Zwischen Ansässigkeit und Mobilität: Die sogenannte Große Kolonisation der Griechen aus migrationstheoretischer Perspektive [1 ed.] 9783949189388, 9783949189364

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Zwischen Ansässigkeit und Mobilität: Die sogenannte Große Kolonisation der Griechen aus migrationstheoretischer Perspektive [1 ed.]
 9783949189388, 9783949189364

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Dominik Delp

Zwischen Ansässigkeit und Mobilität DIE SOGENANNTE GROSSE KOLONISATION DER GRIECHEN AUS MIGRATIONSTHEORETISCHER PERSPEKTIVE

Studien zur Alten Geschichte

Studien zur Alten Geschichte Herausgegeben von Ernst Baltrusch, Peter Funke, Tanja Itgenshorst, Stefan Rebenich und Uwe Walter

Band 34

Dominik Delp

Zwischen Ansässigkeit und Mobilität Die sogenannte Große Kolonisation der Griechen aus migrationstheoretischer Perspektive

Verlag Antike

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Axel Springer Stiftung und des Sonderforschungsbereichs 1070 „RessourcenKulturen“ an der Universität Tübingen.

Meinen Eltern

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2022 Verlag Antike, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, Verlag Antike, V&R unipress. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Satz: büro mn, Bielefeld Umschlaggestaltung: disegno visuelle kommunikation, Wuppertal Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-949189-38-8

Inhalt 1. Perspektiven, Methoden, Quellen und Konzepte  . . . . . . . . . . . 1.1 Die Gegenwartswissenschaft Alte Geschichte  . . . . . . . . . . . 1.2 Perspektiven, Vorannahmen, Modelle  . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1 Zum Kolonisationsbegriff  . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.2 (Versteckte) Modelle  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.3 Zwischen Heterogenität und Fragmentierung  . . . . . . . 1.3 Die Quellenlage und der methodische Umgang mit den Zeugnissen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.1 Das Problem der ktíseis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.2 Dichtung als Quelle  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.3 Fixierung in der Chronologie  . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Theorieaneignung und das Einspruchsrecht der Quellen  . . . . . 1.5 Konzepte der sozialwissenschaftlichen und historischen Migrationsforschung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5.1 Migration zwischen Mobilität und Ansässigkeit – eine Annäherung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5.2 Ansässigkeit und Mobilität  . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5.3 Praxistheorie und Ressourcenbegriff  . . . . . . . . . . . . 1.5.4 Übernahmen und Abgrenzungen  . . . . . . . . . . . . . . 1.5.5 Operationalisierung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2. Anker der Ansässigkeit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Siedlungsgemeinschaften  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 (Früh-)archaische Siedlungen und ihre landwirtschaftlichen Grundlagen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Oíkos und geitonía  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3 Bedrohung durch Wandel – neue Chancen  . . . . . . . . . 2.1.4 Die basileís und die Gemeinschaft  . . . . . . . . . . . . . 2.1.5 Zusammenfassung: Zwischen Bauern, basileís und Bürgern  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Das Ringen um Díkē als Grundlage der Gemeinschaft und der Ansässigkeit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Exkurs: Auswanderungswillige Schwaben in Heilbronn  . . . 2.2.2 Gerechtigkeit im Kontext früharchaischer Ansässigkeit  . . . 2.2.3 Das Ringen um Díkē als Anti-Migrationsstrategie bei Solon?  . 2.2.4 Das Problem der Verallgemeinerung und das Politische  . . . 2.2.5 Zusammenfassung: Díkē, Lebenschancen und das Politische 

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Inhalt

2.3 Eine Perspektive auf Hungersnöte und ‚Bevölkerungsüberschuss‘  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Ressourcenbegriff Julian Simons  . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2 Bilder des Mangels, Bilder von Überbevölkerung  . . . . . . 2.3.3 Zusammenfassung: Mangel als Modellannahme im Kontext von Migration  . . . . . . . . . . . . . . . . .

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3. Bahnen der Mobilität  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Das Meer befahren  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1 Zur Bedeutung der Seefahrt für Mobilitätsformen in der Archaik  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2 Technische, soziale und ökonomische Voraussetzungen  . . . 3.1.3 Nautisches Wissen und Navigationstechniken  . . . . . . . 3.1.4 Seefahrt und die rechte Zeit  . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.5 Zusammenfassung: ressourcenintensive, verbreitete Seefahrt  . 3.2 Hetaíros-Gruppen und die Organisation von Mobilität  . . . . . . 3.2.1 Vorüberlegungen: Seefahrt als Herrschaftsverhältnis  . . . . 3.2.2 Basileís und hetaíroi: Rekrutierungsressourcen  . . . . . . . 3.2.3 Gastfreundschaft  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.4 Hetaíros-Gruppen als Seeräuber  . . . . . . . . . . . . . . 3.2.5 Zusammenfassung: Mobilität als Nahbeziehung  . . . . . . 3.3 Händler und Handel  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Bemerkung zur Bedeutung des Handels  . . . . . . . . . . 3.3.2 Händler im frühen Epos  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3 Empória  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.4 Zusammenfassung: Handel und Migration  . . . . . . . . . 3.4 Kriege als Mobilitätsmotor  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.1 Epíkouros: Mitkämpfer, Verbündeter oder Söldner?  . . . . . 3.4.2 Archilochos von Paros – ein weiterer Ausgangspunkt  . . . . 3.4.3 Mobile bewaffnete Männer: eine (hypothetische) Milieustudie  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.4 In fremden Diensten zu fernen Ufern  . . . . . . . . . . . 3.4.5 Die Entstehung der Münze  . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.6 Zusammenfassung: Mobile (und ansässige) Krieger  . . . . .

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4. Zu den ‚Siedlern‘  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Von Spielräumen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 (Be-)Gründer von Ansässigkeit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Zur sozialen Herkunft  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2 Zu den Aufgaben  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

4.3 Zusammensetzung und Rekrutierung der Siedler  . . . . . . . . . 4.3.1 Genderaspekte  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2 Desintegrationsdynamiken  . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.3 Das delphische Orakel  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 ‚Leeres Land‘  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.1 ‚Griechen‘ und ‚Indigene‘ zwischen Ethnizität und Identität  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.2 Zwischen Kollision und Kohäsion  . . . . . . . . . . . . . 4.5 Zusiedler: époikoi und ápoikoi  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.1 Fallbeispiel: Kyrene nach der Gründung  . . . . . . . . . . 4.5.2 Die Spezifität der Immigrationskonstellationen  . . . . . . . 4.6 Zusammenfassung: Migranten  . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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5. Fazit: Zwischen Ansässigkeit und Mobilität  . . . . . . . . . . . . . . 314 Bemerkungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abkürzungen und Quelleneditionen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . Transkription griechischer Begriffe  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Übersetzungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Nachwort  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 Quellenverzeichnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 Literaturverzeichnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 Register  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Index locorum  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Α. Griechisch- und lateinischssprachige literarische Quellen  . . . . Β. Griechischsprachige Inschriften  . . . . . . . . . . . . . . . . Γ. Altorientalische Quellen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Namens- und Ortsregister  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sachregister  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1.  Perspektiven, Methoden, Quellen und Konzepte

1.1 Die Gegenwartswissenschaft Alte Geschichte In den letzten Jahren hat das Thema Migration auch im akademischen, aber vor allem im öffentlichen Diskurs an Brisanz gewonnen. Nachdem 2015 die sogenannte ‚Flüchtlingskrise‘ das mediale Geschehen und gesellschaftliche Auseinandersetzungen bestimmt hatte,1 flaute die Intensität, mit der die Debatten geführt wurden, zwar im Zuge weiterer weltpolitischer Paukenschläge etwas ab; dennoch blieb das Thema aktuell, wobei nicht nur über Migration selbst, sondern auch über vermeintliche Begleiterscheinungen diskutiert wurde. Die Thematik scheint dazu geeignet zu sein, aus ihr politisches Kapital zu schlagen, unter anderem indem Ängste befeuert werden.2 Es ist nicht weiter verwunderlich, dass ­dieses diskursive Umfeld nicht zur 1

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Hierbei handelt es sich zugegebenermaßen um meine subjektive Wahrnehmung, die sich nicht auf empirische Untersuchungen stützt, zumal diese zur Abfassung der Arbeit noch nicht vorlagen. Wenngleich der Diskurs nicht auf die Ränder des politischen Spektrums beschränkt blieb, griff man insbesondere am rechten Rand das Thema gerne auf. Die Formen der Auseinandersetzung sind dabei durchaus vielfältig: So erschien 2015 beim Antaios-Verlag Jean Raspails Roman Das Heerlager der Heiligen (franz. Le champ du saints) in einer Neuübersetzung von Martin Lichtmesz (bürgerlich Martin Semlitsch), der wie auch der Verlag der ‚Neuen Rechten‘ und der ‚Identitären Bewegung‘ nahesteht. Dort und innerhalb neurechter Medien fand das Werk intensive Rezeption und Kontextualisierung mit der sogenannten ‚Flüchtlingskrise‘, wobei eine Bedrohung für die europäische Zivilisation – mal in ihrer Gesamtheit, mal in ihrer jeweiligen nationalen Ausprägung – durch die jüngsten Zuwanderungswellen konstruiert wurde. Vgl. zur Rezeption des Buchs Hartel/Meyer (2018). In dem 1985 erstmals in deutscher Sprache erschienenen Roman beschreibt ein nicht genannter Ich-Erzähler aus der Retrospektive die Massenimmigration von über einer Million indischen Flüchtlingen. Es sind die Ärmsten der Armen, die infolge einer Hungersnot an der Côte d’Azur anlanden. Angeführt von einem charismatischen Außenseiter, einem körperlich beeinträchtigten Kind, führt der Hungerzug in den europäischen Staaten zu intensiv geführten Debatten und Verwerfungen. Zum Auftakt des Buches beschreibt Raspail eine überaus düstere Szenerie: „Das Bild des Überflusses, das gewöhnlich zu sehen war, verchromte Yachten, muskulöse Wasserschifahrer [sic], bezaubernde Mädchen, dicke Bäuche, die sich auf der Brücke der großen Segelschiffe zeigten, war heute wie weggefegt. Auf dem leeren Meer lag diese unsäglich verrostete Flotte, die vom andern [sic] Ende der Erde gekommen zu sein schien und nun, nur fünfzig Meter vom Ufer entfernt, auf Grund aufgelaufen war. […] Der üble Latrinengeruch, der dem Auftreten dieser Flotte wie der Donner dem Gewitter vorausgegangen war, hatte sich jetzt verflüchtigt. […] Er war lediglich an dieser Vorhut einer anderen Welt, die an die Tore des Wohlstands pochte, sichtlich interessiert. Das Auge an die Linse gedrückt, sah er zunächst nur Arme. […] Alle Arme waren erhoben und senkten sich dem nahen Ufer zu, nackte,

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Perspektiven, Methoden, Quellen und Konzepte

Versachlichung der Debatte beitrug und das Reden über Migration nicht selten ein emotionales Gepräge besitzt. Mitunter scheint bereits kein Dialog mehr zustande zu kommen, bei dem der Versuch unternommen wird, auf eine gemeinsame Faktenlage 3 zu rekurrieren.4 Demgegenüber wurde in der Wissenschaft viel Papier bewegt, was als Vorstoß angesehen werden kann, dieser Entwicklung entgegenzuwirken, aber selbst nicht gänzlich frei vom gesellschaftlichen Klima ist.5 Dabei wurden und werden Diskussionen fortwährend über die Grenzen z­ wischen Politik und Wissenschaft hinweg geführt.6 Auch die Alte Geschichte blieb von der Migrationsdebatte nicht unberührt. Meist im Kontext der ‚Völkerwanderung‘ tritt auf diese Weise die Antike in den Fokus einer breit geführten öffentlichen Auseinandersetzung.7 Doch trotz ihrer Prominenz ist sie bei weitem nicht die einzige Migrationsbewegung des Altertums. Am Anfang

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magere, schwarze und braune Arme, die aus weißen Leinengewändern herausragten, die den Tuniken, Togen oder Saris von Pilgern glichen. […] An ­diesem Ostersonntagabend belagerten 800 000 Lebende und Tote friedlich die Grenze des Abendlandes. Am nächsten Morgen wird alles abgelaufen sein. Vom Ufer her stiegen zu den Hügeln, zum Dorf, ja bis zur Terrasse des Professors weiche Gesänge empor, die trotz ihrer Sanftheit mit der Kraft eines Chores von 800 000 Stimmen ertönten.“ Raspail (1985) 15 – 18. Auch dies ist letztendlich ein Konstruktionsprozess, m. E. allerdings ein gewinnbringender. An die Stelle d ­ ieses Dialoges – so scheint es mir – ist eine auf wahrgeglaubte Mutmaßungen gestützte gegenseitige Bestätigung innerhalb von Personengruppen gleicher Meinung getreten. Die Migrationsforschung ist ein interdisziplinäres Feld, das kaum zu überblicken ist. Eine Aufzählung von Beiträgen aus Soziologie, Wirtschaftswissenschaften, Ethnologie und nicht zuletzt Geschichtswissenschaft scheint der Arbeit nicht dienlich zu sein und könnte ohnehin nicht einmal annähernd erschöpfend das Forschungsfeld erfassen. Hinzu kommt das Problem der Grenzziehung ­zwischen wissenschaftlicher Beschäftigung mit Migration und der politischen Debatte; beides lässt sich nicht vollends voneinander trennen. Ein Beispiel ist der engagierte Essay von Zymunt Bauman, in dem er Ängste in Teilen der Bevölkerung feststellt, deren Ursache er einerseits in der Klassenlage (er verwendet den Begriff selbst nicht), andererseits im wahrgenommenen Kontrollverlust, genauer dem Verlust eines stabilen Verhältnisses von Ursache und Wirkung, das die Welt berechenbar macht, begründet sieht. Vgl. Bauman (2016) 18 – 19; 20; 49 – 50 u. passim. Daneben gibt es zahlreiche journalistische Versuche, das Geschehen zu beschreiben und zu deuten. Eine Aufzählung wäre auch hier kaum zielführend. Daher sei nur beispielhaft die Reportagensammlung von Engelhardt (2016), die mit dem Titel Die Flüchtlingsrevolution aufwartet, genannt. Beispielhaft sei hier die Podiumsdiskussion mit dem Rechtshistoriker Dieter G ­ osewinkel, der Europaabgeordneten Barbara Lochbihler und dem Migrationshistoriker Jochen O ­ ltmer auf dem 51. Deutschen Historikertag 2016 genannt. Der Terminus mutierte zeitweise zum politischen Kampfbegriff, wenngleich er innerhalb der Alten Geschichte insofern als überholt gilt, als kaum noch ein Vertreter des Fachs von einem zusammenhängenden und zielgerichteten Barbareneinfall sprechen würde, der schließlich zum Zusammenbruch des Imperium Romanum geführt habe. Vgl. aber die

Die Gegenwartswissenschaft Alte Geschichte

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der griechischen Geschichte steht eine Migrationsbewegung, die innerhalb der Forschung als ‚Große Kolonisation der Griechen‘ bezeichnet wird meist – vollkommen zu Recht – mit dem Adjektiv sogenannte und distanzierenden Anführungszeichen versehen. Wenngleich es auch bei der Untersuchung dieser Migrationsbewegung weder möglich noch wünschenswert ist, dem gegenwärtigen gesellschaftlichen Diskurs zu entfliehen, erwachsen Risiken aus der eigenen Standortgebundenheit. Die Verknüpfungspunkte zu den großen Fragen, die das politische Geschehen unserer Zeit mitunter zu bestimmen scheinen, sind zahlreich und offenkundig, geht es doch erstens um eine Reihe von Migrationsbewegungen, die tiefgreifende Veränderungen einleiteten; zweitens erstrecken sich sowohl antike als auch gegenwärtige Migrationen nahezu über denselben geographischen Raum; zudem erscheinen wir immer wieder ratlos, wenn wir diese Phänomene erklären wollen. Doch gleichermaßen offenbaren sich bei genauerer Beschäftigung mit dem Thema Unterschiede: Die Abwesenheit von Nationalstaaten mit klar definierten Grenzen, Territorien und beanspruchtem Gewaltmonopol oder auch Sozialstaatlichkeit erforderte etwa eine vollkommen andere Organisation von Mobilität als heute. Im Kontext der griechischen Archaik haben wir es zumeist mit längeren Seereisen in ein mehr oder weniger bekanntes Gebiet zu tun. Wechselseitiger Schutz musste anders gewährleistet, Ziele nach anderen Kriterien ausgewählt, die Versorgung mit dem Nötigsten am Ankunftsort auf andere Weise sichergestellt werden. Bei allen Unterschieden wird indes eines deutlich: Alte Geschichte ist (auch) eine Gegenwartswissenschaft. Sie stellt wie andere historische Disziplinen Fragen der Gegenwart an die Vergangenheit. Diese Vergangenheit wird dadurch in etwas überführt, das im Hier und Jetzt wertvoll ist: in Geschichte. Zeiten, in denen Vergangenheit als Legitimation politischer Positionen und zur Konstruktion von Identitäten wieder verstärkt in Besitz genommen wird, offenbaren die Wichtigkeit einer historisch-kritischen Auseinandersetzung. Der Diskurs um Migration endet nicht an den ausgedachten Grenzen der Fächer, die sich mit ihr beschäftigen – weder im Falle der sogenannten ‚Großen Kolonisation der Griechen‘ noch im Allgemeinen. Das Fach formt in erster Linie die Perspektive, aus der aber dennoch eine Vielzahl von Möglichkeiten erwächst, wie die sich in jüngerer Zeit intensivierende Forschung zur sogenannten ‚Großen griechischen Kolonisation‘ gezeigt hat.8 Jüngere Zugriffe auf das Thema erfolgten oft in Form von Einzelstudien zu Teilaspekten, was den Vorteil hatte, dass sehr detailliert und genau auf einzelne Aspekte eingegangen werden konnte. Andererseits wirkten ältere Deutungen, die mitunter etwas einseitig monokausale Erklärungen wie etwa Mangel und Hunger oder Handel starkmachten, weiterhin im Hintergrund. Makroperspektiven

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Aussagen, die Demandt (22. 01. 2016) vor einiger Zeit in der FAZ publizierte. Dagegen: Meier (24. 06. 2016). In Kapitel 1.2.3 Zwischen Heterogenität und Fragmentierung, 19 – 22 wird dies genauer ausgeführt.

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Perspektiven, Methoden, Quellen und Konzepte

wiederum bergen andere Risiken, allen voran an Detailliertheit und Quellennähe einzubüßen und so letztendlich den Gegenstand zu verzerren. Aus ­diesem Dilemma führt kein Königsweg. Die vorliegende Arbeit versucht deshalb, die griechischen Migrationsbewegungen in archaischer Zeit mit entsprechend adaptierten Konzepten und Theorien aus der historischen und sozialwissenschaftlichen Migrationsforschung zu untersuchen. Dabei ist es nicht das Ziel, ein bestimmendes Narrativ im Sinne einer Meistererzählung für die Migrationsbewegungen der Archaik zu liefern; vielmehr ist sie als Einladung zu verstehen, diese Migrationsbewegungen aus einem bestimmten Blickwinkel heraus zu betrachten. Mit anderen Worten: Im Folgenden sollen migrationstheoretische Perspektiven auf die sogenannte ‚Große Kolonisation der Griechen‘ entwickelt werden.

1.2 Perspektiven, Vorannahmen, Modelle He told me it was for Men of desperate Fortunes on one Hand, one of aspiring superior Fortunes on the other, who went aboard upon Adventures to rise by Enterprise, and make themselves famous in Undertakings of a Nature out of the common Road.9

1.2.1 Zum Kolonisationsbegriff Mit der Überschrift Große Kolonisation der Griechen versah die deutschsprachige Forschung das vermehrte Ausbreiten der Hellenen über den Mittel- und Schwarzmeerraum im Zeitraum von etwa 750 bis 55010. In den anderen größeren Wissenschaftssprachen der Alten Geschichte wurde dasselbe Phänomen mit ähnlichen Begriffen eingefasst, die leicht unterschiedliche, historisch bedingte Konnotationen aufweisen: Greek colonisation im Englischen, colonisation grecque im Französischen oder colonizzazione greca im Italienischen.11 Diesen Begriffen ist gemeinsam, dass sie nicht dem Griechischen, sondern dem Lateinischen entstammen, weshalb sich Kolonisation semantisch auf soziale Strukturen und Ereignisse einer anderen Zeit bezieht, die indes als vergleichbar angesehen wurden. Kurzum: Es handelt sich um eine Analogie, zudem eine schwierige, wie ein 9

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Aus Robinson Crusoe: Defoe (1868) 2. Der Untersuchungszeitraum erstreckt sich ausschließlich vor der Zeitenwende. Daher ergibt sich die Zuordnung im Rahmen dieser Arbeit aus dem Kontext heraus, sodass auf den Zusatz v. u. Z. verzichtet wird. Vgl. zu diesen Traditionslinien die jüngst erschienenen Artikel von Urquhart (2020) zur englischsprachigen, Gras (2020) zur französischsprachigen, Mauersberg (2020) zur deutschsprachigen, De Angelis (2020b) zur italienischsprachigen sowie Saprykin (2020) zur russischsprachigen Forschung.

Perspektiven, Vorannahmen, Modelle

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Blick auf die römische Vergleichsfolie zeigt. Voraussetzung für die Gründung einer colonia war – etwa seit dem 3. Jahrhundert 12 – ein Beschluss der römischen Volksversammlung.13 So legitimiert gründeten Amtsträger coloniae meist als IIIviri coloniae deducendae, ­später, seit Marius, zunehmend als militärische Befehlshaber, noch ­später als principes coloniae. Deren neue Einwohner, die coloni, behielten im Allgemeinen das römische Bürgerrecht oder erhielten den Status eines Latinus.14 Unter anderem diente die colonia der Absicherung römischer Herrschaft in einem bestimmten Gebiet. Eine Siedlung wurde geplant und innerhalb eines mehr oder weniger institutionell festgelegten Rahmens gegründet. Römische Gründungen waren daher in eine ‚imperiale‘ Logik eingebettet, zumal sie dauerhafte Befriedung und die Herrschaft Roms sichern sollten.15 Es zeigen sich hier einige Parallelen zu Kolonisationen der Moderne, die ebenfalls nicht selten unter dem Vorzeichen der Beherrschung und Befriedung militärisch gewonnener Gebiete standen. Daneben konnte die Sicherung von Verkehrswegen und strategisch bedeutsamer Punkte sowohl im römischen als auch im neuzeitlichen Kontext bedeutsam sein.16 Dass die Gegebenheiten bei den Griechen andere waren, zeigt sich ebenfalls an der Sprache. Sie benutzten ein ganzes Set an Begriffen, um ihre Wanderungen und das Entstehen griechischer Siedlungen im Mittel- und Schwarzmeerraum zu umschreiben und – aus unserer Sicht – Teilaspekte zu benennen. Die ἀποικία 17 bezeichnete eine politisch selbständige Gemeinde, das ἐμπόριον 18 eine Handelsniederlassung. In klassischer Zeit kam noch die κληρουχία hinzu, deren Einwohner das Bürgerrecht der μητρόπoλις, des (erinnerten) Ausgangspunkts der Ansiedlung, behielten. Wie diese Begriffe bereits andeuten, unterschieden die Griechen feinsinnig.19 Innerhalb dieser Terminologie ist der Begriff der κληρουχία dem der colonia und auch dem modernen Kolonisationsbegriff am nächsten. Doch hatte sich die Welt inzwischen g­ ewandelt. 12

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Jüngere Studien haben plausibilisiert, dass frühe römische Gündungsunternehmungen aus privater Initiative, zumeist unter Fühung von Angehörigen der politisch-sozialen Elite erfolgten, zumal Rom in dieser frühen Phase noch keine imperialen Ambitionen verfolgt habe. Vgl. für einen Überblick Coles (2020) 12 – 18. Welwei (2011) 97. ebd. ebd. Vgl. zu den Unterschieden in der griechischen und römischen Terminologie ders. (2011) 96 – 104; Antonaccio (2007a) 203 – 204. Der Begriff findet sich zuerst bei Anakreon F505a Page = Strab. 14,1,30. Vgl. dazu Casevitz (1985) 120 – 121. Grundlegend zum empórion die Sammelbände von Bresson/Rouillard (1993); Gailledrat/Dietler/Plana-Mallart (2018b). Gegen eine scharfe Trennung ­zwischen apoikía und empórion: Wilson (1997). Vgl. zur Terminologie die grundlegende Arbeit von Casevitz (1985) und die philologische Arbeit von Miller (1997), die das Herausgearbeitete jeweils in den Kontext historischer Forschung einordnet; ebenso Prinz (1979). Jüngst ausführlich aus der Perspektive der Spätarchaik/Klassik Igelbrink (2015) 35 – 110.

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Perspektiven, Methoden, Quellen und Konzepte

Nach den Perserkriegen 20 verdichteten sich Bündnissysteme zu Machtblöcken unter der Hegemonie Athens auf der einen und Spartas auf der anderen Seite. Der DelischAttische Seebund entwickelte sich zur Domäne Athens, Bündner wurden zu tributpflichtigen Beherrschten. Auch die κληρουχία ist ein Kind dieser Zeit. Die Verhältnisse vor den Perserkriegen waren indes gänzlich andere. Neue Siedlungen wurden nicht zur Beherrschung eines Territoriums angelegt. Oft gelangten Griechen in bereits besiedelte Gebiete, ohne die dort Ansässigen zu verdrängen oder zu unterjochen, was die Kräfteverhältnisse ohnehin in den meisten Fällen gar nicht zugelassen hätten. Gleiches gilt für eine geopolitische Strategie zur Anlage von Siedlungen, die ausdifferenzierter politischer Institutionen bedarf, von denen zumindest für die frühe Archaik nicht ausgegangen werden kann.21 Wenig überraschend erregt der Kolonisationsbegriff seit längerem Anstoß in der altertumswissenschaftlichen Forschung. In Ermangelung eines schlagkräftigen Alternativbegriffes wurde er oft mit dem distanzierenden Adjektiv sogenannte und Anführungszeichen versehen. Zu viele Deutungen würden durch den Kolonisationsbegriff evoziert und bewusst oder unbewusst auf das antike Migrationsphänomen übertragen.22 Tatsächlich formte die Kolonialgeschichte der einzelnen Sprachfamilien die Deutung, wie es Thomas Dunbabins The Western Greeks illustriert, ein Werk, in dem deut­liche Analogien z­ wischen der griechischen Migration nach Sizilien und Unter­italien und dem Britischen Empire erkennbar sind.23 Gerade ­dieses Empire, das Dunbabin indirekt im hellen Lichte eines Zivilisationsbringers erstrahlen lässt,24 strauchelte zur 20

Migrationsphänomene standen keinesfalls außerhalb anderer politisch-sozialer Entwicklungen, sondern waren mit ihnen vielmehr eng verwoben. Es scheint daher folgerichtig, sich an die gängige Zäsur der Perserkriege anzulehnen, da hier ein Wandel der politischen Verfasstheit der griechischen Welt besonders greifbar ist. Die Perserkriege ließen zwei Machtblöcke offenbar werden, den Peloponnesischen Bund unter Führung Spartas und den Delisch-Attischen Seebund unter der Ägide Athens. Es ist bereits seit langem Usus, diese Zäsur nicht als klar umrissene Grenze aufzufassen. Vgl. dazu stellvertretend das Lehrbuchkapitel von Funke (2006) insbesondere 129 – 130. Eine Vielzahl von Entwicklungen nahm bereits zuvor ihren Anfang, wozu zuvorderst die bündnispolitischen Verstrickungen griechischer Poleis um Athen und Sparta gehören. 21 Vgl. zu dieser These Welwei (2011) 20. 22 Vgl. Walter (2004b) 66. 23 Dunbabin (1948) 47: „Archaic colonial culture was purely Greek. This is true for all classes of society […]. If there were Sikels or mixed breeds among the colonials, they were completely hellenized and did not in material things keep any trace of their origin. Intercourse between Greeks and natives went on in the interior of Sicily and Italy, in the little towns which kept their freedom or were subjugated by one or other Greek city; and the Greek trader remained a potent hellenizing force. In the colonies, however, that natives had no place.“ 24 Vgl. hierzu die Untersuchung von Snodgrass (2005) insbesondere 45 – 48, der aufzeigt, dass mit der Analogie der Kolonisation eine Bedeutung des Begriffs im Sinne des britischen Imperialismus mitschwingt, der sich durch die koloniale Expansion anderer von

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Abfassungszeit der einflussreichen Monographie. Solche und weitere Konnotationen bezüglich des Kolonialismus der Moderne waren es, die den Begriff zur Beschreibung der frühgriechischen Welt untauglich erscheinen ließen.25 Mitunter wurde die Bezeichnung aber auch verteidigt, meist indem hervorgehoben wurde, dass letztendlich jeder Terminus in gewisser Hinsicht problematisch sei.26 Diese Beobachtung trifft zwar grundsätzlich zu, da in jedem historischen Narrativ Begriffe, die nicht der Sprache der Zeitgenossen entstammen, entwickelt werden; jedoch erweisen sich bei der Prüfung unserer Begriffe einige als in einem höheren Maße problembehaftet als andere. Im Folgenden wird daher der neutralere und zugleich offenere Migrationsbegriff gewählt, wobei auch dieser und die Implikationen seiner Verwendung einer kritischen Durchsicht unterzogen werden.27

1.2.2 (Versteckte) Modelle Die frühesten modernen Darstellungen der Migrationen in der griechischen Archaik erfolgten sowohl im Rahmen breiter angelegter Geschichtswerke als auch in kürzeren Einzelstudien. Herrmann Ludwig Heeren etwa erkannte zu Beginn des 19. Jahrhunderts in seinem Handbuch der Geschichte und Staaten des Alterthums politische und ökonomische Motive für die Anlage von Siedlungen, wobei erstere bei vom griechischen Festland ausgehenden Gründungen, zweitere bei jenen, die von apoikíai ausgingen, ausschlaggebend gewesen ­seien. Jedoch sei der Handel auch in den aus politischen Motiven heraus gegründeten Siedlungen zur treibenden Kraft geworden.28 Größere Spezialmonographien blieben eher die Ausnahme. Eine der ersten stellte die 1808 erschienene Schrift Dietrich Hermann Hegewischs, Geographische und historische Nachrichten, die Colonieen der Griechen betreffend, dar, in der H ­ egewisch die griechischen apoikíai zunächst anhand einer geographischen Systematik eher beschreibend abhandelte, sich dann aber in einem weiteren Schritt den „Veranlassungen“ und Formen der Gründungen zuwandte. Bei der Analyse der Ursachen legte er sich keineswegs fest, sondern stellte mehrere Motive nebeneinander, ohne einseitig zu gewichten.29 Ernst Curtius wiederum widmete in seiner dreibändigen Griechischen

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den Briten als despotisch wahrgenommener Mächte, v. a. Deutschlands, Russlands und Österreichs, intensiviert und verbreitet habe. Konkreter zu Dunbabin vgl. De Angelis (1998) passim. Solche Analogien beschränkten sich nicht allein auf den Kontext des Empire. Vgl. etwa Curtius (1889b). Vgl. zur Kritik am Kolonisationsbegriff: Purcell (1997) insbesondere 501; De Angelis (1998); Domínguez (2002); Purcell (2005) insbesondere 115; Owen (2005); Snodgrass (2005). So prominent Whitley (2001) 125; Tsetskhladze (2006b) xxviii; Malkin (2016). Vgl. Kapitel 1.5.1 Migration ­zwischen Mobilität und Ansässigkeit – eine Annäherung, 37 – 45. Heeren (1810) 196 – 197. Vgl. dazu Mauersberg (2020) 75. Hegewisch (1808).

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Geschichte den frühgriechischen Migrationen ein Kapitel, in dem er die sogenannte „dorische“ und „ionische Wanderung“ und die Welten Homers zusammenfasste.30 Die jüngeren Migrationen handelte er knapper ab, wobei er insbesondere die Rolle des Delphischen Orakels und des Apollonkultes insgesamt betonte.31 Dabei ordnete er den von ihm immer wieder starkgemachten, auf Seefahrt und Handel gestützten „Trieb zu erwerben“ 32 dem Religiösen unter,33 obgleich er feststellte, dass das eine dem anderen durchaus nicht wesensfremd sei. Gleichwohl befasste sich Curtius mit diesen späteren Migrationen in seinem programmatischen Vortrag Die Griechen als Meister der Colonisation, den er 1883 zu Ehren ­Kaiser Wilhelms I. hielt.34 Darin schrieb er den Griechen die Rolle als große Zivilisatoren des Mittelmeerraums zu, wobei er kühne Parallelen zu seinen Landsleuten in der Gegenwart zog.35 Im wichtigsten altertumswissenschaftlichen Fachlexikon, der RE , setzte sich Johann Oehler unter dem Lemma Ἀποικία mit der Thematik auseinander und unterschied z­ wischen „Ackerbaucolonien“, die vor allem von den Archäern angelegt worden s­ eien, und den von Milet, Korinth, Euboia und Chalkis aus „Handelsinteressen“ heraus gegründeten Siedlungen.36 So war das Feld bereits im 19. Jahrhundert dahingehend abgesteckt, dass sich vier Hauptmotive abzeichneten, nämlich Handelsinteressen, innenpolitische Gründe, die Suche nach Ackerland sowie mittelbar Überbevölkerung und Landnot. Es lässt sich ferner die Tendenz ausmachen, eines dieser Motive als das dominante zu begreifen, was die Möglichkeit eröffnete, ein schlagkräftiges Narrativ zu kreieren, innerhalb dessen man die Ursachen für die Anlage von Siedlungen über den Mittel- und Schwarzmeerraum hinweg klar zu benennen vermochte. Im Extremfall konnten so Migrationsbewegungen der griechischen Archaik unter einer Leitidee zusammengefasst werden. In der Folge wurden diese Hauptmotive immer wieder aufgegriffen, einer kritischen Prüfung unterzogen, verworfen oder mit neuen Argumenten untermauert. Obgleich eine Auseinandersetzung mit allen der bereits geläufigen Hauptmotive erfolgte, sollten im 20. Jahrhundert zwei besonders an Bedeutung gewinnen: die Suche nach Siedlungsland, insbesondere aufgrund von Mangel und Überbevölkerung, sowie Handelsinteressen. Karl Julius Beloch trat vehement dafür ein, Überbevölkerung als wesentliche Ursache für Auswanderungen anzusehen, und führt hierfür Passagen aus Hesiod sowie in zeitlich späteren Quellen überlieferte Praktiken wie etwa Kindsaussetzungen an, in denen er Maßnahmen zur Bevölkerungsreduktion zu erkennen glaubte. 30 31

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Curtius (1874) 91 – 139. ders. (1874) 484 – 494. ders. (1874) 122. Zur Bedeutung des Handels vgl. etwa auch ders. (1874) 104. Vgl. Anm. 32. Curtius (1889a) 96 – 109. Vgl. dazu auch Mauersberg (2020) 71. Curtius (1889b) 107 u. passim. Oehler (1893) 2824.

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Handelsinteressen schieden dagegen für die Frühzeit mangels einer „Industrie […], die für den Export gearbeitet“ habe aus.37 Johannes Hasebroek dagegen hielt sowohl Handelsinteressen als auch die Suche nach Siedlungsland für Gründe, maß jedoch letzterer größere Wichtigkeit bei.38 Einer der energischsten Verfechter der Überbevölkerungsthese war Helmut Berve, der davon ausging, dass Bevölkerungsdruck und Landnot Auswanderungen und auch gewaltsame Landnahme angefacht hatten,39 eine Deutung, wie sie in den 1930er Jahren nicht untypisch, allerdings auch nicht gänzlich neu war.40 Auch nach 1945 blieb nicht nur Berves Griechische Geschichte, sondern auch die Überbevölkerungsthese einschlägig und wurde in den folgenden Jahrzehnten unter anderem von Hans Schaefer, Anthony Snodgrass, Pierre Fauvre, Alexander Graham, Oswyn Murray, Moses Finley, Ian Morris, Eberhard Ruschenbusch, Klaus Bringmann, George Cawkwell und jüngst William Harris vertreten.41 Seit einiger Zeit regt sich indessen zum Teil deutliche Kritik. So wurde darauf hingewiesen, dass sich Indizien, die zur Untermauerung dieser These herangezogen wurden, auch anders, sogar entgegengesetzt, interpretieren lassen. Die Zunahme von Brunnen und Gräbern in Attika wurde beispielsweise sowohl als Dürrekatastrophe, die einen Rückgang der Bevölkerung zur Folge hatte, als auch als Z ­ eichen für eine rapide wachsende Bevölkerung gedeutet.42 Andere lehnten die Überbevölkerungsthese rundweg ab: Robin 37

Beloch (1913) 229 – 230. Darüber hinaus war Beloch insbesondere an Chronologiefragen interessiert, widmete aber auch anderen Aspekten wie dem Verhältnis zur Mutterstadt einge Seiten. Vgl. ders. (1913) 233 – 264. 38 Hasebroek (1928) 114; 128 – 130. Hasebroek hält zwar am Kolonisationsbegriff fest; allerdings konstatiert er, dass „die Kolonisationstätigkeit der Griechen […] einem Vergleich mit derjenigen neuzeitlicher Staaten nicht [standhält].“ Koloniegründungen aus Handelsimpulsen ­seien eine Erscheinung des Merkantilstaates. Die Gründe für die „griechische Kolonisationstätigkeit“ sieht er als „im Dienste eines rein politischen Imperialismus oder im Dienste der Nahrung“ angesiedelt. Fast immer sei die griechische Kolonie keine Handelskolonie. Da er den Blick epochenübergreifend ausgerichtet hat und in seiner Studie über die archaische Zeit hinausgeht, schließt er auch die klassischer Zeit entstammende klērouchía in seine Betrachtung ein, was seinen Verweis auf den politischen Imperialismus als Motiv bedingt. ders. (1928) 111 – 114. 39 Berve (1931) insbesondere 110. 40 Vgl. Ehmer (1998) 8 – 9. 41 Schaefer (1952) 81 u. passim; ders. (1960) passim; Snodgrass (1980) 22 – 24; 40; Faure (1981) 46; Graham (1982) 157; Murray (1985) 143 – 145; Finley (1986) 142; Ruschenbusch (1991) passim; Cawkwell (1992) passim; Bringmann (1993) 46; ders. (2016) 119 – 129; Schuller (2002) 13; Morris (2005) 5; 10; Harris (2018) 391 u. passim. Die Verfechter der Überbevölkerungsthese eint kein gemeinsames Modell; mitunter sind Bevölkerungsdruck und Überbevölkerung sehr unterschiedlich nuanciert. Die Annahme von Überbevölkerung beschränkt sich nicht auf die Alte Geschichte, sondern wurde auch innerhalb der klassischen Archäologie vertreten: etwa von Mertens (2006) 15. 42 Vgl. dazu Bernstein (2004) 19, der diese diametralen Schlussfolgerungen anführt, um die Interpretationsproblematik zu veranschaulichen.

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Osborne konstatierte sogar für Attika in archaischer Zeit einen regelrechten Arbeitskräftemangel.43 Obgleich sich die Mehrheitsmeinung mittlerweile in diese Richtung hinbewegt, sind Überbevölkerung, Landnot und Bevölkerungsdruck als Ursachen für die Wanderungsbewegungen der griechischen Archaik auch in neueren Publikationen weiterhin vertreten.44 Neben Überbevölkerung und der Eroberung neuer Lebensräume wurde der Handel als Ursache starkgemacht. Berühmt geworden ist die Sentenz Alan Blakeways „the flag followed trade“ 45, für die das Britische Empire geistig Pate stand. Am prominentesten vertrat neben Eduard Meyer 46 John Boardman die Handelsthese in seiner einflussreichen Gesamtdarstellung.47 Güter, wie kostbare Erze, erlesene Öle, Wein oder auch gewöhnliches Getreide, hätten ein Ansiedeln in der Ferne hervorgerufen. Doch auch hiergegen fanden sich Einwände, die unter anderem die inhaltliche Nähe zum neuzeitlichen Kolonialismus kritisierten.48 Jene beiden Pole der Sichtweise auf Migration in der griechischen Archaik waren durchdrungen von einer weiteren Ebene, die vor allem den Verlauf der Migrationsbewegungen, also das Wie, bestimmte: nämlich die Frage danach, wann sich die Polis – oder allgemeiner Staatlichkeit – mitsamt den dazugehörenden politischen Institutionen herausgebildet hatte. Traditionell unterschied man scharf ­zwischen der „Kolonisation“ archaischer Zeit als geplanter Unternehmung, die eine gewisse Form von Staatlichkeit, das heißt eine Polis, voraussetzt, und den eher unvorbereiteten Migrationen oder Wanderungen, die ihr vorausgingen, eine Sichtweise, die mittlerweile relativiert wurde.49 Nicht wenige Institutionen und Verfahren griechischer Poleis dürften im Zuge archaischer Migrationen erst entstanden statt ihre Voraussetzung gewesen sein.50 Die Quellen, insbesondere die ktíseis klassischer und hellenistischer Zeit, scheinen zwar das Bild der politischen Planung zu bestätigen; allerdings lässt sich entgegnen, dass sie in einer Lebenswelt schriftlich fixiert wurden, in der die Polis bereits voll ausgeformt existierte, über die gesamte griechische Welt Verbreitung gefunden hatte und darüber hinaus abstrakt über das Politische reflektiert wurde.51 43

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Osborne (2009) 210 – 211. Morris (2005); Bringmann (2016); Harris (2018). Vgl. Anm. 41. Blakeway (1933) 202. Meyer (1893) insbesondere 440; auch: Busolt (1893) 490 – 491; Pöhlmann (1914) 50. Boardman (1981 [1964]); ihm in Teilen folgend: Starr (1977) 62 – 6 4; Coldstream (1977) 221 – 223; Graham (1982) 158 – 159; Tandy (1997) passim. Vgl. zur Kritik am Motiv der Handelsinteressen: Garnsey (1993) 113 – 115; Purcell (1990) 44 – 49; Snodgrass (1994) 2. Dazu noch etwas vage Hall (2014) 96 – 99. Vgl. für eine ausführliche Problematisierung Bernstein (2019). Vgl. darüber hinaus die wichtige Arbeit von Gawantka (1985). Vgl. dazu etwa mit weiteren Belegen Bernstein (2021); ähnlich bereits Malkin (2011) 221 – 222. Der Einwand, dass klassische oder hellenistische Strukturen in den Quellen auf die archaische Zeit projiziert wurden, ist zumindest nicht ganz unplausibel, wenn man die

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Innerhalb ­dieses Problemfelds bewegen sich auch Studien, in denen das Verhältnis von mētrópolis und apoikía untersucht wurde.52 Die Leitmotive Überbevölkerung und Handelsinteressen verweisen auf ein Dilemma, in das wir insbesondere bei der Beschreibung quellenarmer Epochen geraten, ­zwischen dem Wunsch, Vergangenheit zusammenhängend zu erzählen und Lücken zu schließen, einerseits und der Gefahr dabei andererseits Anachronismen zu ergänzen. Seit Thomas Malthus’ einflussreicher Schrift Essay on the Principle of Population haben um Überbevölkerung und Bevölkerungsdruck angelegte Denkfiguren Einzug in das Alltagsverständnis von Migration gehalten und wurden mitunter dazu herangezogen, zeitgenössische Migrationsbewegungen zu erklären.53 Ähnlich verhält es sich mit dem Motiv der Handelsinteressen, für das sich die Koloniegründungen neuzeitlicher Kolonialreiche wie etwa des Britischen Empire als moderne Entsprechungen anboten, die auf der Hand zu liegen schienen. Geschichte unterscheidet von bloßem Antiquarismus, dass sie als Narrativ von Fragen der Gegenwart geleitet ist. Durch diese Stärke läuft Geschichte aber auch immer Gefahr, dass – zumeist unbewusst – das Vorverständnis das Vergangenheitsbild formt, ein Problem, das sich immer wieder aufs Neue stellt, zumal sich Vorannahmen in der Retrospektive immer leichter erkennen lassen.

1.2.3 Zwischen Heterogenität und Fragmentierung Neben dem Problem versteckter Modelle ist die Evolution des Forschungsfeldes, insbesondere der Publikationskultur, ein weiteres Charakteristikum, das mit Entwicklungen in anderen Themenbereichen der Alten Geschichte korrespondiert, aber mitunter stärker ausgeprägt ist. In früheren Jahren dominierten Gesamtdarstellungen die Debatte auch wegen einer Wissenschaftskultur der Altertumswissenschaften, in der Überblicksmonographien eine Schlüsselrolle einnahmen; doch gab es gerade im Feld der vielseitigen Migrationsbewegungen der griechischen Archaik stets Studien zu Teilaspekten. Der Bezug zu den großen, grundlegenden Verlaufslinien der Debatte war indes meist klarer, als er es heute ist. Seit einiger Zeit lässt sich ein Trend zu noch spezialisierterer Forschung feststellen. Dabei wurden alte Deutungsmuster, deren Unstimmigkeit in der Beschäftigung mit Spezialfällen beobachtet wurde – auch durch die Zunahme archäologischen Vergleichsmaterials und des methodischen Fortschritts bei seiner Interpretation – vermehrt dekonstruiert. Zunehmend wurden einzelne Aspekte des kritischen Anmerkungen zu Ausformung und Verbreitung der Polis insbesondere für die Früharchaik in die Überlegung miteinbezieht. 52 Seibert (1961); Graham (1961); Werner (1971); Ehrhardt (1983); ReichertSüdbeck (2000). Eine detaillierte Übersicht bei Bernstein (2020a); ders. (2020c). 53 Vgl. dazu die Kapitel 2.3 Eine Perspektive auf Hungersnöte und ‚Bevölkerungsüberschuss‘, 135 – 154.

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­ igrationsphänomens untersucht. Religiöse Gesichtspunkte, vor allem um das M Orakel von Delphi 54 und die Verehrung des Gründers als Heros 55, waren Gegenstand einiger Forschungsarbeiten. Irad Malkin befasste sich zunächst ebenfalls mit den religiösen Aspekten 56 dieser Migrationen und s­ päter in deren Kontext mit Fragen der Ethnizität und Identität 57, wofür vor allem Arbeiten Jonathan Halls 58 eine wichtige Grundlage bildeten. Gerade die Frage nach Identitäten sollte die althistorische und vor allem archäologische Debatte über ein Jahrzehnt hinaus bestimmen,59 wobei man insbesondere Kulturkontakte und das Verhältnis von Neuankömmlingen und bereits Ansässigen behandelte. Im Zuge dessen wurden auch theoretische Konzepte aus der Postkolonialismusforschung bemüht 60 und Netzwerkbetrachtungen vorgenommen 61. Auch Gender-Perspektiven blieben nicht unberücksichtigt.62 Frank Bernstein betonte den Zusammenhang von politisch-sozialer Desintegration und Migrationen.63 Er setzte sich dabei intensiv mit den vor allem in historiographischen Quellen überlieferten Gründungsgeschichten auseinander, ein Weg, den jüngst auch Winfried Schmitz einschlug.64 Die Beschäftigung mit den seit klassischer Zeit schriftlich fixierten ktíseis bildet einen eigenen Forschungszweig.65 Robin Osborne wiederum machte sich daran, die sogenannte ‚Große Kolonisation der Griechen‘ grundsätzlich

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Pease (1917); Defradas (1954) 233 – 257; Parke/Wormell (1956); Forrest (1957); Rohrbach (1960); Malkin (1989); Londey (1990); Dougherty (1992). Cornell (1983); Leschhorn (1984); Antonaccio (1999). Malkin (1985); ders. (1987); ders. (1989); ders. (1994). Malkin (1998); ders. (2001b); ders. (2007). Maßgeblich zur Identität als soziales Konstrukt ist: Hall (1997); vgl. auch ders. (2001); ders. (2002); ders. (2004); ders. (2012); ders. (2016). Vgl. auch Antonaccio (2001); Konstan (2001); Malkin (2001b); McInerney (2001); Morgan (2001); D’Ercole (2002); Gras (2002); Stein-Hölkeskamp (2006); Mac Sweeney (2009); Croissant (2007); Honigman (2007); Müller (2007); Burgers/ Crielaard (2007); dies. (2012); dies. (2016); Bérard (2012); Burgers (2012). Vgl. aber kritisch Brather (2000) und Bernstein (2020b). Malkin (2002); ders. (2004); Esposito/Pollini (2016). Malkin (2011); Donnellan (2016); Étienne (2016); Morris (2016). Grundlegend sind hierfür Ansätze mediterraner Geschichte wie Horden/Purcell (2000). Rougé (1970); Graham (1980/1981); van Compernolle (1983); Coldstream (1993); Hodos (1999); Shepherd (1999); Lyons (2000); Kelley (2012); Saltini Semerari (2016). Während jüngere Arbeiten durchaus gender-theoretische Perspektiven aus den Sozialwissenschaften nutzbar machen, dominieren in älteren Arbeiten stärker an den Quellen orientierte Reflexionen ­dieses Gesichtspunkts. Bernstein (1998); ders. (2004). Vgl. Auch die philologischen Arbeiten zum Motiv von Befleckung und Reinigung des oikistḗs in ktíseis von Dougherty (1993a); dies. (1993b). Schmitz (2017). Vgl. neben den in Anm. 55 und Anm. 56 genannten Titeln die Monographie von Miller (1997) und den Überblick zum Umgang mit dieser Art Quellen bei Hall (2008). Vgl. ferner Kapitel 1.3.1 Das Problem der ktíseis, 22 – 25.

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zu ­dekonstruieren.66 Hinzu kommen unzählige regionale Betrachtungen, vor allem, aber nicht ausschließlich, vonseiten der Archäologie,67 die eine einzelne Ansiedlungen oder einen eng umrissenen geographischen Raum untersuchen, wobei der Fokus dieser Arbeiten mehr auf den Gegebenheiten innerhalb ­dieses Raumes liegt als auf einer Diskussion des übergeordneten Phänomens. Anschaulich wird dies anhand des von Gocha Tsetskhladze herausgegebenen zweibändigen Handbuchs, in dem überwiegend regionale Untersuchungen, aber auch einige Artikel zu spezifischen Phänomenen vereint sind.68 Dem stehen wenige Versuche gegenüber, die komplexe Gemengelage in einer Monographie zusammenzutragen. Die ansprechende Darstellung von Maria ­D’Ercole 69 bildet hier ebenso eine Ausnahme, wenngleich auch sie sich dabei auf Fallbeispiele konzentriert. In einer breiter angelegten Arbeit betrachtete Robert Garland die Wanderungen der „Griechen“ aus einer Migrationsperspektive heraus, die er zwar aus der Gegenwart entwickelte, dabei aber Unterschiede antiker und moderner Migrationen wie die Anzahl von Migranten, die divergierende Informationslage oder voneinander abwichende Vorstellungen von Grenzen oder Territorien hervorhob. Garland wählte hierbei einen sowohl zeitlich als auch perspektivisch breiten Zugriff, da er verschiedenste Migrationen von Homer bis Alexander dem Großen im Rahmen seiner Studie abhandelte.70 Auch neuere Überblickswerke zur griechischen Archaik und Handbücher gaben dem Thema Raum, wobei die Ergebnisse aktuellerer Detailstudien in unterschiedlichem Maße berücksichtigt wurden.71 Ferner sind die Monographien 66 Grundlegend: Osborne (1998); auch: ders. (2016). In seiner Gesamtdarstellung widmet

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er der Kolonisation kein eigenständiges Kapitel, sondern benennt konsequent Aspekte von Migration: ders. (2009). Vgl. auch die wichtigen Studien zu Einzelaspekten: ders. (1996); ders. (2005); ders. (2007). Vgl. nur die folgenden wichtigen Sammelbände und Handbücher: Nenci (1983); Pugliese Carratelli (1985); D’Agostino/Ridgway (1994); Tsetskhladze/De Angelis (1994); Bats/D’Agostino (1998); Tsetskhladze (1998b); ders. (1999); Ridgway (2000a); Tsetskhladze/Prag/Snodgrass (2000); Graham (2001a); Höckmann/Kreikenbom (2001); Gorman/Robinson (2002); Gras/Treziny/Broise (2004); Bradley/Wilson (2005); Hurst/Owen (2005); Tsetskhladze (2006a); ders. (2008); Dietler/LópezRuiz (2009); Trénizy (2010); Bergemann (2012); Adam-Belenē/Tsankarē (2015); Roure (2015); Donnellan/Nizzo/Burgers (2016a); dies. (2016b); dies. (2016c); vgl. weiter Greco (1992); Ridgway (1992); Buchner/Ridgway (1993); Möller (2000b); De Angelis (2003); ders. (2016a); ders. (2020a); Gailledrat/Dietler/PlanaMallart (2018b). Vgl. auch die Einzelstudie von Mauersberg (2014). Tsetskhladze (2006a); ders. (2008). D’Ercole (2012). Garland (2014). Vgl. innerhalb der angelsächsischen Handbuchkultur insbesondere: Antonaccio (2007a); Malkin (2009). Vgl. auch die v. a. dekonstruierende Darstellung bei Hall (2014) 96 – 125 sowie die entsprechenden Passagen in den jüngst erschienenen deutschsprachigen Überblicksdarstellungen. Stein-Hölkeskamp (2015) 96 – 121 betont stark die Neuerungen

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von Robin Lane Fox und Raimund Schulz zu nennen, die versuchen Mobilitäts- und Migra­tionsphänomene der griechischen Frühzeit neben einem wissenschaftlichen auch einem breiteren Publikum zu vermitteln, wobei insbesondere Schulz auch Mobilitätsphänomene untersucht.72 Die Forschungslandschaft zu den Migrationsbewegungen archaischer Zeit ist infolge des Trends hin zu spezialisierten Detailstudien fragmentiert. Die Abkehr von den großen Narrativen und deren Dekonstruktion hatten ironischerweise wiederum zur Folge, dass in Überblicksdarstellungen mitunter ebenjene eigentlich überholten Modelle und Vorgehensweisen zur Orientierung bemüht wurden, ein Phänomen, das auch für Bezugnahmen in Arbeiten zu anderen Themenbereichen zu beobachten ist.73 Versuche der Vermittlung sind dagegen selten.74

1.3 Die Quellenlage und der methodische Umgang mit den Zeugnissen 1.3.1 Das Problem der ktíseis Die Quellenlage zu den Migrationsprozessen der griechischen Archaik ist vielseitig, aber lückenhaft. Die größte Gruppe der erzählenden Quellen stellen die ktíseis dar, Gründungserzählungen, die seit klassischer Zeit vor allem im historiographischen Kontext schriftlich fixiert wurden und um einen Gründer komponiert sind, der als oikistḗs, ktístēs, oder archēgétēs bezeichnet wird. Dieser oikistḗs erhält meist vom Delphischen Orakel den Auftrag, eine apoikía in einem fernen Land zu gründen, wobei sich durch den nicht selten missgedeuteten Spruch der Pythia allerhand Erschwernisse und Widrigkeiten ergeben können; am Ziel der Reise steht die Gründung einer neuen Heimat fern der alten. Solche Gründungsnarrative werfen als Quellen mehrere Probleme auf: Jahrhunderte nach den Ereignissen, von denen sie angeben zu künden, verfasst, stellt sich bei diesen Texten grundsätzlich die Frage, was ohne eine vorausgehende schriftliche Überlieferung noch gewusst werden konnte. Häufig tragen sie die typischen Kennzeichen einer oral tradition 75 und waren somit Teil des kollektiven Gedächtnisses 76 jener Gemeinschaften, deren Ursprünge sie überliefern. Hinzu kommen der letzten Jahre, wohingegen Bringmann (2016) 103 – 160 stärker traditionellen Forschungspositionen verpflichtet ist. Vgl. auch den Supplementband 10 des Neuen Pauly Wittke (2015). 72 Schulz (2005); Lane Fox (2008); Schulz (2016). 73 Etwa bei Schuller (2002) 13; Mertens (2006) 15; Bringmann (2016) 119 – 129; Chaniotis (2020); auch Grote (2016) 28, wenngleich in der Tendenz multikausal. 74 Eine Ausnahme bildet De Angelis (2016b), der eine vergleichende „frontier history“ fordert. 75 Vgl. grundlegend: Vansina (1961); ders. (1985). 76 Vgl. Assmann (1988); ders. (2013), der versucht, die oral tradition-Forschung und die Theorien des französischen Soziologen Maurice Halbwachs in eine Synthese zu bringen.

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zahlreiche Absonderlichkeiten, die eine jede einzelne ktísis selbst bereitzuhalten vermag, und weitere generelle Ungereimtheiten: So werden nicht selten die Verhältnisse klassischer Zeit mit einer ausgeformten Polis oder auch die exklusive Verbindung der mētrópolis zur apoikía auf die Gründungsgeschichten rückprojiziert.77 Die Begriffe oral tradition und kollektives Gedächtnis betonen Unterschiedliches, verweisen aber auf dasselbe: Das kollektive Gedächtnis verdeutlicht in erster Linie den gemeinschaftlichen Bezugsrahmen. Die Gemeinschaft tritt mit der Erinnerung in Wechselwirkung, denn einerseits formt die Erinnerung die Gemeinschaft, indem sie ihr einen Ursprung und einen Weg gibt, andererseits formt die Gemeinschaft die Erinnerung, indem sie sich innerhalb eines sozialen Prozesses erinnert und Gegenwärtiges mit Vergangenem verknüpft. Dabei mag sie manchmal Erinnerung erfinden oder selektiv erinnern. Bei der oral tradition steht vor allem das Wie der Erinnerungsvermittlung und -formung im Vordergrund: die Mündlichkeit. Das Medium bestimmt die Form, die bis zu einem gewissen Grad immer ähnlich ist, indem sie nämlich Ursprüngliches und Hauptsächliches umreißt. Darüber hinaus wird durch oral history das Geschehen erinnert, das von einer Gemeinschaft erlebt wurde, das heißt, es gibt Zeitzeugen, die berichten können. Durch oral tradition hingegen wird an das Nichterlebte erinnert, wobei sowohl die kürzlich zurückliegende Zeit als auch der Anfang, der die Basis der existierenden Gemeinschaft ist, breit dargestellt sind. Die Zeit dazwischen hingegen ist nahezu nicht vorhanden und wird deswegen als floating gap bezeichnet.78 Diese Beobachtung, die durch moderne Gedächtnistheorien aufgegriffen, systematisiert und zu erklären versucht wird, wurde bereits in der Antike gemacht. Bevor Dionysios von Halikarnassos verschiedene Versionen der römischen Frühgeschichte 79 aufzählte, beschrieb er die Struktur dieser Geschichtsschreibung, die, wie wir wissen, eine mündliche Tradition fixierte: Am Beginn stehe die ktísis, die

Walter (2004a) 20 hat darauf hingewiesen, dass das Attribut kollektiv problematisch ist, da es suggeriere, es gebe eine gültige Erinnerung innerhalb eines Verbandes; tatsächlich gebe es jedoch durchaus konkurrierende Gruppengedächtnisse. Er schlägt daher die neutralere Alternative soziales Gedächtnis vor. Da der Terminus kollektives Gedächtnis mittlerweile indes zum Oberbegriff für ein Forschungsfeld (vgl. hierzu die Monographie von Erll (2017)) geworden ist, findet er hier weiter Verwendung. 77 Vgl. Hall (2014) 108 – 110, der hier auch den Heroenkult als Beleg für die Authentizität einer Gründungsgeschichte dekonstruiert, da ein solcher Kult frühestens ab dem letzten Viertel des 6. Jahrhunderts bezeugt ist. ders. (2008) arbeitet drei Idealtypen im Umgang mit Gründunggeschichten heraus, die in der Forschung praktiziert werden. Vgl. Grundsätzlich zum methodischen Umgang mit ktíseis die Arbeiten von: Schmid (1947); Strosetzki (1957); Gierth (1971); Prinz (1979); Dougherty (1992); dies. (1993b); Bernstein (2004). Jüngst hat Woolf (2020) 312 – 313 die Unglaubwürdigkeit der Überlieferung betont. 78 Vgl. Ungern-Sternberg (2006) 7 – 8. 79 Nämlich die Versionen der beiden frühen römischen Historiker Fabius Pictor und ­Cicinius Alimentus.

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Perspektiven, Methoden, Quellen und Konzepte

Gründungsgeschichte, am Ende die Erzählung des jüngeren Geschehens, die ἀκριβῶς erfolge. Die Zeit dazwischen werde anhand weniger einschneidender Ereignisse dargestellt, sodass κεφαλαιωδῶς vorgegangen werde.80 Die Geformtheit durch den gemeinschaftlichen Bezug macht das Abbild also immer auch zum Zerrbild. Solche Narrative sind als Quellen nicht unproblematisch, eben weil sie selbst eine Ressource von Gemeinschaften darstellten, eine äußerst zentrale obendrein. Mit dem oben ausgebreiteten Satz an Betrachtungsinstrumenten, unserem Werkzeug, lässt sich vielleicht d ­ ieses Zerrbild ein wenig entzerren, sodass sich der ursprünglichen Form genähert werden kann. Gleichfalls mahnen dieselben Betrachtungsinstrumente zur Vorsicht, denn sie tragen die Begrenztheit des zu Sehenden offen zur Schau.81 Migrationen spielen im kulturellen Gedächtnis und in der Erinnerungskultur eine geringe, mitunter kaum wahrnehmbare Rolle.82 Grundsätzlich ist zu konstatieren: Migration als ­solche wird zumeist nicht erinnert. Mit Blick auf die theoretischen Konzepte, die sich mit der kollektiven Erinnerung in Gemeinschaften auseinandersetzen, vermag dies kaum zu überraschen. Nur ein Teil des Migrationsprozesses bleibt in der Regel im Gedächtnis haften, dann aber besonders prominent, sodass sich fast sagen ließe, er verdecke die restliche Geschichte: der Ursprung bzw. die Gründung, ein für die Gemeinschaft wichtiges und identitätsstiftendes Ereignis, das aus eben ­diesem Grund erinnert wird und wodurch die Erinnerung daran in hohem Maße geformt ist. Eben wegen dieser Neigung, Migrationsprozesse kollektiv zu vergessen,83 80

Dion. Hal. ant. 1,6,2; Ungern-Sternberg (2006) passim kontextualisierte diese antike Beobachtung mit der oral tradition-Forschung. Ich stütze mich hier auch auf Überlegungen, die ich in meiner Magisterarbeit angestellt habe. Vgl. daher auch Delp (2013). 81 Archäologische Befunde hingegen muten zunächst als unumstößliche Fakten an, da sie als Überreste, die den Traditionen fixierter Mündlichkeit gegenübergestellt werden, per se einen höheren Quellenwert zu besitzen scheinen. Jedoch deuten sie aus sich selbst heraus weder in die eine noch in die andere Richtung, sodass der Interpret ihnen diese Richtung erst zu geben vermag. Aus dieser Tatsache erwächst in einem größeren Maße als bei ‚sprechenden Quellen‘ die Gefahr einer Formung. 82 Vgl. Hahn (2012) 9; sie spricht von der Erinnerungskultur der „europäischen Gesellschaft“ – das Altertum bleibt bei ihr unberücksichtigt. Allerdings trifft Hahns Feststellung in gleichem Maße auf die Antike zu. 83 Mit dem gemeinschaftlichen Gründungsnarrativ wird Homogenität konstruiert. Das allmähliche Eintröpfeln sowie die verschiedenen ethnischen Herkünfte werden verdrängt, das angeblich Gemeinsame wird nicht nur betont, sondern stilisiert und jedes Mitglied der Gemeinschaft wird mit ihm verbunden. Wie bereits oben erwähnt ist zu erwarten, dass die Anzahl geistiger Nachfahren der Pioniere, die einst den Brückenkopf geschlagen haben, die ihrer leiblichen Abkömmlinge um ein Vielfaches übersteigt. Umgekehrt ist anzunehmen, dass die Anzahl derjenigen, die sich ihrer Migrationsgeschichte bewusst sind, eher gering ist. Als Beispiel mag man sich vor Augen führen, wie wichtig die Mayflower im kollektiven Gedächtnis der Vereinigten Staaten von Amerika ist, und wäre jeder, der es von sich behauptet, tatsächlich ein Nachfahre ­dieses frühen Stoßtrupps – es müsste

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werden Migrationsbewegungen, wenn sie deutlich zutage treten, meist als ein neues, außergewöhnliches Phänomen wahrgenommen 84. Migration konzeptionell ernst zu nehmen, bedeutet daher, sich zunächst von diesen späteren Überlieferungen zu lösen. Dies ist indes nur graduell möglich, da sich nicht zuletzt die Abgrenzung des Phänomens der sogenannten ‚Großen Kolonisation der Griechen‘ auf ebenjene Quellen stützt. Doch wurde der qualitative Unterschied zu vorangegangenen Migrationen bereits infrage gestellt.85 Eine qualitative Abgrenzung 86 zu den Auswanderungsbewegungen der Folgeepoche scheint wiederum zielführend, da gerade mit den von Athen aus gegründeten klērouchíai sich ein fundamentaler Wandel manifestiert,87 der eine Grenzziehung erlauben sollte. Für die Beschränkung auf die archaische Zeit spricht weiterhin, dass in ihr ein umfassender ökonomischer und sozialer Wandel stattfand, bei dem zu vermuten ist, dass er in Wechselwirkung mit Auswanderungsbewegungen stand. Trotz der unscharfen Abgrenzung zu den Migrationen geometrischer Zeit werden Schriftquellen benötigt, damit die historischen Besonderheiten von Migrationen und Mobilitätsformen herausgearbeitet werden können. Sie bilden auch für die folgenden Überlegungen die Basis, wenngleich statt der ktíseis zeitgenössische Schriftquellen als Ausgangspunkt fungieren und auch archäologische Quellen herangezogen werden.

1.3.2 Dichtung als Quelle Obgleich die vorangegangenen Ausführungen zur Überlieferung einiger ktíseis oder ihrer Bruchstücke in historiographischer, biographischer und geographischer Literatur aus klassischer, hellenistischer oder römischer Zeit es nahelegen, zunächst f­ rühere,

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ein Schiff gewesen sein, dessen Ausmaße alles bis zu seinem Bau Dagewesene und alles an nautischen Errungenschaften bis in unsere Gegenwart noch Kommende bei weitem überstieg. Verstärkt wird dieser Effekt in unserer sozialstaatlich geformten Lebenswelt: Migration wird durch Förderung strukturschwacher Regionen gedämpft, sodass der dauerhafte Verbleib an ein und demselben Ort erst zu gelebter Normalität werden konnte. Vgl. dazu Hahn (2012) 10. Neben anderen Hall (2014) 96 – 99. Vgl. zu ­diesem qualitativen Unterschied Osborne (1998) 252 – 256. Hier scheint es eher angezeigt, von Kolonisation zu sprechen, da diese Gründungen augenscheinlich die geplante Außenpolitik einer ausgeformten Polis darstellen, die eine politisch abhängige Kolonie ihrer Bürger in ein Gebiet pflanzt und damit auch die Durchsetzung eines Herrschaftsanspruchs verfolgt. Allerdings deutet der bei Plut. Sol. 8,1 – 9,4 (vgl. auch Sol. eleg. F1 – 3 West; Dem. 19,251; Ps.-Arist. Ath. pol. 17,2) überlieferte Konflikt ­zwischen Megara und Athen um Salamis auf einen Vorläufer dieser ‚imperialen‘ Praxis in der Zeit Solons hin. Im späten 6. Jahrhundert war Salamis jedenfalls gegenüber Athen dazu verpflichtet, Steuern abzuführen und militärischen Beistand zu leisten, wie IG I3 1 belegt. Vgl. Hansen/Nielsen (2004) 637 – 638.

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zeitgenössische Quellen in Betracht zu ziehen, ist dieser Weg nicht frei von Widersprüchen und Aporien. Periodisierungen der den Quellen zugrundeliegenden soziopolitischen Verhältnisse sind ebenso disparat wie die Einschätzungen des Quellenwertes insgesamt. Diese nicht ganz übersichtliche Gemengelage aus – wie sich zeigen wird – interdependenten Argumentationen und Ansichten soll für die Zwecke der vorliegenden Arbeit geordnet werden, indem einerseits nach dem Wert archaischer Dichtung als Quelle für Migration, andererseits nach ihrer Aussagekraft für den untersuchten Zeithorizont gefragt wird. Treffend erscheint die Formulierung, die Hans van Wees wählt, wenn er schreibt, Homer stelle für Historiker ein „verlockendes Problem“ 88 dar. Aufgrund ihrer Qualität und ihres narrativen Detailreichtums ­seien die Epen eine potentiell wertvolle Quelle, aber gerade der Vergleich mit rezenteren griechischen Sagen stelle gute Gründe bereit, den historischen Wert der Informationen anzuzweifeln.89 Dennoch ist es eine „Verlockung“, der zu erliegen es sich auch angesichts der Alternativen lohnt, bei einem Risiko, das sich mit einem gewissen Maß an methodischer Sorgfalt zumindest eindämmen lässt. Zunächst stellt sich also die Frage, w ­ elche Teile der Dichtung Homers als Quelle herangezogen werden können und ­welche nicht. Das Epos in weltliche und wundersame oder in glaubwürdige und unglaubwürdige Passagen zu unterteilen, folglich all das auszuscheiden, was unplausibel erscheint, und so die Quelle auf einen ‚wahren Kern‘ zu reduzieren, ist offenkundig unterkomplex.90 Dichtung war in archaischer Zeit immer an ein konkretes Publikum gerichtet.91 Wie durch die Wiederbelebung der auf Milman Parry 92 zurückgehenden oral poetry-Forschung seit den 88

„To the historian, Homer’s poems pose a tantalizing problem.” van Wees (1992) 6. ebd. 90 Vgl. ders. (1992) 9. 91 Itgenshorst (2014) 45. 92 Parry zog hierzu die schon zuvor gemachte Beobachtung heran, dass die homerische Dichtung einen formelhaften Charakter besitzt und viele Wiederholungen aufweist, und berief sich dabei auf zahlreiche Vorläufer, wie z. B. Ellendt (1861); Sittl (1882); Schmidt (1885); Rothe (1894); Scott (1911); Witte (1913). In seiner 1928 erschienenen Dissertation und in darauffolgenden Arbeiten verglich er die homerischen Epen mit serbokroatischer Volksdichtung, die zu seinen Lebzeiten noch eine reiche orale Tradition kannte und von Barden vor Publikum mündlich vorgetragen wurde: Parry (1928). Parry sammelte eine Vielzahl serbokroatischer Volksdichtungen, die nach seinem frühen Tod 1935 von seinem Schüler Albert Lord herausgegeben und übersetzt wurden. Vgl. hierzu Lord/ Parry (1953) u. dies. (1954). Als Überblick zu Parrys Werk vgl. die posthum herausgegebenen gesammelten Schriften: Parry (1971). In den homerischen Epen stehen häufig Epitheta bei den Namen der Helden. Beispielsweise findet sich an nicht weniger als elf Stellen in der Odyssee die Wortwahl Ὀδυσσεύς ταλασίφρων (Hom. Od. 1,87; 1,129; 3,84; 4,241; 4,270; 5,31; 17,34; 17,114; 17,292; 17,510; 18,311) oder an sieben Stellen Ὀδυσσεύς μεγαλήτωρ (Hom. Od. 4,143; 5,81; 5,149; 5,233; 6,14; 8,9; 23,153). Μεγαλήτωρ wird auch in Kombination mit Alkinoos, Eurylochos, Eurymedon, Hippotades, Antikleia, Laertes und Telemachos sowie den Kretern verwendet: Hom. Od. 3,432; 6,17; 6,196; 6,213; 6,299; 89

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1980er-Jahren wieder vermehrt betont wurde, sei Dichtung in archaischer Zeit in ihrer Form zunächst mündlich gewesen und erst s­ päter schriftlich fixiert worden. Der mündliche Vortrag bedurfte eines anwesenden Publikums, das angesprochen wurde.93 Wie die oral poetry-Forschung herausarbeiten konnte, stützte sich der Rhapsode auf ein Set aus Versatzstücken, mit deren Hilfe er seinen Vortrag gestaltete, wobei er die Formelsprache nicht selbst erschaffen, sondern erlernt hatte; doch kreierte der Rhapsode durchaus Neues, indem er einerseits die Versatzstücke auf andere Weise anordnete und ihnen damit veränderte Bedeutung zukommen ließ, seinen Vortrag andererseits aber auch mit Neuem anreicherte.94 An einem Gerüst aus traditionellen Bestandteilen entlang entwickelte sich auf diese Weise ständige Innovation. Die fortwährende Bezugnahme auf das Publikum, die dabei erfolgte, macht es plausibel anzunehmen, dass die Perzipienten viele der Ideen und Werte, die vorgetragen wurden, teilten.95 Dichtung musste von den Zuhörern verstanden werden und ist daher in der sozialen Welt des Publikums verortet, auch dann, wenn (scheinbar) mythische, längst vergangene Zeiten verhandelt werden. In besonderem Maße gilt auch hier, dass fiktionale 7,85; 7,93; 8,464; 7,58; 10,36; 10,207; 11,85; 19,176; 24,365. Dies ermöglichte es – nach Parry – die Namen der Figuren spontan in den Hexametern zu formulieren. Neben Epitheta werden in den homerischen Epen auch ganze Versteile wiederholt, die ebenfalls als Bausteine mündlicher Dichtung betrachtet werden können, die es erleichtern, frei vor Publikum vorzutragen. Aber nicht nur kleine Versteile werden wiederholt, auch wiederkehrende Szenen, wie das Mahl oder Opfer, werden mit fast denselben Versen beschrieben. Ἦμος δ’ ἠριγένεια φάνη ῥοδοδάκτυλος Ἠώς findet sich an 20 Stellen in der Odyssee und an zwei Stellen in der Ilias: Hom. Il. 1,477; 24,788; Hom. Od. 2,1; 3,404, 3,491; 4,306; 4,431; 4,576; 5,228; 8,1; 9,152; 9,170; 9,307; 9,437; 9,560; 10,187; 12,316; 13,18; 17,1; 19,428. Das Prinzip erinnert an einen Baukasten, aus dem sich der Sänger seinen Vortrag ad hoc zusammenzusetzen vermochte. Diese Sänger (ἀοιδοί) tauchen wiederholt in Ilias und Odyssee auf. Sie tragen zur Unterhaltung im Kontext des Gastmahls bei. Odysseus kann sogar seiner eigenen Geschichte lauschen, als er, ohne seine wahre Identität preisgegeben zu haben, bei Alkinoos zum Mahl geladen ist, der den θεῖον ἀοιδόν Δημόδοκον hat rufen lassen: Hom. Od. 8,43 – 95. Das hier Vorgetragene ist wiederum ein Teil des Stoffs der Ilias. Die Szene ist eine Art der Selbstbeschreibung, also auch die eines Milieus, das diese Epen hervorbrachte. Es ist keine bescheidene Perspektive auf die eigene Bedeutung, denn der Sänger Demodokos schlägt alle in seinen Bann. Seinem Vortrag, den er immer wieder unterbricht, wird in der Odyssee viel Raum gegeben. Die Hervorhebung des Aoiden mündet schließlich darin, dass Odysseus veranlasst, Demodokos einen Ehrenhappen zuzumessen: Hom. Od. 8,474 – 481. Der achte Gesang ist vom Vortrag des Demodokos dominiert. Sein Name wird in den 586 Versen fünfmal genannt: Hom. Od. 8,44; 8,106; 8,472; 8,486; 8,537. 93 Itgenshorst (2014) 46. 94 Vgl. van Wees (1992) 12; vgl. auch Anm. 92. 95 Crielaard (2009) 350. Allerdings dichteten Poeten in archaischer Zeit wie Alkaios oder Sappho jeweils aus einem bestimmten Anlass, weswegen ihre Dichtungen aus d­ iesem spezifischen Kontext heraus zu verstehen sind. Die Möglichkeiten der Verallgemeinerung sind begrenzt. Vgl. Itgenshorst (2014) 46 – 47.

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Literatur nur auf einer „Folie der sozialen Realität“ konzipiert werden konnte, wenn sie verstanden werden sollte.96 Vor allem die vielen Äußerungen ­zwischen den Zeilen, all das Nebensächliche und selbstverständlich Vorausgesetzte, weil es den Zeitgenossen nicht erklärt werden musste, besitzt einen hohen Quellenwert. Diese Informationen sind Selbstbeschreibungen, die allerdings einem bestimmten sozialen Blickwinkel entstammen.97 Viele soziale Klassen oder Schichten sind deshalb von den Quellen her schwer zu greifen, verweist die Dichtung doch sehr häufig auf die Lebenswelt der Eliten, die in der Regel auch die Perzipienten der Dichtung waren.98 Einfache Bauern, Tagelöhner, Sklaven und auch Frauen begegnen uns eher randständig und erscheinen so mitunter in einem Zerrbild, das über Verfremdungen, die Handlungssträngen geschuldet sind, weit hinausgeht. Die Dichtungen Hesiods, insbesondere die Werke und Tage, künden scheinbar von einer gänzlich anderen, einer bäuerlichen Welt. Der Dichter, der mit dieser Lebenswelt vertraut ist, sie aber auch ästhetisiert und in einen größeren, kosmischen, göttlichen Zusammenhang setzt,99 scheint selbst einer Elite anzugehören. Die Problemlagen sind denen, die sich bei der Beschäftigung mit Homer ergeben, nicht unähnlich, wenngleich es einige Unterschiede gibt, die die Verwendung Hesiods als Quelle für die griechische Archaik erleichtern: Denn es lassen sich insbesondere die Werke und Tage der Lebenswelt der Archaik zuordnen, in der große Teile des Stoffs angesiedelt sind.100 Auch wenn dies freilich kein Garant für eine generelle Authentizität ist, entbehrt die Annahme, die Dichtung Hesiods gebe Auskunft über die früharchaische Lebenswelt, nicht einer gewissen Plausibilität und dies unabhängig davon, ob wir Hesiods 96

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Schmitz (2014) 11; ähnlich auch van Wees (1992) 10: „[…] Fantasy is a category of historical evidence of his own right. […] It is bound to reflect experiences, fears and ideals of those who fantasise.” Schmitz (2014) 11. Einen Eindruck mag der Auftritt des Demodokos beim Gastmahl der Phaiaken geben – Zuhörer sind hier die basileís: Hom. Od. 8,40 – 47; 8,72 – 83. Astronomische Phänomene tauchen immer wieder als Marker für die rechte Zeit, verschiedene Arbeiten auszuführen, auf. Vgl. die Übersicht bei West (1978) 253. Wenngleich Hesiod mitunter eine nüchterne, pragmatische Sprache attestiert wird (so etwa Elliger (1975) 159; 173 – 175; 337), scheinen mir einige Passagen ästhetisierend wie etwa Hes. erg. 519 – 525: Καὶ διὰ παρθενικῆς ἁπαλόχροος οὐ διάησιν, / ἥ τε δόμων ἔντοσθε φίλῃ παρὰ μητέρι μίμνει, /οὔπω ἔργα ἰδυῖα πολυχρύσου Ἀφροδίτης, / εὖ τε λοεσσαμένη τέρενα χρόα καὶ λίπ’ ἐλαίῳ / χρισαμένη μυχίη καταλέξεται ἔνδοθι οἴκου, / ἤματι χειμερίῳ, ὅτ’ ἀνόστεος ὃν πόδα τένδει / ἔν τ’ ἀπύρῳ οἴκῳ καὶ ἤθεσι λευγαλέοισιν· – Auch ein Mädchen mit zarter Haut durchbläst er nicht, das drinnen im Haus bei der ­Mutter verweilt, unerfahren noch in den Werken der goldenen Aphrodite. Sorgsam badet die den zarten Leib, pflegt ihn mit fettem Salböl und legt sich im innersten Winkel des Hauses nieder an einem Wintertag, wenn der Beinlose am eigenen Fuß nagt in glutlosem Haus und düsterer Wohnung. Das gilt mit Einschränkungen auch für die mythischen Passagen der Werke und Tage, wie der Erzählung von den Weltaltern (Hes. erg. 106 – 200) oder der Prometheus/PandoraEpisode (Hes. erg. 42 – 105), da sie die Lebenswelt sinnstiftend ordnen.

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­Konzeption der Figur, die hinter dem dichterischen Ich steht, als ‚autobiographisches‘ Zeugnis, das den Dichter als Person greifbar macht, oder fiktional auffassen;101 denn entscheidende Passagen funktionieren nur, wenn Schlüsselelemente wie der Rechtsstreit von den Perzipienten der Dichtung als real wahrgenommen werden können. Ähnlich verhält es sich bei den frühen Lyrikern wie Archilochos, Alkaios oder Solon, wobei hier von Fall zu Fall auf den Autoren eigene Spezifika einzugehen ist.

1.3.3 Fixierung in der Chronologie Archaische Dichtung als zeitgenössische Quellen zu Ereignissen oder selbst länger angelegten Entwicklungen zu klassifizieren, ist nur in Annäherung möglich. Allein schon die Datierung der beiden frühen Epiker, Homer und Hesiod, verweist auf ein unübersichtliches Forschungsgebiet mit vielen Traditionslinien und umstrittenen Annahmen. Die Datierung Homers ist zudem ein komplexes Feld mit einer langen Forschungs­geschichte, weswegen im Rahmen dieser Arbeit lediglich eine knappe Problematisierung 102 vorgenommen wird, die auf den Quellenwert der archaischen Dichtung, insbesondere der Epen Homers und Hesiods, für die Migrationen jener Zeit zugespitzt ist, zumal die Frage nach der Chronologie eng mit der Frage nach dem Quellenwert verknüpft ist. 101

Karl Julius Beloch beispielsweise bestreitet vehement die Historizität Hesiods, indem er alle biographischen Einwürfe als nicht authentisch einstuft. Die Erwähnung Askras sei ein „störendes Einschiebsel“ und dass der Vater, ein Schiffer aus Kyme, nach Askra in Boiotien ginge, um dort Bauer zu werden, sei „ganz absurd“. Auch macht Beloch philologische Argumente geltend: Die Sprache sei die des Epos und die wenigen ‚fremden‘ Bestandteile ­seien keinesfalls boiotisch. Vgl. Beloch (1913) 312. Es drängt sich der Verdacht auf, dass Beloch Hesiod als Person deswegen die Historizität abspricht, weil dessen biographische Einschübe in den Werken und Tagen nicht mit seiner ­Theorie des Epos korrespondieren, in dem der Dichter „völlig hinter seinem Stoffe“ zurücktrete. Vgl. ders. (1913) 312. Belochs Urteil ist symptomatisch für eine Frage, die letztendlich kaum zu klären ist, denn die einzigen zeitgenössischen Informationen stammen von Hesiod selbst. Sie lassen sich in verschiedene Richtungen deuten und es mangelt an Parallelüberlieferungen. Die Frage kann hier allerdings ausgeklammert werden; der Quellenwert der biographischen Informationen bleibt in Bezug auf die gewählte Fragestellung unberührt davon, ob jene Informationen nun authentisch sind oder nicht. 102 Unschärfe bleibt dabei nicht aus. Es ist kaum absehbar, ob die Frage nach der Datierung jemals präzise und von einem breiten Konsens getragen beantwortet werden kann; ein weiterer Versuch scheint im Rahmen dieser Arbeit kaum ratsam, zumal selbst arrivierte Philologen (zeitweise) entnervt aufgaben: „Ich habe die Zeitfrage Homers absichtlich ausgeschieden, weil ohne viele Polemik in dem Wirrwarr der sich auch selbst meist widersprechenden Meinungen, Ordnung nicht zu bringen ist.“, Jacoby (1933) 44, ein Zitat eingereiht in eine stetige Auseinandersetzung mit Wilamowitz-Moellendorff (1916); vgl. ­später dann Schadewaldt (1938). Für einen grundlegenden Überblick zur ‚homerischen Frage‘ und verwandten ­Themen vgl. Patzek (1992) 1 – 71; Nagy (1996) 16 – 27.

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Darüber, ob die Epen Homers von einer Welt künden, deren lebensweltliches Vorbild in archaischer Zeit oder bereits in den sogenannten ‚Dunklen Jahrhunderten‘ angesiedelt ist, herrscht bis heute keine Einigkeit, wenngleich sich eine deutliche Tendenz abzeichnet: Carol Dougherty erkennt vor allem in der Odyssee deutliche Spuren griechisch-archaischer Migrationsbewegungen und sieht in ihr eine Art Bewältigungshandeln repräsentiert: „The poem helps a Greek audience accommodate the challenges of a new world of exploration and settlement within an age-old story of travel and discovery“, indem in der Odyssee auf dem Publikum vertraute Charaktere und Mythen rekurriert werde.103 In der Geschichte um Nausithoos und die Umsiedlung der Phaiaken macht sie die Ähnlichkeiten zu anderen Gründungsnarrativen im Umfeld der sogenannten ‚Großen Kolonisation der Griechen‘ aus.104 John-Paul ­Wilson dagegen warnt vor einem Zirkelschluss, der begangen werden könnte, würden die gesellschaftlichen Verhältnisse, die die Odyssee reflektiere, auf das späte 8. Jahrhundert (bzw. das frühe 7. Jahrhundert), also der Entstehungszeit des Gedichts, datiert. Wilson wendet ein, dass die Odyssee eher als Quelle für frühere gesellschaftliche Verhältnisse herangezogen werden müsse, und stützt sich dabei einerseits auf ältere Überlegungen Moses Finleys 105, der das Epos erheblich früher ansiedelt, andererseits auf etwas jüngere Gedanken Kurt A. Raaflaubs und auch Irad Malkins 106, die beide die sozio-politischen Verhältnisse in der Dichtung auf einen etwas früheren Zeitraum als das 7. Jahrhundert beziehen.107 103

Dougherty (2001) 128. Vgl. daher nicht nur die Ausführungen von dies. (2001) 129 – 130 sondern auch jene im Kommentar von Garvie (1994) 83 – 84 sowie bei Crielaard (1995) 236 – 239 und auch jüngst bei Mauersberg (2019) 33 – 36. 105 Vgl. die in der ersten Auflage bereits in den 1950er Jahren erschienene Monographie von Finley (1992). 106 Raaflaub (1998); Malkin (1998) 13 argumentiert über den Inhalt: Die Reisen des Odysseus spiegelten eher die Verhältnisse ionischer Migrationen wider, da es erstens v. a. Inseln ­seien, die Odysseus bereist, und auch während der ionischen Migration die Inseln der östlichen Ägäis Ziel zahlreicher ionischer Einwanderer waren. Zweitens entsprächen die Organisationsformen von Mobilität und Migration nicht derjenigen, die im Kontext von „colonization“ und damit der Gründung von Poleis zu erwarten sei, wobei es in der Regel eine mētrópolis und einen oikístēs gebe. Es ist offenkundig, dass bei seinen Überlegungen eine strikte Unterscheidung ­zwischen (ionischer) Migration und (griechischer) Kolonisation Pate stand. 107 Im Folgenden versucht Wilson, zu zeigen, dass es sich bei der Migration des Nausithoos von Hyperia, wo die Phaiaken von den Kyklopen vertrieben wurden, nach Scheria nicht um einen Akt „kolonialer“ Gründung (also keine Fernmigration), sondern eher um eine Art Binnenmigration, also eine Neuansiedlung in der Nähe der ursprünglichen Siedlung, handelte. Die Argumentation hat eine gewichtige Schwäche, indem sie sich auf die den homerischen Epen zugrunde liegende, fiktive ‚Geographie‘ stützt und diese damit letztendlich überstrapaziert. Trotz einer Vielzahl bemühter Versuche (beispielsweise: Warnecke (2008); vgl. auch Anm. 3 auf S. 155) ist es bislang nicht überzeugend gelungen, den dichterisch geschaffenen Raum in der Odyssee im physisch erfahrbaren geographischen

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Neben dem offenkundigen Einwand, dass eine moderat frühere Datierung der soziopolitischen Verhältnisse in den Epen Homers diese kaum als Quelle disqualifiziert,108 wird hier ein grundsätzliches methodologisches Problem offenbar: Der Inhalt der Epen, genauer die hierin enthaltenen Konzeptionen sozio-politischer Verhältnisse, werden dazu benutzt, die Quelle oder deren historischen Referenzrahmen 109 zu datieren. Hierfür stehen wiederum Annahmen Pate, die aus späteren Quellen geschöpft wurden, Quellen, deren Aussagekraft für die Archaik hier zunächst in Zweifel gezogen wird, weil sich vielfältige Verformungs- und Übertragungstendenzen aufzeigen lassen. Wilson bemüht zudem scharfe, konzeptionelle Scheidungen wie die z­ wischen den Migrationen der ‚Dunklen Jahrhunderte‘ und der ‚Kolonisation‘ archaischer Zeit oder ‚Polis‘ und ‚Prä-Polis‘, die in den letzten Jahren zumindest in die Diskussion geraten sind, wenn sich nicht sogar eine Tendenz zur Abkehr greifen lässt.110 Weitaus komplexer stellt sich die Frage nach der Entstehungszeit der homerischen Epen dar: Es mangelt an konkreten zeitgenössischen Verweisen, wie auch immer geartete ‚autobiographische‘ Informationen sind in den Epen schwer zu greifen und die späteren Traditionen weisen neben dem zeitlichen Abstand weitere Probleme auf.111 Der früheste Beleg für die Namensnennung Homers wird entweder auf die Mitte des 7. Jahrhunderts oder um 600 datiert, wobei die jüngere Datierung gesichert ist.112

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Raum zu verorten. Vgl. die scharfe Rezension von Patzek (2010). Genaue Entfernungen ­zwischen Hyperia und Scheria liefert das homerische Epos genauso wenig wie einen Hinweis darauf, dass keine wie auch immer geartete Grenze überschritten wurde (vgl. Kapitel 1.5.1 Migration z­ wischen Mobilität und Ansässigkeit – eine Annäherung, 37 – 45), wohingegen der Gründungsakt ein Indiz für eine s­ olche ‚Grenzüberschreitung‘ darstellt, wenngleich zugegebenermaßen kein besonders starkes. Seit der Antike gab es Versuche, Scheria im ‚realen geographischen Raum‘ zu verorten, wobei Kerkyra als gängiger (z. B. Hellanikos von Lesbos FGrH 4 F77 = Steph. Byz. s. v. Φαίαξ καὶ Φαιακία; Thuk. 1,25,3 – 4) und Helgoland (vgl. für eine Übersicht Nordheider (2006) 277) als origineller Vorschlag die große Bandbreite illustrieren. Wie Malkin (1998) 111 – 112 mit Segal (1962) 12 – 6 4 richtig feststellt, gehört Scheria nicht in einen durch konkrete Topographie bestimmten Raum. Es ist ferner seit langem aus guten Gründen Konvention, die homerischen Epen als Quelle für die Zeit ihrer Entstehung auszuwerten. Vgl. ausführlich bereits Stein-Hölkeskamp (1989) 15 – 56, pointiert: 15; problematisierend und methodisch differenziert van Wees (1992) 5 – 24; einschlägig auch Raaflaub (1998). Damit ist das historische, politisch-soziale Umfeld gemeint, in dem die Quelle entstanden ist. Der Begriff lehnt sich hier an die Arbeit von Welzer/Neitzel (2011) 32 – 37 an. Das archäologische Material scheint jedenfalls, anders als bisher angenommen, keine so eindeutige Trennung beider Mobilitätsphänomene nahezulegen, wie Hall (2014) 96 – 99 analysiert und folgert, dass die nachmykenischen Siedlungen der sogenannten ‚Dunklen Jahrhunderte‘ zwar eher mit sich selbst beschäftigt und isoliert gewesen ­seien, indes ­seien die Kontakte zur Außenwelt nie ganz abgerissen. Bereits kritisch zum Konzept der Polis Gawantka (1985). Vgl. Kapitel 1.3.1 Das Problem der ktíseis, 22 – 25. Bei Pausanias findet sich das Fragment von Kallinos von Ephesos (IEG II2 =Paus. 9,9,5), in dem Homer erwähnt würde, sofern das Fragment authentisch ist: Καλλῖνος […] ἔφεσεν

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Perspektiven, Methoden, Quellen und Konzepte

Einen Anhaltspunkt zur chronologischen Fixierung 113 der Epen bilden zwei archäologische Zeugnisse, die eng mit der Entstehung der griechischen Schrift verbunden sind: erstens der in Pithekoussai gefundene Nestorbecher, ein ostgriechischer geometrischer Skyphos, auf den eine Inschrift linksläufig in chalkidischer Schrift eingeritzt ist,114 und zweitens die in Athen gefundene Dipylon-Kanne. Hierbei handelt es sich um die ältesten Verwendungen griechischer Schrift; beide werden auf das Ende des 8. Jahrhunderts datiert und sind so Indizien dafür, ab wann eine Abfassung der Epen möglich war, zumal der ‚Nestorbecher‘ möglicherweise auf den Stoff des Epos Bezug nimmt.115 Als Annäherung 116 wird im Folgenden von weithin, aber nicht flächendeckend akzeptierten Annahmen ausgegangen. So folgt die Arbeit der oral poetry-Forschung,

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Ὅμηρον τὸν ποιήσαντα εἶναι. In den Handschriften, die Pausanias überliefern, ist indes nur ein Kalainnos überliefert, zu dem es keinerlei Testimonien in der antiken Literatur gibt. Gemeinhin wird darum angenommen, es müsse sich um Kallinos von Ephesos handeln (vgl. beispielsweise Pfeiffer (1970) 65; West (1995) 204; West (1999) 377; West (2011) 9; Latacz (2011) 3 – 4). Für einen Überblick über den Namen des Dichters und die aus der Antike überlieferten ‚biographischen Informationen‘ vgl. Reichel (2011) passim, der Homer erst bei Hdt. 2,116,1; 4,29,1 zweifelsfrei als Autor von Ilias und Odyssee benannt sieht; vgl. zudem Latacz (1989) 32 – 40; ders. (2011) passim, der den antiken HomerViten zurecht keinerlei Authentizität einräumt. Vgl. aber zum Verhältnis von Mündlichkeit und Schriftlichkeit stellvertretend den kritischen Einwand bei Nagy (1996) 14: „It seems to me self-evident that even an oral tradition can refer to a written tradition without necessarily being influenced by it. I should add in this regard my own conviction, that Homeric poetry does indeed refer to the topography of writing, and that such references in no way require us to assume that writing was used for the creation of Homeric poetry.” Vgl. auch Anm. 116. SEG 14,604 = HGIÜ 1 = ML 1= CEG I 454. Dies ist jedoch keine Voraussetzung für die Existenz einer schriftlichen Abfassung der homerischen Epen. Bildliche Darstellungen des Stoffs tauchen ab dem letzten Drittel des 8. Jahrhunderts auf. Vgl. Stein-Hölkeskamp (2015) 74. Die Problematik kann hier nicht in der ihr gebührenden Breite behandelt werden. Wenn die mündlich tradierten Epen von einem Dichter schriftlich fixiert wurden, stellen sich neue Fragen. Bedeutete diese Fixierung ein Ende der Mündlichkeit? Selbst wenn die Antwort ‚ja‘ lautete, gälte es zu klären, ob die lebendige mündliche Tradition vollends endete oder in welchem Maße sie allmählich abebbte, d. h., wie weit der Schatten des neuen Textes reichte. Dies wiederum ist verbunden mit der noch größeren Frage danach, wie hoch der Grad an Alphabetisierung in ­welchen Kreisen war. Welches Medium hätte der Verbreitung der fixierten Version dienen können? Es müsste erstens in ausreichender Menge vorhanden gewesen und hätte zweitens nicht zu aufwendig zu beschaffen sein dürfen. Aus der Zeit der mykenisch-minoischen Palastkulturen sind Tontafeln bekannt, die seit der Entzifferung von Linear B 1953 gelesen werden können. Es ist eine Sprache, deren Verwandtschaft zum Griechischen offenkundig ist. Die Tontafeln entstammen einem Verwaltungskontext; Literatur ist für diese Epoche nicht belegt. Die Schrift ging verloren und musste erst neu ‚entdeckt‘ werden. Die ersten Nachweise, die überdauert

Die Quellenlage und der methodische Umgang mit den Zeugnissen

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indem sie voraussetzt, dass die Epen von einer mündlichen Tradition des Erzählens zumindest in starkem Maße beeinflusst sind.117 Mündlichkeit als Ausgangspunkt macht die Beantwortung der anfangs gestellten Frage nach der Datierung nicht leichter – im Gegenteil. Es ist ein vager Zeitraum, in dem sich die Niederschrift ansiedeln lässt.118 Die lebensweltliche Konzeption der Epen fällt in diese Phase, denn die Alltäglichkeiten, die der Dichter bei seinem Publikum vorauszusetzen scheint, befinden sich im mündlichen Kontext weit mehr im Fluss und sind einem stärkeren Veränderungsdruck ausgesetzt, als dies in einer schriftlich fixierten Version der Fall wäre. Wörter sind in einer von Mündlichkeit bestimmten Welt, weil nicht verschriftlicht, ein flüchtiges Phänomen und erlangen Bedeutung nur im Kontext. „Mündliche Kulturen tendieren daher dazu, nur s­ olche Wörter beizubehalten, die in der unmittelbaren Lebenswelt relevant sind.“ 119 Die mündliche Erzählung ist stärker an den Rahmen ihrer Zeit gebunden, auch wenn sie in ein älteres Gewand gekleidet ist. Folglich werden die homerischen Epen als Quelle für die Lebenswelt zur Zeit ihrer Verschriftlichung und die Zeit unmittelbar davor verwendet. Die Gleichung, Homer archaisch und einfach versus Hesiod ausdifferenziert bis politisch, geht nicht auf, denn die Dichtungen sind in unterschiedlichen sozialen Kontexten angesiedelt. Einen vermeintlichen Anhaltspunkt zur Datierung Hesiods liefert Vers 654 der Werke und Tage, in dem Hesiod von seiner Teilnahme an Leichenspielen schreibt, die die Söhne des Amphidamas zu dessen Ehren abhielten,120 was mit Plutarch als Referenz zum Lelantinischen Krieg gedeutet werden könnte, womit eine Datierung um 700 erreicht würde, zumal sich außerdem eine Bezugnahme durch Archilochos festmachen lässt.121 Doch ist der Lelantinische Krieg keinesfalls chronologisch so gesichert, dass er sich unhinterfragt als Referenzpunkt eignen würde.122 Jede Datierung bleibt im Vagen und es erscheint für die Zwecke dieser Arbeit kaum sinnvoll, den Zeitraum allzu eng zu fassen. Aus der hier vorgenommenen Problematisierung lässt sich indes plausibel annehmen, dass Homer, Hesiod (und ein Teil der frühen Lyriker) für die Frühphase der Migrationen in der griechischen Archaik herangezogen werden können. haben, finden sich auf Keramik. Materielle Überreste längerer Texte gibt es nicht; dies wäre allerdings auch nicht zu erwarten, zumal die Beschreibmaterialien, die denkbar wären (Papyrus, Leder oder ungebrannte Tontafeln) nicht überdauert hätten. 117 Vgl. Schmitz (2002) 123. 118 Hinzu kommt noch das Problem nachträglicher Bearbeitung des Textes durch antike Philologen. 119 Schmitz (2002) 114. 120 Hes. erg. 654 – 656: Ἔνθα δ’ ἐγὼν ἐπ’ ἄεθλα δαΐφρονος Ἀμφιδάμαντος / Χαλκίδα [τ’] εἰσεπέρησα· τὰ δὲ προπεφραδμένα πολλὰ / ἄεθλ’ ἔθεσαν παῖδες μεγαλήτορες. Die Datierung liefert Plut. mor. 153 f–154a. 121 Archil. F3 West = F3 Diehl. 122 Vgl. insbesondere Hall (2014) 1 – 8, der zunächst ein konventionelles Bild aus der Anein­ anderreihung von Informationen aus sehr unterschiedlichen Quellen gewinnt, das er dann dekonstruiert.

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Perspektiven, Methoden, Quellen und Konzepte

1.4 Theorieaneignung und das Einspruchsrecht der Quellen Anhand der bisherigen Betrachtungen stellt sich die Ausgangssituation folgendermaßen dar: Die Quellenlage zur griechischen Archaik ist gekennzeichnet durch Mangel. Bei den Schriftquellen steht einer überschaubaren Menge zeitgenössischer Quellen ein beträchtlich größeres Korpus an Zeugnissen gegenüber, die mitunter Jahrhunderte nach den Ereignissen, von denen sie berichten, abgefasst wurden. Dies wirft eine Reihe von Problemen auf, zumal wir kaum von schriftlich fixierten Zwischenquellen ausgehen dürfen, sondern entweder fluide mündliche Überlieferung oder gar spätere, vielleicht traditionsstiftende Erfindung annehmen müssen. Zudem handelt es sich bei den zeitgenössischen Zeugnissen größtenteils um Dichtung, mit der, obgleich ihr Quellenwert kaum überbetont werden kann, konkrete historische Ereignisse kaum greifbar sind. Daher spielen archäologische Quellen eine wichtigere Rolle als in anderen Epochen.123 Hier ergibt sich indessen das Problem, dass materielle Artefakte, anders als Schriftquellen, keinen narrativen Sinnzusammenhang überliefern; mit ihnen sind daher bestimmte Fragen, zumal wenn archäologische Zeugnisse isoliert betrachtet werden, nur schwer zu beantworten, sodass ein gewisses Risiko besteht, das Material überzustrapazieren und dadurch möglicherweise Vorannahmen in den Quellen bestätigt zu glauben, obwohl es sich eigentlich um Übertragungen handelt. Aus dem Mangel narrativer Schriftquellen folgt zumindest, dass Modellannahmen einen deutlich stärkeren Einfluss auf die Darstellung haben als das für Zeitalter, die mit größerem Quellenreichtum gesegnet sind, der Fall ist. In der Forschungsgeschichte zu ­diesem Thema finden sich Beispiele für versteckte Modelle; mitunter droht die Darstellung zur Leinwand zeitgenössischer Projektionen zu werden, zumal es kaum möglich ist, ein Narrativ allein aus den antiken Zeugnissen heraus zu entwickeln. Es gilt daher, von vornherein die an den Gegenstand herangetragenen Annahmen und Modelle theoretisch reflektiert zu prüfen, noch bevor erneut auf die Quellen zurückgegriffen wird.124 Diese Vorgehensweise mag kontraintuitiv anmuten, da es schließlich die Quellen sind, die den Gegenstand überhaupt erst erschließbar machen, weswegen eine knappe Erläuterung opportun scheint. Gehen wir davon aus, dass jede empirische Aussage auf theoretischem Vorwissen beruht, existieren bereits vor dem ersten Blick auf die Quellen Konzepte und Raster, anhand derer der Befund eingeordnet wird.125 Theorien wiederum sollen ordnen, erklären und selektieren,126 mit anderen Worten bestimmen sie in nicht geringem Maße die Perspektive. Ferner haben wir es mit einem doppeten Theoriebegriff zu tun. 123

Stein-Hölkeskamp (2015) 98 – 100 und dies. (2006) passim betont, wie wichtig archäologische Quellen für die Rekonstruktion des Charakters der Migrationen in der griechischen Archaik sind. 124 Vgl. hierzu auch die Ausführungen von Hall (2014) 12 – 15. 125 So zutreffend Becker (2010) 19. 126 Der Theoriebegriff wurde bewusst allgemein gefasst. Eine Engführung, so gerechtfertigt sie im Einzelfall auch sein mag, erscheint unzweckmäßig.

Theorieaneignung und das Einspruchsrecht der Quellen

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Theorien bezeichnen nämlich einerseits ein System von Erkenntnissen, das aus der Empirie historischer Forschung, also Quellenarbeit, gewonnen wurde; andererseits verstehen wir darunter (zumeist) sozialwissenschaftliche (Groß-)Theorien, die als Instrumente zu einem besseren Verständnis der Empirie verhelfen sollen. Hinzu tritt ein nicht als ­Theorie adressiertes Vorverständnis, das an das Material herangetragen wird. Insbesondere ­solche versteckten Modelle sollten vermieden werden. Theorien, die an einem anderen Kontext entwickelt wurden, zu übernehmen, ist allerdings ebenfalls nicht unproblematisch, da so eine Analogie vom eigenen Gegenstand hin zu etwas vollkommen anderem gezogen wird, obwohl jede historische Formation 127 spezifisch ist und nie alle an der einen historischen Formation entwickelten theoretischen Konzepte auf eine andere übertragbar sind. Statt also Theorien lediglich zu übernehmen, müssen sie, mit Blick auf die Quellen angepasst werden.128 Im Falle der Migrationstheorien entstammen diese meist modernen Kontexten, vor allem diejenigen, die den Sozialwissenschaften entlehnt werden. Aber auch die historische Migrationsforschung konzentrierte sich bislang vor allem auf die Moderne. Ein grundlegender Unterschied zur Antike besteht im anzunehmenden Grad der sozialen Differenzierung. Antike Gemeinschaften waren beispielsweise deutlich weniger arbeitsteilig als moderne Gesellschaften; dem Individuum boten sich in deutlich geringerem Maße Möglichkeiten zur Entfaltung,129 einer mehrerer grundlegender Aspekte, anhand derer moderne Theorien geprüft und gegebenenfalls angepasst werden müssen, bevor sie zur Erklärung herangezogen werden können. Wenn nun die Quellen den Maßstab zur Prüfung und Anpassung der Th ­ eorie darstellen, wirft dies die Frage auf, ­welche dieser Zeugnisse herangezogen werden. Eingedenk der oben gemachten Überlegungen räumt diese Arbeit zeitgenössischen 130 127

Der Terminus beschreibt hier die Struktur einer historischen Konstellation, d. h. eine Struktur während eines bestimmten Zeitabschnitts, und lehnt sich an Leppin/Müller (2017) 46 an. Der Begriff ist dort enger gefasst, da die historische Formation sich durch ein hohes Maß an Reproduktivität, Stabilität und Sicherheit auszeichne. Ein gewisses Maß an Dauerhaftigkeit scheint unabdingbar, um die historische Formation als ­solche identifizieren (bzw. konstruieren) zu können, doch werden im Rahmen der vorliegenden Monographie diese relativen Kategorien der Beständigkeit sehr weit gefasst. 128 Zwar kann auf diese Weise keine hermetische Trennung von Quellenarbeit und theoretischer Vorreflexion umgesetzt werden, zumal ­Theorie und Empirie im Forschungsprozess einander ablösen; allerdings ermöglicht d ­ ieses Vorgehen, Vorannahmen abzuwägen und transparent zu machen. 129 Dies bedeutet nicht, dass alle Gemeinschaften in der Antike vollends kollektivistisch organisiert waren und versuchten, jedwede Individualität zu unterdrücken. Vielmehr existierten weniger (autonome) Teilbereiche innerhalb der Gemeinschaften, denen der Einzelne angehören konnte. Simmel würde sie soziale Kreise, Bourdieu würde sie Felder nennen. Vgl. Simmel (1989) 237 – 257; auch 258 – 259; ders. (2013); Bourdieu (1998) passim; ders. (2014) 355 – 404; Rehbein/Saalmann (2009a) passim. 130 Die ‚Zeitgenossenschaft‘ der Quellen zu den hier untersuchten Migrationsphänomenen ist recht grob, zumal die exakte Datierung bei einer Vielzahl archaischer Dichtung

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Perspektiven, Methoden, Quellen und Konzepte

Zeugnissen den Primat gegenüber den Wiedergaben von ktíseis in der sich in klassischer Zeit herausbildenden Historiographie ein,131 um aus einer lebensweltlichen 132 Perspektive heraus die Migrationsbewegungen archaischer Zeit zu erklären. Konkret wird dabei wie folgt vorgegangen: Nachdem wir uns oben begrifflich und konzeptionell dafür entschieden haben, von Migration zu handeln, erfolgt zunächst eine kritische Bestandsaufnahme des Migrationsbegriffs und der Paradigmata, die mit ihm einhergehen. Diese Vorgehensweise zielt darauf ab, problematische, weil möglicherweise ideologische oder mit der untersuchten historischen Formation inkompatible Annahmen und Modellierungen, zu identifizieren und die Definition von Migration entsprechend anzupassen. Nach einer kritischen Konkretisierung der Definition des Migrationsbegriffs muss wiederum ein theoretischer Rahmen gefunden werden, der angesichts der bisher aufgeworfenen Probleme eine Reihe von Kriterien erfüllen sollte: Erstens müsste sich ebendieser Rahmen mit den Quellen, die der Untersuchung zugrunde gelegt sind, harmonisieren lassen, damit über ihn einerseits nicht Vorannahmen auf den Untersuchungsgegenstand übertragen werden, die mit der aus den Quellen rekonstruierten Lebenswelt nicht in Einklang zu bringen sind (falsche Analogien). Andererseits sollten literarische Konzeptionen, die nicht direkt auf Migration verweisen, zur Analyse von Migrationen nutzbar gemacht werden, zumal das Gros des gewählten Quellenkorpus keine Berichte von Migrationsbewegungen umfasst. Zweitens sollte der Rahmen hinreichend offen sein, damit Beobachtungen und Ansätze, die im Zuge empirischer und theoretischer Beschäftigung mit Migration entstanden sind, sofern sie als gewinnbringend identifiziert wurden, bis zu einem gewissen Grad integrierbar sind. Dabei gerät ein weiteres theoretisches Problemfeld in den Fokus, nämlich die mögliche Inkompatibilität einiger Ansätze, die auf unterschiedliche theoretische Metaparadigmata verweisen, sodass ein theoretischer Rahmen, der in der Lage wäre, etwa ­zwischen handlungs- und strukturtheoretischen Ansätzen zu vermitteln, vorteilhaft erscheint. Nachdem so ein theoretisches Instrumentarium gewonnen wurde, soll dessen Tauglichkeit zur Analyse der Quellen demonstriert werden; dies geschieht zunächst im Rückgriff auf zeitgenössische Zeugnisse. Daran anschließend wird anhand einiger ausgewählter ktíseis versucht, die Ergebnisse der ersten Teile dieser Arbeit zu weiteren Forschungsschwerpunkten im Feld der Migrationen der griechischen Archaik ins Verhältnis zu setzen.133 S­ chwierigkeiten bereitet. Vgl. dazu in Teil I Kapitel 1.3.3 Fixierung in der Chronologie, 29 – 33. 131 Vgl. dazu Kapitel 1.3.1 Das Problem der ktíseis, 22 – 25. 132 Vgl. Itgenshorst (2010), die Husserls Begriff der Lebenswelt in die Forschung zur griechischen Archaik eingeführt hat. Vgl. auch dies. (2014). Grundlegend vgl. Husserl (2012); Schütz/Luckmann (1975). 133 Dieser Schritt erfolgt am Ende des Theoriekapitels unter 1.5.5 Operationalisierung, 69.

Konzepte der sozialwissenschaftlichen und historischen Migrationsforschung

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1.5 Konzepte der sozialwissenschaftlichen und historischen Migrationsforschung Das Theorieangebot zu Fragen der Migration (und auch der Mobilität) ist umfangreich und nimmt weiter zu, was nicht zuletzt der brennenden Aktualität des Themas geschuldet sein dürfte. Allerdings sind Migrationen seit langem Gegenstand intensiver Auseinandersetzungen, sowohl aus politischer als auch aus wissenschaftlicher Perspektive. Es ist daher eine Auswahl aus dem reichen Angebot möglicher theoretischer Zugänge zu treffen. Als Maßstab hierfür dienen die, wenn auch raren, zeitgenössischen Quellen; dabei müssen für die modernen theoretischen Konzepte, die hier vorgestellt werden, innerhalb der antiken Zeugnisse passende Vorstellungen gefunden werden, damit eine Analogie gerechtfertigt ist.134 Da es also antiker Konzeptionen und Bewertungen der sozialen Welt für die Prüfung der modernen Hilfsmittel bedarf, wird in erster Linie die schriftliche Überlieferung herangezogen, zu der im weiteren Verlauf archäologische Befunde hinzutreten. Im Fokus ­dieses Kapitels stehen Präsentation, Problematisierung und Anpassung der theoretischen Anleihen, die in dieser Arbeit Verwendung finden.135

1.5.1 Migration zwischen Mobilität und Ansässigkeit – eine Annäherung Unter Migration wird gemeinhin ein dauerhafter oder auf längere Zeit angelegter Wohnortswechsel über eine Grenze hinweg verstanden; diese Grenze kann neben anderen Formen mental, kulturell, geographisch oder politisch beschaffen sein und muss von den Betroffenen als ­solche wahrgenommen werden.136 Migration umfasst ferner mehr als den Akt der Gründung einer Siedlung. Insbesondere das Zuwandern in bestehende Gemeinschaften rückt bei der konsequenten Verwendung des Begriffs in den Betrachtungshorizont. Die Erweiterung scheint auch für die hier behandelte Zeit gerechtfertigt, zumal rein quantitativ betrachtet Nachzügler und ihre Nachfahren zumeist einen deutlich größeren Anteil einer späteren Polis ausgemacht haben 134

Mit modernen theoretischen Konzepten antike Quellen zu erschließen, impliziert eine Analogie zu den historischen Verhältnissen zu ziehen, in denen diese Theorien entstanden sind. Ziel dieser Arbeit ist es, durch die theoretische Abstraktion und die hier getroffenen Vorüberlegungen den Quellen oder der angenommenen Realität hinter ihnen, wenn man so will dem Ideal Rankes „wie es eigentlich gewesen“, näher zu kommen als bei der bloßen Interpretation mit dem ‚gesunden Menschenverstand‘. Gerade diese Methode bildet ständig Analogien zur Gegenwart, allerdings nicht selten unbewusst und somit unreflektiert. 135 Deren Kompatibilität mit den Quellen wird benannt, aber nicht detailliert ausgearbeitet, damit Dopplungen mit den nachfolgenden Kapiteln vermieden werden. 136 Vgl. Kleinschmidt (2002) 20; ders. (2011) 10; Walter (2004b) 63; Han (2010) 6 – 10; auch Wienold (2007a), der aber das Element der Grenze nicht dezidiert benennt, dafür jedoch betont, dass es sich auch um eine Bewegung im sozialen Raum handelt.

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Perspektiven, Methoden, Quellen und Konzepte

dürften als die Pioniere, die einst den Brückenkopf geschlagen hatten, selbst wenn man deren leibliche Abkömmlinge hinzurechnet. Dass sich in den Schriftquellen ein anderes Bild abzeichnet, mag den Eigenarten kollektiver Erinnerung, die nicht selten die Tendenz aufweist, Ursprünge – etwa in Form der ‚ersten Siedler‘ – zu betonen, geschuldet sein.137 Im Rahmen dieser geläufigen Definition jedenfalls erscheint Migration als spezifische Form von Mobilität, die sich von anderen mehr oder weniger klar unterscheiden lässt: Das Reisen bedingt die Heimkehr. Auch die zeitlich zunächst unbegrenzte Mobilität ohne auf eine Dauer angelegte Neuansiedlung, das Vazieren, das auch heute noch von Handwerksgesellen praktiziert wird, zählt strenggenommen nicht zur Migra­tion, kann aber dazu werden,138 eine Veränderung, die den Akteuren möglicherweise erst allmählich bewusst wird: Ein Handwerker mag auf Wanderschaft anfangs in einer Stadt arbeiten, planen nach einiger Zeit weiterzuziehen, dann aber seinen Aufenthalt immer wieder verlängern, bis sich sein Lebensmittelpunkt an dem neuen Ort befindet und er vollends ansässig wird. Die größte Migrantengruppe in der Geschichte der Bundesrepublik kam zunächst als ‚Gastarbeiter‘, die sich aber nach und nach eine Existenz aufbauten, Familienangehörige nachholten und schließlich blieben. Mobilitätsformen wie diese sind freilich für jede historische Formation verschieden, kontingent und nicht ohne weiteres übertragbar. Aber die Beobachtung, dass Menschen von einem an einen anderen Ort gelangen, ohne den Plan gefasst zu haben, sich dort dauerhaft anzusiedeln, aber dann doch genau dies tun, behält unabhängig vom jeweiligen Kontext ihre Plausibilität. Antike Kontexte können beispielsweise Wanderarbeit, Söldnertum, Handel oder gar Raubzüge sein. Ohne die Mobilität genauer zu bestimmen, zeichnet Hesiod mit dem Verweis auf die Migrationsgeschichte seines Vaters in den Werken und Tagen eine Skizze, innerhalb der Migration nicht ursprünglich angestrebt war, sondern vielmehr aus Mobilität erwachsen sein dürfte.139 Zahlreiche weitere Beispiele sind denkbar, sodass festgehalten werden kann: Aus Mobilität, die von Akteuren getragen wird, die eine dauerhafte Ansiedlung an einem neuen Ort nicht intendieren, kann Migration erwachsen; die Abgrenzung ist also nicht immer eindeutig. Ein grundlegender Unterschied zu vielen (aber nicht allen) Formen von Mobilität besteht dennoch: Zwar ist Migration wesentlich durch die Bewegung im geographischen, das heißt physischen Raum, gekennzeichnet, worauf nicht zuletzt das Verb migrare (lat. ausziehen, übersiedeln), von dem sich der moderne Begriff 140 ableitet, verweist. Aber nicht allein in der Erfahrung von Akteuren, sondern auch in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung sind die Phasen der Ansässigkeit, die jene der Mobilität rahmen, von großer 137

Vgl. dazu 1.3.1 Das Problem der ktíseis, 22 – 25. Hahn (2012) 26 – 27. 139 Vgl. dazu Kapitel 3.3.2 Händler im frühen Epos, 208 – 217. 140 Das Wort Migration gelangte indes über den Umweg des Englischen, wo es zunächst in der Wissenschaft, dann auch im Kontext anderer gesellschaftlicher Teilbereiche Verwendung fand, ins Deutsche. Vgl. dazu Han (2010) 7. 138 Vgl.

Konzepte der sozialwissenschaftlichen und historischen Migrationsforschung

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Bedeutung und ein fester Bestandteil von Migra­tion. So erscheint es nicht nur fruchtbar, sowohl die vorausgehende als auch die anschließende Phase der Ansässigkeit zu berücksichtigen, sondern auch folgerichtig, Migration nicht als Mobilitätsform, sondern als Kombination aus Ansässigkeit und Mobilität aufzufassen. Diese Präzisierung ist indes noch nicht ausreichend, damit Migration als Rahmung für die folgenden Überlegungen fungieren kann. Obgleich Frank Bernstein bereits sehr richtig festgestellt hat, dass der Begriff neutraler, und daher besser als Kolonisation geeignet ist, die Verhältnisse in der griechischen Archaik zu erfassen, und diese Auffassung in den vorangegangenen Ausführungen Bestätigung fand,141 ist der Terminus Migration nicht gänzlich unschuldig. Eine kurze, forschungsgeschichtliche Aufarbeitung und die kritische Auseinandersetzung mit dem Begriff Migration selbst und den mit ihm verbundenen theoretischen Konzepten und Vorstellungen stellen daher die nächsten Schritte dar. 1.5.1.1 Zum Migrationsbegriff und immanenten Paradigmata Wenngleich bereits in der klassischen Antike die großen Philosophen – etwa Platon 142 oder Seneca 143 – über Wanderungsbewegungen nachdachten, und auch in der Spätantike kein Geringer als Augustinus und im Mittelalter etwa Paulus Diaconus über das Thema reflektierten,144 formten Entwicklungen, die im späten 18. und 19. Jahrhundert ihren Anfang nahmen, die Bahnen der wissenschaftlichen Auseinandersetzung und unser Alltagsverständnis. Zu dieser Zeit begannen die Vertreter der noch jungen 145 wissenschaftlichen Disziplin der Ökonomie, der Frage nachzugehen, mit ­welchen Mitteln der Reichtum eines Staates gemehrt werden konnte. Dieses Leitmotiv prägte die Betrachtung von Migration insofern, als sie vor allem aus der Perspektive des Staates erfolgte und so Migration zu etwas wurde, das man zu steuern, 141

Bernstein (2004) 28 – 32; auch: Osborne (1998); ders. (2016), der vehement dafür eintritt, Kolonisation begrifflich und konzeptionell durch Migration zu ersetzen. Vgl. zudem Kapitel 1.2.1 Zum Kolonisationsbegriff, 12 – 15. 142 Vgl. exemplarisch die zweiteilige Ansprache an die Siedler Plat. leg.  4,715e–718a; 5,726a – 734e. Platon setzte sich in den Nomoi noch darüber hinaus mit der Gründung von apoikíai auseinander. In Kapitel 2.3.2.1 Literarische Bilder, 140 – 149 wird dies unter dem Gesichtspunkt der literarischen Konstruktion von Überbevölkerung (und Mangel) besprochen. 143 Seneca umreißt in seinem Trostschreiben, das er aus der korsischen Verbannung an seine ­Mutter Helvia sandte, eine kleine ‚Migrationstheorie‘: Sen. Helv. cons. 11,7,1 – 10. 144 Zu Augustinus’ Ausführungen in den Confessiones vgl. Tacoma (2016) 144 – 157 mit einem aktuellen Forschungsüberblick; vgl. zu Paulus Diaconus Tacoma/Lo Cascio (2016) 1 – 4. 145 Schumpeter (1965) 87 – 197 sieht Anfänge der ökonomischen Analyse zwar bereits in der Antike, in der mittelalterlichen Scholastik und bei den Naturrechtsphilosophen, betont aber, sie habe erst im Laufe des 18. Jahrhunderts den Status eines eigenständigen Wissensgebietes erlangt, einem Zeitpunkt, den er als „klassische Situation“ bezeichnet.

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anzuregen oder zu unterbinden suchte.146 Bereits Adam Smith stellte Überlegungen zu Migration an und machte, wenngleich seine Beschäftigung mit dem Gegenstand nicht als explizit angesehen werden kann, Armut oder die Aussicht auf einen besseren Lohn als Ursachen aus.147 Die Auseinandersetzung mit dem Thema wurde spezifischer, wobei sich eine Tendenz erkennen lässt: In klassischen Theorien wurde Migration als Sonderfall, als ein Abweichen vom Normalzustand permanenter Sesshaftigkeit, behandelt, das als erklärungsbedürftig angesehen wurde.148 Zwei grundlegende Metaparadigmata galten als gesetzt: ebenjene Sesshaftigkeit und der rational handelnde Akteur, der auch schon bei Smith in Erscheinung tritt. 1.5.1.2 Der rational handelnde Akteur und das push-/pull-Paradigma Wenngleich sie unterschiedlich nuanciert waren, bewegten sich zahlreiche Ansätze, die zur Erklärung von Migration entwickelt wurden, innerhalb dieser Bahnen. Besonders einflussreich sollten die Überlegungen Ernst Ravensteins werden, der 1885 einen Aufsatz unter dem Titel The Laws of Migration veröffentlichte.149 Das darin ausgebreitete Gravitationsmodell gilt als „klassischer Ansatz“, der Komplexität des Phänomens Migra­ tion Herr zu werden.150 Zwar wird heute der dem Modell seinen Namen gebende Zusammenhang z­ wischen der Stärke der Motive, die Heimat aufzugeben, und der Entfernung zum Zielort, mit der sich nach Ravenstein Migrationskosten erhöhen, insbesondere im Hinblick auf unsere Zeit angezweifelt,151 doch avancierten die Begriffe, die er zur Analyse der Migrationsmotive einführte, zum Standard­repertoire sozialwissenschaftlicher und historischer Migrationsforschung. So werden noch nach über 130 Jahren mit push-Faktoren migrationsfördernde Umstände, die im Sendeort angesiedelt werden können, mit pull-Faktoren dagegen Umstände, die am (potentiellen) Zielort vorhanden sind, bezeichnet. Auf diese Begriffe und das Modell Ravensteins stützt sich die bis heute überaus einflussreiche Th ­ eorie Everett S. Lees,152 innerhalb der er push- bzw. pull-Faktoren differenziert beschreibt; seine Überlegungen dürften maßgeblich zur Verbreitung der Begriffe beigetragen haben, die so groß ist, dass von 146 147 148

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Kleinschmidt (2011) 13 – 15. Rauhut (2010) 106 – 107. Vgl. zur Entwicklung migrationstheoretischer Betrachtungen Hahn (2012) 15 – 70; Han (2010) 1 – 60; Kleinschmidt (2002) 13 – 14; Haug (2000) passim. Malthus (1798). Han (2010) 14. Der Soziologe Petrus Han (ders. (2010) 15) referiert, die These sei aus heutiger Sicht zu revidieren, da sich herausgestellt habe, dass restriktive und legislative Bestimmungen schwerer wögen als geographische Entfernung und Informationsgewinnung. Allerdings ist d ­ ieses Urteil bezogen auf aktuelle Wanderungsbewegungen und somit auf eine Zeit, in welcher der Informationsfluss schneller und die Transportmittel leistungsfähiger sind als in der Antike. Die hinsichtlich der Verbreitung des Modells wirkmächtigste Schrift dürfte Lee (1966) sein, sodass hier m. E. von einer Schlüsselpublikation gesprochen werden kann.

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einem Paradigma gesprochen werden kann,153 innerhalb dessen z­ wischen mikro- und makrotheoretischen Ansätzen zu unterscheiden ist, wobei erstere eher auf Individuen fokussieren und eine größere Bandbreite an Faktoren heranziehen als letztere.154 Diesen aus der ­Theorie gewonnenen Perspektiven auf Migration sind drei Charakteristika gemein, von denen uns zwei bereits oben begegnet sind: erstens die Annahme von Sesshaftigkeit als Normal- bzw. von Migration als Sonderfall und Explanandum sowie zweitens das Voraussetzen eines rational handelnden Akteurs. Zudem werden drittens die Faktoren zumeist mittels mathematischer Modelle zuein­ander in Beziehung gesetzt und stützen sich selbst auf Statistiken.155 Einwände, die gegen die Th ­ eorie Lees und ähnliche Ansätze vorgebracht wurden, setzen zumeist an einem dieser Punkte an, die auch für andere klassische Überlegungen in d ­ iesem Feld gelten, sodass die im Folgenden ausgebreitete Kritik auch für sie gilt. Im Kontext einer Migration von durchweg rational handelnden Akteuren auszugehen, erfordert zumindest die genaue Prüfung der Aussagekraft der festgestellten Faktoren, da Migran­ten durchaus an anderem, etwa sozialen und emotionalen Bindungen, orientiert sein können.156 Durch das (einseitige) Festlegen auf die Entscheidung des Individuums, also das Handeln eines Akteurs und nicht die Struktur, in die sein Tun eingebettet ist, drohen daher migrationsdämpfende, familiäre oder auch andere soziale Bindungen nicht hinreichend berücksichtigt zu werden. Gerade für vormoderne Gemeinschaften wie jene, die im Folgenden untersucht werden sollen, kann sich das Voraussetzen eines rein rational handelnden Akteurs, eines homo oeconomicus, als wesensfremd und anachronistisch erweisen, zumal diese Vorstellung aus einem historischen Kontext abstrahiert wurde, der im Vergleich zu den Verhältnissen in der griechischen Archaik beträchtliche Unterschiede aufweist.157 Neben ­diesem Problem bergen push- bzw. pull-Faktoren ein weiteres: Wenngleich Faktoren grundsätzlich implizieren, dass sie in Kombination miteinander wirken, wurde dennoch auf die Gefahr hingewiesen, dass sich, bedingt durch eine s­ olche Perspektive, die Analyse von Migration im Aufzählen der Faktoren erschöpfen könnte.158 Für den Althistoriker wird d ­ ieses Problem zusätzlich verschärft: zum einen durch das weitgehende Fehlen statistischer Quellen, die es ermöglichen würden, push- und pull-Faktoren mathematisch miteinander in Beziehung zu setzen, zum anderen durch den Bezugsrahmen, der das rein rationale Abwägen, insbesondere eines einzelnen antiken Akteurs, über die Vor- und Nachteile des Auswanderns zumindest teilweise unplausibel macht, womit die Gültigkeit, die die jeweiligen Faktoren für sich beanspruchen, angezweifelt werden könnte.159 153

So etwa im Handbuchartikel von Kröhnert (2008 – 2011). ders. (2008 – 2011) 2 – 4. 155 ders. (2008 – 2011) passim. Vgl. auch Delp (2021a) 14. 156 Han (2010) 16. 157 Vgl. dazu Delp (2021a) 14. 158 Steidl (2003) 30 – 37. 159 Vgl. Delp (2021a) 14. 154

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1.5.1.3 Bevölkerungsdruck Wie auch andere mit dem Migrationsbegriff eng verknüpfte Paradigmata hat das des Bevölkerungsdrucks seine Ursprünge in der Wirtschaftswissenschaft des 18. Jahrhunderts, wenngleich es weit ältere Wurzeln besitzt, die nicht zuletzt zur starken Verbreitung in der Altertumswissenschaft beigetragen haben dürften. Obgleich die um das Paradigma kreisenden Ansätze dort nicht mehr tonangebend sind, ist es wegen nicht weniger Wiederbelebungsversuche keine Debatte, die rein forschungsgeschichtlich zu führen ist, weshalb an anderer Stelle noch einmal auf ­dieses Sujet eingegangen wird.160 Zunächst wenden wir uns aber dem Thema aus einer forschungshistorischtheoretischen Perspektive zu. Die Vorstellung, dass ein Überschuss an Bevölkerung Mangel und Not auslöse, woraus Beweggründe, sich dem Elend durch Migration zu entziehen, erwachsen, wird forschungsgeschichtlich zumeist mit Thomas Malthus in Verbindung gebracht, der 1798 eine Schrift mit dem Titel An Essay on the Principle of Population 161 veröffentlichte. Hierin stellte er den Lehrsatz auf, dass sich, wenn die Bevölkerung schneller als die Produktion von Nahrungsmitteln wachse, eine überschüssige Population bilde, die den Fortbestand der Gesellschaft gefährde. Falle also der wirtschaftliche Betrag unter das Subsistenzniveau, sei Überbevölkerung erreicht. Aus dieser Bedrängnis führten, fährt Malthus fort, zwei Möglichkeiten: erstens ein sogenannter „positive check“, bei dem aus dem Zuviel an Menschen Hunger und andere Katastrophen, etwa Krankheiten oder gewaltsame Konflikte innerhalb der Gesellschaft, resultierten, die die überschüssige Bevölkerung verminderten; zweitens ein sogenannter „preventive check“, bei dem durch Enthaltsamkeit die Zunahme der Population verhindert werden könne. In Malthus’ Weltsicht sollten Arme auf Fortpflanzung gegebenenfalls verzichten, damit ein ausgeglichenes Verhältnis von Menschen auf der einen und den zum Aufrechterhalten des Subsistenzniveaus benötigten Ressourcen auf der anderen Seite herbeigeführt werden könne. Wenngleich Überbevölkerung in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Migration eine wichtige Rolle einnehmen sollte, erscheint Migration bei Malthus selbst lediglich als eine weitere, aber eher randständige Möglichkeit, der drohenden Katastrophe zu entgehen.162 Malthus und malthusianische Theorien stehen schon seit längerer Zeit – zu Recht – in der Kritik, zumal nie empirisch belegt werden konnte, dass Mangel und Hungersnöte allein auf Bevölkerungsanstieg und nicht vielmehr 160

In Kapitel 2.3 Eine Perspektive auf Hungersnöte und ‚Bevölkerungsüberschuss‘, 135 – 154 erfolgt eine ausführlichere Auseinandersetzung mit diesen Ansätzen. Vgl. auch Kapitel 1.2.2 (Versteckte) Modelle, 15 – 19. 161 Malthus (1798). 162 Vgl. Ehmer (1998) 21 – 22; Steidl (2003) 30 – 37. Vgl. auch Walter (2004b) 66, der referiert, dass im Kontext der Migrationen in der griechischen Archaik „andere Faktoren“ oft wichtiger waren.

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auf ökonomische Ungleichheit und politisches Versagen zurückzuführen waren.163 Dass Malthus’ Schrift derart einflussreich werden sollte, ist zudem bemerkenswert, da weder die Grundidee neu war noch unter seinen Zeitgenossen Anklang fand. Joseph Schumpeter sah im Gegenteil für diese Zeit eine „populationistische Attitüde“, innerhalb der eine große oder anwachsende Bevölkerung als Synonym für Reichtum angesehen wurde, als dominant an. Ferner s­ eien Malthus’ Gedankengänge keinesfalls originell gewesen, sondern gingen vielmehr auf Giovanni Botero zurück und ­seien seit ihrer Entstehung im 16. Jahrhundert zwar immer wieder von einigen Gelehrten aufgegriffen worden, wobei aber nicht wenige dieser Denker erneut in den „populationistischen“ Grundton einstimmten.164 Mit Malthus’ Essay wurden Bevölkerungsüberschuss und Bevölkerungsdruck nicht nur Gegenstand zahlreicher Debatten,165 sondern fanden, wenn auch nicht flächendeckend, als Denkfiguren Verbreitung und Zustimmung. Als mögliche Ursachen bieten sich geistesgeschichtliche Entwicklungen des 19. und 20. Jahrhunderts an: Dazu gehören etwa die zunehmende Bedeutung der Naturwissenschaften, wodurch das scheinbare „Naturgesetz“ der Begrenzungen des menschlichen Habitats an Überzeugungskraft gewonnen haben könnte,166 oder auch Brückenschläge insbesondere der deutschen Gelehrsamkeit zu völkischen Deutungssystemen, wodurch ‚Bevölkerungsüberschuss‘ und ‚Bevölkerungsdruck‘ eine besondere Prominenz in der Erklärung von Migration bekamen und lange behielten.167 Sicherlich ebenfalls nicht zu vernachlässigen ist, dass mit dem Malthusianismus Besitzenden und Herrschenden eine elegante Möglichkeit an die Hand gegeben ist, Arme und Notleidende moralisch für ihre Lage verantwortlich zu machen, sich selbst aber von der Verantwortung freizusprechen. Ob nun eine, eine Kombination aus zwei oder jede dieser Ursachen ihre Wirkung entfaltete, lässt sich hier nicht abschließend klären. Die Lehren aber, deren Ursprung – nicht ganz richtig – zumeist Malthus zugeschrieben werden, haben Eingang sowohl in den wissenschaftlichen Diskurs als auch – und das mag sich als schwerwiegender erweisen – in unser Alltagsverständnis gefunden, sodass mitunter 163

164 165

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167

Im Gegenteil scheint in aller Regel jeder zusätzliche Mensch einiges mehr als seinen Bedarf zu erwirtschaften. Vgl. hierzu – freilich mit einer libertären Note, aber durchaus anregend – Simon (1989); ders. (1996). Schumpeter (1965) 322 – 328. ders. (1965) 328 – 329 führt zahlreiche dieser Debatten auf die mangelnde Differenzierung ­zwischen (starkem) Bevölkerungswachstum an sich und solchem Bevölkerungswachstum zurück, das nicht etwa proportional zur „Expansion der ökonomischen Umgebung“ verläuft, sondern diese tatsächlich übersteigt. ders. (1965) 329 attestiert insbesondere den englischen Wirtschaftswissenschaftlern des 19. Jahrhunderts die Tendenz, ökonomische Lehrsätze als unabänderlich und quasi-physikalisch anzusehen, und vermutet hierin den Grund für ihre Empfänglichkeit für ­dieses scheinbar biologische „Gesetz“. Ehmer (1998) 8 – 9. Theoretiker wie Gunther Ipsen lieferten de facto Rechtfertigungsideologien, um den Osten Europas mit Krieg zu überziehen. Vgl. ders. (1998) 28.

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wie selbstverständlich der Zusammenhang von Demographie und Migration hergestellt wird;168 empirisch lässt sich dieser Zusammenhang indessen kaum bestätigen.169 1.5.1.4 Das Sesshaftigkeitsparadigma Oben begegnete uns bei der Beschäftigung mit dem push-/pull-Paradigma und frühen migrationstheoretischen Ansätzen eine Vorannahme, die ihnen allen gemeinsam ist, nämlich dass Sesshaftigkeit den Normalfall, Migration aber die zu erklärende Ausnahme darstellt. Oberflächlich besehen leuchtet dies ein, zumal die Einschätzung mit unserem Alltagsverständnis korrespondiert; doch vermag die bereits festgestellte Tendenz des kollektiven Gedächtnisses, Migrationen zu verdrängen, wenn es sich nicht gerade um den Ursprung einer Gemeinschaft handelt,170 möglicherweise erste Zweifel an dieser scheinbaren Gewissheit zu nähren. In jüngerer Zeit bezogen insbesondere Vertreter der historischen Migrationsforschung dagegen Stellung. Ausgangspunkt der Kritik war ein Paradoxon: Sowohl in Migrationstheorien, aber auch in den Gefilden kollektiver Erinnerung und gemeinschaftlicher Memoria erscheinen Migration und Mobilität als Ausnahmen, für die eindeutige und starke Gründe existieren müssen; allerdings stellt Migration eine ‚Ausnahme‘ dar, die mit beharrlicher Regelmäßigkeit in allen Epochen auftaucht. Wenn nun aber Wanderungen als beständiger Teil der Menschheitsgeschichte angesehen werden müssen, ist in der Folge die Vorstellung von dauerhafter Sesshaftigkeit als übergreifender Norm zumindest zu relativieren – oder wie es Klaus Bade pointiert ausdrückte: „Wanderungen gehören zur Conditio humana wie Geburt, Fortpflanzung, Krankheit und Tod.“ 171 Harald Kleinschmidt 168

Ehmer (1998) 8. So gab es innerhalb des Heiligen Römischen Reichs im 18./19. Jahrhundert Auswanderungen nach Nordamerika oder Südosteuropa. Schon die Zeitgenossen stellten zwar den Zusammenhang z­ wischen zu groß gewordener Bevölkerung am Sendeort und Migration her, aber bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass der Anteil von Fernmigration in verhältnismäßig gering besiedelte Räume marginal war. Der Großteil der Migrationsströme zielte in Gebiete, die gleichfalls als überbevölkert galten. Das ist zumindest erklärungsbedürftig. Zudem taucht die Unterversorgung mit Nahrung kaum auf, wenn Migranten befragt wurden. Es dominieren nicht selten politische oder Gerechtigkeitsmotive. Ein anderes Beispiel wäre die langanhaltende irische Migration in die Vereinigten Staaten. Die Hungerkrise der 1840er Jahre löste die Migrationsbewegung weder aus, noch verebbte der Migrationsstrom nach deren Ende. Zwar galt Überbevölkerung als Grund für die Krise selbst, aber auch dies konnte dekonstruiert werden, da erstens aufgrund der wirtschaftlichen Abhängigkeit Irlands von England auf dem Höhepunkt der Hungerkrise über ein Viertel der Nahrungsmittel nach England exportiert wurden; zweitens war Irland keineswegs dicht besiedelt. Vgl. ders. (1998) 11 – 18. 170 Vgl. Kapitel 1.3.1 Das Problem der ktíseis, 22 – 25. 171 Bade (2000) 11; auch: Beer (2014) 7 – 8; Oltmer (2014) insbesondere 127 – 128 u. passim; konzeptionell vertreten diesen Standpunkt ebenfalls: Bade/Oltmer (2004).; ähnlich: Kubat/Hoffmann-Nowotny (1981) 312; Massey (2006 [1998]) 1. 169

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erkannte in der aufkommenden Nationalstaatlichkeit die seines Erachtens wichtigste Ursache für die Verbreitung und allgemeine Akzeptanz des Sesshaftigkeitsparadigmas und sah seine These vor allem in staatlichen Versuchen, Migration einerseits zu kontrollieren, andererseits ihre Ursachen festzustellen, wobei eine starke, m ­ itunter verzerrend wirkende Präferenz für Armut bestünde, bestätigt.172 Auch in den Sozialwissenschaften erfolgte eine eingehende Prüfung der Norm von Sesshaftigkeit, wenngleich die Kritik sich nicht hierauf beschränkte, sondern auch an der oft unhinterfragten Annahme eines rational handelnden Akteurs geübt wurde. So stellten HansJoachim Hoffmann-Nowotny und Daniel Kubat die Thesen auf, dass der Mensch erstens von Natur aus mobil und die Motivation des einzelnen Handelnden zweitens unbestimmt sei. In inverting the classical migration metaparadigm we assume man is mobile by nature; secondly, that his attributes as a calculating being are put in question and that instead indeterminate human motivation is suggested.173 Mitunter wurde der Ansatz der beiden Autoren als behavioristisch kategorisiert.174 Diese Einschätzung muss man nicht teilen, aber zumindest verweisen ihre Überlegungen auf ein grundsätzliches Problem, das sich nicht nur bei der Beschäftigung mit Migra­ tion stellt: das Verhältnis von Akteur und Struktur. Die Umkehr, die HoffmannNowotny und Kubat vorgenommen haben, hat zwei Implikationen, die im Folgenden zu diskutieren sind: erstens ebenjene Akteur-Struktur-Problematik; zweitens ist Sesshaftigkeit, wenn sie nicht mehr als Normalfall angesehen wird, etwas, das wie Mobilität etabliert und aufrechterhalten werden muss, eine Folgerung, die auch eingedenk der oben ausgebreiteten Kritik plausibel erscheint. Eben weil der Begriff der Sesshaftigkeit aber mit jener nicht selten unhinterfragten Vorannahme eng verbunden ist, scheint eine Abgrenzung geboten; im Folgenden wird daher der neutralere Ausdruck Ansässigkeit verwendet. 1.5.1.5 Präzisierung der Definition Im Lichte dieser Kritik an einigen theoretischen Annahmen, die mit dem Migrationsbegriff zum Teil eng verbunden sind, erscheint eine weitere Präzisierung der bisherigen Definition opportun: Migration setzt sich aus zeitweiser Mobilität, die über eine geographische, politische oder mentale Grenze hinweg erfolgt, und Ansässigkeit, die zeitweise aufgegeben und s­ päter wiederhergestellt wird, zusammen. Weder Mobilität noch Ansässigkeit werden dabei als Normalfall aufgefasst.

172

Kleinschmidt (2011) 8 – 15. Kubat/Hoffmann-Nowotny (1981) 312. 174 Düvell (2006) 93. 173

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1.5.2 Ansässigkeit und Mobilität Bislang beschränkten sich die Ausführungen darauf, den Migrationsbegriff und immanente Paradigmata erstens kritisch insbesondere auf Vorannahmen hin zu prüfen, und zweitens grundsätzliche Schwierigkeiten bei der Übertragbarkeit auf die griechische Archaik zu identifizieren. Die dezidierte Auseinandersetzung mit den Quellen erfolgte zunächst nicht; indes wurde im Vorfeld ein Quellenkorpus identifiziert, das vielversprechend für die Entwicklung einer migrationstheoretischen Perspektive zu sein scheint: die epische und lyrische Dichtung der Archaik.175 Nach der letzten Erweiterung der Definition wird Migration hier nicht als Mobilitätsform aufgefasst, sondern zerfällt in Mobilität und Ansässigkeit; für beides müssen nun in den Quellen Ansatzpunkte gefunden werden. Ansässigkeit, so lässt sich bislang rekapitulieren, ist ein Bestandteil von Migration, der nicht als Normalfall vorausgesetzt werden kann. Hans-Joachim HoffmannNowotny und Daniel Kubat drehten das Sesshaftigkeitsparadigma um, deklarierten also Ansässigkeit zur Ausnahme, die, damit Menschen nicht in einen natürlichen Zustand der Mobilität verfielen, aufrechterhalten werden müsse. In sozialen Bindungen (social ties) sahen sie die Hemmnisse angelegt, aufgrund derer die Mobilität eingeschränkt sei.176 So halten beispielsweise familiäre Bande oder auch weniger greifbare soziale Gebilde die Menschen an einem Ort. Jeder Einzelne ist eingebettet in verschiedene soziale Gruppen, von denen seine Existenz abhängt. Was den Einzelnen in seiner Mobilität bremst, muss auf der anderen Seite mit großem Aufwand bewahrt werden: Ansässigkeit erfordert ein nicht geringes Maß an aufeinander abgestimmtem Arbeiten, sei es Feldarbeit, sei es nachbarschaftliche Hilfe in einer Notsituation, wie sie beispielsweise eintreten kann, wenn Vorräte verderben oder wenn Geräte, die nicht umgehend ersetzt werden können, zu Bruch gehen. In Hesiods Werken und Tagen finden sich zahlreiche Passagen, die Rückschlüsse auf eine vor allem bäuerliche Lebenswelt 177 erlauben; das Lehrgedicht wurde in der althistorischen Forschung bislang mehrfach als Quelle für agrarisch geprägte Dorfgemeinschaften herangezogen, eine mit dem Thema der Voraussetzungen und Aufrechterhaltungsmechanismen von Ansässigkeit verwandte Fragestellung.178 Hesiod gibt 175

Vgl. Kapitel 1.3 Die Quellenlage und der methodische Umgang mit den Zeugnissen, 22 – 33. Kubat/Hoffmann-Nowotny (1981) 312 – 313 u. passim. Vgl. auch Haug (2007) 91 – 92, die im herkunftsspezifischen sozialen Kapital eine grundsätzlich migrationshemmende Ressource sieht, obgleich sie dahingehend differenziert, dass das Fliehen vor zu engen sozialen Bindungen durchaus als Migrationsmotiv infrage kommt. 177 Vgl. zum Begriff der Lebenswelt in der altertumswissenschaftlichen Forschung grundlegend Itgenshorst (2010). 178 Wichtig sind hier die Arbeiten von Winfried Schmitz, auf die ich mich insbesondere in Teil II der Arbeit stütze. Vgl. daher Schmitz (2004); ders. (2007); ders. (2008); ders. (2014). Darüber hinaus hat Tanja Itgenshorst archaische Dichtung im Hinblick auf das darin enthaltene politische Denken hin untersucht. Vgl. Itgenshorst (2014). 176

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in dem Lehrgedicht, das an seinen Bruder Perses adressiert ist, mit dem der Dichter im Streit um das väterliche Erbe liegt, Ratschläge, wie der Lebensunterhalt innerhalb ­dieses bäuerlich-dörflichen Umfeldes bestritten werden kann. Wenngleich die Handlungsanweisungen an einen Einzelnen im Mittelpunkt des Gedichts stehen, sind Beziehungen zu anderen Angehörigen der Gemeinschaft keinesfalls nebensächlich. Mehrere Verse verwendet Hesiod darauf darzulegen, wie Perses mit seinem Nachbarn (γείτων) eine reziproke Hilfsbeziehung eingehen kann.179 Die Forderung nach Reziprozität drückt Hesiod mitunter sehr pointiert aus: Καὶ δόμεν ὅς κεν δῷ, καὶ μὴ δόμεν ὅς κεν μὴ δῷ·180 Die Unterstützung, die im Notfall von den Nachbarn zu erwarten war, sicherte den einzelnen Bauern gegen den Verlust der Grundlagen seiner eigenen Existenz ab. Durch wechselseitige Hilfeleistung und das Geben und Nehmen innerhalb der Dorfgemeinschaft scheint ein Netz an Sozialbeziehungen gestiftet und reproduziert worden zu sein. Der einzelne Bauer wendete hierfür sowohl einen Teil der ihm aus seinem oíkos zur Verfügung stehenden Arbeitskraft als auch materielle Güter auf. So bildete sich möglicherweise eine Sozialstruktur heraus, die es erst ermöglichte, dauerhaft an einem Ort ansässig zu bleiben, da mittels dieser Sozialbeziehung wiederum Güter bei Bedarf zur Verfügung gestellt wurden, beispielsweise in einer Notsituation, etwa im Falle eines Brandes, in der die Nachbarn zu Hilfe eilen konnten.181 Die Relevanz, die Hesiod Nachbarschaftsbeziehungen zuschreibt, ist groß; ebenso hoch ist der Wert, den er einem guten Nachbarn beimisst: Πῆμα κακὸς γείτων, ὅσσον τ’ἀγαθὸς μέγ’ ὄνειαρ·182 Die Bedeutung der Gemeinschaft 183 zur Sicherung der Existenz ist bei 179

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Hes. erg. 343 – 360. Hesiods Ermahnungen erinnern an den von Mauss (1990) beschriebenen Gabentausch, dessen erste Funktion es ist, eine Sozialbeziehung zu stiften. Gabentausch ist reziprok, wenngleich durch Asymmetrie versucht werden kann, ein Herrschaftsverhältnis zu begründen. Hes. erg. 354: Und gib dem, der gibt, gib nicht dem, der nicht gibt. (Eigene Übersetzung) Jedem beteiligten Akteur erwuchs aus der reziproken Sozialbeziehung so langfristig ein Mehrwert. Vgl. dazu z. B. Garnsey (1988) 56 – 58. Hes. erg. 346: Ein böser Nachbar ist eine Plage, so sehr wie ein guter Glück bringt. Die Unterscheidung der Begriffe Gemeinschaft und Gesellschaft in den Grundzügen dient hier der Klärung, auf w ­ elche Aspekte und Formen des Sozialen abgezielt wird. Im Folgenden mögen die Begriffe anlehnend an das Werk des Soziologen Ferdinand Tönnies verstanden werden. Diesen Elementarformen folgend ist die Gemeinschaft davon gekennzeichnet, dass sich das Individuum der Gemeinschaft unterordnet. Sein Handeln ist auf den Erhalt derselben ausgerichtet und dient nicht seinem unmittelbaren, individuellen Interesse. In der Gesellschaft ist eben dies das sie bestimmende Element. Vgl. Tönnies (2012) 108 – 109. ders. (2012) 102: „Die Keimformen der ‚Gemeinschaft‘ sind durch mütterliche, geschlechtliche und geschwisterliche Liebe gegeben. Die elementare gesellschaftliche Tatsache liegt im Tauschakt vor, der sich am reinsten darstellt, insofern als er sich ­zwischen Individuen vollziehend gedacht wird, die einander fremd sind und nichts miteinander gemein haben, also wesentlich antagonistisch oder einander geradezu feindlich gegenüberstehen.“ Die Definitionen von Tönnies werden allerdings als Idealtypen aufgefasst. Mit dem Gemeinschaftsbegriff soll in eine bestimmte Richtung gewiesen werden.

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Hesiod indes nicht beschränkt auf einige Ratschläge, sich der Hilfe seiner Nachbarn zu versichern. Hesiod stellte einen Zusammenhang ­zwischen dem Verhalten einzelner Männer und dem Gedeihen einer Gemeinschaft her, wovon er zudem direkt die Sicherung anderer Güter, die dem Land abgerungen oder gesammelt werden können, abhängig macht.184 Diese Beispiele, die hier kurz angerissen wurden und in den nachfolgenden Kapiteln noch genauer untersucht werden, lassen bereits den Aufwand erahnen, welcher zu deren Aufrechterhaltung betrieben werden musste. Zudem wird ersichtlich, dass Hesiod nicht nur bestimmten materiellen Gütern, sondern auch den Sozialbeziehungen, die die Gemeinschaft ausmachten, einen Wert beimaß. Insofern lässt sich ein Teil der Grundthese Hoffmann-Nowotnys und Kubats durchaus mit literarischen Konzeptionen archaischer Lebenswelten in Einklang bringen. Jedoch stellt sich die Frage, ob auch die Umkehr des Sesshaftigkeitsparadigmas gerechtfertigt ist. Diese theoretische Perspektive vollends einzunehmen bedingt nämlich, nicht nur Ansässigkeit als etwas zu Erklärendes anzusehen, sondern auch Mobilität zum Normalfall zu erklären, also zu einem Zustand, in den Ansässigkeit, wenn sie gescheitert ist, von selbst übergeht. Daraus ergeben sich wiederum Probleme mit den literarischen Konzeptionen von Mobilität, die sich für die archaische Zeit fassen lassen. Wenn wir im Kontext der Migrationen der griechischen Archaik Seefahrt als die die relevante Form ansehen,185 geben einige Passagen in der Odyssee uns einen Eindruck davon, dass Mobilität einen nicht unbeträchtlichen Aufwand an materiellen Überschüssen und Arbeitskraft benötigte: Schiffe müssen auch in der Welt Homers mit haltbaren Vorräten ausgestattet werden, der Schiffsbau erfordert neben Baumaterialien die Arbeitskraft ­spezialisierter Die aus den Quellen erarbeitete ‚Wirklichkeit‘ wird immer Elemente beider Idealtypen, sowohl den der Gesellschaft als auch den der Gemeinschaft, aufweisen. So lässt sich die Dorfgemeinschaft als „Siedlungsgemeinschaft“ (Schmitz (2004) 13) auffassen, mit der „Gemeinschaftsbewusstsein“ und „gemeinschaftliches Handeln“ nicht assoziiert werden müssen (ebd.), aber können. Vgl. zur Verwendung des Gemeinschaftsbegriffes im Sinne von Tönnies Delp (2013) und Itgenshorst (2014). 184 So in der Passage zur gerechten und ungerechten Stadt, wo denjenigen, die Díkē achten, Honig, Wolle, Eicheln zur Schweinemast, reiche Ernten sowie Wohlordnung und Friede zu Teil werden, wohingegen jenen, die das Unrecht in ihren Reihen dulden, Hunger, Krankheit und Untergang drohen. Vgl. Hes. erg. 225 – 247; die Stelle wird in Kapitel 2.2.2 Gerechtigkeit im Kontext früharchaischer Ansässigkeit, 101 – 115 genauer besprochen. 185 Diese Aussage ist nicht unproblematisch, stützt sie sich doch auf die im Quellenkapitel diskutierten Spätquellen, auf die innerhalb dieser Arbeit zunächst in möglichst geringem Maße zurückgegriffen werden soll; denn es handelt sich bei dieser Quellengattung um Identitätsressourcen der Lebenswelt ihrer literarischen Entstehung und es ist nur im Einzelfall bei genauer Prüfung und unter großem heuristischen Aufwand möglich, eine vage Annäherung an das jeweils zugrundeliegende archaische Migrationsphänomen zu wagen. Für diese Arbeit sind Fernmigration und die mit ihr verknüpften Mobilitäts- und Ansässigkeitsformen von Interesse. Vgl. hierzu ausführlicher Kapitel 1.3.1 Das Problem der ktíseis, 22 – 25.

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Handwerker, für die Seereise muss nautisches Wissen 186 vorhanden und abrufbar sein.187 Mögen auch jene antiken Autoren, die wie Hesiod 188 überwiegend die Gefahren und Unsicherheit der Seefahrt hervorheben, zu Übertreibungen neigen und meist selbst kaum zur See gefahren sein,189 verweist die topisch gewordene Furcht vor dem Meer doch zumindest darauf, dass sie sich nicht für jeden als gangbare Alternative zur Ansässigkeit dargestellt haben dürfte; hierfür war die für die Migrationen der griechischen Archaik maßgebliche Mobilität zur See für viele schlicht zu aufwendig. Ansässigkeit und Mobilität bilden daher zwei gleichrangige Zustände, die aus ihren jeweiligen Kontexten heraus erklärt werden müssen. Wir haben oben gesehen, dass sich Ansässigkeit nicht nur als eine Positionierung im geographischen Raum betrachten lässt, sondern auch bestimmte Sozialbeziehungen, die das Ansässigsein garantieren, untersucht werden können. Auch Mobilität ist nicht auf die physische Bewegung beschränkt,190 sondern greift zudem auf die soziale Welt aus. Das Werk des russisch-amerikanischen Soziologen Pitrim A. Sorokin kann auf ­diesem Gebiet zu den Klassikern gezählt werden.191 Sorokin differenzierte ­zwischen Mobilität, die im sozialen (social space), und Mobilität, die im geographischen Raum (geometrical space) angesiedelt ist.192 Der soziale Raum sei durch die Gesamtheit der Beziehungen seiner Akteure zueinander bestimmt, durch hohe Komplexität gekennzeichnet und weise daher beinahe unendlich viele Definitionen auf. Um d ­ ieses Geflecht dennoch überblicken zu können, nahm Sorokin eine Vereinfachung vor: Er reduzierte die Pluralität der Dimensionen (plurality of dimensions) auf eine horizontale, die Gruppenzugehörigkeiten umfasst, und eine vertikale, die Hierarchien abbildet.193 Territoriale Mobilität ordnete Sorokin in seiner schematischen Betrachtung als einen Spezialfall der horizontalen sozialen Mobilität ein und interessanter Weise nicht als Mittel zum sozialen Aufstieg oder als Katalysator der 186

Vgl. zum Konzept des nautischen Wissens die Skizze bei Schulz (2005) 33 – 35. Konzeptionen von Mobilität werden in Teil III dieser Arbeit genauer untersucht, weswegen hier wie auch im Kontext von Ansässigkeit lediglich auf einige Quellenbeispiele zur Veranschaulichung der Kompatibilität der theoretischen Überlegungen mit den antiken Konzepten verwiesen wird. Vgl. daher jeweils exemplarisch zur Proviantierung mit haltbaren Lebensmitteln Hom. Od. 2,349; 2,354 – 355; 5,265 – 266, zum aufwendigen Schiffsbau Hom. Od. 5,237 – 240 und zu den unverzichtbaren, nautischen Kenntnissen Hom. Od. 5,270 – 282. In seinen Ratschlägen zur Seefahrt greift Hesiod (erg. 646) bezeichnenderweise zu folgender Formulierung: Εὖτ’ ἂν ἐπ’ ἐμπορίην τρέψας ἀεσίφρονα θυμὸν. Vgl. auch Kapitel 3.3.2 Händler im frühen Epos, 208 – 217. Beresford (2013) zeigt dies an dem antiken Topos, im Winter könne kaum zur See gefahren werden. Albrecht (1972) 23 schlägt den Begriff „geographische Mobilität“ zur Präzisierung und als Ersatz für das Alltagswort „Wanderung“ vor. Sorokin (1959). ders. (1959) 5 – 6. ders. (1959) 7 – 10.

187 Literarisch-lebensweltliche

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Neuordnung sozialer Hierarchien.194 Dennoch inspirierten Sorokins Überlegungen ihm nachfolgende Theoretiker dazu, den Zusammenhang z­ wischen Migration und vertikaler sozialer Mobilität herzustellen.195 Die Idee, dass der geographische und soziale Raum miteinander in Verbindung stehen, war damit in der Welt, wenngleich der Fokus noch auf den Implikationen (abgeschlossener) physischer Mobilität in der sozialen Welt lag. Tim Cresswell versuchte sich indes, obgleich er die Richtigkeit der bisherigen Überlegungen durchaus anerkannte, dennoch abzusetzen: Mobility as socially produced motion is understood through three relational moments. First, when talking of human mobility, we are talking about mobility as a brute fact – something that is potentially observable, a thing in the world, an empirical reality. This is the mobility measured and analyzed by modelers, migration theorists, and transport planners.196 Cresswell versteht Mobilität als eine Bewegung, die sozial produziert wird, und grenzt ­dieses Verständnis von Konzeptionen ab, in denen jene lediglich als eine Bewegung im geographischen Raum aufgefasst wird. Er sieht hierin insofern eine Verengung, als Mobilität auch auf einer weiteren Ebene betrachtet werden müsse, nämlich der Ebene der Ideen und Strategien. Anders ausgedrückt: Akteure, die selbst mobil sind, oder Beobachter, die von außen auf Bewegungen schauen, geben Mobilität auf diese Weise eine Bedeutung, die über den Weg von A nach B hinausgeht.197 Migranten können sich so selbst als Gruppe begreifen und als ­solche wie auch Händler oder 194

ders. (1959) 338 – 413 diskutiert dies v. a. anhand von Vergleichen „traditioneller“ und weniger mobiler Gesellschaften (wie etwa Indien) und modernen, (hier) im geographischen Raum äußerst mobilen westlichen Gesellschaften. Vgl. dazu Han (2010) 19 – 20. 195 Jackson (1986) 74 – 75. Vgl. auch die Kritik bei Han (2010) 18 – 20, wobei gegen diese Kritik wiederum einzuwenden ist, dass sich Jackson eigentlich nicht auf Sorokin bezieht, sondern vielmehr allgemein auf Heath (1981) verweist. Vgl. dazu die Anmerkungen bei Jackson (1986) 84 – 86, der sich mit Sorokin zwar auseinandersetzt, dies aber nur randständig im Kontext von Migration, ihn jedoch einerseits hinsichtlich seiner – nach Heath biographisch begründeten – funktionalistisch-normativen Tendenz, vertikale soziale Mobilität als notwendig zu erachten, damit gesellschaftliche Positionen adäquat ausgefüllt werden können (vgl. Heath (1981) 20 – 24), andererseits hinsichtlich seiner These, dass historisch kein Trend zu verstärkter vertikaler sozialer Mobilität zu erkennen sei, bespricht (ders. (1981) 28 – 29; 78). 196 Cresswell (2006) 3. Während die theoretischen Passagen sehr anregend sind, sollte das Kapitel „Historical Senses of Mobility“ (9 – 20) cum grano salis genommen werden, da es aufgrund des breiten zeitlichen Horizonts zu starken Vereinfachungen tendiert. 197 ders. (2006) 3 – 7. Cresswell wurde jüngst auch in den klassischen Altertumswissenschaften rezipiert. Leary (2014) insbesondere 4 – 5, konstatiert für die Archäologie die Tendenz, Mobilität in den engen Grenzen rationaler Kosten-Nutzen-Analysen zu betrachten, und fordert, Mobilität über die Grenzen des Reisens hinaus zu untersuchen. Auch Konstantinou (2018) 10 – 11 nimmt Aspekte von Cresswells Überlegungen auf.

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Seeräuber ein gemeinsames Ziel verfolgen. Einzelne Individuen werden auf diese Weise miteinander, während sie mobil sind, in Beziehung gesetzt, sodass eine Form von Mobilität als Form von Vergesellschaftung im Sinne Simmels, also als eine aus den Wechselwirkungen ­zwischen Individuen entstandene soziale Einheit,198 verstanden wird; diese Folgerung ist auch auf Formen der Ansässigkeit anwendbar. Simmel schlug den Vergesellschaftungsbegriff, den er synonym zum Begriff der sozialen Einheit verwendete,199 als Alternative zum aus seiner Sicht mehrdeutigen Gesellschaftsbegriff vor und sah darin nichts Geringeres als den Gegenstand der Soziologie.200 Da nun ein Kernbereich nicht nur dieser wissenschaftlichen Disziplin berührt wird, sind wir mit einer Vielzahl von Begriffen aus unterschiedlichen theoretischen Kontexten konfrontiert, weswegen hier ein knapper Exkurs angebracht scheint. 1.5.2.1 Exkurs: Soziale Einheiten, Klassen und Stände In den Quellen finden sich verschiedene, vor allem literarische Konzeptionen von Mobilität und Ansässigkeit, die an unterschiedlichen sozialen Orten angesiedelt sind. Der Frage, wie man soziale Einheiten 201 bezeichnen soll, die auf die eine oder andere Weise mobil oder ansässig sind, wird daher an dieser Stelle ein kleiner Exkurs gewidmet. Die Grenze ­zwischen diesen Einheiten ist nicht allein dadurch bedingt, dass die Einheiten jeweils aus anderen Personen zusammengesetzt sind. Vielmehr erfolgt die Unterscheidung anhand spezifischer sozialer Kriterien, wie beispielsweise den Umgangsformen, die die Angehörigen der Einheit pflegen, dem Ansehen, in dem sie stehen oder ­welchen Besitz sie ihr Eigen nennen. Eine Vielzahl dieser spezifischen Begriffe dient auch der Umschreibung sozialer Stratifikation, wobei mit den Termini mitunter weitere, qualitative Aussagen getroffen werden: So geht etwa mit der Verwendung von „Klasse“ oder „Stand“ bei Max Weber die Zuordnung zu einer bestimmten Vergesellschaftungsform einher.202 Für Weber beschreibt eine Klasse „jede in einer gleichen Klassenlage befindliche Gruppe von 198 Simmel

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betrachtet soziale Einheiten – das kann die gesamte Gesellschaft oder aber auch nur eine Gruppe sein – als die Summe der Wechselwirkungen, die als Einheit wirken. Sie können dabei weiter unterteilbar sein, bilden aber bedingt durch die Wechselwirkungen, aus denen sie bestehen, spezifische Formen aus. Simmel (1989) insbesondere 131. Soziale Einheiten und Vergesellschaftungen sind bei Simmel die Summe der Wechselwirkungen ihrer jeweiligen Bestandteile. Dahme (2007) 697. Der Begriff wird hier offen und ohne Konnotation in Anlehnung an Simmel verwendet. So schreibt Weber (2009 [1972]) 180 am Ende seiner Definition von Ständen und Klassen: „Während Erwerbsklassen auf dem Boden der marktorientierten Wirtschaft wachsen, entstehen und bestehen Stände vorzugsweise auf dem Boden der monopolistisch leiturgischen oder der feudalen oder der ständisch patrimonialen Bedarfsdeckung von Verbänden. ‚Ständisch‘ soll eine Gesellschaft heißen, wenn die soziale Gliederung nach Ständen, ‚klassenmäßig‘, wenn sie vorzugsweise nach Klassen geschieht. Dem ‚Stand‘ steht

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­Menschen“  203. Die Klassenlage werde durch die „typische Chance 1. der Güterversorgung, 2. der äußeren Lebensstellung, 3. des inneren Lebensschicksals [bestimmt …], ­welche aus Maß und Art der Verfügungsgewalt (oder des Fehlens solcher) über Güter oder Leistungsqualifikationen und aus der gegebenen Art ihrer Verwertbarkeit für die Erzielung von Einkommen oder Einkünften innerhalb einer gegebenen Wirtschaftsordnung folgt.“ 204 Es ist also die materielle und ökonomische Sphäre, die hier im Vordergrund steht und die soziale Welt bestimmt.205 Den Stand definiert Weber durch die ständische Lage, also die „typisch wirksam in Anspruch genommene positive oder negative Privilegierung in der sozialen Schätzung begründet auf: a) Lebensführungsart […] b) formale Erziehungsweise […] c) Abstammungsprestige oder Berufsprestige.“ 206 Diese klaren Definitionen sind zwar hilfreich, können aber in der Empirie nicht immer durchgehalten werden. Weber selbst benötigte die unbestimmte Zwischenkategorie der Schicht,207 die gerade wegen der aus dieser Unbestimmtheit resultierenden Offenheit von Historikern gern verwendet wird, wodurch sie indes vielfältige Konnotationen erhält. Da bei Formen von Mobilität und Ansässigkeit nicht wie bei der Einteilung einer Gesellschaft in Klassen oder Stände der Stratifikationsaspekt im Vordergrund steht, empfiehlt sich für die Bezeichnung dieser Formen der Begriff der sozialen Einheit, der hier in Anlehnung an Georg Simmels Begriff der Vergesellschaftung vorgeschlagen wird. „Einheit im empirischen Sinn ist nichts anderes als eine Wechselwirkung von Elementen […]. Jene Einheit oder Vergesellschaftung kann, je nach der Art und Enge der Wechselwirkung, sehr verschiedene Grade haben – von der ephemeren Vereinigung zu einem Spaziergang bis zur Familie – von allen Verhältnissen ‚auf Kündigung‘ bis zu der Zusammengehörigkeit zu einem Staat, von dem flüchtigen Zusammen einer Hotelgesellschaft bis zu der innigen Verbundenheit einer mittelalterlichen Gilde.“ 208 Der grundlegende Unterschied des simmelschen Vergesellschaftungsbegriffs und dem der Klasse bzw. des Standes besteht darin, dass es sich bei Vergesellschaftungen um alles handeln kann, was als Einheit in der sozialen Welt wirkt, von der situativ entstehenden Kleingruppe bis zur gesamten Gesellschaft. Die Einheit im simmelschen Sinne entsteht also durch Wechselwirkung. Stände und Klassen dagegen werden von außen durch festgestellte Gemeinsamkeiten zu Einheiten deklariert. Dies bedeutet nicht, dass es kein gemeinsames Bewusstsein der Zusammengehörigkeit 209 geben kann, aber von den Klassen die ‚soziale‘ Klasse am nächsten, die ‚Erwerbsklasse‘ am fernsten. Stände werden oft ihrem Schwerpunkt nach durch Besitzklassen gebildet.“ 203 ders. (2009 [1972]) 177. 204 ebd. 205 Weber nimmt für den Begriff der Klasse weitere Differenzierungen vor, indem er ­zwischen, Besitz-, Erwerbs- und sozialer Klasse unterscheidet. Vgl. ebd. 206 ders. (2009 [1972]) 179. 207 So ders. (2009 [1972]) 296; 299; 351. 208 Simmel (2013) 19. 209 Im Falle des Standes setzt es das Prinzip der gegenseitigen Schätzung geradezu voraus. Im Falle der Klasse ist die Gemeinsamkeit ökonomisch. Eine Wahrnehmung der eigenen

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es stellt keine notwendige Bedingung dar. Einheiten können ein gemeinsames Ziel verfolgen, sie können aber auch, ohne dass es den einzelnen Individuen bewusst ist, als Einheit wirken. Der Begriff ermöglicht also größtmögliche Offenheit. Es wird nachfolgend – im Unterschied zu Simmel – indes nicht durchgängig der Terminus der Vergesellschaftung verwendet, da der Begriff der Einheit bzw. der der Gruppe näher am alltäglichen Sprachgebrauch ist und Offenheit suggeriert. Offenheit impliziert aber auch immer eine gewisse Unschärfe und somit Präzisionsverlust. Pierre Bourdieu, dessen Theorien im Folgenden als Analyseinstrument eingeführt werden, verwendet in seinem Werk den Begriff der Klasse (classe) und stützt sich dabei auf die beiden Vordenker der Soziologie Marx und Weber. Mitunter wird Bourdieu als Neoweberianer klassifiziert, weil er wie Weber kulturellen, symbolischen und politischen Aspekten sozialer Ungleichheit mindestens ebenso große Bedeutung wie ökonomischen beimisst.210 In Abgrenzung zu Marx und Weber, die objektive Strukturen 211 und Handeln einander gegenüberstellen, sind Bourdieu auch die subjektiven Strukturen, die aus der Perspektive der Akteure Wirklichkeit darstellen, besonders wichtig.212 Diesen misst Bourdieu eine entscheidende Rolle bei der Reproduktion objektiver Strukturen bei.213 Solche Klassen, die subjektiv von den Akteuren wahrgenommen werden, nennt Bourdieu konstruiert. Sie besitzen einen spezifischen Habitus, der auf Möglichkeitsspielräume antwortet, und können gar zur Gruppenbildung führen.214 Denn der „Habitus enthält Denk-, Wahrnehmungsund Praxisschemata, die einerseits das Beste aus den vorgefundenen Möglichkeiten machen und andererseits zur Distinktion und damit auch zu symbolischen Kämpfen Klassenlage muss nicht erfolgen, eine Problematik, die Friedrich Engels in der Fortsetzung des Werkes seines Freundes und Weggefährten Karl Marx als Klassenbewusstsein umschrieben hat. Marx selbst widmete sich dem Problem v. a. von der Seite des gemeinsamen Handelns einer Klasse: „Die ökonomischen Verhältnisse haben zuerst die Masse der Bevölkerung in Arbeiter verwandelt. Die Herrschaft des Kapitals hat für diese Masse eine gemeinsame Situation, gemeinsame Interessen geschaffen. So ist diese Masse bereits eine Klasse gegenüber dem Kapital, aber noch nicht für sich selbst. In dem Kampf, den wir nur in einigen Phasen gekennzeichnet haben, findet sich diese Masse zusammen, konstituiert sie sich als Klasse für sich selbst.“ Marx (1907) 162. Daran anknüpfend und auf Marx Bezug nehmend, befasst sich Weber mit den Möglichkeiten des gemeinsamen Handelns einer Klasse. Vgl. hierzu Weber (2009 [1972]) 179. 210 Vgl. Rehbein/Schneickert/Weiss (2009) 141. 211 Im Falle der Klasse sind dies ökonomische Strukturen. 212 „Eine soziale Klasse ist definiert weder durch ein Merkmal ([…] wie Umfang und Struktur des Kapitals), noch durch eine Summe von Merkmalen […], noch durch eine Kette von Merkmalen, ­welche von einem Hauptmerkmal kausal abgeleitet sind. Eine soziale Klasse ist vielmehr definiert durch die Struktur der Beziehungen ­zwischen allen relevanten Merkmalen, die jeder derselben wie den Wirkungen, ­welche sie auf die Praxisformen ausübt, ihren spezifischen Wert verleiht.“ Bourdieu (2014) 182. 213 Rehbein/Schneickert/Weiss (2009) 143. 214 ebd.; Bourdieu (2014) 182 – 187.

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um relationale Positionen gegenüber anderen Klassen genutzt werden“,215 wodurch Klassen konstituiert werden. Distinktionsmerkmale und ein spezifischer Habitus werden durch das Feld 216 herausgebildet. Mit anderen Worten: Sie sind feldspezifisch und spiegeln so die Komplexität des Feldes wider. Dieser Ansatz stellt ein Bindeglied dar ­zwischen gemeinsam handelnden (sich als Einheit wahrnehmenden) Einheiten und Einheiten, die aufgrund objektiver Merkmale zu Einheiten – gewissermaßen extern – klassifiziert werden; beide sind in der an Simmel angelehnten Definition der sozialen Einheit enthalten. Damit quellenspezifische Besonderheiten besser berücksichtigt und abgebildet werden können, empfiehlt es sich, keine zu engen terminologischen Grenzen zu ziehen. Von d ­ iesem Standpunkt aus lassen sich die begrifflichen Differenzierungen Webers gewinnbringend verwenden.217 Sie heben Aspekte hervor, anhand derer sich eine soziale Einheit von einer anderen unterscheidet oder gar abhebt. So werden die Begriffe Klasse oder Stand zum Verweis auf ebenjene Aspekte, auf die sich die Unterscheidung gründet, eingesetzt. Als allgemeine, unspezifische Begriffe werden der der Schicht und – insbesondere für Formen der Mobilität und der Ansässigkeit – der der Gruppe als soziale Einheiten verwendet. 1.5.2.2 Präzisierung der Definition Diesen Überlegungen folgend wird im Rahmen dieser Arbeit unter Migration 1. eine Kombination von einander ablösender Ansässigkeit und Mobilität verstanden, wobei 2. weder Mobilität noch Ansässigkeit als Normalzustand aufgefasst werden, sondern beides als mit Aufwand verbunden angesehen wird; Mobilität und Ansässigkeit (und damit auch Migration) werden 3. als Formen von Vergesellschaftung (im Sinne ­Simmels) angesehen, also als ein Zusammenschluss von Menschen, der den gemeinsamen Verbleib an einem Ort (Ansässigkeit) oder gemeinsame Mobilität garantiert.

1.5.3 Praxistheorie und Ressourcenbegriff Bei der letzten Präzisierung unserer Definition haben wir festgestellt, dass Mobilität und Ansässigkeit eines gewissen Aufwandes bedürfen. Nun soll der zu betreibende Aufwand, und damit auch Migration als Kombination aus Ansässigkeit und Mobilität, theoretisch genauer gefasst werden. Bislang haben sich zwei Problemkomplexe, mit denen umzugehen ist, herauskristallisiert: das Akteur-Struktur-Dilemma und 215

Rehbein/Schneickert/Weiss (2009) 143. Auf den Feldbegriff Bourdieus wird unten noch genauer eingegangen. 217 Webers Stärke ist eben ein Theoretiker zu sein, der nicht nur Theorien für seine Zeit in seinem sozialen Raum entwickelt, sondern für historische Gesellschaften Konzepte und Begriffe anbietet. 216

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die Gefahr der Verfremdung durch Analogien, die mittels Theorieimport gezogen werden. Ist letztgenanntes vor allem ein Problem für Historiker, sind das Verhältnis von Akteur und Struktur und daraus resultierende blinde Flecken ein regelmäßig auftretendes Problem der Sozialtheorie, dessen Lösung mitunter so aussichtslos erscheint wie die Frage nach Henne und Ei zu beantworten. Ist die durch die Th ­ eorie geformte Perspektive auf die Akteure gerichtet, scheinen sie es zu sein, die durch ihr Handeln Strukturen hervorbringen. Doch kanalisieren Strukturen Handlungs­ optionen, ermöglichen also das eine, verhindern aber das andere, sodass Theorien, die auf Strukturen fokussieren, ebenfalls nicht fehlgehen. Dennoch droht stets etwas aus dem Blick zu geraten. Einen Ausweg könnte hier ein praxistheoretischer Ansatz bahnen, mit dem sich nicht nur Akteurshandeln, sondern auch Effekte, die auf der Ebene der Struktur auftreten, erklären lassen. Indes gibt es, wie Andreas Reckwitz im Laufe mehrerer Systematisierungsversuche festgestellt hat, bei den Vertretern solcher Ansätze (unter anderem Pierre Bourdieu, Michel de Certeau, Anthony Giddens, Michel Foucault, Judith Butler, Bruno Latour)218 deutliche konzeptionelle Differenzen,219 sodass nicht auf einen festen Wissensbestand verwiesen werden kann. Bei vielen dieser Differenzen handelt es sich um Details, die sich hier nicht oder kaum auswirken, zumal die Unterschiede nicht selten im Kontext allgemeiner Annahmen, etwa inwieweit soziale Praktiken tendenziell eher veränderbar oder reproduktiv sind, auftreten.220 Reckwitz nimmt eine Zwischenposition ein, indem er darlegt, eine soziale Praxis bewege sich „zwischen einer relativen ‚Geschlossenheit‘ der Wiederholung und einer relativen ‚Offenheit‘ für Misslingen, Neuinterpretation und Konflikthaftigkeit des alltäg­lichen Vollzugs“.221 Der gemeinsame Kern, wenn man davon sprechen kann, einer Vielzahl solcher Ansätze ist, dass das Soziale innerhalb einer Praxis durch Akteure und ihr ‚Handeln‘222 hervorgebracht wird, wobei es selbst wiederum Routinen und Verhaltenserwartungen generiert und Handlungsoptionen kanalisiert. Struktur und Akteure treten also in eine fortwährend bestehende Wechselwirkung miteinander. Diese Perspektive bietet im Hinblick auf die eingangs benannten Probleme zwei Vorteile: Erstens ist es möglich, sowohl Phänomene, die auf der Strukturebene ­angesiedelt 218 219

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222

Eine steckbriefartige Bestandsaufnahme wichtiger Ansätze findet sich bei Reckwitz (2003) 282 – 284. ders. (2004) 40. Vgl. neben ­diesem Beitrag insbesondere ders. (2003). Pierre Bourdieu und Judith Butler kommen beispielsweise zu konträren Aussagen hinsichtlich der Aufrechterhaltung und Stabilität von Routinen: Bourdieu nimmt eine in hohem Maße veränderungsresistente Routiniertheit und Reproduktivität sozialer Praktiken an, während Judith Butler gerade deren Unberechenbarkeit und Offenheit betont. Vgl. Reckwitz (2004) 41. ders. (2003) 294. Der Begriff des Handelns wird von einigen Praxistheoretikern als rationalistisch abgelehnt und durch den Begriff der Praxis ersetzt. Vgl. ders. (2004) 40. Ich habe mich allerdings dafür entschieden, hier den Begriff zur besseren Veranschaulichung zu verwenden.

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sind, zu beschreiben, weil sie durch Routinen, Verhaltenserwartungen und Handlungsoptionen auf der Akteursebene Wirkkraft entfalten, als auch Phänomene auf der Akteursebene darzulegen, zumal Akteure die Struktur in ihrer alltäglichen Praxis hervorbringen, reproduzieren oder abändern. Zweitens ist ein solcher Ansatz besonders geeignet für die Analyse historischer Gemeinschaften; denn eben weil das Soziale dynamisch innerhalb einer Praxis immer wieder aufs Neue hergestellt wird, ist es spezifisch und die theoretische Perspektive kommt ohne allzu große Vorannahmen aus, die die Quellen zu verzerren drohen. 1.5.3.1 Ressourcen und ihre In-Wert-Setzung im sozialen Feld Innerhalb des gewählten theoretischen Rahmens vollziehen sich Mobilität und Ansässigkeit als Vergesellschaftungsformen in sozialen Praktiken, in denen auch der in den Quellen häufig über die eingesetzten Mittel greifbare Aufwand zur Reproduktion betrieben wird. Jede Ortsgemeinschaft stützt sich auf spezifische materielle und immaterielle Instrumente, um sich als Gemeinschaft zu reproduzieren und ihren Verbleib vor Ort zu sichern. Diesen Mitteln wird innerhalb der Ortsgemeinschaft ein Wert beigemessen. Bei mobilen Gruppen verhält es sich analog, freilich bezogen auf den Erhalt der Mobilität und der Gruppe selbst. Was als wertvoll erachtet wird, gehört zwar zum Wissensbestand der Angehörigen der Gemeinschaft, ist aber gleichzeitig Gegenstand immer neuer Aushandlung. Momentaufnahmen ­dieses stetigen Bewertungsprozesses sind in den Quellen als literarische Konzeptionen fassbar. Diese Konzeptionen enthalten nicht allein die Informationen darüber, was als wertvoll angesehen wurde, sondern künden darüber hinaus von den Dynamiken des Bewertungsprozesses, dem sie und die eingesetzten Mittel zugrunde liegen. Es gilt nun, eine Sprache zu finden, mit der ebenjene Dynamiken beschrieben werden können und die sowohl ein analytisches Vorgehen ermöglicht als auch in der Lage ist, die Eigenheiten der untersuchten Gemeinschaften darzustellen. 1.5.3.2 Geschichte des Ressourcenbegriffs Zur Beschreibung dieser Mittel bietet sich der Ressourcenbegriff aus mehreren Gründen an: In den letzten Jahren erlebte er in den Sozial- und Kulturwissenschaften eine lebhafte Rezeption und gilt seitdem zunehmend in der Geschichtswissenschaft als etabliert.223 Dabei hat er sich längst von der in der alltagssprachlich noch geläufigen 223

Der Titel des 49. Historikertages „Ressourcen – Konflikte“, der 2012 in Mainz stattfand, illustriert dies vielleicht am besten, wobei der Ressourcenbegriff durchaus unterschiedlich ausgelegt wurde; so schlossen die Veranstalter dezidiert immaterielle Ressourcen mit ein, aber mitunter wurde der Begriff dennoch im Sinne von Rohstoffen gedeutet. Ein ähnliches Bild zeichnet sich in der im selben Jahr auf H-Soz-Kukt veröffentlichten, virtuellen Debatte ab, in der dieselbe Deutung dominiert. Prinz et al. (2012).

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Gleichsetzung mit materiellen Rohstoffen emanzipiert und wird im wissenschaftlichen Kontext heute zumeist als „Bezeichnung für Hilfsmittel und Bedingungen jeder Art, die für die Lösung von Aufgaben […] unerläßlich sind“ 224, verwendet. Dies ist eine Rückannäherung an die ursprüngliche, etwas allgemeinere Verwendung des Begriffs, der auf das lateinische Verb resurgere (auferstehen, sich erheben) zurückgeht und über den Umweg des Französischen (frz. ressource; afrz. resorse, Hilfe; mfrz. ressourse, Wiederaufrichtung, Wiederherstellung; entstanden aus dem Partizip Perfekt von afrz./mfrz. resourdre, sich erheben, sich erholen) ins Deutsche gelangte.225 Wenngleich der Ressourcenbegriff in der philosophischen Debatte eine eher untergeordnete Rolle spielte, fand er in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften rege Verwendung, wobei der Terminus nicht immer klar definiert wurde und sich so unterschiedliche Traditionslinien herausbildeten.226 In den Wirtschaftswissenschaften wurde er meist in Relation zu einem Produktionsprozess verstanden; daher ist seine Bedeutung auch hier in der Regel nicht auf Bodenschätze, sogenannte natürliche Ressourcen, beschränkt, sondern es werden auch immaterielle Mittel wie Wissen, handwerkliche Fähigkeiten oder auch Humanressourcen darunter gefasst.227 Jene Relationalität mit dem Produktionsprozess bedingt ferner, dass Ressourcen ersetzt werden können, das heißt, dass ein Mangel an einem bestimmten Rohstoff nicht mit einem Ressourcenmangel gleichgesetzt werden kann.228 In der Soziologie wurde der Ressourcenbegriff nicht nur im Kontext ökonomischer Wertschöpfung verwendet, sondern insbesondere als materielle und immaterielle Handlungsressourcen von Akteuren konzipiert.229 In Anthony Giddens’ Strukturationstheorie, die auch als praxistheoretischer Ansatz klassifiziert wird,230 sind Ressourcen, die Giddens in allokative und autoritative unterscheidet, essentiell für die Etablierung und Reproduktion von Macht und Herrschaftsverhältnissen: „Herrschaft hängt von der Mobilisierung zweier unterschiedlicher Typen von Ressourcen ab. Allokative Ressourcen beziehen sich auf Typen des Vermögens zur Umgestaltung, ­welche Herrschaft über Objekte, Güter oder materielle Phänomene ermöglichen. Autoritative Ressourcen beziehen sich auf Typen des Vermögens zur Umgestaltung, die Herrschaft über Personen oder Akteure generieren.“ 231 Giddens wandte sich mit seinem 224

Lorenz (2018) 113. Pfeifer (1993). 226 Lorenz (2018) 113 – 114. 227 Edith Penrose darf hier als Pionierin angesehen werden, da sie den Ressourcenbegriff konsequent auch für immaterielle Ressourcen verwendete und die Spezifität der Ressourcen für das jeweilige Unternehmen hervorhob, d. h., ein und derselbe Stoff kann von Unternehmen zu Unternehmen als eine andere Ressource fungieren. Vgl. Penrose (1959) insbesondere 5; 24. 228 Diese Thematik wird in Kapitel 2.3.1 Ressourcenbegriff Julian Simons, 136 – 140 genauer behandelt. 229 Vgl. Lorenz (2018) 113. 230 Reckwitz (2003) 282 – 289. 231 Giddens (1988) 86. 225 Vgl.

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Ressourcenbegriff gegen Ansätze 232, die seines Erachtens die materiellen Grundlagen sozialen Wandels und die Bedeutung technischer Innovationen zu einseitig betonten, und stellte den allokativen Ressourcen der materiellen Welt die autoritativen Ressourcen der sozialen Welt gleichberechtigt gegenüber.233 Eine ähnliche Rolle nehmen die Kapitalien in den Arbeiten Pierre Bourdieus ein, auf die im Folgenden noch genauer eingegangen wird. Bourdieu stellte dem ökonomischen Kapital, zum Beispiel materielle Rohstoffe, Produktions- oder Geldmittel, das kulturelle, etwa ein Musikinstrument, das Wissen und die Fähigkeit, es zu spielen, oder auch das Diplom, das diese Kenntnisse und Fertigkeiten bescheinigt, das soziale und das symbolische Kapital gegenüber.234 Sozialkapital im Sinne Bourdieus ist „die Gesamtheit der aktuellen und potentiellen Ressourcen, die mit dem Besitz eines dauerhaften Netzes von mehr oder weniger institutionalisierten Beziehungen gegenseitigen Kennens oder Anerkennens verbunden sind; oder, anders ausgedrückt, es handelt sich dabei um Ressourcen, die auf der Zugehörigkeit zu einer Gruppe beruhen.“ 235 Das symbolische Kapital nimmt dahingehend eine Sonderstellung ein, dass es das kulturelle, soziale und ökonomische durchdringt; denn Wertschätzung, Status, Hervorhebung und Anerkennung gehen mit diesen Kapitalien einher, haben aber zugleich eine symbolische Komponente.236 Allesamt sind als Ressourcen zu verstehen, mit denen Akteure ihre soziale Position versuchen aufrechtzuerhalten oder zu verbessern.237 Sowohl bei Giddens als auch bei Bourdieu können Ressourcen sowohl materiell als auch immateriell sein; sie sind Mittel innerhalb einer sozialen Praxis und so zugleich Bestandteil derselben. Stephen Gudeman machte die Beobachtung, dass Ressourcen dabei kaum voneinander isoliert, sondern in Kombination miteinander auftreten, was er mit dem Konzept der base zu fassen suchte.238 Diese Konzeptionen aufgreifend definieren Martin Barthelheim und andere Ressourcen als Mittel, mit denen soziale Einheiten formiert oder reproduziert werden; Ressourcen erhielten ihren Wert in sozialer Interaktion und s­ eien Teil eines Geflechts aus Menschen, Objekten, 232

Giddens zielte damit z. B. auf marxistische Ansätze ab. Giddens (1988) 315 – 316. 234 Bourdieu entwickelte den Kapitalbegriff sukzessive über Jahrzehnte hinweg. Vgl. Rehbein/ Saalmann (2009b) 135. Es gibt daher keinen Standardtext, auf den verwiesen werden könnte; einer solchen Referenz kommt vermutlich Bourdieu (1992) 49 – 79 am nächsten. Das symbolische Kapital ist hier noch nicht explizit aufgeführt; vielmehr thematisiert Bourdieu lediglich symbolische Aspekte der anderen drei Kapitalformen. 235 Bourdieu (1992) 62. 236 Vgl. Rehbein/Saalmann (2009b) 138. 237 dies. (2009b) 134 – 135. 238 Gudemann (2005) 98: „Consisting of entities that people appropriate, make, allocate and use in relation to one another, the base is locally and historically formed. In the Latin American countryside, a farmer considers as base his house, land and crops; a university’s base includes its library, laboratories, offices, communication systems and concepts linking researchers […].“ 233 Vgl.

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Technologien und Wissen. Ferner treten sie in der Regel nicht isoliert, sondern in Ressourcenkomplexen auf.239 1.5.3.3 Einbinden in die Praxistheorie Zur genaueren theoretischen Bestimmung des Ressourcenbegriffs und zu seiner Integration in einen praxistheoretischen Ansatz bieten sich die oben bereits erwähnten Kapitalbegriffe Pierre Bourdieus 240 an, wobei weniger die Unterscheidung z­ wischen ökonomischem, kulturellem, sozialem und symbolischem Kapital als das In-Wert-Setzen von Kapital innerhalb eines Feldes von Interesse ist, womit der Bewertungsprozess und der Einsatz von Ressourcen nachgezeichnet werden können. Der Kapitalbegriff Bourdieus wurde wegen seiner Inkonsistenz mehrfach angegriffen, wobei zwei Hauptkritikpunkte angeführt wurden: Erstens könne ökonomisches Kapital zwar verausgabt werden, soziales oder kulturelles dagegen nicht. Zweitens habe im Kapitalismus das ökonomische Kapital eine andere Bedeutung als in nichtkapitalistischen Kontexten. Boike Rehbein schlägt daher vor, mit Ausnahme des ökonomischen Kapitals jede der Kapitalsorten als Ressourcen zu bezeichnen.241 Eingedenk der vorangegangenen Definitionen und der eingenommenen Perspektive wird im Folgenden auch das ökonomische Kapital als Ressource betrachtet. Weil der Ressourcenbegriff weiter gefasst ist, besteht weder das Problem der Verausgabung noch das einer unterschiedlichen Bedeutung des ökonomischen Kapitals. Auch diese theoretischen Konzepte lassen sich nicht ohne weiteres auf die Antike übertragen. An einem anderen Kontext entwickelt und so dazu gedacht, Aussagen über einen anderen Gegenstand zu treffen, werfen sie Probleme auf. Allerdings wurden die Theorien Bourdieus in der althistorischen Forschung bereits erfolgreich verwendet, Arbeiten, auf die hier aufgebaut werden kann, wobei dennoch einige Anpassungen vorgenommen werden müssen. Bourdieu ist mittlerweile vor allem in der Soziologie 239

Bartelheim et al. (2015) 39 – 40. Amelung/Leppin/Müller (2018) 11 definieren den Ressourcenbegriff ähnlich offen, stellen aber heraus, dass weder Ressourcenmangel unmittelbar zu Schwäche noch die Verfügbarkeit von Ressourcen zu Stärke führe; vielmehr verwiesen Ressourcen auf das Handlungspotential. 240 Im Folgenden werden weitere Begriffe und Konzepte Pierre Bourdieus eingeführt. Dabei gilt es, einem vielbesprochenen, aber dennoch weiterhin auftretenden Missverständnis vorzubeugen. Wegen der methodischen und begrifflichen Einheitlichkeit von Bourdieus Werk wird häufig davon ausgegangen, er habe eine einheitliche Terminologie entwickelt. Dem ist nicht so. Bourdieu arbeitete weniger an als mit Begriffen, d. h., er betrieb v. a. empirische Forschung, in deren Fortgang er die Begriffe klärte. So können sich in seinem Werk sogar gegensätzliche Definitionen finden. Vgl. hierzu Rehbein (2016) 77. Die Begriffe Bourdieus werden (wie auch alle anderen Begriffe) hier zu einem ähnlichen Zweck verwendet. Es wird folglich eine Auswahl getroffen, die nach den Bedürfnissen des Gegenstandes der Arbeit erfolgt. 241 ders. (2016) 210.

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beinahe zum Klassiker avanciert, ein Status, der teilweise seine breite Verwendung in der Alten Geschichte erklärt; indes dürften auch die Arbeiten Egon Flaigs einen nicht geringen Beitrag geleistet haben.242 Bourdieu entwickelte an der Moderne den Begriff des Feldes als einen relativ autonomen Teilbereich des sozialen Raums, in dem durch das Zusammenspiel der einzelnen Akteure die Spielregeln definiert, reproduziert und abgewandelt werden. Jene Autonomie setzt eine in hohem Maße differenzierte, also – auch für Bourdieu das Kennzeichen der Moderne schlechthin 243 – arbeitsteilige, Gesellschaft voraus, die mit den Verhältnissen der griechischen Archaik kaum in Deckung zu bringen ist.244 Für die archaischen Gemeinschaften lassen sich weder klar voneinander abgegrenzte noch autonome Teilbereiche fassen; Arbeitsteilung existierte zwar, jedoch in weit geringerem Maße als in modernen Gesellschaften. Die bäuerliche Lebenswelt bestimmte die alltägliche Realität der meisten Menschen, von der die Welten der Seefahrer, die der Krieger oder der Handwerker nicht fern waren und zu der es zudem personelle Überschneidungen gab, sodass sich kaum von einem gegenüber den anderen Feldern autonomen Teilbereich, der nach eigenen Regeln funktionierte, sprechen lässt und es daher folgerichtig erscheint, die einzelnen Felder als einander in hohem Maße überlagernd anzusehen.245 Dank dieser kleinen, aber folgenreichen Abwandlung wird ein 242

Zum Urteil, Bourdieu zu den Klassikern zu zählen, vgl. etwa Bremer (2008) 1528. Vgl. zu Flaig insbesondere Anm. 245. Daneben ist das Kapitel aus dessen Habilitationsschrift Flaig (1992) 32 – 37 einschlägig. Ferner gibt es weitere Bezugnahmen in der Archaikforschung. So lotet Pébarthe (2012) das Potential der Theorien Bourdieus zur Analyse der griechischen Polis aus; Widzisz (2012) blickt mit Bourdieu auf Überlegungen zur Reziprozität bei Homer, die Seaford (1994) angestellt hatte. Vgl. darüber hinaus jüngst Meister (2020) zum ‚Adel‘ in archaischer und frühklassischer Zeit. 243 Eines der Kennzeichen sozialer Differenzierung ist Arbeitsteiligkeit. Vgl. zum Verhältnis Bourdieus zu den Theorien sozialer Differenzierung, insbesondere derer Durkheims Saalmann (2009) 34 – 35. Im Kontext der ‚Theorie der sozialen Felder‘ bei Bourdieu und Tendenzen der Moderne vgl. Krais/Gebauer (2002) 55; Rehbein/Saalmann (2009a) 101 Vgl. ferner Bourdieu (1998). Ebenjene Felder erinnern an das theoretische Konzept der sozialen Kreise Georg Simmels. Vgl. dazu Simmel (2013) 456 – 511. 244 Auch Rehbein/Saalmann (2009a) 103 identifizieren das Problem für vormoderne Gemeinschaften. 245 Im Werk Bourdieus besteht eine Inkonsistenz dahingehend, inwieweit der soziale Raum völlig in Felder aufgelöst werden kann, oder ob die Felder nicht Bestandteile eines größeren Feldes, etwa eines Feldes der Gesellschaft, ­seien. Vgl. dazu die unterschiedlichen Verwendungsweisen bei Bourdieu/Wacquant (1996) 37; 136; Bourdieu (2014) 212 – 213; ders. (2001) 41, auf die bereits Rehbein/Saalmann (2009a) 102 und Rehbein (2003) passim hingewiesen haben. Bourdieu selbst wurde mitunter dafür kritisiert, dass er einzelnen Akteuren in einem zu hohen Maße zuschreibt, innerhalb eines einzigen Feldes zu agieren und durch d ­ ieses geprägt zu sein, obgleich doch in modernen bzw. postmodernen Gesellschaften Akteure durchaus z­ wischen den Feldern hin und her wechseln und sich den dortigen Gegebenheiten erfolgreich anpassen. Vgl. Fröhlich (2009) 89. Für die Nutzbarmachung und Verbreitung der Theorien Pierre Bourdieus im Kontext der Alten

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theoretisches Instrumentarium gewonnen, mit dem sich soziale Dynamiken in verschiedenen Formen des Zusammenlebens beschreiben lassen. Auch wenn Felder im Kontext vormoderner Gemeinschaften bestenfalls eingeschränkt als autonome Teilbereiche des Sozialen definiert werden können, behält die Grunddefinition des Begriffs als „Wirkbereich von Kräften“ 246 ihre Gültigkeit. Wie in der Physik, aus der der Terminus übernommen wurde,247 wirken im Feld vorhandene Kräfte aufeinander ein, wobei es hier Akteure und die ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen sind, die miteinander in Wechselwirkung treten. Das Feld bildet also den Rahmen, innerhalb dessen sich die Praxis vollzieht und wird zugleich durch sie geformt, erhalten oder verändert. „Jedes […] Feld ist ein Kräftefeld und ein Feld der Kämpfe um die Bewahrung oder Veränderung ­dieses Kräftefeldes.“ 248 Innerhalb des Feldes werden Ressourcen indes nicht nur von Akteuren eingesetzt, sondern erhalten, ­seien sie nun materiell oder immateriell, auch ihren Wert, wobei stetig, mit ­unterschiedlichen Geschichte sind die Arbeiten Egon Flaigs einschlägig. Flaig (1998) 115 etwa geht, indem er Weber (2009 [1972]) 268; 275 zu Rate zieht, davon aus, dass es für eine theologische Systematisierung und Rationalisierung, wie sie sich bei Hesiod zeige, religiöser Spezialisten bedürfe. Götter treten bei Hesiod anders als bei Homer einheitlich auf, denn nur so könnten sie Garanten der Gerechtigkeit sein. Im Folgenden (115 – 128) gelangt Flaig zu dem Schluss, diese Konzeption der Götter bei Hesiod müsse auf „orientalische Einflüsse“ zurückzuführen sein. In der griechischen Kultur habe sich kein spezifisch religiöses Feld herausgebildet. Dem ist insofern zuzustimmen, als es bei den Griechen kein religiöses Spezialistentum gab. Indes verwendet Flaig den Feldbegriff im Sinne Bourdieus als einen sozialen Teilbereich mit einer relativen Autonomie gegenüber anderen Teilbereichen. Das Feld sei somit „fähig zu eigenen feldinternen intellektuellen Entwicklungen und Ausdifferenzierungen.“ Flaig (1998) 119. Es bleibt zu fragen, inwiefern ein solcher Feldbegriff für vormoderne Gemeinschaften überhaupt zur Analyse taugt, da ja Bourdieu Felder relativ autonomer Teilbereiche als Phänomen der Moderne betrachtet, die durch ausdifferenzierte Gesellschaften erst ermöglicht werden. Vgl. Rehbein/Saalmann (2009a) 101 und Krais/Gebauer (2002) 55. Ohne den Feldbegriff im theoretischen Gerüst Bourdieus wäre allerdings auch der Begriff des Kapitals nicht verwendbar, denn es erhält seinen Wert in Abhängigkeit zum Feld und nur dort. Vgl. Bourdieu/Wacquant (1996) 128. Das Feld als vom Rest des sozialen Raums relativ autonomer Teilbereich ist aber nur in Gesellschaften der Moderne, die sich durch ein hohes Maß an Arbeitsteiligkeit auszeichnen, vorhanden. In Gemeinschaften der Archaik wiederum sind einzelne Felder nicht klar voneinander abgetrennt. Sie weisen keine feldspezifische illusio oder doxa auf. Vielmehr sind sie miteinander verschränkt, in einem Maße, dass Kapital in der gesamten Gemeinschaft nahezu denselben Wert hat. Denn allein aus der Tatsache, dass Götter bei Hesiod an dieser Stelle in Fragen der Gerechtigkeit einheitlich zu agieren scheinen, kann nicht auf ein autonomes religiöses Feld geschlossen werden. Felder müssten in vormodernen Gesellschaften daher zumindest als deutlich enger miteinander verbunden und als einander überlagernd dargestellt werden. 246 Rehbein/Saalmann (2009a) 100. 247 ebd. 248 Bourdieu/Egger (1998) 20.

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Strategien um Positionen, und damit um Deutungshoheit, gerungen wird.249 Ressourcen, die hier eingesetzt werden können, sind also feldspezifisch; denn innerhalb des Feldes wird bestimmt, was als wertvoll erachtet wird und damit eingesetzt werden kann. Der Wert ist demnach eine Frage der Aushandlung und Ressourcen selbst verfügen in dieser Konzeption nicht wie etwa in der Akteur-Netzwerk-Theorie Bruno Latours aus sich heraus über Handlungsmacht. Vielmehr wird ihnen innerhalb des Feldes ein Wert beigemessen, der nicht unabhängig von dessen Struktur ist. So ist beispielsweise Gold nicht aus sich heraus wertvoll, sondern es erhält einen Wert, wenn es innerhalb des Feldes als rar und schön bewertet wird und so von einem Akteur dazu eingesetzt werden kann, seine Position zu verbessern. Ressourcen erhalten also ihren Wert in Relation zum Feld, das heißt, Feld und Ressource können nur jeweils im Verhältnis zueinander definiert werden.250 Das, was das Feld ausmacht, ist bei Bourdieu ambivalent und unterscheidet sich innerhalb verschiedener Verwendungskontexte; so scheinen es einmal die Regeln bzw. objektiven Strukturen zu sein, ein anderes Mal die Einsätze bzw. die Ressourcen.251 Bei beiden scheint es sich um Bestandteile des Feldes zu handeln, die wiederum in Relation zueinander analysierbar sind. Innerhalb des Feldes bildet sich zudem der Habitus des einzelnen Akteurs aus, wobei es sich gewissermaßen um die in die Persönlichkeit eingeschriebene Seite des Feldes, dem ein Akteur angehört, handelt, also auch um einen relationalen Begriff.252 Der Habitus besteht aus dem in einem Feld (oder mehreren Feldern) erlernten Verhalten, das beim Akteur die Tendenz, nach den Regeln des Feldes zu handeln, generiert, präziser aus zusammenhängenden Handlungsschemata, und ist so Teil der Erzeugungsgrundlage sozialer Praktiken. Er ermöglicht es, im Feld erfolgreich zu agieren, unter anderem weil er in Relation zum Feld erworben wird. In der oben angeführten Ressourcendefinition von Martin Barthelheim und anderen 253 sind Ressourcen jene Mittel, mit denen soziale Einheiten formiert bzw. reproduziert werden. Bei Bourdieu dienen Kapitalien, also Ressourcen, einem Akteur zunächst dazu, seine Position innerhalb des Feldes zu erhalten oder zu verbessern. Der sich hieraus ergebende Widerspruch ist dahingehend vordergründig, dass innerhalb der Praxis der Einsatz von Ressourcen das Feld formiert und reproduziert, das Konkurrieren der Akteure also nicht unvereinbar damit ist, nach Ressourcen des Erhalts oder der Veränderung sozialer Einheiten zu suchen. Dennoch verweist uns dies auf ein Problem, das auch schon für die Theorien Bourdieus konstatiert wurde, nämlich dessen Tendenz, alle sozialen Tätigkeiten als Kampf zu deuten, auch ­solche, bei denen scheinbar „nichts auf dem Spiel steht“, was nicht alle Rezipienten akzeptieren.254 249

Rehbein/Saalmann (2009a) 100. Bourdieu/Wacquant (1996) 127 – 128. 251 Rehbein/Saalmann (2009a) 100. 252 Bourdieu/Wacquant (1996) 127. 253 Bartelheim et al. (2015) 39 – 40. 254 Vgl. Rehbein/Saalmann (2009b). Vgl. Rehbein (2016) passim. 250

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Bourdieus Deutung kann als korrekt angesehen werden, wenn man das Spektrum dessen, was unter einem Kampf zu verstehen ist, recht weit fasst; so mag auch ein freundschaftliches Gespräch als soziale Situation betrachtet werden, in der Akteure miteinander konkurrieren. Es erscheint aber legitim, diesen Aspekt zwar mitzudenken, ihn jedoch nicht im Verlauf der Untersuchung zu betonen, da beispielsweise eine Konzentration auf die Reproduktionsmechanismen einer Gruppe zweckmäßiger anmutet. Im Feld sind sowohl die Bewertung als auch der Einsatz von Ressourcen Teil dynamischer Prozesse. Dies ermöglicht eine Analyse ebenjener sozialen Dynamiken, die sich in den Quellen als Konzeptionen nicht nur von Ansässigkeit, sondern auch von Mobilität niedergeschlagen haben.

1.5.4 Übernahmen und Abgrenzungen 1.5.4.1 Herkunftsspezifisches soziales Kapital Die Prominenz und vielseitige Anwendbarkeit der Theorien Pierre Bourdieus dürften dazu geführt haben, dass sie auch bei der Untersuchung von Migration Verwendung finden, Forschungen, deren Ergebnisse sich gewinnbringend in die hier eingenommene theoretische Perspektive integrieren lassen. Wie bereits oben erörtert, sehen HansJoachim Hoffmann-Nowotny und Daniel Kubat in sozialen Bindungen (social ties) Migrationshemmnisse angelegt.255 In der Auseinandersetzung mit Bourdieu wurde die Beobachtung gemacht, dass herkunftsspezifisches soziales Kapital in der Regel migrationshemmend wirkt.256 Aus der hier eingenommenen Perspektive sind es die Ressourcen der Ansässigkeit, die den Weggang erschweren, indem sie das Verbleiben im Heimatort erleichtern oder gar garantieren. Das Verwobensein des Individuums mit dem Geflecht aus Sozialbeziehungen der Heimat erhält Ansässigkeit, indem hierdurch andere Ressourcen aktiviert oder geschützt werden, etwa durch Nachbarschaftshilfe in einer Notsituation.257 Güter, Nahrungsmittel, Werkzeuge oder Bauholz, die 255

Vgl. Kapitel 1.5.2 Ansässigkeit und Mobilität, 46 – 54. Haug (2007) 91. Es gibt allerdings Ausnahmen, in denen herkunftsortspezifisches soziales Kapital nicht migrationshemmend wirkt: erstens im Falle eines Konflikts innerhalb einer Familie oder anderer sozialer Gruppen am Herkunftsort; der Migrant flieht dann vor der Enge des Beziehungsnetzwerks. Zweitens, wenn Familien oder Freunde Einzelne dazu ermuntern, zu migrieren. Vgl. dies. (2007) 91 – 92. 257 Ein Beispiel: Oíkos A ist bereits mit dem Einholen der Ernte fertig. Oíkos B indes noch nicht und die herannahende Kälte droht mit dem zunehmenden Regen, das Getreide zu verderben. Oíkos A kann oíkos B nun unterstützen. Durch die Hilfe wird eine reziproke Beziehung aufgebaut. Die Gegenleistung liegt für den helfenden oíkos A als Aggregat in der Gemeinschaft vor, da er sich darauf verlassen kann, dass auch ihm in einer solchen Situation geholfen wird. Entweder durch den in Bedrängnis geratenen oíkos B oder beispielsweise durch einen ebenfalls in der Gemeinschaft befindlichen oíkos C, der nicht ganz mit der Ernte fertig war, als oíkos B seiner Hilfe bedurfte. Auf diese Weise wurden 256 Vgl.

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z­ wischen Haushalten ausgetauscht werden, lassen sich innerhalb dieser Konzeption einerseits als Ressourcen verstehen, die durch die Sozialbeziehungen aktiviert wurden; andererseits fungieren sie als Mittel, die diese Bindungen und auf lange Sicht die Ortsgemeinschaft reproduzieren. Die sozialen Ressourcen, „die auf der Zugehörigkeit zu einer Gruppe beruhen“ 258, gehen zudem beim Verlassen dieser Gruppe zumeist verloren; selten können sie beispielsweise durch Aufrechterhalten des Kontakts über die Entfernung hinweg transformiert werden, wobei sie dann eine andere Qualität erhalten. Auch der Habitus, der innerhalb des Feldes der Ortsgemeinschaft erworben wurde und dort das erfolgreiche Agieren erleichtert, kann sich in einer mobilen Gruppe oder einer neuen Ortsgemeinschaft als weniger dazu geeignet erweisen, die Position des Akteurs im Feld zu konsolidieren oder zu verbessern. Neben migrationstheoretischen Perspektiven, die sich ausgehend von den Theorien Bourdieus eröffnet haben, gibt es sowohl allgemeine Feststellungen als auch spezifische Beobachtungen, die sich konkret auf die Migrationen der griechischen Archaik beziehen, mit denen die hier eingenommene Perspektive ins Verhältnis zu setzen ist. 1.5.4.2 Netzwerke Unabhängig von Detailfragen, wie stark der Handel und eine hierauf ausgerichtete Produktion ausgeprägt waren oder ob nicht doch vor allem Gastgeschenke dargebracht wurden, herrscht in der Forschung dahingehend Konsens, dass für die Archaik ein reger Austausch von Gütern und Ideen innerhalb der sich als griechisch entfaltenden Kultur und auch mit Nichtgriechen bereits früh greifbar ist.259 Mit der Intensivierung des Handels und anderen Formen des Austausches zur Spätarchaik hin offenbart sich ein regelrechtes Geflecht aus Kontakten. Es liegt daher nahe, zur Beschreibung ­dieses Sets an Verbindungen die Metapher des Netzwerks zu wählen. Von dort ist es nur noch ein kleiner Schritt zu dem Versuch, eine Netzwerktheorie zu implementieren, eine Aufgabe, der sich Irad Malkin in seiner Monographie A Small Greek World gewidmet hat,260 nachdem Peregrine Horden und Nicholas Purcell in soziale Ressourcen generiert, die sich auf ein Feld beziehen, dessen Grenzen mit denen der Gemeinschaft übereinstimmen. Potentiell werden jedem, der den Regeln d ­ ieses Feldes folgt, soziale Ressourcen zuteil, die im Bedarfsfall eingesetzt werden können. 258 Bourdieu (1992) 62. 259 Stellvertretend für die große Anzahl an Detailstudien s­ eien hier einige Klassiker und einflussreiche Publikationen benannt. Für den Einfluss des Nahen Ostens sind noch immer die Monographien Burkert (1984); ders. (2003) und West (1997) grundlegend. Reden (1995); Reden (2015b) betonte, dass weniger durch Handel als durch Gabentausch Güter insbesondere in der Früharchaik an einen neuen Platz gelangten; Boardman (1981 [1964]); Ehrhardt (1990) und andere gehen dagegen von Handel aus. Vgl. dazu auch Kapitel 3.3 Händler und Handel, 205 – 228. 260 Malkin (2011). Neben der von Malkin verwendeten Netzwerkperspektive sind andere Theorien zu Migration, die als netzwerktheoretisch klassifizierbar sind, denkbare

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ihrem monumentalen Werk The Corrupting Sea den Aspekt der Konnektivität in den Vordergrund gestellt hatten.261 Netzwerktheorien kamen in der Soziologie etwa in den späten 1960er-Jahren auf, wobei Stanley Miligram als Pionier zu nennen ist. Mark Granovetter erweiterte den Netzwerkbegriff, indem er ­zwischen strong und weak ties unterschied und das Postulat der strength of weak ties aufstellte. Enge Freunde ­seien durch strong ties verbunden, sodass regelrechte cluster entstünden. Die weak ties finden sich in weniger dichten Teilen eines Netzwerkes. Sie sind wichtige Verbindungen ­zwischen den verdichteten Clustern. Folglich verbreiten sich in sozialen Systemen, in denen kaum weak ties existieren, neue Ideen nur langsam.262 Mathematiker, die sich mit dem Thema befassten, stellten fest, dass Netzwerke den Raum verkleinern.263 Malkin griff diese Ansätze auf und nahm dabei eine Reperspektivierung bekannter Ergebnisse vor, wofür er eine netzwerktheoretische Terminologie verwendete. In seiner Betrachtung der griechischen Welt als Netzwerk werden die Siedlungen, die sich an den Küsten des Mittel- und Schwarzmeerraumes aufreihten, zu Knotenpunkten (nodes), in denen sich verschiedene Verbindungen (ties) zu anderen Knotenpunkten trafen. Vermittelt werden diese Verbindungen durch das Meer als Medium, das ein Netzwerk trug, das drei spezifische Charakteristika aufwies: 1. Es war dezentral und hatte weder Zentrum noch Peripherie. Stattdessen existierten tausende, größtenteils autonome Gemeinschaften.264 Diese Autonomie wurde bereits zuvor mehrfach festgestellt und ist eines der qualitativen Merkmale, weswegen die Migrationen der griechischen Archaik zumeist getrennt von jenen in klassischer Zeit behandelt werden. Die Feststellung, dass weder Zentrum noch Peripherie existierten, geht indes darüber hinaus. Beide Beobachtungen sind mit dem oben ausgebreiteten Ansatz, Formen der Mobilität und der Ansässigkeit als Vergesellschaftungsformen praxistheoretisch zu untersuchen, vereinbar, da die Spezifität der untersuchten Fälle abgebildet werden kann. Wenngleich der Fokus also nicht auf den Effekten liegt, die womöglich aus dem Netzwerk resultierten, ist die Perspektive auf die Ressourcen von Ansässigkeit und Mobilität dahingehend komplementär, dass sie die Herausbildung der Knotenpunkte und die Intensivierung der Verbindungen genauer bestimmt. Gegenüber der Netzwerkperspektive bietet sie allerdings den Vorteil, die Konzeptionen und Bewertungen von Ansässigkeit, Mobilität und ihrer Ressourcen leichter integrieren zu können. 2. Gemeinsamkeiten wurden durch Kontakt im Netzwerk hervorgebracht, gewissermaßen in einem Prozess der Konvergenz durch Divergenz. Die Verbindungen ­ nknüpfungspunkte, von denen einige im Folgenden beschrieben werden. A Horden/Purcell (2000) passim. Vgl. für eine kurze, prägnante Zusammenfassung der Kritik an der theoretischen Figur der Konnektivität in ­diesem Werk Tacoma/Lo Cascio (2016) 13 – 14. 262 Einschlägig ist Granovetter (1972). 263 Vgl. zur Forschungsgeschichte Malkin (2011) 26 – 27. 264 ders. (2011) 3; 8; 15 – 17. 261

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­zwischen den sich stark vermehrenden Knotenpunkten formten einen historischen Raum, in dem sich relational und relativ zivilisatorische Gemeinsamkeiten entwickelten.265 Malkin betont auch anderenorts, dass in der Früharchaik eigentlich nicht von Griechen gesprochen werden könne.266 Dass sich die in klassischer Zeit wesentlichen Merkmale der griechischen Kultur gerade im Zuge der archaischen Migrationen heraus­bildeten,267 fand jüngst in einer Arbeit Frank Bernsteins, in der er aufzeigt, dass in den frühen apoikíai in besonderem Maße eine Notwendigkeit für neue Verfahren und mittelbar auch Institutionen gegeben haben könnte, vorsichtige Bestätigung.268 Dazu kann der hier verfolgte Ansatz ergänzend wirken, indem diese Nöte aus der eingenommenen Ressourcenperspektive weiter analysiert werden. 3. Das Netzwerk bedingt in nicht geringem Maße die Raumwahrnehmung der Zeitgenossen. Distanz und Nähe sind nicht nur durch die physischen Gegebenheiten bestimmt, sondern auch durch die wahrgenommene Nähe in einem sich verdichtenden Netzwerk.269 Diese Feststellung, die Malkin auf die Verhältnisse in der griechischen Archaik übertragen konnte, ist hier insofern von Bedeutung, als die Ressourcenperspektive die Annahme nahelegt, dass Mobilitätsformen sich wechselseitig begünstigen, da sie vermutlich ähnliche Ressourcen benötigen und einander bereitstellen; sie würden so einander – gewissermaßen – den Weg ebnen, wobei zu erwarten ist, dass Informationen schneller fließen und so die Welt enger zusammenrücken lassen. In dieser Arbeit wird keine dezidiert netzwerktheoretische Perspektive verfolgt, da unter anderem danach gefragt wird, inwiefern bestimmte Formen von Mobilität die Verbindungen, also die Bahnen, auf denen Migration erfolgte, schufen und erweiterten.270 Zudem dürfte es Probleme bereiten mit dem Quellenkorpus, auf das sich die Studie stützt, auf einer Makroperspektive Migrationsnetzwerke und Migrationsströme (migration streams, Gegenrichtung: counter stream), die die Richtungen von Migrationsbewegungen von einem oder mehreren Sendeorten hin zu einem konkreten Ziel oder einem gröber umrissenen, topographischen Gebiet bezeichnen, abzubilden.271 Es lässt sich indes mit diesen Modellen der Zusammenhang von genauer bestimmbaren Mobilitätsformen und Migrationen verdeutlichen. Konnektivität wiederum ist nicht nur im Rahmen netzwerktheoretischer Ansätze, sondern auch in nahezu jeder theoretischen Beschäftigung mit Migration von Bedeutung. Deshalb und weil sich diese Arbeit nicht als weitere Netzwerkperspektive auf Migrationen der griechischen

265

ders. (2011) 5; 12. ders. (2004) 349. 267 ders. (2011) 3 bringt dies mit dem markigen Satz „Greek civilization came into being just when Greeks were splitting apart“ auf den Punkt. 268 Bernstein (2021) passim. 269 Malkin (2011) 19 – 22 u. passim; Yntema (2000) passim. 270 Der Netzwerkbegriff wird daher nicht dezidiert verwendet, wenngleich die Arbeit von den netzwerktheoretischen Vorüberlegungen beeinflusst ist. 271 Vgl. Han (2010) 8. 266

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Archaik versteht, wird im Folgenden eine Konzeptmetapher verwendet, unter der die Aspekte der Konnektivität gefasst werden sollen. Mobilitätsformen, die sich womöglich wechselseitig begünstigen, werden also als Bahnen der Mobilität zusammengefasst. 1.5.4.3 Verbindungen: Kumulative Verursachung, Migration als selbsterhaltender Prozess und Kettenmigration Entlang dieser Bahnen reisten neben Ideen und Gütern auch Menschen. Waren s­ olche Verbindungen erst einmal gestiftet, war es leichter und weniger kostenintensiv, sie zu ­nutzen. Aus migrationstheoretischer Perspektive senken interpersonelle Bindungen (interpersonal ties) nicht nur den Migrationsaufwand, sondern erleichtern es auch, an Informationen zu gelangen.272 So lässt sich annehmen, dass jene Bahnen durch jede Form von Mobilität wie auch durch Migration begünstigt und intensiviert werden, da nach der Wiederherstellung von Ansässigkeit die Verbindungen in die alte Heimat in der Regel nicht abbrechen, sondern aufrechterhalten werden; dabei handelt es sich um Praktiken, die bis zur aktiven Hilfe für Nachkommende reichen können. Jeder ­Migrant – so die Annahme – senkt die Kosten für nachfolgende Personen, zum Beispiel für Verwandte oder Freunde, was als ein Mechanismus der kumulativen Verursachung (cumulative causation) und als selbsterhaltender Prozess (self-sustaining process),273 der mit der stetigen Erweiterung der Bahnen einhergeht, verstanden werden kann. In unserer theoretischen Perspektive stellen insbesondere Formen der Mobilität Ressourcen auch für andere bereit, sodass sich ein Prozess kumulativer Verursachung nachzeichnen ließe. Neben netzwerktheoretischen Terminologien sowie Vorstellungen von kumulativer Verursachung und eines selbsterhaltenden Prozesses wird die Metapher der Kettenmigration (chain migration) verwendet, aus der ein recht klar definierter Begriff erwachsen ist: Migranten folgen einander einer Kette gleich; analog dazu werden die sozialen Beziehungen potentieller Migranten am Sendeort zu ihren Förderern am Empfängerort Kettenbeziehungen (chain relationships) genannt. Pioniere ermöglichen Familienangehörigen oder Bekannten aus dem Primärgruppenkreis des Herkunftsortes nachfolgende Migration. Persönliche Informationen wie Briefe, Erfolgsberichte, Erzählungen, Informationen zu Beschäftigungs- und Verdienstmöglich­keiten oder auch materielle Hilfen wie das Aufkommen für die Fahrtkosten sowie das ­Verschaffen

272

Sowohl der Begriff interpersonal ties als auch die Grundthese, dass Verbindungen von Migranten mit v. a. Verwandten und Freunden in der Heimat Kosten der Umsiedlung, Opportunitätskosten, Informations- und Suchkosten sowie psychische Kosten für die Nachkommenden senken, entstammt dem netzwerk- bzw. systemtheoretischen Ansatz von Boyd (1989) insbesondere 641. Vgl. auch Han (2010) 17. Ferner sei hier auf die Ähnlichkeit zu einer Grundannahme im Gravitationsmodell Ravensteins, nämlich auf den Zusammenhang ­zwischen Migrationskosten und der Entfernung ­zwischen Sendeund Empfängerort, hingewiesen. 273 Vgl. Han (2010) 14 – 15.

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von Unterkunft und Arbeit sind Beispiele,274 wie Migration erleichtert werden kann und dadurch risikoärmer wird.275 Der Zusammenhang z­ wischen Kettenmigration und sozialem Kapital, von dem Teilaspekte bereits oben besprochen wurden, ist zudem evident.276 1.5.4.4 Konflikt und Migration Bei der Rede von Netzwerken, Kettenmigrationen oder Prozessen kumulativer Verursachung wird keine Aussage zu den Migrationsursachen getroffen; sie alle beschreiben Migration als einen Prozess. Wird dagegen im Zusammenhang mit Migration von Konflikten gesprochen, scheint dies anders zu sein, zumal Fluchtursachen eine naheliegende Assoziation sind. Dies rückt die Konfliktperspektive auf Migration in die Nähe des Sesshaftigkeitsparadigmas; vordergründig scheinen die aus ­diesem Kontext stammenden Forschungsergebnisse daher in die hier eingenommene Perspektive nicht integrierbar zu sein. Eine nähere Beschäftigung lohnt dennoch, zum einen, weil eine der wichtigsten Darstellungen der Migrationsbewegungen der griechischen Archaik sich just ­diesem Teilaspekt widmet,277 zum anderen, weil innere Konflikte sich nicht nur als push-Faktoren interpretieren lassen, sondern auch unter dem Gesichtspunkt komplexerer Dynamiken untersucht werden können. Frank Bernstein leitete den Untersuchungsrahmen seiner Monographie Konflikt und Migration nicht aus sozialwissenschaftlichen, sondern aus antiken Konzepten ab, genauer aus uns bei Platon begegnenden Überlegungen zu míasma und katharmós 278 „als religiöse Begründung von Kolonisationszügen“, das heißt, eine Gemeinschaft wird durch das Aussenden einer Gruppe von der „Befleckung gereinigt“.279 Bernstein nutzte diese Konzepte, um sich den rätselhaften ktíseis anzunehmen, hinter deren um einen Gründer komponierten Erzählungen er Spuren politischer Konflikte ausmachen konnte.280 Dabei beschreibt er diese Konflikte als Formen „politisch-sozialer Desintegration“ 281, eine Charakterisierung, die zumindest offen dafür ist, die Auseinandersetzung als komplexen Prozess zu verstehen. Aus unserer theoretischen Perspektive wiederum können ­solche 274 Vgl.

MacDonald/MacDonald (1964) 82. Han (2010) 10 – 12. Die Beweggründe können durchaus vielfältig sein. Beispielsweise kommen Einsamkeit fernab der Heimat oder der Wunsch, soziale Bindungen und Beziehungen dorthin aufrechtzuerhalten, als Motive infrage. 276 Vgl. Haug (2007) 90; vgl. auch Jansen (2006) 26. 277 Bernstein (2004). 278 Neben dem Begriffs καθαρμός, den Platon in der Textstelle verwendet, auf die hier angespielt wird (vgl. Anm. 279), ist καθάρσις der geläufige griechische Terminus für eine religiöse Reinigung. 279 Bernstein (2004) 32 – 42. Vgl. Plat. leg. 5,735a–736e. 280 Vgl. daher zu den ktíseis von Syrakus Bernstein (2004) 45 – 77, Rhegion, ders. (2004) 78 – 123, Kroton, ders. (2004) 124 – 178 und Kyrene, ders. (2004) 171 – 222. 281 Bernstein (2004) 224 u. passim. 275

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politisch-sozialen Desintegrationsprozesse einerseits als Erosion der Ressourcen der Ansässigkeit, andererseits als Dynamiken, die womöglich Ressourcen der Mobilität hervorbringen, analysiert werden.

1.5.5 Operationalisierung Die vorgestellten Konzepte sollen im Folgenden auf die Quellen, die bislang als Belege für die Eignung moderner theoretischer Überlegungen zur Analyse der Antike kurz angeführt wurden, angewandt werden. Der Fokus der gewählten Perspektive liegt dabei nicht darauf, nach migrationsfördernden Faktoren zu suchen und diese zu kategorisieren (wie beispielsweise bei push- und pull-Faktoren 282); stattdessen werden die Ressourcen – sowohl von Ansässigkeit als auch von Mobilität – expliziert und analysiert, aus denen sich eine Fallstruktur ergibt, die der Vielfältigkeit des Phänomens griechischer Migrationen in archaischer Zeit Rechnung trägt und dabei womöglich in der Lage ist, verschiedene einzelne Ansätze in eine Synthese zu bringen. Neben der Frage danach, w ­ elche Ressourcen benötigt wurden, damit Ansässigkeit bzw. Mobilität etabliert oder reproduziert werden konnte, ist es von Interesse, welcher Personenkreis zu bestimmten Ressourcen Zugang hatte und über sie verfügen konnte oder wer unter Umständen ausgeschlossen war, das heißt, wer im Kontext von Ansässigkeit Teilhabe an der Gemeinschaft hatte – im Kontext von Mobilität wer dazu in der Lage war, mobil zu sein. Die Materialität von Ressourcen wird keinesfalls ignoriert; ihre Betrachtung erfolgt indes vermittelt durch den sozialen Prozess ihrer Bewertung und damit das Inwertsetzen materieller Ressourcen. Im Hinblick auf die Frage, ob Migration (und Mobilität) in der griechischen Archaik als selbsterhaltender Prozess kumulativer Verursachung angesehen werden kann (bzw. können), ist es von Interesse, inwieweit Ressourcen, die im Kontext einer bestimmten Mobilitätsform als wertvoll erachtet werden, auch als Ressourcen für andere infrage kommen. Die Ausweitung der Möglichkeiten für Mobilität wird im Zuge dieser Arbeit mit der Konzeptmetapher Bahnen der Mobilität gefasst; analog dazu werden die Ressourcen und Formen der Ansässigkeit als Anker der Ansässigkeit beschrieben. Im nächsten Schritt werden Praktiken und Ressourcen der Ansässigkeit untersucht und anhand zeitgenössischer Quellen herausgearbeitet. In einem daran anschließenden Teil erfolgt dies entsprechend für Formen der Mobilität. Aufbauend auf diesen Ergebnissen richtet sich der Fokus schließlich auf Migrationen, also eine Kombination von Ansässigkeit und Mobilität, wozu Migrationsberichte, die erst in klassischer Zeit oder ­später schriftlich fixiert wurden, unter den Gesichtspunkten der Organisation (Anführer, Zusammensetzung und Rekrutierung), dem Verhältnis zu bereits Ansässigen (sogenannten Indigenen) sowie der späteren Zusiedlung exemplarisch herangezogen werden. 282

Vgl. dazu die Ausführungen in ­diesem Kapitel, 40 – 41.

2.  Anker der Ansässigkeit

Die Konzeptmetapher Anker der Ansässigkeit, die im vorangegangenen Teil eingeführt wurde, fasst soziale Praktiken, Akteure und Ressourcen bezogen auf soziale Einheiten, die an einem Ort ansässig sind, zusammen. Dabei wird ausgehend von den obigen Überlegungen Ansässigkeit als prekär aufgefasst; zu deren Aufrechterhaltung verfolgten Akteure – so die Annahme – Strategien und benötigten materielle wie immaterielle Mittel. Im folgenden Teil wird danach gefragt, auf ­welche Weise diese Ressourcen in sozialen Praktiken eingesetzt wurden. Weil Bewertungen von Ressourcen auch Interpretationen dessen beinhalten, was innerhalb des Feldes als essentiell und was als verzichtbar angesehen wurde, werden primär zeitgenössische Schriftquellen, mitunter flankiert von archäologischen Befunden, herangezogen. Allerdings lassen sich bei dieser Herangehensweise nur Aussagen über die Ansässigkeitsformen, treffen, innerhalb derer die untersuchten Texte entstanden sind. Die Darstellung lässt sich nicht verallgemeinern, sondern ist als dem Überlieferungszufall geschuldeter Ausschnitt einer vielfältigeren Gesamtheit zu verstehen.1 Die politisch-sozialen Organisationsformen, die dabei in den Blick genommen werden, sind heterogen: Neben der Polis, die sich im Verlauf der griechischen Archaik herausgebildet hat,2 und politischen Gebilden, die unter der Bezeichnung éthnos zusammengefasst werden,3 sind vor allem bäuerliche Dorfgemeinschaften typische soziale Einheiten der Ansässigkeit. Seit längerer Zeit wird die Bedeutung von Nachbarschaftsbeziehungen für die griechische Frühzeit starkgemacht.4 Davon ausgehend wird nun eine von Migration geleitete Perspektive eingenommen, die auf die mögliche Erosion von Ansässigkeit, Dynamiken, aus denen Mobilität erwachsen kann, 1

Obgleich ­dieses Problem immer bei der Quellenarbeit auftritt, gewinnt es aufgrund der Überlieferungslage zur archaischen Zeit an Brisanz. 2 Wenn hier von der Polis gesprochen wird, ist dies eine Vereinfachung, da sich hinter dem Begriff durchaus verschiedene politische Gebilde verbergen können. Richtiger wäre es, für die archaische Zeit von Poleis zu sprechen. Vgl. grundlegend bereits Welwei (1998) 7. Hansen/Nielsen (2004) gehen dagegen (in Anlehnung an Ehrenberg) von einer Polis-Idee aus, die es in der griechischen Geschichte gegeben habe und die weitestgehend konstant geblieben sei. Vgl. hierzu die konzise, kritische Besprechung bei Ulf (2011b) 291 – 293. Vgl. zur Herausbildung der Polis im Verlauf der Migrationsbewegungen archaischer Zeit Purcell (1990) passim. 3 Der éthnos bildet keine von dem der Polis oder der Dorfgemeinschaft disjunkte Kategorie. In der antiken Literatur wurde der Begriff für eine Vielzahl politischer Gemeinschaften verwendet. Vgl. dazu grundlegend mit Belegen Funke (1998) 66 – 70; ders. (1993) ­passim; pointiert 36 – 37. 4 Winfried Schmitz hat hierzu eine umfangreiche Monographie vorgelegt und durch weitere Beiträge ergänzt. Schmitz (2004); ders. (2008); ders. (2007); ders. (2014).

Siedlungsgemeinschaften

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und die Wiederherstellung von Ortsgemeinschaften in der Fremde fokussiert. Dieser Zuspitzung zum Trotz wird der Versuch unternommen, darüber hinaus grundlegende Ressourcen zu identifizieren. Damit kann wiederum der Frage nachgegangen werden, inwieweit Ansässigkeit und Mobilität als Vergesellschaftungsformen unter Umständen auf dieselben oder ähnliche Ressourcen angewiesen waren.

2.1 Siedlungsgemeinschaften 2.1.1 (Früh-)archaische Siedlungen und ihre landwirtschaftlichen Grundlagen Die wichtigsten Quellen für die Lebenswelt in der Früharchaik sind die Epen Homers und die Werke und Tage Hesiods, die vor allem im Bauernkalender – wenn auch in dichterischer Brechung – Einblicke in den dörflichen Alltag gewähren. Im Folgenden soll diese Lebenswelt, aus der die Migrationsbewegungen ihren Ausgang nahmen und die so die grundsätzlichen Spielräume für diese Strategie festlegten, skizziert werden, wobei neben diesen beiden wichtigen Schriftquellen auf archäologische Zeugnisse sowie einschlägige Sekundärliteratur zurückgegriffen wird. Die Lebenswelt, die sich aus dem archäologischen Befund rekonstruieren lässt, weist ein ländliches Gepräge auf; große Ansiedlungen spielen keine Rolle: Über 80 % der Siedlungen, die auf das 8. Jahrhundert datiert wurden, waren kleiner als 10 Hektar. Im 7. Jahrhundert hatte sich das Bild gewandelt. Dennoch waren immerhin noch 45 % der Orte kleiner als 10 Hektar, bereits 36 % erreichte eine Größe von bis zu 40 Hek­ tar.5 Hinsichtlich der Bebauung dominierten im 8. Jahrhundert Einzelhaussiedlungen mit losen, im Verband stehenden Häusern und Konglomeratsiedlungen, ein ungeordneter, oft ineinandergeschobener Komplex von Häusern. Ab dem 7. Jahrhundert traten Reihensiedlungen mit nebeneinanderstehenden Häusern auf, die zumeist mit Kommunmauern in eine Richtung orientiert verbaut wurden. Indes dominieren die beiden weniger planvollen Siedlungstypen weiterhin.6 Das sich im archäologischen Befund abzeichnende Bild korrespondiert mit der Welt, die sich aus den Werken Homers und Hesiods erschließt: Das Leben war von Selbstversorgung gekennzeichnet und folgte dem Rhythmus der Jahreszeiten.7 Diese 5 Vgl.

Lang (1996) 56 – 57. dies. (1996) 58 – 60; 72 – 73. Die Zeit zur Ernte wird mit dem ersten Auftauchen der Pleiaden am Sternenhimmel (Mitte Mai) eingeleitet. Vgl. Hes. erg. 383 – 384; 571 – 575; einen weiteren Anhaltspunkt aus der Natur nennt Hesiod Schnecken, die vom Boden die Pflanzen hinaufklettern. Vgl. Hes. erg. 571. Die Zeit zum Dreschen sei dann zwei Monate s­ päter gekommen, wenn der Orion am Nachthimmel sichtbar werde (Ende Juni bis Anfang Juli). Vgl. Hes. erg. 597 – 600. Daneben verbindet Hesiod zahlreiche weitere landwirtschaftliche Tätigkeiten mit natürlichen Markern: das Beschneiden der Rebstöcke (Hes. erg. 564 – 570), Holzfällen (Hes. erg. 414 – 415) oder das Pflügen und Säen (Hes. erg. 448 – 464). ­Mitunter flechtet der

6 Vgl. 7

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bäuerliche Wirtschaftsweise hatte naturräumliche Grundlagen, die es zu gestalten galt, die aber zugleich den Rahmen des Möglichen absteckten. Diese Notwendigkeiten fanden Eingang in die Dichtung. So ist bei Hesiod die Bedeutung von fruchtbarem Boden und anderen natürlichen Ressourcen allgegenwärtig.8 Die Nahrungsmittel zur eigenen Versorgung wurden vor Ort produziert; das machte den Boden, auf dem angebaut werden konnte, zur grundlegenden Notwendigkeit, ohne die der Verbleib an einem Ort kaum möglich war. Für die unteritalischen Siedlungen lassen sich aus archäologischer Perspektive natürliche Gegebenheiten ausmachen, die bei erfolgreichen Gründungen vorhanden waren. Alluvialebenen, die besonders fruchtbar sind, finden sich im Becken von Catania im Osten Siziliens und im Küstengebiet des ionischen Meeres, am Golf von Salerno und um Neapel.9 Auch anderenorts gibt es Beispiele, die auf ähnliches verweisen. Die Fruchtbarkeit des Umlandes von Kyrene war gemeinhin bekannt und fand Eingang in die literarischen Quellen.10 Herodot schreibt großen Teilen des Schwarzmeerraumes ertragreiche Böden zu.11 Geeignete Anbauflächen garantierten den Fortbestand der Siedlung und boten grundsätzlich die Chance auf höhere Versorgungssicherheit. Letztendlich war diese Sicherheit jedoch von politisch-sozialen Faktoren abhängig, wie der Landverteilung, dem Grad an Arbeits-

Dichter aus Askra die verheerenden Folgen ein, die eintreten, wenn die Arbeiten nicht zur rechten Zeit erledigt werden: etwa Hes. erg. 440 – 471. Auch mahnt er zur Sparsamkeit und sorgsamen Vorratshaltung: Hes. erg. 368 – 369; 576 – 577. 8 Vgl. beispielsweise Hes. erg. 109 – 126; 170 – 172; 224 – 236. 9 Vgl. Mertens (2006) 16. 10 So bei Pind. P. 4,5 – 8. ἔνθα ποτὲ χρυσέων Διὸς αἰετων πάρεδος / οὐκ ἀποδάμοῠ Ἀπόλλωνος τυχόντος ἱέρεα / χρῆσεν οἰκιστῆρα Βάττον / καρποφόρου Λιβύας, ἱεράν / νᾶσον ὡς ἤδη λιπὼν κτίσσειεν εὐάρματον / πόλιν ἐν ἀργεννόεντι μαστῷ, – Dort, nah den goldenen Adlern des Zeus, als nicht Apollon fern war, tat kund einst die Seherin, dass Battos, Libyens Siedler, des fruchtbaren Lands, wenn er von der Insel, der heiligen, fort sei, begründen werde eine wagenberühmte Stadt. In Kall. h. 2,65: Φοῖβος καὶ βαθύγειον ἐμὴν πόλιν ἔφρασε Βάττῳ. Vielleicht ist der technische Ausdruck βαθύγειος auf den Einfluss des Werkes Herodots (4,23,1) zurückzuführen, der den Begriff im vierten Buch in einem anderen Kontext (vgl. Anm. 11) verwendet. Allerdings ist nicht abwegig, dass Kallimachos die Darstellung Herodots kannte, da Herodot im selben Buch ausführlich die ktísis Kyrenes behandelt. Vgl. dazu Williams (1978) 63. 11 Hdt. 4,23,1. Diese Zuschreibung ist eingebettet in den Skythen-Logos; die Darstellung der Skythen erfolgt in Abstufungen, von den Ἕλλενες Σκύθαι und den Ἀλιζῶνες, die beide Ackerbau betreiben, über die – wie der Name schon sagt – ebenfalls Ackerbau treibenden γεωργοὶ Σκύθαι, die νομάδες Σκύθαι immer ‚wilder‘ werdend hin zu den βασίλειοι Σκύθαι. Das Land, das diese verschiedenen Skythen bewohnten, bezeichnet Herodot als βαθύγειος. Es ist nicht auszuschließen, dass Herodot die geographischen Gegebenheiten seiner Darstellung der Skythen anpasst. Denn er zeichnet sie als immer wilder, je weiter sie von den Griechen entfernt leben. Land und Menschen sind bei Herodot zusammengedacht. Ein bestimmtes Land bringt einen bestimmten Typ Mensch hervor. Vgl. auch Kapitel 3.2.3 Gastfreundschaft, 182 – 194.

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teiligkeit oder der Organisation wechselseitiger Hilfeleistung in einer Notlage.12 Ein Mindestmaß an Land blieb überlebenswichtig; indes gab es Fälle, in denen auf nicht gerade fruchtbarem Boden gesiedelt wurde, der zwar zur Deckung des grundlegenden Bedarfs ausreichend war, dessen Bewirtschaftung aber keine allzu großen Überschüsse versprach.13 Land war folglich in der Periode der Archaik eine Voraussetzung für die Anlage einer Siedlung und deren Fortbestand, obschon dies nicht mit dem Grund für ihre Errichtung gleichzusetzen ist. Neben Acker- und Weideland gab es andere notwendige physische Ressourcen: So war ein hinreichendes Reservoir an Süßwasser unentbehrlich. Bei Hesiod ist dies so selbstverständlich, dass es nicht eigens erwähnt werden muss. Siedlungsarchäologisch lassen sich für die Frühzeit einfache eingefasste Brunnen nachweisen. Ab der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts entstanden öffentliche Brunnenhäuser.14 Zumindest für spätere Epochen sind Bewertungen der Ressource Wasser greifbar, die auf ältere, religiöse Traditionen zurückgehen, also eine Bewertung aus archaischer Zeit in sich tragen könnten. Sprudelnde Quellen fanden vielfach Eingang in literarische Zeugnisse rund um Gründungen, nicht selten in Verbindung mit religiösen Festen und zum Teil auch baulich kombiniert mit Erinnerungsorten, die jeweils auf die Gründung Bezug nehmen.15 12

Hierauf wird im folgenden Kapitel genauer eingegangen. Starr (1977) 40. 14 Lang (1996) 119. 15 Mehrere Gründungstraditionen sind um das lebensspendende Wasser herum komponiert. In der reichen ktísis Kyrenes ist die Quelle des Apollon (κρήνη Ἀπόλλενος) das Charakteristikum des Platzes, an dem die apoikía angelegt wurde. Hdt. 4,158,3: ἀγαγόντες δέ σφεας ἐπὶ κρήνην λεγομένην εἶναι Ἀπόλλωνος εἶπαν· Ἄνδρες Ἕλληνες, ἐνθαῦτα ὑμῖν ἐπιτήδεον οἰκέειν· ἐνθαῦτα γὰρ ὁ οὐρανὸς τέτρηται. – Sie geleiteten sie dann an eine Quelle, die dem Apollon heilig sein soll, und sprachen: „Griechen, hier ist die rechte Stelle für die Gründung eurer Stadt; denn hier steht der Himmel offen.“ Vgl. auch Pind. P. 4,293. Sie entsprang etwa 50 Meter entfernt vom heiligen Bezirk am Fuße eines Hügels (vgl. Cingano et al. (1995) 509), lag also prominent im Zentrum der Stadt und fungierte als Erinnerungsort, spätestens als Kallimachos in seinem Apollonhymnos Etymologien des Namens seiner Heimatstadt spielerisch miteinander verwob (Kall. h. 2,88 – 90 mit Williams (1978) 77); eine hiervon ist die Benennung nach der Quelle Kyre (πηγή Κύρη). Die einzelnen literarischen Umsetzungen der Gründungstradition Kyrenes mögen teilweise andere Schwerpunkte setzen, doch sind sie um die Quelle als Fixpunkt der Erinnerung komponiert, wobei diese religiös konnotiert ist, zumal es sich um die heilige Quelle des Stadtgottes Apollon handelt. Der Gott wurde in Kyrene in seiner Eigenschaft als Städtegründer, Ἀπόλλων ἀρχαγέτας, verehrt. Pind. P. 5,60 – 62: ὁ δ’ ἀρχαγέτας ἔδωκ’ Ἀπόλλων / θῆρας αἰνῷ φόβῳ, / ὄφρα μὴ ταμίᾳ Κυράνας ἀτελὴς γένοιτο μαντεύμασιν. – Der stadtgründende Herr Apollon schuf den Tieren gräßliche Furcht, dass dem Hüter Kyrenes er nicht unerfüllt sein ließe der Weissagung Spruch. Quellen sind an sich herausragende Orte und wurden oft zu Kultplätzen, wie Höhlen, Haine, ausfällige Felsformationen, Schluchten, Wälder oder Stellen, an denen es zu Blitzeinschlag gekommen war. Malkin (1987) 141 – 142. 13

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Neben Wasser werden andere naturräumliche Gegebenheiten als für eine Siedlung wünschenswert eingestuft. Hesiod beschreibt im Bild der gedeihenden Stadt in der Díkē-Passage den Reichtum an natürlichen Ressourcen, der diese Stadt umgibt. Neben dem fruchtbaren Boden, der die Menschen ernährt, nennt er Honig, Eicheln (also Viehfutter) und Weideland.16 Das sorglose Leben des goldenen Geschlechtes ist neben seiner Freiheit von Übeln (wie Krankheit oder Hunger) gekennzeichnet durch Reichtum an Land und Herden, genauso, wie die Insel der Seligen allem voran einen besonders fruchtbaren Boden aufweist.17 Wasser, Nahrung und Güter des alltäglichen Bedarfs, wie Holz und Lehm als Baustoffe oder auch Rohstoffe für Kleidung, mussten vorhanden sein, wenn nicht in Gänze, dann doch größtenteils. Das technische Potential ermöglichte keinesfalls Wassertransport über größere Entfernungen. Wasserleitungen finden sich erst sehr spät.18 Auch Nahrungsmittel wurden in der Regel selbst produziert, wenngleich Hesiod, da er die Autarkie zum Ideal stilisiert, als Quelle hierzu nicht unproblematisch 16

Hes. erg. 232 – 234: Τοῖσι φέρει μὲν γαῖα πολὺν βίον, οὔρεσι δὲ δρῦς / ἄκρη μέν τε φέρει βαλάνους, μέσση δὲ μελίσσας· / εἰροπόκοι δ’ ὄιες μαλλοῖς καταβεβρίθασι· – Ihnen spendet die Erde reichen Ertrag; im Bergland aber trägt ihnen die Eiche Früchte in der Krone, Bienen im Stamm, und ihre Wollschafe gehen scher unter lastendem Vlies. 17 Hes. erg. 115 – 120; 170 – 173. Das Weideland ist abgeleitet von dem Reichtum an Schafen (μῆλα), die in Vers 120 genannt sind. Der Text wird indes von vielen Herausgebern nicht für ursprünglich gehalten. Das gilt allerdings nur für Vers 120, nicht für die Passage zur gerechten Stadt. In der Retrospektive findet sich eine s­ olche Bewertung in der Umschreibung eines Siedlungsplatzes wieder: Hdt. 4,144,1 – 3 berichtet von Byzantion und Chalkedon im Rahmen eines Bonmots, das der persische Heerführer Megabazos zum Besten gegeben habe. Nachdem dieser von den Byzantinern gehört habe, dass das auf der anderen Seite des Bosporos gelegne Chalkedon 17 Jahre zuvor gegründet worden war, habe er gesagt, die Chalkedonier müssen blind gewesen sein, hätten sie doch, den besseren Siedlungsplatzlatz vor Augen, den schlechteren gewählt. Bei Strab. 7,6,2 wird das Ganze konkretisiert in einer ktísis. Dort ist es kein persischer Feldherr, der von Blinden spricht, sondern das delphische Orakel, das den Megarern in der üblich verwirrenden Manier den Ort für ihre Gründung kundgetan haben soll. Strabon rationalisiert diese Geschichte mit dem Fischreichtum vor den Ufern Byzantions, mit dem Chalkedon in keiner Weise gesegnet sei. Es erscheint plausibel, dass sich die Tradition um die Gründung Byzantions in den Jahren immer weiter ausformte und sich Spötteleien irgendwann zu einem Orakelspruch formten, da Herodot nichts von dieser Gründungsgeschichte zu wissen scheint und so möglicherweise stattdessen einen anderen Ursprung für die Anekdote wählt. Dagegen spricht allerdings der Kontext, in dem der Ausspruch überliefert ist: Herodot berichtet ja nicht allein von dem geographischen Gebiet, sondern auch von dem dort operierenden Megabazos. Die Bewertung natürlicher Rohstoffe könnte aber der Kern sein, um den spätere Legenden gesponnen wurden. Dies lässt sich freilich nicht mehr nachzeichnen. Doch sollte davon ausgegangen werden, dass auch andere Versorgungsgrundlagen als fruchtbarer Boden gesucht und genutzt wurden, um eine Ansiedlung möglich zu machen. 18 Lang (1996) 119 – 120.

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ist.19 Belastbare Aussagen über die tatsächliche Verbreitung von ­Subsistenzwirtschaft, der Häufung von Hungerkrisen oder gar über Demographie zu treffen, gestaltet sich schwierig und die Interpretationen gehen desto weiter auseinander, je mehr ins Detail gegangen wird.20 Trotz aller Kritik an Hesiods Propagieren des Ideals der Autarkie ist es unwahrscheinlich, dass das Bild seiner Lebenswelt dadurch bis zur Unkenntlichkeit verzerrt ist, denn dies dürfte dem Ziel des Dichters kaum dienlich gewesen sein. So darf davon ausgegangen werden, dass grundlegende Werkzeuge selbst gefertigt wurden. Für alles Weitere gab es spezialisierte Handwerker, die er nicht unterschlägt, deren Rolle aber etwas größer gewesen sein dürfte als jene, die ihnen in den Werken und Tagen zukommt.21 Das Gros der Ressourcen eines oíkos dürfte für die Selbstversorgung aufgewandt worden sein, wobei mit steigender Tendenz Überschüsse erwirtschaftet wurden.22 Insgesamt lässt sich für die archaische Zeit für das griechische Festland, die Ägäis und Ionien mit Ausnahme Kretas ein kontinuierlicher Anstieg der Siedlungen ausmachen.23 Im 8. Jahrhundert setzte in vielen Bereichen ein merkliches Wachstum 19

So die Kritik bei Osborne (2013) 298. Nach wie vor wichtige Studien stellen Morris (1987) und Garnsey (1993) dar. Während sich Morris auf Athen fokussiert und die Unterschiede z­ wischen historischen Perioden herausarbeitet, ist die von Garnsey gewählte Perspektive sehr weit: Es kommt dabei gar zu Sprüngen z­ wischen archaischer Zeit und der Spätantike. Eine s­olche Juxtaposition verschiedenster Quellen aus unterschiedlichen historischen Kontexten ist methodisch problematisch, wie Hall (2014) 1 – 8 am Beispiel des Lelantinischen Krieges eindrücklich gezeigt hat, indem er ihn im ersten Schritt durch eine s­ olche Beweisaufnahme konstruierte und im zweiten wieder dekonstruierte. Eine vermeintliche Dürre in Attika während des 8. Jahrhunderts, die McKesson Camp (1979) 397 – 399 u. passim festgestellt haben will, illustriert das grundlegende Dilemma: Die Zunahme von Brunnen und Gräbern sei Ausdruck dieser Dürre, deren Folgen Hunger und v. a. Seuchen gewesen ­seien, was wiederum zu Kolonisation geführt habe. Vgl. ders. (1979) 405 – 407. Doch nahmen Gräber und Brunnen im Verlauf der archaischen Zeit in Attika kontinuierlich zu. Vgl. Morris (1987) 72 – 74. Angesichts des stetigen Anstieges ist es kaum gerechtfertigt, von einer Dürre auszugehen. Vgl. Lang (1996) 125 – 126. Vgl. dazu auch Kapitel 2.1.3 Bedrohung durch Wandel – neue Chancen, 85 – 90 und 2.3. Eine Perspektive auf Hungersnöte und ‚Bevölkerungsüberschuss‘, 135 – 154. 21 Vgl. dazu Kapitel 2.1.3 Bedrohung durch Wandel – neue Chancen, 85 – 90. 22 Quantifizierungen gestalten sich hier diffizil. Schätzungen orientieren sich an Texten wie Hesiods Erga, archäologischen Befunden und manchmal an Analogien zu besser dokumentierten Vergleichsfällen, sodass Interpretationsspielraum bleibt. Vgl. für eine neuere Übersicht Stein-Hölkeskamp (2015) 158 – 170. 23 Lang (1996) 16 – 19 zählt in ihrer Studie für die geometrische Zeit gerade einmal 78 Plätze, in archaischer bereits 148 und in klassischer dann 248. Bei den Nekropolen ist die Zunahme moderater, aber mit 101 in geometrischer, 144 in archaischer und 169 in klassischer Zeit ebenfalls deutlich. Bei Heiligtümern hingegen ist ein dramatischer Anstieg von geometrischer zu archaischer Zeit von 66 auf 157 zu verzeichnen. Diese Zahlen veranschaulichen lediglich einen Trend, da der Untersuchungsraum und die Auswahlkriterien 20

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ein, das um 700 noch einmal erheblich an Fahrt aufnahm 24 und analog zu den hier untersuchten Migrationsprozessen verläuft. Auch Werkstätten können mit steigender Tendenz nachgewiesen werden. So gab es in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts metallverarbeitende Werkstätten in Zagora, Argos, Eretria und Athen. Für Torone, Athen und Prinias stellen wir für diesen Zeitraum Töpferwerkstätten fest, für Korinth und Lato ab dem 7. Jahrhundert. In Kalabaktepe, Eretria und wohl auch Klazomenai sind etwa ab dem Ende des 7. bis zum Anfang des 6. Jahrhunderts Töpferwerkstätten belegt. Metallwerkstätten finden sich für das 7. Jahrhundert in Korinth, ab dem Ende des 7. Jahrhunderts in Pherai, Smyrna, Milet und Kalabaktepe. Für Argos sind ab Ende des 8. Jahrhunderts Färberwerkstätten nachzuweisen, für Korinth ab dem 6. Jahrhundert.25 Das Bild, das sich zeigt, widerspricht dem Hesiods nicht vollends. Umfang und Verbreitung der Werkstätten lassen aber eine etwas größere Ausbreitung spezialisierten Handwerks schon in der Früharchaik vermuten, die in der Tendenz mit fortschreitender Urbanisierung und Vernetzung des Mittelmeerraumes stetig zunahm, vor allem in den größeren Zentren, wohingegen die Welt abseits dieser Zentren und im Hinterland lange bäuerlich geprägt war. Es lässt sich also rekapitulieren: Dichtung und archäologischer Befund verweisen für die Früharchaik auf eine tendenziell kleinräumige, agrarisch geprägte Lebenswelt. Hesiod misst landwirtschaftlichen Erzeugnissen, wie Getreide und Wolle, oder Rohstoffen, die in der Natur gesammelt werden können, etwa Honig oder Eicheln, besonders großen Wert bei. In Kombination mit dem archäologischen Befund lässt dies auf eine Produktion schließen, die keine allzu großen Erträge generierte. Wenn wir annehmen, dass Akteure Überschüsse benötigten, um die Form der Ansässigkeit zu verändern, oder eine soziale Einheit, die im geographischen Raum mobil ist, zu formieren, kann dies als ein die Handlungsspielräume einschränkendes Element betrachtet werden. Mit dem Anwachsen von Siedlungen dürfte eine Erweiterung dieser Spielräume einhergegangen sein.

2.1.2 Oíkos und geitonía Der oíkos erscheint in der archaischen Dichtung und in späteren Quellen (beispielsweise bei Platon, Xenophon oder Aristoteles) als grundlegende Einheit landwirtschaftlicher Produktion und nimmt daher eine Schlüsselrolle bei der Organisation und Aufrechterhaltung von Ansässigkeit ein. Der Begriff umreißt einen Haushalt, der die Familie, Sklaven, Gebäude, Land, Gerätschaften und andere P ­ roduktionsmittel,

nicht alle bekannten Poleis erfassen. So listen Hansen/Nielsen (2004) 1328 – 1334 für das Jahr 400 und davor 868 Gemeinwesen dieser Art. 24 Osborne (2013) 300. 25 Lang (1996) 136.

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also die Hausgemeinschaft 26 und ihre materiellen Grundlagen, einschloss.27 Von den schriftlichen Zeugnissen aus archaischer Zeit findet sich die prominenteste und wichtigste Konzeption ­dieses Familienverbandes bei Hesiod, dessen Ratschläge sich mit seinem Bruder Perses, an den Hausvorstand eines solchen Verbandes richten.28 Dieser Hausvorstand verfügte demnach über Land, Geräte, Vorräte sowie die dem oíkos angehörenden Personen und deren Arbeitskraft. Er fällte die grundlegenden Entscheidungen, teilte die Aufgaben zu und gab den Rahmen vor, in dem Frau, Kinder und Sklaven 29 selbständig zu agieren vermochten. Daneben konnten dem oíkos auch Freie angehören, die ihre Arbeitskraft als Knechte und Mägde einbrachten. Diese thḗtes, ein Begriff, den bereits Homer und Hesiod verwendeten, waren, wenn nicht in rechtlicher, so doch in wirtschaftlicher Hinsicht abhängig.30 Der Hausgewalt waren die (legitimen) Kinder gleichermaßen unterworfen. Wenn sie auch keine festgelegten Pflichten hatten, waren sie doch keine selbständigen Akteure. 26

Schmitz (2007) 9 führt den Begriff der Hausgemeinschaft ein, um Verwirrungen mit einem modernen Familienbegriff, insbesondere dem der bürgerlichen Kleinfamilie, zu vermeiden. 27 Hierbei handelt es sich um einen Terminus, der sich aus der wissenschaftlichen Diskussion heraus entwickelte. Der antike Begriff hat in der jeweiligen Verwendung verschiedene Facetten (d. h., mit οἶκος kann z. B. auch ein Haus als Gebäude bezeichnet sein). Der Begriff oíkos ist an die Definition Aristot. pol. 1,1,1252a–4,1254a angelehnt. Vgl. hierzu Osborne/Thür (2000) 1134. 28 Die Verwandtschaftsbeziehung ­zwischen dem Dichter und Perses – sei sie nun authentisch oder dichterische Fiktion – ist belastet, da sich Hesiod um ebenjenen oíkos betrogen sieht. 29 Sklaven, die quellensprachlich als δμῶες bezeichnet werden, gab es nicht in jedem oíkos. Bei ihnen handelte es sich sowohl um Männer als auch um Frauen. (Hes. erg. 405 – 406.) Sie lebten in auf dem Land verteilten Hütten (καλιαί, vgl. Hes. erg. 502 – 503), in denen sie selbst Mahlzeiten zubereiteten, aus den Grundnahrungsmitteln, die ihnen einmal am Monatsende zugeteilt (Hes. erg. 766 – 777; auch: 559) wurden. Die Sklaven wurden von ihrem Herrn angeleitet und überprüft (Hes. erg. 766 – 777) und erledigten eine Vielzahl von Arbeiten, wie das Ernten (Hes. erg. 572 – 574), das Dreschen des Korns (Hes. erg. 597 – 598), das Sähen und Pflügen (Hes. erg. 441 – 445; 458 – 461; 469 – 471) oder das Hüten des Viehs. Wo dies möglich war, teilte sie der Herr nach ihrer körperlichen und geistigen Eignung für Arbeiten ein (Hes. erg. 441 – 447; 469 – 471). V. a. in größeren Haushalten gab es Sklaven, die ihren Herren sehr nahestanden. Sie begleiteten den Herrn über lange Zeit hinweg und umsorgten ihn. Vgl. etwa in Hom. Od. 1,428 – 433 Eurykleia und den Odysseusvater Laertes. Den Sklaven bot sich die Perspektive, von ihrem Herrn freigelassen zu werden und, mit Besitz ausgestattet, ein selbstbestimmtes Leben als Freie zu führen. Vgl. etwa Hom. Od. 21,214 – 216. Doch all diese Vertrautheit kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass Sklaven ihren Herren auf Gedeih und Verderb ausgeliefert waren und jene die Möglichkeit hatten, über das Leben der Sklaven und alles darin frei zu verfügen. Vgl. hierzu Schumacher (2001) 34 – 43; Schmitz (2007) 15.; ders. (2014) 17. 30 Bei Solon wird s­ päter unter ­diesem Namen die unterste ‚Besitzklasse‘ Athens definiert. Anders als bei seinen Sklaven hatte der Herr über einen oíkos kein unmittelbares wirtschaftliches Interesse, für den Unterhalt der thḗtes, die sich bei ihm verdingten, zu sorgen. Gab es keine Arbeit, so gab es keinen Lohn und mitunter kein Brot.

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Zunächst galt es in erster Linie, sie zu versorgen;31 und auch wenn Kinder mit ihrer Arbeitskraft zu ihrem Lebensunterhalt beitrugen, stellten sie eine Investition in die Zukunft dar. Sie würden einst den Unterhalt für ihre altgewordenen Eltern bereitstellen, eine herrschende Norm, gegen die mitunter verstoßen wurde, sodass sie bekräftigt werden musste.32 Die legitimen Söhne erbten den oíkos des Vaters; gab es mehrere legitime Söhne, wurde das Erbe aufgeteilt.33 Eine Übergabe des Hofes zu Lebzeiten des Hausvaters scheint üblich gewesen zu sein, wobei der Familienvater die Hausgewalt an seinen Sohn übergab und sich auf sein Altenteil zurückzog,34 das je nach Größe des Haushaltes aus einem eigenständigen Haus oder auch nur einer Unterbringung und Verpflegung bestehen konnte.35 Ein Streit um das Erbe war hier jedoch nicht ausgeschlossen, da von den Normen der Erbteilung abgewichen werden konnte. Ein Hof ließ sich nicht in unendlich viele Teile spalten, sollten sie einer mehrköpfigen Familie ein Auskommen ermöglichen. So konnte es attraktiv sein, den Erbteil nicht in Form von Land, sondern mobileren Werten zu erhalten. Das Münzwesen existierte in der Früharchaik noch nicht und es findet sich in den frühen Epen kein Hinweis auf Geld.36 Indes gab es ein System, innerhalb dessen materieller Austausch über weite Entfernungen erfolgte, und damit sind auch Möglichkeiten denkbar, Besitz in einer mobileren Form zu erhalten als in der von Land und den anderen Produktionsmitteln einer bäuerlichen Existenz.37 Mit Unterstützung der Familie konnte auf bestehenden Bahnen der Mobilität ein anderer Lebensunterhalt gesucht werden, sofern ein großer 31

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Vgl. Hes. erg. 397 – 400; 464. Hes. erg. 186 – 187. Der Kontext ist hier aber eine maximale Verrohung der Zustände. Bei Sol. nom. F55a = Aristoph. av. 1353; F55b = Liban. or. 11,14; F55c = Ael. nat. 9,1 könnte es sich um eine ­solche Bekräftigung handeln, so die Fragmente authentisch sind, deren Echtheit bei Ruschenbusch/Bringmann (2014) 124 aus anderen Fragmenten mehr abgeleitet denn belegt wird. Vgl. nur den die Werke und Tage durchziehenden Bruderzwist oder die solonische Gesetzgebung, die Klarheit im Erbrecht schaffte. Vgl. zur Erbteilung auch Schmitz (2007) 10 – 12. Ein potentiell konfliktreicher Vorgang. Vgl. ders. (2007) 10 – 11. So hat Laertes am Hofe eines basileús offenbar ein eigenes Haus, Land, Vieh und eine Magd. Das ist ein Bild ebenjener besitzenden Elite. Dementsprechend dürfte es bei einfachen Bauern bescheidener zugegangen sein. Χρήματα, ein Begriff, mit dem in späterer Zeit auch monetärer Reichtum umrissen wird, hat im frühen Epos die Bedeutung von Gütern im Allgemeinen. Auf sogenannte vorgeldliche Wertsysteme wird in den Kapiteln 3.3.2 Händler im frühen Epos, 208 – 217 und 3.4.5.5 Die Entstehung der Münze, 251 – 252 eingegangen. Zwar waren diese Wege, einen Erben auszuzahlen, umständlicher als gemünztes Geld, doch dürften sie sich als gangbar erwiesen haben, sofern der Haushalt sie aufbringen konnte. Eine Rüstung, Reiseproviant oder Tauschobjekte konnten bereitgestellt, Schiffspassagen organisiert werden. Solche Strategien mehr oder minder wohlhabender Hausgemeinschaften sind damit denkbar, indes findet sich in den Quellen hierzu nur wenig. Mangels Grundlage lohnt es also nicht, diesen Gedanken allzu weit zu spinnen.

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Überschuss auf einmal abrufen werden konnte. Als eine ressourcenschonende Alternative mutet es dagegen an, dass überzählige Söhne im oíkos verblieben, eventuell auf eine Heirat verzichteten und sich der Hausgewalt des Bruders unterordneten, wodurch wiederum Arbeitskraft und Überschüsse erhalten worden wären. Frauen erscheinen in den Werken und Tagen nicht als Akteure, sondern als Personen innerhalb eines oíkos, die vom Hausvorstand versorgt 38 werden mussten und einen klar umrissenen Aufgabenbereich hatten. Neben dem Gebären 39 waren dies häusliche Tätigkeiten wie das häufig genannte Weben 40. Sie verrichteten aber vermutlich auch Arbeiten auf dem Feld.41 Hesiod rät dazu, eine Ehefrau nach pragmatischen Gesichtspunkten zu wählen und sich nicht von der Leidenschaft leiten zu lassen.42 Frauen wurden in der Regel aus der Gemeinschaft geheiratet,43 was gewisse Vorteile mit sich brachte: Brautgaben blieben vor Ort; obendrein wurden auch durch das wechselseitige Verheiraten der Söhne und Töchter die nachbarschaftlichen 38

Vgl. Hes. erg. 399. Vgl. Hes. erg. 235. 40 Vgl. Hes. erg. 779. 41 Hes. erg. 406 legt dies nahe. Allerdings sind Zweifel an der Authentizität der Stelle aufgekommen. Vers 406 besagt, dass eine Frau gekauft werden solle und nicht geheiratet – im Wortlaut: κτητήν, οὐ γαμετήν, ἥτις καὶ βουσὶν ἕποιτο. In d ­ iesem Kontext würde es folglich in Vers 405 um eine Magd gehen. Würde Vers 405 aber ausgelassen, müsste γυναῖκα als Ehefrau aufgefasst werden. Aristoteles scheint Vers 405 zweimal so zu verstehen, wenn er ihn zitiert (Aristot. pol. 1,2,1252 b11; Aristot. oec. 1343 a20 – 21). In Pap. Mus. Berol. 21107 (Π38 in der Edition von Merkelbach und West) kommt der Vers nicht vor. Timaios von Tauromenion scheint den Vers indes zu kennen und amüsiert sich über Aristoteles, dieser habe sich an den Ratschlag Hesiods gehalten, weil er nach dem Tode seiner Frau mit Herphyllis, einer Sklavin, zusammengelebt und einen gemeinsamen Sohn gehabt habe. Vgl. Timaios FGrH 566 F157 = Schol. Hes. erg. 405 – 406. Es stellt sich die Frage, ob Aristoteles die Zeile unbekannt war oder ob er sie sogar unterschlägt, um Vers 405 in seine Argumentation einzupassen; als dritte Möglichkeit schließlich steht ein banales Versehen im Raum. Jede dieser Varianten ist erwägenswert. Indes erscheint es mir wenig plausibel, dass Vers 406 in keinem einzigen antiken Manuskript vorhanden war, wie West (1978) 260 aus dem Fehlen des Verses in Pap. Mus. Berol. 21107 und der Nichtnennung bei Aristoteles schließt. Ähnlich bereits Schumacher (2001) 92. 42 Vgl. Hes. erg. 405 – 406; 694 – 704. Darüber hinaus wird Hesiod häufig als Frauenverächter bezeichnet. Vgl. Canevaro (2013) 187. Pointierte Aussagen wie Hes. erg. 373 – 375 lassen diesen Schluss scheinbar zu: Μηδὲ γυνή σε νόον πυγοστόλος ἐξαπατάτω / αἱμύλα κωτίλλουσα, τεὴν διφῶσα καλιήν· / ὃς δὲ γυναικὶ πέποιθε, πέποιθ’ ὅ γε φιλήτῃσιν. – Lass dir auch nicht den Sinn vom süßen Geschwätz eines sterzwedelnden Weibes, die auf das Deine aus ist, betören, denn wer einer Frau traut, der traut auch Dieben. Allerdings sind Aussagen wie diese nicht außergewöhnlich, zumal sie auch bei den frühen Lyrikern zu finden sind (vgl. Schmitz (2004) 61), sodass die negative Konzeption der Frau aus ihrer Stellung heraus begründet ist, die sie tatsächlich in der Lebenswelt Hesiods innehatte, also eben nicht einer persönlichen Abneigung des Dichters erwuchs. 43 Vgl. Hes. erg. 700. 39

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­ eziehungen intensiviert. Die Folge war, dass Familien innerhalb einer DorfgemeinB schaft durch Verschwägerung eng miteinander verbunden waren. Die tägliche Realität der Produktionsweise verwies jeden Einzelnen auf einen Platz innerhalb des oíkos, der wiederum wie auch die Familie in eine Gemeinschaft aus oíkoi eingebettet war. Diese Einbettung stützte sich auf Verschwägerung, aber nicht ausschließlich. Nachbarschaftsbeziehungen waren zumindest gleich wichtig, wenn nicht sogar bedeutsamer. Der oíkos bildete ein festes Gefüge, das einerseits die Allokation agrarischer Ressourcen ermöglichte, andererseits den Einzelnen an die Gemeinschaft und mit ihr an den Ort band.44 Die einzelnen oíkoi wiederum waren, wie die folgenden beiden Abschnitte zeigen werden, Teil eines größeren Gefüges, das einer Entropie zunächst einmal entgegenwirkte. Dennoch war es, wie bereits angedeutet, nicht an allen Stellen gleichermaßen stabil. In den Werken und Tagen betont Hesiod immer wieder, wie wichtig gute nachbarschaftliche Beziehungen sind. Πῆμα κακὸς γείτων, ὅσσον τ’ ἀγαθὸς μέγ’ ὄνειαρ·45 Wenn er die zu Hilfe eilenden Nachbarn den weniger engagierten Verwandten gegenüberstellt, bezieht er sich vermutlich auf alle Ansässigen,46 das heißt, die Sozialbeziehung besteht 44

Diese migrationshemmende Wirkung liegt indes nicht allein im Ackerbau begründet, sondern im spezifischen historisch-sozialen Gefüge. Ackerbau selbst mündet nicht zwangsläufig in eine bestimmte Sozialstruktur, vielmehr sind nahezu unendlich viele weitere denkbar, wie teilweiser Nomadismus, andere Eigentumskonstellationen bis hin zum Verzicht auf persönliches Eigentum. 45 Hes. erg. 345: Ein böser Nachbar ist eine Plage, so sehr wie ein guter Glück bringt. 46 Hes. erg. 343 – 3 45: Τὸν δὲ μάλιστα (sc. ἐπὶ δαῖτα) καλεῖν ὅστις σέθεν ἐγγύθι ναίει· / εἰ γάρ τοι καὶ χρῆμ’ ἐγκώμιον ἄλλο γένηται, / γείτονες ἄζωστοι ἔκιον, ζώσαντο δὲ πηοί. – Wer Dein Freund ist, den lade zum Mahl, beim Feind unterlass es; den aber lade von allen, der in deiner Nähe wohnt. Stößt dir nämlich ein Unglück zu, rennen die Nachbarn ungegürtet herbei, während die Vettern sich erst lang gürten. Hesiod spricht hier von Nachbarn im Plural und nicht von einem einzelnen Nachbarn. Dies ließe sich noch damit erklären, dass Hesiod eine allgemeine Aussage treffen, also die Nachbarn (γείτονες) als ­solche den Verwandten (πηοί) gegenüberstellen möchte. Damit könnten mit γείτονες lediglich diejenigen, die in unmittelbarer Nähe wohnen und mit dem in Not geratenen oíkos vielleicht durch Freundschaft verbunden sind, gemeint sein, nicht die gesamte Gemeinschaft eines Dorfes. Allerdings sprechen philologische Argumente dafür, dass Nachbarn als Gruppe gemeint sind. Die Notlage (χρῆμα), zu deren Abwendung die Nachbarn ungegürtet herbeieilen, wird mit ἐγκώμιον spezifiziert, womit der Bezug zum Dorf (κώμη) hergestellt ist. Χρῆμα ἐγκώμιον bezeichnet also eine Notlage im Dorf, zu der die Nachbarn eilen. Die Lesart ἐγκώμιον ist allerdings nicht die einzige überlieferte Variante. In allen mittelalterlichen Codices und dem Etymologicum Genuinum wird ἐγχώριον überliefert (vgl. Schmitz (2004) 54), das die Notlage auf das Land, die χώρα, bezieht. Dies würde nicht ausschließen, dass das gesamte Dorf zur Hilfe eilt, aber es auch nicht direkt nahelegen wie ἐγκώμιον. WEST (1978) 243 entscheidet sich aus inhaltlichen Gründen für ἐγχώριον, um das Unheil mit dem Hof als Unheil eines einzigen zu verknüpfen: „The variant ἐγκώμιον ‚in the village‘ is unsuitable, it is a private emergency not a public one.“ Allerdings findet sich ἐγκώμιον in den älteren Überlieferungen, im Papyrus Michigan inv. 6828 aus dem 1. Jahrhundert

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nicht nur zu einem einzelnen Nachbarn, sondern zur Gesamtheit der Nachbarn und damit zu einer Gemeinschaft. In den Werken und Tagen formuliert der Dichter nun folgende Norm: Τὸν φιλέοντα φιλεῖν, καὶ τῷ προσιόντι προσεῖναι. / καὶ δόμεν ὅς κεν δῷ καὶ μὴ δόμεν ὅς κεν μὴ δῷ·47 Diese hier geforderte reziproke Austauschbeziehung barg mehrere Vorteile: Güter konnten zu demjenigen gelangen, der sie akut benötigte. Neben einem effizienteren Ressourceneinsatz wurde durch den Gabentausch eine Sozialbeziehung gestiftet oder intensiviert, denn der Geber konnte nun noch mehr davon ausgehen, dass der Nachbar, dem er einst geholfen hatte, ihm in einer ähnlichen Notsituation ebenfalls helfen wird. Δώτῃ μέν τις ἔδωκεν, ἀδώτῃ δ’ οὔ τις ἔδωκεν·48 Darüber hinaus konnten Geber und Empfänger sich in ganz unterschiedlichen Situationen aufeinander verlassen. Dabei musste die Hilfe nicht in Form von Gaben erfolgen, sondern konnte auch aus gegenseitigen Hilfeleistungen bestehen.49 Diese durch den Gabentausch und wechselseitige Hilfeleistung entstandene soziale Ressource schuf Sicherheit; sie lief aber auch Gefahr, zu erodieren, wenn sich nicht alle Nachbarn an die Reziprozitätsnorm 50 hielten. Hesiod warnt explizit davor, die Hilfsbereitschaft auszunutzen. Μὴ κακὰ κερδαίνειν· κακὰ κέρδεα ἶσ’ ἄτῃσι. […] δώτῃ μέν τις ἔδωκεν, ἀδώτῃ δ’ οὔ τις ἔδωκεν· ὃς μὲν γάρ κεν ἀνὴρ ἐθέλων, ὅ γε καὶ μέγα, δώῃ, χαίρει τῷ δώρῳ καὶ τέρπεται ὃν κατὰ θυμόν· ὃς δέ κεν αὐτὸς ἕληται ἀναιδείηφι πιθήσας, καί τε σμικρὸν ἐόν, τό γ’ ἐπάχνωσεν φίλον ἦτορ.51 u. Z., im Kommentar des Proklos und bei Stephanos von Byzanz. Wests Präferenz für die in den jüngeren Handschriften überlieferte Variante basieren auf einem Vorverständnis (vgl. ebd.), oder genauer, auf einer an den Text herangetragenen Vorstellung. Vom Text her hängt die Frage, ob das Unheil das gesamte Dorf betrifft oder ob die Möglichkeit, dass das Unglück als Einzelschicksal konzipiert wurde, davon ab, welcher Lesart der Vorzug gegeben wird. Den älteren Zeugnissen den Vorzug zu geben ist, grundsätzlich naheliegender, zumal dem hier keine triftigen Gründe entgegenstehen. Wie Winfried Schmitz überlegt, ist es schwer, sich lebensweltlich vorzustellen, dass in einer Notlage, wie einem Feuer oder bei einem Überfall einer Räuberbande, nicht das gesamte Dorf zur Hilfe eilte – schon aus eigenem Interesse: ders. (2004) 54 – 55. Inwieweit es sich bei ἐγχώριον um die lectio facilior und bei ἐγκώμιον um die lectio difficilor handelt, die es deshalb zu favorisieren gelte, wie es Verdenius (1985) 168 vorschlägt, lässt sich schwerlich eindeutig klären. 47 Hes. erg. 353 – 354: Sei dem Freund ein Freund, stehe dem bei, der beisteht und gib dem, der dir gibt, dem, der nicht gibt, gib nicht. (Eigene Übersetzung) 48 Hes. erg. 355: Dem Geber wird etwas gegeben, dem Nichtgeber nicht. (Eigene Übersetzung) 49 Vgl. dazu Kapitel 1.5.2 Ansässigkeit und Mobilität, 46 – 54. 50 Vgl. auch Walter (1993) 56 – 57, der in der Reziprozität der bäuerlichen Nachbarschaftsbeziehung einen wesentlichen Unterschied zur „homerischen Adelsgesellschaft“ sieht, den er auf die prekäre Versorgungsituation bei den einfachen Bauern zurückführt. 51 Hes. erg. 352 – 360.

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Suche nicht schlechten Gewinn, denn Betrug ist so viel wie Verderben. […] Dem Geber gibt jeder gern, dem Nichtgeber niemand. Geben ist gut, Raub hingegen unrecht und führt zu Verderben. Schenkt nämlich ein Mann bereitwillig, und wär’ es ein Großes, freut ihn die eigene Gabe, und er spendet fröhlichen Herzens. Raub war in ­diesem Fall auch, eine Gegengabe unerwidert zu lassen und die erhaltenen Gaben zusammenzuraffen, ein Verhalten, das die soziale Ressource erwartbarer Hilfe selbst zu zerstören drohte, indem die Erwartbarkeit infrage gestellt wurde. Jeder Akt der Hilfeleistung andererseits konsolidierte dieselbe Ressource, nicht nur für Helfer und Hilfeempfänger, sondern auch für die Mitglieder der gesamten, durch soziale Nahbeziehungen gekennzeichneten Gemeinschaft,52 denen die Verfügbarkeit der Ressource so demonstriert wurde. Mit anderen Worten: Unterstützung versicherte auch den nicht unmittelbar Beteiligten, dass auch ihnen in der Not geholfen würde. Die Einstellung der Hilfeleistung diente aber nicht nur dazu, persönliche Verluste abzuwenden, sondern auch dem Erhalt der Gemeinschaft, die so jene Akteure sanktionierte und unter Umständen ausschloss, die diese durch ihr Verhalten bedrohten. Jeder, der Teil der Gemeinschaft sein wollte, musste sich folglich ihren Normen und Regeln unterwerfen.53 Dazu zählten die Bereitschaft und grundlegende Fähigkeit, sich selbst zu versorgen, das heißt, sich durch sorgfältiges Wirtschaften und Haushalten mit den Vorräten nicht sehenden Auges in eine Notlage zu bringen. Ἐργάζευ, νήπιε Πέρση, ἔργα τά τ’ ἀνθρώποισι θεοὶ διετεκμήραντο, μή ποτε σὺν παίδεσσι γυναικί τε θυμὸν ἀχεύων ζητεύῃς βίοτον κατὰ γείτονας, οἳ δ’ ἀμελῶσιν. δὶς μὲν γὰρ καὶ τρὶς τάχα τεύξεαι· ἢν δ’ ἔτι λυπῇς, χρῆμα μὲν οὐ πρήξεις, σὺ δ’ ἐτώσια πόλλ’ ἀγορεύσεις, ἀχρεῖος δ’ ἔσται ἐπέων νομός. ἀλλά σ’ ἄνωγα φράζεσθαι χρειῶν τε λύσιν λιμοῦ τ’ ἀλεωρήν.54 52 53

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Vgl. hierzu Anm. 50. Regeln und Normen zeichnen sich im Vergleich zu Gesetzen durch eine gewisse Unschärfe aus. Ihre Grenzen sind weniger scharf konturiert, sodass es Spielräume gab, wie es sich auch in den unten besprochenen Quellen zeigt. Vgl. zunächst jeweils als Kurzüberblick über gängige Definitionen: Teiber (2007); Wienold (2007b). Darüber hinaus grundlegend: Popitz (2006). Vgl. Hes. erg. 397 – 403. Es finden sich bei Hesiod zahlreiche weitere Mahnungen, tätig zu sein, wie auch Verweise darauf, dass die Gemeinschaft Untätigkeit und Faulenzerei nicht dulde. Von den Tätigkeiten (ἔργα), dem Leitmotiv des Lehrgedichts, hängen in der dichterischen Konzeption Wohl und Wehe davon ab, diese Werke auf die richtige Weise zu verrichten, d. h. sie auf die richtige Weise und zur rechten Zeit auszuführen, damit Wohlstand und Glück erlangt werden. Daneben vgl. Hes. erg. 299 – 301; 306 – 307;

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Tu deine Arbeit, törichter Perses, wie es die Götter den Menschen bestimmten, damit du nicht mit Weib und Kind, dein Herz abhärmend, die Nachbarn um Brot anbettelst, diese aber die Achseln zucken. Zweimal nämlich, auch dreimal bekommst du wohl etwas, doch fällst du weiter lästig, richtest du gar nichts mehr aus, das viele Gerede wird nutzlos, dein Wortschwall vergeblich. Ich aber rate dir dringend für die Tilgung der Schulden und Abwehr des Hungers zu sorgen. Wenn ein oíkos in einer Notlage auf die Hilfe der Gemeinschaft hoffen wollte, so musste dieser – dem reziproken Charakter der Sozialbeziehung folgend – anderen in einer Notsituation helfen, wenn es nur irgend möglich war.55 Damit wurden die oíkoi über die Person des Hausvorstandes aneinander gebunden, wobei sich die Bindung nicht allein auf ihn beschränkte, sondern auf alle Angehörigen seines oíkos wirkte. Reziproke Nachbarschaftsbeziehungen verstärkten die die Gemeinschaft zusammenhaltenden Kräfte, womit nicht zuletzt die ihr angehörenden Akteure fester an den Ort gebunden wurden. Auf Verweigerung der Hilfeleistung konnte sukzessive Desintegration bis hin zum Ausschluss folgen. Sie barg aber auch, gerade wenn sie gehäuft auftrat, ein die Gemeinschaft gefährdendes Potential. Die grundlegenden Normen der sich aus Nachbarn konstituierenden Dorfgemeinschaft in der dichterischen Konzeption Hesiods sind Reziprozität und Autarkie;56 eine Notlage durfte weder selbstverschuldet sein,57 noch durfte der Verdacht entstehen, der Hilfesuchende wolle sich an dem Hab und Gut des Nachbarn gütlich tun. Bereicherung wurde zwar erst ruchbar, wenn zum wiederholten Mal um Nahrungsmittel oder landwirtschaftliches Gerät ersucht wurde, doch dann hatte sie ernste Konsequenzen. Der Bittsteller wurde nicht nur kurzfristig abgewiesen, sondern grundsätzlich von der Nothilfe ausgeschlossen.58 Dieser Ausschluss ging mit einem beträchtlichen Ansehensverlust einher. In dem dörflichen Umfeld, das nur wenige Personen umfasste, verbreitete sich die Kunde schnell, wenn ein Bauer die Regeln und Normen der Gemeinschaft nicht befolgte. Ein Verlust an Ehre war hier deutlich 314 – 316; 391 – 395; 479 – 482; 641 – 6 42. Die Bewertung der Tätigkeiten ist an die soziale Welt der Bauern angelehnt und diese Welt bildet den Bezugsrahmen für die Werke und Tage, sodass der Quellenwert der Dichtung für die Frage nach den Normen einer ‚bäuerlichen‘ Gemeinschaft nicht geschmälert wird. 55 Hes. erg. 355. S. o. und Anm. 48. 56 Das ist kein Widerspruch, sondern greift ineinander: Auch ein Bauer, der grundsätzlich autark war, konnte in Not geraten, doch es wurde erwartet, dass auch er gab, wenn er sich dazu in der Lage fand. Autark zu sein bedeutete wiederum, nicht allein so zu wirtschaften, dass von den Erträgen der eigene Haushalt versorgt werden konnte. Es mussten Vorräte angelegt werden, mit denen umsichtig umzugehen war: Hes. erg. 364 – 368. Vgl. auch Garnsey (1988) 56 – 58. 57 Daher galt es, sein Gerät zu warten (Hes. erg. 404 – 407) und Vorräte anzulegen, mit denen gehaushaltet werden musste. 58 Hes. erg. 399 – 401. Vgl. hierzu Schmitz (2004) 102.

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schwerwiegender als in einer größeren politischen Gemeinschaft, sodass diese Sanktion oft ausgereicht haben dürfte, um allzu große Normabweichungen zu unterdrücken, wie Winfried Schmitz hervorhebt.59 Hesiod benennt das Gespött der Nachbarn und das Gerede der Menschen als Folgen eines solchen Fehlverhaltens explizit und rät dazu, den eigenen guten Ruf zu pflegen.60 Ob d ­ ieses Bemühen von Erfolg gekrönt wurde, hing nicht zuletzt von dem Verhalten der Familienmitglieder ab, so Schmitz weiter.61 Deren Auftreten fiel unmittelbar auf den Hausvorstand zurück. So machte eine untreue Ehefrau ihren Mann zum Gegenstand beißenden Spottes.62 Das Spotten war indes kein Selbstzweck, sondern spiegelt die Erwartung an das Familienoberhaupt wider, die Angehörigen seines Hausstandes dazu zu bringen, sich angepasst zu verhalten. Spott und Exklusion waren die gängigen Mittel, mit denen abweichendes Verhalten, das den Normen der Dorfgemeinschaft zuwiderlief, abgestraft wurde. Beide Maßnahmen hatten unmittelbare, schwerwiegende Folgen, doch konnten sie bei einer Änderung des Verhaltens der Sanktionierten zurückgenommen werden, was eine Reintegration in die Gemeinschaft ermöglichte. Daneben konnte es weitere, gewalttätigere Strafmaßnahmen gegeben haben, die bei besonders hartnäckigem Zuwiderhandeln erfolgten. Winfried Schmitz spricht hier von Rügebräuchen, meist gewalttätige Sanktionen, die von den jungen Männern aus der Dorfgemeinschaft vollzogen wurden.63 Hierbei konnte es sich um Hauswüstungen, Abdecken des Daches, Heimsuchung und Aufzehren der Vorräte 64 oder die Zerstörung des Türsturzes handeln. Solche Strafmaßnahmen hatten eine symbolische Komponente, die allen in der Gemeinschaft die Exklusion durch die Strafe vor Augen führte. Tür und Türsturz waren Symbole für den geschützten Bereich des Hauses.65 Inwieweit 59 Vgl. 60

61

62 63 64 65

Schmitz (2004) 101. Hes. erg. 760 – 764: Ὧδ’ ἔρδειν· δεινὴν δὲ βροτῶν ὑπαλεύεο φήμην· / φήμη γάρ τε κακὴ πέλεται κούφη μὲν ἀεῖραι / ῥεῖα μάλ’, ἀργαλέη δὲ φέρειν, χαλεπὴ δ’ ἀποθέσθαι. / φήμη δ’ οὔ τις πάμπαν ἀπόλλυται, ἥντινα πολλοὶ / λαοὶ φημίξουσι· θεός νύ τίς ἐστι καὶ αὐτή. – Also handle und meide den schlimmen Leumund bei Menschen. Denn schlechter Ruf ist von Übel; leicht, ja kinder­ leicht holt man sich ihn, trägt aber schwer daran, und mühsam nur ist er zu tilgen, nie nämlich verliert sich ganz ein Gerücht, das viele Menschen verbreiten, ja es ist selbst eine Art von Gott. Schmitz (2004) 101 sieht auch in der Formulierung θείτοσι χάρματα bei Hes. erg. 701 den Spott der Nachbarn. Doch ist der Kontext nicht das Fehlverhalten eines Nachbarn, sondern das Heiraten einer Frau aus der Nachbarschaft nicht zum eigenen Nutzen, sondern zum Vorteil und damit zur Freude des Nachbarn, der sich einer überschüssigen Esserin entledigt. Schmitz (2004) 102. So bei Semon. F7 West = F7 Diehl; zum Spott durch die Dorfgemeinschaft auch Anakr. F354 Page = F23 Diehl. Vgl. die ausführlichen Arbeiten von Schmitz (2004) insbesondere 103 – 104; 259 – 310 sowie ders. (2008) passim. Auch das Handeln der Freier im Hause des Odysseus wurde so bewertet: Flaig (1998) passim und Schmitz (2004) 320 – 329, der sich im Grundsatz der Argumentation anschließt. Schmitz (2004) 103; 277.

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der Rügebrauch fester Bestandteil der Sanktionen der bäuerlichen Gemeinschaft war und ­welche konkreten Formen er annahm, lässt sich aufgrund der Quellenlage kaum bestimmen. Er steht für die archaische Zeit als Möglichkeit im Raum, auf die deutliche Spuren in ­später überlieferten Liedern und diffusere Spuren in der archaischen Dichtung hindeuten können.66 Die Sanktionen der Gemeinschaft konnten bis zum Ausschluss reichen und blieben in Kraft bis eine Verhaltensänderung, also ein Aufgeben der wahrgenommenen Devianz, eintrat. Auf diese Weise konnte eine Reproduktion der Gemeinschaft erreicht werden, da man sich zumindest erhoffte, abweichendes Verhalten zu unterbinden; das Sanktionieren selbst bestärkte tendenziell die Sanktionierenden in ihren Normen und wurde damit zu einer Form der Selbstvergewisserung. Allerdings bestand hierbei das Risiko, dass auf diese Weise eine neue Gruppe unwillentlich konstituiert wurde; Selbstvergewisserung konnte nämlich auch bei den Sanktionierten einsetzen, weil sie geeint durch die gemeinsame Erfahrung sich als Gruppe zu definieren in der Lage waren, was ein hypothetisches Beispiel zu illustrieren vermag: Angenommen einige Bauern hätten mehr Vieh auf der Almende weiden lassen, als es Brauch war. Aus der Perspektive der Gemeinschaft wäre diese Praxis als deviantes Verhalten, womöglich sogar wegen der Gefahr der Überbeanspruchung als Bedrohung erschienen. In ­diesem Szenario stellen die zu erwartenden Sanktionen einen kommunikativen Akt dar, mit dem die Gemeinschaft die Differenz zum Ausdruck bringt, aber auch (unbeabsichtigt) die Gemeinsamkeit derjenigen, die ein Interesse an einer anderen Bewirtschaftung der Almende hatten. Deviant handelnde Akteure wären aufgrund dieser Erfahrung möglicherweise nicht einsichtig gewesen, wissend, nicht allein zu stehen. Da alle Angehörigen eines oíkos von den Sanktionen betroffen gewesen wären, hätte die neue auf Exklusion und gemeinsame Interessen gegründete Gruppe nicht nur die eigentlichen Akteure, sondern weitere Personen umfasst. Auf diese Weise hätte die Sanktionierung also zur Folge gehabt, dass sich aus devianten Einzelakteuren eine Gruppe herausbildet, der es leichter gefallen sein könnte, ihre Ansässigkeit aufzugeben.67 In ­diesem Fall wären die Bindungen zur Ortsgemeinschaft durch Bindungen an eine neu entstandene, deviante Gruppe in einem Prozess aus Sanktion und Selbstvergewisserung allmählich ersetzt worden.

2.1.3 Bedrohung durch Wandel – neue Chancen Die Sanktionen der Dorfgemeinschaft gerieten schnell an ihre Grenzen. Für Athen zeichnet sich für um 600 eine Krise ab, die, obgleich sie weiter reichte, sich auch auf 66

ebd. Die Formen dürften ohnehin eine gewisse Varianz aufgewiesen haben, der eine unterschiedliche Traditionsbildung und die Eigendynamiken der jeweiligen Situation zugrunde lagen. 67 Zugang zu den erforderlichen Mobilitätsressourcen ist hierfür indes die Voraussetzung.

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Nachbarschaftsbeziehungen erstreckte. Der athenische Gesetzgeber Solon 68 nahm sich d ­ ieses Problems an, indem er für das, was zuvor selbstverständliche Gewohnheit war, einen festen gesetzlichen Rahmen schuf. Die erhaltenen Gesetze sind unvollständig. Die Fragmente künden davon, dass das Eigentum und die Umgrenzung eines oíkos penibel geschützt wurden. Einfriedungen des eigenen Grundstückes aus Sträuchern oder Steinen durften nur auf dem eigenen Grund gebaut werden, aber keinesfalls die Grenze zum Nachbarn überschreiten. Feste Begrenzungen erforderten einen Mindestabstand: Eine Mauer durfte einen Fuß (etwa 30 cm), ein Haus zwei Fuß entfernt errichtet werden. Gräben oder Gruben mussten einen Abstand einhalten, der mindestens ihrer Tiefe entsprach. Diese Regelung verhinderte, dass das angrenzende Land durch Bebauen, übermäßigen Schattenwurf oder durch Abrutschen des Bodens entwertet werden konnte. Der Mindestabstand für einen Brunnen betrug einen Klafter (= sechs Fuß = etwa 1,80 m), sodass dem Nachbarn nicht das Wasser abgegraben werden konnte. Für Oliven und Feigenbäume galt ein Abstand von neun Fuß (etwa 2,70 m), andere Pflanzen durften in fünf Fuß (etwa 1,5 m) Entfernung angebaut werden.69 Die Bäume sollten weder durch Schattenwurf Teile des Nachbargrundstücks vom nährenden Sonnenlicht abschneiden noch sollten ihre Äste über die Grenze hinausragen 70. Bienenstöcke durften, wenn der Nachbar bereits Körbe aufgestellt hatte, in 300 Fuß (etwa 90 m) Entfernung aufgestellt werden,71 damit die Bienen nicht um denselben Nektar konkurrierten und man sich nicht des benachbarten Bienenschwarms bemächtigen konnte.72 Nicht einmal Mist durfte vom Nachbargrundstück entwendet werden,73 um ihn zum Düngen der eigenen Felder zu verwenden.74 Aber Solon beschränkte sich nicht darauf, das Eigentum vor Schädigung durch den Nachbarn zu ­schützen und mit klaren Regelungen möglichen Streitereien die Grundlage zu entziehen. Er verpflichtete die Nachbarn auch auf Nothilfe, wenngleich in bescheidenem Maße. Überall dort, wo ein öffentlicher Brunnen mehr als 68

Im Folgenden wird nicht das Schaffen des Gesetzgebers Solon in Gänze gewürdigt, sondern ein isolierter Blick auf seine Regelungen zur Nachbarschaft geworfen. 69 Sol. nom. F60a = Dig. 10,1,13; F60b = Plut. Sol. 23,7. F60a nennt bei der Bepflanzung, die in 1,5 m Entfernung erfolgen darf, ἄλλα δένδρη. 70 Sol. nom. F61 = Hesych. π 3643. Feigen- und Olivenbäume sind Flachwurzler. Es ist davon auszugehen, dass ferner verhindert werden sollte, dass die Bäume ihr dichtes Wurzelwerk im Boden des Nachbarn ausbreiteten oder dass der Nachbar Wurzeln abhackend die Bäume vernichtete. 71 Sol. nom. F62 = Plut. Sol. 23,7. 72 Vgl. Ruschenbusch/Bringmann (2014) 129. 73 Sol. nom. F64a = Paroem. I 288 App. I,58. Die Authentizität des Gesetzes wurde nicht selten angezweifelt oder gar ins Lächerliche gezogen. Doch stellte Mist die einzige Möglichkeit zur Düngung dar. Vgl. auch Anm. 74. 74 Vgl. zur Bedeutsamkeit von Mist als Dünger mangels Alternativen Ruschenbusch/​ Bringmann (2014) 130.

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vier ­Stadien (etwa 740 m) entfernt war, durfte ein eigener gegraben werden. Wurde aber in einer Tiefe von zehn Klaftern (etwa 18 m) kein Wasser gefunden, wurde der Nachbar verpflichtet, dem anderen zweimal am Tag einen Krug mit sechs Güssen (insgesamt 39 l) füllen zu lassen.75 Mit dieser Menge ließen sich lediglich die im eigenen oíkos lebenden Personen und etwas Kleinvieh versorgen. Bereicherung auf Kosten des Brunnenbesitzers war somit ausgeschlossen und auch die Norm der Autar­kie galt weiterhin. Die Maßnahmen, die uns erhalten geblieben sind, lassen sich als die Antworten einer face-to-face-Gemeinschaft auf Devianz deuten; denn die bisherigen Instrumente vermochten es in einem sich vergrößernden und so anonymer werdenden Gemeinwesen immer weniger, Normabweichungen einzudämmen, da der Einzelne nun in geringerem Grade sichtbar war. Die Gemeinschaft hatte mehr die Züge einer Gesellschaft 76 angenommen und war in höherem Maße stratifiziert, das heißt, es hatte ein Wandel eingesetzt und zu größerer Komplexität in den Sozialbeziehungen geführt. Falls die in die Krise geratene nachbarschaftliche Gemeinschaft nicht in Gänze wiederhergestellt werden konnte, bedurfte es anderer Maßnahmen, um zumindest ihre Nothilfefunktion zu ersetzen. Solons Gesetzgebung stellt den Versuch dar, diesen Zerfall auf dem Gebiet der Nachbarschaftsbeziehungen einzudämmen und so die Erosion der Gemeinschaft zu verhindern.77 Auf diese Weise erneuerte der athenische Gesetzgeber die Funktionalität nachbarschaftlicher Beziehungen und damit auch eine der zentralen Grundlagen der Ansässigkeit. Der Wandel, der einerseits krisenhaft für die bestehenden Nachbarschafts- und Hilfeleistungsstrukturen war, schuf andererseits neue Möglichkeiten für den Einzelnen wie die gesamte Gemeinschaft. Eine größere Bevölkerung gestattete es, sich arbeitsteiliger zu organisieren. Wenngleich große Teile der Produktivkräfte in der

75

Sol. nom. F63 Ruschenbusch = Plut. Sol. 23,6. Vgl. hierzu die Begriffspaare Gemeinschaft und Gesellschaft, wie sie die Soziologie von Ferdinand Tönnies durchziehen. Das Handeln des einzelnen Akteurs ist in der Gemeinschaft vom Wesenswillen bestimmt und auf die Gemeinschaft gerichtet. Typisch für Gemeinschaften sei, dass jeder die einzelnen Personen kenne. Das Handeln in Gesellschaften hingegen sei vom Kürwillen bestimmt, der auf die Verfolgung individueller Ziele ausgerichtet sei. Die einzelnen Akteure s­eien einander in der Tendenz eher fremd und agierten in bestimmten Funktionen miteinander. Kennzeichnend für Gesellschaften sei eine größere Arbeitsteiligkeit. Nach modernen Maßstäben existieren in der Antike eher Gemeinschaften als Gesellschaften, da das Handeln des Einzelnen immer in hohem Maße auf die Gemeinschaft bezogen ist. Werden Gemeinschaft und Gesellschaft als Pole betrachtet, ­zwischen denen menschliches Zusammenleben kategorisiert werden kann, dienen diese Begriffe der präziseren Beschreibung einer Entwicklung. Vgl. zum Begriff der Gemeinschaft die gesammelten Schriften von Tönnies bei Lichtblau (2012); davon v. a. Tönnies (2012); vgl. auch Delp (2013); Itgenshorst (2014). 77 Auf die konkreten Folgen für Ansässigkeit und Mobilität werden in Kapitel 2.2.3 Das Ringen um Díkē als Anti-Migrationsstrategie bei Solon?, 115 – 128 genauer behandelt. 76

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­Landwirtschaft gebunden blieben, entstanden in größeren Siedlungen Synergien, wodurch Arbeitskraft freigesetzt wurde. Nicht zuletzt deshalb erblühte in ebenjenen dichter besiedelten Orten das Handwerk, einerseits durch Zuzug, andererseits aus der eigenen Bevölkerung heraus und mitunter politisch gefördert: Solon verfügte beispielsweise in Athen, dass der Vater dem Sohn ein Handwerk (τέχνη) lehren müsse. Tue er dies nicht, müsse der Sohn dem altgewordenen Vater keinen Unterhalt gewähren.78 Plutarch, der d ­ ieses Gesetz überliefert, stellt den Zusammenhang zur Immigration her: Viele ­seien aus Attika eingeströmt auf der Suche nach Schutz oder einem besseren Leben.79 Solon habe nun den Bürgern Athens geraten, sich verstärkt dem Handwerk zuzuwenden, eben weil das Land wenig fruchtbar sei und diejenigen, die über das Meer reisten, nicht bei Menschen hielten, die nichts anzubieten hätten. Hierbei handelt es sich um eine alternative Ansässigkeitsstrategie, in der die landwirtschaftliche Selbstversorgung um eine weitere Erwerbsquelle ergänzt wird. Nahrungsmittel würden dann anderenorts produziert und gegen Produkte des Handwerks getauscht oder gehandelt. Es stellt sich dabei die Frage, inwieweit die Begründung, die Plutarch für das Gesetz liefert, tatsächlich auf Solon zurückgeht, oder ob es sich nicht vielmehr um eine Interpretation der römischen Kaiserzeit handelt, in der intensiver Handel eine Selbstverständlichkeit, Subsistenzwirtschaft dagegen vielerorts keine Notwendigkeit mehr darstellte. Nun wäre es zu einfach, allein aufgrund dieser lebensweltlichen Faktoren, die Plutarch umgaben, die Information als anachronistisch zu verwerfen, zumal für Athen im 6. Jahrhundert ein Aufschwung insbesondere der Töpferei archäologisch vor allem durch die überregionale Verbreitung attischer Keramik belegt ist.80 78

Sol. nom. F56 = Plut. Sol. 22,1. Die von Plutarch gewählte Umschreibung ἐπ’ ἀδείας gibt beide Lesarten her. 80 Keramik aus attischer Produktion, die sich an dem charakteristischen roten Ton identifizieren lässt, war im gesamten Mittelmeerraum verbreitet und geschätzt. Bald lösten die Erzeugnisse attischer Töpferwerkstätten die weißglasierte korinthische Keramik aus gelblichem Ton als verbreitetste Töpferware ab, die zuvor in Athen noch imitiert worden war. Der Begriff korinthische Keramik bezieht sich hier auf die geographische Herkunft und schließt proto-, früh- und mittelkorinthische Keramik ein. Vgl. zur korinthischen Keramik und zu ihrem Einfluss auf attische Vasenmalerei grundlegend Boardman (1998) 177 – 185. Es ist bezeichnend, dass die Magna Graecia neben Korinth selbst als Hauptfundort für protokorinthische Keramik gilt, wohingegen protoattische Keramik eine geringe überregionale Verbreitung fand. Vgl. ders. (1998) 85 – 88. Mit der starken Intensivierung insbesondere des von Attika ausgehenden Handels ab der Mitte des sechsten Jahrhunderts korreliert das Aufkommen von Händlermarken, wie ders. (2001) 154 – 155 feststellt. Frühe lokale Keramik im griechischen Westen imitiert meist die in Euboia und Korinth verbreiteten Stile, was ders. (1998) 114 indes auf die Verbindung der apoikíai mit ihren mētrópoleis zurückführt, was m. E. nicht zwangsläufig aus dem Befund zu folgern ist. Für die euboiische Keramik ist indes Euboia als Hauptfundort auszumachen. Dazu ders. (1998) 109. Zur Bedeutung korinthischer Keramik vgl. grundlegend Salmon (1984) 96 – 97; 99 – 100; ders. (2000) 254 – 262. Der attische Ton war von außerordentlich hoher Qualität und ermöglichte es, feines, robustes und somit sehr 79

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Gegen Ende des 6. Jahrhunderts finden sich obendrein zahlreiche Weihegaben von athenischen Handwerkern, die zeigen, wie hervorragend deren ökonomische Situation zum Teil war. Archäologisch sind ebenfalls in archaischer Zeit Werkstätten spezialisierter Handwerker fassbar.81 In den Werken und Tagen Hesiods erscheinen Handwerker eher am Rande 82 und fertigen einfache Produkte an, die in einer bäuerlichen Gemeinschaft gebraucht wurden. So gab es einen Schmied, dessen Schmiede im Dorf im Winter zum Treffpunkt wurde.83 Töpfer finden bereits zu Eingang des Lehrgedichts Erwähnung.84 Konnten einfache Tongefäße noch in Heimarbeit hergestellt werden, bedurfte es eines Spezialisten für feineres Geschirr und große Vorratsgefäße, zu deren Herstellung zumindest Erfahrung in größerem Umfang von Nöten war. Darüber hinaus nennt Hesiod Zimmerleute, die die komplizierteren Holzarbeiten ausführten, wenngleich eine Vielzahl weniger komplexer Arbeiten und Reparaturen von den Bauern selbst erledigt wurden.85 Hinsichtlich der Mobilität von Handwerkern vermag Homer einige Anhaltspunkte zu geben: In den Epen tauchen mobile Handwerker auf, die ihrer Fachkenntnisse wegen gezielt gerufen (κλητοί) wurden. Es handelt sich um eine Konzeption von Mobilität, in der Spezialisten, Wahrsager, Ärzte und Zimmerleute und auch Sänger, die aufgrund ihres Fachwissens benötigt wurden, nicht allein auf eigene Initiative

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hochwertiges Geschirr herzustellen. Die berühmte schwarzschimmernde Glasur, die aus demselben, aber sehr feingemahlenen Ton besteht, war begehrt und die Komplexität und die Kunstfertigkeit der Darstellungen taten ihr Übriges. Vgl. auch Kapitel 3.3. Händler und Handel, 205 – 228. So finden sich beispielsweise in Naukratis Manufakturen für Skarabäen und Fayencen, deren Entstehung sich auf das 6. Jahrhundert datieren lässt. Daneben gab es Metallwerkstätten, deren Datierung allerdings unklar ist, sowie eine Bauhütte, die im ersten Drittel des 6. Jahrhunderts entstanden sein dürfte. Möglicherweise existieren auch Bilderwerkstätten für Kleinplastiken und Töpferwerkstätten für Alltagskeramik. Vgl. Schlotzhauer/ Weber (2012) 70 – 71. Da eine landwirtschaftliche Tätigkeit die Norm darstellte, war sie so selbstverständlich, dass sie keiner eigenen Benennung bedurfte; so Schmitz (2004) 38, aber auch selbstkritisch 56; Spahn (1977) 52; Dreizehnter (1981) 270 – 271; Jameson (1992) 136. Der Begriff γεωργός taucht nicht vor der Mitte des 5. Jahrhunderts (erstmals bei Herodot auf ) auf. Es existieren Überlegungen, ob mit dem Begriff γείτων ursprünglich ein Bauer angesprochen wurde. Genauer ist dies bei Schmitz (2004) 56 ausgeführt. Vgl. auch SteinHölkeskamp (1989) 62 – 63. Hes. erg. 493. Hes. erg. 25. Hes. erg. 426 – 431 benennt eine ­solche spezialisierte Arbeit: Φέρειν δὲ γύην, ὅτ’ ἂν εὕρῃς, / εἰς οἶκον, κατ’ ὄρος διζήμενος ἢ κατ’ ἄρουραν, / πρίνινον· ὃς γὰρ βουσὶν ἀροῦν ὀχυρώτατός ἐστιν, / εὖτ’ ἂν Ἀθηναίης δμῶος ἐν ἐλύματι πήξας / γόμφοισιν πελάσας προσαρήρεται ἱστοβοῆι. – Nimm gefundenes Krummholz zum Pflug nach Hause, wenn du die Berge durchstöberst oder die Flur, eines aus Steineiche; denn das hält beim Pflügen mit Rindern am meisten aus, wenn es Athenes Knecht am Scharrbaum befestigt. Das Holz wird also selbst gesucht, montiert wird es indes von „Athenes Knecht“ (dem Zimmermann).

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hin agieren.86 Dabei ist es unklar, woher sie stammen, ob aus der näheren Umgebung oder ob es beispielsweise Phoinikier waren.87 In einigen archaischen Inschriften werden darüber hinaus Handwerker (δημιουργοί) als Fremde (ξένοι) erwähnt. Hierbei handelt es sich um Gesetzestexte, die den Umgang mit ihnen regeln. In Axos auf Kreta setzte ein inschriftlich (leider nicht vollständig) erhaltenes Gesetz die Pflichten fremder Handwerker fest. Ihnen war auferlegt, sich für eine bestimmte Zeit (vermutlich fünf Tage) unentgeltlich mit ihrem Können in den Dienst der Gemeinschaft zu stellen und festgesetzte Beiträge zu Opfern zu leisten.88 Letzteres kündet von dem Maße, in dem die Fremden in die Gemeinschaft integriert wurden.89 Strafen wurden für Zuwiderhandlungen festgesetzt. Ebenfalls auf Kreta, genauer in Gortys, legte ein Gesetz fest, dass fremde Handwerker gleich zu bezahlen ­seien wie ortsansässige. Ein Teil der Vergütung bestand augenscheinlich aus Lebensmitteln, die ihnen zugeteilt wurden.90 Die Institutionalisierung der Polis ist in ­diesem Beispiel bereits weit fortgeschritten, denn es wird ein Amtsträger (κόσμος), der explizit für Fremde zuständig ist, benannt. Auch musste spezialisiertes Handwerk in der Stadt bereits weitverbreitet gewesen sein, wenn einheimische Handwerker als Bezugsgröße für die Entlohnung fungieren konnten. So lässt sich rekapitulieren: Handwerker waren schon in den bäuerlichen Siedlungen ein wichtiger Bestandteil der Aufrechterhaltung von Ansässigkeit. Mit ihren Fähigkeiten stellten sie Werkzeuge und Vorratsgefäße her, ohne die dem Boden die notwendige Nahrung deutlich schwieriger hätte abgerungen werden können. In größer werdenden Siedlungen waren sie integraler Bestandteil der Ansässigkeitsstrategie, da man ihre Produkte gegen Nahrungsmittel, die anderenorts produziert worden waren, tauschte und handelte, sodass in Teilen ‚Unabhängigkeit‘ von den agrarischen Ressourcen erlangt werden konnte, wenngleich diese in der Praxis begrenzt blieb. Handwerker tauchen aber nicht nur als Unterstützer und Garanten von Ansässigkeit, sondern auch als mobile Gruppen auf. Ihre Lebensweise machte es ihnen strukturell leichter den Ort zu wechseln als den Bauern, da Fähigkeiten und Werkzeug leicht transportabel sind, Land dagegen immobil ist.91

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Hom. Od. 17,381 – 386. Vgl. Ulf (2011a) 267 – 268; Bredow (2014) 59 – 60. Bredow (2014) 60. Koerner 101 = ICret II 1. Koerner (1993) 355. Koerner 154 = ICret IV 79 = ICret IV 144 = ML 41. Indes sind Handwerker in den Quellen aus archaischer Zeit, anders als in anderen Epochen, schwer greifbar, da sie für die schreibende Elite zwar notwendig waren, aber von ihr wenig geachtet wurden. Vgl. Ruffing (2006) passim; Bredow (2014) 55; Hdt. 3,60,1 – 4 hingegen weiß sehr wohl, von berühmten Handwerkern zu berichten, denn er benennt sowohl den Baumeister des großen Tunnels auf Samos als auch den Erbauer des Heraions.

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2.1.4 Die basileís und die Gemeinschaft Von der Gemeinschaft bäuerlicher oíkoi abgesetzt war die Elite 92 der basileís. Deren Häuser sind bei Homer als überaus prachtvoll geschildert: In Hallen voller exquisiter Kunstwerke aus den edelsten Materialien werden aufwendige Gastmähler dargeboten und Fremde anspruchsvoll unterhalten.93 Zum Teil findet sich dieser Prunk im archäologischen Befund wieder, wie beispielsweise im berühmten Grab der athenischen Dame, das auf das 8. Jahrhundert datiert wird, in dem fein gearbeiteter Goldschmuck mit aufwendiger Granulierung, Drahtarbeit und große Mengen Bernstein gefunden wurden.94 Wenngleich ­solche Funde dem bei Homer geschilderten Prunk eine Grundlage liefern, sind die Bilder reicher Häuser in ihrer Opulenz Gegenstand dichterischer Übertreibung. Dennoch bestand eine deutliche Distinktion durch zur Schau gestellten Reichtum und Lebensart. Die basileís reisten umher, führten Beutezüge an und besuchten und bewirteten Gastfreunde. So gab es neben der Welt der Bauern die Welt einer sozialen Elite, die einerseits von jenen abgegrenzt existierte und selbst in hohem Maße mobil war, weswegen uns diese Elite im Kontext von Mobilität im Folgenden vermehrt begegnen wird. Doch hatte andererseits auch die Welt der basileís ein landwirtschaftliches Gepräge.95 Der Hauptunterschied ­zwischen 92

Die Begriffs- bzw. Kategorienwahl für die homerischen basileís stellt ein Dilemma dar: Der Begriff Adel scheint problematisch, da mit ihm Vorstellungen von Geburt und Erblichkeit konnotiert sind. Vgl. zu einer ausführlichen Kritik Ulf (1990) 1 – 4. Welwei (2000) 65 schlug vor, den Adelsbegriff als „Chiffre“ aufzufassen. Beck/Scholz/Walter (2008) 3 etwa grenzen den Adelsbegriff definitorisch ab, indem sie unter „,Adel/Aristokratie‘ ein integrierendes, auf prinzipielle Gleichheit einer herrschenden Gruppe bedachtes, zugleich aber Individualität und ,Besonders-Sein‘ förderndes und den gemeinsamen Nutzen langfristig sicherndes Modell von politischer Herrschaft, gesellschaftlicher Ordnung und sozialer Formierung“ verstehen. Obgleich diese Definition auch auf die basileís anwendbar ist, verwende ich im Folgenden den offenen, wenngleich weniger genauen (vgl. dazu die Kritik bei dens. (2008) 2) Terminus Elite als deskriptiven Begriff, um den dynamischen Charakter, der für meine Betrachtungen wichtig ist, zu betonen. 93 Vgl. stellvertretend für viele weitere Hom. Od. 4,71 – 75: φράζεο, Νεστορίδη, τὠμῶι κεχαρισμένε θυμῷ,/ χαλκοῦ τε στεροπὴν κατὰ δώματα ἠχήεντα / χρυσοῦ τ’ ἠλέκτρου τε καὶ ἀργύρου ἠδ’ ἐλέφαντος. / Ζηνός που τοιήδε γ’ Ὀλυμπίου ἔνδοθεν αὐλή, / ὅσσα τάδ’ ἄσπετα πολλά· σέβας μ’ ἔχει εἰσορόωντα. – Schau, Nestor-Sohn, du meinem Herzen Geliebter! das Funkeln von dem Erz rings in den hallenden Häusern, und von dem Gold und Bernstein und Silber und Elfenbein! So mag der Hof des Zeus, des Olympiers, sein im Inneren, wie ­dieses unendlich Viele hier. Heilige Scheu fasst mich, wenn ich es sehe. Vgl. für eine ausführliche Auflistung des Luxus der Häuser der basileís bei Homer Stein-Hölkeskamp (1989) 45 – 46, insbesondere Anm. 118. 94 Vgl. Smithson (1968) passim; Saraga (2012) passim. Vgl. für weitere solcher Funde in der Früharchaik den Ausstellungskatalog Stampolidis/Giannopulu (2012) und den Sammelband von Lapatin (2015). 95 Laertes selbst führt den Pflug über seine Felder und auch Anchises und Aineas betätigen sich als Hirten, wenngleich die Haushalte der Elite größer und arbeitsteiliger organisiert

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einem bäuerlichen oíkos und dem Haushalt eines basileús bestand in seinem Umfang. Letzterem gehörten deutlich mehr Personen an und mehr Land wurde bewirtschaftet. Es gab Sklaven mit speziellen Aufgaben, was anhand der Bezeichnungen in Ilias und Odyssee deutlich wird.96 Indes war die landwirtschaftliche Arbeit dieser Elite nicht fremd,97 wenngleich ihre Interaktion mit den ‚einfachen Bauern‘ nicht konfliktfrei war.98 Die basileís waren keine Könige im Sinne von Monarchen, sondern eine Oberschicht aus Gleichen unter Gleichen. Sie standen sozial und hinsichtlich ihrer politischen Macht über anderen Freien.99 Den Status eines basileús konnte ein junger wie ein alter Mann innehaben. Mächtige basileís hatten gegenüber den übrigen eine hervorgehobene Stellung inne, die sich darauf gründete, reicher (ἀφνειός) und angesehener (τιμήεις) zu sein. Sie bildeten also eine Elite, zu der mehr Personen als ein einziger Herrscher gehörten. Ferner existierten Dynamiken, die die Ordnungen veränderten, wie Reichtum, der durch Kriegsbeute erworben wurde, was zu Instabilität führen konnte.100 Besitz drohte allmählich durch Erbteilung oder Konsumption zu schrumpfen, was zunächst den ökonomischen und dann den sozialen Abstieg bedeutete. Abrupt war der Abstieg bei Versklavung, ein Schicksal, das potentiell jeden zu treffen vermochte. Mit der Stellung als basileús konnten gewisse Herrschaftsrechte einhergehen; er entschied aber nicht unumschränkt oder gar allein. Idealtypisch vereinfacht wurde er von einem Rat aus Ältesten (γέροντες), der an einem öffentlichen Ort oder im Haus des mächtigsten basileús zusammentrat, beraten und kontrolliert. Im Krieg gab es Ratsversammlungen, in denen Gemeine und Elite allerdings nicht einmal annäherungsweise auf gleicher Ebene berieten.101 So zeigt sich also, dass die basileís durch waren: Hom. Il. 5,313; Hom Od. 24,224 – 230; vgl. bereits Strasburger (1978) 102 – 104; passim; Ulf (2011a) 267. 96 So wird Eumaios sehr häufig dezidiert als συβώτης bezeichnet, beispielsweise in Hom. Od. 14,55; 16,464. Dieser größere Haushalt schuf die Grundlage für einen Lebensstil, der öffentlich gepflegt wurde und die basileís so als Elite von den Übrigen abgrenzte. Es wurde gejagt, man maß sich im sportlichen Wettstreit, feierte Gastmähler mit einigem Aufwand, ließ dort Künstler auftreten, hielt sich Pferde, trug kostbares Geschmeide und pflegte Gastfreundschaften über große Entfernungen hinweg. Die Beispiele in den homerischen Epen für diesen zur Schau gestellten Lebensstil sind zahlreich wie auch die dazugehörige Literatur. Vgl. nur Stein-Hölkeskamp (1989) 15 – 57; Ulf (2011a) 274 – 275. Vgl. auch Anm. 93. 97 In Hom. Od. 24,224 – 230 pflügt Laertes selbst den Acker. 98 Vgl. zum Verhältnis von basileús und dḗmos Ulf (1990) 99 – 106. 99 Vgl. nur die in Hom. Od. 1,392 – 398 überlieferte Charakterisierung der Stellung des basileús, in der dessen sozio-politische und – daraus resultierend – materielle Überlegenheit hervorgehoben ist. 100 Vgl. Schmitz (2014) 17. 101 Besonders deutlich bei Hom. Il. 2,198 – 203: Als sich ein Mann des dḗmos (hier, aber nicht überall bei Homer unterscheidend zu den basileís gebraucht, vgl. Walter (1993) 36 – 37,

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diese Funktionen in die Strukturen der Ortsgemeinschaft eingebunden waren, wenngleich sie sich, insbesondere wegen ihrer ökonomischen Ressourcen, dem Zugriff der Gemeinschaft tendenziell zu entziehen vermochten, größere Handlungsspielräume besaßen und deshalb auch in der Lage waren, mobil zu sein oder Kontakte über weite Entfernungen hinweg zu pflegen.102

2.1.5 Zusammenfassung: Zwischen Bauern, basileís und Bürgern Ansässigkeit wurde in Gemeinschaften organisiert, deren soziale Einheiten, die oíkoi, über nachbarschaftliche Beziehungen eng miteinander verbunden waren. Innerhalb des oíkos war jedem Einzelnen ein fester Platz zugewiesen, der mit festgelegten Aufgabenbereichen verbunden war. Diese Nachbarschaftsbeziehungen waren gekennzeichnet von wechselseitigen Hilfeleistungen, die das wirtschaftliche Überleben sicherten. Die herrschenden Normen waren die Autarkie des einzelnen oíkos und Reziprozität. Die Hilfsbeziehung zur eigenen Bereicherung auszunutzen, wurde sanktioniert. Innerhalb der Dorfgemeinschaft waren sich die einzelnen Akteure persönlich bekannt. Spott und Gerede, also Angriffe auf die Ehre und der Ausschluss von Hilfeleistungen durch die Nachbarn, bildeten das Herzstück der Sanktionsmöglichkeiten. In einer face-to-face-Gemeinschaft war das In-Zweifel-Ziehen der Ehre schwerwiegend. Fehlverhalten einzelner Familienmitglieder fiel unmittelbar auf den Hausherren zurück, der so dazu angehalten war, seinerseits deviantes Verhalten Angehöriger seines oíkos zu unterdrücken. So banden ein festes Netz aus Nachbarschaftsbeziehungen und die festen Strukturen des oíkos die Menschen an einen Ort – zumindest solange diese reproduziert werden konnten. Mit anderen Worten verminderten diese festen sozialen Bindungen Migration, was mit der eingangs gemachten theoretischen Annahme, dass herkunftsspezifische soziale Ressourcen migrationshemmend wirken, korrespondiert.103 Einige Akteure konnten dennoch herausfallen, etwa uneheliche Kinder, denen weder ein Erbe noch andere Rechte zustanden, oder unverheiratete Männer, die sich nicht dem Bruder unterordnen wollten. Für sie galt es eigene Arrangements zu treffen. Dies konnte bei entsprechenden Überschüssen das Ermöglichen von Mobilität sein oder das Zuweisen eines Platzes im oíkos.

insbesondere Anm. 47) kritisch zu Wort meldet, quittiert Odysseus dies mit S­ tockhieben und Schmähungen. Unkriegerisch (ἀπτόλεμος) und kraftlos (ἄναλκις) sei er und zähle weder im Kampf noch im Rat (οὔτέ ποτ’ ἐν πολέμῳ ἐναρίθμιος οὔτ’ ἐνὶ βουλῇ). Vgl. zur vielbesprochenen Thersites-Stelle etwa Raaflaub (1997) 634 – 635; Brügger et al. (2010) 67 und zum Kontext des Kriegsrates Schulz (2011) 28 – 29. 102 Hierauf wird in 3. Bahnen der Mobilität eingegangen. Vgl. insbesondere die Kapitel 3.2.2 Basileís und hetaíroi: Rekrutierungsressourcen, 173 – 182 und 3.2.3 Gastfreundschaft, 182 – 194. 103 Vgl. Kapitel 1.5.4 Übernahmen und Abgrenzungen, 63 – 69.

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Anker der Ansässigkeit

Die Dorfgemeinschaft war im Wesentlichen eine Gemeinschaft von Bauern, aus der die Elite der basileís herausstach, die wegen der Größe ihrer Gehöfte nicht auf Nachbarschaftshilfe angewiesen und nicht auf dieser Ebene sanktioniert werden konnte. Obgleich diese Elite durch ihre politische Stellung und durch die ebenfalls agrarische Grundlage ihrer Existenz mit der Gemeinschaft verbunden war, pflegte sie doch einen Lebensstil, der in viel höherem Maße von Mobilität – sei es durch die Kultivierung von Gastfreundschaften oder Raubzüge zur See – gekennzeichnet war.104 Doch mit der Vergrößerung der Gemeinschaften setzte ein Wandel ein, der ihre Reproduktion bedrohte. Die Sanktionen der Dorfgemeinschaft hatten in erheblichem Maße an Wirkmächtigkeit verloren, da nicht mehr jeder jedem persönlich bekannt war. So stellte Solon nachbarschaftliche Beziehungen auf eine neue, juristische und durch politische Institutionen sanktionierbare Grundlage und erhielt so einen wichtigen Anker der Ansässigkeit. In gleichem Maße wie sozialer Wandel die bestehenden Formen von Ansässigkeit zu erodieren drohte, setzte er neue Potentiale frei, bestehende Ansässigkeit auf neue Grundlagen zu stellen. Der rapide Aufstieg des Handwerks ist hierfür beispielhaft, da dessen Produktionsüberschüsse es ermöglichten, Ressourcen, Nahrungsmittel oder andere materielle Güter anderenorts zu erwerben, statt sie selbst zu produzieren. Mit ihrer Größe wandelten sich Gemeinschaften. Sie wuchsen und wurden arbeitsteiliger, ihre Mitglieder waren unter Umständen weniger fest integriert und hatten mehrere Optionen, z­ wischen denen sie sich entscheiden konnten. Die neuen Strukturen waren weniger bindend und hielten so weniger fest an der Scholle, sodass der Übergang zu Mobilität (und Migration) leichter möglich war.

2.2 Das Ringen um Díkē als Grundlage der Gemeinschaft und der Ansässigkeit Eine Beobachtung, die in der historischen Migrationsforschung gemacht wurde, legt die Vermutung nahe, dass aus Sicht der Betroffenen häufig andere Gründe ausschlaggebend waren, der eigenen Heimat den Rücken zu kehren, als es Erklärungen suggerieren, die ihre Wurzeln in der Betrachtung von Wanderungsbewegungen aus der Perspektive moderner Nationalstaaten haben.105 So wurde der Vorwurf erhoben, 104 105

Vgl. das Kapitel 3.2 Hetaíros-Gruppen und die Organisation von Mobilität, 171 – 204. Vgl. zu den folgenden, allgemeinen Ausführungen grundlegend Kleinschmidt (2002); ders. (2011), der die Bedeutung von Gerechtigkeitsvorstellungen betont; sowie die Ausführungen zu den dem Migrationsbegriff immanenten Paradigmata in Kapitel 1.5.1 Migration z­ wischen Mobilität und Ansässigkeit – eine Annäherung, 37 – 45. Ein Teil der hier gemachten Überlegungen, v. a. zu Hesiod und dem neuzeitlichen Vergleichsbeispiel, stellt eine Weiterentwicklung von Ideen dar, die ich im Rahmen eines Aufsatzes bereits publiziert habe. Vgl. Delp (2021b).

Das Ringen um Díkē als Grundlage der Gemeinschaft und der Ansässigkeit

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den Deutungen von Migranten selbst werde meist wenig Raum eingeräumt.106 Dem als Althistoriker zu begegnen, gestaltet sich wiederum diffizil: Gerade für die griechische Archaik sind emische Perspektiven von Betroffenen selten und nicht immer ist der Migrationskontext ersichtlich; es gilt daher, altbekanntes Quellenmaterial neu zu lesen und so nutzbar zu machen. Dies erfordert wiederum eine Neuperspektivierung, für die ein neuzeitlicher Vergleichsfall herangezogen wird, welcher den Fokus auf eine zentrale Ressource von Ansässigkeit lenkt, von der eine Vielzahl weiterer Ansässigkeitsressourcen abhängen. Der aus dem neuzeitlichen Material gewonnene Blickwinkel ist somit ein heuristisches Instrument und dient gewissermaßen als Kompass zur Suche in den antiken Quellen, wobei der Vergleich nicht überstrapaziert werden darf. Ein grundlegendes Kriterium ist, dass sich ein Zusammenhang ­zwischen dieser Ressource und Migrationen aus den Quellen heraus plausibilisieren lässt. Im nächsten Schritt werden Konzeptionen ebendieser zentralen Ressource in archaischen Quellen herausgearbeitet und analysiert. Schließlich behandelt das daran anschließende Kapitel, ausgehend von den herausgearbeiteten Leitideen, den Zusammenhang z­ wischen Hungersnöten und Migrationen.

2.2.1 Exkurs: Auswanderungswillige Schwaben in Heilbronn 2.2.1.1 Friedrich Lists Befragungen Ab dem Frühjahr 1817 versammelten sich in Heilbronn und den benachbarten Orten Neckarsulm und Weinsberg auswanderungswillige Untertanen des württembergischen Königs. Sie warteten auf ihre Passage in die Niederlande, um sich von dort gen Amerika einzuschiffen. Die württembergische Regierung entsandte den jungen Rechnungsrat Friedrich List, um die Motive der Auswanderer zu erfahren und sie, wenn möglich, von ihrem Vorhaben abzubringen.107 So reiste List nach Heilbronn und führte dort sowie in Neckarsulm und in Weinsberg vom 30. April bis zum 6. Mai 1817 großangelegte Befragungen durch. Deren Protokolle sowie der abschließende Bericht Lists sind erhalten geblieben. Im Wirtshaus zum Kranen, das direkt am Neckarhafen lag, erstellte Schreibmeister Johann Heinrich Kulmbach im Auftrag des „Schiffmanns“ Verzeichnisse über die Auswanderungswilligen, die List bei dieser Gelegenheit befragte. Der Regierungsrat ging dabei mit bemerkenswertem Fingerspitzengefühl vor. Er erläutert seine Vorgehensweise bei den Befragungen in dem von ihm verfassten Bericht wie folgt:108 106 Vgl.

Kleinschmidt (2011). „Seine königliche Majestät haben sich dadurch zu dem Befehle bewogen gefunden, dass hierüber nähere Untersuchung durch Vernehmung der Auswanderer eingeleitet und diese wo möglich über ihren Entschluß und die Veranlaßung deßelben belehrt und von ihrem Vorhaben zurückgebracht werden sollen.“ Moltmann/Schöberl (1979) 126. 108 Die einleitenden Worte lehnen sich an Formulierungen meines Aufsatzes Delp (2021b) an. Dasselbe gilt für die hier folgenden Paraphrasen der Auswanderungsprotokolle. 107

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Anker der Ansässigkeit

Meine Instruction lautet: „Dass Seine königliche Majestät im Allgemeinen von den Gründen der Auswanderer unterrichtet seyn wollen.“ Ich durfte daher weder den Auswanderern specielle Fragen vorlegen, noch weiter in die Fakta eindringen; durch jenes hätte die Reinheit der Verhandlung verloren, durch d ­ ieses wäre ich von dem Hauptzweck der Untersuchung abgeleitet worden. Nur den vorgezeichneten Zweck zu erreichen; wenn ich nämlich den Auswanderern die allgemeine Frage vorlegte, was sie antriebe, ihr Vaterland zu verlassen und in ein entferntes ungebautes Land zu ziehen? wenn ich (hierauf )109 ihre Antwort möglichst getreu und selbst mit ihren eigenen Worten von dem Aktuar in Beyseyn der Urkunds­ Person zu Protokoll nehmen ließ.110 Vereinzelt schlug List Misstrauen entgegen. Einige der im Protokoll erscheinenden Männer gaben knappe, zögerliche Antworten.111 List sah sich veranlasst, mehrfach zu verlautbaren, dass er niemanden an der Ausreise hindern wolle und keinerlei Repressalien drohten. Vielmehr sei er hier, um zu ergründen, warum sie ihre Heimat verließen.112 Trotz allen Argwohns ergriffen allerdings nicht wenige anscheinend nur allzu gerne die Gelegenheit, ihrem Ärger Luft zu machen. 2.2.1.2 Die Motive der Auswanderer Die Befragungsprotokolle stellen den Versuch dar, Einzelschicksale zu bündeln, wobei sich eine gewisse Heterogenität hinsichtlich der Gründe zur Auswanderung erkennen lässt. Während Motive wie Hunger und die Angst vor Verelendung trotz beträcht­ licher Ernteausfälle keine Rolle spielten,113 überragte ein Themenbereich, der sich – je 109 110 111

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Das Dokument wurde beschädigt. Es handelt sich um eine Konjektur des Herausgebers. Vgl. Moltmann/Schöberl (1979) 175. ebd. Anfangs begann List, sich das Vertrauen der Menschen zu erwerben, indem er allein mit denjenigen sprach, die freiwillig zu ihm kamen, um Auskunft über ihre Motive zu geben. Ihnen gegenüber musste er dennoch betonen, dass er sie nicht an der Auswanderung hindern wollte. Doch als sich am Nachmittag niemand freiwillig bereit fand, mit ihm zu sprechen, bestellte er die Auswanderungswilligen, die am kommenden Tag schon abreisen wollten, einzeln ein, um sie zu vernehmen (vgl. dies. (1979) 135). Hier wurde nochmals jedem Einzelnen versichert, „man wolle ihrem Wegzug durchaus kein Hinderniß in den Weg legen“ (dies. (1979) 136). Daraufhin erfuhr er von ähnlichen Motiven wie bei den freiwilligen Befragungen. Vgl. Anm. 108. Moltmann/Schöberl (1979) 130; 133 – 134; 134 – 135 Vgl. Anm. 108. Wolfgang Behringer, der – auch bedingt durch die Perspektive einer Klimageschichte – nicht zögerlich ist, eine Kausalkette von Krisenphänomenen, zu denen er auch Migrationen zählt, zum Ausbruch des Tambora 1815 und damit verbundenen Ernteausfällen zu ziehen (vgl. Behringer (2015) pointiert 182; 321 u. passim), räumt dennoch ein: „Ob die Auswanderer wirklich ‚verzweifelt‘ waren, ist nicht sicher. Auf jeden Fall zweifelten sie an ihren persönlichen Entfaltungsmöglichkeiten im krisengeschüttelten Europa.

Das Ringen um Díkē als Grundlage der Gemeinschaft und der Ansässigkeit

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nach Persönlichkeit der jeweils Befragten – auf sehr unterschiedliche Weise äußern konnte, alle anderen: Die Unzufriedenheit, Aufgebrachtheit oder auch Resignation hinsichtlich der Willkür und Korruptheit lokaler Verwaltungspersonen. Kurz: Ein beträchtlicher Teil der Auswanderer war zu der Ansicht gelangt, die lokale Obrigkeit habe ihnen ein Unrecht zugefügt. „Wir mögen klagen, wo wir wollen, wir finden kein Recht“ 114, gab ein Zimmermann aus Egolsheim zu Protokoll. „Zweimal haben wir in der Stadtschreiberei angegeben, dass der Druk und das Unrecht uns aus dem Lande treibe, man hat es aber nicht einberichtet. Man muss nichts als SchreibGebür bezahlen, und wie wir fortgewollt, hat man uns so gar noch inventieren wollen, was wir aber nicht gelitten haben“, klagten zwei Bürger aus Kirchheim. Die Anschuldigungen blieben nicht im Vagen: Einige der Befragten gaben sehr detailliert Auskunft und benannten Personen. In Egolsheim ­seien Bürgermeister und Schultheiß Vettern, so berichtete Josef Hampf, der Weingärtner und Veteran des Russlandfeldzuges von 1812, aus dem er versehrt heimgekehrt war. Vom Schultheißen sei er wegen nicht geleistetem Jagdfron eingetürmt worden, zu Unrecht, wie er meint.115 Auch der ebenfalls aus Egolsheim stammende Zimmermann Jacob Strähle klagte Bürgermeister, Schultheiß sowie die restlichen Amtsträger an. „Der Magistrat ist Eine Familie.“ 116 Insbesondere der Schultheiß nutze sein Amt zum eigenen Vorteil, lasse durch seinen Sohn die Leute bedrohen und spreche ehrverletzende Beleidigungen aus.117 Auch anderenorts schienen Schmähungen und Korruption keine Seltenheit zu sein.118 Häufig entbrannten Konflikte um Allmendegüter, zu denen kein Zugang gewährt oder die, schlimmer noch, von Einzelnen in einer Machtposition vollends okkupiert worden waren. So klagte ein Beutelbacher, der Oberförster gebe nicht einmal Laub zum Düngen heraus, geschweige denn Holz, für dessen eigenmächtige Entnahme „unmäßig gestraft“ werde.119 Ein anderer aus demselben Ort erhob ebenfalls Vorwürfe gegen den Förster, er behandele sie „tirannisch“ und gebe trotz exorbitanter Frondienste nie Holz heraus.120 In Kirchheim gestalte sich die Lage gemäß den Angaben

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Viele Auswanderer waren auch keineswegs arm, sonst hätten sie sich die Auswanderung auch gar nicht leisten können. Dafür brauchte man außer dem Reisegeld, Reserven für unterwegs und Startkapital in der neuen Heimat. Wenn nicht die religiöse Motivation überwog, könnte man sogar die Hypothese wagen, dass die Auswanderer besonders unternehmungslustig und risikobereit waren […].“ ders. (2015) 177. Vgl. auch den jüngst erschienenen Sammelband zum „Jahr ohne Sommer“ Herkle/Holtz/Kollmer-von Oheimb-Loup (2019). Moltmann/Schöberl (1979) 131. dies. (1979) 130 – 131. Vgl. Anm. 108. dies. (1979) 132. Vgl. Anm. 108. ebd. dies. (1979) 132; 137; 138. Im letzten Fall ging die Schmähung in Richtung der Amtsträger. Vgl. Anm. 108. dies. (1979) 136. dies. (1979) 137.

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einiger von dort stammender Auswanderer noch ärger. Hier habe der Förster das Waldgras, das als Tierfutter genutzt wurde, größtenteils für sich selbst einbehalten und zu kleineren Teilen dem Wildschütz und dem Oberamtmann zukommen lassen. Die Bürger s­ eien leer ausgegangen. Die „Herren auf dem Rathaus“ besäßen Schafsherden und handelten nach eigenem Interesse, da sie die Teilung der Allmende aufgrund ihres Eigeninteresses hintertrieben.121 Wenngleich diese Beschwerden in der Rückschau kleinlich erscheinen mögen, war es den Betroffenen sehr ernst damit. Für sie waren es reale Motive zur Auswanderung. In ihrer Eigenwahrnehmung wurde ihnen unrecht getan und sie sahen ihre Lebenschancen in nicht hinnehmbarer Weise beschnitten. In den meisten Fällen nahm auch List die Berichte ernst. In seinem abschließenden Rapport legte er die Klagen gruppiert und nach Brisanz 122 geordnet dar. Die meisten Schilderungen schienen List glaubhaft. „Allen Anzeigen nach ist von ihnen ein geringer Theil unter die liederlichen Leute zu rechnen. Der größere Theil besteht aus kraftvollen Männern, ­welchen man es ansieht, dass sie nicht durch einen liederlichen Lebenswandel zu ­diesem Entschluss bewogen worden.“ 123 Hierbei handelt es sich um eine moralische Bewertung nach Ansehen der Personen, eine Aussage, die den Rückschluss erlaubt, dass die Annahme, das Aufgeben von Ansässigkeit sei häufig mit einem unsteten, moralisch anstößigen Lebenswandel verbunden, bei den Adressaten des Berichts akzeptiert, vielleicht sogar dominant war. Aus seiner Darstellung wird allerdings deutlich: Es waren eben nicht die Schwächsten und Ärmsten, die ihre Heimat verließen. Aus den Protokollen geht zudem hervor, dass die meisten über Vermögen verfügten. Die Auswanderungswilligen waren von ihrem Vorhaben überzeugt. List vermutete dahinter das Werk heimtückischer Seelenverkäufer, die mit gefälschten Briefen und Gerüchten danach trachteten, die Menschen in ihre Fänge zu locken;124 daher forschte er nach 125 und regte an, seinen Verdacht in größerem Maßstab weiterzuverfolgen.126 Doch waren es nicht die falschen Versprechungen allein, die die Hoffnungen der Auswanderer nährten, sondern tatsächliche Briefe von Verwandten, die Erfolgsgeschichten und Informationen enthielten. So fiel es List nach eigenem Bekunden sehr schwer, die Menschen von ihren Migrationsvorhaben abzubringen. Allein bei den ohnehin Armen gelang es ihm: Comissarius [sc. List] gieng sofort dazu über, diesen unglücklichen Menschen die Gefahren, w ­ elchen sie entgegengehen mit lebhaften Farben zu schildern, und, 121

122 123

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dies. (1979) 137 – 138. Es handelt sich folglich um eine Analyse Lists. Moltmann/Schöberl (1979) 140. Dies ist eine weitere, offenbar gängige Annahme, die zumindest von den Adressaten des Berichts geteilt worden ist. ebd. dies. (1979) 166 – 167. dies. (1979) 186.

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nachdem er sich mehrere Stunden lang alle Mühe gegeben hatte, bewirkte er bei 3 Familien eine SinnesÄnderung. Diese zur ärmeren Classe gehörenden Personen baten, daß man sie, wenn sie […] im Vaterland bleiben sollen, […] mit NahrungsMitteln [sic …] unterstützen möchte.127 Drei Familien nach mehreren Stunden intensiver Schwarzmalerei – dies war kein strahlender Sieg des jungen Beamten. Indes dürfte weniger die rednerische Leistung Lists verantwortlich gewesen sein als die felsenfeste Überzeugung der Auswanderungswilligen, es zu schaffen. Für ihren Optimismus hatten sie gute Gründe, nämlich ihr mitgebrachtes Vermögen, ihre Kenntnisse als Handwerker und Bauern sowie ihre physische Stärke.128 In seinem Abschlussbericht kategorisiert List die Motive, die er bei den Auswanderungswilligen erfragt hatte, folgendermaßen: „1. Unerschwingliche Auflagen […] 2. Persönliche Bedrückung durch OrtsVorsteher [sic …] 3. Insbesondere über das SchreibereyWesen wird große Klage geführt […] 4. Über die Langsamkeit des JustizGanges und insbesondere des GanntVerfahrens [sic …] 5. Bedrückung durch die Förster und Gewild […] 6. Bedrückungen durch Gutsherrschaften“. Die Punkte zwei bis sechs lassen sich alle unter einem Mangel an Gerechtigkeit, der von den Betroffenen erfahren wurde, subsumieren. Auch die unter Punkt eins genannte Dienst- und Abgabenlast ist, das wird aus den protokollierten Aussagen deutlich, kaum vom (Fehl-) verhalten der Amtsträger vor Ort zu trennen. In der Wahrnehmung der Betroffenen waren es, so sie es denn näher ausführten, diese Amtsträger, die von ihnen Unzumutbares einforderten und ihnen so unrecht taten. List war für diese Missstände sensibilisiert, zumal sie in sein Aufgabengebiet fielen. Allerdings hielt er sich bei den Befragungen zurück und zog seine Schlüsse aus den Aussagen. Die Protokolle legen in keiner Weise die Annahme nahe, List habe die Befragungen in eine Richtung gelenkt. Seine seltenen Nachfragen sind protokolliert und dienen allein der Klärung des jeweiligen Sachverhaltes.129 So fragte er 127

dies. (1979) 149 – 150. Die Männer fühlen sich kräftig genug, um den Strapazen der Reise zu trotzen. Gerade die Ärmsten entschlossen sich schließlich, nicht das für sie größere Wagnis einzugehen, verfügten sie doch kaum über die finanziellen Mittel, derer es bedurfte, die Reise anzutreten. Vermutlich bestritten sie ihren Lebensunterhalt als Tagelöhner, womit sie, mit Glück am Ziel angelangt, in einer deutlich schlechteren Ausgangslage gewesen wären als jemand, der ein Handwerk erlernt hatte. Denn auch wenn dieser Handwerker über keine finanziellen Mittel verfügte, standen seine Chancen, mit seinem Können seinen Lebensunterhalt in der Neuen Welt zu sichern, deutlich besser als für den, der alleine seine Muskelkraft anzubieten hatte. 129 Zwischen dem Bild, das sich aus den Befragungen abzeichnet, und Friedrich Lists theoretischen Einlassungen zur Migration besteht eine bemerkenswerte Inkonsistenz. Dieser Inkonsistenz nachzugehen ist lohnenswert; hier muss aber eine Skizze genügen: Seinen Aufsatz Die Ackerverfassung, die Zwergwirtschaft und die Auswanderung (in: Beckenrath (1971 [1928]) 418 – 547, ­später entstandene Kurzfassung: 643 – 645) schrieb List nicht unter 128

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b­ eispielsweise, warum ein Bürger in einem Streitfall keine höhere juristische Instanz angerufen habe. Seine Möglichkeiten zur Lenkung dürften zudem eher gering gewesen sein, hätte er doch durch eine zu aktive Rolle das Vertrauen der Menschen nur allzu schnell verloren. Er hatte kaum eine andere Wahl, als die Menschen reden und von ihren Gründen und Motiven erzählen zu lassen, wenn er nicht knappe, misstrauische Antworten erhalten wollte.130 2.2.1.3 Ansässigkeit, Mobilität, Migration und Gerechtigkeitskonzeptionen Die Verhältnisse im Württemberg des frühen 19. Jahrhunderts im Allgemeinen und die einzelnen Schicksale der Auswanderer im Besonderen waren durchaus individuell. Ein Auswanderungsmotiv allerdings durchdringt die meisten dieser Einzelschicksale, dem u ­ nmittelbaren Eindruck der Befragungen in Neckarsulm und Weinsberg (1817), sondern gut 25 Jahre danach. Wenngleich auch seine Tätigkeit in den Wirtshäusern nahe der Neckarhäfen eingeflossen sein dürfte, waren doch Einsichten, zu denen er an der Donau gelangte, prägend für seine spätere Sichtweise auf Auswanderung. Erbteilungen hatten hier zur Zerstückelung des Besitzes der Kleinbauern geführt; eine Wirtschaftsweise ohne nennenswerte Überschüsse war entstanden; bei jeder schlechten Ernte drohten Hunger und Elend. Vgl. Bausinger (1990) 82 – 83. Auch für die griechische Archaik wurde Mangel, der durch Erbteilung hervorgerufen worden sei, konstatiert und als Triebfeder der ‚Kolonisation‘ angesehen. Lists Aussagen sind indes ambivalent: Der in die neuerworbenen südostschwäbischen Gebiete entsandte Amtsträger konnte der Migration als Lösung für diese besondere wirtschaftliche Notlage, d. h. einen Einzelfall, zwar etwas abgewinnen. Für den Staat bedeutete die Auswanderungsförderung einen immensen Aufwand an administrativen und ökonomischen Ressourcen – ein Großprojekt von der Art, die der junge List selbst kritisiert hatte, auch weil er die Umsetzung für schwierig und die Wirkung für zweifelhaft hielt. „Staaten und Völkern sind in einem gewissen Alter Auswanderungen ein Naturbedürfnis, das hellsehende Staatsmänner ebenso wenig durch Zwangsmaßnahmen hemmen als durch Beförderungsmaßregeln steigern werden.“ Friedrich List, in: Salin (1971 [1935]) 183. Und selbst wenn der hohe Aufwand tatsächlich fruchten sollte, hätte der Staat unter immensen Kosten doch nur erreicht, dass er einer wertvollen Ressource verlustig ging: „Die nachteiligste Ausfuhr ist die der Menschen.“ ders. (1971 [1935]) 167. Es darf auch nicht vergessen werden, dass für List – dies hatte er mit den Ökonomen seiner Zeit gemein – die Nation maßgeblich war: „Es gibt keine Weltwirtschaft, sondern nur Nationalwirtschaften, w ­ elche vermittelt des auswärtigen Handels miteinander in Berührung treten.“ ders. (1971 [1935]) 184. Lists Erfahrungen mit den Auswanderern könnten seinen Zorn auf die Schreiberherrschaft (vgl. Bausinger (1990) 82) befeuert haben, der ihm schließlich zum Verhängnis wurde und selbst zum Exilanten machte. Dass diese tiefe Abneigung umgekehrt Einfluss auf seine Arbeit in Neckarsulm und Weinsberg gehabt haben könnte, ist nicht ganz auszuschließen, zumal List in seiner frühen Schrift Gedanken über die Württembergische Staatsregierung ein Jahr zuvor die Korruption bei Beamten als eines der größten Verderbnisse für den Staat geißelte. Vgl. List (1971 [1932]) passim. Vgl. wiederum hierzu Wendler (2014) 90 – 91. Vgl. zu diesen Ausführungen insgesamt auch mit Anmerkungen Delp (2021b) 22 – 23. 130 Vgl. zu diesen Überlegungen ebd.

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nämlich die Wahrnehmung der Betroffenen, ungerecht behandelt worden zu sein. Es lassen sich drei Komplexe ausmachen, worauf diese Wahrnehmung beruhte: erstens die Ehre und das Ansehen der Betroffenen, worunter beispielsweise die Beleidigungen fallen würden; zweitens physische Gewalt, deren Androhung oder Freiheitsentzug; drittens den Ausschluss von Lebenschancen, wobei es sich hierbei auch um die Verweigerung des Zugangs zu materiellen Ressourcen handeln konnte – ohne Zugang zu Weideland konnten Herden nicht gedeihen. Derjenige, der über die eigene Zeit gar nicht oder nur in geringem Maße verfügen konnte, arbeitete nicht für sich selbst. All diese Ausschlüsse desintegrieren dann, wenn sie als illegitim wahrgenommen werden, wohingegen Beschränkungen an sich noch nicht desintegrierend wirken. Ob und inwiefern eine Beschränkung als illegitim wahrgenommen wird, richtet sich in hohem Maße nach den vorherrschenden Gerechtigkeitsnormen und nicht allein nach dem Ausmaß einer Beschränkung.131 Eine Allmende konnte nicht unbegrenzt genutzt werden. Wenn sie indes von einigen wenigen intensiv genutzt wurde, andere aber von der Nutzung abgehalten wurden, wurde dies zum Problem, für das Migration oder auch zunächst einmal Mobilität zur Lösung werden konnte.132 In der persönlichen Wahrnehmung waren physische Gewalt oder Rufschädigung durchaus unterschiedliche Erfahrungen. Allerdings traten beide Erfahrungen in der Praxis nicht selten als Komplex von Ungerechtigkeit gemeinsam in Erscheinung, wurden aber mitunter getrennt voneinander berichtet. Die Beschimpfung selbst war bereits ein desintegrierender Akt, der Versuch, den Beschimpften in eine schlechtere Position zu bringen und sein Prestige zu mindern, also eine der Ressourcen, mit denen die Position innerhalb der Gemeinschaft aufrechterhalten wurde. Die Ausübung physischer Gewalt war sowohl eine Demütigung als auch ein Angriff auf die Gesundheit. Im Kontext von Ansässigkeit und Mobilität zeigt sich, dass die Wahrnehmung, gerecht behandelt zu werden, eine Ressource darstellt, die Ansässigkeit ermöglicht und garantiert. Je mehr Menschen die Wahrnehmung, ihnen geschehe Unrecht, teilen, desto drastischer sind die Folgen für die Gemeinschaft, denn sie kann nicht allein durch Abwanderung destabilisiert, sondern gar in ihren Grundfesten erodiert werden, wenn die gesamte Organisationsform grundsätzlich an Glaubwürdigkeit verliert.

2.2.2 Gerechtigkeit im Kontext früharchaischer Ansässigkeit Der kleine Exkurs ermöglicht – wie sich zeigen wird – eine etwas andere Perspektive auf bereits vielfach herangezogene Quellen, mit der sich Migration und das Ringen um Ansässigkeit verknüpfen lassen. Der Sprung von 2 500 Jahren ist ein zugegebenermaßen ambitioniertes Unterfangen, aber die Verwendung einer anhand des neuzeitlichen Fallbeispiels entwickelten Perspektive scheint gerechtfertigt, da der ­Vergleich 131 Vgl.

132 Vgl.

ders. (2021b) 24. ebd.

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allein der Heuristik dient. Die den Quellen innewohnenden Spezifika drohen dadurch nicht verdeckt oder durch Übertragungen gar ersetzt zu werden. Stattdessen legt es die herausgearbeitete Perspektive nahe, eine Reihe von Quellen zu berücksichtigen, die bislang kaum oder nicht in d ­ iesem Maße für Fragen der Migration herangezogen wurden. Der Begriff ‚Gerechtigkeit‘ nimmt dabei eine Schlüsselrolle ein.133 Abstrahiert von den Auswandererbefragungen in Württemberg erscheint Gerechtigkeit als eine Wahrnehmung der Betroffenen, die klar artikuliert werden kann und meist mit dem Ausschluss vom Zugang zu Lebenschancen verbunden ist, und beschreibt hier folglich einen von den Akteuren wahrgenommenen gesellschaftlichen Zustand, nicht eine individuelle Tugend (etwa im Sinne von δικαιοσύνη). Im frühgriechischen Kontext lässt sich Gerechtigkeit als δίκη bzw. als die Personifikation Δίκη fassen, wenngleich die dem Begriff zugrundeliegende Konzeption nicht deckungsgleich mit unserem Sprachgebrauch ist. Das lexikalische Feld des griechischen Begriffs umfasst neben Gerechtigkeit als solcher auch die Herstellung von Gerechtigkeit mit juristischen Mitteln, also das Recht.134 Beides lässt sich auch im Deutschen mitunter nicht scharf voneinander trennen, vor allem, wenn alltägliche, lebensweltliche Konzeptionen herangezogen werden, denen die Begriffsschärfe juristischer Unterscheidungen naturgemäß abgeht.135 Die Frage, inwiefern aus den Quellen etwas abgelesen werden kann, das über einen sehr konkreten Einzelfall hinausgeht, stellt sich grundsätzlich. Hier ist diese Problematik begleitet von einer in der älteren Forschung leidenschaftlich ausgetragenen Debatte um die ‚Einheit des griechischen Rechts‘.136 Einer der Protagonisten, Moses Finley, lehnte eine ­solche Vorstellung ab, da beim Vergleich der Inschriften in Gortyn, der homerischen Epen, der frühen attischen Gesetzgebung und der ersten 133 Auch

Becker (2018) 154 erkennt in der positiven Bewertung von Gerechtigkeit einen zentralen Aspekt des Gedichts; indes zählt er sie an anderer Stelle (ders. (2018) 64 – 65) nicht zu den Hauptbedeutungen von δίκη bei Hesiod. 134 Im angelsächsischen Raum werden zur Unterscheidung gerne die Begriffe ‚law‘ und ‚justice‘ herangezogen. Vgl. etwa Gagarin (2006) 30. Lewis (2006) 131 differenziert bei der Verwendung von díkē durch Solon ­zwischen der Wiedergutmachung unangemessener Taten, dem dazugehörigen Prozess und einem Ruhezustand. Das Problem der Mehrdeutigkeit bei der Übertragung von díkē ins Deutsche erkannte bereits Wilamowitz-Moellendorff (1970) 65: „Es gehört sich, daß die noch nicht zu aristotelischer Fixierung der Wortbedeutung erzogene Logik den Unterschied übersieht.“ Laumann (1988) 48 setzt Recht und Gerechtigkeit bei Hesiod folgendermaßen miteinander in Beziehung: „Das Recht, an das Hesiod glaubt, ist eine unerschütterliche Ordnung, die unbedingt gilt und dafür, dass der Gute seinen Lohn und der Ungerechte seine Strafe findet.“ Vgl. hierzu auch Delp (2021b) 26. Assmann (2001) 310 unterscheidet ­zwischen der „Idee der Gerechtigkeit“ und der „Praxis des Rechts“, eine Konzeption, an der ich mich hier orientiert habe. 135 Davon kündet auch, dass in den im vorangegangenen Kapitel behandelten Auswandererprotokollen, „Recht“ (mit dem Antonym „Unrecht“) oft verwendet wird, aber eigentlich „Gerechtigkeit“ gemeint ist. 136 Vgl. dazu den Überblick bei Gagarin (2006) insbesondere 30 – 3 4 u. passim.

Das Ringen um Díkē als Grundlage der Gemeinschaft und der Ansässigkeit

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ptolemaiischen Papyri kaum eine gemeinsame Konzeption erkennbar sei,137 wobei Finley vor allem mit konkreter Gesetzgebung argumentiert.138 Hans Julius Wolff betonte dagegen, dass es durchaus „geläufige dogmatische Begriffe“ gegeben habe, wozu unter anderem auch díkē gehöre.139 Nachdem das Problem aufgeworfen war, begegnete ihm die jüngere Forschung mit unterschiedlichen Lösungsansätzen, wobei das Grundproblem der Überrepräsentation einzelner Poleis bestehen blieb und es sich in der Praxis als schwierig erwies, ohne Rückschlüsse auf quellenärmere Räume auszukommen.140 Gemeinsamkeiten wurden beispielsweise anhand des „legal behaviour“ 141 oder der „legal procedure“ 142 festgestellt; vor allem grundlegende Ideen und Konzepte ­seien fraglos erkennbar und nicht von der Hand zu weisen – die teilweise starken Unterschiede im Detail allerdings auch nicht.143 Es steht außer Frage, dass für einzelne Gesetzgebung keine Allgemeingültigkeit beansprucht werden darf. Bei allgemeineren Konzepten verhält es sich indes anders: Díkē ist ein unterschiedlich nuanciertes, aber weitverbreitetes Grundkonzept griechischen Denkens, das nicht allein durch Gesetze, sondern auch durch Quellen mit weit größerer Reichweite, wie etwa Dichtung, transportiert wurde. Hier soll nicht der Versuch unternommen werden, allgemeingültige Aussagen für ‚die Griechen‘ zu treffen, sondern zu zeigen, dass in den Quellen ein Zusammenhang ­zwischen díkē, Ansässigkeit und Mobilität greifbar ist und dass dieser Zusammenhang keinen Einzelfall darstellt. 2.2.2.1 Die gemeinschaftliche Ebene von Díkē in den Werken und Tagen Hesiods Bereits im frühen Epos finden sich vielversprechende Passagen: In den Werken und Tagen lässt sich in den Versen 213 – 285144 eine thematische Verdichtung ausmachen, 137

Finley (1975b) 140. Vgl. zum Definitionsproblem von ‚Einheit‘ Gagarin (2006) 31 – 32. 139 Wolff (1975) 20 – 22. Die Ansicht wurde außerhalb des angelsächsischen Raumes weithin geteilt. Vgl. Gagarin (2006) 30 – 31. Wolff steht damit in einer auf das 19. Jahrhundert zurückgehenden Traditionslinie und folgt so einer Vorstellung, die einem Umfeld entstammt, das in den Griechen eine Nation zu erkennen glaubte, wie Finley (1975b) 134 – 135 ebenso kritisch wie zutreffend anmerkt, wenn er auf Mitteis (1891) verweist. Vgl. auch Finley (1975a). Indes ist Wolff sich der lokalen Unterschiede wohlbewusst und gibt unumwunden zu, es gebe nichteinmal eine einheitliche Rechtssprache und das Argument der Gegner einer Einheitstheorie sei in diesen beiden Punkten „unangreifbar“. Vielmehr versteht er ein „gemeingriechisches Recht“ als „kulturgeschichtliche Abstraktion“. Vgl. Wolff (1975) 20 – 21. 140 Vgl. Gagarin (2006) 32 – 3 4. 141 Foxhall/Lewis (1996) 2 – 3; dazu Gagarin (2006) 32 – 33. 142 Gagarin (2006) 34 – 40. 143 Vgl. ders. (2006) 31 – 32. 144 Der Terminus allein δίκη ist hier 19 mal genannt: Hes. erg. 213; 217; 219 – 221; 225; 239; 249; 250; 254; 256; 262; 264; 269; 272; 275; 278 – 279; 283. Hesiods Plädoyer für 138

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nachdem Hesiod unmittelbar davor mit der Erzählung von den Weltenaltern das nun Folgende vorbereitet hat: Mit dem letzten, eisernen Zeitalter 145 beschreibt der Dichter nämlich seine eigene Gegenwart,146 für die Ungerechtigkeit und hýbris kennzeichnend ­seien.147 Die daran anschließende Díkē-Passage beginnt mit einem Gleichnis,148 das eine ähnliche Funktion erfüllt. Die Präliminarien münden dann in den Erbschaftsstreit ­zwischen dem Dichter und seinem Bruder,149 der die basileís, die als Richter fungierten, bestochen habe. Sie werden als gabenfressende Männer (ἄνδρες δωροφάγοι) geschmäht, die Díkē als Personifikation der Gerechtigkeit gewaltsam fortzögen, eine Formulierung, in der auch Vergewaltigung anklingt.150 Mit der Anklage hebt Hesiod indes noch etwas anderes hervor: das Unheil, das demjenigen widerfahre, der Díkē missachte und so der hýbris anheimfalle, wobei erneut die basileís angesprochen sind.151 Da diese in einer Postion sind, in der sie Recht sprechen, verweist Hesiod hier nicht nur auf den Normbruch 152, sondern lässt auch die Schlüsselfunktion, die sie in der Gemeinschaft einnehmen, deutlich zutage treten. Ferner ist es plausibel anzunehmen, dass weder Hesiods Bruder noch die zweimal angesprochenen basileís die alleinigen Adressaten des Gedichts waren,153 zumal die Ratschläge oft von derart allgemeiner Natur sind,

Gerechtigkeit wurde als das stärkste gewertet, das von einem antiken Autor erhalten sei. Gagarin (1986) 49. 145 Hes. erg. 106 – 201. Zuvor habe es vier Geschlechter gegeben, ein goldenes, ein silbernes, ein ehernes und das Geschlecht der Heroen, dem Hesiod den Zug gen Troia und die Erzählungen um Kadmos, Ödipus und Theben zuordnet. 146 Hes. erg. 174 – 175. Der pessimistischen Eröffnung folgt die düstere Zeichnung einer Welt, geprägt von Mühe und Unsicherheit: Hes. erg. 176 – 201. 147 Vgl. Hes. erg. 190 – 196. 148 Das Gleichnis: Hes. erg. 202 – 212. Darin fängt ein Habicht (wohl die basileís als Richter) eine Nachtigall (Hesiod als Sänger), auf deren anklagende Worte der Raubvogel mit dem Recht des Stärkeren argumentiert, wobei auf den Erbschaftsstreit des Sängers mit dem Bruder angespielt wird. 149 Der Streit um das Erbe ­zwischen Hesiod und dessen Bruder Perses durchzieht das gesamte Werk, in dessen Kontext – mehr noch als die basileís – Perses angesprochen wird. Die an Perses gerichteten Ermahnungen liefern einen Aufhänger für das Lehrgedicht und sind als Motiv wiederkehrend: Hes. erg. 10; 27; 213; 274; 286; 289; 299; 397; 611; 633; 641. 150 Vgl. hierzu Hom. Il. 6,465; 22,62; Hom. Od. 11,580; Eur. Tro. 70; Lys. 1,12; 3,12 mit West (1978) 212. 151 Hes. erg. 214 – 216 spricht nämlich davon, dass auch „den Besten“ (ἐσθλοί) ­dieses Unheil drohe: ὕβρις γάρ τε κακὴ δειλῷ βροτῷ, οὐδὲ μὲν ἐσθλὸς / ῥηιδίως φερέμεν δύναται, βαρύθει δέ θ’ ὑπ’ αὐτῆς / ἐγκύρσας ἄτῃσιν· – Hýbris nämlich bekommt den armen sterblichen übel; nicht einmal der Angesehene und Edle führt sie leicht im Gepäck und gerät in Unheil. Neben ἐσθλός wird δυνάτης zur Umschreibung verwendet, das auf Stärke und Fertigkeiten abzielt, die ein basileús stets unter Beweis stellen muss. Vgl. zu Selbstbezeichnung und Selbstverständnis der basileís Ulf (1990) 15 – 40; ders. (2011a) 257 – 258 und Schmitz (2014) 19 – 20. 152 Zum individuellen Kontext vgl. Hes. erg. 35 – 39. 153 Perses wird im zweiten Teil des Gedichts deutlich seltener direkt angesprochen.

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dass sich ein deutlich breiteres Publikum vermuten lässt.154 So bestechend und findig einzelne Erklärungen auch sein mögen,155 erscheint es problematisch, den konkreten Anlass allein auf den Streit der beiden Brüder zurückzuführen.156 Es sollte also von einem allgemeineren Anspruch der getroffenen Aussagen ausgegangen 157 werden.158 Hesiod bewegt sich hier zunächst auf der Ebene individuellen Fehlverhaltens gegenüber Díkē, stellt aber das Ergebnis ungerechten Verhaltens sprachlich bereits entpersonalisiert dar: Das Unheil drohe jedem Ungerechten, nicht allein den Prozessbeteiligten im Erbschaftsstreit. Selbst bei seiner drastischsten Darstellung 159, der Misshandlung Díkēs, bleibt Hesiod mit ἄνδρες allgemein, wenngleich zumindest an den „schiefen Spruch“ im Erbschaftsstreit mit dem Bruder erinnert werden soll.160 Entscheidungen über Lebenschancen zu treffen, wie im Falle des Bruderzwists, war zudem stets eine Machtposition, die sich nicht nur hier in der Schlüsselfunktion eines basileús, Urteile zu fällen, abzeichnet.161 Auch aus der Theogonie kennen wir das Idealbild eines solchen basileús im Erfüllen ebendieser Funktion: er schlichtet Streitigkeiten, ist ebenso klug wie wortgewandt und fällt gerechte Entscheidungen.162

154 Vgl.

Itgenshorst (2014) 158 – 160. Der Versuch, den Anlass konkret zu bestimmen, wurde vielfach unternommen – mit unterschiedlichen Ergebnissen und ohne abschließende Antwort. 155 Vgl. Clay (2003) 34 – 35 zu Hes. erg. 396. Clays Folgerung, Hesiod habe keinen materiellen Nachteil erlitten, erscheint mir indes überinterpretiert. 156 Vgl. Itgenshorst (2014) 158; Schmidt (1986) passim. 157 Hieran ändert auch das erneute, direkte Ansprechen von Perses im Anschluss der Passage (Hes. erg. 213: Ὦ Πέρση, σὺ δ’ ἄκουε δίκης μηδ’ ὕβριν ὄφελλε·) nichts. 158 Vgl. für eine detailliertere Ausführung Delp (2021b) 25 – 26. 159 Hes. erg. 219 – 220: τῆς δὲ Δίκης ῥόθος ἑλκομένης ᾗ κ’ ἄνδρες ἄγωσι / δωροφάγοι, σκολιῇς δὲ δίκῃς κρίνωσι θέμιστας· – Ein Grollen erhebt sich, wenn Dike dahin fortgezerrt wird, wohin gabenfressende Männer sie bringen und mit schiefen Sprüchen die Fälle entscheiden. 160 Dabei greift er erneut auf den Zusatz δωροφάγοι wie auch zu Beginn des Gedichts (Hes. erg. 35 – 39) zurück. 161 Dies ergibt sich aus der folgenden Passage der Theogonie, eine Konzeption, die auch in der alltäglichen Welt durchaus naheliegend sein konnte, wie eine Überlegung, die Seelentag (2015) 73 anstellt, zeigt: „Überdies stellt sich die Frage, warum ein einzelner Amtsträger die in der Gemeinschaft auftretenden Aufgaben, wie etwa die Schlichtung von Streitigkeiten, besser lösen sollte als eine potentiell offene Gruppe von angesehen [sic] Männern, die diese Aufgabe gemeinsam oder im Wettbewerb untereinander wahrnehmen.“ 162 Hes. theog. 84 – 90: Οἱ δέ νυ λαοὶ / πάντες ἐς αὐτὸν ὁρῶσι διακρίνοντα θέμιστας / ἰθείῃσι δίκῃσιν· ὁ δ’ ἀσφαλέως ἀγορεύων / αἶψά τι καὶ μέγα νεῖκος ἐπισταμένως κατέπαυσε· / τούνεκα γὰρ βασιλῆες ἐχέφρονες, οὕνεκα λαοῖς / βλαπτομένοις ἀγορῆφι μετάτροπα ἔργα τελεῦσι / ῥηιδίως, μαλακοῖσι παραιφάμενοι ἐπέεσσιν. – Alle Leute schauen auf ihn [sc. den basileús], wie er Urteile fällt in gerechter Entscheidung. Er spricht mit Festigkeit und beendet rasch und klug sogar gewaltigen Streit. Dazu nämlich gibt es kluge basileís, dass sie für Menschen, die Schaden erlitten, auf der Agora mit leichter Mühe alles zum Guten wenden und ihnen mit freundlichem Wort Genugtuung schaffen.

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Die basileís der Werke und Tage werden d ­ iesem Ideal indes nicht gerecht.163 Bestech164 lich bis ins Mark fällen sie σκολιαί δίκαι  statt den εὐθεῖαι δίκαι, die eigentlich gefällt werden sollten.165 Die herausgehobene Stellung der basileís ist ferner kein Spezifikum der Dichtungen Hesiods,166 gleichwohl ist sie dort besonders präsent, da jene, mal im Gegenbild des Fehlverhaltens korrupter Amtsträger, mal im in der Theogonie exemplifizierten Ideal eines rechtschaffenen Richters, Entscheidungen fällten, die auf das Leben innerhalb der Gemeinschaft erheblichen Einfluss hatten. Hesiod hebt im weiteren Verlauf des Lehrgedichts anhand des individuellen Falls Exemplifizierte 167 auf eine kollektive Ebene;168 es sind Gemeinschaften (πόλις, ἤθεα λαῶν) angeführt, denen als Gesamtheit Unheil droht: Nicht die basileís allein tragen die Konsequenzen ihres schändlichen Handelns,169 sondern alle. Die Zerstörung der Gemeinschaft ist vollständig und unumkehrbar: Hesiod schreibt ἀποφθινύθουσι δὲ λαοί 170, wobei zusätzlich Zeus als religiöse Instanz 171 angeführt ist. 163

Zu ­diesem Urteil gelangen auch: Solmsen (1954) 13 – 15; Blümer (2001) 13. Hes. erg. 264. 165 Vgl. Delp (2021b) 32. 166 Wenngleich die Werke und Tage und auch die Theogonie wichtige Quellen sind, speist sich das Bild wesentlich aus den Epen Homers. 167 Die Kritik an der Praxis der Rechtsprechung ist grundsätzlich formuliert, sodass sie sich auf deutlich mehr als lediglich den Streit mit dem Bruder beziehen lässt. Vgl. hierzu Itgenshorst (2014) 158. Hinzu kommt, dass es in der Theogonie gerade die Rechtsprechung ist, die einen guten basileús schlechthin ausmacht. Die basileís der Werke und Tage sind ihr Gegenstück. 168 Hes. erg. 222 – 224: ἣ [sc. Δίκη] δ’ ἕπεται κλαίουσα πόλιν καὶ ἤθεα λαῶν, / ἠέρα ἑσσαμένη, κακὸν ἀνθρώποισι φέρουσα, / οἵ τέ μιν ἐξελάσωσι καὶ οὐκ ἰθεῖαν ἔνειμαν. – Sie [sc. Díkē] aber folgt, in Nebel gehüllt, bejammert Stadt [πόλις] und Wohnsitze [ἤθεα] der Völker [λαοὶ] und bringt Unheil über Menschen, die sie verjagen und sie nicht gehörig zuteilen. Vgl. dazu Delp (2021b) 26. 169 Vgl. Hes. erg. 258 – 264. 170 Hes. erg. 243; vgl. auch Hom. Il. 5,643. 171 Solmsen (1949) 92 – 93 las die Passage so, als sei Díkē hier persönlich beleidigt ob des ihr widerfahrenen Unrechts, was belege, dass Hesiods Götterbild ‚primitiver‘ sei als das des Homer (vgl. Hom. Il. 16,386 – 388). Wie Verdenius (1985) 140 jedoch mit Recht betont, beklagt sich Díkē nicht bei Zeus, sondern erstattet ihm Bericht (γηρύεθαι). Hesiod zeichnet die Götter also nicht als Getriebene, die aus dem Affekt heraus handeln. Sie sind planvolle Mittler und vertreten eine höhere Gerechtigkeit, wenn das Herstellen der irdischen scheitert. Die Forschung behandelt diese Passage meist aus der Perspektive der Religion. Dies ist insofern naheliegend, als die Götter Díkē und Zeus agieren. Sie tun dies aber im Kontext menschlichen Handelns. Hesiod thematisierte Probleme der alltäglichen Lebenswelt, was nicht zuletzt der Erbschaftsstreit mit dem Bruder zeigt. Schmitz (2008) 158 – 159 interpretiert die Verse als für „traditionale bäuerliche Gesellschaften“ typische Gerechtigkeitsvorstellungen: „Auch wenn die Bauern ihre Vorstellungen von Gerechtigkeit gegen die Entscheidungen der Adeligen nicht durchsetzen können, hoffen sie doch auf eine höhere göttliche Gerechtigkeit, die Vergehen außerhalb der eigenen Einflußnahme 164

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Obschon das Handeln der basileís in der hesiodischen Konzeption über Wohl und Wehe der gesamten Gemeinschaft entschied, war die Machtposition, die die basileís innehatten, wie oben skizziert, relativ,172 was sich analytisch präzise in der theoretischen Sprache Pierre Bourdieus ausdrücken lässt: Sehen wir die Gemeinschaft als ein Feld 173 der Macht, ist die Deutungshoheit eines Einzelnen umso größer, je näher er dem Zentrum des Feldes ist. Die basileís waren im Vergleich zu den Übrigen ­diesem Zentrum nahe, doch waren sie dadurch nicht von allen Regeln d ­ ieses Feldes befreit, sondern diesen Regeln gleichermaßen unterworfen.174 Die basileís hatten zwar die größte Chance darauf, die Regeln innerhalb des Feldes zu bestimmen, aber sie ahndet.“ Die göttliche Gerechtigkeit wird so zum aus den bäuerlichen Gerechtigkeitsvorstellungen abgeleiteten Ideal. Vgl. ders. (2004) 31 – 33; 77 – 78. Ob die Konzeption göttlicher Gerechtigkeit bei Hesiod tatsächlich der Gerechtigkeitsvorstellung der Bauern entsprach, ist abhängig davon, welcher Annahme hinsichtlich der sozialen Stellung Hesiods gefolgt wird. Sicher ist, dass die Werke und Tage in einer bäuerlichen Lebenswelt angesiedelt sind. Die Normen einer Gemeinschaft, deren Produktionsweise in erster Linie agrarisch war, haben sich im Gedicht niedergeschlagen (z. B. reziproke Nachbarschaftsbeziehungen). Doch bedeutet dies nicht, dass Werte und Normen der Bauern der einzige Bezugsrahmen des Gedichtes sein können. Es ist zu bedenken, dass Hesiod der Elite, deren potentielles Fehlverhalten er anprangert, weniger fern war, als er den Anschein zu erwecken sucht. Offensichtlich verfügte er über eine umfangreiche Bildung und Mußestunden, um seine Kunst zu pflegen. Beides können wir für einen einfachen Bauern dieser Zeit nicht annehmen. Religiöses und Politisches sind zu dieser Zeit nicht voneinander zu trennen. Religiöse Konzeptionen können zwar einen sozialen Ort haben. Doch bemüht der Dichter nicht die Schutzgötter der Bauern, um sie gegen die Aristokratie in Stellung zu bringen. Auch Laumann (1988) 48 geht davon aus, dass Hesiod das „menschliche Tun streng am Maßstab des Rechts, das feststeht und klar umschrieben ist,“ messe. Mit Zeus, dem Göttervater, und Díkē, seiner Tochter und der Personifikation der Gerechtigkeit, wird eine Allgemeinverbindlichkeit der Gerechtigkeitsnorm hergestellt. Dieser Strategie liegt nicht die Vorstellung einer willkürlich formbaren Götterwelt zugrunde, sondern die einer allgemeinverbindlichen Gerechtigkeit, der entsprochen werden sollte, die aber auch verletzt werden kann – dies geschieht nicht allein durch die basileís, sondern auch durch Perses. Das Fehlverhalten der Elite ist ferner nicht grundsätzlich, sondern steht im Widerspruch zu dem in der Theogonie formulierten Ideal. Hesiod zeigt aber ein grundsätzliches Problem auf, das erstens aus einer leicht zu missbrauchenden Machtposition, zweitens aus rechtlich nicht klar definierten Regeln sowie drittens aus einer für eine ökonomisch produktiver und sozial komplexer werdende Welt nicht mehr angemessenen Form der Rechtsprechung besteht. Vgl. dazu auch Delp (2021b) 29 – 30 samt Anmerkungen. 172 Ebenso Blümer (2001) 13. Indes sitzt er hinsichtlich der Richterfunktion einem Irrtum auf, wenn er schreibt, die basileís hätten keine „wirkliche richterliche Gewalt“ inne, da das „Volk“ sich „freiwillig“ unterwerfe, weil es die Überlegenheit anerkenne. Damit umreißt Blümer allerdings just das, was Herrschaft im Kern ausmacht. Vgl. hierzu Anm. 176. 173 Vgl. zu Bourdieus Terminologie die Ausführungen in Kapitel 1.5.3 Praxistheorie und Ressourcenbegriff, 54 – 63. 174 Den von all jenen, die dem Feld angehörten, geteilten Glauben an ebenjene Regeln, nennt Bourdieu illusio.

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­stellten nicht allein die Regeln auf und konnten Regeln nicht nach Belieben brechen, Unrecht zu Recht erklären oder gegen jedwede Gewohnheit handeln. Die Ressourcen, auf die sich ihre Position gegenüber den Übrigen in der Konzeption Hesiods stützte, war die Macht des Wortes, mit der sie die Menschen für sich gewannen und mit der sie öffentlich Streitigkeiten schlichteten. Diese Funktion als Schlichter definierte sie zugleich. Wenn ein basileús aber diesen Erwartungen nicht gerecht wurde, erodierte er die Grundlagen seiner Herrschaft; obendrein gefährdete er mittelbar auch die Basis lokaler Organisation und damit die der Ansässigkeit an sich.175 Willkür führte auf diese Weise zu Desintegration 176 und auch dazu, dass die Beherrschten sich abwandten; denn jedwedes Herrschaftsverhältnis beruht, wenn wir Bourdieu folgen, auf Zustimmung und der Verschleierung der Willkür, die dem Herrschaftsverhältnis zugrunde liegt.177 Anders ausgedrückt verfügten basileís über symbolische Ressourcen, die in einem Feld ihren Wert erhalten hatten. Wenn sie nun die Regeln fortgesetzt eklatant verletzten, vernichteten sie die Grundlage ihrer Position und verhinderten die Reproduktion der Struktur, die ihnen ihre Stellung zuwies.178 2.2.2.2 Díkē und die Ressourcen der Gemeinschaft Die Ausführungen Hesiods in der Díkē-Passage beschränken sich nicht auf die Rolle der basileís, da die Gegenüberstellung der ‚gerechten‘ und der ‚ungerechten Stadt‘ eine, 175 Vgl.

Delp (2021b) 33. Gemäß Bourdieu existiert keine reine, ungerechtfertigte Macht. Entweder muss Macht legitimiert oder zumindest die ihr zugrundeliegende Willkür verschleiert werden. Vgl. Bourdieu (2004) 322. Er scheint in diesen Überlegungen von der weberschen Konzeption legaler Herrschaft beeinflusst. Zwischen Weber und Bourdieu besteht der grundlegende Unterschied in ihrer Perspektive auf das Individuum: Erscheinen bei Weber charismatische, legale und traditionale Herrschaft als aktiv vollzogene Zustimmung der Beherrschten (vgl. Weber (2009 [1972]) 122, wobei auch er „dumpfe Gewöhnung“ als Grundlage identifiziert), sind bei Bourdieu Herrschende und Beherrschte Bestandteil einer Struktur. Macht kann aufgrund von roher Gewalt existieren, ist aber dann nicht von langer Dauer. 177 Um diesen Sachverhalt zu verdeutlichen, beschreib Bourdieu das Feld auch als Markt der symbolischen Güter. Vgl. dazu Fröhlich/Rehbein (2009) passim; Schmidt (2009) passim. 178 Die symbolische Sphäre ist in ­diesem Kontext Ausdruck eines sozialen Verhältnisses, wobei Symbole von jenen verteidigt werden, von denen angenommen wird, dass sie hierfür die Autorität besäßen. Ebenjene Legitimierung symbolischer Autorität wird von Bourdieu als symbolische Gewalt bezeichnet, die Herrschende und Beherrschte in ein Machtverhältnis zueinander setzt und gleichzeitig die d ­ iesem Herrschaftsverhältnis zugrundeliegende Willkür verschleiert. Auf diese Weise schaffen Herrschende und Beherrschte ein Verhältnis der Gewalt, das indes weder von den einen noch von den anderen als solches wahrgenommen wird. Diese Ordnung scheint beiden als natürlich und wird von ihnen als legitim aufgefasst. Doch muss ­dieses Herrschaftsverhältnis reproduziert werden. Bei einem zu starken Abweichen vom Ideal folgt Erosion statt Reproduktion. Vgl. dazu Delp (2021b) 33 – 34. 176

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wenn nicht die Schlüsselstelle zum Verständnis ­dieses Abschnitts darstellt.179 Die Folge der gerechten Behandlung von Fremden 180 wie Einheimischen ist ein gedeihendes Gemeinwesen, dessen Blüte sich wiederum in einem Set von Ressourcen ausdrückt, mit denen die Akteure ihren Lebensunterhalt und ihre Gemeinschaft vor Ort aufrechterhalten konnten. Mehrfach erwähnt und hinsichtlich seiner Wichtigkeit kaum zu überschätzen ist Ackerland, das die Basis der Grundversorgung mit Nahrung darstellte. Daneben werden weitere landwirtschaftliche Ressourcen genannt: Eicheln, vielleicht zur Viehmast verwendet, Honig, zum Sammeln bereit, aber auch Wolle für wärmende Kleidung. Ansässigkeit und Ackerbau sind nicht nur bei Hesiod positiv besetzt; Mobilität dagegen, vor allem zur See, ist negativ konnotiert. Auch finden sich deutliche Bezüge innerhalb des Werkes, insbesondere zu der Beschreibung der Weltalter am Anfang des Gedichtes, was die Bedeutsamkeit des Gesagten unterstreicht.181 In der Díkē-Passage erinnert Hesiod, indem er dieselbe Formulierung um die Begriffe καρπός (Feldfrucht) und ζείδωρος ἄρουρα (kornspendende Flur) aufgreift, an diese Bilder des Gedeihens.182 Die ausreichende Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln ist eine conditio sine qua non für Ansässigkeit, die in hesiodischer Konzeption auf l­ andwirtschaftlicher 179

Hes. erg. 225 – 237: οἳ δὲ δίκας ξείνοισι καὶ ἐνδήμοισι διδοῦσιν / ἰθείας καὶ μή τι παρεκβαίνουσι δικαίου, / τοῖσι τέθηλε πόλις, λαοὶ δ’ ἀνθεῦσιν ἐν αὐτῇ· / Εἰρήνη δ’ ἀνὰ γῆν κουροτρόφος, οὐδέ ποτ’ αὐτοῖς / ἀργαλέον πόλεμον τεκμαίρεται εὐρύοπα Ζεύς· / οὐδέ ποτ’ ἰθυδίκῃσι μετ’ ἀνδράσι λιμὸς ὀπηδεῖ / οὐδ’ ἄτη, θαλίῃς δὲ μεμηλότα ἔργα νέμονται. / τοῖσι φέρει μὲν γαῖα πολὺν βίον, οὔρεσι δὲ δρῦς / ἄκρη μέν τε φέρει βαλάνους, μέσση δὲ μελίσσας· /εἰροπόκοι δ’ ὄιες μαλλοῖς καταβεβρίθασι· /τίκτουσιν δὲ γυναῖκες ἐοικότα τέκνα γονεῦσι· / θάλλουσιν δ’ ἀγαθοῖσι διαμπερές· οὐδ’ ἐπὶ νηῶν /νίσονται, καρπὸν δὲ φέρει ζείδωρος ἄρουρα. – Die aber Fremden und Heimischen rechten Bescheid geben und keinen Finger breit vom Recht abweichen, denen gedeiht die Stadt, es blüht [θάλλω] in ihr die Gemeinde, Friede [εἰρήνη] herrscht im Land, der die Jugend nährt, und der weitblickende Zeus verschont sie vor leidvollem Krieg [πόλεμος]. Auch folgen weder Hunger noch Unheil gerechten Männern, sondern sie genießen die Früchte vollbrachter Feldarbeit bei frohen Festen. Ihnen spendet die Erde reichen Ertrag; im Bergland aber trägt ihnen die Eiche Früchte in der Krone, Bienen im Stamm, und ihre Wollschafe gehen schwer unter lastendem Vlies. Die Frauen aber gebären den Vätern gleichende Kinder. Ständig gedeiht ihr Glück, und so fahren sie nicht auf Schiffen hinaus, und Frucht trägt ihnen die kornspendende Erde. 180 Bei ξένοι könnte es sich auch konkret um Gastfreunde handeln. In seinem Bild vom allgegenwärtigen Verfall im eisernen Zeitalter schreibt Hes. erg. 182 – 183 u. a. οὐδε χεῖνος χεινοδόκῳ […] φίλος ἔσσεθαι. Dennoch spricht einiges dafür, allgemeiner von Fremden zu sprechen. Im griechischen Wort ξένος sind beide Bedeutungen gleichermaßen enthalten und der Begriff ist ἔνδημοι als zweite abstrakte Kategorie gegenübergestellt. Die Verse 225 – 226 behandeln nicht die ξενία z­ wischen zwei Personen (oder erweitert ­zwischen Familien), sondern das Verhalten einer Gemeinschaft gegenüber Auswärtigen. 181 So lebt das goldene Geschlecht nicht nur wie die Götter frei von Übeln (κακά), Verlangen (θύμος) und Mühen (πόνοι), ohne zu altern: Hes. erg. 117 – 120. Kennzeichnend für das Leben in ­diesem Zeitalter (Hes. erg. 109 – 126) wie auch auf der Insel der Seeligen (Hes. erg. 172 – 173) ist bei Hesiod der agrarische Reichtum. 182 Vgl. dazu Becker (2018) 104, der die einschlägige Literatur anführt.

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Produktion gegründet ist. Der Dichter geht sogar noch einen Schritt weiter und stellt ihr die Mobilität in Form der Seefahrt, die ja theoretisch eine Alternative zur Sicherung der Versorgung darstellte, als nicht erstrebenswert gegenüber.183 In einer Reihe mit diesen greifbaren Gütern stehen andere, immaterielle Ressourcen, wie den Vätern gleichende Kinder oder der Friede nach außen, also die Abwesenheit von Krieg und implizit auch Schutz vor äußeren Gefahren, die, obgleich auch der einzelne oíkos davon profitiert, vor allem den Erhalt der Gemeinschaft als Ganzes gewährleisten: Εἰρήνη κουροτρόφος heißt es in Vers 228. Die κοῦροι (bzw. κόροι), die hier genährt werden, sind jene jungen Männer, die in einem Krieg in den Schlachtreihen für ihre Gemeinschaft ihr Leben aufs Spiel hätten setzen müssen. So ruft beispielsweise Tyrtaios die Jugend (νέοι, κόροι) zum Waffengang auf.184 Die κόροι, die nicht in Kriegen fallen, stehen der Gemeinschaft als wehrhafter Schutz zur Verfügung. Κουροτρόφος ist ein geläufiger Beiname der Eirḗnē als Personifikation des Friedens.185 Aufgrund der Ähnlichkeit lässt sich eine Parallele zu Hesiods anderem berühmten Werk ziehen: In der Theogonie, in der sich viele Anknüpfungspunkte zu den Erga finden,186 sind Díkē und Eirḗnē als zwei der drei Horen, also als Schwestern entworfen.187 Alle drei Horen wachen über die Werke der Menschen; aber sie sind auch das, was eine gute Gemeinschaft ausmacht, da in ihr Gerechtigkeit, Friede und Wohlordnung herrschen. Ohne Gerechtigkeit kann in der politischen Praxis keine Wohlordnung existieren, für die es eben kennzeichnend ist, dass sie ‚gerade Urteile‘ hervorbringt und auf diese Weise Gerechtigkeit hergestellt wird. Alle drei Horen werden durch ihre Abkunft göttlich legitimiert.188 Die Genealogie der Götter besaß eine unmittelbare Relevanz für das Zusammenleben, da sie Verkörperungen 183

Es ist eine ausgeprägte Tendenz Hesiods, der Mobilität und v. a. der Seefahrt ablehnend gegenüberzustehen. Handel zu treiben und auf Kauffahrten gehen zu wollen s­ eien unbesonnene Verlangen, die damit verbundenen Seereisen voller Gefahren. Vgl. Hes. erg. 646 – 691; dazu bereits Sybel (1886). Auch die Odyssee zeichnet von Schiffsreisen ein Bild in den düstersten Farben. Am frühen Epos orientiert werden die Widrigkeiten und Gefahren des Reisens in der Nachfolge zu einem Gemeinplatz nicht nur in der griechischen Literatur. Vgl. dazu Itgenshorst (2014) 163. 184 Vgl. vor allem Tyrt. F10 West; F11 West; als Teil der Schlachtreihe auch F12 West. 185 Vgl. Sybel (1886) 1221. 186 Dies gilt insbesondere im Kontext der Bedeutung von Díkē für die Gemeinschaft. Vgl. hierzu Itgenshorst (2014) 155 – 171; insbesondere: 166 – 167. 187 Hes. theog. 900 – 903: Δεύτερον ἠγάγετο λιπαρὴν Θέμιν, ἣ τέκεν Ὥρας, / Εὐνομίην τε Δίκην τε καὶ Εἰρήνην τεθαλυῖαν, /αἵ τ’ ἔργ’ ὠρεύουσι καταθνητοῖσι βροτοῖσι. – Als zweite führte er [sc. Zeus] die glänzende Thémis heim, die M ­ utter der Horen Eunomía, Díkē und der blühenden Eirḗnē, die über das Tun der sterblichen Menschen wachen. Auch jenseits der Welt der Götter lässt sich Díkē nicht scharf von ihrer M ­ utter Thémis trennen. Gerechtigkeit und Satzung gehen in der Praxis ineinander über. Vgl. dazu Raaflaub (1993) 59 – 6 4; insbesondere: 62 – 63. 188 Vgl. Itgenshorst (2014) 163.

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normativer ­Wertvorstellungen ordnete.189 In den Werken und Tagen wird Eunomía zwar nicht ausdrücklich genannt, scheint aber doch konzeptionell mitgedacht zu sein, zumal die Díkē achtende Gemeinschaft die Verwirklichung von eunomía schlechthin zu sein scheint. In den Erga schließt das Gegenbild zur gerechten Gemeinschaft unmittelbar an: Jene trifft allerlei Übel, die weniger konkretisiert sind als die bei der gedeihenden Gemeinschaft angeführten Güter. Die Verhängnisse bilden allgemeinere Gegen­stücke zu den Nutzen, Glück und Wohlstand bringenden Ressourcen. Sie erscheinen beinahe als einleitende Voraussetzungen für die Folgen, die die ‚ungerechte Gemeinschaft‘ schließlich treffen, nämlich Hunger (λιμός) und Krankheit (λοιμοί), Unfruchtbarkeit und das Zugrundegehen des Heers (στρατός), der schützenden Mauern (τεῖχος) sowie der Schiffe, anders als in der gerechten Gemeinschaft, in der der Frieden die wehrfähigen Männer erhält.190 All die Ressourcen, die benötigt werden, um Ansässigkeit zu etablieren oder aufrechtzuerhalten, sind in der Konzeption Hesiods von dem Verhältnis der Gemeinschaft zu Díkē abhängig, die gewissermaßen die Wurzel, aus der alles andere erwächst, bildet. Wenn Hesiod schreibt, dass eine Gemeinschaft, die sich der hýbris ergibt oder sie auch nur duldet, gestraft werde,191 beinhaltet dies folglich dieser für die Reproduktion von Ansässigkeit notwendigen Ressourcen und damit den Grundlagen des eigenen Überlebens verlustig zu gehen. In Hesiods dichterischer Ausgestaltung ist es Zeus selbst,192 der Verderben über alle Lebensbereiche der ‚ungerechten Gemeinschaft‘ bringt und der neben anderen Göttern über die verbindlichen Regeln des menschlichen Zusammenlebens wacht. Dabei scheint er weniger das Zusammenleben der Menschen in einen religiösen Kontext einzubetten, als vielmehr die Götter in Dienst zu nehmen, um seinen Vorstellungen Nachdruck zu verleihen.193 Jenseits dessen erlaubt 189

Snell (1966) 716 – 717 sieht in Hesiods Darstellung Götterwelt als Genealogie in der Vorstellung von Zeus „bewußt“ geschaffenen Ordnung begründet. In der Theogonie selbst wird der Weg beschrieben, wie die Götterwelt zum Maßstab sozialen Handelns der Menschen wurde: Zeus etablierte nach der Titanomachie seine Herrschaft, indem er sich Mḗtis, also die Klugheit, einverleibte. Er setzte damit der seit Generationen immer wieder aufkeimenden Gewalt ein Ende. Im Anschluss wurde diese neue Ordnung unter den Göttern mit der Welt der Sterblichen verbunden und auf sie übertragen. Zeus ehelichte Thémis, das gesatzte Recht, und zeugte mit ihr die Kinder Eunomía, Díkē und Eirḗnē, die über die Handlungen der Menschen Aufsicht führen. Vgl. Itgenshorst (2014) 163; 165. 190 Vgl. zur gestraften ungerechten Stadt Hes. erg. 238 – 247. 191 Hes. erg. 238 – 241: οἷς δ’ ὕβρις τε μέμηλε κακὴ καὶ σχέτλια ἔργα, / τοῖς δὲ δίκην Κρονίδης τεκμαίρεται εὐρύοπα Ζεύς. / πολλάκι καὶ ξύμπασα πόλις κακοῦ ἀνδρὸς ἀπηύρα, / ὅστις ἀλιτραίνῃ καὶ ἀτάσθαλα μηχανάαται. – Denen aber, denen schlimme Gewalt und Freveltaten gefallen, verhängt Zeus, der weitblickende Kronide, gerechte Strafen. Oft schon büßte eine ganze Stadt für einen schlechten Mann, der Frevel und Missetaten verübt. 192 Auch in homerischer Konzeption ist Zeus der Garant von Díkē: Hom. Il. 16,187 – 188; vgl. hierzu Gagarin (1986) 99. 193 Vgl. Itgenshorst (2014) 163; 167.

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die Sichtweise von Gerechtigkeit als Ressourcen von Ansässigkeit, unter anderem eingedenk der oben exemplifizierten Verhältnisse im Württemberg des Jahres 1817, auch ohne göttliche Instanz auf lange Sicht dieselben Folgen anzunehmen: Wurde Ungerechtigkeit fortwährend wahrgenommen, konnte daraus die Erosion und letztendlich der Zusammenbruch der Gemeinschaft folgen, was sich in einer offen ausbrechenden stásis oder auch in Form eines wirtschaftlichen Niedergangs zu äußern vermochte: Das Netz an Sozialbeziehungen, mit dem die gesamte Produktionsweise eng verwoben war, garantierte die Allokation natürlicher Rohstoffe.194 Das Gute, das eine Gemeinschaft zum Erblühen bringt, findet sich in der hesiodischen Konzeption zwar im eigenen Boden, auf den Feldern, in den Bäumen und auf dem Weideland und es wird durch Arbeit errungen; jedoch ist ein Gedeihen ohne Díkē unmöglich, denn vom Verhalten der Gemeinschaft gegenüber Díkē hängen all jene Ressourcen ab. Obgleich Hesiod in seinem Lehrgedicht es mehrfach zum Ideal erhebt, mit dem eigenen oíkos autark zu sein, weist er mit ­diesem Ideal der Autarkie nicht den Weg aus der Gemeinschaft heraus. Ein autarker oíkos kapselt sich keinesfalls von der Gemeinschaft ab; vielmehr ermöglicht Autarkie Integration. Das Verhältnis zum Nachbarn ist auf Reziprozität gegründet. Einseitiges Ausnutzen dieser Beziehung führt zu dessen Erosion und so zur Desintegration.195 Manchmal erforderten es die Umstände, dass Arbeiten gemeinsam erledigt wurden, beispielsweise, wenn die Ernte wegen des Wetterumschwungs zu verderben drohte.196 Zugang und Nutzung der Ressourcen, die Wald und Umland bieten, müssen von der Gemeinschaft geregelt werden, sei es in Form von Besitz, wie beim Ackerland, sei es in Form von Allmende. Eben aufgrund der Notwendigkeit wechselseitiger Hilfe war ein Netz von Sozialbeziehungen für den Verbleib an einem Ort essentiell. 2.2.2.3 Gerechtigkeit als Zugang zu Lebenschancen Wie oben dargelegt, lassen sich aus dem Erbschaftsstreit und der Díkē-Passage unter Hinzuziehung weiterer Stellen, sowohl aus den Werken und Tagen als auch aus der Theogonie, Rückschlüsse auf Gerechtigkeitskonzeptionen im Kontext archaischer 194

Die religiöse Sphäre, durch die Strafen und Verderben vermittelt werden, ist nicht von der tatsächlichen Lebenswelt zu trennen. Denn ganz reale Missstände führen zur göttlichen Strafe, auch wenn es, vom Standpunkt eines modernen Betrachters besehen, andere, soziale Mechanismen sind, die ins Unglück führen. Das Lehrgedicht ist eine Konzeption der alltäglichen Erfahrungswelt und bleibt es, selbst wenn davon ausgegangen wird, dass die autobiographischen Informationen, die Hesiod übermittelt, frei erfunden sind. Der Erbschaftsstreit mit dem Bruder Persers musste auf einer „Folie lebensweltlicher Realität“ (Schmitz) konzipiert werden, damit das Gedicht von seinen Perzipienten verstanden werden konnte. Vgl. Raaflaub (1997) 625 – 628; Schmitz (2014) 11. 195 Vgl. Kapitel 2.1.2. Oíkos und geitonía, 76 – 85 und 2.1.3 Bedrohung durch Wandel – neue Chancen, 85 – 90. 196 Vgl. Kapitel 1.5.4.1 Herkunftsspezifisches soziales Kapital, 63 – 6 4; insbesondere Anm. 257.

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Ansässigkeit ziehen. Da der Dichter den individuell ausgetragenen Bruderzwist und das Fehlverhalten einzelner Männer auf eine kollektive Ebene hebt, manifestiert sich ein Zusammenhang zu Desintegrationsdynamiken, die durch wahrgenommene Ungerechtigkeit ausgelöst zu werden drohen. Diese Dynamiken auf der kollektiven Ebene einerseits und die Einschätzung der Akteure andererseits hängen zusammen und lassen sich in Relation miteinander interpretieren, wenn Gerechtigkeit wie am Beispiel der württembergischen Auswanderer als wahrgenommener Zugang zu Lebenschancen betrachtet wird. So kann das Urteil im Erbschaftsstreit, unabhängig davon, ob man es nun als historisch oder fiktiv auffassen mag,197 als Determination der Lebenschancen der Brüder verstanden werden.198 Die Differenzierung ist insofern nicht kasuistisch, als der Unterlegene damit rechnen musste, auch in Zukunft benachteiligt zu werden. Selbst wenn es ihm gelänge, sich eine Existenz aufzubauen, ohne seinen gerechten Erbteil erhalten zu haben, könnte er nicht sicher sein, ob er sich entfalten können oder das mühsam Erworbene durch erneutes Unrecht wieder verlieren würde. Er konnte – anders ausgedrückt – nicht damit rechnen, einen gesicherten Zugang zu Lebenschancen zu erhalten, und daher auch nicht auf die Gemeinschaft oder ihre Verfahren (bzw. Institutionen) vertrauen, eine Situation also, die als Desintegration aufzufassen ist. Gerechtigkeit bedeutete folglich für einen Einzelnen oder eine Gruppe den Zugang zu Lebenschancen und barg eine Einschätzung, inwiefern und in welchem Maße Zugang zu Lebenschancen zukünftig gegeben sein würde,199 womit Gerechtigkeit zu einer zentralen Ressource wurde, die das Zusammenleben an einem Ort ermöglichte und ihre Mitglieder in ein politisches Verhältnis zueinander setzte.200 Zur dauerhaften Aufrechterhaltung von Ansässigkeit waren Gerechtigkeit und damit der Zugang zu Lebenschancen substantiell. Deren Fehlen war wiederum geeignet, Dynamiken zu entfachen, die Ressourcen der Mobilität bereitstellen konnten. Ungerechtigkeit mag eine Erfahrung sein, die ein Individuum machte; jedoch wurde 197

Aufgrund des lebensweltlichen Bezuges der Dichtung ist dies möglich. Vgl. die Ausführungen in Anm. 194 sowie Kapitel 1.3.2 Dichtung als Quelle, 25 – 29. 198 Ein Landgut mit fruchtbaren Äckern, Vieh und vielleicht sogar Sklaven ganz alleine, davon einen großen, einen geringen Teil oder überhaupt nichts zu erben, machte einen gewaltigen Unterschied, und aus jeder dieser hypothetischen Entscheidungen wäre eine vollkommen andere Existenz erwachsen. Der Betrogene dagegen verlor neben seinem Erbe auch den Zugang zu Gerechtigkeit. 199 Vgl. Delp (2021b) 35. 200 Das ‚politische Verhältnis‘ ist hier in einer allgemeinen Form verstanden, die sich nicht auf institutionalisierte Staatlichkeit bezieht, sondern auf ein aufeinander bezogenes Handeln von Individuen bzw. Gruppen oder – zugespitzt – auf einen sich abzeichnenden Antagonismus innerhalb einer Gemeinschaft. Der Gedankengang ist der Arbeit von Itgenshorst (2014) 155 – 171 verpflichtet, die Hesiod als ersten politischen Denker identifiziert. Vgl. auch den Klassiker Meier (1983) 34 – 35 und Kapitel 2.2.4 Das Problem der Verallgemeinerung und das Politische, 128 – 133; dort insbesondere Anm. 308.

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sie immer im sozialen Raum erfahren, und somit dort, wo man auch Gerechtigkeit bzw. Ungerechtigkeit als Konzepte konstruierte. Ferner erlitten häufig nicht einzelne Individuen Ungerechtigkeit, sondern Gruppen, die von bestimmten Lebenschancen ausgeschlossen waren. Diese Gruppen einten ihre Gemeinsamkeiten, beispielsweise soziale Merkmale oder eine bestimmte Position innerhalb des sozialen Feldes. Um als Gruppe gemeinsam zu handeln, mussten sich die Akteure ihrer Zusammengehörigkeit bewusstwerden, wobei gemeinsame Erfahrung hier identitätsstiftend sein kann. Die württembergischen Untertanen schilderten Friedrich List die Ungerechtigkeit, die sie zwar individuell erlitten hatten; jedoch waren sie den Ungerechtigkeiten durch Funktionsträger, Menschen in einer Machtposition, nicht als einzige ausgesetzt gewesen. Ihre Mitbürger hatten dasselbe erduldet und sie nahmen diese Gemeinsamkeit wahr, zumal die Auswanderungswilligen mitunter bei der Befragung auf die Schicksale ihrer Nachbarn verwiesen. Daher war die gemeinsame Erfahrung ein sie einendes Element, wobei Gemeinsamkeit durch wechselseitige Kommunikation hergestellt wurde, die dann den Rahmen – oder das Feld – bildete, innerhalb dessen sie den Entschluss fassten, auszuwandern. Strukturelle Ähnlichkeiten zu den bei Hesiod konzipierten Verhältnissen drücken sich darin aus, dass auch dessen Dichtung davon kündet, dass Ungerechtigkeit gemeinsam erfahren wurde. Obwohl sie in der dichterischen Brechung zwar zunächst am individuellen Fall des Erbschaftsstreits ­zwischen Brüdern dargestellt ist, bestand die Problematik indes auch hier in einem grundsätzlichen Antagonismus z­ wischen Herrschenden und Beherrschten. Zudem überführt der Dichter das an der individuell erfahrenen Ungerechtigkeit Exemplifizierte auf eine kollektive Ebene. Die Missachtung von Díkē wurde so zu einem strukturellen Problem, das insbesondere all jene betraf, die nicht der Elite der basileís angehörten oder Profiteure der Verhältnisse waren. Diese erfahrene und wahrgenommene Ungerechtigkeit war eine Gemeinsamkeit und dürfte dazu geeignet gewesen sein, ein gemeinsames Bewusstsein zu konstituieren und eine Gruppe zu formieren. Hierbei handelte es sich um einen Prozess der Integration durch Desintegration: Integration in die sich neuformierende Gruppe, Desintegration aus der Gemeinschaft vor Ort, deren Machtzentren von anderen bestimmt wurden. Diese strukturellen Ähnlichkeiten ändern nichts daran, dass es große Unterschiede ­zwischen der Lebenswelt Hesiods und der der württemberger Bauern und Handwerker des frühen 19. Jahrhunderts gab. Beide Lebenswelten waren zwar grundsätzlich von landwirtschaftlicher Produktion geprägt, aber im Detail unterschieden sie sich genauso wie die politischen Verhältnisse. Mehr noch war Mobilität und damit Migration anders organisiert. Gab es im 19. Jahrhundert eine Reihe professioneller Arrangeure von Auswanderungen in die Vereinigten Staaten, findet sich Vergleichbares im archaischen Griechenland nicht. Dennoch gab es Formen von Mobilität, die Migrationen begünstigten und ermöglichten, auf die im Folgenden noch einzugehen ist. Eine auffällige Gemeinsamkeit ist die Mobilität von Soldaten und Söldnern, die für beide Epochen belegt ist. Viele württembergische Untertanen hatten in den Napoleonischen Kriegen gekämpft und waren weitgereist. Zum Teil hatten sie am

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Russlandfeldzug teilgenommen. Nicht zufällig wanderten viele Württemberger nicht nur gen Westen, sondern auch gen Osten aus. Auch auf die Mobilität im Zuge von Kriegen wird daher zurückzukommen sein.201 Trotz dieser Limitierungen, die der Vergleich mit sich bringt, zeigt sich, dass Ungerechtigkeit, die erfahren wurde, in beiden Fällen strukturell begründet war und die Formierung von Gruppen beförderte. Indem man glaubte, dass auch in Zukunft zu erwarten war, von Lebenschancen ausgeschlossen zu sein, war Ungerechtigkeit allgegenwärtig und durchdrang alle Lebensbereiche. Diese Feststellung wirft indes die Frage auf, inwieweit die Ausführungen Hesiods einen Einzelfall darstellen. Ein erster Schritt zu einer Verallgemeinerung des an Hesiod Exemplifizierten müsste folglich das Auffinden einer ähnlichen Konzeptionen von Díkē bei einem weiteren Autor innerhalb eines anderen Kontextes sein, wobei zu eruieren wäre, inwieweit Migration dort als eine mögliche Folge der Auseinandersetzung erscheint und w ­ elche Alternativen möglich gewesen wären.

2.2.3 Das Ringen um Díkē als Anti-Migrationsstrategie bei Solon? Solon wird in der althistorischen Forschung häufig als „exemplarische Figur und Repräsentant“ für den Beginn des politischen Denkens angesehen,202 wenngleich gezeigt wurde, dass ein Anfangspunkt des Politischen deutlich früher, nämlich mit Hesiod, gesetzt werden darf.203 Daher erscheint es aufschlussreich, Parallelen z­ wischen Hesiod und der politischen Dichtung Solons nachzugehen, die besonders in der EunomieElegie klar erkennbar sind.204 Die ersten Verse des Gedichts werden eingeleitet vom Schutz der Götter Zeus und Athene über die Polis,205 doch wie auch schon im frühen Epos drohte auch hier jenen schreckliches Unheil, die Díkē missachteten, und das Fehlverhalten Einzelner konnte die gesamte Polis ins Verderben stürzen, wenn die Anführer des dḗmos (ἡγεμόνης δήμου) in rechtloser Gesinnung (ἄδικος νόος) der hýbris anheimfielen.206 Es wird zu prüfen sein, inwieweit die Theogonie, die Werke und Tage und die politische Dichtung Solons in ­diesem Punkt übereinstimmen. Jedoch war Solons Tätigkeit allem voran eine politische.207 Seine Kunst diente der Legitimation 201 202

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Vgl. neben den anderen Kapiteln zu den Bahnen der Mobilität v. a. Kapitel 3.4. Kriege als Mobilitätsmotor, 228 – 254. Itgenshorst (2014) 172. Siehe zu Solon als Anfangspunkt bzw. zu seiner wichtige Rolle bei der Entwicklung des politischen Denkens etwa Blaise (2006) 114 – 115; Raaflaub (2009) 571 – 572; Walter (2013) insbesondere: 18; 32 – 35. Itgenshorst (2014) v. a. 155 – 180. Zur Betitelung des Werks vgl. die ­kurzen Ausführungen bei Mülke (2002) 88 – 89. In älteren Darstellungen ist das Fragment mitunter als ‚große Staatselegie‘ angesprochen. Sol. eleg. F4 West = F3 Gentili/Parto = Diog. Laert. 1,47, hier 1 – 4. Sol. eleg. F4 West = F3 Gentili/Parto = Diog. Laert. 1,47, hier 6 – 8. Itgenshorst (2014) 171 – 172.

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seiner Gesetzgebung, die aus d ­ iesem Grund zuerst betrachtet werden soll. Die wohl auf einen längeren Zeitraum nach seinem Archontat zu datierenden Fragmente der Gesetze Solons 208 sowie seine Dichtung erlauben Einblicke in das Ringen um Díkē im archaischen Athen.209 Obgleich die solonische Konzeption von Díkē zumeist im Kontext der Polis und der Entstehung des Rechts (im juristischen Sinne) verhandelt wird,210 fokussiert die folgende Darstellung auf Konzeptionen von Gerechtigkeit und des Zugangs zu Lebenschancen bei Solon. 2.2.3.1 Solonische Gesetzgebung Die Gesetzgebung Solons war nicht systematisch, sondern bestand aus Einzelmaßnahmen, die weite Teile des politischen, sozialen und wirtschaftlichen Zusammenlebens erfassten und so auf jeweils vorhandene Missstände reagierten.211 Es existieren in der historischen Forschung unterschiedliche Auffassungen hinsichtlich des Quellenwertes der Gesetzesfragmente Solons, unter anderem da eine Vielzahl seiner Gesetze durch die Athenaion Poleteia und die Solonbiographie Plutarchs, die keine unproblematischen Quellen für das frühe Athen darstellen, überliefert wird. ­Eberhard Ruschenbusch ist in seiner Edition der Fragmente wie auch in seinem gesamten Werk optimistisch, was die Authentizität der Gesetzesfragmente anbelangt.212 Indes gibt es nicht wenige Mahner und die Kritik an Ruschenbusch ist zahlreich.213 Daneben existieren Zwischenpositionen. Adele Scafuro beispielsweise wendet sich gegen die binäre Aufteilung in echt und unecht, da es eine ganze Reihe von Fragmenten gebe, die sich zwar auf Solon zurückführen ließen, aber ­später modifiziert worden 208 Solon

war 594/3 Archon; seine Reformen erfolgten als Einzelmaßnahmen. Vgl. hierzu Meier (2001) 705. Während traditionell das Jahr des Archontats für die solonische Gesetzgebung herangezgen wurde, wird seit längerem u. a. aufgrund von Vergleichsfällen angenommen, dass die Gesetze erst auf das darauffolgende Jahrzehnt zu datieren sind. Vgl. Sealey (1979) passim; dagegen: Wallace (1983) passim. 209 Die Quellenlage erlaubt hier keine Schlussfolgerungen, die auf die gesamte griechische Welt übertragbar wären. Aber unter Heranziehung weiterer Quellen lässt sich plausibilisieren, dass es sich bei diesen Problematiken nicht um Einzelfälle handelte, sondern dass sie an unterschiedlichen Orten auftraten. Vgl. dazu Kapitel 2.2.4 Das Problem der Verallgemeinerung und das Politische, 128 – 133. 210 Z. B. Almeida (2003); Lewis (2006); Gudopp-Behm (2009). 211 Vgl. Meier (2001) 705. 212 Vgl. zur vielfach geäußerten Kritik an Ruschenbusch die pointierten Ausführungen zur Edition der Fragmente Solons bei Scafuro (2006) 175 – 176: „While controversial in his choice of principles regarding of what is Solonian and what is not […], and while rarely inconsistent but not infrequently inscrutable […], and while apparently ignorant of at least one relevant textual issue […] and while dead wrong on occasion […], yet for all that, Ruschenbusch’s collection is an admirable piece of work and provides us with a core of arguably reliable fragments of Solonian laws, considering the limitation of the evidence.” 213 Vgl. für einen Überblick Rhodes (2006).

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­seien.214 Vor dem Hintergrund ­dieses Problemkomplexes stellen die folgenden Überlegungen keine detaillierte Analyse der solonischen Gesetzgebung dar, was die Tiefe, mit der quellenkritische Einwände zu einzelnen Fragmenten erörtert werden können, begrenzt; stattdessen wird Scafuro folgend davon ausgegangen, dass eine klare Zuordnung der Fragmente nicht immer möglich ist. Trotz der Engführung unter dem Gesichtspunkt der Ansässigkeit und ihrer Ressourcen sowie der Fokussierung auf die übergreifenden ­Themen der solonischen Gesetzgebung bleiben so nicht selten Restzweifel. Solon erließ Gesetze in vielen Bereichen, die – wie bereits erwähnt – mehr als Einzelmaßnahmen in Reaktion auf Missstände denn als Verfassung zu verstehen sind. Dabei wurde in nicht unerheblichem, aber geringerem als früher angenommenen Umfang ältere Gesetzgebung – in der Tradition Drakon zugeschrieben 215 – bekräftigt und mitunter ergänzt. Hierbei handelte es sich um Sanktionen körperlicher und verbaler Misshandlungen oder Schädigungen.216 Einerseits zielte dies darauf ab, den Kreislauf der Blutrache zu beenden, andererseits boten die Gesetze auch jenen, die sich in einer Schwächeposition befanden, eine Chance auf Gerechtigkeit. Dieses ungesühnte Unrecht barg die Gefahr allmählicher Exklusion in sich. Mit der Verrechtlichung neuer Bereiche und der Einbettung durch Bekräftigung stabilisierten Solons Maßnahmen gleichermaßen die Verhältnisse und beugten einer fortschreitenden Desintegration vor. Ein großer Teil der Gesetzgebung tangierte mit dem Erb- und dem damit verbundenen Familienrecht einen Bereich, der seit jeher ein großes Konfliktpotential barg. Dabei regelte Solon nicht nur, wer aufgrund des Verwandtschaftsverhältnisses zum Verstorbenen in welcher Situation als Erbe in Frage kam,217 sondern schuf darüberhinaus Regelungen zur Adoption und der damit einhergehenden Frage um die Legitimität 214

Scafuro (2006) passim. Vgl. auch Rhodes (2006) 259, der seine an Ruschenbusch angelehnte optimistische Einschätzung der Fragmente hiermit untermauert. 215 Wenngleich Gagarin (2008) 93 – 110 noch eine recht direkte Linie von Drakon zu Solon zieht – welcher Teil der solonischen Gesetzgebung auf Drakon zurückzuführen sei, ist a. a. O. nicht die gestellte Frage –, zeigt Schmitz (2001) 38 u. passim ausführlich, dass allein Blutracheverfahren durch Drakon kodifiziert wurden. Vgl. auch ders. (2004) 190 – 191; ihm in ­diesem Punkt folgend Meier (2012) 12 – 13. 216 Mord/Totschlag: Sol. nom. F1–F22; Schädigung des Eigentums: Sol. nom. F23–F25; verbale Misshandlungen: Sol. nom. F32a = Plut. Sol. 21,1 – 2; F32b = Lys. 10,6 – 12; F33a = Plut. Sol. 21,1 = Lex. Rhet. Cant. 78,18 – 23. Es wurde der Übersichtlichkeit halber ­darauf verzichtet, die Fragmente, die Mord, Totschlag oder die Schädigung des Eigentums betreffen, hier samt Belegstellen aufzulisten. Die Zählung erfolgt bei den innerhalb dieser Anm. gelisteten Angaben nach Leão/Rhodes (2015). 217 Sol. nom. F47a = Ps.-Aristot. Ath. pol. 9,2; F47b = Philo de spec. leg. 3,22; F48a = Poll. 3,33; F48b = Lex ap. Demosth. or. 46,18; F49a = Lex ap. Demosth. or. 46,14; F49b = Plut. Sol. 21,3; F49c = Plut. mor. 265e; F49d = Ps.-Aristot. Ath. pol. 35,2; F50a = Aristoph. av. 1660 – 1662; F50b = Lex ap. Demosth. or. 53,51; F51a = F52a = Plut. Sol. 20,4; F51b = Plut. mor. 769a; F52b = F27 = Hesych. β 466; F52c = F41a = Galen gloss. Hippocr.

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als potentiellem Erben. Besonders deutlich tritt Solons Bemühen um Klarheit und Gerechtigkeit darin zutage, die Gültigkeit von Testamenten zu regulieren. Der letzte Wille eines Verstorbenen gelte dann nicht, wenn seine Urteilskraft getrübt oder er in seiner Entscheidung nicht frei sei. Dies sei dann gegeben, wenn der Erblasser bei der Formulierung seines Willens unter dem Einfluss eines Giftes 218 (φάρμακον) oder einer Frau gestanden habe, einem anderen Zwang (ἀνάγκη) oder Fesselung (δεσμεῖν) ausgesetzt, dem Wahnsinn (μανία) anheimgefallen oder vergreist (γῆρας)219 gewesen sei.220 Das Gesetz richtete sich also gegen eine große Bandbreite unlauterer Beeinflussungen des Erblassers, von denen jede einzelne, wenn sie ruchbar wurde, Aggression evozieren musste. Mangelnde Klarheit oder widersprüchliche Normen waren zudem geeignet, ohnehin konfliktträchtige Erbschaftsangelegenheiten zu verkomplizieren und Streitigkeiten zu verschärfen. Mit seiner Konkretisierung schuf Solon eindeutige Rechtsverhältnisse, womit er auch auf Befriedung und Reintegration abgezielt haben dürfte; denn um das Erbe betrogen zu werden, entfaltete, wie bereits oben am Beispiel Hesiods diskutiert, eine desintegrierende Wirkung, obwohl es sich jeweils um eine subjektive Wahrnehmung handelte. Eine weitere Gruppe von Maßnahmen, auf die bereits in einem vorangegangenen Kapitel eingegangen wurde und die hier deswegen lediglich mit einigen Sätzen erwähnt sei,221 zielte auf die Wiederherstellung offenbar dysfunktional gewordener nachbarschaftlicher Nothilfe ab, wobei auch der Zugang zur überlebenswichtigen Ressource Wasser geregelt wurde. Die Regelung war begrenzt, womit Solon nicht zuletzt den herrschenden Machtverhältnissen Rechnung trug. Er beabsichtigte auch hier keine Gleichheit, sondern reproduzierte die bestehenden

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221

prooem. 19, p. 66; Lex ap. Demosth. or. 46,20. Vgl. ferner Sol. nom. F58a = Harpokr. 149,30; F58b = Demosth. or. 44,64. Vgl. auch bei Ruschenbusch/Bringmann (2014) 94 – 95 die vielleicht treffendere Übersetzung: „Zaubertrank“. Ein hohes Alter wurde an sich nicht mit Unzurechnungsfähigkeit gleichgesetzt. Im Gegenteil übten Alte innerhalb zahlreicher Polis als Gerousia eine Schlüsselfunktion aus. Das Wort γῆρας ist somit eher positiv konnotiert. Der Kontext legt aber nahe, dass die schwindende Geisteskraft als Begleiterscheinung des Alters nicht selten auftritt, zumal γῆρας kurz nach μανία genannt wird. Sol. nom. F49a = Lex ap. Demosth. or. 46,14; F49b = Plut. Sol. 21,3; F49c = Plut. mor. 265e; F49d = Aristot. Ath. pol. 35,2. Einem Irrtum sitzt Plut. Sol. 21,2 auf, wenn er schreibt, im vorsolonischen Athen habe es keine Testamente gegeben. Nach Ruschenbusch/ Bringmann (2014) 95; 100 stellten Gesetze immer den Abschluss einer Entwicklung dar. Eine s­ olche Entwicklung setze voraus, dass es zuvor ein Konzept des Testaments gegeben habe. Das Gesetz war eine Maßnahme, mit der auf Missstände reagiert wurde. Versuche, mit unlauteren Mitteln ein Erbe zu erlangen, sollten eingedämmt werden. Daran ändert auch die Bemerkung bei Ps.-Aristot. Ath. pol. 35,2 nichts, die darauf verweist, der Rat der Dreißig habe insbesondere ­dieses Gesetz außer Kraft gesetzt, um Sykophanten ihrer Einflussmöglichkeiten zu berauben. Vgl. Kapitel 2.1.3 Bedrohung durch Wandel – neue Chancen, 85 – 90.

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­Besitzverhältnisse. In diese Richtung weisen auch das Verbot, Mist (βόλιτον), also Dünger, zu stehlen,222 die Regelungen zu Begrenzungen und Bebauung 223 sowie der Schutz des Eigentums.224 Weitergehend waren die Gesetze, den Eigentumserwerb einzuschränken und die Versklavung von Schuldnern zu beenden. Beide sollten zusammengedacht werden, denn sie zielten darauf ab, die ökonomische und politische Machtposition eines kleinen Personenkreises nicht wieder so stark werden zu lassen, dass er eine andere Gruppe in Abhängigkeit halten konnte – sei es durch Versklavung oder durch subtilere Formen von auf Dauer angelegter Abhängigkeit. Diese Bestimmungen bilden erkennbar einen Schwerpunkt innerhalb der Maßnahmen.225 Auf die Frage, inwiefern es sich bei dieser Gegenüberstellung von Arm und Reich um weitestgehend unverfälschte Überlieferung oder um eine Projektion handelt, wird s­päter zurückzukommen sein. Einstweilen wird von einem abstrakten Gegensatz, der sich auf Besitz gründete, ausgegangen, der sicherlich komplexer gelagert war, als es Pseudo-­ Aristoteles 226 und Plutarch überliefern, aber nicht vollends rekonstruiert werden kann.227 Auch ob und, wenn ja, inwiefern die Abschaffung aller Schulden, wie sie Plutarch überliefert,228 authentisch ist und somit zu den Gesetzen Solons gezählt werden sollte, ist umstritten, wenngleich in der jüngeren Forschung zweifelnde Stimmen überwiegen.229 Die Maßnahme sticht wegen ihrer Radikalität 230 aus der solonischen Gesetzgebung in einem Maße heraus, dass schon in der Antike die Behauptung existierte, Solon habe nicht alle Schulden abgeschafft, sondern lediglich 222

Sol. nom. F64a = Paroem. I 288 App.I,58. Mag es auch bei der Überlieferung ins Lächerliche gezogen werden, ist die Wahrhaftigkeit des Gesetzes plausibel. Dünger ist in einem landwirtschaftlichen Kontext eine nicht zu unterschätzende Ressource. 223 Sol. nom. F62 = Plut. Sol. 23,7. 224 Sol. nom. F36a = Schol. Hom. Il. 21,282. 225 Aus der solonischen Dichtung geht die große Bedeutung der Maßnahme hervor, wie Bagordo (2011b) 170 feststellt. Auch Walter (1993) 197 – 198 zählt die Annullierung der Schulden neben dem Verbot des Bürgens mit der eigenen Freiheit, dem Exportstopp von Getreide und Wein sowie der Heimholung athenischer Bürger aus der Fremde zu den wichtigsten Maßnahmen zur Beseitigung der Krise. 226 Es ist Gegenstand vielfacher Debatten, ob die Schrift Aristoteles selbst oder einem seiner Schüler zugeschrieben werden kann. Für beides gibt es Argumente, die bei Rhodes (1981) 61 – 63 ausgeführt sind. M. E. überwiegen die Argumente gegen eine direkte Autorenschaft Aristoteles’. Es wird von einer Entstehung der Schrift innerhalb der Schule des Philosophen ausgegangen. 227 Vgl. Meier (2012) 4. Vgl. auch die Ausführungen im Folgenden. 228 Sol. nom. F49c = Plut. Sol. 15,2. Die Überlieferung ist abhängig von einer Interpretation solonischer Dichtung der Athenaion Politeia. Vgl. Ps.-Aristot. Ath. pol. 12,4. Vgl. dazu Harris (1997) 103. 229 Vgl. sehr kritisch Harris (1997) 104 – 107. 230 Die Radikalität der Maßnahme könnte einen Kulminationspunkt für eine spätere Projektion eines binären Gegensatzes ­zwischen Armen und Reichen darstellen.

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die Last abgemildert, indem er die Zinsen herabgesetzt habe.231 Phillip Stanley greift dies auf und argumentiert mit Akribie dafür, dass in Athen zur Zeit Solons nicht nur eine äußerst differenzierte Vorstellung von Schulden geherrscht habe, sondern auch ein Wertmaßstab vorhanden war, der es erlaubte, Zinsen zu nehmen und präzise herabzusetzen.232 Auch wenn es ihm gelingt, dies bis zu einem gewissen Grad zu plausibilisieren, entkräftet er die vorangegangenen Positionen nicht vollends. Zwar ist ein etabliertes Münzwesen keine Voraussetzung dafür, Schulden als Konzept zu kennen,233 doch erleichterte es die Quantifizierung von Schulden und Zinsen ungemein. Das altehrwürdige Urteil Georg Busolts, man habe Solon von einem derart revolutionären Akt trennen wollen,234 besitzt noch heute eine gewisse Berechtigung: Wenn die Verschuldung zu einem so potenten Problem geworden war, dass es das gesamte Gemeinwesen bedrohen konnte, hätte es allein durch drastische Maßnahmen gelöst werden können. Moderate Schritte hätten in einer solchen Situation kaum ausgereicht. Massive Widerstände von Seiten der Gläubiger waren ohnehin zu erwarten gewesen. Dennoch bleibt der Bericht bei Plutarch verdächtig, zumal anderenorts im Kontext des konkreten Gesetzes lediglich von dem Verbot Schulden „auf den Leib aufzunehmen“ (ἐπὶ τοῖς σώμασι), also mit sich selbst und seiner Freiheit zu bürgen, die Rede ist.235 Ferner scheint Plutarchs Nachricht einer Komplettentschuldung eine auf Pseudo-Aristoteles zurückgehende 236 Missinterpretation des Wortes hóroi als „Schuldsteine“ zugrunde zu liegen, einer Bedeutung, die in der Literatur archaischer Zeit nirgends überliefert ist.237 Angesichts dieser berechtigten Zweifel erscheint es kaum möglich, den generellen Schuldenerlass als gegeben vorauszusetzen. Mit dem Verbot der Schuldknechtschaft – die Möglichkeit, säumige Schuldner für eine gewisse Zeit festzusetzen, bestand vermutlich weiterhin 238 – konnte indes der Kern des Problems beseitigt werden. Auch an der Authentizität der binären Gegenüberstellung von Armen und Reichen bei Pseudo-Aristoteles sind Zweifel aufgekommen.239 Nach der Athenaion Politeia hätten die Ärmeren (πελάται, wörtlich: die, die herankommen) in Abhängigkeit 240 gelebt; weil sie die Felder der Reichen (πλούσιοι) gegen Pacht bestellten, ­seien sie ἑκτήμοροι genannt worden, eine Bezeichnung, die sich auf die Abgabe des sechsten 231 Androtion

FGrH 324 F37 = Plut. Sol. 15,3 – 4. Stanley (1999) 210 – 218. 233 Rhodes (1981) 126. 234 Busolt (1926) 94 – 95. 235 Sol. nom. F69a = F40a = Ps.-Aristot. Ath. pol. 9,1; F69b = Ps.-Aristot. Ath. pol. 6,1; auch als zweiter Schritt F69c = Plut. Sol. 15,2. 236 Ps.-Aristot. Ath. pol. 12,4. 237 Vgl. Harris (1997) 104 – 107 u. passim; Osborne (2009) 210. 238 Dazu Harris (2002) passim. 239 Die Ausführungen Plutarchs dazu sind abhängig von der Athenaion Politeia. Vgl. Meier (2012) 1 – 2. 240 Ruschenbusch/Bringmann (2014) 135 übersetzen: „Tagelöhner“. 232

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Teils des Ertrages 241 bezieht.242 Mischa Meier schlug vor, sich der ἑκτήμοροι gänzlich zu entledigen.243 Eine geknechtete Klasse von abhängigen Landarbeitern sei unabhängig von der Athenaion Politeia nirgends bezeugt. Die Gegenüberstellung von Armen und Reichen ist darüber hinaus Bestandteil der pseudo-aristotelischen Beschreibung des vorsolonischen Athens als Oligarchie, also der entarteten Form der Herrschaft durch einen kleineren begrenzten Personenkreis, eine für das frühe 6. Jahrhundert anachronistische Annahme.244 Das Postulieren ebenjener Degeneration ist der Kontext, in dem Pseudo-Aristoteles wiederum von den ἑκτήμοροι und πελάται schreibt,245 sodass eine Überspitzung der Verhältnisse wahrscheinlich ist. Obgleich die Details dieser ‚Krise‘ von den Tendenzen der Überlieferung verwischt oder von Ausschmückungen überlagert werden, zeichnet sich ein Verteilungsproblem im 7. Jahrhundert ab, auf das Solon mit Beschränkungen des Grunderwerbs und Entschuldung reagierte. Diese Maßnahmen stellten indes eher einen Zwischenschritt dar, eine dauerhaft stabile Ordnung zu schaffen: Wenn dieselben Produktions- und Besitzverhältnisse beibehalten blieben, würde die Entwicklung binnen weniger Jahre in die ­gleiche Krise hineinführen. Auf eine mittelfristige Wirkung zielte das Ausfuhrverbot 241

ebd. Ps.-Aristot. Ath. pol. 2,2 und nochmals in allgemeinerer Form erwähnt bei Ps.-Aristot. Ath. pol. 5,1. Ruschenbusch/Bringmann (2014) 135 sehen in Diod. 1,79,1 eine Paral­ lelüberlieferung. In dessen Geschichtswerk ist der Sachverhalt jedoch ein wenig anders dargestellt: Denjenigen, die ohne schriftliche Verpflichtungen (ἀσύγγραφα) Geld geliehen hätten und zugleich bestritten, Schulden zu haben, habe Solon folgende Möglichkeit eingeräumt: Wenn sie beschworen (ὄμνυμι), dass sie schuldenfrei ­seien, sollten sie von jeder Schuld befreit werden. 243 Meier (2012) passim. Vgl. auch Anm. 245. 244 So etwa konzise Welwei (1992a) 152; mit einer Listung der Probleme Rihll (1991) 102 – 103; behutsamer für mehr Komplexität eintretend Lotze (2000) 54 – 55; deutlich Meier (2012) 3. Der Autor der Athenaion Politeia, vermutlich ein Schüler des A ­ ristoteles, übernahm dessen Kategorien. Aristoteles wiederum stellt in der Politeia grundsätzlich fest, dass die Verteilung von Besitz einen Einfluss auf die Innenpolitik (πολιτική κοινωνία) habe und führt Solon und andere (παρ’ ἄλλοις) als Beispiele an, dies erkannt zu haben. Vgl. Aristot. pol. 2,7,1266 b14 – 19. Die Unterteilung in die Herrschaft eines Einzelnen, der von Einigen und der von Vielen findet sich zuerst im fiktionalen ‚Verfassungsdiskurs‘ bei Hdt. 3,80,1 – 82,5; vgl. dazu grundlegend Bringmann (1976) passim. 245 Meier (2012) 20 – 27 u. passim hat vorgeschlagen, dass es sich bei den ἑκτήμοροι um eine falsche Übernahme des Autors der Athenaion Politeia aus einem nicht überlieferten Gedicht Solons handeln könnte, die durch die scriptura continua und vielleicht durch Vorannahmen ebenjenes Autoren begünstigt wurden. Obgleich unbeweisbar, ist der Gedanke nicht nur verlockend, weil man sich so zahlreicher Probleme um die rätselhaften ἑκτήμοροι entledigen könnte; er ist v. a. aufgrund der Tatsache plausibel, dass Pseudo-Aristoteles sich nicht genötigt sieht, seinen Lesern den Begriff an sich zu erläutern, sondern lediglich den Ausdruck in ­diesem speziellen Kontext erklärt, zumal die Termini κτῆμα (oder statt des in der archaischen Dichtung ungebräuchlichen Singulars die Verbformen κεκτῆσθαι bzw. ἐκτῆσθαι) und ὅροι in anderen Zusammenhängen regelmäßiger verwendet wurden. 242

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landwirtschaftlicher Erzeugnisse nebst einigen weiteren wirtschaftlichen Reformen 246 ab. Jeder, der Feldfrüchte oder daraus hergestellte Produkte an Fremde verkaufte, sollte durch die Archonten mit Flüchen (ἄραι) belegt werden. Wenn wir davon ausgehen, dass eine Unterversorgung trotz Überschüssen auf drastisch ungleich verteiltes Land zurückzuführen ist, konnte mittelfristig ein Exportverbot Abhilfe schaffen, da so Anbauflächen frei und Anreize zur Nahrungsmittelproduktion generiert wurden. Dass die Ressource Boden im vorsolonischen Attika ineffizient im Hinblick auf das Gemeinwohl genutzt worden war, legt eine andere Maßnahme nahe: Σόλων τε ὁ σοφὸς διὰ τῶν νόμων κεκώλυκε τοὺς ἄνδρας μυροπωλεῖν.247 Auf den ersten Blick scheint ­dieses Verbot nur wenig mit dem Ausfuhrverbot von Nahrungsmitteln gemein zu haben, doch konnte die Produktion von duftenden Salbölen enorme Anbauflächen für sich vereinnahmen.248 Auch hier zeichnet sich in der Gesamtschau ein Bild des Ausgleichs ab: Der Nutzen weniger Besitzender wurde zwar zugunsten des Interesses Vieler beschnitten. Doch wurde auch dem Interesse der Besitzenden Rechnung getragen, da nicht die Ölausfuhr an sich verboten wurde. Bei dem Handelsverbot könnte es sich ebenfalls um eine Maßnahme gehandelt haben, mit der man mittelfristig versuchte, einer Verteilungskrise zu begegnen. Zur langfristigen Lösung des Problems mussten die Strukturen, die immer wieder das Unheil heraufbeschworen, indes aufgebrochen werden. Hierzu begrenzte Solon den Umfang, in dem Boden erworben werden durfte.249 Von da an waren die Möglichkeiten, durch Landbesitz eine Machtposition zu verfestigen, empfindlich limitiert, wenngleich nicht aufgehoben. Darüber hinaus beschnitt er den Aufwand, der bei Hochzeiten 250 und Begräbnissen 251 betrieben werden durfte. So war es nur noch bis zu einer festgelegten Grenze möglich, sich durch Zurschaustellung von Reichtum eine bessere Position im Feld der Macht zu sichern. 246

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249 250 251

Vgl. zum Reformbegriff in der Antike grundlegend Walter (2011) insbesondere 119 – 122. Sol. nom. F73a = Athen. 15,687a: Solon der Weise verbot den Männern mit Duftölen zu handeln. (Eigene Übersetzung) Vgl. auch das andere bei Athenaios überlieferte Fragment: Sol. nom. F73b = Athen. 16,612a. Vgl. zum Zusammenhang von Anbaufläche und dem Duftölverbot Ruschenbusch/ Bringmann (2014) 142. Salböle enthielten neben einem Trägermaterial (corpus) einen oder mehrere Geruchsträger (sucus). Bestand das corpus meist aus Olivenöl, setzte sich der sucus aus flüchtigen ätherischen Ölen zusammen. In der Antike waren Destillationsverfahren unbekannt. Die einzig gangbare Methode war es, das corpus durch ein Kontaktverfahren zu aromatisieren, also indem heißem Öl Blüten oder andere ätherische Öle enthaltende Materialien beigegeben wurden. Hierzu wurden immense Mengen dieser Materialien benötigt, in einer Größenordnung, die dazu geeignet war, die verfügbare Anbaufläche für Getreide schmerzlich zu schmälern. Der griechische Begriff μύρον beschreibt aromatisierte Salböle und schließt sowohl corpus als auch sucus ein. Der Terminus μυροπωλεῖν umschreibt also den Handel mit diesen Duftölen. Wurde der Handel mit aromatisierten Ölen verboten, setzte dies Kapazitäten frei. Vgl. Blümner (1969) 359. Sol. nom. F66 = Aristot. pol. 2,7,1266 b14. Sol. nom. F71a = F52a = Plut. Sol. 20,6. Sol. nom. F72a = Cic. de leg. 2,63; F72b = Cic. de leg. 2,59; 72c = Plut. Sol. 21,5.

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Als Ressourcen der Ansässigkeit erscheinen bei der Gesetzgebung materielle Voraussetzugen (Land, Lebensmittel) und immaterielle Güter (Gerechtigkeit, friedliche Verhältnisse), die miteinander in einem sozio-ökonomischen Produktionsprozess verbunden waren. Innerhalb d ­ ieses Mechanismus stellte die Gemeinschaft ihre wirtschaftlichen und sozialen Grundlagen aufs Neue her. Die Reformmaßnahmen zielten insbesondere drauf ab, hier das Gleichgewicht wiederherzustellen. 2.2.3.2 Solonische Dichtung In den erhaltenen Versen, mit denen Solon den Athenern seine Maßnahmen zu vermitteln suchte, spiegeln sich die groben Linien des Konfliktes wider. Sie sind aus dreierlei Gründen eine detaillierte Betrachtung wert: Erstens legte Solon die Merkmale der ‚Krise‘ in wenigen, aber klaren Worten dar; zweitens künden sie von den Folgen der Auseinandersetzung; drittens erscheinen im Hinblick auf die intertextuellen Bezüge zu Hesiods Werken und Tagen einige kurze Bemerkungen zum Quellenwert der solonischen Dichtung angebracht.252 Die ausführlichste Darlegung der vorsolonischen Missstände in Athen fungiert in der Eunomie-Elegie 253 zugleich als Einordnung, innerhalb der Solon die Probleme und deren Ursachen benannte. Der Bezug auf diese Ereignisse fällt kurz aus, konnte Solon doch davon ausgehen, dass die Verhältnisse seinen Zuhörern bekannt waren, sodass es ihm möglich war, sich darauf zu konzentrieren, seine Deutung dieser Ereignisse darzulegen und seine Hörer zu überzeugen, diese Deutung als Wahrheit anzuerkennen. Um seine Maßnahmen zu rechtfertigen und auf ihren Erhalt hinzuarbeiten,254 baute Solon seine Argumentation sorgsam auf: Athen werde nicht untergehen (ὀλεῖθαι), denn die Stadt werde von den Göttern, allen voran Pallas Athene, selbst geschützt.255 Dieser stolzen Versicherung folgt unmittelbar eine dramatische Erklärung: Die Bewohner der mächtigen Stadt hätten auf ihre Vernichtung hingearbeitet, da sie dem Besitz gehorcht hätten. Großes Unheil drohe, wenn die Anführer des Volkes (ἡγεμόνης δήμου) eine rechtlose Gesinnung (ἄδικος νόος) hätten und so der hýbris anheimfielen.256 Besitzende ­seien durch rechtlose Werke (ἄδικα ἔργα) zu ihrem Eigentum gelangt.257 Doch wenn Teile der Gemeinschaft Díkēs heilige 252

Sofern diese intertextuellen Bezüge bestehen, stellt sich die Frage, inwieweit Solon die Verhältnisse seiner Zeit wiedergab oder lediglich literarische Topoi zur Komposition seiner Dichtung verwendete. 253 Sol. eleg. F4 West = F3 Gentili/Prato. 254 Vgl. Raaflaub (1993) 71; Itgenshorst (2014) 172. 255 Sol. eleg. F4 West = F3 Gentili/Prato 1 – 4. 256 Sol. eleg. F4 West = F3 Gentili/Prato 6 – 8. Dabei ist in der Forschung vor allem der Aspekt, dass die Menschen durch ihr Handeln verantwortlich für die göttlichen Strafen sind, betont worden, was die Elegie zu einem politischen Text macht. Vgl. stellvertretend Walter (2013) 34; Itgenshorst (2014) 178. 257 Sol. eleg. F4 West = F3 Gentili/Prato 11.

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Grundsteine nicht beachteten, strafe die Göttin selbst, nachdem sie diesen Frevel schweigend miterlebt habe. Nicht Einzelne ­seien dann ihrer furchtbaren Rache ausgesetzt, sondern die gesamte Polis büße für deren Fehlverhalten.258 Hieran schließt eine Beschreibung der Strafen an, die Díkē diesen Gemeinschaften zuteilwerden ließe: Folgen ­seien Knechtschaft (δουλοσύνη), Bürgerkrieg (στάσις) und Krieg mit äußeren Feinden (πόλεμος), der die Jugend (ἡλικία) vertilge,259 eine Situation, die eingetreten sei.260 Diese Übel, die ertragen werden mussten, s­ eien die Folgen der entstandenen Missordnung (Δυσνομία). Ihr stellt Solon am Ende seiner Verse die Wohlordnung (Ευνομία) als Ausweg gegenüber. Beide erscheinen bei Solon als göttliche Personifikationen abstrakter Aspekte menschlichen Zusammenlebens. Dysnomía bringe die Übel zu den Menschen. Eunomía hingegen ordne alles, den Ungerechten bände sie die Füße und lege sie dicht an dicht aneinander, Raues glätte sie, der Gier (κόρος) und hýbris bereite sie ein Ende. Sie richte mit geraden Rechtssprüchen (δίκαι σολιαί) und gebiete den krummen und arroganten Taten (σκολιοί, ὑπερήφανα ἔργα) und den Werken der Zwietracht (ἔργα Διχοστασίης) Einhalt. Ferner beende sie die Bitterkeit des Streites (ἀργαλέος Ἔριδος).261 Die Parallelen zu den Werken und Tagen Hesiods sind offenkundig und in der Forschung bekannt, weswegen eine kurze Skizze genügt:262 Díkē erscheint zunächst als hilflose, auf Böses sinnenden Männern ausgelieferte Jungfrau,263 es folgen die Betonung der hýbris und das Unheil, das die Gemeinschaft wegen des Handelns einzelner gegen die Gebote der Göttin ertragen muss, wobei sogar die Folgen bis ins Detail übereinstimmen,264 sowie der Bezug auf die Festfreuden.265 Die Vielzahl der Übereinstimmungen lässt vermuten, dass Solon bewusst Anleihen bei Hesiods Dichtungen machte. Die Bezüge zu Hesiod – so stark sie auch sind – waren allerdings nicht der bestimmende Faktor bei der Komposition des Gedichtes: Die Anspielungen auf den Dichter aus Askra sind dabei zwar so deutlich, dass sie zumindest von einem Teil des Publikums sehr wohl verstanden werden konnten, und lassen sich als Versuch deuten, 258

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Sol. eleg. F4 West = F3 Gentili/Prato 14 – 16. Die Verbundenheit des Handelns eines Einzelnen mit dem Schicksal der gesamten Polis hebt Lewis (2006) 42 – 44 hervor. Er plausibilisiert, dass es sich um eine direkte Kritik an einzelnen Akteuren handelte: „it is not likely that the audience failed to recognize those whom Solon was blaming“. Sol. eleg. F4 West = F3 Gentili/Prato 17 – 20. Sol. eleg. F4 West = F3 Gentili/Prato 8. Sol. eleg. F4 West = F3 Gentili/Prato 30 – 39. Vgl. etwa die Gegenüberstellung bei Raaflaub (2000) 39 – 42 und Itgenshorst (2014) 171 – 180 Vgl. zur Ähnlichkeit der Werke und Tage und der Eunomie-Elegie jüngst Ulf (2020) 107 – 108. Mülke (2002) zu F9 und F12; Itgenshorst (2014) 176; 178 – 179. Itgenshorst (2014) 178. Sol. eleg. F4 West = F3 Gentili/Prato 9 – 10. Die ungerechte Polis, zu der Athen geworden ist, ist wegen der Gier (κόρος) ihrer Bürger – im Gegensatz zu der gerechten Stadt in den Werken und Tagen – hierzu nicht in der Lage.

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den alterhwürdigen Poeten als Instanz zu n ­ utzen, wobei aber der der Kontext Athen dominiert 266. Solon weist einen Weg aus konkreten Missständen heraus. Kennzeichnend ist die Bedeutung von Besitz (χρήματα) und Gier (κόρος) für die Misere, die über alle Bürger Athens hereinbricht. Es wird hier auf die ins Ungleichgewicht geratenen Besitzverhältnisse Bezug genommen. Mit der Verwendung des Begriffs κόρος, der die Konnotation des unmoralischen Verhaltens beinhaltet, suggeriert Solon, dass der Reichtum durch unrechtes Handeln und aus verdammenswerten Motiven erworben wurde.267 Das in den Fragmenten seiner Gesetze manifeste Problem der Schuldknechtschaft schlug sich also auch deutlich in Solons Dichtung nieder. Doch lassen sich diesen wenigen Versen keine Details entlocken.268 Stattdessen wird ein informiertes Publikum in aller gebotenen Kürze an die Missstände und ihre Beseitigung durch Solon erinnert.269 Das Ergebnis, die Befreiung der in Sklaverei geratenen Athener, betont Solon mit einer Alliteration,270 wodurch die Erinnerungsfunktion der Verse an den Erfolg deutlich wird. Dass die Betroffenen in Sklaverei gerieten, wird als ἀεικής bewertet, eine Unangemessenheit, die Solon beendete. Der Einschub, der die in Sklaverei Geratenen als vor ihren Herren zitternd beschreibt, zeichnet ein von Willkür und Unberechenbarkeit bestimmtes Bild.271 266

So im Ergebnis auch Lewis (2006) 42 – 52. Es gibt zudem gravierende Unterschiede: Bei Hesiod gehen die Überlegungen zu Díkē von einem konkreten Fall, dem Erbschaftsstreit mit dem eigenen Bruder Perses, aus und werden auf eine sowohl gemeinschaftliche als auch abstrakte Ebene gehoben, wenn von der gerechten und ungerechten Polis gesprochen wird. Bei Solon hingegen ist immer ein konkretes Gemeinwesen gemeint, nämlich Athen. Dies bedingt wiederum weitere Unterschiede: Allen voran geht Athen aufgrund des besonderen Schutzes der Götter nicht unter. Folglich bedarf es keines blühenden Gemeinwesens als Gegenbild. Aus diesen Versen wurde herausgelesen, dass bei Solon die Götter keinerlei aktive Rolle mehr spielten, da es allein die Menschen ­seien, die ihr Verderben herbeiführten, so Raaflaub (1993) 72. Dagegen wendet Itgenshorst (2014) 198 ein, dass das Soziopolitische von der Götterwelt nicht trennbar sei. Die Gottheit Díkē verkörpere bei Solon ebenso wie bei Hesiod das Recht und lasse sich nicht auf ein abstraktes Prinzip reduzieren. Díkē habe ihren Ursprung in der Lebenswelt, aus der heraus sie konzipiert worden sei. 267 Die spezifische Natur der Missstände in Athen führte gleichfalls zu Übeln, die der Polis eigen waren. Der Bürgerkrieg, bei Hesiod höchstens hinsichtlich seiner Konsequenzen angedeutet, ist bei Solon als konkrete Folge benannt. Damit verbunden ist ein weiteres Übel, die Sklaverei, die sowohl der Polis als Ganzes drohte (Sol. eleg. F4 West = F3 Gentili/Prato 17 – 18), aber vor allem als individuelles Schicksal einiger attischer Bürger hervorgehoben ist (Sol. eleg. F4 West = F3 Gentili/Prato 23 – 25), wobei Solon ­zwischen Übeln in der Heimat und dem Leid, das Bürger wegen der dortigen Missstände in der Fremde zu ertragen hatten, unterscheidet. 268 Vgl. Mülke (2002) 384. 269 Sol. eleg. F36 West = F24 Gentili/Prato, hier 13 – 15. 270 Mülke (2002) 384. 271 ebd. Mülke schreibt weiter, es bleibe unklar, worin Willkür und Bedrohung bestünden. Indes war ein Sklave potentiell immer den Launen seines Herren ausgeliefert und seine Lage somit stets prekär.

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Solon führte mit der Entschuldung die ehemals Versklavten in das Gemeinwesen zurück, da sie nun wieder Bürgerrechte besaßen. Er kontrastiert diese Gruppe von denen, die entweder als Sklaven in die Fremde verkauft wurden oder die Heimat verlassen hatten. Beide habe er zurück nach Athen geholt: Πολλοὺς δ’ Ἀθήνας πατρίδ’ ἐς θεόκτιτον ἀνήγαγον πραθέντας, ἄλλον ἐκδίκως, ἄλλον δικαίως, τοὺς δ’ ἀναγκαίης ὑπὸ χρειοῦς φυγόντας, γλῶσσαν οὐκέτ’ Ἀττικὴν ἱέντας, ὡς δὴ πολλαχῆι πλανωμένους·272 Viele führt’ ich nach Athen, ins Vaterland, das gottgegründete, zurück, die Verkauften – der eine außerhalb des Rechts, der andere rechtens – andere dann, die durch zwingende Not sich auf die Flucht gemacht – ihre Zunge sprach nicht mehr attisch, da sie doch vielerorts umhergeirrt. Die Verse unterstellen beiläufig den unrechtmäßigen Verkauf von Athenern in die Fremde. Dieser Missstand wird in eine Reihe mit dem Fortgang einer anderen Gruppe freier Männer gestellt, die ebenfalls nicht freiwillig ihre Heimat verlassen hätten, sondern geflohen (φεύγειν) ­seien. Die Gründe werden mit dem Adjektiv ἀναγκαῖος beschrieben, was eine sprachliche Parallele zu einer Episode in den Werken und Tagen Hesiods darstellt.273 In beiden Textstellen bleibt unklar, was mit ἀνάγκη genau bezeihnet werden sollte. War es wirtschaftliche Not, die den Betroffenen keine Wahl ließ, in die Fremde zu gehen, oder war es ein andersgearteter Zwang, der sich hinter dem Begriff verbirgt? Heinz Schreckenberg stellte grundlegende Überlegungen zu der Begrifflichkeit an. Das Adjektiv ἀναγκαῖος bezeichne einen Zwang, der die täglichen Lebensbedürfnisse betreffe und negativ empfunden werde.274 Der Fortgang stellt in der Konzeption des Textes etwas dezidiert Negatives dar. Der daran anschließenden Mobilität kann ebenfalls nichts Gutes abgewonnen werden: Die Menschen ­seien umhergewandert (πλανάομαι), womit impliziert ist, dass sie nirgends ankamen. Wanderschaft wiederum war seit der Odyssee mit einer großen Bandbreite an Unannehmlichkeiten konnotiert, die bis zu verzweifeltem Leiden reichen konnten. Während das Umherirren auf dem Meer (und in der weiten Welt) im homerischen Epos mit φεύγω 275 umschrieben ist, taucht πλανάομαι in d ­ iesem Kontext bei Homer nicht auf.276 Auch ist es in der archaischen Dichtung eher selten anzutreffen, und wenn 272

Sol. eleg. F36 West = F24 Gentili/Pratto, hier 8 – 13. In Hes. erg. 630 – 637 heißt es, Hesiods Vater habe das aiolische Kyme aus Zwang verlassen. 274 Schreckenberg (1964) 61 – 65; ihm folgend: Mülke (2002) 382. 275 ebd.; Hom. Il. 9,478; Hom. Od. 15,228; 15,276 – 277; 23,118 – 121. 276 Die einzige Erwähnung des Verbes findet sich bei der Beschreibung umherirrender Pferde eines unverständigen Wagenlenkers. Bestenfalls ein schwacher Hinweis auf die Seefahrt ist 273

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doch, dann eingebettet in andere Kontexte.277 In Kombination mit φεύγω ist Mobilität hier eindeutig negativ gebraucht, was durch die Betonung der Entfremdung der Fortgegangenen von der eigenen Heimat noch verstärkt wird. Diese negativ besetzte und nicht letztendlich unfreiwillige Mobilität von Freien ist in einem Atemzug mit der Mobilität von in die Sklaverei geratenen Bürgern genannt. Wer allein wirtschaftliche Gründe für diese Mobilität der Freien annimmt,278 läuft Gefahr, Ursache und Wirkung zu verwischen. Tatsächlich zählte wirtschaftliche Not zu den Symptomen jener Krise; sie stellte jedoch nicht ihren Auslöser dar.279 Solon betrachtete jene Not nicht als isoliertes Problem in einem abgeschlossenen oder gar autonomen wirtschaftlichen Feld. Eine derartige Vorstellung wäre zudem anachronistisch. Er begriff meines Erachtens ökonomische Ungleichheit, wenn sie einen bestimmten Punkt überschritten hatte, als politisches Problem, von dem eine Gefahr für das Gemeinwesen ­ausging. Obwohl er die Raffgier und deren Folgen für die Gemeinschaft überaus deutlich attackierte,280 strebte er dabei nicht Gleichheit (ἰσονομία) an.281 Vielmehr dürfte der Kern seiner Bemühungen darin bestanden haben, durch moderate Neuerungen die etablierte Ordnung zu bewahren, was nur scheinbar einen Widerspruch darstellt: Es ist symptomatisch für die solonische Gesetzgebung, dass sie um Ausgleich bemüht war, ohne die Verhältnisse grundlegend umzugestalten.282 Sie entstand in einer Situation, in der Solon mit weitreichenden Befugnissen ausgestattet war und erkennbar, da der kluge Wagenlenker, das Gegenbeispiel zum unverständigen, mit einem gescheiten Steuermann verglichen wird, der sein Schiff mit Klugheit durch die stürmische See lenkt: Hom. Il. 23,316 – 321. 277 Bei Semon. F7 West ist der Begriff eingebettet in die unschmeichelhafte Beschreibung eines neugierigen Typs von Frau. Bei Sappho F21 Lobel/Page ist der Kontext nicht rekonstruierbar. 278 Auf diese Weise leitet Mülke (2002) 382 seinen Kommentar, der allerdings eine v. a. philologische Perspektive einnimmt und die historisch-sozialen Aspekte nicht dezidiert behandelt, zu der Stelle ein. 279 Vgl. die differenzierte Wertung bei Welwei (2005) 32 – 33: „Ursachen der die Solidarität der Gemeinschaft destabilisierenden Faktoren waren wohl kaum Mißernten und deren Folgen oder sich negativ auswirkende ökonomische Entwicklungen, wie sie etwa durch eine bestimmte Umstellung in der Produktionsweise entstanden sein konnten. Solon verweist in der genannten Elegie zunächst auf törichte Gewinnsucht der ἀστοί, d. h. er kritisiert generell den in der Gemeinschaft der Athener verbreiteten Eigennutz, der eine Polis zugrunde richten kann.“ 280 ebd. 281 Vgl. Schmitz (2011) 24. 282 Hiefür spricht auch das Ergebnis der solonischen Reformtätigkeit, wenngleich dies auf den ersten Blick paradox erscheinen mag. Eben weil keine der gesellschaftlichen Gruppen zufriedengestellt zu sein schien, hatte die solonische Ordnung in Gänze nicht lange bestand. Indes hatte sie die Institutionalisierung in Athen erheblich und nachhaltig vorangetrieben. Vgl. zum Befund des Ausgleichs Meier (2001) 707; Welwei (2005) 40; Schmitz (2011) 23.

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ebenso weitreichende Veränderungen anzustoßen vermochte. Aber damit die Neuerungen von Dauer sein konnten, durfte Solon die bereits bestehenden Verhältnisse nicht gänzlich ignorieren. Die Reformen gingen gerade weit genug, damit sich die Lage beruhigen konnte.283 Diese Stabilisierung war überdies eine Wiederherstellung von Ansässigkeit, deren Grundlagen erodiert waren. In der Folge hatten Athener aus eigenem Entschluss oder unter Zwang ihre angestammte Heimat bereits verlassen. Einige waren in die Sklaverei geraten und in die Fremde verkauft worden. Andere hatten zu Hause keine oder eine schlechte Perspektive gesehen und waren daher fortgegangen. Diese Gruppe musste über die nötigen Ressourcen verfügt haben, um diesen schweren und kostspieligen Schritt wagen zu können. Und selbst dann war der Erfolg ungewiss. Neben ihnen gab es eine größere Zahl von Daheimgebliebenen, denen diese Möglichkeit verschlossen geblieben war, weil sie keine hinreichenden Überschüsse erwirtschaftet hatten. Solon ermöglichte ihre Reintegration, indem er für sie den Zugang zu Lebenschancen wiederherstellte. Dies machte einen großen Teil seiner Reformtätigkeit aus. Doch auch dem Heimholen der Athener, die in die Fremde gezwungen worden waren oder dort nach einem besseren Leben strebten, maß Solon zumindest insofern Wichtigkeit bei, als er sich veranlasst sah, in seiner Dichtung deutlich darauf zu verweisen.

2.2.4 Das Problem der Verallgemeinerung und das Politische Das für die griechische Archaik notorische Problem, Einzelbefunde verallgemeinern zu können,284 stellt sich auch hier. Inwieweit die durch die Solonfragmente für Athen und die durch die Dichtung Hesiods bezeugten Zustände für Boiotien repräsentativ waren, lässt sich bestenfalls in Annäherung beantworten. Eine allgemeine Verbreitung der Gerechtigkeitsfrage oder gar einen Kausalzusammenhang mit Migrationsbewegungen sicher nachzuweisen, muss an der Quellenlage scheitern. Dennoch lassen sich Anhaltspunkte ausmachen, ­welche die anhand von Hesiod und Solon entwickelte Hypothese stützen:

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Schmitz (2011) 23 – 24. Die Frage nach der Verallgemeinerung ist seit jeher ein Grundproblem der Geschichtswissenschaft, das kaum losgelöst von den großen geschichtsphilosophischen Strömungen, die jeweils eigene Neubestimmungen des Fachs vornahmen, betrachtet werden kann. Bereits Aydelotte (1977) 205 – 206 konstatiert, dass „Tätigkeitsweisen und Zielsetzungen der Historiker“ nicht zuletzt wegen „Art und Umfang des Quellenmaterials“ variierten und daher kaum allgemeingültige Kriterien der historischen Generalisierung aufgestellt werden könnten. Stellvertretend für jüngere Annäherungen an ­dieses alte Problem sei hier auf die Auseinandersetzung mit dem Thema anhand der Konzeption des Allgemeinen bei Jacob Burckhardt und seiner Wiederentdeckung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bei Ruehl (2013) verwiesen.

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Bereits in der Ilias werden mit δίκη 285 Gerechtigkeitsvorstellungen umschrieben,286 wobei der Migrationskontext kaum greifbar ist. Eine häufig festgestellte Ähnlichkeit zu den Werken und Tagen Hesiods 287 lässt eine Untermalung der Kampfszene erkennen, in der Patroklos, die Rüstung des Achilles am Leib, die Troer zurück nach Illion treibt: Auch hier sind schiefe Richtersprüche (σκολιὰς θέμιστας), Gewalt, die Vertreibung der Díkē und die Vergeltung der Götter benannt.288 Ferner dürfte sich hinter díkē/Díkē eine Gerechtigkeitsvorstellung verbergen, zumal Recht im Sinne eines juristischen Prozesses nicht vertrieben wird, da das Urteil und das Prozedere erhalten bleiben.289 Zeus tritt als sanktionierende Instanz auf, der den Umgang mit Díkē maßregelt. Die Folgen treffen die Gemeinschaft als Ganze, wie die Vernichtung aller Werke der Menschen (ἔργα ἀνθρώπων) nahelegt. Da Homer hier in schmückender Absicht den Haupterzählstrang verlässt, erlaubt der kleine Abschnitt es kaum, weitere Kontexte wie Migration zu erschließen. Vielversprechend erscheint indes eine andere Szene, in der der Schweinehirt Eumaios sich im Gespräch mit seinem noch unerkannten Herrn, Odysseus, über das Gebaren der Freier beklagt, das οὐκ δικαίως (auf ungerechte Weise) geschehe. Ἔσθιε νῦν, ὦ ξεῖνε, τά τε δμώεσσι πάρεστιν, χοίρε’· ἀτὰρ σιάλους γε σύας μνηστῆρες ἔδουσιν, οὐκ ὄπιδα φρονέοντες ἐνὶ φρεσὶν οὐδ’ ἐλεητύν. οὐ μὲν σχέτλια ἔργα θεοὶ μάκαρες φιλέουσιν, ἀλλὰ δίκην τίουσι καὶ αἴσιμα ἔργ’ ἀνθρώπων. καὶ μὲν δυσμενέες καὶ ἀνάρσιοι, οἵ τ’ ἐπὶ γαίης ἀλλοτρίης βῶσιν καί σφι Ζεὺς ληΐδα δώηι,

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Bzw. personifiziert Δίκη. Schon im Klassiker von Lloyd-Jones (1983) 1 – 27 (hier in der neueren zweiten Auflage zitiert), sekundiert durch Dickie (1978) 92 – 93, wird das Argument stark gemacht, dass es sich um einen moralischen Begriff handelt. Dagegen Gagarin (1992) 61. 287 Vgl. dazu Dickie (1978) 98. 288 Hom. Il. 16,384 – 392: ὡς δ’ ὑπὸ λαίλαπι πᾶσα κελαινὴ βέβριθε χθὼν / ἤματ’ ὀπωρινῶι, ὅτε λαβρότατον χέει ὕδωρ / Ζεύς, ὅτε δή ἄνδρεσσι κοτεσσάμενος χαλεπήνηι, / οἳ βίηι εἰν ἀγορῆι σκολιὰς κρίνωσι θέμιστας, / ἐκ δὲ Δίκην ἐλάσωσι θεῶν ὄπιν οὐκ ἀλέγοντες, / τῶν δέ τε πάντες μὲν ποταμοὶ πλήθουσι ῥέοντες, /πολλὰς δὲ κλειτὺς τότ’ ἀποτμήγουσι χαράδραι, / ἐς δ’ ἅλα πορφυρέην μεγάλα στενάχουσι ῥέουσαι / ἐξ ὀρέων ἐπικάρ, μινύθει δέ τε ἔργ’ ἀνθρώπων. – Und wie unter einem Sturmwind beschwert die ganze schwarze Erde an einem herbstlichen Tag, wenn ein reißendes Wasser herabschüttet Zeus wenn er über die Männer wütend hereinbricht, die mit Gewalt auf der agorá schiefe Richtersprüche [σκολιὰς θέμιστας] fällen und Díkē vertreiben und sich nicht um die Vergeltung der Götter scheren; deren Flüsse füllen sich alle, die strömenden, und es schneiden dann viele Hänge ab die Sturzbäche und gewaltig stöhnend strömen sie in die purpurne Salzflut jäh herab von den Bergen und es schwinden hin die Werke der Menschen. 289 Dickie (1978) 98. 286

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πλησάμενοι δέ τε νῆας ἔβαν οἶκόνδε νέεσθαι, καὶ μὲν τοῖς ὄπιδος κρατερὸν δέος ἐν φρεσὶ πίπτει. οἵδε δέ τοι ἴσσασι, θεοῦ δέ τιν’ ἔκλυον αὐδήν, κείνου λυγρὸν ὄλεθρον, ὅ τ’ οὐκ ἐθέλουσι δικαίως μνᾶσθαι οὐδὲ νέεσθαι ἐπὶ σφέτερ’, ἀλλὰ ἕκηλοι κτήματα δαρδάπτουσιν ὑπέρβιον, οὐδ’ ἔπι φειδώ.290 Iss, Fremder, jetzt, was für die Sklaven da ist: Gebratenes vom Ferkel – die fetten Schweine essen ja die Freier, die an keine göttliche Heimsuchung in ihrem Sinne und an kein Erbarmen denken! Freilich die Götter lieben keine frechen Werke, sondern schätzen das Recht und gebührliche Werke der Menschen. Auch Bösgesonnene und Feindselige, die ein fremdes Land betreten haben, und Zeus gab ihnen Beute und sie füllten ihre Schiffe und fuhren davon, um nach Hause zu gelangen: Auch denen fällt eine gewaltige Furcht vor der göttlichen Heimsuchung auf die Seele. Die da aber wissen sicherlich – sie hören wohl von Gott eine Stimme – von jenes Mannes traurigem Verderben: dass sie nicht auf die rechte Weise freien und auf ihr Eigenes heimkehren wollen, sondern in guter Ruhe die Besitztümer verzehren maßlos, und da ist kein Sparen! Eumaios stellt hier einen Bezug zu Mobilität her, wenngleich dieser gänzlich anders gelagert ist und kaum mit der Aufrechterhaltung von Ansässigkeit in Verbindung gebracht werden kann. Der Vergleich dient der Herabwürdigung der Freier, deren Verhalten schlimmer sei als das von Piraten, die Díkē weit mehr achteten; Gerechtigkeit oder deren Abwesenheit sind in dieser Konzeption nicht Auslöser der Mobilität der Seefahrer 291 und beides scheint hier auch darüber hinaus nicht miteinander in einem Kausalzusammenhang zu stehen. Die homerischen Konzeptionen von Gerechtigkeit sind ereignisgeschichtlich ungebunden und verweisen, auch wenn sicherlich ein lebensweltlicher Bezug der Gerechtigkeitsdarstellungen greifbar ist, auf keine konkreten, historisch fassbaren Ereignisse, anders als etwa die auf Athen bezogenen Dichtungen Solons. Wenig überraschend lassen sich für den anderen, durch die Überlieferungslagen bestimmten, Fixpunkt griechischer Geschichte Belege dafür ausmachen, dass Gerechtigkeitsfragen Gegenstand der Auseinandersetzung wurden. In der Eunomía des Tyrtaios scheint diese Verbindung deutlich zutage zu treten: Ἄρχειν μὲν βουλῆς θεοτιμήτους βασιλῆας, οἷσι μέλει Σπάρτης ἱμερόεσσα πόλις, 290

Hom. Od. 14,80 – 92. (Ich habe hier an der Übersetzung Schadewalds größere Änderungen vorgenommen.) 291 Vgl. zum Seeraub als Mobilitätsform Kapitel 3.2.4 Hetaíros-Gruppen als Seeräuber, 194 – 202.

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πρεσβυγενέας τε γέροντας· ἔπειτα δὲ δημότας ἄνδρας εὐθείαις ῥήτραις ἀνταπαμειβομένους.292 Vorstehen sollen dem Rat Könige, von den Göttern geehrt, denen am Herzen liegt Sparta, die liebliche Stadt, und altehrwürdige Geronten, sodann Männer des Volkes, [sie alle] durch rechtmäßige Satzung einander Antworten gebend. Den Kontext bildet jener Spruch des delphischen Orakels, der Lykurg, dem Nomotheten Spartas, auftrug, die Wohlordnung zu schaffen, für ­welche die Polis – wohl nicht ohne Einfluss der spartanischen Ideologie 293 – berühmt werden sollte. Das Fragment wird durch Plutarch in der Lykurgbiographie überliefert. Wenngleich Tyrtaios hier nicht den Begriff δίκη wählt, ist der gedachte Zusammenhang ersichtlich, denn mit εὐθείαις ῥήτραις werden Geronten und Damoden miteinander in Beziehung gesetzt. Mit dieser Formulierung bezieht sich Tyrtaios nicht allein auf die Große Rhetra, sondern verweist auch auf die Dichtung Homers, in der sich ähnliche Wendungen wie εὐθεῖα (ἰθεῖα) δίκη oder σκολία θέμις finden,294 Formeln, die auch in ähnlicher Weise in den Werken und Tagen und der Theogonie verwendet wurden.295 Damit unternahm Tyrtaios den Versuch, mit Schemata, die seinen Zuhörern wohlbekannt waren, etwas Neuem, der Großen Rhetra, Legitimität zu verleihen.296 Auf den zitierten Orakelspruch lässt er eine Erläuterung folgen, in welcher der Bezug zu Gerechtigkeitsvorstellungen noch deutlicher zutage tritt: Μυθεῖσθαί τε τὰ καλὰ καὶ ἔρδειν πάντα δίκαια, μηδέ τι βουλεύειν τῆιδε πόλει ·297 Das Schöne in Worte kleiden, alles tun, was gerecht ist, und nichts schiefes für diesen Bürgerverband beraten. Die Adjektive καλόν und δίκαια umreißen ein Handeln, „das dem göttlich sanktionierten Wohl der Polis dient.“ 298 Der Kontext des Gedichts ist Tyrtaios’ Agenda, die Spartaner zur Identifikation mit der neuen Ordnung, die mit der Großen Rhetra

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Tyrt. F4 West, 1 – 7. (Übersetzung nach: Meier (1998) 253). Meier (1998) 56; 76 – 79. ders. (1998) 250. Vgl. Hom. Il. 16,387; 18,508. Vgl. Kapitel 2.2.2 Gerechtigkeit im Kontext früharchaischer Ansässigkeit, 101 – 115 und Meier (1998) 250, der zwar darauf hinweist, dass nicht gesichert sei, ob Tyrtaios mit dem Werk Hesiods vertraut war, es sich aber anhand der Beispiele zeige, dass es sich um verbreitete Formeln epischer Dichtung handelte. ebd. Tyrt. F4 West, 8 – 9. (Übersetzung nach: Meier (1998) 250). Meier (1998) 251.

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nach einem vorangegangenen Konflikt gestiftet worden war, zu bewegen.299 Da es sich bei σκολιόν um eine Ergänzung handelt, kann, auch wenn sie plausibel ist, nicht mit Sicherheit eine Parallele zu den Werken und Tagen 300 festgestellt werden. Die Verwendung von δίκαια indes belegt die Vorstellung, dass Gerechtigkeit für die Verwirklichung der Wohlordnung als wesentlich erachtet wurde. Der Kontext eines Streits in der Bürgerschaft, der zur Errichtung einer neuen Ordnung geführt habe, ist ein in der griechischen Geschichte häufiger überliefertes Szenario: Athen hatte Solon, Kyrene Demonax, Sparta Lykurg – die Liste ließe sich leicht verlängern. Eine weitere Parallele zu Athen und anderen Gemeinwesen stellt die Landverteilungsproblematik, vielleicht als Folge von Erbteilung und nicht begrenzter Akkumulation beispielsweise durch Heirat, dar.301 Als Indiz für eine deutliche soziale Stratifizierung im frühen Sparta 302 kann ein Fragment Alkmans angesehen werden, in dem das ἔτνος, der von den Eliten bevorzugte Brei aus Hülsenfrüchten, einer als τὰ κοινά bezeichneten Speise gegenübergestellt ist.303 Das wichtige Zeugnis zur Landverteilungsproblematik im frühen Sparta trennen wiederum Jahrhunderte von den berichteten Ereignissen. So schrieb Aristoteles im 4. Jahrhundert: Ἔτι ὅταν οἱ μὲν ἀπορῶσι λίαν οἱ δ’ εὐπορῶσιν (καὶ μάλιστα ἐν τοῖς πολέμοις τοῦτο γίνεται· συνέβη δὲ καὶ τοῦτο ἐν Λακεδαίμονι ὑπὸ τὸν Μεσηνιακὸν πόλεμον· δῆλον δὲ [καὶ] τοῦτο ἐκ τῆς Τυρταίου ποιήσεως τῆς καλουμένης Εὐνομίας· θλιβόμενοι γάρ τινες διὰ τὸν πόλεμον ἠξίουν ἀνάδαστον ποιεῖν τὴν χώραν).304 Auch entsteht [sc. eine stásis], wenn die einen mittellos, die anderen aber begütert sind (und dies war am meisten bei den Kriegern: So geschah es bei den Lakedaimoniern während des Messenischen Krieges. Deutlich wird dies in der Eunomía genannten Dichtung des Tyrtaios: Diejenigen, die des Krieges wegen in Bedrängnis gerieten, verlangten, dass eine Neuverteilung des Landes vorgenommen werden solle). Aristoteles beruft sich an dieser Stelle explizit auf Tyrtaios, was den Quellenwert der Passage festigt, wenn auch die Verse, auf die er sich bezieht, nicht überliefert sind.305 299

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ders. (1998) 45 – 69; 252. Erinnert sei hier an die Wertung Herodots, dass bei den Spartanern, bevor sie durch das Orakel an Lykurg ευνομία erhielten, die schlechtesten Gesetze (κακονομώτατοι) gegolten hätten: Hdt. 1,65,2 – 66,1. Thuk. 1,18,1 spricht von Bürgerkrieg (στασιάζειν). Vgl. auch Welwei (2007) 98 – 99. Hes. erg. 220. Link (1991) 95; ihm in ­diesem Punkt folgend auch Meier (1998) 59. So etwa Ehrenberg (1933) 288; Calame (1983) 365 – 366; Meier (1998) 65. Alkm. F9 Calme = 17 PMG. Aristot. pol. 5,7,1306b–1307a. Zur Untermauerung lässt sich Tyrt. F5 West anführen, worin Tyrteios bemüht zu sein scheint, die Forderung nach Landneuverteilung auf noch uneroberte Gebiete in ­Messenien

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Die Scheidung bei Aristoteles ­zwischen εὔποροι und ἄποροι verweist darauf, dass kein absoluter Landmangel dem Konflikt zugrunde lag, sondern eine als ungerecht wahrgenommene Verteilung des Landes,306 ein Verteilungskonflikt also, der – grob besehen – Ähnlichkeit zu den Problemen in Athen aufweist. Beilegung fand der Konflikt (in der Folge des zweiten Messenischen Krieges und der daran anschließenden Helotisierung der Messenier) durch Landverteilung, die Schaffung einer neuen Ordnung (durch Gesetzgebung) und ihrer tiefen ideologischen Verankerung.307 Gerechtigkeitsproblematiken traten im Kontext der sich zunehmend institutiona­ lisierenden Sphäre des Politischen 308 auf. Gerechtigkeit stellt eine normative Konzeption des Zusammenlebens dar und ist für sich bereits politisch. Auch ohne Institutionen wurde der Versuch unternommen, Gerechtigkeit herzustellen, das heißt, sich dem Ideal anzunähern, nämlich durch Recht in Form von Rechtssprechung durch eine innerhalb der Gemeinschaft anerkannte Elite, den basileís. Wenngleich diese Verwirklichung des Rechts nicht zwingend (geschriebene) Gesetze voraussetzte, agierten die basileís nicht frei von Erwartungen und Normen ihrer Gemeinschaft. Die Artikulation ebenjener Erwartungen und Normen, zumal unter der Chiffre Gerechtigkeit, durch die Gemeinschaft war eine Form politischer Auseinandersetzung, die ­später mit Institutionen und Gesetzen einen neuen Rahmen erhielt.309 Obgleich eine Verallgemeinerung kaum geleistet werden kann, lässt sich eine Häufung der Thematik und die Verbreitung einer epischen Formelsprache um Díkē (insbesondere im Sinne von Gerechtigkeit) feststellen. Beides weist sie als eine wichtige Ressource von Ansässigkeit aus, deren Abwesenheit obendrein dazu in der Lage war, Dynamiken zu entfachen, die weitere Ressourcen der Ansässigkeit erodierten und zugleich formativ im Hinblick auf Auswanderergruppen wirken konnten.

2.2.5 Zusammenfassung: Díkē, Lebenschancen und das Politische In den Berichten württembergischer Auswanderer, die von Friedrich List 1817 gesammelt worden waren, erscheint Gerechtigkeit als wichtiges Motiv der damaligen zu lenken. Vgl. dazu Meier (1998) 63 – 6 4. So etwa Link (1991) 95; Nafissi (1991) 38; Meier (1998) 64. 307 Meier (1998) 66 – 69. 308 Vgl. dazu den Klassiker von Meier (1983) 35 – 36, der definiert, der Begriff des Politischen ziele auf „ein gemeinsames übergreifendes Ganzes […], wenn man es als eine bestimmte Ebene, als ein Feld oder Element faßt, in dem – ganz allgemein gesagt – Individuen oder Gruppen in spezifischer Weise in Beziehung aufeinander handeln.“ Vgl. auch Kapitel 2.2.2.3 Gerechtigkeit als Zugang zu Lebenschancen, 112 – 115; dort insbesondere Anm. 200. 309 Hall (2014) 205 – 206 beschreibt diesen Übergang als Formalisierung des Verhältnisses von Elite und Nicht-Elite, die ein zuvor reziprokes Verhältnis z­ wischen einem basileús und seinen Anhängern ersetzt habe. 306

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Anker der Ansässigkeit

­ migranten. Insbesondere deren Fehlen wurde von den Betroffenen wahrgenomE men, was zugleich mit einer Einschätzung der eigenen (zukünftigen) Chancen innerhalb des Gemeinwesens einherging, das heißt, die Überzeugung, dass Gerechtigkeit strukturell abwesend ist, lässt sich mit einer negativen Einschätzung der eigenen Perspektive gleichsetzen und desintegriert jene, die sich Unrecht ausgesetzt fühlen. In Gerechtigkeitskonzeptionen der epischen Dichtung Hesiods ist Gerechtigkeit als Grundlage eines funktionierenden Gemeinwesens konzipiert: Auf ihr beruhte Ansässigkeit an einem Ort; der Mangel an Gerechtigkeit konnte in den Untergang des Gemeinwesens und die Desintegration einzelner Personen oder ganzer Gruppen münden. Bei Hesiod zeigt sich, wie früh diese Vorstellung von Gerechtigkeit als Grundlage des Zusammenlebens etabliert war. Sie fungierte als eine zentrale Ressource, zu der viele andere, für die Ansässigkeit benötigte Ressourcen in hierarchischer Abhängigkeit standen. In der Dichtung Solons nimmt Gerechtigkeit ebenfalls einen zentralen Platz ein. Der Nomothet griff mitunter zur selben Tonlage; darüber hinaus sind Bezüge zu Hesiod erkennbar. Solon beschrieb innerhalb dieser vorgegebenen Matrix die spezifischen Missstände in Athen, die er mit seiner Gesetzgebung zu beseitigen suchte. Ein besonderes Augenmerk der Reformen und ihrer Rechtfertigung in der solonischen Dichtung lag auf der Frage nach dem Besitz und dem Zugang zu Lebenschancen. Solons ökonomische Reformen zielten in der Haupt­sache auf die Herstellung von Gerechtigkeit und damit die Reintegration weiter Teile der Bevölkerung in die politische Gemeinschaft. Nicht zuletzt deswegen sollte Athen künftig prosperieren. Die sich so vergrößernde Bevölkerung bot ein Potential, das genutzt werden konnte. Solon rühmt sich, viele Athener, die entweder als Sklaven verkauft worden waren oder aus Perspektivlosigkeit die Heimat verlassen hatten, aus der Fremde heimgeholt zu haben. Der Nomothet stellt nicht nur den Zusammenhang z­ wischen dem Mangel an Gerechtigkeit und dem Auseinanderbrechen der Gemeinschaft, sondern auch zur Migration her, was bei Hesiod mit der Aussage, die gerechte Stadt fahre nicht auf Schiffen, bestenfalls anklingen könnte. Während das Fehlen von Gerechtigkeit als eine Wahrnehmung, die vielen Migranten gemein war, angesehen werden kann, waren die Dynamiken von Ungerechtigkeit jeweils spezifisch. Bei Hesiod sind, obgleich er seine Exemplifikationen verallgemeinert, der auf der individuellen Ebene konzipierte Erbschaftsstreit und das Fehlverhalten der basileís in ihrer Funktion als Richter deutlich greifbar. Ein Spannungsverhältnis von Gemeinschaft und Elite zeichnet sich auch im frühen Sparta ab, ein Konflikt, der aufgrund der Überlieferungslage – anders als für Athen – nicht eindeutig mit Migration, wohl aber mit Gerechtigkeitsproblematiken in Verbindung gebracht werden kann. Gerechtigkeit war als normative Konzeption des Zusammenlebens stets politisch und fungierte als Chiffre politischer Auseinandersetzungen. Eine seit Homer greifbare epische Formelsprache um Díkē und die Häufung der Thematik legen es – bei aller gebotenen Zurückhaltung gegenüber Verallgemeinerungen – nahe, von einem über die betrachteten Einzelfälle hinaus verbreiteten Phänomen auszugehen.

Eine Perspektive auf Hungersnöte und ‚Bevölkerungsüberschuss‘

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Mangel erscheint sowohl im frühen Sparta als auch im solonischen Athen vorrangig als Verteilungsproblem. Doch wurden die Quellen mitunter anders gedeutet: Überbevölkerung und Landmangel hätten die Krise in Athen ausgelöst und auch für die Unruhen in Sparta Pate gestanden und ­seien in der griechischen Welt im Allgemeinen eine Triebkraft von Mobilität und Migration gewesen.

2.3 Eine Perspektive auf Hungersnöte und ‚Bevölkerungsüberschuss‘ Die von Solon im Kontext der Migration athenischer Bürger während der Krise verwendeten Begriffe ἀναγκαῖος und φεύγω sind, wie oben bereits erwähnt, durchweg negativ konnotiert, vor allem für die Emigranten selbst.310 Eine mögliche Folgerung aus dieser Tatsache wäre es anzunehmen, die Athener ­seien vor wirtschaftlicher Not geflohen, wodurch sich schließlich scheinbar ein push-Faktor in den Quellen ausmachen ließe. Werden indes die Migrationen archaischer Zeit vor dem Hintergrund des push-Faktors bittere, existentielle Not betrachtet, erscheint der Mangel dabei nicht selten als Determinismus, dargestellt als eine allgegenwärtige Zwangslage, in der den von Hunger gezeichneten Menschen in ihrer Verzweiflung nichts anderes übrig bleibt, als ein Schiff zu besteigen und in die Ungewissheit aufzubrechen.311 Das Defizit vor allem an Nahrungsmitteln impliziert scheinbar einen Überschuss an Menschen. Wenngleich Aussagen zur demographischen Entwicklung in der archaischen Zeit notwendig vage bleiben müssen, wird gemeinhin 312 ein Bevölkerungsanstieg angenommen. Ian Morris plausibilisiert in seiner einflussreichen Monographie Burial and Ancient Society den längst vermuteten enormen Bevölkerungszuwachs auf dem griechischen Festland ab dem 8. Jahrhundert.313 So erschien es naheliegend, einen so entstandenen Bevölkerungsdruck als treibende Kraft der sich zur selben Zeit ereignenden Migrationsbewegungen anzusehen. Das heißt, es wurde eine an Thomas Malthus angelehnte Position eingenommen, wenngleich ­dieses Anlehnen nicht immer 310

Sol. eleg. F36 West = F24 Gentili/Pratto, hier 8 – 13. Vgl. dazu die Ausführungen in Kapitel 2.2.3.2 Solonische Dichtung, 123 – 128. 311 Es mangelt nicht an pointierten Formulierungen. Vgl. etwa Berve (1931) 110: „Karg bemessen ist der Boden auf der hellenischen Halbinsel, daß jede dem Landbau ergebene Bevölkerung ihn nach wenigen Generationen als zu eng empfinden, das dringende Verlangen nach seiner Erweiterung verspüren muss. Die Erfüllung ­dieses Wunsches kann auf zweierlei Art gefunden werden: entweder [sic] man versucht mit Gewalt das Land des Nachbarn und dadurch den notwendigen Lebensraum zu gewinnen – so taten es die Spartaner gegenüber Messenien – oder ein Teil der Bevölkerung entlastet durch Auswanderung die Heimat und sucht in der Ferne ein neues, weites Land.“ 312 Das Gesamtbild wurde durch neue archäologische Befunde indes stellenweise revidiert. Vgl. dazu Kapitel 2.3.2.2 Im Gegenbild archäologischer Befunde, 149 – 152. 313 Morris (1987) 99 – 101; 156 – 158; zuvor beispielsweise schon Snodgrass (1977) 10 – 18; ders. (1980) 23 – 24; ders. (1983) 169 – 171; Starr (1977) 40 – 46.

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Anker der Ansässigkeit

bewusst geschah. In einer agrarisch dominierten Wirtschaft schlug sich Wachstum in erster Linie in steigenden landwirtschaftlichen Erträgen nieder. Dies ermögliche eine bessere Versorgung mit Nahrungsmitteln, was wiederum zu Bevölkerungsanstieg führe. Dieser Bevölkerungsanstieg berge große Gefahren, da, wenn das Bevölkerungswachstum die Produktion von Nahrungsmitteln überschreite, überschüssige Bevölkerung entstehe. Der Zustand der Überbevölkerung sei dann erreicht, wenn der wirtschaftliche Betrag unter das Subsistenzniveau falle.314 Vor allem in älteren Publikationen wurde die Überbevölkerungsthese als Auslöser einer großen Migrationswelle im Mittel- und Schwarzmeerraum vertreten. In jüngerer Zeit wurden s­olche Stimmen zwar seltener und leiser, doch die Idee entfaltete weiterhin Wirkung und fand nicht selten Einzug in neuere Darstellungen.315 Dies ist insofern nicht verwunderlich, als der Zusammenhang zunächst einleuchtend erscheint: In guten Zeiten vermehrt sich die Bevölkerung, bis das Bevölkerungswachstum die Nahrungsmittelproduktion übersteigt. Bittere Armut und Hunger wären die schrecklichen Folgen einer solchen Konstellation. Das Narrativ von Überbevölkerung ist nach wie vor wirkmächtig und tief in unserem Alltagsverständnis verankert. Nicht selten ist es um eine moralische Komponente erweitert, denn zügellose und unkontrollierte Vermehrung scheinen hier ins Verderben zu führen.

2.3.1 Ressourcenbegriff Julian Simons Die Debatte fokussierte sich in modernen Kontexten nicht allein auf die landwirtschaftliche Produktion, sondern generell auf die Abhängigkeit des Menschen von Ressourcen, die als endlich begriffen wurden. Werden Ressourcen mit materiellen Rohstoffen gleichgesetzt, sind sie begrenzt: Wenn beispielsweise die gesamten Kohle­ reserven ausgegraben und verbrannt sind, sind sie aufgebraucht, unwiederbringlich, unumkehrbar. Doch handelt es sich hierbei um die richtige Perspektive? Der Ökonom Julian Simon vertrat einen anderen Ansatz, den er in seinen Hauptwerken, die er jeweils mit dem Titel The Ultimate Ressource 316 versah, darlegte. Am Anfang seiner Überlegungen zu Ressourcen stand eine Beobachtung, die zunächst paradox erscheinen mag: Bei der Untersuchung der Preisentwicklung von Rohstoffen über Zeiträume von mehreren Jahrzehnten (wenn entsprechende Datensätze zur ­Verfügung standen, 314

Die grundlegende Schrift von Thomas Malthus ist An Essay on the Principle of Population. Vgl. Malthus (1798). Migration spielt in seinem Werk nur am Rande eine Rolle. Indes war seine Schrift in der wissenschaftlichen und der hiervon kaum zu trennenden staat­lichen Auseinandersetzung mit Migration einflussreich. Vgl. Ehmer (1998) insbesondere 21 – 22 sowie zu diesen theoretischen Ausführungen Kapitel 1.5.1 Migration ­zwischen Mobilität und Ansässigkeit – eine Annäherung, 37 – 45. 315 Vgl. Kapitel 1.2.2 (Versteckte) Modelle, 15 – 19. 316 Simon (1981); ders. (1996).

Eine Perspektive auf Hungersnöte und ‚Bevölkerungsüberschuss‘

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sogar über mehrere Jahrhunderte hinweg) stelle Simon fest, dass die Preise inflationsbereinigt sanken. Die Einbrüche waren teilweise dramatisch, obwohl Rohstoffvorkommen begrenzt waren und die Bevölkerung anstieg. Darauf aufbauend versuchte er sich an Preisprognosen, indem er die Verlängerung des historischen Trends der Preisentwicklung eines Rohstoffes als Grundlage wählte.317 Er war mit dieser Methode dahingehend erfolgreich, dass er im Zuge einer Wette 318 auf die Entwicklung von Rohstoffpreisen mit Paul Ehrlich, einem bekannten Biologen und Neo-Malthusianer,319 seine Thesen einer breiten Öffentlichkeit bekanntmachen konnte. Ausgehend von dieser aus Beobachtung gewonnenen Methode befasste er sich auch mit Immigration aus ökonomischer Perspektive 320 und gelangte zu einer Neudefinition des Ressourcenbegriffs, die erneut ein Paradox aufwies: Ressourcen sind nicht endlich. Nach Simon besteht ein fundamentaler Unterschied ­zwischen Ressourcen und Rohstoffen. Ressourcen wie Rohstoffe werden innerhalb eines Produktionsprozesses eingesetzt. Dieser Produktionsprozess benötige Ressourcen; aber ein und dieselbe Ressource kann verschiedene Rohstoffe umfassen. Um das Beispiel der Kohle wieder aufzugreifen: Werden Ressource und Rohstoff nicht gleichgesetzt, ist die Ressource Energie. Kohle ist lediglich der Rohstoff und damit austauschbar. Simon argumentiert, dass innerhalb eines Produktionsprozesses Alternativen erarbeitet werden, vor allem dann, wenn sich abzeichne, dass die Vorkommen eines Rohstoffes zur Neige gehen. Kohle kann durch andere fossile Brennstoffe, diese wiederum können durch andere Energiequellen ersetzt werden etc. Die Folge dieser Alternativen sei Preisverfall, da die Rohstoffe, die gestern noch entscheidend für einen bestimmten Produktionsprozess waren, heute dafür nicht mehr benötigt werden.321

317

Simon (1996) 27. Vgl. zur Simon-Ehrlich wager die Monographie von Sabin (2013) sowie dazu die jüngst erschienenen kritischen Bemerkungen bei Desrochers/Geloso (2016). 319 Vgl. zur Einordnung Desrochers/Geloso (2016) 42. Ehrlichs Bestseller The Population Bomb, Ehrlich (1968), inspirierte eine Vielzahl weiterer Studien wie auch den ersten Bericht des Club of Rome, The Limits to Growth, Meadows et al. (1972). Auch dieser Bericht, obgleich durchaus einflussreich, wurde mitunter scharf kritisiert, eine Aburteilung, deren Kern ein Zitat eines der Kritiker, des führenden Ökonomen Robert Solow, am besten verdeutlichen mag: „The one thing that really annoys me is amateurs making absurd statements about economics, and I thought that the Club of Rome was nonsense. Not because natural resources or environmental necessities might not at some time pose a limit, not on growth, but on the level of economic activity – I didn’t think that was a nonsensical idea – but because the Club of Rome was doing amateur dynamics without a license, without a proper qualification. And they were doing it badly, so I got steamed up about that.” Solow/Clement (01. 09. 2002). 320 Simon (1989). 321 Die entscheidende Ressource sei nämlich der Mensch, der findig neue Ressourcen auftue, um seine Bedürfnisse zu erfüllen. 318

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So hat Simon auch einen anderen Blick auf Bevölkerungswachstum, das er nicht als Problem, sondern vielmehr als Chance begreift. Auch hier nimmt er eine Langzeitperspektive ein, diesmal aber auf ein menschliches Erwerbsleben: „[…] additional persons produce more than they consume in the long run, and natural resources are not an exception.“ 322 Obgleich sie endlich ­seien, mehrten sich die Rohstoffe, die den Produktionsprozessen zur Verfügung stehen. Die zusätzliche Produktivkraft eines Menschen führe zu zusätzlicher Allokation natürlicher Ressourcen (Rohstoffe), die dann wiederum der Wirtschaft zur Verfügung stünden. Ohne hier zu sehr in die Details ökonomischer Theorien zu gehen, ist die Tatsache, dass ein zusätzlicher Mensch auch zusätzliche Arbeitskraft darstellt, schwer von der Hand zu weisen. Simon negiert dabei nicht, dass ein Mehr an Bevölkerung auch Kosten verursacht.323 Die ­eigentliche Herausforderung sieht Simon aber in dem Zeitraum im Leben eines Menschen, in dem er wenig produktiv ist.324 In Simons Argumentation wird allerdings deutlich, dass er eine libertäre Position einnimmt. Staatliches Eingreifen in die Märkte führe zur Knappheit von Ressourcen, da die Regulation der Preise eine Verknappung des Angebotes zur Folge habe. Mit anderen Worten: Wenn ein Staat die Lebensmittelpreise festschreibt, wird es für die Produzenten attraktiv, zu schmuggeln oder eben kein Korn oder Gemüse mehr anzubauen. Dabei geht Simon – wie die meisten Ökonomen – von einem rational choice-Modell aus. Dies ist aber auch die Schwäche seiner Interpretation. So stehen den Akteuren nicht zu jeder Zeit alle Informationen zur Verfügung. Zur Zeit der Aussaat wird ein Bauer beispielsweise nicht zwangsläufig die Preisentwicklung einschätzen können. Eine Umstellung trifft auf Widerstände, ­seien es Tradition, Kenntnisse, die nicht ohne weiteres in einem anderen Gebiet nutzbar gemacht werden können, oder blanke Gewohnheit.325 Schmuggel setzt zwar tatsächlich einen hohen Grad an Regulation voraus. Gleichzeitig zeigt er aber auch, dass der starke Arm des Staates nicht so weit reicht, diesen Schwarzhandel zu unterbinden; das Gemeinswesen wäre also nicht in der Lage, die politisch getroffene Entscheidung durchzusetzen.326 322

Simon (1996) 4. ders. (1996) 3: „Is there a population problem? Again, of course there is a population problem just as always. When a couple is about to have a baby, they must prepare a place for the child to sleep safely. Then, after the birth of the child, the parents must feed, clothe, protect, and teach it. All this requires effort and resources, and not from the parents alone. When a baby is born or a migrant arrives – schooling, fire and police protection, and garbage collection. None of these are free.“ 324 ders. (1996) 4: „The real population problem […] is not that there are too many people or that too many babies are being born. The problem is that others must support each additional person before that person contributes in turn to the well-being of others.“ 325 Vgl. für Simons Bemerkungen zum Schmuggel, die m. E. kennzeichnend für dessen Sicht auf Märkte und Staaten sind, etwa ders. (1996) 96; 105; 126. 326 Obgleich dies in Gänze vielleicht nie gelingen wird, steht doch ein Staat, der es nicht vermag, den Schmuggel einer Ware einzudämmen, die politisch als so essentiell für das 323

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Trotz all der berechtigten Kritik an Simon 327 ist anzuerkennen, dass er Beobachtungen anstellte, die nicht nur Gültigkeit, sondern auch Relevanz besitzen. Es stellt sich die Frage, inwieweit diese Beobachtungen, die an einer kapitalistischen Produktionsweise gemacht wurden, auf die Antike übertragbar sind und, wenn ja, mit ­welchen Einschränkungen. Simon selbst greift mitunter zu Formulierungen, die sich als überzeitlicher Geltungsanspruch seiner Überlegungen lesen lassen. So besagt eine seiner Ausgangsthesen, dass es immer ein Bevölkerungsproblem gegeben habe, da die Zunahme von Menschen zunächst mit Kosten verbunden sei und sowohl in neugeborene Kinder als auch in Migranten zunächst investiert werden müsse, bevor sie zum Gemeinwohl beitrügen, die Kosten für die Gemeinschaft sich aber schließlich amortisierten. Allerdings entwickelte er die These nicht an antiken Sachverhalten. Die Produktionsprozesse unterschieden sich, die Ressourcen, die benötigt wurden, waren andere. Innovationen erfolgten weniger schnell und der technologische Fortschritt schritt deutlich behäbiger voran als in der durch die Industrialisierung sich selbst immerfort beschleunigenden Moderne. Dennoch lassen sich gerade für die Zeit der Archaik bahnbrechende Entwicklungen ausmachen. Diese können zwar nicht immer genau nachgezeichnet werden. Der Fortschritt ist indes in vielen Bereichen sichtbar, insbesondere in Athen, für das sich unzählige Innovationen allein in Handwerk und Kunst fassen lassen.328 Gewisse Ressourcen ließen sich allerdings weniger leicht substi­ tuieren und insbesondere bei der Versorgung mit Nahrungsmitteln können keine derart bahnbrechenden Veränderungen festgestellt werden, wie sie beispielsweise die indus­ trielle Landwirtschaft hervorbrachte. Austausch- und Handelsnetzwerke entwickelten sich dagegen fortwährend.329 Auch dies dürfte die Möglichkeiten der Substitution von Ressourcen erweitert haben. Wenn Güter wie Keramik gehandelt werden konnten, konnte Nahrung importiert werden, die nicht mehr selbst ­produziert werden musste.

Gemeinwesen angesehen wird, dass man ihren Verkaufswert reguliert, an der Schwelle zum Scheitern und die Folgen sind eines von vielen Symptomen d ­ ieses Scheiterns. Es gab nie Märkte, die frei von Regulation waren. Staatlichkeit und Handel verdichteten sich parallel zueinander, sodass wirtschaftliche Aktivitäten immer von politischen Entscheidungen gerahmt waren. 327 Die Arbeiten Simons geizen weder mit Polemik gegen seine Gegner, noch sind sie frei von einer bestimmten politischen Stoßrichtung, die, wie bereits erwähnt, als libertär verortet werden kann. Einwenden ließe sich sicherlich, dass nur weil die Annahmen, die auf der Endlichkeit bestimmter Stoffe beruhen, sich zur Prognostik bislang als untauglich erwiesen haben, der Beweis nicht erbracht ist, dass auch künftig Produktionssysteme nicht aus einem ähnlichen Grund zusammenbrechen könnten. Hier interessieren – so faszinierend die Debatte auch ist – ­solche Feinheiten weniger. Stattdessen ermöglichen die Beobachtungen Simons eine vielversprechende Neuperspektivierung, die es nicht notwendig macht, das gesamte Theoriegebäude zu übernehmen. 328 Es genügt, einen Blick auf die Entwicklung der Keramik, ihrer Herstellungstechniken und die Kunstfertigkeit der Darstellungen zu werfen, um diese Neuerungen zu erkennen. 329 Vgl. Kapitel 3.3 Händler und Handel, 205 – 228.

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Die Möglichkeiten der Rohstoffsubstitution waren zwar geringer, aber sie sollten nicht unterschätzt werden. Der politische Bezugsrahmen indes war ein völlig anderer: in der Moderne ausgebildete Nationalstaaten mit entsprechenden Institutionen, in der griechischen Archaik eine sich in der Entwicklung befindende und kleinräumige Staatlichkeit. Grundlegende Probleme wurden aufgrund d­ ieses Unterschiedes auf andere Weise verhandelt, aber sie bestanden gleichermaßen: Kinder in die Welt zu setzen, sie mit Nahrung, Obdach und Sicherheit zu versorgen, war auch in der Antike mit Kosten verbunden; sie sicherten indes die eigene Existenz im Alter, indem sie ihre Eltern an deren Lebensabend mit ihrer Arbeitskraft versorgten. Eine Verteilung von Gütern, die das Gemeinwesen nicht destabilisierte, musste gewährleistet werden. Rohstoffe als austauschbaren Bestandteil von Ressourcen in einem kulturellen Produktionsprozess zu begreifen, erscheint im Kontext der griechischen Archaik insofern hilfreich, als diese Perspektive Spielräume für eine detailliertere Analyse historischer Formationen eröffnet. Ferner ermöglicht sie es, Mangel als soziopolitisches Phänomen zu beschreiben, statt Unterversorgung als Naturgegebenheit aufzufassen, deren Folge politische und soziale Krisen sind. Wenn davon auszugehen ist, dass in der Tendenz Menschen mehr produzieren als sie konsumieren, dann verweist dies darauf, die Ursache des Mangels in der soziopolitischen Gemengelage zu suchen, statt von überschüssiger Bevölkerung und ‚natürlichem‘ Mangel auszugehen. Diese Thesen lassen sich aus der theoretischen Reflexion ableiten. Es gibt also gute Gründe, sich diese Perspektive zu eigen zu machen, da sich bei der Betrachtung der solonischen Gesetzgebung ein kohärentes Bild abgezeichnet hat. Doch stellt sich die Frage, inwiefern sich Belege für Überbevölkerung im frühen Griechenland in den Quellen finden.

2.3.2 Bilder des Mangels, Bilder von Überbevölkerung 2.3.2.1 Literarische Bilder Eine prominente antike Stimme scheint die Überbevölkerungsthese zu stützen. Platon rät in den Nomoi dazu, Teile einer zu groß gewordenen Bürgerschaft zur Gründung von apoikíai auszusenden.330 Diese Aussage ist eine vielzitierte Schlüsselstelle, wenn mit überschüssiger Bevölkerung als Auslöser von Migrationsbewegungen argumentiert wird.331 Der zeitliche Abstand Platons zur Hochphase griechischer 330 331

Plat. leg. 5,735e; vgl. auch 5,740e. Vgl. etwa Gallo (1980) 1252 – 1256 u. passim, der zwar zunächst nach dem Motiv der Landnot in der griechischen Literatur fragt, aber schließlich historische Aussagen trifft; eher deskriptiv aus philologischer Perspektive Miller (1997) 36 – 39. Bernstein (2004) 32 – 33 stellt dagegen heraus, dass, obschon Plat. leg. 5,735e eine ­solche Vorstellung beinhalte, Plat. leg. 5,740e eher auf den innenpolitischen Konflikt abziele, eine Tatsache, die noch nicht hinreichend berücksichtigt worden sei.

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­ igrationsbewegungen in archaischer Zeit ist relativ groß, größer als der Abstand M des Geschichtsschreibers Herodot oder des Dichters Pindar, die beide Gründungsgeschichten überliefern. Die Stelle ist daher cum grano salis zu verstehen, lohnt aber dennoch genauerer Betrachtung, allein weil sie eine zentrale Rolle in der Forschung einnimmt. Folglich erscheint es hier gewinnbringend, das von Platon skizzierte Verfahren, überschüssige Bevölkerung durch die Gründung einer apoikía abfließen zu lassen, in einen größeren Kontext zu stellen. Im fünften Buch der Nomoi entwickelt Platon, wie auch in der Politeia, einen idealen Staat. Dieser Entwurf schließt an die zweiteilige Ansprache an die Siedler 332 an, die von einer Reflexion über die Notwendigkeit einer Vorrede zu den Gesetzen 333 getrennt wird. Die Ansprache fungiert demnach als Proömium zu den ­Überlegungen, wie man ein ideales Gemeinwesen schafft, sei es durch Gründung einer neuen Polis oder durch Reform einer bestehenden. In Platons Konzeption müssen die Bürger gewisse charakterliche Eigenschaften 334 besitzen, damit die Bemühungen eines Gesetzgebers (νομοθέτης) von Erfolg gekrönt sein können. Wenn ein schon bestehendes Gemeinwesen transformiert werden solle, bedürfe es der Reinigung (καθαρμός). Bürger, die ungeeignet erschienen, müssten ausgesondert werden. Begründet wird die Reinigung von einer Reflexion über die von Streit um Landverteilung und der Gier (φιλοχρηματεῖν) ausgehenden Gefahren, die durch Gesetzgebung als Notmaßnahme beseitigt und so Gerechtigkeit (δίκη) wiederhergestellt werden könne.335 Das Gemeinwesen werde mit bereits vorhandener Bevölkerung, die in einer politischen Beziehung zueinander stehe, neu gestiftet. Die Maßnahmen, die ein Gesetzgeber zur Reinigung der Bevölkerung vornimmt, bezeichnet Platon dabei als Heilmittel (φάρμακα). Es gebe harte Mittel, wie Missetäter und Rädelsführer zum Tode zu verurteilen oder zu verbannen, und sanftere, wie eine Gruppe, die zum Problem für das Gemeinwesen werden könne, dazu zu bringen, in eine apoikía zu gehen. Diese Gruppe definiert Platon einerseits anhand des unter ihnen herrschenden Mangels an Nahrung (τῆς τροφῆς ἀπορία), andererseits aus ihrer Bereitschaft heraus, sich zusammenzuschließen und die Besitzlosen zu Angriffen auf das Eigentum ihrer Mitbürger zu verleiten.336 Nach der Beschreibung eines Gemeinwesens, das wiederhergestellt werden muss, widmet sich Platon der Frage, wie Land und Wohnungen zu verteilen s­ eien, damit eine derartige Krise vermieden werden könne.337 Dabei sei zunächst zu klären, wie viele Bürger ein solches Gemeinwesen aufweisen müsse, worauf Platon unter Berücksichtigung von mehreren Gesichtspunkten zu einer Anzahl von 5 040 Haushalten gelangt. Dabei stellt er fest, das Land müsse die Bürger ernähren können, woraus 332 333

334 335

336 337

Plat. leg. 4,715e–718a; 5,726a–734e. Plat. leg. 4,718a–724b. Schöpsdau (2003) 289. Plat. leg. 5,735b–737b. Plat. leg. 5,735e–736a. Plat. leg. 5,737b.

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hervorgeht, dass Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln das Ideal darstellt, von dem Platon ausgeht.338 Land und Wohnungen müssen in Platons Konzeption des idealen Gemeinwesens so zugeteilt sein, dass der Gegensatz von Armut und Reichtum nicht groß genug wird, um das Gemeinwesen auseinanderzureißen. Dies werde durch eine „Kombination aus Gleichheit und kontrollierter Ungleichheit“ erreicht.339 Innerhalb des skizzierten Ideals lässt sich aus jedem Landlos zwar derselbe Ertrag erwirtschaften. Platon lässt aber Raum für Ungleichheit, dessen Untergrenze der Besitz eines Landloses, die Obergrenze der Besitz von vier Landlosen ist.340 Analog hierzu soll es vier Zensuskassen geben.341 Diese „numerische Ungleichheit“ wird an anderer Stelle in den Nomoi „als Verwirklichung der Gerechtigkeit“ gedeutet.342 Die Ausführungen von der idealen Polis werden im Dialog Platons von „dem Athener“ vorgetragen. Dieses Ideal weicht in nahezu jeder Hinsicht von der Realität in Athen ab. Nicht nur war die Bevölkerung um ein Vielfaches größer,343 auch war Athen seit langem von Nahrungsmittelimporten und Handel abhängig. Die ideale Polis ist damit ein Gegenbild zur politischen und ökonomischen Realität in Athen, die Platon als verderbt ansah,344 nachdem die Herrschaft der Dreißig, von denen einige Verwandte des Philosophen waren, 404 gestürzt worden war. Platons Lehrer Sokrates wurde 399 hingerichtet. Die harschen Maßnahmen oder die „Kuren gegen die Krankheit“ des Gemeinwesens, wie Platon sie nennt, sind von ­diesem Hintergrund nicht zu trennen. Die zweite Erwähnung der Maßnahme, Bürger in apoikíai auszusenden, dient dem Erhalt der idealen Größe.345 Platons Überlegungen sind ferner im Kontext seiner eignen politischen Positionierung zu betrachten. Inwiefern er mit der Aussendung überschüssiger Bevölkerung auf historische Praktiken verweist, die in früheren Jahrhunderten tatsächlich angewandt 338

339

340 341

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345

Die Zahl 5 040 eigne sich ferner besonders gut wegen ihrer Teilbarkeit durch alle Zahlen von eins bis zehn, was die symmetrische Unterteilung der Polis in ihre kleineren Glieder ermögliche. Die Anzahl der Haushalte sei hinreichend groß, damit im Kriegsfall die Verteidigung sichergestellt war, aber auch klein genug, damit im Frieden Gesellschaftsunternehmungen, Abgaben und Landverteilung geregelt werden konnten. Plat. leg. 5,737b–738a. Schöpsdau (2003) 294. Plat. leg. 5,744e; vgl. Schöpsdau (2003) 294. Plat. leg. 5,744a–744d; vgl. Schöpsdau (2003) 294. Schöpsdau (2003) 295, der sich auf Plat. leg. 6,757c bezieht. So hatte Schätzungen zufolge Athen um das Jahr 400 25 000 bis 30 000 männliche Vollbürger. Im vierten Jahrhundert blieb die Bevölkerung konstant bei etwa 30 000 Bürgern. Vgl. Hansen (1985) 60 – 63; ders. (1988) 14 – 28; Hansen/Nielsen (2004) 627. Plat. epist. 7,324c–326b; die Echtheit ­dieses Briefes ist angezweifelt worden. Vgl. hierzu Erler (2007) 314 – 318; ders. (2014) 312. Trampedach (1994) 255 – 259 hält es für unstrittig, dass der Brief von einem zeitgenössischen Autor verfasst worden sei, will indes kein Urteil zur Authentizität fällen. Vgl. zur Idee, dass die bei Platon (und Aristoteles) skizzierten Neugründungen eine Analyse bestehender Mängel beinhalten und womöglich als Reformentwürfe anzusprechen sind, Walter (2011) 120. Plat. leg. 5,740d–740e.

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wurden, ist nicht eindeutig nachvollziehbar. Die von Herodot (und auch Pindar) überlieferte Gründungsgeschichte Kyrenes dürfte Platon bekannt gewesen sein.346 Hierin wird Thera, die mētrópolis Kyrenes, von einer siebenjährigen Dürre heimgesucht. In ihrer Not hätten sich die Theraer an das Orakel von Delphi gewandt, das ihnen die Gründung einer apoikía in Libyen aufgetragen habe, woraufhin ein Zug, angeführt vom oikistḗs Battos, mit zwei Pentekonteren aufgebrochen sei.347 Dass ­solche Geschichten einen tatsächlichen Konflikt im mythologischen Gewand umschreiben können, wurde bereits gezeigt.348 Bei Herodot selbst ist nichts von einer stásis in Thera zu lesen. Dass es sich um ein altes und erprobtes Verfahren handelt, sagt Platon nicht direkt. Er verweist lediglich darauf, dass es oft genannt wurde (ὃ πολλάκις εἴπομεν). Er selbst erwähnt die Praktik zuvor im Dialog und die Verwendung der ersten Person Plural macht es plausibel, dass er sich auf das bereits Gesagte bezieht. So handelt es sich beim Aussenden überschüssiger Bevölkerung um eine Maßnahme, die vor dem zeitgenössischen Hintergrund des Dialoges beschrieben wird. Bei Platon erscheint die mangelnde Lebensgrundlage eines Teils der Bevölkerung als eine Triebkraft politischer Instabilität, was in der ersten Erwähnung von Ausschiffung deutlich wird. Der Mangel macht sie in dieser Konzeption anfällig für die Anstifter von Revolten.349 Die gemeinsame Lage 350 vereint sie aber nicht hinreichend; dies erfordert zumindest einen oder mehrer Anführer. Platon warnt vor einer ungezügelten Ochlokratie, wie er sie in Athen auszumachen glaubt. Ein anderer zeitgenössischer Bezugspunkt wären das Vorgehen Dionysios I. zunächst in Gela und schließlich in Syrakus, der die Reichen enteignete und sich dann durch eine Neuverteilung von Land an ehemalige Sklaven und Neubürger eine Machtbasis schuf.351 Nur eine neue Polis von überschaubarer Größe ermögliche eine stabile Demokratie. Diese versorge sich am besten selbst mit Nahrungsmitteln. Geld, Handel und Handwerk solle es wegen ihres verderblichen Einflusses nicht im Gemeinwesen geben.352

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Dies gilt insbesondere dann, wenn Platon wirklich nach Kyrene gereist war, wie Diog. Laert. 3,6 – 7 berichtet. Ob diese Reise tatsächlich stattgefunden hat, ist umstritten. Vgl. hierzu Erler (2014) 312; ders. (2007) 46 – 51. Vgl. zur Gründungsgeschichte die Kapitel 4.2 (Be-)Gründer von Ansässigkeit, 259 – 261 und 4.5.Zusiedler: éoikoi und ápoikoi, 302 – 313. Bernstein (1998); ders. (2004) insbesondere 171 – 222; Dougherty (1993a); dies. (1993b). Bernstein zeigt dabei auf, dass eine Hungersnot mit ziemlicher Sicherheit nicht die Ursache der Migration der Theraier war, ist doch der Bericht von der siebenjährigen Dürre, die alles verheerte bis auf einen einzigen Baum, gar zu unglaubwürdig. Neben Plat. leg. 5,735e–736a ist Notwendigkeit zu Bevölkerungsreduktion ein wiederkehrendes Motiv in Platons Philosophie: z. B. Plat. rep. 4,423c. Vgl. dazu Trampedach (1994) 31. In Anlehnung an Max Weber ließe sich diese als einer Klassenlage, also einer Gemeinsamkeit aufgrund der wirtschaftlichen Situation, ähnlich umschrieben. Vgl. dazu die Ausführungen in Kapitel 1.5.2.1 Exkurs: Soziale Einheiten, Klassen und Stände, 51 – 54. Schöpsdau (2003) 291. Plat. leg. 5,743b–743e.

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Mit der Begrenzung der Anzahl der Bürger und dem Verbot kommerzieller Tätigkeiten wird einerseits am Reißbrett politische Komplexität reduziert, andererseits wird Ungleichheit vermieden. Bei Platon zeichnet sich ab, dass in einem komplexen Gemeinwesen eine ­solche soziale Schieflage schneller auftreten kann. Dem Ideal von 5 040 Haushalten zu folgen, dürfte sich in der Praxis schwer gestaltet haben, wenn nicht von vornherein ein breiter Konsens dazu bestand. Dies bedeutet nicht, dass es keine Bestrebungen gab, die Anzahl der Bürger zu begrenzen; doch es gab auch andere Formen von Ansässigkeit. Platons Nomoi sind eine Reflexion seiner eigenen Zeitgeschichte, seine Vorschläge sind radikal 353. Dagegen, sie als Beleg für einen durch Überbevölkerung erzeugten Mangel anzusehen, spricht, dass sich in den Nomoi lediglich die Beobachtung des Zusammenhangs von Mangel und politischer Instabilität sowie ein gewisses Bewusstsein dafür, dass sich in komplexeren und somit dynamischeren Gemeinwesen scharfe Gegensätze ausbilden können, finden. Neben diesen Maßnahmen bei Platon existiert eine Reihe von Quellenbelegen, die scheinbar auf Überbevölkerung für die archaische Zeit hindeuten. In einer Miszelle veröffentliche Eberhard Ruschenbusch eine Zusammenstellung solcher Textstellen, die trotz ihrer Kürze eine repräsentative Auswahl der ‚Belege‘ aus Gesetzgebung oder moralischen Normen für Bevölkerungsdruck in der griechischen Archaik bietet.354 Hiermit eröffnet sich die Möglichkeit, ein Problem bei der Interpretation isolierter Passagen zu veranschaulichen: Ruschenbusch sah durch diverse Einzelmaßnahmen von Gesetzgebern eine Überpopulation noch als „bewiesen“ an. Ferner sei ohne einen „Bevölkerungsüberschuß“ die Kolonisationsbewegung undenkbar.355 Jedoch sind andere Deutungen nicht nur möglich, sondern zum Teil auch naheliegender und haben Einzug in die Debatte um die Migrationen der griechischen Archaik gefunden.356 Ruschenbuschs Beispiele eignen sich indes, das Problem zu veranschaulichen, weswegen in der folgenden Skizze knapp auf sie eingegangen wird. Strabon etwa berichtet, in Iulis auf Keos habe man die Altentötung praktiziert. Dort würden die Über-Sechzigjährigen mit dem Schierling vergiftet, damit die Nahrung (τροφή) für die Übrigen reiche.357 Für Strabon ist die Praxis erwähnenswert, da 353 Vgl.

Schöpsdau (2003) 290; Erler (2014) 311. Ruschenbusch (1991). Vgl. auch Bringmann (2016) 119 – 129, der ähnlich argumentiert und Ruschenbusch in Teilen folgt, wobei er einige mathematische Überlegungen zu Boden und Nahrungsmittelversorgung anstellt, sowie insbesondere im Kontext von Migration Harris (2018) 391 u. passim. Bringmanns Arbeit wurde indes von Walter (2018) scharf kritisiert. Ferner vgl. Kapitel 1.2.2 (Versteckte) Modelle, 15 – 19 für eine Übersicht. 355 Ruschenbusch (1991) 378. 356 Allerdings werden ­solche Erklärungsansätze mitunter weiterhin bemüht; hartnäckiger halten sie sich, wenn aus anderen Kontexten Migrationsbewegungen der Zeit betrachtet werden. Vgl. Kapitel 1.2.2 (Versteckte) Modelle, 15 – 19. 357 Strab. 10,5,6. 354

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sie etwas Außergewöhnliches darstellt.358 Herakleides von Lembos liefert eine andere Begründung: Das gesunde Klima der Insel lasse ihre Einwohner ungewöhnlich alt werden. Daher vergifteten sie sich selbst, bevor sie krank oder verkrüppelt würden.359 Dasselbe legen die Verse Menanders nahe, die Strabon zitiert: Ὁ μὴ δυνάμενος ζῆν καλῶς οὐ ζῇ κακῶς.360 So dürfte der Brauch anders begründet sein, als Strabon es nahelegt. Aber grundsätzlich wäre die Altentötung eine Maßnahme, mit der man sich überschüssiger, das heißt nicht arbeitsfähiger, Bevölkerung hätte entledigen können. Eine andere Praktik zur Regulation der Bevölkerung sei die Spätehe gewesen. Hesiod gibt in den Werken und Tagen den Ratschlag, mit etwa 30 Jahren zu heiraten.361 Der Dichter benennt indes keinerlei Gründe dafür, warum dies das rechte Alter zur Heirat sei. Allerdings korrespondiert es mit der Hofübergabe und damit dem Eintritt in die wirtschaftliche Selbstständigkeit.362 In seinen weiteren Ratschlägen zur Ehe und der Wahl der Gattin gibt er das beste Heiratsalter der Frauen mit vier Jahren nach Einsetzen der Pubertät 363 an, da nur einer jungen Frau die achtbaren S­ itten (ἤθεα κεδνὰ) gelehrt werden könnten.364 Darüber hinaus empfiehlt Hesiod, jemanden aus der Nachbarschaft zu heiraten, wohl um die nachbarschaftlichen Bande zu verfestigen, doch steht der Charakter der Frau im Vordergrund.365 Der Mann wäre mit 30 Jahren tatsächlich in einem fortgeschrittenen Alter gewesen, wenn von einer geringen Lebenserwartung ausgegangen wird. Seine Zeugungsfähigkeit ist davon in geringem Maße eingeschränkt. Das ideale Heiratsalter der Frau, das Hesiod angibt, ist für das Gebären von Kindern im biologischen Sinne optimal.366 Platon, der ein vergleichbares Alter zur Heirat empfiehlt, schreibt, dass Mann und Frau dann jeweils in ihren besten Jahren, in ihrer ἀκμὴ σωματός τε καὶ φρονήσεως, ­seien.367 Aristoteles argumentiert ähnlich, ist aber spezifischer und gibt weitere Gründe an, wobei er 358

Die Bewertung, dass die Altentötung erfolge, damit kostbare Nahrungsmittel für die Jüngeren gesichert würden, ist allein bei ­diesem Autor bezeugt. 359 Herakleides Lembos 29. 360 Menander F879 Kassel/Austin = Strab. 10,5,6. 361 Hes. erg. 694 – 696. 362 Vgl. dazu Schmitz (2014) 34. 363 Hesiod schreibt ἥβη, womit bei einer Frau das Einsetzen der Periode und somit die Gebärfähigkeit umschrieben wird. Das Alter kann hierbei individuell stark variieren. Die Lebensbedingungen und die Ernährung spielen eine Rolle, sodass das durchschnittliche Alter, das Hesiod vor Augen hatte, nicht mit Exaktheit rekonstruiert werden kann. Es kann aber davon ausgegangen werden, dass Mädchen gebärfähig wurden, bevor sie ausgewachsen waren. Hesiods Ratschlag, eine Frau erst vier Jahre ­später zu ehelichen, könnte darauf abzielen, dies abzuwarten, um Komplikationen bei der Geburt zu vermeiden. 364 Hes. erg. 697 – 698. 365 Hesiod (erg. 702 – 704) schreibt, es gebe nichts Schlimmeres als eine schlechte Gattin, eine, die ihrem Mann die Haare vom Kopf frisst (δειπνολόχος). 366 Vgl. Anm. 362. 367 Plat. rep. 5,460d–641a; ähnliche Altersangaben, aber ohne nähere Begründung: Plat. leg. 6,785b.

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i­nsbesondere das Ziel, gesunden Nachwuchs zu zugen, betont.368 Die Fruchtbarkeit beider Ehepartner solle möglichst lange miteinander korrespondieren. Eine Frau sei bis etwa 50, ein Mann bis etwa 70 fortpflanzungsfähig.369 Diese größtmögliche gemeinsame Fruchtbarkeitsspanne ist darauf angelegt, zahlreiche Nachkommen zu zeugen. Die Philosophen aus klassischer Zeit sind also keine Chronisten einer Eindämmung des Bevölkerungswachstums; im Gegenteil zielen ihre Mahnungen darauf ab, möglichst viel und vor allem gesunden Nachwuchs hervorzubringen. Hesiods Rat, eine Frau aus der Nachbarschaft zu wählen, spricht dafür, dass der Dichter von einer durchaus beträchtlichen Lebenserwartung nach der Heirat ausgeht. Nur wenn der Bauer noch eine Weile am Leben ist, kann er die soziale Ressource, die er durch die Heirat generiert hat, ­nutzen.370 An einer anderen Stelle der Werke und Tage findet sich dagegen der Rat, nur einen Sohn zu zeugen, um das Haus des Vaters zu erhalten und den Wohlstand zu mehren.371 Der Kontext besteht aus einer Reihe von Anweisungen, wie zu verfahren sei, um das Hab und Gut zusammenzuhalten: Mit den Vorräten solle maßvoll umgegangen werden, man solle sich nicht vom süßen Geschwätz hüftenschwingender Frauen, die nur auf das Haus aus ­seien, einlullen lassen und bei Übereinkünften aller Art, selbst wenn sie mit dem eigenen Bruder geschlossen werden, einen Zeugen hinzuzuziehen.372 Sowohl die Mahnung, es bei der Zeugung eines Sohnes zu belassen, als auch die Warnung, nicht einmal dem eigenen Bruder zu viel Vertrauen entgegenzubringen, rekurrieren auf den Erbschaftsstreit mit Hesiods Bruder Perses, der sich wie ein roter Faden durch das Lehrgedicht hindurchzieht. Jeder der beiden Ratschläge lässt sich als Spitze gegen ihn verstehen: So besteht in der Konzeption Hesiods der entscheidende Vorteil, nur einen Sohn zu haben, darin, niemanden mit einem Bruder wie Perses zu strafen. Darüber hinaus erkennt der Dichter die Tatsache durchaus 368

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Aristot. pol. 7,16,1334b–1335a: Die Frau leide, wenn sie zu jung gebäre, nicht nur größere Schmerzen. Es steige auch die Gefahr, dass sie im Kindbett sterbe. Weitere Folgen ­seien kleinwüchsige Kinder und auch für die körperliche Entwicklung des Mannes sei es nachteilig, wenn zu früh mit der Fortpflanzung begonnen werde. Dass diese ‚Beobachtungen‘ in biologischer Hinsicht zutreffend sind, muss freilich angezweifelt werden. Es handelt sich dennoch um eine authentische Wahrnehmung. Aristoteles schreibt weiter, man könne Kleinwuchs in Poleis beobachten, in denen früh mit der Zeugung von Kindern begonnen werde. Seine Anweisungen zielen insgesamt darauf ab, in hinreichendem Maße gesunden Nachwuchs, den es lohnt, aufzuziehen, in die Welt zu setzen. Für ungesunde Kinder sieht er mit Selbstverständlichkeit vor, sie auszusetzen. So zieht er die Grenze der Fortpflanzung beim Vater im Alter von 54 – 55 Jahren, denn Kinder, die danach gezeugt würden, ­seien schwächlich. Aristot. pol. 7,16,1335a. Dass Hesiod annimmt, dass der frisch vermählte Bauer noch einige Jahre zu leben hat, wird nochmals anhand der süffisanten Schlussbemerkung deutlich: Eine schlechte Frau verbrenne auch den stärksten Mann und lasse ihn vorzeitig altern: Hes. erg. 703 – 704. Hes. erg. 375 – 376. Hes. erg. 367 – 381.

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an, dass mehr Arbeitskräfte auch mehr Ertrag erwirtschaften.373 Nicht zuletzt war die Landwirtschaft in der Antike im Allgemeinen sehr arbeitsintensiv. Daher ist davon auszugehen, dass eine Verknappung der Ressource Arbeitskraft schwerer wog als ein Mangel an fruchtbarem Land.374 Eine Reihe weiterer ‚Belege‘ für die Überbevölkerungsthese greifen allein dann, wenn Überbevölkerung axiomatisch angenommen wird. So sind weder Homosexualität noch Paiderastie und auch nicht Prostitution Indikatoren für eine überschüssige Bevölkerung. Gleiches gilt für die Migrations- und Mobilitätswellen der griechischen Archaik selbst. Das Auftauchen von Söldnern als mobilen Gruppen ist nicht zwingend als Folge überschüssiger Bevölkerung, die sich dem einzigen Lebenserwerb zuwendet, der ihnen bleibt, zu deuten. Bei Emigranten, die sich fern der Heimat eine Zukunft aufzubauen suchten, verhält es sich ähnlich: In beiden Fällen bedarf es einer Vielzahl von Ressourcen, um das Vorhaben zum Erfolg zu führen.375 In einer Notsituation sind gerade die Schwächsten nicht in der Lage, zusätzliche Ressourcen aufzuwenden, um in die Ferne zu ziehen. Es fehlte ihnen ohnehin an Nahrung, die sie sich täglich durch Arbeit sichern mussten. Zugleich waren diese Gruppen in der Regel nicht die Träger des Wissens und der Fertigkeiten, ­welche man für Migration benötigte. All das hätte bereitgestellt werden müssen, was wiederum Überschüsse an anderer Stelle vorausgesetzt hätte. In Irland etwa lassen sich für die Mitte des 19. Jahrhunderts s­ olche Hilfestellungen zum Auswandern bei Großgrundbesitzern fassen, welche auf ihrem Land ansässige Kleinbauern, zu deren Versorgung sie nach dem Gesetz verpflichtet gewesen wären, zur Emigration bewegen sollten. So kann selbst bei d ­ iesem oft angeführten ‚Hungerexodus‘ der Zusammenhang z­ wischen Nahrungsmittelunterversorgung und Migration – folgt man der Darstellung in einschlägigen Monographien – allenfalls als mittelbar angesehen werden.376 Da also umfangreiche Ressourcen hätten bereitgestellt 373

Hes. erg. 378 – 379: Ῥεῖα δέ κεν πλεόνεσσι πόροι Ζεὺς ἄσπετον ὄλβον. /πλείων μὲν πλεόνων μελέτη, μείζων δ‘ ἐπιθήκη. – Freilich gewährt Zeus leicht auch mehreren beständigen Segen. Mehrere mehren zwar die Sorge, doch ist auch der Zuwachs größer. Diese Aussage, die unmittelbar an die Verse anschließt, in denen zu einem einzigen Nachkommen geraten wird, ist deutlich seltener zitiert. Sie stützt das genaue Gegenteil von dem, was mit dem Ein-Kind-Zitat belegt werden soll. Nicht mit einer Begrenzung der Bevölkerung konnte Wohlstand erhalten, sondern mit zusätzlicher Bevölkerung konnte Wohlstand gesteigert werden. Hesiods Rat zur Kinderplanung ist also ambivalent. Aus einer großen Nachkommenschaft erwachsen große Möglichkeiten: Diesen konnte mit theoretischen Berechnungen Osborne (2009) 31 – 33 veranschaulichen, indem er die Arbeitskraft einer Familie in Stunden mit der Anzahl und dem Alter ihrer Kinder verglich. 374 Vgl. Osborne (2009) 29 – 31; 211. 375 Vgl. Kapitel 4.1 Von Spielräumen, 256 – 259. 376 Während der großen Hungersnot in Irland Mitte des 19. Jahrhunderts hatte das Zusammenspiel der einseitigen Abhängigkeit von einem einzigen landwirtschaftlichen Erzeugnis, einer verfehlten Politik der Londoner Zentralregierung, der Kartoffelfäule und der Besitzverhältnisse eine Tragödie entfacht. Das Folgende ist eine schlaglichtartige Darstellung, die lediglich der Veranschaulichung einiger Schlüsselmechanismen von ­Migration in Zeiten

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werden müssen, verweist dies entweder auf das Gemeinwesen, was eine verdichtete Staatlichkeit voraussetzt, oder auf Einzelpersonen, sofern sie über die nötigen Mittel verfügten. Ein Angehöriger der politischen und ökonomischen Elite hätte die nötigen Mittel zur Verfügung stellen und sich so Anhänger gewinnen, als oikistḗs fungieren, Macht erlangen und sein Prestige mehren können. Aus dieser Motivation heraus hätte er denen, die nicht darüber verfügten, Ressourcen bereitstellen können, was aber einen zusätzlichen ökonomischen und organisatorischen Aufwand impliziert. Ein solches von Hungersnöten dient. Ungenauigkeiten und Auslassungen lassen sich hierbei nicht vermeiden. Vgl. daher zur irischen Hungersnot die Gesamtdarstellungen von: Litton (2003); Ó Murchuadha (2013). Kleinpächter arbeiteten auf dem Land ihrer Grundherren, um ihre Pacht entrichten zu können, wofür sie einen Großteil ihrer Arbeitskraft aufwenden mussten. Den eigenen Lebensunterhalt bestritten sie nebenher durch den Anbau von Kartoffeln auf sogenannten „lazy beds“. Diese Felder benötigten abseits von Aussaat und Ernte nur minimale Pflege und die Kartoffel versorgte die Kleinpächter und ihre Familien mit allen nötigen Nährstoffen, sodass nicht viel Zukost benötigt wurde. Energie war im Überfluss vorhanden, da sich nahezu überall in Irland Moore befanden, in denen Torf gestochen werden konnte. Dies ermöglichte erst die Arbeitskraft vieler Männer für die Produktion anderer landwirtschaftlicher Erzeugnisse aufzuwenden, generierte aber zugleich eine Abhängigkeit, die ohne d ­ ieses Produktions- und Herrschaftsverhältnis nie entstanden wäre. Als nun die Kartoffelfäule nach Irland eingeschleppt wurde, bahnte sich eine umfangreiche Katastrophe an, als deren Opfer größtenteils ebenjene Kleinbauern zu beklagen waren. Im klassischen Narrativ irischer Migration entfacht diese Hungersnot eine Migrationsbewegung nie gekannten Ausmaßes in die Neue Welt. Diejenigen, die nicht dem Hunger in der Heimat erlagen, ­seien vor d ­ iesem über den Atlantik geflohen. Doch lassen sich dagegen Einwände hervorbringen: Erstens ereigneten sich die quantitativ umfangreichsten Migrationen nach der Hungersnot, als sich die Lage zu bessern begann. Vgl. Litton (2003) 102 – 104. Zweitens brachen die Hungernden nicht planlos oder selbstorganisiert in die Neue Welt auf. Ihnen wurden die nötigen Mittel von einigen Grundbesitzern, die ansonsten für die Versorgung ihrer Kleinpächter hätten aufkommen müssen, bereitgestellt. Mitunter erhielten sie Hilfe von bereits emigrierten Verwandten. Vgl. Ó Murchuadha (2013) 139. Daneben gab es bereits Stimmen, dass es nicht die Armen, sondern die respektablen Bauern waren, die das Land verließen. Erst als die Hungersnot überstanden war und sich erneut die Ressourcen für die Überfahrt allokieren ließen, erfolgte eine weitere Migrationswelle. Der Auslöser war weniger der Hunger als die Wahrnehmung der eigenen Perspektive in Irland. Mit anderen Worten hatte die Erfahrung von Unrecht nun ihre desintegrierende Wirkung entfaltet. Abwanderung erfolgte, sobald sich eine Möglichkeit bot. Die Migranten, die Irland verließen, gelangten in den industrialisierten Norden der Vereinigten Staaten oder ins ebenfalls industrialisierte England, wo sie ohne allzu große Rücklagen als ungelernte Arbeiter ihren Lebensunterhalt bestreiten konnten. Dies ist ein fundamentaler Unterschied zu den Verhältnissen in der Antike, in der sich vergleichbare Verdienstmöglichkeiten kaum boten. Wenn eine neue Siedlung gegründet werden sollte, waren Vorbereitungen nötig und es mussten rechtzeitig Vorräte angelegt werden. Vgl. v. a. Kapitel 4.1 Von Spielräumen, 256 – 259 sowie Ehmer (1998) 11 – 18, der darauf hinweist, dass Irland nicht dichtbesiedelt gewesen sei und zudem während der ‚Hungerkrise‘ dennoch ein Viertel der Nahrungsmittel exportiert worden sei.

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Vorgehen findet sich in der Gründungsgeschichte Theras, in der der gleichnamige oikistḗs sich aus Minyern, die im Zuge eines Konflikts festgesetzt worden waren, eine Gefolgschaft verschafft, wobei auch die Mittel zum Fortgang zur Verfügung gestellt werden. Auch in der literarischen Brechung dieser Gründungsgeschichte waren es keine Armen, vielmehr s­ olche Personen, die von den Ressourcen der Gemeinschaft ausgeschlossen wurden, die Theras in ein neues Leben führte.377 Jene, die nicht über die nötigen Mittel verfügten, waren also auf Hilfe angewiesen. Einzelnen, die mehr Teilhabe an Ressourcen hatten, boten sich hingegen andere Möglichkeiten. Wenn sie Zugang zu den Ressourcen der Migration hatten, vor allem zu Informationen über die Orte, Menschen und Chancen in der Ferne und den nötigen Besitz, konnten sie entlang bestehender Routen auf Schiffen reisen, ein Weg, wie wir ihn von Hesiods Vater kennen.378 Hunger und Mangel fungieren in ­diesem Szenario nicht als Auslöser, wahrgenommene Ungerechtigkeit und Resignation hingegen durchaus; es handelt sich also um einen Mangel nicht an Nahrung, sondern an sozialen Ressourcen sowie an Zukunftsperspektiven. Solche Bewegungen erfolgten demnach eher nicht im Rahmen einer großangelegten Verzweiflungstat während einer Hungersnot, sondern allmählich entlang immer bekannter werdender Routen auf Wegen, die immer weniger steil, in eine Zukunft, die ein bisschen weniger ungewiss wurde. 2.3.2.2 Im Gegenbild archäologischer Befunde Die vermeintlichen Belege für Mangel und Überbevölkerung sind im Licht der oben eingenommenen, auf den Produktionsprozess fokussierenden Perspektive nicht zwingend in dieser Weise zu deuten. Vielmehr liegt es nahe, dass literarisch – sei es in den Quellen, sei es durch die Hand von Historikern – mittels Interpretationen, die einen Einzelaspekt sehr stark betonen, ein so nicht existenter Zusammenhang erzeugt wurde. Durch einen ­kurzen 379 Blick auf einige archäologische Surveys sollte sich die oben aufgestellte These, die die Kausalität von Mangel, Überbevölkerung und Migration infrage stellt, weiter erhärten lassen. Wenn nämlich die Versorgung der ansässigen Menschen mit Lebensmitteln aufgrund von absolutem Mangel nicht möglich gewesen wäre und dies dann in Fernmigration gemündet hätte, müsste sich zumindest eine intensive Nutzung des vorhandenen Bodens im archäologischen Befund abzeichnen. Ungenutztes Land dagegen wäre in einem solchen Szenario kaum denkbar, denn das Ausgreifen auf nicht oder bislang nur wenig genutztes Land war 377

Hdt. 4,145,2 – 148,4; auf ­dieses Beispiel wird in Kapitel 4.2 (Be-)Gründer von Ansässigkeit, 259 – 261 und 4.3. Zusammensetzung und Rekrutierung der Siedler, 272 – 286 genauer eingegangen. 378 Vgl. hierzu Kapitel 3.3.2 Händler im frühen Epos, 208 – 217. 379 Im Folgenden beschränke ich mich auf einige markante und durch die Literatur gut erschlossene Beispiele, die auch mit den bereits besprochenen Textstellen in Beziehung gesetzt werden können.

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mit deutlich geringerem Aufwand und Ressourceneinsatz verbunden als eine lange Seereise ins Ungewisse.380 In der Heimat des Dichters Hesiod, Boiotien, waren Gemeinden in geometrischer und archaischer Zeit eher mäßig besiedelt. Erst in klassischer Zeit erfolgte ein Ausgreifen und intensive Nutzung des Umlandes.381 So verzeichnen die Surveys von John Bintliff und Anthony Snodgrass eine Verdichtung der Siedlungstätigkeit, insbesondere im 4. und 5. Jahrhundert.382 Auch für Athen lässt sich für die Zeit, als Solon wirkte, Landnot nicht belegen, da das Ausgreifen auf Agrarland in der unmittelbaren Umgebung erst gegen Ende des 6. Jahrhunderts erfolgte.383 Hierbei ist strittig, wie viele der für die klassische Zeit gesicherten Gehöfte in archaischer Zeit bereits existiert haben könnten, da nur ein einem in größerem Umfang Keramik aus archaischer Zeit gefunden wurde, wohingegen in allen übrigen nur vereinzelt archaische, in der überwiegenden Mehrzahl klassische Tonerzeugnisse entdeckt wurden.384 Da einzelne Scherben kaum als Indikator für Siedlungskontinuität herangezogen werden können, ist nicht anzunehmen, dass das Gros der Gehöfte archaischen Ursprungs ist. Doch selbst unter Einbeziehung all jener Gehöfte gilt es als gesichert, dass der Südwesten Attikas bis zum Ende der Archaik weitestgehend unbesiedelt blieb.385 Selbst die Autoren des Laconia Survey waren überrascht angesichts der wenigen Funde im Hinterland Spartas, die sich in archaische Zeit datieren lassen. Dass für die frühe Eisenzeit nur wenig gefunden wurde, sei zwar erwartbar gewesen und ließe sich mit dem vergleichbaren Befund für ganz Lakonien erklären. Dennoch sei es überraschend gewesen festzustellen, dass sich ­dieses Muster für das gesamte 7. Jahrhundert fortsetze. Man habe stattdessen angenommen, dass Spartas Expansion außerhalb Lakoniens von einer lokalen Ausbreitung und einer intensiveren Erkundung der in der unmittelbaren Umgebung verfügbaren agrarischen Ressourcen zumindest begleitet gewesen sei.386 Dabei wäre der Boden im noch unbesiedelten Umland für Ackerbau bestens geeignet gewesen, zumal er nicht wesentlich schlechter war als der bereits bewirtschaftete. Eine Erklärung mag hier sein, dass der Boden in Messenien, das von Sparta erobert worden war, selbst fruchtbarer war als das in Sparta bereits b­ ewirtschaftete 380 381

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Vgl. dazu die folgenden Kapitel zu Mobilität und den ‚Siedlern‘. Foxhall (1997) 127. Bintliff/Snodgrass (1985) 133 – 145; dies. (1988). Vgl. jeweils unter Berufung Lohmann (1993a) insbesondere 122; 292 Welwei (1992a) 154; Ameling (1995) 103; Meier (2012) 13 – 14; darüber hinaus allgemein Osborne (2009) 210 – 211. Lohmann (1993a) 121; ders. (1993b) 351 – 356; 376; 397; 467 – 470; 472; 485. Lohmann (1993a) 122. Catling (2002) 156: „However, to discover that this pattern continued throughout the seventh century is something of a shock. It would have been natural to suppose that Sparta’s expansion outside Laconia was accompanied, if not preceded, by internal expansion and more extensive exploration of the agricultural resources available in the immediate neighbourhood of the city.“

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Land.387 Erst im Verlauf des 6. Jahrhunderts lässt sich die Besiedlung jener ländlichen Gebiete Lakoniens nachweisen, wobei sich anhand der Funde abzeichnet, dass der Schwerpunkt auf die zweite Jahrhunderthälfte zu datieren ist.388 Ein Zusammenhang von Landmangel und den historiographisch überlieferten Gründungen von Thera 389 und Tarent 390 lässt sich angesichts des Befundes nicht herstellen. Ähnliche Entwicklungen zeichnen sich auch anderenorts ab: Auf Keos finden sich ab dem 6. Jahrhundert Spuren intensiver werdender Besiedlung, die indes stets geringer ist als in klassischer Zeit; für das 7. Jahrhundert existieren dagegen überhaupt nur wenige Hinweise auf Ansiedlungen.391 Die Besiedlung auf der Halbinsel Methana konzentrierte sich in archaischer Zeit auf die Polis und zwei Komen. Erst in klassischer Zeit wurde das Hochland durch Gehöfte erschlossen.392 Aus der Insellage ließe sich eigentlich folgern, dass die Begrenztheit des Agrarlandes eher früher als ­später zum Problem hätte werden müssen. Wenngleich dies in den beiden oben angeführten Beispielen nicht der Fall war, scheint sich für Melos ebendies abzuzeichnen: Malcolm Wagstaf und John Cherry gehen aufgrund des quantitativ feststellbaren Zuwachses der Keramikproduktion im 8. Jahrhundert von einem starken Bevölkerungsanstieg aus, mit dem sie eine von Melos ausgehende Gründung in Verbindung bringen:393 „This general picture of late-eighth century growth (and perhaps population pressure?) is, of course, compatible with the tradition of a Melean colony at Kryassos […].”394 Allerdings berufen sich die Autoren dezidiert auf den von Anthony Snodgrass festgestellten Anstieg der Population in Attika während des 8. Jahrhunderts und sind auch darüber hinaus dem zur Entstehungszeit des Surveys hegemonialen Modell der Bevölkerungsentwicklung verpflichtet. Anders als bei Snodgrass 395 ist die Datengrundlage Wagstafs und Cherrys vergleichsweise gering: Bei einer Grundgesamtheit von 64 Tonerzeugnissen aus Melos für einen Zeitraum von etwa 950 bis 700, können zwei ins zehnte, sechs in neunte, 16 auf einen Zeitraum von ca. 850 – 760 und 40 auf das späte 8. Jahrhundert datiert werden.396 Zum Vergleich konnte Snodgrass immerhin auf 809 Gräber zurückgreifen, die jeweils mehrere Keramikfunde aufwiesen.397 387

ebd. ders. (2002) 157 – 160. Dies sei, so ders. (2002) 160, ein Indiz für einen Beginn etwas früher als 650. 389 Hdt. 4,145,2 – 148,4. 390 Ephoros von Kyme FG rH 70 F216 = Strab. 6,3,3; Antiochos von Syrakus FG rH 555 F13 = Strab. 6,3,2 – 3; Iust. 3,4. 391 Vgl. Cherry/Davis/Mantzouranē (1991) 331 – 33; 339 – 3 40; Foxhall (1997) 127. 392 Vgl. Gill/Foxhall (1997) passim; Foxhall (1997) 127. 393 Wagstaff/Cherry (1982) 142 – 145. 394 dies. (1982) 143. 395 Vgl. Snodgrass (1977) 11 – 14. 396 Vgl. Wagstaff/Cherry (1982) 143. 397 Vgl. Anm. 395. Und selbst hier ließe sich der Befund im Hinblick auf die Demographie auch durchaus anders deuten. 388

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Anker der Ansässigkeit

Unabhängig von der nicht aussagekräftigen Fallzahl scheinen Keramikgefäße für sich genommen als Indikator eher ungeeignet, zumal sich ein Zuwachs in der Produktion leicht anders erklären ließe.398 Beim Rückgriff auf archäologische Surveys stellt sich – neben der Auswahl als solcher – das Problem der Repräsentativität in zweifacher Hinsicht: erstens bezüglich der den Surveys zugrundeliegenden Methodik und der Begrenztheit archäologischer Befunde selbst, zweitens durch die grundsätzlichen Schwierigkeiten der Interpretation. Zudem bringt jedes Gerüst zur Ordnung auch Unschärfen mit sich, wie die tendenziell ungenaue Bezeichnung „archaisch“ zur Funddatierung.399 Die in der Regel geringe Größe der Grundgesamtheiten, die zugrundegelegt werden können, machen quantitative Aussagen ohnehin vager, als sie auf den ersten Blick erscheinen mögen. Schwer wiegen darüber hinaus die zuletztgenannten grundsätzlichen Schwierigkeiten der Interpretation, für die eine für die vorangegangenen Bemerkungen essentiell ist: Für das 7. Jahrhundert erweist es sich mitunter als problematisch, Keramik exakt zu datieren, vor allem dort, wo keine korinthischen und protokorinthischen Tonerzeugnisse gefunden wurden, zumal subgeometrische Stile mancherorts länger verbreitet gewesen sein könnten als bislang angenommen.400 Für sich allein genommen bleibt bei der Argumentation mit archäologischen Quellen ein nicht geringer Interpretationsspielraum, doch gewinnt das Bild in Kombination mit anderen Quellen schärfere Konturen. Trotz aller Unsicherheiten finden sich kaum Anhaltspunkte für einen Mangel an Agrarland an sich. So sollte die Erklärung, Landnot und Überbevölkerung sei die wesentliche Ursache der Migrationen archaischer Zeit, aufgegeben werden. Agrarland war eine wichtige Ressource von Ansässigkeit, die aber eingebettet war in ein Gefüge aus weiteren Ressourcen.

2.3.3 Zusammenfassung: Mangel als Modellannahme im Kontext von Migration In einem Exkurs konnte gezeigt werden, dass einem Mangel nicht selten Verteilungsprobleme zugrunde lagen. Menschen erwirtschaften in der Regel mehr, als sie verausgabten, eine Lehre, die sich aus der Konzeption von Ressourcen bei Julian Simon ziehen lässt, der Ressourcen als ersetzbare Teile in einem Produktionsprozess betrachtet. Dies korrespondiert mit Robin Osbornes Überlegungen zur landwirtschaftlichen Produktion, der den Mangel an Arbeitskraft als weit gewichtigeres Problem ansieht. Wenn wir anhand dessen davon ausgehen, dass Bevölkerungszuwachs nicht zu Bevölkerungsdruck führt, sondern das Unvermögen, die Potentiale z­ usätzlicher 398

Denkbar wäre beispielsweise ein sich verändernder Geschmack, eine durch den Export und Handel bedingte Mehrproduktion, ein erhöhter Bedarf aufgrund sich verändernder Lebensgewohnheiten bei gleichbleibender Bevölkerungsgröße u. v. m. 399 Vgl. Catling (2002) 156. 400 ebd.

Eine Perspektive auf Hungersnöte und ‚Bevölkerungsüberschuss‘

153

Arbeitskraft zu ­nutzen bzw. Ressourcen effizient zu verteilen, Destabilisierung zu Folge hat, sind ­solche Erscheinungen als Ergebnis einer kontingenten historischen Entwicklung aufzufassen. Dabei ist der Unterschied, ob von Bevölkerungsüberschuss oder von Verteilungsdynamiken gesprochen wird, nicht rein semantisch, da es eine Umkehr der Verursachung, die als Argument in historischen und gegenwärtigen Herrschaftsdiskursen angewendet wurde, darstellt. Die hier gewonnene Perspektive erlaubt es dagegen, Mangel zunächst qualitativ einschließlich der zugrundeliegenden Macht- und Verteilungsstrukturen zu betrachten. Erst dann kommen quantitative Überlegungen zum Tragen, worunter auch die Frage nach den tatsächlich zur Verfügung stehenden Gütern zu fassen ist. Solche quantitativen Probleme konnten etwa dann Migration befördern, wenn die Nahrungsmittelproduktion sank und dadurch bereits bestehende Gegensätze verschärft wurden. Die scheinbaren Belege für eine Überbevölkerung halten einer genaueren Betrachtung ebenfalls nicht stand. Die Ratschläge Hesiods zur Ehe zielen auf die Sicherung der Existenz durch mehr Nachwuchs ab, statt der Begrenzung der Geburtenrate zu dienen.401 Mangel und auch Hunger waren soziale Phänomene, w ­ elche die Betroffenen von zentralen Ressourcen der Gemeinschaft ausschlossen. Aus ihrer Perspektive widerfuhr ihnen Unrecht. Damit ist die Unterversorgung mit Lebensmitteln strukturell mit dem Ausschluss von anderen Ressourcen der Ansässigkeit vergleichbar und entfaltete eine desintegrierende Wirkung. Nahrungsmittel stellten wiederum selbst eine Ressource für Mobilität oder gar Migration dar. Migration konnte nur erfolgen, wenn ein grundsätzlicher Überschuss an Migrationsressourcen bestand. Diese sind im Folgenden genauer zu bestimmen. Aus Desintegration allein erwuchs nicht zwangsläufig Migration, aber Desintegration entfaltete über die gemeinsame Erfahrung des Ausschlusses von Lebenschancen starke gruppenformierende Kräfte. Wie auch ein schlaglichtartiger Vergleich mit der Hungersnot in Irland zeigt, bedarf äußerer Hilfe zur Migration, wer selbst nicht über die notwendigen Ressourcen verfügt. Solche Hilfe bereitzustellen, war in der Antike ressourcenintensiver als in der Moderne, da der Lebensunterhalt auch in der neuen Heimat zu einem nicht unbeträchtlichen Teil zunächst mit Vorräten bestritten werden musste. So gab es zwei Arten der Migration: die derjenigen, die über die nötigen Ressourcen verfügten, um ein neues Leben in der Fremde beginnen zu können. Sie reisten auf bereits durch andere Formen von Mobilität etablierten Bahnen in bestehende Gemeinwesen. Diejenigen aber, die Hilfe benötigten, schlossen sich einer Unternehmung unter der Führung eines oikistḗs an, der entweder selbst die notwendigen Mittel bereitstellte oder die Gemeinschaft brachte sie als politische Körperschaft auf. Der letztere Fall ist voraussetzungsreich: Er erfordert ein politisches Gemeinwesen mit starken Institutionen, das in der Lage ist, die entsprechenden Mittel von ihren Bürgern zu akquirieren.

401

Ein Blick in die Werke späterer Philosophen bestätigt ­dieses Bild, obwohl sie als Zeugen der Eindämmung des Bevölkerungswachstums angeführt wurden.

154

Anker der Ansässigkeit

Daraus ergeben sich nun weitere Probleme, denen im Weiteren nachzugehen ist, wobei, der Konzeption dieser Arbeit folgend, zunächst möglichst kontemporäre Quellen den späteren Narrativen vorgezogen werden, obgleich im Hinblick auf die hier skizzierten Überlegungen zu einem oikistḗs und dessen Anhängern die Frage, ­welche Ressourcen gegebenenfalls bereitgestellt werden mussten, leitend ist. Dies impliziert wiederum, sich mit den materiellen und immateriellen Mitteln, die Seereisen (und mittelbar auch Ansiedlungen in der Fremde) ermöglichten, zu befassen sowie zu ermitteln, wie eine soziale Formation, die eine ­solche Migration erfolgreich machte, entstehen konnte, wobei auch nach den Voraussetzungen des zugrundeliegenden Herrschaftsverhältnisses zu fragen ist. Im Hinblick auf die individuellen Migra­tionen ist aus der hier gewählten Perspektive von Interesse, auf w ­ elchen Kanälen Informationen und dann immer mehr Menschen reisen konnten, etwa wenn andere Formen von Mobilität es auf diese Weise vermochten, Migration zu begünstigen und zu befördern. Mit anderen Worten sollen im folgenden Abschnitt die Bahnen der Mobilität herausgearbeitet werden.

3.  Bahnen der Mobilität

Unter der Konzeptmetapher Bahnen der Mobilität werden, wie eingangs ins Feld geführt,1 durch Mobilität geformte Verbindungen, also Konnektivitätsphänomene, und die Ressourcen, die mobile soziale Einheiten benötigten, zusammengefasst. Im folgenden Abschnitt werden daher Mobilitätsformen anhand ihrer literarischen Konzeption in archaischer Dichtung 2 herausgearbeitet und untersucht, wobei zusätzlich archäologische Quellen und – in geringerem Maße flankierend – Schriftquellen aus klassischer Zeit herangezogen werden. In Teil 1 haben wir theoretisch die Annahme geschöpft, dass Mobilitätsformen durch Bereitstellung von Mobilitätsressourcen die Bahnen der Mobilität im Sinne eines Prozesses kumulativer Verursachung weiteten und es erleichterten, dass Menschen, Güter sowie Ideen zu den einzelnen Siedlungen gelangen konnten. Daher ist nicht nur von Interesse, ­welche Ressourcen soziale Einheiten benötigten, einerseits für ihre Reproduktion, andererseits dazu, im geographischen Raum mobil zu sein; es ist zudem relevant, inwieweit bestimmte Mobilitätsformen Ressourcen, die dann auch anderen Mobilitätsformen zur Verfügung standen, generierten oder zu deren Allokation beitrugen. In welchem Maß begünstigten etwa Kaperfahrten, Handelsexpeditionen oder reisende Söldner die Mobilität von Siedlern? Gemeinsam ist den betrachteten Mobilitätsformen die Seefahrt, weshalb deren materielle und soziale Grundlagen gleich zu anfangs behandelt werden. Die durch Mobilität geschaffenen Verbindungen sind zwar auch im geographischen, aber vor allem im sozialen Raum angesiedelt. Wenn wir nun annehmen, dass verschiedene Mobilitätsformen einander begünstigten, weiten sich die Bahnen, auf denen Menschen und Ideen reisten, eher grundsätzlich und nicht allein bezogen auf die Verbindung von einem Ort A zu einem Ort B. Nicht selten dürften sich auf diese Weise prinzipiell die Spielräume, mobil zu sein, vergrößert haben, insbesondere dann, wenn Ressourcen wie Wissen, nachdem sie generiert worden waren, ohne materielle Grundlagen weiterverbreitet werden konnten.3

1 2

3

Vgl. die Kapitel 1.5.4 Übernahmen und Abgrenzungen, 63 – 69 und 1.5.5 Operationalisierung, 69. Hierbei finden aufgrund der Anlage der Arbeit nicht selten Überblickswerke und Zusammenstellungen archäologischer Befunde Berücksichtigung, da keine detaillierte Bestandsaufnahme geleistet werden kann. Diese Konzeption ist einerseits der Makroperspektive der Arbeit und andererseits dem Quellenmaterial, das den Ausgangspunkt bildet, geschuldet: Eine Verortung der großen Epen Homers im geographischen Raum lässt sich seriös kaum bewerkstelligen. Seit der Antike wurden dennoch immer wieder anregende Versuche unternommen. Vgl. in jüngerer Zeit die Anstrengungen der ‚Lokalisierer‘: Warnecke (1988); ders. (1997); ders. (2008) und Wolf (2006); ders. (2009).

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Bahnen der Mobilität

3.1 Das Meer befahren 3.1.1 Zur Bedeutung der Seefahrt für Mobilitätsformen in der Archaik Im 8. Jahrhundert kam es zu großen Innovationen im Schiffsbau,4 deren Ursachen unterschiedlich interpretiert werden. Die modernen Deutungen verlaufen entlang gängiger Modelle der griechischen Archaik und folgen für gewöhnlich den als bewährt geltenden Argumentationsmustern. Als „Age of Expansion“ überschreibt Fik Meijer 5 die Zeit ­zwischen den ‚Dunklen Jahrhunderten‘ und den Perserkriegen. Als Grund für die Expansion und den sozialen Wandel in dieser Epoche sieht er vor allem den Handel an. „In some cities commerce caused such rapid social changes that political conflicts arose between aristocrats, who had always been in control, and those who profited from the economic revival and now wanted their share of political power.“ 6 Solchen Konflikten misst Meijer zwar auch Bedeutung im Hinblick auf Migrationen bei, hebt aber die überwiegende Freiwilligkeit hervor.7 Mit dieser These sollte dennoch vorsichtig verfahren werden, denn die Bedeutung des Handels für diese Epoche ist durchaus umstritten.8 Die Frage nach dessen Relevanz beiseite gelassen, leuchtet der Zusammenhang z­ wischen der Reisedistanz und dem Fassungsvermögen der Schiffe ein. Große Distanzen verlangten nach größeren Schiffen, nicht nur weil sie den Widrigkeiten des Meeres, wie Stürmen und dem damit verbundenen hohen Wellengang, besser trotzen konnten, sondern auch, weil sie mehr Raum boten, sei es für Menschen, sei es für Proviant, Werkzeuge, Waren oder andere Güter. Zugleich divergieren die Einschätzungen zur Extensität der Seefahrt und zur Reichweite der Schiffe in archaischer Zeit mitunter erheblich, insbesondere zu Fragen, die ihrerseits engverbunden mit Debatten um Handelsvolumen und Tauschpraktiken sind, etwa inwieweit und in welchem Umfang im Winter zur See gefahren werden konnte, oder w ­ elche Navigationsmethoden zur Verfügung standen;9 überdies wer4

5 6 7 8 9

Meijer (1986) 17. Über den Ursprung dieser Innovationen wurde bereits in der Antike spekuliert, wie eine Anekdote, die Thukydides überliefert, veranschaulichen mag, die den Ursprung der Triere, eines Kriegsschiffs wohlgemerkt, und ihren legendären Erfinder, Ameinokles von Korinth, der nach Samos gereist sein soll, um dort sein Handwerk auszuüben, zum Gegenstand hat. Thuk. 1,13,2 – 3 datiert ­dieses Ereignis μάλιστα τριακόσια ἐς τὴν τελευτὴν τοῦδε τοῦ πολέμου (etwa 300 Jahre nach d ­ iesem [sc. dem Troianischen] Krieg). Bemerkenswert ist freilich, dass Ameinokles diese Rolle nur im Bericht des Thukydides zukommt. Vgl. Gomme (1945) 123. Das kann dem Überlieferungszufall geschuldet sein. Meijer (1986) 17. ebd. ders. (1986) 17 – 19. Vgl. Kapitel 3.3 Händler und Handel, 205 – 228. Vgl. für eine Übersicht zur Debatte um die Winterschifffahrt Beresford (2013) 1 – 7. Zu Navigationstechniken vgl. die Arbeiten von Davis (2001); ders. (2009), der bereichernde Überlegungen zu den Möglichkeiten und Grenzen der Küstenschifffahrt anstellt.

Das Meer befahren

157

den auch die sich in archaischer Zeit intensivierenden Migrationsbewegungen nicht ohne Wirkung geblieben sein.10 Es stellt daher eine gewisse Schwierigkeit dar, sich dem Thema offen zu nähern. Die Bedeutung des Meeres als Medium für sowohl materiellen als auch kulturellen Austausch wird in der Forschung seit längerer Zeit betont, insbesondere in Ansätzen, die auf Konnektivität fokussieren.11 Die Geschichte der Seefahrt in der griechischen Archaik ist zugleich Gegenstand zahlreicher spezialisierter Darstellungen, in denen technische und soziale Aspekte zumeist getrennt voneinander abgehandelt werden, wobei die monumentale Monographie von Peregrine Horden und Nicholas Purcell beide Aspekte berücksichtigt.12 Wenn wir aus der Ressourcenperspektive davon ausgehen, dass die Kenntnisse und Fertigkeiten einerseits sowie materielle Güter wie Baumaterial oder Vorräte andererseits nicht getrennt von den Produktionsmechanismen dieser Ressourcen betrachtet werden sollten, nehmen wir an, dass die bauliche und die soziale Dimension der Seefahrt miteinander in Wechselwirkung standen; die technische Seite geriert sich als Teil der sozialen Einheiten, die Seefahrt betreiben bzw. diese Ressourcen (mit)bereitstellen. Mit anderen Worten: Aus dieser Perspektive stehen materielle bzw. technische und soziale Grundlagen miteinander in stetiger Wechselwirkung und sind analytisch kaum trennbar. Die Bauart der Schiffe wirkte auf die soziale Organisation der Mobilität, so wie aus einer bestimmten historisch-sozialen Formation heraus Technologien in Form von Schiffstypen und Geräten entwickelt wurden. Wenngleich in der Darstellung Aspekte der Seefahrt einzeln aufgegriffen werden, sollten sie stets als Ganzes gedacht werden. Im Folgenden wird versucht, sich mit möglichst wenigen Vorannahmen der archaischen Seefahrt zu nähern. Von den Schiffen aus früharchaischer Zeit sind keine Wracks so gut erhalten, als dass sie Rückschlüsse auf die Bauweise erlauben. Vielmehr dienen Abbildungen auf Keramik oder Beschreibungen in der frühgriechischen Dichtung als Quellen; beide stellen jedoch keine Traditionen dar, die nautisch-technische Gegebenheiten beschreiben, sodass man auf die Suche nach all den Versatzstücken, die eine 10

Die Frage danach, ob die Entwicklungen im Schiffsbau Ursache der Migrationsbewegungen oder ob – umgekehrt – die Migrationsbewegungen Ursache der Entwicklungen im Schiffsbau waren, lässt sich nicht eindeutig beantworten. Die Quellen weisen hier in keine Richtung. Es erscheint plausibel, dass beides aufeinander wirkte. Bessere und größere Schiffe erleichterten Migration und viele andere soziale Praktiken, für die die Befahrung der Meere von Nöten war. Migrationsunternehmungen konnten einen Bedarf für bessere und größere Schiffe befördert haben; allerdings sollte diese Wirkung nicht überschätzt werden. Für die meisten Migrationen wird das verwendet worden sein, was zur Verfügung stand. 11 Horden/Purcell (2000); Malkin (2011). Vgl. aber auch Schulz (2005); Schulz (2016). 12 Horden/Purcell (2000). Spezialisiertere Darstellungen (Auswahl): Köster (1969 [1923]); Höckmann (1985); Casson (1986); Meijer (1986); Gehrke (1998a); dass. (2007); Davis (2001); ders. (2009); Morton (2001); Tilley (2004); Beresford (2013).

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Bahnen der Mobilität

Vorstellung von den Schiffstypen und der Seefahrt vermitteln, verwiesen ist. Insbesondere Homer,13 in dessen Dichtung die Seefahrt allgegenwärtig ist, aber auch der ‚Schifffahrtskalender‘ in den Werken und Tagen Hesiods dienen dabei als Hauptquellen.

3.1.2 Technische, soziale und ökonomische Voraussetzungen Die Beschreibungen der Schiffe bei Homer erlauben einige Rückschlüsse auf deren Bauweise, auf den zugrundeliegenden Produktions- und Ressourcenaufwand sowie auf die soziale Organisation der Seefahrt:14 Die zumeist als Truppentransporter erwähnten Zwanzig- und Fünfzigruderer 15 wurden aus verschiedenen Hölzern 16 gefertigt; dabei ist unklar, ob man sich die unterschiedlichen Materialeigenschaften beim Schiffsbau zunutze machte. Einige Baugruppen werden im Zusammenhang mit bestimmten Werkstoffen genannt,17 was einen Anhaltspunkt für eine ­solche Verfahrensweise darstellen könnte. Allerdings dürfte das Angebot vor Ort maßgeblich dafür gewesen sein, was verwendet wurde.18 Hinzu kamen kostspielige Rohstoffe, wie Leinen für das Segel und Papyrus oder Leder für die Taue.19 Ferner finden sich Hinweise in den Epen auf den Produktionsprozess, etwa das Trocknen und Ablagern des Bauholzes,20 das Vernähen und Vertäuen des Segels 21 sowie das Dübeln und das Verzapfen, beides Arbeitsschritte, die ein hohes Maß an Können und Präzision erforderten.22 Material 13

Mitunter muten die Beschreibungen der Seefahrt und der Schiffe bei Homer durchaus „unterrichtet“ an. Zu dieser Einschätzung gelangt Köster (1969 [1923]) 69. In der Tat sind die Darstellungen detailreich und durchdrungen von nautischem Fachvokabular (vgl. Casson (1986) 46), sodass sie zur Rekonstruktion herangezogen werden können. 14 Auf eine detaillierte Rekonstruktion der verwendeten Schiffstypen, die in größerem Umfang auch bildliche Darstellungen miteinbeziehen müsste, wird zugunsten dieser groben Skizze verzichtet, da es hier mehr darum geht, Mobilitätsformen und Möglichkeiten, mobil zu sein, zu rekonstruieren. 15 Casson (1986) 44. 16 Genannt sind Eiche, Pappel, Kiefer und Tanne: Hom. Il. 13,389 – 391; 16,482 – 484; Hom. Od. 5,239. Vgl. zur Bedeutung des Rohstoffs Holz im antiken Mittelmeerraum insbesondere für den Schiffsbau Horden/Purcell (2000) 182 – 186. 17 Homer spricht von Masten, die aus Tannen gefertigt wurden: Hom. Od. 2,424; 15,289. 18 In Hom. Od. 5,237 – 240 schlägt Odysseus auf der Insel der Kalypso Holz, das eben verfügbar ist. Allerdings ist er schiffbrüchig, sodass er in der Logik der Erzählung möglichst schnell ein Transportmittel anfertigen muss. 19 Hom. Od.  5,258 – 259 (gemeint ist wohl Leinen: vgl. Casson (1986) 48); Hom. Od. 21,390 – 391 (Papyrus); Hom. Od. 2,426; 12,423; 15,291 (Leder). 20 Hom. Od. 5,240. 21 Hom. Od. 5,258 – 259. 22 Verzapfen und Dübeln: Hom. Od. 5,248; 5,361; Hes. erg. 660 bezeichnet Schiffe als πολύγομφος. Vgl. Zu dieser und anderen Konstruktionstechniken Ford/Hamilton/ Catsambis (2011) 386 – 389. Ferner scheinen die zeitgenössischen Abbildungen das mit

Das Meer befahren

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und Bauweise sind somit Indizien dafür, dass spezialisierte Handwerker Schiffe anfertigten. Wenngleich Odysseus im Epos die benötigten Materialien, aus denen dann Kalypso das Schiff zusammenfügt, alleine zusammenträgt, muss der Schiffsbau als koordinierter und arbeitsteiliger Vorgang gedacht werden. Je größer ein Schiff war, desto schwieriger gestaltete sich seine Konstruktion. Die Belastungen für Segel und Tauwerk nahmen zu, die Errichtung des Schiffskörpers wurde schwieriger. Seefahrt war also eine Gemeinschaftsunternehmung, und das noch bevor das erste Schiff in See stach. Was die Instandhaltung eines Schiffes und das Zur-See-Fahren selbst anbelangte, zeichnet sich ein differenzierteres Bild ab: Grundlegende Wartungsarbeiten und kleinere Reparaturen konnten vermutlich auch von Nicht-Spezialisten vorgenommen werden. Zum Beispiel finden sich bei Hesiod auch Hinweise dazu, das eigene Schiff winterfest zu machen: Um es vor den in der kalten Jahreszeit häufiger und stärker werdenden Niederschlägen zu s­ chützen, solle das Boot umgedreht, das Steuerruder abmontiert und in den Rauchfang gehängt werden.23 Hesiods Ratschläge zur Seefahrt setzen voraus, dass ein Boot vorhanden war, das bei Bedarf als Nebenerwerb, zum Tauschen, Handeln oder zum Seeraub, genutzt werden konnte. Wenn man es nicht benötigte, wurde es an Land gezogen und einsatzbereit gehalten. Ein Schiff zu besitzen, mit dem Fernreisen unternommen werden konnten, erscheint hier nicht als außergewöhnlich; daraus lässt sich vorsichtig folgern, dass nicht allein spezialisierte Seeleute die Meere befuhren, wenngleich seemännische Grundkenntnisse, das heißt ein gewisses Maß an nautischem Wissen, unverzichtbar gewesen sein dürften. Auch ohne den Groll Poseidons, dem Odysseus zehn Jahre zu widerstehen hatte, brachten Seereisen vielseitige Gefahren mit sich. Für lange Reisen waren Vorräte unabdingbar: Es mussten sowohl große Mengen Wasser als auch Wein (zur Haltbarmachung) mitgeführt werden. Dazu wurden – vermutlich tönerne – Gefäße (ἀμφιφορῆες)24 oder lederne Schläuche (ἀσκοί)25 verwendet. Mehl aus Getreide (ἄλφιτον μυλήφατος) nähte man in prallgefüllte lederne Behältnisse (δέρματα πυκνά), damit es vor Nässe geschützt war;26 die „engen Häute“ verhinderten zudem Schädlingsbefall.

Homer rekonstruierte Bild zu bestätigen. Dieses Urteil liegt indes im Auge des Betrachtes, da es sich bei den zweidimensionalen (vgl. auch Meijer (1986) 21; Tilley (2004) 116) Zeichnungen aus geometischer Zeit nicht um akkurate Abbildungen handelt, die obendrein eine große Varianz aufweisen. Ferner herrscht keine Einigkeit, wie die Darstellungen zu interpretieren und gegenüber den Schriftzeugnissen zu gewichten sind. So attestiert beispeilsweise ders. (2004) 115 – 117 der historischen Forschung einer seines Erachtens unangemessenen „evolutionary sequence of capital ships“ das Wort zu reden. 23 Hes. erg. 623 – 631. 24 Hom. Od. 2,349. 25 Hom. Od. 5,265 – 266. 26 Hom. Od. 2,354 – 355.

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Unterwegs die Vorräte aufzufüllen, lag bei besonders langen Reisen nahe, zumal nicht selten an Land genächtigt wurde,27 da die Schiffe wenig Schutz oder gar Komfort boten. Sie werden als „hohl“ (γλαφυρός 28 oder κοῖλος 29) beschrieben, also ohne schirmendes Deck. Wenn man an Land biwakierte, galt es zunächst, das Schiff umzudrehen 30 und die Umgebung zu erkunden. Dann konnte bei Tag gejagt werden;31 das Fleisch wurde dann abends am Feuer gebraten und verzehrt.32 Bei längeren Aufenthalten wurde auch Vieh gefangen oder zusammengetrieben, damit es um das Lager herum weiden konnte. Für eine kurze Weile wäre es sicherlich möglich gewesen, Tiere für den späteren Verzehr lebend mit an Bord zu nehmen. Eine Stelle in der Odyssee beschreibt diese Praktik: μῆλα δὲ Κύκλωπος γλαφυρῆς ἐκ νηὸς ἑλόντες.33 Angesichts des begrenzten Raumes und der problematischen Versorgung der Tiere an Bord konnte dies nur für kurze Zeit funktionieren. Es ist ferner kein Zufall, dass Odysseus und seine Gefährten die Tiere, die sie dem Kyklopen Polyphem geraubt haben, auf der Flucht ins Ungewisse mitnehmen.34 Eine weitere Möglichkeit, Proviant aufzufüllen, war es, kleinere Siedlungen zu überfallen und auszurauben, denn s­ olche Orte, die nur aus einigen Häusern bestanden, waren nicht wehrhaft genug, um einem schnellen und brutalen Angriff etwas entgegensetzen zu können. Diese Strategie war gängig und akzeptiert. Zumindest Odysseus erzählt mehrfach freimütig von den Raubzügen, die seiner und der Versorgung der Reisegefährten dienten.35 27

Hom. Od. 9,150 – 151; 9,166 – 169. Z. B. Hom. Il. 2,454; 2,680; 2,733; Hom. Od. 4,356. 29 Z. B. Hom. Il. 1,89; Hom. Od. 1,211. 30 Vgl. Höckmann (1985) 43. 31 Hom. Od. 9,154 – 158. 32 Hom. Od. 9,161 – 167. 33 Hom. Od. 9,548. 34 Vielleicht mögen auch Rachegelüste gegenüber Poseidons Sohn eine gewisse Rolle spielen, hat Polyphem sie doch gerade allesamt herzhaft verflucht sowie zuvor den einen oder anderen aus ihrer Mitte wie Insekten zerquetscht und dann genüsslich verspeist. 35 Hom. Od. 9,39 – 42. Auch beim Kyklopen Polyphem scheinen Odysseus und seine Gefährten auf Raub aus zu sein und nicht auf Bewirtung als Gastfreunde. Hom. Od. 9,224 – 227: Ἔνθ’ ἐμὲ μὲν πρώτισθ’ ἕταροι λίσσοντ’ ἐπέεσσιν / τυρῶν αἰνυμένους ἰέναι πάλιν, αὐτὰρ ἔπειτα / καρπαλίμως ἐπὶ νῆα θοὴν ἐρίφους τε καὶ ἄρνας / σηκῶν ἐξελάσαντας ἐπιπλεῖν ἁλμυρὸν ὕδωρ· – Da flehten mich die Gefährten an mit Worten, dass wir zuerst von den Käsen nehmen und wieder gehen, dann aber geschwind die Zicklein und die Lämmer hinaus zu dem schnellen Schiffe treiben und fahren sollen auf die salzige See. Wenn Odysseus sich auf das Gastrecht beruft, wirkt dies vorgeschoben. Vgl. Hom. Od. 9,266 – 271. Polyphem reagiert zwar grob, indem er Odysseus einen Narren schimpft und grimmig donnert, dass er nichts auf die Götter und das, was ihnen heilig ist, gebe (Hom. Od. 9,273 – 281); und doch geht er nicht fehl, wenn er die Achaier, die in seine Höhle eingedrungen sind, als ληϊστῆρες bezeichnet: Hom. Od. 9,254. Darüber hinaus stellt sich Odysseus in der Lügengeschichte, die er dem Schweinehirten bei seiner Heimkehr nach Ithaka auftischt, als Pirat dar (Hom. Od. 14,222 – 231). Kritik ist allein von Eumaios zu vernehmen (Hom. Od. 14,85 – 88). 28

Das Meer befahren

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Doch auch wenn Vorräte unterwegs ergänzt werden konnten, wäre es ohne eine Grundausstattung kaum möglich gewesen, längere Strecken zurückzulegen. Denn Seereisen waren bestenfalls näherungsweise planbar. Die Dauer 36 konnte nach Wetter­lage beträchtlich variieren und es war ungewiss, inwiefern sich unterwegs Möglichkeiten zur Vorratsbeschaffung boten. Auch hier wurden Nahrungsüberschüsse sowie Mittel, diese Nahrung für die Fahrt auf dem Meer haltbar zu machen, benötigt. Neben Gefäßen aus Ton und Leder war es vor allem die Arbeitskraft, die aufgewandt werden musste, noch bevor das Schiff in See stach. Im Epos geschehen ­solche Tätigkeiten eher beiläufig. In die vor Reichtümern überquellenden Vorratskammern des Odysseus steigt Telemachos kurzerhand hinab und weist Eurykleia an, die nötigen Vorräte für seine Reise zusammenzusuchen.37 Für die Lebenswelt, in der die Epen entstanden, lässt sich auch eingedenk der oben angestellten Überlegungen zur landwirtschaftlichen Produktion 38 insgesamt eine angespanntere Versorgungssituation vermuten.

3.1.3 Nautisches Wissen und Navigationstechniken Bei einer Annäherung an Mobilitätsformen (und Migration) kann das nautische Wissen als Ressource nicht unbeachtet bleiben, da ­dieses Wissen und seine Verbreitung den Umfang und die Möglichkeiten zur Mobilität in hohem Maße determinierten. Weite Fernreisen waren ohne diese Kenntnisse unmöglich. Neben dem Wissen selbst war auch seine physische Umsetzung entscheidend, zumal einige Abläufe eingeübt werden mussten, damit sie, wenn es darauf ankam, abrufbar waren.39

Er ist allerdings ein Sklave und hat eine andere Perspektive auf die Seeräuberei als der basileús Odysseus, nämlich die eines Opfers. Auch Thuk. 1,2,4 erkannte im Seeraub ein gewisses Mobilitätspotential. 36 Thuk. 4,104,4 gibt für die Fahrt von Thasos nach Amphipolis (ca. 40 Seemeilen entlang der Küste) eine halbe Tagesreise an. Der Kontext der Angabe ist der Verlust von Amphipolis an den Spartaner Brasidas, den Thukydides zu verantworten hatte, eine Niederlage Athens, bei der der Faktor Zeit eine entscheidende Rolle spielte. Anderenorts schreibt er (Thuk. 6,1,2), ein Handelsschiff (ὁλκάς) benötige kaum mehr als acht Tage zur Umrundung Siziliens, also einer Strecke von gut 500 Seemeilen. Die Angaben sind vage, entstammen einer anderen Zeit und setzen eine deutlich weiterentwickelte Seefahrt sowie wohlbekannte Routen voraus. 37 Hom. Od. 2,337 – 359. 38 Vgl. Kapitel 2.1.1 (Früh-)archaische Siedlungen und ihre landwirtschaftlichen Grundlagen, 71 – 76. 39 Darüber hinaus mussten die Wissensträger dazu in der Lage sein, die übrige Besatzung anzuleiten. Dieser Punkt wird zunächst ausgeklammert, da er eng mit den Macht- und Herrschaftsbeziehungen an Bord verwoben ist. Hierauf wird im Folgenden eingegangen. Vgl. Kapitel 3.2.1 Vorüberlegungen: Seefahrt als Herrschaftsverhältnis, 171 – 173.

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Bahnen der Mobilität

Allerdings ist d ­ ieses Know-how in den Quellen nur indirekt greifbar. Die homerischen Epen eignen sich zur Beantwortung der Fragen nach seemännischen Praktiken nur bedingt, da sie wenig über die Details alltäglicher Abläufe an Bord verraten. Als Quellen für nautisches Wissen bieten sich literarische Reflexe auf Navigationstechniken und Ortskenntnis von Seefahrern an. Der heute geläufige Begriff Navigation umreißt einen Komplex von Tätigkeiten: Wenngleich in der Alltagssprache meist auf das Auffinden eines Weges beschränkt, umfasst er zudem Ortsbestimmung, das Erarbeiten einer Route, deren Befahren und Umgehen von Gefahren wie auch die Prognose der Reisedauer. Die Überreste früher Periploi oder die Logoi Herodots können einen Eindruck davon geben, wie Navigation auch in archaischer Zeit praktiziert wurde: Genaue Seekarten waren unbekannt, daher wurden Routen, Distanzen und Orte im Wesentlichen beschrieben.40 So geben die Quellen Auskunft über die Orte, ihre Abfolge entlang der Küste, die dort wohnenden Menschen und vorhandene Güter sowie die zurückzulegenden Distanzen. Da ­solche Informationen nicht nur nützlich, sondern auch essentiell gewesen sein dürften, liegt es nahe, einen derartigen Wissensschatz auch für die Seefahrt in archaischer Zeit anzunehmen. Allerdings fehlen konkrete Belege für ­solche Praktiken, denn entsprechende Texte sind nicht überliefert. Schriftlich fixiertes Wissen war indes zur Navigation nicht notwendig, da die Informationen auch mündlich weitergegeben werden konnten, was zudem die wahrscheinlichere Variante darstellt. Auch in der Odyssee lassen sich einige Navigationspraktiken erkennen, die aber in der Logik einer zehnjährigen Irrfahrt nur allzu oft schrecklich versagen. Seefahrt erscheint auch hier als gefahrvoll und keinesfalls erstrebenswert, ein in der Antike verbreitetes Bild, das indes nicht unbeeinflusst von der gesellschaftlichen Stellung der Autoren war und einer von den Seeleuten fernen Lebenswelt entstammte.41 Aus den wenigen Anhaltspunkten stechen zwei Navigationsformen allerdings heraus: die allseits angenommene Küstenschifffahrt und die Navigation anhand der Gestirne. 3.1.3.1 Küstenschifffahrt Bis zur Lösung des Längenproblems im 18. Jahrundert gestaltete sich die genaue Positionsbestimmung auf dem offenen Meer äußerst schwierig, was die gesamte Navigation unwägbar machte. Daher orientierten sich Seeleute, wenn möglich, an Landmarken wie Gebirgsformationen oder bekannten Siedlungen. Die Folge war eine Navigation entlang der Küste von Marke zu Marke, von Stadt zu Stadt, wobei mit dem Wissen um diese Referenzpunkte der Kurs gehalten werden konnte. Es war die Erfahrung vorangegangener Reisen, die man hierfür nutzte, sowohl was 40

Bezeugt sind Karten, die bestenfalls einen Überblick gegeben haben dürften. Die Weltkarte des Anaximander, die dann von Hekataios von Milet verbessert worden sein soll (Hekataios von Milet FGrH 1 T11b, T12a, T12b), ist das prominenteste Beispiel hierfür. 41 Dies wird eindrücklich vorgeführt von Beresford (2013) passim.

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die Bestimmung der eigenen Position anbelangte, als auch hinsichtlich der Berechnung – oder besser Schätzung – der Reisedauer. Diese Form der Navigation legt nicht allein die Periplus-Literatur nahe, die gegen Ende der archaischen Zeit entstand und sich dann weiterentwickelte. Der Mittelmeerraum ist durch seine vielen Inseln und die in ihn hineinragenden Landmassen gekennzeichnet. Vielerorts gerät die Küste – zumindest bei optimalen Wetterbedingungen 42 – nie außer Sicht 43 wie in der Ägäis, von der ionischen Küste bis nach Kreta, im Marmarameer und dem levitischen Meer im Osten sowie im Westen in der Adria, weiten Teilen des ionischen Meeres oder z­ wischen dem ligurischen Meer und der Nordküste des afrikanischen Kontinents. Im Schwarzmeerraum zeichnet sich ein nicht ganz so vorteilhaftes Bild ab und auch im südlichen Bereich des Mittelmeeres, von der kleinen Syrte bis etwa 100 Kilometer an die Levante heran, ist die Sicht auf das Festland beschränkt und nicht durch Inseln erweitert. Hinzu traten weitere Probleme: Wechselnde Wetterbedingungen konnten beispielsweise zu einer empfindlichen Verringerung der Sichtweite führen. Küstenschifffahrt war daher nicht zu jeder Jahreszeit in gleichem Maße möglich. Im Zeitraum von Spätfrühling bis Herbstanfang 44 sind die über dem Mittelmeer liegenden Hochdruckgebiete mit Staub und – aufgrund von Verdunstung – Salz angereichert. Es entsteht nahezu dauerhaft Dunst, der die Sicht erschwert.45 In der Ägäis sind die Beeinträchtigungen am größten. Dort ist während der Sommermonate die Sicht die Hälfte der Zeit über schlechter als 10 Seemeilen (18,5 km). Im südöstlichen Mittelmeerraum ist sie dagegen durchschnittlich nur an 20 % der Sommertage eingeschränkt.46 Hier finden sich allerdings kaum Inseln. Der Dunst ist auf dem Mittelmeer im Sommer also allgegenwärtig und mag sich auch in archaischen Quellen niedergeschlagen haben.47 Festzuhalten bleibt, dass 42 S. u. 43 Vgl. 44 45

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Horden/Purcell (2000) 126 – 128; Pimenta (2015) 51 – 52. Hierbei wird eine Sichtweite von etwa 10 Seemeilen (18,5 km) zugrunde gelegt. Das ist ebenjener Zeitraum, der seit Hes. erg. 617 – 622 als maßgebliche Jahreszeit zur Seefahrt galt. Vgl. auch zum Folgenden Davis (2009) 47 – 48. Vgl. für das Beispiel Pimenta (2015) 51 – 52, der im Wesentlichen Davis (2001) 27 – 31 zitiert. Genauere Betrachtungen der Möglichkeiten, auf Sicht zu fahren, stellt Davis in seinen Arbeiten an, in denen er kenntnisreich Seewetteraufzeichnungen heranzieht. Vgl. ders. (2001) 24 – 31 u. ders. (2009) 45 – 50. Davis (2009) 49 führt Hom. Od. 4,482 an und deutet ἐπ’ ἠεροειδέα πόντον als über die dunstverhangene See. Die Formulierung ἐπ’ ἠεροειδέα πόντον bzw. ἐν ἠεροειδέϊ πόντωι findet sich auch in Hom. Od. 2,263; 3,105; 3,294; 5,164; 5,281; 8,568; 12,285; 13,150; 13,176 und Hom. Il. 2,263; 23,744. Die Beobachtung war anscheinend geläufig, konnte ἠεροειδής doch als Epitheton zu πόντος verwendet werden, ohne deplaziert zu wirken. Inwieweit ἠεροειδής die Konnotation von über dem Mittelmeer hängenden Dunst hat, kann nicht eindeutig nachgewiesen, indes plausibilisiert werden. Ἠεροειδής ist ein Kompositum aus ἀήρ und οἶδα bzw. εἶδος. Lindell-Scott-Jones definieren den Terminus „for ἀερ-οειδής, which is not found, misty, cloudy, dark“.

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die Küstenschifffahrt nicht uneingeschränkt und zu jeder Zeit möglich war. Einen Schritt weiter geht Danny L. Davis: „Seafarers could not necessarily rely on landmarks alone in traversing these waters on any given voyage.”48 Tatsächlich dürfte Küstenschifffahrt in vielen Fällen nicht die einzige angewandte Navigationstechnik gewesen sein. 3.1.3.2 Navigation mit den Gestirnen Anhand des Sternenhimmels war es möglich, die eigene Position hinsichtlich der Breite mehr oder weniger genau zu bestimmen. Als Fixstern bot sich bei klarem Nachthimmel der Polarstern an, der sich einfach identifizieren und durch seine gute Sichtbarkeit leicht anpeilen ließ.49 Die Bestimmung der geographischen Länge war nicht möglich, denn hierzu müsste die Sonnenzeit an Bord mit einer Referenzzeit verglichen werden. War die Sonnenzeit auf dem Schiff bei ruhiger See und klarem Himmel noch relativ einfach bestimmbar, stand die Referenzzeit nicht zur Verfügung. Das Längenproblem wurde erst beinahe zwei Jahrtausende s­ päter gelöst, als ein Chronometer konstruiert wurde, das in der Lage war, der rauen Witterung auf dem Meer und der durch Seegang bedingten ständigen Bewegung des Schiffes zu trotzen.50 Eine exakte Ortsbestimmung war also undenkbar, wenn es keine anderen Referenzpunkte gab. Auf offener See dagegen war es bei klarem Wetter möglich, die Breite zu halten, was es gestattete, von Ost nach West oder von West nach Ost zu fahren. Dies konnte beispielsweise durch das grobe Peilen der Höhe des Polarsterns geschehen unter Zuhilfenahme eines Peilstocks oder notfalls der eigenen Finger.51 Um diese als Breitensegeln bekannte Technik einzusetzen, bedurfte es rudimentärer geographischer Kenntnisse. Es muss sich dabei nicht um Vorstellungen in Form einer Karte gehandelt haben, da es ausreichte zu wissen, von welchem Ort X es loszufahren galt, damit man an einen Ort Y gelangte. Dies eröffnete im Mittelmeerraum nicht geringe Möglichkeiten: Um vom griechischen Festland nach Magna Graecia zu gelangen, 48

Davis (2009) 49. Der (heutige) Polarstern (atronomische Standardbezeichnung: α Ursae Minoris) ist bei wolkenlosem Himmel immer sichtbar und leicht aufzufinden, indem einer Verbindungslinie der beiden hinteren Sterne des Großen Wagens etwa um das Fünffache ihrer Entfernung zueinander gefolgt wird. Die Position des Sterns zum Pol ist wegen der Bewegung der Position der Erdachse im Raum indes nicht konstant, sondern ändert sich zyklisch (Präzession). Daher war der heutige Polarstern vor etwa 2 700 Jahren weiter vom Pol entfernt. Dazu Schmidt (1983) 130 – 138. 50 Zwar gab es bereits vor der Entwicklung eines solchen Messinstruments Vorschläge zur Lösung des Längenproblems und auch einige frühe Versuche mit Zeitmessinstrumenten, die indes wenig erfolgreich blieben, da die Schiffsuhren noch nicht ausgereift waren. Dazu der kurze Überblick bei Mörzer Bryns (1996) 44 – 47. 51 Vgl. Pimenta (2015) 53. 49

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bot sich das Breitensegeln geradezu an.52 An der nördlichen Grenze des ionischen Meeres zur Adria beträgt die Entfernung z­ wischen dem italienischen Stiefel und der Balkanhalbinsel entlang des 40. Breitengrades nur etwas mehr als 120 km. Auf Höhe des 39. Breitengrades liegt die Distanz ungefähr bei 300 km, wobei der Abschnitt, der ohne Sichtkontakt zum Festland zurückgelegt werden musste, durchaus überschaubar blieb. Von Syrakus zur Peloponnes sind es immerhin ca. 560 km, wobei auch hier die Landmassen nicht lange außer Sicht geraten. Diese Routen waren bewältigbar. Gleiches gilt für die Bereiche im westlichen Mittelmeerraum ­zwischen Italien und Sardinien bzw. ­zwischen Sardinien und den Balearen, die mittels Breitensegeln durchquert werden konnten. Es kann kaum überraschen, dass sich in Quellen aus archaischer Zeit Spuren finden, die darauf hindeuten, dass auch anhand der Sterne navigiert wurde. So wird in der Passage, die von der Reise des Odysseus von der Insel der Kalypso zum Land der Phaiaken handelt, gleich auf mehrere Sternbilder verwiesen, nämlich die Pleiaden, den Bootes, den großen Bären (bzw. großen Wagen) und den Orion.53 Odysseus hält auf die Sterne blickend den Kurs 17 Tage lang, bis er am 18. Tag das Land der Phaiaken erreicht. Mit der Reisedauer findet sich ein weiterer Bereich der Navigation in der Odyssee wieder. Die Bewegung der Sternbilder wird wahrgenommen und in Beziehung zueinander beschrieben. Mit Ausnahme des Polarsternes wandern die Sterne und mit ihnen die Sternbilder zyklisch, sie blieben aber im gleichen Verhältnis zueinander. Die Sternbilder können so als Richtungsangaben in einer bestimmten Jahreszeit genutzt werden. Voraussetzung hierfür war eine rudimentäre Kenntnis dieser Bewegungen. Deren systematische Erfassung war dazu nicht erforderlich. Es genügten einzelne Beobachtungen, damit die Richtung zu einer bestimmten Zeit ermittelt werden konnte. Dafür musste das Jahr unterteilt werden: Es konnte ein Kalender geführt oder auf Marker zurückgegriffen werden. So ist das Jahr in Hesiods Werken und Tagen ebenfalls durch ­solche Marker, die angeben, ­welche Tätigkeit zu welcher Zeit zu vollführen ist, gegliedert. Astronomischen Phänomenen kommt dabei eine wichtige Funktion zu. Mit dem Aufgang der Pleiaden beginnt bei Hesiod die Zeit zum Pflügen, ihr Untergang markiert die Zeit, in der es nicht ratsam sei, zur See zu fahren.54 52

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Indes kann die Entfernung gewissermaßen ‚auf gut Glück‘ überwunden werden, da bei der insgesamt nicht allzu langen Wegstrecke auch der eine oder andere Umweg nicht den sicheren Untergang bedeutet hätte. Hom. Od. 5,270 – 282. In derselben Konstellation finden sich die Sternenbilder in der Schildbeschreibung. Bis auf den ersten Vers ist die Stelle identisch. Vgl. Hom. Il. 18,486 – 489. Hes. erg. 618 – 622: Εἰ δέ σε ναυτιλίης δυσπεμφέλου ἵμερος αἱρεῖ· / εὖτ’ ἂν Πληιάδες σθένος ὄβριμον Ὠρίωνος / φεύγουσαι πίπτωσιν ἐς ἠεροειδέα πόντον, / δὴ τότε παντοίων ἀνέμων θυίουσιν ἀῆται· / καὶ τότε μηκέτι νῆα ἔχειν ἐνὶ οἴνοπι πόντῳ, / γῆν δ’ ἐργάζεσθαι μεμνημένος ὥς σε κελεύω· – Fasst dich aber Verlangen nach stürmischer Seefahrt: Wenn die Pleiaden vor den gewaltigen Riesen Orion fliehen und ins dunkle Meer stürzen, (nun brausen stürmisch allerlei Winde), da lass mir kein Schiff mehr auf dem dunklen Meer, sondern bebaue bedachtsam das Feld,

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Am Tage bot die Sonne einen gröberen Anhaltspunkt, mit dem die Himmelsrichtung, wenn auch nicht exakt, bestimmt werden konnte. Bewölkter Himmel oder gar Nebel waren ein ernstzunehmendes Problem, da es dann schwerlich möglich war, die Richtung zu halten. Kamen die Seeleute in einer solchen Situation vom Kurs ab, konnte auch die Position nicht mehr bestimmt werden, sofern man nicht auf Landmarken zurückgegriffen werden konnte. Denn fernab von der Route und ohne Sicht auf die Landmassen waren das Wissen um die bisherige Dauer der Reise und Erfahrungswerte hinsichtlich der Reisegeschwindigkeit 55 plötzlich nutzlos – auf hoher See eine überaus bedrohliche Lage, aus der es keinen anderen Ausweg gab, als eine Richtung auszuprobieren und zu hoffen, dass die Vorräte ausreichten. 3.1.3.3 Wissenstradierung und ihre Medien Sowohl das Segeln über das offene Meer als auch die Küstenschifffahrt fußten auf Erfahrung, die zu einem Teil selbst erworben, zu einem anderen (vermutlich größeren) Teil durch Kommunikation vermittelt wurde. Der mündliche Erfahrungsaustausch mit anderen Seeleuten dürfte hierbei im Mittelpunkt gestanden haben. Für den Einsatz von schriftlichen Hilfsmitteln gibt es keine Anhaltspunkte und die gängigen Modelle zu Verwendung und Verbreitung der Schrift in archaischer Zeit legen dies auch nicht nahe.56 Dass keine Institution existierte, die eine systematische Vermittlung des seemännischen Wissens hätte übernehmen können, macht Schrift als Medium noch unwahrscheinlicher; wenn das Wissen in praktischer Anschauung erlernt wurde, erfolgte dies also kaum unter Zuhilfenahme schriftlich fixierter Kursliteratur.57 Obendrein konnte Wissen auch ohne Verschriftlichung bewahrt ­werden: wie ich es dir gebiete. Vgl. zum Pflügen 615 – 617. Inwieweit tatsächlich das Mittelmeer in den Wintermonaten unbefahrbar war, ist umstritten. Eine vollständige Nichtbefahrung ist unwahrscheinlich. Vgl. hierzu Kapitel 3.1.4 Seefahrt und die rechte Zeit, 168 – 170. 55 Auf offener See konnte bestenfalls anhand der Reisedauer und der Entfernung eine Schätzung unternommen werden. Reisedauer und Reisegeschwindigkeit hatten also eher ungefähre Aussagekraft und waren weit entfernt von Genauigkeit. Dennoch finden sich in der archaischen Literatur bereits zahlreiche Angaben zur Dauer von Reisen. Mitunter werden auch einzelne Abschnitte der Reisen oder die Dauer einer Notlage angegeben. Allein in der Odyssee finden sich zahlreiche Angaben – z. B. 5,33 – 35; 7,252 – 254; 7,267; 9,74 – 75; 9,83 – 84; 12,446 – 4 47; 14,314 – 315. 56 Wenngleich sich die Verwendung der Schrift in der archaischen Zeit allmählich von einem dezidiert privaten Gebrauch zunehmend auf weitere Lebensbereiche, etwa die Verwendung von Schrift durch Handwerker, ab dem 7. Jahrhundert ausdehnte (dazu Rösler (2001) 241 – 242), muss dies keineswegs bedeuten, dass auch Praxiswissen schriftlich vermittelt wurde. Vgl. auch Anm. 57 und Anm. 59. 57 Vgl. hierzu Meyer (1998) 200 – 201: „Ebensowenig ist es a priori selbstverständlich, dass man die Kenntnisse der in der Praxis benötigten Küstengeographie schriftlich vermittelt. Solches Erfahrungswissen wird mündlich tradiert und durch eigene Anschauung erlernt, keine Institution übernimmt diese Aufgabe.“

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„Landmarken als Punkte auf einer Linie […] sind leicht zu memorieren und auch ohne Hilfe der Schrift zu erlernen.“ 58 Neben dieser hodologischen gibt es auch andere Methoden, die sich zur Wissensbewahrung eignen, wie das Verpacken von Kenntnissen in Versen. So ging auch, wenngleich in schriftlich fixierter Form, die didaktische Dichtung beginnend mit Hesiod vor.59 Später wurden auch Periploi in Versform abgefasst. Allerdings sprechen mehrere Gründe dagegen, hieraus auf eine in der seemännischen Praxis verbreitete Schriftkultur zu schließen: Erstens waren die Adressaten dieser späteren Periploi nicht selten andere.60 Zweitens dürfte es sich mit dem darin fixierten Wissen allein schwierig gestaltet haben, eine Route zu finden und zu befahren.61 Und drittens ist kein Periplus aus archaischer Zeit überliefert.62 Umgekehrt könnte sich praktisches nautisches Wissen natürlich in späteren Periploi niedergeschlagen haben, wie auch in Hesiods Werken und Tagen landwirtschaftliches Praxiswissen Eingang fand, ohne als Anleitung fungiert zu haben. Also lernte ein junger und in der Seefahrt noch unerfahrener Matrose, indem er mit älteren, erfahreneren Männern reiste, mit ihnen redete und sie beobachtete.

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dies. (1998) 201. Es wurde mehrfach vorgeschlagen, diese Dichtung in einer Tradition mündlicher Anleitung zu begreifen. Vgl. zur hodologischen Darstellungstechnik dies. (1998) 201 – 202; Gehrke (1998a) 163 – 164 sieht in der hodologischen Form gar einen Teil der conditio humana: „die natürliche bzw. alltägliche Raumorientierung des Menschen ist offensichtlich linear und im Prinzip eindimensional. Maßgebend sind markante Punkte (‚landmarks‘) und bestimmte Strecken (‚routes‘). Diese werden mit Hilfe der markanten Punkte memoriert, in Bezug auf ihre Richtung und die zu ihrer Absolvierung nötigen Zeit strukturiert. Dabei kommt es häufig zu Qualifizierungen und Einschätzungen von räumlichen Gegebenheiten. Die Raumvorstellungen sind, m. a. W., ‚gerichtet‘, bewertet und relational. Man nennt sie zusammenfassend hodologisch.“ 60 Ps.-Skymn. 1 – 4 widmet seine Verse beispielsweise einem König Nikomedes, bei dem es sich um einen der bithynischen Könige Nikomedes II. Euergetes oder Nikomedes III. Epiphanes handeln dürfte. Vgl. Korenjak (2003) 12; ähnlich Gärtner (2002b) 642. Daher ist nach Korenjak (2003) 12 – 13 eine Förderung durch das Mäzenatentum im Umfeld hellenistischer Königshöfe anzunehmen, wobei die Adressaten der Monarch selbst und sein Hofstaat waren. ders. (2003) 14 geht von einer archaischen Urform aus, die, wie er indes einräumt, hypothetisch ist. Die meisten der erhaltenen Periploi stammen dagegen aus hellenistischer und römischer Zeit. Dazu Burian (2009) 586 – 587. Hdt. 4,42,1 – 4 muss m. E. nicht als Beleg für die Verwendung geographischer Literatur durch Seeleute gelesen werden. 61 Genauer bedeutet dies, dass die Angaben im Periplus mit weiterem Wissen hätten vernetzt werden müssen. 62 Das ist für sich allein genommen noch kein Argument, aber es weist mit den anderen in eine Richtung. Vgl. für alle Ausführungen auch Anm. 60. Die 338 veröffentlichte Kompilation aus historiographischen und geographischen Schriften führt den Namen des bei Hdt. 4,44,1 – 3 überlieferten Entdeckers Skylax aus dem 6. Jahrhundert an. Dazu Gärtner (2002a) 639. 59

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3.1.4 Seefahrt und die rechte Zeit Τύνη δ’, ὦ Πέρση, ἔργων μεμνημένος εἶναι / ὡραίων πάντων, περὶ ναυτιλίης δὲ μάλιστα.63 In diese vehemente Mahnung an seinen Bruder lässt Hesiod seine Belehrungen über den optimalen Zeitraum für die Seefahrt münden. In trostloser Bedrohlichkeit schildert er die Monate, in denen Stürme das tiefschwarze Meer heimsuchen; niemand solle sich mit einem Schiff zu dieser Jahreszeit hinauswagen. Den Beginn ­dieses Zeitraums setzt Hesiod auf den Untergang der Pleiaden. Vermutlich an ihn anknüpfend, griffen andere Dichter ­dieses astronomische Phänomen immer wieder auf, um die für Seefahrer gefährliche Zeit einzuleiten.64 Der Zeitpunkt zur Seefahrt sei hingegen fünfzig Tage nach der Sommersonnenwende gekommen. Ab dann sei die See ruhig und die starken Winde s­ eien abgeflaut.65 Hesiod ist das früheste Zeugnis dafür, dass das Mittelmeer nur in den Sommermonaten befahrbar gewesen sei. Spätere Autoren, wie beispielsweise Vegetius,66 zeichneten bis in die Spätantike hinein ein ähnliches Bild, wobei die Gefahren einer winterlichen Seereise Betonung fanden.67 Nach eigenem Bekunden war der Dichter durchaus kein Freund von Seereisen 68 und gab sich selbst auch nicht als Experte aus – im Gegenteil.69 Somit stellt sich die Frage, inwieweit Hesiods Aussagen darüber, wann Seefahrt möglich war, nicht ein Zerrbild zeichnen, das schierer Unkenntnis geschuldet war. Zwar lässt sich noch heute beobachten, dass das Mittelmeer in den Wintermonaten unruhiger ist,70 aber das Klima ist Ergebnis einer äußerst komplexen Wechselwirkung zahlreicher Faktoren. Das macht die Rekonstruktion von Winden, Temperaturen und Seegang in der Mittelmeerregion zu einem schwierigen Unterfangen. Sie ist zwangsläufig ungenau und mitunter sind einander widersprechende Einschätzungen die Folge. Unbestritten ist, dass starker Seegang mit den damaligen Holzbooten ein immens höheres Gefahrenpotential barg als mit den Schiffen unserer Tage. Doch Zweifel 63

Hes. erg. 641 – 6 42: Perses, achte bei allen Werken auf die rechte Zeit, am meisten aber bei der Seefahrt. (Eigene Übersetzung) 64 An anderer Stelle (Hes. erg. 674 – 677) führt er eine landwirtschaftliche Marke für die gefährliche Zeit an, in der nicht zur See gefahren werden sollte: Μηδὲ μένειν οἶνόν τε νέον καὶ ὀπωρινὸν ὄμβρον / καὶ χειμῶν’ ἐπιόντα Νότοιό τε δεινὰς ἀήτας, / ὅς τ’ ὤρινε θάλασσαν ὁμαρτήσας Διὸς ὄμβρῳ / πολλῷ ὀπωρινῷ, χαλεπὸν δέ τε πόντον ἔθηκεν. – Warte ja den heurigen Wein nicht ab, den Herbstregen, den nahenden Wintersturm und das schreckliche Wehen des Südwindes, der nun den strömenden Herbstregen des Zeus begleitet, die See aufwühlt und das Meer mit Gefahren erfüllt! 65 Hes. erg. 663 – 665. 66 Veg. mil. 4,39. 67 Vgl. Beresford (2013) 9 – 51. 68 Hes. erg. 682 – 685. 69 Vgl. Hes. erg. 649. 70 Vgl. Beresford (2013) 58.

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drängen sich auf, vor allem, wenn aus den Ausführungen Hesiods und den vielen Autoren, die in seiner Nachfolge schrieben, geschlussfolgert wird, dass in der kalten Jahreszeit grundsätzlich nicht zur See gefahren wurde. Das höhere Risiko wird sicherlich eine abschreckende Wirkung entfaltet haben, jedoch nicht absolut gewesen sein. So macht Jamie Morton plausibel, dass zumindest einige der Schiffe auch im Winter fuhren, wenngleich in diesen Monaten aufgrund größerer Gefahren mehr Aufwand betrieben und sorgfältiger agiert werden musste.71 Während Morton betont, dass im Winter vor allem Küstenschifffahrt möglich war,72 argumentiert Oded Tammuz, dass – im Gegenteil – gerade Küstenschifffahrt kaum ausführbar war. Stattdessen ­seien vor allem Fahrten über das offene Meer unternommen worden.73 Konsequent verfolgt James Beresford diesen Zweifel, den er an den Verfassern der Quellen festzumachen weiß: [… The] seasonal seafaring calendars […] are often regarded as mere reflections of the state of ancient maritime affairs. […] Classical scholars are forced to rely on the surviving texts penned by the literate elites […], a section of the population that usually had little but the most cursory interest in affairs of the sea, and only limited knowledge or understanding of maritime practices.74 Hesiod ist gewiss keine übermäßige Erfahrung als Seereisender zu unterstellen,75 dennoch war sie ihm grundlegend vertraut. Gleiches kann den Werken Homers entnommen werden, in denen der Detailreichtum, mit dem Schiffe beschrieben werden, auf solide Grundkenntnisse schließen lässt. Hier findet sich nichts zur Saisonalität der Seefahrt, weil sie in seinen Epen schlicht keine Rolle spielt. Im Falle Hesiods ist bei seiner grundlegenden Vertrautheit mit dem Gegenstand davon auszugehen, dass es dem Dichter aufgefallen sein müsste, dass der Schiffsverkehr in den Wintermonaten fortgeführt wurde. Ein starker Rückgang ist bei allen berechtigten Zweifeln, ob es sich bei Hesiod nicht um eine Übertreibung handelt, anzunehmen, weil die Gefahren größer wurden. Ein wichtiges Argument Beresfords ist es, dass die Autoren, deren Werke zur Geschichte der Seefahrt herangezogen werden, nicht dem Hellenismus entstammen, in dem Schiffsbau und nautisches Wissen ihren Höhepunkt gehabt hätten, sondern anderen Epochen.76 Viele der Errungenschaften, die das winterliche Meer zu einem weniger gefährlichen Ort gemacht haben könnten, wurden tatsächlich in dieser Epoche erfunden oder fanden erst zu dieser Zeit Verbreitung. Hierzu zählen vor allem Leuchtsignale und -türme, die die Orientierung bei schlechter Sicht 71

72 73 74

75 76

Morton (2001) 258. ders. (2001) 148; auch schon bei Rougé (1981) 16. Tammuz (2005) 145. Beresford (2013) 265 – 266. Der Dichter gibt dies in seinem Werk selbst preis: Hes. erg. 648 – 662. Beresford (2013) 268.

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erleichterten.77 Ein solches Signalnetz an den Küsten kann für die Archaik indes nicht angenommen werden. Des Weiteren waren die Schiffe kleiner, vor allem die Allzweckboote, die bei Hesiod beschrieben sind.78 Das Meer war ein schwer berechenbarer Ort, der schon im Sommer viele Risiken barg, sodass oft Land angelaufen wurde. Im Winter kamen weitere Gefahren hinzu, was es unattraktiver machte. Und doch gab es Reisen, die kürzer, und Routen, die leichter und damit länger schiffbar waren.79 Mit zunehmenden Entwicklungen auf dem Gebiet der Seefahrt, im Schiffsbau, bei unterstützenden Bauten oder hinsichtlich der Kenntnisse der Seeleute verringerte sich das Risiko solcher Reisen. Analog zu diesen Entwicklungen wurde Seefahrt in den Wintermonaten attraktiver.

3.1.5 Zusammenfassung: ressourcenintensive, verbreitete Seefahrt Die vorangegangenen Betrachtungen haben gezeigt, dass Seefahrt, wenngleich sie ab dem 8. Jahrhundert begünstigt durch technische Entwicklungen einen Schub erhielt, grundsätzlich einen vergleichsweise hohen Ressourceneinsatz benötigte: Hierzu gehörten die richtigen Hölzer wie deren sachkundige Bearbeitung, wofür Spezialisten benötigt wurden. Gleiches galt für das Fertigen von Tauen und Segeln. Setzte der Schiffsbau allein bereits gewisse Überschüsse über einen längeren Zeitraum hinweg voraus, wurden diese auf längeren Seereisen temporär in Form von haltbarem Proviant benötigt, selbst wenn mitunter unterwegs Vorräte aufgenommen werden konnten. Zur See zu fahren war folglich eine Unternehmung solcher Gemeinschaften, die dauerhaft Überschüsse produzierten und bis zu einem gewissen Grad arbeitsteilig organisiert waren. Denkbar ist indes, dass sich Zentren bildeten, von denen aus Auswanderungswillige aus anderen Gemeinden in die Fremde gelangen konnten. Die Seefahrt war jedenfalls so gebräuchlich, dass Schiffe auch von Bauern besessen werden konnten, die nur gelegentlich zur See fuhren. Eine gewisse Spezifität hinsichtlich nautischer Begriffe bei Homer ist ein Indiz für die große Verbreitung zumindest erweiterter nautischer Grundkenntnisse und kündet davon, dass Schiffe und Seeleute ein alltäglicher Anblick waren. Trotz allen Aufwandes, der betrieben werden musste, und aller zeitgenössischen Unkenrufe blieb Seefahrt attraktiv, da auf dem Meer weit schneller gereist werden konnte als über Land – vom ungleich leichteren Gütertransport ganz zu schweigen. Mittel- und Schwarzmeerraum waren zu Beginn der griechischen Archaik längst miteinander vernetzt und die Verbindungen sollten sich rapide intensivieren. Seefahrt war verbreitet, weit mehr als uns die Schriftquellen auf den ersten Blick 77 Vgl.

ders. (2013) 270. Vgl. Hes. erg. 618 – 694; Beresford (2013) 270 – 271. 79 Wenngleich der Mittelmeerraum meist als eine einzige klimatische Einheit angesprochen wird, ist dieser Raum doch lokal sehr unterschiedlich. Vgl. Horden/Purcell (2000) 13; Beresford (2013) 55 – 56. 78

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glauben machen. Sehr wahrscheinlich waren bereits in der Archaik die Navigationstechniken so ausgereift, dass nicht nur auf Sicht zu den Küsten gefahren werden konnte.

3.2 Hetaíros-Gruppen und die Organisation von Mobilität 3.2.1 Vorüberlegungen: Seefahrt als Herrschaftsverhältnis Aus unserer Perspektive heraus betrachtet, treten technische Aspekte der Seefahrt mit ihrer sozialen Organisation in eine stetige Wechselwirkung. Dem folgend können wir aus Form und Bauweise früher griechischer Schiffe bereits auf einige Erfordernisse, die das Befahren des Meeres an die sozialen Strukturen an Bord stellte, schließen: Das Rudern war keine Kunst, zu deren Erlernen es besonderer Begabung bedurfte. Gleiches gilt für die übrigen ‚Mannschaftstätigkeiten‘, bei denen es darum ging, physische Kraft koordiniert zu mobilisieren. Es erforderte die Stärke mehrerer Männer, den Mast mittschiffs aufzurichten,80 wobei dieser die ganze Zeit über im Gleichgewicht gehalten werden musste, da er ansonsten drohte, über Bord zu gehen. Rudern und vergleichbare Tätigkeiten erscheinen somit als Routinen, also als Handlungsabläufe, die zuvor eingeübt worden waren, sodass sie auf dem Meer jederzeit und auf Kommando abrufbar waren. Das Funktionieren dieser Abläufe machte eine Struktur nötig, die es einem Anführer ermöglichte, auf seine Befehle hin Gehorsam zu finden, also eine Organisationsform, die die Züge eines Herrschaftsverhältnisses trägt. Max Webers grundlegende und verbreitete Definition kann hier für begriffliche Klarheit sorgen, ohne dass im Folgenden Webers Herrschaftssoziologie in Gänze übernommen werden muss, zumal sich der gewählte praxistheoretische Zugang durchaus mit der Definition vereinbaren lässt.81 Die Mannschaft leistete dem Befehl aufgrund „eingeübter Einstellung“ 82 Folge; so konnte der Entscheider „auf einen Befehl bestimmten Inhalts bei angebbaren Personen Gehorsam zu finden“ 83. Dieses widerstandslose Gehorchen war also das Ergebnis eingeübter Disziplin. Dass das Steuern des Schiffes auf hoher See eine schnelle Reaktion der Mannschaft auf die Kommandos des Anführers erforderte, evoziert indes keinen zu jeder 80

Hom. Od. 2,424; 15,289. D. h., im Folgenden wird nicht anhand der idealtypischen Unterscheidung in charismatisch, legal/rational und traditional versucht, das Herrschaftsverhältnis einzuordnen, sondern vielmehr das Vorhaben verfolgt, die soziale Praxis zu beschreiben, v. a. anhand der dem Herrschenden zur Verfügung stehenden Ressourcen. Integrierbar ist Webers Definition dennoch, da er als Klassiker Eingang in die eingesetzten praxistheoretischen Ansätze, insbesondere den Bourdieus, gefunden hat und die verwendete Definition noch nicht in einem Maße konkretisiert ist, dass Widersprüche entstünden, die dann aufgelöst werden müssten. 82 Weber (2009 [1972]) 29. 83 ders. (2009 [1972]) 28. 81

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Zeit unhinterfragten Herrschaftsanspruch. So können wir annehmen, dass sich auf der Seereise Umstände ergaben, in denen es nicht notwendig war, dem Anführer unmittelbar und ohne Widerspruch zu folgen, das heißt, die akute Situation des gemeinsamen und koordinierten Agierens an Bord unterscheidet sich von Gegebenheiten, die etwa wegen des fehlenden Zeitdrucks keine klaren Befehlsstrukturen erforderten. Dann nämlich dürften in der Praxis die Ressourcen, auf die sich das Herrschaftsverhältnis stützte und mit denen es etabliert werden konnte, zum Tragen gekommen sein. Sie zeichnen sich auf unterschiedliche Weise in den Quellen ab.84 Das im vorherigen Abschnitt besprochene nautische Wissen kann sowohl als Ressource, die dem Herrschenden dazu diente, seine Position im Feld zu erlangen und aufrechtzuerhalten, als auch als Ressource, mit der die mobile soziale Einheit reproduziert wurde, angesehen werden; denn d ­ ieses Wissen hob einerseits den Anführer von den anderen ab; zugleich stellte es für das Befahren des Meeres an sich eine Notwendigkeit dar. In ­diesem Sinne – und so greift beides ineinander – waren die Beherrschten auch Profiteure ­dieses Wissens. Wenn wir annehmen, dass durch den Erfolg das Herrschaftsverhältnis reproduziert wurde, liegt es nahe, zu folgern, dass Misserfolge zu seiner Erosion führen konnten. Dabei sind wiederum zwei Aspekte zu beachten: Erstens ist nicht allein die Bewährung des Anführers entscheidend, sondern die Einschätzung seiner Fahrtgenossen hinsichtlich zukünftiger Erfolgschancen ihrer Unternehmung unter dessen Führung. Zweitens war nautisches Wissen nicht die einzige Ressource, auf die sich Herrschaftsverhältnis und mobile soziale Einheit gründeten. Dies macht ein Blick in die wohl einflussreichste Erzählung von Mobilität, die Odyssee, deutlich. Die Fahrtgenossen verweigerten Odysseus allen Misserfolgen zum Trotz nicht die Gefolgschaft. Nicht einmal im Ansatz regte sich je Meuterei, und das, obwohl durchaus Zweifel an seinen Entscheidungen aufkommen konnten.85 Es lässt sich vermuten, dass in der Konzeption der Odyssee andere Mittel seiner Herrschaft auszumachen sind,86 zumal jede Herrschaftsbeziehung, die mehr ist als bloße durch Gewalt oder deren Androhung ausgeübte Dominanz 87 auf verschiedene Herrschaftsressourcen gründet. 84

Vgl. dazu die folgenden Unterkapitel. führt seine Männer mehrfach in ein Verderben, das eigentlich ihm gilt. Es ist ein Scheitern als Anführer, der die sichere Heimkehr seiner Männer garantieren sollte, par excellence, denn nur Odysseus kehrt am Ende heim, jedoch kein einziger seiner Reisegefährten. 86 Dies impliziert allerdings nicht, dass Odysseus’ nautisches Wissen nicht als Ressource fungiert, sondern vielmehr, dass sich das Herrschaftsverhältnis auf weitere Ressourcen stützt. 87 Herrschaftsbeziehungen besitzen eine gewisse Dauer. Sie sind nicht situativ wie ein Machtverhältnis. Wenn diese Herrschaftsbeziehungen aber auf Dauer angelegt sein sollen, scheint es mehr zu brauchen als die bloße Stärke eines Einzelnen, denn auch er kann ansonsten von den anderen überwältigt werden. Seine Position muss sich zwangsläufig auf weitere Ressourcen gründen. 85 Odysseus

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Mit der Odyssee als Mobilitätserzählung ist nun eine Hauptquelle identifiziert, die vielversprechend erscheint. Dennoch ist sie kein Kompendium aller Formen von Mobilität der Entstehungszeit der Epen, sondern für jene, die um die Elite der basileís angesiedelt sind. Homer kann daher insbesondere für die Frage herangezogen werden, wie diese Elite ihre geographische Mobilität organisierte. Anders konstituierte soziale Einheiten werden dagegen kaum und wenn, dann randständig, erwähnt oder benannt. Mitunter erfolgt dies dezidiert abgrenzend zu den basileís.88 Im Folgenden werden zunächst die Mobilitätsformen dieser Elite behandelt. Im Anschluss daran erfolgt eine Auseinandersetzung mit weiteren Mobilitätsformen, die sich in Quellen wie Hesiod, den frühen Lyrikern, assyrischen Texten oder auch Inschriften niedergeschlagen haben und die, wenngleich die darin enthalten Überreste tendenziell detailarm sind, Rückschlüsse auf Mobilität jenseits der Eliten erlauben.

3.2.2 Basileís und hetaíroi: Rekrutierungsressourcen In den homerischen Epen erscheint die soziale Elite der basileís, der auch Odysseus angehört, als untereinander in hohem Maße kompetitiv.89 Der persönliche Status 88

Händler werden in der Odyssee benannt, scheinen aber in der homerischen Konzeption nicht mit den basileís auf einer Stufe zu stehen, zumal die Andeutung, Odysseus sei ein Händler, offensichtlich als Beleidigung aufgefasst werden soll. Vgl. Hom. Od. 8,159 – 164. Es existieren indes auch weniger negativ konnotierte Erwähnungen des Handels und der Händler. Wenn sich Athene gegenüber Telemachos als Mentes ausgibt, behauptet sie dem Odysseussohn gegenüber mehr oder weniger, auf Handelsreise zu sein. Hom. Od. 1,182 – 184: Νῦν δ’ ὧδε ξὺν νηῒ κατήλυθον ἠδ’ ἑτάροισιν / πλέων ἐπὶ οἴνοπα πόντον ἐπ’ ἀλλοθρόους ἀνθρώπους, / ἐς Τεμέσην μετὰ χαλκόν, ἄγω δ’ αἴθωνα σίδηρον. – Jetzt aber bin ich mit dem Schiff und den hetaíroi hier angelaufen, denn ich fahre über das weinrote Meer zu Menschen anderer Zunge: nach Temesa, nach Erz, und führe schimmerndes Eisen. Vgl. zu dieser Rolle des Mentes etwa Schulz (2005) 23. Dabei gehört Mentes offensichtlich aber zur Elite der basileís. Denn nicht nur gibt sich Mentes (alias Athene) als Herrscher (ἀνάσσειν) über die Taphier aus, (vgl. Hom. Od. 1,181) sondern auch der Vater Anchialos wird als δαίφρων bezeichnet (vgl. Hom. Od. 1,180). Vgl. daher insbesondere Kapitel 3.3.2 Händler im frühen Epos, 208 – 217 sowie die Mobilität in Abhängigkeit zu den basileís in den folgenden Kapiteln. 89 Der kompetitive Charakter archaischer Eliten wurde schon früh und häufig herausgearbeitet. Unbedingt genannt werden sollten Burckhardt, der in seiner posthum z­ wischen 1898 – 1902 erstmals herausgegebenen Griechischen Culturgeschichte (vgl. die kritische Gesamtausgabe Burckhardt (2002 – 2012) passim) diesen Punkt herausarbeitet, ebenso wie Nietzsches 1872 entstandenen Fünf Vorreden zu fünf ungeschriebenen Büchern, in der die fünfte Vorrede Homers Wettkampf gewidmet ist. Vgl. Nietzsche (1943). Diese beiden Meilensteine sind für Duplouy (2006) wichtige Anregungen. In seinen Überlegungen zum Wettbewerb in der frühen Polis stellte Christioph Ulf fest, dass der Wettbewerb innerhalb der altertumswissenschaftlichen Forschung seit langem als zentrales Merkmal der griechischen Geschichte wahrgenommen wird, er aber in der d ­ eutschsprachigen

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innerhalb dieser Elite musste stets verteidigt werden. Ein basileús konnte seine soziale Position in verschiedenen Bereichen erringen, behaupten oder wieder verlieren. Möglichkeiten boten sportliches Kräftemessen, materielle Selbstdarstellung durch Präsentieren von Luxusgütern, die Bewirtung der hetaíroi, das Reden vor einer Versammlung oder in Kriegszeiten das Schlachtfeld. Auf diese Weise wurde soziale Ordnung gestiftet und reproduziert, sowohl im Alltag als auch bei der Organisation von Mobilität, zu der ein weiterer Personenkreis in enger Verbindung steht: Basileís wurden, wenn sie Wissenschaftskultur gänzlich anders konnotiert war als in der angelsächsischen: „Nahm nach den englischsprachigen Autoren der Wettbewerb in der Polis in der Regel zu und erreichte seinen positiven Höhepunkt in den Poleis der klassischen Zeit, so sah das die deutschsprachige Altertumswissenschaft mit ihrer Ausrichtung auf den ab der Mitte des 19. Jahrhunderts als Reaktion auf das Fallen ständischer Grenzen sich ausbildenden ‚aristokratischen Liberalismus‘ meist anders. Ein ehemals die weitgehend autonomen aristokratischen Individuen leitender guter Wettbewerb habe sich im Zuge der politischen Veränderungen zu einem schlechten verändert, der eine destruktiv wirkende Kraft in den die Aristokratie entmachtenden Stadtstaaten entfaltet habe.“ Ulf (2011b) 299. Dies wirke, wenn auch mit abnehmender Tendenz, bis heute nach. Sozialwissenschaftliche Konflikttheorien betonen seit langem die formierenden Kräfte, die Konflikte entfalten können. Dabei wurde v. a. auf den friedlich ausgetragenen Konflikt verwiesen, den Wettbewerb. Diese Vorstellung war der Antike nicht fremd; es sei hier an Hesiods zwei Érides erinnert. Schon die Klassiker der Soziologie Weber und v. a. Simmel stellen fest, dass Konflikte eine „vergesellschaftende“ Wirkung entfalten. Vgl. Weber (2009 [1972]) 20 – 23; Simmel (2013) 284 – 382. Simmel sieht Gesellschaft als die Verdichtung von Wechselwirkungen, zu denen auch der Konflikt und die Konkurrenz gehören. Vgl. ders. (1989) 129 – 138. Für den römischen Bereich führte Hölkeskamp (2006) die simmelsche Konflikttheorie ein. Vgl. auch die ebenfalls die vergesellschaftende Kraft von Konflikten betonenden Ansätze von Coser und Dahrendorf konzise dargestellt bei Bonacker (2008). Hall (2014) 126 – 138 zieht in Anlehnung an die aus der Anthropologie stammenden Konzepte von big men und chief Rückschlüsse auf die Entstehung einer Aristokratie, für die Wettbewerb ein konstitutives Element darstelle. Diesen, an die Arbeit des amerikanischen Anthropologen Sahlins (1958) anknüfenden, Ansatz vertritt insbesondere Donlan (1982); ders. (1998); ders. (1999). Ulf (2011b) insbesondere 298 – 299 unternimmt dagegen den Versuch, mit den sozialpsychologischen Theorien von Bremer einen Ursprung des Konfliktes, der in den Quellen nicht greifbar ist, zu konstruieren. Dabei geht er mit Bremer davon aus, dass der Mensch sich erstens im Vergleich mit anderen wahrnehme, es zweitens eines Standards bedürfe, der drittens nicht objektiv sei, sondern durch die Anerkennung der anderen bestimmt werde. Der Ansatz erinnert an den etwas im Diffusen bleibenden „Dritten“ in der Konfliktsoziologie Simmels, der eine Schiedsrichterfunktion einnimmt und den „Preis“ vergibt. Nur wandelt sich hier der „Dritte“ zur Wechselwirkung eines Kollektivs, das wiederum mit Bourdieus Feldbegriff als abstrakte Größe für die Anerkennung der „Anderen“ eingefangen werden kann. Angesichts der Vielfalt der Ansätze gilt: „There’s more than one way to do it.“ Ich habe mich für die theoretische Sprache Bourdieus entschieden, weil m. E. damit die sozialen Dynamiken, die Machtverhältnisse und deren Reproduktion am anschaulichsten eingefangen werden können.

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eine Seereise antraten, von ihren hetaíroi (ἑταῖροι) begleitet. Diese waren Reise- und auch Kampfgenossen, deren Gefolgschaft sich der basileús versichern musste.90 Der öffentlich ausgetragene sportliche Wettkampf bot, wie oben erwähnt, eine Möglichkeit, die soziale Stellung als einer der basileís unter Beweis zu stellen. Hiervon kündet auch das bekannte Beispiel des áthlos bei den Phaiaken, an dem Odysseus schließlich teilnimmt, nachdem ihn Laodamas als Händler gescholten und so den Status 91 des Laertessohnes in Frage gestellt hat. Bevor er den Diskus zornerfüllt weiter als alle anderen wirft, verteidigt Odysseus seine Ehre 92 mit scharfen Worten.93 Dass er als Gast teilnimmt, ist nicht vorgesehen, da eigentlich die Söhne der basileís hier ihre Fähigkeiten demonstrieren. Betrachten wir das Verhältnis der basileís untereinander und zur umstehenden Menge als ein Machtfeld, erscheint der Wettbewerb innerhalb der Eliten als ein Teil der Regeln innerhalb ­dieses sozialen Feldes. Miteinander in Wettstreit zu treten, schließt folglich die Produktion und die Reproduktion des Feldes ein, wobei ein geteilter Glaube an die dessen Regeln, in der Terminologie Bourdieus als illusio bezeichnet, sowohl die Grundlage als auch das Ergebnis der Interaktion der Akteure im Feld ist, zumal jedes Feld auch ein Feld der Macht darstellt. Seine Position darin zu verbessern bedeutet, sich in eine machtvollere Stellung zu bringen, was in letzter Konsequenz heißt, Macht über Menschen zu gewinnen. Der öffentlich ausgetragene Wettbewerb differenziert daher die Elite nicht nur untereinander. Er sondert sie auch von der umherstehenden Menge ab.94 Die bereits an anderer Stelle ausgeführte Metapher Bourdieus für das Feld als Markt der symbolischen Güter scheint auch hier zutreffend, wobei die symbolische Sphäre Ausdruck eines sozialen Verhältnisses ist. Symbole werden von denjenigen verteidigt, die hierfür anerkannterweise die Autorität besitzen. Symbolische Gewalt ist dabei die Legitimierung, durch die einerseits Herrschende und Beherrschte in ein Machtverhältnis zueinander gesetzt werden, andererseits die d ­ iesem Herrschaftsverhältnis zugrundeliegende Willkür verschleiert wird. So schaffen Herrschende und Beherrschte ein Verhältnis der Gewalt, das indes weder von den einen noch von den anderen als solches wahrgenommen, sondern tendenziell von beiden als natürlich und legitim aufgefasst wird. Aus dieser Perspektive ist der áthlos eine Form von 90

Vgl. zur allgemeinen Definition Stein-Hölkeskamp (1989) 27 – 28; dies. (2015) 68. Der Status war stets unter Beweis zu stellen. Vgl. mit anderen Belegen jenseits des Kontextes geographischer Mobilität Ulf (2011a) 263 – 264. Abkunft spielte eine nur untergeordnete Rolle. Vgl. Stein-Hölkeskamp (1989) 24. 92 Vgl. zum individuellen sozialen Status und timē als ‚Ehre‘ Ulf (2011a) 260 – 261. 93 Hom. Od. 8,100 – 197. Der scheinbar aus dem Stegreif heraus abgehaltene Wettkampf weist Ähnlichkeiten zu den bei Hom. Il. 23,257 – 897 abgehandelten ‚Leichenspielen‘ für Patroklos auf. Vgl. Neumann-Hartmann (2020) 407; Lattmann (2020) 295. Zur historischen Deutung der Passage in der Ilias vgl. grundlegend Ulf (2004). 94 Vgl. zu diesen und den folgenden Ausführungen zu Bourdieu Kapitel 1.5.3 Praxistheorie und Ressourcenbegriff, 54 – 63 bereits ähnlich ausgeführt in Kapitel 2.2.2.1 Die gemeinschaftliche Ebene von Díkē, 103 – 108. 91

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­ ommunikation und ein Akt symbolischer Gewalt.95 Das Feld wurde indes auch K durch andere, kompetitive Praktiken fortwährend reproduziert, beispielsweise durch aufwendige Gastmähler, bei denen die hetaíroi durch den basileús bewirtet wurden, ein Aufwand, durch den er seine hervorgehobene Stellung demonstrierte, zumal er über die Mittel dazu verfügen musste.96 So lässt sich rekapitulieren, dass sich die basileís zur Begründung ihrer Position auf symbolische Ressourcen stützten, die aus der Demonstration ihrer Qualitäten, ihres Reichtums und ihrer Lebensart erwuchsen. Doch wie wurden die Fahrtgenossen gewonnen, ohne die Mobilität zur See nicht erfolgen konnte? Im Lexikon des frühgriechischen Epos werden mehrere Bedeutungen von ἑταῖρος im Kontext mit Mobilität und Seefahrt aufgeführt.97 Einerseits habe ἑταῖπος die Bedeutung von Mannschaft wie am Ende von Laodamas’ Aufforderung zum Kräftemessen, wenn dieser sagt: νηῦς τε κατείρυσται καὶ ἐπαρτέες εἰσὶν ἑταῖροι 98. Die hetaíroi 99 ruderten das Schiff oder verrichteten andere seemännische Arbeiten wie das Aufrichten des Mastes, wenn gesegelt werden sollte. Andererseits fungierten sie als Kämpfer, Mitstreiter im wahrsten Sinne des Wortes, die gegenseitigen Schutz garantieren.100 95

Vgl. die Kapitelverweise in Anm. 94. Stein-Hölkeskamp (1989) 28; Ulf (2011a) 262. LFE 2 (1991), s. v. ἑταῖρος. Hom. Od. 8,151. Ulf (1990) 127 – 128; zusammengefasst (hier wörtlich zitiert) 129, definiert vier Idealtypen von hetaíros-Verbänden, die in den homerischen Epen greifbar s­eien: „1. Die kleine ‚ethnisch‘ zwar einheitliche Gruppe um einen Anführer, die mit einem éthnos zu identifizieren ist (Typus 1). 2. Eine große Zahl von Männern um einen Anführer, die mit einem éthnos zu identifizieren ist (Typus 2). 3. Die sich aus einer geringen Zahl herausragender Anführer selbständiger politischer und ethnischer Einheiten rekrutierende Gruppe (Typus 3). Die weitreichende Gruppierung, zusammengesetzt aus diesen Anführern, einschließlich den ihnen folgenden Laoi, also die Achaier in ihrer Gesamtheit bzw. alle Troer oder gar einschließlich ihrer Bundesgenossen (Typus 4).“ Als theoretische Hilfskonstruktionen zum Ordnen und Verstehen dürften sich diese Idealtypen sich zwar als grundsätzlich hilfreich erweisen bei dem Versuch, den Befund zu kategorisieren. Da sich in der Empirie aber stets Überschneidungen finden und bereits gebildete Idealtypen sich daher als in unterschiedlicher Weise geeignet zur Beschreibung eines Quellenbefundes sein können, wird hier auf diese Typisierung verzichtet; nicht zuletzt durchdringt die Konzeption von hetaíros-Gruppen als Fahrten- oder allgemeiner Mobilitätsgemeinschaften mehrere dieser Typen. Größe und Zusammensetzung der Gruppe sind dabei allerdings relevant für Form und Herrschaftsverhältnis, was im Folgenden daher Berücksichtigung findet. Der Begriff der hetaíros-Gruppe wird in Anlehnung an Welwei (1992b) 484 – 485 verwendet, der diese auf Ulf (1990) aufbauend konzipiert, der sie wiederum als engverbundenen, aus Freunden und Gefährten bestehenden Verband und mehr oder weniger konstante Gefolgschaft um einen Anführer sowie in Abgrenzung zum Begriff der Hetairien klassischer Zeit definiert. Vgl. auch Meier (1998) 106 – 109. Hom. Od. 13,266.

96 Vgl. 97 98

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In der homerischen Konzeption erfolgt die Rekrutierung nicht durch Zwang, sondern basiert auf Freiwilligkeit: Aufschlussreich sind die ersten Gesänge der Odyssee, in denen sich Telemachos, Odysseus’ Sohn, ein Schiff samt hetaíroi verschafft. Als sich der junge Telemachos dazu entschließt, angeregt von Athene in Gestalt des Gastfreundes Mentes, seinen Vater zu suchen, muss er eine Seereise antreten. Dazu benötigt er neben einem Schiff zwanzig hetaíroi.101 Zunächst scheitert er mit seiner Bitte um Schiff und Männer vor den Freiern, die freilich kein Interesse daran haben, den Sohn auf der Suche nach seinem Vater zu unterstützen, da sein Erfolg doch gleichzeitig ihr Verderben bedeuten würde. Es sind vielmehr die hetaíroi des Vaters ­Odysseus, allen voran Mentor, die Telemachos zur Seite stehen, wenngleich zunächst auf ungeschickte Weise, indem sie die Freier derart schmähen, dass jene einen Vorwand erhalten, die Versammlung aufzulösen. Dies ist mittelfristig ein Erfolg für die Feier: Telemachos’ Vorhaben bleibt zunächst unverwirklicht. Einer von ihnen, Leiokritos, nennt Mentor boshaft (ἀταρτηρός) und spricht ihm die Nüchternheit in seinem Handeln ab (φρένας ἠλεέ), da Mentor all jene, die um Penelope werben, beschimpft und Telemachos unterstützt.102 In der Folge seiner Rede führt der junge Freier als Grund für Mentors energisches Parteiergreifen an, dass er ἐξ ἀρχῆς πατρώϊοί εἰσιν ἑταῖροι 103. Es sind nahezu die gleichen Worte, mit denen Athene in Gestalt des Mentor den am Strand betenden und mit Meerwasser seine Hände benetzenden Telemachos ihrer/ seiner Treue versichert: Τοῖος γάρ τοι ἑταῖρος ἐγὼ πατρώϊός εἰμι, ὅς τοι νῆα θοὴν στελέω καὶ ἅμ’ ἕψομαι αὐτός.104 Denn ein solcher hetaíros bin ich dir vom Vater her, dass ich dir ein schnelles Schiff beschaffen und selber mit dir gehen werde. Der hetaíros Mentor unterstützt Telemachos nicht nur mit seiner Person, sondern stellt ihm obendrein ein Schiff in Aussicht. Dass es eigentlich Athene und nicht Mentor ist, die zum Odysseussohn spricht, ist im Hinblick auf die Rekrutierung der hetaíroi unerheblich. Das Motiv, dass die Gefährten des Vaters auch dem Sohn folgen, ist nicht nur wohlmeinend von Athene/Mentor zu hören, sondern – freilich als Vorwurf – auch von einem der Freier. Mentor handelt in der Versammlung selbst danach. Athene wiederum muss sich als Mentor glaubhaft verhalten und kann ihre Rolle nur begrenzt verlassen, da sie ansonsten nicht mehr den hetaíros des Vaters darstellen und damit die ganze Maskerade zur Farce werden würde. Das Adjektiv πατρώϊος hat hier die weite Bedeutung „von Vaters her“. Die hetaíros-Beziehung ist 101

Hom. Od. 2,212. Hom. Od. 2,243 – 244. 103 Hom. Od. 2,254. 104 Hom. Od. 2,286 – 287. 102

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dabei nicht zwangsläufig ererbt. In Athenes Worten als Mentor ist noch ein weiterer Grund angegeben, weshalb Mentor Telemachos folgen will: Παῦροι γάρ τοι παῖδες ὁμοῖοι πατρὶ πέλονται, οἱ πλέονες κακίους, παῦροι δέ τε πατρὸς ἀρείους.105 Es werden doch wenige Söhne dem Vater ähnlich, die meisten schlechter; wenige besser als der Vater. Telemachos zählt er natürlich zu den Kindern, die ihrem Vater gleichen. Damit werden zwei Ressourcen miteinander verbunden, die Telemachos zur Verfügung stehen, um hetaíroi zu rekrutieren. Sein Status als Sohn des Odysseus erleichtert es ihm, an die hetaíros-Beziehung seines Vaters anzuknüpfen. Er ist wegen des Verwandtschaftsverhältnisses mit einem gewissen Reservoir an sozialen Ressourcen 106 ausgestattet. Doch ist es fraglich, ob dies allein ausgereicht hätte.107 Vielmehr scheint es, dass die soziale Ressource, über die er von Vaters her verfügt, erst durch eine weitere Ressource aktiviert werden musste. Wie es in den aphoristischen Worten der Athene als Mentor anklingt, genügt es nicht, nur der Sohn des Odysseus zu sein. Telemachos muss ­darüber hinaus dem Vater zumindest gleichen oder sogar in mancherlei Hinsicht besser (ἀρείων) sein. Das hier verwendete ἀρείων erlaubt Rückschlüsse, auf ­welche Qualitäten ­dieses „Bessersein“ abzielte: Liddell, Scott und Jones geben „better, stouter, braver, in Hom. [sc. Homer] of all advantages of body, birth, and fortune“108 als mögliche Bedeutungen an. Insbesondere die für Homer spezifische Bedeutung passt hier nicht so recht, vor allem bezogen auf die Vorzüge der Geburt, da ja ein Vergleich mit dem Vater angestrebt wird, welcher potentiell zu Telemachos Gunsten, aber auch zu seinen Ungunsten ausfallen kann. Gerade das macht Athene/Mentor mit παῦροι γάρ τοι παῖδες ὁμοῖοι πατρὶ πέλονται und der darauffolgenden Verschärfung deutlich. Im übertragenen Sinne bedeutet dies, die Jugend sei tendenziell schlecht, nicht aber Telemachos. Der steche heraus und übertreffe den Vater sogar. Es sind also auch, wenn nicht vor allem, Telemachos’ Qualitäten, die die Grundlage für Mentors Unterstützung bilden. Mit ἀρείων werden diese ebenso antizipiert wie mit ἐσθλός, Qualitäten, die auch Odysseus im Wettkampf unter Beweis gestellt hat. Ein älterer hetaíros kann, wenn er erst einmal gewonnen wurde, mit seiner Erfahrung eine Schlüsselrolle dabei spielen, die hetaíroi zu rekrutieren und in die Pflicht zu nehmen, so beispielsweise Mentor, wenn er darlegt, wie er Telemachos zu helfen beabsichtigt: 105

Hom. Od. 2,276 – 277. Vgl. Kapitel 1.5.3 Praxistheorie und Ressourcenbegriff, 54 – 63. 107 Wie Zeller (2020) 113 mit Verweis auf Ulf (1990) 104 bemerkt, scheint bei der Bevölkerung Ithakas keine Verpflichtung zu bestehen, Telemachos als Sohn des basileús ­Odysseus, d. h. aufgrund eines ererbten Status, zu unterstützen. 108 LSJ , 237, s. v. ἀρείων. 106

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Ἐγὼ δ’ ἐπὶ νῆα μέλαιναν εἶμ’, ἵνα θαρσύνω θ’ ἑτάρους εἴπω τε ἕκαστα. οἶος γὰρ μετὰ τοῖσι γεραίτερος εὔχομαι εἶναι· οἱ δ’ ἄλλοι φιλότητι νεώτεροι ἄνδρες ἕπονται, πάντες ὁμηλικίη μεγαθύμου Τηλεμάχοιο.109 Ich werde auf das schwarze Schiff gehen, damit ich den hetaíroi Mut zuspreche und alles sage. Denn allein rühme ich mich unter ihnen von höherem Alter zu sein, die anderen sind jüngere Männer, die in Freundschaft (philótēs) mitgefolgt sind: alle des gleichen Alters mit dem hochgemuten Telemachos. Mentor schwört die anderen hetaíroi auf Telemachos und seine Expedition ein und stabilisiert so dessen Status. Der ältere hetaíros unterscheidet ­zwischen sich und den anderen, die er als νεώτεροι ἄνδρες – wohl Gleichaltrige – klassifiziert. Den Grund, aus dem diese Jünglinge Telemachos folgen, nennt Mentor im selben Atemzug: Es ist die φιλότης, also eine liebevolle Form der Wertschätzung, die sie Telemachos entgegenbringen und die sie antreibt. Sie sind im gleichen Alter und es liegt nahe, dass sie mit ihm gemeinsam aufgewachsen sind.110 So sind sie überzeugt von den Qualitäten des Telemachos, deren Zeugen sie viele Male wurden,111 zuletzt als Redner vor der Versammlung. Der heroische Kontext impliziert, dass die hetaíroi Telemachos in schierer Selbstaufopferung folgen, was nicht generalisiert werden sollte. Stattdessen erscheint es vielversprechender, sich von ­diesem besonderen Kontext gedanklich zu lösen und anzunehmen, dass hetaíroi mitunter eigene Interessen verfolgten. Doch steht dies nicht im Widerspruch zur ihrem Anführer entgegengebrachten φιλότης. Ganz im Gegenteil basieren selbst oder vielleicht sogar insbesondere emotionale Beziehungen auf Erfahrungen. Der Glaube der hetaíroi an die Fähigkeiten und Größe ihres Anführers manifestiert sich in ihrer Wertschätzung. Eben weil sie diesen Glauben teilen, ist es für sie konsequent ihm zu folgen, denn es wird ihnen helfen, ihren eigenen Interessen zu dienen. In Bourdieus Sprache ist die affektuelle Wertschätzung die extreme Form der Legitimation, wodurch das Herrschaftsverhältnis verklärt wird.112

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Hom. Od. 3,360 – 364. Vgl. zur gleichen Altersgruppe der hetaíroi: Stein-Hölkeskamp (1989) 27. Vgl. zu Alterskategorien in der homerischen Gesellschaft: Ulf (1990) 51 – 83; ders. (2011a) 159 – 160. 111 Vgl. Ulf (1990) 128. 112 „Eine der Wirkungen der symbolischen Gewalt ist die Verklärung der Herrschafts- und Unterwerfungsbeziehungen zu affektiven Beziehungen, die Verwandlung von Macht in Charisma oder in den Charme, der eine affektive Verzauberung bewirken kann […].“, Bourdieu (2015) 173. Vgl. auch Schmidt (2009) 232. 110

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An den genannten wie auch an anderen Passagen Homers wird deutlich, dass dieser Status nicht ererbt war, sondern erworben werden musste. Dennoch konnte die eigene Abstammung hilfreich sein, wenn ein Sohn so in der Lage war, an die sozialen Ressourcen seines Vaters anzuknüpfen, um eigene zu akkumulieren. Die herausgehobene Position eines Anführers wiederum sollte nicht als derart stabil betrachtet werden, wie er sich aus den homerischen Epen am Beispiel des Odysseus abstrahieren ließe. Denn gerade er scheitert dramatisch, indem er jeden seiner Männer verliert. Und doch stellen seine hetaíroi seine Position nie grundsätzlich in Frage. Dies könnte als außerordentlich große Anhäufung von symbolischem Kapital, also akkumulierter symbolischer Macht, analytisch erklärt werden. In Homers Konzeption ist Odysseus ein Heros und es liegt gewissermaßen in seiner ‚heroischen Natur‘, besonders zu sein. Es ist die umfangreichste Ansammlung symbolischer Ressourcen, die ein Sterblicher je in der Lage sein dürfte zu erwerben.113 Allerdings müsste für eine Meuterei einer der Reisegefährten eine adäquate Alternative darstellen, was die Position eines jeden Anführers auch bei Misserfolgen bedingt zu stützen vermochte. Der Begriff hetaíros bezeichnet keinen klar umrissenen Status, insbesondere nicht im juristischen Sinne. Bei einer Vielzahl von Unternehmungen eines basileús werden seine Gefährten so bezeichnet. Sie sind einander aber nicht im sozialen Sinne gleichwertig, sondern vielmehr durch ihr Verhältnis zu einem Anführer bestimmt. Dies ergibt sich aus dem Begriff hetaíros selbst. Nicht alle standen dem basileús in gleicher Weise nahe. Darüber hinaus konnten sie verschiedenen éthnea 114 entstammen.115 Sie treten uns aber zudem als Fahrtgenossen eines basileús entgegen. Die hetaíroi mussten nicht selbst dieser Elite angehören, auch wenn sie ihr mitunter entstammten. Sie konnten als flüchtige (φυγάδες) basileís in den oíkos eines anderen basileús gelangt sein. Zunächst galt der Aufgenommene als μετανάστης, eine Stellung, die mit nur wenig Achtung verbunden war.116 Mit der Zeit konnte aber ein Aufstieg zum hetaíros gelingen:117 So flieht Patroklos in jungen Jahren nach der Ermordung seines Spielkameraden zu Peleus, der ihn mit seinem Sohn Achilleus erzieht.118 Auf dieselbe Weise wird auch Lykophron zu Aias’ hetaíros.119 Ebenfalls konnten es Freie im Umfeld des oíkos eines basileús sein, vor allem jene, die wie im Falle der hetaíroi des Telemachos mit ihrem späteren Anführer gemeinsam aufwuchsen.120 Antinoos’ Nachfrage, mit welcher Mannschaft Telemachos aufgebrochen sei, ob mit hetaíroi, Dienern oder Sklaven,121 113 Vgl.

Fröhlich/Rehbein (2009) 230. Der Begriff wird hier als politische Einheit verstanden. 115 Vgl. Ulf (1990) 127 – 129. 116 Weil Agamemnon Achilleus die Gabe einer Sklavin verweigert, sagt er, er fühle sich wie ein μετανάστης ganz ehrlos (ἄτιμος). Hom. Il. 1,169 – 171; 9,648 Vgl. Ulf (2011a) 263. 117 Stein-Hölkeskamp (1989) 28; Ulf (2011a) 263. 118 Hom. Il. 23,85 – 90. 119 Hom. Il. 15,430 – 432. 120 Stein-Hölkeskamp (1989) 27 – 28. 121 Hom. Od. 4,643 – 6 47. 114

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wurde zwar so gewertet, dass sich die Aufgabenbereiche auch bezogen auf die Seefahrt überschneiden konnten.122 Aber hier ist der Kontext zu beachten: Antinoos ist entrüstet, dass es Telemachos trotz seiner fortwährenden Verhinderungsversuche nun doch gelungen ist, Ithaka zu verlassen, um sich auf die Suche nach seinem Vater Odysseus zu begeben. In dieser Ausnahmesituation wird eine Normabweichung angenommen, denn auf den üblichen Pfaden erscheint das Gelingen von Telemachos’ heimlichem Aufbruch für Antinoos als kaum möglich. Das Herrschaftsverhältnis über die hetaíroi gründete sich auf die hervorgehobene Stellung des Anführers, der der Elite der basileís angehörte, das heißt insbesondere auf symbolische Ressourcen, die als für diese Elite typisch angesehen werden können, wozu etwa ein zur Schau gestellter Lebensstil 123 (Gastmähler, Reiten, Prestigegüter) und demonstrierte Fertigkeiten im Wettkampf zählten.124 Generell dürften, wie bereits im vorangegangenen Teil zu Ansässigkeit erwähnt, ökonomische Ressourcen auch bei den basileís eine wichtige Grundlage für die Aufrechterhaltung ihres Status gespielt haben, zumal die Größe des oíkos eines der zentralen Kennzeichen dieser Elite darstellte,125 und diese Ressourcen benötigt wurden, damit der Lebensstil aufrechterhalten oder, anders ausgedrückt, symbolische Ressourcen aktiviert werden konnten. Hinzu kommen ‚individuelle‘ Qualitäten. Nicht umsonst wird Odysseus mit dem Epitheton πολύμητις charakterisiert.126 Dabei befanden sich die hetaíroi in 122

Schumacher (2001) 92. Vgl. dazu Stein-Hölkeskamp (1989) 104, die darlegt, dass die Zurschaustellung des „Lebensstils“ an ein Publikum gerichtet sei, das nicht nur aus den „Standesgenossen“ in der gesamten griechischen Welt, sondern aus der Siedlungsgemeinschaft vor Ort bestanden habe. Insbesondere Alain Duplouy betont die Bedeutung des Prestiges – eine begriffliche Alternative – für die Aufrechterhaltung der Zugehörigkeit zum Kreis der Elite in der griechischen Archaik und Klassik. Dabei führt er neben sportlichen Wettkämpfen zahlreiche weitere Bereiche an, in denen – in unserer theoretischen Sprache – v. a., aber nicht ausschließlich symbolische Ressourcen gewonnen werden konnten, nämlich durch Eheschließungen, bauliche Repräsentation, Luxusgüter, mitunter aber auch Abstammung, Gastmähler und Konsumtion sowie die Pflege von Gastfreundschaften. Prestige kann indes nicht mit symbolischen Ressourcen gleichgesetzt werden, da es beispielsweise auch soziale Ressourcen umfasst. Eine Gemeinsamkeit mit dem Symbolischen im Sinne Bourdieus ist indes, dass es Ressourcen bzw. Kapitalien durchdringt, also keine disjunkte Kategorie darstellt. Duplouy schafft in seiner Monographie eine Synthese zahlreicher Forschungsergebnisse, wobei ihm das Prestige als Leitmotiv dient. Vgl. daher zur Bedeutung der Eheschließungen Duplouy (2006) 79 – 117, der Abstammung ders. (2006) 37 – 77; 119 – 149, zur materiellen Repräsentation ders. (2006) 151 – 183; 185 – 218 und auch u. a. bereits Stein-Hölkeskamp (1989) 104 – 108 sowie zu (Gast-)Freundschaftsbeziehungen Duplouy (2006) 137 – 149. 124 Vgl. dazu Stein-Hölkeskamp (1989) 110 – 116. 125 Vgl. Kapitel 2.1.4 Die basileís und die Gemeinschaft, 91 – 93. 126 Eine entsprechende Recherche im Thesaurus Linguae Graecae ergibt, dass der Begriff allein 86 Mal in Ilias und Odyssee als Epitheton für Odysseus auftaucht. Durch das Epitheton 123

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einer persönlichen Nahbeziehung zu ihrem basileús, die sich in ihrer φιλότης ihm gegenüber ausdrückte, was sich als soziale Ressource greifen lässt. Doch mit zunehmender Größe der Gruppen dürften s­olche Nahbeziehungen prekärer geworden sein,127 wenngleich dann eine ähnliche Verbindung ­zwischen Untergruppen und ihren jeweiligen Anführern bestand. Daneben gab es weitere Ressourcen, mit denen das Herrschaftsverhältnis des basileús über seine hetaíroi etabliert und reproduziert wurde, die aber darüber hinaus Mobilität begünstigten, weswegen ihnen im Folgenden kleinere Unterkapitel gewidmet sind.

3.2.3 Gastfreundschaft Die Gastfreundschaft regte Altertumswissenschaftler schon früh zu einer erstaunlichen Bandbreite von Werturteilen an. Obgleich Ernst Curtius jene noch als reinen Altruismus ansah 128, zeichneten bereits seine Zeitgenossen das Bild einer vorrangig instrumentellen Praktik, mit der politische oder ökonomische Interessen verfolgt wurden.129 Diese Sichtweise sollte die Debatte lange Zeit bestimmen.130 Die Bandbreite der Erklärungen verweist darauf, dass Gastfreundschaft ein vielschichtiges Phänomen darstellt, weswegen hier darauf fokussiert wird, inwieweit und wie sie als Ressource für die basileís im Allgemeinen und für Mobilität im Besonderen fungierte und auf ­welche Ressourcen sie sich ihrerseits stützte. Winfried Schmitz ordnet die Gastfreundschaft einer allgemeinen Kategorie adeliger Freundschaft unter, zu der er auch die Hetairie zählt.131 In der Konzeption der homerischen Epen werden Beziehungen zu hetaíroi und xénoi innerhalb des Standes der basileís unterhalten. Es gibt Gemeinsamkeiten, doch die Kontexte, in denen die werden die herausragenden Qualitäten hervorheben. Sie mögen zwar auch schmückendes Beiwerk sein oder ein Instrument, um den Hexameter zu formen. Dennoch beschreiben sie Charakterzüge des Protagonisten und verweisen auf dessen Ressourcen. Durch diese Epitheta wird Odysseus als wortgewandt und klug charakterisiert. Er hat also immer wieder die Möglichkeit, mit Reden zu überzeugen. Er wirft sein Charisma, auf das sich seine Herrschaft stützt, in die Waagschale. Die Idealtypen legaler Herrschaft Webers bieten hier eine Verständnishilfe. In der Empirie existieren diese Idealtypen selten in Rein-, sondern in einer Mischform. 127 Vgl. Anm. 99. 128 „Bei keiner Tugend ist das Verhältniß der Gegenseitigkeit so sinnig aufgefaßt und die Uebung derselben so zu einer ethischen Kunst ausgebildet. Denn es handelt sich nicht bloß um äußere Dienstleistungen. Der Wirth soll dem Gaste mit zarter Rücksicht begegnen und sich hüten, ihm durch Neugier lästig zu fallen oder durch zudringliche Nöthigung; denn die selbstsüchtige Gastfreundschaft einer Kirke ist das Zerrbild der wahren.“ Curtius (1875) 206. In ähnlich schwärmerischer Idealisierung: Pöschl (1986). 129 Insbesondere: Jhering (1887). 130 Überblick bei Wagner-Hasel (1998a); dies. (2000) 79 – 81. 131 Schmitz (2004) 121 – 126; ähnlich: Konstan (2010) 24 – 42.

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Begriffe ξένος und ἑταῖρος jeweils verwendet werden, sind verschieden. Diese Unterschiede treten bei der Frage nach der Art der Mobilität und ihren Grundlagen deutlich zutage. Hetaíroi sind Fahrt- oder Kampfgenossen. Das griechische Wort ξένος hat sowohl die Bedeutung „Gastfreund“ als auch die Bedeutung „Fremder“. Dem Gastfreund wurde eine bestimmte Behandlung zu Teil, wenn er das Haus eines Gastfreundes erreichte.132 Es erscheint innerhalb dieser Arbeit zielführend, Gastfreundschaft und Hetairie getrennt voneinander abzuhandeln, weil es sich bei ihnen jeweils um unterschiedliche Mobilitätskontexte handelt. Aufschlussreich ist eine Stelle im ersten Gesang der Odyssee, in der sich Pallas Athene in Gestalt eines Fremden (ξένος) zu Telemachos, dem Sohn des Odysseus, begibt. Als Telemachos den vermeintlich Fremden an der Pforte erblickt, führt er ihn herein und weist ihm einen Platz neben seinem Lager an. Um sie herum essen und trinken ungebetene Gäste, die Freier Penelopes, der Frau des totgeglaubten Odysseus. Sie verzehren seit geraumer Zeit Telemachos’ Erbe. Zum Schmaus beginnt der Sänger Phemios vorzutragen, als Odysseus’ Sohn den Fremden mit gesenkter Stimme allerlei Fragen zu stellen beginnt, auch danach, woher er komme, wie er nach Ithaka gelangt und ob er vielleicht ein Gastfreund seines Vaters Odysseus sei, wobei Telemachos beiläufig erwähnt, dass viele Männer (sc. Gastfreunde) sein Haus besuchten. Die sich immer noch als Fremder ausgebende Athene antwortet ihm daraufhin, sie sei Mentes, der Sohn des Anchialos und Herr über (ἀνάσσειν) Taphos. Ἀνάσσω verweist darauf, dass Mentes der Elite der basileís angehört, der auch Telemachos entstammt. Bekräftigend sagt Mentes schließlich: ξεῖνοι δ’ ἀλλήλων πατρώϊοι εὐχόμεθ’ εἶναι / ἐξ ἀρχῆς […].133 Gastfreundschaft, die eine Generation zuvor gestiftet worden war, konnte folglich ererbt werden. Allerdings galt es, sie in der Praxis stets zu erneuern wie hier bei einem Besuch des Gastes durch das Gastmahl, zu dem sich Telemachos mit Mentes setzt. Neben Unterbringung und reichhaltiger Verpflegung wurden dem Gastfreund weitere Ehrungen zu Teil. Telemachos bietet Mentes (alias Athene) ein Bad an, nachdem er ihn zum Verweilen aufgefordert hat. Schließlich stellt er seinem Gastfreund ein prächtiges Gastgeschenk in Aussicht: Ἀλλ’ ἄγε νῦν ἐπίμεινον, ἐπειγόμενός περ ὁδοῖο, ὄφρα λοεσσάμενός τε τεταρπόμενός τε φίλον κῆρ δῶρον ἔχων ἐπὶ νῆα κίηις, χαίρων ἐνὶ θυμῶι, τιμῆεν, μάλα καλόν, ὅ τοι κειμήλιον ἔσται ἐξ ἐμέ’, οἷα φίλοι ξεῖνοι ξείνοισι διδοῦσιν.134

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Vgl. zur Terminologie sehr ausführlich Wagner-Hasel (2000) 81; Konstan (2010) 34. Hom. Od. 1,187 – 188. 134 Hom. Od. 1,309 – 313. 133

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Doch auf! bleibe jetzt noch ein wenig so eilig du es hast mit deinem Wege, dass du gebadet und dein Herz erfreut hast, mit einem Geschenk zu Schiffe gehst, dich freuend in dem Herzen: einem wertvollen gar schönen, das dir von mir ein Kleinod sein soll, wie solches liebe Gastfreunde Gastfreunden geben. Diese Verse lassen die große Bedeutung des Gastgeschenkes für die Gastfreundschaft erahnen. Mit der Gabe wurde der Gast geehrt. Es ordnete sich ein in eine Reihe von rituellen Formen des Stiftens und der Reproduktion von Gastfreundschaften. Einige, aber nicht alle dieser rituellen Bestandteile der Freundschaftsbeziehung sind in den Versen, in denen Telemachos Mentes (alias Athene) in seinem Haus aufnimmt, enthalten. Hierzu gehören das Bad und das gemeinsame Mahl.135 Die Sozialbeziehung ­zwischen Gastfreunden stützte sich auf diverse Ressourcen, die jeweils neben ihrem ökonomischen Wert weitere Dimensionen besaßen. Das gemeinsame Mahl war ein ritueller Bestandteil der Gastfreundschaftsbeziehung, das heißt, es stellt eine „kommunikative Handlung“ dar, die sich in derselben oder ähnlichen Form wiederholt.136 Mit dem Ritual wurde die Gastfreundschaftsbeziehung symbolisch bestätigt, indem der Gastfreund den Fremden zunächst in die Tisch- und damit schließlich in die Hausgemeinschaft aufnahm. Jedoch hatte das Mahl nicht allein eine rituelle Bedeutung, sondern diente zugleich der tatsächlichen Versorgung. Ähnlich verhält es sich mit der Annehmlichkeit eines Bades, das der Gastfreund dem Fremden zur Verfügung stellte.137 Es fungierte einerseits als symbolische Versicherung der Gastfreundschaft und war andererseits ein realer Vorteil auf Reisen. Die Anbahnung von Gastfreundschaften erfolgte auf unterschiedliche Weise: Zum Teil knüpften künftige Gastfreunde an soziale Ressourcen des Vaters an, was sich vor allem bei den Reisen des Telemachos zeigt.138 Auf eine existierende Gastfreundschaft

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Vgl. dazu Wagner-Hasel (2000) 112 – 117. Steve Reece hat ein Schema der Gastfreundschaftsszenen bei Homer herausgearbeitet, das 25 Elemente umfasst. Es handelt sich dabei, wie Reece einräumt, um eine in hohem Maße künstliche Abstraktion. Keine der Gastfreundschaftsszenen enthalte jedes dieser Elemente. Dazu habe auch keine Notwendigkeit bestanden. Vielmehr habe Homer die Szenen flexibel komponieren können, da sie auch ohne alle Details verstanden worden ­seien. Das Publikum sei mit den Mustern in ihren verschneiden Kombinationen vertraut gewesen und habe entsprechende Anspielungen verstanden. Reece (1993) 6 – 8. 136 Vgl. Burkert (1972) 31 – 39. 137 Das Bad ist als Bestandteil homerischer Gastfreundschaftsszenen außerordentlich häufig anzutreffen. Eine Listung findet sich bei Reece (1993) 33 – 34. In der Odyssee spielt das Bad eine Schlüsselrolle bei der Transformation des Fremden. Nachdem er das Bad genossen hat, ist seine wahre Gestalt sichtbar und er wird erkannt. ders. (1993) 34. 138 Telemachos kann auf seinen Stationen immer wieder an Gastfreundschaften seines Vaters anknüpfen und sich zugleich deren Erneuerung versichern. Vgl. zur Reisetätigkeit junger Männer und dem Versichern alter Gastfreundschaftsbeziehungen: Hiltbrunner (1983) 7; Seaford (1994) 14 – 16; Schmitz (2004) 121 – 122.

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von Vaters her oder zum Sohn des Gastgebers zu verweisen, war von Vorteil; der Hinweis auf bereits bestehende Bande galt als erwähnenswert.139 Wenn sich keine Chance bot, an alte Gastfreundschaftsbeziehungen anzuknüpfen, war es auch möglich, sie neu zu etablieren, wenngleich sich dies schwieriger gestaltete. Ein Beispiel in der Odyssee kündet davon, dass auch unterwegs ­solche Verbindungen gestiftet werden konnten. Der Gabe kommt hier eine zentrale Bedeutung zu. Als Odysseus und Iphitos das Bündnis der Gastfreundschaft eingehen, tauschen sie unmittelbar Geschenke aus.140 Beide befinden sich zu ­diesem Zeitpunkt nicht unter ihrem eigenen Dach, sondern unter dem des Orsilochos in Messene, wo sie sich zufällig begegnen.141 Es ist kein Gastgeschenk, das hier dem Fremden in der Erwartung überreicht wird, dass es in Zukunft erwidert werde. Es galt vielmehr, die Reziprozität unmittelbar aufrechtzuerhalten, damit niemand durch die Gabe den Empfänger herabsetzen bzw. sich auf diese Weise über den anderen stellen konnte.142 Die ξένια umfassen Gaben an 139

So stellt es sich in zwei Gastfreundschaftsszenen der Odyssee dar: Hom. Od. 1,187 – 188; Hom. Od. 24,265 – 274. Vgl. Reece (1993) 27 etwas vorsichtiger: „A prudent stranger will impose sense of obligation on his host by strategically mentioning his relationship to a relative […]“ 140 Hooker (1989) 81 – 82, hält gerade diese Passage rein den literarischen Nöten Homers geschuldet: „There is, of course, a purely literary reason for the introduction of this background to the bow [Geschenk des Iphitos an Odysseus]. The poet was under an imperative necessity to equip Odysseus with a bow and arrows, once he had fixed on the bow as both the focus of the trial and the instrument of Odysseus’ vengeance against the suiters. But how could Odysseus have come by his bow, when (like all other great heroes of the Trojan War) he was a spearsman and, in case of need a swordsman?” Das Argument Hookers ist in den Zusammenhang seiner Argumentation zu setzen. In seinem Aufsatz versucht er zu zeigen, dass die homerischen Epen nur philologisch, aber keinesfalls historisch interpretiert werden dürfen, wie es am prominentesten Finley (1992), gegen den er in erster Linie argumentiert, getan hat. Vgl. dazu v. a. Hooker (1989) 87. Das Geschenk des Iphitos ist eines seiner Argumente, das m. E. nicht greift: Denn wenn es dem Dichter der Odyssee darum ging, plausibel zu machen, warum Odysseus Pfeil und Bogen einsetzt, warum sollte Homer dafür einen für sein Publikum fremden Hintergrund wählen, mit anderen Worten eine unrealistische Szenerie konzipieren? Dadurch hätte der Dichter lediglich einen Stein des Anstoßes durch einen anderen ersetzt. Vielmehr scheint es, dass das Argument Hookers eine Variante seiner Hauptthese ist. Alle Argumente drohen bei dieser Kontroverse lediglich Vorannahmen zu spiegeln. Es ist daher eine Frage der grundsätzlichen Herangehensweise an die homerischen Epen, die bis zu einem gewissen Grad immer normativ ist. 141 Hom. Od. 21,11 – 41. 142 Andererseits symbolisiert der Austausch dieser Kostbarkeiten die Verbindung der beiden neuen Gastfreunde, denn wie beim herkömmlichen Gastgeschenk besaß die Gabe mehr als einen materiellen (Gebrauchs-)Wert. Vielmehr ehrt der Geber den Beschenkten mit der Gabe, weil sie kostbar ist und sie für Geber und Beschenkten eine spezifische Bedeutung hat. Es macht hier einen Unterschied, ob es sich bei der Gabe um eine kostbare Waffe handelt, die seit langen im Familienbesitz ist, oder beispielsweise um Edelmetall,

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­Gastfreunde (ξένοι),143 wobei es sich hierbei zwar um die Speisen und Getränke handeln konnte, mit denen sie bewirtet wurden,144 aber auch um Geschenke wie prachtvolle Waffen oder Luxusgüter,145 die als kulturell-symbolische Ressourcen die Stellung des Gastgebers verbesserten, mitunter auch um Tribute, mit denen Heere versorgt wurden.146 Mit dem Gastgeschenk ging eine Reziprozitätserwartung einher. Wurde ein Gastgeschenk gegeben, geschah dies in der Annahme, dass die Gabe eines Tages, wenn der Gastgeber im Hause seines Gastfreundes einkehrte, erwidert werden würde. Eine grundsätzliche Offenheit für neue Gastfreundschaften zeigt sich in der anfänglichen Anonymität des fremden Neuankömmlings: Ein Fremder wird in der homerischen Konzeption ins Haus aufgenommen, noch bevor seine Identität bekannt ist. Erst nachdem er eingelassen, ihm ein Platz angeboten und ein Festmahl abgehalten wurde, beginnt der Gastgeber, den Fremden zu befragen. Sowohl Telemachos 147, ­Nestor  148, Menelaos 149, Arete 150 (die Gemahlin des Nausithoos), Eumaios 151, Achilleus 152 als auch die Götter Charis und Hephaistos 153 sowie Mataneira 154 gehen auf diese Weise vor. Dabei fordern die Gastgeber in dem gleichen Maße von ihren Gästen Ehrlichkeit wie auch die Gäste versichern, dass ihre Aussagen der Wahrheit entsprechen. Die Angaben, die der Fremde macht, gehen in der Regel über die Nennung des Namens hinaus das zwar wertvoll ist, aber als Objekt eine weniger imposante Geschichte aufweist. Vgl. die oben gemachten Ausführungen zum Gabentausch. 143 Vgl. Wagner-Hasel (1998b) 987. 144 So bei Hom. Il. 11,779; Hom. Od. 4,33; IG II2 102,1,12 – 16; oder bei Hom. Od. 24,273 – 279, wo nicht nur Luxusgüter wie Gold und Gewänder als Gastgeschenke genannt sind, sondern auch vier Frauen (γυναῖκας). Allerdings ist der Reichtum der Geschenke hier deswegen in den prächtigsten Farben geschildert, weil ja Odysseus zu seinem eigenen Vater spricht, sich ihm aber nicht zu erkennen gibt und vielmehr behauptet, er sei ein Gastfreund des Odysseus und habe ihm bei seinem letzten Besuch all diese reichen Gaben verehrt. Die Ausführungen dienen dazu, eine Nahbeziehung zu Laertes anzubahnen, indem der Status des Odysseus als großzügiger Geber hervorgehoben wird. Zugleich wird damit der Status des Beschenkten erhöht, da ihm Odysseus mit all den prachtvollen Geschenken so viel der Ehre hat angedeihen lassen. So drückt er die Wertschätzung aus, die er dem Laertessohn Odysseus und damit der Familie gegenüber hegt, und schafft obendrein listig eine Verbindung zum nichtsahnenden Vater. Vgl. zum Verhältnis des Rituals der Gastfreundschaft und dem Gastgeschenk Wagner-Hasel (2000) 112 – 117. 145 So bei Hom. Il.11,19 – 23. Vgl. auch Xen. hell. 4,1,39 – 40. 146 Hdt. 7,27,1 – 29,3 die entscheidenden Termini in 7,29,1. 147 S. u. 148 Hom. Od. 3,69 – 70. 149 Hom. Od. 4,60 – 62. 150 Hom. Od. 7,230 – 239. 151 Der Sauhirt imitiert hier die Gepflogenheiten der Elite und verhält sich gastfreundlicher als die Freier, die Odysseus abweisen. Hom. Od. 14,45 – 47. 152 Hom. Il. 9,221 – 224. 153 Hom. Il. 18,385 – 387. 154 Hom. h. 2,185 – 223.

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und umfassen Auskünfte über seine Eltern, seine Heimat, über seine Reise und seine Geschäfte.155 Das Anknüpfen an bestehende Gastfreundschaften kann erst an d ­ iesem Punkt erfolgen.156 Odysseus behauptet gegenüber seinem Vater Laertes, dessen Sohn als Gast bewirtet und ihn sehr reichlich beschenkt zu haben. Bemerkenswerterweise handelt es sich bei beiden Aussagen um Lügen, die zwar in keinem der beiden Fälle gesponnen sind, um dem Gegenüber zu schaden, aber dennoch strenggenommen die Vertrauensbeziehung untergraben. Die Flunkerei wird bald aufgelöst, da sich ­Odysseus schließlich doch zu erkennen gibt. Athene tut dasselbe auf spektakulärere Weise, indem sie wie ein Vogel davonschwebt und Telemachos Kraft und Mut verleiht.157 Dass die Behandlung als Fremder auch eine rituelle Komponente besaß, vermag die Ankunft Telemachos’ in Pylos zu zeigen. Weder Nestor noch dessen Söhne scheinen ihn zu erkennen. Sie begrüßen den jungen Helden und seine Begleiter als ξένοι und nicht mit Namen, bieten ihm einen Platz beim gemeinsamen Mahl und fordern die Fremden auf, Poseidon ein Trankopfer darzubringen.158 Im Gebet enthüllt die den Odysseussohn begleitende Athene dessen Identität, indem sie Telemachos laut beim Namen ruft.159 Dennoch wird nach dem Namen gefragt, sodass es nicht die Anonymität ist, aufgrund derer Nestor im Folgenden wissen will, wer die Fremden ­seien und woher sie kämen. Es war Brauch, den Gastfreund nach dem Mahl zu befragen, worauf verweist, dass Nestor seine Frage nach der Herkunft der Gäste mit κάλλιόν ἐστι einleitet. Zugleich genügt allein der Name nicht, sondern es werden umfangreichere Auskünfte erwartet.160 Das weitere Gespräch ist auch ein Austausch von Informationen, einer gerade für Mobilität wichtigen Ressource. Prinzipiell lässt die anfängliche Anonymität des Fremden Spielräume, neue Gastfreundschaften zu etablieren. Odysseus wird mehrfach aufgenommen, ohne dass bereits Bande geknüpft waren. Freilich ist er als Held weithin bekannt. Es ist für ihn aber geradezu typisch, dass er unerkannt beherbergt wird. Bei den Phaiaken, an deren Gestaden Odysseus allein und von den Strapazen gezeichnet anlandet, wird 155 156 157

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Reece (1993) 6 – 7; 26 – 28. Vgl. etwa Hom. Od. 1,187, wo Mentes (alias Athene) an eine Gastfreundschaftsbeziehung anknüpft. Hom. Od. 1,320 – 321. Hom. Od. 3,31 – 6 4. Hom. Od. 3,60: Δὸς δ’ ἔτι Τηλέμαχον καὶ ἐμὲ πρήξαντα νέεσθαι. – Gib auch, dass Telemachos und ich als erfolgreiche Heimkehrer zurückkommen. (Eigene Übersetzung) Vgl. Hom. Od. 3,69 – 74: Νῦν δὴ κάλλιόν ἐστι μεταλλῆσαι καὶ ἐρέσθαι / ξείνους, οἵ τινές εἰσιν, ἐπεὶ τάρπησαν ἐδωδῆς. / ὦ ξεῖνοι, τίνες ἐστέ; πόθεν πλεῖθ’ ὑγρὰ κέλευθα; / ἤ τι κατὰ πρῆξιν ἦ μαψιδίως ἀλάλησθε / οἷά τε ληϊστῆρες ὑπεὶρ ἅλα, τοί τ’ ἀλόωνται/ ψυχὰς παρθέμενοι, κακὸν ἀλλοδαποῖσι φέροντες; – Nun schickt es sich wohl besser, die Fremden zu erforschen und zu fragen, wer sie sind, nachdem sie sich ergötzt haben mit Speise. – Fremde, wer seid ihr? Von woher kommt ihr die feuchten Pfade gefahren? Ist es eines Geschäftes wegen? Oder schweift ihr nur so hin wie Seeräuber über die Salzflut, die da umherschweifen und ihr Leben daran setzen, indem sie anderen Böses bringen?

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er ohne Zögern aufgenommen, wenngleich Alkinoos indirekt den Verdacht äußert, bei dem zerlumpten Fremden könne es sich um einen Gott handeln. Odysseus tut die Vermutung sogleich bescheiden ab, was ihm nicht den Einlass verwehrt.161 Es handelt sich hierbei um einen Sonderfall, denn Odysseus kommt zu den Phaiaken als Flehender, der verzweifelt darum bittet, aufgenommen zu werden. Eine s­olche Konstellation ist in den homerischen Epen bestenfalls dreimal belegt.162 Ein Gegenbild zeichnet Homer bei der Heimkehr des Odysseus: Höhnisch wird ihm, noch in Gestalt eines Bettlers, von einem der Freier ein Gastgeschenk versprochen, das er dem Helden sogleich in Form eines gegen den Kopf geworfenen Kuhfußes zukommen lässt.163 Eine Ausnahme bildet der Schweinehirt Eumaios, der als Sklave den falschen Bettler aufnimmt. Eumaios ist nach eigener Angabe der Sohn eines basileús, der aber als junger Mann von Phoinikiern verschleppt und in die Sklaverei verkauft wurde. Er mag die Gelegenheit n ­ utzen, sich in einer alten Rolle zu zeigen, in der er als Gastgeber fungieren kann.164 Es ist derselbe Eumaios, der Odysseus zum Haus des Telemachos führt, wo ihn der Ziegenhirte Melanthios denunziert, den Bettler ins Haus gebracht zu haben. Daraufhin wird er von Antinoos, dem Wortführer der Freier, gescholten.165 In seiner Erwiderung gibt Eumaios beiläufig einen Einblick in die Lebenswelt jenseits der Elite der basileís: 161

Hom. Od. 7,199 – 210. Reece (1993) 16 – 17. In allen Fällen sind es die sich aus den Hauptsträngen der Handlung ergebenden Nöte, die ­dieses Verhalten bei den Protagonisten hervorrufen. In zwei Fällen ist es der schiffbrüchige Odysseus und einmal Priamos, bei dem die Aufnahme ins Haus des Achilles in das Verhandeln um den Leichnam seines Sohnes Hektors eingebettet ist: Hom. Il. 24,477 – 502. Wenn Odysseus bei Polyphem anlandet, ist es weniger ein Bitten um gastliche Aufnahme, sondern vielmehr in den Mantel der Gastfreundschaft gekleidete Piraterie. 163 Hom. Od. 20,296 – 299. 164 Dagegen schöpft Wagner-Hasel (2000) 82 – 90 aus der „gastlichen“ Aufnahme des Odysseus bei Polyphem und Eumaios eine Gastfreundschaft der Hirten. 165 Freilich entbehrt die Schelte nicht einiger Ironie, da ja die Freier eigentlich auch nichts anderes tun als das Hab und Gut des Telemachos aufzuzehren. Diese Ironie zieht sich durch den 17. Gesang hindurch und ist deutlich, wenn Antinoos, der Wortführer der besitzverzehrenden Freier, in Hom. Od. 17,375 – 379 den Schweinehirten Eumaios mit folgenden Worten dafür scheltet, einen Bettler mitgebracht zu haben: Ὦ ἀρίγνωτε συβῶτα, τίη δὲ σὺ τόνδε πόλινδε / ἤγαγες; ἦ οὐχ ἅλις ἧμιν ἀλήμονές εἰσι καὶ ἄλλοι, / πτωχοὶ ἀνιηροί, δαιτῶν ἀπολυμαντῆρες; / ἦ ὄνοσαι, ὅτι τοι βίοτον κατέδουσιν ἄνακτος / ἐνθάδ’ ἀγειρόμενοι, σὺ δὲ καί ποθι τόνδ’ ἐκάλεσσας; – O du unvergleichlicher Sauhirt! Was hast du diesen zur Stadt geführt? Haben wir nicht auch andere Herumstreicher genug, lästige Bettler, Abfallvertilger von Mählern? Da schiltst du drüber, dass sie dir hier versammelt das Lebensgut deines Herrn verspeisen, rufst aber noch den dazu? Als Bettler findet Odysseus mehrfach freundliche Aufnahme. Gerade bei Eumaios, der kein basileús, sondern ein Sklave ist. Bei den Freiern indes wird er überaus unfreundlich aufgenommen und geschmäht, nachdem ihm Telemachos vorher erlaubt hatte umherzugehen und die Freier um Gaben zu bitten. Es folgt 162

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Τίς γὰρ δὴ ξεῖνον καλεῖ ἄλλοθεν αὐτὸς ἐπελθὼν ἄλλον γ’, εἰ μὴ τῶν, οἳ δημιοεργοὶ ἔασι; μάντιν ἢ ἰητῆρα κακῶν ἢ τέκτονα δούρων, ἢ καὶ θέσπιν ἀοιδόν, ὅ κεν τέρπῃσιν ἀείδων. οὗτοι γὰρ κλητοί γε βροτῶν ἐπ’ ἀπείρονα γαῖαν· πτωχὸν δ’ οὐκ ἄν τις καλέοι τρύξοντα ἓ αὐτόν.166 Denn wer geht wohl selber hin und ruft den Fremden von anderswoher herbei, außer ­solche, die Handwerker sind: einen Seher oder einen Arzt, der Übel heilt, oder einen Zimmermann, der Balken behaut, oder auch einen göttlichen Sänger, der ergötzt mit Singen? Diese beruft man unter den Sterblichen auf der grenzenlosen Erde. Doch einen Bettler ruft keiner herbei, der eine Plage sein wird für ihn und sich selber! Hier wird ein Kontrast ­zwischen der Behandlung eines Fremden bei den basileís und in anderen Schichten deutlich. Homer lässt nun wiederum Eumaios dem Antinoos als Mitglied ebenjener Elite an deren eigene Normen erinnern: Ἀντίνο’, οὐ μὲν καλὰ καὶ ἐσθλὸς ἐὼν ἀγορεύεις· Die gastliche Aufnahme des Fremden ist ein Ideal der basileís, das kaum alltagstauglich war, wie es sich auch am Widerstand des Antinoos zeigt, der einerseits ­diesem Ideal nicht gerecht wird, sich andererseits auch nicht völlig deviant verhält.167 Er verweist darauf, dass die Stadt voll sei von Bettlern, die schließlich ebenfalls keine Aufnahme gefunden hätten.168 eine Auseinandersetzung darum, w ­ elchen Status der Zerlumpte habe, ob er Handwerker sei oder schlicht ein Bettler, den man hinauswerfen könne: Hom. Od. 17,345 – 413. 166 Hom. Od. 17,382 – 387. 167 Zu einer andren Interpretation gelangt dagegen Ulf (1990) 202 – 203, der argumentiert, die Norm der Gastfreundschaft schließe in jedem Fall auch den Bettler mit ein. M. E. sind ‚Zwischenlösungen‘ lebensweltlich vorstellbar: Der fremde Gastfreund hätte auf verschiedene Weise seine Zugehörigkeit zu ebenjener Elite der basileís zeigen können, indem er etwa mit einer Gefolgschaft von hetaíroi reiste, gewisse Gegenstände mit sich führte, seinen guten Geschmack unter Beweis stellte oder die Codes der Kommunikation kannte. Kurzum: Wenn es ihm gelang, zu zeigen, dass er einen bestimmten Lebensstil pflegte, also einen entsprechenden Habitus besaß, wies ihn dies als Angehörigen der Elite aus. Zwar hätte dann für den Gastgeber immer noch das Risiko, einem Betrüger aufzusitzen, bestanden, doch boten sich auch Chancen, durch den Einsatz dieser ökonomischen Ressourcen symbolische und soziale Ressourcen zu gewinnen. Die Bewirtung des Gastes und die Zurschaustellung von Konsumption zog einen Prestigegewinn nach sich, wohingegen der Normverstoß einen Prestigeverlust zur Folge gehabt haben könnte, womit symbolische Ressourcen vernichtet worden wären. Die Etablierung einer neuen Gastfreundschaftsbeziehung, einer sozialen Ressource also, die wiederum die eigene Aufnahme in der Fremde und Schutz der Gastfreundschaft ermöglichte. Darüber hinaus brachte der Gast unter Umständen Informationen aus der Ferne mit, ebenfalls eine kostbare Ressource, zumal für Mobilität. 168 Vgl. Anm. 165.

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Auch andere Passagen der Odyssee deuten auf das mögliche Scheitern von Gastfreundschaftsbeziehungen hin. Das Treiben von Odysseus und seinen hetaíroi in der Höhle des Polyphem lässt sich zwar als Piraterie identifizieren, aber die Szene ist doppelbödig, da sie mit der Gastfreundschaftsproblematik spielt,169 wenn Odysseus versucht, den Raub als Gastfreundschaft umzudeuten. Die Kyklopen und so auch Polyphem leben anders als die Menschen nicht in bäuerlichen Gemeinschaften,170 sondern jeweils für sich allein als Viehhirten. Die Beschreibung der Kyklopen ist sinnbildlich für eine andere Lebensweise, für das Fremde im Sinne von Andersartig-, wenn nicht Gegensätzlichkeit.171 Auf die Mahnung des Odysseus hin, Zeus sei der Rächer (ἐπιτιμήτωρ) der Schutzsuchenden und Fremden,172 erwidert Polyphem gelassen, die Kyklopen fürchteten weder die Rache des Zeus noch die der Götter.173 Die Szene ist symptomatisch für die durchaus realen Schwierigkeiten, die sich bei der Anbahnung von Gastfreundschaften ergeben konnten. Die Apologoi in der Odyssee, in denen Odysseus seinen phaiakischen Gastgebern von seinen abenteuerlichen Reisen berichtet, weisen mehrere solcher Begegnungen auf: Angekommen bei den lōtophágoi erhalten einige der hetaíroi des Odysseus Lotos zu essen, der sie ihre Heimat vergessen lässt. Odysseus bleibt nichts anderes übrig, als seine Männer zurück aufs Schiff zu schleifen, sie zu fesseln und eilends davon zu segeln.174 Kirke bereitet ihren Gästen 169

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Reece (1993) 125: „parody of the theme of hospitality“. In den Details wird bei Homer immer wieder mit dem Gastfreundschaftsmotiv gespielt. So fragt in Hom. Od. 9,252 – 255 Polyphem Odysseus, als ihn und seine Gefährten bemerkt: Ὦ ξεῖνοι, τίνες ἐστέ; πόθεν πλεῖθ’ ὑγρὰ κέλευθα; / ἤ τι κατὰ πρῆξιν ἦ μαψιδίως ἀλάλησθε / οἷά τε ληϊστῆρες ὑπεὶρ ἅλα, τοί τ’ ἀλόωνται / ψυχὰς παρθέμενοι, κακὸν ἀλλοδαποῖσι φέροντες; – Fremde, wer seid ihr? Von woher kommt ihr die feuchten Pfade gefahren? Eines Geschäftes wegen? Oder schweift ihr nur so hin wie Seeräuber über die Salzflut, die da umherschweifen und ihr Leben daran setzen, indem sie Anderen Böses bringen? Die Fragerei ähnelt ganz der ‚echter‘ Gastfreundschaftsszenen, zum Beispiel als Nestor Telemachos und Athene im Anschluss an das gemeinsame Mahl befragt. Allerdings wird in der Höhle des Polyphem alles offen gelassen. Auch wenn das Publikum an andere Gastfreundschaftsszenen erinnert wird, sind die Fragen des Polyphem mit gleichem Recht Fragen, die der Hausherr Räubern stellt, die er auf frischer Tat ertappt hat. Zumal spricht der Kyklop mit donnernder Stimme (umschrieben mit φθόγγος, βαρύς und πέλωρος) ob der Odysseus und seine Mannen erschauern. Eindeutiger ist das gehässige Gastgeschenk (ξεινήιον), das Polyphem Odysseus macht: die Ehre als letzter nach seinen hetaíroi verspeist zu werden: Hom. Od. 9,369 – 370. Die Insel der Kyklopen und die mit Vorräten angefüllte Höhle des Polyphem muten in Odysseus’ Erzählung eher als Kennzeichnen der Lebenswelt von Hirten als der von Ackerbauern an. Auch mit der Konnotation „wild“ und „unzivilisiert“: Hiltbrunner (1972) 1078; Gauthier (1972) 5 – 6 Scott (1982) 13; Scheid-Tissinier (1994) 141 – 142; WagnerHasel (2000) 84 – 85; Stein-Hölkeskamp (2015) 96 – 97. Hom. Od. 9,270 – 271. Hom. Od. 9,275 – 278. Hom. Od. 9,83 – 103.

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ein noch schrecklicheres Mahl, das dem ersten Eindruck nach erlesen, in Wahrheit aber mit bitterer Arglist gewürzt ist. Auch hier macht die Speise die Männer ihre Heimat vergessen. Anschließend verwandelt die Zauberin alle Esser in Schweine, die sie sogleich in den Stall treibt und zu mästen beginnt.175 Wie beim Kyklopen Polyphem wurden die Männer zum Mahl, anstatt eines vorgesetzt zu bekommen.176 In den Apologoi bewegt sich Odysseus immer weiter fort von der bekannten Welt, die alltäglich erfahren wird, hin in ein Reich voller Monster und kaum vorhersehbarer Gefahren, eine fremde Welt, in der ganz andere Regeln gelten als jene, mit denen die Reisenden vertraut sind. Seemannsgarn sei es, was Odysseus bei Wein zusammenspinne, lautet ein altes, indes nachvollziehbares Urteil. Die Metapher ist modern und entstammt einem anderen Kontext; sie ist hier aber nicht ganz unangebracht, beschreibt das Seemannsgarn doch die ausschmückende Erzählung wahrgenommener Wirklichkeit, die irgendwo in den weiten Feldern ­zwischen Fiktion und echtem Erlebnis angesiedelt ist. Es ist eine Aneignung von Erfahrungen. Typischerweise sind ­solche Erzählungen in fernen, kaum oder völlig unbekannten Räumen angesiedelt, die sich als Kulisse geradezu anbieten. Auch können sich fragmentarische, wundersame ‚Informationen‘ zu Geschichten kumulieren. In der Odyssee sind sie kunstvoll eingewoben, was eine Möglichkeit ist, wie sich der Schatz an Informationen in den Quellen ­niedergeschlagen hat, der in den Häfen der Mittelmeerwelt zirkulierte. Die Logoi Herodots künden noch Jahrhunderte ­später von solch einer Raumwahrnehmung. Je weiter weg sich seine Beschreibungen von Land und Leuten der Küstenregionen entfernt, desto phantastischer werden die Berichte über S­ itten und Gebräuche der dort lebenden Menschen. Wenn Herodot im vierten Buch vom Skythenfeldzug des Dareios berichtet, schweift er in seiner üblichen Manier weit vom Kriegsgeschehen ab und bietet eine Ethnographie der Skythen, erzählt von ihren ­Sitten und Bräuchen und ihrer Geschichte.177 Die Skythen werden bei Herodot, je näher sie an den Griechen wohnten, als ansässige Bauern, je entfernter, als goldliebende Nomaden, die blutigen Ritualen frönen, beschrieben.178 Herodot ist für den antiken Barbarendiskurs eine wichtige Referenz;179 dabei wiederholt er allerdings nicht bestehende Klischees, sondern lässt, wie jüngst gezeigt wurde, sowohl die durchaus ambivalenten Erfahrungen griechischer Händler und Siedler als auch naturräumliche Beobachtungen in seine Beschreibung einfließen.180 Je weiter sich Herodot in der Beschreibung von Land und Menschen der Gegend nördlich der Skythen zuwendet und sich von der Schwarzmeerküste wegbewegt, desto vager werden seine Beschreibungen, eine Unsicherheit, die der Historiograph gleich zu Beginn seines Werkes 175

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Hom. Od. 10,233 – 243. Vgl. hierzu Reece (1993) 124. Hdt. 4,5,1 – 15,4. Hdt. 4,17,1 – 20,2. Vgl. nur Bichler (1988); Nesselrath (2009); Männlein-Robert (2012). Schulz (2020) 288 – 301.

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offen darlegt.181 Dieses wenig bekannte Land zeichnet sich durch seine Leere aus. Die letzten bekannten Bewohner, die dort leben, ­seien – eine Entsprechung zum Kyklopenbild bei Homer 182 – Menschenfresser: μετὰ δὲ τὴν ἔρημον Ἀνδροφάγοι οἰκέουσι, ἔθνος ἐὸν ἴδιον καὶ οὐδαμῶς Σκυθικόν.183 Auch in seinen weiteren Beschreibungen erscheinen die Menschenfresser analog zu den Kyklopen bei Homer 184. Sie führen ein Leben ohne Recht und Gesetz und sind Nomaden.185 Vermutlich in Abgrenzung zu Hekataios von Milet unterscheidet Herodot strikt z­ wischen Skythen und androphágoi, die eine ähnliche Kleidung trügen.186 Je weiter entfernt ostwärts von den bekannten griechischen empória Herodot den Blick schweifen lässt, in desto geringerem Maße leben aber auch die Skythen von Ackerbau, dafür häufiger als Nomaden (νομάδες), was eine weitere Ähnlichkeit zu den Kyklopen bei Homer darstellt. Diese Ähnlichkeiten können auf verschiedene Ursachen zurückgeführt werden. Entweder war Homers Odyssee für Herodots Logoi ein literarisches Vorbild oder es handelt sich um eine eigenständige Verarbeitung des Fremden. Herodot erwähnt den Dichter nicht nur,187 sondern Teile seiner Historiai basieren auf dem Stoff Homers: Der Raub der Helena ist als einer der ersten Stadien des Konflikts ­zwischen Griechen und Nichtgriechen benannt;188 in ebenjenem Skythenlogos führt der Historiograph den Dichter an, wenn es sich anbietet, sei es, um seine Argumentation zu untermauern 189, sei es im Zuge chronologischer oder etymologischer Überlegungen 190 oder auch innerhalb der Wiedergabe einer Rede.191 181 Hdt. 4,16,1:

Τῆς δὲ γῆς τῆς πέρι ὅδε ὁ λόγος ὅρμηται λέγεσθαι, οὐδεὶς οἶδε ἀτρεκέως ὅ τι τὸ κατύπερθέ ἐστι· οὐδενὸς γὰρ δὴ αὐτόπτεω εἰδέναι φαμένου δύναμαι πυθέσθαι. – Was aber nördlich von dem Lande liegt, mit dem ich meinen Bericht anfing, darüber weiß niemand etwas Genaues. Ich habe keinen Menschen getroffen, der behaupten könnte, er wisse etwas aus eigenem Augenschein. 182 Vgl. Hom. Od. 10,200: Κύκλωπός τε βίης μεγαλήτορος ἀνδροφάγοιο. 183 Hdt. 4,18,3: Dahinter wohnen die Menschenfresser, ein eigenständiges, aber keinesfalls skythisches Volk. 184 Asheri/Lloyd/Corcella (2007) 656 – 657. 185 Hdt. 4,106,1. 186 Vgl. Asheri/Lloyd/Corcella (2007) 554; 656. Vgl. jüngst auch Schulz (2020) 310 – 315, der dort die Darstellung der tierischen Fremdheit der ‚Randvölker‘ untersucht, die bei Herodot mit naturräumlichen Zuschreibungen verbunden ist. 187 Hdt. 2,23,1; 2,53,2 – 3; 2,116,1 – 117,1; 4,29,1; 4,32,1; 7,161,3. 188 Hdt. 1,3,1 – 4,4. 189 So führt er Homer an, wenn er argumentiert, im Lande der Skythen gebe es wegen der Kälte eine verkrüppelte Rinderrasse ohne Hörner. In warmen Ländern wie Libyen dagegen hätten die Rinder lange Hörner, wofür er wörtlich einen Vers aus der Odyssee (Hom. Od. 4,85) zitiert. Vgl. Hdt. 4,29,1; ähnlich in Hdt. 2,116,1 – 117,1. 190 Hdt. 2,23,1; 2,53,1 – 2. 191 Hdt. 7,131,3. Auch bei der Suche nach Informationen schreibt Herodot, dass sich sowohl bei Hesiod als auch bei Homer die Hyperboreer erwähnt s­ eien, wenngleich er in Zweifel zieht, dass es sich bei den Epigonen tatsächlich um Dichtung Homers handelt: Hdt. 4,32,1.

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Die Verarbeitung der Fremdheitserfahrung – bei Homer oder s­ päter – verweist auf die Wahrnehmung, dass die Regeln der eigenen Kultur nicht überall Gültigkeit besaßen – nicht einmal die von Zeus selbst geschützte Gastfreundschaft. Wenn aber in vertrauteren Räumen, in denen die Normen der Gastfreundschaft akzeptiert waren, operiert wurde, vermochte diese soziale Ressource, weitere Ressourcen zu aktivieren, und wurde offensichtlich als so wertvoll erachtet, dass sie besonders abgesichert wurde; denn innerhalb dieser Normen stand der im Hause des Gastfreundes weilende Gast unter dem Schutz der Götter. Den Gast zu verletzen, galt somit als Frevel und in der Vorstellungswelt der Zeitgenossen drohten allerlei Übel, die die Götter für den Missetäter ersannen. Entsprechende Konzeptionen finden sich im frühen Epos: Zeus selbst fungiert als sanktionierende Instanz und wacht über die Fremden.192 Wer einen Gast oder Schutzbefohlenen schädigte, hatte auch nach hesiodischer Auffassung mit der Strafe der Götter zu rechnen.193 Trotz der Sanktionierung durch die höchste Stelle werden Missachtung und Missbrauch der Gastfreundschaft angeklagt. So ist es laut Hesiod für das verderbte fünfte Zeitalter, in dem er sich selbst mit Bedauern verortet, kennzeichnend, dass auch Gast (ξένος) und Gastgeber (ξενοδόκος) einander nicht Freund (φίλος) ­seien.194 Die Odyssee kennt viele Beispiele, in denen Gastfreundschaft nicht geachtet wird. Nicht immer folgt darauf die Strafe der Götter.195 Selbst ein Held wie Herakles frevelt auf ­solche Weise, denn er tötet Iphitos, der als Gast in seinem Haus verweilt.196 In der Lügengeschichte, die er Eumaios auftischt, stellt sich Odysseus als Opfer eines Menschenhändlers dar, der ihn zu verkaufen suchte, obgleich er unter dem Schutz des Gastrechtes gestanden habe. Diesmal aber ist die Strafe des Zeus für die Frevler schrecklich, denn er versenkt ihr Schiff und rettet allein Odysseus.197 Die Sanktion durch den höchsten der Götter kündet also sowohl von der Wichtigkeit der Gastfreundschaft als auch davon, dass sie mitunter prekär sein konnte. Der Gast war in der Fremde seinem Gastgeber ausgeliefert. In einer strukturellen Position der Schwäche konnte er Misshandlungen, Lösegelderpressungen oder gar seiner Versklavung wenig entgegensetzen, zumal ein Fremder in der Regel keine Verbündeten besaß und auf das Wohlwollen der anderen angewiesen war, vor allem dann, wenn kein kodifiziertes Recht ihn schützte. Der religiöse Schutz garantierte die Sicherheit 192

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Hom. Od. 9,270 – 271; auch: 6,207 – 208; 14,56 – 58; 14,283 – 284. Hes. erg. 327. Hes. erg. 183. Die Szene in der Höhle des Kyklopen bewegt sich ­zwischen Gastfreundschaft und Piraterie. Als Gastfreundschaft ausgedeutet würde Polyphem gegen das heilige Gastrecht auf eklatante Weise verstoßen, indem er die hetaíroi des Odysseus einen nach dem anderen aufspießt und mit sichtlichem Genuss verspeist. Am Ende wird er von Odysseus, der mit List entkommt, geblendet. Auch Schulz (2005) 18 nennt die Piraterie beim Namen. Hom. Od. 21,27: [Ἴφιτος,] ὅς μιν ξεῖνον ἐόντα κατέκτανεν ὧι ἐνὶ οἴκωι. Hom. Od. 14,288 – 313.

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des Fremden, für den es einen rechtlichen Schutz im Sinne eines Schutzes durch seine Zugehörigkeit zur Gemeinschaft nicht gab.198 Der Gastgeber gewährte also seinem Gast Protektion auch gegenüber der Gemeinschaft, in der der Gast keine Rechte besaß. Die Gastfreundschaft war folglich auf einer individuellen Ebene verortet und sie war nicht Grundlage eines Bündnisses ­zwischen politischen Verbänden.199

3.2.4 Hetaíros-Gruppen als Seeräuber Auch weit weniger freundliche Interaktionen als jene, die im Rahmen der Gastfreundschaft erfolgten, sind der Welt Homers nicht fremd. Dass diese dichterische Konzeption durchaus einen Sitz im Leben hatte, vermögen nicht nur klassische, von den homerischen Epen nicht unabhängige Gewährsmänner, sondern auch altorientalische Quellen zu plausibilisieren. In der Retrospektive zeichneten griechische Historiker von der Mittelmeerwelt ihrer Vorväter ein Bild der Gewalt, in dem Seeraub und Beutezüge alltäglich waren. So schrieb Thukydides, dass, nachdem der Austausch über das Meer zugenommen hatte, Griechen wie Barbaren in den Küstenregionen und auf den Inseln in Versuchung gerieten, sich als Piraten (πρὸς λῃστείαν) zu betätigen, entweder auf der Suche nach Gewinn (κέρδος) oder, um sich mit der nötigsten Nahrung (τροφή) zu versorgen. Sie ­seien über jene Städte hergefallen, die nicht von Mauern geschützt oder bloße Ansammlungen von Dörfern waren, um sie zu plündern. Mit d ­ iesem Treiben sei keine Schande (αἰσχύνη) verbunden gewesen, vielmehr hätten jene, die solchen Werken nachgingen, in gutem Ruf (φέροντος δέ τι καὶ δόξης μᾶλλον) gestanden.200 Thukydides benennt an derselben Stelle Dichtung als Quelle für diese Einschätzung: Bei den Poeten werde der Ankommende gefragt, ob er Seeräuber (λῃστής) sei, eine direkte Bezugnahme auf die formelhafte Frage an den Gastfreund.201 Thukydides Anlehnung an Homer in der Darstellung der Seeräuberei erstreckt sich über die ganze Passage und ist nicht auf die Begrüßungsphrase beschränkt. Das Wort λῃστής, das er verwendet, ist seit Homer bezeugt.202 Es hat dieselbe Wurzel wie ληίς, also Beute oder Plündergut, und umschreibt allgemein einen Räuber, das heißt, der Aktionskreis ist nicht auf das Meer beschränkt 203 und es gibt keine semantische Differenzierung ­zwischen Raub

198 Vgl. Sonnabend

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(1996) 25 – 26, der hier von „rechtlichem Schutz“ spricht, den der religiöse Schutz ersetze. Die chronologische Abfolge ist m. E. umgekehrt. Es gab zuerst keinen rechtlichen Schutz, sondern die religiöse Begründung des Schutzes und den Gastfreund als Garanten. Ulf (1990) 205 – 206. Thuk. 1,5,1. Thuk. 1,5,2; vgl. Hom. Od. 3,71 – 73; 9,252 – 255. Souza (2002) 3; vgl. Ebeling (1885) 985 – 987. Ferone (2008) 256 – 257.

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zu Land und zur See, was indes nicht impliziert, dass antike Autoren ­zwischen beidem nicht unterschieden.204 Die historische Forschung betrachtet die Raubzüge, insbesondere im homerischen Epos, zumeist als eigenständiges Mobilitätsphänomen.205 Zum Teil werden sie auch Kriegshandlungen untergeordnet.206 Seeraub und Piraterie werden in Großdarstellungen häufiger erwähnt,207 aber kaum eingehender besprochen. Ältere Darstellungen widmeten sich dem Thema ausführlicher, in jüngerer Zeit finden sich einige kleinere Beiträge.208 Häufig beschränken sich die Arbeiten auf die Betrachtung der griechischsprachigen Schriftquellen. Eine der ersten Erwähnungen einer griechisch-ethnischen Bezeichnung in assyrischen Texten legt den Schluss nahe, dass diese frühen ‚Griechen‘ sich als Seeräuber 209 betätigten. In den Inschriften des assyrischen Königs Sargon  II. tauchen mehrfach die sogenannten „Ia-am-na-a-a“ auf. Das assyrische Wort weist Ähnlichkeiten mit der griechischen Eigenbezeichnung Ἴωνες auf und ist ein Sammelbegriff für die griechischsprachigen Gruppen am Rande des Gebiets des assyrischen Reiches, was im Folgenden deutlich wird. Vor allem die ‚Annalen‘ Sargons II. sind hier erhellend: Er sei mit den Schiffen des Landes Hatti ausgezogen, um jene Ia-am-na-a-a zu unterwerfen, deren Wohnsitze mitten im Meer lägen. Denn diese hätten seit fernster Vergangenheit die Einwohner von Tyros und des Landes Que 210 getötet und den Handelsverkehr unterbrochen. Er habe sie allesamt, klein und groß, mit Waffen niedergestreckt.211 Anhand mehrerer anderer Inschriften präzisiert sich das Bild: Sargon II. habe die ­Ia-am-na-a-a gefangen wie Fische.212 An einer anderen Stelle wird deren Wohnort als das Meer des Sonnenuntergangs, also westlich liegend, beschrieben.213 Jene Ia-am-na-a-a waren offensichtlich ein Ärgernis, da sie sich wie Piraten gebärdeten, sowie ein Gegner, der mit wenigen Streichen besiegt war, nicht bedeutend genug, um ihm mehr als einige wenige Zeilen in langen Auflistungen von Siegen zu widmen. Allerdings stellten sie 204

Souza (2002) 3; 9 mit Strab. 11,2,12. Auch in den homerischen Epen finden sich Beschreibungen von Seeraub, der von bestimmten Gruppen ausgeführt wird. Dabei wird nicht beschrieben, dass Ansiedlungen, die überfallen werden, von diesen Gruppen anderes erreicht werden als mit dem Schiff. Im Falle des fiktiven Sohnes des Kreters Kastor wäre das mit Kreta als Ausgangsbasis schwer möglich. 205 Bravo (1980) 975 – 977; Nowag (1983) 94 – 106. 206 Beispielsweise van Wees (1992) 207 – 217. 207 Vgl. dazu die Klassiker von Sestier (1880); Stein (1891); Ormerod (1978 [1924]) vor allem 15 – 73. 208 Souza (2002) 15 – 26; Jackson (1993) passim; ders. (1995) passim; ders. (2000) passim. 209 So auch die Wertung von Haider (1996) 80. 210 Nach ebd. „Kilikien“. 211 Inschriften Sargons II . Ann. l. 117 – 119, S. 109/319 – 320 Fuchs. 212 Inschriften Sargons II . Zyl. l. 21, S. 34/290 Fuchs; Stier 25 S. 64/304 Fuchs; vgl. auch Prunk l. 15 S. 76/308 Fuchs. 213 Inschriften Sargons II . Prunk l. 15, S. 76/308 Fuchs.

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eine in ausreichendem Maße organisierte Macht dar, um einer befestigten Stadt merklichen Schaden zuzufügen und den Handel zu stören. Es stellt sich also die Frage, ob es sich bei dieser Gruppe um eher lose organisierte Einheiten von Seeräubern oder nicht vielmehr um Hilfstruppen in einem militärischen Konflikt handelte, die Siedlungen angriffen, den Schiffverkehr störten und plünderten. Spätere Berichte legen eine Verstrickung in die Kampfhandlungen mit Babylon nahe. So berichten Berossos von Babylon etwa zum Ende des 4. oder zu Anfang des 3. Jahrhunderts und Abydenos ­zwischen dem 2. und 3. Jahrhundert u. Z. von einer Schlacht.214 Indes muss es sich nicht um dieselben Ereignisse handeln. Im „Nimrud Letter“ 69, einem zeitgenössischen Bericht der Angriffe der Ia-am-na-a-a, schreibt der assyrische Amtsträger Qurdi-Aššur-lamur an seinen König, dass Samsimuruna, Harisû und eine weitere Stadt angegriffen worden s­ eien. Er habe, nachdem ihm vom Angriff berichtet worden war, die Verfolgung aufgenommen. Die Ia-am-na-a-a hätten nichts rauben können. Als sie seine Truppen erspähten, ­seien sie auf ihre Boote gestiegen und in der Mitte des Meeres verschwunden.215 Der Rapport des Qurdi-Aššur-lamur erinnert mehr an das Verhalten einer lose organisierten Seeräuberbande, die, sich ihrer Unterlegenheit gegenüber dem gerüsteten assyrischen Militär wohlbewusst, schleunigst das Weite suchte, ohne nennenswert Beute gemacht zu haben. Doch entstammt ­dieses Bild einer glorreichen Vertreibung der Rechtfertigung des verantwortlichen Statthalters, dem es offensichtlich bei aller Überlegenheit nicht gelungen war, der räuberischen Ia-am-na-a-a habhaft zu werden und ihrem Treiben ein für alle Mal ein Ende zu bereiten. Gerade der Hinweis, dass sie nichts geraubt hätten, scheint verdächtig, nachdem Qurdi-Aššur-lamur erst von Reitern gewarnt werden musste, um dann von Danabu aus die Verfolgung aufzunehmen. Raubzüge erscheinen keinesfalls als ehrenrührig, anders als das Zur-See-Fahren auf der Suche nach Gewinn (κέρδος) wie ein Händler.216 So räumt Odysseus freimütig einen Raubzug gegen die Kikonen ein, als er sich den Phaiaken zu erkennen gibt, oder tischt dem Sauhirten Eumaios, der ihn nicht erkennt, Seemannsgarn auf, das von einem Leben als räuberischer Abenteuer kündet, weist aber den Vorwurf, als Händler zu agieren, wütend von sich.217 Der Raub und die Plünderung der Heimstatt der Kikonen werden als eine sich bietende und dann ergriffene Gelegenheit dargestellt: Auf der Heimfahrt von Troia werden Odysseus und seine Männer vom Wind in das Land der Kikonen verschlagen. Sie verwüsten (πέρθειν) deren Stadt, töten die Männer und rauben deren Frauen (ἄλοχοι) und viele Besitztümer (κτήματα). Nach der Teilung 214 Berossos

FG rH 680 F7c = Eus. S. 13,18 – 15,4 Kahrs; Abydenos FG rH 685 F5 = Eus. S. 17,23 – 18,26 Kahrs. Vgl. dazu Boardman (1981 [1964]) 49. 215 „Nimrud Letter“ 69, zitiert nach Parker (2000) 72, der dankenswerterweise eine Übersetzung bereitstellt. 216 Vgl. Souza (2002) 17; 20. 217 Vgl. Hom. Od. 8,159 – 164; 9,39 – 66; 14,192 – 334. Auf diese ‚ideologische‘ Abgrenzung wird noch zurückzukommen sein. Vgl. dazu Rose (2012) 142 – 144.

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der Beute mahnt Odysseus zu schnellem Aufbruch, doch die hetaíroi schwelgen lieber im Wein der Ausgeraubten und verzehren genüsslich deren Vieh. Das verschafft den Kikonen Zeit, ihre Nachbarn (γεῖτονες) herbeizurufen, die ungleich kriegerischer (ἀρεῖων) sind und sich darauf verstehen, zu Lande und zu Pferd zu kämpfen. Am Morgen kommen diese und es folgt ein Kampf bei den Schiffen, in dem die Männer des Odysseus letztendlich unterliegen und unter herben Verlusten die Flucht ergreifen müssen; jedes der Schiffe verliert sechs hetaíroi.218 Bei der Schilderung des Überfalls fällt die Brutalität auf, mit der wie selbstverständlich zu Werke gegangen wird, ohne dass es eine Aggression oder gar eine etablierte Feindschaft gegeben hätte. Das Einzige, was die Kikonen zum Ziel der räuberischen Männer macht, ist ihre zeitweilige Unterlegenheit. Die gesamte Aktion ist darauf ausgelegt, schnell zuzuschlagen und so die arglosen Opfer möglichst unvorbereitet zu treffen. Nach dem schnellen Angriff mit maximaler Härte soll der ebenso schnelle Rückzug erfolgen, bevor Hilfe geholt werden kann und sich die Ansässigen zu einem bedrohlichen Gegner formieren können. Die Absetzbewegung, die Odysseus zu forcieren sucht, scheitert am Leichtsinn seiner hetaíroi und der offenkundig mangelhaften Durchsetzungsfähigkeit ihres Anführers. Das Unheil in Form heranstürmender Kikonen, das in Homer eindrücklich und dennoch kontrastierend mit den Blättern und Blüten des Frühlings beschrieben ist, ereilt die in müder Selbstzufriedenheit Ruhenden umgehend. Der Rückzug zum Schiff muss gesichert werden: Es ist kein Zufall, dass der verlustreiche Kampf eben dort entbrennt. Die homerische Konzeption des Überfalls auf die Kikonen weist große Ähnlichkeiten zu den im „Nimrud Letter“ 69 geschilderten Vorfällen auf, wobei hier eine Ordnungsmacht in Form des assyrischen Reichs auf den Plan tritt. Die Selbstverständlichkeit von Odysseus’ Vorgehen gegen die Kikonen wird nicht dadurch abgemildert, dass er den Priester Apollons samt Frau und Kindern verschont, denn dem Helden werden prachtvolle „Geschenke“ gemacht, darunter Wein, sieben Talente Gold, ein feingearbeiteter silberner Becher – der Verdacht, dass es sich um Bestechung handelt, mag sich aufdrängen.219 An einer einzigen Stelle scheint eine moralische Sanktionierung des Seeraubes auf: Der Vater des Freiers Antinoos, Eupeithes, habe sich mit seeräuberischen Taphiern (ληιστῆρες Τάφιοι) zusammengetan und die Thesproten beraubt. Daraufhin hätten ihn die Ithaker töten und sein Haus plündern wollen, da sie mit jenen verbündet (ἄρθμιος) gewesen ­seien. ­Odysseus habe sie schließlich zurückhalten können.220 Auch hier ist es nicht der Raub an sich, der als verwerflich betrachtet wird, sondern es wird Anstoß daran genommen, an wem er verübt wurde.221 Auch gehören die Eupeithes Zürnenden nicht der Elite der basileís an. Sein Standesgenosse Odysseus hingegen unterstützt ihn und wendet das 218

Hom. Od. 9,39 – 66. Hom. Od. 9,196 – 211; vgl. Jackson (1995) 98. 220 Hom. Od. 16,424 – 430. 221 Vgl. Jackson (1995) 98. 219

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­ erderben ab, ein weiterer Beleg dafür, dass Seeraub in der Welt der basileís keinesV falls als verwerflich galt.222 Auch jenseits dieser Kreise scheint sich der Unmut nur bei direkter oder indirekter Betroffenheit geäußert zu haben. Die Opfer solcher Raubzüge hatten ob des Leides, das sie erfuhren, naturgemäß eine andere Perspektive als die Räuber.223 Zudem gehörten die hetaíroi nicht durchweg dieser Elite an. Eine Inschrift aus Didyma aus dem 6. Jahrhundert, in der vermutlich Seeräuber um die Billigung ihres Treibens durch Apollon bitten, könnte darauf hindeuten, dass Raubzüge weithin Akzeptanz fanden.224 Auch die Lügengeschichte, die der unerkannte Odysseus Eumaios auftischt, entstammt nicht unmittelbar der Welt der basileís: Die ‚Biographie‘, die der Held darlegt, ist zwar eine Fiktion in der Fiktion, die aber die Welt außerhalb der Erfindung beschreibt: Sein Vater sei Kastor, Sohn des Hyalos, ein reicher (ἀφεινος, ὄλβος, πλοῦτος) und geachteter (τίειν) Mann auf Kreta gewesen. Er habe zahlreiche Brüder gehabt, seine M ­ utter sei aber eine gekaufte Frau (ἐμε δ’ ὠνητὴ τέκε μήτηρ) gewesen. Dennoch habe ihn sein Vater geachtet. Nach dessen Tod habe er nur ein Haus und ansonsten wenig von seinen Brüdern erhalten, aber bald eine Frau aus einer begüterten Familie geheiratet. Dann jedoch sei alles dahingegangen (v͂ υν δ’ ἤδε πάντα λέλοιπεν) und Elend (δύη) habe ihn heimgesucht.225 Der hier von Odysseus geschilderte Mann befindet sich am Beginn seiner selbständigen Existenz nach dem Tod des Vaters in einer benachteiligten Lage, weil er in geringerem Maße erbberechtigt ist als seine Brüder. Homer ist hier nicht allzu weit entfernt von den Rechtszuständen, die in den frühen Poleis greifbar sind.226 Einer solchen ökonomischen Exklusion aus der Gemeinschaft dürfte ein gewisses Mobilitätspotential innegewohnt haben.227 Mobilität war natürlich nur eine Option, wenn man nicht gänzlich mittellos war. In dem von Homer geschilderten Fall ist der fiktive Kreter nicht ohne jeden Besitz, sondern sieht sich vielmehr benachteiligt. Er selbst verschafft sich trotz aller Widrigkeiten eine Braut aus reichem Hause und dann erst ereilt ihn wirklicher Mangel, dessen Ursache sich im Folgenden andeutet:228 222

Vgl. zu ­diesem Urteil auch Bravo (1980) 953 – 983. Souza (2002) 20. 224 ID idyma 11. Der Anfang der mittlerweile verlorengegangenen Inschrift fehlt, sodass ein Restzweifel bleiben muss. Vgl. zur Inschrift Jackson (1995) passim, der die eben vorgeschlagene Lesart propagiert; indes führt er hierzu zum Teil dieselben Belegstellen an, wie sie auch hier verwendet wurden. 225 Hom. Od. 14,199 – 215. 226 Solon schrieb beispielsweise für Athen fest, dass uneheliche Kinder nicht erbberechtigt waren. Sol. nom. F50a = Aristoph. av. 1660 – 1662. In anderen Poleis existierten andere Regelungen, bei denen ebenfalls uneheliche Kinder ganz oder teilweise vom Erbe ausgeschlossen wurden. In Gortys auf Kreta waren die Söhne in späterer Zeit die hauptsächlich Erbberechtigten, wobei der Vater über die Teilung vorab bestimmen konnte. ICret IV 72 = ICret IV 144 Koerner 154 = ML 41. 227 Vgl. Kapitel 2.1.2 Oíkos und geitonía, 76 – 85. 228 Wahrscheinlich ist es nicht die zu entrichtende Brautgabe, die ihn in die Armut treibt. 223

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Ἔργον δέ μοι οὐ φίλον ἔσκεν οὐδ’ οἰκωφελίη, ἥ τε τρέφει ἀγλαὰ τέκνα, ἀλλά μοι αἰεὶ νῆες ἐπήρετμοι φίλαι ἦσαν […].229 Die Arbeit aber war mir nie lieb, noch das Mehren des oíkos, der die blühenden Kinder nährt. Mir waren immer beruderte Schiffe lieb […]. Es ist eine Entscheidung zu einem anderen Leben, die hier getroffen wird; sie beschwört innerhalb der dichterischen Komposition den (Beinahe-)Niedergang des oíkos h ­ erauf, der mit dem stoppeligen Acker bildlich dargestellt ist.230 Die Raubzüge sind nur benannt und nicht weiter ausgeschmückt. Neunmal habe er Züge gegen Männer, die in fernen Ländern wohnten (ἄνδρες ἀλλοδαποί), geführt (ἄρχειν). Alles Geraubte sei geteilt und so sein oíkos reich und geachtet geworden.231 Beute besteht in der Welt der Ilias und der Odyssee aus Naturalien, die sich schnell mitführen ließen, wie Vieh, Wein oder Käse, kostbaren Objekten, Metallen und auch Sklaven.232 Innerhalb dieser Konzeption muss der fiktive Kreter aufgrund seiner Stellung über ein entsprechendes Ansehen – vielleicht auch Charisma – verfügen, da es ihm gelingt, Männer für sein Vorhaben zu werben, die ihm dann auch folgen. Auch weitere, ererbte soziale Ressourcen, die er als Sohn eines hochgeachteten Vaters innehatte, kommen infrage, wobei er, wie wir am Beispiel des Telemachos gesehen haben, diese durch andere Ressourcen hätte aktivieren müssen. Jedes Herrschaftsverhältnis, das einmal begründet wurde, muss stetig reproduziert werden, um fortzubestehen.233 Dessen Grundlagen können erodieren, wenn die Beherrschten sich der zugrundeliegenden Willkür bewusst werden. Gerade das Verhältnis in der Lügengeschichte des Odysseus ­zwischen dem „Kreter“ (also Odysseus) und den Männern, die er in Beutezüge führt, ist prekär, denn die Ressourcen, auf die sich seine Rolle als Anführer stützt, sind nicht von Dauer und müssen erneuert werden: Er ist der Sohn eines angesehenen Vaters, aber von einer gekauften Frau. Nach eigenem Bekunden hat er seine Tugendhaftigkeit mehrfach im Kampf unter Beweis gestellt.234 Wenngleich er von seinem Vater her über ein gewisses Ansehen verfügt, das er gestärkt durch eigene Leistungen in soziale Ressourcen überführen kann, ist er nicht Teil der Elite, was ihm eine größere Nähe zur Rolle des Anführers verschafft

229

230 231

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234

Hom. Od. 14,222 – 224. Hom. Od. 14,214 – 215. Hom. Od. 14,229 – 334. Souza (2002) 19; Vgl. neben den im Folgenden genannten Stellen zur Beuteteilung auch Hom. Il. 18,28; Hom. Od. 1,397 – 398. Das gilt auch für auf Charisma gegründete Herrschaftsverhältnisse, dessen Träger sich stetig in einer Weise „bewähren“ muss, wobei die „Anerkennung“ der Beherrschten ausschlaggebend ist. Weber (2009 [1972]) 140 – 141. Hom. Od. 14,222 – 231; 14,216 – 231.

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hätte. Umso mehr hängt seine Position vom Erfolg seiner Unternehmungen ab, von denen auch seine Männer profitieren müssen. Von einer ausgereiften Planung, die der Anführer zu leisten hatte, erfahren wir nichts. Im Gegenteil deutet das Epitheton πολύπλαγκτος, das die Seeräuber charakterisiert, auf ihr stetes Umherstreifen, wenn nicht gar -irren, hin.235 Bei der Reproduktion des Herrschaftsverhältnisses kommt der Teilung der Beute eine entscheidende Rolle zu: Nach der Plünderung einer Siedlung wird das Geraubte verlost (λαγχάνειν). Der Anführer scheint hier eine Art Vorgriffsrecht zu besitzen, denn es heißt ἐξαιρεύμην μενοεικέα.236 Von dezidiert gleichen Anteilen spricht Homer im Zusammenhang mit der Aufteilung der Beute bei den Kikonen: Ἐκ πόλιος δ’ ἀλόχους καὶ κτήματα πολλὰ λαβόντες δασσάμεθ’, ὡς μή τίς μοι ἀτεμβόμενος κίοι ἴσης.237 Und als wir aus der Stadt die Weiber und viele Güter genommen hatten, verteilten wir sie unter uns, sodass mit keiner des gleichen Anteils verlustig ginge. Der Akt des Teilens geschieht hier gemeinsam (δασσάμεθα ist 1. Person Plural) und zu gleichen Teilen. Das μοι deutet aber darauf hin, dass Odysseus über die Zuteilung wacht, wenn nicht gar die Lose ausgibt, also darüber entscheidet, worin ein gleicher Teil – zusammengesetzt aus jeweils ungleichen Beutestücken – besteht. Die doppelbödige Passage, die vom ‚Besuch‘ bei Polyphem handelt, lässt sich – neben weiteren Lesarten – auch als Raubzug betrachen,238 an dessen Ende die Plünderung der Habseligkeiten des Kyklopen steht. Nachdem Odysseus mit seiner reduzierten Mannschaft das Weite gesucht hat, gehen sie erneut an Land und teilen die Beute untereinander auf. Homer wählt eine ähnliche Formulierung: δασσάμεθ’, ὡς μή τίς μοι ἀτεμβόμενος κίοι ἴσης.239 Indes erhält Odysseus hier erneut einen zusätzlichen Anteil: ἀρνειὸν δ’ ἐμοὶ οἴωι ἐϋκνήμιδες ἑταῖροι / μήλων δαιομένων δόσαν ἔξοχα· […]240 Seine 235

Vgl. Hom. Od. 17,425. Hom. Od. 14,232 – 334. Vgl. auch Hom. Od. 9,159 – 160. 237 Hom. Od. 9,41 – 42. 238 Homer spielt hier mit den Motiven Gastfreundschaft und Raub, die er immer wieder humorvoll miteinander verwebt. So lässt er Polyphem Odysseus und seine hetaíroi in der abgewandelten Formel für Gastfreunde einerseits wie üblich fragen, wer diese ­seien und woher sie kämen, aber auch ob sie Räuber ­seien. Hom. Od. 9,252 – 255. Gerade Letzteres hatten die hetaíroi, die den Reichtum des Polyphem gerade gierig begutachtet hatten, offensichtlich im Sinn, jedoch ist es Odysseus, der bleiben möchte, um sich bewirten zu lassen, also genau umgekehrt, wie es sich bei den Kikonen zugetragen hatte. Hom. Od. 9,224 – 227. Am Ende ist es aber wieder Odysseus, der das Plündern anordnet. Hom. Od. 9,469 – 470. Vgl. auch Schulz (2005) 18. 239 Hom. Od. 9,549. 240 Hom. Od. 9,550 – 551. 236

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Rolle als Anführer wird durch den weiteren Beuteteil allen vor Augen geführt. Ein solcher Ehrenteil ist bei Homer häufig als γέρας, an einer Stelle auch als πρεσβήϊον bezeichnet 241 und wurde aufgrund des Status zuerkannt, nicht aufgrund einer für die Gruppe akut bedeutsamen Leistung,242 wie es sich an der folgenden Passage zeigen lässt: Als Odysseus und seine hetaíroi auf einer Insel landen, die dem Land der Kyklopen gegenüberliegt, treiben sie dort Ziegen zusammen. Odysseus kommt hierbei keine tragende Rolle zu. Er erhält dennoch zehn Tiere, die anderen aber nur jeweils neun.243 Auch in der Forschung maß man der Beuteteilung große Bedeutung bei;244 sie wurde unter anderem als eine Grundlage des Herrschaftsverhältnisses des basileús über seine hetaíroi angesehen, vor allem in Ansätzen, die die basileís, angelehnt an die Arbeiten des amerikanischen Ethnologen Marshall Sahlins,245 als big men verstehen. Mit ­diesem Terminus wird innerhalb von Sahlins’ Konzept, das an sogenannten ‚tribalen‘ Gemeinschaften entwickelt wurde, ein Status basierend auf Loyalitäten, die wiederum durch Gaben gestiftet wurden, beschrieben.246 Walter Donlan betont die Schlüsselrolle, die Reziprozität und die Verteilung von Beute und anderer Güter bei der Reproduktion des Herrschaftsverhältnisses z­ wischen basileús und hetaíroi einnahmen, wobei er ­dieses Verhältnis als durchaus dynamisch charakterisiert: „[hetaíroi] regard themseleves as equal among one another and equal to their leader.“ 247 Diese Interpretation wird indes nicht von allen geteilt. So kritisierte Pierre Carllier, der eher der traditionellen Sichtweise, basileís als ‚(Klein-)Könige‘ aufzufassen, verpflichtet ist, Ansätze wie jenen Donlans. Diese gingen von Potlatch aus, einem Wettbewerb, in dem die Kontrahenten möglichst viel Reichtum aufwenden; jener sei aber nicht in den homerischen Epen auffindbar.248 Indes gesteht Carlier zu, dass sich das Konzept zur Analyse des archäologischen Befundes der ‚Dunklen Jahrhunderte‘ als durchaus nützlich erweisen könnte.249 Wie gewichtig der Einwand ist, hängt insbesondere davon ab, wie strikt zum einen die Definition von Potlatch ausgelegt, zum anderen, ob allein auf der Basis von Homer oder aus einer breiteren 241

Das Wort γέρας bezeichnet allerdings auch allgemeiner ein Geschenk, weswegen es sich häufiger in den Epen findet (Hom. Il. 1,118; 1,120; 1,123; 1,133; 1,135; 1,138; 1,161; 1,163; 1,167; 1,185; 1,276; 1,356; 1,507; 2,240; 4,49; 4,323; 9,111; 9,344; 9,367; 9,422; 16,54; 16,56; 16,457; 16,675; 18,444; 19,89; 20,182; 23,9; 24,70; Hom. Od. 4,197; 7,10; 7,150; 11,175; 11,184; 11,534); πρεσβήϊον ist dagegen deutlich seltener (Hom. Il. 8,289) anzutreffen. 242 Vgl. Nowag (1983) 36 – 40. 243 Hom. Od. 9,159 – 160. 244 Das im Folgenden Dargelegte ist eine Weiterentwicklung von Überlegungen, die ich bereits in einem Aufsatz angestellt habe. Vgl. Delp (2021a). 245 Sahlins (1958). 246 Fuchs-Heinritz (2007) 98. 247 Donlan (1999) 350 Vgl. auch Donlan (1982); Donlan (1998). 248 Carlier (2007) 122. 249 ders. (2007) 128 So bereits angewandt u. a. von Kistler/Ulf (2005); Ulf (2007); Ulf (2015).

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historischen Perspektive heraus argumentiert wird.250 Diese Debatte scheint hier wiederum weniger wichtig zu sein. Die Konzeption von basileís als big men weist eine gewisse Nähe zu der hier eingenommenen Ressourcenperspektive auf, das zugrunde gelegte Sozialmodell ist indes ein anderes. Während Gaben und Konsumption im Kontext der big men das zentrale Element darstellen, sind sie hier als Ressourcen in eine soziale Praxis eingebettet; sie dienen dabei dem basileús einerseits dazu, seine Position im Feld zu behaupten und möglicherweise zu verbessern; andererseits fungieren sie als Ressourcen zur Reproduktion des Feldes selbst. Dabei setzt die Möglichkeit, Beute zu verteilen, eine Machtposition voraus, die durch den Akt des Verteilens reproduziert wird. Tatsächlich hat Odysseus eine ­solche Stellung inne, denn er ist in der Lage seinen hetaíroi Anweisungen zu erteilen, die sie – abgesehen von den bereits erwähnten tragischen Ausnahmen, die die Handlung der Irrfahrt weiter vorantreiben – befolgen.251

3.2.5 Zusammenfassung: Mobilität als Nahbeziehung Anhand der Bauweise von Schiffen und der Beschreibungen von seemännischen Praktiken, die Gegenstand des vorangegangenen Kapitels waren, haben wir eingangs plausibilisiert, dass Seefahrt insbesondere unter Zeitdruck einen Bedarf an klaren Kommandostrukturen erzeugte, die sich mit Max Weber als Herrschaftsverhältnis verstehen lassen. Diese Herrschaft stützte sich auf Ressourcen, wie etwa das bereits identifizierte nautische Wissen, das dazu geeignet war, den Anführer von seinen Männern abzusetzen. Allein durch diesen potenziellen Wissensvorspung lässt sich allerdings die Stabilität von Odysseus’ Führungsanspruch über seine hetaíroi nicht erklären, sodass von weiteren Ressourcen, auf die sich das Herrschaftsverhältnis stützte, auszugehen ist. Bei der Untersuchung der Beziehung des basileús zu seinen Fahrtgenossen zeigte sich ein Set an Ressourcen, auf das er seinen Herrschaftsanpruch stützen konnte. So schafft es Telemachos, insbesondere mit Mentes (dessen Gestalt Athene angenommen hatte), an die sozialen Ressourcen seines Vaters anzuknüpfen, wobei diese nicht ererbt werden konnten, sondern mit anderen, vor allem symbolischen Ressourcen aktiviert werden mussten, etwa durch Tugenden, die er zuvor unter Beweis gestellt hatte. Möglichkeiten hierzu bot neben dem Krieg der sportliche Wettkampf. Eine weitere wichtige soziale Ressource, die Telemachos nicht aufgrund seiner Abkunft innehatte, findet ihren Ausdruck in der φιλότης, die ihm vor allem von den hetaíroi seines Alters entgegengebracht wurde. Weitere symbolische Ressourcen, die einen basileús von anderen abhoben und ihn so zur Anführerschaft prädestinierten, waren 250

Ferner lassen die Bemerkungen von Ulf (1990) 226 – 227 zur Verteilung von Gütern im Kontext von big men und basileís Calliers Einwände möglicherweise weniger gewichtig erscheinen. 251 Vgl. allein Odysseus’ Schilderungen seiner Irrfahrt im neunten Gesang der Odyssee.

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die Zurschaustellung des eignen Lebensstils,252 etwa indem er Gaben verteilte, Gastmähler abhielt oder Fremde im Rahmen der Gastfreundschaft 253 aufnahm. Im Hinblick auf Mobilität ist diese Sozialbeziehung, die Nähe auch über große Entfernungen generierte, von besonderer Bedeutung. Gastfreundschaften pflegten die Eliten auch jenseits der griechischen Welt, wofür sie ökonomische Ressourcen für die Bewirtung des Gastes und teilweise für kostbare Gastgeschenke aufwandten; beides wird in den Quellen als ξενία bezeichnet. Diese Ressourcen haben im Kontext der Gastfreundschaft stets eine symbolische Komponente, das heißt, der Wert von Gastgeschenken war nicht im Wesentlichen – gewissermaßen avant la lettre – monetär bestimmt. Vielmehr waren sie Teil einer rituellen Praxis, die sie aufrechterhielten und so soziale Ressourcen generierten, die dem basileús und auch seinen Fahrtgenossen in der Fremde zum Vorteil gereichen konnten; dazu zählen der Schutz der Gastfreundschaft, eine Unterkunft und ein Vermittler vor Ort. Wenngleich Gastfreundschaften keine politischen Bündnisse ganzer Gemeinwesen darstellten, sind sie das Leitmotiv der ktísis Massalias,254 was als ein Anhaltspunkt fungieren könnte, dass Gastfreundschaft auch Migration begünstigen konnte. Zudem dürfte der Austausch über größere Entfernungen hinweg – konnektivitätstheoretisch gesprochen – dazu beigetragen haben, die Welt kleiner werden zu lassen. Denn neben dem personalen Element (bzw. den sozialen Ressourcen) ermöglichte der Rahmen der Gastfreundschaft Informationsfluss, sodass Wissensressourcen generiert wurden, was sich an der Bedeutung der Befragung in der rituellen Praxis der Gastfreundschaft zeigt. Mitunter – auch das zeigen die Quellen – konnte Gastfreundschaft oder das Anbahnen einer solchen Beziehung dramatisch scheitern, was darauf verweist, dass sie als Norm nicht über alle Kulturgrenzen hinweg Gültigkeit besaß. Homer diskutiert im Kontext der Gastfreundschaft eine Vielzahl von Fremdheitserfahrungen, die das Reisen mit sich brachte und die nicht selten in Gefahren mündeten. Auch hetaíros-Gruppen selbst konnten insbesondere für Ansässige zur Gefahr werden. In den homerischen Epen erscheinen brutale Raubzüge, mit denen Plünderung, Mord und Versklavung einhergingen, alltäglich. Das Bild findet nicht nur bei den Historikern klassischer Zeit eine, zugegeben von den Epen nicht vollends losgelöste, Bestätigung, sondern auch assyrische Quellen verweisen darauf, dass diese Praktiken einen Sitz im Leben hatten. Hetaíros-Gruppen im Umfeld der basileís waren für den Raub prädestiniert, da sie einen fest verbundenen Verband bildeten, der durch die Teilung der Beute reproduziert wurde, und sie ohnehin im Umgang mit Waffen geübt waren. Als Mobilitätsform ergeben sich einige Besonderheiten: Der materielle Aufwand konnte unmittelbar durch errungene ökonomische Ressourcen entschädigt werden. 252

Hierbei setzte er ökonomische Ressourcen ein, die aufgezehrt und so in symbolische Mittel transferiert wurden. 253 Ulf (1990) 203 sieht in der Gastfreundschaft indes eine „allgemeine Norm“ und ein „wesentliches Kennzeichen des gesitteten Menschen“, das sich nicht auf die Elite beschränke. 254 Vgl. dazu Kapitel 4.4 ‚Leeres Land‘, 286 – 302.

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Bahnen der Mobilität

Auch konnte mit weniger Proviant gereist werden, wenn man unterwegs darauf hoffen konnte, verzehrbare Vorräte zu rauben. Der Anführer und seine Fahrtgenossen konnten nach ihrer Rückkehr mit ihren ökonomischen Ressourcen auch symbolische Ressourcen akkumulieren, und so ihre Position in der Gemeinschaft verbessern. So wie er einerseits die Ressourcen der Ansässigkeit bei den Opfern erodiert, vermag Seeraub sich andererseits begünstigend auf Ansässigkeit auszuwirken. Denn nicht nur die Position des Anführers des Raubzuges wird durch die gewonnenen symbolischen und ökonomischen Ressourcen gestärkt. Zugleich werden der Ortsgemeinschaft Ressourcen zugeführt. Auch die weiteren Ressourcen, die als Mittel zur Behauptung oder Verbesserung der Position eines einzelnen Akteurs im Feld fungieren, sind, wie im theoretischen Teil der Arbeit angenommen, zugleich Ressourcen des Feldes und dienen dessen Reproduktion bzw. dessen anpassender Veränderung an neue Gegebenheiten, wofür sie Handlungsspielräume schaffen. Auch Informationen konnten sich als nützlich erweisen. Inwieweit aus Raubzügen Ansässigkeit erwuchs, bleibt fraglich. Sicherlich konnte Wehrhaftigkeit 255 das Ansässigwerden begünstigt haben; jedoch ist die Form der Mobilität ja gerade darauf angelegt, nach dem erfolgreichen Schlag schnell das Weite zu suchen. Allerdings berichtet Thukydides, Zankle sei von Kyme ausgehend von Seeräubern gegründet worden.256. Wenngleich das Ausziehen für Beute eine eigenständige Form von Mobilität bildete, waren die Übergänge zu anderen Mobilitätsformen mitunter fließend. Aus Räubern konnten Söldner werden, aus Söldnern Räuber, was ein Blick in die Quellen klassischer Zeit zu plausibilisieren vermag. So schreibt beispielsweise Herodot, dass die Söldner, die in den Dienst Psammetichos’ II. von Ägypten traten, zunächst auf Raub aus waren.257 Auch Homers Darstellung des kretischen Piraten lässt den Räuber als einen im Krieg geübten Mann erscheinen.258 Übergänge zum Handel sind trotz scharfer Trennung nicht ausgeschlossen. Auch wenn man davon ausgeht, dass Anteile an der Beute zumeist direkt dem eigenen oíkos einverleibt wurden, was bei haltbar gemachten Naturalien, Prestigeobjekten und bis zu einem gewissen Grad auch bei Vieh möglich war, stellt sich doch zumindest bei Sklaven die Frage der Zweckmäßigkeit und der Versorgung, sodass Verkauf schnell zur Option geworden sein dürfte. Auch werden handeltreibende Phoinikier in der Odyssee zu Menschenräubern und die Taphier treten zeitweise als Händler, dann wieder als Seeräuber in Erscheinung.259

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Ferner begannen vulnerable Siedlungen, sich gegen die Angreifer zu wappnen, indem sie Wehranlagen errichteten, sich reorganisierten oder gar den Siedlungsort an einen Platz verlegten, der sich besser verteidigen ließ. Solche Strategien wiederum stellen auch eine Ressourcenrekonfiguration dar. Thuk. 6,4,5 berichtet ferner, dass sie aus Kyme gekommen ­seien. Vgl. Hornblower (2010) 293. Vgl. Kapitel 3.2.3 Gastfreundschaft, 182 – 194. Hom. Od. 14,202 – 203; 14,216 – 231. Vgl. Kapitel 3.3 Händler und Handel, 205 – 228.

Händler und Handel

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3.3 Händler und Handel 3.3.1 Bemerkung zur Bedeutung des Handels Einflussreiche Darstellungen der Migrationen der griechischen Archaik wie jene John Boardmans betonten die Bedeutung des Handels, die Alan Blakeway mit der Sentenz „the flag followed trade“ 260 pointiert zum Ausdruck brachte. Wie bereits in Teil 1 dargelegt,261 boten die Nähe dieser Darstellung zum Kolonialismus der Moderne und die suggerierte fortgeschrittene Staatlichkeit – bei Blakeway durch die Flagge repräsentiert – Anlass zur Kritik. Während diese Einwände weniger gegen einen multikausalen Ansatz in Stellung gebracht werden können, erscheint für die Untersuchung des Handels als Mobilitätsform eine weitere Debatte umso bedeutsamer: In der Forschung stehen sich seit dem späten 19. Jahrhundert zwei gegensätzliche Standpunkte zur antiken Wirtschaft gegenüber. Während die eine Position 262 die grundsätzliche Vergleichbarkeit moderner Produktions- und Wirtschaftsweisen mit denen der Antike anerkennt, betont die andere die Begrenztheit der Entfaltungsmöglichkeiten der antiken Wirtschaft, da damals jedes Wirtschaften an einen politisch-institutionellen Rahmen gekoppelt gewesen sei.263 So wurde der erstgenannten Position Modernismus vorgeworfen, die zweite wurde wiederum als „primitivistisch“ etikettiert. Sogenannte „primitivistische“ oder „institutionalistische“ 264 Positionen, wie sie prominent von Moses Finley 265 vertreten wurden, überwiegen in der Tendenz bis heute.266 Die Wirtschaft in der Antike im Allgemeinen und in der Archaik im Besonderen sei irrational und nicht mit modernen ökonomischen Theorien analysierbar. Daneben gab es stets Ansätze, die sich von dieser Perspektive abgrenzten.267 Diese Uneinigkeit liegt auch in der Quellenlage begründet. Zahlreichen archäologischen Zeugnissen,268 die einen materiellen Austausch belegen, stehen einige Bruchstücke schriftlichen Quellenmaterials gegenüber, das für die Frage nach Wirtschaft und Handel herangezogen werden kann. Der 260

Blakeway (1933) 202. Vgl. Kapitel 1.2.2 (Versteckte) Modelle, 15 – 19. 262 Klassisch vertreten von Meyer (1895) passim gegen Bücher (1893) passim. Vgl. zur Kontroverse Finley (1979) passim; Schneider (1990) passim; Reden (2015a) 91 – 95. 263 Vgl. zusammenfassend Reden (2015b) 974 – 976 und ausführlicher dies. (2015a) 89 – 105. 264 Dieser treffendere Benennungsvorschlag findet sich bei Reden (2015b) 976. 265 Finley (1977 [1973]) passim. Zur geringen technischen Innovation im Kontext der antiken Wirtschaft vgl. ders. (1981) passim. 266 Vgl. nur Morley (2004) 33 – 51. 267 V. a. Hopkins (1978); Hopkins (1980); Hopkins (1983a); Hopkins (1983b); Hopkins (2002). 268 In jüngerer Zeit ist wieder der Versuch unternommen worden, den archäologischen Befund mit quantitativen Methoden zu deuten. Vgl. hierzu den Überblick bei Reden (2015a) 98 – 101. 261

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materielle Befund wiederum erlaubt nicht in demselben Maße wie Schriftzeugnisse Rückschlüsse auf die sozialen Praktiken der Menschen, die diese Artefakte einmal transportiert oder genutzt haben. Keramik, die von einem Ort an einen anderen transportiert wurde, setzt Töpfer, Vasenmaler, Transporteure und Nutzer noch nicht in eine klar bestimmbare Sozialbeziehung. Diese Sozialbeziehung muss ergänzt werden, woraus wiederum mehrere Möglichkeiten erwachsen. Artefakte sind folglich ein Indikator für Austausch, sagen zunächst aber nichts darüber aus, wie dieser Austausch organisiert war. Ob es sich um Handel, Gabentausch oder um zur eigenen Versorgung Mitgeführtes handelte, ist in erster Linie eine Frage, zu deren Beantwortung Schriftquellen heranzuziehen sind. Mitunter ergeben sich aus dem materiellen Befund allerdings Plausibilitäten. So geben Art und Quantität der Funde den Interpretationsrahmen vor. Dementsprechend plausibilisieren große Mengen an Transportgefäßen, wie Amphorae, das Stattfinden von Handel. Aber auch in solchen Fällen erlaubt der Befund eine große Varianz hinsichtlich seiner Deutung. Meines Erachtens lässt sich die Tendenz innerhalb der altertumswissenschaftlichen Forschung ausmachen, den Einfluss des Handels nicht abzustreiten, ihn aber zu relativieren 269 und Einzelfälle 270 genauer zu betrachten. Der archäologische Befund deutet – im Rahmen solcher Plausibilitäten – auf eine Transformation der griechischen Wirtschaft im Zeitraum ­zwischen 700 und 500 hin.271 Ein Indikator ist die Verbreitung griechischer Keramik im Mittel- und Schwarzmeerraum: Seit dem späten 9. oder führen 8. Jahrhundert findet sich euboiische Keramik 272 im Nahen Osten und Italien, aber das Gros der griechischen Tonerzeugnisse ist nur lokal gebräuchlich. Mit Ende des 8. Jahrhunderts beginnt die rasante Verbreitung korinthischer Feinkeramik: Wurde diese in der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts noch vor allem um den Golf von Korinth und auf den Ionischen Inseln gefunden, ist sie wenige Jahrzehnte ­später in nahezu allen bekannten Siedlungen vertreten, die griechisch besiedelt 273 waren.274 Als weitere Handelsgüter müssten indes neben Sklaven und natürlichen Rohstoffen vor allem agrarische

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So bereits festgestellt von Bernstein (2004) 20 – 21. Vgl. zur Tendenz der Relativierung bei grundsätzlicher Anerkennung der Rolle des Handels Starr (1977) 62 – 6 4, der die Frage danach stellt, ob nicht der Handel eher der Migration folge und nicht umgekehrt; Coldstream (1977) 221 – 223; Graham (1982) 158 – 159. Die geschieht beispielsweise in der Diskussion einzelner émporia. Vgl. dazu Kapitel 3.3.3 Empória, 217 – 226. Osborne (2013) 300. Daneben fand in erheblich kleinerem Umfang auch attische Keramik eine gewisse Verbreitung. Indes ist ebenjene korinthische Keramik der wichtigste archäologische Indikator für griechische Besiedlung. Vgl. hierzu immer noch den methodischen Aufsatz von Kramer (1977). Osborne (2013) 284 – 285.

Händler und Handel

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Produkte angenommen werden,275 da die Verbreitung von Luxusgütern noch keinen intensiven Handel voraussetzt und der Fund eines bestimmten Typs Keramik zunächst als ein Indikator für den vorherrschenden Geschmack anzusehen ist. Da ­solche agrarischen Produkte nicht überdauern, suchte man nach Transportgefäßen. Die in Athen produzierten SOS -Amphorae, teilweise dekorierte Gefäße, die sich zum Warentransport eigneten, waren vom späten 8. bis zur Mitte des 6. Jahrhunderts gebräuchlich und fanden enorm große Verbreitung.276 Insgesamt lässt sich gerade ab dem 6. Jahrhundert eine Vielzahl von Keramik fassen, die einem nichtagrarischen Kontext entstammte.277 Statt sich der umfassenden Frage nach der Existenz von Märkten zu widmen, sind die Mobilität von Gütern und Menschen sowie deren literarische Konzeption in den Quellen Gegenstand der folgenden Betrachtungen, insbesondere im Hinblick darauf, inwieweit der Austausch von Gütern und die damit verbundenen Formen von Mobilität Ressourcen für Migrationsbewegungen generieren konnten. Hieran schließt eine Auseinandersetzung mit dem antiken und dem modernen Konzept des empórion (zunächst am Beispiel von Naukratis) an, zumal die grundsätzlich gute Dokumentation in den Schriftquellen, vor allem durch Herodot, in erheblichem Maße auf Vorstellungen von empória eingewirkt hat. In einem weiteren Schritt wird archäologisches Material einerseits zum Hinterfragen des Modells, andererseits zur Veranschaulichung des breiten Spektrums von Siedlungen, die mit dem Oberbegriff klassifiziert werden, herangezogen. Im dritten und letzten Schritt soll das Problem behandelt werden, inwieweit Handel als Ergebnis oder Folge von Migrationsbewegungen angesehen werden muss.

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Hier wird von Holz, Öl, Parfümöl, Wein, Metallen und Erzen, Tierhäuten und Textilien ausgegangen, wenngleich die Evidenz was Überreste von Schiffswracks anbelangt gerade für die Frühzeit gering ist. Vgl. Foxhall (1998) 299. 276 Gefunden wurden SOS –Amphorae in unterschiedlichen Quantitäten in: Attika selbst, Korinth, Aigina, Halieis, Chalkis, Eretria, Histria, Oisyme, Amphipolis, Mikra ­Karaburun, Pitane, Smyrna, auf Rhodos, Thera und Zypern, in Al Mina, Chania, Tell Defenneh, Korkyra, Pithekoussai, Kyme, Sybaris, Policoro, Metapont, Metauros, Lipari, Mylai, Naxos, Megara Hyblaia, Syrakus, Heloros, Kamarina, Gela, Selinunt, Vulci, Cerveteri sowie in Spanien und in Mogador (Marokko). Vgl. Johnston/Jones (1978) 103; 107 – 122. In ihrer kritischen Duchsicht der Forschung seit Johnston und Jones bestätigt Pratt (2015) die allgemeine Verbreitung ­dieses Keramiktyps und stellt ferner die These auf, dass auch nicht-girechische Händler an der Distribution dieser Gefäße beteiligt waren. 277 Osborne (1996) 42. Insgesamt überbetont Osborne aber die Aussagekraft des Befundes des 6. Jahrhunderts für die gesamte archaische Epoche. Vgl. v. a. ders. (1996) 34 – 35. Nicht umsonst beginnen die einflussreichen Monographien zum Handel der Griechen oder allgemeiner der Antike ab dem 6. Jahrhundert oder legen zumindest den Schwerpunkt der Darstellung der archaischen Zeit auf diese Spätphase. Vgl. nur Eich (2006); Bresson (2000); ders. (2016).

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Bahnen der Mobilität

3.3.2 Händler im frühen Epos In der Odyssee werden Händler in sozialer Hinsicht scharf von den basileís abgegrenzt. Die Andeutung, der Lebensunterhalt könnte als Händler bestritten werden, wird als schwere Beleidigung aufgefasst: Euryalos schmäht Odysseus auf diese Weise, um den vielgereisten Helden zur Teilnahme an den Wettkämpfen (ἆθλοι) zu reizen – mit Erfolg: Nach einer heftigen und langen Wutrede ergreift Odysseus den Diskus und bricht vom Zorn angestachelt alle Rekorde.278 Bei den Wettkämpfen werden die Qualitäten demonstriert, die auch im Kampf gebraucht werden. Die Disziplinen entstammen der blutigen Welt der Schlachtfelder; dabei ist wohl weniger an das koordinierte Vorgehen innerhalb der Phalanx und mehr an den Zweikampf zu denken. Solche Konkurrenzen sind Teil der Reproduktion und Abgrenzung einer Elite, ein Feld, innerhalb dessen die Beleidigung des Euryalos Wirkung entfaltet, da er Odysseus die Zugehörigkeit abspricht und den Laertes-Sohn einer anderen Schicht zuordnet. Mit dieser anderen Schicht verbindet die Elite, zu der sich Euryalos zählt, die Mobilität zur See, sodass die Beleidigung auf den schiffbrüchigen Odysseus gemünzt werden konnte. Die sich von den basileís unterscheidenden Händler werden an dieser Stelle nicht mit einem einzigen beleidigenden Wort bezeichnet, sondern als πρακτήρ 279 umschrieben, dem seine Fracht (φόρτος) und sein Gewinn (κέρδος) am Herzen liegen.280 Angesichts der in der Mobilität bestehenden, grundsätzlichen Gemeinsamkeit drängt sich die Frage, warum ‚Händler‘ als Beleidigung taugte, geradezu auf. Die Verachtung für den Handel war bei den sozialen Eliten durch die gesamte Antike hindurch verbreitet. Hesiod dichtet in den Werken und Tagen ἐμπορία ἀεσίφρων. Die Liste möglicher Beispiele ist lang.281 Da Handel potentiell soziale Dynamiken entfachen, so schnellen Aufstieg (erst materiell, dann gesellschaftlich) ermöglichen konnte 282 und 278

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Hom. Od. 8,159 – 164: Οὐ γάρ σ’ οὐδέ, ξεῖνε, δαήμονι φωτὶ ἐΐσκω / ἄθλων, οἷά τε πολλὰ μετ’ ἀνθρώποισι πέλονται, / ἀλλὰ τῶι, ὅς θ’ ἅμα νηῒ πολυκλήϊδι θαμίζων, / ἀρχὸς ναυτάων, οἵ τε πρηκτῆρες ἔασιν, / φόρτου τε μνήμων καὶ ἐπίσκοπος ἦσιν ὁδαίων / κερδέων θ’ ἁρπαλέων· οὐδ’ ἀθλητῆρι ἔοικας. – Nein doch! wahrhaftig Fremder! du siehst mir nicht nach einem Mann aus, der sich auf die Kämpfe versteht, wie deren vieler unter den Menschen in Übung sind, sondern nach einem solchen, der hin und wieder auf einem vielrudrigen Schiff fährt als Anführer von Schiffsleuten, die Händler sind: auf die Ladung bedacht und erpicht auf die Rückfahrt und den Gewinn, den zu eraffenden! Damit ist wörtlich jemand beschrieben, der allgemein etwas tut, womit im übertragenen Sinne ein Händler gemeint sein kann. Vgl. LSL s. v. πρακτήρ. Vgl. zum Begriff πρηκτῆρες als homerischer Begriff für Händler: Schmitz (1997) 1021. Vgl. für zahlreiche Belege Beresford (2013) passim, der die Ablehnung der antiken Schriftsteller gegenüber Handel und Seefahrt als Hauptargument bei seiner Dekonstruktion des mare clausum ins Feld führt. Genauer bedeutete dies, dass durch Handel ein Personenkreis in verhältnismäßig kurzer Zeit, d. h. weit weniger als einer Generation, in hohem Maße ökonomische Ressourcen akkumulieren konnte, da sich durch eine gewisse Risikobereitschaft die eingesetzten Mittel multiplizieren ließen. Dabei verfügten diese ‚Aufsteiger‘ aber nicht über die im Feld von

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sich die basileís wie viele andere Eliten auch über die Zurschaustellung ihres Besitzes und Konsumption definierten,283 barg diese wirtschaftliche Aktivität eine Bedrohung des status quo. Die wirtschaftlichen Grundlagen für den Lebensstil der sozialen Elite in den homerischen Epen sind vor allem Grundbesitz und die dazugehörige Landwirtschaft. Händler, die immer mehr ökonomische Ressourcen akkumulierten, waren materiell in der Lage, durch Konsumption den Lebensstil der basileís nachzuahmen und mit ihnen gleichzuziehen. Mit zunehmender wirtschaftlicher Bedeutung konnten die Aufsteiger für die Etablierten zu Herausforderern werden, sodass darauf Exklusion durch Verachtung und die Betonung anderer Bereiche des Lebensstils, die weniger leicht imitierbar waren, folgten. Die auf diese Weise gezogene soziale Grenze ließ sich jedoch anscheinend nicht scharf ziehen, auch wenn sie, wie bei der Beleidigung des Euryalos, sehr deutlich ausgedrückt werden konnte. Auch in den homerischen Epen sind die Unterschiede z­ wischen Händlern und basileís um einiges mehr verwischt, als es die oben zitierte Passage vermuten lässt. Athene stellt sich Telemachos in Gestalt des Mentes als Gastfreund von vatersher 284 vor und berichtet, ­welche Umstände sie als Mentes zu Telemachos geführt haben: Μέντης Ἀγχιάλοιο δαΐφρονος εὔχομαι εἶναι υἱός, ἀτὰρ Ταφίοισι φιληρέτμοισιν ἀνάσσω. νῦν δ’ ὧδε ξὺν νηῒ κατήλυθον ἠδ’ ἑτάροισι, πλέων ἐπὶ οἴνοπα πόντον ἐπ’ ἀλλοθρόους ἀνθρώπους, ἐς Τεμέσην μετὰ χαλκόν, ἄγω δ’ αἴθωνα σίδηρον.285 Mentes, der Sohn des kluggesonnenen Anchialos, rühme ich mich zu sein, und herrsche über die ruderliebenden Taphier. Jetzt aber bin ich mit dem Schiff und den hetaíroi hier angelaufen, denn ich fahre über das weinrote Meer zu Menschen anderer Zunge (ἀλλόθρους): nach Temesa fuhr ich mit Kupfer (χαλκός) und führe [jetzt] aber schimmerndes Eisen (αἴθων σίδηρος) mit mir.

den etablierten Eliten als essentiell betrachteten Ressourcen, die sich in der Pflege eines gewissen Habitus oder Lebensstils äußern konnten, wie beispielsweise der Beweis der Eignung als Krieger im Kampf oder im áthlos bzw. agṓn. Zugleich drohten die ‚Neuen‘ die Spielregeln, die die der bisherigen Elite einen Platz im Zentrum des Feldes garantiert hatte, zu ihren Gunsten zu verändern, sodass Abgrenzung die logische Folge war. Vgl. Kapitel 1.5.3 Praxistheorie und Ressourcenbegriff, 54 – 63 sowie die Kapitel zu anderen Formen der Mobilität. 283 Stein-Hölkeskamp (1989) 43 – 49 weist zu Recht darauf hin, dass Reichtum von anderen Sphären der Repräsentation, wie beispielsweise dem Erfolg im Krieg, kaum zu trennen ist. 284 Hom. Od. 1,187 – 188. 285 Hom. Od. 1,180 – 184.

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Dieser Mentes, für den sich Athene ausgibt, erscheint in keiner Weise als geächtet, sondern wird von Telemachos als Gastfreund aufgenommen.286 Mentes herrscht über die Taphier und wird von hetaíroi begleitet, nicht von irgendwelchen Seeleuten (ναῦται). Obwohl er Waren mit sich führt, um sie gegen andere Güter einzutauschen, wird er offenkundig geachtet. Φιλήρετμος (ruderliebend) deutet an, dass es sich nicht um eine einmalige Ausnahme, ein Abweichen vom gewöhnlichen Tun, gehandelt haben dürfte. Bei der hier durchscheinenden Praktik des Tauschs ist indes fraglich, ob ihm Gewinnstreben zugrunde liegt oder ob die Tauschfahrt der Deckung des eigenen Bedarfs dient, zumal nicht präzisiert wird, welchem Zweck das Eisen ­später dienen soll, ob zur Verarbeitung zu Waffen oder zum weiteren Tausch gegen etwas anderes, um letztendlich eine Art Gewinn, das heißt ökonomische Ressourcen, zu erwirtschaften. Von Geld oder auch nur etwas Vergleichbarem ist weder in der Odyssee noch in der früheren Ilias die Rede. Das Konzept scheint gänzlich unbekannt 287 und es existiert weder bei Homer noch bei Hesiod ein Medium, in dem Werte abstrahiert werden konnten. Dies machte Handel nicht unmöglich, aber komplizierter, denn der Gegenwert musste ohne ­dieses Hilfsmittel gefunden werden. Obgleich die archaische Dichtung keinen Schluss über das Wie erlaubt, finden sich dort Belege für direkten, materiellen Austausch, das heißt Transaktionen, die ohne abstrakten Wertmaßstab erfolgen. Jeden Tausch von Gütern in den homerischen Epen als eine Form von Handel zu betrachten, erscheint nicht zielführend,288 da diesen Praktiken in Ilias und Odyssee häufig ein anderer sozialer Zweck beigemessen wird: So lässt sich der Tausch der Rüstungen, den Glaukos und Diomedes vornehmen,289 kaum als kommerzielle Tätigkeit deuten, wohingegen dem Geschäft, das Athene als Mentes getätigt zu haben vorgibt, schon eher eine auf Gewinn abzielende Motivation zugrundegelegt werden kann, wenngleich die genauen Umstände der Transaktion im Dunkeln bleiben. Die Taphier, über die Mentes herrscht, charakterisiert Sitta von Reden pointiert als „the Greek equivalent of the Phoenicians in the epic“.290 Odysseus berichtet in der Seeräubergeschichte, die er Eumaios auftischt, von einem Phoinikier, den er in Ägypten getroffen habe, den er als ἀπατήλιος (listig) betitelt und ihn mit τρώκτης, ὃς δὴ πολλὰ κάκ’ ἀνθρώπους ἐεόργει 291 nicht gerade schmeichelhaft als Gauner umschreibt. 286 Auch 287

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Reden (1995) 65 erkennt den ehrenvollen Status des Mentes an. Mittag (2016) 40 – 41 sieht indes mit Verweis auf Hom. Il. 6,234 – 236 und die mögliche Etymologie des lateinischen Begriffs pecunia im Rind einen vormonetären Wertmaßstab. Allerdings lässt sich die Allgemeingültigkeit dieser Umrechnungseinheit nur schwer belegen. Im weiteren Verlauf (41 – 43) nennt Mittag noch weitere mögliche Tauschmedien. Vgl. auch Kapitel 3.4.5 Die Entstehung der Münze, 251 – 253. Schaps (2004) 71. Hom. Il. 6,224 – 236. Dem Tausch liegt eine Asymmetrie zugrunde. Vgl. hierzu WagnerHasel (2000) 92 – 95; 97; Männlein-Robert (2014) 196. Reden (1995) 65. Hom. Od. 14,288 – 289. Wörtlich ist der Phoinikier als „Nager“ bezeichnet, der viele Menschen ins Elend gestürzt habe. Vgl. auch Hom Od. 15,416.

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Der Schweinehirt weiß dann selbst Anekdotisches zu berichten: Er sei vor Jahren von einem Phoinikier an Laertes, den Vater des Odysseus, verkauft worden. Für die, die ihn einst versklavt haben, findet er freilich nicht minder schmähende Worte, wenn er von den Phoinikiern berichtet, die eines Tages in der Nähe des Hauses seines Vaters angelandet ­seien. Ἔνθα δὲ Φοίνικες ναυσικλυτοὶ ἤλυθον ἄνδρες, τρῶκται, μυρί’ ἄγοντες ἀθύρματα νηῒ μελαίνηι.292 Da kamen Phoinikier, schiffsberühmte Männer, Gauner und führten zehntausendfachen Tand (ἀθύρματα) bei sich in ihrem schwarzen Schiffe. Die als ἀθύρματα (Tand) bezeichneten Objekte führen die Phoinikier offensichtlich zum Tausch mit. Im weiteren Verlauf der Episode ist von ὦνος ὁδαίων (in etwa: Preis der Waren) die Rede,293 wobei eine Aussage des Sauhirten Eumaios möglicherweise einen Hinweis über die Natur der ein Jahr andauernden Tätigkeit der Fremden zu geben vermag: Die Phoinikier hätten nämlich vor ihrer Abreise zahlreiche eingetauschte Lebensgüter (βίοτον πολὺν ἐμπολόωντο) in ihr Schiff geladen.294 Hierbei handelte es sich wohl nicht nur um Proviant zum Fortsetzen der Reise, da dieser deutlich schneller hätte beschafft werden können. Vielmehr erscheint eine Umschreibung eingetauschter Güter, die mit in die Heimat zurückgenommen werden sollen, plausibel und vermittelt ferner einen Eindruck davon, wie sich die Akkumulation von überwiegend 295 ökonomischen Ressourcen in einer Welt ohne Geld gestaltet haben könnte. Da ein abstraktes Medium, das zur Deckung des jeweiligen Bedarfs erhandelt werden konnte, nicht existierte, musste auf diesen Bedarf hin gerichtet getauscht werden. Dies beschränkte sich nicht auf die Mittel, sich selbst und seinen Haushalt am Leben zu erhalten, sondern es konnten auch Prestige- und Luxusgüter zur Pflege eines bestimmten Lebensstils auf diese Weise beschafft werden.296 Es gibt verschiedene Möglichkeiten, wie Güter ohne den Einsatz von Geld getauscht werden konnten, von denen jede hypothetischen Charakter besitzt, weil keine zeitgenössischen Quellen, die ­solche Praktiken beschreiben, überliefert sind.297 Hierbei galt es in erster Linie, die jeweiligen Objekte zu bewerten und in ein ­Tauschverhältnis

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Hom. Od. 15,415 – 416. Hom. Od. 15,429; 15,445; 15,452. Hom. Od. 15,456. Die Festlegung auf einen rein ökonomischen Hintergrund fällt im geldfreien Kontext schwer. Denn den Gütern konnte kein monetärer Wert beigemessen werden. Prestigegüter wie kunstvoll gefertigtes Geschirr stellen ebenfalls kulturelle Ressourcen dar. Nichtsdestoweniger dürfte es zielführend gewesen sein, Güter, die sich besonders leicht gegen etwas anderes tauschen ließen, zu horten. Wohl aber spätere Quellen, wie etwa Herodot.

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Bahnen der Mobilität

gegeneinander zu setzen. Eine dieser Möglichkeiten ist eine Praktik der Karthager, die Herodot überliefert: Λέγουσι δὲ καὶ τάδε Καρχηδόνιοι, εἶναι τῆς Λιβύης χῶρόν τε καὶ ἀνθρώπους ἔξω Ἡρακλέων στηλέων κατοικημένους, ἐς τοὺς ἐπεὰν ἀπίκωνται καὶ ἐξέλωνται τὰ φορτία, θέντες αὐτὰ ἐπεξῆς παρὰ τὴν κυματωγήν, ἐσβάντες ἐς τὰ πλοῖα τύφειν καπνόν· τοὺς δ’ ἐπιχωρίους ἰδομένους τὸν καπνὸν ἰέναι ἐπὶ τὴν θάλασσαν καὶ ἔπειτα ἀντὶ τῶν φορτίων χρυσὸν τιθέναι καὶ ἐξαναχωρέειν πρόσω ἀπὸ τῶν φορτίων· τοὺς δὲ Καρχηδονίους ἐκβάντας σκέπτεσθαι, καὶ ἢν μὲν φαίνηταί σφι ἄξιος ὁ χρυσὸς τῶν φορτίων, ἀνελόμενοι ἀπαλλάσσονται, ἢν δὲ μὴ ἄξιος, ἐσβάντες ὀπίσω ἐς τὰ πλοῖα κατέαται, οἱ δὲ προσελθόντες ἄλλον πρὸς ὦν ἔθηκαν χρυσόν, ἐς οὗ ἂν πείθωσι. ἀδικέειν δὲ οὐδετέρους· οὔτε γὰρ αὐτοὺς τοῦ χρυσοῦ ἅπτεσθαι πρὶν ἄν σφι ἀπισωθῇ τῇ ἀξίῃ τῶν φορτίων, οὔτ’ ἐκείνους τῶν φορτίων ἅπτεσθαι πρότερον ἢ αὐτοὶ τὸ χρυσίον λάβωσι.298 Die Kerchedonier erzählen auch noch Folgendes: Das bewohnte Libyen reicht noch über die Säulen des Herakles hinaus. Wenn die Karchedonier dorthin fahren, laden sie ihre Waren ab und legen sie am Strand nebeneinander aus. Dann steigen sie wieder in die Schiffe und geben ein Rauchsignal. Sobald die Einheimischen den Rauch sehen, kommen sie ans Meer; dann legen sie Gold als Preis für die Waren hin und ziehen sich von den Waren wieder zurück. Dann gehen die Karchedonier wieder an Land und sehen nach. Entspricht das Gold nach ihrer Meinung dem Wert der Waren, so nehmen sie es an sich und fahren ab; andernfalls gehen sie wieder auf die Schiffe und bleiben dort sitzen. Jene aber nähern sich dann wieder den Waren und legen Gold hinzu, bis es ihnen der Waren gleichwertig dünkt; die anderen berühren die Waren eher nicht, als bis die Karchedonier das Gold angenommen haben. Ob diese Form des stillen Handels 299 aus klassischer Zeit auch in der Archaik praktiziert wurde, lässt sich nicht belegen.300 Plausibel ist sie angesichts der zur Verfügung stehenden Möglichkeiten allemal. Die Phoinikier werden nicht ohne Not auf eine bewährte Methode verzichtet haben, so es sie denn schon gab, denn nicht überall setzte sich das Konzept des Geldes überhaupt und erst recht nicht im selben Maße durch. Und gerade für Mentes (alias Athene), der Kupfer gegen Erz bei Menschen fremder Zunge eingetauscht haben will, erscheint ein solches Vorgehen geradezu auf der Hand zu liegen, bei den räuberischen Phoinikiern in der Heimat des jungen Eumaios indes weniger. Beim Mentes-Beispiel ist die Gefahr der Übertragung von 298

Hdt. 4,196,1 – 3. Vgl. hierzu den in Teilen überholten, aber immer noch lesenswerten Klassiker von Grierson (1903). Jüngst führte auch Mittag (2016) 40 die Textstelle zur Illustration vorgeldlicher Handelspraktiken an. 300 Vgl. Schaps (2004) 53 – 54. 299

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außen herangetragener Annahmen besonders groß, da kein Kontext existiert, der für diese Hypothesen Verankerungspunkte bereitstellen würde. Allein aus der Tatsache, dass von Metallen die Rede ist, lässt sich wenig machen. Bei den Phoinikiern in der Odyssee finden sich wenigstens einige spärliche Informationen. Für den Zeitraum von einem Jahr scheint die Praktik des stillen Handels weniger plausibel. Die Stärke dieser Vorgehensweise liegt ja gerade darin, dass zügig Handelseinigkeit hergestellt werden kann oder zumindest allen Akteuren klar ist, dass dies eher nicht möglich ist. Der Zeitraum von einem ganzen Jahr legt dagegen langwierige Einzelverhandlungen nahe.301 Neben stillem Handel bot sich eine Vielzahl möglicher Wert- und Äquivalenzsysteme an. In den homerischen Epen scheint Vieh ein solcher Maßstab gewesen zu sein; indes muss in einer Wirtschaft ohne Geld in einem normierten und vereinheitlichten Sinne davon ausgegangen werden, dass sich s­ olche Systeme in hohem Maße überlagerten.302 Phoinikier und Taphier werden in der Geschichte der Eumaios-Episode beide als Menschenhändler charakterisiert. Eumaios wird von einer phoinikischen Sklavin in die Falle gelockt, die wiederum von den Taphiern an seinen Vater verkauft wurde. Diese Sklavin, selbst von nobler Abkunft, lässt sich auf eine sexuelle Beziehung mit einem der phoinikischen Seeleute ein. Für ihre Heimkehr erklärt sie sich bereit, goldenes Geschirr zu stehlen und den jungen Eumaios zu seinen Häschern zu führen.303 In beiden Fällen wird der entrichtete Preis mit ὦνος bezeichnet.304 Obgleich die Nähe zur Piraterie augenscheinlich ist,305 agieren die Phoinikier für die meiste Zeit als Händler; erst bei sich bietender Gelegenheit nehmen sie Geschirr und den Sohn des Hausherren gewissermaßen als ‚kleinen Bonus‘ mit.306 Zunächst scheint den Phoinikiern ein gewisses Vertrauen entgegengebracht zu werden, da sie zwar nicht als Gastfreunde (ξένοι) aufgenommen, aber dennoch über ein Jahr lang geduldet werden. Die Phoinikier wiederum erweisen sich dennoch als genau jene Gauner (τρῶκται), als die sie Eumaios zu Beginn seiner Rede und auch Odysseus in der Kretergeschichte jeweils bezeichnet haben. Die Schmähung wird so den jeweiligen Geschädigten 307 in den 301

Genauso lässt das gezielte Suchen nach bestimmten Gütern einen längeren Aufenthalt plausibel erscheinen, was die oben gemachten Bemerkungen zur Bedeutung von βίοτος πολύς stützt. 302 Vgl. hierzu Howgego (2011) 14 – 20, der einer Reihe interessanter (wie unbeweisbarer) Möglichkeiten aufzählt. 303 Hom. Od. 15,416 – 474. 304 Hom. Od. 15,429; 15,445; 15,452. 305 Vgl. Kapitel 3.2.4 Hetaíros-Gruppen als Seeräuber, 194 – 202. 306 Die Piraterie ist in den homerischen Epen nicht grundsätzlich geächtet. Ebd. 307 Odysseus gibt nur vor, von Phoinikiern entführt worden zu sein. Damit schafft er eine Verbindung zu Eumaios, der ihm zwar seine Lebensgeschichte erst ­später erzählt. Doch dürfte der Held aus Ithaka um sie gewusst haben, denn Eumaios war viele Jahre Teil des oíkos seines Vaters Laertes. Odyssseus mag die Lüge über seine Entführung bewusst eingeflochten haben, um eine Gemeinsamkeit mit seinem Gegenüber zu erzeugen und so

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Bahnen der Mobilität

Mund gelegt. In beiden Fällen agieren die Phoinikier außerhalb der Normen der Gastfreundschaft.308 Denn auch Odysseus lebt ein Jahr unter dem Dach des Phoinikiers, der ihn dann schließlich als Sklaven verkaufen möchte. Der Held wird zwar nicht als Gastfreund (ξένος) des Phoinikiers bezeichnet; allerdings gilt Odysseus, nachdem er sich dem ägyptischen basileús unterworfen hat, als xénos. Der basileús schützt ihn gegenüber den tätlichen Anfeindungen der übrigen Ägypter, was damit begründet wird, dass Zeus selbst über die xénoi wache und diejenigen strafe, die ihnen etwas antun.309 Da Odysseus mit dem Phoinikier geht und in dessen Haushalt lebt, ist klar, dass er unter dem Schutz der Gastfreundschaft stehen müsste. Beide Male werden die Normerwartungen der Eliten durch die Phoinikier nicht erfüllt. Phoinikier galten nicht nur in der Odyssee als Händler par excellence. Peter ­Kritzinger weist in seiner zusammenfassenden Arbeit darauf hin, dass es der Bruch der Regeln und Normen der Gastfreundschaft ist, der die Phoinikier und lokale Eliten desintegriert.310 Sitta von Reden nimmt dagegen eine Stelle in der Ilias als Beleg dafür, dass es sich bei den Phoinikiern eben nicht um eine „ausdifferenzierte soziale Gruppe […, die] die Bedürfnisse einer Führungsschicht“ bediene, gehandelt habe.311 Innerhalb der Geschichte eines Mischkruges tauchen Phoinikier als Akteure auf. Sie überreichen Thoas den Krater als Geschenk (δῶρον), das sie über das Meer mitgebracht hatten.312 Die Passage aus der Ilias widerlegt die Rolle der Phoinikier als Händler im Epos allerdings nicht, auch wenn sie hier Thoas ein Geschenk machen, zumal es denkbar ist, dass fremde Händler sich den Bräuchen ihrer Gastgeber anpassten. Zudem scheint es naheliegend, demjenigen, der vor Ort einflussreich war und die Fremden unter seinen Schutz stellte, eine Gabe darzubieten, auch wenn keine formelle Gastfreundschaftsbeziehung zugrunde lag, wie es die Nichtverwendung von ξενία 313 suggerieren könnte.314 Ferner schließt ein Geschenk, ein Unikat wohlgemerkt, das einer herausragenden Persönlichkeit gegeben wird, nicht aus, dass die Phoinikier auch gewöhnlichere und austauschbare Stücke als Handelswaren mit sich führten.315 sein Vertrauen zu gewinnen, ohne seine wahre Identität preisgeben zu müssen. Vgl. auch Schulz (2005) 20 – 21. 308 So auch Kritzinger (2007) 41 – 4 4. 309 Hom. Od. 14,281 – 284; Odysseus’ Ersuchen um Schutz: 14,276 – 280. 310 Kritzinger (2007) 44 – 45. 311 Reden (2015b) 972. 312 Hom. Il. 23,744 – 745; die gesamte ‚Objektgeschichte‘: Hom. Il. 23,741 – 747. 313 Indes macht auch das Versmaß die Verwendung des Begriffs schwierig. 314 Obendrein macht Reden (a. a. O.) eine Engführung der Zuschreibung Händler, indem sie vermutet, es müsse sich um „eine klar ausdifferenzierte“ Gruppe handeln, die eine Führungsschicht versorge, ohne dieser Führungsschicht selbst anzugehören. 315 Dagegen Reden (2015b) 972 freilich relativierend: „Noch sind ihre [sc. die Phoinikier] Waren Handelsgüter; sie bewegen sich in diese Kategorie hinein oder hinaus, wechseln die Tauschsphäre und erhalten einen Teil ihres Wertes über die Rituale und Tauschkontexte und erzählerischen Symbolisierungen, in denen sie gebraucht bzw. eingesetzt werden.“

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In der Odyssee sind Händler als verachtete Gruppe konzipiert.316 Wenn die soziale Praxis des Handels mit einer ethnischen Gruppe in Verbindung gebracht wird, sind es Phoinikier oder Taphier, die genannt werden. Die letztgenannten erscheinen als vergleichsweise ehrbar, die Phoinikier dagegen in einem deutlich schlechteren Licht. Die ihnen zugeschriebenen Handlungsweisen sind indes dieselben. Diese Inkonsistenz der Odyssee lässt sich nur teilweise damit begründen, dass Athene in Gestalt des Mentes als Gastfreund zu Telemachos kommt, denn die Göttin sucht sich ihre Rolle schließlich aus, sodass sich im Rahmen der Odyssee eine Vielzahl anderer Optionen geboten hätte. All dies spiegelt die Ambivalenz gegenüber der sozialen Praktik des Handels wider. Gemeinhin stellten Händler eine Konkurrenz zur herrschenden Elite dar, die sich den Händlern gegenüber abzugrenzen suchte; zugleich aber waren die Übergänge bereits fließend. Auch bei Hesiod ist der Handel ein eher randständig abgehandeltes Thema und wird wie bei Homer geringgeschätzt.317 Das Ideal in den Werken und Tagen ist Ansässigkeit gepaart mit größtmöglicher Autarkie: Dem Boden soll durch Arbeit zur rechten Zeit der Lebensunterhalt abgerungen werden. Aber selbst in jenem Lehrgedicht, in dem er d ­ ieses Ideal beschwört, erteilt der Dichter Ratschläge zum Handel, einer Praktik also, die der angestrebten Autarkie eigentlich widerspricht, in einem Umfang von immerhin 77 Versen.318 Wie für jedes Werk nennt Hesiod auch für ­dieses eine rechte Zeit, deren Umschreibung einen beträchtlichen Teil der Belehrungen ausmacht.319 Dabei wird ein Bild vom Meer als gefahrvoller und unwirtlicher Ort gezeichnet, auf den man sich – wenn überhaupt – nur zu bestimmten Zeiten, in denen das Wetter günstig ist, und nach akribischer Vorbereitung wagen sollte. Schenkt man der ‚autobiographischen‘ Notiz Hesiods glauben, bei der er über seine Eignung als Ratgeber in Sachen Seefahrt Auskunft gibt, war es nicht gerade ein reicher Erfahrungsschatz, auf den der Dichter aus Askra zurückgreifen konnte. Die einzige Seereise, die er je unternommen habe, sei die Überfahrt von Aulis nach Chalkis gewesen, also eine Strecke, die von einem geübten Schwimmer bewältigt werden kann.320 Neben diesen Ausführungen sind die konkreten Anweisungen zum Handel überschaubar. Anders als bei Homer ist die Praktik nicht umständlich umschrieben. Hesiod versieht sie mit dem Begriff ἐμπορία (Kauffahrt).321 Seine einleitenden Worte ergänzt

316

Vgl. jüngst auch Zeller (2020) 126, der in den Epen erkennt, dass die Elite bei Handelsgeschäften bevorzugt werde, die weitestgehend negative Darstellung des Handels aber darauf verweise, dass die Kontrolle des Handels vor Ort als Erwerbsquelle weniger verbreitet gewesen sei. 317 Vgl. Osborne (2013) 297; Hes. erg. 646. 318 Hes. erg. 618 – 694. 319 Hes. erg. 619 – 630; 641; 663 – 668; 674 – 688. 320 Hes. erg. 648 – 662. 321 Hes. erg. 646.

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der Dichter nonchalant um eine Bewertung der Motivation für die Kauffahrt: ἀεσίφρονα θυμὸν (aus unverständigem Gemüt heraus). Die Ablehnung könnte kaum deutlicher sein. Der Handel erscheint darüber hinaus nur als Notlösung, mit deren Hilfe Verpflichtungen (χρεία) oder Hunger (λιμός) begegnet werden kann, nicht jedoch als dauerhafter Lebenserwerb.322 Die Hinweise, die sich auf den Umschlag von Waren beziehen, sind äußerst grob und nicht frei von Widersprüchen. Ein größeres Schiff solle einem kleineren vorgezogen werden, da mehr Fracht (φόρτος) mehr Gewinn (κέρδος) bedeute.323 Andererseits mahnt Hesiod zur Vorsicht: μηδ’ ἐν νηυσὶν ἅπαντα βίον κοίλῃσι τίθεσθαι, / ἀλλὰ πλέω λείπειν, τὰ δὲ μείονα φορτίζεσθαι·324 Der Lebensunterhalt soll immer noch bestritten werden können, selbst wenn die Kauffahrt scheitert. In der Konzeption Hesiods wird das Überleben in erster Linie durch eine ansässige Produktionsweise gesichert. Der Warentransport erscheint als eine Nebentätigkeit,325 die man immer dann aufnahm, wenn ein bestimmter Bedarf gedeckt werden musste. Dabei handelte es sich wohl weniger um Fernhandel als um den Tausch von Gütern mit benachbarten Siedlungen, zumal die bei Hesiod beschriebenen bäuerlichen Gemeinschaften nicht gerade die Waren hervorbrachten, die in der Ferne besonders begehrt gewesen sein dürften.326 Zugleich lässt sich die Stelle als Indiz dafür ansehen, dass durch Handelstätigkeit auch die Ansässigkeit vor Ort zusätzlich stabilisiert werden konnte, indem der Handelsgewinn Effizienz und Produktivität zu steigern vermochte, etwa wenn Güter eingetauscht wurden, die vor Ort nur mit erheblichem Aufwand oder auch gar nicht hätten produziert werden können. Hesiod geht davon aus, dass ein Schiff vorhanden war, mit dem bei Bedarf Waren transportiert werden konnten. Dies und der Verweis auf den Vater, der zur See gefahren sei,327 deuten auf eine weite Verbreitung des Seehandels hin. Die Parallele zur Umschreibung der Handelstätigkeit der Phoinikier bei Homer ist auffällig.328 Indes fehlt bei Hesiod jeder Bezug auf Luxusgüter.329 Der angesprochene Perses solle das Schiff mit Fracht (φόρτος) beladen, um Profit (κέρδος) zu erzielen, wie auch einst der Vater mit dem Schiff gefahren sei, um seinen Lebensunterhalt zu sichern, wobei er ­dieses Ziel schließlich auch durch Migration verfolgte. Diese Auswanderung sei οὐκ 322

Hes. erg. 646 – 6 47. Hes. erg. 643 – 6 44. 324 Hes. erg. 689 – 690: Bringe auch nicht dein sämtliches Gut in bauchige Schiffe, sondern laß den Hauptteil zurück und verlade nur den geringeren. Denn es ist schrecklich, wenn dir in den Meerwogen ein Unglück zustößt. 325 Vgl. zum Handel als Nebentätigkeit bei Hesiod Stein-Hölkeskamp (1989) 63, wenngleich in der Gesamtschau zu nah am gefärbten Bild Hesiods; auch Bravo (1977) 2 – 4; Gallant (1982) 121 – 124. 326 So Kritzinger (2007) 38 – 39. 327 Hes. erg. 632 – 634. Vgl. zur Figur des Vaters als erfahrenen Seemann Malkin (1998) 182; Hall (2014) 122; kritisch: Osborne (2009) 139. 328 Hom. Od. 15,456. Vgl. hierzu die Ausführungen auf S. 213 – 214. 329 Osborne (2013) 297. 323

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ἄφενος φεύγων οὐδὲ πλοῦτόν τε καὶ ὄλβον, / ἀλλὰ κακὴν πενίην erfolgt.330 Den Vater stellt Hesiod folglich als Seefahrer dar, der sich schließlich niederließ. Die Mobilität als Händler 331 und die als Migrant stehen hier dicht beisammen und muten im Hinblick auf ihre gemeinsame Zielsetzung, nämlich der Sicherung des Lebensunterhaltes, als nahezu deckungsgleich an. Beide, sowohl Kauffahrt als auch Migration, erscheinen als artverwandte Strategien zum Erreichen d ­ ieses Zieles. Auch die eingesetzten Ressourcen sind ähnlich: Neben den materiellen Grundlagen, zu denen auch ein Schiff gehörte, waren Wissensressourcen wie Informationen über fremde Landstriche und die Menschen, die dort ansässig waren, oder darüber, wie sie lebten und auf ­welche Weise sie ihren Lebensunterhalt bestritten, für erfolgreiche Tauschgeschäfte wie für dauerhaftes Niederlassen bedeutsam. Materielle Überschüsse mussten zudem vorhanden sein, einerseits zur Proviantierung, andererseits als Handelsware. Nicht zuletzt wegen der Ähnlichkeit der Ressourcen für Migration lässt sich plausibilisieren, dass wie in dem Beispiel, das Hesiod überliefert, aus der Mobilität eines Händlers Migra­ tion erwachsen konnte, zumal Kaufleute durch langjährige Mobilität ein profundes Wissen über Orte und sich dort bietende Chancen zu akkumulieren in der Lage gewesen sein dürften.

3.3.3 Empória Den Informationen zum Handel als Mobilitätsform, die uns in dichterischer Brechung in den frühen Epen begegnen, stehen archäologische und ­später entstandene historiographische Überlieferungen gegenüber. Der quellensprachliche Begriff empórion beschreibt 332 eine Handelssiedlung, die im Gegensatz zu einer apoikía kein eigenständiges Gemeinwesen, das heißt keine Polis, darstellte.333 Nicht selten geht mit dem Begriff einher, dass die Schriftquellen über die Umstände der Entstehung weniger gut informiert sind, zumal es sich um zu anfangs weniger bedeutende Siedlungen handelte, Plätze, an denen Handel getrieben wurde, aber keine Städte. Naukratis bildet hier eine Ausnahme, berichtet Herodot doch über die Gründung und die Stellung der griechischen Siedlung ausführlich im Ägypten-Logos. Dieses Alleinstellungsmerkmal

330

Hes. erg. 637 – 638: [Er verließ Kyme] nicht auf der Flucht vor Fülle, Reichtum und Wohlstand, sondern vor bitterer Armut. 331 Möglicherweise auch als Pirat oder auf ­welche Weise auch immer nach κέρδος gestrebt werden kann. 332 Dies ist eine vereinfachte Begriffsdefinition. Im Folgenden wird der Begriff genauer behandelt. Vgl. hierzu Rouillard (2018) 19, der für die Forschung hinsichtlich des Begriffs empórion eine „flexibility of ‚definition‘“ konstatiert. Zurbach (2018) insbesondere 47 ist kritisch ob der Verwendung des quellensprachlichen Begriffs als Forschungsterminus und sieht die Gefahr, dass Unterschiedliches vermengt wird. 333 Vgl. zum Begriff Anm. 352.

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in den Schriftquellen verführt allzu leicht dazu, Naukratis zum Modellfall 334 eines empórion zu stilisieren, sodass Vorsicht geboten ist. Während der Jahre seiner Regentschaft, also ­zwischen 570 und 526, überließ Amasis den Griechen, die nach Ägypten gekommen waren, die Stadt Naukratis zum Besiedeln (ἐνοικεῖν), denn der ägyptische König, so berichtet es Herodot, sei griechenfreundlich (φιλέλλην) gewesen. Jenen Griechen, die sich nicht ansiedeln (ἐνοικεῖν), sondern zur See fahren (ναυτίλλεσθαι) wollten, gab er Land, um Altäre und heilige Bezirke (βωμοί καὶ τεμένεα) für die Götter zu errichten.335 Der Bericht ließe sich nun dahingehend interpretieren, dass es sich um eine zweifache Gründung handelte, aus der einerseits die Polis, andererseits das empórion Naukratis erwuchsen. Anhand des archäologischen Befundes lässt sich diese Hypothese topographisch indes nicht erhärten.336 Die Annahme einer zweifachen Gründung ist zudem keine zwingende Interpretation des Textes Herodots, der ja z­ wischen den fest ansässigen und vorwiegend seefahrenden Menschen differenziert. Auch verweisen Spuren auf eine Besiedlung des Platzes durch Griechen um 625.337 Amasis könnte folglich einer bestehenden Siedlung seinen offiziellen Segen gegeben statt eine Gründung veranlasst haben.338 Herodot jedenfalls zeichnet das Bild einer philhellenischen Naukratis-Politik des Amasis. So erscheint das notfalls mit Gewalt durchgesetzte Gebot, dass allein Naukratis als Hafen angelaufen werden durfte, mehr als großzügiges Privileg denn als bittere Beschränkung: Εἰ δέ τις ἐς τῶν τι ἄλλο στομάτων τοῦ Νείλου ἀπίκοιτο, χρῆν ὀμόσαι μὴ μὲν ἑκόντα ἐλθεῖν, ἀπομόσαντα δὲ τῇ νηὶ αὐτῇ πλέειν ἐς τὸ Κανωβικόν· ἢ εἰ μή γε οἷά τε εἴη πρὸς ἀνέμους ἀντίους πλέειν, τὰ φορτία ἔδεε περιάγειν ἐν βάρισι περὶ τὸ Δέλτα, μέχρις οὗ ἀπίκοιτο ἐς Ναύκρατιν. Οὕτω μὲν δὴ Ναύκρατις ἐτετίμητο.339 Wenn ein Schiff in eine andere Nilmündung einlief, musste man schwören, nicht mit Absicht dorthin gefahren zu sein. Dann musste das Schiff wenden und sich in die kanobische Mündung begeben. Konnte es wirklich nicht gegen den Wind 334

Vgl. zu dieser Aussage Rouillard (2018) 19, der feststellt, dass Naukratis häufig als Ausgangspunkt für eine konzeptionelle Annäherung fungiert. 335 Hdt. 2,178,1. Eine Datierung allein über die Keramik gestaltet sich schwierig, da für deren Chronologie der Herodot-Bericht einen Fixpunkt darstellt. Die Jahre der Regentschaft des Amasis stellen keinen terminus post quem dar, weil davon ausgegangen werden muss, dass bereits vor der Gründung Griechen in Naukratis ansässig waren, wie im Folgenden deutlich wird. Vgl. Schlotzhauer/Weber (2012) 25 – 26. Vgl. auch die Notiz zur Gründung bei Strab. 17,1,18. 336 Möller (2000b) 116 – 119. Darüber hinaus darf die seit langem im Raum stehende Vermutung, neben der griechischen Siedlung Naukratis habe es eine ägyptische gegeben, als widerlegt betrachtet werden. Vgl. hierzu ausführlich dies. (2001) 5 – 11. 337 Boardman (1981 [1964]) 142; Möller (2000a) 647 – 6 48. 338 So etwa Schlotzhauer/Weber (2012) 27 – 28. 339 Hdt. 2,179,1.

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ankommen, musste man alle Fracht in Kähne verladen und um das Delta herum bis Naukratis befördern. In solcher Achtung stand Naukratis. Es ist nicht ausgeschlossen, dass Amasis mit der Zuweisung des Platzes existierende Handelsaktivitäten der Griechen ordnete und so unter seine Kontrolle brachte.340 In jedem Fall schildert die Passage die restriktive Beschränkung von Ansiedlung und Handelstätigkeit der Fremden innerhalb eines staatlich kontrollierten Raumes. In das Bild dieser Bündelung griechischer Handelsaktivität in Ägypten fügt sich die vielfältige Zusammensetzung der Bevölkerung des empórion. Herodot berichtet, dass das wichtigste Heiligtum, das Hellenion, in Gemeinschaft ionischer, dorischer und aiolischer Poleis gegründet worden sei, nämlich Chios, Teos, Klazomenai, Rhodos, Knidos, Halikarnassos, Phaselis und Mytilene, wenngleich auch noch andere Städte behauptet hätten, beteiligt gewesen zu sein.341 Jene Städte waren es auch, die politisch in Naukratis tonangebend waren, da sie die προστάται des empórion stellten, bei denen es sich um die obersten Magistrate gehandelt haben könnte.342 Keramikfunde verweisen auf einen materiellen Austausch mit weiten Teilen der griechischen Welt, allen voran, aber nicht ausschließlich, mit den an der Gründung des Hellenion beteiligten Poleis.343 Eine Vielzahl von Keramik findet sich aus Rhodos und Chios, die sich im Fall von Rhodos bis ins 8., im Fall von Chios bis ins 7. Jahrhundert datieren lässt. Samische Keramik lässt sich ab der Mitte des 6. Jahrhunderts mit Sicherheit feststellen, schwarzfigurige Vasen aus Klazomenai sind zahlreich und auf das letzte Viertel des 6. Jahrhunderts zu datieren. Häufig sind ebenfalls Keramikerzeugnisse aus Südionien, dort vor allem aus Milet.344 Schwarzfigurige Vasen aus Sparta, die in der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts hergestellt wurden, kommen verhältnismäßig zahlreich vor; die frühesten korinthischen Vasen stammen aus dem späten 7. Jahrhundert, sind indes nicht in großer Zahl vorhanden, wie auch die Töpferware aus Aiolien, vor allem aus Lesbos, die in die erste Hälfte des 6. Jahrhunderts datiert. Attische Keramik ist ab 620 bis 600 nachweisbar und tritt in der Folge während des 6. Jahrhunderts bis etwa 520 in beachtlicher Zahl auf, danach sinken die Importe dramatisch ab. Der Keramikbefund scheint es aufgrund seiner Anzahl und Herkunft nahezulegen, einen weit ausgreifenden Handel 340

Es wurde vorgeschlagen, es habe sich um eine Limitierung des griechischen Handels nach der Revolte der Ägypter des Jahres 570 gehandelt. Fritz (1967) 201 – 204; vgl. Asheri/ Lloyd/Corcella (2007) 373. 341 Hdt. 2,178,2 – 3. 342 Hdt. 2,178,3. Ihren genauen Status zu ermitteln ist anhand der Quellenlage unmöglich. Vgl. Bowden (1996) 33; Asheri/Lloyd/Corcella (2007) 373. Boardman (1981 [1964]) 154 vermutet eine Mischung aus städtischen Beamten und ‚Konsulen‘ für ihre Landsleute. 343 Vgl. zum Folgenden Boardman (1981 [1964]) 143 – 147 und Schlotzhauer/Weber (2012) 32 – 66. 344 Vereinzelt wurden auch Tonerzeugnisse aus Karien gefunden.

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mit Feinkeramik anzunehmen, zumal korinthische und s­päter attische Keramik weithin begehrt waren.345 Als Handelswaren vermutet John Boardman vor allem Öl und Wein, worauf Vorratskrüge verschiedener Provenienz hindeuteten.346 Die Griechen ­seien dagegen vor allem an Getreide, nachrangig vielleicht an Papyrus und Leinen,347 oder auch an Fayence, Elfenbein, Alaun und Natron, wie vor einiger Zeit ergänzt wurde,348 interessiert gewesen. Naukratis erscheint im Licht der oben gemachten Betrachtungen als ein Sonderfall, allein schon wegen seiner Lage und der damit einhergehenden Ansiedlungsbedingungen für Griechen aus verschiedenen Poleis. Durch die Regulierung von außen war das Gemeinwesen ein ewiges Provisorium, das einerseits als Handelsplatz durch seine Monopolstellung privilegiert, andererseits politisch in seiner Entwicklung gehemmt war. Doch ist gerade ­dieses Provisorium ein Merkmal, mit dem zahlreiche empória treffend charakterisiert werden können, wenn man der Annahme, es habe sich bei Siedlungen ­dieses Typs mehr um Plätze als um Städte mit voll ausgeformten Institutionen gehandelt, folgen möchte. Per definitionem nämlich sind empória Handelsplätze mit gemischter Bevölkerung und dabei oft kleine, wenig geplante Siedlungen.349 Die Definition ist den antiken Schriftquellen entlehnt, findet aber auch in der Archäologie als Fachbegriff Gebrauch. Hieraus ergibt sich ein grundlegendes Problem: Eben weil empória häufig tendenziell unbedeutende Siedlungen waren, sind sie in den Schriftquellen außerordentlich schwer greifbar. In der Archäologie 350 und mittelbar auch in den anderen klassischen Altertumswissenschaften wird der Begriff 345

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Drüber hinaus findet sich griechische Keramik auch jenseits von Naukratis in Ägypten. Eine Übersicht bei Schlotzhauer/Weber (2012) 196 – 289, wobei das Deltagebiet des Nils mit Tell Defenneh und Memphis einen Schwerpunkt darstellt. Dennoch ist bei der Identifikation von Keramik als Handelsware grundsätzlich Vorsicht geboten, wie dies. (2012) 35 feststellen: „Die keramischen Funde spiegeln fast ausschließlich die Votivpraxis in den Heiligtümern wider. Informationen zu Häfen und Warenhäusern fehlen.“ Am häufigsten sind Gefäße aus Athen und Samos belegt. Boardman (1981 [1964]) 151 – 152. Schlotzhauer/Weber (2012) 18 vermuten darüber hinaus Silber, Bauholz, Bronze und Eisen als griechische Handelswaren. Eine systematische Auswertung der Handelsamphorae aus Naukratis existiert bislang nicht. Zwar wurde bereits festgestellt, dass Tischamphorae in den Publikationen deutlich häufiger anzutreffen sind als Handelsgefäße. Indes ist zu vermuten, dass Handelsamphorae allzu oft wegen der Prioritäten der Ausgräber noch unpubliziert in den Depots schlummern. Vgl. dazu dies. (2012) 35 – 36. Boardman (1981 [1964]) 151. Möller (2000b) 211 – 213; Schlotzhauer/Weber (2012) 18. Im Folgenden werden Siedlungen von beachtlicher Größe betrachtet, gerade weil hier hinlängliches Material existiert, das ausgewertet werden kann. Die Begriffsverwendung beschränkt sich nicht auf die klassische Archäologie, sondern erstreckt sich über alle Altertumswissenschaften hinweg, kommt aber innerhalb der Archäologie am häufigsten aufgrund der quellenbedingten Arbeitsteilung, die sich in den Altertumswissenschaften herausgebildet hat, zum Einsatz.

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für eine große Bandbreite an Siedlungen (in zum Teil entlegenen Gebieten) verwendet; dabei geht dieser archäologischen Klassifikation aber keine Zuschreibung eines antiken Autors voraus. Die Gemeinsamkeit besteht in der Handelsfunktion, die aufgrund der materiellen Hinterlassenschaften angenommen wird.351 Hierbei besteht die Gefahr, dass gerade bei kleineren Siedlungen mit wenig fruchtbarem Hinterland die Einteilung voreilig erfolgt. Kurz: Es gilt, ­zwischen dem quellensprachlichen Begriff und der archäologischen Zuschreibung zu trennen, damit ein Zirkelschluss vermieden 352 und nicht eine archäologisch greifbare Kleinsiedlung zu einem politisch von einer größeren Polis abhängigen Handelsplatz deklariert wird, ohne dass weitere Indizien dies nahelegen. Die oft mit der Definition Karl Polynyis eines port of trade einhergehende Begriffsbestimmung 353 stellt einen vor Probleme, insbesondere für die Frühzeit, in der die Polis sich als Staat mitsamt den dazugehörigen Institutionen noch nicht in einem Maße herausgebildet hatte, dass politische Kontrolle (und daraus resultierende Abhängigkeit) über eine größere Entfernung hinweg möglich gewesen wäre.354 Es erscheint für die Zwecke dieser Arbeit daher trotz der oben formulierten Einwände ratsam, den Begriff empórion offen als Raum aufzufassen, innerhalb dessen eine Begegnung ­zwischen verschiedenen Kulturen stattfand und in denen eine große Zahl der Einwohner ihren Lebensunterhalt durch Handel bestritt. Eine s­ olche Händlersiedlung wäre – theoretisch – in weit geringerem Maße vom agrarisch nutzbaren Hinterland abhängig, da die Lebensgrundlage importiert werden könnte. Dies würde dann Freiräume bei der Wahl des Platzes schaffen, der in jedem Fall gut erreichbar und an der Grenze zu anderen (materiellen) Kulturen gelegen sein müsste, da dies lohnende Handelswaren verspräche. 351

Vgl. zu dem Problem der Bandbreite Gailledrat/Dietler/Plana-Mallart (2018a) 12; vgl. ferner Anm. 352. Als Kennzeichen für das empórion galt zudem oft eine ‚gemischte Bevölkerung‘. Dabei handelt es sich indes um ein Merkmal, das sich archäologisch auch für apoikiaí plausibilisieren lässt. 352 Der Terminus ἐμπόριον ist in den antiken Quellen nicht deutlich umrissen, und auch in der Altertumswissenschaft hat er ein breites Bedeutungsspektrum. Der terminologische Annäherungsversuch Redens mag hier auch nicht recht weiterhelfen: Reden (1997) 1020 – 1021. Vgl. grundlegend zum Begriff den Sammelband von Bresson/Rouillard (1993), darin v. a. die Beiträge von Casevitz (1993) und Bresson (1993) insbesondere 214 – 226 sowie Hansen (1997a) und ders. (1997b); zudem Demetriou (2011); sowie den jüngst erschienenen Sammelband von Gailledrat/Dietler/Plana-Mallart (2018b), dessen Beiträge, obgleich sie in Teilen eingearbeitet wurden, konzeptionell keinen Einfluss mehr auf die folgenden Ausführungen genommen haben, darin v. a. die terminologisch orientierten Aufsätze von Bresson (2018); Gras (2018); Rouillard (2018); Zurbach (2018). 353 Vgl. zur Nähe der beiden Begriffe Bresson (1993) 163 – 165; zum Begriff des port of trade grundlegend Polanyi (1971) passim. 354 Jüngst hat Bernstein (2020a) 501 den Unterschied ­zwischen den Gründungen Athens, die in eine imperiale Logik eingebettet waren und darin den römischen coloniae ähnelten, und den Gründungen der archaischen Zeit noch einmal betont.

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Die erste griechische Siedlung im Westen, das noch im 8. Jahrhundert gegründete Pithekoussai auf der Insel Ischia, erfüllt scheinbar alle diese Kriterien und wurde daher traditionell in der altertumswissenschaftlichen Forschung als empórion bezeichnet,355 gebe es doch keine Belege für eigenständige politische Organisation, dafür aber für eine gemischte Bevölkerung, die insgesamt nur in geringem Maße stratifiziert gewesen sei.356 Doch entspricht diese Sichtweise einem Polis-Ideal klassischer Zeit, zumal ‚ethnische‘ Heterogenität kein Alleinstellungsmerkmal 357 von empória war. Die Abwesenheit von baulichen Überresten politischer Organisation wie einer Agora lässt sich schwerlich mit dem Fehlen jedweder politischer Organisation selbst gleichsetzen und ist wenig stichhaltig, da beispielsweise eine beliebige Freifläche als Agora hätte dienen können.358 Ischia verfügt über mehrere natürliche Häfen, die sich in der Nähe des Monte di Vico, wo die erste Siedlung errichtet wurde, befinden.359 Die mit gut 46 Quadratkilometern recht begrenzte Fläche der Insel mag zu der Annahme führen, dass landwirtschaftliche Eigenversorgung nicht möglich war. Die Bevölkerung schien schnell angewachsen zu sein, Schätzungen gehen von etwa 5 000 Einwohnern aus.360 Doch scheint Selbstversorgung hier von Anfang an angestrebt worden zu sein, lässt sich doch eine ausgedehnte Chora nachweisen und auch Bebauung sowie Werkzeuge verweisen auf eine ständig ansässige Bevölkerung, die Landwirtschaft betrieb.361 Zudem berichtet Strabon über den aus Ackerbau resultierenden Reichtum.362 Alles in allem handelte es sich bei P ­ ithekoussai wohl nicht exklusiv um einen Handelsplatz.363 Der Befund lässt darüber hinaus, 355

Vgl. zu dieser Aussage Esposito (2018) 176 sowie die kurze Problematisierung von Greco (1994). 356 Stellvertretend Bartoloni/Cordano (1978) passim; dazu kritisch Hansen/Nielsen (2004) 286 – 287. 357 Vgl. dazu Stein-Hölkeskamp (2015) 104. 358 Ein argumentum ex silentio ist immer problematisch, hier aber in besonderer Weise, da beim Schluss von der Abwesenheit bestimmter Bauten auf das Fehlen einer Form sozialer Organisation geschlossen wird und so zwei verschiedene Ebenen miteinander vermischt werden. Umgekehrt ließe das Vorhandensein bestimmter Bauten Vermutungen auf die Existenz politischer Institutionen zu, wenngleich dies ein Analogieschluss wäre. 359 Hansen/Nielsen (2004) 287; vgl. zur Topographie den Grabungsband Buchner/ Ridgway (1993). 360 Ridgway (1992) 101 – 103 schätzt 5 000 – 10 000 Einwohner; Morris (1996) 57, geht von 4 000 – 5 000 Einwohnern aus, was Hansen/Nielsen (2004) 287 allzu vorsichtig scheint. Ähnlich pessimistisch aber auch Stein-Hölkeskamp (2015) 104. 361 Caro (1994) passim; Caro/Gialanella (2011) passim. Vgl. dagegen Greco (1995) insbesondere 91. 362 Strab. 5,4,9. 363 Esposito (2012) 102 – 107; Ridgway (2000b) 185 – 186. Osborne (1996) 40 – 41 betont dagegen, dass es ohne den Handel, den er als hauptsächlichen Träger von Mobilität ansieht, überhaupt nicht zu einem derart rasanten Bevölkerungszuwachs hätte kommen können. Er geht dabei aber von der mittlerweile revidierten Position aus, Ischia habe agrarisch

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vor allem anhand der Nekropolen und entgegen älteren ­Interpretationen, durchaus soziale Stratifikation erkennen.364 Die große Heterogenität hinsichtlich der materiellen Kultur innerhalb der Bevölkerung zeichnet sich im archäologischen Befund deutlich ab.365 Dies, die Erreichbarkeit und die Lage an einem Ort, der für das Umschlagen von Waren außerordentlich günstig gewesen wäre, sind starke Indizien für Handel, wenngleich dies noch nichts darüber aussagt, in welcher Form dieser vonstattenging. Für die Gründung von Syrakus, einer apoikía, wurden schon früh Handelsinteressen als ausschlaggebend angesehen.366 Gegründet von Korinth, der Produktionsstätte für die weißgrundierte und schwarzfigurige Keramik, die insbesondere im Westen exorbitant große Verbreitung fand,367 gelangte es zu immer größerem Wohlstand und stieg zur Lokalmacht auf.368 Der rapide erlangte Reichtum der Stadt 369, die schon von Thukydides erwähnte zum Handelsplatz prädestinierte Lage 370 und die allgegenwärtige Beliebtheit der früh- und mittelkorinthischen Töpfererzeugnisse scheinen den Handel als Motiv zur Gründung zwingend nahezulegen. Doch konnte einerseits gezeigt werden, dass sich der Reichtum Syrakus’ in beträchtlichem Maße auf Ackerbau stütze, andererseits, dass bei der Gründung Konflikte innerhalb Korinths eine nicht unbeträchtliche Rolle spielten.371 Es entfalteten sich gruppenformierende Kräfte, die die Begründung einer neuen Gemeinschaft in der Ferne ermöglichten. Zudem wurde bereits mehrfach konstatiert, dass insbesondre für die Gründungsphase anhand von Keramikfunden vermutete Handelsinteressen leicht überschätzt werden können.372 Neben großen Siedlungen wie Pithekoussai sind zahlreiche kleinere empória archäologisch erschlossen, in denen sich ein Nebeneinander von ‚Griechen‘ und ‚Indigenen‘ zumindest anhand der baulichen Überreste und der Keramik feststellen

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kaum etwas zu bieten gehabt, und nennt als Begründung den Vergleich zur Gegenwart. Vgl. auch Anm. 277. Guzzo (2016) 31 vermeidet den Begriff empórion im Bezug auf Pithekoussai. Vgl. auch Rouillard (2018) 19 – 20. Ridgway (1992) 50 – 51; D’Agostino (1999) 213 – 217; Stein-Hölkeskamp (2015) 106. Buchner (1978) passim; Ridgway (1992) 111 – 118; ders. (1998) passim; ders. (2000b) 183 – 185. Holm (1870) 121; 124; Blakeway (1933) 205 – 206; Dunbabin (1948) 15 – 18; Williams (1997) 32 – 35. Graham (1982) 13, dabei gleichzeitig warnend vor allzu weitgehenden Schlussfolgerungen. Vgl. Zur Bedeutung korinthischer Keramik grundlegend Salmon (1984) 97 – 98; 99 – 100; ders. (2000) 245 – 252. Boardman (1981 [1964]) 206. Dass schneller Reichtum durch Fernhandel erzielt werden konnte, war ein bereits in der Antike verbreiteter Topos. Vgl. Schmitz (1997) 1021. Thuk. 1,13,5. Bernstein (2004) 45 – 77. Morgan (1988) 336; Bernstein (2004) 54. Vgl. auch Anm. 367.

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lässt: So finden sich ‚indigene‘ Rundhäuser neben rechteckigen ‚griechischen‘ Wohnhäusern und nicht selten im Kontext beider Bauten griechische Importkeramik neben vor Ort produzierter Alltagsware, die gröber gefertigt ist.373 Der Befund deutet auf ein Nebeneinander verschiedener Gruppen, von denen wir nicht wissen, ob und wie scharf sie ­solche Grenzen wahrnahmen. Ein materieller Austausch ist wahrscheinlich. Die Interpretation solcher Befunde kann insbesondere hinsichtlich der Zuordnungen ‚griechisch‘ und ‚indigen‘ gerade bei Wohnhausarchitektur, aber auch bei Keramik nie ganz befriedigen, weil sie uns keine gesicherte Auskunft darüber geben können, wie sich die Menschen, die in jenen Häusern wohnten und die diese Keramik benutzten, selbst wahrnahmen, ob als Griechen, Ansässige der Siedlung, einer einheimischen Identitätsgruppe zugehörig oder gar mehrere dieser Zugehörigkeiten auf sich vereinten. Gerade die Interpretation solcher (anfänglich) kleiner Siedlungen stellt also vor Herausforderungen.374 Insbesondere dann, wenn Schriftquellen gänzlich fehlen,375 können sehr unterschiedliche Interpretationen ein und desselben Befundes erfolgen, was sich am Beispiel Al Minas verdeutlichen lässt. Die Ausgrabungsstätte Al Mina ist an der Orontesmündung in Nordsyrien gelegen, einem Gebiet, in dem auch mykenische Keramik gefunden wurde und das als mögliche Schnittstelle ­zwischen der Ägäis und Mesopotamien in Frage kam. Der Ausgräber Leonard Wooley suchte ­zwischen den beiden Weltkriegen gezielt nach Überresten dieser Austauschbeziehungen und entdeckte dabei den Hafen Al Minas.376 Der Ort befand sich in assyrischem, dann, nach der Eroberung Nebukadnezars II ., in babylonischem Herrschaftsgebiet. Schon für das 8. Jahrhundert findet sich Keramik griechischer Provenienz, vor allem aus Euboia.377 Diese Frühphase ist von Bauten aus Lehmziegeln gekennzeichnet, deren Mauern auf niedrigen steinernen Fundamenten oder Sockeln ruhten. Dieser Bautypus 373

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Das Bild variiert jeweils lokal. Für L’Amastuola in Süditalien wurde ein komplexes Nebenein­ander ‚griechischer‘ und ‚indigener‘ Bauformen und Keramiktypen konstatiert: Burgers/Crielaard (2007); dies. (2012); dies. (2016). V. a. anhand von Keramik und Schmuck Rückschlüsse auf ein Nebeneinander in Pithekoussai zieht Donnellan (2016) 152 – 153; ein allgemeinerer Überblick findet sich bei D’Agostino (2006) 117 – 134. Vgl. beispielhalt zu jenen kleineren empória die Arbeiten zu Taganrog Dally/Larenok (2002); Dally/Larenok/Kopylov (2005). Es existierten auch Siedlungen, bei denen davon ausgegangen werden muss, dass eine wie auch immer geartete ‚griechische‘ Bevölkerung eine Minderheit darstellte. Vgl. hierzu zusammenfassend Malkin (2009) 376; zu Pistiros in Thrakien Bouzek/Domaradzka/Domaradzki (2013); Gotzev (2013); Weissová (2013); auch: Tsetskhladze (2011); zur Iberischen Halbinsel mit einem Schwerpunkt auf Empotion: Plana-Mallart (2004); Rouillard (2009). Wooley (1938a) 15 setzte Al Mina mit Poseideion gleich, das Hdt. 3,91,1 als ­zwischen Syrien und Kilikien gelegene Polis identifiziert, die von einem gewissen Amphilochos gegründet worden sei. Diese Hypothese ist hinlänglich widerlegt worden: Graham (2001b) 71 – 73. Boardman (1981 [1964]) 41; Perreault (1993) 63. Boardman (1981 [1964]) 43 – 4 4; ders. (1990) 171 – 172; Perreault (1993) 66 – 67.

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fand sich in griechischen wie mesopotamischen Kontexten, sodass Rückschlüsse auf die Herkunft der ansässigen Bevölkerung nicht möglich sind.378 Ab dem Beginn des 7. Jahrhunderts ist eine Zäsur fassbar,379 die sich sowohl baulich als auch hinsichtlich der Keramik niederschlug: Plötzlich finden sich große Bauten, die der Ausgräber als Speichergebäude interpretierte.380 Doch der behauptete griechische Ursprung wurde angezweifelt.381 Auch dominiert von nun an die griechische Keramik. Darunter findet sich euboiische (eventuell auch attische), korinthische, argivische und in großer Zahl ostgriechische Ware. Dabei machte die Keramik aus Euboia quantitativ nur noch einen geringen Teil aus.382 John Boardman schließt aus d ­ iesem Wandel, die Griechen hätten allmählich den Handel beherrscht,383 wobei er davon ausgeht, dass schon in der Phase davor Al Mina zumindest zum Teil griechisch besiedelt 384 gewesen war. Inschriften, eingeritzt in Töpferware, tauchen ab dem 5. Jahrhundert auf, wobei die Mehrzahl dieser Graffiti phoinikisch und lediglich einige wenige griechisch sind.385 Darüber hinaus wurde die Beweiskraft dieser Inschriften hinsichtlich der Bewohner zu Recht in Frage gestellt: „It is obvious that none of these inscriptions has any bearing on the question whether there were Greek residents at Al Mina.“ 386 Eine griechische Inschrift auf einer Scherbe, die man in geometrische Zeit datierte, wird in Teilen der Forschung als Beleg für eine frühe griechische Präsenz angesehen.387 Doch wurde auch darauf hingewiesen, dass die Inschrift ein Einzelfall sei, der alleine nicht als Beleg für diese These angesehen werden könne.388 Boardmans Darstellung stützt sich auf den Grabungsbericht Wooleys 389 und die von Martin Robertson 390 vorgenommenen Analysen der Keramik. Auf der gleichen Datengrundlage gelangten andere indes zu gegensätzlichen Ergebnissen: So folgert Jacques Perreault, es gebe keinerlei archäologischen Beleg, der die Annahme zwingend mache, in Al Mina ­seien 378

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Boardman (1981 [1964]) 42. Die Siedlungskontinuität scheint gar unterbrochen gewesen zu sein, wenngleich nur für kurze Zeit. Vgl. hierzu ebd. Vgl. Wooley folgend ebd. Coldstream (1977) 93; Graham (2001b) 72. Boardman (1981 [1964]) 50 – 53; Perreault (1993) 67 – 68. Boardman (1981 [1964]) 50. ders. (1981 [1964]) 47: „Natürlich war die Stadt Al Mina nicht ganz und gar griechisch. Wahrscheinlich bestand an dieser Stelle schon irgendeine Siedlung, die erst als Handelsplatz an Bedeutung gewann, nachdem die Griechen angefangen hatten, den Hafen anzulaufen und dort eine kleine Gemeinde anzusiedeln.“ Perreault (1993) 68; Graham (2001b) 74. ebd. Publiziert von Boardman (1982) 365 – 367; als Beleg eher für die Verwendung der griechischen Schrift im 7. Jahrhundert in Al Mina angesehen von Graham (2001b) 75; 82. Perreault (1993) 62, der Boardmans Publikation d ­ ieses Graffito (vgl. Anm. 387) „un ultime espoir de prouver un présence réelle de Grecs sur le site au VIIIe siècle“ nennt. Wooley (1938a); ders. (1938b). Robertson (1940) 66.

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Griechen ansässig gewesen. „Al-Mina a toutjours été […] un port fondé et habité par des Levantines.“ 391 Er weitet ­dieses Urteil nach der Untersuchung von Bassit und Tell Soukas 392 auf die Levante aus: Ausgehend von der Interpretation Wooleys sei ein „großer Mythos“ um den griechischen Einfluss auf die Levante entstanden, der von der angelsächsischen Archäologie befeuert worden sei.393 Der in scharfen Worten geführte Disput verdeutlicht, wie sehr bei gleicher Datengrundlage die Interpretationen variieren können. Entscheidend ist hierbei der Rahmen, innerhalb dessen diese Interpretation erfolgt. So war es Wooleys Ausgangspunkt, die Griechen in der Levante zu entdecken.394 Boardman sieht in seinem Standardwerk den griechischen Handel als hauptsächliche Triebkraft einer griechischen ‚Kolonisation‘ und so hat er die Tendenz, stets von Handel auszugehen, auch wenn nicht recht nachvollzogen werden kann, wer mit wem was austauschte – vom Wie ganz zu schweigen.395 Gleichermaßen befördert ­dieses Narrativ die Annahme, dass griechische Händler auch dort ansässig wurden, wo sie Waren tauschten. Mittlerweile haben sich die Wogen zugunsten synthetisierender Sichtweisen geglättet, wobei das große Narrativ von den Griechen als erfolgreiche Händler nachwirkt. Al Mina wird als gemischte Gemeinschaft aus Phoinikiern, Griechen und ‚lokalen Syrern‘ betrachtet, innerhalb derer es zu Akkulturation kam.396 Die festgestellte Varianz innerhalb der Interpretationsmöglichkeiten wirft uns auf die theoretische Ebene zurück, zumal gerade das Fallbeispiel Pithekoussai zeigt, wie schwierig die Annäherung an Gründe, Motive und Verlauf der Besiedlung eines Platzes anhand des archäologischen Materials sein kann. Zu Recht wurde daher auch in Frage gestellt, inwiefern bei frühen Siedlungen überhaupt ­zwischen apoikíai und empória unterschieden werden kann.397

3.3.4 Zusammenfassung: Handel und Migration Händler treten in den sehr spärlichen frühen schriftlichen Zeugnissen als hochgradig mobile Gruppe auf, die zur See fährt, nie aber als Betreiber großer Kontore. 391

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Perreault (1993) 68. ders. (1993) 69 – 79, auch von Boardman (1990) 172 – 173 besprochen. Perreault (1993) 82. Vgl. dazu Graham (2001b) 71 – 75. Symptomatisch hierfür: Boardman (1981 [1964]) 45: „Was die Euböer zum Verkauf mitbrachten, wissen wir nicht. […] Man kann sich nicht recht denken, was Griechenland im achten Jahrhundert […] anzubieten hatte, aber sicher ergaben sich Handelsbeziehungen, die wohl kaum einseitig waren […].“ Ähnlich im Falle von Naukratis ders. (1981 [1964]) 152. Lehmann (2005) passim; Descœudres (2002) passim, interpretiert die griechische Keramik, bei der es sich fast ausnahmslos um Trinkgeschirr handele, als Indiz für die Übernahme griechischer Bankettkultur durch ‚Indigene‘. Wilson (1997) passim.

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Dieses argumentum ex silentio ist kein Beweis für deren Abwesenheit, doch zeigt der archäologische Befund, wie schwer es ist, s­ olche Bauwerke für die Frühzeit eindeutig zu bestimmen und einer klar definierten Gruppe zuzuschreiben. Bei Hesiod hat die Tätigkeit als Händler eine situative Komponente: Handel erscheint als ein Nebenerwerb, der einerseits als lukrativ, andererseits als risikoreich und verdammenswert charakterisiert ist. Indes wird auch deutlich, dass Handel Ressourcen bereitzustellen vermochte, mit denen Ansässigkeit stabilisiert werden konnte. Auch in der Odyssee, in der Händler ideologisch strikt von den mobilen Eliten getrennt sind, finden sich Spuren eines differenzierteren Bildes: Hier changieren die Mobilitätsformen und gehen ineinander über. Aus Piraten werden kurzzeitig Händler, die ihre Beute tauschen, aus Händlern Piraten, die Jünglinge versklaven, aus Helden Piraten usw. Solche ‚Teilzeithändler‘ dürften verschiedene Strategien verfolgt haben, ihre Waren abzustoßen, zumal gemünztes Geld erst sehr spät auf den Plan trat. Ein fester Umschlagplatz war hier keine notwendige Bedingung. Es konnte auch direkt vom Schiff herunter Ware getauscht und umgeschlagen werden: Eine Variante wäre der sogenannte stille Handel. Daneben sind zahlreiche andere Wertsysteme denkbar, obschon die Verbreitung der Münze im 6. Jahrhundert als Vereinfachung hinsichtlich Bewertung und Mobilität von Werten den Handel beflügelt haben dürfte, wenngleich das Zahlungsmittel offenbar nicht überall in gleichem Maße angenommen wurde.398 Diese durch Mobilität gekennzeichneten und nur bedingt auf Dauer angelegten Handelspraktiken sprechen gegen ein Ansässigwerden in der Ferne im großen Stil. Hierzu bestand nur bedingt eine Notwendigkeit, die sich in kleineren Siedlungen, die nicht immer auf Dauer angelegt wurden, niederschlug und deren Spuren in den Schriftquellen verschwunden, im archäologischen Befund verwischt sind. Doch zeichnen sie nicht selten ein Bild gemeinsamer Ansässigkeit und materiellen Austauschs. Zur Frage, inwieweit s­ olche empória 399 als Keimzellen großer Städte geeignet waren, lässt sich aus den gemachten Beobachtungen Folgendes festhalten: Siedlungen, die reich an Bevölkerung und auch Einfluss wurden, besaßen agrarisches Hinterland, das zumindest die eigene Versorgung sicherstellte, wenn nicht darüber hinaus Überschüsse produzierte. Pithekoussai und auch Syrakus sind hierfür eindrückliche Beispiele, die keine Ausnahmen darstellen. Bei Naukratis handelte es sich um einen Sonderfall, da es auf dem Gebiet des ägyptischen Reichs gelegen war und eine de facto Monopolstellung als port of trade innehatte. Al Mina befand sich ebenso in der Einflusssphäre eines Großreichs, aus dessen Sanktionierung die unterbrochene Siedlungskontinuität erklärt werden kann.

398 399

Vgl. Kapitel 3.4.5 Die Entstehung der Münze, 251 – 253. Der Begriff wird hier nicht im Sinne eines von einer Polis abhängigen Handelsplatzes, sondern als offene Siedlung, in der ein großer Anteil der Bevölkerung aus Händlern besteht, gebraucht.

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Bahnen der Mobilität

In jedem Fall transportierten die Schiffe jener mobilen Gruppe nicht nur Waren,400 sondern auch Ideen und Informationen über entlegene Gebiete und die Menschen, die jene bewohnten.401 Händler knüpften soziale Beziehungen zu der lokal ansässigen Bevölkerung und zu den Eliten, auf deren Wohlwollen sie angewiesen waren. Der Gabentausch mit den Eliten, wenngleich nur bedingt reziprok,402 und der Warentausch stifteten soziale Ressourcen, die sich unter Umständen für spätere Migration und die Ansässigwerdung in d ­ iesem Gebiet ­nutzen ließen, sei es für eine temporäre Zusiedlung oder eine dauerhafte, größere Ansiedlung. Auch dürften jene, die um des Gewinns (κέρδος) willen die Meere befuhren, einen geschulten Blick für den natürlichen Ressourcenreichtum eines Landes gehabt haben. Für eine etablierte Siedlung bedeutete Handel vermehrten Kontakt und damit eine stetige Verbundenheit mit den Bahnen der Mobilität, die Händler durch häufiges Anlaufen eines Hafens für die dazugehörige Siedlung erheblich weiteten, sodass der Mobilitätsform Handel gerade bei Entwicklung und Wachstum von Siedlungen eine bedeutende Rolle zukam. Dennoch erscheinen die Gruppen, die als Händler auftreten, nicht selten lose organisiert, vor allem in den Werken und Tagen Hesiods, die Handel als eine Nebenbeschäftigung darstellen. Indes kann von festeren, auf größere Dauer angelegten mobilen Gruppen ausgegangen werden, denn das Handelsvolumen stieg in archaischer Zeit rapide an.

3.4 Kriege als Mobilitätsmotor Da Kriege zumeist mit einer Reihe von geographischen und sozialen Mobilitätsphänomenen einhergehen, die wiederum zuweilen mit Migrationsbewegungen in Wechselwirkung treten, erscheint hier eine Auseinandersetzung opportun. Eine mobile Gruppe, die wie kaum eine andere geographische und soziale Mobilität im Zuge von Kriegen verkörpert, wird in den Quellen zumeist als ἐπίκουροι 403, in der Forschungsliteratur in der Regel als Söldner bezeichnet, wobei der moderne Begriff zu Missverständnissen führen kann. Es wird daher im Folgenden mit den Konzeptionen in den Quellen und einer Begriffsdefinition begonnen. Eine gängige Sichtweise der Forschung war es, dass Söldner erst ab dem 4. Jahrhundert ein Faktor in der Politik- und Sozialgeschichte der Griechen wurden. Infolge des Peloponnesischen Krieges ­seien die Männer, die fortwährend unter Waffen gestanden hatten, professionelle Krieger geworden, um der Armut, einer Folge der langen 400

Vgl. grundsätzlich Osborne (2007) passim. Ähnlich auch bereits Graham (1990) 45; 60. 402 Die Gegenleistung bestand bestenfalls im erkauften Wohlwollen jener Eliten und auch das nur auf Zeit. 403 Später auch als μισθοφόροι oder auch ξένοι bezeichnet. Vgl. Burckhardt/Campbell (2001). 401

Kriege als Mobilitätsmotor

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zerstörerischen Auseinandersetzung, zu entrinnen. Habe sich in archaischer Zeit die Möglichkeit geboten, als „Kolonist“ ein besseres Leben zu suchen, habe es diese Option in klassischer Zeit nicht mehr gegeben.404 Bemerkenswerterweise ist es dasselbe wirkmächtige, aber nicht ganz unproblematische Modell,405 Söldnertum bzw. Migration auf Armut zurückzuführen, das hier angewandt wurde. In einem zweiten Schritt soll daher überprüft werden, ob es erstens weitere Motive gab, sich als professioneller Kämpfer zu verdingen, und zweitens, ob reisende Krieger als politisch-sozialer Faktor tatsächlich wegen ihrer geringen Anzahl eine nur untergeordnete Rolle spielten.

3.4.1 Epíkouros: Mitkämpfer, Verbündeter oder Söldner? Nach geläufiger Definition wird als Söldner bezeichnet, wer freiwillig, also ohne Zwang oder andere Verpflichtung, gegen Bezahlung an kriegerischen Auseinandersetzungen teilnimmt.406 Der in archaischer Zeit belegte Begriff ἐπίκουρος nimmt diese Bedeutung spätestens bei Herodot und Thukydides an, wenngleich nicht exklusiv, da seit Thukydides 407 auch μισθοφόρος verwendet wurde. Die Etymologie von ἐπίκουρος ist unklar: Mitzuklingen scheint κοῦρος, Jüngling. Bei den frühen Lyrikern sind es nicht selten ebenjene Jünglinge, die zum Kämpfen aufgefordert werden. 404

Vgl. hierzu Luraghi (2006) 21 – 22, der diese Überlegungen der älteren Forschung genauer ausführt. Die Sichtweise, dass griechische Söldner in der Krise des 4. Jahrhunderts aus Armut zu einem bedeutenden Faktor wurden, findet sich in diversen Standardwerken. Vgl. Parke (1933); Betalli (1995). 405 Vgl. dazu Kapitel 2.3 Eine Perspektive auf Hungersnöte und ‚Bevölkerungsüberschuss‘, 135 – 154. In seinem ­kurzen Abriss stellt Schulz (2005) 53 – 54 das Söldnertum dagegen als Alternative, die sich verarmten Angehörigen der Elite geboten habe, dar. 406 Die hier gegebene Definition folgt dem Alltagsverständnis des Begriffs Söldner. Es erscheint an dieser Stelle nicht sinnvoll, Details verschiedener moderner Definitionen gegeneinander abzuwägen, zumal die Antike in allgemeiner angelegten, politologischen Schriften häufig nicht zuletzt aufgrund des anders gelagerten Erkenntnisinteresses sehr knapp abgehandelt wird, sodass definitorische Feinheiten aus d ­ iesem Kontext kaum vielversprechend hinsichtlich eines zusätzlichen Erkenntnisgewinns erscheinen. Vgl. beispielsweise das kurze Buch von Kramer (2010) hier: 27 – 32, der sich seinem Thema zwar zunächst historisch annähert, sich indes dazu gezwungen sieht, das Söldnerwesen der griechisch-römischen Antike – beginnend mit dem Peloponnesischen Krieg bis in die Spätantike hinein – auf fünf Seiten abzuhandeln. Interdisziplinäre Kooperationen könnten sich auch in ­diesem Feld zukünftig als fruchtbar erweisen. Vgl. zu Definitionen für die Antike Burckhardt/ Campbell (2001) 667 – 668, die sich an der alltäglichen Verwendung des Begriffs orientieren. Im Folgenden soll es nicht um eine exakte theoretische Bestimmung dessen gehen, was unter einem Söldner zu verstehen ist, sondern um das Einfangen einer sozialen Rolle in der griechischen Archaik aus den Quellen und dies im Hinblick auf die dieser Rolle innewohnende Mobilität und deren Einfluss auf Migrationsbewegungen dieser Zeit. 407 Thuk. 1,35,4; 3,109,2; 6,43,1; 7,57,3 – 58,3.

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Zuerst ist ἐπίκουρος bei Homer in der Ilias (nicht aber in der Odyssee) belegt.408 Wenn Sarpedon Hektor mitten im Kampf ermahnt, Mut zu fassen,409 werden die ἐπίκουροι mehrfach erwähnt und als Teil der Kämpfenden auf Seiten der Troer benannt. Dabei werden sie von den λαοί, also dem gemeinen Fußvolk aus Troia, von dem Helden Hektor selbst und von seinen Standesgenossen unterschieden.410 Sarpedon ist innerhalb dieser Konzeption ein aus Lykien stammender ἐπίκουρος, der dort Frau, Kinder und Besitz zurückgelassen habe.411 Er erscheint ferner als Anführer eines Kontingents von Lykiern, die er zum Kämpfen antreibt.412 Die Gründe, aus denen Sarpedon und seine Lykier an der Seite Hektors gegen die Achaier fechten, bleiben verborgen. Da die Lykier auf Seiten der Verteidiger stehen, bietet sich ihnen keine Möglichkeit, durch Plünderung einer Stadt große Reichtümer zu erlangen, was ein Anhaltspunkt dafür sein könnte, dass die Lykier Troia aufgrund einer Bündnisverpflichtung unterstützen.413 Doch auch wenn die Lykier als Verbündete agieren, bleibt es unklar, ob materielle Interessen oder wechselseitige Verpflichtungen Grundlage der Verbindung sind. Die Passage ist dennoch aufschlussreich, was den Charakter der Beziehung ­zwischen den Troern und ihren Verbündeten anbelangt. Sarpedon nimmt es sich als einer der Anführer der ἐπίκουροι heraus, Hektor öffentlich und überaus deutlich zur Raison zu bringen; schließlich fordert er ihn sogar auf, die Anführer der ἐπίκουροι anzuflehen (λίσσομαι).414 Sarpedon und Hektor begegnen einander somit fast auf Augenhöhe und es ist Sarpedon möglich, sich und die Seinen kurzzeitig über die Troer zu stellen. Denn sie, die Lykier, trügen die Hauptlast der Kämpfe.415 Es ist kein Verhältnis von ‚Herr und Diener‘, in dem Hektor in einer Weise über Sarpedon stünde, die es dem Lykier verböte, den Helden der Troer öffentlich zur Ordnung zu rufen. Dennoch hat Hektor den Oberbefehl inne, da er die Truppen einteilen und ihre Anführer bestimmen kann.416 Als Sarpedon dann in der Schlacht fällt, richtet Aineas das Wort an die Troer: Mit aller Macht sei es zu verhindern, dass Sarpedons Leichnam von den Achaiern geplündert und geschändet werde. Die Troer sind auf Aineas Worte hin voll der Trauer, was zeigt, in welch hohem Maße dem tapferen 408

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Hom. Il. 2,130; 2,803; 2,815; 3,188; 3,451; 3,456; 4,379; 5,473; 5,477; 5,478; 5,491; 6,111; 6,227; 7,348; 7,368; 7,477; 8,497; 9,233; 10,420; 11,220; 11,564; 12,61; 12,101; 12,108; 13,755; 16,538; 17,14; 17,212; 17,220; 17,335; 17,362; 21,431. Hom. Il. 5,471 – 492. Hom. Il. 5,473 – 474. Hom. Il. 5,478 – 480. Hom. Il. 5,482; 5,495 – 496. Jedoch ist dies ein vergleichsweise schwaches Indiz. Hom. Il. 5,490 – 492. Hom. Il. 5,477. Vgl. Hom. Il. 2,802 – 806. Der Ratschlag der Iris, die Truppen ihrer Herkunft nach einzuteilen und ihnen ihre eigenen Anführer zu geben, wäre ja sinnlos, wenn Hektor gar nicht die Möglichkeit hätte, so zu verfahren. Vgl. auch die Ausführungen auf S. 232 – 233 sowie Schmidt (1991) 640.

Kriege als Mobilitätsmotor

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ἐπίκουρος über den Tod hinaus Respekt erwiesen wird.417 Neben ­diesem Respekt für Sarpedon als einen der Anführer deutet noch mehr auf eine geachtete Stellung hin: Wie Priamos Helena erzählt, ist er selbst in jungen Jahren als ἐπίκουρος in Phrygien gewesen.418 Die ἐπίκουροι sind also weit mehr als bloße Befehlsempfänger; zudem nehmen sie auf Seiten der Troer an Beratungen teil.419 Die verschiedenen Kontingente der ἐπίκουροι, die mit den Troern kämpfen, sind zahlreich und haben jeweils ihre eigenen Anführer. An zwei Stellen finden sich Aufzählungen der bunten Schar, die sich in Ilion zur Verteidigung der Stadt zusammengefunden hat. Bei der kürzeren von beiden handelt es sich um einen Abschnitt aus der Dolonie. In der Forschung sieht man die Passage in der Regel als einen späteren Einschub an, da in dem Epos keine Erzählstränge zu ihr hinführen.420 Allerdings konnte Georg Danek zeigen, dass „die Dolonie in derselben Weise in der epischen Tradition […] wie die Ilias“ verwurzelt sei und kein „wesentlicher chronologischer Abstand“ ­zwischen beiden bestehe.421 Τοὶ γὰρ ἐγὼ καὶ ταῦτα μάλ’ ἀτρεκέως καταλέξω. πρὸς μὲν ἁλὸς Κᾶρες καὶ Παίονες ἀγκυλότοξοι καὶ Λέλεγες καὶ Καύκωνες δῖοί τε Πελασγοί, πρὸς Θύμβρης δ’ ἔλαχον Λύκιοι Μυσοί τ’ ἀγέρωχοι καὶ Φρύγες ἱππόμαχοι καὶ Μηιόνες ἱπποκορυσταί. ἀλλὰ τίη ἐμὲ ταῦτα διεξερέεσθε ἕκαστα; εἰ γὰρ δὴ μέματον Τρώων καταδῦναι ὅμιλον Θρήϊκες οἷδ’ ἀπάνευθε νεήλυδες ἔσχατοι ἄλλων· ἐν δέ σφι Ῥῆσος βασιλεὺς πάϊς Ἠϊονῆος. τοῦ δὴ καλλίστους ἵππους ἴδον ἠδὲ μεγίστους·422 So will ich nun denn auch ­dieses ganz unverdreht berichten. Zum Meer hin schlafen die Karer und die Paionen mit krummen Bogen Und die Leleger und Kaukonen und die göttlichen Pelasger. Nach Thymbre hin erlosten es die Lykier und die stolzen Myser Und die Phryger, die zu Pferde kämpfen, und die pferdegerüsteten Maionen. Aber warum fragst du mich darüber aus nach all und jedem?

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Hom. Il. 16,544 – 545; 16,548. Hom. Il. 3,182 – 190. Hom. Il. 7,348; 7,368. Sie werden neben den Troern von den Rednern angesprochen. Vgl. den Lexikonartikel von Latacz (1998); vgl. ferner Danek (1988) 231 – 237; passim: Ließen sich die sprachlich-stilistischen Inkonsistenzen und die verschieden komponierten Reden noch mit einem inkonsequenten Autoren erklären, erscheine die Dolonie insbesondere wegen der Ankleide- und Rüstungsszenen sicher als Einschub. Danek (1988) 20 – 47; 230. Hom. Il. 10,427 – 436.

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Denn wenn ihr begehrt, in die Menge der Troer zu tauchen: Da schlafen die Thraker, abseits, neugekommen, zu äußerst von allen, Und unter ihnen Rhesos, der basileús, der Sohn des Eïoneus. Dessen Pferde sah ich als die schönsten und größten. Zunächst fällt auf, dass jedes Kontingent für sich sein Lager aufschlägt, dessen Platz sie wohl per Los (λαγχάνειν) erhielten. Die einzelnen Gruppen bleiben in dieser Hinsicht unter sich. Einige von ihnen werden mit einer bestimmten Waffengattung attribuiert: Karer und Paionen als Bogenschützen (ἀγκυλότοξοι), Phryger, Maionen und Thraker als Berittene (ἱππόμαχοι) oder Streitwagenlenker (ἱπποκορυσταί). Im ‚Katalog der Verbündeten‘423 finden sich neben den zum Teil identischen Zuschreibungen die Pelasger als Speerträger (ἐγχεσίμωροι) und die Kikonen als Lanzenkämpfer (αἰχμηταί). Mit der unterschiedlichen Bewaffnung geht eine bestimmte Kampfweise einher, die hier ebenfalls angesprochen ist. Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal z­ wischen den jeweiligen Kontingenten ist ihre Sprache. Iris gibt, von Zeus zu den Troern gesandt, Hektor nämlich folgenden Rat: Ἕκτορ σοὶ δὲ μάλιστ’ ἐπιτέλλομαι, ὧδε δὲ ῥέξαι· πολλοὶ γὰρ κατὰ ἄστυ μέγα Πριάμου ἐπίκουροι, ἄλλη δ’ ἄλλων γλῶσσα πολυσπερέων ἀνθρώπων· τοῖσιν ἕκαστος ἀνὴρ σημαινέτω οἷσί περ ἄρχει, τῶν δ’ ἐξηγείσθω κοσμησάμενος πολιήτας.424 Hektor, dir aber trage ich vor allem auf, ­dieses zu tun: Sind viele Verbündete doch in der großen Stadt des Priamos, Und anderen ist eine andere Zunge der weit verstreuten Menschen. Denen soll jeder Mann Weisung geben, über die er befiehlt, Und diese führe er hinaus, wenn er seine Leute geordnet hat. Eben wegen der Sprachbarrieren rät Iris Hektor, sich der eigenen Anführer der jeweiligen Gruppen zu bedienen. Die Vielsprachigkeit der Troer ist an anderer Stelle in der Ilias sehr deutlich veranschaulicht: Τρῶες δ’, ὥς τ’ ὄϊες πολυπάμονος ἀνδρὸς ἐν αὐλῆι μυρίαι ἑστήκασιν ἀμελγόμεναι γάλα λευκὸν, 423

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Hom. Il. 2,840 – 877. Hom. Il. 2,802 – 806. Der Begriff πολιήτας kann „dort, wo die Angehörigen der politischen Einheit auf engem Raum zusammenwohnen […], dann wenn von einem Thema gesprochen wird, das tatsächlich alle berührt, die anderen Bezeichnungsmöglichkeiten für die Gesamtheit ersetzen“, wie Ulf (1990) 226 darlegt. Daran anlehnend wird der Begriff hier – anders als bei Schadewaldt – salopp mit „seine Leute“ übersetzt.

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ἀζηχὲς μεμακυῖαι ἀκούουσαι ὄπα ἀρνῶν, ὣς Τρώων ἀλαλητὸς ἀνὰ στρατὸν εὐρὺν ὀρώρει· οὐ γὰρ πάντων ἦεν ὁμὸς θρόος οὐδ’ ἴα γῆρυς, ἀλλὰ γλῶσσ’ εμέμικτο, πολύκλητοι δ’ ἔσαν ἄνδρες.425 Die Troer aber, wie Schafe im Viehhof eines reich begüterten Mannes, Zehntausende, stehen, wenn die weiße Milch wird abgemolken, Unaufhörlich blökend, wenn sie die Stimme der Lämmer hören: So erhob sich von den Troern wirres Geschrei im breiten Heer, Denn nicht gleich war allen der Ruf und nicht nur eine Stimme, Sondern die Zunge war gemischt und die Männer von vielen Orten herbeigerufen. So lässt sich die Sprache als Problem im Kampfgeschehen im homerischen Epos identifizieren.426 Ein Vorgehen, wie es Iris vorschlägt, bot sich natürlich auch aus weiteren Gründen an. Es kann davon ausgegangen werden, dass ein Anführer aus den Reihen der jeweiligen Gruppe die Kampfweise seiner Leute am besten kannte und sie so am effektivsten einsetzen konnte. Gleichermaßen dürfte er bei seinen Truppen ein höheres Ansehen genossen haben und die Legitimität seiner Befehlsgewalt konnte nicht so leicht in Frage gestellt werden wie die eines Fremden. Und so rät auf der anderen Seite bei den Achaiern Nestor Agamemnon die Truppen entsprechend zu ordnen 427 – hier freilich nicht wegen der unterschiedlichen Sprachen, wohl aber wegen der Zugehörigkeit zu verschiedenen Gruppen, nach denen sie auch eingeteilt (κατὰ φῦλα 428) werden sollen. Nestor hebt dabei die Vorteile hervor, die diese Einteilung mit sich bringt: Agamemnon erhöhe zuallererst die Chance auf Gehorsam (πείθεσθαί). Darüber hinaus kann er sich so einen Eindruck über die Fähigkeiten der Anführer mit ihren Männern als eingeübte Gruppe verschaffen und sie ihrer Kampferfahrung 425

Hom. Il. 4,433 – 438. Hierzu genauer im Kommentar bei Brügger/Stoeversandt/Visser (2003) 260 – 261. 427 Hom. Il. 2,362 – 368: Κρῖν’ ἄνδρας κατὰ φῦλα κατὰ φρήτρας Ἀγάμεμνον, / ὡς φρήτρη φρήτρηφιν ἀρήγηι, φῦλα δὲ φύλοις. / εἰ δέ κεν ὣς ἕρξηις καί τοι πείθωνται Ἀχαιοί, / γνώσε’ ἔπειθ’, ὅς θ’ ἡγεμόνων κακὸς ὅς τέ νυ λαῶν, / ἠδ’ ὅς κ’ ἐσθλὸς ἔησι· κατὰ σφέας γὰρ μαχέονται· / γνώσεαι δ’ εἰ καὶ θεσπεσίηι πόλιν οὐκ ἀλαπάξεις, / ἦ’ ἀνδρῶν κακότητι καὶ ἀφραδίηι πολέμοιο. – Ordne die Männer nach Stämmen, nach Sippen Agamemnon! Dass die Sippe den Sippen helfe, die Stämme den Stämmen. Und hast du so getan, und es gehorchen die Achaier, dann wirst du erkennen, wer von den Führern schlecht ist und wer von den Männern, und wer tüchtig ist, denn je für sich werden sie kämpfen. Grote (2016) 232 hat jüngst herausgearbeitet, dass mit φῦλα δὲ φύλοις hier nicht eine unbestimmte Menge, sondern ein fest definierter Verband gemeint ist. Vgl. ferner dessen Kapitel zu den φῦλα bei Homer: ders. (2016) 226 – 235. 428 Hier wird bewusst der neutrale Begriff Gruppe verwendet, da κατὰ φῦλα an dieser Stelle nicht die Bedeutung der Phylen innerhalb einer Polis, sondern eines anderen Verbandes hat. Vgl. hierzu Brügger/Stoeversandt/Visser (2003) 110 – 111; dagegen Kirk (1985) 154. Vgl. auch Anm. 427. 426

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gemäß einsetzen. Im ‚Katalog der Verbündeten‘ werden neben den Waffen, die die einzelnen ἐπίκουροι benutzen, auch Eigenschaften der Anführer aufgezählt. Nastes, einer der Anführer der Lykier, trage Goldschmuck wie eine Frau,429 Pylaimenes, der Anführer der Paphlagonen, sei ein Mann mit rauem Herzen.430 Das Wort ἐπίκουρος selbst gibt keinen Aufschluss darüber, ob die Beziehung ­zwischen ἐπίκουροι und Troern vor allem auf einer materiellen Grundlage beruhte.431 Der Begriff wurde, wenn er Söldner beschreib, als Euphemismus gewertet.432 Weder die Etymologie noch der Kontext bei Homer machen die Lesart ‚ἐπίκουροι gleich Söldner‘ zwingend. Für die Lykier bieten sich in der homerischen Konzeption des Troianischen Krieges – wie oben ausgeführt – nur in geringem Maße Chancen auf Beute. Dennoch ist die Vorstellung, dass Krieger ihre Dienste für die Aussicht auf materiellen Gewinn anboten, damit nicht entplausibilisiert oder gar widerlegt. Die einzige Erwähnung von Aufwendungen für ἐπίκουροι findet sich in einer Rede Hektors.433 Dabei werden neben der Versorgung mit Lebensmitteln (ἐδωδή) auch Gaben (δῶροι) genannt. Ferner wird Beute (ἔναρα) versprochen, nämlich ebenjene Rüstung, die Hektor zuvor von Patroklos ‚erbeutet‘ hat, und zwar demjenigen, dem es gelänge, Aias die Leiche des Patroklos, um die zuvor schon heftig gerungen wurde, zu entreißen.434 Die homerischen Epen stellen kein akkurates Abbild des alltäglichen Kriegshandwerkes dar. Helden messen sich in Zweikämpfen, Streitwagen werden als ‚Taxis‘ benutzt und scheinen keinerlei militärischen Zweck zu erfüllen, im tiefen Getümmel der Schlacht findet sich stets genug Zeit für lange, wohlformulierte Reden etc.435 Dennoch flossen in das epische Geschehen Teile der erfahrenen Welt ein. So darf vermutet werden, dass Teile der Konzeptionen der ἐπίκουροι zeitgenössischen Perzipienten vertraut waren. 429

Hom. Il. 2,871 – 872. Hom. Il. 2,851. 431 Gewöhnlich wird es gleichgesetzt mit dem mykenischen e-pi-ko-wo, das meist im Plural epi-ko-woi gebraucht und bei Morpurgo (1963) 88 mit „vigiliae“ bzw. „custodiae“ übersetzt ist. Vgl. zu den mykenischen Wurzeln auch Schmidt (1991) 640. Die älteren etymologischen Wörterbücher von Hofmann (1949) 88, Boisacq (1950) 266, und Frisk (1960) 538 verweisen auf die Ähnlichkeit zu lat. curro und nehmen ein entsprechendes verlorengegangenes Verb im Griechischen an. Diese Annahme findet sich auch bei Chantraine (1970) 359. Erfrischend aporetisch ist dagegen Meyer (1909) 360 „seine [sc. des Wortteils hinter ἐπι-] verbale Grundlage […] nicht verständlich.“ 432 So Luraghi (2006) 24. 433 Hom. Il. 17,220 – 232. 434 Hom. Il. 17,125. Die in der Szene beschriebene Aussicht auf einen Anteil an der Rüstung ist freilich deutlich komplexer als ein bloßes Beuteversprechen: Um die Rüstung wurde zuvor heftig gekämpft. Hektor, dessen Verbündete von ihm abzufallen drohten, verlässt das Kampfgeschehen, um die von Patroklos erbeutete Rüstung des Achills, des gefährlichsten Feindes der Troer, anzulegen, wohl auch um sich als Sieger vor den Verbündeten zu präsentieren. Männlein-Robert (2014) insbesondere 187 – 193 u. passim. 435 Vgl. zu den Streitwagen van Wees (1994) 9 – 14 und Parker (1997) 109 – 110. 430

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Matthew Trundle schreibt gleich zu Beginn seiner Monographie über griechische Söldner, in der ersten griechischsprachigen Literatur gebe es keine einschlägigen Belege.436 Wird die zu anfangs gegebene Definition penibel zugrunde gelegt, ist dem zuzustimmen. Statt Söldnern lassen sich in der Ilias Gruppen von Menschen greifen, die aus nicht genannten Motiven den Troern beistehen. Sie eint jeweils eine gemeinsame Sprache, sie haben ihre eigenen Anführer und bestimmte Kampftechniken, mit denen sie identifiziert werden. Jede Gruppe von ἐπίκουροι lagert für sich. Diese Unterbringung, die für sie typische Kampfweise, die sie einende Sprache und ihre Anführer sind starke Indizien für eine gemeinsame Identität. Mitunter machen sie Beute oder es wird ihnen Beute versprochen, wenngleich die Aussicht auf große Plünderungen sie nicht nach Troia gelockt haben dürfte. Der Hilfeleistung zugrundeliegende Bündnisse sind keinesfalls unplausibel. Doch angesichts der Fülle und Vielfalt der ἐπίκουροι sind ebenso vielfältige Vereinbarungen denkbar, sowohl für den modernen als auch für den antiken Perzipienten. Als ἐπίκουρος in die Fremde zu gehen mit dem Ziel, dort in einem Krieg zu kämpfen, der nicht der eigene ist, stellt eine Konzeption von Mobilität bei Homer dar, die einen jener Kanäle abbildet, auf denen Menschen und Informationen reisten. Anders als bei den hetaíroi 437, die zum Beispiel mit Telemachos und Odysseus ziehen, lässt sich die Rekrutierung der ἑπίκουροι nicht nachvollziehen, aber es gibt Ähnlichkeiten: Es handelt sich beide Male um bewaffnete Männergruppen, die einen einzigen oder zwei Anführer besitzen, die sie in die Schlacht führen und im Kriegsrat für sie sprechen. Offensichtlich sind diese Anführer Teil derselben überregionalen Elite, der auch Hektor angehört. Es sei hier lediglich an die Reaktion auf Sarpedons Tod erinnert.438

3.4.2 Archilochos von Paros – ein weiterer Ausgangspunkt Archilochos ist neben Homer und Hesiod der früheste uns erhaltene Dichter; sein Werk stellt eine wichtige Quelle für die griechische Frühzeit und insbesondere die Mobilität von Kriegern im geographischen Raum dar. Zugleich ist umstritten, inwieweit Archilochos eigene Erfahrungen verarbeitet. Beschriebene Personen werden entweder als authentisch oder als Typencharaktere aufgefasst, das dichterische ἐγώ 436

Trundle (2004) 4; so auch bei Betalli (1995) 39 und Lavelle (1997) 229 – 235. Für die hetaíroi im Kampfgeschehen, gerade dann, wenn mit dem Begriff Großgruppen umschrieben werden, ist die Frage der Rekrutierung ebenfalls schwer aus dem Text heraus zu beantworten. 438 Als weiteres Beispiel vermag der andere Anführer der Lykier, Glaukos, zu dienen, der mit seinem auf Seiten der Achaier kämpfenden Gastfreund (ebenfalls ein Angehöriger der Elite der basileís) als ­Zeichen der gegenseitigen Wertschätzung die Rüstungen tauscht, bevor beide miteinander den trotz allem unvermeidbaren Zweikampf austragen. 437

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als ein Ausweis eines mit Archilochos einsetzenden Individualismus oder aber als bloße Ausprägung des Gattungsunterschiedes ­zwischen sympotischer und epischer Dichtung angesehen.439 Daneben wurden anthropologische Vergleiche früher Lyrik mit Volksliedern aus einer Zeit vor dem Einsetzen von Schriftlichkeit herangezogen, in denen – so die Vertreter dieser Richtung – soziale Situationen und deren Hintergründe beschrieben würden, die nicht die Eindrücke des Sängers selbst s­ eien, sondern eine Rolle einnähmen.440 Die spätere biographische Überlieferung zu Archilochos ist kaum von seinem Werk trennbar, denn sie ist um die Fragmente seiner Dichtung komponiert. Ferner sind die Nachrichten eng mit der ktísis 441 von Thasos verwoben.442 Diesen Traditionen nach wurde Archilochos auf Paros als Sohn des Telesikles geboren, der wiederum 439

Vgl. zur Übersicht den Artikel von Bowie (1996) 994 – 997, der den Gattungsunterschied als Ursache betont. Zur Auffassung, dass die Personen in Archilochos fiktiv oder gar Typencharaktere darstellen vgl. West (1974) 23 – 28 und Nagy (1979) 243 – 252; dagegen reale Personen annehmend Fränkel (1962) 147 – 170, Rankin (1977) passim und Carey (1986) passim; eine überblickhafte philologische Auseinandersetzung mit Archilochos bei Bagordo (2011a) 138 – 146. 440 Dover (1964) passim; hierauf aufbauend Owen (2005) insbesondere 3 – 4. 441 Vgl. dazu Kapitel 1.3.1 Das Problem der ktíseis, 22 – 25. 442 Eine vom Werk des Dichters unabhängige Überlieferung gibt es nicht, wie Owen (2003) 3 richtig konstatiert. Zwei Inschriften sind für die biographische Überlieferung besonders zentral: Eine aus dem dritten Jahrhundert (SEG 17,517; zuerst publiziert bei Kontoleon (1952) 32 – 95; vgl. dazu Owen (2003) 4), die einen Orakelspruch an einen Mnesiepes, bei dem es sich vielleicht um einen Rhapsoden handelt, wie hierzu Nagy (1979) 304 und ihm nachfolgend Müller (1992) 102 wegen des sprechenden Namens annehmen. Ihm wird aufgetragen ein Temenos und einen Altar für Archilochos zu errichten; hieran schließt eine Biographie des Dichters an, die starke Ähnlichkeiten zu Hes. theog. 22 – 35 aufweist. Zum Vergleich der Begegnung Hesiods mit den Musen siehe Breitenstein (1971) 9 – 28 und Müller (1985) insbesondere 99 – 107. Burnett (1983) 17 – 18 interpretiert die Erzählung (folk-tale) so, dass Archilochos zu einer Art Kinder-Hesiod gemacht werde. Diese mythische Heraushebung des Sohnes als Dichter wird dann mit der ktísis von Thasos verknüpft, indem das delphische Orakel Telesikles den künftigen Ruhm seines Sprösslings ankündigt. Darauf folgt der Auftrag, auf Thasos zu siedeln. Die zweite, jüngere Inschrift aus dem 1. Jahrhundert (IG XII 5,554 = IG XII Suppl. S. 212) ehrt Archilochos mit Auszügen eines nicht erhaltenen Geschichtswerks, in dem anscheinend alle Ereignisse, die Archilochos in seiner Dichtung erwähnt, niedergelegt worden waren. Vgl. dies. (1983) 16. Einer weiteren in einem Fragment des Kritias (ca. 460 – 403) überlieferten biographischen Notiz zufolge habe er Thasos in Armut verlassen und sich als Söldner verdingen müssen, da er der Sohn des oikistḗs Telesikles, also eines Mitgliedes der Elite und einer Sklavin namens Enipo gewesen sei. Kritias F44 Diels/Kranz. Vgl. zu der Notiz Rankin (1977) 11 – 16. Die Geschichte weist, wie bereits Rankin festgestellt hat, eine gewisse Ähnlichkeit mit der Lügengeschichte auf, die Odysseus Eumaios auftischt, in der sich der Held als kretischer Seeräuber ausgibt. Vgl. dazu die Kapitel 3.2.3 Gastfreundschaft, 182 – 194.

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um 675 als oikistḗs einen Gründungszug von Paros nach Thasos geführt habe; Archilochos habe dann im Zuge der Ansiedlung gegen Thraker und Naxier gekämpft.443 Wegen der Abhängigkeit der späteren biographischen Angaben zu Archilochos von dessen Werk und des Mangels an davon unabhängiger Überlieferung lässt sich auf ­diesem Wege die Frage, inwieweit das lyrische Ich aus Archilochos’ Dichtungen mit der historischen Person gleichgesetzt werden kann, nicht beantworten. Aus philologischer Perspektive wurden zahlreiche Lösungsvorschläge unterbreitet, bei denen man unter anderem mit Gattungsunterschieden argumentierte.444 Nicht zuletzt angesichts dieser Problematik richten sich die folgenden Betrachtungen auf dichterische Konzeptionen, die als Quellen einer zu ihrer Entstehungszeit kontemporären lebensweltlichen Realität herangezogen werden.445 Archilochos fungiert dabei neben den vorangegangenen Überlegungen zu Homer als zweiter Ausgangspunkt, die Mobilität von Kriegern zu fassen. Die andere Perspektive, aus der die Dichtungen des Archilochos verfasst sind, ermöglicht es, die Identitätskonzeptionen des Sprechers 446 und Bewertungen von Ressourcen, die für diese Mobilitätsform spezifisch sind, herauszuarbeiten. In den Zeugnissen, die dem Dichter zugeschrieben werden, fehlt eine eindeutige Zuordnung als Söldner. Das Wort ἐπίκουρος wird in lediglich zwei Fragmenten verwendet: Γλαῦκ’, ἐπίκουρος ἀνὴρ τόσσον φίλος ἔσκε μάχηται,447 Glaukos! Ein Söldner ist Freund nur, solange er bewaffnet im Kampf steht. Dafür, ἐπίκουρος ἀνὴρ mit Söldner zu übersetzen, spricht die Charakterisierung, nur während des Kampfes (aber nicht darüber hinaus) derselben Partei anzugehören. Das Verhältnis ­zwischen Söldnern und ihren Kriegsherren ist allerdings nicht die einzige Sozialbeziehung, für die dies gilt, da die Formulierung auf jedes Bündnis, das nicht auf ein dauerhaftes Treueverhältnis gegründet ist, anwendbar ist. Im zweiten Fragment scheint der Fall dagegen eindeutig zu liegen:

443 Vgl.

Bowie (1996) 994. Vgl. dazu stellvertretend einen originellen Ansatz von Erler (2021). Vgl. auch Anm. 439. 445 Für die antiken Perzipienten bestand diese feine Unterscheidung ohnehin nicht, da die Zeitgenossen nicht z­ wischen der Person und der dichterischen Selbstkonzeption des Archilochos unterschieden. Die antiken biographischen Traditionen zu Archilochos sind eng mit seinem Werk verwoben. Vgl. dazu auch Swift (2019) 3. Der besseren Lesbarkeit halber habe ich mich dazu entschieden, Archilochos zumindest sprachlich als Person darzustellen. Vgl. Kapitel 1.3.2 Dichtung als Quelle, 25 – 29. 446 Dies beinhaltet auch die Frage danach, inwieweit sich die Selbstbeschreibungen ­dieses Sprechers mit der Kategorie Söldner in Deckung bringen lassen. 447 Archil. F15 West = F13 Diehl.

444

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Καὶ δὴ ’πίκουρος ὥστε Κὰρ κεκλήσομαι.448 Und „Söldner“ nennt man mich wie einen Karer. Der Begriff ἐπίκουρος dürfte hier abwertend verwendet sein.449 Leider fehlt der ursprüngliche Kontext d ­ ieses Ausspruchs gänzlich. Wird die Bedeutung als Schmähung angenommen, wären ἐπίκουροι bei Archilochos deutlich anders konzipiert als bei Homer: Waren sie hier noch geachtete Helden, die aus Notwendigkeit das Wort gegen Hektor selbst erheben konnten und obendrein ehrenhaft behandelt wurden, stellten sie nun ein notwendiges Übel dar und waren der Verachtung preisgegeben. Diese Perspektive wirft auch ein anderes Licht auf das vorherige Fragment: Dem ἐπίκουρος wird sprunghafte Treulosigkeit attestiert, weil er nur während der Kampfhandlungen (μάχηται) ein Freund sei. Die monetäre Komponente lässt sich wie bei Homer weder beweisen noch widerlegen. Es scheint aber ein anderer Status der ἐπίκουροι durch diese Zeilen hindurch. Der Unterschied ist in der heroischen Idealisierung der homerischen Epen begründet. Archilochos’ Blick auf die Welt ist nüchterner und dadurch möglicherweise näher an der Welt, die mit den eigenen Augen gesehen werden konnte. Die genannten Karer, die bereits bei Homer im ‚Katalog der Verbündeten‘ der Troer erwähnt werden,450 erscheinen durch den Vergleich als typische Vertreter der ἐπίκουροι und werden zudem als nicht-griechischsprachig (βαρβαρόφωνος) bezeichnet. Bei Herodot tauchen sie gemeinsam mit den Ioniern in ägyptischen Diensten auf.451 Peter Haider schlägt vor, den „im ostgriechischen Raum als Synonym für ‚Söldner‘“ verwendeten Begriff Karer mit dem bei Ezekiel 27,10 bezeugten para (gemeinhin als „Perser“ übersetzt) gleichzusetzen und sie so zu Söldnern in Diensten von Tyros um 600 zu machen,452 zumal aufgrund der archäologischen Evidenz vermutet wird, dass ostgriechische Söldner in der phoinikischen Festung auf dem Tell Kabri südöstlich von Tyros verweilten.453 Von der geographischen Mobilität als Krieger künden einige weitere Fragmente, die von Seereisen 454 und der herbeigesehnten süßen Heimkehr (θεσσάμενοι γλυκερὸν νόστον)455 oder dem Meer als gefahrvollem Ort 456 handeln. Archilochos benennt zudem ­Zeichen, mit denen das Wetter auf hoher See vorhergesagt werden kann,457 448

Archil. F216 West = F40 Diehl. Snell/Franyó (1972). Aufgrund des fehlenden Kontextes besteht hier die Möglichkeit für andere Interpretationen. Hom. Il. 2,867 – 875; auch bei der Aufzählung des Dolon: Hom. Il. 10,428. Vgl. Kapitel 3.4.4.3 In Diensten der Pharaonen, 248 – 251. Haider (1996) 71 – 72. ders. (1996) 69 – 70. Es handelt sich hierbei um griechische Alltagskeramik. Archil. F4; F24; F34; F89; F106; F211 West = F5a; ‑ ; F47; ‑ ; F56a; F44 Diehl. Archil. F8 West = F12 Diehl. Archil. F13 West = F7 Diehl. Archil. F105 = F56 Diehl.

449 So 450

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456 457

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und er besaß offenkundig Ortskenntnis von Siris und Eretria, worin David Rankin ein Indiz dafür erkennt, dass er beide Orte im Westen, weit entfernt von seiner thrakischen Heimat, besucht hat.458 Bei der Beschreibung von Siris beweist Archilochos ein Auge für die Landschaft: Οὐ γάρ τι καλὸς χῶρος οὐδ’ ἐφίμερος / οὐδ’ ἐρατός, οἷος ἀμφὶ Σίριος ῥοάς.459 Der Vertrautheit des Dichters mit der Seefahrt zum Trotz warnt er vor einem Leben auf dem Meer 460 und stimmt hierin mit den frühen Epikern überein. ­Archilochos scheint für die dichterische Konzeption seiner Reisen als Referenz die Odyssee zu ­nutzen, die ihm so vertraut ist, dass er sie persiflieren kann.461 Vier Verse aus dem Werk, die als Fragmente traditionell an den Anfang gesetzt werden, vermitteln möglicherweise einen Eindruck vom ‚Selbstverständnis‘462 jener Männer, aus deren Lebenswelt heraus die Dichtung des Archilochos entstand.463 In den ersten beiden Versen (F1 West) beschreibt sich der Sprecher als Krieger und Dichter. Die Ähnlichkeit zu Hesiod, der in der Theogonie den Sänger (ἀοιδὸς) als Μουσάων θεράπων bezeichnet,464 fällt auf. Archilochos knüpft mit seinen Versen hieran an und setzt sich zugleich ab. Er dient einem anderen Herrn, versteht sich aber zugleich auf die Gaben der Musen. Die folgenden Verse (F2 West) betonen – mit einem Augenzwinkern 465 –, dass der Lebensunterhalt durch das Kriegshandwerk mit dem dazugehörigen Werkzeug bestritten wurde. Zudem behandelt eine beträchtliche Anzahl der erhaltenen Fragmente den Krieg und das Leben als Kämpfer,466 wobei ­Archilochos ein spielerischer, ironisierender Unterton, wie er auch schon im Bild des gegen den Speer lehnenden Trinkers anklingt, zu Eigen ist. So verhält er sich pragmatisch zum heroischen Ideal, mit oder auf dem Schilde heimzukehren.467 Der Scham, seinen 458 So Rankin

(1977) 29, auch Malkin (1998) 181, der Archilochos als autobiographischen Dichter mit historischem Gehalt auffasst. Vgl. dazu Owen (2003) 6. Plutarch schreibt gar, Archilochos habe sich in Sparta aufgehalten (Plut. mor. 239b), wobei es sich aber um eine Anekdote handeln dürfte, die auf den Inhalt seines Werkes zurückgeht. 459 Archil. F22 West = F18 Diehl. 460 Archil. F117 West = F59 Diehl. 461 Rankin (1977) 29; 36 – 46. 462 Vgl. Murray (1980) 102, der Archilochos als Aristokraten mit einem entsprechenden Selbstverständnis im Konflikt mit der Polis sieht. Rankin (1977) 29 zeichnet aus der Gesamtschau der Dichtungen des Archilochos den Eindruck eines reisenden Kämpfers. 463 Archil. F1 u. F2 West = F1 u. F2 Diehl: Εἰμὶ δ’ ἐγὼ θεράπων μὲν Ἐνυαλίοιο ἄνακτος / καὶ Μουσέων ἐρατὸν δῶρον ἐπιστάμενος, / ἐν δορὶ μέν μοι μᾶζα μεμαγμένη, ἐν δορὶ δ’ οἶνος / Ἰσμαρικός· πίνω δ’ ἐν δορὶ κεκλιμένος. – Ich bin Diener des kriegerischen Herren [sc. Ares], / und verstehe ich mich auf die geliebten Gaben der Musen, / Im Speer ist mein geknetetes Brot [Maza], im Speer ist mein Wein, / der Ismarische: Ich trinke ihn gegen meinen Speer gelehnt. (Eigene Übersetzung) 464 Hes. theog. 100. 465 Vgl. Swift (2019) 207. 466 S. u. 467 Archil. F5 West = F6 Diehl: Ἀσπίδι μὲν Σαΐων τις ἀγάλλεται, ἣν παρὰ θάμνωι, / ἔντος ἀμώμητον, κάλλιπον οὐκ ἐθέλων· / αὐτὸν δ’ ἐξεσάωσα. τί μοι μέλει ἀσπὶς ἐκείνη; / ἐρρέτω· ἐξαῦτις

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Schild verloren zu haben, setzt Archilochos dessen materiellen Wert entgegen. Indem er den Schild zum bloßen Gebrauchsgegenstand macht und ihn auf diese Weise seiner symbolischen Aura beraubt, setzt der Dichter sich über bestehende Konventionen hinweg. Die tendenziell subversive Botschaft lautet: Der wahre Krieger braucht seinen Schild in erster Linie als Werkzeug und – wenn überhaupt 468 – zweitrangig zum Ausweis der eigenen Mannhaftigkeit.469 Gleichzeitig zeigte er seine Gleichgültigkeit gegenüber seinem Bild in der Öffentlichkeit, indem er konstatiert: Αἰσιμίδη, δήμου μὲν ἐπίρρησιν μελεδαίνων / οὐδεὶς ἂν μάλα πόλλ’ ἱμερόεντα πάθοι.470 So spottet er freimütig über die Ideale anderer, die mitunter um vieles unkriegerischer sind. Der Spott ist dabei weniger als Selbstzweck aufzufassen denn als Ausdruck seiner Einstellung zum Kriegshandwerk und seines darauf gründenden Selbstbildes, wovon auch die von ihm geschilderte Abscheu gegenüber herausgeputzten Offizieren kündet.471 Auch hier zeigt sich eine Abkehr vom heroischen Ideal, dem er den Pragmatismus des Praktikers gegenüberstellt.472 Schönheit geht bei ihm nicht mehr mit Tüchtigkeit in allen Bereichen einher, auf die es ankommt. Ein guter Kämpfer, den man im Feld bei sich haben möchte, zeichnet sich bei Archilochos nicht dadurch aus, dass er zu den ἐσθλοί gehört.473 Daneben finden sich in den Archilochosfragmenten κτήσομαι οὐ κακίω. – Irgend so ein Saïer freut sich an dem Schild, den ich bei einem Busch ließ, / meine tadellose Rüstung, nur ungern ließ ich sie zurück; / mich aber konnte ich retten. Was kümmert mich jener Schild? / Geh hinfort [Schild]! Ich werde mir wiederum einen kaufen, der nicht schlechter ist! 468 Archilochos zumindest verzichtet auf diese nicht-materielle Dimension seines Schildes. 469 Zu dieser ‚Schild-Affäre‘ wurden zahlreiche Erklärungen und Ideen formuliert, die in ­diesem Rahmen nicht alle bemüht werden müssen. Am originellsten vielleicht Anderson (2008) vor allem 258 – 260, der aufgrund der Verwendung von θάμνος tatsächlich vorschlägt, den Dichter habe in der Schlacht die Blase gedrückt. Vgl. dagegen die klassische (und plausiblere) Lesart bei Fränkel (1962) 252 – 253. Vgl. auch Swift (2012) passim. 470 Archil. F14 West = F9 Diehl: Asimides, wenn er sich um die Vorhaltungen aus dem Volk kümmert, wird wohl nichts sehr begehrenswertes erleiden. (Eigene Übersetzung) Vgl. auch Archil. F133 West = F64 Diehl, wo er sich abgeklärt gegenüber dem Rum nach dem Tod gibt, und dazu Fränkel (1962) 155. 471 Archil. F114 West = F60 Diehl. Diesen mit Schmuck behängten Blendern stellt er einen kleinen Mann mit krummen Schenkeln gegenüber, den er vorziehe, wenn er nur sicher auf den Beinen und beherzt sei. Er zeigt anhand der Schildepisode und an den Präferenzen für einen tüchtigen Kämpfer, worauf es im echten Kampfgeschehen ankam: im ersten Fall zu überleben, im zweiten gut auf den Beinen zu stehen und Mut zu haben. 472 Vgl. Fränkel (1962) 153. 473 Dagegen ist bei Homer die Einheit von einer ansehnlichen Erscheinung und der Zugehörigkeit zur Elite ganz offenkundig. Vgl. beispielsweise Thersites, den Odysseus unter Beifall und Gelächter aus der Versammlung prügelt (Hom. Il. 2,266 – 275), weil er offensichtlich nicht der Elite angehörend (ἐριζέμεναι βασιλεῦσιν) unberechtigterweise das Wort ergreift. Er wird als äußerst unansehnlich beschrieben. Vgl. Hom. Il. 2,216 – 219. Auch bei den Phaiaken werden die Teilnehmer des ἆθλος ob ihrer Erscheinung hervorgehoben. Vgl. Hom. Od. 8,110 – 119.

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zahlreiche Alltagsszenen aus einem Kriegerleben.474 Die Abkehr von den heroischen Idealen lässt sich auch als eine Neubewertung der Ressourcen des Kriegshandwerks lesen, wobei ihre symbolische Dimension häufig zunächst marginalisiert und dann neu ausgedeutet wird. Indem er den materiellen und Gebrauchswert in den Vordergrund stellte, kreierte er indes zugleich ein neues Ideal und damit neue symbolische Ressourcen. Dadurch veränderte er einerseits das Feld; andererseits handelte er innerhalb und bezogen auf dessen Regeln, wenn er sein Ideal eines Kriegers, der scheinbar nicht auf sein Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit bedacht war, als dem Ideal der ἐσθλοί überlegen darstellte.

3.4.3 Mobile bewaffnete Männer: eine (hypothetische) Milieustudie Die Tatsache, dass materielle Werte eine wichtige Rolle in der Dichtung des Archilochos einnehmen, verweist auf die Frage nach den Motiven, sich als Söldner zu verdingen, zumal die inszenierte Ablehnung der Ideale der Elite die Annahme plausibilisiert, dass ­solche Kämpfer anderen Personenkreisen entstammten. Ähnlich wie bei Migrationsbewegungen scheinen – oberflächlich betrachtet – Not, Mangel oder Bevölkerungsüberschuss als Alltagserklärungen zunächst einzuleuchten und natürlich konnte es eine Entscheidung mangels besserer Alternativen sein, sich und seine Kampfkraft einem fremden Herren anzudienen. Doch darf man hierbei nicht vergessen, dass zu dem Aufwand, den eine Seereise und die eigene Versorgung mit Nahrung während dieser Phase der Mobilität ohne Einkommen bedeutete, die enormen Kosten für die Ausrüstung als Schwerbewaffneter (Hoplit) hinzukamen. Wie Archilochos mit Lanze und Schild bewaffnet, sind Griechen als Hilfstruppenkontingente in den Heeren der ägyptischen Pharaonen oder der assyrischen Könige belegt.475 Sie kämpften in Gruppen mit gleicher Bewaffnung, ein Prinzip, das konzeptionell bereits bei Homer vorhanden war und die gesamte Antike hindurch praktiziert wurde. Die Grundausrüstung, die ein Schwerbewaffneter zum Kampf benötigte, bestand aus Schild (ὄπλον) und Speer (δόρυ), also den beiden Waffen, die auch bei A ­ rchilochos als sinnbildlich für den Schwerbewaffneten gebraucht werden. Den materiellen Wert von Schild und Speer aufzubringen war die erste Voraussetzung dafür, mit ­diesen 474

Dem Trunk als Soldat wendet sich Archilochos dichterisch mehrfach zu, wie etwa bei der Schiffswache, während der er zum Vertreiben von Langeweile und Kälte genossen wurde. Archil. F4 West = F5a Diehl; deutlich in der Beschreibung von sich als Krieger: Archil. F2 West = F2 Diehl; oder dem Trunk im Allgemeinen: Archil. F194 West = F111 Diehl. In Archil. F42 West = F28 Diehl liegt der Fokus eher auf dem Bild, das der trinkende Thraker erzeugt, als auf dem Trunk selbst. Eine Vielzahl der Fragmente erwähnen Kampf und Krieg in allgemeiner Form (z. B. Archil. F18; F88; F94; F110 West = F31; F62; F51a; F38 Diehl), wobei sich mitunter auch Derbes, wie die angedeutete Fellatio einer Frau, kniend wie ein Thraker beim Biertrinken durch einen Strohhalm (s. o.), findet. 475 Vgl. dazu die beiden folgenden Unterkapitel.

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‚Werkzeugen‘ den Lebensunterhalt zu verdienen. Bei beiden handelt es sich um vergleichsweise erschwingliche Ausrüstungsgegenstände, zumal nur geringe Mengen teuren Metalls benötigt wurden. Griechische Schilde waren bis ins späte 8. Jahrhundert aus Holz oder anderen vergänglichen Materialien hergestellt.476 Obgleich für die minoisch-mykenische Zeit vollständig aus Bronze gefertigte Schilde belegt sind, hatten die späteren Rundschilde meist nur einen metallenen Schildbuckel, der zuweilen mit einer Spitze versehen war.477 Bald kamen aber durch orientalische Einflüsse vollständig mit Bronze beschlagene Holzschilde auf, ein Typus, der lange beibehalten werden sollte. Innovationen gab es im Laufe der Zeit vor allem beim Halte­ system hin zu einem Handgriff und einem Halteband, durch das der Arm gesteckt wurde. Der Schildtyp mit einem Durchmesser von 80 bis 100 cm dürfte sich in zahlreichen Einsätzen bewährt haben, zumal griechische Infanterietruppen zu dieser Zeit im mediterranen Raum als unerreicht galten.478 Als vergleichsweise günstige Lösung lassen sich Holzschilde mit einem metallenen Schildbuckel zwar nach dem 8. Jahrhundert plausibilisieren,479 doch stellt die vollständig mit Bronze versehene Variante allein schon wegen ihrer lebenswichtigen Schutzwirkung den überlegenen Ausrüstungsgegenstand dar. Der Schild war zwar die wichtigste Schutzausrüstung, zumal er den Großteil des Körpers abschirmte; jedoch investierte man meist in weitere Panzerung. Hinzukommen konnten ein Helm, der je nach Bauart unterschiedlich viel Metall, Leder und Handwerkskunst zum Schmieden voraussetzte, metallene Beinschienen, die die vom Schild nicht geschützten Schienbeine panzerten, oder auch ein Brustharnisch, den es in mehreren Variationen gab. Der Glockenpanzer bestand aus Metall, war aber in der Verarbeitung eher einfach gehalten und nicht maßgefertigt. Die Herstellung eines Bronzeplattenpanzers erforderte ein höheres Maß an handwerklichem Können.480 Aber auch Varianten aus Leder oder verleimten Leinen (λινοθώρηξ)481 stellten mög­ liche Optionen dar, wenngleich sie aufgrund des vergänglichen Materials nur bedingt archäologisch nachweisbar sind. Bei allem handelt es sich in einer Zeit, in der schon kleinere Verletzungen durch Wundbrand einen qualvollen Tod bereiten konnten, um Investitionen, die nach Möglichkeit getätigt wurden. Auf bildlichen Darstellungen 476

Hom. Il. 12,294 – 297; 13,156 – 166 berichtet obendrein von mit Tierhäuten bespannten Bronzeschilden. Vgl. hierzu Snodgrass (1964) 37. 477 Vgl. Snodgrass (1964) 37 – 51; 67 – 68. 478 Vgl. zu den obigen Ausführungen zum Schild und der Einschätzung des Wertes der Hopli­ ten für Kriegsherrn im mediterranen Raum und zum Teil darüber hinaus ders. (1964) 51 – 68; Le Bohec (2001) 171. 479 Vgl. die Fundtabelle bei Snodgrass (1964) 39 – 41. 480 Vgl. zu den Körperpanzerungen: ders. (1964) 71 – 99. 481 Dieser Leinenpanzer, dem jüngst eine Monographie gewidmet wurde (Aldrete/Aldrete/ Bartell (2013)), wird schon in der Ilias erwähnt: Hom. Il. 2,529; 2,830; bei Hdt. 2,182,1 sogar als Weihegeschenk oder hier (Hdt. 3,47,2) als kostbare Beute. Auch als Harnisch der Assyrer taucht diese Art der Panzerung auf (Hdt. 7,64).

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von Bewaffneten sind diese meist in voller Rüstung zu sehen, was auch die Norm für Schwerbewaffnete gewesen sein dürfte, da das Kämpfen mit Nahkampfwaffen entsprechenden Schutz erforderte. Man musste nicht zu den Reichsten gehören, um sich als Hoplit auszustatten.482 Allerdings kämpften die Ärmsten der Armen sicherlich nicht als Schwerbewaffnete und brachen folglich auch nicht in die Fremde auf, da sie nicht über die notwendigen Ressourcen, das heißt vor allem Waffen, Rüstungen und Fertigkeiten, verfügten, die sie für einen Kriegsherrn zu wertvollen Einheiten gemacht hätten. Da diese Ausrüstung erworben oder ererbt und der Umgang mit derselben trainiert werden musste, ist davon auszugehen, dass die Krieger einer sozialen Schicht entstammten, die über entsprechende materielle Ressourcen verfügte und zumindest nicht ausschließlich mit dem Erhalt der Subsistenz beschäftigt war.483 So brachen nicht die mehr oder weniger Mittellosen auf, die in späterer Zeit als Leichtbewaffnete in den Krieg ziehen sollten, um sich einem Kriegsherrn anzudienen, zumal jene wohl kaum für die Großreiche des Ostens von Interesse gewesen wären. Vielmehr waren es Männer, die teils der Elite, teils einer ihr nahestehenden Schicht entstammten und hinreichend im Kriegshandwerk unterwiesen worden waren, die Schlachten in fernen Ländern schlugen.

3.4.4 In fremden Diensten zu fernen Ufern 3.4.4.1 Ionische Griechen in bei den Lydern Wenn Archilochos über einen ὁ δ’ Ἀσίης καρτερὸς μηλοτρόφου 484 schreibt, ist vermutlich der lydische König Gyges (ca. 680 – 6 44)485, wie es Herodot und andere Belegstellen nahelegen,486 gemeint, der bei dem Dichter an anderer Stelle auch n ­ amentlich erwähnt 482

Jarva (1995) 125 – 126; 138 kritisiert, dass die Kosten von Waffen in archaischer Zeit häufig überschätzt würden. 483 Kaplan (2002) passim geht wegen des zu betreibenden Aufwandes von einem durchweg aristokratischen Kontext im Söldnertum aus. So auch der Grundtenor bei Betalli (1995). Luraghi (2006) 24 – 25 neigt dagegen zu einem differenzierteren Bild und sieht das Söldnertum nicht auf die Elite beschränkt, erkennt aber den ökonomischen Aufwand an. Ähnlich, indes aus der Retrospektive Gehrke (1998b) 714 – 715. Die Phalanx sollte es in späterer Zeit ermöglichen, in der Gruppe mit verhältnismäßig simplen Bewegungs­ abläufen effektiv zu sein. Obendrein konnten weniger trainierte Kämpfer in den hinteren Reihen eingesetzt werden. Doch auch das koordinierte Agieren als Phalanx, das damit verbundene gemeinschaftliche Vorrücken und die geordnete Reaktion auf Kommandos mussten regelmäßig eingeübt werden. Vgl. grundsätzlich zur Kampfesweise der Hopliten Franz (2002) 149 – 161. 484 Archil. F227 West = F23 Diehl. 485 Vgl. zur Datierung Högemann (1998) 17 und Röllig (1971b) 720. 486 Hdt. 1,12,2.

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wird.487 Archilochos kannte Gyges und seinen Reichtum, der auch in zahlreichen goldenen und silbernen Weihegeschenken in Delphi Ausdruck fand.488 Der lydische König stand zu Lebzeiten des Dichters unter dem enormen Druck der Kimmerier, einem Reitervolk, gegen das er fortwährend Krieg führte. Eine Folge ­dieses verlustreichen Konflikts war es, dass der geschwächte Gyges komplizierte diplomatische Beziehungen 489 zum Hof des assyrischen Königs Assurbanipal 490 aufnahm, dem er sich schließlich unterwarf 491. Mitunter werden auf lydischer Seite ionische Söldner gegen die Kimmerier vermutet.492 Wenngleich eindeutige Belege fehlen, ist es nicht ausgeschlossen, dass ionische Griechen gemeinsam mit den Lydern kämpften. Ionische Poleis gehörten zum Herrschaftsgebiet und Einflussbereich Lydiens, wenngleich

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Archil. F19 West = F22 Diehl: Οὔ μοι τὰ Γύγεω τοῦ πολυχρύσου μέλει, /οὐδ’ εἷλέ πώ με ζῆλος, οὐδ’ ἀγαίομαι / θεῶν ἔργα, μεγάλης δ’ οὐκ ἐρέω τυραννίδος· /ἀπόπροθεν γάρ ἐστιν ὀφθαλμῶν ἐμῶν. – Mich ficht des Gyges Reichtum und sein Gold nicht an, /nicht kenn den Neid ich, nicht verarge ich es je, /wenn’s Gott gab: sein Königreich begehr ich nicht: /in weiter Ferne liegt das, meinem Blick entrückt. 488 Hdt. 1,14,1; Fränkel (1962) 154. 489 Zu den verworrenen lydisch-assyrischen Beziehungen zur Zeit Assurbanipals vgl. Fuchs (2010) passim. 490 Hier ist die m. E. übliche Schreibweise verwendet. Zur Kritik an dieser Transkription vgl. Weissbach (1928b) 203. 491 In Folge der Verhandlungen machte Gyges Assurbanipal zwei kimmerische „Stadtobere“, die gefangen genommen worden waren, zum Geschenk. Assurbanipal Cyl. Rm (A) II 103 – 110. Dabei handelt es sich um eine Gabe, die in der Selbstdarstellung Assurbanipals die Unterwerfung des Lyderkönigs Gyges zelebriert, obgleich Gyges das Joch dann abstreift (vgl. Assurbanipal Cyl. Rm (A) II 111 – 113.). Die Geste ist ein Beleg für unfreiwillige Mobilität durch Versklavung, wobei es sich nicht um Griechen handelte und diese Episode eher kein Indiz für Versklavungen im großen Stil darstellt. Anders dagegen: Högemann (1998) 17. 492 ebd. Ein schwaches Indiz ist ein Sappho-Fragment, in dem Hopliten neben lydischen Streitwagen erwähnt werden: Ἢ τὰ Λύδων ἄρματα καν ὄπλοισι / πεσδομ]άχεντας. Sappho F16 Voigt = F16 Lobel/Page = F27a Diehl. Zum Kontext: Hier fungieren die lydischen Wagen und die Schwerbewaffneten als Embleme für ästhetisierte (männliche) Macht und Gewalt (Ferrari (2010) 200), denen Sappho immer wieder weiblichen Liebreiz entgegensetzt (Greene (1996) 96 – 98; 147 – 148; 259 – 263). Das Gedicht ist eine Ringkomposition. Dem, von dem gesagt wird, es sei am schönsten (Schiffe, Reiter oder Heere), setzt die Sprecherin gleich zu Beginn Folgendes entgegen: Das, was man liebe, sei das Schönste. Am Ende gelangt Sappho zu Anaktoria, die nicht da sei und deren Anmut sie lieber sehen wolle als alle lydischen Streitwagen und Schwerbewaffnete. Der hier zitierte Text ist nicht gesichert. Lobel/Page lesen κανοπλοισι als eine Korruptel, wobei Page (1979 [1955]) 54 ΚΑΙΠΑΝΟΠΛΙΣ als ursprüngliche Lesart vorschlägt. Aus dem Kontext – sei es bedingt durch die Unvollständigkeit des Fragments, sei es, weil es im ursprünglichen Gedicht keine Erwähnung fand – geht keine konkrete Schlachtensituation hervor. Vielmehr wird mit lydischen Streitwagen und Schwerbewaffneten ein Gegenbild zur geliebten und vermissten Anaktoria heraufbeschworen.

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­dieses Verhältnis selbst nicht ohne Spannungen war, wie es am ständigen Konflikt mit Milet deutlich ersichtlich ist.493 Für dieselbe Zeit sind Söldner aus Ionien und Karien in Ägypten bezeugt.494 Der Reichtum des Lyderkönigs, der auch Archilochos bekannt war, dürfte indes die Griechen, die sich an der Peripherie der großen Reiche des Ostens befanden, gelockt haben. 3.4.4.2 Zwischen Assyrern und Babyloniern Neben dem assyrischen Reich, das unter Assurbanipal seine größte Ausdehnung erreichte, erschien selbst das wohlhabende Lydien klein. Seit der Regentschaft von Aššurnasirapli II. (884 – 859) sind fremde Truppen in den assyrischen Heeren belegt, wobei die Nachrichten über Griechen in assyrischen Texten nicht umfangreich sind.495 Neben der anderenorts besprochenen frühesten Erwähnung 496 von Ioniern ­(Ia-am-na-a-a) in den Inschriften Sargons  II.,497 den Textfragmenten der babylonischen Chronik des Berossos 498 und den Inschriften des Asarhaddon 499 (680 – 669)500 finden sich griechische Namen in den Assurbanipal-Inschriften 501. Die dort geschilderten Kontakte mit Griechen sind kriegerisch, wobei die Griechen hier als Gegner erscheinen, die zunächst bekämpft und schließlich besiegt werden. Es existieren ferner einige archäologische Indizien, die auf griechische Söldner in den Heeren der Assyrer hindeuten: Auf einem assyrischen Relief in Karatepe in Kilikien, das auf um 730 datiert wird, sind Krieger dargestellt, deren Helme man als griechisch identifizierte, wenngleich hinsichtlich der Interpretation keine Einigkeit herrscht.502 Darüber hinaus wurden Fragmente eines griechischen Kegelhelmes aus dem 8. Jahrhundert in Tell Ahmar gefunden.503 Ein kretischer Bronzegürtel aus dem 493 Hdt. 1,14,4.

Von „Razzien“ gegen Milesier, wie sie Högemann (1998) 17 herausliest, ist hier indes nicht die Rede. Herodot weiß auch von Kriegen seiner Nachfahren v. a. in Milet zu berichten. Vgl. hierzu Hdt. 1,15,1 – 19,3. 494 Auf die bei Hdt. 2,152,4 – 154,5 bezeugten Hilfstruppen in Diensten des Psammetichos wird noch zurückzukommen sein. Vgl. auch die Parallelüberlieferung bei Diod. 1,66,12. 495 Nicht ganz unpolemisch konstatiert Röllig (1971a) 644: „Entgegen der allgemein herrschenden Meinung finden sich in assyrischen Texten nur sehr wenige Nachrichten über Gr[iechen].“ Vgl. auch ders. (1980) 150. 496 Röllig (1971a) 644. 497 Vgl. Kapitel 3.2.4 Hetaíros-Gruppen als Seeräuber, 194 – 202. 498 Berossos FG rH 680 F7c = Eus. S. 13,18 – 15,4 Kahrs. 499 Asarhaddon §57 10 – 11. 500 Vgl. zu den Jahren seiner Regentschaft Weissbach (1928a) 198. 501 Assurbanipal Cyl. C II 36 – 4 4. 502 Betalli (1995) 44. Dagegen Boardman (1981 [1964]) 55: „Die ‚ionischen Krieger‘, die manche auf assyrischen Reliefs entdecken, sind leider mit Sicherheit Leute aus dem Osten […].“ Vgl. auch Snodgrass (1964) 12. Ebenfalls kritisch Helm (1980) 139. 503 Vgl. die Besprechung bei Betalli (1995) 44 – 45; Boardman (1981 [1964]) 55, erkennt den Fund an, misst ihm aber keine Bedeutung bei und verweist auf die geringe Beweiskraft

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8. Jahrhundert zeigt griechische Krieger mit korinthischen Helmen neben orientalischen 504 Kämpfern.505 Auf einer phoinikischen Silberschale aus dem 7. Jahrhundert finden sich erneut Darstellungen griechischer Hopliten und orientalischer Bogenschützen, wobei die griechischen Krieger auf beiden Seiten der Kampfhandlungen, also einmal im Verband mit den Bogenschützen und einmal gegen dieselben kämpfend dargestellt sind.506 Auf Seiten babylonischer Truppen erscheinen hellenische Kämpfer in den Schriftquellen erst in spätbabylonischer Zeit bei Alkaios.507 Der Dichter selbst spricht von seinem eigenen Exil in Ägypten.508 Über seinen Bruder Antimenides,509 der ebenfalls ins Exil gehen musste, berichtet er Folgendes: Ἧλθες ἐκ περάτων γᾶς ἐλεφαντίναν λάβαν τὼ ξίφεος χρυσοδέταν ἔχων τὸν ἀδελφὸν Ἀντιμενίδαν … φησιν Ἀλκαῖος Βαβυλωνίοις συμμαχοῦντα τελέσαι ἄεθλον μέγαν, εὐρύσαο δ’ ἐκ πόνων, κτένναις ἄνδρα μαχάταν βασιληᾳίων παλάσταν ἀπυλείποντα μόναν ἴαν παχέων ἀπὺ πέμπων.510 Von den Grenzen der Welt kamst du: aus Elfenbein war der Griff deines Schwertes, zierlich in Gold gefasst. s’ war ein tüchtiger Strauß! […] Den Babyloniern warst du Helfer im Kampf, du hast die Not gewandt. Von des Königs Gefolg’ schlugst du im Kampfe tot einen Kämpen, der maß fast fünf Ellen, es fehlt’ eine Handbreite nur.

des Einzelfundes. Helm (1980) 142 – 145 verweist darauf, dass der Kegelhelm ursprünglich ein orientalischer Typus ist, der von den Griechen übernommen wurde. Vgl. zum Helmtyp Snodgrass (1964) 14. 504 Dieser selbst nicht ganz unproblematische Terminus wird hier als Sammelbezeichnung verwendet, da die Literatur, auf deren Deutungen die vorliegende Arbeit angewiesen ist, keine spezifischeren Angaben macht. 505 Betalli (1995) 45. 506 Myres (1933) passim; vorsichtiger Betalli (1995) 45 – 46; dagegen Boardman (1981 [1964]) 55. 507 Vgl. Röllig (1971a) 645; Robbins (1996) 494. 508 Vgl. Alk. F130b Voigt = F130 Lobel/Page = F24c Diehl. 509 Haider (1996) 93 – 94 sieht die Stelle als Beleg für Söldner im Heer Nebukadnezars II . an. 510 Alk. F350 Voigt = 350 Lobel/Page = 50 Diehl. (Übersetzung unter Auslassung von τὸν ἀδελφὸν Ἀντιμενίδαν … φησιν Ἀλκαῖος)

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Alkaios und Antimenides entstammten – so die Tradition – einer aristokratischen Familie aus Mytilene, die in lokale Machtkämpfe verwickelt war. In Zuge dessen waren die Brüder des Dichters am Sturz der Penthiliden 511 in den Jahren 612 – 609 beteiligt.512 Ob Alkaios selbst an den Kämpfen teilgenommen hatte, lässt sich nicht mit Sicherheit feststellen. Bei Herodot ist eine Episode erwähnt, in der Alkaios seinen Schild im Zuge eines Krieges ­zwischen Mytilene und Athen um Sigeon fortgeworfen habe, woraus sich indes ein Chronologieproblem ergibt.513 Über eine zumindest geistige Involviertheit des Dichters in die politischen Verhältnisse auf Lesbos geben mehrere Fragmente seiner Gedichte Auskunft: Im Exil dichtet er über seine Sehnsucht nach der Agora und dem mit ihr verbundenen politischen Geschehen sowie dem Rat (βουλή). Zugleich verknüpft er d ­ ieses Verlangen mit der Bitterkeit über sein Schicksal, insbesondere indem er die Bürger (πολῖται) als einander nur auf Übel sinnend bezeichnet.514 Begreifen wir das Mytilene des ausgehenden 7. Jahrhunderts als ein Feld der Macht, befanden sich Alkaios und seine Brüder als Angehörige der Elite in dessen Zentrum. Doch der Kampf um die bessere Position innerhalb ­dieses Feldes fand hier nicht nur auf einer symbolischen Ebene statt, sondern eskalierte. Die andauernde stásis setzte enorme soziale Dynamiken in Gang, die zur Auswanderung von Teilen der Bevölkerung führten, die allerdings nicht als Gruppe gemeinsam migrierten.515 Jeder der Brüder scheint seiner eigenen Wege gegangen zu sein. Ferner deutet nichts darauf hin, dass sie sich in Begleitung anderer unfreiwilliger Exilanten befanden oder dass sich ihnen Anhänger ihrer Parteiung ‚freiwillig‘ angeschlossen hätten, und sei es auch nur, weil sie in der Fremde ihre Chancen besser einschätzten als in der Heimat, gebrandmarkt als Sympathisanten einer verlorenen Sache. Die Brüder verfügten über die erforderlichen Mittel zur Reise und konnten ganz offensichtlich ihren Lebensunterhalt bestreiten. Mag Alkaios auch über sein karges Dasein im Exil klagen,516 es ist mehr Stilmittel und Unterstreichung seiner seelischen Leiden als eine akkurate Aufstellung seiner weltlichen Besitztümer. Bei der Darstellung seines Bruders, der sich in den Dienst des babylonischen Königs gestellt hat, fällt dagegen zuallererst die 511

Deren Vorfahr Penthilos, Sohn des Orestes, ist Namensgeber des Geschlechts. Nach Strab. 13,1,3 sei Lesbos wiederum von Penthilos’ Sohn Archelaos und dessen Sohn Gras erobert worden; sie können somit als Gründer gelten. Vgl. auch Strab. 9,2,5; Hellanikos von Lesbos FGrH 4 F32 = Schol. Pind. N. 11,4. Bei Paus. 3,2,1 wir statt Archelaos Echelas genannt. 512 Vgl. Robbins (1996) 493. 513 Hdt. 5,95,1 – 2. Ob die Synchronsetzung von Alkaios mit Peisistratos bei Herodot korrekt ist, wurde in der älteren Forschung intensiv diskutiert. Vgl. für einen Überblick den Kommentar von How/Wells (1949 [1912]) 56. Die Episode scheint allzu konstruiert. Beim fortgeworfenen Schild handelt es sich nicht zuletzt um eine Reminiszenz an die oft nachgebildete (so bereits Crusius (1895) 492) Archilochosstelle. 514 Alk. F130b Voigt = F130 Lobel/Page = F24c Diehl Vgl. hierzu Crielaard (2009) 357. 515 Dies hat Bernstein (2004) passim anhand der Fallbeispiele von Korinth/Syrakus, Chalkis/­ Rhegion, Achaia/Kroton und Thera/Kyrene dargelegt. Vgl. auch ders. (1998) passim. 516 Alk. F350 Voigt = 350 Lobel/Page = 50 Diehl.

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Pracht seines Schwertknaufs auf, ein erlesenes Kunstwerk aus Elfenbein mit fein eingearbeitetem Gold. Werden die biographischen Informationen der Dichtung ernstgenommen, zeigt sich also, dass es für Angehörige der Elite sehr wohl eine Option darstellen konnte, in Dienste fremder Herrscher zu treten, gerade wenn man unfreiwillig das Exil antreten musste. 3.4.4.3 In Diensten der Pharaonen Zahlreiche Spuren hinterließen griechische Söldner in ägyptischen Diensten: Solche Männer haben sich in einer der frühesten Inschriften in griechischer Sprache verewigt: (A) Βασιλέος ἐλθόντος ἐς Ἐλεφαvτίναν Ψαματίχου, / ταῦτα ἔγραψαν τοὶ σὺν Ψαματίχωι τῶι Θεοκλ[έ]ος / ἐπλεοv, ἦλθον δὲ Κέρκιος κατύπερθε, υἷς ὁ ποταμὸς / ἀνίη, ἀλογλώσους δ’ἦχε Ποτασιμτώ, Αἰγυπτίους δὲ Ἄμασις. / ἔγραφε δ`ἁμὲ Ἄρχων Ἁμοιβιχου καὶ Πέλεκος Οὑδάμου. (B) Ἑλεσίβυς ὁ Τήιος. (C) Τήλεφός μ`ἔγραφε ὁ Ἰαλύσιο[ς – – -] (D) Πύθων Ἁμοιβιχ[ου] (E) Πάβις ὁ Ϙλοφώνιος – – σὺν Ψαμματ[ίχωι] (F) Ἄγεσερμο[ς] (G) Πασιρων ὁ Ἵππου. (H) Κρίθις ἔγρα[φε]ν. (I) Ὀμγυσόβ[?] ὄκα βασιλεὺς ἤελασε τὸν στρατὸν [τ]ὸ πρᾶvτο[ν – - – ἅμ]α Ψαματίχω[ι ἦλθον].517 (A)Als König Psammatichos nach Elephantina gekommen war, | schrieben [dies], die zusammen mit Psammatichos, Sohn des Theokles, | auf Schiffen fuhren und bis oberhalb von Kerkis kamen, soweit es der Fluss | zuließ. Die [Leute] fremder Zunge befehligte Potasimto, die Ägypter Amasis,| geschrieben haben uns [=die Buchstaben] Archon Sohn des Amoibichos und Pelekos Sohn des Udamos [Beil Sohn des Niemand]. (B) Elesibios aus Teos (C) Telephos hat mich geschrieben aus Ialysos (D) Python Sohn des Amoibichos (E) Pabis aus Kolophon | mit Psammata (F) Agesermos (G) Pasiron aus Hippou (H) Krithis hat dies geschrieben

517

SGDI 4109,5261,5611 = HGIÜ 8.

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Die Truppe, die diese Zeilen in die Tempelmauer von Abu Simbel ritzte, war bunt zusammengewürfelt. Manche ihrer Beinamen erscheinen scherzhaft wie Πέλεκος Οὑδάμου,518 andere geben Auskunft über die Herkunft einiger Männer, wie im Falle von Ἑλεσίβυς ὁ Τήιος, Τήλεφός ὁ Ἰαλύσιο, Πάβις ὁ Ϙλοφώνιος oder Πασιρων ὁ Ἵππου. So scheint ein großer Teil der Kämpfer aus Ionien zu stammen, jedoch aus verschiedenen Poleis. Sie bildeten eine Einheit von Hilfstruppen, die auch organisatorisch von den ägyptischen Verbänden abgegrenzt war, da jene über einen eigenen Befehlshaber namens Potasimto verfügten, der auch anderenorts belegt ist.519 Der Verweis auf Elephantina und Psammetichos II. belegt, dass sie an dessen Feldzug gegen die Nubier im Jahr 592 teilnahmen.520 Die Inschrift korrespondiert mit der Darstellung Herodots, der von Söldnern (ἐπίκουροι) in Diensten Psammetichos II. berichtet, wobei das erste Aufeinandertreffen ­zwischen ihm und jenen Karern und Ioniern – vielleicht durch mündliche Überlieferung – dramatisiert ist. Psammetichos II. habe nämlich, weil er vor den elf Königen der Flußlande fliehen musste, das Orakel der Leto in Buto besucht. Dort sei ihm verkündet worden, eherne Männer (χάλκεοι ἄνδρες) würden über das Meer kommen. Doch Psammetichos II. habe nicht an s­ olche Helfer (ἐπίκουροι) aus Erz geglaubt; bald aber s­ eien Ionier und Karer, die auf Seeraub aus gewesen s­ eien, nach Ägypten verschlagen worden, und als sie in ihre Rüstungen gehüllt an Land stiegen, habe ein Ägypter bei Psammetichos II. Meldung gemacht, dass jene gerüstete Bande das Umland plündere. Darauf habe Psammetichos II. erkannt, dass sich das Orakel bewahrheitet hatte, und sich jene Ionier und Karer zu Freunden gemacht sowie sie mit Versprechungen davon überzeugt, sich ihm anzuschließen.521 Auch wenn wir eine Dramatisierung durch Herodot annehmen, erscheint es naheliegend, dass sich der in die Ecke gedrängte Psammetichos II. der Hilfe von Söldnern versicherte. Mit diesen und seinen eigenen Truppen gelang es ihm schließlich, die Könige zu vertreiben.522 Seinem Versprechen Folge leistend entlohnte er seine Hilfstruppen, indem er ihnen zu beiden Seiten des Nils Land zum Besiedeln zuwies, das meerwärts unterhalb von Bubastis am peleusischen Nielarm gelegen war und den Namen Στρατόπεδα erhielt.523 Auch gewährte er ihnen alles, was er darüber hinaus versprochen hatte.524 518

Haider (1996) 107 liest dagegen „[E]udamos“. Austin (1970) 57; Boardman (1981 [1964]) 136. 520 Während Boardman (1981 [1964]) 136 – 137 hier einfache griechische Soldaten erkennen möchte, geht Haider (1996) 107 – 109 von Eliten aus, weil sie schriftkundig waren, und sieht in Pelekos einen Anführer und Mann aus „der zweiten Generation“ von Griechen in Ägypten. 521 Hdt. 2,152,1 – 4. 522 Hdt. 2,152,5. 523 Hdt. 2,154,5 schreibt, man habe die baulichen Reste dieser Siedlung, Schiffswerften und Häuser noch zu seinen Lebzeiten bewundern können. Funde griechischer Keramik v. a. aus Korinth und ostgriechische Ware plausibilisieren den Bericht Herodots. Austin (1970) 20 – 22; Boardman (1981 [1964]) 158 – 159. 524 Hdt. 2,154,1 – 3. 519

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Aus mobilen Söldnern (vielleicht sogar ehemaligen Piraten) waren ansässige Veteranen geworden. Sie sollten sowohl Psammetichos II . als auch seinen Nachfolgern von Nutzen sein. Ihr Kriegsherr schickte bald Ägypter zu seinen alten Hilfstruppen, damit jene die griechische Sprache lernten. Aus dieser Gruppe s­ eien die ersten Dolmetscher hervorgegangen. Herodot wertete die Ansiedlung der Ionier und Karer in Ägypten als den Startschuss für einen intensiven Informationsfluss ­zwischen der ägyptsichen und der griechischen Welt.525 Nach dem Tod Psammetichos  II . 589 dienten die ionischen und karischen ἐπίκουροι seinem Sohn und Nachfolger Apries. Von ihnen habe er 30 000 in die Schlacht gegen Amasis geführt,526 nachdem dieser von ihm abgefallen und von den seit der vernichtenden Niederlage gegen Kyrene aufständischen Ägyptern zu ihrem Anführer und König erklärt worden war. Jene Söldner schienen die einzigen zu sein, die bis zuletzt für Apries kämpften, wohingegen alle Ägypter auf Seiten des Amasis standen. Obgleich in der Minderzahl und Fremde (ξεῖνοι), hätten sie tapfer gekämpft.527 Amasis, der nun endgültig die Herrschaft über Ägypten errungen hatte, jagte sie indes nicht davon. Der soziale Aufsteiger, der anfangs nur wenig von den Ägyptern geachtet wurde, sie aber ­später durch seine Gerissenheit (σοφία) für sich habe gewinnen können,528 war klug genug in jenen Fremden eine persöhnliche Machtbasis und Absicherung gegen übelsinnende Landsleute zu erkennen: So siedelte er sie in die Nähe von Memphis um und machte sie zu seiner Leibwache.529 Von einem aus Ägypten heimgekehrten Söldner kündet in Priene eine Weihinschrift auf einem Würfelhocker aus Basalt, die in ionischer Schrift abgefasst ist: Als Preis für seine Tüchtigkeit habe er von Psammetichos 530 diese Statue mitsamt einem goldenen Armreif erhalten.531 Herodot berichtet dagegen von einem Mann aus seiner Heimatstadt Halikarnassos, Phanes, der aus dem Heer des Amasis geflohen sei. Amasis habe ihn verfolgen lassen, weil er Informationen über den Kriegsverlauf besaß und zudem ein hohes Ansehen bei den griechischen Truppen genoss. Die Verfolgung ereignete sich im Kontext fortlaufender Kriegshandlungen, also noch bevor der Feldzug zu Ende gebracht wurde. Bei Phanes scheint es sich um einen der Anführer der Griechen gehandelt zu haben, zumal er tatsächlich über wertvolle 525

Dolmetscher: Hdt. 2,154,2; Informationsaustausch: Hdt. 2,154,4. Haider (1996) 111 – 112 hält die bei Hdt. 2,163,1 überlieferte Anzahl für realistisch und führt an, dass zu dieser Zeit allein in Daphnai 20 000 Menschen, neben Griechen aber auch Phoinikier, Karer und Juden, lebten. 527 Hdt. 2,169,1. 528 Hdt. 2,172,2. 529 Hdt. 2,154,3. 530 Ob es sich um Psammetichos I. oder Psammetichos II . handelt, ist unklar. 531 SEG 37,994 = HGIÜ 9. Die dritte Gabe des ägyptischen Königs ist rätselhaft: Dass der Kämpfer Pedon tatsächlich eine Stadt erhielt, erscheint selbst für einen hochrangigen Offizier sehr hochgegriffen. Vielleicht handelte es sich um eine Übertreibung in selbstdarstellerischer Absicht. 526

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Kenntnisse verfügt haben dürfte, weil er bald die Seiten wechselte und Kambyses als Berater diente.532 Die vor allem durch Herodot überlieferte Geschichte griechischer Söldner in ägyptischen Diensten, die durch die Inschrift von Abu Simbel bestätigt wird, gewährt einen Einblick, wie es Kriegern in fremden Diensten erging, wie sie mit Land entlohnt und wie ihre Nachkommen in das Reich, für dessen Herrscher sie gekämpft hatten, eingebunden werden konnten. Es werden auch die Vorzüge deutlich, die insbesondere griechische Hilfstruppen fremden Herrschern boten: Als schwergerüstete Hopliten ließen sie sich gezielt und siegbringend einsetzen, aber als prekäre Minderheit galt ihre Treue schon aus Eigeninteresse ihrem Kriegsherrn, was von diesen erkannt und genutzt wurde. Darüber hinaus dürfte ihre Ansiedlung in Ägypten zu einem stetigen Informationsfluss ­zwischen der ägyptischen und der griechischen Welt geführt haben.

3.4.5 Die Entstehung der Münze Der von einem Söldner aus Ägypten nach Priene gebrachte Würfelhocker steht sinnbildlich für ein Problem, das sich bei der Entlohnung der Männer stellte, falls sie nicht wie durch Psammetichos  II. angesiedelt, also mit Land abgefunden wurden. Wenn die Söldner einen Anteil an der Beute eroberter Städte erhalten sollten, gestaltete sich der Beutetransport aufwendig und war mitunter kaum zu bewerkstelligen. Naturalien, andere Rohstoffe, Sklaven oder Kunstgegenstände waren nur bedingt transportabel. Es bestand ein dringender Bedarf für ein leicht zu transportierendes Medium, in das die Werte transferiert werden konnten. Als solches Medium könnte die Münze fungiert haben: Die frühesten Exemplare entstammen einem im Zuge der Ausgrabung des Artemisions von Ephesos gefundenen Münzhort 533 und datieren auf die Mitte des 7. Jahrhunderts.534 Es handelt sich um einseitige Elektronprägungen mit Löwenkopf auf dem Avers und Incusum 535 auf 532

Hdt. 3,4,2 – 3. Bald darauf sollte ihn die grausame Rache der Griechen in ägyptischen Diensten treffen: Hdt. 3,11,1 – 3. 533 Vgl. den Grabungsbericht Hogarth (1908a) 74 – 93. 534 Ursprünglich datierten die Ausgräber den Münzhort auf das frühe 7. Jahrhundert (ebd.), eine Einschätzung, die Hogarth schon kurz nach Erscheinen wieder relativierte. ders. (1908b) 338. Die Mehrheit der numismatischen Forschung datiert den Münzhort auf um 550. Vgl. dagegen Weidauer (1975), die aufgrund stilistischer Argumente wiederum eine Datierung auf das frühe 7. Jahrhundert vorschlägt. Ebenfalls für die frühe Datierung Kagen (1960); ders. (1982). Vgl. zur Diskussion um die Datierung: Schaps (2004) 95 und Howgego (2011) 2, der sich vehement für eine Datierung um 560 ausspricht, da neuere Ausgrabungen am Artemision die ursprüngliche Chronologie unsicher gemacht hätten. Vgl. zur Datierungsproblematik jetzt auch Mittag (2016) 45 – 46. 535 Mittag (2016) 44, nennt einen praktischen Nutzen des Incusums: Der Nutzer konnte damit den Edelmetallgehalt überprüfen.

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dem Revers.536 Das Material und das Löwenmotiv legen einen Ursprung in Lydien nahe.537 Weiter gestützt wird dies durch die Nachricht bei Herodot, es s­ eien die Lyder gewesen, die als erstes Münzen schlugen.538 Ein Xenophanes-Fragment berichtet dasselbe.539 Von Lydien ausgehend verbreitete sich die Münzprägung zunächst in den ionischen Städten und dann rasant über die gesamte griechische Welt. Doch wofür diese frühen Münzen genutzt wurden, ist ein Feld vielfältiger Hypothesen. Für den Handel auf dem Markt erscheinen diese Edelmetallstücke wegen ihres hohen Wertes untauglich.540 So schlug man vor, dass die frühen Münzen der Bezahlung von Söldnern dienten.541 Dagegen wendet David Schaps ein, dass dies eine Verwendung im Handel voraussetze, damit sie als Bezahlung akzeptiert wurden.542 Münzen konnten aber durchaus als Entlohnung anerkannt werden, auch wenn das Konzept von Geld noch nicht ausgeformt war, da den seltenen Edelmetallen, aus denen die Münzen bestanden, ein Wert an sich beigemessen wurde. Wenn nun Münzen noch nicht so verbreitet waren, dass ihre Form den Wert garantierte, hätte dies Transaktionen mit ­diesem Medium zwar unbequemer gemacht, aber eben lediglich in demselben Maße wie den Tausch anderer Edelmetalle vor ihrem Aufkommen. Im Soldkontext hingegen hätte die Münze vieles vereinfacht. Wert wäre in Form der Münze abstrahiert worden. Für den Kriegsherrn wäre die Entlohnung der Truppen schneller und womöglich auch konfliktärmer zu bewältigen gewesen.543 Für Söldner boten Münzen einen 536

Etwa Classical Numismatic Group, Inc., Triton X, 9. 1. 2007, Nr. 329. Mittag (2016) 44 – 45, der darauf verweist, der Löwe sei das Symbol der lydischen Könige gewesen. Dagegen aber Howgego (2011) 1. 538 Hdt. 1,94,1. 539 Bei Poll. 9,83. 540 „In the earliest electrum issues of marked dumps and of coins properly stamped with a type the denomination which by its frequency can be regarded as normal is the so-called ‘third’ weighing about 4.7 grammes. Now it appears that till the time of Alexander the Great electrum was reckoned as ten times as valuable as silver, so that the electrum ‘third’ would be worth rather more than ten Attic drachmae of the Solonian standard of 4.25 grammes. But, according to Plutarch, in Solon’s time, which is not too far from that of the first coinage, a drachma had the value of a sheep. If then the electrum ‘third’ was worth more than ten sheep, it cannot have been a useful coin for small transactions. Even the smallest electrum coin, the rare ‘ninety-sixth‘, would if it existed so early have been worth about a third of a sheep. It appears then that the early coinage did not assist small transactions either.“ Cook (1958) 260; ähnlich auch Kraay (1976) 318. Für den Fernhandel hätten sie jedoch bei großen Transaktionen von Nutzen sein können. 541 Cook (1958) 261. Jüngst wurde der Gedanke wieder von Mittag (2016) 47 – 48 unter Berufung auf Keyser/Clark (2001) 116 – 117 wieder aufgegriffen. 542 Schaps (2004) 100. 543 Denn bei jeder Gabe musste ansonsten neben dem materiellen Wert auch ihr symbolischer Wert einkalkuliert werden. Einen Eindruck hiervon geben die Gaben der homerischen Epen. Sie verkörpern das Verhältnis von Anlass, Geber und Empfänger. Bei vielen Söldnern dürfte ein solches Vorgehen langwierig und von konflikthafter Aushandlung 537 Vgl.

Kriege als Mobilitätsmotor

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offensichtlichen Vorteil: Sie konnten ohne größeren Aufwand ihren Sold mit sich führen. Dieser Vorzug zeigte sich nicht exklusiv für Söldner. Einer Vielzahl mobiler Gruppen war die Münze von erheblichem Nutzen, was ihre rasche Verbreitung erklärt. Als Ressource stellte die Münze einen Wert dar, nicht nur materiell, das heißt als Edelmetallstücke eines bestimmten Gewichts und Reinheitsgrades, sondern auch symbolisch, indem sie durch die Prägung das Versprechen des Emittenten enthielt, dem materiellen Wert zu entsprechen. Der symbolische Wert verfestigte sich durch die Erfahrung, dass das Wertversprechen in materieller Hinsicht (Gewicht, Reinheit) eingehalten wurde, allmählich. Die Einführung der Münze machte Werte auf bislang ungekannte Weise mobil. Diese Innovation der archaischen Zeit erleichterte Trans­ aktionen ungemein und dürfte daher vor allem dem Fernhandel einen Schub gegeben haben: Auch wenn es zuvor Wertsysteme gab,544 die durch die Münze ersetzt wurden, war sie durch ihre hohe Konvertierbarkeit ein sichtlicher Fortschritt.

3.4.6 Zusammenfassung: Mobile (und ansässige) Krieger Schon bei Homer finden sich Konzeptionen von Gruppen, die nach ihrer geographischen Herkunft organisiert und unter Anführern aus ihren eigenen Reihen in einem Krieg kämpfen, den sie weder begonnen noch ausgelöst haben. Vor allem auf Seiten der Troer steht eine Vielzahl solcher ἐπίκουροι, deren Anführern viel Achtung entgegengebracht wird, sind sie doch augenscheinlich Teil einer jenseits geographischer und ‚ethnischer‘ Grenzen miteinander verbundenen Elite. Der monetäre Aspekt des Söldnertums wird nicht als Grundlage der Bündnisbeziehung benannt. Beute taucht – wie so oft bei den von Homer geschilderten Kämpfen – mitunter als Motiv auf.545 Worauf sich das Bündnis der Troer und ihrer ἐπίκουροι genau gründet, bleibt aber offen. Bei den frühen Lyrikern finden sich eindeutigere Bezugnahmen auf das Söldnerdasein: So erscheint Archilochos als kampferprobt und reiseerfahren und kündet von einer pragmatischen Einstellung gegenüber dem Kampf, eine Wertung, die aus der sozialen Welt archaischer Söldner entlehnt sein dürfte. Interessant sind hier die Umdeutungen heroischer Wertvorstellungen, die sich als Generierung symbolischer Ressourcen und Strategie fassen lassen, die Position innerhalb des Feldes zu verbessern. Alkaios schreibt über sich und seinen Bruder, dass sie ins Exil hatten gehen müssen: Während er sich nach Ägypten wandte, schloss sich sein Bruder dem Heer Nebukadnezars  II . an und kehrte reich zurück. Beide gehörten der Elite Lesbos’ gekennzeichnet gewesen sein. Der Übergang zu einer Abstrahierung durch einen Edelmetallwert ist da naheliegend. Vgl. Cook (1958) 261. Wenn eine ­solche Praxis etabliert war, bot es sich an, vorgefertigte Stücke mit einem normierten Gewicht, das immer wieder gebraucht wurde, herzustellen und sie dann entsprechend zu markieren. 544 Vgl. dazu Howgego (2011) 14 – 17. 545 Etwa Hom. Il. 16,544 – 545; 16,548 oder Hom. Il. 17,125.

254

Bahnen der Mobilität

an. Unsere Kenntnis ist indes nicht auf Homer und die frühen Lyriker beschränkt: Neben diesen und archäologischen Zeugnissen finden sich Erwähnungen griechischer Truppen auch in assyrischen und babylonischen Quellen. Zudem waren es nicht die Ärmsten der Armen, die sich als Söldner verdingten, da jeder Schwerbewaffnete nicht allein eine entsprechende Ausrüstung benötigte, sondern auch ein längeres Training absolvieren musste, bis er den Umgang mit Waffen und Schild sowie das Kämpfen in Formation erlernt hatte. Für Ägypten sind Söldner aus Ionien im Heer Psammetichos’  II. epigraphisch bezeugt, vielleicht auch schon für die Regentschaft Psammetichos’ I. Sie dienten unter einem ägyptischen Anführer, der sich auf griechische Unteranführer stützte. Genaueres erfahren wir durch Herodot, der die Geschichte erzählt, wie P ­ sammetichos II. zu seinen griechischen Hilfstruppen gelangte und auch einen Überblick über die Ansiedlung und die Rolle griechischer Söldner in Ägypten gibt. Die Quelle lenkt den Blick auf die Überschneidungen ­zwischen Söldnern und anderen mobilen Gruppen; denn in Herodots Bericht waren die späteren Kämpfer an der Seite der ägyptischen Könige doch zuvor Seeräuber gewesen. Indes lässt die Geschichte eine gewisse Geformtheit erkennen. Die Ähnlichkeit der benötigten Ressourcen ist allerdings offenkundig. Damit eine festgeformte Gruppe mit einer Kommandostruktur, die es gewohnt war, gemeinsam und koordiniert zu kämpfen und über eine entsprechende Bewaffnung verfügen musste, auch aufrechterhalten werden konnte, wurden ökonomische Ressourcen und Beute benötigt. Als Heimkehrer konnten sie auf ihren Reisen erworbene Wissensressourcen schließlich den jeweiligen Ortsgemeinschaften zuführen, so sie denn zurückkehrten. Die Berichte von der Entlohnung in einer Welt ohne Geld erscheinen insgesamt glaubwürdig, zumal die griechischen Siedlungen in Ägypten sich auch archäologisch fassen lassen. Dort waren sie Teil der Herrschaftsstrategie, auch wenn Herodot ihre Rolle überschätzt haben dürfte. So wurden aus Veteranen Siedler, die erneut mobilisiert werden konnten. Doch auch Heimkehrer finden sich, wie es eine andere Inschrift und auch die Nachricht über den Bruder des Alkaios im Heere Nebukadnezars  II. nahelegen. Die Entlohnung gestaltete sich problematisch, da Kriegsherr und Söldner vor dem Problem standen, eine Form zu finden, die sich leicht mitführen ließ; ansonsten waren Versprechungen alles, wofür die Söldner zunächst kämpfen mussten. Die Münze könnte hier, eine Lücke gefüllt haben, wenngleich die Frage nach dem Ursprung dieser Idee nicht vollends beantwortet werden kann. Zumindest erleichterte diese Innovation Mobilität allerorten, nicht nur für Söldner, sondern auch für Händler und all die anderen Gruppen, denen daran gelegen war, Werte mit auf die Reise zu nehmen, die dann vor Ort konvertierbar waren.

4. Zu den ‚Siedlern‘

Bislang wurden vor allem Ansässigkeits- und Mobilitätsformen betrachtet, wohingegen Siedler lediglich randständig in Erscheinung getreten sind. Diese Disparität liegt in den erzählenden Quellen aus archaischer Zeit begründet, die zwar von verschiedenen Mobilitätsformen künden, kaum jedoch von der Anlage neuer Siedlungen und noch weniger von der Mobilität all jener, die nicht der ökonomisch-sozialen Elite angehörten. Wie gezeigt wurde, konnten Mobilitätsformen in Migration umschlagen oder – besser – die Bahnen für Migration bereitstellen. Neben den Bahnen der Mobilität lassen sich aus den Quellen Konzeptionen von Ansässigkeit destillieren, die verdeutlichen, dass auch zur Aufrechterhaltung von Ansässigkeit Ressourcen in einem nicht unbeträchtlichen Umfang benötigt wurden, zumal jene nicht selten prekär war. Eingedenk der zuvor eingenommenen Perspektive wird nun danach gefragt, inwieweit sich Formen von Mobilität und des Ringens um Ansässigkeit, die in zeitgenössischen archaischen Zeugnissen zu finden sind, sich in diesen späteren Quellen niederschlagen. Daher bilden die ktíseis, Ursprungserzählungen einer Gemeinschaft, die sich zumeist um einen Gründer ranken, die Grundlage der folgenden Ausführungen.1 Als Identitätsressourcen behandeln sie Ursprünge, tendenziell aber keine Migrationsbewegungen nach der Gründung, vor allem, wenn es sich um kleinteiligere Zuwanderungen handelte, die nicht als Einschnitt, sondern als begleitender Prozess wahrgenommen wurden. Bei größeren Migrationsströmen erscheint es vor dem Hintergrund der in Teil 1 angestellten gedächtnistheoretischen Überlegungen plausibel anzunehmen, dass sie als für die Gemeinschaft einschneidendes Erlebnis Spuren in der Überlieferung hinterlassen haben. Diese Betrachtung soll aus der Perspektive bisher gemachter Beobachtungen zu Ansässigkeit und Mobilität geschehen. Daraus folgt, dass zunächst Schwerpunkte der Untersuchung und grundsätzliche Spielräume, die für Siedler als einzelne oder als Gruppe existierten, identifiziert werden. Für die hierauf aufbauenden Kapitel sollen wiederum die Fragen, inwiefern sich die Mobilität von Siedlern und deren erneutes Ansässigwerden von den bereits herausgearbeiteten Formen der Ansässigkeit und der Mobilität qualitativ unterscheidet und ­welche Ressourcen jeweils für diese Vergesellschaftungsformen benötigt wurden, im Fokus stehen. Die groben Leitlinien, die einer thematischen Ordnung folgend dargelegt werden, ergeben sich einerseits aus den Quellen, andererseits aus den Forschungsdebatten. 1

Dies geschieht schlaglichtartig anhand aussagekräftiger Beispiele. Eine s­ olche Auswahl kann nur unbefriedigend sein. Vgl. zu ­diesem Dilemma Bernstein (2020b) 38 – 40. Eine vollständige Behandlung aller Gründungsnarrative ist nicht Gegenstand dieser Arbeit und eine auch nur grobe quellenkritische Behandlung würde den Rahmen sprengen. Umfangreichere Zusammenstellungen und Besprechungen von Gründungsgeschichten wurden zudem bereits vorgelegt. Vgl. v. a. die Arbeiten von Prinz (1979); Casevitz (1985) und Miller (1997).

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Zu den ‚Siedlern‘

4.1 Von Spielräumen Migration besteht, wie gezeigt wurde, aus aufeinander folgender Ansässigkeit und Mobilität. Aus dieser Perspektive heraus beschränkte sich Migration nicht auf den Weg zu einem Zielort, sondern beinhaltete es, nach der Ankunft eine Lebensgrundlage zu finden, sich in eine bestehende Ordnung zu integrieren oder gar eine neue zu schaffen. Zum Migrieren wurden daher nicht allein Ressourcen der Mobilität, sondern auch Ressourcen der Ansässigkeit benötigt. Dabei ist ­zwischen vereinzelter Migration entlang der etablierten Bahnen der Mobilität in bereits existierende Ansiedlungen und Neugründungen zu unterscheiden: Im ersten Fall wandelten Migranten auf ‚ausgetretenen Pfaden‘, zumal Seefahrt mit zunehmender Tendenz verbreitet war.2 Wenngleich sie noch immer beträchtliche Vorräte aufbringen mussten,3 konnten sie bestehende Mobilitäts- und Ansässigkeitsstrukturen ­nutzen. So dürfte sich ihnen die Möglichkeit geboten haben, auf Schiffen mitzureisen, die ohnehin den gewünschten Zielhafen anliefen. Händler etwa waren in der Lage, neben dem Schiff weitere Mobilitätsressourcen bereitzustellen, insbesondere Informationen über Chancen und Menschen an potentiellen Zielorten, wenngleich eine dauerhafte Niederlassung keine notwendige Bedingung darstellte, Handel zu treiben. Vor Ort war neben einer materiellen Infrastruktur auch ein Gemeinwesen vorhanden, das die künftige Sicherung des Lebensunterhalts erleichterte. Mitunter gestaltete sich ­dieses Zusiedeln zwar konfliktreich,4 aber es bestand auch die Chance, Unterstützung von ehemaligen Migranten zu erhalten, die in der neuen Heimat ansässig geworden waren. Im zweiten Fall, wenn auf ‚leerem Land‘5 eine neue Siedlung errichtet werden sollte, waren die Widrigkeiten zahlreicher und schwerwiegender. Überschüsse mussten größer, Planungen exakter und Strategien ausgefeilter sein, denn es konnte nicht auf bestehende Strukturen vertraut werden, gab es doch zumeist weder etablierte Seerouten noch helfende Hände am Zielort. So galt es zunächst, ein oder mehrere Schiffe zu bauen und mit Vorräten auszustatten.6 Daneben musste eine Vielzahl von Informationen über eine fahrbare Route und das Ziel eingeholt werden oder bekannt sein, damit einerseits der Weg dorthin, andererseits das Vorgehen vor Ort geplant werden konnten. Die wichtigste Voraussetzung hierfür war es, dass der Ausgangsort an das mediterrane Kommunikationsnetz angeschlossen war, das sich unter anderem aus Gastfreundschafts-,7 Tausch- und Handelsbeziehungen konstituierte. Darüber 2 3

4 5 6

7

Vgl. Kapitel 3.1 Das Meer befahren, 156 – 171. Vgl. zum Ressourcenbedarf der Seefahrt ebd. Vgl. dazu die folgenden Ausführungen in Kapitel 4.5 Zusiedler: époikoi und ápoikoi, 302 – 310. Da Land eigentlich nie leer war, marginalisiert die Formulierung tendenziell zukünftig ehemalige Bewohner. Vgl. Kapitel 4.4 ‚Leeres Land‘, 286 – 302. Vgl. zum Aufwand des Schiffbaus und der Ausrüstung Kapitel 3.1 Das Meer befahren, 156 – 171. Vgl. das Unterkapitel 3.2.3 Gastfreundschaft, 182 – 194.

Von Spielräumen

257

hinaus war eine Schätzung der benötigten Vorräte zum Bewältigen der Seereise und für die Phase des erneuten Ansässigwerdens nötig. In dieser ersten Phase am Zielort waren Migranten auf mitgebrachte Vorräte angewiesen, bis die Felder verteilt, das Land urbar gemacht, die erste Ernte eingefahren war und weitere Schiffe den Hafen anliefen. Hierbei handelte es sich um einen Zeitraum von etwa dreieinhalb Monaten, wenn das Wachstum von Getreide zugrunde gelegt wird.8 Der Zeitraum ­zwischen Aussaat und Ernte konnte in günstigen Fällen kürzer, in vielen Fällen aber auch deutlich länger sein, zumal für den neu bebauten Boden weder Erfahrungswissen existierte noch eine systematische Düngung erfolgt war.9 Und auch nach der ersten Ernte wurden Reserven benötigt, da davon auszugehen ist, dass der Ertrag den eigenen Bedarf anfangs nicht vollständig deckte. Neben der Urbarmachung des Landes und der Aussaat galt es, sich politisch zu organisieren sowie Wohnhäuser und Tempel zu errichten. Für all dies mussten Werkzeuge, Saatgut und eventuell sogar Zuchtvieh mitgeführt werden. Darüber hinaus dürfte eine hinreichende Bewaffnung, mit der die eigene Sicherheit gewährleistet werden konnte, erforderlich gewesen sein, zumal Land auch in der Antike nie wirklich leer war; zumeist lebten dort bereits Menschen, die den Neuankömmlingen nicht immer freundlich gesonnen waren. Es bestand also ein nicht geringer Bedarf an – materiellen wie immateriellen – Ressourcen allein, um zum neuen Siedlungsplatz zu gelangen. Die beträchtlichen materiellen Mittel, das heißt Überschüsse, mussten nicht nur in der aussendenden 8

9

Einen Anhaltspunkt liefern die folgenden Verse bei Hes. erg. 382 – 395: Πληιάδων Ἀτλαγενέων ἐπιτελλομενάων / ἄρχεσθ’ ἀμήτου, ἀρότοιο δὲ δυσομενάων. /αἳ δή τοι νύκτας τε καὶ ἤματα τεσσαράκοντα /κεκρύφαται, αὖτις δὲ περιπλομένου ἐνιαυτοῦ /φαίνονται τὰ πρῶτα χαρασσομένοιο σιδήρου. /οὗτός τοι πεδίων πέλεται νόμος οἵ τε θαλάσσης ἐγγύθι ναιετάουσ’ οἵ τ’ ἄγκεα βησσήεντα /πόντου κυμαίνοντος ἀπόπροθι, πίονα χῶρον, / ναίουσιν· γυμνὸν σπείρειν, γυμνὸν δὲ βοωτεῖν, / γυμνὸν δ’ ἀμάειν, εἴ χ’ ὥρια πάντ’ ἐθέλῃσθα / ἔργα κομίζεσθαι Δημήτερος, ὥς τοι ἕκαστα / ὥρι’ ἀέξηται, μή πως τὰ μέταζε χατίζων /πτώσσῃς ἀλλοτρίους οἴκους καὶ μηδὲν ἀνύσσῃς. – Steigt das Gestirn der atlasgeborenen Pleiaden herauf, beginne die Ernte, das Pflügen aber, wenn sie hinabgehen. Vierzig Tage und Nächte waren sie nun verborgen, tauchen aber im Umlauf des Jahres erstmals wieder auf, wenn die Sichel gewetzt wird. Dieses Gesetz gilt für Ebenen, ob man nun nahe am Meer oder fern der wogenden See tief in den Bergtälern fruchtbaren Boden bewohnt. Nackt sähe, nackt pflüge, nackt mähe, willst du Demeters jegliches Werk beizeiten besorgen, damit dir auch alles recht gedeihe und du nicht ­später aus Not fremde Höfe anbetteln musst und doch nichts bekommst. Vgl. auch Hes. erg. 614 – 616. Um 700 gingen die Pleiaden, die Hesiod hier als Marker für die Zeit zum Pflügen verwendet, zum Novemberanfang unter, wie Wenskus (1990) 49 berechnet. Der Aufgang der Pleiaden markiert bei Hes. erg. 571 – 577 die Erntezeit, die damit auf Anfang Mai fiele. Vgl. West (1978) 253. Bei Hes. erg. 479 – 482 findet sich ein Hinweis auf das Pflügen zur Wintersonnenwende Ende Dezember. Vorausgesetzt es würde eine schnelle Ersternte einer nachhaltigeren und langfristig ertragreicheren Strategie vorgezogen, ergebe sich bei zudem günstigen Bedingungen ein Zeitraum von etwa dreieinhalb Monaten. Vgl. Kapitel 2.2 Das Ringen um Díkē als Grundlage der Gemeinschaft und der Ansässigkeit, 94 – 135.

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Zu den ‚Siedlern‘

Gemeinschaft vorhanden sein. Sie mussten sich auch in den Händen jener befinden, die zu migrieren beabsichtigten, oder in ihre Hände gelegt werden. Über die immateriellen Ressourcen wiederum mussten nicht alle verfügen. Nautisches Wissen stellte zwar eine Notwendigkeit dar, aber es genügte, wenn einige wenige es besaßen, zumal sich eine so gelagerte Wissensverteilung als günstig für die Reproduktion des Herrschaftsverhältnisses an Bord erweisen konnte, da so feste Kommandostrukturen etabliert und zumindest für die Dauer der Seereise aufrechterhalten werden konnten.10 Gleiches gilt für das Wissen um die Route und die Verhältnisse am Zielort, das ebenso als eine Herrschaftsressource für einen oder eine Gruppe von Anführern wie auch für das Migrationsvorhaben selbst fungieren konnte. Die Verteilung der materiellen Ressourcen erforderte entweder eine fortgeschrittene Institutionalisierung des Gemeinwesens oder eine Ressourcenakkumulation bei einem Einzelnen, der in der Lage war, seine Anhänger auszurüsten, wenn sie nicht selbst über die benötigten Überschüsse verfügten. In beiden Fällen bot sich ein Angehöriger der politischen und sozialen Elite an, um ­dieses Gründungsunternehmen anzuführen, zumal deren Angehörige durch Gastfreundschaftsbeziehungen, die sie pflegten, über einen privilegierten Zugang zu Informationen über entlegene Gebiete und die Routen dorthin verfügten. Aufgrund ihrer Lebensweise hatten sie sehr häufig nautisches Wissen akkumuliert, das sie zusammen mit den sozialen Ressourcen, die aus ihrer Zugehörigkeit zu ebenjener Elite resultierten,11 für die Position des Anführers prädestinierte. In einem weniger institutionalisierten Gemeinwesen konnten EliteAngehörige sich eine Gefolgschaft verschaffen, mit der sie in die Ferne segelten. In einem Gemeinwesen mit ausgeformten Institutionen, einer Polis, konnte ein solcher Gründer, ein oikistḗs, eingesetzt werden. Hier musste er selbst nicht allein über die nötigen materiellen Ressourcen verfügen, denn die Gemeinschaft war in ­diesem Fall in der Lage, entsprechende Mittel bereitzustellen. Ein solcher Vorgang findet sich angedeutet in einigen ktíseis, die in klassischer oder hellenistischer Zeit niedergeschrieben wurden. Hier agieren politische Gemeinwesen als Ganzes, wobei die Gemeinschaft zudem Verfügungsgewalt über den Einzelnen besaß, die so weit reichte, dass Bürger gezwungen werden konnten, in die Fremde zu gehen. Hiervon kündet vor allem die ausführliche Gründungsgeschichte Kyrenes, die unter anderem bei Herodot, in einigen Hymnen Pindars und in einer Inschrift aus dem 4. Jahrhundert überliefert wird, die als ‚Eid der Siedler‘ bekannt ist. Die Inschrift gibt scheinbar eine ältere Version der Gründungsgeschichte wieder; es regen sich indes seit langem berechtigte Zweifel an deren Authentizität.12 Rückschlüsse auf 10

Vgl. Kapitel 3.1 Das Meer befahren, 156 – 171. Vgl. Kapitel 3.2 Hetaíros-Gruppen und die Organisation von Mobilität, 171 – 204. 12 Bereits Ferri (1926) 19 – 24; Ferabino (1928) 250 – 254; Hiller von Gaertringen (1934) 2292 – 2293; Chamoux (1953) 110 – 111; Gawantka (1975) 102 – 107; Walter (1993) 142 – 145 fragt, inwiefern der Text nicht die Verhältnisse des vierten Jahrhunderts spiegelt. Bernstein (2004) 184 – 185, der die Kritik zwar anerkennt, hat auf Studien zu 11

(Be-)Gründer von Ansässigkeit

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Verfahren zur Aussendung einer Gründungsunternehmung erscheinen angesichts dieser nicht ganz eindeutigen Quellenlage gewagt, denn es müsste der Gründungserzählung Detailgenauigkeit unterstellt werden, um den Ablauf zu rekonstruieren.13 In zeitgenössischen Quellen finden sich keine Indizien für derart ausgefeilte Verfahren, die eine entwickelte Staatlichkeit voraussetzten. Hieraus Nichtexistenz zu postulieren, bedeutet indes, ex silentio zu argumentieren, was angesichts der Quellenlage problematisch ist, weswegen es sich meines Erachtens eher anbietet, von Plausibilitäten zu sprechen. Für den Fall eines mehr oder minder autark agierenden Gründers finden sich in den Frühquellen indes Entsprechungen. Angehörige der Elite der basileís agierten zwar nicht vollkommen losgelöst vom Gemeinwesen, besaßen aber durchaus weite Handlungsspielräume. Doch waren die Möglichkeiten gerade in einer Position der Schwäche begrenzt: So ist es die Versammlung, die Telemachos um ein Schiff bitten muss, obwohl er die Vorräte selbst bereitstellen kann und die ihn begleitenden hetaíroi sich ihm aus eigenem Entschluss anschließen.14 Mit der Zeit verfeinerten sich politische Strukturen. So wie sich die Macht von Einzelpersonen zu politischen Institutionen hin verschob, veränderten sich auch die Möglichkeiten, wie Migration geplant und organisiert werden konnte. Den späteren Narrativen ist gemein, dass ein Gründer als eine zentrale Figur fungiert und die Geschichte der Gründung nicht selten seine eigene ist. Und selbst wenn diese Geschichten als Kompositionen, in deren Zentrum eine Person steht, um die sich so viel Wunderbares und Unglaubliches rankt, äußerst schwierige Quellen darstellen, ist die Bedeutung dieser Anführer eine bemerkenswerte Gemeinsamkeit, die sich nicht nur mit der Tendenz zur Personalisierung des eignen Ursprungs in der Erinnerung erklären lässt, sondern auch einen Anknüpfungspunkt in den zeitgenössischen Quellen besitzt.

4.2 (Be-)Gründer von Ansässigkeit Die früheste Schilderung einer Gründung in der griechischen Literatur findet sich in der Odyssee: Nausithoos führt die Phaiaken von Hyperia (Hochland), einem Land nahe den Kyklopen, gen Scheria. Dort angelandet, stiftet er räumlich und religiös Eidesformeln in archaischer Zeit Bezug nehmend indes darauf verwiesen, dass es für die äußerst scharfen Sanktionen Parallelen gebe. 13 Letztendlich ist dies eine Frage der grundsätzlichen Herangehensweise an die Quellen, sprich ­welcher Quellenwert einer späten Überlieferung beigemessen wird. So nehmen einige Althistoriker diese Gründungserzählungen beim Wort. Malkin rekonstruiert beispielsweise für die Gründung Kyrenes ein Recht auf Rückkehr: Malkin (2016) passim. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit werden ktíseis aus einer anderen Perspektive betrachtet, nämlich als Gegenstand eines dynamischen Erzählprozesses und als identitätsstiftende Ressourcen. Innerhalb d ­ ieses Prozesses liegen Formungen und zeitgenössische Abwandlungen nahe, sodass der Fokus zunächst auf zeitgenössische Quellen gelegt wurde. 14 Vgl. Kapitel 3.2.2 Basileís und hetaíroi: Rekrutierungsressourcen, 173 – 182.

260

Zu den ‚Siedlern‘

eine neue Gemeinschaft, indem er die Siedlung mit Mauern begrenzt und so den befriedeten Raum festlegt, Häuser für die Menschen sowie Heiligtümer für die Götter errichtet und Landlose zuteilt.15 Man mag hier das Spiegelbild lebensweltlicher Erfahrung oder lediglich einen literarischen Topos erkennen.16 Mangels zeitgleicher Parallelüberlieferungen lässt sich kaum überprüfen, ob es sich bei der Geschichte der Phaiaken um eine Schöpfung aus der Erfahrungswelt handelt. Die Episode ist zudem singulär in den homerischen Epen. Zwar finden sich Passagen, die auf eine Gründung verweisen, dabei aber weder ein klar umrissenes Aufgabengebiet des Gründers nennen noch vom Prozess der Ansiedlung selbst künden.17 Zudem dient der Abschnitt der Beschreibung der Phaiaken, die fern von den anderen erwerbsamen (ἀλφηστής) Menschen leben und durch den mangelnden Kontakt eine Art unverdorbenes Ideal des Zusammenlebens darstellen.18 So sind die Phaiaken für sich genommen besonders wie auch die Geschichte ihrer Ansiedlung. Dennoch verbindet diese Erzählung die Welt der homerischen Epen mit der Welt der oikistaí und rückt die Elite der basileís in deren Nähe. Diese Verbindung soll hier als Anlass fungieren, die homerischen Eliten, die ihnen eigenen Mobilitätsformen und ihre Ressourcen mit dem Bild, das die altertumswissenschaftliche Forschung vor allem anhand klassischer und nachklassischer Quellen von den oikistaí entworfen hat, abzugleichen. Ein Element dieser Gegenüberstellung ist die soziale Herkunft von oikistaí und homerischen basileís. Insofern sich hier Anknüpfungspunkte ergeben, führt dies zu einem zweiten Element, nämlich der Frage danach, inwieweit die Ressourcen, auf die Angehörige dieser Elite insbesondere im Kontext von Mobilität zurückgreifen konnten, als Mittel zur Erfüllung der Aufgaben eines oikistḗs von Nutzen hätten sein können.

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Hom. Od. 6,7 – 10: Ἔνθεν ἀναστήσας ἄγε Ναυσίθοος θεοειδής, / εἷσεν δὲ Σχερίηι, ἑκὰς ἀνδρῶν ἀλφηστάων, / ἀμφὶ δὲ τεῖχος ἔλασσε πόλει καὶ ἐδείματο οἴκους / καὶ νηοὺς ποίησε θεῶν καὶ ἐδάσσατ’ ἀρούρας. – Von dort hatte sie aufstehen lassen und weggeführt Nausithoos, der gottgleiche, und angesiedelt auf Scheria, fern von erwerbsamen Menschen. Und zog eine Mauer um die Stadt und baute Häuser und schuf Tempel der Götter und verteilte die Äcker. 16 Der Bezug dieser Passage zur sogenannten ‚Großen Kolonisation der Griechen‘ wurde mehrfach hergestellt. Vgl. nur Schaefer (1963) 362 – 363; Graham (1982) 29; Cornell (1983) 1121 – 1122; Osborne (1998) 256 – 257; Miller (1997) 42 – 43; 194; 203; 315; Bernstein (2004) 29; Antonaccio (2007a) 209. 17 Hom. Il. 2,653 – 670; 20,215 – 218; Hom. Od. 11,260 – 265. Vgl. für eine Besprechung dieser Stellen Mauersberg (2019) 33 – 36. 18 Ehrhardt (1990) 19 stellt eine gewisse Zeitlosigkeit der Passage fest, zumal sie von F ­ inley in seiner Monographie über die Welt des Odysseus (Finley (1992)) für das 11. oder 10. Jahrhundert herangezogen wurde. So könne die Passage nicht als „eindeutiges Zeugnis für die archaische Kolonisation gewertet werden.“ Vgl. auch Miller (1997) 194. Doch ist die Unterscheidung in die ‚Migration‘ der vorarchaischen Epoche und der ‚Kolonisation‘ mittler­weile umstritten: Vgl. u. a. Hall (2014) 96 – 99. Schließlich bemerkt bereits ­Ehrhardt an gleicher Stelle, dass der Gründungsvorgang sich kaum unterschieden haben wird.

(Be-)Gründer von Ansässigkeit

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4.2.1 Zur sozialen Herkunft In der homerischen Konzeption des von Nausithoos angeführten Zuges der Phaiaken geleitet der Anführer gleich einem homerischen basileús seine Anhängerschaft ins Ungewisse und teilt ihnen Güter zu: In d ­ iesem Fall ist es allerdings nicht Beute, sondern es sind Lebenschancen in Form von Landlosen. Auch die Basis seiner hervorgehobenen Stellung unterscheidet sich nicht grundlegend von jener anderer homerischer basileís, indem sie durch seine göttliche Abkunft legitimiert ist.19 Indes ist seine Verwandtschaft zu den Göttern als Sohn des Poseidon und der Periboia, der Tochter des Gigantenherrschers Eurymedon direkter und so ist die Grundlage seiner Herrschaft über die Phaiaken vermutlich solider.20 Dies wiederum könnte die bemerkenswert unhinterfragte und weitreichende Befugnis des Nausithoos erklären. Trotz dieser Besonderheit fällt die konzeptionelle Nähe zu den Darstellungen der Gründungszüge mit einem Anführer, der einen Zug von Migranten an einen neuen Ort führt, den Siedlungsplatz auswählt und Lebenschancen zuteilt, auf. Diese Zugehörigkeit spiegelt sich auch in nicht wenigen ktíseis, wie etwa dem gut überlieferten Gründungskomplex Thera-Kyrene, wider. Obgleich die Überlieferungslage kein Beleg für die Historizität aller Komponenten der Geschichte ist, kündet der Umfang doch von einer lebendigen Tradition, deren Details kollektiver Erinnerung entspringen, die aber einige Grundzüge enthalten, die zwar nicht eindeutig als historisch identifiziert werden können, aber angesichts der herausgearbeiteten Konzeptionen von Mobilität und Ansässigkeit nicht unplausibel erscheinen. In der Gründungsgeschichte Theras handelt ihr eponymer Gründer Theras nicht nur als Angehöriger der politischen Elite. Er sei – so berichtet Herodot – der Vormund des noch jungen basileús in Sparta gewesen und habe, als sein Mündel volljährig geworden war, nicht mehr unter der Herrschaft eines anderen leben wollen. Eben diese Abkunft ermöglichte es ihm aber, die Freiheit der Minyer zu erwirken, die als Zusiedler und Vertriebene nach Sparta gekommen, aber wegen politischer Spannungen festgesetzt worden waren, und sich so eine Gefolgschaft zu verschaffen.21 An 19

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Duplouy (2006) 42 – 43 überlegt, dass die behauptete göttliche Abstammung eines homerischen Heros, wenn sie einem Publikum plausibel gemacht werden konnte, v. a. dazu diente zu beeindrucken und Konkurrenten in dieser Hinsicht zu übertrumpfen. Vgl. auch Kapitel 3.2.2 Basileís und hetaíroi: Rekrutierungsressourcen, 173 – 182. Hom. Od. 7,56 – 59. Hdt. 4,147,1 – 148,4: In Sparta habe Theras, nachdem er als Vormund für seine Neffen Eurysthenes und Prokles über Jahre hinweg die Königsherrschaft stellvertretend innegehabt habe, nicht unter der Herrschaft seiner nun herangewachsenen Neffen leben wollen. So habe er den Plan gefasst, eine apoikía auf Thera zu gründen, wo seine anderen Angehörigen wohnten. Theras’ Vorfahre Kadmos habe nämlich acht Generationen zuvor (wird eine Generation mit 30 Jahren veranschlagt, etwa 240 Jahre) auf der Insel Thera seinen Verwandten Membliaros, einen Phoinikier, zurückgelassen, dessen Nachkommen nun dort lebten. Dem Problem, auswanderungswillige Spartiaten zu finden, die mit Theras

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Zu den ‚Siedlern‘

­diesem Teil der Tradition, die die Vorgeschichte der Gründung Kyrenes bildet, sind seit langem Zweifel aufgekommen; denn nur in Ausnahmefällen wurden apoikíai nach ihren oikistḗs benannt 22 und eponyme Gründer waren nicht selten aitiologische Erfindungen späterer Zeit.23 Doch zeigt die Geschichte, obgleich in literarischer B ­ rechung, dass ein Angehöriger der Elite in der Lage war, ­solche Migrationsressourcen bereitzustellen und sich dadurch der Gefolgschaft von Männern zu versichern, um d ­ ieses Unternehmen in die Tat umzusetzen. Ferner waren er und seine Anhänger – anders als in Rom – nicht durch eine Klientelstruktur oder etwas ähnliches miteinander verbunden, sodass es sich angeboten haben dürfte, eine situativ entstandene Bindewirkung während einer Phase der Mobilität zu konsolidieren.24 Battos oder Aristoteles, wie er auch genannt wird, entstammte nach der unter anderem bei Pindar, Herodot und im sogenannten ‚Eid der Siedler‘ überlieferten ktísis Kyrenes ebenfalls einer der führenden Familien auf Thera. Innerhalb der Brechung der Geschichte wurde er vom Orakel in Delphi in die Position des Gründers gebracht, entweder, weil er es aufsuchte, um Heilung für sein Stottern 25 zu finden, wie es in einer von Herodot wiedergegebenen, aber von ihm selbst angezweifelten Version heißt, oder als Mitglied einer theraischen Delegation, die sich ratsuchend an das Orakel gewandt habe. Letztere Version soll in Thera erzählt worden sein.26 Die Teilnahme des Battos an der Gesandtschaft wird mit dessen Abstammung von Polymnestos begründet, der wiederum selbst einem minyischen Geschlecht entstamme. Laut der von Herodot wiedergegebenen kyrenischen Version sei Battos der Sohn einer verstoßenen Königstochter aus Kreta gewesen, die infolge einer Intrige ihrer missgünstigen Stiefmutter, zu Unrecht mit dem Makel der Unkeuschheit behaftet, habe fliehen müssen, was sie nach Thera und in die Arme ebenjenes Polymnestos geführt

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in der Fremde siedeln wollten, schaffte eine glückliche Fügung Abhilfe. Zuvor hätten sich Minyer in Sparta niedergelassen, nachdem sie von den Pelasgern aus ihrer angestammten Heimat Lemnos vertrieben worden waren. Da sie Nachkommen der Argonauten gewesen ­seien, hätten sie sich nach Sparta gewandt, wo sie freundlich aufgenommen worden ­seien, Land erhalten und sich und ihre Frauen mit den Einheimischen vermählt hätten. Doch bereits nach kurzer Zeit sei es zum Bruch gekommen, als die Minyer einen Anteil an der Herrschaft für sich beanspruchten. Im Zuge der Auseinandersetzung ­seien sie dann gefangengesetzt worden. Ihrer Hinrichtung entgegensehend s­ eien sie aber mit Hilfe ihrer Frauen der Gefangenschaft entkommen. Nun habe Theras die Gelegenheit beim Schopfe ergriffen, um das Leben der Minyer zu bitten, damit er sie fort nach Thera führen konnte. Die Bitte sei ihm gewährt worden und so sei er mit drei Dreißigruderern auf Thera gelandet, weshalb die Insel seither seinen Namen trage. Zu den diesen Beispielen vgl. Malkin (1985) 114 – 130. ders. (1985) 127 – 129; zu Theras: Virgilio (1972) 356; Miller (1997) 205. Ich danke Uwe Walter für diesen Hinweis. Vgl. ferner Walter (1993) 198. Der Begriff βάττος umschreibt eine Person mit einem Sprachfehler, zumeist Stottern, aber auch Lispeln. Vgl. LSL, s. v. βάττος. Hdt. 4,150,1 – 4.

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habe, dem sie den stotternden Battos geboren habe.27 Aufgrund ­dieses Leidens sei Battos dann gen Delphi gezogen, doch die Pythia habe ihm die Gründung Kyrenes aufgetragen.28 Seine Zugehörigkeit zur Elite führte also Battos nach Delphi, denn er agierte in der einen Version der Geschichte für seine Polis, im anderen Fall wird auf seine Abkunft verwiesen. Die sozialen und symbolischen Ressourcen, die aus seiner Zugehörigkeit und der göttlichen Legitimation durch den Orakelspruch erwuchsen, bildeten eine starke Grundlage für seine Anführerrolle.29 Folgerichtig wird Battos’ 27

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Hdt. 4,154,1 – 155,1. Hdt. 4,155,2 – 4. Die Darstellung und die Überlieferung des Orakelspruchs Βάττ’, ἐπὶ φωνὴν ἦλθες· ἄναξ δέ σε Φοῖβος Ἀπόλλων / ἐς Λιβύην πέμπει μηλοτρόφον οἰκιστῆρα – Battos, wegen deiner Stimme bist du gekommen, der Herr, Phoibos Apollon, aber / schickt dich als oikistḗr ins Schaafe nährende Libyen sind mit der von Herodot vorgeschlagenen alternativen Lesart des Namens Battos fest verwoben. Daraus ergeben sich einige Unklarheiten: Bei Herodot folgt die beinahe märchenhafte Erzählung der Kyrener auf die väterliche Abstammungsgeschichte des Battos und sein Besuch des Orakels als Teil einer Delegation um Grinnos, den König Theras, also auf die Geschichte, wie sie in Thera erzählt worden sei. Der Rest der Gründungsgeschichte werde in Kyrene und Thera gleich erzählt bis auf die Abkunft des Battos, die die Kyrener ganz anders erzählten. Die Geschichte mündet in die Geburt eines Kindes, das gestottert habe. Darauf folgt der Nachsatz: τῳ [jenem Kind] οὔνομα ἐτέθη Βάττος, ὡς Θηραῖοί τε καὶ Κυρηναῖοι λέγουσι […]. Es stellt sich nun die Frage, ob mit λέγουσι gemeint ist, dass beide vom Stottern oder lediglich vom Namen Battos berichten. Mit ὡς kann sich Herodot allein auf den Halbsatz mit dem Namen, aber auch zusätzlich auf die Information, das Kind habe gestottert, bezogen haben, auf den wiederum mit τῳ rekurriert wird. Da aber der Orakelgang in der theraischen Version aus nicht näher genannten Gründen geschieht und die Beteiligung des Grinnos nicht darauf hindeutet, dass es hier um die phonetischen Nöte eines Heranwachsenden gegangen sein dürfte, liegt es inhaltlich näher, dass Stottern und edle Abkunft des Battos Teil einer in Kyrene verbreiteten Version gewesen sein dürften. Vgl. auch Anm. 29. Vgl. Hdt. 4,155,1 – 4. Apollon und das Orakel von Delphi sind Kernelemente so vieler ktíseis, dass die Befragung der Pythia schon fast ein Topos ist. Vgl. dazu grundlegend: Malkin (1987) passim; Miller (1997) 88 – 192 auch: Malkin (2011) 21 – 22. Mehr noch als in anderen apoikíai fungiert Apollon in der lokalen Tradition als eine wichtige Gottheit. Er agiert in der Gründungstradition nicht nur vermittelt über einen mehrdeutigen wie auch missverstandenen Orakelspruch, sondern auch das Siedlungsland Kyrenes ist von Apollon durchdrungen. Schon bei Herodot wird die Quelle Kyre mit der von Apoll abstammenden Nymphe Kyre genannt. Der selbst aus Kyrene stammende Kallimachos, der sich als direkter Nachfahre des Battos bezeichnet (Kall. epigr. 35; vgl. Strab. 17,3,21), macht in seinem Hymnos auf Apollon gar den Gott selbst zum Gründer, erinnert doch die Beschreibung der Errichtung seines Tempels – gemeinsam mit seiner Schwester A ­ rtemis – sehr an die Gründung einer Stadt mit Mauern, Häusern und Tempeln. Zwei Drittel des Hymnos handeln von der Gründung Kyrenes. Apollon leitet den oikistḗs Battos durch einen Raben zum Ziel, d. h., der Gott hat zu jeder Zeit die Führung inne, der oikistḗs wird dagegen zum Befehlsempfänger degradiert. Der Hymnos kündet von einer lebendigen mündlichen und performativen Tradition um die Gründung und den Stadtgott Apollon. Kallimachos’ Werk wurde vermutlich zu den Karneien zu Ehren von Apollon Karneios,

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­ osition allen zu ertragenden Leides zum Trotz nie hinterfragt, doch geschieht dies P freilich im Rahmen eines identitätsstiftenden Narrativs, also innerhalb eines Erzählkontextes, der selbst Besonderheiten, wenn nicht gar Alleinstellungsmerkmale aufweist, zumal ­später in Kyrene das Geschlecht der Battiaden regierte, das sich auf Battos zurückführte. Die Angehörigen jenes Herrschergeschlechts gaben ihren Erben mit beharrlicher Regelmäßigkeit alternierend die Namen Battos und Arkesilaos, den Namen des Sohnes Battos I., dem Gründer Kyrenes.30 Der Name Battos wurde gar so sehr zum Synonym für Herrschaft, dass Herodot das Wort als den libyschen Terminus für Herrscher ausweist, wenn er eine Etymologie des Namens gibt, um seine Zweifel am ‚Stotterer‘ Battos argumentativ zu untermauern.31 Die Gründungsgeschichte Kyrenes dürfte nicht zuletzt deswegen zu einer Art idealtypischen und modellstiftenden ktísis geworden sein, weil sie einerseits in verschiedenen Gattungen (dichterisch, historiographisch und epigraphisch) und in verschiedenen Versionen mehrfach überliefert ist.32 Andererseits enthält sie alle Elemente, die in anderen ktíseis oft nur vereinzelt auftauchen: den (mit einem Makel behafteten) Gründer, das Orakel von Delphi, die Widrigkeiten der Fahrt und das Ringen um die richtige Auslegung des Willens der Götter sowie schließlich die Ansiedlung in der Fremde samt der Verheiratung mit einheimischen Frauen. Doch sind die detaillierte Überlieferung und der dessen Kult auf Battos zurückgeführt wurde, öffentlich vorgetragen. Neben Karneios wurde auch Apollon Archegetes, also in der Rolle als Gründer, in Kyrene verehrt. Das Grab des Battos findet sich zudem in baulicher Verbindung zum Heiligtum des Apoll und der Quelle Kyre. Einen Überblick dazu bei Letzner (2008) insbesondere 70 – 72. Diese stadträumliche Komposition beschreibt wiederum Pindar dichterisch, indem er Battos (Aristoteles) als Stifter der Tempel für die Götter und einer Prozession für Apollon preist, die entlang einer ebenfalls durch den Gründer angelegten Prozessionsstraße auf die Agora führt, an deren Ende das Heroengrab des oikistḗs liegt. Pind. P. 5,89 – 93: Κτίσεν δ’ ἄλσεα μείζονα θεῶν, / εὐθύτομόν τε κατέθηκεν Ἀπολλωνίαις / ἀλεξιμβρότοις πεδιάδα πομπαῖς / ἔμμεν ἱππόκροτον / σκυρωτὰν ὁδόν, ἔνθα πρυμνοῖς ἀγορᾶς ἔπι δίχα κεῖται θανών· – Er gründete größere Heiligtümer für die Götter; er legte für die Apollonischen Prozessionen, die die Sterblichen ­schützen, einen geraden und ebenen, von Pferdegetrappel erfüllten, gepflasterten Weg an; dort, am Ende der Agora, liegt er seit seinem Tode. (Eigene Übersetzung) 30 Hdt. 4,160,1 – 167,3. Eine Liste der Herrscher findet sich bei Chamoux (1953) 210. 31 Die Überlieferung, dass Battos gestottert habe, findet sich auch bei Pindar in seinen Siegesliedern auf Arkesilaos IV., der beim Wagenrennen in Delphi im Jahr 462/461 siegreich war. In mehrfachen Anspielungen auf die Gründungsgeschichte Kyrenes, deren Verständnis Pindar bei den Perzipienten offensichtlich voraussetzte, etwa in Pind. P. 4,1 – 11; 4,53 – 56; 4,59 – 63; 4,257 – 262; 5,55 – 62; 5,72 – 81, ist der Makel als Bestandteil der in Kyrene verbreiteten ktísis belegt. Dieser Ort der Überlieferung, nämlich das Rühmen eines Nachfahren des Battos, macht es undenkbar, dass die Erzählung vom Stottern des Gründers ein antibattiadisches Narrativ war. Vielmehr durfte es Teil der lokalen Tradition gewesen sein. So Bernstein (2004) 190 – 191. 32 Pind. P. 4,1 – 11; 4,53 – 63; 4,257 – 262; 5,55 – 95; Hdt. 4,150,2 – 158,3; SEG 3,9 = HGIÜ 6 = ML 5; Menekles von Barka FGrH 270 F6 = Schol. Pind. P. 4,10a; Kall. h. 2,65 – 95.

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Variantenreichtum – zumindest in Teilen – der Tradition des Herrschergeschlechts der Battiaden geschuldet, für die die Zurückführung auf den Gründer Teil der Herrschaftsrepräsentation war.33 Obgleich weniger detailliert überliefert als die Geschichte des Battos, finden sich in Gründungsgeschichten zahlreiche weitere Vertreter der Elite als Anführer, wobei das Motiv, sich nicht der Herrschaft eines Verwandten unterordnen zu wollen, häufig auftaucht: So habe etwa Neileus Pylos verlassen und Milet gegründet, weil er sich nicht der Gewalt seines Bruders habe unterwerfen wollen.34 Die anderen Söhne des Kodros 35 werden als Gründer für mehrere Städte Ioniens genannt.36 Neileus’ Sohn, Aigyptos, habe dann schließlich Priene gegründet.37 Ähnlich verhält es sich auch mit vielen mythischen Gründern im Westen: Liparos sei, nachdem er von seinen Brüdern gestürzt worden war, mit einigen Getreuen geflohen und zum Gründer geworden.38 Butes wiederum sei nach einem gescheiterten Umsturzversuch von seinem Bruder befohlen worden, mit seinen Anhängern zu migrieren.39 Oinotros, einer der (nach Dionysios von Halikarnassos) zweiundzwanzig Söhne des Lykaon, sei ebenso wie Peuketion und weitere seiner Brüder unzufrieden mit dem Land, das er als Erbteil von seinem Vater erhalten hatte, gewesen und daher gen Italia gesegelt.40 Neben Unzufriedenheit und Herrschaftsstreit ist eine auf dem späteren oikistḗs lastende Blutschuld ein häufiges Element, wobei auch hier die Gründer den Eliten entstammen. Alkmeon habe Muttermord begangen.41 Auch Oxylos sei Träger einer Blutschuld gewesen.42 Aitolos habe fliehen müssen, nachdem er beim Wagenrennen Apis, den Sohn Iasons, versehentlich getötet hatte.43 Das Motiv findet sich auch in umfänglicher überlieferten ktíseis, wie jenen von Magnesia am Maiandros 44 und Syrakus, das von Archias gegründet worden sei, nachdem er in den Mord an seinem Geliebten verwickelt war. Neben Diodor berichtet auch Plutarch von den Geschehnissen in Korinth. Dabei zählt der Autor Archias zu den höchsten Kreisen: Ἀρχίας, γένους μὲν ὢν τοῦ τῶν Ἡρακλειδῶν, πλούτῳ δὲ καὶ τῇ ἄλλῃ δυνάμει λαμπρότατος Κορινθίων.45 33

Hierfür spricht nicht zuletzt das Aufgreifen des Motivs durch Pindar.

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Vgl. zur Geschichte des Kodros Hellanikos von Lesbos FGrH 4 F125 = Schol. Plat. Symp. 208d. Paus. 7,1,3 – 10; Strab. 14,1,3. Strab. 14,1,3. Diod. 5,7,5. Diod. 5,50,1 – 7. Dion. Hal. ant. 1,11,2 – 4; Apollod. 3,8,1 – 2; Paus. 8,3,1 – 5. Thuk. 2,102,5 – 6. Paus. 5,3,5 – 4,4. Paus. 5,1,8. IMagn. 17. Plut. mor. 772e: Archias entstammte dem Geschlecht der Herakliden und war durch seinen Reichtum und seine Macht der Erhabenste unter den Korinthern. (Eigene Übersetzung)

34 Hdt. 9,97,1; Hellanikos von Lesbos FG rH 4 F124 = Schol. Hom. Od. 3,4; Paus. 7,2,1 – 6.

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Die Folgen der Tat betrafen dem Bericht Plutarchs nach die gesamte Gemeinschaft, da Korinth – wie Thera vor dem Zug des Battos – von Dürre und Hunger (αὐχμὸς καὶ λοιμὸς) heimgesucht wurde.46 Wie Frank Bernstein argumentiert, ist es möglich, dass sich, wie auch bei der ktísis Kyrenes, hinter dieser Geschichte um die Befleckung der Gemeinschaft durch den Mord – im Falle Kyrenes durch die Nichtbefolgung des Orakelspruchs – ein politisch-sozialer Konflikt verbirgt.47 Die Herkunft der oikistaí aus der Elite wurde seit langem anhand der oben angeführten späteren Quellen festgestellt 48 und erscheint auch innerhalb der hier eingenommenen Perspektive plausibel. Ferner regt die Bestimmung der Mittel, über die ein Gründer verfügte, um seine Position aufrechtzuerhalten, zu Überlegungen an, inwieweit Ressourcen für Gründungsunternehmen mithilfe politischer Institutionen bereitgestellt werden mussten oder in welchem Maße Initiativen von Angehörigen der Elite anzunehmen sind. In seinem etwas älteren, aber immer noch wichtigen Lexikonartikel lässt Timothy Cornell in dieser Frage bereits einen gewissen Zwiespalt erkennen: Zwar müsse man es „als geschichtliche Tatsache anerkennen [… ,] daß der G[ründer] von der Vaterstadt eingesetzt wurde“ 49, doch könne in der Frühzeit kaum ­zwischen Eigeninitiative von Teilen der Elite und der Planung durch das Gemeinwesen getrennt werden; ferner überlieferten die ktíseis Motive, die die Person des oikistḗs gehabt habe.50 Obgleich im Laufe der Debatte das Bild planvoller Besiedlungsunternehmungen relativiert wurde,51 lässt sich kaum abstreiten, dass Autorität, wenn sie durch Institutionen verliehen worden wäre, die Position des oikistḗs gestärkt und als Ressource fungiert haben dürfte. Aber ob und, wenn ja, inwieweit die Mittel, über die ein Angehöriger der Elite auch ohne diese – zusätzliche – Legitimation verfügte, Ressourcen zur Migration waren, stellt einen anderen Fragenkomplex dar, der sich möglicherweise mit einem Blick auf den Aufgabenkreis beantworten lässt.

4.2.2 Zu den Aufgaben Die Nausithoos-Episode verweist nicht nur auf eine soziale Zugehörigkeit des Gründers, sondern benennt auch ein Aufgabenspektrum: Er und die Phaiaken entstammen wie Odysseus und die anderen Helden Homers zwar einer Welt sinnreich erdachter

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Plut. mor. 773a. Bernstein (2004) 171 – 222. So etwa bereits Graham (1982) 144 und ihm folgend Miller (1997) 193. Resümierend Leschhorn (1984) 83 – 85. Cornell (1983) 1115; ähnlich 1123. ders. (1983) 1115 und ders. (1983) 1118: „Es wäre wahrscheinlich falsch, für die archaische Zeit z­ wischen offizieller staatlicher Politik u[nd] privaten Unternehmungen aristokratischer Führer eine scharfe Trennung vorzunehmen.“ Vgl. dazu die Ausführungen in Kapitel 1.2.1 Zum Kolonisationsbegriff, 12 – 15.

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Legenden, jedoch agieren sie in dem Handlungskorsett der Zeit, in der die Epen niedergeschrieben wurden. In der Episode werden grundlegende Fragen umrissen, die es, am Ziel angekommen, zu klären galt, nämlich, wo die Siedlung angelegt, wo Wohnhäuser gebaut und wo Tempel errichtet und damit verbunden, wie das Wohlwollen der Götter gesichert werden sollte. Ein ähnliches Aufgabenspektrum nennt Platon in seinen Ausführungen dazu, wie der Idealstaat zu konstituieren sei. Seine Konzeption unterscheidet sich, obgleich sie aus klassischer Zeit stammt, im Grundsatz nicht allzu sehr von der durch Homer überlieferten Vorstellung; sie ist allerdings detaillierter.52 Das Motiv, Tempel zu errichten und so das Verhältnis der Gemeinschaft zu den Göttern zu bestimmen, findet sich in einigen ktíseis.53 Antiphemos soll mithilfe eines Kultbildes (ἄγαλμα), das er bei der Eroberung von Omphake, einer Stadt der Sikanier, erbeutet hatte, einen Kult gestiftet haben.54 Kallimachos nennt Battos, den Gründer Kyrenes, als Erbauer eines Tempels für Apollon Archegetes und Stifter des Kultes, wie es bereits bei Pindar anklingt.55 Auch die Phokaier hätten, wie Strabon berichtet, als sie Massalia gründeten, Kulte und Kultbilder mitgebracht.56 Ein religiöses Zeremoniell, wie es für Gründungen in klassischer und hellenistischer Zeit überliefert wird, ist indes für die archaische Zeit nicht belegt.57 Die Einführung von Kulten und die Bestimmung des Ortes, an dem die Gottheit verehrt wurde, waren für die sich neu formierende Gemeinschaft von existentieller Bedeutung. Zumal es kein spezialisiertes Priestertum gab, stellte sich die Frage, was hier zum Entscheiden legitimierte. In einigen ktíseis, wie auch der um Battos, generierte der Orakelspruch der Pythia eine symbolische Ressource für den Gründer, womit auch eine gewisse Nähe zum Göttlichen einhergegangen sein dürfte.58 Eine andere symbolische Ressource, die eine ­solche Verbundenheit darzustellen vermochte, war eine behauptete

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Plat. leg. 5,745b–746d. Vgl. dazu Leschhorn (1984) 88, der Platons Anweisungen als „in den Grundzügen für die Kolonisationszeit zutreffend“ ansieht und daran anschließend auf die Nausithoos-Passage eingeht. Die Landvergabepraxis bei Platon dürfte allerdings das Bild klassicher Zeit spiegeln. 53 So fand auch die Rolle als Kultstifter in der Forschung Beachtung. Vgl. etwa Parke/ Wormell (1956) 49; Parke (1967) 44; Leschhorn (1984) 88 – 90 Vgl. ferner zur Übernahme von Kulten Mossé (1970) 37; Métraux (1978) 19. 54 Paus. 8,46,2 – 3. Vgl. Leschhorn (1984) 89. 55 Kall. h. 2,75 – 77; Pind. P. 5,89 – 93. Vgl. dazu die Ausführungen in Anm. 29 und zur Interpretation der Passage aus Kallimachos im Sinne der Aufgabe des Gründers als Religionsstifter Leschhorn (1984) 65; 89 – 90. 56 Strab. 4,1,4. 57 So Leschhorn (1984) 88 – 89, der aber davon ausgeht, dass die Gründungsriten, die aus klassischer Zeit überliefert sind, ähnlich auch in der Archaik stattgefunden haben. 58 Vgl. zur Bedeutung des Orakels von Delphi für die soziale Position des Gründers Schmid (1947) 179 – 180; Wentker (1956) 72; Strosetzki (1957) 20; Parke (1967) 44; Métraux (1978) 44 – 45; Leschhorn (1984) 86.

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göttliche Abstammung, auf die nicht wenige Angehörige der Elite der basileís in den homerischen Epen verweisen.59 Die Festlegung des Siedlungsplatzes war nicht nur von religiöser, sondern auch von strategischer Bedeutung. Ortskenntnis lässt sich für einige Gründer fassen, mitunter im Kontext von Gründungen in den späteren Schriftquellen: Antiochos von Syrakus berichtet, Myskellos, der oikistḗs von Kroton, habe den Ort, an den er s­ päter die Siedler führen sollte, zuvor besucht.60 Auch Theokles sei, wie Ephoros von Kyme darlegt, bereits zuvor an den Platz verschlagen worden, an dem er bei einer späteren Expedition Naxos gründen sollte.61 Wissensressourcen wie jene, die innerhalb dieser Konzeptionen der oikistḗs besaß, konnten durch verschiedene Formen der Mobilität erworben werden. Die Allokation solcher Ressourcen dürfte für die Eliten, die mobiler waren als andere Teile der Bevölkerung, leichter gewesen sein. Indes erscheint d ­ ieses Wissen nicht als ein typisches Attribut eines Gründers. So ist es ein fester Bestandteil der kyrenischen ktísis, dass Battos wegen der Fehlinterpretation des Orakelspruchs umherirrt; in einer Version nehmen die theraischen Fahrtgenossen sogar die Hilfe eines kretischen Führers namens Korobios, eines Purpurfischers, in Anspruch; der eigentliche Siedlungsplatz wird ihnen dann von den Libyern gezeigt.62 Auch die Phokaier lassen sich von einem Ortskundigen den Weg gen Massalia weisen.63 Allem voran aber musste über die Landverteilung befunden werden, eine Entscheidung, bei der es sich nicht zuletzt um die Zuteilung von Lebenschancen handelte, eine Verantwortung, der – wie wir in Teil 2 gesehen haben 64 – basileís auch in ihrer Funktion als Richter gerecht hätten werden sollen, indes nicht immer wurden. Wenn nun aber ein oikistḗs mit denselben Ressourcen und in einem ähnlichen Handlungskorsett agierte wie ein Richter, konnte er eben nicht Land nach Gutdünken verteilen, sondern musste über die gerechte Zuteilung wachen und ­zwischen widerstreitenden Interessen vermitteln. Hierzu benötigte er Autorität, war aber dabei gleichermaßen auf die Anerkennung ebendieser Autorität durch die anderen angewiesen, um seine Stellung zu behaupten. Gerade weil er dem Ideal, gerecht zu entscheiden, entsprechen musste, hatte er die Möglichkeit, Entscheidungen zu treffen, musste durch sie jedoch zugleich einen Interessensausgleich herstellen.65 Dies dürfte grundsätzlich in jeder Situation gegolten haben, denn das als ungerecht wahrgenommene Entscheiden 59 60 61 62

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Vgl. etwa die Abstammung, die Aineas (von Aphrodite; Hom. Il. 20,200 – 241) oder Idomeneus (von Zeus, der Minos zeugte; Hom. Il. 13,445 – 454). Antiochos von Syrakus FGrH 555 F10 = Strab. 6,1,12. Ephoros von Kyme FGrH 70 F137 = Strab. 6,2,2. Hdt. 4,151,1 – 152,1; 4,156,2 – 158,3. Strab. 4,1,4. Vgl. Kapitel 2.2 Das Ringen um Díkē als Grundlage der Gemeinschaft und der Ansässigkeit, 94 – 135. Vgl. zum Problem der Herstellung von Gerechtigkeit Kapitel 2.2 Das Ringen um Díkē als Grundlage der Gemeinschaft und der Ansässigkeit, 94 – 135 sowie zum Interessensausgleich Bernstein (2021) 68.

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eines Anführers gefährdete dessen eigene Machtposition, gehörte doch der Gerechtigkeitsanspruch zu den Ressourcen seiner Herrschaft.66 In einer Situation, in der sich eine neue Gemeinschaft in Ansässigkeit konstituierte, war diese Ressource noch um einiges bedeutsamer. Andere, über die der oikistḗs am Herkunftsort oder auf der Reise noch verfügt hatte, wie sein nautisches Wissen, sein großer oíkos oder der Beistand seiner Standesgenossen, waren hier fernab heimatlicher Gefilde plötzlich von weit geringerer Bedeutung. Kurz: Ein Anführer, dem ein Interessensausgleich nicht gelang und der sich auf diese Weise den Unmut seiner Mitsiedler zuzog, dürfte es fernab einer sanktionierenden Instanz nicht unbedingt geblieben sein. Unter einer gerechten Verteilung von Land wäre in ­diesem Kontext eine Verteilung zu verstehen, die breite Akzeptanz fand. Vieles deutet darauf hin, dass es eine gewisse Varianz hinsichtlich der Aufteilung der Landlose (κλῆροι) gegeben haben dürfte. Obgleich spätere Bezugnahmen in der griechischsprachigen Literatur von Landvergabe handeln, ist es methodisch nicht unproblematisch, diese für die klassische und hellenistische Zeit belegten Vergabepraktiken auf die Archaik übertragen.67 Neben der Nausithoos-Passage bei Homer erfahren wir wenig aus den archaischen Schriftquellen. Die unterhaltsame Anekdote, die Archilochos zum Besten gibt, ein gewisser Aithiops habe seinen κλῆρος schon auf der Fahrt von Korinth nach Syrakus gegen einen Honigkuchen eingetauscht, hilft hier kaum weiter.68 Der archäologische Befund ist dagegen von weitaus größerem Nutzen: In Megara Hyblaia zeichnet sich für das 8. Jahrhundert ein von Gleichheit geprägtes Bild ab. Die früheste archäologisch fassbare Ansiedlung ist eine geplante Siedlung, die durch Straßen in etwa gleich große Blöcke geteilt ist.69 Die Architektur besteht ausschließlich aus Wohnhäusern, die sich hinsichtlich ihrer Größe und Bauform in auffallender Weise gleichen. Jede Seite ist etwa 4,5 m lang. Die Mauern dieser Zweiraumhäuser sind 0,45 m stark.70 Für das 8. Jahrhundert sind 11 bis 14 solcher Häuser gesichert. Auch in der Folge setzte hinsichtlich Bauform und Größe nur eine marginale Veränderung ein.71 Diese Verteilung, die sich in den Wohnflächen fassen lässt, 66 67

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Vgl. dazu Kapitel 2.2.2.1 Die gemeinschaftliche Ebene von Díkē in den Werken und Tagen Hesiods, 103 – 108 und 3.2.2 Basileís und hetaíroi: Rekrutierungsressourcen, 173 – 182. Solche Bezugnahmen finden sich u. a. bei Plat. leg. 5,737a–740a; 5,745b–746d und Diod. 5,9,5. Platons Bemerkungen sind indes abhängig von den daran anschließenden Überlegungen zur idealen Größe einer politischen Gemeinschaft. Vgl. hierzu Kapitel 2.3.2.1 Literarische Bilder, 140 – 149. Sowohl Platons als auch Diodors Ausführungen sind nicht detailliert. Vgl. zu diesen Bezugnahmen und zur Landverteilung etwa Wentker (1956) 144; Métraux (1978) 88; Graham (1982) 151; Leschhorn (1984) 88. Archil. F293 West = F145 Bergk. Es wird vermutet, dass dieser Siedlung ein Provisorium aus Holzhütten vorausging. Vgl. De Angelis (2003) 20 – 21. ders. (2003) 21. Zwischen 700 und 675 entstehen drei neue Häuser, und zwei werden renoviert. 675 bis 650 entstehen fünf neue Häuser, die 1 – 3 Räume aufweisen. In einem Zeitraum von

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könnte nun als Indiz für eine generelle Landverteilungspraxis, die sich am Ideal der Gleichheit orientierte, angesehen werden, zumal in Kroton und andernorts sich ein ähnliches Bild bietet.72 Doch ist bei solchen Rückschlüssen Vorsicht geboten, worauf bereits Carla Antonaccio hingewiesen hat.73 In Pithekoussai – und nicht allein dort – zeichnet sich nämlich von Anfang an deutliche soziale Stratifizierung ab.74 Zudem ist die bauliche Form weder ein Beleg für politische Isonomie noch für eine „instant polis“.75 Doch bildete die Teilungsproblematik, die sich bei einer Gründung stellte, vielleicht eine Triebkraft für die Herausbildung politischer Institutionen und damit der Polis, wie jüngst von Frank Bernstein vorgeschlagen wurde.76 Gleichheit musste dabei nicht unbedingt angestrebt worden sein, aber in kleineren Gemeinschaften, wie sie bei einer Neuansiedlung angenommen werden können, tendierten soziale Unterschiede dazu, geringer zu werden. Derartige Abstufungen waren nämlich in einer solchen Situation schwerer zu rechtfertigen, weil sie sich nicht über einen längeren Zeitraum herausgebildet hatten, sondern neu hätten konstruiert werden müssen. Und wenn Versprechungen gemacht wurden, mit denen potentielle Siedler von der Mitfahrt überzeugt werden sollten, war der Druck, der auf dem oikistḗs lastete, ohnehin erhöht. Jemand aus der Riege der basileís verfügte durch seinen Habitus über Möglichkeiten, diese Position auszufüllen. Ihm war ein gewisses Auftreten zu eigen, er mochte über eine entsprechende Redegabe verfügt haben und reiseerfahren sein.77 Die Perspektive literarischer Mobilitätskonzeptionen 78 aus archaischer Zeit auf die ktíseis legt es nahe, dass der oikistḗs als historische Figur zumeist tatsächlich eine Schlüsselrolle bei der Gründung einer apoikía innehatte, auch wenn kollektive ­Erinnerung

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700 – 650 kommen wohl 13 (?) nicht exakter datierbare Häuser hinzu, die etwas größer sind als die übrigen und 14 Räume aufweisen. Darüber hinaus lassen sich zwei Renovierungen fassen. Vgl. ders. (2003) 21 – 26. Stein-Hölkeskamp (2015) 106. Darüber hinaus finden sich in zahlreichen griechischen Gründungen im Westen zunächst einfache Hausstrukturen. Binnen kurzer Zeit erfolgt indes ein Wandel hin zu größerer Ausdifferenzierung. Vgl. dazu mit weiteren Belegen Burkhardt (2020) 341 – 342. Antonaccio (2007a) 213. Vgl. Kapitel 3.3.3 Empória, 217 – 226, Stein-Hölkeskamp (2015) 106 sowie jüngst Burkhardt (2020) 345 – 349 mit einem Fallbeispiel zur Bestattungspraxis; Burkhardt hebt indes in ihren Präliminarien die bauliche Einfachheit, die die ersten Wohnhäuser Pithekoussais aufwiesen hervor. Vgl. hierzu Anm. 72. Antonaccio (2007a) 213. Bernstein (2021). Vgl. neben den obigen Ausführungen auch Kapitel 2.2 Das Ringen um Díkē als Grundlage der Gemeinschaft und der Ansässigkeit, 94 – 135. Allerdings weist die Dichtung, der diese Bilder entnommen wurden, ebenfalls eine personalisierende Tendenz auf. Das gilt insbesondere für die Ilias und die Odyssee, wohingegen basileís bei Hesiod geradezu entpersonalisiert dargestellt sind. Vgl. etwa Hes. theog. 84 – 90.

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allzu oft die Tendenz aufweist, die Vergangenheit zu personalisieren.79 Auch das in den ktíseis verwendete Vokabular, mit dem der Gründer umschrieben wird, umreißt mehrere solcher Schlüsselfunktionen: Dies sind neben οἰκιστής vor allem ἡγεμών und ἀρχαγέτης.80 In zahlreichen ktíseis entstammt der Gründer der Elite,81 was eine wichtige Ressource für ihn und seine Gefolgschaft darstellte. Indes erwuchs aus den Zuständen der Anfangszeit einer Neugründung meist keine Dynastie, wie es in Kyrene der Fall war. Nach der Gründung entfaltete jede apoikía ihre eignen politischen Dynamiken, was zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen führen konnte. Die hier eingenommene Perspektive plausibilisiert die Gründung aus ‚adeliger‘82 Initiative. Die Ressourcen würden die Stellung des oikistḗs zumindest hinreichend festigen auch ohne die formelle Bestätigung durch eine politische Institution im Kontext der Polis. Vielleicht spiegelt die Annahme einer offiziellen Legitimation durch einen politischen Beschluss lediglich die Verhältnisse klassischer Zeit, für die Dekrete über die Einsetzung eines oikistḗs epigraphisch belegt sind, nicht aber jene in archaischer Zeit wider.83 Der Gründer als Anführer eines mehr oder weniger organisierten Migra­ tionszuges und Leiter des Aufbaus einer neuen Siedlung ist gleichermaßen reale, lenkende Figur wie auch Symbol eines komplexeren Aushandlungsprozesses, der in der Erinnerung auf ihn übertragen wurde. Als Anführer und vor allem Verteiler taucht der Typus Gründer bereits in der Odyssee auf. Diese und spätere Episoden ermöglichen aber nur einen gerichteten Blick auf die Organisation von Migrationen, die wiederum selbst Triebkräfte des Wandels waren, da es notwendig geworden sein dürfte, andere Verfahren soziopolitischer Aushandlung zu entwickeln, mit denen neuen Problemen und Konflikten begegnet werden konnte.84

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Vgl. Kapitel 1.3.1 Das Problem der ktíseis, 22 – 25. Vgl. dazu Cornell (1983) 1121. 81 Auch Dorieus entstammte als Sohn Anaxandridas’ II . von Sparta der Elite und war Unwillens, sich der Herrschaft seines älteren Bruders Kleomenes zu unterwerfen, weswegen er eine Gefolgschaft erhielt, mit der er einen Gründungszug anstrebte. Herodot berichtet, dass alle Versuche einer Gründung erfolglos blieben, weil Dorieus das Orakel nicht befragt habe. Es folgt dessen trauriges Ende: Dorieus stirbt, ohne einen männlichen Nachkommen hinterlassen zu haben. Hdt. 5,42,1 – 48,1. Der Bericht des Pausanias führt diese Irrfahrt nicht auf, wobei das Fehlen auch darin begründet sein könnte, dass Pausanias anders als Herodot nicht zu ausführlichen Logoi neigt und sich zumeist mit knappen Erklärungen begnügt. Vgl. Paus. 3,3,9 – 4,1. Allerdings betont Herodot in seinem Berichten über Gründungen tendenziell die Rolle Delphis, sodass sich hier eine Tendenz des Historiographen erkennen lässt. 82 Die Formulierung ‚adelige‘ Initiative wird als Überschrift für eine Forschungsdiskussion verwendet. Vgl. dazu die Bemerkung zum Adels- bzw. Elitebegriff auf S. 91 Anm. 91. 83 So wird es etwa in einem attischen Dekret zur Gründung von Brea Demokleides als Gründer eingesetzt: IG I2 45. U. a. besprochen bei Cornell (1983) 1122. 84 Vgl. dazu jüngst Bernstein (2021) insbesondere 67 – 74. Die Beantwortung der Frage danach, ob die Polis Voraussetzung oder nicht vielmehr auch eine Folge der 80

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4.3 Zusammensetzung und Rekrutierung der Siedler Gegenstand des vorangegangenen Kapitels waren Gründer, die zumeist als Angehörige einer Elite in den ktíseis fassbar sind, wobei es sich dort um Konzeptionen handelt, die mit jenen der archaischen Dichtung zu einem gewissen Grad in Deckung gebracht werden können. Von den Gefolgsleuten der oikistḗs erfahren wir indes wenig. Diese Tatsache stellt kein Spezifikum dar, da sich in den meisten uns erhaltenen Quellen Eliten besser greifen lassen als andere Akteure. Zugleich lässt sich die Überlieferungslage auch mit den Erzähldynamiken von Gründungsgeschichten erklären.85 Die Frage nach der Zusammensetzung und Rekrutierung verschiebt den Fokus auf jene Gruppen, die in den Quellen in geringerem Maße oder kaum vertreten sind, was Generalisierungen erschwert, aber dennoch Anhaltspunkte liefert, mit denen die in den vorangegangenen Kapiteln gemachten Beobachtungen verknüpft werden können. Dies wird anhand dreier in der Forschung diskutierter Themenbereiche versucht: Genderaspekten, Desintegrationsdynamiken und dem delphischen Orakel.

4.3.1 Genderaspekte Die Grenze z­ wischen in den Quellen fassbaren und kaum fassbaren Teilen einer Gesellschaft verläuft nicht allein entlang einer politisch-sozialen Linie, sondern besitzt obendrein einen Genderaspekt. Frauen kam als Siedlerinnen, wenn man den Traditionen Glauben schenken mag, entweder eine passive Rolle zu oder sie waren gar nicht an Gründungsunternehmungen beteiligt. Sowohl die in den archaischen Quellen konzipierte Mobilität als auch die Migrationszüge, die in späteren Gründungsgeschichten beschrieben wurden, weisen männliche Akteure auf. Wenn Frauen auftauchen, dann werden sie mehr erwähnt denn ihr Handeln beschrieben.86 Hesiod richtet sein Lehrgedicht an einen männlichen Hausvorstand, wobei Frauen gewissermaßen als eine ‚risikoreiche Investition‘ dargestellt sind.87 In den homerischen Epen reisen ­Migrationsbewegungen war, hat zahlreiche Implikationen. Hierzu vgl. die Problematisierung bei dems. (2021) 46 – 51 mit weiteren Belegen. 85 Wir haben gesehen, dass nicht selten die Erinnerung an den Ursprung personalisiert wurde. Vgl. dazu Kapitel 1.3.1 Das Problem der ktíseis, 22 – 25. 86 Dies macht Frauen und Migration zu einem behandelten, aber etwas randständigen Thema, wie Saltini Semerari (2016) 78 – 79 bemerkt. Vgl. Rougé (1970); Graham (1980/1981); Coldstream (1993); Hodos (1999); Shepherd (1999); Lyons (2000); Kelley (2012); Saltini Semerari (2016). 87 Wenngleich Hesiod mitunter eine misogyne Tendenz attestiert wird (vgl. dazu Canevaro (2013) 187), gestaltet es sich schwierig, hier zu einer belastbaren Aussage zu gelangen, da die Erwähnungen von Frauen ausschließlich im Kontext der Ratschläge zum Führen eines oíkos und dem Leben innerhalb der Dorfgemeinschaft erfolgen. Daher beschränke

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(­männliche) Helden, die von ihren (ebenfalls männlichen) Getreuen begleitet werden.88 Nun ist es unbestreitbar, dass Reisen zwar durchaus ohne Frauen unternommen werden konnten, eine dauerhafte Ansiedlung aber ohne sie nicht überlebensfähig war. So darf davon ausgegangen werden, dass Frauen entweder Teil der Siedlungsgemeinschaft waren, die sich auf Reisen begab, oder dass sich ungebundene Siedler mit ‚indigenen‘ Frauen verheirateten. Beide Fälle sind in einigen ktíseis überliefert: So finden sich Belege in der kyrenischen Tradition dafür, dass sich die Siedler mit libyschen Frauen vermählten, nachdem ihnen die Libyer schon den Weg zum späteren Siedlungsplatz gewiesen hatten.89 In der Vorgeschichte um die Gründung Theras hatten in Sparta die Minyer einheimische Frauen geehelicht.90 Und auch in Barke, das von Kyrene ausgehend nach einem Streit um die Herrschaft gegründet wurde, verheirateten sich die ausgewanderten Kyrener mit libyschen Frauen.91 Dies geschah im gegenseitigen Einvernehmen. Weniger friedlich sei es bei der Gründung Milets zugegangen, wohin die Auswanderer keine Frauen mitgenommen und sich stattdessen mit Karerinnen, deren männliche Verwandte sie erschlugen, vermählt hätten.92 In Massalia 93 dagegen habe der oikistḗs Protis die ­Tochter ich mich auf die Wiedergabe des Beobachtbaren, wobei Hes. erg. 694 – 704 einschlägig ist. die als Mentor den Telemachos begleitet, kann kaum als weibliches Rollenmodell gelten. Die dem Konflikt z­ wischen Troern und Achaiern zugrundeliegende Mobilität der Helena mag auch nicht so recht passen, wurde sie doch von Paris geraubt, zwar ohne Gegenwehr, aber erst nachdem sie ihm von Aphrodite, auf deren Seite sich Paris im Streit mit Athene geschlagen hatte, versprochen worden war. Andererseits wurde sie in der Antike vielfach als Auslöserin des Krieges geschmäht. Z. B. Sappho F16 Voigt; vgl. Harder (1998) 278 – 280. 89 Die Einheimischen halfen, nachdem die Theraier zuerst auf Platea (vor der Küste Libyens) und dann auf dem Festland gegenüber der Insel (einem Landstrich namens Aziris) gesiedelt hatten. Diese Hilfe wird als nicht ganz uneigennützig dargestellt, denn die Libyer hätten den Siedlern das beste Land vorenthalten. Hdt. 4,158,1 – 3. Herodot berichtet an anderer Stelle, dass die Frauen Kyrenes (und auch Barkes) wie die libyschen Frauen aus Angst vor der ägyptischen Göttin Isis kein Rindfleisch gegessen hätten. Vgl. Hdt. 4,186,2. Bei Kall. h. 2,85 – 87 tanzen die Siedler bei den ersten Karneien mit den libyschen Frauen: Ἦ ῥ’ ἐχάρη μέγα Φοῖβος, ὅτε ζωστῆρες Ἐνυοῦς / ἀνέρες ὠρχήσαντο μετὰ ξανθῇσι Λιβύσσῃς, / τέθμιαι εὖτέ σφιν Καρνειάδες ἤλυθον ὧραι. – Der große Phoibos war erfreut, als die gegürteten Mannen der Enyo mit den blonden Libyerinnen zur Zeit der Karneien tanzten. (Eigene Übersetzung) 90 Hdt. 4,145,5. 91 Nach dem Tod des Battos habe sich (so berichtet Hdt. 4,160,1) sein Erbe Arkesilaos I. gegen seine Brüder durchsetzen müssen. Die Unterlegenen hätten dann Barke gegründet und die Libyer zum Abfall von Kyrene angestiftet, was Kriege ­zwischen Kyrene und den Stämmen der Libyer zur Folge hatte. 92 Hdt. 1,146,2 – 3; Paus. 7,2,6. Herodot führt als Beleg einen lokalen Brauch an, bei dem die Frauen in Erinnerung an diese Bluttat nicht gemeinsam mit ihren Männern zu speisen pflegten. Kaum auszuschließen ist aber, dass die Geschichte – umgekehrt – eine Aitiologie für ebenjenen Brauch darstellte. 93 Vgl. zur ktísis von Massalia ausführlich: Mauersberg (2014). 88 Athene,

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des Königs Gyptis geheiratet, um Frieden zu stiften, eine Geschichte, die erstmals in römischer Zeit überliefert ist.94 Aristoteles verweist indes bereits auf einen Gastfreund namens Euxenos 95, der aus Phokaia stammte und die Königstochter geheiratet habe.96 Strabons Bericht wiederum lässt darauf schließen, dass sich auch Frauen auf den Weg nach Massalia begaben, was dadurch vermittelt wird, dass Aristarche den Kult der Artemis begründet haben soll.97 Ähnlich ist die Überlieferung für Thasos, wo Kleoboia den Kult der Demeter von Paros mitgebracht habe und Tarent, wo die Frau des oikistḗs Phalantos als Begleiterin in der ktísis genannt wird.98 Gen Lokri sollen ganze Familien aufgebrochen sein.99 Die späteren ktíseis kennen fast immer nur einen namentlich bekannten Akteur, den oikistḗs, um den herum die Geschichte konstruiert ist. Begleitet wird er von Siedlern, die nicht näher benannt sind. Frauen sind nur dann erwähnt, wenn sie entweder mit dem Gründer verknüpft waren, wie im Falle Massalias oder Tarents (wenngleich hier die Gründungsgeschichte um den Gründer in den ältesten Quellen gänzlich unbekannt zu sein scheint), oder wenn sie als Stifterinnen eines Kultes Eingang in die kollektive Erinnerung gefunden haben. Diese Erwähnungen taugen als Indizien für eine bestehende Praxis, dass Frauen als Siedlerinnen Teil des Gründungszuges waren, und zwar dann, wenn die Gruppe der Auswanderer aus Familien bestand. Im Unterschied dazu schienen im Kontext anderer Mobilitätsformen meist junge Männer zu agieren, etwa bei Handels- oder Kaperfahrten. Frauen gelangten – so die Konzeptionen in unseren Quellen – hier nicht als freiwillige Teilnehmerinnen einer Expedition an Bord, sondern als Geraubte oder schlimmstenfalls als Ware. Doch waren Raubzüge und selbst die Kauffahrten Mobilität auf Zeit, die nicht die permanente Neuansiedlung zum Ziel hatte, wenngleich Migration nicht selten aus jener Mobilität erwuchs oder mit ihr einherging. Das Meer war, da keine Staatsgewalt diesen großen Raum kontrollierte, ein rechtsfreier und unsicherer Raum, sodass Wehrhaftigkeit eine Notwendigkeit darstellte. In einer Welt, in der diese von Männern bereitgestellt wurde, zog die Mitnahme von nicht wehrhaften Frauen oder gar Kindern ein Risiko und damit zusätzlichen Aufwand nach sich. Daneben eröffnete eine Gruppe unverheirateter junger Männer die Möglichkeit, Ehen mit der bereits ansässigen Bevölkerung einzugehen und durch diese Verbindung zu einem Verhältnis friedlicher Koexistenz zu finden, wie es in den Gründungs­ geschichten Kyrenes und auch Massalias angedeutet ist. Dies bot sich immer dann an, 94

Iust. 43,3,8 – 11. Der sprechende Name verstärkt die Zweifel an der Authentizität der Geschichte. 96 Aristot. F549 Rose = Athen. 13,576a–b. 97 Strab. 4,1,4. 98 Thasos: Paus. 10,28,3; Tarent: Paus. 10,10,6 – 8. Allerdings überliefern weder Ephoros noch Antiochos diese Geschichte. 99 Pol. 12,5,6 – 11. Polybios’ Quellen sind Timaios und Aristoteles, von denen er hinsichtlich der Gründung Lokris letzterem den Vorzug gibt. 95

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wenn die eigene Gruppe aus einer Schwächeposition heraus agierte und sich ohne das Wohlwollen der bereits Ansässigen nicht würde ansiedeln können, sei es, weil sie ansonsten von ihnen vertrieben würden, sei es, weil sie auf die Unterstützung der Einheimischen (beispielsweise mit Lebensmitteln oder auch durch deren Kenntnis des Landes) angewiesen waren. Nicht selten zeichnet sich im archäologischen Kontext ein Bild ab, innerhalb dessen sogenannte ‚Indigene‘ neben eingewanderten Griechen lebten, so denn die Bauform oder allgemeiner die materielle Kultur Rückschlüsse auf Identitäten erlaubt.100 Doch war friedliche Koexistenz nicht die einzige Möglichkeit, wie Mischehen angebahnt werden konnten: Mag die Erzählung zur Besiedlung Milets und dem Raub der Karerinnen für das konkrete historische Ereignis angezweifelt werden, so ist ein solch gewaltsames Vorgehen der früharchaischen Lebenswelt nicht fremd, kündet doch auch bereits die Odyssee von brutalen Raubzügen. Kein geringerer als Odysseus brüstet sich damit, Siedlungen überfallen, die Männer getötet sowie Frauen und Kinder geraubt zu haben.101 Es gestaltete sich in aller Regel für ungebundene und wehrhafte junge Männer einfacher, mobil zu sein; mitunter hatten sie Vorteile bei der Ansiedlung. Diese Vorteile hingen aber in hohem Maße davon ab, w ­ elche Umstände ihnen in der Fremde begegneten. Das Land war in den seltensten Fällen leer, doch mussten sich bereits Ansässige auch dazu bereit finden, ihre Töchter mit den Neuankömmlingen zu vermählen. Frauenraub wiederum war nur aus einer Position der Überlegenheit heraus möglich, wollte man nicht den eigenen Untergang heraufbeschwören. So waren in einigen Gebieten gesamte Familien begünstigt, denn auf diese Weise wurde der oíkos an einen neuen Ort verlagert, sodass mit der vertrauten Produktionsweise das neue Land bebaut werden konnte. Innerhalb dieser Struktur kannte dann jeder seinen Aufgabenbereich und brachte Kenntnisse und Fertigkeiten mit, die am Zielort sofort nutzbringend eingesetzt werden konnten. Dieser Vorteil bei der Wiederherstellung von Ansässigkeit stellte gleichermaßen ein Hemmnis für Migration überhaupt dar: Oíkos und Dorfgemeinschaft waren Strukturen, die die einzelnen Akteure fest einbanden und ihnen jeweils eine klar umrissene Rolle in ihrem Gefüge zuwiesen, zu der Erwartungen an angepasstes Verhalten und bestimmte Aufgabenbereiche gehörten. Auf ein Ausbrechen aus der Ordnung folgten Sanktionen; damit wurde einerseits das soziale Gefüge selbst reproduziert; andererseits konnte man Abweichler zu Konformität drängen und so reintegrieren. Verheiratete Männer und Frauen waren hier am festesten eingebunden, wohingegen unverheiratete Männer ungebundener waren und für sie Mobilität daher eher eine Option dargestellt haben dürfte. Wenn ganze Familien migrierten, sollten wir daher Desintegration in einem höheren Maß 100

Die Frage nach Identitäten wurde in der jüngeren Forschung breit behandelt (vgl. Kapitel 1.2.3 Zwischen Heterogenität und Fragmentierung, 19 – 22), sodass sich die Auseinandersetzung im Rahmen dieser Arbeit auf eine kritische Würdigung beschränkt wird: Vgl. Kapitel 4.4 ‚Leeres Land‘, 286 – 302. 101 Vgl. Kapitel 3.2.4 Hetaíros-Gruppen als Seeräuber, 194 – 202.

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annehmen als für Auswanderungen junger Männer, die eventuell einen weniger festen Platz im oíkos und damit innerhalb der Dorfgemeinschaft innehatten.102

4.3.2 Desintegrationsdynamiken Jedoch folgte aus bloßer Desintegration nicht immer Mobilität oder gar Migration, die beide etablierte Wege, Informationen über fremde Gebiete, eines oder mehrere Schiffe, nautisches Wissen sowie Vorräte und weitere Ressourcen erforderten. Gerade wenn eine größere Gruppe auszog, um eine neue Siedlung zu gründen, musste sie sich schon zuvor konstituiert haben, das heißt, es musste eine Gemeinsamkeit entstanden sein, die als formierende Kraft wirken konnte. Desintegrationsdynamiken konnten ­solche Kräfte freisetzen, wie die Wahrnehmung von Ungerechtigkeit und die daraus folgende Negativeinschätzung zukünftiger Lebenschancen.103 Eine ­solche strukturelle Desintegration, die als Gemeinsamkeit erkannt wurde, konnte die Keimzelle einer neuen Gemeinschaft bilden. Der Zusammenhang von politisch-sozialer Desintegration als mythisch verbrämte Hintergrundhandlung vieler ktíseis und Migration konnte in der Forschung bereits aufgezeigt werden.104 Die Amalgamisierungsmechanismen, die auf die Gruppe der Unterlegenen und Ausgestoßenen wirkten, müssen wegen der zugrunde gelegten Quellen mehr oder minder offenbleiben, da die ktíseis keine detaillierte Rekonstruktion der Ereignisse erlauben, und es sich nicht klären lässt, wo genau die Konfliktlinien im Einzelfall der Gründung verliefen. Frank Bernstein wählte für seine Monographie Konflikt und Migration gezielt Gründungsgeschichten aus, die weniger offensichtlich einen Konflikt als Ursache der Migrationsbewegung ausgeben.105 Deutlich wird, dass es häufiger Parteigänger einer unterlegenen Sache waren, die sich um ihre Anführer scharten. Dichtung und Reformtätigkeit Solons und auch die Werke und Tage Hesiods können als Anschauungsmaterial dienen, wie die gemeinsame Wahrnehmung der eigenen Ausgeschlossenheit von Lebenschancen und Ungerechtigkeit zu einer gruppenformenden Dynamik wurde. In ktíseis, die die 102

Vgl. zu diesen Ausführungen Kapitel 2.1.2 Oíkos und geitonía, 76 – 85. Vgl. Kapitel 2.2 Das Ringen um Díkē als Grundlage der Gemeinschaft und der Ansässigkeit, 94 – 135. 104 Hierzu v. a. Bernstein (2004) passim, der für die apoikíai Syrakus, Rhegion, Kroton und auch Kyrene, das in der älteren Forschung gerne als Exempel für ein geordnetes Verfahren einer Polis zur Abwendung einer Hungersnot in Folge von Überbevölkerung hatte herhalten müssen, politisch-soziale Konflikte bis hin zur Eskalation in einer stásis festgestellt hat. Vgl. auch ders. (1998) passim und Dougherty (1993a) passim sowie dies. (1993b) passim, die aber die Blutschuld des oikistḗs anders als Bernstein, der hierin den Kulminationspunkt eines historischen Konflikts erkennt, lediglich als ein narratives Element ohne historische Bedeutung deutet. 105 Genauer fokussiert er auf „Migration […] in ihrer religiösen Begründung“, hinter der sich ein „politisch-sozialer“ Konflikt verbergen kann. Bernstein (2004) 23 – 32. 103

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kollektive Erinnerung an einen Konflikt bewahren, finden sich weitere Fallbeispiele, die sich mithilfe des aus zeitgenössischen Quellen entwickelten Musters deuten lassen. Besonders eindrücklich erscheint eine Gruppenformierung durch Exklusion in der ktísis Tarents. Deren Hauptquellen 106 sind Antiochos von Syrakus (spätes 5. Jahrhundert) und Ephoros von Kyme (4. Jahrhundert), deren Abfassungszeit – wie so oft bei der Überlieferung von apoikía-Gründungen – Jahrhunderte nach den tradierten Ereignissen liegt.107 Beide sind wiederum bei Strabon überliefert. Antiochos berichtet nun Folgendes: Nach dem ersten Messenischen Krieg habe man diejenigen Lakedaimonier, die nicht an dem Feldzug teilgenommen hatten, versklavt und fortan Heloten genannt. Die in jener Zeit gezeugten Kinder s­ eien als ehrlos (ἄτιμος) angesehen und als parthéniai (Jungfrauensöhne) bezeichnet worden. Die mit ihrer Lage unzufriedenen parthéniai hätten nun einen Anschlag auf den dḗmos ausgeheckt. Ihr Plan habe vorgesehen, am Hyakinthos-Fest in Amyklai loszuschlagen. Ihr Anführer Phalantos sollte das Signal geben, indem er einen Helm aufsetzte. Doch s­eien das Vorhaben verraten und die Verschwörer festgesetzt worden. Die Lakedaimonier hätten sie aber ermuntert, zuversichtlich zu sein (θαρρεῖν), und Phalantos nach Delphi gesandt, wo dem Rädelsführer aufgetragen wurde, mit seinen Anhängern Satyrion und Taras zu besiedeln. Die parthéniai s­ eien so nach Tarent gekommen, wo sie von den bereits ansässigen Kretern und den einheimischen Barbaren aufgenommen (δέχεσθαι) worden ­seien.108 Ephoros’ Bericht ist vor allem hinsichtlich der Herkunft der parthéniai detailreicher: Nach der Ermordung ihres Königs Teleklos hätten die Spartaner, als sie aus ­diesem Grund gegen Messene zogen, geschworen, nicht eher heimzukehren, als sie Messene vernichtet oder selbst den Tod gefunden hätten. Im zehnten Kriegsjahr aber hätten die Frauen Spartas, die mit den Alten und einigen Kindern zurückgeblieben waren, nach ihren Männern gesandt und sie gewarnt, dass Sparta durch ihre Abwesenheit kinderlos werde. Daraufhin s­eien diejenigen Männer, die beim Aufbruch noch Kinder waren und daher den Eid nicht mitgeschworen hatten, in die Heimat zurückgeschickt worden mit dem Auftrag, dass jeder von ihnen jeder Jungfrau (παρθένος) beiwohnen solle, um möglichst viele Nachkommen zu zeugen. Diese Kinder ­seien dann parthéniai genannt worden. Als der Krieg nach 19 Jahren beendet worden und die Männer siegreich heimgekehrt waren, ­seien die parthéniai nicht geachtet (οὐ τιμεῖν) worden, da sie keiner (legitimen) Ehe (γάμος) entstammten. Diese Ausgeschlossenen hätten sich dann mit den Heloten verbündet, um einen 106

Eine konzise Übersicht über die Quellen zur Gründungsgeschichte Tarents findet sich bei Corsano (1979) 113 – 119. 107 Die ihnen nachfolgenden Erzählungen der ktísis sind mit weiteren unterhaltsamen Details ergänzte Varianten v. a. der ausgeschmückten Version des Ephoros oder Paraphrasen des älteren Berichts des Antiochos. Vgl. hierzu die ausführliche Besprechung bei Meier (1998) 124. 108 Antiochos von Syrakus FG rH 555 F13 = Strab. 6,3,2.

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Anschlag auf die Lakedaimonier zu verüben. Das verabredete Signal zum Losschlagen auf der Agora sei ein erhobener lakonischer Hut gewesen, doch hätten einige Heloten den Plan verraten. Ob der großen Einigkeit, die unter den Verschwörern herrschte, die sich als Brüder betrachteten, hätten sich die Lakedaimonier darauf beschränkt, das Signal zu verhindern und die parthéniai dazu zu überreden, in eine apoikía zu ziehen. Darüber hinaus sei ihnen eingeräumt worden, zurückzukehren und den fünften Teil Messeniens in Besitz zu nehmen. Auf der Reise s­ eien die parthéniai auf die Achaier getroffen, mit denen sie gemeinsam gegen die Barbaren gekämpft und Tarent gegründet hätten.109 Beide Berichte weichen in den Details stark voneinander ab, doch die großen Handlungsstränge gleichen sich: Auf Illegitimität folgt Ausgrenzung, die der Ausgrenzung zugrundeliegende Gemeinsamkeit schafft eine Gruppe, die sich ihrer bewusst und handlungsfähig ist. Diese Gruppe plant den gemeinsamen Anschlag auf diejenigen, die sie ausgeschlossen haben, es wird das Signal (erhobene Kopfbedeckung) vereinbart, sie werden verraten, die Lakedaimonier gestatten den Abzug in eine apoikía. Die widersprüchlichen Details bereiten Probleme, die Zweifel am Quellenwert der beiden Versionen der ktísis Tarents haben aufkommen lassen.110 Die Unterschiede sind offenkundig: Einmal sind die parthéniai die Kinder von den Daheimgebliebenen, ein anderes Mal die von in die Heimat geschickten jungen, kräftigen Männern, die mit jeder Jungfrau, der sie habhaft werden konnten, Kinder zeugen sollten. Benennt Antiochos’ Version einen oikistḗs und hiervon getrennt Taras als Heros 111, nach dem Tarent benannt wurde, bleibt Ephoros hier vage. Auch die Ankunft wird anders beschreiben: Antiochos berichtet von einer Aufnahme durch bereits ansässige Kreter und Barbaren, wohingegen sich die parthéniai bei Ephoros mit den Achaiern, die sie dort antreffen, gegen die Barbaren verbünden. Doch nicht allein Widersprüche ­zwischen den beiden Versionen schmälern die Glaubwürdigkeit der Berichte, sondern sie stehen auch im Gegensatz zur politischen Realität des frühen Sparta. So ist die Behauptung, dass Spartiaten zu Heloten absanken, kaum glaubwürdig und dürfte vielmehr dem zur Zeit des Antiochos vorherrschenden Spartabild geschuldet sein.112 Der detailreiche Bericht des Ephoros vermag noch 109

Ephoros von Kyme FGrH 70 F216 = Strab. 6,3,3. Die Kritik kommt sowohl von Seiten derer, die sich mit der Migration in der griechischen Archaik befassen (Graham (1982) 112) als auch von Seiten der Historiker des frühen Sparta (Clauss (1983) 21; differenzierter Meier (1998) 124 – 126). 111 Antiochos von Syrakus FG rH 555 F13 = Strab. 6,3,2: Τάραντα δ’ ὠνόμασαν ἀπὸ ἤρός τὴν πόλιν. Es ergibt sich aus der Formulierung, dass der Name des Heros, Taras, nicht erneut genannt wird. 112 Meier (1998) 125 – 126. Vgl. jüngst auch Schmitz (2017) 422 – 423. Zur Helotie vgl. Ducat (1990) 7 – 8; 67 – 71; 95. Zudem schreibt Theopomp FGrH 115 F122a = Athen. 6,265b–c, die Heloten ­seien die versklavten Griechen, die auf dem Land gelebt hätten, das die Lakedaimonier nun bewohnten. Eine s­ olche Abstammung mag auf eine scharfe Abgrenzung der Helotie hindeuten. 110

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mehr Argwohn hervorzurufen: Einem Gedicht des Tyrtaios entnimmt er die Information von der 19-jährigen Dauer des Krieges gegen Messene und leitet daraus ab, das spartanische Heer habe über diesen gesamten Zeitraum kontinuierlich Krieg geführt, wobei obendrein der Kontakt zu den eigenen Frauen gänzlich abgerissen sei. Dies widerspricht den Möglichkeiten der Kriegsführung, wäre doch ein Heer, das so lange in der Fremde weilte, nicht zu versorgen gewesen.113 Weil es galt, die landwirtschaftliche Produktion aufrechtzuerhalten, konnte nur saisonal Krieg geführt werden. Nicht einmal im Sparta(zerr)bild, innerhalb dessen die Arbeit allein von Heloten verrichtet wird, wäre die Geschichte stimmig, denn die Versklavten müssten sich ohne nennenswerten äußeren Druck über knapp 20 Jahre hinweg in ihr Schicksal gefügt haben.114 Diese Ungereimtheiten überraschen wenig und sind bei ktíseis mehr die Regel als eine Ausnahme. Es ist unwahrscheinlich, dass sich die Ereignisse so zugetragen haben, wie sie Ephoros Jahrhunderte ­später schilderte. Bis dahin dürften eine Reihe verschiedener Versionen in Umlauf gewesen sein, von denen er eine oder eine Kombination mehrerer niederschrieb. Werden die Berichte des Ephoros und des Antiochos verglichen, bleibt ein wenig aussagekräftiges Gerippe übrig, von dem nicht sicher gesagt werden kann, ob es sich hierbei um den ‚historischen Kern‘ handelt.115 Ein gangbarer Weg, der aus d ­ iesem Dilemma führt, ist die Kontextualisierung der Gründungsgeschichte, sei es durch Hinzuziehen weiterer Quellen, sei es durch theoretische Überlegungen. Ein der Gründung einer apoikía vorausgehender Streit innerhalb der führenden Elite ist in den Quellen ein Motiv, das häufig direkt angesprochen wird. Zum Kreis solcher Gründungen zählen aber auch andere, bei denen ein Konflikt teils verborgen hinter dem dichten Gewebe einer Geschichte um einen mit Makel behafteten oikistḗs zu 113

Meier (1998)122 – 123. Das ist nicht die einzige Unstimmigkeit: Die jüngsten und kräftigsten Kämpfer nach Hause zur Kinderzeugung abzukommandieren, mutet nicht gerade als eine Taktik an, mit der sich ein Krieg gewinnen lässt. Der wahllose Verkehr mit allen verfügbaren Jungfrauen scheint dazu zu dienen, den Terminus παρθένιαι zu erklären, so ders. (1998) 127. In einer anderen Lesart erfüllt die väterlicherseits unklare Abstammung im Narrativ die Funktion, die starken Bande ­zwischen den parténiai argumentativ zu untermauern, von denen gesagt wird, dass sie sich als Brüder ansahen. Καὶ γὰρ πολλοὺς εἶναι καὶ πάντας ὁμόφρονας, ὡς ἂν ἀλλήλων ἀδελποὺς νομιζομένους· Und selbst wenn diese Umstände der Zeugung als wahr angesehen werden, bleibt es fraglich, wie gerade die Väter der parthéniai sich in der Position fanden, ihre Söhne zu überzeugen, obgleich die Bande der Verwandtschaft nicht existierten, oder warum der Nachwuchs, der zuvor noch dringend benötigt worden war, ohne Not zu atimoí erklärt wurde. Vgl. zum Bericht des Ephoros jüngst auch Schmitz (2017) 422 – 424. 115 Vgl. bereits das Diktum, das Schaefer (1949) 1885 – 1886 zu den Berichten des Ephoros und des Antiochos in der RE fällt: „Mit Recht hat man diese Deutungsversuche ins Reich des Mythos verwiesen und es abgelehnt, sie historisch auszuwerten. Auch der Anlaß, der zu der Benennung einer Gruppe von Spartiaten als παρθένιαι führte, ist trotz aller Deutungsversuche […] ebenso unklar wie sein tieferer Sinn.“ 114

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erahnen ist.116 Insbesondere Thukydides benennt in seinem Exkurs zu den sizilischen apoikíai innere Spannungen in den mētrópoleis sehr deutlich. Archias, der oikistḗs von Syrakus, floh aus Korinth mit seinen Gefährten, um einer Verbannung zuvorzukommen.117 Ähnlich gelagert ist die bereits besprochene, von Kyrene ausgehende Gründung Barkes.118 In Syrakus selbst wiederum scheinen Unruhen zur Beteiligung der aristokratischen Parteiung der Myletiden einen Anteil an der Besiedlung des von Zankle aus gegründeten Himera gehabt zu haben.119 Gerade die Zusiedlung in eine neugegründete apoikía erscheint als ein probates Mittel unterlegener Konfliktparteien. So berichtet Diodor, Rhodier und Knidier hätten sich aus Unzufriedenheit über die politischen Zustände am Gründungszug des Pentathlos beteiligt.120 Bereits in der Antike wurden in der ktísis Tarents Spuren einer stásis, genauer eines Konflikts innerhalb der Elite Spartas, erkannt: Aristoteles schreibt in seinen Überlegungen zu inneren Kämpfen in der Polis, die Kernursache für Spannungen innerhalb aristokratischer bzw. oligarchischer Verfassungen sei der limitierte Zugang zu Ämtern; er führt hierzu beispielhaft die ktísis Tarents an. Stáseis ­seien immer dann eine zwingende Folge, wenn eine Gruppe sich anmaße (φρονηματίζεσθαι) an Tugend (ἀρετή) gleich (ὅμοιος) zu sein, wie es die parthéniai in Sparta getan hätten, da diese ja von Gleichen (ὁμοιοῖ) abstammten, die aber, nachdem sie bei einem Anschlag ertappt worden waren, fortgesandt worden ­seien, um Tarent zu gründen.121 Aus der Häufigkeit, mit der das Motivs des Streits aristokratischer Parteiungen in Berichten über Gründungen begegnet, und gestützt durch die Perspektive des Aristoteles schließt Mischa Meier, dass sich ein solcher Konflikt auch in der ktísis Tarents andeute.122 Winfried Schmitz hat jüngst mit einer Zusammenschau der Überlieferung um die parthéniai und den spartanischen Ehebräuchen einen Lösungsvorschlag unterbreitet: In Sparta, so schildert es unter anderem Plutarch, sei es üblich gewesen, dass die Ehe 116 Vgl.

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Bernstein (2004) passim. Jüngst äußerte sich Schmitz (2017) 442 zustimmend und zeichnete einen ähnlichen Mechanismus im Kontext der Gründung Tarents nach, auf den unten genauer eingegangen wird. Thuk. 6,3,2. Hdt. 4,160,1 – 4. Thuk. 6,5,1. Diod. 5,9,1 – 5. Aristot. pol. 5,7,1306 b22 – 31: Ἐν δὲ ταῖς ἀριστοκρατίαις γίγνονται αἱ στάσεις αἱ μὲν διὰ τὸ ὀλίγους τῶν τιμῶν μετέχειν […]. ἐπεὶ δοκεῖ γε διὰ ταῦτα καὶ ἡ ἀριστοκρατία ὀλιγαρχία εἶναι. μάλιστα δὲ τοῦτο συμβαίνειν ἀναγκαῖον ὅταν ᾖ τι πλῆθος τῶν πεφρονηματισμένων ὡς ὁμοίων κατ’ ἀρετήν, οἷον ἐν Λακεδαίμονι οἱ λεγόμενοι παρθενίαι (ἐκ τῶν ὁμοίων γὰρ ἦσαν), οὓς φωράσαντες ἐπιβουλεύσαντας ἀπέστειλαν Τάραντος οἰκιστάς. – In Aristokratien entstehen stáseis, weil wenige an der Ehre teilhaben […]. Aufgrund dessen scheint die Aristokratie eine Oligarchie zu sein. Am meisten aber haben diese zweifellos gemeinsam, wann immer sich eine Menge anmaßt an Tugend gleich zu sein, wie bei den Lakedaimoniern die sogenannten parthéniai (sie stammten ja von Gleichen ab), die die Spartaner, nachdem sie entdeckt hatten, dass jene eine Verschwörung planten, fortsandten, um Tarent zu gründen. (Eigene Übersetzung) Meier (1998) insbesondere 127 – 136.

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im Gegensatz zu Athen oder anderen griechischen Poleis nicht öffentlich geschlossen wurde. Stattdessen s­ eien, so die antiken Gewährsmänner, die indes zum größten Teil kaiserzeitlich sind, junge, aber bereits mannbare Frauen geraubt worden. Der Vollzug der Ehe sei ferner heimlich des Nachts erfolgt, indem sich der Bräutigam zu seiner Braut schlich und sie unmittelbar nach dem Geschlechtsakt wieder verlassen habe, um zu seinen Kampfgenossen, mit denen er gemeinsam schlief, zurückzukehren. Obendrein habe der Brauch es vorgesehen, den jungen Frauen das Haupthaar abzurasieren, ihnen Männerkleider anzulegen und sie im Dunkeln zu begatten.123 Diese Praktiken ­seien auch weiterhin so beibehalten worden, worin Schmitz einen gesetzgeberischen Versuch des Lykurg erkennt, Verhältnisse zu schaffen, in denen „keine rechtmäßige Ehe begründet wird“ 124. Mit Verweis auf Parallelentwicklungen in anderen Poleis und Sparta selbst, in denen Unfreien in einer Notsituation zumeist teilweise, in seltenen Fällen sogar volle Bürgerrechte gewährt wurden,125 schließt Schmitz hier auf ein ähnliches Verfahren: So könne festgestellt werden, dass die Spartaner die im Krieg gegen die Messenier erlittenen Verluste versucht haben auszugleichen, indem sie bewaffneten Heloten zugestanden hätten, als epeúnaktoi mit den Witwen der gefallenen Spartiaten zu verkehren, wie es ein Fragment Theopomps nahezulegen scheint.126 Innerhalb dieser Konstruktion wären die Heloten zwar unfrei geblieben, ihre Kinder aber wären, da die biologische Abstammung kaschiert worden war, dem Status der M ­ utter gefolgt. Dieses Versprechen sei indes, nachdem die Messenier besiegt worden waren, nicht eingehalten worden, woraus ein schwerer Konflikt erwachen sei.127 Diese Erklärung besticht dahingehend, dass wir uns mit ihr auf elegante Weise eines alten Pro­ blems entledigen würden. Allerdings wird der Quellenwert der Lykurgbiographie des kaiser­zeitlichen Schriftstellers Plutarch seit langem als gering eingeschätzt.128 Schmitz hält dem wiederum entgegen, dass auch in Xenophons Lakedaimonion ­Politeia der 123

Der kaiserzeitliche Schriftsteller Plutarch (ca. 45 – 125 u. Z.) zeigte ein besonderes Interesse an spartanischem Brauchtum. So findet sich dies auch an mehreren Stellen seines Werks, v. a. in der Vita Lykurgs. Vgl. zu den von ihm geschilderten Ehebräuchen der Spartaner Plut. Lyk. 15,3 – 9; 15,16 – 18; 16,11 – 13; 17,1. Vgl. dazu mit weiteren Belegstellen Schmitz (2017) 436 – 439. 124 ders. (2017) 438. 125 ders. (2017). 126 Theopomp FG rH 115 F171 = Ath. 6,271c–d. Diese Interpretation findet sich bei dems. (2017) 430, der zudem in Anm. 33 andere Lesarten der Quellenstelle benennt, nämlich Pembroke (1970) und Vidal-Naquet (1989) 192. 127 Vgl. zu dieser Rekonstruktion der Ereignisse Schmitz (2017) 439 – 4 42. 128 Bereits Hermann (1867) 82 urteilte: „Sicher aber scheint mir die Thatsache zu stehn, daß wir in dieser Biographie die Copie einer Tendenzschrift haben, die aus den Bestrebungen des Agis und Kleomenes hervorgegangen war, und daß daher alle ihre Nachrichten, soweit sie nicht anderweitig beglaubigt sind, nur mit der größten Vorsicht aufzunehmen sind.“ In einem k­ urzen Beitrag widmet sich Desideri (2002) Aspekten des zeitgenössischen Hintergrunds, vor dem Plutarch die Vita des Nomotheten Spartas verfasste. Vgl. zur in der Lykurgbiographie enthaltenen ‚Großen Rhetra‘ neben der Übersicht von Nafissi

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­ inweis finde, dass Lykurg bestimmt habe, der Mann solle Scham (αἰδέομαι) empfinH den, dabei gesehen zu werden, wenn er zu seiner Frau geht und wenn er sie verlässt.129 Allerdings sei darauf verwiesen, dass Xenophon diesen Brauch dezidiert nicht mit dem Rechtsstatus der Kinder begründet, sondern mit dem so verstärkten gegenseitigen Verlangen der Ehepartner, woraus kräftigere Kinder erwüchsen, als wenn die Eltern einander überdrüssig ­seien.130 Zudem lässt sich mitunter auch bei Xenophon die Tendenz erkennen, die Verhältnisse in Sparta spektakulär erscheinen zu lassen, auch um ein sittliches Gegenbild zu Athen zu entwerfen.131 Nichtsdestoweniger stellt Xenophons Bericht einen, wenn auch nicht zeitgenössischen, frühen Beleg für den Brauch dar. So steht eine weitere, nicht unplausible These im Raum, die auf ein der Gründung vorausgehendes Integrationsproblem verweist. Der Versuch, hinter die ktíseis zu blicken, ist – so stark die jeweils aufgestellten Hypothesen auch sind – immer problembehaftet. Diese Problematik hat zwei Komponenten: Erstens ergibt sich aufgrund der Überlieferungssituation stets eine große Unsicherheit. Es liegen mehrere Jahrhunderte ­zwischen den Ereignissen und der Niederschrift. Dieser Zeitraum war – davon muss ausgegangen werden – durch eine lebendige Erzähltradition gekennzeichnet, die ja eine Kernressource von Gemeinschaften darstellte.132 Zweitens verlieren die Gründungsgeschichten im Zuge von Kritik und Neueinordnung ihre spezifischen narrativen Dynamiken. Akribische Quellenkritik ist zwar notwendig, ja unumgänglich, aber es droht die Gefahr, die Quellen zu einem ‚fleischlosen Gerippe‘ werden zu lassen. Eine Möglichkeit, d ­ iesem Problem zu begegnen, ist der Blick auf das in den vorangegangenen Kapiteln dieser Arbeit Herausgearbeitete, das eine weitere Perspektive auf diese späteren Quellen erlaubt. So wurde die integrierende und desintegrierende

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(2010) insbesondere den Kommentar von Desideri (2015) 354 – 379, der zahlreiche intertextuelle und ideengeschichtliche Bezüge aufzeigt. Xen. Lak. pol. 1,5. Schmitz (2017) 438 nicht ohne Schärfe: „Diese Plutarchstellen mit dem Verweis abzutun, es handle sich um eine sehr späte (kaiserzeitliche) und zudem anekdotische Quelle, verfängt insofern nicht, als auch der wesentlich frühere Xenophon in seiner ‚Verfassung der Lakedaimonier‘ für die spartanische ‚Hochzeit‘ hervorhebt, dass der Mann Scham empfinden solle, gesehen zu werden, wenn er zu seiner Frau geht und wenn er sie verlässt […]. Auch Xenophon belegt damit eine Beziehung, bei der der Mann zur Frau geht, nicht die Frau zum Mann, wie dies bei Ehen im übrigen Griechenland der Fall war.“ Xen Lak. pol. 1,5: Οὕτω δὲ συνόντων ποθεινοτέρως μὲν ἀνάγκη σφῶν αὐτῶν ἔχειν, ἐρρωμενέστερα δὲ γίγνεσθαι, εἴ τι βλάστοι οὕτω, μᾶλλον ἢ εἰ διάκοροι ἀλλήλων εἶεν. – Auf diese Weise wird das gegenseitige Verlangen zwangsweise angefacht und so gerät der Nachwuchs kräftiger, als wenn sie einander überdrüssig wären. (Eigene Übersetzung) Vgl. etwa Harman (2009) passim; Atack (2018) 181 – 182, die auch auf Xen. Lak. pol. 1,2 verweist, wo der Autor dezidiert den Erfolg Spartas auf das strikte Befolgen der Gesetze des Lykurgs zurückführt. Ferner vgl. auch David (2007), der wie Atack (2018) betont, dass die Idealisierung Spartas bei Xenophon mit einer Gegenüberstellung der für seine Zeit von ihm postulierten Abkehr von ­diesem Ideal einhergeht. Vgl. Kapitel 1.3.1 Das Problem der ktíseis, 22 – 25.

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Wirkung von Gerechtigkeitskonzeptionen und der damit verbundenen Wahrnehmung von Gerechtigkeit untersucht. Es wurde festgestellt, dass Gerechtigkeit eine Schlüsselressource für die Aufrechterhaltung von Ansässigkeit war. Darüber hinaus wurde ersichtlich, dass wahrgenommene Ungerechtigkeit wiederum Dynamiken entfaltete, die das Potential besaßen, Gruppen zu formieren, die dann gegebenenfalls ein gemeinsames Ziel verfolgten. Solche Gruppen konnten, wenn weitere benötigte Ressourcen verfügbar waren, zu Migrationsgemeinschaften werden.133 Aus den gemachten Betrachtungen wird vor allem eines deutlich: Konflikte, deren Kern der Zugang zu Lebenschancen bildete, waren wie kaum ein anderes Phänomen dazu in der Lage, Gruppen zu formieren. Hierbei handelte es sich um eine Integration durch Desintegration. Die Ausgeschlossenheit von Lebenschancen stiftete Gemeinsamkeit, wurde als Ungerechtigkeit wahrgenommen und artikuliert. Mögen die Details in den einzelnen Geschichten mit den konkreten politischen Situationen auch kaum in Einklang zu bringen sein, vermögen sie es doch, in eine Richtung zu weisen und auf Ursachen solcher Gruppenformierungen hinzudeuten. Die parthéniai bei Ephoros agierten als fest verbundene Einheit, eben weil sie sich als Brüder verstanden. Ihr Plan wurde nicht durch einen der Ihren, sondern durch einen Heloten verraten.134 Folgerichtig nahmen die Heloten nicht an der Gründung Tarents teil. Die parthéniai werden sowohl bei Ephoros als auch bei Antiochos zu atimoí erklärt und damit ihrer politischen Rechte beraubt. Ihre gemeinsame Lage und das geteilte Bewusstsein, sich in dieser Situation zu befinden, machte sie zu einer Gruppe, die ein gemeinsames Ziel verfolgte. Doch kann nicht ausgeschlossen werden, dass es sich bei diesen Details um Projektionen handelt. Ein ihnen zugrundeliegender Konflikt um den Zugang zu Lebenschancen bleibt plausibel, und das nicht nur für die Gründung Tarents, sondern für viele andere Gründungen,135 und häufig auch Migrationen in (mitunter erst vor kurzem) gegründete Siedlungen, die nur allzu leicht im Strom der Überlieferung unterzugehen drohen, da sie nicht vom Ursprung einer Gemeinschaft handeln.136 Migration, das 133

Um Dopplungen zu vermeiden, beschränke ich mich hier darauf, die grundlegenden Ergebnisse des Kapitels 2.2.5 Zusammenfassung: Díkē, Lebenschancen und das Politische, 133 – 135 in wenigen Sätzen zusammenzufassen. 134 Die Heloten waren zwar auch ob ihrer Abstammung Ausgeschlossene, befanden sich aber anders als die parthéniai über Generationen hinweg in dieser Lage, sodass das Unrecht, das ihnen widerfuhr, der gelebten Realität entsprach, in der sie aufgewachsen waren. Ihre sozialen Umstände waren auf diese Weise in ihrem Habitus eingeschrieben, von dem ihr Handeln geleitet war. Sie trugen also innerlich ein Joch, das sie abstreifen mussten. Die Voraussetzung hierfür ist, dass Ephoros davon ausgeht, dass die Heloten nicht aus den während des Messenischen Krieges Daheimgebliebenen rekrutierten, wie Antiochos berichtet, sondern bereits in Knechtschaft lebten. 135 Vgl. etwa die bereits in Kapitel 4.2.1 Zur sozialen Herkunft, 261 – 266 und 2.3.2.1 Literarische Bilder, 140 – 149 besprochene Gründung Theras durch den gleichnamigen oikistḗs und die befreiten Minyer: Hdt. 4,145,2 – 148,4. 136 Vgl. Kapitel 1.5.1 Migration ­zwischen Mobilität und Ansässigkeit – eine Annäherung, 37 – 45.

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Verlassen der Heimat, war nicht zwingenderweise die letzte Möglichkeit einer unterlegenen Parteiung oder gar ein Akt der Verzweiflung. Oft war sie die beste Option, die sich einem Akteur oder Personenkreis bot, etwa zum Erhalt oder Ausbau eigener Macht, des Prestiges oder des Besitzes. Die Gruppe wurde, wenn sie sich auf diese Weise formiert hatte, dann mit jedem gemeinsamen Agieren weiter gefestigt.

4.3.3 Das delphische Orakel Laut einer Vielzahl von ktíseis, kam dem Orakel von Delphi bei der Gruppenkonstitution eine entscheidende Rolle zu. Häufig wurde der oikistḗs durch das Orakel eingesetzt, womit die Unternehmung einen Anführer erhielt. Es bestimmte zudem den Siedlungsort, wenngleich in kryptischer Form. Darüber hinaus konstituierte das Einholen des Orakels die Gruppe im religiösen Sinne und es verlieh dem gesamten Vorhaben göttliche Legitimität. Indes nährt eine lebensweltliche Perspektivierung Zweifel an d ­ iesem Bild des Apollonkults, das aus den ktíseis herausgelesen werden kann. Denn hätte das Orakel tatsächlich über den Ort, an dem eine neue Gründung erfolgen sollte, bestimmt, hätte Delphi als eine Art Kommandozentrale der griechischen Welt fungieren müssen,137 was mit der sozialräumlichen Realität der archaischen Zeit kaum in Einklang zu bringen ist:138 Die griechische Welt war in dieser Zeit durch Dezentralität gekennzeichnet.139 Delphi trat als ein wichtiger Kommunikationsort hervor, hatte aber keine Monopolstellung inne, zumal verschiedene Kommunikationskanäle die Informationen zu entfernten Ländern und den Menschen, die sie bewohnten, trugen und ­dieses Wissen auch und vor allem dezentral Verbreitung fand.140 Das Einholen des Orakels ist Teil des typischen Aufbaus einer ktísis und gerät gerade dadurch in Verdacht, in vielen, wenn nicht den meisten Fällen eine frei erfundene Komponente zu sein, um die die Gründungstradition ergänzt wurde, schlimmstenfalls gar erst durch die Autoren, durch die die ktísis uns erhalten blieb. Erstmals, dann aber mit großer Regelmäßigkeit, taucht das Motiv der Orakelbefragung einer ktísis im 5. Jahrhundert auf, eine Tatsache, die den Verdacht erhärtet, bei der Befragung der Pythia vor einer Gründung handele es sich um eine Projektion ebenjener Zeit

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Dies wurde allerdings vorgeschlagen. Vgl. Kapitel 1.2.2 (Versteckte) Modelle, 15 – 19. Letztendlich tangiert es Fragen methodischer Grundsatzentscheidungen, wie der Quellenwert von Berichten einiger Orakelbefragungen jeweils einzuschätzen ist. Doch gibt es m. E. gute Argumente, die die Zweifel an der Historizität der Orakelbefragungen für die sehr frühen Gründungszüge nähren, da Delphi erst allmählich seine Rolle als eines der zentralen Heiligtümer der griechischen Welt einnahm. Vgl. die Übersicht bei Londey (1990) insbesondere 122 – 126 u. passim. 139 Malkin (2011) 15 – 16. 140 Zuvor wurde in dieser Arbeit eine Vielzahl von Bahnen der Mobilität erörtert, die jeweils auch als Informationskanäle dienten. 138

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auf die eigne Frühgeschichte.141 So konstatiert Jean Defradas seiner Hauptthese folgend: „Beaucoup de cités coloniales dont la fondation n’avait pu se rattacher à l’oracle inventèrent des légendes qui leur permirent de se réclamer de lui, et le dieu reçu leur offrandes.“ 142 Wenngleich es sich hierbei um eine Extremposition handelt, die nicht unwidersprochen blieb,143 sind dennoch Zweifel bei der möglichen Folgerung aus der schriftlichen Überlieferung, das Einholen des Orakels habe in archaischer Zeit zum festen Repertoire gehört, angebracht. In der einzelnen Situation konnte freilich eine religiöse Legitimation 144 das ohnehin Beschlossene nur begünstigen, indem die Bande in ausgesandten Gruppen gestärkt und die Führungsrolle des oikistḗs gefestigt wurden. Doch um die Ressource göttlicher Legitimation zu erlangen, kamen prinzipiell andere Orte als das delphische Orakel in Frage, zumal es einen großen Aufwand an Zeit und materiellen Gütern mit sich brachte, dort den Orakelspruch einzuholen. Je nach Lage und ökonomischen Möglichkeiten der mētrópolis oder des oikistḗs konnte es sich mitunter anbieten,145 eine Autorität aus der Ferne anzurufen, obgleich ein Schiff ausgerüstet, eine Mannschaft zusammengestellt werden und nicht zuletzt vielfältige Opfergaben (wenn nicht sogar ‚Bestechungen‘) bereitgestellt werden mussten.146 Es dürfte ferner kein Zufall sein, dass das Orakel als Element von ktíseis eine ­solche Dominanz entwickelte: Erstens war Delphi eines der wichtigsten panhellenischen Heiligtümer, ein Ort des Austausches der ganzen griechischen Welt und darüber hinaus. Zweitens ist unbestreitbar, dass die Verehrung Apollons in vielen apoikíai eine zentrale Rolle einnahm.147 Drittens war Apollon als Gott der Reinigung prädestiniert dafür zum Gott der Gründungen zu werden, denn nicht selten erscheint eine Gründung als rituelle Reinigung eines gewaltsamen Konfliktes, der dieser Gründung vorausging.148 Angesichts dieser Vorzüge konnte der Ressourceneinsatz, der mit einer 141 So

Osborne (1998) 267. Defradas (1954) 237. Im Kapitel „Delphes et la colonisation greque“ wendet Defrandas seine Hauptthese eines propagandistisch verbreiteten delphischen Moralimperialismus auf archaische Gründungszüge an, wobei er auf seine vorangegangenen Kapitel aufbauend von „une tendance à l’impérialisme moral qui permettait d’indexer au profit de Delphes tous les éléments étrangers susceptibles d’augmenter sa gloire“ ausgeht. ders. (1954) 234 – 257; Zitat: 234; vgl. dazu auch 236 – 237. 143 Vgl. etwa die kritischen Rezensionen von Chambers (1956); Hopper (1957). 144 Vgl. zur Rolle als religiöse Legitimation Malkin (1987) 89 – 90. 145 ders. (1987) 17 – 88 betont die Bedeutung Delphis, bleibt dabei aber sehr dicht an den ktíseis, denen er grundsätzlich einen hohen Quellenwert einräumt. Auch ders. (1989) passim. 146 Vgl. Kapitel 4.1 ‚Griechen‘ und ‚Indigene‘ z ­ wischen Ethnizität und Identität, 287 – 292; insbesondere Anm. 172. 147 Das Bild ist nicht einheitlich. Vgl. zum Apollonion in Syrakus Malkin (1987) 176 – 177; Kyrenes besondere Beziehung zu Apoll wurde bereits besprochen. Jüngst hat Itgenshorst (2021) 100 – 101 dargelegt, dass sich die Verehrung des Apollon in der neugegründeten apoikía sowohl als Orientierung an wie auch als Produktion von Ressourcen deuten lässt. 148 Zusammenfassend Antonaccio (2007a) 204; 211. Vgl. zur rituellen Reinigung als literarisches Thema innerhalb der ktíseis Dougherty (1993a) passim; dies. (1993b) 142

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Orakelkonsultation einherging, in einigen Fällen sekundär geworden sein – vor allem dann, wenn es um die Bereinigung eines Konfliktes ging, da eine ungleich kostbarere Ressource erlangt werden konnte, nämlich die Wiederherstellung des inneren Friedens. Eine Gruppenformation wurde durch eine Reihe von Faktoren begünstigt, sei es das Charisma des Gründers oder seine bereits durch seine Bewährung im Feld des Wettbewerbs der Eliten gewonnene herausgehobene Stellung und damit einhergehende Anhängerschaft, sei es die religiöse Legitimierung des Gründers, der Gruppe und des Vorhabens. Warentausch, Söldnertum und Gastfreundschaftsbeziehungen schufen Verbindungen, die Migration ermöglichten, aber eher die Migration einzelner Personen oder kleinerer Gruppen. Nichts jedoch entfachte eine stärkere gruppenbildende Kraft als der gemeinsam erfahrene Ausschluss von Lebenschancen, der als Unrecht artikuliert wurde. Denn hierdurch konnten Gruppen entstehen, die durch die gemeinsame Erfahrung dazu in der Lage waren, als Einheiten zu agieren, und obendrein eine hinreichende Größe besaßen, um eine apoikía zu gründen.

4.4 ‚Leeres Land‘ Eine Vorstellung von ‚leerem Land‘ findet sich auf die eine oder andere Weise im Kontext der meisten historischen „Kolonisationsbewegungen“,149 wobei es sich streng­ genommen um eine Hyperrealität handelt.150 In nahezu allen Fällen lebten (in historischer Zeit) bereits Menschen dort, wo sich andere neu anzusiedeln begannen, obgleich ein großes Spektrum von Ansässigkeitsformen existierte, die von durch Urbanität gekennzeichneten politischen Einheiten bis hin zu lose organisierten Nomadenverbänden reichen konnten, eine Bandbreite, die so auch in archaischer Zeit im Mittel- und Schwarzmeerraum vorhanden war. Von solchen Unterschieden hingen die Wehrhaftigkeit und auch die Offenheit der bereits Ansässigen gegenüber Neuankömmlingen ab, was die Möglichkeiten der griechischen Neusiedler determinierte. Hierbei wäre nicht nur zu eruieren, wie Griechen die ihnen Fremden wahrnahmen, sondern auch, ob sie in sich selbst eine von ‚den Anderen‘ abgegrenzte Einheit sahen. Diese Fragen waren für die Forschung in den letzten beiden Jahrzehnten bestimmend, wenngleich sie als Problem der Alten Geschichte schon deutlich länger im Raum stehen.151

­passim. Bernstein (2004) passim konnte zeigen, wie ein historischer Konflikt in Form eines Makels auf den oikistḗs übertragen wurde. In der ktísis erfolgte die Reinigung durch ­Apollon. Sie war zugleich ein Prozess, nämlich der der Gründung. 149 Vgl. dazu den epochenübergreifenden Sammelband: Asche/Niggemann (2015). 150 Bernstein (2020b) 34; vorsichtiger Walter (2004b) 68. 151 Vgl. nur Schäfers Aufsatz zum „Problem der griechischen Nationalität“ aus dem Jahr 1955(!), Schaefer (1963) [=gesammelte Schriften]. Die Frage nach dem Verhältnis zu den sogenannten ‚Indigenen‘ ist ungleich älter. Vgl. lediglich Herzberg (1892) 12 – 13 und Gwynn (1918) 107 – 110.

‚Leeres Land‘

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4.4.1 ‚Griechen‘ und ‚Indigene‘ zwischen Ethnizität und Identität In ­diesem Zusammenhang wurde der Begriff der Identität in großer Breite diskutiert, wobei Jonathan Halls Monographien aus den Jahren 1997 und 2002 zum Thema Meilensteine waren, an die zahlreiche Aufsätze und Handbuchbeiträge anschlossen.152 Halls zweiter Schlüsselbegriff ist Ethnizität, die er als sozial konstruierte Identität betrachtet, das heißt, gemeinsame Abstammung wurde postuliert, ging aber nicht tatsächlich mit einer biologisch-verwandtschaftlichen Grundlage einher. Hall macht als wesentliche Unterschiede in der Sichtweise auf ethnische Identität heute und in der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg aus, dass erstens ethnische Gruppen nicht mehr als biologische, sondern als soziale Gruppen angesehen werden; zweitens würden diese Gruppen nicht mehr als statisch, einheitlich samt klar umrissener, undurchlässiger Grenzen betrachtet, sondern eher als dynamisch, verhandelbar und situativ begründet. Drittens sei die Konstruktion einer ethnischen Identität eine Frage des Diskurses. Genetische Merkmale, Religion, Sprache oder gemeinsame kulturelle Ausdrucksgestalten ­seien zwar wichtige Symbole der ethnischen Identität, aber nicht konstitutiv.153 Einen weiteren Meilenstein zur Etablierung der Begriffe in den klassischen Altertumswissenschaften stellt der von Irad Malkin herausgegebene Sammelband aus dem Jahr 2001 dar.154 In der Folge hatten beide Begriffe Konjunktur, allen voran in der klassischen Archäologie, innerhalb der unter den Oberbegriffen Identität und Ethnizität Konzepte entwickelt wurden, die Neuinterpretationen des materiellen Befundes ermöglichten.155 Aber auch Kritik regte sich, zum Teil vehement.156 Das Augenmerk der Kritiker liegt erstens auf der Gefahr, die Aussagekraft archäologischer Zeugnisse zu überschätzen, zweitens in der Mahnung, die eigene Standortgebundenheit zu reflektieren, gerade dann, wenn Konfliktarmut ­zwischen Griechen und sogenannten ‚Indigenen‘ postuliert wird. Auf beides wird zurückzukommen sein. Eine Arbeit, die alle Positionen und Nuancen der Debatte um den Begriff der Identität im Kontext der Migrationsbewegungen in der griechischen Archaik zusammenträgt, könnte eine eigene Monographie füllen. Daher beschränke ich mich im Folgenden darauf, zu den groben Bahnen der Diskussion anhand von vier Schwerpunkten Position zu beziehen, und zwar erstens zur Genese der griechischen Identität als Einheit nach innen und gegenüber anderen, zweitens 152 153

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156

Die Monographien: Hall (1997) und ders. (2002). Weitere Beiträge: ders. (2001); ders. (2004); ders. (2012); ders. (2016). Hall (1997) 2. Malkin (2001a); hierin v. a. die Beiträge von Konstan (2001); Antonaccio (2001) und McInerney (2001). Vgl. nur Morgan (2001); Müller/Prost (2002) Burgers/Crielaard (2007); Croissant (2007); Fourrier (2007); Honigman (2007); Malkin (2007); Müller (2007); Mac Sweeney (2009); Burgers (2012); Burgers/Crielaard (2012); Bérard (2012); Malkin/Müller (2012); Burgers/Crielaard (2016); Couozzo/Pellegrino (2016); Yntema (2016). Früh schon Brather (2000); Bats (2010); jüngst Bernstein (2020b).

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Zu den ‚Siedlern‘

zur Abstammungskomponente von Identität, drittens zur Bedeutung und Genese lokaler Identitäten und viertens zur ‚Hybridität‘ von Identitäten.157 An diese Vorüberlegungen schließen exemplarische 158, quellenbasierte Überlegungen zum Verhältnis von ‚Griechen‘ und ‚Indigenen‘ an. Schon bei Homer und Hesiod werden die Begriffe ἕλληνες und πανέλληνες verwendet.159 Doch ist es zumindest zweifelhaft, inwieweit die bloße Nennung einer Sammel­ bezeichnung auf die Konstruktion einer ethnischen Identität verweist. Bei beiden Autoren bleiben die Begriffe vage. In der Ilias werden die Myrmidonen als ἕλληνες καὶ ἀχαιοί 160 bezeichnet, die unter der Führung des Achilleus gen Troia zogen. Die Bezeichnung ἕλληνες scheint sich also auf eine ethnische Gruppe in Thessalien zu beziehen.161 Die Achaier als größere Einheit sind wiederum durch eine gemeinsame Sprache verbunden, die sie aber auch mit den Troianern zu teilen scheinen. Auch wird an keiner Stelle der Ilias an etwas wie eine gemeinsame ‚Nationalität‘ der Achaier appelliert, damit sie den Kampf gegen Troia aufnehmen.162 Vielmehr werden die Züge eines persönlichen Netzwerkes ­zwischen den Heroen als Motive angeführt.163 Bei Hesiod erscheint die Verwendung des Begriffs deutlich weiter gefasst, wobei πανέλληνες eine geographische Komponente erhält. Eingebettet in ein dichterisches Ausmahlen des kalten Nordwindes, der zur Winterzeit das ganze Land beherrscht und die Menschen, die Tiere sowie die Pflanzen das Frösteln lehrt, schreibt der Dichter, die Sonne ziehe ihre Kreise zu dieser Zeit vor allem bei den Städten der dunkelhäutigen Männer (κυάνεοι ἄνδρες) und komme erst spät zu allen ἕλληνες.164 Damit sind in dem Begriff ἕλληνες jene mit eingeschlossen, die in Askra leben, wo sich in der Konzeption des Lehrgedichts die Heimat Hesiods und seines Bruders Perses befindet, und kann potentiell auf einen geographischen Raum erweitert werden, in dem dieselben klimatischen Bedingungen herrschten. Die genannte Herkunft des Vaters aus dem aiolischen Kyme mag weiter plausibilisieren, dass mit ἕλληνες nicht eine lokal eng gefasste Gruppe angesprochen wird. Deutlicher ist diese Breite des Bezugsrahmens im Frauenkatalog 165 und auch bei Archilochos 166 werden mit ἕλληνες statt einer lokal umgrenzten Einheit Griechen wohl eher als Gesamtheit angesprochen. 157

Diese Einteilung, wenngleich sie der Übersicht dient, ist künstlich, da, wie sich im Folgenden zeigen wird, die Fragen, die mit diesen Hypothesen berührt werden, alle miteinander auf das Engste verbunden sind. 158 Zu Notwendigkeit und Dilemma der Auswahl vgl. Kapitel 4. Zu den ‚Siedlern‘, 255 Anm. 1. 159 Hom. Il. 2,530; 2,684; Hes. erg. 528; Hes. F9 Merkelbach/West. 160 Hom. Il. 2,684. 161 Vgl. Konstan (2001) 31. 162 ders. (2001) 31 – 32. Wohl aber werden mit Ἀχαιοί und Αγεῖοι Menschen angesprochen, die ­später als Griechen identifiziert werden. So Hall (2004) 38. 163 Hom. Il. 1,152 – 160; vgl. hierzu Konstan (2001) 32 – 33. 164 Hes. erg. 516 – 528. 165 Hes. F9 Merkelbach/West. Vermutlich entstammte er nicht der Feder Hesiods und ist ­später zu datieren. 166 Archil. F102 West = F54 Diehl.

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Eine binäre Aufteilung der Welt in Griechen und Barbaren ist erstmals bei ­Herodot greifbar, wobei die Barbaren beinahe gleichberechtigt neben den Griechen stehen, will Herodot doch, dass die „großen und wunderbaren Werke von Hellenen und Barbaren“ nicht in Vergessenheit geraten.167 Es ist kein binäres Denken in Form eines modernen westlichen Kolonialismus, das die eigene Überlegenheit über die anderen postuliert. Βάρβαροι besitzt bei Herodot noch nicht die negative Konnotation, die der Begriff s­ päter erhalten sollte. Die Dichotomie, die bei Herodot eines der gliedernden Prinzipien ist, entstand im Erfahrungshorizont der Perserkriege, in welchem erstmals Griechen geschlossen einem äußeren Feind entgegentraten. Erst ­später formte sich darauf aufbauend eine tatsächliche Überlegenheitsvorstellung. Für die Archaik ist eine ­solche Idee griechischer Superiorität weder belegt, noch ist sie wahrscheinlich, existierten die Griechen doch am Rande reicherer und mächtigerer Kulturen wie den Ägyptern oder den Babyloniern.168 Zugleich ist es fragwürdig, ab wann sich eine griechische Identität herausbildete, das heißt, ab wann die Griechen sich schichtübergreifend als Einheit wahrnahmen. Die Bande ­zwischen Eliten, die durch Gaben und Gastfreundschaft gestiftet und reproduziert wurden, bestanden jenseits der Dichotomie von Griechen und Nichtgriechen, obschon ein Wort bereits existierte, mit dem Griechen als Griechen bezeichnet werden konnten.169 Doch die Existenz solcher Beziehungen, die über die eigenen Identitäts- und Zugehörigkeitsbewusstsein hinausgingen, widerlegen in keiner Weise deren Gültigkeit in der Wahrnehmung, sondern sie belegen, dass über diese Grenzen hinweg enge Verbindungen 170 bestanden. Die Gastfreundschaftsbeziehungen der Elite sind neben anderen Interaktionen wie Handel, die sich sowohl durch zeitgenössische Schriftquellen wie durch archäologische Befunde zumindest plausibilisieren lassen, ein ­Zeichen für grundsätzliche Offenheit jener Identitäten gegenüber weitreichenden, freundschaftlichen Interaktionen mit anderen. Die Gemeinsamkeit der Griechen, wie sie aus den wenigen frühen Schriftquellen hervorscheint, drückte sich in der gemeinsamen Sprache, Heiligtümern und Festen aus.171 Diese Heiligtümer, allen voran Delphi und Olympia, sind als Austauschorte für Griechen früh fassbar, 167

Hdt. praef.: [Ἀπέδειξε], ὡς μήτε τὰ γενόμενα ἐξ ἀνθρώπων τῷ χρόνῳ ἐξίτηλα γένηται, μήτε ἔργα μεγάλα τε καὶ θωμαστά, τὰ μὲν Ἕλλησι, τὰ δὲ βαρβάροισι ἀποδεχθέντα, ἀκλέα γένηται, τά τε ἄλλα καὶ δι’ ἣν αἰτίην ἐπολέμησαν ἀλλήλοισι. 168 Malkin (2004) 345 – 3 46. 169 Vgl. ders. (2004) 349. 170 Möglicherweise ist gar von Mehrfachidentitäten bei den Angehörigen jener Elite auszugehen. 171 Die Rückführung einer gemeinsamen Identität auf die materielle Kultur bereitet einige methodische Schwierigkeiten: Erstens ist es grundsätzlich problematisch, von materiellen Hinterlassenschaften auf Selbstbezeichnungen zu schließen. Zweitens droht ein Zirkelschluss, wenn beispielsweise bei der Einteilung von Keramik in Kategorien wie ‚griechisch‘ und ‚indigen‘ mit dem Befund wiederum auf ‚griechische‘ und ‚indigene‘ Identitäten geschlossen werden soll.

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indes keinesfalls exklusiv. So verweisen zahlreiche Weihegaben von Nichtgriechen auf die Offenheit einer nicht näher bestimmten frühgriechischen Identität.172 Die Gemeinsamkeiten mögen es rechtfertigen, von Griechen zu sprechen, doch muss man sich ebenso bewusst sein, dass die daraus resultierende Zugehörigkeit weder exklusiv noch bündnisstiftend war. Die griechische Identität, wie sie in Herodots Praefatio durchscheint, stellte nicht den Ausgangs-, sondern den Endpunkt einer Entwicklung dar, die mit den Migrationsströmen der archaischen Zeit einherging – oder, wie es Irad Malkin prägnant ausdrückte: „Greek civilization came into being just when Greeks were splitting apart.“ 173 Diese recht allgemeine Verbundenheit der Griechen verfestigte sich im Laufe der archaischen Zeit und bildete eine auf Abstammung beruhende Komponente aus.174 So entwickelten sich stammbaumhafte Erzählungen, bei denen große und weniger große griechische Helden zu Stiftern von Gemeinwesen und mitunter gar zu S­ tammvätern 172

Vgl. allgemein Kilian-Dirlmeier (1985) passim und Vlassopoulos (2014) 39 – 41; Hdt. 1,92,1 – 4 berichtet von zahlreichen Weihegeschenken des Lyderkönigs Kroisos: In Theben habe er einen goldenen Dreifuß dem Apollon Ismenios gestiftet, im Artemision in Ephesos ­seien die goldenen Rinder und die meisten Säulen von ihm wie auch der goldene Schild der Athene Pronaia in Delphi. V. a. aber habe er immense Weihgaben im Tempel des Apollon in Delphi gestiftet (Hdt. 1,50,1 – 51,5), darunter 117 Ziegel aus Gold, je zwei bis zweieinhalb Talente schwer (entsprechend dem Reinheitsgrad der Legierung), eine Löwenfigur, ebenfalls aus massivem Gold, die zehn Talente auf die Waage brachte, zwei große Kratere, einer aus Gold und achteinhalb Talente und zwölf Minen schwer und einer aus Silber, der 600 Amphorae Wein fasste und darüber hinaus als Werk des Theodoros einen besonderen künstlerischen Wert gehabt haben soll, schließlich vier silberne Pithoi, zwei Weihwasserschalen (περιρραντήρια), einmal golden, einmal silbern, sowie ‚Kleinigkeiten‘ wie Gießgeräte (χεύματα) aus Silber und ein drei Ellen hohes Standbild einer Frau sowie Halsketten und Gürtel seiner eigenen Gattin. Die Beschreibung der reichen Gaben dient Herodot als Vorbereitung des für Kroisos verhängnisvollen Spruchs der Pythia und ist bedingt durch die besondere Beziehung der lydischen Könige zum delphischen Orakel. Vgl. nur Hdt. 1,13,1 – 14,3. Allerdings benennt Herodot penibel die Schatzhäuser, in denen sich nun Weihgaben des Kroisos befanden, sodass davon ausgegangen werden kann, dass ihm die Inventarlisten der Schatzhäuser vorlagen. Ferner finden sich in Olympia zahlreiche Weihgaben von Nichtgriechen, größtenteils aus Magna Graecia. Vgl. Kilian-Dirlmeier (1985) passim; Antonaccio (2007b) 227; Skinner (2016) 225. Antonaccio (2007b) 277, schlägt vor, dass die Weihgeschenke nicht-griechischer Eliten vor der Gründung von apoikíai im Westen die Stiftungspraktiken der Westgriechen präfigurierten. Mertens (2006) 14 bewegt sich in seiner Überblicksdarstellung in gewohnten Bahnen: Die überregionalen Heiligtümer Griechenlands ­seien bedeutender als die mētrópoleis geworden: „Delphi als Ort, wo die Aussiedler ihre religiöse Identität festigten, Olympia als Ort der Selbstdarstellung der erfolgreichen Kolonisten vor Augen der ‚Alten Welt‘“ 173 Malkin (2011) 3. 174 Ethnizität wird als möglicher Bestandteil von Identität betrachtet, d. h. derselben untergeordnet.

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wurden. Dieser Prozess hatte zwei gleichberechtigte Bestandteile: Lokale Traditionen um den Ursprung der eigenen Gemeinschaft auf der einen Seite, die großen Epen und die von der Dichtung tradierten Sagen auf der anderen, mit denen lokale Traditionen verbunden wurden.175 Es sind von den lokalen Traditionen, die bis in die klassische Zeit lebendig blieben, wenige Überreste in meist historiographischen oder geographischen Prosatexten, aber auch in Dichtung erhalten geblieben. Die Verbreitung gemeinsamer Bezugsnarrative, allen voran der homerischen Epen, ermöglichte ein Verweben lokaler Tradition mit einer überregionalen.176 Der Identitätsbegriff mag in der Th ­ eorie klar umrissen sein, in der Empirie erweist er sich immer als diffus, da sich bei genauerer Betrachtung individuelle Identitäten in aller Regel aus mehreren Gruppenidentitäten speisen und diese wiederum aus mehreren Großgruppenidentitäten – und umgekehrt – zusammengesetzt waren. Für ­dieses Phänomen wurde in der Forschung der nicht ganz glückliche Begriff 177 Hybridität etabliert. Hybride Identitäten umschreiben Personen oder Gruppen, deren Identität sich aus mehreren Identitäten, beispielsweise Grieche und Sikeler, zusammensetzt. Selbstgestecktes Ziel war es hierbei, etablierten Dichotomien, sogenanntem „binärem Denken“ 178, methodisch etwas entgegenzusetzen. Im Zuge 175

So findet sich bei Hesiod Latinos als ein Sohn des Odysseus und der Kirke, was vielleicht ein Niederschlag einer lokalen Tradition im Epos darstellt: Hes. theog. 1011 – 1016. Vgl. dazu Delp (2013) 20 – 21. 176 Dieses Verweben war nicht auf die Griechen beschränkt. Auch die römische Gründungsgeschichte um Romulus, Remus und Aineas ist letztendlich eine Verbindung mit diesen großen Erzählungen, zwar hauptsächlich durch die Person des Aineas, aber nicht ausschließlich. Die Gründungsgeschichte Roms ist ein Wechselspiel zeitgenössischer Einflüsse, die das Narrativ von der Gründung mitunter zum politischen Kampffeld werden ließen. Letzteres gilt sicher in augusteischer Zeit; für vorangegangene Epochen ist es angesichts zahlreicher Indizien glaubhaft. Vgl. hierzu Delp (2013) passim. Malkin (2011) 19 sieht in der Vernetztheit der Mittelmeerwelt den Rahmen, in dem sich griechische Identität entwickeln konnte: „[…] networks provide a framework in which various types of collective identities in the Greek world could form, coexist and interact.“ 177 Jüngst wurde darauf hingewiesen, dass der aus der Botanik entlehnte Begriff „rassenkundlich“ anmute. Bernstein (2020) 37. Der Terminus besitzt tatsächlich eine ­solche Verwendungsgeschichte, wobei eine entsprechende Verwendung in die jüngere Vergangenheit reicht, sodass die der Rassenlehre entstammende Konnotation durchaus mitgehört werden dürfte. Bei dem, was ausgedrückt werden soll, ist diese sprachliche Nähe kaum zu vermeiden, zumal der Begriff Hybridität dem Postkolonialismus und der Auseinandersetzung mit dezidiert rassistischer Ideologie und deren Nachleben entstammt. Ironischerweise könnte aber auch der Postkolonialismus das Vokabular für eine ‚Wiederentdeckung‘ des Rassismus liefern, beispielsweise wenn durch naturwissenschaftliche Methoden tatsächliche genetische Homogenität einer Gruppe festgestellt und dann diese Tatsache zur Grundlage der Gruppenidentität erhoben würde. 178 Diese Dichotomie ist dem Denken der Griechen, v. a. in späterer Zeit, freilich nicht fremd, wie Malkin (2004) 344 – 345 demonstriert: „Binary thinking is also evident in the writings of Greek philosophers and in aspects of Greek ritual. However, when applied

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dessen wurden Konzepte einer friedlichen Koexistenz von Ansässigen und Zuzüglern in scharfer Abgrenzung zu einer Forschungsrichtung, die die Konflikthaftigkeit der Neuansiedlung hervorgehoben hat, gesehen.179 Der Begriff bietet Chancen auf etwas hinzuweisen, das eigentlich evident, aber nicht immer deutlich ist, nämlich die Fluidität scheinbarer kultureller Grenzen. Wenn hier 180 von Griechen gesprochen wird, ist berücksichtigt, dass die griechische Identität nicht vollends ausgeformt war und kaum alleine, ohne lokale und nicht-griechische Identitäten, bei Individuen und Gruppen existierte.181

4.4.2 Zwischen Kollision und Kohäsion Zur genaueren Bestimmung des Verhältnisses von Siedlern, die als Neuankömmlinge in ein Gebiet mit bereits ansässiger Bevölkerung gelangen, und ‚Indigenen‘ sind wir, zumal zeitgenössische Texte keinen Anhaltspunkt bieten, auf Quellen aus klassischer Zeit und danach verwiesen.182 Innerhalb solcher Gründungsgeschichten existieren Beispiele für die freundliche Aufnahme von griechischen Siedlern durch die bereits Ansässigen. Von Phokaia gekommen,183 hätten sie Massalia im to ethnicity, an ‘oppositional’ Greek-barbarian dichotomy (i. e., a definition of collective ethnicity as a difference from and an opposition to the other) emerged for the most part only after the Greeks had warded off the Persian invasion in the early fifth century BCE. It was the first time, since the mythical Trojan War, that Greeks had fought a common enemy, sharpening their common identity on the whetstone of invasion. Notions of Greek superiority continued to develop until, in the late fourth century, Aristotle summed up the new mentality in the opening chapters of the Politics, where he denigrated the barbarians as naturally inferior to the Greeks.” 179 Vgl. hierzu v. a. ders. (2004) passim. Mitunter waren in der älteren Forschung Verdrängung und Landnahme das Leitmotiv. Besonders deutlich bei Berve (1931) 110 – 111. Standortgebundenheit durch Zeitgenossenschaft war stets ein Problem, zumal in quellenärmeren Epochen, und war der Vorwurf einer neuen Generation von Historikern an ihre Vorgänger. Doch wird im Eifer harscher Kritik nur allzuleicht die eigene Standortgebundenheit vergessen, wie Bernstein (2020b) 36 – 37 mahnt. 180 Das bezieht sich auf das Nachfolgende wie auf das Vorangegangene. 181 Zur besseren sprachlichen Verständlichkeit werden die Termini Griechen und griechisch indes weiterhin verwendet. 182 Zwar fand Odysseus bei den Phaiaken freundliche Aufnahme. Diese bewegte sich indes in den Bahnen der Gastfreundschaft, was impliziert, dass der soziale Ort der Handlung die Welt der Eliten und nicht die einer vielschichtig zusammengesetzten Gruppe von Siedlern ist. Auch der Rekurs Hesiods auf den nach Askra ausgewanderten Vater beinhaltet keine Informationen über die Behandlung, die er nach seiner Ankunft erfahren hat. 183 Massalia als apoikía der Phokaier belegt bei: Hekataios von Milet FG rH 1 F1 = Steph. Byz. s. v. Μασσαλία; Thuk. 1,13,6; Aristot. F549 Rose = Athen. 13,576a–b; Timagenes von Alexandria FGrH 88 F2 = Amm. 15,9,2 – 8; Liv. 5,34,8; Strab. 4,1,4; Mela 2,5,77; Paus. 10,8,6.

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­ invernehmen mit den ‚Indigenen‘ gegründet. Aristoteles überliefert als erster die E ktísis, in welcher der Phokaier Euxenos zu Gast beim einheimischen basileús Nanos ist, der seine Tochter Petta verheiraten wollte. Diese sollte demjenigen Freier, dem sie zugetan war, eine Schale mit Wein überreichen und dieser sollte ihr Bräutigam werden. Sie überreichte die Schale Euxenos, Vater und Bräutigam waren einverstanden und es wurde geheiratet.184 Auch für Kyrene und Barke deutet Herodots Bericht darauf hin, dass sich Griechen und Libyerinnen miteinander vermählten. Die Gründung Kyrenes erfolgte in seiner Version gar mit Hilfe der ansässigen Libyer.185 Diese Beispiele zeichnen ein Bild friedlicher Koexistenz, wenn nicht gar von Kooperation, das aber auch eingebettet ist in ein weitverzweigtes Geflecht von Individuen, Identitäten und Interessen. Ein Modell, mit dem die komplexeren Beziehungen z­ wischen verschiedenen (ethnischen) Identitäten an einem Ort beschrieben werden können, ist das theoretische Konzept des Middle Ground. Der Begriff wurde von dem amerikanischen Historiker Richard White, der sich mit dem Verhältnis von Kolonisten und ‚Indigenen‘ in der frühen Neuzeit befasste, geprägt.186 Irad Malkin wandte ­dieses Konzept dann auf die Migrationsbewegungen der Griechen in archaischer Zeit an. The Middle Ground is a field in which each side plays a role dictated by what it perceives as the other’s perception of it, resulting from the mutual misrepresentation of values and practices. In time this role-playing, the outcome of “creative misunderstandings” – a kind of double mirror reflection – creates a “third” civilization that is neither purely native nor entirely imported by the colonizer.187 Dieses Konzept verspricht in einem Raum ergiebig zu sein, der keinen einheitlichen Herrschaftsbereich darstellt, innerhalb dessen diese Herrschaft vereinheitlichend wirken könnte. Bis zu den Römern sollte es keiner Macht gelingen, das Mittelmeer zu beherrschen. Der machtpolitische Flickenteppich, den der Mittel- und Schwarzmeerraum darstellte, lässt sich als ein dezentrales Netzwerk beschreiben, in dem sich hybride Identitäten herausbildeten und das nicht dort endete, wo griechische Identität begann, wie Malkin feststellt. An dessen Überlegungen anschließend lässt sich aus der hier eingenommenen Perspektive auf Mobilitätsformen ergänzen, dass eine friedliche Koexistenz, wie sie im Rahmen eines Middle Ground entstehen konnte, dann begünstigt wurde, wenn bereits zuvor Kontakte mit ansässigen Gruppen bestanden hatten, die durch Handel oder gar Händler, die bei den bereits Ansässigen lebten, durch Söldner, die sich im Gebiet ihrer ehemaligen Kriegsherren ansiedelten, oder 184

Aristot. F549 Rose = Athen. 13,576a–b. Hdt. 4,158,1 – 3.Vgl. Kapitel 4.3.1 Genderaspekte, 272 – 276; insbesondere Anm. 89. 186 White (1999 [1991]) passim. 187 Malkin (2004) 357. Vgl. auch ders. (1998) 5; 15. Vgl. jüngst auch Schulz (2020) 20 – 24. 185

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durch Gastfreundschaftsbeziehungen, die z­ wischen den sozialen und politischen Eliten bestanden, gestiftet worden waren. Gerade die ktísis Massalias scheint von einer solchen Gastfreundschaft zu künden, mit der die Phokaier möglicherweise Zugang zur ansässigen keltischen Bevölkerung bekamen, zumal es sich bei Gastfreundschaftsbeziehungen um soziale Ressourcen handelte, die für die Etablierung von Ansässigkeit genutzt werden konnten.188 In ­diesem Sinne 189 lässt sich auch die Nachricht bei Strabon verstehen: Der lydische König Gyges (ca. 680 – 6 44) habe den Melesiern gestattet, Abydos zu gründen.190 Oder auch die von Thukydides überlieferten Umstände der auf das Jahr 729 datierten 191 Gründung Megara Hyblaias, das im Namen den generösen sikelischen basileús Hyblon trägt, der den hetaíroi des Lamis, die nach dessen Tod aus Thapsos vertrieben worden waren,192 die Gründung erlaubte. Auch der ägyptische König Amasis überließ als φιλέλλην den griechischen Einwanderern Naukratis.193 188

Vgl. allgemein Kapitel 3.2.3 Gastfreundschaft, 182 – 194. Wie bei jeder ktísis besteht auch bei der Massalias Grund zu Skepsis, nicht nur weil ­zwischen Überlieferung und Ereignis mehr als zweihundert Jahre liegen. (Der Text ist noch dazu als Fragment durch einen Autor überliefert, den knapp eintausend zusätzliche Jahre von den Ereignissen trennen.) So lässt schon der sprechende Name Euxenos, „guter Gastfreund“, ernste Zweifel am Quellenwert dieser Gründungsgeschichte im Besonderen aufkommen. Die unvermittelte Erwählung des Gatten hat zudem etwas Märchenhaftes. Nun stellt sich die Frage, ob sich hinter dieser Geschichte eine historische, zuvor gepflegte freundschaftliche Beziehung verbirgt oder ob es sich um eine spätere, eventuell in legitimierender Absicht entstandene Erfindung handelt. Ersteres vertritt D’Ercole (2012) 65 – 66; 185; auch Hodge (1999) 19. Bernstein (2020b) 15 – 16 wendet sich gegen das Herausgreifen eines einzelnen Elements: „Solche Fragen führen nicht weiter, da sie allenfalls einzelne Erzählbestandteile zu rationalisieren suchen, damit den gesamten Bericht pressen und letztendlich seine Logik verkennen. Der Sieg der Lektüre über den Text wäre mit der Eigenart von sogenannten Gründungsgeschichten erkauft. Die ktísis von Massalia dürfte v. a. eines gewesen sein: ein fundierendes wie zugleich legitimierendes Narrativ. Sie ermächtigt den Euxenos und damit die Landnahme der Phokaier.“ Allerdings stellt sich dabei die Frage, ob nicht die Annahme, dass die Zusiedlung der Phokaier in einen Konflikt mit den ‚Indigenen‘ um Land mündete, von außen an die Geschichte herangetragen wird. Abschließend klären lässt sich ­dieses Problem kaum, da nicht genügend Versionen der ktísis erhalten sind, dass sie mit der Geschichte Massalias je nach Zeitpunkt der Niederschrift abgeglichen werden könnten. Entscheidend ist die Frage, inwiefern tatsächlich die gastfreundschaftlichen Bande ­zwischen Phokaiern und den im Gebiet des späteren Massalias Ansässigen als Einzelelement oder nicht vielmehr als Kern des Narrativs anzusehen sind. 189 So auch D’Ercole (2012) 65. 190 Strab. 13,1,22. 191 Die traditionelle Datierung ergibt sich aus der Chronologie des Thukydides. 192 Thuk. 6,4,1; Strab. 6,2,2 berichtet dagegen der Name gehe auf den exzellenten Honig, der dort hergestellt würde, zurück. 193 Hdt. 2,178,1.

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Seit einiger Zeit wird in der Forschung diskutiert, ob die griechische Identität im Aufeinandertreffen mit Fremden entstand, indem sich Griechen angesichts der Erfahrung von Fremdheit ihrer Gemeinsamkeit bewusst wurden,194 oder ob sie sich im Wechselspiel mit jenen ‚anderen‘ entwickelte, also Ergebnis wechselseitiger Beeinflussung durch Kulturkontakte war. Gerade den Vertretern der ersten Position wird der Vorwurf gemacht, sich nicht von einer alten Vorstellung hellenischer Superiorität über die sogenannten ‚Indigenen‘ lösen zu wollen.195 Schon seit langem ist der Einfluss der Kulturen im Osten 196 auf die frühen Griechen gemeinhin anerkannt, genauso wie die Tatsache, dass sich die Griechen in der Peripherie der dort blühenden Großreiche befanden.197 Dies würden die wenigsten Vertreter der ersten Position bestreiten, eher aber die einer weitreichenden Beeinflussung durch die ‚Indigenen‘ im Westen. Bevor mit der Abhandlung des Für und Widers begonnen wird, ist es angezeigt zu fragen, ob und wenn ja inwieweit beide Positionen im Widerspruch zueinander stehen. Aus der Perspektive der Migrationsforschung scheint dieser Widerspruch auf den ersten Blick künstlich. Bei der wissenschaftlichen Betrachtung der Migrationsbewegungen unserer Zeit ist es mittlerweile nahezu universell akzeptierter Lehrsatz: Migration verändert nicht nur die Migranten, sondern auch die aufnehmende Gesellschaft. Ein Übertrag in die Mittelmeerwelt ist nicht eins zu eins möglich, da sich nicht nur die Migrationen, sondern auch Aufnahme und aufnehmende Gemeinschaften anders gestalteten. So haben wir es weniger mit Integration in bestehende Gesellschaften oder mit territorialer Staatlichkeit zu tun als mit lose organisierten Verbänden, bei denen davon ausgegangen werden darf, dass sie keine flächendeckende Kontrolle über größere Gebiete ausübten, sodass es weit mehr Spielräume für die Anlage neuer Siedlungen gab. War diese Möglichkeit gegeben und eine eigene Siedlung gegründet, gestaltete sich das Feld, auf dem Integration stattfand, sei es der Middle Ground oder ein andersgeartetes, begrenzter als bei modernen Migrationen, wo räumliches Zusammenleben eher die Regel darstellte; allerdings konnten auch hier trotz räumlicher Nähe scharfe Grenzen existieren, die Integration als wechselseitigen Prozess verhinderten. Vor allem aber die Archäologie liefert Beispiele dafür, dass (griechische) Migranten und davor Ansässige nebeneinander lebten.198 Auch finden sich früh Spuren eines materiellen Austausches, ein Indiz 194

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So bereits Glotz (1948) 216; Fine (1983) 92; Hall (1989) 8; Vasilescu (1989) 77; Davison (1991) 63. Kulturkontakte und Übernahmen, gerade aus dem Osten, werden dabei nicht durchweg geleugnet. Vgl. als prominenten Vertreter einer Entstehung des Griechischen durch Kulturkontakt Hall (2016) 51, der eine diese unterschiedlichen Sichtweisen in der Forschung ausmacht. Vgl. allen voran West (1997) und Burkert (2003) und den Sammelband Rollinger/ Schnegg (2014). Malkin (2011) 8. Für Ptihekoussai, Al Mina und viele empória lässt sich ein solches Nebeneinander fassen. Vgl. Kapitel 3.3.3 Empória, 217 – 226; daneben auch für Megara Hyblaia nicht nur im Befund der Schriftquellen: De Angelis (2003) 13 – 14; ferner in L’Amastula nahe Taras.

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für darüber hinausgehenden ­Transfer,199 welches die Tatsache, dass ‚indigene‘ Handwerker diese Erzeugnisse kopierten, bekräftigt.200 Es dürften auch Kulturtechniken und religiöse Bräuche in die andere Richtung gewandert sein, doch ist dies schwer nachzuzeichnen, zumal die schriftliche Überlieferung gerade für den Westen eine im Wesentlichen griechische 201 ist. Wechselseitiger Austausch konnte zwar eine friedliche Beziehung ­zwischen bereits Ansässigen und Neuankömmlingen bedeuten, er musste es aber nicht. Gewalt bis hin zu kriegerischen Auseinandersetzungen stehen nicht im Widerspruch zu Kulturkontakt durch Handel oder auch zeitweiser Kooperation. Die Schriftquellen berichten vielfach vom Ausbruch von Gewalttätigkeiten ­zwischen Neuankömmlingen und Einheimischen. Selbst in Kyrene, wo die Libyer dem Bericht Herodots nach Battos und seinem Gefolge den Weg gewiesen und die ankommenden Theraier wohl auch libysche Frauen geheiratet hatten, scheint es in den Folgejahren zu gewaltsamem Streit ­zwischen Libyern und Kyrenern um Land gekommen zu sein. Herodot berichtet, nachdem die Bevölkerung Kyrenes zur Zeit der Regentschaft Battos I. und der seines Sohnes Arkesilaos I. (insgesamt also 56 Jahre) konstant gewesen sei, hätten die Kyrener unter Battos II . Mitsiedler (συνοικήσοντα) zur Aufteilung (ἀναδασμός) des Landes eingeladen (ἐπικαλεῖν):202 Συλλεχθέντος δὲ ὁμίλου πολλοῦ ἐς τὴν Κυρήνην περιταμνόμενοι γῆν πολλὴν οἱ περίοικοι Λίβυες καὶ ὁ βασιλεὺς αὐτῶν, τῷ οὔνομα ἦν Ἀδικράν, οἷα τῆς τε χώρης στερισκόμενοι καὶ περιυβριζόμενοι ὑπὸ τῶν Κυρηναίων, πέμψαντες ἐς Αἴγυπτον ἔδοσαν σφέας αὐτοὺς Ἀπρίῃ τῷ Αἰγύπτου βασιλέϊ.203 Nun sammelte sich eine große Menschenmenge in Kyrene, und man nahm den benachbarten libyschen Stämmen und ihrem König Adikran einen großen Teil des Landes weg. Da schickten die von den Kyrenaiern beraubten und vergewaltigten Libyer nach Ägypten und stellten sich unter den Schutz des Königs Apries. Dem Hilfegesuch – so die Fortsetzung des Berichts – folgte ein militärisches Eingreifen, das für die Ägypter zum Fiasko wurde und das Ende von Apries’ Herrschaft

Vgl. Burgers/Crielaard (2007) passim; dies. (2012) passim. Vgl. darüber hinaus zu Al Mina Luke (2003). 199 Vgl. Kapitel 3.3 Händler und Handel, 205 – 228; in einem ­kurzen Essay widmet sich Osborne (2007) anhand der im Verlauf des sechsten Jahrhunderts beliebten attischen schwarzfigurigen Keramik dieser Frage. 200 Vgl. dazu grundsätzlich Boardman (2004). 201 Die Fromulierung leht sich an Bernstein (2020b) 39 an, der indes zur Betonung der Eigenart der Texte „Wesentlichen (sic!)“ schreibt. 202 Hdt. 4,159,1 – 3. Es ist möglich, dass Herodot den in Versen verfassten Orakelspruch kannte, ihn daher mit der Geschichte verwob und es eine Beteiligung Delphis nicht gab. 203 Hdt. 4,159,4.

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eingeläutete.204 Die darauffolgende Niederlage der Libyer besiegelte die Landnahme der Kyrener, unterstützt durch Zusiedler, zu Lasten derer, zu denen zuvor ein freundschaftliches Verhältnis bestanden hatte. Es sollten sich neue Allianzen jenseits einer Trennlinie ­zwischen Griechen und Libyern bilden: Die Regentschaft von ­Arkesilaos II. begann holprig und durchaus nicht konfliktarm, sah er sich doch mit seinen Brüdern konfrontiert, die ebenfalls nach der Herrschaft trachteten. Wie es scheint, gelang es ihm, sich in der Stadt zu behaupten, denn seine Brüder verließen Kyrene und gründeten stattdessen Barke. Die in dieser Gegend ansässigen Libyer nahmen die Geflohenen auf und widersetzten sich gemeinsam mit ihnen Kyrene. Arkesilaos  II. zog daraufhin mit einem Heer gegen die abgefallenen Libyer, die zu den lybischen Stämmen im Osten flohen. Die Kyrener, die ihnen gefolgt waren, erlitten dort eine Niederlage, nach der Arkesilaos  II. von einem gedungenen Mörder seines Bruders umgebracht wurde.205 Bewaffnete Auseinandersetzungen mit bereits Ansässigen in der Gründungsphase sind in den Berichten der Autoren – seit klassischer Zeit – keine Ausnahmen. Es sei zunächst an die bei Herodot und Pausanias überlieferte Ermordung der Männer und Vergewaltigung der Frauen bei der Gründung Milets erinnert.206 Für Sizilien sind die Berichte gewaltsamer Verdrängung zahlreich. Schon bei der Gründung von Syrakus ­seien die Sikeler von der Insel (Ortygia) vertrieben (ἐξελαύνειν) worden, wo sie sich zuerst ansiedelten.207 Die Insel – die sie vom Festland trennende Meerenge war zu dieser Zeit noch nicht versandet 208 – fungierte als eine gut zu verteidigende Brückenkopfsiedlung. Die Rückdrängung der Sikeler scheint sich hier auch mit dem archäologischen Befund zu decken, da die Siedlungen Finocchito und Pantalica z­ wischen dem 8. und 7. Jahrhundert deutlich wuchsen und gemeinhin als ‚indigene‘ Siedlungen gelten.209 Zudem existierte in Syrakus eine Klasse aus Unfreien, die Κυλλύριοι,210 deren Name sikelischen Ursprungs ist.211 In einigen literarischen Traditionen werden die Κυλλύριοι mit den 204 Hdt. 4,159,6.

Vgl. dazu Bichler/Feil/Sieberer (2001) 205. Hdt. 4,160,1 – 4. 206 Hdt. 1,146,2 – 3; Paus. 7,2,6. Vgl. aber Kapitel 4.3.1 Genderaspekte, 272 – 276; insbesondere Anm. 92. 207 Thuk. 6,3,2. 208 Thuk. 6,3,2 schreibt von dieser Insel: ἐν ᾗ νῦν οὐκέτι περικλυζομένῃ. 209 Bernstein (2020b) 44; Leighton (2000) 21 – 23. In Finocchito ist in ­diesem Zeitraum eine große Zahl von Kammergräbern zu beobachten, was darauf hindeuten könnte, dass sich hier ein Zentrum entwickelte. In Pantalica, das dagegen bereits eine bedeutende Siedlung war, ist in dieser Zeit ein Anstieg der Gräber zu beobachten. Angenommen, es handelte sich jeweils um einen Bevölkerungsanstieg: Waren es vertriebene Sikeler, die sich hier neu ansiedelten? Die binäre Zuordnung in griechisch und ‚indigen‘ ist freilich wiederum selbst nicht unproblematisch. 210 Auch Κιλλύριοι oder Κυλλήριοι genannt. Vgl. Bernstein (2020b) 44. 211 Das erweisen die etymologischen Überlegungen in Lotze (1959) 58 – 59; 75. Vgl. Bernstein (2020b) 44. 205

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Heloten (Sparta), den Klaroten (Kreta) und den Penesten (Thessalien) in eine Reihe gestellt.212 Es bleibt unklar, wann sich die Unterwerfung ereignete, ob schon zur Gründung oder erst in der Folgezeit.213 Die Indizienkette weist hier auf eine Verdrängung, wenn nicht gar auf Schlimmeres.214 Darüber hinaus habe Thukles, der von Chalkis in Boiotien ausgehend Naxos ein Jahr vor Syrakus (also 735215) gegründet habe, 730 die Sikeler mit Waffen verjagt sowie Leontinoi und Katane gegründet.216 Diese Notizen entstammen Thukydides’ verdichteter Darstellung der Vorgeschichte Siziliens, die er mit dem Verweis abschließt, eine Auflistung aller éthnea, Hellenen wie Barbaren, auf Sizilien gegeben zu haben, die Insel, auf die Athen an ­diesem Punkt seiner Darstellung im Begriff gewesen war, einzufallen. Seine Ausführungen fungieren als Hintergrundinformationen, die es dem Leser ermöglichen sollen, die in seinem Bericht daran anschließenden Ereignisse einzuordnen. Daher nennt er vor allem Details, die Relevanz für die Bündnisstruktur der Insel besaßen, wie etwa die Bande ­zwischen mētrópolis und apoikía, aber auch das Verhältnis zu den Barbaren.217 Thukydides’ Fokus lag auf den Geschehnissen seiner eigenen Zeit, nicht auf der Frühgeschichte. Jüngere 212

Aristot. F586 Rose = Phot. s. v. Καλλικύριοι; Timaios FGrH 566 F8a = Phot. s. v. Καλλικύριοι. Vgl. Bernstein (2020b) 44; für eine ausführlichere Besprechung der Quellen vgl. ders. (2020b) 43 – 45. 213 Bernstein (2020b) 44. Dass in der kritischen Phase der Gründung der apoikía der Zuzug die Kräfte gestärkt und so die Ansässigwerdung leichter gestaltet haben könnte, kann bestenfalls als Indiz gewertet werden. Die Bemerkung bei Hdt. 7,155,2, die Gamoren, die Nachkommen der ersten Großgrundbesitzer, ­seien von den Καλλικύριοι vertrieben worden und der Tyrann Gelon habe jene schließlich wieder nach Syrakus zurückgeführt, deutet auf einen späteren Zeitpunkt hin. 214 Akzeptierend Stein-Hölkeskamp (2015) 105. 215 Im Folgenden werden die Jahreszahlen gemäß der Chronologie des Thukydides umgerechnet. 216 Thuk. 6,3,3. 217 Thuk. 6,6,1: Τοσαῦτα ἔθνη Ἑλλήνων καὶ βαρβάρων Σικελίαν ᾤκει, καὶ ἐπὶ τοσήνδε οὖσαν αὐτὴν οἱ Ἀθηναῖοι στρατεύειν ὥρμηντο, ἐφιέμενοι μὲν τῇ ἀληθεστάτῃ προφάσει τῆς πάσης ἄρξαι, βοηθεῖν δὲ ἅμα εὐπρεπῶς βουλόμενοι τοῖς ἑαυτῶν ξυγγενέσι καὶ τοῖς προσγεγενημένοις ξυμμάχοις. – So viele hellenische und nichthellenische Volksstämme bewohnten Sizilien, und gegen ein Land von diesen Dimensionen planten die Athener einen Feldzug, mit dem sie, wenn man auf das zutiefst wahre Motiv blickt, die Herrschaft über die gesamte Insel gewinnen wollten, der aber zugleich den schönen Schein einer Hilfsaktion für ihre eigenen Stammesverwandten und die ehemaligen Verbündeten haben sollte. Thukydides erklärt auch die anfängliche Weigerung der Melier, sich Athen zu ergeben damit, dass Melos eine apoikía der Lakedaimonier gewesen sei. Thuk. 5,84,2: Οἱ δὲ Μήλιοι Λακεδαιμονίων μέν εἰσιν ἄποικοι, τῶν δ’ Ἀθηναίων οὐκ ἤθελον ὑπακούειν ὥσπερ οἱ ἄλλοι νησιῶται, ἀλλὰ τὸ μὲν πρῶτον οὐδετέρων ὄντες ἡσύχαζον, ἔπειτα ὡς αὐτοὺς ἠνάγκαζον οἱ Ἀθηναῖοι δῃοῦντες τὴν γῆν, ἐς πόλεμον φανερὸν κατέστησαν. – Melos, von Sparta aus besiedelt, war nicht bereit gewesen, sich wie die anderen Inselbewohner Athen unterzuordnen, sondern hatte sich anfangs in Neutralität herausgehalten, war dann aber, als die Athener versuchten, sie zu zwingen, offen in den Kriegszustand eingetreten.

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­ useinandersetzungen könnten in der kollektiven Erinnerung unlängst zu ewigen FehA den geworden sein, als der Geschichtsschreiber den status quo und dessen vermeintlich alte Ursachen niederschrieb.218 Insbesondere die Bündnisrelevanz der Beziehung von mētrópolis und apoikía dürfte eher von Thukydides’ Gegenwart künden als von ererbter Sitte.219 Dennoch ist Gewalt auch für den Schwarzmeerraum bezeugt: Für das um 560 gegründete 220 Herakleia Pontike weiß Strabon im Zuge seiner Ethnographie des Küstengebiets von Byzantion in Richtung Herakleia221 zu berichten, die ersten Siedler hätten bei der Gründung Herakleias die dort ansässigen Μαριανδυνοί helotisiert (εἱλωτεύειν ἀναγκάζειν) und sogar verkauft, nicht aber über die Grenzen ihres Landes hinaus (ὑπερόριος).222 Strabon stützt sich hier auf ältere Quellen; es ist aber nicht nachzuvollziehen, welches Werk dabei als Vorlage diente.223 Archäologisch sind ‚Indigene‘ im südlichen Schwarzmeerraum kaum zu fassen.224 Es ist keinesfalls auszuschließen, dass die Häufigkeit der Erwähnungen solcher Konflikte einem Diskurs geschuldet war, der in klassischer Zeit einsetzte; auf diese Weise wurden womöglich brutale Landnahmen, die sich erst lange nach der Gründung ereignet hatten, auf die Frühzeit rückprojiziert, wodurch das gegenwärtige Handeln gerechtfertigt erscheinen sollte. Allerdings ist die Gewalttätigkeit der frühen Griechen nicht von vornherein abzutun, war diese doch offensichtlich jenen Perzipienten Homers, die Zeitgenossen der Fixierung der Verse waren, wohlvertraut: Brutale Raubzüge, die die Tötung und Versklavung ganzer Siedlungen einschlossen, waren in 218 Auch Woolf

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(2020) 182 – 183 geht davon aus, dass sich in Thukydides’ Bericht vor allem die Erzählungen der Bewohner Siziliens zur Abfassungszeit des Werks niedergeschlagen haben. So wechselte Amphipolis 422 seinen Gründerheros, um sich politisch neu zu justieren: Thuk. 5,11,1. Vgl. Cornell (1983) 1112. Auch waren in archaischer Zeit Strafaktionen kaum denkbar, zumal über größere Entfernungen hinweg. Selbst auf Sizilien konnte die relative Nähe der mētrópolis nicht die Kontrolle über eine apoikía gewährleisten, selbst wenn Vergeltungsmaßnahmen in Aussicht standen und auch durchgeführt wurden. Vgl. nur die kurze Geschichte von Kamarina: 599 von Syrakus gegründet, ­seien die Einwohner schließlich vertrieben worden, weil sie gegen Syrakus kriegerisch aufbegehrt hatten: Thuk. 6,5,3. Philistos FGrH 556 F5 = Dion. Hal. ad Pomp. 5,4, berichtet, die Kamariner hätten sich mit den Sikelern verbündet. Spuren einer Vertreibung sind in Kamarina archäologisch nicht nachweisbar. Hansen/Nielsen (2004) 203. Vgl. jüngst auch Bernstein (2020a) passim; ders. (2020c) passim. Vgl. zur schriftlichen Überlieferung Bernstein (2020b) 46 – 47. Strab. 12,3,2 – 5. Strab. 12,3,4. Vgl. mit einer Vermutung Bernstein (2020b) 47. Strabon nennt Milet als mētrópolis, wobei es sich augenscheinlich um eine Verwechslung handelt. ebd. Anderenorts wird einhellig berichtet, dass die Gründung von Megara ausging: v. a. Xen. an. 6,2,1; Ephoros von Kyme FGrH 70 F44a = Schol. Apoll. Rhod. 2,845; F44b = Schol. Apoll. Rhod. 2,351; Apoll. Rhod. 2,746 – 749; Arr. per. p. E. 13,4; Diod. 14,31,3. Tsetskhladze (1998a) 47.

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einem Maße in der lebensweltlichen Realität verankert, dass sich Odysseus freimütig zu solchem Tun bekennen konnte.225 Auch Fragmente archaischer Dichtung verweisen auf ein zum Teil konflikthaftes Verhältnis von Migranten und ‚Indigenen‘.226 Der strategische Unterschied ­zwischen Beutezügen und gewaltsamer Ansiedlung bestand darin, dass bei ersteren lediglich die Kampfkraft für einen einzigen schnellen Angriff vorhanden sein musste, da ein zügiger Rückzug vor der Rache etwaiger Verbündeter schützte. Andere dauerhaft zu verdrängen setzte hingegen Überlegenheit voraus, die Griechen nicht unbedingt besaßen.227 Mitunter finden sich auch Berichte von griechischen Siedlern, die nach kurzer Zeit von der ansässigen Bevölkerung wieder vertrieben wurden.228 Gerade für Gebiete, in denen es politisch und vor allem militärisch organisierte Gemeinwesen gab, wird besonders häufig über Einladungen oder die Erlaubnis zum Ansiedeln berichtet, so neben den bereits genannten Fällen zum Beispiel für Naukratis 229 oder auch für Tartessos, wo die Phokaier Freundschaft mit König Arganthonios geschlossen hätten, der sie daraufhin eingeladen habe, sich anzusiedeln, wobei die Phokaier das großzügige Angebot letztendlich ausgeschlagen hätten.230 Eine Strategie konnte es ferner sein, sich auf leicht verteidigbarem Terrain niederzulassen, wie es am Beispiel von Syrakus ersichtlich ist. Wenngleich die Lage der Gründung nicht als Beweis für ein besonders konflikthaftes Verhältnis z­ wischen Ansiedlern und Ansässigen gewertet werden darf, war es doch grundsätzlich überlebenswichtig für eine jede Siedlung, an einem Ort errichtet zu werden, der sich auch halten ließ – schon damit Überfälle abgewehrt werden konnten.231 Ein binärer Gegensatz ­zwischen griechischen Siedlern auf der einen und ‚Indigenen‘ auf der anderen Seite kann indes selbst mit der Geschichte des Thukydides nicht konstruiert werden. Die Überlassung des Siedlungsplatzes des Hyblon ist keine Kuriosität in einem ansonsten eindeutigen Bild der Verdrängung und des allgegenwärtigen Kampfes. Die Allianzen konnten wechseln wie im Fall der Kamariner, die gemeinsam mit einigen Sikelern gegen Syrakus kämpften, knapp 50 Jahre 232 nachdem 225 226

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Vgl. Kapitel 3.2.3 Gastfreundschaft, 182 – 194 und 3.2.4 Hetaíros-Gruppen als Seeräuber, 194 – 202. Neben dem in Kapitel 3.4.2 Archilochos von Paros – ein weiterer Ausgangspunkt, 235 – 241. Besprochenen deutet sich bei Mimnermos F7 West = Strab. 13,1,48; F10 West = Strab. 14,1,3 Migra­tion durch eine Gruppe bewaffneter Männer an. Vgl. dazu Mauersberg (2019) 38 – 39. Vgl. beispielsweise Snodgrass (2005) 49 – 50. Dies widerfuhr beispielsweise Dorieus aus Libyen, wenngleich die Geschichte eingebettet ist in die Erzählung von seiner ihn ins Verderben führenden Ignoranz gegenüber dem delphischen Orakel: Hdt. 5,42,3. Hdt. 2,178,1 – 3. Vgl. grundlegend Möller (2001) passim. Hdt. 1,163,2 – 3. Archäologisch erschlossen sind Verteidigungsmauern auch für Siris und Leontinoi. Vgl. Stein-Hölkeskamp (2015) 106. Der Konflikt lässt sich vermutlich mit Schol. Pind. Ol. 5,16 in etwa auf die Jahre 552 – 549 datieren. Vgl. auch Anm. 217.

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Kamarina von Syrakus ausgehend 599 gegründet worden war.233 Die gemeinsame Lage scheint hier schwerer gewogen zu haben als eine sich auf Abstammung stützende Identität. Es galt, sich dauerhaft zu behaupten, was in aller Regel Kooperation mit bereits Ansässigen eingeschlossen haben dürfte. Im Umkehrschluss waren Griechen einander nicht natürliche Verbündete, sondern mitunter erbitterte Gegner. In Zankle ­seien die ursprünglich aus Kyme, Chalkis und dem übrigen Eoiboia stammenden Siedler von Samiern und Ioniern vertrieben worden.234 Jene hätte wiederum Anaxilas, der Tyrann von Rhegion, verjagt.235 Griechen waren Griechen zudem nicht immer als Mitsiedler willkommen, was sich auch an einer der ersten überlieferten Verwendungen der Eigenbezeichnung Hellenen zeigt: Πανελλήνων ὀϊζὺς ἐς Θάσον συνέδραμεν.236 Der Dichter und Sohn des oikistḗs hat hier offenkundig kein allzu positives Bild von seinen Mitsiedlern. Für Byzantion berichtet Aristoteles folgendes: Καὶ Βυζαντίοις οἱ ἔποικοι ἐπιβουλεύοντες φωραθέντες ἐξέπεσον διὰ μάχης·237 Es ist nicht ganz eindeutig, auf welches Ereignis sich der Philosoph hier bezieht. Hans-Joachim Gehrke äußerte die Vermutung, dass es sich um eine stásis in archaischer Zeit handle.238 Wenn dem so ist, ist die Bemerkung ein weiteres Indiz dafür, wie konfliktträchtig das Immigrie­ ren in eine bestehende Gemeinschaft sein konnte. Insgesamt zeichnet sich ein durchwachsenes Bild, innerhalb dessen Wege friedlicher Koexistenz, ja sogar Kooperation, aber auch Gewalt, Unterdrückung und Verdrängung existieren. Die Trennlinien, anhand derer Konflikte ausgemacht werden, sind dort, wo sie existieren, unscharf und wechselhaft. Das Wir beruhte zumeist weniger auf einer gemeinsamen Sprache und Kultur, als es in den unterschied­ lichen Rollen als Ansässige und Ankömmlinge begründet war. Diese verschiedenen Rollen implizieren eine andere Positionierung in einem Machtfeld und anders gelagerte Interessen. Diese wogen schwerer als ethnische Identitäten,239 die lediglich als Einzelfaktoren wirkten. Identitäten waren (und sind) soziale Konstrukte, die in hohem Maße wandelbar sein konnten. Die bloße Existenz von Gewalt an einem Ort schloss keineswegs friedliches Zusammenleben an einem anderen aus. Wenn sich Grundlagen für Koexistenz fanden, wie vorangegangene Gastfreundschafts- oder auch nur Handelsbeziehungen 240, die Vertrauen stifteten, war ein 233 234 235 236 237 238

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Thuk. 6,5,3 überliefert nur den Kampf ­zwischen Kamarina und Syrakus. Philistos FGrH 556 F5 = Dion. Hal. ad Pomp. 5,4 berichtet von dem Bündnis mit den Sikelern. Thuk. 6,4,5. Thuk. 6,4,6. Archil. F102 West = F54 Diehl: Das Elend aus ganz Hellas hatte sich in Thasos versammelt. (Eigene Übersetzung) Aristot. pol. 5,3,1303 a33 – 34: Auch in Byzantion wurden die Mitsiedler, nachdem entdeckt worden war, dass sie Ränke schmiedeten, mit Waffengewalt vertrieben. (Eigene Übersetzung) Gehrke (1985) 261. Es ließe sich wiederum sagen, diese unterschiedlichen Positionierungen sind selbst identitätsstiftend. V. a. bei späteren Gründungen.

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friedliches Nebeneinander möglich. Dieses blieb stabil, wenn diese Ressourcen weiterhin vorhanden waren oder sich durch Integration mehrten; doch konnte friedliche Koexistenz auch in Gewalt umschlagen. Ansässige und Ankömmlinge befanden sich also nicht per se in einem Gegensatz, wenn es die Ressourcen gab, die eine gemeinsame Existenz ermöglichten. Selbstredend gehörte verfügbares Land dazu, aber das allein genügte bei weitem nicht. Mit anderen Worten benötigten die Akteure vor Ort soziale Ressourcen, um gemeinsame Ansässigkeit zu etablieren und aufrechtzuerhalten.

4.5 Zusiedler: époikoi und ápoikoi Bereits in den theoretischen Vorüberlegungen in Teil 1 war zu sehen, dass Migrationen nicht immer Teil kollektiver Erinnerung werden, ja mitunter einem kollektiven Vergessen anheimzufallen scheinen. Eingang in die Memoria von Gemeinschaften finden sie dagegen vor allem dann, wenn sie in identitätsstiftende Narrative, etwa die Erzählung vom Ursprung einer Gemeinschaft, eingebettet sind. So fügt es sich in diese theoretische Grundannahme, dass wir zwar aus s­ päter fixierten Texten etwas über die Umstände diverser Gründungen, wenig aber über nachfolgende Migrationen oder gar allmähliche Zuwanderung erfahren. Allerdings kann ein weiteres Element begünstigen, dass Migration, die nach der Gründung erfolgt ist, erinnert wird, nämlich dann, wenn diese Migration selbst oder ein mit ihr verbundenes Ereignis von der Gemeinschaft als einschneidend wahrgenommen wurde. Ein solcher Fall findet sich erneut in der reichen Tradition Kyrenes.

4.5.1 Fallbeispiel: Kyrene nach der Gründung Die ältere Geschichte Kyrenes behandelt Herodot, anders als die ihr in seinem Werk vorausgehende Gründungsgeschichte, nicht als Gegenüberstellung verschiedener, mündlich tradierter Versionen, sondern als kohärente Darstellung. Wegen seiner guten Orientierung hinsichtlich der Herrscherabfolge lässt sich annehmen, dass Herodot sich hierbei neben mündlicher Überlieferung auch auf Schriftquellen, etwa genealogische Aufzeichnungen, stützte;241 daneben kommen auch schriftlich fixierte 241 Wie Grote

(2016) 24 – 25 überzeugend feststellt, scheint nicht Pind. P. 4 Herodots Vorlage gewesen zu sein. Vielmehr dürften sich beide auf eine schriftlich fixierte Genealogie gestützt haben, wofür bereits Jacoby (1913) 435; Hornblower (1994) 11; Giangiulio (2001) 124 – 125; Asheri/Lloyd/Corcella (2007) 567; 669 eingetreten sind. Dagegen freilich Fehling (1971) 124 – 125. Dessen Position wiederum wurde vielfach scharf kritisiert. Vgl. daher stellvertretend für viele weitere die ausführliche Rezension von Cobet (1974) und die Monographie von Pritchett (1993).

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­ rakeltexte als Vorlagen in Betracht.242 Die Abwesenheit mythisch-topischer CharakO teristika, wie sie für ktíseis nicht selten sind, vermag es, das Vertrauen in den Quellenwert von ­Herodots Ausführungen weiter zu erhärten.243 Siedler erscheinen in der Brechung der ktíseis zumeist als größere, wenn auch nicht allzu große Gruppen. In der Gründungsgeschichte Kyrenes werden zwei Pentekonteren, mit denen die ersten Siedler aus Thera unter der Führung des Battos in Libyen angelandet s­ eien, genannt, woraus sich eine etwa einhundertköpfige Gruppe ergibt.244 Eingedenk dessen, dass Kyrene zu einer der wichtigsten und größten griechischen Poleis heranwachsen sollte, erscheint es kaum glaubhaft, dass es sich bei dieser großen Bevölkerung, die die Stadt bald aufwies, nicht nur um ideelle, sondern um tatsächliche Nachfahren jenes Häufleins handelte, das sich um Battos geschart hatte. Setzen wir für ein Gedankenexperiment die Wahrhaftigkeit der Angabe Herodots von 100 Siedlern in Kyrene voraus, konnte das Bevölkerungswachstum, das nötig war, damit sich die Stadt zum Nabel Libyens aufzuschwingen konnte, auf zwei unterschiedliche Weisen zustande kommen: entweder durch zusätzliche Immigration aus der Ferne, den Weiten der griechischen Welt, oder durch stetiges Einsickern bereits ansässiger Libyer. Vieles spricht dafür, dass es beides gab, wenn auch nicht zeitgleich und in derselben Form. Wie bereits oben ausgeführt, deuten die Schriftquellen darauf hin, dass die Siedler aus Thera sich mit libyschen Frauen verheirateten.245 Demnach bestand ein Feld der Macht, in das zunächst Kyrene als politische Einheit sowie andere politische Einheiten der Libyer integriert waren, bis Kyrene die Verhältnisse verschob, indem es in ganz Hellas dazu aufrief, sich in Kyrene anzusiedeln, mit dem Ziel,246 die eigene Polis auf das Umland auszudehnen:247 Battos II. ließ, so berichtet es Herodot, bei allen Griechen verbreiten, dass Mitsiedler (συνοικήσοντα) zur Aufteilung (ἀναδασμός) des Landes eingeladen (ἐπικαλεῖν) ­seien. Dabei bezog er sich auf Land, das zuvor den Libyern gehört hatte. Eine große Anzahl der Zusiedler könnte von der Peloponnes und Kreta gekommen sein.248 Über einen vorangegangenen 242

Giangiulio (2001) 126 – 127; ihm folgend Grote (2016) 25. ebd. 244 Hdt. 4,156,2. 245 Vgl. Kapitel 4.4 ‚Leeres Land‘, 286 – 302. 246 Das ist zu vermuten, da es sich hier um eine politische Entscheidung handelt, die nicht ins Blaue hinein getroffen wurde. 247 Hdt. 4,159,4. 248 Mit Hdt. 4,161,3: Unter der Herrschaft Battos III . teilte der unter Anrufung des Orakels von Delphi herbeigerufene Nomothet Demonax die Bürger Kyrenes in drei Phylen ein, von denen der erste aus Theraiern und umwohnender Landbevölkerung, der zweite aus Kretern und Peloponnesiern und der dritte aus allen Inselbewohnern bestand. Vgl. schon Meyer (1897) 148; Hölkeskamp (1999) 167. Die Bande in die Peloponnes und nach Kreta sind durch ktísis Kyrenes vorgezeichnet oder wohl eher rückprojiziert. Battos’ Vater entstammte einem Geschlecht von aus Sparta vertriebenen Minyern und heiratete eine Frau, die wiederum aus Kreta hatte fliehen müssen (Hdt. 4,150,2 – 3; 4,154,1 – 4). 243

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Streit, den diese Strategie Kyrenes ausgelöst hatte, ist nichts bekannt. Es lässt sich nur darüber spekulieren, was die Grundlagen gemeinsamer Ansässigkeit erodiert haben könnte. Kyrene war es möglicherweise nützlich erschienen, auf ein Netz wechselseitiger Beziehungen, das sich über den Mittelmeerraum und die griechische Welt mit ihren gemeinsamen Heiligtümern erstreckte, zurückzugreifen. Die Welt war um das Jahr des Herrschaftsantritts Battos  II., 584, 56 Jahre nach der Gründung Kyrenes, erneut kleiner geworden,249 da sich Verbindungen insbesondere durch verschiedene Formen der Mobilität intensiviert hatten. Wenngleich sich Herodot über die Motive der Kyrener, Siedler aus Hellas herbeizurufen, ausschweigt, wird man nicht fehlgehen, ein Ergebnis des Bevölkerungszuwachses als Beweggrund anzunehmen, nämlich die Verbesserung der Position Kyrenes im lokalen Machtfeld und mittelbar auch die Ausweitung der Herrschaft der Battiaden. Eine konstruierte, gemeinsame Identität mit den Herbeigerufenen dürfte hier hilfreich gewesen sein. Vielleicht fanden in dieser Zeit die Nachfrage bei den Kretern nach dem Gründungsort und die Geschichte um die Abstammung des Battos von einer kretischen ‚Prinzessin‘250 Eingang in die ktísis, um kretische Zusiedler zu integrieren.251 So stabil jene Bande während des Ausgreifens Kyrenes in das Land der Libyer und wohl auch noch während des darauffolgenden Krieges gegen Apries 252 gewesen sein dürften, war in der Folge eine Neuordnung der Verhältnisse unumgänglich geworden: Die Bevölkerung Kyrenes war binnen kurzer Zeit massiv angewachsen und der Kampf Arkesilaos’ II. gegen seine Brüder, von dem Herodot in knappen Worten berichtet,253 dürfte sich zu einer stásis ausgeweitet haben, die die gesamte Polis erfasste. Hierfür sprechen die Gründung Barkes und das Hineinziehen der umwohnenden Libyer in den Konflikt. Diese Wirren, die in eine schwere Niederlage gegen die Libyer und wechselseitige Mordkomplotte innerhalb der Königsfamilie mündeten, machten Maßnahmen nötig, die einer Neugründung gleichkamen.254 Demonax, der ­Tradition nach Die Theraier wandten sich auf ihrer Suche nach Libyen zuerst an die Kreter, wo ihnen ein Purpurfischer namens Korobios den Weg wies (Hdt. 4,151,1 – 152,1). 249 Vgl. Malkin (2011) passim u. insbesondere 16; 21 zu „small world properties“ und der ­Theorie, dass durch fortschreitende Vernetzung die Welt in der Erfahrung kleiner wird, zumal Informationen sich schneller verbreiten. 250 Der Begriff wurde aufgrund der Märchenhaftigkeit der Erzählung in suggestiver Absicht gewählt. 251 Vgl. die Quellenstellen und Ausführungen in Anm. 248. 252 Hdt. 4,159,4 – 6. 253 Hdt. 4,160,1 – 4. 254 Es finden sich erstaunliche Parallelen zur Gründungsgeschichte Kyrenes. Battos III . wird, wie der oikistḗs Battos, als mit einem Makel behaftet dargestellt. Doch ist es nicht die Zunge, die lahmt, sondern das Bein: Er wird als χωλός τε ἐὼν καὶ οὐκ ἀρτίπους beschrieben. Es folgt die Befragung des Orakels von Delphi, auf w ­ elche Weise das Zusammenleben am besten sei. Vgl. Hdt. 4,161,1. Vgl. ferner zur sich aus der rapide angewachsenen Bevölkerung in Kyrene ergebenden politischen Problematik die zutreffende Analyse bei

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auf Anweisung der Pythia aus Mantineia als καταρτιστήρ geholt,255 teilte die Bevölkerung Kyrenes in drei Phylen ein, setzte den Besitz Battos III. und dessen priesterliche Einkünfte neu fest und verteilte einen großen Teil des ehemals königlichen Vermögens an den dḗmos. Der die einzelnen Reformen betreffende Bericht Herodots ist äußerst knapp,256 birgt daher Unsicherheiten und wirft viele Fragen auf. Die Einteilung in Phylen verweist auf eine rechtliche Gleichstellung dieser Gruppen, von denen die erste aus Theraiern und períoikoi bestand, die zweite aus Peloponnesiern und Kretern und die dritte aus allen Inselbewohnern. Es herrscht Uneinigkeit darüber, ­welche Gruppe mit περίοικοι angesprochen wird.257 Einerseits wird angenommen, es ­seien Griechen gewesen, die ebenfalls aus Thera stammten, aber möglicherweise erst nach der Gründung allmählich eintrafen.258 Andererseits wird argumentiert, die períoikoi, gingen auf in der Gründungsphase assimilierte Libyer zurück.259 Variante zwei erscheint insofern – wenn auch nur geringfügig – plausibler, als sich bei Herodot die Hinweise auf Mischehen mit Libyerinnen verdichten und so durch Heirat perpetuierten Beziehungen zu einer (im wahrsten Sinne des Wortes) philhellenischen libyschen Umwohnerschaft führten. Noch umstrittener ist, ob die períoikoi im Vergleich zu anderen Bürgern Kyrenes benachteiligt waren oder gar eingeschränkte Rechte genossen. Es wäre dann beispielsweise fraglich, wie beide Gruppen voneinander abgegrenzt waren,260 gerade dann, wenn es sich bei Kyrene zu anfangs um eine vergleichsweise kleine Gemeinde handelte, die bald massiv um weitere Siedler werben sollte. Auch unter ­diesem Gesichtspunkt scheint eine wie auch immer geartete Abgrenzung zu libyschen Umwohnern plausibler als zu Nachzüglern aus Thera.261 Grote (2016) 25 – 30, der indes einem traditionellen Bild der Gründung Kyrenes, das sich in den Bahnen einer Kolonisation bewegt, verpflichtet ist. 255 Hdt. 4,161,2; Diod. 8,30,2. 256 Hdt. 4,161,3. 257 So der Hinweis bei Walter (1993) 147 – 148 und Hölkeskamp (1999) 167. 258 So ebd. Vgl. auch schon Chamoux (1953) 221 – 223; vorsichtiger Jähne (1988) 159. 259 So Meyer (1897) 148; Schaefer (1963) 249. Vgl. auch Walter (1993) 146 und Hölkeskamp (1999) 167. Jeffery (1961) 146 schlägt vor, die περίοικοι auf Thera zu verorten. Vgl. dazu Anm. 261. Ryan (2001) passim sieht dagegen, eine dritte Position vertretend, mit Verweis auf die Tempelchroniken von Lindos II 2,B,17 eine Beteiligung der Lindier an der Gründung. 260 Vgl. hierzu die Diskussion bei Jeffery (1961) 142 – 144, wenngleich der Lösungsvorschlag nicht so recht überzeugen will. Vgl. Anm. 261. 261 Herodot stellt fest, die Bevölkerung Kyrenes sei während der Regentschaft Battos I. und Arkesilaos I. konstant geblieben. Hdt. 4,159,1. Die Bevölkerungszahl Kyrenes habe sich also in den ersten Jahren nicht verändert. Vgl. hierzu Ryan (2001) 79. Während Walter (1993) 145 – 146 die Homogenität der ersten Siedler betont, spricht Jähne (1988) 159 anlehnend an Chamoux (1953) 221 – 223 von archäologischen Belegen für theraische Nachzügler. Die Grundlage für s­ olche Schlussfolgerungen ist jedoch nicht allzu breit, da insgesamt wenig von der frühen Siedlung erhalten ist. Vgl. hierzu Austin (2008) 198. Jeffery (1961) 143 geht davon aus, dass sich um preíoikoi der Polis Thera handelt, die

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Wenn es sich nun um Libyer handelte, wurden sie nach dem die Polis erschütternden Konflikt reintegriert, genauso wie die Zusiedler aus Kreta und der Peloponnes sowie die Griechen, die von den anderen Inseln kamen.262 Binnen eines außerordentlich ­kurzen Zeitraumes war eine große Anzahl an weiteren Siedlern zugeströmt, was die politischen Verhältnisse unversehens komplexer gemacht hatte.263 Die Phylen künden von Identitäten, die nach der Herkunft als Kreter, Peloponnesier und übrige Griechen, die in kleineren Gruppen von allen Inseln kamen, artikuliert wurden. Es ist davon auszugehen, dass ­solche Identitäten in dem Konflikt an Bedeutung gewannen; waren die Gruppen geeint durch ihre Lage, bot sich für sie ihre gemeinsame Herkunft als verbindendes Symbol an. Denn erstens bestand Gemeinsamkeit nicht nur in geographischer Hinsicht, sondern auch in den sozialen Beziehungen, die Immigranten beispielsweise aus Kreta untereinander schon vor der Abreise unterhielten. Zweitens existierten augenscheinlich enge Verbindungen Kyrenes zu Kreta und der Peloponnes, was nahelegt, dass von dort besonders viele Zusiedler nach Kyrene kamen. Die Gruppe von den Inseln stammender Griechen war vermutlich kleiner und heterogener, wenngleich die lindischen Chroniken darauf verweisen könnten, dass eine größere Anzahl Lindier aus Rhodos dem Aufruf gefolgt war.264 Es bestand ein Gegensatz, dessen Grundlage die gemeinsame Situation als Zuzügler war; die Herkunft war indes ein starkes Bindeglied.265 Es wurde daher argumentiert, der Lösungsansatz des Demonax wäre so, wie ihn Herodot schildert, kontraproduktiv gewesen, da er die bestehenden Konfliktlinien lediglich verdauert hätte.266 Ausgehend von der Beobachtung, dass Herodot zunächst das Adjektiv τρίφυλος verwendet, dann aber bei der Zusammensetzung von μοῖρα spricht,267 wurde die Vermutung geäußert, Demonax habe die drei Phylen binnendifferenziert, also sie sowohl aus Theraiern und períoikoi, Kretern und P ­ eloponnesiern zur Gründung Kyrenes mitreisten. Indes findet sich auch hierfür kein Anhaltspunkt bei Herodot. Der durch SEG 9,3 = 53,1836 überlieferte sogenannte ‚Eid der Siedler‘ berichtet von einem Recht der Theraier, in die neugegründete apoikía nachzuziehen. Doch sind Zweifel angebracht: Die Inschrift, die um 370 zu datieren ist, gibt den ὅρκιον τῶν οἰκιστήρων als Zitat einer aus der Gründungszeit Kyrenes stammenden Inschrift aus. Der Überlieferungskontext ist aber verdächtig, denn das Dekret garantierte Theraiern ­gleiche Bürgerrechte wie den Bürgern. 262 Die Zusammensetzung der letzten Phyle ist außerordentlich vage und mutet wie eine Residualkategorie an. 263 Ähnlich argumentierte jüngst auch Grote (2016) insbesondere 27 – 29, der zudem ausgehend von den wenigen Informationen bei Herodot weitergehende Überlegungen zur Sozialstruktur Kyrenes während dieser Phase anstellte. 264 So mit den Tempelchroniken von Lindos II 2,B,17: Chamoux (1953) 124 – 125; Jeffery (1961) 142; Graham (1982) 137; Hölkeskamp (1999) 168. Dagegen Ryan (2001) passim. 265 Der Gegensatz wurde vielfach festgestellt: Vgl. nur Chamoux (1953) 139 – 141; Jähne (1988) 158; Walter (1993) 144 – 146; Hölkeskamp (1999) 169. 266 ebd. 267 Hdt. 4,161,3.

Zusiedler: époikoi und ápoikoi

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sowie den übrigen Inselbewohnern zusammengesetzt.268 Zu fragen ist dabei, ob nicht die Überführung des Gegensatzes von einem gewaltsam geführten Konflikt in einen institutionellen Rahmen nicht schon für sich genommen ein großer Schritt in Richtung der Befriedung der Verhältnisse war und zweitens, ob sich eine ­solche Einteilung in Kyrene durchsetzen ließ. Es darf auch nicht vergessen werden, dass die stásis auch ein Zwist innerhalb des Herrscherhauses war. Die Maßnahmen des Demonax zielten nicht nur auf die Einteilung in Phylen und die damit einhergehende rechtliche Gleichstellung ab, sondern er legte auch die priesterlichen Einkünfte und das Land der Battiaden dauerhaft neu fest.269 Vermutlich ging mit dieser Beschränkung des Besitzes weder die politische Entmachtung der Battiaden noch eine Reduktion ihrer Rolle auf eine rein sakrale einher.270 Das übrige Vermögen – und dies dürfte der größere Teil gewesen sein – ging an den dḗmos über: Τὰ ἄλλα πάντα τὰ πρότερον εἶχον οἱ βασιλέες ἐς μέσον τῷ δήμῳ ἔθηκε.271 Die Formulierung lässt viel Spielraum für Interpretationen, denn es bleibt unklar, ob der ehemals königliche Besitz nun an den dḗmos als Gemeinschaft oder gar an einzelne Bürger mit dem Ziel verteilt wurde, Gleichheit herzustellen. Was genau sich hinter dem Wortlaut verbirgt, ist nicht rekonstruierbar. Im Kontext der Befriedung einer stásis könnte es sich um Spuren einer Maßnahme zur Wiederherstellung des Zugangs zu Lebenschancen handeln und dies nicht nur formal mit der rechtlichen Gleichstellung, sondern auch durch den Zugang zum ehemaligen Besitz der Battiaden. Sicherlich gehörten weit mehr Gebiete als jene τεμένεα, die den Battiaden durch Demonax zugesprochen wurden, zu d ­ iesem Besitz, Land, das möglicherweise verteilt wurde.272 Diese wichtige Maßnahme ist im herodoteischen Bericht sehr gedrängt überliefert und fungiert als Überleitung zum nächsten inneren Konflikt Kyrenes. Festzuhalten bleibt, dass es im Zuge der beschleunigten Zuwanderung dort zu Umwälzungen kam, die durch einen Schiedsrichter bereinigt werden mussten. Die Grundlage für dauerhafte Ansässigkeit musste aufs Neue geschaffen werden. Während ­dieses Prozesses aus Einzelmaßnahmen entstand eine neue Ordnung und diese war ein erster Schritt zur weiteren Institutionalisierung.273 268

Jeffery (1961) 143; Fine (1983) 88. Dagegen Jones (1987) 216 – 218. Diese Umverteilung wurde auch als Beschneidung der Königsherrschaft dargestellt. 270 Vgl. dazu die Ausführungen bei Hölkeskamp (1999) 170 – 171. Grote (2016) 36 – 38 wandte sich jüngst gegen die These Hölkeskamps von der Untauglichkeit der Phyleneinteilung zur Konfliktlösung, indem er darauf verwies, dass die Quellen keine näheren Informationen über die Konfliktparteien lieferten und eine Übertragung der Verhältnisse in Athen, einem seit langem bestehenden Gemeinwesen auf das noch junge Kyrene unzulässig sei. Die gegnerischen Gruppen hätten kaum die Zeit gehabt sich zu verfestigen, so Grote weiter. 271 Hdt. 4,161,3: Er teilte alles andere, was die Könige zuvor besessen hatten, dem dḗmos zu. (Eigene Übersetzung) 272 Hölkeskamp (1999) 171 stellt den Bezug zu ähnlichen Formulierungen bei Hdt. 3,142,3; 3,80,2 her und sieht den Satz als vom vorherigen „losgelöst“ und „abgehoben“ an. 273 Hölkeskamp (1999) 172. 269

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Zu den ‚Siedlern‘

4.5.2 Die Spezifität der Immigrationskonstellationen Kyrene war sicherlich auch diesmal ein Sonderfall: Der rapide Zuzug nach einer breit gestreuten Aufforderung binnen sehr kurzer Zeit, der äußere Druck, der auf der Stadt durch die begonnenen Kriege lastete, und nicht zu vergessen der Herrschaftsstreit innerhalb des Geschlechts der Battiaden waren spezifische Entwicklungen. Dies dürfte aber nicht für das Phänomen eines allmählichen Zuzuges Einzelner oder von Siedlergruppen gelten; neben dem stetigen Anwachsen vieler Siedlungen sprechen einige weitere Indizien dafür. Der Tradition nach sendeten einige Städte wie Chalkis, Eretria, Megara oder Milet binnen weniger Jahrzehnte mehrere Gründungszüge aus.274 Wären tatsächlich nur Siedler von diesen mētrópoleis in die neu gegründeten apoikíai gezogen, hätten jene Poleis schnell einen Großteil ihrer Bevölkerung eingebüßt. Ferner konnten sich gerade neugegründete Städte nicht selten als besonders offen für Zusiedler erweisen: Zwar findet sich kaum ein so detaillierter Bericht wie für Kyrene samt eines offiziellen Aufrufs nach ganz Hellas. Für Naupaktos aber lässt sich um 500 eine Gesetzgebung fassen, die die Aufteilung des Landes sowie dessen Vererbbarkeit für Neusiedler regelt, wobei bemerkenswert ist, dass in der Inschrift, die sie überliefert, gerade die Kampftauglichkeit der Zusiedler hervorgehoben ist. Zudem wurden für jedwede Versuche, die Landverteilung erneut innerhalb der Institutionen der ausgeformten Polis zu debattieren oder sonst in dieser Hinsicht Unruhe zu stiften, äußerst harte Strafen verhängt, wie die aufgezählten Strafmaßnahmen (Verfluchung des Rädelsführers und seiner Nachkommen auf alle Zeit, Einzug seines Vermögens und Zerstörung seines Hauses) zeigen.275 Auch künden zahlreiche ktíseis von der späteren Aufnahme von Zusiedlern. Im ursprünglich von Kyme aus gegründeten Zankle siedelten sich Einwanderer aus Chalkis und dem übrigen Euboia an; danach wurden sie von Samniern und Ioniern vertrieben, die wiederum selbst von Anaxilas, dem Tyrannen von Rhegion, verjagt wurden. Schließlich sei dort eine gemischte Bevölkerung ansässig geworden.276 In Himera, das von Zankle aus gegründet wurde, stießen wiederum Chalker aber auch Exilanten aus Syrakus hinzu.277 In der ktísis Tarents werden auch die parthéniai als Zusiedler charakterisiert, die sich mit Kretern bzw. – wie es in einer anderen Version der Geschichte überliefert ist – mit Achaiern zusammentaten.278 Die Liste ließe sich leicht verlängern. 274

Stein-Hölkeskamp (2015) 104. IG IX 12,3,609 = HGIÜ 19 = ML 13 = TDGIS II 4. Vgl. zur Gesetzgebung in Lokris Naupaktos betreffend Walter (1993) 126 – 136. 276 Thuk. 6,4,5 – 6. Vgl. dazu mit weiteren Literaturhinweisen und einem Blick auf die geostrategische Lage Bernstein (2004) 79 – 80. 277 Thuk. 6,5,1. 278 Antiochos von Syrakus FG rH 555 F13 = Strab. 6,3,2; Ephoros von Kyme FG rH 70 F216 = Strab. 6,3,3. 275

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Es wäre verfehlt, ­solche Reste kollektiver Erinnerung als Zuwandererlisten aufzufassen, die dezidiert Auskunft darüber zu geben vermögen, ­welche Gruppe, von wo, wann, unter w ­ elchen Umständen eintraf. Gerade allmähliche Zuwanderung, die – anders als in Kyrene – keinen Einschnitt darstellte, wurde in der Regel nicht erinnert.279 So sind diese Spuren eher als Indikatoren für die Zusiedlung als Normalzustand zu begreifen, also einen Prozess, der zwar nicht immer konfliktfrei verlief, dem aber doch rasch Integration nachfolgte, sodass die vielen einzelnen Migrationen dem Vergessen anheimfielen. Schließlich lassen sich weitere theoretische Reflexionen vornehmen: Frank Bernstein stellte jüngst Überlegungen an, wie die ersten Siedler, die ápoikoi, sich in einer ihnen potentiell feindlichen Umgebung miteinander ins Benehmen setzten, eine Entwicklung, die auch die Ausformung der Institutionen der Polis begünstigt haben könnte. Bernstein führt den Gedankengang weiter, indem er spekuliert, wie sich eine ausgeformte Gruppe, die möglicherweise den Platz gegen Angriffe verteidigt und einiges an Aufbauarbeit geleistet hatte, nun gegenüber Zusiedlern, époikoi,280 und von ihnen gestellten Ansprüchen, am Land beteiligt zu werden, verhalten haben könnte. Für die Frage, wie dieser Gegensatz im Einzelnen jeweils gelöst worden sein könnte, fehlen zumeist aussagekräftige Quellen. Als Möglichkeiten zieht Bernstein es in Betracht, dass eine schrittweise Integration in Phylen und Phratrien und eine ebenso allmähliche Beteiligung an Land erfolgt sowie die Vorrechtsstellung der Gründergeneration bzw. ihrer Nachfahren als Elite durch die Schaffung eines Rates institutionalisiert worden sein könnte.281 Ein weiterer Aspekt von Immigrationskonstellationen erschließt sich, wenn man sich einer anderen Betrachtungsebene zuwendet: Werden die Gründungen in Sizilien und Unteritalien aus einer Makroperspektive heraus betrachtet, fällt auf, dass eine Siedlung binnen kurzer Zeit weitere nach sich zog.282 Dies lässt sich nicht allein mit der vor allem durch Thukydides vermittelten Tendenz erklären, dass bereits ansässige apoikíai immer wieder Neugründungen vornahmen, und hierfür jeweils die spezifischen Gründe anzuführen. Die aufeinanderfolgenden Gründungen lassen sich obendrein als Prozess kumulativer Verursachung deuten und dies in zweifacher Hinsicht: Erstens erleichterte die bloße Existenz einer Siedlung in einem Gebiet die Gründung weiterer, da es in d ­ iesem Fall einen Brückenkopf gab, der unterstützend wirkte, sei es bei der anfänglichen Versorgung mit dem Nötigsten, sei es als Transferort für Neuankömmlinge. Zweitens fand ein solcher Prozess kumulativer Verursachung nicht nur auf der Ebene ganzer Siedlungen, sondern auch auf der einzelner oder kleinerer Gruppen von Migranten statt, denn Kontakte in die Heimat dürften ­fortbestanden 279

Vgl. die Kapitel 1.3.1 Das Problem der ktíseis, 22 – 25 und 1.5.2 Ansässigkeit und Mobilität, 46 – 54; sowie Hahn (2012) 9. 280 Bei den Begriffen époikoi und ápoikoi handelt es sich um quellensprachliche Termini aus klassischer Zeit. 281 Vgl. zu diesen Überlegungen Bernstein (2021) insbesondere 72 – 74. 282 Antonaccio (2007a) 202.

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Zu den ‚Siedlern‘

haben. Dabei geht es nicht um eine offizielle Verbindung von mētrópolis und apoikía, sondern vielmehr um die in den Quellen kaum zu greifende persönliche Ebene zu zurückgelassenen Verwandten oder auch ehemaligen Nachbarn, denen auf den bestehenden Bahnen der Mobilität Nachrichten und Informationen übermittelt werden konnten, wie etwa über Chancen in der Fremde, vielleicht in Form einer ­kurzen Information über die eigene Lage. Für die griechische Archaik kennen wir – anders als für andere Epochen – keine Briefe an die Zurückgelassenen.283 Doch es sollte nicht davon ausgegangen werden, dass keinerlei Kontakt bestand, denn die Seereisen waren nicht unermesslich lang, die Mittelmeerwelt war vernetzt und dies in zunehmender Tendenz mit jeder Neugründung. Aufgrund d ­ ieses Informationsflusses und möglicher Unterstützung von Verwandten, die bereits vor Ort waren, war es für jeden neuen Migranten ein klein wenig leichter in die Fremde zu ziehen. Einer folgte einer Kette gleich dem anderen nach, ein Phänomen, das die Migrationstheorie mit dem Begriff Kettenmigration (chain migration) umschreibt.284 Gerade in der Anfangsphase dürften Zusiedler nicht selten begrüßt worden sein, wenn durch sie die eigene Gemeinschaft gestärkt wurde und nur in geringem Maße Rivalitäten aufzuflammen drohten. Je stärker eine Siedlung wuchs, desto komplexer gestalteten sich die politisch-sozialen Verhältnisse. Was Kyrene in großer Geschwindigkeit widerfuhr, geschah auch anderenorts, zwar in langsamerem Tempo, aber potentiell mit ähnlichen Folgen, sodass erneut um die Aufrechterhaltung von Ansässigkeit gerungen werden musste.

4.6 Zusammenfassung: Migranten Die exemplarische Betrachtung späterer literarischer Quellen – allen voran ktíseis – aus einer Perspektive, die durch Konzeptionen von Mobilität und Ansässigkeit in den archaischen Quellen geformt ist, ermöglicht eine genauere Bestimmung der Spielräume von Migration. Gerade für Neugründungen lässt sich annehmen, dass Einzelpersonen oder politische Gemeinschaften Schiffe, Vorräte zum Überbrücken und auch Werkzeug schon im Vorfeld bereitstellten. Zugleich galt es, eine Vielzahl sozialer und politischer Herausforderungen zu bestehen, zumal ein Misserfolg fernab einer sichernden Basis zu schweren Konsequenzen geführt haben dürfte. Um Ansässigkeit dagegen erfolgreich zu etablieren, konnten Siedler Verbindungen ­nutzen, die durch andere Formen von Mobilität instituiert und aufrechterhalten worden waren. 283

Eine Ausnahme bildet das Bleitäfelchen aus Berezan (datiert um das Jahr 500) in der St. Petersburger Eremitage, in dem ein gewisser Achillodoros, der zu Unrecht in Schuldknechtschaft geraten war, seinen Sohn in der Heimat bittet, Maßnahmen zu einzuleiten, um das Missverständnis aufzuklären. SEG 26,845 = HGIÜ 27. 284 Vgl. Kapitel 1.5.4 Übernahmen und Abgrenzungen, hier 67 – 68.

Zusammenfassung: Migranten

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Die wichtige Rolle des Gründers lässt sich auch von archaischen Konzeptionen von Mobilität ausgehend stark machen, sodass seine große Bedeutung in den ktíseis nicht allein der, dennoch greifbaren, Tendenz kollektiver Erinnerung, Vergangenheit zu personalisieren, geschuldet sein dürfte. Der Gründer konnte sich als Angehöriger der Elite auf diverse Herrschaftsressourcen stützen ähnlich wie die in der Welt Homers reisenden basileís. Eine seiner wichtigsten Aufgaben bestand in der Zuteilung von Lebenschancen durch Landlose und das Wachen über gerechte Distribution. Dem Anspruch, gerecht zu handeln, musste er mehr noch als in der Heimat entsprechen, war seine Position in der Fremde ungleich weniger gefestigt, da ihm in geringerem Umfang Herrschaftsressourcen zur Verfügung standen. Selten begründete ein oikistḗs eine Dynastie, eine Tatsache, die dafürspricht, dass sich in der Regel bald nach einer Gründung neue Strukturen herausbildeten, zumal die sich auf weniger Ressourcen stützende Herrschaft des Gründers die apoikíai vielleicht zu Keimzellen politischer Institutionen und Verfahren werden ließ.285 Hinsichtlich der Rekrutierung und Zusammensetzung von Siedlergruppen lassen sich aus den oben gemachten Beobachtungen einige generelle Aussagen ableiten, hinter denen allerdings eine weit komplexere, aus Einzelfällen bestehende Empirie steht: Sowohl in den späteren Quellen als auch in den archaischen Konzeptionen von Mobilität tauchen Frauen kaum als Teil mobiler Gruppen auf und nahezu nie als Akteure. Mobilität zur See und auch die Neuansiedlung bargen Gefahren und erforderten es, bis zu einem gewissen Grad wehrhaft zu sein, eine Aufgabe, die, den Genderrollen der Zeit folgend, von Männern geleistet wurde, sodass die Mitnahme von Frauen (und Kindern) mit zusätzlichem Aufwand verbunden war. Auch waren innerhalb der nachbarschaftlich geprägten Dorfgemeinschaft Familien in ein dichtes, migrationshemmendes Netz aus Sozialbeziehungen eingebunden. Für alleinstehende junge Männer galt dies in weit geringerem Maße. Ohne Frauen war jedoch jede Neuansiedlung auf Dauer unmöglich, sodass häufig sogenannte ‚Mischehen‘ eingegangen wurden, was zudem den Vorteil bot, sich mit den ‚Indigenen‘ durch verwandtschaftliche Beziehungen ins Benehmen setzen zu können. Mitunter waren indes Frauen Teil von Siedlungsgemeinschaften, was durch Überreste in der Überlieferung deutlich wird. Hinsichtlich Rekrutierung und gruppenbildender Kräfte scheinen insbesondere Konflikte um den Zugang zu Lebenschancen, die mit der Wahrnehmung von Ungerechtigkeit einhergingen, dazu geeignet gewesen zu sein, Gruppen zu formieren, die fest genug verbunden waren, um als Einheit agieren zu können. Zur Bereitstellung der für die Reise und das Ansässigwerden nicht unbeträchtlichen Ressourcen bot sich ein vermögendes Mitglied der Elite an, das diejenigen, die nicht über die nötigen Mittel verfügten, ausstatten konnte, um eigenes Prestige und Macht zu mehren. In Kontexten sich verdichtender Staatlichkeit konnte diese Rolle auch von Institutionen übernommen werden. Das Orakel von Delphi besaß sicherlich eine die Gruppe der Siedler konstituierende und den oikistḗs 285

Vgl. auch Bernstein (2021).

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Zu den ‚Siedlern‘

­legitimierende Kraft, wenngleich Zweifel angebracht sind, ob die Rolle des Orakels in archaischer Zeit tatsächlich so allumfassend war, wie es in späteren Quellen – allen voran bei Herodot – erscheint. Migration erfolgte nie in wortwörtlich ‚leeres Land‘, sondern in Gebiete, die bereits besiedelt waren. Hinsichtlich des soziopolitischen Organisationsgrades der Ansässigen gab es dabei Unterschiede, die bestimmten, ob und in welcher Form man sich ansiedeln konnte. Mitunter geschah Ansiedlung auf Einladung lokaler Autoritäten, was vor allem in der Welt der östlichen Großreiche eine Voraussetzung gewesen sein dürfte. Manchmal zeichnet sich aber auch ein Bild von Verdrängung und Gewalt ab. Dabei verliefen Konfliktlinien nicht entlang einer Dichotomie z­ wischen ‚Griechen‘ und ‚Barbaren‘. Die griechische Identität formte sich im Laufe der archaischen Epoche; keinesfalls war die geteilte Selbstzuschreibung gleichzusetzen mit einem ‚natürlichen‘ Bündnis unter Griechen. Identitäten erwiesen sich vielmehr nicht selten als äußerst wandelbar. Ein Interessengegensatz bestand häufig eher z­ wischen Neuankömmlingen und Ansässigen, wenngleich nicht naturgesetzlich festgeschrieben, sondern eingebettet und abgewandelt in das lokale Machtfeld, das den Gegensatz entweder abmilderte oder verschärfte. Allmählicher und stetiger Zuzug war insbesondere in neugegründeten Siedlungen die Norm, was wiederum zu Verwerfungen führen konnte, denn bereits frühe Zeugnisse verweisen auf Konflikte. Migration war dabei in zweierlei Hinsicht ein Prozess kumulativer Verursachung: einerseits auf der Ebene der Siedlungen, nachdem die erste Siedlung etabliert worden war, was weitere Gründungen in derselben Region nach sich zog; dies lässt sich am Beispiel von Sizilien und Süditalien deutlich erkennen; andererseits durch die im einzelnen nicht mehr nachzuzeichnenden Kontakte ehemaliger zu zukünftigen Migranten, den damit einhergehenden Informationsaustausch und etwaige Hilfeleistungen (Kettenmigration). Gerade hier erwiesen sich andere Mobilitätsformen als diesen Vorgang unterstützend, etwa wenn Händler neue Siedlungen erreichten und anderenorts von den dort herrschenden Verhältnissen berichteten oder auch wenn Reisende Botschaften, aus denen potentielle Siedler wiederum Schlüsse auf die sich dort bietenden Chancen ziehen konnten, in die Heimat mitnahmen. Migration wurde dadurch in gewisser Weise zu einem selbsterhaltenden Prozess. Bevölkerungszuwachs führte, wie es sich auch bei anderen, nicht durch Migration angewachsenen Gemeinschaften in archaischer Zeit beobachten lässt, häufig zu einer höheren Komplexität des Zusammenlebens und machte es nötig, die Grundlagen der Ansässigkeit anzupassen oder gar wiederherzustellen, was anhand des rasanten Zuzugs in Kyrene und dessen Folgen gezeigt werden kann, die eine regelrechte Neugründung erforderlich machten. Wenngleich ­dieses schnelle Wachstum als ein Sonderfall erscheint, in dem sich Gegensätze rapide verschärft hatten, war eine Krise aufgrund zunehmender Komplexität kein Einzelfall. Vielmehr stellte es stets eine Herausforderung dar, Ansässigkeit aufrechtzuerhalten, wozu unterschiedliche Strategien und Ressourcen benötigt wurden. Dabei ist die Feststellung wichtig, dass ein Gegensatz

Zusammenfassung: Migranten

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­zwischen Ansässigen, etwa Erstsiedlern oder deren Nachkommen, und neuen Migranten zwar keine unwahrscheinliche Konstellation darstellte, es sich aber nicht um die einzige Möglichkeit handelt, wie die Konfliktlinien hätten verlaufen können. Diese wurden von der Gemengelage im Machtfeld vor Ort bestimmt und sollten insofern als spezifisch angesehen werden.

5.  Fazit: Zwischen Ansässigkeit und Mobilität

Die Migrationen der griechischen Archaik stellen sich als ein Geflecht von zahlreichen Bewegungen im geographischen wie sozialen Raum dar, in das sich nicht leicht Ordnung bringen lässt. Gerade dann, wenn wir uns von der Klammer ‚Große Kolonisation der Griechen‘ nicht nur semantisch lösen, sondern sie auch konzeptionell durch Migration ersetzen, laufen wir Gefahr, des übergeordneten Phänomens verlustig zu gehen und so den Trend hin zu detaillierten, aber mitunter schwer vernetzbaren Detailstudien zu verstärken. Andererseits bietet sich die Chance, neue Aspekte des Phänomens vorzufinden oder Neugewichtungen vornehmen zu können, wenn nicht allein Gründungszüge von einer mētrópolis (A) zu einer apoikía (B), sondern auch die vielen kleinen Migrationen, die von Ort A oder auch von Ort C oder D erfolgten, und all jene Mobilitäts- und Ansässigkeitsformen dazwischen Definitionsbestandteile der übergeordneten Kategorie sind. Migration wird im Rahmen dieser Arbeit erstens als Komplex aus einander ablösender Ansässigkeit und Mobilität definiert. Mobilität und Ansässigkeit wiederum werden als Vergesellschaftungsformen aufgefasst, zu deren Etablierung und Reproduktion es materieller und immaterieller Ressourcen bedarf und die somit jeweils nicht als Normalzustand vorausgesetzt werden können. Die Untersuchung dieser Vergesellschaftungsformen erfolgte aus einer praxistheoretischen Perspektive heraus, wobei Ressourcen innerhalb dieser Praxis, die durch die Interaktion der Akteure und den Einsatz ebenjener Ressourcen hervorgebracht wird, bewertet wurden. Diese Perspektive erlaubt es, die große Bandbreite an Mobilitätsformen verschiedener sozialer Zusammensetzung, die für die griechische Archaik herausgearbeitet wurden, in einen Zusammenhang mit den Migrationsbewegungen dieser Zeit zu stellen, zumal sie nicht nur ähnliche Ressourcen zur Grundlage hatten, sondern auch Mittel zur Migration bereitstellen konnten. Hetaíros-Gruppen schlossen sich zusammen, um die Meere zu befahren und mit Ressourcen wie Beute und Prestige, die sowohl das soziale Gefüge der mobilen Gruppe als auch das der heimatlichen Gemeinschaft stabilisieren konnten, zurückzukehren. Bestehende, erneuerte oder neu geknüpfte Gastfreundschaftsbeziehungen waren dabei wichtige soziale Mittel, über die zumeist die Anführer dieser Unternehmungen verfügten. Die Übergänge von diesen Trupps zu Händlern waren mitunter fließend, wenngleich die sozial konstruierte Grenze z­ wischen beiden scharf gezogen wurde. Auch Handwerker reisten umher und vermehrten durch Reisen ihre Kenntnisse, die sie wiederum einsetzten und weitergaben. Als Söldner in den Diensten fremder Herrscher gelangten Griechen früh in die Welt der östlichen Großreiche und blieben mitunter dort. Kehrten sie erfolgreich zurück, verbreiteten sie ihr Wissen von fernen Ländern und den sich dort bietenden Chancen. Aber auch Händler – Griechen wie Nichtgriechen – waren nicht nur Transporteure von Waren, sondern auch von Informationen, die mit ihnen reisten.

Fazit: Zwischen Ansässigkeit und Mobilität

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Diese M ­ obilitätsformen brachten ein auf Erfahrung fußendes Wissen nicht nur über Menschen, Gebiete und Chancen in der Fremde, sondern auch über Seefahrt und Navigation hervor. Daneben kam Gastfreundschaftsbeziehungen eine wichtige Rolle bei der Verbreitung von Informationen zu, wie sie auch weitere Mobilitätsressourcen, etwa Schutz und Unterkunft, schufen. Eine Vielzahl der aufgezählten Mobilitätsformen war folglich zur Allokation von Wissensressourcen einsetzbar, sodass die auf diese Weise generierten Ressourcen auch von Migranten genutzt werden konnten, und dieser Personenkreis erleichterte wiederum den Nachkommenden den Weg. So weitete und vermehrte Mobilität die Bahnen, auf denen sie erfolgte, in einem Prozess kumulativer Verursachung. Dennoch war Mobilität mit Kosten verbunden: Die den hier betrachteten Mobilitätsformen gemeinsame Grundlage war die Seefahrt, die neben nautischen Kenntnissen auch auf den Schiffsbau spezialisierte Handwerker und nicht unbeträchtliche Überschüsse – einerseits Baumaterial, Ausrüstung und Proviant zum Ermöglichen der Reise, andererseits materielle Güter, etwa in Form von Beute, und soziale Ressourcen, mit denen sowohl die Gruppe als auch das immanente Herrschaftsverhältnis stabilisiert wurden – erforderte. Insgesamt zeichnet sich also ein erheblicher Ressourcenaufwand ab, der zur Herstellung und Aufrechterhaltung von Mobilität betrieben werden musste. Ein ähnlich hoher Aufwand lässt sich indes auch im Kontext von Ansässigkeit fassen, zumal auch diese häufig prekär war. Die Probleme, denen begegnet werden musste, sowie die Aufwendungen und Anstrengungen, die zu ihrer Lösung unternommen wurden, stellen sich als große Vielfalt dar. Dennoch treten übergeordnete Problemfelder hervor: Vor allem das Herstellen von Gerechtigkeit war eine immerwährende politische Herausforderung. Gelang dies nicht, drohten sich desintegrierende Kräfte zu entfalten. Hier lassen sich trotz der zeitlichen Distanz Analogien zu jüngeren und daher besser dokumentierten Auswanderungsbewegungen ziehen, wodurch sich die Annahme eines Zusammenhangs z­ wischen Gerechtigkeitswahrnehmung und Migration verfestigt und Gerechtigkeit als eine der wichtigen sozialen Ressourcen von Ansässigkeit bestimmen lässt. Literarische Konzeptionen zeigen ferner, dass agrarische und immaterielle Ressourcen wie der Friede nach außen als von Gerechtigkeit abhängig angesehen wurden, wovon vor allem Hesiods Erga künden; doch auch bei Solon oder Homer ist Gerechtigkeit als für die Gemeinschaft zentrale Ressource fassbar. Daneben waren in bäuerlichen Gemeinschaften reziproke Nachbarschaftsbeziehungen (γειτονία) eine wichtige sozial-organisatorische Ressource für den vor allem landwirtschaftlich bestrittenen Lebensunterhalt. Damit eng verwoben war das praktische Wissen, wie dem Land die Subsistenz abgerungen werden konnte, wozu neben agrarischen Kenntnissen das Wissen um die sogenannten natürlichen Ressourcen, die sich innerhalb eines bestimmten Gebietes angeeignet werden konnten, gehörte. Da die einzelnen Ressorcen in der sozialen Praxis der Ansässigkeit ihren Wert erhalten, existieren sie innerhalb eines Kompelxes mit anderen Ressourcen und sind so nicht nur miteinander verbunden, sondern auch eingebettet in einen sozialen

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Fazit: Zwischen Ansässigkeit und Mobilität

Kontext, auf den auch ein Mangel verweist. Dies wiederum ermöglicht eine etwas andere Perspektive auf Erklärungsansätze, die in sogenanntem ‚Bevölkerungsdruck‘ oder ‚Überbevölkerung‘ die Ursache für die Migrationen der griechischen Archaik sehen. Ausgehend von der Feststellung, dass ein Rohstoffmangel nicht mit einem Ressourcenmangel gleichgesetzt werden kann, da Ressourcen innerhalb eines Produktionsprozesses – unabhängig davon, ob dieser ökonomisch oder sozial ist – in Wert gesetzt werden, tritt ein Mangel nicht losgelöst von einem sozialen Kontext in Erscheinung. Häufig lassen sich die Ursachen von Knappheit oder auch Armut daher innerhalb der sozio-politischen Praxis der Ressourcenredistribution suchen, die wiederum kontingent ist. Griechen bewohnten bereits im 8. Jahrhundert einen weiten geographischen Raum und breiteten sich in der Folge sich intensivierender Migration über große Teile des Mittel- und Schwarzmeerraumes aus. Lokale Unterschiede ergeben sich in der hier eingenommenen Perspektive vermittelt durch das Soziale, das mit den naturräumlichen Gegebenheiten in Wechselwirkung tritt, eine Sichtweise, die im Gegensatz zu dem spätestens seit Herodot greifbaren Konzept steht, dass ein bestimmter Landstrich einen bestimmten Menschenschlag hervorbringe. So wird der Zusammenhang ­zwischen Mensch und Natur statt als Kausalkette als Interdependenz aufgefasst, weshalb die spezifischen soziohistorischen Formationen, wie sie aus den Quellen herausgearbeitet werden können, im Fokus der Betrachtung stehen. Zusammengefasst: Mobilitätsformen schufen und verbreiterten stetig die Bahnen, auf denen Migration erfolgte. Ansässigkeit ließ Strategien des Zusammenlebens und der Sicherung des Lebensunterhaltes entstehen und begünstigte die Formation von Gruppen, die migrierten. In der Migration kam beides zusammen: Ansässigkeit musste wiederhergestellt werden, sowohl bei einer Gründung als auch bei einer Immigration in eine bestehende Gemeinschaft oder beim Zusiedeln in die unmittelbare Nähe bereits Ansässiger. Dies war, wie gezeigt werden konnte, nicht immer konfliktfrei und es bestand nicht selten ein struktureller Gegensatz z­ wischen Ansässigen und Neuankömmlingen, der seiner Auflösung harrte. Die Konfliktlinien verliefen hierbei nicht zwangsläufig entlang der Identitäten ‚Griechen‘ und ‚Nichtgriechen‘, sondern vielschichtiger und abhängig von den lokalen Konstellationen. Migration erfolgte auf den Bahnen der Mobilität, die nicht erst in archaischer Zeit etabliert worden waren. Die Verbindungen der zusammengebrochenen Palastkulturen waren nicht gänzlich abgerissen, doch fand gerade in der Archaik eine Intensivierung der Mobilität auf dem Meer statt. Migration erfolgte im Zuge dieser Entwicklung und trug selbst in erheblichem Maße dazu bei. Jede Migration erleichterte die nächste in einem Prozess kumulativer Verursachung und war so – zumindest für eine gewisse Zeit – ein selbsterhaltender Prozess. So wurden die Bahnen der Mobilität von Migranten für Migranten geweitet, indem Angekommene den Aufwand für Nachzügler senkten, sei es durch den steten Informationsfluss über Chancen und Risiken in die Heimat, sei es durch Hilfe für nachkommende Verwandte. Diese Weitung der Bahnen war allerdings nicht exklusiv und auf diese Weise beflügelten Migrationsbewegungen auch den Handel, weil sich Märkte nun rasant vergrößerten.

Fazit: Zwischen Ansässigkeit und Mobilität

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Das Forschungsfeld zur Migration in der griechischen Archaik ist, wie eingangs festgestellt, durch hochspezialisierte Einzelstudien gekennzeichnet. Dies und die daraus resultierende Varianz hinsichtlich Methodologie und Sichtweise auf den Kontext ihres Untersuchungsgegenstandes haben zu einem Wissensvernetzungsproblem geführt. Die hier erarbeitete Perspektive kann d­ ieses Problem nicht lösen, auch wenn es sich in der Tendenz um einen Weitwinkelansatz handelt. Aufgrund d ­ ieses Ansatzes und der Vielseitigkeit des Materials – s­eien es die kaum durchsichtigen ktíseis späterer Jahrhunderte, ­seien es die ausgedehnten materiellen Hinterlassenschaften, die jeweils eines eigenen Instrumentariums zur Interpretation bedürfen und eine Behandlung in einer Breite verdienen, die ihnen gerecht wird – konnte vieles nur angerissen werden. Die entwickelte Perspektive unterbreitet ein Angebot, Ergebnisse aus Detailstudien, etwa Fragen nach Ursachen und Verlauf, die Bildung und Abgrenzung von Identitäten, Zusammenhänge mit anderen Formen von Mobilität und die der Ansässigkeit sowie die Besonderheit jeder einzelnen Siedlung in einem Rahmen zu diskutieren, der offen und formbar ist; so könnte sie auch einen Beitrag zum Transfer neuerer Erkenntnisse in andere Forschungsfelder leisten. Gegenüber der Netzwerkperspektive, deren Beobachtungen hier eingeflossen sind, bieten die Konzeptmetaphern Anker der Ansässigkeit und Bahnen der Mobilität sowie die unter ihnen zusammengefassten Ressourcen und Praktiken möglicherweise einen Vorteil: Der Fokus liegt darauf, wie sie gestiftet, wie sie aufrechterhalten werden und wie sie miteinander in Wechselwirkung treten, was sie zu einer Perspektive macht, die durch die Vielfalt der Quellen geformt wird.

Bemerkungen

Abkürzungen und Quelleneditionen Die Abkürzungen antiker Autoren und Werktitel erfolgt nach dem erweiterten und überarbeiteten Abkürzungsverzeichnis des dritten Bandes des Neuen Pauly (DNP 3). Zur Unterscheidung der solonischen Gesetzgebung und den politischen Elegien werden erstere mit Sol. nom., die anderen mit Sol. eleg. abgekürzt. Fragmente sind mit ‚F‘ gekennzeichnet. Die Fragmente der Griechischen Historiker werden mit dem ausgeschriebenen Namen des Historikers, der Abkürzung FGrH, der Nummer des Historikers nach Jacoby, dem Fragment und der Belegstelle zitiert. Zeitschriften sind nach L’année philologique abgekürzt. Die Titel dort nicht aufgeführter Zeitschriften werden ausgeschrieben. Lexika wiederum sind nach DNP 3 abgekürzt. Als Quelleneditionen wurden, wo nicht anders angegeben, die im Verzeichnis angegebenen verwendet.

Transkription griechischer Begriffe Begriffe aus dem Griechischen werden, wenn sie nicht extensiv Eingang ins Deutsche gefunden haben (zum Beispiel Polis), kursiv gesetzt und in lateinische ­Zeichen transkribiert, wobei die Groß-/Kleinschreibung der verwendeten Editionen beibehalten wird. Die Langvokale η und ω sind mit den diakritischen Z ­ eichen Makron (ē bzw. ō) gekennzeichnet; die Akzente Akutus, Gravis und Zirkumflex habe ich stets mit einem Akutus dargestellt. Behauchungszeichen sind mit einem lateinischen h ausgeschrieben, so wie auch φ als ph, θ als th, χ als ch und ψ als psi ausgeschrieben werden. Diphtonge – auch ου – werden grundsätzlich ausgeschrieben. Ein alleinstehnes υ wird als y geschrieben. Eigennamen sind in der Regel ohne Akzente in der griechischen Form transkribiert; handelt es sich bei einem Eigennamen um einen quellensprachlichen Schlüsselbegriff (zum Beispiel Díkē) finden die oben skizzierten Transkriptionsregeln Anwendung.

Übersetzungen Zur besseren Lesbarkeit sind quellensprachliche Zitate zumeist mit einer deutschen Übersetzung versehen. Hierbei habe ich in der Regel auf eine der vielen hervorragenden Übersetzungen zurückgegriffen; diese sind im Quellenverzeichnis unterhalb der verwendeten kritischen Edition aufgeführt. Mitunter habe ich den deutschen Text behutsam angepasst, um einen im Original anklingenden Sachverhalt zu verdeut­ lichen. Wenn es sich um meine eigene Übersetzung handelt, habe ich dies gesondert gekennzeichnet.

Nachwort

Die vorliegende Arbeit ist die überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die 2018 von der Philosophischen Fakultät der Universität Tübingen zur Promotion angenommen wurde. Der Text ist im Wesentlichen während meiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter im durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft geförderten Sonderforschungsbereich 1070 „RessourcenKulturen“ entstanden. Ich danke meinem Doktorvater Prof. Dr. Mischa Meier für seine beständige Unterstützung und vor allem dafür, dass er mir große Freiheiten eingeräumt hat. Mit seiner geduldigen und vertrauensvollen Art und seiner großen Hilfsbereitschaft hat er mich durch alle Phasen der Arbeit am Text und auch während meiner Elternzeit begleitet und bestärkt. Frau Prof. Dr. Irmgard Männlein‑Robert aus der Gräzistik danke ich für das Zweitgutachten und zahlreiche wertvolle Hinweise. Prof. Dr. Frank Bernstein, bei dem ich in Frankfurt am Main studieren durfte, hat mein Interesse an der Alten Geschichte und vor allem an den Migrationen der griechischen Archaik entfacht. Nicht nur dafür, sondern auch für seinen Rat, Einblicke in seine Manuskripte und seinen Zuspruch bin ich ihm zu Dank verpflichtet. Ich danke auch den Herausgeberinnen und Herausgebern der Studien zur Alten Geschichte für die freundliche Aufnahme in die Reihe und insbesondere Herrn Prof. Dr. Uwe Walter für seinen unermüdlichen Einsatz und seine stets hilfreiche Kritik. Frau M.A. Maximiliane Gindele und Herrn Lukas Müller danke ich für die große Hilfe bei der Fehlersuche. Mit Freude denke ich an die anregenden Diskussionen mit meinen Tübinger Kolleginnen und Kollegen zurück. Auch Ihnen gebührt mein Dank. Den Verlagsmitarbeiterinnen und -mitarbeitern, die das Erscheinen des Buchs möglich gemacht haben, danke ich ebenfalls. Für Druckkostenzuschüsse bedanke ich mich bei der Axel Springer Stiftung und dem Sonderforschungsbereich 1070 „RessourcenKulturen“. Meine Familie war während meines Studiums und der daran anschließenden Promotionsphase eine große Unterstützung. Sie ist es noch immer – so sehr, dass ich es nicht angemessen in Worte zu fassen vermag. Darum sage ich einfach: Danke! Tübingen, im Frühjahr 2022

Dominik Delp

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Register

Index locorum Α. Griechisch- und lateinischsprachige literarische Quellen Abydenos FGrH 685 – F5  196 Alkm. (Calme) – F9  132 Alk. (Voigt) – F130b  246, 247 – F350  246, 247 Amm. – 15,9,2–8  292 Anakreon (Page) – F505a  13 Androtion FGrH 324 – F37  120 Antiochos von Syrakus FGrH 555 – F10  268 – F13  151, 277, 278, 308 Apollod. – 3,8,1–2  265 Apoll. Rhod. – 2,746–749  299 Archil. (West) – F1  239 – F2  239, 241 – F3  33 – F4  238, 241 – F5  239 – F8  238 – F13  238 – F14  240 – F15  237 – F18  241 – F19  244 – F22  239 – F24  238 – F34  238 – F42  241 – F88  241 – F89  238

– F94  241 – F102  288, 301 – F105  238 – F106  238 – F110  241 – F114  240 – F133  240 – F194  241 – F211  238 – F216  238 – F227  243 – F293  269 Aristoph. av. – 1353  78 – 1660–1662  117, 198 Aristot. oec. – 1343 a20–21  79 Aristot. pol. – 1,1,1252a–4,1254a  77 – 1,2,1252 b11  79 – 2,7,1266 b14  122 – 2,7,1266 b14–19  121 – 5,3,1303 a33–34  301 – 5,7,1306 b22–31  280 – 5,7,1306b–1307a  132 – 7,16,1334b–1335a  146 – 7,16,1335a  146 Aristot. (Rose) – F549  274, 292, 293 – F586  298 Arr. per. p. E. – 13,4  299 Ath. – 6,271c–d  281 Athen. – 6,265b–c  278 – 13,576a–b  274, 292, 293 – 15,687a  122

Index locorum – 16,612a  122 Berossos FGrH 680 – F7c  196, 245 Dem. – 19,251  25 Demosth. or. – 44,64  118 Dig. – 10,1,13  86 Diod. – 1,66,12  245 – 1,79,1  121 – 5,7,5  265 – 5,9,1–5  280 – 5,9,5  269 – 5,50,1–7  265 – 8,30,2  305 – 14,31,3  299 Diog. Laert. – 1,47  115 – 3,6–7  143 Dion. Hal. ad Pomp. – 5,4  299, 301 Dion. Hal. ant. – 1,6,2  24 – 1,11,2–4  265 Ephoros von Kyme FGrH 70 – F44a  299 – F44b  299 – F137  268 – F216  151, 278, 308 Eur. Tro. – 70  104 Eus. – S. 13,18–15,4 Kahrs  196, 245 – S. 17,23–18,26 Kahrs  196 Galen gloss. Hippocr. prooem. – 19, p. 66  118 Harpokr. – 149,30  118 Hdt. – praef. 289 – 1,3,1–4,4  192 – 1,12,2  243 – 1,13,1–14,3  290 – 1,14,1  244 – 1,14,4  245

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

1,15,1–19,3  245 1,50,1–51,5  290 1,65,2–66,1  132 1,92,1–4  290 1,94,1  252 1,146,2–3  273, 297 1,163,2–3  300 2,23,1  192 2,53,1–2  192 2,53,2–3  192 2,116,1  32 2,116,1–117,1  192 2,152,1–4  249 2,152,4–154,5  245 2,152,5  249 2,154,1–3  249, 250 2,154,2 250 2,154,3  250 2,154,4  250 2,154,5  249 2,163,1  250 2,169,1  250 2,172,2  250 2,178,1  218, 294 2,178,1–3  300 2,178,2–3  219 2,178,3  219 2,179,1  218 2,182,1  242 3,4,2–3  251 3,11,1–3  251 3,47,2  242 3,60,1–4  90 3,80,1–82,5  121 3,80,2  307 3,91,1  224 3,142,3  307 4,5,1–15,4  191 4,16,1  192 4,17,1–20,2  191 4,18,3  192 4,23,1  72 4,29,1  32, 192 4,32,1  192 4,42,1–4  167 4,44,1–3  167 4,106,1  192

361

362 – 4,144,1–3  74 – 4,145,2–148,4  149, 151, 283 – 4,145,5  273 – 4,147,1–148,4  261 – 4,150,1–4  262 – 4,150,2–3  303 – 4,150,2–158,3  264 – 4,151,1–152,1  268, 304 – 4,154,1–4  303 – 4,154,1–155,1  263 – 4,155,1–4  263 – 4,155,2–4  263 – 4,156,2  303 – 4,156,2–158,3  268 – 4,158,1–3  273, 293 – 4,158,3  73 – 4,159,1  305 – 4,159,1–3  296 – 4,159,4  296, 303 – 4,159,4–6  304 – 4,159,6  297 – 4,160,1  273 – 4,160,1–4  280, 297, 304 – 4,160,1–167,3  264 – 4,161,1  304 – 4,161,2  305 – 4,161,3  303, 305, 306, 307 – 4,186,2  273 – 4,196,1–3  212 – 5,42,1–48,1  271 – 5,42,3  300 – 5,95,1–2  247 – 7,27,1–29,3  186 – 7,64  242 – 7,131,3  192 – 7,155,2  298 – 7,161,3  192 – 9,97,1  265 Hekataios von Milet FGrH 1 – F1  292 – T11b  162 – T12a  162 – T12b  162 Hellanikos von Lesbos FGrH 4 – F32  247 – F77 31 – F124  265

Register – F125  265 Herakleides Lembos – 29  145 Hes. erg. – 10  104 – 25  89 – 27  104 – 35–39  104, 105 – 42–105  28 – 106–200  28 – 106–201  104 – 109–126  72, 109 – 115–120  74 – 117–120  109 – 170–172  72 – 170–173  74 – 172–173  109 – 174–175  104 – 176–201 104 – 182–183  109 – 183  193 – 186–187  78 – 190–196  104 – 202–212  104 – 213  103, 104, 105 – 214–216  104 – 217  103 – 219–220  105 – 219–221  103 – 220  132 – 222–224  106 – 224–236  72 – 225  103 – 225–237  109 – 225–247  48 – 232–234  74 – 235  79 – 238–241  111 – 238–247  111 – 239  103 – 243  106 – 249  103 – 250  103 – 254  103 – 256  103 – 258–264  106 – 262  103

Index locorum – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

264  103, 106 269  103 272  103 274  104 275  103 278–279  103 283  103 286  104 289  104 299  104 299–301  82 306–307  82 314–316  83 327  193 343–345  80 343–360  47 345  80 346  47 353–354  81 352–360 81 354  47 355  81, 83 356–360  81 364–368  83 367–381  146 368–369  72 373–375  79 375–376  146 378–379  147 382–395  257 383–384  71 391–395  83 396  105 397 104 397–400  78 397–403  82 399  79 399–401  83 404–407  83 405–406  77, 79 406  79 414–415  71 426–431  89 440–471  72 441–447  77 448–461 77 448–464  71

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

464  78 469–471  77 479–482  83, 257 493  89 502–503 77 516–528  288 519–525  28 528  288 559  77 564–570  71 571  71 571–575  71 571–577  257 572–574  77 576–577  72 597–598  77 597–600  71 611 104 614–616  257 617–622 163 618–622  165 618–694  170, 215 619–630  215 623–631  159 630–637  126 632–634  216 633 104 637–638  217 641 104, 215 641–642  83, 168 643–644  216 646  49, 215 646–647  216 646–691  110 648–662  169, 215 649  168 654–656  33 660  158 663–665  168 663–668  215 674–677  168 674–688  215 682–685  168 689–690  216 694–696  79, 273 694–704  273 697–698  145

363

364 – 700  79 – 701  84 – 703–704  146 – 760–764  84 – 766–777  77 – 779  79 Hes. (Merkelbach/West) – F9  288 Hes. theog. – 22–35  236 – 84–90  105, 270 – 100  239 – 900–903  110 – 1011–1016  291 Hesych. – β 466  117 – π 3643  86 Hom. h. – 2,185–223  186 Hom. Il. – 1,89  160 – 1,118  201 – 1,120  201 – 1,123  201 – 1,133  201 – 1,135  201 – 1,138  201 – 1,152–160  288 – 1,161  201 – 1,163  201 – 1,167  201 – 1,169–171  180 – 1,185  201 – 1,276  201 – 1,356  201 – 1,477  27 – 1,507  201 – 2,130  230 – 2,198–203  92 – 2,216–219  240 – 2,240  201 – 2,263  163 – 2,266–275  240 – 2,362–368  233 – 2,454  160 – 2,529  242 – 2,530  288

Register – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

2,653–670  260 2,680  160 2,684  288 2,733  160 2,802–806  232 2,803  230 2,815  230 2,830  242 2,840–877  232 2,851  234 2,867–875  238 2,871–872  234 3,182–190  231 3,188  230 3,451  230 3,456  230 4,49  201 4,323  201 4,379  230 4,433–438  233 5,313  92 5,471–492  230 5,473  230 5,473–474  230 5,477  230 5,478  230 5,478–480  230 5,482  230 5,490–492  230 5,491  230 5,495–496  230 5,643  106 6,7–10 260 6,111  230 6,224–236  210 6,227  230 6,234–236  210 6,465  104 7,348  230, 231 7,368  230, 231 7,477  230 8,289  201 8,497  230 9,111  201 9,221–224  186 9,233  230 9,344  201

Index locorum – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

9,367  201 9,422  201 9,478  126 9,648  180 10,420  230 10,427–436  231 10,428  238 11,19–23  186 11,220  230 11,564  230 11,779  186 12,61  230 12,101  230 12,108  230 12,294–297  242 13,156–166  242 13,389–391  158 13,445–454  268 13,755  230 15,430–432  180 16,54  201 16,56  201 16,187–188 111 16,384–392  129 16,386–388  106 16,387  131 16,457  201 16,482–484  158 16,538  230 16,544–545  231, 253 16,548  231, 253 16,675  201 17,14  230 17,125  234, 253 17,212  230 17,220  230 17,220–232  234 17,335  230 17,362  230 18,28  199 18,385–387  186 18,444  201 18,486–489  165 18,508  131 19,89  201 20,182  201 20,200–241  268

– 20,215–218  260 – 21,282  119 – 21,431  230 – 22,62 104 – 23,9  201 – 23,85–90  180 – 23,257–897  175 – 23,316–321  127 – 23,741–747  214 – 23,744  163 – 23,744–745  214 – 24,70  201 – 24,477–502  188 – 24,788  27 Hom. Od. – 1,87  26 – 1,129  26 – 1,180  173 – 1,180–184  209 – 1,181  173 – 1,182–184  173 – 1,187  187 – 1,187–188  183, 185, 209 – 1,211 160 – 1,309–313  183 – 1,320–321  187 – 1,392–398  92 – 1,397–398  199 – 1,428–433  77 – 2,1  27 – 2,212  177 – 2,243–244  177 – 2,254  177 – 2,263  163 – 2,276–277  178 – 2,286–287  177 – 2,337–359  161 – 2,349  49, 159 – 2,354–355  49, 159 – 2,424  158, 171 – 2,426  158 – 3,31–64  187 – 3,60  187 – 3,69–70  186 – 3,69–74  187 – 3,71–73  194 – 3,84  26

365

366 – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

3,105  163 3,294  163 3,360–364  179 3,404  27 3,432  26 3,491  27 4,33  186 4,60–62  186 4,71–75  91 4,85  192 4,143  26 4,197  201 4,241  26 4,270  26 4,306  27 4,356  160 4,431  27 4,482  163 4,576  27 4,643–647 180 5,31  26 5,81  26 5,149  26 5,164  163 5,228  27 5,233  26 5,237–240  49, 158 5,239  158 5,240 158 5,248  158 5,258–259  158 5,265–266  49, 159 5,270–282  49, 165 5,281  163 5,361  158 6,7–10  260 6,14  26 6,17  26 6,196  26 6,213  26 6,299  26 7,10  201 7,56–59  261 7,58  27 7,85  27 7,93  27 7,150  201

Register – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

7,199–210  188 7,230–239  186 8,1  27 8,9  26 8,40–47  28 8,43–95  27 8,44  27 8,72–83  28 8,100–197  175 8,106  27 8,110–119  240 8,151  176 8,159–164  173, 196, 208 8,464  27 8,472  27 8,474–481  27 8,486  27 8,537  27 8,568  163 9,39–42  160 9,39–66  196, 197 9,41–42  200 9,83–103  190 9,150–151  160 9,152  27 9,154–158  160 9,159–160  200, 201 9,161–167  160 9,166–169  160 9,170  27 9,196–211  197 9,224–227  160, 200 9,252–255  190, 194, 200 9,254  160 9,266–271  160 9,270–271  190, 193 9,273–281  160 9,275–278  190 9,307  27 9,369–370  190 9,437  27 9,469–470  200 9,548  160 9,549  200 9,550–551  200 9,560  27 10,36  27

Index locorum – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

10,187  27 10,200  192 10,207  27 10,233–243  191 11,85  27 11,175  201 11,184  201 11,260–265  260 11,534  201 11,580  104 12,285  163 12,316  27 12,423  158 13,18  27 13,150  163 13,176  163 13,266  176 14,45–47  186 14,55  92 14,80–92  130 14,85–88  160 14,192–334  196 14,199–215  198 14,202–203  204 14,214–215  199 14,216–231  199, 204 14,222–224  199 14,222–231  160, 199 14,229–334  199 14,232–334  200 14,276–280  214 14,281–284  214 14,288–289  210 14,288–313  193 15,228  126 15,276–277  126 15,289  158, 171 15,291  158 15,415–416  211 15,416–474  213 15,429  211, 213 15,445  211, 213 15,452  211, 213 15,456  211, 216 16,424–430  197 16,464  92 17,1  27

– 17,34  26 – 17,114  26 – 17,292  26 – 17,345–413  189 – 17,375–379  188 – 17,381–386  90 – 17,382–387  189 – 17,425  200 – 17,510  26 – 18,311  26 – 19,176  27 – 19,428  27 – 20,296–299  188 – 21,11–41  185 – 21,27  193 – 21,214–216  77 – 21,390–391  158 – 23,118–121  126 – 23,153  26 – 24,224–230  92 – 24,265–274  185 – 24,273–279  186 – 24,365  27 – 643–647  180 Iust. – 3,4  151 – 43,3,8–11  274 Kall. epigr. – 35  263 Kall. h. – 2,65  72 – 2,65–95  264 – 2,75–77  267 – 2,85–87  273 – 2,88–90  73 Kritias (Diels/Kranz) – F44  236 Lex ap. Demosth. or. – 46,14  117 – 46,18  117 – 46,20  118 – 53,51  117 Liban. or. – 11,14  78 Liv. – 5,34,8  292 Lys.

367

368 – 1,12  104 – 3,12  104 – 10,6–12  117 Mela – 2,5,77  292 Menander (Kassel/Austin) – F879  145 Menekles von Barka FGrH 270 – F6  264 Mimnermos (West) – F7  300 – F10  300 Paroem. – I 288 App. I,58  86, 119 Paus. – 3,2,1  247 – 3,3,9–4,1  271 – 5,1,8  265 – 5,3,5–4,4  265 – 7,1,3–10  265 – 7,2,1–6  265 – 7,2,6  273, 297 – 8,3,1–5  265 – 8,46,2–3  267 – 9,9,5  31 – 10,8,6  292 – 10,10,6–8  274 – 10,28,3  274 Philistos FGrH 556 – F5  299, 301 Philo de spec. leg. – 3,22  117 Phot. – s. v. Καλλικύριοι  298 Pind. P. – 4  302 – 4,1–11  264 – 4,5–8  72 – 4,53–56  264 – 4,53–63  264 – 4,59–63  264 – 4,257–262  264 – 4,293  73 – 5,55–62  264 – 5,55–95  264 – 5,60–62  73 – 5,72–81  264

Register – 5,89–93  264, 267 Plat. epist. – 7,324c–326b  142 Plat. leg. – 4,715e–718a  39, 141 – 4,718a–724b  141 – 5,726a–734e  39, 141 – 5,735a–736e  68 – 5,735b–737b  141 – 5,735e  140 – 5,735e–736a  141, 143 – 5,737a–740a  269 – 5,737b  141 – 5,737b–738a  142 – 5,740d–740e  142 – 5,740e  140 – 5,743b–743e  143 – 5,744a–744d  142 – 5,744e  142 – 5,745b–746d  267, 269 – 6,757c  142 – 6,785b  145 Plat. rep. – 4,423c  143 – 5,460d–641a  145 Plut. Lyk. – 15,3–9  281 – 15,16–18  281 – 16,11–13  281 – 17,1  281 Plut. mor. – 153f–154a  33 – 239b  239 – 265e  118 – 265e  117 – 769a  117 – 772e  265 – 773a  266 Plut. Sol. – 8,1–9,4  25 – 15,2  119, 120 – 15,3–4  120 – 20,4  117 – 20,6  122 – 21,1  117 – 21,1–2  117 – 21,2  118

Index locorum – 21,3  117, 118 – 21,5  122 – 22,1  88 – 23,6  87 – 23,7  86, 119 Pol. – 12,5,6–11  274 Poll. – 3,33  117 – 9,83  252 Ps.-Aristot. Ath. pol. – 2,2  121 – 5,1  121 – 6,1  120 – 9,1  120 – 9,2  117 – 12,4  119, 120 – 17,2 25 – 35,2  117, 118 Ps.-Skymn. – 1–4  167 Sappho (Voigt) – F16  244, 273 – F21 Lobel/Page  127 Schol. Apoll. Rhod. – 2,351  299 – 2,845  299 Schol. Hes. erg. – 405–406  79 Schol. Hom. – Il. 21,282  119 – Od. 3,4  265 Schol. Pind. – N. 11,4  247 – Ol. 5,16  300 – P. 4,10a  264 Schol. Plat. – Symp. 208d  265 Sol. eleg. (West) – F1–3  25 – F4  115, 123, 124, 125 – F36  125, 126, 135 Sol. nom. (Ruschenbusch/Bringmann) – F1–F22 Leão/Rhodes   117 – F23–F25 Leão/Rhodes   117 – F27  117 – F32a Leão/Rhodes   117

– F32b Leão/Rhodes   117 – F33a Leão/Rhodes   117 – F36a  119 – F40a  120 – F41a  117 – F47a  117 – F47b 117 – F48b 117 – F49c  119 – F49d  117, 118 – F50a  117, 198 – F51a 117 – F51b 117 – F52b  117 – F52c  117 – F55a  78 – F56  88 – F58a  118 – F58b  118 – F60a  86 – F61  86 – F62  86, 119 – F63  87 – F64a  86 – F66  122 – F69a  120 – F69b  120 – F69c  120 – F71a  122 – F72a  122 – F73a  122 – F73b  122 Steph. Byz. – s. v. Μασσαλία  292 – s. v. Φαίαξ καὶ Φαιακία 31 Strab. – 4,1,4  267, 268, 274, 292 – 5,4,9  222 – 6,1,12 268 – 6,2,2 268, 294 – 6,3,2  277, 278, 308 – 6,3,2–3  151 – 6,3,3  151, 278, 308 – 7,6,2  74 – 9,2,5  247 – 10,5,6  144, 145 – 11,2,12  195

369

370 – 12,3,2–5  299 – 12,3,4  299 – 13,1,3  247 – 13,1,22 268, 294 – 13,1,48  300 – 14,1,3  265, 300 – 14,1,30  13 – 17,1,18  218 – 17,3,21  263 Theopomp FGrH 115 – F122a  278 – F171  281 Thuk. – 1,2,4  161 – 1,5,1  194 – 1,5,2  194 – 1,13,2–3  156 – 1,13,5  223 – 1,13,6  292 – 1,18,1  132 – 1,25,3–4  31 – 1,35,4  229 – 2,102,5–6  265 – 3,109,2  229 – 4,104,4  161 – 5,11,1  299 – 5,84,2  298 – 6,1,2  161 – 6,3,2  280, 297 – 6,3,3  298

Register – 6,4,1  294 – 6,4,5  204, 301 – 6,4,5–6  308 – 6,4,6  301 – 6,5,1  280, 308 – 6,5,3  299, 301 – 6,6,1  298 – 6,43,1  229 – 7,57,3–58,3  229 Timagenes von Alexandria FGrH 88 – F2  292 Timaios FGrH 566 – F8a  298 – F157  79 Tyrt. (West) – F4  131 – F5  132 – F10  110 – F11  110 – F12  110 Veg. mil. – 4,39  168 Xen. an. – 6,2,1  299 Xen. hell. – 4,1,39–40  186 Xen. Lak. pol. – 1,2  282 – 1,5  282

Β. Griechischsprachige Inschriften CEG – I 454  32 HGIÜ – 1  32 – 6  264 – 8  248 – 9  250 – 19  308 – 27  310 ICret – II 1  90 – IV 72  198

– IV 79  90 – IV 144  90, 198 IDidyma – 11  198 IG – I2 45  271 – I3 1  25 – II2 102,1,12–16  186 – IX I2 3,609  308 – XII 5,554  236 – XII Suppl. S. 212  236

Namens- und Ortsregister IMagn. – 17  265 Koerner – 101  90 – 154  90, 198 ML – 1  32 – 5  264 – 13  308 – 41  90, 198 SEG – 3,9  264

371

– 9,3  306 – 14,604  32 – 17,517  236 – 26,845  310 – 37,994  250 – 53,1836 306 SGDI – 4109  248 – 5261  248 – 5611  248 TDGIS – II 4  308

Γ. Altorientalische Quellen Inschriften Sargons II. – Ann. l. 117 – 119, S. 109/319–320 Fuchs  195 – Prunk l. 15 S. 76/308 Fuchs  195 – Stier 25 S. 64/304 Fuchs  195 – Zyl. l. 21, S. 34/290 Fuchs  195 „Nimrud Letter“ 69  196, 197

Inschriften Asarhaddons – §57 10–11  245 Inschriften Assurbanipals – Cyl.C II 36 – 44  245 – Cyl.Rm (A) II 103 – 110  244 – Cyl.Rm (A) II 111 – 113  244

Namens- und Ortsregister Abu Simbel  249, 251 Abydos  294 Achaier  160, 176, 230, 233, 235, 273, 278, 288, 308 Achilleus  180, 186, 288 Achillodoros  310 Adikran  296 Ägäis  30, 75, 163, 224 Agamemnon  180, 233 Agesermos  248 Ägypten  204, 210, 217, 218, 219, 220, 245, 246, 248, 249, 250, 251, 253, 254, 296 Ägypter  214, 219, 248, 249, 250, 289, 296 Aigina  207 Aigyptos  265 Aineas 91, 230, 268, 291 Aithiops  269 Aitolos  265 Alexander III. (der Große)  21, 252 Alkaios  27, 29, 246, 247, 253, 254

Alkinoos  26, 27, 188 Alkmeon  265 Al Mina  207, 224, 225, 226, 227, 295, 296, 304 Amasis  218, 219, 248, 250, 294 Ameinokles von Korinth  156 Amerika  24, 95 Amoibichos  248 Amphipolis  161, 207, 299 Amyklai  277 Anaktoria  244 Anaxilas  301, 308 Anaxandrias II. 271 Anchialos  173, 183, 209 Anchises  91 Antikleia  26 Antimenides  246, 247 Antinoos  180, 181, 188 Antiochos von Syrakus  268, 277, 278, 279, 283 Antiphemos  267 Antonaccio, Carla  270

372

Register

Aphrodite  28, 268, 273 Apis  265 Apollon  72, 73, 197, 198, 263, 264, 267, 285, 286 – Archegetes  264, 267 – Ismenios  290 – Karneios  263 Apries  250, 296 Archelaos (Echelas)  247 Archias  265, 280 Archilochos  29, 33, 235, 236, 237, 238, 239, 240, 241, 243, 244, 245, 253, 269, 288 Archon  248 Arete  186 Arganthonios  300 Argonauten  262 Argos  76 Aristarche  274 Aristoteles  76, 79, 119, 121, 132, 133, 142, 145, 146, 262, 264, 274, 280, 293, 301 Arkesilaos I.  273, 296, 305 Arkesilaos II.  297, 304 Arkesilaos IV.  264 Artemis  263, 274 Asarhaddon  245 Askra  29, 72, 124, 215, 288, 292 Assurbanipal  244, 245 Aššurnasirapli II.  245 Assyrer  173, 195, 196, 197, 203, 224, 241, 242, 244, 245, 254 Athen  14, 25, 32, 75, 76, 77, 85, 88, 116, 118, 120, 121, 123, 124, 125, 126, 127, 128, 130, 132, 133, 134, 135, 142, 143, 150, 161, 198, 207, 220, 221, 247, 281, 282, 298, 307 Athene  89, 115, 123, 173, 177, 178, 183, 184, 187, 190, 202, 209, 210, 212, 215, 273, 290 – Pronaia  290 Athener  123, 125, 126, 127, 128, 134, 135, 298 Attika  17, 18, 75, 88, 122, 150, 151, 207 Axos  90 Aziris  273 Babylon  196, 224, 246, 247, 254, 289 Bade, Klaus  44 Barke  273, 280, 293, 297, 304 Barthelheim, Martin  58, 62 Bassit  226 Battiaden  264, 265, 304, 307, 308

Battos I.  72, 143, 262, 263, 264, 265, 266, 267, 268, 273, 296, 303, 304, 305 Battos II.  296, 303, 304 Battos III.  303, 304, 305 Beloch, Karl Julius  16, 29 Beresford, James  169 Berezan  310 Bernstein, Frank  20, 39, 66, 68, 266, 270, 276, 309 Berve, Helmut  17 Blakeway, Alan  18, 205 Boardman, John  18, 205, 220, 225, 226 Boiotien  29, 128, 150, 298 Bosporos  74 Botero, Giovanni  43 Bourdieu, Pierre  53, 55, 58, 59, 60, 61, 62, 63, 64, 107, 108, 171, 174, 175, 179, 181 Brasidas  161 Brea  271 Bringmann, Klaus  17 Bubastis  249 Busolt, Georg  120 Butes  265 Butler, Judith  55 Buto  249 Byzantion  74, 299, 301 Carllier, Pierre  201 Cawkwell, George  17 Certeau, Michel de  55 Cerveteri  207 Chalkis  16, 207, 215, 247, 298, 301, 308 Chania  207 Charis  186 Cherry, John F.  151 Chios  219 Cicinius Alimentus  23 Cornell, Timothy  266 Cresswell, Tim  50 Curtius, Ernst  15, 16, 182 Danabu  196 Danek, Georg  231 Daphnai  250 Defradas, Jean  285 Delphi 244, 264, 285, 289 Delphi, Orakel von  16, 20, 22, 74, 131, 143, 262, 263, 264, 267, 271, 272, 284, 285, 290, 296, 300, 303, 304, 311, 312

Namens- und Ortsregister Demeter 257, 274 Demodokos  27, 28 Demokleides  271 Demonax  132, 303, 304, 306, 307 D’Ercole, Maria  21 Deutschland  15 Didyma  198 Díkē  48, 104, 105, 106, 107, 110, 111, 112, 114, 115, 116, 123, 124, 125, 129, 130, 133, 134 Diodor  265, 280 Diomedes  210 Dionysios I.  143 Dionysios von Halikarnassos  23, 264 Donlan, Walter  201 Dorieus  271, 300 Drakon  117 Dunbabin, Thomas  14 Duplouy, Alain  181 Dysnomía  124 Echelas  siehe Archelaos Egolsheim  97 Ehrlich, Paul  137 Eïoneus  232 Eirḗnē  110 Elephantina  248, 249 Elesibios  248 Enipo  236 Ephesos, Artemision von  251, 290 Ephoros von Kyme  268, 277, 278, 279, 283 Eretria  76, 207, 239, 308 Euboia  16, 88, 224, 225, 308 Eumaios  92, 129, 130, 160, 186, 188, 189, 193, 196, 198, 210, 211, 212, 213, 236 Eunomía  110, 111, 124, 130, 132 Eupeithes  197 Eurylochos  26 Eurymedon 26, 261 Eurysthenes  261 Euxenos  274, 293, 294 Fabius Pictor  23 Fauvre, Pierre  17 Finley, Moses  17, 30, 102, 103, 205 Finocchito  297 Foucault, Michel  55 Gamoren  298 Garland, Robert  21 Gela  143, 207

373

Gelon  298 Giddens, Anthony  55, 57, 58 Glaukos  210, 235, 237 Gortys  90, 102, 198 Graham, Alexander  17 Gras  247 Grinnos  263 Gyges  243, 244, 294 Gyptis  274 Haider, Peter  238 Halieis  207 Halikarnassos  219, 250 Hall, Jonathan  20, 287 Hampf, Josef  97 Han, Petrus  40 Harisû  196 Harris, William  17 Hatti  195 Heeren, Herrmann Ludwig  15 Hegewisch, Dietrich Hermann  15 Heilbronn  95 hektḗmoroi  120, 121 Helena  192, 231, 273 Helgoland  31 Hellenion (Naukratis)  219 Heloros  207 Hephaistos  186 Herakleia Pontike  299 Herakleides von Lembos  145 Herodot  72, 141, 143, 162, 191, 192, 204, 207, 211, 212, 217, 218, 219, 229, 238, 243, 245, 247, 249, 250, 251, 252, 254, 258, 261, 262, 263, 264, 271, 273, 289, 290, 293, 296, 297, 302, 303, 304, 305, 306, 307, 312, 316 Hesiod  16, 28, 29, 33, 38, 46, 47, 48, 49, 61, 71, 72, 73, 74, 75, 76, 77, 79, 80, 81, 82, 83, 84, 89, 94, 102, 103, 104, 105, 106, 107, 108, 109, 110, 111, 112, 113, 114, 115, 118, 123, 124, 125, 126, 128, 129, 131, 134, 145, 146, 147, 149, 150, 153, 158, 159, 165, 167, 168, 169, 170, 173, 174, 192, 193, 208, 210, 215, 216, 217, 227, 228, 235, 236, 239, 257, 270, 272, 276, 288, 291, 292, 315 Himera  280, 308 Hippotades  26 Hippou  248 Histria  207

374

Register

Hoffmann-Nowotny, Hans-Joachim  45, 46, 48, 63 Homer  16, 21, 26, 28, 29, 30, 31, 32, 33, 48, 60, 61, 71, 77, 89, 91, 92, 106, 126, 129, 131, 134, 155, 158, 159, 169, 170, 173, 178, 180, 184, 185, 188, 189, 190, 192, 193, 194, 197, 198, 200, 201, 203, 204, 210, 215, 216, 230, 233, 234, 235, 237, 238, 240, 241, 253, 254, 266, 267, 269, 288, 299, 311, 315 Horden, Peregrine  64, 157 Hyblon  294, 300 Hyperia  30, 31, 259 Ia-am-na-a-a  195, 196, 245 Ialysos  248 Idomeneus  268 Ionien  75, 265 Ionier  238, 245, 249, 250, 254, 301, 308 Iphitos  185, 193 Ipsen, Gunther  43 Irland  44, 147, 148, 153 Isis  273 Ithaka  160, 178, 181, 183, 213 Juden  250 Kadmos  104, 261 Kalabaktepe  76 Kallimachos  72, 73, 267 Kallinos von Ephesos  31, 32 Kalypso  158, 159, 165 Kamarina  207, 299, 301 Kamariner  299 Karatepe  245 Karer  219, 231, 232, 238, 245, 249, 250, 273, 275 Katane  298 Kaukonen  231 Keos 144, 151 Kerkis  248 Kikonen  196, 197, 200, 232 Kilikien  195, 224, 245 Knidier  219, 280 Kirchheim  97 Kirke  182, 190, 291 Klaroten  298 Klazomenai  76, 219 Kleinschmidt, Harald  44 Kleoboia  274 Kodros  265 Kolophon  248

Korinth  16, 76, 88, 206, 207, 223, 247, 265, 266, 269, 280 Korkyra  207 Korobios  268, 304 Kreta  75, 90, 163, 195, 198, 262, 298, 303, 306 Kreter  26, 195, 198, 199, 277, 278, 303, 304, 305, 306, 308 Krithis  248 Kritias  236 Kroton  68, 247, 268, 270, 276 Kryassos  151 Kubat, Daniel  45, 46, 48, 63 Kulmbach, Johann Heinrich  95 Kyllýrioi  297 Kyme (Aiolien)  29, 126, 217, 288 Kyme (Cumae)  204, 207, 301, 308 Kyre (heilige Quelle)  73, 263, 264 Kyre (Nymphe)  263 Kyrene  72, 73, 132, 143, 247, 250, 258, 259, 261, 262, 263, 264, 266, 267, 271, 273, 274, 276, 280, 285, 293, 296, 297, 302, 303, 304, 305, 306, 307, 308, 309, 310, 312 Kyrener  263, 273, 296, 297, 304 Laertes  26, 77, 78, 91, 92, 186, 187, 208, 211, 213 Lakedaimonier  131, 132, 135, 161, 277, 278, 280, 281, 282, 298 Lakonien  150, 151 L’Amastuola  224, 295 Lamis  294 Lane Fox, Robin  22 Latinos  291 Lato  76 Latour, Bruno  55, 62 Lee, Everett S.  40, 41 Leleger  231 Lemnos  262 Leontinoi  298, 300 Lesbos  247, 253 Leto, Orakel der  249 Levante  163, 226 Lindier  305, 306 Lipari  207 Liparos  265 List, Friedrich   95, 96, 98, 99, 100, 114, 133 Lokri  274, 308 Lōtophágoi  190

Namens- und Ortsregister Lyder  243, 244, 245, 252, 290, 294 Lykaon  265 Lykien  230 Lykier  230, 231, 234, 235 Lykurg 131, 132, 281, 282 Magnesia am Maiandros  265 Maionen  231, 232 Malkin, Irad  20, 30, 64, 65, 66, 259, 287, 293, 344 Malthus, Thomas  19, 42, 43, 135, 136 Mantineia  305 Mariandynoí  299 Marius  13 Marmarameer  163 Marx, Karl  53 Massalia 203, 267, 268, 273, 274, 292, 294 Megara  25, 299, 308 Megara Hyblaia  207, 269, 294, 295 Meier, Mischa  121, 280 Melanthios  188 Melos  151, 298 Membliaros  261 Memphis  220, 250 Menander  145 Menelaos  186 Mentes  173, 177, 183, 184, 187, 202, 209, 210, 212, 215 Mentor  177, 178, 179, 273 Mesopotamien  224 Messene  133, 185, 277, 279, 281 Metapont  207 Metauros  207 Methana  151 Meyer, Eduard  18 Mikra Karaburun  207 Milet  16, 76, 192, 219, 245, 265, 273, 275, 297, 299, 308 Miligram, Stanley  65 Minyer  149, 261, 262, 273, 283, 303 Mittelmeer  163, 166, 168, 293 Mittelmeerraum  12, 13, 16, 65, 76, 88, 136, 158, 163, 164, 165, 168, 170, 191, 194, 206, 286, 291, 293, 295, 304, 310, 316 Mnesiepes  236 Mogador (Marokko)  207 Monte di Vico  222 Morris, Ian  17, 135

375

Murray, Oswin  17 Mylai  207 Myletiden  280 Myrmidonen  288 Myser  231 Myskellos  268 Mytilene  219, 247 Nanos  293 Naukratis  89, 207, 217, 218, 219, 220, 226, 227, 294, 300 Nausithoos  30, 186, 259, 261 Naxier  237 Naxos  207, 268, 298 Nebukadnezar II.  224, 246, 253, 254 Neckarsulm  95, 100 Neileus  265 Nestor  186, 187, 190, 233 Nikomedes II. Euergetes  167 Nikomedes III. Epiphanes  167 Nil  218, 220, 249 Nordsyrien  224 Oaxos  siehe Axos Odysseus  27, 30, 84, 92, 129, 158, 159, 160, 161, 165, 172, 173, 175, 177, 178, 180, 181, 182, 183, 185, 186, 187, 188, 190, 191, 193, 196, 197, 198, 199, 200, 201, 202, 208, 210, 211, 213, 214, 235, 236, 240, 266, 275, 291, 292, 300 Oehler, Johann  16 Oinotros  265 Oisyme  207 Olympia  289, 290 Orestes  247 Orsilochos  185 Ortygia  297 Osborne, Robin  17–18, 20, 152 Österreich  15 Oxylos  265 Pabis  248 Paphlagonen  234 Paris  273 Paros  236, 237, 274 Parry, Milman  26, 27 Pasiron  248 Paulus Diaconus  39 Pausanias  31, 32, 271, 297 Peisistratos  247 Pelasger  231, 232, 262

376

Register

Pelekos  248, 249 Peleus  180 Peloponnesier  303, 305, 306 Penelope  177, 183 Penesten  298 Penrose, Edith  57 Pentathlos  280 Penthiliden  247 Periboia  261 Perreault, Jacques  225 Perses  47, 77, 83, 104, 105, 107, 125, 146, 168, 216, 288 Petta  293 Peuketion  265 Phaiaken  28, 30, 165, 175, 187, 188, 196, 240, 259, 260, 261, 266, 292 Phalantos  274, 277 Phanes  250 Phaselis  219 Pherai  76 Phoinikier  90, 188, 204, 210, 211, 212, 213, 214, 215, 216, 226, 250, 261 Phokaia  274, 292 Phokaier  267, 268, 292, 293, 294, 300 Phryger  231, 232 Pindar  141, 258, 262, 264, 265, 267 Pistiros  224 Pitane  207 Pithekoussai  32, 207, 222, 223, 224, 226, 227, 270 Platea  273 Platon  39, 68, 76, 140, 141, 142, 143, 144, 145, 267, 269 Plutarch  33, 88, 116, 119, 120, 131, 239, 252, 265, 266, 280, 281 Policoro  207 Polymnestos  262 Poseideion (Polis)  224 Poseidon 159, 187, 261 Potasimto  248, 249 Priene  250, 251, 265 Prokles  261 Protis  273 Psammata  248 Psammetichos I.  245, 250, 254 Psammetichos II.  204, 245, 249, 250, 251, 254 Pseudo-Aristoteles  119, 120, 121

Purcell, Nicholas  64, 157 Pylos  187, 265 Python  248 Qurdi-Aššur-lamur  196 Raaflaub, Kurt A.  30 Rankin, David  239 Ravenstein, Ernst  40, 67 Reckwitz, Andreas  55 Reden, Sitta von  210, 214 Rehbein, Boike  59 Remus  291 Rhegion  68, 247, 276, 301, 308 Rhesos  232 Rhodier  280 Rhodos  207, 219, 306 Robertson, Martin  225 Rom  13, 262, 291 Romulus  291 Ruschenbusch, Eberhard  17, 116, 144 Russland  15 Sahlins, Marshall  201 Salamis  25 Samier  301 Samos  90, 156, 220 Samsimuruna  196 Sappho  27, 244 Sargon II.  195, 245 Satyrion  277 Scafuro, Adele  116, 117 Schaefer, Hans  17 Schaps, David  252 Scheria  30, 31, 259, 260 Schmitz, Winfried  20, 46, 70, 81, 84, 182, 280, 281 Schreckenberg, Heinz  126 Schulz, Raimund  22 Schumpeter, Joseph  43 Schwarzmeerraum  12, 13, 16, 65, 72, 136, 163, 170, 206, 286, 293, 299, 316 Selinunt  207 Seneca  39 Sigeon  247 Sikanier  267 Sikeler  291, 297, 298, 299, 300, 301 Simmel, Georg  35, 51, 52, 53, 54, 60, 174 Simon, Julian  136, 137, 138, 139, 152 Siris  239, 300

Namens- und Ortsregister Sizilien  14, 72, 161, 297, 298, 299, 309, 312 Skylax  167 Smith, Adam  40 Smyrna  76, 207 Snodgrass, Anthony  17, 150, 151 Sokrates  142 Solon  29, 77, 86, 87, 88, 94, 102, 115, 116, 117, 118, 119, 120, 121, 122, 123, 124, 125, 126, 127, 128, 130, 132, 134, 135, 150, 198, 276, 315 Sorokin, Pitrim A.  49, 50 Spanien  207 Sparta  14, 131, 132, 134, 135, 150, 239, 261, 262, 271, 273, 277, 278, 279, 280, 281, 282, 298, 303 Spartaner  siehe Lakedaimonier Stanley, Phillip  120 Strabon  74, 144, 145, 222, 267, 274, 277, 294, 299 Süditalien  224, 312 Sybaris  207 Syrakus  68, 143, 165, 207, 223, 227, 247, 265, 269, 276, 280, 285, 297, 298, 299, 300, 301, 308 Syrer  226 Syrien  224 Tammuz, Oded  169 Taphier  173, 197, 204, 209, 210, 213, 215 Taphos  183 Tarent  151, 274, 277, 278, 280, 283, 308 Tartessos  300 Teleklos  277 Telemachos  26, 161, 173, 177, 178, 179, 180, 181, 183, 184, 186, 187, 188, 190, 199, 202, 209, 210, 215, 235, 259, 273 Telephos  248 Telesikles  236 Tell Ahmar  245 Tell Defenneh  207, 220 Tell Kabri  238 Tell Soukas  226 Teos 219, 248

377

Thapsos  294 Thasos  161, 236, 237, 274, 301, 347 Theokles (oikistḗs)  268 Theokles (Söldnervater)  248 Theopomp  281 Thera  143, 149, 151, 207, 247, 261, 262, 263, 266, 273, 283, 303, 305 Theraier  143, 273, 296, 303, 304, 305, 306 Theras (oikistḗs)  149, 261, 262 Thersites  240 Thesproten  197 Thessalien  288, 298 Thoas 214 Thraker  232, 237, 239, 241 Thukles  298 Thymbre  231 Torone  76 Troia  104, 196, 230, 235, 288 Troianer  288 Tsetskhladze, Gocha  21 Tyros  195, 238 Tyrtaios  110, 130, 131, 132, 279 Vulci  207 Wagstaf, Malcolm  151 Walter, Uwe  262 Weber, Max  51, 52, 53, 54, 108, 143, 171, 174, 182, 202 Wees, Hans van  26 Weinsberg  95, 100 Wilhelm I.  16 Wilson, John-Paul  30 Wirtshaus zum Kranen  95 Wooley, Leonard  224, 225, 226 Württemberg  100, 102, 112, 115 Xenophon  76, 281, 282 Zagora  76 Zankle  204, 280, 301, 308 Zeus  72, 91, 106, 107, 109, 110, 111, 115, 129, 130, 147, 168, 190, 193, 214, 232, 268 Zweistromland  siehe Mesopotamien Zypern  207

378

Register

Sachregister Ackerland  siehe Land Adel  60, 91, 271 Agora  105, 222, 247, 264, 278 Agrarland  siehe Land Akteur-Netzwerk-Theorie  62 Akteur-Struktur-Dilemma  45, 54 Allmende  97, 98, 101, 112 Alltagsverständnis  19, 39, 43, 44, 136, 229 Altentötung 144, 145 Älteste  92, 131 Amphora  siehe Transportgefäß androphágoi  siehe Menschenfresser Anker der Ansässigkeit  69, 70, 94, 317 Ansässige  14, 20, 69, 80, 90, 147, 149, 191, 197, 203, 218, 222, 223, 224, 225, 226, 228, 250, 273, 274, 275, 277, 278, 286, 287, 288, 292, 293, 294, 295, 296, 297, 299, 300, 301, 302, 303, 311, 312, 313, 316 Ansehen  siehe Ehre apoikía  13, 15, 19, 22, 23, 39, 66, 73, 88, 140, 141, 142, 143, 217, 221, 223, 226, 261, 262, 263, 270, 271, 276, 277, 278, 279, 280, 285, 286, 290, 292, 298, 299, 306, 308, 309, 310, 311, 314 ápoikoi  309 Arbeitskraft 18, 47, 48, 77, 78, 79, 88, 138, 140, 147, 148, 152, 153, 161 archēgétēs  siehe oikistḗs Ausschluss  siehe Exklusion Autarkie  74, 75, 83, 87, 93, 112, 215, 222 Bahnen der Mobilität  66, 67, 69, 78, 153, 154, 155, 228, 255, 256, 310, 315, 316, 317 base (Gudemann)  58 basileís  28, 78, 91, 92, 94, 104, 105, 106, 107, 108, 114, 133, 134, 161, 173, 174, 175, 176, 178, 180, 181, 182, 183, 188, 189, 197, 198, 201, 202, 203, 208, 209, 214, 232, 235, 259, 260, 261, 268, 270, 293, 294, 311 Beinschienen  242 Bernstein  91 Besitz  siehe Eigentum Besitzverhältnisse  119, 121, 125, 147 Bevölkerungsdruck  siehe Überbevölkerung Bevölkerungsüberschuss  siehe Überbevölkerung

Bewertung  siehe Ressourcen, Wert big men  174, 201, 202 Bindungen – emotionale  41 – interpersonelle  67, 83 – schwache  65 – soziale  41, 46, 63, 64, 68, 85, 93 Blutschuld  265, 276 Boden  siehe Land Britisches Empire  14, 18, 19 Bronze  220, 242 Bronzeplattenpanzer  242 Brustharnisch  242 Bund  14, 176, 185, 194, 203, 230, 235, 237, 253, 298, 299, 301, 312 – Delisch-Attischer Seebund  14 – Peloponnesischer  14 Bürgerkrieg  siehe stásis Bürgerrecht  13, 126, 281, 306 chain migration  siehe Kettenmigration chain relationship  siehe Kettenbeziehung chief  siehe big men counter stream  siehe Migrationsstrom cumulative causation  siehe Verursachung, kummulative dark ages  siehe Dunkle Jahrhunderte Demographie  44, 75, 151 dḗmos  92, 115, 277, 305, 307 Desintegration  20, 68, 69, 83, 108, 112, 113, 114, 117, 134, 153, 272, 275, 276, 283 Devianz  85, 87 Dorfgemeinschaft  46, 47, 48, 70, 80, 83, 84, 85, 93, 94, 272, 275, 276, 311 doxa (Bourdieu)  61 Dunkle Jahrhunderte  30, 31, 156, 201 Dürre  17, 75, 143, 266 Ehe  79, 84, 93, 111, 132, 145, 146, 153, 181, 198, 264, 273, 274, 275, 277, 280, 281, 282, 293, 296, 303, 305 Ehebrauch  siehe Ehe Ehefrau  siehe Ehe Ehepartner  siehe Ehe Ehre  51, 83, 93, 101, 175, 199, 233, 250 Eid der Siedler  258, 262, 306

Sachregister Eigentum  77, 78, 80, 86, 100, 112, 117, 119, 121, 122, 123, 125, 130, 134, 141, 142, 147, 149, 196, 198, 209, 230, 247, 284, 305, 307 Einheit, soziale  51, 52, 53, 54, 58, 62, 70, 76, 93, 155, 157, 172, 173 Elfenbein  91, 220, 246, 248 empórion  13, 192, 207, 217, 218, 219, 220, 221, 222, 223, 224, 226, 227, 295 epeúnaktoi  281 époikoi  301, 309 Erbe  47, 78, 93, 104, 105, 106, 112, 113, 114, 117, 118, 125, 134, 146, 183, 198, 264, 273 Erbschaftsstreit  siehe Erbe Erfahrungswelt  siehe Lebenswelt Erinnerung  23, 125, 272, 273; siehe auch Gedächtnis – erfundene  23 – Erinnerungskultur  24 – Erinnerungsort  73 – geformte  24 – gemeinschaftliche  23, 44, 302 – kollektive  siehe Gedächtnis, kollektives – personalisierte  259, 271, 311 Ethnizität  20, 287, 290 éthnos  70, 176, 180, 298 eunomía  siehe Wohlordnung Exil  100, 246, 247, 248, 253, 308 Exklusion  82, 83, 84, 85, 93, 101, 102, 117, 153, 198, 209, 277, 286 Export  17, 44, 119, 122, 148, 152 face-to-face-Gemeinschaft  87, 93 Fayence  89, 220 Feld (Bourdieu)  35, 54, 59, 60, 61, 62, 63, 64, 70, 107, 108, 112, 114, 122, 127, 172, 174, 175, 176, 202, 204, 208, 209, 240, 241, 247, 253, 295, 303 floating gap  23 Formation, historische  35, 36, 38, 140, 316 Frauen  28, 77, 79, 84, 109, 118, 127, 145, 146, 183, 186, 196, 197, 198, 230, 234, 241, 262, 272, 273, 274, 275, 277, 279, 281, 282, 290, 297, 303, 311 – einheimische  264, 273, 296, 303 – gekaufte  79, 198, 199, 274 – Jungfrau  124, 277, 278, 279

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Fremder  90, 91, 109, 122, 130, 183, 184, 185, 186, 187, 188, 189, 190, 193, 194, 203, 208, 211, 214, 219, 233, 250, 286, 295 Gabentausch  47, 64, 81, 186, 206, 228 Gastfreund  91, 109, 160, 177, 182, 183, 184, 185, 186, 187, 189, 193, 194, 200, 209, 210, 213, 214, 215, 235, 274, 294 Gastfreundschaft  92, 94, 181, 182, 183, 184, 185, 186, 187, 188, 189, 190, 193, 194, 200, 203, 214, 256, 258, 286, 289, 292, 294, 301, 314, 315 Gedächtnis  siehe auch Erinnerung – kollektives  22, 23, 24, 38, 44, 261, 270, 274, 277, 299, 302, 309, 311 – soziales  23 Gegenwert  siehe Bewertung Geld  siehe Wertmaßstab Gender  20, 272, 311 Genealogie  110, 111, 302 geometrical space  siehe Raum Gerechtigkeit  44, 61, 94, 99, 101, 102, 104, 106, 107, 110, 112, 113, 114, 116, 117, 118, 123, 128, 129, 130, 131, 132, 133, 134, 141, 142, 269, 283, 315 – göttliche  107 – Ungerechtigkeit  101, 104, 112, 113, 114, 115, 134, 149, 276, 283, 311 gérontes  siehe Älteste Gesetzgeber  86, 87, 131, 134, 141, 144, 281, 303 Gesetzgebung  78, 87, 102, 103, 116, 117, 119, 123, 127, 133, 134, 140, 141, 144, 308 Getreide  18, 63, 76, 119, 122, 220, 257 – Mehl  159 Gier  124, 125, 141, 200 Gleichheit  91, 118, 127, 142, 269, 270, 307 – Ungleichheit  43, 53, 127, 142, 144 Glockenpanzer  242 Gold  62, 91, 186, 191, 197, 212, 244 – Armreif  250 – Dreifuß  290 – Figur  290 – Geschirr  213 – Schild  290 – Schmuck  91, 234 – Schwertgriff  246, 248 – Weihwasserschale  290 – Ziegel  290

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Register

Gravitationsmodell  40, 41, 44, 67, 68, 69, 135 Große Rhetra  131, 281 Gründer  siehe oikistḗs Gründung  13, 15, 17, 19, 22, 24, 25, 30, 31, 37, 39, 72, 73, 74, 140, 141, 143, 151, 217, 218, 219, 221, 223, 255, 259, 260, 262, 263, 267, 268, 270, 271, 273, 274, 276, 277, 279, 280, 282, 283, 284, 285, 286, 290, 291, 293, 294, 297, 298, 299, 300, 301, 302, 304, 305, 306, 309, 311, 312, 316 – Gründungsphase  223, 297, 305, 306 – Gründungszug  237, 258, 259, 261, 266, 271, 272, 274, 280, 284, 285, 308, 314 – Neugründung  142, 256, 271, 304, 309, 310, 312 Gründungsgeschichte  siehe ktísis Gürtel  245, 290 Habitus  53, 54, 62, 64, 189, 209, 270, 283 Hafen  95, 100, 191, 218, 220, 222, 224, 225, 228, 256, 257 Handel  11, 15, 16, 17, 18, 38, 64, 88, 100, 110, 122, 139, 142, 143, 152, 156, 159, 173, 196, 204, 205, 206, 207, 208, 210, 212, 215, 216, 217, 219, 221, 222, 223, 225, 226, 227, 228, 252, 256, 289, 293, 296, 301, 316 – Handelsexpedition  155, 173, 274 – Handelsinteressen  16, 17, 18, 19, 223 – Handelsplatz  13, 217, 220, 221, 222, 223, 225, 227 – Handelsvolumen  156, 228 – Handelswaren  206, 214, 217, 220, 221 – stiller  212, 213, 227 Handwerker  38, 49, 60, 75, 88, 89, 90, 99, 114, 139, 143, 156, 159, 166, 189, 296, 314, 315 – Arzt  89, 189 – Sänger  27, 89, 183 – Schmied  89, 242 – Töpfer  76, 88, 89, 206 – Vasenmaler  206 – Wahrsager  89 – Zimmermann  89, 97, 189 Hausvorstand  77, 79, 83, 84, 272 hēgemṓn  siehe oikistḗs Heiligkeit  72, 73, 123, 160, 193, 218, 307 Heilmittel  siehe Reinigung Heimkehr  38, 160, 172, 187, 188, 213, 238, 254 Heirat  siehe Ehe

Heiratsalter  siehe Ehe Helm  242, 245, 277 – Kegel-  245, 246 – korinthisch  246 Helotie  133, 277, 278, 279, 281, 283, 298 Hemmnis (Mobilität)  46, 275 hetaíros  173, 174, 175, 176, 177, 178, 179, 180, 181, 182, 183, 189, 190, 193, 197, 198, 200, 201, 202, 209, 210, 235, 259, 294 – Beziehung  177, 178 – Gruppe 176, 203, 314 Hilfe  57, 73, 82, 83, 93, 147, 149, 153, 197, 235, 249, 262 – für Nachkommende  67, 148, 312, 316 – nachbarschaftliche  46, 47, 48, 63, 80, 81, 82, 83, 86, 87, 93, 94, 118 – von Fremden  268, 273, 293 – wechselseitige  47, 73, 81, 93, 112 Hinterland  siehe Land Holz  71, 74, 89, 97, 158, 168, 207, 242, 269 – Bauholz  63, 158, 220 homo oeconomicus  siehe rational-choiceModell Homosexualität  147 Honigkuchen  269 Hoplit  241, 242, 243, 244, 246, 251, 254 hóros  120 Hunger  42, 48, 74, 75, 83, 96, 100, 109, 111, 135, 136, 148, 149, 153, 216, 266 – Hungersnot  9, 11, 42, 44, 75, 95, 143, 147, 148, 149, 153, 276 – Hungerzug  9, 147 Hut, lakonischer  278 Hyakinthos-Fest  277 Hybridität  288, 291, 293 hýbris  104, 111, 115, 123, 124 Identität  11, 20, 48, 224, 235, 237, 255, 259, 275, 287, 288, 289, 290, 291, 292, 293, 301, 304, 306, 312, 316, 317 – ethnische  287, 288, 293, 301 – griechische  287, 289, 290, 291, 292, 293, 295, 312 illusio (Bourdieu)  61, 107, 175 Indigene  siehe Ansässige instant polis  siehe Polis Institutionalismus (Antike Wirtschaft)  205

Sachregister Integration  84, 90, 112, 114, 282, 283, 295, 302, 309 Isonomie  siehe Gleichheit Jungfrau  siehe Frau Käse  160, 199 Keramik  33, 139, 150, 151, 152, 206, 207, 218, 219, 223, 224, 225, 226, 249, 289 – Alltags-  89, 224, 238 – Fein-  206, 220 – lokal  88, 206, 224 – schwarzfigurig  219, 223, 296 – weißglasiert  88 – mykenisch  224 – geometrisch  32, 225 – subgeometrisch  152 – argivisch  225 – protoattisch  88 – attisch  88, 206, 219, 225 – spätattisch  220 – euboiisch  88, 206, 224, 225 – protokorinthisch  88, 152 – frühkorinthisch  88, 223 – mittelkorinthisch  88, 223 – korinthisch  88, 152, 206, 219, 220, 223, 225, 249 – karisch  219 – lakonisch  219 – ostgriechisch  32, 225, 249 – samisch  219 – südionisch  219 Kettenbeziehung  67 Kettenmigration  67, 68, 310, 312 Kinder  9, 77, 78, 83, 111, 139, 140, 146, 147, 178, 197, 199, 230, 263, 274, 275, 277, 278, 281, 282, 311 – legitime  77, 109, 110 – uneheliche  93, 198 Kindsaussetzung  16 Klasse  51, 52, 53, 121, 297 – Besitzklasse (Weber)  52, 77 – classe (Bourdieu)  53, 54 – Erwerbsklasse (Weber)  51, 52 – Klassenbewusstsein (Marx/Engels)  53 – Klassenlage  10, 51, 52, 53, 143 – soziale  28, 52, 53 klḗros  siehe Landlos klērouchía  13, 14, 17, 25

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Knotenpunkte  65, 66 Kolonialgeschichte  14 Kolonialismus  15, 18, 205, 289 – Post-  20, 291 Kolonisation  11, 12, 13, 14, 15, 17, 18, 20, 21, 25, 30, 31, 39, 68, 75, 100, 144, 226, 260, 267, 286, 305, 314 Konkurrenz  23, 62, 63, 174, 208, 215, 261 Konnektivität  65, 66, 67, 155, 157, 203 Konzeptmetapher  67, 69, 70, 155, 317 ktísis  18, 20, 22, 23, 24, 25, 30, 31, 36, 38, 44, 48, 68, 73, 141, 236, 255, 258, 259, 261, 263, 264, 265, 266, 267, 270, 271, 272, 273, 274, 276, 279, 282, 284, 285, 286, 292, 294, 303, 308, 309, 310, 311, 317 – Byzantion/Chalkedon  74 – Kyrene  72, 73, 74, 143, 258, 262, 263, 264, 266, 268, 274, 302, 303, 304 – Mangnesia am Maiandros  265 – Massalia  203, 273, 293, 294 – Rom  291 – Syrakus  265 – Tarent  274, 277, 278, 279, 280, 308 – Thasos  236 – Thera  149, 261 ktístēs  siehe oikistḗs Kultbild  267 Laconia Survey  150 Land  16, 17, 48, 77, 78, 80, 86, 88, 90, 92, 148, 149, 218, 265, 296, 303, 304, 307, 308, 315 – Acker-  16, 73, 109, 112 – Agrar-  150, 151, 152, 221, 227 – Boden  51, 72, 73, 74, 86, 90, 112, 122, 135, 144, 147, 149, 150, 215, 257 – Hinter-  76, 150, 221, 227 – leeres  192, 256, 286, 312 – Weide-  73, 74, 101, 112 Landlos  142, 260, 261, 269, 311 Landnahme  17, 292, 294, 297, 299 Landverteilung  72, 122, 132, 133, 141, 142, 143, 251, 257, 267, 268, 269, 270, 308, 309 Lebenschancen  98, 101, 102, 105, 113, 114, 115, 116, 128, 134, 153, 261, 268, 276, 283, 286, 307, 311 Lebenswelt  18, 25, 28, 30, 33, 36, 46, 48, 49, 60, 71, 75, 76, 79, 81, 88, 102, 106, 107, 112,

382

Register

113, 114, 125, 130, 161, 162, 188, 189, 190, 237, 239, 260, 275, 284, 300 Leder  33, 158, 159, 161, 242 Lehm  74, 224 Leichtbewaffneter  243 Leinen  158, 220, 242 Leinenpanzer  242 Lelantinischer Krieg  33, 75 Linothorax  siehe Leinenpanzer mare clausum  208 Mauern  71, 86, 111, 194, 224, 249, 260, 263, 269, 300 Memoria  siehe Erinnerung; Gedächtnis Menschenfresser  192 Messenischer Krieg  132, 133, 277, 281, 283 mētrópolis  13, 17, 19, 23, 30, 88, 143, 280, 285, 290, 298, 299, 308, 310, 314 Meuterei  172, 180 Middle Ground  293, 295 Migrationsstrom  44, 66, 255, 290 migration stream  siehe Migrationsstrom misthophóros  siehe Söldner Mittel  siehe Ressource Modell  17, 34, 66, 91, 166, 207, 293 – Annahmen  34 – Fall  218, 264, 273 – mathematisches  41 – problematisches  22, 36, 151, 156, 229 – Sozial-  202 – verstecktes  19, 34, 35 Mord  117, 180, 203, 265, 266, 277, 297, 304 Mündlichkeit – Dichtung  26, 27, 32, 33, 263 – Kulturen  33 – oral history  23 – oral poetry  26, 27, 32 – oral tradition  22, 23, 24, 32 – Seefahrt  162, 166, 167 – Überlieferung  24, 34, 249, 302 Münze  78, 120, 227, 251, 252, 253, 254 Münzhort  251 Münzwesen  siehe Münze Muttermord  265 Mutterstadt  siehe mētrópolis Nachbarschaft  47, 48, 70, 79, 80, 81, 83, 84, 86, 87, 93, 94, 107, 112, 114, 135, 145, 146, 197, 310, 311, 315

Nahrung  17, 44, 63, 74, 77, 90, 99, 109, 136, 139, 140, 144, 145, 147, 148, 149, 153, 161, 194, 241 – Import  88, 90, 94, 139, 142 – lokale Produktion von  74, 109, 122 – Mangel an  42, 44, 83, 135, 141, 144, 147, 153 – Selbstversorgung  72, 142, 143 Nationalstaat  11, 45, 94, 140 Nestorbecher  32 Netzwerk  63, 64 – dezentrales  65, 293 – Handels-  139 – persönliches  288 – Theorie  20, 64, 65, 66, 67, 68, 317 Neuansiedlung  30, 38, 270, 274, 292, 311 Neugründung  siehe Gründung Neusiedler  siehe Zuwanderung nodes  siehe Knotenpunkte Nomothet  siehe Gesetzgeber Norm  78, 82, 83, 84, 85, 89, 93, 101, 107, 118, 133, 243, 312 – Abweichung  84, 87, 104, 181, 189, 203 – Autarkie  87 – Erbteilung  78 – Gastfreundschaft  189, 193, 203, 214 – moralische  144 – Reziprozität  siehe Reziprozität – Sesshaftigkeit  44, 45 Normalfall  40, 41, 44, 45, 46, 48, 54, 309, 314 oikistḗs  20, 22, 68, 143, 148, 149, 153, 154, 237, 255, 258, 259, 260, 262, 263, 264, 265, 266, 267, 268, 269, 270, 271, 272, 273, 274, 276, 278, 279, 280, 284, 285, 286, 301, 311, 312 – Amphipolis  299 – Brea (Demokleides)  271 – Kyrene (Battos)  263, 264, 267, 304; siehe auch Battos I. – Mytilene (Archelaos/Gras)  247 – Paros (Telesikles)  236 – Priene (Aigyptos)  265 – Thera (Theras)  261, 283; siehe auch Theras (oikistḗs) Öl  18, 122, 207, 220 – Parfüm  122, 207 Orakelspruch  22, 74, 131, 236, 263, 266, 267, 268, 285, 296 oral history  siehe Mündlichkeit

Sachregister oral poetry  siehe Mündlichkeit oral tradition  siehe Mündlichkeit Ortsgemeinschaft  56, 64, 71, 85, 93, 204, 254 Paiderastie  147 Papyrus  33, 80, 158, 220 Peloponnesischer Krieg  228, 229 períoikos  305, 306 Periplus  162, 163, 167 Perserkriege  14, 156, 289 Piraterie  51, 130, 159, 160, 161, 187, 188, 190, 193, 194, 195, 196, 197, 198, 200, 204, 210, 213, 217, 227, 236, 249, 250, 254 Polis – ideale  131, 142, 143, 222 – instant  270 – Institutionalisierung  18, 23, 25, 31, 70, 90, 173, 174, 258, 270, 271, 308, 309 port of trade  221, 227 Praxis  16, 25, 53, 67, 69, 85, 90, 101, 103, 110, 142, 143, 144, 145, 156, 166, 172, 176, 182, 183, 203, 253, 274, 317 – juristische  102, 106 – landwirtschaftliche  167 – militärische  241 – politische  110, 316 – rituelle  203, 220, 270, 281, 290 – seemännische  160, 162, 166, 167, 202 – soziale  55, 56, 58, 61, 62, 70, 157, 171, 202, 206, 215, 315 – Tausch- 156, 210, 211, 212, 213, 215, 227 – Theorie  53, 55, 56, 57, 59, 61, 62, 65 Priestertum  61, 197, 267, 305, 307 Primitivismus  siehe Institutionalismus (Antike Wirtschaft) Produktionsweise  80, 107, 112, 127, 139, 216, 275 Prostitution  147 Prozess, selbsterhaltender  67, 69, 312, 316 push-/pull-Faktoren  siehe Gravitiationsmodell rational-choice-Modell  41, 45, 138, 171, 205 Raubzug  siehe Piraterie Raum  31, 44, 66, 103, 167, 191, 193, 219, 221, 238, 242, 260, 274, 293 – geographischer  21, 31, 49, 50, 76, 155, 235, 288, 316 – Pluralität der Dimensionen  49 – sozialer  37, 49, 50, 54, 60, 61, 114, 155, 314

383

– verkleinerter  65 Recht  97, 102, 103, 104, 107, 108, 109, 116, 118, 125, 126, 129, 130, 133, 192, 198 – Berechtigung  93, 194, 259, 283, 305, 306 – kodifiziertes  111, 193 – Rechtssprechung  104, 106, 107, 124, 133 – Rechtsstatus  282 – Rechtsstreit  29 – Unrecht  48, 82, 97, 102, 106, 108, 113, 117, 125, 134, 148, 153, 283, 286 Referenzrahmen, historischer  31 Referenzzeit  164 Reform  116, 122, 123, 127, 128, 134, 141, 142, 276, 305 Reinigung  20, 68, 141, 285, 286 Religion  20, 61, 68, 73, 97, 106, 111, 112, 193, 194, 259, 267, 268, 276, 284, 285, 286, 287, 290, 296 Ressource  58 – Abhängigkeit  71, 112, 134, 136 – agrarische  80, 90, 109, 150 – Aktivierung  63, 64, 178, 181, 193, 199, 202 – allokative (Giddens)  57, 58 – Ansässigkeit  63, 65, 69,70, 71, 95, 111, 112, 113, 117, 123, 133, 134, 152, 153, 204, 227, 255, 256, 283, 312, 315 – autoritative (Giddens)  57, 58 – Bereitstellung  147, 148, 149, 153, 154, 157, 227, 258, 266, 311 – Bewertung  56, 58, 59, 61, 62, 65, 69, 70, 73, 170, 237, 253 – Einsatz  59, 62, 63, 81, 150, 158, 170, 189, 208, 217, 285, 315 – Gerechtigkeit  101, 113, 134, 269, 283 – Herrschaft  108, 172, 182, 199, 202, 258, 266, 269, 271, 311 – immaterielle  57, 58, 70, 110, 154, 257, 258, 314, 315 – Komplex  59, 109, 152, 202 – kulturelle  58, 59, 186, 211 – Mangel  57, 59, 138, 147, 316 – materielle  57, 58, 69, 73, 94, 101, 243, 253, 257, 258, 314 – Migration  147, 153, 207, 262, 266, 283, 314 – migrationshemmende  46, 63, 93 – militärische  241, 243

384

Register

– Mobilität  65, 66, 67, 69, 113, 128, 147, 155, 172, 187, 207, 256, 260, 315 – natürliche  57, 72, 74, 112, 138, 228, 315 – nicht-endliche  136, 137 – ökonomische  59, 93, 100, 181, 189, 203, 204, 208, 209, 210, 211, 254 – Produktion  57, 58, 140, 157, 158, 285, 315, 316 – Relationalität  57, 58, 62 – Reproduktion  56, 57, 62, 64, 69, 111, 155, 172, 182, 202, 204, 314 – soziale  58, 64, 81, 82, 93, 146, 149, 178, 180, 181, 182, 184, 189, 193, 199, 202, 203, 228, 258, 260, 294, 302, 314, 315 – Substitution  57, 139, 140, 152 – symbolische  101, 108, 176, 180, 181, 186, 189, 202, 204, 241, 253, 263, 267 – Verteilung  153, 316 – Zugang  69, 82, 85, 149, 153 Reziprozität  47, 60, 63, 81, 83, 93, 107, 112, 133, 185, 201, 228, 315 Richter  104, 106, 107, 134, 174, 268, 307 Rohstoff  siehe Ressource Sanktion  82, 84, 85, 93, 94, 117, 129, 193, 197, 227, 259, 269, 275 Schicht, soziale  28, 52, 54, 189, 208, 243, 289 Schiedsrichter  siehe Richter Schiffsbau  48, 49, 156, 157, 158, 159, 169, 170, 315 Schild  239, 240, 241, 242, 247, 254, 290 – Buckel  242 Schulden  83, 119, 120, 121 – Schuldknechtschaft 120, 125, 310 Schwerbewaffnete  siehe Hoplit Seeraub  siehe Piraterie Selbstbeschreibung  27, 28, 237 Selbstversorgung  siehe Autarkie; Nahrung self-sustaining process  siehe Prozess, selbsterhaltender Sesshaftigkeitsparadigma  40, 41, 44, 45, 46, 48, 68 Silber  91, 220, 244, 290 – Becher  197 – Gießgeräte  290 – Krater  290 – Pithos  290 – Schale  246, 290 Skarabäus  89

Sklaven  28, 76, 77, 92, 113, 125, 126, 127, 128, 130, 134, 143, 161, 180, 188, 199, 204, 206, 214, 227, 251 social space  siehe Raum social ties  siehe Bindungen, soziale Söldner  155, 204, 228, 229, 230, 231, 234, 235, 237, 238, 241, 243, 244, 245, 246, 248, 249, 250, 251, 252, 253, 254, 286, 293, 314 SOS-Amphora  siehe Transportgefäß Sozialmodell  siehe Modell Speer  232, 239, 241 stásis  112, 124, 125, 132, 143, 247, 276, 280, 301, 304, 307 Strafe – göttlich  111, 112, 123, 124, 193, 214 – weltlich  84, 90, 308 Subsistenz  42, 75, 88, 136, 243, 315 Tagelöhner  siehe thḗtes thḗtes  28, 77, 99, 210 ties  siehe Verbingungen Tischamphora  220 Tonerzeugnis  siehe Keramik Töpfererzeugnisse  siehe Keramik Transportgefäß  206, 207 – Amphora  206, 220, 290 – Sack, vernäht  159 – Schlauch  159 – SOS-Amphora  207 Troianischer Krieg  156, 234 Überbevölkerung  16, 17, 18, 19, 39, 42, 43, 44, 135, 136, 140, 141, 142, 144, 145, 147, 149, 152, 153, 276, 316 Überschüsse  48, 73, 74, 76, 79, 93, 100, 122, 128, 135, 147, 153, 170, 217, 227, 256, 257, 258, 315 Ungerechtigkeit  siehe Gerechtigkeit Ungleichheit  siehe Gleichheit Unrecht  siehe Recht Vasen  siehe Keramik Vazieren  38 Verbindungen  23, 64, 65, 66, 67, 88, 155, 170, 185, 186, 213, 230, 260, 274, 286, 289, 304, 306, 310, 316 Vergesellschaftung  51, 52, 53, 54, 56, 65, 71, 255, 314 Vergessen  190, 191, 289 – kollektives  24, 302, 309

Sachregister Vergewaltigung  104, 296, 297 Verheiratung  siehe Ehe Verkaufswert  siehe Bewertung Vertreibung  30, 129, 196, 249, 261, 262, 275, 294, 297, 298, 299, 300, 301, 303, 308 Verursachung, kumulative  67, 68, 69, 155, 309, 312, 315, 316 Vieh  77, 78, 85, 87, 113, 160, 190, 197, 199, 204, 213 Vorräte  46, 48, 72, 77, 82, 83, 84, 146, 148, 153, 157, 159, 160, 161, 166, 170, 190, 204, 220, 256, 257, 259, 276, 310 Wanderschaft  siehe Vazieren Wanderung, dorische  16 Wanderung, ionische  16, 30 Wasser  73, 74, 86, 87, 118, 159 weak ties  siehe Bindungen, schwache Wechselwirkung  23, 25, 51, 52, 55, 61, 157, 168, 171, 174, 228, 316, 317 Weideland  siehe Land Weihegabe  89, 242, 244, 250, 290 Wein  18, 119, 159, 168, 197, 199, 207, 220, 239, 290, 293

385

Wert  48, 56, 61, 62, 76, 108, 139, 184, 203, 210, 211, 212, 240, 241, 252, 253, 315, 316 Wertmaßstab  120, 210 – Geld  58, 78, 121, 143, 210, 211, 212, 213, 227 Willkür  97, 108, 125, 175, 199 Wissen 57, 58, 59, 147, 155, 161, 167, 203, 217, 254, 258, 268, 284, 314, 315, 317 – nautisches 49, 159, 161, 162, 166, 167, 169, 172, 202, 258, 269, 276 – praktisches  166, 315 – schriftliches  162, 167 Wohlordnung  48, 110, 111, 124, 131, 132 Wolle  48, 76, 109 Würfelhocker  250, 251 xénos  siehe Fremder; Gastfreund Zins  120 Zivilisationsbringer  14 Zuwanderung  9, 20, 37, 88, 137, 153, 186, 255, 256, 257, 261, 275, 286, 292, 296, 297, 298, 301, 302, 303, 304, 305, 306, 307, 308, 309, 310, 312, 316 Zwang 100, 118, 126, 128, 135, 177, 229