Zur Ideenlehre des Hermogenes
 9783666250064, 9783525250068

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HYPOMNEMATA HEFT 8

HYPOMNEMATA U N T E R S U C H U N G E N ZUR U N D ZU I H R E M

ANTIKE

NACHLEBEN

Herausgegeben von Albrecht Dihle / Hartmut Erbse Wolf-Hartmut Friedrich / Christian Habicht Bruno Snell

Heft 8

VANDENHOECK & R U P R E C H T IN GÖTTINGEN

DIETER

HAGEDORN

Zur Ideenlehre des Hermogenes

VANDENHOECK & RUPRECHT IN GÖTTINGEN

Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft © Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen 1964. — Printed in Germany. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Buch oder Teile daraus auf foto- oder akustomechanischem Wege zu vervielfältigen Gesamtherstellung: Hubert & Co.» Göttingen 8202

MEINEN ELTERN

VORWORT

Diese Untersuchung hat im Dezember 1961 der Philosophischen Fakultät der Universität Köln als Dissertation vorgelegen. Sie ist seitdem nur geringfügig abgeändert und um einige Nachträge erweitert worden. Für seinen Hinweis auf das Thema und für ständigen Rat beim Zustandekommen der Arbeit bin ich Herrn Prof. A. Dihle ganz besonders zu Dank verpflichtet. Ebenso gilt mein Dank der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die die Druckkosten übernommen hat, und der Philosophischen Fakultät der Universität Köln, die einen Druckkostenzuschuß gewährt hat. Rodenkirchen, im Oktober 1963

D. H.

INHALT

Einleitung I. Die Elemente der Ideen I I . σαφήνεια I I I . μέγεθος, 0γκος, άξίωμα

9 19 24 30

Α. σεμνότης

30

Β. τραχύτης, σφοδρότης, δεινότης

33

C. λαμπρότης, άκμή

41

D. περιβολή

43

IV. κάλλος, γλυκύτης

48

V. γοργότης VI. ήθος

54 57

Α. άφέλεια

58

Β. έπιείκεια

59

C. αλήθεια

59

D. βαρύτης

60

Ε . δριμύτης

70

Zusammenfassung

77

Anhang I (Zur E n t s t e h u n g der genera dicendi)

79

Anhang I I (Eine Bemerkung zur Schrift Περί μεθόδου δεινότητος) . . . .

84

Literaturverzeichnis

86

Index der griechischen rhetorischen Termini

88

EINLEITUNG

Die frühesten und zugleich wichtigsten uns erhaltenen Zeugnisse für die rhetorische Ideenlehre sind zwei Werke aus der zweiten Hälfte des zweiten nachchristlichen Jahrhunderts: einmal die unter dem Namen des Ailios Aristeides überlieferten Τέχναι ρητορικαί, zum anderen die Schrift Περί ιδεών des Hermogenes von Tarsos. In diesen Quellen liegt uns ein System von Stilkategorien, sogenannten ιδέα'., vor, die zueinander in bestimmten Verhältnissen und Beziehungen stehen. Hermogenes zufolge sind in jedem konkreten Stil wenigstens einige dieser Ideen nachweisbar. Andererseits ist die rechte Anwendung und abgewogene Mischung der Ideen eine Grundbedingung, will man selbst einen guten Stil schreiben. Daher ist das Werk des Hermogenes sowohl für Stilkritiker als auch für Schüler der Rhetorik bestimmt 1 . Die Zahl der Ideen schwankt zwischen zwölf (σεμνότης, βαρύτης, περιβολή, αξιοπιστία, σφοδροτης, εμφασις, δεινότης, επιμέλεια, γλυκύτης, σαφήνεια και καθαρότης, βραχύτης και συντομία, κόλασις) bei Ps.-Aristeides und sieben (σαφήνεια, μέγεθος, κάλλος, γοργότης, ήθος, αλήθεια, δεινότης) bei Hermogenes. Da Hermogenes jedoch einige Ideen durch andere unterteilt sein läßt (ζ. B. wird σαφήνεια durch καθαρότης und εύκρίνεια bewirkt), ergibt sich auch für ihn eine weitaus größere Anzahl. Manche der Ideen haben Hermogenes und Ps.-Aristeides schon dem Namen nach gemeinsam, während bei den übrigen erst die Interpretation die Identität erweisen kann. Eine ausführliche Darstellung des Systems der Ideenlehre darf hier unterbleiben 2 . Einzelheiten werden unten bei der Besprechung der jeweiligen Ideen zu erörtern sein. Trotz seiner eminenten Bedeutung für die gesamte nachfolgende Literarkritik und Rhetorik ist Hermogenes, der weitaus bedeutendste Vertreter der Ideenlehre überhaupt, von der Philologie bisher unverdient vernachlässigt worden. Daran hat auch Wilamowitz' ausdrücklicher Hinweis 3 nichts geändert. Bis heute ist es nicht unternommen worden, seine Theorie auf ihre Quellen in der älteren Rhetorik hin zu untersuchen 4. Die einander widersprechenden Ansichten, die bisher zu dieser Frage geäußert worden sind, entbehren daher alle in gleicher Weise der sicheren Grundlage. 1

Vgl. Herrn. Id. S. 213,4ff. Rabe. Eine gute Beschreibung der einzelnen Ideen bei Ps.-Aristeides und einen ausführlichen Vergleich mit Hermogenes geben Baumgart, Aelius Aristides als Repräsentant der sophistischen Rhetorik der Kaiserzeit, Leipzig 1874 und W. Schmid, Die sogenannte Aristeidesrhetorik, Rh. Mus. 72, 1917, 113 ff. 3 Griechische Literatur des Altertums, in : Die Kultur der Gegenwart 1, 8, 1905, S. 149. * W. Madyda, Die Voraussetzungen der hermogenischen Stillehre, Schriften d. Sektion f. Altertumswissenschaften, Berlin 1959, S. 44 ff. bringt nur ein knappes Referat einiger charakteristischer Lehren des Hermogenes. 2

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Einleitung

Bei den Philologen, die überhaupt eine Abhängigkeit von älteren Lehren annehmen, lassen sich zwei Richtungen erkennen : Auf der einen Seite versucht man, die Ideenlehre auf die Theorie der genera dicendi zurückzuführen, andererseits sieht man in ihr eine Nachbildung der άρεταί λέξεωςLehre Theophrasts. Die erstgenannte Ansicht vertrat R. Volkmann, Die Rhetorik der Griechen und Römer, 21885, S. 553 : „Nach unserer obigen Entwicklung der Stillehre liegt es aber auf der Hand, daß diese zwölf Ideen (des Ps.-Aristeides) auf die alten drei φραστικοί χαρακτήρες . . . zurückgehen." Ähnlich urteilen noch L. Radermacher1, E. Bürgi 2 und J . Lücke 3 . Zwar lassen sich bei oberflächlicher Betrachtung tatsächlich schnell einige Beziehungen der Ideenlehre zu den genera dicendi feststellen. Sie kommen aber allein dadurch zustande, daß bei Ps.-Demetrios Περί ερμηνείας und Dionys von Halikarnaß De Demosthene die Eigenart der einzelnen genera mit Hilfe der άρεταί beschrieben wird. Darüber wird noch unten zu reden sein. Doch verweisen andere (wenn auch rein äußerliche) Tatbestände auf die virtutes-Lehre : die Namen mancher Ideen stimmen mit denen von άρεταί λέξεως überein und Aristeides verwendet die Termini ιδέα4 (είδος) und άρετή nebeneinander (S. 1,5 Schmid). Hinzu tritt ein tiefgreifender Wesensunterschied der άρεταί und ίδέαι gegenüber den genera: erstere sind abstrakte Stileigenschaften, während die genera stets den konkreten Stil eines Redners oder Dichters bezeichnen. Es lag daher nahe, die Ideen auf die virtutes Theophrasts zurückzuführen, wie das J . Stroux in seinem für das Verständnis der Geschichte der άρεταί λέξεως grundlegenden Werk De Theophrasti virtutibus dicendi, Leipzig 1912, S. 125f. angedeutet hat: „Graecus Hermogenes, qui sero novum λέξεως aedificium ex veteribus lapidibus construxit, virtutes Theophrasteas imitatus est suis ideis." Ihm angeschlossen hat sich 0. Regenbogen6. Dem entgegnet aber W. Schmid a. a. 0. S. 245: „Den Aufbau der hermogenischen Ideenlehre mit Stroux auf den Grund der 4 theophrastischen άρεταί zu stellen, ist eine nicht gerechtfertigte Gewaltsamkeit." Das ist richtig, wenn man von den virtutes spricht, die Stroux bei Theophrast annimmt. Stroux läßt bekanntlich für Theophrast nur die virtutes έλληνισμός, σαφήνεια, κατασκευή und πρέπον gelten, aus denen das hermogenische System mit seiner Vielfalt von Ideen wirklich kaum zu erklären ist. Schmid äußert seine eigene Ansicht ein paar Seiten weiter: Die Ideenlehre sei zusammengewachsen aus alttheophrastischen ίδέαι, aus solchen stoischen Ursprungs, aus voraristotelischen Artikel „Hermogenes", RE 8, 1 Sp. 871. Wiener Studien 48, 1930, 188. 8 Beiträge zur Geschichte der genera dicendi und genera compositionis, Diss. Hamburg 1953. 1 Noch bei Dionys wird Ιδέα nicht terminologisch gebraucht. Th. Herrle, Quaestiones rhetoricae ad elocutionem pertinentes, Leipzig 1912, S. 16 stellt bei ihm sieben verschiedene Bedeutungsbereiche fest. Die terminologische Verengung von ιδέα zu άρετή läßt sich nicht motivieren. 6 Artikel „Theophrast", RE Suppl. 7, Sp. 1531. 1

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Einleitung

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Stilfarben, aus zu ΐδέαι erhobenen Sinnfiguren und aus ganz neu aufgestellten Begriffen. Wörtlich schreibt er (S. 253): „Eine einfache Lösung der Quellenfrage ist mit unseren Mitteln nicht möglich. Aber die Annahme scheint gerechtfertigt, daß diese höchst eigenartig zusammengeklitterte Ideenlehre wirklich das persönliche Werk von Ar. I, und daß sie vom Verfasser des 2. Buches nur wenig erweitert ist." Schmid hält also die Ideenlehre für eine selbständige Schöpfung der Kaiserzeit. Damit stimmt das Urteil W. Krolls überein: „Eine Hauptleistung der Kaiserzeit war die Aufstellung der Ideenlehre 1 ." Diese Auffassung ist jedoch, wie sich zeigen wird, auch nicht akzeptabel. Eigentlich ist es erstaunlich, daß eine solche Unsicherheit in dieser Frage noch möglich ist, obwohl das Richtige längst gesehen wurde. Hugo Liers hat vor nun schon 75 Jahren in einem Aufsatz 8 den einzig gangbaren Weg zur Lösung aufgezeigt; er hat gesehen, daß die Ideenlehre nichts anderes ist als eine Fortführung der virtutes-Lehre, wie sie in den kritischen Schriften des Dionys von Halikarnaß vorliegt 3 , und die, wie natürlich auch Stroux 4 gesehen hat, selbst schon eine Erweiterung der Lehre Theophrasts ist. Eine Gegenüberstellung der Begriffe bei Dionys und Hermogenes und überhaupt einen eingehenderen Beweis seiner Erkenntnis hat Liers unterlassen. Er meint dazu : „eine genauere vergleichung der ideen des hermogenes mit denen des dionysios ist einerseits schwer durchführbar,. . . andererseits untrennbar von einer menge Specialuntersuchungen" (S. 583). Inzwischen dürfte ein solches Unternehmen aber durch gute Vorarbeiten erleichtert sein, von denen ganz besonders die Untersuchungen von Geigenmüller und Stroux zu nennen sind. Den von Liers geforderten Vergleich durchzuführen und so den Zusammenhang von άρεταί-Lehre und Ideenlehre aufzuzeigen, soll die Hauptaufgabe der vorliegenden Arbeit sein. Vorher sind jedoch noch einige einführende Überlegungen notwendig. Die wichtigsten Quellen für das System der άρεταί λέξεως bei Dionys sind die Kapitel seiner Schriften über Lysias 2—13, Epist. ad Pomp. 3—6 und über Thukydides 23. Im 13. Kapitel der Schrift über Lysias, das nochmals eine Zusammenstellung aller vorher besprochenen άρεταί des Lysias bringt, findet sich folgender Tugendkatalog 6 : 1. τό καθαρόν των ονομάτων 2. τό Stà των κυρίων και μή τροπικών κατασκευών έκφέρειν τά νοήματα 3. ή σαφήνεια 4. ή συντομία 5. τό συστρέφειν τε και στρογγυλίζειν τά νοήματα 6. ή ένάργεια 1

Artikel „Rhetorik", B E Suppl. 7, Sp. 1125. Fleckeisensohe Jahrbücher 1885, S. 577ff. 8 So auch Herrle S. 34 und P. Geigenmüller, Quaestiones Dionysianae de vocabulis artis criticae, Leipzig 1912, S. 12. 4 6 A.a.O. S. 72ff. Vgl. auch Herrle S. 33; Stroux S. 73. 2

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Einleitung

7. ή ηθοποιία 8. το πρέπον 9. ή πιθανότης και το πειστικον 10. ή χάρις 11. ό καιρός Aus den beiden anderen genannten Stellen müssen dieser Aufstellung noch zwei weitere virtutes-Gruppen hinzugefügt werden, die Dionys oben nicht erwähnen konnte, da sie im Stil des Lysias nicht anzutreffen sind. Diese Tugenden sind : 12. υψος και καλλιρημοσύνη και σεμνολογία και μεγαλοπρέπεια 13. τόνος και βάρος καί πάθος, τό έρρωμένον καί έναγώνιον πνεϋμα, έξ ών ή καλουμένη γίνεται δεινότης Wichtig zu erwähnen ist ferner, daß Dionys an den beiden letztgenannten Stellen, wie auch häufig sonst, einen Unterschied zwischen den sogenannten άρεταί άναγκαΐαι, die in keinem λόγος fehlen dürfen, und den άρεταί έπίθετοι macht, die gleichsam als Redeschmuck dienen, άρεταί άναγκαΐαι sind die in unserer Tabelle mit den Nummern 1—5 bezeichneten Tugenden. Gewöhnlich werden sie nur mit den drei Termini καθαρός, σαφής, σύντομος umschrieben. Die άρεταί έπίθετοι sind durch Zerlegung der theophrastischen κατασκευή in ihre verschiedenen Aspekte zustande gekommen1. Eine besondere Stellung außerhalb von άρεταί άναγκαΐαι und άρεταί έπίθετοι nehmen πρέπον und καιρός ein. Vor dem Vergleich dieses Systems und seiner einzelnen άρεταί mit den Ideen des Hermogenes muß nun noch nach der Geschichte der virtutesLehre vor Dionys gefragt werden, weil daraus einige auch für das Verständnis der Ideenlehre wesentliche Gesichtspunkte zutage treten werden. Die grundlegenden Erkenntnisse zu diesem Thema sind von J . Stroux in seiner schon mehrfach zitierten Arbeit niedergelegt worden. Er sieht die Entwicklung der virtutes dicendi, mit wenigen Worten zusammengefaßt, folgendermaßen : Die voraristotelische Rhetorik hat überhaupt nicht von άρεταί λέξεως gesprochen, sondern in dieser Zeit kannte man nur die άρεταί διηγήσεως, also Eigenschaften, die die διήγησις, den zweiten Teil der Rede nach dem antiken Schema, betreffen. Aristoteles ist der erste, der den Begriff und die Vorstellung einer άρετή λέξεως in der Rhetorik eingeführt hat, und zwar hat er, ebenso wie in der Ethik, nur eine einzige άρετή postuliert, die σαφήνεια. Durch Theophrast sind dann verschiedene Aspekte und Nuancen, die der Begriff σαφήνεια bei Aristoteles hatte, zu selbständigen άρεταί erhoben worden, so daß sich für ihn die bekannte Vierzahl von άρεταί ergab: ελληνισμός, σαφήνεια, πρέπον, κατασκευή. Hiervon kann die letztgenannte auch durch die Termini μεγαλοπρεπές und ήδύ bezeichnet werden, Begriffe, die keineswegs eine neue Unterteilung der κατασκευή bedeuten, sondern sozusagen untereinander und mit κατασκευή als Synonyma anzusehen sind. 1

Vgl. Stroux S. 78.

Einleitung

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Die Stoiker haben die Zahl der άρεταί dann um die συντομία vermehrt; erst von den Stilkritikern, in deren Tradition auch Dionys steht, ist unter dem Einfluß des Asianismus die κατασκευή in die vielen άρεταί έπίθετοι aufgespalten worden, die wir oben kennengelernt haben. Soweit Stroux. Dabei hat der Begriff άρετή einen einschneidenden Bedeutungswandel durchgemacht. Für Aristoteles ist die σαφήνεια, entsprechend der Bedeutung von άρετή in der Ethik, Grunderfordernis der λέξις überhaupt. Die άρεταί des Dionysios, selbst die άρεταί άναγκαΐαι, sind, genau betrachtet, empirisch feststellbare Eigenschaften, Qualitäten des Stiles. Solche Stileigenschaften aber, und das ist von Stroux zu wenig hervorgehoben worden, hat man auch schon in voraristotelischer Zeit gekannt. Wir haben die Nachricht, daß es schon vor Theodektes und Aristoteles Bücher mit dem Titel Περί λέξεως gegeben hat, ζ. B. von Polos, Antisthenes und Ephoros1, in denen sicher auch von verschiedenen Formen der λέξις die Rede war. Allgemeine Aussagen über Formulierung und ihre Entsprechung zum Inhalt des Gesagten waren auch dann schon nötig, als die λέξις noch nicht ihren Platz unter den partes rhetorices εΰρεσις, λέξις und τάξις gefunden hatte. Darüber hinaus lassen sich zumindest bei Isokrates die Vorstufen für fast alle späteren άρεταί nachweisen4. Mit Gewißheit läßt sich folgendes feststellen : 1. Isokrates oder die Isokrateer kannten Vorschriften über die καθαρότης της λέξεως, die dem späteren έλληνισμός entspricht. Das bezeugt eine Notiz bei Syrian S. 28,6ff. (Rabe) 3 und wird durch Isokrates V 4 bestätigt. 2. Ähnliches gilt für κάλλος, σεμνότης und μέγεθος, wenn wir Menander Περί έπιδεικτικών RG III 339,11 ff. Sp. 4 glauben dürfen. Doch findet sich auch bei Isokrates selbst der Gegensatz von μέγεθος (σεμνότης) und ταπεινόν wie bei Aristoteles und allen anderen späteren Theoretikern (IV 8). 3. Ebenso kannte Isokrates, wie V 27 und IX 10 zeigen, die πιθανότης in Verbindung mit ήδονή oder χάρις als Eigenschaft der λέξις. 4. IV 129 f. und VIII 73 ff. spricht Isokrates von der των λόγων τραχύτης. Die Ausdrucksweise der Umgebung beweist, daß er darunter dasselbe versteht wie Dionys später unter δεινότης. 5. In nicht rein stilistischer Bedeutung gebraucht Isokrates XV 132/133 das gegensätzliche Begriffspaar ήδονή und ογκος, das unter ähnlichen Namen in der άρετή-Lehre immer wieder auftaucht. 6. Endlich findet sich vielerorts bei Isokrates der Gedanke, daß die λέξις den Gegenständen oder Themen des λόγος angepaßt sein müsse. Beispiele Radermacher, Artium Scriptores Β XIV 1 ; XIX 4; XXXIII 1. Sehr wertvolle Arbeit hat auf diesem Felde H. Wersdörfer, Die Φιλοσοφία des Isokrates im Spiegel ihrer Terminologie, Leipzig 1940, geleistet. 3 Β XXIV 22 Radermacher. Allerdings bringt Syrian dann Vorschriften, die fast alle mit der καθαράτης der späteren Theorie nichts gemein haben (ausgenommen die Angabe über σύνδεσμοι, vgl. Arist. Rhet. 1407a 19ff.). Daher die Einwände von Stroux S. 41f. Das Zeugnis Isokr. V 4 wiegt aber schwerer. « Β XXIV 26 Radermacher. 1

2

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Einleitung

für diese Kenntnis des πρέπον 1 sind u. a. X I I I 12, X I I 3 und V 155. Mit ziemlicher Sicherheit geht diese Vorstellung auf die gorgianische εύκαιρία2 zurück, die ihrerseits in gleichem Maße auf Inhalt und Stil bezogen gewesen sein muß. Man darf also konstatieren: Schon vor Aristoteles gab es detaillierte Ansichten von den Möglichkeiten und Erfordernissen der λέξις, die zwar wohl nicht als άρεταί λέξεως bezeichnet wurden, die aber sowohl terminologisch als auch in der Bedeutung sich mit den späteren virtutes völlig decken. Nun noch ein Wort zu den άρεταί διηγήσεως ! Stroux beschreibt den Unterschied von virtutes elocutionis und virtutes narrationis wie folgt: „Sed narrationis σαφήνεια, narrationis συντομία, narrationis πιθ-ανότης alia est, quam elocutionis. Ut narratio est rerum expositio, sic ad res illae virtutes spectare debent. Aristoteles verborum non fecit mentionem in narratione tractanda. Ceteri autem, quo sunt vetustiores, eo magis res subiciunt illis narrandi rationibus" (S. 44). Ich glaube nicht, daß eine so scharfe Trennung beider Arten von virtutes beibehalten werden kann 3 . Zwar ist richtig, daß die άρεταί λέξεως ursprünglich nur Vorschriften haben bedeuten können, die sich allein auf die λέξις, also den rein sprachlich-formalen Aspekt bei der Formulierung eines Gedankens, beziehen. Wir werden aber schon bei Dionys von Halikarnaß beobachten, wie sich der Geltungsbereich der virtutes elocutionis allmählich um eine inhaltlich-gedankliche Komponente erweitert 4 . Auf der anderen Seite läßt sich die Bedeutung der άρεταί διηγήσεως nicht auf den stofflichen Aspekt beschränken. Sobald irgendwelche Fakten oder Geschehnisse berichtet werden, ist das auch eine Frage der Formulierung, sowohl der Komposition als auch in gewissem Umfange der Wortwahl. Beide Kategorien fallen unter die λέξις. Aus diesem Grunde können schon in der Rhetorik an Alexander 6 die virtutes narrationis in πράγματα und ονόματα erscheinen 8 , schließen also die λέξις mit ein. Die Vorschriften zur διήγησις sind ferner so allgemeinen Inhalts, daß sie in ähnlicher Weise auch für die übrigen Teile der Rede gelten können. Beide Arten von άρεταί schließen sich daher nicht aus, sondern haben vielfältige Überschneidungen. Das war auch die Ansicht vieler antiker Theoretiker; jedenfalls scheint mir Dionys dasselbe zu meinen, wenn er schreibt: και της σαφήνειας και της συντομίας και του πιθανού χωρίον άποφαίνουσιν οί τεχνογράφοι 1

Vgl. Wersdörfer S. 25. Dionys De comp. 45,12ff.; Pohlenz S. 54; Süß S. 18ff.; Vollgraff S. 22ff. 3 Vgl. auch die ausführliche Diskussion bei Wersdörfer S. 89 ff. 4 Siehe unten S. 22. • V. Buchheit, Untersuchungen zur Theorie des Genos Epideiktikon, München 1960, S. 189ff. hat mit guten Gründen neuerdings Anaximenes v. Lampsakos als Autor der Rhetorica ad Alexandrum wieder in Frage gestellt. Ich zitiere daher ohne Angabe des Verfassers. Vgl. auch G. M. A. Grube, A Greek Critic: Demetrius On Style, S. 156ff. ORG I 72,7ff. Sp.-H.; vgl. Anon. Seg. I 365,9; 367,12; Theon II 80,8; 83,14; Rufus I 402,16£f. Sp.-H. 2

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την διήγησιν ούχ ώς 1 άλλαχοΰ ούδαμοϋ δέον έξετάζεσθ-αι τάς άρετάς ταύτας (πάνυ γάρ άτοπον), άλλ' ώς έν τη διηγήσει δέον μάλιστα (Dem. 205,13ff.). Aus diesem Grunde soll Theodor von Gadara, wie uns der Anonymus Seg. RG I 370,14ff. Sp. berichtet, überhaupt nur eine einzige virtus narrationis beibehalten haben: ó δέ Γαδαρεύς Θεόδωρος την πιθανότητα μόνην άρετήν νομίζει της διηγήσεως, τάς δέ προειρημένας άρετάς ιδίας μέν μή είναι μόνης της διηγήσεως, κοινάς δε απαντος του λόγου. Ähnlich sagt Cicero Top. 97 von den virtutes narrationis : . . . quae quamquam in tota oratione esse debent, magis tarnen sunt propria narrandi2. Die gleiche Auffassung zeigt sich schließlich darin, wenn in den Partitiones oratoriae 31 f. zur Charakteristik des dilucidum in der narratio einfach auf die Ausführungen zur elocutio verwiesen werden kann. Man darf also konstatieren, daß zwischen virtutes narrationis und elocutionis schon in der Antike enge Beziehungen gesehen wurden, die es verbieten, die Geschichte der einen Theorie losgelöst von der der anderen zu verfolgen 3 . Für die vorliegende Untersuchung bedeutet diese Feststellung, daß wir mit einem Einfluß auch der άρεταί διηγήσεως auf die hermogenische Ideenlehre zu rechnen haben. Über die Geschichte der virtutes narrationis vor Aristoteles sind wir besser unterrichtet als über die Lehren zur λέξις. Übereinstimmend wird in vielen antiken Zeugnissen berichtet, Isokrates habe die folgenden drei άρεταί διηγήσεως gelehrt: σαφήνεια, συντομία, πιθανότης. Als Beispiel möge Quintilian 4, 2,31 genügen: Eam (sc. narrationem) plerique scriptores maximeque qui sunt ab Isocrate volunt esse lucidum, brevem, verisimilemi. Nach Quint. 4,2,61 ff. forderten andere, daß sie auch μεγαλοπρεπής sei, Theodektes sogar, daß sie außerdem noch ήδεϊα sei 6 . Das sind, abgesehen vom έλληνισμός 8 und dem πρέπον, das eventuell bei der πιθανότης 7 behandelt wurde 8 , alle 1

Der Text so nach Stroux S. 49. Jedoch läßt Cicero De or. 2, 83 nicht einmal diesen Unterschied gelten : Iam vero narrationem, quod ivbent verisimilem esse et apertam et brevem, recte nos admonent; quod haec narrationis magis putant esse propria, quam totius orationis, valde mihi videntur errare. 8 Das wird von Stroux S. 53 auch prinzipiell anerkannt. 4 Radermacher Β X X I V 34. Dort alle weiteren Parallelen. 6 Dieselben virtutes bezeugt J. Tzetzes, Chiliad. 12,571 f. = Radermacher Β X X I I 6 für Alkidamas. Zwar spricht er dort von άρεταί λόγου, doch sind mit ziemlicher Sicherheit die virtutes narrationis gemeint. * Und selbst der έλληνισμός, die λέξις-bezogenste aller άρεταί, erscheint bei Aphthonios RG II 22,12 Sp. als άρετή διηγήματος. ' Die πιθανότης selbst, eigentlich nur άρετή διηγήσεως, wird bei Demetrios Περί έρμηνείας § 221 als Stileigenschaft verstanden. 8 πρέπον und πιθανόν sind dennoch keineswegs identische Begriffe, wie Stroux aus Arist. Rhet. 1414a 28 und 1408a 19 schließen möchte, πιθανότης bedeutet ursprünglich nur, daß die Erzählung vertrauenerweckend und überzeugend wirkt. Das wiederum wird in erster Linie durch die sogenannten πίστεις erreicht (vgl. unten S. 61 ff.). Daneben ist das πιθανόν έκ τοϋ πρέποντος nur von sekundärer Bedeutung. Der vermittelnde Begriff kann das είκός sein, das u. a. auch durch das πρέπον erreicht wird (vgl. z. B. Theon RG II 84. 18ff. Sp.). 2

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späteren άρεταί λέξεως — ein weiterer Beweis dafür, wie fließend schon vor Aristoteles die Grenzen zwischen beiden Arten von virtutes waren. Wie steht es nun mit der λέξις-Lehre bei Aristoteles selbst ? Zwar definiert er wirklich nur die eine σαφήνεια als αρετή λέξεως: εστω ουν εκείνα τεθ-εωρημένα και ώρίσθω λέξεως άρετή σαφή είναι . . ., και μήτε ταπεινήν μήτε ΰπέρ το αξίωμα, άλλά πρέπουσαν (Rhet. I I I 2, 1404b Iff.); aber gleich der Zusatz läßt erkennen, was es mit dieser άρετή für eine Bewandtnis hat: Sie ist der vermittelnde Ausgleich zwischen der σαφήνεια im eigentlichen Sinne, die durch Verwendung von κύρια ονόματα entsteht (1404b 6), deswegen aber ταπεινή ist, und der allzu poetischen Sprache, die durch fremdartige Ausdrücke und Metaphern zustande kommt: το γάρ εξαλλάξαι ποιεί φαίνεσθ-αι σεμνοτέραν (1404b 8). Diese σεμνότης behandelt das zweite Kapitel des dritten Buches von 1404b 26 an. Wird die σεμνότης in übertriebener Weise angewendet, so entsteht daraus etwas Fehlerhaftes, das ψυχρόν, das sich Aristoteles im dritten Kapitel zum Thema nimmt. Schon diese Tatsache, die Möglichkeit einer παρέκβασις, zeigt, daß die σεμνότης, wenn sie nur im rechten Maße gesucht wird, immer noch den Charakter einer άρετή bewahrt hat. Im fünften Kapitel folgt die Besprechung des ελληνισμός, sodann im sechsten Kapitel ογκος und dessen Gegenteil, die συντομία, ferner im siebten Kapitel das πρέπον und endlich in den Kapiteln acht bis zehn die ηδονή. Alle diese Stileigenschaften hat Aristoteles, wie Stroux sehr schön zeigt, so definiert oder beschrieben, daß sie als Bedingung oder Ergebnis der σαφήνεια erscheinen. Es ist aber nicht so, wie Stroux glaubt, daß die Geschichte der άρεταί λέξεως mit dieser monistischen Auffassung des Aristoteles begonnen hätte, vielmehr hat Aristoteles die ursprüngliche Vielzahl von selbständigen Stilfarben, wie sie ζ. B. Isokrates kannte, wohl aus philosophischen Rücksichten in die Definition der einen σαφήνεια hineingepreßt. Das System der άρεταί, wie es Stroux für Theophrast rekonstruiert hat, stellt demnach einen Rückgriff auf voraristotelische Anschauungen dar. Im übrigen muß man Stroux' Ergebnissen zustimmen, abgesehen von einem Punkte, seiner Beurteilung der κατασκευή. Wie bereits erwähnt, sieht Stroux in den Termini „suave et affluens" bei Cicero Orator § 79, die er griechisch mit ήδύ und μεγαλοπρεπές wiedergibt\ nur eine Erläuterung des vorangehenden Begriffes ornatus, nicht aber eine weitere, zusätzliche διαίρεσις der κατασκευή2, ήδύ und μεγαλοπρεπές sollen also Synonyma sein. In dieser Untersuchung wird sich jedoch zeigen, daß die genannten Stilbegriffe in der rhetorischen Theorie zu jeder Zeit ihren eigenen und zwar einander gegensätzlichen Charakter hatten, der sich schon bei Isokrates nachweisen läßt. Außerdem macht gerade die Tatsache, daß Aristoteles Rhet. 1414a 19ff. mit einem nochmaligen Verweis auf seine Definition der άρετή λέξεως 1

Eine noch adäquatere und zudem für Theophrast belegte Übersetzung wäre περιττόν (vgl. Dionys Isokr. 58, 5), was aber in der Bedeutung dasselbe ist. 2 Vgl. S. 39 f.

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eine solche διαίρεσις der λέξις in ηδύ und μεγαλοπρεπές ablehnt, offenkundig, daß er damit gegen ältere Theorien angeht; diese hat Theophrast wieder aufgegriffen. Erwähnt werden muß hier daher auch die Vermutung von W. Schmid, Theophrast habe die Stilfarbe δεινότης ebenfalls schon unter die κατασκευή gerechnet1. Das System Theophrasts würde dann kaum noch einen Unterschied gegenüber dem Zustand der virtutes-Lehre bei Dionys aufweisen. Zumindest aber darf man postulieren, daß dessen Mannigfaltigkeit von άρεταί έπίθετοι in der theophrastischen κατασκευή bereits angelegt gewesen sein muß und nicht erst eine Erfindung späterer Stilkritiker ist. Außer von Dionys kennen wir aus dem Zeitraum zwischen Theophrast und Hermogenes innerhalb der griechischen Rhetorik keine weiteren Zeugnisse für die Lehre von den άρεταί λέξεως, die zur Rekonstruktion von deren Geschichte und Entwicklung in irgendeiner Weise förderlich wären. Wertvoll dagegen sind zwei antike Abhandlungen über Themen aus der genera-Lehre, nämlich Ps.-Demetrios' Lehrbuch Περί ερμηνείας und der berühmte, fälschlich dem Dionysios oder dem Neuplatoniker Longinos zugeschriebene Traktat Περί υψους. Daß wir aus diesen Werken einigen Nutzen ziehen können, ist darin begründet, daß beide Autoren sich zur Beschreibung und Charakterisierung der Stilarten ständig der virtutes bedienen2. Besonders für den inhaltlichen Aspekt der Ideen, die εννοιαι3, werden wir manche Parallele aus den genannten Schriften heranzuziehen haben, da die Charaktere im Gegensatz zu den άρεταί von Anfang an auf bestimmte Themenkreise zugeschnitten waren 4 . Bei Plutarch läßt sich zwar ebenfalls allenthalben die Kenntnis der virtutes-Lehre nachweisen, doch ist es unmöglich, aus seinen Bemerkungen ein System der άρεταί zu erschließen; er vermag uns daher keine neuen Einsichten zu vermitteln. Ähnlich verhält es sich mit den lateinischen Autoren: Die Rhetorik an Herennius und Cicero bleiben in der Darstellung der Lehre weit hinter dem zurück, was wir aus Dionys wissen. Sie repräsentieren, besonders in der beschränkten Zahl der virtutes, einen fast rein theophrastischen Zustand. Wo sich eventuell weitere Unterteilungen des ornatus andeuten, die über suave et affluens hinausgehen, kommen terminologische Schwierigkeiten hinzu. Wir werden diese Stellen nur selten zu Rate ziehen können. Quintilian läßt wenigstens an einer Stelle eine Gliederung des ornatus deutlich erkennen. Einer gewissen Zahl von vitia stellt er Inst. or. 8, 3, 49 die entsprechenden virtutes gegenüber: Quae vitia facillime fient manifesta contrariis virtutibus. nam primum acuto, secundum nitido, tertium copioso, 1 Rh. Mus. 49, 1894, 147. Seine Argumentation ist zwar nicht ganz zwingend, wird aber durch Isokrates IV 129 f. und VIII 73 ff., wo schon τραχύτης genannt wird, gestützt. 2 Ebenso natürlich Cicero in den entsprechenden Schriften, ganz deutlich ζ. B. Orator 79. 3 Darüber im folgenden Kapitel. 4 Vgl. das folgende Kapitel und speziell den Anhang I.

2 Hagedorn, Hermogenes

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Einleitung

deinceps hilari, iucundo, accurato diversum est. Hierin darf man wohl mit Recht eine Andeutung der hermogenischen Ideen δριμύτης, λαμπρότης, περιβολή (8γκος) und des κάλλος mit seinen verschiedenen Färbungen sehen. Weitere Zwischenstufen der Entwicklung bis Hermogenes sind nicht erhalten. Direkte Quellen mögen für diesen neben dem ersten Buch der Aristeides-Techne 1 jene Bücher Περί ιδεών gewesen sein, die Tzetzes für Dionysios (von Milet ?), Basiliskos und Zenon bezeugt 2 . 1 Ü b e r die Abhängigkeit des Hermogenes v o n Ps.-Aristeides vgl. W . Schmid, R h . Mus. 72, 1917, 113ff. u n d 238ff. 2 Anecd. Oxon. I V 126, 5 C r a m e r : προ 'Ερμογένους έγραψαν και άλλοι γαρ ιδέας, αύτός é Διονύσιος σύν ω καΐ Βασιλίσκος καΐ Ζήνων. Vgl. a u c h Syrian 1, 13, 9 R a b e .

I. D I E E L E M E N T E D E R I D E E N Charakteristisch für die Methode des Hermogenes, die einzelnen Ideen zu behandeln, ist seine Unterscheidung verschiedener Elemente, in denen die einzelnen Ideen erscheinen. Diesen Elementen liegt in ihrem Verhältnis zueinander ein bestimmtes Schema zugrunde, das Hermogenes in der Einleitung zu Περί ιδεών Seite 218,18ff. R. erläutert. Es heißt dort: άπας τοίνυν λόγος έννοιάν τε έχει πάντως τινά ή εννοίας καί μέθοδο ν περί τήν εννοιαν και λέξιν, ή τούτοις εφήρμοσται. της δ' αδ λέξεως έχούσης πάντως τινά καί αύτης ιδιότητα πάλιν αδ σχήματά τέ εστί τινα καί κώλα συνθέσεις τε καί άναπαύσεις καί το έξ άμφοιν τούτοιν συνιστάμενον, ó ρυθμός. Als erstes fällt die Zweiteilung in έννοια und λέξις, etwa: Inhalt und Formulierung, in die Augen. Das Wort λέξις kann bei Hermogenes in engerer und in weiterer Bedeutung gebraucht werden. In weiterem Sinne, wie es auch hier gemeint ist, umfaßt es den ganzen Bereich des sprachlichen Ausdrucks und gliedert sich selbst wieder in λέξις im engeren Sinne 1 ( = εκλογή των ονομάτων2, bei Hermogenes hier durch ίδιότης τις angedeutet), σχήματα, κώλα, σύνθεσις und άνάπαυσις. Aus den beiden letztgenannten Elementen entsteht der Rhythmus 3 . In den Bereich der έννοια dagegen gehören die μέθοδοι. Es ergibt sich also folgendes Bild : έννοια

λέξις

μέθοδοι εκλογή σχήματα κώλα σύνθεσις άνάπαυσις σχήματα und μέθοδοι entsprechen sich hierbei völlig, wie ein paar Seiten weiter zu entnehmen ist: εστίν οδν πρώτον μέν καί ίσχυρότατον άπανταχοϋ ή έννοια, μετά δε ταύτη ν ή λέξις, το σχήμα δε τρίτον, λέγω το της λέξεως, έπεί τό γε της έννοιας, βπερ ήν μέθοδος, τέταρτον λέγω (222,19ff.), μέθοδοι sind demnach σχήματα εννοίας, während die Wortfiguren kurzerhand σχήματα genannt werden4. 1 λέξις = έκλογή, ja sogar = Einzelwort ist stoischer Sprachgebrauch (SVF III S. 213,5ff. 20ff.), während die andere Bedeutung die allgemein übliche und schon bei Isokrates und Aristoteles gebräuchliche ist (vgl. Striller, De Stoicorum studiis rhetoricis, Diss. Breslau 1886, S. 5). 2 In dieser Bedeutung fast ausschließlich bei Hermogenes. 8 Vgl. 219,20; 234,3; 260,1 und oft. 4 Vgl. auch Syrian zu dieser Stelle (20,24ff. R.): μέθοδος μέν ούν έστι λόγος τήν οίκείαν της Ιδέας gvvoiav κατά τό προσήκον έρμηνεύων, . . . αχήμα δέ έστι λόγος τήν οίκείαν της Ιδέας λέξιν κατά τό προσήκον διαπλέκων.



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I . E l e m e n t e der Ideen

Auffällig ist jedoch, daß Hermogenes an der zuletzt zitierten Stelle unter den weiter folgenden Punkten wohl wieder συνθήκη ( = σύνθεσις) und ανάπαυσες, nicht aber mehr die κώλα erwähnt, obwohl sie späterhin bei der Behandlung der Ideen keine geringere Bedeutung haben als alle anderen Kategorien auch. Als Erklärung dafür läßt sich anführen, daß vom systematischen Gesichtspunkt aus gesehen die κώλα ebenso wie der Rhythmus als neue Unterteilung in den Bereich der σύνθεσις gehören 1 . Es wäre demnach richtiger, den τόπος λεκτικός durch folgendes Schema zu kennzeichnen : λέξις

εκλογή

κώλα

ρυθμός

I n ganz ähnlicher Weise wie Hermogenes geht Ps.-Aristeides bei der Beschreibung seiner Ideen vor. Statt des doch schon recht komplizierten Aufbaus bei jenem kennt er jedoch nur eine dreifache Gliederung, nämlich die in γνώμη, σχήμα und άπαγγελία 2 . Hierbei liegt die Identität von γνώμη und έννοια auf der Hand 3 , άπαγγελία ist ein Synonym für λέξις 4 . Unter σχήμα behandelt der Autor sowohl σχήματα εννοίας als auch λέξεως. Unverkennbar liegen daher hier dieselben Gesichtspunkte vor wie bei Hermogenes. Allerdings fehlt im ganzen ersten Teil bis S. 54,15 jede Erwähnung von κώλα, σύνθεσις und ρυθμός 5 . In diesem Kapitel soll nun gezeigt werden, daß das soeben beschriebene Gliederungsprinzip der Ideen als aus der άρετή-Lehre entstanden zu verstehen ist. Da sich aber die offensichtlichsten Parallelen im Bereich der genera dicendi finden, mögen diese zuerst aufgeführt werden. Fünf Quellen des erhabenen Stils kennt der Autor der Schrift Περί ΰψους. Im 8. Kapitel schreibt er darüber : έπεί δέ πέντε, ώς άν ε'ίποι τις, πηγαί τινές είσιν αί της ΰψηγορίας γονιμώτατα, . . . πρώτον μέν καί κράτιστον το περί τάς νοήσεις άδρεπήβολον . . . δεύτερον δέ το σφοδρόν καί ένθουσιαστικόν πάθος . . . ή τε ποιά των σχημάτων πλάσις (δισσά δέ που ταϋτα τά μέν νοήσεως, θάτερα δέ λέξεως), έπί δέ τούτοις ή γενναία φράσις, ής μέρη πάλιν ονομάτων τε εκλογή καί ή τροπική καί πεποιημένη λέξις. πέμπτη δέ μεγέθους αιτία καί συγκλείουσα τά 1 Vgl. ζ. Β. Ps.-Aristeides S. 63,15ff.; D e m e t r . Περί ερμηνείας § 8f. Dasselbe lehrt ein Vergleich m i t der Schrift Περί συνθέσεως von Dionys v o n H a l i k a r n a ß . 2 Vgl. S. 2,4; 16,7; 20,2 u . a. 3 S. 2,5ff. : γνώμην δέ λέγω τόν νουν καί τά έπινοήματα, έν οΐς ευρίσκεται τά πράγματα. 4 2,11 ff. : άπαγγελίαν δέ λέγω αυτήν τήν λέξιν, δι' ής άπαγγέλλεται τά έπινοήματα. 6 Abgesehen v o n £υθμός S. 8,26, wo jedoch m i t Schmid zu athetieren ist.

I . E l e m e n t e der Ideen

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προ εαυτής άπαντα, ή έν άξιώματι και διάρσει σύνθ-εσις1. Neu in diesem Zusammenhange und wohl auch nur einer besonderen Vorliebe unseres Autors zuzuschreiben ist das an zweiter Stelle genannte πάθος. Davon sagt er selbst, daß Kaikilios diesen Punkt nicht erwähnt habe (8,1 Ende) 2 . Im übrigen nennt der Autor alle Kategorien, die auch Hermogenes aufzählt : zuerst die νοήσεις, die den ëvvoiai entsprechen, sodann die σχήματα, und zwar sowohl Sinn- als auch Wortfiguren, ferner die φράσις, die gleichbedeutend mit λέξις ist, und endlich die σύνθεσις, zu der Longin auch den Rhythmus rechnet 3 . Ebenso liegt diese Gliederung der Beschreibung der χαρακτήρες λέξεως bei Demetrios Περί έρμηνείας zugrunde. Am deutlichsten wird das bei der Behandlung des χαρακτήρ μεγαλοπρεπής in § 38 : εν τρισίν δή το μεγαλοπρεπές, διανοία, λέξει, τω συγκεϊσθαι προσφόρως. Demetrios beginnt mit der Besprechung der σύνθεσις und behandelt unter diesem Thema zunächst den Rhythmus (§ 38—43), sodann die κώλα des großartigen Stiles (§ 44—47), ferner die αρμονία, also die Lehre vom Zusammenklang der Laute (§48—49). Daran schließt sich ein Abschnitt über die Wortstellung im Satze an (§ 50—58), dem ein weiterer über die σχήματα της λέξεως folgt (§59—67), die der Autor offenbar auch in den Bereich der σύνθεσις fallen läßt. Den Abschluß dieses Kapitels bildet ein Exkurs über die Bedeutung des Hiats (§ 68—74). Kurz nur ist das Kapital, das die διάνοια dieser Stilart behandelt (§75f.), während dasjenige über die λέξις umso umfangreicher geworden ist (§77—113). Ähnlich ist die Gliederung bei der Darstellung der übrigen Charaktere. Dieselbe Dreiteilung, die wir soeben bei den Elementen des großartigen Stiles beobachteten, findet sich bei Dionys von Halikarnaß aber auch als Gliederung einer άρετή λέξεως. In seiner Schrift über Lysias zählt er im 8.Kapitel die Elemente der virtus ήθοποιΐα auf: τριών τε όντων, έν οϊς και 1 Mit diesem Schema in Περί ΰψους h a t I m m i s c h , A g a t h a r c h i d e a , Sitzungsber. d. Heidelberger Akad., 1919 Abh. 7, S. 7 f., einen Passus des Agatharchides verglichen, den u n s P h o t i o s exzerpiert h a t . Agatharchides h a b e bei der Verurteilung der hegesianischen Elendsschilderei ein viergliedriges V e r f a h r e n a n g e w a n d t . N a c h A g a t h a r c h i d e s verfehle Hegesias seine beabsichtigte W i r k u n g aus folgenden G r ü n d e n : 1. ζητών Sè έξ άνάγκης έν αύστηρω πράγματι κομψότητα διαφαίνειν (Photios 446a 17 Bekker), 2. weil er έκ των ονομάτων την έπαντίωσιν εΐληφεν, ούκ έκ τοΰ πράγματος (446 b 33) u n d 3. weil er eine verstiegene Bildlichkeit im A u s d r u c k anwende. (447 a 3f.). Bisher, glaubt I m m i s c h , liege dasselbe Schema wie bei Ps.-Longinos v o r : P u n k t 1. bei A g a t h a r c h i d e s entspreche der μεγαλοφροσύνη u n d d e m πάθος bei Longin, P u n k t 2. der σχημάτων πλάσις u n d P u n k t 3. der γενναία φράσις. σύνθεσις allein fehle bei A g a t h a r c h i d e s ; d a f ü r bringe er Beispiele aus a n d e r e n R h e t o r e n , die den Qualitätsunterschied zu Hegesias verdeutlichen sollten. — E i n e wirkliche Parallele scheint mir nicht vorzuliegen. A g a t h a r c h i d e s folgt keinem bestimmt e n Schema. P u n k t 1. gehört a m ehesten zur Theorie des πρέπον. 2. l ä ß t sich n u r m i t Mühe auf die Figurenbildung beziehen. E r k e n n b a r ist n u r der ganz geläufige Gegensatz v o n λέξις u n d πράγματα. 2

Nicht, wie L . Voit, Δεινότης, A n m . 125 m e i n t , h a t Kaikilios das πάθος wegen seiner stoischen, pathosfeindlichen Einstellung ausgelassen, vielmehr wird es hier v o n Ps.Longin erst fälschlich m i t den a n d e r e n E l e m e n t e n v e r k n ü p f t . 8 Vgl. K a p . 39, 4,

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I. Elemente der Ideen

περί α την άρετήν είναι ταύτην συμβέβηκε, διανοίας τε καί λέξεως καΐ τρίτης της συνθέσεως, έν άπασι τούτοις αύτον (sc. Λυσίαν) άποφαίνομαι καθορθοϋν (15,10ff.). Diese Gliederung einer άρετή λέξεως ist in höchstem Grade befremdlich. Sosehr es nämlich bei den χαρακτήρες λέξεως als vollständigen Stilen angebracht ist, von einer inhaltlichen und einer formalen Seite zu sprechen, sowenig haben ursprünglich Tragen, die sich auf inhaltliche Dinge beziehen, etwas mit den άρεταί λέξεως zu tun. Dionys teilt nämlich den ganzen Bereich rhetorischer Betätigung in zwei Gebiete, den πραγματικός τόπος und den λεκτικός τόπος: . . . του λέγειν εδ διττή ή διαίρεσίς έστιν, εις τε τον πραγματικό ν τόπον καί εις τον λεκτικόν, και τούτων πάλιν άμφοτέρων εις τάς ισας διαιρεθέντων τομάς, τοϋ πραγματικού μεν εις τε τήν παρασκευήν, ην οί παλαιοί καλοϋσιν εΰρεσιν, καί είς τήν χρήσιν των παρεσκευασμένων, ην προσαγορεύουσιν οΐκονομίαν, τοϋ λεκτικού δέ εΐς τε τήν έκλογήν των ονομάτων καί είς τήν σύνθεσιν των έκλεγέντων (Dem. 240,21 ff.) 1 . Das ist das Schema der lateinischen officia oratoris: inventio, dispositio, elocutio usw., das sich bekanntlich schon im Aufbau der aristotelischen Rhetorik andeutet. Nur für die λέξις, hier also den λεκτικός τόπος, sind die virtutes elocutionis, wie das der Natur der Sache entspricht, zuständig. Daraus folgt aber, daß eine άρετή λέξεως, wie hier die ηθοποιία, sich prinzipiell nicht auch in irgendwelchen speziellen Gedanken manifestieren kann, da ja die Auffindung und Anordnung von Stoffen und Themen ganz in den Bereich des πραγματικός τόπος gehört 2 . Die vorliegende Gliederung der ήθοποιΐα bei Dionys stellt also grundsätzlich eine Verfälschung der ursprünglichen Bedeutung der άρεταί λέξεως dar. Sie ist jedoch nicht auf das oben genannte Beispiel der ηθοποιία allein beschränkt, vielmehr kennt Dionys auch eine σαφήνεια πραγματική 3 und eine συντομία πραγματική 4 innerhalb des λεκτικός τόπος, und ebenfalls κάλλος und μέγεθος 6 sowie die δεινότης (πικρότης)6 haben spezifische νοήματα. Es zeigt sich also bei Dionys ganz deutlich die Tendenz, den virtutes elocutionis eine inhaltlichgedankliche Seite anzugliedern. Diese Entwicklung mag eingeleitet worden sein durch jene Verquickung von virtutes elocutionis und narrationis, auf die wir schon oben hingewiesen haben 7 . Das gleiche Bestreben tritt aber auch in der Unterscheidung von Wort- und Sinnfiguren und deren beider Behandlung innerhalb der λέξις zutage, die sich schon in der Rhetorik 1 Genaueres bei Kremer, Das rhetorische System des Dionys von Halikarnaß, Diss. Straßburg 1907. 2 J. D. Meerwaldt, Studia ad generum dicendi historiam pertinentia, Pars I : De Dionysiana virtutum et generum dicendi doctrina S. 3 verspricht den Nachweis, daß die Verbindung von διάνοιαι mit den άρεταί λέξεως echt theophrastisch sei. Der Gedanke ist so unwahrscheinlich, daß man umso mehr bedauert, daß M. sein Versprechen nicht eingelöst hat. 3 Lys. 12,12ff. ; Ep. ad Pomp. 237,11; 244,20; De imit. 209,16. 4 Lys. 13,1 Iff. 6 Dem. 183,19; Ep. ad Pomp. 241,6; vgl. De imit. 205,14ff. u. a. « Dem. 248,16. ' Siehe S. 14f.

I. Elemente der Ideen

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an Herennius 6, 18 andeutet und auf griechischer Seite erstmalig bei Kaikilios ausgeprägt faßbar ist 1 , sicher jedoch schon auf ältere, stoische Lehren zurückgeht. So verfehlt diese Erweiterung der virtutes elocutionis im Grunde auch sein mag, für diese Untersuchung ist es jedenfalls von größter Bedeutung, sie bei Dionys nachgewiesen zu haben. Die prinzipielle Unvereinbarkeit einer gedanklich-stofflichen Komponente der Ideen mit dem rein formalen Charakter der άρεταί λέξεως dürfte einer der Hauptgründe dafür gewesen sein, daß man den Ursprung der Ideenlehre bisher allzuoft in der Theorie der genera dicendi hat sehen wollen. Ohne die oben genannten Zeugnisse, die das Anfangsstadium einer Entwicklung repräsentieren, die direkt zu Hermogenes führt, wäre es wohl kaum möglich, die Entstehung der hermogenischen Ideen aus den άρεταί λέξεως des Dionysios glaubhaft zu machen. Der Aufbau des λεκτικός τόπος bei Dionys wird noch deutlicher im 22. Kapitel von Περί Θουκυδίδου: δτι μεν ούν απασα λέξις εις δύο μέρη διαιρείται τά πρώτα, εις τε τήν έκλογήν των ονομάτων . . . καί εις τήν σύν&εσιν . . ., καί δτι τούτων αύθις έκάτερον είς έτερα μόρια διαιρείται, ή μέν εκλογή . . . εις τε τήν κυρίαν φράσιν και είς τήν τροπική ν, ή δε σύνθεσις είς τε τά κόμματα καί τά κώλα καί τάς περιόδους, καί δτι τούτοις άμφοτέροις συμβέβηκε . . . τά καλούμενα σχήματα . . ., εϊρηται πολλοίς πρότερον (358,8ÍF.)2. Diese Gliederung hat Dionys, wie wir von ihm selbst erfahren, von Theophrast übernommen: καθόλου δέ τριών δντων, ώς φησι Θεόφραστος, έξ ών γίνεται το μέγα καί σεμνόν καί περιττόν εν λέξει, της τε εκλογής τών ονομάτων καί της έκ τούτων άρμονίας καί τών περιλαμβανόντων αύτά σχημάτων . . . (Isokr. 58,4ff.). Dadurch sind diese drei Elemente, ausdrücklich als Prinzip der Unterteilung einer άρετή λέξεως, schon für Theophrast belegt. Dieses Kapitel hat gezeigt, daß die Methode des Hermogenes, die Ideen nach verschiedenen Kategorien zu gliedern, nicht eine Erfindung der Kaiserzeit, sondern schon bei Dionys erkennbar ist und sich teilweise bis zu Theophrast zurückverfolgen läßt. Die gleiche Arbeit soll nun im folgenden für jede einzelne Idee geleistet werden. 1 2

Frgm. 50; 71; 87 Ofenl. Vgl. Dionys Dem. 212,10ff. u. Thuk. 359,26f. Dasselbe Schema ergibt sich aus De comp. 4,6 ff.

II. Σαφήνεια Als erste Idee behandelt Hermogenes die σαφήνεια, die sich in die beiden Unterbegriffe καθαρότης und ευκρίνεια gliedert. Um die Vorstellungen zu verdeutlichen, die Hermogenes mit diesen Termini verbindet, zunächst eine knappe Wiedergabe ihrer Charakteristik: Der wesentlichste Zug der καθαρότης ist, wie sich in allen ihren Elementen zeigt, die Allgemeinverständlichkeit einer Rede oder eines Textes : 1. εννοιαι τοίνυν εΐσί καθαραί αί κοιναί πάντων και εις άπαντας άνελθοϋσαι ή δόξασαι άνελθεΐν, σαφείς άφ' έαυτών οδσαι και γνώριμοι και μηδέν εχουσαι βαθύ μηδέ περιντνοημένον (227,1 ff.). 2. μέθοδος der καθαρότης ist es, nur die nackten Tatsachen zu berichten, ohne Dinge oder Gesichtspunkte, die außerhalb des Berichteten liegen, hinzuzuziehen (227,19ff.). 3. λέξις δέ καθαρά ή κοινή και εις απαντας ήκουσα καί μη τετραμμένη μηδ' άφ' έαυτής ούσα σκληρά (229,8ff.). Das Gegenteil ist demnach die gewundene, poetische, unverständliche Diktion. 4. σχήμα καθαρότητος ist die όρθότης, worunter Hermogenes den Gebrauch finiter Verbformen, casus recti usw. anstelle aller obliquen Formen versteht (229,19ff.). 5. Die κωλα sollen klein und kommatisch sein und dadurch die Gedanken gliedern und überschaubar machen (232,3ff.). 6. Die Komposition in dieser Idee ist ebenfalls möglichst einfach und kümmert sich nicht viel um Hiatvermeidung und dergleichen Feinheiten (232,7 ff.). Von der καθαρότης nur schwer zu trennen ist die ευκρίνεια. Das Verhältnis beider Ideen zueinander beschreibt Hermogenes folgendermaßen: ή μεν γάρ βούλεται σαφή ποιεΐν τον λόγον, ή καθαρότης, ή δέ, εϊ τι πάσχοι ύπεναντίον αύτη κατ' άνάγκην τινά, . . . διορθοϋται, ή εύκρίνεια (235,4 ff.). Die Wirksamkeit der εύκρίνεια beruht auf dem Prinzip der Ordnung der Gedanken, der rechten Wiedergabe ihrer Reihenfolge: τό τε γάρ τάξαι, τί πρώτον καί τί δεύτερον άπαιτεΐν χρή τούς δικάζοντας, εύκρινείας δν μέθοδος οϊμαί τίς έστιν (235,9ÍF.)1. Aus diesem Grunde kommt die εύκρίνεια überhaupt stärker in den μέθοδοι zum Ausdruck 2 . Sie bezieht sich hauptsächlich auf den Inhalt, während die Wirksamkeit der καθαρότης mehr in der Gestaltung liegt. Die beiden Termini σαφής und καθαρός lassen sich in der gesamten älteren rhetorischen Theorie nachweisen. Betrachten wir zunächst ihr Vorkommen und ihre Bedeutung bei Dionys. In der Zusammenfassung aller virtutes des Lysias in Lys. Kap. 13 zählt Dionys als die vier ersten die folgenden auf: 1

Vgl. 237,20ff.

2

Vgl. 226,17; 235,8f.

II. Σαφήνεια

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1. το καθαρον των ονομάτων, 2. ή ακρίβεια της διαλέκτου, 3. το διά των κυρίων καί μη τροπικών κατασκευών έκφέρειν τά νοήματα, 4. ή σαφήνεια (22,16ff.) 1 . Da aber im dritten Kapitel der Schrift die Wortfolge το —έκφέρειν als zweite άρετή aufgezählt wird, dürfen wir folgern, daß 1. und 2. dasselbe meinen, also als eine einzige virtus aufzufassen sind. Ebenso lassen sich offensichtlich 3. und 4. unter dem Namen σαφήνεια zusammenfassen; denn nach Lys. 12,21 zeigt sich die σαφήνεια im πλούτος των κυρίων ονομάτων. Diese Einteilung, nach der je zwei der oben genannten άρεταί unter den Begriffen καθαρός bzw. σαφής zusammengefaßt werden, findet sich bei Dionys noch an vielen anderen Stellen 2 . Was versteht aber Dionys unter καθαρός und σαφής? Sind seine Vorstellungen mit denen des Hermogenes vergleichbar? Offenbar meint καθαρός mehr die grammatikalische Sprachrichtigkeit, während σαφήνεια eine verständliche Darstellung des Stoffes bezeichnet. Das wird deutlich aus den Verbindungen, die die Adjektive eingehen, καθαρός verbindet sich bei Dionys nur mit den Substantiven λέξις, ερμηνεία, φράσις, διάλεκτος, ovo μα und ähnlichen, die ganz speziell auf Wortwahl, Wortformen usw. bezogen sind 3 . Diese prägnante Bedeutung von καθαρός zeigt sich ferner darin, daß Dem. 137,10 das Wort έλληνίζειν gleichbedeutend mit καθαρον είναι verstanden werden muß, da es mit καθαρός vorher 136,17 korrespondiert. Ebenso ist Lys. 9,11 dieser Begriff gleichbedeutend mit „reines Attisch schreibend". σαφήνεια hingegen zielt immer auf Verständlichkeit und Klarheit in der Darstellung des Stoffes. Dazu vergleiche man den Anfang von Lys. Kap. 3 (10,4—21). Alles verweist auf eine klare, leichtverständliche Sprache: Die ονόματα sollen κύρια, κοινά, έν μέσω κείμενα sein. An anderen Stellen gesellen sich noch Adjektive wie συνήθης (Ep. ad Pomp. 242,3) und οικείος (De comp. 16,93; 95,12) hinzu. Dieser schlichten, ja der Umgangssprache nahestehenden4 Ausdrucksweise steht gegenüber die gekünstelte Dichtersprache. Sie wird gekennzeichnet durch die Begriffe τροπικός, ποιητικός, έξηλλαγμένος, ξένος, ούκ εΐωθός und kommt durch häufigen Gebrauch von Metaphern, Hyperbeln usw. zustande 6 . Wie passen nun die Ergebnisse dieser kurzen Untersuchung zu dem, was wir bei Hermogenes über die σαφήνεια und ihre Unterideen gehört haben? Die Vorstellung, die sich bei Dionys mit dem Begriff καθαρός verbindet, die theophrastische virtus έλληνισμός6, fehlt bei Hermogenes vollständig. Er Vgl. Isokr. 56,14ff. ; 70,15ff.; Is. 94,20ff.; Dem. 136,17ff.; 155,20ff. Thuk. 360,3f.; Ep. ad Pomp. 239,5f. 3 Geigenmüller S. 13ff. 4 Vgl. δεδημευμένος, Theophrast ( ?) bei Ammonios, Kommentar zu Arist. De inter pretatione S. 66,3 Busse; δημώδης Ps.-Long. 40.2. 6 Belege bei Geigenmüller S. 16f. « Vgl. Stroux S. 13ff. 1

2

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II. Σαφήνεια

hingegen verstellt unter καθαρότης, der ersten Teilidee der σαφήνεια, das Gleiche, was Dionys als σαφήνεια bezeichnet. Die Parallelen liegen auf der Hand und brauchen im einzelnen nicht noch einmal herausgestellt zu werden. Aristoteles definiert zwar die σαφνήεια als einzige άρετή λέξεως überhaupt (Rhet. 1404b 1; Poet. 1458a 18), aber seine Angaben über das Wesen dieser άρετή sind nicht so deutlich wie bei Dionys. Doch läßt sich mit Sicherheit den genannten Stellen entnehmen, daß schon für Aristoteles der Gegensatz von σαφήνεια und λέξις ποιητική bestand, der uns bei Hermogenes und Dionys begegnete, und ebenso beweisen die κύρια ονόματα Rhet. 1404b 6, Poet. 1458 a 19 und 1458 a 34 eine uns schon geläufige Vorstellung. Was nämlich Aristoteles unter κύριος versteht, definiert er Poet. 1457 b 3: λέγω δέ κύριον μέν φ χρώνται έκαστοι. Des Ps.-Demetrios Schrift Περί ερμηνείας, die ja hauptsächlich die genera-Lehre zum Gegenstand hat, steht dadurch in einer Beziehung zur virtutes-Lehre, daß in ihr die Charaktere durch άρεταί beschrieben werden. So ist für Demetrios σαφήνεια eine der Stileigenschaften, die das Wesen des χαρακτηρ ισχνός kennzeichnen; heißt es doch über diesen schlichten Stil: . . . μάλιστα δέ σαφή χρή την λέξιν είναι (§ 191). Was der Autor darunter versteht, wird deutlich aus der Parallele im vorhergehenden Paragraphen: την δε λέξιν είναι πάσαν χρή κυρίαν και συνήθη1. Eine weitere Übereinstimmung zwischen Demetrios und Hermogenes liegt vor, wenn beide empfehlen, den Gebrauch obliquer Kasus zu vermeiden. Bei Hermogenes ist das positiv gewendet in der Vorschrift über òp-9-ότης als σχήμα σαφήνειας (229,19), als deren Gegenteil der πλαγιασμός genannt wird (230,7). Entsprechend heißt es bei Demetrios : φεύγειν δέ και τάς πλαγιότητας· καί γάρ τοϋτο άσαφές (§ 198). In gleicher Weise schreiben ferner beide Autoren für die σαφήνεια kurze Kola vor 2 . — Vollkommen unergiebig für dieses Kapitel ist der Trakt a t Περί ήψους3. So übereinstimmend die bisher aufgeführten Beschreibungen der σαφήνεια mit der hermogenischen καθαρότης sind, — zur Einordnung der Idee ευκρίνεια haben sich noch keine Anhaltspunkte gefunden. Mehr Erfolg jedoch wird ein Blick auf das verwandte Gebiet der virtutes narrationis bringen. Im 30. Kapitel der Rhetorik an Alexander werden drei Gesichtspunkte genannt, auf die der Redner bei der Erzählung von Begebenheiten zu achten habe, nämlich daß er βραχέως, σαφώς und μή άπίστως berichte (RG I 72, 2f. Sp.-H.). Man erkennt hierin die drei virtutes narrationis συντομία, σαφήνεια und πιθανότης. Die σαφήνεια erscheint in zwei Hinsichten: σαφώς μέν οδν δηλώσομεν άπο τών ονομάτων ή άπο των πραγμάτων. Und zwar άπί> μέν ούν τών πραγμάτων, έάν μή ύπερβατώς αύτά δηλώμεν, άλλά τά πρώτα πραχθέντα ή πραττόμενα ή πραχθησόμενα πρώτα λέγωμεν, τά δέ λοιπά εφεξής τάττωμεν, καί έάν μή προαπολιπόντες τήν πραξιν . . . πάλιν 1 2 3

Vgl. auch § 192 und 77. Demetrios § 205 - Hermogenes 232,3. Weitere Belege für σαφήνεια als rhetorischen Terminus gibt Geigenmüller S. 27.

II. Σαφήνεια

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έτέραν έξαγγείλωμεν. άπό δε των ονομάτων, εάν δτι μάλιστα τοις οίκείοις των πραγμάτων ονόμασι τάς πράξεις προσαγορεύωμεν, και έάν τοις κοινοίς και μή ύπερβατώς αύτά τιθώμεν, άλλ' άεί τά έχόμενα έξης τάττωμεν (72, 7ff.). Die an zweiter Stelle beschriebene σαφήνεια άπό των ονομάτων hat augenscheinlich wieder dieselbe Funktion wie σαφήνεια bei Dionys und καθαρότης bei Hermogenes. Das beweisen in gleichem Maße der Sinn dieser Stelle wie die uns schon bekannten Termini οικείος und κοινός1. Etwas völlig anderes dagegen ist die σαφήνεια άπό των πραγμάτων. Sie kommt zustande, wenn man alle Ereignisse in ihrer natürlichen Reihenfolge berichtet, das zuerst Geschehene zuerst usw. Charakteristisch für diese Art der σαφήνεια ist also das Prinzip der Ordnung des Stoffes in der richtigen Reihenfolge8, das Prinzip der τάξις (vgl. τάττωμεν Ζ. 12)3. Eben dieses Prinzip war aber auch das hervorstechendste Merkmal der ευκρίνεια bei Hermogenes4. Wir müssen also feststellen: Hermogenes hat unter dem Titel σαφήνεια Vorstellungen zusammengefaßt, die ursprünglich deutlich voneinander geschieden wurden. Die Idee καθαρότης ist aus der virtus elocutionis σαφήνεια entstanden, während die Vorschriften zur εύκρίνεια, die ja auch bei Hermogenes noch vernehmlich im πραγματικός τόπος auftritt, aus der gleichnamigen άρετή διηγήσεως stammen. Wie eine solche Vermischung möglich war, haben wir bereits erörtert6. Hermogenes ist nicht der erste gewesen, der diese Zusammenstellung in der Ideenlehre vorgenommen hat. Zumindest in Ps.-Aristeides können wir einen Vorläufer nennen. Leider ist das in Frage kommende Kapitel περί σαφήνειας και καθαρότητας nur stark gekürzt erhalten. Wie die Überschrift schon andeutet, besteht zwischen den Begriffen σαφήνεια und καθαρότης kein Bedeutungsunterschied. Die Idee kann auftreten κατά γνώμην, κατά σχήμα und κατ' άπαγγελίαν. 1. κατά γνώμην, also im Bereich des πραγματικός τόπος, entsteht σαφήνεια: δταν τις μή άναστρέφη τά πράγματα, άλλά καθ' ην έπράχθη τάξιν, κατά ταύτην διεξίη. Die Identität mit der εύκρίνεια des Hermogenes und der σαφήνεια άπό των πραγμάτων der Rhetorik an Alexander ist also ganz offenkundig. Wenn Aristeides aber fortfährt: και δταν μή εξωθέν τινα έπεμβάλλη νοήματα αύτοϊς, άλλ' αύτά τά πραχθέντα διεξίη (52,16ff.), so erkennen wir hierin dieselbe Vorschrift, die Hermogenes unter μέθοδος καθαρότητος gibt. Aristeides macht also keinen Unterschied zwischen den Ideen καθαρότης und εύκρίνεια. Der gesamte πραγματικός τόπος ist aus der virtus narrationis namens σαφήνεια genommen. Vgl. auch 61,23ff., wo dieselben Vorschriften für die λέξις gemacht werden. Vgl. έφεξής bei Isokrates XV 140 und VIII 132. » Ebenso 100,11 ff.; Isokrates bei Syrian I S. 28,18ff. R. = Radermacher Β XXIV 22; An. Seg. RG I 367,17ff.; 368,15 Sp.-H. 4 235,9ff.; 237,20ff. 6 Vgl. oben S. 14f. 1

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II. Σαφήνεια

2. Repräsentativ für den λεκτικός τόπος steht bei Aristeides die άπαγγελία. Nach den bisherigen Ergebnissen dürfen wir hier Vorschriften erwarten, die der alten virtus elocutionis σαφήνεια entsprechen. Tatsächlich lautet gleich die erste Angabe: κατά δέ άπαγγελίαν ούτως (sc. γίνεται σαφήνεια), δταν τις κοινοτέροις τοις ονόμασι χρήται και τοις σημαντικοϊς τοις σφόδρα δηλοϋσι τά πράγματα (53,1 ff.). Die bisher gemachten Feststellungen, daß nämlich im Falle der σαφήνεια Anweisungen, die ursprünglich nur die narratio betrafen, in die λέξιςLehre eingedrungen sind und auf diesem Wege auch für die Ideenlehre Gültigkeit erlangen konnten, lassen sich durch einen Vergleich mit den lateinischen Autoren noch bestätigen. Die Rhetorik an Herennius unterscheidet beide Arten von σαφήνεια noch säuberlich. Zum Thema „narratio" schreibt der Autor : Rem dilucide narrabimus, si, ut quidque primum gestum erit, ita primurn exponemus et rerum ac temporum ordinem conservabimus, ut res gestae erunt aut ut potuisse geri videbuntur: hie erit considerandum, ne quid contorte, ne quid ambigue, ne quid nove dicamus, ne quam in aliam rem transeamus, ne ab ultimo repetamus, ne longe persequamur, ne quid, quod ad rem pertineat, praetereamus (1,15). Wiederum steht im Vordergrund der Gedanke der τάξις. Unter den Erfordernissen der elocutio dagegen liest man folgende Definition: Explanatio est, quae reddit apertam et dilucidam orationem. Ea comparatur duabus rebus, usitatis verbis et propriis. Usitata sunt, quae versantur in sermone et consuetudine quotidiana; propria, quae eius rei verba sunt aut esse possunt, qua de loquemur (4,17). Diese konsequente Scheidung behält Cicero in De inventione auch noch bei1. In De oratore dagegen macht sich erstmalig jene Vermischung beider Arten von virtutes bemerkbar. Als Erfordernis der narratio : Apertam enim narrationem tarn esse oportet quam cetera . . . Erit autem perspicua narratio, si verbis usitatis, si ordine temporum conservato, si non interrupte narrabitur (2,329), und ebenso, was noch ausschlaggebender ist, für die elocutio: Latine scilicet dicendo, verbis usitatis ac proprie demonstrantibus ea, quae significari ac declarari volumus, sine ambiguo verbo et sermone, non nimis longa continuatione verborum, non valde productis iis, quae similitudinis causa ex aliis rebus transferuntur, non discerptis sententiis, non praeposteris temporibus, non confusis personis, non perturbato ordine (3,49). Noch weniger deutlich wird der Unterschied von virtus elocutionis und narrationis in den Partitiones oratoriae § 19 und 32f. Quintilian beschreibt ebenfalls in gleicher Weise beide Seiten der σαφήνεια sowohl unter den virtutes der narratio als auch der elocutio: Erit autem narratio aperta ac dilucida, si fuerit primum expósita verbis propriis et significantibus et non sordidis quidem, non tarnen exquisitis et ab usu remotis, tum distineta rebus, personis, temporibus, locis, causis, ipsa etiam in pronuntiatione in hoc accomodata, ut iudex quae dicentur quam facillime aeeipiat 1

De inv. 1,29.

I I . Σαφήνεια

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(4,2,36). Ebenso sind beide Aspekte der σαφήνεια erkennbar, wenn Quintilian für die elocutio zusammenfassend vorschreibt : Nobis prima sit virtus perspicuitas, -propria verba, rectus ordo, non in longum dilata conclusio, nihil ñeque desit neque superfluat (8,2,22). Dennoch kennt Quintihan den Unterschied; fährt er doch fort: Haec eloquendi observatio: nam, rerum perspicuitas, quomodo praestanda sit, diximus in praeceptis narrationis. similis autem ratio est in omnibus.

I I I . Μέγεθος, όγκος, άξίωμα Unter dieser Überschrift vereinigt Hermogenes eine Gruppe von Ideen, die ihrer Herkunft und ihrem Wesen nach eine recht gemischte Gesellschaft abgeben. In der Reihenfolge ihrer Behandlung sind es folgende sechs Ideen : σεμνότης, τραχύτης, σφοδρότης, λαμπρότης, άκμή und περιβολή. Eine zusätzliche Aufgabe dieses Kapitels wird es sein zu zeigen, mit welcher Berechtigung Hermogenes die genannten verschiedenartigen Begriffe gerade unter diesem Thema zusammenfassen konnte. Α. Σεμνότης Zu Beginn wieder eine Darstellung der Ansichten des Hermogenes über die σεμνότης. Die Paragraphenangaben in den Klammern beziehen sich auf Stellen bei Aristeides, wo gleichlautende oder gleichwertige Angaben gemacht werden. 1. In den εννοιαι σεμναί unterscheidet Hermogenes vier Klassen: a) αί περί θεών (242,22ff.). b) αί περί των θείων ώς δντως πραγμάτων (243,22íF.). Dazu rechnet er den Wechsel der Jahreszeiten, die Drehung des Alls, die Bewegungen von Erde und Meer, c) αί περί πραγμάτων, ά δή φύσει μέν έστι θεία, το πλείστον δ' έν άνθρώποις θεωρείται (245,3ff.), wie Seele, Gerechtigkeit, Weisheit, Leben usw. d) αί περί άνθρωπίνων μεν κατά μόνας πραγμάτων, μεγάλων δε και ενδόξων, ζ. Β. die Schlachten bei Salamis und Marathon, die Durchstechung des Athos, der Brückenschlag über den Hellespont (246,1 ff.)1. Nach einem ganz ähnlichen Schema und unter Verwendung ganz ähnlicher Termini geht Ps.-Aristeides vor (§ 3f.). Für ihn sind εννοιαι σεμναί die über die Götter, sodann solche über bedeutende menschliche Angelegenheiten, ζ. B. die Taten der Vorfahren, ferner über Freiheit, Weisheit, Gerechtigkeit, endlich über Leben und Tod; ebenfalls die Geschehnisse am Hellespont und am Athos werden von Aristeides erwähnt ( § 6 ). 2. μέθοδοι σεμναί sind αί κατά άπόφανσιν (246.10ff. ; § 10) und alles mystisch Feierliche. 3. Die für die σεμνότης verwandten Wörter sollen rund und volltönend sein (247,12ff.). Das wird besonders durch die Vokale Omega und langes 1 Die zuletzt erwähnten Themen kehren stereotyp zur Charakteristik der Gegenstände des genus grande wieder. Vgl. außer den weiter unten aufgeführten Parallelen den pseudovergilischen Culex V. 26 — 34 und Prop. 2,l,19ff. Die Zusammenstellung scheint, wenn man das Paradoxon Isokr. IV 89 vergleicht, aus isokrateischer Tradition zu stammen.

Α. Σεμνότης

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Alpha erreicht. Sodann liebt die σεμνότης eine τροπική λέξις (248,9ff. ; § 30) und rein substantivische Ausdrucksweise (249,12; § 29). 4. Die Angaben über Wortfiguren und Kola entsprechen denen zur καθαρότης (250,6ff.; 251,14ff.). 5. Rhythmen und Klauseln dürfen daktylisch, anapästisch, päonisch, iambisch oder spondeisch sein, niemals jedoch trochäisch oder ionisch (251,21 ff.). Schon bei Aristoteles war σεμνός rhetorischer Terminus. Poet. Kap. 22 stellt er die σεμνή λέξις der σαφήνεια gegenüber, die durch κύρια ονόματα zustande kommt: σεμνή δε και έξαλλάττουσα το ιδιωτικό ν ή τοις ξενικοΐς κεχρημένη. ξενικόν δε λέγω γλώτταν και μεταφοράν καί έπέκτασιν και παν το παρά το κύριον (1458a 21ÍF.)1. σεμνός ist demnach die ungewöhnliche, geschmückte, poetische Ausdrucksweise, die der λέξις τροπική bei Hermogenes und Aristeides entspricht. Übereinstimmend mit Hermogenes bezeichnet Aristoteles Rhet. 1408b 32 das heroische Versmaß als σεμνός. Rhet. 1367b 1 findet sich σεμνός in Verbindung mit μεγαλοπρεπής. Zwar haben beide Begriffe hier ethische Bedeutung, wie μεγαλοπρέπεια immer bei Aristoteles in ethischem Sinne verstanden wird, aber gerade seine Ablehnung der μεγαλοπρέπεια als άρετή λέξεως (1414a 19f.) zeigt, daß ihm das Wort als rhetorischer Terminus schon geläufig war. Mit Sicherheit, und zwar in ganz enger Beziehung zu μέγεθος, wird σεμνός von Dionys für Theophrast bezeugt: καθόλου δέ τριών δντων, ώς φησι Θεόφραστος, έξ ών γίνεται το μέγα και σεμνον καί περιττόν έν λέξει . . . (Isokr. 58,4). Bei Dionys ist σεμνός einer der häufigsten Stilbegriffe 2 . Im System gehört sie zu der Gruppe von άρεταί, die Dionys folgendermaßen bezeichnet: . . . υψος καί καλλιρημοσύνην καί σεμνολογίαν καί μεγαλοπρέπειαν (Thuk. 360,8f.). Oder ähnlich: της δέ Θουκυδίδου καί Γοργίου (sc. λέξεως) τήν μεγαλοπρέπειαν καί σεμνότητα καί καλλιλογίαν εΐληφε (se. ó Ισοκράτης) (Dem. 135,11). Die Verbindung mit μεγαλοπρέπεια ist hier also schon fest verankert. Synonyme für μεγαλοπρέπεια sind bei Dionys μέγεθος 3 und ähnlich άξίωμα 4 . Besonders charakteristisch ist für diese Gruppe von άρεταί die Verwendung von gorgianischen Figuren. Isokrates ist daher ihr typischer Vertreter 5 . Wie für Hermogenes und Aristeides ist für Dionys τροπική φράσις gleichbedeutend mit σεμνή λέξις (Dem. 137,17). Ebenso besteht Übereinstimmung in der Empfehlung von langen Vokalen (De comp. 50,12ff.). Rhythmen, die für diese virtutes geeignet sind, sind in der Schrift De comp, folgende Versmaße: Spondeus (69,5), Iambus (69,10), Molosser (70,8), Anapäst (70,18), Daktylus (71,5), Kretikus (72,6) und Bakcheus (73,2). Auch hier erkennt man gewisse Ähnlichkeiten mit Hermogenes' Ansicht. 1 2 8 4 4

Vgl. Rhet. 1404b 5ff.; 1406b 2 ff. Belege bei Geigenmüller S. 64ff. Dem. 158,8. De comp. 69,5; 14,9f. Vgl. dignitas Rhet. Her. 3, 23; 4, 18; Cie. Brut. 250. Isokr. 59,15f.

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III. Μέγεθος, δγκος, άξίωμα

Innerhalb der genera-Lebre ist für Demetrios die σεμνότης ein wesentliches Stilmerkmal seines χαρακτήρ μεγαλοπρεπής. So wird § 44 und § 56 σεμνότης geradezu als Synonym mit μέγεθος, μεγαλοπρέπεια selbst gebraucht. Von den vielen Vorschriften, die Demetrios für den großartigen Stil macht, seien nur die erwähnt, die bei Hermogenes eine Entsprechung finden : Von den Rhythmen sind besonders die Päone (§ 38) und das heroische Versmaß (§ 42) geeignet. In diesem Stil soll man nicht allzusehr auf Hiatvermeidung achten (§ 48) 1 . Aber auch die εννοιαι, die Stoffe, die Demetrios in diesem Stil empfiehlt (§ 75), lassen das hermogenische Schema bereits erkennen: Demetrios nennt Feldschlacht und Seeschlacht, was in der Ideenlehre mit Marathon und Salamis exemplifiziert wurde. Zur λέξις gehört noch die Angabe, daß die angewandten Wörter bevorzugt metaphorisch (§ 78), allegorisch (§ 99) und ganz allgemein poetisch sein sollen (§ 94; 112). Das ist gleichbedeutend mit der τροπική λέξις des Hermogenes. In schönster Weise werden die bisherigen Ergebnisse durch die Schrift Περί ύψους ergänzt. Auch für den anonymen Autor dieses Werkes ist die σεμνότης eine Farbe des hohen Stiles 2 . Selbst in Einzelheiten ergeben sich Übereinstimmungen. Mutschmann hat als erster darauf hingewiesen3, daß der Autor und Hermogenes in der Behandlung der Stoffe des ΰψος und der σεμνότης dasselbe Schema befolgen. Tatsächlich erwähnt der Anonymus im 9. Kapitel zunächst die Welt des Göttlichen als Gegenstand des hohen Stiles, wobei ebenfalls Himmel und Erde als Beispiele genannt werden (9,4), und geht dann (9,10) zum Bereich des Menschlichen über, zu den Taten der Vorfahren, der Heroen. Daher begegnen auch die Schlachten von Salamis und Marathon als Themen des genus grande wieder (16,2). Soweit sind die Beobachtungen Mutschmanns völlig zutreffend. Wenn er daraus aber die Folgerung zieht, Hermogenes und Longin müßten in diesem Punkte auf eine direkte gemeinsame Quelle zurückgehen4, so kann ich ihm darin nicht folgen. Die genaue Übereinstimmung bei Aristeides und die Andeutungen bei Demetrios beweisen, daß es sich um Topoi handelt, die sicher schon in weit älterer Zeit aufgestellt wurden6. Schon 8,1 findet sich angedeutet, daß die λέξις des hohen Stiles τροπική και πεποιημένη sei. Dieser Gedanke wird im 32. Kapitel näher ausgeführt: Eine solche Sprache kommt durch Tropen, Metaphern, Allegorien und (37) bildhafte Ausdrucksweise überhaupt zustande®. Im Rhythmus werden wieder Daktylen empfohlen, während Trochäen zu vermeiden sind (39,4 und 41,1). Das Resultat dieses Kapitels: Die wichtigsten Angaben des Hermogenes, die den λεκτικός τόπος betreffen, sind aus der άρετή-Lehre genommen. Ebenso § 72f. - Herrn. 251,21 f. Vgl. auch πλατύ της § 177 und πλατεία λέξις Herm.247,12. 12,3; 10,7; 5,1; 30,2; 43,1. 3 Das Genesiscitat in Περί ΰψους, Hermes 52, 1917, 176ff. 4 Mutschmann vermutet, ohne zu überzeugen, Poseidonios. 5 Vgl. auch die Entgegnung von Kroll, Sokrates 6, 1918, 96ff. « Vgl. Aristeides S. 11,24. 1

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Β. Τραχύτης, σφοδρότης, δεινότης

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σεμνότης als tropenreiclie, poetisch gehobene Sprache ist seit Aristoteles zu belegen. Parallelen für die εννοιαι dieser Idee finden sich naturgemäß nur in der genera-Lehre.

Β. Τ ρ α χ ύ τ η ς , σφοδρότης, δ ε ι ν ό τ η ς Um zu verstehen, warum Hermogenes in diesem Kapitel nach der σεμνότης auch die beiden Ideen τραχύτης und σφοδρότης behandeln konnte, müssen •wir eine weitere, diesen beiden verwandte Idee berücksichtigen, die Hermogenes erst im letzten Kapitel seines Werkes bespricht, die δεινότης. Gleich zu Beginn seiner Ausführungen über die δεινότης wird deutlich, daß Hermogenes sich hier mit den Ansichten anderer Rhetoren auseinandersetzt, die von seiner Auffassung abweichen; betont er doch schon im ersten Satze, der gleichsam als Definition zu verstehen ist, daß er nun seine eigene, ganz persönliche Meinung vortrage: ή δεινότης ή περί τον λόγο ν εστι μεν κατ' έμήν γνώμην ούδεν αλλ' ή χρήσις ορθή πάντων των τε προειρημένων ειδών τοϋ λόγου και των εναντίων αύτοϊς, και ετι δι' ών ετέρων σώμα λόγου γίνεσθαι πέφυκε (368,23ff.). Der Gedanke wird im Folgenden weiter ausgeführt: δεινός ist der Redner, der alle Ideen des Systems εις δέον και κατά καιρόν zu mischen und anzuwenden versteht (369,3). Diese Formel εις δέον καΐ κατά καιρόν 1 zeigt, in welcher Tradition Hermogenes mit dieser Vorstellung steht: Es handelt sich um nichts anderes als die alte virtus πρέπον 2 . So wie Hermogenes mit dem Begriff δεινότης sein Idealbild der Beredsamkeit schlechthin bezeichnet, so ist für Dionys die virtus πρέπον die κρατίστη άπασών άρετή και τελειοτάτη 3 . Leider erfahren wir bei Hermogenes weiterhin nichts Genaues über diese Idee, da er sich ihre Behandlung für ein späteres Werk vorbehält 4 . Andere Leute wollen Hermogenes' Ansicht über die δεινότης nicht teilen. Sie behaupten δεινόν είναι ρήτορα τον φοβερόν ή μέγαν ή ισχυρον ή πάντα ταϋτα (370,llff.). Dies ist, wie Hermogenes 377,10ff. formuliert, die δεινότης τών σοφιστών oder ή δοκοϋσα δεινότης, der gegenüber er seine Definition als ή αληθώς ούσα δεινότης bezeichnet. Aus diesen beiden Arten ergeben sich vier mögliche Mischungen : 1. ó λόγος δεινός ών και δοκών 2. ó μή δοκών, ών δε ώς αληθώς τοιούτος 3. ó δοκών, ούκ ών und, wenigstens rein formal, 4. ó μή ών και μή δοκών (372,20). 1

Vgl. 369,8; 371,1. 11; 373,16; 3 7 8 , 1 0 - 1 2 ; auch 321,5ff. Eine Verbindung von πρέπον, καιρός und δέον findet sich schon bei Piaton Politikos 284 E. Vgl. ferner: (Piaton) De iusto 375 A; Isokrates III 19; XIII 13. 16; Dionys Din. 309,3ff.; Plut. Cie. 12,2; Horaz A. p. 43; Süss S. 186. 191; Kroll RE Suppl. 7, 1045; Steidle, Hermes 80, 1952, 270ff. Zum ganzen Thema: Pohlenz, NGG 1933 S. 56ff. 3 Lys. 16,17 ff. 4 Vgl. den Anhang II. 2

3 Hagedorn, Hermogenes

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III. Μέγεθος, δγκος, άξίωμα

Für dieses Kapitel ist nun der dritte Fall, die δεινότης der Sophisten von Bedeutung. Außer durch φόβος, μέγεθος und ισχύς wird sie von Hermogenes noch folgendermaßen umschrieben: γίνεται γάρ το πλείστον περί τήν λέξιν, δταν τραχείας και σφοδράς τις ή καί σεμνάς συμφορήσας λέξεις είτ' έξαγγέλλη ταύταις εννοίας έπιπολαίους καί κοινάς, καί μάλιστα εΐ καί σχήμασι χρωτο κώλοις τε καί τοις άλλοις πάσιν ή τισί κεκαλλωπισμένοις άκμαίοις τε και σεμνοϊς (377,14ff.). Offensichtlich werden hier alle Ideen aufgezählt, die wir als Unterideen des μέγεθος kennengelernt haben. Es soll nun versucht werden, diese Erscheinung aus der Entwicklung der virtutes-Lehre und ihrer Verbindung zur genera-Lehre zu erklären 1 . Mehrmals schon wurde erwähnt, daß Dionys Thuk. 360,5 ff. drei Gruppen von άρεταί nennt, die er wie folgt beschreibt : 1. υψος καί καλλιρημοσύνη καί σεμνολογία καί μεγαλοπρέπεια 2. τόνος καί βάρος καί πάθος διεγεΐρον τον νουν καί το έρρωμένον καί έναγώνιον πνεύμα, έξ ών ή καλουμένη γίνεται δεινότης 3. πειθώ τε καί χάριτες καί ή εις άκρον ήκουσα ήδονή. Dieser Dreiteilung der άρεταί έπίθετοι entspricht die Einteilung der frühen Schrift Περί των άρχαίων ρητόρων: Lysias wird dort nämlich dadurch charakterisiert, daß sein Stil besonders die χάρις verkörpert (Lys. Kap. 11), während Isokrates υψηλότερος έστιν εκείνου κατά τήν έρμηνείαν καί μεγαλοπρεπέστερος μακρω καί άξιωματικώτερος (Isokr. 59,15f.). Der Stil des Isaios endlich zeichnet sich durch seine δεινότης aus 2 . Diese virtus steht also völlig selbständig neben σεμνότης und χάρις. Welcher Art sind nun die Stilelemente, die für die δεινότης wesentlich sind ? Bei der Prüfung dieser Frage müssen wir uns mehr auf die Traktate über Lysias und Isokrates stützen und feststellen, wie deren Stil beschaffen ist, da gerade die λέξις 'Ισαίου weniger ausführlich dargestellt wird. Lys. 23,5fF. findet sich ein Katalog all der virtutes, die dem Stile des Lysias abgehen: ύψηλή St καί μεγαλοπρεπής οΰκ έστιν ή Λυσίου λέξις ούδέ καταπληκτική μά Δία καί θαυμαστή ούδέ το πικρόν ή το δεινόν ή το φοβερόν έπιφαίνουσα ούδέ άφάς έχει καί τόνους ισχυρούς ούδε θυμοϋ καί πνεύματος έστι μεστή ούδέ . . . έν τοις πάθεσιν ισχυρά ούδε . . . δύναται βιάσασθαί τε καί προσαναγκάσαι. Alle Eigenschaften, die Dionys hier aufzählt — ausgenommen υψος und μεγαλοπρέπεια —, sind ganz besonders dem Stil des Isaios eigentümlich; denn einerseits fehlen sie auch dem Isokrates 3 , andererseits werden sie öfters auch als besonderes Merkmal des isäischen Stiles genannt 4 . Daraus ergibt sich folgendes: Die entscheidenden Momente dieses Stiles, also auch der δεινότης, sind Kraft und Eindringlichkeit. Dionys braucht, wie Hermogenes bei der δεινότης der Sophisten, die Termini φόβος und ισχύς. Hinzu tritt das πάθος, das in besonderem Maße hinsichtlich seiner 1 Bei der Interpretation von δεινός, δεινότης bei den einzelnen Autoren ist ständig zu vergleichen: L. Voit, Δεινότης. Ein antiker Stilbegriff, Leipzig 1934. 2 Is. 95,1 I f . ; 121,5. 4 Is. 96,1; 107,22; 1 1 5 , I f . ' Vgl. Isokr. 73,15f.

Β. Τραχύτης, σφοδρότης, δεινότης

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Wirkung auf die Hörer verstanden wird, wie die Wendung βιάσασθαι καΐ προσαναγκάσαι erkennen läßt. Dabei liegt die Vorstellung zugrunde, daß der Redner vor der Volksversammlung oder vor Gericht in den Hörern die gleichen πάθη zu erwecken vermag, von denen er augenblicklich beherrscht wird oder beherrscht zu sein vorgibt. Dadurch kann er deren Entscheidungen zu seinen Gunsten beeinflussen. Es muß allerdings hier schon gesagt werden, daß die Erregung der Affekte nur Begleiterscheinung der δεινότης ist und nicht mit dieser identifiziert werden darf. Es ist eine ursprünglich selbständige Theorie1. Ausdruck solcher πάθη, wie οργή, μίσος oder φόβος ist das πικρόν: τό μεν γάρ πικραίνειν την διάλεκτον . . . έγκώμιόν έστι τοϋ ρήτορος . . . άμήχανον δέ τρυφεροις όνόμασι καλλωπίζοντα την διάλεκτον όργην ή μίσος ή των παραπλήσιων τι κινήσαι παθών, άλλ' άνάγκη και νοήματ' έξευρεϊν, ά δη των τοιούτων έ'σται παθών άγωγά, και όνόμασι τοιούτοις αυτά περιλαβεϊν, οίς πέφυκεν άκοή πικραίνεσθαι (Dem. 248,6ff.)2. Wie man aus den Worten ονόματα, νοήματα, άκοή entnehmen darf, erscheint diese πικρότης in λέξις, νοήματα und σύνθεσις. Ein Synonym für λέξις πικρά ist Dem. 171,4ff. λέξις τραχεία. Bei welchen Gelegenheiten die δεινότης anzuwenden ist, lesen wir Ep. ad Pomp. 247,9ff. : μάλιστα δ' δταν όνειδίζη πόλεσιν ή στρατηγοϊς πονηρά βουλεύματα και πράξεις άδικους . . ., καί της Δημοσθένους δεινότητος ουδέ κατά μικρόν διαφέρει. Entscheidend ist also όνειδίζειν und άγανακτεΐν 3 . Die compositio, die solchen νοήματα entspricht, ist der χαρακτήρ αυστηρός, zu dessen Besonderheiten die τραχύτης gehört4. Das bisherige Resultat: Die δεινότης des Isaios ist der schroffe, heftige, eindringliche und affektgeladene Stil des Redners vor der Volksversammlung oder vor Gericht, der seine Gegner angreift 6 . Eine Erscheinungsform dieser δεινότης ist die πικρότης. Ihre Gegenstände sind u. a. όνειδίζειν und άγανακτεΐν, die entsprechende Komposition die τραχύτης. In ähnlichem Zusammenhange steht τραχύτης schon Isokrates IV 129f. und VIII 71 ff. Als ihre Erscheinungsformen werden dort έρρωμένως λέγειν, έπιτιμαν, κατηγορεΐν, λοιδορεΐν, νουθετεί ν genannt®. Ein anderes Instrument der Stilkritik als die virtutes-Lehre benutzt Dionys in der Schrift De Demosthene. Um die rednerische Überlegenheit des Demosthenes gegenüber allen anderen Rednern zu erweisen, bedient er sich der Lehre von den drei genera dicendi, dem χαρακτη ρ λιτός, μέσος und υψηλός7. Diese drei Stilarten sind nicht gleichzusetzen mit den drei Stiltypen, die Siehe unten S. 57 ff. Vgl. Thuk. 363,12fr.; 412,24ff.; Din. 299,5f.; 307,2ff.; ähnlich acrimonia Rhet. Her. 4,41. 3 Dem. 246,13; vgl. Plut. Sert. 6,3. 1 De comp. 109,3; Dem. 224,13ff.; 226,14ff. • Vgl. accusatores acri, acerbi bei Cie. Brut. 136; De or. 3,32. • Vgl. Quint. 6, 2,24: rebus indignis (indignitas 8, 3,88), asperia, invidioais addena vim oratio. ' Dieselbe Methode bekanntlich bei Cicero im Orator. 1

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III. Μέγεθος, δγκος, αξίωμα

Lysias, Isokrates und Isaios in der Schrift über die alten Redner verkörperten. Dort waren die άρεταί άναγκαΐαι in jedem Typus in gleicher Weise vertreten, und die Unterschiede ergaben sich aus der verschiedenen Anwendung der κατασκευαί; hier vertritt das γένος ΰψηλόν die τοις επιθέτοις κόσμο ις απασι συμπεπληρωμένη λέξις (130,2f.), während der χαρακτήρ λιτός auf alle κατασκευαί zu verzichten scheint. Die dritte Stilart schwankt entweder als μικτή λέξις zwischen beiden Extremen oder vereinigt als μέση λέξις beide Stile zu einem ausgeglichenen dritten. Doch fehlt dem χαρακτήρ λιτός nicht jeder Redeschmuck, sondern κατεσκεύασται έκατέρα (131,14f.). Was die Differenz ausmacht, lesen wir 131,3fF. : ή μενγάρ (sc. λέξις) καταπλήξασθαι δύναται τήν διάνοιαν, ή δε ήδΰναι, καΐ ή μεν συστρέψαι και συντεϊναι τον νουν, ή δέ άνεϊναι και μαλάξαι, καί εις πάθος εκείνη προαγαγεϊν, εις δέ ήθος αΰτη καταστησαι1. Beide γένη werden also mit Hilfe von άρεταί έπίθετοι charakterisiert: der χαρακτήρ λιτός bevorzugt die Gruppe ήδονή, χάρις2, während der χαρακτήρ υψηλός sich durch μεγαλοπρέπεια, κάλλος und, was für dieses Kapitel besonders interessant ist, durch δεινότης auszeichnet3. Hier zeigt sich also gegenüber der Dreiteilung der άρεταί έπίθετοι eine Zweiteilung in ήδονή und ήθος auf der einen und μεγαλοπρέπεια, καλλιλογία und δεινότης auf der anderen Seite. Diese Gliederung liegt auch in De compositione S. 37,12ff. vor: τάττω δέ ύπο μεν τήν ήδονήν τήν τε ώραν καί τήν χάριν καί τήν εύστομίαν καί τήν γλυκύτητα καί το πιθανόν . . ., υπό δέ το καλόν τήν τε μεγαλοπρέπειαν καί το βάρος καί τήν σεμνολογίαν καί το άξίωμα καί τον πίνον καί τά τούτοις όμοια. In diesem Zusammenhange vertritt βάρος die Stelle der δεινότης, gehört es doch Thuk. 360,9, wie wir gesehen haben, eindeutig in den Bereich dieser άρετή. Beachtenswert ist aber vor allen Dingen die Dreiteilung des χαρακτήρ υψηλός. In dieser Tatsache, glaube ich, muß man den Grund dafür sehen, daß Hermogenes unter dem Titel μέγεθος Ideen zusammenstellen konnte, die ursprünglich eine gewisse Selbständigkeit hatten. Offenbar ist die Sammelbezeichnung μέγεθος dem χαρακτήρ υψηλός nachempfunden: σεμνότης steht stellvertretend für μεγαλοπρέπεια usw., λαμπρότης und άκμή entsprechen der καλλιλογία, wie noch zu zeigen ist, und τραχύτης und σφοδρότης haben den Platz der δεινότης eingenommen. Diese Einsicht darf nun aber nicht dazu verleiten, die ganze Ideenlehre doch wieder von der genera-Lehre abzuleiten. Μέγεθος selbst ist ja nicht im eigentlichen Sinne Idee, sondern eben nur der Sammelbegriff mehrerer Ideen. Außerdem wissen wir nicht, ob nicht etwa περιττόν usw. bei Theophrast auch alle diese Nuancen hatte. Dann ließe sich die Zusammenfassung auch deswegen rechtfertigen. Ps.-Aristeides übrigens hat in diesem Falle eine Anordnung der Ideen, die die ursprüngliche Ähnlich Dem. 135,8ff. und 136,15ff. Vgl. Dem. 136,16. Anders Cie. Or. 76ff., der die suavitas § 91 hauptsächlich dem genus medium zuteilt. Siehe aber auch Meerwaldt S. 43 ff. ' Vgl. vis usw. Cie. Or. 97 ff. 1

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Β. Τραχύτης, σφοδρότης, δεινότης

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Selbständigkeit der δεινότης noch deutlich erkennen läßt. Bei ihm sind die Ideen der μεγαλοπρέπεια durch die αξιοπιστία, also eine fremde Idee, von denen der δεινότης-Gruppe getrennt. Außer in dem bisher besprochenen Sinne gebraucht Dionys das Wort δεινότης noch in einer weniger terminologischen Bedeutung. Es heißt dann schlechthin „Fähigkeit zu reden", wie man ja überhaupt die Erfahrenheit in einer Kunst im Griechischen mit dem Worte δεινός bezeichnen kann. Das wird besonders augenscheinlich, wenn Lys. 25,20 dem Lysias, dessen Stil ja gerade frei von aller Wucht usw. ist, eine δεινότης της ευρέσεως zuerkannt wird. In diesem Sinne ist jeder tüchtige Redner δεινός. So müssen wir wohl auch den in manchen Handschriften überlieferten Titel der Schrift De Demosthene verstehen: Περί της λεκτικής Δημοσθένους δεινότητος1. Nach Kap. 8 besteht dann die spezielle δεινότης des Demosthenes in seiner ποικιλία2, das heißt in der μίξις aller Stilcharaktere ( 144,7ff.). Ein weiteres Kennzeichen der demosthenischen δεινότης ist die sorgfältige Beobachtung des καιρός3. Es ist nun merkwürdig, daß Hermogenes seine persönliche Vorstellung von δεινότης durch ebendiese Begriffe μίξις und καιρός kennzeichnet. Wie wir bereits sahen, ist ihm die andere Bedeutung des Wortes nur δοκοϋσα oder φαινόμενη δεινότης. Ist es ferner wirklich nur Zufall, wenn Dionys an der schon mehrfach zitierten Stelle Thuk. 360,11, wo er das Wort gerade in der Bedeutung von „Wucht, Eindringlichkeit" gebraucht, auch ή κάλου μένη δεινότης schreibt und 149,7 den hohen Stil ein δεινόν είναι δοκεΐν nennt ? Ich halte es für nicht unmöglich, daß Hermogenes sich auch in dieser speziellen Frage an Dionys oder dessen Nachfolgern orientiert hat 4 . Während wir bei Dionys drei χαρακτήρες της λέξεως vorfanden, den hohen, niederen und mittleren Stil, kennt Demetrios deren vier, nämlich die χαρακτήρες ισχνός, μεγαλοπρεπής, γλαφυρός und δεινός (§ 36). Von diesen vier Stilarten wird der erstgenannte allein durch die virtutes necessariae bestimmt, während die άρεταί έπίθετοι sich in der bekannten Dreizahl auf die übrigen verteilen. Es fehlt also das γένος μέσον. Der niedere Stil des Dionys ist in χαρακτήρ ισχνός und γλαφυρός, der hohe Stil in μεγαλοπρεπής und δεινός auseinandergefallen. Zwar kennt Demetrios auch jene andere Theorie : διό δή και μόνους δύο χαρακτηράς τίνες άξιοϋσιν είναι τούτους, τούς δέ λοιπούς δύο μεταξύ τούτων, τον μεν γλαφυρον τω ίσχνω προσνέμοντες μάλλον, τω δε μεγαλοπρεπεΐ τον δεινόν (§ 36) 5 . Er verwirft diese Ansicht jedoch als lächerlich. Es zeichnet sich hier die Frage ab, die auch für die Datierung der Schrift Περί ερμηνείας von einiger Bedeutung ist, welches System einen älteren Zustand der Lehre von den Stilarten repräsentiert. Gewöhnlich werden nur die beiden Möglichkeiten vertreten : Entweder glaubt man, am Anfang der 2 Dem. 143,12. Diese Überlieferung wird gestützt durch 252,15ff. 4 Diese Vermutung schon bei Voit S. 41 ff. Dem. 148,20 und 149,2. 5 Das γένος μέσον fehlt dabei allerdings, doch entsprechen die beiden neuen χαρακτήρες genau den dionysianischen. 1

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I I I . Μέγεθος, βγκος, άξίωμα

Entwicklung hätten allein der hohe und der niedere Stil gestanden, aus denen dann die beiden erweiterten Systeme hervorgegangen seien, oder man setzt gleich zu Beginn die Dreizahl, wofür sich auch einige Wahrscheinlichkeit erbringen läßt. Ich glaube jedoch Anzeichen dafür gefunden zu haben, daß die Viergliederung der Stilarten das gleiche Alter für sich beanspruchen darf. Kurzen, andeutenden Ausführungen zu diesem Thema, das eigentlich eine eigene Untersuchung erfordert, soll der Anhang I vorbehalten sein. In diesem Kapitel interessieren natürlich nur Demetrios' Angaben über den χαρακτήρ δεινός. Hier eine kurze Darstellung, wie dieser Stil in den einzelnen Elementen auftritt: 1. Von den πράγματα δεινότητας spricht Demetrios nur ganz kurz, nämlich in § 240, wo er die Flötenspielerinnen im Piräus und überhaupt das Hafenmilieu dazu rechnet. Theopomp erscheine wegen der Erwähnung solcher Themen δεινός, obwohl er gar nicht δεινώς rede. Weitere Gelegenheiten für δεινότης müssen wir aus dem an anderen Stellen Gesagten zusammensuchen, z . B . §301: λοιδορήσαι γάρ βουλόμενος (sc. Ίππώναξ) τούς έχθρούς έθ-ραυσεν το μέτρον, και έποίησεν χωλόν άντί εύθ-έος, και α ρυθμό ν, τουτέστι δεινότητα πρέπον και λοιδορώ1, λοιδορία wird hier mit δεινότης geradezu gleichgesetzt. In dieselbe Richtung weisen auch alle anderen Möglichkeiten der δεινότης. § 289 begegnet όνειδίζειν wieder, das ja auch Dionys als für die δεινότης charakteristisch nannte. Ähnliche Bedeutung haben άγανακτεΐν (§ 250), κατηγορεΐν (§ 278) und όργίζεσθαι και άδικεΐν (§ 300). Ferner ist es ein Zeichen von δεινότης, jemanden der Unwahrheit zu überführen (§279; 290). 2. Komposition, a) Satzbau. Die Vorschriften über Kola und Periodenbau lassen sich alle auf einen Nenner bringen: βραχύτης. Für die Kola bezeugt das § 241 : κατά δέ την σύνθεσιν ó χαρακτήρ ούτος γίνοιτ' αν πρώτον μεν ει κόμματα Ιχοι άντί κώλων, το γάρ μήκος έκλύει την σφοδρότητα, το δέ έν όλίγω πολύ έμφαινόμενον δεινότερον2. Wichtig für diese Untersuchung ist an der soeben zitierten Stelle auch das Auftreten des Terminus σφοδρότης3, der mit δεινότης ganz gleichbedeutend zu verstehen ist. — Die Vorschrift für die Perioden lautet: πρέπει δέ τη δεινότητι καΐ των περιόδων ή πυκνότης . . . άμα μέντοι πυκναί ϋστωσαν και σύντομοι, λέγω δέ δίκωλοί τίνες, έπεί τοι πολύκωλοί γε οδσαι κάλλος μάλλον παρέξουσιν, ού δεινότητα (§251 f.). Es ist also auch hier die βραχύτης entscheidend. b) Harmonie. Auf ästhetische Wirkung des Wortklanges wird im χαρακτήρ δεινός absolut kein Wert gelegt. Demetrios rät vielmehr eher, Mißklänge zu bevorzugen (§ 246; 255). Deutlich ist eine aufreizende, beleidigende Wirkung beabsichtigt, was ja den Gegenständen, die wir für diesen Stil ausmachten, 1

2 Vgl. § 288. Vgl. § 7; 242; 253. Vgl. § 7 u n d 274. Sicher ist die B e m e r k u n g Voits A n m . 49 richtig, d a ß hier die verengte B e d e u t u n g des W o r t e s bei Hermogenes noch f e r n z u h a l t e n sei. E s soll jedoch n u r , wie a u c h bei τραχύτης, die E n t s t e h u n g der Terminologie aufgezeigt werden. Vgl. P l u t . Agesil. 7,3: σφοδρότης καΐ τραχύτης; P l u t . Cie. 3,7; Dion v . P r u s a 12,67. 8

Β. Τραχύτης, σφο8ρ