Zwischen Bialystok und Berlin-Westend: Eine ethnografische Studie zu den Begegnungen von Polinnen und Deutschen in informellen Hausarbeitsverhältnissen 9783839445211

German-Polish encounters in the black economy of private households: unexpected views on a daily phenomenon.

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Zwischen Bialystok und Berlin-Westend: Eine ethnografische Studie zu den Begegnungen von Polinnen und Deutschen in informellen Hausarbeitsverhältnissen
 9783839445211

Table of contents :
Dank
Inhalt
1. Einleitung
2. Genealogie des deutsch-polnischen Migrationsraums
3. Theoretischer Rahmen
4. Ethnografisches Forschen – ethnografisches Schreiben
5. Über Grenzen gehen
6. Deutsch-polnische Begegnungen
7. Fazit
Literatur

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Ute Frings-Merck Zwischen Białystok und Berlin-Westend

Gender Studies

Dank Mein besonderer Dank gilt meinen Gesprächspartnerinnen, die mir ihre Zeit und ihr Vertrauen geschenkt haben. Ohne sie und ihre Erzählungen wäre diese Forschung nicht möglich gewesen. Danken möchte ich auch Beate Binder für ihre konstruktive Kritik, ihre Inspiration und ihre Geduld. Ein besonderer Dank geht an Alexandra Czupalla, Melanie Grütter und Rolly Rosen, die während der langen Zeit ihr Interesse an meiner Forschung nicht verloren und mich durch ihre Neugierde und ihre Anregungen bestärkten. Dieses Buch widme ich meinem Mann Nikolaus Merck und meinen Kindern Jonja und Lilly. Meinem Mann weil er die Forschung durch kritische Einwürfe und geduldige Einrede begleitet hat, Zweifel zerstreut und Verzagtheiten optimistisch begegnete. Jonja und Lilly weil sie mir die Möglichkeit gaben, dieses Buch zu schreiben. Berlin, im Mai 2018

Ute Frings-Merck (MA) studierte Publizistik, Politische Wissenschaft und Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin sowie Ethnologie und Gender Studies an der Freien Universität Berlin und an der Humboldt-Universität zu Berlin. Sie promovierte am Institut für Europäische Ethnologie der Humboldt-Universität zu Berlin.

Ute Frings-Merck

Zwischen Białystok und Berlin-Westend Eine ethnografische Studie zu den Begegnungen von Polinnen und Deutschen in informellen Hausarbeitsverhältnissen

Die vorliegende Arbeit wurde am 6. Februar 2018 von der Dekanin der Philosophischen Fakultät I der Humboldt-Universität zu Berlin, Prof. Dr. Gabriele Metzler, als Dissertation anerkannt. Die Gutachterinnen waren Prof. Dr. Beate Binder, Prof. Dr. Regina Römhild.

© 2018 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-4521-7 PDF-ISBN 978-3-8394-4521-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

1

Einleitung | 9

1.1 1.2 1.3 1.4 1.5

Problemstellung | 9 Im Schnittfeld feministischer Migrations- und Genderforschung | 12 Ziel der Studie und These | 15 Feld/Material und Methoden | 18 Zum Aufbau der Arbeit | 19

2

Genealogie des deutsch-polnischen Migrationsraums | 21

2.1 Osteuropa: eine Imagination des Westens | 22 2.2 Historische Formen der deutsch-polnischen Migration | 26 2.2.1 Polen in Deutschland von 1871 bis 1939 | 27 Theoretischer Rahmen | 41 3.1 Transnational Turn: Das Paradigma der Transnationalen Migration | 41 3.1.1 Der Forschungsansatz Transnationale Migration | 46 3.2 Transnationale Haushalte in der Global Care Chain | 49 3.3 Die Besonderheiten des Arbeitens im Haus | 52 3.3.1 Geringschätzung und Ökonomisierung der Haushaltsarbeit | 54 3.3.2 Geschlechtsspezifische Arbeitsteilung | 55 3.3.3 Erwerbstätigkeit von Frauen und rhetorische Modernisierung | 57 3.3.4 Ethnisierte Umverteilung der Hausarbeit und Retraditionalisierung | 59 3.4 Vom Dienstmädchen zur transnationalen Haushaltsarbeiterin | 64 3.4.1 Das Konzept des Nomadischen | 66 3.5 Das Subjekt der Unterwerfung | 70 3.5.1 Judith Butler: Subjektivation | 72 3

4

Ethnografisches Forschen – ethnografisches Schreiben | 77

4.1 Die Methodologie | 77 4.1.1 Temporale Identitätskonstruktionen | 78 4.1.2 Forschungsfeld als sozialer Raum | 80 4.2 Die Akteurinnen | 88 4.2.1 Arbeitnehmerinnen | 88 4.2.2 Arbeitgeberinnen | 93

4.3 Das methodische Vorgehen | 95 4.3.1 Gespräche und Einsichten | 95 4.3.2 Ethnografisches Schreiben | 102 Über Grenzen gehen | 107 5.1 Netzwerke, soziales Kapital und Mobilität | 108 5.2 Aufbruch aus Polen, Ankunft in Berlin: die Haushaltsarbeiterinnen | 111 5.2.1 Gründe für den Aufbruch | 112 5.2.2 Suche nach einem neuen Leben: Lust auf Veränderung | 115 5.2.3 Zum Aufbruch verlockt | 116 5.2.4 Ankunft in Berlin | 124 5.2.5 Ich-AG als Erfolgsgeschichte | 126 5.3 Ausbruch aus dem Haus: die Arbeitgeberinnen | 130 5.3.1 Konfliktvermeidung | 130 5.3.2 Outsourcing der Hausarbeit | 132 5.3.3 Hausarbeit bleibt Frauensache | 133 5.3.4 Polinnen als „Profiputzfrauen“ | 135 5

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Deutsch-polnische Begegnungen | 137

6.1 Arbeits- und andere Beziehungen | 137 6.1.1 Vertrauen | 138 6.1.2 Wahlverwandtschaft | 147 6.1.3 Konflikte, Krisen und Kontrollen | 149 6.1.4 Arbeiten in der Grauzone | 153 6.1.5 In der Rolle der Bohémienne | 161 6.1.6 Retraditionalisierung, Illegalität und ökonomisches Kalkül | 162 6.2 Drecksarbeit | 170 6.2.1 Arbeit im Privaten und am Privaten | 171 6.2.2 Unsichtbares Delegieren, kollektives Putzen und der Kampf um die Meinungshoheit | 172 6.2.3 Umweltschutz ist verhandelbar | 176 6.2.4 Ordnung und Sauberkeit | 179 6.2.5 Gefahren des Schmutzes | 183 6.3 Körper in der ökonomisierten Sphäre des Privaten | 184 6.3.1 Der Körper als Werkzeug | 186 6.3.2 Der eigene Körper im Spiegel des Anderen | 187 6.3.3 Akkumulieren körperlichen Kapitals | 190 6.3.4 Verausgaben körperlichen Kapitals | 192

6.4 Stereotype | 194 6.4.1 Heterostereotyp und Autostereotyp | 196 6.4.2 Das Stereotyp der longue durée | 198 6.4.3 Alte Stereotype und neue Erfahrungen | 199 6.4.4 Stereotyp und Geschlecht: „fleißige Lieschen“ und „kleine Schweine“ | 206 6.5 Im Genrebild vorindustrieller Romantik | 209 6.5.1 Am äußersten Rand Europas | 210 6.5.2 Ortskenntnisse: „Man müsste mal nach Polen“ | 214 6.5.3 Hilfsprogramme: Spenden für das Aschenputtel | 217 6.5.4 Das Andere und das Eigene im Fremden | 220 6.6 Die Aktualisierung der Vergangenheit | 222 6.6.1 Geschichte als Ressource | 223 6.6.2 Familiengeschichte | 229 6.6.3 Über Geschichte sprechen | 231 7

Fazit | 237

Literatur | 243

1

Einleitung

Vor einigen Jahren begegnete ich bei Freunden zufällig einer polnischen Putzfrau. Sie hieß Danuta, war Anfang 30 und pendelte im Zwei-Wochen-Rhythmus zwischen Białystok an der polnischen Ostgrenze und Berlin. Neun Stunden fährt der Zug, 700 Kilometer weit, einmal quer durch Polen. Ich traf Danuta in einer etwas heruntergekommenen Zweizimmerwohnung mit Ofenheizung in einem Kreuzberger Hinterhof. Ihre Arbeitgeber*innen, eine Studentin und ein Musiker, rangierten in der bundesrepublikanischen Einkommensstatistik knapp über der Armutsgrenze. Dennoch reichte ihr Geld aus, um eine Putzfrau zu bezahlen: jede zweite Woche für drei Stunden; polnische Putzfrauen kosteten nicht viel. Die Arbeitgeber*innen sprachen kein Wort Polnisch. Danutas Deutschkenntnisse beschränkten sich auf das Notwendigste, das sie für ihre Arbeit benötigte. Umso mehr freute sie sich, eine Deutsche zu treffen, mit der sie Polnisch sprechen konnte. Sie erzählte von Białystok, ihrem Studium der Zahnmedizin, das sie abgeschlossen hatte, und davon, dass sie nun erst einmal etwas Geld in Deutschland verdienen möchte. Sie putze in Berlin, sagte sie, um sich in Białystok eine Wohnung zu kaufen. Erst dann könne sie dort auch als Zahnärztin arbeiten. Danuta veranschlagte für die Realisierung dieses Projekts ein Jahr. Sie arbeitete an fünf, manchmal auch an sechs Tagen der Woche. Die Arbeitgeber*innen waren Student*innen, Lehrer*innen, Journalist*innen, ein Anwalt war auch darunter. Was aus Danuta und ihren Plänen geworden ist, weiß ich nicht. Eines Tages, so erzählten meine Bekannten, war sie spurlos verschwunden.

1.1 PROBLEMSTELLUNG | Danuta ist eine von Hunderttausenden Frauen und Männern aus den ehemalig sozialistischen Nachbarstaaten der Bundesrepublik, die seit dem Fall der Mauer die neugewonnene Reisefreiheit nutzen, um im westlichen Europa zu arbeiten.

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Ursächlich für die transnationale Arbeitsmigration ist vor allem das ökonomische Ungleichgewicht zwischen armen und reichen Regionen, wie es sich zwischen den postsozialistischen Transformationsgesellschaften im Osten und den reichen Industrienationen im Westen Europas herausgebildet hat. So galt die Oder-Neiße-Grenze bis zum Ende der 1990er Jahre als die Grenze mit dem weltweit größten Wohlstandsgefälle. Zwar hat sich die Einkommensdifferenz seit der EU-Osterweiterung 2004 verringert, gleichwohl kann von einer Angleichung der Lebensverhältnisse auch Ende 2015 nicht die Rede sein (Lutz 2007; Pallaske 2001). Der gesetzliche Mindestlohn von 2,31 Euro in Polen entspricht ungefähr einem Viertel des Mindestlohns in Deutschland (8,50 Euro), der seit Anfang 2015 in der Bundesrepublik gesetzlich vorgeschrieben ist. 2004 betrug das Durchschnittseinkommen in Polen 500 Euro im Monat, 2008 – während meiner Feldforschungsphase – war es auf 902 Euro gestiegen. Für 2015 werden vom polnischen Statistischen Zentralamt (Główny Urząd Statystyczny – GUS) als Durchschnittseinkommen umgerechnet 931 Euro (4.025 PLN) angegeben. Das Durchschnittseinkommen in Deutschland beträgt zum gleichen Zeitpunkt 3.416 Euro monatlich. Allerdings, so die Online-Plattform Radiodienst Polska im Juli 2015, könne ein großer Teil der arbeitenden Polen das Durchschnittseinkommen von 931 Euro nicht erarbeiten. 2016 verdiente ein Lehrer in Polen umgerechnet zwischen 400 und 730 Euro im Monat. Im Gegensatz dazu kann eine informelle Haushaltsarbeiterin in Deutschland bei einer 40-Stunden-Woche 1.600 Euro verdienen. Haushaltsarbeiter*innen1 wie Danuta aus Polen leben und arbeiten in einer Schattenwelt. Sie zahlen keine Steuern, sie sind nicht versichert, die Arbeit wird durch keinen rechtlichen Rahmen reguliert. Die Haushaltsarbeiter*innen sind in der Öffentlichkeit unsichtbar. Ihr Arbeitsplatz liegt im Verborgenen des nichtöffentlichen Raums privater Haushalte, in der Abgeschiedenheit der Wohnungen und Häuser der Mittelschicht: Hier räumen sie auf, putzen, waschen und bügeln, kümmern sich um Kinder und Alte. Als ich mich entschloss, das Verhältnis von polnischen Haushaltsarbeiter*innen und deutschen Arbeitgeber*innen im Rahmen meines Dissertationsprojekts zu untersuchen, lag meine erste Begegnung mit Danuta schon einige

1

Der Begriff Hausarbeiter*in/Haushaltsarbeiter*in weist – im Gegensatz zu anderen im deutschen Sprachgebrauch gängigen Begriffen, wie Haushaltshilfe, Zugehfrau, Haushälter*in – auf ein Arbeitsverhältnis hin, das dem englischen Begriff Domestic Worker ähnelt. Beide Begriffe wurden im Zusammenhang mit der Debatte um die Anerkennung von Reproduktionsarbeit als Lohnarbeit in den 1970er Jahren eingeführt (Hellermann 2005).

Einleitung | 11

Jahre zurück. Inzwischen hatte ich eine Familie mit zwei Kindern und lebte im bürgerlichen Südwesten Berlins, wo die polnische Putzfrau längst ebenso zur Grundausstattung des Eigenheims gehörte wie der Zweitwagen. In meinem persönlichen Umfeld ist die polnische Putzfrau bis heute ein wiederkehrendes Motiv bei nachbarschaftlichen Gesprächen wie auch bei Unterhaltungen in der Schule. Bei diesen Gelegenheiten – es handelt sich in der Regel um Gespräche mit Frauen – werden Erfahrungen über die Höhe der Bezahlung ausgetauscht oder Telefonnummern weitergegeben, wenn es darum geht, einen vakanten Arbeitsplatz zu besetzen. Meine polnischen Freundinnen wiederum entrüsten sich häufig darüber, dass sie von völlig unbekannten Deutschen, die sie zufällig auf einer Party treffen, als Erstes danach gefragt werden, ob sie nicht einen Putzjob suchen. Das Thema Schwarzarbeit ist mit großer Regelmäßigkeit in den Medien präsent. Unter dem Stichwort Globalisierung war etwa im November 2003 in der Online-Ausgabe des Magazins Stern zu lesen: „Die Polen sind die Billigarbeiter der Deutschen.“ (Wüllenweber 2003) Die Wochenzeitung Die Zeit stellte im März 2005 fest: „Eine neue Angst geht um: Nehmen uns Osteuropäer die Jobs weg?“ (Schmid 2005) Der Artikel bejahte diese Frage zweifelsfrei. Als Gefahr wurden Männer aus Osteuropa genannt, insbesondere aus Polen, die als Bauarbeiter oder Schlachter bereit seien, weit unter den bundesdeutschen Tariflöhnen zu arbeiten.2 Im Gegensatz dazu, waren im gleichen Zeitraum Medienberichte über illegal beschäftigte Haushaltsarbeiterinnen durchweg positiv. Hier ging es vor allem um polnische Frauen, meist voller Empathie für das harte Leben dieser Frauen. Von der „[...] täglichen Angst, entdeckt zu werden“ (Kahlweit 2010), berichtete die Online-Ausgabe der Süddeutschen Zeitung mitfühlend und wies im selben Artikel auf die Unverzichtbarkeit der inoffiziellen Dienstleistungen für die deutschen Arbeitgeber*innen hin. „Hunderttausende Haushaltshilfen sind auf ihren Job angewiesen  und ihre privaten Arbeitgeber auf sie.“ (Ebd.) In der Online-Ausgabe der Wochenzeitschrift Die Zeit outete sich der Journalist Stefan Willeke als Teil eines kollektiven „Wir“, das aus „Mittelschichtsmenschen“ bestehe, die „ordentliche Arbeitsverträge haben und Putzfrauen, Gärtner und Kindermädchen ohne Arbeitsverträge beschäftigen, damit sie Ordnung in unseren Alltag bringen“ (Willeke 2004). „Unsere Perle Julia“ heißt es im Titel. „Sie kam aus Polen, hatte Wirtschaft studiert und träumte von der großen

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Allerdings hat der Gesetzgeber die Beschäftigung von ausländischen Arbeitnehmer*innen zu Dumping-Löhnen mit der Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns von 8,50 Euro eine Grenze gesetzt. Die Regelung gilt seit dem 01.01.2015 im ganzen Bundesgebiet für alle Branchen.

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Liebe. Jetzt bügelt sie unsere Hemden. Wir zahlen schwarz – und finden das in Ordnung.“ (Ebd.) 2016 sind nach Angaben des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in 3,6 Millionen deutschen Haushalten Haushaltsarbeiterinnen beschäftigt. 80 Prozent der Arbeitsverhältnisse, so die Studie, sind steuerlich nicht gemeldet (von Bullion 2016). Das Reden über das Phänomen der polnischen Putzfrau changiert sowohl im Kontext der Alltagsgespräche als auch in der Berichterstattung zwischen Mitleid und Bewunderung für die Arbeitnehmerinnen und einem diffusen moralischen Unbehagen gegenüber den Arbeitgeber*innen. Der mediale sowie der sozial- und kulturanthropologische Diskurs zum Phänomen der transnationalen informellen Hausarbeit fokussieren die Haushaltsarbeiterinnen in der Regel als zentrale Akteurinnen. Die Arbeitgeber*innen hingegen spielen meist eine untergeordnete Rolle. Entsprechend selten wird das Verhältnis zwischen Arbeitgeberin und Arbeitnehmerin explizit thematisiert. 3 Auf diese bislang wenig beachteten interkulturellen Beziehungen, die im Kontext transnationaler Arbeitsmigration entstehen, richtete sich meine ethnografische Neugier, als ich mein Dissertationsprojekt begann. Vor dem Hintergrund sozialer und ökonomischer Differenzen, kultureller Umwertungen und individueller Sehnsüchte der Akteur*innen in informellen Hausarbeitsverhältnissen interessierten mich die auf vielfältige Weise voneinander abhängigen und ineinander verwobenen Beziehungen, die sich als Effekt der europäischen Integration sowie eines globalen, informellen Arbeitsmarktes mit seinen mobilen Alltagspraxen herausgebildet haben.

1.2 IM SCHNITTFELD FEMINISTISCHER MIGRATIONSUND GENDERFORSCHUNG | Die Vorstellung von Migration als einem multidirektionalen, nationalstaatliche Grenzen überschreitenden Prozess wurde in den 1990er Jahren von den Kulturanthropologinnen Nina Glick Schiller, Linda Basch und Cristina Blanc-Szanton entwickelt (Glick Schiller u. a. 1995). In diesem Zusammenhang rücken zunehmend auch Frauen als Akteurinnen der globalen Migration in den Fokus wissenschaftlicher Untersuchungen. Bis dahin sind sie im Rahmen der Migrationsforschung vor allem in der marginalisierten Rolle als Begleiterin eines Mannes in Erscheinung getreten (Morokvasic-Müller 2003a).

3

Zu den wenigen Studien, in denen Arbeitgeber*innen zu Wort kommen, zählen die von Helma Lutz 2007, Pei-Chia Lan 2000, Sabine Hess 2009 und Katrin Ebell 2010.

Einleitung | 13

Von einer „neuen Phase in der Geschichte der europäischen Migration“ (Morokvasic-Müller 2003b, 143) spricht Mirjana Morokvasic-Müller mit Blick auf das Ende der europäischen Teilung und der 1989 einsetzenden Wanderungen der Europäer*innen von Ost nach West, die sich nicht nur zahlenmäßig, sondern auch in Hinblick auf die Strategien von vormaligen Migrationsverläufen unterscheidet. Dies betrifft vor allem die Pendelmigration, die eine weitgehende Durchlässigkeit der nationalen Grenzen voraussetzt. Inzwischen sind die „cosmobilen Putzfrauen“ (Rerrich 2006) ein gewichtiger Teil dessen, was unter dem Schlagwort Globalisierung als eine von zahlreichen Erscheinungen der entgrenzten Bewegung von Menschen, Ideen, Objekten und Kapital rund um den Globus zusammengefasst wird (Appadurai 2001). Die Soziologin Saskia Sassen verortet die transnationalen Putzfrauen in einer von der globalen Machtelite abgewandten Schattenwelt, die sie als „countergeographies of globalization“ beschreibt (Sassen 2003, 59). Die Migration von Frauen, die ihr Heimatland verlassen, um am anderen Ende der Welt oder auch im Nachbarland in einem fremden Haushalt die Arbeit der Hausfrau zumindest teilweise zu übernehmen, ist ein in der Migrationsgeschichte bekanntes Phänomen. Auch wenn in der Migrationsforschung seit Anfang der 1990er Jahre von einer Feminisierung der Migration die Rede ist und damit insinuiert wird, eine mobile Lebensweise sei für Frauen etwas Neues (Ehrenreich/Russel Hochschild 2002; Kałwa 2010 ), handelt es sich doch um eine neue Aufmerksamkeit für ein Phänomen, das zuvor nicht von der Forschung wahrgenommen wurde. Ihr Forschungssubjekt hat die Migrationsforschung lange Zeit ausschließlich männlich konzeptioniert. Frauen spielten nur als Begleiterinnen eine Rolle (Düvell 2006). Ein Blick in die Geschichte macht jedoch deutlich, dass Frauen schon lange als selbstständige Migrantinnen ohne Männer unterwegs sind. So flohen Mitte des 19. Jahrhunderts nicht nur junge, alleinstehende irische Männer vor der Hungersnot in die USA, sondern auch viele junge Frauen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren es junge Frauen aus dem Süden Italiens, die der Armut zu entkommen suchten und sich unabhängig von familiären Bindungen nach Amerika einschifften. Ignoriert wurde häufig auch der Anteil von 20 Prozent Frauen an der so genannten Gastarbeitermigration der 1960er und 1970er Jahre in Deutschland. So wurde das Phänomen der Gastarbeiterinnen, die von der Bundesrepublik aus dem Süden Europas für die Arbeit an den Fließbändern angeworben wurden, in der Forschung allenfalls als ein Randthema behandelt (Düvell 2006; Han 2003). Wie schon im 19. und 20. Jahrhundert, so konzentrieren sich auch heute noch die Arbeitsmöglichkeiten für Migrantinnen in den Einwanderungsländern auf den Dienstleistungssektor, auf die Bereiche Hausarbeit, Alten-

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pflege und Kinderbetreuung, Gastronomie und Prostitution (Koser/Lutz 1998; Phizacklea 1998; Lutz 2007). Die unveränderte Zuständigkeit von Frauen für Haushalt und Familie beschreiben die Soziologinnen Karin Jurczyk und Maria S. Rerrich als eine „beharrliche Konstante in der Mikropolitik der Geschlechter“ (Jurczyk/Rerrich 2009, 112), an der selbst davon abweichende Einzelfälle nichts ändern. So bin auch ich während meiner Feldforschung keinem männlichen Haushaltsarbeiter begegnet. Auf die Frage nach männlicher Konkurrenz antworteten Haushaltsarbeiterinnen stets, davon hätten sie noch nie gehört. Sie hielten es für sehr unwahrscheinlich, dass Männer ausgerechnet Frauenarbeit zum Geldverdienen nutzten, da sie doch bei irregulären Arbeiten im Bausektor oder beim Renovieren von Wohnungen wesentlich mehr verdienen könnten. Lediglich eine Arbeitgeberin kannte einen männlichen Haushaltsarbeiter vom Hörensagen. Allerdings: Auch wenn in dieser Forschung Männer nur am Rande zu Wort kommen, ist dennoch von ihnen immer wieder die Rede. Migrantinnen erzählen ebenso von ihnen wie Arbeitgeberinnen. In den Erzählungen treten Männer als namenlose Ehemänner, Kindsväter, Lebenspartner auf, die – wenngleich abwesend – die Dramaturgie der Narrationen doch entscheidend beeinflussen. Soziologinnen und Ethnologinnen wie Claudia Gather, Maria Rerrich, Annie Phizacklea, Mirjana Morokvasic-Müller oder Bridget Anderson bewerten informelle Haushaltsarbeit von Migrantinnen in einem Spektrum von einer „Arbeit unter quasi-feudalen Bedingungen“ (Gather et al. 2002, 10) bis hin zur positiven Beschreibung als Möglichkeitsraum für Frauen. Annie Phizacklea etwa wendet sich explizit gegen eine Viktimisierung der Haushaltsarbeiterinnen und beschreibt die Migrationserfahrung der Frauen als ein „process of empowerment in a number of ways“ (Phizacklea 2003, 90). Als positive Aspekte werden in der Forschung auch der Statusgewinn der Migrantinnen genannt, die mit ihrem Verdienst zu Familienernährerinnen aufsteigen, sowie ihre Befreiung aus patriarchaler Bevormundung im Herkunftsland (Morokvasic-Müller 2003a). Die vorliegende Forschung ist im Schnittfeld von feministischer Migrationsund Genderforschung situiert. Sie knüpft zum einen an Forschungen an, die sich mit der transnationalen Arbeitsmigration von Frauen und Fragen der widersprüchlichen und vielschichtigen Subjektivierung im Kontext von Migration im Zeitalter der Globalisierung auseinandersetzen (Anderson 2006; HondagneuSotelo 1994; Lutz 2002, 2007; Rerrich 2006; Morokvasic 1994, 2003a; Hess 2002, 2009; Parreñas 2001; Lan 2000, 2001, 2003; Zimowska 2008). Zum anderen ist die Studie eingebettet in die Debatte um geschlechtsspezifische Arbeitsteilung und die Ökonomisierung der Hausarbeit (Gather u.a. 2002; Lutz 2007;

Einleitung | 15

Janczyk 2008; Lenz 2000; Morokvasic-Müller 2007). Im Zentrum der meisten ethnografischen Studien zur bezahlten Hausarbeit stehen Arbeitnehmerinnen. Der Fokus auf die Perspektive der Migrantinnen und damit auf diejenigen, die im hegemonialen Diskurs weitgehend marginalisiert und unsichtbar sind, deren alltägliche Anwesenheit in den privaten Haushalten zumindest in der Öffentlichkeit wenn auch nicht geleugnet, so doch beschwiegen wird, ist auch eine politische Entscheidung oder – wie es bei Ebell heißt – ein Akt der „Solidarisierung im Kontext eines rassistischen Diskurses“ (Ebell 2010, 26). Der Blick auf die Peripherie, auf die Marginalisierten hat in der Europäischen Ethnologie und der Volkskunde Tradition. Die (neue) Forschungsrichtung des „research up“ (Kaschuba 2003, 203), das Erforschen von Zentralen und Institutionen der Macht, von privilegierten Lebens- und Arbeitsweisen entwickelt sich erst allmählich, konstatiert der Kulturwissenschaftler Wolfgang Kaschuba. Die vorliegende Studie interessiert sich sowohl für Arbeitnehmerinnen als auch (privilegierte) Arbeitgeberinnen am Arbeitsplatz Haushalt. Diese „multiple soziale Forschungsperspektive“ (Hess 2009, 17) ermöglicht es, die vielschichtigen Ungleichheiten und

komplexen Beziehungen am Arbeitsplatz Haushalt zu thematisieren. Die Fragestellung dieser Dissertationsschrift gehört zu einem von der Globalisierung generierten Forschungsfeld, das in der Kulturanthropologie, der Soziologie ebenso wie in der Genderforschung unter Begriffen wie „transnationale Migration“ (Pries 1997; Glick Schiller u. a. 1992; 1995), „die neue Dienstmädchenfrage“ (Lutz 2007) oder auch „Weltmarkt Haushalt“ (Gather u. a. 2002) firmiert. Für die theoretische Verortung möchte ich Judith Butlers Überlegungen zur Subjektwerdung des Individuums fruchtbar machen (Butler 2001; Bublitz 2002; Villa 2003). Dieser Ansatz wird ergänzt durch die für meine Forschung grundlegenden theoretischen Annahmen zu Rassismus-Stereotypen (Hall 1989) sowie durch das Konzept der Handlungsmacht des Subjekts (Hall 1999; Spies 2009; Butler 2001).4

1.3 ZIEL DER STUDIE UND THESE | Gegenstand dieser Studie ist das informelle Arbeitsverhältnis zwischen polnischen Haushaltsarbeiterinnen und deutschen Arbeitgeberinnen, wie es sich aufgrund des ökonomischen Gefälles herausgebildet hat. Zum einen wird dies als ein Beispiel transnationaler Arbeitsmigration im Zuge der Globalisierung analy-

4

Siehe hierzu Kapitel 3.6.

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siert, zum anderen ist daran abzulesen, wie sich in dieser konkreten ökonomischen Mikrostruktur das Verhältnis der Nachbarstaaten, nach den deutschen Verbrechen gegenüber der polnischen Bevölkerung in der Zeit der Besatzung (1939-1945), nach Flucht und Vertreibung der deutschen Bevölkerung im Zuge der nach 1945 westwärts verschobenen polnischen Grenze und den Jahrzehnten künstlicher Isolation, als eines des persönlichen Umganges neu konstituiert. Mein Erkenntnisinteresse ist, die diesen deutsch-polnischen Begegnungen inhärenten Ambivalenzen und Paradoxien, Asymmetrien und Egalitätsbemühungen zu entfalten und vor dem Hintergrund des historisch schwierigen Verhältnisses zwischen Deutschen und Polen nach deren Bedeutung zu fragen. Auch mehr als 25 Jahre nach dem Ende der europäischen Teilung ist das Misstrauen in Polen gegenüber den Deutschen noch immer groß. Zwar ist die Vergangenheit nicht im politischen Alltag präsent, jedoch können antideutsche Ressentiments bei politischen und ökonomischen Differenzen jederzeit aktualisiert werden. Dies wurde bei der Diskussion um die Gründung der „Stiftung Flucht, Vertreibung und Versöhnung“5 ebenso deutlich wie beim Bau der GasPipeline unter der Ostsee, die unter Umgehung Polens Gas von Russland nach Deutschland transportiert6 oder bei der Frage der Reparationen für die Ermordeten und die Zerstörungen während des Krieges (Jäger 2009). Erst Ende 2015 hat der Parteichef der rechtsnationalen PiS-Partei (Prawo i Sprawiedliwość – Recht und Gerechtigkeit), Jarosław Kaczyński, – die Partei hatte gerade die Parlamentswahlen mit absoluter Mehrheit gewonnen – angesichts leerer Staatskassen wieder einmal an die noch ausstehenden Reparationszahlungen der Deutschen

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Die Bundesstiftung wurde im Dezember 2008 errichtet. Sie soll, so das Statut, „im Geiste der Versöhnung die Erinnerung und das Gedenken an Flucht und Vertreibung im 20. Jahrhundert im Kontext des Zweiten Weltkriegs und der nationalsozialistischen Expansions- und Vernichtungspolitik und ihren Folgen wachhalten.“ Um die inhaltliche Ausrichtung der geplanten Dauerausstellung war es in der Vergangenheit immer wieder zu heftigen Kontroversen gekommen, die auch im Sommer 2016 noch nicht beigelegt sind. Gestritten wird darum, ob das Schicksal der deutschen Vertriebenen nach 1945 Schwerpunkt der Dauerausstellung wird oder, wie es insbesondere polnische und tschechische Historiker*innen fordern, Flucht und Vertreibung im europäischen Kontext thematisiert werden. Im Sommer 2015 hatten polnische Wissenschaftler ihre Zusammenarbeit mit der Stiftung aus Protest gegen die Fokussierung auf die Leidensgeschichte der Deutschen aufgekündigt (Wiegrefe 2015).

6

Eine erste Pipeline war 2011 in Betrieb genommen worden. Im November 2015 beschloss ein internationales Konsortium, bestehend u. a. aus einem russischen und zwei deutschen Energieunternehmen, den Bau einer zweiten Pipeline.

Einleitung | 17

erinnert. „Die Rechnung“, wird Kaczyński am 14.12.2015 in der taz zitiert, „wurde in den 70 Jahren, die seit dem Krieg vergangen sind, niemals beglichen und ist im rechtlichen Sinne noch immer aktuell“ (Lesser, 2015). Diese Studie will die Praktiken, Beweggründe und Deutungen jener Akteurinnen analysieren, die sich im Kontext eines informellen deutsch-polnischen Hausarbeitsverhältnisses begegnen. Mich interessieren die Vielfalt und Besonderheiten im Verhältnis von polnischen Haushaltsarbeiterinnen7 und deutschen Arbeitgeberinnen: die Offenheit und Neugierde der Akteurinnen ebenso wie ihr Beharren auf überkommene Vorurteile, ihre Subordination ebenso wie ihre Herrschaftsansprüche, ihre Sehnsüchte und Träume ebenso wie ihre Resignation. Schon bei den ersten Kontaktgesprächen mit Akteurinnen eines deutschpolnischen Hausarbeitsverhältnisses wurde deutlich, dass dieses ökonomische Verhältnis flankiert wird von emotionalen Verflechtungen, in denen Konzepte wie Freundschaft und Komplizenschaft ebenso eine Rolle spielen wie Strategien der Exklusion, die einhergehen mit der Wiederbelebung nationaler Vorurteile und Stereotypen (Passerini u.a. 2007). Die transnationalen, informellen Hausarbeitsverhältnisse zwischen Deutschen und Polen sind eingebettet in Praktiken nationaler Stereotypisierung, die seit der Erfindung von West- und Osteuropa „as a complementary concept“ (Wolff 1994, 5) das nachbarschaftliche Verhältnis dominieren. Der aufgeklärte, zivilisierte Westen auf der einen Seite, „the shadowed land of backwardness even barbarism“ (ebd., 4) auf der anderen. Folgt man den Erzählungen der Akteurinnen so scheint der hegemoniale Diskurs, in dessen Zentrum die Konstruktion eines historischen und kulturellen Raums Osteuropa steht, seit dem Ende der europäischen Teilung 1989 als eine Art mental map überlebt zu haben (Hess 2009). Vor diesem Hintergrund ergeben sich folgende Fragen an das empirische Material: Wie prägen diese sozialen und kulturellen Imaginationen und Zuschreibungen die Begegnung von polnischen Haushaltsarbeiterinnen und deutschen Arbeitgeberinnen? Welche Rolle spielt die politische Vergangenheit, etwa in Form rivalisierender Ansprüche und Verpflichtungen? Was geschieht, wenn

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In meiner Forschung habe ich mich auf Haushaltsarbeiterinnen konzentriert. Die stetig wachsende Zahl polnischer Altenpflegerinnen kommt nicht zu Wort. Auch wenn in der Forschung unter dem Begriff ‚domestic worker‘ häufig Putzfrauen und Pflegekräfte gleichermaßen subsumiert werden (Anderson 2006), halte ich eine Differenzierung zwischen Frauen, die als Pflegerinnen arbeiten, und denjenigen, die Haushaltsarbeiten verrichten, für angebracht. Dies ergibt sich aus den sehr unterschiedlichen Arbeitsbedingungen, den unterschiedlichen Arbeitsanforderungen und der notwendigen physischen und psychischen Nähe und Intensität der Beziehung im Kontext der Pflege.

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Deutsche und Polinnen sich in der ökonomischen Mikrostruktur Haushalt in den Rollen von Arbeitgeberin und Arbeitnehmerin begegnen? Wie beschreiben sie sich selbst, wie ihr Verhältnis zu der Anderen? Welche Diskurse sind für die Beschreibungen maßgeblich? Welche Handlungsstrategien und Verortungsperspektiven resultieren daraus? Des Weiteren wird nach der Relevanz der ethnischen Kategorien „die Deutschen“ und „die Polen“ in den transnationalen Begegnungen gefragt: Wie werden diese Kategorien genutzt, als Argumentationsressource gegen Diskriminierung oder zur Legitimation von sozialer und ökonomischer Differenz? Mein Forschungsinteresse richtet sich insbesondere auf das komplexe Verhältnis von Ethnisierung und Vergeschlechtlichung im Kontext informeller Arbeitsbeziehungen von Frauen im Haushalt. Wesentlich beeinflusst vom theoretischen Ansatz der Dekonstruktion geht es darum, die Komplexität und Allgegenwärtigkeit der Produktion von Differenz zu untersuchen. Die Frage nach den sozialen Praktiken im deutsch-polnischen Arbeitsverhältnis und dem spezifischen Wissen, das diese Praktiken ermöglicht, ist ein Desiderat in der Forschung zu irregulärer Hausarbeit im Kontext transnationaler Migration.

1.4 FELD/MATERIAL UND METHODEN | Ziel dieser Studie ist es nicht, aus den individuellen Begegnungen im Feld eine Meta-Erzählung zu destillieren, die zum Phänomen der transnationalen informellen Hausarbeit im Zeitalter der Globalisierung im Allgemeinen und dem Verhältnis von polnischen Haushaltsarbeiterinnen und deutschen Arbeitgeberinnen im Besonderen Auskunft gibt. Vielmehr geht es darum, in den individuellen Erzählungen in einem deduktiven Verfahren Motive, Positionen, Emotionen aufzuspüren, die sich in einer dichten Beschreibung zu einer neuen Erzählung verbinden. Die Konzentration auf die Themen und Setzungen der Erzählungen ermöglicht es, die vielschichtigen Bedeutungsebenen der deutsch-polnischen Begegnungen im Kontext informeller Dienstleistungen im Haushalt aufzufächern. Meine Feldforschung habe ich auf informelle polnisch-deutsche Hausarbeitsverhältnisse in Berlin beschränkt, wo ich mit meiner Familie lebe. Berlin, nicht erst seit 1989 ein Knotenpunkt osteuropäischer Migrationsströme, gilt polnischen Frauen als eine zentrale Anlaufstelle. Dies ist zum einen der geografischen Nähe geschuldet: Die Fahrt von den polnischen Grenzstädten Kostrzyn oder auch Słubice nach Berlin dauert mit dem Auto kaum mehr als eine Stunde. Zudem verkehren regelmäßig Regionalzüge, so dass selbst tägliches Pendeln zwischen Wohn- und Arbeitsort möglich ist. Zum anderen können Arbeitsmig-

Einleitung | 19

rantinnen in Berlin auf die Netzwerke einer großen polnischen Gemeinschaft zurückgreifen, die sich schon vor dem Mauerfall 1989 im Westteil der Stadt etabliert hatte. Ich konzentriere mich in dieser Forschung auf die Beziehung zwischen Frauen, die sich als Arbeitgeberinnen und Arbeitnehmerinnen im Kontext eines irregulären Hausarbeitsverhältnisses begegnen. Der Fokus auf weibliche Akteurinnen erklärt sich aus der Tatsache, dass der Arbeitsplatz Haushalt vergeschlechtlicht ist. Das heißt, in meinem Forschungsfeld agieren überwiegend Frauen. 8 Sie sind zuständig für die im Haushalt anfallenden Reproduktionsarbeiten, unabhängig davon, ob sie die Arbeit selbst verrichten oder aufgrund eigener Erwerbstätigkeit an eine andere Frau delegieren, die häufig aus einem anderen (ärmeren) Land nach Deutschland immigriert ist. Das empirische Material, auf dem diese Studie basiert, entstand im Rahmen einer ethnografischen Feldforschung. Die Forschung konzentrierte sich auf biografische Interviews und teilnehmende Beobachtung. Der mobile Teil meiner Forschung beschränkte sich auf die Reisen, die ich den Transitwegen der Haushaltsarbeiterinnen folgend unternahm. Im Laufe meines Forschungsprozesses habe ich einige Akteurinnen mehrmals getroffen. Dies gab mir Gelegenheit, Veränderungen von Subjektpositionen und Einstellungen nachzuvollziehen. Treffen, gemeinsame Unternehmungen, die außerhalb des formalen Forschungssettings zustande kamen, wie gemeinsame Reisen nach Polen oder auch private Treffen, halfen mir, die Forschungsfragen im Verlauf der Forschung immer wieder zu überdenken und wenn nötig zu verändern. Die Themen der Studie habe ich in einem induktiven Verfahren aus den Interviews entwickelt.

1.5 ZUM AUFBAU DER ARBEIT | In Kapitel 2 und 3 werde ich die wichtigsten theoretischen Konzepte und Perspektiven darlegen, die mich während meiner Feldforschung und später bei der Analyse des empirischen Materials leiteten. Ich beginne mit einem historischen Überblick der deutsch-polnischen Migrationsgeschichte sowie der Genese des geografischen und kulturellen Raums Osteuropa (Kapitel 2). Im dritten Kapitel werde ich die beiden für meine Forschung relevanten Forschungsfelder, „transnationale Arbeitsmigration“ und „bezahlte Hausarbeit“, skizzieren. Transnationalisierung beschreibt die zunehmende multinationale Vernetzung von Men-

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Laut einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln sind fünf von sechs Haushaltshilfen Frauen (von Bullion 2016).

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schen, Gütern und Informationen, die seit den 1990er Jahren zu beobachten ist. Die transnationale Forschungsperspektive lenkt den Blick auf die Auswirkungen alltäglicher grenzüberschreitender Interaktionen und Strategien. Das für diese Studie zentrale Forschungsfeld „bezahlte Hausarbeit“ wird hier in seiner Genese dargestellt als auch im Kontext eines aktuellen Diskurses der Geschlechtergleichheit. In Kapitel 4 werde ich den Forschungsprozess schildern, mein methodisches Vorgehen bei der ethnografischen Wissensgenerierung sowie die für dieses Feld bedeutsamen methodologischen Konzepte erörtern. Des Weiteren werde ich in diesem Kapitel meinen Zugang zum Feld darlegen, die Akteurinnen der Forschung vorstellen, die Zusammensetzung des Samples begründen sowie meine Position im Feld verdeutlichen. In Kapitel 5 und 6 werde ich vor dem Hintergrund der theoretischen Überlegungen die Erzählungen meiner Gesprächspartnerinnen zu Fallstudien verdichten. Kapitel 5 thematisiert entsprechend den meist biografisch strukturierten Narrativen den Beginn der transnationalen Arbeitsmigration respektive die Ursachen für die Delegation der Hausarbeit an eine polnische Haushaltsarbeiterin. Kapitel 6 befasst sich mit den Interaktionen der Akteurinnen am Arbeitsplatz. Hier werde ich aus der Perspektive der Akteurinnen zunächst die Praxis wechselnder Beziehungsmuster aufgreifen, die Arbeitgeberinnen und Arbeitnehmerinnen nutzen, um ihre Begegnungen im Feld zu rahmen. Im weiteren Verlauf werden in diesem Kapitel auf der Grundlage der Gespräche Praktiken des Ausschlusses, wie die Markierung hierarchisch bedeutsamer Differenz und kultureller Hegemonie, erörtert sowie die Strategien des Widerstands gegen diese exkludierenden Praktiken aufgezeigt. Als Medium für die Markierung sozialer und raumzeitlicher Differenz steht hier zunächst der Körper im Mittelpunkt, anschließend werden Stereotypen und Vorurteile thematisiert. Im weiteren Verlauf werde ich darauf eingehen, wie die Kategorie Ethnizität und das Konzept der kulturellen Hegemonie in den prekären Arbeitsverhältnissen Verwendung finden. Schließlich werde ich das empirische Material danach befragen, inwieweit die Geschichte der beiden Nachbarländer für die deutsch-polnischen Begegnungen auf der Ebene eines transnationalen Arbeitsverhältnisses eine Rolle spielt.

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In diesem Kapitel wird das deutsch-polnische Hausarbeitsverhältnis in einer neokolonialen Wissensordnung verortet, die traditionelle Stereotypen und Zuschreibungen nutzt, um eine asymmetrische Differenz zu markieren. Anhand des Konzepts der mental map werden die Genese und Wirkmächtigkeit von stereotypen Polenbildern aufgezeigt, schließlich die historische Entwicklung des deutsch-polnischen Migrationssystems dargestellt. 1 Die Darstellung der deutschpolnischen Geschichte ebenso wie der Verweis auf das Bild eines „dunklen Ostens“ kontextualisieren die ethnografische Forschung. Die hier untersuchten sozialen Praktiken sind ohne diese Kontextualisierung unverständlich. In Kapitel 2.1 stelle ich die westliche „Erfindung Osteuropas“ als ein geografisch und zeitlich Anderes dar. Ein Effekt dieser Konstruktion ist die Teilung des europäischen Kontinents in einen modernen Westen und einen rückständigen

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Das Konzept der „kognitiven Landkarte“ kommt aus der Kognitionspsychologie. Den Begriff „cognitive map“ prägte der US-amerikanische Psychologe Edward C. Tolman (1886-1959). Tolman hatte durch Versuche mit Ratten herausgefunden, dass die Tiere eine räumliche Repräsentation ihrer Umgebung im Gehirn abspeichern. Der Geograph Roger M. Downs und der Psychologe David Stea postulieren in den 1970er Jahren, dass Informationen über den Raum im menschlichen Gehirn gesammelt und geordnet werden. In ihrem Buch Maps in Mind entwickeln sie die Idee, dass „die kognitive Landkarte die Welt so wider[spiegelt], wie ein Mensch glaubt, dass sie ist, sie muss nicht korrekt sein. Tatsächlich sind Verzerrungen sehr wahrscheinlich“ (Downs/Stea 1982, 241). Die Idee einer mentalen Repräsentation des Raumes und damit der kontextabhängigen Konzeption von Erinnerung als „Ausdruck bestimmter Werte und Normensysteme“ (Hartmann 2005, 8) wurde unter dem Begriff des „kognitiven Kartierens“ in der Geschichts- und Kulturwissenschaft aufgegriffen (Schenk 2013).

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Osten. Diese konzeptuelle Dichotomie hat auch nach dem Fall der Mauer und der europäischen Einigung nicht an Aktualität verloren. In Kapitel 2.2 nähere ich mich dem Phänomen der selbstverständlichen Mobilität in der polnischen Gesellschaft sowie den deutsch-polnischen Beziehungen aus einer historischen und politischen Perspektive.

2.1 OSTEUROPA: EINE IMAGINATION DES WESTENS | Am Ende des 20. Jahrhunderts leben in Deutschland rund neun Millionen Menschen mit einer Migrationsgeschichte. Eine Million dieser Migrant*innen bzw. ihre Nachfahren stammen aus Polen. Die Migrant*innen aus dem Nachbarland sind unauffällig und gelten als integrationsbereit. Den wenigsten Autochthonen ist die Anwesenheit einer großen polnischen Minderheit in der Bundesrepublik bewusst. Dies spiegelt sich nicht zuletzt in den wenigen Forschungen zur Geschichte der polnischen Migration nach Deutschland wider. 2 Ist eine Gruppe unter den Migrant*innen eines Landes besonders stark vertreten, weist dies – so der Volkswirt Ulrich Brasche – entweder auf eine ehemalige Kolonie als Herkunftsland hin oder auf besonders intensive politische oder wirtschaftliche Verbindungen zwischen Herkunfts- und Aufnahmeland. Als Beispiele für diese besonders intensiven Beziehungen nennt Brasche die Migration von Polen nach Deutschland, von Algerien nach Frankreich sowie die Migration von Pakistan nach Großbritannien (Brasche 2013, 111). Die Migration von Polen nach Deutschland ist jedoch in gewisser Weise einzigartig, sowohl in ihrer historischen Dimension, die bis ins Mittelalter zurückreicht, als auch wegen der rechtlichen Besonderheiten des (deutsch-polnischen) Migrationsregimes. Migrant*innen aus Polen kamen als politisches Asyl Suchende nach Deutschland, als Künstler*innen und Intellektuelle, als Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter*innen, Aussiedler*innen und Vertriebene, als Saisonarbeiter*innen und Arbeitsmigrant*innen. Diese komplexe Wanderungsbewegung mit ihren unterschiedlichen Akteur*innen, vielfältigen Ursachen und

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Eine Geschichte der Polen in Deutschland hat erstmals der stellvertretende Direktor des Deutschen Polen Instituts in Darmstadt, Peter Oliver Loew, 2014 veröffentlicht. Bislang gab es vor allem Einzeluntersuchungen zu bestimmten Aspekten im Kontext der polnischen Migration nach Deutschland, etwa Polen in Berlin (Miera 2007), saisonale, befristete Arbeitsmigration (Irek 1998; Musial 2002, Morokvasic 1994; Cyrus 2000) oder auch die Geschichte der polnischen Migration im Ruhrgebiet, die als besonders gut erforscht gelten (Dahlmann 2005; Heckmann 1992; Kleßmann 1978).

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Aspirationen, mit den daraus resultierenden Netzwerken und transnationalen Verbindungen bilden die Basis für die Pendelmigration, wie sie sich insbesondere seit dem Fall der Mauer zwischen Polen und Deutschland etabliert hat. Im Laufe meiner Feldforschung wurde deutlich, dass die Wahrnehmung Polens trotz nahezu alltäglicher deutsch-polnischer Begegnungen von diskriminierenden Zuschreibungen, Vorurteilen und Stereotypen geprägt ist. Bilder über die Rückständigkeit der Polen und die Bedrohung aus dem Osten stehen im Kontext einer kolonialen und neokolonialen Wissensproduktion, deren Ausgangspunkt der Historiker Larry Wolff im 18. Jahrhundert findet. Demnach bedurfte der aufgeklärte Westen zur eigenen Positionierung eines antagonistischen Gegenentwurfs, den man sich mit der Erfindung Osteuropas schuf (Wolff 1994; 2003).3 Diese aus der europäischen Aufklärung hervorgegangene mental map 4 Europas – hier der aufgeklärte, fortschrittliche und moderne Westen, dort der rückständige, unaufgeklärte, vormoderne Osten – hat die europäische Geschichte bis ins 21. Jahrhundert überlebt.5 Die hegemoniale Vorstellung von einem in Ost und West geteilten europäischen Kontinent diente als Katalysator für koloniale, kriegerische Eroberungen, antisemitische und antislawische Pogrome sowie Zerstörungen ganzer Landstriche. Selbst die Wahl der Standorte für die nationalsozialistischen Tötungsfabriken und die neue Vermessung Nachkriegseuropas sind eng mit diesem Diskurs verknüpft. Folgt man der US-amerikanischen Anthropologin Katherine Verdery, so war die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts während des so genannten Kalten Krieges sogar besonders produktiv im Sinne der ungebrochenen Wirksamkeit und Reaktualisierung des „Wissens über Osteuropa“. Aus westlicher Perspektive hatte alles, was sich hinter dem Eisernen Vorhang befand, den Anschein des Be-

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Wolff versteht die Erfindung Osteuropas als maßgeblich von England und Frankreich betrieben, den im Sinne der Aufklärung modernsten Staaten Europas. Er vergleicht dieses Bild mit dem des Orients, wie es Edward Said in seiner Studie Orientalism beschreibt, als „an idea that has a history and a tradition of thought, imagery, and vocabulary that have given it reality and presence in and for the West“ (Said 1978, 5; Wolff 2003).

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Über das kognitive Kartieren in der Geschichtsforschung am Beispiel des Konzepts „Osteuropa“ siehe Frithjof Schenk (2013).

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Wie wenig die Konstruktion „Osteuropa“ mit den tatsächlichen Gegebenheiten zu tun hatte, zeigt ein Blick auf die kulturell und religiös sehr unterschiedlichen Regionen, die unter dem Begriff homogenisiert wurden: Russland, die polnisch-litauische Union, Böhmen und Ungarn, die zum habsburgischen Imperium gehörten, sowie die osmanischen Gebiete im Südosten Europas.

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drohlichen, schien dunkel und gefährlich, faszinierend und abstoßend gleichermaßen (Verdery 1996; Hess 2009). Im Gegensatz zur „Zivilisation“ im Westen wurde jenseits der undurchlässigen Grenze eine hoffnungslose Barbarei imaginiert. Der Osten verschmilzt in diesem Zusammenhang zu einem einheitlichen Terrain, ohne geografische Orte und Landschaften, mit ihrer je eigenen Geschichte und Kultur. Nach dem Fall der Mauer gerät diese West-Ost-Wissensordnung der Volkskunde und der Europäischen Ethnologie in die Kritik. Die Beteiligung der Volkskunde an der Etablierung des Begriffs „Osteuropa“ Ende des 19. Jahrhunderts wurde thematisiert, ebenso wie die nach 1989 unveränderte Praxis der Kontrastierung eines „modernen Westens“ mit einem „rückständigen Osten“ (Butler 2009; Keinz 2010, Verdery 1996; Hess 2009).6 Peter Niedermüller charakterisiert die ungebrochene Essentialisierung und Homogenisierung des Ostens seitens der ethnologischen Forschung als „Tribalisierung europäischer Randregionen“ (Niedermüller 2005, 57). Der polnische Soziologe Zdzisław Krasnodębski beklagt den Ausschluss Osteuropas aus dem Kreis der modernen Gesellschaften, in der sich offenbar nur diejenigen versammeln dürfen, die den westlichen Vorstellungen einer modernen Gesellschaft hinsichtlich ihres politischen Systems, Wohlfahrtsregimes und der Wirtschaftsordnung genügen. Dabei sei, so Krasnodębski, „in Vergessenheit geraten [...], dass die Gesellschaften des realen Sozialismus nicht weniger, nur anders modern sind als die Gesellschaften des Kapitalismus und der liberalen Demokratie“ (Krasnodębski 1999, 69). Damit schließt Krasnodębski an das Konzept der „multiple modernities“ an, das auch Niedermüller für die Europäische Ethnologie stark macht, um die dichotomisierende Perspektive auf Osteuropa als rückständigen Raum im Gegensatz zum modernen Westen zu kritisieren (Niedermüller 2005). Den Begriff der multiple modernities hat der israelische Soziologe Shmuel Eisenstadt geprägt und damit die europäische Moderne als das einzig gültige Modell für gesellschaftlichen, politischen und sozialen Fortschritt infrage gestellt. Das Konzept der multiple modernities richtet sich gegen die Hegemonie der westlichen Moderne, die abweichende Formen oder differierende Vorstellungen nicht toleriert. Eisenstadt hinterfragt die eurozentristische Perspektive ebenso wie die Deutungshoheit der westlichen Welt über den Begriff der Mo-

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In Time and the Other hat Johannes Fabian schon in den 1980er Jahren darauf hingewiesen, dass Anthropologen dazu neigen, die Subjekte der Forschung, die Anderen, in einer räumlichen Distanz zu situieren, die gleichbedeutend ist mit einer zeitlichen Distanz. Zeit und Raum wird als Einheit imaginiert: Je weiter weg, desto größer die Differenz zur Moderne, der westlichen Zeiteinheit (Fabian 1983).

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derne und die damit einhergehende Anmaßung, Gesellschaften als modern oder vormodern (traditionell) zu markieren (Eisenstadt 2002; Keinz 2008). „The idea of multiple modernities presumes that the best way to understand the contemporary world – indeed to explain the history of modernity – is to see it as a story of continual constitution and reconstitution of a multiplicity of cultural programs.“ (Eisenstadt 2000, 2)

Nach dem politischen Umbruch von 1989 hat die postsozialistische Wissensordnung den Osten Europas zu einem Raum der Transformation homogenisiert, in dem sich der Übergang vom sozialistischen Wirtschaftssystem zu einem kapitalistischen, von einer kollektiv orientierten Gesellschaft zu einer individualistischen vollzieht. Der Osten befand sich unversehens auf einer „Reise zurück nach Europa“, wie (westliche) Politiker nicht müde wurden zu betonen, einer Rückkehr, die aus der Perspektive des Westens mit sehr gemischten Gefühlen beobachtet wurde (Keinz 2008; Dunn 2004). Der ersten Euphorie folgte schon bald Ernüchterung angesichts der sichtbar werdenden Folgen, die die Transformation des Ostens mit sich brachte: Kriege begleiteten das Auseinanderfallen Jugoslawiens; Armut und Arbeitslosigkeit, verursacht durch den wirtschaftlichen Umbau in allen postsozialistischen Gesellschaften, stiegen ungebremst an und nicht zuletzt nahm die politische Radikalisierung zu. Es zeigte sich schnell, dass das Verschwinden des Eisernen Vorhangs die koloniale Logik von West und Ost nicht veränderte. Die neue Wissensordnung über den Osten blieb in der Kontinuität der alten. Während die materiellen Lebensverhältnisse vielerorts weit unterhalb des westlichen Durchschnittniveaus lagen, wurden die Menschen als bedrohliche Massen imaginiert, als Kriminelle, als Verlierer und bemitleidenswerte Opfer gleichermaßen (Hess 2009). „The process of inventing Eastern Europe“, schreibt der Kulturanthropologe Matti Bunzl, „emerges as an ongoing phenomenon  a principal site for the negotiation and constitution of the sociocultural realities of the new Europe“ (Bunzl 2000, 77).7

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Larry Wolff weist darauf hin, dass der Osten als ein für den Westen bedrohlicher Hort des Bösen mehr als ein Jahrzehnt nach dem Fall der Eisernen Vorhangs nichts an Selbstverständlichkeit und Persistenz eingebüßt hat. Als Beleg für diese These zieht er den letzten, 2000 erschienenen Band der weltberühmten Kinderbuchserie Harry Potter von Joanne K. Rowling heran. In Harry Potter and the Goblet of Fire haben die bösen Zauberer osteuropäisch klingende Namen, wie Igor Kakaroff, und kommen aus Bulgarien. Das Versteck von Voldemort, dem Oberhaupt der Mächte des Bösen und

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Die hegemoniale Wissensordnung über Osteuropa und die Osteuropäer hält Stereotypen bereit, die Differenz fixieren, indem sie das, was nicht den westlichen Normen entspricht, markiert und ausschließt. Die Möglichkeit des Ausbzw. Einschlusses  darauf weist Stuart Hall ausdrücklich hin  basiert auf der ungleichen Verteilung von Macht. Die Konstruktion binärer Gegensätze, wie wir und sie, sei weit entfernt von einer friedlichen Koexistenz, vielmehr Ausdruck einer gewaltförmigen Hierarchie, eines Macht-/Wissenspiels im Sinne Foucaults (Hall 2004, 145). Welche historischen Ereignisse die Entwicklung der mental map Polens flankieren, werde ich im nächsten Kapitel anhand der Geschichte der deutschpolnischen Migration darlegen.

2.2 HISTORISCHE FORMEN DER DEUTSCH-POLNISCHEN MIGRATION | Die historische Perspektive verdeutlicht, dass sich die Tradition der Mobilität in der polnischen Gesellschaft aus unterschiedlichen, komplexen Quellen speist. Neben Armut und Abenteuerlust sind dies nicht zuletzt jahrhundertelange leidvolle Erfahrungen wie kriegerische Eroberungen, ethnische Säuberungen, gewaltsame Vertreibungen und Ausbeutung durch Sklavenarbeit. Die erzwungene Migration als Ergebnis hegemonialer Machtpolitik, insbesondere seitens des preußischen und später deutschen Nachbarn, zieht sich wie ein roter Faden durch die deutsch-polnische Geschichte und hat in beiden Gesellschaften bis heute Spuren in Form von jederzeit abrufbereiten Stereotypen und Vorurteilen gegenüber den jeweils Anderen hinterlassen. Migration gilt in Polen nicht – wie etwa in Deutschland  als ein biografischer Sonderfall, als Abweichung von einer als Norm gewerteten Sesshaftigkeit, sondern als eine mögliche individuelle Option, die sich in die von der Gesellschaft als normal definierte Biografie reibungslos einfügen lässt (Bräunlein/Lauser 1997). Dies schließt die Arbeitsmigration polnischer Frauen von jeher ein. Nach 1989 gilt das Arbeiten „za granicą“ (im Ausland) als eine weitverbreitete und gesellschaftlich akzeptierte Strategie der Einkommensbeschaffung. Die Migration zwischen Polen und Deutschland ist ein im europäischen Kontext bedeutendes Wanderungsphänomen. Die polnischen Nachbarn gehören nicht nur „seit Jahrhunderten [...] zur Gesellschaft der deutschen Staaten“ (Loew

Gegenspieler von Harry Potter, wird in den tiefen, dunklen Wäldern Albaniens vermutet (Wolff 2003).

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2014, 10), viele der Migrant*innen unterhalten auch noch in der zweiten und dritten Migrantengeneration intensive Bindung an ihre Herkunftsregion (Sassen 1996b; Bade 2000; Miera 2001, 141; Lauser 2004, 103; Pallaske 2001, 14; Pallaske 2002, 22; Glorius 2007, Schiffauer 2006; Loew 2014). Die Geschichte der deutsch-polnischen Migrationsbeziehung ist gekennzeichnet von Diskontinuitäten und dramatischen Zäsuren. In den vorangegangenen Jahrhunderten waren Umfang und Lage des geografischen Raums, der als polnisch bzw. deutsch bezeichnet wurde, immer wieder verändert worden. Von 1795 bis nach dem Ersten Weltkrieg war der polnische Staat von der politischen Landkarte Europas gänzlich verschwunden. Die Großmächte Russland, Preußen und Österreich hatten das polnische Territorium unter sich aufgeteilt. 1918 wurde der polnische Staat als Zweite Republik Polen wieder begründet, 21 Jahre später, 1939, wurde auch dieser polnische Staat von den Nachbarstaaten Deutschland und Sowjetunion zerschlagen. Den heutigen Grenzverlauf zwischen den beiden Ländern hatten nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs die Siegermächte USA, Sowjetunion und Großbritannien festgelegt. Im Rahmen dieser Vereinbarung war die Grenze Polens Richtung Westen weit in das Gebiet des vormaligen Deutschen Reiches verschoben worden. Mit der Westausdehnung sollten die territorialen Verluste kompensiert werden, die Polen im Rahmen des Potsdamer Abkommens im Osten des Landes akzeptieren musste. Während die DDR 1950 die Oder-Neiße-Grenze anerkannte, vollzog die Bundesrepublik Deutschland diesen Akt erst 1990 im Zuge der Wiedervereinigung Deutschlands offiziell (Miera 2007; Glorius 2007). 2.2.1 Polen in Deutschland von 1871 bis 1939 Im Laufe der wechselvollen deutsch-polnischen Geschichte wurde die Bedeutung der Kategorien deutsch und polnisch als ethnische und/oder politische Zuordnung immer wieder neu kodiert. So wurden etwa 2,5 Millionen Pol*innen mit der Gründung des deutschen Nationalstaats 1871 zu so genannten Reichsdeutschen, weil sie entweder in Oberschlesien und in der Provinz Posen lebten oder in jenen Gebieten, die vor den Teilungen Ende des 18. Jahrhunderts zu Polen gehört hatten, dann aber als Ostprovinzen vom preußischen Staat annektiert worden waren (Miera 2007, 25).8

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Nach insgesamt drei Teilungen (1772, 1793, 1795) war Polen von der europäischen Landkarte verschwunden. Das polnische Territorium hatten die Nachbarn – Russland, Österreich und Preußen – unter sich aufgeteilt.

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Etwa 750.000 preußische Polen waren Ende des 19. Jahrhunderts in deutsche Metropolen und industrielle Ballungsgebiete wie das Ruhrgebiet gewandert, wo sie in den neuen Industrien, im Handwerk und in privaten Haushalten arbeiteten (Pallaske 2001). Die Migration aus Polen in die Industriezentren des Deutschen Reichs war der schlechten wirtschaftlichen Lage ihrer Heimatregionen geschuldet, aber auch den politischen Repressalien, denen die polnischsprachige Bevölkerung seitens der deutschen Machthaber ausgesetzt war. Unter dem preußischen Ministerpräsidenten und späteren Reichskanzler Otto von Bismarck wurden die Menschen in den annektierten polnischen Gebieten per Dekret germanisiert, das heißt Deutsch wurde als ausschließliche Unterrichts- und Geschäftssprache eingeführt und selbst in den Kirchen musste, wenn nicht Lateinisch, dann Deutsch gebetet werden.9 1910 lebten im Großraum Berlin zwischen 80.000 und 100.000 Pol*innen. Im Ruhrgebiet und in der Reichshauptstadt Berlin organisierten sich die Migrant*innen in kulturellen und religiösen Vereinen und bauten ein gut funktionierendes Netzwerk auf, das nicht nur Neuankömmlingen die Orientierung erleichterte, sondern auch die zu Beginn des 20. Jahrhunderts wieder erstarkende polnische Nationalbewegung unterstützte. Trotz dieses nationalpolnischen Engagements entschied sich ein Großteil der polnischen Migrant*innen – die preußischen Polen konnten zwischen der deutschen und der polnischen Staatsbürgerschaft wählen  auch nach der Wiedergründung des polnischen Staates, der Zweiten Polnischen Republik am 11.11.1918 gegen eine Rückkehr (Miera 2007). Als Saisonarbeiter*innen kamen seit Ende des 19. Jahrhunderts vor allem Pol*innen aus dem von Russland annektierten Gebiet nach Deutschland. Mit Beginn des Ersten Weltkriegs im Juli 1914 wurden polnische Erntehelfer*innen mehr als je zuvor gebraucht, da die Mehrzahl der deutschen Männer als Soldaten in den Krieg ziehen musste. Den Mangel an Arbeitskräften insbesondere in der Landwirtschaft versuchte das preußische Kriegsministerium nach der Eroberung der russisch-polnischen Gebiete, verstärkt mit der Anwerbung von Arbeitskräften zu kompensieren. Mehr als 300.000 aus den russischen Teilgebieten stammende polnische Saisonarbeiter*innen wurden zur landwirtschaftlichen Arbeit verpflichtet, wobei die Grenzen  so Loew  zwischen Freiwilligkeit und Zwang oft fließend gewesen seien. Die Zahl der Auslandspolen, die bis zum Ende des

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In dem von Russland annektierten „Kongresspolen“ verfolgte das zaristische Regime nach dem Scheitern eines polnischen Aufstands (1830/31) ebenfalls die Politik der Zwangsassimilierung.

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Ersten Weltkriegs in Deutschland arbeiteten, werden von der Forschung mit 500.000 bis 600.000 angegeben (Loew 2014; Miera 2007; Pallaske 2001). Polnische Zwangsarbeit und Eindeutschung im nationalsozialistischen Deutschland 1939 bis 1945 Mit dem Überfall der Deutschen auf Polen am 1. September 1939, dem Beginn des Zweiten Weltkriegs, der Zerschlagung der Republik Polen und der erneuten Teilung des Landes10 wurde das System der Zwangsarbeit von den Nationalsozialisten abermals eingesetzt. Insbesondere die Bevölkerung des so genannten Generalgouvernements11 mit den Großstädten Warschau, Krakau und Lublin diente dem Deutschen Reich als Arbeitskraftreserve. Von den 11,5 Millionen Pol*innen, die hier lebten, wurden während des Krieges mehr als eine Million Menschen als Zwangsarbeiter*innen in das Deutsche Reich deportiert. Dabei handelte es sich um christliche Polen. Die meisten der etwa zwei Millionen jüdischen Polen in dieser Region wurden in den Vernichtungslagern ermordet. 12 Insgesamt, so die Schätzungen, wurden zwischen 1939 und 1945 mehr als 2,8 Millionen Pol*innen nach Deutschland deportiert, wo sie in der Landwirtschaft, in privaten Haushalten, der Industrie und dem Bergbau unter häufig menschenunwürdigen Bedingungen zur Arbeit gezwungen wurden (Broszat 1965; Loew 2014). Gemäß der nationalsozialistischen Rassenideologie wurde die jüdische Bevölkerung 1935, aufgrund des Gesetzes zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre, als „minderwertige Rasse“ klassifiziert. Mit der Besetzung Polens fielen nicht nur die jüdischen Polen unter die Nürnberger Gesetze, auch christliche Polen wurden nun als „artfremd“ abgewertet. In die offizielle nationalsozialistische Sprachregelung wurde der Begriff des polnischen „Fremdvolks“ aufgenommen (Loew 2014; Broszat 1965). Im Oktober 1939, nur wenige Wochen nach dem Überfall auf Polen, beschrieb Hitler die nationalsozialistische

10 Die Teilung erfolgte gemäß dem so genannten Hitler-Stalin-Pakt vom 23.08.1939, einem geheimen deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt, der u. a. die Aufteilung polnischer Ostgebiete sowie Litauen zwischen dem NS-Regime und der Sowjetunion festlegte. 11 Das Generalgouvernement stand – anders als etwa die Provinz Posen, Teile von Westpreußen und Großpolen, die dem Großdeutschen Reich angegliedert wurden – gleich einer Kolonie lediglich unter deutscher Verwaltung (Loew 2014). 12 Zum Zeitpunkt der Gründung der Zweiten Republik Polen (1918) lebten mehr als drei Millionen Juden in Polen, eine der größten jüdischen Gemeinschaften weltweit.

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Polenpolitik als „Volkskampf“, dessen Ziel es sei, „das alte und neue Reichsgebiet zu säubern von Juden, Polacken und Gesindel“13 (Broszat 1965, 25). Das politische Ziel der Germanisierung des Landes sollte durch eine forcierte Ansiedlung von Deutschen aus dem Baltikum, die Eliminierung der polnischen Intelligenz und die Deportation aller Polen in das Generalgouvernement durchgesetzt werden. Das von den Nazis zunächst als „fremdsprachiger Gau“ bezeichnete Gebiet sollte als „Ausbeutungskolonie und Reservat“ (Broszat 1965, 25) organisiert werden.14 Ein weiteres Instrument der Germanisierung war die so genannte „Eindeutschung“. Anhand einer „Deutschen Volksliste“ wurde die Bevölkerung nach rassischen Kriterien kategorisiert und in Rubriken wie „richtige Deutsche“, „Halbdeutsche“ bis hin zu „Eindeutschungsfähigen“ eingeordnet. Ziel dieser Politik war die vollständige Trennung der deutschen und polnischen Bevölkerung. Im Herbst 1940 wurden private Kontakte zwischen Polen und Deutschen verboten (Loew 2014; Benz 1992; Broszat 1965). Das Prinzip der Rassentrennung galt auch für die im Deutschen Reich arbeitenden Pol*innen, deren Alltag seit März 1940 durch die so genannten Polenerlasse vorgeschrieben wurde. Polnische Zwangsarbeiter*innen mussten nun in von Deutschen getrennten Unterkünften wohnen, durften keine öffentlichen Verkehrsmittel benutzten und sich nicht frei im Land bewegen. Selbst das Fahrradfahren war ihnen verboten. Alle polnischen Arbeiter*innen mussten auf ihrer Kleidung gut sichtbar ein stigmatisierendes Zeichen – ein auf gelbem Untergrund gedrucktes „P“ in lila Farbe – tragen. Liebesbeziehungen zwischen Polen und Deutschen wurden als „Rassenschande“ geahndet. Beteiligten polnischen Männern drohte der Tod durch den Strang – nicht selten als öffentliches Schauspiel inszeniert. Die beteiligten deutschen Frauen mussten damit rechnen, kahlgeschoren durch das Dorf getrieben zu werden, bevor sie in ein Zuchthaus oder ein KZ verbracht wurden (Loew 2014). Polnische Displaced Persons seit 1945 – Rückkehr und Bleiben Am Ende des Krieges waren mehr als fünf Millionen polnischer Bürger – Juden und Christen – tot. 15 Prozent der polnischen Bevölkerung von 1939 waren der deutschen Aggression zum Opfer gefallen (Mix 2009). Doch als der Krieg zu

13 Ein Zitat Hitlers nach handschriftlichen, stichwortartigen Aufzeichnungen von Wilhelm Keitel, Chef des Oberkommandos der Wehrmacht (Broszat 1965). 14 Etwa zehn Prozent der polnischen Bevölkerung in den Gebieten, die dem Deutschen Reich eingegliederten worden waren (ca. 750.000 Menschen), wurden während des Krieges aus ihren Wohnungen und Bauernhöfen vertrieben. Ein Großteil von ihnen in das Generalgouvernement (Broszat 1965).

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Ende war, wollte man sich in Deutschland nicht mehr erinnern an die menschenverachtende Rassenpolitik, den industriell organisierten Massenmord, an Vertreibung und die Zerstörung von Städten und Landschaften, insbesondere in Polen. Was den Deutschen im Bewusstsein blieb, waren Erinnerungen ihrer Niederlage, an den eigenen Schmerz und das Leid, das ihnen im Frühjahr 1945 mit der Vertreibung aus den Gebieten des Deutschen Reiches östlich der Oder zugefügt worden war.15 „Die Kultivierung des Unrechtsbewusstseins half vielen Deutschen“, schlussfolgert der Historiker und Antisemitismusforscher Wolfgang Benz, „die Ursache der Katastrophe zu vergessen und zu verdrängen“ (Benz 1992, 414). 1939 lebten in den Gebieten östlich von Oder und Neiße rund zehn Millionen Deutsche. Auf etwa 1,6 Millionen wird die Zahl derjenigen geschätzt, die im Verlauf der Vertreibung ihr Leben verloren haben. Insgesamt sieben Millionen Deutsche mussten sich westlich von Oder und Neiße ein neues Leben aufbauen (Benz 1992; Hoensch 1990). Als der Krieg im Frühjahr 1945 zu Ende war, hielten sich acht Millionen Nicht-Deutsche, von den Alliierten befreite Kriegsgefangene, KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter*innen im damaligen Reichsgebiet auf. Unter ihnen bildeten die Pol*innen mit mehr als 1,7 Millionen Menschen die größte ethnische Gruppe. Die Überlebenden wurden von den Alliierten Displaced Persons (DP) genannt. Es waren Heimatlose und Vertriebene, deren Rückkehr (Repatriierung) in ihre Heimatländer so schnell wie möglich erfolgen sollte. Während dies bei den Menschen aus Westeuropa relativ problemlos verlief, war es für Bürger der Sowjetunion ein zum Teil tödliches Unterfangen. Aber auch für Polen und Juden erwies sich eine Rückkehr als schwierig. Im Herbst 1945 waren erst zehn Prozent der polnischen DPs zurückgekehrt. Diese im Vergleich zu den französischen DPs geringe Quote hatte verschiedene Gründe. Viele wollten nicht in einem kommunistischen Staat leben, zumal die wirtschaftliche Lage in dem zerstörten Land katastrophal war. Diejenigen, die aus den früheren Ostgebieten Polens stammten, konnten nicht dorthin zurück und wussten nicht wohin. Von den etwa 218.000 polnischen DPs (darunter 76.000 Juden) emigrierten in den Nachkriegsjahren viele in die USA und nach Israel, aber auch in andere europäische Staaten wie Belgien, Frankreich und Großbritannien. Am Ende des Jahre 1949 waren es noch 80.000 polnische DPs, die von der ersten Regierung der neu

15 Weite Teile Schlesiens, Vorpommerns, West- und Ostpreußens waren den Polen als Kompensation für den Gebietsverlust im Osten Polens im Rahmen der Konferenzen der Siegermächte in Teheran (November/Dezember 1943), Jalta (Februar 1945) sowie Potsdam (August 1945) zugesprochen worden.

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gegründeten Bundesrepublik ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht erhielten (Loew 2014; Benz 1992; Pallaske 2001). Überdauern des Antipolonismus nach 1945 In der unmittelbaren Nachkriegszeit mit den zerstörten und desolaten Landschaften und Städten, mit den unzähligen Menschen auf der Suche nach Nahrung, Kleidung, Unterkunft – Opfer des untergegangenen Nazi-Regimes und besiegte Deutsche gleichermaßen – in dieser Zwischenzeit, in der alte Strukturen und Ordnungen zerstört waren, aber noch nichts Neues aufgebaut war, herrschten Chaos Unordnung und Kriminalität. Deutsche waren schnell geneigt, die DPs, insbesondere diejenigen aus dem Osten, für Plünderungen, Viehdiebstahl und Schwarzhandel verantwortlich zu machen. Obwohl die Kriminalitätsrate der DPs nicht höher lag als die der Deutschen, war es „bequem“, resümiert Benz, „die polnischen DPs als bösartige Horden von Marodeuren und Kriminellen zu betrachten“ (Benz 1992, 419). Dies entsprach dem von den Nazis mit großer Brutalität durchgesetzten Stereotyp. Ganz in dieser Tradition verhaftet – Benz spricht in diesem Zusammenhang von der Konservierung des „alten Rassedünkels“ (Benz 1992, 420) – brachten Deutsche kein Mitgefühl, kein Bedauern für die polnischen Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft auf, fühlte man sich doch gerade gegenüber den Polen selbst als Opfer (Loew 2014). Erst 25 Jahre später, im Dezember 1970, entschuldigte sich der damalige deutsche Bundeskanzler Willy Brandt für das Leid und Unrecht, das Deutsche den Polen zugefügt hatten, offiziell. Die für die polnische Gesellschaft traumatischen Erfahrungen mit den deutschen Nachbarn belasten die deutsch-polnischen Beziehungen bis heute (Pallaske 2001; Glorius 2007). Als weit entfernt von einem Zustand der Normalisierung und „viel weiter noch von Verständigung und Versöhnung“ beschreibt der Politikwissenschaftler Thomas Jäger im Jahre 2009 die deutsch-polnischen Beziehungen sowohl auf staatlicher als auch auf gesellschaftlicher Ebene. Seine Einschätzung begründet Jäger damit, dass es zwischen Polen und Deutschen keinen Dialog gebe, der über die immer noch prägende Phase des Zweiten Weltkrieges, die brutale Gewalt der Deutschen in Polen und dadurch ausgelöst die Flucht und Vertreibung hinausführe (Jäger 2009). So sind in Polen antideutsche Ressentiments und Ängste jederzeit abrufbereit und können für politische Zwecke instrumentalisiert werden. Dies führte etwa der nationalkonservative Ministerpräsident Jarosław Kaczyński während seiner Amtszeit 2006 bis 2007 vor. Umgekehrt sind Stereotype, wie das von der „polnischen Wirtschaft“, seit mehr als 250 Jahren im deutschen Polendiskurs dominant und als Metapher für Chaos,

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Unordnung und Unfähigkeit im alltäglichen Sprachgebrauch immer präsent (Orłowski 1992). Migration von Polen in die Bundesrepublik 1950 bis 1989 Die Migration von Polen in die Bundesrepublik von den 1950er Jahren bis zum Ende der europäischen Teilung 1989 lässt sich grob in zwei Statusgruppen einteilen: Polen und Deutsche. Zwischen 1950 und 1990 verließen etwa 1,4 Millionen Menschen das Gebiet der Volksrepublik Polen, die im Sinne des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland (Art. 116 Abs. 1) als deutsche Staatsangehörige galten16 (Morokvasic/Tinguy 1993). Im Fall der Aussiedler*innen bedeutete dies, sie mussten ihre deutsche Abstammung anhand von Dokumenten belegen. Der Nachweis von Sprachkenntnissen war nicht erforderlich. In der Bundesrepublik wurden Aussiedler*innen in der Regel als eine homogene Gruppe behandelt, die ein kollektives Schicksal einte. Die großen soziokulturellen Unterschiede dieser Menschen sowie deren sehr unterschiedliche Migrationserwartungen wurden kaum wahrgenommen (Pallaske 2001). So waren etwa die Aussiedler*innen und die so genannten Spätaussiedler*innen17 der 1980er und -90er Jahre – im Gegensatz zu ihren Vorgänger*innen  mehrheitlich polnisch sozialisiert und sprachen kaum deutsch. Ihre Migration war in den meisten Fällen der politischen und wirtschaftlichen Misere Polens geschuldet und nicht der Sehnsucht nach Repatriierung (ebd.). In den ersten zwei Jahrzehnten nach Kriegsende verließen nur wenige Polen ohne deutsche Papiere ihre Heimat, um in Deutschland zu leben. Loew zitiert für 1958 aus den statistischen Jahrbüchern die Zahl von 915 Pol*innen, die als Ausländer*innen in die Bundesrepublik migrierten. Im gleichen Jahr betrug die Zahl

16 Die Staatsbürgerschaft in der Bundesrepublik Deutschland beruht auf dem ius sanguinis (lat. Recht des Blutes), dem Prinzip der Abstammung. Danach erhält ein Kind die Staatsbürgerschaft, wenn mindestens ein Elternteil die entsprechende Staatsbürgerschaft besitzt. In Deutschland gilt seit dem 01.01.2000 neben dem Abstammungsprinzip auch das Geburtsprinzip, allerdings nur unter bestimmen Voraussetzungen. So erhalten in Deutschland geborene Kinder, deren Eltern nicht die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen, diese nur dann, wenn die Eltern aus einem EU-Land oder aus der Schweiz stammen und sich seit acht Jahren überwiegend in Deutschland aufhalten (Bundesausländerbeauftragte, o. J.). 17 Als Spätaussiedler*innen gelten alle diejenigen, die aus vormals deutschen Gebieten im Osten und aus vormaligen deutschen Siedlungsgebieten wie Banat, Siebenbürgen oder aus dem Wolga-Gebiet stammen und nach dem 01.01.1993 in die Bundesrepublik einwanderten.

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der Aussiedler*innen 13.262 (Loew 2014).18 Bis zum Ende der 1960er Jahre waren keine nennenswerten Migrationsströme aus Polen mehr zu verzeichnen. Erst nach der Zerschlagung der Studentenbewegung 1968 sowie einer staatlich gelenkten antisemitischen und antizionistischen Kampagne als Reaktion auf den Sechs-Tage-Krieg in Israel kam es in den darauffolgenden Jahren wieder zu einer Ausreisewelle. Dieses Mal waren es allein 25.000 Juden, die das Land verließen. Anfang der 1970er Jahre liberalisierte die polnische Regierung Auslandsreisen. Jetzt konnte quasi jeder einen Reisepass beantragen. Nach Loew beantragten insgesamt 34.465 Pol*innen in der Zeit von 1972 bis 1979 politisches Asyl in Deutschland; von 1980 bis Dezember 1981 verließen 58.000 Pol*innen ihre Heimat, um in Deutschland ein neues Leben zu beginnen (Loew 2014). Neben den offiziellen Einreisen mit einem Touristenvisum nutzten viele Pol*innen den inoffiziellen Weg in den Westen via DDR nach West-Berlin. Die Dunkelziffer der Einreisenden über diesen Transitweg war hoch, da Polen kein Visum für die DDR benötigten und die Grenze von Ost- nach West-Berlin für Pol*innen offen war. Viele der polnischen West-Berlin-Touristen kamen mit der Absicht, für einige Zeit zu bleiben, um im informellen Sektor zu arbeiten. Die wenigsten hatten ihren Aufenthalt als endgültig geplant (Miera 2007). Doch als im Dezember 1981 die gewerkschaftliche Solidarność-Bewegung vom kommunistischen Regime niedergeschlagen wurde, Regierungschef Jaruzelski den „stan wojenny“ (Kriegszustand) ausrief und das Land sich wie zu Hochzeiten des Kalten Krieges erneut abschottete, beschlossen viele der polnischen Berlin-Touristen ihren Aufenthalt auf unbestimmte Zeit zu verlängern. Anderen wiederum, die sich politisch in der Gewerkschaft Solidarność profiliert hatten, wurde die Wiedereinreise nach Polen verwehrt. 19 Bis Mitte 1983 war eine Ausreise aus Polen nahezu unmöglich. Ab 1984 durften polnische Bürger*innen wieder privat ins westliche Ausland reisen. Im Jahr 1988 wurde seitens der Bundesregierung die Visumspflicht für Pol*innen aufgehoben. 1990 erreichte die Einwanderung in die Bundesrepublik aus Polen mit 117.000 polnischen Staatsbürger*innen und 200.000 Spätaussiedler*innen einen neuen Rekord (Miera 2007; Loew 2014). Mitte der 1980er bis Anfang der 1990er Jahre verzeichnete die Bundesrepublik Deutschland eine der größten Zuwanderungen in ihrer Geschichte. Aufgeschlüsselt nach dem Her-

18 Für die Zeit 1958 bis 1970 sind Loew zufolge insgesamt 7.251 Personen mit polnischem Pass in die Bundesrepublik eingewandert (Loew 2014, 221). 19 Das Statistische Landesamt Berlin gibt für die Zeit von 1982 bis 1985 die Zahl der in West-Berlin gemeldeten polnischen Staatsangehörigen mit 8.500 bis 11.700 an. Dazu kamen ca. 20.000 Aussiedler*innen aus Polen.

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kunftsland bildeten die auf eine Million geschätzten Migrant*innen aus Polen die größte Gruppe (Kaluza 2002; Pallaske 2001, 123f.). Die polnischen Migrant*innen der 1980er Jahre erhielten in der Regel politisches Asyl oder zumindest eine so genannte Duldung20, da Flüchtlinge aus einem Land des Warschauer Paktes grundsätzlich nicht zurückgeschickt wurden. Allerdings war dieser Aufenthaltsstatus häufig mit einer ein bis zwei Jahre langen Arbeitssperre verbunden. 1985 hatten von den 11.731 polnischen Einwohner*innen, die in Berlin gemeldet waren, nur 2.088 eine Arbeitserlaubnis, davon war wiederum nur die Hälfte sozialversicherungspflichtig beschäftigt (Miera 2007, 147). Für die meisten Migrant*innen bedeutete dies, dass sie auf den ethnisch und geschlechtsspezifisch strukturierten informellen Arbeitsmarkt angewiesen waren. Dies heißt, Frauen hatten die Wahl zwischen Haushaltsarbeiterin, Pflegerin und Prostituierte. Männer gingen auf den Bau, renovierten Wohnungen oder übernahmen Gartenarbeiten. Diese Entwertung der Erwerbsbiografie betraf häufig auch Aussiedler*innen, da Bildungs- und Berufsabschlüsse aus Polen selten anerkannt wurden. Migration von Polen nach Deutschland nach 1989 Der Fall der Mauer und die Auflösung der sozialistischen Volksrepubliken forcierte die Arbeitsmigration von Ost- nach Westeuropa durch die Verwerfungen, die der Umbau der vormals sozialistischen Volkswirtschaften in kapitalistische Ökonomien zur Folge hatte. Im April 1991 erhielten polnische Staatsbürger*innen als erste aus der Gruppe der osteuropäischen EU-Kandidaten visafreien Zutritt in die Staaten des Schengener Abkommens.21 Von den jährlich bis zu 25 Millionen Menschen, die in den 1990er Jahren die Grenze von Ost- nach Westeuropa passierten, schätzt man die Zahl der „tourist workers“ auf 600.000

20 Die Duldung (§ 60a AufenthaltsGesetz) ist ein Aufenthaltstitel, der in Regel nach der Ablehnung eines Asylantrags erteilt wird, wenn eine Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht möglich ist. Die Duldung wird zeitlich begrenzt erteilt. Nach Ablauf der Duldung gibt es die Möglichkeit der Verlängerung. Duldung bedeutet eine auf ein Bundesland beschränkte Bewegungsfreiheit, eingeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt und keine Möglichkeit des Familiennachzugs (Münchner Flüchtlingsrat, o. J.). 21 Mitglieder des Schengener Abkommens waren 1991 Deutschland, Italien, Spanien, Portugal, Frankreich, Belgien, Luxemburg und die Niederlande. Im Jahr 2014 haben alle EU-Staaten mit Ausnahme von Großbritannien, Irland und Zypern das Abkommen unterzeichnet sowie die Schweiz, Liechtenstein, Island und Norwegen (Auswärtiges Amt 2016).

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bis 700.000 Personen. Ein Großteil von ihnen waren Pol*innen. Als „‚tourists‘ engaged in work“ bezeichnet Morokvasic-Müller diejenigen, die mehrmals im Jahr nach West-Europa reisen und sich dort zwischen einigen Tagen bis einigen Monaten aufhalten (Morokvasic-Müller 2003a,105). Allerdings galt in Deutschland auch Anfang der 1990er Jahre noch immer der 1973 erlassene Anwerbestopp,22 wonach eine Migration in die Bundesrepublik zu Erwerbszwecken nicht gestattet war. Angesichts des großen Zustroms ausländischer Arbeitnehmer*innen insbesondere aus Polen und einer steigenden Zahl illegal arbeitender Migrant*innen wurde diese Regelung zwar nicht suspendiert, aber doch gelockert, indem ein legales, zeitlich befristetes Gastarbeitssystem institutionalisiert wurde. Damit wurden polnische Arbeitnehmer als Saisonarbeiter*innen, Werkvertragsarbeitnehmer*innen und Grenzgänger*innen zu Gastarbeiter*innen auf Zeit. 23 Dieses System sowie die unterschiedlichen Statuszugehörigkeiten der Pol*innen gelten in der Forschung als ein wichtiger Motor für die Etablierung der Pendelmigration zwischen Polen und Deutschland (Miera 2007; Cyrus 2000; Irek 1998). Die unterschiedlichen juristischen Positionen der Akteur*innen im deutsch-polnischen Migrationssystem, die dem sich verändernden Migrationsund Grenzregime geschuldet sind, haben im Ergebnis unterschiedliche Formen der Migration von Polen nach Deutschland hervorgebracht. Die Diversität der Rechtsstellung innerhalb der polnischen Migrant*innen bildet eine wesentliche Grundlage der weitverzweigten transnationalen Netzwerke. 1990 wurde die Anerkennungspraxis für Aussiedler*innen dahingehend modifiziert, dass ein entsprechender Antrag im Herkunftsland gestellt werden musste und die Anerkennung restriktiv gehandhabt wurde. So musste etwa der Nach-

22 Mit dem Anwerbestopp hatte die damalige sozialliberale Koalition mit Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) den Zuzug von Arbeitskräften aus dem Süden beendet. Sie reagierte damit auf eine wirtschaftliche Krise. Ausländische Arbeitnehmer*innen konnten nun nicht mehr zwischen ihrem Herkunftsland und Deutschland pendeln. Wer einmal ausgereist war, konnte nicht zurückkehren um zu arbeiten. Unter diesem Druck entschieden sich viele der so genannten Gastarbeiter für den ständigen Aufenthalt in Deutschland und holten ihre Familien nach. Statt die Zahl der Migrant*innen zu verringern, nahm die Zuwanderung infolge dieser Verordnung tatsächlich zu. Die Bundesrepublik Deutschland war damit de facto zu einem Einwanderungsland geworden (Bade 2013). 23 Insbesondere in schlecht bezahlten Arbeitsfeldern wie der Landwirtschaft, der Gastronomie und auf Rummelplätzen sind polnische Arbeitskräfte sehr geschätzt (Loew 2014).

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weis erbracht werden, dass sich die deutsche Volkszugehörigkeit im Herkunftsland nachteilig auswirkt. Dies konnte jedoch kaum mehr geltend gemacht werden, seitdem die polnische Regierung 1991 die Deutschen in Polen als nationale Minderheit anerkannt hatte. Weitere Maßnahmen, wie die Quotierung der Aufnahme (220.000 bis 230.000 Menschen aus allen Herkunftsländern) sowie eine Reduzierung der Eingliederungshilfe für ein neues Leben in der Bundesrepublik, führten zum starken Rückgang der Einwanderungszahlen aus Polen (Miera 2007). Zwischen 1992 und 2000 wurden nach Angaben von Miera rund 233.100 deutsche Pässe an polnische Antragsteller*innen ausgehändigt (Miera 2007, 137). Die meisten von ihnen behielten ihren polnischen Pass, war doch die Zweistaatlichkeit eine ideale Ausgangslage für die transnationale Migration. Die Zahl der Aussiedler*innen mit doppelter Staatsbürgerschaft wurde in den 1990er Jahren auf eine halbe Million geschätzt (Jaźwińska/Okólski 1996). Im Jahr 2004 ist Polen der EU beigetreten. Seit dem Jahr 2011 gilt auch für polnische Staatsbürger*innen die Arbeitnehmerfreizügigkeit. Sie haben damit ohne Einschränkungen das Recht, in allen EU-Mitgliedsstaaten zu arbeiten. Diese Möglichkeit der offiziellen Erwerbsarbeit in allen EU-Ländern markiert, so die polnische Historikerin Dobrochna Kałwa, eine neue Phase des Migrationsprozesses. Außer Deutschland, das weiterhin das wichtigste Zielland der Arbeitsmigrant*innen ist, hat sich das Spektrum der Destinationen erweitert. So galten – zumindest bis zum Brexit-Referendum von 2016 – die Arbeitsmärkte in Großbritannien und Irland als besonders attraktiv. Dies ist auch der Einrichtung von Billigfluglinien geschuldet, die den Akteur*innen ein häufiges Pendeln ermöglichen (Kałwa 2010). Neben der Arbeitsmigration junger Menschen aus Großstädten, die sowohl ökonomisches als auch kulturelles Kapital (Sprachkenntnisse, Erfahrungen im Ausland) erwerben möchten, dominiert weiterhin die Migration aus wirtschaftlichen Gründen, um der Arbeitslosigkeit zu entfliehen bzw. die Lebensbedingungen der Familie in Polen zu verbessern. Der polnische Wirtschaftswissenschaftler Paweł Kaczmarczyk untersuchte 2009 die Verwendung der Geldüberweisungen nach Polen („Remittances“) im Rahmen seiner Studie Arbeitsmigration und der polnische Arbeitsmarkt. Danach hat eine Umfrage der Universität Warschau ergeben, dass ein Viertel der Rücklagen aus den Einkünften der Arbeitsmigration für die Renovierung bzw. den Kauf von Immobilien ausgegeben wird. 40 Prozent des Geldes geht in den Kauf eines Autos. Ein Drittel der Befragten gab an, die Ersparnisse hauptsächlich für die eigene Bildung oder die Bildung ihrer Kinder zu verwenden (Kaczmarczyk 2009). Aufgrund der langen deutsch-polnischen Migrationsgeschichte können Arbeitsmigrant*innen auf die Netzwerke einer großen polnischen Gemeinschaft

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insbesondere im Ruhrgebiet und in Berlin zurückgreifen (Miera 2001, 141). Dabei handelt es sich weniger um Kontakte mit offiziellen Repräsentanten der Polonia24 in Deutschland, als vielmehr um „Netzwerke der Migranten ‚nach innen‘ insbesondere in individueller Perspektive und im lokalen Umfeld“ (Pallaske 2001, 134). Pallaske nennt hier vor allem familiäre Netzwerke und Kontakte zu anderen Pol*innen (ebd.). Die polnische Gemeinschaft in Deutschland weist vielfältige Schnittmengen mit der deutschen Mehrheitsgesellschaft auf, da viele ihrer Mitglieder sowohl die deutsche als auch die polnische Staatsbürgerschaft besitzen und diese je nach politischer, ökonomischer und/oder kultureller Opportunität einsetzen. So haben etwa Pol*innen mit einem deutschen Pass zweifellos Vorteile bei der Anmietung einer Wohnung oder der Beantragung eines Kredits (Ong 1999, 6). Die Binnenstruktur der polnischen Gemeinschaft in Deutschland ist geprägt von Hierarchien und Fragmentierungen, die durch die Zugehörigkeit zu einer Statusgruppe, die Dauer der Migration, Sprachkenntnisse sowie erworbenes soziales und ökonomisches Kapital markiert sind (Pallaske 2002, 161). Die auf diesen Parametern basierende soziale Stratifikation platziert pendelnde Haushaltsarbeiterinnen am unteren Ende der Werteskala. Jene Frauen, die mit dieser Lebens- und Arbeitsweise begonnen haben, verfügen über keine eigenen Verbindungen und sprechen häufig kein Deutsch. So kommt etwa den „Aussiedlerinnen“ und Migrantinnen der ersten Nachkriegsausreisewelle in den 1980er Jahren heute häufig die Rolle der Expertinnen zu, die bei Sprachproblemen helfen, Arbeit und Wohnungen vermitteln oder auch selbst als Vermieterinnen auftreten. Auch etablieren sich an Orten mit einer großen zirkulären Arbeitsmigration spezielle Dienstleistungsbetriebe, die an die Bedürfnisse der Migrantinnen angepasst sind, wie etwa Fuhrunternehmen und Lebensmittelläden. Die Arbeitsmigrantinnen, die ich im Rahmen meiner Forschung getroffen habe, gehörten zu der Gruppe der Pendlerinnen, die seit dem Fall der Mauer und insbesondere seit dem EU-Beitritt Polens 2004 in ganz West-Europa zu Tausenden im informellen Dienstleistungssektor arbeiteten. Meine Gesprächspartnerinnen pendelten zwischen Berlin und Polen, einige von ihnen schon jahrelang. In dieser Zeit hatten einige von ihnen sich zu Migrations-Expertinnen qualifiziert, das heißt, sie verfügten über eine eigene Wohnung am Arbeitsort, sprachen gut Deutsch und hatten gute Verbindungen zu verschiedenen Arbeitgeberinnen. Mit diesem historischen Abriss der deutsch-polnischen Beziehungen habe ich die besonderen Beziehungen zwischen Polen und Deutschen dargestellt. Dabei wurde deutlich, dass die transnationale Arbeitsmigration von Polen nach

24 Polonia ist die Bezeichnung für die polnische Diaspora im Ausland (Kałwa 2010).

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Deutschland eine lange Tradition besitzt und einen besonderen Stellenwert im europäischen Kontext einnimmt. Ideologisch gerahmt wird diese Migration von einem komplexen Set von Bildern, die einer bereits in der Aufklärung entstandenen und bis heute gültigen neokolonialen Wissensordnung des Westens über den Osten folgen. Die Motivik der Erzählungen in meiner ethnografischen Forschung verweist, wie ich später noch im Einzelnen zeigen werde, auf die weiter bestehende Gültigkeit einer Wissensordnung, die auf dem unhinterfragten Beharren auf der „Überlegenheit der westlichen Moderne“ und der „Rückschrittlichkeit der polnischen Gesellschaft“ basieren.

3

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Bevor ich auf das empirische Material eingehe, lege ich im folgenden Kapitel die theoretischen Konzepte dar, die meine Forschung leiten. Entscheidend für die Theoretisierung der interkulturellen Begegnungen im Haushalt sind die Forschungsfelder Migration mit dem Fokus auf der Arbeitsmigration von Frauen sowie die Hausarbeitsforschung mit dem Schwerpunkt bezahlte Haushaltsarbeit. In Kapitel 3.1 stelle ich den Forschungsansatz der transnationalen Migration dar. Die transnationale Forschungsperspektive betont die Mobilität der Migrantinnen zwischen geografischen Räumen und sozialen Positionen. Kapitel 3.2 thematisiert das Konzept der Versorgungsketten (global care chain) und die Entstehung transnationaler Haushalte als eine Folge der transnationalen Arbeitsmigration von Frauen. In Kapitel 3.3 entwickle ich die Genese des privaten Haushalts als zentralen Ort dieser Forschung. In Kapitel 3.4 steht die Protagonistin dieser Studie im Mittelpunkt: die Figur der transnationalen Haushaltsarbeiterin. In diesem Zusammenhang setze ich mich kritisch mit dem Konzept des Nomadischen auseinander und diskutiere, inwiefern es für meine Forschung nützlich sein kann. In Kapitel 3.5 erläutere ich Judith Butlers theoretischen Entwurf zum Entwicklungsprozess des Subjekts (Subjektivation) und skizziere dessen Anwendung für meine ethnografischen Beschreibungen.

3.1 TRANSNATIONAL TURN: DAS PARADIGMA DER TRANSNATIONALEN MIGRATION | Polnische Haushaltsarbeiterinnen gehören zu jener Gruppe globaler Akteur*innen, die seit den 1990er Jahren als Migrant*innen, Pendler*innen, Wanderarbeiter*innen, Flüchtlinge oder auch so genannte global players, das heißt als „Jet-Setter einer globalisierten Kultur und Ökonomie“ (Keller 2005, 9) die Migrationsforschung dominieren. Die polnischen Arbeitsmigrantinnen nutzen

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Kommunikationstechnologien wie Telefon, E-Mail oder Computer, sowohl um Kontakt zur zurückgelassenen Familie in Polen zu halten als auch – wenn sie in Polen sind – zu den Arbeitgeberinnen in Berlin. Die mobilen Subjekte sind gleichsam virtuell in mehreren sozialen Räumen präsent, die sie durch Medien oder moderne Kommunikationstechnologien miteinander in Verbindung bringen. Um mit ihnen Schritt zu halten, haben Forscher*innen eine neue, transnationale Perspektive entwickelt (Glorius 2007). Die Vorstellung von Migration ändert sich mit diesem Perspektivwechsel dahingehend, dass Migration nun als ein multidirektionaler, nationalstaatliche Grenzen mehrfach überschreitender Prozess konzeptualisiert wird. 1 Diese neue, einer globalisierten Welt angemessene Perspektive in der Migrationsforschung wurde Anfang der 1990er Jahre maßgeblich von den amerikanischen Anthropologinnen Nina Glick Schiller, Linda Basch und Cristina Blanc-Szanton entwickelt (Glick Schiller u. a. 1995; Pries 1997). Inzwischen liegen zahlreiche Studien vor, die sich mit dem Phänomen der transnationalen Migration weltweit beschäftigen. Dies betrifft sowohl Studien auf der Meso- als auch auf der MikroEbene (Faist 20002; Anderson 2006; Hondagneu-Sotelo 2001; Lan 2000 und 2001). Diese akteurs- und praxiszentrierten Studien thematisieren häufig transnationale Arbeitsmigrationen von Frauen aus den armen Ländern des Südens und den ehemals sozialistischen Staaten Osteuropas, die in den postindustriellen Gesellschaften des Nordens im privaten Dienstleistungssektor (meist irregulär) arbeiten und gleichzeitig enge soziale Bindungen zu ihrem Herkunftsland unterhalten (Hess 2009; 2007; Lauser 2004; Parreñas 2000; Lan 2000). Für die Makro-Ebene hat u. a. die Soziologin Saskia Sassen den Begriff der Transnationalität aufgenommen, um die wirtschaftlichen, politischen und finanziellen Netzwerke unter den Bedingungen der Globalisierung deutlich zu machen. Diese Netzwerke haben ihre Knotenpunkte in global cities, wie Bejing, Frankfurt am Main und London, wo sich die Zentren der global operierenden Banken und Konzerne sowie die für den reibungslosen Ablauf des globalen Handels notwendigen Dienstleistungen konzentrieren (Sassen 1996a).

1

Bis zum Paradigmenwechsel am Ende des 20. Jahrhunderts war mit Blick auf die transatlantische Wanderung von Europa nach Amerika Migration überwiegend als unidirektionaler, einmaliger Vorgang im Sinne eines binären push-and-pull ContainerModells dargestellt worden (Pries 1997, Glorius 2007).

2

Auf der Mesoebene hat der Soziologe Thomas Faist transnationale Räume als eine Verbindung von individuellen Akteur*innen und staatlichen und institutionellen Akteur*innen konzeptualisiert.

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Auch wenn es sich bei Phänomenen wie der transnationalen Migration und der weltumspannenden ökonomischen und sozialen Vernetzung keineswegs um Erfindungen des 21. Jahrhunderts handelt, sondern um längst bekannte Strategien des Überlebens, so ist doch evident, dass sich die Mobilität von Waren, Imaginationen, Menschen, Ideen und Kapital durch die rasante technologische Entwicklung qualitativ verändert hat (Appadurai 2001; Beck 1997, 26f.; Lenz 2010, 23). Ein zentrales Anliegen des Transnationalisierungsansatzes ist, das Ineinander-verflochten-Sein von Alltagspraktiken und -strategien sowie strukturellen Gegebenheiten der verschiedenen Ebenen – makrostrukturelle Kapitalverflechtungen, Weltmarktpolitik, mikrostrukturelle soziale Netzwerke, mesostrukturelle Institutionen wie NGOs und Schlepperringe – aufzuzeigen. Die transnationale Forschungsperspektive fragt danach, warum Menschen aus bestimmten Ländern migrieren und aus anderen nicht, oder auch, warum bestimmte Gruppen migrieren und andere nicht. Damit wird hier der Blick auf die alltäglichen transnationalen Praktiken der Migrant*innen und die von ihnen immer wieder neue generierten und modifizierten grenzüberschreitenden sozialen Netzwerke gerichtet. Mit dem Paradigma der transnationalen Migration ist die Idee einer Kongruenz von sozialem und geografischem Raum obsolet geworden. Der Soziologe Ludger Pries spricht in diesem Zusammenhang von der Entkoppelung der beiden Räume, die in der traditionellen Migrationsforschung zusammengedacht wurden. Danach sind soziale Räume nicht mehr an konkrete Orte gebunden, an denen sich die Akteur*innen aufhalten. Transnationale Migrant*innen, so Pries, spannen ihre „sozialen Räume [...] zwischen verschiedenen Wohnorten bzw. geographischen Räumen auf“ (Pries 1997, 16). Glick Schiller/Basch und Szanton-Blanc beschreiben diese Lebensform als „a social process in which migrants establish social fields that cross geographical, cultural, and political borders“ (Glick Schiller u. a. 1992, 9). Ältere Migrationstheorien konzentrieren sich in der Regel auf ökonomische Ursachen für Wanderung: Armut, Mangel an Arbeitsplätzen in der einen Region und Wohlstand, Arbeitskräftemangel in der anderen. Das im Jahr 1966 von dem US-amerikanischen Ökonomen Everett S. Lee vorgelegte Push-and-pull-factorModell gilt als das Ausgangsmodell für ökonomisch motivierte Migrationstheorien. Kritik an diesem Konzept betrifft sowohl die Reduktion der Akteur*innen auf den Typ des homo oeconomicus als auch die Vernachlässigung von anderen Faktoren, wie etwa des kumulativen Effekts vorangegangener Migration (chain migration) oder auch der Familienzusammenführung, bestehende transnationale Netzwerke, historische und aktuell politische Gegebenheiten. Dominierten bei den neoklassischen Ansätzen in der Migrationsforschung noch strukturelle, mak-

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roökonomische Erklärungsmuster, so geraten mit dem transnational approach die Akteur*innen in den Fokus. Das neue, transnationale Paradigma hat entscheidungsfreudige und entscheidungsfähige Subjekte im Blick, die keineswegs nur in Übereineinstimmung mit den politischen und ökonomischen Bedingungen handeln, sondern nach ganz eigenen Plausibilitäten, die sich jeweils aus einem Zusammenspiel von makro- und mikrostrukturellen Faktoren ergeben. Dabei spielen ökonomische Motive ebenso eine Rolle wie politische, individuelle oder historische. Dies wird nicht zuletzt am Beispiel der polnischen Migration deutlich, wie sie sich seit dem Ende der Teilung Europas als eine transnationale Arbeitsmigration entwickelt hat (Miera 2007; Irek 1998; Morokvasic 1994; 2003a). Mit dem Transnationalisierungsansatz rückt die Globalisierung auf der Akteursebene in den Vordergrund, und dies sowohl im Kontext der „Globalisierung des Alltags“ als auch des „Alltags der Globalisierung“ (Hess 2009, 29). Der transnationale Fokus erweitert die Verortung von Akteur*innen über die „geographisch-physischen Flächenräume“ (Pries 2003, 26) in jene sozialen Räume, die sich aus den Verbindungen, Überschneidungen und Überlagerungen zwischen geografischen Räumen konstituieren. In diesen Zwischenräumen sind transnationale Akteur*innen vergesellschaftet (Pries 1996; Hess 2009). Mit dem Fokus auf Alltagspraktiken von Migrant*innen stellt das Konzept der transnationalen Migration herkömmliche Auffassungen von Migration grundlegend infrage, wie etwa jene von Migration als Identitätsverlust im Kontext von Dislokalisierung und Entwurzelung (Passerini 2007, 3; Lauser 2004). Das Konzept stellt neue Fragen, etwa nach transnationalen Alltagspraktiken oder neuen, flexiblen Zugehörigkeiten. Was bedeutet es für Migrant*innen, jahrelang zwischen Familie und Arbeit zu pendeln, in großen oder auch kleinen Intervallen mal hier mal dort zu sein, stets verbunden mit dem jeweiligen anderen Ort, gleichzeitig präsent an verschiedenen sozialen und geografischen Räumen? In transnationalen kulturanthropologischen Forschungen wird deutlich, dass durch die Lebensweise in einem mehr oder weniger konstanten Modus der Mobilität – Morokvasic-Müller beschreibt diese Praxis „to settle within mobility“ (Morokvasic-Müller 2003a, 102) – Vorstellungen von Zugehörigkeit und Zuhause-Sein rekonfiguriert werden. „The expansion of transnational migrants’ networks and communities and the intensification of transnational cultural, political and economic interaction in late capitalism have led to the emergence of new forms of subjectivity that enable the subject to act within different levels of local and global communication.“ (Passerini et al 2007, 4)

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Die Fähigkeit, soziale Netzwerke über große Entfernungen in verschiedenen Ländern zu unterhalten, charakterisiert der US-amerikanische Soziologe John Urry in Anlehnung an Pierre Bourdieus Kapitalbegriff als „network capital“ (Urry 2007, 194ff.). Als soziales Kapital charakterisiert Morokvasic-Müller im Hinblick auf die polnische Arbeitsmigration die lange Tradition der Wanderung in der polnischen Gesellschaft und das darauf basierende „savoir se mouvoir“ (Morokvasic-Müller 2003a, 110). Dabei geht es weniger um konkrete Kenntnisse wie Reiserouten und -verbindungen oder Unterkünfte, als vielmehr um die für transnationale Akteur*innen unentbehrliche Eigenschaften wie psychische Beweglichkeit und Phantasie, Selbstbewusstsein und Mut. „People respond by capitalising on a specific resource – their capacity to stay mobile for a long time – which is an immense advantage in comparison to those who do not or cannot move.“ (Morokvasic-Müller 2003a, 108)

Die inzwischen in den Kultur- und Sozialwissenschaften weitgehend etablierte transnationale Perspektive – Hess spricht von einer „Transnationalisierung kulturanthropologischer Forschung“ (Hess 2009, 31) – ist im Kontext der vorliegenden Forschung epistemologisch von zentraler Bedeutung. Das Konzept der transnationalen Migration verlässt nicht nur das traditionell ortsgebundene Feldforschungsparadigma, indem die Forschungsräume mit Blick auf transnationale Netzwerke und Praktiken Grenzen überschreiten und sich gleichermaßen auf virtuelle, historische und soziale Räume erstrecken (Appadurai 1996). Gleichzeitig wird damit die Bedeutung nationaler Staaten und Identitäten neu skaliert sowie der in der Kulturanthropologie lange maßgebliche methodologische Nationalismus3 infrage gestellt. Dieses Konzept scheint angesichts der Dialektik von zunehmender globaler Vernetzung und der Etablierung neuer/alter Nationalstaaten, insbesondere in der ehemaligen Sowjetunion und Jugoslawien, und damit einhergehend einer Renaissance nationalistischer Bewegungen dringend revisionsbedürftig (Lüthi 2005, Glick Schiller/Wimmer 2002). Inwieweit der Nationalstaat allerdings tatsächlich an Bedeutung verliert, ist in der Migrationsforschung umstritten. So gelten etwa staatliche Wohlfahrtsregime sowie Grenz- und Migrationsregime durchaus als regulierende Faktoren der Zuwanderung (Bommes 2003). Andererseits wird in der Forschung auch da-

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Methodologischer Nationalismus wird hier im Sinne von Nina Glick Schiller und Andreas Wimmer verstanden als „the assumption that the nation/state/society is the natural social and political form of the modern world“ (Glick Schiller/Wimmer 2002, 301).

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rauf hingewiesen, dass die Akteurinnen im transnationalen Arbeitsfeld Privathaushalt ein eigenes informelles Regime etabliert haben, das sich abseits staatlicher Regelungen über Netzwerke und individuelle Kontakte organisiert (Karakayali 2010). 3.1.1 Der Forschungsansatz Transnationale Migration | Der transnational approach wird allerdings in der kulturanthropologischen Migrationsforschung auch kritisch diskutiert. Da gibt es zum einen den Vorwurf der Beliebigkeit, der Phänomene, die unter dem Etikett subsumiert werden: etwa Arbeitsmigration ebenso wie Touristenreisen, international agierende Konzerne ebenso wie Pilgerreisen (Lüthi 2005; Keller 2005). Nicht zuletzt die Undifferenziertheit der Akteur*innen, so ein weiterer Vorwurf, führe zur Idealisierung der transnationalen Lebensweise und zur Vernachlässigung der negativen Aspekte dieser Lebensform. So werde transnationale Migration häufig fälschlicherweise „als Triumph lokaler Akteure über globale Machtverhältnisse interpretiert“ (Glorius 2007, 31) oder auch als subversiver Akt „from below“ stilisiert und eine kritische Auseinandersetzung mit der Ausbeutung, Entrechtung und Diskriminierung transnationaler Akteur*innen vernachlässigt (Smith/Guarnizo 2009, 5). Die US-amerikanischen Migrationsforscher Luis Eduardo Guarnizo und Michael Peter Smith sprechen von einer „dialectic of domination and resistance“ im Kontext transnationaler Praktiken und betonen die Einbettung transnationaler Praktiken und Diskurse in ein System von Asymmetrien, die auf Differenzkategorien wie Geschlecht, Ethnizität, Klasse und Alter basieren (ebd.). Morokvasic-Müller und Karakayali/Tsianos warnen dagegen vor der Viktimisierung der Akteur*innen und betonen die Ermächtigung transnationaler Arbeitsmigrant*innen, ihre Handlungsfähigkeit sowie die Möglichkeit der Akkumulation von Ressourcen durch die Migration (Morokvasic-Müller 2007; Karakayali/Tsianos 2007; Karakayali 2010). Schließlich geht es in der Diskussion auch darum, welche Eigenschaften eine Migration als transnational ausweist, welche Praktiken als transnational definiert werden. Die US-amerikanische Soziologin Nancy Foner etwa beschreibt transnationale Migration als ein altes, seit langem bekanntes Phänomen, das schon die großen Wanderungen von Europa in die USA am Ende des 19. Jahrhunderts charakterisiert habe. Als Beispiel dafür, dass es sich bei dem Konzept der transnationalen Migration keinesfalls um etwas Neues handelt, verweist Foner u. a. auf die italienische Migration in dieser Zeit, die sich zum einen durch den regelmäßigen Transfer von Geld und Nachrichten zwischen den USA und Italien auszeichnete. Zum anderen waren viele der in der Mehrzahl männlichen Migranten

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„birds of passage“ (Foner 2001, 40) also Saisonarbeiter, die in ihr Herkunftsland im Winter bzw. nach einigen Jahren zurückkehrten (Foner 2001). Portes u. a. (1999) schlagen vor, von transnationaler Migration zu sprechen, wenn der berufliche und soziale Alltag der Akteur*innen es notwendig macht, regelmäßig zwischen zwei oder mehr Staaten, in denen sie gleichermaßen verankert sind, zu pendeln. Diese Definition betont das Regelmäßige. Unregelmäßige Geldüberweisungen, Geschenke oder auch ein Hauskauf sowie gelegentliche Besuche genügen demnach nicht, um eine Migration als transnational zu definieren. Dieser sehr engen Definition halten Mahler und Parreñas entgegen, dass transnationale Praktiken durch eine Vielzahl von Faktoren beeinflusst und geformt werden. So weist Mahler in ihrer Studie über illegale Migrantinnen aus El Salvador darauf hin, dass strukturelle Bedingungen, wie etwa die fehlende Aufenthaltserlaubnis, den Aufbau ökonomischer Ressourcen und regelmäßige Reisen verunmöglichen. Die Verbindung mit den Familien im Herkunftsland, die von den Geldüberweisungen der Migrant*innen häufig völlig abhängig sind, wird in diesen Fällen ausschließlich über Internet und Telefon aufrechterhalten (Mahler 1996).4 Mahler/Pessar weisen im Zusammenhang mit der Debatte darum, was/wer transnational ist, darauf hin, dass bei der Zuschreibung neben den Alltagspraktiken wie Telefonieren, Chatten, Skypen, Geschenke und Geld verschicken, auch die subjektive Positionierung der Akteur*innen eine Rolle spielen müsse (Mahler/Pessar 2001). Im Kontext der vorliegenden Forschung werden die Akteurinnen als transnationale Arbeitsmigrantinnen verstanden, auch wenn sie nicht gleichzeitig in mehreren Gesellschaften verankert sind, wie es u. a. Nina Glick Schiller als ein wesentliches Merkmal transnationaler Migration beschreibt. Zumindest einige meiner Gesprächspartnerinnen bewegten sich in Berlin überwiegend in einer polnisch geprägten Parallelgesellschaft und hatten mit der deutschen Gesellschaft, abgesehen von den Arbeitgeber*innen, kaum Kontakt (Glick Schiller u. a. 1995). Ich möchte hier jedoch im Anschluss an Morokvasic-Müller die mobile Lebensweise als charakteristisch für eine transnationale Migration betonen und den Fokus auf die alltäglichen Praktiken legen. Dabei wird deutlich, dass die polnischen Arbeitsmigrantinnen nicht nur ihren Lohn über die Grenze

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Einige Autor*innen betonen, dass Geldüberweisungen in der Mehrzahl von Migrantinnen an weibliche Familienmitglieder getätigt werden. Danach gelten Frauen im Gegensatz zu Männern als überaus zuverlässig, was die Sorge für die Familienmitglieder im Herkunftsland betrifft. Andererseits werden die zurückgebliebenen Männer als wenig verlässlich eingeschätzt (Karakayali 2010).

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tragen, sondern gleichsam Erfahrungen, Wissen und Routinen in Zirkulation bringen. Als Effekte transnationaler Arbeitsmigration werden in der vorliegenden Forschung die Diversifikation von Lebensstilen und die kulturellen Praktiken betont (Glorius 2007). Versteht man kulturelle Praktiken als ein Alltagswissen, das sich ähnlich wie die Instrumente einer Werkzeugkiste aus Wissensvorräten unterschiedlicher Provenienz und Ausprägung zusammensetzt, und treffen nun Akteurinnen mit unterschiedlichen kulturellen Praktiken aufeinander, werden sie gezwungen, sich mit anderen Logiken und Plausibilitäten auseinanderzusetzen. Erprobte und gewohnte Handlungsrepertoires werden mit unbekannten Routinen konfrontiert, Gewissheiten in Frage gestellt. Wandelt sich der private Haushalt in einen informellen Arbeitsplatz, breitet sich nicht nur die Logik des Kapitals aus, das Zuhause wird gleichermaßen zu einem öffentlichen Labor. In der vorliegenden Studie werde ich darstellen, wie in diesem Experimentierfeld ein Arbeitsverhältnis ohne rechtliche Rahmung und Richtlinien erprobt wird, wie unterschiedliche Ordnungssysteme und Reinlichkeitsstandards miteinander konkurrieren und unterschiedliche Aspirationen aufeinander treffen. Die alten Routinen müssen kreativ an die neuen Erfordernisse angepasst werden in – wie es bei Reckwitz heißt – „der bricolage-förmigen Überlagerung und Kombination unterschiedlicher Komplexe von Praktiken und ihres Hintergrundwissens“ (Reckwitz 2003, 286). Diese Überlagerung forme „sich zu partiell neuartigen, handhabbaren kulturellen tools“ (ebd.).5 Im Fortgang dieser Studie werde ich anhand des empirischen Materials zeigen, inwieweit die polnische Arbeitsmigration mit ihren reisenden Agentinnen herkömmliche Routinen und Alltagspraktiken in den deutschen Haushalten infrage stellt und verändert.

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Das Prinzip bricolage hat Claude Lévi-Strauss in den 1960er Jahren in seiner strukturalen Anthropologie eingeführt (Lévi-Strauss 1968). Es behandelt die Frage nach dem Verwenden und der Kombination vorhandener Ressourcen für neue, unvorhergesehene Anwendungen. Im postkolonialen Diskurs, der kontingente Prozesse und komplexe Verflechtungen sowie das Vorläufige, Improvisierte betont ergebnisoffene Auseinandersetzungen pflegt und flexible Subjektpositionen vertritt, hat das Prinzip der bricolage in den Kultur- und Sozialwissenschaften als methodisches Werkzeug in den vergangenen Jahrzehnten an Relevanz gewonnen (Binder u. a. 2009).

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3.2 TRANSNATIONALE HAUSHALTE IN DER GLOBAL CARE CHAIN | Entschließt sich eine Frau zur Arbeitsmigration, entsteht in der Regel eine Versorgungslücke in der Familie/dem Haushalt im Herkunftsland. Reproduktionsarbeiten sowie die Betreuung von Kindern und pflegebedürftigen Alten müssen innerhalb der Familie umverteilt oder ausgelagert werden. Das bedeutet etwa für die polnischen Haushaltsarbeiterinnen in Berlin, dass Arbeitsmigrantinnen aus der ökonomisch marginalisierten Ukraine die Lücke im heimischen Haushalt in Polen schließen. In der Ukraine wiederum muss die Reproduktionsarbeit der in Polen tätigen Haushaltsarbeiterinnen ebenfalls an eine Stellvertreterin delegiert werden. Die Nachfrage nach Haushaltsarbeiterinnen in Berlin kann somit eine Versorgungskette erfordern, die bis in die Ukraine oder sogar noch darüber hinaus reicht. Für die Analyse dieses Phänomens hat die amerikanische Soziologin Arlie Russell Hochschild das Konzept der global care chain6 entwickelt (Russell Hochschild 2000; Lutz 2002, 95). Mit diesem Konzept können die Zusammenhänge zwischen Globalisierung‚ Reproduktionsarbeit und Migration theoretisch erfasst werden. Russell Hochschild definiert global care chains als „a series of personal links between people across the globe based on paid or unpaid work of caring“ (Russell Hochschild 2000, 131). Die vergleichsweise hohen Verdienstmöglichkeiten in reichen Industrieländern – selbst im Niedriglohnsektor – ermöglichen es den Migrantinnen, ihre Reproduktionsarbeit sowie die ihrer Familien auszulagern (Karakayali 2010; Glick Schiller 1995; Metz-Göckel u. a. 2008). Auf der Mikro-Ebene geht es um die Weitergabe von Versorgungsaufgaben. Da diese weitgehend den Frauen obliegen, sind die Akteur*innen in der Regel Frauen. Auf der Makro-Ebene ist dieser Dienstleistungstransfer eingebettet in die internationale Arbeitsteilung zwischen armen und reichen Ländern. Die global care chain verweist somit unmittelbar

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Mit dem Begriff der global care chain nimmt Russell Hochschild Bezug auf das Konzept der global commodity chain, das Wallerstein und Hopkins zur Analyse von Produktions- und Konsumtionsprozessen im Kontext der Globalisierung entwickelt haben (Hopkins/Wallerstein 1986). Produktionsprozesse einzelner Konsumgüter erstrecken sich aus Gründen der Kostenreduzierung über mehrere Länder und stellen somit eine Verbindung zwischen Konsumenten in den reichen Industriestaaten und Produzenten in armen Regionen der Welt her. Im Zentrum dieses Ansatzes stehen sowohl Produktions- und Konsumtionsprozesse als auch die an diesen Prozessen beteiligten Akteur*innen.

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auf die sozialen, politischen und ökonomischen Beziehungen zwischen Frauen auf einem globalen Arbeitsmarkt. Die Arbeitsteilung zwischen dem armen Süden und dem reichen Norden beschreibt Rhacel Salazar Parreñas als „structural relationship based on the class, race, gender and (nation-based) citizenship of women“ (Parreñas 2000, 570). Die globalen Versorgungsketten, schlussfolgern Ehrenreich und Russell Hochschild, bringen „the ambitous and independent women of the world together“ (Ehrenreich/Russell Hochschild 2002, 11).7 Allerdings kommen diese aus verschiedenen Welten: Die einen sind gut ausgebildete, karrierebewusste Mittelschichtsfrauen aus reichen Ländern, die anderen – häufig nicht weniger gut ausgebildet, jedenfalls nicht weniger karrierebewusst – aus dem armen Süden oder aus postkommunistischen Transformationsländern. Ähnlichkeiten und Differenzen gleichermaßen prägen das Verhältnis der Akteurinnen, die sich im Kontext einer global care chain als „mistress and maid“ (ebd.), als Arbeitgeberinnen und Arbeitnehmerinnen begegnen. Die Umverteilung der Reproduktionsarbeit zwischen Frauen macht den Blick frei auf eine bisher wenig beachtete Seite der Globalisierung: Die Abhängigkeit der reichen Industrieländer von den armen Ländern der Peripherie. Aufgrund der hohen Produktionskosten in den ökonomischen Zentren wird Arbeit an die billigen Ränder exportiert. Für die Haushaltsarbeit, die Betreuung von Kindern oder Pflegebedürftigen hingegen, also Dienstleistungen, die nicht ausgelagert werden können, müssen billige Arbeitskräfte in die post-fordistischen urbanen Metropolen importiert werden. Hier steigt die Nachfrage aufgrund der demografischen Entwicklung insbesondere im Pflegebereich stetig. Das System der global care chain generiert transnationale Haushalte in den Herkunftsländern der Haushaltsarbeiterinnen, die Parreñas in ihrer Studie über philippinische Haushaltsarbeiterinnen in Rom und Los Angeles als „commodified“ (Parreñas 2001) charakterisiert. Der Familienzusammenhang konkretisiert sich in diesen Fällen insbesondere in Form von Transferleistungen, also in Geld und Waren, die von den Arbeitsmigrant*innen nach Hause geschickt werden. Russell Hochschilds Konzept der global care chains wurde in der Nachfolge unter Stichworten, wie „globalization of mothering“ (Parreñas 2000), „transnational mothering“ (Lutz 2002) oder auch „labour intimacy regime“ (Chang/Ling

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Neben den Texten der Herausgeberinnnen (Ehrenreich/Russell Hochschild 2002) versammelt dieser Sammelband u. a. Aufsätze von Saskia Sassen, Pierrette HondagneuSotelo, Bridget Anderson und Rhacel Salazar Parreñas, die die transnationale Arbeitsmigration von Frauen in den 1990er Jahren in den Fokus sozialanthropologischer Forschung rückten und damit politische Forderungen verbanden, etwa Arbeitsschutz und Mindestlohn auch für prekär Arbeitende (Anderson 2006).

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2000) aufgegriffen. Parreñas beschreibt transnationale Familien als eine paradoxe Konstruktion, die einerseits die materielle Sicherheit vergrößere und gleichzeitig die emotionale Unsicherheit verstärke (Parreñas 2001, 149). Wichtige Agenten der global care chains sind u. a. moderne Kommunikationstechnologien, die den Akteur*innen die gleichzeitige Präsenz an unterschiedlichen Lokalitäten ermöglichen. Per Skype und E-Mail kann zu jeder Zeit ein unmittelbarer Kontakt zwischen weit entfernt lebenden Familienmitgliedern hergestellt werden. So können etwa die physisch abwesenden Mütter via Skype die Hausaufgaben ihrer Kinder betreuen oder auch bei alltäglichen Problemen um Rat gefragt werden (Parreñas 2001, Karakayali 2010). Transnationale Familien werden in der Forschung meist als etwas Unvollständiges wahrgenommen, dabei handelt es sich infolge des Genderbias der Migrationsforschung beinahe ausschließlich um das Problem fehlender Mütter und die negativen Implikationen, die diese für die Kinder haben könnten. Die Abwesenheit von Müttern widerspricht – zumindest in den westlichen Ländern – dem vorherrschenden heteronormativen Ideal einer Familie und wird in medialen und politischen Diskursen als besonders verwerflich verhandelt. Insbesondere die Auswirkungen auf zurückgelassene Kinder werden häufig als dramatisch geschildert (Hondagneu-Sotelo 1994; Parreñas 2001; Phizacklea 2003; Lan 2003; Lutz 2007; Kałwa 2008, 2010). Demgegenüber ist die Bedeutung der Abwesenheit von Vätern in der Forschung zu transnationaler Migration noch immer ein Desiderat (Morokvasic-Müller 2007, Lutz/Palenga-Möllenbeck 2011).8 In der vorliegenden Studie spielt die kommerzialisierte global care chain, wie sie Arlie Russell Hochschild entworfen hat, eine untergeordnete Rolle. In keinem Fall betreute etwa eine Migrantin aus der Ukraine gegen Bezahlung die in Polen zurückgelassenen schulpflichtigen Kinder. Meine Gesprächspartnerinnen rekrutieren ihre Stellvertreterinnen vielmehr aus familiären Netzwerken. Allerdings basieren auch diese Familienarrangements weniger auf Altruismus als auf Prinzipien der Reziprozität. Auch die Familienmitglieder (Schwägerin, Großmutter oder Vater der Kinder) wurden für die Betreuung bezahlt. Das Motiv einer verwandtschaftlichen, generationenübergreifenden Solidargemeinschaft taucht in einem der Arbeitgeberinnengespräche als ein Ausweis für Rückständigkeit auf. „Die familiären Strukturen sind – glaub’ ich schon – noch viel geschlossener [...] als bei uns hier in Deutschland“ (Marlene Hartmann). Das „Noch“ verweist auf eine andere Zeitlichkeit als die eigene. Die polnischen Arbeitsmigrantinnen werden hier in einen differenten Kosmos verwiesen. Ob der

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Diskussion in den polnischen Medien über so genannte „Euro-Waisen“ siehe Kapitel 5.2.1.

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Allgemeinplatz, „dort [in Polen] funktionieren die Familien noch, bei uns [in Deutschland] nicht mehr“, die wirklichen Verhältnisse widerspiegelt, ist zumindest fraglich. Für den deutschen Alltag lässt sich allein aufgrund eigener, keineswegs jedoch systematischer Beobachtungen und Erfahrungen sagen, dass das Solidarsystem, auf das sich berufstätige Frauen mit Kindern stützen, eine große Bandbreite unterschiedlicher Netzwerke umfasst. Die Familie, insbesondere Großeltern und Tanten spielen dabei nach wie vor eine zentrale Rolle, neben nachbarschaftlichen und freundschaftlichen Netzwerken. Bezahlte Hilfsdienste in Form von Babysitting und Haushaltshilfen, deren Aufgaben nicht immer scharf abgegrenzt sind, werden in der Regel erst dann aufgerufen, wenn familiäre Netzwerke nicht zur Verfügung stehen (Rerrich 2006). Jedenfalls ermöglicht das scheinbar so altmodische Netzwerk Familie, das aus einer anderen Zeitlichkeit in die Postmoderne reicht, den Polinnen und nicht nur ihnen, sich jener wandernden Gruppen anzuschließen, die man als Avantgarde der Globalisierung bezeichnen könnte. Sie sind flexibel, auf Zuruf bereit, ohne soziale Absicherung für einen geringen Lohn den Dreck der Anderen zu beseitigen. Für die Restbestände vormoderner Phänomene in der Moderne hat Ernst Bloch 1932 den Begriff der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen gefunden. Bei Bloch heißt es: „Nicht alle sind im selben Jetzt da. Sie sind es nur äußerlich, dadurch, dass sie heute zu sehen sind. Damit aber leben sie noch nicht mit den anderen zugleich.“ (Bloch 1985, 104) Bloch nutzt die Simultanität verschiedener Zeitschichten als Erklärung für das Erstarken der Nationalsozialisten. Man kann die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen aber auch als „Ermöglichungsreservoir traditioneller gesellschaftlicher Kräfte“ (Conrad 2015) in der Moderne verstehen. So gilt zwar die Globalisierung gerade als Motor für die Homogenisierung der Welt zu der einen kapitalistischen, doch der Prozess verläuft nicht immer und überall nach Plan. Es gibt Widerstände, differierende Tempi, lokale Eigenheiten. In meinem Forschungsfeld kann die Ungleichzeitigkeit auch als eine Chance gedeutet werden, die das Organisieren sowie das Funktionieren von Versorgungsketten erleichtert.

3.3 DIE BESONDERHEITEN DES ARBEITENS IM HAUS | Nachdem ich im vorangegangenen Kapitel das Forschungsfeld transnationale Migration mit dem Schwerpunkt der Arbeitsmigration von Frauen dargestellt habe, wende ich mich nun dem für diese Forschung zentralen Ort, dem privaten Haushalt sowie der Hausarbeit zu. Zunächst beschreibe ich die Genese des

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Haushalts in seiner doppelten Bedeutung als privater Rückzugsort und informeller Arbeitsplatz sowie die damit einhergehende Vergeschlechtlichung und Abwertung von Hausarbeit. Im Anschluss erörtere ich die Ökonomisierung von Haushaltsarbeit als Folge der steigenden Zahl erwerbstätiger Frauen in den westlichen Industrienationen. Die Zuständigkeit der Frauen für die Reproduktionsarbeit werde ich als ein Beispiel für die Simultanität eines emanzipatorischen Gleichheitsdiskurses und alltagspraktischer Retraditionalisierung erörtern. Dieses Paradoxon tritt nicht nur als Effekt einer „rhetorischen Modernisierung“ (Wetterer 2003) in Erscheinung, sondern auch als ein Effekt der Globalisierung. Die kritische Auseinandersetzung mit der geschlechtlichen Arbeitsteilung ist seit den 1970er Jahren des vorigen Jahrhunderts ein zentrales Thema feministischer Forschung. Im Fokus der Kritik standen die Entwertung der in der Regel von Frauen „aus Liebe“ unentgeltlich ausgeführten Haushaltsarbeit, die unhinterfragte Zuordnung von Hausarbeit als eine Tätigkeit, die „naturgemäß“ Frauensache ist sowie die Abwertung von Hausarbeit als minderwertige Arbeit. Bielefelder Soziologinnen9 prägten Anfang der 1980er Jahre den Begriff Hausfrauisierung. Mit diesem Begriff werden der Prozess der Entwertung von Haushaltsarbeit und das geschlechtsspezifische Lohngefälle markiert. Für das Forschungsfeld care-work ist die Analyse der Bielefelder Gruppe von großer Bedeutung, da sie die Perspektive auf die Reproduktionsarbeit veränderte. Gleichzeitig wird verdeutlicht, dass die private Arbeitsteilung eine höchst politische ist, da „die systematische Ausbeutung der Hausarbeit essentiell für den globalen Kapitalismus ist“ (Haubner 2015). Die Geringschätzung von Frauenarbeit, die Entwertung der gesellschaftlich notwendigen Reproduktionsarbeit als eine schmutzige, unqualifizierte Tätigkeit, aber auch die Vernachlässigung der Hausarbeit in der

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Die Mitglieder des Bielefelder Forschungsschwerpunkts Entwicklungssoziologie – Veronika Bennholdt-Thomsen, Maria Mies, Claudia von Werlhof – entwickelten in den 1980er Jahren den so genannten Bielefelder Subsistenzansatz. Mit diesem Konzept weisen die feministischen Soziologinnen auf die Bedeutung der existenzsichernden Subsistenzwirtschaft und somit auch die der Reproduktionsarbeit für die Wertschöpfung im Kapitalismus hin. Bis dahin wurde in den Wirtschaftstheorien, nicht zuletzt im Marxismus, die kapitalistische Mehrwertproduktion allein auf das Verhältnis von Lohnarbeit und Kapital reduziert. Die Bedeutung der Arbeit von Frauen und Kolonisierten sowie die Bedeutung natürlicher Ressourcen als wichtige Grundlage der Wertschöpfung im Kapitalismus wurden ignoriert (Bennholdt-Thomsen u. a. 1983; Baier/Müller 2006).

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Theoriebildung, insbesondere im Marxismus, 10 korrespondiert mit der Entwertung derjenigen, die diese Arbeit verrichten, den Frauen. 3.3.1 Geringschätzung und Ökonomisierung der Haushaltsarbeit | Die gesellschaftliche Geringschätzung der Arbeit im Haus steht zweifellos in Zusammenhang mit dem in kapitalistischen Gesellschaften gültigen, normativen Begriff von Arbeit, für den Produktivität, Rationalität und Effizienz ausschlaggebend sind. Hausarbeit steht außerhalb dieser ökonomischen Logik. In der Hausarbeitsforschung wird die „Marginalisierung und Trivialisierung von Hausund Versorgungsarbeit“ (Thiessen 2002, 149) mit den Spezifika von Hausarbeit begründet: der Situierung der Arbeit im Privaten, dem Fehlen eines anerkannten beruflichen Profils, dem repetitiven Charakter der Arbeit sowie mit dem Sinn und Zweck der Tätigkeit, der Beseitigung des alltäglichen Schmutzes (Thiessen 2002). Im Sinne der marxistischen Definition von Arbeit ist Hausarbeit nicht produktiv, sie stellt keine Waren her, erzeugt keinen Mehrwert und somit auch keinen (ökonomischen) Gewinn. Für diese Arbeit sind keine Heldentaten gefragt, ist kein Mut erforderlich, umso mehr bedarf es der Ausdauer, „um jeden Tag von Neuem aufzuräumen, was der gestrige Tag in Unordnung gebracht hat, (es) ist nicht Mut, und es ist nicht Gefahr, was diese Anstrengung so mühevoll macht, sondern ihre endlose Wiederholung“ (Arendt 1994, 92). In welchen Haushalten arbeiten Haushaltsarbeiterinnen? Über die Struktur der arbeitgebenden Haushalte gibt es nur wenig verlässliche zudem ältere Untersuchungen (u. a. Hank 1998; Schupp 2002). Dies liegt zum einen daran, dass der private Haushalt nicht als Arbeitsplatz definiert wird. Der Mangel an quantitativen Untersuchungen basiert jedoch vor allem auf der schwierigen Datenerhebung im überwiegend informellen Hausarbeitssektor. Nach den vorliegenden Studien sind die typischen Arbeitgeber*innen von Haushaltsarbeiterinnen voll berufstätige Singles und Paare (mit und ohne Kinder) sowie Rentner*innen. Familien mit Kindern, in denen die Frauen keiner oder nur einer Teilzeitarbeit nachgehen, werden nicht zu den typischen Haushalten gezählt, die eine informel-

10 In der marxistischen Theorie wurde die „Subsistenzproduktion“, alle Tätigkeiten, die keine marktwirtschaftlich relevanten Produkte herstellen, kaum thematisiert. Im Zentrum des Marxismus stehen das Ausbeutungsverhältnis in der kapitalistisch organisierten, d. h. mehrwertproduzierenden Erwerbsarbeit und der Kampf gegen diese Produktionsverhältnisse. Die Emanzipation der Frau, die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung galten in diesen Kampf als zweitrangig (Behrend 1999, 166).

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le Haushaltsarbeiterinnen beschäftigen. Dies liegt zum einen am meist geringen Familieneinkommen bei nur einem Verdienst. Zum anderen scheint es selbstverständlich, dass die nicht erwerbstätige oder auch nur Teilzeit arbeitende Hausfrau den eigenen Haushalt versorgt (Rerrich 2006). Diese Ergebnisse decken sich weitgehend mit den Erkenntnissen aus meinem Forschungsfeld. Am häufigsten haben meine Gesprächspartnerinnen ihre Erwerbsarbeit als Motiv genannt, die Hausarbeit an eine Stellvertreterin zu delegieren. Die Verwandlung der „Hausfrau“ in eine „Hausmanagerin“ (Hess 2002, 111) ist mit dieser Argumentation einer Notlage geschuldet. Bei der Stellvertreterin handelt es sich in der Regel um eine Arbeitsmigrantin aus einem vergleichsweise armen Herkunftsland (Lutz 2007; Gather et al. 2002; Hess 2002). Diese Form der Ökonomisierung der Hausarbeit verändert die Asymmetrien der Differenzkategorien. Bestimmte vormals allein die Differenzkategorie Geschlecht, wer für die reproduktive Arbeit im familiären Kontext zuständig war, so sind im Kontext der bezahlten Hausarbeit die Differenzkategorien Ethnizität und Klasse ebenso relevant. Die intrageschlechtliche, ethnisierte Arbeitsumschichtung verwandelt Mittelschichthaushalte in Orte, die Pei-Chia Lan als einen „Mikrokosmos sozialer Ungleichheit“ (Lan 2003, 225) beschreibt. 3.3.2 Geschlechtsspezifische Arbeitsteilung | Die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, wie sie sich mit der Industrialisierung in den westlichen Industriestaaten herausgebildet hat, ist seit den Anfängen der Neuen Frauenbewegung11, seit Ende der 1960er Jahre ein zentrales Thema feministischer Kritik (Thon 2008). So galt und gilt bis heute die unbezahlte Arbeit im Haus, das Putzen, Wäschewaschen, Bügeln und Kochen, ebenso wie die Versorgung und Pflege aller, die im Haushalt leben, als ein „zentraler Mechanismus der Unterdrückung von Frauen“ (von Osten 2003, 123). Zwar steht das Thema

11 In der Forschung wird die Geschichte der deutschen Frauenbewegung in zwei Epochen aufgeteilt: Die so genannte „Alte Frauenbewegung“ (die wiederum teilt sich in eine bürgerliche und eine proletarische Bewegung) beginnt etwa in den 1840er Jahren und endet 1933 mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten (Nave-Herz 1997). Die „Neue Frauenbewegung“ ist eng mit der außerparlamentarischen 1968er-Bewegung verbunden, deren Ignoranz gegenüber sexistischer Diskriminierung von Frauen zum Anlass genommen wurde, sich unabhängig von den Männern in eigenen Foren zu organisieren. Bundesweite Aufmerksamkeit und eine auch in bürgerliche Kreise reichende Mobilisierung erhielt die Neue Frauenbewegung 1971 durch die Kampagne gegen den §218, der Schwangerschaftsabbruch unter Strafe stellte (Hertrampf 2008).

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Arbeit schon seit den Anfängen der Frauenbewegung auf der Agenda, doch ging es den Aktivistinnen zunächst vor allem um das Recht der Frauen auf Erwerbsarbeit und die bis heute aktuelle Forderung nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit (Nave-Herz 1997). Es waren die Protagonistinnen der zweiten Frauenbewegung, die das Private als politisch relevant markierten und in den Fokus feministischer Wissenschaft und Politik rückten. In diesem Kontext geriet auch das Zuhause in den Blick kritischer Sozialforschung und zeigte sich als ein Ort, der „ebenso ideologisch besetzt wie strukturell abgewertet (ist)“ (Thiessen 2002, 141). Im Ideal eines traditionellen Geschlechterregimes fungiert das private Heim einer Kleinfamilie als Rückzugsund Erholungsort für die erwerbstätigen Männer und als (unbezahlter) Arbeitsplatz für die Frauen, unabhängig davon, ob die (Haus-)Frau erwerbstätig ist oder nicht (von Osten 2003). Der in der griechischen Antike Oikos genannten Haus- und Wirtschaftsgemeinschaft, in der Familienmitglieder, Bedienstete und Sklaven zusammenlebten und arbeiteten, entsprach in der vorindustriellen Epoche das Ganze Haus. In dieser Wirtschaftseinheit, die landwirtschaftliche und handwerkliche Produktion sowie Reproduktionsarbeiten umfasste, arbeiteten alle Mitglieder eines Haushalts, der aus der Familie, dem Gesinde, Gesellen und Lehrlingen bestand. Die Arbeitsteilung richtete sich nach den jeweiligen Fähigkeiten und Notwendigkeiten der Haushaltsmitglieder. Allerdings waren sie keineswegs geschlechterneutral. So waren Frauen in der Regel für die Arbeit im Haus zuständig, u. a. für die Vorratshaltung, die Herstellung von Kleidung, die Aufzucht der Kinder sowie für Gartenbau, Milchwirtschaft und Kleintierhaltung. Außerdem verwalteten sie häufig Einnahmen und Ausgaben der Haus- und Wirtschaftsgemeinschaft. Männer übernahmen die dem Haus ferneren und körperlich schwereren Arbeiten wie Holzwirtschaft und Feldarbeit. Zwar wurden diese beiden Arbeitsbereiche als gleich wichtig angesehen: Männer und Frauen arbeiteten gemeinsam für das Ganze Haus. Allerdings war das Geschlechterverhältnis auch in dieser Haus- und Wirtschaftsgemeinschaft insofern strukturell asymmetrisch, dass Besitz und Eigentumstitel in der Regel von den Männern in die Ehe eingebracht wurden und nur sie die Hausökonomie nach außen repräsentierten (Rosenbaum 1982; Duden/Bock 1979). Die auf der Basis von Subsistenzwirtschaft von einer Gemeinschaft bewirtschaftete ökonomische und soziale Einheit des Ganzen Hauses löste sich mit der Industrialisierung und der Herausbildung eines kapitalistischen Wirtschaftssystems allmählich auf. Die Produktion wurde aus dem Haus an Standorte verlagert, die sich als für die zunehmende Spezialisierung und Konzentration der Warenherstellung günstig erwiesen (Peinl 2000). Die räumliche Trennung von Wohn-

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und Arbeitsort führte zu einer Spezialisierung: Der Mann wurde für die außerhäuslichen Arbeiten in den Manufakturen und Fabriken zuständig, während Frauen die Hausarbeiten und die Versorgung nicht arbeitsfähiger Familienmitglieder übernahmen (Hess 2009; Haidinger/Knittler 2008; Gather et al. 2002). Die Erwerbsarbeit der Männer, die das für den Haushalt notwendige Geld verdienten, wurde hierbei höher bewertet als die Reproduktionsarbeit der Frauen im privaten Raum. An der damit einhergehenden Abwertung der Frauen als von Männern abhängige und damit untergeordnete Individuen veränderte sich auch dann nichts, als Frauen zunehmend gezwungen waren, durch Lohnarbeit zum Haushaltseinkommen beizutragen. Der Kapitalismus, schreibt die Soziologin Eva Illouz, habe Männer und Frauen in getrennte Sphären verbannt: „[D]ie Frauen in das ‚Schattenreich des Hauses‘ (Hannah Arendt) und die Männer in den Konkurrenzkampf des Marktes.“ (Illouz 2006, 47) In der Folge der Trennung von Erwerbs- und Reproduktionsarbeit wurde die Familie „gleichsam zu einem emotionalen Treibhaus, in dem Männer und Frauen sich in immer größerem Maß ihrer gegenseitigen Liebe, ihrer Sexualität, der individuellen Weiterentwicklung und der elterlichen Fürsorge widmen konnten“ (ebd., 46). 3.3.3 Erwerbstätigkeit von Frauen und rhetorische Modernisierung | Die Erwerbstätigkeit von Frauen ist längst eine unhinterfragte Selbstverständlichkeit. Die biografische Ausgangslage von Männern und Frauen bezüglich Bildung, Studium und Berufsausbildung war noch nie so gleichwertig, wie zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Dennoch haben Studien zur Geschlechtergleichheit gezeigt, dass die daraus folgende Gleichheitserfahrung eng verknüpft ist mit einem bestimmten Lebensabschnitt sowie mit dem Eingebundensein in Institutionen, wie Schule, Universitäten etc. (Geissler/Oechsle 1998). Im weiteren biografischen Verlauf mit dem Eintritt ins Berufsleben, der Etablierung eines Paarhaushaltes, spätestens aber mit der Geburt des ersten Kindes „kommt es zu einer Retraditionalisierung und Revergeschlechtlichung der Lebenslaufmuster junger Frauen und Männer“ (Wetterer 2003, 305). So sind es noch immer Frauen, die zunächst mehrheitlich Erziehungsurlaub nehmen und danach ihre Arbeitszeit reduzieren und damit auf lange Sicht die Chancen auf eine berufliche Karriere

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vermindern. Allerdings hat sich die Gesamtzahl der erwerbstätigen Frauen mit Kindern insgesamt erhöht.12 Der kritische Gleichheitsdiskurs, der sowohl in der Gesellschaft als auch in vielen Familien grundsätzlich akzeptiert wird – so werden Frauen in heterosexuellen Paarbeziehungen heute kaum mehr ausschließlich für den Haushalt verantwortlich gemacht – regrediert im Familienalltag zur puren Rhetorik, so die These von Angelika Wetterer. Diese Diskrepanz zwischen Diskurs und Praxis beschreibt sie als „rhetorische Modernisierung“ (ebd., 286). Hinter der Rhetorik der Gleichheit sei ein Alltag verborgen, der weiterhin von Ungleichheit, das heißt von der Reaktivierung traditioneller Geschlechterrollen geprägt ist, und an dessen Gestaltung Frauen aktiv beteiligt seien (Wetterer 2003, 297). In diesen neuen-alten Geschlechterarrangements wird die Praxis der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung als rationale Entscheidung autonomer Subjekte deklariert. So wird etwa die Vereinbarung, wer die Elternzeit nutzt, rational nach der Höhe des jeweiligen Einkommens oder auch nach potenziellen Karriereaussichten entschieden. Dies bedeutet häufig, dass Frauen zu Hause bleiben – schlicht aufgrund der der Gehaltsunterschiede selbst bei gleicher Arbeit zwischen den Geschlechtern.13 Mit dem Gleichheitsdiskurs wird der geschlechterkritische Diskurs ausgesetzt und die Thematisierung alltäglicher geschlechtsspezifischer Ungleichheit tabuisiert. Wetterer bezieht sich mit ihrer These von der „Ohnmacht der Diskurse“ (Wetterer 2003, 302) auf empirische Forschungen insbesondere in urbanen, akademisch-gebildeten Milieus, wo Ansprüche an partnerschaftliche Beziehungen im Sinne von Gleichberechtigung, Selbstverwirklichung und Autonomie besonders ausgeprägt sind (Koppetsch/Burkart 1996; Jurczyk/Rerrich 2009; Russell Hochschild 1989).

12 Laut Statistischem Bundesamt stieg die Quote der erwerbstätigen Mütter (im Alter von 15 bis unter 65 Jahren mit Kindern) von 39,7 Prozent im Jahr 1972 auf 60,8 Prozent im Jahr 2000 an (Gille/Marbach 2004, 86). 13 Nach Auskunft der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) verdienten 2012 vollzeitbeschäftigte Frauen in Deutschland 21,6 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen. Damit belegte die Bundesrepublik im Global-Gender-Gap-Report des Weltwirtschaftsforums Platz 13. Im europäischen Vergleich bedeutet dies den letzten Platz (dpa/Reuters). Zwar berichtete spiegel online 2013, dass die Zahl der Väter, die in Elternzeit gehen, gestiegen sei, allerdings pausierten drei von vier Vätern maximal zwei Monate. Im Gegensatz dazu nahmen 95 Prozent der Mütter die Elternzeit in Anspruch. Neun von zehn Frauen blieben für die maximale Elternzeit (12 Monate) zu Hause (cte/dpa, 2013).

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Auffallend ist die Diskrepanz zwischen der Logik des Gleichheitsdiskurses und dem – wie Wetterer es nennt – „Beharrungsvermögen des praktischen Handelns“ (Wetterer 2003, 299). Das Fehlen struktureller Rahmenbedingungen, wie mangelnde Kinderbetreuung und Ganztagsschulen sowie die ungleiche Bezahlung von Frauen und Männern, erklärt nicht ausreichend die gelebte Divergenz. Betrachtet man aber die verschiedenen Ebenen, auf denen sich der Gleichheitsdiskurs und die Logik des praktischen Handelns entfalten, wird ein entscheidender Unterschied deutlich: Während der Gleichheitsdiskurs einer reflexiven, rationalen Logik verpflichtet ist, gehören alltägliche Handlungen zu einem vorreflexiven Repertoire an inkorporierten Praktiken (Wetterer 2003, Kaufmann 2005 1992). Auf die „Gesten, (die) den Gedanken widersprechen“ (Kaufmann 2005, 10), wie der französische Soziologe Jean-Claude Kaufmann das inkorporierte Handlungskapital anschaulich beschreibt, werde ich später noch ausführlicher eingehen (Kaufmann 2005 1992). 3.3.4 Ethnisierte Umverteilung der Hausarbeit und Retraditionalisierung | Im Kontext der Globalisierung hat sich die Ungleichheit dahingehend verschoben, dass nun ein großer Teil der anfallenden Hausarbeit weitergegeben werden kann an Mitglieder „internationaler Putzkolonnen“ (Wichterich 1998, 94ff.), die aus den armen Ländern des Südens und aus Osteuropa stammen. Sabine Hess spricht in diesem Zusammenhang von einer „ethnisierten Umverteilung der Reproduktionsarbeit zwischen Frauen“ (Hess 2002, 109). Die amerikanische Soziologin und Feministin Arlie Russell Hochschild kritisiert diese globale Praxis als Emanzipationsgewinn der Mittelschichtfrauen aus den reichen Industrieländern auf Kosten von Frauen aus den armen Teilen der Welt (Ehrenreich/Russell Hochschild 2002). Von einer „Retraditionalisierung“ (Rommelspacher 2006, 14) spricht die Erziehungswissenschaftlerin Birgit Rommelspacher im Zusammenhang mit dieser Form der internationalen Arbeitsteilung und versteht darunter, die Konservierung der Reproduktionsarbeit als eine vergeschlechtlichte Tätigkeit. So gesehen transformiert migrantische Hausarbeit die traditionelle zwischengeschlechtliche Differenz in eine ethnisierte intrageschlechtliche (ebd., Friese 1995). Das Zuhause ist jedoch nicht nur die Bühne für die alltägliche Reproduktion antagonistischer männlicher und weiblicher Rollen, sondern auch im Kontext westlicher Ordnungsvorstellungen konstitutiv für eine staatlich anerkannte Existenz. Erst das Zuhause, im Sinne eines offiziell gemeldeten (Wohn-)Orts, eröffnet die Möglichkeit amtlicher Registrierung, etwa in Form eines Passes oder einer So-

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zialversicherungsnummer. Eine Meldeadresse weist den Kindern die Schule zu, den Gläubigen ihre Gemeinde und den Toten ihre Begräbnisstätte (von Osten 2003). Auf der Ebene bürgerlicher Ideologie gilt das Zuhause als Zufluchtsort vor der rauen Erwerbs- und Berufssphäre draußen in der Welt. In diesem intimen Raum, für dessen Bereitstellung Frauen hauptamtlich zuständig sind, versammelt sich die Familie mit dem Versprechen auf Glück, Liebe und Geborgenheit. Wird nun – wie in den deutsch-polnischen Hausarbeitsverhältnissen – die Reproduktionsarbeit von der „Frau des Hauses“ an eine Haushaltsarbeiterin delegiert, so verwandelt sich das „traute Heim“, jenes Arkanum bürgerlichen Selbstverständnisses, in einen quasi öffentlichen Raum, in einen Arbeitsplatz und die (Haus-)Arbeit, vormals „aus Liebe“ umsonst verrichtet, wird zur Lohnarbeit (Gather/Meißner 2002; Thiessen 2002; Hess 2002). Der Sehnsuchtsort14 wird zu einem profanen Arbeitsplatz mit „strukturellen Besonderheiten“ (Gather/Meißner 2002, 125), aufgrund der Lokalisierung im Privaten. Dies betrifft etwa die (Nicht-) Einhaltung arbeitsrechtlicher Mindeststandards, den meist informellen Charakter oder paradoxe Handlungsanforderungen seitens der Arbeitgeberinnen. Grundlage der informellen Hausarbeitsverhältnisse ist wechselseitiges Vertrauen.15 Dies betrifft sowohl das Vertrauen auf Verlässlichkeit und Ehrlichkeit als auch darauf, dass die Haushaltsarbeiterin die notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten zum Reinigen einer Wohnung besitzt. Dieses von den Arbeitgeberinnen niemals hinterfragte Zutrauen in die hausfraulichen Fähigkeiten basiert auf dem Selbstverständnis von Reproduktionsarbeit als einer im hohen Maße vergeschlechtlichten Tätigkeit (Gather/Meissner 2002; Kałwa 2008; Lutz 2007; Thiessen 2000). Putzen, Waschen, Bügeln, das kann jede Frau, eine deutsche Mittelschichtsfrau ebenso wie eine Migrantin aus Polen. Die quasi naturalisierte Kompetenz in Sachen Hausarbeit wird – wie Marysia Szarek es knapp und einleuchtend beschreibt – transgenerationell von Frau zu Frau reproduziert: „Ich mag einfach Sauberkeit. Das kriegt man schon als Kind mit. Ich habe gesehen, wie meine Mutter sauber gemacht hat. So mache ich jetzt sauber.“ (Marysia Szarek)

14 Im Zusammenhang mit der Konzeptualisierung des privaten Haushalts als ein sicherer Rückzugsort weist die Soziologin Encarnación Gutiérrez Rodriguez darauf hin, dass dieser vermeintlich so sichere Ort in Wirklichkeit ein sehr unsicherer Ort ist, an dem es „besonders häufig zu sexuellen, seelischen und physischen Verletzungen kommt“ (Gutiérrez Rodriguez 2015, 93). 15 Im April 2014 hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass „Schwarzarbeiter*innen“ keinen Anspruch auf Lohn für ihre geleistete Arbeit haben (Knapp 2014).

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Exkurs: Doing Gender Die Arbeit im Haus beschreibt Maria Rerrich als eine Tätigkeit, die „emotional hochgradig mit Bedeutungen und Interpretationen darüber verbunden [ist], wer wir als Frauen und Männer sind und wer wir sein wollen“ (Rerrich 2002, 21). Helma Lutz charakterisiert Hausarbeit als eine „Kernaktivität des doing gender“ (Lutz 2007, 106). Mit dem Konzept des doing gender wird der Fokus auf die körperlichen Routinen und Praktiken gelegt, die den Körper wie eine zweite Haut umspannen und gleichsam mit einem „habituellen Repertoire“ (Reuter 2011, 192) versorgen, mit dem die geschlechtliche Arbeitsteilung tagtäglich aufs Neue reproduziert wird. Stefan Hirschauer beschreibt den sozialisierten Körper als „ein fleischliches Gedächtnis, das Akteure von einem mentalen Wissen über das Frau- oder Mann-Sein entlastet. [...] Sie müssen wissen, wie etwas zu tun ist, aber ohne gleichzeitig zu wissen, wie sie es tun.“ (Hirschauer 2004, 78) Der „aktionsoriente Ansatz“ (Kotthoff 2002, 1) ist insofern für das Forschungsfeld Hausarbeit besonders relevant, als damit anschaulich wird, warum Anstrengungen, die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung aufzuheben, so beharrlich scheitern. Pierre Bourdieu, als einer der wichtigsten Vertreter der Praxistheorie16, erklärt die Beharrlichkeit sozialer Praxis folgendermaßen: „Dieses vom Körper vermittelte Wissen bringt die Beherrschten dazu, an ihrer eigenen Unterdrückung mitzuwirken, indem sie, jenseits jeder bewussten Entscheidung und jedes willentlichen Beschlusses, die ihnen auferlegten Grenzen stillschweigend akzeptieren oder gar durch ihre Praxis, die in der Rechtsordnung bereits aufgehobenen, produzieren und reproduzieren.“ (Bourdieu 2007, 234)

Ein bevorzugtes Feld für die Aktivierung des vergeschlechtlichten Körperwissens ist der private Haushalt. Julia Reuter beschreibt diesen „zentralen Ort der Sozialisation [...] als ein Setting, dem das eigentümliche Potenzial innewohnt, dieses stille Handlungskapital ‚in Gang zu setzen‘ [Herv. i. Orig.]“ (Reuter 2011, 192). Es scheint, als sei der Haushalt ein magischer Ort, der weibliche Wesen auf rätselhafte Weise anzieht und sie dazu bringt, von klein auf die Hausfrauenrolle zu internalisieren, während Männer diese erst erlernen müssen, wenn sie sich an der Hausarbeit beteiligen wollen. Das Motiv des täppischen Mannes, der

16 Unter dem Begriff der Praxistheorie werden verschiedene Ansätze subsumiert, mit jeweils unterschiedlichen Interpretationen von sozialer Praxis. Während etwa Pierre Bourdieu die Beharrungskraft sozialer Praktiken betont, ganz gleich was geschieht, weist Judith Butler auf die Normalität der Unberechenbarkeit sozialer Praktiken hin, das heißt auf die inhärente Kraft der Veränderung (Reckwitz 2004).

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an der Bedienung von Waschmaschine und Geschirrspüler scheitert, nicht in der Lage ist, die Bettwäsche zu wechseln oder einen Knopf anzunähen, als handle es sich bei diesen alltäglichen Tätigkeiten um hochkomplexes, schwer durchschaubares Geheimwissen. Dieser Alltagsversager gehört auch heute noch zum festen Figurenrepertoire von Boulevard-Komödien und Sitcoms. Im ganz normalen Alltag wird die Unterweisung des Mannes in die Selbstverständlichkeiten des Alltags (durch Frauen) oft als mühsam und zeitraubend empfunden, zumal mit ungewissem Ausgang. Männer und Frauen entscheiden sich deshalb häufig im partnerschaftlichen Einvernehmen und aus pragmatischen Gründen für das traditionelle Rollenmodell und damit dafür, dass (erst einmal?) alles beim Alten bleibt: Frauen erledigen die Arbeit im Haus, Männer übernehmen das Grobe und die Arbeit außerhalb des Hauses. Sie wechseln das Öl vom Auto und die Glühbirne unter der Decke, reinigen die Regenrinne und bauen den IKEA-Schrank zusammen. Durch die Beharrungskraft von im Zuge der primären Sozialisation inkorporierten Praktiken steht Männern und Frauen ein „vergeschlechtlichtes Wissen und Handlungskapital“ (ebd.) zur Verfügung, dessen Reflexionsfähigkeit Julia Reuter äußerst gering einschätzt. Somit macht die Arbeitsteilung im Haus und die – zumindest in der alltäglichen Praxis – bereitwillige Übernahme der Verantwortung für die Hausarbeit Frauen zu Komplizinnen der männlichen Herrschaft und gleichsam zu Agentinnen für die Aufrechterhaltung der geschlechtlichen Arbeitsteilung, mit all den sich daraus ergebenden Ungleichheiten (Bourdieu 2007). 17 Mit dem Einzug einer Haushaltsarbeiterin gerät das gesellschaftliche Paradigma der Opposition zwischen einem öffentlichen und einem privaten Lebensbereich unübersehbar in Bewegung. Die seit dem 19. Jahrhundert vorherrschende bürgerliche Vorstellung einer von marktwirtschaftlichem Kalkül und betriebswirt-

17 Dass die Tradierung weiblicher Stereotypen ungebrochen ist, zeigt eine Untersuchung des Centre for the Study of Women in Television and Film. Das renommierte Institut der San Diego State University hat die hundert finanziell erfolgreichsten USamerikanischen Unterhaltungsfilme von 2013 untersucht und kam zu dem Ergebnis, dass Frauen darin nicht nur nach wie vor unterrepräsentiert sind, sondern auch stereotype Vorstellungen des Weiblichen vorherrschen: So sind die weiblichen Charaktere häufiger beim Kochen, im Haushalt oder beim Reden zu sehen als Männer, dafür seltener als Männer an einem Arbeitsplatz. Während Frauenfiguren mehrheitlich private Ziele verfolgen, arbeiten ihre männlichen Partner häufiger an ihrer beruflichen Karriere (Lauzen 2013; Hemmes 2013).

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schaftlicher Rationalität durchsetzten männlichen Arbeitswelt und einem emotional aufgeladenen, weiblich konnotierten Zuhause verliert an Glaubwürdigkeit (Hess 2009). Inwiefern allerdings diese Trennung je die gesellschaftliche Wirklichkeit widerspiegelte, ist fraglich. Sabine Hess hebt hervor, dass die Geschichte der Hausarbeit als eine „der Durchlässigkeit und Übertragung der formellen Ökonomie der Erwerbsarbeit auf den privaten Raum der Haus- und FamilienArbeit gelesen werden“ kann (Hess 2009, 196). Der Einwand, dass die Amalgamierung von öffentlicher und privater Sphäre keineswegs eine typische Erscheinung der Postmoderne, sondern ein Produkt der Moderne ist, bestätigen historische Untersuchungen, wie die von Angelika Willms. Nach ihrer Erkenntnis beschäftigten etwa die Hälfte aller Haushalte in den bürgerlichen Bezirken Berlins (Dorotheenstadt und äußere Friedrichstadt) Ende des 19. Jahrhunderts Dienstpersonal. Zur selben Zeit arbeitete jede dritte Frau im Alter zwischen 15 und 20 Jahren in London als „domestic servant“. Berufstätigkeit von Frauen bedeutete in den großen Städten vor allem das Arbeiten als Dienstmädchen (Willms 1980, in: Schmidt 2002, 207; Haidinger/Knittler 2008; Schulte 2011). Mit den neuen Akteurinnen, die im Kontext transnationaler Hausarbeitsverhältnisse auf dem globalen Arbeitsmarkt in Erscheinung treten, haben sich die Kategorien der Ungleichheit verändert. Markierte bei den Dienstmädchenverhältnissen des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts vor allem die soziale Differenz die Asymmetrie zwischen Herrschaft und Personal, so spielt nun in der Interaktion die Ethnizität als eine Ungleichheit generierende Kategorie eine häufig sogar gewichtigere Rolle. Die Zuschreibung zu einer bestimmten Ethnie bedeutet implizit oftmals zugleich eine soziale Positionierung (Lutz 2007). Anders als bei den Dienstmädchen, deren soziale Position sich durch die Arbeit nicht wesentlich veränderte, weisen neuere Studien zur Arbeitsmigration von Frauen im globalen Kontext auf das Phänomen der „contradictory class mobility“ (Parreñas 2001, 3) hin. Der Begriff der widersprüchlichen Klassenmobilität zeigt den Statusverlust an, den Arbeitsmigrantinnen in Kauf nehmen müssen. Im Zuge der transnationalen Arbeitsmigration verändert die Differenzkategorie Klasse ihren Aggregatzustand, sie wird quasi flüssig. Zählten Arbeitsmigrantinnen in ihren Herkunftsländern zur Mittelschicht, ist dies im Destinationsland der Migration in der Regel bedeutungslos. Ohne ökonomisches und soziales Kapital, eingebunden in ein oder mehrere informelle Arbeitsverhältnisse rangieren Arbeitsmigrantinnen hier in der sozialen Hierarchie weit unten (Parreñas 2001; Lan 2000; Lutz 2007; Morokvasic-Müller 2003a; Haidinger 2013). In Pei-Chia Lans Studie über philippinische Haushaltsarbeiterinnen in Taiwan waren die Arbeitsmigrantinnen in Bezug auf Bildung (insbesondere Eng-

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lischkenntnisse) ihren Arbeitgeber*innen sogar häufig überlegen. Die ebenfalls von den Philippinen stammenden Akteurinnen in Parreñas’ Forschung hatten das College beendet oder zumindest einen Highschool-Abschluss. Auch Morokvasic-Müller weist in ihrer Forschung zur transnationalen Arbeitsmigration polnischer Frauen auf deren oftmals gute Bildungs- und Berufsabschlüsse hin. Haidinger berichtet von vergleichbaren Bildungsabschlüssen bei den ukrainischen Haushaltsarbeiterinnen in Wien (Parreñas 2001; Lan 2000; Morokvasic-Müller 2003a, 2007; Haidinger 2013).

3.4 VOM DIENSTMÄDCHEN ZUR TRANSNATIONALEN HAUSHALTSARBEITERIN | Anknüpfend an die Überlegungen zum Haushalt und der Haushaltsarbeit in Kapitel 3.3 thematisiere ich nun die Figur der transnationalen Haushaltsarbeiterin. Nach einem kurzen historischen Überblick stelle ich das in der Kulturanthropologie kontrovers diskutierte Konzept des Nomadischen vor und erörtere, inwieweit ich dieses Konzept der Nomadin, als Sinnbild eines postmodernen Lebensstils – flexibel, mobil, grenzüberschreitend – für diese Studie fruchtbar machen kann. Die „Verweiblichung des Dienens“ (Schulte 2011, 158), wie die Historikerin Regina Schulte die Entstehung eines weiblich konnotierten Arbeitsfelds für häusliche Dienste beschreibt, gründete auf den gestiegenen Anforderungen der städtischen Bürgerhaushalte standesgemäßer Repräsentation und Bequemlichkeit. So war das Dienstmädchen am Ende des 19. Jahrhunderts unverzichtbarer Teil des bürgerlichen Lebensstils. Andererseits machten es die zunehmend prekären Lebensverhältnisse auf dem Land – nicht zuletzt aufgrund der Industrialisierung – für Kleinbauern und Handwerker notwendig, zusätzliche Einkommen zu generieren. In der Weimarer Republik wurde die Bezeichnung Dienstmädchen ersetzt durch die der Hausgehilfin oder Hausangestellten. 18 Das quasi feudale Dienstbotenverhältnis wurde damit zumindest auf der Ebene der Bezeichnung gleichgestellt mit den neuen Frauenberufen, die im Zuge der kapitalistischen Moderne

18 Der weiblich konnotierte Begriff Dienstmädchen verdrängte Ende des 19. Jahrhunderts den männlichen Dienstboten. Diese Benennungspraxis weist darauf hin, dass das Personal, das sich um die Hausarbeit und die persönlichen Belange der Herrschaft kümmerte, nahezu ausschließlich weiblich war. Dieser Sprachwandel ist seit Ende des 18. Jahrhunderts in allen europäischen Gesellschaften zu beobachten (Schulte 2011).

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entstanden. Die moderne Frau arbeitete als Stenotypistin, Verkäuferin oder auch Telefonistin in den neuen Warenhäusern und Großraumbüros. Dabei handelte es sich um Erwerbsarbeit, die – im Gegensatz zu der einer Hausangestellten – einer Qualifikation bedurfte. 1925 war etwa ein Drittel der Frauen im erwerbsfähigen Alter berufstätig. Die Mehrheit der Frauen arbeitete als Fabrikarbeiterin. Allerdings unterschied sich ihre Arbeit in Hinblick auf die Arbeitszeit von 48-Stunden in der Woche, der Monotonie der Tätigkeit und dem geringen Verdienst gegenüber den Angestellten im Büro oder im Handel nicht gravierend. 146 RM verdienten weibliche Angestellte durchschnittlich, Arbeiterinnen noch weniger. Das Existenzminimum betrug 175 RM. Der Lohn reichte somit nicht für den Lebensunterhalt. Verheiratete Frauen wurden nicht selten vom Arbeitsplatz verdrängt. Die große Arbeitslosigkeit aktualisierte die Debatte über weibliche Doppelverdiener immer wieder neu. Die nicht berufstätige Ehefrau und Mutter blieb auch in der Weimarer Republik das verbreitete gesellschaftliche Ideal (Schüler 2008). Auch wenn die Zahl der Hausangestellten seit den 1920er Jahren stetig abgenommen hatte, blieb die häusliche Lohnarbeit dennoch für viele Frauen bis in die 1960er Jahre die einzige Möglichkeit der Erwerbsarbeit (von Osten 2003). Wie schon hundert Jahre zuvor waren es auch nach 1945 vor allem junge Frauen aus ärmlichen Verhältnissen und oft aus ländlichen Regionen, die in die Stadt zogen, um als Hausangestellte zu arbeiten. In der Regel war diese körperlich anstrengende und vertraglich meist kaum abgesicherte Tätigkeit für eine Zwischenzeit geplant, zwischen Schule und Heirat oder einer anderen Erwerbsarbeit. Fabrikarbeit oder die Arbeit im Handel brachte den Frauen nicht mehr Lohn, aber diese Arbeit hatte den Vorteil, dass Arbeiterinnen und Angestellte nicht in einem paternalistischen Verhältnis mit den Arbeitgeber*innen leben mussten. Somit bedeutete das Arbeiten in der Fabrik oder im Büro neben der vertraglichen Absicherung sowie einer Arbeits- und Urlaubszeitregelung auch eine Befreiung aus der Rolle des sich unter ständiger Aufsicht befindenden Domestiken (Schmidt 2002; Friese 2002 zit. nach Gather/Meißner 2002; Witkowski 2011). Der stete Rückgang der Hausangestellten nach 194519 war zum einen dem Zuwachs an beruflichen Alternativen für Frauen, etwa als Fabrikarbeiterin oder auch als Angestellte (white collar job), geschuldet, zum anderen der Technisie-

19 Nach Witkowski sank die Zahl der Haushaltsarbeiterinnen in den 1950er und 1960er Jahren in der Bundesrepublik jährlich um 10.000 (Witkowski 2011). Ab 1957 wurden Hausangestellte in der Bundesrepublik wegen ihrer geringen Zahl statistisch nicht mehr erfasst. Man kann aber davon ausgehen, dass es bezahlte Hausarbeit auch weiterhin gab, allerdings auf der Ebene der informellen Beschäftigung (Rerrich 2006).

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rung und Rationalisierung des Haushalts nach US-amerikanischem Vorbild.20 Mit Maschinen jeder Art sowie industriell vorgefertigten Mahlzeiten sollte die Hausarbeit wenn nicht abgeschafft, so doch so weit reduziert werden, dass die Hausfrau alles spielend alleine bewältigen konnte. Im Kontext dieser Anstrengungen wurde Hausarbeit im Sinne einer lebensnotwendigen und gesellschaftlich nützlichen Tätigkeit als eine „wegzurationalisierende“ (von Osten 2003, 136) abgewertet. Die vergeschlechtlichte Zuordnung von Reproduktionsarbeit blieb dabei unangetastet, mehr noch: Die Hauswirtschaftstechnologie habe, schreibt Marion von Osten, „die traditionelle Arbeitsteilung [...] verstärkt [...]. Unter anderem deswegen, weil diese Technologien dazu genutzt wurden, Arbeit zu privatisieren, statt sie zu kollektivieren und eine Umverteilung der Hausarbeit verhindert wurde“ (von Osten 2003, 133). Bewegten sich die Dienstmädchen des 19. und 20. Jahrhunderts überwiegend vom Land in die Stadt, überqueren die Putzfrauen des 21. Jahrhunderts gewöhnlich nationale Grenzen, um zu den Arbeitsplätzen in den Zentren der reichen Industriestaaten zu gelangen. Transnationale Haushaltsarbeiterinnen sind meist älter als ihre Vorgängerinnen. Viele von ihnen sind verheiratet, haben Kinder und einen Beruf. Für beide gilt: Die Haushaltsarbeit ist ein vorübergehender Job, eine biografische Zäsur, die einen Übergang von einem Lebensabschnitt zu einem anderen markiert (Lutz 2007, Lan 2001; Morokvasic-Müller 2003a; Parreñas 2000). 3.4.1 Das Konzept des Nomadischen | Auf der Ebene globaler Migrationsprozesse gehören die Arbeitsmigrantinnen zu jenen Grenzgänger*innen, die in Migrationsforschungen seit den 1990er Jahren eine entscheidende Rolle spielen: Die mobilen, global agierenden Akteur*innen werden dabei häufig als Nomad*innen entworfen, eine Figur, die sich durch Hybridität, In-betweeness und Uneindeutigkeit auszeichnet. „Die Anrufungen des

20 Im Gegensatz zu Europa begann in den USA schon während des Bürgerkriegs (18611865) mit der Forderung nach Aufhebung der Sklaverei eine Diskussion um die Dienstboten. Sozialreformerinnen wie Catherine Beecher (1800-1878) kritisierten die Beschäftigung von Personal in privaten Haushalten als Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz und somit als unmoralischen Akt. Sie forderten dazu auf, den Haushalt so zu organisieren, dass er von der Familie – ohne Personal – gemanagt werden kann. In diesem Zusammenhang wurden in den USA schon im 19. Jahrhundert Anstrengungen unternommen, die Hausarbeit durch den Einsatz von Technik zu minimieren (von Osten 2003).

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Nomadischen“ (Keller 2005, 88) ermöglichen einen ungewohnten Blick auf die Normalität der Sesshaftigkeit in ethnozentristischen Kulturkonzepten ebenso wie innerhalb nationalstaatlicher Grenzen. Postmoderne Nomad*innen – den Begriff benutzt Morokvasic-Müller als Zuschreibung für die polnischen Haushaltsarbeiterinnen – sind im Kontext der Globalisierung jene Akteur*innen, die sich weder zeitlich noch räumlich definieren lassen: Umherschweifen ist eine Lebensform (Flusser 1990; Morokvasic-Müller 2003a). Waren damit zunächst die durch die Welt jettenden rastlosen global players gemeint und somit die Eliten einer globalisierten Welt, so wird das Attribut nomadisch inzwischen auf international agierende Manager*innen ebenso angewandt wie auf Flüchtlinge, Migrant*innen, Wanderarbeiter*innen, Schlepper*innen oder auch Sex-Tourist*innen. Die Figur der Nomad*in ist keine Erfindung der Postmoderne, vielmehr hat sie Vorgänger*innen, die u. a. in der Figur des Flaneurs (Benjamin 1983; Hessel 1984; Kracauer 1964) und des Fremden (Simmel 1992) zum festen Ensemble der Moderne gehören (Keller 2005; Lenz 2010).21 Bei Gilles Deleuze und Félix Guattari kehrt zu Anfang der 1980er Jahre der Wanderer als Protagonist der von ihnen begründeten postmodernen Nomadologie wieder (Deleuze/Guatarri 1992). In diesem Konzept wird das Bewegungsmuster der durch die Wüste streifenden Hirten als Metapher für ein „nicht-hierarchisches, multilineares Denken“ (Keller 2005, 49) verstanden und mit der Bewegung eines Rhizoms verglichen, das sich in der Horizontalen ausbreitet und dabei Neues aufnimmt, ohne seine Struktur zu verändern. Deleuze und Guattari begreifen das Nomadische als eine subversive Kraft, mit der inhärenten Möglichkeit, überkommene Strukturen zu zersetzen und etwas Neues zu generieren. Als eine Neuauflage des kolonialen Diskurses im Namen scheinbar fortschrittlicher Politik wertet hingegen die US-amerikanische Kulturwissenschaftlerin Caren Kaplan das Konzept, in dem die so genannte Dritte Welt in der Rolle des antagonistischen Counterparts von Europa auftrete. Aus der Perspektive des Zentrums wird auf diese Weise die Peripherie zu einem Sehnsuchtsort, unfähig eine eigene Theorie zu generieren (Kaplan 1996, 85ff.). Tim Cresswell bemerkt, dass es sich beim postmodernen Nomaden um ein bemerkenswert asoziales We-

21 In den Werken von Walter Benjamin, Siegfried Kracauer und Franz Hessel streift die literarische Figur des Flaneurs durch die Straßen und Einkaufspassagen der Großstädte. Der Flaneur, ein Zeitgenosse des frühen 20. Jahrhunderts, lässt sich scheinbar ziellos treiben. Doch ist er ein sensibler und detailversessener Beobachter, dem es in seinen Reflektionen gelingt hinter den äußeren Schein seiner Umgebung zu dringen. Der Fremde ist eine zentrale Figur bei Simmel, ein Wanderer, der kommt und bleibt, ein Außenstehender, der etwas Neues in eine Umgebung einbringt.

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sen handelt, eine eigenschaftslose Figur: „[U]nmarked by the traces of class, gender, ethnicity, sexuality and geography.“ (Cresswell 1997, 377) In der feministischen Theoriebildung taucht die Nomadin in den 1990er Jahren als befreiende Metapher auf, die das konventionelle Bild der Frau als Hüterin des Hauses, als Sesshafte im Gegensatz zum Mann, der sich in der Welt bewegt, infrage stellt. Das Umherwandern, In-Bewegung-Sein zwischen Ländern, Sprachen und Professionen, das Nicht-Zuhause-Sein gewinnt im Kontext des postmodernen Nomadischen eine positive Konnotation. Es wurde zu einer Möglichkeit, die Subjekte nutzen oder auch nicht, für ein Abenteuer, das subversive Freiheit verspricht (Morokvasic-Müller 2003a). Die (Denk-)Figur des nomadischen, post-nationalistischen Subjekts, wie es die Philosophin und feministische Theoretikerin Rosi Braidotti entworfen hat, entzieht sich einer identitären weiblichen oder männlichen Zuordnung. Es braucht keine Benennungen und Kategorien mehr, es definiert sich nicht mehr über Andere. Die postmoderne Figur der Nomadin in Braidottis Konzept ist ein „endlos fragmentiertes Subjekt“ (Lenz 2010, 68), das in jedem Augenblick seine Subjektposition der jeweiligen situativen Verortung anpasst. Das nomadische Subjekt ist ständig im Werden, „within specific identity formations, but, at the same time, being sufficiently anchored to a historical position to accept responsibility for it“ (Braidotti 2007, 34). Braidottis vielschichtiges und widersprüchliches nomadisches Subjekt ist zu einer Protagonistin des postkolonialen Diskurses avanciert. Gleichwohl ist sie nicht unumstritten (Keller 2005; Lenz 2010; Clifford 1997). So steht die Anrufung der transnationalen Migrant*innen als (postmoderne) Nomad*innen im Verdacht, einer „ästhetischen und kulturalistischen Weltbetrachtung“ (Keller 2005, 88) Vorschub zu leisten, die sich nicht für die sozialen, politischen und ökonomischen Hintergründe der Wanderung interessiert, also nicht dafür, wie und wer unter welchen Bedingungen (mit EU- oder USA-Pass, mit und ohne Kreditkarten) und mit welchen Aspirationen reist bzw. reisen kann und darf. Braidotti wird eine Romantisierung der nomadischen Lebensweise vorgeworfen. Sie unterscheide nicht explizit zwischen jenen, die freiwillig mobil sind, wie international operierende Manager*innen und Künstler*innen und den „Ausgegrenzten der Moderne“ wie Zygmunt Bauman diejenigen nennt, die gezwungenermaßen, illegal, ohne Papiere herumstreifen (Bauman 2005; Lutz 2008). Die Kritik an dem Konzept des Nomadischen ernstnehmend, möchte ich für die vorliegende Forschung im europäischen Kontext jedoch die subversive Kraft betonen, die der Begriff des Nomadischen birgt und die den so Angerufenen zugeschrieben wird. Die mobilen Akteur*innen unterlaufen nationale und ethnozentristische Ordnungskriterien, sie stellen mit ihren Praktiken die Vorstellung

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exklusiver Kulturkonzepte infrage und verweigern sich der Festlegung auf eine Subjektposition. In der Figur der Nomadin erscheint Mobilität nicht als Bruch oder Entwurzelung, sondern als eine Bereicherung, als Fähigkeit unterschiedliche kulturelle Systeme zu verstehen und sich darin bewegen zu können (Keller 2005; Gilroy 1997). Ob allerdings dieser „euphorische Diskurs“ (Keller 2005, 12) der Selbstverortung der polnischen Protagonistinnen entspricht oder es sich um eine romantische Zuschreibung postmoderner Theoretiker*innen handelt, wird anhand des empirischen Materials zu überprüfen sein. Generell ist anzumerken, dass sich die Lebens- und Arbeitsbedingungen transnationaler domestic workers erheblich voneinander unterscheiden, je nachdem, wo die Akteurinnen arbeiten und woher sie kommen. Dies betrifft den aufenthaltsrechtlichen Status von Arbeitsmigrantinnen ebenso wie Arbeits- und Wohnbedingungen, die im schlimmsten Fall dem Leben von Sklaven ähneln. Misshandlungen und sexueller Missbrauch seitens der Arbeitgeber werden immer wieder von NGOs wie Human Rights Watch oder dem Institut für Menschenrechte öffentlich angeprangert (Human Rights Watch 2014). Die polnischen Arbeitsmigrantinnen rangieren auf einer Skala der Lebens- und Arbeitsbedingungen der care workers im internationalen Vergleich ganz oben. Dies ist der Mitgliedschaft Polens in der EU zu verdanken, aber auch der langen Migrationsgeschichte, den vielfältigen Netzwerken, die im Verlauf dieser Geschichte entstanden sind, sowie des in allen gesellschaftlichen Schichten Polens vorhandenen Wissens how to move. Im Kontext meiner Forschung hat keine meiner Gesprächspartnerinnen von körperlichen Misshandlungen oder sexuellen Übergriffen berichtet. Dies bedeutet allerdings nicht, dass meine Gesprächspartnerinnen solchen Angriffen nicht ausgesetzt waren, sondern lediglich, dass sie nicht darüber gesprochen haben. Die Wahrnehmung der transnationalen Arbeitsmigrantinnen in der Perspektive des Ziellandes unterliegt dem Paradoxon, dass die Migrantinnen gleichermaßen abgelehnt und gebraucht werden. Einerseits möchte man die Fremden nicht ins Land lassen, fürchtet deren Nachbarschaft, gleichzeitig sind sie im Kontext einer internationalen Arbeitsteilung in den westlichen Industrienationen als billige Dienstleistende und Arbeiterin längst unersetzlich geworden. Auf der Mikroebene erscheint dieses Paradoxon zum einen in der Figur der unentbehrlichen Haushaltsarbeiterin, deren Einsatz für die Erwerbstätigkeit der Hausfrau unabdingbar ist und deren Arbeit gleichzeitig den Konflikt mit dem (Ehe-)Mann um dessen Beteiligung an der Hausarbeit auslagert. Zum anderen ist die Arbeitsmigrantin auch hier eine Fremde, eine die im verwandtschaftlichen Sinn nicht zur Familie gehört und doch häufig als quasi Familienmitglied angesprochen wird und (fast) alles über die Familie weiß.

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Das Wissen um die Wahrheit hinter der bürgerlichen Fassade verleiht ihr, der sozial Unterlegenen, Macht. Scharfzüngig, gewitzt und witzig kommentiert und bewertet sie die Unternehmungen der Herrschaft. Die Haushaltsarbeiterin oder das Dienstmädchen ist seit Jahrhunderten fester Bestandteil der europäischen Literatur, etwa in der Figur der Dorine in Molieres Tartuffe oder der Franziska in Lessings Minna von Barnhelm. Die Gleichzeitigkeit von unentbehrlich und (ver-)störend, von dazugehören und fremd sein, wie sie in der Hausarbeitsforschung als charakteristisch für die Figur der Haushaltsarbeiterin herausgearbeitet wurde (u. a. Gather/Meissner 2002; Rerrich 2002; Hess 2009; Ecker 2012), verweist auf eine Position am Rande oder – passend für den konkreten Ort – auf der Schwelle: weder drinnen noch draußen.22 Die Kulturwissenschaftlerin Eva Eßlinger markiert das Dienstmädchen als eine Figur des Dritten, eine Verkörperung des Randständigen, eine jener Figuren, die im Hintergrund agieren, aus dem off, unsichtbar und doch das Geschehen nachhaltig beeinflussen (Eßlinger 2010, 245). Die Literaturwissenschaftlerin Gisela Ecker lokalisiert die Figur der Putzfrau zwischen unscheinbar und gefährlich oszillierend, ausgestattet mit weitreichender Definitions- und Handlungsmacht, etwa die Ordnung des Haushalts betreffend sowie die Anordnung, Bewahrung oder Verwerfung von Gegenständen (Ecker 2012).

3.5 DAS SUBJEKT DER UNTERWERFUNG | Transnationale Arbeitsmigration verlangt von den Akteurinnen, sich unterschiedlich zu positionieren. Migration impliziert, die vertraute Umgebung zu verlassen und angestammte soziale Positionen aufzugeben. Am Arbeitsplatz Haushalt wird Subordination verlangt, gleichzeitig werden Selbstständigkeit und Eigenverantwortlichkeit erwartet. Die Positionen der Akteurinnen reichen vom machtvollen Handeln bis zum ohnmächtigen Unterordnen. Die Arbeitsmigrantin wird gleichermaßen als Fremde und Vertraute angerufen. Judith Butler hat in ihrem theoretischen Entwurf zum Entwicklungsprozess des Subjekts ein gleichzeitig machtunterworfenes und machtkonstituierendes Subjekt vorgestellt. Im Folgenden werde ich die theoretischen Überlegungen Butlers zur Subjektivation erläutern und deren Anwendung auf meine ethnografischen Beschreibungen skizzieren. Ob und wie das postmoderne Subjekt noch über die Freiheit verfügt, selbstbestimmt zu handeln, ist im sozialwissenschaftlichen Diskurs nicht erst in den

22 Van Gennep (1999) definiert Liminalität als eine gleichermaßen gefährdete wie machtvolle Subjektposition, die in einem Zwischenraum verortet ist.

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letzten Jahren ein zentraler Diskussionspunkt. War das cartesianische Subjekt (cogito ergo sum) ein autonomes, vernünftiges, ausgestattet mit Bewusstheit, Handlungsfähigkeit und Reflexivität, so wurde dieses transzendentale, ahistorische Subjekt der Moderne schon im 19. Jahrhundert dezentriert (Hall 1999, 84 zit. nach Spies 2009, 4), wie Stuart Hall die Entzauberung des Subjekts als Autor der Geschichte unter Berufung auf Marx, Freud und de Saussure nennt. Das Sein bestimmt das Bewusstsein, ist eine zentrale Aussage Karl Marx’, mit der er die Gebundenheit des Individuums an die herrschenden ökonomischen und politischen Verhältnisse postuliert. „Es ist nicht das Bewusstsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewusstsein bestimmt.“ (Marx 1859 1951) Wenig später hat Freud das vernünftige und wissende Subjekt der Aufklärung in ein genauso von Trieben und dem Unterbewusstsein wie von der Vernunft gesteuertes Wesen verwandelt. „Das Ich ist nicht Herr im eigenen Haus.“ (Freud 1917 2000a, 284) Die Erkenntnis des Linguisten Paul de Saussure schließlich hat die Idee von einem Subjekt, das in einem quasi schöpferischen Akt Sprache generiert, demontiert und den Autor eingebunden in ein vorgefundenes grammatikalisches Regel- und Bedeutungssystem, dem sie sich – will sie verstanden werden – nicht entziehen kann (Spies 2009). Am Ende des 20. Jahrhunderts schließlich hat Foucault das Subjekt dekonstruiert und es als Effekt sprachlicher und diskursiver Macht neu konzeptualisiert.23 Diesem Subjekt gesteht Foucault zunächst keinerlei Möglichkeit zu, gegen die Macht, die es hervorgebracht hat, Widerstand zu leisten. In seinen späteren Werken revidiert er diesen Grundsatz und räumt dem Subjekt sowohl die

23 Die Dekonstruktion als eine analytische Strategie des Zerlegens besagt im Umkehrumschluss, dass alles konstruiert ist, selbst solche scheinbar unverrückbaren Tatsachen wie Geschlecht, Subjekt, Natur. Der „postmoderne Großangriff“ mit den Mitteln des dekonstruktivistischen Denkens (Petermann, 2004, 1011) stellt die Aufklärung und deren universalistisches, rationales Denken grundsätzlich infrage. Dekonstruktion versteht Judith Butler als „eine Voraussetzung, infrage zu stellen“ (Butler 1994, 52) und den „Verlust epistemologischer Gewissheit“ (ebd.) in Kauf zu nehmen. „Dekonstruktion“, schreibt Bublitz, „bedeutet insofern zunächst die Produktion von Verunsicherung oder Unsicherheit“ (Bublitz 2002, 44). Kategorien und Begriffe verlieren ihre universalistische Bedeutung und sind als unter spezifischen historischen, gesellschaftlichen und politischen Bedingungen entstandene zu begreifen. Ontologische Gewissheiten werden mithilfe der Dekonstruktion als bedeutungsmächtige Konstruktionen enttarnt, die Behauptung eines natürlichen Charakters als kulturelle Übereinkunft demaskiert (ebd., 45).

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Fähigkeit zum Widerstand als auch die Beteiligung an der Subjektivierung ein (Foucault 1989a; 1989b). 3.5.1 Judith Butler: Subjektivation | Judith Butler, sich auf Foucault beziehend, fasst den Entwicklungsprozess des Subjekts unter dem Begriff Subjektivation.24 Dies „bezeichnet den Prozess des Unterworfenwerdens durch Macht und zugleich den Prozess der Subjektwerdung“ (Butler 2001, 8). Subjektivation, so Butler, bestehe in einer grundsätzlichen Abhängigkeit von einem Diskurs, den wir uns nicht ausgesucht haben, der jedoch paradoxerweise erst unsere Handlungsfähigkeit ermögliche (ebd.). Das Subjekt ist gezwungen, sich den gesellschaftlichen Normen zu unterwerfen und Sprache und kulturelle Grammatik25 zu verinnerlichen, um damit die Voraussetzung zu erlangen (widerständig) zu handeln. Das Butlersche Subjekt erweist sich somit als ausgesprochen ambivalent, da es gleichermaßen „Effekt einer vorgängigen Macht, wie [...] Möglichkeitsbedingung für eine radikal bedingte Form der Handlungsfähigkeit“ (Butler 2001, 19) ist. Der Akt der Unterwerfung generiert damit gleichzeitig, quasi als paradoxes Ergebnis der Unterwerfung, die Freiheit der Subversion und des autonomen Handelns (Butler 2001; Lauser 2004; Stockinger 2011). Das von der Macht konstituierte Subjekt stellt somit eine Gefahr für die Macht dar, indem es dem Subjekt performativ gelingt, „durch [...] verschiebende Umdeutungen, die Umrisse der Lebensbedingungen immer wieder neu zu zeichnen“ (Lauser 2004, 235) und auf diese Weise die Kontingenz der Organisation des Lebens zu betonen. Die Handlungsmächtigkeit des Subjekts gründet im Butlerschen Konzept, somit nicht auf einem außerhalb von Macht-

24 Aus dem englischen Wort subjection – Unterwerfung – ist in der deutschen Übersetzung der Neologismus Subjektivation geworden. Der Begriff subjection wiederum ist eine Übersetzung des Begriffs assujetissement, den Foucault in Überwachen und Strafen benutzt und hier „sowohl das Werden des Subjekts wie den Prozess der Unterwerfung [bezeichnet]“ (Butler 2001, 81). Zima weist darauf hin, dass die doppelte Bedeutung schon in der etymologischen Bedeutung des Begriffs Subjekts (lat. sub-iectum – das Zugrundeliegende und das Unterworfene) enthalten ist (Zima 2010, 3). 25 Den Begriff „Kulturelle Grammatik“ verstehe ich in Anlehnung an Luther Blisset und Sonja Brünzel als jenes Regelwerk, „das gesellschaftliche Beziehungen und Interaktionen strukturiert. Es enthält die Gesamtheit der ästhetischen Codes und Verhaltensregeln, die das gesamtgesellschaftlich als angemessen empfundene Erscheinungsbild von Objekten und den normalen Ablauf von Situation bestimmen“ (Blisset/Brünzels 2001, 17f.).

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diskursen existierenden autonomen Subjekt. Sie entsteht im Prozess der Anerkennung der eigenen Abhängigkeit und Verstrickung. „Diese Anerkennung bedeutet nicht zwangsläufig eine fatalistische Resignation, sondern immer auch die Anerkennung, dass den komplexen Beziehungen zwischen Machtdiskurs und Subjekt Freiheitsmomente innewohnen.“ (Villa 2003, 56)26 Die Handlungsmacht des Subjekts (agency) ist ein zentrales Konzept für die vorliegende Forschung. Im Kontext von transnationaler Migration und interkulturellen, informellen Hausarbeitsverhältnissen ist die Frage nach den Handlungsmöglichkeiten der Akteur*innen offensichtlich, scheinen doch auf den ersten Blick die subjektiven Handlungen der Arbeitsmigrant*innen durch Agenturen der Kontrolle wie Polizeiapparat und Ausländerbehörde stark eingeschränkt. Auch wenn sich die polnischen Arbeitsmigrantinnen im Vergleich zu ihren Kolleginnen aus Nicht-EU-Ländern in einer privilegierten Situation befinden – sie unterliegen beispielsweise nicht der Aufsicht der Ausländerbehörde –, bewegen sie sich dennoch aufgrund der informellen Arbeit in einer rechtlichen Grauzone. Die informelle Arbeit und mangelnde Sprachkenntnisse generieren ein ständiges Gefühl der Unsicherheit. Die dadurch eingeschränkten Handlungsmöglichkeiten werden auf der Akteursebene als Rechtlosigkeit und Abhängigkeit wahrgenommen, als Machtlosigkeit aufgrund sozialer und ökonomischer Unterlegenheit, als Exklusion und Deklassierung. Studien der Migrationsforschung zeigen allerdings, dass die Subjekte nicht in der Rolle der unterlegenen und ausgegrenzten Migrantin verharren, sondern vielfältige Strategien entwickeln, ihre Situation zu verbessern und sich gegen soziale Abwertung und Diskriminierung zu wehren (Hess 2009; Lan 2000; Lauser 2004; Lutz 2007; Morokvasic-Müller 2003a; Parreñas 2001). Das impliziert jedoch keineswegs eine grundsätzliche Kritik an den bestehenden sozialen und ökonomischen Ungleichheitsverhältnissen. Im Gegenteil, häufig akzeptieren Migrant*innen soziale Hierarchien und integrieren sie in ihr Handeln im Sinne der eigenen Positionierung, etwa gegenüber Anfänger*innen in der transnationalen Lebens- und Arbeitswelt, die sie in die Gegebenheiten und Anforderungen der Arbeit einführen und mit den für das tägliche Leben notwendigen Netzwerken vertraut machen (Lauser 2004). Das sich durch Unterwerfung konstituierende

26 Butlers postmoderner Entwurf zur Analyse von Geschlechtsidentität, den sie 1990 in Gender Troubles vorlegt, löste unter feministischen Theoretikerinnen zunächst vor allem in den USA einen heftigen Streit um Differenz aus. Die Kritik richtete sich insbesondere gegen die Auflösung der Kategorie Frau und der Konzeptionalisierung von sex und gender als diskursive und kontingente Größen (Benhabib/Butler/Cornell/Frauser 1993; Duden 1993).

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Subjekt ist in der Figuration der transnationalen Haushaltsarbeiterin eine gleichzeitig den Strukturen ausgesetzte und sie reproduzierende sowie eine die Strukturen deformierende, subversiv handelnde Akteurin. Dieses Konzept der „paradoxen Machtform“, wie Lauser die Gleichzeitigkeit „der Bildung des Subjektes und seine Unterwerfung unter die disziplinierenden Praktiken der Macht“ (ebd. 2004, 234) beschreibt, hat Judith Butler in Psyche der Macht dargelegt. In ihrer Theorie der Subjektivation greift Butler auf das Konzept der Anrufung des Philosophen Louis Althusser zurück. Anrufung oder Interpellation erscheint bei Althusser als die „zentrale Operation der Ideologie, die die Subjekte als solche identifiziert und einsetzt“ (Scholz 2006, 3). Ziel der Anrufung ist die Generierung eines Subjektstatus. Die Anerkennung des Bestehenden, der Akt der Unterwerfung ist gleichzeitig der Moment, in dem sich das Individuum als Subjekt konstituiert. Bei Butler haben die subjektkonstituierenden und subjektunterwerfenden Sprechakte performativen Charakter. Sie erzeugen das, was sie benennen, sie erschaffen Wirklichkeit. Bei Butler heißt es: „Sprache handelt [...]“ (Butler 2006, 9) und „die Äußerungen tun, was sie sagen, im Ereignis des Sagens“ (ebd., 11). Wie das funktioniert, hat Butler anhand der Hebamme im Kreissaal verdeutlicht, die – kaum ist das Kind geboren – ihm ein Geschlecht zuweist: „Es ist ein Mädchen!“ Mit dieser Anrufung „wird das Mädchen ‚mädchenhaft gemacht‘“ (Butler 1995, 29). Durch die Anrufung des sozialen Geschlechts wird dem Kind in einer vergeschlechtlichten symbolischen Ordnung ein Platz zugewiesen. Diese spezifische Verortung vermittelt dem Kind die geltende Norm des Mädchenseins im Paradigma des Geschlechterdualismus, der es Folge zu leisten hat und die sich gleichzeitig – durch das Befolgen – immer wieder aufs Neue konstituiert (Rose 2012). Die Anerkennung der Subjektivität – in diesem Beispiel als Mädchen – bedeutet gleichzeitig, andere Optionen zu verwerfen. Den Vorgang des So-Sein-Müssens, um soziale Anerkennung zu erhalten, beschreibt Butler als „totalisierende Identitätsreduktion“ (Butler 2001, 92). An anderer Stelle spricht Butler vom Prozess der Subjektivierung als einem „Prozess der Unsichtbarmachung“ (Butler 2001, 177) dessen, was man nicht ist. „Etwas wird gesperrt, aber kein Subjekt sperrt es, das Subjekt entsteht selbst als Ergebnis dieser Sperre.“ (Butler 2006, 216) Allerdings ist das Verworfene nicht gänzlich verschwunden, untergründig existiert es weiter, unbewusst. Die ins Unbewusste verdrängten Optionen des Subjekts verortet Butler in einer der Normativität inhärenten Melancholie, die sie metaphorisch beschreibt als „eine Rebellion, die niedergeworfen wurde“ (Butler 2001, 177). Butler bezieht sich hier explizit auf die Unterscheidung zwischen Melancholie und Trauer bei Sigmund Freud, der Trauer als eine Emotion definiert, die sich auf einen konkreten Ver-

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lust bezieht. Im Gegensatz dazu ist die Melancholie an keine konkrete, dem Bewusstsein zugängliche Ursache gebunden (Freud 2000b). Folgt man Butlers theoretischen Überlegungen zum Prozess der Subjektivierung und überträgt sie auf – wie Rose es formuliert – „eine andere dominante Ordnung der Differenz“ (Rose 2012, 2), wie Fremde und Autochthone bzw. people of color oder Polen und Deutsche, so wird deutlich, wie Anrufungen im Kontext eines „rassistischen Klassifikationssystems“ (Hall 1989, 913) wirksam werden. Das Klassifikationssystem entsteht nach Hall dadurch, dass körperliche Merkmale, aber auch Zuschreibungen als bedeutende „Zeichen innerhalb eines Diskurses der Differenz“ (Hall 1989, 913) interpretiert werden. Auf der Grundlage dieses Systems werden Gruppen mit bestimmten Merkmalen oder zugewiesenen Eigenschaften identifiziert, eine Praxis, die dazu dient, „Identität zu produzieren und Identifikationen abzusichern“ (Hall 1989, 919). Im Kontext der vorliegenden Forschung sind Halls und Butlers Konzepte gerade deshalb interessant, da beide thematisieren, wie: „[…] [D]er Einzelne sich als Subjekt mit den Positionen identifiziert oder nicht identifiziert, zu deren Annahme er aufgefordert wird [...] wie die Einzelnen diese Positionen formen, stilisieren, herstellen und ‚verkörpern‘, warum sie dies nie ein für alle Mal vollständig umsetzen, warum manche dies gar nicht tun, oder warum manche in einem fortwährenden agonistischen Prozess mit Normen und Regeln [...] kämpfen, sich diesen Normen und Regeln anpassen, sie verhandeln oder ihnen ‚widerstehen‘.“ (Hall 2004, 183)

Die polnische Haushaltsarbeiterin ist bereit, ihre Position und damit die Gegebenheiten der Arbeitsmigration, wie soziale Deklassierung und Fremdheit, Einsamkeit und Exklusion, auf der Ebene von Alltagspraktiken zu akzeptieren. Dies sagt allerdings nichts darüber aus, wie sie diese Erfahrungen bewertet, wie sie sich fühlt und ob und für wie lange sie ihre Position widerstandslos annehmen wird. Ihren Widerstand gegen die Zumutungen ihres Subjektstatus wird sie jedoch so dosieren, dass der Zweck der Migration, ihren Lebensunterhalt zu sichern und vielleicht noch zusätzliches ökonomisches Kapital zu akkumulieren, nicht gefährdet ist (Lauser 2004). Die alltäglichen Praktiken der polnischen Haushaltsarbeiterinnen prägen vielfältige Formen des Widerstands, auf die ich im weiteren Verlauf noch näher eingehen werde.

4

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In diesem Kapitel stelle ich den Zugang zu meinem Forschungsfeld dar, die ersten Annäherungen an die Informantinnen und die Zusammensetzung meines Samples. Es folgt die Darstellung der Methode der Datenerhebung und des methodischen Nutzens der Konzeptualisierung von Interviews als biografische Texte. Abschließend reflektiere ich das eigene Vorgehen im Kontext ethnografischer Repräsentation.

4.1 DIE METHODOLOGIE | Im Folgenden (Kapitel 4.1.1) stelle ich zunächst den biografischen Forschungsansatz vor. Versteht man die biografische Erzählung als eine Repräsentation des biografischen Subjekts, so überlässt dieser konstruktivistische Ansatz meinen Gesprächspartnerinnen die Kontrolle über ihre Geschichte. In Kapitel 4.1.2 beschreibe ich die grundlegenden Überlegungen meiner ethnografischen Wissensproduktion als einen Prozess, der seine eigene Dynamik entwickelt. Er erfordert Spontaneität und die Bereitschaft, eigene Pläne umzuwerfen und Ansichten zu korrigieren. Die Gespräche und Zusammenkünfte, zwischen großer Herzlichkeit und kühler Distanz changierend, eröffneten überraschende Einsichten in das Leben und die Aspirationen meiner Gesprächspartnerinnen. In diesem Kapitel werde ich das Konzept des Forschungsfelds als „Raum sozialer Beziehungen“ (Vonderau 2010, 47) erläutern sowie die mobile Forschungspraxis (multi-sitedethnography) als Konzept und als konkrete Forschungspraktik vorstellen.

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4.1.1 Temporale Identitätskonstruktionen | Die Intention der Erzählungen ist, das So-Geworden-Sein als eine nachvollziehbare Geschichte eines sozial anerkannten Lebens darzustellen. Im Rückblick werden Erfahrungen gesucht, die das Gegenwärtige als plausibel erscheinen lassen.1 Der Kulturanthropologe Werner Schiffauer weist darauf hin, dass es sich bei den Erfahrungen, auf die sich eine biografische Erzählung stützt, um im Moment des Erzählens gemachte, also um konstruierte Erfahrung handelt. „Man unterwirft nämlich die Vielzahl von Phänomenen, die mit einer bestimmten Lebensphase in Beziehung stehen, einer Selektion; genauer: man sucht diejenigen aus, die sich erklärend auf die Gegenwart beziehen.“ (Schiffauer 2000, 235)

Das Konzept der Biografie als „temporaler Identitätskonstruktion“ (Völter u. a. 2005, 10) führt weg von der Idee eines statischen Verhältnisses von Individuum und Gesellschaft hin zu einer dialektischen Konzeption der Biografie, in der sich „lebensgeschichtliche Erlebnisse und Erfahrungen und gesellschaftlich angebotene Muster“ (Völter u. a. 2000, 235) ständig neu konstituieren. In den postmodernen Gesellschaften, die keine „Normalbiografien“ mehr aufweisen, sondern der Einzelne seine Biografie immer wieder neu erfinden muss, ist der biografische Forschungsansatz seit den 1980er Jahren durch die Sozialwissenschaften etabliert worden.2 Der Fokus hat sich gelöst von Struktur und System und richtet sich nun auf Akteur*innen und deren biografische Narrationen, die sie im Spannungsfeld von Normen und Gesetzen unterschiedlicher Regime und individueller

1

Der Soziologe Peter Alheit prägte für diesen retrospektiven Entwurf, der sich in seiner konkreten Ausformung dem Moment seiner Entstehung verdankt, den Begriff Biographizität (Buckow/Spindler 2006, 26). Damit ist die Fähigkeit und Ressource der Individuen zur Herstellung sozialer Wirklichkeit gemeint, ein „‚innerer Erfahrungscode‘, [...] der seinerseits die selektive Synthese vorgängig verarbeiteter Erfahrung darstellt“ (Alheit 2003, 25, zit. nach Bohnsack 2003).

2

Den biographischen Forschungsansatz hat zuerst der polnische Soziologe Florian Znaniecki zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit seiner Studie The Polish Peasant in Europe and America in der Soziologie etabliert. In der 1918 veröffentlichten Studie über polnische Bauern, die in die USA emigrierten, verwenden Znaniecki und sein Kollege William Isaac Thomas biographisches Material (Tagebücher, Briefe etc.) sowie biographische Interviews. Biographische Fallstudien wurden in den 1920er Jahren von der Chicago School of Sociology für ihre Milieustudien als zentrale empirische Daten anerkannt (Rosenthal 1995).

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Handlungsstrategien und -möglichkeiten mit Brüchen, Neuorientierungen, Statuswechseln generieren (Völter u. a. 2005; Bukow u. a. 2006). Wenn die Akteurinnen im Kontext dieser Forschung für den Beginn des transnationalen Lebens das Erreichen des Rentenalters, den politischen Umbruch von 1989 und die damit einhergehenden Veränderungen oder persönliche Schicksalsschläge angeben, dann ist die Frage nach dem wirklich Erlebten, „die Frage der Wahrheit, Angemessenheit oder Echtheit im Kontrast von Realem und Imaginären“ (Bude 1985, 335) unbedeutend. Interessant ist vielmehr, welche Motive als Ausgangspunkt für die Arbeitsmigration genannt werden, z. B. Abenteuerlust oder eine Notlage, Langeweile oder Flucht vor der Familie, welche Ereignisse aus den möglichen herausgegriffen werden. Ob das Erzählte sich tatsächlich so ereignet hat, ist unerheblich, wenn man davon ausgeht, dass es sich bei einer lebensgeschichtlichen Erzählung nicht um eine Rekapitulation des Erlebten, sondern eine (Re-)Präsentation des biografischen Subjekts für den öffentlichen Gebrauch handelt (Becker 2001; Lauser 2004; Schiffauer 2000). Becker definiert biografisches Erzählen als „ein Mittel der Identitätsrepräsentation“ (Becker 2001, 39). Für diese Selbstdarstellung wählen die Informantinnen aus einer Fülle lebensgeschichtlicher Erlebnisse und Erfahrungen einige aus, die ihrer eigenen Vorstellung des Selbst entsprechen und sich gleichzeitig mit den kulturellen Konventionen und Anforderungen der Gesprächssituation decken. Im Methodendiskurs der empirischen Sozialforschung wird seit Längerem darauf hingewiesen, dass ein Interview ein gemeinsames Produkt von Forscher*innen und Beforschten darstellt. Es handelt sich in der Regel um Narrationen, die vor dem Hintergrund eines je spezifischen sozialen Ereignisses entstehen, mit den Wissensbeständen, sozialen Positionen und individuellen Erfahrungen der Gesprächspartner*innen (Becker 2001; Buckow/Spindler 2006). Die scheinbar aus einem großen Geschichtenfundus frei gestalteten „Geschichten des Ichs“ (Becker 2001, 42) sind gleichzeitig vielfach geprägt durch internalisierte Vorstellungen dessen, was im jeweiligen gesellschaftlichen Kontext als wirklich und richtig gilt, etwa was ein mögliches Frauenleben ist, welche normativen Regeln eingehalten werden müssen, aber auch welche Möglichkeitsräume für Variationen und Abweichungen existieren. So oszillieren die Erzählungen der Arbeitnehmerinnen zwischen der Figur der Mater Dolorosa  der selbstlosen, sich aufopfernden Mutter und Ehefrau  und der unerschrockenen Abenteurerin, die der Enge des Dorfes oder der Kleinstadt entflohen ist, um ihr Glück zu suchen. Die Arbeitgeberinnen präsentieren sich in ihren Erzählungen einerseits in der Rolle der resignierten Kämpferin, andererseits als mutige Widerständlerinnen, die gegen geltende Gesetze verstoßen, um ihren Anspruch auf Glück durchzusetzen.

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Eine zentrale Rolle bei der Konstruktion von Lebensgeschichten spielen Differenzkategorien wie Klasse oder Ethnizität. Im Zusammenhang mit der Differenzkategorie Geschlecht weist Bettina Dausien darauf hin, dass die biografische Konstruktion nicht nur vorhandene normative Geschlechterstrukturen reproduziert, sondern durch die im biografischen Format enthaltenen „geschlechtsbezogenen Normierungen und Deutungen“ Strukturen auch immer wieder neu generiert. Im Sinne eines handlungstheoretischen Ansatzes ist für Dausien Biografie „ein eigenständiger Modus der sozialen Konstruktion von Geschlecht“ (Dausien 2006, 189f.). Das Bild vom Ich, das in den lebensgeschichtlichen Erzählungen entworfen wird, entsteht in einem je spezifischen diskursiven Kontext, etwa in Form von moralischen Tabus und normativen Vorgaben, die das Sagbare und das Nicht-Sagbare definieren. Auf der Mikroebene kann es sich dabei etwa um gegenseitige Vorurteile handeln, auf der Makroebene um Verstöße gegen das Arbeitsregime oder auch das Wohlfahrtssystem. Der soziale Raum, in dem die Narrationen entstehen, ist definiert über die Orte, an denen Arbeits- und Lebensverhältnisse meiner Informantinnen situiert sind: die Wohnräume der Haushaltsarbeiterinnen, die Häuser und Wohnungen der Arbeitgeberinnen, der öffentliche Raum der Großstadt Berlin mit Cafés, Parks sowie den zwischen Polen und Berlin pendelnden Zügen. Die biografischen Narrative werden in diesen Räumen und durch diese Räume konstruiert. Die eigene Wohnung ermöglicht den Haushaltsarbeiterinnen, die Rolle der Gastgeberin zu übernehmen. Dies positioniert für den Moment des Zusammentreffens Forscherin und Informantin auf Augenhöhe. Die Verabredungen an öffentlichen Orten dagegen lassen die Differenz unangetastet, die Begegnungen bleiben flüchtig, die Haushaltsarbeiterinnen bleiben reserviert. Die in diesen sozialen Räumen herrschenden Diskurse, z. B. die Gastfreundschaft, das Gastmahl, das Fremdsein, die Scham über das Nichtbeherrschen der deutschen Sprache, die Macht und Hierarchie, die sich aus den Differenzen ergeben, bilden den Referenzrahmen der biografischen Konstruktionen. 4.1.2 Forschungsfeld als sozialer Raum | Die imperialistische Vergangenheit Deutschlands ebenso wie der europäische Einigungsprozess und die in diesem Zusammenhang sich neu konstituierenden Beziehungen zwischen dem vormaligen sozialistischen Osten Europas und dem kapitalistischen Westen bilden den historisch-politischen Rahmen, in dem sich deutsche und polnische Frauen als Arbeitgeberinnen und Arbeitnehmerinnen im Kontext eines informellen Hausarbeitsverhältnisses begegnen. Seit dem EUBeitritt Polens 2004 und der Ratifizierung des Schengener Abkommens können

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sich polnische Staatsbürger*innen ungehindert in den Grenzen des Staatenverbundes bewegen.3 Ob im Zuge der Reiseerleichterung die Zahl derjenigen gestiegen ist, die zwischen Polen und Deutschland im Zusammenhang mit einer informellen Haushaltsarbeit pendeln, lässt sich nur vermuten. Sicherlich ist das Reisen und der Aufenthalt in Berlin seitdem unkompliziert. Durch den Wegfall der Passkontrollen haben sich zudem die psychische Belastung des Transits verringert und das Reisen beschleunigt. Die europäische Arbeitnehmerfreizügigkeit, die mit dem EU-Beitritt Polens zunächst für alle EU-Mitgliedsstaaten außer Deutschland und Österreich in Kraft trat und seit Mai 2011 ausnahmslos für alle Staaten der Europäischen Union gilt, spielt in meinem Forschungsfeld eine untergeordnete Rolle. Die Regulierung von Haushaltsdienstleistungen ist für keine der Akteurinnen eine Option. Eine offizielle Arbeit mit den dazugehörenden Steuern und Sozialabgaben können sich die Arbeitgeberinnen nach eigenen Angaben nicht leisten. Auf der anderen Seite sind die Arbeitnehmerinnen nicht bereit, eine Lohnminderung in Kauf zu nehmen.4 Die Haushaltsarbeiterinnen, die ich traf, verorten ohne Ausnahme ihren Lebensmittelpunkt in Polen, wo selbst diejenigen, die schon seit Jahren überwiegend in Berlin leben, im Sozialsystem verankert sind. Im Kontext meiner Forschung habe ich nur eine Frau getroffen, die mit der Unterstützung einer Arbeitgeberin ein selbstständiges Gewerbe angemeldet hat. Die mit dem Beitritt Polens zur Europäischen Union einhergehende Arbeitnehmerfreizügigkeit hat nahezu keinen Einfluss auf mein Forschungsfeld und die Aktualität meines empirischen Materials, dass ich überwiegend zwischen 2007 und 2013 und damit sowohl vor der Einführung der Arbeiternehmerfreizügigkeit als auch danach erhoben habe. Die vorliegende Forschung nutzt die klassischen Methoden der ethnografischen Wissensgenerierung. Dies sind ausführliche, teils auch über einen längeren Zeitraum verteilte Gespräche sowie teilnehmende Beobachtungen in den Zügen, mit denen viele Arbeitsmigrantinnen zwischen Berlin und Polen pendeln, auf

3

Im Jahr 2004 wurden neben Polen auch Tschechien, Slowakei, Ungarn, Slowenien,

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Ende 2003 hatte die rot-grüne Bundesregierung die strafrechtliche Verfolgung von

Malta, Zypern sowie die baltischen Staaten Mitglieder der EU. Schwarzarbeit mit dem „Gesetz zur Intensivierung der Bekämpfung der Schwarzarbeit und damit zusammenhängender Steuerhinterziehung“ angekündigt. Nach einer breiten kontroversen Diskussion wurde dieses Gesetz schließlich im Februar 2004 in abgemilderter Form verabschiedet und trat am 01.08.2004 in Kraft. Damit wird informelle Hausarbeit weiterhin als Ordnungswidrigkeit mit einem Bußgeld bis zu 300.000 Euro geahndet.

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Bahnhöfen oder bei gemeinsamen Unternehmungen mit den Informantinnen. Diese „intersubjektive, dialogische und selbst interaktive Wissenspraxis“ (Hess 2009, 15) schließt die Reflexion der eigenen Position und des Handelns ein, was nicht zuletzt eine ständige Überprüfung und Korrekturen der eigenen Vorannahmen und Perspektiven zur Folge hat. Auf diese Art und Weise ist es im Kontext der Feldforschung möglich, sowohl die eigenen kulturellen Wahrnehmungen als auch die der anderen anzuerkennen. „Reflection and self-reflection become essential components of fieldwork as communicative venture.“ (Welz 1997, 118) Der Forschungsprozess wird somit zu einer kommunikativen Unternehmung, deren Verlauf nicht immer planbar und dessen Ergebnis nicht absehbar ist. Der Untersuchungsprozess gleicht einer Entdeckungsfahrt mit unbekanntem Ziel. Das Ergebnis dieser Fahrt hängt auch von dem in der ethnologischkulturwissenschaftlichen Forschung wichtigen Serendipity-Prinzip5 ab, von der zufälligen Entdeckung, dem Unerwarteten, der Koinzidenz. Die Ergebnisse dieser Forschung lassen sich nicht vorhersagen, sind nicht das Resultat intentionalen Handelns und entsprechen häufig nicht dem Erwarteten. Stattdessen scheinen sie plötzlich in einem Datum auf und stellen alte Gewissheiten infrage, eröffnen neue Perspektiven auf Interaktionen oder – wie der Soziologe Heinz Bude ausführt – bringen „eine andere Vorstellung des sozialen Universums mit sich“ (Bude 2007, 569). Allerdings, so Bude, benötige Serendipity Forschende, die für eine Überraschung offen sind, die bereitwillig die ausgetretenen Pfade der etablierten Methoden verlassen, um „aus der Interpretation eine Kunst“ (Bude 2007, 570) zu machen. Im Zentrum der vorliegenden Forschung stehen 24 Frauen, Deutsche und Polinnen, Akteurinnen eines irregulären Arbeitsverhältnisses: deutsche Arbeitgeberinnen und polnische Haushaltsarbeiterinnen. Die Auswahl meiner Gesprächspartnerinnen unterlag keiner Systematik, ich hatte das Sample im Vorfeld – abgesehen von der Staatsangehörigkeit – nicht eingeschränkt, etwa in Bezug auf ein bestimmtes Alter oder eine soziale Position. Zwei ausführliche Gespräche habe ich mit männlichen Arbeitgebern geführt, die ich allerdings nur kursorisch in die Analyse einbeziehen werde. Damit folge ich dem Ergebnis meiner nichtrepräsentativen Erhebung. Danach ist das (Haus-)Arbeitsverhältnis im Privaten eine weitgehend den Frauen überlassene Domäne. Frauen sind zuständig

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Im Vorwort zu einer Aufsatzsammlung über das Konzept Serendipity heißt es: „[...] [T]he propositon that the process of discovery has a distinct logic may have been vastly overstated.“ (Alcock/Rond 2010, 1) Wir verdanken dem Zufallsprinzip so wichtige Entdeckungen wie das Penicillin, das Prinzip der Impfung, den Teebeutel oder auch die Teflonpfanne (ebd.).

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für die Haushaltsarbeit und sie delegieren sie an andere Frauen. Zum anderen habe ich keine Arbeitnehmerin getroffen, die für einen Mann arbeitete. Mit den Frauen habe ich ausführliche Interviews geführt, einige von ihnen habe ich mehrmals getroffen. Zugang zum Feld erhielt ich weitgehend über persönliche Kontakte mit Arbeitgeberinnen. Aus diesen ersten Begegnungen ergaben sich dann im Schneeballsystem weitere Kontakte sowohl zu Arbeitgeberinnen als auch zu Arbeitnehmerinnen, die mich nun ihrerseits an Kolleginnen und Freundinnen vermittelten. Neben den leitfadengestützen Interviews habe ich während meiner Forschung zahlreiche zufällige, häufig auch absichtsvoll initiierte Gespräche geführt, in denen polnische Haushaltsarbeiterinnen eine Rolle spielten. Solche Unterhaltungen ergaben sich auf Spielplätzen, in der Schule, beim Einkaufen, im Rahmen privater Feste oder auch mit der Nachbarin auf der Straße. So gesehen war ich (fast) immer im Feld, das ich mit Asta Vonderau als einen deterritorialisierten „Raum sozialer Beziehungen“ (Vonderau 2010, 47) verstehe. In diesem Beziehungsraum überlagern sich Erfahrungen des Fremdseins mit denen des Dazugehörens, sind Gemeinsamkeiten und Trennendes ebenso präsent wie die unterschiedlichen Positionen der Akteurinnen als Frau und berufstätige Mutter, die sowohl die Forscherin als auch die Erforschten innehaben (Vonderau 2010). Das Forschungsfeld als konkreter Raum ähnelt dem Plan eines weitverzweigten Straßen- und Schienennetzes, das die materiellen und kommunikativen Bewegungen der Akteurinnen quer durch die Stadt und darüber hinaus nachzeichnet. Auf diesen Routen folgte ich meinen Gesprächspartnerinnen im Sinne einer multi-sited-ethnography, wie sie der amerikanische Kulturanthropologe George Marcus Mitte der 1990er Jahre für die ethnologische Forschung im Zeitalter der Globalisierung forderte. Der britische Soziologe Anthony Giddens beschreibt Globalisierung als „intensification of worldwide social relations which link distant localities in such a way that local happenings are shaped by events occuring many miles away and vice versa“ (Giddens 1990, 64). In dieser sowohl ökonomisch und technologisch als auch politisch, sozial und kulturell vernetzten Welt hat die Vorstellung eines räumlich begrenzten empirischen Feldes in Form eines Dorfes oder auch Stadtbezirks, wie es in den ethnografischen Klassikern zumindest als Ideal propagiert wird, an Bedeutung verloren. An die Stelle der „Postkarten-Erfahrung“, wie Clifford Geertz das obligatorische „Dort-Sein“ (Geertz 1990, 127) des Anthropologen, den Feldforschungsaufenthalt nennt, ist das Paradigma der multi-sited-ethnography getreten. Diese mobile Forschungspraxis hat George Marcus mit Begriffen wie „following“, „tracing“ und „travelling“ beschrieben (Marcus 1995). Die Forschungssubjekte  Gisela Welz spricht in diesem Zusammenhang von „moving targets“  geben die Bewegung vor, bestim-

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men die Wege, die Richtung, denen die Forscher*innen folgen müssen (Welz 1998, 177f.). Dabei geht es aus der Sicht einer multi-sited-ethnography darum, die Spuren und Wege von Personen ebenso wie von Dingen, Metaphern, Biografien, Erzählungen und Konflikten zu verfolgen und ihre Verbindungen nachzuvollziehen (Marcus 1995, 105ff.). Die konkreten Orte meiner Feldforschung waren private Wohnungen und Häuser der Informantinnen, zu denen sie mir Zugang gewährten, sowie öffentliche Räume wie Züge, Bahnhöfe, Community-Treffpunkte, die für den Alltag insbesondere der Haushaltsarbeiterinnen eine wichtige Rolle spielen. Während die Arbeitgeberinnen ausnahmslos die eigene Wohnung bzw. das eigene Haus als Treffpunkt wählten, bevorzugten die Arbeitnehmerinnen öffentliche Orte wie Cafés, Parks, Imbissbuden, Schnellrestaurants und nicht zuletzt Züge. Lediglich vier von insgesamt zwölf Haushaltsarbeiterinnen luden mich in ihre Berliner Wohnungen ein. Im Rahmen meiner Feldforschung habe ich zentrale Treffpunkte der polnischen Community in Berlin aufgesucht, die für die Netzwerke der Pendlerinnen eine wichtige Rolle spielen. Allerdings erwiesen sich die Gespräche mit den Akteur*innen der ethnischen Institutionen und Unternehmungen, etwa mit einem Gemeindepfarrer der polnischen Mission, der Inhaberin eines polnischen Lebensmittelladens oder dem Wirt einer polnischen Kneipe, weder für Kontakte ins Feld noch für Informationen über das Feld als hilfreich. So gab der Pfarrer nur sehr zögerlich zu, schon einmal von dem Phänomen irregulär arbeitender Pol*innen in Berlin gehört zu haben. Am Zaun vor der Basilika in BerlinKreuzberg hängt hingegen seit Jahren ein Schwarzes Brett, das als irreguläre Jobbörse dient. Erfahrungen der Gemeinde mit Pendler*innen gebe es nicht viele, sagte der Pfarrer. Nur selten kämen Menschen in Not vorbei. Denen habe man dann geholfen, meist mit Geld für eine Rückfahrkarte nach Polen. In einem polnischen Lebensmittelladen, wo ebenfalls Zettel an der Wand klebten  „Suche Arbeit im Haushalt“, darunter eine mobile Telefonnummer zum Abreißen  lehnte die Geschäftsinhaberin ein Gespräch zum Thema polnische Haushaltsarbeiterinnen ab. Auch der Wirt und die Gäste einer polnischen Eckkneipe wollten über dieses Thema nicht reden und die Buchhändlerin eines polnischen Buchladens verschob den Termin für ein zugesagtes Gespräch so lange, bis ich es aufgab, sie anzurufen. Die polnische Community spricht scheinbar ungern über das Phänomen der polnischen Putzfrau, schon gar nicht mit Außenstehenden. Dies kann zum einen dem informellen Charakter der Haushaltsarbeit geschuldet sein und dem verständlichen Misstrauen gegenüber einer fremden Deutschen, die im Auftrag der Polizei nach Schwarzarbeiter*innen fahnden könnte. Andererseits rangiert Haus-

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haltsarbeit auf einer Skala, die das gesellschaftliche Prestige von existenzsichernden Arbeiten anzeigt, weit unten, handelt es sich doch um eine Tätigkeit, die – so zumindest die landläufige Meinung – keiner Qualifizierung bedarf und zudem darin besteht, den Schmutz Anderer zu beseitigen. Berührung mit Schmutz impliziert die Gefahr, sich selbst zu beschmutzen. Mitglieder der etablierten polnischen Community, wie der Pfarrer und die Geschäftsfrauen, positionierten sich in der öffentlichen Repräsentation in einem binären Verhältnis zu den Arbeitsmigrant*innen, die sie aus Furcht vor Abwertung seitens der Mehrheitsbevölkerung als die Anderen konstruierten, als Nomad*innen im Gegensatz zu den Sesshaften, als diejenigen, die in einer Schattenwelt arbeiteten, schwarz, informell, im Gegensatz zu jenen, die einer regulären Erwerbstätigkeit nachgehen. Eine solche dichotome Positionierung führt im Ergebnis zu einer – zumindest gegenüber Dritten – behaupteten strikten Trennung von etablierten und pendelnden polnischen Migrant*innen. Das Beharren auf die Existenz getrennter Milieus – auf der einen Seite die legale polnische Community, auf der anderen die „Schwarzarbeiter“ – hatte zur Folge, dass weder der Pfarrer noch die Geschäftsfrauen bereit waren mir Kontakte in mein Forschungsfeld zu vermitteln. In der Regel lautete das schlichte Argument, man kennen niemand. Daraus ergab sich, dass ich Arbeitnehmerinnen entweder durch die Vermittlung von Arbeitgeberinnen kennenlernte oder sich Kontakte im Schneeballverfahren ergaben. Den Wegen der Haushaltsarbeiterinnen bin ich auf Zugfahrten nach Polen gefolgt, die ich allein oder in Begleitung meiner Protagonistinnen unternahm. Auf diese Weise lernte ich ihre mobilen Praktiken kennen und erfuhr die Anstrengungen dieser Lebensweise zumindest ansatzweise am eigenen Körper. Die Reisen, insbesondere diejenigen, die ich ohne Begleitung einer Haushaltsarbeiterin unternahm, empfand ich mit Blick auf den gesamten Forschungsprozess als besonders herausfordernd. Im Gegensatz zu den Gesprächsterminen, man traf sich um über ein im Vorfeld bestimmtes Thema zu sprechen, war die Situation auf einer Reise völlig offen. Ich hatte keine Verabredungen, kannte niemanden. Ich kaufte mir eine Fahrkarte und setzte mich in den Zug wie eine x-beliebige Reisende und beobachtete, was um mich herum geschah, lauschte, was die Menschen besprachen6 und ließ mich bereitwillig auf Gespräche ein, wenn sie sich ergaben. Auch wenn ich mich in dieser Situation nicht als Forscherin zu erken-

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In einem Zugabteil ist man unweigerlich in Hörweite. Das Ohr jedoch „das unbeweglichste aller Organe des Kopfes“ kann sich dem Gehörten nicht verschließen sondern ist, wie Simmel es schildert, „da es nun einmal bloß nimmt, auch dazu verurteilt, alles zu nehmen, was in seine Nähe kommt“ (Simmel 1992, 730).

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nen gab und die Mitreisenden mich wohl kaum als Forscherin erkannten, wurde ich zweifelsfrei von ihnen durch ein Raster von Zuschreibungen gescannt, etwa als nicht-zu-ihnen-gehörend klassifiziert oder als neu im Zug und als Deutsche. Reisende, die Bekannte begrüßten und sich zu dritt oder viert zusammensetzten, ignorierten meine Anwesenheit weitgehend. Mit Alleinreisenden, in deren Nähe ich mich setzte, ergab sich manchmal ein Gespräch. Oft nutzten die Frauen aber die Reisezeit zum Schlafen. Sowohl als stumme Beobachterin als auch als fremde Gesprächspartnerin erlebte ich mich während dieser Reisen häufig als Spionin, die auf unlautere Art und Weise, als Reisende getarnt, empirisches Material zusammenträgt und ihre Beobachtungen in einem Feldtagebuch notiert. Dem Feld- oder Forschungstagebuch kommt in der ethnologischen Forschungspraxis besondere Bedeutung zu, da dies, wie Wolfgang Kaschuba beschreibt, gleichermaßen „ein Protokoll der Selbstbeobachtung [ist] wie eine Chronik der Beobachtung der Anderen“ (Kaschuba 2003, 208). Dieses Tagebuch ist offen für Irritationen und Missverständnisse, die – aus welchen Gründen auch immer – im Feld nicht zur Sprache kommen. Es ist ein zentrales Mittel der Reflexion der Forscherin und als Notation des Faktischen die Grundlage für eine analytisch verdichtete Beschreibung. „Ich habe ein schlechtes Gewissen, weil ich mich in diese Züge schmuggle, um etwas zu beobachten, was ich eigentlich nicht sehen sollte. Zumindest fühlt es sich so an, wenn ich auf dem Bahnsteig in Lichtenberg stehe. Ich entwickle ein vorauseilendes Verständnis dafür, dass sich niemand zu mir setzt, außer es ist wirklich kein anderer Platz mehr frei, mich auch keiner fragt, ob ich mich an einer Gruppenkarte beteiligen möchte. Mein Gefühl ist: Ich gehöre nicht hierher, der Zug ist fremdes Terrain, No-Go-Area für mich.“ (Feldnotizen, Reise Berlin-Kostrzyn, 12.09.2008)

Das unangenehme auch etwas beschämende Gefühl der unrechtmäßigen Neugier ist nicht zuletzt der deutlichen Missbilligung geschuldet, die meine Fragen schon früher bei Vertretern der polnischen Community in Berlin ausgelöst hatten. Fremden, so mein Eindruck, war der Zugang zum sensiblen Feld der informellen Arbeitsmigration möglichst zu verwehren. Die Figur der Spionin, wahlweise auch der Steuerfahnderin oder Polizistin, beschreibt der Berliner Stadtethnologe Rolf Lindner als eine „stereotype Einschätzung“ (Lindner 1981, 58) von Forscher*innen seitens potenzieller Forschungssubjekte. In meinem Forschungsfeld erschien mir diese Einschätzung noch zusätzlich plausibel, weil die Informantinnen aufgrund der inoffiziellen Arbeitspraxis begründete Angst vor Publizität haben.

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Andererseits ist Anonymität gewöhnlich konstitutiv für die Interaktionsordnung in Transiträumen wie Zügen und Bahnhöfen oder auch Flughäfen und Flugzeugen. So stellen sich Passagiere eines Eisenbahnabteils eher selten ihren Mitreisenden vor. Dennoch oder gerade deshalb kommt es häufig während einer Zugfahrt zu sehr vertraulichen Gesprächen. Basis dieser Gespräche, die sich auch der Langeweile verdanken, ist die Anonymität und Fremdheit der Akteur*innen sowie die Flüchtigkeit der Begegnung (Bude 2007; Hirschauer 1999). Die Anonymität in Transiträumen kann eine spezifische Form der Vertrautheit begünstigen, die sich als unerwartete Ressource für die Erhebung von Daten erweist. Die Strecke Berlin-Kostrzyn ist eine Verbindung, die von vielen Pendler*innen genutzt wird, die in der Nähe der Grenze wohnen und regelmäßig nach Berlin zum Arbeiten fahren. Während meiner Feldforschung war ich mehrere Male auf dieser Strecke unterwegs. Die Reise von Berlin nach Polen war beim ersten Mal sehr von Unsicherheit und dem Gefühl des Nicht-Dazugehörens geprägt. Für die Rückfahrt notierte ich Folgendes in mein Feldtagebuch: „Ich bleibe im Zug, im selben Abteil. In wenigen Minuten wird er die Heimreise antreten. Wie seine Fahrgäste pendelt der Zug unentwegt zwischen Berlin und Kostrzyn; die polnische Stadt ist nicht weiter entfernt als ein Berliner Vorort. Durch das Fenster beobachte ich die Passagiere, wie sie durch den strömenden Regen laufen. Auf dem Bahnsteig haben sich große Pfützen gebildet. Die unteren Gleise wirken geisterhaft verlassen. Für die Rückfahrt nimmt der Zug nur wenige Menschen auf. Eine Frau fragt auf Polnisch, wo sie eine Fahrkarte kaufen könne. Ich sage ihr, dass es im Zug einen Fahrkartenautomaten gibt. Sie: Den könne sie nicht bedienen. Ich tippe auf dem Touchscreen des Automaten herum, frage sie, wo sie aussteigen möchte. In Berlin, sagt sie. Schließlich habe ich alles korrekt eingegeben. Sie fragt nach dem Fahrpreis. Ich sage: 10,20 Euro. Sie: Das könne nicht sein. So viel habe sie noch nie bezahlt. Ich bin verunsichert, gleichzeitig aber sicher, dass ich nichts Falsches eingegeben habe. Wortlos geht die Frau in das Abteil. Ich löse meine Fahrkarte. Sie kostet 8,20 Euro mit der Bahncard und folge der Frau. Ich setze mich an einen freien Platz. Auf der anderen Seite des Ganges erkenne ich die Frau vom Fahrkartenautomaten wieder. Sie hat ihre Füße auf den gegenüberliegenden Sitz gelegt. Ihre Handtasche und eine große Leinentasche besetzen den Platz neben ihr. Triumph schwingt in ihrer Stimme mit als sie mir laut über den Gang zuruft, dass sie 3,10 Euro für ihre Fahrkarte bezahlt hat. Gruppentarif. Klärt sie mich auf. Fünf Fahrgäste genügten. Man müsse Leute ansprechen, sich zu einer Fahrgemeinschaft verabreden. Wenn der Schaffner kommt setzt man sich schnell zusammen. Sie nimmt ein Magazin aus der Leinentasche und liest.“ (Feldnotizen, Reise Berlin-Kostrzyn, 12.09.2008)

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Diese Fahrt nach Polen, eine der ersten, die ich im Rahmen meiner Feldforschung unternahm, gab mir eine erste Idee davon, was Morokvasic-Müller „savoir se mouvoir“ (2003a, 110) genannt hat. Die Bildung von spontanen Reisegruppen ist, wie sich im Laufe der Forschung gezeigt hat, nur ein Detail aus einem komplexen Wissensvorrat, gepaart mit praktischen Fähigkeiten, die polnische Arbeitsmigrantinnen auf ihren Wegen ebenso wie am Arbeitsplatz in Berlin benötigen.

4.2 DIE AKTEURINNEN | In diesem Kapitel stelle ich meine Gesprächspartnerinnen vor. Die Darstellung der Kontaktaufnahme ist sowohl in ihrem Gelingen als auch im Scheitern wesentlich für die ethnografische Wissensgenerierung. Es handelt sich um die Ausgangssituation der Zusammenarbeit von Forscherin und Gesprächspartnerinnen. Kapitel 4.2.1 thematisiert die Kontaktaufnahme zu den Arbeitnehmerinnen, die sich als ein zäher, langwieriger Prozess erwies. Die Schwierigkeiten waren vor allem der informellen Arbeit und der Angst vor Entdeckung als Schwarzarbeiterin geschuldet. Kapitel 4.2.2 thematisiert den Zugang zum Feld der Arbeitgeberinnen, der aufgrund der Annahme von sozialen und kulturellen Gemeinsamkeiten relativ unkompliziert verlief. 4.2.1 Arbeitnehmerinnen | Insgesamt habe ich mit zwölf Arbeitnehmerinnen ausführliche Gespräche geführt. Trotz der persönlichen Vermittlung über Kolleginnen und Arbeitgeberinnen reagierten viele Haushaltsarbeiterinnen mit großer Skepsis auf mein Anliegen, mit ihnen über ihre Arbeit und ihr Leben in Berlin zu sprechen. Häufig forderten sie präzisere Angaben: „Was genau wollen Sie wissen, für wen und warum?“ Einige baten sich Bedenkzeit aus, manche wollten sich vorab mit einer Freundin oder Kollegin beraten, um sich schließlich nach etlichen Telefonaten gegen ein Treffen zu entscheiden. Die Gründe für die Absagen ließen die Haushaltsarbeiterinnen im Vagen: keine Zeit, kein Interesse oder man habe ihr abgeraten. Manchmal wurde auch Angst vor Schwierigkeiten angeführt. Eine genauere Erklärung wollten die Frauen am Telefon jedoch auch auf Nachfrage nicht abgeben. Ich gehe davon aus, dass der informelle Charakter ihrer Arbeit der gewichtigste Grund für die Ablehnung eines Treffens war. Das Risiko, dass der Verstoß gegen bundesdeutsches Arbeitsrecht publik wird, wollten die Frauen verständlicherweise möglichst klein

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halten. Meine Zusicherung von Anonymität und absoluter Vertraulichkeit konnte die Ängste der Frauen nicht in jedem Fall zerstreuen. Weitere Motive waren, meiner Meinung nach, die Abwehr von Einblicken in die gut organisierten Netzwerke informeller Hausarbeit sowie das Bedürfnis der Frauen nach Unsichtbarkeit, um die persönliche Abwertung durch die Berührung mit der „Drecks-Arbeit“ durch Beschweigen aus der Welt zu schaffen. Hatten die Frauen sich für ein Gespräch entschieden, schien es, als seien sie froh, endlich einmal von ihrem Leben als Haushaltsarbeiterin sprechen zu können. Im Laufe meiner Forschung lernte ich eine weitere Ursache für die Gesprächsverweigerung kennen: die Müdigkeit nach einem harten Arbeitstag. Die telefonische Zusage für ein Gespräch war jedoch keinesfalls gleichbedeutend mit einer unkomplizierten Terminabsprache. Nach der grundsätzlichen Zustimmung begann eine zweite aufwendige Prozedur des (Be-)Werbens. Vereinbarte Termine wurden immer wieder verschoben, manchmal konnte ich potenzielle Gesprächspartnerinnen wochenlang gar nicht erreichen. In dieser Phase des ständigen Hinterhertelefonierens, der nicht beantworteten Mailboxnachrichten, des Vertröstet-Werdens auf einen Rückruf „in den nächsten Tagen, ganz bestimmt“, positionierten sich die Haushaltsarbeiterinnen im Rahmen unserer Forschungsbeziehung eindeutig als Überlegene. Sie waren die Begehrten, die umworben werden wollten und denen ich die Ernsthaftigkeit meines Anliegens unter Beweis zu stellen hatte. Konnte etwa eine Haushaltsarbeiterin eine Verabredung nicht einhalten, so ließ sie mich oftmals ohne Nachricht am verabredeten Ort warten. Beim nächsten Telefonat wurde das versäumte Treffen dann in der Regel als ein Fehler meinerseits deklariert, da hätte ich wohl etwas missverstanden. Häufig wurden auch spontan veränderte Reisepläne angeführt, statt nach Berlin zu fahren, waren die Frauen zum verabredeten Zeitpunkt in Polen, von dort nach Berlin zu telefonieren sei sehr teuer und deshalb ausschließlich Notfällen vorbehalten, hieß es dann häufig. Der folgende Auszug aus meinem Feldtagebuch gibt einen Eindruck aus dieser Phase meiner Feldforschung. „Am Samstag habe ich mit Alina telefoniert. Ihre Telefonnummer hatte ich von Bekannten, bei denen sie arbeitet. Sie hatte einem Gespräch mit mir zugestimmt und wusste, dass ich anrufe. Sie meldete sich mit schläfriger Stimme. Ich stellte mich vor und erklärte, worum es in meiner Forschung geht, dass ich gerne mit ihr sprechen möchte. Ich versicherte, dass alles anonym behandelt werde. Sie unterbrach mich und antwortete auf Fragen, die ich (noch) gar nicht gestellt hatte: Sie arbeite schon sechs Jahre in Berlin und liebe die Arbeit; anders als andere Frauen, die zwei linke Hände hätten. Bevor sie richtig loslegen konnte, habe ich sie gestoppt und nach einem Treffen gefragt; sie willigte ein und lud mich für Samstagnachmittag um 14:00 Uhr zu sich nach Hause ein. Ich war froh. Am

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gleichen Abend habe ich mit Barbara Rybka eine zweite Verabredung getroffen. Dann rief ich noch Józefina Starczynowska an, aber da war niemand zuhause und auch bei Aśka Olczyńska meldete sich keiner. Gestern rief Alina an und sagte das Treffen ab. Sie habe Angst. Ich habe sie heute noch einmal angerufen. Wieso ich überhaupt über so ein Thema schreiben wolle, hat sie mich gefragt. Das wäre doch kein Thema. Sie habe sich das alles noch einmal genau überlegt und mit ihrer Schwester besprochen. Nein! Sie klang ausgesprochen misstrauisch, ich konnte ihre Vorbehalte nicht zerstreuen. Jedenfalls hat sie definitiv abgesagt, wahrscheinlich glaubt sie, dass ich von der Polizei oder der Ausländerbehörde bin. Sie hat mehrmals wiederholt, dass sie legal hier sei. Schade. Morgen muss ich dringend Aśka Olczyńska anrufen, Anett Kamińska und Józefina Starczynowska rufe ich besser am Montag an.“ (Feldnotizen, 21.10.2008) „Heute Abend habe ich mehrmals vergeblich versucht Józefina Starczynowska zu erreichen. Ich frage mich, ob sie einfach nicht ans Telefon geht, weil sie ahnt, dass ich es bin. Leide ich schon an Verfolgungswahn? Ich mache neuerlich eine Liste mit den Frauen, die ich anrufen will. Ich erreiche Anett Kamińska, die allerdings keine Zeit hat, weil sie sehr viel arbeiten muss, wie sie sagt. Am Freitag fährt sie dann für eine Woche nach Polen. Sie will am Montag zurückkommen, wir verabreden uns für den folgenden Mittwoch, das heißt, ich soll sie dann anrufen. Aśka Olczyńska erreiche ich wieder nicht.“ (Feldnotizen, 24.10.2008)

Andererseits gab es auch ökonomische Gründe, die das Zustandekommen eines Gesprächstermins erschwerten. Bedeutete es doch für die Frauen, ihre rastlose Wanderung durch die Stadt von einem Arbeitsplatz zum anderen zu unterbrechen. Die meisten Haushaltsarbeiterinnen, insbesondere jene, die täglich oder wöchentlich pendelten, kamen nach Berlin ausschließlich, um zu arbeiten. Der Aufenthalt abzüglich der Kosten für Reise, Unterkunft und Verpflegung musste sich lohnen. Der Druck, die Zeit in Berlin effektiv zu nutzen, schien enorm. Freie Zeit, Pausen zwischen den einzelnen Arbeitseinsätzen galt es, möglichst zu vermeiden. Trotz der ökonomischen Logik des transnationalen Lebens forderten lediglich zwei Informantinnen eine Bezahlung für ein Gespräch. Allerdings waren diese Kontakte nicht über eine dritte Person vermittelt. Das Gespräch mit den beiden Frauen war das einzige, das zufällig und gänzlich anonym über einen Zettel am Schwarzen Brett der polnischen Kirche zustande gekommen war. Es war eine von vielen Telefonnummern, die ich dort auf Zetteln mit „Szukam pracy“ (Suche Arbeit) fand. Ohne nachzufragen, stimmte Marysia Szarek einem Treffen zu: „Ich komme und erzähle Ihnen eine Stunde lang, was ich in Berlin mache. Sie zahlen 20 Euro.“ Für weitere 20 Euro versprach sie, eine Kollegin mitzu-

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bringen. Alle übrigen Anrufe, die ich aufgrund der Arbeitsgesuche unternahm, blieben erfolglos. Die Forderung nach der Bezahlung für ein Gespräch mit einer deutschen Forscherin entspricht der Logik der transnationalen Lebensweise. Die Akteurinnen fahren zur Arbeit nach Berlin. Der Aufenthalt dient allein dazu, in möglichst kurzer Zeit möglichst viel Geld zu verdienen. Der Kontakt zu Deutschen dient (fast) ausschließlich diesem Zweck. Außerhalb der Dienstleistungsvereinbarung treffen polnische Haushaltsarbeiterinnen in der Regel keine Deutschen. Die maximale Ausnutzung des Aufenthalts in Berlin – manchmal arbeiten die Frauen zehn bis zwölf Stunden am Tag  geht einher mit dem Bestreben, die Ausgaben für Essen und Unterkunft während dieser Zeit möglichst gering zu halten. So brachten die regelmäßig pendelnden Haushaltsarbeiterinnen meist Lebensmittel aus Polen mit, die dort wesentlich preiswerter sind als in Deutschland. Zum Schlafen teilen sich möglichst viele Frauen die Miete für kleine Wohnungen, wo sie dann nicht selten kalte, dunkle Abende verbringen, um die Kosten für Strom und Heizung gering zu halten. Daher musste den Arbeitnehmerinnen meine Bitte um ein Gespräch als Zumutung erscheinen, wenn nicht als Zeitverschwendung. Gab es nichts zu tun, konnte es geschehen, dass ich angerufen wurde, ein Treffen sei möglich, jetzt sofort, etwa weil gerade eine Arbeitgeberin abgesagt hatte oder weil aus irgendeinem Grund zwischen dem Ende der Arbeit und der Abfahrt des Zuges nach Polen noch Zeit war. Andererseits bot die Teilnahme an meiner Forschung auch eine Gelegenheit, neue Kontakte in das Milieu der Arbeitergeberinnen zu knüpfen und damit die Chance, auf neue Arbeitsmöglichkeiten oder auch preiswerte Unterkünfte. Der US-amerikanische Anthropologe Paul Rabinow beschreibt den Irrtum, es gebe Freundschaften oder man teile die gleichen Werte und Normen im Feld folgendermaßen: „Basically I had been conceiving him as a friend because of the seeming personal relationship we had established. But Ibrahim [...] had basically conceptualized me as a resource. [...] Ibrahim and I were from different cultures, and the implications which we drew in Marrakech about daily life were leagues apart.“ (Rabinow 2007, 29f.)

Die zwölf Arbeitnehmerinnen, die für meine ethnografische Forschung eine zentrale Rolle spielen, waren zum Zeitpunkt unserer Zusammenkünfte zwischen Anfang 20 und Ende 50. Ich hatte jede Möglichkeit eines Gespräches genutzt, die sich mir anbot, ohne im Vorfeld nach Alter oder ihrer sozialen Position in Polen zu fragen. Erst bei der Sichtung des empirischen Materials wurde deutlich, dass zumindest die Haushaltsarbeiterinnen drei Altersgruppen repräsentieren.

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Mit acht Frauen ist die Altersgruppe der über 40-Jährigen am stärksten vertreten.7 Diese Frauen hatten zum Zeitpunkt unseres Treffens schon erwachsene Kinder. Allerdings pendelten die meisten von ihnen bereits seit über zehn Jahren nach Berlin zum Arbeiten. Ihre Kinder waren demnach noch im schulpflichtigen Alter, als sie mit der transnationalen Lebensweise begannen. Der Bildungsabschluss in dieser Altersgruppe reichte vom Hauptschulabschluss ohne Berufsausbildung bis hin zum Hochschulabschluss. Alle Frauen hatten zuvor in Polen gearbeitet, u. a. als Buchhalterin, Gerichtssekretärin, Reisekauffrau, Fabrikarbeiterin und Küchenhilfe. Die Interviewpartnerinnen der mittleren Altersgruppe (zwischen 30 und 40 Jahren) besaßen alle eine abgeschlossene Berufsausbildung und ebenfalls Berufserfahrung in Polen. Diese Frauen hatten zum Zeitpunkt unserer Begegnungen schulpflichtige Kinder, die in Polen lebten. Während der Abwesenheit der Mütter wurden die Kinder von Familienangehörigen, in der Regel von Geschwistern oder Eltern der Mutter, manchmal auch vom Vater versorgt. Die drei Gesprächspartnerinnen aus der jüngsten Altersgruppe (Anfang bis Ende 20) hatten die Schule mit dem Abitur abgeschlossen. Anja Pieczowska hatte im Anschluss eine Ausbildung zur medizinisch-technischen Assistentin in Polen beendet und danach ein Jahr als Au-Pair in Berlin gearbeitet. Aśka Olczyńska hatte ihr Ökonomiestudium nach einem Jahr unterbrochen, um erst einmal Geld zu verdienen und Anett Kamińska plante, später Psychologie zu studieren. Bis auf die jüngste Altersgruppe waren die Frauen verheiratet oder geschieden. Alle Arbeitnehmerinnen gaben an, mit ihrem Verdienst Verwandte in Polen  Kinder, Enkelkinder, Mütter, manchmal auch Ehemänner  finanziell zu unterstützen. Die regionale Herkunft meiner polnischen Gesprächspartnerinnen erstreckt sich über das ganze Land. Allerdings ist der Heimatort von fünf Frauen nicht weiter als 250 Kilometer von Berlin entfernt. Mit dem Bus dauert eine Fahrt maximal etwas mehr als drei Stunden. Anja Pieczowska und Agnieszka Tomaszewska sind aus Zentral-Polen in die Grenzstadt Kostrzyn gezogen, weil sie von dort

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Nach einer Studie von 2001 hat sich zwischen 1995 und 2001 der Anteil der über 50jährigen Arbeitsmigrantinnen aus Polen von 17,2 auf 20,3 Prozent erhöht (Okólski/Kępińska zit. nach Kałwa 2008, 123). Allerdings gibt Kałwa zu bedenken, dass Migration von Frauen, die ihre kleinen Kinder zurücklassen, gesellschaftlich kaum akzeptiert wird. Dies könne die Ergebnisse von entsprechenden Umfragen dahingehend verzerren, dass junge Frauen mit kleinen Kindern ihre Migrationserfahrung verschweigen (Kałwa 2008, 125).

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aus täglich nach Berlin zur Arbeit fahren können. Alle Haushaltsarbeiterinnen pendelten schon mehrere Jahre zwischen Polen und Berlin. 4.2.2 Arbeitgeberinnen | Insgesamt habe ich mit zwölf Arbeitgeber*innen ausführliche Gespräche geführt. Diese zehn Frauen und zwei Männer sind mit zwei Ausnahmen zwischen Mitte 30 und Mitte 40 Jahre alt, sie haben alle einen akademischen Abschluss und sind berufstätig. Die Frauen, auf die ich mich im Folgenden konzentrieren werde, sind verheiratet und haben kleine, das heißt schulpflichtige oder Kindergartenkinder zu versorgen. Diese Familien entsprechen jener familiären Konstellation, die Sabine Hess in ihrer Forschung über Au-pair aus der Slowakei „Frauenfamilien“ (Hess 2002, 111) nennt. Die berufstätigen Ehemänner und Väter kommen allenfalls spät abends, manchmal auch nur am Wochenende nach Hause und die Versorgung der Kinder und des Haushalts obliegt in diesem konventionellen Familiensetting ausschließlich den (Haus-)Frauen. Einige von ihnen bezeichneten sich als „partiell alleinerziehend“. Als ich sie traf, arbeiteten die meisten nur wenige Stunden außer Haus oder hatten ihr Büro ins Haus verlegt. 8 Anders als die Haushaltsarbeiterinnen hatten die Arbeitgeberinnen keine Bedenken, mit mir über ihr informelles Hausarbeitsverhältnis zu sprechen, unter der Voraussetzung, dass ich ihnen  in Anbetracht der illegalen Beschäftigung einer Haushaltsarbeiterin  Anonymität zusichere. Das Wissen um das informelle Arbeitsverhältnis und das Versprechen, dies nicht publik zu machen, macht mich als Forscherin zur Komplizin der Akteurinnen. Die Praxis meiner Gesprächspartnerinnen, die Schwarzarbeit als eine nicht nennenswerte betrügerische Unternehmung in ihrer negativen Konnotation unkenntlich zu machen, habe ich übernommen. Der US-amerikanische Anthropologe George Marcus brachte Ende der 1990er Jahre das Konzept der Komplizenschaft in die ethnologische Debatte um die Konfiguration des Verhältnisses Forscherin-Beforschte ein.9 Das

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Maria Rerrich weist in ihrer Studie darauf hin, dass neben der großen Gruppe der Haushalte mit Doppelverdiener*innen, zu der meine Gesprächspartnerinnen zählen, es eine andere große Gruppe gibt, die informelle Haushaltsarbeiterinnen beschäftigt. Das sind Haushalte von Rentner*innen, die aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen Hilfe im Haushalt benötigen.

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Die so genannte Writing-Culture-Debatte begann 1986 mit der Veröffentlichung der Anthologie Writing Culture: The Poetics and Politics of Ethnography, die Beiträge von Autoren wie George Marcus, Clifford Geertz, Paul Rabinow versammelte. Hierin

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Aufscheinen der „partnership in an evil action“, wie die Definition im Oxford English Dictionary (1989, 616) lautet, steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Debatte um die ethnografische Wissensproduktion, deren „ganz spezifischen, erfahrungsbasierten, interaktiven und intersubjektiven Modus“ (Hess/ Schwertl 2013, 20) und den sich daraus ergebenden methodologischen Problemen. Marcus charakterisiert mit dem Konzept der Komplizenschaft die Gemeinschaft von Forschenden und Beforschten, die auf der partiellen Gleichheit der Akteur*innen gründet, welche ein gegenseitiges Interesse sowie das Involviertsein in etwas Drittes verbindet: eine Gemeinschaft, die allerdings auch eine dunkle Konnotation besitzt (Marcus 1997). Die Sorglosigkeit mir gegenüber gründete unmittelbar darauf, dass gemeinsame Bekannte oder Bekannte von Bekannten das Zusammentreffen vermittelt hatten, so dass es a priori schon etwas Verbindendes zwischen uns gab. Darüber hinaus wurden im Laufe der Gespräche weitere Gemeinsamkeiten deutlich, wie etwa die soziale Herkunft, das Alter und die alltäglichen Herausforderungen, Erwerbsarbeit, Kinder und Familie zu vereinen. Mir fiel es nicht schwer, mich in die Rolle der Arbeitgeberin zu versetzen, ihre Probleme zu verstehen, ihre Handlungen nachzuvollziehen. Dies erleichterte die Gespräche, wähnten sich die Arbeitgeberinnen doch im Einverständnis mit mir und fassten schnell Vertrauen, nicht zuletzt auch aufgrund des unterschwelligen Motivs einer fiktiven weiblichen Solidargemeinschaft. Andererseits erschwerte dies gleichzeitig die für eine ethnografische Forschung notwendige Distanz (Myerhoff 1980). 10 Während der Gespräche erweckten die Arbeitgeberinnen häufig den Eindruck, als hätten sie auf eine Gelegenheit gewartet, mit einer neutralen Person

wurden die auktoriale Position von Ethnolog*innen im Feld kritisiert, die Asymmetrie zwischen Forscher*innen und Beforschten sowie die von Machtdiskursen durchdrungene Praxis des ethnografischen „Schreibens Über“. Die Dekonstruktion der ethnografischen Praxis als einer von hegemonialen Interessen geleiteten Konstruktion des Anderen (Othering) markierte einen Paradigmenwechsel in der Kultur- und Sozialanthropologie. 10 Freundschaften im Feld haben in den 1970er Jahren Barbara Myerhoff (1980) und Paul Rabinow (2007) in ihren Ethnographien thematisiert. Auch bei Andrea Lauser (2004) spielt das freundschaftliche Verhältnis zu ihren Informantinnen eine gewichtige Rolle. Einen Überblick über „Freundschaft als Thema der Ethnologie“ gibt Bettina Beer (1998). Sie widmet sich in ihrem Artikel sowohl den freundschaftlichen Beziehungen zwischen Informant*innen und Ethnolog*innen in Form von interethnischen Freundschaften als auch der Freundschaft als ethnologisches Forschungsthema. Zu interethnischen Freundschaften siehe auch Brandt/Heuser (2011).

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über das informelle Arbeitsverhältnis zu sprechen, das ihnen auf je unterschiedliche Art und Weise ein gewisses Unbehagen bereitete. Insbesondere betraf dies das Thema Schwarzarbeit sowie die für viele bis dahin unbekannte Rolle der Arbeitgeberin. In diesen Begegnungen wurde mir häufig die Rolle der vertrauten Fremden zugewiesen, die man zufällig im Zug oder Flugzeug trifft. Die Anonymität, das Flüchtige dieses Zusammentreffens machte es dann möglich, über im Geheimen Verwahrtes, Beschwiegenes zu sprechen. Terminabsprachen mit den Arbeitgeberinnen erwiesen sich als problemlos. Im Gegensatz zu den mobilen Haushaltsarbeiterinnen waren sie spätestens nach Schul- oder Kindergartenschluss an Haus oder Wohnung gebunden. Alle Arbeitgeberinnen luden mich zu einem Gespräch zu sich nach Hause ein.

4.3 DAS METHODISCHE VORGEHEN | In diesem Kapitel werden der Forschungsprozess und die ethnografische Wissensproduktion thematisiert. In Kapitel 4.3.1 wechseln sich Erfahrungsberichte aus dem (noch) „fremden Terrain der Untersuchungskultur“ (Kaschuba 2003, 206) mit Überlegungen zum narrativen Interview und der Besonderheit der Erzählsituation ab. Ein weiteres Thema ist hier die Rolle der Forscherin und der Anspruch auf eine dialogische Forschungspraxis. In einem letzten Abschnitt gehe ich auf die Besonderheit der doppelten Forschungsperspektive ein. In Kapitel 4.3.2 problematisiere ich den Vorgang des ethnografischen Schreibens als eines machtvollen Sprechens Über. Schließlich erläutere ich meine Auswertungsmethode. 4.3.1 Gespräche und Einsichten | Die insgesamt 24 zentralen Gespräche mit Arbeitgeber*innen und Arbeitnehmerinnen habe ich in Anlehnung an Schütze (1983)11 als narrative Interviews konzipiert und mit Elementen eines teilstandardisierten Interviews kombiniert. Ich arbeitete sowohl mit einer erzählgenerierenden Frage, einer “autobiographisch orientierten Erzählaufforderung“ (Schütze 1983, 285), als auch mit einem Leitfaden, der mir jedoch eher als Orientierung diente, denn als ein Fragenkatalog, der abgearbeitet werden musste. Allerdings gab es Themen, die ich immer wie-

11 Die Methode des narrativen Interviews hat der Soziologe Fritz Schütze in den 1980er Jahren in der Sozialforschung etabliert. Sie wird vor allem bei Fragestellungen mit lebensgeschichtlicher Relevanz eingesetzt (Hopf 2007).

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der ansprach. Dazu gehörten unter anderem die Aufforderung an die Akteurinnen, die Beziehung zur Arbeitgeberin resp. Arbeitnehmerin zu beschreiben, sowie die Frage nach den Rahmenbedingungen des Arbeitsverhältnisses, wie Bezahlung, Dauer, Urlaubsregelung. Die Soziologin Christel Hopf beschreibt das narrative Interview als eine „Stegreiferzählung“ (Hopf 2007, 355). Der Begriff verweist auf das Improvisierte, Spontane, das diese ethnografische Datenerhebung auszeichnet. Wenn es sich ergab, ließ ich die Gespräche mäandern, in unbekannte Regionen ausschweifen und überraschende Richtungen abbiegen und holte sie  wenn nötig  wieder zurück zum zentralen Fluss der Erzählung. Fast immer begann ich mit den erzählgenerierenden Fragen: „Seit wann arbeiten Sie in Berlin? Wie kam es dazu?“ resp.: „Wann und warum haben Sie sich entschlossen, eine polnische Haushaltsarbeiterin zu beschäftigen?“ Die Gespräche dauerten mindestens anderthalb Stunden, häufig auch länger. Mit einigen Frauen habe ich während der Feldforschung mehrere Gespräche geführt. Zu manchen Frauen ist der Kontakt auch danach nicht abgebrochen. In keinem Fall war es schwierig, ins Gespräch zu kommen. Selten stockte die Unterhaltung für längere Zeit. Fast immer gelang es, in einen Dialog zu treten, Gemeinsamkeiten zu entdecken und Differenzen zu respektieren. Inspiriert von der Eingangsfrage kreisten die Gespräche um die biografische Verortung der informellen Hausarbeit, um die Hintergründe und Motive der Arbeitsmigration bzw. der Beschäftigung einer polnischen Haushaltsarbeiterin. Es ging um Arbeitslosigkeit und Abenteuerlust, um Alltag und Strategien im Kontext transnationaler Mobilität, um soziale Netzwerke und die Rolle der polnischen Gemeinschaft bei der Arbeits- und Wohnungsvermittlung. Die Haushaltsarbeiterinnen berichteten von den Anstrengungen und der Einsamkeit ihres mobilen Lebens, aber auch von erfolgreichem Widerstand gegen Diskriminierung etwa seitens der Arbeitgeberin sowie einem Zugewinn an Unabhängigkeit. Die Arbeitgeberinnen sprachen von ihrer Frustration im Kampf um die Beteiligung der Männer an der Hausarbeit, schilderten ihr Unbehagen in der ungewohnten Rolle der Arbeitgeberin in ihrem Haushalt, beschrieben Probleme von Nähe und Distanz mit den Haushaltsarbeiterinnen. Die Akteurinnen generierten lebensgeschichtliche Narrative, die in einem retrospektiven Entwurf eine Antwort auf meine Ausgangsfrage suchten. Für dieses Erzählen gilt, was Wolfgang Kaschuba über das narrative Interview als zentrales Instrument der Feldforschung schreibt: „Es ist ein bewusstes und deutendes Erzählen über Vergangenes aus der Sicht der Gegenwart bzw. über Gegenwärtiges aus der Sicht des Sprechenden.“ Es geht nicht darum, „wie es war“, sondern, „wie es sich/mich darstellt“ (Kaschuba 2006, 210).

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Die Gespräche mit den Arbeitnehmerinnen wurden sowohl auf Deutsch als auch auf Polnisch geführt. Bis auf vier Arbeitnehmerinnen mit nur geringen Deutschkenntnissen sprachen alle Haushaltsarbeiterinnen relativ gut Deutsch. Diese Personen wählten zunächst die Fremdsprache als gemeinsame Sprache für das Interview. Józefina Starczynowska und Barbara Rybka wechselten im Fortgang des Gesprächs zwischen Deutsch und Polnisch hin und her, die anderen blieben bei Deutsch. Sowohl Józefina Starczynowska als auch Barbara Rybka – beide sprachen sehr gut Deutsch – hatten nie einen Deutschkurs besucht, wie sie betonten, sondern die Sprache ausschließlich im Zusammenhang mit der Haushaltsarbeit sowie mithilfe von Sprachkassetten und Wörterbüchern gelernt. Barbara Rybka erhielt bei ihren Arbeitgeberinnen ein Frühstück und somit eine Gelegenheit zur Unterhaltung. Am Abend habe sie alle Wörter, die sie tagsüber gehört und nicht verstanden hatte, nachgeschlagen und gelernt. „Ich rede vielleicht nicht richtig“, sagte sie, „kann aber alles sagen.“ Während die Arbeitgeberinnen gegen eine Aufzeichnung der Gespräche nichts einzuwenden hatten, lehnten dies einige der Haushaltsarbeiterinnen ab. In diesen Fällen machte ich mir während des Gespräches Notizen und fertigte hinterher ein Gedächtnisprotokoll an. Die auf Polnisch geführten Interviews habe ich transkribiert und übersetzt. Die Interviews, in denen die Haushaltsarbeiterinnen Deutsch sprachen, also eine Fremdsprache, die sie in der Regel ohne systematischen Unterricht durch die Praxis des alltäglichen Sprechens gelernt hatten, habe ich hinsichtlich Grammatik und Syntaxfehler geglättet. Dieser Intervention liegt die Überzeugung zugrunde, dass Sprachkompetenz eine sozial relevante Ressource darstellt und dass insbesondere Migrant*innen aus Osteuropa und nicht-europäischen Staaten wegen mangelnder Deutschkenntnisse ausgegrenzt und diskriminiert werden. Im Gegensatz dazu werden Migrant*innen aus den USA oder den Staaten des so genannten Kern-Europas selten aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse als nicht integrierfähig oder als sozial marginalisiert eingestuft (Bourdieu 1990).12 Mir ging es darum, Diskriminierungen aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse auszuschließen. Die Treffen mit den Informantinnen verliefen im gegenseitigen Bemühen um Respekt und Anerkennung einerseits und einer „Leidenschaft für die Differenz“

12 Pierre Bourdieu hat erstmals in den 1980er Jahren mit der Ökonomie des sprachlichen Tauschs den Zusammenhang zwischen Sprache und Macht thematisiert. Im Zentrum seiner sprachsoziologischen Überlegungen steht das Verhältnis zwischen soziologisch relevanten sprachlichen Differenzen und sozialen Unterschieden.

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andererseits (Moore 1994 zit. nach Lauser 2004, 56).13 Für die Dramaturgie der Begegnungen mit den Arbeitnehmerinnen war der Treffpunkt ein signifikantes Kriterium.14 Fanden die Gespräche in einem Zug, auf einer Parkbank, in einem Imbiss oder Café statt, gab es in der Regel einen den lokalen Gegebenheiten entsprechenden zeitlichen Rahmen: etwa die Fahrtzeit des Zuges von Berlin nach Kostrzyn, die verbleibende Wartezeit bis zur nächsten Zugverbindung, die Dauer einer Atempause zwischen zwei Jobs, die Zeit, bis man im Café ein zweites Getränk bestellen muss. Die verschiedenen öffentlichen Treffpunkte hatten meine Gesprächspartnerinnen vorgeschlagen, da sie auf je unterschiedliche Art und Weise zu ihrem (Arbeits-)Alltag gehörten. Sie waren ihnen vertraut, häufig kannten sie andere Personen, die sich etwa in der türkischen Kneipe, auf dem Bahnsteig oder im Zug Richtung Polen aufhielten. Die Lokalisierung meiner Forschung an verschiedenen Transit- und Kommunikationsorten reflektiert Mobilität als einen zentralen Aspekt im Leben der polnischen Haushaltsarbeiterinnen. Luden mich Arbeitnehmerinnen in ihre Berliner Wohnungen ein und übernahmen sie die Position von selbstbewussten, warmherzigen Gastgeberinnen, verwandelten sich die anfangs meist etwas steifen und förmlichen Begegnungen häufig in entspannte Unterhaltungen, in ausgedehnte Kaffee-und-KuchenPlaudereien, wie mit Józefina Starczynowska und Małgorzata Baranowska, oder in (polnische) Festmahle, wie bei Barbara Rybka und Janina Czerwona. Den ersten Treffen in den Wohnungen der Haushaltsarbeiterinnen folgten dann noch weitere Begegnungen.15 Im Gegensatz dazu waren die Gespräche in den Transiträumen, eingezwängt in kurze Zwischenstopps eines ansonsten rastlosen Unterwegsseins meist relativ kurz, ohne Raum für Abschweifungen. Die Haushaltsarbeiterinnen wirkten müde, gehetzt, sie sprachen meist leise als fürchteten sie, belauscht zu werden. Allerdings war es in keinem Fall schwierig ins Gespräch zu kommen, nie stockte der Fluss der Erzählung für längere Zeit. Fast immer gelang ein Dialog,

13 In ihrer ethnographischen Studie zu philippinischen Heiratsmigrantinnen beschreibt Lauser die Forschungsbeziehung als ein „Spiel mit der Differenz und der Gleichheit“ (Lauser 2004, 56). 14 Die Verschiedenheit der Treffpunkte bezieht sich ausschließlich auf die Gespräche mit den Haushaltsarbeiterinnen. Die Arbeitgeber*innen traf ich in ihren Privaträumen  mit Ausnahme eines Mannes, der sich mit mir in einem Café verabredete, das seinem Arbeitsplatz angeschlossen war. 15 Das emotionale Hin und Her, drinnen und draußen, vertraut und fremd sein der Forscherin im Feld hat Barbara Myerhoff als „fruitful paradox“ (1980, 18) beschrieben.

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nutzten auch die Haushaltsarbeiterinnen die Gelegenheit für Fragen. Bei den Treffen im privaten Ambiente wechselten die Gespräche meist rasch in einen vertrauensvollen Duktus, vom formalen Sie zum freundschaftlichen Du. Hatten die Haushaltsarbeiterinnen in die eigene Wohnung geladen, war der Tisch in Erwartung des Gastes gedeckt und Kaffee und Kuchen vorbereitet. Das Arrangement dieser Treffen verstand ich als Einladung zu einem Gespräch, das auf Offenheit und gegenseitiger Anerkennung basiert. Es waren meine Gesprächspartnerinnen, die auf diese Weise die Voraussetzung schufen, für das, was Pierre Bourdieu „die Konversion des Blickes“ nennt: Eine „Offenheit, die bewirkt, dass man die Probleme des Befragten zu seinen eigenen macht [...], eine Art intellektueller Liebe“ (Bourdieu 1997, 788ff.). So langwierig sich das Zustandekommen eines Gespräches oftmals gestaltete, so intensiv wurden letztendlich manche Begegnungen, wenn sie sich in ausgedehnte Feiern mit polnischen Speisen und Getränken verwandelten, in deren Verlauf Geschichten nicht nur erzählt, sondern auch nachgespielt wurden. Abenteuerliche, witzige, traurige oder auch schreckliche Geschichten haben die Akteurinnen an Küchentischen, auf Parkbänken, in Cafés oder auch in Zugabteilen aus der Erinnerung hervorgeholt, die ihnen in diesem Moment, in dieser konkreten Situation als ihre Repräsentation geeignet schien. Neben meiner Rolle als Forscherin wurde mir die Rolle des Gastes zugewiesen. Manchmal wurde ich als Fremde, manchmal auch als Vertraute angesprochen, als potenzielle Arbeitgeberin wurde ich wegen Jobs gefragt und als vermeintliche Expertin für deutsches Sozial- und Arbeitsrecht um Rat gebeten. Umgekehrt versuchte ich zu erfassen, in welcher Rolle meine Gesprächspartnerinnen angesprochen werden wollten, in welcher Rolle sie sprachen. Als Haushaltsarbeiterin? Als Migrantin? Als ehemalige Buchhalterin? Als junge Frau oder als eine mittleren Alters. „Als wen spricht er (sie) sie an?“, fragt Harry Hermanns (Hermanns 2007, 363) und  so könnte man ergänzen – als wer antwortet wer wem? Beim Zwei-Personen-Gespräch handelt es sich laut Hermanns um ein vielstimmiges „Stegreif-Drama“ (Hermanns 2007, 361). Diese Aufführung folgt keinem Textbuch, aber es gibt ein Thema und es gibt zwei Protagonistinnen. Doch weil sich  kaum hat das Stück begonnen  das Ausgangssetting auflöst, weil im freien Wechsel von Rollenübernahmen und Rollenzuweisungen, von Erzählung und kritischer Reflexion auch die scheinbar starren Positionen von Interviewerin und Interviewten in Bewegung geraten, ist es sinnvoller, anstelle vom Interview als „Stegreif-Drama“ von einem postdramatischen Erzählstück zu sprechen, das die beteiligten Akteurinnen spontan erfinden, inszenieren und dar-

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stellen und in dem Subjekte in schneller Abfolge aus verschiedenen Positionen agieren.16 In dem Bestreben um eine dialogische Forschungspraxis war ich bemüht, die Gemeinsamkeiten und die Differenzen  etwa die ungleichen Lebensbedingungen, ungleich verteilte Ressourcen oder unterschiedliche Perspektiven und Interessen  zu berücksichtigen. In diesem interaktiven Prozess der Wissensgenerierung wechselten sich Vertrauen und freundschaftliche Sympathie ab, mit Augenblicken großer Fremdheit und großer Distanz. Als ich Anett Kamińska zu einem zweiten Gespräch traf, hatte sie unmittelbar vor unserem Treffen eine Unterredung auf dem Arbeitsamt gehabt, bei der ihr Gesuch um eine Arbeitserlaubnis abschlägig beschieden worden war.17 Diese Ablehnung beeinflusste unser Gespräch insofern, als Anett Kamińska ihre negativen Erfahrungen mit den Deutschen auf dem Arbeitsamt auf alle Deutschen und auf das deutschpolnische Verhältnis insgesamt übertrug. „Ich denke nicht schlecht über Deutschland oder über Deutsche, also jeder ist ein Mensch, manche hassen Polen, manche mögen nicht so gerne Russen oder so was. Und ich kann nicht sagen, dass ich die Deutschen hasse. Aber zwischen Polen und Deutschland wird es nie einen guten Kontakt geben. [...] Für viele sind wir Polen einfach gar nichts.“ (Anett Kamińska)

Nach dieser unter Tränen vorgebrachten Äußerung fühlte ich mich sehr unwohl, konnte ich doch das Gefühl nicht loswerden, dass auch ich als Deutsche angesprochen wurde, als eine von denen, die sie diskriminierten. Ich ärgerte mich über das kollektive Wir für Polen und Deutsche gleichermaßen und war gleichzeitig voller Mitgefühl mit meiner so unglücklichen Gesprächspartnerin. Doch das Gespräch erstarrte keineswegs in dieser emotionalen Konstellation, trotz Wut und Tränen („Ich hab’ wirklich die Schnauze voll von Deutschland und Berlin.“). Aus der Perspektive Anett Kamińskas geriet es zu einer Achterbahnfahrt der Gefühle, die mit rasanter Geschwindigkeit, von großer Selbstsicherheit („Ich kann alles, was ich will.“) zu großer Unsicherheit („Fühle mich klein und schwach.“) wechselte. Meine Rolle war, wie es der Dramaturg Bernd

16 Einen guten Überblick zum postdramatischen Theater gibt die Studie von Hans-Thies Lehmann (1999). Eine profunde Kritik des postdramatischen Theaters findet sich bei Bernd Stegemann (2013). 17 Das Gespräch fand vor dem Inkrafttreten der Arbeitnehmerfreizügigkeit statt. Anett Kamińska benötigte eine Arbeitserlaubnis, um offiziell als Kinderfrau arbeiten zu können. Dieser Job war ihr gerade angeboten worden.

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Stegemann für den Zuschauer des postdramatischen Theater beschreibt, „in jedem Moment [...] zur sinnlichen Anteilnahme bereit (zu) sein“ (Stegemann 2009, 287f.) oder, um im Bild zu bleiben, für die Dauer der Begegnung in einem der Rollwägelchen der Achterbahn Platz zu nehmen und mitzufahren, wohin auch immer die Reise führt. Die Ethnologin wird zur Co-Autorin des Gesprächs, indem sie Fragen stellt, Tränen trocknet, in das Lachen einfällt, manches nicht versteht, sich ärgert und wundert und keinesfalls Widersprüchliches glättet. Gespräche, wie das mit Anett Kamińska ergeben am Ende keinen kohärenten Text, der einer linearen Plausibilität folgt, vielmehr besteht das Erzählstück aus einer Vielzahl von Parataxen, die sich aus der vertikalen Ausrichtung des chronologischen Erzählens lösen und in einer (Text-)Fläche ausbreiten. Die doppelte Forschungsperspektive wurde in den Gesprächen selten explizit thematisiert, obgleich alle Informantinnen meine Fragestellung und die daraus resultierende doppelte Perspektive kannten. Für mich bedeutete die Gleichzeitigkeit von studying down und studying sideways 18, die unterschiedlichen Rationalitäten der Frauen in ihrer Komplexität ohne Wertung gelten zu lassen. Das war nicht in jedem Fall einfach, da ich mich von meinem gesellschaftskritischen, feministischen Standpunkt aus a priori mit den Migrantinnen, deren Situation prekär war, solidarisierte. Im Gegensatz dazu schienen mir die Arbeitgeberinnen, ausgestattet mit den ökonomischen und kulturellen Ressourcen der Mittelschicht, selbstverständlich privilegiert. Daneben kannte ich aber auch aus eigener Erfahrung die Probleme, die sich aus der Gleichzeitigkeit von Berufstätigkeit und Kinderversorgung ergeben, und wusste um den Widerspruch von emanzipatorischen Gleichheitsforderungen und alltagspraktischer Resignation. Für meine Forschung bedeutete dies: Ich sympathisierte mit Arbeitgeberinnen und Arbeitnehmerinnen gleichermaßen, aus unterschiedlichen Gründen. Allerdings blieb das Verhältnis zu den Arbeitgeberinnen im Verlauf der Forschung wesentlich distanzierter als zu den polnischen Haushaltsarbeiterinnen. So wechselten wir in den Gesprächen nie vom formalem Sie zum persönlichen Du. Dennoch erleichterte die empathische Zuwendung  im Falle der Arbeitgeberinnen die ähnliche Lebenssituation  den Zugang zum Feld und ermöglichte Offenheit und gegenseitiges Vertrauen in den Gesprächen. Doch waren die Sympathien keineswegs immer gleich verteilt. Das wurde insbesondere im Schreibprozess deutlich. In der Rückschau erschienen die Treffen mit den polnischen Haushaltsarbeiterinnen wesentlich lebendiger, freundlicher und nicht zuletzt in-

18 Die Ausweitung der ethnografischen Perspektive – nicht nur down, sondern auch up und sideways  fordert die US-amerikanische Kulturanthropologin Laura Nader schon Ende der 1960er Jahre (Nader 1972, 292).

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teressanter. Schließlich erzählten die Arbeitsmigrantinnen von einem mir fremden Alltag, während die Arbeitgeberinnen in ihrem bürgerlichen Ambiente und ihrem Bemühen um politische Korrektheit mir nur allzu vertraut waren. Ein weiterer Aspekt, der meine Sympathie beeinflusste, war die Tatsache, dass die polnischen Haushaltsarbeiterinnen aus der Position der Marginalisierten sprachen. 4.3.2 Ethnografisches Schreiben | „Alle Deutungen sind vorläufig; sie werden von Subjekten gegeben, die von einer bestimmten Position aus sprechen und darauf vorbereitet sind, bestimmte Dinge zu erkennen, andere jedoch nicht.“ (Rosaldo 1984, 383)

Mein Forschungsprozess stellt sich in der Retrospektive als ein zähes und langwieriges Unterfangen dar, das sich über mehrere Jahre hinzog, immer wieder durch andere Verpflichtungen unterbrochen wurde und dessen Anfang und Ende nicht genau zu datieren sind. Das Forschungsfeld im Sinne eines Raums sozialer Beziehungen war und ist überall. So führe ich auch heute – während des ethnografischen Schreibprozesses –, wenn es sich zufällig ergibt, alltagsweltliche Gespräche mit einigen Akteurinnen meiner Forschung, mit Haushaltsarbeiterinnen und Arbeitgeberinnen gleichermaßen. Manche sind inzwischen zu guten Bekannten geworden. Wenn wir uns begegnen, frage ich nach dem Wohl der Familie, den Erfolgen der Kinder. Umgekehrt erkundigen sie sich nach dem Fortschritt meiner Arbeit, in der sie die Protagonistinnen sind. Die beiläufigen Anmerkungen und Informationen aus solchen Unterhaltungen nehme ich mit an den Schreibtisch, um sie dort in die „Fremde zu verschiffen“ (Geertz 1990, 128), in die Welt der akademischen Textproduktion. Aus dem Feld zurückgekehrt an den heimischen Arbeitsplatz stellt sich die Aufgabe, die zu Texten transformierten Erzählungen, die Bilder von heiteren Feiern und überfüllten Bahnhöfen, vom Kaffeetrinken in aufgeräumten Wohnungen und Ein-Familien-Häusern, das Weinen Anett Kamińskas im Ohr und den hellen Sprechgesang von Hania Kowalska zu einer neuen Erzählung für ein unbekanntes Publikum zu gestalten und zu interpretieren. Was wird ausgewählt? Wer kommt wie zu Wort? James Clifford hat ethnografische Texte im Kontext der Writing Culture-Debatte als „wahre Fiktionen“ (Clifford 1986, 6) bezeichnet. Andrea Lauser nennt sie in Anlehnung an Clifford „unsere Geschichten über ihre Geschichten“ (Lauser 2004, 49). „Jeder Ethnograph“, so Lauser, „wird sich – spätestens am Schreibtisch – peinlich bewusst, dass Kohärenz nicht den sozialen Strukturen und den Ereignissen selbst innewohnt, sondern durch die Arbeit des Geschichtenerzählens geschaffen wird“ (ebd., 48). In jeder Repräsentation findet

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sich das epistemologische Dilemma des machtvollen „Sprechens Über“19 und der Differenz von einer „Beschreiber und Beschriebenen, Gebranntmarkten“ (Fichte 1984, 364) generierenden Schreibpraxis. Dieses Dilemma erfordert, den Prozess des Entstehens der Repräsentation, also die „Gebundenheit der wissenschaftlichen Produktion an ihre Produktionsbedingungen als epistemische Differenz zwischen Interpretationstext und seinen alltagsweltlichen Bezügen“ (Mecheril 2003, 32ff.) systematisch zu reflektieren.20 Die kontinuierliche und methodisch verankerte Reflexion der eigenen Position und der sich daraus ergebenden Machtkonstellationen, die „Beobachtung der Beobachtung“, ist eine, wie Wolfgang Kaschuba es nennt, „Hauptaufgabe ethnologischer Wissenschaft“ (Kaschuba 2006, 105). Reflexion meint hier im Sinne von Bourdieu, die Reflexion der in den wissenschaftlichen Operationen eingelagerten Vorannahmen und Erwartungen, aber auch der emotionalen Verbindungen sowie der persönlichen Positionalität (Bourdieu 1993, 366; Bourdieu/ Wacquant 1996). 21 Dieses Konzept des situierten Wissens impliziert neben der Transparenz der Wissensgenerierung, die historische, politische und ökonomische Kontextualisierung der empirischen Daten. Es erfordert auch, die Beforschten nicht länger als Ressource wahrzunehmen, sondern als Akteur*innen und Agent*innen des Forschungsprozesses (Haraway 1996; Clifford 1986). Dies be-

19 Salman Rushdie beschreibt die ethnographische Repräsentation in den Satanischen Versen folgendermaßen: „Sie beschreiben uns [...] Sie haben die Macht der Beschreibung und wir sind den Bildern unterworfen, die sie sich von uns machen.“ (Rushdie 1989, 173) 20 „[...] [D]er positivistische Traum von der perfekten epistemologischen Unschuld verschleiert die Tatsache, dass der wesentliche Unterschied nicht zwischen einer Wissenschaft, die eine Konstruktion vollzieht, und einer, die das nicht tut, besteht, sondern zwischen einer, die es tut, ohne es zu wissen und einer, die darum weiß und sich deshalb bemüht, ihre unvermeidbaren Konstruktionsakte und die Effekte, die diese ebenso unvermeidbar hervorbringen, möglichst umfassend zu kennen.“ (Bourdieu 1977, 781 zit. nach Lauser 2004, 49) 21 Pierre Bourdieu unterscheidet zwischen „wissenschaftlicher Reflexivität“, die „zutiefst antinarzißtisch“ die „Verfeinerung und Verstärkung der Erkenntnismittel“ zum Ziel hat und der "narzißtischen Reflexivität", die sich damit begnügt, die Erfahrungen und Hintergründe des Wissenschaftlers zu explizieren (Bourdieu 1993, 365f.). Auch Michael Herzfeld weist auf diese Unterscheidung hin: „Reflexive excercises that seem merely to be a public form of psychoanalyses seem to offer far less insight than those which permit us to see our own cultural practices, anthropology prominently included, in a comparative context.“ (Herzfeld 2001, 46)

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deutet im konkreten Fall, die deutsch-polnische Geschichte einzubeziehen, ebenso wie die kritische Auseinandersetzung mit den tradierten und noch immer reproduzierten Bildern eines homogenen Osteuropas als einer rückständigen und im Sinne westlichen Fortschritts nachholungsbedürftigen Region (Vonderau 2010, 31). Das Ziel dieser Forschung ist es, die Dynamik des wechselseitigen Wahrnehmens und Verhandelns wie sie in den deutsch-polnischen Hausarbeitsverhältnissen zu beobachten ist, zu rekonstruieren und in einem hermeneutischen Verfahren nach dem subjektiven Sinn der Handelnden zu fragen (Schmidt 2007). Dieses sozialwissenschaftliche Sinn-Verstehen unterscheidet sich vom alltäglichen Verstehen durch das Thematisieren des strukturellen, institutionellen und kulturellen Eingebunden-Seins individuellen Handelns, von Zusammenhängen und Regeln (Soeffner 2007). In einem ersten Schritt werde ich zunächst die Hintergründe der Begegnungen anhand von Fallbeispielen nachzeichnen. Dies bedeutet, ich werde die persönlichen Aufbruchs- und Ausbruchsgeschichten heranziehen und daran zeigen, wie die Akteurinnen strukturelle Möglichkeiten für die eigene Lebensplanung nutzen. Die Erzählungen stellen Möglichkeiten individueller narrativer Strategien vor. Gleichzeitig handelt es sich um Beispiele für typische Erfahrungen und Verhaltensweisen im Umgang mit gesellschaftlicher Wirklichkeit. Dieser methodische Ansatz folgt dem Begriff der Typik, wie er von Bude für die Analyse biografischer Fallstudien in der empirischen Sozialforschung entwickelt wurde (Bude 1984, 24; Becker 2001, 35; Lauser 2004, 30). Danach stellt „jede individuelle Lebenskonstruktion [...] sozusagen den Fall einer typischen Lebenskonstruktion dar, für die es zwar nicht notwendig, aber doch wahrscheinlich noch weitere Fälle gibt“ (Bude 1987, 80). Die Rekonstruktion typischer Strukturen im Individuellen sagt jedoch nichts über deren Häufigkeit oder gar deren Repräsentativität aus, Typik und Repräsentativität, so Bude, „haben prinzipiell nichts miteinander zu tun“ (ebd.). Die Narrationen der Akteurinnen werden als fragmentarische Erzählungen verstanden, die sich aus diskursiven, sozialen und institutionellen Praktiken sowie aus konkreten und fiktiven Zeiten und Orten zusammensetzen (Schütze 1983; Gutiérrez Rodriguez 1999). In einem zweiten Auswertungsschritt habe ich schließlich die Gesprächstranskripte codiert. Dies bedeutet, den Text systematisch  geleitet von theoriegenerierenden Fragen  zu lesen und anhand von Begriffen und Überschriften, die aus dem Text entwickelt werden, zu Sinneinheiten zu ordnen. Dies geschieht durch den ständigen Vergleich der gefundenen Codes mit Textstellen, die Ähnlichkeiten aufweisen oder auch durch gegenteilige Aussagen hervorstechen. Durch die Zuweisung von Codes „werden Daten zu ‚Indikatoren‘“ (Mey/Mruck,

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2007, 25) für ein sich dahinter verbergendes Konzept. Aus der Verknüpfung der Codes mit theoretischen Konzepten lassen sich Kategorien für die Interpretation destillieren. Dieses Vorgehen basiert auf der Methode der Grounded Theory (Strauss/Corbin 1996; Legewie 2004). Die Darstellung meiner Forschungsergebnisse folgt der oben beschriebenen Auswertungslogik. Sie ist in zwei große Abschnitte gegliedert. Zunächst folge ich der Chronologie der Erzählungen. Ausgangspunkt der Erzählungen ist in jedem Fall die Frage nach den Gründen für die Arbeitsmigration bzw. für die Beschäftigung einer Haushaltsarbeiterin. Die Erzählungen der Arbeitnehmerinnen habe ich analog des geschilderten zeitlichen Verlaufs in Ursachen/Gründe, Ankunft und Verstetigung gegliedert und zu den einzelnen Themen Fallbeispiele ausgewählt. Der lineare Erzählmodus wird unterbrochen durch thematische Exkurse, die den diskursiven Rahmen der Erzählungen abstecken. Am Ende dieses Kapitel treffen sich die zwei aufeinander zulaufenden Erzählstränge metaphorisch in den Arbeitgeberinnenhaushalten. Mit der Begegnung der Akteurinnen ändert sich die chronologische Logik meiner Darstellung und wendet sich in Kapitel 6 querschnittartig den wesentlichen Motiven und Themen der Erzählungen zu.

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Nachdem ich die deutsch-polnischen informellen Hausarbeitsverhältnisse historisch kontextualisiert und in die Diskurse der transnationalen Migration sowie der Hausarbeitsforschung eingebettet habe, wechsle ich nun die Perspektive und wende mich den Nahaufnahmen meiner Forschung zu. Zuvor werde ich noch kurz auf drei Aspekte  Netzwerke, soziales Kapital und Mobilität – im Allgemeinen sowie im Besonderen der polnischen Arbeitsmigration eingehen. Sie sind für das Zustandekommen und das Gelingen der Arbeitsmigration entscheidend (Kapitel 5.1). Im weiteren Verlauf wende ich mich den Protagonistinnen meiner Forschung mit der Frage zu: Was veranlasst eine Ingenieurin, Gerichtssekretärin, Buchhalterin oder eine Friseurin, als Arbeitsmigrantin in Berlin Wohnungen zu putzen, und vice versa aus welchen Gründen entschließen sich Frauen, ihre Reproduktionsarbeit an eine andere Frau zu delegieren? Zunächst geht es um die Haushaltsarbeiterinnen (Kapitel 5.2), anschließend um die Arbeitgeberinnen (Kapitel 5.3). Grundlage für diese Nahaufnahmen sind die Erzählungen, die meine Gesprächspartnerinnen für ihre Selbstdarstellung gewählt haben. Mein Vorgehen folgt der Intention, die individuellen Geschichten des So-Geworden-Seins nachvollziehbar zu machen. Außerdem geht es darum, die darin enthaltenen Muster des transnationalen Arbeitens und Lebens sowie die mit der Arbeitsmigration verfolgten Strategien und Ziele darzulegen. Auf der Makroebene spiegeln diese Erzählungen, die „Transnationalisierung sozialer Ungleichheit“ (Haidinger 2013, 77) wider und damit die ökonomische Ungleichheit zwischen den Zentren der globalisierten Wirtschaft und den marginalisierten Regionen im Süden und Osten. Es handelt sich um Geschichten, die auch in anderen, mit Deutschland vergleichbaren Ländern des reichen Westens spielen könnten. Allerdings ist auf der Mikroebene der lebensgeschichtlichen Erzählungen das Besondere der polnisch-deutschen Begegnungen zu erkennen: Die geografische Nähe ermöglicht kurze Intervalle des Pendelns. Transnational

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agierende dichte Netzwerke helfen Anfängerinnen bei der Jobsuche und der Orientierung im unbekannten Arbeitsfeld der informellen Hausarbeit. Die in der deutschen Gesellschaft seit Langem etablierte polnische Gemeinschaft ist mit einer gut vernetzten Infrastruktur ausgestattet und garantiert Hilfe im Notfall.

5.1 NETZWERKE, SOZIALES KAPITAL UND MOBILITÄT | Die Bedeutung sozialer Netzwerke im Zusammenhang mit Migrationsentscheidungen und -verläufen wird in der Migrationsforschung seit den 1990er Jahren thematisiert (Lutz 2007; Pries 1997; Cyrus 2003). Danach sind vor allem die sozialen Beziehungen, die zwischen Herkunfts- und Zielländern existieren, für die Entscheidung zur Arbeitsmigration zentral. Der Zugang zum informellen Arbeitssektor funktioniert ausschließlich über soziale Netzwerke. Eine institutionalisierte Anwerbung von Arbeitsmigrant*innen, wie sie etwa in den 1960er Jahren die Bundesregierung in der Türkei betrieben hat, oder wie sie bei den polnischen Saisonarbeiter*innen für die Spargel- oder Erdbeerernte auch heute noch üblich ist, ist im Feld informeller Haushaltsarbeit nicht möglich. Diese Arbeit findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Einen typischen Einstieg in das transnationale Arbeitsleben beschreibt Marysia Szarek. „Ein Bekannter von meiner Mutter, mit dem sie mal zusammengearbeitet hat, ist nach Berlin gezogen. Später hat er seine Kinder hierher geholt. Da war ich noch klein. Der Kontakt bestand über die Jahre. Mit einem der Kinder, mit dem Sohn, bin ich in die gleiche Klasse gegangen. Er nahm mich mit. Zweimal, dreimal. Er hat mich hierher geholt. Ich fand eine Arbeit. So bin ich hier geblieben. Aber so insgesamt waren das Bekannte meiner Mutter.“ (Marysia Szarek)

Im Kontext von Migration entstehen soziale Netzwerke auf der Grundlage ethnisch-nationaler Zugehörigkeit. Migrantische Netzwerke basieren in der Regel auf der Gemeinsamkeit von Sprache und Herkunft. Ethnische Netzwerke bündeln Wissen, das für das Reisen, Arbeiten und die Organisation des Alltags von Bedeutung ist. Hier treffen Akteurinnen mit unterschiedlichen Erfahrungen und sozialen Positionen aufeinander, meist zum gegenseitigen Vorteil. Sie dienen der Vermittlung eines Jobs, der Weitergabe wichtiger Informationen, wie etwa preiswerter Transfermöglichkeiten von und nach Polen, Kontakte für die Vermittlung von Übernachtungsmöglichkeiten sowie Informationen die Arbeit be-

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treffend, etwa zur angemessenen Bezahlung, zu Art und Umfang der zumutbaren Arbeit (Fuhse 2008; Lutz 2007, Hess 2009). Die Beziehungen innerhalb dieser Netzwerke sind von unterschiedlicher Qualität. Handelt es sich um persönliche Beziehungen, dann kennen sich die Akteurinnen meist schon von zu Hause, aus ihrem Dorf, ihrer Stadt. Diese Verbindungen sind gekennzeichnet von einem relativ hohen Grad gegenseitiger Verpflichtung und Verantwortlichkeit. Wesentlich niedriger sind dagegen die Erwartungen, wenn sich die Gemeinsamkeit auf das Polnisch-Sein beschränkt. Eine weitere Kategorie bilden die Akteurinnen, die schon lange in Deutschland leben, Deutsch und Polnisch sprechen sowie Kontakte zu Arbeitgeberinnen haben (Holzer 2006). Diese Akteurinnen operieren als Vermittlerinnen nach beiden Seiten und können ihr im Verlauf der eigenen Migration angehäuftes kulturelles Kapital (Sprachkenntnisse, transkulturelle Kompetenz) in dem transnationalen sozialen Netzwerk gewinnbringend einsetzen. Das durch die Netzwerke generierte soziale Kapital ist, wie Bourdieu es definiert, eine Ressource von Individuen, die aufgrund ihrer sozialen Beziehungen in ein gut funktionierendes Netzwerk eingebettet sind (Bourdieu 1997, 55; Haug 2000, Fuhse 2012). In der Migrationsforschung definiert Thomas Faist soziales Kapital als „the capacity of individuals to employ (scarce) resources such as information, contacts and money because they are participants and members in social networks and organizations“ (Faist 1995a, 4 zit. nach Haug 2000). Das Nicht-Eingebunden-Sein in institutionelle, staatliche Strukturen der transnationalen informellen Ökonomie generiert auf Reziprozität gegründete Beziehungen. Im Sinne von Marcel Mauss regelt hier das Prinzip des Gabentauschs die sozialen Kontakte.1 Die Inanspruchnahme der Dienste der Arbeitsmigrationsexpertinnen geht einher mit einer Reziprozitätsverpflichtung (Holzer 2006). Holzer spricht in diesem Zusammenhang von einer „Reziprozitätsnorm“ (Holzer 2006, 12). Die Gewinne, die durch die Mitgliedschaft in einem sozialen Netzwerk erzielt werden  soziale und ökonomische gleichermaßen  müssen in der Regel zurückgezahlt werden. Hilfestellungen im Kontext der informellen Haushaltsarbeit (u. a. Arbeits-, Job- und Zimmervermittlung) werden häufig als kostenpflichtige Dienstleistungen behandelt.

1

In dem Essai sur le don aus dem Jahr 1923 hat Marcel Mauss auf der Grundlage von ethnografischen Aufzeichnungen u. a. von Franz Boas und Bronisław Malinowski eine Theorie der Gabe erarbeitet, die drei fundamentale Prinzipien des Gebens und Nehmens beinhaltet: 1. Die Notwendigkeit eine Gabe zu geben, 2. eine Gabe anzunehmen und 3. sie zu erwidern (Mauss 1968).

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Die wichtigsten Akteurinnen in den sozialen Netzwerken der Haushaltsarbeiterinnen sind in der Regel Vorgängerinnen, die im Laufe der Zeit zu Migrationsexpertinnen aufgestiegen sind. Das sind ehemalige Haushaltsarbeiterinnen, die sich im Zielland etabliert haben und nun ihr Wissen um Unterkünfte und Jobs sowie ihre Sprachkenntnisse für die (Übersetzungs-)Hilfe im Falle eines Konflikts am Arbeitsplatz oder auch Informationen über preiswerte Reisemöglichkeiten gewinnbringend an Novizinnen weitergeben. Neben der Vermittlung von Jobs, die Bezahlung dieser Dienstleistung richtet sich nach der Höhe des zu erwartenden Einkommens, sowie der Vermietung von Schlafplätzen werden die Sprachkenntnisse der Migrationsveteraninnen am dringendsten benötigt. So haben Sprachunkundige beinahe immer die Telefonnummer einer Kollegin oder auch eines Verwandten/Bekannten in der Tasche, um bei Kommunikationsproblemen Hilfe rufen zu können. Die Arbeitnehmerinnen erinnerten sich in den Gesprächen qualvoll an ihre ersten stummen Auftritte am neuen Arbeitsplatz. Eine Arbeitgeberin berichtete, dass sie seit Jahren ausschließlich über eine Dritte mit ihrer Haushaltsarbeiterin kommuniziert. Migrationsexpertinnen avancieren zu Vermittlungsagentinnen. Dies bedeutet einen Statusgewinn für die Akteurinnen und kann darüber hinaus einen zusätzlichen Verdienst einbringen oder eine Verpflichtung generieren, die sich vielleicht später auszahlt (Lauser 2004, 103). Der grenzüberschreitende Transfer von Reproduktionsarbeit ist gewöhnlich „just-in-time“ (Karjanen 2008, 162) organisiert.2 Dies ist zum einen davon abhängig, wann und in welchem Umfang die Dienstleistung der Haushaltsarbeiterin gebraucht wird, und wann sie das Herkunftsland verlassen kann, zum anderen, ob das Versorgungsnetzwerk für Kinder, Ehemänner und/oder Eltern im Heimatland funktioniert. Die Arbeitsmigrantinnen benötigen also für die bezahlte und die unbezahlte Versorgungsarbeit Stellvertreterinnen, die die Kontinuität ihrer Arbeit zuverlässig gewährleisten.3 So gesehen ist für die Mobilität der Einen das Am-Ort-Bleiben der Anderen konstitutiv. Dies bedeutet jedoch nicht zwangsläufig eine Dichotomie von Mobilität vs. Sesshaftigkeit. Sind die Zuhausegebliebenen zwar physisch nicht mobil, sind sie jedoch emotional und kognitiv durch den Austausch mit denjenigen, die ständig unterwegs sind, an deren migrantische und diasporische Erfahrungsräume angeschlossen. Die Mobilität der Einen nährt somit die Aspiration der Zu-

2

Der Begriff der „‚Just in time‘ migration“ von David Karjanen betont die Flexibilität der Arbeitsmigration im informellen Dienstleistungssektor. „[...] [I]n contrast to the traditional cyclical or seasonal migrant pattern, the movement of migrants is not regularly scheduled [...].“ (Karjanen 2008, 162)

3

Siehe hierzu Kapitel 3.2.

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hausegebliebenen, sich in anderen Realitäten zu verorten und zeigt gleichzeitig konkrete Möglichkeiten auf, diese Aspiration zu verwirklichen (Appadurai 1996; 2001). Die hier thematisierten Voraussetzungen und möglichen Effekte von Arbeitsmigration machen noch einmal deutlich, dass sich die Akteurinnen dieser Forschung in einer jenseits von staatlicher Regulierung und Kontrolle etablierten Schattenökonomie bewegen. Diese parallel zum offiziellen Arbeitsmarkt existierende Ökonomie funktioniert nach eigenen Gesetzen und Maßstäben, wie noch empirisch zu zeigen sein wird. Die informellen Strukturen erscheinen wie ein weit verzweigtes Netz, das zugleich Herkunfts- und Zielland wie Transitzonen der Arbeitsmigrantinnen verbindet als auch die marktgerechten Anforderungen und Reziprozitätspflichten miteinander verknüpft. Die Anforderungen an die Akteurinnen in diesem transnationalen Netzwerk entsprechen denjenigen, die für neoliberale Subjekte gelten: flexibel, eigeninitiativ und risikobereit.

5.2 AUFBRUCH AUS POLEN, ANKUNFT IN BERLIN: DIE HAUSHALTSARBEITERINNEN | Wie begann das Leben als Haushaltsarbeiterin in Berlin? Was veranlasste eine Abiturientin, die von einem Studium träumte, eine Ingenieurin, die jahrzehntelang im Sozialismus in einem Reisebüro einen privilegierten Job hatte, eine Studentin im zweiten Semester, eine Rentnerin, die in ihrem Arbeitsleben Buchhalterin war, eine ehemalige Gerichtssekretärin, eine Küchenhilfe aus einer Stadt, einem Dorf, in dem sie viele Jahre gemeinsam mit ihren Familien gelebt hatten, aufzubrechen nach Berlin, um dort in privaten Haushalten zu arbeiten? Was oder wer trieb sie zu der Entscheidung, das vielleicht problematische, aber doch vertraute, sichere Zuhause-Sein gegen das ungewisse, unvertraute Leben im Transit als Arbeitsmigrantin einzutauschen? Der Bruch mit dem bisherigen Leben erscheint in der autobiografischen Retrospektive als eine vielschichtige Entscheidung. Im Folgenden werde ich einige Aufbruchsgeschichten meiner Interviewpartnerinnen aus Polen vorstellen. In diesen Erzählungen sind unterschiedliche Themen verwoben, wie die familiäre Rolle und soziale Bindungen der Protagonistinnen oder auch die Strategien des Geldverdienens.

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5.2.1 Gründe für den Aufbruch | Meine polnischen Interviewpartnerinnen führen unterschiedliche Ursachen an, die sie veranlasst hatten, aus Polen aufzubrechen, aber immer geht es darum, einen plötzlichen Bruch, eine radikale Veränderung im bisherigen Leben zu begründen. Als zentrales Argument für das Weggehen von zu Hause nennt die Mehrzahl meiner Gesprächspartnerinnen zunächst den Wunsch, Geld zu verdienen, das heißt mehr Geld als es für sie zu diesem Zeitpunkt in Polen möglich war. Im Vergleich zu Deutschland verdiente man in Polen wesentlich weniger. 4 Die Neustrukturierung der polnischen Wirtschaft vergrößerte das Risiko der Arbeitslosigkeit insbesondere für Frauen, darunter vor allem für Frauen über 55 Jahre. Insgesamt übersteigt die Zahl der arbeitslosen Frauen seit vielen Jahren die Zahl der arbeitslosen Männer. Erschwerend kommt hinzu, dass Frauen länger ohne Arbeit bleiben als Männer und größere Schwierigkeiten haben, eine Arbeit zu finden.5 Während meine älteren Gesprächspartnerinnen häufig die für sie besonders schwierige Arbeitsmarktlage und finanzielle Notlagen als Gründe für ihren Aufbruch nach Berlin nennen, beanstanden die Jüngeren, dass sie in der neuen Gesellschaft kein Studium finanzieren bzw. nach einer Ausbildung keine Arbeit finden konnten. In dieser Gruppe erscheint die Arbeitsmigration als eine rite des passage, um u. a. das notwendige ökonomische Kapital für eine Ausbildung zu verdienen. Die 27-jährige Anett Kamińska ist in einem kleinen Dorf aufgewachsen, wenige Kilometer entfernt von der polnisch-deutschen Grenzstadt Kostrzyn. Dort hatte sie die Schule mit dem Abitur abgeschlossen und arbeitete danach zwei Jahre im Büro eines deutsch-polnischen Unternehmens. Als die Firma in Kon-

4

Ende 2015 lag der monatliche Mindestlohn in Polen bei 1.200 PLN circa 280,00 Euro.

5

Auch wenn die Arbeitslosenzahlen in Polen von über 20 Prozent nach dem Milleni-

2012 betrug das monatliche Existenzminimum umgerechnet ca. 400 Euro. umswechsel inzwischen auf unter zehn Prozent im statistischen Durchschnitt gesunken sind, bedürfen diese Daten der differenzierten Interpretation. Basierend auf Statistiken aus den Jahren 2011/2012 weist der Politikwissenschaftler Maciej Duszczyk auf die großen regionalen Unterschiede zwischen Großstädten und ländlichen Gegenden in Polen hin. Während bei den Arbeitslosenzahlen Warschau mit vier Prozent die geringste Arbeitslosenquote aufweist, pendelt die Zahl der Arbeitslosen auf dem Land nicht selten zwischen 20 und 30 Prozent, der Spitzenwert liegt hier bei 36,7 Prozent. Die Löhne erreichen in diesen Regionen zudem oft nicht das Existenzminimum. Die Aussagekraft der Statistiken ist u. a. gering, da Hunderttausende polnischer Bürger*innen im Ausland ihr Geld verdienen (Duszczyk 2013; Firlit-Fesnak 2002).

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kurs ging, wurde sie arbeitslos und ergriff die nächstbeste Gelegenheit nach Berlin zu gehen. „[...] [D]amals wollte ich schon studieren, damals. Aber dann habe ich gesagt, okay, erst mal gebe ich mir etwas Zeit [...]. Das war alles ganz spontan.“ (Anett Kamińska)

Die 25-jährige Aśka Olczyńska kommt aus einem kleinen Dorf in der Nähe der Universitätsstadt Zamość im Südosten Polens. Nach dem Abitur hatte sie ein Jahr Ökonomie in Zamość studiert. Als der Vater starb, konnte die Mutter das Studium nicht länger finanzieren. Sie beschloss wegzugehen, um zu arbeiten, um Geld für das Studium zu verdienen. Ihre Wahl fiel auf das tausend Kilometer entfernte Berlin, wo eine Freundin seit zwei Jahren lebte und ihr den ersten Job vermittelte. Die Begründungen für den Beginn der Haushaltsarbeit in Berlin ähneln sich innerhalb der Altersgruppen. Den Jüngeren (Anfang bis Ende 20, ohne Kinder) fiel es wesentlich leichter, die Arbeitsmigration auch als eine emanzipatorische Chance zu begreifen. Neben dem Gelderwerb wurden in dieser Gruppe u. a. Lust auf neue Erfahrungen, Erwerb von Sprachkenntnissen oder auch einfach nur „besser-als-zu-Hause-rumsitzen“ genannt. Insgesamt verbindet diese Gruppe mit der Arbeitsmigration eher positive Erwartungen und Hoffnungen, die Zukunftsaussichten durch die Arbeit zu verbessern. Die Älteren hingegen sind davon überzeugt, dass sie auf dem polnischen Arbeitsmarkt chancenlos sind und für sie keine Alternative zur informellen Hausarbeit existiert. Infolge des Umbaus der sozialistischen Volkswirtschaft in eine kapitalistische sind ihre beruflichen Qualifikationen entwertet worden: Das Ingenieursstudium, die Ausbildung zur Agrotechnikerin oder die langjährige Erfahrung als Buchhalterin in einem volkseigenen Kombinat sind wertlos geworden. Zwanzig Jahre hatte Józefina Starczynowska dort gearbeitet. Ihre Erfahrungen, klagt sie, zählen heute nichts. Ihre Geschichte vom Aufbruch handelt von materieller Not, familiären Krisen und der verwandtschaftlichen Pflicht zur Sorge. Ihr Handeln ist eingebettet in eine Mischung aus Altruismus, Opferbereitschaft und Mut. Materielle Not Józefina Starczynowska ist zum Zeitpunkt unseres Gespräches 57 Jahre alt. Sie ist eine von fünf Haushaltsarbeiterinnen, die mich zu einem Gespräch in ihre Berliner Wohnung einlädt. Frau Starczynowska pendelt seit zehn Jahren zwischen Jelenia Góra und Berlin. Die Entfernung beträgt knapp 290 Kilometer. Seit drei Jahren wohnt sie in Berlin-Neukölln. Die Ein-Zimmer-Wohnung  Hin-

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terhof, Parterre  hat ihr ein polnischer Bekannter zur Untermiete überlassen. Vier Tage in der Woche schläft Frau Starczynowska in Berlin, die übrige Zeit lebt sie in Polen. Hält sie sich in Jelenia Góra auf, vermietet sie in ihrer Berliner Wohnung Schlafplätze an Kolleginnen. Vor zwei Jahren hat sich ihre erwachsene Tochter ihr angeschlossen: Drei Tage in der Woche teilt sie sich Wohnung und Arbeitsstellen mit der Mutter. Józefina Starczynowskas Erzählung ähnelt einem Drama von Ibsen, in dem die Gegenwart durch die Entdeckung der Vergangenheit plausibilisiert wird. Ihre Erzählung beginnt mit einem Schicksalsschlag, der sich vor zehn Jahren ereignete, als ein Enkelkind lebensbedrohlich erkrankte. Um die teure und am Ende erfolgreiche Behandlung zu bezahlen, hatte die Großmutter einen Kredit aufgenommen. Um die Raten für den Kredit zu zahlen, war sie dann, wie sie sagt „Hals über Kopf“ losgezogen, hat Haus und Garten, Kinder und Enkelkinder verlassen, um in Berlin zu arbeiten, wo ihre Nachbarin und andere Frauen aus ihrem Bekanntenkreis schon seit einiger Zeit „gutes Geld verdienten“. Józefina Starczynowska hatte 30 Jahre, ein ganzes Erwerbsleben lang als Buchhalterin gearbeitet. Es sind Daten aus der Vergangenheit, Normen, Werte, Klassifikationen einer Gesellschaft, die seit mehr als 25 Jahren nicht mehr existiert, mit denen Józefina ihren sozialen Status markiert. Ihr Mann war Direktor jenes großen, staatlichen Unternehmens, bei dem sie als Buchhalterin gearbeitet hatte. Ihnen ging es gut während des Sozialismus und doch, betonte sie, sei sie „immer parteilos“ gewesen. Diese Information macht deutlich, dass sie in ihrer Repräsentation Wert darauf legt, als unangepasst, als nonkonformistisch zu erscheinen. Der Zerfall der sozialistischen Gesellschaftsordnung in Polen, die Etablierung eines Transformationsregimes hat Józefina Starczynowska wie viele ihrer Kolleginnen  wenn auch aus unterschiedlichen Gründen  aus der Mitte der Gesellschaft an den Rand gedrängt, zumindest ins ökonomische Abseits. Es ist die Not, betont Józefina Starczynowska, die sie zu dem Leben als „sprzątaczka“ (Putzfrau) gezwungen habe. „Ja jestem pani w Polsce“, beschreibt sie ihre soziale Position in Polen. Zu Hause ist sie eine geachtete, wohlhabende Frau, kein Dienstmädchen, sondern Pani Józefina, Hausbesitzerin, ehemalige Buchhalterin und Ex-Ehefrau eines Fabrikdirektors. Die Arbeitsmigration, die einhergeht mit einer sozialen Deklassierung im Zielland der Migration, 6 ist für sie die einzige Möglichkeit, in Polen den gewohnten materiellen Lebensstandard aufrecht zu halten. Aus diesem Grund hat sich die Arbeitsmigration – zunächst als Proviso-

6

Den Begriff der „contradictory class mobilitiy“ (Parreñas 2001, 3) wird in Kapitel 3.3 ausführlicher diskutiert.

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rium, als etwas zeitlich Begrenztes konzipiert  auch bei der Mehrheit meiner älteren Gesprächspartnerinnen verstetigt. Angekommen in der Gegenwart, berichtet Józefina Starczynowska, dass der erste Kredit längst getilgt sei und sie nun für die Rückzahlung eines zweiten Kredits arbeite. Das Geld hatte sie für die Renovierung ihrer Wohnung in Polen benötigt. Außerdem unterstütze sie mit der Arbeit ihre alte Mutter und ihren Sohn, der als Automechaniker in Jelenia Góra umgerechnet 125 Euro im Monat verdiene. 5.2.2 Suche nach einem neuen Leben: Lust auf Veränderung | Hat sich Józefina Starczynowska als passiv, von den Umständen getrieben entworfen, entscheidet sich Janina Czerwona für die Figur der Glückssucherin. Zum Zeitpunkt unseres Gespräches war Janina Czerwona 45 Jahre alt. Vor mehr als zehn Jahren war sie aufgebrochen aus der Kleinstadt, in der sie aufgewachsen war. Ihre Tochter war gerade zwölf Jahre alt. Zunächst pendelte sie zwischen Polen und Deutschland, dann zwischen Polen und den Niederlanden. Einige Monate bevor wir uns das erste Mal trafen, hatte sie ihr Quartier in Berlin bezogen, wo ihre Schwester seit sieben Jahren lebte. Die Alleinerziehende Janina Czerwona begründet ihren Aufbruch mit dem Wunsch nach einem neuen Leben, das sie in Polen nicht finden konnte. Janina Czerwona ist gelernte Hotelfachfrau und hat eine Ausbildung in der Landwirtschaft absolviert. In Polen hatte sie zuletzt als Zuschneiderin in einer Kleiderfabrik gearbeitet, wie ihre Mutter. „Ich war nicht glücklich da in Polen“, fasste sie ihr Lebensgefühl zusammen. „Ich komme von einer kleinen Stadt, da ist nicht genug Arbeit. Doch wir wollen was tun im Leben. Ich bin geschieden und habe eine Tochter. Sie ist schon eine erwachsene Frau, sie [ist] 22 Jahre. [...] Ich habe sie in eine Ballettschule geschickt, wo sie nur am Wochenende zu Hause ist. [...]. [Am Wochenende] musste ich sie abholen und [dann] wieder zurückbringen.“ (Janina Czerwona)

Nachdem Janina Czerwona ihre Tochter auf einem Internat angemeldet hatte, zog sie los, auf der Suche nach Arbeit und Glück, wie der Hans im Märchen, wenn auch zunächst nur von Montag bis Freitag. Das Wochenende gehörte der Tochter in Polen. Zum Zeitpunkt unseres Gespräches tourt die Tochter mit einer Tanzcompagnie durch Europa und Janina Czerwona fährt nur noch unregelmäßig nach Polen, wo Mutter und Schwester wohnen und sie eine eigene Wohnung besitzt.

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Janina Czerwona schildert ihren Aufbruch als Chance, ihre lange Reise  von Polen nach Berlin, von Berlin in die Niederlande, von dort wieder zurück nach Polen und wieder nach Berlin  unaufgeregt, ohne existentielle Bedrohungen, eine alltägliche Geschichte mit guten und schlechten Momenten. „Wenn Mensch etwas erreichen will im Leben, dann muss [er] sich richtig Mühe geben, hart arbeiten. Manchmal war ich sehr müde, habe nur ein bisschen gesessen, konnte nicht mal mehr ein Buch lesen vor dem Einschlafen.“ (Janina Czerwona)

Janina Czerwona entwirft sich in der Figur der Nomadin, die Mobilität nicht als Bruch oder Entwurzelung wahrnimmt, sondern als eine Bereicherung. 7 In ihrer Erzählung ist sie das handelnde Subjekt. Von äußeren Umständen (Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit) allein, will sie sich nicht treiben lassen, viel mehr ihr Leben selbst in die Hand nehmen. „Ich lebe, wie ich lebe in Polen. Für mich sind die Menschen überall die gleichen, nur die Sprache ist kompliziert. [...] Ich weiß ich bin [hier] nicht zuhause. In Polen, fühle ich mich auch nicht zuhause. Mein Zuhause ist in meinem Kopf.“ (Janina Czerwona)

Der Normalität der Sesshaftigkeit hält sie die Normalität der Bewegung entgegen. Sie konstruiert eine deterritorialisierte Kontinuität. Indem sie die Fremde in das Eigene verwandelt, nimmt sie dem Unbekannten den Schrecken. 5.2.3 Zum Aufbruch verlockt | Hania Kowalska hat für ihre Selbstdarstellung die Rolle der Verführten gewählt, die nicht ausreichend Kraft und Argumente besaß, um sich zu wehren. In Hania Kowalskas Erzählung ist es eine Schwägerin, die es zu verantworten hat, dass sie ein neues Leben wagte. „Meine Schwägerin wohnt hier [in Berlin]. Sie hat mich hierhergeholt. Ich wohne bei meiner Schwägerin. In Charlottenburg. Die Schwägerin hat zwei Zimmer, Küche. Sie ist nicht verheiratet. Eine Deutsche. Ich habe es gut getroffen. Sie hat niemanden.“8 (Hania Kowalska)

7

Zum Konzept des Nomadischen siehe Kapitel 3.4.

8

Wie sich im Laufe des Gespräches herausstellte, war die Schwägerin als Aussiedlerin bzw. Spätaussiedlerin nach Deutschland gekommen.

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Zum Zeitpunkt unseres Gespräches war Hania Kowalska gerade 50 Jahre alt geworden, seit fünf Jahren arbeitete sie als Haushaltsarbeiterin in Berlin. Ohne einen qualifizierten Schulabschluss und ohne Berufsausbildung hatte sie in Polen viele Jahre in der Kantine einer Schule gekocht, bis sie vor einigen Jahren entlassen wurde. Ihre Chancen, noch einmal einen Job zu finden, beschreibt sie als sehr gering. Hania Kowalska ist verheiratet, hat zwei erwachsene Kinder und zwei Enkelkinder. „Chodź Haniu, chodź! (Komm’ Hania, komm’!)“ habe die Schwägerin gelockt, sagt sie und schlüpft in die Rolle der Schwägerin, um die suggestive Kraft ihrer Worte zu verdeutlichen. In einem Straßencafé im Zentrum Berlins erhebt sich Hania Kowalska und demonstriert mit einer kleinen Schauspielerinnenetüde, was ihr geschehen war. Die Arme ausgebreitet, als wolle sie ein imaginäres Gegenüber umklammern, den Mund verführerisch gespitzt, stimmt sie mit hoher Stimme einen Sprechgesang an. „Komm’ Hania, komm’! Verdienst du dir etwas. Zuhause ist es schwer. Verdienst du dir was dazu. Eine Stelle wird sich für dich finden. (Sie setzte sich und sagte, jetzt wieder in der Person Hania Kowalska mit ihrer eigenen Stimme): Deshalb bin ich gekommen.“ (Hania Kowalska)

Eine Aufforderung zur Bewegung: Lauf los, statt in den finanziellen Schwierigkeiten, der Langeweile des immer Gleichen zu verharren, stillzustehen. Das klingt vernünftig und  so wie Hania Kowalska die Szene nachspielt  gleichermaßen verführerisch und bedrängend, etwas Verbotenes zu wagen, eine Grenzüberschreitung, nicht nur im Sinne einer Überschreitung der Landesgrenzen, sondern auch die der traditionellen (Frauen-)Rolle. Die Figur der Schwägerin ähnelt in dieser Darstellung einer Märchenhexe, die ein unschuldiges Kind mit Versprechungen lockt, Dinge zu tun, die verboten sind, vielleicht sogar gefährlich, jedenfalls ein Abenteuer bedeuten. Statt wie bisher in ihrem Haus  „Ein schönes Haus. Ein kleines Haus.“ (Hania Kowalska)  in der Ruhe zu verharren, ermunterte die Verwandte sie, sich zu verändern. Hania war aufgerufen, Ehemann, (erwachsene) Kinder und Enkelkinder zu verlassen, die Vertrautheit und Überschaubarkeit des Dorfes gegen die fremde, unübersichtliche Großstadt einzutauschen und sie packte ihren Koffer. Die Schwägerin hatte sie überredet, so die Geschichte, die sie mir erzählt, etwas ganz und gar Neues zu wagen und ihre gewohnte Rolle als Hausfrau und Mutter gegen die einer  zumindest zeitweise und partiell  unabhängigen Frau, einer Abenteurerin einzutauschen. Hania Kowalska, die noch nie im Ausland gewesen war und keine Fremdsprache sprach, sollte ihr Leben verändern, das Abenteuer suchen, sich bewegen, statt still zu stehen. Im Märchen können die meist armen Kinder

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und verzauberten Märchenprinzessinnen selten den Verlockungen der bösen Hexe widerstehen, und so  darauf legt Hania Kowalska besonderen Wert  ist es auch ihr ergangen. Mit der Reinszenierung der wörtlichen Rede bekräftigt sie den Wahrheitsgehalt ihrer Aussage. Die Schwägerin hat mich hergeholt, es ist ihre Schuld.9 Der Stellenwert dieser Textpassage erschließt sich im Blick auf die gesamte Erzählung, in der die wörtliche Rede als Stilmittel nur ein einziges Mal auftritt. Es scheint, als ob Hania Kowalska und die meisten ihrer Kolleginnen im Zusammenhang mit der Migrationsentscheidung als handelnde Subjekte im Hintergrund bleiben möchten. Ihre Begründung für den Aufbruch wirkt defensiv, beinahe entschuldigend. Als ginge es darum, die moralische Integrität ihres Handelns gegen imaginäre Vorwürfe zu verteidigen. In der Rolle der Verführten, ebenso wie in der sich Aufopfernden – „Ich arbeite, damit ich den anderen den Kindern und Enkelkindern helfen kann.“ (Hania Kowalska) – werden traditionelle weibliche Figurationen (die naiv Passive, die Mater Dolorosa) aufgerufen, denen viele Frauen in Polen, obwohl ökonomisch unabhängig und häufig die bread winner der Familien, zumindest in der öffentlichen (Selbst-)Darstellung noch immer entsprechen. Unmittelbar nach der szenischen Darstellung ergänzt Hania Kowalska ihre Verteidigungsstrategie durch den Verweis auf ihre Lebensgeschichte. Als sie sich zur Arbeitsmigration entschied, so ihre Erzählung, war sie in der Rolle der sorgenden Hausfrau und Mutter, wenn auch nicht ganz und gar überflüssig, so doch zunehmend entbehrlich. Der (zeitweilige) Ausbruch aus der Familie wird durch eine biografische „Abfolgelogik“ (Bukow u. a. 2006, 25)  dem Ende der Familienarbeit  plausibilisiert. „Die Kinder waren schon erwachsen. Die Tochter hat zwei Kinder; der Sohn hat ein Kind. Alles ist da. Sie leben ihr Leben. Haben eigene Familien. Mein Mann muss auch irgendwie klarkommen. Ich fahre ihn ja besuchen. Übers Wochenende. Unterschiedlich. Einmal im Monat. Alle zwei Wochen. Es hängt davon ab, wie sich alles fügt. Wann ich Arbeit habe. [...] In Polen, na klar, da ist die Familie. Ein schönes Haus. Ein kleines Haus. So durchschnittlich. Mein. Die Tochter wohnt oben. Ich unten. Sohn bei der Schwiegermutter. Der Sohn ist nicht da, aber die Tochter ist da. Ich bin zufrieden, dass die Tochter da

9

Der Reinszenierung wörtlicher Rede schreiben Lucius-Hoene und Deppermann in ihrem Arbeitsbuch zur Analyse narrativer Interviews besonderes Authentisierungspotenzial zu. Danach dient die wörtliche Rede weniger als Beweis für die Abbildtreue, als vielmehr dafür, dass der Erzählerin die Echtheit der Aussage besonders wichtig ist (Lucius-Hoene/Depperman 2002, 231f.).

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ist. Sie kocht für meinen Mann, macht die Wäsche. Ich weiß: Eine Frau ist im Haus.“ (Hania Kowalska)

Diese Sequenz klingt wie ein Plädoyer in eigener Sache, gerade so als müsse sich Hania Kowalska gegen eine fiktive Anklage (ihrer Familie, der Nachbarn, der Interviewerin) verteidigen. Dabei ist doch für alles und alle gesorgt. Exkurs: Rabenmütter – die Diskussion über Euro-Waisen Wie kontrovers das Thema Abwesenheit der Eltern oder eines Elternteils  insbesondere der Mutter  infolge von Arbeitsmigration in Polen diskutiert wird, machte vor einigen Jahren die Diskussion über so genannte Euro-Waisen in den polnischen Medien deutlich. Euro-Waisen wurden Minderjährige genannt, deren Eltern  als besonders skandalös galt das Verhalten der Mütter  nach WestEuropa aufgebrochen waren und ihre Kinder allein in Polen zurückgelassen hatten. Von 150.000 verwaisten Kindern war in den Presseberichten die Rede. Diese Zahlen stützten sich auf Untersuchungen von zwei NGOs (Fundacja Prawo Europejskie, Instytut Europejski) (Lutz/Palenga-Möllenbeck 2011). Im Gegensatz dazu kamen Recherchen des Beauftragten für die Rechte des Kindes auf 10.000 bis 15.000 Kinder, deren Eltern außerhalb Polens arbeiteten (Iglicka 2010). In einer weiteren Studie ist von 3.000 bis 16.000 Kindern die Rede (Walczak 2009). Die große Diskrepanz der Betroffenenzahlen interpretieren Lutz/PalengaMöllenbeck als absichtsvolle Übertreibung, um insbesondere die Mütter zu diskreditieren. Diese Strategie nennen sie „mother blaming“ (Iglicka 2010; Lutz/ Palenga-Möllenbeck 2011; White 2011). Helma Lutz und Ewa Palenga-Möllenbeck kritisieren in ihrer Studie zu „transnationalen Care-Arrangements polnischer und ukrainischer Migrantinnen“ (ebd.), dass der Begriff Euro-Waisen in nahezu allen Presseartikeln und selbst in wissenschaftlichen Aufsätzen benutzt werde, ohne je klar definiert oder kritisch reflektiert zu werden. Anders als das Wort Waise insinuiert, handle es sich, so Lutz/Palenga-Möllenbeck, keineswegs um elternlose Kinder, sondern um solche, die in Polen bei einem Elternteil oder einer sie betreuenden Bezugsperson lebten (ebd.). Dass es sich bei dem Begriff Euro-Waisen zudem um einen ungenauen, wenn nicht um einen bewusst verzerrenden handelt, macht auch die britische Anthropologin Anne White deutlich, die eine Studie von 2007 zitiert, wonach in diesem Jahr 285 Kinder in ganz Polen in Waisenhäusern abgegeben worden waren (White 2011, 118). Geht es um die sozialen Kosten der Migration, so werden diese nahezu ausnahmslos den abwesenden Müttern aufgebürdet. Obwohl, wie MorokvasicMüller betont, keine Studie existiert, die sich ausschließlich mit der Abwesenheit

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von Vätern im Zusammenhang von Arbeitsmigration und deren Auswirkungen auf die Familien beschäftigt, wird „women’s migration [...] generally identified as being more problematic for families than that of men“ (Morokvasic-Müller 2007, 75). Andererseits sind auch die Arbeitsmigrantinnen darauf bedacht, ihre Position innerhalb der Familie zuhause in Polen nicht zu schwächen. Mit der in knappen Sätzen gefassten Bestandsaufnahmen dessen, was sie im Leben erreicht hat, wer und wie ihr zu Hause ist, begründet Hania Kowalska ihren Entschluss, dies alles – Haus, Mann und Kinder  zumindest zeitweilig zu verlassen. Gerade hatte Hania Kowalska sich noch als von der Schwägerin Verführte, als nicht-handelndes, dem traditionellen Geschlechterdiskurs verpflichtetes Subjekt dargestellt, so verwirft sie in der unmittelbar anschließenden Sequenz diesen Selbstentwurf und präsentiert sich als autonom handelndes Subjekt, das auf eine konkrete lebensgeschichtliche Situation adäquat reagiert. Dabei bezweifelt sie keineswegs grundsätzlich ihre Zuständigkeit für die Reproduktionsarbeit, im Gegenteil, sie delegiert sie intrageschlechtlich an ihre Tochter („Ich weiß: Eine Frau ist im Haus.“). Auf diese Weise gelingt es Hania Kowalska, ihr Leben neu zu organisieren, ohne das vergeschlechtlichte häusliche Regimes anzutasten (Butler 2001; Lauser 2004). Schließlich hätte sie auch zu Hause bleiben und ihren Garten bestellen können. Sie hätte die Enkel betreuen können, den Mann versorgen; sie hätte versuchen können, eine Arbeit in Polen zu finden, auch wenn das, wie sie sagt, äußerst schwierig sei. Stattdessen entschied sich Hania Kowalska für das in Polen keineswegs unübliche Arbeiten „za granicą“ (im Ausland), weit weg von der Familie, den häuslichen Pflichten, der unbezahlten Hausarbeit, dem gewohnten Alltag. Hania Kowalska, die auch nach fünf Jahren in Berlin kaum ein Wort Deutsch spricht (“Ich konnte die Wörter aufschnappen, die für meine Arbeit wichtig sind. Alle brauche ich nicht.“), hat den Aufbruch aus der vertrauten sozialen Ordnung des Dorfes in die Unübersichtlichkeit der Großstadt gewagt und sich damit neue Freiheiten erobert. In Hania Kowalskas Erzählung markiert die Entscheidung zur Arbeitsmigration das Ende ihrer aktiven Mutterrolle und die Aufkündigung der Rolle der Ehefrau im Sinne einer umfassenden Versorgerin des Mannes. Den pater familias hat sie in ihrer Erzählung lediglich mit einer Nebenrolle bedacht: Er erscheint in der Rolle des Bedürftigen, der sich mit den von Hania geschaffenen Fakten arrangieren muss  ebenso wie die Kinder. Die Zurückgelassenen müssen jetzt „irgendwie“ alleine klar kommen. Das betrifft alle Familienmitglieder, sie selbst weit entfernt in Berlin eingeschlossen. „Irgendwie“ das klingt nach Improvisation, nach (noch) nicht genau festgelegten Regeln, nach etwas Instabilem, einem Provisorium. Der Alltag muss neu geregelt werden, Zuständigkeiten und Ver-

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antwortung hat Hania Kowalska für die Zeit ihrer Abwesenheit – in einer innerfamiliären care chain  an die Tochter delegiert. Das ist beruhigend, allerdings macht Hania Kowalska auch deutlich, dass diese Organisation des Alltags keineswegs perfekt ist. Die Tochter ist ein Ersatz, ein guter vielleicht, aber eben nur ein Ersatz. Die Abwesenheit der wichtigsten Agentin des häuslichen Regimes erfordert ständige Improvisationen. Dies lässt den Schluss zu, dass die Stellvertreterinnen aus der Perspektive der Hausfrau das Regime zwar aufrechterhalten können, aber lediglich in minderer Qualität. So gesehen bietet die Verrichtung bezahlter Haushaltsarbeit auch die Gelegenheit, die Familienmitglieder von dem nicht ersetzbaren Wert der unbezahlten Hausfrau zu überzeugen. Auf diese Weise bleibt das häusliche Matriarchat, dem Hania vorsteht, auch während ihrer Abwesenheit unangetastet. Exkurs: Zum Konzept des häuslichen Matriachats In Polen wurde die Emanzipation der Frau, wie in allen Ländern des Warschauer Pakts, als ein zentrales Anliegen sozialistischer Politik propagiert. Emanzipation bedeutete in diesem Kontext vor allem die Teilhabe von Frauen an der Erwerbsarbeit. Tatsächlich waren in allen sozialistischen Staaten mehr als die Hälfte aller Frauen im erwerbsfähigen Alter berufstätig. Plakate, auf denen Frauen zu sehen waren, die lachend, als wäre es ein Kinderspiel, schwere Traktoren und Mähdrescher steuerten, oder auch fröhliche Frauen zeigten, die im weißen Kittel als Ärztin oder Naturwissenschaftlerin für den Fortschritt arbeiteten, waren in den 1950 und -60er Jahren fester Bestandteil der Ikonografie, mit der die sozialistischen Gesellschaften sich selbst als emanzipatorisch feierten. Allerdings hatte die Propaganda nur wenig mit der realsozialistischen Wirklichkeit gemein. Auch während der Zeit des Sozialismus blieb der Geschlechterdualismus unangetastet. So wurden weder die geschlechtsspezifischen Zuordnungen von Berufen aufgehoben, noch erhielten Frauen gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Hohe Posten in Partei und Politik waren für Frauen die Ausnahme (Kałwa 2008). Zudem beschränkte sich die propagierte Neuordnung der Geschlechterverhältnisse auf die öffentliche Sphäre der Erwerbsarbeit. Zuhause, in den Familien, blieb alles beim Alten. Zwar wurde die Erziehungs- und Betreuungsarbeit von Kindern weitgehend von staatlichen Stellen übernommen und somit einer großen Zahl von Frauen die Erwerbstätigkeit ermöglicht, deren Arbeitskraft für die gewaltige Aufbauleistung sowie die forcierte Industrialisierung des Landes dringend benötigt wurde. Allerdings setzte sich dieser emanzipatorische Gestus im öffentlichen Leben nicht im Privaten fort. Die Aufhebung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung hatte es nicht einmal auf die Agenda der sozialistischen Regierungsparteien geschafft (Verdery 1996; Hess 2009). Die Historikerin Do-

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brochna Kałwa beschreibt die Situation folgendermaßen: „Polish society was characterised by high employment of women and simultaneously by a stable, traditional gender order that had not been questioned or changed by the communist authorities.“ (Kałwa 2008, 124) Die Doppelbelastung durch Erwerbs- und Reproduktionsarbeit wurde zusätzlich erschwert durch die – infolge der Mangelwirtschaft – extrem zeitaufwendige Beschaffung von Konsumgütern. Diente die traditionelle Familie während des Sozialismus vielen als Ort des Widerstands, als Refugium gegen die Allgegenwart staatlicher Kontrolle, so war sie darüber hinaus als soziales Netzwerk in der Mangelwirtschaft von existentieller Bedeutung. Dies betraf sowohl Zuverdienste und Tauschhandel auf der Ebene der nicht-staatlichen Ökonomie als auch die Organisation des zeitraubenden Schlangestehens, die der tägliche Einkauf erforderte. Die unhinterfragte Fortsetzung der bürgerlichen Geschlechterordnung und damit der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung war nicht zuletzt entscheidend dafür, dass Frauen auch im Sozialismus nicht im gleichen Maße wie Männer berufliche Karrieren verfolgten oder an politischen Prozessen teilhatten (Fischer 2008). Im Kontext der familiären Netzwerke weist Verdery auf die wichtige Rolle der Großmütter hin, die als Rentnerinnen häufig die Reproduktionsaufgaben ihrer Töchter übernahmen. „The social reproduction was to a degree ‚geriatrized‘.“ (Verdery 1996, 63)10 Die Generationalisierung von Reproduktionsarbeiten spielt auch im Kontext der transnationalen Arbeitsmigration von Frauen nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Gesellschaften eine gewichtige Rolle. So übernehmen häufig die Großeltern die Betreuung von Kindern während der Abwesenheit der im Ausland arbeitenden Mütter. Oder die Großmütter, wie Józefina Starczynowska und Hania Kowalska, migrieren, um zu arbeiten und mit dem Lohn daheimgebliebene Familienmitglieder zu unterstützen. Allerdings ändert auch diese Variante nichts an der Reproduktion der traditionellen Geschlechterordnung. Zwar gelingt es inzwischen auch Frauen in Polen, politische und wirtschaftliche Schlüsselpositionen zu besetzen,11 doch handelt es sich dabei in der Regel beinahe aus-

10 Die generationelle Weitergabe der Reproduktionsarbeiten änderte nichts an der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung. Dies ist der Definition der Arbeit als Frauenarbeit geschuldet, aber auch dem überproportionalen Anteil von Frauen in der Gruppe der Älteren (Verdery 1996). 11 Im September 2014 wurde mit Ewa Kopacz von der konservativen Platforma Obywatelska (PO – Bürgerplattform) erstmals eine Frau zur Ministerpräsidentin Polens ernannt. Nach dem Wahlerfolg der rechtskonservativen PiS-Partei übernahm mit Beata Szydło im November 2015 erneut eine Frau das Amt der Ministerpräsidentin. Aller-

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schließlich um Frauen aus den global vernetzten, transnational agierenden Milieus der Großstädte. Außerhalb der Metropolen, wo die Mehrheit der Pol*innen lebt und die ideologischen Setzungen der katholischen Kirche nach wie vor maßgeblich kulturelle Praktiken bestimmen, hat die Dichotomie von öffentlich/privat im Sinne von männlich/weiblich und die daraus folgende geschlechtshierarchische Arbeitsteilung kaum an Bedeutung verloren (Puhl 2010). Dobrochna Kałwa beschreibt die Geschlechterordnung in Polen als häusliches Matriarchat. Den Begriff hat die polnische Philosophin und Feministin Sławomira Walczewska in den 1990er Jahren in den Genderdiskurs eingeführt. Das häusliche Matriarchat macht die marginalisierte Position von Frauen im öffentlichen Bereich deutlich und betont deren dominante Rolle im Privaten. „In contemporary polish society, women perceive family and household as a domain of their duties and, even more, of their control and power as well.“ (Kałwa 2008, 126) Die polnische Soziologin Anna Titkow zeichnet ein Bild vom polnischen Matriarchat, das “mit Einkaufsnetzen überladen ist, oft unter Schlaflosigkeit leidet, schrecklich müde ist, aber gleichzeitig das berechtigte Gefühl hat, unersetzbare Managerin des Familienlebens zu sein, das Pflichten und Aufgaben erfüllt, die, selbst auf mehrere verteilt, eine Belastung darstellen würden“ (Titkow 1996, 55f.). Das häusliche Matriarchat basiert, so Kałwa, auf der kulturellen Überzeugung, der Frau komme die Schlüsselrolle für das Funktionieren der Familie zu (Kałwa 2010, 124). Die Macht dieses vergeschlechtlichten häuslichen Regimes ist unmittelbar an die Unterwerfung unter die disziplinierenden Praktiken des gesellschaftlich dominierenden Patriachats geknüpft: Die Agentinnen des häuslichen Matriarchats sind – im Sinne von Judith Butlers Überlegungen zu den Mechanismen der Subjektivation – gleichzeitig machtunterworfene und machtkonstituierende Subjekte. Im Kontext der Arbeitsmigration spricht Kałwa von „empowering domestic matriarchy“ (2008, 136). Demnach wird die Abwesenheit der Hausfrau als Chance konzeptionalisiert, „to make all family members aware of her crucial role in the family life and the functioning of the household“ (Kałwa 2008, 137). Im Zusammenhang mit der Arbeitsmigration von Frauen wird die konkrete und symbolische Ordnung von Haushalten nicht grundsätzlich neu verhandelt. Allerdings wird in der Migrationsforschung auch darauf hingewiesen, dass Arbeitsmigrantinnen ihre Rückkehr nach Hause länger aufschieben als ihre männlichen Kollegen. Dies wertet Morokvasic-Müller als einen Hinweis darauf, dass sie das Leben weit ab von der Kontrolle zu Hause und die damit verbunde-

dings waren in ihrem Kabinett von den insgesamt 17 Ministerien nur zwei (nationale Bildung sowie Familie, Arbeit und Soziales) mit Frauen besetzt.

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ne Autonomie durchaus attraktiv finden (Morokvasic 2007, 74; Grassmuck/Pessar 1991). Ob die informelle Haushaltsarbeit polnischer Migrantinnen lediglich traditionelle Geschlechterrollen perpetuiert oder vielmehr die Arbeitsmigration für die Akteurinnen auch Empowerment12 und ein Mehr an Handlungsmöglichkeiten (agency) bedeutet, wird im Kontext der hier vorliegenden empirischen Studie immer wieder thematisiert. 5.2.4 Ankunft in Berlin | Den meisten meiner Gesprächspartnerinnen fällt es schwer, sich im Zusammenhang mit der Entscheidung für eine Migration als autonom handelndes Subjekt zu beschreiben, wenn sie Kinder und/oder einen Ehemann in Polen zurückgelassen haben. Stattdessen tauchen am Anfang der Erzählungen Nachbarinnen, Freundinnen und Verwandte auf, die eine Stellvertreterin für ihre Arbeit in Berlin suchen und deren Bitte, diese Stelle zu übernehmen, sie nicht ablehnen konnten. Meist erscheint diese Arbeitsvermittlerin in der Figur der Nachbarin, manchmal war es auch die Mutter oder eine andere Verwandte, die schon regelmäßig nach Berlin fuhr, um Wohnungen zu putzen und die eine Stellvertreterin suchte oder von einer freien Stelle wusste. Bei Anett Kamińska war es die Nachbarin, die ihr eine Stelle als Au-pair in Berlin vermittelte. „Das war eine Katastrophe“, erinnert sich Anett, man habe sie als „Arbeitssklave“ behandelt, nach einem Jahr kündigte sie den Job. Da sie inzwischen viele Kontakte in der polnischen Gemeinschaft hatte, beschloss sie, in Berlin zu bleiben. Sie mietete ein Zimmer bei einer Polin, die schon seit 15 Jahren in Berlin lebte; eine Freundin half ihr, einen Putzjob zu finden. Der Beginn als Alptraum Die erste Zeit des neuen Lebens bezeichnet Józefina Starczynowska als „Koszmar“ (Alptraum). Blind sei sie durch die Stadt gelaufen, in die Wohnungen, ohne zu wissen, wo sie sich eigentlich befinde. Die Stadt erfuhr sie unterirdisch, sie kannte das U-Bahnnetz, die U-Bahn-Stationen, den Weg von dort zur nächstliegenden Arbeitsstelle. Im Gegensatz zu Janina Czerwona fühlte sich Józefina Starczynowska anfangs in vielerlei Hinsicht dissoziiert: die Stadt, die Sprache, die Arbeit, die Wohngemeinschaft, in der sie durch die Vermittlung einer Nach-

12 Empowerment wird hier in Anlehnung an Morokvasic-Müller verwendet, als ein Prozess, in dem Individuen und/oder Kollektive durch Widerstand, aber auch durch Aushandlungen und Subversion der sozialen, ökonomischen und politischen Unterdrückung entkommen (Morokvasic-Müller 2007, 71).

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barin zunächst untergekommen war. Eine Ein-Zimmer-Wohnung für acht Frauen, ein Matratzenlager auf engstem Raum. Die sieben Kolleginnen seien zänkisch und betrügerisch gewesen: „Ein Leben voller Angst, ohne Privatsphäre.“ Das Motiv der unsolidarischen, schwer auszuhaltenden polnischen Kolleginnen wie auch das der beengten Wohnverhältnisse taucht in verschiedenen Gesprächen auf. Barbara Rybka erinnert sich mit Grausen an die zwei Jahre zu Beginn ihrer Arbeitsmigration, während der sie sich mit drei anderen Frauen eine Wohnung teilte. Es habe immer Streit gegeben, meist um die Frage, wie man die Kosten für das Wohnen reduzieren kann. „Man durfte kein Bad nehmen, nur Duschen und abends gab es Streit, wenn man bei elektrischem Licht lesen wollte.“ (Barbara Rybka) Auch Anett Kamińska denkt mit Schrecken an die Zeit zurück, als sie ein Zimmer in der Wohnung einer Kollegin gemietet hatte. „Ich konnte mich nicht frei bewegen. Durfte keine Besuche haben, Stromverbrauch, Licht, Waschmaschine hat sie die Kollegin d. V. ständig kontrolliert.“ Mit der selbst auferlegten strengen Sparsamkeit maximieren die Arbeitsmigrantinnen die Effizienz ihres Aufenthaltes in Berlin. Anett Kamińska kommentiert das so: „Die polnischen Frauen sind nur hier wegen des Geldes. Ich will hier leben, nicht nur Geld verdienen.“ Verstetigung – das Abenteuer wird zur Normalität Der „Alptraum“ mit dem Józefina Starczynowska ihre Erzählung beginnt, erscheint rückblickend als Tiefpunkt einer Entwicklung, die schon vor der Krankheit des Enkels mit ihrer Arbeitslosigkeit infolge der marktwirtschaftlichen Transformation im postsozialistischen Polen begonnen hatte. In der Dramaturgie der Erzählung markieren die ersten leidvollen Erfahrungen des Lebens als Arbeitsmigrantin im informellen Sektor gleichzeitig einen Wendepunkt hin zum Positiven. Zum Zeitpunkt unseres Treffens lag dies alles schon lange zurück. Inzwischen, betont sie, könne sie „endlich wieder leben wie ein Mensch“. Für unser Gespräch hat sie in ihrer Wohnung den Küchentisch gedeckt. Wir trinken Kaffee und essen Kekse. Das Matratzenlager in der Gemeinschaftswohnung ist in die Vergangenheit verbannt. Als Gastgeberin in der eigenen Wohnung hat Józefina Starczynowska zurückgefunden in die Normalität. Sie genießt die Situation und hört nicht auf zu reden. Wir sprechen Polnisch miteinander, ihre Muttersprache. Sie genießt ihre Überlegenheit. Sie freut sich über Fehler, die ich im Polnischen mache, und Fragen, die ich stelle, weil ich etwas nicht richtig verstehe. Der Alptraum ist vorbei, ihr Leben entspricht zumindest in seinen äußeren Parametern wieder dem, was der Norm, im Sinne eines gesellschaftlich akzeptablen Standards, entspricht. Die Rückkehr zur Normalität bürgerlicher Verhält-

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nisse symbolisiert hier u. a. die Bewirtung eines Gastes an einem gedeckten Tisch.13 5.2.5 Ich-AG als Erfolgsgeschichte | Das ökonomische Gefälle zwischen Herkunfts- und Zielland ist die Voraussetzung für die polnische Arbeitsmigration nach Deutschland. Im Einzelfall, wie in den Geschichten von Hania Kowalska und Józefina Starczynowska deutlich wurde, bedarf es jedoch zusätzlicher Motive, um von zu Hause aufzubrechen, etwa einer biografischen Zäsur, einer materiellen Notlage oder auch der Arbeitslosigkeit wie bei Janina Czerwona und Ewa Stolarska. Ewa Stolarska hatte die Schule mit dem Fachabitur abgeschlossen und eine Ausbildung als Bürokauffrau absolviert. Sie war 27 als ihr Mann bei einem Autounfall ums Leben kam, sie arbeitslos wurde und nach Berlin aufbrach, um den Unterhalt für sich und ihren vierjährigen Sohn zu verdienen. Als sie nach Berlin ging, übernahmen ihre Eltern die Betreuung des Enkelkindes im 187 Kilometer entfernten Zielona Góra. Vier Tage Berlin, drei Tage Zielona Góra. Ewa Stolarskas Leben gehorchte nun einem strengen Rhythmus. Die Arbeit war anstrengend, der Alltag in Berlin schwierig; Ewa Stolarska sprach kein Wort Deutsch. Das war vor elf Jahren. Als ich Ewa Stolarska zum ersten Mal treffe, hat sie Deutsch gelernt und das Provisorium hat sich verstetigt. Sie lebt nun mit ihrem 15-jährigen Sohn in Berlin. Doch noch immer verdient sie den Lebensunterhalt für sich und das Kind mit informeller Haushaltsarbeit. Zusätzlich hat sie die Betreuung einer 90-jährigen Frau übernommen. Ihr Verdienst reicht zum Leben und um in Polen ein kleines Haus zu kaufen, das Haus der Eltern in Zielona Góra zu renovieren und ihnen ein Auto zu schenken. Sie sei zufrieden, sagt sie, als wir uns in ihrem Stammlokal, einem türkischen Imbiss in Berlin-Schöneberg treffen. Ewa Stolarska ist es gelungen, ihr Leben nach dem Tod des Mannes neu zu organisieren, als unabhängige Unternehmerin ihrer eigenen Arbeitskraft. Mit dem Haus am See in Polen, das nicht allein dem Eigenbedarf dient, sondern auch an Urlauber vermietet wird, hat sie sich eine zusätzliche ökonomische Basis für die Zukunft geschaffen. Für den Preis des Statusverlustes durch die Arbeitsmig-

13 Ich beziehe mich hier auf die Beschreibung von Normalität in biographischen Beschreibungen, wie sie von Dausien und Mecheril „[...] als Aspekt (de)subjektivierender Zugehörigkeit“ (Dausien/Mecheril 2006, 161) diskutiert wird.

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ration ist es Ewa Stolarska gelungen, ihren sozialen Status in Polen zu stabilisieren, wenn nicht sogar als Ferienhausvermieterin aufzuwerten. Ewa Stolarskas Geschichte ist eine Erfolgsgeschichte. Allerdings auch diese Geschichte kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die traditionelle Geschlechterordnung in Polen durch die Migration von Frauen grundsätzlich nicht infrage gestellt wird, selbst dann nicht, wenn der Ehemann während der Abwesenheit der Frau, ihre Hausarbeit übernommen hat. Mirjana Morokvasic-Müller beschreibt die neuerliche Herstellung der alten Ordnung anschaulich so: „When the new post-socialist mother worker superwoman is back things have to ‚return to normal‘ Herv. i. Orig. and of course it is she who does everything [...]“ (Morokvasic-Müller 2007, 81). Andererseits bleibt in Anlehnung an Judith Butler das Verworfene als Erfahrung im Unbewussten des Subjekts präsent und kann, wenn die Bedingungen es erfordern oder ermöglichen, jederzeit als Sprengstoff gegen das Alte eingesetzt werden (Butler 2001). Verstetigung befristeter Strategien Welche Begründung in den Gesprächen auch genannt, welche Motive auch hervorgehoben wurden – alle Akteurinnen geben an, die transnationale Arbeits- und Lebensweise als eine befristete Strategie geplant zu haben: solange, bis genügend Geld für ein Studium beisammen ist, der Kredit abbezahlt, das Auto gekauft, das Haus gebaut oder die Ausbildung der Kinder beendet ist. Diese Strategie erfordert die Abwesenheit der sorgenden Ehefrau und Mutter und stärkt gleichzeitig das Bild von einer sich aufopfernden Mütterlichkeit. Bei der transnationalen Arbeitsmigration geht es meist nicht um die Existenzsicherung, sondern um einen zusätzlichen Verdienst, ein Surplus, das mit einer Erwerbstätigkeit in Polen nicht erwirtschaftet werden kann (u. a. Morokvasic-Müller 2003b; Kałwa 2010; Parreñas 2001). Allerdings wird in den Erzählungen deutlich, dass sich im Verlauf der transnationalen Praxis und der damit einhergehenden veränderten Lebensweise die ursprünglichen Motive für die Migration verändern. Das Interesse für ein Studium verflüchtigt sich, die Sorge um die Zurückgebliebenen verblasst, die neuen Lebensumstände wecken neue Bedürfnisse, nicht nur bei den Arbeitsmigrantinnen selbst, sondern auch bei zurückgebliebenen Familienmitgliedern zu Hause in Polen: ein neues Auto, eine weitere Renovierung, ein neuer Kredit. In fast allen Erzählungen haben die Frauen den ursprünglichen Plan, die Dauer der transnationalen Lebensweise betreffend, längst auf eine unbestimmte Zukunft hin korrigiert. Der Migrationsverlauf scheint in keinem Fall vorhersehbar, der Aufenthalt in Berlin entwickelt eine eigene Dynamik.

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So hat sich etwa eine Gesprächspartnerin mit einem Arbeitgeber, einem alleinstehenden emeritierten Professor angefreundet, eine andere neben der Hausarbeit in Berlin ein Studium begonnen. Manchmal sind auch einfach die Kinder groß geworden und die Ehen zerbrochen, sodass für eine endgültige Rückkehr nach Polen kein unmittelbarer Bedarf besteht. Beinahe alle meine Gesprächspartnerinnen haben mit der Zeit Deutsch gelernt und neben ökonomischen Kapital auch soziales und kulturelles Kapital akkumuliert. Als erfahrene Migrantin verfügt Józefina Starczynowska inzwischen über ein dichtes Netzwerk in der polnischen Gemeinschaft in Berlin, so dass sie nun selbst in ihrem Wohnzimmer Matratzen zum Übernachten an Kolleginnen vermietet. Weitere Nebeneinkünfte können durch den Handel mit Zigaretten oder dem Verkauf (gefälschter) Fahrscheine erzielt werden. Am weitesten verbreitet scheint mir jedoch der Jobhandel. Das Phänomen der kostenpflichtigen Vermittlung von Arbeit innerhalb der polnischen Gemeinschaft kennen fast alle Gesprächspartnerinnen. Grażyna Sobiecka – sie war gerade aus Szczecin nach Berlin zu einer Arbeitswoche angereist – erzählt bei unserem ersten Treffen gemeinsam mit Barbara Rybka von einem Job, den ihr eine Frau im Zug angeboten hatte. Zwei Wochenlöhne sollte er kosten. Manche verlangten einen ganzen Monatslohn. Grażyna Sobiecka, die dringend Arbeit sucht, ist jedoch noch unentschieden, ob sie das Angebot annehmen will. Barbara Rybka verurteilt den Verkauf als „unmoralisch“ und lehnt diese Art der Arbeitssuche kategorisch ab: „So etwas würde ich nie machen“, zumal das Ganze „eine unsichere Sache“ sei. „Was ist, wenn die Deutschen die Putzfrau ablehnen, vielleicht nicht in der ersten Woche, aber später, in der zweiten oder dritten Woche, dann hat man die Provision bezahlt und keine Stelle.“ (Barbara Rybka) Auch Marysia Szarek warnt ausdrücklich vor dem Jobkauf. „Grade habe ich eine SMS gekriegt. Eine Polin [...] hat mir geschrieben, dass sie von irgendwoher meine Nummer hat, wohl von der Kirche, und sagt zu mir: Falls du Arbeit suchst, kann ich dir eine weiterverkaufen. Sie gab mir ihre Telefonnummer. [...] Also. Sie hat eine Arbeit. Sie will sie nicht. Vielleicht fährt sie weg, oder so was. Sie will mir sie verkaufen für hundert Euro oder zweihundert Euro. [...] Aber ich nehme solche Arbeiten nicht an.“ (Marysia Szarek) „Warum?“ (UFM) „Sie kann mir viel erzählen, dass es Arbeit gibt. Ich kaufe diese Arbeit und am gleichen Tag stellt sich heraus, dass es dort keine Arbeit gibt.“ (Marysia Szarek)

Ob und in welchem Ausmaß meine Gesprächspartnerinnen ihr Kerngeschäft – die Hausarbeit – auf andere Tätigkeiten im Kontext der Migration ausgedehnt

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haben, kann ich nicht abschließend erfahren. Der Verkauf von Putzstellen erscheint jedoch als ein ganz normaler Vorgang und wird in der polnischen Gemeinschaft weder als ungewöhnlich noch als unmoralisch bewertet, wie es Barbara Rybka andeutet. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Aufbruch aus den gewohnten Verhältnissen retrospektiv von den Haushaltsarbeiterinnen als positiv bewertet wird. Die positive Bilanz gründet neben dem materiellen Zugewinn und dem damit zusammenhängenden Machtgewinn innerhalb der Familie vor allem auf dem Zuwachs an Autonomie. Allerdings lassen meine Gesprächspartnerinnen in ihren Erzählungen auch negative Aspekte des Aufbruchs nicht aus: insbesondere zerrüttete Ehen (Barbara Rybka, Maria Michalska) sowie der Verlust von sozialen Kontakten. Wie sich das langfristig auf die Lebensplanung der Frauen auswirkt, ob sie nach Polen zurückkehren und wie sie dort ihren Lebensunterhalt bestreiten wollen, wurde in der Migrationsforschung bislang noch nicht thematisiert. Viele Frauen haben während der Arbeitsmigration oft jahrelang weder in Polen noch in Deutschland in die Rentenkassen eingezahlt und werden diese Konsequenzen erst in der Zukunft spüren. Zur negativen Bilanz der Arbeitsmigrantinnen zählen außerdem die körperlich anstrengende Arbeit, der Schmerz über die Trennung von den Kindern, die schwierige Wohnsituation, die Sprachlosigkeit sowie die soziale Deklassierung. So zählten einige meiner Gesprächspartnerinnen in Hinblick auf Bildung und Lebensstandard in Polen zur Mittelschicht, während sie an ihrem Arbeitsort in Deutschland sowohl hinsichtlich der Arbeit als auch der Lebenssituation – insbesondere der Wohnverhältnisse – in äußerst prekären Verhältnissen leben. Die Diskrepanz der sozialen Position am Herkunftsort und der in Berlin nehmen sie als vorübergehende Deklassierung für den erhofften ökonomischen Zugewinn in Kauf. Vor allem den älteren Gesprächspartnerinnen ist es jedoch stets ein zentrales Anliegen, ihren Status in Polen deutlich zu machen und die informelle Hausarbeit als eine Folge von Schicksalsschlägen, durch individuell weder beeinflussbare noch selbst verschuldete Ereignisse zu erklären. Der Grad der erfahrenen Demütigung scheint mit der Dramatik der Ausgangssituation in den Erzählungen zu korrespondieren. Die Schwere der Notlage, die Aussichtslosigkeit der Situation erscheint nötig, um den Mythos von der informellen Hausarbeit als einzigen Ausweg aus der Misere plausibel zu machen. Sie entwerfen sich im Bild der sich aufopfernden Mutter, die sich eigene Aspirationen versagt; während die Jungen, Kinderlosen sich auf den Weg machen, weil sie von einer besseren Zukunft träumen.

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Die Sorge für Familienangehörige gilt nach wie vor als Domäne der Frauen, allerdings ergänzen die Akteurinnen im Fortgang der Erzählungen die Selbstrepräsentation als Getriebene, Gedrängte, durch materielle Notlagen Gezwungene um die Figur der selbstbewusst Handelnden; eines Subjekts, das in der Arbeitsmigration Chancen sieht und sie ergreift; etwa die Möglichkeit, einen Teil des Jahres fernab der sozialen Kontrolle der Familie autonom zu leben und über eigene finanzielle Ressourcen zu verfügen oder sogar das gesamte Familieneinkommen zu erwirtschaften und damit die bestimmende Rolle in der eigenen Familie zu übernehmen oder auszubauen. Somit ist den wechselnden Rollen der polnischen Arbeitsmigrantinnen eine Dialektik von Fremdbestimmung und Empowerment eingeschrieben. Der Aspekt der Handlungsfähigkeit fügt der Erzählung der von-der-Not-Getriebenen eine zweite Ebene hinzu, korrigiert sie, ohne sie jedoch zu ersetzen. Will man die Uneindeutigkeit der Subjektpositionen in einem Bild erfassen, handelt es sich um Übermalungen, die durchscheinend sind wie feine Schleier.

5.3 AUSBRUCH AUS DEM HAUS: DIE ARBEITGEBERINNEN | Im Folgenden wechsle ich die Perspektive und wende mich den Erzählungen der Arbeitgeberinnen zu. Mein Vorgehen in diesem Kapitel konzentriert sich auf die Suche nach den Motiven, die meine Gesprächspartnerinnen veranlasst hatten, die in ihrem Haushalt anfallende Reproduktionsarbeit an eine andere Frau zu delegieren. Ich frage u. a. danach, in welcher Lebenssituation die Entscheidung getroffen wurde, aus welchen Gründen und wie die Kontakte in der Grauzone des informellen Arbeitsmarkts zustande kamen?

5.3.1 Konfliktvermeidung | Die Rolle der Arbeitgeberin im Kontext eines informellen Hausarbeitsverhältnisses markiert für die meisten Frauen den Beginn eines neuen biografischen Abschnitts. In der Regel handelt es sich um den Wiedereintritt in das Erwerbsleben nach einer Babypause. Julia Thal, Ende 30, wohnt mit Mann und zwei schulpflichtigen Kindern in einem Berliner Vorort, wo die Preise für Grundstücke und Häuser wesentlich niedriger sind als jenseits der Gemeindegrenze, nur wenige Kilometer entfernt. Hier hatten sich nach der politischen Wende vor allem junge Familien angesie-

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delt und von denen, das weiß Frau Thal, da sie als Ärztin mit eigener Praxis Einblick in zahlreiche Haushalte hat, beschäftigen viele eine polnische Putzfrau. Für unser Treffen schlug Frau Thal ihre Wohnung vor. Gewöhnlich geben Arbeitgeberinnen an, dass ihre Putzfrau „empfohlen wurde von einer Freundin, bei der sie auch schon geputzt hat“. Dieser Freundin ist sie wiederum empfohlen worden, auch von einer Freundin, der Schwiegermutter, einer Kollegin. Die Arbeitsvermittlung per Mund-zu-Mund-Propaganda scheint angesichts der informellen Arbeitsverhältnisse, um die es sich hier durchweg handelt, einleuchtend. Frau Thal, die ihre Haushaltshilfe über eine Zeitungsanzeige gefunden hat, bildet insofern eine Ausnahme, da auch Arbeitnehmerinnen selten in Zeitungen nach (informeller) Arbeit suchen. Ewa war die Zweite oder Dritte, die sich aufgrund einer Anzeige vorgestellt hatte: „Irgendwie waren wir uns gleich sympathisch“, sagt Frau Thal. Das war vor elf Jahren. „Also als ich fertig war mit dem Studium, habe ich angefangen zu arbeiten, die Doktorarbeit zu schreiben und ein Kind gekriegt, und dann war die Zeit reif sozusagen. Mein Mann hat schon gearbeitet, und ich habe es einfach nicht geschafft und Arbeitsteilung [...] gab es nicht. Ja, da gab’s auch ziemlich oft Streit, bevor wir Ewa hatten. [...] ... dann haben wir gesagt, dann nehmen wir uns eine Putzfrau, dann haben wir weniger Stress. Der Mann macht nichts im Haushalt. Null. Aber da er überhaupt nicht geizig ist, im Gegenteil sehr großzügig [...] macht er aus der Sache kein Thema. Wenn ich jetzt sagen würde, Ewa müsste zwei Mal die Woche kommen, wäre das auch kein Problem. So können wir zwei froh sein, dass wir das Geld haben, uns da so zu entlasten, weil sonst wäre das immer wieder ein Thema.“ (Julia Thal)

Wie Julia Thal haben fast alle Gesprächspartnerinnen aufgehört, gegen die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung zu rebellieren. Spätestens mit der Geburt des ersten Kindes resignierten die Frauen, die meist zunächst bei dem Neugeborenen zu Hause blieben, während der Mann weiterhin ganztägig arbeitete und häufig erst spät am Abend nach Hause kam. Immer wieder beschreiben sich die Akteurinnen als „alleinerziehend“, nicht selten wurde diese Konstruktion jahrelang nicht hinterfragt, bis die Alleinerziehende wieder in das Erwerbsleben einsteigen wollte. Haushalt/Familie und Beruf zu vereinbaren, erwies sich dann häufig als Problem. Das Problem der Frauen wurde auch zu einem Problem der (Ehe-)Männer, wenn es wegen der geschlechtsspezifischen Zuständigkeit für die Haushaltsarbeit häufig Streit gab. Bei Meyers, bei Thals oder auch bei Fischers: „Saubermachen, waschen hängt an mir, dafür arbeite ich nur halbtags. [...] [W]ir haben uns gestritten, wir haben versucht es aufzuteilen, er muss den Außenbereich ma-

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chen.“ Bei dieser Bemerkung lacht Luise Fischer, gerade so, als sei ihr im Moment der Versprachlichung die Absurdität der geschlechtsspezifischen Aufteilung der Arbeiten im und am Haus aufgefallen. Es ist ein Lachen, das ich als eines über sich selbst verstehe, jedoch auch als ein bitteres Lachen, angesichts der Wiederholung des stereotypen Rollenmusters ihrer Kindheit als die Mutter, wie sie erzählt, sich ausschließlich um den Haushalt kümmerte und der Vater das Geld verdiente. Allerdings hat Luise Fischer Architektur studiert und betreibt zum Zeitpunkt unseres Treffens gemeinsam mit ihrem Mann ein Architekturbüro. Im Gegensatz dazu hatte ihre Mutter keine Ausbildung und war nie einer Erwerbsarbeit nachgegangen. 5.3.2 Outsourcing der Hausarbeit | Aus dem Wir-haben-uns-gestritten haben die Frauen und Männer die Konsequenz gezogen und gemeinsam entschieden, eine Putzfrau einzustellen. Im Entscheidungsprozess, die Reproduktionsarbeit an eine andere Frau zu delegieren, entwerfen sich die Arbeitgeberinnen retrospektiv in einer passiven Rolle, als eine Ehefrau, die froh und dankbar ist, wenn der Mann ein Einsehen hat und bereit ist, das nötige Geld aufzubringen („Er ist überhaupt nicht geizig.“), um ihre Arbeit an eine Stellvertreterin zu delegieren. Erst dadurch wurde es für die Frauen möglich, eine Erwerbsarbeit zu beginnen oder den mit der Doppelbelastung verbundenen Stress zu reduzieren. Die Passivität der Frauen kann allerdings auch als Indiz gewertet werden, dass angesichts des Egalitätsanspruchs moderner westlicher Demokratien die Beschäftigung von Haushaltsarbeiterinnen zumindest für den weiblichen Part der akademischen, urbanen Mittelschicht keineswegs mehr selbstverständlich, sondern erklärungsbedürftig ist. Annette Schmitt, Mitte 40, verheiratet, Mutter von vier Kindern, arbeitete – wenn sie nicht gerade im Mutterschaftsurlaub war, wie zum Zeitpunkt unseres Gesprächs – als Bauingenieurin und erklärt dies folgendermaßen: „Da ich auch halbtags arbeite, brauchte ich jemanden.“ Hier wird wieder deutlich, dass es sich bei der Reproduktionsarbeit zweifelsfrei um eine Aufgabe der Frau handelt, ist es doch Frau und nicht Herr Schmitt, der „jemanden“ braucht, um die durch die Erwerbsarbeit fehlende Reproduktionsarbeitszeit zu kompensieren. Die Begründung für die Anstellung einer „Haushaltshilfe plus Kindermädchen“ (Schmitt) bedarf keiner weiteren Erläuterung. Allerdings steht das Outsourcing der Hausarbeit in der Logik ökonomischer Rationalität sofort wieder zur Disposition, wenn die Hausfrauen die Erwerbsarbeit aussetzen. Mit der Geburt des zweiten Kindes unterbrach Frau Thal ihre

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Berufstätigkeit für anderthalb Jahre, während dieser Zeit kündigte sie Ewa Stolarska und übernahm selbst wieder die gesamte Hausarbeit. „Wir konnten uns das nicht so richtig leisten und ich [habe] ja auch nicht gearbeitet. Ich habe gesagt, ich mach’s jetzt selber. Das ist natürlich nicht so toll, weil sie natürlich ihr festes Geld haben möchte, aber ich habe ihr das ehrlich gesagt und dann ist sie, glaube ich sogar sporadisch gekommen. Wir haben mal zusammen Fenster geputzt oder so. Und irgendwann habe ich dann gesagt, so jetzt mache ich mich selbstständig, jetzt wäre es toll, wenn Du wieder kommen würdest.“ (Julia Thal)

In dieser Sequenz bleibt unklar, ob sich Thals die Haushaltsarbeiterin tatsächlich nicht leisten konnten oder das Delegieren der Hausarbeit nur dann zulässig ist, wenn die Hausfrau einer Erwerbsarbeit nachgeht, das heißt Geld verdient, um die Hausarbeit zu bezahlen. Für die Haushaltsarbeiterinnen ist es allerdings unerheblich, ob ihre Dienste aus Gründen der ökonomischen Optimierung oder aus anderen Gründen gerade nicht gebraucht werden, sie verdient nichts. In jedem Fall funktioniert die informelle Hausarbeit als eine Dienstleistung on demand.14 Julia Thal wusste um die finanziellen Probleme, die ihrer Haushaltsarbeiterin aus den regellosen, instabilen Beschäftigungsverhältnissen erwachsen. Aber dieses Wissen hatte keine Relevanz für ihre Entscheidung. Es verursachte allenfalls ein kleines moralisches Unwohlsein, von dem sie sich auf der Ebene der Erzählung jedoch gleich wieder entlastet. Schließlich hat die Haushaltsarbeiterin Verständnis für die schwierige ökonomische Lage der Arbeitgeberin gezeigt, hat den Kontakt nicht abbrechen lassen und war wieder zur Stelle als Julia Thal sie brauchte. Die informelle Haushaltsarbeiterin erscheint als ideale Verkörperung des neoliberalen Imperativs vom „flexiblen Menschen“ (Sennett 1998). Sie steht jederzeit zur Disposition, verlangt keine Garantien, klagt keine Versprechen ein und verpflichtet niemand. 5.3.3 Hausarbeit bleibt Frauensache | Die Arbeitgeberinnen der polnischen Haushaltsarbeiterinnen sind in der Regel Frauen aus der Mittelschicht – Ärztinnen, Juristinnen, Journalistinnen, Architektinnen –, die es nicht gewohnt sind, Hausarbeit im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses zu delegieren. Für die Rolle einer Arbeitgeberin im Privaten besitzen meine Gesprächspartnerinnen keine Vorbilder. In ihrer Kindheit waren ausschließ-

14 In diesem Zusammenhang wird auch der Begriff just in time migration benutzt (siehe Kapitel 5.1).

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lich die Mütter für die Hausarbeit zuständig gewesen. Die Rolle der Arbeitgeberin schildern sie als unangenehm, als eine, die sie – wenn irgend möglich – am liebsten vermeiden. Gefragt nach den konkreten Ursachen für die Beschäftigung einer Haushaltsarbeiterin, erzählen sie Variationen der immer gleichen Geschichte, in der von Resignation die Rede ist, von Handlungszwängen, pragmatischen Lösungen und einem schlechten Gewissen. Das schlechte Gewissen bezieht sich u. a. auf die Schwierigkeit der Arbeitgeberinnen, sich auch aufgrund einer „strukturellen Distanz“ (Gutiérrez Rodriguez 2015, 93) in der Rolle der ökonomisch und sozial Überlegenen zu finden und darin rational zu agieren. Dies zeigen u. a. Strategien wie das gemeinsame Putzen, die Flucht aus der Wohnung, wenn die Haushaltsarbeiterin kommt oder auch das häufig als unangenehm empfundene Erteilen von Anweisungen. „Also früher habe ich das natürlich immer alles alleine gemacht. Und ich hab’ aber einen Mann, der ist vier Jahre jünger, und wo der zu mir gekommen ist, der kommt aus sehr, sehr reichem Elternhaus, der hat nicht gewusst, wie man ein Handtuch wieder aufhängt nach dem Baden, wie man mal einen Mülleimer runterbringt oder vielleicht auch mal ein Klo saubermacht. [...] es gab immer Stress. Also wir haben uns wirklich achtzig Prozent unserer Zeit um den Haushalt gestritten. Und irgendwann war da für uns die Entscheidung, okay, entweder wir trennen uns jetzt wegen unseres Haushaltes oder wir suchen uns jemanden, der uns hilft, und investieren das Geld und haben dann einfach weniger Stress. Und so kam es. Und dann war es eigentlich relativ klar, dass das gut für uns ist. Weil wir streiten uns nicht darüber, so wie es gemacht wird, ist es in Ordnung. Wenn mich noch irgendetwas stört, was nicht genau so ist, wie ich es haben möchte, putze ich halt noch nach. Einmal die Woche fünf Stunden reicht auch nicht bei vier Leuten und vier Tieren. Da muss ich immer noch einen Teil dazu machen. Mir ist das nicht unangenehm, weil ganz klar ist, unsere Putzfee geht nicht an unsere Wäscheschränke, sie bügelt nicht, sie muss auch nicht unsere Wäsche waschen. Das machen wir alleine.“ (Susanne Meyer)

Zum Zeitpunkt unseres Gesprächs ist Susanne Meyer 34 Jahre alt, verheiratet, hat zwei schulpflichtige Kinder und beschäftigt seit viereinhalb Jahren wechselnde polnische Haushaltsarbeiterinnen. Die Familie lebt in einem Haus mit Garten in einem Berliner Vorort. Herr Meyer arbeitet als Bühnenbildner an einem Berliner Theater. Frau Meyer hat Betriebswirtschaft studiert und sich selbstständig gemacht. Ihr Büro hat sie im Wohnhaus der Familie eingerichtet. Die Beschäftigung einer Haushaltsarbeiterin begründet keine der Arbeitgeberinnen damit, keine Lust auf die körperlich besonders anstrengenden und monotonen Hausarbeiten, wie putzen und bügeln zu haben. Im Kontext der Repräsentation als Arbeitgeberin gegenüber einer Fremden scheint die Beschäftigung

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einer Haushaltsarbeiterin lediglich in einer Notlage zulässig. Die Arbeitgeberinnen, so die Erzählungen, wählen zwischen Hausarbeit oder Erwerbsarbeit, wobei auch die Berufstätigkeit die Frauen keineswegs aus der Verantwortung für die Hausarbeit entlässt. In meiner Untersuchung haben ausnahmslos Frauen nach einer Haushaltsarbeiterin gesucht und letztlich eingestellt. Hausarbeit für mehr Freizeit zu delegieren, scheint tabu; gerade so als handle es sich dabei um einen unzulässigen Hedonismus. Ganz anders schildern die Frauen ihre (Ehe-)Männer, die offensichtlich keine Probleme haben, sich nicht an der Hausarbeit zu beteiligen und es vorziehen, sich wie beim Ablasshandel der Katholiken von der Arbeit freizukaufen. Die Männer zeigen sich gleichgültig, wer die Hausarbeit erledigt, gerne auch die Haushaltsarbeiterin aus Polen, solange die Kosten der Arbeit das Familienbudget nicht sprengen, in der Regel solange die Arbeitgeberinnen durch ihre Erwerbsarbeit die Lohnkosten erwirtschaften. „Ich hab’ mir schon immer gewünscht, dass er der Ehemann mehr mitmacht. Aber er ist [...] immer mit Personal aufgewachsen, der hat keinen Finger gerührt zu Hause. Wenn wir heute seine Mutter besuchen, dann macht die heut’ noch sein Bett. […] Ich bin’s anders gewohnt, also, wobei mein Vater letztlich auch, der hat so’n bisschen mitgemacht, aber so richtig auch nicht. […] ich hab’ von Anfang gesagt, ich bügele nicht deine Hemden, das mach’ ich einfach nicht. Wir sind beide berufstätig, wir hatten am Anfang noch keine Kinder, das kannst du gefälligst selber machen oder du bringst sie halt weg. Weil, das hätt’ der sich schon gewünscht, glaub’ ich. Und dann kam relativ schnell das erste Kind, und dann hatten wir auch, weil ich dann wieder gearbeitet hab’ schnell die Dorota und dann hat sie das eben übernommen, das was ich hätte machen müssen für ihn, sein Part sozusagen. Und insofern kann ich mich nicht beschweren, wenn er dafür bezahlt, statt es selbst zu machen, ist es auch in Ordnung.“ (Annette Schmitt)

Hier wird noch einmal deutlich, wie die Zuständigkeit der Frauen für die Reproduktionsarbeit immer weiter reproduziert wird, ungeachtet der mehrheitlich akzeptierten Geschlechtergleichheit und der Tatsache, dass wohl kaum noch jemand von einer natürlichen weiblichen Zuständigkeit für die Hausarbeit spricht. Partnerschaftliche Aufteilung ist Common Sense, wenn auch längst keine alltägliche Praxis (Wetterer 2003). 5.3.4 Polinnen als „Profiputzfrauen“ | Ohne valide Zahlen vorweisen zu können, wie viele Haushalte polnische Haushaltsarbeiterinnen beschäftigen, kann man davon ausgehen, dass Polinnen das in-

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formelle Hausarbeitsfeld in Berlin dominieren. Polnische Haushaltsarbeiterinnen gelten als kompetent, zuverlässig, schnell und vertrauenswürdig, so dass sie von vielen Arbeitgeberinnen weiter empfohlen werden. Wenngleich meine Frage, ob die Herkunft der Haushaltsarbeiterin eine Rolle spiele, stets abschlägig beschieden wurde, so hat sich doch aus dem guten Ruf polnischer Haushaltshilfen und ihren gut funktionierenden Netzwerken eine klare Präferenz entwickelt. Bei der Wahl der Vertreterin spielt deren ethnische Zugehörigkeit auch insofern keine Rolle, da die Arbeitgeberinnen nicht explizit nach einer polnischen Putzfrau suchen, sondern meist im Bekanntenkreis auf das Schneeballprinzip vertrauend fragen und dann eben sehr häufig die mobile Telefonnummer einer Polin bekommen. „Ich suchte eine Putzfrau und da habe ich zwei gefragt, meinen Schwiegervater und eine Freundin und beide sagten, sie hätten polnische Putzfrauen. Da habe ich dann ehrlich gesagt, nicht mehr weiter gesucht.“ (Isolde Kern)

Die Anrufe bei einer der Haushaltsarbeiterinnen, die Freunde, Verwandte oder Bekannte empfohlen haben, waren relativ verlässlich erfolgreich, da entweder die Angesprochene selbst den Job übernahm oder eine Kollegin empfahl, die gerade etwas suchte. Ich habe nur eine Arbeitgeberin getroffen, die in einer zeitlichen Abfolge neben zwei polnischen Haushaltsarbeiterinnen für einen kurzen Zeitraum zwei Student*innen aus Peru beschäftigte und somit Erfahrungen mit nichtpolnischen Putzfrauen besaß. Allerdings handelte es sich dabei, wie die Arbeitgeberin betont, um ein „grundsätzlich anderes“ (Bettina Müller) Verhältnis, da es sich bei den Haushaltsarbeiter*innen aus Peru um Sprachstudent*innen gehandelt habe. „Die kamen und wollten wissen, was sie tun sollten“, während die polnischen Haushaltsarbeiterinnen „so ein hausfrauliches Verständnis für ihre Arbeit hatten ... Die Polinnen waren Profiputzfrauen und die anderen waren Studentenjobber“ (Bettina Müller).

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Im Zentrum des vorangegangenen Kapitels standen Strategien, Motive und Verhaltensweisen der Akteurinnen sowie ein Einblick in die Abläufe und Strukturen der transnationalen Arbeitsmigration von Polinnen nach Berlin. Dieses Kapitel handelt von den polnisch-deutschen Treffen am informellen Arbeitsplatz Haushalt, wie sie in den Erzählungen thematisiert werden. Bei der Durchsicht des empirischen Materials habe ich einige aus meiner Sicht zentralen Konzepte identifiziert, die in den informellen deutsch-polnischen Arbeitsverhältnissen bedeutsam sind (Kapitel 6.1). Dazu zählen Konzepte wie Vertrauen und Komplizenschaft als Ermöglichungsstrategien für gemeinschaftliches, egalitäres Handeln (Kapitel 6.2) ebenso wie das Sprechen über den Körper der Anderen als Strategie, um soziale und kulturelle Differenz zu markieren (Kapitel 6.3). Außerdem diskutiere ich in Kapitel (6.4) die stereotypen Zuschreibungen, die in den Erzählungen auftauchen und sowohl im deutschen als auch im polnischen Nachbarschaftsdiskurs die Fremd- und Eigenbilder stützen. Dieses Themenfeld überschneidet sich mit dem Diskurs der Ost-West-Kontrastierung, der in den Erzählungen der Arbeitgeberinnen verlässlich zur Sprache kam (6.5). Im letzten Teil dieses Kapitels (6.6) erörtere ich, inwieweit die Erzählungen die im kommunikativen und kulturellen Gedächtnis gespeicherte Geschichte direkt oder indirekt thematisieren und wie diese Geschichte des Völkermords und der Zerstörung, von Flucht und Vertreibung in der Mikrostruktur des Haushalts Bedeutung zuwächst.

6.1 ARBEITS- UND ANDERE BEZIEHUNGEN | In diesem Kapitel werde ich das empirische Material danach befragen, wie die Akteurinnen eines deutsch-polnischen informellen Hausarbeitsverhältnisses soziale und ökonomische Asymmetrien verhandeln. Dabei lasse ich mich von den

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Motiven der Erzählungen leiten. Da die meisten Aspekte nur für jeweils eine Gruppe relevant sind, führt diese Logik der Analyse auch zu Überschneidungen und dadurch zu Perspektivwechseln innerhalb eines thematischen Abschnitts. Auffällig war das Interesse aller Akteurinnen, das Arbeitsverhältnis jenseits ökonomischer Gegebenheiten als ein freundschaftliches, zumindest annähernd egalitäres zu beschreiben. Dabei erscheint es doch offensichtlich, dass es sich hier um ein ökonomisches Verhältnis handelt. Auf der einen Seite befinden sich jene, die für Lohn arbeiten, auf der anderen jene, die den Lohn für die geleistete Arbeit zahlen. Die Hintergründe und Praktiken, das Arbeitsverhältnis als ein ökonomisches zu verschleiern, werde ich in Kapitel 6.1.1 und 6.1.2 erörtern. Die Erzählungen von „bösen Arbeitgeberinnen“ und „schlechten Jobs“ (Kapitel 6.1.3) geben Einblick in den Hausarbeitsalltag jenseits der Rhetorik von Freundschaft und Verwandtschaft. Als ein weiteres Charakteristikum der informellen Hausarbeitsverhältnisse werde ich in Kapitel 6.1.4 die rechtliche Grauzone der Schattenwirtschaft thematisieren. Die negativen Auswirkungen der Rechtlosigkeit (keine Arbeitszeit-, Urlaubsregelung etc.) betreffen in diesem Fall vor allem die Arbeitnehmerinnen. Unangemessen wäre es jedoch, die strukturell asymmetrischen Beziehungen von deutschen Arbeitgeberinnen und polnischen Haushaltsarbeiterinnen allein als hierarchische Beziehung zu beschreiben. Ich beginne meine Spurensuche mit der Frage, inwieweit Vertrauen als eine zentrale Kategorie für das Zustandekommen eines irregulären Arbeitsverhältnisses konstitutiv ist und wie die Akteurinnen notwendiges Vertrauen generieren. Die ethnografischen Beschreibungen werden ergänzt durch Erläuterungen der für diese Studie relevanten Konzepte Freundschaft und Komplizenschaft. 6.1.1 Vertrauen | Mit der polnischen Haushaltsarbeiterin gewährt die Arbeitgeberin einer Fremden Einlass in den privaten Raum, dessen Zugang im Gegensatz zu einem öffentlichen Ort stark reglementiert ist. Der Besitz von Schlüsseln für Wohnungen, die man nicht selbst bewohnt, ist gemeinhin einer kleinen Gruppe weniger Vertrauter der Bewohner*innen vorbehalten: Freunden, Verwandten und vielleicht – zeitlich begrenzt – Nachbar*innen, die während des Urlaubs die Blumen gießen und nach der Post schauen. In diesen ausgesuchten Kreis der Schlüsselgewaltigen werden die polnischen Haushaltsarbeiterinnen innerhalb kürzester Zeit integriert, obwohl sie den Zugangsanforderungen für den privaten Raum – im Sinne von miteinander vertraut sein, sich kennen, eine gemeinsame Sprache sprechen –

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allenfalls partiell gerecht werden. Sie werden dann integriert, wenn der Arbeitsablauf bzw. die Erwerbstätigkeit der Arbeitgeberin dies erfordert. Auf die besondere Bedeutung von Vertrauen in informellen Hausarbeitsbeziehungen weisen auch Gather und Meißner (2002) hin. Jede Arbeitsbeziehung, ganz gleich, ob es sich um eine reguläre Erwerbsarbeit handelt oder um eine Dienstleistung in der so genannten Schattenwirtschaft, bedarf der moralökonomischen Einbettung. Zwar regeln vertragliche und damit auch einklagbare Vereinbarungen die Ansprüche und Rechte von Arbeitnehmer*innen und Arbeitgeber*innen am formellen Arbeitsmarkt, doch auch hier geht es nicht ohne Vertrauen in Kolleg*innen, Vorgesetzte, Geschäftspartner*innen, nicht ohne Vertrauen in das Funktionieren von Institutionen, Märkten, politischen Systemen. Im Kontext der irregulären Arbeit im Haushalt ist Vertrauen die zentrale Kategorie, die das Delegieren der Hausarbeit an eine Fremde überhaupt ermöglicht. Im Vordergrund steht das gegenseitige Vertrauen in die Zuverlässigkeit, die Anerkennung von Reziprozitätsregeln sowie in die hausfraulichen Fähigkeiten der Arbeitnehmerin (Gather/Meißner 2002). In der Vertrauensforschung wird zwischen vertragsförmigem und interpersonellem Vertrauen unterschieden. 1 Bei der ersten Variante geht es um das Vertrauen in einen Souverän, der bei Vertragsbruch einer Partei die Rechte der anderen einklagt. Im Gegensatz dazu wird das interpersonelle Vertrauen im Sinne einer „vertrauensvollen Beziehungsform“ (Hartmann/Offe 2001, 12) konzeptualisiert, die zumindest nicht ausschließlich als ökonomische Win-win-Strategie angelegt ist. Vertrauen beschreibt der Soziologe Martin Endreß als eine „Hintergrundressource“, ein allen Handlungen inhärenter „stillschweigend vorausgesetzter Bezugsrahmen“ (Endreß 2010, 97). Vertrauen reduziert soziale Komplexität durch das Ausblenden von Risiken und Kontingenzen. Handeln wird dadurch vielfach erst ermöglicht (Luhmann 1968, 21). Vertrauen als ein Versprechen auf die Zukunft, das weder auf rationalem Kalkül gründet noch auf völlig unbegründeter Vertrauensseligkeit. Georg Simmel definiert Vertrauen als einen „mittlere(n) Zustand zwischen Wissen und Nichtwissen“ (Simmel 1992, 393). Vertrauen ist somit eine kontingente Handlungsoption oder, wie es der polnische Soziologe Piotr Sztompka beschreibt, „a bet about the future contingent actions of others“ (Sztompka 2003, 25). Die Risiken – wie z. B. keine Lohnzahlung oder Diebstahl – können durch Abschätzung der Vertrauenswürdigkeit minimiert werden.

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Ein Überblick über die sozialwissenschaftliche Diskussion zum Vertrauen siehe Hartmann/Offe 2001, Endreß 2002, 2010; Sztompka 2003.

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So werden Haushaltsarbeiterinnen meist auf Empfehlung von Bekannten oder Freunden eingestellt. Dies bedeutet, andere haben in der Vergangenheit schon Erfahrungen mit jenen gemacht, auf die sich dann das gegenwärtige Vertrauen stützt. Andererseits handelt es sich beim Arbeitsverhältnis auch um eine strategische Interdependenz, da beide Seiten am Fortbestand der für sie gleichermaßen profitablen Beziehung interessiert sind (Hardin 2001; Fuhse 2002, 417f.). Das gegenseitige Interesse an der Beziehung kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich bei Vereinbarungen ohne formale Absicherung grundsätzlich um instabile, auf vielen Unwägbarkeiten und persönlichen Befindlichkeiten beruhende, risikobehaftete Beziehungen handelt. Allerdings bedeutet dies nicht, argumentiert Fuhse, dass die Frage nach der Vertrauenswürdigkeit in einer Beziehung gestellt wird. Dies impliziere schon ein fragwürdig gewordenes Vertrauen und somit die Verunmöglichung eines informellen Hausarbeitsverhältnisses (Fuhse 2002). Die Aufnahme in den exklusiven Kreis der Schlüsselbesitzer weist auf eine spezifische Anforderung an die Haushaltsarbeiterin hin. Im Kontext eines informellen Hausarbeitsverhältnisses müssen sie zwei Rollen mit sehr unterschiedlichen Profilen übernehmen: zum einen die Rolle der bezahlten Dienstleisterin, die für einen vereinbarten Lohn eine bestimmte Arbeitsleistung zu erbringen hat, zum anderen – außerhalb der ökonomischen Rationalität – die Rolle einer Freundin, einer Person, der man vorbehaltlos vertraut. „Noch nie hat jemand nach dem Pass oder den Dokumenten gefragt. Natürlich. Ich hab’ immer meine Dokumente bei mir. Dokumente, Pass, Anmeldung. [...] Für jeden Fall. Falls es nötig sein sollte. Falls etwas passieren sollte. Falls mir was zustoßen sollte. Falls jemand danach verlangen sollte. Aber das war noch nie der Fall.“ (Marysia Szarek) „Was für Fragen wurden ihnen gestellt?“ (UMF) „Wie ich heiße. Wo ich wohne. Woher ich komme. [...] Am Montag habe ich geputzt, danach sollte ich am Mittwoch kommen, danach am Freitag. Am nächsten Montag lag schon ein Zettel da. Das ist alles. Drei Tage lang war jemand zuhause. Eine Woche darauf gab es schon keinen mehr. Ich habe die Schlüssel gehabt. Ich bin hingegangen und habe geputzt.“ (Marysia Szarek)

Dass ihnen, den Fremden, so viel Vertrauen entgegengebracht wird, erscheint den Haushaltsarbeiterinnen keineswegs selbstverständlich. Im Gegenteil, sie sind darüber erstaunt und, wie die Erzählung von Marysia Szarek verdeutlicht, auch verunsichert. Die nervöse Aufzählung möglicher Notfälle und Forderungen, die eine offizielle Legitimation erzwingen könnten, sowie die stilistisch auffallenden Wiederholungen in dieser Sequenz weisen auf die Unsicherheit hin, in der sich

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die Arbeitsmigrantinnen alltäglich bewegen. Marysia Szarek verleiht ihrer Erzählung mit diesem Mittel besondere Eindringlichkeit im Sinne einer Beteuerung, dass sie auf jedes mögliche unangenehme Ereignis vorbereitet sei, auf einen Unfall im Haushalt ebenso wie auf eine Razzia der Zollbehörde. Die Beteuerung, so schien es mir, richtete sich gleichermaßen an mich als auch an sie selbst. Hier wird deutlich, dass die auf den ersten Blick so selbstbewusst wirkende Arbeitnehmerin während des Treffens mir gegenüber unsicher und ängstlich war. Zum einen hatte ich den Eindruck, dass ich ihr den Sinn und Zweck des Gespräches nicht wirklich verständlich machen konnte, zum anderen war dies der Arbeit in der rechtlichen Grauzone der Schattenwirtschaft geschuldet, noch dazu in einem fremden Land, dessen Sprache sie nicht sprach. Wie wenig plausibel den Haushaltsarbeiterinnen das ihnen entgegengebrachte Vertrauen seitens der Arbeitgeberinnen erscheint, macht Anja Pieczowska mit ihrer Erzählung deutlich. Zum Zeitpunkt unseres Gesprächs auf zweieinhalb Jahre Arbeitserfahrung zurückblickend, berichtete sie lediglich von einer Arbeitgeberin, einer Journalistin, die nach ihrem Pass gefragt habe. Eine weitere Familie, eine Lehrerin und ein Student der Osteuropastudien, kannten ihren Nachnamen. Die anderen – sie arbeitete bei insgesamt 13 Familien – hatten lediglich die Nummer ihres Mobiltelefons und einen falschen Vornamen notiert. Die Familien hätten großes Vertrauen zu ihr, sagte sie, zu den meisten Wohnungen, die sie putze, habe sie einen Schlüssel. Während der Arbeit sei sie überwiegend alleine in der Wohnung. Für dieses Gespräch trafen wir uns am Bahnhof Lichtenberg, ich wollte Anja Pieczowska auf ihrer Heimreise nach Kostrzyn begleiten.2 Meiner Bitte nach einer gemeinsamen Fahrt stimmte sie bei unserer ersten Verabredung nur widerstrebend zu und nur unter der Bedingung, dass der Hintergrund unserer gemeinsamen Reise vor den Kolleginnen im Zug verborgen bleibe. Sie wirkte ängstlich, eingezwängt zwischen meiner Bitte und der Furcht vor den Kolleginnen, die offensichtlich nicht wissen durften, dass wir über die Arbeitsmigration sprechen. Der Zug fuhr um 18.36 Uhr. Wir trafen uns, wie verabredet, um 18.20 Uhr am Gleis 22 und begrüßten uns wie alte Bekannte. Als der Zug einfuhr, schubste sie mich und gab mir zu verstehen, dass man hier drängeln und schnell sein müsse, wer zögert bekommt keinen Sitzplatz. Das gilt vor allem für den Freitagabend, wenn der Zug besonders voll ist, da auch diejenigen mitfahren, die im Wochenrhythmus pendeln und von Kostrzyn noch weiter fahren. Ich war als erste im Waggon und wählte einen Platz an einem freien Vierersitz. Anja bevorzug-

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Das Gespräch und meine Beobachtungen habe ich auf der Rückreise nach Berlin am selben Abend in Form eines Gedächtnisprotokolls notiert.

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te eine Zweierreihe. Wahrscheinlich wollte sie nicht, dass andere Fahrgäste unser Gespräch mithören können. Die meisten von ihnen, erklärte mir Anja Pieczowska, waren Pendlerinnen wie sie. Man kenne sich, mit einigen Frauen sei sie befreundet. An diesem Donnerstagabend sprach Anja Pieczowska nur mit mir. Das Abteil war nicht voll besetzt, wir konnten uns in aller Ruhe einen geeigneten Platz suchen. Während des Gespräches wechselten wir zum freundschaftlich vertrauten Du. Wir flüsterten damit uns keiner hören konnte. Es war sehr ruhig in dem Abteil. Die anderen Frauen, fünf oder sechs, die an diesem Abend auch nach Kostrzyn fuhren, schliefen oder blätterten in bunten Magazinen. Anja erzählte von ihrem Arbeitstag. An diesem Donnerstag war sie mit dem Sechs-Uhr-Zug nach Berlin gefahren. Die Zugfahrt dauert anderthalb Stunden bis zum Bahnhof Lichtenberg, von dort nach Berlin-Schöneberg – hier hat sie die meisten Arbeitsstellen – braucht sie noch einmal mindestens eine halbe Stunde. Achteinhalb Stunden hat sie gearbeitet. Sie sieht müde aus, blass, schmal, ihr Mund zuckt nervös. Donnerstag sei ein guter Tag, sagt sie. Jede Wohnung könne sie zu Fuß erreichen, das spare Zeit. Um 20 Uhr sei sie wieder zu Hause: Essen, TV, Internet. Am nächsten Morgen muss sie wieder um 6 Uhr am Kostrzyner Bahnhof sein. Überraschend kommt Anja Pieczowska noch einmal auf das aus ihrer Perspektive ungewöhnlich große Vertrauen zurück, das die Arbeitgeberinnen ihr entgegenbringen. Ihre eigene Praxis als Arbeitgeberin einer Haushaltsarbeiterin in Polen, an die sie wiederum ihre Hausarbeit delegiert, schildert sie als völlig konträr, während die Begründungen für die Anstellung einer Haushaltsarbeiterin mit denen der deutschen Arbeitgeberinnen weitgehend übereinstimmen. Der Lebensgefährte beteiligt sich nicht an der Hausarbeit, er sei „mit dem Bewusstsein aufgewachsen“, so Anja Pieczowska, dass „diese Arbeit nur Frauen machen“ und sie selbst hat keine Zeit. Anders als ihre Arbeitgeberinnen in Berlin überlässt Anja Pieczowska jedoch ihrer Haushaltsarbeiterin nicht den Wohnungsschlüssel und würde dies, wie sie betont, auch niemals tun. An dieser Stelle hält sie einen Moment inne, lächelt ein wenig, so als wäre ihr der Widerspruch zwischen der eigenen Praxis und der der deutschen Arbeitgeberinnen gerade erst aufgefallen. Es scheint, als achte man in der postsozialistischen Gesellschaft Polens wesentlich stärker auf die Trennschärfe unterschiedlicher sozialer Subjektpositionen als in Deutschland, wo – das machen auch die Erzählungen der Arbeitgeberinnen deutlich – die sozialen Differenzen eher kaschiert und unkenntlich gemacht werden.

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Exkurs: Das Konzept der Freundschaft „Friends are sought and must be won“ (Beer 2001, 5805) pointiert die Ethnologin Bettina Beer den erworbenen Status im Kontext einer Freundschaft im Gegensatz zu dem zugeschriebenen einer Verwandtschaft. Das Konzept einer affektiven Beziehung zwischen zwei Menschen, die keinerlei verwandtschaftliche Verbindung aufweist und auch – etwa durch eine Heirat – keine verwandtschaftliche Beziehung zum Ziel hat, ist in vielen Kulturen verankert und seit der Antike ein wichtiger Topos der Philosophie. In den westlichen Kulturen ist das aristotelische Freundschaftsideal eine symmetrische, auf gegenseitige Zuneigung, Freiwilligkeit und Reziprozität gegründete Verbindung von Gleichgesinnten. Bemerkenswert ist, dass der philosophische Diskurs bis ins 20. Jahrhundert Freundschaft als ein ausschließlich von Männern praktiziertes Beziehungsmodell konzeptualisierte. Sowohl geschlechterübergreifende als auch Freundschaften unter Frauen wurden in dem herrschenden Freundschaftsdiskurs ignoriert bzw. im Sinne des Konzepts einer wahren Freundschaft unter Gleichen als nicht relevant betrachtet (Rohrer 2014). So verwundert es kaum, dass der Bildervorrat der westlichen Welt an mehr oder weniger heroischen Freundespaaren überwiegend männlich konnotiert ist. Man denke an Shakespeares Antonio und Bassanio sowie Hamlet und Horatio, an Goethe und Schiller oder auch Pat und Patachon. Frauenfreundschaften wurden auch in der ethnografischen Literatur, wenn überhaupt, auf der Folie von Männerfreundschaften als deren Pendant konzeptualisiert. Während die einen in der Intimität des trauten Heimes sich über häusliche Probleme austauschten, saßen die anderen in Büros respektive in Bars und politisierten oder planten eine Karriere (Bovenschen 1998; Rohrer 2014). Die romantische Idee von der wahren Freundschaft im Sinne einer Verschmelzung zweier Seelen entzaubern Soziologen wie Georg Simmel und Ferdinand Tönnies erst Ende des 19. Jahrhunderts. Sie beschreiben die gesellschaftlich nicht regulierte soziale Organisationsform als eine Vergemeinschaftung, die in der Interdependenz mit sozialen Kategorien wie Geschlecht, Klasse, Ethnizität, Alter, Dauer und Intensität der affektiven Bindung, gemeinsame Interessen und Asymmetrien in sehr unterschiedlichen Formen auftritt (Simmel 1992, Rohrer 2014, Tönnies 1979; Beer 2001). „In fact, depending on the socio-cultural and economic context, the label of ‚friendship‘ may be more readily applied to relationships that are also affective but rather asymmetrical, and that are often employed strategically and motivated by self-interest, among other things.“ (Brandt/Heuser 2011, 148)

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Die multiplen Formen der Freundschaft, die Unbestimmtheit der sozialen Kategorien, die in einer spezifischen Freundschaft wirksam sind, erschweren nicht nur eine klare Zuordnung, sondern erweisen sich gegenüber einer wissenschaftlichen Systematisierung als äußerst sperrig. Dies liegt auch daran, dass zumindest in den westlichen Gesellschaften keine verbindlichen Charakteristika, keine besonderen Verhaltensweisen, keine Symbole, besonderen sprachlichen Codes oder spezielle Rituale (mehr) existieren, die eine interpersonelle Verbindung als Freundschaft charakterisieren. Freundschaftliche Beziehungen finden ihren Ausdruck in „heterogenen und individuell gestalteten Alltagspraktiken“ (Ziemer 2013, 82), sie variieren je nach Kontext (Arbeit, Nachbarschaft, Kindheit etc.) und verändern sich im Laufe der Zeit (Beer 2001). Die Kulturanthropolog*innen Agnes Brandt und Eric Heuser haben die Schwierigkeiten der begrifflichen Abgrenzung folgendermaßen beschrieben: „As a social category of low institutionalisation, friendship often ‚happens‘ in close proximity to other social categories, such as family relations, romantic relationships, exchange relationships, alliances, and even patronage networks.“ (Brandt/Heuser 2011, 149)

In der Ethnologie und Volkskunde spielt das Forschungsfeld Freundschaft lange Zeit eine untergeordnete Rolle. Diese Disziplinen betrachten vor allem das stark formalisierte Beziehungssystem Verwandtschaft sowie soziale Institutionen als zentrale gesellschaftliche Strukturprinzipien. Die Grenzziehung zwischen den Kategorien Verwandtschaft und Freundschaft hat heute in der sozialwissenschaftlichen Forschung an Schärfe verloren. Gleichzeitig hat in den vergangenen Jahren das Interesse an Freundschaft zugenommen und sich zu einem Forschungsfeld entwickelt (u. a. Brandt 2013; Brandt/Heuser 2011; Rohrer 2014; Beer 1998; 2001; Roseneil 2000).3 Mit der zunehmenden Individualisierung und Differenzierung der postmodernen westlichen Gesellschaften ist die Bedeutung des traditionellen Familien- und Verwandtschaftsmodells gesunken, stattdessen spielt die Freundschaft als ein selbst bestimmter, institutionell nicht eingebundener und von Affekten beflügelter Zusammenschluss individueller Akteure als eine neue Form sozialer Organisation eine immer größere Rolle (Roseneil 2000).

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Agnes Brandt hat zu interkulturellen Freundschaftsbeziehungen zwischen Maori und Pakeha in Neuseeland geforscht. Ingo Rohrers ethnografische Forschung geht der Bedeutung von lokalen sowie globalen Freundschaftsnetzwerken in der Punk- und Hardcore Szene in Buenos Aires nach. Sasha Roseneil diskutiert aus einer queerfeministischen Perspektive die Bedeutung von Freundschaft für Pflege- und Sozialarbeit (Brandt 2012; Rohrers 2014; Roseneil 2000).

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Im Sinne einer reflexiven Anthropologie richtet sich das kulturanthropologische Forschungsinteresse sowohl auf die freundschaftlichen Beziehungen von Informant*innen und Ethnolog*innen im Feld als auch auf die strukturellen Spezifika, Ambivalenzen und Praktiken der sozialen Kategorie Freundschaft in einem gegebenen soziokulturellen Kontext. In den neueren anthropologischen Diskussionen wurde die Freundschaft aus dem engen Korsett einer dyadischen, nicht-verwandtschaftlichen, langfristigen Beziehung zwischen Gleichgesinnten befreit und die Statik der Dichotomie von Verwandtschaft versus Freundschaft, Patronage versus Freundschaft ersetzt durch ein Konzept von Freundschaft, als ein vielschichtiges Phänomen, das im jeweiligen soziokulturellen, ökonomischen und politischen Kontext je spezifische Form annimmt (u. a. Nötzoldt-Linden 1994; Grätz u. a. 2003; Brandt 2013). In der vorliegenden Forschung wird Freundschaft im Sinne einer sozialen Kategorie benutzt, die in immer wieder neuen Formen der Vergemeinschaftung ihren Ausdruck findet. „The meaning of friendship is acquired in the process of engagement between actors.“ (Brandt 2013, 36) Dieses akteurszentrierte flexible Konzept öffnet den Begriff der Freundschaft für „alternative Formen des Zusammenseins, die auch jenseits vorgeformter politischer Instanzen funktionieren und die das Andere, Fremde einschließen“ (Ziemer 2013, 77). Es eignet sich somit als Ausgangspunkt, um die Strategien der Freundschaftsrhetorik, wie sie in den Erzählungen meiner Gesprächspartnerinnen aufscheint, zu diskutieren. Neben der Freundschaft hat mich das Konzept der Komplizenschaft, das in vielerlei Hinsicht dem der Freundschaft ähnelt, bei meinen ethnografischen Beschreibungen geleitet. Die Kulturwissenschaftlerin Gesa Ziemer weist darauf hin, dass im allgemeinen Sprachgebrauch von Kompliz*innen im Zusammenhang mit Straftaten oder auch organisiertem Verbrechen die Rede ist. Komplizenschaft verbindet allerdings auch häufig Akteure in den Chefetagen internationaler Unternehmen, auf Schwarzmärkten und im Gefängnis. Kompliz*innen agieren fast immer im Verborgenen, häufig auch in der Illegalität oder in Grauzonen (Ziemer 2013). Etymologisch bedeutet Komplize, mit anderen verbunden, verflochten zu sein. Darauf weist die Präposition com (mit) hin sowie das Verb plectere (flechten) (Köbler 1995, 226). Kompliz*innen sind Mitwisser*innen, Mittäter*innen. Sie wissen voneinander, von den Machenschaften der anderen, an denen sie in der Regel beteiligt sind und mit denen sie gemeinsam die Verantwortung tragen. Eine Komplizenschaft funktioniert wie ein Geheimbund, mit je eigenen Spielregeln. Häufig hat sie sich einer Sache verpflichtet, dient einem speziellen Zweck. Fast immer werden herrschende Ordnungskategorien unterlaufen. Trotz-

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dem oder gerade deshalb sind die Kompliz*innen keineswegs notwendig negative Figuren (auch wenn der Begriff Komplizenschaft im allgemeinen Sprachgebrauch noch immer negativ konnotiert ist). Vielmehr umgibt sie häufig eine weitgehend positiv bewertete Aura der Unangepasstheit, die einhergeht mit Risikobereitschaft und der Lust am Spiel (Ziemer 2007). Ziemer beschreibt das Interesse von Kompliz*innen folgendermaßen: „Aufeinander angewiesen, verfolgen sie ein gemeinsames Ziel und profitieren von den komplementären Eigenschaften des Anderen.“ (Ziemer, 2007, 7) In der Sprache der Ökonomie entspricht dies, so Ziemer, einer Win-win-Situation. „Beide Parteien verbünden sich schnell und administrativ so unaufwendig wie möglich, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen.“ (Ebd., 8) Für die informelle Hausarbeit formulierte Anett Kamińska dies so: „Deutsche und Polen sitzen in einem Boot.“ Wenn die Behörden von der Schwarzarbeit in einem Haushalt erfahren, müssen sich Arbeitgeberin und Arbeitnehmerin gleichermaßen wegen Wirtschaftskriminalität vor dem Gesetzgeber verantworten. Die Gleichheit vor dem Gesetz bedeutet allerdings weder, dass es sich bei der Komplizenschaft um einen machtfreien Raum handelt, noch strukturelle Asymmetrien zwischen den Komplizinnen verschwinden. Die Komplizenschaft hat keinen Einfluss darauf, wer über wie viel ökonomisches und soziales Kapital verfügt, allenfalls verdeckt sie die Ungleichheiten zeitweise. Die Akteur*innen einer Freundschaft und/oder Komplizenschaft verbindet notwendigerweise weder Verwandtschaft, noch Herkunft, Geschlecht oder sozialer Status. Beide Beziehungsmodelle sind institutionell nicht verankert und mit ihren informellen kulturellen Praktiken changieren sie zwischen öffentlich und privat sowie zwischen legal und illegal (Ziemer 2013). In welchen sozialen Praktiken sich die Beziehung konkretisiert, entscheiden die Akteur*innen. Diese Freiheit birgt eine anarchische Potenz, wie sie etwa in der Beziehung von Thelma und Louise in dem gleichnamigen Roadmovie 4 aufscheint oder auch in der von Ernie und Bert aus der Sesamstraße. Beide Beziehungsformen besitzen die Fähigkeit, Fremde in Vertraute zu verwandeln und sogar aus Feinden Freunde werden zu lassen (ebd.). Die signifikanten Unterschiede zwischen Komplizenschaft und Freundschaft beziehen sich auf das inhärente Zeitmaß der Beziehung sowie auf Intention und affektive Anteile. Während es sich bei der Freundschaft um eine Beziehung der longue durée handelt, ist die Komplizenschaft im Sinne von Mittäterschaft auf eine Tat ausgerichtet. Ist diese erledigt, endet in der Regel die Beziehung. Kompliz*innen verbindet ein gemeinsames Anliegen, ein Bank-

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Thelma & Louise (1991): US-amerikanisches Roadmovie; Regie: Ridley Scott. Die Hauptrollen spielten Susan Sarandon und Geena Davis.

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raub, ein illegales Arbeitsverhältnis, Freunde genügen sich selbst. Die Beziehungen zwischen deutschen Arbeitgeber*innen und polnischen Haushaltsarbeiter*innen changieren zwischen beiden Polen. 6.1.2 Wahlverwandtschaft | Als „Paradoxon des gleichzeitigen Zusammen- und Getrenntlebens“ beschreibt Encarnación Gutiérrez Rodriguez das Zusammentreffen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitgeberinnen im Haushalt und damit „in der Unmittelbarkeit der Intimsphäre der Haushaltsmitglieder“ (Gutiérrez Rodríguez 2015, 93). An anderer Stelle beschreibt sie die vertraulichen Begegnungen als eine „paradoxical intimicy“ (Gutiérrez Rodríguez 2008, 275). Folgt man Gutiérrez Rodríguez, bedeutet der Zugang zum Haushalt unweigerlich Zugang zum „Netzwerk affektiver Beziehungen“ (ebd. 2015, 93). Mit dem Betreten des Haushalts könne sich die Haushaltsarbeiterin den „affektiven Spuren“ der Haushaltsmitglieder nicht entziehen (ebd.). Die Akteurinnen eines informellen Hausarbeitsverhältnisses treffen mit dem Gestus der Intimität aufeinander, obwohl sich ihre Realitäten und Aspirationen konträr gegenüberstehen. Das hat Ähnlichkeiten mit dem Als-ob eines Theaterstücks: Nichts ist, wie es scheint, und doch ist der Schein – der auf ein allen geläufiges Konzept sozialer Ordnung zurückgreift – unerlässlich, um gegenseitiges Vertrauen zu ermöglichen. Das Modell der Wahlverwandtschaft bietet die Möglichkeit, jenes Maß an strategischer Gleichheit herzustellen, das die Begegnung in der Intimität des Zuhauses benötigt und das Aushändigen der Wohnungsschlüssel ermöglicht. Dabei hat die Behauptung eines verwandtschaftsähnlichen Verhältnisses keinerlei Auswirkungen auf die strukturelle Distanz. Die intrageschlechtlichen sozialen und ethnischen Differenzen, die das Verhältnis von Arbeitgeberinnen und Haushaltsarbeiterinnen grundieren, werden dadurch allenfalls camoufliert (Gather/Meißner 2002; Hess 2002; 2009). 5 Die Konstruktion von Wahlverwandtschaften auf der Basis eines informellen Arbeitsverhältnisses erfordert es, die Beziehung der Akteurinnen entsprechend zu codieren. Anstelle von Fremdheit wird Vertrautheit behauptet, statt sozialer Distanz freundschaftliche, ja sogar verwandtschaftliche Nähe. Mit Zuschreibungen wie „schwesterlich“, „freundschaftlich“, „familiär“ charakterisieren die meisten Arbeitgeberinnen die Beziehung zu ihrer Haushaltsarbeiterin:

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Allerdings weist Endreß darauf hin, dass gerade die Familie ein Beispiel für strukturelle Ambivalenz ist, da sie durch ihre Intimität ein Schutzraum und ein Gefahrenraum ist (Endreß 2010).

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„Also sie genießt schon mein volles Vertrauen. Sie hat von Anfang an einen Schlüssel von uns gehabt; bis dahin, wenn wir im Urlaub sind. [...] Wir duzen uns. Das war eigentlich ein immer sehr kumpelhaftes Verhältnis.“ (Julia Thal) „Ich mach’ das viel nach Bauchgefühl; also Barbara hat relativ schnell einen eigenen Schlüssel bekommen vom Haus und ich vertraue ihr da sehr. Das Vertrauen ist für mich auch sehr wichtig.“ (Susanne Meyer) „Eigentlich ist es schon familiär, freundlich, [...] es ist schon ’n vertrauensvolles Verhältnis und ich denke, ja Patentante ist zu viel gesagt [...].“ (Marlene Hartmann) „Es ist mehr als neutral, weniger als freundschaftlich. Geschäftlich? Nein, das ist es nicht nur, aber natürlich auch, das ist klar, geschäftlich ist die Grundlage, aber ansonsten mögen wir uns auch. So dass irgendwie, wenn wir gemeinsam hier im Haus [sind], wir uns auch wohlfühlen zusammen. Und haben nicht das Gefühl, dass sich das komisch anfühlt oder störend oder so was.“ (Isolde Kern) „[...] [T]eilweise [nehme] ich schon so ein bisschen Mutterfunktion ein, obwohl ich elf Jahre älter bin als sie, also ist es schwesterlich.“ (Annette Schmitt)

Die Anrufung der Arbeitsmigrantin als vertrauenswürdige Geschlechtsgenossin – im Rückgriff auf das Konzept einer kohärenten und einheitlichen Kategorie Frau – verwandelt die Unbekannte in eine Vertraute, eine Schwester. Diese über die Differenzkategorie Geschlecht konstruierte Gemeinsamkeit zwischen Arbeitgeberin und Haushaltsarbeiterin dient jedoch nicht nur als Basis für das Vertrauen im Sinne von „ehrlich“, „zuverlässig“ oder auch „diskret“, sondern ist gleichzeitig unabdingbar für das Vertrauen darauf, dass die Migrantinnen die notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten für das Putzen und Ordnen einer Wohnung besitzen. Die Dialektik von Familiarisierung und Befremdung in der alltäglichen Praxis internationaler Arbeitsteilung im Haushalt zeigt sich auch darin, dass die Arbeitgeberinnen häufig selbst nach Jahren von ihrer Haushaltsarbeiterin kaum mehr wissen als die Nummer eines Mobiltelefons und einen Vornamen, der nicht selten speziell für den Gebrauch von Deutschen simplifiziert wurde. In diesen Fällen boten die Arbeitnehmerinnen den Arbeitgeberinnen von Anfang an eine deutsche Übersetzung ihres Namens an oder legten sich für ihre Rolle als Haushaltsarbeiterin einen Alias zu. So hieß Anja Pieczowska eigentlich Anna, aber weil das polnische An-ne-na für die Deutschen zu schwierig war und sie es Anja aussprachen, übernahm sie irgendwann die deutsche Version ihres Namens. Aus Małgorzata wurde Marga oder Margarete, Elżbieta wurde zu Ela, Dorota zu Doris. Die polnische Sprache mit ihren vielen Konsonanten sei für Deutsche nur unter großen Mühen auszusprechen, sagt Marlene Hartmann, die im gleichen

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Atemzug auf ihre kosmopolitische Sozialisation – zweisprachig aufgewachsen in den USA und Deutschland – hinweist. Französisch oder auch Spanisch, so Marlene Hartmann, das könne man alles lernen, aber diese Sch-Laute, die seien für einen Mitteleuropäer einfach schwer.6 Die Sprache der Haushaltsarbeiterin wird hier als das ganz Andere, Fremde, als eine unaussprechliche Häufung von Zischlauten beschrieben, als etwas das sehr, sehr weit von der eigenen (Sprach-)Kultur entfernt ist. Die Betonung der ethnischen Differenz, die Behauptung zweier nicht kompatibler, dichotomer Entitäten konterkariert die Beteuerung einer familiären Beziehung zwischen Arbeitgeberin und Haushaltsarbeiterin. Claudia Gather spricht in diesem Zusammenhang von „konträren Logiken“ (Gather u. a. 2002, 37), die sich aus dem Ineinanderverwobensein von Erwerbs- und Privatsphäre, von Rationalität und Emotion am Arbeitsplatz Haushalt ergeben. Anstelle der Wahlverwandtschaft scheint mir an dieser Stelle das Konzept der Komplizenschaft, wie oben skizziert, besser geeignet, um das informelle deutsch-polnische Arbeitsverhältnis zu beschreiben. Anders als eine familienähnliche Beziehung ist die Komplizenschaft weder auf eine gemeinsame Sprache, noch auf ein umfassendes gegenseitiges Verstehen angewiesen. Im Vordergrund steht hier vielmehr das gemeinsame, zielgerichtete Handeln, das für beide Seiten gleichermaßen nützlich ist. 6.1.3 Konflikte, Krisen und Kontrollen | Zwar sprechen die Haushaltsarbeiterinnen von den Arbeitgeberinnen oft als „meine Familien“, „meine Freunde“, doch da es sich immer um mehrere Familien handelt, bei denen sie putzen, ist die emotionale ebenso wie die ökonomische Abhängigkeit in jedem einzelnen Fall relativ gering. Diese Unabhängigkeit ermöglicht es den Haushaltsarbeiterinnen, ihr Verhältnis zur Arbeitgeberin innerhalb eines Kontinuums zwischen Nähe und Distanz weitgehend selbst zu bestimmen und auch zu verändern (Frings-Merck 2010, 40f.). Die relative Freiheit der polnischen Arbeitsmigrantinnen in der Wahl der Arbeitsstellen basiert zum einen auf der nach wie vor hohen Nachfrage nach informellen Haushaltsarbeiterinnen in Berlin und dem guten Ruf, den die Polinnen genießen, zum anderen auf den uneingeschränkten Reise- und Aufenthaltsmöglichkeiten, die durch die EUMitgliedschaft garantiert sind.

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Die hier paraphrasierten Ausführungen hat Marlene Hartmann im Anschluss an das auf Band aufgezeichnete Gespräch gemacht. Die Äußerungen habe ich anschließend zu Hause aus dem Gedächtnis sinngemäß notiert.

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Als Beleg für die subjektive Handlungsfähigkeit dienen Erzählungen von Auseinandersetzungen mit den Arbeitgeberinnen. Der Streit drehte sich aus der Perspektive der Arbeitgeberin um nicht erledigte, zu langsam oder zu schlampig verrichtete Arbeit, aus der Perspektive der Arbeitnehmerin um unzulässige Forderungen, falsche Anschuldigungen, Demütigungen. In diesem Streit positionieren sich die Haushaltsarbeiterinnen häufig kämpferisch und stolz als Mutter Courage, die sich von den Deutschen nicht schlecht behandeln lässt. Neben den Familien, mit denen sie „quasi verwandtschaftliche Beziehungen“ pflegen, und jenen, die sie persönlich kaum kennen, taucht in den Erzählungen regelmäßig eine dritte Kategorie auf: die schlechte Arbeitgeberin. Dabei handelt es sich um diejenigen, die unzufrieden sind mit der geleisteten Arbeit, die knauserig sind und die Lohnzahlung auf Viertel- oder halbe Stunden genau abrechnen, anstatt sie großzügig aufzurunden, oder um Arbeitgeberinnen, die Befehle erteilten, anstatt Bitten zu formulieren, kurzum sind es diejenigen, fasst Józefina Starczynowska zusammen, die ihre Haushaltsarbeiterin „wie eine Dienstmagd“ behandeln. Solche Arbeitsstellen kündige sie so schnell wie möglich, auch fristlos, betont Józefina Starczynowska, selbst dann, wenn sie auf den Lohn ihrer Arbeit verzichten muss. Schlecht behandeln lasse sie sich jedenfalls nicht. Wie zum Beweis erzählt sie aus den Anfangsjahren ihres Lebens als Haushaltsarbeiterin folgende Geschichte. Damals hatte sie eine Arbeitsstelle, die das Reinigen einer Vier-Zimmer-Wohnung inklusive Küche und Bad sowie das Bügeln von zwei Körben Wäsche umfasste. Als Arbeitszeit waren jeweils drei Stunden kalkuliert, viel zu wenig Zeit für die viele Arbeit, wie sie schon bald herausfand. Da sie aber auf keinen Fall die Arbeit verlieren wollte, arbeitete sie immer zwei Stunden länger als vereinbart, die Arbeitgeberin – sie war nie zu Hause – bemerkte den Schwindel nicht. Die zusätzlichen Stunden stellte Józefina Starczynowska nicht in Rechnung. Das ging zwei Jahre so, bis eines Tages die Arbeitgeberin ausnahmsweise einmal zu Hause blieb und bemerkte, dass Józefina Starczynowska das vereinbarte Arbeitspensum nicht in drei Stunden erledigte. Die Frau habe sie angeschrien und beschimpft, sie arbeite zu langsam. Woraufhin Józefina Starczynowska ihr entgegen hielt, dass sie ihr die Arbeit schenke, sofort die Wohnung verließ und nie wieder dorthin zurückkehrte. Die Frau habe sie angerufen, erzählte sie, und sich sehr überrascht gezeigt, dass sie so reagiert habe. Hier wird deutlich, dass die Haushaltsarbeiterinnen die Macht haben zu gehen und dass die Arbeitgeberinnen damit nicht rechnen und wenn sie es tun, Angst davor haben. Eine Kündigung bedeutet eine Unterbrechung in der Routine des Saubermachens, hat eine Suche nach Ersatz zur Folge und erfordert erneut die emotional anstrengende Unternehmung, sich mit einer Fremden im privaten

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Raum des Haushalts vertraut zu machen. Dies erklärt auch, warum die Arbeitsbeziehungen häufig viele Jahre konstant bleiben. Was in dieser Erzählung wie ein kurzes, negatives Intermezzo klingt, das, einmal beendet, gleich wieder vergessen ist, erweckt in Joanna Patlas Erzählung den Eindruck, als handle es sich um eine längere Passion mit anhaltender Verunsicherung. Frau Patla erzählt von einer monatelangen Auseinandersetzung mit einer Arbeitgeberin, die ihr immer wieder vorwarf, zu langsam zu arbeiten. Vier Stunden für eine 140 Quadratmeter große Wohnung, ein Bad mit weißen Fliesen, das besondere Sorgfalt erforderte, das zeitaufwendige Bügeln von Blusen sowie die Beseitigung der Essensreste vom Vortag. Dazu kamen Sonderarbeiten wie Fensterputzen. Entsprechende Anweisungen wurden per Zettel auf dem Küchentisch erteilt. Sie habe sich gehetzt gefühlt, unter Druck, sagt Frau Patla. Sie habe förmlich gespürt, wie die Arbeitgeberin am Abend die Wohnung kontrollierte, mit dem Finger über die Bilderrahmen strich, unter dem Schrank nachschaute, ob sich dort kein Dreck ansammelte. „Ich hatte Angst.“ Als die Arbeitgeberin sie auch noch beschimpfte wie „ein kleines Mädchen“, kündigte sie endlich, denn das wollte sie sich – Mutter von zwei erwachsenen Kindern – nicht gefallen lassen. Die Geschichten über schlechte Arbeitsstellen und schlechte Arbeitgeberinnen erzählen die Haushaltsarbeiterinnen nur auf entsprechende Fragen nach negativen Erfahrungen. Die Zurückhaltung gegenüber der Veröffentlichung solcher Erlebnisse gründet sicherlich vor allem darauf, dass ich aus der Perspektive der Arbeitnehmerinnen qua Herkunft und sozialer Position zu den Arbeitgeberinnen zähle. Die Verhaltenheit gegenüber einer Personalisierung negativer Erlebnisse zeigt sich in der Strategie, Probleme in Allgemeinplätzen wie „am Anfang war alles sehr schockierend“ (Marysia Szarek) anzudeuten, ohne sie genauer kenntlich zu machen. Barbara Rybka begründet die Differenzen am Arbeitsplatz mit Missverständnissen aufgrund mangelnder Deutschkenntnisse. „Ich hatte große Angst, ich verstand kein einziges Wort, wenn die deutschen Frauen auf mich einredeten.“ Drei, vier Jahre habe es gedauert, bis sie sich einigermaßen verständigen konnte, sagt Maria Michalska. Zum Zeitpunkt unseres Gespräches pendelte sie seit zehn Jahren zwischen einem kleinen Dorf in der Nähe von Poznań und Berlin und beschreibt sich als „Profi“ des transnationalen Lebens und Arbeitens. Sie habe Glück gehabt mit den Menschen (Ärzte, Professoren, eine Schauspielerin, Anwälte), bei denen sie arbeite, betont sie. Außerdem sei sie „elastisch“. Diese Eigenschaft führte sie öfter an, als handle es sich dabei im Kontext der informellen Hausarbeit um einen zentralen, besonders bedeutsamen Wesenszug. Ich übersetze elastisch in diesem Zusammenhang mit belastbar, aber auch mit leidensfähig. Unangenehme, demütigende Erlebnisse aus der Zeit der Unerfah-

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renheit fasst Maria Michalska in einer Begegnung zusammen. Sie hatte eine Arbeitsstelle ihrer Mutter vertretungsweise übernommen, bei einer Frau, die ihr weniger als den vereinbarten Lohn bezahlte. Ein paar Mal habe sie das geschluckt, aber irgendwann doch auf der korrekten Bezahlung bestanden. Die Arbeitgeberin habe das jedoch abgelehnt, mit dem Argument, sie habe Kaffee getrunken, Pause gemacht. Sie sei sehr froh gewesen, als sie dort aufhören konnte. Ihre Mutter könne so etwas besser ertragen. Sprachlosigkeit gepaart mit dem Mangel an Erfahrung, etwa wie viele Stunden die Arbeit im Verhältnis zur Größe und Ausstattung der Wohnung benötigt, wie lange es dauert, einen Korb Wäsche zu bügeln, führen Haushaltsarbeiterinnen mir gegenüber als Ursache an für – aus ihrer Perspektive – demütigende Auseinandersetzungen mit den Arbeitgeberinnen. Die Plausibilisierung des Verhaltens der Arbeitgeberinnen werte ich als Zugeständnis an mich. Als einzige verortete Marysia Szarek ihre negativen Erfahrungen in einem spezifisch antipolnischen Diskurs: „Vor einer Weile haben mir die Arbeiten nicht gefallen. Es ging nicht ums Geld. Wenn man Pole ist, dann denken manche Leute, dass man mit einem Polen alles machen kann. Ich bin vielleicht ein wenig impulsiv. Wenn was nicht in Ordnung ist, dann sage ich: Nein, danke. Es gab solche Arbeiten, wo ich weggegangen bin. Ich habe kein Geld genommen für das, was ich sauber gemacht habe. Ich sagte: Danke!“ (Marysia Szarek)

Die hier nicht näher konkretisierten negativen Erfahrungen wertete Marysia Szarek als rassistische Diskriminierung, gegen die sie sich zur Wehr setzte. Das Motiv „mit einem Polen (kann) man alles machen“ konterkarierte sie, gab den Arbeitsplatz auf und verzichtete sogar auf den Lohn. Wie im Verlauf meiner Forschung deutlich wurde, handelte es sich bei der Reaktion von Marysia Szarek keineswegs um eine außergewöhnliche. Im Gegenteil, sie erweist sich als ein gewöhnliches Handlungsmuster polnischer Arbeitsmigrantinnen, um sich gegen soziale Abwertung und Diskriminierung seitens der Arbeitgeberinnen zu wehren. Auf die widerständigen Praktiken werde ich später noch einmal gesondert eingehen. Um Auseinandersetzungen möglichst zu vermeiden, hat Marysia Szarek ein kleines Vademekum für das Putzen in deutschen Haushalten zusammengestellt, eine Auswahl möglicher Idiosynkrasien von Arbeitgeberinnen, die Haushaltsarbeiterinnen beachten sollten. „Es gibt z. B. welche [Arbeitgeberinnen, d.V.], die den Teppich heben. Es gibt welche, die das Bild überprüfen, die Gläser, den Teppich. Schaut hin. Aha. Staubgesaugt. Kein Dreck.

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Manch einer fährt mit dem Finger nicht über das Bücherregal, aber schaut sich die Fliesen genauer an. Aha. Nicht gründlich. Deshalb sage ich: Man muss genau sauber machen, damit es später keine Beschwerde gibt. Sicherlich, keine ist perfekt. Aber wenn du einmal was auslässt, das zweite Mal machst du es nicht mehr. Aber so was ist mir noch nicht passiert.“ (Marysia Szarek)

Marysia Szarek nimmt hier die Position einer erfahrenen und disziplinierten Haushaltsarbeiterin ein, Fehler unterlaufen ihr nicht (mehr). Im Duktus einer Lehrerin ruft sie verschiedene Typen von Arbeitgeberinnen auf, deren Sauberkeitskontrolle sich auf jeweils unterschiedliche Objekte konzentrierte. Marysia Szarek schlüpft in die Rolle der Arbeitgeberinnen und spielt die Kontrollen durch, streicht sinnbildlich mit dem Finger über das Bücherregal, schaut unter den Teppich, inspiziert die Fliesen. Dabei nutzt sie Erzähltechniken wie Interjektionen, Imperative, knappe unvollständige Sätze. Dies erhöhte die Anschaulichkeit der szenischen Darstellung und wirkt gleichzeitig karikierend. Wieder in der Rolle der (Hausarbeits-)Lehrerin fasst Marysia Szarek die Lehrstunde über die Grundregel der Konfliktvermeidung bei der Haushaltsarbeit noch einmal zusammen. Man muss wissen, was die Arbeitgeberin verlangt, auch wenn sie es nicht ausspricht; ihre Zufriedenheit garantiert den Lohn und vermindert Stress. Die Sauberkeitsvorstellung der Haushaltsarbeiterin ist zweitrangig. Die Erzählungen von den Auseinandersetzungen mit den schlechten Arbeitgeberinnen rufen bei den Akteurinnen noch einmal die Wut, aber auch den Schmerz hervor, den sie in der konkreten Situation erfahren hatten. Der unvermittelte Einbruch von Kritik, die Forderung nach Effizienz und Rationalität, somit die Aufkündigung einer „diskursiven Kontinuität zwischen Familie und Arbeitsplatz“ (Illouz 2007, 28) zerstört den feinen Schleier des Sozialen, der die ökonomische Asymmetrie verdeckt und verunmöglicht in den Erzählungen von Józefina Starczynowska und Joanna Patla die Aufrechterhaltung des informellen Arbeitsverhältnisses. 6.1.4 Arbeiten in der Grauzone | Die Konflikte im Kontext informeller Hausarbeit und die Formen der Konfliktlösung machen deutlich, dass der Charakter der ökonomischen Tauschbeziehung – das Putzen der Wohnung gegen eine vereinbarte Geldsumme – in der alltäglichen Praxis oft verleugnet wird und der „ökonomische Tausch“ zu einem scheinbaren oder tatsächlichen „sozialen Tausch“ (Voswinkel 2005, 242) wird. Das Ineinander-verwoben-Sein von sozialer und ökonomischer Beziehung manifestiert sich in sozialen Praktiken, wie dem gemeinsamen Kaffeetrinken, dem

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Bereitstellen von Essen und Trinken, in der Unterstützung etwa bei der Wohnungs- und Arbeitssuche oder auch bei finanziellen Engpässen durch Lohnvorschüsse. „Sie kann sich natürlich selbstverständlich von all’ den Lebensmitteln, die da stehen bedienen; also Brot, Butter; Kaffee lass’ ich ihr unter einer Kaffeemütze noch stehen mit Tasse. Ja, und dann habe ich mich auch gefreut, dass sie das auch gemacht hat.“ (Georg Martin) „Sie ist sehr ruhig und ja, sie bekommt dann immer morgens hier ihren Kaffee, dann macht sie zwischendurch ihre Zigarettenpause oder ihre Frühstückspause. Das ist also so im Einverständnis. So im Laufe der Monate hat sich das so herauskristallisiert; am Anfang war das sehr zurückhaltend von ihr, dann habe ich gesagt, he, es ist alles ok.“ (Susanne Meyer) „Ja, hin und wieder, wenn ich mir gerade einen [Kaffee] mache oder wenn ich das Gefühl habe, sie sieht müde aus, dann sage ich, Janina möchten Sie ein bisschen was trinken oder soll ich einen Kaffee machen. Und letztens saßen wir auch einen Moment auf der Terrasse zusammen und haben kurz ein bisschen erzählt und dann geht wieder jeder seiner Wege.“ (Isolde Kern)

Zwar beschränkt sich in der Mehrzahl das Essen und Trinken im Arbeitgeberinnenhaushalt auf eine Tasse Kaffee, Mineralwasser und vielleicht noch einen kleinen Imbiss, doch ist darüber hinaus auch von zusätzlichen Hilfeleistungen und Geschenken die Rede, die Arbeitgeberinnen mithilfe ihres ökonomischen und/oder sozialen Kapitals zur Verfügung stellten. Das betraf etwa die Vorschusszahlungen für die Anschaffung eines Autos – „Das arbeitet sie dann ab.“ (Marlene Hartmann), die Beratung beim Umbau eines Hauses, bis hin zur Vermittlung fachärztlicher Hilfe für Maria Michalskas blinde Tochter oder auch ein teures Geschenk, wie die goldene Halskette, die Barbara Rybka von einer Arbeitgeberin erhielt. „Das Gold ist von deutschen Leuten, die die alleine sind und keine Kinder haben, machen Geschenke.“ (Barbara Rybka)

Umgekehrt beschenkten Arbeitsmigrantinnen häufig die Kinder der Arbeitgeberinnen zum Geburtstag und zu Weihnachten und brachten polnische Delikatessen wie Pfifferlinge und Wurst für die Erwachsenen mit. Das Arbeitsverhältnis, sagt Maria Michalska, sei mehr als eine Möglichkeit, Geld zu verdienen, auch eine Versicherung für schwere Zeiten. Das Delegieren von Reproduktionsarbeit in der Grauzone illegaler Arbeitsverhältnisse generiert

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soziale und ökonomische Beziehungen, die jedoch Affekten unterliegen und jederzeit ihre Ausrichtung ändern können. So ist etwa das Versprechen auf einen zusätzlichen Gewinn, einen besonderen Nutzen, den das Verhältnis grundsätzlich birgt, eine keineswegs verlässliche Größe, sondern eine Gunst, die gewährt wird oder auch nicht. Es ist ein Willkürakt. Denn es handelt sich nicht um eine vertraglich geregelte Gratifikation, wie etwa ein 13. Monatsgehalt. Die Geschenke im Rahmen eines informellen Arbeitsverhältnisses sind zufällige, personalisierte Gaben. Es sind hilfsbereite, vielleicht auch besonders aufmerksame oder auch dringend benötigte Gaben. Doch gleichzeitig sind es Herrschaftsgesten, Gesten, die die behauptete Gleichheit unterminieren und somit die realen Verhältnisse widerspiegeln. Auch wenn die Praxis des sozialen Tauschs die strukturelle Asymmetrie der Beziehung im Grundsatz nicht aufhebt, so wird doch das hierarchische Oben und Unten im alltäglichen Umgang häufig verleugnet und in die Latenz gedrängt. So folgten Józefina Starczynowska und Marysia Szarek mit ihren Reaktionen der fristlosen Kündigung und des Lohnverzichts der Logik des sozialen Tauschs. Aus rational-ökonomischem Kalkül wäre es dagegen sinnvoll gewesen, sich wenigstens den ausstehenden Lohn auszahlen zu lassen. Doch im Sinne einer Soziologie der Reziprozität markierten sie aus einer ökonomisch und sozial unterlegenen Position auf diese Weise ihre moralische Überlegenheit. Die Arbeitgeberin wird zur Schuldnerin, wenn die Haushaltsarbeiterin ihre Dienstleistung – das Putzen der Wohnung gegen eine vereinbarte Geldsumme – zu einem Geschenk macht und der Beschenkten keine Gelegenheit gibt, die Gabe zu erwidern. Mit dem radikalen Abbruch des Kontakts ist der Zyklus von Geben, Nehmen und Erwidern unterbrochen und somit die Grundlage des Prinzips der Reziprozität zerstört, wie sie der französische Ethnologe Marcel Mauss in seinem 1925 erschienen Essai sur le don (Mauss 1968) darlegt. Józefina Starczynowska und Marysia Szarek revanchierten sich für die Demütigung durch die Arbeitgeberin, zum Preis des ihnen zustehenden Lohnes. Sie verwandelten ihre unterlegene Subjektposition durch ein ungewöhnliches, irritierendes Verhalten in eine – nicht nur in der Selbstwahrnehmung – überlegene (Hollstein 2005). Abhängigkeit als narzisstische Kränkung Der Selbstpositionierung der Haushaltsarbeiterin als handlungsmächtiges und -fähiges Subjekt steht die Betonung der Abhängigkeit, das heißt des Angewiesen-Seins auf „meine“ Haushaltsarbeiterin bei den Arbeitgeberinnen gegenüber. „Ich wäre auch total aufgeschmissen, wenn sie heute sagen würde, ich komm’ nicht mehr. Das würde sie auch nicht machen, das weiß ich. Sie würde mir das ganz rechtzeitig sagen,

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und sie ist z. B. auch so, wenn sie mal nicht kann, das muss ich auch sagen, sie ist total zuverlässig. Sie ist, sie hat mir nicht einmal gesagt, ich kann nicht. Nie. In den ganzen Jahren nicht. Sie hat immer eine Lösung gefunden, und wenn sie eine Freundin gefragt hat, dass sie kurz zwei Stunden einspringt, weil sie wirklich partout nicht kann. Also sie ist extrem zuverlässig. Begünstig wird das auch durch den Tatbestand, dass sie keinen Freund hat. Und sie ist im Grunde auch total fixiert auf uns.“ (Annette Schmitt)

Das Zitat bezieht sich auf Dorota Mirkiewicz. Dorota, wie Schmitts Frau Mirkiewicz nennen, arbeitet zum Zeitpunkt unseres Gesprächs seit acht Jahren bei den Schmitts. Sie putzt die große Altbauwohnung, wäscht die Wäsche, bügelt, kocht und versorgt die Kinder (Frings-Merck 2010). „Ich wäre auch total aufgeschmissen, wenn sie heute sagen würde, ich komm’ nicht mehr.“ (Annette Schmitt) Das Beharren auf der sozialen und kulturellen Überlegenheit in den Erzählungen der Arbeitgeberinnen („hat keine anderen sozialen Kontakte“, „ist fixiert auf uns“) und die gleichzeitige Betonung der Abhängigkeit von den Haushaltsarbeiterinnen erscheint nur auf den ersten Blick paradox. Im Vordergrund steht die Angst, die Haushaltsarbeiterin kündige ihren Job fristlos, verschwände plötzlich im Nirgendwo und Berge von Hausarbeit blieben unerledigt oder müssten von der Hausfrau erledigt werden. In jedem Fall ist es dann die Aufgabe der Frau als Zuständige für die Reproduktionsarbeiten, eine neue Vertraute zu finden, an die sie ihre Hausarbeit delegieren kann. Den zeitlichen Aufwand und die affektive Anstrengung, die ein solcher Wechsel bedeutet, versuchen die Arbeitgeberinnen zu vermeiden. Entsprechend sind sie im Interesse einer personellen Kontinuität zu Zugeständnissen bereit. Dies betraf das In-Kauf-Nehmen des als unzulässig empfundenen Eindringens in die Intimsphäre ebenso wie die Aufgabe eigener Ordnungsvorstellungen. Auch ökologische Standards wie die Verwendung ökologischer Putzmittel wurden für den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses geopfert und das Diktat der Haushaltsarbeiterinnen bezüglich der Arbeitszeiten, Häufigkeit und Dauer der Arbeit akzeptiert. „Ich würd’ gerne, dass sie auch zwei Mal die Woche kommt á vier Stunden, weil ich momentan sehr viel arbeite, aber das möchte sie nicht. Für sie ist ganz klar, drei Tage die Woche arbeitet sie in Berlin, um Geld zu verdienen und fährt dann wieder nach Hause.“ (Susanne Meyer)

Auf der psychologischen Ebene gleicht das Gefühl der Abhängigkeit, der Notwendigkeit der Arbeitgeberinnen, sich weitgehend an die Bedingungen der Arbeitsmigrantinnen anzupassen, einer narzisstischen Kränkung. Das Selbstwertgefühl, das sich aufgrund der ökonomischen und sozialen Position als über-

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legen definiert, wird gleichzeitig in den Begegnungen mit den selbstbewussten und häufig eben auch bestimmenden Haushaltsarbeiterinnen infrage gestellt. Die psychologisch ambivalente Situation – Zugeständnisse auf der einen Seite, Kränkung und die notwendige Abwehr eigener Überlegenheitsgefühle auf der anderen Seite – entlädt sich in den Gesprächen, in für mich überraschend abwertenden, die angebliche Inferiorität der Haushaltsarbeiterinnen betonenden Bemerkungen. So beschreibt Sophie Hausmann ihre Haushaltsarbeiterin als „sehr katholisch“, „politisch nicht sehr differenziert“, dafür aber „menschlich lieb“. „Sie [ist, d.V.] halt so sehr katholisch. Kirche ist wichtig, sie nimmt immer Blumen mit für den Altar und wenn irgendetwas in der Kirche ist, dann müssen die Kinder hin. Dann kann sie auch nicht kommen. Also sie hat ein etwas schlichtes Verhältnis zur katholischen Kirche, nichts Kritisches.“ (Sophie Hausmann)

Zwar ist die Zuschreibung „katholisch“ keineswegs per se pejorativ, doch deutet das Modalwort „sehr“ auf eine besondere Intensität des Katholisch-Seins hin, im Sinne von frömmelnd, voraufklärerisch, hinterwäldlerisch; eine Charakterisierung, die zu der Selbstrepräsentation der Arbeitgeberin als akademisch gebildet, reflektierend in Opposition steht. Rollentausch Abhängigkeit und Unabhängigkeit markieren die zwei Pole eines Kontinuums, in dem sich die Akteurinnen im Kontext eines Hausarbeitsverhältnisses verorten. Den ungleich verteilten Ressourcen steht die physische und psychische Mobilität gegenüber, die es den Arbeitsmigrantinnen ermöglicht, unsentimental, unangekündigt, ohne großen Verlust weiterzuziehen. Das von den Arbeitgeberinnen geforderte Verantwortungsgefühl und die Zuverlässigkeit gründen auf der Konstruktion verwandtschaftlicher Beziehungen. Im familiären Netzwerk hilft man sich, übernimmt Verantwortung, lässt den anderen nicht im Stich, ungeachtet der sozialen und ökonomischen Asymmetrie, die auch Verwandtschaftsnetzwerke kennzeichnen können. Die Anrufung als Familienmitglied verwandelt außerdem den voyeuristischen Blick der Außenstehenden zu einem empathischen, definiert den fremden Dreck als „unseren Dreck“ neu. Die Strategie der Vereinnahmung beschreibt Barbara Thiessen als das „Ignorieren der Beschäftigten in ihrer fremden körperlichen Präsenz“ (2002, 145). Allerdings birgt die absichtsvolle Deprofessionalisierung des Hausarbeitsverhältnisses und die Etablierung einer quasi verwandtschaftlichen Verbindung seitens der Arbeitgeberin gleichzeitig die Gefahr, dass

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die Arbeitnehmerin die zugewiesene Position akzeptiert und in ihrem Sinne formt, das heißt ihre Handlungsmöglichkeiten ausweitet. „Also wir haben z. B. so Situationen, dass wir hier bei Tisch sitzen und sie maßregelt die Kinder dann mit den Tischmanieren und will es aber besser machen als ich. [...] dann sagt sie eben: ‚Franz nimm’ den Ellbogen vom Tisch.‘ Ich sag’ gar nichts dazu. Dann sagt sie das drei Mal und dann schmeißt sie ihn aus der Küche.“ (Annette Schmitt) „Sie sind dabei? (UFM) „Und ich bin dabei. Und das ist dann manchmal (lacht) ein bisschen komisch.“ (Annette Schmitt)

Die Dialektik von Vereinnahmung durch die Arbeitgeberin und Ausweitung des Handlungsspielraums der Haushaltsarbeiterin führt zu einer regelrechten Rollenverkehrung, nach der die Haushaltsarbeiterin als Herrin des Hauses erscheint und die Arbeitgeberin als passive Zuschauerin an den Rand und aus dem Spiel gedrängt wird. Annette Schmitts Erzählung weist auf ein Dilemma hin, das der Delegation von Hausarbeit inhärent ist. Die Übernahme von Arbeit und Zuständigkeit kann mit der Auflösung der alten Ordnung einhergehen. Die Arbeitgeberin schildert in ihrer Selbstrepräsentation diesen Alptraum, in dem sie sich selbst eine stumme Nebenrolle zuweist. In dieser Figur erscheint sie völlig machtlos und ganz und gar überflüssig – so zumindest die Angst, die hier unausgesprochen, aus der Latenz sichtbar wird. Die Figur am Rande, wie das Dienstmädchen in der Hausarbeitsforschung häufig charakterisiert wird, hat sich hier mit der unfreiwilligen Unterstützung der Arbeitgeberin ins Zentrum geschoben und wird, wie Annette Schmitts Erzählung deutlich macht, zur Bedrohung (Eßlinger 2010; Ecker 2012). Ein anderes Verfahren, aus dem Bewusstsein zu verdrängen, dass die Haushaltsarbeiterin über intime Kenntnisse den eigenen Haushalt betreffend verfügt, ist die Praxis der Exklusion – das Gegenteil der Vereinnahmungsstrategie. In diesem Fall wird die Haushaltsarbeiterin in der allgegenwärtigen Rolle der Migrantin angerufen. Helma Lutz weist in diesem Zusammenhang auf die Strategie des Othering hin, das heißt, die Arbeitgeberin konstruiert aus der Fremden die kulturell Andere, von der sie durch ein reales Machtgefälle getrennt ist (Lutz 2007). „The ‚Others‘, are the specular complements of the subjects of modernity. They are the woman, the ethnic or racialized other [...]. These ‚Others‘ are in crucial importance to the constitution of the identity of the Same, they are structurally connected to it – albeit by negotiation.“ (Braidotti 2007, 26)

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Die Fremde, die in der Intimität des privaten Haushalts für Ordnung sorgt und den Schmutz und die Reste des Alltags beseitigt, bleibt in der Regel dann fremd, wenn sie ihre Arbeit während der Abwesenheit der Arbeitgeberin erledigt, unsichtbar, körperlos. „Manchmal ist es so: Ich komme herein, schließe auf, auf einem Zettel steht auf Deutsch geschrieben, was ich machen soll. Dann verlasse ich die Wohnung. Keine ist da. Ich schließe zu.“ (Marysia Szarek)

Rollenunsicherheit Auffällig ist, dass die Arbeitgeberinnen in den Gesprächen ihre Rolle als unangenehm schildern, als eine, die sie wenn möglich vermeiden. „Also ich bin es nicht gewohnt. Ich bin selbst nicht mit Personal aufgewachsen, ich merk’ auch manchmal, dass mir das fast unangenehm ist, und dass ich die Leute auch zu nah an mich ranlasse, weil ich nicht diesen hierarchischen Unterschied möchte. Das ist nicht immer einfach, glaub’ ich, also da muss man aufpassen. Da gibt es manchmal vielleicht auch zu viel Nähe.“ (Annette Schmitt)

Die Unsicherheit über die Anforderungen der Arbeitgeberinnenrolle hat mehrere Gründe. Einerseits fehlt es den Akteurinnen an entsprechenden biografischen Erfahrungen und damit an einem Handlungsmodell. Dies gilt allerdings auch für die Arbeitnehmerinnen, die eine Dienstleistung anbieten, für die „keine adäquate Berufsrolle“ (Thiessen 2002, 142) existiert. Andererseits handelt es sich um ein informelles Arbeitsverhältnis, das kein Regelwerk definiert. Anforderungen sowie Bezahlung müssen in jedem Einzelfall neu ausgehandelt werden. Orientierungshilfen bieten dabei die Gepflogenheiten anderer Arbeitgeberinnen, keineswegs tarifliche Arbeitsverträge mit Vereinbarungen etwa für Weihnachts- und Urlaubsgeld, Überstunden oder Sonn- und Feiertagszuschläge, wie sie für eine offizielle Erwerbstätigkeit üblich sind. Barbara Thiessen konstatiert in diesem Zusammenhang eine „bemerkenswerte Abwehr der Beteiligten, sich mit rechtlichen Rahmenbedingungen zu beschäftigen“ (Thiessen 2002, 142). Ursächlich für dieses Verhalten sei die bürgerliche Dichotomie von privat und öffentlich, eine Konstruktion aus der Zeit der Entstehung des modernen Staates im 16. und 17. Jahrhundert. Danach wird die Sphäre des Politischen dem öffentlichen Raum zugeordnet, die Sphäre des Haushaltes dem privaten (Arendt 1981). Das auffallende Desinteresse der Akteurinnen an einer Regulierung des Arbeitsverhältnisses kann mit Thiessen als „Schutz des Privaten interpretiert werden“ (Thiessen 2002, 142).

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Das häufig verwendete Du zwischen Arbeitgeberinnen und Arbeitnehmerinnen, das die Mehrheit meiner Gesprächspartnerinnen als Anredeform wählt, unterstützt diese These ebenso wie die Kriterien für die Wahl einer Haushaltsarbeiterin. So begründet keine Arbeitgeberin die Beschäftigung ihrer Haushaltsarbeiterin mit deren besonderer fachlicher Qualifikation. Diese werden qua Geschlecht vorausgesetzt. Wichtig waren vielmehr soziale und kommunikative Kompetenzen, Eigenschaften wie sympathisches Auftreten und Aussehen, diskret, unterhaltsam, gute Laune und Erfahrung im Umgang mit Kindern. „Ich freue mich immer, wenn sie kommt, und habe auch das Gefühl, dass sie gerne kommt. [...] wenn wir gemeinsam hier im Haus sind, fühlen wir uns auch wohl zusammen. [...] Dann ist sie mit den Kindern, die Kinder sind häufig noch hier im Haus oder kommen dann, wenn sie hier ist. [...] Dann spielt sie kurz mit denen [...]. Oder ich lasse auch mal die Kleinen hier und gehe schnell einkaufen und überlasse ihr sie tatsächlich.“ (Isolde Kern) „[...] also ich habe das auch nie so gesehen, dass ich ihre Chefin bin. [...] sie ist unheimlich angenehm um sich zu haben. Sie ist gar nicht neugierig oder irgendwie, dass ich das Gefühl hab’, ich könnte ihr irgendetwas nicht anvertrauen, so gar nicht. [...] Sie ist irgendwie, tja es ist wirklich so ein bisschen freundschaftliches Verhältnis. Ich hab’ sie gerne um mich, wir quatschen so ein bisschen aber nicht zu viel. Wir fragen uns, wie es geht.“ (Julia Thal) „[...] da ist immer ein Ritual, wenn sie kommt. Also wir trinken zusammen Kaffee und dann erzählt sie mir, wie ihre Woche war und ich erzähl’ ihr auch. Sie raucht auch und ich rauche, dann rauchen wir und trinken Kaffee zusammen und schwätzen und dann gehe ich meistens los und dann macht sie ihr Ding. Es ist angenehm, weil sie sehr selbstständig ist.“ (Marlene Hartmann)

In diesen Sequenzen beschreiben Arbeitgeberinnen das (Arbeits-)Verhältnis als ein ambivalentes und vielschichtiges, als ein über ökonomische Interessen hinausreichendes Verhältnis, so als ob die Betonung der affektiven Beziehung die Ökonomisierung des Haushalts aus dem Bewusstsein verdrängen könnte. Der Arbeitsplatz Haushalt erscheint dann als ein zwischen öffentlicher und privater Sphäre changierender Raum, in dem die Akteurinnen unsicher nach einer Rolle suchen. So verwundert es nicht, dass die Arbeitgeberinnen vom Arbeitseinsatz der Haushaltsarbeiterinnen – in der Regel ein bis zwei Mal die Woche – erzählen, als handle es sich um den Besuch einer Freundin zum Tee, die außerdem auch noch die Wohnung putzt. Dass diese Ambivalenz der Beziehung nicht unausweichlich ist, macht Thiessen mit dem Hinweis auf Handwerker deutlich, die in Privatwohnungen Reparaturen durchführen. In diesem Kontext sind die Rol-

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len klar, die geschäftliche Ebene der Beziehung erscheint fraglos, eine Qualifikation des Handwerkers unerlässlich ebenso die Konzentration seiner Tätigkeit auf den Gegenstand, den er reparieren soll. So scheint es schwer vorstellbar, einem Handwerker die Kinder anzuvertrauen oder den Klempner zu bitten, Unkraut zu jäten (Thiessen 2002, 142f.). 6.1.5 In der Rolle der Bohémienne | Die Betonung des freundschaftlichen, egalitären Verhältnisses zwischen der deutschen Arbeitgeberin und der polnischen Haushaltsarbeiterin korrespondiert mit der Selbstpositionierung der Arbeitgeberinnen als Bohémienne. Situiert in einem urbanen, akademischen Milieu geben sie sich aus einer Position der sozialen und kulturellen Überlegenheit unvoreingenommen und tolerant. Sie unterhalten Freundschaften über soziale, sprachliche und kulturelle Differenzen hinweg, behaupten einen spielerischen Umgang mit Gesetzen und demonstrieren ein gewisses Laissez-faire als Lebensstil. Trotz des bürgerlichen Settings meiner Gesprächspartnerinnen – alle lebten in traditionellen Familienzusammenhängen und wohnten in Einfamilienhäusern oder Altbauwohnungen – inszenieren sie sich entgegen des Anscheins der Konvention als unkonventionell. Schwarzarbeit wird als Kavaliersdelikt behandelt, nach dem Motto: „Das machen doch alle.“ So antwortet Isolde Kern, deren Mann, wie sie mir erzählt, Jurist ist, auf das Thema Schwarzarbeit angesprochen: „Es macht mir manchmal Bauchschmerzen, aber nicht wirklich.“ Marlene Hartmann gibt sich ganz entspannt. Sie wischt Bedenken mit einem Lächeln sowie der lapidaren Bemerkung „Vieles ist illegal.“ beiseite und öffnet einen Assoziationsraum für weitere subversive Unternehmungen. Den Habitus der Unerschrockenen schwächt sie kurz darauf mit der Randbemerkung ab: „Also sie [Anett Kamińska] kommt ja eben nur einmal die Woche.“ Argumente wie der Hinweis auf die Geringfügigkeit der Schwarzarbeit aufgrund weniger Wochenarbeitsstunden, die informelle Beschäftigung von Haushaltsarbeiterinnen als gängige Praxis oder die Verschiebung der Verantwortung auf die Haushaltsarbeiterinnen, die auf Schwarzarbeit bestehen, dienen dazu, ein mögliches Unrechtsbewusstsein zu kalmieren. Arbeitgeberinnen und Arbeitnehmerinnen handeln im Wissen um den Gesetzesverstoß und werden so zu Komplizinnen, die sich zum gegenseitigen Vorteil zu einem Bündnis zusammengeschlossen haben, das sich abseits des rechtlich Zulässigen bewegt. Von dieser in der Illegalität agierenden Gemeinschaft profitieren die Beteiligten gleichermaßen. Die Arbeitgeberinnen wollen und müssen im Interesse einer eigenen Karriere die Reproduktionsarbeit delegieren und die Arbeitnehmerinnen sind darauf angewiesen, Geld zu verdienen. Für beide Par-

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teien kommt ein Hausarbeitsverhältnis lediglich im Rahmen einer parallelen Wirtschaftsordnung, jenseits staatlicher Regulierung infrage. Andernfalls ist es für die Arbeitgeberin nicht bezahlbar und für die Arbeitnehmerin nicht lukrativ (Ziemer 2007). Diese Komplizenschaft – Ziemer charakterisiert sie auch als „Liaison“ (ebd., 3) – erfordert Mut und Kreativität. Sie ist auch ein Ausweis für die Handlungsfähigkeit der Akteurinnen (Frings-Merck 2010). Während einige der Arbeitgeberinnen das illegale Arbeitsverhältnis als einen Akt des Widerstands inszenieren – unklar bleibt, gegen wen oder was sich der Widerstand richtete (gegen die Bürokratie? den Staat? die (Ehe-)Männer?) –, inszenieren sich andere in ihren Erzählungen als Gegenpart zum eher rechtschaffenen, etwas ängstlichen Mann in der Rolle der heimlichen Abenteuerin, die sich um banale Dinge wie Steuern und Gesetze nicht kümmert. „Also, ich hab’ das jetzt unser Gespräch d.V. meinem Mann auch vorsichtshalber nicht erzählt, der ist dann immer so ängstlich und vorsichtig.“ (Annette Schmitt)

Herrn Schmitts Ängstlichkeit betont Frau Schmitts Mut; seine Korrektheit setzt ihre Unangepasstheit und Risikobereitschaft ins Licht. Denn es war der Ehemann, wie sich später herausstellte, der die polnische Haushaltsarbeiterin als geringfügig Beschäftigte für sein Büro angestellt hatte, während Frau Schmitt die Arbeit im privaten Haushalt schwarz bezahlt. „Wir sind auch viel zu blöde, man kann ja auch Haushaltshilfen absetzen. Wir kümmern uns da nie drum [...].“ (Annette Schmitt)

Dies impliziert, wir haben es nicht nötig, uns an die Regeln zu halten, wir haben Wichtigeres zu tun. Der im Gestus der antiautoritären unbekümmerten Zeitgenossin vorgetragene Selbstentwurf kaschiert jedoch nur oberflächlich, dass hier die traditionelle binäre Geschlechterordnung von öffentlich-männlich und privatweiblich reproduziert wird. 6.1.6 Retraditionalisierung, Illegalität und ökonomisches Kalkül Was auf den ersten Blick als individuelle anarchische Praxis erscheint, als nicht nur unkonventionelles Verhalten, sondern gleichzeitig gesellschaftskritisches Handeln, das sich gegen unnötige Bürokratisierung richtet und auf die Versäumnisse des Wohlfahrtsstaates reagiert, erweist sich bei genauer Betrachtung als nicht viel mehr als eine Retraditionalisierung. Während Herr Schmitt die Reinigungsarbeiten für sein Büro dem Finanzamt und der Sozialversicherung meldet,

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unterhält Frau Schmitt im Verborgenen des Privathaushaltes ein inoffizielles Arbeitsverhältnis. Das von der öffentlichen Wahrnehmung ausgeschlossene Arbeitsverhältnis kann von gesellschaftlicher Einrede, politischer Kritik oder organisiertem gewerkschaftlichem Widerstand nur schwer erreicht werden. Politisches Engagement, die Hausarbeit bezahlbar zu machen und die Arbeitsverhältnisse zu legalisieren, steht nicht auf der Agenda der Arbeitgeberinnen. Damit verbleibt ein Problem von großer gesellschaftlicher Tragweite in der privaten Sphäre. Die informellen Hausarbeitsverhältnisse zementieren die Rolle der Frau als Hausbesorgerin. Der Mut, den die Arbeitgeberinnen in den eigenen vier Wänden demonstrieren, reinstalliert die Frau in der Rolle als Hüterin des heimischen Feuers. Häufig wurde der Verstoß gegen arbeitsrechtliche Regelungen auch bagatellisiert oder angereichert mit Vermutungen, das heißt mit nicht fundiert recherchierten Behauptungen in eine Grauzone verrückt, die qua Gesetzeslage gar nicht existiert. „Natürlich denkt man immer und überlegt [...]. Aber soweit ich weiß, wobei ich da auch schlecht informiert bin, ist das – glaube ich – in einer Größenordnung, die noch akzeptabel ist: einmal die Woche vier Stunden. Das ist gerade noch akzeptabel, aber ich bin da im Grunde genommen zu schlecht informiert, als dass ich das sagen könnte. [...] Ich würde sie anstellen, aber das ist natürlich immer eine finanzielle Frage.“ (Isolde Kern)

Nur wenige Gesprächspartnerinnen thematisieren, dass sie ein formales Hausarbeitsverhältnis mit den entsprechenden zusätzlichen Kosten (Kranken-, Pflegeund Rentenversicherung, Lohnsteuer, Urlaubs- und Weihnachtsgeld) gar nicht finanzieren könnten, somit ökonomische Zwänge das Handeln bestimmten. Die Betriebswirtschafterin Susanne Meyer argumentiert auf der Ebene ökonomischer Rationalität und definiert ihr Handeln als marktkonform, der Lohn entspreche dem Wert der Arbeit und sei keineswegs schlecht. „Jetzt vielleicht würde ich sogar jemand anstellen auf 400-Euro-Basis, aber für die meisten, die – ich sag’ mal – Putzjobs machen, lohnt sich das auch gar nicht. Da kommt dann in der Stunde einfach viel weniger raus.“ (Susanne Meyer) „Oder man müsste mehr zahlen.“ (UFM) „Oder man müsste mehr zahlen, genau [...]. Was ich momentan ehrlich gesagt, nicht sehe, dass man mehr zahlt. Weil ich auch weiß, was eine Verkäuferin verdient. Ich weiß auch, was ein Handwerker verdient. Ich finde dann acht Euro cash auf die Hand oder zehn Euro ist einfach gutes Geld. Also ich würde nicht mehr zahlen. Ich würde dann eher mit dem

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Stundenlohn runtergehen. [...] im Vergleich zu den anderen Jobs, wie sie momentan vergütet werden, ist es ein sehr guter Stundenlohn.“ (Susanne Meyer)

Als handle es sich um einen Akt außergewöhnlicher Hilfsbereitschaft („sogar“) zog Susanne Meyer in unserem Gespräch die Anstellung ihrer Haushaltsarbeiterin auf Basis einer geringfügigen Beschäftigung in Erwägung. Es ist ein Gedankenspiel, eher dem Moment geschuldet als eine ernsthafte Erwägung, darauf verweist der Konjunktiv. Schließlich lohne sich ein legales Arbeitsverhältnis wegen der damit verbundenen Abzüge gar nicht, außer der Lohn erhöhe sich entsprechend. Aber dieses Ansinnen lehnt Susanne Meyer unmissverständlich, wenn auch im geschmeidigen Sprachduktus des Business Talk, ab. Die negative Aussage wird durch leichtes Bedauern gedämpft, die persönliche Entscheidung dem Verhalten einer diffusen Allgemeinheit („man“) untergeordnet. Ihre Ablehnung begründet Susanne Meyer scheinbar rational und kenntnisreich. Sie vergleicht den Putzfrauenlohn mit dem Einkommen einer Verkäuferin, eine zwar reguläre, aber schlecht bezahlte Berufsgruppe, und schlussfolgert daraus, dass der Lohn der Haushaltsarbeiterinnen „gutes Geld“ sei, „im Vergleich zu den anderen Jobs“ sogar „ein sehr guter Stundenlohn“. In der Logik dieser Argumentation sind schlechtes Gewissen oder moralische Bedenken unangebracht, auch wenn Susanne Meyer sicherlich weiß, dass der Verdienst der Haushaltsarbeiterinnen den inzwischen eingeführten gesetzlichen Mindestlohn selten überschreitet. Die Löhne meiner polnischen Gesprächspartnerinnen bewegten sich zwischen 7,50 Euro und zehn Euro pro Stunde. Bezahlt wurde nur für geleistete Arbeit, während des Urlaubs der Arbeitgeberinnen, an Feiertagen oder auch im Krankheitsfall verdienten die Haushaltsarbeiterinnen nichts. „Sie [Ewa Stolarska] hat furchtbare Manschetten davor, dass sie angezeigt wird wegen Schwarzarbeit. Wir haben Stress mit dem einen Nachbarn ganz furchtbar und da sagt sie schon immer, hoffentlich kommt der nicht irgendwann auf die Idee, sie anzuzeigen. [...] Ich glaube, als das mit dem Nachbarn aufkam, da habe ich das Ewa mit dem 400-EuroMinijob angeboten und habe gesagt, mir wäre ein bisschen wohler dabei. Ich habe dann ausgerechnet, dass sie dann 8,30 Euro oder 8,40 bekäme; jetzt kriegt sie zehn Euro. Ich habe vorher mit meiner Steuerberaterin gesprochen. Da hat sie gesagt, das möchte sie nicht. Dann haben wir gesagt ok.“ (Julia Thal)

In dieser Sequenz verschiebt Julia Thal das Thema Schwarzarbeit und die daraus resultierenden Sorgen und Ängste auf Ewa Stolarska: Sie hat „furchtbare Manschetten“, dass man sie anzeigen könne. Die Sorge scheint in diesem Fall nicht unbegründet, denn die Thals haben Ärger mit einem Nachbarn. Welche Art der

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Ärger ist, führt sie nicht näher aus. Allerdings schien die illegale Beschäftigung der polnischen Haushaltsarbeiterin nicht der Auslöser der nachbarschaftlichen Auseinandersetzung gewesen zu sein. Dieses Szenario vor Augen fühlte sich Ewa Stolarska existentiell bedroht. Der großen Angst der Hausarbeiterin steht die kleine Angst der Arbeitgeberin gegenüber, nicht mehr als ein bisschen Unwohlsein. Das klingt entspannt, nicht sonderlich besorgt, als wäre die Arbeitgeberin in diesem Spiel der supporting actor und hätte nicht gemeinsam mit der Haushaltsarbeiterin die Hauptrolle inne. Andererseits hatte Julia Thal die Angelegenheit sogar mit einer Steuerberaterin besprochen. Diese Aussage ist aus verschiedenen Gründen interessant. Zum einen ist die Steuerberaterin offensichtlich darüber informiert, dass Julia Thal ein inoffizielles Arbeitsverhältnis unterhält. Steuerberater*innen sind verpflichtet, gegenüber ihren Mandant*innen auf die Einhaltung der Gesetze zu achten. Wird das illegale Arbeitsverhältnis mit Wissen der Steuerberaterin weiter geführt, macht sie sich zur Komplizin der Arbeitgeberin. Zum anderen wird deutlich, wie weit verbreitet das Phänomen der Schwarzarbeit im Haushalt ist und wie unterentwickelt das Unrechtsbewusstsein gegenüber der Praxis des Hinterziehens von Sozialversicherungsbeiträgen und Lohnsteuer. Angesichts der breiten Akzeptanz der informellen Hausarbeit wiegen sich die Arbeitgeberinnen in Sicherheit. Dadurch erscheint eine Legalisierung der Arbeit im Haushalt auch nicht als ein besonders drängendes Problem, zumindest nicht der Arbeitgeberinnen. Die Schwarzarbeit ist aus ihrer Perspektive allenfalls ein Problem der Haushaltsarbeiterin. Denn sie sind es, so die Erzählungen, die sich am meisten fürchten, und sich gleichzeitig gegen eine Formalisierung des Arbeitsverhältnisses sträuben. Allerdings hatte keine der Arbeitgeberinnen eine Legalisierung forciert, etwa durch ein entsprechendes Angebot die damit verbundenen Abgaben zu übernehmen, sodass sich der Lohn der Haushaltsarbeiterinnen infolge der Legalisierung nicht reduziert hätte. Die Kosten der Arbeitgeberinnen würden sich, wie Julia Thal mit den Informationen ihrer Steuerberaterin belegte, nur unwesentlich erhöhen, da die Arbeitszeit pro Haushalt nur selten vier Stunden die Woche überschreitet. Hatten die Arbeitgeberinnen die Beziehungen zu ihrer Haushaltsarbeiterin gerade noch als freundschaftlich und vertraut beschrieben und in ihre Erzählungen Gemeinsamkeiten aufgenommen, wie die des Geschlechts und den dieser sozialen Kategorie zugewiesenen Eigenschaften, wie Kompetenz und Zuständigkeit für Haushalt und Kinder, so kreuzt sich in der oben besprochenen Sequenz das verbindende Element mit dem Primat der ökonomischen Interessen und Notwendigkeiten. In diesem Moment tritt – bei aller behaupteter Nähe – das Trennende in den Vordergrund: die strukturelle Distanz zwischen Arbeitgeberin

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und Arbeiternehmerin, zwischen Autochthoner und Arbeitsmigrantin. Die Arbeitgeberinnen fürchten sich nicht und glauben auch, dass sie keinen Grund dazu haben. So treffen bei den deutsch-polnischen Zusammenkünften im Kontext eines informellen Arbeitsverhältnisses zwei Realitäten aufeinander, deren Differenzen und Hierarchie durch die Rhetorik der Nähe nur oberflächlich verdeckt wird. Imago der gewitzten Polin Die Anzahl der Arbeitsstunden in einem Haushalt richteten sich nicht nur nach dem Umfang der anfallenden Arbeit, sondern auch danach, wie groß das Budget der Arbeitgeberin ist. Bei Schmitts schien zwar die Arbeit unbegrenzt, aber die Kosten der Arbeit durften eine festgelegte Summe nicht überschreiten. „Sie ist täglich da, am Wochenende nicht. Sie macht auch Babysitting und sie kriegt einen bestimmten Stundenlohn und wir haben aber so einen Deal mit ihr, sie darf über eine bestimmte Grenze nicht kommen. Weil wir uns einfach mehr nicht leisten können. Und es ist dann auch so ein bisschen an ihr, ich bin da auch sehr laissez-faire, sie führt Buch über die Stunden, ich guck’ es mir nie an, wenn ich ehrlich bin. Das ist viel zu kompliziert und sie verschiebt es dann auch und sagt, ok, diesen Monat war’s ein bisschen mehr, dafür mache ich nächsten Monat ein bisschen weniger.“ (Annette Schmitt)

Frau Schmitt nennt das Abkommen einen Deal. Das klingt locker und nach einer Vereinbarung auf Augenhöhe. Die Einhaltung dieser Absprache obliegt Frau Mirkiewicz: Sie muss nicht nur ihre Stunden zählen, sondern auch darauf achten, dass die Familienkasse der Schmitts nicht unzulänglich hoch belastet wird. Andererseits kontrolliert Frau Schmitt dieses Buch nicht. Hier taucht wieder das Motiv der Bohémienne auf, die sich um den täglichen Kleinkram nicht kümmert. „Sie kriegt, das ist eigentlich lachhaft [...] sie hat mal angefangen mit 7,50 Euro, dann haben wir sie auf 8,50 Euro erhöht. [...] also ich zahl’ ihr schwarz [...] 500 Euro und von meinem Mann kriegt sie glaub’ ich 1.000 oder so. Also, sie verdient nicht schlecht. [Man] muss dazu sagen, dafür dass sie alleine lebt, dafür dass sie inzwischen den ganzen Tag bei uns ist und hier auch isst, also sie hat glaube ich, soweit ich weiß, keinerlei Essenskosten, sie kommt auch morgens und macht sich zuerst mal ein Brot [...].“ (Annette Schmitt)

Diese Form der Entlohnung durch Geld und Naturalien ähnelt dem, was Dienstboten im 19. Jahrhundert erhielten, die im Haushalt der Herrschaft lebten. Hier dient der Hinweis auf die versteckten, zusätzlichen Einkünfte in Form von Naturalien dazu, die Lohnkosten aus der Dimension einer „lachhaften Summe“ in

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eine respektable zu transformieren, sodass Dorota Mirkiewicz aus der Perspektive der Arbeitgeberin am Ende „nicht schlecht verdient“. Die Feststellung, dass die polnischen Haushaltsarbeiterinnen eigentlich gut verdienen, ist ein häufiges Motiv in den Erzählungen der Arbeitgeberinnen und wirkt angesichts des gut-bürgerlichen Wohlstands, den ihre Eigenheime und großen Altbauwohnungen ausstrahlen, den die Urlaubsdestinationen und das Ferienhaus im Berliner Umland anzeigen, immer etwas gönnerhaft. Für wen ist das Einkommen gut? Für die polnische Putzfrau, die es nach Hause trägt und es dort quasi vermehrt, weil die Lebenshaltungskosten niedriger sind als in Berlin? Für die unqualifizierte Arbeit? Für die Beseitigung des Drecks? Für eine Alleinstehende, die hungrig zur Arbeit kommt, um dort umsonst zu frühstücken? Dem Bild einer schlecht bezahlten Arbeitsmigrantin wird hier unausgesprochen das Klischee von der gewitzten Polin entgegengehalten, die sich mit Intelligenz und Unerschrockenheit Vorteile zu schaffen weiß. Mit der Figur der dreisten Subalternen entlastet sich Annette Schmitt von der eingangs erwähnten Lachhaftigkeit des gezahlten Lohnes. Stattdessen entwirft sie das Bild einer handlungsfähigen Akteurin, die keinesfalls zur Kategorie der armen Ausgebeuteten zu zählen ist. Kein Interesse an einer Formalisierung der Arbeit Im Gegensatz zur lässig-selbstbewussten Repräsentation der Arbeitgeberinnen machen die Haushaltsarbeiterinnen, insbesondere die älteren, in ihren Erzählungen deutlich, dass sie die Illegalität der Arbeit als beschämend und bedrückend empfinden. Immerhin handelt es sich bei der Schwarzarbeit um einen Straftatbestand. „Ich habe immer Angst“, bekennt Józefina Starczynowska. Barbara Rybka hat einen Notfallplan entworfen, der allerdings, wie sie einschränkend sagt, nicht allen Frauen nützt. „Die Sprache ist dabei unheimlich wichtig. Denn wenn einmal die Polizei kommt, kann man immer noch sagen, dass man gerade zu Besuch ist, eine Freundin aus Polen, die eben auch mal im Haushalt hilft. Aber wenn man kein Wort Deutsch spricht und die Deutschen kein Polnisch, dann ist diese Geschichte eben relativ unglaubhaft.“ (Barbara Rybka)

Andererseits sind meine Gesprächspartnerinnen, trotz der ständigen Angst, die Schwarzarbeit könne auffliegen, an einer Formalisierung der Arbeit nicht interessiert. Anders als die Arbeitgeberinnen argumentieren die Arbeitnehmerinnen offen mit ökonomischen Zwängen. Die gängige Argumentation lautet: Regulierte Arbeit verringere den Nettoverdienst so stark, dass sich der ganze Aufwand – das Pendeln, die Fahrt- und Wohnungskosten – am Ende nicht mehr lohne. Ein

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weiteres häufiges Argument gegen eine Regulierung bezieht sich auf den bei einer formellen Arbeit notwendigen Kontakt mit der Bürokratie, der sie sich nicht unnötig aussetzen wollen und in der Regel wegen mangelnder Sprachkenntnisse auch nicht können. Die Ablehnung der Verrechtlichung des Arbeitsverhältnisses, trotz ständiger Angst bei der Schwarzarbeit erwischt zu werden, lässt sich jenseits von ökonomischen Überlegungen und sprachlichen Barrieren auch als eine Weigerung der Akteurinnen interpretieren, die Subjektposition als pendelnde Haushaltsarbeiterin, die für die meisten meiner Gesprächspartnerinnen als soziale Abwertung empfunden wurde, durch eine Formalisierung zu verfestigen. Alle Frauen beschreiben die transnationale Lebensweise als etwas Vorübergehendes, Passageres, selbst dann, wenn dieses Leben schon über zehn Jahre währt. Die Metapher vom Leben im Transit ist nicht nur als Beschreibung des konkreten Hin und Her zwischen Polen und Deutschland plausibel, sondern auch in der Form einer biografischen Durchgangsstation, eines imaginären Transitraums, den die Arbeitsmigrantinnen verlassen können, für eine Zeit, für immer, wann immer sie sich dazu entscheiden. Den jungen Arbeitsmigrantinnen (20- bis 30-Jährigen) fiel es leicht, das Putzfrauenleben als eine Passage zu definieren, als einen notwendigen oder auch bewusst gewählten Umweg hin zu einem ganz anderen Leben. Das Leben als Arbeitsmigrantin hat in diesen Erzählungen auch etwas von einem Abenteuer, einer Rolle, die sie aus guten Gründen übernommen haben und die sie jederzeit wieder aufgeben können. Im Gegensatz dazu sprechen die älteren, über 40-jährigen polnischen Arbeitsmigrantinnen nie von einer formalen Erwerbsarbeit in Polen, auch nicht im Sinne eines Wunsches, eines Traums, von dem man weiß, dass er nicht in Erfüllung geht. Eine formale Arbeit in ihrem angestammten Beruf scheint den älteren Arbeitsmigrantinnen unrealistisch. Diese Lebensform gehört der Vergangenheit an. In der Gegenwart geht es um eine Arbeit, mit der sie das Leben finanzieren können, weil die Rente nicht ausreicht, weil sie sich zu jung fühlen, um untätig, häufig auch alleine zu Hause zu sitzen, oder weil die Familie der Unterstützung bedarf. Die älteren Haushaltsarbeiterinnen erzählen vielmehr von Plänen, sich mithilfe des Lohns für die Hausarbeit in Polen selbstständig zu machen, sei es mit einer „Tchibo-Filiale“ wie Maria Michalska, der Vermietung eines Ferienhauses am See wie Ewa Stolarska oder auch mit einer kleinen Pension auf dem Land in der Region Śląsk/Schlesien, wovon Joanna Patla träumt. Als ich sie zwei Jahre nach unserem ersten Gespräch wiedertreffe, hat ihr Traum schon die reale Form eines Rohbaus angenommen.

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„[...] [J]e öfter ich [in den vergangenen drei, vier Jahren] nach Polen gefahren bin, habe ich festgestellt, hier in Deutschland bin ich nicht ich. Also ich bin da [in Polen] ein ganz anderer Mensch. Da bin ich wirklich die richtige Person. Deswegen kam ich zu so einem Entschluss ich möchte dahin zurück.“ (Joanna Patla) „[...] [W]oran liegt das? Was meinen Sie?“ (UFM) „Vielleicht die Sprache [...] Ich weiß nicht. [...] Wir haben Urlaub in Niederschlesien gemacht, in der Nähe von Karpacz, Schneekoppe. Da haben wir [ein] wunderschönes kleines Dorf entdeckt. Da möchten wir dann [...] ein Haus bauen und Zimmer vermieten. Kein richtiges Hotel.“ (Joanna Patla) „Eine Pension?“ (UFM) „Ja, nicht mal. Wirklich ganz klein. [Für d.V.] Leute die Ruhe brauchen und lieben [...]. So was plane ich.“ (Joanna Patla)

Mit der Verrechtlichung der Arbeit besteht jedoch die Gefahr, dass sich das Provisorische verflüchtigt. Die von der Bürokratie geforderte Meldeadresse, die Zuteilung einer Steuernummer und eines zuständigen Sachbearbeiters verleiht der Putzarbeit ein bürokratisches, ein bleibendes Gewicht. Dabei sollte diese Arbeit doch nicht mehr als den Traum von einem anderen, besseren Leben nähren. „Wer weiß schon, was morgen ist“, antwortet Hania Kowalska auf meine Frage, wie lange sie noch zwischen ihrem Dorf in Polen und Berlin pendeln möchte. „In der Zukunft bin ich nicht hier. Ich denke schon jetzt, dass es reicht. [...] Ich habe Enkelkinder. Es ist heiter. Ich habe einen Hof. Einen Grill. Die Zeit verfliegt. Ich habe eine Tochter, einen Schwiegersohn. Es ist gut. Ich habe einen Garten. Meine Blumen. Wenn ich zurückkehre nach Polen, bin ich zufrieden.“ (Hania Kowalska)

Anhand von Beispielen aus den Erzählungen habe ich im vorangegangenen Kapitel die Begegnungen von polnischen Haushaltsarbeiterinnen und deutschen Arbeitgeberinnen untersucht. Es wurde deutlich, dass die Akteurinnen das (Arbeits-)Verhältnis keineswegs eindeutig definieren und auch ihre Positionierung im Beziehungsgefüge flexibel handhaben. Aus der Sicht der Beteiligten handelt es sich um wesentlich mehr als nur um ein ökonomisches Verhältnis. Die Gründe, das Dienstleistungsverhältnis außerhalb ökonomischer Rationalität affektiv aufzuwerten, sind den Spezifika der informellen Haushaltsarbeit geschuldet. Zudem ist deutlich geworden, dass die Begegnungen zwischen den Akteurinnen von beiden Seiten als Herausforderung erlebt werden. Aus der Perspektive der Arbeitgeberinnen betrifft dies vor allem das ungewohnte Anordnen und FürSich-Arbeiten-lassen. Die Haushaltsarbeiterinnen hingegen müssen Angst und Rechtlosigkeit in der Schattenwirtschaft ebenso wie die soziale Mobilität nach

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unten in ihren Alltag integrieren. Der Rückgriff auf das Konzept der Freundschaft verringert die Unsicherheit auf beiden Seiten und gibt den Begegnungen einen scheinbar vertrauten Rahmen. Die Charakterisierung des Arbeitsverhältnisses als ein freundschaftliches ist für die Akteurinnen von unterschiedlichem Nutzen. Für die Arbeitgeberinnen hat sie die Funktion, das Macht- und Abhängigkeitsverhältnis zu verschleiern und die Haushaltsarbeiterinnen durch die Adoption in die Familie moralisch zu binden. Dabei steht im Vordergrund, dass die Suche nach einer Haushaltshilfe als mühsam, wenn nicht gar als mittlere Katastrophe empfunden wird. Die polnischen Haushaltsarbeiterinnen werten mit der Freundschaftsrhetorik die wenig prestigeträchtige Arbeit auf und betonen das spezifische Surplus der Arbeit in Form von sozialen Bindungen und Integration in familiäre Strukturen. Allerdings haben die Arbeitnehmerinnen ein wesentlich pragmatischeres Verhältnis zu ‚ihren‘ Familien, die sie – wenn ihnen etwas nicht gefällt – einfach verlassen. Ich habe außerdem auf die Konzepte Freundschaft und Komplizenschaft hingewiesen, die für die Praktiken im Rahmen des Beziehungsgefüges besondere Relevanz besitzen. Hier wurde deutlich, dass die Komplizenschaft in der Grauzone der irregulären Arbeit sowohl die Gemeinsamkeiten zwischen den Akteurinnen betont als auch die Differenzen. Die Egalität als Komplizinnen wird konterkariert durch die unterschiedliche Wahrnehmung der Erfahrungen in der Schattenwirtschaft. Aus der sicheren Position der akademischen Mittelschicht integrieren die deutschen Arbeitgeberinnen ihre Beteiligung in der Schattenwirtschaft als Distinktionsgewinn in ihre Repräsentation. Sie positionieren sich als Bohémienne, deren Selbstverständnis kleinere Gesetzesverstöße und eine gewisse Sorglosigkeit über mögliche Folgen einschließen. Im Gegensatz dazu empfinden die am Rande der Gesellschaft agierenden polnischen Arbeitsmigrantinnen ihre Situation eher als beschämend und bedrohlich.

6.2 DRECKSARBEIT | Nachdem im vorigen Kapitel die Begegnungen am Arbeitsplatz konzeptionell und begrifflich gefasst worden sind, wird in diesem Kapitel die Arbeit mit Schmutz thematisiert. Hier steht die Frage im Mittelpunkt, wie die Ökonomisierung der Schmutzbeseitigung, die Verwandlung von Unordnung in Ordnung als Dienstleistung im Privaten die Begegnungen von Deutschen und Polinnen in der ökonomischen Mikrostruktur Haushalt prägt. In den folgenden Kapiteln (6.2.16.2.3) wird zunächst die unterschiedliche Wahrnehmung der Haushaltsarbeit und der professionellen Schmutzbeseitigung erörtert. Es wird deutlich, dass die

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Schmutzbeseitigung als informelle Dienstleistung u. a. geprägt ist von komplizierten Aushandlungsprozessen, unausgesprochenen Erwartungen, von Kämpfen um die Meinungshoheit, der Angst vor dem Verlust der gewohnten Ordnung und der Anstrengung diese zu verteidigen. In einem weiteren Schritt (Kap. 6.2.4 – 6.2.5) werden die Gefahren thematisiert, die von der Berührung mit dem Schmutz ausgehen. Gefährdet sind zum einen die Akteurinnen, die mit dem Schmutz in Berührung kommen. Zum anderen kann das bestehende Ordnungssystem durch die Begegnung mit einem anderen System durcheinander geraten, anstelle der gewohnten Ordnung droht das Chaos. 6.2.1 Arbeit im Privaten und am Privaten | In der internationalen sozial- und arbeitswissenschaftlichen Diskussion um das Thema Hausarbeit hat sich der Begriff care work etabliert, unter dem das ganze Spektrum der Familienarbeit subsumiert wird: Pflege- und Fürsorgearbeit ebenso wie Arbeiten im Haushalt (Hess 2009, Geissler 2002). Studien zum Thema weisen einen umfangreichen Katalog von Leistungen der domestic workers auf. Er beinhaltet Kenntnisse in der Krankenpflege, Kindererziehung, das Wissen um ökologische Standards bei Putzmitteln, Erwartungen an gemeinsame Ordnungsvorstellungen und an die kommunikativen Kompetenzen der Haushaltsarbeiterinnen (Hess 2009, Lutz 2007, Geissler 2002, Resch 2002). Angesichts der Vielzahl der Anforderungen und des breiten Spektrums des Tätigkeitsfelds handelt es sich bei der Reproduktionsarbeit keineswegs um die sprichwörtliche andere Seite der lohnabhängigen Produktionsarbeit. Hausarbeit und die Betreuung von Kindern und Pflegebedürftigen lassen sich nicht als ein reibungsloser Reproduktionsablauf organisieren, der unabhängig von den involvierten Akteurinnen immer gleich abläuft und am Ende des Prozesses ein Produkt vorweisen kann. Die „Arbeit im Privaten und am Privaten“ basiert auf „komplexen, kulturellen Grundlagen“ (Hess 2009, 179), die je nach Struktur und sozialer Position des Haushalts variieren können. Ob die Arbeit zufriedenstellend ausgeführt werden kann, ist sowohl von den konkreten Fähigkeiten und Kenntnissen der Haushaltsarbeiterinnen abhängig als auch von den geteilten Werten und Normen oder zumindest dem Wissen darum. Dies betrifft die Vorstellung von Reinlichkeit ebenso wie die von der Organisation eines Haushalts (Geißler 2002). Welche Arbeiten an die Haushaltsarbeiterin weitergereicht werden, obliegt der individuellen Entscheidung der Arbeitgeberin. Die Arbeitsverteilung ist somit abhängig von den individuellen Vorlieben der Arbeitgeberin oder auch der

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gesellschaftlichen Wertschätzung (Odierna 2000). In der Regel handelt es sich um die klassischen, körperlich anstrengenden Putzarbeiten. „Sie putzt nur, sie bügelt nicht. [...] wir haben mal angefangen mit dem Groben. [...] also alle Böden, die Bäder, Küche [...] so ein 14-Tages-Turnus [...] dass sie alle zwei Wochen alles richtig durchwischt und die zweite Woche nur saugt und Bäder und Küche wischt und dann halt noch was extra macht, wie mal eine Schublade in der Küche oder mal so’n Glasschrank.“ (Susanne Meyer)

Die Beseitigung von Dreck und Unordnung im Haushalt gilt gemeinhin auch dann nicht als richtige Arbeit, wenn sie als bezahlte Dienstleistung verrichtet wird. Dies erklärt – wenigstens zum Teil – die scheinbar selbstverständlich informellen Beschäftigungsverhältnisse im Haushalt. Dass die Beseitigung von Dreck, wenn sie als offizielle Erwerbsarbeit anerkannt ist und überwiegend von Männern erledigt wird, durchaus als gesellschaftlich bedeutsame Arbeit geschätzt werden kann, zeigt die äußerst erfolgreiche Imagekampagne der Berliner Stadtreinigung (BSR) vor einigen Jahren. Die Müllmänner haben anders als die Haushaltsarbeiterinnen keinen Grund sich zu verstecken, im Gegenteil sie posierten selbstbewusst als starke, kräftige Jungs, sexy und überaus sympathisch. 7 6.2.2 Unsichtbares Delegieren, kollektives Putzen und der Kampf um die Meinungshoheit | Die Hausarbeit – das Putzen, Bügeln, Staubsaugen, Staubwischen – die vielfältigen Tätigkeiten, die Haushaltsarbeiterinnen verrichten, um einen schmutzigen, unordentlichen Arbeitgeberinnenhaushalt in einen sauberen zu verwandeln, wurde in den Gesprächen nur ungern thematisiert. Am liebsten, so lassen sich die Aussagen der Arbeitgeberinnen zusammenfassen, möchten sie, dass die „gute Fee“ ihre Arbeit im Verborgenen erledigt, unsichtbar, unmerklich den Schmutz der Anderen entfernt, das Chaos beseitigt, Bad und Toiletten auf Hochglanz poliert, die Küche wienert. Der Schneewittchen-Effekt stellt sich am ehesten ein, wenn die Arbeitgeberin tagsüber nicht zu Hause ist und sie Anforderungen auf einen Zettel notiert und das Geld passend auf dem Küchentisch hinterlegt. Die Anweisungen aus dem Off ermöglichen es, das Eindringen einer Fremden in die Privatsphäre weitgehend zu verdrängen.

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Siehe hierzu: http://www.hbdg.de/kampagnenelement/wir-bringen-das-in-ordnung/ (Zugriff: 24.06.2016).

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„Also für mich ist es mir am liebsten, wenn sie selbstständig ist. Also ich bin jemand, der nicht gerne delegiert, [...] und ehm, sie kommt und sie macht sauber, wie sie das gerade empfindet und das ist mir das Liebste. Also wenn die selbständig sind, eigentlich ist mir das Liebste.“ (Marlene Hartmann) „ [...] [S]elbstständig sehen, was Not tut. Dass man da nicht irgendwie, wie so ein Vorarbeiter sagen muss, hier noch und hier [...]. Dann hab’ ich auch das Gefühl, dass sie so ein bisschen eigentlich [...] nicht Befehlsempfängerin ist, sondern für sich sagt, jetzt ist heute mal das nötig, und heute mache ich das und das, heute hab’ ich Lust auf Fenster und mach’ sonst gar nichts und das ist dann auch ok.“ (Bettina Müller)

Die Konzeptualisierung der Beziehung von Arbeitgeberin und Haushaltsarbeiterin als eine freundschaftliche, vertraute Beziehung auf Augenhöhe generiert die paradoxe Praxis, das Thema Hausarbeit im Kontakt möglichst zu vermeiden. Dies manifestiert sich u. a. in dem Adjektiv selbstständig, eine Eigenschaft, die Arbeitgeberinnen an ihren Haushaltsarbeiterinnen besonders schätzen. Wenn die Haushaltsarbeiterin selbstständig ist, entlastet sie die Arbeitgeberin von der unangenehmen und anstrengenden Aufgabe, die Rolle einer Vorarbeiterin auszuüben. Der französische Soziologe Jean-Claude Kaufmann nennt dies eine „unsichtbare Delegation“ (Kaufmann 1999, 144). Das Bestreben, die Arbeit als Lohnarbeit zu ignorieren, zeigt sich auch in dem launigen Ton, der durch die Transkription hindurchscheint: „ [...] [H]eute mach’ ich das und das, heute hab’ ich Lust auf Fenster und mach’ sonst gar nichts [...].“ Passend zum häufig gebrauchten Bild der (Putz-)Fee wird hier die Haushaltsarbeiterin als eine Schwester von Mary Poppins imaginiert, die gut gelaunt mit dem Staubwedel in der Hand durch die Wohnung schwebt und Schmutz und Dreck mühelos beseitigt. Ist die Arbeitgeberin während der Arbeitszeit der Haushaltsarbeiterin im Haus anwesend, sucht sie direkte Anweisungen möglichst zu vermeiden, insbesondere, wenn es sich darum handelt, Ausscheidungen und Reste des Lebens zu beseitigen (Thiessen 2002, 144). „Es ist schon unangenehm zu sagen, mach’ mal die Toilette sauber. Ich versuche es, ihrer Entscheidung zu überlassen, was sie tut.“ (Luise Fischer)

Die hier aufgeführten Erzählpassagen suggerieren, die Haushaltsarbeiterin könne sich ihre Arbeiten frei wählen. Dabei trifft dies doch allenfalls auf die Abfolge der Arbeiten zu, keineswegs auf die Hausarbeiten insgesamt, die – auch unausgesprochen – ausnahmslos erledigt werden müssen. Der als peinlich empfundene Auftrag an eine Fremde, das Badezimmer zu säubern, ist dennoch Teil des Arbeitsauftrags und steht als stumme Botschaft im Raum. Das Wissen darum

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wird vorausgesetzt. Es ist Teil jenes unhinterfragten weiblichen Wissensfundus, der für das Arbeitsverhältnis konstitutiv ist. Die Ausführung aller Hausarbeiten wird erwartet, ohne dass es notwendig wäre, sie im Einzelnen zu benennen. Sind die Arbeitgeberinnen mit der Putzfrau gemeinsam im Haus, propagieren einige zu ihrer Entlastung das kollektive Putzen, gerade so als ließe sich gemeinsam mit dem Dreck die Scham wegwischen und das soziale Gefälle einebnen. Die Praxis, Schamgefühle und Hierarchie affektiv zu unterlaufen, wird in den Erzählungen vor allem dann hervorgehoben, wenn es sich um besonders anstrengende oder auch im Kontext von Schmutz als besonders unrein definierte Tätigkeiten handelt, etwa die Reinigung von Toiletten. „Das hat auch wieder mit dem Hierarchischen zu tun. Ich möchte nicht, dass Dorota denkt, sie muss immer bestimmte Arbeiten machen und ich mache die nie. Also ich mach’ durchaus auch das, was sie macht und sie macht das, was ich mache. Also ich putz’ das Klo und sie putzt das Klo. Oder ich bring’ die Mülleimer runter. Also ich lass’ jetzt ihr nicht immer irgendwelchen Mist stehen.“ (Annette Schmitt) „Ich geb’ dann auch mal an, so jetzt fände ich es schön, wenn die Fenster mal geputzt werden, dann machen wir das auch vielleicht mal zusammen [...].“ (Susanne Meyer) „Oder ich mach’ auch mal mit [...], was weiß ich, wenn da irgendwie Kalk im Bad ist, dann leg’ ich schon mal einen Tag vorher einen Lappen drauf mit Entkalker und sage dann, ich habe das schon mal eingeweicht und dann kannst du ja vielleicht noch mal schauen oder so.“ (Julia Thal)

Das kollektive Dreck-weg-Wischen besitzt – wenn es darum geht, soziale und ökonomische Asymmetrien aufzuheben – nur symbolische Bedeutung, vielmehr dient es der moralischen Entlastung der mit ihrer Rolle hadernden Arbeitgeberinnen. Die Haushaltsarbeiterinnen hingegen nehmen das kollektive Putzen häufig als unerwünschte Einmischung wahr, auch als Kontrolle und Belehrung, im Sinne von: „Schau’ mal, wie man richtig putzt.“ Das Putzen unter Aufsicht, der kontrollierende Blick ist auch eine Praxis, Überlegenheit zu kennzeichnen und zu reproduzieren (Neckel 1991; Lan 2003). „Für mich ist [es, d.V.] besser, wenn ich alleine bin. Man hat [das, d.V.] Gefühl, dass die [Arbeitgeberinnen, d.V.] gucken, was man macht, wie man [es, d.V.] macht, wo man den Lappen hinlegt oder wie der Staubsauger steht. [...] Die sagen dann, dass ich das so machen soll und nicht anders.“ (Joanna Patla)

Die ungeliebte Rolle als Arbeitgeberin, aber auch das Unbehagen vor den fremden, umherschweifenden Blicken im Privaten, generiert jeweils spezifische Sys-

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teme dessen, was einer Putzfrau zuzumuten ist, zu welchen Bereichen ihr Zutritt gewährt wird und welche verschlossen bleiben. Um dies zu gewährleisten, muss vor dem Auftritt der Haushaltsarbeiterin eine entsprechende Ordnung hergestellt werden. Das Delegieren bedarf der Organisation und Vorarbeit. Dies betrifft insbesondere ungemachte Betten, chaotische Schränke und herumliegende schmutzige Wäsche, Zustände, die als zu intim gelten, um sie vor fremden Augen auszubreiten (Kaufmann 1999). „Hmm. Also aufräumen hab’ nicht als ihre Aufgabe gesehen. Das ließ’ sich nicht immer machen, weil sie morgens um 9 Uhr kam, da hat’ ich dann manchmal auch schon das Bett gemacht, aber das ist was, was ich eigentlich denke, was sie nicht machen sollte. Sondern nur putzen. [...] Also das [die Schmutzwäsche wegräumen] würde ich ihr nie zumuten. Ne, also es ging wirklich um, also Badputzen ist ja irgendwie schon schlimm genug. Aber um Böden wischen [...] also gut im Kinderzimmer, das hat sie aber total gern gemacht, das Aufräumen. Da saßen die Püppchen alle [...]. Also Staub wischen, ja so richtige Putzarbeiten eben, Schränke auswischen, Balkon mal machen, Fenster putzen.“ (Bettina Müller)

Aufräumen wird von den Arbeitgeberinnen als ein unangenehmer, den privaten Raum unter Umständen verletzender Eingriff einer Fremden in die Intimsphäre wahrgenommen. Die Auswahl der Arbeiten im Haushalt, die delegiert werden können, gründet wie das kollektive Putzen außerdem auf der Furcht, Gegenstände, die ihren festen Platz im Haushalt besitzen, könnten verrückt oder gar zerstört werden und somit die normative Ordnung der Dinge zerstört werden. Die Übertragung der Hausarbeit an Fremde wird so gesehen von den Arbeitgeberinnen nicht uneingeschränkt als etwas Positives bewertet (Ecker 2012, 25f.). Analog zu den Ängsten und Idiosynkrasien der Arbeitgeberinnen haben auch die Arbeitnehmerinnen genaue Vorstellungen, was zu ihrem Aufgabenbereich zählt und was nicht. Nicht dazu zählen das Aufräumen sowie das Wegräumen von schmutzigem Geschirr sowie von Essensresten. „Warum muss ich nach dem Frühstück, nach dem Mittagessen saubermachen? Ich mag kein Geschirr abwaschen. Ich bin kein Dienstmädchen.“ (Barbara Rybka)

Bei einer Familie, erzählt Barbara Rybka, habe sie sich wegen der Unordnung beschwert, dann sei es besser geworden. Bei einer anderen habe sie gekündigt wegen des Chaos, das nicht nur in der Küche geherrscht habe. Hier geht es wohl neben der unangenehmen Berührung mit den Resten, dem Übriggelassenen, dem Unverdauten der Anderen auch um die Markierung einer Differenz zwischen den feudalen Arbeitsbedingungen eines Dienstmädchens und

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dem Status einer – wenn auch informellen – Lohnarbeiterin. Auf symbolischer Ebene weist der Begriff des Dienstmädchens in die Vergangenheit, in jene Zeit um die Wende zum 20. Jahrhundert als junge Frauen aus Schlesien und Pommern in Berlin die Haushalte der Mittel- und Oberschicht versorgten. Damals wie heute war die Region jenseits der Oder das Rekrutierungsgebiet für das hauptstädtische Hauspersonal, mit dem Unterschied, dass es damals in der Regel Deutsche waren, die den Dreck wegmachten. Der Begriff des Dienstmädchens ruft eine Tradition auf, die auf der alten europäischen Ordnung von vor 1945 basiert und auf den ersten Blick keinerlei Ähnlichkeiten mit der Nachkriegsordnung und dem Europa des 21. Jahrhunderts aufweist. Allerdings könnte das überraschende Aufscheinen des Dienstmädchens in Barbara Rybkas Erzählung ein Hinweis darauf sein, dass der neoliberale Umbau der vormals sozialistisch organisierten polnischen Gesellschaft, dass die neue postsozialistische Gesellschaft soziale Asymmetrien reproduziert, die nicht nur aus einer anderen Zeit, sondern gleichsam aus einer anderen Welt in die Gegenwart reichen. Die Vergangenheit dient hier als Folie, um die Unzumutbarkeiten der Gegenwart zu beschreiben und sie gleichzeitig energisch zurückzuweisen. Der auf den Bedürfnissen des informellen Arbeitsmarktes basierende Verkauf der Arbeitskraft wird gegen quasi feudale Arbeitsverhältnisse verteidigt: die freie, selbstbewusste Lohnarbeiterin gegenüber der der Weisungsbefugnis unterstellten Dienstmagd favorisiert. Die Abneigung der polnischen Haushaltsarbeiterinnen gegenüber bestimmten Formen der Haushaltsarbeit entspricht dem Selbstbewusstsein einer qualifizierten Arbeitskraft, die eine Dienstleistung anbietet, die bestimmte Aufgaben umfasst und andere ausschließt. Das klingt sehr professionell und erinnert eher an die eingangs erwähnten Müllmänner als an scheinbar originär weibliche Fähigkeiten, die buchstäblich alle (Frauen) beherrschen. 6.2.3 Umweltschutz ist verhandelbar | Während die Arbeitgeberinnen ihre Ordnung der Dinge durch entsprechende Restriktionen verteidigen, haben die meisten von ihnen die Auseinandersetzung auf einem anderen umkämpften Terrain offenbar schon lange verloren. Im Streit um die probaten Putzmittel scheint es den Haushaltsarbeiterinnen durchweg gelungen zu sein, ihre Sicht der Dinge gegenüber den Arbeitgeberinnen durchzusetzen. Wurde in den auf gesunde Lebensmittel und Nachhaltigkeit abonnierten Mittelschichtshaushalten vor dem Erscheinen der polnischen Putzfrau überwiegend mit ökologisch verträglichen Zusätzen geputzt, haben die Arbeitgeber*innen auf Geheiß der Haushaltsarbeiterinnen, entgegen ihrer eigenen Über-

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zeugung die Mittel mit dem Blauen Engel größtenteils aus ihren Wohnungen und Häusern verbannt. „Also sie schreibt immer auf, was ich besorgen soll, dann besorge ich das. [...] manchmal bringt sie so Spezialreiniger mit. Das ist dann die pure Chemie (lacht), also für am Herd, wenn da so Verkrustungen sind, da hatte sie eine Zeit lang so eine Paste. Die stank, das war das reine Chemiezeug, das hat sie aber selbst mitgebracht. [...] die haben halt die Kompetenz und da kann ich sowieso nicht mitreden sozusagen. Aber das hab’ ich schon gemerkt, dass sie da zu den schärferen Mitteln neigen und wenn sie sie nicht kriegen, bringen sie sie halt mit.“ (Werner Schuster)

Gegen die aus Gründen des Umweltschutzes besseren Putzmittel argumentieren die Haushaltsarbeiterinnen mit deren geringerer Effektivität und einem entsprechend größeren Aufwand an Zeit und Körperkraft. Umweltschutz spielt in dieser Argumentation keine Rolle, als handle es sich dabei um einen luxuriösen Spleen, der in den wohlhabenden, westlichen Ländern verbreitet ist. Arme Gesellschaften können sich solchen Luxus nicht leisten. Die scheinbar leichtfertige Aufgabe ökologisch orientierter Alltagspraktiken macht einerseits die Fragilität der Selbstrepräsentation als Umweltschützerin deutlich. Sie wird im Tausch für einen reibungslosen Ablauf quasi widerstandslos aufgegeben. Andererseits verdeutlicht das Beharren der Haushaltsarbeiterinnen darauf, den vormals gültigen ökologischen Diskurs, wenn nicht zu suspendieren, so doch wenigstens aufzuweichen, wie in der alltäglichen Hausarbeitspraxis Hierarchien unterlaufen werden und die Akteurinnen ihre Positionen immer wieder neu aushandeln. „Also Barbara gibt mir Anweisungen, mit was sie putzen will, und wenn mir das zu heftig ist, können wir darüber kurz reden und sagen, das ist mir zu heftig, da nimmst Du bitte das. Sie darf auch reden [...], aber letztendlich nicht entscheiden. Aber wenn ich jetzt nur Frosch- oder Bio-Putzmittel hinstellen würde, dann würde das nicht funktionieren, dann würde sie sagen, damit kann man nicht putzen. Also da sind sie schon sehr forsch [...]. Da ist klar, das ist mein Handwerk und ich weiß, womit ich mein Handwerk gut machen kann. Die Erfahrung hab’ [ich, d.V.] und dann hab’ ich mich halt oftmals wahnsinnig aufgeregt, [...] aber irgendwann dachte ich dann ok, irgendwann muss man einfach mal nachgeben. Ich will’s in dem Moment nicht machen, weil ich auch keine Lust habe und keine Zeit. Dann ist es der Kompromiss, den ich eingehen muss und eingehen will.“ (Susanne Meyer) „Das heißt, Sie weichen zurück?“ (UFM) „In diesem Bereich ja.“ (Susanne Meyer)

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„Man könnte ja auch sagen, mir ist es wichtig, dass Biosachen benutzt werden, wegen der Kinder, der Umwelt [...].“ (UFM) „Ja stimmt, also ich meine, wir haben dann irgendwo so jetzt einen Kompromiss gefunden, es gibt einen Essigfroschreiniger und es gibt einen Antikalk. Und dann macht sie halt ihre Armaturen mit dem Antikalk und die Porzellansachen macht sie mit dem Froschreiniger. Also da bin ich dann auch nicht so starr, weil ich gelernt habe, dass mir diese Starrheit dann auch nichts bringt.“ (Susanne Meyer)

In der Nacherzählung des Putzmittelstreits geht es auf der konkreten Ebene um mehr oder weniger umweltschonende Praktiken beim Saubermachen, auf der Metaebene aber um Macht und Ohnmacht, um Durchsetzungsfähigkeit und Meinungshoheit. („Sie darf auch reden, aber letztendlich nicht entscheiden.“) Susanne Meyer inszeniert sich selbst als taffe selbstständige Dienstherrin. In meinem Feldtagebuch notierte ich nach unserem Treffen: „Sie gibt sich durchsetzungsfähig, praktisch und berlinerisch direkt. Sie verdient das Geld, der Mann ist freischaffender Künstler.“ Susanne Meyer beschreibt ihren Widerstand gegen die Forderung der Haushaltsarbeiterin als hartnäckig und auch emotional engagiert („Dann hab’ ich mich halt oftmals wahnsinnig aufgeregt.“), womit sie den Stellenwert des Umweltschutzes in ihrem persönlichen ethischen Wertesystem betont und ihrem Einsatz für ein ökologisch nachhaltiges Putzen Nachdruck verleiht. Allerdings erwies sich dieses Bekenntnis zum Umweltschutz keineswegs als nicht verhandelbarer ethischer Grundwert. Weil sie auf die Dienstleistungen ihrer Haushaltsarbeiterin nicht verzichten wollte, hat Susanne Meyer ihren Anspruch auf umweltschonende Reinigungsmittel aufgegeben: Gegen die Phalanx aller polnischen Haushaltsarbeiterinnen könne sie nichts ausrichten: „Sie sind schon sehr forsch.“ Die generalisierende Zuschreibung imaginiert einen ernstzunehmenden Counterpart. Es klingt entschuldigend, defensiv, aber auch nachvollziehbar, zumal Susanne Meyer die Entschlossenheit der Haushaltsarbeiterinnen argumentativ stützt, indem sie auf deren professionelle Kenntnisse hinweist. „Irgendwann“, ganz pragmatisch hat Susanne Meyer schließlich nachgegeben – das eigene Interesse ebenso im Blick wie den Mangel an Alternativen – zumindest gegenüber der Gruppe der polnischen Haushaltsarbeiterinnen. Ungeachtet ihrer sozial und ökonomisch überlegenen Position scheinen die Arbeitgeberinnen bereit, Kontroll- und Entscheidungsmöglichkeiten abzugeben, wenn die Aufrechterhaltung des Hausarbeitsverhältnisses dies erfordert. Im Gegensatz dazu konnte die Haushaltsarbeiterin ihre Interessen weitgehend durchsetzen und eigene Normen in den Arbeitgeberhaushalt implementieren. Im ökonomischen Diskurs würde man das als positive Bilanz ausweisen.

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Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die polnischen Haushaltsarbeiterinnen durchaus in der Lage sind, ihre Strategien der Schmutzbekämpfung im Haushalt durchzusetzen. In diesem Fall werden sie als Expertinnen anerkannt und die deutschen Arbeitgeberinnen ordnen sich bereitwillig ihrer Kennerschaft unter, zumal wenn sie sich damit weitgehend von der Putzarbeit entlasten können. Die Erfahrung der Überlegenheit in der transkulturellen Begegnung im Haushalt, der Blick der prekär beschäftigten Haushaltsarbeiterin auf die partielle Inferiorität der sozial und ökonomisch überlegenen Arbeitgeberin verdeutlicht die Dynamik der Macht im Kontext der deutsch-polnischen Hausarbeitsverhältnisse. Auch wenn die Auseinandersetzung über die adäquaten Putzmittel vergleichsweise unwichtig erscheint, so wird hier doch beispielhaft deutlich, dass die Machtverhältnisse im Kontext der deutsch-polnischen Begegnungen im Haushalt vielschichtig sind. Als verhandelbar erweist sich hier außerdem die Definition der informellen Hausarbeit, die je nach Bedarf als naturalisierte Fähigkeit von Frauen abgewertet und als professionelles „Handwerk“ aufgewertet wird. 6.2.4 Ordnung und Sauberkeit | Die Beseitigung von Schmutz und Abfall, die zentrale Aufgabe von Haushaltsarbeiterinnen, gilt als eine für die Selbstorganisation einer Gesellschaft grundlegende Aufgabe (Porath 2004, 58). Wird diese Aufgabe nun einer Fremden zugewiesen, so besteht die Gefahr, dass sich als Folge von differenten Ordnungssystemen und Reinlichkeitsstandards anstelle des erhofften Ergebnisses – Ordnung und Sauberkeit – ein gewisses Maß an Chaos und verdecktem Schmutz im Arbeitgeberinnenhaushalt verbreitet. Das Geschirr steht nicht an seinem Platz, das Parkett ist nicht ordentlich gebohnert, unter dem Teppich wurde nicht gewischt. Die – aus der Sicht der Arbeitgeberin – falsche Ordnung des Haushalts führt dann zu einer empfindlichen Störung habitualisierter Reproduktionsmechanismen und verunsichert „die hegemonialen Strukturen“ (Ecker 2012, 15). Die Definition von Schmutz und Sauberkeit, die jeweils geltenden Hygienestandards und Konventionen sind von zahlreichen Parametern wie Tradition, sozialen und geografischen Bedingungen oder auch dem Stand der neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse abhängig. So akzeptieren etwa Reisende beim Campieren, dem Übernachten auf Berghütten oder auch auf Abenteuerreisen abseits der Zivilisation selbstverständlich Hygienestandards, die sie in ihrem Alltag als unzumutbar ablehnen. Häufig wird die sanitäre Minimalausstattung in den Ferien sogar mit Freiheit und Abenteuer assoziiert (Horsfield 1999).

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Im Wissenschaftsfeld Ethnologie gilt das Werk der britischen Sozialanthropologin Mary Douglas zum Phänomen Schmutz und der daraus folgenden Verunreinigung auch nach mehr als einem halben Jahrhundert noch immer als zentral. Mary Douglas beschreibt Schmutz als „matter out of place“ (1970, 40). Die Materie am falschen Platz widerspricht einer gegebenen Ordnung und ist somit ein relationaler Begriff. Schmutz kann nur als solcher identifiziert werden, wenn das System der Klassifizierung bekannt ist, mit dem eine Gesellschaft die Welt in Kategorien von sauber und schmutzig ordnet. Ein häufig zitiertes Beispiel für diese Ordnung der Dinge, wie sie Douglas entwickelt, ist das vom (sauberen) Schuh auf dem Esstisch, der, obwohl frisch geputzt, als schmutzig eingeordnet wird. Ein Schuh ist in der Ordnungsvorstellung westlicher Gesellschaften auf dem Tisch am falschen Platz, ebenso wie ein Haar in der Suppe, obwohl der Verzehr keineswegs schädlich ist. Unter dem Einfluss von Claude Lévi-Strauss und dessen Vorstellung von den Klassifikationssystemen des „wilden Denkens“ definiert Douglas Schmutz als ein „Nebenprodukt eines systematischen Ordnens und Klassifizierens von Sachen, und zwar deshalb, weil Ordnen das Verwerfen ungeeigneter Elemente einschließt“ (Douglas 1985, 53). Das wilde Denken wurde zum zentralen Begriff des ethnologischen Strukturalismus, wie ihn Claude Levi-Strauss maßgeblich begründet hat. In diesem vielleicht wichtigsten Buch seines Gesamtwerks analysiert er unzählige Mythen, jene Geschichten, die Menschen tradieren, um sich in der Welt zurechtzufinden. Lévi-Strauss arbeitet bisher unsichtbare Muster und invariante Strukturen heraus, die er als Beleg für die Universalität von Strukturen des menschlichen Denkens anführt (Lévi-Strauss 1968; Petermann 2004). Kritiker des strukturalistischen Theorieansatzes wie Jean-Paul Sartre und Pierre Bourdieu werfen Lévi-Strauss Geschichtsvergessenheit vor und bezichtigen ihn, der Naturalisierung der Verhältnisse Vorschub zu leisten (Assheuer 2008). 8 Douglas folgt Lévi-Strauss’ Ansatz insoweit, als auch sie Reinheitsvorstellungen ebenso wie Speisevorschriften von naturwissenschaftlichen, materialisti-

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Die bourdieusche Kritik richtet sich u. a. gegen die Vernachlässigung der zeitlichen Dimension im Kontext des Gabentauschs. Lévi-Strauss behandle die Zeit zwischen dem Geben und dem Erwidern einer Gabe als bedeutungslos und den Gabentausch als einen rein ökonomischen, auf rationalem Kalkül gegründete „vollkommen symmetrische Handlung“ (Bourdieu 2005, 139). Im Gegensatz dazu betont Bourdieu die Bedeutung des In-der-Schuld-Stehens des Nehmenden zum Gebenden als eine besondere Form gesellschaftlicher Beziehungen (Schultheis 2008, 104f.). Sartre kritisiert die Strukturalisten für deren Überbewertung von Strukturen und ihre Geringschätzung des geschichte-machenden Subjekts (Wildenburg 2004).

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schen und historischen Zusammenhängen trennt. Zuschreibungen wie unrein und mit Tabus belegte Handlungen werden danach ausschließlich als Ergebnisse von gesellschaftlichen Klassifikationssystemen gewertet. Kategorien wie Hygiene, soziale Abgrenzung oder auch geografisch-klimatische Notwendigkeiten bleiben unberücksichtigt. Schmutz ist danach ausschließlich Materie am falschen Ort, Schmutz gefährdet die Ordnung, ist ein Störfaktor und muss jedenfalls beseitigt werden (Douglas 1985). Mit der postmodernen Neuorientierung der Sozial- und Kulturwissenschaften in den 1980er Jahren wendet man sich von totalisierenden Theoriesystemen ab und erkenntnistheoretische Gewissheiten, wie sie im Strukturalismus angelegt sind, geraten zunehmend ins Wanken. Anstelle von Strukturen und Systemen werden handelnde Subjekte und Praktiken fokussiert. Im Rahmen dieser Kritik werden auch die komparativen Forschungen Mary Douglas’ mit Vorwürfen wie Neokolonialismus und Eurozentrismus konfrontiert (Voges 2003). Dennoch sind Douglas’ Schlussfolgerungen über Schmutz als ein Ergebnis von Klassifikation für die vorliegende Forschung relevant. Zum einen wird daran deutlich, dass die Definition von schmutzig und sauber oder rein weniger eine objektive hygienische Verfasstheit, als eine moralische Wertung von Gegenständen oder Handlungen bedeutet. Wenn aber die Zuschreibung rein oder schmutzig relativ ist, existiert auch die Möglichkeit, die Klassifizierung zu ändern. Das Ordnungssystem, das eine Gesellschaft entwickelt hat und das vorschreibt, etwas als Schmutz zu exkludieren, weist einerseits auf die Formen von Kontrolle hin, die Ordnungsvorstellungen immanent sind: Wer oder was sich nicht fügt, wird ausgeschieden. Andererseits wird deutlich, dass es sich bei jedem Ordnungssystem um ein veränderbares Konstrukt handelt, eine von vielen Parametern abhängige Übereinkunft. Subjekte besitzen demnach Handlungs- und Entscheidungsmöglichkeiten, die sich auch gegen ein System wenden können. Das Klassifizieren von Dingen und Handlungen dient demnach der Überwachung des Subjekts und bietet ihm gleichzeitig eine Möglichkeit für Widerstand (Foucault 1974; Tinius 2012). Das kulturelle System des Ordnens und Klassifizierens gehört zum Kernbestand gesellschaftlicher Alltagspraktiken und wird gemeinhin als selbstverständlich und selbsterklärend behandelt. Der Referenzrahmen für mögliche Reinlichkeitspraktiken ist abhängig von historischen und kulturellen Spezifika. Allerdings ist der individuelle Spielraum innerhalb des jeweiligen Rahmens – wie Kaufmann betont – keineswegs beliebig, sondern „vor allem durch das distinktive Spiel sozialer Klassifizierung reguliert“ (Kaufmann 2005, 20). Was im Einzelfall von der Haushaltsarbeiterin als Arbeitsleistung, im Sinne von „jetzt ist es sauber“, erwartet wird, ist individuell unterschiedlich, allerdings entscheidend

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für das Funktionieren des Arbeitsverhältnisses. Julia Thal, die sich als „eigentlich sehr zufrieden“ mit ihrer Haushaltsarbeiterin beschreibt, fügt einschränkend hinzu: „Weil ich nicht besonders anspruchsvoll bin.“ Sie berichtet von vergeblichen Versuchen, Ewa Stolarska weiter zu empfehlen. „Ich habe sie [Ewa Stolarska, d. V.] bestimmt vier oder fünf Mal vermittelt. Da war sie dann auch, dann habe ich mal gefragt, na ist Ewa noch bei Euch? Nö, sagte die eine, sie hätte die Küchenschränke nicht von innen saubergemacht oder den Abfluss nicht von Unten oder was. Na ja, da habe ich gedacht, ok, da achte ich nun überhaupt nicht drauf. [...] Eigentlich reicht es auch, wenn man mal die ganze Wohnung durchgefeudelt hat und nicht noch Lust hat irgendwelche Sachen ganz genau abzuschrubben. [...] Ich glaub’ die Frauen sind hier zum Teil auch ziemlich anspruchsvoll. Und wenn man glaubt, dass man es selber am besten macht und keiner es so gut macht, wie man selber.“ (Julia Thal)

Schmutz resp. dessen Kehrseite wird allenfalls dann als soziale Konstruktion wahrgenommen, wenn er aus dem gewohnten Alltag herausgenommen und umgewidmet wird, wie es der Aktionskünstler Joseph Beuys mit seiner berühmten Fettecke demonstrierte (Ecker 2012). Die Beseitigung von Schmutz „ist keine negative Handlung, sondern eine positive Anstrengung, die Umwelt zu organisieren“ (Douglas 1985, 12). Die Haushaltsarbeiterinnen bringen die Unordnung in Ordnung, sie rücken verrückte Dinge wieder an ihren Platz oder sie „reorganisieren“ (Ecker 2012, 8) sie.9 Durch Wischen, Waschen, Schrubben und Seifen werden die Dinge wieder in den Zustand der Reinheit, der Sauberkeit versetzt. Ist dies nicht möglich, werden sie entsorgt. Es sind die Reste, das Verdorbene, die Ausscheidungen des Körpers, die beseitigt werden müssen, damit die Menschen nicht Gefahr laufen, daran zu erkranken oder gar am eigenen Dreck zu ersticken. Dieser unendliche Prozess von Verschmutzen und Säubern unterliegt einem bestimmten Rhythmus, den u. a. das Verfallsdatum der Dinge, gesellschaftliche Sauberkeitsstandards sowie die Bedürfnisse des Körpers vorgeben (Thiessen 2002).

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Der selbstverständlichen Reorganisation verrückter Dinge fiel 1983 auch die Beuys’sche Fettecke zum Opfer. Eine Putzfrau, im festen Glauben es handle sich um Schmutz, hatte sie weggeputzt.

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6.2.5 Gefahren des Schmutzes | „Man fürchtet sich mit dem Gegenstand zu beschmutzen, von ihm angeklebt zu werden, wohl auch, mit ihm in eine gewisse Gemeinschaft, in ein dauerndes, auf einen selbst abfärbendes, die eigene Person beeinträchtigendes Verhältnis zu treten.“ (Kolnai 1929, 557)

Wer an der Entsorgung des Schmutzes beteiligt ist, wie die Haushaltsarbeiterinnen, läuft Gefahr sich zu kontaminieren. Schmutz wird die Eigenschaft zugeschrieben – auch auf symbolischer Ebene – an denjenigen zu haften, die mit ihm in Berührung gekommen sind. Allerdings ist die Gefahr, die von Schmutz, Unordnung und Chaos für Individuen und Gesellschaft ausgeht, gleichermaßen bedrohlich und faszinierend. So gilt Chaos häufig als Ausdruck von Kreativität, Unordnung als sexy und Putzteufel werden als zwanghaft und langweilig beurteilt. Wer herrschende Ordnungs- und Sauberkeitsstandards missachtet, wird je nach sozialer Position marginalisiert oder als unabhängiger Freigeist und Individualist gefeiert. Simone de Beauvoir beschreibt Sauberkeit als Feind der Sinnlichkeit, Schneewittchens sieben Zwerge sind entsetzt, dass die Prinzessin ihr Zwergenhaus aufgeräumt hat und bei Balzac weist die peinliche Sauberkeit eines Bauernhofes darauf hin, dass es sich bei der Besitzerin, um eine alte Jungfer handeln muss (Horsfield 1999).10 Mit der Beschäftigung einer Haushaltsarbeiterin halten sich die Arbeitgeberinnen den (eigenen) Schmutz vom Leib, um den Preis, dass die individuellen Spuren des Lebens aller Haushaltsmitglieder, deren Abfall, Müll, Essensreste und nicht zuletzt die Ausscheidungen der Körper zu einer quasi öffentlichen Angelegenheit werden. Der in den Haushalten produzierte Schmutz gibt, wie archäologische Fundstücke, über die intimsten Verrichtungen, Gewohnheiten und Vorlieben der Haushaltsmitglieder Auskunft: „Es gibt nichts Indiskreteres als Mülleimer.“ (Westdeutsche Rundschau, Wuppertal v. 27.11.1951 zit. nach Windmüller 2002, 319) Dieses als peinlich, wenn nicht gar als bedrohlich empfundene Wissen der Haushaltsarbeiterinnen versuchen Arbeitgeberinnen, möglichst umfassend aus ihrem Bewusstsein zu wischen, indem sie die Haushaltsarbeiterinnen entweder als Familienmitglied assoziieren oder als nicht dazugehörende Fremde der familiären Wahrnehmung entziehen (Thiessen 2002, 145). Wurde die (fremde) Haushaltsarbeiterin gerade noch in die Familie integriert, um ihr den vertrauensvollen Zugang zum bürgerlichen Arkanum zu ermöglichen, wird sie in diesem Kapitel wieder zur Fremden, ihre Sauberkeits- und Ordnungsvorstellungen zur Bedrohung, ihr Eindringen in das Innerste des Priva-

10 Balzac, Honoré de (1910): Die alte Jungfer. In: Eine Frau von 30 Jahren. Leipzig

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ten zu einem Vorgang, der besonderer Kontrolle und Vorsichtsmaßnahmen bedarf. Als zentrale Maßnahme gilt hier das Aufräumen bevor die Haushaltsarbeiterin die Wohnung betritt. Zur Wahrung der Privatsphäre werden Schmutzwäsche, ungemachte Betten, in einigen Fällen zählten auch die Überreste von Mahlzeiten dazu, der (fremden) Wahrnehmung entzogen. Als eine weitere Strategie der Exklusion und Abschottung nutzen die Arbeitgeberinnen das Sprechen über den Körper der Anderen. Ein gut funktionierender Körper ist nicht nur unerlässlich als Werkzeug für die Ausführung von Haushaltsarbeit, er dient gleichzeitig als Folie für die Markierung von sozialer und kultureller Differenz. Im folgenden Kapitel werde ich darlegen, mit welchen Intentionen die Akteurinnen über den eigenen und/oder den fremden Körper sprechen, welche normativen Körperbilder in ihren Erzählungen wirksam werden und welche Rolle der Körper in der Selbstrepräsentation der Erzählerinnen spielt.

6.3 KÖRPER IN DER ÖKONOMISIERTEN SPHÄRE DES PRIVATEN | Das Sprechen über den Körper der Anderen erzeugt Differenz. Diese Differenz macht die Andere fremd, sie schafft Befremden. Dieses Befremden ermöglicht den Arbeitgeberinnen, den Anblick ihres Schmutzes freizugeben und dessen Beseitigung einer Haushaltsarbeiterin zu überlassen. Im Sprechen über den Körper wird dieser zum Repräsentant sozialer und kultureller Differenz. Das äußere Erscheinungsbild wird zum Träger von Bedeutung. Figur, Kleidung und Frisur geben Hinweise auf soziale und ökonomische Positionen, auf Gewohnheiten wie den Konsum von Alkohol und Nikotin oder auch positiv bewertete Routinen, wie regelmäßige sportliche Aktivitäten. Der Körper, von dem in den Erzählungen der Arbeitgeberinnen die Rede ist, gehört den Haushaltsarbeiterinnen. Der eigene Körper ist in diesen Erzählungen ex negativo präsent. Die in und durch Narrationen zugerichteten Körper der Anderen dienen den Arbeitgeberinnen als Spiegel, in denen sie die Bilder ihrer eigenen Körper als intakte, gesunde, gepflegte, als überlegene reflektieren. Die Haushaltsarbeiterinnen hingegen sprechen nicht über die Körper der Anderen. Sie sprechen über ihren eigenen Körper als ein Werkzeug, das ihnen einen gewissen Lebensstandard, manchmal auch nur das materielle Überleben sichert. Im Folgenden untersuche ich die Erzählungen daraufhin, wie mithilfe des Körpermotivs Normalität und Devianz konstruiert werden und welche Praktiken der Stigmatisierung und der sozialen Degradierung in diesen Erzählungen ent-

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halten sind (Lauser 2004, 233f.; Reuter 2011, 67). Ich beginne mit den Erzählungen der Haushaltsarbeiterinnen (der Körper als Werkzeug), wechsle zu den Arbeitgeberinnen (der eigene Körper als Vexierbild der Anderen sowie das Akkumulieren körperlichen Kapitals) und komme am Ende noch einmal auf die Perspektive der Haushaltsarbeiterinnen (Verausgaben körperlichen Kapitals) zurück. Die Durchsicht des empirischen Materials erfolgte auf dem Verständnis des Körpers als eines sprachlich und kulturell vermittelten Konstruktes. Welche Techniken und Verhaltensweisen der Körper lernt, ist geprägt von Diskursen mit ihren herrschenden Wissensordnungen, die als Gesetze oder Institutionen im Gender- und Migrationsregime ebenso wie im Arbeits- und Wohlfahrtsregime ihren Ausdruck finden. Der Sportwissenschaftler Gunter Gebauer spricht in diesem Zusammenhang von einem „elementaren Körperwissen“, das sich der Körper mimetisch, durch stetes Üben, durch Regelhaftigkeit sowie durch das Befolgen von Anordnungen und Befehlen aneignet (Gebauer 1998; Mauss 1997; Rittner 1986; Labouvie 2004).11 Der Körperausdruck – häufig ist auch von Körpersprache die Rede – ist gesellschaftlich kodifiziert und sozial genormt. Körper und Körpertechnologien sind seit den 1980er Jahren zentrale Themen der Sozial- und Kulturwissenschaften und der feministischen Theoriebildung. Die Diskussion zur Epistemologie der Körperwahrnehmung geht zurück auf Marcel Mauss, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts einen Aufsatz über Körpertechniken publizierte, in dem er die Existenz eines wie auch immer gearteten natürlichen Körpers verwirft (Mauss 1997). Im Fortgang der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Körper haben sich verschiedene theoretische Ansätze herausgebildet, etwa der diskursiv erzeugte Körper bei Foucault, der Körper im Habitus-Konzept Bourdieus, Körper als Text bei Butler oder auch Maihofers „körperliche Materialität“, um nur einige für den sozialwissenschaftlichkulturanthropologischen Körperdiskurs wichtige Ansätze zu nennen (Foucault 1976b; Bourdieu 1988; Butler 1991; Maihofer 1995).

11 Der Begriff ‚Regime‘ als Analysekategorie eröffnet die Möglichkeit, sowohl mehrere Akteure einzubeziehen, die im Rahmen eines Regimes wirksam werden, als auch das Verhältnis der Regime im Blick zu haben (Hess/Karakayali 2007, 48; Lutz 2007, 35ff.).

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6.3.1 Der Körper als Werkzeug | Als ich Maria Sznaider traf, war sie 58 Jahre alt und putzte seit zehn Jahren Berliner Wohnungen und Häuser. In ihrem früheren Leben hatte sie 30 Jahre lang als Gerichtssekretärin im Norden Polens gearbeitet. Als sie mit dem transnationalen Arbeitsleben begann, ließ sie sich pensionieren. Maria Sznaider hat zwei erwachsene Töchter. Zum Zeitpunkt unseres Gespräches arbeitet eine Tochter gerade in Chicago (USA) als domestic worker, die andere lebt noch bei den Eltern in Polen. Auf die Frage, wie sie sich fühle, antwortet Maria Sznaider, sie sei abends so müde, dass sie sich nicht mehr bewegen könne. Zehn Jahre ohne Urlaub, zehn Jahre rastloses Leben im Transit: „Das ist kein normales Leben, das ist ein Vegetieren“, beschreibt sie ihre Lebensweise, die sie mit dem Nachsatz „Geld ist auch nicht alles“ in Frage stellt und macht doch alles für’s Geld, selbst um den Preis des Vegetierens. In dem kurzen Gespräch, das wir führen, ist ihr zentrales Thema, die Müdigkeit, der psychische und physische Stress der Arbeit, ihr entkräfteter Körper. In meinem Feldtagebuch notierte ich: „Sie wirkt zerbrechlich und unendlich müde und traurig.“ Der Arbeiternehmerinnenkörper12 ist im Hausarbeitsverhältnis der zentrale Akteur, handelt es sich bei der Hausarbeit doch um eine Tätigkeit, die überwiegend mit dem Körper und einigen wenigen Hilfsmitteln (Putztüchern, Chemikalien, Wasser etc.) ausgeführt wird. Grundlage des Arbeitsverhältnisses ist somit ein funktionsfähiger Körper, der starke Beanspruchung verkraftet, dessen Einsatz wenig kostet und der jederzeit verfügbar ist. In den Erzählungen der Haushaltsarbeiterinnen taucht der Körper vor allem als ein geschundener auf. Die Frauen erzählen von den körperlichen Anstrengungen und immer wieder von der Müdigkeit. Sie erzählen von den Schmerzen, den Veränderungen, die sie an ihren Körpern infolge der Arbeit beobachten, von der Abneigung und der Überwindung, die es kostet, den Dreck anderer zu beseitigen und davon, was sie als Gegenleistung erhalten. „Das Wichtigste ist, dass ich Geld verdiene. Das ist das Wichtigste. Manchmal muss man was entbehren. Man muss sich abschuften. Danach aber gibt es was. Danach gibt es Geld. Der Mensch kann sich dieses oder jenes kaufen. Der Mensch kann das Kind mitnehmen. Das sind eben die Entbehrungen. Dass man dort [in Polen, d. V.] nicht ist. Dort aber kann ich nicht das verdienen, was ich hier sparen und dann später für die Kinder ausgeben kann.

12 Die Begriffe Arbeitgeber-/Arbeitnehmerinnen-Körper werden hier nicht in einem essentialisierenden Sinn gebraucht. Sie markieren lediglich eine Position im Rahmen eines spezifischen ökonomischen Verhältnisses.

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[...] Das sind eben Entbehrungen. Das ist nicht angenehm, fünf Stunden lang zu putzen. So am Lappen zu hängen. Toiletten putzen. Das Wichtigste ist aber, dass es Arbeit gibt, dass es das Geld gibt. Man kann normal leben.“ (Marysia Szarek)

Im Sprechen über die (Drecks-)Arbeit, die dem Körper zugemutet wird, wechselt Marysia Szarek immer wieder die Perspektive vom erzählenden Subjekt, zum unpersönlichen man zur Gattungsbezeichnung Mensch. Aus der Perspektive der Ich-Erzählerin benennt sie das, was das Wichtigste für sie ist: das Geld, das sie für die Arbeit erhält, der Lohn für die Entbehrungen, die Marysia Szarek an anderer Stelle mit dem Getrenntsein von ihren Kindern, die in Wrocław leben, mit der Mühsal des Reisens, dem schwierigen Leben in der Fremde konkretisiert. Für die Beschreibung der negativen Aspekte der Arbeit hat Marysia Szarek eine neutrale Erzählperspektive gewählt: „[M]an muss was entbehren, man muss sich abschuften, der Mensch kann [...].“ Auf diese Weise minimiert sie die Anstrengungen und entzieht sich den „Entbehrungen“. Sie hält sich Dreck und Ekel vom Leib. Das Leiden an der Arbeit ist in dieser Sequenz ein Allgemeines, etwas Grundsätzliches, das der Mensch nicht ändern kann, das Bestandteil der Arbeit ist. „Das ist nicht angenehm“, sagt Marysia Szarek, „am Lappen zu hängen. Toiletten putzen.“ Andererseits – und dies wird in dieser Sequenz zwei Mal betont – ist die Arbeit ein Mittel zum Zweck: zum Geld verdienen, was gleichbedeutend damit ist, dass man „normal leben“ kann. Im Duktus wissenschaftlicher Neutralität diagnostiziert Marysia Szarek hier den wichtigsten positiven Aspekt der informellen Hausarbeit. Der Körper ist somit das Werkzeug das Normalität ermöglicht. Hausarbeit ist körperlich und psychisch anstrengend und auf Dauer für den Körper schädigend, da es sich um eine repetitive, monotone, vor allem den Rücken belastende Arbeit handelt. Es ist ein Unterschied, ob man den eigenen Haushalt versorgt, das heißt einmal die Woche wischt, staubsaugt etc. oder tagtäglich von früh bis spät von Wohnung zu Wohnung zieht. Marysia Szarek putzte damals täglich fünf verschiedene Wohnungen. Als Ergebnis der sich stets wiederholenden Arbeitsvorgänge berichten die Haushaltsarbeiterinnen von im Laufe der Jahre zunehmenden körperlichen Beeinträchtigungen, insbesondere klagten sie über Kopf- und Rückenschmerzen. 6.3.2 Der eigene Körper im Spiegel des Anderen | Im Gegensatz zur starken Präsenz des Arbeitnehmerinnenkörpers wird der Arbeitgeberinnenkörper in den Erzählungen nicht explizit erwähnt und doch ist er nicht nur in seiner konkreten Materialität in den Gesprächen präsent. Das

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Sprechen der Arbeitgeberinnen über den Körper der Anderen bringt den eigenen Körper quasi ex negativo ins Spiel. Wir sitzen in der geräumigen Küche an einem großen Holztisch. Annette Schmitt hat Kaffee gekocht, sie hält den sieben Wochen alten Jakob auf dem Arm, der ein wenig schreit. Seine Mutter wirkt sehr gelassen und hat ihn schnell beruhigt. Das Baby ist das dritte Kind der Familie. Das Gespräch beginnt mit einer Kritik seitens Frau Schmitt an der Bezeichnung Putzfrau13 für ihre Dorota. „Ich glaube, meine Dorota wäre zu Tode beleidigt.“ (Annette Schmitt) Außerdem sei der Begriff „unzutreffend“, da Dorota Mirkiewicz als „Kindermädchen“ eingestellt wurde und „inzwischen eine Haushaltshilfe plus Kindermädchen ist, oder ich weiß nicht, wie ich das nennen soll“ (Annette Schmitt). Putzfrau jedenfalls, darauf legt Frau Schmitt wert, beschreibe Dorotas Position und ihr weit gefasstes Tätigkeitsfeld unzureichend. Die Suche nach einem adäquaten Begriff beendend, wechselt Annette Schmitt schließlich die Argumentationsebene und führt die körperliche Verfasstheit Dorotas als Ausweis dafür an, dass die Bezeichnung Putzfrau unangemessen sei, man könnte auch sagen, dass die Dinge nicht so sind, wie sie zu sein scheinen. „Sie ist als Putzfrau denkbar ungeeignet, weil sie unter Schuppenflechte leidet, und dass es für sie eigentlich tödlich ist, überhaupt Putzmittel in die Hand zu nehmen[...].“ (Annette Schmitt) „Sie hat ne schlechte körperliche Verfassung [...]. Dann hat sie schon mehrere Bandscheibenvorfälle gehabt, sie ist dick, sie isst viele Süßigkeiten. Sie wird auch langsam dicker, ich find’ aber irgendwie ist sie süß dabei, es muss nicht immer jeder so eine Tanne sein. Aber sie leidet sehr darunter und isst diese Süßigkeiten natürlich im Grunde aus Einsamkeit und Frustration und bräuchte eigentlich dringend einen Mann. So mit jeder Faser ihres Körpers strahlt sie das letztlich auch aus [...]. Dann hat sie Krampfadern, schlimme Krampfadern, auch weil sie schwer ist, ja sie hat einfach furchtbare Komplexe. Darüber sprechen wir natürlich sehr viel, wir sprechen sehr viel auch über ihre Probleme.“ (Annette Schmitt)

Hier wird der Körper der Haushaltsarbeiterin als Träger von äußerlich mehr oder weniger auffälligen negativen Symptomen wie Rückenschmerzen, Schmerzen in der Nackenwirbelsäule, Migräne, Krampfadern, Übergewicht etc. thematisiert. Doch während die Haushaltsarbeiterinnen ihre körperlichen Veränderungen ursächlich mit der Arbeit verbinden, blendet die Arbeitgeberin in dieser Sequenz

13 Den Begriff hatte ich im Zusammenhang mit der Beschreibung meiner Forschung benutzt.

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die Kausalkette möglichst aus. Stattdessen beschreibt sie die „körperlich schlechte Verfassung“ als selbst verschuldet. Süßigkeiten sind ungesund, das weiß doch jeder. Wer sich nicht zurückhalten kann, ist unbeherrscht und infantil, die Haushaltsarbeiterin verwandelt sich hier in ein (süßes) unbeherrschtes Kind. Das Fehlverhalten führt zu Übergewicht und das wiederum zu Krampfadern, so hängt alles mit allem zusammen. Die Ursachen des aus Sicht der Arbeitgeberin zumindest unvernünftigen Verhaltens wiederum sind psychologischer Natur, diagnostiziert Annette Schmitt, die sich – wie sie andeutet – in dieser Beziehung auch als Therapeutin sieht. Detaillierte Beschreibungen der körperlichen Beeinträchtigungen, die von den Arbeitgeberinnen in der Hauptsache auf persönliches Fehlverhalten, mangelnde Disziplin und Ignoranz gegenüber dem hegemonialen Gesundheitsdiskurs zurückgeführt werden, dienen dem Othering, der Konstruktion der Anderen, deren Körper sich elementar von dem eigenen, normativen Körper unterscheidet. Annette Schmitt fasst dies in der Bemerkung zusammen: „Es muss nicht immer jeder so eine Tanne sein.“ Will man allerdings wie Annette Schmitt der Körpernorm der akademischen Mittelschicht in einem westlichen Industrieland entsprechen, gilt es schlank zu sein. Dies bedeutet, im Gegensatz zu Dorota, sich gesundheitsbewusst zu ernähren und diszipliniert zu essen. Für ihre alltägliche Diät bevorzugt die Oberklasse, so beschreibt es Boltanski „‚gesunde‘ und ‚leichte‘ Nahrung, [...] frisches Gemüse, Gegrilltes und ‚Rohkost‘ [...] Lebensmittel, die nähren, ohne ‚dick zu machen‘, denn schließlich wollen sie in Form bleiben, Speck und Zellulitis vermeiden“ (Boltanski 1976, 162f.). Der Körper ist ein Distinktionsmarker, mit dem sich Individuen voneinander abgrenzen. Während die einen sich um ihren Körper sorgen, ihn pflegen, Zeit und Geld investieren, sind die anderen gezwungen, ihn zu vernachlässigen und zu vernutzen. Die Verfasstheit der differierenden Körper markiert die Zugehörigkeit zu unterschiedlichen sozialen und kulturellen Systemen (Rittner 1986). Der Körper ist die „unwiderlegbarste Objektivierung des Klassengeschmacks“, heißt es bei Bourdieu (1988, 307). Die feinen Unterschiede werden in und an den Körpern gemessen. Die Krankheiten und Deformationen des anderen Körpers bilden in den Narrationen der Arbeitgeberinnen die Folie, auf der sich der eigene Körper als normativ weiblicher spiegelt. „Sie leidet unter Schuppenflechte“, „[...] dann hat sie Krampfadern, schlimme Krampfadern, auch weil sie schwer ist.“ (Annette Schmitt) „[...] [S]ie [hat, d. V.] keine Kinder, sie konnte keine Kinder bekommen.“ (Susanne Meyer) „[...] [S]ie [hatte, d. V.] es so furchtbar im Rücken.“ (Julia Thal) Hinter den Erzählungen von der Devianz des Arbeitnehmerinnenkörpers wird der normgerechte eigene Körper sichtbar. Während dieser Körper die wichtigsten Eigenschaften vorweisen kann, die in der postindustriellen Gesell-

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schaft einen attraktiven Frauenkörper charakterisieren (Gesundheit, Fitness, Leistungsfähigkeit), ähnelt die Beschreibung des Arbeitnehmerinnenkörpers einer im mitleidig, herablassenden Ton vorgetragenen Mängelliste. Die Haushaltsarbeit, das Leben im Transit hinterlässt Spuren, auch oder gerade im und am Körper. Die körperlichen Auswirkungen der Hausarbeit haben die Arbeitgeberinnen unabhängig von meiner Gesprächsführung als Thema aufgegriffen, meist im Zusammenhang mit Fragen nach den konkreten Arbeiten, die an die Haushaltsarbeiterinnen delegiert werden. Als ständen im Raum unausgesprochene Vorwürfe, die das Delegieren der Hausarbeit als eine moderne Form der Sklavenarbeit verurteilten, bekunden die Arbeitgeberinnen ihr schlechtes Gewissen, zumindest ihr Unbehagen, so als fühlten sie sich für die körperlichen Beschwerden der Haushaltsarbeiterinnen unmittelbar verantwortlich. Entsprechend selten haben meine Gesprächspartnerinnen den persönlichen Gewinn, den sie aus der Beschäftigung einer Haushaltsarbeiterin erzielen, so deutlich formuliert, wie Susanne Meyer. „Und dann ist natürlich eine Putzhilfe auch super. Wenn ich im Büro sitze, macht sie das Haus und nachmittags haben wir dann einfach frei, die Kinder und ich für das worauf wir Lust haben.“ (Susanne Meyer)

6.3.3 Akkumulieren körperlichen Kapitals | Folgt man dem französischen Soziologen Luc Boltanski in seinen Ausführungen über „die soziale Verwendung des Körpers“, dann haben die Beschreibungen des Körpers der Arbeitnehmerinnen nicht zuletzt die Aufgabe, die Position des erzählenden Subjekts (der Arbeitgeberin) ebenso wie diejenige des erzählten in der sozialen Hierarchie zu markieren (Boltanski 1976, 170). Die Liste der körperlichen Beeinträchtigungen wurde von den Arbeitgeberinnen selten kontextualisiert. Die Zumutungen, denen die Körper der Haushaltsarbeiterinnen zusätzlich ausgesetzt sind, werden ausgeblendet. Keine Rede ist vom Stress, den „das Leben aus der Tasche“ verursacht (Ewa Stolarska), von den Anstrengungen des ständigen Pendelns, der häufigen Arbeits- und Wohnungswechsel und den Einschränkungen, die sich die Arbeitsmigrantinnen auferlegen, u. a. indem sie sich eine Wohnung mit möglichst vielen Kolleginnen teilen, wenig Strom- und Wasser verbrauchen und sich von preiswerten aus Polen mitgebrachten Lebensmitteln ernähren.

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„Sparen. Sparen. Man durfte kein Bad nehmen, nur Duschen, abends saßen wir im Dunkeln und immer wurde gestritten.“ (Barbara Rybka)

Die Organisation und Bedingungen des transnationalen Lebens ihrer Haushaltsarbeiterinnen kennen die Arbeitgeberinnen nur unzureichend. Die häufig prekäre Wohnsituation der Arbeitsmigrantinnen in Berlin etwa ist ihnen zumeist nur vom Hörensagen vertraut. „Sie [hat, d.V.] ein Zimmer, das sie sich mit einer Freundin teilt in einer Wohnung, da scheinen verschiedene Frauen zu sein. Und sie zahlt aber nur an den Tagen, an denen sie hier ist. Das ist sozusagen, wie ein Montagebett. Also sie zahlt nur ihre Matratze oder ihr Bett, wenn sie hier ist. Ich weiß nicht, ob dort dann noch eine andere Frau von Donnerstag bis Samstag schläft.“ (Susanne Meyer)

Ob das Nicht-Wissen dem Desinteresse geschuldet ist oder der Informationsstrategie der polnischen Haushaltsarbeiterinnen, lässt sich anhand des empirischen Materials nicht vollständig nachvollziehen. Allerdings zögern die Haushaltsarbeiterinnen nicht, ihren Arbeitgeberinnen auch von schwierigen privaten Situationen zu erzählen, etwa von Krankheiten der Kinder (Maria Michalska, Agnieszka Tomaszewska), meist in der Hoffnung auf (materielle) Hilfe. Insofern erscheint es wahrscheinlich, dass die Frauen zumindest auf Nachfrage von ihren zum Teil prekären Lebensbedingungen in Berlin berichtet haben. Das NichtWissen steht in jedem Fall im Gegensatz zu der familiären und freundschaftlichen Rhetorik, die in den Erzählungen der Arbeitgeberinnen über weite Strecken dominiert. Dies ist ein weiterer Hinweis darauf, dass die Rede von Freundschaft kaum mehr als ein Hilfsmittel ist, um die Fremde in der Intimität des Haushaltes zu amalgamieren. Wie anstrengend Hausarbeit auch ohne die speziellen Strapazen der transnationalen Lebensweise ist, haben die Arbeitgeberinnen in der Regel schon einmal am eigenen Leib erfahren. „Ich weiß, dass es anstrengend ist, das ist tierisch anstrengend. Das habe ich gesehen, in dem Jahr oder anderthalb in dem ich es selber gemacht habe.“ (Julia Thal)

Die Stellvertreterin für die grobe Arbeit gibt den Arbeitgeberinnen die Chance, den eigenen Körper zu schonen und somit Gesundheit und Attraktivität des Körpers, wenn nicht zu steigern, so doch zumindest zu konservieren. Im Zusammenhang mit den drei zentralen Kapitalsorten (ökonomisches, soziales, symbolisches) spricht Pierre Bourdieu auch von einem „körperlichen Kapital“, u. a. At-

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traktivität, Gesundheit und körperliche Leistungsfähigkeit (Bourdieu 1988). Das körperliche Kapital, das Arbeitgeberinnen mit dem Delegieren der Hausarbeit akkumulieren können, erhöht zunächst einmal die Lebensqualität. Das körperliche Kapital hat jedoch auch einen eigenen Wert, denn es lässt sich häufig in eine andere Kapitalsorte transformieren, etwa sportliches Talent oder Attraktivität in ökonomisches Kapital in Form von Gagen, Jobs oder auch in symbolisches Kapital in Form von Anerkennung, Beachtung (Gugutzer 2004, 66ff.). 6.3.4 Verausgaben körperlichen Kapitals | Ob und in welcher Weise die intensiven Arbeiten im Haushalt die Körper der Frauen nachhaltig schädigen, wird meist erst nach einigen Jahren deutlich. Barbara Rybka erinnert sich noch gut an die Veränderung ihres Körpers und den Schrecken, der damit einherging. Damals, als ihre langen, rot lackierten Fingernägel, „einer nach dem anderen“ abbrachen und ihre Füße so anschwollen, dass sie nicht mehr in ihre roten Stöckelschuhe passten. „Da habe ich bitterlich geweint“, sagt sie und: „Ich wusste, etwas ging da zu Ende.“ Als wir uns zum ersten Mal treffen, arbeitet Frau Rybka bereits seit zwölf Jahren als Haushaltsarbeiterin in Berlin. Sie ist 55 Jahre alt, hat in Polen zunächst Ökonomie studiert und dann viele Jahre in einem Orbis-Reisebüro gearbeitet. Dieser Arbeitsplatz genoss in der Volksrepublik hohes Prestige, nicht zuletzt, weil die staatlichen Reisebüros die zentrale Anlaufstelle für Reisen ins kapitalistische Ausland waren.14 Ihren Aufbruch nach Berlin begründet Barbara Rybka mit dem Bankrott des Uhrengeschäftes ihres Mannes und der eigenen Arbeitslosigkeit, dem wirtschaftlichen Zusammenbruch ihrer Haushaltsökonomie, den sie, wie viele andere Familien im Nachgang des politischen Umbruchs in Polen nach 1989 erlebte. Als Barbara Rybka mit dem Pendeln zwischen Koszalin, dem Wohnort der Familie, und Berlin, ihrem neuen Arbeitsort, begann, war ihre Tochter gerade sechs, der Sohn 19 Jahre alt. Ihr Mann, den sie als einen „ruhigen Alkoholiker“ beschreibt, kümmert sich fortan während der Woche um die Tochter. Am Wochenende fährt sie regelmäßig ins 300 Kilometer entfernte Koszalin. Mit dem Zug oder einem Minitaxi15 über Szczecin dauert die Fahrt jeweils fünf bis sechs Stunden. Inzwi-

14 Als Orbis-Mitarbeiterin hatte man nicht nur selbst die Chance, eine der begehrten Reisen ins kapitalistische (westliche) Ausland für sich zu buchen, sondern auch die Möglichkeit, den Zugang zu Westreisen gegen andere Begünstigungen einzutauschen. 15 Im Kontext der transnationalen Arbeitsmigration zwischen Polen und Deutschland werden Dienstleistungen – in der Regel von polnischen Unternehmer*innen – angeboten, die sich an den speziellen Interessen der Arbeitsmigrant*innen orientieren; insbe-

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schen sind beide Kinder erwachsen und Barbara Rybka hat das wöchentliche Pendeln aufgegeben: „Das macht müde und kaputt.“ Die Abstände seien länger geworden, sagt sie. Im Sommer fahre sie für zwei Wochen „nach Hause“, an Ostern und Weihnachten, manchmal auch noch zwischendurch. Aber noch immer unterstützt sie mit ihrer Arbeit in Berlin Mann und Kinder. Die emotionale Intensität, mit der Barbara Rybka die körperlichen Veränderungen infolge der ungewohnten Arbeit noch Jahre später beschreibt, kennzeichnet diese Erfahrung als eine herausgehobene. Das Abbrechen der Fingernägel, die Sinnlosigkeit, sie weiterhin zu lackieren und die Unmöglichkeit, wie gewohnt die Stadt in Schuhen mit hohen Absätzen zu durchqueren, markierten einen radikalen, unmittelbar körperlich spür- und sichtbaren Bruch mit dem vormaligen Leben. Die Statusänderung von der studierten Ökonomin und Angestellten, die über die Mobilität anderer mitentscheidet, zur Haushaltsarbeiterin bewertet Barbara Rybka nicht nur als eine soziale Degradierung. Die durch die Hausarbeit erzwungene Veränderung der Selbstinszenierung als attraktive Frau empfindet sie darüber hinaus als tiefe Demütigung und persönliche Kränkung. Gleichzeitig beweist sie Selbstbewusstsein und gibt sich kämpferisch. „Soll ich sagen, ich arbeite im Büro? Die wissen das alle. Früher haben alle gesagt: Ich arbeite am PC. Was denn? Abstauben? Wichtig ist doch, man klaut nicht. Ansonsten ist es doch egal, was man macht. Früher machten die Frauen in Polen ein großes Geheimnis daraus; sie hatten Angst wegen der Steuerkarte [...] Jedenfalls war das nichts Angesehenes. Ich werde von den Deutschen nicht als Putzfrau vorgestellt, sondern als Haushaltshilfe. Aber ich sage selbst: Ich bin die Putzfrau.“ (Barbara Rybka)

Es ist deutlich geworden, welche herausragende Bedeutung das Motiv des Körpers in den Erzählungen spielt. Die Arbeitgeberinnen nutzen das Sprechen über den Körper der Haushaltsarbeiterin, das implizit die Differenz zum eigenen Körper markiert, zur Selbstrepräsentation. Durch die Beschreibung des anderen Körpers als von der Norm abweichend, betonen die Arbeitgeberinnen Distanz und Überlegenheit. Die negativ konnotierten Merkmale werden außerdem als Ergebnis individuellen Fehlverhaltens identifiziert. Der falsche Umgang mit dem Körper wird auf Unwissenheit und Mangel an Reflektionsfähigkeit zurückgeführt. Im Mittelpunkt der Erzählungen der Haushaltsarbeiterinnen steht ihr eige-

sondere private Fuhrunternehmen, die mit Kleinbussen die Pendler*innen am Wochenende preiswert nach Hause fahren, auch in abgelegene Dörfer bis vor die Haustür. Ein kostenloses polnisches Anzeigenblatt hilft Neueinsteigerinnen bei der Arbeitsund Wohnungssuche.

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ner Körper, in den sich auf schmerzliche Weise die Arbeit eingeschrieben hat. Die polnischen Haushaltsarbeiterinnen nehmen die Deprivation, die körperlichen Schmerzen, das Sich-selbst-fremd-Werden in Kauf, für ein auskömmliches Leben, das sie mit dem Verdienst finanzieren können. Der Körper der Haushaltsarbeiterin ebenso wie der der Arbeitgeberin weist Merkmale auf, die ihn in jeweils distinkten sozialen Räumen verorten. Über ein anderes Verfahren, um Einund Ausschlüsse zu etablieren, das Signifizieren durch Stereotype, werde ich im folgenden Kapitel sprechen.

6.4 STEREOTYPE | „Die Bilder im Kopf […] einer möglichen Welt, auf die wir uns eingestellt haben. In dieser Welt haben Menschen und Dinge ihren wohlbekannten Platz und verhalten sich so, wie man es erwartet.“ (Lippmann 1964, 71f.)16

Stereotypisierung, schreibt Stuart Hall, „klassifiziert Menschen entsprechend einer Norm und konstruiert die Ausgeschlossenen als ‚anders‘“ (Hall 2004, 145). Das spezifisch Andere der polnischen Haushaltsarbeiterinnen aus der Perspektive der deutschen Arbeitgeberinnen und vice versa stellt sich in den Erzählungen nicht nur als das raum-zeitlich Andere dar, sondern verdichtet sich in Form von Stereotypen und Vorurteilen zu einer wertenden Zuschreibung. Während die Haushaltsarbeiterinnen unter anderem noch immer das Bild vom sich als Herrenmenschen gebärdenden, unsympathischen Deutschen im Stereotypen-Repertoire vorhalten17 („Wenn man Pole ist, dann denken manche Leute, dass man mit

16 Der US-amerikanische Journalist Walter Lippmann hat Anfang der 1920er Jahre die Idee von der rationalen Meinungsbildung des modernen Menschen entlarvt und stattdessen die öffentliche Meinung als Ergebnis von u. a. unzulässiger Verallgemeinerung, Komplexitätsreduktion, selektiver und emotionaler Wahrnehmung aufgedeckt (Lippmann 1964). 17 Nach einer Studie des Germanistischen Instituts der Warschauer Universität von 1996 gilt noch immer niemiecki porządek/deutsche Ordnung als zentrale Eigenschaft der Nachbarn. Des Weiteren prägen nach wie vor Sekundärtugenden wie Sauberkeit, Disziplin, Genauigkeit, Fleiß, Pünktlichkeit das Bild des Deutschen (Sekulski 1998, 169f.). Das „Deutsch-polnische Barometer“ ist ein Projekt der Konrad-AdenauerStiftung und der Bertelsmann-Stiftung und führt regelmäßig Umfragen zu den wechselseitigen Bildern von Polen und Deutschen durch und listet u. a. Attribute, wie „arrogant, Schlauköpfe, unfreundlich, unehrlich, Schwindler, unverschämt“, als Charak-

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so einem Polen alles machen kann.“ – Marysia Szarek) und sogar die ewige Feindschaft zwischen Deutschen und Polen aus der Zeit der Adelsrepublik („Póki świat światem, nie będzie nigdy Niemiec Polakowi bratem.“ – Anett Kamińska)18 beschwören, war bei den Arbeitgeberinnen das Stereotyp der „polnischen Wirtschaft“ mit den Implikationen der Unordentlichkeit, der Unzuverlässigkeit, des Chaos ebenso wie das Vorurteil „alle Polen klauen“ präsent: „Die Polen klauen Autos. [...] Also das Klischee ist, glaub’ ich, auch nicht nur ein Klischee.“ (Annette Schmitt) Von den Stereotypen in den Köpfen der Deutschen ist das von den (Autos) klauenden Polen seit den 1990er Jahren das populärste und wirkmächtigste. Diese negative Bestandsaufnahme erschien – zumindest aus westdeutscher Sicht – umso überraschender, da hier seit den 1970er Jahren ein überaus positives Bild von den Pol*innen als tapfere Widerstandskämpfer*innen gegen den Sozialismus dominierte. Dies äußerte sich u. a. in vielen Hilfsaktionen, mit denen die Gewerkschaftsbewegung Solidarność unterstützt wurde, bis hin zur Aufnahmebereitschaft für Asyl suchende Pol*innen nach der Ausrufung des Kriegszustands 1981. Im Gegensatz dazu befürwortete die Bevölkerung in der DDR mehrheitlich das Einreiseverbot der Nachbarn im Rahmen des Kriegszustandes, hatten doch die Besuche der Polen das eingeschränkte Warengebot zusätzlich verknappt (Urban 2009).19 Die Welle der Polenwitze20 und die Popularität der Negativstereotype in den 1990er Jahren ist somit ein gesamtdeutsches Phänomen. Auch wenn das Stereotyp von den stehlenden Polen mittlerweile nicht mehr die Berichterstattung über das Nachbarland beherrscht, so scheint doch ge-

tereigenschaften, die Pol*innen mit Deutschen assoziierten. Umgekehrt nannten deutsche Befragte als polnische Charaktereigenschaften u. a. „modern, Freundlichkeit, Gastfreundschaft, gesellig, faul, unehrlich, Nationalstolz“ (Łada 2016). 18 „Solange die Welt besteht, wird der Deutsche dem Polen kein Bruder sein.“ (Dąbrowska 1999, 30) Die so genannte Adelsrepublik (1. Rzeczpospolita) existierte von 15691795. 19 Von Januar 1972 bis Oktober 1980 galt ein Abkommen zwischen der DDR und Polen, das ihren Bürger*innen den Reiseverkehr zwischen den Nachbarländern ohne Visa ermöglichte. 20 Herausragend in diesem Kontext war die SAT1-Late-Night-Show von Harald Schmidt, mit dem der populäre Entertainer 1995 auf Sendung ging. Fester Bestandteil der Sendung war der „tägliche Polenwitz“. Nach Protesten in deutschen Medien und einem Besuch in Polen auf Einladung des damaligen polnischen Botschafters Andrzej Byrt stellte Schmidt 1997 die diskriminierenden Äußerungen ein.

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rade dieses Stereotyp ebenso wie das von der polnischen Wirtschaft im kollektiven Bewusstsein der Deutschen fest verankert und jederzeit abrufbereit. Die Erzählungen meiner Gesprächspartnerinnen bestätigen die scheinbar ungebrochene Aktualität dieses vorurteilsbeladenen Diskurses. Stereotype und Vorurteile über den Nachbarn begleiten den jeweiligen Alltagsdiskurs wie ein untergründiges Rauschen, das mal lauter, mal leiser zu vernehmen ist. Dies bedeutet jedoch nicht, dass allein negative Fremdzuschreibungen die alltäglichen deutsch-polnischen Begegnungen am Arbeitsplatz Haushalt leiten. Im Gegenteil wird, wie ich zeigen werde, zwischen der Gruppe und den Individuen unterschieden. Das Nebeneinander sich widersprechender Zuschreibungen ist dabei zu beobachten. Im Folgenden werde ich zunächst einige theoretische Überlegungen der Stereotypenforschung darlegen, die meinen ethnografischen Beschreibungen zugrunde liegen. Dabei konzentriere ich mich auf zwei Aspekte: die Bedeutung von Stereotypen in ihrer Funktion der Selbst- und Fremdpositionierung (Kapitel 6.4.1) sowie die potenzielle Unsterblichkeit von Stereotypen (Kapitel 6.4.2). Anschließend nehme ich aus den Erzählungen der Arbeitgeberinnen das Stereotyp vom stehlenden Polen auf, um die damit verbundenen Praktiken der Distanzierung und Differenzierung nachzuvollziehen. Als weiteren Effekt negativer Fremdzuschreibung thematisiere ich außerdem das Paradoxon von der Vertrauten in der Rolle der notorischen Diebin. In einem zweiten Schritt wende ich mich den Erzählungen der Arbeitnehmerinnen über die Deutschen zu (Kapitel 6.4.3). Abschließend greife ich die Strategie der Arbeitgeberinnen auf, die Stereotypen zu vergeschlechtlichen (Kapitel 6.4.4). 6.4.1 Heterostereotyp und Autostereotyp | Im Fokus der kulturanthropologischen und ethnologischen Stereotypenforschung stehen Genese, Ausdruck und Funktion von Fremd- und Eigenbildern, wobei die ersteren in der Regel negativ konnotiert sind, während letztere sich vor der Folie der negativen Fremdbilder positiv abheben (Sekulski 1998). In der Stereotypieforschung dominieren heute Fragen nach der Entstehungsgeschichte und den Gründen für die Wirksamkeit von Stereotypen. Gefragt wird: Wem nutzen welche Stereotype? Welchen ökonomischen und politischen Interessen dienen sie? (Klein 1998) „Die Einsicht in die Falschheit, in den Schein der Stereotypen wurde weitergetrieben zur Frage nach der gesellschaftlichen Notwendigkeit dieses Scheins.“ (Klein 1998, 15) Stereotype vereinfachen die Wahrnehmung von Wirklichkeit, indem sie deren Komplexität reduzieren. Hierzu wirken sie wie Filter, die das Bild der Welt

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von Grautönen, Undeutlichkeit und Unübersichtlichkeit reinigen und in ein Bild mit klar voneinander abgegrenzten Farbsegmenten, ordentlichen Konturen und Anordnungen verwandeln. Stereotype mit ihren groben Zuschreibungen modifizieren Ambivalenzen zugunsten von Eindeutigkeit und helfen bei der Orientierung im alltäglichen Leben. Stereotype halten der Unordnung eine Ordnung entgegen, „hinter ihren Verteidigungsanlagen können wir uns weiterhin in der von uns gehaltenen Stellung sicher fühlen“ (Lippmann 1964, 72). „Um die Welt zu durchwandern“, schreibt Lippmann, „müssen die Menschen von dieser Welt Karten haben“ (Lippmann 1964, 18). Stereotype sind wichtige Elemente solcher Karten, mit denen Menschen, aber auch Städte, Landschaften und Lebenswelten eingeordnet und bewertet werden. Am häufigsten werden verallgemeinernde und in der Regel wertende Aussagen auf Gruppen von Menschen angewandt, die ethnisch, sozial oder auch politisch als Andere definiert werden. Diesen Gruppen werden bestimmte Eigenschaften, Fähigkeiten, Verhaltensweisen zugeschrieben, die eine klare Unterscheidung zwischen dem Eigenen und dem Anderen ermöglichen. Der Andere in der Variante des Fremden kann sich schnell in einen Feind verwandeln, den es mit allen Mitteln zu bekämpfen gilt (Hahn/Hahn 2002). In der Stereotypenforschung ist die Rede von der „wechselseitigen Bedingtheit von Autostereotyp und Heterostereotyp“ (ebd. 2002, 31). Steht z. B. die Metapher von der „polnischen Wirtschaft“ aus deutscher Perspektive für Chaos und Unordnung, so impliziert dies gleichzeitig, dass es in Deutschland geordnet zugeht (ebd.). Das Heterostereotyp stärkt das Zusammengehörigkeitsgefühl der eigenen Gruppe, das Selbstbild einer Gruppe (Autostereotyp), indem es bezeichnet, was sie nicht ist. Der Prozess der Abgrenzung nach außen und der Homogenisierung nach innen durch Zuschreibungen, die sich im Modus der Allgemeingültigkeit bewegen, ordnet die Welt im Interesse der Macht in Wir und die Anderen (Quasthoff 1998). Die Wir-Gruppe ebenso wie die Gruppe der Anderen sind soziale Konstruktionen „imaginierter Gemeinschaften“21 (Anderson 1983), die je nach Bedarf Differenzen und/oder Gemeinsamkeiten betonen bzw. ignorieren und erst durch diese Formen der Wahrnehmung Differenzen erzeugen.

21 Den Begriff der Imagined Communities hat Benedict Anderson in seinem Aufsatz Reflections on the Origin and Spread of Nationalism geprägt. Er bezeichnet damit Nation/Nationalität als „cultural artefacts of a particular kind. [...] It is imagined because the members of even the smallest nation will never know most of their fellowmembers, meet them, or even hear of them, yet in the minds of each lives the image of their communion.“ (Anderson 1983, 48f.)

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6.4.2 Das Stereotyp der longue durée | Die Anordnung von Gruppen – wir und die Anderen – sind, wie der polnische Historiker Hubert Orłowski am Beispiel des Stereotyps „polnische Wirtschaft“ darlegt, oft von langer Dauer. Walter Lippmann nennt dies die „Unmengen leeren Geschwätzes über Kollektivhaltungen, Volksseelen und Rassenpsychologie“ (Lippmann 1964, 70), welche durch konsequentes Beharren über Generationen hinweg den Status ‚natürlicher‘ Eigenschaften erhalten können (Orłowski 2004). So finden etwa die alltäglichen Begegnungen von Deutschen und Polen im Kontext eines informellen Hausarbeitsverhältnisses in einem Raum statt, der angefüllt ist mit Vorstellungen und Vorurteil über die Anderen. Obgleich sich solche Vorstellungen im konkreten Aufeinandertreffen als widersprüchlich oder auch schlicht als falsch erweisen, verlieren sie dennoch nichts von ihrem Wahrheitsgehalt. Stereotype sind gegen Falsifizierung immun (Hahn/Hahn 2002, 25). Von Deutschland aus gesehen, stimmt zwar die kollektive Zuschreibung, alle Polen sind katholisch, insoweit, dass das Nachbarland mit 92 Prozent bekennender Katholiken die Weltrangliste anführt. Allerdings ist mittlerweile auch von einem Rückgang der Religiosität die Rede und der enge Zusammenschluss zwischen nationalkonservativer Regierung und Amtskirche wird zusehend kritisiert (Opielka 2016).22 Umgekehrt scheinen die hackenschlagenden, blonden und blauäugigen Deutschen als Witzfiguren im polnischen Alltag unverwüstlich (Urban 2009). Im Zusammenhang mit dem Stereotyp „polnische Wirtschaft“ spricht Orłowski in Anlehnung an den französischen Historiker Fernand Braudel von einem Stereotyp der „longue durée“23, einer quasi nicht vergehenden Zuschreibung alles Polnischen als chaotisch, unordentlich, anarchisch und wirtschaftlich ineffizient. Dieses seit mehr als 200 Jahren im deutschen Polendiskurs dominierende Stereotyp macht auf anschauliche Weise deutlich, wie unzugänglich sich Stereotype gegenüber jedweder Aufklärung zeigen und wie notwendig sie zur Distinktion nach außen und einem homogenisierenden Wir-Gefühl nach innen sind (Orłowski 2004).

22 Im Oktober 2016 kam es zu landesweiten Protesten gegen ein Gesetz, mit dem die Regierung im Schulterschluss mit der Amtskirche ein nahezu vollständiges Verbot von Abtreibungen durchsetzen wollte. Angesichts des starken Widerstands ließ die regierende PiS-Partei jedoch das Gesetzesvorhaben gegen den Willen der Kirche fallen (Zeit Online; AFP; ft 2016). 23 Der Terminus aus der Geschichtswissenschaft betont die zeitliche Dimension von politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen (Braudel 1977).

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Folgt man dem Soziologen Harald Welzer, so werden solche über einen langen Zeitraum bestehende und sich scheinbar immer wieder neu bestätigende Stereotype und Vorurteile vor allem durch das implizite, dem Bewusstsein nicht zugängliche Gedächtnis tradiert (Welzer 2011).24 Implizite Erinnerungen sind das Ergebnis habitualisierter Praktiken und Routinen, die unbewusst aufgenommen werden und schon „von frühkindlichen Entwicklungsphasen an prägend für die Weltwahrnehmung sind“ (Welzer 2011, 29). 6.4.3 Alte Stereotype und neue Erfahrungen | Das Negativ-Stereotyp des kriminellen Polens ist in Deutschland weit verbreitet und hat eine lange Geschichte. Das Bild des polnischen Kriminellen haben die Nationalsozialisten geprägt. Die Traditionslinie dieses „Rassedünkels“ (Benz, 1992, 420) ist jedoch ungebrochen und reicht von der unmittelbaren Nachkriegszeit bis in die Gegenwart. Nach 1945 waren es die polnischen Displaced Persons (DPs), die vielfach von Deutschen für Diebstähle und Plünderungen auch ohne Beweise verantwortlich gemacht wurden (ebd., 419). In der politischen Umbruchszeit Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre waren es die polnischen Händler*innen in West-Berlin, die zum Anlass genommen wurden, alte Vorurteile zu aktualisieren. „Mäntel, Wurst und Vorurteile“ (Weirauch 2009) heißt es in einem Artikel der taz, der an den damaligen (illegalen) Polenmarkt erinnert. Von Hunderttausenden polnischen Touristen in West-Berlin pro Woche sprachen Politiker und warnten vor unhaltbaren hygienischen Zuständen, Schwarzhandel und Kriminalität (Rada, o. J.). Damals hatten die Warschauer Behörden ihren Bürger*innen das Reisen erlaubt. West-Berlin wurde zum Hotspot der polnischen Touristen. Die kapitalistische Enklave im Sozialismus war die einzige westliche Stadt, die kein Visum von den östlichen Nachbarn verlangte. Diese Gelegenheit nutzten Tausende Pol*innen und reisten nach Berlin, um Handel zu treiben mit allem, was in die großen bunt karierten Plastiktaschen passte. Den Gewinn garantierte das Wohlstandsgefälle zwischen Ost und West. Die taz rechnet vor: „Wenn man in Berlin 20 T-Shirts für zwei Mark (ca. ein

24 Die interdisziplinäre Gedächtnisforschung unterscheidet zwischen implizitem und explizitem Gedächtnis. Letzteres wird wiederum in ein semantisches und episodisches Gedächtnis getrennt. Als semantisches Gedächtnis gilt erworbenes Wissen, lexikalisches oder auch Suchmaschinenwissen. Im Gegensatz zu diesem kontextfreien Gedächtnis bedarf das episodische der Zusammenhänge, d. h. des semantischen Gedächtnisses, um erinnerte lebensgeschichtliche Episoden zu strukturieren und zu einer Narration zu formen (Welzer 2011; Nünning 2010).

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Euro) das Stück verkaufte, (die in Polen umgerechnet fünf Pfennig kosteten), hatte man einen Monatsverdienst in Polen zusammen.“ (Weirauch 2009) Die negative Bilanz lautet: „Beschlagnahmungen von Hab und Gut, Misshandlungen und vor allem jede Menge Vorurteile seitens der Behörden.“ (Ebd.)25 „Polen klauen Autos“ Die Sottise „Kaum gestohlen, schon in Polen“ wird nicht nur an deutschen Stammtischen gerne zum Besten gegeben, sie ist auch in der Mittelschicht als selbstironischer Beitrag zum Thema polnische Haushaltsarbeiterin beliebt. „[...] [D]ie Polen klauen Autos. Das Stereotyp, hm, aber da kann man auch sehr witzig mit ihren Brüdern26, die hier auch alle teilweise schwarzarbeiten mal für ein paar Monate, [sie] kommen dann auch alle hier vorbei, da kann man schon seine Scherze machen. Die geben ja zu, dass es so ist. (lacht) Also das Klischee ist, glaub’ ich, auch nicht nur ein Klischee.“ (Annette Schmitt)

In Annette Schmitts Erzählung verwandelt sich die gediegene Altbauwohnung in einem bürgerlichen Berliner Bezirk für einen Augenblick in einen Treffpunkt von Schwarzarbeitern und potenziellen Autodieben. Hier an diesem großen Tisch in der Wohnküche hat sie mit den Brüdern gesessen, mit ihnen gescherzt und gelacht. Am selben Tisch, an dem wir sitzen, Kaffee trinken und uns unterhalten, hatten die polnischen Gäste die kollektive negative Zuschreibung (alle Polen sind potenzielle Diebe) autorisiert: „Die geben ja zu, dass es so ist.“ Annette Schmitt bezieht sich explizit auf ein Stereotyp, in dem Wissen darum, dass es sich um eine kritisch zu hinterfragende Aussage handelt, eine Behauptung, die man zumindest im Rahmen eines politisch korrekten Diskurses nicht einfach als wahr definieren kann. Sie positioniert sich als kritische Alltagsbeobachterin, die nicht ein Klischee einfach übernimmt, sondern versucht, sich eine eigene Meinung zu bilden und dazu Informationen und Quellen nutzt wie eine seriöse Journalistin (Kern 1998). Das Ergebnis ihrer Recherche, die sich auf die Aussage von Betroffenen (der Brüder) konzentriert, das heißt auf besonders gute und glaubhafte Quellen, bestätigt das Vorurteil, rückt das Vorurteil aus der Grauzone der Glaubenssätze und unbewiesener Behauptungen in die Welt der Fakten und Tatsachen. Das Stereotyp hat sich durch die Aussagen aus erster Hand in eine (scheinbar) sachliche Information verwandelt. Das Ziel dieser Beweisführung ist

25 Siehe hierzu auch Kapitel 2.2. 26 Hier sind die Brüder der Haushaltsarbeiterin Dorota Mirkiewicz gemeint.

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die – wie Friederike Kern es nennt – „Reformulierung des Stereotyps [...] im Sinne von quod erat demonstrandum“ (Kern 1998, 102). In der oben aufgeführten Sequenz konstruiert Frau Schmitt mit dem Satz, „die Polen klauen Autos“, ein Wir, das gemeinsame Wertevorstellungen und Wissensbestände impliziert. Die Polen, das sind die Anderen, das heißt nicht nur Dorota Mirkiewiczs Brüder, sondern potenziell alle Polen ohne Ausnahme. Einschränkungen, etwa durch Quantifizierung im Sinne von einige, manche, durch temporale Begrenzung wie manchmal oder auch lokale Zuordnung an manchen Orten tauchen nicht auf. Ebenso wenig werden kausale Zusammenhänge in Betracht gezogen: Sie klauen, weil sie arm sind, sozial benachteiligt sind etc. Stattdessen erscheint das kriminelle Verhalten des Klauens als kontextfreie, quasi natürliche Eigenschaft von Pol*innen (Kern 1998; Quasthoff 1998). Kern spricht in diesem Zusammenhang von „apodiktischer Generalisierung“ (Kern 1998, 103). Allerdings ist das Vorurteil „die stehlen“ keineswegs exklusiv der Gruppe der Pol*innen vorbehalten. Notorisch kriminelles, gesetzwidriges Verhalten als typische Eigenschaft wird auch anderen Gruppen zugeschrieben. Im europäischen Kontext sind insbesondere Sinti und Roma von dieser negativen, diskriminierenden Stereotypisierung betroffen (Quasthoff 1998). Meine Vertraute, die Diebin Dass deutsche Arbeitgeberinnen polnischen Haushaltsarbeiterinnen, also Mitgliedern einer als Diebe inkriminierten Gruppe, ungehinderten Zugang zu den eigenen Wohnungen gewähren und ihnen häufig sogar die Wohnungsschlüssel aushändigen, erscheint angesichts der stereotypen Charakterisierungen paradox: meine Vertraute – die notorische Diebin. Die Schwierigkeit, die dieses Paradoxon im Alltag impliziert, wird in den deutsch-polnischen Hausarbeitsbeziehungen dadurch aufgelöst, dass die negative Zuschreibung für die Dauer des Arbeitsverhältnisses suspendiert wird. Dies geschieht durch die Konstruktion eines verwandtschaftlichen (schwesterlichen) Verhältnisses (siehe Kapitel 6.1.2) sowie durch Individualisierung der Haushaltsarbeiterin und damit den Ausschluss aus der Anonymität der Gruppe. Im Haushalt treffen die Arbeitgeberinnen auf einzelne Personen mit spezifischen Eigenschaften und Fähigkeiten, mit persönlichen Geschichten, die seit Beginn des Arbeitsverhältnisses häufig auch mit der Geschichte der Arbeitgeberin verbunden sind. Auf diese Weise wird das von den stereotypen Mustern abweichende Verhalten der Haushaltsarbeiterinnen, eine Conditio sine qua non für das Arbeitsverhältnis, als Ausnahme von der Regel konstruiert. Dem Typischen wird das Untypische gegenübergestellt; die Validität von Stereotypen sowie deren „Modus der universellen Gültigkeit“ (Kern 1998, 106) werden nicht in Frage gestellt. Ausnahmen bleiben Ausnah-

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men. Sie haben keine Chance in das Bedeutungsgeflecht herrschender Stereotypen einzudringen und diese zu verändern, im Gegenteil: Ausnahmen bestätigen die Regel. Abweichungen, Besonderheiten werden nicht in den Modus der Selbstverständlichkeit aufgenommen, da sie sich der Systematisierung und Kategorisierung entziehen und somit dem Bestreben widersetzen, die Komplexität der Realität zu reduzieren (Lippmann 1964; Kern 1998). Dorota Mirkiewicz, seit neun Jahren Haushaltsarbeiterin und Kinderbetreuerin bei den Schmitts, studiert zum Zeitpunkt des Gespräches vormittags an einer Berliner Universität, nachmittags arbeitet sie bei den Schmitts. Auf die Frage, was Dorota Mirkiewicz studiere, antwortet Annette Schmitt ausführlich. „Deutsch für Ausländer, das machen sehr viele Polen. Sie hat auch viele polnische Freunde. Sie heißt auch – wie ganz viele Polen – Dorota. Sie erzählt immer von Freundinnen, die auch alle Dorota heißen. Und dann studiert sie noch Geschichte. Deutsch-polnische Geschichte. [...], sie konnte so ein bisschen Deutsch, lernen die ja, glaube ich, auf der Schule. Und dann war sie Au-pair-Mädchen ein Jahr und ging da auch richtig zur Sprachenschule. Und als ich sie kennenlernte, konnte sie schon relativ gut Deutsch. [Pause] Also, es ist natürlich nicht fehlerfrei. [...] Ich helf’ ihr auch manchmal bei ihren Arbeiten. Aber sie versteht alles, ich meine, sie spricht schon gut, gut Deutsch.“ (Annette Schmitt) „Und [...]“ (UFM) „[unterbricht] ... [U]nd hat aber lustigerweise hier ausschließlich polnische Freunde. Das mischt sich ja dann doch nicht, offensichtlich. Sie hat überhaupt keine deutsche Freundin oder Freund.“ (Annette Schmitt)

Die Sequenz liest sich wie eine Beweisführung für die Aussichtslosigkeit, das enge Gehäuse einer zugeschriebenen kulturellen und nationalen Identität verlassen zu können, und die Mitgliedschaft in einem exklusiven Kulturklub, wenn schon nicht aufgeben, so doch über die Grenzen hinweg erweitern zu können (Keller 2005). Die kulturalistische Argumentation der Arbeitgeberin gleicht einer Herzstromkurve, die regelmäßig nach oben und unten ausschlägt. Jedes Bemühen der polnischen Akteurin, den ihr zugeschriebenen kulturellen Container zu verlassen, wird sofort relativiert oder als typisch polnisch diskreditiert. So studiert Dorota Mirkiewicz zwar Deutsch, aber es handelt sich dabei um eine spezifische Variante „Deutsch für Ausländer“, das „sehr viele Polen“ studieren. Auch der Name Dorota verweist auf Polen, ebenso die Herkunft ihrer Freunde. Das Geschichtsstudium wird mit einer Konjunktion beiläufig ergänzt und im Nachsatz eingeschränkt zu einem Studium der deutsch-polnischen Geschichte. Andererseits betont Annette Schmitt den richtigen im Sinne von ernsthaften Besuch einer Sprachenschule ausdrücklich. Das klingt zunächst nach Anerkennung,

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allerdings wird auch hier das Außergewöhnliche betont, die Abweichung von der Norm (die meisten tun ja nur so als ob). Dorota Mirkiewiczs Bemühungen, die Sprache zu erlernen, waren erfolgreich, denn „als ich sie kennenlernte, konnte sie schon relativ gut Deutsch [...]. Also es ist natürlich nicht fehlerfrei.“ Die Sprache bleibt Dorota fremd, trotz aller Bemühungen, jeder erkennt, dass sie nicht dazugehört. So bleibt der Arbeitgeberin ein Überschuss an kulturellem Kapital, an Überlegenheit und Macht. Sie kann (und muss) Dorota „bei ihren Arbeiten helfen“. Freilich ist diese machtvolle Position – wie Anette Schmitt im nächsten Satz einräumt – nur scheinbar machtvoll: Dorota „versteht alles, ich meine, sie spricht schon gut, gut Deutsch.“ Demnach ist ihre Hilfe überflüssig. Als wäre sie gekränkt von dieser Einsicht, fügt Annette Schmitt hastig, der Interviewerin ins Wort fallend, hinzu: „[...] [U]nd hat aber lustigerweise hier ausschließlich polnische Freunde. Das mischt sich ja dann doch nicht, offensichtlich.“ Die Sprachkenntnisse, die Unabhängigkeit nutzen Dorota gar nichts, resümiert Annette Schmitt. Im Ergebnis sind die Seminararbeiten „teilweise n’bisschen dünn, aber es wird irgendwie immer akzeptiert.“ Andererseits relativiert sie auch hier wieder ihre eigene Kritik: „[...] [S]ie muss es ja auf Deutsch machen, das ist natürlich auch schwierig.“ Als Ergebnis des abwägenden Hin-und-Her erklärt Annette Schmitt den transnationalen Lebensentwurf ihrer polnischen Haushaltsarbeiterin, den Versuch, sich in verschiedenen geografischen Räumen, Sprachen und sozialen Positionen gleichzeitig zu bewegen, als gescheitert. Mit dem eher ungewöhnlichen Modaladverb „lustigerweise“ – mit den Bedeutungen erstaunlich, eigenartig, merkwürdig – beschreibt Annette Schmitt das scheinbar ontologische Gesetz sozialer Segregation. „Lustigerweise“ deutet in der Haltung der Sprecherin auf Erleichterung hin, auf Beruhigung darüber, dass die alte Ordnung, die Segregation zwischen Arbeitgeberin und Arbeitnehmerin, zwischen Polen und Deutschen, doch noch Bestand hat und die Stereotype ihren inneren Kern der Wahrhaftigkeit nicht gänzlich verspielt haben. Fatalismus der Feindschaft Keine meiner polnischen Gesprächspartnerinnen hatte engere Beziehungen zu Deutschen geknüpft, selbst nach vielen Jahren der regelmäßigen, auch über längere Zeiträume währenden Aufenthalte in Berlin. Joanna Patla lebt seit 1988 mit ihrem Mann und ihren inzwischen erwachsenen Kindern überwiegend in Berlin. Seit Anfang der 1990er arbeitet sie, wie sie es nennt, als Haushaltshilfe. Ihr Mann hat eine feste Anstellung. Zum Zeitpunkt unseres Gespräches hat sie gerade begonnen, ihren Lebensmittelpunkt zurück nach Polen zu verlegen. Auf die Frage, ob sie deutsche Bekannte, Freunde habe, sagte sie:

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„Eigentlich nicht. Na ja, man spricht hier ab und zu mit Nachbarn, aber auch nicht so oft. Weil die eigentlich nicht so offen sind. Also, es gab keine Möglichkeit, deutsche Freunde zu finden. Durch meine Arbeit auch.“ (Joanna Patla)

Anett Kamińska bestätigt die Kontaktlosigkeit, mehr noch betont sie eine unüberbrückbare Feindschaft. Auf die Frage, ob sich ihr Bild von den Deutschen durch das Arbeiten und zumindest zeitweise Wohnen in Berlin verändert habe, antwortet sie mit einer Grundsatzrede das deutsch-polnische Verhältnis betreffend. „Deutsche und Polen sind zu unterschiedlich, haben eine ganz andere Mentalität. Mich interessiert nicht, was Deutsche machen. Wir passen nicht zusammen. [...] Wir Polen sind für Deutsche immer so klein (zwischen Daumen und Zeigefinger, die sie nahe zusammenbringt, bleibt nur ein winziger Spalt offen), wir bleiben so. Das ist meine Meinung und ich ändere diese Meinung nie. Ich weiß, dass dies nicht für alle zutrifft, weil nicht jeder Mensch gleich ist, aber für viele sind wir Polen einfach gar nichts. Egal was wir machen, wir sind klein und bleiben klein. Das ist meine Meinung.“ (Anett Kamińska)

Der Deutsche als negatives Stereotyp ist in Polen ebenso präsent, wie der Pole in Deutschland. Die Vorurteile hatten Jahrhunderte Zeit, sich in den Köpfen der Nachbarn festzusetzen und in einer Haltung zu überdauern, die der polnische Publizist und einer der Wegbereiter der deutsch-polnischen Versöhnung Stanisław Stomma als „Fatalismus der Feindschaft“ beschreibt. Dies fiel umso leichter, da die für Polen besonders schmerzliche Geschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die Eroberung und Zerstörung des Landes sowie die systematische Vernichtung von Millionen Polen durch die Nationalsozialisten in den familiären Erzählungen bis heute sehr präsent sind. Eine persönlich schwierige Situation dient hier Anett Kamińska als Anlass für eine Verallgemeinerung, die sie, obwohl sie die unzulässige Verallgemeinerung dieser Äußerung selbst benennt, trotzdem aufrechterhält. Ihre Sicht der Dinge trägt Anett Kamińska mit großem Pathos vor, gerade so als müsse sie ihre Sätze in Stein meißeln, unauslöschlich, auf ewig gültig. Sicher war ein Großteil der anklingenden Unversöhnlichkeit und unüberbrückbaren Differenz einem Konflikt mit dem Arbeitsamt geschuldet,27 aber bemerkenswert bleibt dennoch, die Interpretation des deutschen Blicks auf die Polen als Wahrnehmung einer unveränderlichen Asymmetrie, deren Ursache von Anett Kamińska auf ein Stereotyp, wie das von den sich überlegen fühlenden Deutschen reduziert wird. Die

27 Siehe hierzu Kapitel 4.3.

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sozialen und ökonomischen Ungleichheiten zwischen den Nachbarn bleiben unerwähnt, stattdessen wird die Differenz zwischen Polen und Deutschen, wie schon zuvor in den Ausführungen Annette Schmitts, anhand von typischen Eigenschaften und Verhaltensweisen essentialisiert. Nach einer langen Sequenz, in der Anett Kamińska ihre So-geworden-SeinGeschichte erzählt, eine Geschichte von zerstörten Hoffnungen und neuen Träumen, kommt sie noch einmal auf das Verhältnis von Deutschen und Pol*innen zurück, dieses Mal nicht im Stil einer Grundsatzrede, vielmehr beschreibt sie sachlich ihre subjektive Position als eine Ausnahme von der zuvor ausgeführten Regel. „[...] [I]n meinem Fall ist es anders. Ich fühle mich absolut nicht klein [...]. Die Leute, mit denen ich Kontakt habe, da wo ich arbeite, das sind alle irgendwie so Freunde und die zeigen mir nicht: Du kommst aus Polen.“ (Anett Kamińska)

Vor dem Hintergrund eines diskriminierenden Polendiskurses entwirft Anett Kamińska sich als selbstbewusstes Subjekt. Sie hat nichts gemein mit jenen Pol*innen, die sich dem diskriminierenden Diskurs unterordnen, sich nicht wehren und klein fühlen. Ihre Selbstrepräsentation ist kämpferisch. Sie weigert sich, eine subalterne Position einzunehmen, stattdessen konstruiert sie sich und ihre Arbeitgeberinnen auf Augenhöhe, irgendwie als Freunde. Eine Eigenschaft von Freunden ist hier, dass sie nicht darauf hinweisen, dass jemand aus Polen kommt. Die Arbeitgeberinnen markieren sie nicht als Andere, nicht als Polin und somit ist sie auch vor den darin implizierten stereotypisierenden Zuschreibungen gefeit. Ein paar Minuten später endet unser Gespräch mit dem Bekenntnis: „Also ich komme aus Polen und ich bin Pole und ich bleibe Pole, egal was passiert.“ (Anett Kamińska)

Auf die negativen stereotypen Zuschreibungen antwortet Anett Kamińska mit einer Art negativer Affirmation. Ganz gleich, was die Anderen an Vorurteilen gegen Polen internalisiert haben, was Polen und Deutsche trennt oder auch verbindet, Anett Kamińska ist Polin. Das Bekenntnis zur (nationalen) Identität steht in unmittelbarem Zusammenhang mit den erfahrenen Verletzungen und Erniedrigungen, von denen sie zuvor erzählt hat. Ob es sich dabei um institutionelle Diskriminierung handelt, wie auf dem Arbeitsamt, oder um die schlechte Behandlung auf ihrer ersten Arbeitsstelle, Anett Kamińska kontert mit einer Aufwertung des Nationalen und damit implizit mit einer Betonung der Differenz zu den Deutschen. Das freundschaftliche Verhältnis, von dem gerade noch die Rede

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war – Anett Kamińskas Arbeitgeberin Marlene Hartmann hatte das Verhältnis sogar als „familiär“ beschrieben –, hat scheinbar keine Bedeutung außerhalb der Abgeschlossenheit des privaten Haushaltes. Die emotionale Nähe ist das Schmiermittel, um das Arbeitsverhältnis zu ermöglichen. Außerhalb dieses Kontextes ist sie ohne Relevanz. 6.4.4 Stereotyp und Geschlecht: „fleißige Lieschen“ und „kleine Schweine“ | Aus dem Bedeutungsfeld negativ konnotierter Stereotypen insbesondere jener, die Ehrlichkeit, Fleiß, Verlässlichkeit und Sauberkeit von Pol*innen infrage stellen, müssen die Arbeitgeberinnen die polnischen Haushaltsarbeiterinnen für die Dauer des Arbeitsverhältnisses ausnehmen. Dies geschieht, wie oben beschrieben, zunächst durch die Praxis der Individualisierung: Die konkrete Haushaltsarbeiterin wird als Ausnahme konzeptualisiert. Die Ausnahmeregelung kann jedoch auch unproblematisch auf alle polnischen Frauen ausgedehnt werden. Dann bleiben für die Verifizierung diskriminierender Vorurteile noch die Männer. „[...] [P]olnische Frauen [sind, d.V.] vielleicht [...] ein bisschen stur, wenn man sie machen lässt und klar mit ihnen redet, dann geht es, aber wenn man zu weich mit ihnen umgeht [...]. Also z. B. ich hab’ irgendwann mal so vor vier Jahren nur mit Bioputzmitteln, das hingestellt und gebeten, dass sie damit putzen. Es funktioniert nicht mit polnischen Putzfrauen. Die wollen es sauber haben, und es muss ein bestimmtes Zeug sein und da hab’ ich mich auch drauf eingestellt. [...] Und bei polnischen Männern da hab’ ich einfach festgestellt, dass die Handwerker, was mein Stereotyp ist, dass sie kleine Schweine sind. Wenn man sie nicht kontrolliert, gerade auf dem Bau, dass also wirklich Essen überall rumliegt und alles liegen bleibt und dann im Sommer [es, d.V.] hier auch schon Maden [gab, d.V.]. Unter dem alten Holzmüll waren dann Essensreste runtergeräumt, was mich sehr aufgeregt hat. Und dass sie, nicht bei der Arbeit, aber in der Freizeit, sehr viel trinken. Nicht bei der Arbeit, bei der Arbeit war nie jemand betrunken. Aber sobald die Freizeit anfing, wurde sehr viel getrunken. Das ist so mein Blick auf polnische Männer. Dass sie sehr unsauber sind.“ (Susanne Meyer)

In dieser Sequenz resümiert Susanne Meyer zunächst ihre Erfahrung mit den „sturen“ und uneinsichtigen Polinnen im Streit um die richtigen Putzmittel. Im Stil eines Ratgebers für den Umgang mit der polnischen Putzfrau berichtet sie von ihren Erlebnissen und den sich daraus ergebenden Handlungsoptionen. Danach unterliegt die Interaktion mit den polnischen Haushaltsarbeiterinnen – sie werden hier als homogene Gruppe konzeptualisiert – strikten Regeln. Die Rolle

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der Arbeitgeberin verlangt Klarheit, Härte und Durchsetzungskraft, will man die Position der Stärke behalten. Übertragen auf die Frage der adäquaten Reinigungsmittel bedeutet das: Die Arbeitgeberin entscheidet, die Kompetenz der Haushaltsarbeiterin, ihre Erfahrungen und persönlichen Bedürfnisse spielen keine, zumindest eine untergeordnete Rolle. Hat man es aber mit einer polnischen Haushaltsarbeiterin zu tun, lässt sich die Erwartung an die Hausangestellten, den Weisungen der Arbeitgeberinnen zu folgen, nicht durchsetzen. Man befindet sich demnach in einem Dilemma. Die Besonderheiten der Gruppe der „polnischen Putzfrauen“ erfordert ein besonderes Verhalten. Die Position der Weisungsbefugten ist in diesem Fall obsolet. Susanne Meyer, die gerade noch vor zu viel Weichheit gegenüber den sturen, polnischen Frauen gewarnt hat, empfiehlt allen Arbeitgeberinnen in der Auseinandersetzung um Putzmittel, den polnischen Haushaltsarbeiterinnen ausnahmsweise nachzugeben. Mit dem generalisierenden Personalpronomen „man“ fasst Susanne Meyer sich und alle anderen tatsächlichen und potenziellen Arbeitgeberinnen in einer sozialen Kategorie28 zusammen. Auf der einen Seite stehen die umweltbewussten Deutschen, auf der anderen Seite die an der Umwelt scheinbar wenig oder gar nicht interessierten Polinnen. „Die wollen es sauber haben.“ Daran sind auch die Arbeitgeberinnen interessiert, strittig ist nur das Wie. Susanne Meyer hat ihre grüne Putzkiste aufgegeben und rät allen Arbeitgeberinnen, es ihr gleich zu tun. „Es funktioniert nicht.“ Diese radikale Einsicht bedeutet, die uneingeschränkte Kontrolle über die Praktiken des Saubermachens aufzugeben. In diesem Feld haben die Putzfrauen die Macht ergriffen, die eigentlich Mächtigen sind ohnmächtig und müssen, wollen sie nicht ganz und gar als Verliererinnen dastehen, Kompromisse eingehen.29 Um das Gefühl der Ohnmacht zu kompensieren und gleichzeitig die Wahrnehmung der Polen wieder mit den alten Stereotypen und Vorurteilen zu synchronisieren, greift Susanne Meyer im weiteren Verlauf der Erzählung auf die

28 Den Begriff der sozialen Kategorie habe ich einem Aufsatz von Frederike Kern entnommen. Kern hat acht Jahre nach der deutschen Vereinigung die Konstruktion der sozialen Kategorien Ost und West untersucht. Grundlage ihrer Forschung waren Interviews mit Berliner*innen. Dabei ging es sowohl um die Konstruktion von sozialen Kategorien als auch den Einsatz von Wissen, um „stereotype Urteile über andere auszusprechen“ (Kern 1998, 97). Die Konstruktion einer sozialen Kategorie impliziert die Zuweisung von typischen Verhaltensweisen und Eigenschaften. Gleichzeitig steuern „soziale Kategorien und ihre sprachlichen Formen den Modus unserer Wahrnehmung sozialer Wirklichkeit“ (ebd., 99) 29 Siehe hierzu Kapitel 6.2.1.

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polnischen Männer zurück. Die als homogene Gruppe konstruierten polnischen Männer repräsentieren hier die ideale Verkörperung des Stereotyps der „polnischen Wirtschaft“: Sie sind schmutzig, chaotisch, unordentlich. Sie trinken und wenn sie einen Ort verlassen, bleibt Ungeziefer zurück. Die polnischen Männer werden auf der Ebene der stereotypen Zuschreibungen als Stellvertreter für die aus gutem Grund exkludierten polnischen Haushaltsarbeiterinnen eingesetzt. Auf der individuell psychologischen Ebene könnte man die überraschende Erzählung von den polnischen Männern als Kompensation interpretieren, für die Zumutungen der erfahrenen Machtlosigkeit in der Begegnung mit der polnischen Haushaltsarbeiterin. Dann wäre die Stigmatisierung der polnischen Männer als „kleine Schweine“ ein Versuch, die Machtposition gegenüber den polnischen Haushaltsarbeiterinnen zu restituieren und damit das durch Ambivalenzen und Unübersichtlichkeiten irritierte Bild der Wirklichkeit mithilfe der vertrauten stereotypen Zuschreibungen zu klären. Allerdings ist es Susanne Meyer in keinem Fall gelungen, ihre Interessen und Vorstellungen durchzusetzen; auch nicht gegenüber den Männern. Doch im Gegensatz zu den polnischen Männern, die sie als „Schweine“ bezeichnet und als „Säufer“ schmäht und damit in ein soziales Abseits verweist, scheint sie die polnischen Haushaltsarbeiterinnen nicht zuletzt wegen ihrer Professionalität zu schätzen, selbst dann, wenn sie ihnen mühevoll einen Kompromiss abringen muss. Die kontrastierende Anordnung von Polen und Deutschen ist in den Erzählungen nicht zu überhören. Die alltäglichen Begegnungen am informellen Arbeitsplatz Haushalt finden in einem Diskursraum statt, der angefüllt ist mit Vorstellungen und Vorurteil über die Anderen, die dem Bewusstsein kaum mehr zugänglich sind, sondern gleichsam in Form von „impliziten Erinnerungen“ (Welzer 2011, 29) wirksam sind. Auch wenn diese nicht zu jeder Zeit im aktuellen Diskurs eine vernehmbare Rolle spielen, bleiben sie doch präsent, verharren meist stumm unterhalb der Wahrnehmungsebene, nur manchmal machen sie sich in alltäglichen Praktiken bemerkbar. Dies bedeutet jedoch nicht, dass negative kulturelle Fremdbilder und stereotype Zuschreibungen im alltäglichen Umgang der Akteurinnen eine große Rolle spielen. Im Gegenteil, die Arbeitgeberinnen nehmen die Haushaltsarbeiterinnen in den Erzählungen explizit von negativen Zuschreibungen gegenüber den Polen aus. Die Haushaltsarbeiterin, die sich jede Woche stundenlang alleine in der eigenen Wohnung aufhält, darf nicht zur stigmatisierten Gruppe derjenigen gezählt werden, die faul und unehrlich sind. Die Fremdbilder der Haushaltsarbeiterinnen decken sich weitgehend mit typischen, aus der Literatur bekannten Stereotypen, etwa des arroganten und überheblichen Deutschen. Allerdings wurden die negativen Zuschreibungen nur

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außerhalb des Arbeitszusammenhangs erwähnt. Dies weist darauf hin, dass auch die Haushaltsarbeiterinnen ihre Arbeitgeberinnen aus dem Typisch-deutschKlischee ausklammern.30 Die kognitive Dissonanz wird auch hier durch Ausnahmeregelungen aufgelöst. Die Erzählungen meiner Gesprächspartnerinnen haben gezeigt, dass die Begegnungen am informellen Arbeitsplatz Haushalt geprägt sind von der Gleichzeitigkeit widersprüchlicher und nicht zu vereinbarender Praktiken, wie die Zurückweisung stereotyper Zuschreibungen, ihre kritische Reflexion und die grundsätzliche Akzeptanz eines scheinbar in Stereotypen enthaltenen Wahrheitsgehalts. Im folgenden Kapitel richtet sich mein Interesse auf die Frage, welche Rolle die Differenzkategorie Ethnizität und die ihr zugeschriebenen Attribute in den prekären Hausarbeitsverhältnissen spielen.

6.5 IM GENREBILD VORINDUSTRIELLER ROMANTIK | Die Selbst- und Fremdbilder, die die deutsch-polnischen Begegnungen am Arbeitsplatz Haushalt prägen, sind keine monolithischen Ansichten, vielmehr ähneln sie Vexierbilder, in denen sich mehrere Bilder gleichzeitig verbergen. Je nach Perspektive treten unterschiedliche Motive in den Vordergrund. Im folgenden Kapitel greife ich zunächst die kulturalisierenden und ethnisierenden Fremdzuschreibungen in den Erzählungen der Arbeitgeberinnen auf und zeige in einem zweiten Schritt, welche Strategien die Haushaltsarbeiterinnen diesen Zuschreibungen entgegensetzen. Mein Interesse richtet sich auf die Fragen, ob und wie die nationale Zugehörigkeit der Haushaltsarbeiterinnen von den Arbeitgeberinnen als Folie genutzt wird, um sie in einer anderen Zeitlichkeit zu verorten, die aus der Perspektive des Westens als rückschrittlich und vormodern bewertet wird. Diese Einbettung impliziert eine Differenz, die über die ökonomische und soziale hinausreicht. Das informelle Arbeitsverhältnis – der Tausch von Arbeitskraft gegen Geld – wird ideologisch als Aufbau- und Entwicklungshilfe für Polen aufgewertet und so der ökonomische Charakter des Verhältnisses verschleiert. Diese Aufladung des ökonomischen Vertrags ist vergleichbar mit der freundschaftlichen, quasi verwandtschaftlichen Beziehungskonstruktion zwi-

30 Die Zurückhaltung der Haushaltsarbeiterinnen mit negativen Zuschreibungen gegenüber den Deutschen kann allerdings auch darin begründet sein, dass sie sich mit mir, einer Deutschen, unterhielten.

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schen Arbeitgeberin und Haushaltsarbeiterin. In beiden Fällen geht es darum, das ökonomische Verhältnis als solches unkenntlich zu machen. Die Erzählungen vom fremden Nachbarland Polen, den anderen Lebensverhältnissen und Standards, den „überraschend netten Menschen“ werde ich anhand von Motiven aus den Erzählungen (Am äußersten Rande Europas Kapitel 6.5.1, Ortskenntnisse Kapitel 6.5.2, Hilfsprogramme Kapitel 6.5.3, Das Andere und das Eigene im Fremden Kapitel 6.5.4) aufgreifen. Mein Vorgehen in diesem Kapitel ist inspiriert von der Kritik einer immer noch aktuellen dichotomen Konstruktion von West- und Ost-Europa im Sinne eines europäischen westlichen Zentrums und eines östlichen Randgebiets.31 Der Osten wird in dieser Vorstellung als das ganz Andere konstruiert, das in einer räumlichen Distanz situiert wird, die gleichzeitig als eine zeitliche konzeptualisiert wird (Butler 2009; Keinz 2010, Niedermüller 2005; Wolff 1994).32 Polen ist Teil dieses als Osten definierten Gebietes, das alle Länder umfasst, die sich bis 1989 hinter dem Eisernen Vorhang befanden. Dieser geografische Raum, der sich von der Peripherie der westlichen Zivilisation (an der Oder) bis nach Moskau erstreckt, rangiert in der Wissensordnung des Westens auf einer nachrangigen Position. Daran hat sich auch nach der Aufhebung der politischen Teilung Europas nichts geändert. 6.5.1 Am äußersten Rand Europas | „Wenn also ein Franzose mit einem Algerier spricht, so sind das letzten Endes nicht zwei Leute, die miteinander reden, sondern es ist Frankreich, das mit Algerien spricht, es sind zwei Geschichten, die miteinander sprechen [...], die ganze Geschichte eines zugleich ökonomischen, kulturellen Herrschaftsverhältnisses.“ (Bourdieu 1989, 14)

Polnische Haushaltsarbeiterinnen und deutsche Arbeitgeberinnen handeln in einem Diskursraum auf unterschiedlichen Positionen. Aus der Perspektive der Deutschen ist das Bewusstsein wirtschaftlicher Überlegenheit zentraler Bestandteil dieses Diskurses. Dies kann als Ausdruck einer unverwüstlichen Überlegenheitsattitüde der Deutschen gewertet werden oder – wie es Sanna Schondelmayer vorschlägt – als Ausdruck einer real existierenden „deutschen (wirtschaftlichen)

31 Siehe hierzu Kapitel 3.2. 32 Der Kulturwissenschaftler Wolfgang Müller-Funk spricht in Anlehnung an Edward Said von der Existenz eines spezifischen Euro-Orientalismus mit den „beiden innereuropäischen Figurationen des Anderen, dem ‚wilden Osten‘ und dem ‚zurückgebliebenen Süden‘“ (Müller-Funk/Wagner 2005, 24), wobei wild und zurückgeblieben durchaus als komplementäre Zuschreibungen gelten dürften.

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Übermacht“. Danach bestimmt die „unbewusst antizipierte Vormachtstellung Deutschlands“ (Schondelmayer 2008, 207) a priori das Verhältnis zwischen den Nachbarstaaten. Die Asymmetrie im Verhältnis von polnischen Haushaltsarbeiterinnen und deutschen Arbeitgeberinnen bildet dieses „Herrschaftsverhältnis“ (ebd.) ab. Im Folgenden werde ich der Frage nachgehen, ob und wie die strukturelle Ungleichheit in der persönlichen Interaktion zum Ausdruck kommt. „Also was bei Ewa schon ist, sie ist echt supermodern. Sie hat dann hier so ein Telefondings [eine Freisprechanlage, d. V.] dann läuft sie herum und telefoniert. Sie ist überhaupt kein Mäuschen. Sie sieht auch echt klasse aus; supermodisch [...].“ (Julia Thal)

Es ist die Betonung des Besonderen, der herablassende Gestus der Überraschung, im Sinne von: „Wer hätte das gedacht?“, der hier Überlegenheit zum Ausdruck bringt. Das Außergewöhnliche bezieht sich sowohl auf das Bedienen alltäglicher Kommunikationstechnik als auch auf Eigenschaften wie Selbstbewusstsein und Attraktivität. Allerdings ist nicht gesichert, ob die Überraschung angesichts der Technik affinen polnischen Arbeitsmigrantin dem Umstand geschuldet ist, dass es sich hier um eine Haushaltsarbeiterin handelt oder dass sie aus Polen kommt. Andererseits erzählt Anett Kamińska, dass sie von Arbeitgeberinnen über die Funktion von Haushaltsgeräten etwa eines Staubsaugers belehrt wurde, als wäre sie mit elektrischen Geräten und Elektrizität nicht vertraut: „Die denkt, ich weiß nicht, was ein Staubsauger ist.“ (Anett Kamińska) An ein ähnliches Gespräch mit einer Arbeitgeberin, die Funktionsweise eines Dampfbügeleisen betreffend, erinnert sich Joanna Patla. Sie beschreibt das deutsch-polnische Verhältnis folgendermaßen: „Es ist schon seltsam, die Deutschen denken, dass bei ihnen alles am besten ist, dass sie alles am besten können. Sie denken, in Polen herrsche Mittelalter. Dabei kennen sie nichts von Polen, keine Filme, keine Literatur, keine Musik. Die Polen dienen den Deutschen. So ist es schon seit Jahrhunderten und daran hat sich bis heute nichts geändert. Das ist doch merkwürdig.“ (Joanna Patla)

Das Klischee vom rückständigen, hinterwäldlerischen Nachbarland Polen scheint zu Beginn des 21. Jahrhunderts ungebrochen. Dies bestätigt auch ein Bericht in der Süddeutschen Zeitung (SZ), in dem der langjährige PolenKorrespondent der SZ, Thomas Urban, moniert, dass Abbildungen von Pferdefuhrwerken nach wie vor zur Illustration von Medienberichten über Polen beliebt seien, ungeachtet der Tatsache, dass diese längst aus dem Straßenbild ver-

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schwunden sind. Umgekehrt fördern etwa polnische Werbefachleute das Vorurteil vom rückständigen Polen, z. B. wenn sie polnische High-Tech-Produkte auf dem westeuropäischen Markt etablieren wollen. Laut Urban wird dann schon mal das Herkunftsland Polen durch entsprechende Produktnamen verschleiert. So tragen etwa die supermodernen hybridgetriebenen Stadtbusse eines Unternehmens aus Poznań italienische Namen wie Urbino oder Alpina (Urban 2009). Die Dichotomien Ost – West, vormodern – modern finden in den Erzählungen der Arbeitgeberinnen ihren Ausdruck im Hier und Dort ebenso wie im Wir und die Anderen. Die Differenz wird mit der Konstruktion einer osteuropäischen Figuration diskursiv als eine hierarchische qualifiziert, die gleichermaßen auf einen spezifischen geografischen Raum als auch auf eine distinkte Zeitlichkeit verweist, nämlich eine rückständige, weniger moderne, nachholbedürftige. Den Menschen, die in dieser „‚exotischen‘ Peripherie Europas“ (Stemberger 2013, 65) aufgewachsen sind, dort leben oder von dort in den Westen kommen, werden nicht selten Eigenschaften wie Sentimentalität oder Melancholie zugeschrieben. Sie gelten als mit leicht zu rührenden Herzen ausgestattet – wie Kinder. Das Bild von den ihren Emotionen ausgelieferten Osteuropäerinnen ist für die eigene Positionierung – als rational, kalkuliert handelnde Westeuropäerin – scheinbar so unverzichtbar, dass es selbst gegen abweichende Erfahrungen als das Eigentliche verteidigt werden muss. „Sie [Dorota Mirkiewicz, d.V.] ist auch kein fröhlicher Mensch, [...] sie kann unheimlich witzig sein und sie lacht auch viel, aber ich würde sagen, in ihrer Grundstimmung ist sie schon, entspricht sie schon diesem Klischee [...] des Osteuropäers, der des Mitteleuropäers, sie ist schon so melancholisch, so in ihrer Grundstimmung.“ (Annette Schmitt)

Allerdings charakterisiert Annette Schmitt ihre Haushaltsarbeiterin und Kinderfrau Dorota Mirkiewicz vielschichtiger als es in dieser Sequenz zum Ausdruck kommt. An anderer Stelle schildert Annette Schmitt eine alltägliche Szene in der Dorota Mirkiewicz ihr die Erziehungshoheit streitig gemacht hatte (siehe Kapitel 6.1.7). Dieses Beispiel für immer wieder auftretende Autoritätskonflikte zwischen ihr und Dorota Mirkiewicz bezeichnet Annette Schmitt euphemistisch als „ein bisschen komisch“. Für die inakzeptable Umkehrung der (Macht-) Verhältnisse, für ihre Schwäche gegenüber der Stärke und Durchsetzungskraft der Haushaltsarbeiterin ‚rächt‘ sich Annette Schmitt im Verlauf der Erzählung, indem sie Dorota Mirkiewicz in der Vergangenheit verortet, in geografischer als auch zeitlicher Distanz, weit entfernt von der Gegenwart des Westens (Keinz 2010, Weston 2002).

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„Aber das kommt wahrscheinlich auch, weil man sich so lang kennt und man muss bei ihr sagen, sie ist wirklich unter harten Bedingungen aufgewachsen, mit acht Geschwistern, acht Brüdern und nach dem neunten Kind ist der Vater abgehauen und hat die Mutter sitzen lassen. Und dann hat sie, Dorota ist die Zweitälteste, sie hat einen älteren Bruder und sieben jüngere, dann hat sie mit ihrer Mutter im Grunde diese acht Jungs großgezogen. Und die kommen fast von der russischen Grenze schon, es ist 15 Stunden von hier mit dem Auto, ja wirklich ärmliche Verhältnisse, die haben Plumpsklo, die tragen ihren Eimer in den Wald. Haben aber ein eigenes Häuschen und die Mutter hat da so Schweine und Hühner. Die war auch mal hier, die Mutter. Die ist zehn Jahre älter als ich und die hatte damals, das ist fünf Jahre her, da hatte die nur noch einen Zahn im Mund. Die sah aus wie eine Greisin, das hat mich unheimlich erschrocken. Aber sie [Dorota, d.V.] hatte auch eine glückliche Kindheit, würd’ ich sagen. Das ist eben sehr ländlich, die Fotos sind wunderschön. Sie fährt wahnsinnig gern auch nach Hause und trifft sich dann da mit ihrer ganzen Familie, aber sie hat eigentlich immer so eine Art Vaterrolle einnehmen müssen. Sie hat ihr Leben lang unheimlich hart gearbeitet. Sie erzählt z. B., sie ist zu Fuß morgens drei Kilometer zum Bäcker gegangen und hat sieben Brote geholt für diese Jungs als sie so in der Pubertät waren. Da waren die Hände auch voll, und da musste man eben wieder los und gleich den nächsten Einkauf machen. Die hatten natürlich kein Auto. [...] Ihre Mutter hat nicht mal ein eigenes Telefon. Die ruft sie irgendwie alle zwei Wochen [an, d.V.], ruft sie beim Nachbarn an, dann rennt der rüber, holt ihre Mutter und dann ruft sie in einer Viertelstunde später noch mal an, um mit ihrer Mutter zu telefonieren.“ (Annette Schmitt)

Die (Nach-)Erzählung vom harten, aber glücklichen Leben, das sich um die Beschaffung und Befriedigung existenzieller Bedürfnisse zentriert, klingt wie ein Märchen: Gretel und acht Hänsel verbannt in den Wald am Ende der Welt. Ein namenloser Ort, der sich im Ungefähren verliert, „fast an der russischen Grenze“ gelegen. Die russische Grenze, situiert in einem geografischen Nirgendwo, markiert in dieser Erzählung einen symbolischen Raum irgendwo 15 Autostunden von Berlin Richtung Osten, irgendwo im Dunkel des Unaufgeklärten, ein Ort denkbar weit entfernt von der Zivilisation. Das Genrebild mit freilaufenden Schweinen und Hühnern, der zahnlosen, jungen Greisin und den armen, aber glücklichen Kindern oszilliert zwischen romantischen Sehnsüchten und dem Ekel aufgrund fehlender zivilisatorischer Errungenschaften wie Toiletten mit Wasserspülung und zahnärztlicher Versorgung. Die hier beschriebenen Lebensverhältnisse, die gleichsam aus dem 19. ins 21. Jahrhundert hinüber ragen, bedürfen der Hilfe, genauer der „Aufbauhilfe“33,

33 Dass dieser Diskurs keineswegs auf die informellen Hausarbeitsverhältnisse beschränkt ist, zeigt u. a. ein Artikel in der Berliner Zeitung vom 19.04.2007, in dem die

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wie Marlene Hartmann das informelle Hausarbeitsverhältnis von Polen und Deutschen charakterisiert. Mit dieser Definition haben die Arbeitgeberinnen rhetorisch die arbeitsrechtliche Grauzone verlassen und finanzieren stattdessen einen fiktiven Solidaritätsfond Polen, ein West-hilft-Ost-Programm.34 Das für beide Seiten gleichermaßen nützliche Arbeitsverhältnis wird diskursiv in eine karitative, asymmetrische Beziehung verwandelt, die gekennzeichnet ist durch die kontrastierenden Positionen der scheinbar selbstlos und uneigennützig Gebenden und der dankbar Empfangenden. Diese Konstellation verhilft den Arbeitgeberinnen nicht nur preiswert zu einer sauberen Wohnung, sie gibt ihnen zusätzlich das Gefühl etwas Gutes zu tun. Der Begriff Aufbauhilfe enthält darüber hinaus eine lineare Fortschrittsidee, an deren Spitze das westliche Gesellschaftsmodell im Sinne eines zu erreichenden Ziels rangiert. Das auf diese Weise als rückschrittlich konstruierte Polen bedarf der Schulung und Unterstützung, um an den Westen aufschließen zu können. Die ethnozentristische Perspektive des Konzepts Aufbauhilfe unterschlägt außerdem das Angewiesen-Sein der reichen, westlichen Gesellschaften auf die armen Länder der Peripherie. Dies betrifft insbesondere den Bedarf an billigen Arbeitskräften im Dienstleistungssektor, das heißt die Nachfrage nach Handwerkern, nach Haushaltsarbeiterinnen sowie Betreuerinnen für Kinder und die aufgrund der demografischen Entwicklung wachsende Zahl von pflegebedürftigen alten Menschen.35 6.5.2 Ortskenntnisse: „Man müsste mal nach Polen“ | Obwohl die Arbeitgeberinnen mit einer Ausnahme das Leben in Polen nicht aus eigener Anschauung kennen, hat doch jede von ihnen konkrete Vorstellungen über das Land und die Lebensverhältnisse dort. Frau Schmitts Erzählung ähnelt den Armutsszenarien von Charles Dickens und wird kolportagehaft zwischen Sensationslust und Mitleid changierend im

Entscheidung, die Fußball-Europameisterschaft 2012 in der Ukraine und Polen auszutragen, als „Aufbauhilfe für arme osteuropäische Verwandte“ definiert wurde (Lieske 2007). 34 Dies bezieht sich darauf, dass Haushaltsarbeiterinnen ihren Lohn u. a. sparen, um sich irgendwann in Polen eine Existenz aufzubauen. Im Kontext meiner Feldforschung hat eine Akteurin eine Pension im Riesengebirge eröffnet, eine andere ein kleines Hotel in Masuren, eine dritte ein Seegrundstück mit Haus erworben, das sie als Ferienhaus vermietet. 35 Siehe hierzu Kapitel 3.2.

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Gestus des unmittelbar Erlebten vorgetragen. Die Verwendung von Adjektiven wie „glücklich“, „ärmlich“, „wunderschön“, Steigerungen wie „wahnsinnig gern“, „unheimlich hart“, „unheimlich erschrocken“ verleihen der Erzählung eine Aura des Authentischen. Wie sich unmittelbar nach dieser Sequenz herausstellt, ist Frau Schmitt jedoch nie in Polen gewesen. „Sie [Dorota Mirkiewicz, d.V.] möchte immer so gerne, dass wir mal kommen, aber das ist so weit weg. Wenn es näher wäre, hätten wir es bestimmt schon mal gemacht. [...] Man darf das auch gar nicht sagen, das ist so ignorant. Es ist auch sehr schön, dass weiß ich. [kurze Pause] Aber ich bin auch berufstätig, wir machen auch nicht so viele Touren am Wochenende, weil wir ein Häuschen haben fürs Wochenende und ja, sonst bin auch oft in Hamburg gewesen oder wir fahren nach Süddeutschland zur Familie von meinem Mann. Aber ich glaube, unbewusst ist es bei Polen wahrscheinlich, dass man immer noch denkt, es ist Osten und es ist vielleicht doch nicht so schön, oder man muss Abstriche machen, keine Ahnung. Es ist doch immer noch so eine gewisse Arroganz dem Osten gegenüber, glaub’ ich. Dieser unterschwellig, ich will das gar nicht haben, ich hab’ das, glaub’ ich, auch gar nicht. Aber [räuspert sich] [...] Ja vielleicht ist es andererseits dann auch nicht exotisch genug. Man, wenn ich jetzt sage, ich fahr’ nach Indien, dann nehme ich ja auch Abstriche in Kauf.“ (Annette Schmitt)

Nicht in Polen gewesen zu sein, scheint Annette Schmitt zumindest erklärungsbedürftig, ähnelt in der Erzählung einer Peinlichkeit, einem Verstoß gegen einen imaginären Reise-Kanon, der vorschreibt, welche Länder man besucht haben muss, etwa Holland, Dänemark oder auch Luxemburg. Nicht-da-gewesen-zusein in Polen wertet Frau Schmitt als „ignorant“, zumal das Land ja „sehr schön ist“. Dass sie trotz dieser unzweifelhaften Schönheit des Landes noch nicht dort war, erklärt sie zunächst mit Zeitmangel und anderen Verpflichtungen, um dann überraschend die Argumentationsebene (Berufstätigkeit, Wochenendhaus, Familie in Bayern und Hamburg) zu verlassen und quasi jenseits des Augenscheinlichen im Unbewussten nach Erklärungen zu suchen. Während Frau Schmitt zunächst ganz persönlich argumentiert („Ich bin auch berufstätig.“), wechselt sie zum unpersönlichen, objektivierenden man, um die unterschwelligen Ressentiments und Vorurteile als die wahren Gründe zu entlarven, warum man nicht nach Polen fährt. Dieser Teil ihrer Erzählung ist ihr sichtlich unangenehm und sie distanziert sich auch persönlich von der allgemeinen Überheblichkeit gegenüber dem Osten, einem nicht näher bezeichneten Raum, dessen negativ konnotiertes Assoziationsfeld sie als bekannt voraussetzt. Allerdings zeigt Frau Schmitt auch Verständnis dafür, dass man den Osten nicht unbedingt kennen muss, zumal Polen nicht einmal „exotisch“ ist wie etwa Indien. In beiden Län-

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dern müsse man „Abstriche in Kauf nehmen“. Doch während Indien in einer Werteskala für Feriendestinationen etwaige Unannehmlichkeiten durch Exotik ausgleicht, hat das Nachbarland Polen nichts Vergleichbares zu bieten. Was bleibt, sind allein die Unbequemlichkeiten eines armen, rückständigen Landes. Von der tollen Natur und den Wäldern, die sich so gut zum Jagen eignen, schwärmt Julia Thal, die als einzige Gesprächspartnerin schon einmal in Polen war, „aber über polnische Städte, die polnische Wirtschaft, polnische Menschen an sich weiß ich nicht viel.“ Die Beschäftigung einer Haushaltsarbeiterin aus Polen hatte bei keiner meiner Gesprächspartnerinnen das Interesse am Nachbarland gefördert. Zwar haben die Arbeitgeberinnen auf die Frage, ob sie schon einmal in Polen waren, stets ihr Bedauern darüber geäußert, dass sie das Nachbarland nicht kennen. Allerdings habe ich das als der Gesprächssituation geschuldet interpretiert. Man möchte nicht dünkelhaft erscheinen und ist sich des historisch belasteten deutsch-polnischen Verhältnisses bewusst, welches ein offensichtliches Desinteresse an Polen nur schwer zulässt. „Ja. Also da dachte ich schon, also sie [Józefina Starczynowska] hatte durchaus den Gedanken da hinzufahren, befördert [...] einfach dadurch, dass es einen persönlichen Kontakt gab. Nicht dass ich sie besuchen würde, [...]. Wir haben auch mal auf der Karte geguckt, da hat sie mir gezeigt, wo sie da wohnt. [...] Also das war schon gewissermaßen ein landeskundlicher Effekt.“ (Bettina Müller)

Der landeskundliche Effekt besteht aus der Identifikation eines Punktes auf der Karte Polens als Jelenia Góra, dem Wohnort Józefina Starczynowskas. Die Frage einer Reise nach Polen stellt sich nicht. In diesen Erzählpassagen geht es um die Bilder in den Köpfen von einem fremden Land und dessen Bewohner*innen, die sich wenig auf eigene Erfahrung und Anschauung stützen und damit umso mehr Informationen aus zweiter Hand, tradierte Wissensbestände, Vorurteile sowie kulturelle und nationale Fremdzuschreibungen verarbeiten. Das Resultat ist ein (Polen-)Bild, das mehr über das Selbstbild der Deutschen verrät als über Polen. Im Ausloten der Reaktionen auf die Demonstration der ökonomischen Überlegenheit im Gewand von Fürsorglichkeit und Großzügigkeit seitens der Arbeitgeberinnen kommen im Folgenden die Ambivalenzen zur Sprache, die in der Interaktion von Haushaltsarbeiterinnen und Arbeitgeberinnen verhandelt werden.

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6.5.3 Hilfsprogramme: Spenden für das Aschenputtel | Auch wenn man vom Herkunftsland der Haushaltsarbeiterinnen nichts weiß und auch nichts wissen will, weiß man doch so viel, dass dort „wahnsinnig nette“ Menschen leben. Zum Beweis dieser Einschätzung kolportiert Frau Schmitt die Erzählung eines Freundes, der gerade Krakau besucht hatte und „total überrascht“ war, „dass sie [die Polen, d. V.] sich auch gut anziehen und dass sie so ein gutes Auftreten haben. Der [Freund, d. V.] war total begeistert.“ Die große Diskrepanz zwischen dem Erwarteten und dem Tatsächlichen löst eine starke Emotion aus, die als besonders große, fast schon überwältigende Überraschung und Begeisterung beschrieben wird. Die Betonung des Unerwarteten lässt vermuten, dass Frau Schmitt scheinbar weder guten Geschmack, noch (gute) Manieren wie bei uns, östlich der Oder vermutet. Die Haushaltsarbeiterin Barbara Rybka greift in ihrer Erzählung das Motiv der aus deutscher Perspektive armen, in jeder Hinsicht rückständigen Bevölkerung Polens in sehr ungewöhnlicher Weise auf. Während unseres ersten Treffens in ihrer Wohnung in Berlin-Friedenau ist die Atmosphäre entspannt. Frau Rybka hat Kaffee zubereitet, meine mitgebrachten Kekse beiseitegelegt, da auf dem Tisch schon eine Schachtel mit Pralinen bereitsteht: „Die sind aus Polen“, sagt Frau Rybka, als ob es sich um eine besondere Rarität handle. Gestern Abend aus Polen zurückgekehrt, habe sie gerade einmal vier Stunden geschlafen und sei sehr müde, eröffnet Frau Rybka unser Gespräch, als ob sie die Unterhaltung möglichst kurz halten will. Vielleicht war das auch zunächst ihre Absicht, doch dann erzählt sie nur durch wenige Fragen unterbrochen so lange, bis die Türklingel sie nach zwei Stunden unterbricht. Ein langer Monolog hat endlich ein Publikum gefunden und – wie sich später herausstellt – war er in diesem Moment noch keineswegs zu Ende. Im Fluss ihrer Erzählung kommt Frau Rybka auf ihre Erfahrungen mit Deutschen zu sprechen, gute und schlechte Erfahrungen. Sie erzählt von der 11jährigen Tochter einer Arbeitgeberin, die sie bezichtigt hatte, ihr Mobiltelefon gestohlen zu haben und von der alten Frau, deren Zimmer sie mit einem Pinsel reinigen sollte: „Da war ich krank.“ Oder von jener Arbeitsstelle, wo man von ihr verlangt hatte, Socken und Unterwäsche in einer Schüssel mit der Hand zu waschen, um Strom zu sparen, wie sie vermutet. Allerdings habe sie auch solche – insbesondere ältere – Arbeitgeberinnen erlebt, die „uns zum Saubermachen engagieren und wenn wir etwas Anderes machen, Haare frisieren, einkaufen, bezahlen sie extra.“ Allerdings, sagt Frau Rybka, „das machen nicht alle.“ Früher, erzählt sie weiter, hätten die „deutschen Frauen“ ihr häufig Kleider geschenkt: alte, abgetragene Kleider, die sie selbst nicht mehr tragen wollten. „Eine Alte“

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habe die Angewohnheit gehabt, ihre Kleidung sehr genau zu betrachten, mehr noch, sie habe die Wolle des Pullovers mit den Fingern geprüft ebenso die Qualität des Mantels. Während sie von diesen Kontrollen erzählt, springt Barbara Rybka plötzlich auf, um an der Garderobe mit zur Fratze verzogenem Gesicht, den Oberkörper bucklig gekrümmt, an einem Mantel deutlich hörbar zu schnüffeln und den Stoff in den Händen zu reiben. Schließlich zerrt sie so heftig an dem Mantel, dass der Aufhänger reißt und der Mantel am Boden liegt. Diese völlig unerwartete Unterbrechung einer bis dahin wohltemperierten Gesprächsanordnung, der unerwartete emotionale Ausbruch verändert die Atmosphäre in der kleinen aufgeräumten Wohnung schlagartig. Statt wie zuvor im leichten Plauderton ihre Biografie plausibel zu rekonstruieren, bringt Barbara Rybka Bewegung in das Gespräch. Sie schlüpft in die Rolle der Arbeitgeberin und verzerrt sie mit den Mitteln der artifiziellen Überspitzung und schrillen Hysterie ins Groteske. Die Überzeichnung in der Figur der bösen, neidischen Alten gibt den Blick frei auf die Erbitterung und den Furor, der sich hinter ihrer freundlichen, eher heiteren Oberfläche verbirgt. „Die Alte ist sauer“, kommentiert Barbara Rybka ihre Etüde, „weil ich besser angezogen bin als sie. Viele polnische Frauen“, fügt sie erklärend hinzu, „ziehen alte Kleider an, um zu zeigen, dass sie arm sind.“ Sie lehnt es hingegen strikt ab, „in den Lumpen der anderen herumzulaufen“. Die Rolle der armen Verwandten will sie keinesfalls übernehmen. Mit „Geschmack“ sagt sie, könne man sich auch mit wenig Geld gut kleiden. Diese Szene ist auch insofern interessant, als sie Strategien der Arbeitnehmerinnen offenlegt, die Beziehung zu den Arbeitgeberinnen möglichst profitabel oder auch nur konfliktfrei zu gestalten. Um dies zu erreichen, sind sie bereit, die Rolle der armen, hilfsbedürftigen polnischen Haushaltsarbeiterin zu übernehmen, die Arbeitgeberinnen für sie entwerfen. Sie passen das äußere Erscheinungsbild und die Haltungen der Figur den deutschen Imaginationen über die Polen an: bedürftig, in der Mode von gestern und technisch noch nicht auf der Höhe der Zeit. Ausnahmen bestätigen, wie im Fall von Ewa Stolarska, die Regel und werden besonders erwähnt. Denn sie beherrscht nicht nur moderne Kommunikationstechnik, sie fährt auch einen Mercedes und ist obendrein „sehr geschäftstüchtig.“ (Julia Thal) Barbara Rybka verweigert die von den reichen Verwandten angebotene Verwandlung in ein Aschenputtel ebenso wie das Arme-Leute-Spiel, um dadurch die Arbeitgeberinnen zu zusätzlichen Leistungen in Form von Kleidung bis hin zu ausrangierten Möbeln, defekten Haushaltsgeräten oder fahruntüchtigen Autos zu motivieren. Dies ist eine weit verbreitete Praxis, die den vormaligen West-Ost-Warenverkehr im Sinne von Spenden für die armen Brüder und

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Schwestern im (sozialistischen) Osten prolongiert. Die Kleiderspende, im Gegensatz zu einem Kleidertausch zwischen Freundinnen, generiert ein Verhältnis von Schenkenden und Beschenkten, das – zumal das Geschenk nicht erwidert werden kann – die soziale und ökonomische Differenz akzentuiert. Das Tragen abgelegter Kleider, auch wenn es äußerlich nicht erkennbar ist, impliziert eine Abwertung und wird von Haushaltsarbeiterinnen auch so empfunden. Auf die Frage nach Geschenken haben sowohl Arbeitgeberinnen als auch Haushaltsarbeiterinnen die Weitergabe abgelegter Kleidung mit großer Vorsicht behandelt. Beide Seiten legen großen Wert darauf, die weitere Verwendung des Geschenks deutlich zu machen. Beide Seiten betonen, dass sie die Kleidung nicht für den eigenen Bedarf annehmen bzw. abgeben, sondern um sie in Polen an „die Armen weiterzugeben“, wie Józefina Starczynowska sagt oder wie es Sophie Hausmann formuliert: „[...] [S]ie [Agnieszka Tomaszewska, d.V.] nimmt das gerne mit, weil sie aus einem sehr, sehr armen Dorf kommt und die Sachen weitergibt. Sie trägt meine Sachen nicht auf, das wäre mir auch unangenehm. Aber sie hat irgendwelche Leute im Ort, ältere Menschen, die sie mitversorgt.“ (Sophie Hausmann)

Janina Czerwona ist die einzige aus der Gruppe meiner polnischen Gesprächspartnerinnen, die das Thema der abgelegten Kleider ganz pragmatisch behandelt und die demütigenden Gefühle ihrer Kolleginnen über derartige Almosen nicht teilt. Im Unterschied zu ihren Kolleginnen schämt sie sich nicht, Kleiderspenden anzunehmen. Im Gegenteil, den Warentransfer verbucht sie als ein Surplus sowohl auf materieller als auch ideeller Ebene. „Ich nehme immer Kinderkleider mit nach Polen. Ich kenne viele Leute in Polen, die sehr arm sind und die freuen sich über jedes Teil. Und ich freue mich, wenn sie ein Lächeln im Gesicht haben. [...] Wenn jemand gibt, nehme ich immer. Ich sage immer, ich nehme alles. Ich oder jemand anderes braucht das noch. Na und, in Deutschland gibt es ja auch viele Läden, die verkaufen schon Gebrauchtes.“ (Janina Czerwona)

Für die Arbeitgeberinnen lässt sich festhalten, dass sie abgetragene Kleidung scheinbar ungern anonym in den Altkleidersack verpacken, sondern lieber ihren vertrauten temporären Angestellten anbieten und damit ihre ökonomische Überlegenheit aktualisieren.

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6.5.4 Das Andere und das Eigene im Fremden | Meine ethnografischen Beschreibungen haben in den vorherigen Abschnitten deutlich gemacht, dass die Arbeitgeberinnen, einem binären Denkmuster folgend, die polnischen Nachbarn als die kulturell Anderen, Fremden konstruieren. Um das Arbeitsverhältnis im Privaten überhaupt zu ermöglichen, ist es gleichzeitig jedoch unerlässlich, das Eigene im Fremden auszuloten. Auf der Suche nach Gemeinsamkeiten36 muss die metaphorische Verbannung der Haushaltsarbeiterin in die zivilisatorischen Randgebiete Europas im Sinne einer Strategie des Othering zugleich auch immer wieder suspendiert werden. „[...] [I]ch kenne Polen gar nicht. Und ich kenne auch keine Polen oder Polinnen und insofern habe ich da ein bisschen Einblick gewonnen durch die Familienfotos oder das, was sie [Józefina Starczynowska, d. V.] erzählt hat. Ich glaube sie war [...] Buchhalterin in einem größeren Kombinat. Eine Tochter ist glaube ich Mathematikerin. Also so diese Gemengelage, Ausbildung, Dienstleistung und gleichzeitig doch wohnen auf sehr beengtem Raum. Ich glaube nicht, dass sie eine so große Wohnung [haben, d.V.], haben wir letztlich auch nicht, aber die sind einfach zu viele. Sie hat, glaube ich, gemeinsam mit dem Sohn und der zweiten Frau und zwei Kindern in einer Wohnung gewohnt. Aufgrund der Fotos war mein Eindruck, dass sie gemeinsam mit dieser vierköpfigen Familie in einer Drei-Zimmer-Wohnung gewohnt hat. Sie hat auch viel erzählt [...] ein paar Einblicke nach Polen hat mir das glaube ich schon ermöglicht. [Da gibt es, d.V.] eine ReparaturMentalität, dann so eine Backschisch-Mentalität, dann eben dieses gleichberechtigte Nebeneinander, [...] man definiert sich nicht darüber, was man jetzt gerade macht, sondern vielleicht doch eher, was die Familie ist und wer dazu gehört.“ (Bettina Müller)

Während die Zuordnung „Bakschisch-Mentalität“ Alterität betont, impliziert der Begriff „Reparatur-Mentalität“ etwas Gemeinsames, das den Arbeitgeberinnen, wenn nicht aus eigener Erfahrung vertraut, so doch als ein auch in Deutschland weit verbreitetes Phänomen geläufig ist. Das ursprünglich persische Wort bahšīš bedeutet laut Duden Geschenk im Sinne eines Almosens, das nach islamischem Gesetz Reiche an Arme zu leisten haben. Heute wird es beinahe ausnahmslos negativ konnotiert, in der Bedeutung einer erzwungenen Gabe gebraucht. Bakschisch, das ist ein informeller Geldtransfer, der wie ein Schmiermittel auf die Arbeit von Verwaltungen wirkt, Politikern zu Stimmen verhilft und die Inanspruchnahme von Dienstleistungen er-

36 In Kapitel 6.1.3 habe ich auf die Strategie der Familiarisierung mithilfe der Differenzkategorie Geschlecht hingewiesen.

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möglicht. Korruption und Bestechung gilt aus der Perspektive des Westens gemeinhin als ein Phänomen, das in undemokratischen, unterentwickelten Staaten verbreitet ist. Dass dieser Common Sense eher ein Ausweis für die Überheblichkeit des Westens gegenüber dem globalen Süden und Osten ist, macht ein Blick auf die Liste der Korruptionsskandale der vergangenen Jahre in Deutschland deutlich.37 Doch dessen ungeachtet, eröffnet die Zuschreibung einer „Bakschisch-Mentalität“ einen Assoziationsraum, der angefüllt ist mit Vorstellungen von einer fremden Welt, die die eigene als Negativfolie spiegelt. Die Praxis des Bakschisch-Zahlens wird dem Orient zugeordnet und damit einem Raum, dem in der hegemonialen Wissensordnung des Westens Eigenschaften wie irrational, chaotisch, vormodern zugeschrieben werden, konträr zum Selbstbild des Westens, der in der Regel als rational, ordentlich und modern konzeptualisiert wird. Die Zuschreibung „Reparatur-Mentalität“ verweist auf die sozialistische Mangelwirtschaft, eine – inzwischen fast drei Jahrzehnte zurückliegende – Epoche, in der Gebrauchsgegenstände, wenn sie defekt waren, grundsätzlich repariert wurden, da sie nicht ohne Weiteres durch ein neues Produkt ersetzt werden konnten. Die Menschen in Polen waren es gewohnt, nicht nur viele Jahre auf technische Konsumgüter wie Autos, Fernseher, Stereoanlagen zu warten, sondern die durch die Verknappung besonders wertvollen Gegenstände so lange wie möglich zu benutzen, sie möglichst immer wieder zu reparieren oder wenn das nicht mehr möglich war, sie anderweitig zu verwenden. „Er [Agnieszka Tomaszewskas Mann d. V.] nimmt immer gerne Dinge mit, die er für sein Handwerk benutzen kann. Er kann aus einem alten Schrank noch ein Brett machen, oder so was. Und sie nimmt meine alten Zeitungen mit und heizt damit den Ofen. Aber nicht weil ich das Altpapier sparen will, sondern weil die sich immer freuen, wenn sie in der Übergangszeit mit Papier heizen können.“ (Sophie Hausmann)

Die Zuordnung einer „Reparatur- und Bakschisch-Mentalität“ im Sinne eines „kollektiven Habitus“ (Alheit 2005, 25) entspricht einer Gesellschaft, die – übersetzt in ein Farbspektrum – gleichermaßen grau und bunt aufscheint. Die Mentalitätsfiguration mischt die bunte Welt des Basars mit dem – aus westlicher Perspektive – grauen Alltag in der Mangelwirtschaft. Während Bakschisch das Fremde betont, das gleichermaßen attraktiv und bedrohlich ist, birgt die Reparatur-Mentalität etwas Heimeliges, Vertrautes: den Baumarkt am Stadtrand, die Lust am Heimwerken und angesichts hoher Handwerkerlöhne häufig auch die

37 Schlagzeilen in Sachen Schmiergelder machten u. a. die Deutsche Bank, die Dresdner Bank, VW und Siemens AG (Leyendecker 2009).

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Notwendigkeit, kleinere Reparaturen und Renovierungen selbst zu erledigen. Es sei denn, man delegiert diese Arbeit an polnische Handwerker, wie es inzwischen häufig geschieht. Dies haben meine Gesprächspartnerinnen bestätigt. Agnieszka Tomaszewska z. B. hatte allen Arbeitgeberinnen ihren Mann als Haushandwerker vermittelt. Marlene Hartmann hatte für das Malern des neuen Hauses und den Umzug polnische Handwerker engagiert und bei den Meyers haben polnische Handwerker das Bad renoviert. Handwerker aus dem Nachbarland gelten als besonders gut und vielseitig einsetzbar. Das hat sich herumgesprochen. Die Fähigkeit des Reparierens wird positiv bewertet. Sie relativiert den Gestus des Von-sich-weg-Weisens in der Metapher der Bakschisch-Mentalität, belässt allerdings den Arbeitgeberinnen gleichzeitig ausreichend Distanz, um sich überlegen zu positionieren. Die Aussage von Sophie Hausmann: „Er kann aus einem alten Schrank noch ein Bett machen“, beschreibt zwar eine besondere Qualifikation, gleichzeitig kokettiert sie mit dem Klischee vom praktischen Handwerker und der unpraktischen Intellektuellen. Bis hierher ist deutlich geworden, dass die Begegnungen im Haushalt geprägt sind von einem Machtgefüge, das ständig in Bewegung und von zahlreichen Interdependenzen und Verflechtungen abhängig ist. Die Haushaltsarbeitsverhältnisse sind weder in einen arbeitsrechtlichen Rahmen eingebettet, noch können die Akteurinnen auf erprobte Rollenmuster zurückgreifen. Wie die Erzählungen zeigen, führt diese Unsicherheit zu einem Changieren zwischen der Betonung von Alterität und Gleichheit. Im Sprechen über die Andere werden Vorurteile und Stereotypen sowie die Affirmation kulturalisierender Zuschreibungen aktualisiert. Im folgenden Kapitel werde ich diskutieren, ob und wie die deutschpolnische Geschichte in den Narrationen meiner Gesprächspartnerinnen thematisiert wird.

6.6 DIE AKTUALISIERUNG DER VERGANGENHEIT | „Die Geschichte ist Gegenstand einer Konstruktion, deren Ort nicht die homogene und leere Zeit, sondern die von Jetztzeit erfüllte bildet.“ (Benjamin 1977, 258)

Die deutsch-polnische Geschichte, wie sie in den Erzählungen meiner Gesprächspartnerinnen erscheint, gleicht – um ein Bild von Foucault zu benutzen – Werkzeugen, die in einer Kiste verwahrt werden, jeder Zeit zum Einsatz bereit, wenn es darum geht, sich im Verhältnis zu den Nachbarn zu positionieren. Das folgende Kapitel handelt davon, wie diese Werkzeuge, die im Kontext der

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deutsch-polnischen Geschichte des 20. Jahrhunderts für die Erinnerung an Krieg, Völkermord, Flucht und Vertreibung stehen, in den Erzählungen verwendet werden. Die Wiederkehr der historischen Motive macht deutlich, dass der Blick der Protagonistinnen auf die Gegenwart sich auch aus den Bildern der Vergangenheit nährt. Das Phänomen der deutsch-polnischen informellen Hausarbeitsverhältnisse ist eng mit der Geschichte der beiden Nachbarländer verbunden. So verweisen etwa Erzählungen, in denen Akteure wie die große polnische Community in Berlin und weitverzweigte transnationale Netzwerke indirekt oder direkt eine Rolle spielen, implizit auf die lange Geschichte der Arbeitsmigration von Polen nach Deutschland (siehe hierzu Kapitel 2.2). Im Folgenden konzentriere ich meine ethnografische Analyse auf die Praxis von polnischen Haushaltsarbeiterinnen, Ereignisse der Geschichte des 20. Jahrhunderts zu generalisieren und auf das Heute zu übertragen, um sie u. a. als Vorwurf und zur Abgrenzung gegenüber den Deutschen zu nutzen. Der Wahrnehmungsmodus der Nazivergangenheit scheint im deutsch-polnischen Verhältnis jederzeit einsatzbereit, gerade so als vertrauten die polnischen Akteurinnen dem zivilisatorischen Schein beim deutschen Nachbarn nicht uneingeschränkt, und als gelte es – wenn auch nicht übertrieben ängstlich – doch auf der Hut zu sein, wie sich die Dinge entwickeln. Als Analyserahmen für die Beharrungskraft kollektiver Erfahrungsmuster in der polnischen Gesellschaft nutze ich Alheits Konzept der Mentalitätsfiguration. Im Mittelpunkt dieses Kapitels steht Józefina Starczynowska und ihre Erzählung von der Begegnung mit Repräsentanten struktureller Macht in Deutschland in Gestalt von Fahrkartenkontrolleuren und Polizisten, die sie in der Retrospektive durch die Analogie zwischen Polizisten und Nazischergen zu einer Begegnung mit Wiedergängern aus der Zeit der nationalsozialistischen Besatzung formt (Kapitel 6.6.1). Als ein weiteres Beispiel für die Alltagsnähe der deutschpolnischen Nachbarschaftsgeschichte komme ich noch einmal auf ein Gespräch mit Anett Kamińska zurück, in dem sie eher beiläufig erwähnt, dass ihre Großmutter während des Krieges als Zwangsarbeiterin in Deutschland gearbeitet hat (Kapitel 6.6.2). In einem zweiten Schritt frage ich schließlich danach, wie die Arbeitgeberinnen die deutsch-polnische Geschichte als Folie für ihre Repräsentation nutzen (Kapitel 6.6.3). 6.6.1 Geschichte als Ressource | Der polnische Publizist Adam Krzemiński spricht in Bezug auf die Praxis, ein gegenwärtiges, individuelles (negatives) Erlebnis unmittelbar mit einer erlebten oder tradierten Vergangenheit zu verknüpfen, von einer „aktuellen Funktionali-

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sierung“ (Krzemiński 2002, 270). Im Folgenden wird deutlich, dass die Vergangenheit den ökonomisch und sozial unterlegenen Haushaltsarbeiterinnen auch dazu dient, sich in Konflikten (nicht nur mit den deutschen Arbeitgeberinnen) als die moralisch Überlegenen zu positionieren. Den Kontakt zu Józefina Starczynowska hatte Bettina Müller vermittelt, die später in ihrer Rolle als Arbeitgeberin ebenfalls zu einem Interview bereit war. Es erwies sich als außerordentlich schwierig, einen Termin mit Józefina Starczynowska zu vereinbaren. Zunächst erscheint es mir, dass sie gar nicht reden will und mich so lange mit Versprechungen auf einen Termin vertröstet, bis ich aufgebe. Andererseits war es wohl tatsächlich schwierig für sie, verlässlich zu planen, wegen der vielfältigen Verpflichtungen in Polen und Berlin. Am Telefon sprechen wir zunächst Deutsch. Als wir schließlich doch in ihrer Neuköllner Wohnung in der ebenerdigen Küche zusammensitzen, ist keine Rede mehr von Terminen, die das Gespräch begrenzen. Angekommen in der Küche mit Blick auf einen grau-asphaltierten Hinterhof hat Józefina Starczynowska viel Zeit.38 Józefina Starczynowskas Erzählung ist die erste, in der – für mich unerwartet – die deutsch-polnische Geschichte erscheint. Meiner Einstiegsfrage folgend, erzählt sie zunächst ausführlich, wie ihr zweites Leben als Arbeitsmigrantin pendelnd zwischen Jelenia Góra in Polen und Berlin begonnen hatte. Der schwierige Anfang in Berlin ist ein sich wiederholendes Motiv in allen Erzählungen: die unbekannte Sprache, die fremde große Stadt, die schwierigen und doch unverzichtbaren Netzwerke der polnischen Haushaltsarbeiterinnen untereinander. Józefina Starczynowska klagt über Missgunst, Konkurrenz, Geldgier und Geiz in der polnischen Community. Doch die Abhängigkeit von den Kolleginnen ist zum Zeitpunkt unseres Gesprächs schon Vergangenheit. Im Laufe der Jahre ist sie zur Expertin der transnationalen Lebensweise avanciert, hat Erfahrungen, Sprachkenntnisse, Kontakte akkumuliert und ist als Mieterin einer eigenen Wohnung nicht zuletzt aufgestiegen zur Maklerin, die nicht nur Schlafplätze vermietet, sondern auch gewinnbringend Kontakte vermittelt und bei Sprachproblemen aushilft. Allerdings handelt es sich bei diesen zusätzlichen Erwerbsmöglichkeiten lediglich um Nebenverdienste.39 Den größten Teil ihres Einkommens erwirtschaftet Józefina Starczynowska nach wie vor mit der Arbeit in fremden Haushalten. Zum Zeitpunkt unseres Gesprächs arbeitet sie vier Tage in der Woche

38 Das Gespräch habe ich nicht aufgezeichnet, sondern Notizen gemacht und anschließend ein Gedächtnisprotokoll angefertigt. 39 Agnieszka Tomaszewska berichtet vom Handel mit Zigaretten und Wodka als weitere Nebenverdienste. Den Gewinn beim Verkauf einer Stange zollfreier Zigaretten gibt sie mit fünf Euro an: „Eine halbe Stunde Putzen.“

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insgesamt 26 Stunden. In einer Woche ist sie bei zehn, in der anderen bei 13 unterschiedlichen Familien. Ihr Stundenlohn beträgt zwischen acht und neun Euro. Auf die Frage, wie sie sich in Berlin fühle, antwortet Józefina Starczynowska mit „immer ängstlich“. Der Begriff „Angst“/„ängstlich“ taucht zwei Mal in meinen Gesprächsnotizen auf, einmal im Zusammenhang mit den polnischen Kolleginnen, ein zweites Mal im Kontext der Schwarzarbeit, die sie für ihre ständige Angst und das Gefühl permanenter Verfolgung verantwortlich macht. Aus diesem Grund lasse sie ihren Kalender, in dem sie Adressen und Arbeitszeiten notiert, immer zu Hause und das deutsche Mobiltelefon nehme sie nicht mit nach Polen. Allerdings seien nicht alle so ängstlich. Insbesondere die Jungen gäben sich ganz gelassen, sagt Józefina Starczynowska. Aus Angst, ihre informelle Arbeit könne auffliegen, hat sie sich, wie die meisten ihrer Kolleginnen, unsichtbar in einer Art Schattenwelt eingerichtet. Ihre Wohnung hat offiziell ein polnischer Bekannter mit deutschem Pass gemietet. An der Wohnungstür fehlt ihr Name. Strom und Gas werden über den Hauptmieter abgerechnet. Offiziell existiert Józefina Starczynowska in Berlin nicht. Neben der Wohnung, die als Rückzugsort dient, ist sie mit vielen über die Stadt verteilten Stützpunkten in Form von Arbeitgeberinnenwohnungen verbunden. Die Streckenverläufe von U- und S-Bahn, Bus und Tram verbinden die verschiedenen Räume. Eines Tages, erzählt Józefina Starczynowska, kam sie in Berlin in der UBahn in eine Fahrkartenkontrolle. Ihre Monatskarte war gefälscht. Die Kontrolleure erkannten dies sofort. Die Karte habe sie von einer Kollegin gekauft, im festen Glauben, es handle sich um eine echte: „Was denn sonst?“ Allerdings sei die Fahrkarte billiger gewesen als die aus dem Fahrkartenautomaten, räumt sie ein. Sie erzählt von einer Frau, die seit acht Jahren mit gefälschten Karten unterwegs sei.40 Wie lange sie diese Form des verbilligten öffentlichen Nahverkehrs genutzt hat oder sie noch immer nutzt, habe ich nicht in Erfahrung bringen können. Józefina Starczynowska hastet mit großer Geschwindigkeit in ihrer Erzählung weiter und hat mit wenigen Sätzen das Polizeirevier erreicht, zu dem die Kontrolleure sie damals brachten. 50 Euro sollte sie zahlen.41 Da sie jedoch we-

40 Der Verkauf gefälschter Fahrkarten ist ein Geschäft, das sich nicht nur im Kontext polnischer Putzfrauen etabliert hat. Wer die Karten herstellt, konnte ich nicht herausfinden. Beim Verkauf handelt es sich um einen ethnischen Handel. Jede Migrantengruppe kauft bei einem Händler aus der eigenen Gemeinschaft. 41 Ob es sich tatsächlich um 50 Euro handelte, ist allerdings nicht ganz klar. Zum Zeitpunkt des Gespräches berechneten die Berliner Verkehrs Betriebe (BVG) 40 Euro für die Beförderung ohne gültigen Fahrschein.

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der Geld noch einen Ausweis oder Pass dabei hatte und auch nicht einfach nur schwarzgefahren war, sondern eine gefälschte Monatskarte vorgezeigt hatte, musste sie die Kontrolleure auf ein Polizeirevier begleiten. Hier geschah das Unglaubliche: Józefina Starczynowska, die ehrbare, vormalige Buchhalterin aus Jelenia Góra, Mutter und Großmutter, wurde wie eine Kriminelle erkennungsdienstlich behandelt. Den Zwangsaufenthalt auf der Polizeistation hat Józefina Starczynowska nicht vergessen, eine ungeheuer demütigende Erfahrung, die sie noch in der Erinnerung zornig macht. Sie wurde fotografiert „wie eine Verbrecherin“, Fingerabdrücke wurden genommen. Und weil sie bei diesem Procedere etwas falsch gemacht hatte, habe die Polizistin sie angeschrien, erzählt sie. Die Empörung über dieses Verhalten ist ihr auch Jahre später noch deutlich anzusehen. Doch da habe sie zurückgeschrien: „Hier ist nicht Auschwitz!“ Als nächstes erinnert sie sich, wie sie wieder auf der Straße stand und weder wusste, wo sie war, noch den Weg nach Hause kannte. Zwar pendelte sie damals schon fünf Jahre lang zwischen Jelenia Góra und Berlin, doch hatte sie in dieser Zeit von der Stadt kaum mehr gesehen als die Wege zwischen ihrer Wohnung und den verschiedenen Arbeitsstellen. Das einzig Vertraute in dieser Stadt waren die U-Bahnlinien 7 und 1, die zentralen Strecken, auf denen sie zu ihren Arbeitsstellen in Schöneberg und Charlottenburg gelangte. „Auschwitz“ – diese Assoziation kam unerwartet. Józefina Starczynowska wurde nach dem Krieg geboren. Konzentrationslager, Besatzung und Krieg hat sie persönlich nicht erlebt. Mit dem Begriff Auschwitz als Referenzpunkt für die Situation auf der Berliner Polizeistation verbindet Józefina Starczynowska die Gegenwart mit der Vergangenheit, Nazideutschland mit der Bundesrepublik. Es scheint, als habe die Szene auf dem Polizeirevier eine Erinnerungsmaschine in Gang gesetzt, die das Stereotyp von den Deutschen als ewige Nazis und brutale Befehlshaber ausspuckt (Dmitrów 1998; Assmann 2014). Hier geschieht dies jedoch nicht, um sich vor den Wiedergängern Nazi-Deutschlands zu fürchten, sondern um sie in ihre Schranken zu weisen. „Hier ist nicht Auschwitz“ – klingt wie ein Appell und eine Zurechtweisung gleichermaßen. Haltet ein, ihr verwechselt etwas! Die Zeiten haben sich geändert – oder etwa nicht? Mehr als 70 Jahre nach der Befreiung der Konzentrationslager verknüpft Józefina Starczynowska in ihrer Erzählung das Verhalten deutscher Polizist*innen mit dem Ortsnamen, der zur Chiffre für die systematische Ermordung der europäischen Juden, polnischen Widerstandskämpfer*innen, Sinti, Roma und Homosexuellen gewordenen ist. Ihrer manchmal etwas atemlosen Erzählung folgend, erschien dies ein naheliegender Vergleich, eine spontane Assoziation, die auf die im Fundus des (kol-

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lektiven) Gedächtnisses an prominenter Stelle abgelegten Ereignisse zurückgreift. Die starke Beharrungskraft tradierter kollektiver Erfahrungsmuster hat der Soziologe Peter Alheit in Anlehnung an Norbert Elias’ Begriff der Figuration mithilfe des Konzepts der „Mentalitätsfiguration“ untersucht (Alheit 2005). 42 Figuration im Sinne von Elias sind Beziehungsgeflechte menschlicher Akteur*innen, die aufgrund von gemeinsamen Zeichensystemen und Kommunikationsmöglichkeiten aneinandergebunden sind und sich aneinanderbinden. Ein wichtiger Aspekt für das Zusammenleben ist die generationelle Wissensübertragung. Menschen werden in eine bestehende Figuration hineingeboren, deren Symbolwelt sie erlernen (Elias 1979). Jede Figuration entwickelt je eigene Mentalitäten. Alheit zufolge handelt es sich dabei – analog zum Bourdieuschen Habituskonzept – um generativ tradierte Verhaltensmuster, die „wir mit unseren biographischen Erfahrungen auf(nehmen) und [...] in die je individuelle Konstruktion unseres biographischen Wissens (ein)bauen“ (Alheit 2005, 40). Alheit spricht von einem „kollektiven Habitus“ (ebd.). Eine zentrale Rolle für die Ausbildung spezifischer Mentalitätsfigurationen weist er, neben der je individuellen sozialen Position und den individuellen biografischen Erlebnissen, den Erfahrungen vorläufiger Generationen zu. Danach heben Mentalitätsfigurationen auch lange zurückliegende historische Erfahrungen einer Gesellschaft auf, die Alheit zufolge „mit der Stellung und Veränderung der eigenen Kultur im Kontext anderer Kultur zu tun haben“ (ebd., 25). Was aus dem Narrativ einer Gruppe, auf welche Weise im alltäglichen kommunikativen Gedächtnis genutzt wird, welcher Stellenwert bestimmten Ereignissen zugeordnet wird, welche vergessen, welche immer wieder aktualisiert werden, variiert entsprechend den jeweiligen Anforderungen. Der britische Historiker Peter Burke spricht von großen Unterschieden zwischen kulturellen Systemen in Bezug auf die Praktiken der Vergegenwärtigung von Vergangenheit (Burke 1993). Polen wird in diesem Zusammenhang als geradezu vergangenheitsversessen beschrieben. Während der langen Periode der Nichtstaatlichkeit war das kollektive Erinnern an die nationale Geschichte und deren Helden die einzige Möglichkeit, trotz Okkupation und Fremdbestimmung, eine eigene Identität zu bewahren. Im Gegensatz dazu suchten die Nachkriegsdeutschen, die Vergangenheit in den Anstrengungen des Wiederaufbaus zunächst möglichst zu vergessen. Der Historiker Rudolf Jaworski spricht in diesem Zusammenhang von der Flucht der Deutschen „aus der Geschichte“ und der Flucht der Polen „in

42 Empirische Grundlage dieser Forschung von 2004 waren über 300 Interviews mit Großeltern und Enkeln aus Tschechien, Ostdeutschland und Polen.

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die Geschichte“ (Jaworski 1998, 40). Der polnische Literaturnobelpreisträger Czesław Miłosz formuliert dies so: „Das Gedächtnis der Polen – das ist das Geheimnis Polens.“43 Erinnerung als Form des Widerstands gegen jedwede Form des oktroyierten Vergessens wird im nationalen Selbstverständnis als eine zentrale Aufgabe gewertet (Herber 2014; Jaworski 1998). Dies geht nach Herber soweit, dass die historische Erinnerungsfähigkeit mit dem Wesen Polens als Nation und Vaterland gleichgesetzt werde (Herber 2014, 299). Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen erscheint es wenig verwunderlich, dass auch 70 Jahre nach dem Ende des deutschen Terrorregimes Diskriminierung, Verfolgung und Ermordung im kulturellen und kommunikativen Gedächtnis44 gleichermaßen präsent sind. Nahezu jede polnische Familienerzählung tradiert die Erinnerung an die mehr als zwei Millionen zur Zwangsarbeit verschleppten polnischen Bürger*innen und die Ermordung von mehr als fünf Millionen Pol*innen – darunter über drei Millionen polnische Juden – in den nationalsozialistischen Todesfabriken (Loew 2014). 45 Die Monster der Vergangenheit lauern noch immer im scheinbar so ruhigen Fluss der Gegenwart, jederzeit bereit die Erinnerung zu wecken. Ob dies geschieht und in welcher Form, das bestimmen aktuelle Ereignisse und die sich erinnernden Subjekte. In der zitierten Sequenz positioniert sich Józefina Starczynowska in einer Traditionslinie mit den Opfern von Auschwitz. Die deutsche Polizistin imaginiert sie als Täterin, gegen die zu kämpfen sie nur allzu bereit ist. Harsch weist Józefina Starczynowska sie zurecht, sie solle sich zurückhalten, ihre Kompetenzen nicht überschreiten und sie respektvoll behandeln. Mit der Erzählung von der entschiedenen Zurückweisung der Herrschaftsgeste der Polizistin deutet Jó-

43 „Pamięć Polaków – oto tajemnica Polski.“ (Zitiert nach Baczko 1994, 193) 44 Der Religions- und Kulturwissenschaftler Jan Assmann hat das Konzept des französischen Soziologen Maurice Halbwachs – Begründer der sozial- und kulturwissenschaftlichen Gedächtnisforschung – weitergeführt, indem er das kollektive Gedächtnis begrifflich in zwei „Register“ (Erll 2005, 27) unterscheidet: ein kulturelles Gedächtnis und ein kommunikatives Gedächtnis. Als kommunikatives Gedächtnis wird die „Gedächtniserfahrung der Zeitgenossen“ (ebd., 28) bezeichnet. Im Gegensatz zu diesem „alltagsnahen“ Gedächtnis zeichnet sich das „kulturelle Gedächtnis“ durch „Alltagsferne“ (Welzer 2011, 14 [Herv. i. Orig.]) aus. Stattdessen stützt es sich auf Ereignisse in der Vergangenheit, die „als schicksalshaft und bedeutsam markiert werden und durch kulturelle Formung (Riten, Denkmäler) und institutionalisierte Kommunikation (Rezitationen, Begehung, Betrachtung) wachgehalten werden“ (ebd.). 45 Vor dem Holocaust lebten ca. 3,5 Millionen Juden in Polen (Loew 2014).

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zefina Starczynowska die persönliche Demütigung in einen Akt des Aufbegehrens und des Triumphes um. Im deutsch-polnischen Arbeitsverhältnis sind die Geschichte und ihre moralischen Implikationen auch eine Ressource zur Grenzziehung. Wann und wie die im Bewusstsein der erinnernden Subjekte gelagerten historischen Ereignisse in der Gegenwart bedeutsam werden, scheint von meist zufälligen Ereignissen und Koinzidenzen abhängig zu sein, wie einer Fahrscheinkontrolle in der U-Bahn, Problemen mit dem Arbeitsamt oder auch der Diskriminierung am Arbeitsplatz. Für die Beschreibung einer Arbeitgeberin, von der sie sich gedemütigt fühlte, wählt Joanna Patla spontan „typisch Hitlerjugend“. Ein Bild, ein Wort, ein Reiz genügen offensichtlich, um das Stereotyp von den Deutschen als ewigen Nazis und brutalen Befehlshabern aufzurufen. Doch die Vergangenheit ist keinesfalls eine Muse, die „uns entgegenkäme wie von selbst“ (Walser 1998, 283 zit. nach Assmann 2014, 160), bedauert Martin Walser in seinem autobiografischen Roman Ein springender Brunnen. Selbst in Marcel Prousts häufig zitierter Madeleine-Episode ist die mémoire involontaire mehr als eine körperliche Reaktion auf einen Reiz, hervorgerufen durch den Genuss von einem „Löffel Tee mit dem aufgeweichten kleinen Stück Madeleine darin“ (Proust 1979, Bd. 1; 63). Auch die unwillentliche Erinnerung bedarf des Wollens, der Bereitschaft, einer mentalen Anstrengung, wie bei Proust einer wiederholten Abfolge von Konzentration und Zerstreuung, um sie aus dem Gedächtnis zu heben (Beise 2007). Festzuhalten ist, dass die Schrecken und Gräuel, die die Deutschen während des II. Weltkriegs in Polen verübten, in der Erinnerung auch der Nachgeborenen abrufbereit lagern, um bei Bedarf für die Anforderungen der Gegenwart eingesetzt zu werden, etwa um die Plausibilität einer autobiografischen Erzählung zu stärken oder auch um vermeintliche Erwartungen der Gesprächspartnerin zu erfüllen (Krzemiński 2002). 6.6.2 Familiengeschichte | Einen weiteren Hinweis darauf, wie die Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Erinnerungsgemeinschaften in den deutsch-polnischen Begegnungen im Kontext informeller Hausarbeit Bedeutung erhält, gibt die folgende Sequenz aus dem Gespräch mit Anett Kamińska. Es ist das zweite Mal, dass ich Anett Kamińska treffe. Kennengelernt hatten wir uns zwei Jahre zuvor im Haus von Marlene Hartmann, einer Bekannten, die mir den Kontakt vermittelt hatte. Das zweite Gespräch kam ohne Vermittlerin aus, ich hatte Anett Kamińska angerufen, um zu hören, wie es ihr ergangen, was aus ihren Träumen geworden war. Sie schlug

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vor, sich am nächsten Tag in einem Café in einem Neuköllner Einkaufszentrum zu treffen. Wie sich herausstellt, ist dies ein ausgesprochen schlechter Tag für Anett Kamińska, um die vergangenen zwei Jahre zu resümieren. Unmittelbar vor unserem Treffen hatte ein Mitarbeiter des Arbeitsamtes ihr mitgeteilt, dass ihr Antrag auf eine Arbeitserlaubnis abgelehnt worden war. Der Traum vom Ende der Schwarzarbeit war beendet. Die Zurückweisung des Antrags, den damit verbundenen Ausschluss vom offiziellen Arbeitsmarkt schildert Anett Kamińska als eine persönlich ungeheuer kränkende und demütigende Erfahrung. Sie ist enttäuscht und voller Wut auf den Angestellten des Arbeitsamtes, auf alle Deutschen. Der Überbringer der schlechten Nachricht verwandelt sich in ihrer Erzählung in den Verantwortlichen, den Täter, der Einzelne wird zum Repräsentanten aller Deutschen. Anett Kamińska generalisiert die negative Erfahrung und beurteilt sie als „typisch“ für die Beziehung zwischen Deutschen und Pol*innen (siehe Kapitel 4.3.1). Nach etwa einer Stunde ist unser Gespräch beendet, das Aufzeichnungsgerät ausgeschaltet, doch Anett Kamińska, ihre Kusine, die sie begleitet und ich sitzen wie festgeschraubt am Kaffeehaustisch. Keine sagt etwas. Schließlich frage ich Anett Kamińska, ob ich sie einmal nach Polen begleiten könne. 46 Die Frage ist ihr offensichtlich unangenehm. Sie antwortet ausweichend, da müsse sie erst ihre Mutter fragen. Ihr Vater – ein pensionierter Geschichtslehrer – sei sowieso die meiste Zeit in Berlin. Ich frage, ob er auch hier arbeite. Anett Kamińska verneint, er hüte das Kind ihrer Schwester während sie einen Deutschkurs besuche. Sie erzählt von der Schwester, einer Psychologin, die in Berlin lebt und mit einem Deutschen verheiratet ist. Die Mutter könne nicht weg von zu Hause. Ihr Bruder, der an Epilepsie leide, bedürfe ständiger Pflege. Die Eltern haben nie in Deutschland gearbeitet, sagt Anett Kamińska, nur die Großmutter habe früher in Deutschland gearbeitet, wenn auch nicht freiwillig. Sie nennt keine konkrete Zeit. Ich frage, ob das während der Nazizeit gewesen sei. Anett Kamińska nickt. Als Zwangsarbeiterin? Sie nickt wieder. Die Großmutter hat Anett Kamińska nicht kennengelernt. Sie war schon vor ihrer Geburt gestorben. Ihre Mutter habe diese Familiengeschichte überliefert, sagt sie. Mehr will sie dazu nicht sagen. Mit diesem Nachtrag endet unser Gespräch endgültig. Am nächsten Tag treffe ich Anett Kamińskas Arbeitgeberin Marlene Hartmann. Sie weiß nichts von diesem Kapitel der Familiengeschichte ihrer Haushaltsarbeiterin, der sie sich, wie sie mehrmals betont, eng verbunden fühlt. Marlene Hartmann hat als einzige meiner Gesprächspartnerinnen die Familie der

46 Dieses nicht mitgeschnittene Gespräch habe ich im Anschluss als Gedächtnisprotokoll notiert.

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Haushaltsarbeiterin in Polen besucht. Anett Kamińskas Familie wohnte damals nicht weit von Berlin entfernt in der Nähe der deutsch-polnischen Grenzstadt Kostrzyn. Umso überraschender ist, dass Anett Kamińska bei den Hartmanns nie das Schicksal ihrer Großmutter erwähnt hatte, aber bei einem Treffen in einer anonymen Einkaufspassage gegenüber einer Fremden davon spricht. Die zögerlich vorgebrachte Erzählung von der Arbeit der Großmutter in Deutschland, die sie erst auf Nachfrage zeitlich in die Nazizeit einordnet und als Zwangsarbeit charakterisiert, deutet darauf hin, dass diese Erzählung keinen festen Platz in Anett Kamińskas autobiografischer Repräsentation einnimmt, sondern vielmehr ein im gewöhnlichen Alltag unzugängliches Familiennarrativ ist. Es bedarf eines besonderen Anlasses, eines Affektes, um dieses Narrativ zu aktivieren und gleichzeitig die Bereitschaft der Ich-Erzählerin, diese Geschichte zu einem gegebenen Anlass in ihre „soziale Konstruktion der Gegenwart“ (Assmann 2014, 161) zu inkludieren (Brainin 2003; Welzer 2011). War es bei Marcel Proust das in Lindenblütentee getränkte Madeleine, so ist es in Anett Kamińskas Erzählung vielleicht der Angestellte der Arbeitsagentur, der die Erinnerung an das Schicksal der Großmutter in Gang setzte. Diese Erinnerung ergänzt die konkreten Ereignisse des Tages. Sie passen sich wie ein fehlendes Puzzleteil ein, um das für Anett Kamińska in diesem Moment einzig gültige Bild von den überheblichen Deutschen („Für viele [Deutsche d. V.] sind wir Polen einfach gar nichts.“) zu vervollständigen. Wie zufällig oder absichtsvoll die deutsch-polnische Geschichte in den Narrativen der Haushaltsarbeiterinnen auch auftaucht, so scheint mir doch von zentraler Bedeutung, dass sie jederzeit in das Verhältnis von deutschen Arbeitgeberinnen und polnischen Haushaltsarbeiterinnen eindringen und, wie Assmann es nennt, dieses „mit emotionaler Dissonanz und moralischem Dilemma“ (Assmann 2014, 159) heimsuchen kann. So gesehen, ist das Bedeutungsfeld „NS-Diktatur, Krieg und Holocaust“ eine in den tieferen Gedächtnisschichten abgelagerte Ressource, die in den Erzählungen bei Bedarf und gegebenem Anlass aktualisiert werden kann. Inwiefern es sich dabei um eine bewusste oder unbewusste Handlung handelt, lässt sich nicht abschließend sagen. Der Rückgriff auf die deutschpolnische Geschichte ist aber auch ein Instrument, um sich gegen Demütigungen zu wehren und ökonomische und soziale Unterlegenheit zu kompensieren. 6.6.3 Über Geschichte sprechen | Eine ganz andere Dramaturgie hat das Gespräch mit Annette Schmitt. Auf die Frage, ob die deutsch-polnische Geschichte in der Begegnung mit ihrer polnischen Haushaltsarbeiterin eine Rolle spiele, antwortet Annette Schmitt zunächst

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knapp und klar: „Also darüber spreche ich gerne mit ihr.“ Allerdings, dies wird in dem unmittelbar anschließenden langen Lamento deutlich, ist Dorota Mirkiewicz an diesem Thema im weitesten Sinne – so Annette Schmitt – desinteressiert. „Sie ist eigentlich ein unpolitischer Mensch und sie ist einfach ungebildet aufgewachsen. Das holt man auch so schnell nicht nach, denk’ ich.“ Zwar spricht der äußere Schein, Dorota Mirkiewicz studiert zu diesem Zeitpunkt deutschpolnische Geschichte, gegen eine politische Ignoranz, doch meinen Einspruch – „Deutsch-polnische Geschichte, das studiert man doch nicht einfach so.“ – kontert Annette Schmitt mit der Wiederholung eines bereits vorgebrachten Arguments: „[...] [S]ie hat halt eben einen Studienplatz genommen, wo sie eine gute Chance hat, den zu kriegen. Das ist nicht ihr Schwerpunkt, das merkt man.“ 47 Als Beweis für die rein pragmatische Entscheidung Dorota Mirkiewiczs führt Annette Schmitt die eigene Biografie an: „[Geschichte, d.V.] war eines der wenigen Fächer ohne Numerus Clausus. Ich hab’ mich [...] ursprünglich [auch, d.V.] für Geschichte eingetragen, aus dem gleichen Grund. [...] es machen ja auch viele so [...] da haben sie natürlich [eine, d.V.] billige Krankenversicherung [...]. [Aber, d.V.] das [Geschichte, d.V.] ist nicht ihr Schwerpunkt. Das merkt man. Sie fotografiert gern, sie macht sehr gute Fotos. Da hat sie ein Talent. Und dann hat sie wirklich ein großes Talent mit Kindern, finde ich. Pädagogisch. Was ich ganz lustig finde, worüber wir auch oft gesprochen haben, den Antisemitismus in Polen, der durchaus vorhanden ist nach wie vor und der auch bei ihr [Dorota Mirkiewicz, d.V.] irgendwo vorhanden ist, finde ich.“ (Annette Schmitt) „Hm. Wie äußert sich das?“ (UFM) „Ganz unterschiedlich. Eigentlich nur [...] wenn man das direkt thematisiert und sie dann sagt, ja das ist doch auch so, das und das. Dass sie so diese alten Klischees dann auch so’n bisschen bestätigt.“ (Annette Schmitt) „Und ist das nicht extrem unangenehm?“ (UFM) „Sie ist keine Antisemitin, das würde ich nicht sagen. [...] das kommt ja auch aus dem Umfeld. [...] natürlich gehen wir Deutsche mit dem Thema anders um, das ist ja unser empfindlichstes Thema überhaupt. Da sind die Polen dann auch freier [...] ihre Vorurteile zu artikulieren. Ich merke, dass sie irgendwo, vielleicht ganz hinten drin manchmal denkt, irgendwas ist dran. Es ist doch irgendwas dran. Das sind dann so unsere Streitgespräche, dass ich versuche [...] dagegen zu argumentieren und eh’ also das ist schon manchmal ‚n Thema. [...] Hm. Das ist ganz primitiv irgendwo unten drin, ehm ... (Pause) Ich finde, das darf jetzt nicht überbewertet werden.“ (Annette Schmitt) „Nein, nein.“ (UFM)

47 Siehe hierzu Kapitel 6.4.3.

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„Das fiel mir nur jetzt gerade ein, das ist für sie [Dorota, d. V. ] jetzt auch kein wichtiges Thema.“ (Annette Schmitt) „Ja.“ (UFM) „Und das haben wir ein paar Mal [...] angesprochen. Und da hab’ ich [...] gemerkt, dass man da so’n bisschen Überzeugungsarbeit leisten muss [...].“ (Annette Schmitt)

Der Wechsel von den persönlichen Talenten (Fotografie, Pädagogik) zu einem als typisch polnische Eigenschaft charakterisierten notorischen Antisemitismus überrascht mich sowohl in der konkreten Gesprächssituation als auch später zu Hause am Schreibtisch. Ausgangspunkt dieser Sequenz ist die Frage nach der Relevanz der deutsch-polnischen Geschichte im Kontext der informellen Hausarbeit, eine Frage die nicht auf die Eigenschaften oder Zuschreibungen einer der beteiligten Gruppen zielt, sondern auf das Arbeitsverhältnis und mögliche Einflussfaktoren. Annette Schmitt nimmt hier die Position einer auktorialen Erzählerin ein. Sie kennt die wirklichen Beweggründe Dorota Mirkiewiczs, weil sie kurzerhand ihre eigene Biografie als exemplarische auf sie überträgt: „[...] machen ja auch so viele.“ Dorota Mirkiewiczs Studium wird damit entwertet. Dafür werden ihr andere Talente zugeordnet. Fotografie und „ein wirklich großes Talent mit Kindern“. Die negativen Zuschreibungen werden hier, wie in der ganzen Sequenz, unmittelbar durch positive oder auch relativierende Einwürfe abgemildert. Die Argumentationsstrategie gleicht der Springprozession mit der berühmten Schrittfolge drei vor zwei zurück. Das Motiv des polnischen Antisemitismus fungiert in dieser Gesprächspassage als kulturalistische Zuschreibung, danach sind die Polen – im Gegensatz zu uns, den Deutschen – von den historischen Ereignissen unbeeindruckt. Dorota Mirkiewicz, hier in der Rolle der idealtypischen Polin, bestätigt dieses Klischee, zumindest manchmal und „ein bisschen“. Kaum in die Welt gesetzt, nimmt Annette Schmitt den Vorwurf des Antisemitismus wieder zurück, schwächt ihn ab, als habe sie eine Grenze überschritten, hinter der sie sich schnell wieder in Sicherheit bringen will – vielleicht weil sie mit der Anderen auch weiterhin auskommen muss und will. Das Thema Antisemitismus – „unser empfindlichstes Thema überhaupt“ – trennt uns von den Anderen, zumindest im öffentlichen Diskurs. Wir dürfen gar nicht so (antisemitisch) sein, wie die Polen sind, selbst wenn wir es wollten. Die Deutschen haben eine Vergangenheit, die Polen den Antisemitismus. Während sich allerdings die Deutschen mit ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit auseinandersetzen, so die Botschaft dieser Sequenz, haben die Polen die Aufarbeitung ihres Antisemitismus’ versäumt oder sind „einfach freier“, an ihren Ressentiments festzuhalten. Der Antisemitismus hat bei den Nachbarn, scheint es hier, die Zeitläufte in einem Wetterwinkel überdau-

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ert, mit dem Ergebnis, so Annette Schmitt, dass er in der polnischen Gesellschaft „nach wie vor“ zur ideologischen Grundausstattung gehört. Die Thematisierung des Antisemitismus der Polen dient als Vehikel für die eigenen Vorurteile gegenüber den Polen. Während Annette Schmitt über die Vorurteile der Polen gegenüber Juden spricht, artikuliert sie ihre Vorurteile gegenüber den Polen. Die hier markierte Differenz wird wieder als eine zeitliche gedacht. Basierend auf dem „Narrativ vom zurückgebliebenen Osten“ (Hess 2009, 206) positioniert Annette Schmitts Erzählung die polnische Gesellschaft – das kollektive Andere zu dem Wir der Deutschen – in einen vorreflexiven, vormodernen Status quo. In diesem inferioren Zustand existiert die zweifelhafte Freiheit, „Vorurteile zu artikulieren“, Vorurteile zu pflegen „ganz primitiv unten drin“. In dieser Konstruktion einer von zivilisatorischen Standards, wie der Ächtung von Rassismus und Antisemitismus, scheinbar wenig berührten Gesellschaft werden die Leistungen der eigenen Gesellschaft – hier die vorbildliche Auseinandersetzung mit dem Holocaust – sichtbar gemacht. In diesem „Diskurs der Differenz“ (Hall 1989, 913) erscheinen die polnischen Akteur*innen naiv wie Kinder oder auch wie die Wilden im kolonialen Diskurs, die sich ihres Handelns – im Gegensatz zu den Deutschen – nicht bewusst sind. Die scheinbar kindliche Unbekümmertheit der Polen, ihren antisemitischen Ressentiments freien Lauf zu lassen, konfrontiert Annette Schmitt in ihrer Erzählung mit der Bürde der Verantwortung, die die Generation der NS-Täter ihren Nachkommen hinterlassen hat. Die genealogische Situierung auf der Täterseite erfordert „natürlich“ einen anderen Umgang mit dem Antisemitismus, als jene ihn pflegen können, deren Vorfahren die Opfer waren, umso mehr seit in den 1980er und 1990er Jahren der Holocaust zu „einer globalen Ikone von Schuld und Trauma“ (Assmann 2014, 155) avancierte. Als Auslöser für diese Entwicklung – zumindest in Deutschland – gilt die 1978 in den dritten Programmen der ARD ausgestrahlte US-amerikanische Fernsehserie Holocaust, die in vier Teilen das Schicksal der fiktiven deutsch-jüdischen Familie Weiß während des Nationalsozialismus erzählt. Durch die populäre Adaptation bekamen die Opfer der NS-Verbrechen plötzlich Gesichter, Stimmen und einen Namen. Die Filmfiguren waren normale Menschen, mit denen sich die Fernsehzuschauer identifizieren konnten und deren Schicksal Empathie auslöste. Erst durch die Personalisierung der Opfer wurde der Holocaust im historischen Gedächtnis der bundesrepublikanischen Gesellschaft zu einem zentralen Topos, zu „unserem empfindlichsten Thema überhaupt“, wie Annette Schmitt es formuliert (Assmann 2014). Die Sensibilität des Themas impliziert: Man muss vorsichtig sein, mit dem, was man sagt und wie man es sagt. Politisch korrektes Sprechen ist in diesem Feld zwingend geboten, will man nicht Gefahr laufen, als unbelehrbare Antise-

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mitin beschuldigt zu werden. Die Rede von der notwendigen „Überzeugungsarbeit“ in Sachen political correctness, von der Lust, aus der Position einer Expertin die in diesem Feld allzu unbekümmerten Anderen zu belehren, offenbart einen paternalistischen Gestus, der sich als konstantes Motiv in den Erzählungen der Arbeitgeberinnen behauptet. „Ja, ich [...] besprech’ viel mit ihr. Manchmal merk’ ich da natürlich schon, dass da auch Unterschiede sind, [...] also, dass sie vom ganzen Hintergrund, das ist natürlich nicht vergleichbar, sie ist nicht gebildet, überhaupt nicht gebildet, aber sie ist intelligent und da ich auch gern was Missionarisches hab’, hab’ ich auch immer versucht ihr irgendwas mitzugeben, sie einzubeziehen.“ (Annette Schmitt)

Die Begeisterung am Missionieren, von dem hier die Rede ist, erinnert an den Topos der Kultur- und Zivilisierungsmission, die im 19. und 20. Jahrhundert den Kolonialismus ideologisch begründete. Die Rhetorik von der Mission, die Anderen zu bilden, sie eines (moralisch) Besseren zu belehren, „Überzeugungsarbeit zu leisten“, aufzuklären über das, was richtig und was falsch ist, den Anderen die eigenen Wissensbestände zu oktroyieren, wurde von den Akteur*innen kolonialer Politik stets als zentraler Aspekt der Intervention propagiert (Hess 2009; Varela/Dhawan 2015). Die Markierung der polnischen Gesellschaft als einer im Verhältnis zu Deutschland zurückgebliebenen, die eigene Geschichte nicht reflektierenden Gesellschaft entspricht auch in diesem Fall dem Narrativ vom nachholbedürftigen Osten, ein Format, das in den Erzählungen wiederholt und stetig auftaucht. In den vorangegangenen Kapiteln ist deutlich geworden, dass die gegenseitige Wahrnehmung der Akteurinnen, die Selbst- und Fremdzuschreibungen, die sie in den Erzählungen formulieren, in hohem Maße geprägt sind von Generalisierungen auf der Grundlage von kulturellen und nationalen Stereotypen. Das Beharren auf Distinktion – hier im Rückgriff auf historische Ereignisse und vermeintliche Entwicklungsdefizite – scheint umso überraschender, da in den Erzählungen immer wieder von unbedingtem Vertrauen und von Freundschaft die Rede ist. Dieses Paradoxon von gleichzeitiger Ab- und Aufwertung, von empathischer Aufmerksamkeit bis hin zu Demütigung und Verachtung spiegelt die Vielschichtigkeit der deutsch-polnischen Begegnungen wider. Die Kontingenz der sehr persönlichen Arbeitsbeziehungen, wie sie sich in den Erzählungen darstellt, die unendlichen Variationsmöglichkeiten, die jeder Begegnung innewohnen, ändert jedoch nichts an der strukturellen Ungleichheit der Beziehungen zwischen Arbeitgeberin und Arbeitnehmerin.

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Vor beinahe 20 Jahren sprach Birgit Sekulski von einer „einzigartigen, merkwürdig gespaltenen Situation“ im deutsch-polnischen Verhältnis (Sekulski, 1998, 158). In Deutschland bemühten sich die „offiziellen Kreise“, „Intellektuelle“ und „Freunde Polens“ um ein gutes Verhältnis zum Nachbarland. Geschäftsleute betrachteten Polen als einen potenziell einträglichen Markt. Dagegen interessiere sich der „Durchschnittsbürger“ kaum für das im Osten angrenzende Land. Die Tourismusindustrie lasse Polen weitgehend links liegen. Zwar werde von schönen Landschaften geschwärmt, allerdings sei noch kaum jemand dort gewesen. Anders als Polenwitze seien polnische Filme und Literatur hierzulande kaum bekannt. Aus Polen kämen – der allgemeinen Überzeugung nach – Schwarzarbeiter, Putzfrauen, Pflegepersonal, Erntehelfer und Handwerker, hingegen selten international anerkannte Politiker wie Tadeusz Mazowiecki, berühmte Komponisten wie Krzysztof Penderecki oder Autoren von Weltruf wie die Nobelpreisträger Czesław Miłosz und Wisława Szymborska. 20 Jahre sind seither vergangen, ohne dass sich die Situation entscheidend geändert hätte. Nach wie vor wird das deutsch-polnische Verhältnisse vor allem durch Experten definiert. Auch die zahlreichen persönlichen Begegnungen zwischen Polen und Deutschen, insbesondere im Kontext von informeller Arbeit, verändern und dynamisieren die herrschenden Stereotypen und Bilder kaum. Meine Forschung hat ergeben, dass in der deutsch-polnischen Kontaktzone „Haushalt“ Sprachlosigkeit, Unwissenheit und Desinteresse vorherrschen, die auf beiden Seiten das Fortbestehen alter Klischees und Vorurteile stützen. In der vorliegenden Studie habe ich die Begegnungen von polnischen Putzfrauen und deutschen Arbeitgeberinnen untersucht. Die Schattenökonomie in den Haushalten der deutschen Mittelschicht ist ein Beispiel für das weltweite Phänomen einer internationalen Arbeitsteilung, wie sie sich im Zuge der Globalisierung und des Endes der europäischen Teilung, wenn auch mit jeweils lokalen

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Spezifika, zwischen dem Arbeit gebenden Norden und Westen und dem Arbeit suchenden Osten und Süden herausgebildet hat. Im Mittelpunkt dieser Studie stehen die deutsch-polnischen Begegnungen, wie sie sich aufgrund des ökonomischen Gefälles zwischen den Nachbarländern, der Existenz sozialer Netzwerke als Folge einer langen Tradition grenzüberschreitender Mobilität in der polnischen Gesellschaft sowie dem Beharrungsvermögen einer geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung entwickelt haben. In meiner Forschung habe ich die Bewegungen der Akteurinnen nachgezeichnet, ihr Changieren zwischen Nähe und Distanz dokumentiert, die einvernehmlichen wie widerstreitenden Ambitionen der Individuen aufgezeigt und die Praktiken sowie die Strategien des täglichen Umgangs herausgearbeitet. Als ein erstes Ergebnis auf der Ebene der Haushaltsarbeit lässt sich ein ernüchternder Befund für traditionelle Geschlechterrollen formulieren: das Delegieren der Reproduktionsarbeit an eine andere Frau stellt die vergeschlechtlichte Arbeitsteilung nicht infrage, weder in der deutschen noch in der polnischen Gesellschaft. Die transnationale Umverteilung von Hausarbeit generiert bezüglich der Zuständigkeit keine abweichende Praktik, im Gegenteil, die Ökonomisierung des Haushalts prolongiert die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung. Der polnische Wirtschaftswissenschaftler Marek Okólski weist in einer Studie zu den Kosten und dem Nutzen der Migration für osteuropäische Länder aus dem Jahr 2006 darauf hin, dass transnationale Arbeitsmigration auf längere Sicht zu einer sozialen Marginalisierung der Akteur*innen sowohl im Herkunftsland als auch im Zielland führt. Okólski spricht von zirkulären Migrant*innen als „people on the swing“ (Okólski 2006, 5), Menschen, die sich dauerhaft im Provisorischen eingerichtet haben. Unter solchen Bedingungen scheinen Anstrengungen einer sozialen Integration im Aufnahmeland (etwa das Erlernen der Sprache, Kontakte außerhalb von Migrationsnetzwerken) überflüssig. Andererseits verringert die häufige Abwesenheit das soziale Kapital in der Herkunftsgesellschaft. Somit wird nach jahrelanger transnationaler Mobilität eine Wiedereingliederung in den heimischen Arbeitsmarkt als äußerst schwierig eingeschätzt (Kałwa 2010; Okólski 2006). Migration wird hier abschließend als individuelle und gesellschaftliche Sackgasse gewertet. Mit Blick auf diese Studie war ich überrascht, dass sich die Haushaltsarbeiterinnen in ihren Erzählungen überwiegend als selbstbewusste, durchsetzungsfähige und erfolgreiche Entrepreneurinnen der eigenen Möglichkeiten entwarfen, dabei die Mühsal und Entbehrungen, die psychischen und physischen Belastungen der Arbeitsmigration keineswegs leugneten. Insgesamt machen die Erzählungen deutlich, dass sich die polnischen ebenso wie die deutschen Akteurinnen in ihren jeweiligen Rollen als Arbeitnehmerinnen und Arbeitgeberinnen auf

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einem unbekannten Terrain neu positionieren müssen. In den biografischen Erzählungen erscheint das Neue im Kontrast zum Alten in der binären Erzählstruktur des Vorher/Nachher: das Leben der Haushaltsarbeiterinnen vor dem Zusammenbruch des Sozialismus 1989, vor der Migration sowie bei den Arbeitgeberinnen vor der Geburt der Kinder. Ist die Erzählung in der Gegenwart angekommen und die polnische Putzfrau hat gegen Bezahlung einen Teil der Hausfrauenrolle übernommen, richtet sich die Aufmerksamkeit auf das Verhältnis von Arbeitgeberinnen und Arbeitnehmerinnen. Die Erzählungen machen deutlich, dass das informelle Arbeitsverhältnis für beide Seiten eine Herausforderung darstellt, die ein hohes Maß an sozialer Kompetenz, Flexibilität und Selbsttechnologie benötigt. Das spezifische Interesse dieser Studie besteht in dem Versuch, die dem Hausarbeitsverhältnis zwischen Deutschen und Polinnen zugrunde liegenden kulturellen Imaginationen und Zuschreibungen herauszuarbeiten und die daraus resultierenden Praktiken und häufig widersprüchlichen Selbstpositionierungen nachzuvollziehen sowie deren Bedeutung für das Funktionieren des informellen Hausarbeitsverhältnisses darzulegen. Dazu habe ich den Figurenkosmos, wie er in den Erzählungen entworfen wurde, beschrieben und die Sinnhaftigkeit der unterschiedlichen Beziehungskonstruktionen für das informelle Hausarbeitsverhältnis plausibilisiert. Die Analyse auf der Ebene der Figuren hat gezeigt, dass die durch eine Art autosuggestiver Rhetorik erzielte Metamorphose der informellen Vertragsbeziehung in ein verwandtschaftliches, respektive freundschaftliches Verhältnis für das Zustandekommen des Arbeitsverhältnisses konstitutiv ist. Arbeit wird nicht einfach angewiesen und wie verabredet entlohnt, sondern emotional aufgeladen durch Praktiken wie gemeinsames Putzen oder auf der symbolischen Ebene durch die Anrufung der Haushaltsarbeiterin als quasi Verwandte, gute Freundin, Nachbarin. Auf der rhetorischen und emotionalen Ebene handelt es sich hier um den Versuch, das Arbeitsverhältnis als ein ökonomisches der Wahrnehmung zu entziehen. Eine andere Strategie mit dem gleichen Ziel verbirgt sich hinter der Verschleierung des Arbeitsverhältnisses mithilfe von Zuschreibungen wie „gute Geister“, „unsere Perle“ oder auch „(Putz-)Fee“ ins Märchenhafte. Die Anrufung der Haushaltsarbeiterin als Vertraute gleicht einem Zauberspruch der notwendig ist, um das Misstrauen gegenüber der Fremden symbolisch zu entkräften und somit die Voraussetzung zu schaffen, ihr nicht nur die Wohnungsschlüssel und die Kinder anzuvertrauen, sondern auch den Blick auf den Schmutz und damit in die Intimsphäre zu gewähren. Die Camouflage der sachlich begründeten Beziehungen lässt sich generell als ein Strukturelement von informellen Arbeitsverhältnissen im Haushalt beschreiben. Allerdings handelt es sich bei der familiären Semantik lediglich um ein alltagspraktisches

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Handlungskonzept, das die hierarchische Beziehung zwischen Arbeitgeberinnen und Arbeitnehmerinnen nicht berührt. Noch schwerer wiegt, dass die Praxis der Familiarisierung nicht die Beharrungskraft von stereotypen Wissensgehalten über die Polen und die Deutschen erschüttern kann. Die Studie zeigt, dass auch unter den Bedingungen eines vereinten Europas und der EU-Mitgliedschaft Polens im Verhältnis von deutschen Arbeitgeberinnen und polnischen Haushaltsarbeiterinnen die Essentialisierung und Homogenisierung eines vermeintlich rückständigen Ostens nicht an Wirkungsmacht verloren hat und die Interaktionen der Akteurinnen rahmt. Auf dieser Wissensordnung basiert die Konstruktion Polens als einer rückständigen Transformationsgesellschaft, wie sie in den Erzählungen der Arbeitgeberinnen aufscheint, etwa wenn sie die Inanspruchnahme der Dienstleistung polnischer Putzfrauen in eine soziale Geste der „Aufbau-Hilfe“ umdeuten. Ein zentrales Interesse der vorliegenden Forschung ist die Darstellung der Gleichzeitigkeit von emanzipatorischen Chancen für die Akteurinnen und der Stabilisierung traditioneller Ungleichheit der Geschlechter. In einem zweiten Schwerpunkt wird die Perpetuierung von Stereotypen im deutsch-polnischen Verhältnis thematisiert. Der Optimierung von Karrierechancen auf der Arbeitgeberinnenseite steht der Zugewinn an Unabhängigkeit und die Akkumulation von ökonomischem und sozialem Kapital auf der Arbeitnehmerinnenseite gegenüber. Die Polinnen, die in deutschen Haushalten putzen, können in ihrer Heimatgesellschaft ihren Lebensstandard erhöhen und ihre soziale Position stabilisieren. In dieser Perspektive erscheint das Delegieren eines Teils der Reproduktionsarbeit an Arbeitsmigrantinnen als eine Win-win-Situation. Doch während dies für die Arbeitgeberinnen uneingeschränkt zutrifft, müssen die Arbeitsmigrantinnen auch negative Effekte in Kauf nehmen. Den positiven Auswirkungen, wie dem Aufstieg zur Familienernährerin, der Gründung eines kleinen Unternehmens oder auch verbesserter Bildungschancen für die nachfolgende Generation, stehen die der Schattenökonomie und der transnationalen Arbeitsmigration inhärenten Nachteile gegenüber. Die Stichworte hierzu heißen arbeitsrechtliche Grauzone, transnational mothering, widersprüchliche Klassenmobilität. Die Uneindeutigkeit der Folgen zeigt sich auch auf der Ebene der Geschlechternormen. Einerseits wird der hegemoniale binäre Geschlechterdiskurs mit seinen konventionellen Konzepten von Familie und Mütterlichkeit durch die Arbeitsmigration infrage gestellt. Gleichzeitig jedoch wird dieser Geschlechterdiskurs durch die auf das Feld der Reproduktions- und Sorgearbeit konzentrierte Arbeitsmigration perpetuiert. Die informellen Hausarbeitsverhältnisse charakterisieren eine überraschende Dynamik von Macht und Ohnmacht. Die Akteurinnen nutzen das Wissen um die

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Vergangenheit als eine Ressource unter anderen, wenn auch eine mit besonderem Gewicht, um das soziale und ökonomische Machtverhältnis in der interkulturellen Begegnung wenigstens momentweise auszuhebeln. In einer verdeckten, weil weitgehend unausgesprochen bleibenden Auseinandersetzung zwischen Deutschen und Polen nutzen die polnischen Haushaltsarbeiterinnen zwei Vorteile ihrer Lage. Zum einen werten sie ihre Position moralisch auf, indem sie die historische Opfer-Täter-Konstellation aktualisieren und die Rolle des Opfers gegen die Nachkommen des Tätervolks wenden und eine Art moralische Bringschuld einfordern. Zum anderen ermöglichen die formale Vertragsfreiheit in der Schattenökonomie und die große Nachfrage nach polnischen Putzfrauen, sich gegen Verachtung und Diskriminierung zu wehren, indem sie die Arbeitsstelle wechseln. Diese Praxis ist für die Arbeitsmigrantinnen allenfalls mit kleineren Unannehmlichkeiten verbunden, während die Arbeitgeberin in Not gerät, weil die routinierten Abläufe für die Regelung der Haushaltsarbeit nicht mehr funktionieren. Erscheinen die Rollen von Deutschen und Polinnen im prekären Hausarbeitsverhältnis auf den ersten Blick wie eine Wiederkehr jenes asymmetrischen Verhältnisses, das die Beziehungen zwischen den Nachbarländern seit Jahrhunderten immer wieder prägte, so macht die vorliegende Forschung deutlich, dass es sich bei den polnischen Arbeitsmigrantinnen keinesfalls um Wiedergängerinnen der schlesischen Dienstmädchen aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg handelt, sondern um selbstbewusste, häufig gut ausgebildete Frauen, die eine je eigene Agenda verfolgen. Die Arbeitsmigrantinnen aus Polen tragen die gemeinsame Geschichte quasi auf dem Boden ihrer großen Taschen auf ihren täglichen Reisen durch die Stadt mit sich. Darüber verstauen sie die für den Arbeitstag notwendigen Dinge, wie Arbeitskleidung, etwas Proviant und das für die alltägliche Organisation unerlässliche Mobiltelefon. Gewöhnlich schauen sie nicht zurück, lassen die Geschichte Geschichte sein. Aber sie bleibt ein Pfand, das jederzeit eingelöst werden kann. Inzwischen gewinnt in den reichen Ländern des Nordens und Westens aufgrund der demografischen Entwicklung neben der nach wie vor großen Nachfrage nach Haushaltsarbeiterinnen die informelle Pflegearbeit zusehends an Bedeutung. Dabei handelt es sich insbesondere um Pflegekräfte, die eine 24-Stunden-Betreuung von Demenzkranken oder multimorbiden, bettlägerigen alten Menschen übernehmen. Laut Statistischem Bundesamt (Destatis 2015) waren im Dezember 2013 in Deutschland 2,63 Millionen Menschen pflegebedürftig. 1,86 Millionen Pflegebedürftige, das sind mehr als zwei Drittel aller Pflegebedürftigen, wurden zu Hause versorgt. Und die Zahl steigt weiter. Die intensive Pflege und Betreu-

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ung meist hoch betagter Menschen hat sich in den vergangenen Jahren zu einer gesellschaftlich geduldeten Schattenökonomie entwickelt, in der meist weibliche Pflegekräfte, in Deutschland vor allem aus Polen, Arbeit finden. Im Feld der migrant care work begegnen sich Deutsche und Polinnen noch einmal in einer viel stärkeren Intensität und Intimität. Oft leben Careworkerin und Pflegebedürftige auf engstem Raum, 24 Stunden am Tag, sieben Tage in der Woche zusammen. Häufig benötigen die Pflegebedürftigen Hilfe bei allen alltäglichen Verrichtungen. Diese Situation erfordert und verursacht eine wesentlich stärkere Kommunikation als in der Haushaltsarbeit nötig. Wie die Akteurinnen mit den Herausforderungen der Altenpflege umgehen, wie sich das ambivalente Verhältnis zwischen Deutschen und Polinnen in diesem unausgeglichenen Kräfteverhältnis auswirkt, ob und wie in diesen im Vergleich zur Hausarbeit ungleich intensiveren Begegnungen, die unterschiedlichen historischen Erfahrungen in der alltäglichen Praxis bedeutsam werden, scheinen mir interessante Fragen für ein anschließendes kulturanthropologisches Forschungsprojekt.

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