper erfahrener, unabhängiger Männer, die i m Einverständnis m i t den Sozialpartnern schon i n Normalzeiten gewählt werden müßten. Eine größere Anzahl von Stellvertretern sollte auch i m Notfall die Funktionsfähigkeit dieses Gremiums noch sichern. Wenn i m Staatsnotstandsfall lebenswichtige Interessen der Allgemeinheit die Beilegung einer Arbeitsstreitigkeit dringend verlangen, sollte das Bundesschlichtungsamt ex officio oder auf Antrag des Bundearbeitsministers oder der Sozialpartner tätig werden. Das Schlichtungsverfahren hätte Einlassungszwang 64 und — auf Antrag einer Partei — Nichtöffentlichkeit des Verfahrens 65 vorzusehen. Zwar überschreitet die Schlichtung hier ihren normalen Rahmen als Hilfeleistung zur freien Einigung. Das ist jedoch notsituationsbedingt. Nur durch Zwangsschlichtung können Arbeitskonflikte i m Falle des Staatsnotstands sachgerecht und schnell gelöst werden, wenn die vereinbarte Schlichtung versagt hat. „So sind sich denn auch die u m eine exakte verfassungsrechtliche Würdigung Bemühten darin einig, daß dem Gesetzgeber i n solchen Lagen, die allgemein als Notstand etikettiert werden, die Verwendimg des Instituts der Zwangsschlichtung offensteht 66 ." I I I . Richterliche Entscheidung?

Gegen die Entscheidung des „Bundesschlichtungsamts" eine Anrufung der Gerichte für Arbeitssachen zuzulassen, hieße dem Schiedsspruch, der kurzfristig eine Regelung von Arbeitskonflikten bewirken soll, einen wesentlichen Teil seiner Wirksamkeit zu nehmen. Ein Prozeß i n drei Instanzen könnte länger dauern als die Staatsnotstandslage und damit die Ubergangsregelung hinfällig machen, w e i l nach dem Staatsnotstand die verfassungsmäßig garantierten Rechte der Arbeitnehmer wieder v o l l wirksam werden. Ist das „Bundesschlichtungsamt" als Spruchkörper m i t ausgewählten Personen besetzt, die das Vertrauen der Sozialpartner haben, so hieße es zudem, deren Spruch Abbruch tun, wollte man i h n erneut einem Rechtsstreit unterwerfen. Eine richterliche Kontrolle des Spruchs des „Bundesschlichtimgsamts" ist daher nicht sachgemäß. 64

Werner Weber , a. a. O., S. 43. Sitzler, Zur Neuordnung des Schlichtungswesens, S. 208. Werner Weber, Koalitionsfreiheit..., S.45; vgl. auch Dommack, Diss., S. 113; Hueck-Nipperdey I I , S. 36 u. 537; Benda, Notstandsverfassung und A r beitskampf, S. 27. 65

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3. Teil: Verhältnis von Streik und Staatsnotstand D . V o r s c h l a g f ü r eine V e r f a s s u n g s e r g ä n z u n g h i n s i c h t l i c h des S t r e i k s i m S t a a t s n o t s t a n d

U m d e n v o r a n g e h e n d e n Ü b e r l e g u n g e n G e l t u n g z u verschaffen, i s t eine E r g ä n z u n g des Grundgesetzes u n u m g ä n g l i c h . W e n n m a n d e r S y s t e m a t i k d e r E n t w ü r f e f ü r die E r g ä n z u n g des Grundgesetzes d u r c h eine N o t standsverfassung v o r 1968 folgte, so w a r das S t r e i k r e c h t i m i n n e r e n N o t s t a n d d u r c h eine E r g ä n z u n g des vorgesehenen A r t . 91 n. F . z u sichern. A b s . 4 des A r t . 91 L E h ä t t e folgende F o r m u l i e r u n g h a b e n müssen, u m d e n i n dieser U n t e r s u c h u n g aufgezeigten B e d e n k e n b e z ü g l i c h d e r Z u lässigkeit v o n Streiks i m inneren Notstand Rechnung zu tragen: „(4) Die Absätze 1—3 finden keine Anwendung auf Arbeitskämpfe, die zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen von Vereinigungen im Sinne des Art. 9 Abs. 3 geführt werden und die staatliche Ordnung nicht gefährden oder keine erhebliche Störung des geordneten Wirtschaftsablaufs darstellen, sofern die Abwehr der Staatsgefährdung nicht behindert oder die lebenswichtige Versorgung der Bevölkerung erschwert wird. (5) Daß eine Gefährdung der staatlichen Ordnung oder eine erhebliche Störung des geordneten Wirtschaftsablaufs im Sinne des Abs. 4 vorliegt, stellt der Bundestag mit Zustimmung des Bundesrates auf Antrag der Bundesregierung fest. Stehen dem rechtzeitigen Zusammentritt des Bundestages unüberwindliche Hindernisse entgegen oder ist er wegen äußerer Einwirkungen nicht beschlußfähig, und erfordert die Lage unabweisbar ein sofortiges Handeln, so kann das Notparlament (Gemeinsamer Ausschuß) mit der Mehrheit seiner Mitglieder die Feststellung treffen. Wenn auch seinem rechtzeitigen Zusammentreten unüberwindliche Hindernisse entgegenstehen oder es wegen äußerer Einwirkungen nicht beschlußfähig ist und die Lage unabweisbar ein sofortiges Handeln erfordert, kann der Bundespräsident mit Gegenzeichnung des Bundeskanzlers die Feststellung treffen. Er soll zuvor die Präsidenten des Bundestages und des Bundesrates sowie den Vorsitzenden des Notparlaments hören." Z u r G e w ä h r l e i s t u n g des A r b e i t s k a m p f r e c h t s i m äußeren N o t s t a n d w ä r e folgende E r g ä n z u n g des A r t . 115 a z w e c k m ä ß i g gewesen, die eine zweifache, n a h e z u ä h n l i c h e F o r m u l i e r u n g des Fortbestehens des A r b e i t s kampfrechtes i m Notstand vermeidet: „(6) Für nach Art. 91 Abs. 4 zulässige Arbeitskämpfe treten im Zustand der äußeren Gefahr die Rechtsfolgen der Art. 115 d—115 m nicht ein. (7) Über die Zulässigkeit von Arbeitskämpfen nach Abs. 6 entscheiden der Bundestag mit Zustimmung des Bundesrates, das Notparlament oder der Bundespräsident mit Gegenzeichnung des Bundeskanzlers in entsprechender A n wendung des Art. 91 Abs. 5." I m Interesse g r ö ß t m ö g l i c h e r K l a r h e i t des Verfassungstextes, also i m Interesse der Rechtssicherheit, u n d d e r V e r m e i d u n g e i n e r R e g e l u n g des A r b e i t s k a m p f r e c h t s i n z w e i A r t i k e l n des Grundgesetzes l i e g t es, die B e s t i m m u n g e n ü b e r das A r b e i t s k a m p f r e c h t ( S t r e i k und A u s s p e r r u n g ) i n

2. Kapitel: Zukünftige Regelung

199

e i n e m V e r f a s s u n g s a r t i k e l zusammenzufassen. Das ist i n A r t . 9 A b s . 3 Satz 3 G G geschehen. D i e N o r m i s t aber ebenso u n v o l l s t ä n d i g w i e d i e S t r e i k r e c h t s r e g e l u n g ( u n d die R e g e l u n g d e r A u s s p e r r u n g ) i n d e n E n t w ü r f e n . Das U m s c h l a g p r o b l e m , also die Frage, ob u n d w a n n a r b e i t s r e c h t liche S t r e i k s z u p o l i t i s c h e n w e r d e n , w u r d e b e i d e r E r ö r t e r u n g des L E ebenso v e r k a n n t w i e i n d e r F o r m u l i e r u n g des d r i t t e n Satzes v o n A r t . 9 A b s . 3 G G . Es b e d a r f d a h e r d e r E r g ä n z u n g des A r t . 9 A b s . 3 Satz 3 G G , die w i e f o l g t gefaßt w e r d e n k ö n n t e : „(3) Maßnahmen nach den Artikeln 12 a, 35 Abs. 2 und 3, Artikel 87 a Abs. 4 und Artikel 91 dürfen sich nicht gegen Arbeitskämpfe richten, die zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen von Vereinigungen im Sinne des Satzes 1 geführt werden, wenn sie die staatliche Ordnung nicht gefährden oder keine erhebliche Störung des geordneten Wirtschaftsablaufs darstellen und dadurch die Abwehr der Staatsgefährdung behindern oder die lebenswichtige Versorgung der Bevölkerung erschweren. Daß eine Gefährdung der staatlichen Ordnung oder eine erhebliche Störung des geordneten Wirtschaftsablaufs im Sinne des Satzes 3 vorliegt, stellt der Bundestag mit Zustimmung des Bundesrates auf Antrag der Bundesregierung fest. Stehen dem rechtzeitigen Zusammentritt des Bundestages unüberwindliche Hindernisse entgegen oder ist er wegen äußerer Einwirkungen nicht beschlußfähig und erfordert die Lage unabweisbar ein sofortiges Handeln, so kann der Gemeinsame Ausschuß 67 mit der Mehrheit seiner Mitglieder die Feststellung treffen. Wenn auch seinem rechtzeitigen Zusammentreten unüberwindliche Hindernisse entgegenstehen oder er wegen äußerer Einwirkungen nicht beschlußfähig ist und die Lage unabweisbar ein sofortiges Handeln erfordert, kann der Bundespräsident mit Gegenzeichnung des Bundeskanzlers die Feststellung treffen. Er soll zuvor die Präsidenten des Bundestages und des Bundesrates sowie den Vorsitzenden des Gemeinsamen Ausschusses hören."

87 I m Interesse einheitlicher Terminologie wurde der vom Gesetz verwendete Begriff „Gemeinsamer Ausschuß" auch hier gebraucht. Sachdienlicher wäre es gewesen, von „Notparlament" zu sprechen.

. Kapitel

Ergebnis Die deutsche Rechtsordnung enthält ein gesetzlich garantiertes Recht auf Streik zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen und eine verfassungsrechtliche Institutsgarantie des arbeitsrechtlichen Streiks. Mangels eines Streikgesetzes fehlt es an einer gesetzgeberischen Festlegung der Grenzen des Streikrechts. N u r von Rechtsprechung und Rechtslehre wurde der Umfang dieses Rechts bisher untersucht und bestimmt. I n der lückenhaften Staatsnotstandsregelung des Grundgesetzes fehlt eine Bezugnahme auf die Zuständigkeitsregelung zur Feststellung der Rechtswidrigkeit von Streiks, die unerträglich gemeinschaftsschädigenden Charakter annehmen. Da lege lata ist sogar die sachliche Zuständigkeit für Schadensersatzverfahren i m Zusammenhang m i t Streiks so wenig klar, daß der Bundesgerichtshof — zu Unrecht — i n arbeitsrechtlicher Materie entschied, als es galt, zu prüfen, ob i m Normalzustand ein arbeitsrechtlicher oder ein politischer Streik vorlag. Daß diese Rechtslage i m Notstand sowohl — bezüglich der Interessen von Streikenden als auch — i m Interesse einer wirksamen Abwehr der Bedrohung der Allgemeinheit gefährlich ist, wurde i n den vorangegangenen beiden Kapiteln deutlich gemacht. I n der Notstandsverfassung sollten daher eine genauere Regelung des Umfangs möglicher Streiks i n den verschiedenen Fällen des Ausnahmezustands und eine Festlegung der Zuständigkeit zur Entscheidimg über den Umschlag von grundsätzlich zulässigen arbeitsrechtlichen Streiks i n politische, rechtswidrige Ausstände enthalten sein; die gegenwärtige Fassung des A r t . 9 Abs. 3 S. 3 GG reicht nicht aus. Ausgehend von der Problematik, die bei Streiks auftritt, wurde eine sachgerechte Formulierung für die Arbeitskampfregelung i m Staatsnotstand gesucht.

4. T e i l

Streik und Staatsnotstand nach schweizerischem Recht 1. Kapitel

Streik A. Geschichtliche Entwicklung I . Vor dem Abschluß des Friedensabkommens in der Maschinen- und Metallindustrie

I m Gegensatz zu der Mehrzahl ausländischer Rechtsordnungen kennt die Schweiz keine gesetzliche Streikregelung 1 . Koalitionen waren bis zum Inkrafttreten der Bundesverfassung von 1848 verboten. Sie wurden als unvereinbar m i t der Handels- und Gewerbefreiheit angesehen, die i n den kantonalen Verfassungen garantiert war. Die Koalitionsverbote fielen m i t der Einführimg der Vereinsfreiheit als individuelles Bürgerrecht i n der Bundesverfassung von 1848. Ein Streikrecht enthielt die Verfassung nicht 2 . Das hat indessen die Arbeitnehmer i n der Schweiz nicht daran gehindert, große und zum Teil für Wirtschaft und politische Ordnung gefährliche Streiks durchzuführen, von denen der Generalstreik von 1918 der bekannteste ist 8 . Ferner sei noch der Streik der Zürcher Bankangestellten vom September 1918 erwähnt 4 . Die arbeitsrechtliche Entwicklung i n der Schweiz bis 1937 unterschied sich insofern kaum von der i n anderen Staaten Westeuropas 5 . Insbesondere zur deutschen Situation vor 1933 ergeben sich deutliche Parallelen 8 . 1 Berenstein, Le droit de grève dans la législation suisse in Wirtschaft und Recht 1951, Band 3, 1934; Hülster, Le droit de grève et sa réglementation, S. 127/128; Madjidi, Diss., S. 40; Laissue, La g r è v e . . . , S. 6. 2 Schweingruber -Bigler, Kommentar zum Gesamtarbeitsvertrag, S. 13ff.; vgl. zum Koalitionsrecht in der Schweiz auch Bureau International du Travail, La Liberté syndicale, I I , S. 341—419. 8 Perrin, La grève générale de november 1918 in Rss 1958, S. 331 ff. und Heither, Das kollektive Arbeitsrecht in der Schweiz, S. 21 ff. " 4 Einzelheiten bei Perrin, a. a. O., S. 338 f.; Heither, a. a. O., S. 74/75. 5 Berenstein, Le droit du travail en Suisse... in: Die Schweiz im universellen Arbeitsrecht, S. 20—25. 8 Lasserre in Rss. 1958, S. 28 ff. ; Schlatter, Diss., S. 23 f.; Heither, a.a.O., S. 25 ff.

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4. Teil: Streik und Staatsnotstand nach schweizerischem Recht I I . Nach dem 19. Juli 1937

Daß die Schweiz heute eine verschwindend geringe Zahl von Streiktagen aufweist 7 , verdankt sie der Initiative von einzelnen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden und insbesondere der Weitsicht von zwei Männern, dem Präsidenten der Maschinen- und Metallindustrie-Arbeiter, Konrad Ilg, und dem Präsidenten des Arbeitgeberverbandes schweizerischer Maschinen- und Metallindustrieller, Ernst Dübi 8 , die sich m i t großem Eifer und Geschick für einen dauerhaften Arbeitsfrieden einsetzten. U m der Schweiz, die wegen des Fehlens nennenswerter Bodenschätze auf eine kontinuierliche Arbeit i n den exportintensiven Veredelungsindustrien und auf den Ruf, ein zuverlässiger Handelspartner zu sein, besonders angewiesen ist, zu wirtschaftlicher Stabilität zu verhelfen, handelten sie das Friedensabkommen i n der Maschinen- und Metallindustrie aus. Es wurde am 19. J u l i 1937 i n Zürich abgeschlossen9. M i t dem Abschluß des Friedensabkommens wurde i n der Eidgenössischen Maschinen- und Metallindustrie der Grundstein zu umfassender Sozialpartnerschaft gelegt 10 . Darauf w i r d i n der Präambel zum Friedensabkommen ausdrücklich verwiesen 11 . „Vereinbarung. I m Bestreben, den im Interesse aller an der Erhaltung und Fortentwicklung der schweizerischen Maschinen- und Metallindustrie Beteiligten liegenden Arbeitsfrieden zu wahren, verpflichten sich... (Vertragspartner) . . . , wichtige Meinungsverschiedenheiten und allfällige Streitigkeiten nach Treu und Glauben gegenseitig abzuklären, nach den Bestimmungen dieser Vereinbarung erledigen zu suchen und für ihre ganze Dauer unbedingt den Frieden zu wahren. Infolgedessen gilt jegliche Kampfmaßnahme, wie Sperre, Streik oder Aussperrung als ausgeschlossen, dies auch bei allfälligen Streitigkeiten über Fragen des Arbeitsverhältnisses, die durch die gegenwärtige Vereinbarung nicht berührt werden. I n diesem Sinne wird vereinbart..."

Es folgen 9 Artikel, die u. a. bestimmen, daß Streitigkeiten zunächst innerhalb des Betriebes zu behandeln sind und erst i m Nichteinigungs7

S. 27. 8

Siehe oben, S. 31 ff. der Untersuchung, vgl. ferner Lasserre in Rss 1958,

Näher: Lasserre in Rss 1958, S. 26/27. Zur staatlichen Schlichtung vgl. Naegeli in RdA 1950, S. 177; Madjidi, Diss., S. 86—92; Text in: RdA 1958, S. 1 ff. 10 Gysin, Conflits du travail, S. 1, und Heither, Das kollektive Arbeitsrecht der Schweiz, S. 85 ff. 11 Vertragspartner waren: Arbeitgeberverband schweizerischer Maschinenund Metall-Industrieller und vier Bundesverbände der Arbeitnehmer: Schweizerischer Metall- und Uhrenarbeiterverband, Christlicher Metallarbeiter-Verband der Schweiz, Schweizerischer Verband evangelischer Arbeiter und Angestellter und Landesverband freier Schweizer Arbeiter. Vgl. Lasserre in Rss 1958, S. 27; Kaufmann, in RdA 1958, S. 5; zur Geschichte und Struktur der Verbände der Koalitionspartner vgl. Heither, Das kollektive Arbeitsrecht der Schweiz, S. 3—38. 9

1. Kapitel: Streik

203

falle den Verbandsinstanzen zur Abklärung und Schlichtung unterbreitet werden müssen. Erfolgt auch dort keine Einigung, kann eine Schlichtungsstelle angerufen werden, die einen Schiedsspruch fällen kann, wenn beide Parteien vorher erklärt haben, sich i h m zu unterwerfen. Bei Lohnstreitigkeiten kann eine Schiedsstelle ohne diese Erklärung einen verbindlichen Schiedsspruch fällen. 250 000,— sfr., die später auf 200 000,— sfr. vermindert wurden, hinterlegte jede Vertragspartei bei der Schweizerischen Nationalbank als Garantiesumme. Bei Nichtdurchführung eines Schiedsspruches kann der Vertragstreue Partner auf diese Summe sogleich zurückgreifen. Es w i r d also, worauf Berenstein 12 m i t Recht hinweist, eine absolute Friedenspflicht für Streitigkeiten der beteiligten Sozialpartner festgelegt. M i t dem Abkommen gehen die Vertragspartner eine Bindung ein, wie sie auch i n Tarifverträgen eingegangen werden kann. Das Friedensabkommen darf jedoch nicht m i t einem Tarifvertrag verwechselt werden. Es ist vielmehr ein Kollektivvertrag (Berenstein: „Convention") eigener Art, der sich auf die Aufrechterhaltung der Arbeit und des Arbeitsfriedens i n den betroffenen Industriezweigen richtet 13 . Ein begriffswesentliches Element des Tarifvertrages fehlt dem Friedensabkommen: der normative Teil. Das Abkommen stellt keine Bestimmungen auf, die als verbindlich für die einzelnen Arbeitsverträge zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern der beteiligten Organisationen gelten. Das Abkommen war zunächst auf zwei Jahre geschlossen. Später wurde es jeweils um fünf Jahre verlängert 14 . Es hat i n der Schweiz als Muster für ähnliche Abkommen i n anderen Industriebranchen gedient, z. B. für die Vereinbarung zwischen dem Verband der Preparages — Fabrikanten und dem Schweizerischen Metallund Uhrenarbeiterverband (SMUV) vom 3. Juni — 26. September 194215. Die fortschrittliche Zusammenarbeit der Sozialpartner machte es möglich, Ordnungsstörungen i m Wirtschafts-, i m Sozial- und i m Staatsleben weitgehend zu vermeiden. Daher spielt das Streikrecht i n der Schweiz in Rechtsprechung und Rechtslehre keine bedeutende Rolle. Man findet allerdings i n der schweizerischen verfassungs- und arbeitsrechtlichen Literatur keinen Autor, der das Bestehen eines Streikrechts oder mindestens der Streikfreiheit verneinen würde 1 6 . Es w i r d für die Industrien _12 Berenstein , Rss. 1952, S. 1/2. ~18 Berenstein , a. a. O.; Schweingruber, Das Arbeitsrecht der Schweiz, S. 95; Kaufmann in RdA 1958, S. 4. _14 Lasserre, in Rss. 1958, S. 27; Kaufmann in RdA 1958, S. 5. 15 Schweingruber , Das Arbeitsrecht der Schweiz, S. 92. 18 Für viele: Tschudi in ZSR 1948, S. 363 unter Hinweis auf Art. 15 des Bundesbeschlusses über die Allgemein-Verbindlicherklärung von Gesamt-

204

4. Teil: Streik und Staatsnotstand nach schweizerischem Recht

bejaht, i n denen Friedensabkommen nicht bestehen und kann für die übrigen Wirtschaftszweige Bedeutung erlangen, wenn die geltenden, auf Zeit geschlossenen Friedensabkommen nicht verlängert werden sollten. B. Gegenwärtige Rechtslage I. Verfassungsrechtliche Streikgarantie in Art. 56, 31, 34ter Abs. 2 BV?

2. Arbeitsrechtliche

Streiks

a) Art. 56 B V Unter den Freiheitsrechten i m 1. Abschnitt der Bundesverfassung von 1874 ist das Vereinigungsrecht konstitutionalisiert worden, also das Recht des einzelnen Schweizers gegenüber dem Staat, sich m i t anderen zu Vereinen zu verbinden 17 . „Die Bürger haben das Recht, Vereine zu bilden, sofern solche weder in ihrem Zweck, noch in den dafür bestimmten Mitteln rechtswidrig oder staatsgefährlich sind. Über den Mißbrauch dieses Rechtes trifft die Kantonalgesetzgebung die erforderlichen Bestimmungen 18 ."

Ein besonderes Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, das dem A r t . 9 Abs. 3 des GG entsprechen würde, kennt die eidgenössische Verfassung nicht. Das Koalitionsrecht ist aber als Spezialfall des Vereinigungsrechts auf dem sozialen und wirtschaftlichen Sektor anzusehen. M i t Recht leiten das Bundesgericht 1®, Berenstein 20 und andere 21 daher aus A r t . 56 B V das Recht der Schweizerbürger 22 ab, Berufsvereinigungen zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen 23 zu bilden, arbeitsverträgen v. 1. 10. 1941 (AS 1941, S. 1141 [1144, 1145]); Madjidi, Diss., S. 40; Berenstein, La grève et le service public, S. 322 f. 17 Burckhardt, Kommentar der Schweizerischen Bundesverfassung Art. 56, Anm. I I 1. 18 Zum Verbotsverfahren näher Burckhardt, Art. 56 BV, Anm. I I 2; auf die Kantonsverfassungen verweist Madjidi, Diss., S. 41 f. 19 B G Urt. v. 14.10.1899, BGE 25 I I 792 (802) — V I I No 96. 20 Berenstein in WuR 1951, S. 34. 21 Fleiner-Giacometti, Schweiz. Bundesstaatsrecht, S. 375; Heither, a. a. O., S. 56/57. 22 Berenstein, a. a. O., S. 35: Alle eidgenössischen Staatsangehörigen, also auch die Frauen, denen auf Bundesebene das Aktivbürgerrecht, zu wählen fehlt, und die Minderjährigen. Ebenso Burckhardt, Komm. Art. 56 BV, Anm. I I 2; Fleiner-Giacometti, a. a. O., S. 380; ferner der Bundesrat in einer Botschaft an die Bundesversammlung, BB1. 1924 I I I , S. 75; a. A. nur das B G in einer alten Entscheidung, Urt. v. 24. 9.1881 BGE 7/502 (516/517) — I I No 62. 23 Anders: Wirtschaftliche Vereinigungen und öffentlich-rechtliche Korporationen zu Erwerbszwecken. Dazu näher Burckhardt, Komm. Art. 56 BV, Anm. I I 1; Fleiner-Giacometti, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, S. 375 f.;

1. Kapitel: Streik

205

die dann den A r t . 60 ff. des Zivilgesetzbuchs unterworfen sind. Den A r beitgebern werde statt eines einzelnen Arbeitnehmers damit eine machtvolle Gruppe 24 — eben die Gewerkschaften — gegenübergestellt. Berenstein 25 folgert dann weiter: Diese Koalitionen verliehen der kollektiven Arbeitnehmeraktion Durchschlagskraft. Falls durch Verhandlungen Wahrung oder Verbesserung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen nicht zu erreichen seien, bliebe den Arbeitnehmerorganisationen nur ein M i t t e l als ultima ratio: der Streik. Nur dieses Druckmittel gebe den A r beitnehmerorganisationen Wirksamkeit und Stärke gegenüber ihrem sozialen Gegenspieler und sei damit notwendige Folge des Koalitionsrechts. Auch Bonhöte 26 verweist auf die enge Verbindung von Koalitionsrecht und Streikrecht. Noch weiter geht Landmann 2 7 , der zwischen Koalitionsrecht und Streikrecht nicht mehr trennt und das Streikrecht nur als einen Aspekt des Koalitionsrechts ansieht, nicht wie Berenstein und Bonhöte, als besonderes Recht i n dessen Folge. Diese Argumente sind auch i n der Erörterimg zu A r t . 9 Abs. 3 GG — Koalitionsrecht — aufgetaucht. Sie sind bereits 28 widerlegt worden. Auch i n der Schweiz haben sich m i t den oben angeführten Argumenten Gysin 2 9 und Schweingruber-Bigler 80 sowie Heither 8 1 der Annahme einer verfassungsrechtlichen Streikgarantie i m Zusammenhang m i t dem Vereinigungsrecht widersetzt. Dieser Meinung soll hier gefolgt werden: Durch die Bundesverfassung w i r d das Recht zum arbeitsrechtlichen Streik i m Zusammenhang m i t dem Vereinigungsrecht ebensowenig geschützt wie die Streikfreiheit. Auch eine verfassungsrechtlich geschützte Institutsgarantie des Streiks enthält A r t . 56 B V nicht. b) A r t . 31 Abs. 1 B V Man könnte eine Garantie des Streiks i n A r t . 31 Abs. 1 B V — Handelsund Gewerbefreiheit — sehen. Die Norm bestimmt: dagegen in ständ. Rechtsprechung das BG. Urt. v. 15.4.1882 BGE 8/249 (254) — I I No. 42; Urt. v. 2. 2.1884 BGE 10/18 (28) — I I I No. 4; Urt. v. 20.1.1916, BGE 42 1 1 (10) — No 1. 24 Das ist die „klassische" Argumentation der Arbeiterbewegung, deren Legitimität heute kaum noch in Zweifel gezogen wird. Für die Schweiz: Gysin , Conflits du travail, S. 1. 25 Berenstein in WuR 1951, I I I , S. 34/35; derselbe, La grève et le service public, S. 322 f.; ihm folgend Madjidi, Diss., S. 40. 26 Diss., S. 261 f. 27 La Suisse économique et sociale, Band I, S. 570. 28 Vgl. oben, S. 52 der Untersuchung. 29 Gysin, a. a. O., S. 3. 30 Komm, zum Gesamtarbeitsvertrag, S. 10,13. 31 Das kollektive Arbeitsrecht der Schweiz, S. 57.

2 0 6 4 . Teil: Streik und Staatsnotstand nach schweizerischem Recht „Die Handels- und Gewerbefreiheit ist im ganzen Umfang der Eidgenossenschaft gewährleistet, soweit sie nicht durch die Bundesverfassung und die auf ihr beruhende Gesetzgebung eingeschränkt ist."

Es müßte dann Ziel des A r t . 31 Abs. 1 B V sein, den Arbeitnehmern optimale Arbeitsbedingungen zu sichern. Vom Bundesgericht 82 ist so einmal argumentiert worden: „Jeder hat zweifelsohne ein subjektives Recht darauf, seine Persönlichkeit i m Handel zur Geltung zu bringen und als solche Achtung zu verlangen. Das ist eine Folge der Handelsund Gewerbefreiheit. Aber auf diesen Grundsatz können sich auch Verbraucher und Arbeitnehmer berufen, und das Recht der letzteren begrenzt notwendigermaßen das des Arbeitgebers und vice versa." Das stimmte m i t der früheren Auslegung des Begriffs der Handelsund Gewerbefreiheit durch das Bundesgericht 33 überein, das „jede menschliche Aktivität, die ein Gewinnstreben beinhaltet" unter den Begriff faßt. Dem hat sich Bonhôte 34 angeschlossen. Allein, die Handels- und Gewerbefreiheit zielt gerade auf die Förderung von Handel und Gewerbe als selbständige Tätigkeit. Der Versuch, das Freiheitsrecht auf Verbraucher und Arbeitnehmer auszudehnen, muß schon daran scheitern. Daher ist das Bundesgericht 35 von dieser Rechtsprechung abgegangen, und die h. M. 3 6 i n der Literatur ist i h m insoweit gefolgt. Aus A r t . 31 Abs. 1 B V ist also eine verfassungsmäßige Garantie des Streikrechts oder des Instituts des Streiks nicht abzuleiten. c) A r t . 3 4 t e r A b s . 2 B V Als eine A r t . 56 B V absichernde Vorschrift kann man A r t . 34ter Abs. 2 B V ansehen, der die Zuständigkeitsvorschrift des A r t . 34ter Abs. 1 B V ergänzt: „Die Allgemeinverbindlicherklärung gem. lit. c ist nur für Sachgebiete, welche das Arbeitsverhältnis betreffen und nur dann zulässig, wenn die Regelung begründeten Minderheitsinteressen und regionalen Verschiedenheiten angemessen Rechnung trägt und die Rechtsgleichheit sowie die Verbandsfreiheit nicht beeinträchtigt."

Auch wenn dem zweiten Absatz des A r t . 34ter B V der Inhalt einer Präzisierung der Vereinigungsfreiheit gegeben werden müßte, berührt 32

Urt. v. 14.10.1899 BGE 25 I I , 792 (802), — V I I N° 96. Urt. v. 11. 4. 1924 BGE 50 I, 168 (173) — N° 32; Urt. v. 1. 12. 1933 BGE 59 1,189 (993); vgl. Fleiner-Giacometti, a. a. O., S. 282. 34 Diss., S. 171. 35 Urt. v. 12. 11. 1937 BGE 63 I 225 (229) — N° 44; Urt. v. 4. 3. 1938 BGE 64 I 16(25)—N° 3. 38 Berenstein, Le droit de grève dans la législation suisse, S. 36; Madjidi t Diss., S. 44 f.; Fleiner-Giacometti, a. a. O., S. 283. 38

1. Kapitel: Streik

207

er das Streikrecht nicht. Es ist nämlich, wie w i r gesehen haben, i n der Vereinigungsfreiheit (Verbandsfreiheit) nicht enthalten. 2. Politische Streiks Selbst die Autoren, die der Bundesverfassung ein Streikrecht zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen entnehmen zu können glauben, lehnen Streiks gegen den Staat, also politische Streiks, ab 37 . Es sei rechtswidrig, auf die staatlichen Organe Druck auszuüben. Die streikenden Gewerkschaften seien damit Vereinigungen, die sich rechtswidriger oder staatsgefährlicher ( = staatsgefährdender) M i t tel bedienten und dadurch den Rahmen der Vereinigungsfreiheit verließen. Dieses Ergebnis ist folgerichtig. Die Meinung, die eine Verfassungsgarantie des arbeitsrechtlichen Streiks — zu Recht — ablehnt, kommt zu demselben Ergebnis durch A b leitung m i t dem arg. a maiore ad minus: Sind schon arbeitsrechtliche Streiks, die die staatliche Rechtsordnung achten, durch die Bundesverfassung nicht geschützt, so können politische Streiks, die die von der Verfassung vorgesehene Herrschaftsausübung durch Druck auf Staatsorgane stören, erst recht nicht erlaubt sein. Streiks von Bundesbeamten, die sich zwangsläufig gegen den Staat richten, werden allgemein 38 abgelehnt. I I . Gewohnheitsrechtliche Garantie des Rechts auf arbeitsrechtlichen Streik

Die Schweiz ist dem Abkommen über die europäische Sozialcharta bisher noch nicht beigetreten. Das dort gewährte Streikrecht gilt also nicht für die Arbeitnehmer der Eidgenossenschaft. Es wurde aber i n der Schweiz i n nahezu jedem Jahr, wenn auch nur von wenigen, gestreikt. Rechtsprechung und Literatur bezweifeln, wie ausgeführt, nicht, daß den schweizerischen Arbeitnehmern ein Streikrecht oder zumindest die Freiheit zu arbeitsrechtlichen Streiks zusteht 39 . Das Institut des Streiks und das Recht der Arbeitnehmer auf die Durchführung von Arbeitskämpfen sind gewohnheitsrechtlich anerkannt. Es liegen sowohl die opinio necessitatis als auch der ständige Brauch — usus 87

Vgl. statt aller Berenstein, Le droit de grève dans la législation suisse, S. 37 f. 88 Ein Streikverbot findet sich in Art. 23 d. Bundesgesetzes über das Dienstverhältnis der Bundesbeamten vom 30. 6. 1927 AS 1927 (39), S. 442. Zu den Rechten der Bundesbeamten vgl. Bridel, Précis de droit const. 2. Teil, S. 161 ff. und Berenstein, La grève et le service public, S. 325. 39

Gysin, a.a.O., S. 3.

2 0 8 4 . Teil: Streik und Staatsnotstand nach schweizerischem Recht — als Voraussetzungen der Entstehung von Gewohnheitsrecht vor 4 0 . Gysin 4 1 formuliert: „Die Rechtsordnung hat — ohne indessen ein besonderes Kollektivrecht zu schaffen, kollektive Wirtschaftskämpfe und später auch Arbeitskämpfe als rechtmäßige M i t t e l zur Lösung von Streitigkeiten zugelassen." Auch das Bundesgericht 42 geht von der Zulässigkeit von arbeitsrechtlichen Streiks aus, ohne zu der Frage näher Stellung zu nehmen 43 . I I I . Ergebnis

I n der Schweizerischen Bundesverfassung gibt es eine Garantie des Rechts auf Streik zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und W i r t schaftsbedingungen — arbeitsrechtlicher Streik — ebensowenig wie ein Recht auf politischen Streik. Auch eine verfassungsrechtliche Institutsgarantie des Streiks besteht nicht. Weder aus dem Vereinigungsrecht (Art. 56 BV) noch aus der Handels- und Gewerbefreiheit (Art. 31 BV) noch aus der Kompetenznorm des A r t . 34ter BV, die dem Bund weitgehende Befugnisse auf dem Gebiete des Arbeitsrechts einräumt, kann eine entsprechende Verfassungsgewährleistung hergeleitet werden. Ein auf Gesetzesebene statuiertes Streikrecht kennt das eidgenössische Recht ebenfalls nicht: — weder ist die Schweiz dem Abkommen über die europäische Sozialcharta beigetreten, — noch hat sie selbst eine gesetzliche Regelung geschaffen. Andererseits sind i n der Schweiz ein Recht auf arbeitsrechtlichen Streik und eine Garantie des Streiks als Institut gewohnheitsrechtlich anerkannt. Es ist jedoch praktisch wegen der arbeitskampfbeschränkenden Friedensabkommen von nicht allzugroßer Bedeutung. Staatliche und private Schlichtungsregelungen 44 dienen zur Lösung von Arbeitskonflikten. 40

Daß das Gewohnheitsrecht neben dem gesetzten Recht als Rechtsquelle anerkannt ist, wird heute kaum mehr bezweifelt — vgl. statt aller Huber, Recht und Rechtsverwirklichung, S. 205, 249, 421 f., 435 f. mit weit. Nachweisen; Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 230 ff.; Ruck, Schweizer. Staatsrecht, S. 216 ff. 41 a.a.O.,S.3. 42 Urt. v. 11. 11. 1919, BGE 45 I I , 555 (558/59) N° 83; Boykott als zulässiges wirtschaftliches Kampfmittel: B G Urteil v. 6.4.1943, BGE 69 I I 80 (82). 43 Zu gesetzlichen Einschränkungen von Arbeitskämpfen in der Schweiz vgl. Heither, a. a. O., S. 77. 44 Zusammenfassend: Heither, Kollektives Arbeitsrecht der Schweiz, 130 ff.; de Muralt, Diss., S. 113 ff.

2. Kapitel

Staatsnotstandsrecht A. Geschichtliche Entwicklung I . Bundesverfassung von 1848

Als sich immer deutlicher zeigte, daß der Bundesvertrag von 1815, i n dem sich die schweizerischen Kantone zu einem Staatenbund zusammengeschlossen hatten, den Bedürfnissen der Eidgenossenschaft nicht mehr genügte, wurde i n der Tagsatzung 45 am 17. J u l i 1832 beschlossen, den Bundesvertrag zu revidieren. Die von der Tagsatzung bestellte Kommission legte 1832 einen Entwurf einer Bundesverfassung vor, dem 1833 ein weiterer folgte. A r t . 51 des E 1832 lautete hinsichtlich der Pflichten und Befugnisse der Tagsatzung: „Sie trifft die erforderlichen Verfügungen zur Sicherstellung der Unabhängigkeit und Neutralität der Eidgenossenschaft i. S. ihrer unbedingten Handhabung und mit der Vermeidung alles dessen, was dieser Grundlage des Bundes Eintrag tun könnte."

Enthält dieser A r t i k e l auch keine ausdrückliche Erlaubnis zur Bekämpfung von äußeren Notstandsfällen, so hätte er doch bei entsprechend weiter Auslegung das Eingreifen des Parlaments i n Notstandslagen rechtfertigen können. Deutlicher .war der Entwurf i n A r t . 52 m hinsichtlich des inneren Notstands: „Die Tagsatzung handhabt die Ordnung i m Innern des Landes. Zu diesem Ende schreitet sie unbedingt ein, auf das Begehren der obersten Vollziehungsbehörde des betreffenden Kantons. Sie schreitet aber auch ein ohne Begehren desselben in folgenden Fällen: 1. Bei gemeingefährlichen Unruhen, die der Kanton nicht selbst zu beheben vermag. 2. Bei gewalttätigem Umsturz einer Kantonsregierung oder wenn diese überhaupt außerstande ist, die Hilfe des Bundes anzusprechen. 3. Wenn sich die Unruhen über zwei oder mehrere Kantone verbreiten." 45 Tagsatzung = Parlament des Staatenbundes, in dem die souveränen Kantone durch Abgeordnete vertreten waren. Vgl. § 8 Bundesvertrag von 1815.

14 Lohse

2 1 0 4 . Teil: Streik und Staatsnotstand nach schweizerischem Recht Beim inneren Notstand sollte sich also die Tagsatzung i n die Verhältnisse der betreffenden Kantone einmischen dürfen 48 . I m Entwurf 1833 wurde die Bestimmung des Art. 52 m E 1832 i n A r t . 47 h nur unwesentlich geändert. Weil die Kantone jedoch keine zu starke Zentralgewalt schaffen wollten, wurden die Entwürfe nicht Gesetz. Beachtlich erscheint jedoch eine Bemerkung bei den Verhandlungen i n der Tagsatzung zum Entw u r f 1832 anläßlich der Erörterung der Möglichkeit eines äußeren Angriffs 4 7 : „Es ist ungereimt, anzunehmen, daß der Bundesrat i m Angesichte einer drohenden inneren Gefahr untätig bleiben sollte, bis zum Eintreffen der Tagsatzung. Was soll man erst von einer solchen Ohnmacht bei einer plötzlichen Gefahr von außen halten? Haben w i r Männer, die das Land selbst gewählt hat, und die demselben verantwortlich sind, so dürfen w i r uns vor dieser Befugnis, die Bürger eines Staates unter die Waffen zu rufen, nicht bange sehen lassen. Den Vollziehungsbehörden die Hände zu binden, ist die schlechteste Vorsichtsmaßregel, die ein für seine Freiheit besorgtes Volk ergreifen kann." Bei den Beratungen der Tagsatzung zu dem Entwurf der /Bundesverfassung von 1848 wurde das Staatsnotstandsrecht nicht besonders erörtert. Die Bundesverfassung enthielt die Nummern 8, 9 und 10 des A r t . 90 48 , die sich m i t dem Notstand beschäftigten. „8. Er (der Bundesrat — der Verfasser 49 ) wahrt die Interessen der Eidgenossenschaft nach außen, wie namentlich ihre völkerrechtlichen Beziehungen, und besorgt die auswärtigen Angelegenheiten überhaupt. 9. Er wacht für die äußere Sicherheit, für die Behauptung der Unabhängigkeit und Neutralität der Schweiz. 10. Er sorgt für die innere Sicherheit der Eidgenossenschaft, für Handhabung von Ruhe und Ordnung." I n mehreren Notstandsfällen wurden von Bundesrat und Bundesversammlung 4011 von den Befugnissen des A r t . 90 B V 1848 Gebrauch gemacht, um innere oder äußere Notstände abzuwehren: 1. bei den Badener Wirren von 1849 — Vollmachtenbeschluß der Bundesversammlung vom 30. Juni 1849, Ergänzung vom 8. August 184950; 46

Vgl. Suter, Diss., S. 23, 27—33. Zit. nach Suter, Diss., S. 31. 48 Zit. nach Rappard, Die B V der Schweizer. Eidgen. 1848—1948, S. 487; zur rechtl. Entwicklung von 1848—1874 vgl. Manuel, Diss., S. 15 f. 49 Bundesrat = Bundesregierung, Art. 90 der B V 1848. 49a Als Legislative in dem neu geschaffenen Bundesstaat an die Stelle der Tagsatzung getreten. 50 Abgedruckt bei Suter, Diss., S. 36/37 und 47 f. 47

2. Kapitel: Staatsnotstandsrecht

211

2. während des Tessiner Streits m i t Österreich, Vollmachtenbeschluß vom 3. August 185351; 3. beim Neuenburger Handel 1856, Vollmachtenbeschluß vom 30. Dezember 185652; 4. während des oberitalienischen Krieges und i n der Savoyerfrage, Vollmachtenbeschlüsse vom 5. M a i 1859 und vom 4. A p r i l 186053; 5. während des preußisch-österreichisch-italienischen Krieges von 1866, Vollmachtenbeschluß vom 17. J u l i 186654; 6. zur Zeit des deutsch-französischen Krieges 1870/71. Vollmachtenbeschluß vom 16. J u l i 1870, ergänzt durch Beschluß vom 22. Dezember 187055. I I . Bundesverfassung von 1874

M i t der Bundesverfassung vom 29. Mai 187458, die i n der Schweiz noch heute gilt, fanden 1865 beginnende, zentralistische Revisionsversuche ihren Abschluß 57 . I n A r t . 89 Abs. 2 enthielt 5 8 die neue Bundesverfassung eine Regelung des Gesetzes- und des Beschlußreferendums, die nach Meinung von Suter 5 9 die Erteilung zu weitgehender Vollmachten für den Bundesrat durch die Bundesversammlung 60 zur Regelung von Notstandsfällen verhindern sollte: „Bundesgesetze sowie allgemein verbindliche Bundesbeschlüsse61, die nicht dringlicher Natur sind, sollen überdies 62 dem Volke zur Annahme oder Verwerfung vorgelegt werden, wenn es von 30 000 stimmberechtigten Schweizerbürgern oder von 8 Kantonen verlangt wird." 51

Suter, Diss., S. 52, BB1.1853 I I I , S. 351. Suter , Diss., S. 63 f.; Manuel, Diss., S. 17 BB1.1857 I, 7. Manuel , Diss., S. 17, BB1.1859 I, S. 529; 1860,1, S. 559. 54 Suter , Diss., S. 108 f., AS 1866 ( V I I I ) , S. 854. 55 BB1. 1870 I I I 5, BB1. 1871 I 59, aufgehoben durch Bundesversammlungsbeschluß vom 20. Juli 1871, BB1.1871 I I I 2. 56 Aus Gründen der Kontinuität der Bundesverfassung wird die Schaffung der Verfassung von 1874 (Annahme durch Volksabstimmung vom 19. April 1874) als Totalrevision der Verfassung von 1848 bezeichnet (vgl. Suter , Diss., S. 148). Es ist eine der Besonderheiten Schweizerischer Bundesverfassungen, daß in ihnen auch Bestimmungen über ihre Gesamterneuerung enthalten sind. Vgl. Art. 118—123 BV 1874. 57 Vgl. hinsichtlich der Einzelheiten Suter , Diss., S. 133—149. 58 Der Artikel ist inzwischen geändert worden. 59 Diss., S. 148. 60 Gesamtparlament der Schweiz, das sich aus zwei Kammern (Nationalrat und Ständerat) zusammensetzt. 61 Der formelle Gesetzesbegriff ist der Schweizerischen Verfassung fremd. Die Bundesversammlung bestimmt selbst, ob ihre Willensäußerung als Bundesgesetz, allgemeinverbindlicher Bundesbeschluß (möglich: Dringlichkeits52

53

1*

2 1 2 4 . Teil: Streik und Staatsnotstand nach schweizerischem Recht Es wurde auch das Institut des dringlichen, allgemeinverbindlichen Bundesbeschlusses eingeführt. Gegen diesen Beschluß war ein Referendum nicht zulässig. So wurde dem fakultativen Gesetzesreferendum und dem Beschlußreferendum des A r t . 89 B V ein Teil seiner Wirksamkeit genommen. Wollte die Bundesversammlung eine Bevollmächtigung des Bundesrates i m Notstandsfall dem Referendum entziehen, so brauchte sie nur — i n zu weiter, der ratio legis nicht entsprechender Auslegung 63 — dem Bundesrat eine unbeschränkte Vollmacht durch allgemeinverbindlichen, dringenden Bundesbeschluß zu erteilen. I n A r t . 89 bis BV, der i n der Volksabstimmung vom 11. September 1949 angenommen wurde, versuchte man eine Änderung zu schaffen. Sämtliche allgemein verbindlichen Bundesbeschlüsse wurden danach dem fakultativen Referendum unterworfen. Auffallend ist, daß auch i n dem neuen A r t i k e l 89 bis B V ausdrücklich von Staatsnotstandsrecht, Notrecht oder Notverordnungsrecht 64 nicht die Rede ist. Bevor nun einzelne A r t i k e l der Bundesverfassung daraufhin untersucht werden sollen, ob sie Staatsnotstandsregelungen enthalten, sollen historische Notstandsfälle aus der neueren Geschichte der Schweiz untersucht werden. I I I . Notstandsfall von 1914-1918

Als i m Herbst 1914 der erste Weltkrieg ausbrach, war nicht nur für die kriegführenden Mächte, sondern auch für die Schweiz eine Ausnahmesituation gegeben, die viele bisher unbekannte Schwierigkeiten m i t sich brachte 66 : Alle Nachbarstaaten der Schweiz befanden sich i m erklärung — Art. 89 bis Abs. 1 und 2 BV) oder einfacher Bundesbeschluß ergehen soll. Für generelle Verhaltensnormen ist grundsätzlich die Form des Bundesgesetzes geboten. Dieser Grundsatz wird jedoch häufig — und willkürlich — durchbrochen. Die Schweizerische Bundesverfassung kennt ein fakultatives Referendum auf der Gesetzgebungsstufe (Art. 89 Abs. 2 BV), ein obligatorisches Referendum bei Verfassungsänderungen (Bundesversammlung, Stände [ = Kantone] und Volk sind gemeinsam zuständig) sowie bei der Abstimmung über nicht auf die Verfassung gestützte Bundesbeschlüsse (Art. 89 bis Abs. 3 BV). Der einfache Bundesbeschluß wird in der Regel für Verwaltungs-Akte der Bundesversammlung (Erteilung von Konzessionen z. B.) und für Akte der Rechtsprechung, die im Kompetenzbereich der Bundesversammlung liegen, gebraucht. Er ist ebenso wie der Bundesratsbeschluß (Verordnung) dem Referendum entzogen. 02 Allgemein als „Muß"-Vorschrift angesehen, vgl. auch die Formulierung des heutigen Artikels 89 Abs. 2 BV und Art. 89 bis Abs. 2 BV. 68 So auch Giacometti, Verfassungsrecht und Verfassungspraxis, Festgabe für Fleiner, S. 49 ff.; Töndury, Diss., S. 102. 64 Zihlmann, Diss., S. 27. 86 Manuel, Diss., S. 21; Suter, Diss., S. 150.

2. Kapitel: Staatsnotstandsrecht

213

Kriegszustand. Die Schweiz mußte außergewöhnliche Maßnahmen zum Schutz ihrer Neutralität und zur Versorgung ihrer Bevölkerimg ergreifen. Durch den Bundesbeschluß vom 3. August 191466 betreffend die Maßnahmen zum Schutze des Landes und zur Aufrechterhaltung der Neutralität verlieh die Bundesversammlung dem Bundesrat unbeschränkte Vollmacht zur Durchführung aller Maßnahmen der Bekämpfung des Notstands. U m diese „Blanko-Vollmacht" nicht durch einen negativen Ausgang des fakultativen Referendums nach A r t . 89 Abs. 2 B V zu gefährden, wurde er i n die Form des dringlichen Bundesbeschlusses gekleidet. Rechte, die i n der Bundesverfassung Bürgern, Vereinigungen und Kantonen garantiert waren, konnten nun durch Notverordnungen des Bundesrats, die auf den Vollmachtenbeschluß gestützt wurden, suspendiert werden 87 . Der Bundesbeschluß von 1914 bildete den Anfang des Vollmachtenregimes i n der Schweiz 68 . Allein, trotz der Gewährimg unbeschränkter Vollmachten an den Bundesrat versagte die Bundesversammlung es sich nicht, dem Bundesrat zur legislativen Regelung anvertraute Materien selbst zu ordnen. Die Kammern nahmen i n geringem Umfang während des ganzen Krieges ihre legislativen Befugnisse wahr, teils i m Wege des normalen Gesetzgebungsverfahrens, teils durch Erlaß allgemeinverbindlicher, dringlicher Bundesbeschlüsse, die dem Referendum entzogen waren 6 9 . 68 AS 1914 (30) 347. Er enthielt u. a. folgende Regelungen: „Art. 1. Die schweizerische Eidgenossenschaft erklärt ihren festen Willen, in den bevorstehenden kriegerischen Ereignissen ihre Neutralität zu wahren. Der Bundesrat ist ermächtigt, die Neutralitätserklärung in einer angemessenen Kundgebung den kriegführenden Staaten und den Mächten, welche die Neutralität der Schweiz und die Unverletzbarkeit ihres Territoriums anerkannt haben, zur Kenntnis zu bringen." (Artikel 2: Truppenaufgebot). „Art. 3: Die Bundesversammlung erteilt dem Bundesrate unbeschränkte Vollmacht zur Vornahme aller Maßnahmen, die für die Behauptung der Sicherheit, Integrität und Neutralität der Schweiz und zur Wahrung des Kredites und der wirtschaftlichen Interessen des Landes, insb. auch zur Sicherung des Lebensunterhaltes erforderlich werden." (Art. 4: Krediteinräumung für den Bundesrat). (Art. 5: Rechenschaft des Bundesrates gegenüber der Bundesversammlung über den Gebrauch der Vollmachten). „Art. 6: Gegenwärtiger Bundesbeschluß wird dringlich erklärt und tritt sofort in Kraft." 87 Die meisten Notverordnungen ergingen auf dem Gebiete des Polizeirechts, Töndury, Diss., S. 101; Zoller , Diss., S. 10 ff.; Ballreich , Das Staatsnotrecht in der Schweiz, S. 193 ff. 88 Suter, Diss., S. 151; vgl. auch Reber , Diss., S. 13 f.; Hoerni, Diss., S. 54 ff. 69 Z. B. Bundesbeschluß vom 22. Dezember 1914 über die Abänderung des Bundesgesetzes über die Bundesbahntarife (AS 1914 [30], 684), weitere Beispiele bei Manuel, Diss., S. 23; vgl. auch Ballreich, a. a. O., S. 197 f.

2 1 4 4 . Teil: Streik und Staatsnotstand nach schweizerischem echt Bestanden so rechtlich und praktisch zwei gesetzgebende Körperschaften, mußte ihr Verhältnis zueinander geregelt sein. Nach A r t . 71 B V w i r d die oberste Gewalt des Bundes unter Vorbehalt der Rechte des Volkes und der Kantone durch die Bundesversammlung ausgeübt. Diese i n Friedenszeiten bestehende Überordnung der Bundesversammlung über den Bundesrat, der nach A r t . 95 die oberste vollziehende und leitende Behörde der Eidgenossenschaft ist, wurde auch i m Notstandsfall aufrechterhalten, wie die Ausübung der Oberaufsicht nach A r t . 85 Nr. 10, 11 und 12 B V und die Prüfung der Berichte des Bundesrates zeigen 70 . Erst i m Jahre 1921 wurde der Vollmachtenbeschluß aufgehoben 71 , nachdem der Bundesrat i n einem Bericht vom 18. Dezember 191872 die Aufrechterhaltung seiner außerordentlichen Vollmachten beansprucht hatte. I V . Generalstreik von 1918 und Krisenrecht der 30er Jahre

Anläßlich des Generalstreiks i m November 1918 machte der Bundesrat von den außerordentlichen Vollmachten Gebrauch 73 . Infolge mangelnder Vorsorge und langer Kriegsdauer war i n der Schweiz bei Grundnahrungsmitteln und Hausbrandkohle eine schlechte Versorgungslage eingetreten. Der Lebenshaltungskostenindex war von 100 (1914) auf 220 Punkte (1918) gestiegen. Unter dieser Notlage litten die Lohnarbeiter mangels finanzieller Rücklagen am meisten. Als die wirtschaftliche Depression 1918 zu Arbeitslosigkeit führte, verloren viele ihre Arbeitsplätze. Die Unzufriedenheit der Arbeitnehmer steigerte sich noch, als am 6. Februar 1918 Truppen (6000 Mann) ausgehoben wurden, u m ein Zivildienstgesetz durchzusetzen, das i m Winter 1917 aufgrund der außerordentlichen Vollmachten vom Bundesrat erlassen worden war 7 4 . Daraufhin versammelten sich i n Ölten Gewerkschafts- und Sozialistenführer. Sie protestierten gegen das gegen die Arbeiter gerichtete Truppenaufgebot und ermahnten i n einer Resolution die Arbeiter zur Wachsamkeit und zur Vorbereitung auf einen Generalstreik. Die Konferenz wählte eine Kommission, das „Aktionskomitee von Ölten", das aus 8 Mitgliedern und dem Vorsitzenden Robert Grimm bestand. I n einigen Presseorganen erhielt es bald den 70 Manuel, Diss., S. 24 ff., berichtet von Spannungen zwischen dem Bundesrat und der Bundesversammlung wegen ihrer Legislativfunktionen. 71 Suter, Diss., S. 151; Manuel, Diss., S. 27 f. 72 BB1.1918 V, S. 733. 78 Zu Entstehungsgründen und Ablauf des Streiks vgl. Perrin, in Rss. 1958, S. 331—347. 74 Perrin, a. a. O., S. 336.

2. Kapitel: Staatsnotstandsrecht

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Beinamen „Sowjet von Ölten". Das Komitee arbeitete ein 15-PunkteWirtschaftsprogramm aus, das dem Bundesrat vorgelegt wurde. Der Bundesrat prüfte das Dokument zwar, erhöhte aber dennoch den Milchpreis entgegen dem Vorschlag des Programms beträchtlich. Ein Arbeiterkongreß i n Basel entwarf daraufhin ein umfassendes Programm m i t wirtschaftlichen, sozialen und politischen Forderungen. Sie blieben unerfüllt. Nach einem Untersuchungsbericht des eidgenössischen Generals Wille anläßlich eines Streiks von 2000 Bankangestellten i n Zürich ließ der Bundesrat aufgrund seiner außerordentlichen Vollmachten erneut Truppen ausheben. Der Bundesratsbeschluß wurde i n der Nacht vom 5. auf den 6. November 1918 gefaßt 75 . Dieses 8000 Mann starke, aus Luzernern und Thurgauern bestehende Kontingent, das angeblich dazu dienen sollte, übergetretene österreichische Truppen zu entwaffnen, wurde sofort nach Zürich verlegt. Nach langen Debatten unter den Gewerkschafts- und Sozialistenführern wurde für den 9. November ein 24stündiger Proteststreik i n 19 größeren Städten der Schweiz beschlossen. Der Streik wurde durchgeführt und i n der deutschen Schweiz weitgehend befolgt. I n Zürich ging das M i l i t ä r gegen die Streikenden vor. A m 10. November sollten Feiern zum Jahrestag der russischen Oktoberrevolution i n Zürich stattfinden. Sie wurden vom Standortkommandanten, Oberst Sonderegger, verboten. Als die Menge, die von dem Verbot keine Kenntnis hatte, sich dennoch versammelte, wurde sie vom M i l i t ä r auseinandergetrieben. Bundespräsident Calouder hatte sich vorher i n Verhandlungen m i t dem Aktionskomitee geweigert, das Verbot der Versammlung aufzuheben. Obgleich die Kantonsregierung der A r beiterunion Konzessionen versprach, wurde i n Zürich vom Aktionskomitee der Generalstreik m i t dem Ziel, die Truppen zum Abzug zu bringen und weitergehende politische und wirtschaftliche Forderungen durchzusetzen, beschlossen. Er sollte vom 11. November um Mitternacht bis zum 15. November dauern. Aufgrund der außerordentlichen Vollmachten griff der Bundesrat nun zum M i t t e l der Mobilisierung der gesamten Kavallerie und von 5 Divisionen Infanterie und Feldartillerie. Ein Bundesratsbeschluß verbot Eisenbahnern und Beamten, sich am Streik zu beteiligen. Die Eisenbahner wurden dienstverpflichtet. Erst nach ihrer Vollziehung wurden diese Bundesratsbeschlüsse dem Parlament unterbreitet, das sie b i l ligte 7 6 . Von 400 000 i n Frage kommenden Arbeitern, Angestellten und Beamten beteiligten sich 250 000 am Generalstreik. Aufgrund eines U l t i 75 76

Petrin , in Rss. 1958, S. 338. Perrin , a. a. O., S. 343.

2 1 6 4 . Teil: Streik und Staatsnotstand nach schweizerischem Recht matums der Regierung, den Generalstreik einzustellen, erging ein Beschluß des Aktionskomitees (Nacht vom 14. auf den 15. November), die Arbeit am 16. November morgens wieder aufzunehmen. I n einem Militärgerichtsverfahren vom 12. März bis 4. A p r i l 1919 wurden fünf Mitglieder der Streikleitung zu Gefängnisstrafen verurteilt. Anläßlich des Generalstreiks hatte der Bundesrat aufgrund der außerordentlichen Vollmachten eine Verordnung erlassen, die die Bestrafung von streikenden Beamten vorsah. Beamte, Angestellte und A r beiter der Bundesverwaltung (mit Einbeziehung der Nationalbank), die an einer Arbeitseinstellung teilnahmen, konnten m i t Gefängnis bis zu einem Jahr oder m i t Buße bis zu 1000 sfr bestraft werden, A r t . 2 der Verordnung 7 7 . Die Verordnung wurde 1922 wieder aufgehoben. Die kurze Übersicht über die Antistreikmaßnahmen des Bundesrates macht klar, daß durch diese Notrechtsmaßnahmen das Ende des Generalstreiks erzwungen wurde. Ohne Einwilligung des Parlamentes wurde von der Exekutive ein innerer Notstand bekämpft. Die parlamentarische Genehmigung ändert daran nichts. Durch die mangelnde wirtschaftliche Stabilität der Nachkriegszeit wurden Finanz- und Firmenkrisen und eine beträchtliche Arbeitslosigkeit hervorgerufen. Zum Schutz der innerschweizerischen Produktion und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ermächtigte die Bundesversammlung unter Verstoß gegen A r t . 31 B V (Handels- und Gewerbefreiheit) den Bundesrat, zeitweilig i m Verordnungsweg Maßnahmen zur Einfuhrdrosselung zu ergreifen 78 . Weitergehende dirigistische Maßnahmen traf der Bundesrat nach 1931 aufgrund mehrerer Bundesbeschlüsse, die i h m umfassende Vollmachten gaben7®. I n dem Bundesbeschluß vom 29. September 193680 wurde bestimmt, daß der Bundesrat i n extremen Dringlichkeitsfällen vor dem Beschluß der Bundesversammlung außerordentliche, die Wirtschaft betreffende Maßnahmen ergreifen könne, die nicht i n Gesetzen oder i n dringlichen Bundesbeschlüssen vorgesehen seien. Alle diese Bundesbeschlüsse wurden durch die Dringlichkeitsklausel dem Referendum entzogen. 77

Schlatter, Diss., S. 42. Dringlicher Bundesbeschluß vom 18. Februar 1921 (AS 1921 [37] 130). 79 Dringlicher Bundesbeschluß vom 23.12.1931. AS 1931 (37) 799; Bundesbeschluß vom 30. 9. 1932 AS 1932 (48), 504; dringlicher Bundesbeschluß vom 14. Oktober 1933 AS 1933 (49), 831; dringlicher Bundesbeschluß vom 20. 7. 1936 AS 1936 (52) 523; Kuhn, GMH1960, S. 489: verfassungswidrige Beschlüsse. 80 „Über außerordentliche Maßnahmen wirtschaftlicher Art", AS 1936 (52) 773, 78

2. Kapitel: Staatsnotstandsrecht

217

Auch die Finanzprogramme von 1933 und 1936 wurden durch dringliche, allgemeinverbindliche Bundesbeschlüsse eingeleitet und auf Grund der i n ihnen enthaltenen Richtlinien durchgeführt 81 . Entgegen der Bundesverfassung (Art. 42) wurde eine direkte Bundessteuer (Krisensteuer genannt) eingeführt, später eine ebenfalls verfassungswidrige Getränkesteuer. Nach A r t . 53 des Bundesbeschlusses von 1936 erhielt der Bundesrat das Recht, alle Maßnahmen, die er „zur Erhaltung des nationalen Kredits für notwendig hielt", zu ergreifen. Über die ergriffenen Maßnahmen war lediglich ein Bericht i n der nächsten Sitzungsperiode der Bundesversammlung vom Bundesrat vorzulegen (Art. 53 Abs. 2 des Bundesbeschlusses). Während der Wirtschaftskrise wurden also Notstandsmaßnahmen aufgrund verfassungswidriger Beschlüsse der Bundesversammlung getroffen. Wie 1914 überschritt die Bundesversammlung ihre Zuständigkeit, indem sie die Befugnis zu legiferieren auf den Bundesrat i n einem Umfang übertrug, i n dem sie sie selbst nach der Verfassung nicht besaß. I m Unterschied zu 1914 wurden aber nur zeitlich begrenzte Vollmachten eingeräumt 82 . Daß diese Vollmachten i n einer Zeit eingeräumt wurden, i n der die Schweiz einer äußeren Bedrohung nicht ausgesetzt war, kennzeichnet sie als besonders schwerwiegende Verfassungsdurchbrechungen. Ohne daß der Text der Bundesverfassung geändert worden wäre, hatte der Bundesrat die Kontrolle über die nationale Wirtschaft erhalten. Art. 31 B V war nur noch eine gedruckte Formel 8®. V. Notstandsfall von 1939-1945

1. Beschluß der Bundesversammlung und Setzung von Notrecht durch den Bundesrat Wie 1914 erging am 30. August 1939 bei Ausbruch des 2. Weltkrieges ein Vollmachtenbeschluß der Bundesversammlung 84 . Auch hierin wurde der Bundesrat ermächtigt und beauftragt, alle erforderlichen 81 Dringlicher Bundesbeschluß vom 13. 10. 1933 AS 1933 (49), 859; dringlicher Bundesbeschluß vom 31. 1. 1936 AS 1936 (52) 17; vgl. dazu Ruck , Schweizer. Staatsrecht, S. 285; derselbe, Schweizer. Verwaltungsrecht I I , S. 115. 82 Vgl. im einzelnen Manuel , Diss., S. 30—34. 88 Suter , Diss., S. 151 f., dessen Behauptung, alle diese dringlichen Bundesbeschlüsse, hätten sich auf den Vollmachtenbeschluß von 1914 gestützt (S. 151), allerdings unzutreffend ist. Der Beschluß war bereits 1921 aufgehoben worden. Vgl. Manuel, Diss., S. 28. 84 AS 1939 (55), 769, abgedruckt auch bei Zihlmann, Diss., S. 96 f.; Manuel, Diss., S. 36. Inhalt: (Art. 1: Neutralitätserklärung) (Art. 2: Truppenaufgebot) „Art. 3: Die Bundesversammlung erteilt dem Bundesrat Vollmacht und Auftrag, die zur Behauptung der Sicherheit, Unabhängigkeit und Neutralität der

2 1 8 4 . Teil: Streik und Staatsnotstand nach schweizerischem Recht Maßnahmen zur Überwindung der Notlage zu treffen. I m Unterschied zu dem Vollmachtenbeschluß von 1914 ließ die Bundesversammlung hier die Dringlichkeitsklausel fort und erließ auch keinen allgemeinverbindlichen Bundesbeschluß, der dem Referendum unterfallen wäre. Sie vertrat die Ansicht, der Vollmachtenbeschluß sei ein Notrechtserlaß sui generis, der nicht auf die Verfassung gestützt werden könne 85 . Die Bundesversammlung ließ hier erkennen, daß sie nicht mehr i n Übereinstimmung m i t der Verfassung handelte, diese also verletzte 86 . Nachdem hier der Notrechtsträger (Bundesversammlung) i m Rahmen eines Ermessensspielraumes, den er sich selbst eingeräumt hatte, die Existenzbedrohung für den Staat (Staatsnotstandsfall) für eingetreten erachtete, übertrug er der Exekutive unbeschränkte Vollmacht zur Lösung der Krisenprobleme. Daraufhin erließ der Bundesrat einschneidende Maßnahmen. Hunderte von Vollmachtsverordnungen und Vollmachten-Verfügungen ergingen während des Krieges. Sie „bewirkten i m sozialen Körper des Staates die mannigfaltigsten Strukturverschiebungen" 87 . Diese Verordnungen waren vom Stempel des Zentralismus, der verstärkten Einmischung des Staates i n die Wirtschaft und der Einschränkung der individuellen Freiheitsrechte geprägt 88 . Einige Beispiele: 1. Aufhebung des Post- und Fernmeldegeheimnisses i n Verletzung des A r t . 36 Abs. 4 B V durch VO v. 22. September 1939 (AS 1939 [55], 1115), 2. Beschluß des Bundesrates vom 9. Februar 1940 über die Evakuierung der Zivilbevölkerung i m Kriegsfall entgegen A r t . 45 B V (AS 1940 [56] 168), Schweiz, zur Wahrung des Kredites und der wirtschaftlichen Interessen des Landes und zur Sicherung des Lebensunterhalts erforderlichen Maßnahmen zu treffen." (Art. 4: Kostendeckung). „Art. 5: Der Bundesrat hat der Bundesversammlung jeweils auf die Juniund die Dezembersession hin über die von ihm in Ausführung dieses Beschlusses getroffenen Maßnahmen Bericht zu erstatten. Die Bundesversammlung entscheidet darüber, ob diese Maßnahmen weiter in Kraft bleiben sollen. Art. 6: Die beiden Räte bestellen ständige Kommissionen zur Vorberatung der Berichte des Bundesrats. Der Bundesrat hat womöglich wichtige Maßnahmen vor dem Erlaß den beiden Kommissionen zur Begutachtung vorzulegen. Art. 7: Dieser Bundesbeschluß tritt sofort in Kraft." 85 Vgl. Marti, Habil., S. 43 ff. und Sten.Bull. NR 1939, S. 521 ff. und Sten. Bull. StR 1939, S. 544 ff. 88 So auch: Suter, Diss., S. 153; Manuel, Diss., S. 37. 87 Zihlmann, Diss., S. 87; Manuel, Diss., S. 38: Sie bildeten zusammen eine wahre Gesetzgebungseinheit (véritable législation). 543 Beschlüsse wurden zwischen dem 1. September 1939 und dem 30. September 1945 (BB1. 1945 I I , S. 529) aufgrund der außerordentlichen Vollmachten vom 30. August 1939 getroffen. Dazu kamen noch die Ministerialverordnungen, besonders die des Wirtschaftsdepartements. 88 Nachweise bei Manuel, Diss., S. 39—43.

2. Kapitel: Staatsnotstandsrecht

219

3. Verordnung über den obligatorischen Arbeitsdienst vom 2. September 1939 (AS 1939 [55] 845), 4. Verordnung über die Lebenshaltungskosten und Marktschutzmaßnahmen vom 1. September 1939 (AS 1939 [55] 825) und 5. Bundesratsbeschluß über die Strafkommissionen vom 1. September 1939 (AS 1939 [55] 853). Der Beschluß schuf Ausnahmegerichte, deren Mitglieder vom Bundesrat bestimmt wurden. Sie hatten Verletzungen von Verordnungen, deren Ausführung dem Wirtschaftsdepartement übertragen war, abzuurteilen. Dabei konnten sie Geldstrafen verhängen. Ordentliche Gerichte konnten gegen ihre Entscheidung nicht angerufen werden. Wie nach 1914 bestand neben dieser Ausnahmegesetzgebung durch die Exekutive die ordentliche Gesetzgebung fort. Wieder gab es einen Gesetzgebungsdualismus 89 . Besser als 1914 hatte die Bundesversammlung in dem Vollmachtenbeschluß von 1939 der Unterordnung der legislativen Tätigkeit der Exekutive unter das Parlament Ausdruck verliehen — Art. 5 S. 2 des Vollmachtenbeschlusses. Es ist aber nicht zu verkennen, daß — sei es aus Furcht, die Handlungsfähigkeit der Regierung in Notzeiten zu schwächen, sei es aus Gründen der Demonstration nationaler Einheit oder aus anderen Motiven der Staatsräson — die Bundesversammlung dem Bundesrat für die Ergreifung aller Notstandsmaßnahmen praktisch freie Hand ließ. 2.

Abbau der Notmaßnahmen

nach 1945

Schon 1945 erging ein Bundesbeschluß über den Abbau der außerordentlichen Vollmachten des Bundesrates 90 . Obgleich nach diesem Beschluß die Mehrzahl der Vollmachtenverordnungen aufgehoben wurde, haben sich Spuren des Notrechts erhalten. „ Z u innig sind manche not89

Manuel , Diss., S. 44—55; a. A. Giacometti , Das Vollmachtenregime der Eidgenossenschaft, S. 18—20. Seine Meinung, alle Gesetzgebungszuständigkeit habe beim Bundesrat gelegen, wird jedoch durch den Wortlaut des Art. 5 des Vollmachtenbeschlusses von 1939 und durch die Tatsache widerlegt, daß das Parlament von 1939—1945 23 dringliche Bundesbeschlüsse faßte. Vgl. Antognini in StenProtStR 1949, S. 34. 90 Abgedruckt bei Zihlmann , Diss., S. 97/98. Inhalt: „Art. 1: Die Art. 3 und 4 des Bundesbeschlusses vom 30. August 1939 über Maßnahmen zum Schutze des Landes und zur Aufrechterhaltung der Neutralität werden aufgehoben. Art. 2: Die, gestützt auf Art. 3 des Bundesbeschlusses vom 30. August 1939 erlassenen Beschlüsse hat der Bundesrat ganz oder teilweise aufzuheben oder einzuschränken, sobald die Verhältnisse es erlauben. Der Bundesversammlung bleibt überdies vorbehalten, diejenigen Beschlüsse zu bezeichnen, deren Aufhebung oder Einschränkung sie verlangt. Art. 3: Der Bundesrat bleibt ermächtigt, ausnahmsweise Maßnahmen zu treffen, die zur Sicherheit des Landes, zur Wahrung seines Kredites und seiner

2 2 0 4 . Teil: Streik und Staatsnotstand nach schweizerischem Recht rechtlichen Einrichtungen m i t dem Staatsgefüge verflochten, zu sehr hat sich manches i m Laufe der Zeit eingelebt und ist zum tragenden Gebälk der politischen und sozialen Ordnimg geworden" 91 . Mehrere Vollmachtenbeschlüsse wurden so wegen „praktischer Dringlichkeit" i n K r a f t gelassen92. B. Geltendes Recht I. Notstandsrecht intra constitutionem

Die schweizerische Bundesverfassung enthält keine ausdrücklichen Staatsnotstandsregelungen. Notstandsnormen könnten aber einigen A r tikeln durch Auslegung zu entnehmen sein 98 . 1.

Art 2 BV als Staatsnotstandsregelung

„Art. 2 BV: Der Bund hat zum Zweck: Behauptung der Unabhängigkeit des Vaterlandes gegen außen, Handhabung von Ruhe und Ordnung im Innern, Schutz der Freiheit und der Rechte der Eidgenossen und Beförderung ihrer gemeinsamen Wohlfahrt."

Nach Meinung von v. Waldkirch 9 4 , Burckhardt 9 5 und Schindler 98 ist der Bestand der Eidgenossenschaft i n A r t . 2 B V geschützt. Er sei Voraussetzung für die Erreichung des Bundeszwecks. Diese Feststellung b i l det bei den genannten Autoren die Grundlage für folgende Erwägung: Gesetze und selbst Verfassungssätze müssen zurücktreten, wenn sie m i t dem obersten Staatsziel, der Behauptung der Unabhängigkeit und des Bestands der Eidgenossenschaft nicht in Einklang stehen. Verfassung und Gesetze sind dem Bundeszweck als oberstem Verfassungszweck untergeordnet. Bei Entstehen einer Notlage durch außerordentliche Ereignisse erfordert der Zweck des Bundes, daß die Notlage möglichst bald und gründlich beseitigt wird. Daher müssen Bundesverwirtschaftlichen Interessen, sowie zur Sicherung des Lebensunterhalts unumgänglich notwendig sind und entweder nur vorübergehend gelten sollen oder wegen ihrer Dringlichkeit nicht auf dem Wege der ordentlichen Gesetzgebung getroffen werden können..." (Art. 4: Bericht) „Art. 5: Dieser Bundesbeschluß tritt sofort in Kraft." 91 Zihlmann, Diss., S. 87 f. 92 Dazu näher: Zihlmann, Diss., S. 89—94. 93 Zihlmann, Diss., S. 28, der diesen Versuch für eine Folge „konstitutionellen Rechtsdenkens" hält. Dabei wird jedoch übersehen, daß Auslegung von Gesetzestexten der Rechtsanwendung geschriebenen Redits seit jeher eigen ist. So auch Manuel, Diss., S. 95 ff. 94 v. Waldkirch, Diss., S. 34 ff. 95 Kommentar, S. 670. 96 Notrecht und Dringlichkeit, S. 8 ff. (34).

2. Kapitel: Staatsnotstandsrecht

221

Sammlung und Bundesrat — notfalls gegen die Regelung i n der Verfassimg — Rechtssätze zu der Erhaltung des Bestands des Staates und zur Beseitigung der Notlage aufgrund des A r t . 2 B V 9 7 erlassen können. Diese Argumentation überzeugt nicht. Weder A r t . 2 noch ein anderer A r t i k e l enthält den Hinweis, daß A r t . 2 B V anderen Verfassungsnormen übergeordnet sein soll. Der A r t i k e l ist zu unbestimmt gefaßt, als daß er eine konkrete Notstandskompetenz enthalten könnte. Er nennt den Zweck des Bundes und ist insoweit Programmsatz. Von vielen Autoren w i r d i h m daher jede Rechtswirkung abgesprochen 98. Das Verhältnis von A r t . 2 B V zu den folgenden A r t i k e l n ist nach Suter 99 , auch wenn man i h m eine Rechtswirkung zuerkennen könne, als das Verhältnis von lex generalis zu lex specialis anzusehen. Aus diesen Gründen kann eine Regelung von Staatsnotstandsfällen i n Art. 2 B V nicht enthalten sein 100 . 2. Art. 85,102 BV als Grundlage für

Notstandsmaßnahmen?

Neben der Ableitung des Staatsnotstandsrechts aus A r t . 2 B V wollen v. Waldkirch und Burckhardt Kompetenzen von Bundesversammlung und Bundesrat zu Notstandsmaßnahmen A r t . 85 N° 6,7 und 8 und A r t . 102 Abs. 1 N° 2,8, 9, und 10 B V entnehmen: „Art. 85: Die Gegenstände, welche in den Geschäftskreis beider Räte fallen, sind insbesondere folgende: No 6. Maßregeln für die äußere Sicherheit, für Behauptung der Unabhängigkeit und Neutralität der Schweiz, Kriegserklärungen und Friedensschlüsse. No 7. Garantie der Verfassungen und des Gebietes der Kantone; Intervention infolge der Garantie; Maßregeln für die innere Sicherheit, für Handhabung von Recht und Ordnung; Amnestie und Begnadigung. No 8. Maßregeln, welche die Handhabung der Bundesverfassung, die Garantie der Kantonalverfassungen, die Erfüllung der bundesmäßigen Verpflichtungen zum Zwecke haben." „Art. 102 Abs. 1 : Der Bundesrat hat innert den Schranken der gegenwärtigen Verfassung vorzüglich folgende Befugnisse und Obliegenheiten: No 2. Er hat für Beobachtung der Verfassung, der Gesetze und Beschlüsse des Bundes sowie der Vorschriften eidgenössischer Konkordate zu wachen; er trifft zur Handhabung derselben von sich aus oder auf eingegangene Beschwerde, soweit die Beurteilung solcher Rekurse nicht nach Art. 113 dem Bundesgerichte übertragen ist, die erforderlichen Verfügungen. 97 Der Bundeszweck bildet nach Schindler, a. a. O., „den perspektivischen Punkt, auf dem diese (die einzelnen Verfassungsbestimmungen mit nur relativem Eigenwert — der Verfasser) konvergieren". 98 Vgl. Zihlmann, Diss., S. 28, mit weiteren Nachweisen. 99 Suter, Diss., S. 10 mit weiteren Nachweisen. 100 h. M. vgl. u. a. Zihlmann, Diss., S. 32; Suter, Diss., S. 9 und Manuel, Diss., S. 104.

2 2 2 4 . Teil: Streik und Staatsnotstand nach schweizerischem Recht No 8. Er wahrt die Interessen der Eidgenossenschaft nach außen, wie namentlich ihre völkerrechtlichen Beziehungen und besorgt die auswärtigen Angelegenheiten überhaupt. No 9. Er wacht für die äußere Sicherheit, für die Behauptung der Unabhängigkeit und Neutralität der Schweiz. No 10. Er sorgt für die innere Sicherheit der Eidgenossenschaft, für Ruhe und Ordnung."

Burckhardt und v. Waldkirch argumentieren 101 : Die Sorge u m die innere und äußere Sicherheit, die Unabhängigkeit und Neutralität der Schweiz, u m Ruhe und Ordnung habe die Bundesversammlung und den Bundesrat zu den Notstandsvollmachten, Notstandsverordnungen und Nostandsverfügungen veranlaßt und berechtigt. Wenn Bundesorgane, wie Bundesversammlung und Bundesrat, alle Vorkehrungen treffen könnten, die für die Erhaltung des Staates i n Krisenzeiten nötig seien, müßten sie auch über die Schranken des Gesetzes- und des Verfassungsrechts hinausgehen können. „Daß die Verfassung sie i n diesen Fällen dazu ermächtigt, wäre nur vernünftig; denn es hat keinen Sinn, die verfassungsmäßigen Individualrechte und die Kompetenzen der Kantone unversehrt zu lassen, wenn der Staat, der sie allein gewährleistet, daran zugrunde geht 1 0 2 ." W i r d von einer klaren Auslegung der herangezogenen Verfassungsbestimmungen von den beiden Autoren schon abgesehen, so hätte zumindest der Hinweis auf die Zusammenschau erfolgen müssen, u m die Argumente überzeugend zu machen. Burckhardt spricht nur davon, daß die Bundesorgane über das Verfassungsrecht hinausgehen können müßten. Durch diese Handlungsweise würde der Rahmen der Verfassung gesprengt. Dafür hätte es einer stärkeren Begründimg bedurft als der Ansicht, eine solche Ermächtigung wäre „nur vernünftig". Burckhardt ist selbst unsicher; er schreibt später: „Aber man kann allerdings zweifeln, ob die Bundesverfassung i n den unscheinbaren Ziffern der A r t . 85 und 102 den politischen Bundesbehörden so weitgehende Macht geben wollte. Dann wären diese Verordnungen dem positiven Verfassungsrecht zuwider, und es fragt sich nur, ob diese Verletzung des geltenden Rechtes m i t der Unzulänglichkeit dieses Rechtes vor dem Forum der Geschichte entschuldigt werden kann." Ohne auf die Auslegung der einzelnen herangezogenen Nummern der Art. 85 und 102 B V eingehen zu müssen, kann aus folgenden Gründen abgelehnt werden 1 0 3 , daß die Normen eine Regelung des Staatsnotstands beinhalten können: Der zweite Abschnitt der Bundesverfassung (Art. 71 bis 117) enthält eine Verteilung der Bundeskompetenzen auf die ver101 Zusammengefaßt bei Burckhardt, verfassung, S. 670. 102 Burckhardt, a. a. O., S. 670. 103 So auch Reber, Diss., S. 21 ff.

Kommentar zur Schweizer. Bundes-

2. Kapitel: Staatsnotstandsrecht

223

schiedenen Bundesorgane. I n dem einleitenden A r t . 71 w i r d darauf ausdrücklich hingewiesen: „Unter Vorbehalt der Rechte des Volkes und der Kantone (Art. 89 und 123) wird die oberste Gewalt des Bundes durch die Bundesversammlung ausgeübt, welche aus zwei Abteilungen besteht: A. aus dem Nationalrat, B. aus dem Ständerat."

Zusätzliche Kompetenzen sollen durch die A r t . 71—117 also gerade nicht eingeräumt werden. Das geht auch aus A r t . 84 B V hervor, an den sich der fragliche A r t . 85 unmittelbar anschließt und auf den sich das „insbesondere" i n jener Norm bezieht: „Der Nationalrat und der Ständerat haben alle Gegenstände zu behandeln, welche nach dem Inhalt der gegenwärtigen Verfassung in die Kompetenz des Bundes gehören und nicht einer anderen Bundesbehörde zugeschrieben sind."

Der Hinweis auf die wichtigen Notrechtskompetenzen fehlt. I n dem weniger wichtigen A r t . 29 B V (Zölle) ist dagegen die Abweichung von der Regelbestimmung des 1. Absatzes jenes Artikels unter außerordentlichen Umständen ausdrücklich vorgesehen (Abs. 2): „Dem Bunde bleibt immerhin das Recht vorbehalten, unter außerordentlichen Umständen, in Abweichung von vorstehenden Bestimmungen, vorübergehend besondere Maßnahmen zu treffen."

I n A r t i k e l 102 B V w i r d zudem besonders darauf hingewiesen, daß die Befugnisse des Bundesrates durch den Verfassungstext begrenzt sind. Es heißt dort: „Der Bundesrat hat innert den Schranken der gegenwärtigen Verfassung ..." Es ist daher m i t Manuel 1 0 4 , Pestalozzi 105 , Suter 106 , Zihlmann 1 0 7 u. a. 108 abzulehnen, daß i n A r t . 85 und 102 B V eine Staatsnotstandskompetenz für Bundesversammlung und Bundesrat enthalten ist 1 0 9 . 3. Art. 29,31,32 BV, Zoll- und Wirtschaftsnotrecht A r t . 29 Abs. 1 B V legt die Grundsätze fest, die bei der Erhebung der Zölle i n der Schweiz zu beachten sind. Der zweite Absatz des Art. 29 B V ermöglicht dem Bund, wie aufgezeigt, Abweichungen von diesen Regelungen unter außerordentlichen Umständen. Diese besonderen Maßnah104

Manuel, Diss., S. 99 und 122. Pestalozzi, Diss., S. 60, 64. 106 Suter, Diss., S. 11. 107 Zihlmann, Diss., S. 34. los weitere Nachweise bei Zihlmann, Diss., S. 33. 105

109 Nach der eingehenden juristischen Erörterung in der Schweiz ist zu bezweifeln, daß der Bundesrat, wie vor dem zweiten Weltkrieg, heute noch aus den fraglichen Normen ein Notverordnungsrecht für sich ableiten würde. Vgl. im einzelnen Ballreich , Das Staatsnotrecht in der Schweiz, S. 208.

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4. Teil: Streik und Staatsnotstand nach schweizerischem R e t

men, die man als Zollnotrecht bezeichnen kann 1 1 0 , werden vom Bundesrat ergriffen, der für die Sondermaßnahmen die Genehmigung der Bundesversammlung benötigt 1 1 1 . Es ist fraglich, ob A r t . 29 Abs. 2 eine Teilregelung für Notstandsfälle enthält. Das wäre nach dem Wortlaut denkbar. Der A r t i k e l ist weit gefaßt. Außerordentliche Umstände liegen bei Krisen- und Notstandssituationen aller A r t vor. Notstandsmaßnahmen wurden jedoch stets i n dringenden Bundesbeschlüssen getroffen, auch auf dem Gebiete der Zölle 1 1 2 . „Es handelt sich dabei gerade nicht u m Maßnahmen i. S. des A r t . 29 Abs. 2 B V 1 1 3 . " A n die Stelle des A r t . 89 Abs. 3 BV, auf den diese ZollNotstandsregelungen gestützt wurden, ist heute der A r t . 89 bis B V getreten (hier: Abs. 1 und 2), von dem unten (S. 225) noch ausführlich zu sprechen sein wird. Dieser geht als Staatsnotstandsregelung — lex specialis — vor. Daß nach allgemeiner Meinung 1 1 4 beide Absätze des A r t . 29 B V durch extrakonstitutionelles Staatsnotstandsrecht suspendiert werden können, zeigt, daß es sich dabei um eine Regelung für Krisensituationen handelt, die unterhalb der Grenze liegt, die eine Lage als Staatsnotstand kennzeichnet, und bestätigt unser Ergebnis. Die Wirtschaftsartikel — A r t . 31 und 32 B V — wurden 1947115 neu gefaßt. Sie übertragen dem Bund umfangreiche Eingriffsmöglichkeiten. Zur Mehrung der Wohlfahrt des Volkes und zur wirtschaftlichen Sicherung der Bürger trifft A r t . 31 bis Abs. 1 B V die geeigneten Maßnahmen. Wenn das Gesamtinteresse es rechtfertigt, kann der Bund die Handelsund Gewerbefreiheit einschränken, A r t . 31 bis Abs. 3 BV. Die einzelnen Durchbrechungsfälle sind i n A r t . 31 bis Abs. 3 lit. a—c B V aufgezählt. Auch hierin liegt eine ausreichende Bevollmächtigung zur Bekämpfung von Staatsnotständen nicht. Nach A r t . 31 quinquies B V trifft der Bund „in Verbindung mit den Kantonen und der privaten Wirtschaft Maßnahmen zur Verhütung von Wirtschaftskrisen und nötigenfalls zur Bekämpfung eingetretener Arbeitslosigkeit. Er erläßt Vorschriften über die Arbeitsbeschaffung".

Auch hier könnte es sich u m eine Regelung für Staatsnotstandsfälle aufgrund wirtschaftlicher Krisen handeln. Allein, der schweizerische 110

Ballreich, a. a. O., S. 205. Bundesgesetz über den schweizerischen Zolltarif v. 10. Okt. 1902, Bereinigte Sammlung der Bundesgesetze und Verordnungen 1848—1947 (BS) Band V I , S. 706. 112 Zum Beispiel Bundesbeschluß v. 18. Februar 1921 über die vorläufige Abänderung des Zolltarifs (BS V I , S. 709); Bundesbeschluß vom 26. April 1929 über die Verlängerung der Wirksamkeit des Bundesbeschlusses vom 18. Februar 1921 betr. die vorläufige Abänderung des Zolltarifs (BS V I , S. 710). 113 Ballreich, a. a. O., S. 206 mit weiteren Nachweisen. 114 Ballreich, a. a. O., S. 206 mit weiteren Nachweisen. 115 Einzelheiten bei Ballreich, a. a. O., S. 206. 111

2. Kapitel: Staatsnotstandsrecht

225

Verfassunggeber traf eine ausdrückliche Einschränkung des ebenfalls sehr weit gefaßten Artikels i n Staatsnotstandsfällen durch A r t . 32 B V : „Die in Art. 31 bis, 31 ter, Abs. 2, 31 quater und 31 quinquies genannten Bestimmungen dürfen nur durch Bundesgesetze oder Bundesbeschlüsse eingeführt werden, für welche die Volksabstimmung verlangt werden kann. Für Fälle dringlicher Art in Zeiten wirtschaftlicher Störungen bleibt Art. 89, Abs. 3 vorbehalten."

A r t . 89 Abs. 3 ist aufgehoben und durch A r t . 89 bis B V ersetzt worden. Danach entscheidet die Bundesversammlung, wann eine wirtschaftliche Störung gegeben ist. Eine richterliche Nachprüfung dieser Entscheidung ist nicht vorgesehen 116 . W i r können also feststellen, daß auch die W i r t schaftsartikel 31 und 32 B V nur Recht zum Kampf gegen leichte W i r t schafttsstörungen i m Rahmen der Verfassung enthalten und keine Staatsnotstandsregelungen, auch keine partiellen. 4. Rechtslage nach der Ergänzung des Art 89 BV durch Art. 89 bis BV Die Bundesversammlung erteilte dem Bundesrat während der Weltwirtschaftskrise umfangreiche Wirtschafts- und Finanzvollmachten zur Bekämpfung des Notstands. U m der Ausschaltung der unmittelbaren Demokratie (Referendum) abzuhelfen und diese Praxis der Bundesorgane (Bundesversammlung und Bundesrat) zu verhindern, brachte die Kommunistische Partei der Schweiz die Initiative zu einem Referendum ein, die den A r t . 89 Abs. 2 dergestalt ändern sollte, daß die Möglichkeit, allgemeinverbindliche Bundesbeschlüsse für dringlich zu erklären, entfiele. Nur Bundesgesetze und allgemeinverbindliche Bundesbeschlüsse, die „ i m Interesse des werktätigen Volkes" lägen, sollten durch eine entsprechende Feststellung von zwei Dritteln der anwesenden Mitglieder von Nationalrat und Ständerat der Volksabstimmung entzogen werden können. Die Initiative wurde m i t 488 195 gegen 87 638 Stimmen abgelehnt. Auch alle Kantone ( = Stände) stimmten dagegen. Ein Volksbegehren vom 1. Februar 1938 schränkte die Anwendung der Dringlichkeitsklausel (Art. 89 Abs. 3 BV) ein. Aber erst nach dem Notstandsfall von 1939, am 23. J u l i 1946, wurde eine Initiative, die eine Regelung von Notstandsfällen bringen konnte, m i t 55 796 gültigen Unterschriften eingereicht. Sie sollte die Rückkehr zur direkten Demokratie nach Notstandsfällen sicherstellen und die Zeit der Ausschaltung des Volkes während des Notstands begrenzen. Statt des Absatzes 3 des A r t . 89 B V 1 1 7 wurde vorgeschlagen, einen A r t . 89 bis einzuführen, dessen hier interessierender Absatz 3 lauten sollte: 116 117

Ballreich , a. a. O., S. 208. Zur Geschichte vgl. Suter, Diss., S. 155; Speiser , Diss., S. 110 ff.

15 Lohse

2 2 6 4 . Teil: Streik und Staatsnotstand nach schweizerischem Recht „Die sofort in Kraft gesetzten Bundesbeschlüsse, welche sich nicht auf die Verfassung stützen, müssen innert Jahresfrist nach ihrer Annahme durch die Bundesversammlung von Volk und Ständen genehmigt werden; andernfalls treten sie nach Ablauf dieses Jahres außer Kraft und können nicht mehr erneuert werden."

Entgegen der Empfehlung i m Bericht des Bundesrates vom 22. Februar 1948 118 und den Erklärungen der politischen Parteien wurde das Volksbegehren bei 42,5% Wahlbeteiligung am 11. September 1949 m i t 280 755 gegen 272 599 und 11 3/2 gegen 8 3/2 119 Standesstimmen angenommen und danach i n K r a f t gesetzt 120 . I n der schweizerischen Rechtslehre herrscht über den Inhalt des A r t . 89 bis Abs. 3 B V 1 2 1 Streit. — Er w i r d entweder als Kompetenzartikel und abschließende Regelung des Notrechts i n der Verfassung angesehen 122 oder — als Regelung der Folgen verfassungswidriger Bundesbeschlüsse128. Die Befürworter der ersten Auslegung meinen, wenn A r t . 89 bis Abs. 3 B V die Referendumsrechte des Volkes und der Stände bei verfassungswidriger Notrechtspraxis nachträglich wahren w i l l und bestimmt, daß über materiell verfassungswidrige Erlasse innert Jahresfrist nach ihrer Annahme durch die Bundesversammlung von Volk und Ständen abgestimmt werden muß, so läßt die Bundesverfassung, wie aus dem Umkehrschluß folgt, die Geltung solcher Noterlasse für ein Jahr zu. Das geschieht i m Gegensatz zu der Rechtslage vor Einfügung des A r t . 89 bis i n die Bundesverfassung. Implizite wurde also durch die Einführung des A r t . 89 bis eine zeitlich beschränkte Notrechtskompetenz des Bundesparlaments begründet. Daß m i t der Einfügung des A r t . 89 bis Abs. 3 B V gleichzeitig eine Beschränkung der Notrechtskompetenz der Bundesversammlung extra constitutionem beabsichtigt war und erreicht wurde, folgt aus dem Text des Absatzes und der ratio legis: Die Verfassungsbestimmung enthält ein Verbot für die Bundesversammlung hinsichtlich des Erlasses von Notrecht, das sich nicht i m Rahmen der Norm bewegt. Die Gegenmeinung 124 stützt sich, zum Beweis dafür, daß A r t . 89 bis Abs. 3 B V nur zur Regelung der Folgen verfassungswidriger Bundes118

BB1.1948 I, S. 1054. Die 3/2 Kantonstimmen folgen aus der Aufteilung der Kantone Basel, Appenzell und Unterwaiden in zwei Halbkantone. 120 Amtl. Sammlung 1949, S. 1511. 121 Abs. 1 und Abs. 2 des Art. 89 bis B V bestimmen, daß allgemeinverbindliche dringliche Bundesbeschlüsse mit absoluter Mehrheit in beiden Kammern verabschiedet werden müssen, zu befristen sind und einem fakultativen Referendum innerhalb Jahresfrist unterliegen. 122 Literaturnachweise bei Suter, Diss., S. 159; Giacometti, SJZ 46, 1950, S. 84 ff.; Manuel, Diss., S. 276. 128 Nachweise bei Suter, Diss., S. 160 und Ballreich, a. a. O., S. 200 ff. 124 Vgl. Marti in ZSR N F Bd. 69, S. 165 ff. 119

2. Kapitel: Staatsnotstandsrecht

227

beschlüsse eingeführt worden sei, auf folgende Gründe: Er wolle die Berufung auf Notrecht nicht erweitern, sondern die notrechtliche Rechtsetzung einschränken und erschweren. Die Verfassung deute nicht an, unter welchen Voraussetzungen die Bundesversammlung von der ordentlichen verfassungsrechtlichen Regelung abweichen dürfe. Dies sei aber erforderlich gewesen, wenn eine verfassungsmäßige Verankerung von Notrecht hätte erreicht werden sollen. Es läßt sich nicht leugnen, daß A r t . 89 bis Abs. 3 B V die Voraussetzungen der Abweichung vom Verfassungstext i n Notstandsfällen durch die Bundesversammlung nicht klar festlegt. Zunächst fällt auf, daß i m Abs. 3 von Art. 89 bis B V nicht von „dringenden allgemeinverbindlichen Bundesbeschlüssen" oder, wie Absatz 1 es formuliert, von „allgemeinverbindlichen Bundesbeschlüssen, deren Inkrafttreten keinen A u f schub verträgt" die Rede ist. Suter 1 2 5 meint daraus schließen zu können, daß wegen des Zusammenhangs m i t Abs. 1 des Artikels „vor allem" dringliche Bundesbeschlüsse gemeint seien; es könnten aber auch nicht dringliche Bundesbeschlüsse von dieser Bestimmung erfaßt werden. Dabei w i r d jedoch folgendes übersehen: Wollte der Verfassunggeber i n der Terminologie der Verfassung bleiben, so hätte er, wie i n Abs. 1 und Abs. 2 des A r t . 89 bis B V den Rechtscharakter der i n Rede stehenden Bundesbeschlüsse näher umschrieben. Daß das nicht geschehen ist, beweist, daß der Beschluß von Notstandsvollmachten vom Verfassungsgesetzgeber als Beschluß sui generis angesehen wurde. Das ist ein starkes Argument gegen die Meinung, daß hier nur die Folgen verfassungswidriger Bundesbeschlüsse i m allgemeinen geregelt werden sollten. Gerade dann hätte es nämlich nahegelegen zu erklären, welche A r t von verfassungswidrigen Bundesbeschlüssen vom Verfassunggeber gemeint war. Sonst erhielte die Bundesversammlung durch diesen Absatz eine umfassende Blankovollmacht, für die sich weder i m besprochenen A r tikel noch an anderen Stellen der Bundesverfassung Anhaltspunkte finden lassen. Gerade aus der Nichtpräzisierung des Rechtscharakters der Bundesbeschlüsse i n A r t . 89 bis Abs. 3 B V ist also zu folgern, daß diese, wie der bisher einzige einschlägige Notstandsbeschluß, nämlich der Vollmachtenbeschluß von 1939, Bundesbeschlüsse sui generis sein sollten. Daß auch bei ihnen sachliche und zeitliche Dringlichkeit vorliegt, ergibt sich daraus, daß i n jedem Notstandsfall eine baldmöglichst zu behebende Gefahr für den Staat vorliegt. A r t . 89 bis Abs. 3 B V ist somit nach allem eine Staatsnotstandsregelung. Es bleibt aber noch zu klären, ob er eine Zuständigkeit zur Fassung von Staatsnotstands-Vollmachtenbeschlüssen für die Bundesversamm125

15*

Suter, Diss., S. 161.

2 2 8 4 . Teil: Streik und Staatsnotstand nach schweizerischem Recht lung festlegen w i l l . I m Hinblick auf die Praxis der Vergangenheit sollte A r t . 89 bis B V unbestrittenermaßen 126 gegen die Handhabung der Dringlichkeitsbeschlüsse durch die Bundesversammlung gerichtet sein und das Votum von Volk und Ständen wirksamer machen. A n der Zuständigkeit der Bundesversammlung sollte durch die Norm nichts geändert werden. Das folgt auch aus ihrer Stellung i m Rahmen der A r t . 84 bis 94 B V („Befugnisse der Bundesversammlung"). A r t . 89 bis Abs. 3 B V ist daher als Kompetenznorm i m Notstandsfall anzusehen. Ob die Staatsnotstandsregelung des A r t . 89 bis Abs. 3 B V abschließend ist, ist i n der Rechtslehre und unter den Politikern umstritten. Suter 1 2 7 zitiert für die Ansicht, daß A r t . 89 bis Abs. 3 B V keine abschließende Notrechtsregelung enthält, den Ständerat Muheim, der, selbst Mitglied des Initiativkomitees, i n der Bundesversammlung geäußert hat, daß i n der Initiative nicht beabsichtigt gewesen sei, Notrecht zu legalisieren, sondern die verfassungswidrige Dringlichkeitspraxis der Bundesbehörden einzudämmen und der Kontrolle von Volk und Ständen zu unterwerfen. Suter gibt selbst zu 1 2 8 , daß es sich bei dieser Äußerung, die nur i m Rahmen der subjektiven Auslegung zu verwerten ist, u m ein schwaches Argument handelt, wenn die objektive Auslegung des A r t i kels etwas anderes ergeben sollte. Zudem gab es auch Mitglieder des Initiativkomitees, die eine andere Meinung als Muheim vertraten, wie z. B. Regamey auf der Sitzung der Schweizerischen Juristengesellschaft (ZSR Band 69, S. 424). U m für eine Begrenzung der Machtbefugnisse der Behörden i m Staatsnotstandsfall zu sorgen, ist eine Regelung der Rechtsetzungs- und Handlungsbefugnis i m Notstandsfall erforderlich. Man opfert damit den Staat nicht der Verfassung, sondern verhindert ein Auseinanderfallen von Verfassungswirklichkeit und Verfassungstext und eine Berufung der Behörden auf ein überverfassungsgesetzliches Staatsnotrecht, das schrankenlose Befugnisse für die noch handlungsfähigen Organe beinhalten würde. Es ist also entgegen Suter 12® gerade gefährlich, das Notrecht nicht i n der Verfassung zu legalisieren. Wenn Suter am Ende seiner Argumentation ausführt, seiner Meinimg nach sei der ganze A r t . 89 bis B V „mehr auf wirtschaftliche Notsituationen oder andere Notstände i n Friedenszeiten zugeschnitten" als auf einen „wirklichen Staatsnotstand" 180 , so muß man i h m entgegenhalten, daß eine Unterscheidung zwischen Notstand i n Friedenszeiten 126 127 128 129 180

Suter, Suter, Suter, Suter, Suter,

Diss., S. 164. Diss., S. 164 ff. (Muheim-Zitat S. 164). Diss., S. 165. Diss., S. 165. Diss., S. 166.

2. Kapitel: Staatsnotstandsrecht

229

und wirklichem Staatsnotstand nicht möglich ist. Es gibt nicht wirkliche und unwirkliche Staatsnotstandsfälle, sondern Staatsnotstandslagen und Normalzeiten, d. h. Zeiten, i n denen der reibungslose Ablauf der Ausübung der Staatsgewalt i n Legislative, Exekutive und Judikative gewährleistet ist. A u f der Unterscheidbarkeit von Staatsnotstandszeiten und der Normalsituation beruht jede Staatsnotstandssonderregelung. So ist denn auch m i t Manuel 1 3 1 anzunehmen, daß der schweizerische Verfassunggeber m i t der Aufnahme des A r t . 89 bis i n die Bundesverfassung dem Problem des Notrechts eine „originelle" Lösung gegeben hat, die i n weitem Umfang die praktischen Bedürfnisse i n existenzbedrohenden Krisensituationen, die Achtung vor den Grundlagen der Bundesverfassung und die Achtung vor der formellen Kontinuität der Verfassungsordnung befriedigt. Indem der A r t . 89 bis Abs. 3 die formelle Verfassungsmäßigkeit bewahrt, könnte er allerdings die materielle Verfassungswidrigkeit der getroffenen Bundesbeschlüsse verdecken. Man könnte m i t einigen Autoren 1 3 2 fragen, ob es nicht „ein wahrer juristischer Skandal" sei, einem Rechtssatz i n der Verfassimg auf Zeit Wirksamkeit zu verleihen, von dem man gleichzeitig anerkennt, daß er gegen eben diese Verfassimg verstößt. Die A n t w o r t findet sich i n folgender Überlegung: A r t . 89 bis Abs. 3 B V ist — auch — eine Revisionsregelung. Die Bundesversammlung erhält für ein Jahr das Recht eingeräumt, Verfassungsnormen abzuändern oder zu suspendieren. M i t Recht weist Manuel (Diss., S. 265) darauf hin, daß i n der Norm das gleiche Verfahren festgelegt wird, das i n den A r t . 118—123 B V die Verfassungsrevision ermöglicht. Die Revision ist wegen materieller und zeitlicher Dringlichkeit von den Revisionsnormen der A r t . 118—123 B V getrennt worden. Daß die Zustimmung oder die Ablehnimg hinsichtlich der Maßnahmen der Bundesversammlung i m nachhinein erfolgt, unterscheidet allerdings den A r t . 89 bis Abs. 3 B V von den anderen Revisionsbestimmungen. Diese Abweichung ist jedoch durch den Notstand bedingt, der ein Handeln unter Beachtung der i n der Verfassimg für den Normalfall vorgesehenen Regelung vereitelt und schnelle Maßnahmen erfordert. Damit ist auch der anscheinend vorhandene Widerspruch zwischen dem Verfassungstext und den nicht auf der geschriebenen Verfassung beruhenden Beschlüssen aufgeklärt: Jene Entscheide revidieren auf Zeit andere Verfassungsnormen. Sie sind als leges speciales zu den anderen A r t i k e l n anzusehen 133 . Wie jede andere Verfassungsrevisionsnorm 181 182 188

Manuel , Diss., S. 257/258. Manuel , Diss., S. 263 mit weiteren Nachweisen. Manuel , Diss., S. 263.

2 3 0 4 . Teil: Streik und Staatsnotstand nach schweizerischem Recht sind sie den übrigen Verfassungsbestimmungen übergeordnet. Schon die Möglichkeit einer Revision bestimmter Normen relativiert sie nämlich, weil sie nicht mehr als endgültig angesehen werden können 134 . Daß eine Beeinträchtigung der Rechtssicherheit durch die Möglichkeit verfassungsändernder Rechtsetzung, die später aufgehoben werden kann, gegeben ist, kann nicht geleugnet werden. Das ist der Preis, der für eine schnelle Handlungsfähigkeit von Legislative und Exekutive bezahlt werden muß 1 3 5 . W i r haben i n der kurzen Untersuchung des Textes des A r t . 89 bis Abs. 3 B V und der Erörterung von wesentlichen Argumenten, die i n der innerschweizerischen juristischen Erörterung aufgetaucht sind, feststellen können, daß m i t der h. M. 1 3 6 in der schweizerischen Rechtslehre davon auszugehen ist, daß A r t . 89 bis Abs. 3 B V eine staatsnotstandsregelnde Norm ist, die auch eine Kompetenzverteilung für den Fall der Ausnahmesituation enthält. Wie sie i m einzelnen geregelt ist, soll i m folgenden systematisch dargestellt werden. a) Befugnisse der Bundesversammlung A r t . 89 bis Abs. 3 B V gibt unter Beachtung des A r t . 71 BV, nach dem die oberste Gewalt des Bundes durch die Bundesversammlung ausgeübt wird, dieser allein das Recht, Beschlüsse zu fassen, die sich nicht auf die Verfassung stützen. Durch den Beschluß stellt die Versammlung den E i n t r i t t des Notstandsfalles fest und delegiert, wenn, und soweit es ihr erforderlich erscheint, ihre Gesetzgebungskompetenzen auf andere Organe. I n der bisherigen Notstandspraxis empfing diese Zuständigkeit die Exekutive. Auch nach Einführung des A r t . 89 bis B V ist eine solche Übertragung möglich. Nach freiem Ermessen kann sich die Bundesversammlung i n dem Beschluß Kontrollrechte vorbehalten. Daß sie Kommissionen einsetzt, m i t denen die Exekutive sich vor Ergreifen wichtiger Maßnahmen und Erlassen verfassungsvertretender Verordnungen zu beraten hätte, ist in A r t . 89 bis Abs. 3 B V zwar nicht ausdrücklich vorgesehen, w i r d aber vom Umfang der Zuständigkeiten der Bundesversammlung gedeckt. Nach 1939 haben solche Kommissionen bestanden. Sie erhielten den Namen „Vollmachtenkommissionen". Je eine Kommission wurde vom 134 I m Zusammenhang mit Art. 79 G G wird hier ein verfassungsrechtliches Problem von erheblicher Tragweite angerührt: Kann eine Verfassung sich selbst teilweise Unabänderbarkeit beilegen? Die Erörterung dieser Frage würde den Rahmen des Themas sprengen. I n der Schweizerischen B V ist eine Teil- oder Gesamtrevision vorgesehen, Art. 119 BV. 135 Manuel, Diss., S. 270/71. 138 Vgl. oben, Fußnote 122.

2. Kapitel: Staatsnotstandsrecht

231

National- und vom Ständerat gebildet. Die Einsetzung dieser Kommissionen 137 war i m Bundesbeschluß vom 30. August 1939 A r t . 6, vorgesehen worden. Die Gremien hatten die Ausführungsberichte des Bundesrates zu den jeweiligen Sessionen der Kammern vorzuprüfen. Wichtige Maßnahmen hatte der Bundesrat vor dem Erlaß zur Begutachtung vorzulegen. Nach dem Bericht der Vollmachtenkommissionen hatte die Bundesversammlung auf der Juni- oder Dezembersession darüber zu entscheiden, ob die Maßnahmen des Bundesrates weiter i n K r a f t blieben. Daß Vollmachtenkommissionen an die Stelle der Bundesversammlung treten, ist i n A r t . 89 bis Abs. 3 B V nicht vorgesehen. Für den Fall eines Angriffs auf die Schweiz wurde diese Möglichkeit 1940 erörtert und vorbereitet. Es w i r d bei der Erörterung des Notrechts extra constitutionem darauf noch einzugehen sein 138 . Die Beschlüsse der Bundesversammlung treten bei Nichtgenehmigung durch Volk und Stände nach Ablauf eines Jahres außer K r a f t und können nicht erneuert werden. Anders bei positivem Votum: Dann behält die Bundesversammlung ihre Sonderrechte, bis sie sie selbst aufgibt oder durch eine Revision der Verfassung i m Wege der A r t . 118—123 B V zum Verzicht gezwungen wird. Daß neben dem Notrechtsetzungsverfahren auf dem i n der Verfassung vorgesehenen Weg weiter legiferiert werden kann, die Bundesversammlung also ihre Befugnisse aus A r t . 84—94 B V behält, folgt daraus, daß A r t . 89 bis Abs. 3 B V zu den andern Zuständigkeitsnormen lex specialis ist und Notstandsbefugnisse nur wahrgenommen werden können, soweit die ordentliche Rechtssetzungstätigkeit durch den Ausnahmezustand be- oder verhindert ist 1 3 9 . Falls der Notstand vor Ablauf eines Jahres beendet ist, oder Volk und Stände den Notstandsbeschluß gebilligt haben und der Notstand später beseitigt würde, ergeht ein Bundesversammlungsbeschluß, der den Notstand formell für beendet erklärt und die verfassungsmäßigen Rechte wieder i n Kraft setzt. b) Rechte des Bundesrats Es bleibt dem Ermessen der Bundesversammlung überlassen, ob die Übertragung von Vollmachten auf den Bundesrat umfassend ist wie 187 Vgl. Manuel , Diss., S. 50—54; Ständeratskommission: 13 Mitglieder, Nationalratskommission 25 (seit 1943 — 27) Mitglieder. 138 Vgl. Huber , StenoProt. N R 1945, S. 113 und Manuel , Diss., S. 282. 189 Manuel, Diss., S. 274 ff.; Huber (Hans) nannte daher Art. 89 bis Abs. 3 B V „eine besondere Art Notverordnungsrecht" (in der 4. öffentlichen Informationssitzung des Rechtsausschusses und des Innenausschusses des Deutschen Bundestages am 7. Dezember 1967 [Protokoll S. 20]).

2 3 2 4 . Teil: Streik und Staatsnotstand nach schweizerischem Recht 1914, Beschränkungen enthält wie 1939 oder nur bestimmte Materien betrifft wie bei den Krisenbeschlüssen der dreißiger Jahre. Bei umfassenden Notstandsvollmachten kann sich nach dem Bundesbeschluß das Schwergewicht der staatlichen Macht auf den Bundesrat verschieben 140 . Neben den Exekutivbefugnissen der A r t . 95—104 B V n i m m t er dann auch die übertragenen legislativen Aufgaben wahr. Schon 1939 war der Bundesrat bestrebt gewesen, durch wenig umfassende Berichte sich der Kontrolle des Parlaments zu entziehen. Damit wurde die Kontrollbefugnis der Bundesversammlung weitgehend entwertet. Die Exekutive konnte nach eigenem Gutdünken alle wesentlichen Fragen entscheiden. K a n n die Bundesversammlung nach Ergehen des Vollmachtenbeschlusses nicht mehr zusammentreten, und sind auch die Vollmachtenkommissionen an Sitzungen durch einen äußeren oder inneren Notstand gehindert, w i r d sich erst recht ein Übergewicht der Exekutive ergeben. Zumal da eine gerichtliche Kontrolle i n der Schweiz hinsichtlich der Notstandsbefugnisse der Exekutive und der Bundesversammlung nicht besteht, können die Organe ohne richterliche Korrektur Ausnahmemaßnahmen treffen. Schon für die Vollmachten von 1939 hat das Bundesgericht alle verfassungsmäßigen Beschränkungen für die Exekutive und seine Kontrolle über ihre Maßnahmen ausdrücklich i m Milloud-Urt e i l 1 4 1 abgelehnt: „Der Bundesrat ist beauftragt, alle für das bedrohte öffentliche Wohl notwendigen Ausnahmemaßnahmen zu treffen, bei dieser unbedingt notwendigen Tätigkeit sollte er nicht durch die Verfassung gebunden sein". c) Befugnisse des Bundesgerichts Weder A r t . 89 bis Abs. 3 B V noch die Kompetenznormen des Bundesgerichts (Art. 106—114 BV) enthalten eine Kontrollkompetenz des Bundesgerichts hinsichtlich der Notstandsmaßnahmen von Legislative und (oder) Exekutive. Nach A r t . 113 Abs. 3 B V sind für das Bundesgericht „die von der Bundesversammlung erlassenen Gesetze und allgemein verbindlichen Beschlüsse (also auch diejenigen, die sich nicht auf die Verfassung stützen — der Verfasser), sowie die von i h r genehmigten Staatsverträge 140 Eine zur Exekutive gehörende Funktion nimmt der General der eidgenössischen Armee wahr. Da er in Krisenzeiten von der Legislative gewählt wird (Art. 85 Nr. 4, 92 BV), hat er jedoch eine von der Regierung unabhängigere Stellung als Generale, Generalstabschef und Befehlshaber der Streitkräfte anderer Staaten. Vgl. B G über die Militärorganisation, Art. 208; Manuel, Diss., S. 224 f.; die Befugnisse des Generals innerhalb der Exekutive sind unklar. Vgl. Manuel, Diss., S. 281, Fußnote 76. 141 Urt. v. 14.12.1915 BGE 41 1551 (552) Nr. 78.

2. Kapitel: Staatsnotstandsrecht

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maßgebend". Durch diese inhaltlich klare Bestimmung ist die bundesgerichtliche Prüfimg der Verfassungsmäßigkeit von Notstandsbeschlüssen extra constitutionem ausgeschlossen. Es bleibt dem Bundesgericht aber die Möglichkeit der Kontrolle der Rechtmäßigkeit der lex delegata i m Verhältnis zur lex delegationis 141 , also der von der Exekutive erlassenen Verordnungen oder anderen Maßnahmen i m Verhältnis zu dem Vollmachtenbeschluß. Allein, bei einem weitgefaßten Vollmachtenbeschluß ist eine solche Rechtmäßigkeitskontrolle nicht sehr wirkungsvoll. Sie überschreitet den Rahmen der sog. „Ultra-vires-Kontrolle" des angelsächsischen Rechts nicht. Das Gericht prüft m i t h i n nur, ob die Maßnahme offenbar aus dem Rahmen der Delegationsnorm fällt. Daß die Regierung nicht gezwungen werden kann, eine Verordnung zu ändern, nachdem das Bundesgericht sie für unvereinbar m i t der lex delegationis erklärt hatte, bedeutet eine weitere Beschränkung der Überprüfungsbefugnis des Bundesgerichts. Das Bundesgericht hat also i m Staatsnotstand nur sehr beschränkte Kontrollbefugnisse. d) Rechtsstellung der Kantone Die Bundesverfassung erkennt die Souveränität der Kantone i n A r t . 3 ausdrücklich an, soweit sie nicht durch die Regelungen der Bundesverfassung selbst beschränkt ist. Alle Rechte, die nicht der Bundesgewalt übertragen sind, üben die Kantone aus 148 . I n der Schweiz herrscht demnach ein bundesstaatliches System. Es ist auffallend, daß A r t . 89 bis Abs. 3 B V nicht einmal einen Kernbereich von Rechten der Kantone i m Notstandsfall garantiert. Nach Erteilung der außerordentlichen Vollmachten geht m i t h i n alle kantonalstaatliche Gewalt auf Zeit auf den Bund über. Die Kantonslegislative kann nur auf den Gebieten tätig sein, die die Bundeslegislative nicht für sich i n Anspruch nimmt, die Kantonsexekutive w i r d dem Bundesrat nachgeordnete Behörde. Innerhalb eines Jahres nach Inkraftsetzung von Bundesbeschlüssen, die sich nicht auf die Verfassung stützen, müssen diese allerdings von den Kantonen ( = Ständen) genehmigt werden, u m i n K r a f t zu bleiben, A r t . 89 bis Abs. 3 B V 1 4 4 . 142 Vgl. Manuel, Diss., S. 70 ff. und S. 222 ff. und Bundesgericht, Urt. v. 24. November 1926 in BGE 52 I 339 Nr. 46; Urt. v. 31. März 1931 BGE 57 I 44 Nr. 8; Urt. vom 2. Dez. 1942 BGE 68 I I 308 (318) Nr. 49; Urteil vom 18. Okt. 1935, BGE 611362 Nr. 54; Urt. v. 22. November 1930 BGE 561413 Nr. 67. 148 Mehrere Artikel der Bundesverfassung konkretisieren diese Norm: u. a. Art. 5,31 ter, 32 quater, 39, 64 und 102. 144 Art. 123 Abs. 3 B V : „Das Ergebnis der Volksabstimmung in jedem Kanton gilt als Standesstimme." Dieses Verfahren der Revision der Bundesver-

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4. Teil: Streik und Staatsnotstand nach schweizerischem Recht e) Rechte des Volkes

Das Volk ist i n der Schweiz durch Initiative 1 4 5 und Referendum 148 an der Gesetzgebimg beteiligt. Bundesgesetze und allgemeinverbindliche Bundesbeschlüsse sind dem Volk zur Abstimmung vorzulegen, wenn es von 30 000 Stimmberechtigten oder 8 Kantonen verlangt wird, A r t . 89 Abs. 2 BV. I m Falle der Notstandsbeschlüsse ist an die Stelle dieses fakultativen Referendums das obligatorische, nachträgliche Referendum getreten. Das Volk ist also auf ein Jahr von der Beurteilung der Notstandsmaßnahmen ausgeschlossen, hat aber später das Recht, zu genehmigen oder zu verwerfen, Art. 89 bis Abs. 3 BV. f) Umfang der Regelung des Art. 89 bis Abs. 3 B V Diese Kompetenzverteilung zeigt die Grenzen des A r t . 89 bis Abs. 3 BV. I n dem A r t i k e l w i r d davon ausgegangen, daß die Bundesversammlung vor oder bei E i n t r i t t des Notstandsfalls zusammentreten und beschließen und das Volk innerhalb von Jahresfrist über die Notmaßnahmen abstimmen kann. Das ist bei den modernen technischen Möglichkeiten, deren sich eine angreifende Militärmacht oder gut ausgerüstete Revolutionäre i m Innern bedienen können, keineswegs sicher. So ergibt sich, daß A r t . 89 bis Abs. 3 B V zwar eine Notstandsregelung enthält, diese aber auf leichtere Notstandsfälle beschränkt ist. I I . Notstandsrecht extra constitutionem

Wenn nur eine nicht beschlußfähige Anzahl von Abgeordneten des Nationalrats und des Ständerats sich am Tagungsort der Bundesversammlung zusammenfinden kann, w e i l durch von außen oder von innen kommende Gewaltakte das Erscheinen der anderen Abgeordneten verhindert wird, können keine Vollmachtenbeschlüsse gefaßt werden. Kann die i n A r t . 89 bis Abs. 3 B V vorgesehene Volksabstimmung nicht durchgeführt werden, so greift die Regelung des A r t . 89 bis Abs. 3 B V ebensowenig ein wie bei Nichtbeschlußfähigkeit der Bundesversammlung. Z u diesen Fällen haben sich die Vertreter der Meinung, A r t . 89 bis Abs. 3 B V enthalte eine abschließende Notstandsregelung, nicht geäußert. fassung wird auch i m Falle des Art. 89 bis Abs. 3 B V angewandt, soweit die Noterlasse der Abstimmung der Stände unterstehen. Näher: Suter, Diss., S. 162. 145 Art. 121,122 BV. 148 Art. 120 ff., 89, 89 bis B V ; vgl. v. Waldkirch, Die Mitwirkung des Volkes bei der Rechtssetzung, S. 47 ff.

2. Kapitel: Staatsnotstandsrecht

235

Die Verfechter der Gegenmeinung betrachten die Fälle wie die oben (S. 226 ff.) besprochenen: sie seien i n der Verfassung nicht gelöst. Es ist daher hier von Bedeutung, wie diese Autoren zu einem Gefahrenabwehrrecht des Staates kommen. Auf die Gründe und Ergebnisse derjenigen, die wie Manuel und der Verfasser dieser Untersuchung jene Fälle von der grundsätzlichen Regelung des Staatsnotstandsrechts i n A r t . 89 bis Abs. 3 B V ausnehmen, w i r d danach einzugehen sein. 1. Begründung

des Notrechts aus der Rechtsüberzeugung

des Volkes

I n einer Dissertation über die Notgesetzgebung vertritt Pestalozzi 147 die Ansicht, daß ungeschriebenes Notstandsrecht nicht aus dem Wesen des Staates abgeleitet werden könne. Es müsse nämlich nicht sein, daß i n einem gesunden Staatswesen das Staatsvolk, der Souverän, seinen Behörden i n Notfällen besondere Zuständigkeiten zuerkenne. Eine ausnahmsweise bestehende ungeschriebene Notrechtskompetenz müsse für jeden einzelnen Staat zu jedem fraglichen Zeitpunkt nachgewiesen werden. Das sei für die Schweiz nicht schwierig. Die Notgesetzgebung sei dem schweizerischen Volk nichts Neues. Obgleich sie außerhalb der Verfassimg ergangen sei, werde sie von dem Schweizervolk geduldet. Das sei ausgeschlossen, wenn sie seinem Rechtsempfinden nicht entspräche. Dieses Rechtsempfinden und diesen Willen des Volkes hätten die Bundesbehörden zu achten. Sie begründeten für die Bundesorgane die Pflicht zur Erhaltung der Eidgenossenschaft und zur Wahrung ihrer lebenswichtigen Interessen. Bestände für die Behörden aber eine solche Pflicht, so hätten sie auch ein Recht zu Notmaßnahmen. Diese Argumentation findet sich auch i n den Begründungen der Notstandsmaßnahmen durch die Bundesbehörden i n den historischen Notstandsfällen: Die Rechtsüberzeugung des Schweizervolkes habe i n der Billigung der Notgesetzgebung ihren Ausdruck gefunden 148 . Richtig ist an dieser Argumentation der Ausgangspunkt. Eine Notrechtskompetenz muß von dem handelnden Organ stets nachgewiesen werden. M i t den angeführten Gründen w i r d der erforderliche Nachweis für die Schweiz aber nicht erbracht. Das Schweizervolk ist weder i n Krisenzeiten, noch i n Zeiten politischer, militärischer und wirtschaftlicher Stabilität vor 1949 um seine Meinung zu den Notrechtskompetenzen und Notmaßnahmen der Bundesorgane befragt worden. Bei dem ersten entsprechenden Referendum anläßlich der Einführung des A r t . 89 147

Diss., S. 130 ff. Bundesrat in BB1. 1939 I, S. 541 (549). Noch in BB1. 1937 I I I , S. 5 (20) hatte der Bundesrat sich zusätzlich auf den Geist der Verfassung berufen; ihm folgend Favre , Droit constitutionnell suisse, S. 428/429. 148

2 3 6 4 . Teil: Streik und Staatsnotstand nach schweizerischem Recht bis i n die Bundesverfassung hat es sich entgegen den Empfehlungen von Regierung und politischen Parteien 149 für eine Begrenzung der Rechte der Bundesorgane ausgesprochen. Das bloße Dulden der Maßnahmen durch das Volk als Billigung anzusprechen, ist angesichts der ständigen Hinnahme von Rechtsbeschränkungen i n autoritär regierten Gemeinwesen — und darum handelt es sich auch bei Demokratien i m Notstand, wenn die verfassungsmäßigen Rechte eingeschränkt werden — eine unbewiesene Behauptung. Schweigen kann hier nicht m i t Zustimmung gleichgesetzt werden. M i t den von Pestalozzi und vom Bundesrat vorgebrachten Gründen kann eine Notrechtskompetenz der Bundesorgane außerhalb der Verfassung m i t h i n nicht dargetan werden. 2. Gewohnheitsrecht

im Staatsnotstand

I n jedem Notstandsfall des Staates werden — so Favre 1 5 0 — besondere Bestimmungen aufgestellt, die der Notstandslage angepaßt sind und ihn zu bekämpfen geeignet erscheinen. Sie werden i m geschriebenen Recht oder i m Gewohnheitsrecht „offenbar". Auch i n der Schweiz haben die Behörden i n den Staatsnotstandsfällen i n der Form der dringlichen allgemeinverbindlichen Bundesbeschlüsse Regelungen getroffen. Nach Favre sind diese Beschlüsse zwar verfassungswidrig und illegal, werden aber ständig geschaffen, weiterentwickelt und angewendet. Sie hätten folgenden Inhalt: I m Staatsnotstandsfall kann die Bundesversammlung i n Form dringlicher allgemeinverbindlicher Bundesbeschlüsse alle zur Erhaltung des Staates imbedingt notwendigen Maßnahmen ergreifen oder den Bundesrat dazu autorisieren. Usus communis und opinio iuris seu necessitatis, die beiden Voraussetzungen für Gewohnheitsrecht, seien somit vorhanden; obgleich dieses Staatsnotstandsgewohnheitsrecht noch nicht vollständig sei, sei es doch schon i n einem vorgerückten Stadium seiner Verwirklichung. A u f die gegenwärtige Rechtslage nach der positiven Regelung i n A r t . 89 bis Abs. 3 B V angewandt, müßten diese Gedankengänge wie folgt ergänzt werden: I m Falle des Staatsnotstandes, bei dem die Bundesversammlung am Zusammentritt gehindert oder eine Volksabstimmung nicht möglich sei, A r t . 89 bis Abs. 3 B V also nicht eingreife, könne die Exekutive die i h r schon mehrmals von der Bundesversammlung gewährten außerordentlichen Vollmachten i n Anspruch nehmen. 149 Bericht des Bundesrates vom 22. Februar 1948, BB1. 1948 I, S. 1054; Suter, Diss., S. 156; N Z Z Nr. 1804 vom 6. September 1949: „Weder dringlich noch nützlich." 150 Favre, Diss., S. 33—37.

2. Kapitel: Staatsnotstandsrecht

237

Auch diese Gedankengänge überzeugen nicht. Zunächst ist es zweifelhaft, ob es Gewohnheitsrecht m i t Verfassungsrang als Rechtsquelle gibt 1 5 1 . Selbst wenn man von seinem Bestehen ausgeht, handelt es sich hier u m unzulässiges Gewohnheits-„recht", w e i l durch seine „Normierung" die geschriebene Verfassung abgeändert oder abbedungen werden soll. Verfassungsderogierendes Gewohnheitsrecht ist i n der Schweiz unzulässig, w e i l bei seiner Entstehung das i n der Verfassimg vorgesehene Revisionsverfahren nicht eingehalten wurde 1 5 2 . Dagegen spricht auch, daß Grundprinzipien des Gemeinwesens (Demokratie, Föderalismus, Rechtsstaatlichkeit) durch die ständige Verletzung i m Gewohnheitsrecht außer K r a f t gesetzt werden könnten. Das würde eine Auflösung oder einen Umsturz der staatlichen Ordnung zur Folge haben, die von der Verfassung nicht legalisiert werden können 1 5 8 . Hinsichtlich des Staatsnotstandsrechts liegen zudem die Voraussetzungen für die Entstehung von Gewohnheitsrecht nicht vor. Zunächst fehlt es am usus communis: Die Vollmachtenbeschlüsse von 1914 und i n der Wirtschaftskrise wurden als dringliche allgemeinverbindliche Bundesbeschlüsse gefaßt. Der Bundesbeschluß von 1939 erging als Beschluß sui generis. Der Umfang der Vollmachten variierte i n den Notstandsfällen, die Kontrollbefugnisse der Bundesversammlung waren unterschiedlich groß. Ein langanhaltender allgemeiner Brauch bestand insoweit also nicht. Ferner ist der nach der Verfassungsrevision von 1949 positiv noch nicht gelöste F a l l — Unmöglichkeit des Zusammentritts der Bundesversammlung oder der Volksabstimmung innerhalb der Jahresfrist — i n der Schweiz noch nicht eingetreten. Insoweit kann von einem usus communis noch nicht gesprochen werden. Auch hinsichtlich der opinio necessitatis können sich angesichts der Einführung des A r t . 89 bis Abs. 3 B V Bedenken ergeben. Der positivrechtlich nicht geregelte Staatsnotstandsfall kann durch die Anwendung von Gewohnheitsrecht daher nicht gelöst werden. 151

Manuel, Diss., S. 139. Suter, Diss., S. 16; Zihlmann, Diss., S. 1, weist in diesem Zusammenhang mit Recht darauf hin, daß eine Staatsverfassung in doppelter Hinsicht stabil sein müsse: — einmal nach ihrem unveränderlichen Ideengehalt (Permanenz der Grundwerte einer Verfassung, also Stabilität im materiellen Sinne) und — in bezug auf die erschwerte Abänderbarkeit der Verfassungsbestimmungen gegenüber den gewöhnlichen Gesetzen (relative Stabilität im formellen Sinne). Für die Existenz verfassungsderogierenden Gewohnheitsrechts Bridel, Précis de droit const. et public suisse I. Teil, S. 101 f. 153 Manuel, Diss., S. 140. 152

2 3 8 4 . Teil: Streik und Staatsnotstand nach schweizerischem Recht 3. Überverfassungsgesetzlicher

Notstand

Manuel 1 5 4 hat hinsichtlich der positivrechtlich nicht gelösten Staatsnotstandsfälle Überlegungen angestellt, die unseren Erwägungen zum überverfassungsgesetzlichen Staatsnotstandsrecht 155 entsprechen. Er geht dabei sowohl für den Fall, daß die Bundesversammlung äußerer Umstände wegen nicht imstande ist, außerordentliche Notstandsvollmachten zu beschließen, als auch für die Lage, für die eine Volksabstimmung über Notstandsmaßnahmen der Bundesorgane innerhalb der Jahresfrist des A r t . 89 bis Abs. 3 B V nicht möglich ist, von folgendem aus: Wenn durch die materielle Unmöglichkeit, die i n A r t . 89 bis Abs. 3 B V vorgesehenen Notstandsmaßnahmen zu ergreifen, ein „Notstand 2. Grades" 158 eingetreten ist, muß auf ein parakonstitutionelles Notrecht zurückgegriffen werden 1 5 7 . Das könnte etwa der F a l l sein bei Krieg auf schweizerischem Staatsgebiet, der Verletzung der Neutralität, bei Bürgerkrieg oder bewaffneter Erhebung. Dieses Notrecht ist formell apositiv, aber nicht ganz losgelöst von der Verfassimg und ihrer Infrastruktur. Die handelnden Bundesorgane stützen sich i n diesem Fall auf ihre ursprüngliche Einsetzung, die i m Rahmen des geltenden Verfassungsrechts vorgenommen wurde. Die Männer, die sich i n dem Augenblick, i n dem die brutale Gewalt die staatliche Ordnung zu zerstören sucht, an der Spitze des Staates befinden, bleiben die legitimen Führer der Gemeinschaft, solange sie diese zu erhalten bestrebt sind und für das gemeine Beste kämpfen 158 . Die Lösung von Manuel erscheint i n bezug auf die schweizerische Rechtslage folgerichtig, b i l l i g und praktikabel. Sie enthält eine den eidgenössischen Erfahrungen angepaßte Gewaltenverteilung für die positivrechtlich nicht geregelten Notstandsfälle. I n dem Streit innerhalb der schweizerischen Rechtslehre soll ihr daher gefolgt werden. N u r hinsichtlich der Notlegislative ist eine Präzisierung zusätzlich erforderlich. I m Notstand 2. Grades ist die staatliche Gewalt demnach wie folgt zu verteilen; 154

Diss., S. 279—282. iss v g l oben, S. 114 der Untersuchimg.

158 So nennt Manuel diese in der Verfassung nicht geregelten Staatsnotstandsfälle. 157 Ruck, Schweizerisches Staatsrecht, S. 219 f.; derselbe, Schweizerisches Verwaltungsrecht I, S. 90. Das Bundesgericht hatte bereits vor der Schaffung des Art. 89 bis Abs. 3 BV ein überverfassungsgesetzliches Staatsnotstandsrecht des Bundesrates angenommen, ohne es jedoch näher zu begründen — Urt. v. 13./14. Dezember 1915, BGE 41 I, S. 551 (553/54) — N° 78; diese Rechtsprechung wurde in neueren Urteilen hinsichtlich des polizeilichen Notstands bestätigt: BG Urt. v. 14. Dezember 1965, BGE 91 I , S. 321 (326/27) N° 52; B G Urt. v. 2. März 1966, BGE 92 I, S. 24 (31) Nr. 7. 158 Manuel, Diss., S. 280 ff. (282).

2. Kapitel: Staatsnotstandsrecht

239

a) Befugnisse der Legislative Wenn, wie hier vorausgesetzt, die Kammern keine gesetzgeberische Arbeit leisten können, könnte ein Rumpfparlament geschaffen werden 159 , das die Aufgaben von Nationalrat und Ständerat wahrnehmen könnte. Ähnlich gestaltet wie die Vollmachtenkommissionen nach dem Bundesbeschluß von 1939, müßte es alle Rechte und Pflichten der Bundesversammlung ausüben können 180 . Das Rumpfparlament entspricht dem i m deutschen Rechtsausschußentwurf 1965 (Benda-Entwurf) vorgesehenen Notparlament (Gemeinsamer Ausschuß) und der Regelung i n A r t . 53 a GG.

b) Rechte der Exekutive Die Exekutive übt nach dem überverfassungsgesetzlichen Staatsnotstandsrecht i m Notstand 2. Grades alle legislative und exekutive Staatsgewalt aus, wenn auch die Vollmachtenkommissionen sich nicht oder nicht frei versammeln können 1 6 1 . Sie hat alle Maßnahmen zur Erhaltung des Staates, zur Vertreibung fremder Truppen oder zur Niederschlagung bewaffneter Aufstände zu treffen.

c) Befugnisse des Bundesgerichts Z u den Befugnissen, die das Bundesgericht i m Falle des Notstands 2. Grades haben soll, sagt Manuel merkwürdigerweise nichts. Eine Ultra-vires-Kontrolle kann das Gericht i n diesem Fall nicht ausüben, weil keine lex delegationis besteht. Aus den Ausführungen, die Manuel bei der Ablehnung einer richterlichen Kontrolle der Notstandsmaßnahmen des A r t . 89 bis Abs. 3 B V macht 162 , ist zu schließen, daß er auch i m Notstand 2. Grades die nachträgliche Abstimmung des Volkes höher wertet als eine richterliche Entscheidimg und nur das Referendum als m i t Text und Geist der schweizerischen Bundesverfassung vereinbar ansieht. Dem schweizerischen Rechtssystem ist i n der Tat eine Verfassungsgerichtsbarkeit, die i n Notzeiten Legislative und Exekutive kontrolliert, fremd. 159 180

Es besteht de lege lata nicht. Manuel, Diss., S. 281, besonders Fußnote 75.

161 Manuel, Diss., S. 281; so im Ergebnis auch Giacometti, regime . . . , S. 31. 182 Manuel, Diss., S. 273 f.

Vollmachten-

240

4. Teil: Streik und Staatsnotstand nach schweizerischem Recht d) Befugnisse der Kantone

Die Kantonsregierungen sind i m Staatsnotstand 2. Grades der Bundesexekutive nachgeordnete Behörden. I m Falle der Unterbrechung der Nachrichtenverbindungen oder bei der Invasion durch fremde Truppen sollen die Kantonsregierungen handeln wie die i n Großbritannien zwischen 1940 und 1945 vorgesehenen Regionalkommissare, die i n den abgeschnittenen Regionen die Zentralgewalt repräsentieren und die Lokalbehörden ihren Weisungen unterstellen sollten 163 . e) Rechte des Volkes Das Volk, das — wie unterstellt — i m Zeitraum des A r t . 89 bis Abs. 3 B V (Jahresfrist) über die außerordentlichen Maßnahmen nicht abstimmen konnte, sollte am Ende der zu verlängernden Referendumsfrist zur Abstimmung aufgerufen werden 1 6 4 .

168 184

Manuel, Diss., S. 281, Fußnote 76. Manuel, Diss., S. 281.

. Kapitel

Verhältnis von Streik und Staatsnotstand A. Trennung der Notstandsfälle I n der schweizerischen Gesetzgebung wurden die Staatsnotstandsfälle nicht nach äußerem und innerem Notstand unterschieden. Durch die Übertragung umfassender Vollmachten auf den Bundesrat und dadurch, daß die Schweiz i n beiden Weltkriegen von äußeren Angriffen und massiven Subversionen wie Revolutionen und Putschen verschont blieb, wurden Fragen der Unterscheidung des Zustands der äußeren und desjenigen der inneren Gefahr und ihrer Abgrenzung untereinander niemals praktisch aktuell. Auch i n der rechtswissenschaftlichen Literatur wurden sie nicht klar voneinander geschieden. Nur einige Einzelgesetze 185 , i n denen auf Gesetzesebene Staatsnotstandsfragen teilweise geregelt werden, beziehen sich auf den äußeren Staatsnotstand oder auf den inneren Krisenfall und den Zustand äußerer Gefahr. B. Notstand — Stunde der Exekutive Die Staatsnotstandspraxis der Schweiz hatte den Notstand als Stunde der Exekutive erscheinen lassen. Nachdem dem Bundesrat durch den 168 A.) Auf den äußeren Notstand bezogen: I. B G zur Änderung der M i l i tärorganisation v. 1.4.1949 (AS 1949, S. 1595), geänd. wird das B G über die M i litärorganisation der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 12.4.1907 (AS 1907, S. 695), es wird u. a. die Stellvertretung des eidgenössischen Generals geregelt. I I . BG über die wirtschaftliche Kriegsvorsorge v. 30.9.1955 (AS 1956, S. 89), in dem Gesetz wird die Kriegswirtschaft geregelt. I I I . B G über den Z i vilschutz v. 23. 3. 1962 (AS 1962, S. 1127), das Gesetz regelt Maßnahmen des Schutzes der Bevölkerung im Kriegsfall (Bundeskompetenz nach Art. 22 bis Abs. 1 BV). B.) Auf innere und äußere Krisen bezogen: I. B G über die politischen Garantien und die Polizei, BB1. 1934 I, S. 517 (26. 3.1934), es wird in Art. 12 und 13 die Verlegung des Sitzes des Bundesrates im Notstandsfall und seine Stellvertretung durch den Nationalrat oder den Ständerat geregelt. I I . B G über die Bildung von Arbeitsbeschaffungsreserven der privaten Wirtschaft vom 3. 10. 1951 (AS 1952, S. 13), das Gesetz regelt die Anlegung von Geldreserven für Notstandsfälle und die Möglichkeit besonderer Maßnahmen gegen die A r beitslosigkeit. I I I . B G über die Brotgetreideversorgung des Landes (Getreidegesetz) v. 20. 3. 1959 (AS 1959, S. 1033) abgeändert am 18.12.1964 (AS 1965, S. 461), das Gesetz regelt die Möglichkeit amtlicher Preisgestaltung und das Anlegen einer Getreidereserve.

16 Lohse

2 4 2 4 . Teil: Streik und Staatsnotstand nach schweizerischem Recht Bundesbeschluß umfassende Vollmachten eingeräumt waren, handelte er geschlossen zur Gefahrenabwehr. Bereits durch Bundesgesetz vom 12. Dezember 1940188 (Heimarbeitsgesetz) war der Bundesrat ermächtigt worden, für Heimarbeiter M i n destlöhne festzusetzen. A r t . 12 des Gesetzes untersagte während des Festsetzungsverfahrens jede Arbeitskampfmaßnahme. Durch Bundesbeschluß vom 1. Oktober 1941167 über die Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen wurde die Verpflichtung zum A r beitsfrieden während der Anwendungszeit der erweiterten Geltung jener Verträge festgelegt — A r t . 15 des Gesetzes. Der Beschluß, der auf drei Jahre befristet war, wurde am 23. Juni 1943 durch einen anderen ersetzt 188 , der bis zum 31. Dezember 1954, später bis zum 31. Dezember 1956169 verlängert wurde und A r t . 15 des Beschlusses von 1941 wörtlich übernahm. Auch nach geltendem Recht kann das gewohnheitsrechtlich bestehende Streikrecht durch Bundesgesetz oder Bundesbeschluß von der Bundesversammlung i m Staatsnotstand eingeschränkt werden. Sind dem Bundesrat von der Bundesversammlung umfassende Vollmachten, etwa i m Umfange der Ermächtigungen von 1914 und 1939, eingeräumt, so ist der Bundesrat neben der Bundesversammlung für Einschränkungen des Streikrechts zuständig. I m Notstand 2. Grades erhält die Exekutive aufgrund des überverfassungsgesetzlichen Staatsnotstandsrechts auch ohne vorangehenden bevollmächtigenden Bundesbeschluß das Recht, das gewohnheitsrechtlich bestehende Streikrecht so weit einzuschränken, wie es zur Gefahrenabwehr erforderlich ist. Da ein Notparlament i n der Schweiz noch nicht besteht und bisher auch nicht vorgesehen ist, findet i n diesem Fall keine Kontrolle über die Staatsnotstandsmaßnahmen der Regierung statt. Das Bundesgericht kann nicht angerufen werden. Es ist nach den A r t i k e l n 110 ff. der Bundesverfassung nicht zuständig. Nach der Erörterung des schweizerischen Streik- und Staatsnotstandsrechts fragt es sich, welche Schlußfolgerungen sich aus der schweizerischen Rechtslage und den i n der Schweiz gewonnenen Erfahrungen m i t Streiks, Schlichtungsstellen und Staatsnotstand für die deutsche Rechtslage de lege ferenda ergeben und ob sich für die Vorschläge hinsichtlich zukünftiger deutscher Regelungen, die i n dieser Untersuchung gemacht wurden, Stützen i m eidgenössischen Recht und i n der schweizerischen Streik- und Notstandspraxis finden lassen. 166 187 168 188

AS 1940 Bd. 57 I I , S. 1497. AS 1941, Bd. 57 I I , S. 1141. AS 1943, Bd. 59, S. 853. BB1.1954, I I , S. 461 (Bundesbeschluß vom 24. Sept. 1954).

5. T e i l

Schlußfolgerungen aus der schweizerischen Rechtslage für die zukünftige deutsche Regelung und Zusammenfassung von Ergebnissen der Untersuchung 1. Kapitel

Lehren aus Recht und Praxis der Schweiz für das künftige deutsche Recht A. Bezüglich des Streiks Wenn Berenstein 170 von der arbeitsrechtlichen Gesetzgebung der Schweiz sagt, daß sie sich nicht i n dem Maße weiterentwickelt habe, das ihrer Vorbildlichkeit und dem Vorsprung, den sie zu Beginn der Entwicklung des Arbeitsrechts i n Europa gehabt habe, entsprochen hätte, so gilt das neben den bei Berenstein angeführten Lücken i m Arbeitsschutzrecht, Kündigungsschutzrecht und Mitbestimmungsrecht vor allem für die Streikregelung. Insofern ist die Schweiz also für eine künftige deutsche Regelung nicht beispielhaft, w e i l das deutsche Recht bereits eine Verfassungsgarantie des arbeitsrechtlichen Streiks als Institut und eine gesetzliche Garantie des Rechts auf Streik zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen kennt. Vorbildlich ist die Schweiz dagegen i n ihren auf Sozialpartnerinitiative beruhenden Maßnahmen zur Verhinderung von Streiks. Die Friedensabkommen können nicht nur zu einer wirksamen Eingliederung der Arbeitnehmer und ihrer Organisationen i n das Gesamtgefüge des Staates, sondern auch unter Wahrung des sozialen Friedens dem sozialen Fortschritt dienen. Ohne Streiks wurde i n der Schweiz die wirtschaftliche und soziale Stellung der Metallarbeiter wesentlich verbessert. Die Gewerkschaften wurden vom Bürgerschreck zu Mitwirkenden bei der Arbeits- und Sozialgesetzgebung. 170 Le droit du travail en Suisse, ses tendances générales et son dévelopment comparés à ceux des pays voisins. In: Die Schweiz im universellen Arbeitsrecht, S. 27; vgl. auch Wegmann, Das schweizerische Arbeitsrecht und die Welt von heute in SJZ 1966, S. 4.

16*

244

5. Teil: Schlußfolgerungen aus der schweizerischen Regelung

U m die Zahl der i n den letzten Jahren i n Deutschland durch Streik verlorengegangenen Arbeitstage, die allerdings i m Vergleich m i t den internationalen Verlusten nicht einmal besonders hoch ist, weiter herabzusetzen, ist der Abschluß von Friedensabkommen i n den bedeutenden Industriebranchen schon i n Normalzeiten empfehlenswert. Die den Sozialpartnern dadurch mögliche Weiterentwicklung des Systems sozialen Ausgleichs i n Richtung auf soziale Gerechtigkeit ist jeder staatlichen Maßnahme schon deshalb vorzuziehen, weil die Sozialpartner Möglichkeiten und Bedürfnisse, Machtverhältnisse und Gefühle i n ihren Reihen selbst am besten kennen. I n Zeiten des Staatsnotstands ist die Erhaltung des sozialen Friedens bei gleichzeitiger Wahrung der Interessen der Arbeitnehmer für eine wirksame Gefahrenbekämpfung notwendig.

B. Den Staatsnotstand betreifend I m Staatsnotstandsrecht verdient das Beispiel der Schweiz schon deshalb Beachtung, weil es dort gelungen ist, Notrecht zu setzen, das umfassende Vollmachten für die Exekutive beinhaltete, und dieses Krisenrecht nach der Abwehr der Gefahr weitgehend wieder zu beseitigen oder i n auf verfassungsmäßigem Wege gesetztes Recht umzuwandeln. Daß die Schweiz einer chaotischen Notstandssituation m i t Außerfunktionssetzung mehrerer Verfassungsorgane nicht gegenübergestanden hat, erklärt, daß das schweizerische System trotz mancher Unzulänglichkeiten funktioniert hat, schmälert aber die Leistung nicht. Die geschichtliche und rechtliche Entwicklung i n der Schweiz ist ausführlich dargestellt worden. Hier bleibt nur, auf einige bedeutsame Gesichtspunkte zu verweisen, die zum Teil bereits i n deutsche Entwürfe für eine Notstandsverfassung und i n das GG aufgenommen wurden, und deren Aufnahme durch die Entwicklung i n der Schweiz eine Bestätigung erfährt. Als Grundregel galt und gilt i n der Schweiz, daß alle außerordentlichen Vollmachten grundsätzlich vom Parlament — der Bundesversammlung — beschlossen werden müssen. Bewährten Traditionen der Demokratie folgend, sollen die Vertreter des Volkes darüber entscheiden, ob und i n welchem Umfang konstitutionelle Rechte und Pflichten suspendiert und bestimmten Bundesorganen besondere Vollmachten eingeräumt werden sollen. Die Verwirklichung dieses Grundsatzes wurde möglich, w e i l i n den historischen Staatsnotstandsfällen die Bundesversammlung stets zusammentreten konnte. Aber auch für den äußersten Fall hatte die Schweiz 1941 Vorsorge getroffen, indem die Abgeordneten der Vollmachtenkommissionen zu Mitgliedern eines Notparlaments bestellt wurden, das die Aufgaben der Bundesversammlung für den Fall übernehmen sollte, daß diese nicht zu-

1. Kapitel: Lehren für das deutsche Recht

245

sammentreten konnte. Diese Lösung konnte sich praktisch zwar noch nicht bewähren, hat jedoch eine Vermutung der Praktikabilität für sich, wenn die Zahl der beteiligten Abgeordneten nicht zu groß und die A n wesenheit eines beschlußfähigen Teils dieses Notparlaments am Tagungsort stets gewährleistet ist. Die „Vorstufe" eines Notparlaments, Vollmachtenkommissionen, die wichtige Beschlüsse und Maßnahmen des Bundesrates vorberieten, hat sich nach dem Vollmachtenbeschluß von 1939 schon bewährt. Die Ausgestaltung des Vollmachtenbeschlußartikels als „Soll-Vorschrift" erscheint unzureichend. Z u leicht konnte die Exekutive die Legislative überspielen. Daß m i t dieser Vollmacht von der Regierung kein Mißbrauch getrieben wurde und die Vollmachtenkommissionen vom Bundesrat weitgehend unterrichtet und um Rat gefragt wurden, spricht mehr für das Verantwortungsbewußtsein der Exekutive als für den Wert der Regelung. U m eine bessere Lösung zu erreichen, ist daher durch das Referendum vom 11. September 1949 A r t . 89 bis Abs. 3 i n die Bundesverfassung aufgenommen worden, der extrakonstitutionelle Bundesbeschlüsse — also auch und vor allem Notstandsbevollmächtigungen des Bundesrats durch die Bundesversammlung — innerhalb Jahresfrist dem Referendum unterwirft. Das deutsche Recht kennt ein Referendum für Gesetzesbeschlüsse und Verfassungsänderungen nicht. Es muß daher eine andere Lösung gesucht werden. Sie sollte i n der Vorberatung möglicher Notstandsmaßnahmen durch das Parlament oder das Notparlament bestehen und i n dem Versuch, stets ein Legislativorgan verhandlungs- und beschlußfähig zu halten, dessen Votum den Exekutivmaßnahmen vorgeschaltet ist. Daß für den Fall äußerster Not eine Lücke i n der schweizerischen Regelung besteht, die dadurch ausgefüllt wird, daß die Exekutive Vollmachten aus überverfassungsgesetzlichem Notstandsrecht erhält, ist gezeigt worden. De lege ferenda sollte — und insoweit muß wieder eine negative Lehre aus der Entwicklung i n unserem südlichen Nachbarland gezogen werden — i n Deutschland eine klare und ausreichende Regelung getroffen werden. Der Exekutive sollten für den ärgsten Fall der Bedrohung i n der Verfassung begrenzte Gefahrenabwehrrechte eingeräumt werden. Aus Geschichte, Praxis und Rechtslage der Schweiz konnten nützliche Hinweise für die deutsche Notstandsregelung entnommen werden. Der deutsche Gesetzgeber ging an diesem lehrreichen Beispiel nicht vorüber wie u. a. die Anhörung des Schweizer Professors Hans Huber durch den Rechtsausschuß und den Innenausschuß des Deutschen Bundestages i m Herbst 1967 beweist.

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5. Teil: Schlußfolgerungen aus der schweizerischen Regelung

C. Für die rechtliche Behandlung von Streiks im Falle des Staatsnotstands Das schweizerische Recht enthält, wie das deutsche, keine ausdrücklichen Bestimmungen über die Zulässigkeit von Streiks i m Staatsnotstand. Da das Streiktrecht i n der Schweiz auf Gesetzesebene gewohnheitsrechtlich garantiert ist, kann es durch Bundesgesetz i m Staatsnotstand ausgeschlossen werden. Bei entsprechender Bevollmächtigung durch die Legislative kann die Exekutive i m Zustand der äußeren oder inneren Gefahr Streiks, die die Abwehr der Staatsgefährdung verhindern oder verzögern, verbieten. Wegen der abgeschlossenen Friedensabkommen braucht die Schweiz i n wesentlichen Wirtschaftsbranchen jedoch m i t Streiks während eines Staatsnotstands ebensowenig zu rechnen, wie i n Friedenszeiten. Diese Regelung sollte die Sozialpartner i n Deutschland zu ähnlichen Lösungen ermutigen, sie würden damit einer staatlichen Ordnung i n einer grundsätzlich ihnen überlassenen Regelungssphäre vorbeugen, könnten ihre Ideen vom Arbeitsfrieden verwirklichen und einen bedeutenden positiven Beitrag zur Abwehr von Bedrohungen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung von innen und außen und der Gefährdung von Leib und Leben der Bevölkerung leisten.

2. Kapitel

Zusammenfassung von Ergebnissen der Untersuchung Wenn i m folgenden i n der Untersuchung näher Ausgeführtes zusammengefaßt wird, so soll das nur auf die Probleme hinweisen, die gegenwärtig noch erörtert werden, und die gefundenen Lösungen aneinanderreihen. Abgrenzungsmerkmal zwischen politischem und arbeitsrechtlichem Streik ist die Adresse an den Staat bzw. an den Sozialpartner. Das Grundgesetz enthält i n den A r t i k e l n 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 S. 1 eine Garantie des Instituts „arbeitsrechtlicher Streik" m i t Verfassungsrang. Politische Streiks sind verfassungswidrig. Das Recht auf arbeitsrechtliche Streiks ist i n Deutschland durch die Europäische Sozialcharta auf Gesetzesebene garantiert. I n den A r t i k e l n 91, 59 a GG enthielt das Grundgesetz vor 1968 eine unzureichende Regelung der Gefahrenabwehr i n Staatsnotstandsfällen, die durch einfache Notstandsgesetze nicht hinreichend ergänzt wurde. Auch die Notstandsrechte der zuständigen Stellen der Drei Mächte — Frankreich, Großbritannien, Vereinigte Staaten von Amerika — sind nicht mehr umfassend, sondern greifen als Notwehrrechte nur ein, wenn die Sicherheit alliierter Truppen der drei Staaten durch einen Staatsnotstand oder während eines Ausnahmezustands bedroht wird. Das unzureichende, gesetzte Staatsnotstandsrecht wurde 1968 durch die Einfügung der Notstandsverfassung ins Grundgesetz weitgehend ergänzt; ferner besteht ein überverfassungsgesetzliches Notstandsrecht der Bundesregierung. Die Vorlage des Rechtsausschusses von 1965 (Benda-Entwurf) enthielt eine weitgehend brauchbare Regelung des inneren und äußeren Notstands, wies jedoch Lücken auf. Vor allem war die Zulässigkeit von Streiks i m Staatsnotstand genauer zu regeln, als es i n A r t . 91 a Abs. 6 der Rechtsausschußvorläge vorgesehen war. A u f S. 198 dieser Untersuchung wurde dazu ein Formulierungsvorschlag gemacht. Der Benda-Entwurf wurde durch den Lücke-Entwurf, den Lenz-Entw u r f und durch die ins Grundgesetz aufgenommenen Notstandsartikel weiter verbessert. Auch die Notstandsverfassung des Grundgesetzes vermag aber nicht v o l l zu befriedigen. Eine umfassende Streikregelung z. B. wurde bei der Ergänzung des Grundgesetzes nicht getroffen.

Anhang Entwürfe zur Ergänzung des Grundgesetzes durch eine Notstandsverfassung I. Enwurf vom 13. Januar 1960 (Schröder-Entwurf) 1 , B T Drucks. III/1800 Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates unter Einhaltung der Vorschrift des Art. 79 Abs. 2 des Grundgesetzes das folgende Gesetz beschlossen: § 1. I n das Grundgesetz wird hinter Artikel 115 folgender neuer Abschnitt X a eingefügt: X a — Ausnahmezustand, Artikel 115 a. (1) Zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes, der mit den Mitteln des Artikels 91 nicht mehr begegnet werden kann, kann der Bundestag den Ausnahmezustand beschließen. Sein Beschluß wird vom Bundespräsidenten verkündet. (2) Stehen der Beschlußfassung des Bundestages unüberwindliche Hindernisse entgegen, so kann bei Gefahr i m Verzug der Bundespräsident mit Gegenzeichnung des Bundeskanzlers den Ausnahmezustand anordnen und verkünden. Der Bundespräsident soll zuvor die Präsidenten des Bundestages und des Bundesrates hören. (3) Bei Verkündung des Ausnahmezustandes kann der Bundespräsident von den Vorschriften des Artikels 82 abweichen. (4) Während des Ausnahmezustandes ist die Bundesregierung ermächtigt, 1. gesetzesvertretende Verordnungen zu erlassen, und zwar auch auf Sachbereichen, die nicht zur Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes gehören, sie auch abweichend von Artikel 82 zu verkünden und diese Befugnisse für bestimmte Aufgaben widerruflich auf Behörden des Bundes und der Länder zu übertragen. 2. in solchen Verordnungen a) für die Dauer des Ausnahmezustandes die Grundrechte aus Artikel 5, 8, 9, 11 und 12 über das sonst vorgesehene Maß einzuschränken und für Freiheitsentziehungen Artikel 104 Abs. 2 und 3 außer Kraft zu setzen, wobei eine richterliche Uberprüfung gewährleistet sein muß; b) bei Enteignung abweichend von Artikel 14 Abs. 3 Satz 2 Art und Ausmaß der Entschädigung einer späteren Regelung vorzubehalten; 1 Abgedruckt bei Seifert, Gefahr im Verzuge, Anhang I X , S. 134 f. ArndtFreund, Notstandsgesetz — aber wie?, S. 34 ff.

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3. in gesetzesvertretenden Verordnungen, die spätestens mit Beendigung des Rechnungsjahres, in dem der Ausnahmezustand aufgehoben wird, außer Kraft treten, von den Vorschriften der Artikel 106 und 107 abzuweichen; 4. die Polizeikräfte des Bundes und die Polizeikräfte in den Ländern sowie, falls die Polizeikräfte nicht ausreichen, auch die Streitkräfte einzusetzen und zur einheitlichen Führung aller eingesetzten bewaffneten Kräfte einen Beauftragten zu bestellen; 5. die Ausführung der Bundesgesetze und gesetzesvertretenden Verordnungen sowie die Bundesverwaltung durch gesetzesvertretende Verordnungen für die Dauer des Ausnahmezustandes abweichend von Abschnitt V I I I und X zu regeln. (5) Während des Ausnahmezustandes endende Wahlperioden des Bundestages verlängern sich bis zum Ablauf von 3 Monaten nach Aufhebung des Ausnahmezustandes. Während des Ausnahmezustandes endende Amtsperioden des Bundespräsidenten verlängern sich bis zum Ablauf von 6 Monaten nach Aufhebung des Ausnahmezustandes. Der Bundestag kann Abweichendes beschließen. (6) Sind im Verteidigungsfall die Nachrichtenverbindungen zum Sitz der Bundesregierung nicht nur vorübergehend unterbrochen oder ist die Bundesregierung außerstande, die notwendigen Maßnahmen zu treffen, so sind die Ministerpräsidenten der Länder und, falls diese Voraussetzungen auch im Verhältnis eines Landes zu Teilgebieten dieses Landes gegeben sind, die Regierungspräsidenten, äußerstenfalls die leitenden Verwaltungsbeamten der Landkreise und kreisfreien Städte zu einstweiligen Maßnahmen i. S. des Absatzes 4 für ihren Bereich befugt. Einstweüige Maßnahmen nach Satz 1 können durch die Bundesregierung im Verhältnis zu nachgeordneten Behörden auch durch die Ministerpräsidenten der Länder jederzeit aufgehoben werden. (7) Dem Bundestag ist von allen nach Absatz 4 und 6 getroffenen Maßnahmen Kenntnis zu geben. Er kann den Ausnahmezustand und die auf seiner Grundlage getroffenen Maßnahmen jederzeit aufheben. § 2. Artikel 143 wird aufgehoben. § 3. Dieses Gesetz tritt am Tage nach seiner Verkündung in Kraft. I I . Entwurf vom 31. Oktober 1962 (Höcherl-Entwurf) 2 , B T Drucks. IV/891 81. I n das Grundgesetz werden hinter Artikel 115 folgende neue Abschnitte X a, X b und X c eingefügt: Abschnitt X a — Zustand der äußeren Gefahr Artikel 115 a: (1) Der Bundestag kann auf Antrag der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates den Eintritt des Zustandes der äußeren Gefahr feststellen, wenn das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen wird oder ein solcher Angriff droht. (2) Stehen dem Zusammentritt oder der rechtzeitigen Beschlußfassung des Bundestages und des Bundesrates oder eines von ihnen unüberwindliche Hindernisse entgegen, so kann ein aus 20 Mitgliedern des Bundestages und 10 M i t gliedern des Bundesrates gebildeter Ausschuß die Feststellung treffen. Die 2

Abgedruckt bei Seifert,

Gefahr im Verzuge, Anhang X , S. 136 ff.

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Bildung dieses Ausschusses und sein Verfahren regelt eine Geschäftsordnung, die vom Bundestag beschlossen wird und der Zustimmung des Bundesrates bedarf. Die in den Ausschuß entsandten Mitglieder des Bundesrates sind nicht an Weisungen gebunden. (3) Bei Gefahr im Verzug steht die Befugnis zur Feststellung gemäß Abs. 1 auch dem Bundespräsidenten mit Gegenzeichnung des Bundeskanzlers zu; er soll zuvor die Präsidenten des Bundestages und des Bundesrates hören. (4) Die Feststellung wird vom Bundespräsidenten verkündet. Er kann dabei von Art. 82 abweichen; eine Artikel 82 entsprechende Verkündung ist nachzuholen, sobald die Umstände es gestatten. (5) M i t der Verkündung der Feststellung treten die Rechtsfolgen ein, die sich aus den Artikeln 1 1 5 b b i s l l 5 f ergeben. Von diesen Befugnissen darf nur zu dem Zweck Gebrauch gemacht werden, die Gefahr abzuwehren. Artikel 115 b: (1) Der Bund hat das Recht der konkurrierenden Gesetzgebung auch auf solchen Sachbereichen, die sonst zur Gesetzgebungszuständigkeit der Länder gehören. (2) Durch Bundesgesetz können a) für die Dauer des Zustandes der äußeren Gefahr die Grundrechte aus Artikel 5, Artikel 8, Artikel 9 Abs. 1 und 2 und Artikel 11 über das sonst zulässige Maß hinaus eingeschränkt werden; b) für die Dauer des Zustandes der äußeren Gefahr die Bewohner der Bundesrepublik Deutschland über das nach Artikel 12 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1 zulässige Maß hinaus zu Dienst- und Werkleistungen verpflichtet werden; c) bei Enteignungen abweichend von Artikel 14 Abs. 3 Satz 2 Art und Ausmaß der Entschädigung einer späteren Regelung vorbehalten werden; d) für die Dauer des Zustandes der äußeren Gefahr für Freiheitsentziehungen abweichend von Artikel 104 Abs. 2 und 3 Fristen gesetzt werden, die jedoch die Dauer einer Woche nicht überschreiten sollen; e) für die Dauer des Zustandes der äußeren Gefahr die Verwaltung und das Finanzwesen des Bundes und der Länder geregelt und dabei von den Abschnitten V I I I und X abgewichen werden; f) längstens bis zur Beendigung des zweiten Rechnungsjahres, das auf die Aufhebung des Zustandes der äußeren Gefahr folgt, von Artikel 106 und 107 abweichende Regelungen getroffen werden, wobei die finanzielle Lebensfähigkeit der Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände zu wahren ist. (3) Die Bundesregierung kann a) außer den Polizeikräften des Bundes und der Länder, soweit diese nicht ausreichen, auch die Streitkräfte im Innern für polizeiliche Aufgaben einsetzen und zur einheitlichen Führung der eingesetzten Kräfte einen Beauftragten bestellen; b) außer der Bundesverwaltung auch den Landesbehörden Weisungen in allen die Abwehr der Gefahr betreffenden Angelegenheiten erteilen und diese Befugnis auf von ihr zu bestimmende Behörden oder Beauftragte übertragen. Artikel 115 c: (1) Der Bundestag kann den Ausschuß nach Artikel 115 a Abs. 2 ermächtigen, Gesetze einschließlich solcher gemäß 115 b Abs. 1 und 2 zu erlassen (Not-

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gesetze). Soweit dem Zusammentritt oder der rechtzeitigen Beschlußfassung des Bundestages unüberwindliche Hindernisse entgegenstehen, kann der Ausschuß nach Art. 115 a Abs. 2 auch ohne eine solche Ermächtigung Notgesetze erlassen. (2) Erfordert die Lage ein sofortiges Handeln, so kann die Bundesregierung Verordnungen mit Gesetzeskraft, auch gem. Artikel 115 b Abs. 1 und 2 erlassen (Notverordnungen) und diese Befugnis für einzelne Aufgaben auf von ihr zu bestimmende Behörden übertragen. (3) Notgesetze werden vom Bundespräsidenten, Notverordnungen von der Stelle, die sie erläßt, verkündet. Art. 115 a Abs. 4 S. 2 gilt entsprechend. (4) Notgesetze und Notverordnungen treten unbeschadet des Art. 115 b Abs. 2 Buchstaben c und f spätestens nach Ablauf von 6 Monaten außer Kraft, wenn sie nicht verlängert werden. Artikel 115 d: Der Bundeskanzler kann die Befugnisse der Bundesregierung auf einzelnen Sachbereichen einem Kabinettsausschuß übertragen, dessen Zusammensetzung er bestimmt. Artikel 115 e: (1) Das Bundesgesetz gem. Artikel 93 Abs. 2 und Artikel 94 Abs. 2 über das Bundesverfassungsgericht darf durch Notgesetz oder Notverordnung nur insoweit geändert werden, als dies zur Aufrechterhaltung der Arbeitsfähigkeit des Gerichts erforderlich ist, nachdem das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat, daß seine Arbeitsfähigkeit nicht mehr gegeben oder ernsthaft gefährdet ist. Die gesetzlichen Bestimmungen über die Wahl der Bundesverfassungsrichter, über die Zuständigkeit des Gerichts und über seine Befugnisse zum Erlaß von einstweiligen Anordnungen sowie zur Regelung der Vollstreckung seiner Entscheidungen dürfen durch Notgesetz oder Notverordnung nicht geändert werden. (2) Die verfassungsmäßige Stellung und die Erfüllung der verfassungsmäßigen Aufgaben des Bundesverfassungsgerichts und seiner Richter dürfen nicht beeinträchtigt werden. Artikel 115 f: Sind die zuständigen Bundesorgane nicht nur vorübergehend außerstande, die notwendigen Maßnahmen zur Abwehr eines Angriffs mit Waffengewalt zu treffen, und erfordert die Lage unabweisbar ein sofortiges selbständiges Handeln in einzelnen Teilen des Bundesgebietes, so sind die Ministerpräsidenten und, falls diese Voraussetzungen auch im Verhältnis eines Landes zu seinen Teilgebieten gegeben sind, die Regierungspräsidenten, äußerstenfalls die Hauptverwaltungsbeamten der Landkreise und kreisfreien Städte zu einstweiligen Maßnahmen i. S. der Artikel 115 b und 115 c für ihren Bereich befugt. Die Ausübung dieser Befugnisse darf nicht zu einer Beeinträchtigung der militärischen Verteidigung führen. Einstweilige Maßnahmen nach Satz 1 können durch die Bundesregierung, i m Verhältnis zu nachgeordneten Behörden auch durch die Ministerpräsidenten der Länder jederzeit aufgehoben werden. Artikel 115 g: (1) Der Bundestag kann mit Zustimmung des Bundesrates jederzeit durch einen vom Bundespräsidenten zu verkündenden Beschluß den Zustand der äußeren Gefahr für beendet erklären und die auf seiner Grundlage getroffenen

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Maßnahmen aufheben. Notgesetze und Notverordnungen können jederzeit auch durch den Ausschuß nach Art. 115 ä Abs. 2 aufgehoben werden. (2) Bundesgesetze, die aufgrund von Artikel 115 b Abs. 1 auf Sachbereichen erlassen worden sind, die sonst zur Gesetzgebungszuständigkeit der Länder gehören, sowie alle Notgesetze und Notverordnungen treten spätestens 6 Monate nach Beendigung des Zustandes der äußeren Gefahr außer Kraft. A r tikel 115 b Buchstaben c und f bleiben unberührt. (3) Eine während des Zustandes der äußeren Gefahr endende Wahlperiode des Bundestages verlängert sich bis zum Ablauf von drei Monaten, eine während dieser Zeit endende Amtsperiode des Bundespräsidenten bis zum Ablauf von 6 Monaten nach Beendigung des Zustandes der äußeren Gefahr. Der Bundestag kann diese Fristen abkürzen. Artikel 115 h: Wird das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen, und sind die zuständigen Bundesorgane außerstande, sofort die Feststellung gem. Artikel 59 a oder gem. Artikel 115 a zu treffen, so gelten der Verteidigungsfall sowie der Zustand der äußeren Gefahr als eingetreten. Abschnitt X b — Zustand der inneren Gefahr Artikel 115 i: Ein Zustand der inneren Gefahr liegt vor, wenn der Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes 1. durch Einwirkung von außen, 2. durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt, 3. durch Nötigung eines Verfassungsorgans oder 4. durch Mißbrauch oder Anmaßung von Hoheitsbefugnissen ernstlich und unmittelbar bedroht ist. Artikel 115 k: (1) Besteht in einem Land ein Zustand gem. Artikel 115 i, so kann, wenn die Mittel des Artikels 91 Abs. 1 nicht ausreichen, der Landtag für die Dauer dieses Zustandes, soweit dies zur Bekämpfung der Gefahr erforderlich ist, a) Notgesetze für das Landesgebiet auch auf Sachbereichen erlassen, die nicht zur Gesetzgebungszuständigkeit des Landes gehören, b) in Gesetzen 1. unter Einschränkung der Grundrechte aus Art. 5 Beschränkungen und Auflagen für den Nachrichtenverkehr einführen, 2. die Grundrechte aus Art. 8 und Art. 11 über das sonst vorgesehene Maß hinaus einschränken. (2) Bei Gefahr im Verzuge kann die Landesregierung Notverordnungen für das Landesgebiet gem. Abs. 1 erlassen. (3) Über den Inhalt aller nach Abs. 1 und Abs. 2 erlassenen Notgesetze und Notverordnungen sowie über die auf ihrer Grundlage getroffenen Maßnahmen sind unverzüglich der Bundestag und die Bundesregierung zu unterrichten. (4) Notgesetze und Notverordnungen nach Abs. 1 und Abs. 2 treten spätestens nach Ablauf eines Monats außer Kraft. Der Bundestag oder die Bundesregierung kann sie und die auf ihrer Grundlage getroffenen Maßnahmen jederzeit aufheben.

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Artikel 1151: (1) Besteht in einem Land ein Zustand gem. Artikel 115 i, ist das Land zur Bekämpfung der Gefahr nicht bereit oder in der Lage und reichen die Mittel des Artikels 91 Abs. 2 nicht aus, so treten für die Dauer dieses Zustandes nachstehende Rechtsfolgen ein: a) Der Bund hat das Recht der konkurrierenden Gesetzgebung auch auf solchen Sachbereichen, die sonst zur Gesetzgebungszuständigkeit der Länder gehören. b) Durch Bundesgesetz können die Grundrechte aus Artikel 5, Artikel 8 und Artikel 11 in dem durch Artikel 115 k Abs. 1 Buchstabe b zugelassenen U m fang eingeschränkt werden. Handelt es sich um einen Gefahrenzustand gem. Art. 115 i Nr. 1, so findet Artikel 115 b Abs. 2 Buchstaben a, b, c und d entsprechende Anwendung. c) Die Bundesregierung hat die Befugnisse gem. Art. 115 b Abs. 3. (2) Stehen dem Zusammentritt oder der rechtzeitigen Beschlußfassung des Bundestages unüberwindliche Hindernisse entgegen, so kann der Ausschuß nach Art. 115 a Abs. 2 Notgesetze, auch gem. Abs. 1 Buchstaben a und b erlassen. Erfordert die Lage ein sofortiges Handeln, so kann die Bundesregierung Notverordnungen auch gem. Abs. 1 Buchstaben a und b erlassen. Art. 115 c Abs. 3 findet Anwendung. (3) Sollen die Streitkräfte gem. Abs. 1 Buchstabe c im Innern mit der Waffe eingesetzt werden, so bedarf es hierzu der vorherigen Zustimmung des Bundestages, in den Fällen des Absatzes 2 S. 1 des Ausschusses nach Art. 115 a Abs. 2. Einer Zustimmung bedarf es nicht, wenn die Lage unabweisbar den sofortigen Einsatz dieser Art erfordert. Der Einsatz ist jedoch einzustellen, wenn der Bundestag es verlangt. (4) Artikel 115 e findet entsprechende Anwendung. (5) Bundesgesetze, die aufgrund von Abs. 1 Buchstabe a auf Sachbereichen erlassen worden sind, die sonst zur Gesetzgebungszuständigkeit der Länder gehören, sowie alle Notgesetze und Notverordnungen treten spätestens nach Ablauf von 3 Monaten außer Kraft. Der Bundestag kann jederzeit Notgesetze, Notverordnungen und die auf ihrer Grundlage getroffenen Maßnahmen aufheben. Notgesetze und Notverordnungen können jederzeit auch durch den Ausschuß nach Art. 115 a Abs. 2 aufgehoben werden. Abschnitt X c — Katastrophenzustand Artikel 115m: Sind Leib oder Leben der Bevölkerung, insbesondere durch eine Naturkatastrophe, ernstlich und unmittelbar gefährdet (Katastrophenzustand), so finden Artikel 115 k und 1151 entsprechende Anwendung. § 2. I n das Grundgesetz wird hinter Artikel 74 Nr. 23 folgende neue Nummer 24 eingefügt: 24. die Vorsorge für den Fall einer Gefahr gem. Artikel 115 i und A r tikel 115 m. § 3. Artikel 143 des Grundgesetzes wird aufgehoben. § 4. Dieses Gesetz tritt am Tage nach seiner Verkündung in Kraft.

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Entwürfe zur Ergänzung des Grundgesetzes

I I I . Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung des Grundgesetzes in der Fassung des schriftlichen Berichtes des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages vom 31. M a i 1965 (Benda-Entwurf) 3 , B T Drucks. IV/3494 Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates das folgende Gesetz beschlossen; Artikel 79 Abs. 2 des Grundgesetzes ist eingehalten: § 1. Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. M a i 1949 (BGBl. S. 1) wird wie folgt ergänzt: 1. Artikel 12 erhält folgende Fassung: Artikel 12: (1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz geregelt werden. (2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht. Für Zwecke der Verteidigung ist auch eine darüber hinausgehende Verpflichtung zu zivilen Dienstleistungen außerhalb des Wehrdienstes im Bereich der öffentlichen Verwaltung und der Streitkräfte zulässig. I m nichtöffentlichen Bereich können außer Ausbildungsveranstaltungen derartige Dienstleistungen nur während des Zustandes der äußeren Gefahr oder dann gefordert werden, wenn die Bundesregierung gem. Artikel 53 a Abs. 3 feststellt, daß dies zur Herstellung oder Aufrechterhaltung der Verteidigungsbereitschaft oder zum Schutze oder zur Versorgung der Zivilbevölkerung erforderlich ist. (3) Männer können vom vollendeten 18. Lebensjahr an zum Grenzschutzdienst verpflichtet werden. (4) Zum Zivildienst im Verband der Streitkräfte dürfen Frauen nicht gegen ihren Willen herangezogen werden. (5) Z u einem Dienst mit der Waffe dürfen Frauen in keinem Fall verwendet werden. (6) Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten entziehung zulässig.

Freiheits-

2. Nach Artikel 12 wird folgender Artikel 12 a eingefügt: Artikel 12 a: (1) Männer vom vollendeten 18. Lebensjahr an können zum Wehrdienst verpflichtet werden. (2) Wer aus Gewissensgründen den Kriegsdienst mit der Waffe verweigert, kann zu einem Ersatzdienst verpflichtet werden. Die Dauer des Ersatzdienstes darf die Dauer des Wehrdienstes nicht übersteigen. Das Nähere regelt ein Gesetz, das die Freiheit der Gewissensentscheidung nicht beeinträchtigen darf und auch eine Möglichkeit des Ersatzdienstes vorsehen muß, die in keinem Zusammenhang mit den Verbänden der Streitkräfte steht. 3. Nach Artikel 53 wird folgender neuer Abschnitt I V a eingefügt: I V a. Gemeinsamer Ausschuß Artikel 53 a: (1) Der Gemeinsame Ausschuß besteht zu zwei Dritteln aus Abgeordneten des Bundestages, zu einem Drittel aus Mitgliedern des Bundesrates. Die Ab3

Abgedruckt bei Benda, Die Notstandsverfassung, S. 147 ff.

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geordneten werden vom Bundestag nach den Grundsätzen der Verhältniswahl entsprechend dem Stärkeverhältnis der Fraktionen bestimmt; sie dürfen nicht der Bundesregierung angehören. Jedes Land wird durch ein von ihm bestelltes Mitglied des Bundesrates vertreten; diese Mitglieder sind nicht an Weisungen gebunden. Die Bildung des Gemeinsamen Ausschusses und sein Verfahren werden durch eine Geschäftsordnung geregelt, die vom Bundestag zu beschließen ist und der Zustimmung des Bundesrates bedarf. (2) Die Bundesregierung legt dem Gemeinsamen Ausschuß die Entwürfe der Gesetze zur Billigung vor, die nach ihrer Auffassung erlassen werden müssen, falls der Zustand der äußeren Gefahr eintritt; sie unterrichtet den Gemeinsamen Ausschuß über die diesen Gesetzen zugrunde liegenden Planungen. (3) Die Bundesregierung darf eine in Bundesgesetzen über die Verteidigung einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung vorgesehene Feststellung mit gesetzlich festgelegten Rechtswirkungen nur treffen, nachdem der Gemeinsame Ausschuß sie gebilligt hat. Die Bundesregierung hat den Gemeinsamen Ausschuß zu hören, bevor sie i m Rahmen eines Bündnisvertrages einem Beschluß zustimmt, durch den die beschleunigte Herstellung der vollen Verteidigungsbereitschaft stufenweise angeordnet wird; das gleiche gilt, wenn die Bundesregierung auf der Grundlage eines solchen Beschlusses eine Feststellung der in Satz 1 bestimmten Art trifft. Einer Beteiligung des Gemeinsamen Ausschusses bedarf es nicht, wenn seinem sofortigen Zusammentritt unüberwindliche Hindernisse entgegenstehen oder er nicht beschlußfähig ist und die Lage unabweisbar ein sofortiges Handeln erfordert. Solange eine Feststellung gilt, hat die Bundesregierung den Gemeinsamen Ausschuß laufend zu unterrichten. (4) Die Bundesregierung hat eine von ihr nach Abs. 3 getroffene Feststellung aufzuheben, wenn der Bundestag und der Bundesrat es verlangen. Der Gemeinsame Ausschuß kann verlangen, daß der Bundestag und der Bundesrat hierüber unverzüglich beschließen. 4. Artikel 59 a erhält folgende Fassung: Artikel 59 a: (1) Die Feststellung, daß der Verteidigungsfall eingetreten ist, trifft der Bundestag. (2) Stehen dem sofortigen Zusammentritt des Bundestages unüberwindliche Hindernisse entgegen oder ist er nicht beschlußfähig und erfordert die Lage unabweisbar ein sofortiges Handeln, so kann der Bundespräsident mit Gegenzeichnung des Bundeskanzlers die Feststellung treffen. Der Bundespräsident soll zuvor die Präsidenten des Bundestages und des Bundesrates hören. (3) Die Feststellung wird vom Bundespräsidenten nach Artikel 82 verkündet. Er kann dabei von dieser Vorschrift abweichen; eine Artikel 82 entsprechende Verkündung ist nachzuholen, sobald die Umstände es zulassen. (4) Wird das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen, und sind die ständigen Bundesorgane außerstande, sofort die Feststellung zu treffen, so sie als getroffen und als zu dem Zeitpunkt verkündet, in dem der Angriff gonnen hat. Der Bundespräsident gibt diesen Zeitpunkt bekannt, sobald Umstände es zulassen.

zugilt bedie

(5) Der Bundespräsident darf völkerrechtliche Erklärungen über das Bestehen des Verteidigungsfalles erst nach Verkündung der Feststellung abgeben.

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Entwürfe zur Ergänzung des Grundgesetzes

(6) Über den Friedensschluß wird durch Bundesgesetz entschieden. 5. I n Artikel 73 Nr. 1 sind die Worte „für Männer vom vollendeten 18. Lebensjahr an" zu streichen. 6. I n Artikel 74 wird nach Nr. 3 folgende neue Nummer 3 a eingefügt: 3 a. Die Abwehr einer Gefahr nach Artikel 91 Abs. 2 oder nach Artikel 91 a Abs. 2. 7. Artikel 91 erhält folgende Fassung: Artikel 91: (1) Zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes kann ein Land Polizeikräfte anderer Länder sowie Kräfte des Bundesgrenzschutzes anfordern. Reichen diese Polizeikräfte nicht aus, so kann die Bundesregierung der Landesregierung mit Zustimmung des Bundesrates Streitkräfte als Polizeikräfte zur Verfügung stellen. (2) Ist das Land, in dem die Gefahr droht, nicht selbst zur Bekämpfung der Gefahr bereit oder in der Lage, so kann, soweit es zur Abwehr der Gefahr erforderlich ist, die Bundesregierung die Polizei in diesem Land und Polizeikräfte anderer Länder ihren Weisungen unterstellen sowie in allen die A b wehr der Gefahr betreffenden Angelegenheiten gegenüber den zuständigen Landesbehörden entsprechende Rechte wie nach Art. 85 Abs. 3 und 4 in A n spruch nehmen. Das gleiche gilt, wenn sich die Gefahr auf das Gebiet mehr als eines Landes erstreckt, soweit ihre wirksame Bekämpfung es erfordert. Die Anordnung ist jederzeit auf Verlangen des Bundesrates, im übrigen unverzüglich nach Beseitigung der Gefahr, aufzuheben. Soweit es zur Abwehr der Gefahr erforderlich ist, kann die Bundesregierung auch den Bundesgrenzschutz und die Streitkräfte als Polizeikräfte einsetzen. Ein darüber hinausgehender Einsatz der Streitkräfte durch die Bundesregierung ist erst zulässig, nachdem der Bundestag zugestimmt hat. Die Zustimmung ist nicht erforderlich, wenn die Lage unabweisbar einen sofortigen Einsatz dieser Art erfordert; der Einsatz ist einzustellen, wenn der Bundestag es verlangt. (3) I m Falle des Absatzes 1 kann ein Land, soweit dies zur Abwehr der Gefahr erforderlich ist, Rechtsvorschriften auf dem Gebiete der Freizügigkeit und des Versammlungsrechts erlassen. I n den Fällen des Absatzes 2 hat der Bund, soweit dies zur Abwehr der Gefahr erforderlich ist, das Recht der konkurrierenden Gesetzgebung auch auf Sachgebieten, die sonst zur Gesetzgebungszuständigkeit der Länder gehören. Rechtsvorschriften nach Satz 1 und 2 setzen für die Dauer ihrer Geltung entgegenstehendes Recht außer Anwendung. (4) I n den Fällen des Absatzes 1 oder des Absatzes 2 können Rechtsvorschriften, soweit dies zur Abwehr der Gefahr erforderlich ist, auch für Versammlungen in geschlossenen Räumen die nach Art. 8 Abs. 2 für Versammlungen unter freiem Himmel zulässigen Regelungen treffen sowie die Freizügigkeit über das nach Art. 11 Abs. 2 zulässige Maß hinaus einschränken. (5) Rechtsvorschriften aufgrund dieses Artikels treten spätestens nach 3 Monaten außer Kraft, soweit sie nicht durch Gesetz verlängert werden. Nach Beseitigung der Gefahr sind sie sowie die auf ihrer Grundlage getroffenen Maßnahmen unverzüglich aufzuheben. (6) Die Absätze 1—5 finden keine Anwendung auf Arbeitskämpfe, die zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen von Vereinigungen i. S. des Artikels 9 Abs. 3 geführt werden.

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8. Nach Artikel 91 wird folgender Artikel 91 a eingefügt: Artikel 91 a: (1) Sind Leib oder Leben der Bevölkerung eines Landes durch eine Naturkatastrophe oder einen anderen besonders schweren Unglücksfall ernstlich und unmittelbar gefährdet, so kann das Land Polizeikräfte anderer Länder, Kräfte des Zivilschutzes und des Bundesgrenzschutzes sowie Streitkräfte als Polizeikräfte, ferner Kräfte und Einrichtungen anderer bundeseigener Verwaltungen zur Hüfe anfordern, soweit es zur Abwehr der drohenden Gefahr erforderlich ist. Ist eine Entscheidung der zuständigen Stellen über die A n forderung nicht rechtzeitig zu erlangen, so können die angeforderten Kräfte auch ohne eine solche Entscheidung vorläufig zur Verfügung gestellt werden. Artikel 91 Abs. 3 S. 1 und 3 sowie Abs. 4 und 5 finden entsprechende Anwendung. (2) Ist das Land, in dem die Gefahr droht, nicht selbst zur Bekämpfung der Gefahr in der Lage, oder erstreckt sich die Gefahr auf das Gebiet mehr als eines Landes, so gilt Artikel 91 Abs. 2 S. 1—4, Abs. 3 S. 2, Abs. 4 und 5 entsprechend. 9. Nach Artikel 115 wird folgender neuer Abschnitt X a eingefügt: X a. Zustand der äußeren Gefahr Artikel 115 a: (1) Der Bundestag kann mit Zustimmung des Bundesrates auf Antrag des Gemeinsamen Ausschusses oder der Bundesregierung feststellen, daß der Zustand der äußeren Gefahr eingetreten ist, wenn das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen wird oder ein solcher Angriff droht. Die Feststellung bedarf einer Mehrheit von zwei Dritteln, mindestens der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages. Der Gemeinsame Ausschuß oder die Bundesregierung kann verlangen, daß Bundestag und Bundesrat unverzüglich über die Feststellung beschließen. (2) Stehen dem sofortigen Zusammentritt des Bundestages unüberwindliche Hindernisse entgegen oder ist er nicht beschlußfähig und erfordert die Lage unabweisbar ein sofortiges Handeln, so kann der Gemeinsame Ausschuß mit einer Mehrheit von zwei Dritteln seiner Stimmen, mindestens jedoch der Mehrheit seiner Mitglieder die Feststellung treffen. (3) Stehen auch dem sofortigen Zusammentritt des Gemeinsamen Ausschusses unüberwindliche Hindernisse entgegen oder ist auch er nicht beschlußfähig und erfordert die Lage unabweisbar ein sofortiges Handeln, so kann der Bundespräsident mit Gegenzeichnung des Bundeskanzlers die Feststellung treffen. Er soll zuvor die Präsidenten des Bundestages und des Bundesrates sowie den Vorsitzenden des Gemeinsamen Ausschusses hören. (4) Artikel 59 a Abs. 3 findet entsprechende Anwendung. (5) Wird das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen und sind die zuständigen Bundesorgane außerstande, sofort die Feststellung nach Abs. 1 S. 1 zu treffen, so gilt diese Feststellung als getroffen und als zu dem Zeitpunkt verkündet, in dem der Angriff begonnen hat. Der Bundespräsident gibt diesen Zeitpunkt bekannt, sobald es die Umstände zulassen. Artikel 115 b: M i t der Verkündung der Feststellung gemäß Artikel 115 a treten die Rechtsfolgen ein, die sich aus den Artikeln 1 1 5 b b i s l l 5 m ergeben. Die Befugnisse nach diesen Vorschriften entfallen, sobald der Zustand der äußeren Gefahr für 17 Lohse

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beendet erklärt wird; Rechtsvorschriften nach Artikel 115 d Abs. 2 Buchstabe e können i m Rahmen dieser Vorschrift auch nach Beendigung des Zustandes der äußeren Gefahr durch Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundesrates geändert werden, um zu der Regelung nach Abschnitt X überzuleiten. Artikel 115 c: Von den Befugnissen nach den Artikeln 115d bis 115i darf nur Gebrauch gemacht werden, soweit dies zur Abwehr der Gefahr erforderlich ist. Artikel 115 d: (1) Der Bund hat das Recht der konkurrierenden Gesetzgebung auch auf den Sachgebieten, die sonst zur Gesetzgebungszuständigkeit der Länder gehören. (2) Durch Bundesgesetz können a) für die Dauer des Zustandes der äußeren Gefahr unbeschadet der Rechte nach Artikel 5 Abs. 1 S. 1 und 3 die Freiheit der Berichterstattung über das nach Abs. 2 dieser Vorschrift zulässige Maß hinaus eingeschränkt werden, soweit es sich um die Verbreitung und Veröffentlichung von Nachrichten handelt, die die äußere oder innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder eines mit ihr verbündeten Staates betreffen oder die geeignet sind, zur Abwehr der Gefahr erforderliche Maßnahmen zu stören; für Versammlungen in geschlossenen Räumen, die nach Artikel 8 Abs. 2 für Versammlungen unter freiem Himmel zulässigen Regelungen getroffen werden; abweichend von Art. 9 Abs. 1 der Beitritt oder der Zusammenschluß zu Vereinigungen auch nicht öffentlich-rechtlicher Art angeordnet sowie abgesehen von Art. 9 Abs. 2, auch solche Vereinigungen, die die innere oder äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder deren Beziehungen zu einem verbündeten Staat gefährden, verboten oder in ihrer Betätigungsfreiheit beschränkt werden, b) bei Enteignungen, abweichend von Art. 14 Abs. 3 S. 2 die Entschädigung vorläufig geregelt und ihre endgültige Festsetzung einer späteren Regelung vorbehalten werden, die bis zur Beendigung des zweiten auf die Aufhebung des Zustandes der äußeren Gefahr folgenden Jahres getroffen werden muß, c) für die Dauer des Zustandes der äußeren Gefahr für Freiheitsentziehungen abweichend von Artikel 104 Abs. 2 S. 3 und Abs. 3 S. 1 Fristen festgesetzt werden, die jedoch die Dauer einer Woche nicht überschreiten dürfen, d) für die Dauer des Zustandes der äußeren Gefahr die Verwaltung und das Finanzwesen des Bundes und der Länder geregelt werden. Die Regelung kann von Abschnitt V I I I und den Artikeln 108—115 abweichen. I n jedem Fall ist die Lebensfähigkeit der Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände, insbesondere auch in finanzieller Hinsicht, zu wahren, e) von Artikel 106 und 107 abweichende Regelungen getroffen werden, wobei die finanzielle Lebensfähigkeit der Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände zu wahren ist. Die Regelungen gelten längstens bis zum Ende des zweiten Rechnungsjahres, das auf die Aufhebung des Zustandes der äußeren Gefahr folgt. (3) Die Bundesregierung kann a) außer dem Bundesgrenzschutz und den Polizeikräften der Länder, soweit diese nicht ausreichen auch die Streitkräfte im Innern für polizeiliche Aufgaben einsetzen,

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b) außer der Bundesverwaltung auch den Landesregierungen und, wenn sie es für dringlich erachtet, den Landesbehörden Weisungen in allen die Abwehr der Gefahr betreifenden Angelegenheiten erteilen und diese Befugnisse auch von ihr zu bestimmenden Behörden oder auf Beauftragte übertragen, die nach Möglichkeit Mitglieder einer Landesregierung sein sollen. Artikel 115 e: (1) Der Bundestag kann mit Zustimmung des Bundesrates den Gemeinsamen Ausschuß ermächtigen, Gesetze einschließlich solcher gem. Artikel 115 d Abs. 1 und 2 zu erlassen (Notgesetze). Stellt der Gemeinsame Ausschuß fest, daß dem sofortigen Zusammentritt des Bundestages unüberwindliche Hindernisse entgegenstehen, oder daß er nicht beschlußfähig ist, so kann der Gemeinsame Ausschuß auch ohne Ermächtigung Notgesetze erlassen. Zum Erlaß von Gesetzen nach Artikel 24 Abs. 1, Artikel 29 oder Artikel 59 a Abs. 6 ist der Gemeinsame Ausschuß in keinem Fall befugt. Das Grundgesetz darf durch ein Notgesetz weder geändert, noch ganz oder teilweise außer Kraft oder außer Anwendung gesetzt werden. (2) Notgesetze werden vom Bundespräsidenten nach Artikel 82 verkündet. Artikel 59 a Abs. 3 S. 2 gilt entsprechend. (3) Notgesetze treten, unbeschadet des Art. 115 d Abs. 2 Buchstabe e spätestens nach Ablauf von 6 Monaten außer Kraft, wenn sie nicht verlängert werden. (4) Stehen auch dem sofortigen Zusammentritt des Gemeinsamen Ausschusses unüberwindliche Hindernisse entgegen oder ist auch er nicht beschlußfähig und erfordert die Lage unabweisbar ein sofortiges Handeln, so ist die Bundesregierung befugt, vorläufig die Maßnahmen zur Abwehr der Gefahr zu treffen oder anzuordnen, die in einer von dem Gemeinsamen Ausschuß gemäß Artikel 53 a Abs. 2 gebilligten Gesetzesvorlage vorgesehen sind. Die Bundesregierung hat den Gemeinsamen Ausschuß alsbald davon zu unterrichten. Verabschiedet der Gemeinsame Ausschuß die Gesetzesvorlage nicht, so ist ihr vorläufiger Vollzug einzustellen. (5) Solange der Gemeinsame Ausschuß nach Abs. 1 S. 2 befugt ist, Notgesetze zu erlassen, kann er auch die Rechte des Bundestages und des Bundesrates wahrnehmen, soweit nicht in diesem Abschnitt etwas anderes bestimmt ist. Maßnahmen der Bundesregierung oder eines Bundesministers, zu denen sie nur mit Zustimmung des Bundestages oder des Bundesrates ermächtigt sind, bedürfen keiner Zustimmung. Der Gemeinsame Ausschuß hat während dieser Zeit auch die Rechte eines Untersuchungsausschusses und des Richterwahlausschusses nach diesem Grundgesetz. Artikel 115 f: Die Befugnisse der Bundesregierung werden, soweit sie nicht etwas anderes beschließt, von dem Bundeskanzler und den Bundesministern wahrgenommen, die der Bundespräsident auf Vorschlag des Bundeskanzlers bestimmt. Das Nähere wird durch eine von der Bundesregierung beschlossene und vom Bundespräsidenten genehmigte Geschäftsordnung geregelt. Artikel 115 g: (1) Die verfassungsmäßige Stellung und die Erfüllung der verfassungsmäßigen Aufgaben des Bundesverfassungsgerichts und seiner Richter dürfen nicht beeinträchtigt werden. 1*

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(2) Das Bundesgesetz gem. Artikel 93 Abs. 2 und Artikel 94 Abs. 2 über das Bundesverfassungsgericht darf durch Notgesetz nur insoweit geändert werden, als dies zur Aufrechterhaltung der Arbeitsfähigkeit des Gerichts erforderlich ist. Eine Änderung der Bestimmungen über die Zuständigkeit des Gerichts, über seine Befugnisse zum Erlaß von einstweiligen Anordnungen und zur Regelung der Vollstreckung seiner Entscheidungen sowie über die Wahl der Bundesverfassungsrichter ist unzulässig; die Wahlbefugnis des Gemeinsamen Ausschusses gem. Artikel 115 e Abs. 5 bleibt unberührt. (3) Ein Notgesetz gem. Absatz 2 ist erst zulässig, nachdem das Plenum des Bundesverfassungsgerichts mit der Mehrheit der anwesenden Richter festgestellt hat, daß die Arbeitsfähigkeit des Gerichts nicht mehr gegeben oder ernsthaft gefährdet ist. Hat das Plenum diese Feststellung getroffen, so kann es bis zum Erlaß eines Notgesetzes mit der Mehrheit der anwesenden Richter die zur Erhaltung der Arbeitsfähigkeit des Gerichts erforderlichen Maßnahmen treffen. (4) Eine während des Zustandes der äußeren Gefahr endende Amtszeit eines Bundesverfassungsrichters verlängert sich bis zum Ablauf von 6 Monaten nach Beendigung des Zustandes der äußeren Gefahr. Artikel 115 h: (1) Eine während des Zustandes der äußeren Gefahr endende Wahlperiode des Bundestages verlängert sich bis zum Ablauf von 6 Monaten nach Beendigimg des Zustandes der äußeren Gefahr. Das gleiche gilt für Wahlperioden der Volksvertretungen der Länder, soweit die Landesverfassungen nicht eine darüber hinausreichende Verlängerung vorsehen. Die Frist kann durch Bundesgesetz abgekürzt werden. (2) Eine während des Zustandes der äußeren Gefahr endende Amtszeit des Bundespräsidenten verlängert sich bis zur Wahl eines Bundespräsidenten durch die Bundesversammlung, jedoch nicht über den Ablauf von 9 Monaten nach Beendigung des Zustandes der äußeren Gefahr hinaus. (3) Erledigt sich das A m t des Bundespräsidenten während des Zustandes der äußeren Gefahr vorzeitig und stellt der Präsident des Bundestages fest, daß das Verfahren nach Artikel 54 nicht durchgeführt werden kann, weil dem sofortigen Zusammentritt der Bundesversammlung unüberwindliche Hindernisse entgegenstehen, oder die Bundesversammlung nicht beschlußfähig ist, so wählt der Gemeinsame Ausschuß einen Stellvertreter des Bundespräsidenten. Artikel 54 Abs. 1 gilt entsprechend. Der Stellvertreter des Bundespräsidenten nimmt die Befugnisse des Bundespräsidenten wahr. Sein Amt endigt mit der Wahl eines Bundespräsidenten durch die Bundesversammlung, spätestens jedoch mit Ablauf von 9 Monaten nach Beendigung des Zustandes der äußeren Gefahr. Die Bundesversammlung soll spätestens 30 Tage vor Ablauf der Amtszeit des Stellvertreters des Bundespräsidenten zusammentreten. (4) Endigt das A m t des Bundeskanzlers während des Zustandes der äußeren Gefahr auf andere Weise als nach Artikel 67 und stellt der Präsident des Bundestages fest, daß das Verfahren nach Artikel 63 nicht durchgeführt werden kann, weil dem sofortigen Zusammentritt des Bundestages unüberwindliche Hindernisse entgegenstehen oder der Bundestag nicht beschlußfähig ist, so wird der Bundeskanzler auf Vorschlag des Bundespräsidenten von den dem Gemeinsamen Ausschuß angehörenden Abgeordneten des Bundestages gewählt. Gewählt ist, wer die Mehrheit der Stimmen der Abgeordneten auf sich vereinigt. Wird der Vorgeschlagene nicht gewählt, so können die Abgeordneten binnen 24 Stunden mit der gleichen Mehrheit einen Bundeskanz-

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ler wählen. Kommt eine Wahl innerhalb dieser Frist nicht zustande, so findet unverzüglich ein neuer Wahlgang statt, in dem gewählt ist, wer die meisten Stimmen erhält. Der Gewählte ist vom Bundespräsidenten zu ernennen. (5) Anstelle des Bundestages können während des Zustandes der äußeren Gefahr die dem Gemeinsamen Ausschuß angehörenden Abgeordneten dem Bundeskanzler das Mißtrauen aussprechen, wenn der Präsident des Bundestages auf ihren Antrag feststellt, daß das Verfahren nach Artikel 67 nicht durchgeführt werden kann, weil dem sofortigen Zusammentritt des Bundestages unüberwindliche Hindernisse entgegenstehen oder der Bundestag nicht beschlußfähig ist. Artikel 67 Abs. 1 findet entsprechende Anwendung. Artikel 115 i: (1) Sind die zuständigen Bundesorgane außerstande, die notwendigen Maßnahmen zur Abwehr der Gefahr zu treffen und erfordert die Lage unabweisbar ein sofortiges selbständiges Handeln in einzelnen Teilen des Bundesgebietes, so ist in den Ländern der Ministerpräsident befugt, für seinen Bereich Maßnahmen i. S. des Artikels 115 d Abs. 3 und des Artikels 115 e Abs. 4 zu treffen. Falls die Voraussetzungen des Satzes 1 auch i m Verhältnis eines Landes zu seinen Teilgebieten gegeben sind, gilt das gleiche für den Regierungspräsidenten und äußerstenfalls für den Hauptverwaltungsbeamten der Landkreise oder kreisfreien Städte; Weisungsbefugnisse gegenüber der Bundeswehr stehen dem Ministerpräsidenten, Regierungspräsidenten oder Hauptverwaltungsbeamten nicht zu. (2) Maßnahmen nach Absatz 1, von denen die militärische Verteidigung berührt wird, dürfen nur im Zusammenwirken mit dem zuständigen militärischen Befehlshaber getroffen werden. Die Abwehr der Gefahr darf in keinem Falle beeinträchtigt werden. (3) Der Bundesregierung ist von allen nach Absatz 1 getroffenen Maßnahmen Kenntnis zu geben, sobald die Umstände es zulassen. Maßnahmen nach Absatz 1 können durch die Bundesregierung, im Verhältnis zu nachgeordneten Behörden auch durch die Ministerpräsidenten der Länder, jederzeit aufgehoben werden. Artikel 115 k: Rechtsvorschriften nach den Artikeln 115 b bis 115 i setzen entgegenstehendes Recht aus der Zeit vor dem Eintritt des Zustandes der äußeren Gefahr für die Dauer ihrer Geltung außer Anwendung, soweit sie nicht ausdrücklich bestimmen, daß es außer Kraft gesetzt wird. Artikel 1151: (1) Dem Bundestag, dem Bundesrat und dem Gemeinsamen Ausschuß ist von allen nach Artikel 115 d Abs. 3, Artikeln 115 e, 115 g, 115 h, 115 i getroffenen Maßnahmen Kenntnis zu geben, sobald die Umstände es zulassen. (2) Der Bundestag kann mit Zustimmung des Bundesrates jederzeit Notgesetze sowie sonstige auf der Grundlage des Zustandes der äußeren Gefahr getroffenen Maßnahmen des Gemeinsamen Ausschusses oder der Bundesregierung aufheben. Dies gilt nicht für die Wahl eines Stellvertreters des Bundespräsidenten nach Artikel 115 h Abs. 3 oder eines Bundeskanzlers nach Artikel 115 h Abs. 4 oder 5. (3) Der Bundesrat kann verlangen, daß der Bundestag über die Aufhebung beschließt.

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Artikel 115m: (1) Der Bundestag kann mit Zustimmung des Bundesrates jederzeit durch einen vom Bundespräsidenten zu verkündenden Beschluß den Zustand der äußeren Gefahr für beendet erklären. Der Bundesrat kann verlangen, daß der Bundestag hierüber beschließt. Der Zustand der äußeren Gefahr ist unverzüglich für beendet zu erklären, wenn die Voraussetzungen für seine Feststellung nicht mehr gegeben sind. (2) Bundesgesetze, die aufgrund von Artikel 115 d Abs. 1 auf Sachgebieten erlassen worden sind, die sonst zur Zuständigkeit der Länder gehören, treten spätestens 6 Monate nach Beendigung des Zustandes der äußeren Gefahr außer Kraft. Artikel 115 d Abs. 2 Buchstabe e bleibt unberührt. 10. Artikel 143 wird aufgehoben. § 2. Dieses Gesetz tritt am Tage nach seiner Verkündung in Kraft. I V . Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung des Grundgesetzes vom 10. März 1967 (Lücke-Entwurf) 4 , B T Drucks. V/1879 Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates das folgende Gesetz beschlossen; Artikel 79 Absatz 2 des Grundgesetzes ist eingehalten: § 1. Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. M a i 1949 (Bundesgesetzbl. S. 1) wird wie folgt ergänzt: 1. Artikel 10 wird durch folgenden Satz ergänzt: „Dient die Beschränkung dem Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder des Bestandes oder der Sicherheit des Bundes oder eines Landes, so kann das Gesetz bestimmen, daß sie den Betroffenen nicht mitgeteilt wird und im Rechtsweg nicht anfechtbar ist; die Beschränkung muß der Nachprüfung durch von der Volksvertretung bestellte Organe und Hilfsorgane unterliegen." 2. Artikel 12 erhält folgende Fassung: „Artikel 12 (1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz geregelt werden. (2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht. Für Zwecke der Verteidigung ist durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes für Wehrpflichtige auch eine darüber hinausgehende Verpflichtung zu zivilen Dienstleistungen außerhalb des Wehrdienstes im Bereich der öffentlichen Verwaltung, der Streitkräfte sowie der Versorgung der Bevölkerung und der Streitkräfte, ferner zu Dienstleistungen im Bundesgrenzschutz zulässig. 4 Veröffentlicht vom Kuratorium „Notstand der Demokratie", Frankfurt am Main 1967; in der „Frankfurter Allgemeinen" — Zeitung für Deutschland — vom 7. April 1967, S. 10/11; abgedruckt ferner im Anschluß an die Entschließung des Bundesausschusses des DGB zum Entwurf einer Notstands Verfassung vom 5. Juli 1967, S. 21 ff., Düsseldorf 1967; in: SPD-Vorstand, I n Zeiten der Not — Schutz für Bürger und Demokratie, S. 54 ff., und in der Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 1968 (Heft 2), S. 397—402.

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(3) Für Zwecke der Verteidigung kann im Bereich der öffentlichen Verwaltung, der Streitkräfte und der Versorgung der Bevölkerung und der Streitkräfte durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes die Freiheit, die Ausübung des Berufs oder den Arbeitsplatz aufzugeben, eingeschränkt werden, wenn die Bundesregierung mit Zustimmung des Gemeinsamen Ausschusses feststellt, daß dies zur Herstellung der erhöhten Verteidigungsbereitschaft oder zum Schutz der Zivilbevölkerung unerläßlich ist. Die Bundesregierung hat die Feststellung aufzuheben, wenn der Bundestag und der Bundesrat es verlangen. (4) Männer können vom vollendeten achtzehnten Lebensjahr an zum Wehrdienst verpflichtet werden. (5) Wer aus Gewissensgründen den Kriegsdienst mit der Waffe verweigert, kann zu einem Ersatzdienst verpflichtet werden. Die Dauer des Ersatzdienstes darf die Dauer des Wehrdienstes nicht übersteigen. Das Nähere regelt ein Gesetz, das die Freiheit der Gewissensentscheidung nicht beeinträchtigen darf und auch eine Möglichkeit des Ersatzdienstes vorsehen muß, die in keinem Zusammenhang mit den Verbänden der Streitkräfte steht. (6) Z u einem Dienst mit der Waffe dürfen Frauen in keinem Fall verwendet werden. (7) Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig." 3. Nach Artikel 53 wird folgender neuer Abschnitt I V a eingefügt: „IV a. Gemeinsamer Ausschuß Artikel 53 a (1) Der Gemeinsame Ausschuß besteht zu zwei Dritteln aus Abgeordneten des Bundestages, zu einem Drittel aus Mitgliedern des Bundesrates. Die Abgeordneten werden vom Bundestag mit einer Mehrheit von zwei Dritteln seiner Mitglieder bestimmt; sie dürfen nicht der Bundesregierung angehören. Jedes Land wird durch ein von ihm bestelltes Mitglied des Bundesrates vertreten; diese Mitglieder sind nicht an Weisungen gebunden. Die Bildung des Gemeinsamen Ausschusses und sein Verfahren werden durch eine Geschäftsordnung geregelt, die vom Bundestag zu beschließen ist und der Zustimmung des Bundesrates bedarf. (2) Die Bundesregierung hat den Gemeinsamen Ausschuß über ihre Planungen für den Zustand äußerer Gefahr zu unterrichten. (3) Die Bundesregierung darf eine in Bundesgesetzen über die Verteidigung einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung vorgesehene Feststellung mit gesetzlich festgelegten Rechtswirkungen nur mit Zustimmung des Gemeinsamen Ausschusses treffen. Die Bundesregierung hat den Gemeinsamen Ausschuß zu hören, bevor sie im Rahmen eines Bündnisvertrages einem Beschluß zustimmt, durch den die beschleunigte Herstellung der vollen Verteidigungsbereitschaft stufenweise angeordnet wird; der Anhörung des Gemeinsamen Ausschusses bedarf es nicht, wenn seinem rechtzeitigen Zusammentritt unüberwindliche Hindernisse entgegenstehen oder er nicht beschlußfähig ist und die Lage unabweisbar ein sofortiges Handeln erfordert. Die Bundesregierung hat den Gemeinsamen Ausschuß auch zu hören, wenn sie auf der Grundlage eines Beschlusses i m Rahmen eines Bündnisvertrages eine Feststellung der in Satz 1 bestimmten Art trifft. Solange eine Feststellung gilt, hat die Bundesregierung den Gemeinsamen Ausschuß laufend zu unterrichten.

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(4) Die Bundesregierung hat eine von ihr nach Absatz 3 getroffene Feststellung aufzuheben, wenn der Bundestag und der Bundesrat es verlangen. Der Gemeinsame Ausschuß kann verlangen, daß der Bundestag und der Bundesrat hierüber unverzüglich beschließen." 4. Artikel 59 a wird gestrichen. 5. Artikel 65 a Absatz 2 wird gestrichen. 6. I n Artikel 73 Nr. 1 werden die Worte „der Wehrpflicht für Männer vom vollendeten achtzehnten Lebensjahr an und" gestrichen. 7. Artikel 91 erhält folgende Fassung: „Artikel 91 (1) Zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes sowie zur Bekämpfung einer Naturkatastrophe oder eines besonders schweren Unglücksfalles kann ein Land Polizeikräfte anderer Länder, Kräfte und Einrichtungen anderer Verwaltungen sowie des Bundesgrenzschutzes zur Hilfe anfordern. Reichen diese Kräfte zur Bekämpfung einer Naturkatastrophe, eines besonders schweren Unglücksfalles oder eines bewaffneten Aufstandes nicht aus, so kann die Bundesregierung der Landesregierung mit Zustimmung des Bundesrates Streitkräfte als Polizeikräfte zur Verfügung stellen. (2) Ist das Land nicht selbst zur Bekämpfung der Gefahr bereit oder in der Lage, so kann, soweit es zur Abwehr der Gefahr erforderlich ist, die Bundesregierung die Polizei in diesem Land und die Polizeikräfte anderer Länder ihren Weisungen unterstellen, Einheiten des Bundesgrenzschutzes einsetzen sowie in allen die Abwehr der Gefahr betreffenden Angelegenheiten gegenüber den zuständigen Landesbehörden Rechte wie nach Artikel 85 Absätze 3 und 4 in Anspruch nehmen; soweit es zur Bekämpfung einer Naturkatastrophe, eines besonders schweren Unglücksfalles oder eines bewaffneten Aufstandes erforderlich ist, kann die Bundesregierung auch die Streitkräfte als Polizeikräfte einsetzen. Das gleiche gilt, wenn sich die Gefahr auf das Gebiet mehr als eines Landes erstreckt, soweit ihre wirksame Bekämpfung es erfordert. Maßnahmen dieser A r t sind jederzeit auf Verlangen des Bundesrates, i m übrigen unverzüglich nach Beseitigung der Gefahr aufzuheben. (3) Zur Bekämpfung von Gefahren, Naturkatastrophen oder Unglücksfällen im Sinne dieser Vorschrift kann das Grundrecht der Freizügigkeit (Artikel 11) durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden. (4) Die Absätze 1 bis 3 finden keine Anwendung auf Arbeitskämpfe, die zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen von Vereinigungen im Sinne des Artikels 9 Absatz 3 geführt werden." 8. I n Artikel 96 a Absatz 2 Satz 2 werden die Worte „im Verteidigungsfalle" durch die Worte „während des Zustandes äußerer Gefahr" ersetzt. 9. Nach Artikel 115 wird folgender neuer Abschnitt X a eingefügt: „X a. Zustand äußerer Gefahr Artikel 115 a (1) Die Feststellung, daß das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen wird oder ein solcher Angriff droht (Zustand äußerer Gefahr), trifft der Bundestag mit Zustimmung des Bundesrates. Die Feststellung erfolgt auf Antrag der Bundesregierung und bedarf einer Mehrheit von zwei Dritteln der ab-

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gegebenen Stimmen, mindestens der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages. (2) Erfordert die Lage unabweisbar ein sofortiges Handeln und stehen einem rechtzeitigen Zusammentritt des Bundestages unüberwindliche Hindernisse entgegen oder ist er nicht beschlußfähig, so trifft der Gemeinsame Ausschuß diese Feststellung mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen, mindestens der Mehrheit seiner Mitglieder. (3) Die Feststellung wird vom Bundespräsidenten gemäß Artikel 82 im Bundesgesetzblatt verkündet. Ist dies nicht rechtzeitig möglich, so erfolgt die Verkündung in anderer Weise; sie ist i m Bundesgesetzblatt nachzuholen, sobald die Umstände es zulassen. (4) Wird das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen und sind die zuständigen Bundesorgane außerstande, sofort die Feststellung nach Absatz 1 Satz 1 zu treffen, so gilt diese Feststellung als getroffen und als zu dem Zeitpunkt verkündet, in dem der Angriff begonnen hat. Der Bundespräsident gibt diesen Zeitpunkt bekannt, sobald die Umstände es zulassen. (5) Ist die Feststellung des Zustandes äußerer Gefahr verkündet und wird das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen, so kann der Bundespräsident völkerrechtliche Erklärungen über das Bestehen des Verteidigungsfalles mit Zustimmung des Bundestages oder des Gemeinsamen Ausschusses abgeben. Artikel 115 b M i t der Verkündung des Zustandes äußerer Gefahr geht die Befehls- und Kommandogewalt über die Streitkräfte auf den Bundeskanzler über. Artikel 115 c Der Bund hat für den Zustand äußerer Gefahr das Recht der konkurrierenden Gesetzgebung auch auf den Sachgebieten, die zur Gesetzgebungszuständigkeit der Länder gehören. Diese Gesetze bedürfen der Zustimmung des Bundesrates. Sie dürfen, mit Ausnahme der Vorschriften, die zur Vorbereitung ihrer Anwendung dienen, nur i m Zustand äußerer Gefahr angewendet werden. Artikel 115 d Durch Bundesgesetz kann für die Dauer des Zustandes äußerer Gefahr, soweit es zur Abwehr des gegenwärtigen oder drohenden Angriffs erforderlich ist, 1. bei Enteignungen abweichend von Artikel 14 Absatz 3 Satz 2 die Entschädigung vorläufig geregelt werden, 2. für Freiheitsentziehungen eine von Artikel 104 Absatz 2 Satz 3 und Absatz 3 Satz 1 abweichende Frist, höchstens jedoch eine solche von vier Tagen, festgesetzt werden, 3. die Verwaltung und das Finanzwesen des Bundes und der Länder abweichend von Abschnitt V I I I und den Artikeln 106 bis 115 geregelt werden, wobei die Lebensfähigkeit der Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände, insbesondere auch in finanzieller Hinsicht, zu wahren ist. Artikel 115 e (1) Während des Zustandes äußerer Gefahr kann der Bundestag mit Zustimmung des Bundesrates den Gemeinsamen Ausschuß ermächtigen, Gesetze zu erlassen, auch solche gemäß Artikel 115 c und Artikel 115 d.

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(2) Stellt der Gemeinsame Ausschuß im Zustande äußerer Gefahr mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen, mindestens mit der Mehrheit seiner Mitglieder fest, daß dem rechtzeitigen Zusammentritt des Bundestages unüberwindliche Hindernisse entgegenstehen oder daß dieser nicht beschlußfähig ist, so hat der Gemeinsame Ausschuß die Stellung von Bundestag und Bundesrat und nimmt deren Rechte einheitlich wahr. (3) Durch ein Gesetz des Gemeinsamen Ausschusses darf das Grundgesetz weder geändert noch ganz oder teilweise außer Kraft oder Anwendung gesetzt werden. Zum Erlaß von Gesetzen nach Artikel 24 Absatz 1 und Artikel 29 ist der Gemeinsame Ausschuß nicht befugt. (4) Für die Verkündung der Gesetze des Gemeinsamen Ausschusses gilt Artikel 115 a Absatz 3 entsprechend. Artikel 115 f (1) Die Bundesregierung kann im Zustand äußerer Gefahr, soweit es zu deren Abwehr erforderlich ist, 1. außer dem Bundesgrenzschutz und den Polizeikräften der Länder, soweit diese nicht ausreichen, auch die Streitkräfte als Polizeikräfte einsetzen, 2. außer der Bundesverwaltung auch den Landesregierungen und, wenn sie es für dringlich erachtet, den Landesbehörden Weisungen erteilen und diese Befugnis auf von ihr zu bestimmende Mitglieder der Landesregierungen übertragen. (2) Bundestag, Bundesrat und der Gemeinsame Ausschuß sind unverzüglich von den nach Absatz 1 getroffenen Maßnahmen zu unterrichten. Artikel 115 g Die verfassungsmäßige Stellung und die Erfüllung der verfassungsmäßigen Aufgaben des Bundesverfassungsgerichts und seiner Richter dürfen nicht beeinträchtigt werden. Das Gesetz über das Bundesverfassungsgericht darf durch ein Gesetz des Gemeinsamen Ausschusses nur insoweit geändert werden, als dies auch nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts zur Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit des Gerichts erforderlich ist. Bis zum Erlaß eines solchen Gesetzes kann das Bundesverfassungsgericht mit der Mehrheit der anwesenden Richter die zur Erhaltung der Arbeitsfähigkeit des Gerichts erforderlichen Maßnahmen treffen. Artikel 115 h (1) Während des Zustandes äußerer Gefahr ablaufende Wahlperioden des Bundestages oder der Volksvertretungen der Länder enden sechs Monate nach Beendigung des Zustandes äußerer Gefahr. Die im Zustand äußerer Gefahr ablaufende Amtszeit des Bundespräsidenten endet neun Monate nach Beendigung des Zustandes äußerer Gefahr. Satz 2 gilt entsprechend, wenn die Befugnisse des Bundespräsidenten bei vorzeitiger Erledigung seines Amtes durch den Präsidenten des Bundesrates wahrgenommen werden. Die im Zustand äußerer Gefahr ablaufende Amtszeit eines Mitglieds des Bundesverfassungsgerichts endet sechs Monate nach Beendigung des Zustandes äußerer Gefahr. (2) Wird eine Neuwahl des Bundeskanzlers durch den Gemeinsamen Ausschuß erforderlich, so wählt dieser einen neuen Bundeskanzler mit der Mehrheit seiner Mitglieder; der Bundespräsident macht dem Gemeinsamen Ausschuß einen Vorschlag. Der Gemeinsame Ausschuß kann dem Bundeskanzler

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das Mißtrauen nur dadurch aussprechen, daß er mit der Mehrheit seiner M i t glieder einen Nachfolger wählt. (3) Für die Dauer des Zustandes äußerer Gefahr ist die Auflösung des Bundestages ausgeschlossen. Artikel 115 i (1) Sind die zuständigen Bundesorgane außerstande, die notwendigen Maßnahmen zur Abwehr der Gefahr zu treffen, und erfordert die Lage unabweisbar ein sofortiges selbständiges Handeln in einzelnen Teilen des Bundesgebietes, so sind die Landesregierungen der betroffenen Landesteile oder die von den Landesregierungen zu bestimmenden Behörden oder Beauftragten befugt, für ihren Zuständigkeitsbereich Maßnahmen im Sinne des Artikels 115 f Absatz 1 zu treffen. Weisungsbefugnisse gegenüber der Bundeswehr stehen ihnen nicht zu. (2) Bundestag, Bundesrat, der Gemeinsame Ausschuß und die Bundesregierung sind von den nach Absatz 1 getroffenen Maßnahmen unverzüglich zu unterrichten. Maßnahmen nach Absatz 1 können durch die Bundesregierung, im Verhältnis zu nachgeordneten Behörden auch durch die Ministerpräsidenten der Länder, jederzeit aufgehoben werden. Artikel 115 k (1) Gesetze nach den Artikeln 115 d, 115e und 115 g und Rechtsverordnungen, die aufgrund solcher Gesetze ergehen, setzen entgegenstehendes Recht aus der Zeit vor dem Eintritt des Zustandes äußerer Gefahr für die Dauer ihrer Geltung außer Anwendung, soweit sie nicht ausdrücklich bestimmen, daß es außer Kraft gesetzt wird. (2) Gesetze, die der Gemeinsame Ausschuß beschlossen hat, und Rechtsverordnungen, die aufgrund solcher Gesetze ergangen sind, treten spätestens sechs Monate nach Beendigung des Zustandes äußerer Gefahr außer Kraft. (3) Gesetze, die von Artikel 106 und 107 abweichende Regelungen enthalten, gelten längstens bis zum Ende des zweiten Rechnungsjahres, das auf die Beendigung des Zustandes äußerer Gefahr folgt. Sie können nach Beendigung des Zustandes äußerer Gefahr durch Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundesrates geändert werden, um zu der Regelung gemäß Abschnitt X überzuleiten. Artikel 1151 (1) Der Bundestag kann mit Zustimmung des Bundesrates jederzeit Gesetze des Gemeinsamen Ausschusses sowie sonstige zur Abwehr der Gefahr getroffene Maßnahmen des Gemeinsamen Ausschusses oder der Bundesregierung aufheben. (2) Der Bundestag kann mit Zustimmung des Bundesrates jederzeit durch einen vom Bundespräsidenten zu verkündenden Beschluß den Zustand äußerer Gefahr für beendet erklären. Der Bundesrat kann verlangen, daß der Bundestag hierüber beschließt. Der Zustand äußerer Gefahr ist unverzüglich für beendet zu erklären, wenn die Voraussetzungen für seine Feststellung nicht mehr gegeben sind. (3) Über den Friedensschluß wird durch Bundesgesetz entschieden." 10. Artikel 143 wird aufgehoben. § 2. Dieses Gesetz tritt am Tage nach seiner Verkündung in Kraft.

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V. Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung der rechtsstaatlichen Ordnung im VerteidigungsfaU (Antrag der Abgeordneten Dorn, Busse (Herford), Frau Dr. Diemer-Nicolaus, Mischnick und der Fraktion der F D P vom 2. Oktober 1967 (FDP-Entwurf) 5 , B T Drucks. V/2130 Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates das folgende Gesetz beschlossen; Artikel 79 Abs. 2 des Grundgesetzes ist eingehalten: § 1. Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. M a i 1949 (Bundesgesetzbl. S. 1) wird wie folgt geändert: 1. Artikel 12 erhält folgende Fassung: „Artikel 12 (1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz geregelt werden. (2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht. (3) Männer können vom vollendeten 18. Lebensjahr an zum Wehrdienst verpflichtet werden. I m Verteidigungsfall können sie zum Zwecke der Verteidigung, der lebensnotwendigen Versorgung und des Schutzes der Zivilbevölkerung durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes auch zu zivilen Dienstleistungen und zu Dienstleistungen im Bundesgrenzschutz herangezogen werden. Außerdem kann im Verteidigungsfall zu den gleichen Zwecken durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes die Freiheit, den Beruf oder den Arbeitsplatz aufzugeben, eingeschränkt werden. (4) Wer aus Gewissensgründen den Kriegsdienst mit der Waffe verweigert, kann zu einem Ersatzdienst verpflichtet werden. Die Dauer des Ersatzdienstes darf die Dauer des Wehrdienstes nicht übersteigen. Das Nähere regelt ein Gesetz, das die Freiheit der Gewissensentscheidung nicht beeinträchtigen darf und auch eine Möglichkeit des Ersatzdienstes vorsehen muß, die in keinem Zusammenhang mit den Verbänden der Streitkräfte steht. (5) Frauen dürfen nicht gegen ihren Wülen zu Dienstleistungen im Verbände der Streitkräfte verpflichtet werden. Zu einem Dienst mit der Waffe dürfen sie in keinem Fall verwendet werden. (6) Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig." 2. Artikel 48 erhält folgenden neuen Absatz 4: „(4) I m Falle von Behinderungen, insbesondere von Verkehrsbehinderungen, sind alle Dienststellen des Bundes einschließlich der Streitkräfte und des Bundesgrenzschutzes sowie der Länder und Gemeinden verpflichtet, die Abgeordneten des Bundestages und die Mitglieder des Bundesrates an den Tagungsort zu bringen und ihnen die Ausübung ihres Mandats zu ermöglichen." 3. Artikel 59 a wird gestrichen. 4. Nach Artikel 115 wird folgender neuer Abschnitt X a. eingefügt: „X a. Artikel 115 a 5

BTDrucks. V/2130, S. 1 - 4 .

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(1) Die Feststellung, daß der Verteidigungsfall eingetreten ist, trifft der Bundestag mit Zweidrittelmehrheit, mindestens mit der Hälfte seiner M i t gliederzahl. (2) Erfordert die Lage unabweisbar ein sofortiges Handeln und stehen einem rechtzeitigen beschlußfähigen Zusammentritt des Bundestages unüberwindliche Hindernisse entgegen, so trifft das Notparlament diese Feststellung mit einer Mehrheit von je zwei Dritteln der Abgeordneten und der Vertreter des Bundesrates, mindestens mit der Mehrheit jeder dieser Gruppen. (3) Wird das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen und sind die zuständigen Bundesorgane offensichtlich außerstande, die Feststellung zu treffen, so gilt der Verteidigungsfall zu dem Zeitpunkt als eingetreten, in dem der Angriff .begonnen hat. Ein Beschluß nach Absatz 1 oder 2 ist binnen einer Woche nachzuholen. (4) Der Eintritt des Verteidigungsfalles wird vom Bundespräsidenten gemäß Artikel 82 i m Bundesgesetzblatt verkündet. Ist dies nicht rechtzeitig möglich, so erfolgt die Verkündung in anderer Weise. Sie ist im Bundesgesetzblatt nachzuholen, sobald die Umstände es zulassen. (5) Die Feststellung des Verteidigungsfalles wird unwirksam, wenn sie nicht nach vier Wochen erneuert wird. Das gleiche gilt nach Ablauf von vier Wochen nach Stellung eines Antrags auf erneute Beschlußfassung über den Verteidigungsfall durch mindestens 15 Abgeordnete. (6) Der Bundespräsident darf völkerrechtliche Erklärungen über das Bestehen des Verteidigungsfalles erst nach der Verkündung abgeben. (7) Uber den Friedensschluß wird durch Bundesgesetz entschieden. Artikel 115 b (1) M i t Eintritt des Verteidigungsfalles gemäß Artikel 115 a sind Bundestag, Bundesrat und Notparlament einberufen. (2) Das Notparlament besteht aus 44 Mitgliedern des Bundestages und aus 11 Mitgliedern des Bundesrates. Die Abgeordneten werden nach den Grundsätzen der Verhältniswahl von den Fraktionen entsprechend ihren Stärkeverhältnissen i m Bundestag bestimmt. Die Fraktionen bestimmen ferner die Reihenfolge der Vertretung durch andere Mitglieder ihrer Fraktion. Die Abgeordneten dürfen nicht der Bundesregierung angehören. Jedes Land wird durch ein von ihm bestimmtes Mitglied des Bundesrates vertreten, das die Stimme des Landes (Artikel 51 Abs. 2) abgibt. (3) Das Notparlament tritt außer im Falle des Artikels 115 a Abs. 2 nur im Verteidigungsfall und nur dann zusammen, wenn dem beschlußfähigen Zusammentritt des Bundestages unüberwindliche Hindernisse entgegenstehen und vor Beginn seines Zusammentritts die Beschlußfähigkeit des Bundestages nicht hergestellt werden konnte. Jeder Abgeordnete des Bundestages und jedes Mitglied des Bundesrates hat das Recht, an jeder Sitzung des Notparlaments teilzunehmen und das Wort zu ergreifen. Artikel 42 Abs. 1 findet auf die Sitzungen des Notparlaments entsprechende Anwendung. (4) Die Mitglieder des Notparlaments beraten gemeinschaftlich. Zu einem Beschluß des Notparlaments ist die Mehrheit der abgegebenen Stimmen sowohl der Abgeordneten des Bundestages als auch der Mitglieder des Bundesrates erforderlich. Kommt ein Beschluß auf diese Weise nicht zustande, so bedarf es der Mehrheit von zwei Dritteln der Abgeordneten des Bundestages, die dem Notparlament angehören.

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Entwürfe zur Ergänzung des Grundgesetzes

(5) Die Bildung des Notparlaments und sein Verfahren werden durch eine Geschäftsordnung geregelt, die vom Bundestag zu beschließen ist und der Zustimmung des Bundesrates bedarf. Diese Geschäftsordnung muß vorsehen, daß eine nach Mitgliedern des Bundestages und des Bundesrates getrennte Mehrheitenfeststellung bei der Beschlußfassung erfolgt. (6) Das Notparlament kann die Rechte von Bundestag und Bundesrat wahrnehmen, wenn und solange dem beschlußfähigen Zusammentritt des Bundestages unüberwindliche Hindernisse entgegenstehen und die Lage sofortige Beschlüsse erfordert. Diese Voraussetzungen sind vor jeder Sitzung des Notparlaments durch Mehrheitsbeschluß sowohl der Abgeordneten des Bundestages als auch der Mitglieder des Bundesrates im Notparlament, mindestens mit der Mehrheit der Abgeordneten des Bundestages festzustellen. (7) Durch ein Gesetz des Notparlaments darf das Grundgesetz weder geändert noch ganz oder teilweise außer Kraft gesetzt werden. Zum Erlaß von Gesetzen nach Artikel 24 Abs. 1 und Artikel 29 ist das Notparlament nicht befugt. (8) Für die Verkündung der Gesetze des Notparlaments gilt Artikel 115 a Abs. 4 entsprechend. Artikel 115 c (1) Ist in Gesetzen die Anwendung von Vorschriften davon abhängig, daß ein Angriff droht, oder dienen Vorschriften der beschleunigten Herstellung der Verteidigungsbereitschaft oder der Sicherung von Verteidigungszwecken, so ist die Anwendung dieser Gesetze nur im Verteidigungsfall zulässig oder wenn die Bundesregierung mit Zustimmung einer Zweidrittelmehrheit des Bundestages feststellt, daß die Lage die Anwendung des Gesetzes erfordert. Artikel 115 a Abs. 4 und Abs. 5 Satz 1 gelten entsprechend. (2) Ein Beschluß der Bundesregierung, durch den im Rahmen eines Bündnisvertrages die beschleunigte Herstellung der vollen Verteidigungsbereitschaft stufenweise angeordnet wird, erhält Rechtswirkung erst dann, wenn der Bundestag zugestimmt hat. (3) Die Bundesregierung hat eine von ihr nach Absatz 1 und 2 getroffene Feststellung aufzuheben, wenn der Bundestag oder der Bundesrat es verlangt. Artikel 115 d (1) Durch Bundesgesetz kann für die Dauer des Verteidigungsfalles, soweit es zur Abwehr der gegenwärtigen Gefahr erforderlich ist, 1. bei Enteignungen abweichend von Artikel 14 Abs. 3 Satz 2 die Entschädigung vorläufig geregelt werden, 2. für Freiheitsentziehungen eine von Artikel 104 Abs. 2 Satz 3 und Abs. 3 Satz 1 abweichende Frist, höchstens jedoch eine solche von drei Tagen für den Fall festgesetzt werden, daß bis zum Ablauf des Tages nach dem Ergreifen oder der Festnahme der Richter nicht tätig werden konnte, 3. die Verwaltung und das Finanzwesen des Bundes und der Länder abweichend von Abschnitt V I I I und den Artikel 106 bis 115 geregelt werden, wobei die Lebensfähigkeit der Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände, insbesondere auch in finanzieller Hinsicht, zu wahren ist, 4. eine Änderung der Fristen in Artikel 76 Abs. 2, Artikel 77 Abs. 2 und 3, Artikel 78 und Artikel 82 Abs. 2 erfolgen, 5. die Zulässigkeit gemeinsamer Sitzungen von Bundestag und Bundesrat bestimmt werden.

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(2) Der Bund hat für den Verteidigungsfall das Recht der konkurrierenden Gesetzgebung auch auf dem Gebiet der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, das sonst zur Gesetzgebungszuständigkeit der Länder gehört. Diese Gesetze bedürfen der Zustimmung des Bundesrates. Die A n wendung dieser Gesetze darf nur i m Verteidigungsfall erfolgen. Artikel 115 e Die Bundesregierung kann im Verteidigungsfall, soweit es zur Abwehr der unmittelbar drohenden Gefahr erforderlich ist, auch den Landesregierungen Weisungen erteilen. Bundestag, Bundesrat und Notparlament sind unverzüglich von den nach Satz 1 getroffenen Maßnahmen zu unterrichten. Artikel 115 f Die verfassungsmäßige Stellung und die Erfüllung der verfassungsmäßigen Aufgaben des Bundesverfassungsgerichts und seiner Richter dürfen nicht beeinträchtigt werden. Das Gesetz über das Bundesverfassungsgericht darf im Verteidigungsfall nur insoweit geändert werden, als dies auch nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts erforderlich ist. Bis zum Erlaß eines solchen Gesetzes kann das Bundesverfassungsgericht mit der Mehrheit der anwesenden Richter die zur Erhaltung der Arbeitsfähigkeit des Gerichts erforderlichen Maßnahmen treffen. Artikel 115 g (1) Eine während des Verteidigungsfalles ablaufende Wahlperiode des Bundestages wird um sechs Monate verlängert, sofern das Bundesverfassungsgericht auf Antrag der Bundesregierung oder des Bundestages feststellt, daß Wahlen nicht durchführbar sind. Diese Feststellung wird unwirksam, wenn sie nicht in regelmäßigen Abständen von einem Monat erneuert wird. Für die im Verteidigungsfall ablaufende Amtszeit des Bundespräsidenten gilt Satz 1 entsprechend; das gleiche gilt, wenn die Befugnisse des Bundespräsidenten bei vorzeitiger Beendigung seines Amtes durch den Präsidenten des Bundesrates wahrgenommen werden. Die im Verteidigungsfall ablaufende Amtszeit eines Mitglieds des Bundesverfassungsgerichts endet sechs Monate nach Beendigung des Verteidigungsfalles. (2) Wird eine Neuwahl des Bundeskanzlers durch das Notparlament erforderlich, so wählt die Mehrheit der Abgeordneten des Bundestages i m Notparlament nach erneuter Feststellung der Funktionsunfähigkeit des Bundestages einen neuen Bundeskanzler. Der Bundespräsident macht dem Notparlament einen Vorschlag. (3) Das Notparlament kann dem Bundeskanzler das Mißtrauen nur dadurch aussprechen, daß die Mehrheit der Abgeordneten des Bundestages im Notparlament nach erneuter Feststellung der Funktionsunfähigkeit des Bundestages einen Nachfolger wählt. (4) Für die Dauer des Verteidigungsfalles ist die Auflösung des Bundestages ausgeschlossen. Artikel 115 h (1) Gesetze, die das Notparlament beschlossen hat, und Rechtsverordnungen, die auf Grund dieser Gesetze erlassen worden sind, setzen entgegenstehendes Recht außer Anwendung. Diese Gesetze und Rechtsverordnungen treten mit Beendigung des Verteidigungsfalles außer Kraft. Ihre Fortgeltung für weitere sechs Monate kann vom Bundestag mit Zustimmung des Bundesrates beschlossen werden.

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Entwürfe zur Ergänzung des Grundgesetzes

(2) Gesetze, die von Artikel 100 und 107 abweichende Regelungen enthalten, gelten längstens bis zum Ende des zweiten Rechnungsjahres, das auf die Beendigung des Verteidigungsfalles folgt. Sie können nach Beendigung des Verteidigungsfalles durch Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundesrates geändert werden, um zu der Regelung gemäß Abschnitt X überzuleiten. Artikel 115 i (1) Der Bundestag kann jederzeit Gesetze und Maßnahmen des Notparlaments aufheben. Bundestag und Bundesrat können jederzeit die Aufhebung der zur Abwehr der Gefahr getroffenen Maßnahmen der Bundesregierung verlangen. (2) Der Verteidigungsfall ist beendet, wenn die Voraussetzungen für seine Feststellung entfallen sind. Die Bundesregierung muß den Wegfall der Voraussetzungen unverzüglich erklären. Der Bundestag kann jederzeit feststellen, daß der Verteidigungsfall beendet ist. Diese Beschlüsse sind vom Bundespräsidenten gemäß Artikel 115 a Abs. 4 zu verkünden. Artikel 115 k Von allen Befugnissen und Ermächtigungen, die aus Anlaß und für die Zeit des Verteidigungsfalles vorgesehen sind, darf nur Gebrauch gemacht werden, wenn und soweit dies zur Abwehr der unmittelbar drohenden Gefahr erforderlich ist." § 2. Dieses Gesetz tritt am Tage nach seiner Verkündung in Kraft. V I . Entwurf eines Siebzehnten Gesetzes zur Ergänzung des Grundgesetzes, vorgelegt zur zweiten Lesung der Notstandsverfassung i m V. Deutschen Bundestag am 9. M a i 1968 vom Rechtsausschuß des Bundestages (Rechtsausschuß-Entwurf = Lenz-Entwurf [LeE]) 8 , B T Drucks. V/2873 Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates das folgende Gesetz beschlossen; Artikel 79 Absatz 2 des Grundgesetzes ist eingehalten: § 1. Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. M a i 1949 (Bundesgesetzbl. S. 1) wird wie folgt ergänzt: 01. Artikel 9 Abs. 3 wird durch folgenden Satz ergänzt: „Maßnahmen nach den Artikeln 12 a, 35 Abs. 2 und 3, 87 a Abs. 4 und A r t i kel 91 dürfen sich nicht gegen Arbeitskämpfe richten, die zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen von Vereinigungen im Sinne des Satzes 1 geführt werden." 1. Artikel 10 erhält folgende Fassung: „Artikel 10 (1) Das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis sind unverletzlich. (2) Beschränkungen dürfen nur auf Grund eines Gesetzes angeordnet werden. Dient die Beschränkung dem Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder des Bestandes oder der Sicherung des Bundes oder eines Landes, so kann das Gesetz bestimmen, daß sie dem Betroffenen nicht mitge6 Abgedruckt in der „Frankfurter Allgemeinen" — Zeitung für Deutschland — v. 13. M a i 1968, S. 17.

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teilt wird und daß an die Stelle des Rechtsweges die Nachprüfung durch von der Volksvertretung bestellte Organe und Hüfsorgane tritt." 1 a. Artikel 11 Abs. 2 erhält folgende Fassung: „(2) Dieses Recht darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes und nur für die Fälle eingeschränkt werden, in denen eine ausreichende Lebensgrundlage nicht vorhanden ist und der Allgemeinheit daraus besondere Lasten entstehen würden oder in denen es zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes, zur Bekämpfung von Seuchengefahr, Naturkatastrophen oder besonders schweren Unglücksfällen, zum Schutze der Jugend vor Verwahrlosung oder um strafbaren Handlungen vorzubeugen, erforderlich ist." 2. Artikel 12 erhält folgende Fassung: „Artikel 12 (1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden. (2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer i m Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht." 2 a. Nach Artikel 12 wird folgender neuer Artikel 12 a eingefügt: „Artikel 12 a (1) Männer können vom vollendeten achtzehnten Lebensjahr an zum Dienst in den Streitkräften, im Bundesgrenzschutz oder in einem Zivilschutzverband verpflichtet werden. (2) Wer aus Gewissensgründen den Kriegsdienst mit der Waffe verweigert, kann zu einem Ersatzdienst verpflichtet werden. Die Dauer des Ersatzdienstes darf die Dauer des Wehrdienstes nicht übersteigen. Das Nähere regelt ein Gesetz, das die Freiheit der Gewissensentscheidung nicht beeinträchtigen darf und auch eine Möglichkeit des Ersatzdienstes vorsehen muß, die in keinem Zusammenhang mit den Verbänden der Streitkräfte und des Bundesgrenzschutzes steht. (3) Wehrpflichtige, die nicht zu einem Dienst nach Absatz 1 oder 2 herangezogen sind, können im Verteidigungsfall durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes zu zivilen Dienstleistungen für Zwecke der Verteidigung einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung in Arbeitsverhältnisse verpflichtet werden; Verpflichtungen in öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse sind nur zur Wahrnehmung polizeilicher Aufgaben oder solcher hoheitlichen Aufgaben der öffentlichen Verwaltung, die nur in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis erfüllt werden können, zulässig. Arbeitsverhältnisse nach Satz 1 können bei den Streitkräften, im Bereich ihrer Versorgung sowie bei der öffentlichen Verwaltung begründet werden; Verpflichtungen in Arbeitsverhältnisse im Bereiche der Versorgung der Zivilbevölkerung sind nur zulässig, um ihren lebensnotwendigen Bedarf zu decken oder ihren Schutz sicherzustellen. (4) Kann i m Verteidigungsfall der Bedarf an zivilen Dienstleistungen im zivilen Sanitäts- und Heilwesen sowie in der ortsfesten militärischen Lazarettorganisation nicht auf freiwilliger Grundlage gedeckt werden, so können Frauen vom vollendeten achtzehnten bis zum vollendeten fünfundfünfzigsten 18 Lohse

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Entwürfe zur Ergänzung des Grundgesetzes

Lebensjahr durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes zu derartigen Dienstleistungen herangezogen werden. Sie dürfen auf keinen Fall Dienst mit der Waffe leisten. (5) Für die Zeit vor dem Verteidigungsfalle können Verpflichtungen nach Absatz 3 nur nach Maßgabe des Artikels 80 a begründet werden. Zur Vorbereitung auf Dienstleistungen nach Absatz 3, für die besondere Kenntnisse oder Fertigkeiten erforderlich sind, kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes die Teilnahme an Ausbildungsveranstaltungen zur Pflicht gemacht werden. Satz 1 findet insoweit keine Anwendung. (6) Kann im Verteidigungsfall der Bedarf an Arbeitskräften für die in Absatz 3 Satz 2 genannten Bereiche auf freiwilliger Grundlage nicht gedeckt werden, so kann zur Sicherung dieses Bedarfs die Freiheit der Deutschen, die Ausübung eines Berufs oder den Arbeitsplatz aufzugeben, durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden. Vor Eintritt des Verteidigungsfalles gilt Absatz 5 Satz 1 entsprechend." 2 b. Artikel 19 Abs. 4 wird durch folgenden Satz ergänzt: „Artikel 10 Abs. 2 bleibt unberührt." 2 bb. Artikel 20 wird folgender Absatz 4 angefügt: „(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist." 2 c. Der bisherige Wortlaut des Artikels 35 wird Absatz 1; folgende Absätze 2 und 3 werden angefügt: „(2) Zur Hilfe bei einer Naturkatastrophe oder bei einem besonders schweren Unglücksfall kann ein Land Polizeikräfte anderer Länder, Kräfte und Einrichtungen anderer Verwaltungen sowie des Bundesgrenzschutzes und der Streitkräfte anfordern. (3) Gefährdet die Naturkatastrophe oder der Unglücksfall das Gebiet mehr als eines Landes, so kann die Bundesregierung, soweit es zur wirksamen Bekämpfung erforderlich ist, den Landesregierungen die Weisung erteilen, Polizeikräfte anderen Ländern zur Verfügung zu stellen, sowie Einheiten des Bundesgrenzschutzes und der Streitkräfte zur Unterstützung der Polizeikräfte einsetzen. Maßnahmen der Bundesregierung nach Satz 1 sind jederzeit auf Verlangen des Bundesrates, im übrigen unverzüglich nach Beseitigung der Gefahr aufzuheben." 3. Nach Artikel 53 wird folgender neuer Abschnitt I V a eingefügt: „ I V a. Gemeinsamer Ausschuß Artikel 53 a (1) Der Gemeinsame Ausschuß besteht zu zwei Dritteln aus Abgeordneten des Bundestages, zu einem Drittel aus Mitgliedern des Bundesrates. Die Abgeordneten werden vom Bundestage entsprechend dem Stärkeverhältnis der Fraktionen bestimmt; sie dürfen nicht der Bundesregierung angehören. Jedes Land wird durch ein von ihm bestelltes Mitglied des Bundesrates vertreten; diese Mitglieder sind nicht an Weisungen gebunden. Die Bildung des Gemeinsamen Ausschusses und sein Verfahren werden durch eine Geschäftsordnung geregelt, die vom Bundestage zu beschließen ist und der Zustimmung des Bundesrates bedarf.

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(2) Die Bundesregierung hat den Gemeinsamen Ausschuß über ihre Planungen für den Verteidigungsfall zu unterrichten. Die Rechte des Bundestages und seiner Ausschüsse nach Artikel 43 Abs. 1 bleiben unberührt." 4. Artikel 59 a wird aufgehoben. 5. Artikel 65 a Absatz 2 wird gestrichen. 6. I n Artikel 73 Nr. 1 werden die Worte „der Wehrpflicht für Männer vom vollendeten achtzehnten Lebensjahr an und" gestrichen. 6 a. Nach Artikel 80 wird folgender neuer Artikel 80 a eingefügt: „Artikel 80 a (1) Ist in diesem Grundgesetz oder in einem Bundesgesetz über die Verteidigung einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung bestimmt, daß Rechtsvorschriften nur nach Maßgabe dieses Artikels angewandt werden dürfen, so ist die Anwendung außer im Verteidigungsfall nur zulässig, wenn der Bundestag den Eintritt des Spannungsfalles feststellt oder wenn er der A n wendung besonders zugestimmt hat. Die Feststellung des Spannungsfalles und die besondere Zustimmung in den Fällen des Artikels 12 a Abs. 5 Satz 1 und Absatz 6 Satz 2 bedürfen einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen. (2) Maßnahmen auf Grund von Rechtsvorschriften nach Absatz 1 sind aufzuheben, wenn der Bundestag es verlangt. (3) Abweichend von Absatz 1 ist die Anwendung solcher Rechtsvorschriften auch auf der Grundlage und nach Maßgabe eines Beschlusses zulässig, der von einem internationalen Organ i m Rahmen eines Bündnisvertages gefaßt wird. Absatz 2 findet dann keine Anwendung." 6 b. Artikel 87 a erhält folgende Fassung: „Artikel 87 a (1) Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf. Ihre zahlenmäßige Stärke und die Grundzüge ihrer Organisation müssen sich aus dem Haushaltsplan ergeben. (2) Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zuläßt. (3) Die Streitkräfte haben im Verteidigungsfalle und im Spannungsfalle die Befugnis, zivile Objekte zu schützen und Aufgaben der Verkehrsregelung wahrzunehmen, soweit dies zur Erfüllung ihres Verteidigungsauftrages erforderlich ist. Außerdem kann den Streitkräften im Verteidigungsfalle und im Spannungsfalle der Schutz ziviler Objekte auch zur Unterstützung polizeilicher Maßnahmen übertragen werden; die Streitkräfte wirken dabei mit den zuständigen Behörden zusammen. (4) Zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes kann die Bundesregierung die Streitkräfte zur Unterstützung der Polizei beim Schutze von zivilen Objekten und zur Bekämpfung von Gruppen militärisch bewaffneter Aufständischer einsetzen. Ein bewaffneter Einsatz ist einzustellen, wenn der Bundestag oder der Bundesrat es verlangen." 7. Artikel 91 erhält folgende Fassung: „Artikel 91 18*

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Entwürfe zur Ergänzung des Grundgesetzes

(1) Zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes kann ein Land Polizeikräfte anderer Länder sowie Kräfte und Einrichtungen anderer Verwaltungen und des Bundesgrenzschutzes anfordern. (2) Ist das Land nicht selbst zur Bekämpfung der Gefahr bereit oder in der Lage oder erstreckt sich die Gefahr auf das Gebiet mehr als eines Landes, so kann die Bundesregierung die Polizei in diesem Land und die Polizeikräfte anderer Länder ihren Weisungen unterstellen, Einheiten des Bundesgrenzschutzes einsetzen sowie den für die Bekämpfung der Gefahr zuständigen Landesbehörden Weisungen entsprechend Artikel 85 Absatz 3 erteilen. Maßnahmen nach Satz 1 sind jederzeit auf Verlangen des Bundesrates, im übrigen unverzüglich nach Beseitigung der Gefahr aufzuheben." 9. Nach Artikel 115 wird folgender neuer Abschnitt X a eingefügt: „ X a . Verteidigungsfall Artikel 115 a (1) Die Feststellung, daß das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen wird oder ein solcher Angriff unmittelbar droht (Verteidigungsfall), trifft der Bundestag mit Zustimmung des Bundesrates. Die Feststellung erfolgt auf A n trag der Bundesregierung und bedarf einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen, mindestens der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages. (2) Erfordert die Lage unabweisbar ein sofortiges Handeln und stehen einem rechtzeitigen Zusammentritt des Bundestages unüberwindliche Hindernisse entgegen oder ist er nicht beschlußfähig, so trifft der Gemeinsame Ausschuß diese Feststellung mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen, mindestens der Mehrheit seiner Mitglieder. (3) Die Feststellung wird vom Bundespräsidenten gemäß Artikel 82 im Bundesgesetzblatt verkündet. Ist dies nicht rechtzeitig möglich, so erfolgt die Verkündung in anderer Weise; sie ist im Bundesgesetzblatt nachzuholen, sobald die Umstände es zulassen. (4) Wird das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen und sind die zuständigen Bundesorgane außerstande, sofort die Feststellung nach Absatz 1 Satz 1 zu treffen, so gilt diese Feststellung als getroffen und als zu dem Zeitpunkt verkündet, in dem der Angriff begonnen hat. Der Bundespräsident gibt diesen Zeitpunkt bekannt, sobald die Umstände es zulassen. (5) Ist die Feststellung des Verteidigungsfalles verkündet und wird das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen, so kann der Bundespräsident völkerrechtliche Erklärungen über das Bestehen des Verteidigungsfalles mit Zustimmung des Bundestages abgeben. Unter den Voraussetzungen des Absatzes 2 tritt an die Stelle des Bundestages der Gemeinsame Ausschuß. Artikel 115 b M i t der Verkündung des Verteidigungsfalls geht die Befehls- und Kommandogewalt über die Streitkräfte auf den Bundeskanzler über. Artikel 115 c (1) Der Bund hat für den Verteidigungsfall das Recht der konkurrierenden Gesetzgebung auch auf den Sachgebieten, die zur Gesetzgebungszuständigkeit der Länder gehören. Diese Gesetze bedürfen der Zustimmung des Bundesrates.

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(2) Soweit es die Verhältnisse während des Verteidigungsfalles erfordern, kann durch Bundesgesetz für den Verteidigungsfall 1. bei Enteignungen abweichend von Artikel 14 Abs. 3 Satz 2 die Entschädigung vorläufig geregelt werden, 2. für Freiheitsentziehungen eine von Artikel 104 Abs. 2 Satz 3 und Abs. 3 Satz 1 abweichende Frist, höchstens jedoch eine solche von vier Tagen für den Fall festgesetzt werden, daß ein Richter nicht innerhalb der für Normalzeiten geltenden Frist tätig werden konnte. (3) Soweit es zur Abwehr eines gegenwärtigen oder unmittelbar drohenden Angriffs erforderlich ist, kann für den Verteidigungsfall durch Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundesrates die Verwaltung und das Finanzwesen des Bundes und der Länder abweichend von Abschnitt V I I I und den Artikeln 106 bis 115 geregelt werden, wobei die Lebensfähigkeit der Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände, insbesondere auch in finanzieller Hinsicht, zu wahren sind. (4) Bundesgesetze nach den Absätzen 1 und 2 Nr. 1 dürfen zur Vorbereitung ihres Vollzuges schon vor Eintritt des Verteidigungsfalles angewandt werden. Artikel 115 d (1) Für die Gesetzgebung des Bundes güt i m Verteidigungsfalle abweichend von Artikel 76 Abs. 2, Artikel 77 Abs. 1 Satz 2 und Absätze 2 bis 4, Artikel 78 und Artikel 82 Abs. 1 die Regelung der Absätze 2 und 3. (2) Gesetzesvorlagen der Bundesregierung, die sie als dringlich bezeichnet, sind gleichzeitig mit der Einbringung beim Bundestage dem Bundesrat zuzuleiten. Bundestag und Bundesrat beraten diese Vorlagen unverzüglich gemeinsam. Soweit zu einem Gesetz die Zustimmung des Bundesrates erforderlich ist, bedarf es zum Zustandekommen des Gesetzes der Zustimmung der Mehrheit seiner Stimmen. Das Nähere regelt eine Geschäftsordnung, die vom Bundestage beschlossen wird und der Zustimmung des Bundesrates bedarf. (3) Für die Verkündung der Gesetze gilt Artikel 115 a Abs. 3 Satz 2 entsprechend. Artikel 115 e Ein im Regierungsentwurf vorgesehener Absatz 1, wonach während des Zustandes äußerer Gefahr der Bundestag mit Zustimmung des Bundesrats den Gemeinsamen Ausschuß sollte ermächtigen können, Gesetze zu erlassen, entfällt nach dem Vorschlag des Rechtsausschusses; der Artikel beginnt also (bis zu einer Neubezifferung nach Verabschiedung) mit Absatz 2. (2) Stellt der Gemeinsame Ausschuß im Verteidigungsfalle mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen mindestens mit der Mehrheit seiner Mitglieder fest, daß dem rechtzeitigen Zusammentritt des Bundestages unüberwindliche Hindernisse entgegenstehen oder daß dieser nicht beschlußfähig ist, so hat der Gemeinsame Ausschuß die Stellung von Bundestag und Bundesrat und nimmt deren Rechte einheitlich wahr. (3) Durch ein Gesetz des Gemeinsamen Ausschusses darf das Grundgesetz weder geändert noch ganz oder teilweise außer Kraft oder außer Anwendung gesetzt werden. Zum Erlaß von Gesetzen nach Artikel 24 Abs. 1 und Artikel 29 ist der Gemeinsame Ausschuß nicht befugt. Artikel 115 f (1) Die Bundesregierung kann im Verteidigungsfalle, soweit es die Verhältnisse erfordern,

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Entwürfe zur Ergänzung des Grundgesetzes

1. den Bundesgrenzschutz im ganzen Bundesgebiete einsetzen, 2. außer der Bundesverwaltung auch den Landesregierungen und, wenn sie es für dringlich erachtet, den Landesbehörden Weisungen erteilen und diese Befugnis auf von ihr zu bestimmende Mitglieder der Landesregierungen übertragen. (2) Bundestag, Bundesrat und der Gemeinsame Ausschuß sind unverzüglich von den nach Absatz 1 getroffenen Maßnahmen zu unterrichten. Artikel 115 g Die verfassungsmäßige Stellung und die Erfüllung der verfassungsmäßigen Aufgaben des Bundesverfassungsgerichts und seiner Richter dürfen nicht beeinträchtigt werden. Das Gesetz über das Bundesverfassungsgericht darf durch ein Gesetz des Gemeinsamen Ausschusses nur insoweit geändert werden, als dies auch nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts zur Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit des Gerichts erforderlich ist. Bis zum Erlaß eines solchen Gesetzes kann das Bundesverfassungsgericht die zur Erhaltung der Arbeitsfähigkeit des Gerichts erforderlichen Maßnahmen treffen. Beschlüsse nach den Sätzen 2 und 3 faßt das Bundesverfassungsgericht mit der Mehrheit der anwesenden Richter. Artikel 115 h (1) Während des Verteidigungsfalles ablaufende Wahlperioden des Bundestages oder der Volksvertretungen der Länder enden sechs Monate nach Beendigung des Verteidigungsfalles. Die im Verteidigungsfalle ablaufende Amtszeit des Bundespräsidenten sowie bei vorzeitiger Erledigung seines Amtes die Wahrnehmung seiner Befugnisse durch den Präsidenten des Bundesrates enden neun Monate nach Beendigung des Verteidigungsfalles. Die im Verteidigungsfalle ablaufende Amtszeit eines Mitglieds des Bundesverfassungsgerichts endet sechs Monate nach Beendigung des Verteidigungsfalles. (2) Wird eine Neuwahl des Bundeskanzlers durch den Gemeinsamen Ausschuß erforderlich, so wählt dieser einen neuen Bundeskanzler mit der Mehrheit seiner Mitglieder; der Bundespräsident macht dem Gemeinsamen Ausschuß einen Vorschlag. Der Gemeinsame Ausschuß kann dem Bundeskanzler das Mißtrauen nur dadurch aussprechen, daß er mit der Mehrheit von zwei Dritteln seiner Mitglieder einen Nachfolger wählt. (3) Für die Dauer des Verteidigungsfalles ist die Auflösung des Bundestages ausgeschlossen. Artikel 115 i (1) Sind die zuständigen Bundesorgane außerstande, die notwendigen Maßnahmen zur Abwehr der Gefahr zu treffen, und erfordert die Lage unabweisbar ein sofortiges selbständiges Handeln in einzelnen Teilen des Bundesgebietes, so sind die Landesregierungen oder die von ihnen bestimmten Behörden oder Beauftragten befugt, für ihren Zuständigkeitsbereich Maßnahmen im Sinne des Artikels 115 f zu treffen. (2) Maßnahmen nach Absatz 1 können durch die Bundesregierung, im Verhältnis zu Landesbehörden und nachgeordneten Bundesbehörden der Länder, jederzeit aufgehoben werden. Artikel 115 k (1) Für die Dauer ihrer Anwendbarkeit setzen Gesetze nach den Artikeln 115 c, 115 e und 115 g und Rechtsverordnungen, die auf Grund solcher Gesetze ergehen, entgegenstehendes Recht außer Anwendung. Dies gilt nicht gegen-

Ergänzungsgesetz vom 24. Juni 1968 (BGBl. IS. 709)

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über früherem Recht, das auf Grund der Artikel 115 c, 115 e und 115 g erlassen worden ist. (2) Gesetze, die der Gemeinsame Ausschuß beschlossen hat, und Rechtsverordnungen, die auf Grund solcher Gesetze ergangen sind, treten spätestens sechs Monate nach Beendigung des Verteidigungsfalles außer Kraft. (3) Gesetze, die von Artikel 106 und 107 abweichende Regelungen enthalten, gelten längstens bis zum Ende des zweiten Rechnungsjahres, das auf die Beendigung des Verteidigungsfalles folgt. Sie können nach Beendigung des Verteidigungsfalles durch Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundesrates geändert werden, um zu der Regelung gemäß Abschnitt X überzuleiten. Artikel 1151 (1) Der Bundestag kann jederzeit mit Zustimmung des Bundesrates Gesetze des Gemeinsamen Ausschusses aufheben. Der Bundesrat kann verlangen, daß der Bundestag hierüber beschließt. Sonstige zur Abwehr der Gefahr getroffene Maßnahmen des Gemeinsamen Ausschusses oder der Bundesregierung sind aufzuheben, wenn der Bundestag und der Bundesrat es beschließen. (2) Der Bundestag kann mit Zustimmung des Bundesrates jederzeit durch einen vom Bundespräsidenten zu verkündenden Beschluß den Verteidigungsfall für beendet erklären. Der Bundesrat kann verlangen, daß der Bundestag hierüber beschließt. Der Verteidigungsfall ist unverzüglich für beendet zu erklären, wenn die Voraussetzungen für seine Feststellung nicht mehr gegeben sind. (3) Über den Friedensschluß wird durch Bundesgesetz entschieden. 10. Artikel 142 a und 143 werden aufgehoben.

§2 Dieses Gesetz tritt am Tage nach seiner Verkündung in Kraft. V I I . Notstandsverfassung i m Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland7, eingefügt am 24. Juni 1968 (BGBl. I S. 709) Artikel 9 (Vereinigungsfreiheit) (1) Alle Deutschen haben das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden. (2) Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten. (3) Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig. Maßnahmen nach den Artikeln 12 a, 35 Abs. 2 und 3, Artikel 87 a Abs. 4 und Artikel 91 dürfen sich nicht gegen Arbeitskämpfe richten, die zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen von Vereinigungen im Sinne des Satzes 1 geführt werden. 7 Abgedruckt in der „Frankfurter Allgemeinen" — Zeitung für Deutschland — vom 1. Juni 1968, S. 10 (Anzeige).

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Entwürfe zur Ergänzung des Grundgesetzes

Artikel 10 (Post- und Fernmeldegeheimnis) (1) Das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis sind unverletzlich. (2) Beschränkungen dürfen nur auf Grund eines Gesetzes angeordnet werden. Dient die Beschränkung dem Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder des Bestandes oder der Sicherung des Bundes oder eines Landes, so kann das Gesetz bestimmen, daß sie dem Betroffenen nicht mitgeteüt wird und daß an die Stelle des Rechtsweges die Nachprüfung durch von der Volksvertretung bestellte Organe und Hilfsorgane tritt. Artikel 11 (Freizügigkeit) (1) Alle Deutschen genießen Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet. (2) Dieses Recht darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes und nur für die Fälle eingeschränkt werden, in denen eine ausreichende Lebensgrundlage nicht vorhanden ist und der Allgemeinheit daraus besondere Lasten entstehen würden oder in denen es zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes, zur Bekämpfung von Seuchengefahr, Naturkatastrophen oder besonders schweren Unglücksfällen, zum Schutze der Jugend vor Verwahrlosimg oder um strafbaren Handlungen vorzubeugen, erforderlich ist. Artikel 12 (Freiheit der Berufswahl) (1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbüdungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden. (2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht. (3) Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig. Artikel 12 a (Dienstverpflichtungen) (1) Männer können vom vollendeten achtzehnten Lebensjahr an zum Dienst in den Streitkräften, i m Bundesgrenzschutz oder in einem Zivilschutzverband verpflichtet werden. (2) Wer aus Gewissensgründen den Kriegsdienst mit der Waffe verweigert, kann zu einem Ersatzdienst verpflichtet werden. Die Dauer des Ersatzdienstes darf die Dauer des Wehrdienstes nicht übersteigen. Das Nähere regelt ein Gesetz, das die Freiheit der Gewissensentscheidung nicht beeinträchtigen darf und auch eine Möglichkeit des Ersatzdienstes vorsehen muß, die in keinem Zusammenhang mit den Verbänden der Streitkräfte und des Bundesgrenzschutzes steht. (3) Wehrpflichtige, die nicht zu einem Dienst nach Absatz 1 oder 2 herangezogen sind, können im Verteidigungsfalle durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes zu zivilen Dienstleistungen für Zwecke der Verteidigung einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung in Arbeitsverhältnisse ver-

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pflichtet werden; Verpflichtungen in öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse sind nur zur Wahrnehmung polizeilicher Aufgaben oder solcher hoheitlichen Aufgaben der öffentlichen Verwaltung, die nur in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis erfüllt werden können, zulässig. Arbeitsverhältnisse nach Satz 1 können bei den Streitkräften, i m Bereich ihrer Versorgung sowie bei der öffentlichen Verwaltung begründet werden; Verpflichtungen in Arbeitsverhältnisse im Bereiche der Versorgung der Zivilbevölkerung sind nur zulässig, um ihren lebensnotwendigen Bedarf zu decken oder ihren Schutz sicherzustellen. (4) Kann i m Verteidigungsfall der Bedarf an zivilen Dienstleistungen im zivilen Sanitäts- und Heilwesen sowie in der ortsfesten militärischen Lazarettorgansation nicht auf freiwilliger Grundlage gedeckt werden, so können Frauen vom vollendeten achtzehnten bis zum vollendeten fünfundfünfzigsten Lebensjahr durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes zu derartigen Dienstleistungen herangezogen werden. Sie dürfen in keinem Fall Dienst mit der Waffe leisten. (5) Für die Zeit vor dem Verteidigungsfalle können Verpflichtungen nach Absatz 3 nur nach Maßgabe des Artikels 80 a Abs. 1 begründet werden. Zur Vorbereitung auf Dienstleistungen nach Absatz 3, für die besondere Kenntnisse oder Fertigkeiten erforderlich sind, kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes die Teilnahme an Ausbildungsveranstaltungen zur Pflicht gemacht werden. Satz 1 findet insoweit keine Anwendung. (6) Kann im Verteidigungsfall der Bedarf an Arbeitskräften für die in Absatz 3 Satz 2 genannten Bereiche auf freiwilliger Grundlage nicht gedeckt werden, so kann zur Sicherung dieses Bedarfs die Freiheit der Deutschen, die Ausübung eines Berufs oder den Arbeitsplatz aufzugeben, durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden. Vor Eintritt des Verteidigungsfalles gilt Absatz 5 Satz 1 entsprechend. Artikel 19 (Einschränkung von Grundrechten) (1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen. (2) I n keinem Fall darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden. (3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind. (4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt. Artikel 20 (Demokratische, rechtsstaatliche Verfassung) (1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. (2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

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(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden. (4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist. Artikel 35 (Rechts- und Amtshilfe) (1) Alle Behörden des Bundes und der Länder leisten sich gegenseitig Rechts- und Amtshüfe. (2) Zur Hilfe bei einer Naturkatastrophe oder bei einem besonders schweren Unglücksfall kann ein Land Polizeikräfte anderer Länder, Kräfte und Einrichtungen anderer Verwaltungen sowie des Bundesgrenzschutzes und der Streitkräfte anfordern. (3) Gefährdet die Naturkatastrophe oder der Unglücksfall das Gebiet mehr als eines Landes, so kann die Bundesregierung, soweit es zur wirksamen Bekämpfung erforderlich ist, den Landesregierungen die Weisung erteilen, Polizeikräfte anderen Ländern zur Verfügung zu stellen, sowie Einheiten des Bundesgrenzschutzes und der Streitkräfte zur Unterstützung der Polizeikräfte einsetzen. Maßnahmen der Bundesregierung nach Satz 1 sind jederzeit auf Verlangen des Bundesrates, im übrigen unverzüglich nach Beseitigung der Gefahr aufzuheben. Artikel 53 a (Gemeinsamer Ausschuß) (1) Der Gemeinsame Ausschuß besteht zu zwei Dritteln aus Abgeordneten des Bundestages, zu einem Drittel aus Mitgliedern des Bundesrates. Die Abgeordneten werden vom Bundestage entsprechend dem Stärkeverhältnis der Fraktionen bestimmt; sie dürfen nicht der Bundesregierung angehören. Jedes Land wird durch ein von ihm bestelltes Mitglied des Bundesrates vertreten; diese Mitglieder sind nicht an Weisungen gebunden. Die Bildung des Gemeinsamen Ausschusses und sein Verfahren werden durch eine Geschäftsordnung geregelt, die vom Bundestage zu beschließen ist und der Zustimmung des Bundesrates bedarf. (2) Die Bundesregierung hat den Gemeinsamen Ausschuß über ihre Planungen für den Verteidigungsfall zu unterrichten. Die Rechte des Bundestages und seiner Ausschüsse nach Artikel 43 Abs. 1 bleiben unberührt. Artikel 59 a (Verteidigungsfall und Friedensschluß) wird aufgehoben. Artikel 65 a Abs. 2 (Befehlsgewalt über Streitkräfte) wird gestrichen. Artikel 73 (Ausschließliche Gesetzgebung, Katalog) Der Bund hat die ausschließliche Gesetzgebung über: 1. die auswärtigen Angelegenheiten sowie die Verteidigung einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung. Artikel 80 a (Spannungsfall)

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(1) Ist in diesem Grundgesetz oder in einem Bundesgesetz über die Verteidigung einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung bestimmt, daß Rechtsvorschriften nur nach Maßgabe dieses Artikels angewandt werden dürfen, so ist die Anwendung außer im Verteidigungsfalle nur zulässig, wenn der Bundestag den Eintritt des Spannungsfalles festgestellt oder wenn er der Anwendung besonders zugestimmt hat. Die Feststellung des Spannungsfalles und die besondere Zustimmung in den Fällen des Artikels 12 a Abs. 5 Satz 1 und Absatz 6 Satz 2 bedürfen einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen. (2) Maßnahmen auf Grund von Rechtsvorschriften nach Absatz 1 sind aufzuheben, wenn der Bundestag es verlangt. (3) Abweichend von Absatz 1 ist die Anwendung solcher Rechtsvorschriften auch auf der Grundlage und nach Maßgabe eines Beschlusses zulässig, der von einem internationalen Organ im Rahmen eines Bündnisvertrages mit Zustimmung der Bundesregierung gefaßt wird. Maßnahmen nach diesem Absatz sind aufzuheben, wenn der Bundestag es mit der Mehrheit seiner Mitglieder verlangt. Artikel 87 a (Einsatz der Streitkräfte im Inneren) (1) Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf, ihre zahlenmäßige Stärke und die Grundzüge ihrer Organisation müssen sich aus dem Haushaltsplan ergeben. (2) Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zuläßt. (3) Die Streitkräfte haben i m Verteidigungsfalle und im Spannungsfalle die Befugnis, zivile Objekte zu schützen und Aufgaben der Verkehrsregelung wahrzunehmen, soweit dies zur Erfüllung ihres Verteidigungsauftrages erforderlich ist. Außerdem kann den Streitkräften i m Verteidigungsfalle und im Spannungsfalle der Schutz ziviler Objekte auch zur Unterstützung polizeilicher Maßnahmen übertragen werden; die Streitkräfte wirken dabei mit den zuständigen Behörden zusammen. (4) Zur Abwehr einer drohenden Gefahr, für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes kann die Bundesregierung, wenn die Voraussetzungen des Artikels 91 Abs. 2 vorliegen und die Polizeikräfte sowie der Bundesgrenzschutz nicht ausreichen, Streitkräfte zur Unterstützung der Polizei und des Bundesgrenzschutzes beim Schutze von zivilen Objekten und bei der Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer einsetzen. Der Einsatz von Streitkräften ist einzustellen, wenn der Bundestag oder der Bundesrat es verlangt. Artikel 91 (Innerer Notstand) (1) Zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes kann ein Land Polizeikräfte anderer Länder sowie Kräfte und Einrichtungen anderer Verwaltungen und des Bundesgrenzschutzes anfordern. (2) Ist das Land, in dem die Gefahr droht, nicht selbst zur Bekämpfung der Gefahr bereit oder in der Lage, so kann die Bundesregierung die Polizei in diesem Lande und die Polizeikräfte anderer Länder ihren Weisungen unterstellen sowie Einheiten des Bundesgrenzschutzes einsetzen. Die Anordnung ist

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nach Beseitigung der Gefahr, im übrigen jederzeit auf Verlangen des Bundesrates aufzuheben. Erstreckt sich die Gefahr auf das Gebiet mehr als eines Landes, so kann die Bundesregierung, soweit es zur wirksamen Bekämpfung erforderlich ist, den Landesregierungen Weisungen erteilen; Satz 1 und 2 bleiben unberührt. Artikel 115 a (Verteidigungsfall) (1) Die Feststellung, daß das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen wird oder ein solcher Angriff unmittelbar droht (Verteidigungsfall), trifft der Bundestag mit Zustimmung des Bundesrates. Die Feststellung erfolgt auf A n trag der Bundesregierung und bedarf einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen, mindestens der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages. (2) Erfordert die Lage unabweisbar ein sofortiges Handeln und stehen einem rechtzeitigen Zusammentritt des Bundestages unüberwindliche Hindernisse entgegen oder ist er nicht beschlußfähig, so trifft der Gemeinsame Ausschuß diese Feststellung mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen, mindestens der Mehrheit seiner Mitglieder. (3) Die Feststellung wird vom Bundespräsidenten gemäß Artikel 82 im Bundesgesetzblatte verkündet. Ist dies nicht rechtzeitig möglich, so erfolgt die Verkündung in anderer Weise. Sie ist im Bundesgesetzblatte nachzuholen, sobald die Umstände es zulassen. (4) Wird das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen und sind die zuständigen Bundesorgane außerstande, sofort die Feststellung nach Absatz 1 Satz 1 zu treffen, so gilt diese FeststeUung als getroffen und als zu dem Zeitpunkt verkündet, in dem der Angriff begonnen hat. Der Bundespräsident gibt diesen Zeitpunkt bekannt, sobald die Umstände es zulassen. (5) Ist die Feststellung des Verteidigungsfalles verkündet und wird das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen, so kann der Bundespräsident völkerrechtliche Erklärungen über das Bestehen des Verteidigungsfalles mit Zustimmung des Bundestages abgeben. Unter den Voraussetzungen des Absatzes 2 tritt an die Stelle des Bundestages der Gemeinsame Ausschuß. Artikel 115 b M i t der Verkündung des Verteidigungsfalles geht die Befehls- und Kommandogewalt über die Streitkräfte auf den Bundeskanzler über. Artikel 115 c (1) Der Bund hat für den Verteidigungsfall das Recht der konkurrierenden Gesetzgebung auch auf den Sachgebieten, die zur Gesetzgebungszuständigkeit der Länder gehören. Diese Gesetze bedürfen der Zustimmung des Bundesrates. (2) Soweit es die Verhältnisse während des Verteidigungsfalles erfordern, kann durch Bundesgesetz für den Verteidigungsfall 1. bei Enteignungen abweichend von Artikel 14 Abs. 3 Satz 2 die Entschädigung vorläufig geregelt werden, 2. für Freiheitsentziehungen eine von Artikel 104 Abs. 2 Satz 3 und Abs. 3 Satz 1 abweichende Frist, höchstens jedoch eine solche von vier Tagen, für den Fall festgesetzt werden, daß ein Richter nicht innerhalb der für Normalzeiten geltenden Frist tätig werden konnte.

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(3) Soweit es zur Abwehr eines gegenwärtigen oder unmittelbar drohenden Angriffs erforderlich ist, kann für den Verteidigungsfall durch Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundesrates die Verwaltung und das Finanzwesen des Bundes und der Länder abweichend von Abschnitt V I I I und den Artikeln 106 bis 115 geregelt werden, wobei die Lebensfähigkeit der Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände, insbesondere auch in finanzieller Hinsicht, zu wahren ist. (4) Bundesgesetze nach den Absätzen 1 und 2 Nr. 1 dürfen zur Vorbereitung ihres Vollzuges schon vor Eintritt des Verteidigungsfalles angewandt werden. Artikel 115 d (1) Für die Gesetzgebung des Bundes gilt im Verteidigungsfalle abweichend von Artikel 76 Abs. 2, Artikel 77 Abs. 1 Satz 2 und Absätze 2 bis 4, Artikel 78 und Artikel 82 Abs. 1 die Regelung der Absätze 2 und 3. (2) Gesetzesvorlagen der Bundesregierung, die sie als dringlich bezeichnet, sind gleichzeitig mit der Einbringung beim Bundestage dem Bundesrat zuzuleiten. Bundestag und Bundesrat beraten diese Vorlagen unverzüglich gemeinsam. Soweit zu einem Gesetz die Zustimmung des Bundesrates erforderlich ist, bedarf es zum Zustandekommen des Gesetzes der Zustimmung der Mehrheit seiner Stimmen. Das Nähere regelt eine Geschäftsordnung, die vom Bundestage beschlossen wird und der Zustimmung des Bundesrates bedarf. (3) Für die Verkündung der Gesetze gilt Artikel 115 a Abs. 3 Satz 2 entsprechend. Artikel 115 e (1) Stellt der Gemeinsame Ausschuß i m Verteidigungsfalle mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen, mindestens mit der Mehrheit seiner Mitglieder fest, daß dem rechtzeitigen Zusammentritt des Bundestages unüberwindliche Hindernisse entgegenstehen oder daß dieser nicht beschlußfähig ist, so hat der Gemeinsame Ausschuß die Stellung von Bundestag und Bundesrat und nimmt deren Rechte einheitlich wahr. (2) Durch ein Gesetz des Gemeinsamen Ausschusses darf das Grundgesetz weder geändert noch ganz oder teilweise außer Kraft oder außer Anwendung gesetzt werden. Zum Erlaß von Gesetzen nach Artikel 24 Abs. 1 und Artikel 29 ist der Gemeinsame Ausschuß nicht befugt. Artikel 115 f (1) Die Bundesregierung kann im Verteidigungsfalle, soweit es die Verhältnisse erfordern, 1. den Bundesgrenzschutz im gesamten Bundesgebiet einsetzen, 2. außer der Bundesverwaltung auch den Landesregierungen und, wenn sie es für dringlich erachtet, den Landesbehörden Weisungen erteilen und diese Befugnis auf von ihr zu bestimmende Mitglieder der Landesregierungen übertragen. (2) Bundestag, Bundesrat und der Gemeinsame Ausschuß sind unverzüglich von den nach Absatz 1 getroffenen Maßnahmen zu unterrichten. Artikel 115 g Die verfassungsmäßige Stellung und die Erfüllung der verfassungsmäßigen Aufgaben des Bundesverfassungsgerichts und seiner Richter dürfen nicht beeinträchtigt werden. Das Gesetz über das Bundesverfassungsgericht darf durch ein Gesetz des Gemeinsamen Ausschusses nur insoweit geändert wer-

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den, als dies auch nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichtes zur Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit des Gerichts erforderlich ist. Bis zum Erlaß eines solchen Gesetzes kann das Bundesverfassungsgericht die zur Erhaltung der Arbeitsfähigkeit des Gerichts erforderlichen Maßnahmen treffen. Beschlüsse nach den Sätzen 2 und 3 faßt das Bundesverfassungsgericht mit der Mehrheit der anwesenden Richter. Artikel 115 h (1) Während des Verteidigungsfalles ablaufende Wahlperioden des Bundestages oder der Volksvertretungen der Länder enden sechs Monate nach Beendigung des Verteidigungsfalles. Die im Verteidigungsfalle ablaufende Amtszeit des Bundespräsidenten sowie bei vorzeitiger Erledigung seines Amtes die Wahrnehmung seiner Befugnisse durch den Präsidenten des Bundesrates enden neun Monate nach Beendigung des Verteidigungsfalles. Die im Verteidigungsfalle ablaufende Amtszeit eines Mitgliedes des Bundesverfassungsgerichtes endet sechs Monate nach Beendigung des Verteidigungsfalles. (2) Wird eine Neuwahl des Bundeskanzlers durch den Gemeinsamen Ausschuß erforderlich, so wählt dieser einen neuen Bundeskanzler mit der Mehrheit seiner Mitglieder; der Bundespräsident macht dem Gemeinsamen Ausschuß einen Vorschlag. Der Gemeinsame Ausschuß kann dem Bundeskanzler das Mißtrauen nur dadurch aussprechen, daß er mit der Mehrheit von zwei Dritteln seiner Mitglieder einen Nachfolger wählt. (3) Für die Dauer des Verteidigungsfalles ist die Auflösung des Bundestages ausgeschlossen. Artikel 115 i (1) Sind die zuständigen Bundesorgane außerstande, die notwendigen Maßnahmen zur Abwehr der Gefahr zu treffen, und erfordert die Lage unabweisbar ein sofortiges selbständiges Handeln in einzelnen Teilen des Bundesgebietes, so sind die Landesregierungen oder die von ihnen bestimmten Behörden oder Beauftragten befugt, für ihren Zuständigkeitsbereich Maßnahmen im Sinne des Artikels 115 f Abs. 1 zu treffen. (2) Maßnahmen nach Absatz 1 können durch die Bundesregierung, im Verhältnis zu Landesbehörden und nachgeordneten Bundesbehörden auch durch die Ministerpräsidenten der Länder, jederzeit aufgehoben werden. Artikel 115 k (1) Für die Dauer ihrer Anwendbarkeit setzen Gesetze nach den A r tikeln 115 c, 115e und 115 g und Rechts Verordnungen, die auf Grund solcher Gesetze ergehen, entgegenstehendes Recht außer Anwendung. Dies gilt nicht gegenüber früherem Recht, das auf Grund der Artikel 115c, 115e und 115g erlassen worden ist. (2) Gesetze, die der Gemeinsame Ausschuß beschlossen hat, und Rechtsverordnungen, die auf Grund solcher Gesetze ergangen sind, treten spätestens sechs Monate nach Beendigung des Verteidigungsfalles außer Kraft. (3) Gesetze, die von Artikel 106 und 107 abweichende Regelungen enthalten, gelten längstens bis zum Ende des zweiten Rechnungsjahres, das auf die Beendigung des Verteidigungsfalles folgt. Sie können nach Beendigung des Verteidigungsfalles durch Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundesrates geändert werden, um zu der Regelung gemäß Abschnitt X überzuleiten. Artikel 1151 (1) Der Bundestag kann jederzeit mit Zustimmung des Bundesrates Gesetze des Gemeinsamen Ausschusses aufheben. Der Bundesrat kann verlangen, daß

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der Bundestag hierüber beschließt. Sonstige zur Abwehr der Gefahr getroffene Maßnahmen des Gemeinsamen Ausschusses oder der Bundesregierung sind aufzuheben, wenn der Bundestag und der Bundesrat es beschließen. (2) Der Bundestag kann mit Zustimmung des Bundesrates jederzeit durch einen vom Bundespräsidenten zu verkündenden Beschluß den Verteidigungsfall für beendet erklären. Der Bundesrat kann verlangen, daß der Bundestag hierüber beschließt. Der Verteidigungsfall ist unverzüglich für beendet zu erklären, wenn die Voraussetzungen für seine Feststellung nicht mehr gegeben sind. (3) Über den Friedensschluß wird durch Bundesgesetz entschieden. Artikel 142 a und Artikel 143 werden aufgehoben.

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