Syntaktische Variation aus synchronischer und diachronischer Perspektive: Die Entwicklung der Wortstellung im Portugiesischen 9783964561930

Anhand einer sorgfältig ausgewählten Datenbasis wird die Wortstellung im Altportugiesischen des 13. Jahrhunderts beschri

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Syntaktische Variation aus synchronischer und diachronischer Perspektive: Die Entwicklung der Wortstellung im Portugiesischen
 9783964561930

Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
1. Einleitung
2. Die Stellung des finiten Verbs
3. Wortstellungsvariation und Satzstruktur
4. Die Objektstellung in Infinitivkonstruktionen
5. Schlussbetrachtung
6. Quellen- und Literaturverzeichnis

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Esther Rinke Syntaktische Variation aus synchronischer und diachronischer Perspektive

Editionen der Iberoamericana Ediciones de Iberoamericana Serie A: Literaturgeschichte und -kritik / Historia y Crítica de la Literatura Serie B: Sprachwissenschaft / Lingüística Serie C: Geschichte und Gesellschaft / Historia y Sociedad Serie D: Bibliographien / Bibliografías

Herausgegeben von / Editado por: Mechthild Albert, Walther L. Bernecker, Frauke Gewecke, Jürgen M. Meisel, Klaus Meyer-Minnemann, Katharina Niemeyer B: Sprachwissenschaft / Lingüística, 6

Esther Rinke

Syntaktische Variation aus synchronischer und diachronischer Perspektive Die Entwicklung der Wortstellung im Portugiesischen

Vervuert Verlag • Frankfurt am Main

2007

Gedruckt mit Unterstützung des Förderungsund Beihilfefonds Wisssenschaft der V G Wort.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. ISBN 978-3-86527-302^ (Vervuert) D.L: B-9.630-2007 © Vervuert Verlag, 2007 Wielandstr. 40 - D-60318 Frankfurt am Main [email protected] www.ibero-americana.net Alle Rechte vorbehalten Umschlagentwurf: Michael Ackermann unter Verwendung einer Fotografie von Esther Rinke Gedruckt auf säure- und chlorfreiem, alterungsbeständigem Papier gemäß ISO-Norm 9706 Printed in Spain by Cargraphics

In halts Verzeichnis

Vorwort

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1. Einleitung 1.1 Fragestellung und Hypothesen 1.2 Die Datenbasis 1.2.1 Der Untersuchungszeitraum 1.2.2 Kriterien der Textauswahl 1.2.2.1 Die Auswahl der Textsorte 1.2.2.2 Die Auswahl der Editionen 1.2.3 Beschreibung des verwendeten Korpus 1.3 Theoretische Grundannahmen 1.3.1 Grammatikmodell und Satzstruktur 1.3.2 Synchronische syntaktische Variation 1.3.2.1 Merkmalskonfiguration und Merkmalsstärke 1.3.2.2 Universale Basiswortstellung versus Direktionalitätsparameter 1.3.2.3 Schlussfolgerungen 1.3.3 Diachronische syntaktische Variation

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2. Die Stellung des finiten Verbs 2.1 Verb-Zweit-Phänomene 2.1.1 Syntaktische Eigenschaften von Verb-Zweit-Sprachen 2.1.2 Residuale Verb-Zweit-Stellung in den romanischen Sprachen 2.2 Traditionelle und generative Arbeiten zur Verb-Zweit-Stellung in den mittelalterlichen romanischen Sprachen 2.2.1 Traditionelle Arbeiten 2.2.2 Generative Analysen zum Französischen 2.3 Die Stellung des finiten Verbs im Altportugiesischen 2.3.1 Verbstellung in Hauptsätzen 2.3.2 Verbstellung in Nebensätzen 2.3.3 Zusammenfassung der Ergebnisse

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42 46 46 49 52 56 61 64

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2.4 Analyse von Subjekt-Verb-Inversion 2.4.1 Die Analysen von Ribeiro (1995) und Salvi (2001) zum Altportugiesischen 2.4.2 Interpretation und strukturelle Position invertierter Subjekte 2.4.2.1 Inversion im modernen Portugiesischen 2.4.2.2 Inversion im Altportugiesischen 2.5 Die Stellung des finiten Verbs im Portugiesischen des 16. Jh.... 2.5.1 Verbstellung in Hauptsätzen 2.5.2 Verbstellung in Nebensätzen 2.6 Zusammenfassung von Kapitel 2

65 66 71 71 79 85 85 87 88

3. Wortstellungsvariation und Satzstruktur 3.1 Modernes Portugiesisch und Lateinisch 3.1.1 Die Wortstellung im modernen Portugiesischen 3.1.2 Die Wortstellung im Lateinischen 3.1.3 Kontrastive Betrachtung der Satzstruktur im modernen Portugiesischen und im Lateinischen 3.2 Traditionelle und generative Arbeiten zur diachronischen Entwicklung der Wortstellung im Portugiesischen 3.2.1 Traditionelle und deskriptive Studien 3.2.2 Generative Studien 3.3 Die Wortstellung im Altportugiesischen 3.3.1 Die Stellung der Konstituenten in Haupt- und Nebensätzen 3.3.2 Grundwortstellung versus Topikalisierung 3.3.3 SOV-Stellung mit unmarkierter Lesart 3.4 Die Wortstellung im 16. Jh 3.5 Zusammenfassung von Kapitel 3

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4. Die Objektstellung in Infinitivkonstruktionen 4.1 Die strukturelle Beschreibung von OV/VO-Variation in Infinitivkonstruktionen 4.1.1 Parametrisierung der Verbalphrase 4.1.2 Merkmalsspezifikation von Infinitiven im Portugiesischen und im Lateinischen 4.1.3 Einige Generalisierungen, das Altportugiesische betreffend 4.2 Objektstellung in Modalverbkonstruktionen 4.2.1 Modalverben im modernen Portugiesischen 4.2.1.1 Die syntaktische Struktur von Modalverbkonstruktionen im modernen Portugiesischen

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7 4.2.1.2 Objektstellung in Modalverbkonstruktionen im modernen Portugiesischen 4.2.2 Modalverben im Altportugiesischen 4.2.2.1 Die syntaktische Struktur von Modalverbkonstruktionen im Altportugiesischen 4.2.2.2 Objektstellung in altportugiesischen Modalverbkonstruktionen 4.3 Objektstellung in Infinitivkomplementen kausativer Verben 4.3.1 Kausativkonstruktionen im modernen Portugiesischen 4.3.1.1 Die syntaktische Struktur der Infinitivkomplemente kausativer Verben im modernen Portugiesischen 4.3.1.2 Objektstellung in Infinitivkomplementen kausativer Verben 4.3.2 Kausativkonstruktionen im Lateinischen 4.3.2.1 Der Acl in Komplementposition kausativer Verben 4.3.2.2 Objektstellung in Kausativkonstruktionen im Lateinischen 4.3.3 Periphrastische Kausativkonstruktionen im Altportugiesischen 4.3.3.1 Ergebnisse der Datenanalyse und Generalisierungen 4.3.3.2 Interpretation der Ergebnisse und syntaktische Analyse 4.3.4 Kausativkonstruktionen im 16. Jh 4.4 Zusammenfassung von Kapitel 4

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5. Schlussbetrachtung

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6. Quellen- und Literaturverzeichnis 6.1 Quellen 6.2 Wissenschaftliche Literatur

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Vorwort

Bei der Niederschrift dieser Arbeit konnte ich von der Unterstützung vieler Menschen profitieren, denen ich hiermit ausdrücklich danken möchte. Ich bedanke mich an erster Stelle bei meinem Betreuer Jürgen Meisel für seine Unterstützung. Insbesondere bin ich ihm sehr dankbar dafür, dass er mir die Mitarbeit im DFG-geförderten Forschungsprojekt „Mehrsprachigkeit als Ursache und Folge von Sprachwandel: Historische Syntax romanischer Sprachen" ermöglicht hat und dass er meine Arbeit immer wohlwollend und mit vielen Anregungen begleitet hat. Georg Kaiser hat mich schon während meines Studiums für die historische Syntax der romanischen Sprachen begeistert. Ohne ihn hätte ich vielleicht nie eine solche Arbeit in Angriff genommen. Ihm verdanke ich außerdem viele hilfreiche Kommentare und Gespräche. Ich habe es als großes Privileg empfunden, verschiedene Aspekte meiner Arbeit mit Kolleginnen und Kollegen am Sonderforschungsbereich „Mehrsprachigkeit" der Universität Hamburg diskutieren zu können. Viele wertvolle Kommentare verdanke ich Maria Goldbach, Imme Kuchenbrandt, Tanja Kupisch und Katrin Schmitz. Weiterhin danke ich Martin Elsig, Barbara Hänel, Gisella Ferraresi und Ioanna Sitaridou für ihre Unterstützung. Am Sonderforschungsbereich „Mehrsprachigkeit" hatte ich darüber hinaus die Gelegenheit, verschiedene Aspekte meiner Arbeit mit auswärtigen Gästen zu besprechen. Als besonders wertvoll und inspirierend empfand ich den Austausch mit Ana Maria Martins und Pilar Barbosa. Bei der Erstellung der Datenbank im Projekt, die ich für diese Arbeit nutzen konnte, haben mir Lilian dos Santos, Ligia Karina de Carvalho Costa, Renato Torres und Silvia Kazumi Daiten geholfen. Herzlichen Dank dafür! Beim „Instituto Camöes" und insbesondere bei Alexandra Pinho bedanke ich mich für die Bereitstellung eines Forschungsstipendiums, das mir einen einmonatigen Aufenthalt in Lissabon ermöglicht hat. Madalena Simöes und Cristina Flores möchte ich dafür danken, dass sie mir gelegentlich geduldig ihre muttersprachliche Kompetenz geliehen haben. Ich danke meiner Freundin Luisa Santos für ihre Unterstützung während meines Aufenthaltes in Lissabon.

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Mein besonderer Dank gilt meiner Familie und meinen Freunden, und insbesondere meinem Mann Reinhard, ohne dessen Unterstützung ich diese Arbeit nicht hätte schreiben können. Ich widme diese Arbeit meinem Sohn Vincent. Hamburg, im August 2006

1. Einleitung

1.1 Fragestellung und Hypothesen Thema dieser Arbeit ist die diachronische Entwicklung der Wortstellung im Portugiesischen, wobei der Fokus auf der synchronischen Analyse der Wortstellung des Altportugiesischen im 13. und beginnenden 14. Jh. liegt. Im Zusammenhang mit der Herausbildung der romanischen Sprachen aus dem Lateinischen wird in der romanistischen Sprachwissenschaft erstens die Entwicklung der sogenannten „freien Wortstellung" des Lateinischen zur weniger variablen Wortstellung in den romanischen Sprachen und zweitens der Wandel von der lateinischen (S)OV-Stellung zur romanischen (S)VO-Stellung diskutiert. Es wird angenommen, dass diese Entwicklungen bereits in vulgärlateinischer Zeit ihren Anfang genommen haben. Die mittelalterlichen Varianten der romanischen Sprachen sind im Hinblick auf ihre Wortstellung von besonderem Interesse, weil sie nicht nur chronologisch zwischen dem Lateinischen und den heutigen Varianten liegen, sondern weil ihnen auch nachgesagt wird, dass sie im Hinblick auf die Variabilität der Wortstellung eine Art Zwischenstellung zwischen beiden einnehmen. Für das Altportugiesische wird beispielsweise postuliert, dass es eine größere Flexibilität der Wortstellung aufweist als das moderne Portugiesische. A antiga língua era muito mais livre do que a actual na escolha do lugar que atribuía a cada membro da frase... (Nunes 1906: CXXIV) Außerdem wird in Arbeiten zum Französischen aber auch zum Portugiesischen davon ausgegangen, dass die mittelalterlichen romanischen Sprachen eine VerbZweit-Grammatik aufweisen, die sie sowohl vom Lateinischen, als auch von den modernen romanischen Varianten unterscheidet (Adams 1987, 1988, Benincá 1983/1984, Roberts 1993, Vanee 1997 für das Französische, Fontana 1993 für das Spanische, Ribeiro 1995, Sal vi 2001, 2004 für das Portugiesische).

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Eine systematische Beschreibung der Wortstellung des Altportugiesischen auf der Basis eines sorgfaltig ausgewählten Datenkorpus und ihre Analyse im Rahmen einer klar definierten syntaktischen Theorie wurde bisher jedoch nur teilweise geleistet. Hervorzuheben ist vor allem die unveröffentlichte Dissertation von Martins (1994), die sich auf den Stellungswandel der klitischen Objektpronomina konzentriert. Die vorliegende Arbeit möchte einen weiteren Beitrag hierzu leisten. Ich werde sowohl eine synchronische Perspektive im Hinblick auf die Syntax des Altportugiesischen einnehmen, als auch eine diachronische Perspektive hinsichtlich der Erklärung syntaktischer Variation in den altportugiesischen Texten. Meine Herangehensweise ist auch insofern diachronisch, als ich mich in dieser Arbeit auf bestimmte syntaktische Wortstellungsphänomene konzentriere, fur die aus diachronischer Sicht Variation im Altportugiesischen zu erwarten ist. Dies betrifft erstens die bereits erwähnte Stellung des finiten Verbs im Satz bzw. eine mögliche Verb-Zweit-Stellungseigenschaft des Altportugiesischen, die das moderne Portugiesischen nicht (mehr) aufweist. Zweitens leitet sich aus der bereits eingangs erwähnten unterschiedlichen Grundwortstellung des Lateinischen (SOV) und des modernen Portugiesischen (SVO) her, dass bei der Herausbildung der romanischen Varietäten ein Wandel bezüglich der unmarkierten Wortstellung stattgefunden hat. Im Hinblick auf das Altportugiesische ist deshalb von Interesse, ob es bereits als S VO-Sprache oder noch als SOV-Sprache zu charakterisieren ist, bzw. ob es syntaktische Variation hinsichtlich der unmarkierten Wortstellung aufweist. Drittens unterscheiden sich das Lateinische und das moderne Portugiesische auch im Hinblick auf die Objektstellung in Infinitivkonstruktionen. Während das Lateinische im unmarkierten Fall OV-Stellung aufweist, zeigt das moderne Portugiesische VO-Stellung. Auch hier muss geklärt werden, ob das Altportugiesische eine OV- bzw. VO-Grammatik aufweist und wie eventuelle Variation im Hinblick auf diese grammatische Eigenschaft erklärt werden kann. Die genannten Phänomene sind auch insofern interessant, weil sie erstens drei verschiedene Domänen des Satzes repräsentieren und ihre Untersuchung somit ermöglicht, zu einem besonders umfassenden Bild der Satzstruktur des Altportugiesischen zu gelangen. Verb-Zweit-Stellung betrifft die CP-Domäne, unmarkierte SOV- bzw. SVO-Stellung vor allem die TP-Domäne und eingebettete Infinitive vor allem die vP-Domäne. Zweitens stehen die genannten Eigenschaften in einem engen strukturellen Zusammenhang zueinander. Die syntaktische Analyse der Grundwortstellung basiert auf einer Hypothese darüber, in welche strukturelle Position sich das finite Verb bewegt. Die Objektstellung in Infinitivkomplementen kann nicht beurteilt werden, ohne auf die Stellung des finiten Matrixverbs und die Direktionalität der TP-Kategorie, die die unmarkierte Wortstellung bestimmt, Bezug zu nehmen. Ich

I. Einleitung

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werde mich also in den unterschiedlichen Bereichen an verschiedenen Stellen auf die anderen betrachteten syntaktischen Phänomene beziehen. Ein Resultat dieser Arbeit ist außerdem, dass die drei Phänomene der Verbstellung, Grundwortstellung und Objektstellung in eingebetteten Infinitiven verschiedene Aspekte der diachronischen Entwicklung der Wortstellung bzw. der syntaktischen Variation illustrieren. Für den Bereich der Verbstellung werde ich in Kapitel 2 argumentieren, dass scheinbare Verb-Zweit-Sätze aus struktureller Perspektive in keinem Zusammenhang mit der Verb-Zweit-Stellungseigenschaft stehen, wie sie die germanischen Sprachen aufweisen, sondern im Rahmen einer Nicht-Verb-Zweit-Grammatik interpretiert werden müssen. Meiner Analyse zufolge ist also das Altportugiesische keine Verb-Zweit-Sprache. Es findet dementsprechend kein Wandel dieser Eigenschaft in der historischen Entwicklung des Portugiesischen statt. Im Hinblick auf die Grundwortstellung werde ich in Kapitel 3 belegen, dass das Altportugiesische ebenso wie das moderne Portugiesische als SVO-Sprache zu charakterisieren ist. SOV-Stellungsmuster, die lateinische Satzstrukturen darstellen, treten ausschließlich in Schlussformeln auf. Solche Sätze sind nicht produktiver Teil der Grammatik der Sprecher, sondern formelhafte Strukturen bzw. Konventionen, die diese aus der Zweitsprache Latein übernommen haben. Der Bereich der Objektstellung in eingebetteten Infinitivkonstruktionen, der in Kapitel 4 thematisiert wird, ist besonders interessant, weil sich dort - insbesondere in Zusammenhang mit kausativen Verben - scheinbar Variation von OV- und VO-Stellung findet. Ich werde dafür argumentieren, die Infinitivkonstruktionen mit OV-Stellung als Passivkonstruktionen zu analysieren, wobei die zwischen finitem Verb und Infinitiv stehende Nominalphrase aus syntaktischer Sicht als Subjekt des Infinitivs aufgefasst werden muss. Auch diese Konstruktion ist aus dem Lateinischen überliefert, allerdings ist sie in diesem Fall mit der Satzstruktur des Altportugiesischen uneingeschränkt vereinbar. Zum Verlust der scheinbaren OV-Stellungen fuhrt die Konkurrenz mit flektierten Infinitivkonstruktionen, die ab dem 16. Jh. in der Komplementposition kausativer Verben auftreten können. Der Anspruch dieser Arbeit besteht darin, nicht nur ein möglichst umfassendes Bild der Wortstellung des Altportugiesischen zu zeichnen und die getroffenen Generalisierungen systematisch empirisch zu belegen, sondern auch darin, explizite und damit falsifizierbare Annahmen über die Satzstruktur des Altportugiesischen zu machen. Die verwendete Datenbasis und das zu Grunde gelegte Grammatikmodell werde ich nun in Kapitel 1.2 und 1.3 vorstellen und erläutern.

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1.2 Die Datenbasis Als empirische Grundlage für diese Arbeit dienen Urkunden des 13./14. Jh. und des 16. Jh. aus verschiedenen Regionen Portugals und Galiciens. Im folgenden Abschnitt möchte ich die Auswahl des Untersuchungszeitraums und der Textgrundlage begründen. 1.2.1 Der Untersuchungszeitraum Die zeitliche Begrenzung des Untersuchungszeitraums (ab 1250) ergibt sich zunächst aus rein praktischen Erwägungen, da für die Zeit vor 1250 keine oder nur sehr wenige Dokumente zur Verfügung stehen. Ab wann man von einer schriftlichen Dokumentation in portugiesischer Sprache ausgehen kann, ist umstritten (vgl. Martins 2001b). Es wird jedoch im Allgemeinen davon ausgegangen, dass seit Beginn des 13. Jh. die Produktion von portugiesischen Texten dokumentiert ist (Mattos e Silva 1989, Castro 2001, Martins 2001b). Zwar finden sich bereits im 9. Jh. in vulgärlateinischen Dokumenten erste galicische bzw. portugiesische Wörter1 und gegen Ende des 12. Jh. bereits erste schriftliche Zeugnisse des Portugiesischen. Dabei dabei handelt es sich jedoch meist nur um kurze Passagen oder, wie im Falle des ältesten bekannten Dokuments in portugiesischer Sprache,2 um eine kurze Notiz auf einem lateinischen Dokument. Die von mir verwendete Edition von Maia (1986) enthält kein vor 1250 datiertes Dokument; die Ausgabe von Martins (2001) nur ein einziges auf 1243 datiertes Dokument, das einen nicht geringen Anteil an lateinischem Vokabular enthält und deshalb für die Betrachtung ausgeschlossen wurde. Es wurden also für den Zeitraum von 1250-1299 die frühesten datierten Dokumente aus den beiden verwendeten Editionen herangezogen. Die Ausweitung des Untersuchungszeitraums für das Altportugiesische auf den Zeitraum bis 1349 und der diachronische Vergleich mit Dokumenten des 16. Jh., von denen ausgegangen wird, dass sie bereits einer anderen sprachgeschichtlichen Epoche angehören, steht sowohl in Übereinstimmung mit traditionellen, historisch basierten Periodisierungen der portugiesischen Sprachgeschichte (Vasconcelos 41966, Vasconcelos 1911-13, Vázquez Cuesta & Luz 1971), als auch mit solchen, die linguistische Kriterien der Periodisierung annehmen (Bechara 1991, Maia 1999, Martins 2002b). Als altportugiesische Periode3 wird mit geringen Unterschieden die Phase von den Anfangen der Do' 2 3

Siehe u. a. Neto (1952) und Castro (1991). Es handelt sich um die „Noticiados Fiadores" von 1175; siehe Martins (2001b). Portugués antigo (Mattos e Silva 1991; Castro 1991), Portugués Arcáico (Da Silva 1997), Galego-Portugués (Vázquez Cuesta & Luz 1971).

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1. Einleitung

kumentation bis zur Mitte, bzw. zum Ende des 14. Jh. betrachtet. Von da an bis zur ersten Hälfte bzw. Mitte des 16. Jh. spricht man vom Mittelportugiesischen. 4 Ab etwa der Mitte des 16. Jh. beginnt die Phase des modernen Portugiesischen bzw., sofern eine weitere Unterteilung vorgenommen wird, die Periode des klassischen Portugiesischen, der das moderne Portugiesische folgt. In traditionellen Arbeiten wie z.B. Vasconcelos (1922), werden vor allem sprachexterne Kriterien der Periodisierung herangezogen, beispielsweise wird die Publikation der Lusiaden von Luis de Camöes im Jahr 1572 mit dem Beginn des modernen Portugiesischen gleichgesetzt. Für Castro (1991) endet die Phase des Altportugiesischen im Jahr 1385, mit dem Beginn der Aviz-Dynastie, die das Zeitalter der portugiesischen Entdeckungsfahrten eingeläutet hat und damit die weltweite Verbreitung der portugiesischen Sprache. Den Beginn des modernen Portugiesischen datiert Castro (1991) auf das Jahr 1536, in dem die Grammatica da lingoagem portuguesa von Fernäo de Oliveira erscheint, der bedeutende mittelalterliche Autor Gil Vicente stirbt und die mittelalterliche Universität von Lissabon geschlossen und in Coimbra neu eröffnet wird. Martins (2002b) basiert ihre Überlegungen zur Periodisierung der portugiesischen Sprachgeschichte auf sprachinternen Kriterien, nämlich auf ihren Beobachtungen bezüglich des Stellungswandels der klitischen Objektpronomina. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass sich der Wandel von enklitischer Stellung (im 13. Jh.) zu proklitischer Stellung (im 16. Jh.) langsam und graduell vollzieht, wobei in der ersten Hälfte des 15. Jh. eine Umkehrung der Tendenz von dominant enklitischer zu dominant proklitischer Stellung stattfindet. Die Auswahl von Texten aus dem Untersuchungszeitraum von 1250 bis 1350 lässt also eine relative sprachliche Homogenität der Quellen erwarten. Ein Vergleich mit Urkunden aus der ersten Hälfte des 16. Jh. ist deshalb interessant, weil sich diese Texte, die bereits einer anderen sprachhistorischen Periode (nämlich dem Mittelportugiesischen) angehören und an der Grenze zum modernen Portugiesischen entstanden sind, von denen des 13. Jh. sprachlich unterscheiden könnten, worauf bereits die unterschiedliche Stellung der klitischen Objektpronomina hinweist (vgl. Martins 2002b). 1.2.2 Kriterien der Textauswahl Die Auswahl der empirischen Basis für sprachhistorische Untersuchungen stellt naturgemäß eine besondere Herausforderung dar. Das liegt insbesondere

4

Portugués mèdio (Mattos e Silva 1991 ), Portugués Pré-clássico (Vázquez Cuesta & Luz 1971), Portugués Arcàico Mèdio (Bechara 1991), Portugués da Prosa histórica ou na-

cional (Vasconcelos 1911-13).

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daran, dass auf schriftliche Quellen zurückgegriffen werden muss, weil spontane mündliche Rede oder die Befragung von Muttersprachlern nicht verfügbar sind. Die sorgfaltige Auswahl der Texte ist dementsprechend besonders wichtig, um zu adäquaten Generalisierungen bezüglich der Grammatik einer bestimmten sprachhistorischen Epoche zu gelangen. Dabei stößt man jedoch gelegentlich auf das Problem, dass einerseits geeignete Texte nicht oder nur in sehr begrenzter Auswahl zur Verfugung stehen bzw. dass die zur Verfügung stehenden Texte nicht in jeder Hinsicht geeignet sind. Der Korpus für die sprachhistorische Untersuchung kann also im Gegensatz zu synchronischen Korpora nicht in Übereinstimmung mit der Fragestellung gewählt werden, sondern muss auf der Basis dessen erstellt werden, was zufälligerweise von der Textproduktion einer bestimmten Epoche überliefert ist (Mattos e Silva 1989: 9). Gerade deshalb erfordert die Auswahl der Textgrundlage eine gewissenhafte Reflexion und eine Offenlegung der zu Grunde gelegten Kriterien. Ich möchte im Folgenden diejenigen Aspekte illustrieren, die meines Erachtens dabei eine besondere Rolle spielen und begründen, warum ich mich entschieden habe, Urkunden als Textbasis zu verwenden. 1.2.2.1 Die Auswahl der Textsorte Bei der Auswahl der Textsorte, die der empirischen Untersuchung zu Grunde liegen soll, spielen zunächst zwei Parameter eine Rolle: Erstens müssen literarische Texte und nicht-literarische Texte unterschieden werden, zweitens muss innerhalb der literarischen Texte zwischen Prosatexten einerseits und poetischen Texten andererseits eine Unterscheidung vorgenommen werden. Für das Altportugiesische, insbesondere für die frühe Phase des 13. Jh., stehen mehr poetische Texte als Prosatexte zur Verfügung (z.B. „Cancioneiro de Ajuda" (ed. Vasconcelos 1990); „Cantigas d'escarnho e de mal dizer" (ed. Lapa 1995), „Arte de trovar do Cancioneiro da Biblioteca Nacional de Lisboa" (ed. Tavani 1999). Diese Texte sind allerdings für syntaktische Untersuchungen und insbesondere für Wortstellungsanalysen weitgehend ungeeignet, da die Bindung an Reim und Versmaß dazu führt, dass syntaktische Einheiten aufgebrochen und syntaktische Regeln verletzt werden könnten, woraus fehlerhafte Generalisierungen bezüglich der Wortstellung resultieren können. Die Verwendung literarischer Prosatexte für die Untersuchung des Altportugiesischen ist problematisch, da es große Schwierigkeiten bei der Datierung der vorhandenen Texte, insbesondere für die Phase vor dem 15. Jh. und bei ihrer Zuordnung zu einem bestimmten Schreiber gibt (Castro 1991).

1. Einleitung

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O patrimònio textual da Idade Média portuguesa é constituido, quase em totalidade, por copias feitas por escribas geralmente anónimos, em datas, locais e circunstâncias que sào desconhecidos ou duvidosos. (Castro 1991: 178)

Wenngleich ich mit Castro (1991: 181) und Mattos e Silva (1989: 40) übereinstimme, dass literarische Prosatexte für linguistische Untersuchungen durchaus geeignet sein können, sofern die notwendigen Informationen zur Entstehung der Texte rekonstruiert werden können, so ist mir jedoch kein literarischer Prosatext des 13. Jh. bekannt, der tatsächlich diese Bedingung erfüllt. Für die vorliegende Studie ist es jedoch von besonderer Bedeutung, möglichst frühe altportugiesische Texte auszuwählen, um eventuelle Reflexe des Wandels der Wortstellung vom Lateinischen zum Portugiesischen zu registrieren. Ich habe mich deshalb entschieden, nicht-literarische Texte als Datengrundlage fur meine Arbeit zu verwenden. Ich bin überzeugt, dass die Vorteile der Verwendung dieser Texte die möglichen Nachteile überwiegen. Als Vorteil sehe ich die folgenden Eigenschaften der Urkunden. Erstens handelt es sich ausnahmslos um Originaltexte. Während die meisten literarischen Prosatexte des Mittelalters in portugiesischer Sprache Übersetzungen vor allem aus dem Spanischen und Französischen - sind, kann bei den Urkunden ein Einfluss durch die Sprache einer verwendeten Vorlage ausgeschlossen werden. Zweitens sind alle Texte sowohl klar datierbar, als auch eindeutig lokalisierbar, und selbst der Schreiber ist in den meisten Fällen bekannt. Als ein Nachteil der Urkunden wird immer wieder genannt, dass „... die meisten ihrer Textteile aufgrund ihres formelhaften Charakters fur die Untersuchung des produktiven Sprachgebrauchs unbrauchbar sind" (Goldbach 2004: 5). Abgesehen davon, dass letzteres in unterschiedlicher Weise für alle schriftlichen Quellen gilt, hat die auf Urkunden basierende Studie von Martins (1994) zum Stellungswandel der Objektklitika im Portugiesischen eindrucksvoll belegt, dass sich die Position der pronominalen Objekte selbst in den scheinbar gleichbleibenden Formeln verändert. Martins (2001 c: 30ff.) ist sogar der Ansicht, dass gerade in den Formeln bestimmte Formen der synchronischen und diachronischen syntaktischen Variation besonders hervortreten können. Beispielsweise beinhalten die Urkunden des Klosters Chelas eine Art Einleitungsformel, die beschreibt, dass sich die Nonnen beim Klang der Glocke im Kapitelsaal versammeln, um Verträge urkundlich zu bewilligen. Diese Einleitungsformel bleibt zwar über zwei Jahrhunderte praktisch gleich, nur versammeln sich die Nonnen ab der Mitte des 15. Jh. nicht mehr ao som de campä tanjuda (wörtlich: „beim Klang der geläuteten Glocke"), sondern ao som de campä tanjida. Obwohl die Formel selbst also gleich bleibt, ändert sich die Form des Partizips. Weiterhin zeigt sich in dieser Einleitungsklausel Variation bezüglich der Verwendung der Auxiliare

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ser und estar (sein) (z.B. seendo em Cabidoo vs. estando todas Em cabidoo „im Kapitelsaal seiend") und der Stellung von Objekt und Gerundium in Gerundialkonstruktionen (fazendo cabidoo vs. cabidoo fazendo „das Kapitel abhaltend"). Martins (2001c: 32) schließt aus ihren Beobachtungen, dass auch die formelhaften Teile der Urkunden durchaus synchronische Variation und diachronischen Wandel belegen können - „a mudanza sintáctica pode até emergir ai com contornos mais nítidos do que nos textos literarios" (Martins 2001c: 32). Aus meiner Sicht sind Urkunden für die Untersuchung der Epoche des Portugiesischen, die hier im Mittelpunkt steht, die geeignetste verfugbare Textbasis. Gleichzeitig müssen - wie bei jeder anderen Datenbasis auch - bei der Interpretation der empirischen Ergebnisse bestimmte Eigenschaften der verwendeten Quellen in Betracht gezogen werden, um nicht zu verfälschten Ergebnissen zu gelangen. Dies werde ich in dieser Arbeit vor allem in Kapitel 3 thematisieren, wo sich zeigen wird, dass bestimmte Wortstellungsmuster ausschließlich in formelhaften Bereichen der Urkunden auftreten. Ich schließe mich Maia (1986) an, die bezüglich des linguistischen Wertes der mittelalterlichen Urkunden zu folgendem Schluss kommt: A tarefa do investigador que se dedica a este tipo de estudos é, sem dúvida, delicada e àrdua; säo muitas as dificuldades de interpretado que oferece a análise de textos antigos. Mas creio que, quando interpretados com a prudencia e as precaupöes necessárias, podem fornecer dados valiosíssimos referentes à lingua falada da época e às suas diferentes variedades. O essencial será, em cada caso particular, distinguir o que é artificial e o que é reflexo da lingua viva da época. (Maia 1986: 17)

1.2.2.2 Die Auswahl der Editionen Die von mir verwendeten Urkunden habe ich größtenteils den Editionen von Maia (1986) und Martins (2001) entnommen.5 Diese Textausgaben sind besonders wertvoll für die linguistische Analyse, da sie eigens für diesen Zweck angelegt sind. Dies verdeutlichen die folgenden Zitate: No caso presente, o facto de se proceder nào só a um estudo de carácter filológicolinguistico, mas também a urna análise sistemática das grafías ñas suas r e l a c e s com a pronùncia e com a estrutura fonològica da lingua da época, tornou necessària urna extrema delicadeza no tratamento dos textos e urna fidelidade a certos aspectos que, para estudos doutra índole, poderiam nào ser tidos em conta. (Maia 1986: 19)

Elektronische Textversionen wurden zum Teil der Datenbank Corpus Informatizado do Portugués Medieval der Universidade Nova de Lisboa entnommen.

I. Einleitung

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A presente e d i f ä o destina-se, priotariamente, a constituir uma base de trabalho para filólogos e lingüistas (medievistas e diacronistas). C o m o tal, impunha-se o equilibrio entre uma extrema fidelidade á letra dos manuscritos, que assegurasse a fiabilidade da edipäo enquanto fonte de conhecimento lingüístico (e scripto-linguístico), e alguma i n t e r v e n g o adulteradora da realidade textual original conduzida no sentido de tornar a edigäo acessível também ao lingüista näo familarizado c o m fontes manuscritas. (Martins 2 0 0 1 : 4 3 )

Zwar bedeutet die Edition eines Manuskriptes immer einen Eingriff in das Originalmanuskript, der schon dadurch nötig wird, dass bestimmte Zeichen, wie Interpunktionszeichen bzw. die Verwendung von Majuskeln, Semimajuskeln und Minuskeln im Druck nicht ohne weiteres verfugbar sind (Martins 2001: 43). Interventionen beschränken sich in den von mir verwendeten Editionen jedoch auf solche grafischen Aspekte der Manuskripte, die nicht linguistisch relevant sind. In die Wortstellung im Originalmanuskript wurde nicht eingegriffen; auch Fehler, Wiederholungen, eindeutige Auslassungen und Zögerlichkeiten des Schreibers wurden erhalten. Für Details der Transkription verweise ich auf Maia (1986: 19ÍT1) und Martins (2001:42ff.). 1.2.3 Beschreibung des verwendeten Korpus Als Textbasis für die empirische Untersuchung des Altportugiesischen habe ich 78 Urkunden des 13. Jh. (1250-1299) und 15 Urkunden des beginnenden 14. Jh. (1300-1349) ausgewählt. Die insgesamt 93 Urkundentexte des 13. und des beginnenden 14. Jh. habe ich zusammengefasst analysiert, da keine systematischen Unterschiede hinsichtlich der Wortstellung festgestellt werden konnten. Es wurden Urkunden ausgeschlossen, die nicht datiert sind und nur solche betrachtet, die eindeutig dem Altportugiesischen zuzuordnen sind. Ich habe Urkunden nicht zur Analyse herangezogen, wenn sie längere lateinische Passagen oder umfangreiche lexikalische (lateinisch-portugiesische) Mischungen enthielten. Diese Dokumente sind durchaus von linguistischem Interesse und können bei entsprechender Fragestellung eine Rolle spielen. Sie sind jedoch nicht geeignet, in die qualitative und quantitative Beantwortung der Frage nach der Grammatik des Altportugiesischen einbezogen zu werden. Die ausgewählten Editionen bieten die Möglichkeit, die Variable der geographischen bzw. dialektalen Variation zu kontrollieren. Es wurden drei verschiedene Regionen ausgewählt und betrachtet, die im heutigen Portugiesischen drei unterschiedlichen Dialektregionen entsprechen: 1.) Zentralportugal (Estremadura, vor allem Lissabon, Kloster Chelas), 2.) Nordportugal (Douro Litoral, Minho) und 3.) Galicien (Region Lugo, A Coruna, Orense). Die Urkunden entstammen den Regionen Estremadura (E; 21 Texte des 13. Jh., 15

20

Esther Rinke

Texte des 14. Jh.), Douro Litoral (DL; 29 Texte des 13. Jh.), Minho (M; 2 Texte des 13. Jh.), Orense (O; 7 Texte des 13. Jh.), Lugo (L; 11 Texte des 13. Jh.) und A Coruna (AC; 8 Texte des 13. Jh.). Für die Analyse der Infinitivkonstruktionen in Kapitel 4 wurden zusätzlich die im Corpus Informatizado do Portugues Medieval der Universidade Nova de Lisboa elektronisch zur Verfügung stehenden syntaktisch annotierten Dokumente des 13. Jh. verwendet. Es wurden insgesamt 181 Urkunden im Hinblick auf die Objektstellung in eingebetteten Infinitiven von Modalverben bzw. Kausativverben analysiert. Als Vergleichskorpus wurden 16 Dokumente aus dem 16. Jh. (von 15001550) analysiert. Die geringere Anzahl der Texte hat verschiedene Gründe. Erstens stehen zum Teil nicht so viele Urkunden für diese Epoche in den Editionen zur Verfügung. In Maia (1986) sind beispielsweise für die galicische Region nur drei enthalten. Zweitens liegt der Fokus dieser Arbeit auf der Analyse des Altportugiesischen und die Texte des 16. Jh. dienen lediglich zum diachronischen Vergleich. Drittens sind die Dokumente des 16. Jh. weitaus umfangreicher als die des 13. Jh. Teilweise enthalten sie sieben bis acht mal so viele Datensätze wie die altportugiesischen Urkunden.6 Die für das 16. Jh. verwendeten Dokumente stammen weitgehend aus den gleichen Regionen wie die altportugiesischen Dokumente, nämlich aus der Region Estremadura (9 Dokumente), Nordportugal (Douro Litoral, Minho; insgesamt 4 Dokumente) und Galicien (Pontevedra, A Coruna, Lugo; insgesamt 3 Dokumente). 1.3 Theoretische Grundannahmen Diese Arbeit basiert auf dem generativen Prinzipien- und Parametermodell (Chomsky 1981, 1982), wobei die neueren Entwicklungen des minimalistischen Programms (Chomsky 1995, 2000, 2001) Berücksichtigung finden. Im folgenden Abschnitt skizziere ich einige theoretische Grundannahmen, auf die ich mich in dieser Arbeit stütze. 1.3.1 Grammatikmodell und Satzstruktur Das Erkenntnisinteresse der generativen Linguistik ist auf die menschliche Sprachfähigkeit gerichtet, von der angenommen wird, dass sie zur genetischen Ausstattung des Menschen gehört. Diese Annahme basiert auf der Beobachtung, dass Kinder in der Lage sind, in kurzer Zeit und auf der Basis unzureiFür das 16. Jh. wurden 274 Haupt- und 153 Nebensätze betrachtet.

/.

Einleitung

21

chender Evidenz das komplexe System einer natürlichsprachigen Grammatik zu erwerben (Piatos Problem; siehe Chomsky 1986). Es wird deshalb im Rahmen der generativen Linguistik davon ausgegangen, dass es ein angeborenes Wissen gibt - die Universalgrammatik (UG). Diese muss einerseits liberal genug sein, um den Erwerb jeder natürlichen Sprache zu gewährleisten. Andererseits muss sie restriktiv genug sein, damit das Kind auf Grund der zur Verfugung stehenden sprachlichen Evidenzen zur richtigen Generalisierung bezüglich der entsprechenden einzelsprachlichen Grammatik gelangen kann. Die generative Prinzipien- und Parametertheorie (Chomsky 1981, 1982) geht daher davon aus, dass die Universalgrammatik einerseits aus universalen Prinzipien besteht, die für alle Sprachen gleich sind und andererseits aus parametrisierten Optionen, deren Festlegung im Spracherwerb einzelsprachliche Unterschiede gewährleistet. Die Prinzipien- und Parametertheorie ist also nicht nur auf eine adäquate Beschreibung einzelsprachlicher Grammatiken ausgerichtet, sondern strebt vor allem Erklärungsadäquatheit im Hinblick auf Piatos Problem an. Der Anspruch des minimalistischen Programms geht insofern darüber hinaus, als es die Frage danach stellt, welche der möglichen adäquaten Erklärungen die beste bzw. die ökonomischste ist. Die Grundannahme ist, dass die Grammatik im Hinblick auf die Anforderungen der mit der Sprachfahigkeit interagierenden kognitiven Systeme eine optimale Lösung darstellt (Chomsky 2001: 1). Das bedeutet konkret, dass erstens die Schnittstellen PF (Phonetische Form, das artikulatorische System betreffend) und LF (Logische Form, das konzeptuell-intentionale System betreffend) die einzigen zulässigen Repräsentationsebenen sind und dass zweitens die sprachlichen Ausdrücke die Schnittstellenbedingungen in optimaler Weise realisieren, wobei Optimalität durch Ökonomiebedingungen definiert ist, die von der Universalgrammatik vorgegeben sind. Chomsky (1995: 223f.) nimmt an, dass die menschliche Sprachfahigkeit aus einem Lexikon und einem Derivationsmechanismus besteht. Der Derivationsmechanismus kombiniert die lexikalischen Einheiten derart, dass sie ein Paar (tc, X) bilden, wobei 7t ein PF-Objekt und X, ein LF-Objekt darstellt. Wenn sowohl 7t als auch X legitime Objekte (bzw. Strukturbeschreibungen) sind, d.h. wenn sie das Prinzip der vollständigen Interpretierbarkeit erfüllen, dann konvergiert (converges) die Derivation auf LF und PF; wenn nicht, dann kollabiert (crashes) sie. A particular language L is an instantiation of the initial State of the cognitive system of the language faculty with options specified. We take L to be a generative procedura that constructs pairs (7t, X) that are interpreted at the articulatory-perceptual (AP) and conceptual-intentional (C-I) interfaces, respectively, as Instructions' to the

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Esther Rinke

performance systems, it is a PF representation and >. an LF representation, each consisting of legitimate objects'that can receive an interpretation [...]. (Chomsky 1995: 219)

Nur diejenige der möglichen konvergenten Derivationen, die die Schnittstellenbedingungen in optimaler Weise erfüllt, wird tatsächlich an die Performanzsysteme weitergeleitet. Die lexikalischen Einheiten, die in die Derivation eintreten, entstammen einer Numeration, die als eine Menge von Paaren des Typs (LI, i) beschrieben werden kann, wobei LI das lexikalische Element (lexical item) mit seinen phonologischen, semantischen und formalen Merkmalen bezeichnet und i die Anzahl indiziert, die dieses Element durch die Operation Select ausgewählt und dem Derivationsmechanismus zur Verfugung gestellt wird (Chomsky 1995: 225). An einem bestimmten Punkt der Derivation (SpellOut) werden die entsprechenden Informationen separat an die Performanzsysteme geschickt. Das minimalistische Grammatikmodell kann wie folgt schematisch dargestellt werden. (1)

Minimalistisches Grammatikmodell (siehe Grewendorf 2002: 109) LF

PF

t

Lexikon

Chomsky (1995) nimmt an, dass die lexikalischen und funktionalen Elemente bereits vollständig flektiert aus dem Lexikon kommen und mit Hilfe eines Prozesses der Merkmalsüberprüfung, der durch die Operationen Verkettung (Merge) und Bewegung (Move) zur Verfugung gestellt wird, miteinander verknüpft werden. Hierbei hat nach Chomsky (1995) die Operation Merge Vorrang gegenüber der Operation Move, da Verkettung ökonomischer als Bewegung ist (zur Begründung siehe Chomsky 1995: 226ff.). Bewegung darf deshalb auch nur dann stattfinden, wenn keine andere Möglichkeit der Merkmalsabgleichung zur Verfugung steht (Last Resort Prinzip). In einer neueren Version des minimalistischen Programms etabliert Chomsky (2000, 2001) an Stelle der Merkmalsüberprüfung eine Operation der Übereinstimmung (Agree) zwischen einem Sondierer (probe) und einem Ziel (goal), deren Merkmalsidentität zur Löschung nicht-interpretierbarer Merkmale führt.

I. Einleitung

23

In dieser Version des minimalistischen Programms geht Chomsky (2000, 2001) außerdem davon aus, dass Spell-Out zyklisch verläuft, d.h. an verschiedenen Punkten der Derivation stattfinden kann. Motivation für diesen Vorschlag ist, dass in Sätzen wie (2) die Anhebung des lexikalischen Elements proofs in die eingebettete Subjektposition möglich ist, obwohl ein Expletivum in der Numeration zur Verfügung steht und das EPP-Merkmal der subordinierten TP7 via Merge abgleichen könnte. (2) There is a possibility that proofs will be discovered.

Da pure Verkettung (Merge) weniger kostspielig ist als Bewegung (Move), sollte die Anhebung eigentlich ausgeschlossen sein. Die Lösung des Problems besteht darin, dass davon ausgegangen wird, dass das Expletivum in dieser Phase der Derivation nicht verfügbar ist, wobei Phasen als propositionale Objekte definiert sind, und somit nur die Kategorien vP und CP eine Phase bilden können. Ich werde in Kapitel 4.1 dieser Arbeit auf das Phasenmodell zurückkommen. Im Hinblick auf die Satzstruktur werde ich mich auf zwei grundlegende Annahmen stützen, die Chomsky (1995) vorschlägt. Dies betrifft erstens die Eliminierung von Kongruenzkategorien (AgrSP und AgrOP-Projektionen). Chomsky (1995: 355) begründet dies unter anderem damit, dass nur solche funktionalen Kategorien angenommen werden sollten, die eine Interpretation auf den Schnittstellen erhalten. Im Gegensatz zu T, C, D und v besitzt Agr jedoch keine spezifischen semantischen Merkmale, sondern war bislang vor allem aus theorieinternen Gründen gerechtfertigt. Im Licht minimalistischer Annahmen fallt jedoch auch diese Rechtfertigung weg, weil erstens die q p - M e r k m a l e von Subjekt und Verb direkt in TP abgeglichen werden können, wenn sich das Verb nach T° bewegt, und weil zweitens durch die Annahme multipler Spezifikatoren AgrS nicht mehr als zusätzliche strukturelle Position notwendig ist.8 Zweitens werde ich, basierend auf Larsons (1988) Vorschlag der VP-Schalen und in Übereinstimmung mit Chomsky (1995: 321) eine vP-, bzw. lightverb-Projektion annehmen. Ich gehe davon aus, dass diese Kategorie sowohl die Basisposition von Subjekt und Objekt beinhaltet, als auch für die Abgleichung der (p- bzw. Kasusmerkmale des Objektes verantwortlich ist, indem sich

Das EPP-Merkmal bezieht sich auf das „Erweiterte Projektionsprinzip", das besagt, dass jeder Satz ein Subjekt haben muss. Ich verwende in dieser Arbeit nur dann das Etikett IP oder AgrSP, wenn ich Literatur referiere, die von der Annahme einer IP oder AgrSP ausgeht. Falls die unterschiedliche Bezeichnung für meine Analyse von Relevanz ist - was in den meisten Fällen nicht zutrifft - werde ich dies thematisieren.

Esther Rinke

24

dieses bewegt und einen zusätzlichen Spezifikator erzeugt (siehe Beispiel (3), Chomsky 95: 360).

Ich möchte nun kurz anhand verschiedener Beispiele illustrieren, wie Wortstellungsvariation auf der Basis der bis hierher dargelegten theoretischen Grundannahmen synchronisch wie diachronisch erfasst werden kann. 1.3.2 Synchronische syntaktische Variation Zunächst muss unterschieden werden zwischen Wortstellungsvariation innerhalb einer Sprache bzw. Grammatik und parametrischer Variation der Wort-

9 10

DP 0 =Objekt-DP, DP s =Subjekt-DP. Ich verzichte hier auf die Annahme einer in mehrere funktionale Kategorien unterteilten CP-Projektion. Zwar hat Rizzi (1997) überzeugende Argumente für eine solche Annahme angeführt, für diese Arbeit hat sie sich jedoch als nicht notwendig herausgestellt.

1. Einleitung

25

Stellung zwischen einzelsprachlichen Grammatiken. Parametrische Variation ergibt sich sowohl aus der unterschiedlichen Merkmalskonfiguration, als auch aus der unterschiedlichen Merkmalsstärke der funktionalen Kategorien. Sie kann außerdem auf die Architektur des Satzes zurückgeführt werden (siehe die Diskussion in Abschnitt 1.3.3.2). Ich möchte dies im Folgenden kurz erläutern. 1.3.2.1 Merkmaiskonfiguration und Merkmalsstärke Sprachen können sich beispielsweise darin unterscheiden, ob sie overte Fokusbewegung aufweisen oder nicht. Im Spanischen und im Italienischen findet overte Fokusbewegung in die linke Peripherie statt (Beispiele (5)a.-b.), während im Portugiesischen eine parallele Fokussierungsstruktur nicht existiert (Raposo 1998, Barbosa 2004). (5) a. b.

ESOS LIBROS ha leido Juan. (Raposo 1998: 198) IL TUO LIBRO ho letto (,non il suo) (Rizzi 1997: 286)

Eine Möglichkeit, den sprachspezifischen Unterschied zwischen dem Spanischen und Italienischen einerseits und dem Portugiesischen andererseits zu erklären, besteht in der Annahme, dass C° im Spanischen und Italienischen mit einem Fokusmerkmal ausgestattet ist, wodurch die Bewegung eines Fokuselements nach CP ausgelöst wird." Für das Portugiesische hingegen kann angenommen werden, dass ein solches Merkmal in C° nicht vorhanden ist12 und dass die Syntax-Prosodie-Schnittstelle allein für die Identifikation eines fokussierten Elements verantwortlich ist (siehe Costa 1998). Ich werde mich dieser Sichtweise Costas in dieser Arbeit anschließen und in Kapitel 2 und 3 genauer auf diese Problematik eingehen. In ähnlicher Weise kann Verb-Zweit-Stellung darauf zurückgeführt werden, dass C° Finitheitsmerkmale enthält, die durch die overte Bewegung des finiten Verbs in diese Position abgeglichen werden müssen. Darin unterscheiden sich Sprachen mit strenger Verb-Zweit-Stellung wie das Deutsche von Nicht-VerbZweit-Sprachen wie dem Portugiesischen, das die Finitheitsmerkmale in T° kodiert. Ich komme auf die Unterscheidung zwischen Verb-Zweit- und Nicht-VerbFür die Annahme, dass C° Träger eines nicht-interpretierbaren Fokusmerkmals sein kann, siehe u.a. Grewendorf (2002: 228) mit Bezug auf Säbel (1998). Da es mir hier lediglich auf eine Illustration und nicht auf eine detaillierte Analyse oder Erklärung dieser Strukturen ankommt, gehe ich auf Details, wie z.B. auf die Frage, ob für das Spanische und Italienische eine eigene Fokusprojektion angenommen werden muss, hier nicht weiter ein.

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Zweit-Sprachen und die empirischen Konsequenzen dieser Parametrisierung in Kapitel 2 genauer zu sprechen. Parametrisierung kann auch die unterschiedliche Stärke von Merkmalen betreffen. Starke Merkmale lösen overte Bewegung aus. Schwache Merkmale hingegen werden durch koverte Bewegung abgeglichen, bzw., in neueren Versionen des minimalistischen Programms (Chomsky 2000,2001), durch die Etablierung der Relation der Übereinstimmung (Agree) zwischen Sondierer und Ziel. Ein Beispiel, auf das ich in Kapitel 4 genauer eingehen werde, betrifft die overte versus nicht-overte Bewegung der nominalen Objekte. Beispielsweise kann der Unterschied zwischen OV-Stellung mit Infinitiven im Lateinischen und VO-Stellung im Portugiesischen darauf zurückgeführt werden, dass sich die Objekte im Lateinischen overt in eine Kasusposition bewegen, während dies im Portugiesischen nicht der Fall ist. Wenn, wie Chomsky (1995: 222) argumentiert, die Notwendigkeit overter Bewegung morphologisch begründet ist, dann erklärt sich die Differenz zwischen dem Portugiesischen und dem Lateinischen aus der Existenz starker bzw. overter nominaler Kasusmorpohologie im Lateinischen, die im Portugiesischen nicht (mehr) auftritt. Ein solcher Ansatz ist im Rahmen der Annahme einer Relation der Übereinstimmung allerdings problematisch, weil Agree Chomsky (2001: 6) zufolge auf Merkmalsidentität basiert, die im Fall von Kasusabgleichung nicht gegeben ist, da nur das Nomen Kasusmerkmale besitzt, nicht aber die funktionale Kategorie vP. Die Existenz von nicht-interpretierbaren Kasusmerkmalen aktiviert zwar das Ziel, ist aber nicht direkt Auslöser für die Bewegung, sondern ihre Abgleichung ein sekundärer Effekt der Abgleichung von q p - M e r k m a l e n . 1 3 Der Unterschied zwischen dem Lateinischen und dem Portugiesischen müsste dann so formuliert werden, dass im Lateinischen starke 2").13 Im Gegensatz zu den genannten generativen Arbeiten, die von einer strengen Verb-Zweit-Stellung im Altfranzösischen ausgehen, zeigt Kaiser (2002) basierend auf dem Text der „Quatre livre des reis" (um 1170), dass das Altfranzösische zwar immerhin einen Anteil von 12,6 % von XP-V-S-Sätzen aufweist, aber fast ebenso viele Belege von V>2-Stellung (10,9 %). Letztere sind jedoch

"

12 13

Eine offene Frage ist dann natürlich, warum sich Verb-Zweit-Stellung in Sprachen wie dem Deutschen erhalten hat, wenn die Bewegung des Verbs nach C° einen höheren Verarbeitungsaufwand erfordert und SVO-Hauptsätze als mögliche Gegenevidenz im Input zur Verfügung stehen. Roberts (1993) spricht in diesem Zusammenhang von „rigity of the V2 constraint". Wie Kaiser(2002: 78) allerdings feststellt, kommen die extrem niedrigen Zahlen - vor allem für Verb-Dritt-Sätze - in Roberts' Daten vermutlich dadurch zustande, dass dieser als Belege für V>2 nur solche Sätze zählt, in denen das Subjekt in postverbaler Position erscheint. Sätze, in denen das Subjekt mit einer anderen Konstituente dem finiten Verb vorangeht, werden von Roberts (1993) offenbar nicht als Verb-Dritt-Sätze berücksichtigt.

2. Die Stellung des finiteli Verbs

51

im Gegensatz zu Verb-Dritt-Sätzen in germanischen Verb-Zweit-Sprachen nicht als CP-Rekursions-Strukturen zu analysieren und sind dementsprechend seiner Ansicht nach mit einer Verb-Zweit-Grammatik nicht vereinbar. Kaiser (2002: 167) schlussfolgert: In diesen Fällen kann das finite Verb nicht in die Comp-Position bewegt werden, da das Hinzufügen einer zusätzlichen vor der in der SpezCP-Position auftretenden Konstituente eine Verletzung der CP-Rekursionsrestriktion zur Folge hätte. Mit Ausnahme des (Alt-)Bündnerromanischen sind demzufolge alle frühromanischen Sprachen - ebenso wie deren Varietäten - trotz der teilweise sehr häufig ausgenutzten Bildung von Sätzen mit einer XVS-Stellung als Nicht- Verb-Zweit-Sprachen anzusehen. (Kaiser 2002: 167)

Kaiser (2002: 168) schlussfolgert dementsprechend, dass es sich bei den im Altfranzösischen auftretenden Verb-Zweit-Stellungseffekten nur um scheinbare Verb-Zweit-Stellungseffekte" handelt, „da sie nicht wie in den Sprachen mit einer strengen Verb-Zweit-Stellung durch eine Verb-nach-Comp-Bewegung, sondern durch eine IP-Adjunktion hervorgerufen werden." Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass im Zentrum sowohl der generativen, als auch der traditionellen Arbeiten zur Stellung des finiten Verbs im Altfranzösischen die Frage steht, ob das Altfranzösische eine Sprache mit strenger Verb-Zweit-Stellung ist oder nicht. Die Arbeiten, die diese Frage positiv beantworten (u.a. die hier zum Teil referierten Arbeiten von Thurneysen 1892; Meyer-Lübke 1899; Herman 1954; Benincä 1983/84; Adams 1987,1988; Roberts 1993; Vance 1997) gehen davon aus, dass die postverbale Stellung des Subjekts ein Resultat der strengen VerbZweit-Stellung ist. Verb-Erst- und Verb-Dritt-Sätze werden im Rahmen einer Verb-Zweit-Stellungsanalyse als systematische und konstruktionsspezifische Ausnahmen oder als Reflex des diachronischen Wandels interpretiert. Im Rahmen der generativen Arbeiten wird die Verb-Zweit-Stellungsanalyse strukturell als regelhafte Bewegung des finiten Verbs in die Kopfposition der Komplementiererphrase (also nach C°) analysiert. Es wird somit eine parallele Analyse zum Deutschen angenommen.14 Als Erklärung des syntaktischen Wandels vom Altfranzösischen zum Neufranzösischen wird im Rahmen des generativen Modells angenommen, dass die im kindlichen Spracherwerb stattfindende Reanalyse von SVO-Sätzen als IP-Strukturen zu einem Parameterwechsel fuhrt.

Wobei Adams (1988) annimmt, dass das Altfranzösische eine asymmetrische VerbZweit-Sprache war, während Roberts (1993) davon ausgeht, dass es sich um eine symmetrische Verb-Zweit-Sprache handelt.

52

Esther Rinke

Andere Arbeiten (von den oben genannten vor allem Richter 1903 und Kaiser 2002, aber auch Ferraresi & Goldbach 2002) gehen davon aus, dass das Altfranzösische trotz der Häufigkeit von Konstruktionen, in denen das finite Verb die zweite Position einnimmt, nicht als Sprache mit strenger Verb-Zweit-Stellung beschrieben werden kann. Als Hauptargument gegen eine Verb-ZweitStellungsanalyse gilt in diesen Arbeiten die Existenz von Sätzen, die mit einer solchen strengen Verb-Zweit-Grammatik nicht kompatibel sind. Das sind vor allem die genannten Verb-Erst- und Verb-Dritt-Strukturen. Diese Strukturen werden als Beleg dafür gewertet, dass sich das finite Verb im Hauptsatz nicht regelhaft nach C° bewegt, sondern in einer strukturell tieferen Position verbleibt. Kaiser (2002) geht davon aus, dass sich diese Position nicht von deijenigen unterscheidet, die das finite Verb im Neufranzösischen einnimmt. Er geht also davon aus, dass bezüglich der Stellung des finiten Verbs kein syntaktischer Sprachwandel zu verzeichnen ist. Die postverbale Stellung des Subjekts ist einer solchen Analyse zufolge nicht Resultat der Verb-Zweit-Stellungseigenschaft, sondern muss auf andere Mechanismen zurückgeführt werden, die ich in Kapitel 2.4.3 für das Portugiesische genauer diskutieren werde. Es werden also zwei verschiedene Lösungsansätze für die mittelalterlichen romanischen Sprachen im Allgemeinen und für das Altfranzösische im Besonderen angenommen. Im folgenden Abschnitt 2.3 soll diskutiert werden, welche empirischen Argumente für bzw. gegen die Annahme einer Verb-Zweit-Grammatik im Altportugiesischen sprechen können.

2.3 Die Stellung des finiten Verbs im Altportugiesischen Den Ausgangspunkt der anschließenden Untersuchung zur Stellung des finiten Verbs im Altportugiesischen bildet die Studie von Ribeiro (1995), deren empirische Ergebnisse und Generalisierungen ich im folgenden kurz vorstellen möchte. Ribeiro (1995) verwendet als Datenbasis den Text „Diálogos de Säo Gregorio" (vor 1385). Auf die in der folgenden Tabelle dargestellten statistischen Ergebnisse basiert die Autorin ihre Generalisierungen bezüglich der Verbstellung in deklarativen Haupt- und Nebensätzen des Altportugiesischen.

2. Die Stellung des finí ten Verbs

Stellung

53

SV(C) XPV(S) VSV (C) Total

Hauptsätze

15

31

3

8

57

Nebensätze

19

12

7

18

56

Total

34

43

10

26

113

Tabelle 1: Die Stellung der Konstituenten im Altportugiesischen nach Ribeiro 1995:112 15 Ribeiro (1995) stellt fest, dass Hauptsätze mit initialem Subjekt (15 Beispiele), sowohl mit einer Verb-Zweit- als auch mit einer Nicht-Verb-Zweit-Grammatik zu vereinbaren sind. Als wichtige Tatsache wertet sie, dass selbst in einem relativ kleinen Datenkorpus von 57 Hauptsätzen 31 Belege für XPV(S)-Stellung vorkommen. Zwei ihrer Beispiele sind in (18) gegeben. (18) a. C a assi t e m i a n todalas bestas a a g u a ' 6 „So fürchteten alle Tiere das Wasser." b. Daqueste miragre diz San Gregorio que ... „Über dieses Wunder sagt Sankt Gregorius, dass..." (Ribeiro 1995: 113)

Ribeiro (1995) geht davon aus, dass diese Sätze als Verb-Zweit-Strukturen zu analysieren sind, da entweder ein VP-Element oder ein Adverbialsatz die initiale Position einnimmt und gleichzeitig das nominale oder pronominale Subjekt postverbal steht. Auch in Nebensätzen findet Ribeiro (1995: 118) Belege für Verb-ZweitStrukturen. Von insgesamt 56 Nebensätzen zeigen 19 SV(C)-Stellung und 12 XPV(S)-Stellung. Beispiele sind in (19) und (20) aufgeführt. (19)

15

16

S-V-(C)-Stellung a. Entendemos nös que a alma vive

In einer Fußnote gibt Ribeiro (1995) folgende Erklärung zu dieser Tabelle ab: Als Hauptsätze gelten affirmative, unabhängige und Matrixsätze, sowohl transitive, als auch intransitive, Kopulakonstruktionen und existenzielle Konstruktionen. XPV(S) und VS Sätze indizieren, dass das Subjekt postverbal steht, wobei nicht davon ausgegangen wird, dass es immer postverbal repräsentiert ist, wenn es nicht realisiert ist. In V(C)-Sätzen werden klitische Objekte, die normalerweise präverbal erscheinen, nicht mitgerechnet. Die Markierung von Subjekt und finitem Verb in diesen Beispielen wurde zur besseren Veranschaulichung von mir eingefügt.

54

Esther Rinke

„Wir verstehen, dass die Seele lebt." b. Dizemos que a alma recebe peäs „Wir sagen, dass die Seele Leid erdulden muss." (Ribeiro 1995: 118) (20)

XP-V-(S)-Stellung a. Soube que en aquela hora morrera „Ich wusste, dass er in dieser Stunde starb..." b. E por esso diss'el que aqueles juizos de Deus pronunciara el que sairan ja da sa hoca „Und deshalb sagte er, dass er die Urteile Gottes ausgesprochen hätte, die gerade aus seinem Mund gekommen seien." (Ribeiro 1995: 119)

Wenngleich Ribeiro (1995: 119) davon ausgeht, dass nur solche Sätze wie (20)b. Evidenz für eine mögliche Verb-Zweit-Grammatik darstellen, so charakterisiert (und zählt) sie offensichtlich auch Nullsubjekt-Sätze wie (20)a. als XPV(S)-Stellungen. Es fuhrt jedoch meines Erachtens zu einem verfälschten Ergebnis, wenn Nullsubjektsätze mit XP-V-Stellung als Evidenz für die Existenz einer Verb-Zweit-Regel aufgefasst werden, denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das leere Subjekt in einer präverbalen Position strukturell repräsentiert ist. Dies nimmt Ribeiro (1995) zudem für bestimmte Typen von verbinitialen Sätzen an, wie weiter unten gezeigt wird. Neben der bloßen Existenz von XP-V-(S)-Sätzen spricht für eine Analyse des Altportugiesischen als Verb-Zweit-Sprache nach Ribeiro (1995) vor allem die Generalisierung, dass in den genannten Beispielen systematisch das Subjekt ausgelassen wird oder in postverbaler Stellung steht, wenn eine andere Konstituente die präverbale Position einnimmt. [...] in the corpus analyzed, omission of the subject or its allocation to the postverbal Position takes place when either a verb-subcategorized complement or a circumstantial occupies the first position in the sentence. (Ribeiro 1995: 123)

Mit Bezug auf die verbinitialen Sätze in ihrem Korpus stellt Ribeiro (1995: 121f.) fest, dass diese entweder direktive Ausdrücke (z.B. Aufforderungen wie in Beispiel (21)a.), diskursiv determinierte Strukturen (wie in Beispiel (21)b.) oder Sätze mit romanischer freier Inversion (wie in Beispiel (21 )c.) darstellen. (21) a. Conven, Pedro, que te cales „Es ist schicklich, dass du still bist, Peter." b. Ide-vcw a boa Ventura „Geht mit viel Glück."

2. Die Stellung des finiteti Verbs

55

c. levaron-nos aa pousada homens que hi estavan „Männer, die da waren, brachten uns zu der Unterkunft." (Ribeiro 1995: 121)

Sätze wie (21)a. und b. analysiert Ribeiro (1995) als Verb-Zweit-Sätze mit einem satzinitialen phonetisch nicht realisierten Operator. In Beispiel (21)c. ist das finite Verb unakkusativisch. Ribeiro argumentiert, dass in diesem speziellen Fall ein präverbales, phonetisch nicht realisiertes Pronomen pro die erste Position einnimmt und das Subjekt in seiner Basisposition in VP verbleiben kann. Sie subsumiert somit alle verbinitialen Sätze als zusätzliche Belege für die Annahme einer Verb-Zweit-Grammatik. Ebenso wie für verbinitiale Sätze leitet Ribeiro (1995) aus ihrem Korpus auch für Verb-Dritt-Sätze die Generalisierung ab, dass diese grundsätzlich ausgeschlossen sind, da Sätze mit der Wortstellung Objekt-Subjekt-Verb nicht in ihrem Korpus vorkommen, und da auch die Stellung Subjekt-XP-Verb nur ein einziges Mal auftritt (Ribeiro 1995: 123ff.). Verb-Dritt-Stellung kommt nach Ribeiro (1995) vor allem dann vor, wenn bestimmte Adverbien die initiale Position einnehmen. Sie ist ihrer Ansicht nach also lexikalisch beschränkt. Dies illustrieren die Beispiele in (22). (22) a. E assi o santo homen defendeu os seus discípulos „Und so verteidigte der heilige Mann seine Jünger."

b. E enton hüü homen siia en sa pousada „Und dann saß ein Mann in seinem Gasthof." (Ribeiro 1995: 124)

Ribeiro (1995) erklärt diese Strukturen als lexikalisch determinierte Ausnahmen, in denen das Adverb außerhalb des eigentlichen Satzes steht, also an CP oder AgrSP adjungiert ist. Diese Elemente hätten, so Ribeiro (1995), einen ähnlichen Status wie denn im Deutschen, welches in derselben Position erscheine. (23)

..., denn Johann hat gestern das Buch gelesen.

Auf Details der diachronischen Analyse von Ribeiro (1995) werde ich in Abschnitt 2.4.1 genauer eingehen. Zusammenfassend kann an dieser Stelle festgehalten werden, dass Ribeiro (1995) aus ihrem Datenkorpus die folgenden Generalisierungen bezüglich der Stellung des finiten Verbs im Altportugiesischen ableitet: 1.

Die überwiegende Mehrzahl der Hauptsätze in ihrem Korpus sind Hauptsätze mit der für eine Verb-Zweit-Sprache typischen Wortstellung XP-V-(S).

Esther Rinke

56 2.

Das Subjekt - wenn realisiert - steht entweder in satzinitialer präverbaler Position oder erscheint postverbal, wenn eine andere Konstituente diese Position einnimmt.

3.

Verb-Dritt-Sätze und Verb-Erst-Sätze sind lexikalisch oder diskursiv beschränkt.

Im Folgenden soll überprüft werden, ob sich diese Generalisierungen anhand des von mir zu Grunde gelegten und in Abschnitt 1.2 beschriebenen Datenkorpus bestätigen lassen. 2.3.1 Verbstellung in Hauptsätzen Zunächst muss daraufhingewiesen werden, dass sich meine Methodik der Datenanalyse von der Ribeiros (1995) in einigen Punkten unterscheidet, was letztlich auch eine mögliche Erklärung für die unterschiedlichen Untersuchungsergebnisse sein kann. Im Gegensatz zu Ribeiro (1995) nehme ich eine Unterscheidung der verschiedenen Subjekttypen (nominale Subjekte, pronominale Subjekte, Nullsubjekte) vor. Zum einen geschieht dies, um mögliche systematische Unterschiede im Hinblick auf die verschiedenen Subjekte zu erfassen. Zum anderen unterscheide ich XP-V-Sätze mit nicht realisiertem Subjekt von solchen mit einem realisierten postverbalen Subjekt, da meines Erachtens Nullsubjektsätze nicht ohne Weiteres als Evidenz für eine Verb-Zweit-Stellungsregel herangezogen werden dürfen. Eine solche Unterscheidung nimmt Ribeiro (1995), wie oben gezeigt, nicht vor.17 Tabelle 218 gibt einen Überblick über die Stellung des finiten Verbs in Hauptsätzen im 13./14. Jh..

17

Aus methodischer Sicht sind weiterhin folgende Anmerkungen zur Analyse der Daten wichtig. Klitische Elemente (z.B. Objektklitika oder das im Altportugiesischen auftretende y, en) wurden nicht als eigenständige Konstituenten gezählt. Subjektpronomina, die durch eine Apposition modifiziert sind, wie z.B. in eu don(n)a M(ari)a wurden als nominale Subjekte gezählt. Koordinierte Hautsätze mit identischem Subjekt wurden aus der Betrachtung ausgeklammert. Auch Sätze, für die kein finites Verb identifiziert werden konnte, wurden nicht berücksichtigt. Da sich die Editionen sehr stark an den Manuskripten orientieren, die keine Satzgrenzen wie in heutigen Texten vorgeben, mussten die Satzgrenzen zunächst ermittelt werden.

18

S=Subjekt, Vf=finites Verb, XP/YP= zwei oder mehr beliebige maximale Projektionen vor dem finiten Verb.

57

2. Die Stellung des finiten Verbs

VI

SV(X)

Vf/ e(t) S u b j e k t Vf Vf

Nominale Subjekte

Pronominale Subjekte

präverbal postverbal präverbal postverbal

>V3

XPV(S)

XPV(S)-

gesamt

Adjunktsatz-Vf

Direktes Indirektes AdverbialphraseObjektObjektVf Vf Vf

162

--

--

13

--

31

4

8

0

-

34

-

-

~

-

--

10

4

0

-

2

1

-

-

XP-

Z

YP-Vf

--

119

281

19

6

50

20

54

2

14

-

5

Nullsubjekte

182

--

169

39

28

3

99

26

377

Summe

197

196

210

44

40

3

123

173

776

%

25,4

25,3

27,1

5,7

5,2

0,4

15,8

22,3

100

Tabelle 2: Stellung des finiten Verbs in Hauptsätzen (13./14. Jh.) Insgesamt wurden 776 deklarative Hauptsätze analysiert. Wie die Tabelle zeigt, erscheint das Verb sowohl in erster, als auch in zweiter und in dritter Position. Unter dem Etikett >V3 wurden alle Sätze zusammengefasst, in denen zwei oder mehr Konstituenten dem finiten Verb vorausgehen, da im Hinblick auf die Frage nach der Verb-Zweit-Eigenschaft des Altportugiesischen die genaue Anzahl der Konstituenten irrelevant ist, sobald es mehr als zwei sind: Alle Beispiele dieses Typs sollten in einer Verb-Zweit-Sprache ausgeschlossen sein. Insgesamt sind alle Verbstellungstypen zu etwa einem Viertel relativ gleichmäßig verteilt. In 25,3 % aller Sätze (196 Beispiele) geht nur das Subjekt dem finiten Verb unmittelbar voraus. Solche Sätze sind - wie Ribeiro (1995) zu Recht anmerkt sowohl mit einer Verb-Zweit-Grammatik zu vereinbaren, als auch mit einer Nicht-Verb-Zweit-Grammatik. Sie können daher die Hypothese der VerbZweit-Eigenschaft des Altportugiesischen weder belegen noch widerlegen. Das gilt auch flir alle verbinitialen Sätze mit einem Nullsubjekt (182 Beispiele). Da Verb-Erst-Sätze in einer Verb-Zweit-Sprache nur unter bestimmten Bedingungen vorkommen dürfen (wie z.B. in Entscheidungsfragen oder exklamativen Sätzen, die in dem Korpus nicht auftreten) könnten diese Sätze potentiell Evidenz gegen eine Verb-Zweit-Grammatik darstellen. Wenn man allerdings davon ausgeht, dass das leere Subjekt präverbal repräsentiert ist, wären diese Sätze wiederum mit einer Verb-Zweit-Grammatik vereinbar. Eindeutige Evidenz für oder gegen die Annahme einer Verb-Zweit-Grammatik stellen jedoch auch sie nicht dar.

58

Esther Rinke

Um die Stellung des strukturell vorhandenen aber phonologisch nicht realisierten pronominalen Subjektes (pro) zu bestimmen, verwendet Ribeiro (1995) die von Vance (1997) für das Altfranzösische angewandte Methode, die Position des leeren Subjekts aus der Position der realisierten Pronomina abzuleiten. Allerdings können ihren Ergebnissen zufolge Pronomina im Altportugiesischen sowohl prä- als auch postverbal auftreten, was somit kein klares Ergebnis bezüglich der Stellung leerer Subjekte bedeutet. Meine Auswertung zeigt, dass pronominale Subjekte in postverbaler Position nur in 14 Fällen vorkommen, während sie präverbal weitaus häufiger auftreten (54 Beispiele). Ich werde in Abschnitt 2.4.3 auf mögliche Gründe dafür eingehen. Auch aus Sätzen mit einer beliebigen Konstituente (z.B. Adjunktsatz, direktes Objekt, indirektes Objekt, Adverbialphrase) in initialer Position und einem phonetisch leeren Subjekt (insgesamt 169 Beispiele) kann keine Entscheidung für oder gegen eine Analyse des Altportugiesischen als Verb-Zweit-Sprache abgeleitet werden. Nur wenn angenommen würde, dass ein leeres Subjekt notwendigerweise postverbal steht, könnten diese Sätze eine Verb-Zweit-Analyse bestätigen. Für eine solche Annahme gibt es jedoch keine empirische Evidenz. Neben den Daten, die sich weder als Evidenz für noch gegen eine Verb-ZweitAnalyse eignen, gibt es aber auch solche Sätze, die scheinbar für eine Verb-ZweitAnalyse sprechen, da sie die für die germanischen Verb-Zweit-Sprachen typische Inversionsstellung aufweisen. Wie Tabelle 2 zeigt, finden sich in meinen Daten insgesamt 41 solcher Verb-Zweit-Sätze (31 mit einem postverbalen nominalen und 10 mit einem postverbalen pronominalen Subjekt). In insgesamt fünf Beispielsätzen steht ein Adjunktsatz in initialer Position, in insgesamt 12 Sätzen ein direktes Objekt und in insgesamt 24 Beispielsätzen eine Adverbialphrase. In (24)a. ist ein Beispiel mit einem satzinitialen direkten Objekt aufgeführt, in (24)b. ein Satz mit einer satzinitialen Adverbialphrase. Die satzeinleitende Konstituente ist unterstrichen, das finite Verb fett und das postverbale Subjekt auch hier kursiv markiert. (24) a. O q(u1al Casar rezebio o uosso frade frey Johä Ssauaschaez por jur de uos „Diesen H o f erhielt euer Bruder Joä Ssauaschaez durch euren Willen." 19 (L;1281) b. (ei por seer mavs firme m ä d o u o Conueto poer y seu segelo. „Und um es offiziell zu machen, befahl der Konvent sein Siegel darauf zu setzen." (E; 1273)

19

Die Abkürzungen hinter den zitierten Beispielen bedeuten: L = Lugo, E = Estremadura, DL = Douro Litoral, AC = A Coruna.

2. Die Stellung des finiten Verbs

59

Wie Kaiser (2002:4) beobachtet, sind Sätze dieser Art auch im modernen Portugiesischen grammatisch, zum Beispiel, wenn das initiale Objekt kontrastiv betont ist, oder wenn die erste Position eine Adverbialphrase einnimmt (Beispiele (25)a.-b.). (25) a. UM LIVRO tem a mulher lido com prazer (e näo um jornal). „Ein Buch hat die Frau mit Vergnügen gelesen (und nicht eine Zeitung)." b. Com prazer tem a mulher lido o livro. „Mit Vergnügen hat die Frau das Buch gelesen." (Kaiser 2002: 4)

Wie die Beispiele zeigen, kann das Subjekt in einem solchen Fall sogar wie in den germanischen Sprachen und im Gegensatz zum Italienischen und Spanischen adjazent zu einem Auxiliar stehen. Ich komme auf diese Beobachtung in Abschnitt 2.4 zurück. Nicht grammatisch sind im modernen Portugiesischen Sätze mit XP- V-SStellung, in denen ein Adjunktsatz die satzinitiale Position einnimmt, siehe der Kontrast zwischen dem altportugiesischen Beispiel in (26)a. und der Ungrammatikalität des modernen portugiesischen Satzes in (26)b. (26) a. & se pfer) uentCuria eu nö posso me auijr c5uosco ena uezö ou eno supenoram(en)to. pöerm(os) eu un meu amigo & uos out(r)o uosso; „Und falls ich mich eventuell nicht mit euch über die Gabe oder den Gewinn einigen kann, dann nenne ich einen meiner Freunde und ihr einen von euren." (L;1255) b. *Se ela tivess tido o tempo. teria a mulher lido o livro. „Wenn sie Zeit gehabt hätte, hätte die Frau das Buch gelesen." (Kaiser 2002: 4)

Die Existenz eines Satzes wie in (26)a. könnte somit als möglicher Beleg für einen diachronischen Wandel der Verbstellung im Portugiesischen interpretiert werden. Kaiser (2002: 160) argumentiert jedoch gegen eine solche Annahme, da die postverbale Stellung mit satzinitialem Adjunktsatz keineswegs obligatorisch ist, wie sie es in einer Verb-Zweit-Sprache wäre. Sätze mit einem präverbalem Subjekt nach einem satzeinleitenden Nebensatz sind im Altportugiesische nicht selten und sprechen gegen die Annahme einer Verb-Zweit-Grammatik, siehe die Beispiele (27)a. und (27)b. (27) a. Ouando Paunuyio dizia estas cousas e outras taaes. todos aquelles que hy estavö fazyam planto „Als Paunuiio diese und andere Sachen sagte, wehklagten alle diejenigen, die dort waren." (Kaiser 2002: 160)

60

Esther Rinke

b. E sse nö adubar a dauädicta vinha V3

XPV(S)

SubjektVf

c-

XPV(S)gesamt

Infinitiv/ Paitizip-Vf

C-DirektesObjektVf

c-

C-

IndirektesObjektVf

Adverbialphrase -Vf

CXP-VP -Vf

59

--

-

-

--

--

4

-

5

0

0

0

5

1

10

präverbal

--

II

-

-

-

--

--

5

16

postverbal

0

-

0

0

0

0

0

0

0

Nullsubjekte

94

-

45

4

5

3

33

6

145

Summe

98

70

50

4

5

3

38

35

253

38,7

27,7

19,8

1,6

2,0

1,2

15,0

13,8

100

Nominale Subjekte

Pronominale Subjekte

%

23

E

82

Tabelle 5: Stellung des finiten Verbs in Nebensätzen (16. Jh.)

VI

CVf

Nominale Subjekte

Pronominale Subjekte

SV(X) SubjektVf

präverbal

-

121

postverbal

19

-

präverbal

-

66

postverbal

4

XPV(S)gesamt

C-

C-

C-

C-

Adjunktsatz-Vf

Direktes Objekt-Vf

Indirektes Objekt-Vf

Adverbiatphrase-Vf

173

0

21

-

5

71

0

0

0

4

-

-

0

0

0

-

-

-

-

-

0

0

0

-

1

CXPVP-Vf

52

-

-

Z

>V3

XPV(S)

c-

-

1

NuHsubjekte

195

40

2

9

2

27

9

243

Summe

218

187

41

2

9

2

28

66

512

%

42.6

36,5

8,0

0,4

1.8

0,4

5,5

12,9

100

Tabelle 3: Stellung des finiten Verbs in Nebensätzen (13./14. Jh.)

88

Esther Rinke

Der Vergleich der Tabellen zeigt, dass verbinitiale Nebensätze, vor allem mit Nullsubjekten, sowohl im 13./14., als auch im 16. Jh. relativ frequent sind (42,6 % im 13./14. Jh.; 38,7 % im 16. Jh.). Auch im Hinblick auf Verb-DrittSätze ist keine quantitative Veränderung zu verzeichnen. Im 13./14. Jh. stehen in 12,91 % aller Nebensätze zwei oder mehr Konstituenten in präverbaler Position, im 16. Jh. sind es 13,8 % der Nebensätze im Datenkorpus. Nebensätze mit (nur) einem präverbalen Subjekt (SVO-Sätze) sind etwas häufiger im 13./14. Jh. (36,5 %) als im 16. Jh. (27,7 %). Dies ist jedoch irrelevant im Hinblick auf die Frage nach einem möglichen Wandel der Verb-ZweitStellung, da SVO-Stellung sowohl mit einer Verb-Zweit-Grammatik vereinbar ist, als auch mit einer Nicht-Verb-Zweit-Grammatik. Der unterschiedlich hohe Anteil solcher Sätze reflektiert damit keinen grammatischen Unterschied, sondern nur eine unterschiedliche Ausnutzung einer im 13./14. und im 16. Jh. gleichermaßen zur Verfugung stehenden Option. Auch Sätze vom Typ XP-V-S sind in beiden Texten gleichermaßen präsent. Im 13./14. Jh. findet sich XP-V-S-Stellung in einem von 512 Beispielsätzen (0,4 %), im 16. Jh. in 5 von 253 Nebensätzen (2,0 %). Sie treten also im 13./14. Jh. seltener auf als im 16. Jh.. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sich auch aus dem Vergleich der Verbstellung in Nebensätzen des 13./14. Jh. mit derjenigen in Nebensätzen des 16. Jh. keine Hinweise auf einen diachronischen Wandel ableiten lassen.

2.6 Zusammenfassung von Kapitel 2 In Mittelpunkt dieses Kapitels stand die Frage, ob das Altportugiesische des 13./14. Jh. eine Verb-Zweit-Sprache war. Ich habe aus verschiedenen Gründen gegen eine solche Annahme argumentiert. Der Vergleich mit den syntaktischen Eigenschaften einer typischen VerbZweit-Sprache hat gezeigt, dass das Altportugiesische des 13./14. Jh. Strukturen aufweist, die mit einer strengen Verb-Zweit-Stellungsregel nicht zu vereinbaren sind. Dies belegen vor allem zahlreiche Beispiele für Verb-Dritt- und Verb-Erst-Sätze, die im Gegensatz zu strengen Verb-Zweit-Sprachen wie dem Deutschen nicht als systematische Ausnahmen erklärt werden konnten. Für Sätze mit scheinbarer Verb-Zweit-Stellung, also für XP-V-S-Sätze habe ich argumentiert, dass diese auf die gleichen Faktoren zurückgeführt werden können, wie Sätze mit Subjekt-Verb-Inversion im modernen Portugiesischen. Das bedeutet erstens, dass postverbale Subjekte im Altportugiesischen wie im modernen Portugiesischen eine strukturell tiefe Position einnehmen (SpezvP) und zweitens, dass sie neue Information (thetisch oder fokussiert) darstellen.

2. Die Stellung des finiten Verbs

89

Aus dieser Analyse ergibt sich für die diachronische Entwicklung der Verbstellung im Portugiesischen die Vorhersage, dass kein syntaktischer Sprachwandel im Hinblick auf die Position des finiten Verbs in deklarativen Hauptund Nebensätzen stattgefunden hat. Ein Vergleich mit Dokumenten aus dem 16. Jh. hat diese Erwartung bestätigt. Dieses Ergebnis ist insofern nicht trivial, als Verb-Dritt- und Verb-Erst-Sätze im Altportugiesischen unter der Annahme einer strengen Verb-Zweit-Grammatik z.T. als Belege für einen beginnenden syntaktischen Wandel gewertet werden, der sich allmählich vollzieht und im 16. Jh. abgeschlossen ist. Die Verbstellung im 16. Jh. sollte sich dementsprechend von derjenigen im 13./14. Jh. unterscheiden. Im Hinblick auf die strukturelle Position des finiten Verbs im Altportugiesischen komme ich also zu dem Ergebnis, dass es sich in deklarativen Sätzen nicht regelhaft in die C-Domäne bewegt. Gleichzeitig konnte in Abschnitt 2.4.2 (in Anlehnung an Martins 2002a) festgestellt werden, dass das finite Verb stets links von VP-Adverbien wie z.B. sempre („immer") auftritt und somit anzunehmen ist, dass es sich aus seiner Basisposition heraus bewegt hat. Ich gehe demzufolge davon aus, dass das finite Verb im Altportugiesischen in der Kopfposition der Tempusphrase (T°) lokalisiert ist. Diese Annahme werde ich auch in den folgenden Kapiteln zu Grunde legen.

3. Wortstellungsvariation und Satzstruktur

Wortstellungsvariation innerhalb einer Sprache - hier verstanden als verschiedene mögliche Abfolgen von Subjekt, direktem Objekt und finitem Verb - wird bestimmt durch ein komplexes Zusammenspiel von Syntax, Informationsstruktur und Prosodie. Da prosodische Informationen bei der Untersuchung historischer Texte praktisch nicht zur Verfugung stehen, werde ich mich hier vor allem auf Syntax und Informationsstruktur konzentrieren. Ich möchte einleitend verschiedene Fragen skizzieren, die sich daraus ergeben. Es existieren insgesamt sechs Möglichkeiten, Subjekt, direktes Objekt und finites Verb zu kombinieren: SVO, SOV, OSV, OVS, VOS und VSO. Sprachvergleichend gibt es Unterschiede, und zwar erstens hinsichtlich der Anzahl und des Inventars der möglichen Kombinationen und zweitens hinsichtlich der zu Grunde liegenden syntaktischen Struktur einzelner Abfolgen und deren informationsstruktureller Interpretation. Ich möchte dies anhand eines Vergleichs zwischen dem Portugiesischen und dem Deutschen kurz illustrieren. Während im Portugiesischen alle sechs Abfolgen von Subjekt, finitem Verb und direktem Objekt möglich sind (Ambar 1992: 43), ist beispielsweise OSV-Stellung im deutschen Hauptsatz ausgeschlossen. (1) a. A carta, a Maria escrevia. „Den Brief schrieb Maria." b. *Den Brief Maria schrieb.

Der Grund für den in Beispiel (1) aufgeführten Kontrast ist rein syntaktischer Natur, nämlich die in Kapitel 2.1.1 beschriebene Verb-Zweit-Stellungseigenschaft des Deutschen. Das finite Verb steht im Hauptsatz in einer strukturell höheren Position als im Portugiesischen (C° vs. T°). Dies bedeutet gleichzeitig, dass die oberflächlich identische SVO-Wortstellung, die in beiden Sprachen möglich ist, im Hauptsatz eine unterschiedliche zu Grunde liegende Struktur aufweist. Im Deutschen steht in einem SVO-Hauptsatz das Subjekt im Spezifikator der CP und das finite Verb in C°. Im Portugiesischen hingegen befindet

Esther Rinke

92

sich das Subjekt innerhalb der TP und das finite Verb in T°. Auch hinsichtlich der Informationsstruktur unterscheiden sich das Deutsche und das Portugiesische. Ein präverbales Subjekt kann im Portugiesischen nicht als Fokus des Satzes interpretiert werden. Im Deutschen ist dies hingegen möglich, wie der Kontrast der Beispiele in (2) zeigt: (2) a. Quem comeu o bolo?

Comeu oJoäo. (Ambar 1992: 185) # O Joäo comeu. 1 b. Wer hat den Kuchen gegessen? Hans hat ihn gegessen. Den hat Hans gegessen.

Aus dem bisher gesagten folgt, dass eine Studie der diachronischen Entwicklung der Wortstellung im Portugiesischen verschiedene syntaktische und informationsstrukturelle Aspekte berücksichtigen muss. Dabei spielt insbesondere die Annahme eine Rolle, dass eine der möglichen Abfolgen als die Grundwortstellung bzw. die unmarkierte Wortstellung identifiziert werden kann, während Abweichungen davon als markierte bzw. abgeleitete Wortstellungsoptionen gewertet werden.2 Zentrales Thema dieses Kapitels ist, welche Abfolgen von Subjekt, finitem Verb und Objekt im Altportugiesischen grundsätzlich möglich sind und ob sie sich syntaktisch bzw. informationsstrukturell von ihrem Äquivalent im modernen Portugiesischen unterscheiden. Solche Unterschiede können aus diachronischer Perspektive verschieden interpretiert werden. Da sich das Portugiesische genealogisch aus dem Lateinischen entwickelt hat, könnte das Altportugiesische erstens noch lateinische Wortstellungsmuster aufweisen. Zweitens wäre es aber auch möglich, dass das Altportugiesische gegenüber dem Lateinischen innovative Strukturen aufweist, die in der weiteren Entwicklung zum modernen Portugiesischen wiederum verloren gegangen sind,

Dieses Beispiel ist nicht ungrammatisch; es stellt lediglich keine mögliche Antwort auf die Frage nach dem Subjekt dar. Ob diese Generalisierung tatsächlich so kategorisch ist, wie in den syntaktischen Arbeiten angegeben, kann hier nicht geklärt werden. In seiner Arbeit zum Fokus im Spanischen hat Gabriel (erscheint) überzeugend nachgewiesen, dass Sprecher mehr Optionalität zulassen, als in syntaktisch orientierten Arbeiten allgemein eingeräumt wird. Greenberg (1966) zufolge können Sprachen verschiedene mögliche Stellungen aufweisen; sie haben aber nur eine dominante Wortstellung. Das maßgebliche Kriterium für die dominante Wortstellung ist ihre Frequenz. Im Gegensatz dazu geht das generative Konzept der Grundwortstellung von der zu Grunde liegenden Satzstruktur aus.

3. Wortstettungsvariation

und Satzstruktur

93

wie dies in der Literatur im Hinblick auf die Verb-Zweit-Stellungseigenschaft argumentiert worden ist. Ich habe deshalb die Beschreibung der Wortstellung im Lateinischen und im modernen Portugiesischen und den kontrastiven Vergleich der Satzstruktur in den jeweils unmarkierten Wortstellungsmustern an den Anfang dieses Kapitels gestellt. Anschließend diskutiere ich in Abschnitt 3.2 verschiedene traditionelle und relativ neue Arbeiten zu Wortstellungsvariation und -wandel im Altportugiesischen. Die Diskussionen in 3.1 und 3.2 bilden die Ausgangsbasis meiner empirischen Studie in Abschnitt 3.3. Ich werde zeigen, dass das Altportugiesische wie das moderne Portugiesische eine SVO-Sprache ist, weil in beiden Sprachen SVO-Stellung die unmarkierte Wortstellung sowohl im Hauptsatz als auch im Nebensatz darstellt. Abweichungen von dieser Wortstellung, insbesondere OSV- und OVS-Strukturen, können als abgeleitete Wortstellungen bzw. als markierte Topikstrukturen aufgefasst werden. SOV-Sätze, die prinzipiell mit einer unmarkierten Lesart kompatibel sind und die in derselben Form im modernen Portugiesischen nicht grammatisch sind, haben demgegenüber eine lateinische Satzstruktur. Solche Sätze sind jedoch nicht Teil der muttersprachlichen Grammatik der Sprecher, sondern gelernte Strukturen (und insofern Teil einer L2-Grammatik), die ausschließlich in Schlussklauseln auftreten und möglicherweise aus mittelalterlichen Formelbüchern übernommen wurden.

3.1 Modernes Portugiesisch und Lateinisch Aus dem bisher Gesagten ist deutlich geworden, dass die Frage nach der Möglichkeit von Wortstellungsvariation in einer Sprache verschiedene syntaktische und informationsstrukturelle Aspekte involviert. Um die Grundwortstellung für eine gegebene Sprache zu ermitteln, ist es nach Ambar (1992: 23) unerlässlich, erstens zu klären, welche der genannten Wortstellungsoptionen diese Sprache grundsätzlich erlaubt, zweitens ein Instrumentarium zu erarbeiten, das es ermöglicht, die Grundwortstellung von der abgeleiteten Wortstellung zu unterscheiden und drittens durch den Vergleich mit anderen Sprachen universale und sprachspezifische Prinzipien zu ermitteln, welche die Position von Subjekt, Verb und Objekt determinieren. Ambar (1992) stellt jedoch zugleich fest, dass es vermessen wäre, wollte man in einer einzigen Arbeit alle Fragen gleichzeitig beantworten. Dies betrifft insbesondere den dritten genannten Punkt, der eine umfassende sprachvergleichende Arbeit zu verschiedenen Aspekten von Syntax und Informationsstruktur voraussetzt. Im folgenden werde ich die Unterschiede zwischen dem modernen Portugiesischen und dem Lateinischen aufzeigen und erläutern, wobei ich mich insbesondere auf SOV- bzw. SVO-Abfolgen im Lateinischen und im modernen

94

Esther Rinke

Portugiesischen konzentriere, da diese die jeweils unmarkierte Wortstellung darstellen. In Abschnitt 3.1.3 werde ich diskutieren, wie dieser Unterschied syntaktisch-strukturell repräsentiert werden kann. 3.1.1 Die Wortstellung im modernen Portugiesischen Für das moderne Portugiesische hat Costa (1997:49, 1998: 108,2000: 94)3 argumentiert, dass nur fünf der sechs möglichen Abfolgen grammatisch sind. (3) a. SVO: SOV: VSO: VOS: OVS: OSV:

O Paulo comeu a sopa. „Paul aß die Suppe." *0 Paulo a sopa comeu. Comeu o Paulo a sopa. Comeu a sopa o Paulo. A sopa comeu o Paulo. A sopa, o Paulo comeu.

Allerdings wird sein Grammatikalitätsurteil nicht von allen Muttersprachlern geteilt. Dies belegt unter anderem das folgende Beispiel von Ambar (1992:43), das die Autorin weder als beschränkt akzeptabel noch als ungrammatisch kennzeichnet. (4) A Joana, a sopa. comeu. „Joana aß die Suppe."

Die Akzeptabilität von Sätzen mit SOV-Stellung wird auch von anderen Muttersprachlern bestätigt. Uneingeschränkt akzeptabel sind die folgenden Beispiele (u.a. Barbosa, pers. Mitteilung). (5) a. Eu, disso. näo gosto. „Ich mag das nicht." b. Eu, isso. detesto. „Das hasse ich."

In Costa (2000: Fußnote 1) merkt der Autor selbst an, dass SOV-Sätze unter der Bedingung der Interpretation als mehrfache Topikalisierung marginal akzeptabel ist. Da es - wie Costas Anmerkung zu entnehmen ist - selbst für ihn möglich ist, dem in (3)b. bzw. (4) genannten Satz unter bestimmten Bedingungen

3

Costa (1996,2000) versieht das Beispiel mit SOV-Stellung mit Asterisk. In Costa (1998: 108) findet sich „?*" vor dem Beispiel.

3. Wortstellungsvariation und Satzstruktur

95

eine Interpretation zuzuweisen, gehe ich in dieser Arbeit davon aus, dass SOVStellung im modernen Portugiesischen unter bestimmten diskursiven Voraussetzungen grammatisch ist. Unter anderem ist jeweils eine intonatorische Pause zwischen den einzelnen Konstituenten nötig, wie die Kommata indizieren. Ich werde also davon ausgehen, dass SOV-Stellung im modernen Portugiesischen als Topikalisierungsstruktur zu interpretieren ist. In der Literatur zur Wortstellung im Portugiesischen (von Diez 1877 bis Costa 2000) besteht Konsens darüber, dass die Grundwortstellung oder unmarkierte Wortstellung des modernen Portugiesischen SVO ist. Dies wird unter anderem damit begründet, dass SVO-Stellung als unmarkierte Antwort auf die Frage „Was ist passiert?" auftritt, wie in Beispiel (6). (6) O que é que aconteceu? „Was ist passiert?" O Paulo c o m e u um bolo. (Costa 2000: 137) „Paul aß einen Kuchen."

In vielen Arbeiten findet sich die Definition der Grundwortstellung oder unmarkierten Wortstellung als negative Definition der abgeleiteten oder markierten Wortstellung. So definiert Ambar (1992: 45) die Grundwortstellung des Portugiesischen aus empirischer Sicht als diejenige Wortstellung, die nicht an spezifische syntaktische, prosodische oder pragmatische Bedingungen gebunden ist. De um ponto de vista empírico, admitirei que, como ponto de partida para o estudo das ordens derivadas, a ordem básica de urna língua é aqueta que ocorre de forma menos marcada. Por 'marcado', como já referí, entendo a ordem que se encontra associada a urna conditio (de carácter sintáctico, semántico, prosódico ou pragmático) específica. (Ambar 1992:45)

Ambar (1992: 53) nimmt als Ausgangshypothese an, dass SVO-Stellung im Portugiesischen die unmarkierte Wortstellung darstellt, da diese Wortstellung weder eine Pause, noch einen kontrastiven Akzent, noch ein Adverb in satzinitialer Position erfordert. Weiterhin zeigt Ambar (1992), dass auch der Koordinationstest von Ross (1970) zum Ergebnis hat, dass die Basiswortstellung im Portugiesischen SVO ist. Nach Ross (1970) gibt es einen Zusammenhang zwischen der Auslassung des Verbs in koordinierten Satzteilen und der Basiswortstellung einer Sprache. Ross (1970) geht davon aus, dass die Richtung der elliptischen Auslassung von der Position abhängt, die die Elemente einnehmen, wenn die Ellipse appliziert.

96

Esther Rinke

The order in which GAPPING operates depends on the order of elements at the time that the rule applies; if the identical elements are on left branches, GAPPING operates forward; if they are on right branches, it operates backward. (Ross 1970: 251)

Ross (1970: 250f.) illustriert dies anhand einer SVO-Sprache wie dem Englischen und einer SOV-Sprache wie dem Japanischen. (7) a. I ate fish. Bill ate rice, and Harry ate roast beef. b. I ate fish. Bill rice, and Harry roast beef. c. SVO+SVO+SVO —> SVO+SO+SO... +SO (Ross 1970: 250f.) (8) a. watakusi wa sakana o tabe, Biru wa gohan o tabeta. ich (Part.) Fisch (Part.) esse, Bill (Part.) Reis (Part.) aß „Ich esse Fisch und Bill aß Fleisch." b. watakusi wa sakana o, Biru wa gohan o tabeta. ich (Part.) Fisch (Part.) Bill (Part.) Reis (Part.) aß „Ich aß Fisch und Bill Fleisch." c. SOV+SOV+SOV —> SO+SO+SO...SOV (Ross 1970: 250f.)

Die Generalisierung von Ross (1970) erweist sich im Hinblick auf Sprachen wie z.B. das Deutsche als problematisch, das eine unterschiedliche Abfolge in Haupt- und Nebensatz aufweist und für das Ross (1970) eine zu Grunde liegende SVO-Stellung annimmt. Ich möchte jedoch nicht genauer auf diese Schwierigkeiten eingehen.4 Für das Portugiesische hat dieser Test ein eindeutiges Ergebnis, wie Ambar (1992: 55) feststellt. Das Portugiesische verhält sich wie eine SVO-Sprache. (9) a. O Pedro comeu peixe. o Joäo comeu arroz e o Gon^alo comeu rosbife. „Pedro aß Fisch, Joäo aß Reis und Gonfalo aß Roastbeef." b. O Pedro comeu peixe. o Joäo arroz e o Gonqalo rosbife. „Pedro aß Fisch, Joäo Reis und Gonpalo Roastbeef." c. SVO+SVO+SVO --> SVO+SO+SO... +SO

Ambar (1992) nimmt somit als Arbeitshypothese an, dass die unmarkierte Wortstellung des Portugiesischen SVO ist. Wenn gezeigt werden kann, dass die anderen Stellungsoptionen aus dieser Wortstellung abgeleitet werden können, belegt dies ihrer Ansicht nach wiederum den unmarkierten Status der SVOStellung.

4

Für eine ausführliche Diskussion siehe Ambar(!992: 34ff).

3. Wortstellungsvariation

und Satzstruktur

97

Neste trabalho vamos assumir, de forma axiomática e como ponto de partida, que o Portugués tem urna ordern básica SVO. Se conseguimos explicar óptimamente as ordens déla derivadas, entäo confirmamo-la. (Ambar 1992: 53)

Duarte (1987) definiert die unmarkierte Wortstellung als Identität von syntaktischem Subjekt und Satztopik. Ihre Definition der markierten Topik-Strukturen {estruturas de tópico marcado) basiert auf der Annahme, dass in Subjekt-prominenten Sprachen5 wie dem Portugiesischen eine Konstruktion dann markiert ist, wenn die Struktur Topik-Kommentar nicht mit der Struktur Subjekt-Prädikat übereinstimmt, also eine andere Konstituente als das Subjekt als Satztopik fungiert. O segundo tipo de construyes que tém sido designadas ' c o n s t r u y e s de tópicos marcados' inclui aquelas em que a estrutura sujeito-predicado nao coincide com a estrutura tópico-commentário. Mais precisamente, trata-se de c o n s t r u y e s em que um dado constituinte mantém a relapao gramatical de sujeito e um constituinte distinto, mais ou menos fortemente associado a elementos internos á p r e d i c a d o e ocupando urna posi?ao externa á orapäo, tem a funpao textual de tópico frásico. (Duarte 1987: 72)

Solche Konstruktionen des markierten Topiks haben nach Duarte (1987: 72) die folgende Struktur, wobei das Topik außerhalb, das Subjekt jedoch innerhalb der eigentlichen Proposition liegt: (10)

X ... [„ ... y ... ]

i Sujeito de a Tópico de a

Comentário

... o constituinte com a fun^äo textual de tópico encontra-se numa posi?ao periférica, á esquerda do dominio interpretado como comentário e é um constituinte distinto que matém a relaijao gramatical de sujeito de a . (Duarte 1987: 72f.)

Auch Duartes (1987) Definition zufolge ist SVO-Stellung die unmarkierte Wortstellung im Portugiesischen, da in SVO-Sätzen Subjekt und Topik normalerweise identisch sind und keine prädikationsinterne Konstituente topikalisiert ist.

Duarte (1987) versteht den Begriff der Subjekt-prominenten Sprache im Sinne von Li & Thompson (1976).

98

Esther Rinke

Wie Duarte (1987) geht auch Costa (2000: 106) davon aus, dass im unmarkierten Fall das Subjekt in präverbaler Position das Satztopik darstellt. Den Begriff des Topiks versteht er als bekannte (bzw. als bekannt vorausgesetzte) Information. Objekte tendieren ihm zufolge im Gegensatz zu Subjekten dazu, neue Information einzuführen. Seiner Analyse nach ist eine Struktur immer dann (prosodisch oder syntaktisch) markiert, wenn sie gegen eine der folgenden Tendenzen verstößt (Costa 2000: 110). (11) a. b. c. d.

Subjekte tendieren dazu, Topik zu sein Objekte tendieren dazu, Fokus zu sein. Definite tendieren dazu, Topik zu sein. Indefinite tendieren dazu, Fokus zu sein.

Diese Tendenzen hat Costa (2000) zuvor aus der Beschreibung der verschiedenen Wortstellungsoptionen im Portugiesischen abgeleitet. Er nimmt mit Reinhart (1995) an, dass Operationen wie Topikalisierung oder Fokussierung zu markierten Strukturen führen, während die in (11) formulierten Tendenzen - die mit SVO-Stellung (mit definiten Subjekten) korrespondieren - die unmarkierten Strukturen bezeichnen. Ein Subjekt ist dementsprechend dann unmarkiert, wenn es definit und ein Topik ist. Costa (2000) geht davon aus, dass es dann in seiner kanonischen (präverbalen) Position steht, ohne disloziert (topikalisiert oder fokussiert) zu werden. Indefinite Subjekte erscheinen als Topiks seiner Analyse zufolge linksdisloziert, also in markierter Position. Ich gehe im Weiteren übereinstimmend mit Duarte (1987), Ambar (1992) und Costa (2000) für das moderne Portugiesische davon aus, dass SVO die unmarkierte Stellung der Konstituenten ist. Aus syntaktischer Sicht bedeutet dies, dass OV-Stellung in SOV-, OSV- und OVS-Sätzen im modernen Portugiesischen eine Dislokation des Objekts involviert, das dann topikalisiert ist. Im modernen Portugiesischen gibt es verschiedene Verfahren der Topikalisierung von Objekten, die sich hinsichtlich ihrer syntaktischen Struktur unterscheiden. Duarte (1987) nennt die vier Topikalisierungsstrukturen unter (12)a.d. (alle Beispiele von Duarte 1987: 73f.): (12) a. Töpico Pendente („ Hängende Topik "-Konstruktion) ..Ouanto ao debate de ontem ä noite. e for^oso reconhecer que hä politicos que falam sobre um pais que näo conhecem." „Bezüglich der Debatte von gestern Abend muss man doch zwingend annehmen, dass es Politiker gibt, die über ein Land sprechen, das sie gar nicht kennen." b. DeslocaScrambling (wie von Grewendorf und Säbel 1999 für das Japanische gezeigt) zurückzuführen ist, worunter sie A-Bewegung in einen der multiplen Spezifikatoren der AgrSP versteht. Fraglich ist, warum eine solche A-Position auch für Nicht-Argumente (wie z.B. Adverbialphrasen) zur Verfügung stehen kann. Denn dies müsste von Martins (2002a) angenommen werden, da - wie sie zeigt - auch Adverbialphrasen in Interpolationsstrukturen zwischen Klitikon und finitem Verb erscheinen. Hinsichtlich der Frage nach der Motivation der Scrambling-Operation nimmt Martins an, dass die Voranstellung des Objekts durch ein uninterpretier-

124

Esther Rinke

bares Merkmal (ein EPP-Merkmal) in AgrS ausgelöst wird, das die Eigenschaft besitzt, alle Merkmale anzuziehen („Attract-all-F"-property). I take AgrS in Old Portuguese to have an uninteipretable selectional feature (that is, an EPP-feature) with an 'Attract-all-F' property, in the sense of BoSkovic (1999: 169): 'In his discussion of Icelandic multiple subject constructions, Chomsky (1995) proposes that one and the same head can attract a particular F more than once. (...) In this system, it seems natural to have elements that possess a formal inadequacy that is overcome by attracting all features F.' The relevant selectional property of AgrS varies parametrically across languages and when available is optional. So scrambling - as well as the order OV it derives is not obligatory in Old Portuguese. (Martins 2002a: 241)

(S)OV-Stellung im Altportugiesischen - wenn es sich nicht um Topikalisierung oder Fokussierung des Objekts handelt - wird also von Martins (2002a) auf die Existenz einer optionalen Scrambling-Operation zurückgeführt, die im modernen Portugiesischen nicht mehr zur Verfugung steht. Diese optional applizierende Bewegung ist nach Martins (2002a) prosodisch bzw. diskursiv motiviert, d.h. Scrambling stellt für das Objekt und die anderen betroffenen Elemente (z.B. Adverbialphrasen) eine Option dar, einer Zuweisung per default von Fokus-Betonung und Informationsfokus-Interpretation zu entgehen (siehe hierzu auch die Diskussion in Kapitel 2). Martins (2002a) zeigt, dass im Altportugiesischen offenbar OV-Stellungsmuster existieren, die weder auf eine Topikalisierung noch eine kontrastive Fokussierung des Objekts zurückzuführen sind. Allerdings betrifft diese Voranstellung neben dem Objekt auch Adverbialphrasen und andere Konstituenten und ist auf bestimmte Satztypen (vor allem Relativsätze und Konditionalsätze beschränkt). Die Analyse dieser Konstruktionen als Resultat einer ScramblingOperation ist jedoch nicht unproblematisch, da sie an verschiedene Zusatzannahmen geknüpft ist (z.B. A'-Elemente in A-Positionen und die „Attract-all-F"Eigenschaft) und einige Fragen unbeantwortet lässt, z.B., warum Scrambling nur in den erwähnten Satztypen möglich ist und was Scrambling genau von Topikalisierung unterscheidet. Salvi (2001, 2004) geht davon aus, dass unmarkierte OV-Stellung in den frühromanischen Sprachen dadurch zu Stande kommen kann, dass zwei verschiedene IP-Abfolgen miteinander konkurrieren. Es handelt sich - wie bereits in Kapitel 2.4.1 angesprochen - seiner Ansicht nach um eine (archaische) lateinische SOV-Stellung und eine (innovative) romanische SVO-Stellung innerhalb der IP-Domäne. SOV-Stellung tritt vor allem im Nebensatz auf, da sich Salvi (2001, 2004) zufolge das finite Verb aufgrund der von ihm angenommenen Verb-Zweit-Stellung des Altportugiesischen im Hauptsatz in die linke Peripherie bewegt, woraus eine oberflächliche SVO-Stellung resultiert. Aller-

3. fVortstellungsvariation

und

Satzstruktur

125

dings ist seiner Ansicht nach auch die Bewegung des finiten Verbs optional, da Verb-Zweit-Stellung nicht in allen Hauptsätzen auftritt. Salvis (2001, 2004) Annahme einer Verb-Zweit-Stellungseigenschaft für das Altportugiesische wurde bereits in Kapitel 2 kritisiert. Im Hinblick auf die Annahme konkurrierender Basisabfolgen muss geklärt werden, welche inner- oder außersprachlichen Bedingungen dafür verantwortlich sind, dass die Sprecher des Altportugiesischen die archaische oder die innovative Strukturoption wählen. Solange die Bedingungen des Auftretens der verschiedenen einander ausschließenden Strukturoptionen nicht geklärt sind, ist die Annahme, dass den Sprechern beide zur Verfügung stehen, als Hypothese über die mentale Grammatik der Sprecher des Altportugiesischen meiner Ansicht nach nicht restriktiv genug. Die Diskussion sowohl der traditionellen als auch der generativen Literatur hat gezeigt, dass (S)OV-Stellung im Altportugiesischen schon früh ein Thema in historischen Grammatiken und traditionellen Arbeiten war, und dass es zwei Hauptfaktoren gibt, um (S)OV-Stellung im Altportugiesischen zu erklären. Das ist erstens der Verweis auf die Grundwortstellung des Lateinischen und zweitens die Möglichkeit der Hervorhebung bzw. der Bewegung des Objekts (durch Topikalisierung, Fokussiereng und Scrambling). Im folgenden Abschnitt nehme ich eine empirische Untersuchung der Wortstellung im Altportugiesischen vor. Dabei sollen die folgenden drei Fragen beantwortet werden: 1.

Welche Wortstellungsmuster waren im Altportugiesischen möglich?

2.

Was ist die Grundwortstellung des Altportugiesischen und welche Wortstellungs-

3.

Wie können Wortstellungsoptionen erklärt werden, die von der Grundwortstellung abweichen, aber dennoch mit einer unmarkierten Lesart kompatibel sind (in diesem Fall SOV-Sätze)?

optionen sind markiert?

3.3 Die Wortstellung im Altportugiesischen Wie im vorangegangenen Kapitel gezeigt, wird für die mittelalterlichen romanischen Sprachen im Allgemeinen eine größere Variabilität der Wortstellung postuliert als für ihre modernen Entsprechungen. Für das Altportugiesische argumentiert Mattos e Silva (1994: 124),21 basierend auf den in (44) aufgeführten Beispielen aus Huber (1933) und Padua (1960), dass das Altportugiesische alle sechs logisch möglichen Abfolgen von Subjekt, Objekt und transitivem Verb erlaubt, wobei OSV-Stellung ihr zufolge selten vorkommt:

21

Siehe auch Padua (1960: 40).

Esther Rinke

126

(44) a. SVO: O lobo abrio aboca „Der Wolf öffnete das Maul." b. SOV: Quando Eufrosina esto ouvio. prougue-lhe muito „Als Eufrosina dies hörte, gefiel es ihr sehr." c. VSO: E enton chamou o abade huu monge „Also rief der Abt einen Mönch." d. VOS: E cercou a cidade Nabucododonosor „Und Nebukadnezar umzingelte die Stadt." e. OVS: Quando q viu o mofo rogou que veesse „Als ihn der Junge sah, bat er ihn zu kommen." f. OSV: Todas estas cousas as gentes demandou „Alle diese Dinge befahlen die Ritter." (Mattos e Silva 1994: 124) Die hier angeführten Beispiele sind in verschiedener Hinsicht problematisch. Erstens wird das Objekt in Beispiel (44)e. durch ein klitisches Objektpronomen realisiert, während es in den anderen Beispielen ein Nomen darstellt. 22 Mattos e Silva (1994) nimmt also keine Unterscheidung zwischen (klitischen) pronominalen Objekten einerseits und nominalen Objekten andererseits vor. Dies ist aber insofern von Bedeutung, als die Stellung der Objektklitika im Portugiesischen von anderen Faktoren bestimmt wird, als dies für nominale Objekte gilt. Klitische Objektpronomina gehen sowohl im modernen Portugiesischen als auch im Altportugiesischen eine enge grammatische Bindung zu ihrem Stützwort (auch Gastgeber, host) ein. Insbesondere stehen sie im Nebensatz meist adjazent zur Konjunktion und können dann in sogenannten Interpolationsstrukturen vom finiten Verb getrennt erscheinen. Ein zweites Problem der Beispiele in (44) ist, dass Mattos e Silva (1994) keine Unterscheidung zwischen Hauptsätzen (wie in (44)a., c., d., f.) und Nebensätzen (wie in (44)b. und e.) vornimmt. Eine separate Betrachtung von Hauptund Nebensätzen, sowie verschiedener Typen von Nebensätzen, ist jedoch für eine systematische Untersuchung der Wortstellung wichtig, da bestimmte Muster an bestimmte Satztypen gebunden sein können. In asymmetrischen VerbZweit-Sprachen wie dem Deutschen unterscheiden sich beispielsweise Hauptund Nebensatz hinsichtlich der Stellung des finiten Verbs (siehe Abschnitt 2.1.1). Es müssen also für die von Mattos e Silva (1994) zitierten Beispiele mit SOV-Stellung (Beispiel (44)b.) und OVS-Stellung (Beispiel (44)e.) andere Beispielsätze gefunden werden. Ich führe zur Illustration in (45)a. und b. jeweils ein Beispiel für einen Hauptsatz mit nominalem Objekt und SOV- bzw. OVS-Stellung an. Das Demonstrativpronomen esto in (44)b. werte ich aus syntaktischer Sicht als nominales Objekt, da es kein Klitikon ist.

3. Wortstellungsvariation

und Satzstruktur

127

(45) a. SOV: E eu Jhoä päez de Coybr(a) esto esc(ri)uy p(er) mädado do d(i)to ouuydor Alffon(sus) ioh(an)is uidit. „Und ich Joäo Paez aus Coimbra schrieb dies, beauftragt von besagtem Beisitzer Alfonso Johannes." (E; 1306) b. OVS:

O q(u)al casar rezebio o uosso frade frey Johä Ssauaschaez porjur de uos „Diesen Hof erhielt euer Bruder Johä Sanchez durch euren Willen." (L; 1281)

Die Generalisierung von Mattos e Silva (1994), wonach alle sechs logisch möglichen Abfolgen im Altportugiesischen vorkommen können, scheint also richtig zu sein. Im folgenden Abschnitt möchte ich die Ergebnisse meiner systematischen Untersuchung der Wortstellung im Altportugiesischen präsentieren. Ich möchte einige Bemerkungen zur Methodik der Datenanalyse und -bewertung voranstellen. Erstens habe ich aus den genannten Gründen eine Unterscheidung zwischen Haupt- und Nebensätzen vorgenommen und pronominale klitische Objekte ausgeklammert. In die Betrachtung der Nebensätze wurden nur Komplementsätze und solche Adjunktsätze eingeschlossen, die durch einen Komplementierer eingeleitet werden, da Konditional- und Relativsätze in ihrer Wortstellung systematisch von anderen Nebensatztypen abweichen und meines Erachtens gesondert betrachtet werden müssen. Insgesamt wurden nur Sätze mit einem realisierten nominalen oder pronominalen Subjekt und nominalen Objekt betrachtet. Nullsubjektsätze und Sätze mit intransitiven Verben wurden ausgeschlossen. Dies unterscheidet meine Vorgehensweise von der Methodik Polos (2002) bei ihrer Analyse des Lateinischen. Sie zählt Nullsubjektsätze mit VOStellung als (S)VO-Sätze und diejenigen mit OV-Stellung als (S)OV-Sätze. Zwar kann für beide Fälle angenommen werden, dass das nicht realisierte Subjekt in präverbaler Position strukturell repräsentiert ist (da es ein Topik sein muss, um ausgelassen werden zu können). Dennoch ist gerade im Hinblick auf OV-Sätze nicht entscheidbar, ob (S)OV oder 0(S)V-Stellung angenommen werden muss. Ich schließe aus meiner Untersuchung auch Sätze aus, in denen das Komplement des finiten Verbs ein Nebensatz ist, da sich die Stellungsmöglichkeiten phrasaler Komplemente von denen nominaler Komplemente unterscheiden können. Das ist darauf zurückzuführen, dass Nebensätze keinen Kasusanforderungen unterliegen und deshalb potentiell eine andere strukturelle Position als nominale Objekte einnehmen. Auch Sätze, die ein finites Verb und einen Infinitiv enthalten, können nicht mit in die Untersuchung einbezogen werden, da

Esther Rinke

128

das Objekt zumeist das Komplement des nicht finiten Verbs darstellt. Es ist dementsprechend Teil der Infinitivkonstruktion. Auf die Wortstellung in Infinitivkonstruktionen gehe ich in Kapitel 4 ein. Wie Polo (2002) werde ich bei der Analyse der Daten den Versuch unternehmen, die einzelnen Wortstellungsmuster hinsichtlich ihrer Informationsstruktur zu bewerten. Ich gehe mit Duarte (1987) und Costa (2000) davon aus, dass die unmarkierte Stellung dann vorliegt, wenn das syntaktische Subjekt das Topik des Satzes darstellt und das Objekt Teil der Prädikation ist. Eine markierte Stellung liegt dementsprechend dann vor, wenn das Subjekt nicht Topik des Satzes ist und wenn das Objekt nicht Teil der Prädikation ist. In Kapitel 2 habe ich bereits gezeigt, dass postverbale Subjekte neue Information darstellen. Ich möchte mich im folgenden vor allem auf die Stellung des Objekts im Hinblick auf das finite Verb konzentrieren. Ich gehe dabei davon aus, dass die abgeleitete oder markierte Interpretation des Objekts als Topik des Satzes mit seiner syntaktischen Dislokation einhergeht, wie dies zu Beginn dieses Kapitels bereits für das moderne Portugiesische und das Lateinische dargestellt wurde. 3.3.1 Die Stellung der Konstituenten in Haupt- und Nebensätzen Für die Betrachtung der Wortstellungsvariation in Hauptsätzen habe ich die bereits in Kapitel 2 analysierten 776 deklarativen Hauptsätze ausgewählt. Insgesamt 131 Beispiele enthielten ein nominales oder pronominales Subjekt und ein nominales Objekt. Die verschiedenen vorgefundenen Wortstellungsmuster sind in Tabelle 4 aufgeführt: Wortstellung

Anzahl der Beispiele

SVO

86

65,6 %

VSO

15

11,5%

VOS

0

0

SOV

0

0

OSV

15

11,5%

OVS

15

11,5 %

131

100%

Summe

Gesamt (V-O-Stellung) 77,1 %

(O-V-Stellung) 22,9 %

Tabelle 4: Wortstellungsmuster in Hauptsätzen (13./14. Jh.)

3. Wortstellungsvariation und Satzstruktur

129

Tabelle 4 zeigt, dass bis auf VOS- und SOV-Stellung alle logisch möglichen Stellungsvarianten tatsächlich im Text zu finden sind. SVO-Stellung ist dabei am häufigsten (65,6 %) vertreten. OSV-, OVS- und VSO-Stellung kommen jeweils in 15 Beispielen vor. Das direkte Objekt tritt sowohl links als auch rechts vom finiten Verb auf. VO-Stellung zeigen 77,1 % aller Beispiele. OV-Stellung findet sich aber immerhin in 22,9 % der Sätze. Aus quantitativer Perspektive ist VO- bzw. SVO-Stellung die dominante Wortstellungsvariante in den Hauptsätzen. Dies trifft in weitaus höherem Maße auch für die Nebensätze zu, wie Tabelle 5 zeigt. Wortstellung

Anzahl d e r Beispiele

C-SVO

112

94,1 %

C-VSO

5

4,2 %

C-VOS

0

0

C-SOV

2

1,7%

C-OSV

0

0

C-OVS

0

0

Summe

119

Gesamt (V-O-Stellung) 98,3 %

(O-V-Stellung) 1,7%

100 %

Tabelle 5: Wortstellungsmuster in Nebensätzen (13./14. Jh.) Wie bei den Hauptsätzen ist auch die Zahl der Nebensätze auf Grund der strengen Auswahlkriterien relativ eingeschränkt. Hinzu kommt in diesem Fall noch, dass in Komplement-Nebensätzen besonders oft das Subjekt ausgelassen wird, da es häufig koreferent mit dem Subjekt des übergeordneten Matrixsatzes ist. Insgesamt habe ich 512 Nebensätze analysiert, von denen 119 ein nominales oder pronominales Subjekt und ein nominales Objekt enthalten. Auch in Nebensätzen kann das Objekt sowohl links als auch rechts vom finiten Verb stehen. Allerdings kommt OV-Stellung sehr viel seltener vor als in Hauptsätzen, nämlich nur in zwei Beispielen. VO-Stellung findet sich demgegenüber in 98,3 % aller Beispiele. SVO-Stellung ist in Nebensätzen noch deutlicher als in Hauptsätzen die quantitativ dominante Wortstellung. Insgesamt 112 Sätze (94,1 %) weisen dieses Wortstellungsmuster auf. VSO-Stellung fand sich in 5 Beispielen (4,2 %) und SOV-Stellung in zwei Beispielen (1,7 %). Nebensätze mit VOS-, OSVund OVS-Wortstellung sind nicht attestiert. OV-Stellung ist damit in meinem Datenkorpus in Nebensätzen sehr selten. Dies steht im Gegensatz zu der in der Literatur häufig vertretenen Beobachtung, OV-Stellung sei besonders typisch

Esther Rinke

130

für Nebensätze. Dieser Widerspruch kann zwei Gründe haben. Erstens werden als Belege für OV-Stellung in der Literatur häufig Beispiele mit präverbal auftretenden Adverbialbestimmungen aufgeführt. Zweitens weisen vor allem Relativsätze und Konditionalsätze diese Wortstellung auf, die jedoch hier nicht betrachtet wurden. Insbesondere Relativsätze zeigen noch bis ins 16. Jh. hinein (S)OV-Stellung (siehe Beispiel 46). (46)

... E eu anrique nunez Pubrico tabaliam por el Rei nosso S(e)n(h)or na dita cidade de lixboa (e) seus termos que este estormento em minhas notas tomei... „... und ich Anrique Nunez, öffentlicher Notar für unseren König in Lissabon und seinen Bezirken, der dieses Zeugnis in meine Schriftstücke aufnahm." (E; 1544)

Die Frage, warum OV-Stellung besonders in Subjekt-Relativsätzen häufiger und länger zu finden ist, kann ich im Rahmen dieser Arbeit nicht beantworten. Ich vermute, dass es mit der internen Struktur der Relativsatzkonstruktion zusammenhängt. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sowohl die Betrachtung der Haupt-, als auch der Nebensätze des Altportugiesischen gezeigt hat, dass (S)VO-Stellung im Altportugiesischen die frequenteste Wortstellungsoption ist. Im Gegensatz dazu hat die Studie von Polo (2002) zum Lateinischen gezeigt, dass dort SOV-Stellung sowohl in Haupt- als auch in Nebensätzen statistisch dominant ist. Ich führe hier die quantitativen Ergebnisse der Studie von Polo noch einmal im direkten Vergleich auf:

5. Wortstellungsvariation und Satzstruktur

Wortstellung

Alle Sätze

Hauptsätze

Nebensätze

(S)VO

188

23%

132

25,5 %

56

18,5%

(S)OV

578

70%

345

66,5 %

233

77%

vso

10

1,2%

10

2%

0

vos

8

1%

7

1,3%

1

0,3 %

osv

28

3,5 %

18

3,5 %

10

3,2 %

ovs

11

1,3 %

7

1,3%

4

1%

823

100%

519

100%

304

100%

Gesamt

0

Wortstellungsvariation in der Cena Trimalchionis (Kap. 26-78) nach Polo (2002:133)

Wortstellung

Alle Sätze

Hauptsätze

112

94,1 %

0

2

1,7%

15

11,5%

5

4,2 %

0

0

0

0

6,0 %

15

11,5%

0

0

15

6,0 %

15

11,5%

0

0

250

100%

131

100%

119

SVO

198

79,2 %

86

65,6 %

SOV

2

0,8 %

0

VSO

20

8,0 %

VOS

0

OSV

15

OVS Gesamt

Nebensätze

0

100%

Tabelle 6: Wortstellungsvariation in den altportugiesischen Urkunden (13./14. Jh.)

132

Esther Rinke

Gegen einen solchen Vergleich könnte eingewendet werden, dass er keine große Aussagekraft besitzt, da es sich erstens um unterschiedliche Texttypen handelt und zweitens teilweise verschiedene Methoden bei der quantitativen Erhebung angewandt wurden, indem beispielsweise Polo (2002) alle Nullsubjektsätze mit berücksichtigt hat. Drittens ist die Datenbasis von Polo (2002) (unter anderem auch deshalb) viel umfangreicher als die von mir zu Grunde gelegte. Dennoch bin ich der Auffassung, dass der Vergleich einen ersten Eindruck über die quantitativen Unterschiede zwischen dem lateinischen Text und den altportugiesischen Texten vermitteln kann. Auffällig ist, dass sowohl im Lateinischen als auch im Altportugiesischen gerade die Nebensätze eine deutlichere Verteilung zu Gunsten von (S)OV (im Lateinischen) bzw. SVO (im Altportugiesischen) zeigen. Ich möchte auf diese Beobachtung im folgenden Kapitel genauer eingehen. 3.3.2 Grundwortstellung versus Topikalisierung Die Ergebnisse der empirischen Auswertung zeigen deutlich, dass SVO-Stellung wie in (47)a.-b. die quantitativ dominante Wortstellung ist. Dies legt bereits die Hypothese nahe, dass es sich um die Grundwortstellung des Altportugiesischen handelt, zumal SOV-Stellung nur sehr selten auftritt. (47) a. E a p(ar)te q(ue) contra esto ueer peite [ää] outra parte. #C mraWavedisl. uelhos de [portCugaesesll „Und die Partei, die gegen diese Abmachung verstößt, schuldet der anderen Partei #C alte portugiesische Maravedi." (AC; 1295)

b. E eu ff(er)nä yoh(a)n(e)s dauäd(i)cto recebo a dauädfilcta vina so as (con)dicöes dauäd(i)ctas. „Und ich, der vorher genannte Ferna Yohanes, erhalte den besagten Weinberg zu den genannten Konditionen." (E;1273)

Auf der Basis von Ross' (1973) Penthouse Principle23 kann insbesondere die Dominanz von SVO-Stellung im Nebensatz als Evidenz dafür gewertet werden, dass es sich um die unmarkierte Wortstellung handelt. Das PenthousePrinzip besagt, dass syntaktische Operationen, die in Nebensätzen stattfinden, auch in Hauptsätzen stattfinden können, aber nicht umgekehrt. Mit anderen Worten: Hauptsätze verfügen über mehr Möglichkeiten der Abweichung von 23

Penthouse Principle (Ross 1973: 397): „More goes on upstairs than downstairs.", bzw.: auf höheren grammatischen Ebenen herrscht mehr Freiheit in der Selektion und Kombination der Einheiten als auf niedrigeren.

i . Wortstellungsvariation

und

Satzstruktur

133

der unmarkierten Wortstellung als Nebensätze. Wenn man auch für das Altportugiesische der Analyse von Raposo (1996) folgt, dass Topiks unabhängige syntaktische Objekte sind, dann wird deutlich, warum OVS- und OSV-Stellung nicht in Nebensätzen auftritt. Wie in Abschnitt 3.1.1 referiert, geht Raposo (1996) davon aus, dass Topiks nicht innerhalb eines anderen unabhängigen syntaktischen Objekts vorkommen sollten (z.B. innerhalb eines Nebensatzes), da sie dessen Einheit zerstören würden. Aus diesem Grund ist Topikalisierung des Objekts in eingebetteten Nebensätzen mit Ausnahme von Komplementsätzen deklarativer und epistemischer Verben ausgeschlossen. Ich führe in (48) noch einmal die Beispiele von Raposo (1996) auf. (48) a. Dizem que esses livros. a Maria leu(-os). „Sie sagen, dass diese Bücher Maria liest." b. *Quero que esses livros. a Maria (os) leu. „Ich möchte, dass diese Bücher Maria liest." c. ??Lamento que esses livros. a Maria (os) leia. „Ich bedaure, dass diese Bücher Maria liest."

Raposos (1996) Analyse liefert damit eine syntaktische Fundierung des Pent/iOM.se-Prinzips. Gleichzeitig wird klar, warum kein einziges Beispiel mit OSVStellung in den altportugiesischen Nebensätzen zu finden ist: OSV-Sätze sind Topikalisierungsstrukturen, und die Voranstellung des Objekts als Satztopik ist in Nebensätzen nicht möglich. Die gleiche Erklärung gilt für OVS-Stellung, die ebenfalls nicht in Nebensätzen auftritt. Damit folgt auch für die Hauptsätze mit OSV- und OVS-Stellung, dass sie als Topikalisierungsstrukturen aufgefasst werden können. Dass die präverbale Position eine Topikposition darstellt, zeigt besonders deutlich das folgende Beispiel, in dem das Genitivattribut des Objekts topikalisiert ist, während das indefinite Objekt selbst in seiner postverbalen Basisposition verbleibt. (49)

das quaes cousas o d(i)to Gil ff(e)rr(nande)z en nume da d(i)ta orraca machada pidíu a mj Roy u(i)cent(e) publico tabelliö de Lixböa. hüu testemöio „Von diesen Dingen erbat Gil Fernandez von mir, Roy Vicente, Notar von Lissabon, im Namen der genannten Orraca Machada ein Zeugnis." (E;1313)

Sätze, in denen das Objekt in seiner Basisposition verbleibt und nur dessen Attribut topikalisiert ist, treten auch mit postverbalem Subjekt auf. Zwei Beispiele sind in (50)a.-b. aufgeführt.

134

Esther Rinke

(50) a. & destes #vj leua Mig(ue)l Eanes ia sesma & mea por sy & por Arias Eanes „Und von diesen nimmt Miguel Eanes ein sechstel und ein halbes für sich und Arias Eanes." b. & da outirla sesma diel GiarcHa Eanes gaanou Mig(ue)l Eanes a qCutarta „Und vom anderen sechstel von Garcia Eanes steht Miguel Eanes ein Viertel zu." Der als bekannt vorausgesetzte Teil des Objekts (destes #vj in (50)a. und da outra sesma ... in (50)b.) wird vorangestellt, die neue Information (ia sesma e mea in (50)a. und a quarta in (50)b.) verbleibt in der kanonischen Objektposition und fungiert als Teil der Prädikation. Die Topikinterpretation des vorangestellten Objekts in OSV- und OVS-Sätzen kann auch aus dem jeweiligen diskursiven Kontext abgeleitet werden. Ich möchte dies anhand des folgenden Beispiels illustrieren. Der entsprechende Satz mit OSV-Stellung ist der zweite Satz des Dokuments (Beispiel (51 )b.). Es geht ihm Satz (51)a. voraus: (51) a. Conoszuda cousa seya a todos q(u)a(n)tos esta carta vire & oyre como eu Joh(an) Ean(n)es d(e) Seselle, [fillo q(ue) ffuy de Joh(an) Paris & d(e) Eluira Moniiz] en un cü meus yrmäos & yrmääs [Rod(r)ig'Eanes & Marti Ioh(a)n(e)s & M(ari)a Ioh(a)n(e)s & Orraca Ioh(a)n(e)s & Eluira Ioh(a)n(e)s, todos & todas p(re)sentes & outorgätes] por nos & por todas nossas uozes, a uos frey Pedro Merchä do moesteyro d(e) S(an)ta M(ari)a de Möfero & a dö Pedro P(e)l(ae)z, abbade do deuä d(i)c(t)o moesteyro, [& ao (con)ueto desse miisrno lugar] vendemos & firmemete outorgam(os) q(u)a(n)ta h(er)dad(e) auemos & ä äuer deuemos en todaä uila de Fondöe, [feeygregia d(e) Santiago d(e) Franza, & d(e) San Yohan(n)e d(e) Pineyro q(ue) iaz en t(er)ra de Besoucos] por ?ento & (jicoeta soldos moeda d'alfonsns [d(e) q(ue) nos somos be pagados,] „Bekannt sei allen, die diesen Brief sehen und hören, wie ich, Johan Eannes de Seselle, ... gemeinsam mit meinen Brüdern und Schwestern ... für uns und unsere Nachkommen, euch Bruder Pedro Merchä vom Kloster St.a Maria de Monfero und Don Pedro Pelaez, Abt des besagten Klosters... den Hof, den wir haben und den wir haben werden in der gesamten Stadt Fondöe ... für 150 Soldos der alfonsinischen Münze verkaufe und fest übereigne ..." b. qfulal hferldadfe) nos auemos d(e) parte d(e) nossa madre ia d(i)c(t)a. „Dieses Gut haben wir von Seiten unserer schon genannten Mutter." (AC; 1296) Satz (51)a. gibt an, dass Joäo Eanes de Seselle und seine Geschwister dem Kloster St.a Maria de Monfero ihren Hof verkaufen. In Satz (51 )b. wird als Zusatzinformation über diesen Hof mitgeteilt, dass sie ihn von ihrer Mutter ge-

3. Wortstellungsvariation

und

Satzstruktur

135

erbt haben. Diese markierte Topik-Konstruktion entspricht der in (1 l)d. aufgeführten Topikalisierung von Duarte (1987: 73f.), hier wiederholt als (52): (52)

Topicaliza9äo (Topikalisierung) ..Piscina näo sabia que tinha _." „Ein Schwimmbad, ich wusste gar nicht, dass es eins gibt."

OSV- und OVS-Stellung sind also im Altportugiesischen ebenso wie im modernen Portugiesischen Topikalisierungsstrukturen. Interessanterweise findet sich in keinem der Beispiele eine Struktur der klitischen Linksversetzung. Diese scheint zwar bereits im Altportugiesischen existent zu sein, wie die Beispiele von Huber (1933), hier wiederholt in (53), belegen. Sie kommt jedoch in meinen Daten nicht vor. (53) a. O tripo. que eu como. guanfo-o per meu trabalho. „Den Weizen, den ich esse, verdiene ich durch meine Arbeit." b. O conselho iä o eu filhei. „Diesem Rat bin ich schon gefolgt." (Huber 1933: 284, 14. Jh.)

Dass OVS- und zusätzlich auch VSO-Stellung nicht als unmarkierte Wortstellungsmuster in Frage kommen, ergibt sich auch aus der Analyse in Kapitel 2, wo argumentiert wurde, dass postverbale Subjekte neue Information kodieren, dass sie also im Altportugiesischen wie im modernen Portugiesischen entweder fokussiert sind oder Teil eines thetischen Satzes. Die Wortstellungsvarianten mit einem postverbal auftretenden Subjekt wie in (54)a.-b. kommen damit als Kandidaten für die Grundwortstellung nicht in Frage, da die unmarkierte Wortstellung als Identität von Subjekt und Topik definiert wurde. (54) a. as qtuates vfhas ante de mj teue Johä do(mingu)jzfidalgo do Total „Diese Weinberge hatte vor mir Johä Dominguiz, Edelmann aus Tojal." (E; 1329) b. e pagare uossos ereos a rreda q(ue) uos ouu(er)ades pagar „Und eure Erben sollen die Pacht bezahlen, die ihr bezahlen werdet." (E; 1326)

VSO-Stellung kommt häufig in Beispielen wie (55) vor, in denen sowohl das finite Verb als auch das Subjekt als fokussiert aufgefasst werden können. Diese Interpretationsmöglichkeiten ergeben sich aus dem Kontext. Ich gebe deshalb auch hier den vorangehenden Satz mit an.

Esther Rinke

136 (55)

[... vendo e outorgo a uos as d(i)ctas coyrelas de vTnhas ... por p(re)fo nomeado...] Porede aiades uos e todos uosos sucessores as covrelas das dfflctas vTnhas deste dia p(er)a todo semp(re). „[Ich verkaufe und übereigne euch die besagten Streifen mit Weinbergen ... zu dem genannten Preis.] Deshalb habt (besitzt) ihr und eure Nachkommen die besagten Streifen mit den genannten Weinbergen von heute an für immer." (E; 1311)

Im vorangehenden Satz wird erwähnt, dass die Weinberge verkauft werden. Der Satz mit VSO-Stellung bezieht sich auf das Resultat dieses Verkaufs, nämlich darauf, dass „ihr ihn deshalb ab sofort besitzt", bzw. dass „ihr ihn deshalb ab sofort besitzt". Ich gehe zusammenfassend davon aus, dass die präverbale Stellung des Objekts in OSV- und OVS-Sätzen durch Topikalisierung des Objekts ausgelöst wird. Die kanonische Objektposition ist dementsprechend wie im modernen Portugiesischen rechts vom finiten Verb. Mit anderen Worten: SVO-Stellung gleichzeitig im Hauptsatz und im Nebensatz auch die frequenteste Wortstellung - stellt die Grundwortstellung im Altportugiesischen dar. 3.3.3 SOV-Stellung mit unmarkierter Lesart In den beiden vorangegangenen Kapiteln wurde ein Phänomen ausgeklammert, dass für die von mir untersuchte Textsorte typisch ist. Dass SOV-Stellung in meinem Datenkorpus nicht auftritt, ist u.a. darauf zurückzuführen, dass die Schlussformeln der Dokumente aus der Analyse ausgeschlossen wurden. Insgesamt weisen 21 Hauptsätze aus Schlussformeln SOV-Stellung auf. Ein typisches Beispiel für eine Schlussformel mit SOV-Stellung ist in (56) aufgeführt. (56)

E eu Joham c(o)laqo/?/publico tab(e)lliö da Cidade do Porto q(ue) a todas estas cousas p(re)sente fuj demädado das d(i)tas partes dous strumetos p(er). Abc pfarttidos cü mha määo p(ro)p(ri)a sc(re)uj „Und ich, Joham ColaQO, staatlicher Notar der Stadt Porto, der (ich) bei allen diesen Dingen anwesend war, schrieb von eigener Hand zwei Urkunden ... auf Anweisung der besagten Parteien." (DL; 1295)

Die präverbale Stellung des Objekts kommt in diesem Beispiel nicht durch Topikalisierung zustande, da das Objekt (dous strumetos-, „zwei Urkunden") in dem aufgeführten Satz nicht definit ist. Das Topik des Satzes ist vielmehr wie im unmarkierten Fall das Subjekt (eu Joham c(o)lago/?/publico tab(e)lliö da

3. Wortstellungsvariation

und

Satzstruktur

137

Cidade do Porto-, „ich, Joham Cola?o, staatlicher Notar der Stadt Porto"). Der Satz ist also mit einer unmarkierten Lesart vereinbar. Es kann damit für diese Sätze die Hypothese aufgestellt werden, dass sie eine zu Grunde liegende Satzstruktur aufweisen, die derjenigen der lateinischen Grundwortstellung entspricht. Zusätzlich zur informationsstrukturellen Bewertung kann auch die Position des finiten Verbs einen Hinweis auf die zugrunde liegende Satzstruktur geben und bei der Entscheidung helfen, ob es sich um eine Topikalisierung oder eine lateinische Satzstruktur handelt. Wie in 3.1.2 gezeigt, steht das finite Verb im Lateinischen nicht nur rechts vom Objekt, sondern im unmarkierten Fall auch in satzfinaler Position. Dies wurde strukturell darauf zurückgeführt, dass die TP-Projektion im Lateinischen linksverzweigend ist, wodurch das in T° stehende Verb rechts von allen anderen Konstituenten erscheint. Die systematische satzfinale Position des finiten Verbs wäre demnach ein Indiz für die lateinische Satzstruktur. Wenn hingegen nur Subjekt und Objekt dem finiten Verb vorausgehen und alle anderen Konstituenten, die Teil des TP- oder vP-Komplexes sind, rechts vom finiten Verb erscheinen, dann wäre dies eher ein Indiz dafür, dass das Objekt disloziert ist und die Sätze eine zugrunde liegende SVOStellung aufweisen. Die Auswertung der Beispiele zeigt, dass in 19 von 21 Beispielen das finite Verb in finaler Position erscheint. Dass die verbfinale Position in den SOV-Sätzen nicht dadurch zu Stande kommt, dass Subjekt, Objekt und finites Verb die einzigen Satzkonstituenten bilden, belegt das folgende (typische) Beispiel (57), in welchem dem finiten Verb insgesamt fünf Konstituenten vorausgehen. Dies sind neben dem Subjekt und dem Objekt noch drei Adverbialphrasen. (57)

eeu a rogo do sobredito Gonpalo gon V [X * [C1 * [V...]]] where X non-null

Barbosa (2004) weist auf zwei Schwierigkeiten hin, die sich aus ihrer Analyse ergeben könnten. Zum einen ist die Definition der relevanten Domäne als Intonationsphrase problematisch, weil prosodische Studien zum Portugiesischen gezeigt haben (Frota 2000), dass präverbale Subjekte nicht in einer gesonderten Intonationsphrase stehen, obwohl sie eine postverbale Stellung des Klitikons auslösen. Zweitens ist nicht klar, warum Elemente außerhalb der CP-Domäne nicht berücksichtigt werden sollten. Wenn local dislocation postsyntaktisch appliziert, sollten syntaktische Informationen nicht mehr relevant sein. Diese Probleme können laut Barbosa (2004) unter Rückgriff auf das von Chomsky (2000,2001) vorgeschlagene Konzept der Phase - also der zyklisch verlaufenden Derivation - ausgeräumt werden. An den Grenzen der Phasen werden phonologische Informationen an PF geschickt (Spell-Out). Im Anschluss daran können sie linearisiert werden. Local dislocation findet demnach an Phasengrenzen statt. Als Phasen gelten genau genommen nur CP und vP, also propositionale Einheiten. Barbosa (2004) geht jedoch davon aus, dass auch IP eine Phase bilden kann, wenn CP nicht projiziert wird. Dies zeigt sich beispielsweise dadurch, dass auch präverbale Subjekte, von denen Barbosa (2004) annimmt, dass sie in einer an IP adjungierten Position basisgeneriert sind, Enklise auslösen können. In einem solchen Fall ist keine Evidenz für eine CP-Projektion vorhanden.

9

Hier folgt Barbosa der in 3.1.1 referierten Analyse von Raposo (1996).

4. Die Objektstellung in

Infinitivkonstruktionen

161

Wie kann die Analyse von Barbosa (2004) die Optionalität von clitic-climbing in den von Modalverben eingebetteten Infinitivkonstruktionen erklären? Weiter oben habe ich argumentiert, dass Modalverben zwei Typen von Infinitiven einbetten können: erstens eine vP-Projektion und zweitens eine defektive TP-Projektion. Im ersteren Fall kann das Klitikon nur in der TP 10 des Matrixsatzes eingesetzt sein, da im Infinitivsatz keine TP-Projektion zur Verfugung steht. Im zweiten Fall steht sowohl eine TP-Projektion im Matrixsatz, als auch im Infinitivsatz zur Verfügung. Hier gehe ich davon aus, dass das Klitikon im Infinitivsatz eingefügt wird. Ich nehme weiterhin an, dass das Infinitivkomplement als Phase aufgefasst wird, obwohl keine CP-Projektion strukturell verfugbar ist. Da der Infinitivsatz negiert werden und eine vom Matrixsatz abweichende temporale Interpretation aufweisen kann, kann er jedoch als Proposition aufgefasst werden. Ich schließe mich hier Goldbach (2004) an, die Phasen als Propositionen aufzufassen und nicht zwingend auf bestimmte syntaktische Kategorien zu beschränken. In dem von ihr durchgeführten kontrastiven Vergleich der Klitikanhebung im Altitalienischen und Altfranzösischen zeigt sich, dass im Altitalienischen Klitika bereits beim Infinitiv stehen, während dies im Französischen erst später, nämlich im Mittelfranzösischen, der Fall ist. Goldbachs (2004) Analyse zufolge sind die altitalienischen Infinitive bereits als Phasen zu bewerten. Für das Französische schlussfolgert sie, dass dies erst ab dem Mittelfranzösischen der Fall ist. Nehmen wir also an, das Klitikon wird, wie in (22) dargestellt, in die TP des eingebetteten Infinitivs eingesetzt. Da es sich somit am Beginn einer Phase befinden würde, findet die in (23) beschriebene morphologische Operation der local dislocation statt: ähnlich wie in verbinitialen Sätzen ergibt sich daraus eine enklitische Stellung am Infinitiv. Die Struktur des entsprechenden Satzes (21)b. ist demnach wie in (26)"

10

"

In (22) habe ich das von Barbosa (2004) verwendete Label IP benutzt, das ich hier als TP interpretiere. S=Subjekt, Neg=Negationselement, V Mo< )=finites Modalverb, Vi=Infinitiv, Cl=Klitikon, OObjekt.

162

Esther Rinke

(26)12

TP

r Neg+T°

TP Spez

T' vP Spe v°

VP (DP)

SK

Neg+VMod

O Joào nâo

pode

Vi|+Cl

prok

Vi,

Vi,

(O)

irrit k-lo

Wenn das Klitikon stattdessen im Matrixsatz eingesetzt wird, weil der Infinitiv eine vP-Struktur aufweist und keine TP-Projektion enthält, bestimmen die Verhältnisse im Matrixsatz die Position des Klitikons. Steht es am linken Rand einer Phase, appliziert local dislocation und das Klitikon tritt somit enklitisch zum finiten Verb auf. Wenn es nicht am Beginn einer Phase steht, weil beispielsweise das Negationselement diese Position einnimmt, kann es präverbal auftreten. Satz (21)a. hat also die folgende Struktur.

Auf die Darstellung einer NegP (der Basisposition des Negationselements) habe ich hier aus Gründen der Übersichtlichkeit verzichtet. Für das Modalverb nehme ich an, dass e s in T° basisgeneriert wird. Für das Subjekt habe ich hier angenommen, dass es sich in einer an TP adjungierten Position befindet.

4. Die Objektstellung

(27)

in

163

Infinitivkonstruktionen

TP

Neg+Cl+T'' O

vP Spez

v' v'

SK Neg+Cl+V Mod O J o ä o näo o pode

pro K

Vi,

VP



(DP)

Vi,

(O)

ler

Das Resultat dieser Analyse ist vergleichbar mit den Analysen von Martins (1994, 2000) und Fischer (2000) - wenn auch hier anders begründet. Beide Autorinnen gehen davon aus, dass die Anhebung des Klitikons erfolgt, wenn die funktionale Kategorie, die das Klitikon zur Abgleichung der uninterpretierbaren Merkmale benötigt, nicht zur Verfugung steht, oder nicht ausreichend spezifiziert ist. Die Stellung des Klitikons kann also im modernen Portugiesischen entweder durch die TP des eingebetteten Infinitivs bestimmt werden, oder - wenn diese nicht vorhanden ist - durch die übergeordnete TP. Modalverbkonstruktionen werfen noch einige weiterführende Fragen auf, insbesondere im Hinblick auf ihre Semantik, bzw. auf die Möglichkeit ihrer deontischen vs. epistemischen (bzw. inferentiellen) Interpretation. 13 Es gibt verschiedene Ansätze in der Literatur (u.a. Ross 1969, Perlmutter 1970, Picallo 1990), die die syntaktische Ambiguität der Modalverbkonstruktionen mit den unterschiedlichen Interpretationen verknüpfen. Für das Portugiesische ist eine solche Analyse jedoch nicht zutreffend. Die Modalverben können meinen Informanten zufolge in den unterschiedlichen syntaktischen Konstellationen sowohl deontisch als auch epistemisch interpretiert werden (Beispiel 28). (28)

O Joäo näo o deve ver./O Joäo näo deve ve-/o. „Joäo darf ihn nicht sehen/kann ihn vermutlich nicht sehen."

Siehe zu dieser Unterscheidung auch Bolkestein (1980); zur Semantik der Modalverben des Portugiesischen siehe u.a. Johnen (2003).

164

Esther Rinke

Ich möchte deshalb auf die verschiedenen Interpretationen nicht weiter eingehen und diese Diskussion nicht weiter verfolgen.14 Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Modalverben als Anhebungsverben (Äawmg-Prädikate) zu charakterisieren sind, deren Infinitivkomplemente zwei verschiedene syntaktische Repräsentationen aufweisen können. Sie können entweder als defektive TP auftreten oder als vP. Im ersteren Fall können sie negiert werden, mit zwei temporalen Satzadverbien unterschiedlicher temporaler Referenz vorkommen und enklitische Stellung des Objektpronomens am Infinitiv aufweisen. Im zweiten Fall zeigen sie Klitikanhebung (clitic climbing). 4.2.1.2 Objektstellung in Modalverbkonstruktionen im modernen Portugiesischen Die Darstellungen in (26) und (27) weisen darauf hin, dass im modernen Portugiesischen unabhängig von der syntaktischen Struktur des eingebetteten Infinitivs VO-Stellung zu erwarten ist. Zwar ist eine Bewertung der Beispiele ohne diskursiven Kontext problematisch, die Stellung Modalverb-Infinitiv-Objekt wie in (29) kann jedoch als unmarkierte Wortstellung aufgefasst werden. (29)

O Joäo pode encontrar um amigo. „Joäo kann einen Freund treffen."

Das DP-Objekt kann nicht zwischen Modalverb und Infinitiv auftreten. (30)

* 0 Joäo pode um amigo encontrar.

Die Topikalisierung des gesamten Infinitivkomplexes ist möglich, allerdings nur mit VO-Stellung wie in (3 l)b. und nicht mit OV-Stellung wie in (3 l)a. Die Topikalisierung des Infinitivs allein wie in Beispiel (31)c. ist nicht akzeptabel. (31) a. *Um amigo encontrar pode (o Joäo). b. Encontrar um amigo pode (o Joäo). c. ??Encontrar pode (o Joäo) um amigo.

Grammatisch ist hingegen die Topikalisierung (Linksdislokation) des DPObjekts unabhängig vom Infinitiv. (32)

14

Um amigo, o Joäo pode encontrar.

Für einen Überblick siehe Johnen (2003) und die darin aufgeführten Referenzen.

4. Die Objektstellung

in

165

Infinitivkonstruktionen

Die verschiedenen Stellungsoptionen im modernen Portugiesischen sind in Tabelle 2 zusammengefasst. Vf-Vi-ODP Vf-ODP-Vi ODP-Vf-Vi ODP-Vi-Vf Vi-ODP-Vf Vi-Vf-ODP (32) (31c.) (29) (30) (31a.) (31b.)



*



*

•/

99

Tabelle 2: Wortstellungsoptionen in eingebetteten Infinitiven mit Modalverben im modernen Portugiesischen Die Wortstellungsoptionen können aus den in (26) bzw. (27) für das moderne Portugiesische angenommenen Satzstrukturen abgeleitet werden. VO-Stellung ergibt sich daraus, dass das Objekt innerhalb der VP verbleibt, während sich der Infinitiv nach vP bewegt. OV-Stellung ist nicht möglich, da sich das Objekt im modernen Portugiesischen nicht bewegt und auch keine Topikposition innerhalb des Infinitivs zur Verfügung steht. Die Topikalisierung des Objekts in die linke Peripherie des Matrixsatzes ist jedoch möglich (Beispiel 32). Das Objekt ist jedoch in einem solchen Fall außerhalb des Satzes basisgeneriert, während die eigentliche Objektposition leer bleibt (siehe Raposo 1996). 4.2.2 Modalverben im Altportugiesischen 4.2.2.1 Die syntaktische Struktur von Modalverbkonstruktionen im Altportugiesischen Im folgenden Abschnitt möchte ich die syntaktische Struktur der von Modalverben eingebetteten Infinitive im Altportugiesischen diskutieren. Ich werde dafür argumentieren, dass diese als vP-Infinitive zu analysieren sind. Verschiedene Argumente sprechen für diese Hypothese. Erstens können parallel zum modernen Portugiesischen Modalverben wie dever und poder im Altportugiesischen keine finiten Nebensätze (CPs) einbetten. Weder in meinen Daten noch in der umfangreicheren Datenbasis von Silva (2003) findet sich ein Beispiel für ein solches Vorkommen. Das ist insofern zu erwarten, als diese Verben weder im modernen Portugiesischen noch im Lateinischen mit finiten Nebensätzen vorkommen können. Für das moderne Portugiesische wurde dies in Beispiel (10) illustriert. Für das Lateinische zeigt Bolkestein (1980: 120), dass das Verb debere („müssen"), im Gegensatz zu oportet („man muss, es ist nötig") und necesse est („es ist nötig") keine durch ut eingeleiteten Konjunktivsätze einbetten kann.

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Ein zweiter Test betrifft die Möglichkeit der Negation des eingebetteten Infinitivs. In meiner Datenbasis findet sich kein Beispiel dafür. Im Datenkorpus von Silva (2003: 149f.) treten unter 1198 Belegen für die Verben poder (630), dever (440) und ter de (128) im 13. Jh. nur zwei Beispiele auf, in denen das Negationselement nö vor dem Infinitiv steht. Diese Beispiele sind in (33) aufgeführt. (33) a. [Por demanda de pat(r)imonjo ou de heranpia d(e) parete; si demandar a se(us) herees desta d(e)manda] A tal d(e)ue A dar fiador d(e) nup