Zeitpunkt und Umfang notwendiger Verteidigung im Ermittlungsverfahren [1 ed.] 9783428519866, 9783428119868

Bastian Mehle befaßt sich in der vorliegenden Untersuchung mit der Grundnorm der Verteidigerbestellung im Ermittlungsver

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Zeitpunkt und Umfang notwendiger Verteidigung im Ermittlungsverfahren [1 ed.]
 9783428519866, 9783428119868

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Strafrechtliche Abhandlungen Neue Folge · Band 174

Zeitpunkt und Umfang notwendiger Verteidigung im Ermittlungsverfahren

Von

Bastian Mehle

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

BASTIAN MEHLE

Zeitpunkt und Umfang notwendiger Verteidigung im Ermittlungsverfahren

Strafrechtliche Abhandlungen · Neue Folge Begründet von Dr. Eberhard Schmidhäuser (†) em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Hamburg

Herausgegeben von Dr. Dr. h. c. (Breslau) Friedrich-Christian Schroeder ord. Prof. der Rechte an der Universität Regensburg

in Zusammenarbeit mit den Strafrechtslehrern der deutschen Universitäten

Band 174

Zeitpunkt und Umfang notwendiger Verteidigung im Ermittlungsverfahren

Von

Bastian Mehle

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Zur Aufnahme in die Reihe empfohlen von Professor Dr. Dr. h. c. Bernd Schünemann, München Die Juristische Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität zu München hat diese Arbeit im Jahre 2005 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

D 19 Alle Rechte vorbehalten # 2006 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7271 ISBN 3-428-11986-X Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meiner Familie

Vorwort Diese Untersuchung lag der Juristischen Fakultät der Ludwig-MaximiliansUniversität zu München im Wintersemester 2004/2005 als Dissertation vor. Rechtsprechung und Literatur wurden bis einschließlich September 2004 eingearbeitet. Ich danke insbesondere meinem verehrten Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Dr. h. c. Bernd Schünemann, für seine wertvollen Anregungen und die umfassende Unterstützung während der gesamten Promotionszeit. Herrn Prof. Dr. Dr. h. c. Klaus Volk möchte ich für die Übernahme des Zweitgutachtens meinen Dank aussprechen. Mein Dank gilt ferner Herrn Prof. Dr. Dr. h. c. Friedrich-Christian Schroeder für die Aufnahme der Arbeit in seine Schriftenreihe. Bonn, im November 2005

Bastian Mehle

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Erstes Kapitel Klärung der gesetzlichen Definitionen

31

§ 1 Notwendige und freiwillige Verteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Definition notwendiger Verteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Beginn der Notwendigkeit der Verteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Folgerungen aus der Notwendigkeit einer Verteidigung . . . . . . . . . . . . . . . .

31 31 32 33

§ 2 Bestellter, gewählter Verteidiger – Pflichtverteidiger, Wahlverteidiger . . . . . .

34

§ 3 Verhältnis zwischen Pflichtverteidigung und notwendiger Verteidigung . . . . . A. Persönlicher und sachlicher Umfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Zeitlicher Zusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

35 35 36

§ 4 Sicherungsverteidiger (Zwangsverteidiger, Ersatzverteidiger, Ergänzungsverteidiger) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

36

Zweites Kapitel Bedeutung des Ermittlungsverfahrens

38

§ 1 Zweck des Ermittlungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

38

§ 2 Weichenstellung für das spätere Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Dem Ermittlungsgang inhärente Vorprägung der Hauptverhandlung . . . . . B. Vorbestimmung der Ermittlungsrichtung durch normative und psychologische Gegebenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vorbestimmung durch normative Elemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Psychologische Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Hauptverhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Theorie der kognitiven Dissonanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Theorie der sozialen Vergleichsprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Ermittlungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

40 41 43 43 44 44 45 50 51 53

10

Inhaltsverzeichnis C. Nach 1877 eingeführte verfahrensbedeutende Gestaltungsmöglichkeiten . I. Mittelbare Beweisführungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Verlesung von Protokollen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vernehmung von Verhörspersonen als Zeugen vom Hörensagen a) Grundsätzliche Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Möglichkeit des Zeugen, die mittelbare Art der Beweisführung zu beeinflussen – die Entscheidungen des 4. Senats des Bundesgerichtshofs (BGHSt 45, 203; 46, 1) . . . . . . . . . . . . . . . 3. Institut des formfreien Vorhalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Transferierung der Beweisführung aus dem Ermittlungsverfahren nach § 255 a I und § 255 a II (i. V. m. § 58 a, § 168 e S. 4) . . . . . . . III. Einstellungs- und Erledigungsmöglichkeiten im Ermittlungsverfahren IV. Antrag auf Erlaß eines Strafbefehls nach §§ 407 ff. und auf das beschleunigte Verfahren nach §§ 417 ff. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Absprachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Zwangsmaßnahmen bzw. Grundrechtseingriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Verpolizeilichung des Ermittlungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F. Die Untersuchungen von Peters zu den Fehlerquellen im Ermittlungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . G. Rückzug der gerichtlichen Voruntersuchung (§§ 178 ff. a. F.) sowie der Schlußanhörung (§ 169 a II a. F.) und des Schlußgehörs (§ 169 b I a. F.) I. Voruntersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Schlußanhörung und Schlußgehör . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . H. Bedeutung des Zwischenverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

53 53 53 54 54

56 59 60 62 67 68 69 72 72 74 77 78 78 80 82

§ 3 Europäisierung des Ermittlungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Europäischer Haftbefehl und Sicherstellung von Beweismitteln . . . . . . . . . B. Europäische Einrichtungen zur Strafverfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

84 85 86

§ 4 Die Lage des Betroffenen im Ermittlungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

89

§ 5 Hilfe durch den Verteidiger im Ermittlungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Das Akteneinsichtsrecht der Verteidigung nach § 147 – insbesondere in Fällen von Untersuchungshaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Akteneinsicht bei inhaftierten Beschuldigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Entscheidungen des EGMR zur Akteneinsicht bei inhaftierten Beschuldigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Lamy-Urteil vom 30.03.1989 zur Akteneinsicht bei Inhaftierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Lietzow gegen die BRD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

90 90 94 95 95 95

Inhaltsverzeichnis

B.

C. D. E.

3. Schöps gegen die BRD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Garcia Alva gegen die BRD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Umsetzung der Entscheidungen des EGMR durch das Oberlandesgericht Hamm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Folgerung aus den Entscheidungen des EGMR zur Akteneinsicht bei Untersuchungshaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Anwesenheits- und Fragerecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vernehmungen und Augenscheinseinnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gegenüberstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Durchsuchungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Beweisantragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Auswahl eines Sachverständigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eigene Ermittlungen des Verteidigers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11 96 97 98 99 101 101 102 103 104 105 106

§ 6 Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108

Drittes Kapitel Bestellung von Verteidigern und Beiständen § 1 Verteidigerbestellung nach §§ 140, 141, 145 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Der Katalog nach § 140 I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. § 140 II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das Verhältnis von § 140 I zu § 140 II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Schwere der Tat, § 140 II 1 1. Alt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage, § 140 II 1 2. Alt. . . . . . . . 1. Schwierigkeit der Sachlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Aktenkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Beispiele aus der Rechtsprechung zur Aktenkenntnis durch eine Verteidigerbestellung noch vor der Hauptverhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Akteneinsicht des inhaftierten Beschuldigten über die Person des Pflichtverteidigers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einschränkung der Bestellung nach § 140 II 1 2. Alt. durch das Akteneinsichtsrecht des Beschuldigten nach § 147 VII . aa) Auseinanderfallen von Zuständigkeit zur Verteidigerbestellung nach § 141 IV und Akteneinsichtsgewährung nach § 147 V 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Umfang des Akteneinsichtsrechts nach § 147 VII . . . . . c) Einschränkung der Bestellung nach § 140 II 1 2. Alt. durch die Definitionsmacht der Staatsanwaltschaft nach § 147 II . . 2. Die Schwierigkeit der Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

109 109 109 112 113 115 117 117 118

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Inhaltsverzeichnis IV. Ersichtliche Verteidigungsunfähigkeit, § 140 II 1 3. Alt. . . . . . . . . . . V. § 140 II 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Verfahren der Bestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Zuständigkeit nach § 141 IV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Auswahlverfahren nach § 142 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Wirkung der Beiordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Beziehung zwischen Verteidiger und Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bestellung des Verteidigers als Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bestellung des Verteidigers als „Ersatzvornahme“ durch den Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Besondere Form der Indienstnahme Privater zu öffentlichen Zwecken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beziehung zwischen Beschuldigtem und Verteidiger . . . . . . . . . . IV. Dauer der Bestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Anfechtbarkeit der (unterbliebenen) Bestellung nach § 140 i. V. m. §§ 141 IV, 142 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unterbliebene Pflichtverteidigerbestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Beschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Revision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anfechtung einer unter Verstoß gegen § 142 erfolgten Bestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Anfechtung der Bestellung durch den Verteidiger . . . . . . . . . . . . . VI. Abberufung des Pflichtverteidigers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Verteidigerbestellung im Vollstreckungsverfahren und im Vollzug . . . . . . . I. Bestellung eines Verteidigers im Vollstreckungsverfahren, § 463 III 5, § 140 II analog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Bestellung eines Beistands im Vollzug, § 120 StVollzG, § 140 II analog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Verteidigerbestellung nach § 145 I 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

§ 2 Außerhalb von §§ 140, 141, 145 liegende Fälle der Verteidigerbeistellung bzw. Beiordnung von Beiständen/Rechtsanwälten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Innerhalb der Strafprozeßordnung geregelte Fälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Voraussetzungen von § 117 IV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. § 118 a II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. §§ 117 IV, 118 a II i. V. m. § 126 a II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. § 138 c III . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. § 231 a IV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. § 350 III . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Verteidigerbestellung im Rahmen des Wiederaufnahmeverfahrens . . 1. § 364 a . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. § 364 b I, II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis

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VIII. § 408 b . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. § 418 IV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . X. § 434 II, § 440 III i. V. m. § 442 und § 444 II, III . . . . . . . . . . . . . . . . B. Außerhalb der Strafprozeßordnung geregelte Fälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Verteidigerbestellung im Ordnungswidrigkeitenverfahren . . . . . . . . . . II. Verteidigerbestellung nach dem EGGVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kontaktsperre nach dem EGGVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verteidigerbestellung nach § 34 III Nr. 1 EGGVG . . . . . . . . . b) Beiordnung eines Rechtsanwalts als Kontaktperson nach § 34 a I 1 EGGVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. § 29 III EGGVG i. V. m. §§ 114 ff. ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Bestellung eines Rechtsanwalts als Beistand nach dem Gesetz über Internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anwendung von § 40 II IRG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bestellung eines Beistands im Auslieferungsverfahren aufgrund des Europäischen Haftbefehls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Im Verfahren der Rechtshilfe durch Vollstreckung nach § 53 II IRG (ggf. i. V. m. § 71 IV 4 IRG – Ausgehendes Ersuchen um Vollstreckung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Bestellung eines Beistands nach § 31 IStGHG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Notwendige Verteidigung für Jugendliche und Heranwachsende . . . 1. Regelungen im Erkenntnisverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Pflichtverteidigung nach § 68 Nr. 2, Nr. 3 u. Nr. 4 JGG . . . . b) § 68 Nr. 1 JGG (bzw. § 2 JGG) i. V. m. den Vorschriften der Strafprozeßordnung über die Verteidigerbestellung . . . . . . . . . aa) § 140 I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) § 140 II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Einstweilige Unterbringung in einem Heim der Jugendhilfe nach § 71 II 1 JGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Pflichtverteidigerbestellung im vereinfachten Jugendverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Regelungen im Vollstreckungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. § 29 III EGGVG, § 120 II StVollzG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Beistandsbestellung nach § 69 JGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Bestellung eines Verteidigers nach der Wehrdisziplinarordnung (WDO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Anspruch auf Bestellung eines Pflichtverteidigers nach Art. 6 III lit. c) EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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§ 3 Der beigeordnete anwaltliche Beistand nach § 68 b, § 397 a (i. V. m. § 406 g III, IV) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 A. Vernehmungsbeistand nach § 68 b . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172

14

Inhaltsverzeichnis B. Bestellung eines anwaltlichen Beistands nach § 397 a I (§ 406 g III 1 Nr. 1) sowie Beiordnung eines Rechtsanwalts durch Gewährung von Prozeßkostenhilfe nach § 397 a II, § 406 g III 1 Nr. 2 i. V. m. § 406 g IV . . . 173

§ 4 Die Beiordnung anwaltlichen Beistands in (anderen) Fällen der Prozeßkostenhilfe nach der Strafprozeßordnung, dem Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz und zum Strafvollzugsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175

Viertes Kapitel Gründe für eine Pflichtverteidigung

177

§ 1 Gleiche Zweckbestimmung für eine notwendige Verteidigung und eine Pflichtverteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 § 2 Sicherung der Stellung des Beschuldigten als Prozeßsubjekt/Gewährleistung eines effektiven Grundrechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 A. Der Einwand von Welp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 B. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 § 3 Ziele des Strafverfahrens und öffentliche Interessen für eine notwendige Verteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Dialektische Struktur der Wahrheitsfindung durch die Mitwirkung eines notwendigen Verteidigers im Strafverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Justizförmigkeit des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Bedeutung des fair trial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Grundsatz der Waffengleichheit als Konkretisierung eines fairen Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Fürsorgeaspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Verfahrenssicherung durch die Pflichtverteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

192 195 197

§ 4 Entwicklung notwendiger Verteidigung aus dem Gleichheitssatz nach Art. 3 I GG i. V. m. dem Sozialstaatsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Die Beratungen zur Reichsstrafprozeßordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Heutige Ausgestaltung notwendiger Verteidigung durch den Gesetzgeber C. Folgerungen für einen sozialstaatlichen Zweck notwendiger Verteidigung

198 199 200 200

187 187 191 191

§ 5 Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202

Fünftes Kapitel Die Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren

204

§ 1 Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zur Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 A. Entscheidungen des 1. Senats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204

Inhaltsverzeichnis

15

BGHSt 46, 93 (BGH 1 StR 169/00 – Urteil vom 25.07.2000) . . . . . BGH NJW 2002, 975 (BGH 1 StR 220/01 – Urteil vom 22.11. 2001) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. BGHR StPO § 141 Bestellung 9 (BGH 1 StR 380/03 – Beschluß vom 18.12.2003) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Entscheidungen des 5. Senats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. BGH NJW 2002, 1279 (BGH 5 StR 588/01 – Beschluß vom 05.02.2002) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. BGH NStZ 2004, 390 (BGH 5 StR 501/03 – Beschluß vom 17.12.2003) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

204

§ 2 Zeitpunkt der Bestellung eines Verteidigers im Ermittlungsverfahren . . . . . . . A. Grundnorm der Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren und spezielle Normen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Auslegung von § 141 III . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Grammatische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Systematische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Keine abschließende Regelung für die Bestellung durch § 140 I und II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. § 141 III 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. § 141 III 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Bestellungspflicht eines Verteidigers nach § 141 I, II und nach den Sondernormen der Strafprozeßordnung für eine Verteidigerbestellung im Vorverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Abstimmung zwischen der Bestellungspflicht nach § 141 III 3 und § 141 I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Ergebnis zur systematischen Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Subjektiv-historische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Wahlverteidigung und notwendige Verteidigung im Vorverfahren vor dem Erlaß der Reichsstrafprozeßordnung . . . . . . . . . . . . . 2. Entwicklung der Vorschriften der Reichsstrafprozeßordnung über den Zeitpunkt der Bestellung eines Verteidigers (§§ 140, 141, 142 RStPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Entwurf der Strafprozeßordnung durch den Bundesrat . . . . . . b) Kommission, erste Lesung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kommission, zweite Lesung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die Vorschriften der Reichsstrafprozeßordnung . . . . . . . . . . . . e) Beschreibung der Entwicklung des Zeitpunkts notwendiger Verteidigung im Vorverfahren nach der Reichsstrafprozeßordnung (§ 142 RStPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Weitere Gesetzgebungsgeschichte von § 142 RStPO . . . . . . . . . . 4. Ergebnis zur Auslegung nach subjektiv-historischen Kriterien . . IV. Auslegung nach objektiv-teleologischen Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . .

223

I. II.

211 218 219 219 222

223 225 226 228 228 229 231

232 232 233 233 234

237 237 237 238 240

240 242 247 248

16

Inhaltsverzeichnis 1. Vorliegen der Kriterien nach § 140 lediglich im Ermittlungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bestellungspflicht nach § 141 III 1 allein bei prognostizierter notwendiger Verteidigung im gerichtlichen Verfahren . . . . . . . . . 3. Fallgruppen konkretisierter Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren nach § 141 III 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Hauptverhandlung präjudizierende Ermittlungshandlungen b) Anhörung des Verteidigers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechte des Verteidigers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Situation des Beschuldigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Einschränkung der Rechte des Beschuldigten . . . . . . . . . bb) Haftsituationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Anordnung vorläufiger Maßregeln nach §§ 111 a, 126 a, 132 a . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Durchsuchungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Jugendliche Beschuldigte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Ausländische Beschuldigte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . gg) Stellungnahme zu wichtigen Gutachten schon im Ermittlungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . hh) Vorliegen der Voraussetzungen von § 140 II 1 3. Alt. und § 140 II 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Kriterien der „Waffengleichheit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Aussageverhalten des Beschuldigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Weitergehende Bestellungspflicht nach Art. 6 III lit. c) EMRK . . . . C. Allgemeine Richtlinie für eine Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

§ 3 Beurteilung der Entscheidungen des 1. und 5. Senats zur Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Prognose notwendiger Verteidigung im gerichtlichen Verfahren für eine Antragstellung der Staatsanwaltschaft nach § 141 III 2 . . . . . . . . . . . . . . . . I. Zeitpunkt der Prognose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Auffassung des 1. Senats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Ansicht des 5. Senats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kriterium des „abgeklärten Anfangsverdachts“ . . . . . . . . . . . . . . . II. Beurteilungsspielraum der Staatsanwaltschaft bezüglich der Voraussetzungen notwendiger Verteidigung im gerichtlichen Verfahren 1. § 141 III 2 i. V. m. § 140 I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) § 140 I Nr. 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) § 140 I Nr. 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) § 140 I Nr. 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) § 140 I Nr. 5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

250 251 252 252 255 256 256 256 257 258 259 259 260 260 261 261 261 263 265 267 268 269 269 269 270 271 272 273 275 275 276

Inhaltsverzeichnis

B.

C.

D. E.

e) § 140 I Nr. 6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) § 140 I Nr. 7 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) § 140 I Nr. 8 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. § 141 III 2 i. V. m. § 140 II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. § 418 IV, § 408 b S. 2 i. V. m. § 141 III 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Pflicht der Staatsanwaltschaft zur Überprüfung der Voraussetzungen einer Antragstellung nach § 141 III 2 und die Revidierbarkeit ihrer Prognose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Überprüfbarkeit der Entschließung der Staatsanwaltschaft zur Antragstellung nach § 141 III 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (NJW 2001, 1121) . . . II. Übertragbarkeit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auf eine Antragstellung nach § 141 III 2 durch die Staatsanwaltschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Beurteilung der Voraussetzungen nach § 140 durch die Staatsanwaltschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Dokumentationspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Absolute Grenze eines Beurteilungsspielraums und Eintritt vollständiger Nachprüfbarkeit nach den Kriterien des 1. und 5. Senats . Bestellungspflicht in den vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fällen . . I. BGHSt 46, 93 ff. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. BGH NJW 2002, 975; BGH NJW 2002, 1279; BGH NStZ 2004, 390; BGHR StPO § 141 Bestellung 9 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verantwortlichkeit des Ermittlungsrichters bzw. des Haftrichters für eine Verteidigerbestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grenzen möglicher Verteidigerbestellung als Ausgleich für ausgeschlossene Anwesenheitsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

17 277 277 278 278 280

280 281 281

282 282 284 284 285 285 286 287 288

§ 4 Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291

Sechstes Kapitel Prozessuale Absicherung der Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren § 1 Antragsrecht des Beschuldigten auf Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Auslegung von § 141 III . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Grammatische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Systematische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Strafprozessuale Antragsrechte des Beschuldigten auf Verteidigerbestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Antragsrecht der Staatsanwaltschaft nach § 141 III 2 . . . . . . . . . .

292

292 292 292 293 293 294

18

Inhaltsverzeichnis

III. IV. V.

3. Verhältnis zu § 141 I, II i. V. m. § 140 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 Subjektiv-historische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 Objektiv-teleologische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 Folgenbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296

VI. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 B. Zuständigkeit für die Entgegennahme eines Antrags auf Verteidigerbestellung im Vorverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 I. Antrag des Beschuldigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 1. Bei dem für das Hauptverfahren zuständigen Gericht, vgl. § 141 IV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 2. Die „Verantwortung des Ermittlungsrichters“ nach BGHSt 46, 93 ff. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 a) Generelle Zuständigkeit des Ermittlungsrichters zur Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren nach § 141 III 1 gemäß §§ 117 IV, 126 analog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 b) Zuständigkeit des Ermittlungsrichters nach §§ 117 IV, 126 analog, wenn er mit der Sache befaßt ist . . . . . . . . . . . . . 299 3. Antragstellung über die Staatsanwaltschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 II.

4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 Antrag der Staatsanwaltschaft nach § 141 III 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302

C. Antragsunabhängige Bestellungsmöglichkeit im Ermittlungsverfahren durch den Vorsitzenden nach § 141 III 1 i. V. m. § 141 IV . . . . . . . . . . . . . 302 § 2 Ermittlungsunterbrechung und Belehrungspflicht über § 136 I 2 hinaus . . . . . 303 A. Polizeiliche und staatsanwaltliche Belehrungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 I.

Hinweispflicht über die Antrags- und Bestellungspflicht der Strafverfolgungsorgane . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 II. Belehrung über das Antragsrecht des Beschuldigten (Rechtsgedanke aus § 34 a VI EGGVG, §§ 136 I 3, 117 IV 2, 350 III 2 i. V. m. § 406 h) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 B. Fortsetzung der Ermittlungen nach Eintreffen des zu bestellenden Verteidigers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 C. Zuwarten bis sich der Beschuldigte entschieden hat, keinen Verteidiger eigenständig zu mandatieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 § 3 Rechtsschutz gegen eine unterlassene Pflichtverteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 A. Entscheidungen des Vorsitzenden nach § 141 IV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 I. II.

Ablehnung einer Verteidigerbestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 Unterlassung der Bescheidung des Antrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307

B. Rechtsschutz gegen die Entscheidungen der Staatsanwaltschaft nach §§ 23 ff. EGGVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308

Inhaltsverzeichnis Maßnahme einer Justizbehörde zur Regelung einzelner Angelegenheiten auf dem Gebiet der Strafrechtspflege (Justizverwaltungsakt), § 23 I i. V. m. II EGGVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anwendbarkeit der §§ 23 ff. EGGVG auf Prozeßhandlungen . . . 2. Beurteilung der Weigerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Möglichkeit der Rechtsverletzung nach § 24 I EGGVG . . . . . . . . . . . III. Exkurs: Rechtsschutz (nach §§ 23 ff. EGGVG) lediglich bei willkürlichem Vorgehen der Staatsanwaltschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Subsidiariät nach § 23 III EGGVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeiner Gedanke eines ausgewogenen und abschließenden Rechtsschutzsystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsschutz nach § 98 II 2 analog gegen das Vorgehen der Staatsanwaltschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtsschutz nach § 161 a III 2 bis S. 4 analog gegen das Vorgehen der Staatsanwaltschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Rechtsschutzbedürfnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19

I.

§ 4 Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen die gebotene Pflichtverteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Würdigung der Entscheidungen des 1. Senats zur Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. BGHSt 46, 93 ff. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verletzung von Art. 6 III lit. d) EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verletzung des nationalen Verfahrensrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verletzung der Benachrichtigungspflicht des zu bestellenden Verteidigers nach § 168 c II, V . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Annahme eines umfassenden Beweisverwertungsverbots bb) Bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs . . . . . cc) Änderung der Rechtsprechung durch BGHSt 46, 93 ff. . . b) Verletzung des Rechts auf Antragstellung und Verteidigerbestellung nach § 141 III 2 und § 141 III 1 i. V. m. § 140 I Nr. 2 und der Belehrungspflicht (Rechtsgedanke aus § 34 a VI EGGVG, §§ 136 I 3, 117 IV 2, 350 III 2 i. V. m. § 406 h) . . . . 3. Vorliegen eines „Doppelfehlers“ in BGHSt 46, 93 ff. . . . . . . . . . . 4. Argumente des 1. Senats für seine „Beweiswürdigungslösung“ . . a) Verletzung von Benachrichtigungspflichten nach § 168 c V und mögliche Verlesung des richterlichen Protokolls nach § 251 II 2 a. F. (vgl. § 251 I Nr. 2 n. F.) sowie die Verwertung bei rechtmäßiger Versagung von Beteiligungsrechten . . b) „Beweiswürdigungslösung“ in anderen Bereichen . . . . . . . . . .

310 310 312 313 314 314 315 315 316 317 319 319 321 321 322 322 323 324 324 324 325 327

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Inhaltsverzeichnis c) Gesamtbetrachtungslehre im nationalen Verfahrensrecht . . . . d) Beweiswürdigungslösung als unzulässige Beweisregel im Rahmen von § 261 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Die Unzulänglichkeit des Kriteriums der „besonders“ strengen Beweiswürdigungs- und Begründungsanforderungen . . . 5. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. BGH NJW 2002, 975; BGHR StPO § 141 Bestellung 9 . . . . . . . . . . III. Unterscheidung zwischen Äußerungen und sonstigen Verhaltensweisen des Beschuldigten und der Verletzung seiner Mitwirkungsrechte infolge unterlassener Verteidigerbestellung . . . . . . . . . . . . . . . . B. Urteil des AG Hamburg vom 02.10.2003 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Subsumtion der von den Senaten entschiedenen Fälle unter die allgemeinen Lehren von den Beweisverwertungsverboten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Unterbleiben der erforderlichen Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren nach § 141 III 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtskreistheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abwägungslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Schutzzwecklehren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Fehlende Bestellungspflicht nach § 141 III 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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§ 5 Revision unterbliebener Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren . . . . . 345

Siebentes Kapitel Überlegungen zur Verteidigerbestellung de lege ferenda

348

§ 1 Zeitpunkt der Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren de lege ferenda A. Diskussionsentwurf für eine Reform des Strafverfahrens durch die Bundesregierung (Februar 2004) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. § 141 III EStPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Entwurf zu einem zweiten Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege (strafrechtlicher Bereich) und Entwurf eines ersten Justizbeschleunigungsgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Begründung des Diskussionsentwurfs (Februar 2004) zu § 141 III EStPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. § 117 IV EStPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Die Überlegungen von Herrmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

348

§ 2 Bestellung eines Verteidigers wegen Mittellosigkeit des Beschuldigten . . . . . . A. Gegenwärtige Rechtslage in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Rückgriff auf das Sozialstaatsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Pflichtverteidigerbestellung über §§ 140 ff. hinaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

358 359 359

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Inhaltsverzeichnis

B. C.

D.

E.

2. Beurteilung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts II. Rückgriff auf Art. 6 III lit. c) EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verteidigerbestellung wegen Mittellosigkeit in den Vereinigten Staaten von Amerika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verfahrenshilfe-, Amts- und Pflichtverteidigung in Österreich . . . . . . . . . . I. Arten der Verteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Beigebungs- und Bestellungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Kosten der Verteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bestellung eines Verteidigers für den mittellosen Beschuldigten während des Ermittlungs-, Zwischen- und Hauptverfahrens de lege ferenda . . . . . . I. Gewährung von Prozeßkostenhilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Überlegungen von Vogelsang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eigene Überlegungen de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

§ 3 Europäisierung der Verteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Grünbuch der Kommission über Verfahrensgarantien in Strafverfahren innerhalb der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Vorschlag für einen Rahmenbeschluß des Rates über bestimmte Verfahrensrechte in Strafverfahren innerhalb der Europäischen Union . . . . . . . . . I. Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Begründung zum Vorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Vorschlag des Alternativ-Entwurfs zum EU Verfassungsentwurf „Europäische Strafverfolgung“ – Einführung von „Eurodefensor“ . . . . . . . . . . . .

21 362 363 363 364 365 365 367 368 369 369 371 372 376 377 381 382 383 384

§ 4 Exkurs: Notwendige Verteidigung in allen Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 § 5 Abschließende Betrachtung zu den Reformbestrebungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387

Achtes Kapitel Die Vergütung des Pflichtverteidigers § 1 Bisherige Regelungen der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung . . . . . . . . . . . A. Die Ansprüche gegen die Staatskasse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der Anspruch aus § 97 BRAGO auf Gebühren und Auslagen . . . . . II. Pauschvergütung des Pflichtverteidigers nach § 99 BRAGO . . . . . . . B. Der gesetzliche Anspruch gegen den Beschuldigten nach § 100 BRAGO

391 391 391 391 392 395

§ 2 Regelungen des RVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 § 3 Pflichtverteidigervergütung als Bestandteil der Kosten des Verfahrens bzw. der notwendigen Auslagen, § 464 a . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396

22

Inhaltsverzeichnis

§ 4 Höhe der Pflichtverteidigervergütung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Einführung einer unterschiedlichen Gebührenhöhe für Wahl- und Pflichtverteidiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Die Untersuchungen von Vogtherr aus dem Jahr 1991 . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Eigene Umfrage bei den Justizministerien und Staatskassen der Länder sowie des Bundes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

397

§ 5 Verfassungsrechtliche Probleme der Pflichtverteidigervergütung . . . . . . . . . . . . A. Verletzung von Art. 12 I GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Unzumutbarkeit der Gebühren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Verletzung von Art. 3 I GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

404 404 404 405 407

398 400 400

§ 6 Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410

Neuntes Kapitel Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse

412

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455

Abkürzungsverzeichnis a. A. a. F. a. a. O. ABl. Abs. AG Alt. Anm. AnwBl. AöR Art. BayObLG BayPAG BerHG Beschl. BGB BGBl. BGH BGHSt BNDG BRAGO BRAO BT-Drucks. BtMG BVerfG BVerfGE BVerfSchG

bzw. CJF Ders. Deutsche Justiz Dies.

andere Ansicht alte Fassung am angegebenen Ort Amtsblatt Absatz Amtsgericht Alternative Anmerkung Anwaltsblatt Archiv des öffentlichen Rechts Artikel Bayerisches Oberstes Landesgericht Gesetz über die Aufgaben und Befugnisse der Bayerischen Staatlichen Polizei (Polizeiaufgabengesetz) Gesetz über Rechtsberatung und Vertretung für Bürger mit geringem Einkommen (Beratungshilfegesetz) Beschluß Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt (I – Teil I; II – Teil II) Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Gesetz über den Bundesnachrichtendienst Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte Bundesrechtsanwaltsordnung Bundestagsdrucksachen Betäubungsmittelgesetz Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das Bundesamt für Verfassungsschutz beziehungsweise Corpus Juris – Fassung von Florenz Derselbe Deutsche Justiz: Rechtspflege und Rechtspolitik – amtliches Blatt der deutschen Rechtspflege/Hrsg.: Der Reichsminister der Justiz Dieselbe(n)

24 DJT DRiZ DurchVO DVJJ EGGVG EGMR EGStGB EMRK endg. EuGRZ f. (ff.) FAO Fn. FS GA GerS GG ggf. GKG grds. GS GV NRW GVG h. L. h. M. Hrsg. HS i. d. F. i. d. R. i. S. v. i. V. m. IPBPR IRG JA JGG JR Jura JurBüro JuS krit. KritV

Abkürzungsverzeichnis Deutscher Juristentag Deutsche Richterzeitung Durchführungsverordnung Deutsche Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichshilfen e. V. Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte endgültig Europäische Grundrechte-Zeitschrift folgende Seite(n) Fachanwaltsordnung Fußnote Festschrift Goltdammer’s Archiv für Strafrecht Gerichtssaal Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland gegebenenfalls Gerichtskostengesetz grundsätzlich Gedächtnisschrift Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Nordrhein-Westfalen Gerichtsverfassungsgesetz herrschende Lehre herrschende Meinung Herausgeber Halbsatz in der Fassung in der Regel im Sinne von in Verbindung mit Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte Gesetz über internationale Rechtshilfe in Strafsachen Juristische Arbeitsblätter Jugendgerichtsgesetz Juristische Rundschau Juristische Ausbildung Das Juristische Büro Juristische Schulung kritischer Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft

Abkürzungsverzeichnis LStVG

m. m. E. m. w. N. MDR MRVO MschrKrim n. F. NJW NK Nr. NStZ NStZ-RR NZV OBG NW ÖJGG OLG ÖStPO OWiG PolG NW RAO RG RGBl. RGSt RiStBV Rn. Rpfleger RpflG Rspr. RStPO RVG S. s. o. SJZ SK sog. StGB StPÄG StPO

25

Gesetz über das Landesstrafrecht und das Verordnungsrecht auf dem Gebiet der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (Landesstraf- und Verordnungsgesetz) mit meines Erachtens mit weiteren Nachweisen Monatsschrift für Deutsches Recht Verordnung der Militärregierung Monatsschrift für Kriminologie neue Fassung Neue Juristische Wochenschrift Nomos Kommentar zur Strafgesetzbuch Nummer Neue Zeitschrift für Strafrecht NStZ-Rechtsprechungsreport Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht Gesetz über Aufbau und Befugnisse der Ordnungsbehörden, Ordnungsbehördengesetz (OBG) Nordrhein-Westfalen Österreichisches Jugendgerichtsgesetz Oberlandesgericht Österreichische Strafprozeßordnung Gesetz über Ordnungswidrigkeiten Polizeigesetz des Landes Nordrhein-Westfalen Rechtsanwaltsordnung (Österreich) Reichsgericht Reichsgesetzblatt Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren Randnummer Der deutsche Rechtspfleger Rechtspflegergesetz Rechtsprechung Strafprozeßordnung für das Deutsche Reich Gesetz über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte Seite siehe oben Süddeutsche Juristenzeitung Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch sogenannte(r) Strafgesetzbuch Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes Strafprozeßordnung

26 StraFo StV StVÄG StVollzG StVRG (1.) u. a. Urt. usw. u. U. v. vgl. VO VwVfG WDO wistra z. B. ZAkDR ZAP Ziff. ZPO ZRP ZStW ZuVOWiG

Abkürzungsverzeichnis Strafverteidigerforum Strafverteidiger Strafverfahrensänderungsgesetz Strafvollzugsgesetz Erstes Gesetz zur Reform des Strafverfahrensrechts unter anderem Urteil und so weiter unter Umständen von/vom vergleiche Verordnung Verwaltungsverfahrensgesetz Wehrdisziplinarordnung Zeitschrift für Wirtschaft, Steuer, Strafrecht zum Beispiel Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht Zeitschrift für die Anwaltspraxis Ziffer Zivilprozeßordnung Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft Verordnung über Zuständigkeiten im Ordnungswidrigkeitenrecht

Einleitung Die rechtswissenschaftliche Diskussion über die Frage der Bestellung eines Pflichtverteidigers im Ermittlungsverfahren ist durch neueste Entscheidungen des Bundesgerichtshofs1 wiederbelebt worden. Die im Schrifttum seit langem erhobene Forderung nach einer möglichst frühzeitigen Bestellung2 wurde bekräftigt. Frühere Äußerungen des Bundesgerichtshofs zur Verteidigerbestellung in diesem Verfahrensabschnitt blieben vereinzelt3. Die einsetzende kontroverse Auseinandersetzung – auch zwischen den einzelnen Senaten des Bundesgerichtshofs – über Voraussetzungen (und Folgen) einer solchen (unterbliebenen) Bestellung machen es erforderlich, den Zeitpunkt und den Umfang notwendiger Verteidigung im Ermittlungsverfahren exakt herauszuarbeiten. Die Grundnorm zur Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren bildet dabei § 141 III 14. Sie ist im Zusammenhang mit den Fallgruppen notwendiger Verteidigung nach § 140 auszulegen. Auf nationaler5 und europäischer6 Ebene rücken die Verfahrensgarantien für den Beschuldigten (schon) im Ermittlungsverfahren auch ins Blickfeld gesetzgeberischer Initiativen. Dabei wird im nationalen Bereich eine frühe Gewährleistung notwendiger Verteidigung im Ermittlungsverfahren angestrebt. Im europäischen Feld sollen gemeinsame Verfahrensgarantien über die Möglichkeit der Hinzuziehung rechtlichen Beistands eingeführt werden. Nach einer einleitenden Begriffsklärung im Bereich der notwendigen Verteidigung wird zunächst die Bedeutung des Ermittlungsverfahrens beschrieben, so wie es sich in der heutigen Praxis darstellt. Die auftretenden Vorprägungen und die Transponierung von Ermittlungsergebnissen in die Hauptverhandlung werden herausgearbeitet. Diese Erkenntnis, die Ergebnisse des Ermittlungsverfah-

1 Vgl. BGHSt 46, 93 ff.; NJW 2002, 975 ff.; NJW 2002, 1279 f.; NStZ 2004, 390; BGHR StPO § 141 Bestellung 9. 2 Vgl. LR-Lüderssen, § 141 Rn. 24 a. 3 Vgl. die Entscheidung des BGH in BGHSt 29, 1 ff. aus dem Jahr 1979. 4 Paragraphen ohne Gesetzesangaben sind solche der StPO. 5 Vgl. den Diskussionsentwurf für die Reform des Strafverfahrens durch die Bundesregierung (Februar 2004), abrufbar unter: http://www.stpo-reform.de/entwurf.php; abgedruckt in StV 2004, 228. 6 Vgl. den Vorschlag für einen Rahmenbeschluß des Rates über bestimmte Verfahrensrechte in Strafverfahren innerhalb der Europäischen Union, KOM/2004/0328 endg. vom 28.04.2004.

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Einleitung

rens prägten den weiteren Verlauf des Strafprozesses bis hin zum Urteil mit besonderer Intensität, wird kaum mehr bestritten7. Im Verbund mit der zu erörternden Situation des Beschuldigten in einem jedem Ermittlungsverfahren sollen Leitlinien für die Verteidigerbestellung in diesem Verfahrensabschnitt gewonnen werden. Weitere Orientierung bietet ein Überblick über die mögliche Bestellung von Verteidigern und Beiständen in den verschiedenen Verfahrensordnungen. Ferner wird auf die Anordnungsgründe notwendiger Verteidigung abzustellen sein. Die vorliegende Arbeit wird die überragende und unabdingbare Hilfe eines Verteidigers für den Beschuldigten aufzeigen, die in Fällen notwendiger Verteidigung von Gesetzes wegen gefordert und angesichts der Hilflosigkeit eines Beschuldigten – insbesondere – im Vorverfahren augenscheinlich wird. Kenntnisse des Rechts und ein entsprechendes Prozeßverhalten werden grds. der (prozessualen) Eigenverantwortlichkeit des Beschuldigten im Strafverfahren zugeschrieben. Es liegt an ihm, diese eigenständig auszufüllen. Dieser Aufgabe ist er jedoch angesichts seiner materiellen und prozessualen Rechtsunkenntnis regelmäßig nicht gewachsen. Die ihm gebührende Eigenverantwortlichkeit wird zur Last8. Lediglich ein Verteidiger ist imstande, die Verfahrenslage in sachlicher und rechtlicher Hinsicht nüchtern zu beurteilen und entsprechend zu agieren9. Dabei ist der Verteidiger nicht nur berufen, dem Beschuldigten die materielle Rechtslage zu erläutern, also die Strafvorschriften. Insbesondere hilft er ihm, seine prozessualen Rechte zu verstehen und sie fachkundig umzusetzen. Die im Gesetz – vgl. etwa § 136 I – ausdrücklich normierten Belehrungspflichten der Strafverfolgungsorgane genügen nicht, ihm die Wichtigkeit und Bedeutung seiner prozessualen Rechte hinreichend klar zu machen. So wird beispielsweise dem Beschuldigten wohl außer seinem Verteidiger niemand die möglichen Folgen eines Teilschweigens10 nahebringen. Auch sind Akteneinsichts- und Anwesenheitsrechte der Verteidigung unterschiedlich ausgestaltet – je nachdem, ob eine Selbst- oder Fremdverteidigung geführt wird, vgl. §§ 147, 168 c. Gleiches gilt für die Beteiligung an der Auswahl eines Sachverständigen nach Nr. 70 I RiStBV. Insoweit sind Verteidigungsrechte maßgeblich Verteidigerrechte11. Auch den Umgang mit dem eigenen Beweisantragsrecht (vgl. §§ 163 a II, 166) sowie die Notwendigkeit eigener 7

Vgl. BRAK Reform, S. 2. Vogelsang, S. 212 f. 9 Vgl. Eser, ZStW 79 (1967), 565 (603). 10 Vgl. dazu: BGH StV 2002, 409 sowie die Anmerkungen von Jäger, JR 2003, 166 und Widmaier, JR 2004, 85 (mit Replik von Jäger); ferner: Richter II, StV 1994, 687 ff.; Park, StV 2001, 589 ff.; Meyer-Mews, JR 2003, 361 (363 ff.). 11 Vgl. dazu unten: Kap. 2, § 5. 8

Einleitung

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Ermittlungen kann lediglich ein (notwendiger) Verteidiger hinreichend verdeutlichen. Er verhilft dem Beschuldigten so zu dessen Subjektstellung im reformierten deutschen Strafprozeß. Ferner wird dem (unverteidigten) Beschuldigten die Geltendmachung von Verwertungsverboten noch vor der Eröffnung des Hauptverfahrens12 unbekannt sein, ganz zu schweigen von deren tatsächlichem Vorliegen. Gleiches gilt für das Hinwirken auf eine Verfahrenseinstellung nach § 153 a mit entsprechenden Vorschlägen an die Staatsanwaltschaft und das Gericht. Nicht nur das fehlende Bemühen um eine aktive Gestaltung eines Verfahrens, sondern auch die Folgen unbeachteter prozessualer „Obliegenheiten“ hat der Beschuldigte zu tragen. So wird er die Konsequenzen verspäteter Einwände13 (vgl. u. a. den Einwand der Unzuständigkeit nach §§ 6 a, 16, den Zeitpunkt eines Ablehnungsgesuches nach § 25 oder mögliche Besetzungsrügen nach § 222 b I i. V. m. § 243 IV), nicht absehen können. Generell drohen Ausdrucksformen und Redegewandheit eines Beschuldigten – mag er sich ihrer ansonsten vergewissern können – angesichts der Konfrontation mit dem Machtapparat des Staates abzunehmen. Seelische und aufgrund von Zwangsmaßnahmen tatsächlich eintretende Belastungen (Durchsuchung, Untersuchungshaft) lassen einen Beschuldigten nicht als geeigneten Verteidiger in eigener Sache erscheinen. So könnte gerade eine präzise Schilderung oder eine Akzentuierung bestimmter relevanter Geschehensabläufe die Annahme eines strafbaren Verhaltens ausschließen, das Strafmaß reduzieren helfen oder eine Strafaussetzung zur Bewährung ermöglichen (§ 56 StGB). Zudem ist die Glaubhaftigkeit der Ausführungen, welche eine dritte Seite tätigt, erhöht. An den Schwierigkeiten eines (unverteidigten) Beschuldigten im Strafverfahren vermag auch die in Gesetzesform gegossene Objektivitätsverpflichtung nach § 160 II, § 244 II nichts zu ändern. Sie verschweigt die sie unterminierende psychologische Situation, in welcher sich Strafverfolgungsorgane und Gericht befinden14. Dem Verteidiger obliegt es damit, die entlastenden Umstände für den Beschuldigten in gebotenem Maße einzuführen. Als Vertrauensperson des Beschuldigten wird er i. d. R. über auch über mehr Hintergrundwissen verfügen, um entsprechende entlastende Umstände einbringen zu können. Neben der Hilfestellung für den Beschuldigten, indem er dessen aktive (prozessuale) Seite stärkt, nimmt der Verteidiger eine „passive“ Kontrollfunktion war, indem er die Handlungen der Strafverfolgungsorgane auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüft. Diese werden damit zu genauerem Arbeiten gezwungen. 12

Dazu: Amelung, NJW 1991, 2533 (2539); Maul/Eschelbach, StraFo 1996, 66 (69). Vgl. zu den Anträgen, die der Präklusion unterliegen: Gatzweiler/V. Mehle, in: Brüssow/Gatzweiler/Krekeler/V. Mehle, 10/80 ff. 14 Vgl. dazu unten: Kap. 2, § 2 B. II.; Beulke, Der Verteidiger, S. 35 f. 13

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Einleitung

In den Fällen notwendiger Verteidigung geht der Gesetzgeber davon aus, daß ein Beschuldigter sich nicht selbst verteidigen kann. Die vorgesehene Eigenkontrolle genügt danach den Anforderungen eines ordnungsgemäßen Verfahrens nicht. Die Prozeßsubjektstellung des Beschuldigten verlangt nach einem entsprechend qualifizierten Beistand, vgl. §§ 138, 142. Sehen die gesetzlichen Vorschriften im Zwischen- und Hauptverfahren zwingend die Kautel in Gestalt eines Verteidigers vor (vgl. § 141 I, II), so stellt sich die Frage nach einer Auslagerung eben dieser Kautel, wenn das Ermittlungsverfahren das weitergehende Verfahren vorbestimmt. Abschließend sind die Reformbestrebungen des Gesetzgebers sowie die Vorschläge aus dem Schrifttum für eine Neugestaltung der notwendigen Verteidigung im Ermittlungsverfahren zu würdigen. Gleiches gilt für die Einführung einer Verfahrenshilfe für mittellose Beschuldigte, welche unabhängig von der Notwendigkeit der Verteidigung ergeht. Ein Überblick über die dem (Pflicht)Verteidiger zustehende Vergütung soll die Ausführungen zur Pflichtverteidigerbestellung begleiten, um die Kosten für diese rechtsstaatliche Kautel zu verdeutlichen.

Erstes Kapitel

Klärung der gesetzlichen Definitionen Bevor auf die Bedeutung des Ermittlungsverfahrens sowie auf die Bestellung von Verteidigern und Beiständen eingegangen wird, sind zunächst die Begriffe zu klären, welche im Rahmen einer Verteidigerbestellung zu berücksichtigen sind.

§ 1 Notwendige und freiwillige Verteidigung Grundsätzlich steht es dem Beschuldigten nach § 137 I 1 frei, „sich in jeder Lage des Verfahrens des Beistandes eines Verteidigers zu bedienen“. Die Verteidigung ist damit grundsätzlich eine freiwillige1.

A. Definition notwendiger Verteidigung Bei der notwendigen ist im Gegensatz zur freiwilligen2 Verteidigung die Mitwirkung eines Verteidigers vom Gesetz unter bestimmten Voraussetzungen zwingend vorgeschrieben3. Dabei kann das Gesetz verschiedene Formulierungen verwenden4:

1 Vgl. Bringewat, JuS 1980, 867 (868 f.); Kühne (Rn. 177) sieht die notwendige Verteidigung als Regel an. Nur bei faktisch und rechtlich einfachen Verhandlungen, deren Gegenstand ein Vergehen ist, sei die Verteidigung nicht notwendig. Die Regelfälle erfasse die minutiöse Aufzählung in § 140. Nach Kühne könnten auch die Ausnahmen von der Notwendigkeit formuliert werden. Die Fassung von § 140 sei jedoch vorzuziehen, weil sie eine Mahnfunktion habe. 2 Auch zulässige (vgl. Kreitmair, S. 4), gewillkürte oder willkürliche (vgl. AKStern, Vorbem. § 140 Rn. 1; Unnerstall, S. 4; Schell, S. 9) oder fakultative Verteidigung genannt; vgl. dazu: H. Schmidt, S. 5 mit Fn. 8 und Wolf, S. 198 f. 3 Hahn I, S. 143 (amtliche Begründung); Krey I, Rn. 680; Roxin, 19/14; Wolf, S. 198; Ahrens, S. 4. LR-Dünnebier (§ 140 Rn. 31) nahm eine Notwendigkeit für eine Verteidigung nach § 140 II erst in dem Zeitpunkt an, als der Vorsitzende den Verteidiger bestellt hatte (angeordnete Notwendigkeit); dagegen: Hartmann-Hilter, S. 38. Zum Teil wurde die Notwendigkeit angenommen, wenn die Mitwirkung eines Verteidigers unabhängig vom Willen des Gerichts zu erfolgen hatte (so: Unnerstall, S. 4 f.; Rosenfeld, S. 30 f.; Kreitmair, S. 5; Greffin, S. 17; nach a. A. lediglich dann, wenn der Beschuldigte zur formellen Verteidigung gezwungen wurde (vgl. v. Kries, S. 234 f.;

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1. Kap.: Klärung der gesetzlichen Definitionen

– „Die Mitwirkung eines Verteidigers ist notwendig, wenn . . .“, § 1405; – „. . . wird . . . Verteidiger . . . bestellt“, §§ 117 IV 1, 350 III, 418 IV, § 34 III Nr. 1 EGGVG – „. . . ist . . . ein Verteidiger zu bestellen“, §§ 118 a II 3, 231 a IV, §§ 88 S. 2, 90 I 3 WDO – „. . . hat . . . Verteidiger zu bestellen“, §§ 138 c III 4, 145 I – „. . . bestellt . . . einen Verteidiger . . .“, §§ 364 a, 364 b, 408 b S. 2, § 68 JGG, § 90 I 2 WDO. Letztlich sind auch solche Fälle in die Begriffsdefinition einer notwendigen Verteidigung einzubeziehen, in denen die Verteidigerbestellung zwar im Ermessen des Vorsitzenden liegen könnte (vgl. § 141 III6), dieses jedoch im konkreten Fall auf Null reduziert ist7; im übrigen ist diese Form als potentiell notwendige Verteidigung zu bezeichnen. Innerhalb der notwendigen Verteidigung wird noch eine weitere Abgrenzung vorgenommen. Eine bedingt notwendige Verteidigung liege vor, wenn die Verteidigung erst nach einem Antrag notwendig würde8, vgl. §§ 117 IV, 350 III, 364 a, 364 b. Unbedingt notwendig sei sie in den übrigen Fällen9. Folgen für die Ausgestaltung notwendiger Verteidigung ergeben sich daraus jedoch nicht10.

B. Beginn der Notwendigkeit der Verteidigung Von dieser Begriffsbestimmung unabhängig ist die Frage, wann die Notwendigkeit der Verteidigung beginnt. Es ist davon auszugehen, daß der Beginn der Schell, S. 10); kritisch zu dieser Definition angesichts der (heutigen) Wahlmöglichkeit des Beschuldigten nach § 142 I: Wolf, S. 198. 4 Wolf, S. 199 ff., der im Fall des § 364 b keine notwendige Verteidigung annimmt, weil nach seinem Verständnis eine Verteidigung zu diesem Zeitpunkt noch nicht stattfindet, vgl. S. 135 ff. (201 mit Fn. 234). 5 Auch wenn § 140 II davon spricht, daß der Vorsitzende einen Verteidiger „bestellt“, so wird damit auf dessen notwendige Mitwirkung abgestellt, vgl. § 140 II 1 („in anderen Fällen“) sowie § 141 III 2 („die Mitwirkung eines Verteidigers nach § 140 Abs. 1 oder 2 notwendig sein wird“). 6 Vgl. ferner die Beiordnung eines Beistands nach § 434 II. 7 Anders: Wolf, S. 199: Wenn die Verteidigerbestellung ermessensabhängig sei, liege keine notwendige Verteidigung vor, so in § 141 III 1, anders nach § 141 III 3. 8 H. Schmidt, S. 125; Vogelsang, S. 6; Hamm, NJW 1988, 1820 (1821) spricht von „relativer absoluter Notwendigkeit“ in den Fällen des § 140 II 2; zu § 140 III a. F.: Kreitmair, S. 5; Alsberg, S. 12; Unnerstall, S. 6 f., 62 ff.; Greffin, S. 5 f. 9 Vgl. ferner den Begriff der „absoluten Notwendigkeit“ der Verteidigung. Diese Form sei gegeben, wenn die Verteidigung nicht erst durch ein Antragserfordernis bedingt oder in das Ermessen des Gerichts gestellt sei, vgl. Hahn II, Abg. Eysoldt, S. 1825 (Zweite Berathung im Plenum); ferner: Vogelsang, S. 45 f. 10 H. Schmidt, S. 6; Wolf, S. 199 mit Fn. 228.

§ 1 Notwendige und freiwillige Verteidigung

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Notwendigkeit als Grundlage für die gesetzlich geforderte Bestellung11 mit letzterer in Beziehung zu setzen ist. Der Beginn der Notwendigkeit tritt somit spätestens ein, wenn dem verteidigungslosen Beschuldigten ein Verteidiger bestellt werden muß12 oder dem Beschuldigten, der einen Wahlverteidiger hat, ein solcher bestellt werden müßte, wenn er ihn nicht mandatiert hätte13. Für die Fälle des § 140 bestimmt § 141 die Bestellung in den verschiedenen Verfahrensstadien. Eine ausdrückliche gesetzliche Verpflichtung zur Bestellung besteht nach § 141 I im Zeitpunkt der Aufforderung zur Erklärung über die Anklageschrift gemäß § 201 I und nach § 141 II im Falle einer später eintretenden Notwendigkeit der Verteidigung14. Die Notwendigkeit tritt damit jedenfalls vor der Aufforderung nach § 201 I ein15. Demgegenüber regeln die oben angeführten Sondernormen (außerhalb der §§ 140, 141), zugleich die materiellen Voraussetzungen einer notwendigen Verteidigung und deren Beginn, indem sie den Zeitpunkt der Bestellung festschreiben.

C. Folgerungen aus der Notwendigkeit einer Verteidigung Die Hauptverhandlung darf nur in Anwesenheit des Verteidigers stattfinden. Dies ergibt sich aus §§ 145 I, 226 I (i. V. m. § 338 I Nr. 5)16. § 227 i. V. m. § 226 I ist zu entnehmen, daß kein personenidentischer Verteidiger im Verfahren mitwirken muß17. Ist die Verteidigung notwendig, kann der Beschuldigte nicht auf sie verzichten18. In den Fällen einer antragsbedingten Notwendigkeit einer Verteidigung bleibt es ihm unbenommen, den Antrag nicht zu stellen, den selbst gestellten Antrag ausdrücklich oder stillschweigend19 zurückzunehmen.

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Vgl. Greffin, S. 28. Schell, S. 64 f.; Kreitmair, S. 33. 13 Rosenfeld, S. 48. 14 § 141 II greift auch dann ein, wenn die Notwendigkeit der Verteidigung zu dem Zeitpunkt nach § 141 I bereits vorlag, aber fälschlicherweise nicht erkannt wurde. 15 Vgl. § 141 II: „Ergibt sich erst später, daß ein Verteidiger notwendig ist . . .“. Gegen eine Geltung des § 140 erst in der Hauptverhandlung spricht jedenfalls § 141 I, der eine Bestellungspflicht schon im Zeitpunkt des § 201 I vorsieht. 16 Grüner, S. 70, 192; umfassend zum Anwesenheitserfordernis: H. Schmidt, S. 50 ff. 17 Meyer-Goßner, § 226 Rn. 10; Krey I, Rn. 694. 18 H. Schmidt, S. 47 ff. 19 Vgl. H. Schmidt, S. 48. 12

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1. Kap.: Klärung der gesetzlichen Definitionen

§ 2 Bestellter, gewählter Verteidiger – Pflichtverteidiger, Wahlverteidiger Die Unterscheidung zwischen bestelltem und gewähltem Verteidiger beruht auf der Person, welche den Verteidiger in seine Stellung beruft20. Der Verteidiger, der das Mandat vom Beschuldigten oder seinem gesetzlichen Vertreter erhält, ist Wahlverteidiger, vgl. §§ 136 I 2, 137 I 1 und Art. 6 III lit. c) EMRK. Wird jener hingegen durch den Vorsitzenden des Gerichts nach § 141 IV (i. V. m. § 142) bestellt21, so handelt es sich um einen bestellten Verteidiger22. Nach § 49 i. V. m. § 48 II BRAO obliegt ihm grundsätzlich die Standespflicht, den Beschuldigten zu verteidigen23 (Pflichtverteidiger). Die Bezeichnung Offizialverteidiger hebt den amtlichen Charakter der Bestellung hervor24. Eine Wahlverteidigung ist sowohl in Fällen notwendiger als auch freiwilliger Verteidigung denkbar; Pflichtverteidigung ist hingegen nur in Fällen notwendiger Verteidigung möglich25. Pflichtverteidiger und Wahlverteidiger haben gleiche Rechte und Pflichten26. Notwendige und nicht notwendige Verteidiger unterscheiden sich insofern27, als 20

Roxin, 19/26; Wolf, S. 222. Die Bestellung erfolgt nach § 141 IV bei einer Nichtmandatierung eines Verteidigers durch den Beschuldigten oder seinen Vertreter in den Fällen notwendiger Verteidigung. Der Beschuldigte wird vor der Bestellung eines Pflichtverteidigers zur eigenständigen Benennung eines Verteidigers nach § 142 I 2 aufgefordert. Entspricht der Vorsitzende dem Wunsch oder – wenn kein Verteidiger vom Beschuldigten benannt wird – erfolgt die Bestellung des Verteidigers im Einverständnis des Beschuldigten, so wird dieser Verteidiger als „Wahlpflichtverteidiger“ bezeichnet, vgl.: Ropohl, S. 105; AK-Stern, Vorbem. § 140 Rn. 2 zu weiteren Deutungsmöglichkeiten des Begriffs Wahlpflichtverteidiger; kritisch: Wolf, S. 210 mit Fn. 281, S. 223 mit Fn. 315: es gebe nur die Unterscheidung Wahl- und Pflichtverteidigung. Pflichtverteidigung ohne den Willen des Beschuldigten wird als geduldete Pflichtverteidigung oder als eingeschränkte Wahlpflichtverteidigung bezeichnet, vgl. LR-Lüderssen, § 142 Rn. 25 ff. 22 Roxin, 19/26; Greffin, S. 6; Wolf, S. 222. 23 Wolf, S. 222 f. Die Pflicht, den Verteidiger zu akzeptieren, ist für den Beschuldigten durch die Anerkennung der notwendigen Verteidigung in der StPO statuiert, Ahrens, S. 4 f.; H. Schmidt, S. 7 mit Fn. 15. 24 Hahn, S. 29; Hahn II, Geheimer Oberregierungsrath Hanauer, S. 1625 (Protokolle der Justizkommission); Rosenfeld, S. 18 mit Fn. 3 zur Bezeichnung „Amtsverteidigung“; Krattinger, S. 266; Rath, S. 27. 25 Erfolgt die Bestellung eines Pflichtverteidigers, auch ohne daß die Voraussetzungen der notwendigen Verteidigung vorgelegen haben, so liegt eine Pflichtverteidigung vor bis die Bestellung zurückgenommen wird, vgl. H. Schmidt, S. 140 f.; vgl. jedoch Wolf, S. 223 mit Fn. 315. Nach § 141 RStPO konnte ein Verteidiger bestellt werden, auch wenn keine notwendige Verteidigung vorlag. Ebenso im Fall des § 29 II RJGG, vgl. Alsberg, S. 8 f.; hier wird auch von „Sollverteidigung“ gesprochen (vgl. Kreitmair S. 5, 31; Schell, S. 11). 21

§ 3 Verhältnis zwischen Pflicht- und notwendiger Verteidigung

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der notwendige (bestellte oder gewählte) Verteidiger am Verfahren mitwirken muß28, vgl. § 145. Eine Mandatsniederlegung durch den bestellten Verteidiger scheidet aus, er muß insofern einen Entpflichtungsantrag nach § 49 II i. V. m. § 48 II BRAO stellen. Die Ladung nach § 218 hat lediglich bei einem bestellten Verteidiger stets zu erfolgen, bei einem gewählten dann, wenn dem Gericht die Wahl angezeigt worden ist. Die Pflichtverteidigung ist gegenüber der Wahlverteidigung subsidiär29, vgl. u. a. §§ 141, 143.

§ 3 Verhältnis zwischen Pflichtverteidigung und notwendiger Verteidigung A. Persönlicher und sachlicher Umfang Der persönliche Umfang der notwendigen Verteidigung ist wie folgt zu bestimmen. Notwendig ist Verteidigung stets nur in Bezug auf einen Beschuldigten, nicht in Bezug auf ein Verfahren30. So muß bei einem Verfahren gegen mehrere Beschuldigte die notwendige Verteidigung hinsichtlich jedes einzelnen Beschuldigten geprüft werden31, auch wenn sie in den Fällen von § 140 I Nr. 1 naturgemäß für alle Beschuldigten eingreift32. Beim sachlichen Umfang notwendiger Verteidigung gilt: Bei Verbindung mehrerer Strafsachen gegen einen Beschuldigten (vgl. §§ 2 f., 237) ist die Verteidigung für das gesamte Verfahren notwendig, wenn sie nur in einer Sache notwendig war33. Der sachliche Umfang der Pflichtverteidigung ist gleich dem der notwendigen Verteidigung34. Der persönliche Umfang der Pflichtverteidigung bedingt,

26 Vgl. Schäfer, Rn. 82; H. Schmidt, S. 21 f.; Alsberg, S. 27; Kreitmair, S. 8 f.; Grüner, S. 71. Pflichtverteidigung ist lediglich eine Verteidigung besonderer Art, vgl. Wolf, S. 207 f., 224 f. 27 Vgl. auch die Charakterisierung der Stellung eines Pflichtverteidigers durch das Bundesverfassungsgericht in JZ 2004, 670 (675). 28 Schell, S. 74. 29 Vgl. Hahn I, S. 143 (amtliche Begründung); Molketin, S. 34; Ropohl, S. 63 ff. m. w. N.; Wolf, S. 225; Ahrens, S. 29; B. Schneider, S. 98; H. Schmidt, S. 67; Bringewat, JuS 1980, 867 (868 ff.). 30 B. Schneider, S. 11 f.; H. Schmidt, S. 131; Ahrens, S. 7. 31 KG NJW 1954, 1899; AK-Stern, § 140 Rn. 4; B. Schneider S. 12. 32 H. Schmidt, S. 131. 33 KMR-Müller, § 140 Rn. 5; H. Schmidt, S. 132; C. Ahrens, S. 7; vgl. ferner: LRDünnebier (23. Auflage), § 140 Rn. 6, der für die Verhandlungsverbindung nach § 237 eine Verteidigerbestellung nach § 140 II für den unverteidigten Beschuldigten erwägt. 34 H. Schmidt, S. 133.

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1. Kap.: Klärung der gesetzlichen Definitionen

daß grundsätzlich jedem Beschuldigten ein Pflichtverteidiger zu bestellen ist. In den Grenzen von § 146 kann ein gemeinschaftlicher Verteidiger für mehrere Beschuldigte bestellt werden.

B. Zeitlicher Zusammenhang Der Beginn der Pflichtverteidigung fällt grundsätzlich mit dem Beginn notwendiger Verteidigung zusammen. Die Pflichtverteidigung kann jedoch auch später als die Notwendigkeit der Verteidigung eintreten, sei es daß der Beschuldigte zu dem Zeitpunkt der gesetzlich geforderten Bestellung einen Wahlverteidiger hat, oder eine Bestellung unterblieben ist bzw. sich verzögert hat35. Auch kann ein Pflichtverteidiger zu Unrecht bestellt worden sein, eine notwendige Verteidigung gar nicht vorliegen.

§ 4 Sicherungsverteidiger (Zwangsverteidiger, Ersatzverteidiger, Ergänzungsverteidiger) Sicherungsverteidiger ist der Pflichtverteidiger, der neben gegebener oder eingetretener Wahlverteidigung bestellt oder nicht abberufen wird36. Erfolgt seine Bestellung gegen den Willen des Beschuldigten, wird er auch als „Zwangsverteidiger“ bezeichnet37. Das Institut ist insbesondere hinsichtlich des ihm widerstreitenden Wortlauts von §§ 141, 143, 145 sehr umstritten38. Die Figur des Ersatzverteidigers wurde von dem AK-Strafprozeßreform39 aufgegriffen. Danach sollen die mit dem Sicherungs-/Zwangsverteidiger auftretenden Probleme vermieden werden. Der vorsorglich bestellte Verteidiger wohnt dem Verfahren ohne Handlungskompetenz bei. Er erlangt vollständigen Vertei-

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H. Schmidt, S. 140. Roxin, 19/41. 37 AK-Stern, Vorbem. § 140 Rn. 3, Rn. 45 ff.; Heinicke, S. 401 ff.; Haffke, StV 1981, 471 (486); vgl. zur Terminologie ferner: Ahrens, S. 61 f.; Dethlefsen, S. 56 mit Fn. 162; Vogelsang, S. 126 f.; generell zur Bezeichnung des gegen den Willen des Beschuldigten bestellten Pflichtverteidigers als „Zwangsverteidiger“: Eser, S. 170. 38 Umfassend zur Diskussion um den Zwangsverteidiger: Knell-Saller, Der Sicherungsverteidiger (1995); Ropohl, Der „Zwangsverteidiger“ (1983); Dethlefsen, S. 56 ff. m. w. N.; ferner: Beulke, Der Verteidiger, S. 239 ff. m. w. N.; kritisch: Roxin, 19/41 und HK-Julius, § 140 Rn. 5 (insbesondere im Hinblick auf verschiedene Verteidigungsstrategien der Verteidiger, die dem Beschuldigten schaden könnten); Grüner, S. 196 (im Hinblick auf eine fehlende gesetzliche Grundlage trotz formellen Gesetzesvorbehalts). 39 Vgl. AK-Strafprozeßreform (1979), S. 123 ff.; Rieß, StV 1981, 460 (463); Welp, ZStW 90 (1978), 101 (126); ferner: Wolf, S. 406; Knell-Saller, S. 138 ff. mit umfassenden Nachweisen; Ropohl, S. 185 ff. 36

§ 4 Sicherungsverteidiger

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digerstatus, wenn der Sicherungsfall, für den er vorsorglich bestellt wurde, eintritt. Auch das Institut des Ergänzungsverteidigers ist als Reform zur bestehenden Sicherungs-/Zwangsverteidigung gedacht40. Hiernach soll der Beschuldigte zwei Verteidiger wählen, die als Verteidiger bestellt werden sollen. Beiden Verteidigern kommt eine aktive Verteidigerrolle schon von Anbeginn zu41.

40 41

Grundlegend: B. Schneider, S. 99 ff., 111; Ropohl, S. 206 ff. B. Schneider, S. 110 f.

Zweites Kapitel

Bedeutung des Ermittlungsverfahrens Um die Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren darzustellen, bedarf es einer Betrachtung dieses Verfahrensstadiums nach heute vorherrschender Praxis.

§ 1 Zweck des Ermittlungsverfahrens Im Ermittlungsverfahren soll die Staatsanwaltschaft den Sachverhalt erforschen, um entscheiden zu können, ob sie Anklage erheben will, vgl. § 160 I. Dies kann durch Einreichung einer Anklageschrift nach § 170 I erfolgen. Ferner kann die Staatsanwaltschaft Anklage erheben, indem sie einen Antrag auf Aburteilung im beschleunigten Verfahren nach § 417 (vgl. § 418 III 1), auf Erlaß eines Strafbefehls (vgl. § 407 I 4) oder auf Durchführung eines Sicherungsverfahrens nach § 413 (vgl. § 414 II 1) stellt. Auch kann sie nach § 440 I den Antrag stellen, ein objektives Verfahren durchzuführen. Nach § 160 II ist die Staatsanwaltschaft verpflichtet, sowohl be- als auch entlastenden Beweisen nachzugehen. Als „Herrin des Ermittlungsverfahrens“1 kann sie dieses grundsätzlich frei gestalten2. Der ihr zukommende Informationsvorsprung in Gestalt des Ermittlungsgeheimnisses wird lediglich durch einzelne Gesetzesstellen, vgl. u. a. § 147 I und II, durchbrochen3. Nur mit dem provisorischen Beweiswert der im Ermittlungsverfahren gefundenen Ergebnisse ist das Übergewicht der Strafverfolgungsorgane in diesem Verfahrensabschnitt zu rechtfertigen4. Der historische Gesetzgeber betont den vorbereitenden Charakter des Vorverfahrens5 (vgl. auch die Titulierung des Verfahrensabschnitts als „Vorbereitung 1 Vgl. BVerfG NJW 1976, 231; Roxin, 37/1; einschränkend im Hinblick auf polizeiliche Ermittlungen: Knemeyer/Deubert, NJW 1992, 3131 f.; dagegen: Bindel, DRiZ 1994, 165 (166). 2 HK-Krehl, Einl. Rn. 5; Prechtel, S. 59 f. m. w. N. 3 Meyer-Goßner, Einl. Rn. 60; Stade, S. 149, 160 f.; Krekeler, wistra 1983, 43 (47). 4 Odenthal, S. 92. 5 Heinemann, in: Aschrott (Hrsg.), S. 334 (340); Hahn II, Abg. Struckmann, S. 1225 (Kommission, zweite Lesung); vgl. zur Eidesleistung nach § 57 ERStPO: Hahn I, S. 112 f. (amtliche Begründung): Die amtliche Begründung weist darauf hin, daß auch schon im Vorverfahren das Bedürfnis nach einer beeideten Zeugenaussage auftreten

§ 1 Zweck des Ermittlungsverfahrens

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der öffentlichen Klage“), ist sich dabei der möglichen Weichenstellung für die späteren Verfahrensabschnitte jedoch bewußt, auch wenn er die Hauptverhandlung letztlich als Teilstück bezeichnete, in dem der Schwerpunkt des Verfahrens ruhe6 und somit die Verteidigungsrechte des Beschuldigten im Vorverfahren zurückhaltend verwirklichte7. So wurde in den Beratungen darauf hingewiesen, die Natur des Verfahrens werde in der Praxis häufig verkannt, die Hauptverhandlung lediglich zu einer „Schlußverhandlung“ degradiert8. Es wurde hervorgehoben, daß sich bestimmte Beweisaufnahmen eben nicht wiederholen ließen9, sie somit die Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung vorwegnähmen10. Im Rahmen der Erörterungen zur gerichtlichen Voruntersuchung wurde darauf hinkann. Jedoch solle sie in der Regel nur im Hauptverfahren erfolgen. Diese Erwägung wird auch auf die Überlegung gestützt, daß das Vorverfahren nur das Hauptverfahren vorbereite: „Alle Akte aber, welche wesentliche Bestandtheile des Verfahrens sind – und zu ihnen gehört die Beeidigung der Zeugen – müssen vor den Richtern, welche das Urtheil zu fällen haben, und in Gegenwart des Anklägers wie des Angeklagten erfolgen“; der Entwurf wolle verhindern, daß der Richter nicht mit „geschlossenen Akten und vorgefaßtem Urtheile in die Sitzung“ geht, vgl. Hahn I, Abg. Oehlschläger, S. 607 (Kommission, erste Lesung); gegen eine regelmäßige Zulassung der Vereidigung im Vorverfahren, die die „Frische der Hauptverhandlung“ gefährde: Hahn I, Abg. Schwarze, S. 604 (Kommission, erste Lesung). 6 Hahn I, S. 143 (amtliche Begründung). Somit ist wohl davon auszugehen, daß der Gesetzgeber sich (wissentlich um mögliche Verschiebungen) einer Idealvorstellung verschrieb, wonach der Schwerpunkt des Verfahrens in der Hauptverhandlung ruhen sollte; enger: Weihrauch, S. 1 ff.; Stade, S. 124, 129; Rieß, FS-RJA, S. 375 (435); Müller, AnwBl. 1986, 50 (51). 7 Vgl. Hahn I, von Mittnacht, S. 501 (erste Beratung im Plenum); Rieß, FS-Schäfer, S. 155 (207); Müller, AnwBl. 1986, 50 (51). 8 Dies sei ein notorischer Übelstand, der beseitigt werden sollte, vgl.: Hahn I, von Mittnacht, S. 501 (erste Beratung im Plenum). 9 Vgl. Hahn, S. 142 (amtliche Begründung zum Entwurf – § 124): „Kein Moment in dem Stadium der Kriminaluntersuchung“ sei so wichtig wie die Einnahme des Augenscheins, so Abg. Reichensperger, Hahn II, S. 1864 (Zweite Beratung im Plenum). Der Abgeordnete verweist insbesondere auf die Untersuchung von Leichen, die keinen Aufschub dulde. 10 Im Rahmen der Zulassung einer frühen Verteidigung wurde im Bericht der Justizkommission, Hahn II, S. 1532 f., festgestellt, daß bei nicht wiederholbaren Beweisaufnahmen im Ermittlungsverfahren Einseitigkeiten und „Irrthümern“ der Behörden vorgebeugt werden könnte. Möglichem Mißbrauch durch die Verteidigung sollte durch entgegengebrachtes Vertrauen begegnet werden, Hahn II, S. 1533 (Bericht der Kommission); vgl. ferner die Erörterungen zu § 159 a: Es wird darauf hingewiesen, daß dem Sachverständigen im Vorverfahren die Möglichkeit einer genügenden Vorbereitung für die Hauptverhandlung zu geben sei. Dabei sei insbesondere darauf abzustellen, ob der Gegenstand, auf den sich das Gutachten beziehe, in der Hauptverhandlung (immer noch) zur Verfügung stehe, Hahn II, Abg. Wolffson, S. 1632 (Protokolle der Justizkommission); Die Kommission wies ferner explizit darauf hin, daß es Aufgabe der Staatsanwaltschaft sei, Beweise zu sichern, vgl. Hahn II, S. 1539 f. (Bericht der Kommission); zuletzt schlägt sich die Bedeutung des Vorverfahrens selbst im Gesetzestext nieder, vgl. insbesondere: § 158 II RStPO (zur Beweissicherungsfunktion der Staatsanwaltschaft), §§ 252, 253, 254 RStPO (zur Verlesungsmöglichkeit von Protokollen); vgl. ferner Kettner, S. 9 f. zum Richtervorbehalt für die Anwendung von

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2. Kap.: Bedeutung des Ermittlungsverfahrens

gewiesen, daß sie keine Verschiebung der Beweisquellensuche und -verwertung bewirken sollte11. Wie zu zeigen sein wird, erahnte der historische Gesetzgeber jedoch nicht die zunehmenden Ausmaße der Wichtigkeit des Ermittlungsverfahrens12; seine Überlegungen zur prägenden Wirkung wurden weit übertroffen. Auch die Machtzuwächse der Staatsanwaltschaft waren damals nicht abzusehen13. Beschuldigten- und Verteidigerrechte wurden dazu zwar in gewissem Umfang ausgebaut14, doch ist fraglich, ob die Stellung des Beschuldigten im Ermittlungsverfahren angesichts der tatsächlichen Gegebenheiten nicht weiter aufgewertet werden muß15.

§ 2 Weichenstellung für das spätere Verfahren Im Ermittlungsverfahren werden über die bloße Stoffsammlung16 hinaus nach allgemeiner Ansicht die Weichen für das spätere Verfahren gestellt17. Nach Schünemann wird das im Ermittlungsverfahren erzielte Ergebnis in der heutigen Praxis durch die Hauptverhandlung lediglich „aufwendig abgesegnet“18. Nach Wolter ist das Ermittlungsverfahren „Kern und Höhepunkt“ des Strafverfah-

Zwangsmitteln der Verhaftung, vorläufigen Festnahme, Durchsuchung und Beschlagnahme im achten und neunten Abschnitt der RStPO. 11 Hahn I, S. 159 (amtliche Begründung): die Voruntersuchung solle sich nur im Rahmen des „Unentbehrlichen“ bewegen, um die Hauptverhandlung nicht vorwegzunehmen. Die Hauptverhandlung dürfe nicht zu einer bloßen „Schlußverhandlung“ verkommen, die das Aktenmaterial lediglich ergänze oder berichtige. Deshalb habe der Entwurf Restriktionen für den Anwendungsbereich der Voruntersuchung vorgesehen; in einem rechtsvergleichenden Hinweis bezüglich Amerika und England verzeichnet die Kommission die Verlegung des Schwerpunktes der Erörterungen weg von der Hauptverhandlung in die Voruntersuchung, vgl. Hahn II, S. 1544 f. (Bericht der Kommission); vgl. ferner: Abg. von Schwarze bedauert („Leider!“), daß die Kommission der Voruntersuchung so viel Gewicht verliehen, sie zum Schwerpunkt des Verfahrens gemacht hat. Daher müßte die Verteidigung schon zu diesem Zeitpunkt stärker ausgestaltet werden (Hahn I, S. 959 – Kommission, erste Lesung). 12 Richter II, NJW 1981, 1820 (1822). 13 Deren ursprüngliche Rolle ist maßgeblich in der Herausdrängung des inquirierenden Richters zu verorten, vgl. Rieß, FS-Rebmann, S. 381 (388 f.). 14 Vgl. Fezer, GS-Schröder, 407 (410). 15 Vgl. Stade, S. 130; Müller, NJW 1976, 1063 (1067). 16 Vgl. Rieß, FS-Schäfer, S. 155 (190); Richter II, NJW 1981, 1820 (1821). 17 Peters, Fehlerquellen II, S. 195, 299; Beulke, Der Verteidiger, S. 244 f.; Lange, S. 7; Kettner, S. 7 ff.; Krehl, S. 16 ff.; Fezer, GS-Schröder, S. 407 (412); Hamm, FSSarstedt, S. 49 (61 f.); Richter II, StV 1985, 382 (385); Bringewat, ZRP 1979, 248 (251); Dahs, ZRP 1968, 17 (19); vgl. ferner: Satzger, Gutachten, C 32 ff. (an dieser Stelle möchte der Verfasser Herrn Prof. Dr. Satzger für die Überlassung seines Manuskripts danken). 18 Schünemann, FS-Pfeiffer, S. 461 (482 f.); ders., Kriminalistik 1999, 146 (148).

§ 2 Weichenstellung für das spätere Verfahren

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rens19. Somit mag ursprünglich die normative Bedeutung eines Strafverfahrens in der Hauptverhandlung liegen20; doch ist die dortige Beweisaufnahme häufig ein Abbild der im Ermittlungsverfahren gewonnenen Ergebnisse und Bewertungen, auf die der Staatsanwalt seine Entschließung zur Anklageerhebung stützt21.

A. Dem Ermittlungsgang inhärente Vorprägung der Hauptverhandlung Die Wiederholbarkeit des Sachbeweises in der Hauptverhandlung ist eingeschränkt. Schon Heinemann22 wies darauf hin, daß jede Maßnahme im Vorverfahren einen Akt endgültiger Beweisaufnahme darstelle23. So sind Obduktion24 und die Exploration durch einen Sachverständigen25 nicht reproduzierbar. Auch die Identifizierungsgegenüberstellung im Ermittlungsverfahren birgt die Gefahr in sich, lediglich das früher gewonnene Wiedererkennen in die Hauptverhandlung zu übertragen26. Solche, das Unmittelbarkeitsprinzip umgehende Vorprägungen liegen in der Natur der Sache27. So sind auch Durchsuchung und Beschlagnahme ihrer Natur nach auf Beweissicherung und somit auf eine gewisse Vorwegnahme der Hauptverhandlung gerichtet28. Der im Ermittlungsverfahren gesammelte Sachbeweis wird jedoch immer bedeutsamer29, wozu neue technologische Ermittlungsmethoden30 sowie erleich19 SK-Wolter, Vor § 151 Rn. 57 ff.; Weigend, ZStW 104 (1992), 486 (504); kritisch: Pfeiffer, Einl. Rn. 48. 20 Vgl. BVerfGE 39, 156 (167 f.); 74, 358 (372) wonach die Hauptverhandlung – als alleinige Erkenntnisgrundlage der Urteilsfindung – das „Kernstück des Strafverfahrens“ darstelle. Alle vorhergehenden Verfahrensabschnitte seien von untergeordneter Bedeutung. 21 Vgl. Peters, Fehlerquellen II, S. 195 f.; S. 212, 217 ff.; Peters verweist auch auf die Bedeutung für ehren- und berufsgerichtliche Verfahren, S. 213. 22 In: Aschrott (Hrsg.), S. 334 (340 f.): Der „Geist des Vorverfahrens“ ziehe durch „tausend Kanäle“ in die Hauptverhandlung ein. 23 Er fordert die Parteiöffentlichkeit für das Vorverfahren, S. 341, welche im Falle notwendiger Verteidigung durch die frühzeitige Bestellung für den ersten vor dem Einzelrichter stattfindenden Termin abgesichert werden soll, S. 355 f. 24 Richter II, StV 1985, 382 (386). 25 Vgl. Müller in einer Podiumsdiskussion des Strafrechtsausschusses des DAV, AnwBl. 1986, 72 (79). 26 Odenthal, NStZ 1984, 137; dies erscheint umso beachtenswerter, als Identifizierungsgegenüberstellungen häufig nicht lege artis durchgeführt werden und dort aufgetretene Fehler oft nicht mehr auszugleichen sind, vgl.: Nack, StraFo 2001, 1 (7); Merten/Schwarz/Walser, Kriminalistik 1998, 421 (427 f.). 27 Richter II, StV 1985, 382 (386); Rieß, ZRP 1977, 67 (74). 28 Kettner, S. 8. 29 Dies war vom Gesetzgeber der RStPO kaum vorherzusehen, vgl. SK-Wolter, Vor § 151 Rn. 62; Wolter, Aspekte, S. 56 f.; Rieß, FS-Schäfer, S. 155 (184 f.). 30 Vgl. schon Deckers, AnwBl. 1986, 60; Schünemann, ZStW 114 (2002), 1 (15).

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2. Kap.: Bedeutung des Ermittlungsverfahrens

terte und gestiegene Beweisaustauschmöglichkeiten unter den Behörden31 geführt haben. Insofern ist die Bedeutung des Ermittlungsverfahrens durch die veränderte Stellung des Sachbeweises gestiegen. In diesem Zusammenhang ist auf die überragende Bedeutung des Sachverständigenbeweises32 hinzuweisen. Im Ermittlungsverfahren bestellt die Staatsanwaltschaft (§ 161 a I 2) oder – im Stadium des § 163 – die Polizei den Sachverständigen (§ 73)33. Dieser wird meistens in der Hauptverhandlung von dem Gericht herangezogen34, obwohl diesem die freie Entscheidung über die Hinzuziehung eines anderen oder weiteren Sachverständigen nach § 73 nicht abgesprochen wird. Der Verteidiger hat nach den Richtlinien über das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren grundsätzlich die Möglichkeit, die Auswahl eines Sachverständigen durch den Richter bzw. die Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren zu beeinflussen35. So „soll“ der Verteidiger gemäß Nr. 70 I RiStBV grundsätzlich zu der Person des Sachverständigen vor dessen Auswahl Stellung nehmen können36. Seine Einflussmöglichkeiten auf die Person des Gutachters sind in der Praxis jedoch gering zu veranschlagen37. Somit wird das im Ermittlungsverfahren gewonnene Ergebnis des von den Strafverfolgungsbehörden ausgewählten Sachverständigen letztlich in die Hauptverhandlung übertragen.

31 So wurde eine Verbindung repressiver Strafverfolgung mit präventiver oder nachrichtendienstlicher Tätigkeit geschaffen, vgl. Krey, FS-Kohlmann, S. 627 (650); Schünemann, ZStW 114 (2002), 1 (15); P.-A. Albrecht, StV 2001, 416 (417 f.). 32 Müller, NJW 1976, 1063 (1067). 33 So KK-Wache, § 161 a Rn. 10; Meyer-Goßner, § 161 a Rn. 12; zur Legalisierung der Praxis der Staatsanwaltschaft, den Sachverständigen im Ermittlungsverfahren zu bestellen, durch das 1. StVRG: Grünwald, Gutachten, C 39 f. 34 Kritisch zu dieser gesetzlich zulässigen Praxis: AK-Achenbach, § 161 a Rn. 7; SK-Wolter, Vor § 151 Rn. 62; Baumann, S. 69; Tondorf, Rn. 88 f.; Boetticher, Sonderheft-Schäfer, S. 8 (13 f.); Krekeler, AnwBl. 1986, 62 (64). 35 Angesichts der Schwierigkeiten der Einschaltung eines Privatgutachters (vgl. Stade, S. 257 ff.), kommt diesem Einfluß entscheidende Bedeutung zu. Die richterliche Entscheidungsfindung wird maßgeblich durch die Ausführungen des Sachverständigen beeinflußt, vgl. Barton, StV 1983, 73 (75); Foth/Karcher, NStZ 1989, 166 (167). 36 Eine Stellungnahme des Verteidigers ist nicht erforderlich, wenn ein häufig wiederkehrender, gleich gelagerter Sachverhalt betroffen ist, oder die Gefährdung des Untersuchungszwecks es verbietet, bzw. eine Verzögerung des Verfahrens zu besorgen ist, vgl. Nr. 70 I RiStBV. 37 Baumann, S. 70; vgl. ferner die These I. 3 d) der Arbeitsgemeinschaft kriminaltechnische Enwicklungen und ihre praktische Bedeutung für die Strafverteidigung zum 16. Strafverteidigertag, StV 1992, 346; verstärkte Bedeutung dürfte diese Sollvorschrift durch ihre vom Eckpunktepapier geplante (vgl. StV 2001, 314 (315 Nr. 2) und von der Literatur befürwortete (Ignor/Matt, StV 2002, 102, 106) gesetzliche Verankerung erfahren. So ist. nach dem Diskussionsentwurf für die Reform des Strafverfahrens durch die Bundesregierung (Februar 2004) einem Verteidiger grds. Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, vgl. § 73 III 1 EStPO.

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B. Vorbestimmung der Ermittlungsrichtung durch normative und psychologische Gegebenheiten Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens sind Vorprägungen normativer und psychologischer Art zu berücksichtigen. I. Vorbestimmung durch normative Elemente Die normative Ermittlungsrichtung ergibt sich zunächst aus dem Anfangsverdacht nach § 152 II und dem hinreichenden Tatverdacht nach §§ 170 I, 203. Die erste Hürde, welche zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens durch die Strafverfolgungsbehörden genommen werden muß, ist der Anfangsverdacht nach § 152 II. Diesen muß die Staatsanwaltschaft oder die Polizei bejahen, um entsprechende Ermittlungen gegen einen Beschuldigten einzuleiten. Bei Bejahung hinreichenden Tatverdachts nach §§ 170 I, 203 hat die Staatsanwaltschaft Anklage zu erheben oder entsprechende verfahrensrechtliche Schritte einzuleiten, es sei denn das Opportunitätsprinzip gestattet ihr eine Einstellung in diesem Verfahrensstadium. Normativ ist damit eine Belastungstendenz abzusehen38. Auch die im Ermittlungsverfahren möglichen Zwischenmaßnahmen unterstreichen die normative Ermittlungstendenz. Die Staatsanwaltschaft überprüft von Amts wegen, ob deren Voraussetzungen vorliegen, um bei Bejahung ihrer rechtlichen Zulässigkeit sowie ihrer ermittlungstaktischen Erforderlichkeit entsprechende Anträge zu stellen. Sie hat den Sachverhalt stetig unter diesem für den Beschuldigten „negativen Effekt“ im Auge zu behalten. Nach § 160 II hat die Staatsanwaltschaft sowohl die be- als auch die entlastenden Beweise zu ermitteln. Die Staatsanwaltschaft kann jedoch nur den entlastenden Momenten nachgehen, die ihr bekannt sind. Hierin liegen die tatsächlichen Defizite staatlicher Ermittlungen. Ferner sammelt die Staatsanwaltschaft entlastende Umstände erst, wenn belastende Umstände zu Ermittlungen Anlaß gegeben haben. Die entlastende Ermittlungstätigkeit folgt der belastenden naturgegebenermaßen nach39. Auch geht § 160 II davon aus, daß be- und entlastende Beweise mit gleicher Intensität gesammelt werden. In der Praxis wird jedoch häufig einer einseitigen Ermittlung der Vorzug gegeben40. So wird der Verteidiger schon in den Erörterungen zur Reichsstrafprozeßordnung als „dankbare“ Einrichtung und „willkommener Beistand“ (auch im Vorverfahren) verstanden, um die materielle Wahrheit im Strafverfahren zu finden41. Zum Teil können nur eigene Ermittlungen des Verteidigers oder die 38 Stade, S. 4, 227 f., 368; Grünwald, Gutachten, C 32; Hahn, S. 103 Anm. 131; Bringewat, ZRP 1979, 248 f. 39 Krekeler, StraFo 2001, 329 (332). 40 Vgl. Kühne, Rn. 138.

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Wahrnehmung des Beweisantragsrechtes entlastende Umstände zu Tage bringen. Dies auch wegen der Zurückhaltung, mit welcher der Beschuldigte Staatsanwaltschaft und Gericht begegnet42. II. Psychologische Betrachtung Die den Normen zu entnehmende Vorbestimmung wird durch psychologische Überlegungen gestützt. Letztlich müßte die Staatsanwaltschaft entgegen ihrer Arbeitsrichtung, der Ermittlung und Überführung eines Beschuldigten43, handeln, um entlastende Beweise zu ermitteln. Schon dies stellt die Charakterisierung der Staatsanwaltschaft als „objektivste Behörde der Welt“44 in Frage. 1. Die Hauptverhandlung Wird Anklage erhoben, so erfolgt in nur 3–4% aller Verfahren ein Freispruch45. Diese geringe Freispruchsquote kann auf folgende Überlegungen zurückgeführt werden. Im Rahmen der Hauptverhandlung sind zwei Phänomene anzutreffen, der sog. Perseveranz-46 und der Schulterschlußeffekt. Danach rekurriert der Richter auf die von der Staatsanwaltschaft und der Polizei vorgenommenen Einschätzungen und orientiert sich an der Würdigung des Falles durch die Staatsanwaltschaft47. 41 Vgl. Hahn II, S. 1532 (Bericht der Kommission); keine Verdunkelung des Sachverhalts, sondern ein Hervorbringen günstiger, für den Angeklagten sprechender Tatsachen (und damit der materiellen Wahrheit) schaffe eine „innere Verbindung“ und eine „wahrhafte Harmonie“ zwischen Anklage und Verteidigung. Möglichem Mißbrauch sollte durch entgegengebrachtes Vertrauen begegnet werden. Dies sei der „beste Schutz“; Rieß (FS-RJA, S. 373, 406 f.) betont die ins „Pathetische gesteigerte hohe sittliche Auffassung von den Aufgaben der Verteidigung“, bemerkt aber zugleich, daß hier Grenzen der Verteidigung durch die Wahrheitsermittlung beschrieben werden. „Gewisse inquisitorische Restbestände“ könnten nicht verleugnet werden. 42 Vgl. Unnerstall, S. 40 f.: „. . . kommt noch hinzu, daß der Angeklagte begreiflicherweise im Staatsanwalt und Richter wegen des unerhörten Abstandes nie seine Rechtsfreunde sehen wird“; Krattinger, S. 47; H. Schmidt, S. 11, 14. 43 Stade, S. 3; Knapp, S. 120. 44 Nach Döhring (DRiZ 1958, 282, 286) geht diese Bezeichnung auf den Oberstaatsanwalt von Berlin, Herrn Hugo Isenbiel, zurück (vgl. Koller, S. 47 ff. m. w. N.; ferner: Katz, in: Walter (Hrsg.), S. 149 (155 Fn. 25). 45 Schünemann, FS-Pfeiffer, S. 461 (478); ders., StV 1998, 391 (394 f.); Rieß, FSSchäfer, S. 155 (208). 46 Die für ein bestimmtes Urteil als entscheidend angesehene Information behält ihren Einfluß auch dann noch auf die Urteilsbildung, wenn sie sich als unbrauchbar erwiesen hat – Perseveranz Phänomen, vgl. Wiswede, S. 425; grundlegend: Ross/Lepper/Hubbard, Journal of Personality and Social Psychology, Vol. 32 (1975), 880 (888 ff.); nach Bandilla (S. 28) ist deren empirische Evidenz insbesondere im strafverfahrensrechtlichen Bereich nicht eindeutig. 47 Schünemann, Kriminalistik 1999, 146 (149 f.).

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a) Theorie der kognitiven Dissonanz48 Diese von Festinger begründete Theorie besagt, daß der Mensch verschiedene Kognitionen49, die zueinander in Beziehung stehen50, auf unterschiedliche Weise in Einklang bringen möchte, indem er konsonante51 Beziehungen zwischen seinen Kognitionen zu erreichen versucht52. Es können neue konsonante Kognitionen addiert53, dissonante Kognitionen subtrahiert54 oder erfolgte Kognitionen substituiert55 werden. Das Streben nach kognitiver Balance ist dabei von der Dissonanzstärke abhängig56. Welche Variante des Prozesses eintritt, wird durch den Änderungswiderstand der Kognition determiniert57; dieser basiert überwiegend auf der Anzahl von 48 Vgl. zur Theorie der kognitiven Dissonanz grundlegend Festinger (1957); ders. (1964); weiterentwickelt von Irle, Sozialspsychologie, S. 310 ff. (317 ff.), der die Theorie auch auf die Phase vor Entscheidungen anwendet (vgl. dazu: Bandilla, S. 32 ff.; Frey, 1981, S. 30 f.; Beckmann, S. 27 ff.), Irle/Möntmann, in: Dies. (Hrsg.), S. 274 ff., 288 ff., 317 ff.; Frey/Gaska, in: Frey/Irle (Hrsg.), Theorien der Sozialpsychologie/Bd. 1, S. 275 ff.; Frey, Informationssuche (1981); zu weiteren Modifikationen vgl. Fischer/Wiswede, S. 254 ff.; zur Übertragung dieser Theorie auf den Strafprozeß, vgl. insbesondere: Schünemann, GA 1978, 161 ff.; ders., ARSP-Beiheft Nr. 22, S. 68 (81 ff.); ders., FS-Pfeiffer, S. 461 (475 ff.); ders., in: Kerner/Kury/Sessar (Hrsg.), Band II, S. 1109 ff. (1142 ff.); ders., in: Bierbrauer/Gottwald/Birnbreier-Stahlberger (Hrsg.), S. 215 ff; ders., Kriminalistik 1999, 146 (148 ff.); ders., StV 2000, 159 ff.; ders., ZStW 2002, 1 (21 f.); Bandilla, Informationsverarbeitung (1986); Barton, StraFo 1993, 11 (13 ff.); ferner: Haisch (1973). 49 Meinungen, Glaubensweisen, Fachwissen, Informationen, Attitüden etc. vgl. Fischer/Wiswede, S. 241; Frey, Informationssuche, S. 17; Frey/Gaska (1993), S. 275 (276); Barton StraFo 1993, 11 (13). Die Person muß diese aufgenommen haben und sie als Kognition reproduzieren. Dies geschieht, sobald „ein Minimalwert der subjektiven Wahrscheinlichkeit überschritten wird, daß diese Hypothese wahr ist, bzw. empirische Ereignisse erklären kann“, vgl. Irle, Sozialpsychologie, S. 312 f. 50 Frey, Informationssuche, S. 17. Nur relevante Kognitionen können konsonant oder dissonant sein; Irle, Sozialpsychologie, S. 311 f. 51 Zwei Kognitionen sind konsonant zueinander, wenn sie psycho-logisch miteinander vereinbar sind. Sie sind dissonant zueinander, wenn ohne Berücksichtigung anderer Kognitionen aus der einen das Gegenteil der anderen folgt, vgl. Bierhoff/Herner, Begriffswörterbuch, S. 43; Fischer/Wiswede, S. 241; Frey/Gaska (1993), S. 275 (276); Bandilla, S. 31. 52 Frey/Gaska (1993), S. 275 (276); Frey, Informationssuche, S. 18 ff.; Schünemann, in: Kerner/Kury/Sessar (Hrsg.), Bd. II, S. 1109 (1117); Köhnken, MschrKrim 1997, 290 (294). 53 Auch kann eine neue Kognition addiert werden, die zwei dissonante Kognitionen verbindet, vgl. Frey, Informationssuche, S. 18. 54 Die Subtraktion erfolgt durch Ignorieren, Vergessen, Verdrängen. 55 Dies erfolgt dadurch, daß dissonante Kognitionen subtrahiert und konsonante Kognitionen gleichzeitig addiert werden. 56 Die Dissonanzstärke beruht auf dem Anteil dissonanter Kognitionen gegenüber den konsonanten Kognitionen und deren Wichtigkeit. 57 Bierhoff/Herner, S. 44; Frey, Informationssuche, S. 19; Irle, Sozialpsychologie, S. 310 ff. (316 f.). Dabei ist die Veränderungsresistenz gegenüber harten Erkenntnis-

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Kognitionen, die zu dieser Kognition in konsonanter Beziehung stehen58. Hierbei ist auch das „commitment“ 59 zu dieser Kognition einzubeziehen60. Der Prozeß der Dissonanzreduktion geht damit den Weg des geringsten (psychologischen) Widerstandes und zielt auf langfristige Balance ab61. Aus diesem „Streben“ nach kognitiver Balance entwickelt sich der InertiaEffekt62. Nach diesem wird der Wert von Informationen tendenziell unterschätzt, wenn sie der früheren Information und der darauf beruhenden Hypothese widersprechen. Er wird überschätzt, wenn sie ihr entsprechen63. Maßgeblich ist insofern die erste subjektive Hypothese, auf welcher die Person dann verharrt64. Nach den von Schünemann durchgeführten Experimenten an der Universität Mannheim in den Jahren 1979 bis 1981 ist der Inertia-Effekt für den Richter, der die Verfahrensakten kennt65, vorprogrammiert, indem er die Hypothese über die zu erwartenden künftigen Kognitionen durch den Eröffnungsbeschluß aufnimmt66. Die subjektive Hypothese über die wahrscheinliche methoden (wie z. B. Urkunden) geringer als gegenüber weichen Erkenntnismethoden (z. B. Zeugenvernehmungen). Gerade diese werden jedoch regelmäßig im Strafverfahren angewendet, vgl. Schünemann, ARSP-Beiheift Nr. 22, S. 68 (83). 58 Wiswede, Sozialpsychologielexikon, S. 93; Irle, Sozialpsychologie, S. 316 f.; vgl. zu dessen Erweiterungen gegenüber der Konzeption des Änderungswiderstandes von Festinger: Bandilla, S. 32 f., 36; Frey/Gaska (1993), S. 275 (280 f.); Barton, StraFo 1993, 11 (13). 59 „Commitment“ ist die subjektive Überzeugung von der Richtigkeit der eigenen Kognition. Der Begriff beschreibt die Selbstverpflichtung, ein Verhalten oder eine Kognition aufrecht zu erhalten (etwa (1) aufgrund öffentlicher Bindung: die Entscheidung wird im Beisein anderer getroffen oder (2) aufgrund von Freiwilligkeit: es besteht die Auswahl aus alternativen Möglichkeiten), vgl. Wiswede, Sozialpsychologielexikon, S. 75, 93; Irle, Sozialpsychologie, 359 ff.; zur Einführung des „commitment“ in die Theorie der kognitiven Dissonanz: Brehm/Cohen, insbesondere auf S. 299 f.; Festinger, 1964, S. 156. Das „commitment“ wird auch schon bei der Entstehung von kognitiver Dissonanz berücksichtigt. 60 Ders./Möntmann, in: Dies. (Hrsg.), 1978, 274, 285 ff. 61 Wiswede, Sozialpsychologielexikon, S. 93; Frey, Informationssuche, S. 19 f. 62 So bezeichnet von Pitz/Downing/Reinhold, Canadian Journal of Psychology 1967, Vol. 21 (1967), 381 (390 ff.): „No previous investigator has noted that change towards certainty following a confirming event was greater than change towards uncertainty following a disconfirming event . . . For want of a better term the effect as it occurred in the present experiment may be referred to as an inertia effect“. 63 Frey, Informationssuche, S. 78 f.; Schünemann, in: Bierbrauer/Gottwald/Birnbreier-Stahlberger (Hrsg.), S. 215 (217 f.); ders., StV 2000, 159 (160); ders., FS-Pfeiffer, S. 461 (477 f.); ders., GA 1978, 161 (172); Barton, StraFo 1993, 11 (14); Bandilla/Hassemer, StV 1989, 551 (552 f.). 64 Vgl. Maisch, NJW 1975, 566 (569 f.). 65 Gegen einen solchen vorprogrammierenden Effekt der Aktenkenntnis: Haisch, S. 160 ff. (167). Nach ihm trat der Inertia-Effekt verstärkt bei Aktenunkenntnis der Richter auf. 66 Schünemann, in Kerner/Kury/Sessar (Hrsg.), Bd. II, S. 1109 (1118), ders., in: Bierbrauer/Gottwald/Birnbreier-Stahlberger (Hrsg.), S. 215 (221 f.); Bandilla/Hassemer, StV 1989, 551 (553); leichte Kritik an der externen Validität der Ergebnisse von

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Schuld des Angeklagten wird von dem Richter in der Hauptverhandlung zu stützen gesucht67; sie wird lediglich bei außergewöhnlich stark entlastenden Informationen überdacht. Der Inertia-Effekt greift hingegen im Regelfall der nicht eindeutig entlastenden Information (also bei einer ambivalenten Beweislage) in der Hauptverhandlung. Informationspsychologisch liegt ein sog. „Redundanzeffekt“ vor, wonach spätere informationsreichere Nachrichten vielfach noch nicht einmal wahrgenommen werden; informationsärmere Nachrichten werden (weil einfacher) schneller verarbeitet und besser erinnert68. Dies sind die aus den Ermittlungsakten bekannten Informationen69. Die kognitive Balance durch die Addition neuer, Subtraktion alter oder Substitution von Kognitionen kann auch durch eine selektive Informationssuche (außerhalb oder innerhalb des kognitiven Systems) erfolgen70. Die einmal akzeptierte Hypothese wird durch eine intensivere Suche nach der sie bestätigenden Informationen gestärkt71. Quellen, deren Informationen potentiell dissonanzerhöhend sind, werden aktiv vermieden72. Schünemann bei Bandilla, S. 18 f.: Die Richter mit Aktenkenntnis könnten generell „strenger“ sein als die Vergleichsgruppe. Nach Bandilla können die Informationsverzerrungseffekte bei der Beweisaufnahme nicht hinreichend eine vorweggenommene Beweiswürdigung nachweisen (vgl. jedoch Krekeler, StraFo 2001, 329, 331), es müßten zusätzliche Daten über die Zeugenbefragungen gewonnen werden. Im Rahmen seiner eigenen Untersuchungen äußert er lediglich Vermutungen hinsichtlich der Informationsverarbeitung während der Beweisaufnahme, S. 65 f., 77, 87, 115 f. Bezüglich des Urteilsverhaltens und der Informationsverarbeitung bestätigt er jedoch einen Einfluß der Ermittlungsakten, S. 112 ff. 67 Vgl. ferner: Haisch, S. 160 ff.; ders., MschrKrim 1979, S. 157 ff. Auch er kommt zu dem Ergebnis, daß nach erfolgter Hypothesenbildung den Angeklagten belastende im Vergleich zu entlastenden Informationen tendenziell überschätzt werden; kritisch bezüglich der externen Validität der Untersuchung von Haisch: Bandilla, S. 18, 50 – durch die vorweggenommene Beweiswürdigung, indem die Versuchspersonen die Wahrscheinlichkeit der Schuld des Angeklagten nach jeder ihnen präsentierten Information über den Angeklagten einschätzen sollten, wurde gegen die formelle Struktur der Hauptverhandlung verstoßen; ferner könnte jeder Messvorgang ein gewisses „commitment“ erzeugen und hierdurch das Entscheidungsergebnis beeinflußt haben. 68 Köhnken, MschrKrim 1997, 290 (294); Schünemann, GA 1978, 161 (171 mit Fn. 51 a); ders., in: Bierbrauer/Gottwald/Birnbreier-Stahlberger (Hrsg.), S. 215 (222, 226 f.). Ferner wird die Informationsverarbeitung beeinflußt, wenn der Richter keine eigene Möglichkeit zur Fragestellung und damit zur Steigerung seiner Aufmerksamkeit besitzt. 69 Vgl. Beulke, Der Verteidiger, S. 252 (die Ermittlungsakte ist „Transmissionsriemen“). 70 Frey, Informationssuche, S. 288; Frey/Gaska (1993), S. 275 (295 f.); die Person wird vor allem solche Information erinnern, die die eigenen Überzeugungen fördern und bestätigen wird, vgl. Köhnken, MschrKrim 290 (294 f.). 71 Vgl. Festinger, 1957, S. 128; Frey, Informationssuche, S. 26 ff.; Frey/Gaska (1993), S. 275 (276 f.); Schünemann, Bierbrauer/Gottwald/Birnbreier-Stahlberger (Hrsg.), S. 215 (218); ders., StV 2000, 159 (160); zu einem Beispiel: Bandilla, S. 46 –

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Frey wies nach, daß diese Such- und Vermeidungsstrategie nicht uneingeschränkt zutrifft73. So werden konsonante Informationen im Vergleich zu dissonanten bevorzugt, wenn die Informationsmenge steigt74. Ferner ist die Strategie abhängig von der Reversibilität einer Entscheidung (bzw. Verhalten, Meinung, Hypothese75). Bei reversiblen Entscheidungen, die eine geringere Dissonanz erzeugen und deren Änderungswiderstand geringer ist, ist die Suche nach konsonanten Informationen bei zunehmender Dissonanz im Vergleich zu irreversiblen Entscheidungen geringer76. Auch der Grad der Vertrautheit/Kenntnis mit/von dem Inhalt konsonanter Informationen beeinflußt die Informationsselektion77. Ist der Betroffene mit konsonanten Informationen vertraut, so steigt die Bereitschaft, sich dissonanten Informationen auszusetzen, um diese zu widerlegen78. Vertrautheit mit sowohl dissonanten als auch konsonanten Informationen führt zu einer Präferenz konsonanter Informationen79. Darüber hinaus ist bei schwer widerlegbaren Informationen die Informationsselektion stärker als bei leicht widerlegbaren80. Nach Frey81 werden dissonante Informationen dann gesucht, – „wenn das kognitive System bzw. die betroffenen Bereiche so stabil sind, daß die dissonanten Informationen leicht integriert werden können (z. B. durch Widerlegung oder Differenzierung), womit eine weitere Stabilisierung des kognitiven Systems erreicht wird“; – „wenn das kognitive System bzw. die betroffenen Bereiche so geschwächt sind, daß die Addition konsonanter Informationen langfristig gesehen eine weniger effektive und stabile Dissonanzreduktion bewirkt als die Änderung des kognitiven Systems“. durch gezielt auf Belastungsmerkmale gerichtete Fragen an den Zeugen oder Angeklagten. 72 Frey, Informationssuche, S. 282 f.; Festinger (1964), S. 96. 73 Frey, Informationssuche, S. 287 ff.; vgl. schon die revidierte Fassung bei Festinger (1964), S. 96 im Gegensatz zu ders., 1957, S. 96. 74 Frey, Informationssuche, S. 119 ff. 75 Frey, Informationssuche, S. 287. 76 Frey, Informationssuche, S. 178 ff., 186 f., 220 ff., 244 ff., 275, 278, 288. Jedoch werden auch bei reversiblen Entscheidungen konsonante Informationen bevorzugt, S. 275. Die Vermeidung dissonanter Informationen weise bei zunehmender Dissonanz bezüglich der Reversibilität der Entscheidungen keine Signifikanz auf. 77 Frey, Informationssuche, S. 163 ff., 277 f., 287. 78 Somit sind Personen, die sich ihrer Entscheidung sicher sind, eher in der Lage, sich dissonanten Informationen auszusetzen, um diese zu widerlegen, vgl. Frey, Informationssuche, S. 120 ff., 171, 175, 288 – anders jedoch auf S. 138 ff., 144, 280 f., wonach die Sicherheit keinen Einfluß auf die Informationsselektion habe. 79 Frey, Informationssuche, S. 277 f. Gleiches gilt, wenn er mit keiner Information vertraut ist. 80 Frey, Informationssuche, S. 138 ff., 287. 81 Frey, Informationssuche, S. 288; Frey/Gaska (1993), S. 275 (295 f.).

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Die nicht empirisch bestätigte Vermutung Freys, wonach generell bei Gerichtsfällen eine Norm des Abwägens vorherrsche und damit eine Suche nach konträren Informationen motiviert werde82, die Theorie der kognitiven Dissonanz insofern also nicht anwendbar scheint, kann durch die Untersuchungen von Schünemann als widerlegt gelten83. Barton weist bei grundsätzlicher Anerkennung des Inertia-Effektes auch im Strafverfahren darauf hin, daß diese Vorprogrammierung bei Schöffen und Berufsrichtern, die die Akten nicht eingesehen haben, fehlt84. Auch betreffe der Inertia-Effekt, der nur bei einer ambivalenten Beweislage (in höherem Maße) zu messen sei85, nicht alle Entscheidungen des Richters gleichmäßig86. Wenngleich der „Recency-Effekt“, wonach die Seite, die ihre Argumente als letztes vortragen kann, im Vorteil ist und dadurch dem Angeklagten aufgrund der Reihenfolge der Plädoyers in der Hauptverhandlung ein Vorteil zukommt87, nur mit Vorbehalt angenommen werden kann88, ist anznehmen, daß er keinen vollständigen Ausgleich für die angeführten kommunikativen Nachteile darstellt89. Somit kommt der Inertia-Effekt insbesondere bei der Tatfrage in einer ambivalenten Beweislage ohne zuverlässige Beweismittel zum Tragen; wird unter diesen Voraussetzungen darüber hinaus noch ein Entlastungsbeweis in das Verfahren zu einem späten Zeitpunkt eingeführt, so tritt ein sog. „Bumerangeffekt“ ein90. Die Entlastungsbeweise werden in einer solchen Situation nicht nur verdrängt, sondern Belastungsbeweise stärker gewichtet91. Auch die Kommunikationsebene kann dadurch gestört werden. „Defensogene“ Verurteilungen erscheinen möglich92. Daraus wird gefolgert, daß Entlastungsbeweise schon vor der Hauptverhandlung einzubringen sind93. Bei spätem Vorbringen „verpuffe“ die Wirkung des Beweismittels oder werde in ihr Gegenteil verkehrt. 82

Frey, Informationssuche, S. 165 mit Fn. 4. Vgl. Bandilla, S. 44. 84 Barton, StraFo 1993, 11 (15 f.); vgl. ferner Schünemann, StV 1998, 391 (392). 85 Vgl. ferner: Bandilla, S. 44 f.; ders./Hassemer, StV 1989, 551 (553: „gerade“ in ambivalenten Situationen sei die Kenntnis der Ermittlungsakte verhängnisvoll). 86 Barton, StraFo 1993, 11 (15 f.), so u. a. bei der prospektiven Rechtsfolgenbestimmung; hier ist jedoch auf den möglichen Schulterschlußeffekt zu achten, vgl. im folgenden. 87 Vgl. Thibaut und Walker, S. 54 ff. 88 Kritisch: Schünemann, in Kerner/Kury/Sessar (Hrsg.), Bd. II, S. 1109 (1122 mit Fn. 18); Bandilla, S. 22. 89 Barton, StraFo 1993, 11 (16). 90 Vgl. Irle, Sozialpsychologie, S. 364 f.; Irle/Möntmann, in: Dies. (Hrsg.), 1978, S. 274 (347 ff.). 91 Barton, StraFo 1993, 11 (16). 92 Barton, StraFo 1993, 11 (16); allgemein zur unter Umständen ablehnenden Haltung der Ermittlungsbehörden gegenüber den Verteidigern, Krekeler, StraFo 2001, 329 (333) m. w. N. 93 Bandilla/Hassemer, StV 1989, 551 (552); Barton, StraFo 1993, 11 (17). 83

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2. Kap.: Bedeutung des Ermittlungsverfahrens

Die angenommene Zurückhaltung mit Verteidigungsstrategien in einem frühen Verfahrensstadium kann somit nicht generell empfohlen werden. Lediglich wenn der Inertia-Effekt angesichts der Sach- und Beweislage nicht einschlägig ist94, könnte der Verteidiger auf einen Überraschungseffekt setzen. Im Zweifel sollte das Vorbringen der Verteidigung möglichst früh erfolgen95. b) Theorie der sozialen Vergleichsprozesse Fraglich ist, inwieweit sich interpersonelle Verbindungen zwischen Richter, Staatsanwaltschaft und Polizei auf die Informationsverarbeitung auswirken. Arbeitshypothesen einer anderen Körperschaft bzw. Person (die einen Vertrauensvorschuß als staatliche, dem Grundgesetz unterliegende Einrichtung genießt, vgl. Art. 1 III GG, und unter Strafandrohung nach § 344 StGB an Recht und Gesetz gebunden ist) könnten zur Stabilisierung oder Herausarbeitung der eigenen Arbeitshypothese herangezogen werden96. Von dieser Annahme geht die Theorie der sozialen Vergleichsprozesse aus. Sie nimmt an, daß bei ambivalenten/unsicheren Situationen ein Vergleich zu einer getätigten Kognition mit einer dazu als fähig angesehenen sozialen Instanz angestrengt wird97. Es tritt ein 94 So, wenn die Verteidigung absolut zuverlässige Beweismittel beibringen kann, vgl. Barton, StraFo 1993, 11 (18). 95 Barton, StraFo 1993, 11 (18); weitergehender: Bandilla/Hassemer, nach denen ein spätes Vorbringen immer Gefahr laufe, unberücksichtigt zu bleiben (StV 1989, 551, 553 f.). 96 So wird auch eine Untersuchungshaftentscheidung des Ermittlungsrichters für die Schuldhypothese des Richters als mitbestimmend angesehen, vgl.: Langer, S. 128 ff., 195; Krekeler, StraFo 2001, 329 (332); zur Feststellung „U-Haft schafft Rechtskraft“ siehe Schlothauer/Weider, Rn. 23. 97 Grundlegend: Festinger, Human Relations 7, 117 (118 f.: „To the extent, that objective, non-social means are not availabe, people evaluate their opinions and abilities by comparison respectively with the opinions and abilities of others“ und S. 121: „. . . someone close to one’s own opinion or ability will be chosen“); ders., 1957, S. 177 ff.; dazu: Frey/Dauenheimer/Parge/Haisch (1993), S. 75 ff.; Stroebe, in: Frey/ Greiff (Hrsg.), S. 330 ff.; Schünemann, FS-Pfeiffer, S. 461 (478 f.); ders., ARSP-Beiheft Nr. 22, S. 68 (83). Festinger nimmt an, daß ein sozialer Vergleich ohne eine erste (vorgezogene) eigene Realitätsprüfung (anhand „objektiver“ Kriterien) vorgenommen wird, wenn diese unmöglich ist. Auch ein zu hoher „Kostenaufwand“ einer eigenen Realitätsprüfung soll hier eine Rolle spielen, vgl. Fischer/Wiswede, S. 156 f. Hinzutreten können weitere Motive, die gegen eine eigene Realitätsprüfung sprechen (Irle, Sozialpsychologie, 1975, S. 165 ff., 166 f. – das durch die Hypothese befürchtete ungünstige Ergebnis der eigenen Realitätsprüfung oder die Kritik der Anzweifelung der Hypothese durch eigenes Experimentieren). Eine weitere Einschränkung des Primats der eigenen Überprüfung wird in folgender Konstellation gemacht: je attraktiver und wichtiger die Mitgliedschaft in einer potentiellen Vergleichsgruppe für eine Person ist und je eher die Person in ihrer interpersonellen Orientierung personen- statt aufgabenorientiert ist, desto eher wird sie einen sozialen Vergleich anstellen, vgl.: Frey/Dauenheimer/Parge/ Haisch (1993) S. 75 (81, 88 ff. m. w. N.); Fischer/Wiswede, S. 156.

§ 2 Weichenstellung für das spätere Verfahren

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„Schulterschlußeffekt“98 zwischen Staatsanwaltschaft und Richter ein. Die Würdigungen sowohl der Staatsanwaltschaft als auch mittelbar die der Polizei werden vom Richter übernommen. 2. Das Ermittlungsverfahren Neben diesen durch die Informationsverzerrung auf das Ergebnis der Hauptverhandlung abfärbenden Einflüssen der Ermittlungsakten und des Eröffnungsbeschlusses könnten die Theorien der kognitiven Dissonanz und der sozialen Vergleichsprozesse auch für das Ermittlungsverfahren selbst und das Verhalten der Staatsanwaltschaft fruchtbar gemacht werden. Es bleibt zu prüfen, inwieweit die für die Hauptverhandlung gefundenen Ergebnisse auf das Ermittlungsverfahren übertragbar sind. Für eine Bejahung der Übertragbarkeit kann geltend gemacht werden: Eine Vorbeschäftigung mit der Sache durch die Staatsanwaltschaft (vergleichbar dem des Studiums der Ermittlungsakten durch den Richter) findet insofern statt, als ein Abschlußbericht der Polizei der Staatsanwaltschaft zugeleitet wird. Die Durchermittlung des Sachverhalts durch die Polizei bei Fällen von leichter bis mittlerer Kriminalität ist zur Regel geworden99. Hier kann von einer Vorbeschäftigung durch das Studium des polizeilichen Abschlußberichts gesprochen werden, vergleichbar dem des Richters im Hinblick auf die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft. Die grundlegende erste Kognition nach Bejahung des Anfangsverdachts nach § 152 II könnte lauten: „Der Angeklagte ist wahrscheinlich hinreichend verdächtig“. Die Anlegung einer Js Akte könnte die Aufnahme dieser Kognition durch den Staatsanwalt bedeuten (vergleichbar dem Eröffnungsbeschluß des Richters). Weitere Kognitionen werden mit dieser Arbeitshypothese verglichen. Hinzu tritt die Überprüfung des Sachverhalts im Hinblick auf Zwangsmaßnahmen. Gerade im Ermittlungsverfahren können ambivalente Be98 Vgl. dazu die Experimente von Schünemann, in: Kaiser/Kury/Albrecht (Hrsg.), S. 265 ff.; ders., FS-Pfeiffer, S. 461 (478 f.); ders., StV 1993, 607 (608); ders., Kriminalistik 1999, 146 (149); ders., StV 2000, 159 (162 f.); die Richter orientierten sich am Vorbringen der Staatsanwaltschaft und nicht an dem des Verteidigers, vgl. Schünemann, in: Lampe (Hrsg.), ARSP-Beiheft, Nr. 22, S. 68 (79 f.). Nicht nur im Rahmen des Eröffnungsbeschlusses, sondern auch bei der Frage der Strafzumessung tritt der Schulterschlußeffekt ein, wobei eine „Selbstbehauptung“ der Gerichte durch eine Strafrahmenverschiebung nach unten als Zeichen „salomonischer Instanz“ angenommen werden kann. Die von der Staatsanwaltschaft vorgegebene Größe wird als Strafobergrenze aufgefaßt, vgl. Schünemann, in: Kaiser/Kury/Albrecht, Kriminologische Forschung, S. 265 (268 f. 276 ff.); ders., in: Bierbrauer/Gottwald/ Birnbreier-Stahlberger (Hrsg.), S. 217 (226); jedoch ist angesichts der neuen Absprachenkultur auch ein Schulterschluß mit der Verteidigung ins Blickfeld geraten, vgl. Schünemann, StV 2000, 159 (164). 99 Schünemann, Kriminalistik 1999, 75 (77); dies gelte eingeschränkt auch für die schwereren Delikte, so Schlachetzki, S. 42 ff.

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2. Kap.: Bedeutung des Ermittlungsverfahrens

weislagen auftreten, wenn die Verteidigung noch nicht hinreichend gehört wurde. Somit liegen die Faktoren für einen möglichen Inertia-Effekt auf die Staatsanwaltschaft schon im Ermittlungsverfahren vor. Die Polizeibehörden dienen (angesichts der Durchermittlung des Sachverhalts und des Abschlußberichts) der Staatsanwaltschaft als Vergleichsgruppe. So nimmt auch Kühne an, daß durch die Übernahme der polizeilichen Ermittlungen ein gewisser „Loyalitätsdruck“ entstehe, dessen Größe durch geringe eigene Vorermittlungen verstärkt werde; durch eine kritische Auseinandersetzung sollten die Kollegen nicht desavouiert werden100. Insofern greifen hier die von Frey angestellten Überlegungen zu einer Bevorzugung des sozialen Vergleichs. Eine mögliche Kritik an einer Anzweifelung der Hypothese der Polizeibeamten würde so vermieden. Auch Schlachetzki sieht es zumindest als wahrscheinlich an, daß die Staatsanwaltschaft einen sozialen Vergleich anstellte, wobei er den Abschlußbericht als beeinflussenden Faktor herausgreift101. Die Entscheidung der Staatsanwaltschaft ist im Gegensatz zu der Entscheidung des Richters über die Eröffnung des Verfahrens nach § 199 I verstärkt (eigen-)reversibel. Sie kann das Ermittlungsverfahren bei gegebenen Umständen eigenständig einstellen. Das Gericht ist bei einer Einstellung grds. (Ausnahme: § 154 e II) auf die Zustimmung der Staatsanwaltschaft angewiesen, umgekehrt gilt dies nicht. So erfordern zwar §§ 153, 153 a, 153 b und § 45 III JGG die Zustimmung bzw. die Mitwirkung des Gerichts. Nach §§ 153 e, 154, 154 a, 154 b, 154 c kann die Staatsanwaltschaft die Verfolgung jedoch eigenständig einstellen, soweit sie noch keine Anklage erhoben hat. §§ 153 c, 153 d, 153 f und § 45 I, II JGG geben der Staatsanwaltschaft sogar nach erhobener Klage die eigenständige Einstellungskompetenz. Danach steigt die Aufnahmebereitschaft gegenüber dissonanten Informationen, wenngleich auch bei reversiblen Entscheidungen konsonante Informationen bevorzugt werden. Eine selektive Informationssuche könnte daher lediglich in eingeschränktem Maße stattfinden. Auch die Praxis zeugt von einer eher kritischen Haltung der Staatsanwaltschaft. Überwiegend stellt sie Verfahren bei ambivalenter Beweislage ein102. Im

100 Kühne, Rn. 138; vgl. ferner Heghmanns, GA 2003, 433 (444) zur persönlichen Nähe zwischen Staatsanwalt und Polizeibeamten, die sich aus der jahrelangen Zusammenarbeit mit denselben Personen zwangsläufig ergibt. 101 Schlachetzki, S. 51 ff. 102 Schünemann, StV 2000, 159 (163); Eisenberg, Kriminologie, 27/93 f. (für die Einstellungsart sei die Beweislage entscheidend); so äußert auch Ropohl daß es eine „nüchterne Objektivität“ des Staatsanwalts im Ermittlungsverfahren bis zur Erhebung der Anklage noch geben könnte, S. 159; vgl. ferner: Beulke, Der Verteidiger, S. 35 (spätestens mit Einreichung der Anklageschrift herrsche keine absolute Objektivität mehr vor); in der Hauptverhandlung wird ihr hingegen ein gewisser Rechtfertigungsdruck ihrer eigenen Arbeitshypothese unterstellt (Stade, S. 95; Strzyz, S. 224; Hahn, S. 104; Lürken, NJW 1968, 1161 (1162).

§ 2 Weichenstellung für das spätere Verfahren

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Jahr 1974 konstatierte Dahs dagegen noch eine Haltung der Staatsanwaltschaft, die sich in dubio pro Anklage äußere103. Danach erscheint eine Übertragung des Inertia-Effektes theoretisch möglich, bedarf jedoch einer genaueren Untersuchung. III. Ergebnis Insofern wird die Übertragung der für die Hauptverhandlung gefundenen Ergebnisse auf das Ermittlungsverfahren durch die Praxis nicht umfassend gestützt. Jedoch gilt es, die in der Hauptverhandlung auftretenden Effekte zu vermeiden. Eine frühe, im Ermittlungsverfahren anzusiedelnde Verteidigung trägt dazu bei.

C. Nach 1877 eingeführte verfahrensbedeutende Gestaltungsmöglichkeiten Um die Weichenstellung durch das Ermittlungsverfahren näher beschreiben zu können, ist auf die eingefügten verfahrensbedeutenden Gestaltungsmöglichkeiten einzugehen. I. Mittelbare Beweisführungsmöglichkeiten 1. Die Verlesung von Protokollen Im Rahmen des Urkundenbeweises war die Beweissicherung durch eine richterliche Vernehmung, deren Protokoll in der Hauptverhandlung nach § 251 I, II und § 254 verlesen werden darf, schon nach §§ 250, 253 RStPO vorgesehen. Auch die Verlesung eines (nicht-)richterlichen Vernehmungsprotokolls nach § 253 wurde durch § 252 RStPO ermöglicht. Durch die Einführung des § 251 II 2 a. F.104 (vgl. § 251 I Nr. 2 n. F.105) über die Verlesung von nicht-richterlichen Protokollen sollte ein Beweismittelverlust verhindert werden106. Eine Aufwertung durch die Verfahrenswirklichkeit erfuhr 103

Dahs, NJW 1974, 1538 (1539). Durch die 3. Verordnung zur Vereinfachung der Rechtspflege vom 29.05.1943 (RGBl. I, S. 342) wurde die Verlesungsmöglichkeit nichtrichterlicher Protokolle eingeführt. Durch das Strafverfahrensänderungsgesetz vom 27.01.1987 (BGBl. I, S. 475) wurde noch die Möglichkeit der Verlesung bei allseitigem Einverständnis geschaffen. 105 § 251 wurde neugefaßt durch das „Erste Gesetz zur Modernisierung der Justiz“ vom 24.08.2004 (BGBl. I, S. 2198). 106 Grünwald, FS-Dünnebier, 347 (356). Unter Satz 2 fällt nach der Rechtsprechung (BGHSt 29, 109, 111; 33, 70, 72) und der h. L. auch die Verlesung nicht-richterlicher 104

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die nicht-richterliche Vernehmungsniederschrift, indem bei Haftsachen jene neben eigenen Fragen des Haftrichters häufig pauschal zum Gegenstand richterlicher Vernehmungen gemacht werden107. So wird dem späteren Prozeßgericht die Möglichkeit eröffnet, ein richterliches Vernehmungsprotokoll in der Hauptverhandlung zu verlesen108. Ferner ist auf die nach h. M. gegebene Verwertungsmöglichkeit fehlerhaft zustande gekommener richterlicher Protokolle durch Herabstufung in nichtrichterliche nach § 251 II a. F. (vgl. § 251 I n. F.) hinzuweisen109. Verlesbar sind gemäß § 256 I Nr. 5 n. F.110 nun auch Protokolle sowie in einer Urkunde enthaltene Erklärungen der Strafverfolgungsbehörden über Ermittlungshandlungen, soweit diese nicht eine Vernehmung zum Gegenstand haben. 2. Vernehmung von Verhörspersonen als Zeugen vom Hörensagen Ein weiterer Rückzug der originären Beweisquelle in das Ermittlungsverfahren wird durch die Möglichkeit der Vernehmung eines Zeugen vom Hörensagen begründet. a) Grundsätzliche Anerkennung Beschuldigtenvernehmungen können durch Vernehmung der richterlichen wie nicht-richterlichen Verhörsperson als Zeuge vom Hörensagen in die Verhandlung eingeführt werden111. Das gleiche gilt für die Vernehmungen von Zeugen112.

Protokolle über die Vernehmung von V-Leuten, die durch das Ministerium gesperrt wurden, vgl. dazu J. Meyer, S. 65 ff. m. w. N.; kritisch: Schünemann, FS-Meyer-Goßner, S. 385 (404). 107 Vgl. Wulf, S. 466; Kube, Archiv für Kriminologie 163 (1979), 175 (177); der Bundesgerichtshof kritisiert eine solche Vorgehensweise, vgl. BGHSt 6, 279; BGH MDR 1955, 244 f. m. krit. Anm. Mittelbach, der die Bezugnahme auf polizeiliche Protokolle im Sinne einer Würdigung sorgfältiger und gewissenhafter Arbeit versteht. 108 Schrepfer, S. 108 m. w. N. 109 Vgl. Meyer-Goßner, § 251 Rn. 31 m. w. N.; kritisch: SK-Wohlers, § 168 c Rn. 45 m. w. N. 110 Eingeführt durch das „Erste Gesetz zur Modernisierung der Justiz“ vom 24.08. 2004 (BGBl. I, S. 2198). 111 KK-Diemer, § 250 Rn. 10; Meyer-Goßner, § 254 Rn. 8 m. w. N.; Schrepfer, S. 110 ff.; zur Kritik (insbesondere zur Vernehmung des Verhörsbeamten als Zeugen vom Hörensagen) vgl. Grünwald, S. 119 f., 132 f.; ders., JZ 1968, 752 (754); ders., FS-Dünnebier, S. 347 ff.; V. Mehle, FS-Günwald, S. 351 (358 f.); Arndt, NJW 1963, 432 (433). 112 BGHSt 21, 218 f.; BVerfG NJW 1992, 168; NJW 1996, 448 f.; Beulke, Strafprozeßrecht, Rn. 422 m. w. N.

§ 2 Weichenstellung für das spätere Verfahren

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Trotz höchstrichterlich aufgestellter Kautelen, wonach der Beweiswert der Aussage besonders zu würdigen ist, sowie zusätzliche Anhaltspunkte für die Bestätigung der Aussage zu suchen sind113, ist die Überzeugungswirkung einer oder (u. U. mehrerer) offizieller Verhörsperson(en) auf das Gericht zu berücksichtigen. Auch der mögliche Vorhalt durch Verlesung schränkt die Wirkung der oben aufgestellten Beweiskautelen wieder ein114. Neu eingeführt wurde ferner die von der h. M.115 geduldete Vernehmung des Ermittlungsrichters als Zeuge vom Hörensagen, wenn sich der Zeuge in der Hauptverhandlung auf sein Zeugnisverweigerungsrecht116 beruft117. Ferner können ihm Vorhalte zur Auffrischung seines Gedächtnisses gewährt und zu diesem Zweck das Protokoll auch verlesen werden118. Auch die Vorführung der früher aufgezeichneten Vernehmung ist zu diesem Zweck möglich119. Jedoch gilt auch hier, daß lediglich die auf den Vorhalt hin erfolgte Äußerung Grundlage der Entscheidung werden kann120. Staatsanwälte sowie Beamte des Polizeidienstes werden nach ganz h. M. über den Inhalt von Zeugenvernehmungen nicht als Zeugen vom Hörensagen gehört, wenn sich der Zeuge auf sein Zeugnisverweigerungsrecht beruft121.

113

BVerfG NJW 1992, 168; BVerfG NStZ 1997, 94; NStZ 2002, 611. Schrepfer, S. 111 ff. 115 Vgl. BGHSt 2, 99 ff.; 20, 384 ff.; BGH, NJW 2000, 1274 f.; Meyer-Goßner, § 252 Rn. 14; KMR-Paulus, § 252 Rn. 20 ff.; gegen eine Vernehmung des Richters als Zeuge vom Hörensagen in einem solchen Fall: AK-Meier, § 252 Rn. 20; LR-Gollwitzer, § 252 Rn. 7; Roxin, 44/21; Peters, Lehrbuch S. 321; Beulke, Strafprozeßrecht, Rn. 420. 116 Beruft sich der Zeuge dagegen auf ein Auskunftsverweigerungsrecht, so ist die Vernehmung der richterlichen wie nicht-richterlichen Verhörsperson nach h. M. möglich, vgl. BGH NJW 1992, 2304 (2305); Meyer-Goßner, § 252 Rn. 5; nach a. A. ist § 252 auf § 55 anzuwenden: Eisenberg, BR Rn. 1312; Geppert, Jura 1988, 305 (312 f.); Hanack, JZ 1972, 237 (238). 117 Nach Nr. 10 RiStBV soll die Staatsanwaltschaft die Vernehmung eines Zeugen durch den Ermittlungsrichter beantragen, wenn Beweismittelverlust droht oder wenn eine Straftat nur durch zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigte Personen bewiesen werden kann; für eine Ausweitung der Einschaltung des Ermittlungsrichters bei Zeugenaussagen: Prechtel, S. 247. 118 So die h. M.: BGHSt 11, 338 (341); 21, 149 (150); Meyer-Goßner, § 252 Rn. 14; KK-Diemer, § 252 Rn. 25; a. A.: KMR-Paulus, § 252 Rn. 33, der eine Verlesung ablehnt. 119 Vgl. Meyer-Goßner, § 255 a Rn. 3; vgl. obiter dictu BGH StV 2004, 247 (248 f.); kritisch: Rieß, StraFo 1999, 1 (3 f.). 120 Vgl. BGH StV 2001, 386 zu einem Ermittlungsrichter, der zugab, sich nicht mehr an die Vernehmung erinnern zu können. 121 Vgl. BGHSt 21, 218 ff.; Meyer-Goßner, § 252 Rn. 13; a. A.: SK-Schlüchter, § 252 Rn. 25 m. w. N. 114

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2. Kap.: Bedeutung des Ermittlungsverfahrens

b) Möglichkeit des Zeugen, die mittelbare Art der Beweisführung zu beeinflussen – die Entscheidungen des 4. Senats des Bundesgerichtshofs (BGHSt 45, 203; 46, 1) Nach Ansicht des 4. Senats des Bundesgerichtshofs122 kann der Zeuge trotz Geltendmachung des Zeugnisverweigerungsrechts in der Hauptverhandlung nach ordnungsgemäßer Belehrung der Verwertung der Mitteilung über Zusatztatsachen, die er im Rahmen einer amtlich angeordneten Sachverständigenuntersuchung getätigt hat, zustimmen123. Auch eine Verwertung polizeilicher oder staatsanwaltschaftlicher Vernehmungen sei auf diese Weise möglich124; die Aussage wird lediglich im Beweiswert erheblich herabgestuft125. Dem Zeugen wird somit eingeräumt, über die Reichweite des Unmittelbarkeitsgrundsatzes zu verfügen126 – zum Nachteil des Angeklagten. Der Zeuge kann sich unbequemen Fragen entziehen127. Eine „gespaltene Ausübung“ des Zeugnisverweigerungsrechts ist die Folge der Entscheidung128. Auch ist auf die Auswirkungen zu § 255 a hinzuweisen, der in Absatz 1 auf § 252 verweist; danach ist die Vorführung unzulässig, wenn der Zeuge in der Hauptverhandlung von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht129. Der Zeuge könnte hier ebenfalls der Verwertung der früheren Aufzeichnung durch Vernehmung der Verhörsperson als Zeugen vom Hörensagen zustimmen, dem die Videovernehmung vorgehalten werden kann130.

122 BGHSt 45, 203 (205 ff.); zustimmend: Meyer-Goßner, § 252 Rn. 16 a; Ranft, Jura 2000, 628 (631 f.); ders. NJW 2001, 1305 (1308) und 3761 f. 123 A. A.: Roxin, FS-Rieß, S. 451 (455, 459); vgl. ferner nachstehende Kritik. 124 Vgl. BGHSt 45, 203 (207); BGHSt 46, 1 (5). 125 Vgl. BGHSt 45, 203 (208, 210). 126 Vgl. Swoboda, S. 417; Fezer, JR 2000, 341 f. 127 Diese Feststellung soll nicht den tragischen Sachverhalt verklären, welcher der Entscheidung des 4. Senats zugrundelag; vgl. auch Roxin, FS-Rieß, S. 451 (459). 128 Vogel, StV 2003, 598 (599); fraglich erscheint die Reichweite der Selektionsbefugnis des Zeugen im Hinblick auf die Geltendmachung seines Zeugnisverweigerungsrechts lediglich für einzelne Vernehmungen, vgl. Wollweber, NJW 2001, 3760 (3761); Firsching, StraFo 2000, 124; vgl. ferner Ranft, NJW 2001, 3761 (3762): in einem Strafverfahren könnte der Zeuge seine gespaltene Ausübung nicht auf einzelne Vernehmungen begrenzen; eine andere Auffassung könnte sich nicht auf das Urteil des Senats berufen. Der Zeuge dürfe die Verwertung des Beweismittels lediglich in unterschiedlichen Verfahrenskontexten (dem eines Zivilverfahrens und eines Strafverfahrens) unterschiedlich beurteilen. 129 KK-Diemer, § 255 a Rn. 4 a; Pfeiffer, § 255 a Rn. 1. 130 Meyer-Goßner, § 255 a Rn. 3; Ranft, NJW 2001, 1305 (1308); vgl. ferner: Schöch, in: Weißer Ring, S. 10 (14: Der Verzicht auf das Verwertungsverbot sei eher zu erwarten, wenn die Vernehmung aufgezeichnet ist); kritisch: Keiser, in: Barton (Hrsg.), S. 165 (166 mit Fn. 9).

§ 2 Weichenstellung für das spätere Verfahren

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Zunächst ist fraglich, ob das Zeugnisverweigerungsrecht ausschließlich dem Schutz des Zeugen dient131, welcher durch § 252 lediglich gesichert wird132. Auch wenn das Zeugnisverweigerungsrecht anerkanntermaßen teilbar und widerruflich ist133, so erscheint eine Dispositionsfreiheit des Zeugen hinsichtlich einer „gespaltenen“ Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts und damit auch über die Reichweite des Verwertungsverbots nach § 252 fraglich134. Wird die Aussage durch die Vernehmung der nicht-richterlichen Verhörsperson eingeführt, so werden letztlich die Verteidigungsrechte des Angeklagten nach Art. 6 I und III lit. d) EMRK in Gestalt des Fragerechts an den materiellen Belastungszeugen verletzt135. Vogel verweist hier auf die Problematik der Verwertung der Kenntnisse von V-Leuten. Bei deren wirksamer Sperrung kommen ebenfalls Beweissurogate in Betracht136. Die Verteidigung kann im Gegensatz zur V-Mann-Problematik zur Person des Zeugen Stellung nehmen. Ungünstiger ist jedoch die „Selbstsperrerklärung“ des Zeugen137, die nicht auf ihre 131 So BGHSt 45, 203 (207 f.); KK-Senge, § 52 Rn. 1; kritisch, mit dem Hinweis auf die von § 52 ebenfalls geschützte objektive Wahrheitsfindung: Vogel, StV 2003, 598 (600); die Schonung des Zeugen gehört jedenfalls nicht zum primären Schutzzweck des § 52, vgl. Fezer, JR 2000, 341 (342) unter Hinweis auf die vom Gesetzgeber eingeführten schonenderen Formen der Vernehmung nach §§ 58 a und 168 e (im Ermittlungsverfahren) i. V. m. 255 a, 247 a (in einer anderen Hauptverhandlung). 132 Zum Teil wird angenommen, § 252 diene auch der Wahrheitsfindung: AKMaier, § 252 Rn. 1; Gössel, FS-Bockelmann, S. 801 (805 ff.); a. A.: LR-Gollwitzer, § 252 Rn. 3; HK-Julius, § 252 Rn. 1. Vertretbar ist nach Dallmeyer (JA 2000, 275, 277 f.) zwar die Beschränkung des Schutzzwecks nach § 52 auf den Schutz des Zeugen, jedoch gehe § 252 über die Sicherung dieses Zwecks hinaus. Es solle auch die Wahrheitsfindung geschützt werden; Wollweber nimmt an, § 252 sichere die Garantiefunktion der Hauptverhandlung gegenüber antizipierten Beweisergebnissen aus dem Ermittlungsverfahren, was er daraus ableitet, daß der Zeuge ja auch entlastende Angaben zurückhalten dürfe, NJW 2000, 1702 (1703) und NJW 2001, 3760; gegen diese Argumentation: Ranft, Jura 2000, 628 (632); ders., NJW 2001, 1305 (1307). 133 BGHSt 45, 203 (206 f.). 134 Vogel, StV 2003, 598 (600); Firsching, StraFo 2000, 124; angesichts der ausdrücklichen gesetzlichen Niederlegung in § 97 I 2 und S. 3 InsO ist einer generellen Dispositionsbefugnis nicht zuzustimmen – vgl. jedoch Schwaben, NStZ 2002, 288 (294), die dem § 97 I 2 und S. 3 InsO eine generelle Dispositionsbefugnis entnimmt, jedoch einschränkend darauf hinweist, daß deren Grenze erreicht sei, wenn sich der Zeuge zum Herrn des Verfahrens aufspiele. 135 Roxin, FS-Rieß, 451 (457 f.); Firsching, StraFo 2000, 124; nach Vogel (StV 2003, 598 (601) ist vor dem Rückgriff auf den Zeugen vom Hörensagen zumindest auf die möglichen schonenden Aussagemöglichkeiten hinzuweisen. 136 BGHSt 36, 159 (166); grundsätzlich ist der V-Mann in Person zu hören, vgl. BGHSt 29, 109 (112 ff.). 137 Vogel, StV 2003, 598 (600); somit wird der Zeuge „zum Herrn des Verfahrens“, vgl. Keiser, NStZ 2000, 458; dagegen: Ranft, NJW 2001, 3761 (3762) – die Äußerungen erhielten lediglich den Status einer Angabe, die ein Zeuge aus freien Stücken außerhalb des Ermittlungsverfahrens gemacht habe und diese dürften auf jeden Fall verwertet werden.

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2. Kap.: Bedeutung des Ermittlungsverfahrens

Wirksamkeit überprüft werden kann: Die Dispositionsfreiheit des Zeugen ist gegenüber der Amtsaufklärungspflicht des Gerichts ausschlaggebend. Auch ist die schriftliche Befragung der Zeugin nach Ausübung ihres Zeugnisverweigerungsrechtes nicht möglich138. Ferner ist die Beweiswürdigung im Vergleich zu der beim V-Mann schwächer. Sie müßte der letzteren angeglichen werden139. Die Aussage bedurfte somit der Bestätigung durch andere, außerhalb ihrer selbst liegende Anhaltspunkte140. Gleichzeitig sind nach Ansicht desselben Senats141 die im Beisein eines Verteidigers getätigten Angaben eines Zeugen unverwertbar, wenn sich der Zeuge in der Hauptverhandlung auf sein Zeugnisverweigerungsrecht beruft142. Der Verteidiger kann somit nicht als Zeuge vom Hörensagen über die Aussage des Zeugen gehört werden. Dies ist ein Widerspruch zu der früheren Entscheidung143. Der Senat weist unter Berufung auf den Generalbundesanwalt darauf hin144, daß andernfalls „wesentliche Teile der Verhandlungsführung dem Verantwortungsbereich des Vorsitzenden und des Gerichts entzogen und in die Hände eines anderen Verfahrensbeteiligten gelegt würden, der es dann seinerseits in der Hand hätte, zunächst eine Zeugenaussage zu protokollieren und den Zeugen dann auf sein Zeugnisverweigerungsrecht hinzuweisen, von dem dieser dann in der Hauptverhandlung Gebrauch macht“. Die dort getroffene Wertung der Verantwortung des erkennenden Gerichts spricht generell gegen eine gespaltene Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts145. Auch die vom Senat hervorgehobene Unterscheidung zu BGHSt 45, 203 ff. trägt nicht. Die amtliche AnGegen die Anmaßung des Zeugen, sich zum „Herrn des Verfahrens“ aufzuspielen auch BGH NJW 2003, 2619 (2620): jedenfalls dann, wenn er sich zur Aussage in der Hauptverhandlung entscheide, könne er nicht den Umfang der Verwertbarkeit seiner Aussage bestimmen. 138 Vogel, StV 2003, 598 (600). 139 Bestätigung der Aussage durch andere wichtige Beweisanzeichen, vgl. BGHSt 33, 178 (181). 140 Schwaben (NStZ 2002, 292, 293 f.) verweist hier zutreffend auf die von BGHSt 46, 93 ff. aufgestellten Kriterien. 141 BGHSt 46, 1 ff. unter Hinweis auf die fehlende Amtlichkeit der Vernehmung durch einen Verteidiger. 142 Dies überrascht doch sehr – angesichts der oben vom 4. Senat neu entwickelten Verwertungsmöglichkeit bei Zustimmung des Zeugen; dem Urteil zustimmend: Volk, JuS 2001, 132 (133); Roxin spricht sich für eine Verwertung aus (FS-Rieß, S. 451, 459 ff.) ebenso Schittenhelm, NStZ 2001, 50 f. 143 Vogel, StV 2003, 598 (601); Fezer, JR 2000, 341 (342); Roxin, FS-Rieß, 451 (459 ff.); Volk, JuS 2000, 130 (133); Schwaben, NStZ 2002, 288 (294); Schittenhelm lehnt diese Entscheidung ab, NStZ 2001, 50 (51) und nimmt dort eine Verwertungsmöglichkeit an; so auch Roxin, a. a. O.; für ein Verwertungsverbot: Volk, JuS 2000, 130 (133). 144 BGHSt 46, 1 (4 f.). 145 Vogel, StV 2003, 598 (601); Schwaben, NStZ 2002, 288 (294); Fezer, JR 2000, 341; Volk, JuS 2000, 130 (133 mit Fn. 30); vgl. auch Ranft, Jura 2000, 628 (632).

§ 2 Weichenstellung für das spätere Verfahren

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ordnung der Untersuchung durch einen Sachverständigen betrifft nicht Zusatztatsachen über sein Gespräch mit der zu untersuchenden Person, sondern Befundtatsachen146; der Sachverständige ist insoweit Zeuge. Der 4. Senat läßt hier sein Mißtrauen gegenüber den Verteidigern erkennen147. Fraglich ist, inwieweit der Richter auf die Möglichkeit der gespaltenen Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts hinzuweisen hat. Der 4. Senat hielt es in BGHSt 45, 203 ff. sogar für geboten, die Zeugin auf diese ihr mögliche Form der Sachverhaltsaufklärung hinzuweisen – angesichts der sich andeutenden Gestattung der Verwertung ihrer früheren Aussage148. Die Kammer hätte in der Entscheidung jedoch (zumindest zunächst) auf schonendere Befragungsmöglichkeiten in der Hauptverhandlung hinweisen können149, vgl. §§ 223, 247. Das Unterlassen hätte als unzulässige Einflußnahme auf die Entscheidung des Zeugen gewertet werden können150. In einer neueren Entscheidung lehnt der 3. Senat des Bundesgerichtshofs151 eine Pflicht des Gerichts aus dem Amtsermittlungsgrundsatz ab, wonach dieses einen das Zeugnis verweigernden Zeugen zu befragen habe, ob er in die Verwertung früherer Aussagen einwillige152. Nur wenn Anzeichen bestünden, daß der Zeuge sein Zeugnisverweigerungsrecht „gespalten“ ausüben möchte, sei das Gericht dazu verpflichtet. Im übrigen läßt der Senat offen, ob er dem 4. Senat in seiner Entscheidung vom 23.09.1999 folgen würde. 3. Institut des formfreien Vorhalts Ein Vorhalt kann nach h. M. in Situationen erfolgen, die einem Urkundenbeweis nach §§ 253, 254 nicht zugänglich sind153, sog. formfreier Vorhalt154. Es 146

Fezer, JR 2000, 341 (342). Vgl. Volk (JuS 2000, 130, 133), der der Entscheidung vom 10.02.2000 letztlich zustimmt. 148 BGHSt 45, 203 (209 f.). 149 In zukünftigen Verfahren wäre auf die neuen Möglichkeiten des Zeugenschutzgesetzes vom 30.04.1998 (BGBl. I, S. 820) hinzuweisen, vgl. Fezer, JR 2000, 341 (342); Keiser, NStZ 2000, 458 (459); Vogel, StV 2003, 598 (600). 150 Vogel, StV 2003, 598 (599 mit. Fn. 10); ferner: Keiser, NStZ 2000, 458 (459). 151 StV 2003, 603. 152 BGH StV 2003, 603 (604); noch offengelassen vom Senat in: StraFo 2003, 170. 153 Ein Vorhalt ist bei längeren, sprachlich oder inhaltlich schwer verständlichen Urkunden unzulässig, vgl. BGH StV 2000, 655; Meyer-Goßner, § 249 Rn. 28. 154 BGHSt 3, 199 (201); 14, 310 (311 f.); 22, 170 (172); 34, 231 (234 f.); OLG Düsseldorf, StraFo 2002, 20; Meyer-Goßner, § 254 Rn. 7; KK-Diemer, § 249 Rn. 42; Hanack, JZ 1972, 202 f.; kritisch zum Vorhalt bzw. der wörtlichen Verlesung außerhalb der gesetzlich vorgesehenen Möglichkeiten nach §§ 253, 254: Eb. Schmidt, Lehrkommentar I, Rn. 442; ders., Lehrkommentar II, § 250 Rn. 7, 10 und 253 Rn. 10; ders., Nachtrag II, § 249 Rn. 4 ff. und § 253 Rn. 1; Grünwald, S. 134 ff.; Kuckuck, 147

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wird dem Angeklagten, Zeugen oder Sachverständigen in der Hauptverhandlung der Inhalt früherer Vernehmungsprotokolle vorgehalten, wenn kein Verwertungsverbot entgegensteht155. Dabei kann das Protokoll nach h. M. auch wörtlich verlesen werden156. Als Urteilsgrundlage wird nur die Äußerung angesehen, welche die Auskunftsperson auf den Vorhalt hin tätigt157. Dieser Rückgriff auf das Ermittlungsverfahren wurde durch die Praxis eingeführt und war dem Gesetzgeber der RStPO noch nicht bekannt158, wenngleich dieser das Ermittlungsverfahren der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung nicht grundsätzlich entzogen hat159. Zeugen fühlen sich durch den formfreien Vorhalt bemüßigt, ihre früheren Aussagen zu bestätigen160; Beschuldigten, die von einer früheren Aussage abrücken, wird Mißtrauen entgegengebracht. 4. Ergebnis Durch die beschriebenen mittelbaren Beweisführungsmöglichkeiten rückt die Bedeutung des Ermittlungsverfahrens in den Vordergrund. Die hier erfolgte Beweisgewinnung schlägt auf die Hauptverhandlung durch. Das Ermittlungsverfahren ist insofern Beweiszementierungsverfahren161 für Ermittlungsbehörden (wie auch für Zeugen). Insgesamt liegt eine faktische Bedeutungssteigerung dieses Verfahrensabschnittes zugunsten beweissichernder Vorgehensweisen vor. Insbesondere die Aufwertung der polizeilichen Vernehmungsprotokolle durch den Richter in der Hauptverhandlung begegnet starken Bedenken. Generell unterliegen Zeugenaussagen verschiedenen Fehlerquellen162 im Rahmen der Wahrnehmung163, Gedächtnisspeicherung164, Erinnerung165 oder Wiedergabe166. S. 230 ff., 240 ff.; kritisch zum formfreien Vorhalt polizeilicher Protokolle über ein Geständnis: Grünwald, JZ 1968, 752 (754); Hanack, JZ 1972, 274 f.; Schroth, ZStW 87 (1975), 103 (125 ff.); vgl. zur Bedeutung des formfreien Vorhalts polizeilicher Vernehmungsprotokolle: Schrepfer, S. 107 f. 155 Vgl. Meyer-Goßner, § 249 Rn. 28, § 252 Rn. 12 m. w. N. 156 BGHSt 1, 4 (8) und 337 (339); BGHSt 3, 281 (283); 21, 285 (286); KK-Diemer, § 249 Rn. 47; kritisch zur Verlesung: Roxin, 44/18; Dahs/Dahs, Rn. 269, 301; Hanack, FS-Schmidt-Leichner, S. 90 (94 ff.); Niese, JZ 1953, 595 (597 f.). 157 BGHSt 11, 338 (340). 158 Vgl. Stade, S. 124; Richter II, NJW 1981, 1820 (1822). 159 Fezer, Strafprozeßrecht, 13/46. 160 Neben einem Rechtfertigungsbedürfnis auch im Hinblick auf die Strafbarkeit von Falschaussagen (§§ 153 ff. StGB), Begünstigung (§ 257 StGB) oder Strafvereitelung (§ 258 StGB), Richter II, NJW 1981, 1820 (1821); ferner: Schünemann, FSMeyer-Goßner, S. 385 (405); Dahs, NJW 1974, 1538 (1539); Heinemann, in: Aschrott (Hrsg.), S. 334 (340). 161 Vgl. Lammer, S. 199; Jung, GA 2002, 65 (68 f.). 162 Vgl. Peters, Fehlerquellen II, S. 86 ff.; ferner: Kühne, Rn. 851 ff.

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Der Vernehmungsvorgang ist entscheidend. Auch Geständnisse unterliegen mannigfachen Fehlermöglichkeiten167. Die Vernehmung eines Zeugen oder Beschuldigten168 ist Interaktion durch Frage und Antwort169. Dabei ist einerseits die Fragestellung durch den Polizeibeamten oder den Staatsanwalt, sowie andererseits die anschließende Bewertung der Antwort ein Produkt der vom Vernehmenden „gehegten Tat- und Täterhypothesen“170. Fragerichtung und Bewertung der Antwort bedingen sich gegenseitig und sind mit der Ausgangshypothese konform. Die Protokollierung der Vernehmung klärt über wörtliche Fragen und Antworten in der Regel nicht auf. Nach § 168 ist bei einer richterlichen Untersuchungshandlung ein Protokoll aufzunehmen. Eingeschränkt ist die Protokollierungspflicht der Staatsanwaltschaft (vgl. § 168 b II)171. Ferner wird nach Nr. 45 II RiStBV lediglich für Beschuldigtenvernehmungen – und dort auch nur für „bedeutsame Teile der Vernehmung“ – eine möglichst wörtliche Niederschrift empfohlen. Die Interaktion zwischen Beschuldigtem und den Vernehmenden wird insbesondere im Rahmen der Niederschriften bei polizeilichen oder staatsanwaltlichen Vernehmungen als Ergebnisprotokoll/Inhaltsprotokoll abgefaßt. Der Gang des Verhörs findet selten Berücksichtigung172. Die Vernehmungsperson tendiert 163 Allgemeine und individuelle Fehlerquellen: Persönliche Mängel wie Seh- und Hörmangel; akute Zustände: Erregung, Müdigkeit; bei suggestiven Fragen ist die Suggestibiliät der einzelnen Person entscheidend. 164 Allgemeine und individuelle Faktoren: Dauer, Vermengung, Verschiebungen durch äußere Einflüsse – Medien, Gespräche, Verfälschungen, etc. 165 Reproduktion des Gespeicherten. 166 Beredsamkeit; Ausdrucksfähigkeit; bewußte und unbewußte Einflüsse wie Hemmungen. 167 Peters, Fehlerquellen II, S. 15 ff.: ein unrichtiges Geständnis kann auf dem Vernehmungsdruck basieren, der auch mit erlaubten Methoden aufgebaut werden kann; S. 19 ff.: wissentlich falsche Geständnisse wegen der Aussichtslosigkeit der Beweislage; ferner: Busam, S. 60 ff. 168 Vgl. zur Kommunikation und Taktik im Rahmen der Vernehmung des Beschuldigten sowie der richtigen „Vernehmungsatmsosphäre“: Fischer, S. 58 ff.; Wulf, S. 328 ff.; Schubert, S. 149 ff. (u. a. zur „Beichtvater – Taktik, Gefühlstour“, S. 189 f.); Gundlach, S. 142 ff.; Schrepfer, S. 89 ff.; zur Bedeutung der Vernehmung im Ermittlungsverfahren: Schubert, S. 15 f. 169 Vgl. Eisenberg, Kriminologie, 28/10 ff.; Banscherus, S. 47 ff., 210 ff., 225 ff.; Wulf, S. 109 ff., 299 ff. (dort zur Geständniserlangung), S. 525 ff.; Schünemann, Kriminalistik 1999, 147 (148 f.); ders., StV 1993, 607 (609). 170 Schünemann, Kriminalistik 1999, 146 (149); so werden zum Teil eigene Formulierungen des Beamten gegen den Widerstand des Beschuldigten durchgesetzt, vgl.: Wulf, S. 526 f.; Rasch/Hinz, Kriminalistik 1980, 377 (382); zu möglichen Fehlerquellen bei der Vernehmung Jugendlicher vgl.: P.-A. Albrecht, Jugendstrafrecht, S. 357 f. mit dem Hinweis auf eine möglichst frühzeitige Pflichtverteidigerbestellung nach § 141 III. 171 Auch die Polizei soll nach § 168 b II vorgehen, siehe BGH NStZ 1995, 353. 172 Vogelsang, S. 196.

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dahin, die konkrete Schilderung zu abstrahieren, sie in ihre Sprache umzuformulieren, Akzente zu setzen173. Glaubwürdigkeitsmängel werden nicht berücksichtigt174. Protokollierungsfehler treten auf175. Angesichts der Bedeutung der polizeilichen Vernehmungsniederschriften für das Vorgehen der Staatsanwaltschaft176, für die richterliche Entscheidungsfindung für die Eröffnung des Hauptverfahrens und die sich anschließende Hauptverhandlung ist ihnen ein herausragender Stellenwert beizumessen177. Durch den Inertia-Effekt in der Hauptverhandlung setzen sich diese Verzerrungen bis zum Urteil hin fort178. Schünemann sieht die Weichenstellungsfunktion des Ermittlungsverfahrens in dieser durch die polizeilichen Vernehmungsprotokolle vorgeprägten Urteilsfindung179. II. Transferierung der Beweisführung aus dem Ermittlungsverfahren nach § 255 a I und § 255 a II (i. V. m. § 58 a, § 168 e S. 4) Nach § 58 a I 1 kann die Vernehmung eines Zeugen auf Video aufgezeichnet werden. Nach § 58 a I 2 soll dies bei Personen geschehen, die unter sechzehn Jahre alt sind und durch die Straftat verletzt wurden. Ferner dann, wenn zu befürchten ist, daß der Zeuge in der Hauptverhandlung nicht vernommen werden kann und die Aufzeichnung für die Erforschung der Wahrheit erforderlich ist. Die Vorschrift gilt für richterliche und staatsanwaltliche Vernehmungen, vgl. § 161 a I 2, auch für polizeiliche Vernehmungen soll sie anwendbar sein180. Die im Ermittlungsverfahren (oder in einer anderen Hauptverhandlung, vgl. § 247 a S. 4) aufgezeichnete Vernehmung findet über die Vorschrift des § 255 a Eingang in die Hauptverhandlung. Nach § 255 a I gelten §§ 251, 252, 253 und 255 entsprechend. Soll danach eine polizeiliche, staatsanwaltliche oder richter173 Kube, Archiv für Kriminologie 163 (1979), 175 (178); Dahs, NJW 1974, 1538 (1539). 174 Vgl. Weider/Staechelin, StV 1999, 51 (52). 175 Vgl. dazu: Park, S. 94 f. 176 Vgl. Wulf, S. 468; Kube, Archiv für Kriminologie 163 (1979), 175. 177 Wulf, S. 523 f., 60 ff; ferner: Schrepfer, S. 106 ff. 178 Schünemann, ZStW 114 (2002), 1 (21 f.). 179 Schünemann, FS-Meyer-Goßner, S. 385 (391); ders., Kriminalistik 1999, 146 (149); Wulf spricht hier von der weichenstellenden Funktion der polizeilichen Beschuldigtenvernehmung für das gesamte Strafverfahren; ferner: Schrepfer, S. 105 ff. 180 So die überwiegende Auffassung, vgl. KK-Senge, § 58 a Rn. 3 m. w. N.; jedenfalls keine uneingeschränkte unmittelbare Anwendung: Eisenberg, BR Rn. 1328 h; zum Teil wird der Vorschrift aufgrund eines fehlenden Verweises aus § 163 a V lediglich ein Richtliniencharakter zugesprochen, vgl.: Meyer-Goßner, § 58 a Rn. 2; Beulke, ZStW 113 (2001), 709 (710 f.); Rieß, NJW 1998, 3240 (3241); gegen diese Argumentation: Keiser, in: Barton (Hrsg.), S. 165 (171 mit Fn. 33); die Anwendung von § 58 a auf polizeiliche Vernehmungen wird teilweise abgelehnt, vgl. SK-Rogall, § 58 a Rn. 3 m. w. N.

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liche Videovernehmung abgespielt werden, so sind die Voraussetzungen von § 251 und § 253 zu beachten. Hierdurch wird ein Transfer der aufgezeichneten Videovernehmung in die Hauptverhandlung ermöglicht181. In den von § 255 a II erfaßten Konstellationen findet ein Transfer statt, wenn es sich um eine richterliche Vernehmung eines Zeugen unter 16 Jahren handelt182. Es kann sich um strafrichterliche Vernehmungen nach § 168 e S. 4 i. V. m. § 58 a und solche nach § 247 a S. 4 handeln; auch aufgezeichnete außerstrafprozessuale richterliche Vernehmungen fallen unter diese Vorschrift. Voraussetzung für eine Anwendung von § 255 a II ist, daß „der Angeklagte und sein Verteidiger Gelegenheit hatten, an dieser mitzuwirken“183. Diese Mitwirkung ist Ausdruck des aus Art. 103 GG, Art. 6 EMRK fließenden Rechts, zu Tatsachen und Beweisergebnissen Stellung nehmen zu können, sollen sie als gerichtliche Entscheidungsgrundlage dienen184. Eine ergänzende Vernehmung ist gemäß § 255 a II 2 zulässig. Die Vorschrift erlaubt, tatnahe Aussagen aufzuzeichnen und letztlich den bestmöglichen Beweis zu konservieren. Streßfaktoren in der Hauptverhandlung werden ausgeschaltet185. Angesichts der geringen Einflußmöglichkeiten der Verteidigung an der Vernehmung ist die Vorschrift jedoch zu kritisieren, vgl. Art. 6 III lit. d) EMRK. Dies liegt zum einen daran, daß dem Verteidiger zu Beginn des Vorverfahrens Informationen fehlen186. Auch Terminzwänge schränken den Verteidiger ein. Schlothauer legt § 255 a II unter Hinweis auf die weitreichende Formulierung „Mitwirkung“ im Sinne einer effektiven Wahrnehmung der Verteidigungsrechte (verfassungskonform) aus187. Die Videoaufzeichnung ersetzt die persön181 Vgl. neben der Zustimmung nach § 251 I Nr. 4, II 1 a. F. (vgl. § 251 I Nr. 1 n. F.) insbesondere die Anwendung des § 251 I Nr. 2 a. F. (vgl. § 251 II Nr. 1 n. F.) bei Vorlage eines Attestes über die Vernehmungsunfähigkeit des Zeugen (Keiser, in: Barton (Hrsg.), S. 165, 171 f.) und bei Sperrung des kindlichen Zeugen durch die Eltern (vgl. Maier, S. 175 f.); zur Anwendung des § 251 II 2 a. F. (vgl. § 251 I Nr. 2 n. F.) bei Sperrung des kindlichen Zeugen durch seine Eltern: Schöch, in: Weißer Ring, S. 10 (14); Beulke, ZStW 113 (2001), 709 (711); kritisch zur unverständlichen Regelung nach § 255 a I jüngst BGH StV 2004, 247 (248 f.). 182 Kritisch: Deckers, NJW 1999, 1365 (1370 f.), der darauf hinweist, daß diese Durchbrechung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes i. d. R. nur für Zeugen unter neun Jahren gelten solle. Ansonsten litte die Glaubwürdigkeitsbegutachtung durch die unmittelbare Befragung in der Hauptverhandlung; ihm folgend: Swoboda, S. 422. 183 Darauf hat die Staatsanwaltschaft nach Nr. 19 II 5 RiStBV hinzuwirken; nach Schünemann, StV 1998, 391 (399 f.) stellt diese Vorschrift einen „nicht mehr zu überbietenden Sprengsatz sowohl für die materielle Wahrheitsfindung als auch für die Verfahrensstruktur überhaupt“ dar. 184 KK-Diemer, § 255 a Rn. 10. 185 Meurer, JuS 1999, 937 (940); Boetticher, Sonderheft-Schäfer, S. 8 (17). 186 Beulke, ZStW 113 (2001), 709 (713). 187 Schlothauer, StV 1999, 47 (48 ff.). Diese Auslegung erstreckt Schlothauer auch auf die Mitwirkungserfordernisse bei richterlichen Vernehmungen, die nach § 255 a I i. V. m. § 251 I a. F. (vgl. § 251 I, II n. F.) verwertet werden sollen.

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liche Vernehmung des Zeugen, nimmt also wesentliche Teile (ein Kernstück) der Hauptverhandlung vorweg188. Je präjudizierender ein Beweiserhebungsakt für die Hauptverhandlung sei, desto stärker müßte der Beschuldigte seine Verteidigungsrechte prozessual umsetzen können189. Demzufolge müßten Verteidiger und Beschuldigtem angesichts des „besonders hohen Beweiswertes“ einer video-aufgezeichneten richterlichen Vernehmung auch dieselben Rechte wie in der Hauptverhandlung zustehen190. Eine umfassende Akteneinsicht sei schon vor der richterlichen Videoaufzeichnung im Ermittlungsverfahren zu gewähren191. Dem Beschuldigten sei nötigenfalls ein Pflichtverteidiger zu bestellen192. Die Notwendigkeit ergebe sich aus den in § 255 a II aufgezählten Straftaten (vgl. § 140 I Nr. 2 und § 140 II 1 1. Alt.); auch könne die Beeinträchtigung der Verteidigungsrechte durch die Vorverlagerung eines Teils der Hauptverhandlung (durch die Durchbrechung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes des § 250) nur so kompensiert werden. Ferner sei eine vollständige Akteneinsicht nur über den Verteidiger zu gewährleisten. Verteidiger und Beschuldigter müssen zudem tatsächlich an der Vernehmung mitgewirkt haben193. § 168 c V 3 finde insoweit keine Anwendung. Eine Ausnahme sei bei Verzicht des Beschuldigten oder unentschuldigtem Ausbleiben nach vorheriger Ladung anzunehmen194. Auf den Verteidiger fände § 145 Anwendung195. Einer zwingenden vollständigen Akteinsichtsgewährung treten der 1. Senat des Bundesgerichtshofs196 und ein Teil der Literatur entgegen197. Um die Gele-

Dieser Begriff gehe über die Teilnahme- und Teilhaberechte bei sonstigen richterlichen Vernehmungen hinaus (vgl. auch: Eisenberg, BR Rn. 1328 l; Rieß, NJW 1998, 3240, 3241 mit Fn. 30; Leitner, StaFo 1999, 45 (46); Rieß, StraFo 1999, 1 (4). 188 Vgl. auch BGH StV 2004, 247 (250): Es handele sich um einen in das Ermittlungsverfahren vorgelagerten Teil der Hauptverhandlung. 189 Schlothauer, StV 1999, 47 (50). 190 Auf den Unterschied einer Videovernehmung zu einer solchen nach § 168 c weist Boetticher hin, Sonderheft-Schäfer, S. 8 (15 f.). 191 Vgl. HK-Julius, § 255 a Rn. 9; Eisenberg, BR Rn. 1328 l; Keiser, S. 304 f.; Swoboda, S. 353 f.; Beulke, ZStW 113 (2001), 709 (713); Schlothauer, StV 1999, 47 (49); Schünemann, StV 1998, 391 (400); Boetticher, Sonderheft-Schäfer, S. 8 (16). 192 So auch: HK-Julius, § 255 a Rn. 9; Rieß, StraFo 1999, 1 (4); schon Keiser, S. 301 ff., 320, 329 f., 347 ff.; dies., in: Barton (Hrsg.), S. 165 (168 f.); vgl. ferner die Ausführungen bei Boetticher, Sonderheft-Schäfer, S. 8 (16) zur Praxis einer Ermittlungsrichterin aus München sowie der Staatsanwaltschaft Aschaffenburg, wonach regelmäßig ein Verteidiger für nach § 58 a aufzuzeichnende Vernehmungen bestellt wird. 193 Schlothauer, StV 1999, 47 (49); ihm folgend: Park, S. 148 f. (der für den Einsatz des Videos in der Hauptverhandlung ein allseitiges Einverständnis – sofern begründbar – fordert); Swoboda, S. 350 f.; Beulke, ZStW 113 (2001), 709 (713); Leitner, StraFo 1999, 45 (46). 194 Zur Möglichkeit der Unterrichtung nach § 247 S. 4 analog: Keiser, in: Barton (Hrsg.), S. 165 (169 f. mit Fn. 29). 195 Für eine Vorführung nach § 230 II entsprechend: Swoboda, S. 351, 426.

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genheit der Mitwirkung zu haben, wird der Verteidiger nach dem Senat zwar regelmäßig auch die Gelegenheit haben müssen, sich vor der Vernehmung mit dem Beschuldigten zu besprechen. Das Fragerecht (Art. 6 III lit. d) EMRK) selbst sei jedoch durch eine fehlende Akteneinsicht nicht verletzt; es werde durch die Gelegenheit zur Teilnahme an der aufgezeichneten Vernehmung und zur Befragung der Beweisperson gewahrt. Es bedinge nicht die Kenntnis des aktuellen Stands der Ermittlungen. Ein dahin gehendes Verständnis würde die Regelung des Akteneinsichtsrechts mit ihrer den Untersuchungszweck sichernden Versagungsmöglichkeit und das Beweissicherungsinteresse (mithin das allgemeine Aufklärungs- und Wahrheitsfindungsinteresse), nicht hinreichend berücksichtigen. Auch die Gesetzgebungsgeschichte spreche dagegen. Eine Einschränkung der „Konfrontationsmöglichkeiten“ der Verteidigung nach § 255 a II 1 StPO sei wegen der zeugen- und opferschützenden Sinnrichtung der Vorschrift hinzunehmen. Die prozessuale Fürsorge und die sachgerechte Förderung des Verfahrens mit Blick auf eine etwaige spätere Hauptverhandlung könnten es „freilich“ sinnvoll erscheinen lassen, dem Verteidiger zuvor die Niederschrift einer vorangegangenen Vernehmung derselben Aussageperson und auch die sonst bis dahin angefallenen Ermittlungsergebnisse offen zu legen. Auch sei die fehlende Akteneinsicht bei einer möglichen ergänzenden Vernehmung nach § 255 a II 2 zu berücksichtigen. Eine ergänzende Vernehmung werde wahrscheinlicher, wenn der Verteidiger vor der aufgezeichneten Vernehmung keine Akteneinsicht hatte. Unterblieben bei der aufgezeichneten Vernehmung Vorhalte und Fragen, die sich später für den Tatrichter als aufklärungsbedürftig erweisen, werde die ergänzende Vernehmung (u. U. über § 247 a) oft zwingend sein. Gegen die zwingende Annahme notwendiger Verteidigung bei der aufzuzeichnenden richterlichen Vernehmung spricht sich der überwiegende Teil der Lehre aus198. Auch eine tatsächliche Anwesenheit bei der richterlichen Vernehmung wird überwiegend abgelehnt199. Es genüge insofern, daß einer Bitte des Verteidigers um Terminverlegung – wenn möglich – stattzugeben sei200. 196

BGH StV 2003, 650 mit kritischer Anm. Schlothauer. Lediglich eine Einsicht in nicht geheimhaltungsbedürftige Akten fordern: Weigend, Gutachten C 64; SK-Schlüchter, § 255 a Rn. 13; dagegen: Schünemann, StV 1998, 391 (400), der auf das Fehlen kommunikativer Kontrolle hinweist. 198 Vgl. Meyer-Goßner, § 255 a Rn. 8 a; Diemer nimmt eine Bestellungspflicht jedoch an, wenn der Beschuldigte von der Anwesenheit nach § 168 c III, IV ausgeschlossen ist. Der Verteidiger soll damit das Fragerecht der Verteidigung wahren, KKDiemer, § 255 a Rn. 10 unter Hinweis auf BGHSt 46, 93 ff.; vgl. ferner: Pfeiffer, § 255 a Rn. 3; Eisenberg, BR Rn. 1328 l. Der 3. Senat des BGH (StV 2004, 247 ff.) lehnt hingegen eine Kompensation und damit eine Vorführung nach § 255 a II ab, wenn der Beschuldigte von der Vernehmung nach § 168 c III ausgeschlossen wurde. Das Mitwirkungserfordernis sei nicht erfüllt. 199 KK-Diemer, § 255 a Rn. 10 unter Hinweis auf BT-Drucks. 13/4983, S. 8; HKJulius, § 255 a Rn. 9; Rieß, StraFo 1999, 1 (4 mit Fn. 56). 197

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2. Kap.: Bedeutung des Ermittlungsverfahrens

Ist das Mitwirkungserfordernis nach § 255 a II nicht erfüllt201, wird angenommen, der Verteidiger bzw. der Beschuldigte könnten der Verwertung dennoch zustimmen202. Auch wird vertreten, die Vernehmung sei verwertbar, wenn der Vorführung nicht zum maßgeblichen Zeitpunkt widersprochen werde203. Liegen die Voraussetzungen nach § 255 a II 1 vor, so steht die Vorführung im pflichtgemäßen Ermessen des Richters. Hier sollte die Opferstellung des Zeugen im konkreten Fall einbezogen werden204. (Verwehrte) Verteidigungsinteressen und Verfahrensrechte des Angeklagten werden vielfach im Rahmen der Ermessensausübung nach § 255 a II 1205 oder § 255 a II 2206 berücksichtigt. Eine ergänzende Vernehmung des Zeugen ist nach § 255 a II 2 zulässig207. Nach h. M.208 hat das Gericht einem Beweisantrag, der sich auf ein von der Erstvernehmung noch nicht ausgeschöpftes Beweisthema bezieht, nach § 244 III stattzugeben; andernfalls hat es nach § 244 II vorzugehen209. Von sich aus hat das Gericht im Rahmen seiner allgemeinen Aufklärungspflicht nach § 244 II zu überprüfen, ob eine ergänzende Vernehmung erfolgen muß210. Somit ist festzustellen, daß bei nicht ausreichender Berücksichtigung der Kautel des Mitwirkungserfordernisses die Funktion der Hauptverhandlung durch § 255 a II weiter dezimiert wird211. Auch wenn bis dato nur vereinzelt richterliche Vernehmungen im Ermittlungsverfahren nach § 58 a aufgezeichnet worden 200 Vgl. OLG München StV 2000, 352; KK-Diemer, § 255 a Rn. 10; zur begrenzten Hilfe durch diesen Rekurs: Beulke, ZStW 113 (2001), 709 (113). 201 Das Mitwirkungserfordernis nach § 255 a II ist nicht erfüllt, wenn Verteidiger und/oder Beschuldigter von der Mitwirkung ausgeschlossen worden sind gemäß § 168 c III, IV, V 2: HK-Julius, § 255 a Rn. 9; LR-Gollwitzer, § 255 a Rn. 12; Meyer-Goßner, § 255 a Rn. 8; Leitner, StraFo 1999, 45 (46); ferner: Eisenberg, BR Rn. 1328 l (für § 168 c IV). 202 SK-Schlüchter, § 255 a Rn. 14, 18; Meyer-Goßner, § 255 a Rn. 8 a. 203 Vgl. SK-Schlüchter, § 255 a Rn. 14, 18; KK-Diemer, § 255 a Rn. 10; ferner: HK-Julius, § 255 a Rn. 13; ein Verwertungsverbot nimmt an: Leitner, StraFo 1999, 45 (48). 204 Vgl. Swoboda, S. 419 ff., 460; Diemer, NJW 1999, 1667 (1674 f.). 205 KK-Diemer, § 255 a Rn. 3, Rn. 7, Rn. 10. 206 HK-Julius, § 255 a Rn. 11; SK-Schlüchter, § 255 a Rn. 16. 207 Vgl. hierzu umfassend: Swoboda, S. 428 ff. 208 SK-Schlüchter, § 255 a Rn. 16; HK-Julius, § 255 a Rn. 11; nach dem 1. Senat des BGH (StV 2003, 650, 652) ist für die Bescheidung eines Antrags auf ergänzende Vernehmung des Zeugen in der Hauptverhandlung i. d. R. jedenfalls dann, wenn Angeklagter und Verteidiger bei der gemäß § 255 a II 1 StPO durchgeführten ermittlungsrichterlichen Zeugenvernehmung mitgewirkt haben, nicht § 244 III StPO, sondern § 244 II StPO heranzuziehen. 209 Nach Schünemann (StV 1998, 391, 400), ist ein Anspruch auf ergänzende Vernehmung schon dann anzunehmen, wenn die Verteidigung Bedenken gegen die Richtigkeit der Aussage substantiiert darlegen kann. 210 HK-Julius, § 255 a Rn. 10. 211 Schünemann, StV 1998, 391 (399).

§ 2 Weichenstellung für das spätere Verfahren

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sind212, so kann durch eine umfassende Beteiligung der Verteidigung eine spätere erneute Vernehmungsnotwendigkeit nach § 255 a II 2 eingeschränkt werden. Insofern würden die für den Beschuldigten aufgestellten Kautelen zugleich dem Opferschutz dienen213. Neben einer Transferierung nicht kontradiktorisch zustande gekommener Videoaufzeichnungen von Vernehmungen nach § 255 a I und II ist auf die Folgen eines Vorhalts einer Videovernehmung hinzuweisen214. III. Einstellungs- und Erledigungsmöglichkeiten im Ermittlungsverfahren Ferner führen die Einstellungsmöglichkeiten gemäß den §§ 153 ff. – eingeführt nach dem Inkrafttreten der RStPO215 – zu einer Verschiebung der Entscheidungsfindung in das Ermittlungsverfahren216. Mögliche Zustimmungserfordernisse durch das für die Hauptverhandlung zuständige Gericht217 werden durch die Vorgaben seitens der Staatsanwaltschaft nahezu nivelliert218. Die im jugendgerichtlichen Ermittlungsverfahren vorgesehenen informellen Erledigungsmöglichkeiten nach §§ 45, 47 JGG sind gegenüber denen des Erwachsenenrechts gesteigert. Gemäß § 47 JGG kann der Richter das Verfahren nach Anklageerhebung mit u. U. erforderlicher Zustimmung des Staatsanwalts 212

Vgl. die Nachweise bei Boetticher, Sonderheft-Schäfer, S. 8 (15 mit Fn. 53 und

54). 213

Boetticher, Sonderheft-Schäfer, S. 8 (16). Vgl. ferner: Swoboda, S. 414 ff.; Rieß, StraFo 1999, 1 (4). 215 In der RStPO bestand lediglich nach § 208 I die Möglichkeit für das Gericht, auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Verfahren hinsichtlich solcher strafbaren Handlungen vorläufig einzustellen, die neben anderen strafbaren Handlungen des Angeklagten als unwesentlich für die Strafzumessung erschienen. §§ 23, 24 der Emminger-Verordnung (vom 07.01.1924, RGBl. I, S. 15 ff.), die nach der Neubekanntmachung der StPO (vom 22.03.1924, RGBl. I, S. 322) als § 153 und § 154 eingestellt wurden, legten die Grundsteine für die heutige Einstellungspraxis; im Jahr 1951 (vgl. das erste Strafrechtsänderungsgesetz vom 30.08.1951, BGBl. I, S. 739) folgte der heutige § 153 b; 1964 wurde die Einstellungsmöglichkeit nach § 154 a (StPÄG vom 19.12.1964, BGBl. I, S. 1067), zehn Jahre später die nach § 153 a eingeführt (vgl. EGStGB vom 02.03.1974, BGBl. I, S. 469 ff.); vgl. zur historischen Entwicklung: Wohlers, Entstehung, S. 250 ff. 216 SK-Wolter, Vor § 151 Rn. 12; Richter II, NJW 1981, 1820 (1821); ders., StV 1985, 382 (385); die Staatsanwaltschaft wird angesichts der Häufigkeit der Wahrnehmung der Einstellungsmöglichkeiten auch als „Einstellungsbehörde“ bezeichnet, vgl. Dengler, S. 19 m. w. N.: 1997 wurden 75,2% der Verfahren eingestellt; Heinz, FS-Müller-Dietz, S. 271 (285). 217 Vgl. §§ 153, 153 a. 218 SK-Wolter, Vor § 151 Rn. 60; Blankenburg/Sessar/Steffen, S. 113; Baumann, S. 32; vgl. Richter II, StV 1985, 382 (385); Schünemann, Kriminalistik 1999, 146 mit Fn. 42. 214

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2. Kap.: Bedeutung des Ermittlungsverfahrens

einstellen. Nach § 45 I, II JGG kann die Staatsanwaltschaft ohne Mitwirkung des Richters von der Verfolgung absehen. Diese Erledigungsmöglichkeiten wurden im vergangenen Jahrzehnt bevorzugt, nicht zuletzt auf Kosten der nach § 45 III JGG möglichen Einstellung durch die Mitwirkung eines Richters sowie des vereinfachten Jugendverfahrens219. Hier erscheint die Staatsanwaltschaft insofern als „Richter vor dem Richter“220. IV. Antrag auf Erlaß eines Strafbefehls nach §§ 407 ff. und auf das beschleunigte Verfahren nach §§ 417 ff. Auch durch den Antrag auf Erlaß eines Strafbefehls221, welcher schon in den §§ 447 ff. RStPO vorgesehen war, erlangt die Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren eine herausragende Stellung. Nach der Erweiterung ihrer Einreichungsvoraussetzungen222 und der überwiegenden Zustimmung ihrer Anwendbarkeit durch die Gerichte223 erreicht diese Erledigungsweise für den Gesetzgeber der RStPO ungeahnte Höhen224. Das Hauptverfahren wird dadurch „schleichend“ entwertet, der Richter fällt seine Entscheidung aufgrund des von der Staatsanwaltschaft vorgegebenen Aktenmaterials225. Damit weitet die Staatsanwaltschaft ihre Selektions- und Sanktionskompetenz aus226. Zwar ist jetzt nach § 408 b S. 1 die Bestellung eines Verteidigers vorgesehen227; nach dem Gesetzeswortlaut ist sie jedoch erst erforderlich bei einem Antrag auf ein Jahr Freiheitsstrafe mit Aussetzung zur Bewährung.

219 P.-A. Albrecht, Jugendstrafrecht, S. 26 f., 121 f. (siehe die Tabelle auf S. 122: Anstieg der nach § 45 I, II erledigten jugendgerichtlichen Verfahren um zehn Prozent, auf insgesamt 47 Prozent); vgl. H.-J. Albrecht, Gutachten, D 39 ff. (zu der regional unterschiedlichen Anwendung der §§ 45, 47 JGG), S. 127 ff. (zur Verpolizeilichung der Diversion ohne Übergang der Verfahrensherrschaft der Staatsanwaltschaft). 220 P.-A. Albrecht, Jugendstrafrecht, S. 27. 221 Der Antrag auf Erlaß eines Strafbefehls kann deshalb den Einstellungsmöglichkeiten zugeordnet werden, weil die Gerichte einem solchen Antrag regelmäßig entsprechen, vgl. Stade, S. 127. Auch ist zu berücksichtigen, daß der Strafbefehl heutzutage bedeutender ist als bei Erlaß der RStPO. 222 Vgl. zur Entstehungsgeschichte: Tiemer, S. 1 ff.; Heinz, FS-Müller-Dietz, S. 271 (274 ff.). 223 Blankenburg/Sessar/Steffen, S. 246; Heinz, FS-Müller-Dietz, S. 271 (299). 224 Vgl. Tiemer, S. 1 ff., 6 ff.; Heinz, FS-Müller-Dietz, S. 271, 279 ff. (287 – Schaubilder auf S. 301 ff.: Seit 1990 werden mehr Anträge auf Erlaß eines Strafbefehls gestellt, als Anklage erhoben); Schöch, GS-Schlüchter, S. 29. 225 Satzger, Gutachten, C 34 f. 226 Schlachetzki, S. 26 f.; Heinz, FS-Müller-Dietz, S. 271 (299). 227 Eingeführt durch das Rechtspflegeentlastungsgesetz vom 11.01.1993 (BGBl. I, S. 50); zur notwendigen Verteidigung im beschleunigten Verfahren vgl. schon Siegert, GerS 102 (1933), 30 (49 f.); ferner: Schünemann, NJW 1968, 975 (976).

§ 2 Weichenstellung für das spätere Verfahren

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Auch das beschleunigte Verfahren war der RStPO bekannt, vgl. § 211 RStPO228. Nach § 417 stellt die Staatsanwaltschaft den Antrag auf Durchführung des beschleunigten Verfahrens, wenn sie nach dem Ergebnis der Ermittlungen eine Hauptverhandlung nicht für erforderlich erachtet. Diese Verfahrensart verkürzt das Ermittlungsverfahren229 und kennt kein Zwischenverfahren. Dieses Verfahren wird jedoch seltener angewendet230. Insofern kann ein faktischer Bedeutungswandel nicht festgestellt werden. Jedoch ist auf die modifizierte Beweisaufnahme nach § 420 I bis IV hinzuweisen, welche auch im Verfahren nach Einspruch gegen den Strafbefehl (vgl. § 411 II 2) gilt231. Somit hat das Vorgehen der Staatsanwaltschaft am Ende des Ermittlungsverfahrens u. U. auch Einfluß auf die vereinfachten Regeln in der Hauptverhandlung, was vom Gesetzgeber der RStPO so nicht vorgesehen war. Eine Verteidigerbestellung für das amtsgerichtliche Verfahren ist nach § 418 IV232 nur erforderlich, wenn eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten zu erwarten ist. V. Absprachen Die Absprache ist als strafprozessuales Faktum im Strafverfahren anerkannt233 und wird vom Bundesgerichtshof unter bestimmten Voraussetzungen gebilligt234. Ihre Bedeutung wird sehr hoch veranschlagt235. Der Beschuldigte 228

Zur Entstehungsgeschichte vgl. Tiemer, S. 15 ff. AK-Loos, Vor § 417 Rn. 4. 230 Vgl. Tiemer, S. 2 f.; Lemke, FS-Schreiber, S. 249 (250 ff.). 231 Vgl. dazu: Tiemer, S. 12 ff. 232 Eingeführt durch das Verbrechensbekämpfungsgesetz vom 28.10.1994 (BGBl. I, S. 3186 ff.). 233 Meyer-Goßner, Einl. Rn. 119 a; SK-Wolter, Vor § 151 Rn. 66 ff.; LR-Rieß, Einl. Abschn. G Rn. 58 ff.; Gerlach, S. 212 ff.; Schmidt-Hieber, Rn. 12 f.; ders., NJW 1982, 1017; Kintzi, JR 1990, 309; Dahs, NStZ 1988, 153 (159); kritisch zur „normativen Dreistigkeit“ der Unumgänglichkeit der Absprachen: Schünemann, FS-Rieß, S. 525 (531 ff.); für eine zuverlässige gesetzliche Grundlage wird eingetreten: KKPfeiffer, Einl. Rn. 29 h m. w. N.; vgl. dazu das Eckpunktepapier, StV 2001, 314 (316 Nr. 8) sowie § 257 b EStPO Diskussionsentwurf der Bundesregierung (2004); ferner: Gräfin von Galen/Wattenberg, ZRP 2001, 445 (449 f.). 234 Vgl. grundlegend zu den Voraussetzungen einer Absprache im Hauptverfahren: BGHSt 43, 195 ff.; zur Kritik an strafprozessualen Absprachen: SK-Wolter, Vor § 151 Rn. 66 ff.; Rönnau, S. 106 ff., 217 f., 284 ff.; zur Reduzierung der Subjektstellung durch Absprachen: Schünemann, Gutachten B zum 58. DJT (dort auch zu der seiner Ansicht nach zulässigen „labilen Absichtserklärung“ (S. 66 ff., 123 f.); ders., Absprachen im Strafprozeß, S. 24 (32 ff.); ders., FS-Baumann, S. 361 (376 ff.); ders., NJW 1989, 1895 ff.; ders., StV 1993, 657 (659 ff.); ders., FS-Rieß, S. 525 ff (534 ff.); ders., ZStW 114 (2002), 1 (26). 235 Vogtherr, S. 136 ff.; Schünemann (ZStW 114 (2002), 1 (27) nimmt bei der Hälfte aller Urteile und bei allen Verfahrenseinstellungen nach § 153 a eine Absprache an; nach einer Repräsentativ-Umfrage durch Schünemann und Hassemer im Jahr 1987 erfolgten 10 bis 27% aller Erledigungen durch Urteil auf Basis einer Verständi229

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2. Kap.: Bedeutung des Ermittlungsverfahrens

verzichtet im Rahmen einer Absprache in der Regel auf bestimmte prozessuale Rechte236; im Gegenzug wird ihm eine mildere Strafe oder deren Aussetzung zur Bewährung versprochen. Schon im Ermittlungsverfahren – wenngleich häufiger im Hauptverfahren – kommt es oft zu einer informellen Verständigung zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigung237. Auch wenn die Möglichkeit von Absprachen häufig an den Beistand durch einen Verteidiger geknüpft wird238, so ist eine solche Verständigung nicht zwingend an diesen gebunden239. Im Ermittlungsverfahren wird zwischen verfahrensbeendenden und verfahrensfördernden Absprachen unterschieden240. Letztere beziehen sich zwar auf das Ermittlungsverfahren, wirken sich jedoch auch auf das weitere Hauptverfahren aus. Ermittlungs- und/oder Hauptverfahren werden dadurch verkürzt241. Verfahrensbeendende Absprachen im Ermittlungsverfahren beziehen sich zumeist auf die §§ 153 ff. oder auf den Erlaß eines Strafbefehls242. Auch wenn Absprachen noch vor Beendigung der Beweisaufnahme in der Hauptverhand-

gung; ferner nahmen 73% aller Rechtsanwälte informelle Kontakte auf, wenn dies möglich war, vgl. Schünemann, NJW 1989, 1895 (1896, 1899). 236 Er legt ein Geständnis ab, oder verzichtet auf die Einlegung von Rechtsmitteln, stellt keine Beweisanträge, etc., vgl. Burhoff, Rn. 45; kritisch zum Verzicht auf Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen als Teil prozessualer Absprachen: Friehe, S. 310 ff. (im Hinblick auf § 170 II 1), S. 406 ff. (zu § 153 I), S. 485 ff. (zu 153 a), S. 511 ff. (zu § 154) – zusammenfassend: S. 563 f. (zum Ermittlungsverfahren), S. 667 f. (zum Hauptverfahren). 237 Meyer-Goßner, Einl. Rn. 119 a, 119 h; Kühne, Rn. 747; Burhoff, Rn. 43 f.; Sinner, S. 181 ff.; Schaefer, AnwBl. 1998, 67, 263 f. 238 Nach Stade (S. 346) ist allein der Verteidiger fähig, in informelle Absprachen mit der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht zu treten. 239 Vgl. Meyer-Goßner, Einl. Rn. 119 a, 119 h; vgl. ferner die „Hinweise an die Staatsanwälte für die Verständigung im Strafverfahren“ durch die Generalstaatsanwälte, abgedruckt in StV 1993, 280 (Nr. 4). 240 KK-Pfeiffer, Einl. Rn. 29 b; zu den Grenzen der Zulässigkeit solcher Absprachen, vgl. Schmidt-Hieber, Rn. 40 ff.; Landau, DRiZ 1995, 132 (135 ff.). Soweit Landau auf die durch Staatsanwaltschaft und Gericht zu wahrende Transparenz hinweist (S. 139), erwähnt er eine mögliche Verteidigerbestellung nicht. Insbesondere die von ihm angesprochene Transparenz für die Öffentlichkeit könnte durch einen einzuschaltenden Verteidiger zu bewirken sein; kritisch zur eingeschränkten Transparenz der Absprachen für den Beschuldigten: Schünemann, NJW 1989, 1895 (1901). 241 KK-Pfeiffer, Einl. Rn. 29 b; Sinner, S. 182; so kann der Beschuldigte im Gegenzug zu bestimmten Zusicherungen der Staatsanwaltschaft über den Tatverlauf berichten, sodaß eine mögliche Beute gesichert oder ein Verfahren gegen andere Täter zielstrebig durchgeführt werden kann, vgl. Landau, DRiZ 1995, 132 (134); kritisch zur Grundlage der Absprachen, die auf den Ermittlungsakten und deren selektiertem Tatbild aufbauen: Schünemann, FS-Baumann, 361 (380 f.); vgl. ferner Rönnau, S. 106 ff. 242 KK-Pfeiffer, Einl. Rn. 29 b; HK-Kurth, § 407 Rn. 4; Burhoff, Rn. 49 ff.; Weihrauch, Rn. 166; Sinner, S. 182 f.; Bömeke, S. 18 f., 66 ff.; Schöch, GS-Schlüchter, S. 29 (38); Landau, DRiZ 1995, 132 (133 f.); kritisch zur Teileinstellung nach § 154 zwecks Erlangung eines Geständnisses: Schünemann, Gutachten B 107 ff.

§ 2 Weichenstellung für das spätere Verfahren

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lung getroffen werden, ist nicht letztere, sondern das Ermittlungsergebnis aus den Akten entscheidend243. Diese „Grauzone“ macht deutlich, wie sehr ein Beschuldigter rechtlichen Beistands bedarf. Unseriösen Versprechen kann der Verteidiger entgegentreten, Folgen disziplinarrechtlicher oder steuerrechtlicher Art dem Beschuldigten mitteilen244. Auch angesichts der möglicherweise fehlenden Bindungswirkung einer Absprache (im Ermittlungsverfahren)245 ist zu überprüfen, inwiefern der Beschuldigte in „Vorleistung“ treten sollte. So kann der Verteidiger darauf hinwirken, daß die Absprachen aktenkundig gemacht werden246. Zum Teil wird vorgeschlagen, die Fälle notwendiger Verteidigung auf Absprachen de lege ferenda zu erstrecken247. Jedoch kann wohl schon aufgrund § 140 II 1 2. Alt. eine Verteidigerbestellung wegen der Schwierigkeit der Sachund Rechtslage im Rahmen von Verständigungen angenommen werden248. Für die Bereiche, in denen Absprachen schwerpunktmäßig vorkommen (Betäubungsmittel-, Umwelt-, Wirtschafts- oder Steuerstrafsachen249) ergibt sich die 243

Vgl. Schlachetzki, S. 33. Vogelsang, S. 208 f. 245 Vgl. BGHSt 43, 205 (210); Beulke, Strafprozeßrecht, Rn. 396 a; Sinner, S. 183 f.; Kölbel, NStZ 2002, 74 ff.; der BGH nimmt bei Mißachtung der Zusicherung eine Strafmilderung an, vgl. BGHSt 37, 10 (14); umfassend zur fehlgeschlagenen Absprache: Bömeke, S. 109 ff., 192 ff. (zum Ermittlungsverfahren). 246 Sinner, S. 184; Landau, DRiZ 1995, 132 (141); vgl. zur kontrollierenden Rolle des Verteidigers bei Absprachen: BGHSt 37, 99 (105). 247 Vgl. Schünemann, Absprachen im Strafprozeß, S. 144 ff. (148), der u. a. einen neu einzufügenden § 244 II 2 StPO vorschlägt: „Ein Geständnis erübrigt die weitere Beweisaufnahme, wenn es nach dem bisherigen Beweisergebnis glaubhaft erscheint und der Angeklagte zuvor von einem Verteidiger beraten wurde“ – in NJW 1989, 1895 (1899 mit Fn. 30) mit dem Vorbehalt versehen, daß der Vorschlag nur die Außenwirkung der Absprache regele, nicht aber die unerläßlichen Voraussetzungen eines neuen und angemessenen, ausreichende Kautelen für den Beschuldigten vorsehenden institutionellen Rahmens; Siolek, S. 283 ff. (287) – § 1 IV: „Die Durchführung eines Rechtsgesprächs erfüllt immer die Voraussetzungen von § 140 II, dessen übriger Anwendungsbereich unberührt bleibt“. Nach § 1 I kann dieses Rechtsgespräch als Vorbereitung für eine Verständigung schon vor Abschluß des Ermittlungsverfahrens zwischen dem Staatsanwalt mit allen Beteiligten stattfinden. Dieses Rechtsgespräch soll jedoch nicht bei einfach und klar gelagerten Fällen erfolgen; der Vorschlag von Schmidt-Hieber (NJW 1990, 1884, 1886 f.), der nach § 140 II im Rahmen der Erörterung der Sach- und Rechtslage auf Antrag oder von Amts wegen eine Verteidigerbestellung fordert, wenn dessen Mitwirkung hierbei geboten erscheint, bezieht sich auf ein Rechtsgespräch im Zwischenverfahren; nach dem Vorschlag von Wagner (FS-Gössel, S. 585, 599) ist ein Verteidiger bei einvernehmlichen Verfahren spätestens mit der Zustellung des Eröffnungsbeschlusses zu bestellen, vgl. dort § d; dem Element der Pflichtverteidigung positiv gegenüberstehend auch: Braun, S. 229, der auf S. 298 folgenden Wortlaut eines § 181 I StPO vorschlägt: „. . . Bei schwereren Delikten (denkbar wäre hier die Festlegung eines Strafrahmens) ist dem Beschuldigten, sofern er keinen Verteidiger hat, ein solcher beizuordnen“. 248 Vogelsang, Vorwort mit Fn. 17. 244

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2. Kap.: Bedeutung des Ermittlungsverfahrens

Notwendigkeit meistens bereits ohne die „Komplikation“ durch die Absprache selbst. Durch die Absprache wird eine Entscheidung u. U. schon in das Ermittlungsverfahren verlegt. Die Kautelen der Hauptverhandlung sind damit hinfällig, das Ermittlungsverfahren wird in seiner Bedeutung gestärkt. VI. Ergebnis Durch die neuen – dem historischen Gesetzgeber nicht bekannten – Gestaltungsmöglichkeiten wird das Vorverfahren als mittelbare Beweisquelle für die Hauptverhandlung erschlossen. Die gestiegene Bedeutung liegt ferner in den ausgebauten Erledigungsmöglichkeiten der Staatsanwaltschaft, den Anträgen auf Erlaß eines Strafbefehls und den verbreiteten Absprachen. Auch die „Video-Abschirmung“ der im Ermittlungsverfahren vernommenen Zeugen zieht einen Kontrollverlust durch die Hauptverhandlung nach sich250. Wird die kontradiktorische Struktur der Hauptverhandlung durch das Ermittlungsverfahren lahmgelegt, so kann sie nicht mehr zur Findung materieller Wahrheit dienen. Angesichts der Gestaltungsmöglichkeiten im Ermittlungsverfahren entfällt somit in vielen Fällen dessen – vom historischen Gesetzgeber vorgesehene – Ausbalancierung durch die Hauptverhandlung. Gleichzeitig ist zu berücksichtigen, daß die Bedeutungssteigerung nicht vollends durch die Bestellung eines Verteidigers aufgefangen werden könnte. Insofern können Anknüpfungspunkte lediglich die entsprechenden Mitwirkungsrechte des Beschuldigten bzw. die des Verteidigers sein.

D. Zwangsmaßnahmen bzw. Grundrechtseingriffe251 Zwangsmaßnahmen werden überwiegend im Ermittlungsverfahren angeordnet252. Neben den „traditionellen“ Zwangsmaßnahmen, die seit der RStPO von 1877 (z. T. durch die Praxis) ausgedehnt wurden253, hielten neue Einzug. So 249 KK-Pfeiffer, Einl. 29 a; SK-Wolter, Vor § 151 Rn. 67; auch in Bagatellsachen ist eine Absprache zwischen den Beteiligten möglich, vgl. Gerlach, S. 20. 250 In Bezug auf die Auswirkungen von Absprachen: Schünemann, FS-Baumann, S. 361 (377 f.); ders., StV 1993, 607 (608 f.); hinsichtlich der Abschirmung der Zeugen durch das Zeugenschutzgesetz: Schünemann, FS-Meyer-Goßner, S. 385 (398); ders., StV 1998, 391 (399 f.). 251 Zum „Streit“ bzgl. der terminologischen Einordnungen der Eingriffsermächtigungen: Kühne, Rn. 394 f. 252 Rieß, FS-Rebmann, S. 381 (390). 253 Vgl. zur Untersuchungshaft, Durchsuchung und Beschlagnahme: Schünemann, ZStW 114 (2002), 1 (15 ff.); zur Ausdehnung verdeckter Ermittlungen: Krey, FSKohlmann, 2003, S. 627 (636 ff.).

§ 2 Weichenstellung für das spätere Verfahren

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wurde durch die Notstandsgesetzbung die Telefonüberwachung (§§ 100 a, 100 b) eingeführt254, die seit Anfang der 90er Jahre erheblich zugenommen hat und deren richerliche Kontrolle nicht den gesetzlichen Anforderungen entspricht255. Durch das Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität vom 15.07. 1992256 wurden folgende Ermittlungsmethoden geregelt: Datenabgleich (§§ 98 a bis 98 c), technische Ermittlungsmethoden (§§ 100 c I Nr. 1, Nr. 2, 100 d), Schleppnetzfahndung (163 d), Ausschreibung zur polizeilichen Beobachtung (§ 163 e), Einsatz Verdeckter Ermittler (§§ 110 a bis 110 e)257. Durch das Verbrechensbekämpfungsgesetz aus dem Jahr 1994258 wurde die Übermittlung von Daten zwischen Bundesnachrichtendienst und polizeilichen Gefahrenabwehrbehörden sowie den Strafverfolgungsbehörden eingeführt. Im Jahr 1998259 wurde die akustische Wohnraumüberwachung in der Strafprozeßordnung verankert260. Das Strafverfahrensänderungsgesetz von 1999261 führte die längerfristige Observation ein, § 163 f. Die Vorschriften §§ 161, 163 wurden von „Aufgabenbeschreibungs-“262 zu „Ermittlungsgeneralklauseln“ umge254 Vgl. Art. 2 Nr. 2 des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses vom 13.08.1968 (BGBl. I, S. 949). 255 Vgl. H.-J. Albrecht/Dorsch/Krüpe, in: H.-J. Albrecht/Kaiser (Hrsg.), S. 434 ff., 467 ff. (266 ff.: Erfolgt eine schlüssige Begründung der TKÜ durch Polizei oder Staatsanwaltschaft, so wird die Begründung im Vertrauen auf deren Sach- und Fachkunde übernommen.). 256 BGBl. I, S. 1302; vgl. dazu: Krey, FS-Kohlmann, S. 627 (636 ff.); zur Entwicklung der präventiven Ausrichtung von Zwangsmaßnahmen (insbesondere durch das OrgKG): König, Entwicklung, S. 121 ff. 257 Der Einsatz von Vertrauenspersonen wurde nicht gesetzlich geregelt. Nach E OrgKG, BT-Drucks. 12/989, S. 41 sind V-Personen Zeugen, für die eine gesetzliche Grundlage existiert; für eine grundsätzliche Neubestimmung der Folgen eines polizeilichen Lockspitzeleinsatzes: Schünemann, StV 1985, 424 (428 ff.). 258 BGBl. I, S. 3186. 259 Durch das Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität vom 04.05.1998 (BGBl. I, S. 845 – Art. 2). 260 Vgl. § 100 c I Nr. 3, II, III sowie §§ 100 d II bis VI, 100 e, 100 f, 101. Ein erheblicher Teil der gesetzlichen Regeln über die Ausgestaltung der akustischen Wohnraumüberwachung wurde vom Bundesverfassungsgericht als verfassungsrechtlich unwirksam angesehen (NStZ 2004, 270 ff.). Dem Gesetzgeber wurde eine Frist bis zum 30.06.2005 zugebilligt, um die entsprechenden verfassungsrechtlichen Vorgaben umzusetzen. Nach der Entscheidung sind – nach Maßgabe der Gründe – folgende Vorschriften zur akustischen Wohnraumüberwachung mit dem Grundgesetz unvereinbar: – §§ 100 c I Nr. 3, 100 d III, 100 d V 2 und § 100 f I mit Art. 13 I, Art. 2 I und Art. 1 I GG – § 101 I 1 und S. 2 StPO darüber hinaus mit Art. 19 IV GG – § 101 I 3 mit Art. 103 I GG – § 100 d IV 3 i. V. m. § 100 b VI mit Art. 19 IV GG. 261 Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Strafverfahrensrechts (StVÄG 1999 vom 02.08.2000), BGBl. I, S. 1253.

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2. Kap.: Bedeutung des Ermittlungsverfahrens

staltet263. Durch das StPOÄG vom 20.12.2001264 wird die gesetzliche Grundlage für die Anordnung der Auskunft über die Telekommunikationsverbindungsdaten geschaffen, vgl. §§ 100 g, 100 h. Angesichts der vielfältigen und kumulierbaren Zwangsmittel hat auch der Bundesgerichtshof zu deren Bündelung Stellung genommen265. Die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen266 nehmen ihre Eilkompetenzen im zum Gesetz umgekehrten Regel-Ausnahmeverhältnis wahr267. Dies veranlaßte das Bundesverfassungsgericht268 die Einhaltung der Regelkompetenz zu fordern. Die Entscheidung bezog sich zwar auf den Fall der Durchsuchung nach § 102, welche in das von Art. 13 GG geschützte Recht des Betroffenen auf Unverletzlichkeit der Wohnung eingreift. Jedoch kommt dieser Entscheidung eine die Anordnungskompetenz betreffende allgemeine Bedeutung zu269. Insofern erfolgte im Bereich der Zwangsmaßnahmen ein Machtzuwachs der Ermittlungsbehörden aufgrund der Usurpierung von originären Richterkompetenzen sowie aufgrund gesetzlich etablierter eigener originärer Zuständigkeiten.

E. Verpolizeilichung des Ermittlungsverfahrens Die Polizei ist Ermittlungsorgan der Staatsanwaltschaft270, vgl. §§ 161 I 2, 163 II. Trotz der auch der Polizei gewährten Ermittlungsgeneralklausel (§ 163 I 2) steht der Staatsanwaltschaft nach dem Gesetz immer noch die Leitungsbefugnis zu271. 262 So die h. M. zur ursprünglichen Fassung von §§ 161, 163, vgl. AK-Achenbach, § 163 Rn. 5; Roxin, 10/17. 263 Kühne, Rn. 369 m. w. N.; Beulke, Strafprozeßrecht, Rn. 104 m. w. N. 264 Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung, BGBl. I, S. 3879. 265 Vgl. BGH StV 2001, 216 (218 f.). 266 Dieser Begriff wurde durch das „Erste Gesetz zur Modernisierung der Justiz“ vom 24.08.2004 (BGBl. I, S. 2198) eingeführt und ersetzt die frühere Bezeichnung „Hilfsbeamte“. 267 Vgl. Kettner, S. 10; Prechtel, S. 142 f.; nach Nelles wurden in Nordrhein-Westfalen im Jahr 1971 Durchsuchungen von Räumen in mehr als 86 Prozent und Beschlagnahmen in 93 Prozent der Fälle von den Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft angeordnet, vgl. Nelles, S. 224 ff. (Tabellen 214 und 227); dies., StV 1986, 74 mit Fn. 13; vgl. ferner: Asbrock, KritV 1997, 255 (258 ff.). 268 BVerfG NJW 2001, 1121 ff.; von diesem Mahncharakter der Entscheidung geht auch die Große Strafrechtskommission des Deutschen Richterbundes in ihrem Gutachten zur Tätigkeit des Ermittlungsrichters im Ermittlungsverfahren aus, S. 219. Danach steige die Quote ermittlungsrichterlicher Entscheidungen kontinuierlich. In komplexen und schwierigen Verfahren sei die ermittlungsrichterliche Entscheidung die Regel. 269 Vgl. Fezer, FS-Rieß, S. 93 (108 ff.). 270 Meyer-Goßner, § 163 Rn. 3; Nanakorn, S. 9; Schaefer, StraFo 2002, 118 (119). 271 AE-EV, S. 110, 118; Schlachetzki, S. 39.

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Kraft Gesetzes oder nach § 152 II GVG i. V. m. landesrechtlichen Verordnungen eingesetzte Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft haben in Eilfällen bestimmte Anordnungsbefugnisse272. Die in § 161 I 1 und Nr. 3 I und II (i. V. m. Anlage A), 11 RiStBV angelegte Einschaltung der Polizei hat neben der präventiven Ausrichtung von Zwangsbefugnissen273 in der Praxis zu einer Verpolizeilichung dieses Verfahrensabschnitts geführt274. Diese Verpolizeilichung bezieht sich nicht nur auf eine Inanspruchnahme des Polizeiapparates durch die Staatsanwaltschaft, welches ihr in den Grenzen nach Nr. 3 I und II, Nr. 11 RiStBV anheimgegeben wurde. Jene bedeutet vielmehr einen Rückgang der staatsanwaltlichen Leitungsbefugnis insbesondere bei Fällen leichterer und mittlerer Kriminalität275, obwohl die Staatsanwaltschaft die Verantwortung für den Verfahrensabschnitt trägt276 und grundsätzlich verpflichtet ist277, die polizeilichen Ermittlungen zu leiten278. Zu diesem polizeilichen Übergewicht tragen neben besserer personeller und technischer Ausstattung279 die bei der Polizei angesiedelten Datensammlungen bei280. Das durch das OrgKG von 1992281 aufgenommene „operative Konzept zur Kriminalitätsbekämpfung“, führt zu einer Vorverlagerung repressiver Strafverfolgung durch Übertragung präventiv gewonnener Erkenntnisse282. Neben der Umgestaltung des § 161 I durch das StVÄG 1999 trägt dazu auch die in den Landespolizeigesetzen etablierte vorbeugende Verbrechensbekämpfung (vgl. u. a. 272

Burhoff, Rn. 976. Vgl. König, Entwicklung, S. 116 f., 132 ff., 144 f., 155 f. 274 SK-Wolter, Vor § 151 Rn. 63; Satzger, Gutachten C 116 (zu Reformvorschlägen auf C 134 ff.); P.-A. Albrecht, Jugendstrafrecht, S. 356 f.; ders., Kriminologie, 2002, S. 154 ff.; Roxin, 10/34 f.; Prechtel, S. 50 f.; Kettner, S. 21 ff.; Peters, Fehlerquellen II, S. 214; Schaefer, StraFo 2002, 118 ff. 275 Schünemann, Kriminalistik 1999, 75 (77); dies widerspricht Nr. 3 II RiStBV, wonach die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen zu leiten hat und „mindestens“ ihre Richtung und ihren Umfang bestimmen soll. Nr. 11 I RiStBV verlangt eine Handlungsanleitung für die Polizei, welcher die Praxis häufig nicht gerecht wird, vgl. Groß/ Fünfsinn, NStZ 1992, 105 (108). 276 Diese kontrollierende Funktion war ein Motiv für die Einführung der Staatsanwaltschaft, vgl. §§ 161 I 2, 163 II; dazu: Schünemann, Kriminalistik 1999, 75 (76 f.) m. w. N. 277 KK-Wache, § 163 Rn. 2; Roxin, DRiZ 1997, 109 (119 f.). 278 Dabei ist jedoch die in bestimmten Gebieten überragende Bedeutung polizeilicher Sachkunde zu berücksichtigen, vgl. Meyer-Goßner, § 161 Rn. 11. 279 AE-EV, S. 119; Schlachetzki, S. 66 ff. 280 Vgl. insbesondere die Systeme INPOL und EUROPOL: SK-Wolter, Vor § 151 Rn. 151 ff.; Degenhardt, S. 139 f., S. 147 ff., 207 ff. m. w. N.; Schlachetzki, S. 105 ff.; Wolter, Aspekte, S. 54 f.; Schaefer, StraFo 2002, 118 (120 f.); Lilie, ZStW 106 (1994), 625 (627 ff.); ders., ZStW 111 (1999), 807 (825). 281 Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der organisierten Kriminalität (OrgKG) vom 15.07.1992 (BGBl. I, 1302). 273

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§ 1 I 2 PolG NW; Art. 33 III Nr. 2 Bay PAG) bei. Hier werden Kenntnisse unter Umgehung staatsanwaltlicher Kontrolle erworben und letztlich zur Strafverfolgung verwendet283. Inwiefern die aus einem präventiven Vorgehen gewonnenen Daten zur repressiven Strafverfolgung eingesetzt werden können, ist durch §§ 161 II, 100 f II gesetzlich nicht abschließend geregelt284. Auch die oben erwähnten möglichen Zwangsmaßnahmen, für die den Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft die Eilfallkompetenz zusteht, sind teilweise in den Polizeigesetzen der Länder geregelt, sodaß sich der Polizei die Möglichkeit bietet, präventiv oder repressiv vorzugehen285. Die Austauschmöglichkeiten zwischen Nachrichtendienst/Verfassungsschutz, sowie den Strafverfolgungsbehörden wurden im Rahmen der Bekämpfung des internationalen Terrorismus ausgebaut286. Diese gefährden287 im Verbund mit einer vorbeugenden Verbrechensbekämpfung288 das Trennungsgebot289 von Polizei und Nachrichtendienst/Verfassungsschutz, wonach die Polizei keine nachrichtendienstlichen Mittel einsetzen darf. Die der Polizei gerade im Bereich der leichten und mittleren (zumindest eingeschränkt auch im Bereich der schweren290) Kriminalität überlassene Vorer282 Vgl. u. a. die „Vorfeldermittlungen“ nach §§ 98 a, 100 c, 110 a ff.; dazu: P.-A. Albrecht, Kriminologie, S. 156 ff.; ders., StV 2001, 416 (417 f.); Degenhardt, S. 112 f.; Paeffgen, GA 2003, 647 (652 ff.). 283 Schlachetzki, S. 101 ff. 284 Eine weitergehende, die Umwidmung präventiv gewonnener Erkenntnisse einschränkende Regelung war im Regierungsentwurf vorgesehen. Sie fiel dem Vermittlungsverfahren zum Opfer, vgl. Hefendehl, StV 2001, 700 (704 ff.); Hilger, NStZ 2000, 561 (564); P.-A. Albrecht, StV 2001, 416 (419). 285 Vgl. P.-A. Albrecht, Jugendstrafrecht, S. 356: Verdeckte Ermittler, polizeilicher Gewahrsam; ders., Kriminologie, S. 154 ff.; Deckers, AnwBl. 1986, 60; Schünemann, Kriminalistik 1999, 75 (76) weist auf das Abhören von Telefongesprächen hin, die vergangene wie auch bevorstehende Straftaten betreffen könnten; Krey, FS-Kohlmann, S. 627 (634 ff., 650); Anlage A. II zu den RiStBV weist explizit daraufhin, daß die Staatsanwaltschaft im Bereich der Gefahrenabwehr keine Anordnungen treffen darf. 286 Vgl. Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus vom 09.01.2002, BGBl. I, S. 361; kritisch: Denninger, StV 2002, 96 ff.; Stellungnahme des Deutschen Richterbundes, DRiZ 2002, 45, der eine Fortentwicklung der Verfassungsschutzbehörden zu Ermittlungsbehörden außerhalb justizieller Kontrolle befürchtet; kritisch ferner: Kühne, Rn. 393. 1 ff. 287 Lisken, in: Lisken/Denninger, C/116 ff.; Krey, FS-Kohlmann, S. 627 (650); P.-A. Albrecht, StV 2001, 69. 288 Vgl. Artzt, S. 100 m. w. N. 289 Zum Teil wird dies aus Art. 73 Nr. 10 GG und Art. 87 I 2 GG (vgl. Kühne, Rn. 377; Hetzer, ZRP 1999, 19, 23; Gusy, ZRP 1987, 45 ff.; ders., GA 1999, 319, 324 ff.) oder der Verfahrensrelevanz der Grundrechte (vgl. v. Mangoldt/Klein/StarckBurgi, Art. 87 Rn. 35, 40 m. w. N.) hergeleitet; a. A.: Roewer, DVBl. 1986, 205 (207 f.), der lediglich ein einfachgesetzliches Trennungsgebot annimmt – vgl. die Regelungen in: §§ 2 I 2; 8 III BVerfSchG und § 2 III BNDG. 290 Vgl. Schlachetzki, S. 42 ff.

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mittlung bis hin zur Abfassung eines Abschlußberichts zeugt von der ihr zukommenden Gestaltungsmöglichkeit im Ermittlungsverfahren291. Auch personelle Erwägungen292 sowie gesteigertes Vertrauen in die polizeiliche Arbeit293 dürften zur Verschiebung der Leitungsbefugnis beigetragen haben. Diese Verpolizeilichung zieht einen Verlust an Transparenz nach sich294. Staatsanwaltliche Tätigkeit als „Rechtsschutz“ für den Beschuldigten295 entfällt. Die Leitungsbefugnis über das Ermittlungsverfahren entschwindet ihrer Herrin. Mit der Verpolizeilichung gehen auch bessere Kontaktmöglichkeiten des Verteidigers zur Staatsanwaltschaft verloren296.

F. Die Untersuchungen von Peters zu den Fehlerquellen im Ermittlungsverfahren In seiner Untersuchung über Wiederaufnahmeverfahren stellt Peters fest, daß im Ermittlungsverfahren eintretenden Fehlern in der Hauptverhandlung regelmäßig nicht mehr begegnet werden kann297. Solche können beruhen auf298 zu spät einsetzenden Ermittlungen, nicht hinreichend vorbereiteten Ermittlungen, unterlassener Ausschöpfung von Beweismöglichkeiten, eingeschränkter Aufklärungslinie299, unzulässigen Beweiserhebungen, mangelhafter Persönlichkeitserforschung300 oder herangezogenen Gutachten. Auch das Verhalten von Verteidigern könne zu einem Fehlurteil führen301. 291 Schünemann, Kriminalistik 1999, 146 (147: ferner bestimmt die Selektion bei der Anzeigenentgegennahme oder der Verfolgung von Spuren die Herrschaft der Polizei im Ermittlungsverfahren). Dies veranlaßt Schünemann zur Forderung nach verbessertem Rechtsschutz gegenüber polizeilichen Maßnahmen. 292 Die früher bestehende Disziplinargewalt der Staatsanwaltschaft gegenüber ihren Hilfsbeamten wurde abgeschafft, vgl. Schünemann, Kriminalistik 1999, 75 (77). 293 In den Beratungen zur RStPO kamen die rückständigen Methoden der Polizei zur Sprache, vgl. Hahn I, Abg. Struckmann, S. 725 – gute Polizeibeamte gebe es nicht überall, gerade auf dem Lande fehlten sie; Hahn I, Abg. von Puttkamer, S. 726 – die Polizei sei zu mangelhaft ausgebildet (Kommission, erste Lesung). 294 Baumann, S. 35; Wick, DRiZ 1992, 217 (220). 295 Peters, Fehlerquellen II, S. 213 f. 296 Vgl. Perron, Beweisantragsrecht, S. 142. 297 Peters, Fehlerquellen I, S. 71 ff., 517; ders., Fehlerquellen II, S. 195 ff., 210 f., 299, 305. 298 Peters, Fehlerquellen II, S. 196 ff.; vgl. ferner: Lange, S. 17 ff. (zu Fehlerquellen bei der Beweisbeschaffung), S. 133 ff. (zu Fehlerquellen bei der Begründung hinreichenden Tatverdachts), S. 163 ff. (zu Fehlerqellen wegen ungenügender Überprüfung der gesetzlichen Grundlagen). 299 „Einer der verhängnisvollsten Aufklärungsfehler . . .“, so Peters, Fehlerquellen II, S. 205 ff. unter Hinweis auf falsche Geständnisse oder Fremdtäuschungen. Er verweist ferner auf das Phänomen, wonach Tatsachen, die nicht mit dem aufgestellten Beweisgebäude kompatibel sind, abgetan werden, S. 208.

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2. Kap.: Bedeutung des Ermittlungsverfahrens

Trotz der festgestellten Fehlerquellen im Ermittlungsverfahren zieht Peters nicht den Schluß, den Verteidiger früher im Ermittlungsverfahren einzuschalten302, im Gegenteil, er tritt dafür ein, die Belehrung des Beschuldigten durch Polizei und Staatsanwaltschaft nach § 163 a III, IV zu beseitigen303.

G. Rückzug der gerichtlichen Voruntersuchung (§§ 178 ff. a. F.) sowie der Schlußanhörung (§ 169 a II a. F.) und des Schlußgehörs (§ 169 b I a. F.) Auch die Abschaffung dieser verfahrensrechtlichen Institute könnte zur gestiegenen Bedeutung des Ermittlungsverfahrens beigetragen haben. I. Voruntersuchung Im Rahmen der gerichtlichen Voruntersuchung (§§ 178 ff. a. F.) führte der Untersuchungsrichter die Ermittlungen für ein Teilstück des Vorverfahrens eigenständig, geheim und inquisitorisch304. Das staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren und die Voruntersuchung hatten die gleiche Aufgabe: Beide Verfahrensabschnitte dienten als Grundlage für die Entscheidung des Gerichts über die Eröffnung des Hauptverfahrens und als Vorbereitung der Hauptverhandlung305. Der unabhängige Richter (im Gegensatz zum weisungsgebundenen Staatsanwalt) sollte Beweise sammeln und, wenn nötig, für die Hauptverhandlung sichern306. Ferner diente die Voruntersuchung der Wahrheitsfindung, um die fehlende zweite Tatsacheninstanz zu kompensieren307.

300 Zur Feststellung der Identität oder zur Bestimmung der Schuldfähigkeit, Peters, Fehlerquellen II, S. 210 f. 301 Peters, Fehlerquellen II, S. 265 ff (268 ff.). 302 Vgl. Viehmann, BMJ-Vert, S. 101 (102 f.); Peters (Fehlerquellen II) verweist auf S. 280 auf die Fehlurteilsverhinderungsmöglichkeiten der Verteidigung; seine Reformforderungen zielen u. a. auf ein Schuldinterlokut ab (S. 308), auf die Einführung der Gerichtshilfe (S. 308), Änderungen im Rechtsmittelrecht und in der Urteilsabfassung (S. 309 ff.) sowie im Wiederaufnahmerecht (S. 315 ff.); auch Lange fordert nicht die frühere Einschaltung eines Pflichtverteidigers, vgl. ihre abschließenden Überlegungen auf S. 183 ff., die sich u. a. zur Leitung des Ermittlungsverfahrens, zur Beschränkung der Ermittlungstätigkeit aus ökonomischen Gründen, zum Verhältnis von Staatsanwaltschaft und Polizei sowie deren Ausbildung verhalten. 303 Peters, Fehlerquellen II, S. 313. 304 Krattinger, S. 70. 305 Hahn I, S. 163 (amtliche Begründung); Hahn I, Oberregierungsrath Hanauer, S. 745 (Kommission, erste Lesung); Hahn II, S. 1543 f. (Bericht der Kommission); Stade, S. 119; Fezer, GS-Schröder, S. 407 (409); Lotter, S. 44. 306 Lotter, S. 44. 307 Schünemann, ZStW 114 (2002), 1 (14).

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Als Überbleibsel des Inquisitionsprozesses kollidierte die Voruntersuchung mit der Mündlichkeit und Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung308. Die Protokolle des Vorverfahrens wurden in der Praxis für die Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung herangezogen. Durch die Voruntersuchung wurde das durch die Staatsanwaltschaft geführte Ermittlungsverfahren in seiner Bedeutung eingeschränkt309, sie hatte eine Schutzfunktion für den Beschuldigten310. Die gerichtliche Voruntersuchung wurde durch das staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren immer stärker zurückgedrängt311, bis sie gänzlich abgeschafft wurde312. Den Grund für die Abschaffung verortete der Gesetzgeber im Rückgang des überkommenen Mißtrauens gegenüber dem Staatsanwalt, so wie es noch zum Zeitpunkt der Beratungen über die RStPO herrschte313. Es wird angeführt, die gerichtliche Voruntersuchung sei aus verteidigungsspezifischer Sicht nicht vielversprechender als das Ermittlungsverfahren314. Der Vorteil gegenüber der Vorschrift des § 160 II bestehe darin, daß eine Beschwerde nach § 304 möglich sei, wenn eine beantragte Beweiserhebung abgelehnt werde. Schünemann konstatiert in diesem Zusammenhang die geringe Resonanz im Schrifttum, welches die mit der Abschaffung der Voruntersuchung verfallenden Beteiligungsrechte des Beschuldigten unberücksichtigt ließ315. Ge308

V. Kries, ZStW 9 (1889), 1 (42); weitere Nachweise bei Krattinger, S. 221 f. Fezer, GS-Schröder, S. 410 ff.; Richter II, NJW 1981, 1820 (1822). 310 Rieß, FS-Schäfer, S. 155 (207); Müller, AnwBl. 1986, 50 (51). 311 Vgl. BT-Drucks. VI/3478, S. 42; dies ist u. a. auf gesetzliche Änderungen sowie einem Vorgehen in der Praxis zurückzuführen, vgl. dazu Stade, S. 119 ff.; Krattinger, S. 50 f.; Dengler, S. 15 f.; Prechtel, S. 10 ff.; Grünwald, Gutachten, C 32. 312 Durch das 1. StVRG vom 09.12.1974, BGBl. I, S. 3393 ff. 313 BT-Drucks. VI/3478, S. 42; 7/551, S. 38; Nanakorn, S. 88; vgl. zum ursprünglichen gesetzgeberischen Ziel: Hahn I, S. 158 f., 163 (amtliche Begründung): Ein Beschuldigter werde der Staatsanwaltschaft nicht in ähnlicher Weise vertrauen; gegen das „Scheinargument“, nach dem die Staatsanwaltschaft schon im geltenden (vor dem 1. StVRG) Recht die alleinige Ermittlungsbehörde mit den hierfür notwendigen Befugnissen sein sollte und somit lediglich klarstellende Regelungen getroffen wurden: Grünwald, Gutachten, C 31. Auch die Vertrauenswürdigkeit der Staatsanwaltschaft, die ihre Machtausweitung stütze, habe sich eben in diesem gesicherten System gezeigt, vgl. Grünwald, Gutachten, C 35. 314 Vgl. die amtliche Begründung zum Entwurf des 1. StVRG, BT-Drucks. VI/ 3478, S. 43. 315 Schünemann, Kriminalistik 1999, 146 mit Fn. 40; vgl. nur Rieß, ZRP 1977, 67 (68 ff.); Fezer, GS-Schröder, S. 407 (410), der auf den erheblichen Ausbau des Beschuldigtenschutzes hinweist. Dahs (NJW 1974, 1538 ff.) kritisiert hingegen den Abbau von Beschuldigtenrechten; nach Grünwald (Gutachten, C 31 ff.) gewährt die gerichtliche Voruntersuchung eine sorgfältigere Rücksichtnahme auf die Belange des Beschuldigten. Die ursprüngliche Konzeption der Voruntersuchung sei durch die Praxis in eine kontrollierende bzw. ergänzende geändert worden, indem die Staatsanwaltschaft die Aufklärungsarbeit übernommen habe. Dadurch könne jedoch immer noch der Fixierung auf eine Hypothese 309

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2. Kap.: Bedeutung des Ermittlungsverfahrens

meinhin wurde auf den Machtzuwachs der Staatsanwaltschaft hingewiesen, den sie u. a. durch die Abschaffung der Voruntersuchung, durch den Zuwachs eigener Ladungsrechte von Zeugen- und Sachverständigen sowie der Einführung von Anordnungskompetenzen im Eilfall erfahren hat316. Die Staatsanwaltschaft sollte Sachverhaltsfeststellungen vorantreiben317. Die nicht vorhandenen Anwesenheitsrechte bei staatsanwaltlichen Zeugenvernehmungen sollten dadurch kompensiert werden, daß sie nicht wie richterliche Protokolle verlesen werden können318. Diesen Überlegungen entgegengesetzt ist jedoch die Vorhalte- und Hörensagenpraxis319. Die Staatsanwaltschaft füllt nun die normative Verantwortung für das Ermittlungsverfahren aus320. Der Zweck des strafrechtlichen Vorverfahrens, welches nun vollständig in den Händen der Staatsanwaltschaft liegt, wandelt sich von einer tatkonkretisierenden und Tatverdächtige ermittelnden Vorklärung zur sachverhaltserforschenden Tätigkeit bis zur Hauptverhandlungsreife321. II. Schlußanhörung und Schlußgehör Die schriftliche Schlußanhörung322 nach § 169 a II a. F. und das mündliche Schlußgehör nach § 169 b a. F. konnten die mögliche Klageerhebung noch beeinflussen323. Durch das Schlußgehör, welches in den Fällen des § 169 a II324 in Betracht kam, wurde die Entschließung der Staatsanwaltschaft zur Anklagevorgebeugt werden. So werde ein „heilsamer Zwang zur Gründlichkeit“ vermittelt. Auch würden die Anwesenheitsrechte bei Zeugenvernehmungen ausgeschaltet; dagegen: Eb Schmidt, Lehrkommentar II, Vorbem 5 zu §§ 178 ff.; unentschieden: Krattinger, S. 71. 316 Dengler, S. 16; Deckers, AnwBl. 1986, 50. 317 Vgl. BT-Drucks. 7/551, S. 37 ff.; dazu: Fezer, GS-Schröder, S. 407 (412 f.); Lampe (NJW 1975, 196) befürchtet dennoch keine Vorwegnahme der Hauptverhandlung. 318 BT-Drucks. 7/551, S. 38 f. 319 Vgl. Grünwald, Gutachten, C 34 unter Hinweis auf die Strafrechtskommission des Deutschen Richterbundes, die annahm, daß eine Gesetzesänderung, die eine Verlesung staatsanwaltlicher Protokolle einführte, keine größeren Vorteile besäße, sei doch über den Vorhalt oder die Vernehmung des Staatsanwalts eine Einführung möglich; vgl. ferner: Dahs, NJW 1974, 1538 (1539). 320 Grünwald, Gutachten, C 36 f.; Rieß, FS-Rebmann, S. 381 (389); vgl. Anlage A zu den RiStBV unter A.: „Im Hinblick auf die Verantwortung der Staatsanwaltschaft für das Ermittlungsverfahren und damit auch für die Vollständigkeit und Rechtmäßigkeit der Ermittlungen, . . .“. 321 Fezer, GS-Schröder, S. 407 (410); Stade, S. 123, Müller, AnwBl. 1986, 50. 322 Das Vorbringen der Verteidigung konnte in Gestalt von Beweisanträgen oder Einwendungen gegen die Einreichung der Anklageschrift erfolgen. 323 Abgeschafft durch das 1. StVRG vom 09.12.1974 (BGBl. I, S. 3393). 324 Anklage zum Schöffengericht oder eines Gerichts höherer Ordnung.

§ 2 Weichenstellung für das spätere Verfahren

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erhebung vorbereitet. Es sollte eine „gründliche Verteidigung“ gegen die Klageerhebung ermöglicht werden. Der Beschuldigte sollte sich speziell gegen den Verfahrensakt der Anklageerhebung zur Wehr setzen können325. Zwischen Abschluß der Ermittlungen und der Anklageerhebung wurde eine „wirkliche Verteidigungsphase“ geschaffen. Ferner sollte die Sachverhaltsfeststellung gesichert werden326. Das Schlußgehör war von einem Antrag des Beschuldigten abhängig, § 169 b I 1 a. F. worauf die Staatsanwaltschaft hinzuweisen hatte, § 169 b III a. F. Je nach Zuständigkeit der Gerichte folgte eine obligatorische327 oder fakultative328 Gewährung des Schlußgehörs. In den Fällen des § 169 c a. F. entfiel die Pflicht zur Gewährung des Schlußgehörs329. Nach § 141 III 3 a. F. „soll“330 die Staatsanwaltschaft einen Antrag auf Pflichtverteidigerbeiordnung stellen, wenn in dem gerichtlichen Verfahren die Verteidigung nach § 140 I notwendig ist und die Gewährung des Schlußgehörs in Betracht kommt. Der Pflichtverteidiger soll den Beschuldigten über die Zweckdienlichkeit des Schlußgehörs informieren331. Gegen die eigenständige Bedeutung des Schlußgehörs wird vorgebracht, der Einfluß auf die Klageerhebung sehr gering sei332. Man ging davon aus, der Verteidiger auch das Hauptgewicht seiner Bemühungen nicht auf einen hen Abschnitt setzen wollte333. Andererseits kann man die Bedeutung

325

daß daß früdes

Vgl. BT-Drucks. IV/178, S. 28 f. Krattinger, S. 60; Peters, Fehlerquellen II, S. 221. 327 Erstinstanzliche Zuständigkeit des Landgerichts oder eines Gerichts höherer Ordnung. Hier wird berücksichtigt, daß es in den Fällen, die in die Zuständigkeit des Landgerichts oder eines Gerichtes höherer Ordnung fallen, nur eine Instanz gibt, die sich mit der Sachverhaltsaufklärung beschäftigt. Daher soll der Beschuldigte auf diese schon früher einwirken können, Lotter, S. 39 f. 328 Anklage zum Schöffengericht, § 169 b I 2 a. F. 329 U. a. wenn der Aufenthaltsort des Beschuldigten unbekannt ist, vgl. § 169 c I Nr. 1 a. F. 330 Vgl. zur über den eigentlichen Wortlaut („soll“) hinausgehenden Verpflichtung der Staatsanwaltschaft zur Antragstellung die amtliche Begründung des Entwurfs zu § 141 III: Die Staatsanwaltschaft „soll verpflichtet“ sein, die Bestellung eines Verteidigers zu beantragen, falls die Gewährung eines Schlußgehörs in Betracht kommt und die Staatsanwaltschaft einen Fall notwendiger Verteidigung nach § 140 I in Betracht zieht, BT-Drucks. III/2037, S. 29; eine Antragspflicht verlangte man der Staatsanwaltschaft im Fall einer nach § 140 II möglichen notwendigen Verteidigung nicht ab. 331 Vgl. die amtliche Begründung: BT-Drucks. III/2037, S. 29. 332 Nach Peters (Fehlerquellen im Strafprozeß II, S. 221) steht bei Gewährung des Schlußgehörs regelmäßig alles Entscheidende fest, es diene nicht mehr der Wahrheitsfindung; ferner: Dahs, ZRP 1968, 17 (19); vgl. schon die Vermutung von Eb. Schmidt, DRiZ 1963, 176 (177). 333 Lotter, S. 41; jedoch hat der Verteidiger die Wahrnehmung im konkreten Fall abzuwägen – eine generelle Geringwertigkeit für die Verteidigung sei nicht anzunehmen, so Grünwald, Gutachten, C 46. 326

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2. Kap.: Bedeutung des Ermittlungsverfahrens

Schlußgehörs höher als die des Zwischenverfahrens einstufen, indem schon gegen die Erhebung der Anklage vorgegangen werden konnte334. Mit dem Schlußgehör wurde dem Beschuldigten eine mögliche Pflichtverteidigerbestellung genommen, die noch vor der Anklageerhebung erfolgte. Insofern ist mit dem Wegfall des Schlußgehörs auch eine weitere Sicherung vor der Anklageerhebung entfallen – auch wenn die Einschaltung des Verteidigers lediglich den Zweck hatte, den Angeschuldigten über die Zweckdienlichkeit eines Schlußgehörs zu informieren. Die Staatsanwaltschaft konnte mit sich selbst noch einmal in Klausur gehen, bevor sie Anklage erhob. Als Ausgleich für die Zurückdrängung des Schlußgehörs sah der Gesetzgeber die Beweisantragsmöglichkeit nach § 163 a und die entsprechende Belehrungspflicht durch die Polizei und die Staatsanwaltschaft nach § 136 I 3 an sowie die Antragspflicht der Staatsanwaltschaft auf Verteidigerbestellung nach § 141 III 2. Der Beschuldigte solle sich ferner an das Zwischenverfahren halten335. Zwar ist zuzugeben, daß die Beschuldigtenrechte ausgebaut wurden, vgl. das Anwesenheitsrecht bei richterlichen Vernehmungen nach § 168 c II, oder das Anwesenheitsrecht des Verteidigers bei staatsanwaltlichen Beschuldigtenvernehmungen, § 163 a III. Die gängige Zeugenvernehmung durch Polizeibeamte und Staatsanwälte untergräbt jedoch das Anwesenheitsrecht336. Auch polizeiliche Beschuldigtenvernehmungen erfordern nicht die Anwesenheit des Verteidigers337.

H. Bedeutung des Zwischenverfahrens Im Zwischenverfahren wird dem Beschuldigten nach § 201 rechtliches Gehör gewährt. Gleichzeitig sichert es eine zuverlässige Hauptverhandlung338. Es sollen fehlerhafte Anklagen unterbunden, Ermittlungsfehler und -defizite aufgefangen werden339. Im Zwischenverfahren prüft das Gericht nach Aktenlage, ob genügender Anlaß für die Eröffnung des Hauptverfahrens besteht, § 203. Hier werden Anklage und Belastungsmaterial „vorgeprüft“. 334 Richter II, StV 1985, 382 (385); insoweit unentschieden Lotter, S. 41, der trotz Bedenken gegen das Schlußgehör darauf hinweist, daß es für den „gewissenhaften“ Verteidiger eine wahre Verteidigungschance enthalte. 335 BT-Drucks. 7/551, S. 43, 69. 336 Vgl. Wolter, Aspekte, S. 82 f. 337 Vgl. jedoch § 163 a IV EStPO des Diskussionsentwurfs für die Reform des Strafverfahrens durch die Bundesregierung (Februar 2004). 338 Peters, Fehlerquellen II, S. 223. 339 Kühne, Rn. 621; Heghmanns, S. 72 ff., 139, 158; Dengler, S. 111 ff.; Krattinger, S. 72.

§ 2 Weichenstellung für das spätere Verfahren

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Durch das Schlußgehör sank die Bedeutung des Zwischenverfahrens340. Kritische Stellungnahmen zu Belastungsbeweisen und eigene Entlastungsbeweise konnten danach schon vor Anklageerhebung vorgebracht werden341. Es wird angenommen, daß der Verteidiger – wie in den Fällen der Gewährung des Schlußgehörs – auch im Zwischenverfahren seine Strategie zurückhalten wird342. Jedenfalls wird bezweifelt, ob das Zwischenverfahren seiner Ergänzungs- bzw. Filterfunktion nachkommt. Das Gericht nehme eine gebotene Prüfung der Ermittlungsergebnisse nach Aktenlage selten vor343. Ermittlungsfehlern kann damit häufig nur noch in der Hauptverhandlung wirksam begegnet werden. Ein Zwischenverfahren neuer Prägung wird von Koch344 und Fischer345 durchgeführt. Nach dem Modell von Fischer wird der Ablauf der Hauptverhandlung besprochen, das Ermittlungsergebnis durch das Gericht gewertet. Absprachen würden nicht getroffen. Koch lädt den Angeschuldigten im Zwischenverfahren nach § 202 vor346. Er macht Vorhalte aus den Akten. Er geht davon aus, daß die überwiegende Zahl derer, die sich im Ermittlungsverfahren nicht geäußert haben, gar nicht bestreiten wolle. Stelle sich bei der Anhörung heraus, daß der Angeschuldigte sich nicht selbst verteidigen könne, so werde sofort ein Verteidiger bestellt347. Insgesamt sollen durch einen solchen Termin die Rechte des Angeschuldigten gestärkt werden. Koch bemerkt, daß ein Teil des Verfahrens dem öffentlichen Raum der Hauptverhandlung entzogen wird348. Er will diesen Bedenken dadurch begegnen, daß eine Protokollierung vorgenommen wird. Geheime Absprachen würden nicht getroffen. Durch dieses neue Zwischenverfahren würden Zeit und Kosten im Hinblick auf eine zukünftige Hauptverhandlung gespart; u. U. komme eine Einstellung nach §§ 153, 153 a in Betracht. Dieses Verfahren

340

Lotter, S. 46. Krattinger, S. 73. Im Zwischenverfahren bliebe lediglich eine Verteidigung durch rechtliche Gesichtspunkte übrig. Nach Lotter herrschte ein „Hypertrophie“ an Schutzgarantien durch das Schlußgehör und das Zwischenverfahren (S. 47). 342 Lotter, S. 127 f. 343 SK-Wolter, Vor § 151 Rn. 60; Roxin, 40/3; Wolter, Aspekte, S. 57; Ignor/Matt, StV 2002, 102 (107). 344 Vgl. StV 2002, 222 ff. 345 Vgl. StV 2003, 109 f. 346 Angesichts der möglichen polizeilchen Vorführung ist die Feststellung von Koch („Die Einladung wird gerne angenommen“) nicht besonders stark zu gewichten; vgl. ferner: Meyer-Goßner, StV 2002, 394; Fischer, StV 2003, 109. 347 Fraglich erscheint, ob die zuvor getätigten Äußerungen dann noch entkräftet werden können. 348 Koch, StV 2002, 222 (224). 341

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2. Kap.: Bedeutung des Ermittlungsverfahrens

sei dem von der Staatsanwaltschaft häufig beantragten beschleunigten Verfahren deutlich überlegen. Gegen das von Koch praktizierte Zwischenverfahren wendet sich Meyer-Goßner349. Neben der polizeilichen Vorführungsandrohung zur Einladung erscheint eine erneute Aufforderung, auszusagen, unverhältnismäßig. § 202 tauge nicht als Rechtsgrundlage für ein solches Vorgehen. Grundsätzlich erfasse diese Vorschrift nur die Aufklärung einer bestimmten Beweisfrage durch eine Vernehmung des Angeschuldigten. Auch müßte die Staatsanwaltschaft an den Vernehmungen beteiligt werden. Insgesamt werde die Hauptverhandlung entwertet350. Auch das Eckpunktepapier der Bundesregierung geht von einem Anhörungstermin im Zwischenverfahren aus351. Gegen einen solchen Anhörungstermin wird vorgebracht, daß der Angeschuldigte unter Druck gesetzt werde, auszusagen352.

§ 3 Europäisierung des Ermittlungsverfahrens Die beginnende Europäisierung strafrechtlicher Verfolgung prägt insbesondere auch das Ermittlungsverfahren. Namentlich betroffen ist die Gewinnung und Übertragung von Beweismitteln sowie das vereinfachte Auslieferungsverfahren. Neben dem Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ)353, welches nationalen Polizeibehörden gewisse grenzüberschreitende Befugnisse vermittelt und dem Europäischen Justiziellen Netz (EJN)354, welches als Kommunikationssystem qua Direktkontakt zwischen den Staaten dient, halten neue Mittel europäischer Strafverfolgung Einzug. Die Europäisierung strafrechtlicher Verfolgung zielt in erster Linie auf eine Koordinierung nationaler Ermittlungen ab, geht jedoch darüber hinaus. Eine Abschöpfung und Transponierung der Ergebnisse nationaler Strafverfolgungen in ein anderes Mitgliedsland werden eingeführt. Prägend ist hier der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung355. Dieser war schon im Grundmodell des Cor349

StV 2002, 394. Meyer-Goßner, StV 2002, 394; auch sprächen praktische Erwägungen gegen eine solche Vorgehensweise. 351 StV 2001, 314 (315 Nr. 5). 352 Vgl. unter 5. der Stellungnahme des Deutschen Richterbundes zum Eckpunktepapier (zusammengefasst in: DRiZ 2001, 256), abrufbar im Volltext unter „stellungnahme“ (2001) auf: http://www.drb.de; dagegen: Fischer, StV 2003, 109 mit Fn. 6; Ignor/Matt, StV 2002, 102 (107 mit Fn. 50, 52). 353 Vgl. das Gesetz vom 15.07.1993 zu dem Schengener Übereinkommen (vom 19.06.1990) in BGBl. II, S. 1010 sowie das Gesetz vom 6.10.1993 (BGBl. II, S. 1902). 354 Gemeinsame Maßnahme vom 29.06.1998, ABl. 1998, L 191/4. 350

§ 3 Europäisierung des Ermittlungsverfahrens

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pus Juris der strafrechtlichen Regelungen zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union niedergelegt356. Das Corpus Juris strebt ein europäisches Strafrecht an, welches sich auf den Schutz der finanziellen Interessen der EU konzentriert (vgl. Art. 1–8 CJF). Es tritt neben die nationalen Rechtsordnungen357. Flankiert wird diese Koordinierung durch eine gewisse Verselbständigung europäischer Einrichtungen und Mittel zur Strafverfolgung.

A. Europäischer Haftbefehl und Sicherstellung von Beweismitteln Auf Grundlage des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten vom 13.06.2002358 ist ein Europäisches Haftbefehlsgesetz vom Bundestag verabschiedet worden359. Durch das Gesetz wird das sonst gültige Auslieferungsrecht ersetzt bzw. ergänzt. Die Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten wird so vereinfacht. Durch diese Maßnahme, die für bestimmte Delikte eine gegenseitige Strafbarkeit nicht voraussetzt360, wird faktisch dem „punitivsten“ Strafrecht zur Durchsetzung verholfen361.

355

Vgl. dazu: Böse, FS-Maiwald, S. 233 ff. (246 ff.). Fassung des Corpus Juris von Florenz (Hrsg.: Mireille/Vervaele, abrufbar unter: europa.eu.int/comm/anti_fraud/green_paper/corpus/de.doc): Art. 24 I b, 25ter, 33 II CJF; zur Entwicklung: Schünemann, ZRP 2003, 185 (186 f.). 357 Es ist eindeutig präventiven Charakters, vgl. Degenhardt, S. 300 f.; Wattenberg, StV 2000, 95 (102); Braum, JZ 2000, 493 (495 ff.): Betrug zum Nachteil des Gemeinschaftshaushalts und Ausschreibungsbetrug, Korruption, Geldwäsche und Hehlerei. 358 ABl. 2002 L 190/1. 359 Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (Europäisches Haftbefehlsgesetz – EuHbG) vom 21.07.2004, BGBl. I, S. 1748; vgl. zur Entstehungsgeschichte des Europäischen Haftbefehls: Rohlff, S. 8 ff. 360 Dabei sind diese Delikte sehr unbestimmt und nur kategorial genannt, vgl. Rohlff, S. 87 ff.; Schünemann, ZRP 2003, 185 (187 f.); Schomburg, NJW 2003, 3392 (3393); weitere Kritik bei: Hackner/Lagodny/Schomburg/Wolf, Rn. 92 ff. 361 Vgl. die Thesen von Nestler und Schünemann anläßlich der Bayreuther Strafrechtslehrertagung 2003 abgedruckt in: Schünemann, GA 2004, 193 (202 ff.); ders., ZRP 2003, 185 (187 ff.). Nach Schünemann soll der Bürger nur aufgrund solcher Vorschriften bestraft werden können, an deren Entstehung er als Aktivbürger hat teilnehmen können (S. 188); Deiters (ZRP 2003, 359) pflichtet Schünemann für den Fall bei, daß Handlungs- und Erfolgsort auseinanderfallen und eine beiderseitige Strafbarkeit nicht besteht (vgl. S. 361 – Inlandsdistanzdelikte). Dies gelte auch für Auslandstaten. Er spricht sich für den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung aus, jedoch sollte die Reichweite nationaler Strafgesetze auf europäischer Ebene geregelt werden (S. 361 f.); dagegen: Schünemann, ZRP 2003, 472. 356

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Wurde die Person festgenommen, so hat sie u. a. das Recht auf Zuziehung eines Rechtsbeistandes und eines Dolmetschers, vgl. Art. 11 II des Rahmenbeschlusses. Eine über die bisherige Rechtslage in Haftsachen hinausgehende Pflichtverteidigerbestellung legte er nicht fest362. Durch den Rahmenbeschluß über die Vollstreckung von Entscheidungen über die Sicherstellung von Vermögensgegenständen oder Beweismitteln in der Europäischen Union363 wird das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung weiterverfolgt364. Somit könnte eine mittelbare Beweisquellenerschließung trotz (noch) geringerer Beteiligungsrechte im Ermittlungsverfahren eines anderen EU Landes365 fortgeführt werden. Insofern würde die – wenn auch angeschlagene – Balance im deutschen Strafverfahrensrecht umgangen werden können366. Satzger spricht angesichts der Kombinationsmöglichkeiten von nationalen Strafprozeßordnungen im Rahmen der gegenseitigen Anerkennung von einem „Patchwork“-Strafprozeßsystem367.

B. Europäische Einrichtungen zur Strafverfolgung Die Europol-Konvention zielt auf eine grenzüberschreitende Koordination von Verbrechensbekämpfung ab. Europol368 soll die nationalstaatlichen Behörden bei „Verhütung“ und „Bekämpfung“ schwerwiegender Formen internationaler Kriminalität unterstützen, vgl. Art. 2 I Europol Übereinkommen369. Eine genaue Definition der Begriffe erfolgt jedoch nicht370. Die Grenzen zwischen Prä-

362 Vgl. jedoch nun den Vorschlag für einen Rahmenbeschluß des Rates über bestimmte Verfahrensrechte in Strafverfahren innerhalb der Europäischen Union (KOM/ 2004/0328 endg. vom 28.04.2004), dazu im folgenden: Kap. 7, § 3 B. 363 Rahmenbeschluß 2003/577/JI des Rates vom 22.07.2003, ABl. 2003 L 196/45; vgl. ferner den Vorschlag der Kommission für einen Rahmenbeschluß über die europäische Beweisanordnung zur Erlangung von Sachen, Schriftstücken und Daten zur Verwendung im Strafverfahren vom 14.11.2003, vgl. KOM (2003), 688 endg. 364 Vgl. die sonst gültige Regelung nach § 66 II Nr. 1 IRG, die eine grds. beiderseitige Strafbarkeit voraussetzt, dazu: Schünemann, ZRP 2003, 185 (189). 365 Vgl. die geringeren Beteiligungsrechte bei der Beweisgewinnung im französischen Ermittlungsverfahren: Kühne, Rn. 1224; Barth/Koch, in: Perron (Hrsg.), S. 89 (133 ff.). 366 Vgl. Schünemann, ZRP 2003, 185 (187); ders., StraFo 2003, 344 (349 f.); ders., StV 2003, 116 (119 f.); kritisch zur Freizügigkeit der Beweismittel: Bendler, StV 2003, 133 (134 ff.); Satzger, StV 2003, 137 (139); Sommer, AnwBl. 2003, 61 (62 ff.); kritisch zur geringstmöglichen nationalen Kautel im Rahmen einer europäischen Beweisgewinnung: Nelles, ZStW 109 (1997), 727 (749 f.). 367 Satzger, Gutachten, C 143. 368 Europäisches Polizeiamt. Es nahm seine Arbeit im Dezember 1998 auf, vgl. Tolmein, StV 1999, 108 ff. 369 Europol-Übereinkommen vom 27.11.1995, ABl. C 316/1. 370 Vgl. Degenhardt, S. 148 ff.

§ 3 Europäisierung des Ermittlungsverfahrens

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vention und Repression verschwimmen. Auch auf europäischer Ebene vollzieht sich somit eine Verpolizeilichung371. Durch verschiedene Ratsbeschlüsse wurden die Ermittlungsgebiete von Europol erweitert372. Die administrative Behörde OLAF373 soll insbesondere die finanziellen und wirtschaftlichen Interessen der Gemeinschaft schützen. Sie koordiniert die nationalen Ermittlungen wegen Betruges, Korruption und anderen rechtswidrigen Handlungen zu Lasten der EU und führt eigenständige Untersuchungen durch374. Dadurch werden Sachleitungsbefugnisse der nationalen Staatsanwaltschaften eingeschränkt375. Die justizielle Stelle Eurojust wurde durch Ratsbeschluß vom 28.02. 2002 errichtet und soll ebenfalls die Bekämpfung schwerwiegender organisierter Kriminalität koordinieren und unterstützen376. Sie arbeitet eng mit OLAF zusammen377. Umgesetzt wurde der Ratsbeschluß durch das Eurojust-Gesetz vom 12.05.2004378.

371 Nelles, ZStW 109 (1997), 727 (730); Tolmein, StV 1999, 108 (109 f.); P.-A. Albrecht, StV 2001, 69 (70); ders./Braum, KritV 2001, 313 (342 f.). 372 So ist Europol durch den Beschluß des Rates vom 06.12.2001 (ABl. C 362 vom 18.12.2001, S. 1) nun auch zuständig für Betrugs- und Korruptionsbekämpfung; vgl. frühere Erweiterungsbeschlüsse: ABl. 1999 C 26/22 (terroristische Handlungen gegen Leben, körperliche Unversehrtheit und persönliche Freiheit); ABl. 1999 C 149/16 (Bekämpfung von Geld- und Zahlungsmitteln). 373 Das „Office européen de lutte anti-fraude“ (das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung) hat seine Arbeit zum 01.06.1999 aufgenommen; vgl. zur Entwicklung dieser Behörde aus ihrer Vorgängerin UCLAF: P.-A. Albrecht/Braum, KritV 2001, 313 (325 ff.). 374 Beschluß der Kommission vom 28.04.1999, ABl. L 136 vom 31.05.1999, S. 20 ff.; Verordnung Nr. 1073/1999 des Europäischen Parlaments und des Rates, ABl. L 136 vom 31.05.1999, S. 1 ff.; und die Verordnung Nr. 1074/1999 des Rates, ABl. L 136 vom 31.05.1999, S. 8 ff.; vgl. dazu: Krehl, S. 295 ff. m. w. N.; P.-A. Albrecht, StV 2001, 69 (71 f.); Hallmann-Häbler/Stiegel, DRiZ 2003, 241 ff.; vgl. ferner Gemmel, S. 58 f., 125 ff. zu extern (außerhalb der EU-Organe) durchgeführten und von mitgliedstaatlicher Seite unterstützten Untersuchungen, die auf Verordnung Nr. 2185/96 (ABl. L 292 vom 15.11.1996, S. 2) basieren. 375 Degenhardt, S. 300. 376 Vgl. den Beschluß des Rates vom 28. Februar 2002 über die Errichtung von Eurojust zur Verstärkung der Bekämpfung der schweren Kriminalität, ABl. L 63 vom 06.03.2002, S. 1; zu den operativen Befugnissen von Eurojust als Kollegium vgl. Art. 6 und Art. 7 des Beschlusses vom 28.02.2002, sowie Titel II der Geschäftsordnung von Eurojust (Art. 14 bis Art. 19), ABl. C 286 vom 22.11.2002, S. 1 ff. 377 Vgl. Art. 26 III und IV des Beschlusses des Rates vom 28.02.2002; HallmannHäbler/Stiegel, DRiZ 2003, 241 (245). 378 Gesetz zur Umsetzung des Beschlusses (2002/187/JI) des Rates vom 28.02.2002 über die Errichtung von Eurojust zur Verstärkung der Bekämpfung der schweren Kriminalität (Eurojust-Gesetz), BGBl. I, S. 902; vgl. dazu: Esser/Herbold, NJW 2004, 2421 ff.

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2. Kap.: Bedeutung des Ermittlungsverfahrens

Ferner soll eine europäische Staatsanwaltschaft (EStA) geschaffen werden, die zum Schutz der finanziellen Interessen der EU eingesetzt wird. Das Anliegen der Gründung einer europäischen Staatsanwaltschaft – ebenfalls schon im Corpus Juris niedergelegt379 – wurde auch in einem Grünbuch der Kommission nochmals hervorgehoben380. Das oben zum Beschluß über die Sicherstellung von Vermögensgegenständen kritisierte „Forum-Shopping“ für die Sicherung von Beweismitteln verstärkt sich hier zur ultimativen Strategie eines europäischen Staatsanwalts381. Kautelen nationaler Strafprozeßordnungen könnten so untergraben werden. Der Rückgriff auf Verfahrensordnungen, welche geringere Wahrheitsfindungskautelen im Ermittlungsverfahren vorsehen382, kann zu einer Schieflage im Hauptverfahren vor einem anderen nationalen Gericht führen383. Gefordert wird deshalb ein institutionalisiertes Gegengewicht zum Europäischen Staatsanwalt, damit das Recht des Beschuldigten auf eine wirksame Verteidigung im Ermittlungsverfahren gewährleistet wird384. Ambos greift insofern auf die 1997 gegründete European Criminal Bar Association (ECBA) oder auf eine zu schaffende European Criminal Defence Bar zurück385. Festzuhalten bleibt jedenfalls, daß Sachleitungsbefugnisse nationaler Staatsanwaltschaften schon heute zurückgedrängt werden. Angesichts der Reformbemühungen wird diese Tendenz noch verstärkt. Hinzutritt eine gewisse Verpolizeilichung auf europäischer Ebene386.

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Vgl. Art. 18 II CJF mit den Ermittlungsbefugnissen nach Art. 20 CJF. Grünbuch zum strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften und zur Schaffung einer europäischen Staatsanwaltschaft KOM (2001) 715 endg. vom 11.12.2001. 381 Daneben ist die Möglichkeit eines „Haftbefehls-Shopping“ zu berücksichtigen, vgl. P.-A. Albrecht, ZRP 2004, 1 (3 f.). 382 Vgl. zu den geringeren Mitwirkungsbefugnissen der Verteidigung in den Niederlanden (Tak, ZStW 112 (2000), 170 (194 ff.) oder im belgischen Strafverfahrensrecht (Gross, ZStW 112 (2000), 235, 243 ff.); ferner: Perron, ZStW 112 (2000), 202, 214 ff., 222 f.); allgemein: Stellungnahme der Strafverteidigervereinigungen zum Grünbuch (2003), unter: I 2. a), b) – abrufbar im Internet unter: http://www.strafver teidigervereinigungen.org/Material/Europa/gr%FCnbuch%2024.05.03.pdf. 383 Vgl. die umfassende Analyse des Grünbuchs zum strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der EG und zur Schaffung einer Europäischen Staatsanwaltschaft durch Biehler/Gleß/Parra/Zeitler (Max-Planck-Institut), S. 35 ff.; Sommer, AnwBl. 2003, 60 (62 ff.); Bendler, StV 2003, 132 (134 ff.); Radtke, GA 2004, 1 (16 ff.); Schünemann, GA 2002, 501 (516); befürwortende Vertreter eines Prinzips der gegenseitigen Anerkennung: Brüner/Spitzer, NStZ 2002, 393 (397 f.). 384 Sommer, AnwBl. 2003, 61 (62). 385 Ambos, ZStW 115 (2003), 583 (637). Letztere sollte der International Criminal Defence Bar nachempfunden werden, welche für den International Criminal Court ins Leben gerufen wurde. 386 P.-A. Albrecht/Braum, KritV 2001, 313 (347 f.). 380

§ 4 Die Lage des Betroffenen im Ermittlungsverfahren

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§ 4 Die Lage des Betroffenen im Ermittlungsverfahren Schon das Ermittlungsverfahren stigmatisiert den Beschuldigten387. Bereits dessen Einleitung – unabhängig von möglichen Zwangsmaßnahmen – greift in die Rechtsposition388 des Beschuldigten ein und kann wirtschaftliche (u. U. desaströse) Konsequenzen nach sich ziehen389. Psychischer Druck, vom Staat verfolgt zu werden, sowie Zukunfsängste rauben dem Beschuldigten seine Widerstandskraft und nehmen ihm den Abstand zur Tat390. Rechtliche Schwierigkeiten eines Strafverfahrens werden vom Beschuldigten in einer solchen Situation nicht erfaßt. Gerade der erste Kontakt mit den Behörden, insbesondere die erste Vernehmung, weist besondere Schwierigkeiten für jeden Beschuldigten auf391. Der in Untersuchungshaft befindliche Beschuldigte ist besonders betroffen. Neben den sozialen Folgen der Untersuchungshaft als massivstem Eingriff des Staates im Ermittlungsverfahren sieht sich der inhaftierte Beschuldigte seiner Verteidigungsmöglichkeiten nahezu völlig beraubt. Die Möglichkeit, Haftbeschwerde nach § 304 I einzulegen oder eine Haftprüfung zu beantragen (§ 117 f.), wird der Beschuldigte angesichts der Belastungen kaum hinreichend ausschöpfen können392. Der Verteidiger kann geeignete Maßnahmen zur Aufhebung des Haftbefehls treffen. Insbesondere kann er auf eine Sicherheitsleistung nach § 116 a hinwirken. Noch mehr als sonst wird in der Untersuchungshaft die entscheidende Weiche im Ermittlungsverfahren gestellt393 – insbesondere wegen der gesteigerten Kooperations- oder Geständnisbereitschaft des Beschuldigten. Einem solchen apokryphen Haftgrund kann der Verteidiger entgegentreten394.

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Richter II, StV 1985, 382 ff.; Müller, NJW 1981, 1801 (1804). Stade, S. 128 f., 136; Deckers, AnwBl. 1986, 60; Müller-Dietz, ZStW (93) 1981, 1177 (1198 ff.); Richter II, StV 1985, 382 (384); nach zum Teil vertretener Ansicht wird schon durch das Ermittlungsverfahren und dessen Informationssammlungsfunktion in die Grundrechtsposition des Beschuldigten eingegriffen: das allgemeine Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 I GG, Art. 1 I GG sowie das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Beschuldigten seien betroffen, vgl. Walischewski, S. 43 ff., 51 m. w. N.; ferner: Satzger, Gutachten, C 81 f.; Kempf, StraFo 2004, 299 (301 f. m. w. N.); dagegen: OLG Karlsruhe NStZ 1982, 434; SK-Rudolphi, vor § 94 Rn. 47, der einen Grundrechtseingriff auch bei schlichten Ermittlungshandlungen verneint. 389 Krehl, S. 20 ff.; Lotter, S. 40. 390 Stade, S. 345; Welp, ZStW 90 (1978), 101 (116). 391 Stade, S. 397 ff. 392 Vogelsang, S. 197 f. 393 So Bosch, StV 1999, 333 (335). 394 Vgl. zu apokryphen Haftgründen: Schothauer/Weider, Rn. 16, 633 ff.; Münchhalffen/Gatzweiler, Rn. 139. 388

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§ 5 Hilfe durch den Verteidiger im Ermittlungsverfahren Der Verteidiger ist Kontaktperson, Ansprechpartner und Vertrauensmann des Beschuldigten. Das Kommunikationsrecht nach § 148 ermöglicht dem Verteidiger, Informationen und einen Eindruck über die Persönlichkeit des Beschuldigten zu gewinnen. Die Wirksamkeit der dem Beschuldigten zugewiesenen Rechte hängt von deren fachkundiger Wahrnehmung ab. Auch sind Verteidigungsrechte maßgeblich Verteidigerrechte395. So knüpft das Gesetz in bestimmten Fällen die Existenz, die Ausübung oder den Umfang eines Rechtes an die Person des Verteidigers396. Der Verteidiger erschließt dem Beschuldigten diese Rechte. Die Tätigkeit des Verteidigers im Vorverfahren erstreckt sich von der Beweissammlung über die rechtliche Auskunftserteilung bis hin zur Beratung über das Aussageverhalten. Generell ist darauf hinzuweisen, daß das Vorbringen entlastender oder das Bestreiten belastender Umstände durch einen Dritten die Glaubwürdigkeit der Ausführungen erhöht397.

A. Das Akteneinsichtsrecht der Verteidigung nach § 147 – insbesondere in Fällen von Untersuchungshaft Das Akteneinsichtsrecht wird als „Kernstück der Verteidigung“ angesehen398. Informationen durch seinen Mandanten kann der Verteidiger dementsprechend einordnen. Gleichzeitig wird der Hintergrund für notwendige Beweisanträge und das Aussageverhalten des Beschuldigten geschaffen399. Dieses Recht sichert die grundgesetzlich gewährten Rechte auf einen „fair-trial“400, auf rechtliches Gehör nach Art. 103 I GG401 sowie auf Waffengleichheit402 ab. Erst durch 395 Vgl. Müller-Dietz, ZStW 93 (1981), 1177 (1197); Bringewat, ZRP 1979, 248 (250 mit Fn. 19); Neuhaus, ZAP F 22, 147 (154). 396 Stade, S. 345; Müller-Dietz, ZStW 93 (1981), 1177 (1197), Neuhaus, ZAP F 22, 147 (154); Bringewat, ZRP 1979, 248 (250 mit Fn. 19). So ist z. B. das Anwesenheitsrecht des Verteidigers bei richterlichen Vernehmungen und Augenscheinseinnahmen uneingeschränkt, lediglich seine Benachrichtigung kann nach § 168 c V 2 unterbleiben; das Anwesenheitsrecht des Beschuldigten kann eingeschränkt werden, vgl. § 168 c III; vgl. ferner im folgenden den Umfang des Akteneinsichtsrechts. 397 Spaniol, S. 76. 398 LR-Lüderssen, § 147 Rn. 1; Stade, S. 134; schon der Entwurf der RStPO ging hiervon aus, zieht jedoch den falschen Schluß, daß angesichts der ausschließlichen Zuweisung des Rechts an den Verteidiger, vgl. § 130 I, dem Angeklagten regelmäßig Rechtsbeistand „zur Seite stehen“ werde, wenn die Akteneinsicht wesentlich sei, Hahn I, S. 177 (amtliche Begründung zu §§ 178–180 RStPO). 399 Stade, S. 134; Welp, FG-Peters, S. 309 f.

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die Akteneinsicht kommt dem Beschuldigten seine Stellung als Prozeßsubjekt zu403. Nach der Bedeutung, die dem Akteneinsichtsrecht im Rahmen der Verteidigung zukommt, müßte eigentlich dem Beschuldigten selbst ein solches gewährt werden, welches dem des Verteidigers im Umfang gleichsteht404. Die Integrität der Akten als ein Schutzzweck des § 147405 könnte durch eine überwachte Einsichtnahme406 oder die Überlassung von Kopien407 sichergestellt werden408. Ein solches Akteneinsichtsrecht des Beschuldigten wird von der h. M. jedoch nicht anerkannt409. Früher gewährte der Wortlaut des § 147 lediglich dem Verteidiger ein Akteneinsichtsrecht, welches er nach überwiegend vertretener Auffassung als ein Recht des Beschuldigten ausübte410 bzw. ihm höchstpersönlich zustehen sollte411. Nach h. M. wurde dem Beschuldigten kein eigener Anspruch auf Akteneinsicht ohne Zwischenschaltung eines Verteidigers gewährt412. 400 Jörke, S. 47. Das Akteneinsichtsrecht als aktive verfahrensrechtliche Befugnis (vgl. BGH NJW 1990, 384, 385) erstrebt eine – zumindest rudimentäre – „Parität des Wissens“, vgl. LR-Lüderssen, § 147 Rn. 4. Der Betroffene soll den Gang des Verfahrensablaufs beeinflussen können. 401 Stade, S. 135 f. (182, 200) m. w. N.; fraglich ist, ob der Anspruch auf rechtliches Gehör im Ermittlungsverfahren zu berücksichtigen ist (dagegen die h. M.: BVerfGE 27, 88, 103; v. Münch-Kunig, (Kunig) Art. 103 GG Rn. 4; Schrepfer, S. 179 ff. m. w. N.; Lammer, S. 191; dafür: Walischewski, 13 ff., 18; vgl. ferner: Dahs, Rechtliches Gehör, S. 73). Unbestritten gegeben ist es im Falle richterlicher Untersuchungshandlungen, die vorweggenommene Teile der Hauptverhandlung darstellen, Stade, S. 182 (200); Neuhaus, JuS 2002, 18 (19). Letztlich besteht lediglich ein scheinbarer dogmatischer Unterschied, vgl. Jörke, S. 30; Stade, S. 135 f. 402 BGH NJW 1990, 584 (585). 403 Welp, FG-Peters, S. 309. 404 Welp, FG-Peters, S. 309 (314 f.). 405 Vgl. zum umstrittenen weiteren Schutzzweck der Sicherung der Untersuchung oder des Verfahrens: Hiebl, S. 38 ff. 406 Walischewski, S. 221 ff., 225. 407 Hiebl, S. 78 f., 185. 408 Dedy, StraFo 2001, 149 (153). 409 Vgl. im folgenden. 410 BVerfG 62, 338 (343); OLG Zweibrücken NJW 1977, 1699; LR-Lüderssen, Vor § 137 Rn. 143, § 147 Rn. 9; Grüner, S. 60; Satzger, Gutachten, C 62 f.; Wasserburg, NJW 1980, 2440 (2441); V. Mehle, NStZ 1983, 557. 411 BGH MDR 1977, 942 f.; Rüping, Rn. 117, 134; ferner: Beulke, der Verteidiger, S. 142. 412 BGH MDR 1977, 942 f.; Pfeiffer/Fischer (1. Auflage), § 147 Rn. 1; ferner: Roxin, 19/64; Beulke, Der Verteidiger, S. 89 ff.; nach a. A. kam ein eigenes Akteneinsichtsrecht durch Überlassung einer Kopie (LG Ravensburg, NStZ 1996, 100 f.; Hiebl, S. 34 ff., 97 f.) oder Einsichtnahme auf der Geschäftsstelle (vgl. Walischewski, S. 221 ff.) in Betracht; ferner: Bosch, StV 1999, 333 (336 mit Fn. 23); Frohn, GA 1984, 554 (564); Deumeland, NStZ 1998, 429 sowie Böse, StraFo 1999, 293 (294 ff.) und Haas, NStZ 1999, 442 (443 f.) unter Hinweis auf EGMR NStZ 1998, 429 (Fou-

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2. Kap.: Bedeutung des Ermittlungsverfahrens

Dem Beschuldigten wurden jedoch nach dem Ermessen der Staatsanwaltschaft bzw. des Richters Informationen über den Akteninhalt gewährt, die einer vollen Akteneinsicht entsprechen konnten413, vgl. Nr. 185 IV 2 RiStBV (a. F.). Diese Vorgehensweise wurde u. a. auf die Erwägung gestützt, daß der Beschuldigte, der keinen Verteidiger wählt, und welchem auch kein Verteidiger bestellt wird, nach gewährter Information veranlaßt sein kann, zur Sachaufklärung beizutragen414. Wenn der unverteidigte Beschuldigte sich sonst nicht angemessen verteidigen konnte, wurde ihm sogar ein hierauf gerichteter Anspruch zuerkannt415. Ein eigenes Akteneinsichtsrecht ergibt sich für den Betroffenen jedoch nach § 185 StVollzG. Ferner wird ausnahmsweise im staatsanwaltschaftlichen und gerichtlichen Bußgeldverfahren416 Akteneinsicht gewährt417. Der durch das StVÄG 1999418 eingeführte § 147 VII enthält ein gesetzlich geregeltes Recht des Beschuldigten auf Auskünfte und Abschriften aus den Akten419. Dies gilt jedoch nur für den unverteidigten Beschuldigten. Der verteidigte Beschuldigte hat so nach h. M. ebenfalls keinen Anspruch auf „Akteneinsicht“420. § 147 VII ist als „Kann“-Vorschrift ausgestaltet. Es besteht kein unmittelbarer Anspruch auf die Gewährung von Information, sondern ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Prüfung der Erteilung von Auskünften oder cher gegen Frankreich); vgl. dazu: LG Mainz NJW 1999, 1271 mit dem Hinweis, daß deutsche Gerichte an die Entscheidungen des EGMR nicht unmittelbar gebunden seien – dagegen zu Recht Dörr (JuS 2000, 287), der auf die gebotene konventionskonforme (völkerrechtsfreundliche) Auslegung deutscher Vorschriften verweist; siehe auch OLG Frankfurt, NStZ-RR 2001, 374 für den unverteidigten Beschuldigten. 413 Vgl. BT-Drucks. 14/1484, S. 22; LG Ravensburg, NStZ 1996, 100; zur Miteinsicht bei umfangreichen Akten: OLG Zweibrücken NJW 1977, 1699 und OLG Köln StV 1999, 12; KMR-Müller, § 147 Rn. 23. 414 LR-Lüderssen, § 147 Rn. 10; Pfeiffer, § 147 Rn. 11. 415 Vgl. EGMR NStZ 1998, 429 (Foucher gegen Frankreich); LG Ravensburg, NStZ 1996, 100. 416 Im Verfahren der Verwaltungsbehörde wird § 49 I OWiG als lex specialis zu § 147 VII i. V. m. § 46 OWiG angesehen, vgl. Göhler/König/Seitz, § 60 OWiG Rn. 48, 55; Rebmann/Roth/Herrmann, § 49 OWiG Rn. 1 f., Rn. 6, § 60 OWiG Rn. 38 b. Nach dieser Vorschrift kann die Verwaltungsbehörde dem Betroffenen Einsicht unter Aufsicht gewähren. Sie entscheidet nach pflichtgemäßem Ermessen, vgl. Rosenkötter, S. 190. 417 Vgl. LG Hamburg NJW 1993, 3152 für einen sich selbst verteidigenden Rechtsanwalt in einem einfach gelagerten Fall, in welchem zwei Aktenseiten über den Tatvorwurf von Bedeutung waren. 418 Konsequenz einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR NStZ 1998, 429 – Foucher gegen Frankreich); vgl. Ambos, NStZ 2003, 14 (15 mit Fn. 130). 419 Nur mit „etwas gutem Willen“ als Akteneinsichtsrecht zu bezeichnen, so Kettner, S. 64 f. 420 Vgl. OLG Frankfurt, NStZ-RR 2001, 374; Meyer-Goßner, § 147 Rn. 3; Burhoff, Rn. 81.

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Abschriften421. Die Gefährdung des Untersuchungszwecks sowie überwiegende schutzwürdige Interessen Dritter können insoweit entgegenstehen422. Überlassen werden dürfen dem Beschuldigten die Akten grundsätzlich nicht423. Zwar könnte angesichts der informationellen Selbstbestimmung Dritter die frühere Praxis auf Grundlage von Nr. 185 IV 2 RiStBV a. F. gegen das Erfordernis eines Gesetzesvorbehalts für unzulässig erklärt werden, und somit § 147 VII diese verfassungsrechtlichen Bedenken ausräumen424. Jedoch ist das Akteneinsichtsrecht nach § 147 VII angesichts der schon bestehenden Praxis nichts weiter als eine Klarstellung425. Ferner wird eine in § 147 II nicht erwähnte Einschränkungsmöglichkeit durch den unbestimmten Rechtsbegriff „überwiegende schutzwürdige Interessen Dritter“ eingeführt426. Dadurch wird das „Einsichtsrecht“ des Beschuldigten relativiert. Der Unterschied über die Untersagungsmöglichkeit der Akteneinsichtsgewährung nach § 147 II (wenn sie den Untersuchungszweck gefährden „kann“) und der Untersagungsmöglichkeit nach § 147 VII (wenn der Untersuchungszweck gefährdet werden „könnte“) ist wohl nicht sachlicher Art427. Im Gegensatz zu § 147 I i. V. m. II findet § 147 VII seine ausdrückliche Beschränkung schon im Entstehungstatbestand des Beschuldigtenrechtes428. Ferner könnte bei der tatsächlichen Umsetzung in der Praxis zu berücksichtigen sein, daß die Anfertigung der durch § 147 VII geforderten Auskünfte und Abschriften mehr Zeit in Anspruch nehmen wird als die Übersendung einer (Doppel)Akte durch die Staatsanwaltschaft. Insofern könnte eine im Vergleich zu § 147 I restriktivere Haltung gegenüber dem Akteneinsichtsrecht nach § 147 VII eingenommen werden429. Somit bleibt festzuhalten, daß das Akteneinsichtsrecht des Verteidigers nach § 147 I „deutlich“ umfangreicher ist als das des Beschuldigten, und sich zudem auf die Originalakten bezieht430.

421 LR-Lüderssen, § 147 Rn. 12 nimmt eine Ermessensreduzierung auf Null an, wenn nur durch die „Gewährung von Akteneinsicht“ eine Aufklärung des Sachverhalts zu erwarten ist. 422 Hier sind insbesondere die Intimsphäre Dritter, der Schutz gefährdeter Zeugen sowie das Geschäfts- und Betriebsgeheimnis zu berücksichtigen, vgl. Pfeiffer, § 147 Rn. 11. 423 Meyer-Goßner, § 147 Rn. 4. 424 Vgl. Pfeiffer, § 147 Rn. 11. 425 Vgl. BT-Drucks. 14/1484, S. 22; Satzger, Gutachten, C 63; Kettner, S. 65 f.; Dedy, StraFo 2001, 149 (153); vgl. ferner: Welp, FG-Peters, S. 309 (313 f.) zum § 147 VI des Referentenentwurfs des BMJ vom 30.09.1982. 426 Bosch, StV 1999, 333 (336). 427 Vgl. auch LR-Lüderssen, § 147 Rn. 132 ff., der eine Gefährdung des Untersuchungszwecks für § 147 II, VI und VII gemeinsam erörtert. 428 Kettner, S. 65 f. 429 Vgl. Minoggio, S. 140.

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2. Kap.: Bedeutung des Ermittlungsverfahrens

Der Umfang der Gewährung von Akteneinsicht an die Verteidigung wurde durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des EGMR maßgeblich in den Fällen von Untersuchungshaft mitbestimmt. Hierbei tritt auch die Gewährung von Akteneinsicht an den Beschuldigten selbst in den Vordergrund. I. Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Akteneinsicht bei inhaftierten Beschuldigten In einem Beschluß vom 27.05.1993431 führt das Bundesverfassungsgericht aus, es sei eine hinreichend substantiierte Bekanntgabe des Vorwurfs und der gegen den Beschuldigten sprechenden Umstände erforderlich, sodaß dieser sich dagegen verteidigen könne. Nach dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 11.07.1994432 ist in bestimmten Fällen eine mündliche Unterrichtung über den Haftbefehl bei komplexen Sachverhalten nicht mehr ausreichend. Mit zunehmendem Freiheitsentzug wachse das Informationsinteresse des Beschuldigten. Der Verteidiger habe ein Einsichtsrecht in die Akten, soweit er die Information für eine effektive Einwirkung auf die richterliche Beurteilung benötige und eine mündliche Mitteilung der Tatsachen und Beweismittel, die das Gericht seiner Entscheidung zu Grunde zu legen gedenke, nicht ausreiche. Es genüge regelmäßig eine Teilakteneinsicht hinsichtlich der für die Haftentscheidung relevanten Tatsachen und Beweismittel. Davon würden auch entlastende Informationen erfaßt. Wenn auch eine solche Teilakteneinsicht nicht gewährt werden könne, dürfe das Gericht die Tatsachen und Beweismittel, die nicht zur Kenntnis des Beschuldigten gebracht worden sind (vgl. § 147 II), nicht zur Grundlage seiner Entscheidung machen. Gegebenenfalls sei der Haftbefehl aufzuheben. Der Bundesgerichtshof folgt dem Bundesverfassungsgericht433. In einer späteren Entscheidung präzisiert das Bundesverfassungsgericht seine Rechtsprechung dahingehend, daß ein solches Akteneinsichtsrecht lediglich bei einem vollzogenen Haftbefehl in Betracht komme434.

430 Vgl. AE-EV, S. 54 f.; Kramer, Rn. 94; Kettner, S. 68; ferner: Bosch, StV 1999, 333 (336); Marberth-Kubicki, StraFo 2003, 366. 431 BVerfG StV 1994, 1. 432 BVerfG StV 1994, 465 ff. 433 BGH NStZ 1996, 146 f. 434 BVerfG NStZ-RR 1998, 108; ferner: OLG Hamm NStZ-RR 2001, 254.

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II. Entscheidungen des EGMR zur Akteneinsicht bei inhaftierten Beschuldigten 1. Das Lamy-Urteil 435 vom 30.03.1989 zur Akteneinsicht bei Inhaftierung Im Lamy-Urteil nahm der EGMR eine Verletzung der Waffengleichheit aus Art. 5 IV EMRK an, weil dem inhaftierten Beschuldigten keine entsprechende Akteneinsicht gewährt wurde. Er konnte den in den Akten befindlichen Berichten des Untersuchungsrichters sowie der Polizei nicht in der gerichtlichen Haftprüfung entgegentreten. Genau dies verlange jedoch der Grundsatz eines kontradiktorischen Verfahrens. Insoweit gesteht der EGMR dem inhaftierten Beschuldigten einen Anspruch auf Akteneinsicht zu436. In einem Urteil vom 17.02.1997 spricht der EGMR aus, daß die Weigerung der Staatsanwaltschaft, dem (nicht inhaftierten) Beschuldigten bei seiner Verteidigung in eigener Person Akteneinsicht zu gewähren und Kopien aus der Akte zu erhalten, Art. 6 III und I EMRK verletze437. Der Betroffene konnte wegen der Weigerung der Staatsanwaltschaft keine sachgerechte Verteidigung vorbereiten. Diese Entscheidung spricht dem Beschuldigten schon im Ermittlungsverfahren ein Akteneinsichtsrecht gegenüber den Ermittlungsbehörden zu, wenn der Ermittlungszweck dadurch nicht gefährdet wird und die Akten als Grundlage für die Verfolgung dienen438. Im Fall Öcalan führt er diese Rechtsprechung fort439. Auch in drei neueren Entscheidungen gegen die Bundesrepublik präzisiert der EGMR das Akteneinsichtsrecht des inhaftierten Beschuldigten. 2. Lietzow gegen die BRD 440 Im Rahmen dieser Entscheidung führt der EGMR aus: Bei der Überprüfung von Untersuchungshaft seien vom Gericht die Garantien eines justizförmigen Verfahrens zu berücksichtigen. Dieses müsse kontradiktorisch sein; es müsse Waffengleichheit zwischen dem Staatsanwalt und dem Untersuchungsgefangenen herrschen441. Dazu gehöre, daß dem Verteidiger diejeni435

EGMR StV 1993, 283 (Lamy gegen Belgien). Vgl. Lange, NStZ 2003, 348 (349). 437 EGMR NStZ 1998, 429 (Foucher gegen Frankreich). 438 Deumeland, NStZ 1998, 429. 439 Öcalan ./. Turkey, Urteil vom 12.03.2003 – Application number: 46221/99, dort unter Nr. 160 bis 163 – abrufbar im Internet unter: http://www.echr.coe.int (unter „judgements and decisions“); vgl. dazu Kühne, JZ 2003, 670 (672). 440 EGMR StV 2001, 201 ff. 441 EGMR StV 2001, 201 (202). 436

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2. Kap.: Bedeutung des Ermittlungsverfahrens

gen Dokumente in der Ermittlungsakte zugänglich gemacht würden, anhand derer er die Rechtmäßigkeit der Haft anzugreifen in der Lage sei. Die Verteidigung müsse Stellung nehmen können zu denjenigen von der Gegenseite vorgelegten Beweismitteln, welche für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Haftbefehls „wesentlich“ seien. Angesichts des Freiheitsentzugs und des Eingriffs in fundamentale Rechte des Beschuldigten sei ein solches Verfahren i. S. v. Art. 5 IV EMRK den Grundsätzen eines fairen, kontradiktorischen Verfahrens verpflichtet. Dies gelte auch für den Fall, daß Ermittlungen gerade erst eingeleitet worden seien. Um die Verläßlichkeit der Darstellung des Sachverhalts durch das Amtsgericht überprüfen zu können, müßten dem Beschuldigten „die Aussagen und anderen Beweismittel sowie das Ergebnis der polizeilichen und anderer Ermittlungen ungeachtet davon zur Kenntnis gebracht werden, ob er in der Lage sei, einen Hinweis auf die Bedeutung der Beweismittel, zu denen er Zugang begehre, für seine Verteidigung zu geben. Der EGMR erkennt an, daß die Akteneinsicht nach § 147 II im Sinne effektiver Ermittlungen versagt werden könnte. Dies sei legitim. Jedoch dürften dadurch Rechte der Verteidigung nicht substantiell beschnitten werden. Die mündliche Haftprüfung vor dem Amtsgericht genüge nicht den Anforderungen, die Art. 5 IV EMRK aufstelle442. 3. Schöps gegen die BRD 443 In zwei Haftprüfungen über die Haftfortdauer waren der Verteidigung der Akteninhalt ganz oder zum Teil nicht bekannt; beide verletzten den Beschwerdeführer in Art. 5 IV EMRK. Der EGMR weist darauf hin, daß die Strafverfolgungsbehörden ihr Verfahren nach den Garantien des Art. 5 IV EMRK einzurichten haben. Die Konvention will praktisch und effektiv Rechte schützen444. Dem Beschuldigten wurde zwar durch den Haftrichter des Amtsgerichts Essen sowohl im ersten Haftbefehl, als auch im zweiten erweiterten Haftbefehl eine Zusammenfassung der Beweise mitgeteilt, auf welche sich der Haftbefehl stützte. Der EGMR läßt es dahinstehen, ob der Verteidiger zu diesem Zeitpunkt (nachweisbar) Akteneinsicht beantragt hatte, die ihm wegen des Untersuchungszwecks verweigert wurde. Jedenfalls sei ein solches Begehren nach den beiden Haftbefehlen gestellt worden, sodaß ihm vor der ersten Entscheidung über die Haftfortdauer vor dem OLG Düsseldorf hätte entsprochen werden können. Akteneinsicht erhielt die Verteidigung jedoch in keine der 24 Akten. Zwar hatte der Verteidiger einer Entscheidung über die Fortdauer der Haft auch ohne 442 443 444

EGMR StV 2001, 201 (202 f.). EGMR StV 2001, 203 ff. EGMR StV 2001, 203 (204).

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vorherige Akteneinsicht zugestimmt und der Berichterstatter wollte sich um baldmögliche Akteneinsicht für die Verteidigung einsetzen. Jedoch sei ein solcher Verzicht nicht wirksam durch die Verteidigung erklärt worden. Angesichts der Zweifel über den genauen Inhalt des Telefongesprächs, in welchem der Verzicht geäußert worden sein soll und der Bedeutung der Haftprüfung durch das Oberlandesgericht habe der Verteidiger nicht in – erforderlicher – unzweideutiger Weise auf das Akteneinsichtsrecht verzichtet445. Der EGMR hebt hervor, daß der Beschuldigte die Verläßlichkeit der Zusammenfassung (hier durch die ersten beiden Haftbefehle und deren mündliche Begründung) überprüfen können muß, indem er von den sie tragenden Aussagen und anderen Beweismitteln „wie“ den polizeilichen und sonstigen Ermittlungsergebnissen die Möglichkeit der Kenntnisnahme hat. In den Akten befanden sich u. a. ein Gutachten eines Börsensachverständigen, sowie geschäftliche Urkunden, die zwischenzeitlich beschlagnahmt worden waren. Der EGMR nimmt an, daß diese Unterlagen für die Anordnung der Haftfortdauer „wesentlich“ waren. In der zweiten Haftprüfung über die Haftfortdauer (diesmal von der Generalstaatsanwaltschaft Hamm vor dem Oberlandesgericht Hamm beantragt), wurden dem Gericht weitere Akten durch diese Staatsanwaltschaft vorgelegt, sodaß der Umfang auf 69 Akten und drei Beiakten anwuchs. Der Verteidigung waren zwischenzeitlich von der Staatsanwaltschaft Essen 22 der ursprünglichen 24 Akten zur Einsicht übergeben worden. Nach der ersten Haftfortdauerentscheidung hatte sie weitere Akteneinsicht bei der ursprünglich zuständigen Staatsanwaltschaft Essen beantragt, bevor durch die Generalstaatsanwaltschaft Hamm weitere Akten beigefügt wurden. Der EGMR führt aus, daß die Gewährung von Akteneinsicht nach deutschem Recht gemäß § 147 zwar einen Antrag voraussetze. Hier habe die Verteidigung jedoch auf die Dringlichkeit des Informationsbedürfnisses hingewiesen. Ferner sei ein Antrag auf Haftfortdauer durch die Staatsanwaltschaft gestellt worden. Dann sollten zusätzlich eingegangene Akten der Verteidigung zur Gewährleistung „vollständiger Akteneinsicht“ angeboten werden. Einen weiteren Antrag hinsichtlich der neu beigefügten Akten zu fordern, wäre in diesem Fall „überformalistisch“446. Für die Verteidigung war es „wesentlich, die umfangreichen Fallakten einsehen zu können“. 4. Garcia Alva gegen die BRD 447 Bei seiner Festnahme wurden dem Beschuldigten in „groben Zügen“ die Beweismittel, die Verdachts- und Haftgründe mitgeteilt. Der Haftrichter erließ 445 446 447

EGMR StV 2001, 203 (204). EGMR StV 2001, 203 (204 f.). EGMR StV 2001, 205 ff.

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2. Kap.: Bedeutung des Ermittlungsverfahrens

noch am gleichen Tag den Haftbefehl. Der Verteidiger stellte einen Antrag auf Gewährung von Akteneinsicht. Die Einsicht in die Ermittlungsakten wurde weder Beschuldigtem noch Verteidiger gewährt. Der Verteidiger beantragte Haftprüfung. Auch für diese wurde ihm keine vollständige Akteneinsicht gewährt. Nach dem EGMR kam der Ermittlungsakte, insbesondere einer darin enthaltenen Aussage eine Schlüsselrolle für die Entscheidung über die Fortdauer der Haft zu. Der Verteidiger und der Beschuldigte hatten keine Möglichkeit die Staatsanwaltschaft und den Ermittlungsrichter zu widerlegen, deren Ergebnisse anzugreifen448. Zwar seien in dem Haftbefehl einige Tatsachen enthalten, die für den Tatverdacht maßgeblich waren. Jedoch könne eine Sachverhaltsdarstellung vom Beschuldigten schwerlich angegriffen werden, wenn er die ihm zugrundeliegenden Beweise nicht kenne. Wie in dem Fall Lietzow hebt der EGMR hervor, daß die Verteidigung nicht darlegen müsse, inwiefern die Beweismittel eine Bedeutung für sie hätten. Der legitime Zweck der Verweigerung der Akteneinsicht dürfe nicht dazu führen, daß die Rechte der Verteidigung substantiell beschnitten würden. Für die Rechtmäßigkeit der Inhaftierung wesentliche Informationen müßten dem Beschuldigten zugänglich gemacht werden449. Dies seien der Inhalt der Ermittlungsakte und insbesondere die Aussagen von Herrn K. Das Verfahren wird nach dem EGMR den Anforderungen von Art. 5 IV EMRK nicht gerecht. III. Umsetzung der Entscheidungen des EGMR durch das Oberlandesgericht Hamm Das OLG Hamm450 entschied, daß ein Haftbefehl aufzuheben war, weil die Staatsanwaltschaft drei der insgesamt 19 Ermittlungsakten der Verteidigung wegen Gefährdung des Ermittlungszwecks nicht vorlegen wollte. Damit könne auch das Gericht diese aus verfassungsrechtlichen Gründen (wegen fehlenden rechtlichen Gehörs) nicht verwerten. Das Verwertungsverbot beziehe sich auch auf die wichtigen Gründe i. S. d. § 121 I. Die Staatsanwaltschaft hätte die Ermittlungsvorgänge, die sich auf die dem Haftbefehl zugrunde liegenden Taten beziehen, dem Verteidiger zugänglich machen müssen451. 448

EGMR StV 2001, 205 (206). EGMR StV 2001, 205 (206). 450 OLG Hamm StV 2002, 318 ff. m. Anm. Deckers. 451 OLG Hamm StV 2002, 318 (319) – dies könne auch durch Ablichtung der entsprechenden Aktenteile erfolgen; Deckers entnimmt der Entscheidung des OLG Hamm, daß eine Teilakteneinsicht keine ausreichende Grundlage für die Verteidigung darstelle (vgl. Deckers, StV 2002, 319, 320; so auch: Burhoff, Rn. 99). Dagegen argumentiert Lange, daß das Oberlandesgericht auf den für die Verteidigung „wesentlichen“ Akteninhalt abstelle, vergleichbar der Rechtsprechung des BVerfG (Lange, 449

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IV. Folgerung aus den Entscheidungen des EGMR zur Akteneinsicht bei Untersuchungshaft Im Hinblick auf die Entscheidungen des EGMR ist nach Kempf nun stets452 vollständige Akteneinsicht zu gewähren, wenn sie der Überprüfung der Untersuchungshaftvoraussetzungen dient. Die Einschränkung des Bundesverfassungsgerichts, wonach das Akteneinsichtsrecht des Verteidigers auf die Tatsachen und Beweismittel zu beschränken ist, die das Gericht seiner Entscheidung zugrunde zu legen gedenkt453, sei mit der Rechtsprechung des EGMR nicht zu vereinbaren. Eine mündliche Mitteilung dieser Unterlagen reiche nicht aus. Es sei der gesamte Akteninhalt einzubeziehen, den die Staatsanwaltschaft dem Ermittlungsrichter vorlege. Lüderssen schließt sich der Folgerung von Kempf an454. Fraglich ist jedoch, ob bei Nichtgewährung der Akteneinsicht der Haftbefehl aufzuheben ist, ohne daß der Beschuldigte vorher eine gerichtliche Entscheidung nach § 147 V 2 beantragt hat455. Gegen die Gewährung umfassender Akteneinsicht stellt sich das OLG Köln456. Es hebt hervor, daß das Einsichtsrecht der Verteidigung bei Untersuchungshaft nicht sämtliche Vorgänge erfasse, die dem Gericht insoweit durch die Staatsanwaltschaft unterbreitet worden seien. Die im Verfahren gewährte Teilakteneinsicht genüge den vom EGMR aufgestellten Anforderungen. Die Anforderungen des EGMR gingen damit nicht über die des Bundesverfassungsgerichts hinaus. Soweit sich Lange dem anschließt und meint, den Urteilen des EGMR sei ein generelles Recht auf unbeschränkte Akteneinsicht nicht zu entnehmen457, ist dem entgegenzutreten. Zwar verweist der EGMR auf die für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Inhaftierung wesentlichen Informationen, jedoch darf die Staatsanwaltschaft Informationen nicht selektieren. Dies wird aus der Formulierung des EGMR deutlich, wonach der Beschuldigte nicht darlegen muß, inwieweit er die BedeuNStZ 2003, 348, 351 f. – er gesteht insofern ein, daß der Leitsatz des OLG gegen seine Auffassung sprechen könnte); Meyer-Goßner, § 147 Rn. 25 a schließt sich Lange an; vgl. dazu im folgenden. 452 Kempf, StV 2001, 206 (207). 453 BVerfG StV 1994, 465 ff. 454 LR-Lüderssen, § 147 Rn. 160 a; vgl. ferner: Burhoff, Rn. 99; Beulke, Strafprozeßrecht, Rn. 161; Kieschke/Osterwald, NJW 2002, 2003 (2004); Kühne/Esser, StV 2002, 383 (391); Ignor/Matt, StV 2002, 102 (105 f.); Marberth-Kubicki, StraFo 2003, 366 (368); Ambos, NStZ 2003, 14 f. 455 So: Meyer-Goßner, § 147 Rn. 25 a; a. A.: Schlothauer, StV 2001, 192 (196) und Burhoff, Rn. 100 unter Hinweis auf das Beschleunigungsgebot; nach Marberth-Kubicki (StraFo 2003, 366, 368), kann der Strafverteidiger selbst entscheiden, welchen Weg er wählt. 456 OLG Köln NStZ 2002, 659. 457 Lange, NStZ 2003, 348 (350, 352); ferner: Meyer-Goßner, § 147 Rn. 25 a.

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2. Kap.: Bedeutung des Ermittlungsverfahrens

tung einzelner Beweismittel als wichtig für seine Verteidigung einschätzt (Fall Lietzow, Fall Garcia Alva und Fall Schöps). Wenn er diesbezüglich keinen Hinweis geben muß, so ist er auch nicht verpflichtet, sein Auskunftsersuchen von vornherein auf bestimmte Beweismittel zu richten bzw. zu beschränken. Er erkennt deren Wichtigkeit vielleicht auch nur im Zusammenhang mit den gesamten Ergebnissen aus der dem Haftrichter vorliegenden Ermittlungsakte. Spiegelbildlich dazu ist es der Staatsanwaltschaft verwehrt, dem Antrag nur im Hinblick auf bestimmte Beweismittel (nämlich der für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit aus ihrer Sicht wesentlichen) zu entsprechen und ihm so gewissermaßen zu erklären, welches Beweismittel wichtig für seine Verteidigung ist. Ferner kommt das umfassende Einsichtsrecht insbesondere im Fall Garcia Alva zum Ausdruck. Dort stellt der EGMR auf den Inhalt der Ermittlungsakte ab. Dieser und „insbesondere“ (also nicht ausschließlich) die Aussagen des Zeugen hätten eine Schlüsselrolle gespielt. In seinen Entscheidungen stellt der EGMR zwar auf die mündliche Haftprüfung (Fall Lietzow; Schöps) und/oder Haftbeschwerden (Fall Garcia Alva) ab, jedoch gilt die Vorschrift des Art. 5 IV EMRK, auf welche sich die Entscheidungen beziehen458, für die Vorschriften §§ 115, 117, 122, 128459. Somit ist nach der Rechtsprechung des EGMR bei inhaftierten Beschuldigten im Rahmen der Vorführung aufgrund eines Haftbefehls (§ 115)460, bzw. nach vorläufiger Festnahme (§ 128)461, bei späteren Haftprüfungen462 (§§ 117; 121 f.) oder Haftbeschwerden (§§ 304, 310) das Akteneinsichtsrecht nicht mehr einschränkbar. Die Akteneinsicht muß bei der Staatsanwaltschaft beantragt worden sein. Kühne/Esser weisen darauf hin, daß weder der EGMR noch das Bundesverfassungsgericht entschieden haben, ob das Gericht entgegen § 147 II von sich aus die Akteneinsicht gewähren darf bzw. muß463.

458 Kieschke/Ostenwald, NJW 2002, 2003 (2004). zur Gewinnung eines Akteneinsichtsrechts für inhaftierte Beschuldigte im Vorverfahren über Art. 6 III lit. b) EMRK: Schmitz, wistra 1993, 319 (321 f.). Für eine Übertragbarkeit der Entscheidungen zumindest auf Zwangsmaßnahmen mit Dauerwirkung könnte die übereinstimmende Struktur angeführt werden, allerdings ist die Eingriffsschwere ungleich geringer, vgl. Amelung/Wirth, StV 2002, 161 (164); zur Akteneinsicht bei dinglichem Arrest vgl. BVerfG StraFo 2004, 309 f. 459 Vgl. Meyer-Goßner, Art. 5 EMRK Rn. 13. 460 Burhoff, Rn. 101; Meyer-Goßner, § 115 Rn. 8. 461 Marberth-Kubicki, StraFo 2003, 366 (368). 462 Marberth-Kubicki, StraFo 2003, 366 (368); Kühne/Esser, StV 2002, 383 (392). 463 Kühne/Esser, StV 2002, 383 (391). Sie berichten von der an den unteren Gerichten herrschenden Praxis, daß der Ermittlungsrichter die ihm vorliegenden Akten kurzfristig der Verteidigung aushändige. Jedoch verstößt diese Praxis wohl gegen § 147 V, wonach eine gerichtliche Entscheidung über die ablehnende Entscheidung der Staatsanwaltschaft beantragt werden kann.

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Als Konsequenz464 der Entscheidungen des EGMR zur Akteneinsicht eines inhaftierten Beschuldigten könnte dem unverteidigten, in Haft befindlichen Beschuldigten ein vollständiges Akteneinsichtsrecht über die Grenzen des § 147 VII hinaus zugestanden werden465.

B. Das Anwesenheits- und Fragerecht I. Vernehmungen und Augenscheinseinnahmen Bei richterlichen Vernehmungen des Beschuldigten, eines Zeugen oder Sachverständigen sind der Verteidiger und der Beschuldigte zur Anwesenheit berechtigt466, vgl. § 168 c I. Eine Benachrichtigung findet gemäß § 168 c V statt. Bei Zeugenvernehmungen durch einen beauftragten oder ersuchten Richter nach § 223 besteht eine Benachrichtigungspflicht nach § 224 I 1. Zurückzuführen ist das Anwesenheitsrecht auf die Überlegung, daß der Beschuldigte zu den Beweisergebnissen Stellung nehmen und sie beeinflussen können muß, sollen sie als Urteilsgrundlage dienen467. Dieses Recht ermöglicht einen unmittelbaren Eindruck von den Zeugen und Sachverständigen468. Das Anwesenheitsrecht ist mit dem Fragerecht verwoben469. Bei staatsanwaltlichen Beschuldigtenvernehmungen ist der Verteidiger nach § 163 a III 2 i. V. m. § 168 c I zur Anwesenheit berechtigt. Bei polizeilichen Beschuldigtenvernehmungen hat der Verteidiger kein Anwesenheitsrecht470. Hier kann über die Aussage der Verhörsperson der Inhalt der Beschuldigtenvernehmung in das Verfahren eingeführt werden. Bei staatsanwaltlichen oder poli464 Vgl. zu weiteren möglichen Ableitungen aus den Entscheidungen des EGMR für die Begründungspflicht nach § 114 II Nr. 3 und Nr. 4, III sowie für die mündliche Haftbegründung nach §§ 115 III 1, 115 a II 2: Kempf, FS-Rieß, S. 217 (220 ff.); Ambos, NStZ 2003, 14 (15); Lange, NStZ 2003, 348 (352). 465 Vgl. zur früheren Rechtslage: EGMR NStZ 1998, 429 (Foucher gegen Frankreich); Deumeland, NStZ 1998, 429. 466 Zum umstrittenen Recht auf Anwesenheit bei richterlichen Mitbeschuldigtenvernehmungen vgl. die Nachweise bei SK-Wohlers, § 168 c Rn. 9 ff.; KK-Wache, § 168 c Rn. 11; Krehl, S. 126 ff.; zur Neuregelung nach dem Diskussionsentwurf für die Reform des Strafverfahrens durch die Bundesregierung (Februar 2004), vgl. § 161 a II EStPO: Anwesenheitsrecht bei der staatsanwaltlichen Vernehmung von Mitbeschuldigten, Zeugen und Sachverständigen. Zur richterlichen Vernehmung vgl. § 168 c II EStPO. 467 BGH JR 1977, 257; das Anwesenheitsrecht bei richterlichen Vernehmungen wird auf den Grundsatz der Waffengleichheit, Art. 103 I GG, sowie den eines fairen Verfahrens zurückgeführt, vgl. Stade, S. 179 ff. 468 Vgl. Mörsch, S. 99, 101. 469 Allgemeine Meinung, vgl. Stade, S. 189 m. w. N.; Schrepfer, S. 145. 470 KK-Wache, § 163 a Rn. 28; Meyer-Goßner, § 163 Rn. 16; a. A.: AK-Achenbach, § 163 a Rn. 32; Beulke, Der Verteidiger, S. 48; Schrepfer, S. 39 ff., 165, 174, 182 ff., 213 ff. m. w. N.

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zeilichen Vernehmungen von Zeugen oder Sachverständigen besteht nach dem Gesetzeswortlaut (vgl. §§ 161, 163 a IV, V) weder ein Anwesenheitsrecht des Verteidigers noch des Beschuldigten471. Richterliche Augenscheinseinnahmen richten sich nach den Grundsätzen von richterlichen Vernehmungen Beschuldigter sowie Zeugen und Sachverständiger, vgl. § 168 d I. Sie können nach § 249 I 2 über eine Protokollverlesung in die Hauptverhandlung eingeführt werden. Bei Vornahme richterlichen Augenscheins zur Vorbereitung der Hauptverhandlung nach § 225 besteht eine Benachrichtigungspflicht gemäß § 224. Bei polizeilichen oder staatsanwaltlichen Augenscheinseinnahmen wird dem Verteidiger nach Ermessen die Anwesenheit gestattet472. II. Gegenüberstellungen Hinsichtlich des Anwesenheitsrechts bei Gegenüberstellungen ist zwischen Identifizierungsgegenüberstellungen und Vernehmungsgegenüberstellungen zu unterscheiden. Vernehmungsgegenüberstellungen sollen Widersprüche zwischen Beschuldigten- und Zeugenaussagen aufklären. Sie sind Teil sowohl der Beschuldigten- als auch der Zeugenvernehmung473. Der Verteidiger hat das Recht, anwesend zu sein bei staatsanwaltlichen (vgl. die Beschuldigtenvernehmung nach § 163 a III 2) sowie bei richterlichen Vernehmungsgegenüberstellungen (Beschuldigtenund Zeugenvernehmung nach § 168 c I und II). Bei polizeilichen Beschuldigten- oder Zeugenvernehmungen besteht kein Anwesenheitsrecht. Im Rahmen von Identifizierungsgegenüberstellungen wird die zu identifizierende Person zwecks Wiedererkennung in Augenschein genommen. Die Rspr. qualifiziert sie als Vernehmung des Zeugen, wendet jedoch die Vernehmungsvorschriften nicht an474 und lehnt sowohl bei staatsanwaltschaftlichen als auch bei richterlichen Identifizierungsgegenüberstellungen ein Anwesenheitsrecht ab. Zum Teil werden auf die Identifizierungsgegenüberstellung auch die Vorschriften über Beschuldigtenvernehmungen angewendet475 (§§ 168 c I, 163 a III 2), oder ausschließlich die über Zeugen476, § 168 c II. Bei richterlichen Identifi471 Gerade „bei dem schlechtesten“ aller Beweismittel (beim Zeugen) ist jedoch eigentlich eine kontradiktorische Vernehmung geboten, vgl. Dahs, NJW 1974, 1538 (1539); der Gesetzgeber äußert sich mit qualifiziertem Schweigen zu dieser Frage; zum Anwesenheitsrecht bei polizeilichen oder staatsanwaltlichen Zeugen- oder Sachverständigenvernehmungen vgl. die Übersicht bei Stade, S. 206 ff. 472 LR-Rieß, § 168 d Rn. 3. 473 KG NJW 1979, 1668 (1669); Stade, S. 184. 474 KG NJW 1979, 1668 (1669); KG JR 1979, 347. 475 Grünwald, JZ 1981, 423 (426); so wohl auch: Meyer-Goßner, § 168 c Rn. 1.

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zierungsgegenüberstellungen besteht in beiden Fällen ein Anwesenheitsrecht des Verteidigers. Unterschiede ergeben sich bei nicht-richterlichen Identifizierungsgegenüberstellungen. Lediglich dann, wenn sie als Beschuldigtenvernehmung angesehen werden, hat der Verteidiger im Falle staatsanwaltlicher Identifizierungsgegenüberstellungen aus dem Gesetz ein Anwesenheitsrecht nach § 168 c I i. V. m. 163 a III 2. Wenn sie als Zeugenvernehmung zu verstehen sind, so ist ein Anwesenheitsrecht aus der Überlegung zu gewinnen, daß dem wiederholten Erkennen in der Hauptverhandlung kein eigenständiger Beweiswert zukommt477, die Hauptverhandlung durch sie vorweggenommen wird478. Odenthal479 wendet die Vorschriften über die Beschuldigtenvernehmung nur dann an, wenn unmittelbar vor oder nach der Gegenüberstellung eine Vernehmung stattfinden soll480. Jedoch leitet er ein Anwesenheitsrecht des Verteidigers bei richterlichen, staatsanwaltlichen oder polizeilichen Identifizierungsgegenüberstellungen aus der Konzeption der Strafprozeßordnung her. Anwesenheitsrechte des Verteidigers würden bei vorprägenden Abschnitten des Verfahrens vorverlagert. So bei kommissarischen Ermittlungen nach § 224, welche die Hauptverhandlung vorwegnehmen481; ferner bei richterlichen Untersuchungshandlungen (vgl. §§ 168 c, 168 d), die unter vereinfachten Bedingungen reproduziert werden könnten, §§ 249 I a. E., 251 II, 254. Dann könnte nichts anderes gelten, wenn es der Beweisakt als solcher sei, der die Hauptverhandlung vorwegnehme. Hier ist die Beweisaufnahme entscheidend; dies könne in der Hauptverhandlung nicht mehr kompensiert werden482. III. Durchsuchungen Bei Durchsuchungen besteht nach allgemeiner Auffassung kein Anwesenheitsrecht483. Die Anwesenheit kann jedoch von dem das Hausrecht innehabenden Beschuldigten oder Dritten gestattet werden484. 476

Stade, S. 185, 222. Vgl. zum geringen Beweiswert des Wiedererkennens: Odenthal, die Gegenüberstellung, S. 27 f., 101 ff. 478 OLG Karlsruhe, NStZ 1983, 377 (378); Rieß, FS-Schäfer, S. 155, 184, 189, 210; Krause, StV 1984, 169 (171); Richter II, StV 1985, 382 (386). 479 Odenthal, S. 92 f.; ders., NStZ 1984, 137; ders. NStZ 1985, 433 (435); zustimmend: Burhoff, Rn. 868; Pauly, StraFo 1998, 41 (42); eine Ableitung aus dem fairtrial Grundsatz nehmen an: Eisenberg, Kriminalistik 1995, 458 (462 f.); Krause, StV 1984, 169 (171) – kritisch hierzu: Odenthal, a. a. O. 480 Ferner: LR-Rieß, § 168 c Rn. 5. 481 Meyer-Goßner, § 223 Rn. 1; SK-Schlüchter, § 223 Rn. 1; KMR-Eschelbach, § 223 Rn. 2 nimmt dagegen nur eine Beweissicherung an. 482 Vgl. zu möglichen Fehlerquellen im Rahmen von Gegenüberstellungen (u. a. zum „Versuchsleitereffekt“): Eisenberg, Kriminalistik 1995, 458 (461); Köhnken, Kriminalistik 1993, 231 (234); Pauly, StraFo 1998, 41 (43). 477

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C. Das Beweisantragsrecht Im Ermittlungsverfahren ergibt sich das Beweisantragsrecht nach den Vorschriften der §§ 163 a II, 166 I, über welches der Beschuldigte nach § 136 I 3 zu belehren ist. Grundlage des Beweisantragsrechts des Beschuldigten485, welches auch dem Verteidiger zusteht486, stellt das Akteneinsichtsrecht dar. Sonderfall bzw. -form487 des Beweisantragsrechts des Beschuldigten im Ermittlungsverfahren ist § 168 d II. Danach kann der Beschuldigte zu richterlichen Augenscheinseinnahmen, welche durch Sachverständige begleitet werden, einen eigenen Sachverständigen hinzuziehen. Umstritten ist im Rahmen des Beweisantragsrechts nach § 163 a, ob der Beschuldigte einen Anspruch auf Beweiserhebung hat488. Liegen die Voraussetzungen des § 166 I vor, so ist der Richter zur Beweiserhebung nach allgemeiner Ansicht verpflichtet489. Aufgrund fehlender Durchsetzungsmöglichkeiten eines eigenen Beweisantrags und eines Rechts auf Anwesenheit bei Beweiserhebungen außerhalb der §§ 166 I, 168 d II ist von einem verhältnismäßig schwachen Beweisantragsrecht im Ermittlungsverfahren auszugehen490.

483

Meyer-Goßner, § 106 Rn. 3; KK-Nack, § 106 Rn. 3. Die Funktion des Verteidigers besteht hier in der Beruhigung, Klärung, Kontrolle und Sicherung, vgl. Weihrauch, Rn. 211. 485 Umfassend zum Beweisantragsrecht des Beschuldigten im Ermittlungsverfahren: Krekeler, S. 9 ff., 19 ff., 25 ff. 486 LR-Rieß, § 163 a Rn. 111. 487 Vgl. Krekeler, S. 10 m. w. N. 488 So Krekeler, S. 55 ff., 147 ff.; ders., NStZ 1991, 367, 371; AK-Achenbach, § 163 a Rn. 8; LR-Rieß, § 163 a Rn. 107; dagegen: Meyer-Goßner, § 163 a Rn. 15; KK-Wache, § 163 a Rn. 8. 489 Vgl. Perron, Beweisantragsrecht, S. 169. 490 Weihrauch, Rn. 148 f.; Baumann, S. 63 ff.; das Akteneinsichtsrecht des Verteidigers und das des Beschuldigten können eingeschränkt, bzw. in der Praxis verzögert werden, vgl. Stade, S. 227; die geringe Bedeutung ist auch auf die enge Interpretation des allgemeinen Beweisantragsrechts nach § 163 a II zurückzuführen, vgl. Krekeler (S. 25 ff., 49). Zu einer Stärkung des Beweisantragsrechts der Verteidigung im Ermittlungsverfahren vgl. den Diskussionsentwurf für die Reform des Strafverfahrens durch die Bundesregierung (Februar 2004): § 163 a II EStPO. Siehe auch § 144 EStPO, wonach dem Verteidiger grds. die Gelegenheit zur Mitwirkung an der Vernehmung der von ihm benannten Zeugen zu geben ist. Dies ist jedoch kein Beweisantragsrecht, vgl. den Diskussionsentwurf für eine Reform des Strafverfahrens durch die Bundesregierung (Februar 2004), S. 31. 484

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D. Die Auswahl eines Sachverständigen Trotz einer möglicherweise gering zu veranschlagenden Einflußmöglichkeit auf die Auswahl des Sachverständigen durch die Staatsanwaltschaft491, bedarf der Beschuldigte des sachkundigen Beistands eines Verteidigers. Dieser kann methodenkritische Stellungnahmen abgeben492. Er kann die Fragestellung des Gutachtens in Zweifel ziehen493. Auch kann er den Sachverständigen nach § 74 i. V. m. § 24 wegen Besorgnis der Befangenheit ablehnen494 oder einen Antrag auf Entbindung wegen sonstiger Gründe stellen, vgl. § 76 I 2. Er kann einen Antrag auf Anhörung eines weiteren Sachverständigen stellen, vgl. § 244 IV 2495. Auch kann er sich um einen eigenen Sachverständigen schon im Ermittlungsverfahren bemühen und ihn für die Hauptverhandlung nach §§ 220, 38, 245 vorladen496. Der Verteidiger kann die Vereidigung von Sachverständigen beantragen, § 79 I. Sarstedt497 geht davon aus, daß im Rahmen einer Heranziehung eines Sachverständigen durch das Gericht die Gewährung rechtlichen Gehörs für den Verteidiger seine Bestellung im Ermittlungsverfahren bedinge498. Nach Tondorf hat die Staatsanwaltschaft bei eigener Heranziehung eines Sachverständigen nach §§ 161 a I 2, 73 einen Antrag auf Pflichtverteidigerbestellung zu stellen, sollte Nr. 70 RiStBV nicht leerlaufen499. Auch der BGH500 stellt ein „konsensuales“ Vorgehen der Staatsanwaltschaft im Rahmen der Sachverständigenbestellung heraus; sie möge sich – soweit möglich – mit dem künftigen Richter ins Benehmen setzen. Sie könnte auch beim Ermittlungsrichter einen Antrag auf Bestellung eines Sachverständigen stellen. 491

Vgl. oben: Kap. 2, § 2 A. Boetticher, Sonderheft-Schäfer, 8 (14). 493 Fraglich sind jedoch die Erfolgschancen eines solchen Vorgehens, vgl. Barton, StV 1983, 73 (74 f.). 494 Wobei jedoch umstr. ist, ob § 74 im Ermittlungsverfahren Geltung beansprucht, vgl. Stade, S. 264; auch wird wohl selten einem Befangenheitsantrag, der sich auf eine fehlerhafte Bewertung stützt, stattgegeben werden, Sarstedt, NJW 1968, 177 f. 495 Tondorf, Rn. 89; Baumann, S. 73 f. 496 Tondorf, Rn. 90 ff.; vgl. jedoch die Schwierigkeiten in tatsächlicher wie finanzieller Hinsicht bei der Beauftragung eines solchen privaten Sachverständigen: Weihrauch, Rn. 101; Stade, S. 257 ff.; Baumann, S. 81. 497 NJW 1968, 177 (179); auch unter Hinweis auf die Vermeidung von Kosten für einen zweiten Sachverständigen, wenn der Verteidiger an der Auswahl des ersten beteiligt war. Die Bestellung kann auch ohne einen Antrag der Staatsanwaltschaft erfolgen; ihm folgend: Tondorf, Rn. 87. 498 Für eine notwendige Verteidigung de lege ferenda: Krekeler, AnwBl. 1986, 62 (64). 499 Tondorf, Rn. 80 – sie habe den Antrag beim Ermittlungsrichter zu stellen; vgl. ferner: Müller, in: Jung/Luxemburger, S. 137 – der auf eine mögliche Verteidigerbestellung über § 141 III 2 hinweist. 500 BGH StV 1999, 463 f. 492

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Festzuhalten bleibt, daß durch die Teilnahme des Verteidigers an der Auswahl des Sachverständigen die Wahrscheinlichkeit eines späteren Zweitgutachtens reduziert wird501.

E. Eigene Ermittlungen des Verteidigers Ein eigenständiges Ermittlungsrecht wird dem Verteidiger allgemein zugestanden502. Normen wie §§ 222, 246 II, III, oder §§ 364 a, 364 b deuten darauf hin503. Als eigene Ermittlungen kommen in Betracht: Die Befragung von Zeugen504 und Beschuldigtem, Tatortbesichtigungen, sowie die Einschaltung von Detektiven und Sachverständigen505. Die Praxis bringt diesem Ermittlungsrecht jedoch ein gewisses Mißtrauen entgegen506. Angesichts der Einschränkung der Objektivitätsverpflichtung durch normative wie psychische Gegebenheiten besteht ein Bedürfnis für eigene Ermittlungen des Verteidigers507. Jedoch wird die Bedeutung in der Praxis auch angesichts finanzieller Erwägungen nicht hoch veranschlagt508. So hat der Beschuldigte bei Einstellungen von Verfahren, die nicht gerichtlich anhängig geworden sind, keinen Anspruch auf Erstattung der notwendigen Auslagen. Auch gewährt die h. M. über § 464 a i. d. R. keinen Ersatz für Aufwendungen, die für eigene Ermittlungen getätigt werden509. Die Auslagen der Pflichtverteidiger, die durch eigene Ermittlungen entstanden sind, werden ebenfalls – wenn überhaupt – nur selten erstattet. Die Beschaffung von Beweismaterial fällt nach h. M.510 grundsätzlich von vornherein 501

Baumann, S. 194. Vgl. KK-Laufhütte, vor § 137 Rn. 3; Burhoff, Rn. 620 m. w. N.; Parigger, StraFo 2003, 262 ff. 503 Weihrauch, Rn. 93; zu weiteren Herleitungsmöglichkeiten eines eigenen Ermittlungsrechts des Verteidigers (u. a. anknüpfend an die Rechtsstellung des Verteidigers sowie an die Waffengleichheit), vgl. Baumann, S. 38 ff., 49 ff. 504 Kritisch zur Befragung von bereits (bekannten) Zeugen: Peters, Fehlerquellen II, S. 265, 267; ders., Lehrbuch, S. 233; Mörsch, S. 106; Ernesti, JR 1982, 221 (227 f.); dagegen: Stade, S. 281 ff.: es ginge nicht um die Bekanntheit des Zeugen, sondern um die Bekanntheit der von diesem eingebrachten Informationen. 505 Gegenüberstellungen durch den Verteidiger werden abgelehnt, vgl. Stade, S. 283 f. 506 Weihrauch, Rn. 92; vgl. auch die Thesen 25, 28 bis 30 des Strafrechtsausschusses der Bundesrechtsanwaltskammer (1992) einschließlich deren Begründung auf S. 52 ff.: insbesondere habe der Verteidiger die Zweckmäßigkeit eigener Ermittlungen zu berücksichtigen, allein der Anschein einer unlauteren Befragung müsse vermieden werden. 507 Baumann, S. 42 f. 508 Weihrauch, Rn. 97. 509 Vgl. KK-Franke, § 464 a Rn. 7. 510 Vgl. OLG Hamm NJW 1965, 2123 f.; OLG Schleswig NStZ 1996, 443 (444); OLG Karlsruhe JurBüro 1975, 486 f.; OLG Hamburg MDR 1975, 74; OLG Düsseldorf MDR 1986, 873; OLG Düsseldorf StV 1991, 480; OLG Düsseldorf NStZ 1997, 502

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nicht unter die Auslagenerstattung; diese seien Auslagen des Beschuldigten, die gegebenenfalls nach § 467 zu erstatten seien511. Der Beschuldigte solle nicht die von ihm selbst zu tragenden Kosten auf die Staatskasse mittels der Einschaltung eines Pflichtverteidigers abwälzen können512. Die Objektivitätsverpflichtung der Staatsanwaltschaft (§ 160 II), die gerichtliche Aufklärungspflicht nach §§ 155 II, 244 II sowie die Stellung von Beweisanträgen sprächen gegen513 eine Erstattung nach § 126 I BRAGO/§ 46 RVG514. Angesichts der fraglichen „absoluten“ Objektivität staatsanwaltlicher Ermittlungen, der Geltung des gerichtlichen Aufklärungsgrundsatzes grds. erst nach Anklageerhebung515 sowie dem faktischen Zwang zur eigenen Ermittlung als Kompensation für nicht gewährte Beteiligungsrechte haben die Argumente keinen Bestand516. Auch der Hinweis, wonach der Grundsatz in dubio pro reo den Beschuldigten ausreichend schütze, greift nicht durch517. Dieser tritt erst nach Anklageerhebung (vollständig) ein und schützt nicht umfassend518. Angesichts der Übertragung der im Ermittlungsverfahren gewonnenen Ergebnisse kann der Erforderlichkeit eigener Ermittlungen nicht mit diesem Argument begegnet werden. Ferner ist die Beweislast nach § 126 I BRAGO/§ 46 RVG auf Seiten der Staatskasse519. Die Vorschrift vermutet, daß die vom bestellten Verteidiger aufgewendeten Auslagen notwendig sind520. Statuiert der Staat die Pflicht des Ver511; KK-Schickora, § 464 a Rn. 7 m. w. N.; Hansens, § 126 BRAGO Rn. 10; Schneider/Gebauer, § 97 BRAGO Rn. 80; G-S-E/Madert, § 126 BRAGO Rn. 12. Kritisch Baumann, S. 178 ff.; Krekeler, in: Pflichtverteidigung und Rechtsstaat, S. 52 (54 ff.) unter Hinweis auf die in § 364 b I Nr. 1 aufgeführten Nachforschungen. 511 Das Oberlandesgericht Brandenburg (StV 1996, 615) hat in einer Entscheidung zur Erstattung von Auslagen nach § 126 I 1 BRAGO Zumutbarkeitskriterien aufgestellt, welche die Heranziehung von Hilfskräften zur Aktensichtung und -verwertung betrafen; zustimmend: König, StV 1996, 616 f. 512 OLG Karlsruhe JurBüro 1975, 486 (487); OLG Düsseldorf MDR 1986, 873. 513 OLG Hamm NJW 1965, 2123 (2124). 514 Vgl. zum früheren Rechtszustand vor der Einführung des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (vom 5.5.2004, BGBl. I S. 717, 788) unten: Kap. 8, § 1. 515 Vgl. KK-Schoreit, § 155 Rn. 8. Hinzu kommt die Übertragung der Ergebnisse aus dem Ermittlungsverfahren in die Hauptverhandlung. 516 Baumann, S. 173 ff.; Sieg, StV 1991, 480 f. 517 Vgl. Baumann, S. 167. 518 Für einen Freispruch kommt es nur auf Zweifel an, die der Richter tatsächlich hatte, vgl. Meyer-Goßner, § 261 Rn. 26 m. w. N.; vgl. zur eingeschränkten Geltung des Grundsatzes im Zwischenverfahren: Rieß, § 203 Rn. 16, § 206 a Rn. 28 ff. 519 Jungfer, StV 1989, 495 (501); Sieg, StV 1991, 480 (481); König, StraFo 1996, 98 (103) 520 Riedel/Sußbauer/Fraunholz, § 97 BRAGO Rn. 16: eine „kleinliche Handhabung“ solle dadurch vermieden, daß die Rechte des Verteidigers gewahrt werden. Im Zweifel sei die Notwendigkeit anzunehmen; vgl. auch OLG Frankfurt (StV 1981, 28), welches hervorhebt, daß der Verteidiger zu eigenen Ermittlungen berechtigt ist.

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teidigers, so hat er ihm auch die Mittel an die Hand zu geben, diese zu erfüllen521. Insofern ist die restriktive Auslagenerstattung durch die Staatskasse abzulehnen.

§ 6 Ergebnis Die Bedeutung des Ermittlungsverfahrens muß sehr hoch veranschlagt werden. Die Hauptverhandlung wird entscheidend durch das Vorverfahren bestimmt. Sei es aufgrund natürlicher Vorprägung oder der späteren von Gesetzes wegen eingeführten oder Rechtsprechungs wegen ermöglichten Auslagerung/ Konservierung der Beweisgewinnung in diesem Verfahrensabschnitt. Diese Weichenstellung wird gefördert durch psychologische Aspekte, indem die Ergebnisse der Ermittlungen als Ausgangshypothese für das Zwischen- und Hauptverfahren übernommen und nur bedingt korrigiert werden können. Hier führt das Ausbleiben der Filterfunktion des Zwischenverfahrens ebenfalls zu einer gesteigerten Bedeutung des Ermittlungsverfahrens für die Hauptverhandlung, gerade im Hinblick auf den Inertia-Effekt nach dem Eröffnungsbeschluß. Ferner weist das Ermittlungsverfahren einen erheblichen Machtzuwachs auf Seiten der Staatsanwaltschaft auf, die zudem ihre Ermittlungsaufgabe weitgehend der Polizei überantworten kann. Es kommt zu einer Verpolizeilichung des Ermittlungsverfahrens, die durch den Gesetzgeber fortgeschrieben wird (vgl. § 110 I522). Die Lage des Beschuldigten ist de lege lata in Fällen notwendiger Verteidigung durch eine geeignete Kompensation zu verbessern. Hierzu tragen entscheidend die fachliche Kompetenz des Verteidigers sowie dessen Rechtserschließungsfunktion bei523. Dies wird bei der Auslegung des § 141 III 1 zu berücksichtigen sein, der die Verteidigerbestellung im Vorverfahren regelt.

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König, StraFo 1996, 98 (103); Jungfer, StV 1989, 495 (501). Nach dessen Neufassung durch das „Erste Gesetz zur Modernisierung der Justiz“ vom 24.08.2004 (BGBl. I, S. 2198) steht den Ermittlungspersonen das Recht zur Durchsicht der aufgefundenen Papiere zu, wenn die Staatsanwaltschaft dies angeordnet hat; kritisch im Hinblick auf die Berücksichtigung eines Beschlagnahmeverbotes nach § 97 bei der Durchsicht der Papiere durch die Polizeibeamten: Knauer, NJW 2004, 2932 (2936); ferner: Sommer, StraFo 2004, 295 (296 f.). Die Umbenennung der Hilfsbeamten in Ermittlungspersonen durch dieses Gesetz zeugt ebenfalls von dieser Festschreibung, insbesondere wenn dadurch der „Ermittlungswirklichkeit Rechnung getragen“ wird, vgl. den Bericht des Rechtsausschusses in BT-Drucks. 15/3482, S. 25. 523 Vgl. hierzu auch die Einführung eines „Fachanwalt für Strafrecht“, dessen Voraussetzungen in der Fachanwaltsordnung (vgl. § 1, § 5 lit. f), § 13 FAO) festgelegt sind und den Zweck verfolgen, die Qualität der Verteidigung entscheidend zu verbessern. 522

Drittes Kapitel

Bestellung von Verteidigern und Beiständen Im folgenden soll ein Überblick gegeben werden über die in den verschiedenen Prozeßordnungen vorgesehenen Beiordnungsmöglichkeiten von Verteidigern und Beiständen. Dabei wird zunächst auf die notwendige Verteidigung nach § 140 abgestellt, die in Verbindung mit § 141 III 1 die Basis für eine Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren darstellt. Die Darstellung anderer Beiordnungsmöglichkeiten soll Anhaltspunkte für den Bestellungszeitpunkt eines Verteidigers im Ermittlungsverfahren geben. Gleiches gilt für ein mögliches Antragsrecht des Beschuldigten auf Verteidigerbestellung sowie die entsprechenden Rechtsschutzmöglichkeiten.

§ 1 Verteidigerbestellung nach §§ 140, 141, 145 A. Der Katalog nach § 140 I1 Ein Fall notwendiger Verteidigung nach § 140 I Nr. 1 liegt vor, wenn die Hauptverhandlung im ersten Rechtszug vor dem Landgericht oder dem Oberlandesgericht stattfindet (§§ 74 ff., 120 GVG) oder stattfinden soll2, vgl. § 141 I. Wird dem Beschuldigten ein (versuchtes) Verbrechen zur Last gelegt (vgl. § 12 I, III StGB), so ist die Verteidigung nach § 140 I Nr. 2 eine notwendige. Dies gilt auch, wenn er als Anstifter oder Gehilfe eines Verbrechens beschuldigt wird3. Nach zum Teil vertretener Auffassung müssen formale Gesichtspunkte (Anklageschrift gemäß § 200, Eröffnungsbeschluß gemäß § 207 II Nr. 3, Nachtragsanklage nach § 266 oder ein rechtlicher Hinweis nach § 265 I) den Vorwurf zu einem Verbrechen konkretisieren4. Andernorts genügt eine Einstufungsmöglichkeit als Verbrechen für eine Bestellung nach § 140 I Nr. 25. Die Not1 Der Katalog nach § 140 I stellt an die Praxis keine besonderen Schwierigkeiten, vgl. Oellerich, StV 1981, 434 (436); Neuhaus, ZAP F 22, 147 (148). 2 KK-Laufhütte, § 140 Rn. 8; zu § 140 I Nr. 1 vgl. insbesondere Tiemer, S. 38 f. und Vogelsang, S. 16 ff.; die zu Unrecht angenommene sachliche Zuständigkeit tut der Notwendigkeit der Verteidigung keinen Abbruch, vgl. § 269; zur notwendigen Verteidigung im Rahmen der Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung vgl. die Zuständigkeiten nach §§ 74 f, 120 a GVG. 3 Neuhaus, ZAP F 22, 147 (148).

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3. Kap.: Bestellung von Verteidigern und Beiständen

wendigkeit bleibt bis zur rechtskräftigen Entscheidung über das Vorliegen eines Verbrechens bestehen6. Nach § 140 I Nr. 3 wird die Verteidigung notwendig, wenn das Verfahren zu einem Berufsverbot (vgl. §§ 61 Nr. 6, 70 StGB) führen kann. Dies wird angenommen, wenn dessen Anordnung mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist7. Anhaltspunkt kann insoweit ein im Ermittlungsverfahren ausgesprochenes vorläufiges Berufsverbot nach § 132 a sein8. Im Fall einer richterlich angeordneten oder genehmigten Anstaltsunterbringung geht § 140 I Nr. 5 von einer notwendigen Verteidigung aus, wenn der Beschuldigte nach dreimonatiger Anstaltsunterbringung nicht zwei Wochen vor Beginn der Hauptverhandlung entlassen wird9. Es kommt ausschließlich auf die gesamte Dauer der Zeit in einer Anstalt10 an, in der sich der Beschuldigte aufgrund richterlicher Anordnung oder Genehmigung befindet11. Ein Zusammen4 Vgl. OLG Düsseldorf JZ 1984, 636; Meyer-Goßner, § 140 Rn. 12; KK-Laufhütte, § 140 Rn. 9; Pfeiffer, § 140 Rn. 4 unter Hinweis auf den Wortlaut „zur Last gelegt . . .“; Tiemer, S. 36 m. w. N. 5 OLG Bremen StV 1984, S. 13; LG Bonn StV 2000, 414; HK-Julius, § 140 Rn. 6; Roxin, 19/15; für eine Bestellung im Vorverfahren nach § 141 III 1 muß eine formelle Betrachtungsweise ohnehin gelockert werden, vgl. LR-Lüderssen, § 140 Rn. 23. 6 Vgl. KK-Laufhütte, § 140 Rn. 9; HK-Julius, § 140 Rn. 6. 7 Vgl. BGHSt 4, 320 ff.; KMR-Müller § 140 Rn. 12; LR-Lüderssen, § 140 Rn. 27 (nahe liegende Möglichkeit); ferner: KK-Laufhütte, § 140 Rn. 10, der wohl auf formalisierte Kriterien abstellt. 8 Zu weiteren Anhaltspunkten (Anklage, Nachtragsanklage nach § 266 oder Hinweis gemäß § 265 II) vgl. Vogelsang, S. 21. 9 Vgl. zur Praxis der Gerichte, die Hauptverhandlung kurz vor dem Ende der Dreimonatsfrist anzuberaumen: Schlothauer/Weider, Rn. 77. 10 Der Beschuldigte kann sich aus verschiedenen Gründen in einer „Anstalt“ i. S. v. § 140 I Nr. 5 befinden. So im Falle von Straf- oder Untersuchungshaft, Auslieferungshaft, einstweiliger (§ 126 a) bzw. endgültiger (§§ 63 ff. StGB) Unterbringung. Auch eine Unterbringung nach den Unterbringungsgesetzen der Länder (vgl. §§ 10 ff. PsychKG NW – Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten vom 17. 12.1999, GV NRW S. 662) fällt unter diese Vorschrift. Gleiches gilt für eine Unterbringung nach § 1631 b S. 1, S. 2 BGB mit familiengerichtlicher Genehmigung sowie für eine Unterbrignung mit vormundschaftsgerichtlicher Genehmigung nach § 1631 b S. 1, S. 2 i. V. m. § 1800 BGB (vgl. Palandt-Diederichsen, § 1800 Rn. 5) oder nach § 1906 II BGB; zur analogen Anwendung des § 140 I Nr. 5 bei stationärer Therapieunterbringung nach §§ 35, 38 BtMG (vgl. LG Gießen, StV 1991, 204; HKJulius, § 140 Rn. 8; Neuhaus, ZAP F 22, 147, 149) oder direkter Anwendung von § 140 II 1 (KMR-Müller § 140 Rn. 13; Jäger, S. 17 f. m. w. N.). Nach dem LG Münster (MDR 1980, 335) bezieht sich § 140 I Nr. 5 nur auf eine Pflichtverteidigung während der Hauptverhandlung; dagegen: LR-Lüderssen, § 140 Rn. 32. Im Strafbefehlsverfahren gilt § 140 I Nr. 5 nach umstr. Meinung erst nach Einlegung des Einspruchs, LR-Lüderssen, § 140 Rn. 42; Pfeiffer, § 140 Rn. 4; dagegen: KMR-Metzger, § 408 b Rn. 3. 11 Auch Freigänger befinden sich in einer Anstalt, vgl. KG JR 1980, 348; HK-Julius, § 140 Rn. 8.

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hang mit der vorliegenden Strafsache muß nicht bestehen12. Der Freiheitsentzug muß nach richtiger Ansicht13 nicht ununterbrochen angedauert haben14. Ausschlaggebend ist der Zeitpunkt, ab dem der Verwahrte als Beschuldigter eingestuft wurde oder hätte eingestuft werden müssen15. Vor Ablauf der Dreimonatsfrist stellt die Staatsanwaltschaft nach § 141 III 2 den Antrag auf Verteidigerbestellung, wenn sie davon ausgeht, daß in dem Hauptverfahren die Voraussetzungen von § 140 I Nr. 5 gegeben sind. Dem Beschuldigten ist dann ein Verteidiger zu bestellen16. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auf die Rundverfügung des Hessischen Generalstaatsanwalts vom 11.01.1994, wonach die Staatsanwälte im Hinblick auf § 117 IV (und § 140 I Nr. 5) gebeten werden, bereits innerhalb des ersten Monats der Untersuchungshaft die Bestellung eines Pflichtverteidigers zu beantragen, wenn der Beschuldigte sich zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung länger als drei Monate in Untersuchungshaft befunden haben wird17. Nach § 140 III 1 kann die Bestellung aufgehoben werden, wenn der Beschuldigte mindestens zwei Wochen vor Hauptverhandlungsbeginn aus der Anstalt entlassen wird. Die Vorschrift räumt dem Vorsitzenden ein Ermessen ein18. Fraglich ist, ob der zeitliche Abstand der Entlassung von zwei Wochen vor Beginn der Hauptverhandlung für den Aufbau einer „eigenen“ Verteidigung19 ausreicht20. Ferner erwirbt der Beschuldigte einen gewissen Vertrauensschutz21. Er müßte sich umorientieren, einen Wahlverteidiger finden, der dann noch bereit ist, sich innerhalb dieser kurz bemessenen Frist in die Akten einzuarbeiten22.

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KK-Laufhütte, § 140 Rn. 12; KMR-Müller § 140 Rn. 13. KK-Laufhütte, § 140 Rn. 13; LR-Lüderssen, § 140 Rn. 36; Vogelsang, S. 26 f.; Hartmann-Hilter, S. 31; auf den Einzelfall abstellend: OLG Frankfurt NStZ 1991, 600. 14 So aber OLG Hamburg MDR 1973, 336; Meyer-Goßner, § 140 Rn. 15; KMRMüller, § 140 Rn. 13; Feuerich/Weyland, § 117 a BRAO Rn. 6; Jäger, S. 18 f. 15 HK-Julius, § 140 Rn. 8; LR-Lüderssen, § 140 Rn. 37; Vogelsang, S. 26, Oellerich, StV 1981, 434 (436); hypothetische Erwägungen lehnen ab: AK-Stern, § 140 Rn. 18; Meyer-Goßner § 140 Rn. 15; KK-Laufhütte, § 140 Rn. 13. 16 OLG Nürnberg StV 1987, 191 f.; KK-Laufhütte, § 140 Rn. 14; LR-Lüderssen, § 140 Rn. 40. 17 Abgedruckt in StV 1994, 223. Die Zuständigkeit ergebe sich aus § 126. Die Bestellung gelte für die Dauer der Untersuchungshaft bis zur Anklageerhebung, es sei denn § 140 III 2 greife ein. 18 KK-Laufhütte, § 140 Rn. 15. 19 Nur eine der Schwierigkeiten des dreimonatigen Freiheitsentzugs, vgl. Oellerich, StV 1981, 434 (436). 20 Hier ist darauf abzustellen, ob die Beeinträchtigung der Verteidigungsmöglichkeiten durch den Aufenthalt in der Anstalt fortbesteht, vgl. OLG Bremen, StraFo 2002, 231 f.; Pfeiffer, § 140 Rn. 8. 21 Vgl. zu § 140 II: OLG Stuttgart StV 1985, 140. 13

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Nach § 140 III 2 bleibt die Bestellung eines Verteidigers nach § 117 IV für das weitere Verfahren wirksam, es sei denn ein anderer Verteidiger wird bestellt23. § 140 I Nr. 6 geht von einer notwendigen Verteidigung aus, wenn das Gericht von Amts wegen die Vorbereitung eines Gutachtens nach § 81 I in Erwägung zieht oder über einen ernst gemeinten Antrag auf Unterbringung zur Beobachtung nach § 81 zu entscheiden hat24. Die Verteidigerbestellung bleibt bis zur rechtskräftigen Entscheidung wirksam, auch wenn eine Unterbringung nicht angeordnet wird25. Aufgrund der erforderlichen Anhörung des Verteidigers (vgl. § 81 I) muß ein Verteidiger schon im Vorverfahren zwingend bestellt werden. § 141 III 1 wird damit eingeschränkt26. Auch in den Fällen einer ambulanten Begutachtung ist eine Bestellungspflicht schon im Ermittlungsverfahren zu berücksichtigen27. § 140 I Nr. 7 ordnet die notwendige Verteidigung an, wenn ein Sicherungsverfahren nach §§ 413 ff. durchgeführt wird bzw. werden soll28. Auch hier ist der Bestellungszeitpunkt nach § 141 III 1 besonders zu beachten29. Ist ein Verteidiger durch rechtskräftigen30 Beschluß gemäß § 138 a ff. von der Mitwirkung am Verfahren ausgeschlossen, so ergibt sich die Notwendigkeit der Verteidigung aus § 140 I Nr. 8.

B. § 140 II Nach dieser Vorschrift wird dem Beschuldigten auf Antrag31 oder von Amts wegen ein Verteidiger bestellt, wenn wegen der Schwere der Tat oder der Schwierigkeit der Sach- bzw. Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers ge22 Nach Meyer-Goßner, § 140 Rn. 36, muß dem Angeklagten dafür genügend Zeit verbleiben; unter Umständen kommt eine Aussetzung in Betracht, vgl. Feuerich/Weyland, § 117 a BRAO Rn. 13. 23 Fraglich ist, ob allein die Ortsnähe zum Gericht eine andere Bestellung rechtfertigt, so: KK-Laufhütte, § 140 Rn. 16; a. A.: HK-Julius, § 140 Rn. 8. 24 BGH NJW 1952, 797; KMR-Müller, § 140 Rn. 16; Hartmann-Hilter, S. 35. 25 LR-Lüderssen, § 140 Rn. 44; Vogelsang, S. 2. 26 LR-Lüderssen, § 140 Rn. 43; HK-Julius, § 141 Rn. 9; ferner: AK-Stern, § 140 Rn. 21; AK-Wassermann, § 81 Rn. 9. 27 Vgl. Lehmann, StV 2003, 356 (358). 28 Angesichts § 140 I Nr. 1 und Nr. 3 erstreckt sich die eigenständige Bedeutung der Vorschrift vornehmlich auf ein Sicherungsverfahren vor dem Amtsgericht mit dem Ziel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) oder der Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69 StGB), vgl. LR-Lüderssen, § 140 Rn. 45; KMR-Müller § 140 Rn. 17. 29 LR-Lüderssen, § 140 Rn. 45. 30 Meyer-Goßner, § 140 Rn. 20.

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boten erscheint. Ferner dann, wenn ersichtlich ist, daß der Beschuldigte sich nicht selbst verteidigen kann32. I. Das Verhältnis von § 140 I zu § 140 II Der Gesetzgeber unterscheidet wörtlich zwischen der „notwendigen“ Verteidigung nach § 140 I und der „gebotenen“ Verteidigung in § 140 II. Der Unterschied zwischen § 140 I und § 140 II ist rein sprachlicher Art. § 140 II ist eine Generalklausel33. Auf den dort erwähnten Fallgruppen basiert der Katalog nach § 140 I. Die Vorschrift fungiert insofern als Auffangtatbestand34 und beinhaltet unbestimmte Rechtsbegriffe35, bei deren Anwendung dem Richter ein Beurteilungsspielraum zuerkannt wird36. Die Rechtsprechung37 und ein Teil der Literatur38 nehmen darüber hinaus an, § 140 II 1 gewähre dem Richter ein Ermessen, ob ein Verteidiger zu bestellen sei39. Gegen40 diese Annahme streitet die Formulierung in § 140 II, wonach der Vorsitzende (§ 141 IV) den Verteidiger bestellt 41. Auch der weitere Wortlaut 31 Der Beschuldigte, sein gesetzlicher Vertreter oder die Staatsanwaltschaft können den Antrag stellen, vgl. H. Schmidt, S. 113 f. auch unter Hinweis auf § 117 IV; auf dieses Recht muß der Beschuldigte hingewiesen werden, vgl. Molketin, S. 138. 32 Als Beispiel führt das Gesetz den Fall an, in welchem dem Verletzten nach §§ 397 a, 406 g III, IV ein Rechtsanwalt beigeordnet worden ist. 33 Molketin, S. 36; Krey I, Rn. 681; Roxin, 19/14. 34 Vgl. Meyer-Goßner, § 140 Rn. 22; Neuhaus, ZAP F 22, 147 (150). 35 Vgl. grundlegend: Kappe, GA 1960, 357 ff.; Hahn, S. 32; Hartmann-Hilter, S. 36 ff.; Rzepka, S. 407; Bottke, BMJ-Vert, S. 46 (85). 36 OLG Hamm NStZ 1982, 298; OLG Düsseldorf NStZ 1991, 505 m. w. N. auch zur Gegenmeinung; LR-Hanack, § 338 Rn. 94; Beulke, BMJ-Vert, S. 170 (186 f.); LR-Lüderssen, § 140 Rn. 47, siehe aber § 141 Rn. 55: Ermessen; Lehmann, StV 2003, 356; für einen Beurteilungsspielraum lediglich in Grenzfällen (bei besserer Erkenntnismöglichkeit des Tatrichters): Kappe, GA 1960, 357 (372); gegen einen Beurteilungsspielraum: H. Schmidt, S. 104 ff. (111 f.). 37 BGH NJW 1952, 797; NJW 1953, 116; NJW 1957, 1530; BGH NJW 1963, 1114 (1115); KG StV 1983, 186; OLG Düsseldorf AnwBl. 1984, 262; BayObLG NZV 1990, 202. 38 HK-Julius, § 140 Rn. 12; AK-Stern, § 140 Rn. 25; DSS/Diemer, § 68 JGG Rn. 20; KK-Laufhütte, § 140 Rn. 20, vgl. jedoch Rn. 27: Beurteilungsspielraum; Peters, Lehrbuch, S. 217; Rath, S. 30; Molketin, S. 129; Kalsbach, Pescara-Beiheft, S. 112 (145). 39 Vgl. jedoch zur Überprüfung einer Verteidigerbestellung nach § 140 II durch die Revisionsgerichte in der Praxis, die eigene Erwägungen über die Notwendigkeit der Verteidigung nach § 140 II 1 anstellen: Beulke, BMJ-Vert, S. 170 (186); Kappe, GA 1960, 356 (358). 40 Ein Ermessen des Richters verneinen: LR-Lüderssen, § 140 Rn. 47; Vogelsang, S. 32; H. Schmidt, S. 109 f., 111; Jäger, S. 43 ff.; Hartmann-Hilter, S. 37 f., 196;

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3. Kap.: Bestellung von Verteidigern und Beiständen

(„wenn wegen Schwere der Tat oder wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage . . . geboten erscheint“ oder „wenn ersichtlich ist, daß . . .“) läßt ebenfalls keine Anknüpfungspunkte für eine Ermessensausübung erkennen. Das Merkmal „geboten erscheint“ bezieht sich auf die unbestimmten Begriffe der Schwere der Tat und der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage42; das Merkmal „ersichtlich ist“ stellt auf den Kenntnisstand des Vorsitzenden (in Gestalt eines unbefangenen Beobachters43) ab. Auch deuten die Begriffe darauf hin, daß der Vorsitzende über die Notwendigkeit der Verteidigung nach § 140 II 1 lediglich auf Grundlage des äußeren Erscheinungsbildes des bisherigen Verfahrensablaufs entscheidet44. Eine unterschiedlich weite Auslegung erfährt § 140 II nach dem Verständnis von Lüderssen45. Wenn sich der Beschuldigte keinen oder gerade den gewünschten Verteidiger nicht leisten könne46, so habe eine weite Auslegung zu erfolgen. Lehne der Beschuldigte einen Verteidiger ab, so sei die Vorschrift grundsätzlich restriktiv auszulegen47. Zwischen den einzelnen selbständigen48 Alternativen des § 140 II können Überschneidungsmöglichkeiten auftreten. Teilweise wird auf die Verteidigungsfähigkeit des Betroffenen abgestellt, die eine Beiordnung nach § 140 II 1 1. Alt. ausschließen könnte49. Angesichts des Gesetzeswortlauts, welcher ein Vorliegen von Defiziten im Rahmen des § 140 II 1 3. Alt. für die Anordnung notwendiger Verteidigung berücksichtigt, ist dies abzulehnen50.

Wolf, S. 199 ff.; Hegmann, S. 253 (mit Fn. 3); Ploetz, S. 190 f.; Beulke, BMJ-Vert, 170 (187); Kappe, GA 1960, 357 (368 ff.). 41 Krey I, Rn. 682; Hartmann-Hilter, S. 38. 42 Jäger, S. 43; Wolf, S. 205. 43 Jäger, S. 122. 44 Wolf, S. 205; wenn sich daran die Folgerung anschließt, besondere Ermittlungen hinsichtlich der Voraussetzungen habe er nicht anzustellen (vgl. Kappe, GA 1960, 357 (370); H. Schmidt, S. 110, 115) ist dem zu widersprechen. Die Verteidigerbestellung nach § 140 II 1 2. Alt. erfolgt auch von „Amts wegen“. Das bedeutet, daß der Vorsitzende bestehenden Anhaltspunkten nachgehen muß. 45 Er legt zur Wahrung der Autonomie des Beschuldigten § 140 unterschiedlich weit aus – dort, wo dies nach dem Gesetz möglich ist, vgl. §§ 140 II, III 1, 141 III. 46 Auch wenn sich der Beschuldigte nicht um einen Verteidiger bemühe, sei es aus mangelnder Fähigkeit oder Kenntnis von der Verteidigerhinzuziehungsmöglichkeit, LR-Lüderssen, § 140 Rn. 5 ff. 47 Er macht Ausnahmen, wenn die Verteidigung besonders wichtig erscheint, vgl. zur nach § 140 I Nr. 7 notwendigen Verteidigung: LR-Lüderssen, § 140 Rn. 45. 48 Vgl. Molketin, S. 126 f. 49 OLG Celle NJW 1964, 877; OLG Stuttgart NStZ 1981, 490; AK-Stern, § 140 Rn. 26; Pfeiffer, § 140 Rn. 5; Meyer-Goßner, § 140 Rn. 23 m. w. N.; dies könne aus dem Merkmal „geboten“ abgeleitet werden, Vogelsang, S. 36.

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II. Schwere der Tat, § 140 II 1 1. Alt. Die Beurteilung wird hier allgemein nicht auf die Tat, sondern auf die konkreten51 Rechtsfolgen der Tat bezogen. Der Betrachtungszeitpunkt wird gleichsam verlagert52. Der Beschuldigte wird zum „Maßstab“ für die Schwere der Tat nach § 140 II 1 1. Alt. Die zu erwartende Sanktion und die abzusehenden Auswirkungen auf seine Person sind entscheidend53. Inwieweit eine zu erwartende Freiheitsstrafe eine Schwere der Tat nach sich zieht, wird unterschiedlich beurteilt. Eine Ansicht stellt generell auf eine zu erwartende Freiheitsstrafe ab54. Auch wird auf eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten55 oder von einem Jahr ohne Bewährung abgestellt56. Die Notwendig50 Vgl. LR-Lüdersen, § 140 Rn. 60; HK-Julius, § 140 Rn. 13; Wolf, S. 202 mit Fn. 245. Die Fähigkeiten und Kenntnisse des Beschuldigten sind vielmehr im Rahmen von § 140 II 1 2. Alt. zu berücksichtigen, vgl. insbesondere Jäger, S. 44 f. (81 ff., 100 ff., 121 ff.): Es seien Spezialkenntnisse bei der Bestimmung der Schwierigkeit der Rechtslage zu berücksichtigen, die ein Vorliegen von § 140 II 1 2. Alt. ausschlössen. Defizite in geistigen Fähigkeiten fielen unter § 140 II 1 3. Alt., wenn dies ein Vergleich mit einem „durchschnittlichen“ Beschuldigten ergebe. 51 Eine früher vertretene Ansicht stellte auf die zu erwartenden abstrakten Strafrahmen ab. Für diese Betrachtungsweise spricht der Zusammenhang zwischen § 140 I und II. In § 140 I Nr. 1, Nr. 2 kommt es auf die vom Gesetzgeber vorgenommene Einteilung der Delikte an. Als Generalklausel schließt § 140 II die in § 140 I genannten Fälle mit ein. Insofern könnten die vom Gesetzgeber getroffenen Strafrahmen bestimmend sein für die Beiordnung wegen einer Schwere der Tat, vgl. Lantzke, NJW 1971, 737 (738); ferner: Oellerich, StV 1981, 434 (436); vgl. auch Wolf (S. 203 f.), der aus dem Katalog des § 140 I Anhaltspunkte für eine Vergleichsschwere gewinnen möchte, die eine Verteidigung notwendig machten. Gegen diese Überlegungen spricht jedoch folgendes: § 140 I kann nicht für eine Einschränkung von § 140 II herhalten. Dafür spricht der Wortlaut des Gesetzes („in anderen als in Absatz 1 genannten Fällen“). Ferner kann eine Generalklausel nicht durch die sie konkretisierende Vorschrift wiederum eingegrenzt werden. Ansonsten droht die Gefahr eines Zirkelschlusses, vgl. Bringewat, ZRP 1979, 248 (251). 52 Beulke, BMJ-Vert, S. 170 (175); Hartmann-Hilter, S. 45; vgl. Wolf, S. 202 f.: Art und Höhe der Strafe resultieren aus der Schwere der Tat, die für die Strafzumessung nach § 46 StGB und damit für die Rechtsfolgen relevant ist. Daher gestatte § 140 II mittelbar einen Blick auf die Rechtsfolgen. 53 HK-Julius, § 140 Rn. 13; LR-Lüderssen, § 140 Rn. 51; H. Schmidt, S. 116; kritisch: Wolf, S. 202 mit Fn. 245. 54 AK-Stern, § 140 Rn. 27; LR-Lüderssen, § 140 Rn. 64; Volk, Strafprozeßrecht, 11/29; Molketin, S. 49 f.; Rzepka, S. 408; ferner Oellerich, StV 1981, 434 (437): Er stellt auf den prozeßentscheidenden Rat des Verteidigers ab, von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch zu machen. Ferner hebt er die Bedeutung des Rechtsanwalts bei der Beweisaufnahme hervor. Dies gleicht jedoch eher einer Beiordnung wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage; ferner Herrmann, StV 1996, 396 (400); kritisch Jäger, S. 73: Nach § 140 II 1 1. Alt. sei die Schwere der Tat ausschlaggebend, nicht die Möglichkeiten des Verteidigers. 55 AK-Stern, § 140 Rn. 27; Jäger, S. 45; Roxin, 19/16, verweist insofern auf die Überprüfung der Versagung der Bewährung. Dieser Umstand rechtfertigt jedoch eher eine Beiordnung wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage nach § 140 II 1

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keit wird auch auf eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten57 oder zwei Jahren58 zurückverlagert. Auch Fälle fahrlässiger Tötung geböten59 u. U. eine Anwendung von § 140 II 1 1. Alt. Nach überwiegender Rechtsprechung60 ist eine zu erwartende Freiheitsstrafe von über einem Jahr (mit-)entscheidend, zumindest wenn sie nicht zur Bewährung ausgesetzt wird. Bei Erwartung einer Geldstrafe wird eine notwendige Verteidigung zumindest bei Erreichen der gesetzlichen Höchststrafe bejaht61. Es ist anerkannt, daß nicht nur die konkret zu erwartende Freiheitsstrafe, sondern die „Fernwirkungen“ infolge der Verurteilung zur Bestimmung der Schwere der Tat heranzuziehen sind62. Dabei können diese das geforderte Maß an Freiheitsstrafe zur Bejahung von § 140 II 1 1. Alt. ergänzen63. In Betracht kommen insoweit der drohende Widerruf einer anderen Bewährungsstrafe64, die drohende Unterbringung nach § 64 StGB65 oder disziplinarrechtliche Folgen66. Auch die mögliche Entziehung der Fahrerlaubnis oder ein längeres Fahrverbot67 sind zu berücksichtigen, soweit dies Personen betrifft, die zur Ausübung ihres Berufs auf ihr Kfz angewiesen sind68. Haftungsrechtliche Folgen sind ebenso 2. Alt.; auf eine Straferwartung von deutlich mehr als sechs Monaten stellen ab: OLG Hamm StV 1993, 180; OLG Köln StV 1986, 238; vgl. ferner H. Schmidt, S. 116 (bei mehreren Monaten). 56 Meyer-Goßner, § 140 Rn. 23; KK-Laufhütte, § 140 Rn. 21; ferner: Dahs, NJW 1978, 140. 57 OLG Celle StV 1986, 142 f. 58 BGHSt 6, 199 ff.; KMR-Müller, § 140 Rn. 21; nach Krey (I, Rn. 686) würde ansonsten der Ausnahmecharakter des § 140 II umgangen; dagegen: Meyer-Goßner, § 140 Rn. 23. 59 Vgl. LG Bayreuth StV 1993, 181; Roxin, 19/16; LR-Lüderssen, § 140 Rn. 66; Beulke, BMJ-Vert, S. 170 (176); Herzig, NJW 1980, 164 f.; ebenso Molketin, S. 59 ff., S. 125 f.; Oellerich, StV 1981, 434 (437); dagegen: Hartmann-Hilter, S. 59. 60 Vgl. aus neuerer Zeit: OLG Frankfurt, StV 2001, 106; OLG Hamm, NStZ-RR 2001, 107; OLG Brandenburg StV 2000, 607; ferner: KK-Laufhütte, § 140 Rn. 21; LR-Lüderssen, § 140 Rn. 57 ff. m. umfangreichen Nachweisen. 61 HK-Julius, § 140 Rn. 13. 62 BayObLG NJW 1995, 2738; KMR-Müller, § 140 Rn. 21; HK-Julius, § 140 Rn. 13 unter Hinweis auf § 46 I 2 StGB; KK-Laufhütte, § 140 Rn. 21; LR-Lüderssen, § 140 Rn. 59 ff.; Hahn, S. 13; Molketin, S. 50 ff. 63 Vgl. LG Stade StV 1998, 125; AK-Stern, § 140 Rn. 35; H. Schmidt, S. 117 f.; Staudinger, StV 2002, 327 (331). 64 Vgl. OLG Düsseldorf, StraFo 1998, 341; OLG Celle MDR 1988, 1075; OLG Karlsruhe NStZ 1991, 505. 65 LG Bremen StV 1990, 400; Tiemer, S. 37. 66 KG StV 1983, 186; vgl. zum Verlust der Beamtenstellung ab einem Jahr Freiheitsstrafe unabhängig von der Aussetzung zur Bewährung: Vogelsang, S. 35. 67 Molketin, S. 59; H.-W. Schmidt, MDR 1958, 644 f.; einschränkend: HartmannHilter, S. 62.

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einzubeziehen69 wie drohende ausländerrechtliche Konsequenzen70. Voraussetzung ist, daß solche möglichen Fernwirkungen der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht in den jeweiligen Verfahrensstadien konkret bekannt werden71. Zum Teil werden Fernwirkungen nur insoweit einbezogen, als sie aus rechtlichen Gründen mit hinreichender Sicherheit vorhersehbar sind72. Eine nicht gebundene Ermessensentscheidung eines Dritten wäre danach nicht zu berücksichtigen73. III. Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage, § 140 II 1 2. Alt. Zur Bestimmung der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage wird von der Verfahrenssituation ausgegangen, abgestimmt auf die Kenntnisse und Fähigkeiten des jeweiligen Beschuldigten74. Den richtigen „Vermutungsansatz“ wählt insoweit das LG Wiesbaden, indem es darauf abstellt, daß die Sach- oder Rechtslage nicht derart einfach erscheint, daß ein Verteidiger entbehrlich ist75. 1. Schwierigkeit der Sachlage Die Schwierigkeit der Sachlage wird angenommen für Vorgänge der Betriebsführung, Buchhaltung oder Bilanzierung76. Ebenso können eine schwierige Beweislage/Beweisführung77 oder die Berufung gegen ein freisprechendes oder 68 HK-Julius, § 140 Rn. 21; HK-Lemke, § 60 OWiG Rn. 8; B. Schneider, S. 18 mit Fn. 4; insbesondere bei Berufskraftfahrern, vgl. Molketin, S. 56 ff., 58 f. (weitergehend: Ders., NZV 1989, 93, 97); Vogelsang, S. 34; H. Schmidt, S. 117 f. mit Fn. 7 unter Hinweis auf § 140 I Nr. 3. 69 OLG Hamm StV 1989, 56; Vogelsang, S. 36. 70 BayOblG StV 1993, 180; OLG Karlsruhe StraFo 2002, 193 f.; LG Heilbronn StV 2003, 69; HK-Julius, § 140 Rn. 17. Diese Konsequenzen müssen sich jedoch aus dem Tatverdacht ergeben. Danach ist die Verteidigung nicht notwendig bei drohender Ausweisung sich illegal aufhaltender Ausländer und abgelehnter Asylbewerber, vgl. Staudinger, StV 2002, 327 (330 ff.). 71 Jäger, S. 48. 72 So OLG Hamburg NStZ 1984, 281: Von Gesetzes wegen oder aufgrund einer feststehenden Rechtsprechung ist die Fernwirkung zu erwarten; ferner: Roxin, 19/16; Jäger, S. 78; kritisch: Hartmann-Hilter, S. 43. 73 Jäger, S. 47, 69 f. – einschränkend für den Fall einer Vorbelastung durch strafrechtliche oder ordnungsrechtliche Entscheidungen. 74 H. Schmidt, S. 118; Hartmann-Hilter, S. 63 ff.; Wolf, S. 206; Molketin, S. 62; dadurch sollte jedoch nicht der Blick verstellt werden, sie von der 3. Alternative zu unterscheiden, siehe Jäger, S. 84 ff. 75 LG Wiesbaden StraFo 2002, 195 (196). 76 LG Hildesheim wistra 1989, 320.

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3. Kap.: Bestellung von Verteidigern und Beiständen

einstellendes Urteil durch die Staatsanwaltschaft, sowie deren unterschiedliche Auffassung in Sach- oder Rechtsfragen78 eine Verteidigerbestellung bedingen. Das gleiche gilt für mögliche Absprachen79. Auch die Heranziehung eines Sachverständigen deutet auf eine Schwierigkeit der Sachlage hin, wenn sie in diesem Fall nicht gar stets zu bejahen ist80. a) Aktenkenntnis Auch wenn eine sachdienliche Verteidigung Kenntnis der Akten voraussetzt, ist eine Bestellung erforderlich81. Dabei wird nicht generell auf die Gewährung von Akteneinsicht abgestellt82. Besondere Umstände müßten zu der jedem Verfahren dienenden Akteneinsicht83 hinzutreten84. So wurde dies angenommen für in den Akten befindliche Sachverständigengutachten85, sowie wenn die Akteneinsicht für die Glaubwürdigkeitsbeurteilung von Zeugen erforderlich ist86. Auch wenn die Akten besonders umfangreich sind87, ist eine Bestellung erforderlich. Ferner im Fall einer Aus77 So bei Vorhalten (OLG Zweibrücken StV 1986, 240), Fragen eines Beweisverwertungsverbots (OLG Hamm StV 1990, 535) oder bei einbezogenen V-Leuten; zur Kasuistik vgl. Neuhaus, ZAP F 22, 147 (151); zum Teil werden Schwierigkeiten bei der Beweisführung einer schwierigen Rechtslage zugeordnet (vgl. LR-Lüderssen, § 140 Rn. 72); Jäger (S. 91 ff.) stellt auf einen Vergleich zum „Normalfall“ ab (S. 93 f.) und sieht diesen als überschritten an, wenn Glaubwürdigkeitsgutachten, widersprüchliche Aussagen desselben Zeugen oder eine V-Mann Problematik vorliegen. 78 Vgl. die Nachweise bei Meyer-Goßner, § 140 Rn. 26. 79 AK-Stern, § 140 Rn. 38; Schmidt-Hieber, NJW 1990, 1884 (1887 de lege ferenda). 80 Vgl. Lüderssen, § 140 Rn. 84; Sarstedt, NJW 1968, 177 (179); Lehmann, StV 2003, 356 (357 f. mit umfassenden Nachweisen). 81 OLG Hamm NStZ-RR 2001, 107 ff.; KMR-Müller, § 140 Rn. 22; Roxin, 19/17; LR-Lüderssen, § 140 Rn. 76 ff.; Dahs, Handbuch, Rn. 116; zu restriktiv: Krey I, Rn. 688. Zum Teil wird auch auf § 140 II 1 3. Alt. abgestellt, vgl. Bottke, BMJ-Vert, S. 46 (85 f.); Bosch, StV 1999, 333 (336 mit Fn. 21); ferner: Böse, StraFo 1999, 293 (295). 82 Kritisch hierzu: Eisenberg, NJW 1991, 1257 (1261 mit Fn. 57) – die angeführten normativen Begriffe zur Einschränkung der Bestellung wegen erforderlicher Akteneinsicht verlangten eine Beurteilung der Verteidigungsstrategie. Die Verteidigung werde dadurch latent beeinträchtigt. 83 Ablehnend gegenüber einer auf erforderlicher Akteneinsicht gegründeten notwendigen Verteidigung: Walischewski, S. 195; Hiebl, S. 89: In jedem Strafverfahren sei eine Akteneinsicht erforderlich; somit müßte man eine obligatorische Verteidigung nach § 140 II 1 2. Alt. annehmen. Dies sollte jedoch durch die auf bestimmte Fallgruppen beschränkte notwendige Verteidigung gerade vermieden werden. 84 Bahnsen, S. 37 f.; Walischewski, S. 195; vgl. auch Oellerich, StV 1981, 434 (437), wonach die Akteneinsicht „unabdingbar“ erforderlich sein müsse. 85 OLG Karlsruhe StV 1991, 199; z. B., wenn es sich zur Schuldfähigkeit des Angeklagten verhält (OLG Köln NZV 1990, 324), oder als entscheidendes Beweismittel gegen den Angeklagten eingesetzt werden soll (LG Bochum StV 1987, 383).

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sageänderung eines Belastungszeugen im Vorverfahren und bei voraussichtlichen Vorhalten aus der Ermittlungsakte durch den Verteidiger88. Jäger wendet sich gegen diese Argumentation. Die Sachlage sei nicht schwierig wegen erforderlicher Aktenkenntnis. Diese sei vielmehr erforderlich wegen Schwierigkeit der Sachlage89. Die Sachverhalte, die sich von dem Normalfall eines Strafverfahrens unterschieden, seien schwierig und bedingten die Akteneinsicht90. Im Normalfall enthielten die Akten polizeiliche Ermittlungsberichte, Aussagen des Beschuldigten sowie der Zeugen. Die Sachlage sei hier für den Beschuldigten nicht schwierig, er könne auf seine eigenen Kenntnisse hinsichtlich der Tat, des Tathergangs und den Begleitumständen vertrauen. Er könne den Sachverhalt berichtigen und Vorhalte an die Zeugen richten. Wenn sich jedoch Unterlagen in den Akten befänden, zu denen der Beschuldigte ohne Kenntnis keine Stellungnahme abgeben könne, sei die Sachlage schwierig91. Zwar ist Jäger zuzustimmen, wenn Fachkenntnisse Schwierigkeiten ausgleichen, jedoch ist seinen Ausführungen zu „normalen“ Strafverfahren zu widersprechen. Er geht von einer justiziellen Perspektive des Normalfalls aus, sowie davon, daß der Beschuldigte auch tatsächlich an dem Geschehen beteiligt war. Zu Unrecht Beschuldigte können nicht auf ihre Kenntnis vertrauen. aa) Beispiele aus der Rechtsprechung zur Aktenkenntnis durch eine Verteidigerbestellung noch vor der Hauptverhandlung Bei dem Vorwurf der Sachbeschädigung durch einen Zeugen, der 14 weitere Personen als Beteiligte nennt, ist eine notwendige Verteidigung wegen erforderlicher Aktenkenntnis gegeben, weil nur dadurch festgestellt werden kann, welche als Beteiligte benannte Personen zur Hauptverhandlung geladen werden müssen, um die Verläßlichkeit des einzigen Belastungszeugen zu prüfen92. Auch wenn die einzige Tatzeugin im Vorverfahren unterschiedliche Angaben gemacht hat, so daß ohne allein die dem Verteidiger vorbehaltene Aktenkenntnis die Hauptverhandlung nicht umfassend vorbereitet werden kann93, ist ein Verteidiger zu bestellen. 86 Vgl. OLG Karlsruhe StV 1987, 518; OLG Koblenz MDR 1976, 776; LG Cottbus StV 1999, 642. 87 LR-Lüderssen, § 140 Rn. 76 m. w. N. 88 OLG Celle StV 2000, 414; Pfeiffer, § 140 Rn. 6. 89 Jäger, S. 89 f.; vgl. ferner H. Schmidt, S. 119, der die Sachlage beschreibt, die zu begreifen Aktenkenntnis voraussetzt. 90 Jäger, S. 84 f., 93 f. 91 So bei umfangreichen Ermittlungen, Belastungen durch Mittäter, schriftlichen Sachverständigengutachten. 92 OLG Köln StV 1991, 294.

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Wenn die Prüfung der Glaubwürdigkeit der Belastungszeugen besondere Bedeutung gewinnt (weil der Angeklagte schweigt oder die Vorwürfe bestreitet) und deshalb die Beweisaufnahme umfangreich ist und voraussichtlich länger andauert, so ist ihm zur Vorbereitung auf die Hauptverhandlung ein Pflichtverteidiger zu bestellen. Erst die Einsichtnahme in die Gerichtsakten und die dort befindlichen polizeilichen Zeugenvernehmungsprotokolle ermöglichen es, die gebotenen Vorhaltungen zu tätigen und sachdienliche Fragen und Anträge zu stellen94. Wenn im Ermittlungsverfahren bedeutsame Aussagen gemacht wurden, die sich anscheinend ganz oder teilweise widersprechen oder in sich widersprüchlich sind oder geändert wurden und auch noch von einigem Umfang sind, erfordert eine ordnungsgemäße Verteidigung die Akteneinsicht noch vor der Hauptverhandlung. Der Angeklagte habe sich ähnlich mit den Aussagen befassen zu können wie Gericht und Staatsanwaltschaft95. Deshalb sei ein Pflichtverteidiger zu bestellen. Nach einer Entscheidung des LG Bochum darf der Angeklagte nicht erst in der Hauptverhandlung mit dem Ergebnis eines Sachverständigengutachtens konfrontiert werden, weil er sonst nicht rechtzeitig Einwände gegen das Gutachten vorbringen könnte96. Nach dem LG Stuttgart kann die sachgerechte Vorbereitung es erfordern, der Verteidigung zu ermöglichen, einen Videofilm schon vor der Hauptverhandlung einzusehen. Dann sei eine Verteidigerbestellung mit der damit einhergehenden Akteneinsicht erforderlich97. Die Entscheidungen äußern sich zwar zu einer Akteneinsicht „noch vor der Hauptverhandlung“, die durch eine Verteidigerbestellung gewährleistet werden soll. Eine ausdrückliche Bezugnahme auf eine Bestellung vor Abschluß des Ermittlungsverfahrens fehlt jedoch98. Auch wenn aus diesem Grund die Akteneinsicht mittels eines notwendigen Verteidigers keine umfassende Kompensation für ein fehlendes eigenes vollständiges Akteneinsichtsrecht des Beschuldigten darstellen könnte99, so kann Akteneinsicht bei gegebener Gesetzeslage zumindest mittelbar über eine großzügigere Handhabung des § 140 II 1 (2. Alt. oder 3. Alt.) für bestimmte Konstellationen gewährt werden. 93 94 95 96 97 98 99

BayObLG StV 1991, 294. LG Tübingen StV 1999, 642. LG Essen StV 1987, 310. LG Bochum StV 1987, 383. LG Stuttgart StV 1992, 103. Vgl. ferner: Walischewski, S. 195. Walischewski, S. 194 ff.; Dedy, StraFo 2001, 149 (153).

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bb) Akteneinsicht des inhaftierten Beschuldigten über die Person des Pflichtverteidigers In den vom EGMR entschiedenen Fällen zur Akteneinsicht bei Untersuchungshaft100 kommt neben einem möglichen eigenen Akteneinsichtsrecht des Beschuldigten über § 147 VII hinaus auch die Annahme notwendiger Verteidigung wegen erforderlicher Akteneinsicht nach § 140 II 1 2. Alt. in Betracht101. Eine solche Annahme erscheint jedoch insofern fraglich, als sich die Notwendigkeit nach § 140 I und II auf ein gerichtliches Verfahren bezieht102 (sei es aus der Perspektive des Vor-, Zwischen- oder Hauptverfahrens selbst, vgl. § 141 I, II, III) und nicht auf eine Haftentscheidung als solche. Auch wenn eine notwendige Verteidigung in den von der Rechtsprechung des EGMR erfaßten Fällen für das gerichtliche Verfahren bestehen sollte (z. B. nach § 140 I Nr. 1 oder Nr. 2), so bezieht sich die erforderliche Akteneinsicht und damit die Schwierigkeit der Sachlage nicht auf das gerichtliche Verfahren, sondern auf die Untersuchungshaft. Damit erscheint es dogmatisch weniger bedenklich, die Notwendigkeit der Verteidigung kraft Verfassungsrecht auf den Umstand der Untersuchungshaft zu stützen. Danach wäre § 140 II i. V. m. § 141 IV nach Art. 103 I, Art. 104 GG verfassungskonform dahin auszulegen, daß auch dem inhaftierten Beschuldigten für die erforderliche Akteneinsicht ein Verteidiger zu bestellen ist103.

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Vgl. oben: Kap. 2, § 5 A. II. Kempf, StV 2001, 206 (207); vgl. ferner: LR-Lüderssen, § 140 Rn. 76 b; Eisenberg, § 68 JGG Rn. 31; Ambos, NStZ 2003, 14 (15); vgl. schon Bohnert (GA 1995, 468, 470), der de lege lata von einem Verteidiger kraft Verfassungsrecht für die Fälle des inhaftierten Beschuldigten ausgeht; Bosch (StV 1999, 333, 336) bemerkt, daß das Bundesverfassungsgericht in Umsetzung seiner Rechtsprechung sich hierzu hätte Gedanken machen können, wobei Bosch auf eine verfassungskonforme Interpretation von § 140 II 1 3. Alt. hinweist. 102 Vgl. H. Schmidt, S. 134; anders wohl Rieß, der darauf abstellt, daß unabhängig von einer Prognose hinsichtlich des späteren gerichtlichen Verfahrens die Bestellung eines Verteidigers zu erfolgen habe, wenn durch die richterliche Untersuchungshandlung im Ermittlungsverfahren die Sach- oder Rechtslage schwierig werde oder ersichtlich sei, daß sich der Beschuldigte insoweit nicht selbst verteidigen könne (vgl. LRRieß, § 168 c Rn. 10; vgl. ferner: KMR (6. Auflage), § 141 Anm. 1 c: „. . . und daß die Voraussetzungen des § 140 I oder II vorliegen oder im gerichtlichen Verfahren zu erwarten sind . . .“; KMR-Müller, § 141 Rn. 1: „. . . jetzt schon notwendig und daher zu bestellen ist“). 103 Vgl. zur Bestellungsmöglichkeit nach § 117 IV i. V. m. Art. 104 GG durch den Haftrichter, wenn der Beschuldigte nicht in der Lage ist, sich sachgerecht zu verteidigen: Schlothauer/Weider Rn. 297 f.; ferner: Spaniol, S. 333 f.; vgl. ferner Schomburg/ Lagodny (§ 40 IRG Rn. 21 f.) zur Bestellungsmöglichkeit eines Beistandes nach § 140 I Nr. 5 trotz der Vorschrift des § 40 III IRG. 101

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3. Kap.: Bestellung von Verteidigern und Beiständen

b) Einschränkung der Bestellung nach § 140 II 1 2. Alt. durch das Akteneinsichtsrecht des Beschuldigten nach § 147 VII Angesichts des dem Beschuldigten nach § 147 VII zustehenden „Akteneinsichtsrechts“ erscheint fraglich, inwiefern eine Bestellung, die bei früherer Rechtslage wegen des alleinigen Akteneinsichtsrechts des Verteidigers angenommen wurde, heute noch aufrecht zu erhalten wäre104. Eine weitere Voraussetzung für eine Beiordnung nach § 140 II 1 2. Alt. könnte nun sein, daß dem Beschuldigten Akteneinsicht nach § 147 VII verwehrt wird. Diesem Gedanken stünden wohl die Stimmen in der Literatur nahe, die zwischen einer dem Beschuldigten zuzumutenden Informationsgewinnung und der sich anschließenden -verwertung unterscheiden. Im Bereich der Informationsgewinnung entstünde noch kein Defizit des Beschuldigten, welches ausgeglichen werden müßte105. Erst bei der Umsetzung wirke sich die unterlegene Handlungsmacht des Beschuldigten aus. Genau diese solle der Verteidiger ausgleichen. Dann bestünde aber keine Notwendigkeit, ihn bei der Informationsgewinnung einzuschalten106. aa) Auseinanderfallen von Zuständigkeit zur Verteidigerbestellung nach § 141 IV und Akteneinsichtsgewährung nach § 147 V 1 Die Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft für die Akteneinsichtsgewährung im Ermittlungsverfahren dürfte gegen die oben angeführten möglichen Überlegungen des bestellenden Vorsitzenden sprechen. Der Vorsitzende des zukünftig mit der Sache befaßten Gerichts würde ansonsten auch im Ermittlungsverfahren Überlegungen hinsichtlich des Akteneinsichtsrechts mit einbeziehen, obwohl ihm dies nach § 147 V 1 1. Alt. entzogen107 ist108. Dagegen läßt sich nach dem StVÄG 1999 zwar anführen, daß der 104 Vgl. schon die Überlegungen des siebten Strafverteidigertages vom 15. bis 17.04.1983 in Frankfurt a. M., StV 1983, 260 (263) zu § 147 VI im Referentenentwurf vom 30.09.1982. 105 Hiebl, S. 94 f.; vgl. ferner Walischewski, S. 219 f. 106 Schon gegen die Argumentation als solche kann angeführt werden, daß auch im Stadium der Informationsgewinnung Elemente der späteren Informationsverwertung berücksichtigt werden. Es muß eine diesbezügliche Prognose angestellt werden. Eine solche umfassende Prognose anzustrengen ist dem Beschuldigten nicht möglich. 107 Vgl. Meyer-Goßner, § 147 Rn. 34 – dies gilt nach überwiegender Auffassung auch, wenn sich die Akten bei Gericht wegen einer richterlichen Untersuchungshandlung befinden, vgl. OLG Hamm NStZ 1982, 348; KK-Laufhütte, § 147 Rn. 22; a. A.: Dünnebier (23. Auflage), § 147 Rn. 26; Welp, FG-Peters, S. 309 (324). 108 Vgl. Walischewski, S. 195 f. Eine Antragstellung an das zuständige Gericht, welches eine Beiordnungsentscheidung auf das Akteneinsichtsrecht stützt, würde die Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft für die Gewährung von Akteneinsicht im Ermitt-

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Gesetzgeber die Entscheidung der Staatsanwaltschaft über die Gewährung von Akteneinsicht nach § 147 V 2 unter richterliche Kontrolle gestellt hat. Doch kann allein eine Kontrollmöglichkeit eines Gerichts, die zudem auf bestimmte Fälle beschränkt wird, das vorstehende Argument kaum entkräften. Im Ermittlungsverfahren greifen diese Überlegungen jedoch für ein Vorgehen der Staatsanwaltschaft nach § 141 III 2. Wenn diese dem Beschuldigten Akteneinsicht nach § 147 VII i. V. m. § 147 V 1 1. Alt. gewähren würde, könnte sie sich veranlaßt sehen, allein wegen jener nicht auf Verteidigerbestellung zu antragen. Auch nach Anklageerhebung und Eingang der Akten bei Gericht gelten diese Überlegungen insofern, als zu diesem Zeitpunkt der Vorsitzende des mit der Sache befaßten Gerichts sowohl den Verteidiger bestellt, vgl. § 141 IV, als auch über die Akteneinsichtsgewährung nach § 147 I und VII gemäß § 147 V 1 2. HS entscheidet109. bb) Umfang des Akteneinsichtsrechts nach § 147 VII Eine Einbeziehung des Akteneinsichtsrechts des Beschuldigten nach § 147 VII im Rahmen der Verteidigerbestellung nach § 140 II 1 2. Alt. ließe jedoch dessen eingeschränkten Umfang110 unberücksichtigt. Ferner müßten Überlegungen angestellt werden, inwieweit der größere Umfang des Akteneinsichtsrechts des Verteidigers nach § 147 I im Vergleich zu dem des Beschuldigten nach § 147 VII im konkreten Fall nicht doch eine Verteidigerbestellung bedingte. Damit ist eine Umgehung der notwendigen Verteidigung durch die Gewährung des eigenen Akteneinsichtsrechts an den Beschuldigten abzulehnen. So ist wohl auch Lüderssen zu verstehen, wenn er bemerkt, daß eine Pflichtverteidigerbestellung wegen Schwierigkeit der Sachlage, die von den Gerichten aufgrund der früheren Gesetzeslage auf die erforderliche Akteneinsicht des Verteidigers gestützt wurde, nicht mehr „theoretisch akut“ sei, praktisch sich jedoch wenig geändert haben dürfte. § 147 VII sei lediglich eine Klarstellung des schon bestehenden Zustandes. Bei „wirklich erforderlicher Akteneinsicht“ bedürfe es immer eines Verteidigers111. Es wird in diesem Zusammenhang hervorgehoben, daß nur der Verteidiger die vollständige Akteneinsicht habe112. lungsverfahren nach § 147 V mißachten. Selbst wenn man dies im Hinblick auf Art. 103 I GG unberücksichtigt ließe, so sei der Antrag auf Akteneinsicht immer noch bei der Staatsanwaltschaft zu stellen; eine Kompensation des Verteidigungsdefizits durch die notwendige Verteidigung sei auf diese Weise nicht möglich (S. 198; einschränkend auf S. 223 ff.). 109 Vgl. LR-Lüderssen, § 147 Rn. 149. 110 Vgl. oben: Kap. 2, § 5 A. 111 LR-Lüderssen, § 140 Rn. 76 mit Fn. 196; Lehmann, StV 2003, 356 (358); vgl. ferner Jörke (S. 136 f.), der de lege ferenda für eine Ausdehnung der notwendigen

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3. Kap.: Bestellung von Verteidigern und Beiständen

Laufhütte geht m. E. noch weiter, indem er eine Stufenfolge zwischen der Akteneinsichtsgewährung nach § 147 VII und einer solchen nach § 147 I i. V. m. § 140 II 1 2. Alt. annimmt. Dem Beschuldigten, der sich ohne Aktenkenntnis nicht angemessen verteidigen kann, wird über § 147 VII ein Anspruch auf Abschriften zugebilligt, wenn nicht eine Bestellung eines Verteidigers nach § 140 II in Frage kommt, was in „schwierigen Fällen“ naheliegt113. Auch nach Meyer-Goßner geht eine Akteneinsicht über einen bestellten Verteidiger vor. Wenn eine Verteidigerbestellung wegen des geringfügigen Vorwurfs „untunlich“ sei, so sei Akteneinsicht nach § 147 VII zu gewähren114. Auch das OLG Hamm115 nimmt in seiner Entscheidung vom 22.04.2002 zu dem eigenen Akteneinsichtsrecht des Beschuldigten nicht Stellung, sondern stellt lediglich fest, daß nach § 147 nur der Verteidiger zur Akteneinsicht berechtigt ist. Somit ist unabhängig davon, ob darauf abgestellt wird, daß gerade der Verteidiger den Inhalt der Akten kennt116 (womit eine notwendige Verteidigung auch bei bestehendem Akteneinsichtsrecht des Beschuldigten zu bejahen ist), oder generell die Aktenkenntnis hervorgehoben wird, die nur einem Verteidiger zusteht (wonach ein Verteidiger nicht notwendig sein könnte), die Notwendigkeit der Verteidigung durch die Gewährung von Akteneinsicht nach § 147 VII letztlich nicht ausgeschlossen. c) Einschränkung der Bestellung nach § 140 II 1 2. Alt. durch die Definitionsmacht der Staatsanwaltschaft nach § 147 II Eine Verknüpfung der Akteneinsicht mit der Bestellung eines Verteidigers im Ermittlungsverfahren könnte insofern generell problematisch sein, als die BeVerteidigung bei gleichzeitiger Einführung einer Prozeßkostenhilferegelung eintritt. Wenn dem Beschuldigten ein eigenes Akteneinsichtsrecht gewährt würde, sei ihm damit noch nicht gedient. Er müsse auch für die Informationsverwertung sorgen. Dies sei jedoch angesichts einer strukturell unterlegenen Selbstverteidigung nicht garantiert (S. 101 f., 108). 112 Pfeiffer, § 140 Rn. 6; Marberth-Kubicki, StraFo 2003, 366. 113 KK-Laufhütte, § 147 Rn. 1, § 140 Rn. 22. 114 Meyer-Goßner, § 147 Rn. 4 unter Hinweis auf EGMR NStZ 1998, 429 (Foucher gegen Frankreich). 115 OLG Hamm StraFo 2002, 397 f. – der Fall betraf die Heranziehung eines weiteren Sachverständigengutachtens über die Urheberschaft eines Graffiti. 116 Gerade der Verteidiger wüßte die Aktenkenntnis verfahrenstaktisch umzusetzen, vgl. Hartmann-Hilter, S. 65, ferner: LR-Lüderssen, § 140 Rn. 76 mit Fn. 196; vgl. auch die Entscheidung des LG Essen (StV 1988, 381) zur möglichen Einstellung nach § 154: „Kommt in einem Verfahren eine Einstellung nach § 154 in Betracht . . . sind die Voraussetzungen für die Beiordnung gegeben, da ein Beschuldigter ohne einen Verteidiger nicht fähig ist, die sich aus der Verfahrenssituation ergebenden Möglichkeiten zu erkennen und ggf. durchzusetzen“.

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stellung eines Verteidigers mit dem Hinweis auf die Akteneinsichtsverweigerung nach § 147 II abgelehnt werden könnte. Gegen eine solche Gefahr spricht der Umstand, daß der Richter eine Haltung der Staatsanwaltschaft nicht einzubeziehen beabsichtigt, über die zu urteilen er nicht berechtigt ist. Jedoch könnte die Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren bei einer Antragstellung nach § 141 III 2 ihr eigenes Vorgehen nach § 147 II berücksichtigen. Ebenfalls könnte der nach Anklageerhebung und Eingang der Akten bei Gericht für die Bestellung und Akteneinsichtsgewährung zuständige Vorsitzende solche Überlegungen anstellen. 2. Die Schwierigkeit der Rechtslage Die Schwierigkeit der Rechtslage kann auf materiellem sowie prozessualem Recht fußen117. Sie wird u. a. angenommen, wenn bislang nicht behandelte Rechtsfragen geklärt werden müssen118, ihre Lösung sehr umstritten ist119, oder die Staatsanwaltschaft erfolgreich Beschwerde nach § 210 gegen eine ablehnende Eröffnungsentscheidung im Zwischenverfahren eingelegt hat120. Auch bei Fragen der Verfassungsmäßigkeit einer Norm wurde die Schwierigkeit der Rechtslage bejaht121. IV. Ersichtliche Verteidigungsunfähigkeit, § 140 II 1 3. Alt.122 Die Verteidigungsfähigkeit ist im Vergleich zur Verhandlungsfähigkeit ein aliud123. Die defizitäre Fähigkeit, sich selbst zu verteidigen, wird durch den Verteidiger kompensiert124. 117 KK-Laufhütte, § 140 Rn. 23; HK-Julius, § 140 Rn. 14 m. w. N.; AK-Stern, § 140 Rn. 43 (Rn. 46 zu Fällen des § 247 und der Beweisführung bei V-Leuten); LRLüderssen, § 140 Rn. 78 ff. m. w. N.; zur notwendigen Verteidigung bei Absprachen vgl. oben Kap. 2, § 2 V. Jäger stellt auch hier auf einen Vergleich zwischen dem materiellrechtlichen oder verfahrensrechtlichen „Normalfall“ ab; Spezialkenntnisse des Beschuldigten könnten die Divergenz zum Normalfall ausgleichen (Jäger, S. 100 ff.). 118 Vgl. OLG Stuttgart StV 2002, 298: „Eine zur Pflichtverteidigerbestellung nötigende schwierige Rechtslage . . .“ (Hervorhebung durch Verfasser). 119 So bei komplizierten Auslieferungsbedingungen (BGH GA 1965, 56 f.); ferner Molketin, S. 64 ff.; H. Schmidt, S. 120; vgl. zur unterschiedlichen Rechtsauffassung auch Jäger, S. 95 ff. mit Nachweisen aus der Rspr. (u. a. bei Konkursdelikten, steuerrechtlichen Sachverhalten). 120 Hahn, S. 14. 121 Hartmann-Hilter, S. 68; Oellerich, StV 1981, 434 (437). 122 Vgl. insbesondere Molketin, S. 111 ff.; Neuhaus, ZAP F 22, 247 (152) m. w. N. 123 OLG Düsseldorf NJW 1964, 877; Oellerich, StV 1981, 434 (438). 124 Roxin, 19/19.

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3. Kap.: Bestellung von Verteidigern und Beiständen

Es müssen erhebliche Zweifel an der Verteidigungsfähigkeit bestehen125, die sich neben den Umständen des Einzelfalles (also auch objektiven Umständen126) nach dem Gesundheitszustand und den geistigen Fähigkeiten des Beschuldigten bestimmen. Es wird darauf abgestellt, ob der Beschuldigte imstande ist, sein wohlverstandenes Interesse wahrzunehmen (insbesondere der Hauptverhandlung folgen zu können) und alle einer sachgerechten Verteidigung dienenden Handlungen vorzunehmen127. Auch im Ermittlungsverfahren muß die Fähigkeit aktiver Mitwirkung auf Seiten des Beschuldigten gegeben sein128. Stern sieht den Ausschluß des Beschuldigten nach §§ 168 c III, 168 d I als Unterfall von § 140 II 1 3. Alt. an; auch die richterliche Vernehmung eines Zeugen oder Sachverständigen außerhalb des Haftortes des Inhaftierten nach §§ 168 c, 223, 224 II bedinge die Verteidigungsunfähigkeit129. Auch werden die Fälle erforderlicher Akteneinsicht130 § 140 II 1 3. Alt. zugeordnet. Allein die fehlenden Mittel zur Bezahlung der Dolmetscherkosten131 bedingen nicht die Bestellung nach § 140 II 1 3. Alt.132; eine Verteidigerbestellung

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OLG Frankfurt StV 1984, 370; Meyer-Goßner, § 140 Rn. 30. KK-Laufhütte, § 140 Rn. 24; HK-Julius, § 140 Rn. 16; vgl. jedoch Wolf, der ausschließlich auf die individuelle Person des Beschuldigten abstellt (S. 206 mit Fn. 265); ferner Jäger (S. 44 f., 81 ff., 100 ff., 121 ff.), der hier die defizitären Eigenschaften des Beschuldigten heranzieht, um sie zur 2. Alt. abzugrenzen. 127 Zu Fallgruppen vgl.: HK-Julius, § 140 Rn. 16; KK-Laufhütte, § 140 Rn. 24; LR-Lüderssen, § 140 Rn. 96 ff. 128 HK-Julius, § 140 Rn. 16; Hartmann-Hilter, S. 93 f. unter Hinweis auf das Wort Beschuldigter in § 140 II 1; das OLG Düsseldorf (StV 1992, 363) begrenzt § 140 II 1 3. Alt. dagegen auf sachdienliche Anträge in der Hauptverhandlung; ferner: Neuhaus, ZAP F 22, 147 (152). 129 AK-Stern, § 140 Rn. 57. 130 Bottke, BMJ-Vert, S. 46 (85 f.); Bosch, StV 1999, 333 (336 mit Fn. 21). 131 Der Bundesgerichtshof hat entschieden, daß die im Verkehr mit dem Wahlverteidiger entstandenen Dolmetscherkosten dem der Gerichtssprache nicht kundigen Angeklagten/Beschuldigten für das gesamte Strafverfahren und somit auch für vorbereitende Gespräche mit dem Verteidiger zu erstatten sind (Anspruch aus Art. 6 III lit. e) EMRK, BGHSt 46, 178 (183 ff.) m. Anm. Staudinger, StV 2002, 327). Überlegungen zur Abrechnung der Gebühren der Dolmetscherkosten über einen Pflichtverteidiger sind damit obsolet; siehe ferner Meyer-Goßner, Art. 6 EMRK Rn. 25, § 140 Rn. 30 a m. w. N. 132 Vgl. zur Notwendigkeit der Verteidigung wegen fehlender Deutschkenntnisse schon die Erörterungen in der zweiten Lesung der Kommission (Hahn II, S. 1269 ff.): Nach einem Antrag des Abgeordneten Miquél sind von den Fällen notwendiger Verteidigung die der Gerichtssprache nicht mächtigen Beschuldigten auszunehmen (Hahn II, Abg. Miquél, S. 1269). Hier wurde auf die Landesteile Preußens verwiesen. Dort werde überwiegend polnisch gesprochen. Die Folge wäre eine „sehr große Belästigung“ der Anwälte und der Staatskasse (vgl. Hahn II, Abg. Struckmann, S. 1270). Dieser sähe sich auch Lothringen ausgesetzt (Hahn II, Abg. Puttkamer, S. 1272). Auch die Provinz Posen wäre davon betroffen (Hahn II, Abg. Oehlschläger, S. 1272). Abg. Grimm wähnt eine große Belästigung für die Anwaltschaft; er verweist auf Italie126

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für ausländische Beschuldigte, die keine Deutschkenntnisse besitzen, kann sich jedoch aufgrund anderer Erwägungen ergeben133. Wird einem qualifiziert Verletzten ein Rechtsanwalt beigeordnet (nach §§ 397 a I, II, 406 g III, IV), so vermutet das Gesetz die Verteidigungsunfähigkeit des Beschuldigten. Eine solche Beiordnung ist auch schon im Ermittlungsverfahren nach § 141 III zu berücksichtigen134. Auch bei eigenständiger Mandatierung durch den zur Nebenklage befugten oder einfachen Verletzten bzw. dem nicht verletzten Nebenkläger135 ist eine Verteidigerbestellung nach den Erwägungen zu § 140 II 1 3. Alt. möglich. Angesichts des dem Verletzten gewährten Akteneinsichtsrechts nach § 406 e könnte ein Pflichtverteidiger zu bestellen sein, auch wenn dieser nicht anwaltlich vertreten ist136. Möglich erscheint ferner eine Bestellung, wenn dem Zeugen ein Rechtsanwalt nach § 68 b beigeordnet wurde. ner, die in „großen Scharen“ an süddeutschen Eisenbahntunnelbauten arbeiteten und den Gerichten „viel Arbeit“ machten (Hahn II, S. 1273). 133 Vgl. BGHSt 46, 178 (183 ff.); OLG Düsseldorf NJW 1989, 677 f.; Jäger, S. 110 ff.: wenn der Dolmetscher nicht die Muttersprache spreche, ferner wenn die Abstammung des Täters sich auf sein Unrechtsbewußtsein oder seine Motive zur Tatbegehung auswirke; vgl. ferner: Staudinger, StV 2002, 327 (330), die ebenfalls eine gewisse tatsächliche oder rechtliche Komplexität oder die mangelnde Vertrautheit mit dem deutschen Kulturkreis verlangt, jedoch unter Berufung auf Art. 3 I GG eine Reduzierung des von ihr angenommenen Ermessens der Staatsanwaltschaft für eine Antragstellung nach § 141 III 2 i. V. m. § 140 II 1 3. Alt. für ausländische Beschuldigte gemäß § 140 II 2 annimmt; zur regelmäßigen Bestellung eines Pflichtverteidigers für einen ausländischen Beschuldigten: KK-Laufhütte, § 140 Rn. 24; Molketin, AnwBl. 1980, 442 ff. 134 LR-Lüderssen, § 140 Rn. 101 m. w. N.; KK-Laufhütte, § 140 Rn. 20, Rn. 24; ferner: Weider, StV 1987, 317 (319). 135 OLG Zweibrücken StV 2002, 237; LG Dortmund StraFo 2002, 21; OLG Celle StV 2000, 70; AK-Stern, § 140 Rn. 77; HK-Julius, § 140 Rn. 16; Roxin, 19/19; Vogelsang (S. 99) weist auf einen möglichen Zivilrechtsstreit hin; H. Schmidt, S. 122 f.; zum Versäumnis einer klarstellenden Regelung durch den Gesetzgeber, wonach auch im Fall des gewählten Beistands dem Beschuldigten ein Pflichtverteidiger nach § 140 II 1 3. Alt. zu bestellen ist, vgl. Schünemann, StV 1998, 391 (393 mit Fn. 18); Weider, StV 1987, 317 (318), der insoweit eine unterschiedliche Handhabung in der Praxis befürchtet; der Gesetzgeber vertraut jedoch auf diese, vgl. BT-Drucks. 10/6124, S. 13; Rieß/Hilger, NStZ 1987, 145 (147). 136 Vgl. zur früheren Rechtslage, wonach der Beschuldigte noch kein eigenes Akteneinsichtsrecht nach § 147 VII hatte: Weider, StV 317 (319). Der einfach Verletzte hat für eine Akteneinsicht nach § 406 e V ein berechtigtes Interesse (vgl. dazu: LR-Hilger, § 406 e Rn. 6) darzulegen (anders der qualifiziert Verletzte, vgl. § 406 e V i. V. m. I), wozu im Gegensatz dem Beschuldigten grundsätzlich ein (allerdings von vornherein beschränkter) Anspruch auf ermessensfehlerfreie Abschrift oder Auskunftserteilung zusteht. § 406 e II 1 enthält die zwingenden Versagungsgründe der überwiegenden schutzwürdigen Interessen Dritter und der des Beschuldigten. Nach § 406 e II 2 kann die Akteneinsicht versagt werden, soweit der Untersuchungszweck gefährdet erscheint oder wenn durch sie das Verfahren erheblich verzögert würde. Nach § 147 VII können Abschriften oder Auskünfte erteilt werden,

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3. Kap.: Bestellung von Verteidigern und Beiständen

V. § 140 II 2 Hör- oder sprachbehinderten Beschuldigten wird die Möglichkeit eingeräumt, nach § 140 II 2 einen Antrag auf Verteidigerbeiordnung zu stellen137. Diesem muß entsprochen werden – ohne weitere Überprüfung der Voraussetzung einer notwendigen Verteidigung138; er fingiert die Verteidigungsunfähigkeit139. Eine Verteidigerbestellung für blinde Beschuldigte kommt nach § 140 II 1 3. Alt. in Betracht140.

C. Verfahren der Bestellung I. Zuständigkeit nach § 141 IV Über die Bestellung des Pflichtverteidigers in Fällen notwendiger Verteidigung nach § 140 I und II141 entscheidet gemäß § 141 IV der Vorsitzende142 des für die Hauptverhandlung zuständigen Gerichts oder das Gericht, bei welchem das Verfahren anhängig ist. Die Bestellung ist wirksam, auch wenn deren Voraussetzungen nicht vorlagen143.

soweit nicht der Untersuchungszweck gefährdet werden könnte (§ 147 II – gleich § 147 VII, LR-Lüderssen, § 147 Rn. 132 – ist gleich § 406 e II, vgl. KK-Engelhardt, § 406 e Rn. 3) oder nicht schwerwiegende schutzwürdige Interessen Dritter entgegenstehen. Damit steht bei Gefährdung des Untersuchungszwecks die Gewährung von Akteneinsicht nach § 406 e V noch im Ermessen (vgl. LR-Hilger, § 406 e Rn. 12; KKEngelhardt, § 406 e Rn. 3) – im Gegensatz zur Gewährung nach § 147 VII 1. Letztlich wird das Akteneinsichtsrecht des Beschuldigten als umfangreicher angesehen, vgl. KK-Engelhardt, § 406 e Rn. 1. 137 Die Notwendigkeit der Verteidigung nach § 140 I Nr. 4 für taube und stumme Beschuldigte wurde aufgehoben, vgl. das Gesetz vom 17.05.1988 (BGBl. I, S. 606); die zwischenzeitlich eingefügte Notwendigkeit der Verteidigung für Blinde (vgl. StVÄG 1987 vom 27.01.1987, BGBl. I, S. 475) wurde dadurch ebenfalls wieder gestrichen; vgl. zu diesem Gesetz: Hamm, NJW 1988, 1820 ff.; Werner, NStZ 1988, 346 ff. 138 Vgl. den Bericht der Abgeordneten Eylmann und Singer – Rechtsausschuß, BTDrucks. 11/1933, S. 5. 139 KMR-Müller, § 140 Rn. 26. 140 Vgl. KK-Laufhütte, § 140 Rn. 11; KMR-Müller, § 140 Rn. 7; vgl. den Bericht der Abgeordneten Eylmann und Singer – Rechsausschuß, BT-Drucks. 11/1933, S. 5; zurückhaltend: LR-Lüderssen, § 140 Rn. 96. 141 Umfassend zur Zuständigkeit in anderen Fällen notwendiger Verteidigung: H. Schmidt, S. 228 ff., vgl. ferner die Darstellung zu den einzelnen Bestellungsgrundlagen. 142 Wird der Verteidiger durch das Kollegialgericht bestellt, so ist dies nach umstrittener Auffassung nicht unschädlich, vgl. Meyer-Goßner, § 141 Rn. 6 m. w. N. 143 Die Verteidigung war nicht notwendig oder das Auswahlverfahren nach § 142 wurde nicht eingehalten, vgl. Wolf, S. 233; H. Schmidt, S. 140.

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Während des Ermittlungsverfahrens ergibt sich die Zuständigkeit des Vorsitzenden des zukünftigen Gerichts aus dem Vorgehen der Staatsanwaltschaft, zu welchem Gericht sie Anklage erheben will144. Wenn anerkannt wird, daß der Vorsitzende von sich aus oder auf Antrag des Beschuldigten einen Verteidiger bestellen kann, so hat er eine Stellungnahme der Staatsanwaltschaft und deren Unterlagen anzufordern, um seine Zuständigkeit zu überprüfen145. Die Bestellung erfolgt grundsätzlich durch ausdrückliche Anordnung oder Verfügung146; auch durch schlüssiges Verhalten ist sie möglich147. Lehnt der Vorsitzende die Bestellung eines Pflichtverteidigers nach § 141 IV ab, so ist der Beschluß gemäß § 34 zu begründen148. II. Auswahlverfahren nach § 142 Das Bundesverfassungsgericht entschied149, daß „es in der Regel geboten sei“ dem Beschuldigten den Anwalt seines Vertrauens beizuordnen, wenn nicht besondere Gründe entgegenstünden. Der Betroffene habe jedoch keinen Anspruch auf Beiordnung eines bestimmten Verteidigers; er müsse die Umstände darlegen, die für die Bestellung eines nicht ortsansässigen Rechtsanwalts sprächen. Dem stimmte auch die überwiegende Lehre zu150. Im Jahr 1987 wurden durch das StVÄG § 142 I 2 und Satz 3 eingefügt. Danach hat der Vorsitzende den Verteidiger zu bestellen, den der Beschuldigte ausgewählt hat, es sei denn es stehen wichtige Gründe entgegen, § 142 I 3. Der Wunsch des Beschuldigten wird nach § 142 I 2 berücksichtigt; er soll innerhalb einer Frist151 eine bestimmte Person als Verteidiger vorschlagen152. Die Auffor144 AK-Stern, § 141 Rn. 26; LR-Lüderssen, § 141 Rn. 16; KMR-Müller, § 141 Rn. 8 (a. A. noch: KMR, 6. Auflage, § 141 Rn. 2 a: Zuständigkeit des Vorsitzenden eines jeden möglich zuständigen Gerichts – kritisch: H. Schmidt, S. 221 f. im Hinblick auf sich widersprechende Entscheidungen). 145 H. Schmidt, S. 222 f.; nach Engelhardt ist im Ermittlungsverfahren der Ermittlungsrichter nach § 162 für die Bestellung des Verteidigers zuständig (KK-Engelhardt, § 406 g Rn. 5); vgl. ferner Tondorf, Rn. 80, für ein Vorgehen der Staatsanwaltschaft im Rahmen einer Sachverständigenbestellung; wohl auch Sarstedt (NJW 1968, 177, 179) für eine Bestellung durch den Richter im Rahmen der Auswahl eines Sachverständigen. Dieser Auffassung ist angesichts des insoweit eindeutigen Wortlauts von § 141 IV zu widersprechen, vgl. unten: Kap. 5, § 3 D. 146 LR-Lüderssen, § 141 Rn. 27; Meyer-Goßner, § 141 Rn. 7. 147 So u. a. durch Zustellung der Anklageschrift und durch Gewährung von Akteneinsicht, vgl. AK-Stern, § 141 Rn. 18. 148 Vgl. LR-Lüderssen, § 141 Rn. 27. 149 BVerfGE 9, 36 ff. 150 Vgl. zur gesetzlichen Lage vor dem StVÄG 1987 vom 27.01.1987 (BGBl. I, S. 475): Hartmann-Hilter, S. 183 ff. 151 Zur Dauer der Frist: AK-Stern, § 142 Rn. 26 – mindestens eine Woche; in Eilfällen kann eine fernmündliche Aufforderung ausreichen oder darauf verzichtet wer-

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3. Kap.: Bestellung von Verteidigern und Beiständen

derung zur Bezeichnung nach § 142 I 2 soll nach umstr. Meinung bei einer Verteidigerbestellung anläßlich einer Anklageerhebung mit Zustellung der Anklageschrift erfolgen153. Die Frist zur Benennung eines Verteidigers nach § 142 I 2 sei dann kürzer zu bemessen als die der Erklärung zur Anklage nach § 201 I. Der Beschuldigte hat nun regelmäßig einen Anspruch auf Bestellung des von ihm vorgeschlagenen Verteidigers154, wenn auch nach h. M. keinen unbedingten. Der Wunsch des Beschuldigten auf Bestellung der von ihm bezeichneten Person ist danach den Grenzen des § 142 I 3 unterworfen155. Der von ihm ausgewählte Verteidiger ist zu bestellen, wenn nicht wichtige Gründe entgegenstehen156. Die h. M. gewährt dem Vorsitzenden insoweit ein Ermessen157. Nach h. M.158 überlagert § 142 I 1 den Satz 3. Das Kriterium der Ortsnähe bildet danach einen wichtigen Grund für eine Ablehnung des Beschuldigtenwunsches. Es wird jedoch davon ausgegangen, daß bei nicht „allzu weiter“ Entden, vgl. BGH NStZ 1997, 401; HK-Julius, § 142 Rn. 4 m. w. N.; Roxin, 19/28; bei erforderlicher, jedoch unterbliebener Anhörung ist das Recht nach Art. 103 I GG auf rechtliches Gehör verletzt, vgl. Schlothauer, StV 1981, 443 (448). 152 Dadurch wird die „Soll“-Vorschrift grundsätzlich zu einer Anhörungspflicht, vgl. Knell-Saller, S. 117; es besteht eine grundsätzliche Pflicht zur Anhörung, eine Ausnahme wird u. a. angenommen, wenn der Beschuldigte auf sein Recht verzichtet, vgl. HK-Julius, § 142 Rn. 4. Wenn die Bestellung des gewünschten Verteidigers abgelehnt wird, könnte auch die Setzung einer Nachfrist erforderlich sein, HK-Julius, § 142 Rn. 10; AK-Stern, § 142 Rn. 27. 153 Meyer-Goßner, § 141 Rn. 3, § 142 Rn. 10; Vogelsang, S. 121 f.; Hartmann-Hilter, S. 152 f.; Oellerich, StV 1981, 434 (441); a. A. (Bestellung und Erklärungsaufforderung nach § 201 wollen miteinander verbinden): LR-Lüderssen, § 141 Rn. 19 m. w. N.; KK-Laufhütte, § 141 Rn. 4; für eine Verteidigerbestellung nach Anordnung der Zustellung: Wolf, S. 228 f. 154 Wolf, S. 227; AK-Stern, § 142 Rn. 11 ff. 155 BGH NJW 1997, 3385 f.; KK-Laufhütte, § 142 Rn. 7; Krey I, Rn. 717; auch hat der bezeichnete Verteidiger keinen Anspruch auf Bestellung in einer bestimmten Sache, vgl. Neuhaus, ZAP F 22, 147 (161); für einen Rechtsanspruch des Beschuldigten u. a.: KMR-Müller, § 142 Rn. 1, Rn. 9; Barton, S. 210 f. 156 Vgl. BGH NJW 2001, 237 f.; OLG München StV 1993, 180; vgl. LR-Lüderssen, § 142 Rn. 22: es wird „kaum Fälle geben“, die ein Abweichen rechtfertigen; vgl. zu möglichen Fallgruppen: HK-Julius, § 142 Rn. 6 f. 157 BGH NJW 1997, 3385 f.; Tiemer, S. 122; Hilgendorf, NStZ 1996, 1 (3); Eisenberg, NJW 1991, 1257 (1262); ein Auswahlermessen des Vorsitzenden nach § 142 I 1 wird von einer Mindermeinung lediglich dann angenommen, wenn dem Wunsch des Beschuldigten nicht zu folgen ist, ansonsten wende der Vorsitzende den unbestimmten Rechtsbegriff des wichtigen Grundes an, vgl.: HK-Julius, § 142 Rn. 10; AK-Stern, § 142 Rn. 11 ff.; Knell-Saller, S. 117 m. w. N. Lediglich, wenn der Beschuldigte keinen Verteidiger benennt, hat der Vorsitzende nach allgemeiner Ansicht ein Ermessen, vgl. Barton, S. 100 f., 209 ff. 158 BGH NJW 1997, 3385; Meyer-Goßner, § 142 Rn. 11; a. A.: LR-Lüderssen, § 142 Rn. 22; Knell-Saller, 120 ff. m. w. N.

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fernung das Vertrauensverhältnis Vorrang vor der Ortsnähe genießt159. Es müssen die Gründe benannt werden, die das Vertrauensverhältnis zum auswärtigen Verteidiger ausmachen, es sei denn sie liegen „auf der Hand“160. Als wichtige Gründe, die eine Ablehnung des vom Beschuldigten bezeichneten Verteidigers rechtfertigen, werden u. a. ein Verstoß gegen § 146, die Gefährdung des Verfahrens oder fehlende Spezialkenntnisse anerkannt161. Im Rahmen der Auswahl nach § 142 hat der Vorsitzende die Vorschrift des § 138 I zu beachten. Sie enthält eine Auflistung der von Gesetzes wegen zugelassenen, § 138 II die durch richterliche Genehmigung anerkannten Verteidiger. Diese Vorschrift gestattet auch die Wahl anderer Personen. In der Regel wird diesen die besondere Befähigung nicht zuerkannt162. III. Wirkung der Beiordnung Es sind die verschiedenen Rechtsverhältnisse innerhalb der Beziehungen zwischen Staat, Beschuldigtem und Verteidiger zu unterscheiden. Die Bestellung ist nach allgemeiner Auffassung staatlicher Hoheitsakt163. 1. Beziehung zwischen Verteidiger und Staat Durch die Bestellung wird für den Rechtsanwalt164 die standesrechtliche Pflicht statuiert, die Verteidigung zu übernehmen, vgl. § 49 BRAO. In der Praxis tritt diese Verpflichtung wohl selten gegen seinen ausdrücklich erklärten Willen ein165.

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Vgl. Meyer-Goßner, § 142 Rn. 11 f. OLG Rostock StraFo 2002, 85; KK-Laufhütte, § 142 Rn. 5; so z. B. bei Beiordnung des bisherigen Wahlverteidigers; zu weiteren Anforderungen an die Beiordnung des bisherigen Wahlverteidigers durch die Rspr.: HK-Julius, § 142 Rn. 9 m. w. N. 161 Vgl. dazu Neuhaus, ZAP F 22, 147 (159 ff.). 162 Vgl. Roxin, 19/32. 163 Wasserburg, GA 1982, 304 (311); Schnarr, NStZ 1986, 488 (492); ferner: Rosenfeld, S. 25: vergleichbar der Bestellung eines Vormunds oder eines Pflegers. 164 Hochschullehrer sind nach h. M. im Gegensatz zu Rechtsanwälten (vgl. § 49 I BRAO) nicht verpflichtet, die Verteidigung zu übernehmen (vgl. KK-Laufhütte, § 142 Rn. 3; LR-Lüderssen, § 142 Rn. 33), können jedoch der Bestellung zustimmen. Rechtsreferendare können nur eingeschränkt zum Verteidiger bestellt werden, vgl. § 142 II und Nr. 107 I 1 RiStBV; nach Nr. 107 I 2 RiStBV soll die Gebührenersparnis für ihre Bestellung unberücksichtigt bleiben. 165 Vgl. Neuhaus, ZAP F 22, 147 (162). Neuhaus weist ferner auf die bei vielen Landgerichtsbezirken vorliegenden Formulare hin, in denen die Assessoren nach ihrer Bereitschaft zu Pflichtverteidigungen gefragt werden. 160

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3. Kap.: Bestellung von Verteidigern und Beiständen

a) Bestellung des Verteidigers als Vertrag166 Lüderssen167 sieht den Bestellungsakt als hoheitlich eingeleitetes Vertragsverfahren an, wenn der Beschuldigte der Pflichtverteidigerbestellung zustimmt, oder als GoA, wenn der Beschuldigte sie ablehnt168. Der Wille des Beschuldigten als Geschäftsherr, der sich mit der Geschäftsführung explizit nicht einverstanden erklärt, werde durch die Bestellung überspielt, vgl. § 679 BGB. Jedoch sei der Beschuldigte in den Grenzen der §§ 134, 138, 276 BGB nach § 665 BGB zur Weisung gegenüber dem Verteidiger befugt. Es ist fraglich, ob dem Beschuldigten ein solch umfassendes Weisungsrecht zuzugestehen ist, beruhen doch die Fallgruppen des § 140 auch nach der Vorstellung Lüderssens auf einem (vermuteten) Autonomiedefizit. Auch kann die Konzeption das Institut der aufgezwungenen notwendigen Verteidigung schwer erklären169. Ferner kann allein der Beiordnungsbeschluß einen Kontrahierungszwang nicht begründen170. Sonst müßten auch Hochschullehrer allein durch diesen verpflichtet werden können; dies ist jedoch nach h. M. nicht möglich171. Jahn172 wendet auf sämtliche Fälle der Pflichtverteidigerbestellung (unabhängig von den Wünschen des Beschuldigten) die Vertretungsregeln an. Bestellt der Vorsitzende ohne Vorschlag des Beschuldigten einen Verteidiger gemäß § 142 I 1173, so gebe er eine eigene Willenserklärung nach § 164 I BGB auf Abschluß eines Vertrages gegenüber dem Verteidiger ab174. Sie erfolge im Namen des Beschuldigten. Die Vertretungsmacht des Vorsitzenden ergebe sich aus § 142 I 1. 166

Dagegen: Wolf, S. 230 ff., 236 f. LR-Lüderssen, Vor § 137 Rn. 58 ff., § 141 Rn. 3. 168 LR-Lüderssen, Vor § 137 Rn. 67 ff., Rn. 73 f., § 141 Rn. 7 f.; zustimmend: Barton, S. 267 mit Fn. 42; vgl. ferner AK-Stern, Vorbem. § 140 Rn. 24, der ein staatliches Angebot zum Abschluß eines Vertrages zugunsten des Beschuldigten annimmt (§ 328 I BGB); siehe auch Vogelsang (S. 109 ff., 115 f.) zu einem organschaftlich konzipierten Vertragsmodell zugunsten Dritter: Der Beschuldigte habe einen Anspruch darauf, daß der Verteidiger tätig wird, wie er verfahre bestimme letzterer. 169 Roxin, 19/3. 170 Vogelsang, S. 109 ff., 114; vgl. ferner: Wolf, S. 240 ff. 171 Lüderssen meint, dem Vorwurf mit dem Hinweis auf die historisch gewachsene Konzession einer Verteidigungsmöglichkeit durch die Hochschullehrer begegnen zu können, vgl. LR-Lüderssen, § 142 Rn. 33. 172 Jahn (S. 243 ff.). 173 Sei es aus Dringlichkeit, oder deshalb, weil der Beschuldigte keinen Vorschlag unterbreiten wird. 174 Eine reine Tätigkeit als Abschlußvermittler (§ 652 I 1 BGB analog, §§ 84 ff. HGB, so angenommen von LR-Lüderssen, vor § 137 Rn. 62) liegt hier nicht vor. Für eine inhaltlich materielle Tätigkeit ergeben sich Anhaltspunkte aus der ihm zustehenden Auswahlmöglichkeit in den nach § 142 I gesetzten Grenzen, Jahn, JR 1999, 1 (4 f. m. w. N.). 167

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Wenn der Beschuldigte den Verteidiger nach § 142 I 2 benenne, so sei der Vorsitzende einem Vertreter mit gebundener Marschroute vergleichbar, gebe also noch eine eigene Willenserklärung ab. Seine Vertretungsmacht beruhe in diesem Fall auf § 166 II BGB. Die Ermächtigung erfolge auch als Empfangsvertreter für die Annahmeerklärung des Verteidigers175. Gegen die Qualifizierung der Bestellung als Vertrag spricht jedoch deren einseitiger Charakter, dies auch schon aufgrund der sprachlichen Bedeutung einer „Bestellung“. So erfolgt die Pflicht zur Übernahme allein durch den Bestellungsakt des Vorsitzenden, ohne daß es einer Erklärung durch den Verteidiger bedurfte. Er kann lediglich den Antrag stellen, die – allein durch die Bestellung des Vorsitzenden wirksame – Standespflicht nach § 49 II i. V. m. 48 II BRAO aufzuheben176. b) Bestellung des Verteidigers als „Ersatzvornahme“ durch den Staat177 Die Bestellung eines Pflichtverteidigers könnte einer Ersatzvornahme angenähert sein. Als Oberbegriff ist die Ersatzvornahme in verschiedenen Rechtsgebieten vorzufinden, insbesondere in folgenden Ausprägungen: Im öffentlichen Recht ist sie ein Mittel des Polizei- und Verwaltungszwangs (vgl. § 10 VwVG). Auch im Bereich der Kommunalaufsicht wird sie angewendet (vgl. § 120 II GO NW; § 10 OBG NW). Im Zivilprozeß ist sie ein Vollstreckungsmittel, vgl. § 887 ZPO. Die Ersatzvornahme ist die ersatzweise Vornahme einer zivilrechtlich oder öffentlich-rechtlich geschuldeten (vertretbaren) Handlung an Stelle und auf Kosten des Handlungspflichtigen178. Der Beschuldigte schuldet jedoch auch in Fällen notwendiger Verteidigung keine Beauftragung eines Wahlverteidigers179 (vgl. § 137 I 1). Er muß sich vielmehr verteidigen lassen. Diese Duldung ist jedoch keine vertretbare Handlung180, die im Wege der Ersatzvornahme vollstreckt werden könnte. Somit ist dieser Gedanke abzulehnen.

175 Jahn, JR 1999, 1 (5); kritisch zu dieser Argumentation: LR-Lüderssen, Vor § 137 Rn. 76. 176 Vgl. Wolf, S. 230 ff. Anderes gilt insofern für die Bestellung eines Hochschullehrers zum Verteidiger. Diese Ausnahme kann jedoch das vorgenannte Argument nicht entkräften. 177 Vgl. auch B. Schneider, S. 29. 178 Mertens, S. 1 f.; Hauck, S. 47. 179 Schlüchter, Strafverfahren, Rn. 106. 180 Vgl. Engelhard/App, § 10 VwVG Rn. 6; Schenke, Rn. 553.

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3. Kap.: Bestellung von Verteidigern und Beiständen

c) Besondere Form der Indienstnahme Privater zu öffentlichen Zwecken Nach dem Bundesverfassungsgericht gleicht die Bestellung des Pflichtverteidigers durch den Vorsitzenden des Gerichts nach Inhalt und Qualität einem begünstigenden Verwaltungsakt. Es sei eine besondere Form der Indienstnahme Privater zu öffentlichen Zwecken181. Dafür spricht spricht sich auch ein Teil der Lehre aus182. Durch die Bestellung entstehe ein öffentlich-rechtliches Pflichtenverhältnis, welches darin bestehe, neben der Übernahme der Pflichtverteidigung bei der ordnungsgemäßen Durchführung des Strafverfahrens und insbesondere in der Hauptverhandlung durch sachdienliche Verteidigung des Angeklagten mitzuwirken183. Die Charakterisierung der Bestellung als begünstigender Verwaltungsakt184 hat auch Ablehnung erfahren. Zum Teil wird der begünstigende Charakter der Bestellung bestritten. So gleiche im Falle eines Beschuldigten, der keinen Verteidiger wünsche, die Bestellung eher einem belastenden Verwaltungsakt. Lediglich wenn ein Vertrauensverteidiger bestellt werde, sei eine Begünstigung anzunehmen185. Doch ist schon die Qualität eines Verwaltungsaktes abzulehnen. Nach dem funktionalen Behördenbegriff ist Behörde jede Stelle, die Aufgaben der Verwaltung wahrnimmt. Verwaltungsaufgaben werden nach der h. M. definiert als Staatstätigkeit, die weder Gesetzgebung noch Rechtsprechung ist186. Jedoch können auch Organe der Judikative Verwaltungstätigkeiten wahrnehmen187. Die Feststellung, ob eine notwendige Verteidigung vorliegt und damit ein Verteidiger zu bestellen ist, ist Rechtsprechung188. Die Bestellung (inkl. Auswahl) ist eine Verfügung und damit eine Maßnahme der Prozeßleitung, die ebenfalls der Rechtsprechung zuzuordnen ist189. Der Vorsitzende nimmt keine Verwaltungstä181 Grundlegend BVerfG NJW 1975, 1015 f.; kritisch: LR-Lüderssen, Vor § 137 Rn. 71 ff. 182 Feuerich/Weyland, § 49 BRAGO Rn. 1; Greffin, S. 48 f.; Schorn, S. 66: Verwaltungsakt durch den Vorsitzenden des Gerichts; ferner: Schlothauer, StV 1981, 443 (447). 183 Meyer-Goßner, § 142 Rn. 14; Hartung/Holl, (Hartung) § 49 BRAO Rn. 8; dies folge auch aus der Stellung des Rechtsanwalts als Organ der Rechtspflege, so Ahrens, S. 31. 184 Der Verwaltungsakt nach § 35 S. 1 VwVfG setzt voraus, daß eine Behörde auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts eine Maßnahme zur Regelung eines Einzelfalls getroffen hat, welche Außenwirkung entfaltet. 185 Rath, S. 136 ff. 186 Vgl. zur Begriffsbestimmung die Nachweise bei Ehlers, in: Erichsen/ders. (Hrsg.), 1/5 ff. 187 Kopp/Ramsauer, § 1 VwVfG Rn. 51 ff., 56 f.; Erichsen, in: Ders./Ehlers (Hrsg.), 12/16 f. 188 Wolf, S. 231.

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tigkeit wahr und ist damit keine Behörde nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz, vgl. § 1 IV VwVfG190. Damit läßt sich die Bestellung nach § 141 IV als eine öffentlich-rechtliche Tätigkeit umschreiben, die der Rechtsprechung zuzuordnen ist. Eine Vergleichbarkeit mit einem Verwaltungsakt scheidet demnach aus. 2. Beziehung zwischen Beschuldigtem und Verteidiger Selbst wenn eine öffentlich-rechtliche Pflicht durch die Bestellung zum Pflichtverteidiger anzunehmen ist, so bleibt davon das Innenverhältnis insofern unberührt, als sich die Beistandspflicht durch die Bestellung nicht schmälert, oder der Pflichtverteidiger andere Aufgaben hätte als der Wahlverteidiger191. Aufgrund der vorigen Stellungnahme gegen die Vertragstheorien im Bereich der Pflichtverteidigung ist zwischen dem bestellten Pflichtverteidiger und dem Beschuldigten lediglich ein gesetzliches Schuldverhältnis anzunehmen192. IV. Dauer der Bestellung Wenn die Bestellung nicht ausdrücklich beschränkt wird193, so ist sie auszulegen. Hierzu kann der Umfang der notwendigen Verteidigung herangezogen werden194. Im Rahmen von § 140 II kann sie nach h.A. auf bestimmte Verfahrensabschnitte beschränkt werden195. Wenn man ein Ermessen des Vorsitzenden 189

Meyer-Goßner, § 238 Rn. 5, § 141 Rn. 7; Wolf, S. 232. Jahn, JR 1999, 1 (3); insofern sind weitere Überlegungen, ob eine Qualifizierung als Verwaltungsakt lediglich für die Bestellung durch den im Ermittlungs- oder Zwischenverfahren tätigen Vorsitzenden des Gerichts zu gelten hat (so Vogelsang, S. 107), überflüssig. Gegen einen solchen Gedankengang spricht auch eine einheitliche Charakterisierung des Bestellungsaktes nach § 141 IV. 191 Wolf, S. 237; Neuhaus, ZAP F 22, 147 (163). 192 Vgl. Riedel/Sußbauer/Fraunholz, § 100 Rn. 7 f. 193 Vgl. zu den vom Vorsitzenden zu beschränkenden Bestellungsbeschlüssen nach §§ 117 IV, 118 a II 2 (i. V. m. § 126 a II) und 138 c III 4 die Darstellung der einzelnen Beiordnungsgrundlagen. 194 Wolf, S. 234; H. Schmidt, S. 145. 195 KK-Laufhütte, § 140 Rn. 20; AK-Stern, § 141 Rn. 23, § 142 Rn. 3; LR-Lüderssen, § 141 Rn. 31; z. B.: auf den ersten Rechtszug (KMR-Müller, § 140 Rn. 7; Vogelsang, S. 61 f. mit Fn. 4) oder auf die Revisionsbegründung (OLG Hamm, MDR 1976, 1038); zur Frage, inwiefern dies für einzelne Teile der Hauptverhandlung gilt, vgl. H. Schmidt, S. 153; wenn das Gesetz (vgl. §§ 117 IV, 118 a II – i. V. m. §§ 126 a II, 138 c III 4, 142 II) eine beschränkte Verteidigerbestellung nicht vorsieht, so halten eine Beschränkung für wirkungslos: Hartmann-Hilter, S. 171; Wolf, S. 235; Wasserburg, GA 1982, 304 (312). Zur Ablehnung einer Beschränkung der Bestellung auf eine vorweggenommene Zeugenvernehmung vgl. auch BGHSt 46, 93 (101), wonach die Staatsanwaltschaft die 190

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im Rahmen der Bestellung nach § 140 II 1 verneint, so verbietet sich konsequenterweise deren Beschränkbarkeit auf einzelne Verfahrensabschnitte. Liegen keine Anhaltspunkte vor, so erstreckt sich die – auch für Termine vor beauftragtem und ersuchtem Richter196 gültige – Bestellung im tatrichterlichen Verfahren nach h.M nicht auf die Mitwirkung in der Revisionshauptverhandlung197, hierfür sei § 350 III einschlägig. Jedoch wird angenommen, daß eine Bestellung im Ausgangsverfahren auch für einen Wiederaufnahmeantrag bis zur Rechtskraft des Beschlusses nach § 370 II wirksam ist198. V. Anfechtbarkeit der (unterbliebenen) Bestellung nach § 140 i. V. m. §§ 141 IV, 142 1. Unterbliebene Pflichtverteidigerbestellung Zunächst ist der Rechtsschutz gegen die unterbliebene Pflichtverteidigerbestellung darzustellen. a) Beschwerde Die Ablehnung der Bestellung durch den Vorsitzenden des Gerichts199 (auch in der Hauptverhandlung200) ist durch den Beschuldigten nach § 304 I anfechtbar. Eine weitere Beschwerde gemäß § 310 II ist nicht möglich. Auch das Unterlassen einer Bestellung kann angefochten werden201. Bestellung nach § 141 III für das Vorverfahren zu beantragen hatte und nicht nur für die einzelne Zeugenvernehmung. 196 BGH NJW 1952, 1426. 197 Vgl. BVerfG NJW 1978, 151; BGH NJW 1964, 1035 f.; NJW 1984, 2480 (2481); KK-Laufhütte, § 141 Rn. 10, § 140 Rn. 6; KMR-Müller, § 140 Rn. 6; HKTemming, § 350 Rn. 13; Roxin, 19/33. Eine ausdrückliche Erstreckung der Bestellung auf die Revisionshauptverhandlung halten für möglich: LR-Dünnebier (23. Auflage), § 141 Rn. 37; Oellerich, StV 1981, 434 (435). Für eine Bestellung einschließlich der Revisionshauptverhandlung: LR-Lüderssen, § 141 Rn. 28 f.; SK-Wohlers, § 350 Rn. 19 m. w. N.; Wolf, S. 234 f. Zur Erstreckung der Bestellung auf das Vollstreckungsverfahren: Peters, Lehrbuch, S. 217; Litwinski/Bublies, S. 146 ff., Hartmann-Hilter, S. 168 ff. 198 LR-Gössel, § 364 a Rn. 3; LR-Lüderssen, § 141 Rn. 28 m. w. N.; Meyer-Goßner, § 140 Rn. 33 und § 364 a Rn. 2; Pfeiffer, § 364 a Rn. 1; KK-Schmidt, § 364 a Rn 1 m. w. N.; KMR-Paulus, § 364 a Rn. 3; Schäfer, Rn. 79; a. A.: (Rechtskraft des Urteils): KK-Laufhütte, § 141 Rn. 10; SK-Frister/Deiters, § 364 a Rn. 3 ff. 199 Pfeiffer, § 141 Rn. 4. 200 Vgl. OLG Düsseldorf StraFo 1999, 124; Meyer-Goßner, § 141 Rn. 10; LR-Lüderssen, § 141 Rn. 48; AK-Stern, § 140 Rn. 60 ff. m. w. N. auch zur Gegenmeinung; entscheidet der Vorsitzende des Oberlandesgerichts oder des Bundesgerichtshofs, ist die Beschwerde nicht statthaft, § 304 IV; vgl. zum Auschluß der Beschwerde bei fehlendem Rechtsschutzbedürfnis: H. Schmidt, S. 240.

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b) Revision Die Entscheidung über die u. U. schon im Ermittlungsverfahren (nicht) erfolgte Bestellung ist nach § 336 S. 1 auch der Revision zugänglich202. Ist in einem Fall notwendiger Verteidigung kein Pflichtverteidiger bestellt worden oder ist dieser in der Hauptverhandlung abwesend203, so ergibt sich unter Beachtung der Begründungsanforderungen von § 344 II204 der absolute Revisionsgrund nach § 338 I Nr. 5205. Nach h. M. stellt diese Vorschrift auf einen wesentlichen Teil der Hauptverhandlung ab206. Wenn der betreffende Teil der Hauptverhandlung in Anwesenheit des Verteidigers wiederholt wird, so ist § 338 I Nr. 5 nicht einschlägig207. Neben einer Verletzung von § 338 I Nr. 5 kommt eine solche nach § 338 I Nr. 8 und § 337 in Betracht208. Bei unterbliebener Verteidigerbestellung lediglich im Ermittlungsverfahren kommt eine Revision nach § 337 in Betracht209. Das Urteil muß auf dem Gesetzesverstoß beruhen. 2. Anfechtung einer unter Verstoß gegen § 142 erfolgten Bestellung Die Bestellung eines Pflichtverteidigers ist durch den Beschuldigten nach h. M. grundsätzlich nicht mit der Beschwerde angreifbar210. Sie ist jedoch zulässig, wenn die Auswahlgrundsätze von § 142 nicht eingehalten worden sind211. 201

LG Köln StV 2001, 344; KK-Laufhütte, § 141 Rn. 13. BGHSt 39, 310 (311 f.); KK-Kuckein, § 336 Rn. 5; Meyer-Goßner, § 141 Rn. 11; Pfeiffer, § 141 Rn. 5; Hartmann-Hilter, S. 194. 203 Auch bei körperlicher Anwesenheit, wenn er erkennbar verhandlungsunfähig ist. Allein die Tatsache, daß ein anwesender Verteidiger die Verteidigung nicht ordnungsgemäß geführt hat oder nicht ausreichend vorbereitet war, genügt nicht, vgl. BGH NStZ 2000, 212 f.; Meyer-Goßner, § 338 Rn. 41. 204 Vgl. zur Mitteilung der Umstände, aus denen sich die Notwendigkeit ergibt: OLG Hamm NStZ-RR 2001, 373; OLG Köln NStZ-RR 1997, 336; eine Nichtbeachtung von § 140 II muß substantiiert dargelegt werden, vgl. AK-Stern, § 140 Rn. 89 m. w. N. 205 BGHSt 9, 243 ff.; vgl. die weiteren Nachweise bei Hartmann-Hilter, S. 194; dies ist auch im Fall des § 140 II, 145 I 1 anzunehmen, wenn dessen Voraussetzungen vorlagen, der Vorsitzende jedoch keinen Verteidiger bestellt hat, vgl. BGHSt 15, 306 ff.; KK-Laufhütte, § 140 Rn. 27 m. w. N.; LR-Hanack, § 338 Rn. 94. 206 Vgl. BGH StV 1991, 197; KK-Laufhütte, § 140 Rn. 4; LR-Lüderssen, § 141 Rn. 54 ff.; AK-Stern, § 140 Rn. 90 m. w. N.; Meyer-Goßner, § 338 Rn. 36; kritisch: LR-Hanack, § 338 Rn. 84; Eb. Schmidt, Nachtrag I, § 140 Rn. 5; H. Schmidt, S. 50 ff.; einschränkend: Sarstedt/Hamm, Rn. 378 ff. 207 Vgl. H. Schmidt, S. 250 f. 208 KK-Laufhütte, § 140 Rn. 27 f. m. N. aus der Rspr.; H. Schmidt, S. 254 f.; Vogelsang, S. 159 f. 209 Hartmann-Hilter, S. 194; Beulke, BMJ-Vert, S. 170 (188); vgl. dazu unten: Kap. 6, § 5 A. 202

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Ferner kommt eine Revision gegen die Bestellung nach § 337 in Betracht212. Ein Verstoß gegen § 142 I 2 allein soll nicht genügen; das Auswahlermessen muß nicht beachtet worden sein213. 3. Anfechtung der Bestellung durch den Verteidiger Der Verteidiger kann die Aufhebung der Bestellung nach §§ 49, 48 II BRAO beantragen214; ausnahmsweise ist auch er beschwerdebefugt nach § 304215. Gegen die unterlassene Bestellung hat er nach herrschender Auffassung kein Beschwerderecht216. VI. Abberufung des Pflichtverteidigers Grundsätzlich erlischt die Pflichtverteidigerbestellung mit rechtskräftigem Abschluß des Verfahrens217. Sie endet ferner mit Eintritt der die zulässige Beschränkung auslösenden Konstellation, oder beim Tod des Pflichtverteidigers. Auch wenn der Vorsitzende die Bestellung zurücknimmt, endet die Pflichtverteidigung (§ 141 IV analog)218. Bei Wegfall der für die Pflichtverteidigung erforderlichen Qualifikation wird der Verteidiger abberufen219. Eine Verteidigerbestellung nach § 140 I Nr. 5 kann gemäß § 140 III 1 aufgehoben werden. Eine Bestellung kann nach § 141 210 Vgl. BVerfG NJW 1998, 2205; KK-Laufhütte, § 141 Rn. 13; AK-Stern, § 141 Rn. 36; H. Schmidt, S. 241 f.; a. A.: SK-Paeffgen, § 418 Rn. 23; Pfeiffer, § 418 Rn. 4; Wolf, S. 241; zum Beschwerderecht bei der Zwangsverteidigung: OLG Karlsruhe NStZ-RR 2000, 337; HK-Julius, § 141 Rn. 15. 211 U. a. bei Nichtberücksichtigung des Vorschlagrechts nach § 142 I 2, vgl. HKJulius, § 142 Rn. 16; Pfeiffer, § 141 Rn. 4; AK-Stern, § 141 Rn. 37. 212 Auch wird der absolute Revisionsgrund nach § 338 I Nr. 5 erwogen: Eine fehlerhafte Ermessensausübung nach § 142 wirke sich dahingehend aus, daß der Verteidiger, dessen Mitwirkung das Gesetz verlange, nicht anwesend sei, vgl. Hartmann-Hilter, S. 198; ferner: Lüderssen, NStZ 2001, 606. 213 BGH StV 2001, 3 f.; KK-Laufhütte, § 142 Rn. 12; Roxin, 19/28. 214 Vgl. hierzu Dethlefsen, S. 190 ff. 215 So, wenn auf unzulässige Bedingungen bei der Beiordnung hingewiesen wird: AK-Stern, § 141 Rn. 32; HK-Julius, § 141 Rn. 16, 14; wenn ein Pflichtverteidiger neben dem Beschwerdeführer bestellt werden soll, vgl. AK-Stern, § 142 Rn. 32; Neuhaus, ZAP F 22, 147 (161). Wolf (S. 241) tritt für eine generelle Anfechtbarkeit der Bestellung durch den Pflichtverteidiger ein. 216 Vgl. LR-Lüderssen, § 141 Rn. 52; Pfeiffer, § 141 Rn. 4; dagegen: Barton, S. 217. 217 Vgl. oben: Kap. 3, § 1 IV. 218 Vgl. LR-Lüderssen, § 143 Rn. 14. 219 So u. a. bei Berufsverbot, Erlöschen der anwaltlichen Zulassung, Wegfall des Hochschullehrer- oder Referendarstatus, oder im Fall der §§ 146, 146 a I 1 2. Alt.,

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zurückgenommen werden, wenn die Voraussetzungen notwendiger Verteidigung nach § 140 I Nr. 1, Nr. 2 Nr. 3 und Nr. 8 entfallen220. Angesichts des Vertrauensschutzes für den Beschuldigten ist dies jedoch nur ausnahmsweise möglich. So rechtfertigt eine andere Beurteilung der Voraussetzungen nach § 140 II allein die Rücknahme der Bestellung nicht, die Umstände müssen sich wesentlich verändert haben221. Nach § 143 ist die Bestellung zurückzunehmen, wenn der Beschuldigte einen Verteidiger mandatiert und dieser die Wahl annimmt222. Darüber hinaus wird ein Widerruf aus wichtigem Grund von der h. M.223 anerkannt224. Eine Widerrufsmöglichkeit wird u. a. bei dem Fehlen oder Wegfall des Vertrauensverhältnisses angenommen. Dabei müßten konkrete Umstände vorliegen, die eine (Zer)störung des Vertrauensverhältnisses darlegen, sodaß anzunehmen ist, die Verteidigung könne nicht (mehr) sachgerecht geführt werden225. Beschuldigter und Verteidiger müßten dies grundsätzlich substantiiert darlegen226. Gegen eine solche Darlegung im Fall eines gegen oder ohne Willen des Beschuldigten beigeordneten Verteidigers wird die Subjektstellung des Beschuldigten hervorgehoben. Auch wenn der Verteidiger zunächst das Vertrauen des Beschuldigten genieße, so sei eine solche substantiierte Darlegung abzulehnen. Vielmehr sei dem Antrag des Beschuldigten in den Fällen des konsentierenden Verteidigers stattzugeben, solange sich kein Rechtsmissbrauch ergebe. Die Gefahr der Offenlegung des Verteidigungsplans durch den Beschuldigten sei damit gebannt227. Pflichtverletzungen von besonderem Gewicht rechtfertigten ebenfalls die Abberufung des Pflichtverteidigers aus wichtigem Grund228. Schon ein unzweckdazu: Dethlefsen, S. 134 ff.; zur Zurücknahme der Bestellung bei angenommener „Unfähigkeit“ des Verteidigers vgl. H. Schmidt, S. 159 f. 220 Vgl. LR-Lüderssen, § 143 Rn. 8; kritisch hierzu: Wolf, S. 251 f. 221 BGHSt 7, 69 ff.; OLG Stuttgart StV 2001, 329 f.; OLG Düsseldorf StV 1995, 117 f.; Meyer-Goßner, § 140 Rn. 34. 222 Das Merkmal „demnächst“ ist insoweit irreführend, vgl. Dethlefsen, S. 123; zu den durch die Praxis anerkannten Ausnahmen, bei deren Vorliegen die Bestellung entgegen § 143 nicht zurückgenommen wird, vgl. Rath, S. 37 ff.; kritisch zur Beibehaltung des Pflichtverteidigers bei Verdacht des Erschleichens der Pflichtverteidigerbestellung durch den neu eintretenden Wahlverteidiger: HK-Julius, § 142 Rn. 5 m. w. N. 223 BVerfGE 39, 238 (245 ff.); AK-Stern, § 143 Rn. 6 ff.; Schäfer, Rn. 80; vgl. dazu insbesondere Dethlefsen (S. 139 ff.; dort auch zum Anspruch des Beschuldigten auf Auswechslung des Verteidigers, S. 173 ff.) und Rath (S. 53 ff., 102 ff.) mit umfassenden Nachweisen. 224 Vgl. zur umstr. Anwendbarkeit der §§ 138 a ff. und der Konkurrenz zur Abberufung aus wichtigem Grund: LR-Lüderssen, § 138 a Rn. 3 ff.; Vogelsang, S. 136 ff.; Rath, S. 45 ff. 225 Vgl. BGH StV 1988, 469 ff.; StV 1993, 564 f. 226 BGH JR 1996, 124; Meyer-Goßner, § 143 Rn. 5. 227 Schlothauer, StV 1981, 443 (447); Neuhaus, ZAP F 22, 147 (165).

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mäßiges oder prozeßordnungswidriges Verhalten genüge dafür jedoch nicht; ansonsten stünde der Verteidiger unter der „Qualitätskontrolle“ des Gerichts229. Bei Zurücknahme der Bestellung des Pflichtverteidigers ist der Beschuldigte beschwerdebefugt; nicht jedoch der Verteidiger230. Gegen eine ablehnende Entscheidung der Entpflichtung ist ebenfalls eine Beschwerde des Beschuldigten möglich231; auch eine Revision gegen die Entpflichtung ist zulässig232.

D. Verteidigerbestellung im Vollstreckungsverfahren und im Vollzug I. Bestellung eines Verteidigers im Vollstreckungsverfahren, § 463 III 5, § 140 II analog In einem Vollstreckungsverfahren ist eine Verteidigerbestellung durch die Vollstreckungskammer (vgl. §§ 462 a, 463 I i. V. m. § 78 a I 2 Nr. 1 GVG) nach § 463 III 5233 in folgenden Fällen vorgesehen: – Zur Vorbereitung einer Entscheidung des Vollstreckungsgerichts über die Erledigungserklärung nach § 67 d III StGB, – Ferner für weitere Entscheidungen des Vollstreckungsgerichts nach § 67 d II StGB bei Ablehnung der Erledigungserklärungen nach § 67 d III StGB. Im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens wird eine Bestellung des Pflichtverteidigers über § 463 III 5 hinaus nach h. M. gemäß § 140 II (analog)234 ermöglicht. Die Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage oder die Unfähigkeit, die eigenen Rechte wahrzunehmen, müssen die Bestellung gebieten235.

228

KG StV 1993, 236; OLG Frankfurt StV 1985, 450 (451); Meyer-Goßner, § 143

Rn. 4. 229

Vgl. BVerfGE 34, 293 (302); Schäfer, Rn. 79. So die h. M., vgl. BVerfG StV 1998, 356; AK-Stern, § 143 Rn. 19; KK-Laufhütte, § 143 Rn. 6. 231 Nicht jedoch des Pflichtverteidigers, vgl. Meyer-Goßner, § 143 Rn. 7 m. w. N.; a. A.: HK-Julius, § 143 Rn. 9. 232 Vgl. BGH NStZ 1995, 296; LR-Lüderssen, § 143 Rn. 17. 233 Eingefügt durch das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26.01.1998 (BGBl. I, S. 160). 234 Vgl. Isak/Wagner, Rn. 44 f., Rn. 1021; zu Beispielen vgl. Meyer-Goßner, § 140 Rn. 33; LR-Lüderssen, § 140 Rn. 118 ff. m. w. N.; ferner: Litwinski/Bublies, S. 157 f. 235 Die Schwere der Tat ist dabei nicht zu berücksichtigen, vgl. KG StraFo 2002, 244; OLG Hamm StraFo 2002, 29. 230

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II. Bestellung eines Beistands im Vollzug, § 120 StVollzG, § 140 II analog Für einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 109 StVollzG bzw. die Beschwerde nach § 116 StVollzG kann Prozeßkostenhilfe bewilligt werden, § 120 II StVollzG. Unter den Voraussetzungen von §§ 114, 121 II 1 ZPO wird ein Rechtsanwalt beigeordnet236. Fraglich ist, ob die Verweisung des § 120 I StVollG die notwendige Verteidigung nach § 140 erfaßt, oder sich aus dem Strafvollzugsgesetz etwas anderes ergibt. So könnte § 120 II StVollzG eine abschließende Spezialvorschrift darstellen237. Da für die Verteidigerbestellung nach § 140 II keine dem § 114 ZPO vergleichbare „hinreichende Aussicht auf Erfolg“ erforderlich ist, wird die schon durch die Prozeßkostenhilfe i. V. m. § 120 II StVollzG angestrebte Chancengleichheit der Bürger durch die notwendige Verteidigung noch verbessert. Ferner ist die Mitwirkung eines Rechtsanwalts nach § 121 II ZPO lediglich vorgesehen, wenn sie erforderlich erscheint oder der Gegner durch einen Rechtsanwalt vertreten ist. Daher könnte das Institut der notwendigen Verteidigung als Ergänzung zu § 120 II StVollzG angesehen werden238. Dienen jedoch beide Institute der Verbesserung der Chancengleichheit, so hätte es einer Einfügung des § 120 II StVollzG nicht bedurft239. Durch die Verweisung entscheidet sich der Gesetzgeber bewußt für die Prozeßkostenhilfe und gegen die notwendige Verteidigung. Ferner spricht der im Verfahren nach §§ 109 ff. StVollzG geltende Verfügungsgrundsatz gegen eine Anwendung der Vorschriften über die notwendige Verteidigung240.

236 Schwind/Böhm/Schuler, § 120 StVollzG Rn. 6; dabei sei die Erforderlichkeit nach § 120 II 1. Alt. StVollzG nicht zu „kleinlich“ zu bestimmen. Dies geböte die Chancengleichheit, vgl. Calliess/Müller-Dietz, § 120 StVollzG Rn 3; AK-Volckert, § 120 StVollzG Rn. 16, leitet aus der 2. Alt. des § 120 II StVollzG her, daß die dort ausgedrückte Chancengleichheit im Verhältnis zum Anstaltsleiter nach § 156 StVollzG regelmäßig eine Beiordnung gebiete. Dieser sei aufgrund seiner Kenntnisse und Erfahrungen im Bereich des Vollzugsrechts dem Gefangenen von vornherein überlegen. 237 OLG Bremen NStZ 1982, 84; Schwind/Böhm/Schuler, § 120 StVollzG Rn. 3; AK-Volckart, § 120 StVollzG Rn. 5; Meyer-Goßner, § 140 Rn. 33 b; Arloth/Lückemann, (Arloth) § 120 StVollzG Rn. 4; für eine analoge Anwendung von § 140 II: OLG Karlsruhe NStZ-RR 2002, 29; AK-Stern, § 140 Rn. 82; Litwinski/Bublies, S. 165 ff.; Vogelsang, S. 70; Dopslaff, StV 1986, 352 (354). 238 Dopslaff, StV 1986, 352 (354); ferner: Müller-Dietz, Colloquium für Kielwein, S. 113 (120 ff.). 239 Hartmann-Hilter, S. 134. 240 Calliess/Müller-Dietz, § 120 StVollzG Rn. 2 m. w. N.; Arloth/Lückemann, (Arloth) § 120 StVollzG Rn. 4.

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3. Kap.: Bestellung von Verteidigern und Beiständen

E. Verteidigerbestellung nach § 145 I 1 Als Absicherung bzw. Ergänzung der notwendigen Verteidigungsvorschriften der § 140 I, II, § 141 I, II, § 231 a IV241 ist vom Vorsitzenden in der Hauptverhandlung unter den Voraussetzungen des § 145 I 1 sogleich (ohne weitere Verhandlung in der Sache) ein anderer Verteidiger zu bestellen. Dafür muß der Verteidiger (sei es ein gewählter oder bestellter) ausbleiben, sich unzeitig entfernen oder sich weigern, die Verteidigung zu führen242. Nach § 145 I 2 kann das Gericht auch eine Aussetzung der Verhandlung beschließen (§ 228 I 1). Ferner kann der Vorsitzende nach § 228 I 2 die Verhandlung unterbrechen243. Die Vorschrift stellt den Grundsatz auf, daß ein Pflichtverteidiger in den Fällen der notwendigen Verteidigung zu den Personen gehört, die nach § 226 I in der Hauptverhandlung anwesend sein müssen244. Dem Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft vergleichbar, muß jedoch nicht ein und dieselbe Person als Verteidiger anwesend sein245. Nach § 145 II kann das Gericht die Verhandlung aussetzen, wenn ein Verteidiger nach § 141 II erst in der Hauptverhandlung bestellt wurde. Nach § 145 III kann zur Vorbereitung der Verteidigung des neu bestellten Verteidigers die Verhandlung ausgesetzt oder unterbrochen werden246. Dazu genügt die Erklärung des Verteidigers. Diesem hat das Gericht Glauben zu schenken. Lediglich bezüglich der Entscheidung, ob eine Verhandlung ausgesetzt oder unterbrochen werden soll, wird dem Gericht nach h. M. ein Ermessen zugestanden247.

§ 2 Außerhalb von §§ 140, 141, 145 liegende Fälle der Verteidigerbeistellung bzw. Beiordnung von Beiständen/Rechtsanwälten Im Folgenden sollen die außerhalb von §§ 140, 141 und 145 liegenden Beiordnungs- und Bestellungsmöglichkeiten von Verteidigern und Beiständen dargestellt werden. 241 Meyer-Goßner, § 145 Rn. 2 f.; LR-Lüderssen, § 145 Rn. 1; nach AK-Stern, § 145 Rn. 3 gilt die Vorschrift nur für § 140 I und II. 242 Vgl. dazu KK-Laufhütte, § 145 Rn. 3 ff.; Vogelsang, S. 54 ff. 243 Vgl. zu dieser Möglichkeit: KK-Laufhütte, § 145 Rn. 7; LR-Lüderssen, § 145 Rn. 19. 244 LR-Lüderssen, § 145 Rn. 2. 245 BGHSt 13, 337 (341); KK-Laufhütte, § 145 Rn. 1. 246 Zu analogen Anwendungsfällen von § 145 III vgl. KK-Laufhütte, § 145 Rn. 9. 247 BGHSt 13, 337 (340); BGH NStZ 2000, 212; Meyer-Goßner, § 145 Rn. 12; teilweise wird dem Verteidiger ein Wahlrecht eingeräumt, welches das Gericht zu achten habe, LR-Lüderssen, § 145 Rn. 26.

§ 2 Außerhalb von §§ 140, 141, 145 liegende Fälle der Verteidigerbeistellung 143

A. Innerhalb der Strafprozeßordnung geregelte Fälle I. Voraussetzungen von § 117 IV248 § 117 IV 1 schreibt die Verteidigerbestellung für einen unverteidigten Beschuldigten vor, wenn die Untersuchungshaft mindestens drei Monate gedauert hat. Als weitere Voraussetzung ist ein Antrag der Staatsanwaltschaft249 oder des Beschuldigten, bzw. dessen Vertreters nötig. Über dieses Recht ist der Beschuldigte zu belehren250, vgl. § 117 IV 2. Zuständig für die Bestellung nach § 117 IV ist grds. der Haftrichter251, vgl. § 126 I 1 (Nr. 54 II 2 RiStBV). Die Vorschriften der §§ 142, 143, 145 gelten gemäß § 117 IV 3 entsprechend. Die Untersuchungshaftdauer bezieht sich auf die vollzogene Untersuchungshaft in derselben252 Strafsache253. Die Untersuchungshaft kann auch unterbrochen sein254. Berechnet wird die Haftdauer vom Zeitpunkt der Festnahme an, wenn sie auf einen Haftbefehl hin folgt255. Grundsätzlich ist die Dauer der Bestellung auf die der Untersuchungshaft beschränkt256. Die Bestellung nach § 117 IV ist darüber hinaus für das weitere Verfahren wirksam, wenn die Voraussetzungen des § 140 I Nr. 5 vorliegen und nicht ein anderer Verteidiger bestellt wird, § 140 III 2257.

248 Nach h. M. sind die §§ 117, 118 grds. nicht im Sicherungshaftbefehlsverfahren nach § 453 c anwendbar, vgl. KK-Fischer, § 453 c Rn. 6 m. w. N. 249 Die Staatsanwaltschaft sollte den Antrag nach § 117 IV stellen, wenn nach ihrer Prognose abzusehen ist, daß der Beschuldigte im Zeitpunkt des Hauptverhandlungsbeginns nicht zwei Wochen vorher entlassen sein wird (§ 140 I Nr. 5), LR-Hilger, § 117 Rn. 39. 250 „Tunlichst“ (vgl. SK-Paeffgen, § 117 Rn. 14) oder „zweckmäßigerweise“ (HKLemke, § 117 Rn. 14) schon vor Ende der Dreimonatsfrist. 251 AK-Krause, § 117 Rn. 12; LR-Hilger, § 117 Rn. 40 f.; siehe ferner die Rundverfügung des Hessischen Generalstaatsanwalts vom 11.01.1994, StV 1994, 223. Die Zuständigkeit des Haftrichters nach § 126 I 1 bleibt bis zum Übergang der Zuständigkeit nach Erhebung der öffentlichen Klage bestehen. Ab diesem Zeitpunkt ist gemäß § 126 II 1 und S. 3 der Vorsitzende des mit der Sache befaßten Gerichts zuständig. 252 KK-Boujong, § 117 Rn. 15; § 117 IV wird von § 140 I Nr. 5 insofern ergänzt. 253 LR-Hilger, § 117 Rn. 38; SK-Paeffgen, § 117 Rn. 14. 254 HK-Lemke, § 117 Rn. 14; KK-Boujong, § 117 Rn. 15; LR-Hilger, § 117 Rn. 38; Pfeiffer, § 117 Rn. 6; H. Schmidt, S. 125; fraglich erscheint, inwieweit die durch die Unterbrechungen gegebene Möglichkeit einer Verteidigung zu berücksichtigen ist. 255 KMR-Wankel, § 117 Rn. 12. 256 H. Schmidt, S. 126, 143; Neuhaus, ZAP F 22, 147 (153); Oellerich, StV 1981, 434; vgl. auch: LR-Hilger, § 117 Rn. 41. 257 Vgl. oben: Kap. 3, § 1 A.; vgl. zum Verhältnis der Bestellung nach § 117 IV und der nachfolgenden Bestellung durch den Vorsitzenden gemäß § 140 I Nr. 5, 141 IV: H. Schmidt, S. 230 f.

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3. Kap.: Bestellung von Verteidigern und Beiständen

Liegen die Voraussetzungen nach § 140 vor oder ist deren Eintreten abzusehen, so ist § 141 III, IV anzuwenden. Die Bestellung nach § 141 III für das gesamte Vorverfahren geht der Bestellung nach § 117 IV 1 vor258. II. § 118 a II259 Wird der Beschuldigte im Rahmen einer Haftprüfung zur mündlichen Verhandlung nicht vorgeführt, so wird ihm nach § 118 a II 3 ein Verteidiger bestellt. Eine Bestellung ist damit auch beim verteidigten Beschuldigten erforderlich, wenn der Wahlverteidiger nicht in der mündlichen Verhandlung erscheint260. Die Haftprüfung erfolgt auf den Antrag des Beschuldigten oder seines gesetzlichen Vertreters hin, vgl. §§ 117 I, 118 b i. V. m. § 298. Die Haftprüfung ergeht auf Antrag des Beschuldigten oder von Amts wegen in mündlicher Verhandlung, § 118 I. Nach dem Gesetzeswortlaut in § 118 a II 2 obliegt es dem bestellten Verteidiger, in der mündlichen Verhandlung die Rechte des abwesenden Beschuldigten wahrzunehmen. Der Beschuldigte kann die Verteidigerbestellung auch nicht dadurch erzwingen, daß er auf die Anwesenheit in der mündlichen Haftprüfung verzichtet261; der Richter ist nach h. M. an den Verzicht des Beschuldigten nicht gebunden262. Die Bestellung erfolgt für die mündliche Verhandlung263; zuständig ist grds. der Haftrichter, vgl. § 126 I 1. Die Vorschriften der §§ 142, 143, 145 gelten gemäß § 118 a II 4 entsprechend. Der Pflichtverteidiger hat zur Vorbereitung der Haftprüfung alle Rechte eines Verteidigers, insbesondere die nach §§ 147, 148264. Im Anschluß an die Bestellung nach § 118 a für die Dauer der mündlichen Verhandlung ist die Bestellungsmöglichkeit nach § 117 IV oder § 141 III zu beachten265.

258 AK-Krause, § 117 Rn. 12; LR-Hilger, § 117 Rn. 36; Meyer-Goßner, § 117 Rn. 22 unter Hinweis auf BGHSt 46, 93 und BGH, NJW 2002, 975; SK-Paeffgen, § 117 Rn. 15; HK-Lemke, § 117 Rn. 15; vgl. ferner: KMR-Wankel, § 117 Rn. 29; KK-Boujong, § 117 Rn. 17. 259 Nach Neuhaus (ZAP F 22, 147, 153) hat diese Vorschrift nur geringe praktische Bedeutung. 260 AK-Krause, § 118 a Rn. 4; KK-Boujong, § 118 a Rn. 3; LR-Hilger, § 118 a Rn. 17. 261 Angesichts der erforderlichen Anträge des Beschuldigten wird es selten zu einem Verzicht auf Anwesenheit kommen, vgl. LR-Hilger, § 118 a Rn. 14. 262 Vgl.: KK-Boujong, § 118 a Rn. 2; KMR-Wankel, § 118 a Rn. 2; LR-Hilger, § 118 a Rn. 12; Vogelsang, S. 7 mit Fn. 19. 263 LR-Hilger, § 118 a Rn. 18 ff. 264 AK-Krause, § 118 a Rn. 4; LR-Hilger, § 118 a Rn. 17; Pfeiffer, § 118 a Rn. 2.

§ 2 Außerhalb von §§ 140, 141, 145 liegende Fälle der Verteidigerbeistellung 145

III. §§ 117 IV, 118 a II i. V. m. § 126 a II Für die einstweilige Unterbringung verweist § 126 a II auf § 117 IV und § 118 a II. Damit gelten die nämlichen Voraussetzungen für eine Verteidigerbestellung. Vor Ablauf der in § 117 IV bestimmten Frist ist eine Verteidigung nach § 140 I Nr. 6 i. V. m. § 141 III 1 notwendig, wenn der Beschuldigte während seines Aufenthaltes zur Vorbereitung eines psychiatrischen Gutachtens beobachtet werden soll, § 81 I. Dies hat unabhängig davon zu gelten, ob eine separate Anordnung dafür erfolgen muß266. Ansonsten könnte die Kautel der Anhörung eines Verteidigers nach § 81 I umgangen werden. Wenn eine Untersuchung nach § 414 III im Ermittlungsverfahren erfolgt oder eine einstweilige Unterbringung nach § 126 a durch eine ärztliche Untersuchung bestätigt wird, so wird für das Hauptverfahren in der Regel ein Sicherungsverfahren durch die Staatsanwaltschaft beantragt, vgl. § 413. Sobald ein solcher Antrag beabsichtigt ist, hat sie im Hinblick auf § 140 I Nr. 7 einen Antrag auf Pflichtverteidigerbestellung nach § 141 III 2 zu stellen267. Auch hier hat die Bestellung Vorrang vor einer solchen nach § 117 IV (§ 118 a II) i. V. m. § 126 a II268. IV. § 138 c III Wenn gegen einen Verteidiger des Beschuldigten nach §§ 138 a ff. ein Ausschließungsverfahren geführt wird und angeordnet wurde, daß dessen Rechte aus §§ 147, 148 bis zur Entscheidung über die Ausschließung ruhen mögen (§ 138 a III 1 2. HS)269, so wird dem Beschuldigten für die Dauer der nicht anfechtbaren (vgl. § 138 c III 3) Anordnung270 vom Gericht ein Verteidiger bestellt, § 138 c III 4. Die Bestellung dauert bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Ausschließung an. Die Bestellung geschieht ausschließlich zur Wahrnehmung der ruhenden Verteidigerrechte271. Dabei werden die Rechte aus §§ 147, 148 lediglich insoweit 265

AK-Krause, § 118 a Rn. 4 nimmt an, daß man dem Verteidiger gestatten müsse, dem Beschuldigten die Haftentscheidung zu erläutern. 266 So: OLG Hamburg MDR 1972, 1048; Bosch, StV 2002, 633 (634); a. A.: BGH StV 2002, 633; LR-Krause, § 81 Rn. 5; Meyer-Goßner, § 81 Rn. 2. 267 Meyer-Goßner, § 414 Rn. 7; Vogelsang, S. 9. 268 Vogelsang, S. 9. 269 Die vorläufige Anordnung darf nach allgemeiner Meinung nur ergehen, wenn anzunehmen ist, daß der Verteidiger die zu seiner Ausschließung zwingenden unerlaubten Tätigkeiten fortsetzt, vgl. OLG Stuttgart AnwBl. 1975, 170; KK-Laufhütte, § 138 c Rn. 19. 270 Nach umstr. Auffassung muß diese nicht begründet werden (vgl. § 34), so: Meyer-Goßner, § 138 c Rn. 12; dagegen: LR-Lüderssen, § 138 c Rn. 30.

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3. Kap.: Bestellung von Verteidigern und Beiständen

eingeschränkt, als dies die Mitwirkung in einem Verfahren betrifft272, vgl. § 138 a I. Die übrigen Rechte stehen weiterhin dem im Ausschlußverfahren betroffenen Verteidiger zu. Es ist fraglich, ob es sich angesichts der Beschränkung noch um einen „wahren“ Verteidiger handelt273. Deshalb wird die Ansicht vertreten274, dem Beschuldigten sei ein „vollwertiger“ Verteidiger zu bestellen. Die Anordnung gemäß § 138 c III 1 1. HS. kann nach § 138 c III 1 2. HS auch auf die Fälle der § 138 a IV und V (also auch auf Bußgeldverfahren, ehren- und berufsgerichtliche Verfahren sowie auf Disziplinarverfahren) erstreckt werden. Dann muß auch hier der Beschuldigte durch einen Verteidiger nach § 138 c III 4 vertreten sein275. Zuständig für die Bestellung ist gemäß § 138 c III 4 das Gericht, welches die vorläufige Anordnung trifft. Nach § 138 c III 5 i. V. m. § 142 wählt der Vorsitzende des Gerichts den Verteidiger aus276. V. § 231 a IV § 231 a IV ermöglicht eine Durchbrechung des Grundsatzes der Anwesenheit des Angeklagten in der Hauptverhandlung nach § 230 I277. Dem unverteidigten Beschuldigten ist vom Vorsitzenden nach § 141 IV ein Verteidiger beizuordnen, wenn eine Hauptverhandlung ohne ihn in Betracht kommt278; im Ermittlungs271 KMR-Müller, § 138 c Rn. 13; Meyer-Goßner, § 138 c Rn. 13; Vogelsang, S. 11; nach KK-Laufhütte, § 138 c Rn. 18, kann der Pflichtverteidiger auch unaufschiebbare Prozeßhandlungen vornehmen. 272 LR-Lüderssen, § 138 c Rn. 24. 273 Vgl. Oellerich, StV 1981, 434; auch nach Lüderssen (LR, § 138 c Rn. 34 f.) machen zwei „halbe Verteidiger“ noch keinen ganzen. 274 AK-Stern, § 138 c Rn. 21; LR-Lüderssen, § 138 c Rn. 35 i. V. m. 32; nach KMR-Müller, § 138 c Rn. 13 ist dem Beschuldigten ein Verteidiger zu bestellen, wenn durch das Vorgehen nach § 138 c III 4 keine ausreichende Verteidigung gewährt wird; a. A. – unter Hinweis auf § 140 I Nr. 8: Meyer-Goßner, § 138 c Rn. 13. 275 Nach KK-Laufhütte, § 138 c Rn. 21 ist eine Erstreckung der Verteidigerbestellung auf die anderen Verfahren ausdrücklich festzustellen. 276 HK-Julius, § 138 c Rn. 7; KK-Boujong, § 118 a Rn. 17; nach a. A. soll die Bestellung durch den Vorsitzenden erfolgen: LR-Lüderssen, § 138 c Rn. 33; KMR-Müller, § 138 c Rn. 13. 277 Dadurch soll ihm rechtliches Gehör gewährt und eine Verteidigungsmöglichkeit gesichert werden; auch soll der Tatrichter einen unmittelbaren Eindruck von der Person des Angeklagten gewinnen können, vgl.: BGHSt 3, 187 (190); Meyer-Goßner, § 230 Rn. 2 f. 278 Die Bestellung erfolgt vor dem Zeitpunkt in § 231 a I 2 und III 1, vgl. Pfeiffer, § 231 a Rn. 3; KK-Tolksdorf, § 231 a Rn. 17; die Staatsanwaltschaft hat darauf hinzuwirken (vgl. Nr. 122 II RiStBV), ohne daß dadurch eine Bindung des Richters gemäß § 141 III 3 einträte, so AK-Keller, § 231 a Rn. 9.

§ 2 Außerhalb von §§ 140, 141, 145 liegende Fälle der Verteidigerbeistellung 147

verfahren ist dem Beschuldigten nach umstr. Auffassung kein Verteidiger im Hinblick auf die Anwendung von § 231 a I nach § 231 a IV zu bestellen. Die Bestellung habe erst unmittelbar nach Eröffnung des Hauptverfahrens zu erfolgen279. Sie erfolgt für das gesamte Verfahren, auch wenn der Beschuldigte (wieder) an der Verhandlung teilnimmt280. VI. § 350 III Für die Revisionshauptverhandlung wird dem unverteidigten Angeklagten, sofern er nicht auf freiem Fuß ist, auf seinen Antrag hin vom Vorsitzenden ein Verteidiger für die Hauptverhandlung nach § 350 III 1 bestellt281. Der Angeklagte ist auf dieses Antragsrecht nach § 350 III 2 hinzuweisen. Zuständig ist der Vorsitzende des Revisionsgerichts282. Neben einer Beiordnung für die Revisionshauptverhandlung gemäß § 350 III 1 kommt eine Bestellung nach § 140 II in Betracht283. Nach zum Teil vertretender Auffassung ist eine solche für die Revisionshauptverhandlung stets erforderlich284. VII. Verteidigerbestellung im Rahmen des Wiederaufnahmeverfahrens Im Wiederaufnahmeverfahren ist eine Verteidigerbestellung nach §§ 364 a, 364 b vorgesehen. Die Vorschriften ergänzen § 140 II285. Im wiederaufgenommenen Verfahren stellt sich die Frage der Notwendigkeit der Verteidigung von neuem286.

279 Vgl. SK-Schlüchter, § 231 a Rn. 14; KK-Tolksdorf, § 231 a Rn. 17; LR-Gollwitzer, § 231 a Rn. 19; a. A.: HK-Julius, § 231 a Rn. 2. 280 SK-Schlüchter, § 231 a Rn. 14; Vogelsang, S. 60. 281 Vgl. zur Geschichte von § 350 III: H. Schmidt, S. 168 ff.; kritisch im Hinblick auf Art. 3 I GG für den Beschuldigten, der sich nicht auf freiem Fuß befindet: BVerfG NJW 1965 147; AK-Stern, § 350 Rn. 7; Hartmann-Hilter, S. 116 f., 120. 282 SK-Wohlers, § 350 Rn. 28; HK-Julius, § 350 Rn. 17. 283 Vgl. LR-Hanack, § 350 Rn. 11; zur Verteidigerbestellung im Revisionsverfahren über § 140 hinaus: BVerfG NJW 1978, 151. 284 Vgl. SK-Wohlers, § 350 Rn. 17 ff., Rn. 21 ff. 285 Hartmann-Hilter, S. 137; Wasserburg, GA 1982, 304 (310); Peters (S. 217) nimmt ein Ermessen bei der Bestellung im Rahmen von §§ 364 a, 364 b an; dagegen zutreffend: Wolf, S. 199 f. 286 Meyer-Goßner, § 364 a Rn. 3.

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1. § 364 a Hier erfolgt eine Verteidigerbestellung auf Antrag287 für den unverteidigten Verurteilten, der einen Wiederaufnahmeantrag stellt288, wenn wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage des Wiederaufnahmeverfahrens289 die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint. Eine solche Mitwirkung ist in der Regel auch erforderlich290. Für offensichtlich mutwillige oder aussichtslose Anträge wird kein Pflichtverteidiger bestellt291. Nach umstrittener Auffassung kann die Bestellung nach § 364 a schon die Antragstellung miteinschließen292. Zuständig ist das für die Entscheidung im Wiederaufnahmeverfahren gemäß § 140 a GVG, § 367 I 1 zuständige Gericht293. 2. § 364 b I, II Für die Vorbereitung eines Wiederaufnahmeverfahrens wird dem unverteidigten Verurteilten auf Antrag ein Pflichtverteidiger bestellt294, wenn folgende Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind: – Beweismittel oder Tatsachen beigebracht werden können, welche zur Zulässigkeit des Wiederaufnahmeantrags führen295 (Ziff. 1); – wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint296 (Ziff. 2);

287 SK-Frister/Deiters, § 364 a Rn. 19: Verurteilter, gesetzlicher Vertreter (vgl. ferner § 76 III JGG – Erziehungsberechtigte) und Staatsanwaltschaft. 288 Vgl. zur umstrittenen analogen Anwendung von § 140 II i. V. m. Art. 6 III lit. c) EMRK für den Verurteilten bei einer Wiederaufnahme zu seinen Ungunsten gemäß § 362: Pfeiffer, § 364 a Rn. 2. 289 SK-Frister/Deiters, § 364 a Rn. 15 ff.; LR-Gössel, § 364 a Rn. 8. 290 KK-Schmidt, § 364 a Rn. 4. 291 Meyer-Goßner, § 364 a Rn. 5; Hartmann-Hilter, S. 143; darüber hinausgehend sollte die Erfolgsaussicht nicht Voraussetzung für eine Bestellung sein, vgl. SK-Frister/Deiters, § 364 a Rn. 16 ff.; Pfeiffer, § 364 a Rn. 3; so wohl jedoch: KMR-Paulus, § 364 a Rn. 6. 292 Vgl. LR-Gössel, § 364 a Rn. 4; Meyer-Goßner, § 364 a Rn. 3; a. A.: Peters, Lehrbuch, S. 321. 293 SK-Frister/Deiters, § 364 a Rn. 21; der Antrag kann nach § 367 I 2 auch bei dem Gericht eingereicht werden, dessen Urteil angefochten wird. 294 Es ergibt sich die nämliche Zuständigkeit für die Bestellung wie nach § 364 a. 295 Dabei ist auf die einem Anfangsverdacht nach § 152 II vergleichbaren Erfolgsaussichten abzustellen, Pfeiffer, § 364 b Rn. 2; LR-Gössel, § 364 b Rn. 9. 296 Es sind die Schwierigkeiten der Nachforschungen entscheidend, vgl. SK-Frister/ Deiters, § 364 b Rn. 6; Meyer-Goßner, § 364 b Rn. 6; § 364 b Rn. 2; Vogelsang, S. 76; kritisch zu dieser Voraussetzung: Hartmann-Hilter, S. 139 f.

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– wenn der Verurteilte, die Kosten eines eigenen Verteidigers nicht tragen kann im Sinne der Vorschriften der ZPO über die Prozeßkostenhilfe297 (Ziff. 3). Dafür gelten nach § 364 b II die §§ 117 II bis IV sowie 118 II 1, S. 2 und S. 4 der ZPO entsprechend. Für die Vorbereitung des Wiederaufnahmeverfahrens kann der Verurteilte nach § 364 b I 2 auf Antrag die Voraussetzung nach § 364 b I 1 Ziff. 1 bis 3 feststellen lassen. VIII. § 408 b298 Eine von Amts wegen vorgesehene obligatorische Verteidigerbestellung nach § 408 b S. 1 erfolgt, wenn der Richter einen Strafbefehl mit den in § 407 II 2 bestimmten Rechtsfolgen (Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr, wenn dessen Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird) erwägt299. Die Staatsanwaltschaft, die ein Strafbefehlsverfahren nach § 407 I 2 ohne Hauptverhandlung mit diesen Rechtsfolgen anstrebt, hat spätestens gleichzeitig die Verteidigerbestellung mit Übersendung des Strafbefehlsantrags zu beantragen300. Eine Antragstellung ist jedoch nicht erforderlich, damit der Richter nach § 408 b S. 1 einen Verteidiger beiordnen kann301. Die entsprechende Anwendung von § 141 III über § 408 b I 2 kommt insbesondere bei umfangreichen oder schwierigen Verfahren in Betracht, wenn trotzdem die Verhängung einer Freiheitsstrafe von nicht über einem Jahr und deren Aussetzung zur Bewährung zu erwarten ist302. Zuständig für die Bestellung ist der für das Strafbefehlsverfahren zuständige Richter303. Die §§ 142 ff. sind nach umstr. Ansicht entsprechend anwendbar304.

297 Das Erfordernis der Mittellosigkeit für eine notwendige Verteidigung nach § 364 b fußt auf der Überlegung, daß für den Verurteilten nicht mehr die Unschuldsvermutung streitet, vgl. BT-Drucks. VI/3478, S. 91. 298 Durch das Rechtspflegeentlastungsgesetz vom 11.01.1993 eingeführt, BGBl. I, S. 50. 299 D.h. ernstlich in Betracht zieht, vgl. KK-Fischer, § 408 b Rn. 3, Pfeiffer, § 408 b Rn. 2. 300 Vgl. AK-Loos, § 408 b Rn. 3; Meyer-Goßner, § 408 b Rn. 2; SK-Weßlau, § 408 b Rn. 7. 301 Vgl. den Wortlaut: „Erwägt der Richter . . ., so bestellt er dem Angeschuldigten, der noch keinen Verteidiger hat, einen Verteidiger“, AK-Loos, § 408 b Rn. 3. 302 Die Staatsanwaltschaft kann damit eine mögliche Absprache vorbereiten, vgl. Meyer-Goßner, § 408 b Rn. 2. 303 SK-Weßlau, § 408 b Rn. 9. 304 So die h. M.: SK-Weßlau, § 408 b Rn. 8; AK-Loos, § 408 b Rn. 2; KMR-Metzger, § 408 b Rn. 7; HK-Kurth, § 408 b Rn. 5; KK-Fischer, § 408 b Rn. 7; eine Anwendung von § 142 lehnen ab: Pfeiffer, § 408 b Rn. 3; Meyer-Goßner, § 408 b Rn. 4

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3. Kap.: Bestellung von Verteidigern und Beiständen

Wenn der Richter nach § 408 II oder III 2 vorgeht, ist keine Beiordnung nach § 408 b S. 1 erforderlich305. Die Bestellung erstreckt sich auf die Einlegung des Einspruchs; fraglich ist, ob sie sich auch auf die anschließende Hauptverhandlung erstreckt306. Jedoch wird § 408 b bei Ablehnung einer solchen Erstreckung (wohl) zu einer erweiterten Auslegung von § 140 II für die auf den Einspruch folgende Hauptverhandlung führen307. Nach § 201 analog ist dem bestellten Verteidiger eine Äußerungsfrist von zwei Wochen zu gewähren308. Wenn kein Verteidiger bestellt wird, so ist der Strafbefehl wirksam. Gegen ihn kann Einspruch eingelegt werden309. Angesichts des „zeitraubenden“ Verfahrens nach § 142 und der fraglichen Dauer der Bestellung nach § 408 b S. 1 wird der Richter bei einem unverteidigten Beschuldigten wohl eine Hauptverhandlung nach § 408 III 2 anberaumen310. IX. § 418 IV Im beschleunigten Verfahren wird dem Beschuldigten nach § 418 IV ein Verteidiger bestellt311, wenn eine Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten zu erwarten ist312. Zum Teil wird aufgrund der Schwierigkeit der Rechtslage im beschleunigten Verfahren generell eine Verteidigerbestellung nach bestehender Rechtslage angenommen313. m. w. N.: Der Verteidiger werde im Strafbefehlsverfahren nur beratend tätig, ein Vertrauensverhältnis sei „nicht unerläßlich“. 305 SK-Weßlau, § 408 b Rn.6; vgl. auch KK-Fischer, § 408 b Rn. 3: § 140 II sollte beachtet werden. 306 Dagegen: OLG Düsseldorf NStZ 2002 390; Pfeiffer, § 408 b Rn. 4; KMR-Metzger, § 408 b Rn. 10; dafür: SK-Weßlau, § 408 b Rn. 10; AK-Loos, § 408 b Rn. 4; KK-Fischer, § 408 b Rn. 8 m. w. N.; AK-Loos, § 408 b Rn. 5; HK-Kurth, § 408 b Rn. 6; Brackert/Staechelin, StV 1995, 547 (548 ff.) leiten die Weitergeltung der Bestellung aus dem Vertrauensgrundsatz her. 307 Meyer-Goßner, § 408 b Rn. 6. 308 Pfeiffer, § 408 b Rn. 3. 309 KK-Fischer, § 408 b Rn. 4, Rn. 9; vgl. ferner: AK-Loos, § 408 b Rn. 5; für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Tiemer, S. 149. 310 HK-Kurth, § 408 b Rn. 5 f.; damit wird der Zweck des Gesetzes, auch dem unverteidigten Beschuldigten ein Strafbefehlsverfahren mit den Rechtsfolgen nach § 407 II 2 zu ermöglichen, konterkariert. 311 Auch hier spricht der Wortlaut (wie bei § 408 b S. 2) für eine eigenständige Bestellungsmöglichkeit durch den Richter. 312 Gleichgültig, ob sie vollstreckbar, oder zur Bewährung ausgesetzt ist, Schlüchter/Fülber/Putzke, S. 47. 313 Vgl. Molketin, S. 97 de lege lata; siehe auch Ernst, S. 105 ff.: notwendige Verteidigung im Verfahren vor dem Gericht nach § 140 II (durch verfassungskonforme Auslegung), wenn die Verhandlung am Tattag stattfindet oder sich der Beschuldigte in

§ 2 Außerhalb von §§ 140, 141, 145 liegende Fälle der Verteidigerbeistellung 151

Die Staatsanwaltschaft stellt bei entsprechender Straferwartung mit dem Antrag nach § 417 den auf Beiordnung eines Verteidigers314. Eine zeitlich frühere Bestellung wird wegen fehlenden Verweises auf § 141 III nur teilweise angenommen315. Dem ist aufgrund einer erforderlichen Verteidigung zuzustimmen. Wenn man eine zeitlich frühere Bestellung nach § 418 IV über § 141 III ablehnte, ist jedoch die „allgemeine“ Bestellungsmöglichkeit in einem Vorverfahren nach § 140 i. V. m. § 141 III zu berücksichtigen316. Wenn das Gericht ein beschleunigtes Verfahren ablehnt, so ist damit ein entsprechender Antrag auf Verteidigerbestellung hinfällig317. Lediglich, wenn es die Rechtsfolge nach § 418 IV in Erwägung zieht, ist der Verteidiger zu bestellen. Eine Bindung des Gerichts an den Antrag nach § 141 III 3 analog wird insoweit überwiegend abgelehnt318. Stellt sich erst später eine Straferwartung von sechs Monaten heraus, so ist ein Verteidiger sofort zu bestellen, wenn der Richter eine Entscheidung im beschleunigten Verfahren nicht ablehnt, § 419. Wesentliche Teile der Hauptverhandlung sind dann im Beisein des Verteidigers zu wiederholen319. § 142 I 2 ist nach umstr. Auffassung bei einer Bestellung nach § 418 IV nicht anwendbar320. Wenn eine Verteidigung nach § 140 notwendig ist, so hat die Bestellung nach § 141 I Vorrang vor der nach § 418 IV321. Die Bestellung erfolgt lediglich für das beschleunigte Verfahren und das darauf folgende Berufungsverfahren322. Wenn in der Hauptverhandlung beschlosHauptverhandlungshaft nach § 127 b befindet; ferner dann, wenn der Anspruch des Beschuldigten auf ein faires Verfahren verletzt würde, wenn kein Verteidiger mitwirke. De lege ferenda: Siegert, GerS 102 (1933), 30 (49), der eine notwendige Verteidigung im Regelverfahren und erst Recht im beschleunigten Verfahren fordert; ferner: Schünemann, NJW 1968, 975 (976); ferner: Schlüchter/Fülber/Putzke, S. 50; a. A.: Töwe, GerS 107 (1936), 48 (57). 314 AK-Loos, § 418 Rn. 16; KMR-Metzger, § 418 Rn. 32. 315 Vgl. SK-Paeffgen, § 418 Rn. 19; KMR-Metzger, § 408 b Rn. 33 ff.; AK-Loos, § 418 Rn. 16; Loos/Radtke, NStZ 1996, 1 (10); ferner: Tiemer, S. 110 f. mit Fn. 10; a. A.: Meyer-Goßner, § 418 Rn. 11; HK-Krehl, § 418 Rn. 5 auch unter Hinweis auf die rasche Durchführung des Verfahrens. 316 Vgl. LR-Gössel, § 418 Rn. 46, 49; Schröer, S. 142. 317 HK-Krehl, § 418 Rn. 6. 318 Vgl. LR-Gössel, § 418 Rn. 49; SK-Paeffgen, § 418 Rn. 20; Meyer-Goßner, § 418 Rn. 12; a. A.: Burgard, NStZ 2000, 242 (244: Bindung gemäß § 141 III 3 analog). 319 Meyer-Goßner, § 418 Rn. 12. 320 Unter Hinweis auf eine fehlende Verweisung oder die Kürze des Verfahrens: Meyer-Goßner, § 418 Rn. 14; für eine Anwendbarkeit: SK-Paeffgen, § 418 Rn. 21; Loos/Radtke, NStZ 1996, 7 (10 f.). 321 Vgl. HK-Krehl, § 418 Rn. 5.

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3. Kap.: Bestellung von Verteidigern und Beiständen

sen wird, im Regelverfahren nach § 419 III fortzufahren, so endet die Pflichtverteidigerbestellung nach § 418 IV. Der vorher verteidigte Beschuldigte steht infolge dessen ohne Verteidiger da. In solchen Fällen soll eine Bestellung nach § 140 II erfolgen323. Wenn der Beschuldigte verurteilt wird, ohne daß ihm ein Pflichtverteidiger nach § 418 IV beigeordnet wurde, so liegt ein Revisionsgrund nach § 338 I Nr. 5 vor. Das Urteil ist rechtskräftig und vollstreckbar324, wenn kein Rechtsmittel325 eingelegt wird. X. § 434 II, § 440 III i. V. m. § 442 und § 444 II, III Nach § 434 II kann dem Einziehungsbeteiligten 326 oder den nach § 442 II gleichwertig Betroffenen327 ein Vertreter auf Antrag oder von Amts wegen328 beigeordnet werden. Für das selbständige Verfahren gilt § 434 II nach § 440 III entsprechend. Vorausgesetzt wird, daß die Sach- oder Rechtslage schwierig ist329 oder der Einziehungsbeteiligte seine Rechte nicht selbst wahrnehmen kann. Zuständig für die Beiordnung ist das mit der Sache befaßte Gericht; § 141 IV findet keine Anwendung330. Die Bestellung erfolgt nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts331. Umstritten ist, ob die Bestellung schon im Vorverfahren erfolgen kann332. Eine auf bestimmte Verfahrensabschnitte beschränkte Bestellung ist angesichts des dem Gericht gewährten Ermessens zuzulassen333. 322 Meyer-Goßner, § 418 Rn. 12 und 15; SK-Paeffgen, § 418 Rn. 22; für eine Bestellung lediglich für das Verfahren vor dem Amtsgericht: HK-Krehl, § 418 Rn. 7; KK-Tolksdorf, § 418 Rn. 14. 323 Die Vorschrift wird erweiternd auszulegen sein, vgl. Meyer-Goßner, § 418 Rn. 15; HK-Krehl, § 418 Rn. 7. 324 Vgl. OLG Düsseldorf StV 1999, 588; HK-Krehl, § 418 Rn. 8. 325 Im Fall der Einlegung eines Rechtsmittels ergeben sich unterschiedliche Verfahren, je nachdem, ob der Beschuldigte Berufung oder Sprungrevision einlegt, vgl. Meyer-Goßner, § 418 Rn. 17; AK-Loos, § 418 Rn. 18. 326 Vgl. die Legaldefinition in § 431 I 1. Die Vorschrift des § 434 II gilt nicht für den Täter der Straftat, vgl. § 431 I 1. Gemäß § 140 II kann die Einziehung für den Täter eine Beiordnung wegen Schwere der Tat gemäß § 140 II 1 2. Alt. nach sich ziehen. So kann als weitere Folge der Umfang der möglicherweise eintretenden Einziehung berücksichtigt werden, vgl. für das Ordnungswidrigkeitenverfahren: Jäger, S. 77. 327 Verfall, Vernichtung, Unbrauchbarmachung und Beseitigung eines gesetzeswidrigen Zustandes stehen im Sinne der §§ 430 bis 441 der Einziehung gleich, § 442 I. 328 KMR-Paulus, § 434 Rn. 7. 329 Dies ist auf die Einziehungsbeteiligung zu beziehen, vgl. KMR-Paulus, § 434 Rn. 8; Pfeiffer, § 434 Rn. 3. 330 KMR-Paulus, § 434 Rn. 7; HK-Kurth, § 434 Rn. 65; AK-Günter, § 434 Rn. 9; a. A. (Vorsitzende): KK-Laufhütte, § 141 Rn. 11; Minoggio, S. 134. 331 AK-Günter, § 434 Rn. 8, Rn. 13.

§ 2 Außerhalb von §§ 140, 141, 145 liegende Fälle der Verteidigerbeistellung 153

Die Bestellung kann von Amts wegen oder auf Antrag der Staatsanwaltschaft bzw. des Einziehungsbeteiligten erfolgen334. Einziehungsbeteiligter kann auch eine juristische Person oder eine Personenvereinigung sein. Dieser werden die Handlungen des Beschuldigten unter den Voraussetzungen des § 75 S. 1 StGB zugerechnet; für diese ist ebenfalls eine Verteidigerbestellung nach § 434 II möglich335. Abzustellen ist hierbei auf die Person, die die juristische Person vertritt336. Für die Festsetzung einer Geldbuße gegen eine juristische Person oder Personenvereinigung in einem Strafverfahren findet § 434 II entsprechende Anwendung, § 444 II 2 (im selbständigen Verfahren über §§ 444 III, 440 III).

B. Außerhalb der Strafprozeßordnung geregelte Fälle I. Verteidigerbestellung im Ordnungswidrigkeitenverfahren Eine Bestellung im Ordnungswidrigkeitenverfahren erfolgt nach § 46 I OWiG i. V. m. den Vorschriften der Strafprozeßordnung, des Gerichtsverfassungsgesetzes und des Jugendgerichtsgesetzes, sowie nach § 60 S. 1 OWiG i. V. m. § 140 II 1. Dabei sind § 140 I Nr. 2, Nr. 3, Nr. 6, Nr. 7 von vornherein nicht im Ordnungswidrigkeitenverfahren anwendbar337. Im gerichtlichen Verfahren gelten gemäß § 46 I OWiG die Vorschriften § 140 I Nr. 1338, Nr. 5339, Nr. 8340 und § 140 II 2. § 140 II 1 findet sowohl im ge332 Dafür: KMR-Paulus, § 434 Rn. 2; LR-Gössel, § 434 Rn. 6; KK-Boujong, § 434 Rn. 6; Minoggio, S. 130 ff.; dagegen: Meyer-Goßner, § 434 Rn. 2; HK-Kurth, § 434 Rn. 5. 333 Vgl. Pfeiffer, § 434 Rn. 3; LR-Gössel, § 434 Rn. 12. 334 Meyer-Goßner, § 434 Rn. 2; Minoggio, S. 134. 335 So ist eine solche u. a. geboten, wenn die vertretungsberechtigten Organe einer Kapital- oder Personengesellschaft selbst Beschuldigte des Verfahrens sind, vgl. zu weiteren Beispielen: Minoggio, S. 132. 336 Vogelsang, S. 85. 337 BayObLG NJW 1979, 771; KK-Kurz, § 60 OWiG Rn. 26; Jäger, S. 13. 338 Grundsätzlich entscheidet das Amtsgericht über den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid, § 68 I OWiG. Lediglich in Kartellordnungswidrigkeiten wird eine Zuständigkeit höherer Art (hier die des Oberlandesgerichts) nach § 83 GWB begründet. § 83 I 2 GWB schließt jedoch eine Bestellung eines Verteidigers nach § 140 I Nr. 1 i. V. m. § 46 I OWiG aus. Damit kann § 140 I Nr. 1 keine Verteidigerbestellung begründen, vgl. dazu Jäger, S. 14 f. 339 Einschränkend für einfache Strafsachen: OLG Köln AnwBl. 2002, 610 mit kritischer Anmerkung Molketin. Fraglich ist hingegen, ob § 140 I Nr. 5 die Verteidigerbestellung im Beschlußverfahren nach § 72 OWiG und im Rechtsbeschwerdeverfahren umfaßt, dazu: Jäger, S. 19 ff.

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3. Kap.: Bestellung von Verteidigern und Beiständen

richtlichen (über § 46 I OWiG) als auch im Verfahren vor der Verwaltungsbehörde (über § 60 S. 1 OWiG) Anwendung. Nach umstr. Auffassung ist die Anwendung der Regeln über die notwendige Verteidigung im Verfahren vor der Verwaltungsbehörde auf § 60 S. 1 OWiG i. V. m. § 140 II 1 beschränkt341. Die Schwere der Tat i. S. v. § 140 II 1 1. Alt. wird durch die zu erwartende Geldbuße342 und möglichen Fernwirkungen343 bestimmt. Hier können die wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen in gewissem Maße zu berücksichtigen sein344. Die Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage nach § 140 II 1 2. Alt. gebietet im Ordnungswidrigkeitverfahren insbesondere dann eine Bestellung, wenn es sich um abgelegene Gebiete des Ordnungswidrigkeitenrechts oder eine weit verzweigte Verweisungsfolge handelt345. Zuständig für die Bestellung ist nach § 60 S. 1 OWiG die Verwaltungsbehörde, die das Bußgeldverfahren betreibt, vgl. §§ 35 ff. OWiG. Die Bestellung 340 Vgl. KK-Kurz, § 60 OWiG Rn. 26; zur umfassenden Anwendung von § 140 I vgl. Oellerich, StV 1981, 434 (435). 341 Vgl. Rebmann/Roth/Herrmann, § 60 OWiG Rn. 3; Hartmann-Hilter, S. 144 f.; Vogelsang, S. 101; Oellerich, StV 1981, 434 (435); für eine Anwendung auch von § 140 I: Bohnert, § 60 OWiG Rn. 5, § 46 OWiG Rn. 38; Molketin, S. 167. Für Jugendliche kommt nach zum Teil vertretener Auffassung eine Bestellung des Verteidigers im Verfahren vor der Verwaltungsbehörde nach § 68 JGG i. V. m. § 46 I OWiG in Betracht, vgl.: Eisenberg, § 68 JGG Rn. 5 und Göhler/König/Seitz, § 60 OWiG Rn. 36; jedoch sind jedenfalls § 68 I Nr. 2, Nr. 3 und Nr. 4 JGG über § 46 I OWiG nicht anzuwenden (vgl. § 67 IV JGG und § 46 III 1 OWiG), Eisenberg, § 68 JGG Rn. 5; KK-Kurz, § 60 OWiG Rn. 35. 342 Allein die Höhe der möglichen Geldbuße kann ausreichen, vgl. HK-Lemke, § 60 OWiG Rn. 8 f.; a. A.: Rebmann/Roth/Herrmann, § 60 OWiG 5; Göhler/König/ Seitz, § 60 OWiG Rn. 25; vgl. zum Anwendungsmaßstab nach § 140 II 1 1. Alt. über § 60 OWiG: Jäger, S. 49 ff., der die aus dem Strafverfahrensrecht entlehnten Kriterien in das Ordnungswidrigkeitenrecht transponiert (S. 64 ff.). 343 Rebmann/Roth/Herrmann, § 60 OWiG Rn. 5; Jäger, S. 69 ff.; zur Bestellung eines Pflichtverteidigers bei einer möglichen Punktevergabe mit der Folge der Entziehung der Fahrerlaubnis: vgl. Göhler/König/Seitz, § 60 OWiG Rn. 25 m. w. N.; Vogelsang, S. 101 f. 344 Göhler/König/Seitz, § 60 OWiG Rn. 25; Rebmann/Roth/Herrmann, § 60 OWiG Rn. 5; Jäger (S. 65 ff.) stellt darauf ab, ob die Geldbuße ruinösen Charakter für den Betroffenen haben kann. Bei juristischen Personen sei dies anzunehmen, wenn durch die Geldbuße eine Überschuldung eintrete (S. 68); bei natürlichen Personen sei maßgeblich auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen. So rechtfertige eine Entziehung der Fahrerlaubnis oder ein Fahrverbot für sich alleine keine Bestellung, jedoch dann, wenn der Arbeitsplatz dadurch gefährdet sei (S. 72 ff.); eine Eintragung in das Gewerbezentralregister habe solch ruinöse Folgen, wenn nach der Verwaltungspraxis eine Gewerbeuntersagung mit Sicherheit zu erwarten sei (S. 75 f.). Im Fall der nach § 22 OWiG zulässigen Einziehung sei auf die verbleibende Liquidität des Betroffenen abzustellen (S. 76 f.). 345 HK-Lemke, § 60 OWiG Rn. 11; Göhler/König/Seitz, § 60 OWiG Rn. 27; Hartmann-Hilter, S. 147; Oellerich, StV 1981, 434 (435).

§ 2 Außerhalb von §§ 140, 141, 145 liegende Fälle der Verteidigerbeistellung 155

erfolgt durch Antrag des Betroffenen, seines gesetzlichen Vertreters oder von Amts wegen346. Spätestmöglicher Zeitpunkt ist der Abschlußvermerk nach § 61 OWiG, vgl. § 46 OWiG i.Vm. § 141 III347. Die Beiordnung und deren Ablehnung soll dem Betroffenen bzw. dem Verteidiger (§ 51 III 1 OWiG) formlos mitgeteilt werden348, vgl. (§ 50 I 1 OWiG). Für die Staatsanwaltschaft gilt § 60 OWiG, wenn sie durch besondere Rechtsvorschrift sachlich zuständige Verwaltungsbehörde nach § 36 II 1, I Nr. 2 a OWiG ist349. Wenn die Verfolgung auf die Staatsanwaltschaft nach § 69 IV 1 OWiG übergeht, so ist sie nach umstr. Auffassung für die Bestellung zuständig, § 60 S. 1 OWiG analog350. Im Zeitpunkt des § 69 IV 2 OWiG geht die Bestellungszuständigkeit auf das Amtsgericht über351. Wird der Verteidiger durch die Verwaltungsbehörde bestellt, so gilt die Bestellung lediglich für das Vorverfahren, sowie für die Einlegung des Einspruchs und das Zwischenverfahren nach § 69 III und IV OWiG352. Bei Übernahme der Verfolgung durch die Staatsanwaltschaft gemäß § 42 OWiG oder bei Abgabe durch die Verwaltungsbehörde an letztere nach § 41 OWiG dauert die nach § 60 S. 1 OWiG erfolgte Bestellung an353. Die tatrichterliche Bestellung gilt auch für das Rechtsbeschwerdeverfahren; lediglich für die Bestellung eines Verteidigers für die Hauptverhandlung vor dem Rechtsbeschwerdegericht ist dessen Vorsitzender zuständig354.

346 Göhler/König/Seitz, § 60 OWiG Rn. 29; Rebmann/Roth/Herrmann, § 60 OWiG Rn. 11. 347 So Bohnert, § 60 OWiG Rn. 5. 348 Göhler, § 60 OWiG Rn. 33; Wieser, S. 259 f.; § 142 I gilt über § 46 I OWiG. Die ablehnende Entscheidung muß begründet werden, § 46 I OWiG i. V. m. § 34 (S. 259 f.). 349 HK-Lemke, § 60 OWiG Rn. 3; Rebmann/Roth/Herrmann, § 60 OWiG Rn. 2 a; in Bayern vgl. § 7 ZuVOWiG: bei Zuwiderhandlungen gegen § 115 OWiG und gegen Art. 21 LStVG, soweit sich der Gefangene oder Verwahrte im Gewahrsam von Justizvollzugsanstalten befindet oder bei Zuwiderhandlungen gegen Art. 1 § 8 des Rechtsberatungsgesetzes. 350 So KK-Kurz, § 60 OWiG Rn. 14, 39, 105; Jäger, S. 133; a. A.: Göhler/König/ Seitz, § 60 OWiG Rn. 1; Rebmann/Roth/Herrmann, § 60 OWiG Rn. 2 a. 351 Vgl. zur Zuständigkeit im Rechtsbeschwerdeverfahren sowie im Bereich der Kartellordnungswidrigkeiten: KK-Kurz, § 60 OWiG Rn. 39. 352 HK-Lemke, § 60 OWiG Rn. 26; Göhler/König/Seitz, § 60 OWiG Rn. 35; KKKurz, § 60 OWiG Rn. 47; auch die Bestellung durch die Staatsanwaltschaft nach § 60 S. 1 OWiG analog gilt – sofern man eine solche anerkennt – nicht für das gerichtliche Verfahren. 353 KK-Kurz, § 60 OWiG Rn. 47; Göhler/König/Seitz, § 60 OWiG Rn. 35; Rebmann/Roth/Herrmann, § 60 OWiG Rn. 16. 354 Vgl. BGH, NJW 1984, 2480 (2481); zum Umfang der Bestellung vgl. ferner KK-Kurz, § 60 OWiG Rn. 47 und Rn. 39.

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3. Kap.: Bestellung von Verteidigern und Beiständen

Gemeinhin wird – auch unter Hinweis auf § 141 III 1 – angenommen, es handele sich bei der Entscheidung nach § 60 S. 1 OWiG um eine Ermessensentscheidung der Verwaltungsbehörde355. Ebenfalls soll eine gerichtliche Entscheidung gemäß § 140 i. V. m. § 46 I OWiG einem Ermessen unterliegen356. Die Ablehnung einer Bestellung durch die Verwaltungsbehörde kann nach § 62 OWiG angefochten werden357, die der Staatsanwaltschaft nach § 62 OWiG analog358. Entscheidet die Verwaltungsbehörde über die Einziehung nach §§ 22 ff. OWiG so trifft sie die Entscheidung über eine Verteidigerbestellung nach §§ 434 II, 442 i. V. m. § 46 I OWiG. Zuständig für die Bestellung im Verwaltungsverfahren ist die Verwaltungsbehörde nach § 87 OWiG. Entscheidet die Verwaltungsbehörde359 im Bußgeldverfahren nach § 30 OWiG, so ist sie ebenfalls für die Bestellung zuständig, § 88 I OWiG. II. Verteidigerbestellung nach dem EGGVG 1. Kontaktsperre nach dem EGGVG In bestimmten Fällen kann eine Kontaktsperre zwischen Gefangenem und Verteidiger angeordnet werden. In solchen Situationen ist eine Verteidigerbestellung und die Beiordnung eines Rechtsanwalts als Kontaktperson vorgesehen. a) Verteidigerbestellung nach § 34 III Nr. 1 EGGVG360 Die im Wege der Kontaktsperre getroffenen Maßnahmen werden nicht dem Strafprozeßrecht zugerechnet361. 355 KK-Kurz, § 60 OWiG Rn. 40 unter Hinweis auf den Wortlaut von § 60 S. 1 OWiG („ist . . . geboten“); HK-Lemke, § 60 OWiG Rn. 17; auch unter Hinweis auf § 141 III 1 (über § 46 OWiG) „kann“: Göhler/König/Seitz, § 60 OWiG Rn. 10, 28 b, 29; Rebmann/Roth/Herrmann, § 60 OWiG Rn. 12; KK-Kurz, § 60 OWiG Rn. 40; dagegen sprechen jedoch schon die allgemeinen Erwägungen zu § 140 II, vgl. oben: Kap. 3, § 1 B. I. 356 KK-Kurz, § 60 OWiG Rn. 40, der insoweit auf die lediglich sinngemäße Anwendung von § 140 verweist; Göhler/König/Seitz, § 60 OWiG Rn. 28 b; dagegen wohl: Oellerich, StV 1981, 434 (435), wonach der Betroffene einen Anspruch auf Bestellung hat. 357 HK-Lemke, § 60 OWiG Rn. 18; Bohnert, § 60 OWiG Rn. 18; Wieser, S. 259 f. 358 Vgl. KK-Kurz, § 60 OWiG Rn. 54. 359 Zum gerichtlichen Bußgeldverfahren vgl. Rebmann/Roth/Herrmann, § 88 OWiG Rn. 20 ff. 360 Eingeführt durch das Kontaktsperregesetz vom 30.09.1977 (BGBl. I, S. 1877). 361 Meyer-Goßner, Vor § 31 EGGVG Rn. 1.

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Gemäß § 31 S. 1 EGGVG kann eine Kontaktsperre durch die nach § 32 EGGVG zuständige Stelle angeordnet362 werden; entsprechende Maßnahmen treffen gemäß § 33 EGGVG die zuständigen Landesbehörden. In anhängigen Strafverfahren und anderen gerichtlichen Verfahren, für die die Vorschriften der Strafprozeßordnung für anwendbar erklärt werden363, wird nach § 34 III Nr. 1 EGGVG unverteidigten Gefangenen ein Verteidiger bestellt, wenn Maßnahmen i. S. v. § 33 EGGVG durchgeführt wurden364. Das mit der Sache befaßte Gericht ist für die Bestellung zuständig, vgl. § 141 IV365. Auch diesem (bestellten) Verteidiger ist der Kontakt mit dem Gefangenen verwehrt366. Ferner wird dessen rechtliche Stellung durch die § 34 III Nr. 4– Nr. 8 EGGVG eingeschränkt. Der Bestellungszeitraum bezieht sich auf die Dauer der Kontaktsperre367. Kann ein Verteidiger in umfangreicherer Weise gesetzlich beigeordnet werden, so ist eine Beiordnung nach § 34 III Nr. 1 EGGVG subsidiär368. b) Beiordnung eines Rechtsanwalts als Kontaktperson nach § 34 a I 1 EGGVG369 Nach § 34 a I 1 EGGVG ist dem Gefangenen auf Antrag ein Rechtsanwalt als Kontaktperson beizuordnen. Über dieses Antragsrecht ist er nach § 34 a VI EGGVG zu belehren. Eine bestimmte Person kann er nicht vorschlagen, vgl. § 34 a IV EGGVG. Aufgabe der Kontaktperson ist nicht die Verteidigung des Beschuldigten370, sondern dessen Betreuung, soweit dafür infolge der Kontaktsperre ein Bedürfnis besteht, § 34 a I 2 1. HS EGGVG. Die Kontaktperson ergänzt den (bestellten) Verteidiger – auch indem ihr (Anwesenheits)Rechte gewährt werden, die jenem versagt bleiben, vgl. § 34 a II 2 EGGVG.

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Vgl. Kissel, § 31 EGVG Rn. 11. So u. a. im Bußgeldverfahren (§ 46 I OWiG) oder im Verfahren nach §§ 23 ff. EGGVG (vgl. § 29 II EGGVG). 364 Von dieser Bestellung wird der Gefangene noch nicht einmal benachrichtigt, vgl. Kissel, § 34 EGGVG Rn. 5; KK-Schoreit, § 34 EGGVG Rn. 5. 365 Kissel, § 34 EGGVG Rn. 4; Meyer-Goßner, § 34 EGGVG Rn. 5. 366 KK-Schoreit, § 31 EGGVG Rn. 27; Kissel, § 31 EGGVG Rn. 33 und § 34 EGGVG Rn. 6; Oellerich bezeichnet diese Vorschrift als „Zynismus“ (StV 1981, 434, 436). 367 Kissel, § 34 EGGVG Rn. 6. 368 Meyer-Goßner, § 34 EGGVG Rn. 5. 369 Eingeführt durch das Änderungsgesetz zum EGGVG vom 04.12.1985 (BGBl. I, S. 2141). 370 KK-Schoreit, § 34 a EGGVG Rn. 2; Vogelsang, S. 12. 363

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3. Kap.: Bestellung von Verteidigern und Beiständen

2. § 29 III EGGVG i. V. m. §§ 114 ff. ZPO Im Rahmen der Anfechtung von Justizverwaltungsakten nach §§ 23 ff. EGGVG kommt eine Bewilligung von Prozeßkostenhilfe nach §§ 114 ff. ZPO analog gemäß § 29 III EGGVG in Betracht. Zuständig für die Entscheidung ist der Strafsenat des betreffenden Oberlandesgerichts nach §§ 25 I 2. Alt., 29 III EGGVG i. V. m. § 117 I 1 ZPO. Eine analoge Anwendung von § 140 II wird allgemein abgelehnt371. III. Bestellung eines Rechtsanwalts als Beistand nach dem Gesetz über Internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG)372 Zentrale Vorschriften für die Bestellung eines Pflichtbeistands nach dem IRG sind § 40 II und § 53 II373. Gemäß deren Absatz III gelten die §§ 140, 141 I bis III und § 142 II nicht. Nach § 40 III IRG sind die Vorschriften des 11. Abschnitts des ersten Buches der Strafprozeßordnung („Verteidigung“) mit Ausnahme der §§ 140, 141 I bis III und § 142 II entsprechend anzuwenden. Der Beistand ist somit weitgehend der Stellung des Verteidigers angenähert374. 1. Anwendung von § 40 II IRG 375 Betreffend die Auslieferung an das Ausland schreibt das IRG unter den in § 40 II IRG aufgeführten Voraussetzungen die Bestellung eines Beistands vor. Dem Verfolgten, der noch keinen Beistand gewählt hat, ist ein Rechtsanwalt als Beistand zu bestellen, wenn wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Beistands geboten erscheint (Nr. 1), ersichtlich ist, daß der Verfolgte seine Rechte nicht selbst hinreichend wahrnehmen kann (Nr. 2), oder der Verfolgte noch nicht achtzehn Jahre alt ist (Nr. 3). 371 Vgl. Meyer-Goßner, § 29 EGGVG, Rn. 5; Litwinski/Bublies, S. 161; Isak/Wagner, Rn. 45. 372 Vom 23.12.1982 (BGBl. I, S. 2071). 373 Wird der Verfolgte zu einer mündlichen Verhandlung nicht vorgeführt, so ist ihm ein Beistand nach den Voraussetzungen der Vorschriften §§ 31 II 3, 33 III, 36 II 2, 52 II 2, 71 IV 5 IRG zu bestellen. Im Bereich der sonstigen Rechtshilfe ist eine Pflichtbeistandsbestellung nach dem IRG grds. nicht vorgesehen, vgl. Schomburg/Lagodny, § 40 IRG Rn. 4; (Lagodny), § 61 IRG Rn. 21, § 59 IRG Rn. 42 a, Vor § 59 Rn. 42; Vogler/Wilkitzki, (Vogler) § 40 IRG Rn. 1. 374 Vgl. BT-Drucks. 9/1338, S. 60, 74; Kaum, S. 199. 375 Zur Anwendbarkeit im Durchlieferungsverfahren über § 45 VI IRG: Schomburg/Lagodny, (Lagodny) § 45 IRG Rn. 11; Vogler/Wilkitzki, (Vogler) § 40 IRG Rn. 1; zur Anwendbarkeit über § 65 IRG: Schomburg/Lagodny, § 65 IRG Rn. 6.

§ 2 Außerhalb von §§ 140, 141, 145 liegende Fälle der Verteidigerbeistellung 159

Die Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage ergibt aus der Sicht des Betroffenen in der Regel schon aus dem Beziehungsgeflecht der entscheidenden Vorschriften376. Auch § 40 II Nr. 2 IRG ist regelmäßig indiziert377. Die Fälle des § 40 II Nr. 3 IRG werden so schon von Nr. 1 und Nr. 2 häufig miterfaßt378. Schomburg/Lagodny nehmen entgegen dem Wortlaut des § 40 III IRG aus verfassungsrechtlichen Gründen eine Beistandsbestellung an, wenn durch eine längere Inhaftierung eine Verteidigung ohne Beistand nicht mehr angemessen erscheint379, vgl. § 140 I Nr. 5. Zuständig für die Bestellung ist der Vorsitzende des Senats, vgl. § 40 III IRG i. V. m. § 141 IV (§§ 13 I, 27 III IRG). Eine Zuständigkeit des Amtsrichters für die Bestellung ist gesetzlich nicht vorgesehen. Jedoch wird angenommen, er habe für eine Bestellung durch das Oberlandesgericht Sorge zu tragen bzw. sie in Eilfällen selbst zu gewährleisten380. 2. Bestellung eines Beistands im Auslieferungsverfahren aufgrund des Europäischen Haftbefehls Eine Beistandsbestellung im Auslieferungsverfahren nach § 40 II IRG basiert sowohl auf sprachlichen und verfahrensrechtlichen Schwierigkeiten als auch auf dessen weittragender Bedeutung381. Auch wenn das Auslieferungsverfahren im

376 Dieses umspannt Straf-, Strafverfahrens-, Völker- und Verfassungsrecht; einschränkend bezüglich einer generellen Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage: OLG Düsseldorf StV 1983, 453; dagegen: Schomburg/Lagodny, (Schomburg) § 53 IRG Rn. 7 a, § 40 IRG Rn. 3, Rn. 12 ff. mit dem Hinweis auf die generalisierende gesetzliche Begründung zur Zuständigkeit des Oberlandesgerichts, die sich auf die Schwierigkeiten des Verfahrens stützt; enger: Vogler/Wilkitzki, (Vogler) § 40 IRG Rn. 17 ff. Eine Bestellung erfolgt jedenfalls bei nach § 30 III IRG angeordneter mündlicher Verhandlung (vgl. Vogler/Wilkitzki, (Vogler) § 40 IRG Rn. 12, § 31 IRG Rn. 11), bei einem Auslieferungsersuchen und sich anschließender Vernehmung (Schomburg/Lagodny, § 40 IRG Rn. 17 a), sowie bei der Abgabe einer Zustimmungserklärung zum vereinfachten Auslieferungsverfahren nach § 21 IV i. V. m. § 41 IRG, wenn der Betroffene nicht in der Lage ist, die Bedeutung seines Verzichts zu erkennen (Schomburg/ Lagodny, Einl. Rn. 77; (Schomburg) § 21 IRG Rn. 11 f., (Schomburg/Lagodny) § 40 IRG Rn. 24, (Lagodny) § 41 IRG Rn. 15 ff. 377 Schomburg/Lagodny, § 40 IRG Rn. 18. Kriterien sind hier mangelnde soziale Kontakte, Beherrschung der deutschen Sprache sowie die finanzielle Situation; vgl. ferner: Vogler/Wilkitzki, (Vogler) § 40 IRG Rn. 22. 378 Schomburg/Lagodny, § 40 IRG Rn. 3. 379 So insbesondere bei der Suche nach Beweismitteln, vgl. Schomburg/Lagodny, § 40 IRG Rn. 21 f.; zur analogen Anwendung von § 140 im Auslieferungsverfahren vgl. ferner: BGH GA 1965, 56 f.; AK-Stern, § 140 Rn. 86; dagegen: Vogler/Wilkitzki, (Vogler) § 40 IRG Rn. 26 f. 380 Z. B. bei der Zustimmungserklärung nach § 41 IRG oder bei der Vernehmung nach §§ 21, 22, 28 IRG, vgl. Schomburg/Lagodny, § 40 IRG Rn. 24, (Lagodny) § 28 IRG Rn. 5; Vogler/Wilkitzki, (Vogler) § 40 IRG Rn. 30.

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3. Kap.: Bestellung von Verteidigern und Beiständen

Rahmen des Europäischen Haftbefehls Vereinfachungen mit sich bringt und den Regelfall der Übergabe eines Beschuldigten darstellen soll, so bleiben Sprachschwierigkeiten bestehen. Komplexe Detailfragen sind auch hier noch von Bedeutung382. Rohlff weist auf eine mögliche Pflichtverteidigerbestellung infolge einer Zustimmungserklärung zur Übergabe nach Art. 13 I, II Rahmenbeschluß über den Europäischen Haftbefehl hin; gleiche Überlegungen haben für den Verzicht auf den Grundsatz der Spezialität gemäß Art. 27 II, III lit. f) zu gelten383. Der Bundestag hat in Umsetzung des Rahmenbeschlusses zum Europäischen Haftbefehl ein Europäisches Haftbefehlsgesetz beschlossen384. Dieser Beschluß entspricht den Forderungen in der Literatur insofern, als er § 40 I Nr. 1 IRG wie folgt abändert: „wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Beistandes geboten erscheint, bei Verfahren nach Abschnitt 2 des Achten Teils insbesondere bei Zweifeln, ob die dem Ersuchen zugrunde liegende Tat nach dem Recht des ersuchenden Staates eine Strafbestimmung verletzt, die den in Artikel 2 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (ABl. EG 2002 Nr. L 190 S. 1) in Bezug genommenen Deliktsgruppen zugehörig ist,“385. Im Rahmen eines Europäischen Haftbefehls könnte auch die Einführung einer doppelt notwendigen Verteidigung im vollstreckenden und ersuchenden Staat in Betracht zu ziehen sein386. Es böte sich eine europäische Verteidigeranlaufstelle (vergleichbar Eurojust auf strafverfolgungsbehördlicher Seite) an387. 381 Schomburg/Lagodny, § 40 IRG Rn. 3 f.; Rohlff, S. 142; Gillmeister, NJW 1991, 2245 (2252). 382 Vgl. Rohlff, S. 142 f.; Wehnert, StraFo 2003, 356 (358). 383 Rohlff, S. 143, 146; im Anschluß an Schomburg/Lagodny, § 40 Rn. 14 f.; Gillmeister, NJW 1991, 2245 (2246). 384 Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (Europäisches Haftbefehlsgesetz – EuHbG) vom 21.07.2004, BGBl. I, S. 1748. 385 Vgl. dazu die Ausführungen des Rechtsausschusses (BT-Drucks. 15/2677): Die in § 40 II Nr. 1 vorgesehenen Zweifel „müssen jedoch gewichtiger Natur sein. Nur sie rechtfertigen die Annahme einer schwierigen Sach- und Rechtslage im Sinne des § 40 Abs. 2 Nr. 1 IRG-E. Bei der Auswahl des Beistandes sind solche zu bevorzugen, die im Auslieferungs- und Strafrecht der am Auslieferungsverfahren beteiligten Mitgliedstaaten über besondere Kenntnisse verfügen.“ Vorangegangen war dem Gesetzesbeschluß ein Entwurf der Bundesregierung (BT-Drucks. 15/1718), der eine solche Regelung noch nicht vorsah. 386 Stellungnahme der Strafverteidigervereinigungen zum Grünbuch (2003), unter II. 1. (dort auch zur doppelt notwendigen Verteidigung bei Verfolgung durch die europäische Staatsanwaltschaft); Wehnert, StraFo 2003, 356 (358, 360); Salditt, StV 2003, 136 f.; kritisch zur Realisierbarkeit aus finanziellen Gründen: Rohlff, S. 144. Es sollte eine staatliche Finanzierung erfolgen, vgl. Stellungnahme der Strafverteidigervereinigungen zum Grünbuch (2003), unter II. 1.; ein Prozeßkostenhilfemodell erscheint möglich, vgl. Satzger, StV 2003, 137 (139).

§ 2 Außerhalb von §§ 140, 141, 145 liegende Fälle der Verteidigerbeistellung 161

3. Im Verfahren der Rechtshilfe durch Vollstreckung nach § 53 II IRG (ggf. i. V. m. § 71 IV 4 IRG – Ausgehendes Ersuchen um Vollstreckung) Dem Verurteilten ist im Vollstreckungshilfeverfahren nach § 53 II Nr. 1 und Nr. 2 IRG ein Pflichtbeistand zu bestellen. Die Fälle sind denen von § 40 II Nr. 1 und Nr. 2 IRG nachempfunden388. Auch hier wird im Regelfall von einer Bestellung auszugehen sein389. § 53 II Nr. 3 IRG nimmt eine Bestellung an, wenn sich der Verurteilte außerhalb dieses Gesetzes in Haft befindet und Zweifel bestehen, ob er seine Rechte hinreichend wahrnehmen kann. Auch hier ist § 140 I Nr. 5 entsprechend den Ausführungen zu § 40 II IRG analog heranzuziehen. Zuständig für die Bestellung ist der Vorsitzende der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts, vgl. § 78 a I 2 Nr. 3 GVG, § 53 III IRG i. V. m. § 141 IV. IV. Bestellung eines Beistands nach § 31 IStGHG390 Nach § 31 IStGHG ist im Überstellungsverfahren die Bestellung eines Rechtsanwalts als Beistand spätestens ab dem Zeitpunkt nach §§ 14 II, 15 II IStGHG (Zeitpunkt der ersten Vernehmung nach Festnahme aufgrund eines Überstellungshaftbefehls oder nach vorläufiger Festnahme) vorgesehen. Der Betroffene ist unverzüglich (spätestens am Tag) nach der Ergreifung dem Amtsrichter vorzuführen und von diesem zu vernehmen. Aufgrund der Schwere der Delikte391 ist die Beistandschaft vor dem Internationalen Strafgerichtshof stets durchgängig notwendig392. Der Beistand wird durch den Vorsitzenden des zuständigen OLG Senats bestellt, vgl. §§ 7 I, 31 III IStGHG i. V. m. § 141 IV. Im Durchbeförderungsverfahren ist nach § 33 VI 2 IStGHG ein Beistand zu bestellen, wenn dies wegen Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage geboten ist

387 Stellungnahme der Strafverteidigervereinigungen zum Grünbuch (2003), unter II. 1.; Rohlff, S. 149 f.; Salditt, StV 2003, 136 f.: Einführung eines „public defender“ Büros; Satzger, StV 2003, 137 (139); Ambos, ZStW 115 (2203), 583 (637); vgl. unten (K 7, § 3 C.) die Vorschläge des AE-Europäische Strafverfolgung hinsichtlich „Eurodefensor“. 388 Dem Verfolgten, der noch nicht 18 Jahre alt ist, soll über § 53 II Nr. 1 und Nr. 2 IRG ein Beistand bestellt werden, vgl. Schomburg/Lagodny, (Schomburg) § 53 IRG Rn. 4. 389 KG NStZ 1995, 415; Schomburg/Lagodny, (Schomburg) § 53 IRG Rn. 5 ff.; Vogler/Wilkitzki, (Vogler) § 53 IRG Rn. 8 ff. 390 Gesetz vom 21.06.2002 zur Ausführung des Römischen Statuts vom 17.07.1998 (BGBl. I, S. 2144). 391 Vgl. Art. 5 ff. Römisches Statut. 392 Vgl. Grützner/Pötz, III 26, zu § 31 IStGHG Anm. 87.

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3. Kap.: Bestellung von Verteidigern und Beiständen

oder ersichtlich ist, daß der Betroffene seine Rechte selbst nicht hinreichend wahrnehmen kann. Gleiches gilt für die Rechtshilfe durch Vollstreckung von Entscheidungen des Internationalen Strafgerichtshofs, vgl. § 46 IV 2 IStGHG. V. Notwendige Verteidigung für Jugendliche und Heranwachsende Im Verfahren nach dem JGG werden Verteidigerbestellungsmöglichkeiten über das Verfahrensrecht für Erwachsene hinaus ermöglicht. Jedoch wird vielfach der Appell laut, das „Mauerblümchendasein“393 der Pflichtverteidigung im Jugendstrafverfahren zu beenden, ihre Stellung aufzuwerten394. 1. Regelungen im Erkenntnisverfahren Die Pflichtverteidigerbestellung bestimmt sich für Jugendliche nach § 68 JGG. Wenn das Verfahren vor den für allgemeine Strafsachen zuständigen Gerichten (§ 102 JGG) stattfindet, ist § 68 JGG über § 104 I Nr. 10 JGG anwendbar. Auf Heranwachsende sind gemäß § 109 I 1 JGG die Vorschriften § 68 Nr. 1 und Nr. 3 JGG anwendbar. Wenn das Verfahren vor den für allgemeine Strafsachen zuständigen Gerichten (§ 102 JGG i. V. m. § 112 S. 1 JGG) stattfindet, so gelten § 68 Nr. 1 und Nr. 3 JGG ebenfalls, diesmal über § 112 S. 1 u. S. 2 i. V. m. § 104 Nr. 10 JGG395. a) Pflichtverteidigung nach § 68 Nr. 2, Nr. 3 u. Nr. 4 JGG Danach ist eine Verteidigerbestellung ist in folgenden Verfahrenssituationen erforderlich: – Wenn dem Erziehungsberechtigten und dem gesetzlichen Vertreter deren Rechte nach § 67 IV JGG entzogen396 worden sind, § 68 Nr. 2 JGG. 393 So Beulke, FS-Böhm, S. 647 (648); vgl. ferner P.-A. Albrecht, Jugendstrafrecht, S. 343; siehe die Nachweise bei Bessler, S. 93 f. 394 Vgl. die Argumentation bei Viehmann gegen eine ablehnende Haltung gegenüber Strafverteidigern in jugendgerichtlichen Verfahren, in: Walter (Hrsg.), S. 183 (187 f.). 395 H. Schmidt, S. 130; Eisenberg, § 112 JGG Rn. 5. 396 Es genügt eine Entziehung von nicht unerheblichen Teilen, vgl. Eisenberg, § 68 JGG Rn. 29; § 68 Nr. 2 JGG wird entsprechend angewendet bei tatsächlicher Hinderung der Ausübung der Rechte, so auch im Fall des § 104 III JGG, vgl. H. Schmidt, S. 129 f.; Bottke, BMJ-Vert, 46 (83).

§ 2 Außerhalb von §§ 140, 141, 145 liegende Fälle der Verteidigerbeistellung 163

– Wenn ein Gutachten gemäß § 73 JGG vorbereitet werden soll und eine Unterbringung des Beschuldigten in eine Anstalt in Frage kommt, § 68 Nr. 3 JGG. – Wenn gegen den Beschuldigten397 Untersuchungshaft oder einstweilige Unterbringung nach § 126 a vollstreckt wird398 und er noch nicht 18 Jahre alt ist, § 68 Nr. 4 JGG399. Im Gegensatz zu der Pflichtverteidigerbestellung nach § 140 I Nr. 5 gebietet das Gesetz, daß der Verteidiger „unverzüglich“400 bestellt wird. Es wird angenommen, zuständig für die Bestellung sei der Haftrichter401. b) § 68 Nr. 1 JGG (bzw. § 2 JGG) i. V. m. den Vorschriften der Strafprozeßordnung über die Verteidigerbestellung Eine Pflichtverteidigerbestellung bestimmt sich gemäß § 68 Nr. 1 JGG (§ 2 JGG) nach dem Erwachsenenstrafrecht. Bei der Übertragung der aus dem Erwachsenenstrafrecht „entliehenen“ Notwendigkeit der Verteidigung nach § 68 Nr. 1 JGG ist den Besonderheiten des Jugendstrafverfahrens als Täterstrafrecht mit überwiegendem Erziehungscharakter Rechnung zu tragen402. 397 Bei einem Heranwachsenden ergibt sich über § 140 II eine Verteidigerbestellung, vgl. Schaffstein/Beulke, S. 219. 398 Ostendorf (§ 68 JGG Rn. 13), betont, daß die Bestellung schon mit der Anordnung erfolgen sollte. Ansonsten sei der Beschuldigte bei den entscheidungsrelevanten Vernehmungen verteidigerlos. De lege ferenda: H.-J. Albrecht, Gutachten D 124 f., 169 These 3 g): Bestellung eines Verteidigers schon vor Erlaß eines Haftbefehls; vgl. ferner: Vorschläge der DVJJ Kommission zur Reform des Jugendkriminalrechts/UK III (Jugendverfahren), DVJJJournal 1992, 25 (Ergänzung von § 141 durch den zu schaffenden § 68 II JGG: „Die Bestellung des Verteidigers hat möglichst frühzeitig zu erfolgen. In eindeutigen Fällen hat dies bereits zu Beginn des Ermittlungsverfahrens zu geschehen. Stellt sich bei der ersten polizeilichen Vernehmung heraus, daß ein Fall der notwendigen Verteidigung vorliegt, muß die Vernehmung abgebrochen werden. Sie darf erst nach Bestellung des Verteidigers fortgesetzt werden.“); Arbeitskreis IV/1 (Hilfe durch Strafverteidiger) des 22. Deutschen Jugendgerichtstages, DVJJ-Journal 1992, 285 (286): Einschaltung des Verteidigers in eindeutigen Fällen schon vor der ersten polizeilichen Vernehmung. 399 Eingefügt durch das erste JGGÄndG vom 30.08.1990 (BGBl. I, S. 1853). 400 Vgl. die Gesetzesbegründung: „. . . unverzüglich, d.h. gegebenenfalls noch am gleichen Tage und für den Verkündungstermin . . .“. Der Verteidiger könne so schon den Erlaß des Haftbefehls verhindern, auf dessen Aufhebung oder Außervollzugssetzung hinwirken (BT-Drucks. 11/5829, S. 28). 401 Die Praxis sei uneins, vgl. Schmitz-Justen, in: Walter (Hrsg.), S. 169 (171 f.): Modifikation von § 141 IV durch das Merkmal der „Unverzüglichkeit“; vgl. jedoch zur Bestellungszuständigkeit nach §§ 117 IV, 140 I Nr. 5 im Verfahrensrecht für Erwachsene die Rundverfügung des Hessischen Generalstaatsanwalts vom 11.01.1994, StV 1994, 223. 402 Vgl. Schaffstein/Beulke, S. 218; im Gegensatz zum Tatschuldstrafrecht der Erwachsenen, vgl. Walter, NJW 1989, 1022 (1023); Oellerich, StV 1981, 434 (439).

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3. Kap.: Bestellung von Verteidigern und Beiständen

Die Vorschriften der §§ 117 IV, 118 a II403, 138 c III 4, 231 a IV, 350 III, 364 a, 364 b sowie §§ 34 III Nr. 1, 34 a I 1 EGGVG und § 60 OWiG sind anwendbar404. Ferner die Vorschriften über die Verteidigerbestellung nach dem IRG. Im Verfahren gegen Jugendliche sind die Vorschriften über den Strafbefehl (§§ 407 ff.) und das beschleunigte Verfahren (§§ 417 ff.) gemäß § 79 I und II JGG nicht anwendbar. Damit sind keine Verteidigerbestellungen nach § 408 b S. 2 bzw. § 418 IV erforderlich. Gemäß § 109 III JGG ist im Verfahren gegen Heranwachsende § 407 II 2 nicht anwendbar und damit eine Bestellung nach § 408 b S. 2 nicht erforderlich. Die Anwendung des beschleunigten Verfahrens und damit die Bestellung nach § 418 IV bleiben möglich. aa) § 140 I Anwendbar sind § 140 I Nr. 1, Nr. 2, Nr. 5405 und Nr. 6406, Nr. 7 und Nr. 8407. Gemäß § 140 I Nr. 1 i. V. m. § 68 Nr. 1 JGG ist die Verteidigung notwendig, wenn die Jugendkammer beim Landgericht oder das Oberlandesgericht gemäß § 102 S. 1 JGG zuständig ist408. Nicht anwendbar ist für Jugendliche dagegen § 140 I Nr. 3409, vgl. § 7 JGG. bb) § 140 II Bei Jugendlichen und Heranwachsenden ist von einem „Verteidigungsdefizit“ noch häufiger auszugehen als bei einem Erwachsenen410; die angewendeten Kriterien aus dem allgemeinen Strafverfahren sind lediglich ein Mindeststandard411. Es ist auf eine jugendliche Perspektive abzustellen412. Dabei ist auf die

403 §§ 117 IV, 118 a II werden durch § 68 I Nr. 4 JGG überlagert, vgl. Eisenberg, § 68 JGG Rn. 22. 404 Vgl. hierzu: Hartmann-Hilter, S. 137 ff., 143 ff. 405 Für Jugendliche gilt auch der viel weitere § 68 Nr. 4 JGG, welcher für Heranwachsende nicht angewendet wird, vgl. § 109 I 1 JGG. Auch die Unterbringung in einem Erziehungsheim kann unter § 140 I Nr. 5 fallen (vgl. LG Braunschweig StV 1986, 472; DSS/Diemer, § 68 JGG Rn. 9). 406 Brunner/Dölling, § 68 JGG Rn. 24; Irmer-Tiedt, S. 138. 407 Vgl. Beulke, BMJ-Vert, S. 170 (172 ff.). 408 Vgl. dazu Hartmann-Hilter, S. 26 ff. 409 Hartmann-Hilter, S. 28 f., dort auch zur Anwendbarkeit auf Heranwachsende. 410 Brunner/Dölling, § 68 Rn. 9; Ostendorf, § 68 JGG Rn. 7; Beulke, FS-Böhm, S. 647 (659 f.). 411 Schaffstein/Beulke, S. 217; Beulke, FS-Böhm, S. 647 (651 ff.); dennoch wird ein Verteidiger im Verfahren nach dem Jugendgerichtsgesetz seltener bestellt als im Erwachsenenverfahren, Irmer-Tiedt, S. 149 f.; Ostendorf, StV 1998, 297 (301 f.); Ei-

§ 2 Außerhalb von §§ 140, 141, 145 liegende Fälle der Verteidigerbeistellung 165

Kölner Richtlinien für die Beiordnung eines Pflichtverteidigers in Jugendstrafverfahren413 zurückzugreifen; sie dienen der Auslegung414. Anstelle einer reinen Rechtsfolgenbetrachtung wird im jugendgerichtlichen Verfahren verstärkt eine Gesamtabwägung unter Berücksichtigung von § 140 II 1 2. und 3. Alt. vorgenommen, um die Schwere der Tat nach § 140 II 1 1. Alt. zu bestimmen415. Nach Beulke ist jede Straftat schwer, die bereits durch ihre Begehung selbst oder aufgrund der durch sie ausgelösten Rechtsfolgen den Beschuldigten erheblich belastet. Die Auswirkungen auf das künftige Leben des Beschuldigten sind mit einzubeziehen416. Auch Hartmann-Hilter führt aus, daß die dem täterorientierten Jugendstrafrecht innewohnende breite Reaktionsmöglichkeit und die Bedeutung einer Tatbegehung für einen Jugendlichen eine im Erwachsenenverfahrensrecht überwiegende Betrachtung der Straffolgen relativiert417. Eine Ansicht418 stellt generell auf zu erwartende Jugendstrafe ab. Die Rechtsprechung nimmt zum Teil auf eine bestimmte Höhe von Jugendstrafe Bezug419. Die Aussetzung zur Bewährung ist dabei unbeachtlich420. Eine freiheitsentziehende Maßregel nach § 7 JGG, Jugendarrest (in Form des Dauerarrests nach § 16 IV JGG) oder Maßnahmen im Rahmen der Fürsorgeerziehung nach § 12 JGG können ebenfalls eine Notwendigkeit der Verteidigung nach sich ziehen421. Auch außerstrafrechtliche Folgen sind zu berücksichtigen422. senberg, § 68 JGG Rn. 8 weist darauf hin, daß eine solche Kritik die Effektivität einer Verteidigermitwirkung nachweisen müßte. 412 Bottke, BMJ-Vert, S. 46 (85 f.); Ostendorf, StV 1986, 308 (309); Molketin, ZBlJugR 1981, 199 (200). 413 Die Richtlinien wurden von einer Arbeitsgruppe der Deutschen Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichshilfen e. V. (DVJJ) erarbeitet. Sie sind abgedruckt in: NJW 1989, 1024 ff. und in: Walter (Hrsg.), S. 207 ff. 414 Zur Rezeption der Kölner Richtlinien in Rechtsprechung, Gesetzgebung und Schrifttum vgl. Beulke, in: Walter (Hrsg.), S. 37 (49). Darin beklagt Beulke die vergleichsweise geringe Bereitschaft der Praxis, die Richtlinien heranzuziehen, S. 39 ff. m. umfangreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung. 415 Vgl. Beulke, in: Walter (Hrsg.), S. 37 (43 f. m. Nachw. aus der Rspr.); Schaffstein/Beulke, S. 218. 416 Beulke, BMJ-Vert, S. 170 (176); ders., FS-Böhm, S. 647 (653). 417 Hartmann-Hilter, S. 46 f. 418 Vgl. LG Gera StV 1999, 654 f.; Schaffstein/Beulke, S. 218; P.-A. Albrecht, Jugendstrafrecht, S. 346; Hartmann-Hilter, S. 47 f.; Kölner Richtlinien, NJW 1989, 1024 (1026) unter C II 2 c) und C IV 3; nach Beulke, FS-Böhm, S. 647 (652 f.) ferner immer dann, wenn ein Grenzfall zwischen Jugendarrest und Jugendstrafe vorliegt. 419 Vgl. OLG Brandenburg NStZ-RR 2002, 184 f.; Eisenberg, § 68 JGG Rn. 24; eine Bejahung von § 140 II 1. Alt. wird nach überwiegender Ansicht bei einer Jugendstrafe von einem Jahr angenommen, vgl. die Nachweise bei Beulke, FS-Böhm, S. 647 (656 f.). 420 Vgl. DSS/Diemer, § 68 JGG Rn. 10; Ostendorf, § 68 JGG Rn. 8 m. w. N.; ebenfalls ein Vorgehen nach § 27 JGG, vgl. Beulke, BMJ-Vert, S. 170 (178) und Hartmann-Hilter, S. 50 f.

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3. Kap.: Bestellung von Verteidigern und Beiständen

Eine Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage, § 140 II 1 2. Alt.423, wird u. a. angenommen, wenn die Anwendung von § 105 JGG in Frage kommt, die Schuldfähigkeit nach §§ 20, 21 StGB oder die Verantwortungsreife nach § 3 JGG betroffen ist424. Auch die Einlegung von Rechtsmitteln gebietet eine Verteidigerbestellung425. Eine Bestellung hat ferner bei Zuständigkeit des Jugendschöffengerichts zu erfolgen, § 40 I JGG – zumindest bei einer möglichen Abgabe der Strafsache an die Jugendkammer nach § 40 II JGG426. Auch Glaubwürdigkeits- und Indizienbeweise sind aus verfahrensrechtlicher Sicht nur von einem Verteidiger beurteilbar. Die erforderliche Akteneinsicht durch den Verteidiger kann ebenfalls gerade im Hinblick auf die Jugendhilfeberichte die Notwendigkeit der Verteidigung nach § 140 II 2. Alt. bedingen427. Die in § 140 II 1 3. Alt. genannte notwendige Verteidigung wegen Verteidigungsunfähigkeit ist im Jugendstrafverfahren besonders zu berücksichtigen428. Dabei ist die persönliche Situation gerade des Jugendlichen oder des Heranwachsenden als noch nicht ausgeprägte Persönlichkeit einzubeziehen429. Diese ist in Relation zum Schuldvorwurf zu setzen430.

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Ostendorf, § 68 JGG Rn. 8; Hartmann-Hilter, S. 51 ff. Brunner/Dölling, § 68 JGG Rn. 20; Eisenberg, § 68 JGG Rn. 25; Hartmann-Hilter, S. 46 f. (auf S. 57 ff. zu zivilrechtlichen Schadensersatzforderungen, die gerade für Jugendliche und Heranwachsende entscheidende Bedeutung haben können); Kölner Richtlinien, NJW 1989, 1024 (1025) unter C IV 2; so sind bei ausländischen Beschuldigten stets auch die ausländerrechtlichen Konsequenzen in Betracht zu ziehen, vgl. Katz, in: Walter (Hrsg.), S. 149 (152 f.). 423 Vgl. dazu insbesondere: Brunner/Dölling, § 68 JGG Rn. 21; Hartmann-Hilter, S. 67 ff. 424 Hartmann-Hilter, S. 75 f.; Lüderssen, NJW 1986, 2742 (2746); nach Oellerich (StV 1981, 434, 439) bedingt schon die Einbindung eines Gutachters in die Beantwortung dieser Frage die Notwendigkeit der Verteidigung. 425 Vgl. Kölner Richtlinien, NJW 1989, 1024 (1025) unter B; Schaffstein/Beulke, S. 218. 426 Vgl. DSS/Diemer, § 68 JGG Rn. 11; Schaffstein/Beulke, S. 218; Kölner Richtlinien, NJW 1989, 1024 (1025) unter C II 2. 427 Schaffstein/Beulke, S. 219; vgl. ferner: Hartmann-Hilter, S. 71 ff.; Spahn, StraFo 2004, 82 (83 f.); Oellerich, StV 1981, 434 (440). 428 Vgl. dazu: Eisenberg, § 68 JGG Rn. 27 f.; Spahn, StraFo 2004, 82 (84). 429 Vgl. BGH MDR 1952, 564 f.; Kölner Richtlinien, NJW 1989, 1024 (1025) unter B; Brunner/Dölling, § 68 JGG Rn. 21; Schaffstein/Beulke, S. 219 verweisen hier insbesondere auf die 14 bis 15-jährigen Jugendlichen; H. Schmidt, S. 127; vgl. P.-A. Albrecht (Jugendstrafrecht, S. 347) gegen die Argumentation von Ostendorf (§ 68 Rn. 10), wonach Jugendliche, die schon mehrfach vor Gericht gestanden hätten, sich einzustellen wüßten. 430 Schaffstein/Beulke, S. 219. 422

§ 2 Außerhalb von §§ 140, 141, 145 liegende Fälle der Verteidigerbeistellung 167

U. a. kommt eine Verteidigerbestellung in Betracht, wenn andere Mitbeschuldigte in demselben Verfahren verteidigt sind431. Auch das fehlende Vertrauensverhältnis zum Wahlverteidiger kann eine Bestellung rechtfertigen432. § 80 III JGG verbietet die Nebenklage gegen einen Jugendlichen; auch ein Anspruch des Nebenklagebefugten auf Beiordnung eines Beistandes nach § 406 g I, III, IV scheidet insofern aus433. Demzufolge kommt eine Verteidigungsunfähigkeit nach § 140 II 1 3. Alt. 2. HS nicht in Betracht. Wenn ein Rechtsanwalt jedoch nach § 406 f als Beistand vom Verletzten gewählt wird, kann der Gedanke aus § 140 II 1 3. Alt. übertragen und eine notwendige Verteidigung angenommen werden434. c) Einstweilige Unterbringung in einem Heim der Jugendhilfe nach § 71 II 1 JGG In diesen Fällen ist dem Jugendlichen nach § 71 II 2 JGG i. V. m. §§ 117 IV 1, 118 a II 3 ein Verteidiger zu bestellen. Auch ist die einstweilige Unterbringung einer notwendigen Verteidigung im Rahmen von Untersuchungshaft für Jugendliche gleichzustellen 435. d) Pflichtverteidigerbestellung im vereinfachten Jugendverfahren Trotz fehlenden Verweises von § 78 III 2 JGG auf § 68 JGG wenden die h. L.436 und die Rechtsprechung437 diese Vorschrift an438 und gehen damit von einer möglichen notwendigen Verteidigung in dieser Verfahrensart aus.

431

AG Saalfeld StV 2002, 406; Oellerich, StV 1981, 434 (440). Vgl. Eisenberg, § 68 Rn. 20; zur notwendigen Verteidigung bei Ausbleiben der Jugendgerichtshilfe: LG Bremen StraFo 2004, 56. 433 BGH StraFo 2003, 58; OLG Düsseldorf StV 2003, 455 f.; vgl. ferner die Argumentation bei Kaster, MDR 1994, 1073 (1075 f. m. Nachweisen auch zur Gegenmeinung). 434 Ostendorf, § 68 JGG Rn. 10. 435 Vgl. Eisenberg, § 71 JGG Rn. 14, § 68 JGG Rn. 31. 436 Ostendorf, § 68 JGG Rn. 2; DSS/Diemer, § 68 Rn. 3; H. Schmidt, S. 128 f.; Bottke, BMJ-Vert, S. 46 (84); umfassend hierzu: Hartmann-Hilter, S. 104 ff. 437 Vgl. OLG Düsseldorf, NStZ 1999, 211; Meyer-Goßner, § 140 Rn. 12; Katz, in: Walter (Hrsg.), S. 149 (151). 438 Eine Pflichtverteidigerbestellung wird in diesem Verfahren jedoch selten erfolgen, vgl.: Eisenberg, § 68 JGG Rn. 3; Brunner/Dölling, § 68 JGG Rn. 26; DSS/Diemer, § 68 JGG Rn. 3; Katz, in: Walter (Hrsg.), S. 149 (150 f.). 432

168

3. Kap.: Bestellung von Verteidigern und Beiständen

2. Regelungen im Vollstreckungsverfahren439 Unabhängig davon, ob das Verfahren vor Jugendgerichten oder vor den für allgemeine Strafsachen zuständigen Gerichten erfolgt440, findet § 68 JGG im Vollstreckungsverfahren gegen Jugendliche über § 83 III 2 JGG sinngemäße Anwendung, gegen Heranwachsende unter den Voraussetzungen von § 110 I JGG441 i. V. m. § 83 III 2. 3. § 29 III EGGVG, § 120 II StVollzG Im Rahmen des auch für Jugendliche möglichen Rechtsbehelfs nach § 23 EGGVG442 kommt eine Beiordnung eines Rechtsanwalts nach § 29 III EGGVG i. V. m. §§ 114 ff. ZPO in Betracht. Wenn Jugendliche und Heranwachsende eine verhängte Jugendstrafe in einer Erwachsenenstrafanstalt verbüßen, so sind über § 92 II 2 JGG die Vorschriften §§ 109, 120 II StVollzG anwendbar. 4. Beistandsbestellung nach § 69 JGG Wenn keine notwendige Verteidigung vorliegt443, kann der Vorsitzende nach § 69 I JGG einen Beistand bestellen. Dessen Stellung ist der des Verteidigers angenähert444; jedoch stehen für den Beistand im jugendgerichtlichen Verfahren Fürsorge und Unterstützung im Vordergrund445. Für Heranwachsende kann kein Beistand bestellt werden, vgl. § 109 I 1 JGG.

439 Vgl. zur sinngemäßen Anwendung von § 68 im Vollstreckungsverfahren: Brunner/Dölling, § 68 JGG Rn. 27; so wird eine Bestellung u. a. im Fall des § 88 JGG (Reststrafaussetzung zur Bewährung) und der §§ 26, 58 JGG (Widerruf der Bewährung) angenommen, vgl. Kölner Richtlinien, NJW 1989, 1024 (1025) unter C III. 440 Eisenberg, § 82 JGG Rn. 1, § 83 JGG Rn. 1, § 104 JGG Rn. 29, § 110 JGG Rn. 1. 441 Gemäß § 105 JGG wendet der Richter Jugendstrafrecht an, und es sind nach dem Jugendgerichtsgesetz zulässige Maßnahmen oder Jugendstrafe verhängt worden. 442 Vgl. die Rechtsbehelfsübersicht bei Schaffstein/Beulke, S. 314 ff. 443 Vgl. dazu: DSS/Diemer, § 69 JGG Rn. 5; nach umstr. Auffassung kann eine Beistandsbestellung gegen eine Pflichtverteidigerbestellung nach § 140 sprechen, Brunner/Dölling, § 69 JGG Rn. 5; a. A.: Ostendorf, § 69 JGG Rn. 5. 444 Vgl.: Schaffstein/Beulke, S. 220 f. 445 DSS/Diemer, § 68 JGG Rn. 8; insoweit ähnelt die Stellung des Beistands der der Jugendhilfe, vgl. Schaffstein/Beulke, S. 220. Auch im Hinblick auf die Stellung des gesetzlichen Vertreters und des Erziehungsberechtigten wird der Beistandschaft die Bedeutung abgesprochen, vgl. Brunner/Dölling, § 69 JGG Rn. 2; kritisch: Eisenberg, § 69 JGG Rn. 4 m. w. N.

§ 2 Außerhalb von §§ 140, 141, 145 liegende Fälle der Verteidigerbeistellung 169

VI. Bestellung eines Verteidigers nach der Wehrdisziplinarordnung (WDO)446 Im folgenden soll die Verteidigerbestellung nach der WDO erläutert werden. Sie erlaubt Rückschlüsse auf die Frage einer antragsabhängigen Bestellung nach § 141 III 1. An den entsprechenden Stellen wird im Rahmen der Auslegung von § 141 III 1 auf die WDO Bezug genommen. Vergleichbar notwendiger Verteidigung nach § 140 I Nr. 6 ist dem Soldaten nach § 88 S. 2 WDO ein Verteidiger zu bestellen, wenn ihn das Truppendienstgericht zwecks Vorbereitung eines psychiatrischen Gutachtens über seinen psychischen Zustand zur Beobachtung in ein öffentliches psychiatrisches Krankenhaus oder ein Wehrkrankenhaus einweist447. Nach § 90 I 2 WDO bestellt der Vorsitzende der Truppendienstkammer dem Soldaten einen Verteidiger (sei es auf Antrag448 oder von Amts wegen), wenn die Mitwirkung des Verteidigers geboten erscheint449. Bei Verhandlungsunfähigkeit oder Minderjährigkeit des Soldaten sowie, wenn er aufgrund Abwesenheit seine Rechte nicht wahrnehmen kann, ist ihm in jedem Fall ein Verteidiger zu bestellen, § 90 I 3 WDO. § 141 I und III sind nicht anzuwenden; eine Bestellung des Verteidigers ist in jedem Zeitpunkt des gerichtlichen Disziplinarverfahrens (vgl. §§ 58 ff. WDO)450 möglich. Dabei ist im Rahmen der Vorermittlungen gemäß § 92 WDO451 eine Bestellung nicht von einem Antrag des Wehrdisziplinaranwalts (vgl. § 81 WDO) abhängig452. Eine Bestellung durch den Vorsitzenden der Truppendienstkammer kann in diesem Verfahrensstadium ohne jeden Antrag erfolgen. Die Person des Verteidigers bestimmt sich nach § 90 II WDO; Rechtsanwälte müssen nicht bestellt werden453.

446

Vom 15.03.1957 (BGBl. I, S. 189) i. d. F. vom 16.08.2001 (BGBl. I, S. 2093). Zeitlich ist eine solche Einweisung nach Zustellung der Einleitungsverfügung möglich, vgl. Dau, § 88 WDO Rn. 2. 448 Antragsberechtigt ist auch der Soldat, vgl. Dau, § 90 WDO Rn. 12. 449 Dies richtet sich nach der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage; die Selbstverteidigungsfähigkeit ist in den Grenzen von § 90 S. 3 WDO unbeachtlich, Dau, § 90 WDO Rn. 13. 450 Im Gegensatz zur Ausübung der Disziplinarbefugnis des Disziplinarvorgesetzten, vgl. §§ 22 ff. WDO. 451 Um diese Vorermittlungen kann die Einleitungsbehörde den Wehrdisziplinaranwalt ersuchen. Auf den Vorermittlungen basiert die Entschließung der Einleitungsbehörde (§ 94 WDO) von der Einleitung des gerichtlichen Verfahrens durch eine Einleitungsverfügung nach § 93 WDO. 452 Dau, § 90 WDO Rn. 12. 453 Es können andere Personen, die die Befähigung zum Richteramt oder die nach § 110 S. 1 DRiG geforderte Qualifikation erfüllen, bestellt werden. Auch Soldaten 447

170

3. Kap.: Bestellung von Verteidigern und Beiständen

C. Anspruch auf Bestellung eines Pflichtverteidigers nach Art. 6 III lit. c) EMRK454 Die Europäische Menschenrechtskonvention455 hat nach ganz h. M. den Rang eines einfachen Bundesgesetzes456. Art. 6 III lit. c) EMRK gibt dem Angeklagten das Recht auf Selbstverteidigung und einen Anspruch auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers. Wenn die Voraussetzungen von Art. 6 III lit. c) EMRK vorliegen, muß er sich jedoch verteidigen lassen457. Pflichtverteidigung ist nach dieser Vorschrift somit als zulässige Beschränkung der Selbstverteidigung zu verstehen458. Gemäß Art. 6 III lit. c) EMRK muß der Beschuldigte mittellos sein459. Ferner muß die Pflichtverteidigerbestellung im „Interesse der Rechtspflege“ erforderlich sein460. Dies wird u. a. angenommen bei Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage, mangelnder Rechtskenntnis des Beschuldigten, überlegenen Vorbringungsmöglichkeiten durch den Verteidiger oder aus Gründen der Waffengleichheit461. Auch die individuellen Fähigkeiten des Beschuldigten sind bei der Bestimmung der Interessen der Rechtspflege mit einzubeziehen 462.

können als Verteidiger bestellt werden, es sei denn die Verteidigung erfolgt vor dem Bundesverwaltungsgericht, § 90 II 2 WDO; vgl. dazu Dau, § 90 WDO Rn. 16 ff. 454 Jäger, S. 127 ff. – dort auch zur umstrittenen Frage der Anwendbarkeit der EMRK im Ordnungswidrigkeitenrecht. 455 Die Ratifikation der EMRK vom 04.11.1950 erfolgte durch Gesetz vom 07.08.1952 (BGBl. II, S. 685, 953). 456 Vgl. zur Stellung der EMRK im gesetzlichen Gefüge der Bundesrepulik Deutschland: BVerfGE 74, 358 (370); Meyer-Goßner, Vor Art. 1 EMRK Rn. 3; Spaniol, S. 181 ff. 457 EGMR EuGRZ 1992, 542 (546) (Croissant gegen Deuschland); Int. Komm.Vogler, Art. 6 EMRK Rn. 507; Meyer-Goßner, Art. 6 EMRK Rn. 20; A. Peters, S. 136; vgl. ferner: Esser, S. 491 f.; a. A. wohl: Rath, S. 34. 458 Int. Komm.-Vogler, Art. 6 EMRK Rn. 507; Rzepka, S. 65 ff. m. w. N.; auch wenn Art. 6 III lit. c) EMRK zunächst gegen die notwendige Verteidigung nach § 140 sprechen könnte, vgl. Neumann, NJW 1991, 264 (265); Hamm, NJW 1988, 1820; Herrmann, StV 1996, 396 (397); ferner: Spaniol, S. 90; J. T. Müller, S. 100 f. 459 Insofern geht das deutsche Recht über Art. 6 III lit. c) EMRK hinaus. Es stellt nicht auf eine Mittellosigkeit ab, vgl. LR-Gollwitzer (24. Auflage), Art. 6 EMRK Rn. 201 f.; Spaniol, S. 70 mit Fn. 65. 460 Zum Teil wird dieses Merkmal mit dem Begriff Gerechtigkeit aus dem Original übersetzt, J. T. Müller, S. 100 mit Fn. 577; vgl. Spaniol, S. 73 f. (die Gerechtigkeit sei nach dem Beschuldigteninteresse zu bestimmen, S. 132). 461 Vgl. EKMR StV 1981, 379 (380 f.); EGMR EuGRZ 1980, 662 ff. (Artico gegen Italien); EGMR StV 1983, 265 (L. Pakelli gegen Bundesrepublik Deutschland); LRGollwitzer (24. Auflage), Art. 6 EMRK Rn. 203; Frowein/Peukert, (Peukert) Art. 6 EMRK Rn. 194 ff.; Sommer, in: Brüssow/Gatzweiler/Krekeler/V. Mehle, 17/74 ff.; Rzepka, S. 68 f.; Spaniol, S. 69 ff., 74 f. m. w. N. 462 LR-Gollwitzer (24. Auflage), Art. 6 EMRK Rn. 203; Spaniol, S. 73 ff.; Esser, S. 478 f.

§ 3 Der beigeordnete anwaltliche Beistand

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Durch den rein formalen Akt der Bestellung wird noch nicht der Verpflichtung aus Art. 6 III lit. c) EMRK genügt. Der nach dieser Vorschrift erforderliche „Beistand“ hat konkret einen solchen zu leisten, theoretische oder illusorische Rechte will die EMRK nicht gewähren463. Auch hat der Pflichtverteidiger einen Beistand zu leisten, welcher dem eines Wahlverteidigers gleichkommt464. Die Bestimmung gilt nach richtiger Auffassung auch schon für das Ermittlungsverfahren465, jedenfalls dann, wenn die Hauptverhandlung prägende Abschnitte betroffen sind oder sich das Verfahren schon jetzt auf die Situation des Beschuldigten im Verfahren auswirkt466.

§ 3 Der beigeordnete anwaltliche Beistand nach § 68 b, § 397 a (i. V. m. § 406 g III, IV) Das Bundesverfassungsgericht hat das Recht, sich als Zeuge eines anwaltlichen Beistands auf eigene Kosten zu bedienen, in einer Entscheidung aus dem Jahr 1974 anerkannt467. Es rekurriert auf das Gebot einer fairen Verfahrensgestaltung468. Eine rechtskundige Unterstützung sei dem Betroffenen angesichts der Polarität von Zeugnis-, Wahrheitspflicht und Aussageverweigerungsrechten zuzugestehen. Nach dieser Formulierung ist ein Zeugenbeistand nicht in allen Fällen zuzulassen. Es hat eine Abwägung zwischen dem staatlichen Interesse an einer effizienten Strafverfolgung und der Stellung des Zeugen zu erfolgen469. Das Bundesverfassungsgericht erläutert die Situationen, in denen ein anwaltlicher Zeugenbeistand zugelassen werden kann: Es stellt auf die Ausübung eines 463 Vgl. EGMR EUGRZ 1980, 662 f. (Artico gegen Italien); zu einem in der Verhandlung anwesenden Verteidiger: EGMR EuGRZ 1985, 234 ff. (Goddi gegen Italien). Zur strengen Überprüfung einer wirksamen Beistandsleistung durch den EGMR, der höhere Maßstäbe als das Bundesverfassungsgericht anwendet, vgl. Barton, S. 67 ff.; ferner: Spaniol, S. 77 ff. 464 Generell schlechtere Pflichtverteidigung infolge schlechterer Bezahlung könnte danach eigentlich nicht mehr hingenommen werden, jedoch wird auf die Tätigkeit des Verteidigers im Einzelfall abzustellen sein, vgl. Spaniol, S. 81 ff. 465 Vgl. EKMR EuGRZ 1986, 276 ff.; EGMR EuGRZ 1992, 298 f. (S. gegen Schweiz); EuGRZ 1996, 587 (592) (Murray gegen Vereinigtes Königreich); Esser, S. 450 ff., 476 ff.; Rzepka, S. 64; J. T. Müller, S. 99 ff.; Spaniol, S. 134 ff., 148 ff. mit umfassenden Nachweisen auch zur Gegenmeinung; Ambos, ZStW 115 (2003), 583 (604 f.); vgl. ferner: BGHSt 46, 93 ff. zu Art. 6 III lit. d) EMRK. 466 Vgl. Int. Komm.-Vogler, Art. 6 EMRK Rn. 206 ff. (für Beweisaufnahmen, die nicht mehr wiederholt werden können); Frowein/Peukert, (Peukert) Art. 6 EMRK Rn. 187; Spaniol, S. 138 ff., 148 ff. 467 BVerfGE 38, 105 ff. 468 Für dieses Recht des Zeugen spricht ferner § 3 III BRAO, vgl. SK-Rogall, vor § 48 Rn. 108. 469 BVerfGE 38, 105 (111 ff.); Meyer-Goßner, vor § 48 Rn. 11.

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3. Kap.: Bestellung von Verteidigern und Beiständen

dem Zeugen nach § 55 zustehenden Auskunftsverweigerungsrechts ab, sowie auf die Abwehr entehrender Fragen oder die Protokollierung der eigenen Aussagen. In der Praxis erfolgt in der Regel die Zulassung eines anwaltlichen Zeugenbeistands; nur wenn es die Effizienz des Verfahrens erfordert, soll ein Zeugenbeistand zurückgewiesen werden470.

A. Vernehmungsbeistand nach § 68 b471 Für eine Beiordnung eines Zeugenbeistands nach § 68 b muß eine Vernehmung vorliegen. Damit sind richterliche Vernehmungen und über § 161 a I 2 staatsanwaltschaftliche erfaßt, nicht jedoch polizeiliche Vernehmungen472. Der Zeuge darf ferner noch nicht anwaltlich vertreten sein473. Es muß ersichtlich sein, daß er seine Befugnisse bei der Vernehmung nicht selbst wahrnehmen kann474. Auch darf seinen Interessen nicht auf andere Weise zu genügen sein, § 68 b S. 1 letzter HS475. Desweiteren ist im Fall einer Beiordnung nach § 68 b S. 1 die Zustimmung der Staatsanwaltschaft erforderlich; die Beiordnung selbst liegt dann im richterlichen Ermessen476.

470

Vgl. König, FS-Rieß, S. 243 (245 m. w. N.). Vgl. LR-Rieß, § 68 b Rn. 1; eingeführt im Wege der Opferschutzgesetzgebung durch das Gesetz zum Schutz von Zeugen bei Vernehmungen im Strafverfahren und zur Verbesserung des Opferschutzes vom 30. April 1998 (BGBl. I, S. 820 ff.); nach Schünemann ist diese Regelung vertretbar im Hinblick auf die dem Zeugenbeistand zu gewährende eingeschränkte Rechtsstellung, vgl. Schünemann, FS-Meyer-Goßner, S. 385 (396). 472 Vgl. KK-Senge, § 68 b Rn. 4; SK-Rogall, § 68 b Rn. 3; Meyer-Goßner, § 68 b Rn. 2; a. A.: HK-Lemke, § 68 b Rn. 9; König (FS-Rieß, S. 243, 251) macht insoweit geltend, daß Zeugen durch ihr Nichterscheinen bei der polizeilichen Vernehmung eine staatsanwaltliche mit der Folge einer Beiordnung erzwingen würden. Die Beiordnung erfaßt auch eine vor der Vernehmung liegende Beratungszeit, vgl. SK-Rogall, § 68 b Rn. 9; KK-Senge, § 68 b Rn. 4; Meyer-Goßner, § 68 b Rn. 5; zu einer nachfolgenden Beratungszeit: LR-Rieß, § 68 b Rn. 19. 473 Meyer-Goßner, § 68 b Rn. 4. 474 Vgl. hierzu: BT-Drucks. 13/7165, S. 8: in der Regel bei kindlichen und jugendlichen Zeugen (insbesondere wenn sie Opfer der Tat seien). Auch gefährdete Zeugen fielen unter die Vorschrift. 475 In Betracht kommen u. a. Hinweise und Belehrungen durch den Vernehmenden sowie Maßnahmen nach §§ 168 c III, V, 168 e, 224 I 2, 247, 247 a und §§ 171 b ff. GVG, vgl. KK-Senge, § 68 b Rn. 6; Meyer-Goßner, § 68 b Rn. 4; fraglich ist, ob die finanzielle Situation des Zeugen in die Überlegungen einbezogen werden muß, dagegen: Meyer-Goßner, § 68 b Rn. 4 unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien (§§ 397 a, 406 g und § 68 b ergäben eine abgestufte Regelung. Diesem Gedanken würde durch eine Einbeziehung der finanziellen Situation widersprochen). 476 KK-Senge, § 68 b Rn. 4. 471

§ 3 Der beigeordnete anwaltliche Beistand

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Liegen die Voraussetzungen des § 68 b S. 2 vor, so hat das Gericht den anwaltlichen Zeugenbeistand beizuordnen – entweder auf Antrag der Staatsanwaltschaft oder des Zeugen477. Die Rechte des Zeugenbeistandes nach § 68 b sind im Gesetz nicht aufgezählt. Der Gesetzgeber leitet die Rechte des Beistandes aus der Rolle des Zeugen ab478. Er habe keine eigenen Rechte als Verfahrensbeteiligter. Die Rechtsstellung des Beistandes gründet sich danach auf die Stellung des Zeugen. Nach h. M. stehen dem Beistand nicht mehr Rechte zu als dem Zeugen selbst479.

B. Bestellung eines anwaltlichen Beistands nach § 397 a I (§ 406 g III 1 Nr. 1)480 sowie Beiordnung eines Rechtsanwalts durch Gewährung von Prozeßkostenhilfe nach § 397 a II, § 406 g III 1 Nr. 2 i. V. m. § 406 g IV481 Auf Antrag des privilegierten Nebenklägers/nebenklageberechtigten Verletzten (vgl. § 406 g I) wird diesem in den nach § 397 a I bezeichneten Fällen482 ein Rechtsanwalt als Beistand von dem nach § 397 a III 1 zuständigen Gericht bestellt483. Der Antrag nach § 397 a I 3 kann schon vor der Anschlußerklärung gestellt werden484. 477 In diesem Fall ist nach umstr. Ansicht keine Zustimmung der Staatsanwaltschaft erforderlich, vgl. Meyer-Goßner, § 68 b Rn. 6; König, FS-Rieß, S. 243 (251); a. A.: AG Aachen NStZ 2000, 219; SK-Rogall, § 68 b Rn. 8. 478 BT-Drucks. 13/7165, S. 9; vgl. ferner Schünemann, FS-Meyer-Goßner, S. 385 (396). 479 Vgl. OLG Hamburg StV 2002, 297 (298); Meyer-Goßner, Vor § 48 b Rn. 11; Eisenberg, BR Rn. 1324 b; Schünemann, FS-Meyer-Goßner, S. 385 (396); ders., StV 1998, 391 (395); a. A.: KK-Senge, § 68 b Rn. 9 zu einem begrenzten Akteneinsichtsrecht; vgl. ferner König, FS-Rieß, S. 243 (254) mit Nachweisen aus der Rechtsprechung. Kritisch zur generellen Gestaltung der Position des Opfers als Partei: Schünemann, in: Ders./Dubber (Hrsg.), S. 1 (6 ff.). 480 Eingeführt durch das Zeugenschutzgesetz vom 30.04.1998 (BGBl. I, S. 820). 481 Auf die Rechte aus § 397 a und 406 g ist gemäß § 406 h hinzuweisen. Die Hinweispflicht ist seit dem Opferrechtsreformgesetz vom 24.06.2004 (BGBl. I, S. 1354) obligatorisch. Sie unterliegt keiner bestimmten Form. Zuständig ist die mit dem Verfahren befaßte Stelle, vgl. Pfeiffer, § 406 h Rn. 1 f.; KK-Engelhardt, § 406 h Rn. 1; der Hinweis sollte frühzeitig erfolgen – bei Anzeigenerstattung oder erster Vernehmung, vgl. Meyer-Goßner, § 406 h Rn. 1 ff.; LR-Hilger, § 406 h Rn. 2. 482 Die Nebenkläger/Nebenklageberechtigten müssen (mögliche) Opfer eines Verbrechens nach § 395 I Nr. 1 lit. a) oder Nr. 2 sein. Bei unter 16-jährigen erfolgt eine Bestellung unabhängig vom Verbrechenscharakter der Taten, sowie dann, wenn sie mögliche Opfer eines Deliktes nach § 225 sind, vgl. dazu: KMR-Stöckel, § 397 a Rn. 3 f.; eine geringe Möglichkeit, daß der Angeklagte eines dieser Delikte begangen hat, genügt für eine Beiordnung, vgl. BGH NJW 1999, 2380. Auch die nach § 395 II Nr. 1 nebenklagebefugten Personen erhalten gemäß § 397 a I 1 anwaltlichen Beistand (eingefügt durch das Opferrechtsreformgesetz vom 24.06.2004).

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3. Kap.: Bestellung von Verteidigern und Beiständen

Die Bestellung eines Rechtsanwalts als Beistand schon im vorbereitenden Verfahren ist nach § 397 a I i. V. m. § 406 g III 1 Nr. 1 möglich. Im Fall des § 406 g III 1 Nr. 1 entscheidet im vorbereitenden Verfahren das Gericht, welches für die Eröffnung des Hauptverfahrens zuständig ist, § 406 g III 2. Die Voraussetzungen für einen Anschluß nach § 395 werden bejaht, wenn ein Anfangsverdacht einer zum Anschluß berechtigten Straftat vorliegt485. Dem Nebenkläger/nebenklageberechtigten Verletzten (vgl. § 406 g I) wird nach § 397 a II ein Rechtsanwalt nach den Regeln über die Gewährung von Prozeßkostenhilfe beigeordnet – modifiziert durch § 397 a II, III486. Die Regeln über die Prozeßkostenhilfe werden angewendet, wenn die Sach- oder Rechtslage schwierig ist, der Verletzte seine Interessen nicht ausreichend wahrnehmen kann oder ihm dies unzumutbar ist487. Auch muß das Interesse des Nebenklägers ein schutzbedürftiges sein488. Die Bestellung erfolgt durch das nach § 397 a III 1 zuständige Gericht. Gemäß § 406 g III Nr. 2 gilt § 397a II schon im Ermittlungsverfahren. Zuständig für die Entscheidung ist das Gericht, welches für die Eröffnung des Hauptverfahrens zuständig ist, § 406 g III 2. Dem zur Nebenklage berechtigten Verletzten kann in den Fällen von 397 a II (im Ermittlungsverfahren i. V. m. § 406 g III Nr. 2) auf Antrag gemäß § 406 g IV einstweilen ein Beistand bestellt werden. Die Bestellung endet gemäß § 406 g IV 2. Durch diese schnelle Hilfe soll dem schwerfälligen Prozeßkostenhilfeverfahren nach §§ 114 ff. ZPO Rechnung getragen werden489. Besondere Gründe nach § 406 g IV 1 Nr. 1 liegen vor, wenn der Nebenklageberechtigte sich in einer besonders hilfsbedürftigen Lage befindet490. Eine Eilbedürftigkeit nach § 406 g IV 1 Nr. 2 ist anzunehmen, wenn dem Nebenklageberechtigten ein Zu483 Diese Vorschrift ist lex specialis zum Zeugenbeistand nach § 68 b, vgl. KKSenge, § 397 a Rn. 1. 484 HK-Kurth, § 397 a Rn. 9; umstr., ob dies auch schon im Ermittlungsverfahren möglich ist (für § 397 a I und II), also bevor eine Anschlußerklärung wirksam werden kann: LR-Hilger, § 397 a Rn. 13; dagegen: Meyer-Goßner, § 397 a Rn. 4; KMR-Stökkel, § 397 a Rn. 10. 485 Pfeiffer, § 406 g Rn. 1; KK-Engelhardt, § 406 g Rn. 2. 486 Zum Schutzbedürfnis des Nebenklageberechtigten vgl. LR-Hilger, § 397 a Rn. 8 m. w. N. 487 Dies wird aus der Sicht des Nebenklägers beurteilt, vgl. HK-Kurth, § 397 a Rn. 23; LR-Hilger, § 397 a Rn. 9 ff.; angesichts des § 140 II 2 3. Alt. sei die Anwendung von § 397 a II bei einem für den Angeklagten tätigen Verteidiger sorgfältig zu prüfen, vgl. KMR-Stöckel, § 397 a Rn. 9 ff.; Kaster, MDR 1994, 1073 (1075). 488 So wenn das Rechtsmittel unzulässig oder offensichtlich unbegründet ist, vgl. BGH NStZ 2000, 218; HK-Kurth, § 397 a Rn. 23; LR-Hilger, § 397 a Rn. 8. 489 KK-Engelhardt, § 406 g Rn. 5; HK-Kurth, § 406 g Rn. 11; LR-Hilger, § 406 g Rn. 23. 490 HK-Kurth, § 406 g Rn. 12.

§ 4 Die Beiordnung anwaltlichen Beistands

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warten auf die Entscheidung nach § 397 a II nicht zuzumuten ist491 – namentlich bei Vernehmungen und Augensscheinsnahmen, die der Beweissicherung dienen. Schließlich muß nach § 406 g IV 1 Nr. 3 die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe möglich erscheinen und eine rechtzeitige Entscheidung nicht zu erwarten sein. Die persönlichen und sachlichen Voraussetzungen der Prozeßkostenhilfe sind in einem summarischen Verfahren zu prüfen. Zuständig für die Bestellung im Vorverfahren ist der Ermittlungsrichter492, vgl. § 406 g IV 2 i. V. m. § 162.

§ 4 Die Beiordnung anwaltlichen Beistands in (anderen) Fällen der Prozeßkostenhilfe nach der Strafprozeßordnung, dem Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz und zum Strafvollzugsgesetz Die Gewährung von Prozeßkostenhilfe nach § 120 II StVollzG, § 29 III EGVG sowie nach §§ 397 a II i. V. m. 406 g III 1 Nr. 2, IV wurde schon erwähnt. Hier sei auf die noch ausstehenden Regelungen eingegangen. Für den Antrag auf gerichtliche Entscheidung in einem Klageerzwingungsverfahren nach §§ 172 ff. ist die Unterschrift eines Rechtsanwalts493 nötig, vgl. § 172 III 2 1. HS. § 172 III 2 2. HS ermöglicht die Gewährung von Prozeßkostenhilfe für den Antragssteller nach §§ 114 ff. ZPO. Die Beiordnung eines Rechtsanwalts ist nach § 121 I ZPO zwingend494. Die Vorschriften gelten insoweit, als sie die Voraussetzungen und Wirkungen der Prozeßkostenhilfe einschließlich des Bewilligungsverfahrens betreffen495. Erfolgt eine Beiordnung im Klageerzwingungsverfahren nach § 172 III S. 2 2. HS, so wird regelmäßig eine notwendige Verteidigung anzunehmen sein496. Nach § 379 III sind die Regeln über die Prozeßkostenhilfe auf den Privatkläger anwendbar497. Ein Rechtsanwalt ist beizuordnen, wenn die Mitwirkung nach 491

HK-Kurth, § 406 g Rn. 13; KK-Engelhardt, § 406 g Rn. 5. Nach Klageerhebung soll nach umstr. Meinung (vgl. HK-Kurth, § 406 g Rn. 15; LR-Hilger, § 406 g Rn. 24) der Vorsitzende des mit der Sache befaßten Gerichts zuständig sein; a. A.: Meyer-Goßner, § 406 g Rn. 8: das mit der Sache befaßte Gericht. 493 Ist der Betroffene selbst Rechtsanwalt, so genügt seine Unterschrift, vgl. SKWohlers, § 172 Rn. 57. 494 Pfeiffer, § 172 Rn. 11. 495 Vgl. SK-Wohlers, § 172 Rn. 64 ff. m. w. N.; der Antragsteller muß den Sachverhalt sowie die Beweismittel skizzieren; zu Rechtsschutzmöglichkeiten gegen eine Entscheidung über die Prozeßkostenhilfe vgl. Kaster, MDR 1994, 1073 (1077). 496 Vgl. LR-Dünnebier (23. Auflage), § 141 Rn. 19; Oellerich, StV 1981, 434 (435). 497 Zu Rechtsschutzmöglichkeiten vgl. Kaster, MDR 1994, 1073 (1076 f.). 492

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3. Kap.: Bestellung von Verteidigern und Beiständen

§ 390 II vorgeschrieben ist498, vgl. § 121 I ZPO. In anderen Fällen kommt die Beiordnung eines Rechtsanwalts in Betracht, wenn die Vertretung durch ihn geboten erscheint (z. B. nach § 385 III), vgl. § 121 II 1. Alt. ZPO. Dem Beschuldigten kann nach dieser Vorschrift nur in seiner Eigenschaft als Widerkläger nach § 388 Prozeßkostenhilfe gewährt werden499. Für den Antragsteller im Adhäsionsverfahren und für den Beschuldigten im Adhäsionsverfahren werden die Vorschriften über die Prozeßkostenhilfe nach § 404 V für anwendbar erklärt, sobald Klage erhoben ist. Die Beiordnung eines Rechtsanwalts richtet sich nach § 121 II 1. Alt. ZPO.

498

Meyer-Goßner, § 379 Rn. 10. Vgl. KMR-Stöckel, § 379 Rn. 15, KK-Tolksdorf, § 379 Rn. 4; Pfeiffer, § 379 Rn. 2 m. w. N. 499

Viertes Kapitel

Gründe für eine Pflichtverteidigung Die notwendige Verteidigung hat einen ambivalenten Charakter. Einerseits ist sie Angebot, andererseits wird sie auch zwangsweise durchgesetzt1. Die allgemeine Handlungsfreiheit des Beschuldigten (Art. 2 I GG), einen Verteidiger wählen zu dürfen, wird durch die Anordnung notwendiger Verteidigung eingeschränkt2. Der Staat muß diesen Eingriff rechtfertigen3. Insoweit sind die Interessen zu berücksichtigen, die hinter dem Institut notwendiger Verteidigung stehen. Im folgenden sollen die von Rechtsprechung und Schrifttum anerkannten Anordnungsgründe notwendiger Verteidigung dargestellt und kritisch gewürdigt werden. Als tragender Anordnungsgrund notwendiger Verteidigung von vornherein auszuschließen ist die Unschuldsvermutung4. So wird für die Vorbereitung des Wiederaufnahmeverfahrens ein Pflichtverteidiger erst unter der Voraussetzung nach § 364 b I 1 Nr. 3 bestellt. Der Verurteilte muß finanziell außerstande sein, auf eigene Kosten einen Verteidiger zu beauftragen. Diese zusätzliche Voraussetzung wird insofern gerechtfertigt, als die Unschuldsvermutung widerlegt worden ist5. Auch ist es nicht Sinn der Pflichtverteidigung, dem „Anwalt zu seinem eigenen Nutzen und Vorteil eine zusätzliche Gelegenheit beruflicher Betätigung zu verschaffen“6. Nach herrschender Auffassung sichert der Gesetzgeber durch das Institut der Pflichtverteidigung das Interesse, das der Rechtsstaat an einem prozeßordnungsgemäßen Verfahren und zu diesem Zweck an einer wirksamen Verteidigung hat. 1

LR-Lüderssen, § 140 Rn. 4. Hassemer, ZRP 1980, 326 (331); davon zu unterscheiden ist der prozessuale Handlungsspielraum des Beschuldigten, vgl. Rieß, StV 1981, 460 (462). 3 Dieser Eingriff ist auch gerechtfertigt, vgl. die folgende Darlstellung der verschiedenen, hinter den Instituten der notwendigen Verteidigung und der Pflichtverteidigung stehenden Interessen; so auch die ganz h. M., dazu: Knell-Saller, S. 52 ff.; B. Schneider, S. 55; Hess, S. 106 ff., S. 140 (einschränkend hinsichtlich aufgedrängter Pflichtverteidigung); Rieß, StV 1981, 460 (462). 4 Sie wurzelt im Rechtsstaatsprinzip (vgl. BVerfG NJW 1990, 2741; Meyer-Goßner, Art. 6 EMRK Rn. 12) und ist in Art. 6 II EMRK niedergelegt. 5 BT-Drucks. VI/3478, S. 91; Vogelsang, S. 75 mit Fn. 4. 6 Vgl. BVerfG JZ 1985, 284 (286); LR-Lüderssen, § 142 Rn. 29 m. w. N.; Krey I, Rn. 726. 2

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4. Kap: Gründe für eine Pflichtverteidigung

Es sei im öffentlichen Interesse dafür zu sorgen, daß der Beschuldigte einen rechtskundigen Beistand erhält und der ordnungsgemäße Verfahrensablauf gewährleistet ist7. Die Formulierung läßt befürchten, daß die Stellung des Beschuldigten allein aus dem Blickwinkel eines öffentlichen Interesses definiert und damit relativiert werden könnte8. Unabhängig von der Frage, warum diese Formulierung gewählt wurde9, wird jedoch auch auf eine individuelle Perspektive des Beschuldigten im Rahmen notwendiger Verteidigung abgestellt. Es wird auf den einem Beschuldigten zustehenden subjektiven Anspruch auf ein faires Verfahren zurückgegriffen, um eine die gesetzlichen Regeln der notwendigen Verteidigung ergänzende Verteidigerbestellung zu ermöglichen10. Letztlich würde eine Formulierung im Sinne rein öffentlicher Sichtweisen dem Institut der notwendigen Verteidigung von vornherein nicht gerecht11. Zum Teil wird der Pflichtverteidigung ausschließlich ein individuelles Interesse zugedacht12. Öffentliche Interessen hätten keinen selbständigen Eigenwert. Die individuellen Interessen basierten auf dem Grundrechtsschutz des Beschuldigten13 bzw. seiner Subjektstellung14. 7 BVerfG NJW 1975, 1015 (1016); NJW 1984, 113; BGHSt 3, 395 (398); 43, 153 (155); OLG Düsseldorf, StV 1990, 346; vgl. Meyer-Goßner, § 140 Rn. 1; KK-Laufhütte, § 140 Rn. 1, § 142 Rn. 7, § 143 Rn. 4; Ahrens, S. 7; Vogelsang, S. 106, 117; Molketin, S. 35; Alsberg, S. 8; Klein, JA 1986, 340 f.; Hilgendorf, NStZ 1996, 1 (2); dagegen: Knell-Saller, S. 53; Dethlefsen, S. 34 f. 8 Zurückhaltender jetzt: BVerfG JZ 2004, 670 (675): Die Gewährleistung rechtlichen Beistandes liege auch im öffentlichen Interesse. Unentschieden ist der BGH wohl in BGHSt 13, 337 (343 f.), wo er den Schutz des Beschuldigten im Zusammenhang mit der notwendigen Verteidigung darstellt. 9 So könnte diese Formulierung gewählt worden sein, um: 1. die Pflichtverteidigung nicht in den Dienst oder Nutzen des Verteidigers zu stellen (vgl. BVerfG NJW 1975, 1015, 1016; NJW 1985, 727, 728) oder 2. einen Rechtsanspruch des Beschuldigten auf Auswahl oder Beibehaltung eines Vertrauensverteidigers einzuschränken (vgl. BVerfG NJW 1975, 1015, 1016) oder 3. eine Aussetzung des Verfahrens zu verhindern, dazu Rath, S. 147 ff. 10 Vgl. unten: Kap. 7, § 2 I. 1.; siehe ferner: BGH StV 2003, 210 ff. (Anspruch des Beschuldigten aus Art. 6 III lit. c) EMRK und Art. 2 I i. V. m. Art. 20 III GG). 11 Vgl. Bayer, S. 2 f.; Rosenfeld, S. 13; Barton, S. 93; Ploetz, S. 138; Römer, ZRP 1977, 92 (94); Schünemann, ZStW 114 (2002), 1 (48 ff.); Hassemer, ZRP 1980, 326 (331). 12 LR-Lüderssen, Vor § 137 Rn. 67 ff. (78), § 140 Rn. 15 ff.; B. Schneider, S. 23 ff.; Heinicke, S. 222 f., 393; Rath, S. 147 ff., 173; Spaniol, S. 322 ff., 328; Haffke, StV 1981, 471 (481). Nach Eisenberg liegt die Pflichtverteidigung im jugendgerichtlichen Verfahren eher im Interesse des Beschuldigten, weil dort die Verteidigung am Erziehungsgedanken orientiert sei, Eisenberg, § 74 JGG Rn. 17 a; gegen eine Einbeziehung des Erziehungsinteresses wendet sich u. a. Ostendorf, § 68 JGG Rn. 3, 18; vgl. zum umstrittenen Umfang der Bindung des Verteidigers an den Erziehungsgedanken im Bereich der Sanktionsfindung: Bessler, S. 20 ff., 68 ff.; Irmer-Tiedt, S. 142 ff.

4. Kap: Gründe für eine Pflichtverteidigung

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Nach Lüderssen dient die notwendige Verteidigung lediglich einem Ausgleich der (vom Gesetz vermuteten) Autonomiedefizite des Beschuldigten15. Er lehnt den Schutz öffentlicher Interessen durch die Pflichtverteidigung ab, indem er auf deren Fehlen bei der Wahlverteidigung hinweist; er deduziert gleichsam die Vorgaben der Pflichtverteidigung aus denen der Wahlverteidigung16, für die Lüderssen ein Vertragsmodell entwickelt17. Auch eine aufgezwungene Pflichtverteidigung könne im Rahmen seines Vertragsmodells durch einen Kontrahierungszwang dargestellt werden18, der ein Autonomiedefizit des Beschuldigten ausgleiche19. Ein weiteres, öffentliches Interesse an einem rechtsstaatlichen Verfahren werde mit dem Institut der notwendigen Verteidigung nicht verfolgt20. Auch im Rahmen der Beratungen zur Reichsstrafprozeßordnung war man sich über die Interessen an notwendiger Verteidigung nicht vollends einig. Es wurde vorgetragen, die (notwendige) Verteidigung liege ausschließlich im Interesse des Beschuldigten, und damit könnte eine Kostentragungspflicht lediglich im Falle eines vom Gericht bestellten Verteidigers in Fällen notwendiger Verteidigung eintreten21. 13

Heinicke, S. 393. B. Schneider, S. 31, 35, 40 ff. 15 Lüderssen, Vor § 137 Rn. 67 ff. und § 140 Rn. 8, 15 ff.; ders., in: Pflichtverteidigung und Rechtsstaat, S. 36 (38 f.); ders., NJW 1986, 2742 (2744); vgl. ferner: Roxin, JZ 1997, 343 (344 f.). 16 LR-Lüderssen, Vor § 137 Rn. 72 a f. (auch unter Hinweis auf das Grundrecht auf Verteidigerbeistand); ders., in: Pflichtverteidigung und Rechtsstaat, S. 36 f.; ihm folgend: Kempf, in: Brüssow/Gatzweiler/Krekeler/V. Mehle, 1/45 ff.; es stellt sich jedoch die Frage, inwiefern Lüderssen dem Beschuldigten bei angenommener defekter Autonomie ein Weisungsrecht einräumen kann, vgl. Grüner, S. 75 mit Fn. 350. 17 LR-Lüderssen, Vor § 137 Rn. 33 ff.: Der zwischen Verteidiger und Mandant geschlossene Geschäftsbesorgungsvertrag nach § 675 BGB unterliege den Vorschriften der §§ 134, 138 und 276 BGB. Maßgebend sei die Autonomie des Beschuldigten; der Verteidiger habe den Weisungen des Mandanten innerhalb der Grenzen der §§ 134, 138 BGB zu folgen (LR-Lüderssen, Vor § 137 Rn. 50, Rn. 60 ff.; dies nimmt Lüderssen entgegen der h. M. an, vgl. BGHSt 39, 310, 313; Beulke, Der Verteidiger, S. 71 ff.). Im Rahmen des § 627 I BGB stehe ihm die Kündigung offen, LR-Lüderssen, Vor § 137 Rn. 60. 18 LR-Lüderssen, Vor § 137 Rn. 77 f.; kritisch: Roxin, 19/4; Barton, StV 1990, 237 ff. 19 Dem Beschuldigteninteresse sei durch eine extensive oder restriktive Auslegung von § 140 Rechnung zu tragen, vgl. LR-Lüderssen, § 140 Rn. 7 ff.; Stade (S. 100 f.), nimmt an, daß allein durch den Kontrahierungszwang die auch von Lüderssen angenommene fehlende Fähigkeit der eigenen Interessenwahrnehmung nicht auszugleichen ist; auch deckt er nicht die Interessen auf, die erst zu einem Kontrahierungszwang des Verteidigers führen, vgl. Hartmann-Hilter, S. 2 mit Fn. 8. 20 Lüderssen erkennt an, daß bei seiner Deutungsweise § 140 zu viele Gestaltungen von Autonomiedefiziten erfasse, vgl. LR-Lüderssen, § 140 Rn. 7 f.; ders., NJW 1986, 2742 (2744). Er propagiert ein Autonomieprinzip sui generis. Gerade bei einer aufgezwungenen Pflichtverteidigung sei damit eine restriktive Auslegung geboten. 14

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4. Kap: Gründe für eine Pflichtverteidigung

Letztlich soll eine Vorenthaltung öffentlicher Interessen wohl verhindern, diese (bei der Bestellung, Auswahl oder Abberufung des Verteidigers) gegen den Willen des Beschuldigten fruchtbar machen zu können22; die öffentlichen Interessen sollen vom Verhältnis zwischen Verteidiger und Beschuldigtem ferngehalten werden23. Ob dies ihre Ablehnung rechtfertigt, ist jedoch fraglich. Insoweit wird auf die Prozeßziele des Strafverfahrens abzustellen sein, um die durch die notwendige Verteidigung geschützten öffentlichen Interessen zu definieren.

§ 1 Gleiche Zweckbestimmung für eine notwendige Verteidigung und eine Pflichtverteidigung Die Gründe für eine Pflichtverteidigung und für eine notwendige Verteidigung stimmen insoweit überein, als die Pflichtverteidigung Konsequenz der notwendigen Verteidigung ist24. Insofern ist eine getrennte Aufschlüsselung des Interesses zu den beiden Rechtsinstituten nicht erforderlich25. Eine über den Anordnungsgrund notwendiger Verteidigung insofern hinausgehende Funktion der 21 Vgl. von Fäustle, Hahn II, S. 1834 f. (Zweite Beratung im Plenum). Dagegen wendet sich entschieden der Abgeordnete Hänel, Hahn II, S. 1837 (Zweite Beratung im Plenum): „Indem man sie als nothwendig qualifiziert, beweist man, daß die Vertheidigung durch die Grundsätze des Prozeßrechts, d.h. durch das öffentliche Recht gefordert wird in den gegebenen Fällen. Niemand verlangt ja von uns, daß da, wo die Frage, ob ein Vertheidiger zu nehmen ist, oder nicht, dem Belieben des Angeschuldigten anheimgegeben ist, alsdann an irgend welchem Punkte die Staatskasse eintritt. Hier erklärt das Gesetz, die Vertheidigung ist lediglich im Interesse des Angeklagten. Aber wenn wir übergehen zur notwendigen Verteidigung, so liegt hier der Gegensatz zu dem eben ausgesprochenen Satze vor . . .: hier tritt ein öffentliches Interesse an der Verteidigung ein. Daraus scheint mir mit Nothwendigkeit zu folgen, daß der Staat, insofern er nicht Beamte zur Disposition hat, die die Verteidigung unentgeltlich übernehmen, alsdann für diese im öffentlichen Interesse geführte Verteidigung aufzukommen hat.“; ferner: Eysoldt, Hahn II, S. 1831 (Zweite Beratung im Plenum). Nach dem Abgeordneten Wolffson (Hahn II, S. 1836 – zweite Beratung im Plenum) widersprechen sich die Auffassungen nicht. Wer im Gericht tätig sei, habe für die Gerechtigkeit zu arbeiten. Durch Vertretung eines einseitigen Interesses werde der Gerechtigkeit gedient. 22 Vgl. LR-Lüderssen, § 143 Rn. 7 ff.; Heinicke, S. 393 ff.; dazu: Rath, S. 28, 31 ff., 61 ff., 147 ff. So gründet Barton (S. 209 ff.) das Institut notwendiger Verteidigung auch auf öffentliche Interessen. Bei der Auswahl des Pflichtverteidigers, welcher vom Beschuldigten bestimmt wurde, seien sie jedoch nicht zu berücksichtigen. 23 Vgl. Heinicke, S. 222 f. 24 Knell-Saller, S. 47 f.; Heinicke, S. 389 f. 25 Auch das Bundesverfassungsgericht nimmt an, der Gesetzgeber sichere mit dem Institut der notwendigen Verteidigung und mit der Bestellung eines Pflichtverteidigers das rechtsstaatliche Interesse an einem prozeßordnungsgemäßen Verfahren und nicht zuletzt an einer wirksamen Verteidigung des Beschuldigten, vgl. BVerfG NJW 1984, 113; vgl. jedoch Heinicke (S. 389 f.), der lediglich der Pflichtverteidigung ein Verfah-

§ 1 Gleiche Zweckbestimmung für eine notwendige Verteidigung

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Pflichtverteidigung besteht darin, die (im individuellen und/oder öffentlichen Interesse liegenden) Vorgaben notwendiger Verteidigung im „Notfall“ (grds. für einen unverteidigten Beschuldigten26) auch umsetzen zu können. Bevor auf die Verfahrensprinzipien notwendiger Verteidigung eingegangen wird, können Obergruppen innerhalb ihrer Anordnung nach § 140 I und II gewonnen werden. Es bietet sich an, der Vorgabe von § 140 II 1 zu folgen und die Notwendigkeit in eine solche wegen Sanktionsschwere (§ 140 I Nr. 2, Nr. 3, § 140 II 1 1. Alt.) und komplizierter Verfahrenslage27 (§ 140 I Nr. 1, Nr. 5, Nr. 6, Nr. 8, § 140 II 1 2. Alt.) sowie eingeschränkter Fähigkeit zur Selbstverteidigung28 (§ 140 I Nr. 7, § 140 II 1 3. Alt.) einzuteilen 29. Innerhalb der Gruppen können Überschneidungen auftreten. So kann die Sanktionsschwere auch auf § 140 I Nr. 730 oder auf § 140 I Nr. 1 bezogen werden. Der Gesetzgeber geht in Fällen notwendiger Verteidigung davon aus, daß sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann. Insofern wird ein Defizit in seiner Eigenverteidigung vermutet. Unbeachtlich ist, ob dies auch tatsächlich zutrifft31. Ein Autonomiedefizit aufgrund der Sanktionsschwere läßt sich aus der möglichen Wirkung der drohenden Sanktion auf die Person des Beschuldigten und dadurch auf seine Eigenverteidigung herleiten. Zusätzlich ist jedoch die Schutzbedürftigkeit des Beschuldigten zu berücksichtigen32. Insofern kann eine Rückführung der Fallgruppen notwendiger Verteidigung allein auf eine vermutete Eigenverteidigungsunfähigkeit nicht erfolgen33.

renssicherungsinteresse zuschreibt, mit welchem die notwendige Verteidigung nicht belastet werden dürfe. 26 Zur Bestellung eines Sicherungsverteidigers siehe oben: Kap. 1, § 4; vgl. ferner: Dethlefsen, S. 56 ff. 27 Als objektive Verfahrenserschwerungen bezeichnet von Tiemer, S. 35. 28 Als subjektive Verfahrenserschwerungen bezeichnet von Tiemer, S. 35. 29 Vgl. Hahn, S. 17; Litwinski/Bublies, S. 147; Rieß, StV 1981, 460 f. 30 Vgl. LR-Lüderssen, § 140 Rn. 10. 31 Vgl. LR-Lüderssen, § 140 Rn. 7 (Autonomiedefizit sui generis); Roxin, JZ 1997, 343 (344 f.); ders., JZ 2002, 898. 32 Vgl. Hahn I, S. 143 (amtliche Begründung). 33 So jedoch B. Schneider, S. 13 ff., 22 f. – bezüglich § 140 stellt sich der alleinige Rückgriff auf das Beschuldigteninteresse nach Schneider wie folgt dar: Gemeinsamer Nenner für alle Fälle notwendiger Verteidigung sei die Verteidigungsunfähigkeit des Beschuldigten. Die Notwendigkeit unterteile sich in eine unmittelbare und eine mittelbare Verteidigungsunfähigkeit. Sie wird damit versubjektiviert. Im ersten Falle fehlten dem Beschuldigten die persönlichen Voraussetzungen für eine Selbstverteidigung (vgl. § 140 I Nr. 5, Nr. 6, Nr. 7, § 140 II 1 3. Alt.), im letzteren indiziere ein erhebliches Verfahrensrisiko die Verteidigungsunfähigkeit (vgl. § 140 I Nr. 1, Nr. 2, Nr. 3, § 140 II 1 1. Alt. und 2. Alt.).

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4. Kap: Gründe für eine Pflichtverteidigung

§ 2 Sicherung der Stellung des Beschuldigten als Prozeßsubjekt34 /Gewährleistung eines effektiven Grundrechtsschutzes35 Zur Gewinnung eines individuellen Anordnungsgrundes notwendiger Verteidigung ist auf die Person des Beschuldigten abzustellen. Art. 1 I GG gebietet es, ihm die Stellung eines Prozeßsubjekts zukommen zu lassen; eine andere Stellung wäre mit seiner Menschenwürde unvereinbar. Nicht nur der Bestand an aktiven Beteiligungsrechten, sondern gerade auch deren Wahrnehmung entscheidet über seine Stellung als Prozeßsubjekt. Die Verteidigung wird in den Fällen für notwendig erklärt, in denen aufgrund der Sanktionsschwere, Gegebenheiten des Verfahrens oder der eingeschränkten Fähigkeit zur Selbstverteidigung die Prozeßsubjektstellung gefährdet erscheint. Es wird vermutet, daß er in diesen Fällen auf rechtskundige Hilfe eines ihm verpflichteten Beistandes angewiesen ist, um auf den Ausgang des Strafverfahrens wirkungsvoll Einfluß nehmen zu können. Der Verteidiger kompensiert diese Gefährdungslage des Beschuldigten36. So heben § 140 I Nr. 2, Nr. 3 sowie § 140 II 1 1. Alt. verstärkt auf die Schutzbedürftigkeit des Beschuldigten infolge drohender Sanktionen ab. § 140 I Nr. 1 basiert auf der Beschränkung des Verfahrens auf eine Tatsacheninstanz bzw. der auch dort drohenden erhöhten Sanktionen. § 140 I Nr. 5, Nr. 6 und § 140 II 1 2. Alt. stellen auf die eingeschränkte Möglichkeit zur Wahrnehmung der Eigenverteidigung ab, sei es aus akkutem Anlaß (§§ 140 I Nr. 5, Nr. 6) oder aufgrund tatsächlicher oder rechtlicher „Unübersichtlichkeit“ aus Sicht des Beschuldigten. § 140 I Nr. 7 (Nr. 6) und § 140 II 1 3. Alt. gehen von einer eingeschränkten Fähigkeit zur Selbstverteidigung aus, welche in der Person des Beschuldigten begründet ist. § 140 I Nr. 8 trägt der vom Beschuldigten selbst vorgenommenen Einschätzung einer eigenen Verteidigungsfähigkeit und -strategie Rechnung37. Der nach § 408 b bestellte Verteidiger soll den Beschuldigten über die belastenden Rechtsfolgen eines Strafbefehls nach § 407 II 2 informieren38. Die Beratungsfunktion des Verteidigers erstreckt sich ebenfalls auf die mögliche Einspruchseinlegung (§ 410) zur Erzwingung rechtlichen Gehörs. Im Verfahren nach Einspruchseinlegung und der möglichen Zustimmung zu der vereinfachten Beweisaufnahme nach § 420 III i. V. m. § 411 II 2 sichert der Verteidiger die 34

Rieß, FS-RJA, 373 (405); B. Schneider, S. 35. Heinicke, S. 389 ff., 393; B. Schneider, S. 32 ff. 36 Das unwiderleglich vermutete Defizit in seiner Autonomie wird kompensiert, vgl. AK-Stern, § 140 Rn. 2; Grüner, S. 80; Roxin, JZ 1997, 343 (344 f.). 37 AK-Stern, § 140 Rn. 23; KK-Laufhütte, § 140 Rn. 19; Pfeiffer, § 140 Rn. 4; Tiemer, S. 40. 38 Pfeiffer, § 408 b Rn. 1; KK-Fischer, § 408 b Rn. 1. 35

§ 2 Sicherung der Stellung des Beschuldigten als Prozeßsubjekt

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Prozeßsubjektstellung des Beschuldigten39 – auch über das Akteneinsichtsrecht nach § 147 I. Damit ist das Informationsbedürfnis des Beschuldigten neben der erhöhten Sanktionsdrohung für die Verteidigerbestellung entscheidend. Auch in den Fällen des § 418 IV ist neben einer erhöhten Sanktionsdrohung auf die mögliche vereinfachte Beweisaufnahme nach § 420 hinzuweisen, ferner auf die vom Verfahren ausgehende Gefahr einer „Überrumpelung“ des Beschuldigten aufgrund des beschleunigten Verfahrens. Durch die Anordnung notwendiger Verteidigung werden zugleich weitere Grundrechte des Beschuldigten40 aufgrund der (in Fällen notwendiger Verteidigung angenommenen besonderen) Gefährdungslage geschützt41.

A. Der Einwand von Welp Nach Welp wird der Autonomiebereich und damit die Prozeßsubjektstellung des Beschuldigten durch den Zwang zur Verteidigung zerstört42. Verteidigung sei die Wahrnehmung selbstdefinierter prozessualer Interessen. Der Beschuldigte müsse eigenverantwortlich und ohne staatliche Bevormundung seine Verteidigung bestimmen können. Nur so sei die Subjektqualität des Beschuldigten zu gewährleisten43. Im Fall einer „defekten“ Autonomie44 schränkt Welp sein Autonomieprinzip ein45. Der Gesetzgeber dürfe hier korrigierend eingreifen und den Beschuldigten in diesen Fällen zur Annahme eines Verteidigers zwingen. Ein solcher Defekt liege vor, wenn der Beschuldigte die Bedeutung der Verteidigung im anhängigen Verfahren oder seine Befähigung zur Selbstverteidigung verkenne46.

B. Stellungnahme Der von Welp angenommene autonome Handlungsspielraum des Beschuldigten ist abzulehnen47. Die emotionale psychologische Situation des Beschuldig39

Vgl. Tiemer, S. 84 ff.; KMR-Metzger, § 418 Rn. 30. Vgl. u. a.: Freiheitsrechte (Art. 2 II 2 GG, Art. 10 GG, Art. 13 GG), das Eigentumsrecht (Art. 14 I GG) oder die Berufsfreiheit (Art. 12 I GG). 41 Heinicke, S. 397; Dethlefsen, S. 36 f.; Tiemer (S. 53). 42 Welp, ZStW 90 (1978), 101 ff. (116 f.); ferner: Haffke, StV 1981, 471 (480); der Ausgangsüberlegung zustimmend: Vogelsang, S. 217 mit Fn. 17. 43 Zur Autonomie des Beschuldigten vgl. ferner Haffke, StV 1981, 471 (480 f.); Hassemer, ZRP 1980, 326 (331); einschränkend: Heinicke, 373 ff. unter Hinweis auf den Erhalt der Menschenwürde. 44 Zu diesem Begriff vgl. Hess, S. 76 ff. 45 Welp, ZStW 90 (1978), 101 (117); ferner: Haffke, StV 1981, 471 (482); Hassemer, ZRP 1980, 326 (331). 46 Welp, ZStW 90 (1978), 101 (116 f.). 40

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4. Kap: Gründe für eine Pflichtverteidigung

ten und dessen fehlende Distanz zur Tat sprechen schon im Allgemeinen für einen rechtlichen Beistand48, vgl. auch §§ 136, 137. Ebenso lassen die jedem Verfahren innewohnenden rechtlichen Schwierigkeiten und Nichtkenntnis von prozessualen Rechten49 einen Beistand erforderlich erscheinen. Die von Welp angenommene defekte Autonomie könnte so angesichts der tatsächlichen und/ oder rechtlichen Schwierigkeiten für einen Beschuldigten in einem Strafverfahren stets angenommen werden50. Erst recht ab einer bestimmten „Schwierigkeitsschwelle“, die über ein „normales“ Strafverfahren hinausgeht, also in Fällen notwendiger Verteidigung, ist davon auszugehen, daß sich der Betroffene nicht selbständig ausreichend verteidigen kann, er bedarf der Unterstützung eines Verteidigers51. Die Schutzbedürftigkeit und die defizitäre Stellung des Beschuldigten werden durch den Verteidiger kompensiert. Er sichert damit die Stellung des Beschuldigten als Prozeßsubjekt52. Die notwendige Verteidigung konfligiert somit nicht mit der Autonomie des Beschuldigten, sondern verhilft ihr erst zum Durchbruch. Die Konzeption von Welp liefe nach Beulke letztlich auf die Verzichtbarkeit der Beschuldigtenrechte hinaus53. Auch ist die Verantwortung der Gemeinschaft, in deren Namen ein Urteil vollstreckt wird, zu berücksichtigen. Ihr ist es zuzugestehen, in den Fällen notwendiger Verteidigung ein „Mehr“ an Rechtssicherheit einzufordern54. Ferner ist die Welp’sche Auffassung insofern inkonsequent, als sie im Verhältnis zum Staat einen Vorrang des Beschuldigteninteresses statuiert, im Innenverhältnis zum Verteidiger jedoch nicht55. Welp gewinnt seine Überlegungen aus der möglichen aufgezwungenen Pflichtverteidigung. In diesen Fällen sind Autonomie und Pflichtverteidigung eben nur schwer, wenn überhaupt56 zu vereinbaren. Aus der möglichen Konstellation eines aufgezwungenen Verteidigers nach geltendem Recht jedoch den Schluß ziehen zu wollen, die notwendige Verteidigung nur auf die Fälle defekter Autonomie zu erstrecken57, ist abzulehnen58. Nach der Auffassung von Herrmann59 können die Welp’schen Ausführungen nicht mehr durch Titulierung als idealisierte Vorstellungen abgetan werden. Er 47

Vgl. Beulke, Der Verteidiger, S. 71 ff.; Ropohl, S. 162. Knell-Saller, S. 45. 49 Beulke, Der Verteidiger, S. 35 ff.; 71 ff.; Maiwald, FS-Lange, S. 745 (753); Vehling, StV 1992, 86 (89). 50 Ropohl, S. 164; Rieß, StV 1981, 460 (462). 51 Ropohl, S. 164; Rieß, StV 1981, 460 (462). 52 Rieß, FS-RJA, S. 373 (405). 53 Beulke, Der Verteidiger, S. 75. 54 Dedy, S. 190. 55 Vgl. Welp, ZStW 90 (1978), 804 (822); dazu: Beulke, Der Verteidiger, S. 77 f. 56 Müller-Dietz, ZStW 93, 1177 (1243); Hassemer, ZRP 1980, 326 (331). 57 Welp, ZStW 90 (1978), 101 (129); ferner: Haffke, StV 1981, 471 (480 ff.). 48

§ 2 Sicherung der Stellung des Beschuldigten als Prozeßsubjekt

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spricht sich de lege ferenda für eine stärkere Berücksichtigung des Selbstbestimmungsrechts des Beschuldigten aus. Hierfür verweist er auf die zunehmende Bedeutung der Autonomie, die eine obrigkeitlich fürsorgliche Betrachtungsweise auch im Strafverfahren zurückdränge60, sowie auf die notwendige Verteidigung im Ausland61. Auch finanzielle Erwägungen des Beschuldigten und seine eigene Verteidigungsstrategie62 sollten im Rahmen einer Verteidigerbestellung zu berücksichtigen sein63. Gegen die Überlegungen von Herrmann kann angeführt werden, daß die autonomen Handlungsspieläume zwar auch in strafverfahrensrechtlichen Gebieten erweitert wurden. Die Notwendigkeit einer Verteidigung wurde jedoch nicht abgeschafft. Ferner führt die von ihm für die Aufwertung des Selbstbestimmungsrechts angeführte Zustimmung zur vereinfachten Beweisaufnahme nach § 420 III eher zur Erforderlichkeit anwaltlichen Beistandes64. Auch respektieren ausländische Rechtsordnungen den entgegenstehenden Willen des Beschuldigten nicht stets in größerem Maße, sondern ordnen die Notwendigkeit der Verteidigung zum Teil in noch weitergehendem Umfang an. So wird der unverteidigte Beschuldigte nach italienischem Recht (auch während der polizeilichen Vernehmungen, vgl. Art. 350 II, III CPP65) durch einen Amtsverteidiger (difensore di 58

So ist auch vom AK-Strafprozeßreform (1979, S. 59 ff.) trotz Betonung der Autonomie des Beschuldigten eine Abschaffung notwendiger Verteidigung nicht erwogen worden. 59 Herrmann, StV 1996, 396 ff.; dagegen: Schellenberg, StV 1996, 641 f. 60 Herrmann, StV 1996, 396 (397 f.); so verweist er u. a. auf: – die möglichen Beteiligungsformen des Beschuldigten an einer Einstellung nach § 153 a (vgl. auch §§ 35 ff. BtMG) – die gesetzliche Verankerung der Auswahl der Person des Pflichtverteidigers in § 142 I 2 und S. 3 – die Zustimmung des Beschuldigten zur vereinfachten Beweisaufnahme nach § 420 I, II – die Absprachenpraxis, die der Zustimmung des Beschuldigten bedürfe – die Aufhebung des § 140 I Nr. 4 und seine Umgestaltung in eine antragsabhängige Vorschrift für Taube und Stumme – das Recht auf informationelle Selbstbestimmung – die stärkere Berücksichtigung des Willens des Beschuldigten im Verhältnis Arzt – Patient oder im Bereich der Sterbehilfe – das Betreuungsgesetz aus dem Jahr 1990 (BGBl. I, S. 2002), welches nicht auf Entmündigung abstelle, sondern auf weitgehend zu gewährleistende Autonomie. 61 Herrmann, StV 1996, 396 (398) mit umfassenden Nachweisen aus den Vereinigten Staaten, Frankreich und Österreich. 62 Hier greift er auf die Überlegungen von Welp zurück, wonach der Beschuldigte sich auch mit der Attitüde der Wehrlosigkeit verteidigen könne, vgl. Welp, ZStW 90 (1978), 102 (120); in Betracht käme ferner eine psychische Bewältigung durch Geständnis, welcher ein Verteidiger entgegenstehen könnte. 63 Herrmann, StV 1996, 396 (399 f.). 64 Vgl. oben: Kap. 4, § 2. 65 Codice Procedura Penale – im Internet abrufbar unter: http://www.studiocelen tano.it/codici/cpp/ oder unter: http://www.leggiweb.it/.

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4. Kap: Gründe für eine Pflichtverteidigung

ufficio) vertreten66, vgl. Art. 97 CPP. Ist der Beschuldigte mittellos, so kommt der Staat für die Kosten auf, Art. 98 CPP. Das Institut notwendiger Verteidigung basiert auf einer Abgrenzung von Verantwortungsbereichen. In den Fällen notwendiger Verteidigung endet der selbstbestimmte Verantwortungsbereich des Beschuldigten. Das paternalistische Konzept der notwendigen Verteidigung tritt ein. Es bezieht sich auf den verfahrensrechtlichen Bereich67, der die notwendige Sachkunde des Betroffenen voraussetzt, sich seiner prozessualen Rechte und Möglichkeiten zu bedienen; die außerprozessuale Selbständigkeit des Beschuldigten bleibt davon unberührt. In der Subjektstellung des Beschuldigten ist auch seine ihm gegenüber gebührende Achtung als eigenverantwortliche Person verankert68. Solange seine strafprozessuale Verantwortung nicht eingeschränkt wird, trägt er sie; sie wird ihm zugemutet69. Er selbst darf die Form seiner Verteidigung bestimmen. Die notwendige Verteidigung entzieht ihm jedoch seine Dispositionsbefugnis, zu seinem Wohl70. Ein Vergleich zum materiellen Recht legt eine Gefährdungslage des Beschuldigten nahe. Insofern kann auf die Fallgruppen der Selbst- und Fremdgefährdung71 hingewiesen werden. Die Grenze der Eigenverantwortung des Beschuldigten ergibt sich hier aus § 140. Diese Vorschrift verbietet es dem Staat, den Beschuldigten in den beschriebenen prozessualen Situationen ohne den Bei66

Kühne, Rn. 1278. Knell-Saller, S. 43 ff.; Dethlefsen, S. 51; Prittwitz spricht hier von einem „sanften Paternalismus“, FS-Bemmann, S. 596 (607). 68 So soll die Belehrung über das Verteidigerkonsultationsrecht gewährleisten, daß der Beschuldigte eine eigenverantwortliche Entscheidung über die Hinzuziehung eines Verteidigers treffen kann, vgl. Müssig, GA 1999, 119 (127 f.); Beckemper, S. 49 m. w. N. 69 Vgl. Beckemper, S. 76. 70 Beckemper, S. 52. 71 Vgl. zur Übertragung der Kriterien von Fremd- und Selbstgefährdung im Rahmen der Belehrungspflicht über die Verteidigerkonsultation nach § 136 I 2 und der Verpflichtung der Strafverfolgungsorgane, diese auch umsetzen zu helfen: Roxin, JZ 1997, 343 (345). Beckemper lehnt die Übertragung der Regeln über eine Selbst- und Fremdgefährdung auf die Konstellation der Verhinderung der Verteidigerkonsultation zur Bestimmung eines freiwilligen Verzichts des Beschuldigten ab (vgl. S. 202 ff., 152 ff., 79). Bei der im Rahmen der Gefährdungskonstellationen zu eruierenden Eigenverantwortung sei auf die Einwilligungslehre zurückzugreifen. Das Strafprozeßrecht schütze den Beschuldigten danach nicht vor jeder irrtumsbedingten Selbstbelastung. Der Beschuldigte solle lediglich vor verbotenen Methoden geschützt werden, die ihn zum Verzicht auf die Verteidigerkonsultation verleiten. Letztlich bevorzugt sie eine Lösung über das Selbstbehauptungsprinzip, welches sie der Nötigung nach § 240 entlehnt und in das Strafprozeßrecht überträgt (vgl. S. 241 ff., 292). Im Rahmen der notwendigen Verteidigung wird durch § 140 die Entscheidungsfreiheit über die Hinzuziehung eines Verteidigers gerade eingeschränkt, eine Selbstbehauptung von vornherein nicht erwartet, vgl. auch Beckemper, S. 52. 67

§ 3 Ziele des Strafverfahrens

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stand eines Verteidigers zu lassen. Insoweit wird dem Staat zwar zugestanden, den Beschuldigten zu verfolgen, ihm wird jedoch eine Pflicht auferlegt, sich nur unter gewissen Umständen an der „Freiheitsgefährdung“ (in Gestalt des Prozesses) des Beschuldigten zu beteiligen. Um dieser Pflicht gerecht zu werden, muß er dem Beschuldigten verwehren, sich selbst zu verteidigen. Um überhaupt ein wirksames Verfahren durchführen zu können, muß er ihm notfalls einen Verteidiger bestellen.

§ 3 Ziele des Strafverfahrens und öffentliche Interessen für eine notwendige Verteidigung Ausgangspunkte für die Ziele eines Strafverfahrens sind Wahrheit und Gerechtigkeit. Mit der überwiegenden Ansicht ist davon auszugehen, daß die materielle Wahrheit72 im Verfahren gefunden werden muß und kann73. Die gerichtliche Entscheidung muß in einem justizförmigen Verfahren zustande kommen; dieses ist als gleichberechtigtes Ziel eines Strafverfahrens anzuerkennen74. Materielles Strafrecht soll so im Verfahren durchgesetzt und damit Rechtsfrieden (als drittes Verfahrensziel) geschaffen werden75.

A. Dialektische Struktur der Wahrheitsfindung durch die Mitwirkung eines notwendigen Verteidigers im Strafverfahren Überwiegend wird angenommen, ein Anordnungsgrund notwendiger Verteidigung bestehe in der dadurch ermöglichten dialektischen Wahrheitsfindung76. 72 Vgl. BVerfGE 57, 250 (275); 63, 45 (61); 77, 65 (76); Gössel, Ermittlung oder Herstellung, S. 8 ff.; Renzikowksi, FS-Lampe, S. 791 (799); Schünemann, FS-Pfeiffer, 464 (471); ders. ZStW 114 (2002), 1 (48 ff.); Niemöller/Schuppert, AöR 1982, 387 (442 ff. m. w. N.). 73 Zur Herstellung von Wahrheit durch das Verfahren vgl. Volk, Wahrheit und materielles Recht, S. 7 ff.; ders., FS-Salger, S. 411 ff. (417 ff.); Paulus, FS-Spendel, S. 687 (697); Anknüpfungspunkt für eine solche Betrachtungsweise ist der Umstand, daß Ergebnisse durch Verfahren mitbestimmt werden, innerhalb derer sie gefunden werden sollen, vgl. Zippelius, S. 243; zur Herstellung von Wahrheit im US-amerikanischen Prozeß: Trüg, S. 66 ff. 74 Beulke, Der Verteidiger, S. 62 ff.; Röhl, S. 501 ff.; Roxin, 1/2 ff.; Trüg, S. 65 m. w. N.; auch wird die Justizförmigkeit in den Dienst der Wahrheit gestellt, vgl. Maiwald, FS-Lange, S. 745 (752); für eine Einhaltung von Verfahrensregeln stellt Luhmann (S. 87, 103) aus soziologischer Sicht ausschließlich auf die Legitimation durch Verfahren ab, eine materielle Gerechtigkeit würde damit obsolet. 75 BVerfGE 57, 250 (275); Röhl, S. 502 ff.; Beulke, Strafprozeßrecht, Rn. 3 ff.; Volk, Strafprozeßrecht, Rn. 3/1; Schmidhäuser, FS-Eb. Schmidt, S. 511 (516 ff.); Müller-Dietz, ZStW 93 (1981), 1177 (1204 f.). 76 LR-Dünnebier (23. Auflage), § 140 Rn. 1, § 141 Rn. 1; Roxin, 19/29; Beulke, Der Verteidiger, S. 51; Stade, S. 97 ff.; Hess, S. 106 ff.; Schünemann, ZStW 114

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4. Kap: Gründe für eine Pflichtverteidigung

Dialektik wird verstanden als die Fähigkeit, sich mit Gesprächspartnern in Rede und Gegenrede, Argument und Gegenargument auseinanderzusetzen, den Diskussionspartner in Rede und Gegenrede zu überzeugen77. Ein Beitrag des Verteidigers zur (besseren) Wahrheitsfindung durch Dialektik wird teilweise abgelehnt78. Ein solcher sei allenfalls in einem angelsächsischen Verfahren anzunehmen. Dort handelten beide Parteien streng einseitig gemäß ihren Interessen. Im deutschen Strafverfahren hingegen sei die Staatsanwaltschaft nach § 160 II verpflichtet, auch entlastende Umstände herauszuarbeiten, das Gericht habe nach § 244 II die Wahrheit von Amts wegen zu ermitteln. Auch wenn die Verpflichtung nach § 160 II besteht, so kann die Staatsanwaltschaft nicht rein objektiv auch die entlastenden Umstände ermitteln. Ferner gerät sie unter Rechtfertigungsdruck, sobald sie Anklage erhoben hat79. Der Beschuldigte wird die entlastenden Umstände regelmäßig auch selbst anzuführen haben. Es liegt an ihm, die belastenden Umstände anzuzweifeln. Somit hält die Dialektik Einzug in das Verfahren. Auch das entscheidende Gericht ist durch den Eröffnungsbeschluß „vorbelastet“. Ferner können dessen Untersuchungen durch Beweisanträge der Verteidigung beeinflußt werden80. Der Verteidiger tritt damit in das dialektische Verhältnis auf Beschuldigtenseite ein81. Für eine solche Betrachtungsweise spricht ferner die Verteidigerbestellung im Haftprüfungsverfahren nach § 118 a II 2. Die mündliche Verhandlung soll dem Beschuldigten eine Verteidigungsmöglichkeit bieten; in Rede und Gegenrede soll der Betroffene angehört und die Voraussetzungen der Untersuchungshaft entkräften können82. Wird der Beschuldigte zu dieser Verhandlung nicht vorgeführt, so hat der Verteidiger an ihr teilzunehmen. Damit tritt dieser auf Seiten des Beschuldigten in das dialektische Verhältnis ein. Auch eine Verteidigerbestellung nach § 140 I Nr. 7 i. V. m. § 141 IV soll gerade wegen der möglichen Verhandlung ohne den Beschuldigten nach § 415 III erfolgen83. Nämliche Überlegungen haben für eine Verteidigerbestellung nach § 231 a IV für die Haupt(2002), 1 (48 f.); Römer, FS-Schmidt-Leichner, S. 133 (138 f.); Kalsbach, Pescara-Beiheft, S. 112 (125); Eisenberg, NJW 1991, 1257 (1258); siehe auch Welp, ZStW 90 (1978), 101 (118); ders., ZStW 90 (1978), 804 (815); vgl. ferner die Argumentation des Bundesverfassungsgerichtes in NJW 1981, 1719 (1723). 77 Vgl. Strzyz, S. 224; Stade, S. 94. 78 LR-Lüderssen, Vor § 137 Rn. 23 f. mit Fn. 59; Lüderssen, in: Pflichtverteidigung und Rechtsstaat, S. 36 (39); ders., NJW 1986, 2742 (2743 mit Fn. 6); ferner: Gössel, ZStW 94 (1982), 5 (28 ff.). 79 Zu den normativen, psychologischen und tatsächlichen Einschränkungen der Objektivitätsverpflichtung nach § 160 II siehe oben: Kap. 2, § 2 B. II.; vgl. ferner: Ropohl, S. 158 ff.; Hess, S. 110 ff. 80 Vgl. Strzyz, S. 223 ff.; Stade, S. 95 ff. 81 Vgl. BVerfG JZ 2004, 670 (672 f.). 82 LR-Hilger, §118 a Rn. 13; KMR-Wankel, § 118 a Rn. 3. 83 LR-Lüderssen, § 140 Rn. 45.

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verhandlung zu gelten, an welcher der Beschuldigte in Gemäßheit des § 231 a I nicht teilnehmen muß84. Angesichts dieser bloßen Idealvorstellung einer in alle Richtung hin ermittelnden Staatsanwaltschaft (§ 160 II) oder eines Gerichts als Garant von absoluter Objektivität85 sowie aufgrund der tatsächlichen Lage des Beschuldigten in einem Strafverfahren86 ist der notwendigen Verteidigung im Hinblick auf die dialektische Wahrheitsfindung ein Eigenwert beizumessen, der nicht ausschließlich im Beschuldigteninteresse liegt87. Die Verteidigung muß von sich aus aktiv werden, indem sie selbst Ermittlungen anstellt oder Beweiserhebungen durch den Staat veranlaßt88. Auch wenn das eigene Beweisantragsrecht nach §§ 163 a II, 166 I, 168 d II nicht stark ausgeprägt ist89, beweist seine Existenz die angenommene Notwendigkeit, die Beweiserhebungen durch die staatlichen Organe zu ergänzen und zu beeinflussen90, wodurch die Subjekteigenschaft des Beschuldigten unterstrichen wird. Durch die Unterstützung eines Verteidigers können diese Rechte umfassend ausgeschöpft und so die Ermittlungsrichtung der Behörden im Sinne einer Sachverhaltsaufklärung beeinflußt werden. Unabhängig von der Frage, ob die Mitwirkung eines Verteidigers notwendige Voraussetzung für ein wahres und gerechtes Urteil ist91, wird durch seine Teilnahme zumindest eine bessere Annäherung an die Wahrheit ermöglicht92. Ferner ist zu berücksichtigen, daß die Strafprozeßordnung bestimmte Rechte oder deren Umfang an der Person des Verteidigers festmacht, insofern von einer Mitwirkung des Verteidigers gleichsam ausgehen mag93. 84 Allein, daß den notwendigen Verteidigern gemäß § 231 c gestattet werden kann, der Hauptverhandlung fernzubleiben, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Hier geht es gerade um Verfahrensabschnitte, die einzelne Angeklagte überhaupt nicht betreffen, vgl. Meyer-Goßner, § 231 c Rn. 1. 85 H. Schmidt, S. 10 ff. 86 Knell-Saller, S. 56; Dethlefsen, S. 50 f.; Ropohl, S. 96, 162 ff.; H. Schmidt, S. 12 ff.; Beulke, Der Verteidiger, S. 66 f., 72. 87 Dethlefsen, S. 48 ff. gegen Welp, ZStW 90 (1978), 101 (119), 804 (816) und B. Schneider, S. 25 ff.; ferner: Ropohl, S. 158 ff.; Knell-Saller, S. 56 f. 88 Perron, Beweisantragsrecht, S. 143; vgl. oben: Kap. 2, § 5 E. – dort auch zur Zurückhaltung gegenüber dem Ersatz von Aufwendungen für eigene Ermittlungen des Verteidigers. 89 Vgl. oben: Kap. 2, § 5 C. 90 Vgl. Krekeler, S. 7 f. 91 Vgl. Welp, ZStW 90 (1978), 101 (119), 804 (815 f.); zustimmend: B. Schneider, S. 23 ff.; kritisch: Beulke, Der Verteidiger, S. 73 ff.; ferner Hess, S. 112; Barton, S. 95. 92 Nach Knell-Saller (S. 57) kommt es ebenfalls auf die Mitwirkung eines Verteidigers als notwendige Bedingung eines gerechten Urteils nicht an. Schon die Möglichkeit, daß eine gerechte Entscheidungsfindung ohne Mitwirken eines Verteidigers angezweifelt werden könne, genüge für einen Vertrauensverlust gegenüber der Strafrechtspflege. In der Realität müßten die gesetzlichen Pflichten der Staatsorgane überprüft werden.

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4. Kap: Gründe für eine Pflichtverteidigung

Gerade in Fällen notwendiger Verteidigung bedarf es der Absicherung durch eine größtmögliche Annäherung an die Wahrheit. Aufgrund der Sanktionsschwere oder der tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten bzw. der eigenen Verteidigungsunfähigkeit des Beschuldigten ist eine zusätzliche Wahrheitsfindungssicherung zu gewährleisten. Diese Kautel ist nicht allein im Beschuldigteninteresse zu verorten, sondern auch in dem der Allgemeinheit an der Findung eines möglichst wahren und damit gerechten Urteils. Die Bedeutung der notwendigen Verteidigung für die Ermittlung eines wahren Sachverhalts spiegelt insbesondere § 140 I Nr. 1 wider. Dem Beschuldigten steht in diesen Fällen nur eine Tatsacheninstanz zur Verfügung, vgl. §§ 121 I Nr. 1 c), 135 I GVG. Die von Gesetzes wegen angeordnete stärkere Besetzung der Gerichte reichte danach als Kautel offenbar nicht aus, um einen möglichst wahren Sachverhalt zu ermitteln94. Einer Verpflichtung des Verteidigers, an den staatlichen Prozeßzielen mitzuwirken95, wird damit wohlgemerkt nicht das Wort geredet. Staatsanwaltschaft und Richter sollen durch die Einschaltung des Verteidigers zu genauerem Arbeiten gezwungen werden. Eigene Hypothesen werden kritisiert, eine neue Auseinandersetzung mit ihnen ist erforderlich96. Es wird eine Situation herbeigeführt, welche trotz gegenläufiger Interessen die Erfolgschance im Sinne der Findung eines wahren Sachverhalts erhöht. Damit wird durch die Tätigkeit eines Verteidigers (auch wenn sie – innerhalb der gesetzlichen Schranken – der einer Staatsanwaltschaft und des Gerichts „entgegengesetzt“ sein mag) eine dialektische Wahrheitsfindung erreicht97. Auch die amtliche Begründung zur Reichsstrafprozeßordnung nahm Bezug auf die dialektische Wahrheitsfindung, die sich aus der Mitwirkung eines notwendigen Verteidigers ergibt. Das Strafübel, welches dem Beschuldigten drohte,

93 Vgl. Jörke, S. 133; diese Überlegung läßt sich auch aus der amtlichen Begründung zur RStPO gewinnen, in der darauf hingewiesen wurde, daß bei Wichtigkeit der Akteneinsicht der Beschuldigte wohl einen Verteidiger habe, vgl. Hahn I, S. 177: Wenn für die Verteidigung die Aktenlage wesentlich erscheine, so sei davon auszugehen, daß der Angeklagte regelmäßig einen Rechtsbeistand habe. 94 Vgl. zur Besetzung der Strafkammer beim Landgericht: §§ 74 I, 76 GVG; zur Besetzung des Strafsenats beim Oberlandesgericht siehe § 122 II GVG. 95 So wird angenommen, daß der Verteidiger aufgrund mangelnder eigener staatlicher Tätigkeit nicht an den staatlichen Prozeßzielen mitzuwirken verpflichtet sei. Er nehme lediglich eine Schutzaufgabe gegenüber dem Beschuldigten wahr, kontrolliere staatliche Machtentfaltung (so Gössel, ZStW 94 (1982), 5, 28 ff.; ferner: Welp, ZStW 90 (1978), 101, 118: „Funktionär eines gerechten Urteils“; Haffke, StV 1981, 471, 481: der Beschuldigte als „Transformator“ staatlicher Interessen im Falle der Zwangsverteidigung). Dahinter verbirgt sich wohl die Befürchtung, den Verteidiger in das staatliche Interessengefüge einzuspannen, vgl. auch Heinicke, S. 222 f. 96 Stade, S. 96 f.; Heinicke, S. 447. 97 Hess, S. 104; Bringewat, JuS 1980, 867 (869).

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verlangte nach einer besonderen Absicherung gegen eine „unbegründete Verurtheilung“98. Der Autonomie des Beschuldigten wird lediglich außerhalb der Fälle notwendiger Verteidigung der Vorrang eingeräumt vor der dialektischen Wahrheitsfindung. Die Spannungen zwischen Autonomie und Wahrheitsfindung werden im Fall der Wahlverteidigung zugunsten der vorgenannten entschieden, in den Fallgruppen notwendiger Verteidigung zugunsten der letzteren99.

B. Justizförmigkeit des Verfahrens Der Versuch, Wahrheit zu finden, ist in einem justizförmigen Verfahren anzustrengen, welches die Rechte des Beschuldigten wahrt. Dies gebietet das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 III GG). Das Bundesverfassungsgericht sieht die notwendige Verteidigung als „Konkretisierung des Rechtsstaatsprinzips in seiner Ausgestaltung fairer Verfahrensführung“100. I. Bedeutung des fair trial Dieser Grundsatz ist dem anglo-amerikanischen Rechtskreis entliehen101 und wird überwiegend aus Art. 20 III GG hergeleitet102 sowie aus Art. 20 III GG i. V. m. Art. 2 I GG103. Auch wird auf Art. 1 I GG oder Art. 2 II GG Bezug genommen104. Zum Teil wird auf das Sozialstaatsprinzip rekurriert105. Ausdrücklich niedergelegt ist der Grundsatz des fair trial in Art. 6 I 1 EMRK. Der Grundsatz wird zur Auslegung einer Norm im deutschen Recht herangezogen106. Die Unbestimmtheit des Begriffes mahnt jedoch zur Vorsicht, ihn nicht als „Wundermittel“ von verfassungsrechtlichem Rang in den Dienst der Auslegung zu stellen107. 98 Hahn I, S. 143 (amtliche Begründung); das öffentliche Interesse an einem wahren Urteil überlagert danach die Autonomie des Beschuldigten in solchen Fällen, vgl. Grüner, S. 26. Vgl. ferner die Äußerungen des Abgeordneten Eysoldt im Rahmen der Übernahme der Kosten der notwendigen Verteidigung (Hahn II, S. 1831 f.). 99 Grüner, S. 25 ff. 100 Vgl. BVerfG NJW 1978, 151; BVerfG NJW 1984, 113; BVerfG NStZ 1998, 2205; BVerfG StV 2001, 601 (602); ferner: BGH StV 2003, 210 ff.; Burhoff, Rn. 1334; Hahn, S. 106; Wasserburg, GA 1982, 304 (317 f.). 101 Dazu: Rzepka, S. 277 ff. 102 BVerfGE 38, 105 ff.; 40, 95 ff.; KK-Pfeiffer, Einl. Rn. 28 m. w. N.; zur Literatur vgl. ferner die Übersicht bei Rzepka, S. 251 ff. 103 BVerfGE 57, 250 (275); vgl. dazu: Rzepka, S. 116 ff. m. w. N. 104 Vgl. BVerfGE 38, 105 (111); 57, 250 (275); KK-Pfeiffer, Einl. Rn. 28. 105 Roxin, 11/9; Niemöller/Schuppert, AöR 107 (1982), 387 (404). 106 Vgl. KK-Pfeiffer, Einl. Rn. 28.

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4. Kap: Gründe für eine Pflichtverteidigung

Nach dem Bundesverfassungsgericht verbirgt sich hinter diesem Grundsatz folgendes: Der Beschuldigte darf nicht nur Objekt des Verfahrens sein; ihm muß die Möglichkeit gegeben werden, zur Wahrung seiner Rechte auf den Gang und das Ergebnis des Verfahrens Einfluß zu nehmen. In bestimmten Fallgruppen sei ein fachkundiger Beistand erforderlich. Der Staat sei verpflichtet, für die Verteidigung des Beschuldigten Vorsorge zu treffen108. Maßgeblich wird hier auf die aktiven Gestaltungsmöglichkeiten des Beschuldigten abgestellt. Die Position des Beschuldigten soll durch den Beistand des Verteidigers gestärkt werden109. Darüber hinaus ist der Verteidiger in der Lage, justizielle Defizite aufzudecken. Mit Hilfe des Verteidigers kann der Beschuldigte seine Auffassungen darlegen, Einwände erheben, Beweise würdigen. Seine Rechte werden durch die des Verteidigers ergänzt. Er gleicht die unterschiedlichen Rechtspositionen, die das Gesetz dem Beschuldigten und ihm zugewiesen hat, aus. Der Verteidiger wacht über die prozessualen Rechte des Beschuldigten und den Ablauf eines ordnungsgemäßen Verfahrens. Schneider lehnt den fair trial als Anordnungsgrund notwendiger Verteidigung ab. Die Möglichkeit der Verteidigerbestellung auch gegen den Willen des Beschuldigten lasse eine – aus Sicht des Beschuldigten – „unfaire“ Verhandlungsführung zu110. Eine Generalisierung dieses Arguments verbietet sich jedoch insofern, als die Konstellation eines aufgedrängten Pflichtverteidigers ein Ausnahmefall ist111. II. Grundsatz der Waffengleichheit112 als Konkretisierung eines fairen Verfahrens Dieser Grundsatz ist Unterfall eines fairen Verfahrens113. Um einen solchen Grundsatz anerkennen zu können114, muß er jedoch mit den Gedanken des reformierten deutschen Strafprozesses vereinbar sein115. Es ist zu konstatieren, 107 Vgl. Rzepka, S. 249 ff.; Schrepfer, S. 74 f.; jedoch geht er über ein bloß konturenloses Gebilde hinaus, was u. a. der Konkretisierung des Bundesverfassungsgerichts zu verdanken ist, vgl. Beckemper, S. 40 ff. 108 BVerfG NJW 1975, 1015 f.; NJW 1978, 151 f. 109 AK-Stern, Vorbem. § 140 Rn. 4; KK-Laufhütte, § 140 Rn. 1. 110 B. Schneider, S. 38 f. 111 Vgl. LR-Lüderssen, § 140 Rn. 10. 112 Beulke, Strafprozeßrecht, Rn. 148; Hahn, S. 106; Tettinger, S. 22 f.; Bahnsen, S. 36 ff. 113 BVerfGE 38, 105 (111); 63, 45 (61); KK-Pfeiffer, Einl. Rn. 28; Molketin, S. 152. Insoweit wird seine eigenständige Bedeutung in Zweifel gezogen, vgl. Tettinger, S. 30 ff. 114 Kritisch: Roxin, 11/13; Dreher, FS-Kleinknecht, S. 91 (105 ff.). 115 Vgl. Tiemer, S. 54.

§ 3 Ziele des Strafverfahrens

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daß eine formale Gleichheit an „Waffen“ im deutschen Strafverfahrensrecht nicht existiert116. Waffengleichheit zielt vielmehr auf eine Balance ab, die unter Berücksichtigung der Prozeßrollen ermöglicht wird117. Diese Chancengleichheit der Prozeßbeteiligten findet ihre Grenze in den unterschiedlichen Interessenlagen und strukturell bedingten Unterscheidungen118. Im deutschen Strafverfahren herrscht insoweit ein „Gefälle“ an Waffengleichheit. Sie ist unterschiedlich stark in den Verfahrensstadien ausgeprägt. So kann die Staatsanwaltschaft vor Abschluß der Ermittlungen nach § 147 II die Einsicht eines Verteidigers in die Akten unter bestimmten Voraussetzungen verwehren. Eine „Akteneinsicht“ des Beschuldigten ist lediglich nach § 147 VII möglich. Damit hat die Staatsanwaltschaft nicht nur einen Informationsvorsprung im Ermittlungsverfahren (durch die ihr zur Verfügung stehenden Zwangsmittel), sondern zugleich eine Möglichkeit der Geheimhaltung gewonnener Informationen119. Die auch nur idealerweise bestehende Kontrollfunktion der Staatsanwaltschaft nach § 160 II kann dieses Übergewicht nicht ausgleichen120. In der Hauptverhandlung kann von einer paritätischen Waffengleichheit gesprochen werden. In diesem Verfahrensabschnitt sind Verteidigung und Staatsanwaltschaft gleichgestellt 121. Insgesamt läßt sich feststellen, daß dem Strafprozeß ein ausgewogenes Kräftefeld122 zwischen Beschuldigtem, Staat und Verteidiger zur Erzielung einer gerechten Entscheidung zugrundeliegt. Die Verteidigung gleicht die von § 140 angenommenen Verschiebungen innerhalb dieses Kräftefelds in den unterschiedlichen Stadien des Verfahrens aus123. Waffengleichheit wird insofern durch die Rechte des Verteidigers gewährt, die dem Beschuldigten bei notwendiger Verteidigung zugänglich sind. Verteidigungsrechte sind insofern Verteidigerrechte. Letztlich schafft der Staat Abhilfe für die Verfahrenslage, in die er den Beschuldigten gebracht hat: Zum einen durch das konkrete Strafverfahren, welches eine notwendige Verteidigung gebietet, zum anderen durch den Überhang von Verteidigerrechten.

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Roxin, 11/13; Beulke, Der Verteidiger, S. 38. Zwar beeinträchtigt der Informationsvorsprung der Staatsanwaltschaft die Waffengleichheit. Dies ist nach dem Bundesverfassungsgericht jedoch im Sinne einer wirksamen und funktionstüchtigen Strafrechtspflege hinzunehmen, vgl. BVerfG NStZ 1984, 228; Beulke, Der Verteidiger, S. 37 ff. 118 Vgl. Roxin 11/13; Schrepfer, S. 81 f.; Neuhaus, JuS 2002, 18 (19). 119 Vgl. zum Ermittlungsgeheimnis: Meyer-Goßner, Einl. Rn. 60. 120 Bringewat, ZRP 1979, 248 (250). 121 Schaefer, FS-Rieß, S. 491 (492). 122 Vgl. Knell-Saller, S. 57. 123 Vgl. Zippelius, S. 246 f.; Tiemer, S. 55. 117

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4. Kap: Gründe für eine Pflichtverteidigung

Auch das Bundesverfassungsgericht124 hat jüngst die herausragende Bedeutung eines Verteidigers für die Herstellung von Waffengleichheit hervorgehoben: „Die Mitwirkung eines Verteidigers, der dem Beschuldigten beratend zur Seite steht und für diesen die ihn entlastenden Umstände zu Gehör bringt, ist für die Herstellung von „Waffengleichheit“, abgesehen von einfach gelagerten Situationen, unentbehrlich“. Über die Waffengleichheit im Verhältnis zur Staatsanwaltschaft hinaus ist auch das Kräfegleichgewicht zu anderen Verfahrensbeteiligten einzubeziehen125. Im Fall des § 140 II 1 3. Alt. wird vom Gesetz eine Verteidigerbestellung vorgeschrieben, wenn dem nebenklagebefugten Verletzten ein Rechtsanwalt nach §§ 397 a, 406 g III, IV beigeordnet wurde. Der mittellose (vgl. § 397 a II – unter den Voraussetzungen des § 397 a I auch der bemittelte) „qualifiziert“ Verletzte hat von Beginn des Ermittlungsverfahrens an einen Anspruch auf Beiordnung eines Rechtsanwalts als Beistand, § 406 g III. Nach § 406 g IV kann in den Fällen des § 406 g III 1 Nr. 2 ein Rechtsanwalt auch eilbeigeordnet werden. Dieser Beistand hat ein Anwesenheitsrecht bei allen richterlichen Vernehmungen (§ 406 g II 2) sowie bei allen richterlichen und staatsanwaltlichen Vernehmungen des Verletzten (§ 406 f II) und nach Maßgabe des § 406 f III auch bei polizeilichen Vernehmungen des Verletzten. Der Rechtsanwalt kann nach § 406 e I die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft einsehen; ein Rechtsbehelf bei Versagung steht ihm nach § 406 e IV 2 zur Verfügung. Nach § 406 e V können dem Verletzten Abschriften aus den Akten erteilt werden; gegen eine Versagung steht ihm der Rechtsbehelf nach § 406 e IV 2 zur Verfügung. Im Hinblick auf den „einfach“ Verletzten, der nicht von einem Rechtsbeistand vertreten wird, erscheint ein Kräfteungleichgewicht angesichts des dem Beschuldigten zustehenden Akteneinsichtsrechts nach § 147 VII eher fraglich126. Für eine Kräfteverschiebung kann jedoch angeführt werden, daß der (mögliche) Verletzte im Strafverfahren ein weiterer Akteur ist, der sich gegen den Beschuldigten stellt. Wenn dem Zeugen ein Rechtsanwalt nach § 68 b beigeordnet wurde, befindet sich in dem Kräftefeld ebenfalls ein weiterer anwaltlicher Vertreter, der zu einer Verschiebung des Gleichgewichts führen kann.

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BVerfG JZ 2004, 670 (672 ff.) unter Hinweis auf Rzepka, S. 397 ff. Siehe Marczak, S. 91; Weider, StV 1987, 317 ff.; Klemke, StV 2002, 414 (415); Köster, StV 1993, 512. 126 Vgl. noch Weider, StV 1987, 317 (319) im Hinblick auf das Akteneinsichtsrecht des einfach Verletzten nach § 406 e I; der Beschuldigte hat nunmehr ebenfalls ein gesetzlich fixiertes Akteneinsichtsrecht nach § 147 VII, vgl. dazu oben: Kap. 2, § 5 A. und Kap. 3, § 1 B. III. 1. b). 125

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C. Fürsorgeaspekte Die notwendige Verteidigung wird ferner auf eine Fürsorge gegenüber dem Beschuldigten zurückgeführt127. Nach überwiegender Auffassung besteht eine allgemeine prozessuale Fürsorgepflicht des Staates gegenüber dem Beschuldigten im Strafverfahren128. Sie mildert das Übergewicht der staatlichen Machtmittel im Strafprozeß ab, sorgt für eine gewisse Waffengleichheit129. Insofern ähnelt sie dem Recht auf ein faires Strafverfahren130. Diese fürsorglichen Aspekte werden auch durch die Strafverfolgungsbehörden und die Gerichte im Rahmen der gesetzlichen Regelungen wahrgenommen131. Fürsorge ist dahin zu verstehen, daß den Verfahrensbeteiligten die effektive Wahrnehmung ihrer prozessualen Rechte ermöglicht werden soll132. Eine Ausprägung ist die Gewährleistung einer effektiven Verteidigung für den Beschuldigten133. Dieser Grundsatz wird überwiegend auf das Rechtsstaatsprinzip134 und135 /oder das Sozialstaatsprinzip136 zurückgeführt. Grenze der Fürsorgepflicht ist die prozessuale Eigenverantwortlichkeit des Beschuldigten137. Die Fürsorgepflicht ist jedoch auch kritisch zu betrachten. Wird der Fürsorgeaspekt im Rahmen notwendiger Verteidigung für das Verfahren (als prozessuale Fürsorge138) hervorgehoben oder als Fürsorge im „wohlverstandenen“ Interesse des Beschuldigten begriffen, so kann dies in der Hintenanstellung der Autonomie des Beschuldigten enden139. So wird zum Teil der gegen den Beschuldigtenwillen aufgedrängten Pflichtverteidigung der fürsorgliche Charakter abgesprochen140. 127 Vgl. Maiwald, FS-Lange, S. 745 (759); Bringewat, JuS 1980, 867 (869); Ulsenheimer, GA 1975, 103 (109 f.). 128 Vgl. dazu Kühne, Rn. 286 ff.; kritisch zur allgemeinen prozessualen Fürsorgepflicht: v. Löbbecke, GA 1973, 200 (206). 129 KK-Pfeiffer, Einl. Rn. 32; HK-Krehl, Einl. Rn. 18. 130 Schrepfer, S. 171. 131 Vgl. SK-Rogall, Vor § 133 Rn. 111 ff.; Knell-Saller, S. 38 ff.; Ropohl, S. 97 ff.; Schrepfer, S. 167 ff. 132 Maiwald, FS-Lange, S. 745 (753 ff.); Plötz, S. 100 ff. 133 Schrepfer, S. 171. 134 Meyer-Goßner, Einl. Rn. 155 ff. 135 Kielwein, S. 103 ff.; ferner: Müller-Dietz, FS-Dünnebier, S. 75 (99). 136 Roxin, 42/23. 137 Vgl. Plötz, S. 200 ff.; ferner: Tiemer, S. 61 f.; Beckemper, S. 281 ff. m. w. N. 138 Vgl. BVerfG NJW 1975, 1015 (1016); NJW 1984, 113; BGHSt 3, 395 (398). 139 Kielwein, S. 139 ff.; I. Müller, StV 1981, 570 (571 ff.); vgl. zur fraglichen Qualitätssicherung durch Fremdkontrolle der Verteidigung unter Berufung auf die gerichtliche/staatsanwaltschaftliche Fürsorgepflicht: Barton, S. 117 ff., 143 ff., 157 ff. m. umfassenden Nachweisen.

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4. Kap: Gründe für eine Pflichtverteidigung

Für ein solches Verständnis von Fürsorge kann jedoch angeführt werden, daß eine zwangsweise Hilfe den Interessen des Beschuldigten eher entspricht als seine Hilfsbedürftigkeit141. Schon seine eigene Entscheidung über die Notwendigkeit eines Verteidigers könnte durch seine Hilfsbedürftigkeit beeinflußt werden142. Der fürsorgliche Charakter der Pflichtverteidigung ist damit auch bei einer Bestellung eines Pflichtverteidigers für einen Beschuldigten, der einen Verteidiger generell ablehnt, zu bejahen. Jedoch sollte man sich bewußt sein, eine objektivierte Fürsorge des Beschuldigten und damit letztlich auch eine Fürsorge für das Verfahren einbezogen zu haben. Der Begriff einer Fürsorge darf nicht dahin missverstanden werden, daß der Staat durch die Anordnung notwendiger Verteidigung die Rechtsposition des Beschuldigten lediglich verbessert. Die notwendige Verteidigung gleicht vielmehr vorhandene Gefährdungslagen aus143. Ferner ist Vorsicht geboten, notwendige Verteidigung nicht umfassend auf eine Fürsorge des Staates zu stellen; es bestünde die Gefahr, daß eine außerhalb der notwendigen Verteidigung liegende Fürsorge sie unnötig erscheinen lassen könnte. Der notwendige Verteidiger soll vielmehr die Verfahrensrolle des Beschuldigten gegenüber dem Staat stärken144. Dies wird z. B. durch seine Beratungsfunktion über die Risiken eines Strafbefehlverfahrens im Rahmen einer Bestellung nach § 408 b S. 1 verdeutlicht145. Die rechtsstaatliche Fürsorge im Rahmen notwendiger Verteidigung sollte angesichts ihres ambivalenten Charakters nur auf deren Anordnung bezogen werden146; auf das Auswahlrecht bei der Bestellung und auf die Abberufung jedoch nicht147.

140 AK-Strafprozeßreform (1979), S. 60; Dethlefsen, S. 42; Haffke, StV 1981, 471 (480); Wasserburg, GA 1982, 304 (321); Fürsorge könne nicht mehr als ein Hilfsangebot darstellen. Wenn in diesem Zusammenhang der Zweck notwendiger Verteidigung im Interesse an einem ordnungsgemäßen Verfahren betont wird – was eine rechtsstaatliche und justizförmige Verfahrensweise impliziert – so beschreibe dies nur einen ohnehin vorhandenen Fürsorgeaspekt, vgl. Rath, S. 147 f. 141 B. Schneider, S. 43 ff., 84 f.; Tiemer, S. 60; Ropohl, S. 95 f.; Rieß, FS-Schäfer, S. 155 (183 f.); Wächtler, StV 1981, 466 (469). 142 B. Schneider, S. 44 ff. 143 Vgl. Rzepka, S. 299 f. 144 Vgl. Spaniol, S. 318 f. 145 Vgl. Kreutz, AnwBl. 2002, 212 (213). 146 Hess (S. 99), will den fürsorglichen Charakter der Pflichtverteidigung auf die Fälle des § 140 I Nr. 7 und § 68 Nr. 1 JGG beschränkt wissen. 147 Vgl. Ropohl, S. 97.

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D. Verfahrenssicherung durch die Pflichtverteidigung Die Pflichtverteidigung dient dazu, die Vorgaben notwendiger Verteidigung zu implementieren, wenn der Beschuldigte unverteidigt ist. Die im Falle notwendiger Verteidigung dem Beschuldigten zugedachte rechtskundige Hilfe soll durch die nach §§ 145, 226 I i. V. m. § 338 Nr. 5 festgelegte Anwesenheit des Verteidigers abgesichert werden. Die Nichtwahl eines Verteidigers in Fällen notwendiger Verteidigung zwingt zur Bestellung eines Verteidigers auch gegen den Willen des Beschuldigten. Dies folgt aus der Institution der notwendigen Verteidigung und der Art ihrer vom Gesetz vorgesehenen Umsetzung. Ansonsten hinge die Möglichkeit eines Prozesses von der Mitwirkungsbereitschaft eines Beteiligten ab. Insoweit sichert der bestellte Verteidiger das Verfahren148, wenn ein Verteidiger nicht gewählt wurde. Diese Verfahrenssicherung erfolgt nicht um ihrer selbst willen, sondern zur Umsetzung der Vorgaben notwendiger Verteidigung. Sie liegt im öffentlichen Interesse an der Durchführung eines Strafverfahrens und damit zugleich an einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege149. Die Vorgaben zur Umsetzung notwendiger Verteidigung werden von Heinicke als Ausgangspunkt genommen, um der notwendigen Verteidigung ein öffentliches Interesse abzusprechen. Er nimmt an, ein öffentliches Interesse werde lediglich durch die Folgen der Nichtbeachtung von notwendiger Verteidigung statuiert. Es sei davon auszugehen, daß die Verfahrenssicherung die Notwendigkeit einer Verteidigung voraussetzt, diese jedoch nicht gebietet; sie wäre damit lediglich Folge notwendiger Verteidigung und nicht deren Grund150. Insofern ist nach Heinicke das Interesse der Verfahrenssicherung, welches lediglich die Pflichtverteidigung in sich trage, zurückzuweisen151. Durch diese Überlegungen kann aber ein öffentliches Interesse an notwendiger Verteidigung nicht abgelehnt werden. Lediglich die Verteidigerbestellungsmöglichkeit und die mit der Bestellung (zusätzlich) einhergehende Verfahrenssicherung ist Folge notwendiger Verteidigung. Die Anordnung notwendiger Verteidigung basiert jedoch nicht auf diesem zusätzlichen, einem der Pflichtverteidigung zuzuordnenden Verfahrenssicherungsinteresse, sondern auf der angeführten Wahrheitsfindung und der Justizförmigkeit des Verfahrens152. 148 Damit hat sich die Kritik gegen die notwendige Verteidigung selbst zu richten, vgl. Neumann, NJW 1991, 264 (265). 149 Vgl. Dethlefsen, S. 52 ff. 150 Vgl. Heinicke, S. 388 ff.; Dethlefsen, S. 52 ff.; vgl. auch: Grüner, S. 192 ff., der durch diese Folgenbetrachtung Beistands- und Sicherungsinteressen als miteinander vereinbar ansieht, jedoch auf die Verfahrenssicherung durch die Pflichtverteidigung als eigenständiges Element heutiger Rechtsprechung hinweist. 151 Heinicke, S. 390.

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4. Kap: Gründe für eine Pflichtverteidigung

Spaniol 153 macht geltend, daß die notwendige Verteidigung nicht den Verfahrensablauf sichere, weil eine solche Sicherung nicht erfolge, wenn sich der Beschuldigte einen Verteidiger wähle. Dagegen spricht jedoch, daß in diesem Fall die Verfahrenssicherung schon durch den vom Beschuldigten gewählten Verteidiger erfolgt154. Daß eine solche verfahrenssichernde Funktion des notwendigen Verteidigers nicht zu einer grundsätzlichen Abkopplung der Ausgestaltung notwendiger Verteidigung vom Willen des Beschuldigten führen darf, ist bei der Auswahl, Abberufung und Bestellung eines (zusätzlichen) Pflichtverteidigers zu berücksichtigen.

§ 4 Entwicklung notwendiger Verteidigung aus dem Gleichheitssatz nach Art. 3 I GG i. V. m. dem Sozialstaatsprinzip155 Die Beiordnung eines Pflichtverteidigers soll nach dem Bundesverfassungsgericht dem mittellosen Beschuldigten den gleichen Rechtsschutz gewähren wie ihn der Beschuldigte hat, der sich auf eigene Kosten einen Verteidiger wählt156. Dies beruhe auf dem Gleichheitsgebot aus Art. 3 I GG (i. V. m. dem Sozialstaatsprinzip) und auf Art. 6 III lit. c) EMRK. Es solle jedoch lediglich eine Angleichung herbeigeführt, der Rechtsschutz des Mittellosen nicht unverhältnismäßig erschwert werden. Dies sei durch §§ 140 und 350 III gewahrt157. Auch der Bundesgerichtshof nimmt an, daß der Pflichtverteidiger – obwohl er kein Armenanwalt sei – auch einen Schutz des Minderbemittelten bezwecke158. Ferner bezieht ein Teil der Literatur den Schutz des finanziell Schwachen in die Funktion der Pflichtverteidigung mit ein159. 152

Vgl. ferner: Tiemer, S. 59 f. Spaniol, S. 328. 154 Dethlefsen, S. 54. 155 AK-Stern, § 141 Rn. 10; Eisenberg, NJW 1991, 1257 (1260); Bahnsen, S. 36 ff. 156 BVerfGE 9, 36 (38); BVerfG NJW 1975, 1015 (1016); BVerfG StV 2001, 601 (602); BVerfG JZ 2004, 670 (675): Pflichtverteidigung sei staatliche Fürsorge für den vermögenslosen Beschuldigten; vgl. ferner: BGHSt 43, 153 (155). 157 BVerfG NJW 1965, 147. 158 Vgl. BGH Rpfleger 1979, 412; zurückhaltender: BGHSt 3, 395 (396). 159 Vgl. u. a.: AK-Stern, § 141 Rn. 10; Hesse, S. 84; Hegmann, S. 249; Litwinski/ Bublies, S. 146 ff., S. 157 f.; J. T. Müller, S. 86, 89 ff.; Knell-Saller, S. 116; Hahn, S. 88; Prittwitz, FS-Bemmann, S. 596 (607); Müller-Dietz, FS-Dünnebier, S. 75 (99); ferner: B. Schneider, S. 39, 124 ff.; Herrmann, StV 1996, 396 (399: Rechtsstaatsidee und Sozialstaatsidee greifen ineinander); Bohlander, AnwBl. 1992, 161 (164); Kalsbach, Pescara-Beiheft, S. 112 (125); Eisenberg, NJW 1991, 1257 (1260); ders./Classen, NJW 1990, 1021; Welp, ZStW 90 (1978), 101 ff., 103, 131 (auf S. 105 führt er aus: Hätten die Gerichte nicht Sorge zu tragen für die Pflichtverteidigerbestellung, so obläge diese Aufgabe den Trägern der Sozialhilfe. Die Kosten der Verteidigung gehörten zum Bedarf der besonderen Lebenslagen; kritisch: B. Schneider, S. 126). 153

§ 4 Entwicklung notwendiger Verteidigung

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Fraglich ist, ob eine solche Auffassung kritischer Erörterung standhält. Insofern sind die Beratungen zur Reichsstrafprozeßordnung und die heutige Ausgestaltung notwendiger Verteidigung durch den Gesetzgeber heranzuziehen.

A. Die Beratungen zur Reichsstrafprozeßordnung Im Rahmen der Beratungen zur Reichsstrafprozeßordnung stellt der Abgeordnete Becker einen Zusatzantrag zum Antrag von Schwarze, wonach eine Bestellung auf Antrag des Beschuldigten erfolgen sollte, wenn dieser verhaftet oder außerstande ist, ohne Beeinträchtigung des für ihn und seine Familie notwendigen Lebensunterhalts einen Verteidiger zu bezahlen160. Der Antrag von Becker knüpft ausdrücklich an das Armenrecht im Zivilprozeß an161. Dagegen führt Justizrath Oehlschläger an, daß man in dieser Weise nicht generalisieren dürfe. Nur dort, wo die Verteidigung eine notwendige sei, solle auf den Staat zurückgegriffen werden162. Skeptisch tritt auch der Abgeordnete Eysoldt dem Antrag Beckers entgegen. Ein Vergleich zur Zivilprozeßordnung sei nicht anzustrengen. Die Stellung des Anwalts unterscheide sich. Im Zivilprozeß werde die Bedürftigkeit des Betroffenen überprüft; im Strafprozeßrecht hingegen nicht163. Auch würden im Rahmen der Armensachen im Zivilprozeß überwiegend vermögensrechtliche Ansprüche verfolgt. Der Anwalt hülfe dem Betroffenen diese zu realisieren, wodurch wiederum die Honorierung des Anwalts ermöglicht würde. Direktor von Amsberg führt an: Aufgrund der regelmäßigen Vermögenslosigkeit des Delinquenten würde der Vorschlag Beckers die Verteidigung gleichsam in allen Fällen zur notwendigen machen164. Ferner wird geltend gemacht, daß in kleineren Staaten Verhaftung und Armenrecht herangezogen werden könnten, in größeren jedoch nicht165. Der Antrag von Becker wird abgelehnt166.

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Hahn I, Abg. von Schwarze und Becker, S. 958 (Kommission, erste Lesung). Hahn I, Abg. Becker, S. 961 (Kommission, erste Lesung). 162 Hahn I, S. 961 (Kommission, erste Lesung). 163 Hahn I, Abg. Eysoldt, S. 962 (Kommission, erste Lesung). 164 Ferner könne eine Verhaftung ebenfalls nicht ausschlaggebend sein. Ansonsten erhielte derjenige, der sich gesetzwidrig verhalte (Fluchtgefahr) ein „beneficium“, vgl. Hahn I, von Amsberg, S. 962 (Kommission, erste Lesung). 165 Hahn I, Abg. Marquardsen, S. 961 (Kommission, erste Lesung). 166 Hahn I, S. 962 (Kommission, erste Lesung). 161

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4. Kap: Gründe für eine Pflichtverteidigung

B. Heutige Ausgestaltung notwendiger Verteidigung durch den Gesetzgeber Hinsichtlich § 364 b I 1 Nr. 3, der als Voraussetzung für eine notwendige Verteidigung auf die Beeinträchtigung des für den Verurteilten und seine Familie notwendigen Unterhalts abstellt, wurde vom Gesetzgeber ausgeführt167: „Mit diesem Erfordernis werden Elemente des Armenrechts in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten in die Strafprozeßordnung hineingetragen, die ihr – abgesehen von einer Regelung hinsichtlich des Verletzten im Klageerzwingungsverfahren – fremd sind.“ Ferner sollte die Erweiterung notwendiger Verteidigung durch § 140 II 1 3. Alt. auf die Fälle, in denen dem Verletzten nach §§ 397 a, 406 g III, IV ein Rechtsanwalt beigeordnet wird, nach Rieß/Hilger als Signal verstanden werden, namentlich beim minderbemittelten Beschuldigten die Stärkung der Rechte des Verletzten durch eine gesteigerte Verteidigerbestellung zu kompensieren168. Bei dem Ausbau notwendiger Verteidigung nach § 408 b wurde ebenfalls auf sozialstaatliche Überlegungen zurückgegriffen. Der Rechtsausschuß führt zu dieser Regelung aus, daß dadurch auch Angeschuldigte, „die die Mittel für einen Verteidiger nicht aufbringen können, ggf. mit einem auf Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr mit Bewährung lautenden Strafbefehl belegt werden können“. Er nahm eine Verzögerung des Strafbefehlsverfahrens „im Interesse der Gleichbehandlung aller Beschuldigter“ hin169. Auch stellt § 52 II 1 2. Alt. RVG für die Begründung eines Anspruchs des Pflichtverteidigers auf die Gebühren eines Wahlverteidigers gegenüber dem Beschuldigten darauf ab, ob er diese Gebühren ohne Beeinträchtigung des für ihn und seine Familie notwendigen Unterhalts aufbringen kann.

C. Folgerungen für einen sozialstaatlichen Zweck notwendiger Verteidigung Die Ausführungen der Rechtsprechung und des Schrifttums zur sozialstaatlichen Sinngebung notwendiger Verteidigung begegnen Bedenken. Die notwendige Verteidigung ist in ihrer eigentlichen Konzeption nicht dem sozialstaatlichen Zweck zugewandt, Minderbemittelten den Beistand eines Verteidigers zu ermöglichen170. Auch werden weder die Voraussetzungen der Pflichtverteidigung171 (zumindest vor der Rechtskraft, vgl. § 364 b I 1 Nr. 3) noch die vorläufige Kostenübernahme durch den Staat, noch die endgültige Tra167 168 169

Vgl. BT-Drucks. VI/3478, S. 91; ferner: Rieß, StV 1981, 460 f. Rieß/Hilger, NStZ 1987, 145 (147). BT-Drucks. 12/3832, S. 42.

§ 4 Entwicklung notwendiger Verteidigung

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gung der Pflichtverteidigerkosten bei einer Kostenverurteilung nach § 465 von finanziellen Umständen abhängig gemacht172. Darüber hinaus ist die Mittellosigkeit nicht als hinreichende Bedingung für eine notwendige Verteidigung gesetzlich niedergelegt. Zwar ist zweifelhaft, ob der notwendigen Verteidigung nicht schon aufgrund der Einbeziehung auch Vermögender ein sozialstaatlicher Anordnungsgrund abgesprochen werden kann. Jedoch ist jedenfalls festzuhalten, daß dieser Anordnungsgrund nicht abstrakt gilt, auch wenn er sich für den mittellosen Beschuldigten aktualisieren mag173. In den Fällen notwendiger Verteidigung geht nach den Wertungen des Gesetzgebers vielmehr ein Eigeninteresse des Beschuldigten, aufgrund fehlender finanzieller Mittel eine staatlich „organisierte“ Verteidigung zu erhalten, nicht über den Anordnungsgrund der Gewährleistung eines rechtsstaatlichen Verfahrens hinaus. Sein Interesse wird insofern überlagert, ist identisch mit dem staatlichen Anliegen, ein faires Verfahren zu gewährleisten. So wurde die Einführung der Bestellungsmöglichkeit gemäß § 408 b S. 1 zwar von sozialstaatlichen Überlegungen des Gesetzgebers getragen, explizit verankert wurden diese jedoch nicht. Ferner hat der Gesetzgeber in der heutigen Ausgestaltung die Mittellosigkeit in § 364 b I 1 Nr. 3 nicht als hinreichende Bedingung anerkannt, sondern sogar zur notwendigen (und damit einschränkenden) Voraussetzung für eine Verteidigerbestellung gemacht. Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers war dieses zusätzliche Erfordernis für eine Beiordnung des Verteidigers „gerechtfertigt“, weil für den Verurteilten nicht mehr die Unschuldsvermutung streite174. Lediglich insofern rekurriert der Gesetzgeber auf die Mittellosigkeit des Beschuldigten und verleiht ihr damit eine gewisse eigenständige Bedeutung. Eine fehlende Bezugnahme auf die finanziellen Mittel mag zwar auch den positiven „Nebeneffekt“ haben, die Verteidigung finanziell Schwacher zu ermöglichen. Hinreichende Bedingung – und damit möglicher eigenständiger Anordnungsgrund – für eine Verteidigerbestellung ist sie

170 Knell-Saller, S. 38; B. Schneider, S. 124 ff.; Ropohl, S. 165 f.; Vogelsang, S. 216 ff.; H.-W. Schmidt, MDR 1958, 644 (646); vgl. ferner Welp, ZStW 90 (1978), 101 (103, 131). 171 LR-Dünnebier (23. Auflage), § 141 Rn. 1; vgl. hingegen Art. 6 III lit. c) EMRK, §§ 114 ff. ZPO (i. V. m. § 172 III und §§ 379 III, 379 a, §§ 397 a II, 406 g III Nr. 2, IV); einige Partikularrechte nahmen eine Übernahme der Pflichtverteidigerkosten durch den Staat an, wenn der Angeklagte sie zu tragen finanziell nicht imstande war, vgl. § 74 Hannoversche StPO vom 08.11.1850 (Haeberlin, S. 299), § 7 S. 2 Braunschweigische StPO vom 22.08.1849 (bei Haeberlin, S. 726); teilweise wurde dies abgelehnt, vgl. Art. 130 Bayr. Schwurgerichtsgesetz vom 10.11.1848 (Haeberlin, S. 252). 172 Dethlefsen, S. 33; Rath, S. 28 f., 37 f. 173 Vgl. Rath, S. 27; Dethlefsen, S. 36 ff. 174 Vgl. BT-Drucks. VI/3478, S. 91.

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4. Kap: Gründe für eine Pflichtverteidigung

jedoch nicht. Insofern mag der notwendigen Verteidigung lediglich eine gewisse „Armenrechtsersatzfunktion“ zukommen175. Die rechtsstaatlich erforderliche Verteidigung wird unabhängig von den wirtschaftlichen Verhältnissen des Beschuldigten gewährleistet176. Die Bestellung eines Pflichtverteidigers geht insofern über eine sozialstaatliche Maßnahme hinaus177. Es wird eine Stellung des Bürgers kompensiert und nicht lediglich verbessert, indem die Grundrechtspositionen des Beschuldigten (vgl. Art. 1 I GG sowie Art. 2 II GG) geschützt werden178.

§ 5 Ergebnis Die Verteidigung des Beschuldigten liegt auch im öffentlichen Interesse. Der Staat selbst hat ein Verfahren einzuleiten, welches rechtsstaatlichen Grundsätzen entspricht und die Prozeßsubjektstellung des Beschuldigten schützt. Auch ist der Verteidiger Bindeglied zwischen Beschuldigtem, seinen Angehörigen und der Bevölkerung; einem Mißtrauen gegenüber dem Staat wird vorgebeugt179, Transparenz geschaffen. Die Gefahr eines Verfahrensfehlers haftet jedem Prozeß an; diese Gefahr wird durch die Mitwirkung eines Verteidigers reduziert180. Dann ist dies aber nicht bloß eine zusätzliche Sicherung, die lediglich im Beschuldigteninteresse liegt181. Hier ist die Überwachung der Pflichten der Strafverfolgungsorgane erforderlich, um ein dem Rechtsfrieden der Allgemeinheit genügendes Urteil herbeizuführen182. Nur so ist ein im Namen der Gemeinschaft gesprochenes Urteil gerecht und eine möglichst fehlerfreie Strafrechtspflege gewährleistet183. Die 175

Vgl. zu diesem Begriff: Rieß, StV 1981, 460 (461). Neuhaus, JuS 2002, 18 (20). 177 Spaniol, S. 315, 333 f.; Dethlefsen, S. 36 ff.; vgl. ferner: Jung, in: Recht und Gesetz im Dialog II, S. 107 (121 ff.), die einen Ausbau notwendiger Verteidigung gegenüber einer Anwendung gerichtlicher Fürsorge als Interpretationshilfe bevorzugt. Das Gericht könne nicht genau das Maß an Fürsorge bestimmen, welches zwischen Wahrheitsfindung und Beschuldigtenschutz liege. 178 Vgl. Rzepka, S. 452 f., 461 – Ein Rückgriff auf das Sozialstaatsprinzip könnte ins Gegenteil verkehrt werden und die notwendige Verteidigung an finanzielle Ressourcen koppeln, es sei vielmehr auf die effektive Verteidigungsmöglichkeit zur Gewährleistung einer Prozeßsubjektstellung hinzuweisen. Dann würde stärker berücksichtigt, daß der Staat in Strafverfahren nichts gebe, „er unterläßt nur, etwas zu nehmen“; in diesem Sinne auch die Bedenken bei Heinicke (S. 396): Der Staat verbessere nicht die Rechtsposition des Beschuldigten. Es wird lediglich der Status quo ante hergestellt. Insofern gebiete der effektive Grundrechtsschutz die Beiordnung. 179 AK-Strafprozeßreform (1979), S. 62; ferner: Knell-Saller, S. 53. 180 H. Schmidt, S. 9. 181 Kreitmair, S. 11; Dethlefsen, S. 49 f. mit Fn. 131; ferner: Knell-Saller, S. 57; einschränkend: Vogelsang, S. 3 f., 123 ff. – bezogen auf das situative Hilfsbedürfnis des Beschuldigten. 176

§ 5 Ergebnis

203

Gemeinschaft akzeptiert unvoreingenommener ein Urteil, wenn der Beschuldigte ausreichend verteidigt wurde184. Damit verhilft der Verteidiger dem Urteil gerade in rechtlich oder tatsächlich schwierigen Fällen oder bei hoher Sanktionsdrohung zur Anerkennung185. Der Staat kann einer Kritik an seiner Strafverfolgung vorbeugen186. Notwendige Verteidigung ist eine Möglichkeit für den Staat, Vorwürfe zu vermeiden, er verfolge Beschuldigte in besonders schwierigen prozessualen Lagen, und diese Beschuldigten könnten u. a. aufgrund fehlender Einsicht keine umfassende Gegenwehr leisten. Dies kann der Staat am besten dadurch dokumentieren, daß er die Seite des Beschuldigten stärkt, ihn durch die Mitwirkung des Verteidigers zum ebenbürtigen Akteur im Verfahren erhebt. Insofern kauft sich der Staat durch die Einschaltung eines Verteidigers von möglicher Kritik frei. Pflichtverteidigung erfüllt danach eine „Ablaßfunktion“ für den Staat187. Der Staat legt sich für die Fälle notwendiger Verteidigung insofern keine abschließenden eigenen Kautelen auf188. Über eine reine Selbstbeschränkung und Selbstkontrolle189 geht die Anordnung notwendiger Verteidigung hinaus, sie ist auferlegte Fremdkontrolle durch den Verteidiger190. Das Sozialstaatsprinzip ist als eigenständiger Anordnungsgrund notwendiger Verteidigung abzulehnen.

182 Dethlefsen, S. 44; vgl. die Vermutungen von Kreitmair, S. 11 f.: Die Beschränkung der notwendigen Verteidigung auf einen Ausschnitt der Verfahren habe rechtspolitische Gründe; werde dem Beschuldigten zu Unrecht ein schweres Übel im Namen der Allgemeinheit beigefügt oder sei der Beschuldigte nicht in der Lage, sich selbst zu verteidigen, so vertraue die Allgemeinheit der Rechtspflege nicht mehr. Bei weniger schwerwiegenden Delikten oder einfachen Konstellationen werde die Allgemeinheit keine vergleichbare Notiz vom Verfahren nehmen. 183 Hahn, S. 107, 113, H. Schmidt, S. 47; Tiemer, S. 58 f. 184 Stade, S. 103. 185 Knell-Saller, S. 51; Heinicke, S. 461; Hess, S. 115 f. 186 Vgl. schon AK-Strafprozeßreform (1979), S. 62. 187 Das Bundesverfassungsgericht spricht hier von Aufgabendelegierung, vgl. BVerfG JZ 2004, 670 (675). 188 Eine stärkere Besetzung des Gerichts (vgl. z. B. nach § 29 II GVG) genügt nicht. 189 AK-Strafprozeßreform (1979), S. 62 f., der richtigerweise trotz der Etikettierung davon spricht, daß die Staatsorgane stärker „kontrolliert werden“. 190 Vgl. auch Hartmann-Hilter, S. 1.

Fünftes Kapitel

Die Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren § 1 Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zur Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren Bevor eine eigene Auslegung von § 141 III erfolgt, sind die zur Pflichtverteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren ergangenen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs darzustellen.

A. Entscheidungen des 1. Senats I. BGHSt 46, 93 (BGH 1 StR 169/00 – Urteil vom 25. 07. 2000)1 Zentral für die Überführung des Angeklagten ist in diesem Fall die Aussage des Ermittlungsrichters, der in der Hauptverhandlung als Zeuge vom Hörensagen gehört wird. Die originäre Belastungszeugin macht in der Hauptverhandlung von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch. Zum Zeitpunkt der ermittlungsrichterlichen Vernehmung wurde der Beschuldigte weder durch einen Wahlverteidiger verteidigt, noch war ihm ein Pflichtverteidiger bestellt worden. Der Beschuldigte wurde vom Vernehmungstermin gemäß § 168 c V 2 i. V. m. § 168 c III nicht benachrichtigt. Die Verteidigung rügt einen Verstoß gegen Art. 6 III lit. d) EMRK i. V. m. § 141 III StPO. Der 1. Senat geht auf die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte hinsichtlich des von der Konvention in Art. 6 III lit. d) EMRK garantierten Fragerechts des Beschuldigten ein. Danach ist die Garantie des Fragerechts eine besondere Ausformung des Grundsatzes des fairen Verfahrens. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs werde das Fragerecht als Recht der Verteidigung insgesamt verstanden2. Das nationale Recht bestimmt primär den Inhalt dieses durch die Konvention garantierten Fragerechts, in des1 Zur Übertragbarkeit der folgenden Entscheidung auf die Beiordnungskonstellation für Nebenbeteiligte nach § 434 II: Minoggio, S. 93 ff. 2 BGHSt 46, 93 (95); BGH StV 1996, 471.

§ 1 Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zur Verteidigerbestellung

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sen Licht das gesamte Beweisverfahren gesehen werden muß. Daher hätten die Vertragsstaaten das Fragerecht entsprechend auszugestalten. Ein Konventionsverstoß liege nach ständiger Rechtsprechung des EGMR allerdings nur vor, wenn das Verfahren in seiner Gesamtheit, einschließlich der Art und Weise der Beweiserhebung unfair gewesen sei. Die Beweisgewinnung solle grundsätzlich nur in Anwesenheit des Angeklagten in öffentlicher Verhandlung durch eine kontradiktorische Erörterung erfolgen. Zwar beinhalte das Fragerecht weder zwingend eine Gegenüberstellung mit dem Belastungszeugen, noch eine Anwesenheit bei einer Zeugenvernehmung im Vorverfahren. Auch müsse die Zeugenaussage nicht stets vor Gericht und öffentlich gemacht werden. Jedoch ist es an der „Justiz“, solche Einschränkungen (als gesetzlich zulässige „handicaps“3) auszugleichen: Der Angeklagte oder der Verteidiger müßten eine angemessene und geeignete Gelegenheit haben, den Belastungszeugen entweder selbst zu befragen oder befragen zu lassen. Dies könne zum Aussagezeitpunkt oder in einem späteren Verfahrensabschnitt erfolgen. Die Einschränkung des Fragerechts des Angeklagten könne durch eine Befragung des Zeugen seitens seines Verteidigers aufgewogen werden4. Das Vorliegen eines Konventionsverstoßes hänge u. a. davon ab, ob der Angeklagte die Zeugenbefragung rechtzeitig beantragt habe und ob die Ablehnung der Befragung begründet worden sei5. Diese Auslegung der EMRK durch den EGMR finde bei der Anwendung der StPO Berücksichtigung. Der 1. Senat legt § 141 III konventionskonform im Lichte von Art. 6 III lit. d) EMRK aus6. Vor der ermittlungsrichterlichen Vernehmung eines wichtigen Belastungszeugen sei dem Beschuldigten in Fällen der vorliegenden Art ein Verteidiger zu bestellen7. 3

BGHSt 46, 93 (100). Als Beispiel für eine Kompensation in einem späteren Verfahrensabschnitt führt der 1. Senat eine nochmalige Vernehmung des Zeugen (in Gestalt der originären Auskunftsperson) an, BGHSt 46, 93 (97). 5 Der BGH zieht einen Vergleich zu den Fällen Unterpertinger gegen Österreich (EGMR EuGRZ 1987, 147) und Asch gegen Österreich (EGMR EuGRZ 1992, 474). Auch dort werde auf frühere Bekundungen eines Zeugen, der in der Hauptverhandlung sein Zeugnisverweigerungsrecht ausübt, zurückgegriffen, vgl. BGHSt 46, 93 (97). 6 Der 5. Senat (NJW 2002, 1279, 1280) weist zutreffend darauf hin, daß sich die Bestellung in einem solchen Fall in näherer Konkretisierung der Anforderungen von Art. 6 IIl lit. c) und lit. d) EMRK ergibt. 7 Die Versagung des Anwesenheitsrechts des Beschuldigten nach § 168 c III 1 oder dessen Nichtbenachrichtigung gemäß § 168 c V 2 diente nach Lossen der früheren Praxis dazu, gerade keinen Verteidiger zu bestellen (Streit 2001, 79, 80). Dies wohl aus der Überlegung, daß der Beschuldigte von dem Termin erfahren würde, vgl. die Erwägungen in BGHSt 29, 1 (5). 4

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5. Kap.: Die Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren

§ 141 III 1 gebiete im Vorverfahren bei prognostizierter notwendiger Verteidigung nicht ausnahmslos eine Beiordnung eines Verteidigers. Die Staatsanwaltschaft beantragt nach § 141 III 2 eine solche Beiordnung, wenn nach ihrer Auffassung im gerichtlichen Verfahren die Mitwirkung eines Verteidigers nach § 140 I oder II notwendig sein wird8. Die Staatsanwaltschaft sei also verpflichtet, den Antrag auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers zu stellen; die Pflicht entstehe, wenn abzusehen sei, daß die Mitwirkung notwendig sein werde9. Diese Auslegung entspreche der Entstehungsgeschichte der Vorschrift10. Eine andere Interpretation lasse auch § 117 IV 1 StPO nicht zu. Die Regelung stelle lediglich eine Mindestgarantie dar. Der Senat läßt es dahinstehen, ob bei Fällen prognostizierter11 notwendiger Verteidigung überhaupt davon abgesehen werden kann, einen Verteidiger zu bestellen12. Jedenfalls, wenn die ermittlungsrichterliche Vernehmung eines wichtigen Belastungszeugen anstehe, bei der der Beschuldigte kein Anwesenheitsrecht habe, werde in der Regel geboten sein zu prüfen, ob ihm zuvor13 ein Verteidiger nach Eine Anordnung, die es dem Verteidiger verbietet, den Beschuldigten über die bevorstehende Zeugenvernehmung, von der er nach § 168 c V ausgeschlossen wurde, zu berichten, ist rechtswidrig, vgl. LG Hamburg StV 2003, 328. 8 Eigentlich hätte der Senat für den vorliegenden Fall einer notwendigen Verteidigung nach § 140 I Nr. 2 die Antragsverpflichtung der Staatsanwaltschaft nach § 141 III 2 abgehandelt. Weitere Überlegungen zur Reduzierung des Beurteilungsspielraums der Staatsanwaltschaft wären überflüssig (vgl. Wohlers, JR 2002, 293, 295). Er hätte sich lediglich mit der Reduzierung des Ermessensspielraums des bestellenden Vorsitzenden nach § 141 III 1, IV i. V. m. § 140 beschäftigen müssen. 9 Indem der Senat auf die objektive Vorhersehbarkeit der notwendigen Verteidigung abstellt, hätte er sich nach Kunert (NStZ 2001, 217; vgl. ferner: Klemke, StV 2002, 414) mit der entgegenstehenden Gesetzesformulierung des § 141 III 2 auseinander müssen, wonach die „Auffassung der Staatsanwaltschaft“ maßgebend ist. Der Auffassung Kunerts ist entgegenzutreten. Der BGH überprüft vielmehr in revisionsrechtlicher Hinsicht den auch der Staatsanwaltschaft noch zuerkannten Beurteilungsspielraum (BGHSt 46, 93, 98, 101). Dies wird ferner aus seiner Entscheidung in NJW 2002, 975 (977) deutlich, welche der Staatsanwaltschaft einen Beurteilungsspielraum in tatsächlicher wie rechtlicher Hinsicht einräumt bezüglich der Prognose, ob ein Fall notwendiger Verteidigung im Hauptverfahren vorliegen wird. In BGHSt 46, 93 ff. und auch in NJW 2002, 975 ff. zieht er der Auffassung der Staatsanwaltschaft jedoch eine objektive Grenze, die nur eine Entscheidung trotz des ihr zugestandenen Beurteilungsspielraums zuläßt. 10 BGHSt 46, 93 (98 f.); die Literatur stimmt dem zu, vgl. nur: Pfeiffer, § 141 Rn. 2; Roxin, JZ 2002, 898 (899); Kunert, NStZ 2001, 217. 11 Die notwendige Verteidigung muß von Staatsanwaltschaft (§ 141 III 2) und Richter (§§ 141 III 1, 141 IV) prognostiziert sein, vgl. Roxin, JZ 2002, 898 (899 f.). 12 Dieser „judicial self-restraint“ mag zu bedauern sein (vgl. Kunert, NStZ 2001, 217) ist jedoch (revisions)rechtlich geboten, vgl. Roxin, JZ 2002, 898 (899 f.); Hamm, FS-Lüderssen, S. 717 (724 mit Fn. 24). 13 Nach Beckemper (JA 2002, 634, 636) hat der Senat hierdurch eine Pflicht zur Innehaltung mit den Ermittlungen statuiert, bis über den Antrag entschieden worden

§ 1 Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zur Verteidigerbestellung

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§ 141 III StPO zu bestellen sei14, damit dieser die Rechte des Beschuldigten wahrnehme. Diese Prüfung obliege „in erster Linie“ der Staatsanwaltschaft15. Auch der Ermittlungsrichter16 sei für ein konventionsgerechtes Verfahren verantwortlich17.

ist; vgl. ferner das obiter dictum des 1. Senats in NJW 2002, 975 (977), wonach es der Senat dahinstehen läßt, ob mit den Ermittlungen, die eine Mitwirkung des Beschuldigten erfordern, zu warten ist, bis ein bestellter Pflichtverteidiger tatsächlich tätig wird. 14 Vgl. schon Keiser, S. 348 – zu schaffender § 141 II: „Beantragt die Staatsanwaltschaft zur Beweissicherung die richterliche Vernehmung eines Zeugen, so wird dem Beschuldigten, wenn er noch keinen Verteidiger hat, ein Verteidiger bestellt.“ 15 Hier bezieht der Senat die Bestellung sowohl auf den Richter, als auch auf den Antrag der Staatsanwaltschaft. Er scheint damit die Entscheidung für eine Bestellung nach § 141 III 1 auf die Entscheidung der Staatsanwaltschaft nach § 141 III 2, einen Antrag auf Beiordnung zu stellen, zu übertragen und diesbezüglich eine Ermessensentscheidung anzunehmen (so versteht ihn Neuhaus, JuS 2002, 18, 20; ferner: Wohlers, JR 2002, 293, 295 Fn. 17; Hamm, FS-Lüderssen, S. 717, 723). Dafür spräche, daß der Senat zuweilen lediglich § 141 III nennt und nicht S. 1 oder S. 2 erwähnt, wenn er die Bestellungs- und Antragspflicht statuiert (vgl. S. 99, 101). Er spricht hier von „der Frage der Bestellung“. Einem solchen Verständnis durch den Senat wäre von vornherein entgegenzutreten: Bei der Antragstellung sollte die Staatsanwaltschaft nicht fragen, ob der Richter einen Verteidiger beiordnen würde. Damit würde sie dessen Entscheidung beurteilen. Eine solche Beurteilung steht ihr nicht zu und entspricht nicht der vom Gesetz vorgesehenen Kompetenzverteilung nach § 141 III 1, IV und § 141 III 2. Es ist jedoch anzunehmen, daß der Senat eine solche Verquickung nicht beabsichtigte. Dafür sprechen seine Ausführungen auf S. 98 und S. 100, die zwischen § 141 III 1 und S. 2 unterscheiden. In seiner späteren Entscheidung spricht er so auch von einem Beurteilungsspielraum der Staatsanwaltschaft für eine Entscheidung nach § 141 III 2, der sich auf eine „pflichtgemäße“ Entscheidung reduziere (NJW 2002, 975, 977). So versteht ihn auch der 5. Senat (NJW 2002, 1279, 1280), der die Rechtsprechung des 1. Senats wie folgt zusammenfaßt: „. . ., der insoweit eine Reduzierung des richterlichen Ermessens (§ 141 III 1) und eine entsprechende Einengung des staatsanwaltlichen Beurteilungsspielraums (§ 141 III 2) annimmt . . .“. Insoweit hat m. E. die Justiz hier gleichsam an einem „Strang“ zu ziehen, ohne daß die Beurteilung der Staatsanwaltschaft an die (Ermessens)Entscheidung des Richters gekoppelt wäre. Es findet simultan eine Reduzierung des Beurteilungsspielraums zur Antragstellung und des Ermessensspielraums zur Bestellung statt. Hintergrund für diese simultane Reduzierung ist wohl eine auch vom Senat angenommene antragsabhängige Entscheidung des Richters nach § 141 III 1, weshalb er davon spricht, daß die Überprüfung einer Bestellungspflicht „in erster Linie“ Aufgabe der Staatsanwaltschaft ist. 16 Dazu berufen ist je nach Lage des Falles letztlich nicht nur der Ermittlungsrichter sondern auch der Haftrichter (vgl. BGH NJW 2002, 1279, 1280; Roxin, JZ 2002, 898 (899)). 17 BGHSt 46, 93 (99); nach Kunert (NStZ 2001, 217) setzt sich der Senat damit über den Gesetzeswortlaut des § 141 III 2 hinweg, wonach die Stellung eines Antrages zur Pflichtverteidigerbestellung im Vorverfahren der Auffassung der StA unterliege; vgl. ferner: Franke (GA 2002, 573, 577). Dem ist zu entgegnen, daß die Auffassung der Staatsanwaltschaft nach § 141 III 2 beachtet wird, wenn die Verantwortung des Ermittlungsrichters nach § 162 III zu bemessen ist (zutreffend: Schlothauer, StV 2001, 127, 129; vgl. dazu unten: Kap. 5, § 3 D.). Die Auffassung der Staatsanwalt-

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5. Kap.: Die Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren

Handele es sich darüber hinaus um eine der Beweissicherung dienende18, ermittlungsrichterliche Vernehmung eines zentralen19 zeugnisverweigerungsberechtigten20 Belastungszeugen unter Ausschluß des Beschuldigten, so reduziere sich das Ermessen für eine Bestellung auf Null21. Der Angeklagte dürfte von der Anwesenheit bei der ermittlungsrichterlichen Vernehmung und von deren Benachrichtigung ausgeschlossen werden. Eine solche Vorgehensweise entspreche auch der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 6 EMRK22. Dieses „gesetzlich zulässige handicap“ hätte von der Justiz – bei vorzunehmender Gesamtbetrachtung des Verfahrens auch unter Einbeziehung des Handelns der Staatsanwaltschaft im Vorverfahren – ausgeglichen werden müssen. Das Fragerecht wäre durch die Anwesenheit eines Verteidigers bei der ermittlungsrichterlichen Zeugenvernehmung gewährleistet gewesen. Der BGH nimmt an, daß im Zeitpunkt der richterlichen Vernehmung eine notwendige Verteidigung nach § 140 StPO bereits abzusehen war. Dem Angeklagten wurden Verbrechen zur Last gelegt; aus der polizeilichen Vernehmung der Belastungszeugin folgte ein hoher Beweiswert. Dringender Tatverdacht hinsichtlich eines Verbrechens war von dem Haftrichter deshalb bejaht worden. Damit23 waren die Voraussetzungen einer notwendigen Verteidigung (§ 140 I Nr. 2) in einem „hochwahrscheinlich“ zu erwartenden gerichtlichen Verfahren schaft für die Stellung des Antrages nach § 141 III 2 ist danach immer noch maßgeblich. 18 Regelmäßig ist eine solche Beweissicherungsfunktion anzunehmen, vgl. Nr. 10, 19 a, 222 RiStBV; Lossen, Streit 2001, 79 (80). 19 Hier unterscheidet der Senat zum „wichtigen“ Belastungszeugen. Jedoch ist fraglich, welcher Belastungszeuge „zentral“, oder lediglich „wichtig“ ist. So nimmt auch Rieß (LR-Rieß, § 168 c Rn. 9) an, daß eine Bestellung auch für eine Vernehmung nicht zentraler, aber sonst wichtiger Zeugen zu erfolgen habe. 20 Hier engt der Senat den Personenkreis eines wichtigen Belastungszeugen unter Hinweis auf § 52 weiter ein, vgl. Sommer, StraFo 2002, 309 (312). 21 Eine andere Auffassung vertrat noch der 2. Senat in BGHSt 29, 1 (5). Nach ihm war eine Verteidigerbestellung auch dann nicht erforderlich, wenn weder der Beschuldigte noch der Wahlverteidiger vom Vernehmungstermin benachrichtigt worden waren, § 168 c V 2. Eine Pflicht zur Bestellung wurde aus zwei Erwägungen abgelehnt. Einmal statuiere § 141 III keine Pflicht zur Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren, und damit auch nicht für einzelne Untersuchungshandlungen (eine fragwürdige Annahme – vgl. Schlothauer, StV 2001, 127, 128 mit Fn. 10). Zum anderen würden durch die Bestellung des Verteidigers der Beschuldigte und sein Verteidiger Kenntnis von der Vernehmung erhalten, von der sie gerade nicht benachrichtigt werden sollten. Die erste Annahme widerspricht den Erörterungen des 1. Senats in BGHSt 46, 93 ff. Die zweite Erwägung ist BGHSt 46, 93 ff. insoweit entgegengesetzt, als dort keine Überlegungen angestellt werden, daß der Beschuldigte durch die Bestellung von dem Vernehmungstermin Kenntnis erhält. Anders gelagert ist der Fall insofern, als in BGHSt 29, 1 ff. eine Kenntnisnahme des Verteidigers von der Bestellung für den Vernehmungstermin (über den Beschuldigten) vermieden werden sollte, damit jener sein (nicht beschränkbares Anwesenheitsrecht) nicht ausüben konnte. 22 BGHSt 46, 93 (100).

§ 1 Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zur Verteidigerbestellung

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abzusehen. Die Vernehmung durch den Ermittlungsrichter diente der Beweissicherung; es wurde von der Staatsanwaltschaft befürchtet, daß die Tochter des Angeklagten entweder von ihm selbst oder von Dritten von der Aussage abgebracht würde. Für die Staatsanwaltschaft war für diesen Fall absehbar, daß das Fragerecht des Angeklagten nicht zu gewährleisten war. Die Staatsanwaltschaft war danach verpflichtet, einen Antrag nach § 141 III 2 StPO noch vor der Zeugenvernehmung zu stellen. Eine Beschränkung des Antrags auf Beiordnung auf die einzelne Ermittlungshandlung hätte nicht erfolgen dürfen, vgl. § 141 III24. Eine Ausnahme von der Bestellung eines Verteidigers25 könne u. U. anzunehmen sein, wenn der Untersuchungserfolg durch die damit einhergehende zeitliche Verzögerung26 gefährdet würde27. Gleiches gelte, wenn die Nichtbenachrichtigung des bestellten Verteidigers gerechtfertigt wäre28. Der Ausgleich für die Einschränkung des Fragerechts muß angemessen und geeignet, der Verteidiger mithin zu einer sachgerechten Mitwirkung an der Vernehmung in der Lage gewesen sein29. Er muß eine Aussageanalyse30 durchführen können. Dies erfordere, daß dem Verteidiger regelmäßig Gelegenheit gegeben werden müsse, sich mit dem Beschuldigten vor der Aussage zu besprechen. Ergänzende Fragen an den Zeugen könnten erforderlich sein, wenn der Beschuldigte über den Inhalt der Aussage informiert wird. Die Verteidigung müsse dann in der Lage sein, nachträglich Fragen an den Zeugen zu stellen oder stellen zu lassen31. Eine nachträgliche schriftliche Befragung reiche aus. Bei den oben genannten Ausnahmen zur Verteidigerbestellungspflicht könnte wenigstens eine solche nachträgliche (schriftliche) Befragung angebracht sein32. 23 Der Senat setzt die Bejahung dringenden Tatverdachts als letztmöglichen Zeitpunkt für die Absehbarkeit notwendiger Verteidigung im gerichtlichen Verfahren fest, vgl. ferner: BGH NJW 2002, 975 (977). 24 BGHSt 46, 93 (101). 25 Der 1. Senat stellt hier wohl auf die Verpflichtung der Staatsanwaltschaft zur Antragstellung (§ 141 III 2) und die Verteidigerbestellung im Ermessen des Richters nach (§ 141 III 1) ab. 26 Also allein als zeitliche Folge der Konsultation des Verteidigers der Untersuchungszweck betroffen würde, vgl. BGHSt 46, 93 (99 f., 103). 27 BGHSt 46, 93 (99 f.). 28 BGHSt 46, 93 (101, 103) unter Hinweis auf BGHSt 29, 1 (4 f.): Hier wurde ein Wahlverteidiger aus Gründen, die in seiner Person lagen, nicht benachrichtigt. Der Verteidiger hatte nach dem Bekunden einer Zeugin, deren Angaben „nicht völlig unglaubwürdig“ gewesen seien, um eine für den Beschuldigten günstige Aussage gebeten, außerdem habe er ihr „Verhaltensmaßregeln“ für ein Auftreten vor der Polizei gegeben. 29 BGHSt 46, 93 (102). 30 Vgl. BGHSt 45, 164 ff. 31 BGHSt 46, 93 (102 f.).

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5. Kap.: Die Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren

Eine weitere geeignete und angemessene Möglichkeit, das Fragerecht auszuüben („oft sogar die beste“) stelle § 168 e dar33. Folge der unterlassenen Bestellung ist nach Ansicht des BGH nicht ein Beweisverwertungsverbot, sondern eine „Beweiswürdigungslösung“34. Diese sei im Vergleich zu einem Verwertungsverbot „sachgerechter“. Vergleichbar der Situation bei einem anonymen Zeugen seien „besonders strenge“ Beweis- und Begründungsanforderungen zu stellen. Diese Beweiswürdigungslösung greift (erst) dann ein, wenn die Feststellung der Schuld auf sie gestützt wird35. Ein Verwertungsverbot nach § 252 StPO lehnt der Senat wie folgt ab: Zwar könne der Rückgriff auf den Vernehmungsrichter ausgeschlossen sein, wenn gegen §§ 168 c, 224 StPO verstoßen wurde. Jedoch habe der Bundesgerichtshof in neueren Entscheidungen eine Beweiswürdigungslösung angenommen36, wenn Beteiligungsrechte pflichtwidrig nicht gewährt wurden: Das richterliche Vernehmungsprotokoll wurde in ein nichtrichterliches Vernehmungsprotokoll nach „§ 252 II 2“ herabgestuft. Ferner sei auch bei rechtmäßiger Einschränkung von Beteiligungsrechten ein Verwertungsverbot nach § 252 StPO nicht angenommen worden. Das gesamte Beweisverfahren müsse im Lichte des Fragerechts gesehen werden. Der EGMR stelle zwar überwiegend auf das Beweisverfahren ab, die Gesamtbetrachtung berücksichtige jedoch auch die Beweiswürdigung. Die Gesamtbetrachtung sei auf den Einzelfall bezogen, insofern bevorzuge der Senat eine dem konkreten Fall gerecht werdende Lösung, eine „Beweiswürdigungs-Lösung“. Zur Unterstützung seiner gefundenen „Beweiswürdigungslösung“ zieht der Senat einen Erst-Recht-Schluß zur Einschränkung des Fragerechts bei einem anonymen Zeugen. Dort sei die Person des Zeugen unbekannt. Bestimmte Fragen würden nicht beantwortet. Für diese Fallgestaltung sei die Beweiswürdigung ein 32 BGHSt 46, 93 (103). Diese nochmalige Befragung erscheint jedoch nicht immer möglich. Es ist nicht abzusehen, ob ein zeugnisverweigerungsberechtigter Zeuge nochmals aussagt. Eine solche Möglichkeit bot sich auch im vorliegenden Fall nicht, die Zeugin (die Tochter) berief sich vor der Hauptverhandlung auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht. 33 BGHSt 46, 93 (103). 34 BGHSt 46, 93 (103 f.). 35 Siehe BGHSt 46, 93 (103: „zur Grundlage der Urteilsfindung“ und Leitsatz 3); vgl. ferner die Entscheidung des 1. Senats vom 30.06.2002 (1 StR 92/02, ZAP ENNr. 790/2002) Leitsatz und unter II 2: Hat der Tatrichter trotz der Bekundungen des Belastungszeugen vor dem Ermittlungsrichter (zusammen mit den übrigen Ergebnissen der Beweisaufnahme) vernünftige Zweifel an der Schuld, so finden die Grundsätze der Beweiswürdigungslösung keine Anwendung. Es gülten die allgemeinen Grundsätze für die tatrichterliche Glaubwürdigkeitsbeurteilung. 36 Vgl. die eigentümliche Formulierung des 1. Senats, wonach der BGH „mehr“ auf den beeinträchtigten Beweiswert abgestellt habe, BGHSt 46, 93 (104).

§ 1 Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zur Verteidigerbestellung

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konventionsgemäßer Ausgleich. Dann aber erst Recht bei der vorliegenden Fallgestaltung37. Die Beweiswürdigungslösung, so der Senat, sei auch systemkonform mit der Strafzumessungslösung bei einem Konventionsverstoß aufgrund unzulässiger Tatprovokation. Die tatrichterliche „Beweiswürdigungslösung“ müsse folgenden Anforderungen gerecht werden38: Erstens sei zu berücksichtigen, daß – trotz der grundsätzlich „gewichtigen Beweiskraft“ des Zeugnisses eines Ermittlungsrichters – der originäre Zeuge von der Verteidigung nicht befragt werden konnte. Es fehlte ein kontradiktorisches Verhör, § 69 II. Zweitens müßte (deshalb) die Aussage des Vernehmungsrichters durch wichtige Gesichtspunkte bestätigt werden, um auf dessen Angaben Feststellungen stützen zu können. Der Tatrichter muß in einer für das Revisionsgericht nachprüfbaren Weise im Urteil deutlich machen, daß er eine solche „sorgfältigste“ Überprüfung der Aussage des Vernehmungsrichters vorgenommen habe. Das Urteil genüge weder den (neu aufgestellten) Beweiswürdigungs- noch den Begründungsanforderungen. Die Revision hat Erfolg. Der Senat verweist zurück. Er bemerkt, daß er nicht ausschließen könne, daß noch weitere, für eine Verurteilung tragfähige Tatsachen bei einer erneuten Hauptverhandlung festgestellt werden könnten39. Deshalb spreche er den Angeklagten nicht frei nach § 354 I StPO. II. BGH NJW 2002, 975 (BGH 1 StR 220/01 – Urteil vom 22. 11. 2001)40 Das Verfahrensgeschehen stellt sich wie folgt dar: Der Angeklagte geriet in Verdacht, einen Mord begangen zu haben und wurde 1994 nach korrekter Belehrung polizeilich als Beschuldigter dieser Tat vernommen. Dieses Ermittlungsverfahren wurde gegen ihn eingestellt, § 170 II. Nach weiteren fünf Jahren kontaktierte der Angeklagte die Polizei in dieser Sache und legte (nach seinem durch einen Gefängnisseelsorger erneuerten Wunsch) ein Geständnis am 09.12. 37

BGHSt 46, 93 (104 f.). BGHSt 46, 93 (105 f.). 39 Schon dies zeigt die dehnbare Gestaltung der Bestätigung der Angaben des Vernehmungsrichters durch außerhalb der Aussage liegende Umstände, vgl. Kunert, NStZ 2001, 217. 40 Vgl. die Fundstelle in der amtlichen Sammlung: BGHSt 47, 172 ff. 38

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5. Kap.: Die Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren

1999 ab, welches ihn selbst und den Mittäter L belastete. Er schilderte die Tat, unterschrieb aber kein förmliches Protokoll. Es wurde ein Vermerk darüber angefertigt. Die Belehrung des Angeklagten bei dieser Befragung war nicht vollständig: Auf das Recht zur Verteidigerkonsultation wurde nicht hingewiesen. Der Oberstaatsanwalt ordnete am 10.12.1999 an, nach dem Mittäter L zu fahnden und diesen festzunehmen. Es sollte eine weitere Detailabklärung mit dem Angeklagten folgen. Ein weiterer Vermerk wurde angefertigt und bewertete die Angaben des Angeklagten als plausibel. Dieser Vermerk wurde dem Oberstaatsanwalt am 13.12.1999 vorgelegt. Dieser veranlaßte umgehend die Wiederaufnahme der Ermittlungen gegen den Angeklagten und L. Noch am selben Tag war der Angeklagte nach telefonischer Verabredung dazu bereit, an der Tatrekonstruktion am Tatort mitzuwirken. Auf der Fahrt zum Tatort wurde der Angeklagten darauf hingewiesen, daß er die Aussage verweigern könne. Ferner kenne er seine Rechte als Beschuldigter ja sicher, da er schon wiederholt vor Gericht gestanden habe. Der Angeklagte stimmte dem zu und war bereit auszusagen. Nach der Tatrekonstruktion beantragte die Staatsanwaltschaft am folgenden Tag (14.12.1999) einen Haftbefehl gegen den Angeklagten und den Mitangeklagten L. Einen Tag später unterzeichnete der Angeklagte das förmliche Protokoll einer Beschuldigtenvernehmung. Bei dieser war er vollständig und korrekt belehrt worden. Er erklärte bei dieser Vernehmung lediglich pauschal, seine bisherigen Angaben seien richtig. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes verurteilt. Mitangeklagter war der Mittäter L. Die Revision rügt unterschiedliche Verfahrensfehler: Der Angeklagte sei vor seiner geständigen Einlassung bei der Polizei und seiner Mitwirkung an einer Tatrekonstruktion nicht ordnungsgemäß über sein Recht zur vorherigen Zuziehung eines Verteidigers belehrt worden, §§ 136 I 2, 163 a IV 2, mit der Folge eines Beweisverwertungsverbotes. Dem Angeklagten hätte jedenfalls vor der Entgegennahme seiner weiteren geständigen Einlassung anläßlich seiner Mitwirkung an der Tatrekonstruktion ein Verteidiger bestellt werden müssen. Dies folge aus der Vorschrift § 141 III StPO, welche im Lichte des fairen Verfahrens (Beistand eines Verteidigers, Art. 6 lit. c) EMRK) ausgelegt werden müsse. Der Senat führt dazu aus: Bezüglich der ersten Rüge hebt der Senat hervor, daß der Beschuldigte über sein Recht auf Verteidigerkonsultation bei der polizeilichen Befragung und der Mitwirkung an der Tatrekonstruktion nicht ordnungsgemäß belehrt wurde. Der Senat legt zunächst die Grundsätze zur Belehrung über das Schweigerecht nach

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§ 136 I 2 dar. Kenne der Beschuldigte sein Schweigerecht, dann sei er nicht in gleichem Maße schutzbedürftig wie derjenige, der sein Schweigerecht nicht kenne. Das in Folge fehlerhafter Belehrung über das Schweigerecht grundsätzlich entstehende Verwertungsverbot41 gelte in einem solchen Fall nicht. Diese Grundsätze über das Schweigerecht überträgt der Senat obiter dictum auf die Belehrungspflicht über das Recht auf Zuziehung eines Verteidigers. Beide Rechte hingen eng zusammen. Sie sicherten die verfahrensmäßige Stellung des Beschuldigten in ihren Grundlagen und verdeutlichten diesem seine prozessualen Möglichkeiten42. Die Verteidigerkonsultation diene gerade dazu, den Beschuldigten zu beraten, ob er von seinem Schweigerecht Gebrauch mache. Daraus folge jedoch kein Beweisverwertungsverbot, weil der Beschuldigte sein Recht aus zeitnahen Beschuldigtenbelehrungen aktuell kannte43. Ferner hatte der Beschuldigte – auf freiem Fuß befindlich – aus eigenem Antrieb heraus die Polizeibeamten kontaktiert. Zur Mitwirkung an der Tatrekonstruktion war er freiwillig erschienen. Dies weise auf ein überlegtes Verhalten hin. Der Angeklagte wurde nicht durch situationsbedingten Druck beeinflußt. Er befand sich also nicht in der sonst typischen Situation des Beschuldigten, der bei seiner Festnahme durch die Ereignisse bedrückt und verängstigt sein kann und gerade deshalb der aktuellen Belehrung bedarf44. Ferner sei das Recht auf Zugang zu einem Verteidiger nicht vereitelt worden; der Angeklagte habe vielmehr keinen Wunsch geäußert, einen Verteidiger zu kontaktieren. Abschließend läßt der Senat es dahinstehen, ob ein Verwertungsverbot in Betracht zu ziehen ist, weil der Beschuldigte in diesem Verfahren bereits 1994 als Beschuldigter vernommen wurde und der Wortlaut von §§ 136 I 2, 163 a IV StPO nur eine Belehrung bei der ersten Vernehmung fordere; allerdings wäre eine erneute Belehrung angesichts des Zeitraums nötig gewesen, so der Senat45. 41 Denn die Belehrungspflicht besteht unabhängig von einer möglichen Kenntnis, BGH NJW 2002, 975 (976). 42 BGH NJW 2002, 975 (976). 43 Wohlers (JR 2002, 294, 295) spricht sich gegen eine aktuelle Kenntnis des Beschuldigten aus: In anderen Verfahren als Beschuldigter belehrt worden zu sein, genüge wohl nur für eine abstrakte Kenntnis, die auch der Senat nicht ausreichen lasse; ferner könnte die Bitte um Verteidigerkonsultation nach der Festnahme am 17.12. nicht als diesbezügliche Kenntnis für eine frühere geständige Einlassung herangezogen werden. Ferner bleibt die Festnahme als einschneidendes Ereignis unberücksichtigt. Allein die Tatsache, daß der Beschuldigte aus freien Stücken Kontakt zur Staatsanwaltschaft aufnahm, genüge nicht für den Nachweis einer Kenntnis der Verfahrensrechte. 44 BGH NJW 2002, 975 (976). 45 BGH NJW 2002, 975 (976). Beckemper ist der Ansicht, daß eine weitere Belehrung zumindest in den Fällen erfolgen müsse, in denen dem Beschuldigten nach § 170

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5. Kap.: Die Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren

Auch läßt der Senat offen, ob die am 15.12. nachfolgende vollständige Belehrung mit der Bestätigung der bisherigen Angaben die vorangegangenen fehlerhaften (am 09.12.1999 und am 13.12.1999) zu heilen vermochte, ohne den Anforderungen einer qualifizierten Belehrung zu genügen. Zum zweiten Punkt der Rüge nimmt der Senat wie folgt Stellung: Selbst wenn gegen eine Pflicht zur Bestellung eines Verteidigers verstoßen worden wäre, sei ein Verwertungsverbot nicht anzunehmen46. Die Pflicht, den Antrag auf Beiordnung eines Verteidigers zu stellen, entstehe für die Staatsanwaltschaft dann, wenn gegen einen Beschuldigten ein als dringend zu bewertender Tatverdacht eines Verbrechens (vgl. § 140 I Nr. 2 StPO) angenommen wird und der Beschuldigte aufgrund der Lage des Verfahrens tatsächlich auch des Beistands eines Verteidigers bedarf47. Dies folge unmittelbar48 aus § 141 III 2 StPO. Seine Entscheidung in BGHSt 46, 93 ff. referierend hebt der Senat hervor, die Staatsanwaltschaft habe eine Pflicht zur Antragstellung, wenn abzusehen sei, daß die Mitwirkung des Verteidigers notwendig sein werde49. Die ProII 2 mitgeteilt wurde, daß das Verfahren eingestellt worden ist. Eine Folgevernehmung sei dann eine erste Vernehmung nach § 136 I 2 (Beckemper, JA 2002, 634, 638). 46 BGH NJW 2002, 975 (976). 47 In dieser Entscheidung erweitert der 1. Senat (obiter dictum) seine Rechtsprechung aus BGHSt 46, 93 ff. Er formuliert eine Oberfallgruppe (vgl. ferner den 5. Senat in NJW 2002, 1279, 1280; Widmaier, Sonderheft-Schäfer, S. 76). Allerdings äußert sich der Senat in dieser Entscheidung explizit nur zur Antragstellung nach § 141 III 2. Er äußert sich nicht ausdrücklich zur Bestellung nach § 141 III 1, so wie er es in BGHSt 46, 93 ff. getan hat. Jedoch spricht der Senat unter 2. b) im Zusammenhang mit einer möglichen Belehrungspflicht davon, daß dem Beschuldigten mitgeteilt werde, daß ihm nunmehr ein Verteidiger „zu bestellen“ ist. Auch ist die in NJW 2002, 975 ff. aufgestellte Formel zur Antragspflicht in Fortführung der Entscheidung BGHSt 46, 93 ff. zu sehen, die annimmt, daß die Reduzierung des Beurteilungsspielraums mit einer Ermessensreduzierung einhergeht. Im übrigen wäre es systemwidrig, wenn die Antragspflicht der Staatsanwaltschaft mehr Voraussetzungen enthielte als der Bestellungsakt selbst. 48 Eine solche Verpflichtung, die unabhängig von Art. 6 III lit. d) EMRK unmittelbar aus § 141 III 2 selbst folgt, hatte der Senat in seiner früheren Entscheidung noch nicht angenommen, vgl. Fezer, JZ 2001, 363, 364. 49 Doch schon im einleitenden Obersatz sowie einen Absatz später relativiert der 1. Senat für den zu entscheidenden Fall die Pflicht zur Antragstellung, indem er darauf verweist, daß eine solche „jedenfalls dann“ besteht, wenn der Tatverdacht von der Staatsanwaltschaft als dringend erachtet wird und der Betroffene tatsächlich eines Verteidigers bedürfe. Auch in BGHSt 46, 93 (98 f.) statuiert er zunächst eine Antragspflicht lediglich in Beziehung zur Prognose, ob eine Verteidigung im gerichtlichen Verfahren notwendig werden wird – und wie es der Gesetzeswortlaut des § 141 III 2 verlangt. Auf S. 99 unter II 1. b aa) relativiert er für den zu entscheidenden Fall die vorher einwandfrei festgestellte Antragsverpflichtung der Staatsanwaltschaft aus § 141 III 2 mit den nämlichen Worten („Jedenfalls dann“); vgl. ferner: Roxin, JZ 2002, 898 (899).

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gnose, ob in dem gerichtlichen Verfahren die Verteidigung notwendig werde, stelle die Staatsanwaltschaft an; ihre Auffassung sei maßgeblich. Dabei habe sie einen Beurteilungsspielraum50. Dieser könne (fallabhängig) nur eine pflichtgemäße Entscheidung gestatten. Die Staatsanwaltschaft dürfe zunächst dem Anfangsverdacht nachgehen und abklären, ob eine Verteidigung notwendig werde51. Ihr Beurteilungsspielraum beziehe sich auf die Bewertung tatsächlicher und rechtlicher Umstände bezüglich des Tatverdachts52. Dabei seien mit Rücksicht auf die Fassung von § 141 III 2 StPO, welcher auf die Auffassung der Staatsanwaltschaft abstellt, „allzu“ differenzierte Abgrenzungen im Ermittlungsverfahren nicht zu verlangen53. Der Richter müsse die situativen Begebenheiten im Vorverfahren berücksichtigen, sowie die Unvollständigkeit möglicher Erkenntnisse und deren vorläufige Art54. Der Senat verweist in diesem Zusammenhang auf BVerfG NJW 2001, 112155. Das Verfahren sollte nicht mit unterschiedlichen Bewertungen belastet werden; „zumal dann“, wenn diese die Ver50 Roxin (JZ 2002, 898, 899) spricht hier von einem „begrenzten“ Beurteilungsspielraum. Indem der Senat eine Pflicht der Staatsanwaltschaft zur Antragstellung statuiert, wenn neben ihrer Prognose einer notwendigen Verteidigung der Beschuldigte auch tatsächlich eines Beistands bedarf, wird „heimlich“ ein zweiter Beurteilungsspielraum statuiert. 51 Sie müsse einem – dem Stande der Ermittlungen gemäße – tragfähige Entscheidungsgrundlage gewinnen. 52 Wohlers (JR 2002, 293, 295 mit Fn. 15) kritisiert, daß der 1. Senat hier einen Beurteilungsspielraum der Staatsanwaltschaft annimmt, „ob und wann“ sie einen Antrag stelle. Dafür scheint die Formulierung des 1. Senats im Anschluß an die Darlegung des Beurteilungsspielraums zu sprechen: „ihr kommt . . . ein Beurteilungsspielraum zu, der sich . . . auf eine pflichtgemäße Entschließung einengen kann“. Diese pflichtgemäße Entschließung könnte sich auf die Annahme notwendiger Verteidigung im späteren Verfahren, aber auch auf die Stellung des Antrags nach § 141 III 2 beziehen. Der Senat schließt mit der Formulierung, daß sich der Beurteilungsspielraum auf die „Verdachtslage“ in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht bezieht. Damit nimmt der 1. Senat den Beurteilungsspielraum lediglich im Rahmen einer Prognose über das Vorliegen der Voraussetzungen einer notwendigen Verteidigung im Hauptverfahren an, vgl. BGH NJW 2002, 975 (977 unter 2 a aa); so versteht ihn wohl auch: Roxin, JZ 2002, 898 (899). Die Befürchtungen von Wohlers mögen für die Erwägung des 5. Senats zutreffend sein, der annimmt, daß für die Stellung des Antrags, der sich nach einer Prognose über die Notwendigkeit einer Verteidigung richte, der Staatsanwaltschaft ein Beurteilungsspielraum zustehe (vgl. BGH NJW 2002, 1279, 1280) und die Entscheidungen des 1. Senats zur Unterstützung anführt, vgl. Roxin, JZ 2002, 898 (899). 53 BGH NJW 2002, 975 (977). Der Senat führt insofern Praktikabilitätserwägungen an. Eine zu differenzierte Betrachtung kann jedoch nicht nur durch eine eingeschränkte Überprüfbarkeit, sondern auch durch eine umfassende Antragspflicht vermieden werden. 54 Er dürfe „nicht ohne weiteres“ die Einschätzung der Staatsanwaltschaft durch seine eigene ersetzen. Der Senat stellt damit auf eine vorsichtige, jedoch nicht generell eingeschränkte Würdigung ab; vgl. ferner: Roxin, JZ 2002, 898 (899); a. A.: Wohlers, JR 2002, 293 (295) – die Formulierungen deuteten auf eine generell eingeschränkte Überprüfbarkeit hin.

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5. Kap.: Die Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren

wertbarkeit beeinflußten56. Nach Einschätzung der Notwendigkeit im gerichtlichen Verfahren kann die Staatsanwaltschaft zunächst klären, ob der Beschuldigte autonom einen Verteidiger wählt57. Wenn die Staatsanwaltschaft einen Antrag auf Erlaß eines Haftbefehls wegen eines Verbrechens stelle, wird sie auch einen Antrag auf Beiordnung zu erwägen58 haben59. Solange der Beschuldigte noch nicht festgenommen sei, könne die Staatsanwaltschaft mit dem Beiordnungsantrag zuwarten. Unter diese Vorgaben subsumiert der 1. Senat den Sachverhalt wie folgt: Am 09.12. war die Antragspflicht der Staatsanwaltschaft noch nicht begründet, die vom Beschuldigten gemachten Angaben seien noch zu überprüfen gewesen. Dies ergebe sich aus dem Auswertungsvermerk der Polizei und dem Verlauf der weiteren Ermittlungen. Am 13.12. wird vom Senat eine Antragspflicht erwogen. Zu diesem Zeitpunkt hatte der zuständige Oberstaatsanwalt die Fahndung nach dem Mitangeklagten L und dessen Festnahme am 10.12.1999 angeordnet. Diese erfordere das Vorliegen der Haftbefehlsvoraussetzungen, § 127 II StPO. Folge der Festnahme wäre eine Vorführung vor den Richter oder ein Vorgehen nach § 128 I, wonach der Beschuldigte wieder in Freiheit zu setzen ist. Jedoch ergebe sich aus dem Aktenvermerk des Oberstaatsanwalts, daß zunächst wohl das Ergebnis der Tatrekonstruktion abgewartet werden sollte. Dafür spreche weiter, daß er „tatsächlich“ so verfahren sei, obwohl er einen Haftbefehl hätte beantragen können. Am 14.12. ergebe sich eine Antragspflicht zweifelsfrei aus der Stellung eines Antrags auf Erlaß eines Haftbefehls gegen

55 Der Senat hätte die Entscheidung für eine (aus seiner Sicht „nicht ohne weiteres“) mögliche Ersetzung der Sicht der Behörden durch den Richter anführen können. In dem vom BVerfG entschiedenen Fall wurde die Überprüfbarkeit der Auslegung eines Begriffes durch die Strafverfolgungsbehörde gerade erweitert, auch wenn die „faktischen Bedingungen“, unter denen sie handeln müssen, und die „situationsbedingten Grenzen“ von Erkenntnismöglichkeiten zu berücksichtigen sind (vgl. BVerfG NJW 2001, 1121, 1124). Es wurde auf die uneingeschränkt überprüfbaren „prognostischen Elemente“ abgestellt (BVerfG NJW 2001, 1121, 1123), die dem Gefahrenbegriff nach Art. 13 I, II GG innewohnen. Es liege lediglich ein unbestimmter Rechtsbegriff vor, ein Beurteilungsspielraum scheide aus. 56 M. E. sollten Bewertungen gerade an dem Punkt ansetzen, der die Verwertbarkeit betrifft. 57 Fraglich erscheint, wie lange ein solcher autonomer Handlungsspielraum des Beschuldigten bestehen bleiben soll, bis die Staatsanwaltschaft eingreift und einen Antrag auf Verteidigerbestellung stellt. Wenn der Senat eine entsprechende Verpflichtung zur Bestellung („Jedenfalls dann . . .“) vorschreibt, so ist ein Abwarten auf eine eigene Wahl des Verteidigers wohl nur für eine kurze Frist erforderlich. 58 Die Bezugnahme auf den Haftbefehl soll wohl ein Hinweis dafür sein, daß bei Annahme eines dringenden (dem § 140 entsprechenden gewichtigen) Tatverdachts die Prognose notwendiger Verteidigung zu bejahen ist, die für eine Bestellungspflicht neben dem tatsächlichen Bedürfnis nach einem Verteidiger vorliegen muß. 59 BGH NJW 2002, 975 (977).

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den Angeklagten sowie den Mitangeklagten L. Der Senat beschreibt seine Beurteilung als eine „nachträgliche“60. Nach den oben dargestellten Ausführungen stellt der Senat lapidar fest: „Auf all das kommt es für die abschließende Beurteilung der in Rede stehenden Verfahrensrüge indes nicht an“. Die Erwägungen erfolgten demnach allesamt nur obiter dictu. Der Senat erwägt, ob § 141 III 2 StPO über die Pflicht, einen Beiordnungsantrag zu stellen, hinaus eine Verpflichtung auferlege, mit bestimmten Ermittlungen innezuhalten, bis ein Verteidiger nach seiner Bestellung tatsächlich die Verteidigung aufgenommen habe. Dies betreffe solche Ermittlungen, die eine Mitwirkung des Beschuldigten erforderten. Das Geständnis eines Beschuldigten, das dieser in Kenntnis seiner Rechte ablege, wäre dann abzulehnen. Maßgeblich ist nach dem Senat dann, wie sich der Beschuldigte verhalte, nachdem er darüber belehrt wurde, daß mit den Ermittlungen innezuhalten sei bis ihm ein Verteidiger bestellt sei. Die weitere Entgegennahme eines Geständnisses nach einer Belehrung dürfe verwertet werden. Nach der Auffassung des Senats hat der Beschuldigte es in der Hand, durch Ausübung seines Schweigerechtes ohne weiteres „jede“ Fortführung der Vernehmung zu unterbinden. Dies zumal dann, wenn die weitere Vernehmung eilbedürftig und unaufschiebbar erscheine. Selbst wenn diese Erwägungen (Pflichtverteidigerbestellung vor der Tatrekonstruktion am 13.12.1999 und Zuwarten mit dieser bis zur tatsächlichen Aufnahme der Verteidigung durch einen bestellten Verteidiger) zuträfen, so liege kein Beweisverwertungsverbot vor61. Ein ausdrückliches Verwertungsverbot folge aus § 141 III 2 StPO im Gegensatz zu § 136 a III nicht, so der Senat. Die Frage eines Beweisverwertungsverbotes sei nach einer allgemeinen Abwägung der im Rechtsstaatsprinzip angelegten gegenläufigen Gebote und Ziele zu beantworten. Die vom Gesetzgeber in § 136 a III angelegte Wertung für ein Beweisverwertungsverbot erfordere „gravierende“ Verfahrensverstöße.

60 BGH NJW 2002, 975 (977). Eine genaue Beschreibung, ob er eine Beurteilung ex ante oder ex post vornimmt, erfolgt nicht; Schwaben geht von einer objektiven exante Beurteilung aus (NStZ 2002, 288, 293). Zunächst stellt der Senat maßgeblich auf die Sicht der Strafverfolgungsbehörden ab. Dies spricht für eine Beurteilung ex ante. Danach übt er eine Sichtweise ex post, die sich daraus ergibt, daß er auf die tatsächlichen späteren Geschehensabläufe eingeht. Wenn sich der Senat schon auf das Bundesverfassungsgericht (BVerfG NJW 2001, 1121 ff.) beruft, so sollte er auch die dort angenommene Beurteilungsperspektive ex ante wählen. Es ist die Entscheidungssituation maßgeblich, die sich den Strafverfolgungsbehörden stellt. 61 BGH NJW 2002, 975 (977).

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5. Kap.: Die Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren

Ferner hebt der Senat die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hervor, wonach die Bedürfnisse einer wirksamen Strafverfolgung, das öffentliche Interesse an einer möglichst vollständigen Wahrheitsermittlung und die Aufklärung schwerwiegender Straftaten zu betonen sind62. Ferner sei auf den Schutz des Gemeinwesens, auf den künftiger Opfer und den „Anspruch des Täters auf ein richtiges und gerechtes Urteil“ abzustellen. Beweisverwertungsverboten seien dadurch Schranken gezogen. Der Senat wägt die im vorliegenden Fall gegebenen Interessen gegeneinander ab. Es sei zu untersuchen, ob ein schwerwiegender Rechtsverstoß vorliege und der Beschuldigte in der Situation im besonderen Maße des Schutzes bedurfte63. Eine mögliche Verletzung von § 141 III 2 wiege angesichts der Kenntnis des Angeklagten von seinen Rechten zu schweigen und der Möglichkeit einer Verteidigerkonsultation nicht schwer. Der Angeklagte sei ferner aus freien Stücken zu einer „unaufschiebbaren und eilbedürftigen“ Tatrekonstruktion bereit gewesen. Er hatte ohne weiteres die Gelegenheit zur Verteidigerkonsultation. Dieser Situation war er sich bewußt. Er wollte es gleichsam allein „hinter sich bringen“. Somit sei das Schutzbedürfnis des Angeklagten nicht in besonderem Maße ausgeprägt64. III. BGHR StPO § 141 Bestellung 9 (BGH 1 StR 380/03 – Beschluß vom 18. 12. 2003) Die Revision macht hier ein Verwertungsverbot für die Angaben des Beschuldigten65 während einer polizeilichen Vernehmung geltend (15.05.2002). Vor dieser polizeilichen Vernehmung wurde eine richterliche Vernehmung durchgeführt und dem Beschuldigten der Haftbefehl eröffnet (30.04.2002). Der Senat führt dazu aus, daß auf Grundlage seiner Rechtsansicht „in Betracht gezogen werden kann“, es als verfahrensfehlerhaft zu erachten, daß die Staatsanwaltschaft im Anschluß an die richterliche Vernehmung und Haftbefehlseröffnung keinen Antrag auf Beiordnung eines Verteidigers gestellt hat66.

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BGH NJW 2002, 975 (978). BGH NJW 2002, 975 (978). 64 Daß er „ohne weiteres“ die Gelegenheit zur Verteidigerkonsultation hatte, ist ein Minimum an Verfahrensrechten, vgl. § 137 I 1. Man kann die Kenntnis vom Recht zur Verteidigerkonsultation, die dem Beschuldigten grds. frei steht, nicht in die Abwägung einbeziehen, um die Folgen einer Nichtbestellung eines Verteidigers, die gerade unabhängig von seinem Willen zu erfolgen hat, abzumildern. 65 Das Landgericht hatte den Beschuldigten u. a. wegen Raubes mit Todesfolge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 12 Jahren und 6 Monaten verurteilt (vgl. insoweit den Originaltext der Entscheidung, abrufbar im Internet unter: http://www.bundesgerichts hof.de). Die Notwendigkeit der Verteidigung ergab sich danach aus § 140 I Nr. 2 bzw. § 140 II 1 1. Alt. 63

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Ob die Fortsetzung der polizeilichen Vernehmung dem Recht auf Verteidigerkonsultation entsprach, könne jedoch offenbleiben. Jedenfalls sei bei der hier gegebenen Verfahrensgestaltung „in keinem Falle“ ein Verwertungsverbot anzunehmen. Der Senat führt dazu aus: Die Belehrung des Angeklagten im Rahmen der polizeilichen Vernehmung sei vollständig und korrekt gewesen67. Der zum Zeitpunkt der Vernehmung bereits seit einigen Tagen inhaftierte Beschuldigte sei nicht mehr durch den unmittelbaren Eindruck seiner Festnahme beeinflußt worden. Er habe schon zu Beginn der polizeilichen Vernehmung einen Zettel mit der Adresse einer empfohlenen Rechtsanwältin mit sich geführt. Ferner habe er eine Beiziehung erst gefordert, als die Vernehmung einen bestimmten Punkt erreicht habe. Auch die vorherige Reaktion auf einzelne Fragen, die er erst nach Besprechung mit seinem Anwalt habe beantworten wollen, deute auf einen differenzierten Umgang mit seinen Beschuldigtenrechten hin. Auch habe sich die Vernehmung vor ihrem Abbruch noch nicht mit dem „Kerngeschehen“ befaßt.

B. Entscheidungen des 5. Senats I. BGH NJW 2002, 1279 (BGH 5 StR 588/01 – Beschluß vom 05.02.2002)68 Die Revision beanstandet die Verwertung der Vernehmung von beiden Angeklagten durch den Haftrichter nach § 128. Zunächst geht der Senat auf eine mögliche unzulängliche Belehrung ein. Hinsichtlich der Vernehmung des Mitangeklagten könne sich die Angeklagte nicht auf eine unzulängliche Belehrung berufen. Ihre Rechte blieben davon unbeeinträchtigt. Die Angeklagte selbst ist vor der verwerteten Aussage vor dem Haftrichter – sowie vor ihrer ersten polizeilichen Beschuldigtenvernehmung – über ihr Recht, jederzeit, auch schon vor ihrer Vernehmung, einen Verteidiger zu befragen, belehrt worden. Vor dem Haftrichter hat sie unter Zuziehung eines Dolmetschers nach der Belehrung ohne Verteidigerbeistand ausgesagt. Über die Belehrung nach § 136 I 2 StPO hinaus sei ein Hinweis auf die Einrichtung eines Verteidigernotdienstes nicht notwendig. Der Senat habe eine 66 Auch hier stellt der Senat konkludent auf die Bestellung durch den Vorsitzenden nach § 141 III 1 ab – was aus seinem Hinweis auf die anderweitige Ansicht des 5. Senats in NStZ 2004, 390 (5 StR 501/03, vgl. im folgenden) hervorgeht. Dort stellte der 5. Senat auf den Bestellungsakt ab. 67 Schon in dieser Hinsicht unterscheide sich der Sachverhalt zu dem der Entscheidung in NJW 2002, 975. 68 Vgl. die Fundstelle in der amtlichen Sammlung: BGHSt 47, 233 ff.

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5. Kap.: Die Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren

Pflicht der Ermittlungsbehörden zu einer solchen Hilfe nicht allgemein erwogen. Die Erwägungen beziehen sich auf den Fall, daß ein Beschuldigter nach der Belehrung anwaltlichen Beistand wünscht; dann könne für die Ermittlungsbehörden eine derartige Hilfspflicht entstehen69. Die Möglichkeit, die Angeklagte könnte die ihr erteilte Belehrung aufgrund geistig-seelischer Beschaffenheit nicht verstanden haben, wird vom 5. Senat ausgeschlossen. Ihr Alter (20 Jahre), ihre Schwangerschaft, ihre besondere Betroffenheit angesichts der Festnahme oder ihre mangelnden Deutschkenntnisse rechtfertigten keine über die gesetzliche Regel des § 136 I 2 hinausgehenden Belehrungs- oder Warnungshinweise70. „Weitergehendes“71 sei nur zu erwägen, wenn die Ermittlungsbehörden für eine Verteidigung der Beschuldigten vor der Vernehmung durch den Haftrichter hätten sorgen müssen. Der 5. Senat verweist auf die Entscheidung des 1. Senats in BGHSt 46, 93 ff., wonach aus § 141 III 2 möglicherweise eine Verpflichtung der Staatsanwaltschaft folge, mit weiteren Ermittlungen innezuhalten. Dies jedenfalls bis zu dem Zeitpunkt einer Unterrichtung des Beschuldigten, daß ihm ein Verteidiger zu bestellen sei. Nach dem 5. Senat ist jedenfalls für den zu entscheidenden Fall eine solche Pflicht nicht anzuerkennen. Die Regelungen der §§ 140, 141 – auch in Konkretisierung von Art. 6 III lit. c) EMRK – zeigten, daß in bestimmten Fällen die Mitwirkung eines Verteidigers regelmäßig ab Anklageerhebung zwingend sei. Der Senat weist allgemein auf eine mögliche Verteidigerbestellung im Vorverfahren hin, insbesondere nach §§ 140 I Nr. 5, 117 IV. Auch sonst stehe die Pflichtverteidigerbestellung für den Beschuldigten ohne Wahlverteidiger schon während des Vorverfahrens im richterlichen Ermessen auf entsprechenden Antrag der Staatsanwaltschaft, § 141 III 1, 2. Der Senat verweist auf den nicht umfassend gerichtlich überprüfbaren Beurteilungsspielraum der Staatsanwaltschaft, den sie für die Stellung des Antrags72 auf Beiordnung eines Verteidigers nach § 141 III 2 habe. 69

BGH NJW 2002, 1279. BGH NJW 2002, 1279 f.; kritisch Roxin, JZ 2002, 898 (899): Ob die Beschuldigte die Belehrung sprachlich und inhaltlich richtig erfaßt habe, lasse sich dem Beschluß nicht entnehmen. Die Beschuldigte bedurfte eines Dolmetschers. Jedoch erscheint fraglich, ob dieser schon bei der Belehrung zugegen war oder erst danach tätig wurde. Selbst wenn ein Dolmetscher schon bei der Belehrung zugegen war, bleibt zweifelhaft, ob die Beschuldigte die Bedeutung und Tragweite der Belehrung richtig erfaßt habe. Die Beschuldigte ist eine 20-jährige, ausländische, nicht deutsch sprechende Frau, die eines versuchten Mordes verdächtigt wurde. Sie wurde festgenommen. Diese Umstände und die vom BGH festgestellte Tatsache, daß ein Beschuldigter „insbesondere im Fall der Festnahme durch die Ereignisse verwirrt und durch die ungewohnte Umgebung verängstigt ist“ (vgl. BGHSt 42, 15, 19; 38, 214, 222) stünden der Annahme entgegen, die Beschuldigte habe nicht zu erkennen gegeben, einen Verteidiger zu verständigen. 71 Hier als Hinweis auf eine Pflichtverteidigerbestellung zu verstehen, vgl. Roxin, JZ 2002, 898 (899). 70

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Eine Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren sei „jedenfalls“ dann zu veranlassen73, wenn mit einer Anklageerhebung im Sinne von §§ 140 I, II StPO zu rechnen ist und eine effektive Wahrnehmung der Verteidigungsinteressen des Beschuldigten die Mitwirkung eines Verteidigers schon vor Anklagerhebung „unerläßlich“ erfordere – beispielsweise für die Wahrnehmung des Akteneinsichtsrechts74. In Übereinstimmung mit dem 1. Senat (BGHSt 46, 93, 99 f.) sei eine Verteidigerbestellung durchzuführen, wenn eine beweissichernde ermittlungsrichterliche Vernehmung eines wesentlichen Belastungszeugen in Abwesenheit des Beschuldigten bevorstehe75. Abzulehnen sei die Reduzierung des Beurteilungsspielraums der Staatsanwaltschaft mit der Folge einer Antragstellung76, die sie jedenfalls veranlassen müßte, mit Ermittlungen innezuhalten, die eine Mitwirkung des Beschuldigten erforderten, zumindest bis zu einer entsprechenden Belehrung über die Notwendigkeit einer Verteidigerbestellung für den Beschuldigten77. Der 5. Senat führt in Konsequenz der Überlegungen des 1. Senats an, daß eine notwendige Verteidigung78 mit dem Beginn eines dringenden gewichtigen 72 BGH NJW 2002, 1279 (1280). Hier trifft die Kritik von Wohlers zu, vgl. oben zu BGH NJW 2002, 975 ff. und ferner Roxin JZ 2002, 898 (899). Der 5. Senat verweist für seine Annahme eines (nicht gerichtlich überprüfbaren) Beurteilungsspielraums zwar auf die Auffassung des 1. Senats, sodaß er lediglich die Prognose hinsichtlich der Notwendigkeit der Verteidigung angesprochen haben und insofern eine „unglückliche“ Ausdrucksweise gewählt haben könnte. Jedoch spricht der 5. Senat später davon, daß, wenn die Staatsanwaltschaft den Tatverdacht für „begründet“ erachtet, keine Reduzierung des Beurteilungsspielraums bezüglich einer Antragsstellung angenommen werden könnte. Dies impliziert, daß er den Beurteilungsspielraum auch dann noch anerkennt, wenn die Staatsanwaltschaft von einer notwendigen Verteidigung im gerichtlichen Verfahren ausgeht. 73 Die Ausführungen des 5. Senats beziehen sich auch auf das Ermessen des Vorsitzenden nach § 141 III 1, wie die nachstehende Zustimmung zu den Ausführungen des 1. Senats über die Bestellung eines Verteidigers bei beweissichernder ermittlungsrichterlicher Vernehmung belegen. 74 BGH NJW 2002, 1279 (1280). 75 BGH NJW 2002, 1279 (1280). 76 Wenn nach Auffassung der Staatsanwaltschaft oder der Polizei der dringende Tatverdacht eines Verbrechens (§ 140 I Nr. 2 StPO) oder eines gewichtigen Vergehens (§ 140 I Nr. 1, II 1 StPO) besteht. 77 Die Formulierung des 5. Senats könnte darauf hindeuten, daß er lediglich eine Ermittlungsunterbrechung infolge einer Antragsverpflichtung der Staatsanwaltschaft – so wie sie der 1. Senat erwägt – ablehnt. Jedoch läßt er im folgenden erkennen, daß er die Kritik auch auf eine Antragsverpflichtung der Staatsanwaltschaft bei Annahme dringenden Tatverdachts bezieht, indem er darauf hinweist, daß eine „solche Position“ die Annahme notwendiger Verteidigung bei entsprechendem dringendem Tatverdacht impliziere (vgl. Roxin, JZ 2002, 898, 900). Letztlich kritisiert er danach hypothetische Erwägungen des 1. Senats. 78 Der Senat stellt wohl auf die Bestellung eines Verteidigers ab und meint damit die Reduzierung des Ermessenspielraums nach § 141 III 1 i. V. m. einer solchen des Beurteilungsspielraums nach § 141 III 2.

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5. Kap.: Die Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren

Verdachts anzunehmen sein müßte, sollten nicht „allzu große“ Unsicherheiten hervorgerufen werden79. Dagegen sprächen jedoch die differenzierten gesetzlichen Regelungen („§§ 140, 141 nebst Sondernormen“). Auch forderten weder Art. 6 III lit. c) EMRK noch Art. 2 I i. V. m. Art. 20 III GG (Recht des Beschuldigten auf ein faires Verfahren) als Mindeststandard eine solche Verpflichtung80. Der Senat verweist auf das Eckpunkte-Papier zum Ausbau der Verteidigungsrechte im Ermittlungsverfahren (StV 2001, 314 f.). Der Gesetzgeber bleibe dazu berufen, de lege ferenda über einen solchen Ausbau zu entscheiden. Dabei sei es ihm überlassen, die gegenläufigen Interessen im Strafverfahren (Interesse des Beschuldigten an effektiver Verteidigung gegen die Belange der Wahrheitsermittlung, des Opferschutzes sowie der Kosten) gegeneinander abzuwägen. Ein Sonderfall, wonach auf eine Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren „hingewirkt werden müsse“, liege nicht vor. Die Vernehmung sei verwertbar. Für die Verwertbarkeit sei ferner kein Hinweis an die Beschuldigte erforderlich gewesen, den Strafverteidigernotdienst81 in Anspruch zu nehmen. II. BGH NStZ 2004, 390 (BGH 5 StR 501/03 – Beschluß vom 17. 12. 2003) Der Fall betrifft die Einführung von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge. Eine Pflicht zur Verteidigerbestellung – auch unter Berücksichtigung von Art. 6 III lit. c) EMRK – ergebe sich nicht bei dem dringenden Verdacht eines 79

BGH NJW 2002, 1279 (1280). Kritisch Roxin, JZ 2002, 898 (900): Abgesehen von der generellen Antragsverpflichtung nach § 141 III 2 bei absehbarer notwendiger Verteidigung ist der konkrete Fall zu berücksichtigen. Für eine extrem hilflose, junge und schwangere Ausländerin, die nicht Deutsch spricht und „eines Deliktes der Höchstkriminalität“ dringend verdächtigt wird, sei ein Verteidiger wohl kaum „notwendiger“. 81 Roxin (JZ 2002, 898, 899) spricht sich gegen den teilweise (vgl. Bohlander, Verteidigernotdienst im strafprozessualen Ermittlungsverfahren, 1992; Dedy, S. 186 f.; Kutschera, StraFo 2001, 262 f.) geforderten, in § 136 I 2 zu verankernden Hinweis auf die Erreichbarkeit anwaltlichen Beistandes aus. Er tritt jedoch für folgende, im Protokoll festzuhaltende Klarstellung als Teil einer ordnungsgemäßen Belehrung nach § 136 I 2 ein, wenn das Verständnis und der wahre Wille des Beschuldigten in Frage stünden. Im Nachgang zur Belehrung des Beschuldigten nach § 136 I 2 sollte zu Protokoll genommen werden, ob der Beschuldigte seine Rechte geistig erfaßt hat und er sie wahrnehmen will. Daraus ergebe sich auch die Platzierung eines Hinweises auf einen Verteidigernotdienst. Im Anschluß an BGHSt 42, 15 ff. sei der Beschuldigte auf einen Verteidigernotdienst hinzuweisen, wenn sich der Beschuldigte nicht im Sinne des vorstehenden Protokollvermerks äußert, sondern dahingehend, daß er den Beistand eines Verteidigers wünsche, jedoch nicht wisse, wie er einen Anwalt – insbesondere zu bestimmten Zeiten – erreichen könnte. 80

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Verbrechens82. Deshalb sei auch eine richterliche Vernehmung des Beschuldigten durch den Haftrichter nach §§ 115, 115 a ohne vorherige Bestellung eines Pflichtverteidigers möglich83. Deren Ergebnisse dürften verwertet werden. Der Beschuldigte sei auf sein Verteidigerkonsultationsrecht hinzuweisen, jedoch nicht auf ein Recht, die Bestellung eines Pflichtverteidigers verlangen zu können84. §§ 163 a IV 2, 136 I 2 geböten dies nicht85. Die Mittellosigkeit des Beschuldigten rechtfertige keine abweichende Schlußfolgerung.

§ 2 Zeitpunkt der Bestellung eines Verteidigers im Ermittlungsverfahren Im Folgenden wird der Zeitpunkt einer Verteidigerbestellung anhand der einschlägigen Normen herausgearbeitet. Das Hauptaugenmerk gilt § 141 III.

A. Grundnorm der Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren und spezielle Normen Die Anwendung der §§ 140, 141 kann sich vom Ermittlungsverfahren bis hin zur Neubestellung (in analoger Anwendung) im Strafvollzugsverfahren erstrekken86. In den Fällen der §§ 117 IV 1, 118 a II 3, 231 a IV, 350 III, 364 a, 364 b ergibt sich der Zeitpunkt der Bestellung aus dem Verfahrensstadium87. Die Vorschriften der §§ 117 IV und 118 a II i. V. m. 126 a II oder § 71 II 2 JGG, sowie § 138 c III 488 oder § 68 Nr. 4 JGG89 sind spezielle Regeln für eine Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren. Das gleiche gilt für § 34 III Nr. 1 EGGVG90.

82

Unter Hinweis auf BGHSt 47, 233 (236 f.). Das Zusammenfallen von dringendem Tatverdacht bezüglich eines Verbrechens (§ 30 I Nr. 4 BtMG fordert eine Freiheitsstrafe von nicht unter zwei Jahren) und einer (drohenden) Inhaftierung genügt damit nicht den Voraussetzungen einer Antrags- und Bestellungspflicht nach § 141 III. 84 NStZ 2004, 390. 85 Damit tritt der 5. Senat vorbeugend Erwägungen bezüglich einer Belehrungspflicht bei einer Mitwirkung des Beschuldigten im Rahmen von Ermittlungen (hier bei einer Vernehmung) – so wie sie der 1. Senat anstellt – entgegen. 86 Vgl. oben: Kap. 3, § 1 C. IV und D. 87 Wolf, S. 228. 88 Pfeiffer, § 141 Rn. 2; Vogelsang, S. 50, 192; wohl auch B. Schneider, S. 62; Stade, S. 346 in Bezug auf §§ 117 IV, 118 a II, 138 c III 4. 89 H. Schmidt, S. 134. 90 § 34 a I 1 EGGVG betrifft die Beiordnung eines Rechtsanwalts als Kontaktperson in diesem Verfahrensstadium. 83

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5. Kap.: Die Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren

Grundnorm für die Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren ist § 141 III 1 i. V. m. § 14091. Allgemein besteht Einigkeit dahingehend, den Verteidiger nach § 141 III möglichst früh für das Verfahren zu bestellen92. Eine ausdrückliche obligatorische Bestellung ist dem Gesetzestext jedoch unmittelbar nur in den Fällen des § 141 I, II zu entnehmen. Zeitlich beziehen sich diese Absätze auf eine Bestellung nach Anklageerhebung. Nach § 141 I wird dem Beschuldigten ein Verteidiger bestellt, sobald er gemäß § 201 I zur Erklärung über die Anklageschrift aufgefordert worden ist. Der anerkannte Zweck dieses Bestellungszeitpunktes besteht darin, daß dem Beschuldigten schon zur Vorbringung von Anträgen und Einwendungen gemäß § 201 ein Verteidiger zur Seite steht93. Wenn sich erst später (nach Ablauf der Erklärungsfrist nach § 201) ergibt, daß ein Verteidiger notwendig wird, so wird er sofort bestellt, § 141 II. Die Bestellung eines Pflichtverteidigers nach § 141 III 1 erfolgt in der Praxis eher ausnahmsweise94. Als Grund dafür kann neben der Frage einer Ermessensgewährung und der Abgrenzung eines Beurteilungsspielraums die nach h. M.95 gegebene Unanfechtbarkeit der unterlassenen Antragstellung nach § 141 III 2 angeführt werden96. Die restriktive Bestellungspraxis beruhe auch auf dem Vorgehen der Staatsanwaltschaft, u. U. spielten auch fiskalische Erwägungen eine Rolle97. Auch wird angenommen, die Vorschrift des § 141 III sei zu „weich“ gestaltet98.

91 § 408 b S. 2 verweist auf § 141 III. Dadurch soll auf die – wie in sonstigen Verfahren – bestehende Möglichkeit der Verteidigerbestellung im Vorverfahren hingewiesen werden, vgl. BT-Drucks 12/3832, S. 42. Zum Teil wird § 141 III 1 durch andere Vorschriften ausdrücklich ausgeschlossen, vgl.: §§ 40 III, 53 III, 61 I 3 IRG. Für eine Sperrung der Bestellung nach § 141 III 1 durch § 418 IV: Meyer-Goßner, § 418 Rn. 11; HK-Krehl, § 418 Rn. 6; KMR-Fezer, § 418 Rn. 13; dagegen: SK-Paeffgen, § 418 Rn. 19; ferner AK-Loos, § 418 Rn. 16; Loos/Radtke, NStZ 1996, 1 (10); dagegen wiederum: Tiemer, S. 110 mit Fn. 10. 92 Vgl. nur LR-Lüderssen, § 141 Rn. 24 a; Meyer-Goßner, § 141 Rn. 5; Neuhaus, ZAP F 22, 147 (154); Oellerich, StV 1981, 434 (441); Arbeitsgruppe V (Verteidigung im Vorverfahren – Waffengleichheit?) des siebten Strafverteidigertages vom 15. bis 17.04.1983 in Frankfurt a. M., StV 1983, 260 (263). 93 Schell, S. 65. 94 Oellerich StV 1981, 434; Weider StV 1987, 317 (319); Beckemper, JA 2002, 634 (636). 95 Vgl. unten: Kap. 6, § 3 B. 96 Vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Untersuchungshaft der Fraktion Die Grünen, BT-Drucks. 11/2181, S. 16: Es wird angenommen, daß „obwohl die Entscheidung der Staatsanwaltschaft nicht nach § 23 EGGVG anfechtbar ist“ die vorgeschlagene Änderung der StPO dazu beitragen „dürfte“ die Bestellung des Verteidigers zu beschleunigen. 97 Lantzke, NJW 1971, 737; Bringewat, ZRP 1979, 248 (251); vgl. ferner Hartmann-Hilter, S. 158 f.: Durch die Verpolizeilichung des Ermittlungsverfahrens kann die Staatsanwaltschaft die Voraussetzungen notwendiger Verteidigung nicht mehr sach-

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B. Auslegung von § 141 III § 141 III lautet: „Der Verteidiger kann auch schon während des Vorverfahrens bestellt werden. Die Staatsanwaltschaft beantragt dies, wenn nach ihrer Auffassung in dem gerichtlichen Verfahren die Mitwirkung eines Verteidigers nach § 140 Abs. 1 oder 2 notwendig sein wird. Nach dem Abschluß der Ermittlungen (§ 169 a) ist er auf Antrag der Staatsanwaltschaft zu bestellen“. Die Formulierungen in § 141 III werden als „teilweise missverständlich“99, „unklar“100, oder „unglücklich“101 eingestuft. Beulke spricht insofern von einer „Begriffsverwirrung“ über Ermessen und Beurteilungsspielraum102. „Irritierend“ sind sie nach der Auffassung von Viehmann/Walter103. Um die Vorschrift auslegen zu können, muß – wie Beulke verdeutlicht – zwischen der Notwendigkeit der Verteidigerbestellung nach § 140 und dem Zeitpunkt der Bestellung des Pflichtverteidigers nach § 141 III unterschieden werden104. Ein Ermessensspielraum ergibt sich für die Frage der Notwendigkeit der Verteidigung nach § 140 I oder II nicht. Es besteht lediglich ein Beurteilungsspielraum. Nach h. M. steht die Entscheidung des Vorsitzenden nach § 141 III 1 i. V. m. § 141 IV in seinem Ermessen105. Eine andere Auffassung lehnt ein solches Ermessen des Vorsitzenden nach § 141 III 1 ab. Er habe lediglich einen Beurteilungsspielraum für das Vorliegen der Voraussetzung notwendiger Verteidigung nach § 140 I und II im gerichtlichen Verfahren. Er müsse den Verteidiger bestellen, wenn er ihr Vorliegen im gerichtlichen Verfahren annehme106.

gerecht beurteilen. Der Vorsitzende dürfte selten einen Antrag der Staatsanwaltschaft ablehnen. 98 DVJJ Kommission/Unterkommission III, DVJJ-Journal 1992, S. 25. 99 Kölner Richtlinien, NJW 1989 1022 (1025) unter C I. 100 Katz, in: Walter (Hrsg.), S. 149 (154). 101 Hartmann-Hilter, S. 153. 102 BMJ-Vert, S. 170 (186). 103 BMJ-Vert, S. 198 (204). 104 Beulke, BMJ-Vert, S. 170 (186). 105 BGHSt 29, 1 (5); vgl. ferner die Entscheidungen: BGHSt 46, 93 ff., BGH NJW 2002, 975 ff. und BGH NJW 2002, 1279 f.; LR-Dünnebier (23. Auflage), § 141 Rn. 31; LR-Lüderssen, § 140 Rn. 6, § 141 Rn. 24 ff.; KMR-Müller, § 141 Rn. 1; Schroeder, S. 96; H. Schmidt, S. 134, 225; Hegmann, S. 251; Kohlmann, FS-Peters, S. 310 (320); Eisenberg, NJW 1991, 1257 (1262); Kalsbach, Pescara-Beiheft, S. 112 (126); Eb. Schmidt, JZ 1969, 316 (318). 106 Hartmann-Hilter, S. 153 f.; Weider, StV 1987, 317 (318); ferner: Roxin, JZ 2002, 898 (900); Viehmann/Walter, BMJ-Vert, S. 198 (206); Beulke spricht sich de lege ferenda für eine gesetzliche Klarstellung der Bestellungspflicht im Vorverfahren aus, vgl. Beulke, Der Verteidiger, S. 247; ders., BMJ-Vert, S. 170 (188); vgl. jedoch auch: Beulke, FS-Rieß, 3 (18 f.: Bestellungsermessen könne auf Null reduziert sein).

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5. Kap.: Die Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren

I. Grammatische Auslegung Die grammatische Auslegung orientiert sich am Wortsinn der Vorschrift107. Der besondere juristische und der allgemeine Sprachgebrauch sind entscheidend. Auch wenn „das sprachliche Argument“ nach Hartmann-Hilter gegenüber rechtsstaatlichen Erwägungen „sehr viel weniger gewichtig“108 sein könnte, so ist doch zunächst vom Wortlaut der Norm auszugehen. So hat auch das Bundesverfassungsgericht festgestellt, daß der Wortlaut Grundlage und Grenze der Auslegung zugleich ist109. Inwiefern ein mögliches Ermessen eingeschränkt werden kann, ist in einem weiteren Schritt zu untersuchen. Das Wort „schon“ ist zeitlich zu interpretieren und als solches nicht Ausdruck einer Ausnahme; es bezieht sich auf einen zeitlich früheren Verfahrensabschnitt als der in den vorstehenden Absätzen genannte (§ 141 I und II). So ist auch in § 364 b I 1 die Bestellung eines Verteidigers „schon für die Vorbereitung des Wiederaufnahmeverfahrens“ unter bestimmten Voraussetzungen zulässig. Das Wort „auch“ hat keine eigenständige Bedeutung. Auch die Formulierung „kann“ in § 141 III 1 streitet nicht von vornherein für die Annahme eines Ermessens110. Ob diese Formulierung jedoch lediglich impliziert, daß die Möglichkeit der Bestellung im Vorverfahren (im Gegensatz zum früheren geheimen Inquisitionsprozeß) besteht und der Vorsitzende von den Wertungen der Staatsanwaltschaft bezüglich der Rechtsvoraussetzungen des § 140 entbunden ist111, erscheint fraglich. Umgangssprachlich begründet der Ausdruck „kann“ nicht zweifelsfrei ein Ermessen112, sondern erlaubt den Schluß auf die bloße Möglichkeit des Eintretens 107

Larenz, Methodenlehre, S. 320 ff., 343 f.; Engisch, Einführung, S. 92 ff. Hartmann-Hilter, S. 154. 109 BVerfGE 71, 105 (115); 92, 1 (12); vgl. ferner: Sch/Sch/Eser, § 1 StGB Rn. 37; NK-Hassemer, § 1 StGB Rn. 111; Larenz, Methodenlehre, S. 320; Schünemann, FSKlug, S. 169 (179 ff.). 110 Beulke, BMJ-Vert, 170 (187); Walter, NStZ 1987, 483 (484); Kölner Richtlinien, NJW 1989, 1024 (1025). 111 Er könne die Bestellung ablehnen, wenn nach seiner Auffassung die Voraussetzungen einer notwendigen Verteidigung nicht im späteren gerichtlichen Verfahren vorliegen werden, vgl. Beulke, BMJ-Vert, S. 170 (187). 112 Zur Umstrukturierung der grammatischen Auslegung durch die Unterscheidung zwischen Bedeutungskern und -hof sowie dem „Rest der Welt“ für umgangssprachliche Begriffe: Schünemann, FS-Klug, S. 169 (177 ff. m. w. N.). Danach fallen in den Bedeutungskern eines umgangssprachlichen Ausdrucks die Objekte, die von der Sprachgemeinschaft fraglos und eindeutig mit diesem umgangssprachlichen Begriff belegt werden. Der Bedeutungshof beherbergt solche Objekte, die nicht von allen oder zumindest nicht ohne Zweifel mit einem solchen Begriff bezeichnet werden. Hat das zu subsumierende Objekt überhaupt keine Beziehung (mehr) zum umgangssprachlichen Begriff, so liegt es im „Rest der Welt“. Ein Ermessen ist nach umgangssprach108

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eines Ereignisses. Auch die Verwendung des Begriffes durch die Strafprozeßordnung113 impliziert nicht unbedingt eine Ermessensentscheidung114. An verschiedenen Stellen hebt die Strafprozeßordnung vielmehr ausdrücklich auf ein Ermessen ab115; auch werden beide Formulierungen miteinander verbunden116.

lichen Gesichtspunkten nicht evident dem Kernbereich einer „Kann“-Regelung zuzuordnen, sondern liegt in deren Bedeutungshof. 113 Vgl. u. a. folgende Vorschriften: § 2 II: „Aus Gründen der Zweckmäßigkeit kann durch Beschluß dieses Gerichts die Trennung der verbundenen Strafsachen angeordnet werden.“: vgl. ferner: § 4 I, 12 II, 13 III. § 29 II 1 1. HS: „Wird ein Richter während der Hauptverhandlung abgelehnt und würde die Entscheidung über die Ablehnung (§§ 26 a, 27) eine Unterbrechung der Hauptverhandlung erfordern, so kann diese so lange fortgesetzt werden, bis eine Entscheidung über die Ablehnung ohne Verzögerung der Hauptverhandlung möglich ist“. § 45 II 2: „Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Handlung nachzuholen. Ist dies geschehen, so kann Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden.“; vgl. ferner: § 47 II. § 58 a I: „Die Vernehmung eines Zeugen kann auf Bild-Ton-Träger aufgezeichnet werden.“ § 138 c III 1: „Das Gericht, bei dem das Verfahren anhängig ist, kann anordnen . . .“ § 145 I: „Wenn in einem Falle, in dem die Verteidigung notwendig ist, der Verteidiger in der Hauptverhandlung ausbleibt, sich unzeitig entfernt oder sich weigert, die Verteidigung zu führen, so hat der Vorsitzende dem Angeklagten sogleich einen anderen Verteidiger zu bestellen. Das Gericht kann jedoch auch eine Aussetzung der Verhandlung beschließen.“ § 145 II: „Wird der notwendige Verteidiger gemäß § 141 Abs. 2 erst im Laufe der Hauptverhandlung bestellt, so kann das Gericht eine Aussetzung der Verhandlung beschließen.“ § 168 c III 1: „Der Richter kann einen Beschuldigten von der Anwesenheit bei der Verhandlung ausschließen, wenn dessen Anwesenheit den Untersuchungszweck gefährden würde.“ Vgl. ferner die fakultative Beiordnung und Bestellung von Beiständen nach §§ 68 b S. 1, 434 II. 114 Vgl. Warda, S. 85 ff.; Kappe, GA 1960, 357 (366 ff.). § 165: „Bei Gefahr im Verzug kann der Richter die erforderlichen Untersuchungshandlungen auch ohne Antrag vornehmen, wenn ein Staatsanwalt nicht erreichbar ist.“ Die Vorschrift begründet eine Befugnis und Verpflichtung des Richters zugleich, vgl. KK-Wache, § 165 Rn. 1; Pfeiffer, § 165 Rn. 1. § 70 II: „Auch kann . . . Beugehaft angeordnet werden, . . .“; hier sind dem Vorgehen des Gerichts nach § 244 II Grenzen gesetzt, Meyer-Goßner, § 70 Rn. 13; vgl. ferner: §§ 81 I, 83 I. § 132 a I: „Sind dringende Gründe für die Annahme vorhanden, daß ein Berufsverbot angeordnet werden wird (§ 70 des Strafgesetzbuches), so kann der Richter dem Beschuldigten durch Beschluß die Ausübung des Berufs, Berufszweiges, Gewerbes oder Gewerbezweiges vorläufig verbieten.“ In der Regel wird das Gericht die Anordnung zu treffen haben, vgl. KK-Boujong, § 132 a Rn. 4; AK-Krause, § 132 a Rn. 4; HK-Lemke, § 132 a Rn. 3 f.; zur vorläufigen Anordnung von Maßregeln und dem diesbezüglich eingeschränkten Ermessen vgl.: Möller, S. 111 ff. zu § 111 a (vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis) und § 126 a (vorläufige Unterbringung). 115 § 116 a II: „Der Richter setzt Höhe und Art der Sicherheit nach freiem Ermessen fest.“, vgl. ferner: § 121 III 3.

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5. Kap.: Die Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren

§ 141 III 1 legt kein Handlungsprogramm fest, wonach unter bestimmten Voraussetzungen eine Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren erfolgen kann („kann . . ., wenn . . .“), was gegen ein Ermessen sprechen könnte117. Die grammatische Auslegung führt damit zu keinem eindeutigen Ergebnis. II. Systematische Auslegung Sie beleuchtet die Stellung des Begriffs im Normgefüge. Der systematische Zusammenhang zu anderen Aussagen innerhalb derselben Norm und ihre Stellung im Gesetzesganzen werden berücksichtigt118. 1. Keine abschließende Regelung für die Bestellung durch § 140 I und II Nach Kappe119 liegt bei der Verwendung des Wortes „kann“ regelmäßig ein Handlungsermessen vor. Dieses entfalle jedoch, wenn die Voraussetzungen für die Ausübung der Befugnisse an anderer Stelle erschöpfend geregelt seien. Hier könnten die Voraussetzungen notwendiger Verteidigung, so wie sie § 140 beschreibt, abschließend sein auch für eine Bestellung im Ermittlungsverfahren nach § 141 III 1 i. V. m. § 141 IV. Jedoch bestimmen die Vorschriften § 140 I und II lediglich die Notwendigkeit einer Verteidigung, die Voraussetzung einer gemäß § 141 IV zu tätigenden Bestellung ist. Eine zeitliche Bestimmung oder Eingrenzung für die Ausübung der Bestellungsbefugnis nach § 141 IV ist ihnen grundsätzlich nicht inhärent, vgl. § 141 I, II. Lediglich § 140 I Nr. 5 Nr. 6 und Nr. 8 enthalten Anhalts-

§ 118 I: „Bei der Haftprüfung wird auf Antrag des Beschuldigten oder nach dem Ermessen des Gerichts von Amts wegen nach mündlicher Verhandlung entschieden.“ § 138 d IV 2: „Den Umfang der Beweisaufnahme bestimmt das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen.“ § 149 III: „Im Vorverfahren unterliegt die Zulassung solcher Beistände dem richterlichen Ermessen.“ § 246 IV: „Über die Anträge entscheidet das Gericht nach freiem Ermessen.“ § 369 II: „Dem Ermessen des Gerichts bleibt es überlassen, ob die Zeugen und Sachverständigen eidlich vernommen werden sollen.“ 116 Vgl. § 241 a II 2: „Der Vorsitzende kann diesen Personen eine unmittelbare Befragung der Zeugen gestatten, wenn nach pflichtgemäßem Ermessen ein Nachteil für das Wohl der Zeugen nicht zu befürchten ist.“ § 244 V: „Ein Beweisantrag auf Einnahme eines Augenscheins kann abgelehnt werden, wenn der Augenschein nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist.“ 117 Vgl. zu diesen scheinbaren Ermessensvorschriften: Warda, S. 85 ff. 118 Engisch, Einführung, S. 94 f. 119 GA 1960, 357 (366, 369).

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punkte für eine Beeinträchtigung durch eine aktuelle Verfahrenslage, wie sie schon im Ermittlungsverfahren auftreten kann und deshalb nach § 141 III 1 zu würdigen ist. 2. § 141 III 2 Nach dieser Vorschrift „beantragt“ die Staatsanwaltschaft eine Pflichtverteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren, wenn die Voraussetzungen für eine notwendige Verteidigung im gerichtlichen Verfahren gegeben sind. Der insoweit eindeutige120 Wortlaut räumt ihr kein Ermessen ein121, sondert statuiert eine Antragsverpflichtung122. Auch schon nach der früheren Fassung des Gesetzes, wonach die Staatsanwaltschaft die Bestellung beantragen „soll“, wenn die Gewährung des Schlußgehörs in Betracht kam und nach ihrer Auffassung ein Fall notwendiger Verteidigung nach § 140 I im gerichtlichen Verfahren vorliegen würde, wurde eine „Pflicht“ der Staatsanwaltschaft zur Antragstellung begründet123. Auf ihre Antragsverpflichtung wird die Staatsanwaltschaft im Rahmen des Abschlusses der Ermittlungen durch Nr. 109 I RiStBV besonders hingewiesen. Müller124 nimmt an, daß die Staatsanwaltschaft den Antrag zu stellen hat, wenn nach ihrer Auffassung die Voraussetzungen notwendiger Verteidigung vorliegen werden und der Beschuldigte bereits der Mitwirkung des Verteidigers bedarf. Auch Meyer-Goßner125 vertritt, daß allein bei Absehen notwendiger Ver120

Beulke, BMJ-Vert, 170 (187). Vgl. auch BGHSt 46, 93 (98) unter Hinweis auf § 201 I und § 349 III: „in der traditionellen Gesetzessprache“ bedeute dies, daß sie den Antrag stellen müsse; Kölner Richtlinien, NJW 1989, 1024 (1025); Beulke, BMJ-Vert, S. 170 (187); Bringewat, ZRP 1979, 248 (251); diese Einschätzung wird durch die Entstehungsgeschichte bestätigt; siehe ferner die Interpretation der Entscheidungen des BGH in NJW 2002, 975 und NJW 2002, 1279 durch Wohlers, JR 2002, 293 (295). 122 Roxin, JZ 2002, 898 (899); Beckemper, JA 2002, 634 (636); Fezer, JZ 2001, 363 (364). In der früheren Fassung von § 141 III 2 sollte die Staatsanwaltschaft lediglich den Antrag stellen, wenn nach ihrer Auffassung im gerichtlichen Verfahren die Gewährung des Schlußgehörs in Betracht kam und nach § 140 I die Verteidigung notwendig war; es wurde angenommen, daß für die Antragstellung bezüglich einer notwendigen Verteidigung nach § 140 II die Staatsanwaltschaft ein Ermessen habe, ob sie den Antrag gemäß § 141 III 2 stelle, vgl. Schwarz/Kleinknecht (31. Auflage), § 141 Anm. 4; H. Schmidt, S. 136; Kleinknecht, JZ 1965, 153 (154); durch das StVRG 1974 wurde die Beziehung zum Schlußgehör gestrichen und § 140 II neben § 140 I in § 141 III 2 einbezogen. 123 Vgl. BT-Drucks. IV/178, S. 17; H. Schmidt, S. 135 f. (dort auch zur früheren Rechtslage hinsichtlich der Antragspflicht, die auf die Voraussetzungen von § 140 I beschränkt war). 124 KMR-Müller, § 141 Rn. 1. 125 § 141 Rn. 5. 121

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5. Kap.: Die Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren

teidigung eine Bestellung im Ermittlungsverfahren nicht erforderlich sei, die Staatsanwaltschaft jedoch dann „in der Regel“ den Antrag zu stellen habe. Damit wird wohl auf eine Ermessensentscheidung der Staatsanwaltschaft abgestellt126. Gegen eine solche spricht jedoch schon der Wortlaut. Die Entstehungsgeschichte der Vorschrift kann unterstützend herangezogen werden127. Es wird geltend gemacht, diese Antragspflicht verbiete eine Ermessensentscheidung des Vorsitzenden nach § 141 III 1. Ansonsten liege eine unsachgemäße Abstimmung zwischen den Vorschriften vor128. Es sei fraglich, inwiefern sich der Vorsitzende bei seiner dem Antrag der Staatsanwaltschaft folgenden Entscheidung nach § 141 III 1 der Einschätzung der Staatsanwaltschaft verschließen könne129. Es sei fraglich, wieso dem Richter im Gegensatz zur Staatsanwaltschaft, die die Sache und den Beschuldigten kenne130, ein Ermessen über die Bestellung im Ermittlungsverfahren zugestanden werden sollte, selbst wenn er die Voraussetzungen einer notwendigen Verteidigung im gerichtlichen Verfahren annähme. Die Eigenständigkeit behalte § 141 III 1 im Verhältnis zu § 141 III 2 aufgrund der Überlegung, daß „jedenfalls“ die Staatsanwaltschaft einen Antrag auf Verteidigerbestellung stellen muß, wenn nach ihrer Auffassung die Verteidigung im gerichtlichen Verfahren notwendig ist131. Allein, daß die Staatsanwaltschaft eine Antragspflicht unter bestimmten Umständen hat, muß sich nicht von vornherein zwingend auf die sich anschließende richterliche Entscheidung auswirken, sodaß dem Gericht kein Ermessen 126 So ausdrücklich bezeichnet von: Starke, S. 130 f.; Walischewski, S. 193 ff., 223; Jörke, S. 136; Staudinger, StV 2002, 327 (332); Eisenberg, NJW 1991, 1257 (1262); vgl. ferner die Begründung zum Diskussionsentwurf zur Reform des Ermittlungsverfahrens (Februar 2004), S. 29. 127 Vgl. ferner: Stade, S. 347 ff. 128 Vgl. Beulke BMJ-Vert, S. 170 (187); Walter, NStZ 1987, 481 (484). 129 Vgl. Beulke, BMJ-Vert, S. 170 (187); nach Walter (NStZ 1987, 481, 484 mit Fn. 25) kommt vor Abschluß der Ermittlungen lediglich eine rechtliche Überprüfung der staatsanwaltschaftlichen Überlegungen in Frage, wobei die Staatsanwaltschaft die Tatsachen bestimme. 130 Vgl. Ahrens, S. 15; Hartmann-Hilter nimmt schon Anstoß an der dem Vorsitzenden zustehenden Wertungsmöglichkeit bezüglich der Voraussetzungen notwendiger Verteidigung vor Abschluß der Ermittlungen. Hier sei die Staatsanwaltschaft das Organ, welches mit dem Verfahrensstadium am besten vertraut sei (Hartmann-Hilter, S. 153 ff.). Zwar sei eine Bindung an den Antrag nach Abschluß der Ermittlungen gerechtfertigt, weil die Staatsanwaltschaft das Verfahren erst nach Abschluß der Ermittlungen vollständig überschaue (vgl. LR-Dünnebier, 23. Auflage, § 141 Rn. 23), jedoch sei eine frühere Bindung ebenfalls sachgerecht – gerade im Hinblick auf mögliche Unsicherheiten, die zu beseitigen ein bestellter Verteidiger in der Lage wäre (S. 155 f.). Es sollte eine (wie in § 141 III 3) vorgesehene Bindung statuiert werden (S. 163). 131 Daraus kann gleichzeitig ein mögliches Antragsrecht des Beschuldigten gewonnen werden, vgl. Neuhaus in JuS 2002, 18 (20); vgl. jedoch früher Neuhaus, ZAP F 22, 147 (154): Nur nach Abschluß des Ermittlungsverfahrens sei die Bestellung gemäß § 141 III 3 obligatorisch.

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eingeräumt wäre. Es wurde eben keine Bestellungskompetenz der Staatsanwaltschaft, sondern eine solche des Vorsitzenden nach § 141 III 1 i. V. m. § 141 IV begründet132. Die Staatsanwaltschaft hat lediglich ein Antragsrecht, welches unter bestimmten Voraussetzungen zu einer Antragspflicht erstarkt. Allein eine Überlegung dergestalt, daß, wenn die Staatsanwaltschaft nun schon einmal einen Antrag auf Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren gestellt hat133, diesem auch unverzüglich stattzugeben ist, mag eine praxisnahe Erwägung sein. Das Gesetz setzt sie jedoch nicht um. 3. § 141 III 3 Der eindeutig eine Bestellungspflicht begründende § 141 III 3 enthält eine Einschränkung der Anordnungsbefugnis aus Satz 1, zum Vorteil des Beschuldigten134. Sind die Ermittlungen abgeschlossen (§ 169 a), so ist der Vorsitzende gemäß dieser Vorschrift nach h. M. nunmehr an die Wertung der Staatsanwaltschaft hinsichtlich der Voraussetzungen notwendiger Verteidigung nach § 140 I, II gebunden135, und zwar auch nach Erhebung der öffentlichen Klage136. Einen vor dem Zeitpunkt des § 169 a gestellten Antrag hat sie nötigenfalls zu wiederholen137. 132 So schreibt das Gesetz die Kompetenz für die Gewährung von Akteneinsicht im Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft ausdrücklich zu, siehe § 147 V 1 1. Alt. 133 Vgl. die Formulierung bei Schlothauer/Weider (Rn. 90) zur Rechtsschutzmöglichkeit gegen die unterlassene Bestellung eines Verteidigers nach einem Antrag der Staatsanwaltschaft: „Denn wenn der Beschuldigte schon nach Auffassung der Staatsanwaltschaft zur sachgerechten Verteidigung den Beistand eines Anwalts bedarf . . .“. 134 Köster, StV 1993, 512. 135 Vogelsang, S. 52; Kölner Richtlinien, NJW 1989, 1024 (1025); nach LR-Dünnebier (23. Auflage), § 141 Rn. 23 bestimmt der Vorsitzende lediglich die Beiordnungsgründe nach § 140 I und II; H. Schmidt, S. 114, 135; Ahrens, S. 15; a. A.: KMR-Müller, § 141 Rn. 1: lediglich wenn der Vorsitzende die Voraussetzungen bejahe, habe er den Pflichtverteidiger nach § 141 III 1 zu bestellen. Müller ist zuzugeben, daß der Vorsitzende ansonsten unsinnigen Anträgen im Ermittlungsverfahren folgen müßte. Auch ist fraglich, ob die richterliche Pflicht zur Bestellung nach § 141 III 3 weitergehen darf als die nach § 141 I und II: Dort kann der Vorsitzende die Voraussetzungen der notwendigen Verteidigung stets eigenständig überprüfen, unabhängig von einem Antrag der Staatsanwaltschaft. Wenn man von einem Ermessen des Vorsitzenden hinsichtlich einer Bestellung nach § 141 III 1 ausgeht, so liegt zusätzlich zur Bindung des Vorsitzenden an die Beurteilung der Voraussetzungen des § 140 auch eine Bindung bezüglich des Zeitpunkts der Bestellung vor, vgl. KMR-Müller, § 141 Rn. 1; H. Schmidt, S. 135; Kleinknecht, JZ 1965, 153 (154). Nach der anderen Auffassung ist eine solche zeitliche Bindung der Bindung an die staatsanwaltliche Beurteilung der Notwendigkeit der Verteidigung im gerichtlichen Verfahren inhärent. 136 LR-Dünnebier, § 141 Rn. 23; a. A. ist H. Schmidt (S. 114 mit Fn. 7). Er nimmt eine Bindung des Richters nur für das Ermittlungsverfahren an. Angesichts der oben angestellten Überlegungen erscheint eine solche Position ebenfalls vertretbar. 137 Vgl. Meyer-Goßner, § 141 Rn. 5.

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5. Kap.: Die Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren

Aus einem Umkehrschluß zu § 141 III 3 („ist“ im Gegensatz zu „kann“) könnte man die Einsicht gewinnen, daß den Richter vor dem Abschluß der Ermittlungen ein Antrag der Staatsanwaltschaft trotz eigener Bejahung der Voraussetzungen des § 140 nicht bindet. Auch wenn dieser Umkehrschluß „argwöhnisch“ betrachtet werden kann138 oder nur dergestalt zuzulassen wäre, daß § 141 III 3 lediglich einen von § 141 III 1 gewährten Beurteilungsspielraum einschränkt139, so ist festzustellen, daß § 141 III 3 für den Zeitpunkt vor Abschluß der Ermittlungen eine Ermessensentscheidung nach § 141 III 1 zumindest nicht ausschließt. So ist auch in anderen Vorschriften eine im Ermessen des Gerichts stehende Entscheidung durch einen entsprechenden Antrag der Staatsanwaltschaft eingeschränkt, vgl. § 154 a III 1 und S. 2140, § 68 b S. 1 und S. 2141, § 79 I 1 und S. 2 a. F.142. In § 141 III 3 würde diese Einschränkung eben für einen bestimmten Zeitpunkt erfolgen. 4. Bestellungspflicht eines Verteidigers nach § 141 I, II und nach den Sondernormen der Strafprozeßordnung für eine Verteidigerbestellung im Vorverfahren § 141 I und II statuieren ebenso wie § 141 III 3 im Gegensatz zu § 141 III 1 ihrem Wortlaut nach eindeutig („. . . wird . . . bestellt“) eine Bestellungspflicht des Vorsitzenden143. Auch hier wäre ein Umkehrschluß zu einer fakultativen Bestellung nach § 141 III 1 möglich. Eine solche Sichtweise nährten ebenfalls die Sondernormen der Strafprozeßordnung für eine Verteidigerbestellung im Vorverfahren, die ausdrücklich dem Wortlaut nach (vgl. § 117 IV 1: „. . . wird . . . bestellt“; § 118 a II 3: „. . . ist . . . zu bestellen“; § 138 c III 4: „. . . hat . . . zu bestellen“) eine zwingende Bestellung vorsehen. 5. Abstimmung zwischen der Bestellungspflicht nach § 141 III 3 und § 141 I Gegen ein Ermessen bezüglich des Zeitpunkts der Bestellung im Ermittlungsverfahren nach § 141 III 1 könnte eine daraus hervorgehende mögliche unsinnige Abstimmung zwischen § 141 III 3 und § 141 I sprechen. 138 139 140 141 142 143

Vgl. Hamm, FS-Lüderssen, S. 717 (723 f.). Walter, NJW 1989, 1022 (1025). Pfeiffer, § 154 a Rn. 7; AK-Schöch, § 154 a Rn. 21; siehe ferner: § 430 III. Meyer-Goßner, § 68 b Rn. 5 f.; Pfeiffer, § 68 b Rn. 2. Meyer-Goßner, § 79 Rn. 1 ff.; HK-Lemke/Kirchner, § 79 Rn. 1. Meyer-Goßner, § 141 Rn. 3 f.

§ 2 Zeitpunkt der Bestellung eines Verteidigers

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Es ist zuzugeben, daß es einer Einschränkung der zeitlich fakultativen Bestellung nach § 141 III 1 hin zu einer Bestellungspflicht im Ermittlungsverfahren nur in den Fällen nach § 141 III 3 angesichts der ohnehin zeitlich unmittelbar nachfolgenden Bestellungspflicht aus § 141 I eigentlich gar nicht bedurfte. Der Abschluß der Ermittlungen nach § 169 a und die Anklageerhebung nach § 170 I mit der sich anschließenden Aufforderung nach § 201 I folgen i. d. R. innerhalb weniger Tage, ohne daß innerhalb dieses Zeitraums bestimmte, das Hauptverfahren prägende Ermittlungshandlungen vorgenommen würden144. Dies könnte für eine Bindungswirkung des § 141 III 3 lediglich für die Voraussetzungen notwendiger Verteidigung nach § 140 I und II im gerichtlichen Verfahren und damit für eine Ablehnung des Ermessens hinsichtlich des Bestellungszeitpunktes nach § 141 III 1 sprechen. Dagegen lassen sich jedoch folgende Erwägungen anführen: Die Antragspflicht nach § 141 III 2 und die Bindung des Richters an den Antrag der Staatsanwaltschaft nach Abschluß der Ermittlungen gemäß § 141 III 3 resultierten aus der Überlegung des Gesetzgebers, daß der Verteidiger dem Beschuldigten bei der Frage des Antrags auf Gewährung des Schlußgehörs zur Seite stehen sollte145. Mit dem Wegfall des Schlußgehörs sollte jedoch keine Einschränkung einer Antragspflicht und der möglichen Verteidigerbestellungspflicht nach Abschluß der Ermittlungen einhergehen146. Letztlich ist § 141 III 3 damit ein „Überbleibsel“ der Rahmenbedingungen für die Gewährung eines Schlußgehörs, kann jedoch nicht gegen ein Ermessen nach § 141 III 1 angeführt werden. 6. Ergebnis zur systematischen Auslegung Die systematische Auslegung legt angesichts möglicher Umkehrschlüsse eher eine Ermessensentscheidung des Vorsitzenden nach § 141 III 1 nahe. Eindeutig ist sie insofern jedoch nicht. III. Subjektiv-historische Auslegung Die subjektiv-historische Auslegung orientiert sich an der Entstehungsgeschichte des Gesetzes und dem Willen des Gesetzgebers147. Die objektiv-teleologische Auslegung, welche auch das Bundesverfassungsgericht148 und der Bundesgerichtshof149 vertreten, stellt demgegenüber auf den 144

Vgl. Stade, S. 347. Vgl. BT-Drucks. III/2037, S. 29. 146 Vgl. BT-Drucks. VI/3478, S. 72. 147 Vgl. Savigny, 1. Band, 1840, §§ 32 ff.; Naucke, FS-Engisch, S. 274 ff.; ferner: KK-Rogall, § 3 OWiG Rn. 72 ff., 76 f., 79 f.; Röhl, S. 614. 148 BVerfGE 1, 299 (312); 11, 126 (129 f.). 145

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5. Kap.: Die Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren

„objektivierten Willen des Gesetzgebers“ ab. Nach ihr ist zu untersuchen, welchen Zweck die Norm angesichts gegenwärtiger Interessen und Fragen verfolgt150. Trotz seiner Position bedient sich das Bundesverfassungsgericht häufig der subjektiv-historischen Auslegung151. Mit Eser ist davon auszugehen, daß auch die objektiv-teleologische Auslegung die Vorstellungen des historischen Gesetzgebers einbeziehen muß152, um veränderte Rahmenbedingungen der Norm adäquat berücksichtigen zu können. Letztlich ist anzuerkennen, daß beide Formen für die Auslegung einer Norm heranzuziehen sind153. Die Frage nach einer stärkeren Gewichtung der objektivteleologischen154 oder subjektiv-historischen155 Auslegung stellt sich erst im Anschluß an letztere. Auch eine mögliche Rangfolge dergestalt, daß eine objektiv-teleologische Auslegung lediglich dann erforderlich ist, wenn nach der subjektiv-historischen Auslegung kein eindeutiges Ergebnis gefunden werden kann156, entscheidet sich erst nach einer Darstellung derselben. Somit sind zunächst die Entstehungsgeschichte der Vorschrift des § 141 III 1 und die Vorstellungen des Gesetzgebers zu untersuchen, bevor anhand objektivteleologischer Kriterien veränderten Bedingungen Rechnung zu tragen sein könnte. 1. Wahlverteidigung und notwendige Verteidigung157 im Vorverfahren vor dem Erlaß der Reichsstrafprozeßordnung Zur Verdeutlichung der Entwicklung der Vorschriften der RStPO sei auf die Wahl- und Pflichtverteidigung im Vorverfahren der Partikularstaaten hingewiesen. Verschiedene partikulare Strafprozeßordnungen haben die Wahlverteidigung im Vorverfahren in gewissem Umfang zugelassen158. Dazu zählten u. a. die Hes149

BGHSt 10, 157 (159). Jescheck/Weigend AT, S. 156 f.; Schmidhäuser AT, 5/32 f. 151 Vgl. Rüthers, Rn. 799 f.; Röhl, S. 612 f. 152 Sch/Sch/Eser, § 1 StGB Rn. 43 f. 153 Vgl. Larenz, Methodenlehre, S. 316 ff., 328; Roxin, AT I, 5/32; Rüthers, S. 455. 154 Jescheck/Weigend AT, S. 156 f.; Sch/Sch/Eser, § 1 StGB Rn. 44 m. w. N. 155 KK-Rogall, § 3 OWiG Rn. 72 ff., 79 ff.; vgl. ferner: Engisch, Einführung, S. 121 mit Fn. 47. 156 Vgl. Bydlinski, Methodenlehre, S. 453 f.; Larenz, Methodenlehre, S. 344; nach dem Begriffskernmodell (vgl. dazu Schünemann, FS-Klug, S. 169, 183 ff. m. w. N.) wäre dies der Fall, wenn das Objekt („Ermessen“) nach der vorangehenden subjektivhistorischen Auslegung sowie der szientistischen Normkonkretisierung immer noch im Bedeutungshof des Begriffes „kann“ liegt. 157 Zur Geschichte notwendiger Verteidigung vgl. Schmidt, S. 27 ff. (41 mit Fn. 16); Kreitmair, S. 12 ff.; Schell, S. 12 ff.; Unnerstall, S. 11 ff. 150

§ 2 Zeitpunkt der Bestellung eines Verteidigers

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sische StPO159, Preußische StPO160, Badische StPO161, Hamburgische StPO162, Oldenburgische StPO163 oder die Württembergische StPO164. Die Braunschweigische StPO165 gewährte die umfangreichste Möglichkeit, sich im Ermittlungsverfahren verteidigen zu lassen166, wohingegen das Königreich Bayern im Jahre 1870 die Verteidigung im Vorverfahren sogar als ein „fremdartiges“ Element einstufte167.

158 Vgl. zu folgendem Hahn I, S. 141 f. (amtliche Begründung); ferner: Armbrüster, S. 121 f. 159 Hessische StPO, Art. 200: „Die Zuziehung eines Vertheidigers findet während der Voruntersuchung nicht statt; jedoch kann der Beschuldigte Beschwerden durch einen Rechtsbeistand ausführen lassen. 160 Preußische StPO, § 208: „Zu der Einnahme des Augenscheins soll der Vertheidiger auf sein Verlangen schon in der Voruntersuchung zugezogen werden. Im Uebrigen findet zu Untersuchungshandlungen vor Eröffnung des Hauptverfahrens die Zulassung eines Vertheidigers nicht statt.“ 161 Badische StPO, § 197: „Zur Ausführung von Beschwerden oder Anträgen kann sich der Beschuldigte schon in der Voruntersuchung eines Rechtsbeistandes bedienen. Dem Rechtsbeistand ist die Einsicht der Akten oder einzelner Theile derselben zu gedachtem Zwecke zu gestatten, soweit dies nach richterlichem Ermessen ohne Nachtheil für die Untersuchung geschehen kann. Unter der gleichen Voraussetzung kann den Untersuchungshandlungen, welchen der Staatsanwalt beiwohnt, der Vertheidiger gleichfalls anwohnen. Von der Vornahme eines Augenscheins ist derselbe zu diesem Zwecke, wenn thunlich, rechtzeitig zu benachrichtigen.“ 162 Hamburgische StPO, § 132: „Zur Ausführung von Beschwerden oder Anträgen, sowie zu dem im § 83 gedachten Zwecke kann sich der als verdächtig Behandelte schon in der Voruntersuchung eines Rechtsbeistandes bedienen. Dem Vertheidiger ist die Einsicht der Akten oder einzelner Theile derselben zu gedachtem Zwecke zu gestatten, soweit dies nach richterlichem Ermessen ohne Nachtheil für die Untersuchung geschehen kann. Unter der gleichen Voraussetzung kann der Vertheidiger den Untersuchungshandlungen, welchen der Staatsanwalt beiwohnen kann, gleichfalls anwohnen. Von der Vornahme eines Augenscheins ist derselbe zu diesem Zweck, wenn thunlich, rechtzeitig zu benachrichtigen.“ 163 Oldenburgische StPO, Art. 4: „Der Beschuldigte kann schon während der Voruntersuchung sich eines Vertheidigers bedienen, um Anträge und Beschwerden zu erheben. Der Vertheidiger darf, wenn nicht besondere Gründe entgegenstehen, mit dem verhafteten Beschuldigten sich unterreden. Er ist berechtigt, allen Augenscheins-Einnahmen beizuwohnen und ist zu diesem Behufe von der Vornahme solcher Handlungen, soweit thunlich, rechtzeitig zu benachrichtigen. Auf Verlangen ist dem Vertheidiger von der Erhebung des Schlußantrages an die Einsicht der Akten zu gestatten . . .“ 164 Württembergische StPO, Art. 212: „Dem Beschuldigten ist schon während der Voruntersuchung die Zuziehung eines Vertheidigers gestattet.“ 165 Braunschweigische StPO, § 7 S. 1: „Der Angeklagte kann sich in allen Strafsachen des Beistandes eines Vertheidigers aus der Zahl der Advokaten auf seine Kosten bedienen, in jedem Verhör mit ihm erscheinen und sich in jeder Lage der Untersuchung mit ihm ohne Zeugen besprechen.“ 166 Vgl. Hahn I, S. 142 (amtliche Begründung); vgl. Zachariae II, S. 280 f. mit Fn. 14 und 15; Armbrüster, S. 121; Schünemann, ZStW 2001, 1 (49).

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5. Kap.: Die Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren

Die notwendige Verteidigung war in allen Partikularrechten anerkannt168, so u. a. in Württemberg169, Preußen170, Bayern171, Baden172, im Herzogtum Braunschweig173, Königreich Hannover174, im Herzogtum Oldenburg175. Dies bedeutete jedoch nicht unbedingt, daß schon im Vorverfahren bzw. in der Voruntersuchung ein Verteidiger zu bestellen war176. 167 Entwurf eines Strafprozeßgesetzbuchs für das Königreich Bayern, München 1870. Art. 262 mit Motiven, S. 66, 181, zitiert in der amtlichen Begründung zu §§ 142 bis 132, vgl. Hahn I, S. 142. 168 Vgl. hierzu: Vargha, S. 194 mit Fn. 5; Hahn, S. 59 f.; H. Schmidt, S. 41 mit Fn. 16; B. Schneider, S. 9 ff.; Armbrüster, S. 115 f.; Malsack, S. 160 ff. 169 Art. 48 Ziff. 1 Württembergisches Schwurgerichtsgesetz vom 14.08.1949 (Haeberlin, 606): Eine Beiordnung erfolgte, „wenn dem Angeklagten Zuchthausstrafe droht“. 170 Preußische Kriminalordnung von 1805 (vgl. dazu Unnerstall, S. 28 f.). § 16 i. V. m. § 60 PreußVO vom 03.01.1849 (Haeberlin, S. 194 ff., 199, 207). Die notwendige Mitwirkung eines Verteidigers erfaßt Straftaten, „welche in den Gesetzen mit einer härteren als dreijährigen Strafe bedroht sind.“ Ferner ist die Verteidigung notwendig bei „politischen“ und „Preß-Vergehen“; vgl. ferner Art. 21 des Gesetzes vom 03.05.1852, der die notwendige Verteidigung auf die Verhandlung vor dem Schwurgericht beschränkte, dazu Malsack, S. 160 mit Fn. 24. 171 Bayerisches Strafgesetzbuch 1813, 2. Teil, Art. 141 bis 149: Verteidigung im Schlußverfahren. Wenn Ketten- oder Todesstrafe drohte, war die Verteidigung notwendig (Art. 142). Art. 121 i. V.m Art. 220 Bayr. Schwurgerichtsgesetz vom 10.11.1848 (Haeberlin, 252, 265): „Bei mit Todes-, Ketten- oder Zuchthausstrafe bedrohten Verbrechen“ (vgl. Art. 116) war die Verteidigung eine notwendige. Nach Art. 119 war die Verteidigung eine notwendige, wenn der Präsident des Schwurgerichtshofs dies für zweckmäßig erachtete. 172 Nach § 251 Badische Obergerichtsordnung vom 04.06.1809 i. V. m. § 22 der Erläuterung des Strafedikts von 1812 war die Verteidigung bei Todesstrafe, lebenslänglichem Zuchthaus oder bei zu erwartender Dienstunwürdigkeit notwendig (vgl. Unnerstall, S. 29 f.). 173 § 7 S. 2 Braunschweigische StPO vom 22.08.1849 (bei Haeberlin, S. 726): Wenn der Beschuldigte „arm und die Kompetenz des Kriminalsenats durch die Schwere der Strafe begründet“ war, wurde ihm von Amts wegen ein Verteidiger bestellt. 174 § 73 Hannoversche StPO vom 08.11.1850 (Haeberlin, S. 299): „In allen schweren Fällen“ wurde dem Beschuldigten ein Verteidiger bestellt. „Jeder wegen eines leichten Straffalles vor die Strafkammer oder vor den Schwurgerichtshof geladene Beschuldigte“ konnte „bis zum Tage vor der Hauptverhandlung um Beiordnung eines Verteidigers nachsuchen“. Von der Bestellung waren nur die „Polizeiübertretungen“ ausgenommen, vgl. Hahn, S. 59. 175 Vgl. Art. 174 Oldenburgische StPO vom 02.11.1857 (Sundelin, S. 518; Malsack, S. 160): Auf Verlangen des Beschuldigten, wenn er nicht über genügend finanzielle Mittel verfügte oder eine Verteidigungsübernahme durch Anwälte oder Accessisten nicht erfolgte. Von Amts wegen wurde dem in Anklagestand befindlichen Beschuldigten ein Verteidiger bestellt, wenn er keinen Verteidiger gewählt hatte. Von dieser Regelung waren lediglich Übertretungen nicht erfaßt. 176 Vgl. Zachariae II, S. 280 f. mit Fn. 14 und 15; ferner: Armbrüster, S. 115; Malsack, S. 157 ff. mit Fn. 17 f., S. 160 ff.; siehe das Bayr. Schwurgerichtsgesetz, die PreußVO, die Braunschweigische StPO (vgl. dort Art. 101 III).

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2. Entwicklung der Vorschriften der Reichsstrafprozeßordnung über den Zeitpunkt der Bestellung eines Verteidigers (§§ 140, 141, 142 RStPO) a) Entwurf der Strafprozeßordnung durch den Bundesrat Im Entwurf der Strafprozeßordnung durch den Bundesrat vom 16.06.1874, setzte § 126 ERStPO fest: „In Sachen, welche zur Zuständigkeit des Reichsgerichts gehören, oder vor dem Schwurgerichte zu verhandeln sind, ist, sobald die Eröffnung des Hauptverfahrens beschlossen worden, dem Beschuldigten, welcher einen Vertheidiger noch nicht gewählt hat, ein solcher von Amts wegen zu bestellen. In anderen Strafsachen kann das Gericht und in dringenden Fällen der Vorsitzende desselben auf Antrag oder von Amts wegen einen Vertheidiger bestellen. Die Bestellung ist zurückzunehmen, wenn demnächst ein anderer Vertheidiger gewählt wird und dieser die Wahl annimmt.“ § 127 ERStPO bestimmte das Auswahlverfahren des zu bestellenden Verteidigers: „Die Auswahl des zu bestellenden Vertheidigers erfolgt durch den Vorsitzenden des Gerichts aus der Zahl der am Sitze dieses Gerichts wohnhaften Rechtsanwälte. Auch Justizbeamte, welche nicht als Richter angestellt sind, sowie solche Rechtskundige, welche die vorgeschriebene erste Prüfung für den Justizdienst bestanden haben, können als Vertheidiger bestellt werden.“ b) Kommission, erste Lesung Nach der ersten Lesung der Kommission wird § 71 b eingefügt177: „Zur Vorbereitung eines Gutachtens über den Geisteszustand des Beschuldigten kann das Gericht auf Antrag eines Sachverständigen oder von Amts wegen anordnen, daß der Beschuldigte in eine Irrenanstalt gebracht und dort beobachtet werde.“ § 126 wird wie folgt gefaßt: „Die Vertheidigung ist nothwendig in den Sachen, welche vor dem Reichsgericht oder vor dem Schwurgericht zu verhandeln sind. In Sachen, welche vor dem Landgericht zu verhandeln sind, ist die Vertheidigung nothwendig:

177 Die Statuierung einer notwendigen Verteidigung im Rahmen dieser Vorschrift sollte erst in der zweiten Lesung erfolgen.

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5. Kap.: Die Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren

1. wenn der Beschuldigte der Gerichtssprache nicht mächtig, taub oder stumm ist, oder das sechszehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hat, 2. wenn ein Verbrechen den Gegenstand der Untersuchung bildet und der Beschuldigte oder sein gesetzlicher Vertreter die Bestellung eines Vertheidigers beantragt. In dem unter Nr. 2 bezeichneten Falle ist der Antrag zulässig, sobald die in § 165 a vorgeschriebene Aufforderung stattgefunden hat, oder wenn eine solche Aufforderung nicht stattfindet, sobald die Eröffnung des Hauptverfahrens beschlossen ist. Mit demselben Zeitpunkte ist in den übrigen Fällen dem Beschuldigten, welcher einen Vertheidiger noch nicht gewählt hat, ein solcher von Amts wegen zu bestellen.“ Es werden die Vorschriften § 126 a und § 126 b eingefügt: § 126 a: „In anderen als den in § 126 bezeichneten Sachen kann das Gericht und in dringenden Fällen der Vorsitzende desselben auf Antrag oder von Amts wegen einen Vertheidiger bestellen. Die Bestellung kann schon während des Vorverfahrens erfolgen.“ § 126 b: „Die Bestellung ist zurückzunehmen, wenn demnächst ein anderer Vertheidiger gewählt wird und dieser die Wahl annimmt“. § 127 bleibt unverändert. c) Kommission, zweite Lesung § 71 b wird abgeändert: „Zur Vorbereitung eines Gutachtens über den Geisteszustand des Angeschuldigten kann das Gericht auf Antrag eines Sachverständigen nach Anhörung des Vertheidigers anordnen, daß der Angeschuldigte in eine öffentliche Irrenanstalt gebracht und dort beobachtet werde. Dem Angeschuldigten, welcher einen Verteidiger nicht hat, ist ein solcher zu bestellen. Gegen den Beschluß findet sofortige Beschwerde statt. Dieselbe hat aufschiebende Wirkung. Die Verwahrung in der Anstalt darf die Dauer von sechs Wochen nicht übersteigen.“178

178 § 71 b II statuiert einen weiteren Fall notwendiger Verteidigung, vgl. Alsberg, S. 16 f.; Kreitmair, S. 37. Nach dem Antrag Eysoldt/Herz/Klotz sind in § 126 I auch die Fälle des § 71 b aufzunehmen, vgl. Hahn II, Abg. Eysoldt/Herz/Klotz, S. 1269 f. (Kommission, zweite Lesung). Dieser sieht zwar in Absatz 2 schon die Bestellung vor. Jedoch sollte das Gesetz diese Notwendigkeit an geeigneter Stelle wiederholen. Der Antrag wird abgelehnt, vgl. Hahn II, S. 1273 (Kommission, zweite Lesung).

§ 2 Zeitpunkt der Bestellung eines Verteidigers

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§ 126 wird wie folgt abgeändert: „Die Vertheidigung ist nothwendig in den Sachen, welche vor dem Reichsgerichte in erster Instanz oder vor dem Schwurgerichte zu verhandeln sind. In Sachen, welche vor dem Landgerichte in erster Instanz zu verhandeln sind, ist die Vertheidigung nothwendig: 1. wenn der Angeschuldigte taub oder stumm ist, oder das sechszehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hat; 2. wenn ein Verbrechen den Gegenstand der Untersuchung bildet und der Beschuldigte oder sein gesetzlicher Vertreter die Bestellung eines Vertheidigers beantragt. Diese Bestimmung findet nicht Anwendung, wenn die strafbare Handlung nur deshalb als ein Verbrechen sich darstellt, weil sie im Rückfall begangen ist. In den Fällen des Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 ist dem Angeschuldigten, welcher einen Vertheidiger noch nicht gewählt hat, ein solcher von Amts wegen zu bestellen, sobald die im § 165 a vorgeschriebene Aufforderung stattgefunden hat, oder wenn eine solche nicht stattfindet, sobald die Eröffnung des Hauptverfahrens beschlossen ist. In dem Falle des Abs. 2 Nr. 2 ist der Antrag binnen einer Frist von drei Tagen nach der Aufforderung oder, wenn diese Aufforderung nicht stattfindet, nach der Zustellung des Eröffnungsbeschlusses zu stellen.“ Es werden die §§ 126 a bis c wie folgt gestaltet: § 126 a: „In anderen als den im § 126 bezeichneten Fällen kann das Gericht und bei vorhandener Dringlichkeit der Vorsitzende desselben auf Antrag oder von Amts wegen einen Vertheidiger bestellen.“ § 126 b: „Die Bestellung des Vertheidigers kann schon während des Vorverfahrens erfolgen.“ § 126 c: „Die Bestellung ist zurückzunehmen, wenn demnächst ein anderer Vertheidiger gewählt wird und dieser die Wahl annimmt.“ § 127 wird für wie folgt ausgestaltet: „Die Auswahl des zu bestellenden Vertheidigers erfolgt durch den Vorsitzenden des Gerichts, für das vorbereitende Verfahren durch den Amtsrichter aus der Zahl der am Sitze dieses Gerichts wohnhaften Rechtsanwälte. Auch Justizbeamte, welche nicht als Richter angestellt sind, sowie solche Rechtskundige, welche die vorgeschriebene erste Prüfung für den Justizdienst bestanden haben, können als Vertheidiger bestellt werden.“ Abänderung von § 127179 – Abs. 1 dahin zu fassen: „Die Auswahl des zu bestellenden Vertheidigers erfolgt durch den Vorsitzenden des Gerichts aus der

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Hahn II, redaktionelle Änderungen, Anlage D, S. 1497.

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5. Kap.: Die Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren

Zahl der am Sitze dieses Gerichts wohnhaften Rechtsanwälte. Für das vorbereitende Verfahren erfolgt die Bestellung durch den Amtsrichter.“ d) Die Vorschriften der Reichsstrafprozeßordnung Infolge verschiedener Einfügungen und neuerlicher Numerierungen ändern sich die Vorschriften wie folgt: § 71 b wird zu § 81 RStPO, § 126 zu § 140 RStPO, § 126 a zu § 141 RStPO, § 126 b zu § 142 RStPO, § 126 c zu § 143 RStPO, § 127 zu § 144 RStPO. Außer § 140 RStPO ändern sich die Inhalte der Vorschriften nicht. § 140 RStPO lautet: „Die Verteidigung ist nothwendig in den Sachen, welche vor dem Reichsgerichte in erster Instanz oder vor dem Schwurgerichte zu verhandeln sind. In Sachen, welche vor dem Landgerichte in erster Instanz zu verhandeln sind, ist die Vertheidigung nothwendig: 1. wenn der Angeschuldigte taub oder stumm ist, oder das sechszehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hat; 2. wenn ein Verbrechen den Gegenstand der Untersuchung bildet und der Beschuldigte oder sein gesetzlicher Vertreter die Bestellung eines Vertheidigers beantragt. Diese Bestimmung findet nicht Anwendung, wenn die strafbare Handlung nur deshalb als ein Verbrechen sich darstellt, weil sie im Rückfall begangen ist. In den Fällen des Abs. 1 und des Abs. 2 Nr. 1 ist dem Angeschuldigten, welcher einen Vertheidiger noch nicht gewählt hat, ein solcher von Amts wegen zu bestellen, sobald die im § 200 (199) vorgeschriebene Aufforderung stattgefunden hat. In dem Falle des Abs. 2 Nr. 2 ist der Antrag binnen einer Frist von drei Tagen nach der Aufforderung zu stellen.“ § 141 RStPO lautet: „In anderen als den im § 141 (140) bezeichneten Fällen kann das Gericht und bei vorhandener Dringlichkeit der Vorsitzende desselben auf Antrag oder von Amts wegen einen Vertheidiger bestellen.“ Der im Mittelpunkt stehende § 142 RStPO besagt endlich: „Die Bestellung des Verteidigers kann schon während des Vorverfahrens erfolgen.“ e) Beschreibung der Entwicklung des Zeitpunkts notwendiger Verteidigung im Vorverfahren nach der Reichsstrafprozeßordnung (§ 142 RStPO) Sie ist im Entwurf des Bundesrates nicht vorgesehen. Nach den Motiven sollte der Schwerpunkt des Verfahrens in der Hauptverhandlung liegen. Dies schließt eine möglicherweise auch „erwünschte“ notwendige Verteidigung in

§ 2 Zeitpunkt der Bestellung eines Verteidigers

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der Voruntersuchung oder im sonstigen Vorverfahren aus180. Auch enthielt der Entwurf keine fakultative Bestellungsmöglichkeit für dieses Verfahrensstadium, obwohl ihm eine solche, wie sich aus § 126 II ERStPO ergibt, durchaus bekannt war. Ein Verteidiger sollte nach dem zweiten Antrage Wolffson in der ersten Lesung der Kommission „schon während des Vorverfahrens“ bestellt werden können. Dies sei in § 126 II ERStPO einzufügen181. „Er wolle dem Gericht bez. dem Vorsitzenden die Befugnis geben, dem Angeklagten auch im Vorverfahren einen Verteidiger bestellen zu können“182. Zwar bezeichnet Wolffson die Möglichkeit einer Bestellung durch den Vorsitzenden als Befugnis, meint aber offenkundig ein Ermessen; „namentlich“ solle der Fall erfaßt werden, in welchem dem Beschuldigten ein Beschwerderecht zustehe183. Für diese Annahme spricht ferner, daß der Abg. Wolffson seinen Antrag als Ergänzung zu § 126 II ERStPO ansieht. Diese Vorschrift gewährte nach den Vorstellungen des Gesetzgebers dem Vorsitzenden ein Ermessen184. So erachteten die Motive eine geeignete Bearbeitung eines entsprechenden Antrags als ausreichend185. Erwartet wurde, daß „auch ohne eine dazu verpflichtende Norm einem etwaigen Antrage des Beschuldigten auf Zuordnung eines Vertheidigers überall da entsprochen werden wird“, wo sie die Persönlichkeit des Beschuldigten oder die Schwierigkeit der Sache als angemessene Reaktion gebietet186.

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Hahn I, S. 143 (amtliche Begründung). Hahn I, S. 958 (Kommission, erste Lesung). Dieser sollte dementsprechend lauten: In anderen Strafsachen und schon während des Vorverfahrens kann das Gericht und in dringenden Fällen der Vorsitzende desselben auf Antrag oder von Amts wegen einen Vertheidiger bestellen. 182 Hahn I, S. 960 (Kommission, erste Lesung). 183 Hahn I, S. 961 (Kommission, erste Lesung). 184 Vgl. auch zu § 141 RStPO welcher § 126 II ERStPO ähnelte: Löwe (3. Auflage), § 141 Anm. 3; Gündel-Hartung (LR, 19. Auflage), § 141 RStPO Anm. 3; Stenglein, § 141 RStPO Anm. 1; Bennecke/Beling, S. 140; Birkmeyer, S. 366; Schultetus, S. 6; Unnerstall, S. 4 mit Fn. 7; Greffin, S. 9, 26; dazu auch: Kappe, GA 1960, 357 (369). Vgl. ferner den früheren § 29 II JGG (Jugendgerichtsgesetz vom 16.02.1923 – RGBl. 1923 I, S. 135), der § 141 RStPO erweiterte (Alsberg, S. 8 f., 19): „Auch in anderen Fällen soll dem Beschuldigten, der keinen Verteidiger hat, ein Verteidiger bestellt werden, wenn dies aus besonderen Gründen, namentlich bei verwickelter Sachoder Rechtslage, angemessen erscheint.“ 185 Eine fakultative Bestellungsmöglichkeit nach § 126 II ERStPO (§ 141 RStPO) wurde als Ausgleich angesehen, der sich in der Praxis jedoch nicht bewährte, vgl. Rosenfeld, S. 39, 124; Bayer, S. 5. 186 Hahn I, S. 144 (amtliche Begründung); vgl. ferner: Oberregierungsrath Hanauer, Hahn I, S. 960 (Kommission, erste Lesung): „bei der großen Mannigfaltigkeit der Fälle müsse es genügen, wenn man im übrigen die Entscheidung in das Ermessen des Gerichts stelle“; Direktor von Amsberg, Hahn I, S. 962 (Kommission, erste Lesung): „. . . dem Gericht gewisse Schranken setzen, während der Entwurf einen möglichst 181

242

5. Kap.: Die Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren

Dem Gedanken, welcher dem Antrag Wolffson zugrunde liegt, schließt sich auch der Abgeordnete Struckmann an. Er betont das Ermessen des Gerichts hinsichtlich der Verteidigerbestellung zu diesem Zeitpunkt187. Der Antrag Wolffson wird angenommen188. Nach der ersten Lesung der Kommission wird der Antrag zusammen mit § 126 II ERStPO in der neuen Vorschrift des § 126 a (als deren Satz 2) verankert. Dieser Satz („Die Bestellung kann schon während des Vorverfahrens erfolgen.“) wird nach redaktionellen Anträgen189 in der zweiten Lesung der Kommission gestrichen und als selbständiger § 126 b („Die Bestellung des Vertheidigers kann schon während des Vorverfahrens erfolgen“) aufgenommen. Eine Debatte findet nicht statt. Er wird als § 142 RStPO verabschiedet und gewährt nach Ansicht der Literatur dem Vorsitzenden ein Ermessen190. Diese Vorschrift bezieht sich auf eine nach § 140 RStPO notwendige Verteidigung im gerichtlichen Verfahren und auf eine fakultative Bestellungsmöglichkeit nach § 141 RStPO191. 3. Weitere Gesetzgebungsgeschichte von § 142 RStPO 192 Durch die Verordnung193 zur Durchführung der Verordnung über die Zuständigkeit der Strafgerichte, die Sondergerichte und sonstige strafverfahrensrechtliche Vorschriften194 tritt § 142 RStPO außer Kraft, ebenso wie die §§ 140, 141, 144 I RStPO, vgl. § 21 II Nr. 1 DurchVO195. Die für den Zeitpunkt der weiten Spielraum gewähre“. Er fügt den fraglich anmutenden Satz an: „Die Gerichte pflegten stets sehr gern einen Verteidiger zu bestellen“. 187 Hahn I, Abg. Struckmann, S. 960: „. . ., da Alles dem Ermessen des Vorsitzenden anheimgestellt würde“ (Kommission, erste Lesung). Dabei entzieht er sich einer genauen Bestimmung der „Fälle“, in denen es „wünschenswerth sei, daß bereits im Vorverfahren ein Verteidiger bestellt werde“. 188 Hahn I, S. 962 (Kommission, erste Lesung). 189 Vgl. Abg. Becker, Struckmann, von Schwarze Hahn II, S. 1206 (Kommission, zweite Lesung); Antrag des Abgeordneten Struckmann, Hahn II S. 1274 (Kommission, zweite Lesung). 190 Vgl. Löwe (3. Auflage), § 142 RStPO Anm. 1; Gündel-Hartung (LR, 19. Auflage), § 142 RStPO Anm. 1; Vargha, S. 321; Ludwig, S. 27. 191 Vgl. Stenglein, § 142 RStPO (S. 288); Dohna, S. 66; Bennecke/Beling, S. 145; Kreitmair, S. 41 f.; Bayer, S. 23 f.; Schultetus, S. 9; Ludwig, S. 27 f.; Strauß, GerS 108 (1936), 247 (258); a. A. wohl Greffin, S. 29: Eine Bestellung im Vorverfahren könne lediglich nach § 141 i. V. m. 142 RStPO erfolgen. 192 Vgl. auch LR-Lüderssen, § 141 Entstehungsgeschichte. 193 Vom 13.03.1940 (RGBl. I, S. 489). 194 Vom 21.02.1940 (RGBl. I, S. 405). 195 Gleiches gilt für § 29 I, II, III 1 2. HS JGG, vgl. § 21 II Nr. 2 DurchVO. Die Vorschriften über die notwendige Verteidigung wurden durch § 32 VO (vgl. dazu die Kommentierung in LR-Niethammer (19. Auflage, 2. Nachtragsband), S. 318 ff.; ferner: Grau, Deutsche Justiz 1940, 309, 315 f.) und § 18 DurchVO bestimmt, siehe Ahrens, S. 67.

§ 2 Zeitpunkt der Bestellung eines Verteidigers

243

notwendigen Verteidigung interessierenden Vorschriften der § 7 I, II und III DurchVO lauten196: „Im Fall der notwendigen Verteidigung wird dem Angeschuldigten, der noch keinen Verteidiger gewählt hat, ein Verteidiger bestellt, sobald er gemäß § 201 der Reichsstrafprozeßordnung zur Erklärung über die Anklageschrift aufgefordert worden ist, oder, wenn eine solche Aufforderung nicht vorgeschrieben ist, bei der Eröffnung des Hauptverfahrens. Die Bestellung kann auch schon während des Vorverfahrens erfolgen. Ergibt sich erst später, daß ein Verteidiger notwendig ist, so wird er sofort bestellt. Zur Bestellung ist der Vorsitzer des Gerichts zuständig, bei dem das Verfahren anhängig ist. Im Vorverfahren entscheidet der Vorsitzer des Gerichts, das für die Eröffnung des Hauptverfahrens zuständig wäre.“ Allein die Abschaffung197 des § 141 RStPO als Bestellungsmöglichkeit, die im Ermessen des Gerichts lag, führt nicht zu einer Ablehnung eines Ermessens bezüglich des Zeitpunkts der Bestellung im Ermittlungsverfahren, bezog sich § 142 RStPO doch auf die fakultative Bestellungsmöglichkeit nach § 141 RStPO und die notwendige Verteidigung, war also nicht an jene gebunden. Nach § 12 II 1 der Verordnung zur weiteren Anpassung der Strafrechtspflege an die Erfordernisse des totalen Krieges198 finden die Vorschriften über die notwendige Verteidigung keine Anwendung. Nach § 12 II 2 VO bestellt der Vorsitzer einen Verteidiger für das ganze Verfahren oder einen Teil des Verfahrens, wenn wegen der schwierigen Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten ist oder wenn sich der Beschuldigte seiner Persönlichkeit nach nicht selbst verteidigen kann. Fraglich ist, ob § 7 I 2 DurchVO von 1940 dadurch gegenstandlos wird. Nach Ahrens199 betrifft diese Verordnung den Zeitpunkt der Bestellung nicht, sodaß wohl auf die Struktur des § 7 DurchVO noch zurückgegriffen werden konnte. In der Besatzungszeit galt in der Französischen Zone § 142 FZ, wonach – wie nach der früheren Fassung des § 142 RStPO – ein Verteidiger schon wäh-

196 § 42 RJGG der Verordnung über die Vereinfachung und Vereinheitlichung des Jugendstrafrechts vom 06.11.1943 (RGBl. I, S. 635) geht § 7 DurchVO vor. Die Wendung in § 42 I RJGG („Der Vorsitzer bestellt dem Beschuldigten für das ganze Verfahren oder für einen Teil einen Verteidiger, . . .“) wird dahin verstanden, daß hierdurch auch eine Notwendigkeit der Verteidigung im Vorverfahren und eine daraus resultierende Bestellung im Vorverfahren erfaßt ist, vgl. zum Ganzen: Unnerstall, S. 133 f. 197 Vgl. dazu Kappe, GA 1960, 357 (368 ff.). 198 Vom 13.12.1944 (RGBl. I, S. 339). 199 Ahrens, S. 68.

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5. Kap.: Die Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren

rend des Vorverfahrens bestellt werden konnte200. In der Amerikanischen und Britischen Besatzungszone galt der inhaltlich gleiche § 141 I 3 (AZ/BZ)201. Nach dem Gesetz zur Wiederherstellung der Rechtseinheit auf dem Gebiete der Gerichtsverfassung, der bürgerlichen Rechtspflege, des Strafverfahrensrechts und des Kostenrechts vom 12.09.1950202 wurde der Zeitpunkt der Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren vergleichbar der Vorschrift des § 7 DurchVO geregelt. § 141 StPO lautete: „In den Fällen des § 140 Abs. 1 und 2 wird dem Angeschuldigten, der noch keinen Verteidiger gewählt hat, ein Verteidiger bestellt, sobald er gemäß § 201 zur Erklärung über die Anklageschrift aufgefordert worden ist, oder wenn eine solche Aufforderung nicht vorgeschrieben ist, sobald dem Angeschuldigten der Eröffnungsbeschluß zugestellt worden ist. Der Verteidiger kann auch schon während des Vorverfahrens bestellt werden. Ergibt sich erst später, daß ein Verteidiger notwendig ist, so wird er sofort bestellt. Zur Bestellung ist der Vorsitzende des Gerichts zuständig, bei dem das Verfahren anhängig ist. Im Vorverfahren entscheidet der Vorsitzende des Gerichts, das für das Hauptverfahren zuständig ist.“ § 141 I 2 entspricht inhaltlich der alten Fassung von § 142 RStPO. In der Begründung des Regierungsentwurfs203 wird auf die Gestaltung der Fälle notwendiger Verteidigung eingegangen. Ausdrückliche Hinweise zur Bestellung im Vorverfahren enthält sie nicht. § 141 wurde durch das Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes (StPÄG) vom 19.12.1964204 erneut verändert und erhielt die Grundstruktur, so wie sie sich in der heutigen Fassung des § 141 darstellt. 200 In der Französischen Zone galt nach der Rechtsanordnung vom 13.08.1946 grds. der Rechtszustand vom 30.01.1933, vgl. Schell, S. 57 ff.; SJZ 1946, 48 f.; Württemberg-Hohenzollern Amtsblatt, 1946, 230 ff. 201 Schell, S. 68; am 01.04.1946 trat die Strafrechtspflegeverordnung in der Amerikanischen Zone in Kraft, welche sich grds. an die am 30.01.1933 geltende RStPO hielt, vgl. Schell, S. 36. In Bayern wurde die Strafprozeßordnung in GVBl. 1946, S. 104 ff. bekannt gemacht. In der Britischen Zone bestimmte die am 01.10.1945 in Kraft getretene MRVO Nr. 15, daß die StPO in der Fassung der allgemeinen Anweisung an Richter Nr. 2 anzuwenden ist. Grds. war der Rechtszustand am 08.05.1945 entscheidend (vgl. Schell, S. 52 ff.; SJZ 1946, 77). Diese Anordnung wurde nicht abgedruckt, sondern den Justizbehörden zugeleitet, vgl. Eilts, S. 50 (Stichwort: „Strafverfahren“). § 42 RJGG galt in allen drei Zonen, vgl. Schell, S. 63. 202 BGBl. I, S. 455. 203 BT-Drucks. I/530, Begründung, S. 39 f. 204 BGBl. I, S. 1067.

§ 2 Zeitpunkt der Bestellung eines Verteidigers

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„In den Fällen des § 140 Abs. 1 und 2 wird dem Angeschuldigten, der noch keinen Verteidiger hat, ein Verteidiger bestellt, sobald er gemäß § 201 zur Erklärung über die Anklageschrift aufgefordert worden ist. Ergibt sich erst später, daß ein Verteidiger notwendig ist, so wird er sofort bestellt. Der Verteidiger kann auch schon während des Vorverfahrens bestellt werden. Nach dem Abschluß der Ermittlungen (§ 169 a Abs. 1) ist er auf Antrag der Staatsanwaltschaft zu bestellen. Die Staatsanwaltschaft soll diesen Antrag stellen, falls die Gewährung des Schlußgehörs in Betracht kommt und nach ihrer Auffassung in dem gerichtlichen Verfahren die Verteidigung nach § 140 I notwendig sein wird. Der Abschluß der Ermittlungen soll in diesem Falle auch dem Beschuldigten erst nach der Bestellung des Verteidigers mitgeteilt werden (§ 169 a Abs. 2). Über die Bestellung entscheidet der Vorsitzende des Gerichts, das für das Hauptverfahren zuständig oder bei dem das Verfahren anhängig ist.“ In der Begründung zum ersten Entwurf vom 17. August 1960 (und zum zweiten Entwurf vom 7. Februar 1962) hebt die Bundesregierung darauf ab, daß der Verteidiger seine Aufgaben frühzeitig wahrnehmen können muß; die Staatsanwaltschaft habe deshalb „sogar“ die Pflicht205, dem Beschuldigten einen Verteidiger „bestellen zu lassen“, wenn nach ihrer Auffassung im zu erwartenden gerichtlichen Verfahren die Verteidigung eine notwendige nach § 140 I sein wird206. Diese Äußerung könnte darauf hindeuten, daß die Entscheidung des Richters nach § 141 III 1 generell (unabhängig vom Ermittlungsstadium) durch den Antrag der Staatsanwaltschaft bestimmt wird. Jedoch wird maßgeblich auf die Pflicht der Staatsanwaltschaft zur Antragstellung spätestens nach Abschluß der Ermittlungen207 abgestellt und nicht auf die Bestellungspflicht des entscheidenden Richters nach entsprechendem Antrag vor dem Abschluß der Ermittlungen208. Der Bestellungszeitpunkt nach § 141 III soll vorverlegt werden, damit der Verteidiger den Beschuldigten schon bei dem möglichen An-

205 Reißfelder, in: Eb. Kaiser (Hrsg.), Leitfaden S. 34; H. Schmidt, S. 135 f.; Schmidt-Leichner, NJW 1965, 1309 (1310); kritisch: Eb. Schmidt Nachtrag I, § 141 Rn. 5: Der Gesetzgeber hätte dies durch ein „hat“ ausdrücken können. 206 BT-Drucks. III/2037, S. 16; BT-Drucks. IV/178, S. 17. Für eine Antragspflicht muß zusätzlich noch die Gewährung des Schlußgehörs in Betracht kommen, vgl. die weiteren Ausführungen in BT-Drucks. III/2037, S. 27, 29; BT-Drucks. IV/178, S. 30 f.; ferner: Kleinknecht, JZ 1965, 153 (154); Rieß, NJW 1975, 81 (85). 207 Vgl. BT-Drucks. IV/178, S. 17, 31; zu diesem Zeitpunkt ist dann anerkanntermaßen ein Verteidiger auf entsprechenden Antrag der Staatsanwaltschaft zu bestellen, vgl. Ahrens, S. 68, H. Schmidt, S. 134 f. 208 Vgl. Reißfelder, in: Eb. Kaiser (Hrsg.), Leitfaden, S. 34; Kleinknecht, JZ 1965, 153 (154).

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5. Kap.: Die Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren

trag auf Gewährung des Schlußgehörs beraten kann209. Deshalb wird die Antragsverpflichtung nach § 141 III 3 statuiert. Im Anschluß an die Darlegung einer Antragsverpflichtung der Staatsanwaltschaft nach § 141 III 2 fährt die Begründung wie folgt fort210: „Wenn sonst die Frage entsteht, ob dem Beschuldigten schon im vorbereitenden Verfahren ein Verteidiger bestellt werden soll (Absatz 3 Satz 1), entscheidet der Richter nach Prüfung der Akten ohne Bindung an die Auffassung der Staatsanwaltschaft darüber, ob in dem zu erwartenden gerichtlichen Verfahren die Verteidigung voraussichtlich nach § 140 Abs. 1 oder 2 notwendig sein wird.“ Dies könnte dafür sprechen, daß § 141 III 3 die Vorschrift des § 141 III 1 lediglich im Hinblick auf den Beurteilungsspielraum für das Absehen notwendiger Verteidigung im gerichtlichen Verfahren einengt und damit ein Ermessen nach § 141 III 1 zu verneinen wäre211. Jedoch ist der aus der Begründung hervorgehende Zusammenhang mit der Bestellungspflicht auf Antrag der Staatsanwaltschaft nach Abschluß der Ermittlungen zu würdigen. Die Begründung stellt mit diesen Erwägungen klar, daß vor dem Abschluß keine Bindung an die Auffassung der Staatsanwaltschaft bezüglich der Voraussetzungen von § 140 I und § 140 II im gerichtlichen Verfahren besteht; sie äußert sich jedoch nicht zu einer Bestellungspflicht des Vorsitzenden nach § 141 III 1 bei Absehbarkeit notwendiger Verteidigung im gerichtlichen Verfahren. Die Formulierung „Wenn sonst die Frage entsteht, ob dem Beschuldigten schon im vorbereitenden Verfahren ein Verteidiger bestellt werden soll (Absatz 3 Satz 1) . . .“ spricht eher dafür, dem Vorsitzenden bezüglich einer Bestellung nach § 141 III 1 kein Ermessen abzusprechen. Ferner stellt die Begründung fest, daß § 141 III 1 mit § 141 I 2 a. F. übereinstimmt; eine Bezugnahme auf ein Ermessen liegt in diesem Zusammenhang jedoch nicht vor. Insofern sollte wohl ein Ermessen im Rahmen einer Verteidigerbestellung im Vorverfahren nicht ausgeschlossen werden. Das Erste Gesetz zur Reform des Strafverfahrensrechts (1. StVRG) vom 09.12.1974212 gestaltet § 141 III in seiner auch heute gültigen Fassung: „Der Verteidiger kann auch schon während des Vorverfahrens bestellt werden. Die Staatsanwaltschaft beantragt dies, wenn nach ihrer Auffassung in dem gerichtlichen Verfahren die Mitwirkung eines Verteidigers nach § 140 Abs. 1 oder 2 notwendig sein wird. Nach dem Abschluß der Ermittlungen (§ 169 a) ist er auf Antrag der Staatsanwaltschaft zu bestellen.“ Die Antragsverpflichtung der Staatsanwaltschaft wird hier ohne Bezugnahme auf eine Gewährung des Schlußgehörs statuiert213. Die Verpflichtung sollte wei209

BT-Drucks. III/2037, S. 27, 29. Vgl. BT-Drucks. III/2037, S. 29. 211 Vgl. ferner schon die eigenen Erwägungen zur systematischen Auslegung, oben: Kap. 5, § 2 B. II. 3. 212 BGBl. I, S. 3393. 210

§ 2 Zeitpunkt der Bestellung eines Verteidigers

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ter vorverlegt werden, sämtliche Fälle notwendiger Verteidigung nach § 140 I und II sollten von ihr erfaßt sein. Eine Beurteilung der Notwendigkeit der Verteidigung nach § 140 II hatte § 141 III 3 a. F. (StPÄG 1964) noch nicht „verlangt“214. Die Begründung des Regierungsentwurfs schließt mit der Überzeugung: „Dies wird zu einer früheren Mitwirkung des Verteidigers führen und die Rechtsstellung des Beschuldigten während des Ermittlungsverfahrens verbessern215. Die Bestellungspflicht auf Antrag erst nach Abschluß der Ermittlungen wird beibehalten216. 4. Ergebnis zur Auslegung nach subjektiv-historischen Kriterien Die Verteidigerbestellung nach § 141 III 1 sollte insbesondere durch die Änderungen des StPÄG 1964 und des 1. StVRG von 1974 verstärkt werden217. Zwar verwies der Gesetzgeber auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft und auf eine Bestellungspflicht des Vorsitzenden nach Abschluß der Ermittlungen, nicht jedoch auf einen zeitlich früheren Zeitpunkt. Allein die Erwartungshaltung des Gesetzgebers im Jahr 1974, eine erweiterte Antragsverpflichtung der Staatsanwaltschaft werde zu einer früheren Mitwirkung des Verteidigers führen218, bedeutet nicht zwingend eine Einengung der Entscheidung des Richters für eine Bestellung vor Abschluß der Ermittlungen. Die aus der Beratung zur Reichsstrafprozeßordnung abgeleiteten Überlegungen haben damit immer noch Bestand, die subjektiv-historische Auslegung spricht eher für ein Ermessen des Vorsitzenden bezüglich des Zeitpunkts der Bestellung nach § 141 III 1. Zuzugestehen ist, daß die Heranziehung der Sitzungsberichte der Kommission, auf welchen die hier nachgezeichnete Auslegung maßgeblich beruht, nur vorsichtig erfolgen kann, eine eindeutige Feststellung des gesetzgeberischen Willens angesichts der Äußerungen verschiedener Kommissionsmitglieder gewissen Schranken unterliegt. Jedoch ist zu beachten, daß den im Rahmen der Einfügung der Bestellungsmöglichkeit im Ermittlungsverfahren in § 126 II 213 Vgl. BT-Drucks. VI/3478, S. 47, 72; BT-Drucks. 7/551, S. 69 (auch sollte durch die Einschränkung des Schlußgehörs – vgl. § 169 a II EStPO – nicht gleichzeitig die Antragspflicht der Staatsanwaltschaft eingeschränkt werden; ferner: Ahrens, S. 68; vgl. H. Schmidt (S. 136 unter Hinweis auf BT-Drucks. IV/178, S. 17) der eine Antragsverpflichtung der Staatsanwaltschaft bei Absehen der Voraussetzungen nach § 140 I schon nach geltendem Recht annahm, unabhängig von der Gewährung des Schlußgehörs; dies ist abzulehnen, vgl. BT-Drucks. VI/3478, S. 72; Eb. Kaiser, in: Ders. (Hrsg.), Leitfaden, S. 19; Reißfelder, in: Eb. Kaiser (Hrsg.), Leitfaden, S. 34. 214 Vgl. BT-Drucks. III/2037, S. 29. 215 BT-Drucks. VI/3478, S. 72 f. 216 Vgl. Ahrens, S. 14, 68. 217 Vgl. auch Viehmann, BMJ-Vert, S. 101. 218 BT-Drucks. VI/3478, S. 72 f.; BT-Drucks 7/551, S. 69.

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5. Kap.: Die Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren

ERStPO geäußerten Vorstellungen nicht widersprochen wurde. Damit kommt ihnen eine gewisse Richtschnur für die Auslegung von § 142 RStPO (§ 141 III 1) zu. Verbindlich im Sinne einer erklärten Absicht des Gesetzgebers sind sie nicht219. Indem der Abgeordnete Wolffson keine genauen Kriterien hinsichtlich der möglichen Fallgruppen einer Verteidigerbestellung im Vorverfahren äußerte, sondern lediglich anführte, daß eine Verteidigerbestellung „namentlich“ erfolgen sollte, wenn dem Beschuldigten ein „Beschwerderecht“ zustünde, stellte er auf eine Konkretisierung des Ermessens für bestimmte Fallgruppen ab. Eine genaue Umschreibung dieser Fallgruppen ließ er jedoch offen. Bezöge sich diese Äußerung auf ein formelles Recht, so könnte auf § 89 II ERStPO220, §§ 117221, 119 ERStPO222 oder die Beschwerde nach §§ 290 ff. ERStPO verwiesen werden. Auch wäre es möglich, die von Wolffson angesprochene Beschwer unabhängig von Rechtsschutzmöglichkeiten auch auf die materiellen Rechte des Beschuldigten zu beziehen. Danach wurden der Praxis keine genauen Vorgaben gemacht, die Umschreibung der Fallgruppen sollte wohl durch sie erfolgen. Insofern können formelle und materielle Kriterien berücksichtigt werden, die das dem Vorsitzenden gewährte Ermessen einschränken. Damit kann sich die Auslegung nach objektivteleologischen Kriterien richten. Diese können zu einer Konkretisierung des Ermessens durch Fallgruppen beitragen. IV. Auslegung nach objektiv-teleologischen Kriterien § 141 III 1 ermöglicht eine Verteidigerbestellung schon im Vorverfahren. Diese Bestimmung soll nach allgemeiner Ansicht eine möglichst frühe Verteidigerbestellung gewährleisten223. Die Verteidigerbestellung nach § 141 III 1 bezieht sich auf das Vorverfahren. Dessen heutige Struktur ist als Rahmenbedingung einer Bestellung in diesem Verfahrensabschnitt zu würdigen. Seine veränderte Gestaltung, insbesondere aber die inzwischen allgemeine Erkenntnis, das Ermittlungsverfahren präge entscheidend den gesamten Ablauf des Strafprozesses, namentlich auch die als „Kernstück“ begriffene Hauptverhandlung224, sind bei der Frage einer frühzeiti219

Vgl. NK-Hassemer, § 1 Rn. 117; Larenz, Methodenlehre, S. 329, 344. Überprüfung der Beschlagnahme ohne richterliche Anordnung. 221 Vorführung des vorläufig Festgenommenen vor den Richter. 222 Diese Vorschrift gestand dem Beschuldigten das Recht zu, auf Verlangen vor den nächsten Amtsrichter vorgeführt zu werden, sobald er aufgrund eines Haftbefehls, Verwahrungsbefehls oder eines Steckbriefes ergriffen wurde. 223 Vgl. oben: Kap. 5, § 2 A. 224 Vgl. oben: Kap. 2, § 2 C. VI. 220

§ 2 Zeitpunkt der Bestellung eines Verteidigers

249

gen Bestellung des Verteidigers schon in diesem Verfahrensabschnitt maßgeblich zu berücksichtigen. Die notwendige Verteidigung basiert insbesondere auf der Prozeßsubjektstellung des Beschuldigten, die es gebietet, ihm die Wahrnehmung seiner verfahrensrechtlichen Befugnisse zu ermöglichen, damit er das Verfahren beeinflussen kann225. Die Formulierung des 5. Senats zu einer Verteidigerbestellung und einem entsprechenden Antrag der Staatsanwaltschaft („. . . jedenfalls dann zu veranlassen sein, wenn mit einer Anklageerhebung im Sinne von §§ 140 I, II StPO zu rechnen ist und eine effektive Wahrnehmung der Verteidigungsinteressen des Beschuldigten die Mitwirkung eines Verteidigers schon vor Anklagerhebung unerläßlich erfordert“226) enthält die Komponenten der Formulierung des 1. Senats227, der von einer Antrags- und Bestellungspflicht jedenfalls dann ausgeht, wenn die Staatsanwaltschaft gegen einen Beschuldigten einen als dringend zu bewertenden Tatverdacht annimmt und der Beschuldigte zugleich aufgrund der Lage des Verfahrens tatsächlich des Beistands eines Verteidigers bedarf. Der 5. Senat scheint im Gegensatz zum 1. Senat eine strengere Formulierung gewählt zu haben („effektive Wahrnehmung der Verteidigungsinteressen des Beschuldigten die Mitwirkung eines Verteidigers unerläßlich erfordert“ im Gegensatz zu „und der Beschuldigte zugleich aufgrund der Lage des Verfahrens tatsächlich des Beistands eines Verteidigers bedarf“). Der 5. Senat228 konkretisiert seine Anforderungen durch das Beispiel der Wahrnehmung des Akteneinsichtsrechts. In BGHSt 46, 93 ff. stellt der 1. Senat auf das Fragerecht nach Art. 6 III lit. d) EMRK ab, um eine Bestellungspflicht zu begründen, in NJW 2002, 975 ff.229 auf die (drohende) Inhaftierung des Beschuldigten. Eine solche genügt dem 5. Senat offensichtlich nicht230. Mit dem 1. und 5. Senat des Bundesgerichtshofs ist auf den im Ermittlungsverfahren erforderlichen Beistand durch den Verteidiger bzw. auf die effektive Wahrnehmung von Verteidigungsinteressen des Beschuldigten abzustellen, um das nach § 141 III 1 gewährte Ermessen zu konkretisieren. Das Kriterium einer solchen effektiven Wahrnehmung von Verteidigungsinteressen bzw. das Bedürfnis nach Beistand durch einen Verteidiger bedarf jedoch der näheren Ausgestaltung durch Unterfallgruppen.

225 226 227 228 229 230

Vgl. oben: Kap. 4, § 2. NJW 2002, 1279 (1280). NJW 2002, 975 (977). NJW 2002, 1279 (1280). NJW 2002, 975, 977. Vgl. BGH NStZ 2004, 390.

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5. Kap.: Die Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren

Das Institut der Pflichtverteidigung soll im Falle notwendiger Verteidigung einen unverteidigten Beschuldigten so stellen wie denjenigen, der über einen Wahlverteidiger verfügt231. Angesichts dieser Gleichstellungsfunktion der Pflichtverteidigung ist Anhaltspunkt für eine Konkretisierung die Vorschrift des § 137 I 1, der auf eine Verteidigerkonsultation „in jeder Lage des Verfahrens“ abstellt. Weitere Orientierungspunkte ergeben sich, wenn berücksichtigt wird, ob auch bei Ablehnung der Bestellung die sachgemäße Wahrnehmung der Beschuldigtenrechte im Vorverfahren gewahrt ist. Angesichts des Übergewichts des strafrechtlichen Verfolgungsapparates (Informationsvorsprung der Behörden, Gestaltungsmacht der Vernehmungssituation) müßten für den Fall einer Ablehnung solche Gründe vorliegen, die eine Beschränkung der Verteidigungsmöglichkeiten nicht nach sich zögen232, vgl. § 338 I Nr. 8. 1. Vorliegen der Kriterien nach § 140 lediglich im Ermittlungsverfahren Ergibt sich im Rahmen eines Vorverfahrens die Notwendigkeit hinsichtlich des gerichtlichen Verfahrens allein aus § 140 I oder II, ohne daß eine Konkretisierung des „Zusatzerfordernisses“ erfolgt, so liegt die Bestellung im Ermessen des Vorsitzenden. Liegt damit die Schwierigkeit der Sachlage aufgrund erforderlicher Akteneinsicht nach § 140 II 1 2. Alt. im gerichtlichen Verfahren vor, so bedarf es weiterer Konkretisierungen, um einen Anspruch auf Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren zu begründen. Insoweit kann die Akteneinsicht nicht generell „doppelt“ herangezogen werden – einmal für die Notwendigkeit nach § 140 II 1 2. Alt. und gleichzeitig zur Einschränkung des Ermessens nach § 141 III 1. Eine Konkretisierung ist hingegen anzunehmen, wenn die Akteneinsicht schon im Ermittlungsverfahren erforderlich ist. Ergibt sich schon keine Notwendigkeit hinsichtlich der Verteidigung im gerichtlichen Verfahren, so erscheint eine Bestellung nach § 141 III 1 fraglich. Die Perspektive von § 140 i. V. m. § 141 betrifft das gerichtliche Verfahren233, auch wenn sich einzelne Voraussetzungen für Fälle notwendiger Verteidigung (vgl. Nr. 5, Nr. 6 oder Nr. 8) schon im Ermittlungsverfahren akut realisieren und damit eine Verteidigerbestellung nach § 141 III 1 erfordern können. Auch die Fälle nach § 140 II 1 3. Alt. und S. 2 bilden insofern Ausnahmen, als sich die Unfähigkeit zur Eigenverteidigung in der Regel vom Ermittlungsverfahren bis ins gerichtliche Verfahren hinein erstreckt.

231 232 233

Schlothauer StV 2001, 127 (128) unter Hinweis auf BGHSt 43, 153 (154 f.). Eisenberg, NJW 1991, 1257 (1262). Schäfer, Rn. 62, 71; H. Schmidt, S. 134; Möller, S. 118.

§ 2 Zeitpunkt der Bestellung eines Verteidigers

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Ergibt sich somit die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage allein für das Ermittlungsverfahren, ohne sich in die Hauptverhandlung hineinzuerstrecken, so kann eine Verteidigerbestellung nur über eine verfassungsrechtliche Ergänzung von §§ 140, 141 erfolgen234. So auch im Falle des inhaftierten Beschuldigten, der einer umfassenden Akteneinsicht bedarf, um sich gegen die Haft sachgerecht verteidigen zu können. Stern bemerkt, derjenige, der im Ermittlungsverfahren zur Eigenverteidigung außerstande sei, bedürfe eines Verteidigers auch im gerichtlichen Verfahren und umgekehrt235. Damit ließe sich eine generelle Übertragung von § 140 I und II auf das Ermittlungsverfahren begründen. Die Notwendigkeit der Verteidigung, die im Ermittlungsverfahren den Grundsätzen von § 140 I und II entnommen wird, würde gleichsam auf das gerichtliche Verfahren zurückgespiegelt. Damit würde man jedoch die Ausrichtung der §§ 140, 141 negieren. Diese Vorschriften sind im Zusammenhang zu lesen und beziehen sich grundsätzlich auf das gerichtliche Verfahren. Die Beziehung zum gerichtlichen Verfahren folgt schon aus § 141 III 1 selbst. Diese Vorschrift lautet nicht: „eine Bestellung kann auch für das Vorverfahren erfolgen“, sondern sie spricht von einer Bestellung, die schon „während des Vorverfahrens“ erfolgen kann. Dieses Vorverfahren bezieht sich jedoch notwendigerweise auf ein zu gewärtigendes (mögliches) gerichtliches Verfahren (Zwischen- oder Hauptverfahren). 2. Bestellungspflicht nach § 141 III 1 allein bei prognostizierter notwendiger Verteidigung im gerichtlichen Verfahren Der 1. Senat läßt es letztlich dahinstehen236, ob bei prognostizierter notwendiger Verteidigung ein Pflichtverteidiger schon im Ermittlungsverfahren zu bestellen ist und damit eine entsprechende Antrags- und Bestellungspflicht besteht. Die Divergenz zwischen dem ersten und dem 5. Senat besteht darin, daß der 5. Senat von vornherein eine Antrags- und Bestellungspflicht bei dringendem, entsprechendem Tatverdacht im Ermittlungsverfahren ausschließt. Demgegenüber läßt der 1. Senat eine solche Pflicht ausdrücklich offen, weil sie nicht entscheidungsrelevant ist, bejaht aber eine solche Verpflichtung für den zu entscheidenden Fall237.

234 A. A. wohl Rieß, der darauf abstellt, daß unabhängig von einer Prognose hinsichtlich des späteren gerichtlichen Verfahrens die Bestellung eines Verteidigers nach § 140 II zu erfolgen habe, wenn durch die richterliche Untersuchungshandlung im Ermittlungsverfahren die Sach- oder Rechtslage schwierig werde oder ersichtlich sei, daß sich der Beschuldigte insoweit nicht selbst verteidigen könne (vgl. LR-Rieß, § 168 c Rn. 10). 235 AK-Stern, § 141 Rn. 7. 236 Vgl. Meyer-Goßner, § 141 Rn. 5.

252

5. Kap.: Die Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren

Richtigerweise ist jedoch wie folgt zu differenzieren: – Eine Pflicht zur Antragsstellung238 durch die Staatsanwaltschaft ist schon bei prognostizierter notwendiger Verteidigung in der Hauptverhandlung anzunehmen. § 141 III 2 erwähnt kein situatives Hilfsbedürfnis, sondern lediglich eine Prognose239. – Eine Pflicht zur Verteidigerbestellung durch den Vorsitzenden allein bei prognostizierter notwendiger Verteidigung in der Hauptverhandlung ist hingegen abzulehnen, auch wenn dies verschiedentlich angenommen wird240. Dies ergibt sich aus der notwendigen Differenzierung zwischen Antragstellung und Bestellung, so wie sie sich nach der bisherigen Auslegung von § 141 III 1 und S. 2 dargestellt hat. Die Prognose als alleiniger Faktor ist maßgeblich allein für die Antragstellung nach § 141 III 2. Da es sich bei § 141 III 1 um eine Ermessensvorschrift handelt, kann sich allein aus der Prognose keine Reduzierung des Ermessens ergeben. Denn sonst würde dieses Ermessen immer leerlaufen. Vielmehr bedarf die Bestellung der Präzisierung durch Fallgruppen. 3. Fallgruppen konkretisierter Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren nach § 141 III 1 a) Die Hauptverhandlung präjudizierende Ermittlungshandlungen Eine Ausgangsüberlegung für die Erschließung einer Verteidigerbestellungspflicht im Ermittlungsverfahren ist die entsprechende Pflicht aus dem gerichtlichen Verfahren, vgl. § 141 I und II. Werden Teile aus dem Hauptverfahren ausgelagert, so ist gleichfalls die Kautel in Gestalt eines notwendigen Verteidigers auszulagern, indem er schon im Ermittlungsverfahren bestellt wird. Damit ist die Stellung des Ermittlungsverfahrens im Verfahrensgefüge zu würdigen.

237 Vgl. Roxin, JZ 2002, 898 (899 f.). Konsequent wäre nach Roxin die Annahme einer obligatorischen Pflichtverteidigerbestellung in einer solchen Situation; siehe ferner: Hamm, FS-Lüderssen, S. 717 (725). 238 Neuhaus, JuS 2001, 18 (21); a. A. KMR-Müller, § 141 Rn. 1. 239 Vgl. Stade, S. 347 f. So bemerkt auch Neuhaus (JuS 2001, 18, 21), daß der 1. Senat in BGHSt 46, 93 ff. eine weitere, in § 141 III 2 nicht vorhandene Bedingung für die Beiordnung des Verteidigers statuiert, indem er § 141 III 2 unter Rückgriff auf Art. 6 III lit. d) EMRK einschränkend hin zu einer obligatorischen Bestellung eines Pflichtverteidigers im Vorverfahren auslegt. 240 So Burhoff, Rn. 1327; Fezer, JZ 2001, 364; Roxin, JZ 2002, 898 (899 f.); Neuhaus, JuS 2002, 18 (21); Klemke, StV 2003, 413 (414); Kalsbach, Pescara-Beiheft, S. 112 (127, 159): aufgrund des Fürsorgegedankens schrumpfe das Ermessen des Vorsitzenden; ferner: Wohlers, FS-Rudolphi, S. 713 (732).

§ 2 Zeitpunkt der Bestellung eines Verteidigers

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Wie dargestellt241, hatte der Gesetzgeber der RStPO die Ausmaße der prägenden Struktur des Ermittlungsverfahrens nicht vorausgesehen, auch wenn ihm dessen mögliche Vorprägung nicht gänzlich verschlossen blieb. Das heutige Ermittlungsverfahren bietet mittelbare Beweisführungsmöglichkeiten, die einer kontradiktorischen Wahrheitsfindung im sich anschließenden Hauptverfahren abträglich sein können. Die Annahme einer Vorprägung des Hauptverfahrens durch das Ermittlungsverfahren dergestalt, daß stets Teile der Hauptverhandlung vorweggenommen würden, sodaß eine Verteidigerbestellung vor dem Abschluß der Ermittlungen (u. U. stets zu Beginn eines Ermittlungsverfahrens) bei gegebener Gesetzeslage uneingeschränkt erfolgen müßte, würde jedoch verkennen, daß eine Vielzahl von Ermittlungsverfahren die Hauptverhandlung (im Sinne des historischen Gesetzgebers immer noch) lediglich vorbereiten242. Ein allgemein gültiger Maßstab für eine stets einsetzende Bestellungspflicht infolge der Präjudizierung läßt sich nicht begründen. Ein Ermessen des Vorsitzenden bezüglich des Zeitpunkts der Bestellung nach § 141 III 1 kann damit nicht stets verneint werden. Die Verteidigerbestellung nach § 141 III 1 wird jedoch zur Pflicht, wenn wesentliche Teile der Hauptverhandlung ausgelagert werden243. – Anerkannt ist (wie dargestellt) eine Verteidigerbestellung nach dem Bundesgerichtshof244 für die Vernehmung eines zentralen, zeugnisverweigerungsberechtigten Belastungszeugen, von welcher der Beschuldigte ausgeschlossen wird. Auch bei der richterlichen Vernehmung eines Zeugen oder Sachverständigen außerhalb des Haftortes nach §§ 168 c IV ist ein Verteidiger nach allgemeiner Ansicht zu bestellen245. Eine Bestellungspflicht wird teilweise ferner für eine richterliche Vernehmung eines Zeugen angenommen, wenn eine Videovorführung nach § 255 a II in Betracht kommen soll246. Angesichts der möglichen Auslagerung von Teilen aus der Hauptverhandlung im Fall einer ermittlungsrichterlichen Vernehmung sollte ein Verteidiger stets vor einer richterlichen Zeugen-247 oder Sachverständigenvernehmung bestellt werden, ohne daß eine (u. U. schwer zu bestimmende) zentrale Qualität des

241

Vgl. oben: Kap. 2, § 2. Vgl. oben: Kap. 2, § 2 (vgl. zur Einstellung: Fn. 216). 243 Swoboda, S. 351 f.; vgl. ferner: Schlothauer, StV 2001, 127 (128 f.). 244 BGHSt 46, 93 ff. 245 Vgl. LR-Lüderssen, § 141 Rn. 24 a; KMR-Plöd, § 168 c Rn. 5; AK-Stern, § 141 Rn. 6; SK-Wohlers, § 168 c Rn. 25; HK-Julius, § 168 c Rn. 7; KK-Wache, § 168 c Rn. 8; Meyer-Goßner, § 168 c Rn. 4. 246 Vgl. oben: Kap. 2, § 2 C. II. 247 Vgl. schon die Überlegungen der Arbeitsgruppe V (Verteidigung im Vorverfahren – Waffengleichheit?) des siebten Strafverteidigertages vom 15. bis 17.04.1983 in Frankfurt a. M., StV 1983, 260 (263). 242

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5. Kap.: Die Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren

Zeugen vorliegen oder der Beschuldigte von der Vernehmung ausgeschlossen worden sein müßte. – Bei richterlichen Augenscheinseinnahmen ist nach teilweise vertretener Ansicht dem inhaftierten Beschuldigten (§§ 168 d I 2, 168 c IV), der nicht an dem Termin teilnimmt, ein Pflichtverteidiger gemäß § 141 III zu bestellen248. Mit Wenskat ist ein solches Vorgehen auch dann als erforderlich anzusehen, wenn der Beschuldigte bei den richterlichen Augenscheinseinnahmen anwesend ist249. Schon bei Erhebung des Augenscheinsbeweises müsse durch Anregungen und Einwände Einfluß genommen werden (was in der Regel nur mit dem Beistand durch einen Verteidiger möglich sei). Die Auslagerung der Hauptverhandlung findet über § 249 I 2 statt. Das Ergebnis einer richterlichen Augenscheinsnahme kann nach § 249 I 2 verlesen werden. – Angesichts der Vorprägung infolge von Identifizierungsgegenüberstellungen sind mögliche Fehler von vornherein auszuschalten. Dementsprechend ist ein Verteidiger nach § 141 III zu solchen Gegenüberstellungen zu bestellen250. – Als Beispiel für eine Verteidigerbestellung aufgrund prägender Ermittlungshandlungen führt Hamm ferner Tatrekonstruktionen an, die in Bild und Ton festgehalten werden. Sie hätten eine hohe Suggestionskraft für die Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung. Dies gelte auch für die Beauftragung von Sachverständigen und deren Befunderhebung und -auswertung251. – Hinsichtlich der möglichen Verlesung von polizeilichen und staatsanwaltlichen Niederschriften nach § 420 I und damit der Verlagerung der Beweisaufnahme in das Ermittlungsverfahren wäre es (zumindest) für die Hauptverhandlung im beschleunigten Verfahren wünschenswert, einen Verteidiger zu bestellen, dessen Einverständnis dann für eine Verlesung gemäß § 420 III eingeholt werden müßte (vgl. auch § 251 I Nr. 4, II 1 a. F., § 251 I Nr. 1). Jedoch verlangt § 418 IV eine Verteidigerbestellung erst ab einer zu erwartenden Freiheitsstrafe von sechs Monaten. Eine Auslegung des Gesetzestexts auch unter Rückgriff auf rechtsstaatliche Erwägungen würde in der Praxis wohl als eine „Überspielung“ gesetzlicher Vorgaben gewertet und dementsprechend unbeachtet bleiben. Eine Verteidigerbestellung könnte jedoch nach § 141 III 1 schon im Ermittlungsverfahren zu fordern sein. Angesichts der möglichen Verlesungs- und damit Auslagerungsmöglichkeiten nach § 420 I wäre sie zwingend, wenn die Voraussetzungen des § 418 IV absehbar sind. Aufgrund der von der h. M. ange248

Vgl. Burhoff, Rn. 227; Eisenberg, BR Rn. 2243; KK-Wache, § 168 c Rn. 8. Wenskat, S. 63 f.; ferner: Eisenberg, BR Rn. 2243; LR-Rieß, § 168 d Rn. 6 a. 250 Vgl. zum Anwesenheitsrecht des Verteidigers bei diesen Vernehmungen oben: Kap. 2, § 5 B. II. 251 Insbesondere, wenn sie körperliche oder psychische Befunde des Beschuldigten beträfen, Hamm, FS-Lüderssen, S. 717 (725). 249

§ 2 Zeitpunkt der Bestellung eines Verteidigers

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nommenen Anwendung von § 141 III 1 lediglich für die Notwendigkeit nach (den allgemeinen Kriterien des) § 140 im beschleunigten Verfahren252 dürfte jedoch auch diese Überlegung keinen Widerhall finden. b) Anhörung des Verteidigers Auch wenn die Anhörung des Verteidigers vorgesehen ist, wird eine Bestellung erforderlich253. So ist für eine Sachverständigenauswahl ein Verteidiger zu bestellen254. Aufgrund des rechtlichen Gehörs des Verteidigers nimmt Sarstedt eine Bestellungspflicht des Gerichts nach § 141 III 1 an255. Gleiches hat für eine Sachverständigenauswahl durch die Staatsanwaltschaft zu gelten (vgl. die Anhörung eines Verteidigers nach Nr. 70 RiStBV). Sie hat einen entsprechenden Antrag zu stellen. Die notwendige Verteidigung ergibt sich für das gerichtliche Verfahren in diesen Fällen nach § 140 II 1 2. Alt.256, womit eine Bestellung kraft Verfassungsrechts (wie in den Fällen der Akteneinsicht für den inhaftierten Beschuldigten) nicht erforderlich ist. Die Beschränkung einer zwingenden Verteidigerbestellung auf den inhaftierten Beschuldigten257 scheint nicht einsichtig. Die begrenzte Kompetenz des Beschuldigten, die Anhörung des Verteidigers oder die Präjudizierung der Hauptverhandlung im Rahmen der Sachverständigenauswahl hängt nicht von seiner Inhaftierung ab. Jedoch wird in Gemäßheit von Nr. 70 I RiStBV eine Ausnahme zur Bestellungspflicht anzuerkennen sein, wenn Gegenstand der Untersuchung ein häufig wiederkehrender, tatsächlich gleichgelagerter Sachverhalt oder eine Gefährdung des Untersuchungszwecks zu befürchten ist258. 252

Vgl. oben: Kap. 3, § 2 A. IX. Vgl. schon die Erläuterungen des Abgeordneten Zinn zu seinem Abänderungsantrag zu § 71 b ERStPO („Zur Vorbereitung eines Gutachtens über den Geisteszustand des Angeschuldigten kann das Gericht auf Antrag eines Sachverständigen nach Anhörung des, erforderlichen Falles amtlich zu bestellenden, Vertheidigers anordnen, daß der Angeschuldigte in eine Irrenanstalt gebracht und dort beobachtet werde“), Hahn II, Abg. Zinn, S. 1233 (Kommission, zweite Lesung). Er hebt hervor, daß die Formulierung „nach Anhörung des Vertheidigers“ schon aus sich heraus eine notwendige Verteidigung statuieren solle (Hahn II, Abg. Zinn, S. 1234, Kommission, zweite Lesung). 254 Auch im Hinblick auf die Vorprägung der Hauptverhandlung ist eine Bestellung zwingend. 255 Vgl. Sarstedt, NJW 1968, 177 (178); ihm folgend Tondorf, Rn. 87. 256 Vgl. oben: Kap. 3, § 1 B. III. 1. 257 So wohl LR-Lüderssen, § 141 Rn. 24 a; AK-Stern, § 141 Rn. 4. 258 Eine Ausnahme lediglich wegen Verzögerung des Verfahrens (wie sie ebenfalls nach Nr. 70 I RiStBV als Ausnahme zur Anhörung des Verteidigers anerkannt wird) ist abzulehnen. 253

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5. Kap.: Die Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren

– Auch aufgrund der erforderlichen Anhörung des Verteidigers gemäß § 81 I, III vor der Unterbringung zur Beobachtung (Fall des § 140 I Nr. 6) ist ein Verteidiger zu bestellen. Im Rahmen einer ambulanten Begutachtung ist angesichts der Tatsache, daß die Justiz einen Sachverständigen benötigt, eine notwendige Verteidigung für das gerichtliche Verfahren wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage anzuerkennen, wobei die Akteneinsicht schon zu einem möglichst frühen Verfahrenszeitpunkt erforderlich und eine Verteidigerbestellung damit zwingend wäre259. Ferner ist hier insbesondere § 140 II 1 3. Alt. für das gerichtliche Verfahren zu berücksichtigen, welcher ebenfalls zu einer Ermessensreduzierung nach § 141 III 1 führt. c) Rechte des Verteidigers Im Rahmen einer Bestellungspflicht sind ebenfalls die dem Beschuldigten zustehenden Rechte, die der Verteidiger für ihn wahrnehmen kann, zu berücksichtigen260. So sind das dem Verteidiger gewährte Anwesenheitsrecht nach § 168 c II sowie das damit einhergehende Fragerecht in die Überlegungen einer Verteidigerbestellung einzubeziehen261. Eine Verteidigerbestellung nach § 141 III 1 wird ferner für erforderlich gehalten, wenn schon im Ermittlungsverfahren Akteneinsicht zur Vorbereitung der Hauptverhandlung erforderlich ist (der Beschuldigte zu wichtigen Gutachten Stellung zu nehmen hat, die nur der Verteidiger einsehen kann)262. d) Situation des Beschuldigten Auch der besonderen Situation des Beschuldigten im Ermittlungsverfahren ist eine Reduzierung des Ermessens zu entnehmen. aa) Einschränkung der Rechte des Beschuldigten Wenn eine richterliche Vernehmung eines Zeugen oder Sachverständigen außerhalb des Haftortes stattfindet (vgl. §§ 168 c IV) und der Beschuldigte keinen Verteidiger hat, so ist ein Pflichtverteidiger nach § 141 III 1 zu bestellen263. Nach der dargestellten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ferner dann, 259 260 261 262 263

Vgl. Lehmann, StV 2003, 356 (357 f.). Vgl. Schlothauer, StV 2001, 127 (128). Siehe ferner oben zur Präjudizierung: Kap. 4, § 2 III. 3. a). Meyer-Goßner, § 141 Rn. 5. Siehe ferner oben zur Präjudizierung: Kap. 5 § 2 III. 3. a).

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wenn der Beschuldigte nach § 168 c III von der ermittlungsrichterlichen Vernehmung eines zentralen Belastungszeugen ausgeschlossen wird. Hier ist gleichfalls das Fragerecht nach Art. 6 III lit. d) EMRK bedroht264. Selbst wenn diese Erwägungen der Rechtsprechung für einen Ausschluß der Teilnahme am richterlichen Augenschein nach § 168 d I 2 i. V. m. § 168 c III nicht entsprechend gelten sollten265, so ist eine Verteidigerbestellung über die Präjudizierung der Hauptverhandlung zu gewinnen. bb) Haftsituationen In Fällen notwendiger Verteidigung nach § 140 I Nr. 5 wird eine Bestellung nach § 141 III 1 für erforderlich gehalten, sobald sich ergibt, daß die Untersuchungshaft länger als drei Monate dauern wird266. Der Gesetzgeber hat im Rahmen der Einführung der notwendigen Verteidigung von Jugendlichen nach § 68 Nr. 4 JGG auf die Weichenstellung des Verfahrens für inhaftierte jugendliche Beschuldigte hingewiesen, die sich vollzöge, ohne daß jene diese beeinflussen könnten und die später (auch mit anwaltlichem Beistand) kaum korrigierbar sei267. Diese Weichenstellung ist jedoch auch in einem Strafverfahren, welches sich gegen Erwachsene richtet, zu berücksichtigen. So schränkt die Untersuchungshaft die Verteidigungsmöglichkeiten eines jeden Beschuldigten ein. Eine Bestellung hätte der Gesetzgeber für die erste Vorführung vor den Richter vorsehen müssen. Möglichkeiten, diese gesetzliche Ausgangslage für den inhaftierten Beschuldigten aufzufangen, ergeben sich lediglich über eine Verteidigerbestellung kraft Verfassungsrechts268. Ergibt sich jedoch die notwendige Verteidigung nicht allein aufgrund von § 140 I Nr. 5, sondern (auch) aufgrund anderer Erwägungen nach § 140, so ist die Untersuchungshaft ein Konkretisierungskritierium für die im Ermessen des Vorsitzenden stehende Bestellung im Ermittlungsverfahren. Eine Bestellung hat zum ersten Vorführungstermin zu erfolgen. Eine Bestellung nach § 141 III 1 hat bei Absehbarkeit der Voraussetzungen des § 418 IV zu erfolgen, wenn der Betroffene in Hauptverhandlungshaft nach § 127 b genommen wird269. 264

Vgl. BGHSt 46, 93 ff. So LR-Rieß, § 168 d Rn. 6 a – der jedoch für schwierige, für den Verfahrensausgang entscheidende, nicht wiederholbare Augenscheinseinnahmen § 141 III anwendet. 266 Vgl. oben: Kap. 3, § 1 A. 267 Vgl. BT-Drucks. 11/5829, S. 28. 268 Vgl. oben: Kap. 3, § 1 B. III. 1. a) bb). 265

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5. Kap.: Die Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren

cc) Anordnung vorläufiger Maßregeln nach §§ 111 a, 126 a, 132 a Generell ist bei der Anordnung vorläufiger Maßregeln zu berücksichtigen, daß sie die Sicherungsmomente einer endgültigen Anordnung vorwegnehmen. Damit sind auch die Garantien für die endgültige Anordnung einer Maßregel einzubeziehen270. Ein Fall notwendiger Verteidigung nach § 140 I Nr. 3 wird auch durch ein vorläufiges Berufsverbot indiziert271. Angesichts der Vorprägung für ein endgültiges Berufsverbot im Urteil und der Auswirkungen auf das Leben des Beschuldigten muß ein Verteidiger dem Beschuldigten schon im Rahmen der Anordnung eines vorläufigen Berufsverbots zur Seite stehen272. Wenn eine Untersuchung nach § 414 III erfolgt oder die einstweilige Unterbringung nach § 126 a durch ein Gutachten bestätigt wird, so hat eine Antragstellung nach § 141 III 2273 und (angesichts der Lage des Beschuldigten) eine Verteidigerbestellung nach § 141 III 1 (i. V. m. § 140 I Nr. 7) zu erfolgen. Hingegen ist in den Fällen von § 140 I Nr. 6 ein Verteidiger zu bestellen, wenn eine Unterbringung zur Beobachtung angeordnet wird. Der Verteidiger hat aufgrund seiner erforderlichen Anhörung (§ 81 I) schon vor der Anordnung tätig zu werden. Der Unterschied zu § 140 I Nr. 7 basiert auf der vom Gesetzgeber getroffenen Unterscheidung, wonach § 140 I Nr. 6 allein auf die Unterbringung abstellt, § 140 I Nr. 7 hingegen auf die Durchführung eines Sicherungsverfahrens als Form der Klageerhebung, vgl. § 414 II 1. Insofern kann lediglich über § 140 II 1 3. Alt. i. V. m. § 141 III 1 eine unverzügliche Verteidigerbestellung gewährleistet werden, und zwar schon vor der Anordnung der einstweiligen Unterbringung274, vergleichbar der notwendigen Verteidigung nach § 140 I Nr. 6. Auch das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, daß eine Verteidigerbestellung von Verfassungs wegen während des Vollzugs einer (endgültigen) Unterbringung zu erfolgen habe, wenn es evident erscheine, daß

269 Auch diese Überlegung dürfte von der h. M. angesichts der abgelehnten Anwendbarkeit von § 141 III 1 i. V. m. § 418 IV im beschleunigten Verfahren wohl zurückgewiesen werden; zu einer Bestellungspflicht in einer solchen Verfahrenssituation vgl. ferner Tiemer, S. 110 f.; Ernst (S. 107) bezieht eine solche Bestellung lediglich auf das gerichtliche Verfahren. 270 Vgl. Möller, S. 117 ff., S. 240 f. 271 Vgl. oben: Kap. 3, § 1 A. 272 Vgl. auch Möller, S. 121 ff., der § 140 I Nr. 3 analog heranzieht. Einer solchen Analogie bedarf es nicht, sie ist durch eine Reduzierung des Ermessens nach § 141 III 1 zu vermeiden. 273 Vgl. oben: Kap. 3, § 2 A. III. 274 LR-Hilger, § 126 a Rn. 13; SK-Paeffgen, § 126 a Rn. 6; Starke, S. 131 f.; Bosch, StV 2002, 633 (635 mit Fn. 16); ferner Schäfer, ZRP 1989, 129 (130).

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der Beschuldigte sich aufgrund seiner Erkrankung nicht eigenmächtig verteidigen könne275. Bei der Anordnung der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111 a wird man im Hinblick auf die Schwere der Tat im gerichtlichen Verfahren nach § 140 II 1 1. Alt. aufgrund der akuten Auswirkung auf das Leben der Betroffenen276 bei Berufskraftfahrern ebenfalls eine Reduzierung des Ermessens nach § 141 III 1 annehmen müssen277. Als weiteres Argument dient die mögliche Vorprägung hinsichtlich der endgültigen Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB im gerichtlichen Verfahren. dd) Durchsuchungen Im Zeitpunkt der Voraussetzungen von § 107 (Mitteilung über den strafrechtlichen Vorwurf nach Durchsuchungen) ist dem Beschuldigten ebenfalls ein Verteidiger nach § 141 III 1 zu bestellen278. ee) Jugendliche Beschuldigte Gerade bei jugendlichen Tatverdächtigen ist auf eine möglichst frühe Verteidigerbestellung hinzuwirken – dies wegen ihrer geringen Handlungskompetenz, erhöhten Irritabilität und gesteigerten Geständnisbereitschaft279. So ist schon für die erste Vernehmung – insbesondere, wenn gerade erst Strafmündige betroffen sind – ein Verteidiger sofort zu bestellen280. Auch wenn ein Sachverständiger im Rahmen der Persönlichkeitserforschung nach § 43 JGG hinzugezogen werden soll, ist die Verteidigerbestellung zu tätigen281. Im Rahmen der Untersuchungshaft sollte der Verteidiger spätestens für die erste Vorführung vor den Richter bestellt werden. Für eine einstweilige Unter-

275 BVerfGE 70, 297 (323). Dies sei insbesondere für den Diagnose- und Prognosebereich anzunehmen. 276 Die vorläufige Entziehung bewirkt ein Fahrverbot, vgl. Meyer-Goßner, § 111 a Rn. 8. 277 Vgl. auch Möller, S. 121: auch für Handelsvertreter, Fahrlehrer, etc. 278 Vgl. die Erwägungen der Arbeitsgruppe V (Verteidigung im Vorverfahren – Waffengleichheit?) des siebten Strafverteidigertages vom 15. bis 17.04.1983 in Frankfurt a. M., StV 1983, 260 (263). 279 Ostendorf StV 1986, 308 (309); Eisenberg, NJW 1984, 2913 (2916); vgl. ferner: ders., NJW 1988, 1250 f. 280 AK-Stern, § 141 Rn. 5; P.-A. Albrecht, Jugendstrafrecht, S. 349, 357 f.; Beulke, BMJ-Vert, S. 170 (185 f.); 281 Eisenberg, § 43 JGG Rn. 30 a – auch unter Hinweis auf die dem Jugendlichen aus finanziellen Gründen regelmäßig verwehrte Selbstladung eines Sachverständigen; Hartmann-Hilter, S. 161.

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5. Kap.: Die Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren

bringung in einem Heim nach § 71 II 1 JGG ist das situative Hilfsbedürfnis des Beschuldigten über § 141 III 1 zu berücksichtigen. Angesichts der gesetzgeberischen Vorgaben nach § 68 Nr. 4 bzw. § 71 II 2 JGG ist dies jedoch lediglich ein Appell an den Vorsitzenden nach § 141 IV. Anderes gilt, wenn sich die Notwendigkeit der Verteidigung im gerichtlichen Verfahren aufgrund anderer Erwägungen nach § 68 JGG ergibt. Dann wird durch die Untersuchungshaft oder die Unterbringung das Ermessen nach § 141 III 1 reduziert. ff) Ausländische Beschuldigte Für einen ausländischen Beschuldigten kann sich die Notwendigkeit der Verteidigung im gerichtlichen Verfahren nach § 140 II 1 1. Alt. ergeben, wenn eine Ausweisung droht bzw. nach § 140 II 1 3. Alt., wenn er einem anderen Kulturkreis verhaftet ist282. Staudinger nimmt an, § 141 III sei extensiv auszulegen, wenn sich Ausländer in Untersuchungshaft befänden, die aus einem fremden Kulturkreis stammten und nicht die Sprache beherrschten283. Drohe eine Ausweisung bereits vor der Hauptverhandlung, sei das pflichtgemäße Ermessen der Staatsanwaltschaft in Bezug auf ihre Antragstellung nach § 141 III 2284 ebenfalls auf Null reduziert285. Gleiche Folgerungen haben für das Ermessen des Vorsitzenden nach § 141 III 1 zu gelten. gg) Stellungnahme zu wichtigen Gutachten schon im Ermittlungsverfahren Eine Bestellung ist vorzunehmen, wenn schon im Ermittlungsverfahren zu wichtigen Gutachten, Ermittlungsergebnissen und Rechtsfragen Stellung genommen werden muß und der Beschuldigte selbst dieser Aufgabe nicht gewachsen ist286.

282

Vgl. oben: Kap. 3, § 1 B. IV. Staudinger, StV 2002, 327 (332) unter vergleichendem Hinweis auf die besondere Hilflosigkeit Jugendlicher, die eine Verteidigerbestellung nach § 68 I Nr. 4 JGG schon vor dem im Erwachsenenstrafrecht vorgesehenen Zeitpunkt nach § 117 IV bedinge. 284 Nach der hier vertretenen Auffassung kommt der Staatsanwaltschaft kein Ermessen bezüglich der Antragstellung nach § 141 III 2 zu. 285 Staudinger, StV 2002, 327 (332). 286 Vgl. LR-Dünnebier (23. Auflage), § 141 Rn. 19; H. Schmidt, S. 134; vgl. schon oben zu den Rechten des Verteidigers: Kap. 5, § 2 B. IV. 3. c). 283

§ 2 Zeitpunkt der Bestellung eines Verteidigers

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hh) Vorliegen der Voraussetzungen von § 140 II 1 3. Alt. und § 140 II 2 Angesichts der Sicherung der Subjektstellung des Beschuldigten über die Vorschrift nach § 140 II 1 3. Alt. und S. 2 ist der Verteidiger in solchen Fällen nach § 141 III 1 zu bestellen. Ein Ermessen kann in diesen Fällen notwendiger Verteidigung für eine Bestellung im Ermittlungsverfahren nicht gewährt werden. e) Kriterien der „Waffengleichheit“ Ferner kann die Waffengleichheit im Ermittlungsverfahren eine Verteidigerbestellung nach § 141 III 1 gebieten. So hat der Beschuldigte einen Anspruch auf Beiordnung im Ermittlungsverfahren, wenn der Verletzte von einem Beistand vertreten wird287. Gleiches gilt, wenn eine Beiordnung eines Rechtsanwalts im Klageerzwingungsverfahren nach § 172 III S. 2 2. HS. erfolgt288. 4. Aussageverhalten des Beschuldigten Nach Stern289 ist ein Verteidiger zu bestellen, sobald ein Geständnis im Ermittlungsverfahren widerrufen wird. Damit liege eine Schwierigkeit der Sachlage für die Hauptverhandlung vor, es werde faktisch eine Beweislastumkehr geschaffen. Dann hat eine sofortige Bestellung im Ermittlungsverfahren zu erfolgen. Auch wenn ein Beschuldigter eine Tat gesteht, die ein Verbrechen ist oder deretwegen Anklage vor dem Landgericht erhoben werden muß, sollte nach Dünnebier ein Verteidiger schon im Ermittlungsverfahren bestellt werden290. Neben diesen Fällen einer im Anschluß an ein Geständnis des Beschuldigten erfolgten Verteidigerbestellung ist jedoch schon das allgemeine Aussageverhalten des Beschuldigten zu berücksichtigen. Der 1. Senat führt zutreffend die Wichtigkeit der Verteidigerkonsultation für den Beschuldigten an291 und zieht eine Parallele zur Belehrungspflicht über das Schweigerecht. Beide Belehrungspflichten seien gleichgewichtig. Ferner hingen beide Rechte „eng zusammen“, sie sicherten die verfahrensmäßige Stellung des 287 Weider, StV 1987, 317 (319 f.); Böttcher (JR 1987, 133, 138) findet insofern bemerkenswert, daß der Zeitpunkt der Bestellung nach § 141 III durch das Opferschutzgesetz vom 18.12.1986 unberührt blieb. 288 LR-Dünnebier (23. Auflage), § 141 Rn. 19; Oellerich, StV 1981, 434 (435). 289 StV 1990, 563 (564). 290 Vgl. LR-Dünnebier (23. Auflage), § 141 Rn. 20. 291 BGH NJW 2002, 975 (976).

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5. Kap.: Die Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren

Beschuldigten in ihren Grundlagen. Erst durch die Verteidigerkonsultation könne der Beschuldigte angemessen über sein Aussageverhalten beraten werden292. Dabei belegt zusätzlich ein Blick auf die historische Wandlung des Verständnisses, welche Funktion der ersten Vernehmung des Beschuldigten zukommt, die Unabdingbarkeit einer fachkundigen Beratung zum Aussageverhalten293: Nach der eindeutigen Weisung des historischen Gesetzgebers war die Vernehmung ausdrücklich und vorrangig auf die Gewährung rechtlichen Gehörs ausgerichtet. Dies wird insbesondere aus § 136 II RStPO deutlich. Danach soll dem Beschuldigten Gelegenheit gegeben werden, die gegen ihn vorliegenden Verdachtsgründe zu beseitigen und die zu seinen Gunsten sprechenden Tatsachen geltend zu machen. An dieser Vorschrift hat sich bis heute inhaltlich nichts geändert. Diese grundlegende Bedeutung von § 136 II ist in der heutigen Diskussion über die Funktion der Beschuldigtenvernehmung weitestgehend ausgeblendet. Die Frage der Ablegung eines Geständnisses hat überragende und zentrale Bedeutung gewonnen. Mit der – allein vertretbaren – Wertentscheidung des Gesetzgebers, die Vernehmung diene der Gewährung rechtlichen Gehörs, ist aber nicht vereinbar, diese Anhörung des Beschuldigten auf ein Geständnis anzulegen. So führt Löwe in der dritten Auflage seines Kommentars zur Strafprozeßordnung aus294: „In Abs. 1, 2 wird der Zweck und die Richtung der Vernehmung des Beschuldigten bestimmt. Hierbei geht die StPO . . . von der Auffassung aus, daß niemand verpflichtet sei, sich auf eine gegen ihn erhobene Beschuldigung zu erklären, und daß demgemäß die Vernehmung des Beschuldigten, wenn eine solche in Folge seiner Bereitwilligkeit zur Abgabe einer Erklärung stattfindet, nur ein Mittel der Vertheidigung, nicht aber zur Überführung des Beschuldigten sein dürfe . . . Hieraus ergibt sich von selbst die Forderung, daß der Richter in keiner Weise auf die Ablegung eines Geständnisses hinwirken darf . . .“. Dem entspricht schon der Hinweis in den Motiven, es sei jedes Verhalten des Fragenden verboten, welches die Herbeiführung unfreiwilliger Eröffnungen bezwecke, namentlich die Vorlegung von Fragen, deren Tragweite und Zusammenhang mit dem Belastungsbeweise der Beschuldigte nicht übersehe295. Demgegenüber stellen die neueren Kommentierungen zur ersten Vernehmung des Beschuldigten den Zweck der Aufklärung des Sachverhalts in den Mittelpunkt. Der Vernehmende dürfe nicht nur die entlastenden Umstände mit dem 292 BGH NJW 2002, 975 (976); vgl. auch: SK-Rogall, § 136 Rn. 35; KK-Boujong, § 136 Rn. 14. 293 Zum Ganzen: Grünwald, S. 58 ff. 294 Löwe (3. Auflage), § 136 Anm. 3. 295 Vgl. Hahn I (amtliche Begründung), S. 139.

§ 2 Zeitpunkt der Bestellung eines Verteidigers

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Beschuldigten erörtern; er müsse ihn auch dazu anhalten, zur Aufklärung des Sachverhalts beizutragen296. Auch wenn teilweise297 die Gewährung rechtlichen Gehörs als vornehmlicher Zweck der Vernehmung definiert wird und lediglich „daneben“ auch die Sachverhaltsaufklärung genannt ist, wird heute doch durchgehend bei der Beurteilung von Einzelfragen dem Aufklärungsinteresse der Vorrang eingeräumt298. Nach allem erscheint nur folgerichtig, in den Fällen notwendiger Verteidigung, die auf einer (vermuteten) Unfähigkeit zur Eigenverteidigung beruht, eben diese Unfähigkeit (natürlich) auch auf das Aussageverhalten des Beschuldigten zu beziehen, zu dessen Unterstützung er des Verteidigers bedarf. Dieses Aussageverhalten stellt sich in der Situation des ersten Zugriffs299. Vor Mitwirkungshandlungen des Beschuldigten, die generell immer zu einer Aussage führen können (man denke an unbedachte Äußerungen), ist ihm damit ein Verteidiger nach § 141 III 1 zu bestellen. Dies betrifft polizeiliche, staatsanwaltliche und richterliche Vernehmungen sowie Tatrekonstruktionen. Damit ist über diese grundsätzliche Überlegung das Ermessen nach § 141 III 1 einzuschränken, wenn dies nicht schon aus den oben angestellten Konkretisierungen der Fall ist. Allein der Hinweis auf die Möglichkeit der Hinzuziehung eines Wahlverteidigers genügt in diesen Fällen nicht. Selbst wenn der Beschuldigte die Kosten für einen Verteidiger aufbringen könnte, so ist die Hinzuziehung gerade vor der ersten Vernehmung eher die Ausnahme300. V. Weitergehende Bestellungspflicht nach Art. 6 III lit. c) EMRK Spaniol gewinnt ihre Überlegungen zum Zeitpunkt der Verteidigerbestellung, indem sie auf den umfassenden Begriff eines fairen Verfahrens (Art. 2 I GG i. V. m. dem Rechtsstaatsprinzip, Art. 20 III GG) abstellt – unter Rückgriff auf für Art. 6 III lit. c) EMRK entwickelte Kriterien für eine Pflichtverteidigung. Vor allem bei drohender Freiheitsstrafe geböten damit das Recht auf ein faires Verfahren und Art. 2 II 2 GG eine Verteidigerbestellung de lege lata301. Eine Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren sei erforderlich, wenn das Interesse der Rechtspflege sie in der Hauptverhandlung erfordere und eine effektive 296 Vgl. LR-Tillmann (20. Auflage), § 136 a Anm. 9; LR-Hanack (24. Auflage), § 136 Rn. 43, der allerdings vorsichtiger formuliert. 297 KK-Boujong, § 136 Rn. 1. 298 Grünwald, S. 62. 299 Vgl. Roxin, 24/29. 300 Vgl. Oellerich, StV 1981, 434 (441). 301 Spaniol, S. 334; wobei die Annahme einer notwendigen Verteidigung nicht zu entscheiden sei, vgl. S. 321 mit Fn. 18.

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5. Kap.: Die Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren

Verteidigung sie schon in diesem Stadium verlange302. Dies sei der Fall, wenn dem Wahlverteidiger bestimmte Rechte (z. B. Äußerungs- oder Anwesenheitsrechte) garantiert seien, um seine Funktion wirksam ausüben zu können. In Fällen des inhaftierten Beschuldigten sei der Verteidiger alsbald zu bestellen303. Damit gewinnt sie (auch unter Rückgriff auf Art. 6 III lit. c) EMRK) die durch den BGH in den besprochenen Entscheidungen304 entwickelten Kriterien für eine Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren. So können die erforderlichen Einschränkungen für eine Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren schon dem nationalstaatlichen Recht entnommen werden, unabhängig davon, ob der Anspruch auf Bestellung eines Beistandes nach Art. 6 III lit. c) EMRK letztlich nicht über §§ 140, 141 hinausgehen mag305. Wohlers306 gesteht jedem von einem Verbrechensvorwurf betroffenen mittellosen Beschuldigten das Recht zu, sich einen Verteidiger im Ermittlungsverfahren unentgeltlich beiordnen zu lassen. Einem entsprechenden Wunsch des Beschuldigten sei nachzukommen. Einen Zwang des Beschuldigten zu formeller Verteidigung in diesen Fällen enthielte Art. 6 III lit. c) EMRK jedoch nicht307. Dabei versteht Wohlers den Begriff „in the interests of justice“ aus dem englischen Vertragstext des Art. 6 III lit. c) EMRK als „Interesse des Beschuldigten auf angemessene Teilhabe am Strafverfahren“308. Eine Auslegung des § 141 III sollte m. E. indes die umstrittene Übersetzung der „interests of justice“ nach Art. 6 III lit. c) EMRK sowie deren Konkretisierung durch die Vorschriften der §§ 137 ff. meiden. Zudem müßte die Frage des exakten Geltungszeitpunktes des Art. 6 III lit. c) EMRK herausgearbeitet werden, der gleichfalls nicht unumstritten ist309. Um beide Fragen zu beantworten, müßte letztlich zur Bestimmung eines Anspruchs nach Art. 6 III lit. c) EMRK 302

Spaniol, S. 151. Spaniol, S. 148 ff., 333. 304 BGHSt 46, 93 ff.; BGH NJW 2002, 975 ff.; NJW 2002, 1279 f. 305 Die Interessen der Rechtspflege sind nach überwiegender Auffassung durch §§ 140 f. hinreichend konkretisiert, vgl. Meyer-Goßner, Art. 6 EMRK Rn. 20 f.; Schorn, Art. 6 EMRK unter 4. f.; Kalsbach, Pescara-Beiheft, S. 112 (137 f.); siehe ferner: Int. Komm.-Vogler, Art. 6 EMRK Rn. 531; kritisch: J. T. Müller, S. 99 ff; Spaniol, S. 63 ff. 306 Nach Wohlers (vgl. auch Esser, S. 474 f.) gebietet Art. 6 III lit. c) EMRK, den Beschuldigten frühzeitig über den Tatvorwurf und die Möglichkeit einer unentgeltlichen Verteidigerbestellung zu informieren. Dabei sei die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Hinweis auf den Tatvorwurf unterbleiben könne, noch abzuklären. 307 Wohlers, FS-Rudolphi, S. 713 (730 ff.). 308 FS-Rudolphi, S. 713 (725), im Anschluß an Weigend, StV 2000, 384 (385). 309 Wohlers verweist insofern lediglich auf die heute „allgemein“ anerkannte Geltung des Art. 6 III lit. c) EMRK im Ermittlungsverfahren hin (vgl. FS-Rudolphi, S. 713, 729 mit Fn. 88). Diese ist jedoch so nicht für alle Stadien des Ermittlungsverfahrens unstreitig anerkannt, vgl. oben: Kap. 3, § 2 C. 303

§ 2 Zeitpunkt der Bestellung eines Verteidigers

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im Vorverfahren wiederum auf Kriterien zurückgegriffen werden, wie sie im Vorstehenden zur Reduzierung des richterlichen Ermessens in § 141 III 1 benannt und in den Überlegungen von Spaniol auch herausgearbeitet wurden. Wohlers’ Auslegung des § 141 III durch Heranziehung von Art. 6 III lit. c) EMRK ist damit nicht zuzustimmen. Vielmehr ist eine Entwicklung des erforderlichen Bestellungszeitpunktes nach nationalem Verfahrensrecht zu bevorzugen310. So ist auch Bottke311 zu widersprechen, wenn er § 141 III 1 unter Berücksichtigung von Art. 6 III lit. c) EMRK und Art. 14 III d S. 3 IPBR auslegt und annimmt, aufgrund der (u. a. durch § 140) erfolgten Konkretisierung des Interesses der Rechtspflege sei ein Verteidiger durch den Vorsitzenden zu bestellen. § 141 III 1 gewähre kein Ermessen bezüglich der Verteidigerbestellung, wenn das Interesse sich konkretisiert habe. Der Vorsitzende dürfe die Vorgaben der Legislative im Vorverfahren nicht „unterlaufen“. Die Vorgaben der Legislative sprechen jedoch für eine Ermessensgewährung312. Gegen das Argument der Einschränkung des Bestellungszeitpunktes durch Art. 6 III lit. c) EMRK und Art. 14 III d S. 3 IPBR spricht, daß sich die Vorschriften nicht zu dem genauen Zeitpunkt verhalten, wann eine Bestellung zu erfolgen hat.

C. Allgemeine Richtlinie für eine Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren Es ist zwischen der Antragspflicht der Staatsanwaltschaft nach § 141 III 2 und der Bestellung durch den Vorsitzenden gemäß § 141 III 1, IV zu unterscheiden. Die Staatsanwaltschaft hat eine Antragspflicht nach § 141 III 2, wenn die Voraussetzungen notwendiger Verteidigung im gerichtlichen Verfahren vorliegen werden. Nach der teleologischen Auslegung verpflichtet § 141 III 1 den Vorsitzenden lediglich in bestimmten Fällen, einen Verteidiger im Vorverfahren zu bestellen. Indes kann nicht lediglich bei Absehbarkeit notwendiger Verteidigung im gerichtlichen Verfahren das richterliche (pflichtgemäße313) Ermessen derge310 Zur Vermeidung von Unsicherheiten favorisiert letztlich auch Wohlers eine solche Lösung nach nationalem Recht. Er legt § 141 III dahin aus, daß in allen Fällen absehbarer notwendiger Verteidigung ein Verteidiger zu bestellen ist. Eine solche Auffassung überzeugt jedoch aufgrund der bisherigen Auslegung des § 141 III nicht. 311 BMJ-Vert, S. 46 (83 f.). Seine Ausführungen erfolgen im Zusammenhang mit einem fairen Jugendstrafverfahren, sind darauf jedoch nicht schlechterdings beschränkt. 312 Siehe oben: Kap. 5, § 2 B. III. 1. d). 313 Vgl. BGHSt 1, 175 (177) zum Absehen von der Vereidigung des Zeugen nach § 61 Nr. 2.

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5. Kap.: Die Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren

stalt eingeschränkt sein, daß stets ein Verteidiger zu bestellen ist. Ansonsten liefe das in § 141 III 1 gewährte Ermessen leer. Anhaltspunkt für ein konkretisiertes Ermessen ist zunächst die polizeiliche, staatsanwaltschaftliche oder (haft)richterliche Vernehmung des Beschuldigten. Für eine solche ist in Fällen absehbarer notwendiger Verteidigung stets ein Verteidiger zu bestellen. Unterbleibt eine derartige Vernehmung (vgl. § 163 a I 1), so kann sich eine Bestellungspflicht aus den weiteren oben angeführten Erwägungen ergeben. Damit würde der Beschuldigte aufgrund der Verteidigerbestellung von dem Ermittlungsverfahren in Kenntnis gesetzt. Will die Staatsanwaltschaft dies verhindern, so hat sie sich darauf einzustellen und muß die zu einer Verteidigerbestellung führenden Verfahrenskonstellationen – sofern es in ihrer Macht steht – „vermeiden“ (vgl. z. B. eine Durchsuchung, Antrag auf Erlaß eines Haftbefehls oder eine ermittlungsrichterliche Zeugenvernehmung). Dadurch kann sie nicht sämtlichen, außerhalb einer Venehmung angesiedelten Konkretisierungen einer Bestellungspflicht vorbeugen (vgl. z. B. die Gefahr einer Ausweisung von Ausländern). Diese mit der Verteidigerbestellung verbundene Offenlegung eines Ermittlungsverfahrens hat die Staatsanwaltschaft dann hinzunehmen. Letztlich können die Strafverfolgungsbehörden die Mehrheit der Verfahrenslagen, welche das Ermessen nach § 141 III 1 konkretisieren, von sich aus umgehen. So liegt es an ihnen, die Hauptverhandlung präjudizierende Ermittlungshandlungen vorzunehmen, bzw. zu beantragen. Auch die Heranziehung eines Sachverständigen im Ermittlungsverfahren und damit die Anhörung des Verteidigers nach Nr. 70 I RiStBV resultiert aus ihrem konkreten Willensakt. Zwar können die Strafverfolgungsbehörden (dies ist zu beachten) wegen des Grundsatzes der Ermittlung von Amts wegen nach § 160 II zu den entsprechenden Ermittlungshandlungen bzw. Anträgen von Gesetzes wegen gezwungen sein. Dann ist es aber im Hinblick auf ein faires, kontradiktorisches Verfahren nur folgerichtig, einen Pflichtverteidiger zu den entsprechenden wichtigen Ermittlungen hinzuziehen. Ihrer „Definitionsmacht“ von vornherein entzogen sind Verteidigerbestellungen aufgrund der körperlichen Konstitution des Beschuldigten, dessen Ausländereigenschaft oder aufgrund des Verhaltens des Verletzten. Eine Verteidigerbestellung aufgrund noch im Ermittlungsverfahren zu gewährender Akteneinsicht unterliegt gleichfalls der Einschätzung durch den Vorsitzenden nach § 141 III, IV. Unterbleibt eine Verteidigerbestellung durch den Vorsitzenden, weil er sie nicht für geboten hält, so hat die Staatsanwaltschaft das Verfahren weiterhin auf eine mögliche Verteidigerbestellung zu überprüfen. Sie hat bei geänderter Sach-

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lage, die eine Verteidigerbestellung nunmehr (anhand der oben genannten Kriterien) als wahrscheinlich erscheinen läßt, den Antrag nach § 141 III 2 zu wiederholen. Angesichts der vorstehenden Ausführungen wird es Fälle absehbarer notwendiger Verteidigung geben, in denen eine Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren nicht zwingend ist und sie von Gesetzes wegen (vgl. § 141 I) erst im Zeitpunkt der Aufforderung nach § 201 zu erfolgen hat.

§ 3 Beurteilung der Entscheidungen des 1. und 5. Senats zur Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren Nach der Auslegung von § 141 III sind nunmehr die angeführten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zu würdigen. Beide Senate nehmen eine Antragspflicht und eine Bestellungspflicht unter bestimmten Voraussetzungen an. Zu prüfen bleibt, inwieweit der 5. Senat sich von der Rechtsprechung des 1. Senats entfernt haben könnte314. Die Entscheidungen des 1. Senats wurden in der Literatur unterschiedlich gewürdigt. So wertet Kühne sie als ein „Umdenken“315. Schünemann316 bezeichnet die Entscheidung in BGHSt 46, 93 ff. für die Funktion einer materiellen Wahrheitsfindung als „vorbildlich“. Angesichts ihrer einschränkenden Ausführungen wird sie von Neuhaus als „Echternacher Sprungprozession“ bezeichnet: „Zwei Schritte vor, einer zurück“317. Gössel wähnt in der Entscheidung eine kontraproduktive Pflicht zur Verteidigerbestellung. Er anerkennt zwar, daß der BGH durch seine Beweiswürdigungslösung versuche, Täter nicht straffrei ausgehen zu lassen. Die angenommene Pflicht zur Verteidigerbestellung vor der ermittlungsrichterlichen Aussage verzögere jedoch letztere. Dadurch verbliebe dem Täter noch mehr Zeit, um den Zeugen zu bewegen, von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch zu machen318. Mit der vom Senat vorgenommenen konventionskonformen Auslegung hat § 141 III nach Hamm „ihre Unschuld als harmlose Kann-Vorschrift verloren“319. Es sei an Rechtswissenschaft 314 Vgl. Roxin, JZ 2002, 898 (900 – „Verschleierung seiner Abweichung“); nach der Auffassung Widmaiers (Sonderheft-Schäfer, S. 76, 79 mit Fn. 24) hat der 5. Senat in NJW 2002, 1279 „Vorbehalte angemeldet“, er nehme erheblich engere Voraussetzungen für die Pflichtverteidigerbestellung an. 315 Kühne, Rn. 190. 316 Schünemann, ZStW 2001, 1 (50 mit Fn. 142). 317 Neuhaus, JuS 2001, 18 (21). 318 Länger zurückliegende sexuelle Straftaten könnten dann auch nicht mehr durch einen genetischen Fingerabdruck nach § 81 e bewiesen werden, Gössel, GS-Meurer, S. 381 (392 f.). 319 Hamm, FS-Lüderssen, S. 717 (724).

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5. Kap.: Die Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren

und Praxis, die verbleibenden Kann- von den Muß-Fällen zu bestimmen. Auch wird angenommen, die Entscheidung des BGH zeige Mut, Konventionsverletzungen durch aktive Gestaltung über eine prozessrechtliche Lösung zu vermeiden, Brüche im nationalen Recht seien so jedoch vorprogrammiert320. Auf jeden Fall ist zuzugestehen, daß der Senat die Rechte des Beschuldigten durch die Bewertung des Fragerechts nach Art. 6 III lit. d) EMRK gestärkt hat321. Der Anspruch des Beschuldigten auf Bestellung eines Verteidigers ist durch die zweite Entscheidung des 1. Senats weiter ausgebaut worden. Nach ihr steht die Nichtbestellung eines Verteidigers der Verweigerung einer Verteidigerkonsultation gleich322. Schwaben wertet die Entscheidungen als „Meilenstein“ im Hinblick auf die Rechte des Beschuldigten323. Nach Franke zielen die beiden Entscheidungen des 1. Senats auf ein konsensuales Strafverfahren ab324. Roxin sieht die Entscheidung des 5. Senats vom 05.02.2002 als wichtigen Beitrag zur weiteren Diskussion über das Verteidigerkonsultationsrecht, jedoch wertet er sie gegenüber den Verteidigerrechten des Beschuldigten als zu restriktiv325. Die Entscheidungen sind unter zwei Gesichtspunkten zu würdigen. Es ist zwischen der Antragstellung der Staatsanwaltschaft (§ 141 III 2) und der Bestellung durch das Gericht (§ 141 III 1) zu unterscheiden. Um die inhaltlichen und zeitlichen Voraussetzungen für eine Antrags- und Bestellungpflicht herauszuarbeiten, wird auf den unterschiedlichen Blickwinkel abzustellen sein, der sich Staatsanwaltschaft und Gericht bietet. Zu berücksichtigen ist insofern, daß im Rahmen der Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren Staatsanwaltschaft und Gericht gemeinsam tätig werden müssen.

A. Prognose notwendiger Verteidigung im gerichtlichen Verfahren für eine Antragstellung der Staatsanwaltschaft nach § 141 III 2 Nach beiden Senaten hat die Staatsanwaltschaft eine Prognose über die Notwendigkeit der Verteidigung im gerichtlichen Verfahren anzustellen.

320 Das Strafprozeßrecht würde in eine „Schieflage“ gebracht, wenn die nationalen Gerichte aktiv Prozeßlagen über das Gesetz hinaus kompensierten. Es müsse zwischen Rechtsfortbildung und unzulässiger Gesetzgebungskompetenz unterschieden werden. Wenn eine unvermeidbare Kollision mit der Konvention generell aufgrund einer gesetzlich vorgegebenen Struktur erfolge, so sei die Entscheidung des Gesetzgebers zu achten, vgl. Sommer, StraFo 2002, 309 (312 f.). 321 Widmaier, Sonderheft-Schäfer, S. 76. 322 Widmaier, Sonderheft-Schäfer, S. 76 (78). 323 Schwaben, NStZ 2002, 288 (293). 324 Franke, GA 2002, 573 (577). 325 Roxin, JZ 2002, 898 (900).

§ 3 Beurteilung der Entscheidungen des 1. und 5. Senats

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I. Zeitpunkt der Prognose Es ist der Zeitpunkt zu bestimmen, zu welchem die Staatsanwaltschaft eine Prognose notwendiger Verteidigung im gerichtlichen Verfahren anzustellen hat. 1. Die Auffassung des 1. Senats Der 1. Senat stellt auf den Zeitpunkt ab, zu dem „abzusehen“ ist, daß die Mitwirkung eines Verteidigers im gerichtlichen Verfahren notwendig sein wird326. Der Senat führt aus, die Staatsanwaltschaft dürfe den Anfangsverdacht so weit abklären, daß sie eine „dem Stande der Ermittlungen gemäße“ Basis gewinnt, die spätere Notwendigkeit einer Verteidigung – im entschiedenen Fall nach § 140 I Nr. 2 – beurteilen zu können327. In NJW 2002, 975 ff. stellt der 1. Senat auf den Antrag auf Erlaß des Haftbefehls durch die Staatsanwaltschaft ab328, in BGHSt 46, 93 ff. auf die Bejahung dringenden Tatverdachts durch den Haftrichter329. Letztmöglicher Zeitpunkt für eine Prognose notwendiger Verteidigung im gerichtlichen Verfahren ist danach die Annahme eines dringenden Tatverdachts durch die Staatsanwaltschaft. 2. Die Ansicht des 5. Senats Der 5. Senat stellt darauf ab, ob mit einer i. S. v. § 140 I und II gewichtigen Anklageerhebung zu „rechnen ist“. Er äußert sich nicht über den letztmöglichen Zeitpunkt im Sinne der Annahme dringenden Tatverdachts. Seine erste Entscheidung (NJW 2002, 1279) bezieht sich auf die haftrichterliche Vernehmung einer Beschuldigten nach § 128 I, die wegen Mordverdachts festgenommen worden war. Da § 127 II die Annahme eines dringenden Tatverdachts fordert, könnte auch der 5. Senat als letztmöglichen Zeitpunkt einer Antragstellung die Bejahung eines dringenden Tatverdachts berücksichtigen. Nach seiner späteren Entscheidung (NStZ 2004, 390) genügt allein ein dringender Tatverdacht für eine Bestellungspflicht nicht.

326

Vgl. BGHSt 46, 93 (98); BGH NJW 2002, 975 (977). BGH NJW 2002, 975 (977). 328 Auch wenn sie nach dem Senat mit dem Beiordnungsantrag bis zur tatsächlichen Festnahme noch zuwarten sowie die eigene Entscheidung des Beschuldigten über die Hinzuziehung eines Wahlverteidigers abwarten kann, BGH a. a. O. 329 Dies ist wohl auf die dortige Verfahrenslage zurückzuführen: Die entscheidende ermittlungsrichterliche Vernehmung fand erst nach der Vorführung vor den Haftrichter statt. Insofern bestand für den 1. Senat keine Notwendigkeit, auf frühere Verfahrenslagen einzugehen. 327

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5. Kap.: Die Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren

Mit dem zusätzlichen Erfordernis einer „unerläßlichen“ Bestellung ist jedoch – ähnlich den Gedanken des 1. Senats – ein zusätzliches materielles Kriterium der Erforderlichkeit einer Verteidigerbestellung durch den Vorsitzenden nach § 141 III 1 gemeint. Es ist anzunehmen, daß in zeitlicher Hinsicht auch der 5. Senat den dringenden Tatverdacht als letztmöglichen Zeitpunkt für die zu stellende Prognose durch die Staatsanwaltschaft begreift. Fraglich ist, ob die Ausdrucksweise „zu rechnen ist“ über den vom 1. Senat angeführten abgeklärten Anfangsverdacht hinausgeht und bei Fehlen eines dringenden Tatverdachts einen hinreichenden nach §§ 170 I, 203 verlangt. Dies kann jedoch nicht gemeint sein, weil eine solche Verdachtsstufe einen Abschluß der Ermittlungen voraussetzt und daher für den abzuklärenden Verdachtsgrad während der Ermittlungen nicht herangezogen werden kann330. Zu fragen ist daher nach dem Inhalt des abgeklärten Anfangsverdachts. 3. Kriterium des „abgeklärten Anfangsverdachts“ Nach diesem Erfordernis des 1. Senats hat die Staatsanwaltschaft „eine – dem Stande der Ermittlungen gemäße – Grundlage“ für die Beurteilung späterer Notwendigkeit der Verteidigung zu gewinnen331. Daß allein ein Anfangsverdacht u. U. nicht ausreichen kann, um eine Pflicht der Staatsanwaltschaft zu begründen, ist den nach § 140 I und II geforderten Einschätzungen für eine Abklärung der Voraussetzungen späterer Notwendigkeit zu entnehmen. Wenn § 141 III 2 von „ihrer Auffassung“ spricht, so ist der Staatsanwaltschaft eine Zeitspanne zuzubilligen, die ihr erlaubt, eine solche zu entwickeln. Angesichts der Vielschichtigkeit einer Verdachtslage kann danach keine feststehende Zeitspanne vorgegeben werden. Andererseits muß sie aber auch noch nicht eine unumstößliche Auffassung entwickelt haben, wonach im gerichtlichen Verfahren die Mitwirkung eines Verteidigers notwendig sein wird. Wie die Annahme eines dringenden Tatverdachts332 kann auch diese Wertung vorübergehender Natur sein. So verkörpert dieser Verdachtsgrad auch den vom 1. Senat ausdrücklich angeführten spätestmöglichen Zeitpunkt einer dem Stande der Ermittlungen gemäß gewonnenen Grundlage333. Die Staatsanwaltschaft gründet ihre Auffassung auf die objektiven Feststellungen, welche aus der Ermittlungsakte hervorgehen. Dabei kann sich der „abgeklärte Anfangsverdacht“ u. U. erst nach beantragten oder durchgeführten Zwangsmaßnahmen ergeben, wenn deren Auswertung die Grundlage für die Be330

Vgl. Schulz, S. 609 ff. Vgl. BGH NJW 2002, 975 (977). 332 Vgl. zur Variabilität des dringenden Tatverdachts: Schulz, S. 603 ff. 333 Der 5. Senat siedelt die Prognose für eine Beurteilungsgrundlage nicht zwingend bei einem dringenden Verdachtszeitpunkt an, schließt sie jedoch auch nicht aus. 331

§ 3 Beurteilung der Entscheidungen des 1. und 5. Senats

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urteilung späterer Verteidiger-Notwendigkeit bietet; zwingend ist dies nicht. Jedoch erscheinen derartige Zwangsmaßnahmen als objektive Kriterien für Zeitpunkte einer Antragstellung geeignet. Setzen sie die Bejahung eines dringenden Tatverdachts voraus, so stellen sie in jedem Fall die zeitliche Grenze für den abgeklärten Anfangsverdacht dar. Die Formulierungen der beiden Senate schließen auch eine Abschätzung der Voraussetzungen notwendiger Verteidigung schon mit der Bejahung eines konkreten Anfangsverdachts nicht unbedingt aus. Eine weitere Abklärung wäre dann nicht mehr erforderlich, ein Zuwarten entbehrlich. So hebt auch Bringewat334 hervor, daß der durch die Staatsanwaltschaft bejahte konkrete Anfangsverdacht nach §§ 152 II, 160 bereits ausreiche, um eine notwendige Verteidigung nach § 140 I und II schon zu Beginn des Ermittlungsverfahrens abzuschätzen. Bedenken gegen eine vorschnelle Pflichtverteidigerbestellung begegnet er zutreffend mit der Überlegung, diese könne infolge des Wegfalls der Voraussetzungen einer notwendigen Verteidigung wieder zurückgenommen werden. II. Beurteilungsspielraum der Staatsanwaltschaft bezüglich der Voraussetzungen notwendiger Verteidigung im gerichtlichen Verfahren Beide Senate gestehen der Staatsanwaltschaft einen Beurteilungsspielraum für die Frage zu, ob die Voraussetzungen notwendiger Verteidigung im gerichtlichen Verfahren gegeben sind. Der 5. Senat nimmt darüber hinaus einen solchen hinsichtlich des Antrags nach § 141 III 2 an, sowohl für das ob, als auch für den Zeitpunkt. Diese Ansicht ist angesichts des klaren Wortlauts von § 141 III 2 abzulehnen335. Das Gesetz stellt ausdrücklich und ausschließlich nur auf das materielle Erfordernis der späteren notwendigen Verteidigung ab, soweit es auf die Auffassung der Staatsanwaltschaft rekurriert, nicht aber auf die Antragstellung als solche. Eine vollständige (revisions)gerichtliche Überprüfbarkeit des Vorgehens der Staatsanwaltschaft lehnt der 5. Senat336 ausdrücklich ab. Insofern sind das Vorliegen eines staatsanwaltschaftlichen Beurteilungsspielraums sowie die Frage 334 Bringewat, ZRP 1979, 248 (251) – so seine Überlegungen zur Vorverlegung des Bestellungszeitpunktes auf den Beginn staatsanwaltlicher und polizeilicher Ermittlungen de lege ferenda. 335 Roxin, JZ 2002, 898 (899). 336 Vgl. NJW 2002, 1279 (1280); nach dem 1. Senat darf der Richter bei der Überprüfung des § 141 III 2 „nicht ohne weiteres“ seine Einschätzung einer solchen der Staatsanwaltschaft bevorzugen. Die Annahme einer Antragspflicht unterliege der Rücksichtnahme auf die situativbedingten Grenzen ermittlungsbehördlicher Entscheidungen im Ermittlungsverfahren, NJW 2002, 975 (977).

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5. Kap.: Die Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren

der gerichtlichen Überprüfbarkeit des Vorgehens der Staatsanwaltschaft zu eruieren. Ob überhaupt ein Beurteilungsspielraum gegeben ist, kann nicht pauschal nach § 141 III 2 bestimmt werden, sondern hat der zugrunde liegenden Notwendigkeit der Verteidigung nach § 140 I und II zu folgen337. So ist auch im Verwaltungsrecht anerkannt, daß unbestimmte Rechtsbegriffe lediglich in bestimmten Fällen einen Beurteilungsspielraum nach sich ziehen. Dies wird u. a. angenommen338 für prüfungsspezifische Wertungen, beamtenrechtliche Beurteilungen oder im Rahmen von Prognoseentscheidungen. 1. § 141 III 2 i. V. m. § 140 I Nach Wohlers339 ist in den Fällen von § 140 I Nr. 1 bis Nr. 3, Nr. 7 (Notwendigkeit aufgrund des Vorwurfs) und § 140 I Nr. 5, Nr. 6, Nr. 8 (Notwendigkeit wegen der aktuellen Verfahrenslage) keine Prognose erforderlich. Dies erscheint fraglich. Zuzustimmen ist eher Hegmann, wenn er meint, daß die Beurteilung einer notwendigen Verteidigung nach § 140 I für die Staatsanwaltschaft „relativ einfach“ ist340. Die Pflicht zur Antragstellung nach § 141 III 2 i. V. m. § 140 I ergebe sich schon geraume Zeit vor dem Ermittlungsabschluß. Der 1. Strafsenat gewährt der Staatsanwaltschaft allgemein einen Beurteilungsspielraum bei der Verdachtslage „sowohl in tatsächlicher wie in rechtlicher Hinsicht“341. Dies begegnet erheblichen Bedenken. Es ist vielmehr zwischen der Beurteilung der Verdachtslage bezogen auf den Sachverhalt und der sich daraus ergebenden rechtlichen Bewertung zu unterscheiden. Im Rahmen der Definition des Tatverdachts in seiner reinen Sachverhaltskomponente ist der Staatsanwaltschaft ein Beurteilungsspielraum zuzugestehen342. Hingegen unterliegt die rechtliche Würdigung eines solchen Sachver337 Vgl. auch Roxin, JZ 2002, 898 (899): § 141 III 2 gewähre der Staatsanwaltschaft keinen Beurteilungsspielraum, sondern nehme sie in die Pflicht. Ein „begrenzter“ Beurteilungsspielraum bestehe nur im Hinblick auf die Prognose, ob im gerichtlichen Verfahren eine Verteidigung notwendig werde. Wenn dies zu bejahen sei, müsse die Staatsanwaltschaft einen Antrag stellen. 338 Vgl. Ossenbühl, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), 10/35 ff. 339 JR 2002, 293 (295). Wohlers nimmt an, § 141 III 2 könne auch ausschließlich als bloße Kompetenzzuweisungsnorm verstanden werden; die Annahme eines Beurteilungsspielraums der Staatsanwaltschaft wäre dann nicht von vornherein zwingend. 340 Hegmann, S. 253 f.; Roxin, JZ 2002, 898 (899); vgl. ferner: Klemke, StV2003, 413. 341 BGH NJW 2002, 975 (977). 342 Vgl. zum hinreichenden Tatverdacht: BVerfG NStZ 2002, 606; Meyer-Goßner, § 170 Rn. 1, § 203 Rn. 2 m. w. N. auch zur Gegenmeinung; BGH (III. Zivilsenat) NJW 1970, 1543 (1544) – auch zum Anfangsverdacht; siehe ferner: BVerfG NJW 1984, 1451 (1452); Hoffmann, NStZ 2002, 566 f. m. w. N.; konsequent wäre die Über-

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halts grds. den allgemeinen Auslegungskriterien, wie sie von Rechtsprechung und Schrifttum aufgestellt werden. Dabei ist jeder gesetzlich normierte Fall der notwendigen Verteidigung im einzelnen zu überprüfen, ob abweichend hiervon der Staatsanwaltschaft auch in rechtlicher Hinsicht ein Beurteilungsspielraum eingeräumt wird. a) § 140 I Nr. 1 Sobald die Staatsanwaltschaft eine Anklage zum Landgericht oder Oberlandesgericht beabsichtigt, hat sie den Antrag auf Beiordnung nach § 141 III 2 zu stellen. Eine solche Anklage hat zu erfolgen, wenn eine Tat in den Zuständigkeitskatalog des Landgerichts nach § 74 II bzw. § 74 a I GVG fällt oder die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts nach § 120 GVG begründet ist, § 24 I Nr. 1 GVG. Die Zuständigkeit der Gerichte ist eindeutig bestimmt. Damit entfällt auch ein Beurteilungsspielraum der Staatsanwaltschaft, zu welchem Gericht sie anklagt. Auch wenn eine Freiheitsstrafe von mehr als vier Jahren bzw. eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) oder in der Sicherungsverwahrung (§ 66 StGB) zu erwarten ist, hat sie Anklage zum Landgericht zu erheben, §§ 24 I Nr. 2, 74 I GVG. Bezüglich der Straferwartung ist der Staatsanwaltschaft angesichts ihrer Prognoseentscheidung343 ein Beurteilungsspielraum zuzugestehen, erfolgt doch die Strafzumessung als Akt tatrichterlicher Würdigung. Dabei hat sie die ergangenen Entscheidungen bezüglich des Strafmaßes in einschlägigen Fällen zu berücksichtigen. Insofern steht ihr lediglich ein eingeschränkter Beurteilungsspielraum zu344. Soweit eine Untersuchung nach § 414 III erfolgte oder eine vorübergehende Unterbringung nach § 126 a durch eine ärztliche Untersuchung bestätigt wurde, entfällt ihr Beurteilungsspielraum hinsichtlich der Erwartung einer endgültigen Unterbringung nach § 63 StGB. Es entsteht ferner eine „Bindungswirkung“ bezüglich eines Antrages auf ein Sicherungsverfahren nach § 413345, welcher in ihrem Ermessen steht.

tragung eines Beurteilungsspielraums auch auf den dringenden Tatverdacht, vgl. Störmer, ZStW 108 (1996), 494, (519), der jedoch selbst einen Beurteilungsspielraum ablehnt, vgl. S. 512 ff.; kritisch zum Beurteilungsspielraum der Staatsanwaltschaft: Ebert, S. 47 ff.; Eisenberg/Conen, NJW 1998, 2241 ff. 343 OLG Karlsruhe StV 1998, 252 f.; Kissel, § 24 GVG Rn. 7; Meyer-Goßner, § 24 GVG Rn. 4. 344 Vgl. unten die Erwägungen zu § 140 II 1 1. Alt.: Kap. 5, § 3 A. II. 2. 345 Vgl. oben: Kap. 3, § 2 A. III.

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5. Kap.: Die Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren

Bezüglich § 66 StGB ergibt sich folgendes Bild: Angesichts des Strafrahmens von zwei Jahren und der erforderlichen Gesamtwürdigung des Täters sowie seiner Taten nach § 66 I Nr. 3 StGB ist ihr hinsichtlich dieser rechtlichen Voraussetzungen ein Beurteilungsspielraum einzuräumen. Soweit die fakultative Sicherungsverwahrung nach § 66 II und III StGB betroffen ist, ist es nur folgerichtig, wenn hier ein noch größerer Beurteilungsspielraum angenommen wird346, der dem Ermessen entspricht, das dem Gericht insoweit in der Hauptverhandlung zugesprochen347 wird. So ist auch anerkannt, daß die Entscheidung des Gerichts über eine Sicherungsverwahrung durch das Revisionsgericht im Hinblick auf die Erheblichkeit zukünftiger Straftaten nach § 66 I Nr. 3 StGB nur eingeschränkt überprüfbar ist348. Wegen der besonderen Bedeutung des Falls kann die Staatsanwaltschaft ebenfalls Anklage zum Landgericht erheben, § 24 I Nr. 3 GVG. Gemäß der verfassungskonformen Auslegung der Vorschrift ist sie dazu verpflichtet, wenn sie die besondere Bedeutung bejaht349. Ob sich die Strafsache aufgrund tatsächlicher oder rechtlicher Umstände aus der Masse heraushebt350 unterliegt nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts keinem Beurteilungsspielraum; ihre Entscheidung ist vollständig überprüfbar351. Damit entfällt auch ein solcher für die Prognose notwendiger Verteidigung nach § 140 I Nr. 1, welche sich auf § 24 I Nr. 3 GVG stützt. Ein Zuwarten bis ein hinreichender Verdacht einer Tat besteht, welche die Notwendigkeit einer Verteidigung gemäß § 140 I Nr. 1 durch die Anwendung von § 24 I Nr. 2 GVG nach sich zieht, ist ihr trotz eines Beurteilungsspielraums nicht gestattet. Dies würde der Eigenständigkeit einer Verteidigerbestellung nach § 141 III 1 im Gegensatz zu § 141 I widersprechen. Denn der hinreichende Verdacht setzt begrifflich voraus, daß die Sache ausermittelt ist352. Andererseits ist den Fällen, die in die Zuständigkeit des Landgerichts nach § 24 I Nr. 2 GVG fallen, gemeinsam, daß eine Prognose hinsichtlich einer Rechtsfolgenentscheidung zu treffen ist. Daher setzt der „abgeklärte Anfangsverdacht“ hier voraus, daß hinreichende Ermittlungen durchgeführt sind, die eine derartige Prognose zuverlässig und nach dem Erfahrungshorizont der Staatsanwaltschaft ermöglichen, ohne nur spekulative Bedeutung zu haben. Daher ist der Staatsanwaltschaft in diesen Fällen zuzubilligen, daß sie die für die Prognoseentscheidung maßgeblichen Umstände ermittelt hat, bevor sie die Entscheidung über 346

Vgl. auch OLG Karlsruhe StV 1998, 252 f.; Kissel, § 24 GVG Rn. 7. Vgl. Sch/Sch/Stree, § 66 StGB Rn. 47, 57, 65. 348 Vgl. BGH NJW 2000, 3015. 349 BVerfGE 9, 223 (228 f.); Meyer-Goßner, § 24 GVG Rn. 5. 350 Vgl. OLG Düsseldorf StV 1997, 13. 351 BVerfGE 9, 223 (229); Kissel, § 24 GVG Rn. 10; weitere Nachweise bei MeyerGoßner, § 24 GVG Rn. 7. 352 Vgl. Meyer-Goßner, § 112 Rn. 6. 347

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einen Antrag auf Verteidigerbestellung trifft. Diese ermittelten Umstände müssen die Prognose als wahrscheinlich erscheinen lassen353. b) § 140 I Nr. 2 Dieser Fall der notwendigen Verteidigung zeichnet sich dadurch aus, daß das Vorliegen seiner Voraussetzungen, nämlich die Anklage wegen eines Verbrechens, gesetzlich definiert ist, vgl. § 12 I StGB. Weitere Voraussetzungen sind nicht erforderlich, namentlich ist keine Prognose anzustellen. Damit entfällt ein rechtlicher Beurteilungsspielraum der Staatsanwaltschaft. Es verbleibt beim Merkmal des „abgeklärten Anfangsverdachts“, bezogen auf den Sachverhalt in objektiver und subjektiver Hinsicht, aus dem sich die rechtliche Bewertung „Verbrechen“ ergibt. c) § 140 I Nr. 3 Grds. wird man einen Beurteilungsspielraum der Staatsanwaltschaft für eine Antragsverpflichtung nach § 141 III 2 i. V. m. § 140 I Nr. 3 (Anordnung eines Berufsverbots, § 70 StGB) annehmen können354. Dies insbesondere insofern, als dessen Anordnung im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts steht355. Jedoch sind wie bei der Straffolgenerwartung nach § 140 I Nr. 1 bzw. der Schwere der Tat nach § 140 II 1 1. Alt. die in der Praxis ergangenen Fallgruppen zu berücksichtigen. Insoweit besteht ein begrenzter Beurteilungsspielraum. Wird ein vorläufiges Berufsverbot nach § 132 a angeordnet, wird man einen solchen – entsprechend den Erwägungen zu § 126 a – gänzlich ablehnen müssen. Zu fragen ist, ob erst die gerichtliche Entscheidung nach § 132 a zu einer Antragspflicht der Staatsanwaltschaft führt, oder eine solche bereits anzunehmen ist, wenn die Staatsanwaltschaft den Antrag auf ein vorläufiges Berufsverbot im Ermittlungsverfahren stellt. Zu § 126 a (Fall der notwendigen Verteidigung gemäß § 140 I Nr. 1, Nr. 7) wurde die Auffassung vertreten, erst das Ergebnis einer psychiatrischen Untersuchung sei hinreichende Voraussetzung für die Prognose eines Sicherungsverfahrens, welches wiederum Voraussetzung einer Antragspflicht nach § 141 III 2 i. V. m. § 140 I Nr. 7, § 413 ist. Beide Fallgestaltungen unterscheiden sich dadurch, daß als Grundlage für die Einleitung eines Sicherungsverfahrens nach § 413 die sachkundige Mithilfe eines Sachverständigen erforderlich ist; die notwendigen Fähigkeiten der Beurtei353 Auch Hegmann meint, daß eine unbestimmte Zuständigkeit noch nicht für eine Verpflichtung ausreicht. Die als gesichert ermittelten Umstände müssen diesen Weg als den wahrscheinlichsten erscheinen lassen, vgl. Hegmann, S. 252. 354 Vgl. LR-Lüderssen, § 140 Rn. 26. 355 Vgl. Sch/Sch/Stree, § 70 StGB Rn. 14.

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5. Kap.: Die Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren

lung hat die Staatsanwaltschaft nicht. Anders ist die Situation hingegen bei einem Antrag auf ein vorläufiges Berufsverbot nach § 132 a. Hier ist die Beurteilung einer Verdachtslage und deren rechtliche Bewertung erforderlich, aber auch ausreichend. Dies nimmt die Staatsanwaltschaft in eigener (rechtlicher) Kompetenz vor. Sie wird einen entsprechenden Antrag nur stellen, wenn er Aussicht auf Erfolg hat. Beabsichtigt sie ihn zu stellen, so muß sie notwendig die Prognose treffen, das Hauptverfahren könne zu einem Berufsverbot führen. Danach sind die die Voraussetzungen für eine Antragspflicht in dem Zeitpunkt erfüllt, zu dem ein Antrag nach § 132 a beabsichtigt ist. Ein weiterer Beurteilungsspielraum steht ihr daher nicht zu. Zugleich ist damit die Frage nach dem Zeitpunkt einer solchen Antragspflicht beantwortet: Spätestens zeitlich mit dem Antrag auf vorläufiges Berufsverbot nach § 132 a ist der Antrag auf Beiordnung des Verteidigers zu stellen. Denn nur so kann der Beschuldigte mit sachkundigem Beistand sich gegen den – präjudizierenden – Erlaß eines Berufsverbots vor dessen Ausspruch zur Wehr setzen. d) § 140 I Nr. 5 Die Staatsanwaltschaft hat hier eine Pflicht zur Antragstellung, sobald sie die Voraussetzungen des § 140 I Nr. 5 absieht. Jedoch ist dies erst nach einer entsprechenden Entscheidung des Haftrichters möglich. Im Zeitpunkt des Antrags auf Erlaß eines Haftbefehls läßt sich für die Dauer der Untersuchungshaft keine Aussage treffen. Damit sind die Voraussetzungen § 140 I Nr. 5 noch nicht abzusehen. Sie könnte diese Antragstellung jedoch hinauszögern, indem sie darauf verweist, daß sie beabsichtige, den Antrag auf Aufhebung des Haftbefehls nach § 120 III 1 zu stellen, sodaß der Beschuldigte mehr als zwei Wochen vor Beginn der Hauptverhandlung entlassen werden sollte356. Hier wird ein sehr begrenzter Beurteilungsspielraum anzunehmen sein, der sich jedoch allein auf die zeitliche Komponente und nicht auf rechtliche Gegebenheiten bezieht. Angesichts der Rundverfügung des Hessischen Generalstaatsanwalts vom 11.01.1994357 verdichtet sich der Beurteilungsspielraum aufgrund behördlicher Entscheidungsmaßstäbe, vgl. § 146 GVG, nach einem Monat zu einer Antragspflicht im Bundesland Hessen.

356 357

Darauf verweist auch H. Schmidt, S. 136; Vogelsang, S. 50 f. StV 1994, 223.

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e) § 140 I Nr. 6 Die Verteidigung ist eine notwendige, wenn die Unterbringung nach § 81 „in Frage kommt“. Dies ist spätestens dann der Fall, wenn das Gericht von Amts wegen diesbezüglich entscheidet, oder ein entsprechender Antrag auf Unterbringung vorliegt358. Damit entfällt ein Beurteilungsspielraum der Staatsanwaltschaft, sobald sie einen entsprechenden Antrag beabsichtigt. f) § 140 I Nr. 7 Im Hinblick auf die Notwendigkeit der Verteidigung nach § 140 I Nr. 1 und Nr. 3 entfaltet § 140 I Nr. 7 vornehmlich Bedeutung für eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB oder die Entziehung einer Fahrerlaubnis nach § 69 StGB im Sicherungsverfahren. Hier wird man der Staatsanwaltschaft einen Beurteilungsspielraum zuerkennen müssen, bis sie das Stadium eines abgeklärten Anfangsverdachts für die Voraussetzungen von § 140 I Nr. 7 im gerichtlichen Verfahren erreicht. Entsprechend den Ausführungen zu § 140 I Nr. 1 im Hinblick auf eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus entfällt ein Beurteilungsspielraum, sobald eine Untersuchung nach § 414 III erfolgt ist oder die einstweilige Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 126 a bestätigt wurde. Hinsichtlich einer Entziehung der Fahrerlaubnis nach §§ 61 Nr. 5, 69 StGB, die auch schon vorläufig erfolgen kann, vgl. § 111 a, wird man eine solche Bindungswirkung nicht annehmen können. Das Ermessen der Staatsanwaltschaft für eine Antragstellung auf ein Sicherungsverfahren nach § 413 wird danach nicht durch eine eigene Bindungswirkung aufgrund ihres Vorgehens im Ermittlungsverfahren eingeschränkt. Jedoch läßt die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111 a einen Beurteilungsspielraum hinsichtlich der Schwere der Tat infolge der Fernwirkung bei Berufskraftfahrern im gerichtlichen Verfahren schrumpfen. Die Antragspflicht der Staatsanwaltschaft nach § 141 III 2 besteht entsprechend den Ausführungen zu § 132 a schon im Rahmen eines Antrags auf vorläufige Entziehung nach § 111 a, wenn die Staatsanwaltschaft im Hinblick auf eine mögliche endgültige Entziehung der Fahrerlaubnis zu der Auffassung gelangt, daß eine Schwere der Tat im gerichtlichen Verfahren vorliegt.

358

Vgl. oben: Kap. 3, § 1 A.

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5. Kap.: Die Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren

g) § 140 I Nr. 8 Sobald der Verteidiger nach §§ 138 a ff. ausgeschlossen ist, hat die Staatsanwaltschaft den Antrag nach § 141 III 2 zu stellen. Damit steht ihr ein Beurteilungsspielraum in keiner Hinsicht zu. Bis zur – unanfechtbaren – Entscheidung des Oberlandesgerichts über den Ausschließungsantrag behält der bisherige Verteidiger seine Rechte. Soweit von der Möglichkeit nach § 138 c III 1 Gebrauch gemacht wird, die Rechte aus §§ 147, 148 bis zur Entscheidung über die Ausschließung ruhen zu lassen, ist dem Beschuldigten zur Wahrnehmung der vorgenannten Rechte vom Oberlandesgericht (von Amts wegen) ein anderer Verteidiger zu bestellen, vgl. § 138 c III 4359. Damit entfällt eine Antragspflicht in jeder denkbaren Konstellation vor der Entscheidung des Oberlandesgerichts. 2. § 141 III 2 i. V. m. § 140 II In den Fällen von § 141 III 2 i. V. m. § 140 II ist grds. ein Beurteilungsspielraum anzuerkennen360, wenngleich er sich durch die hierzu ergangene Rechtsprechung (stark) eingeengt hat361. Fraglich ist, ob man eine Antragspflicht „im Zweifel“ ausreichen lassen sollte, oder ob auch hier die positive Annahme der Voraussetzungen nach § 140 II erforderlich ist. Man wird verlangen müssen, die Voraussetzungen von § 140 II umso stärker zu beachten, je weiter sich der Charakter des Delikts von der leichten bis mittelschweren Unrechtsqualität entfernt und je mehr Anhaltspunkte für ein Abweichen des Verfahrens von einer augenscheinlichen Einfachheit (sei es rechtlicher oder tatsächlicher Art) bestehen362. Dies hat die Staatsanwaltschaft schriftlich festzuhalten.

359 Die teilweise geforderte, über § 138 c III 4 hinausgehende Verteidigerbestellung bezieht sich wohl lediglich auf den Zeitpunkt nach § 141 I. So verweisen deren Vertreter überwiegend (LR-Dünnebier, 23. Auflage, § 138 c Rn. 33; ohne Bezug zum Verfahrensstadium: KMR-Müller, § 138 c Rn. 13) auf Absatz 1 der Vorschrift § 141, vgl. LR-Lüderssen, § 138 c Rn. 35; AK-Stern, § 138 c Rn. 21. 360 Hegmann, S. 253 f.; vgl. oben zu § 140 II: Kap. 3, § 1 B. I. 361 Vgl. Beckemper, NStZ 1999, 221 (223); vgl. auch den Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Untersuchungshaft der Fraktion Die Grünen, BT-Drucks. 11/2181, S. 16, der eine objektivierte Sicht vorschlägt, indem die Worte „nach ihrer Auffassung“ aus § 141 III 2 nicht in eine neue Regelung zur Antragsverpflichtung übernommen werden („Die Staatsanwaltschaft ist nämlich bereits in einem frühen Stadium des Ermittlungsverfahrens in der Lage festzustellen, ob ein Fall des § 140 I vorliegt oder die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint, weil der Tatvorwurf besonders schwerwiegend bzw. die Sach- oder Rechtslage schwierig sind“). 362 Vgl. Hegmann, S. 253 f.

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Für die „Schwere der Tat“ sind entsprechende Kriterien entwickelt worden, sodaß ihr Vorliegen in der Praxis überwiegend vorausschaubar ist. Insbesondere sind dabei auch die voraussehbaren Fernwirkungen zu berücksichtigen. Im Rahmen dieser durch die Rechtsprechung entwickelten Vorgaben hat die Staatsanwaltschaft einen begrenzten Beurteilungsspielraum. Auch bei der „Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage“ dienen entsprechende Kriterien als Anhaltspunkte. Jedoch ist diese Alternative des § 140 II 1 ungleich stärker vom Stand der Ermittlungen abhängig als die erste Alternative. Zur Abklärung der Voraussetzungen wird der Staatsanwaltschaft daher ein größerer Beurteilungsspielraum einzuräumen sein. In bestimmten Fallgruppen kann sich allerdings schon im frühen Stadium des Ermittlungsverfahrens363 nach Abklärung des Anfangsverdachts der Beurteilungsspielraum zur Antragstellung verdichtet haben. Eine erforderliche Aktenkenntnis angesichts des Umfangs der Akten364 oder entsprechender Gutachten wird den vorhandenen Beurteilungsspielraum der Staatsanwaltschaft einengen. Eine besondere Fallgruppe bildet in diesem Zusammenhang die Akteneinsichtsgewährung über die Bestellung eines Verteidigers bei inhaftierten Beschuldigten infolge der Rechtsprechung des EGMR365. Hier wird die Staatsanwaltschaft auf eine Verteidigerbestellung kraft Verfassungsrecht antragen müssen. Hinsichtlich der Notwendigkeit der Verteidigung wegen Verteidigungsunfähigkeit gemäß § 140 II 1 3. Alt. ist ein Beurteilungsspielraum bezüglich der Antragstellung nicht gegeben, wenn sie sofort festgestellt werden kann366. Denn diese Verteidigungsunfähigkeit wird zumeist auch im gerichtlichen Verfahren vorliegen. Der Stand der Ermittlungen ist davon unabhängig. Auch hier darf sich die Staatsanwaltschaft ihrem Vorliegen nicht verschließen. Insoweit hat sie entsprechenden Anhaltspunkten nachzugehen. Auch in der ersten Vernehmung wird man entsprechenden Anzeichen nachgehen müssen367. Angesichts der zum 363 So z. B. nach entsprechender Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Aussagen des V-Manns oder in Fällen von materiell- und prozessualrechtlich schwierigen Rechtslagen (Auslieferungsverfahren, steuer- oder konkursrechtlichen Sachverhalten). 364 Unterschiedliche bzw. widersprüchliche Aussagen, die eine Akteneinsichtsgewährung über den Verteidiger bedingen, können sich erst im Laufe des Ermittlungsverfahrens ergeben. Insoweit wird man der Staatsanwaltschaft zugestehen müssen, die Aussageinhalte soweit als möglich zu überprüfen. Besteht diese Widersprüchlichkeit weiterhin, so ist die Schwierigkeit der Sachlage für das gerichtliche Verfahren zu bejahen, auf Verteidigerbestellung jetzt zu antragen. 365 Vgl. oben: Kap. 2, § 5 A. II., IV. sowie Kap. 3, § 1 B. III. 1. a) bb). 366 Vgl. auch LR-Dünnebier (23. Auflage), § 141 Rn. 19, zum damaligen § 140 I Nr. 4, der eine notwendige Verteidigung für Taube und Stumme vorsah. 367 Vgl. auch den Vorschlag über einen Rahmenbeschluß über Verfahrensrechte vom 28.04.2004 (S. 11) zu den Personen, die das Verfahren nicht verstehen oder ihm nicht folgen können: „Strafverfolgungsbeamte und Gerichtsbedienstete sollten sich

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5. Kap.: Die Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren

Teil schwierigen Erfaßbarkeit der Fallgruppen wird man der Staatsanwaltschaft jedoch einen Beurteilungsspielraum nicht gänzlich absprechen können. Liegt ein Antrag nach § 140 II 2 vor, so hat die Staatsanwaltschaft keinen Beurteilungsspielraum bezüglich späterer Notwendigkeit der Verteidigung. Sie hat den Antrag zu stellen. 3. § 418 IV, § 408 b S. 2 i. V. m. § 141 III 2 Wenn die Staatsanwaltschaft einen Antrag auf Erlaß eines Strafbefehls mit den Rechtsfolgen nach § 407 II 2 stellen will, so hat sie gleichzeitig einen Antrag auf Verteidigerbestellung nach § 141 III 2 zu stellen. Ein Beurteilungsspielraum steht ihr nicht zu. Möchte die Staatsanwaltschaft ein beschleunigtes Verfahren mit den Rechtsfolgen nach § 418 IV durchführen, so hat sie m. E. ebenfalls so zu verfahren368. III. Pflicht der Staatsanwaltschaft zur Überprüfung der Voraussetzungen einer Antragstellung nach § 141 III 2 und die Revidierbarkeit ihrer Prognose Die Verpflichtung der Staatsanwaltschaft zur Antragstellung nach § 141 III 2 greift nur, wenn man eine Überprüfungspflicht bezüglich ihrer Voraussetzungen bejaht369. Die Möglichkeit einer späteren Revision der eigenen Prognose bezüglich einer notwendigen Verteidigung vermag die Antragspflicht nicht einzuschränken; spätestens sobald eine Abklärung des Anfangsverdachts hinsichtlich einer notwendigen Verteidigung erfolgt ist, ist der Antrag zu stellen370. Dies verlangt § 141 III 2. Ein Abwarten der Staatsanwaltschaft bei einer bejahten Prognose notwendiger Verteidigung ist damit nicht anzuerkennen371.

verstärkt der Probleme von Personen bewußt sein, die das Verfahren nicht verstehen oder ihm nicht folgen können. Es sollte von ihnen verlangt werden, zu prüfen, ob eine verdächtige Person besondere Aufmerksamkeit benötigt. Wenn ja, sollten sie dafür sorgen, daß sie diese erhält.“ 368 Vgl. jedoch die oben dargestellte h. M. zur Anwendbarkeit von § 141 III auf § 418 IV (Kap. 1, § 2 A. IX. sowie Kap. 5, § 2 B. III. 3. a). 369 Hartmann-Hilter, S. 162 f.; Hegmann, S. 252 f.; gegen eine Überprüfungspflicht wohl Bringewat, ZRP 1979, 248 (251). 370 Vgl. Hartmann-Hilter, S. 162 f. 371 Vgl. aber H. Schmidt, S. 134.

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B. Überprüfbarkeit der Entschließung der Staatsanwaltschaft zur Antragstellung nach § 141 III 2 Im Gegensatz zum 1. Senat spricht sich der 5. Senat ausdrücklich für eine eingeschränkte gerichtliche Überprüfbarkeit der Entscheidung der Staatsanwaltschaft aus. Der 1. Senat macht insoweit geltend, daß bei der Überprüfung eines Vorgehens der Staatsanwaltschaft den situativen Gegebenheiten des Ermittlungsverfahrens Rechnung getragen werden muß. Er verweist auf die Rechtsprechung vom Bundesverfassungsgericht zum Begriff „Gefahr im Verzug“. I. Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (NJW 2001, 1121) Aus dem Anspruch aus Art. 19 IV GG auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle folgt nach dem Bundesverfassungsgericht grundsätzlich die Pflicht der Gerichte, die Akte der öffentlichen Gewalt in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht zu überprüfen; eine Bindung der Gerichte an die von der Exekutive getroffenen Feststellungen und Wertungen seien dem Grundgesetz fremd. Spielräume bei Auslegung des Begriffs „Gefahr im Verzug“ in Art. 13 II GG bestünden nicht. Ein Beurteilungsspielraum wird den Behörden abgesprochen. Das prognostische Element, welches der Begriff „Gefahr im Verzug“ impliziert, sei lediglich Teil eines unbestimmten Rechtsbegriffs, den auszulegen den Gerichten anvertraut wird372. Ansonsten bestünde eine Letztentscheidungskompetenz der Behörden über die Zuständigkeit des Richters373. Bei der Überprüfung sei den situationsbedingten Grenzen der Erkenntnismöglichkeiten Rechnung zu tragen. Handlungs- und Entscheidungsdruck seien zu berücksichtigen. Abzustellen sei auf einen „sachkundigen und pflichtgemäß handelnden Strafverfolgungsbeamten“374. Die gerichtliche Kontrolle erfordere entsprechende Dokumentationsund Begründungspflichten. Die Entscheidung stellt maßgeblich auf die Regelzuständigkeit des Richters bei Eilfallkompetenznormen ab. Auch die grundrechtssichernde Schutzfunktion des Richtervorbehalts wird hervorgehoben und auf die Auslegung des Begriffes „Gefahr im Verzug“ in Art. 13 I, II GG hingewiesen375.

372

BVerfG NJW 2001, 1121 (1123). BVerfG NJW 2001, 1121 (1124). 374 Die Beurteilung wird ex-ante vorgenommen, vgl. auch Ostendorf/Brüning, JuS 2001, 1063 (1066 ff.). 375 BVerfG NJW 2001, 1121 (1122 ff.). 373

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5. Kap.: Die Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren

II. Übertragbarkeit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auf eine Antragstellung nach § 141 III 2 durch die Staatsanwaltschaft Fraglich erscheint, inwiefern die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auf die Konstellation einer Antragstellung durch die Staatsanwaltschaft nach § 141 III 2 übertragbar ist. 1. Beurteilung der Voraussetzungen nach § 140 durch die Staatsanwaltschaft Der Hinweis auf den in Art. 13 II GG niedergelegten Begriff schließt eine Übertragbarkeit der Entscheidung nicht von vornherein aus. Der Hinweis auf die grundgesetzliche Vorschrift ermöglicht vielmehr eine umfassende Überprüfung des Begriffs durch das Bundesverfassungsgericht376. Grundsätzlich beschränkt es sich bei der Überprüfung im Rahmen einer Urteilsverfassungsbeschwerde auf die Feststellung der Verletzung spezifischen Verfassungsrechts377. Angesichts der Möglichkeit effektiven Grundrechtsschutzes durch die richterliche Anordnung ist die Entscheidung auf die im Grundgesetz festgeschriebene Eilfallkompetenz nach Art. 13 II GG nicht zu beschränken378. Dafür spricht auch der Verweis des Bundesverfassungsgerichts auf Entscheidungen, die sich zur Überprüfung behördlicher Entscheidungen auf der Ebene des einfachen Gesetzesrechts verhalten379. Auch hebt die Entscheidung zwar die Bedeutung der persönlichen Sphäre aus Art. 13 I, II GG hervor, doch ist dem fundamentalen Recht des Beschuldigten auf Verteidigung eine solche ebenfalls gewiß380, auch wenn es keine ausdrückliche grundgesetzliche Verankerung gefunden hat381. Eine weitere Überlegung könnte die Übertragbarkeit der Entscheidung auf die Überprüfung der staatsanwaltlichen Entschließung zu einer Antragstellung nach § 141 III 2 stützen: Der Entscheidung liegt die Überlegung zugrunde, rich376

Vgl. Sachs, JuS 2001, 701 (703). BVerfGE 18, 85 (92 f.); Maurer, Staatsrecht I, 20/120, 137; Schlaich/Korioth, Rn. 324. 378 Amelung/Wirth, StV 2002, 161 (162); Krehl, JR 2001, 491 (494 f.); Amelung, NStZ 2001, 337 (342). 379 Vgl. BVerfG NJW 1984, 33 (35): Gewährung von Urlaub bei Strafgefangenen; BVerfG NJW 1991, 2005 ff.: Beurteilungsspielraum lediglich bei prüfungsspezifischen Wertungen. 380 Vgl. BVerfG JZ 2004, 670 (673). 381 Vgl. jedoch Art. 91 II BayVerf; der Verfassungsausschuß vom Herrenchiemsee wollte ursprünglich das Recht auf Hinzuziehung eines Verteidigers in die Verfassung (Art. 135 II) aufnehmen. Im Hinblick auf die Regelung in der Strafprozeßordnung erfolgte dies nicht, vgl. H. Schmidt, S. 5 mit Fn. 7; siehe ferner: Art. 24 II italienische Verfassung, abrufbar unter: http://www.parlamento.it/funz/cost/home.htm. 377

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terliche Kompetenzen vor übereiltem Handeln der Staatsanwaltschaft zu bewahren. Die Bestellung des Verteidigers nach § 141 III 1 obliegt dem Richter, § 141 IV. Diese Entscheidung wird durch die Staatsanwaltschaft über die nach h. M. zwingende Antragstellung gleichsam vorweggenommen382. Damit käme ihr eine Letztentscheidungskompetenz zu, welcher § 141 IV gerade entgegensteht383. Das Handlungsprogramm der Staatsanwaltschaft zur Antragstellung ist vielmehr in § 141 III 2 abschließend festgelegt. Ein Unterschied ergibt sich zu der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts jedoch aus folgenden Erwägungen: Das Bundesverfassungsgericht nimmt lediglich einen unbestimmten Rechtsbegriff („Gefahr im Verzug“) an, ohne den Strafverfolgungsbehörden einen Beurteilungsspielraum zuzugestehen. Nach § 141 III 1, 2 i. V. m. § 140 I, II ist die Verneinung eines Beurteilungsspielraums wie dargestellt jedoch nicht stets möglich: In den Fällen von § 140 I Nr. 2, Nr. 6 und Nr. 8 entfällt ein Beurteilungsspielraum von vornherein. § 140 I Nr. 5 bezieht sich lediglich auf einen zeitlichen Beurteilungsspielraum, nicht auf einen rechtlichen; insofern ist auch hier ein entsprechender Beurteilungsspielraum abzulehnen. Die Beurteilung notwendiger Verteidigung nach § 140 I Nr. 1 zieht keinen Beurteilungsspielraum in den Fällen von § 24 I Nr. 1 und Nr. 3 GVG nach sich. Entscheiden jedoch Straferwartung (Freiheitsstrafe von über vier Jahren) oder die Rechtsfolgen nach §§ 63, 66 StGB über die Zuständigkeit des Landgerichts nach § 24 I Nr. 3 GVG (notwendige Verteidigung nach § 140 I Nr. 1), so ist die Beurteilung der Staatsanwaltschaft eine Wertungsfrage, welche über die bloße Interpretation eines unbestimmten Rechtsbegriffs hinausgeht. Die prognostischen Elemente für den Begriff „Gefahr im Verzug“ werden insofern überschritten, als die Staatsanwaltschaft Überlegungen hinsichtlich der Beurteilung durch den Richter anstellen muß, welcher wiederum eine Prognoseentscheidung zu treffen hat384. Dies gilt auch für Überlegungen im Vorfeld eines Berufsverbots nach § 132 a in Bezug auf § 140 I Nr. 3. Lediglich bei einer Antragstellung auf ein vorläufiges Berufsverbot entfällt ein Beurteilungsspielraum. Im Fall des § 140 I Nr. 7 entzieht erst eine Untersuchung nach § 414 III oder eine die einstweilige Unterbringung nach § 126 a bestätigende Untersuchung den Beurteilungsspielraum; auch eine Antragstellung auf vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111 a läßt grds. den Beurteilungsspielraum bestehen. 382

Vgl. unten: Kap. 6, § 1. Vgl. Köster, StV 1993, 512 (513). 384 Für die Beurteilung der Prognose hinsichtlich der Verhängung einer Freiheitsstrafe von über vier Jahren dürfte der Beurteilungsspielraum angesichts ergangener Rechtsprechung hierzu eingeschränkt sein, vergleichbar den Überlegungen zu § 140 II 1 1. Alt. 383

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5. Kap.: Die Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren

2. Dokumentationspflicht Die Ausführungen zur Dokumentationspflicht sind vollständig auf ein Vorgehen der Staatsanwaltschaft übertragbar – unabhängig von dem Vorliegen eines Beurteilungsspielraums. So sollte die Staatsanwaltschaft bei Zwangsmaßnahmen anführen, warum in diesem Fall noch kein Antrag auf Verteidigerbestellung erforderlich ist. Damit würde sie auch ihre Überprüfungspflicht zur Antragstellung nach § 141 III 2 nach außen darstellen können385. Dies bringt auch keine unverhältnismäßigen Belastungen386 mit sich. Sie kann anführen, warum ein abgeklärter Anfangsverdacht ihrer Ansicht nach noch nicht vorliegt und ob er sich gerade aus der Verwertung der durch die Maßnahme gewonnenen Anhaltspunkte erhärten könnte. Insofern erleichtert sie die richterliche Nachprüfung, kann so glaubhaft verhindern, daß der Richter seine Erwägungen als sachkundiger und pflichtgemäß handelnder Staatsanwalt an die Stelle der Entschließung der Staatsanwaltschaft setzt. III. Absolute Grenze eines Beurteilungsspielraums und Eintritt vollständiger Nachprüfbarkeit nach den Kriterien des 1. und 5. Senats Die Formulierungen der Senate stellen zwar teilweise zuvorderst auf eine Antragsverpflichtung der Staatsanwaltschaft nach § 141 III 2 ab, jedoch nehmen sie gleichfalls auf die Bestellung des Verteidigers nach § 141 III 1 Bezug. In Abweichung von den Ausführungen des 5. Senats könnte das zweite Erfordernis, neben der Prognose über die Notwendigkeit der Verteidigung (welche die Staatsanwaltschaft nach § 141 III 2 anzustellen hat) lediglich für die Bestellung durch den Vorsitzenden nach § 141 III 1 konzipiert sein. Doch hat der 1. Senat ausdrücklich auf eine Reduzierung des Beurteilungsspielraums der Staatsanwaltschaft durch eben dieses Zusatzerfordernis abgestellt. Nach dem 1. Senat findet wohl durch dieses Zusatzerfordernis die auch von ihm zugestandene Einschätzung der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren ihre endgültige Grenze. Hier darf der Richter wohl nun „ohne weiteres“ eine Entscheidung anstelle der Staatsanwaltschaft über die Notwendigkeit der Verteidigung im gerichtlichen Verfahren treffen. Nach dem 5. Senat müßte mit der Reduzierung des Beurteilungsspielraums gleichzeitig die von ihm angenommene Einschränkung gerichtlicher Überprüfbarkeit entfallen. 385 Vgl. ferner: Meyer-Goßner, § 140 Rn. 4 zur Überprüfungspflicht des Vorsitzenden für eine Bestellung nach § 141 I und II i. V. m. § 140 I oder II, welche zweckmäßigerweise zu dokumentieren sei; vgl. zur Dokumentationspflicht der Behörde nach § 60 OWiG: KK-Kurz, § 60 OWiG Rn. 46; Göhler/König/Seitz, § 60 OWiG Rn. 29. 386 Vgl. auch Krehl, JR 2001, 491 (493).

§ 3 Beurteilung der Entscheidungen des 1. und 5. Senats

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C. Bestellungspflicht in den vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fällen I. BGHSt 46, 93 ff. Der Senat nimmt eine Einengung des Ermessens nach § 141 III 1 aufgrund einer drohenden Verletzung von Art. 6 III lit. d) EMRK an. Belastungszeuge i. S. v. Art. 6 III lit. d) EMRK ist auch nach der jetzigen Rechtsprechung des BGH387 derjenige, dessen Aussagen dem Gericht vorlagen und (wenn auch nur mittelbar) in seine Erwägungen einbezogen wurden388. Nach der Rechtsprechung des EGMR beurteilt sich die Frage eines Konventionsverstoßes unter anderem danach, ob der Beschuldigte die Befragung des Belastungszeugen rechtzeitig beantragt hat389. Nach Eisele wäre es möglich, spätestens mit der Bestellung des Verteidigers dem Beschuldigten die Pflicht aufzuerlegen, eine erneute Vernehmung des Zeugen vor dem Ermittlungsrichter zu beantragen. Damit könne der Verteidiger das Fragerecht im Ermittlungsverfahren wahrnehmen. Der Senat verzichte wohl auf eine solche Obliegenheit. Eisele hebt berechtigterweise hervor, daß es die Staatsanwaltschaft unterlassen hat, die Bestellung eines Verteidigers zu beantragen. Damit obliegt es ihr, diesen Verfahrensfehler durch eine erneute Vernehmung in Gegenwart des Verteidigers zu heilen390. Das in § 240 II StPO geregelte Fragerecht ist hingegen nicht bedroht. Diese Norm bezieht sich lediglich auf die in der Verhandlung anwesenden Personen391. Der Senat stellt maßgeblich auf Art. 6 III lit. d) EMRK zur Begründung einer Bestellungspflicht ab und versperrt sich so den Zugang zum nationalen Verfahrensrecht. Für eine Bestellungspflicht ist zum einen auf die dem Beschuldigten nach nationalem Recht gewährten Teilhaberechte im Ermittlungsverfahren abzustellen (vgl. § 168 c II, III, V). So führt Schlothauer zutreffend aus, daß, wenn ein Beschuldigter von einer ermittlungsrichterlichen Vernehmung ausgeschlossen werden soll und ein Grund, von der Benachrichtigung eines Verteidigers gem. 387

Vgl. BGH NStZ 1993, 292; StV 1996, 471; BGHSt 46, 93 (97). EGMR StV 2002, 289 (P.S. gegen Deutschland) mit Anm. Pauly, StV 2002, 289; Meyer-Goßner, Art. 6 EMRK Rn. 22; LR-Gollwitzer (24. Auflage), Art. 6 EMRK Rn. 224. 389 Vgl. EGMR StV 1991, 193 (194) – Windisch gegen Österreich: rechtzeitige, wiederholte Anträge; EGMR EuGRZ 1992, 474 f. – Asch gegen Österreich: kein Antrag. 390 Eisele, JA 2001, 100 (103 m. w. N.). 391 Neuhaus, JuS 2001, 18 (21); vgl. BGHSt 9, 24 (27). 388

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5. Kap.: Die Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren

§ 168 c V 2 abzusehen, nicht besteht, die Ermessensentscheidung nach § 141 III 1 auf die Verpflichtung reduziert werde, dem unverteidigten Beschuldigten einen Verteidiger beizuordnen und ihm dadurch die Wahrung seiner Teilhaberechte im Vorverfahren zu ermöglichen392. Beeinträchtigt ist jedoch nicht nur das Fragerecht (so der 1. Senat), sondern das Recht auf Verteidigung als solches393. Dies kann aus der hypothetischen Betrachtung der Anwesenheit des Beschuldigten bei der ermittlungsrichterlichen Vernehmung der Zeugin gewonnen werden394. Der Angeklagte hätte dann zwar sein Fragerecht ausüben können. Dennoch wäre die Bestellung eines Pflichtverteidigers auch für diesen Fall im Ermittlungsverfahren erforderlich gewesen. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen. Bei einer ermittlungsrichterlichen Vernehmung (eines zeugnisverweigerungsberechtigten Zeugen) in den Fällen notwendiger Verteidigung gebietet § 141 III eine Verteidigerbestellung aufgrund der Struktur des Strafverfahrens. Es wird ein Stück entscheidungsrelevante Beweisaufnahme aus der Hauptverhandlung (Vernehmung des Ermittlungsrichters als Zeuge vom Hörensagen über die Angaben der Zeugin) ausgelagert. Sie erfolgt im Ermittlungsverfahren. Damit ist die für die Hauptverhandlung erforderliche notwendige Verteidigung schon im Ermittlungsverfahren zu gewährleisten395. II. BGH NJW 2002, 975; BGH NJW 2002, 1279; BGH NStZ 2004, 390; BGHR StPO § 141 Bestellung 9 Ausschlaggebend für eine erforderliche Bestellung ist die Vernehmung der Beschuldigten (BGH NJW 2002, 975 bzw. BGHR StPO § 141 Bestellung 9), bzw. die Präjudizierung durch die Möglichkeit der späteren Vernehmung des Haftrichters als Zeugen vom Hörensagen (BGH NJW 2002, 1279 bzw. BGH NStZ 2004, 390)396. 392

Schlothauer, StV 2001, 127 (128). Endriss, FS-Rieß, S. 65 (74 f.); Fezer, JZ 2001, 364; Schlothauer, StV 2001, 127 (130); Pauly, StV 2002, 290 (292); vgl. ferner Kunert NStZ 2001, 216 (217); Neuhaus, JuS 2001, 18 (21); Wohlers, JR 2002, 293 (294 f.); Hamm, FS-Lüderssen, S. 717 (724 mit Fn. 25) stimmt dem zu, weist jedoch darauf hin, daß der Senat in seiner Entscheidung nicht darüber zu befinden hatte. Dagegen spricht, daß der Senat den „umständlichen“ Weg über die Verletzung des Fragerechts nach Art. 6 III lit. d) EMRK nicht hätte wählen müssen, sondern sich unmittelbar mit dem Recht auf Verteidigung hätte auseinandersetzen können. 394 Fezer, JZ 2001, 364; Neuhaus, JuS 2001, 18 (21); Schlothauer, StV 2001, 127 (129 ff.). 395 Fezer, JZ 2001, 364; Schlothauer StV 2001, 127 (128); ferner: Meyer-Mews, JuS 2004, 39 (41 f.). 396 In NJW 2002, 1279 sowie NStZ 2004, 390 konkretisierte auch die Haftsituation das Ermessen für eine Bestellung. 393

§ 3 Beurteilung der Entscheidungen des 1. und 5. Senats

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Insofern hätte sich der BGH in diesen Fällen ebenfalls für eine Bestellungspflicht des Vorsitzenden nach §§ 141 III 1, IV aussprechen müssen. Er lehnte jedoch eine Bestellungspflicht explizit ab397 oder ließ es dahinstehen, ob eine solche Bestellungspflicht vorlag398.

D. Verantwortlichkeit des Ermittlungsrichters bzw. des Haftrichters399 für eine Verteidigerbestellung Wird die erforderliche Verteidigerbeiordnung unterlassen, so ist der Ermittlungsrichter letztlich nicht verantwortlich; die Staatsanwaltschaft und der Vorsitzende des Gerichts, das für die Hauptverhandlung zuständig wäre, haben den Verfahrensfehler zu verantworten. Schlothauer gewinnt eine Verantwortung des Ermittlungsrichters aus § 162 III. Wenn die Staatsanwaltschaft eine Untersuchungshandlung beantrage, so habe der Ermittlungsrichter die gesetzliche Zulässigkeit einer solchen Untersuchungshandlung zu überprüfen. Dazu zählten auch die jeweiligen gesetzlichen Rahmenbedingungen, unter denen diese richterliche Untersuchungshandlung durchgeführt würde400. Wenn daher im Falle notwendiger Verteidigung der Richter eine Vernehmung eines Zeugen oder Sachverständigen durchführt, von welcher der unverteidigte Beschuldigte ausgeschlossen ist, so ist deren Durchführung unzulässig401. Er muß damit die beantragte Ermittlungshandlung ablehnen, solange kein Verteidiger bestellt ist. Soweit der BGH unklar ausführt, der Ermittlungsrichter sei nicht davon entbunden, für ein konventionskonformes Verfahren zu sorgen, kann dies eine zusätzliche Pflicht des Richters, in eigener Verantwortung positiv auf die Bestellung eines Pflichtverteidigers hinzuwirken, nicht begründen402, dies entsprechend den Ausführungen zur Gewährung von Akteneinsicht im Ermittlungsverfahren403. Die Pflicht zu konventionsgerechtem Verhalten bezieht sich nur auf die ihm angesonnene richterliche Untersuchungshandlung. Hier hat er die Möglichkeit, seine Mitwirkung zu verweigern, wenn eine gesetzliche Voraussetzung i. S. v. § 162 III nicht gegeben ist (hier: die Teilnahme eines – notwendigen – Verteidigers). Im übrigen verbleibt es bei der Ermittlungshoheit der Staatsan397

BGH NJW 2002, 1279; BGH NStZ 2004, 390. BGH NJW 2002, 975; BGHR StPO § 141 Bestellung 9. 399 Roxin, JZ 2002, 898 (899). 400 Meyer-Goßner, § 162 Rn. 17: Überprüfung der rechtlichen Zulässigkeit der Untersuchungshandlung; vgl. Eb. Schmidt, Lehrkommentar II, § 162 Rn. 12; LR-Rieß, § 162 Rn. 43 f. 401 Schlothauer, StV 2001, 127 (129). 402 So jedoch Meyer-Lohkamp, StV 2004, 13. 403 Vgl. oben: Kap. 2, § 5 A. sowie Kap. 3, § 1 B. III. 1. a) bb) und b) aa). 398

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5. Kap.: Die Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren

waltschaft. Kommt es ihr auf die richterliche Untersuchungshandlung an und kann sie diese nicht ohne den – ernsthaften – Versuch, einen Verteidiger durch entsprechenden Antrag bei dem zuständigen Vorsitzenden bestellen zu lassen, erreichen, so wird sie von sich aus ein entsprechendes Bemühen entfalten. Andernfalls muß sie das lassen; auch ein solches Unterlassen obliegt ihrer eigenen Entscheidungskompetenz. Lehnt der Vorsitzende nach § 141 IV auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft hin eine Bestellung ab, so ist der Ermittlungsrichter nach der Ablehnung einer vom Beschuldigten eingelegten Beschwerde (§ 304 I) an die Entscheidung gebunden. Soweit Rieß dem entgegentritt und eine Zuständigkeit des Ermittlungsrichters (zumindest) für die Bestellung des Verteidigers für eine Zeugenvernehmung (insbesondere in eilbedürftigen Fällen) annimmt404, von welcher der Beschuldigte ausgeschlossen wird, kann sein Hinweis auf die Entscheidung des BGH in StV 1993, 113 f. nicht überzeugen. Dort entschied der 5. Senat, daß für die Zulassung eines Assessors nach § 138 II grds. das Gericht nach § 141 IV zuständig ist405, jedoch der mit der Sache befaßte Ermittlungsrichter die Bestellung – schon wegen der Eilbedürftigkeit der Entscheidung – vornehmen könnte. Der 5. Senat nimmt in dieser Entscheidung eine solche Zuständigkeit lediglich insofern an, als die Zulassung auf die Mitwirkung bei der richterlichen Untersuchungshandlung beschränkt ist. Eine Bestellung soll aber nach dem 1. Senat in BGHSt 46, 93 ff. nicht lediglich für die einzelne Ermittlungshandlung erfolgen406, sondern für das weitere Verfahren. Auch ist die Zulassung eines Assessors nach § 138 II i. V. m. § 141 IV analog eher als formelle Entscheidung zu werten und nicht als materielle im Hinblick auf die vorher zu bestimmende Frage einer erforderlichen Mitwirkung des Verteidigers nach § 141 III 1 i. V. m. § 140.

E. Grenzen möglicher Verteidigerbestellung als Ausgleich für ausgeschlossene Anwesenheitsrechte Nach Auffassung des 1. Senats407 wird das Fragerecht nach Art. 6 III lit. d) EMRK verletzt, wenn der Beschuldigte bei der ermittlungsrichterlichen Befragung eines wichtigen Belastungszeugen ausgeschlossen ist und diesem Zeugen ein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht, auf dessen Ausübung er bei der anstehenden Vernehmung zwar verzichtet, von dem er aber im weiteren Verlauf des Verfahrens, namentlich in der Hauptverhandlung, Gebrauch machen kann. Denn 404 405 406 407

LR-Rieß, § 168 c Rn. 9 a. Vgl. dazu: Meyer-Goßner, § 138 Rn. 16. BGHSt 46, 93 (101). BGHSt 46, 93 (Leitsatz 1).

§ 3 Beurteilung der Entscheidungen des 1. und 5. Senats

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dadurch entzieht sich der Zeuge der Befragung der Verteidigung, insgesamt bleibt seine Aussage vor dem Ermittlungsrichter aber verwertbar. Der vom BGH entschiedene Fall bezog sich auf das Zeugnisverweigerungsrecht eines Angehörigen nach § 52. Gleiches müßte nach den Erwägungen des BGH aber auch für das Recht nach § 53 gelten, weil auch ein Widerruf einer zunächst erteilten Befreiung von der Schweigepflicht nach h. M.408 die Verwertung der bis dahin gemachten Aussage erlaubt. Fraglich ist die Situation bei der richterlichen Befragung von Mitbeschuldigten409. Hier besteht nach herrschender Auffassung kein Anwesenheitsrecht410, welches durch eine Verteidigerbestellung ausgeglichen werden könnte. Somit ist die vom Senat vorgenommene „Remedur“ im Sinne einer Pflichtverteidigerbestellung aus Rechtsgründen für diesen Fall nicht umsetzbar. Auch staatsanwaltliche und polizeiliche Zeugenvernehmungen werden von den Überlegungen des 1. Strafsenats zum Ausgleich eines sonst nicht ausübbaren Anwesenheits- und Fragerechts durch Pflichtverteidigerbestellung nicht erfaßt411. Denn hier besteht kein Anwesenheitsrecht des Beschuldigten oder seines Verteidigers. Damit könnten wohl auch die Auswirkungen der Entscheidungen zur Verwertung der Angaben eines zeugnisverweigerungsberechtigten Zeugen gegenüber einer nicht-richterlichen Verhörsperson412 nicht durch eine Verteidigerbestellung aufgefangen werden. Für eine Verteidigerbestellung ließe sich anführen, daß gerade der BGH auf Art. 6 I, III lit. d) EMRK rekurriert und nicht ausschließlich auf das Anwesenheitsrecht nach § 168 c II, um § 141 III 1 und 2 einzuschränken413. Es ist jedoch fraglich, ob beide Fälle vergleichbar sind. Zwar hat der Betroffene in beiden Fällen kein eigenes Anwesenheitsrecht (sei es, daß er im Einzelfall von der Anwesenheit ausgeschlossen ist, vgl. § 168 c III, oder daß ihm von vornherein kein Anwesenheitsrecht zusteht). Jedoch steht dem Verteidiger lediglich im Rahmen einer ermittlungsrichterlichen Vernehmung eines Zeugen ein Anwesenheitsrecht zu. Insofern ist die Justiz nicht verpflichtet, eine Verfahrenslage auszugleichen. Hier ist also lediglich Art. 6 III lit. d) EMRK verletzt, ohne daß eine Verteidigerbestellung nach der Rechtsprechung des Senats erforderlich wäre. Ferner kann, wenn das Ermittlungsverfahren nicht offen geführt wird414, nicht generell ein („Abwesenheits“)Verteidiger für einen Beschuldigten bestellt werden415. 408

BGHSt 18, 146 ff.; Meyer-Goßner, § 53 Rn. 49. Vgl. ferner: Widmaier, Sonderheft-Schäfer, S. 76; Endriss, FS-Rieß, S. 65 (69 ff., 72 f.). 410 BGHSt 42, 391 ff.; StV 2002, 584 f.; dagegen: Meyer-Goßner, § 168 c Rn. 1. 411 Widmaier, Sonderheft-Schäfer, S. 76 (77 f.). 412 BGHSt 45, 203 ff.; 46, 1 ff.; dazu oben: Kap. 2, § 2 C I. 2. b). 413 Vgl. BGHSt 46, 93 (99). 409

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5. Kap.: Die Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren

Die unterlassene Verteidigerbestellung für (nicht-)richterliche Vernehmungen eines Zeugen muß also wertungsmäßig nicht auf ein Fehlverhalten der Strafverfolgungsbehörden zurückzuführen sein. Eine Verletzung von Art. 6 III lit. d) EMRK ist in allen diesen Fällen anzunehmen. Die Verwertung der Aussage anläßlich einer richterlichen wie nichtrichterlichen Vernehmung wäre nach dem 1. Senat zwar möglich416, der Beweiswert aber in beiden Fällen erheblich reduziert417. Letztlich bietet die deutsche Strafprozeßordnung auch keine Kompensationsmöglichkeit in Gestalt der Verteidigerbestellung für das Ermittlungsverfahren aufgrund einer Einschränkung des Fragerechts nach Art. 6 III lit. d) EMRK, wenn für das gerichtliche Verfahren keine notwendige Verteidigung prognostiziert wird. Insofern bestünde zwar eine Konkretisierung für das Ermessen nach § 141 III 1, jedoch fehlt die Basis für eine Verteidigerbestellung in diesem Verfahrensabschnitt: die notwendige Verteidigung im gerichtlichen Verfahren. Rieß erwägt für einen solchen Fall trotzdem eine Verteidigerbestellung infolge der Entscheidung des 1. Senats in BGHSt 46, 93 ff.418. Auch nach Endriss ist „jedenfalls“ bei Fällen prognostizierter notwendiger Verteidigung für eine richterliche Vernehmung im Vorverfahren unter Berücksichtigung des Art. 6 III lit. d) EMRK ein Pflichtverteidiger zu bestellen419. Fraglich ist, ob Art. 6 III lit. d) EMRK selbst eine solche Verteidigerbestellung entnommen werden kann, um sie im deutschen Recht umzusetzen. Dies hätte jedoch mit der konventionskonformen Auslegung einer deutschen Verfahrensvorschrift wie § 141 III 1 nichts zu tun. Vielmehr wird hier Abhilfe durch die Einführung eines weiteren Verfahrensinstituts geschaffen, vergleichbar der Verteidigerbestellung für die Gewährung von Akteneinsicht im Rahmen von Untersuchungshaft420. Eine notwendige Verteidigung ließe sich in diesen Fällen u. U. durch die Vorwegnahme der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung bzw. den Ausschluß von der Anwesenheit bei der richterlichen Vernehmung des zentralen Be-

414 U. U. weil der Beschuldigte von diesem nicht erfahren soll oder die Person des Beschuldigten noch nicht bezeichnet ist. 415 Vgl. Widmaier, Sonderheft-Schäfer, S. 76 (78). 416 Widmaier (Sonderheft-Schäfer, S. 76, 78 f.) verweist auf § 251 I Nr. 1, Nr. 2 a. F. sowie II 2 a. F. (vgl. § 251 I Nr. 2 sowie II Nr. 1 n. F.). 417 Darin liege der „außerordentlich“ positive Nutzeffekt der aus Art. 6 III lit. d) EMRK gewonnenen Beweiswürdigungslösung. Die Minderung tritt auch dann ein, wenn die Angaben vor dem Ermittlungsrichter nach § 251 I a. F. (vgl. § 251 II n. F.) verwertet werden, vgl. Widmaier, Sonderheft-Schäfer, S. 76 (78). 418 LR-Rieß, § 168 c Rn. 9 a. 419 Endriss, FS-Rieß, S. 65 (72 f.). 420 Vgl. oben: Kap. 3, § 1 B. III. 1. a) bb).

§ 4 Ergebnis

291

lastungszeugen konstruieren, woraus sich dann die Schwierigkeit der Sachlage in der Hauptverhandlung selbst ergeben könnte. So wird auch eine notwendige Verteidigung im Rahmen von § 364 a angenommen, wenn der Beschuldigte von der Beweisaufnahme ausgeschlossen wurde421, vgl. § 369 III 2 i. V. m. § 168 c III. Die Wichtigkeit der Anwesenheit bei der Beweisaufnahme ergibt sich aus der Schlußanhörung gemäß § 369 IV, die sich auf die Beweisaufnahme beziehen soll422. Dort können ergänzende Beweisanträge gestellt werden. Voraussetzung dafür ist jedoch die dem Verurteilten mögliche Bewertung des Beweisergebnisses. Insofern bietet diese Konstellation im Gegensatz zum Verteidiger kraft Verfassungsrecht für den inhaftierten Beschuldigten zumindest einen Ansatzpunkt für eine notwendige Verteidigung im gerichtlichen Verfahren. Wenn eine notwendige Verteidigung für das gerichtliche Verfahren nicht prognostiziert wird, könnte in Zukunft die von dem 1. Senat erwogene Anwendung von § 168 e eingreifen, die er selbst für „oft sogar die beste Möglichkeit“ hält, um das Fragerecht zu erhalten423. Insofern könnten die Strafverfolgungsbehörden in Fällen, die keine notwendige Verteidigung im gerichtlichen Verfahren erwarten lassen, gehalten sein, nach § 168 e zu verfahren. Einer Verteidigerbestellung bedürfte es dann nicht.

§ 4 Ergebnis Angesichts der aufgezeigten überragend wichtigen Verteidigerkonsultation auch und gerade schon im Ermittlungsverfahren ist die Vorschrift des § 141 III 1 über die Verteidigerbestellung schon in diesem Verfahrensabschnitt extensiv auszulegen. Jedoch kann angesichts der gesetzgeberischen Entscheidung für eine fakultative Bestellung lediglich eine Reduzierung des entsprechenden Ermessens über die Erforderlichkeit einer effektiven Verteidigung schon im Ermittlungsverfahren in geeigneten Fallgruppen erreicht werden. Hier werden zentrale Bedeutung die Mitwirkungshandlungen des Beschuldigten haben müssen. Den Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zur Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren ist in ihrer Tendenz zuzustimmen, die Beschuldigtenrechte über eine Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren nach § 141 III 1 zu stärken.

421 422 423

Vgl. Vogelsang, S. 79 m. w. N. Dazu: Meyer-Goßner, § 369 Rn. 13. Vgl. BGHSt 46, 93 (103).

Sechstes Kapitel

Prozessuale Absicherung der Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren § 1 Antragsrecht des Beschuldigten auf Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren Zum Teil wird dem Beschuldigten nach § 141 III ein eigenes Antragsrecht im Vorverfahren1 zugestanden. Die herrschende Auffassung in Rechtsprechung und Literatur lehnt ein solches ab2. Der „Antrag“ des Beschuldigten sei lediglich eine „Anregung“ an die Staatsanwaltschaft, ihrerseits einen Antrag nach § 141 III 2 zu stellen. Danach wird § 141 III 1 durch den von der Staatsanwaltschaft zu stellenden Antrag nach Satz 2 eingeschränkt.

A. Auslegung von § 141 III I. Grammatische Auslegung Der Wortlaut von § 141 III verhält sich zu einer Antragsmöglichkeit des Beschuldigten im Ermittlungsverfahren nicht ausdrücklich, schließt sie aber auch nicht aus3; er schweigt4. 1 LG Heilbronn Die Justiz 1979, 444; LG Bremen StV 1999, 532; LR-Lüderssen, § 141 Rn. 24; Pfeiffer, § 141 Rn. 2 – keine Disposition der Staatsanwaltschaft über dieses aus dem Rechtsstaatsprinzip fließende Antragsrecht unter Hinweis auf BGHSt 46, 93 (98); AK-Stern, § 141 Rn. 7 ff.; Eb. Schmidt, Nachtrag I, § 141 Rn. 5: aus § 141 III 1 könne dies herausgelesen werden; Schäfer, Rn. 77; Hellmann, 6/22; Burhoff, Rn. 1332; Schlothauer/Weider, Rn. 88; H. Schmidt S. 222; Neuhaus, ZAP F 22, 147 (155); ders., JuS 2002, 18 (20); Köster, StV 1993, 512 f.; Beckemper, NStZ 1999, 221 (225 f.); Klemke, StV 2003, 413 (414); ders., StV 2002, 414 f.; nach Weider (StV 1987 317, 319) hat die Staatsanwaltschaft eine aus § 141 III 2 folgende Verpflichtung, eine Anregung des Beschuldigten als eigenen Antrag an den nach § 141 IV zuständigen Vorsitzenden weiterzuleiten. Diese Pflicht besteht wohl unabhängig davon, ob die Voraussetzungen von § 141 III 2 vorliegen. Für ein Antragsrecht de lege ferenda treten u. a. ein: KMR-Müller, § 141 Rn. 1; Hartmann-Hilter, S. 163; Bringewat, ZRP 1979, 248 (252). 2 OLG Oldenburg StV 1993, 511; OLG Karlsruhe NStZ 1998, 315; LG Cottbus StV 2002, 414; KMR-Müller, § 141 Rn. 1; HK-Julius, § 141 Rn. 7; KK-Laufhütte, § 141 Rn. 6; Meyer-Goßner, § 141 Rn. 5; Hahn, S. 84; Vogelsang, S. 52, 192; Hartmann-Hilter, S. 163 mit Fn. 58; Eser, in: Ders./Kaiser (Hrsg.) Kolloquium, S. 147 (161); Oellerich, StV 1981, 434 (441); Bringewat, ZRP 1979, 248 (251).

§ 1 Antragsrecht des Beschuldigten auf Verteidigerbestellung

293

Das Wort „kann“ in § 141 III 1 könnte vielmehr implizieren, daß die Beiordnung unabhängig davon ist, ob die Staatsanwaltschaft einen Antrag nach § 141 III 2 stellt oder nicht. Auch der Beschuldigte könnte einen Antrag stellen; jedenfalls die Staatsanwaltschaft hat unter den in § 141 III 2 genannten Voraussetzungen einen Antrag zu stellen5. Damit ist die grammatische Auslegung für ein Antragsrecht des Beschuldigten auf Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren unergiebig. II. Systematische Auslegung 1. Strafprozessuale Antragsrechte des Beschuldigten auf Verteidigerbestellung Aus den ausdrücklich aufgeführten Antragsrechten des Beschuldigten auf Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren nach § 117 IV 1 i. V. m. § 126 a II und in anderen Verfahrensabschnitten (vgl. §§ 350 III 1, 364 a, 364 b I) kann nicht im Umkehrschluß ein solches für eine Verteidigerbestellung nach § 141 III 1 verneint werden. Durch diese Vorschriften werden insofern Antragsobliegenheiten statuiert6. Die Antragsmöglichkeit nach § 140 II 2 mit einer sich anschließenden Verpflichtung zur Verteidigerbestellung beruht auf einer zu verhindernden bevormundenden Reglementierung gegenüber körperlich Behinderten7. Diese Vorschrift trat an die Stelle des § 140 I Nr. 4 a. F.; § 140 II 2 ist damit zwar nicht unmittelbar Ausdruck einer (nach h. M. fehlenden) Antragsmöglichkeit des Beschuldigten im Ermittlungsverfahren, jedoch schließt diese Vorschrift eine solche auch nicht aus.

3 Vgl. jedoch auch: Wolf (S. 116 ff.). Er geht von einem „numerus clausus“ der Antragsrechte im Strafverfahren aus. Jeder Verfahrensbeteiligte verfüge lediglich über die (Antrags)Rechte, die ihm vom Gesetz zugewiesen seien, Wolf, S. 117 f. (wobei er wohl lediglich auf die ausdrücklich erwähnten Rechte abstellt). Darüber hinaus könne der Verfahrensbeteiligte nur anregen. 4 LG Heilbronn Die Justiz 1979, 444; Hamm, FS-Lüderssen, S. 717 (725); Klemke, StV 2002, 414 (415). 5 LG Heilbronn Die Justiz 1979, 444; ferner: Stade, S. 349; Neuhaus, ZAP F 22, 147 (155); ders., JuS 2002, 18 (20). 6 Vgl. Meyer-Goßner, § 140 Rn. 4 für eine Bestellung nach § 141 I und II: Ein Antrag des Beschuldigten oder der Staatsanwaltschaft sei im Gegensatz zu §§ 117 IV, 350 III nicht erforderlich; vgl. ferner: LR-Lüderssen, § 140 Entstehungsgeschichte. 7 Vgl. den Bericht der Abgeordneten Eylmann und Singer – Rechtsausschuß, BTDrucks. 11/1933, S. 5.

294

6. Kap.: Prozessuale Absicherung der Verteidigerbestellung

2. Antragsrecht der Staatsanwaltschaft nach § 141 III 2 Auch die eingeführte Antragstellung der Staatsanwaltschaft in § 141 III 2 sollte lediglich eine Verpflichtung derselben begründen8 und nicht bestehende Rechte des Beschuldigten ausschließen9. Eine – wenn auch vom Wortlaut her nicht gänzlich fern liegende10 – Einschränkung des § 141 III 1 ist damit auszuschließen. 3. Verhältnis zu § 141 I, II i. V. m. § 140 Für das Verfahrensstadium nach § 141 I ist ein Antragsrecht des Beschuldigten allgemein anerkannt, ist jedoch nicht Voraussetzung für eine Bestellung11. Dann erscheint es jedoch fraglich, dem Beschuldigten im Ermittlungsverfahren kein solches Recht zuzugestehen, entscheidet doch auch im Ermittlungsverfahren ein Richter nach § 141 IV über die Bestellung. Neuhaus weist insoweit zutreffend darauf hin, daß Zugangsrechte zum Richter im Ermittlungsverfahren nicht Ausfluß der Ermittlungshoheit sind (vgl. §§ 98 II 2, 161 a III)12. Auch die Effektivität des Ermittlungsverfahrens als Teil staatsanwaltlicher Zweckmäßigkeitserwägungen wird durch diese von einem Antrag der Staatsanwaltschaft unabhängige Bestellungsbefugnis nicht beeinträchtigt. Dagegen spricht schon die Möglichkeit der freien Verteidigerwahl nach § 137 S. 1 in jeder Lage des Verfahrens13. III. Subjektiv-historische Auslegung § 126 II ERStPO sah eine im Ermessen des Gerichts bzw. des Vorsitzenden liegende Bestellung vor, die von Amts wegen oder auf Antrag erfolgte. Antragsberechtigter war auch der Beschuldigte14. Wie dargestellt wurde die Bestellungsmöglichkeit im Vorverfahren durch Wolffson als Ergänzung zu § 126 II ERStPO vorgeschlagen und nach redaktionellen Änderungen in § 126 a S. 2 ERStPO nach der ersten Lesung verankert. Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte in den Erörterungen ist davon auszugehen, daß die Antragsberechtigung des Beschuldigten für diesen Verfahrensabschnitt dadurch nicht ausgeschlossen 8

Vgl. Hamm, FS-Lüderssen, S. 717 (725); Köster, StV 1993, 512. Vgl. auch Reißfelder (zu StPÄG 1964), in: Eb. Kaiser (Hrsg.), Leitfaden, S. 34: „Auf Antrag bzw. Anregung des Beschuldigten oder der Staatsanwaltschaft kann in jedem Stadium des Vorverfahrens ein Verteidiger bestellt werden“. 10 Vgl. Beckemper, NStZ 1999, 221. 11 Vgl. Meyer-Goßner, § 140 Rn. 4; Vogelsang, S. 191 f. 12 Neuhaus, ZAP F 22, 147 (155); ferner: LG Heilbronn Die Justiz 1979, 444. 13 Köster, StV 1993, 512. 14 Vgl. die Motive zu § 126 EStPO, Hahn I, S. 144. 9

§ 1 Antragsrecht des Beschuldigten auf Verteidigerbestellung

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werden sollte. Gleiches gilt für die von Amts wegen vorgesehene Möglichkeit zur Bestellung15. Die anschließende Aufhebung der §§ 141, 142 RStPO durch § 21 II Nr. 1 DurchVO 1940 ändert an einem bestehenden Antragsrecht des Beschuldigten nichts. § 7 I 2 DurchVO 1940 sieht die fakultative Bestellungsmöglichkeit im Ermittlungsverfahren weiter vor, die auch neben der Vorschrift des § 12 VO von 1944 Bestand hat. Zwar ist nach § 32 II VO 1940 keine fakultative Bestellungsmöglichkeit auf Antrag (auch des Beschuldigten) vergleichbar der Fassung des § 141 RStPO vorgesehen, sondern eine Bestellung von Amts wegen, ohne daß ein Antrag des Beschuldigten erwähnt wird. Ob dadurch ein Antragsrecht des Beschuldigten im Ermittlungsverfahren ausgeschlossen werden sollte, ist jedoch zu bezweifeln. Die von Amts wegen erforderliche Bestellung wird nach § 32 II VO 1940 vielmehr hervorgehoben, die Verpflichtung des Richters zur Bestellung16 herausgestellt. Zu überlegen wäre ferner, ob die Aufhebung von § 144 I RStPO durch § 21 II Nr. 1 DurchVO 1940, der noch eine Bestellung durch den Amtsrichter im Vorverfahren vorsah17, und die Einführung der Zuständigkeit des Vorsitzenden des für die Eröffnung des Hauptverfahrens zuständigen Gerichts durch die Vorschrift des § 7 III DurchVO von 1940 sowie die Beibehaltung dieser Zuständigkeit für eine Verteidigerbestellung im Vorverfahren in § 141 I 3 durch das Gesetz zur Wiederherstellung der Rechtseinheit von 1950 gegen ein eigenes Antragsrecht bzw. eine Möglichkeit der Bestellung von Amts wegen im Ermittlungsverfahren sprechen. So könnte man argumentieren, daß die Zuständigkeit vom Amtsrichter weg hin zu „entlegeneren“ Gerichten erfolgte, was eine Bescheidung eines Antrags des Beschuldigten (oder eine Bestellung von Amts wegen ohne jeglichen Antrag) „unerreichbarer“ erschienen ließ. Damit könnte ein Antragsrecht bzw. eine Bestellung von Amts wegen abgesprochen worden sein. Plausibler erscheint es jedoch, die Verschiebung der Zuständigkeit für die Bestellung des Verteidigers im Ermittlungsverfahren dadurch zu erklären, daß das Gericht, welches schließlich mit den aus dem Ermittlungsverfahren gewonnenen Ergebnissen zu arbeiten hat, für die Bestellung auch in diesem Verfahrensabschnitt zuständig sein sollte. Dann erscheint es mehr als sachgerecht, dieses auch für eine mögliche Absicherung und damit Verwertbarkeit der Ergebnisse 15 Vgl. zum Antragsrecht und zur von Amts wegen vorgenommenen Bestellung nach § 142 RStPO: Löwe (3. Auflage), § 142 RStPO Anm. 1; Gündel-Hartung (LR, 19. Auflage), § 142 RStPO Anm. 1; John I, S. 1002 f.; Stenglein, § 142 RStPO (S. 288); Thilo, § 142 RStPO Anm. 2. 16 Vgl. Klee, ZAkDR 1940, 89 (91). 17 Zur früheren Konkurrenz bezüglich der Bestellung im vorbereitenden Verfahren, welches bei verschiedenen Amtsgerichten anhängig war: Löwe (3. Auflage), § 142 RStPO Anm. 3; Gündel/Hartung (LR, 19. Auflage), § 142 RStPO Anm. 3: Zuständig ist der Amtsrichter, bei dessen Amtshandlung das Bedürfnis nach einer Verteidigung hervortritt.

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6. Kap.: Prozessuale Absicherung der Verteidigerbestellung

aus dem Ermittlungsverfahren durch eine erforderliche Pflichtverteidigerbestellung heranzuziehen. Ferner war auch anerkannt, daß der Amtsrichter nicht für eine Verteidigerbestellung während der Voruntersuchung zuständig war18. Auch die durch das Gesetz zur Wiederherstellung der Rechtseinheit vorgesehene Antragsmöglichkeit des Beschuldigten in § 140 II 1 muß eine solche für § 141 III 1 nicht ausschließen, wiesen doch die Vorschriften nach § 140 II Nr. 2 und § 141 RStPO ebenfalls eine Antragsmöglichkeit auf. Nach dem Gesetz wurde zwar keine fakultative Bestellungsmöglichkeit (auch auf Antrag des Beschuldigten), wie noch in § 141 RStPO statuiert, eingeführt. Jedoch hielt die schon in § 142 RStPO verankerte fakultative Bestellungsmöglichkeit im Vorverfahren Einzug. Danach war, wie beschrieben, neben einer Bestellung von Amts wegen ohne jedweden Antrag auch die Antragsberechtigung des Beschuldigten vorgesehen. IV. Objektiv-teleologische Auslegung Sinn und Zweck des § 141 III 1 sprechen ebenfalls für ein eigenes Antragsrecht des Beschuldigten. Eine Verteidigerbestellung soll nach dieser Vorschrift schon im Ermittlungsverfahren erfolgen können. Sie hat, angesichts der möglichen urteilsprägenden Wirkung des Vorverfahrens, entsprechend frühzeitig zu erfolgen. Finanziell abgesicherte Beschuldigte können sich schon zu Beginn der Ermittlungen eines Wahlverteidigers bedienen, um so durch ihre Teilhaberechte an den Ermittlungen Einfluß zu nehmen. Finanziell Minderbemittelte könnten dies mangels Mandatierung eines Wahlverteidigers nicht. Sie wären von einem Antrag der Staatsanwaltschaft abhängig. Die rechtsstaatliche Fürsorge, die nach §§ 140 ff. darin besteht, eine Verteidigung ohne Rücksicht auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschuldigten zu gewährleisten, darf nicht zur Disposition der Staatsanwaltschaft stehen19. V. Folgenbetrachtung Würde ein Antragsrecht des Beschuldigten im Ermittlungsverfahren verneint, so hätte ein Richter über die Beiordnung eines Verletztenbeistandes in diesem Verfahrensstadium zu entscheiden (vgl. § 406 g III i. V. m. § 397 a), über die

18 Für die Bestellungszuständigkeit der Strafkammer: Thilo, § 142 RStPO Anm. 2; Stenglein, § 142 RStPO (S. 288); eine Bestellung durch den Amtsrichter auch in der Voruntersuchung nahm an: von Schwarze, § 144 RStPO Anm. 2. 19 Vgl. AK-Stern, § 141 Rn. 9 f.; Neuhaus, ZAP F 22, 147 (155 f.); ders., JuS 2002, 18 (20); Köster, StV 1993, 512.

§ 1 Antragsrecht des Beschuldigten auf Verteidigerbestellung

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Beiordnung eines Pflichtverteidigers dagegen ein Staatsanwalt20. Dies wäre eine unangemessene Ungleichbehandlung. Die Handlungen der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen, fällt in die Zuständigkeit der entsprechenden Gerichte21. Der Staatsanwaltschaft kann eine Beurteilungs- und Entscheidungsprärogative bezüglich dieser Rechtsfrage nicht zugestanden werden. Schließlich spricht für ein eigenes Recht auf Antragstellung auch der vom Bundesgerichtshof anerkannte mögliche Anspruch des Beschuldigten auf Pflichtverteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren22. Ein Antragsrecht verhilft neben der Verpflichtung der Justiz den Vorgaben einer Verteidigerbestellung zur Durchsetzung. VI. Ergebnis Damit ist ein eigenes Antragsrecht des Beschuldigten auf Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren in Auslegung von § 141 III 1 anzuerkennen. Ein Vergleich zu § 90 I 2 WDO unterstützt das gefundene Ergebnis. Dort ist eine Verteidigerbestellung in jeder Lage des Verfahrens möglich und eine entsprechende Antragsberechtigung des Soldaten anerkannt23. Diese kann keinen Umkehrschluß begründen, sondern ihre alleinige Existenz im gerichtlichen Disziplinarverfahren stellte vielmehr eine kaum nachvollziehbare Schlechterstellung des Beschuldigten im strafgerichtlichen Verfahren dar. Allein die bestehenden Unterschiede zwischen den beiden Verfahrensarten24 rechtfertigen keine andere Betrachtung. Auch das dem Betroffenen im Rahmen von § 60 S. 1 OWiG zugestandene Antragsrecht (ohne daß es einen ausdrücklichen gesetzlichen Niederschlag gefunden hätte) spricht für eben ein solches nach § 141 III 1. Erkennt man ein eigenes Antragsrecht des Beschuldigten an, so ist das Antragsrecht auch auf seinen gesetzlichen Vertreter (vgl. § 137 II) und den bisherigen Wahlverteidiger, der das Mandat niederlegt, zu übertragen25.

20 Stade, S. 349; Hamm, FS-Lüderssen, S. 717 (725 f.); Weider, StV 1987, 317 (319); Beckemper, NStZ 1999, 221 (226); dies. JA 2002, 634 (636). 21 Köster, StV 1993, 512 f.; ferner: Beckemper, NStZ 1999, 221 (222 f.). 22 Burhoff, Rn. 1333, Rn. 1336; Hamm, FS-Lüderssen, S. 717 (726). 23 Vgl. oben: Kap. 3, § 2 B. VI. 24 Vgl. dazu: Krieger, S. 75 ff. 25 Vgl. AK-Stern, § 141 Rn. 11.

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6. Kap.: Prozessuale Absicherung der Verteidigerbestellung

B. Zuständigkeit für die Entgegennahme eines Antrags auf Verteidigerbestellung im Vorverfahren Nach § 141 IV ist für die Bestellung eines Verteidigers im Ermittlungsverfahren der Vorsitzende des für die Hauptverhandlung zuständigen Gerichts zuständig. Fraglich ist jedoch, ob der Beschuldigte seinen Antrag bei diesem Richter anzubringen hat, oder ob er einen Antrag nicht auch an den Ermittlungsrichter oder an die Staatsanwaltschaft richten kann. I. Antrag des Beschuldigten 1. Bei dem für das Hauptverfahren zuständigen Gericht, vgl. § 141 IV Es ist schwierig für den Beschuldigten, die Zuständigkeit des Vorsitzenden gemäß § 141 IV zu bestimmen26. Die Zuständigkeit des bestellenden Gerichts (§ 141 IV) ergibt sich vielmehr aus dem Vorgehen der Staatsanwaltschaft27, die der Beschuldigte kontaktieren müßte. Fraglich ist jedoch, ob ihm diese mitteilt, vor welchem Gericht sie Anklage erheben will. 2. Die „Verantwortung des Ermittlungsrichters“ nach BGHSt 46, 93 ff. Fraglich ist, ob in Weiterentwicklung der „Verantwortung des Ermittlungsrichters“, so wie sie der 1. Senat in BGHSt 46, 93 ff. ausgesprochen hat, auch eine Zuständigkeit des Ermittlungsrichters nach §§ 117 IV, 126 analog für eine Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren nach § 141 III 1 anzunehmen sein könnte28. a) Generelle Zuständigkeit des Ermittlungsrichters zur Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren nach § 141 III 1 gemäß §§ 117 IV, 126 analog Eine generelle Zuständigkeit durch die analoge Anwendung der Vorschriften §§ 117 IV, 126 ist wohl abzulehnen29. Dagegen30 spricht schon die Regelung in

26 Vgl. Vogelsang, S. 238 f.; Walischewski, S. 196 spricht von einem „Dickicht“ von Zuständigkeitsvorschriften. Insofern scheint der Hinweis von Neuhaus (ZAP F 22, 147, 157), der Beschuldigte könne sich bei der Anerkennung eines eigenen Antragsrechts unmittelbar an das für das Hauptverfahren zuständige Gericht wenden (die Justiziabilität stelle sich dann in „wesentlich einfacherer Form“), vorschnell. 27 Vgl. oben: Kap. 3, § 1 C. I. 28 So ohne nähere Begründung wohl: KK-Engelhardt, § 406 g Rn. 5. 29 Für eine Zuständigkeit des Vorsitzenden nach § 141 IV bei möglichem Antragsrecht des Beschuldigten: Neuhaus, ZAP F 22, 147 (157); im Falle einer antragsunab-

§ 1 Antragsrecht des Beschuldigten auf Verteidigerbestellung

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§ 141 IV. Insofern besteht keine planwidrige Regelungslücke, die neben einer vergleichbaren Sachlage für eine Analogie vorliegen müßte31. Allein eine faktische Zurückweisung eines entsprechenden Antrags des Beschuldigten durch den Ermittlungsrichter, ohne den Antrag überhaupt materiell geprüft zu haben, weil eine Zuständigkeit von vornherein verneint wird32, spricht jedoch nicht unbedingt gegen seine Zuständigkeit. Es erscheint insofern nicht ausgeschlossen, daß auch der nach § 141 IV zuständige Richter ebenfalls den Antrag eines Beschuldigten schlicht wegen fehlender Zuständigkeit materiell nicht bescheiden würde. b) Zuständigkeit des Ermittlungsrichters nach §§ 117 IV, 126 analog, wenn er mit der Sache befaßt ist Eine Zuständigkeit des Ermittlungsrichters nach §§ 117 IV, 126 analog könnte zu erwägen sein, wenn der Ermittlungsrichter schon mit der Sache befaßt und damit eine „blinde“ Zurückweisung des Antrags ausgeschlossen scheint. Wenn Schlothauer/Weider § 117 IV i. V. m. Art. 104 GG verfassungskonform auslegen und eine Verteidigerbestellung durch den Haftrichter außerhalb des Gesetzeswortlauts annehmen (vorausgesetzt der Beschuldigte kann sich nicht gegen die drohende Inhaftierung sachgerecht verteidigen33), so zielen ihre Überlegungen wohl eher auf eine sachgerechte Ergänzung möglicher Fallgruppen notwendiger Verteidigung ab. Eine Verschiebung schon vorhandener Zuständigkeiten innerhalb der existierenden Fallgruppen notwendiger Verteidigung scheint damit nicht beabsichtigt.

hängigen Bestellung durch den Vorsitzenden: Vogelsang, S. 192; Katz, in: Walter (Hrsg.) S. 149 (156); Bringewat, ZRP 1979, 248 (251). 30 Siehe auch: Fezer, FS-Marszal, S. 74 (79 mit Fn. 22). An dieser Stelle möchte der Verfasser Herrn Prof. Dr. Fezer für die Überlassung seines Beitrages in Kopie danken. 31 Vgl. Engisch, Einführung, S. 176 ff.; Canaris, S. 19 ff., 31 ff. 32 So geschehen in einem dem Verfasser beschriebenen Fall. Der Verteidiger wollte seine Bestellung als Pflichtverteidiger beim Ermittlungsrichter beantragen. Dieser leitete das Schreiben aufgrund seiner angenommenen Unzuständigkeit an die Staatsanwaltschaft weiter. Damit war diese im Rahmen der Verteidigerbestellung nach §§ 141 III 1 wieder vorgeschaltet. 33 Schlothauer/Weider, Rn. 297 f. (ihre Überlegungen greifen wohl auch für eine Festnahme aufgrund eines Haftbefehls und der sich anschließenden Vorführung vor den Haftrichter); Boujong nimmt eine solche Möglichkeit (nur dann) an, wenn der Beschuldigte längere Zeit vernehmungsunfähig ist und sich damit offensichtlich nicht selbst verteidigen kann. Eine Rechtsgrundlage für die Bestellung erwähnt er nicht, vgl. KK-Boujong, § 115 Rn. 8; ferner: LR-Hilger, § 115 Rn. 13; SK-Paeffgen, § 115 Rn. 8.

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6. Kap.: Prozessuale Absicherung der Verteidigerbestellung

Im Rahmen der Bestellung eines Verteidigers gemäß § 68 I Nr. 4 JGG aufgrund vollstreckter Untersuchungshaft oder einstweiliger Unterbringung nach § 126 a wird die umständliche Hin- und Herversendung der Akten zwischen Haftrichter und dem für das Hauptverfahren zuständigen Gericht beklagt, eine Zuständigkeit des Haftrichters für die Bestellung nach dieser Vorschrift aber mit dem Wort „unverzüglich“ in § 68 I Nr. 4 JGG begründet. Hier wird speziell für das Jugendgerichtsverfahren die Zuständigkeit nach § 141 IV modifiziert34. Sofern für eine Verteidigerbestellung im Rahmen der Untersuchungshaft auch für Erwachsene (§§ 117 IV, 140 I Nr. 5) die Zuständigkeit des Haftrichters angenommen wird35, so wird diese mit der auf die Haftsituation zugeschnittenen Zuständigkeitsregel des § 126 begründet. Für das allgemeine Strafverfahren böte es sich an, eine Pflicht des Ermittlungsrichters anzunehmen, die Staatsanwaltschaft zu einem Antrag nach § 141 III 2 zu bewegen, selbst auf die Verteidigerbestellung bei dem nach § 141 IV zuständigen Vorsitzenden zu antragen36 oder den Verteidiger sogar zu bestellen37. Dafür spricht die Eliminierung einer weiteren, zeitverzögernden Entscheidungsebene. Der Ermittlungsrichter könnte sich über das Vorgehen der Staatsanwaltschaft erkundigen und das für das Hauptverfahren zuständige Gericht kontaktieren bzw. den Verteidiger selbst bestellen. Bei Anerkennung eines eigenen Antragsrechts des Beschuldigten schiene es damit möglich, dem Recht zur Durchsetzung zu verhelfen, indem er auch dessen Anträge an den zuständigen Vorsitzenden weiterleitete bzw. selbst bescheiden würde. Dieser Auffassung wurde schon entgegengetreten38. Eine solche Ausweitung der ermittlungsrichterlichen Befugnisse und Verpflichtungen würde die Stellung der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren verkennen. Allein aus der Fürsorgepflicht des Gerichts ein eigenes Antragsrecht auf Verteidigerbestellung herzuleiten, ist abzulehnen. Die Beteiligten im Rahmen einer Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren ergeben sich vielmehr aus § 141 III 1, 2 und IV. Der Ermittlungsrichter wird in diesen Vorschriften nicht erwähnt. Eine Verantwortung des Ermittlungsrichters allein nach § 162 III im Rahmen von beantragten Untersuchungshandlungen, die eine Ablehnung derselben nach sich zieht, wenn die gesetzlichen Rahmenbedingungen in Gestalt der notwendigen Verteidigung nicht vorliegen39, schafft insofern zwar keine Abhilfe40, ist jedoch aufgrund der gesetzgeberischen Entscheidung über die Zuständigkeiten hinzunehmen. 34

Vgl. Schmitz-Justen, in: Walter (Hrsg.), S. 169 (171 f.). Vgl. die Rundverfügung des Hessischen Generalstaatsanwalts vom 11.01.1994, StV 1994, 223; vgl. ferner oben: Kap. 3, § 2 A. I. 36 Vgl. Meyer-Lohkamp, StV 2004, 13; siehe ferner: Fezer, FS-Marszal, S. 75 (79 – „auf welche Weise auch immer“ müßte der Ermittlungsrichter für die Verteidigerbestellung sorgen). 37 Vgl. LR-Rieß, § 168 c Rn. 9 a; Wohlers, FS-Rudolphi, S. 713 (720 mit Fn. 41). 38 Vgl. oben: Kap. 5, § 3 D. 35

§ 1 Antragsrecht des Beschuldigten auf Verteidigerbestellung

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3. Antragstellung über die Staatsanwaltschaft Der Beschuldigte kann den Antrag bei der Staatsanwaltschaft stellen, welche ihn dann an den zuständigen Richter weiterleitet bzw. weiterleiten muß41. Jedoch könnte angesichts der Weiterleitungsfrist der Staatsanwaltschaft eine Verzögerung der Bestellung zu befürchten sein42. Aufgrund der vorgeschalteten Filterfunktion der Staatsanwaltschaft könnte insofern Skepsis angebracht sein, als sie eine Antragstellung des Beschuldigten im Ermittlungsverfahren mit der immer noch h. M. lediglich als Anregung verstehen könnte, ihrerseits einen Antrag zu stellen. Angesichts des oben beschriebenen Antragsrechts des Beschuldigten de lege lata muß die Staatsanwaltschaft diesem zur Geltung verhelfen. Dies gebietet schon die, auch sie als Strafverfolgungsbehörde bindende43, prozessuale Fürsorgepflicht, welche einen Aspekt notwendiger Verteidigung beschreibt44. So wird angenommen, im Rahmen des Beweiserhebungsantragsrechts des Beschuldigten nach § 163 a II für eine unverzügliche Erledigung zu sorgen45. Die Staatsanwaltschaft muß den Beschuldigten zur Wahrung seines Antragsrechts nicht zuletzt wegen der Gefahr einer „blinden“ Zurückweisung unterstützen und seinen Antrag weiterleiten46. Ihr bleibt es unbenommen, eine eigene Stellungnahme diesem Antrag beizufügen. 4. Ergebnis Der Umsetzung eines eigenen Antragsrechts des Beschuldigten im Ermittlungsverfahren könnte die in der Praxis mögliche „blinde“ Zurückweisung wegen Unzuständigkeit durch den Vorsitzenden entgegenstehen.

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Vgl. Schlothauer, StV 2001, 127 (129). Wenn die Verfahrenshandlung unzulässig ist, so hat zwar ein Antrag des Beschuldigten auf richterliche Entscheidung nach § 98 II 2 analog gegen den Beschluß des Ermittlungsrichters Erfolg. Dadurch wird aber nur der „sekundäre“ Rechtsweg beschritten, keine baldige Verteidigerbestellung erreicht. 41 Neuhaus, ZAP F 22, 147 (157); so geschehen in dem von BGH (StV 2003, 210) entschiedenen Fall; vgl. ferner: LG Bremen, StV 1999, 532 – wo der Verteidiger ausdrücklich um Weiterleitung an das zuständige Gericht bat, was nicht lediglich als Anregung an die Staatsanwaltschaft verstanden werden dürfte, ihrerseits einen Antrag zu stellen; OLG Karlsruhe NStZ 1998, 315; Weider, StV 1987, 317 (319): Die Staatsanwaltschaft habe aufgrund der Verpflichtung aus § 141 III 2 die Pflicht, eine „Anregung“ des Beschuldigten als eigenen Antrag an den zuständigen Vorsitzenden weiterzuleiten. 42 Vgl. Walischewski, S. 196 f. 43 LR-Rieß, Einl. Abschn. H, Rn. 127; SK-Rogall, Vor § 133 Rn. 115. 44 Siehe oben: Kap. 4, § 3 C.; ferner Hegmann, S. 249 ff. 45 Vgl. Hegmann, S. 150. 46 Vgl. Weider, StV 1987, 317 (319). 40

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6. Kap.: Prozessuale Absicherung der Verteidigerbestellung

Eine Verpflichtung des Ermittlungsrichters, in geeigneten Fällen auf eine Verteidigerbestellung durch den nach § 141 IV zuständigen Vorsitzenden hinzuwirken und sich damit aktiv an der Sicherung der Verfahrensstellung des Beschuldigten im Ermittlungsverfahren zu beteiligen ist angesichts der Kompetenzverteilung im Ermittlungsverfahren und im Rahmen der Verteidigerbestellung in diesem Verfahrensstadium abzulehnen. Insofern kann der Beschuldigte einen Antrag über die Staatsanwaltschaft an den zuständigen Vorsitzenden richten. Die Staatsanwaltschaft hat diesen Antrag unverzüglich weiterzuleiten. Damit wird einer „blinden“ Zurückweisung des Antrags vorgebeugt. II. Antrag der Staatsanwaltschaft nach § 141 III 2 Stellt die Staatsanwaltschaft einen Antrag nach § 141 III 2, sind die nämlichen Bedenken bezüglich einer Bestellungszuständigkeit des Ermittlungsrichters anzumelden. Allerdings ist bei einem solchen Antrag die Befassung des Ermittlungsrichters oder des nach § 141 IV zuständigen Vorsitzenden mit einem Antrag anzunehmen47, eine schlichte Zurückweisung von vornherein ausgeschlossen.

C. Antragsunabhängige Bestellungsmöglichkeit im Ermittlungsverfahren durch den Vorsitzenden48 nach § 141 III 1 i. V. m. § 141 IV Nach h. M. ist eine Initiativbestellung im Ermittlungsverfahren durch den Vorsitzenden des für die Hauptverhandlung zuständigen Gerichts nach § 141 IV i. V. m. § 141 III 1 nicht vorgesehen, es bedarf eines Antrags der Staatsanwaltschaft49 oder des Beschuldigten50. 47

Vgl. Katz, in: Walter (Hrsg.), S. 149 (156). Die faktische Untätigkeit eines Vorsitzenden im Hinblick auf eine eigene Verteidigerbestellung beruht wohl darauf, daß er nicht von dem Verfahren gegen den Beschuldigten erfährt, solange er nicht mit der Sache befaßt ist, vgl. dazu auch Katz, in: Walter (Hrsg.) S. 149 (156). 49 OLG Düsseldorf MDR 1988, 989; KK-Laufhütte, § 141 Rn. 3; KMR-Müller, § 141 Rn. 2; Hegmann, S. 251 f.; Swoboda, S. 352 mit Fn. 81; ferner: Neuhaus, ZAP F 22, 147 (154 f.); angesichts seiner Formulierungen in BGHSt 46, 93 ff. geht der 1. Senat wohl auch von einer antragsabhängigen Bestellung im Ermittlungsverfahren aus. Eine eigene Bestellungsmöglichkeit des Vorsitzenden nehmen an: AK-Stern, § 141 Rn. 7; LR-Rieß, § 168 c Rn. 9 a; Bringewat, ZRP 1979, 248 (251); H. Schmidt, S. 221 mit Fn. 4, S. 223 unter der Voraussetzung, daß sich die sachliche und örtliche Zuständigkeit lediglich eines Gerichts ergibt. Seien mehrere Gerichte zuständig, so werde die Zuständigkeit durch einen Antrag der Staatsanwaltschaft entschieden. 50 So Schäfer, Rn. 77. 48

§ 2 Ermittlungsunterbrechung und Belehrungspflicht

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Nach dem Wortlaut („kann“) ist eine Bestellung eines Verteidigers im Ermittlungsverfahren von Amts wegen ohne jedweden Antrag nicht ausgeschlossen. Auch ist aus anderen Bestimmungen ersichtlich, daß trotz eines erwähnten Antragsrechts die Vornahme einer gerichtlichen Handlung nicht an einen Antrag gebunden sein muß, vgl. §§ 79 I 2 a. F., 154 a III 151. Die Regelungen in §§ 118 a II 3, 138 c III 4, 408 b S. 1, 418 IV sowie nach § 90 I 2 WDO sehen eine Verteidigerbestellung unabhängig von einem Antrag vor. Sie rechtfertigen jedoch keinen Umkehrschluß, sondern statuieren lediglich richterliche Pflichten. Wie dargelegt52 ergibt sich nach der subjektiv-historischen Auslegung neben einem Antragsrecht des Beschuldigten auch eine antragsunabhängige Bestellungsmöglichkeit durch den Vorsitzenden. Auch die objektiv-teleologische Auslegung, die eine möglichst frühe Pflichtverteidigerbestellung in den entsprechenden Fällen gebietet, spricht für eine antragsunabhängige Bestellungsmöglichkeit. Sie erstarkt in den einschlägigen Fallgruppen zu einer Bestellungspflicht des Vorsitzenden.

§ 2 Ermittlungsunterbrechung und Belehrungspflicht über § 136 I 2 hinaus Der 1. Senat erwägt eine Unterbrechung für solche Ermittlungen, die eine Mitwirkung des Beschuldigten erfordern. Im Falle einer entsprechenden Belehrung könnten diese Ermittlungen fortgesetzt werden. Der 5. Senat lehnt eine Ermittlungsunterbrechung von vornherein ab. Er tritt folgerichtig auch einer Verpflichtung entgegen, den Beschuldigten dahin zu belehren, es lägen die Voraussetzungen der notwendigen Verteidigung vor und ein Verteidiger müsse bestellt werden.

A. Polizeiliche und staatsanwaltliche Belehrungspflicht I. Hinweispflicht über die Antrags- und Bestellungspflicht der Strafverfolgungsorgane Roxin stimmt den Erwägungen des 1. Senats zu. Nach ihm ist der Beschuldigte ab dem Zeitpunkt der Bestellungspflicht dahin zu belehren, daß ihm nunmehr ein Verteidiger zu bestellen sei53.

51 Meyer-Goßner, § 79 Rn. 2; KK-Schoreit, § 154 a Rn. 23; AK-Schöch, § 154 a Rn. 21; zu § 430 III: KK-Boujong, § 430 Rn. 8; AK-Günther, § 430 Rn. 16. 52 Vgl. oben: Kap. 5, § 2 B. III. 1. b) ee) und Kap. 6, § 1 A. III.

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6. Kap.: Prozessuale Absicherung der Verteidigerbestellung

Nach der hier vertretenen Auffassung ist die Staatsanwaltschaft schon bei Absehen der Voraussetzungen notwendiger Verteidigung im gerichtlichen Verfahren verpflichtet, einen Antrag auf Beiordnung zu stellen. Eine allein aus der absehbaren Notwendigkeit der Verteidigung folgende Bestellungspflicht des Richters scheidet jedoch insofern aus. Damit kann die Staatsanwaltschaft zwar mögliche Fallgruppen einer Bestellungspflicht des Richters absehen, hinweisen kann sie jedoch nur auf eine eigene Antragspflicht nach § 141 III 2. II. Belehrung über das Antragsrecht des Beschuldigten (Rechtsgedanke aus § 34 a VI EGGVG, §§ 136 I 3, 117 IV 2, 350 III 2 i. V. m. § 406 h) Über eine Hinweispflicht bezüglich der eigenen Vorgehensweise hinaus ist der Beschuldigte über das ihm zustehende Antragsrecht auf Verteidigerbestellung zu belehren54. Weider nimmt eine § 406 h entsprechende Belehrungspflicht über eine Pflichtverteidigerbestellung nach § 141 III 1, IV an55. Nach Klemke haben die Strafverfolgungsbehörden mit Rücksicht auf die durch die Pflichtverteidigung herzustellende Waffengleichheit die Pflicht, den Beschuldigten über sein Recht auf Pflichtverteidigerbestellung zu belehren56. Diese Pflicht bestehe nicht schon bei absehbarer notwendiger Verteidigung, sondern erst, wenn eine Mitwirkung des Beschuldigten im Ermittlungsverfahren erforderlich sei57. Hier müßten die Verteidigungsmöglichkeiten des Beschuldigten durch seinen anwaltlichen Beistand gewahrt werden. Auch wenn sein Fragerecht ansonsten vereitelt würde oder wenn er zur Ausübung seines Fragerechts der Akteneinsicht bedürfe58, sei der Beschuldigte entsprechend zu belehren. In diesen Fällen sei der Beschuldigte auch darüber zu belehren, daß die Ermittlungsmaßnahmen zunächst unter53 Roxin, JZ 2002, 898 (900). Er geht von einer Bestellungspflicht des Vorsitzenden bei prognostizierter notwendiger Verteidigung aus. 54 Vgl. zum Hinweis auf die Möglichkeit der Bestellung eines Pflichtverteidigers: SK-Rogall, § 136 Rn. 35; Bringewat, ZRP 1979, 248 (252); nach Beulke (NStZ 1996, 257, 261) ist ein Hinweis erforderlich, wenn der Beschuldigte aufgrund der möglichen Kosten einer Wahlverteidigung – nach außen erkennbar – im Rahmen der Hinzuziehung anwaltlichen Beistands zögert; siehe ferner: Eser, ZStW 79 (1967), 565 (608) zu einer Bestellungspflicht nach § 141 III 1 und einer Antragsmöglichkeit des Beschuldigten nach § 140 II. 55 Weider, StV 1987, 317 (319 f.). Nach seiner Konzeption erfaßt dies wohl auch eine Belehrung über die Weiterleitung einer Anregung des Beschuldigten durch die Staatsanwaltschaft als eigenen Antrag nach § 141 III 2. 56 Klemke, StV 2003, 413 (414 f.). Dabei geht er davon aus, daß eine Bestellungspflicht allein bei prognostizierter Notwendigkeit der Verteidigung im gerichtlichen Verfahren besteht. 57 So bei einer Tatrekonstruktion oder einer Vernehmung. 58 Was nach Klemke (StV 2003, 413, 415) regelmäßig der Fall ist.

§ 2 Ermittlungsunterbrechung und Belehrungspflicht

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brochen werden müßten59. Bei Ermittlungsmaßnahmen, die nur bei der Heimlichkeit ihrer Durchführung oder ihres Überraschungsmoments erfolgreich seien, sei keine solche Belehrungspflicht anzuerkennen60. Nur durch eine Belehrung über das eigene Antragsrecht kann sichergestellt werden, daß der Beschuldigte über dieses Recht informiert ist. Ansonsten bliebe es wirkungslos. Eine solche Belehrungspflicht kann jedoch weder Art. 6 III lit. c) EMRK noch Art. 14 III lit. d) IPBPR entnommen werden. Jener schreibt schon keine Belehrung über die Wahlverteidigung vor. Dieser bezieht eine Belehrung ausschließlich auf die Wahlverteidigung61. Die Belehrungspflicht ergibt sich jedoch schon aus nationalem Recht. Sie ist aus dem Rechtsgedanken der Vorschriften § 34 a VI EGGVG und §§ 136 I 3, 117 IV 2, 350 III 2 zu gewinnen, in welchen der Beschuldigte über sein ihm zustehendes Antragsrecht auf Verteidigerbestellung (bzw. Beiordnung einer Kontaktperson) belehrt werden soll. Ferner ist auf § 406 h hinzuweisen, der die Belehrung über die Hinzuziehung anwaltlichen Beistandes nach den §§ 397 a, 406 g vorsieht. Angesichts der „Waffengleichheit“ auch gegenüber dem Verletzten, ein Anordnungsgrund notwendiger Verteidigung62, ist ebenfalls der Rechtsgedanke dieser Vorschrift heranzuziehen. Ferner ist auf die Fürsorgepflicht hinzuweisen, die eine über die im Gesetz vorgesehenen Belehrungspflichten hinausgehende Belehrung nach sich ziehen kann63. Die Staatsanwaltschaft muß den Beschuldigten darauf hinweisen, daß sie den bei ihr gestellten Antrag an den zuständigen Vorsitzenden weiterleitet. Auch die Polizei muß den Beschuldigten entsprechend belehren, einen Antrag entgegennehmen und der Staatsanwaltschaft zuleiten. Der Antrag des Beschuldigten ist aktenkundig zu machen. Klemke ist insofern zuzustimmen, als diese Belehrungspflicht nicht von vornherein in jedem Ermittlungsverfahren für den Beschuldigten besteht. Sie kommt bei Ermittlungshandlungen, die eine Mitwirkung des Beschuldigten erfordern, in Betracht (vgl. § 136 I 3). Dient die Verteidigerkonsultation gerade dazu, den Beschuldigten auch über die Folgen seines Aussageverhaltens zu belehren64, so 59

Bei einem entsprechenden Wunsch hätten die Verfolgungsbehörden mit der Ermittlungshandlung inne zu halten bis das Gericht entschieden habe. Wenn der Beschuldigte nach erfolgter Belehrung nicht von diesem Recht Gebrauch machen möchte, so könne die Ermittlungsmaßnahme fortgesetzt werden; die Entscheidung des Gerichts sei dann ebenfalls herbeizuführen, so Klemke, StV 2003, 413 (415). 60 Klemke, StV 2003, 413 (415): Telefonüberwachung, Observation, vorläufige Festnahme, Durchsuchung. 61 Vgl. LR-Gollwitzer (24. Auflage), Art. 6 EMRK Rn. 208. 62 Vgl. § 140 II 1 3. Alt. und oben: Kap. 4, § 3 B. II. 63 Vgl. BGH StV 1998, 252 zur Belehrung über das Recht, die Aussetzung der Hauptverhandlung zu beantragen nach § 265 III, IV. 64 Vgl. oben: Kap. 5, § 2 III. 4.

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6. Kap.: Prozessuale Absicherung der Verteidigerbestellung

erscheint es sachgerecht, eine Belehrung lediglich auf Konstellationen zu beziehen, in denen der Beschuldigte mitwirkt. Eine weitergehende Belehrungspflicht über die Bestellung eines Pflichtverteidigers, u. a. wenn sein Fragerecht vereitelt würde, ist abzulehnen. Hier hat die Staatsanwaltschaft vielmehr von sich aus eine Verteidigerbestellung zu beantragen.

B. Fortsetzung der Ermittlungen nach Eintreffen des zu bestellenden Verteidigers Die Belehrungspflicht über das dem Beschuldigten zustehende Antragsrecht zieht selbstverständlich noch keine Verpflichtung zu einer Ermittlungsunterbrechung nach sich. Die Frage einer solchen Pflicht ist lediglich für eine Antragspflicht der Staatsanwaltschaft nach § 141 III 2 relevant. Dem 1. Senat und einem Teil der Literatur65 kann nicht darin gefolgt werden, daß die Ermittlungsbehörden befugt seien, nach entsprechender Belehrung mit den Ermittlungen, die eine Mitwirkung des Beschuldigten erfordern, fortzufahren. Die notwendige Verteidigung geht vielmehr davon aus, daß der Betroffene eben nicht über die Hinzuziehung eines Verteidigers entscheiden sollte. Dies betrifft auch ein Warten auf einen solchen Verteidiger. Der oben angesprochene Verantwortungsbereich der Strafverfolgungsbehörden ist auf einen unverteidigten Beschuldigten zugeschnitten – unabhängig von seinem Kenntnisstand. So muß ja auch ein Rechtsanwalt die Verteidigung durch einen Verteidiger dulden66. Danach werden die Strafverfolgungsbehörden von einer Ermittlungsunterbrechung durch eine entsprechende Belehrung über das eigene Vorgehen nicht befreit67.

C. Zuwarten bis sich der Beschuldigte entschieden hat, keinen Verteidiger eigenständig zu mandatieren Schon aus § 136 I 2 – Belehrungspflicht über die Möglichkeit der Verteidigerkonsultation – ergibt sich, daß der Beschuldigte dieses Recht zur eigenständigen Wahl eines Verteidigers vor einem Beiordnungsantrag der Staatsanwaltschaft ausüben darf. Dem entspricht im übrigen auch die Praxis bei der Bestellung eines Verteidigers gemäß § 142. Eine solche Bestellung wird angekündigt, wobei dem Beschuldigten Gelegenheit gegeben wird, innerhalb einer zu bestimmenden Frist einen Rechtsanwalt zu bezeichnen, § 142 I 2. Dies impliziert, daß 65 Für eine Forsetzung nach entsprechender Belehrung: Beckemper, JA 2002, 634 (636); Klemke, StV 2003, 413 (415). 66 BGH MDR 1954, 564; Meyer-Goßner, § 140 Rn. 1. 67 Roxin, JZ 2002, 898 (900).

§ 3 Rechtsschutz gegen eine unterlassene Pflichtverteidigerbestellung

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der Beschuldigte statt einer solchen Wahl der Person im Rahmen der Pflichtverteidigerbestellung zuvor eigenständig einen Wahlverteidiger beauftragen kann. Also hat die Staatsanwaltschaft einen Beiordnungsantrag zurückzustellen, um zu klären, ob der Beschuldigte von sich aus einen Verteidiger wählt68. Allerdings wird er dies unverzüglich tun müssen, um das Verfahren nicht zu blokkieren. Kommt er dem nicht nach, hat die Staatsanwaltschaft den Beiordnungsantrag zu stellen69.

§ 3 Rechtsschutz gegen eine unterlassene Pflichtverteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren Es bleibt zu untersuchen, inwiefern der Beschuldigte gegen eine unterlassene Bestellung im Ermittlungsverfahren vorgehen kann.

A. Entscheidungen des Vorsitzenden nach § 141 IV I. Ablehnung einer Verteidigerbestellung Lehnt der Vorsitzende die Bestellung eines Verteidigers im Ermittlungsverfahren nach einem Antrag der Staatsanwaltschaft ab, so kann der Beschuldigte nach § 304 I Beschwerde einlegen70; gleiches gilt für die Bescheidung seines eigenen Antrages71. Eine solche Beschwerdemöglichkeit ergibt sich für den Beschuldigten jedenfalls bei einer ausdrücklich ablehnenden Entscheidung des Vorsitzenden. II. Unterlassung der Bescheidung des Antrags Angesichts der Darlegungen bezüglich der Wichtigkeit einer Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren hat der Vorsitzende entsprechende Anträge zu prüfen. Mit Stern ist dem Beschuldigten ein Recht auf Bescheidung des Antrags auf Verteidigerbestellung zuzubilligen72. In Betracht käme insofern eine Untätigkeitsbeschwerde bei Übergehung eines Antrags des Beschuldigten oder der Staatsanwaltschaft. Danach kann der Beschuldigte wegen Unterlassung einer rechtlich gebotenen Entscheidung Be68

BGH NJW 2002, 975 (977). Vgl. schon Hegmann, S. 254 f. 70 Vgl. Schlothauer, Vorbereitung, Rn. 202. 71 Schlothauer/Weider, Rn. 90; Neuhaus, ZAP F 22, 147 (157). 72 AK-Stern, § 141 Rn. 11, 35; nach Lüderssen (LR, § 141 Rn. 24) ist dies bisher offengeblieben. 69

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6. Kap.: Prozessuale Absicherung der Verteidigerbestellung

schwerde erheben73. Voraussetzung dafür ist zum einen die (oben angenommene) Anfechtbarkeit einer ausdrücklich ablehnenden Entscheidung. Ferner muß es sich um eine endgültige und nicht lediglich verzögernde Unterlassung handeln. Eine Verteidigerbestellung noch im Ermittlungsverfahren nach § 141 III 1 kommt lediglich solange in Betracht, als die Staatsanwaltschaft den Abschluß der Ermittlungen noch nicht vermerkt und einen Antrag auf Verteidigerbestellung noch nicht gestellt hat; in einem solchen Fall wäre § 141 III 3 Bestellungsgrundlage. Hat die Staatsanwaltschaft Anklage erhoben, so kann eine Bestellung lediglich über § 141 I erfolgen. Angesichts des vom Vorsitzenden nicht überprüfbaren Vorgehens der Staatsanwaltschaft bezüglich eines Abschlußvermerks oder einer möglichen Anklageerhebung kommt die Unterlassung der Bescheidung des Antrags auf Verteidigerbestellung nach § 141 III 1 einer endgültigen Entscheidung gleich. Das Unterlassen wirkt damit nicht nur verzögernd. Die Zulässigkeit einer Untätigkeitsbeschwerde ist damit zu bejahen.

B. Rechtsschutz gegen die Entscheidungen der Staatsanwaltschaft nach §§ 23 ff. EGGVG Wendet sich der Beschuldigte gegen die Weigerung der Staatsanwaltschaft, einen Antrag zu stellen, so ist sein Rechtsschutzbegehren darauf gerichtet, die Staatsanwaltschaft zu einem solchen Antrag zu verpflichten. Für eine Überprüfungsmöglichkeit sprechen folgende grundsätzliche Überlegungen. Lehnte man sie ab, würde der Staatsanwaltschaft eine Letztentscheidungskompetenz über Rechtsfragen in dem prägenden Ermittlungsverfahren zuerkannt74. Dies ist jedoch Aufgabe eines Gerichts. Auch würde der Schutzzweck von § 141 III i. V. m. § 140 (Sicherstellung der Verteidigungsmöglichkeiten bei notwendiger Verteidigung ungeachtet der wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschuldigten schon im Ermittlungsverfahren) gefährdet75. Schließlich unterläge die Entscheidung der Staatsanwaltschaft nach § 141 III 2 geringerer Überprüfungsmöglichkeiten als die des Gerichts nach § 141 III 1 i. V. m. § 141 IV76. Daneben ist zu beachten, daß die Staatsanwaltschaft eine Prognose notwendiger Verteidigung für das gerichtliche Verfahren anstellen muß, sie insofern also 73

Vgl. OLG Stuttgart NStZ-RR 2003, 284; Meyer-Goßner, § 304 Rn. 3. Köster, StV 1993, 512 (513); Klemke, StV 2002, 414 (415); nach Schlothauer/ Weider (Rn. 86) ist es ein „Unding“, daß gerade die Staatsanwaltschaft über den Umfang der Verteidigungsmöglichkeiten in einem so entscheidenden Verfahrensstadium entscheiden soll. 75 Köster, StV 1993, 512 (513). 76 Köster, StV 1993, 512 (513). 74

§ 3 Rechtsschutz gegen eine unterlassene Pflichtverteidigerbestellung

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Überlegungen bezüglich späterer Verfahrensabschnitte, die in den Händen des Gerichts liegen, anstellt. Damit erscheint es jedoch mehr als sachgerecht, diese Überlegungen (vergleichbar den späteren des Vorsitzenden im gerichtlichen Verfahren) einem Rechtsschutz zu unterwerfen. Schließlich ist angesichts der Rechtsprechung zu den Pflichten der Staatsanwaltschaft nach § 141 III 2 ein entsprechender Rechtsschutz zu gewähren77. So lehnte das OLG Karlsruhe den Rechtsweg nach §§ 23 ff. EGGVG auch unter Hinweis auf die nach BGHSt 29, 1 (5) fehlende Bestellungspflicht im Ermittlungsverfahren ab78. Ferner wird bei Annahme einer Bestellungskompetenz der Staatsanwaltschaft im Zwischenverfahren nach dem OWiG eine Anfechtung nach § 62 OWiG analog anerkannt79. Fraglich ist, auf welche Weise der Rechtsschutz zu gewährleisten ist. Zum Teil wird angenommen, der Beschuldigte könne bei Ablehnung einer Antragsstellung der Staatsanwaltschaft nach §§ 23 ff. EGGVG vorgehen80. Angesichts des Rechtsschutzbegehrens ist maßgeblich auf die Vornahme des Antrages abzustellen. Es kommt demzufolge ein Verpflichtungsantrag nach § 23 II EGGVG in Betracht. Die Anwendung von § 27 I 1 EGGVG scheidet insofern aus, als die Staatsanwaltschaft im Rahmen einer unterlassenen eigenen Antragstellung von Amts wegen handeln muß. Hinsichtlich der Nicht-Weiterleitung eines Antrags des Beschuldigten wäre § 27 I 1 EGGVG jedenfalls aufgrund der Eilbedürftigkeit81 einer Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren nach § 27 I 2 EGGVG ausgeschlossen. Um den Rechtsschutz nach §§ 23 ff. EGGVG begründen zu können, muß der Antrag auf Verteidigerbestellung einen Justizverwaltungsakt darstellen. Dies ist jedes hoheitliche Handeln einer Behörde zur Regelung einer einzelnen Angelegenheit auf dem Gebiet der Rechtspflege, das geeignet ist, den Betroffenen in seinen Rechten zu verletzen82. Nach heute herrschender Auffassung ist jedoch auch anerkannt, daß schlichtes Verwaltungshandeln §§ 23 ff. EGGVG unterfallen kann, wenn es Außenwirkung entfaltet83; dies gilt ebenfalls für die Vor77

Klemke, StV 2002, 414. OLG Karlsruhe NStZ 1998, 315 (316); die nun erforderliche Bestellungspflicht im Vorverfahren blendet das LG Cottbus in seiner Entscheidung vollständig aus und führt lediglich BGHSt 29, 1 (5) an, vgl. LG Cottbus StV 2002, 414. 79 Vgl. oben: Kap. 3, § 2 B. I. 80 Vgl. AK-Stern, § 141 Rn. Rn. 32; HK-Julius, § 141 Rn. 14; J. T. Müller, S. 82 mit Fn. 456; Weider, StV 1987, 317 (319); Stern, StV 1990, 563 (564); vgl. ferner: Schlothauer/Weider, Rn. 89; LR-Lüderssen, § 141 Rn. 24 mit Fn. 81: falls der Nebenkläger anwaltlich vertreten ist. 81 Vgl. zu den Voraussetzungen nach § 27 I 2 EGGVG: LR-Böttcher, § 27 EGGVG Rn. 4. 82 Kissel, § 23 EGGVG Rn. 29. 83 Meyer-Goßner, § 23 EGGVG Rn. 6 m. w. N.; LR-Böttcher, § 23 EGGVG Rn. 44. 78

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6. Kap.: Prozessuale Absicherung der Verteidigerbestellung

schrift § 23 II EGGVG, wenngleich sie ausdrücklich auf einen Verwaltungsakt abstellt84. I. Maßnahme einer Justizbehörde zur Regelung einzelner Angelegenheiten auf dem Gebiet der Strafrechtspflege (Justizverwaltungsakt), § 23 I i. V. m. II EGGVG Gegen die Entscheidung der Staatsanwaltschaft, als Justizbehörde85 Rechtsschutz nach §§ 23 ff. EGGVG zu gewähren, wird angeführt, die Weigerung (bzw. Antragstellung) der Staatsanwaltschaft sei kein Justizverwaltungsakt86. 1. Anwendbarkeit der §§ 23 ff. EGGVG auf Prozeßhandlungen Es wird angenommen, der Regelungscharakter eines Beiordnungsantrags (bzw. dessen Ablehnung) entfalle, weil dieser eine eigentliche Entscheidung (hier die Pflichtverteidigerbestellung durch den Vorsitzenden nach § 141 IV) lediglich vorbereite87. Die Maßnahme der Staatsanwaltschaft gestalte das Verfahren und sei damit eine Prozeßhandlung88, die nach h. M.89 einem Rechtsschutz nach §§ 23 ff. EGGVG nicht zugänglich ist90. Für die generelle Ausklammerung von Prozeßhandlungen im Ermittlungsverfahren aus dem Anwendungsbereich der §§ 23 ff. EGGVG wird zum einen91 der vorbereitende Charakter des Ermittlungsverfahrens angeführt. Auch wird angenommen, daß die im Ermittlungsverfahren vorgenommenen Handlungen durch die Staatsanwaltschaft materiell Rechtsprechungstätigkeit seien, die damit

84

Vgl. LR-Böttcher, § 23 EGGVG Rn. 43. Vgl. LR-Böttcher, § 23 EGGVG Rn. 11. 86 Vgl. Katholnigg, § 23 EGGVG Rn. 14; Köster, StV 1993, 512 (513). 87 Köster, StV 1993, 512 (513). 88 Als Prozeßhandlungen werden Maßnahmen angesehen, die auf die Gestaltung des Verfahrens gerichtet sind. Sie betreffen die Einleitung, Durchführung und Beendigung des Verfahrens, vgl. Kissel, § 23 EGGVG Rn. 40. 89 OLG Dresden NJW 1998, 3368; OLG Koblenz NJW 1985, 2038; OLG Karlsruhe NJW 1976, 1417 f.; OLG Hamm NStZ 1985, 472; Kissel, § 23 EGGVG Rn. 40; KK-Laufhütte, § 141 Rn. 6 i. V. m. § 147 Rn. 24; Meyer-Goßner, § 23 EGGVG Rn. 10; ders., NStZ 1982, 353 (357); Heinrich, NStZ 1996, 110 ff.; Kaiser, NJW 1961, 200 f.; kritisch: Schenke, NJW 1976, 1816 (1817); Keller, GA 1983, 497 (500 ff.). 90 OLG Karlsruhe NStZ 1998, 315; OLG Oldenburg StV 1993, 511; Katholnigg, § 23 EGGVG Rn. 14; Kissel, § 23 EGGVG Rn. 41; Walischewski, S. 196; Köster, StV 1993, 512 (513); Neuhaus, ZAP F 22, 147 (157); Klemke, StV 2002, 414 (415). 91 OLG Karlsruhe NJW 1976, 1417 f.; Kissel, § 23 EGGVG Rn. 37, 40; MeyerGoßner, NStZ 1982, 353 (357). 85

§ 3 Rechtsschutz gegen eine unterlassene Pflichtverteidigerbestellung

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nicht unter Art. 19 IV GG fielen; ein Rechtsschutz durch §§ 23 ff. EGGVG sei damit nach den Vorstellungen des Gesetzgebers nicht geboten92. Dieser Argumentation ist entgegenzutreten. Ein eigenständiger Verfahrensabschnittswert ergibt sich schon aus seinen Einflüssen auf das Hauptverfahren93 oder der möglichen Einstellung seitens der Staatsanwaltschaft94. Der Gesetzgeber hat sich nicht zur Einordnung der Prozeßhandlungen geäußert, hat also nicht ausdrücklich Prozeßhandlungen der Staatsanwaltschaft dem Anwendungsbereich der §§ 23 ff. EGGVG entzogen95. Auch könnte durch eine einfache Umschreibung staatsanwaltlicher Tätigkeit als zur Rechtsprechung gehörend der Anwendungsbereich des Art. 19 IV untergraben werden96. Daneben stellen sich weitere grundsätzliche Bedenken ein. Zunächst ist eine genaue Umschreibung des Begriffes einer Prozeßhandlung umstritten97. Auch wird axiomatisch vorausgesetzt, daß Prozeßhandlungen nicht unter § 23 I, II EGGVG fallen. Allein der Wortlaut von § 23 I, II EGGVG („Maßnahme“98) hindert eine Subsumierung von Prozeßhandlungen unter diese Vorschrift nicht99. Der Gesetzgeber selbst äußerte sich dazu nicht100. So ist auch eine andere Ansicht vorzugswürdiger, indem sie Prozeßhandlungen nicht generell dem Anwendungsbereich der §§ 23 ff. entzieht, sondern auf deren selbständige Bedeutung abhebt. Sie stellt bei Prozeßhandlungen auf eine unmittelbare Außenwirkung ab101, verzichtet also auf den regelnden Charakter für einen Rechtsschutz nach § 23 ff. EGGVG. Eine solche unmittelbare Außenwirkung verneint diese Ansicht jedoch bei der Weigerung der Staatsanwaltschaft, einen Antrag auf Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren zu stellen102. 92

OLG Karlsruhe NJW 1976, 1417 f. Hiebl, S. 167; Feiter, S. 62. 94 Vgl. LR-Böttcher, § 23 EGGVG Rn. 54. 95 Vgl. LR-Böttcher, § 23 EGGVG Rn. 54. 96 Beckemper, NStZ 1999, 221 (222); Eisenberg/Conen, NJW 1998, 2241 (2248). 97 Vgl. Hiebl, (S. 165 ff.); Bachmann, S. 113 f. 98 § 23 II EGGVG enthält in Gestalt des Begriffes „Verwaltungsakt“ lediglich eine vereinfachte Zusammenfassung der in § 23 I EGGVG aufgeführten Begriffe, vgl. LRBöttcher, § 23 EGGVG Rn. 43. 99 Vgl. Schenke, NJW 1976, 1816 (1818); Bachmann, S. 114; Eisenberg/Conen, NJW 1998, 2241 (2247); Beckemper, NStZ 1999, 221 (222); Wasserburg, NJW 1980, 2440 (2444 f.); Keller, GA 1983, 497 (499 ff.); vgl. ferner: LR-Böttcher, § 23 EGGVG Rn. 58. 100 Vgl. KK-Schoreit, § 23 EGGVG Rn. 58. Es stellt sich insofern die Frage, ob das Rechtsschutzsystem der Strafprozeßordnung abschließend ist (vgl. § 23 III EGGVG). 101 Vgl. Kissel, § 23 EGGVG Rn. 41 i. V. m. Rn. 31; KK-Schoreit, § 23 EGGVG Rn. 57 ff., der wohl den Charakter der Ablehnung einer Antragstellung als Justizverwaltungsakt auffaßt (vgl. Rn. 106 wo er auf das fehlende Rechtsschutzbedürfnis abstellt). 93

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6. Kap.: Prozessuale Absicherung der Verteidigerbestellung

2. Beurteilung der Weigerung Es ist die rechtliche Qualität der Weigerung der Staatsanwaltschaft zu untersuchen, um den regelnden Charakter und die Außenwirkung der Antragstellung zu überprüfen103. Zwar ist die Staatsanwaltschaft nicht zuständig für eine Bestellung im Ermittlungsverfahren104, ihre Antragstellung hat jedoch mehr als schlicht vorbereitenden Charakter. Wenn die Praxis eine Antragstellung der Staatsanwaltschaft als Voraussetzung für eine Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren ansieht, steht sie einer Verteidigerbestellung durch den Vorsitzenden nicht nur de facto105 sondern auch rechtlich vor. Damit entscheidet sie durch die Ablehnung der Antragstellung letztlich verbindlich über die Beiordnung eines Verteidigers in diesem Verfahrensstadium. Ihre Antragstellung im Ermittlungsverfahren nach § 141 III 2 enthält also eine eigenständige Regelung. Die Ablehnung der Antragstellung ist auf die unmittelbare Rechtsfolge gerichtet, eine Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren für den Beschuldigten auszuschließen. Auch wird der Vorsitzende ohne Antrag der Staatsanwaltschaft nicht über die Bestellung entscheiden, eine Entscheidung in der Sache wird gleichsam unterbunden106. Auch eine Außenwirkung der Weigerung bzw. der Antragstellung wäre damit wohl zu bejahen107. 102

KK-Schoreit, § 23 EGGVG Rn. 106; Kissel, § 23 EGGVG Rn. 41. Insofern ähnelt die Situation der im Baurecht auftretenden Problematik der Mitwirkung mehrerer Behörden bei Erlaß eines Verwaltungsaktes, vgl. z. B. nach § 36 I 1 und S. 2 BauGB. Danach kann die Baugenehmigungsbehörde nur im Einvernehmen mit der Gemeinde entscheiden. 104 Anders im Fall der Gewährung von Akteneinsicht im Ermittlungsverfahren nach § 147 V 1; ferner: Hiebl, S. 167 f. 105 Vgl. Weider, StV 1987, 317 (319). 106 Insofern weicht die strafverfahrensrechtliche Konstellation von der im Baurecht beschriebenen Situation ab. Im Rahmen der Mitwirkung von Behörden wird der Entscheidung der Mitwirkungsbehörde nach h. M. lediglich dann eine Außenwirkung zugesprochen, wenn sie eine selbständige Entscheidung gegenüber dem Bürger trifft – ihr die ausschließliche Wahrnehmung bestimmter Gesichtspunkte nach außen übertragen ist, vgl. OVG Magdeburg DVBl. 1993, 960 ff.; Knack/Hennecke, 35/107. So prüft die Baugenehmigungsbehörde ebenfalls die für eine Ablehnung des Einvernehmens der Gemeinde nach § 36 I 1 und S. 2 BauGB einschlägigen Bestimmungen. Eine inkongruente Prüfung läge im Strafverfahren nach § 141 III 1 und S. 2 gleichfalls nicht vor, der Vorsitzende hat lediglich ein über die staatsanwaltliche Perspektive hinausgehendes Ermessen bezüglich des Zeitpunkts der Bestellung. Die Annahme einer Außenwirkung (und damit Gewährung von Rechtsschutz nach §§ 23 ff. EGGVG) liegt im Gegensatz zur Situation im Baugenehmigungsverfahren deshalb nahe, weil der Betroffene dort einen Antrag auf Erlaß der Baugenehmigung an die Baugenehmigungsbehörde stellen kann, deren ablehnende Entscheidung die Zulässigkeit einer Verpflichtungsklage begründet; das ergehende Urteil ersetzt faktisch das Einvernehmen der Gemeinde, Fehling, JA 1997, 482 (484). Der Vorsitzende (§ 141 IV) wird im Gegensatz zur den Verwaltungsakt ablehnenden Behörde gar nicht 103

§ 3 Rechtsschutz gegen eine unterlassene Pflichtverteidigerbestellung

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Würde die Praxis ein eigenes Antragsrecht des Beschuldigten sowie eine von Amts wegen mögliche Bestellung anerkennen, so wäre der Regelungscharakter einer Ablehnung der Antragstellung durch die Staatsanwaltschaft angesichts einer fehlenden verbindlichen Vorentscheidung bezüglich der Verteidigerbestellung zu verneinen. Ein Antrag der Staatsanwaltschaft stünde einer Bestellung im Ermittlungsverfahren lediglich insofern weiterhin vor, als eine „blinde“ Zurückweisung eines Antrages ausgeschlossen ist und den zuständigen Vorsitzenden mit der Sache befaßt. Im Hinblick auf Art. 19 IV GG, in dessen Ausführung die §§ 23 ff. EGGVG ergangen sind108, ist jedoch zu berücksichtigen, daß durch die unterlassene Antragstellung in das Recht des Beschuldigten auf notwendige Verteidigerbestellung schon im Ermittlungsverfahren nach § 141 III 1 und S. 2 eingegriffen wird, welches aus dem Recht auf ein faires Verfahren nach Art. 2 I i. V. m. Art. 20 III GG hervorgeht und die Subjektstellung des Beschuldigten im Strafverfahren sichern soll109. Die Entscheidung der Staatsanwaltschaft, den Antrag auf Verteidigerbestellung nicht zu stellen, wird durch die zeitlich nachfolgende gerichtliche Bestellungspflicht nach § 141 I und II nicht mehr überprüft. Um überhaupt einen Rechtsschutz gegen die Weigerung der Antragstellung zu gewähren, sind deshalb die §§ 23 ff. EGGVG einschlägig110. 3. Ergebnis Damit fällt die Entscheidung der Staatsanwaltschaft über die Stellung eines Beiordnungsantrages unter § 23 I i. V. m. II EGGVG. Wird eine Bestellung aufgrund eines eigenen Antragsrechts des Beschuldigten und von Amts wegen anerkannt, so ergibt sich der Rechtsweg nach §§ 23 ff. EGGVG lediglich aufgrund verfassungskonformer Auslegung in der Folge des Art. 19 IV GG. Wenn die Staatsanwaltschaft die gebotene Weiterleitung eines Antrags des Beschuldigten unterläßt, gelten diese Ausführungen sinngemäß. tätig. Er leitet den Antrag höchstens an die Staatsanwaltschaft weiter, die dann wiederum im Rahmen der Verteidigerbestellung nach § 141 III 1 vorgeschaltet ist. 107 Lehnte man eine Außenwirkung ab, so ergibt sich eine Überprüfungsmöglichkeit nach §§ 23 ff. EGGVG dennoch aus den folgenden Erwägungen im Text. 108 Vgl. Meyer-Goßner, vor § 23 EGGVG Rn. 1. 109 Vgl. oben: Kap. 4, § 2 und § 3 B. 110 Insofern müsste auch die Ansicht, die eine Prozeßhandlung von der Anwendbarkeit der §§ 23 ff. EGGVG ausnimmt, jedoch eine Ausnahme im Hinblick auf Art. 19 IV GG anerkennt, wenn die Maßnahme in Grundrechte des Betroffenen eingreift (vgl. OLG Karlsruhe NJW 1978, 1595; Meyer-Goßner, § 23 EGGVG Rn. 10 m. w. N.), ebenfalls Rechtsschutz nach §§ 23 ff. EGGVG bejahen. Solche Überlegungen werden bezüglich der Weigerung der Staatsanwaltschaft jedoch nicht angestrengt (siehe Meyer-Goßner, § 141 Rn. 5).

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6. Kap.: Prozessuale Absicherung der Verteidigerbestellung

II. Möglichkeit der Rechtsverletzung nach § 24 I EGGVG Eine Weigerung der Staatsanwaltschaft, einen Antrag zu stellen (den Antrag des Beschuldigten nicht weiterzuleiten) greift in das sich aus § 141 III 1 ergebende Recht des Beschuldigten auf eine pflichtgemäße (u. U. auf Null reduzierte) Ermessensentscheidung des Richters über die Verteidigerbestellung ein111. Auch wird in das Recht auf Antragstellung durch die Staatsanwaltschaft nach § 141 III 2 eingegriffen112. Der Pflicht der Staatsanwaltschaft oder des Vorsitzenden entspricht ein Anspruch des Beschuldigten113. Eine Rechtsverletzung ist damit infolge der Weigerung der Staatsanwaltschaft möglich. III. Exkurs: Rechtsschutz (nach §§ 23 ff. EGGVG) lediglich bei willkürlichem Vorgehen der Staatsanwaltschaft Das OLG Karlsruhe114, sowie Stimmen in der Literatur115 nehmen eine Rechtsschutzmöglichkeit nach §§ 23 ff. EGGVG an, wenn sich die Staatsanwaltschaft willkürlich weigert, einen Antrag auf Verteidigerbestellung zu stellen. Das Gericht verneint ein willkürliches Vorgehen, wenn der Betroffene einen Wahlverteidiger hat. Damit könne der Beschuldigte trotz einer Weigerung der Staatsanwaltschaft seine Rechte wahren116. Für das Vorgehen des OLG Karlsruhe spricht, daß die im vorliegenden Fall geführte Wahlverteidigung ungeachtet einer unterlassenen Antragstellung der Staatsanwaltschaft fortbestand, trotz Antrags des Wahlverteidigers auf Beiordnung als Pflichtverteidiger. So impliziert zwar ein Antrag (wie allgemein anerkannt wird) eine Mandatsniederlegung, diese tritt jedoch lediglich erst bei dessen Annahme117 ein. Durch das Kriterium der Willkür wird jedoch der Staatsanwaltschaft ein weites Spektrum an Ablehnungsmöglichkeiten eröffnet. Willkürlich ergeht eine Entscheidung erst dann, wenn schlechthin keine nachvollziehbaren Gründe für ein Vorgehen angenommen werden können118. 111

Vgl. Weider, StV 1987, 317 (319 f.). So: Beckemper, NStZ 1999, 221 (222 f.). 113 Klemke, StV 2002, 414 (415); ferner: Weider, StV 1987, 317 (319 f.). 114 OLG Karlsruhe NStZ 1998, 315; gleichlautende Erwägungen finden sich im Beschluß des LG Cottbus StV 2002, 414. 115 Wenn es dem Beschuldigten im Hinblick auf Art. 19 IV GG unzumutbar sei, abzuwarten, bis eine Entscheidung über die Bestellung durch den Vorsitzenden nach Erhebung der Anklage ergeht, die nach § 304 I angefochten werden kann: LR-Böttcher, § 23 EGGVG Rn. 124; vgl. ferner: Heinrich, NStZ 1996, 110 (115), der im Rahmen von Prozeßhandlungen der Staatsanwaltschaft bei objektiv willkürlichem Verhalten einen Rechtsschutz nach §§ 23 ff. EGGVG analog annimmt. 116 Vgl. ferner: LG Cottbus StV 2002, 414. 117 Vgl. Meyer-Goßner, § 142 Rn. 7 m. w. N. 118 BVerfG NJW 1991, 3023; auch wird die Formulierung verwendet, daß „die fehlerhafte Rechtsanwendung unter Berücksichtigung der das Grundgesetz beherrschen112

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Das OLG Karlsruhe vernachlässigt die Verpflichtung der Staatsanwaltschaft zur Antragstellung nach § 141 III 2119. Über die Bestellung entscheidet der Vorsitzende nach § 141 IV. Damit entscheidet er gleichzeitig über den Eintritt der auflösenden Bedingung des Wahlverteidigungsverhältnisses und damit auch über die Voraussetzung der Beiordnung eines Verteidigers in den Fällen der notwendigen Verteidigung. Durch die Beantragung der Verteidigerbestellung kann der Beschuldigte erreichen, daß der Staat seinen Vertrauensverteidiger (vgl. § 142 I 3) bezahlt, dieser damit weiterhin auch bei Mittellosigkeit für ihn tätig wird. Würde nun die Staatsanwaltschaft keinen Antrag stellen, weil das Wahlverteidigungsverhältnis trotz der Anregung seiner Bestellung fortbesteht, so kommt sie der Entscheidung des Vorsitzenden nach § 141 IV zuvor, die eine Bestellung eines Pflichtverteidigers erforderlich machte und verletzte damit gleichzeitig den Anspruch des Beschuldigten auf Antragstellung, ohne daß sie sich willkürlich verhalten müßte120. IV. Subsidiariät nach § 23 III EGGVG Der Rechtsschutz nach §§ 23 ff. EGGVG könnte gegenüber einem solchen nach § 98 II 2 analog oder nach § 161 a III 2 bis 4 analog subsidiär sein, vgl. § 23 III EGGVG. Zunächst ist jedoch eine allgemeine Betrachtung des Rechtsschutzsystems hinsichtlich der Anfechtbarkeit von staatsanwaltlichen Handlungen im Ermittlungsverfahren erforderlich. 1. Allgemeiner Gedanke eines ausgewogenen und abschließenden Rechtsschutzsystems Der Gesetzgeber könnte mit den in der Strafprozeßordnung und in anderen Bestimmungen niedergelegten Rechtsbehelfen klargestellt haben, daß Handlungen der Staatsanwaltschaft grundsätzlich nicht anfechtbar sind121. Dagegen kann angeführt werden, daß sich der Bedarf nach rechtlichen Überprüfungsmöglichkeiten gewandelt hat, das Rechtsschutzsystem des Strafverfahrensrechts dahinter zurück geblieben ist122. Ferner wird ein ausgewogenes strafden Gedanken nicht mehr verständlich ist und sich daher der Schluß aufdrängt, daß er auf sachfremden Erwägungen beruht“, vgl. BVerfGE 74, 102 (127). 119 Vgl. Beckemper, NStZ 1999, 221 (224 f.). 120 Damit sie einen Antrag von sich aus stellt, müßte der Wahlverteidiger nach dem OLG Karlsruhe sein Mandat sofort niederlegen. Dann stellte sich die Weigerung der Staatsanwaltschaft wohl als willkürlich dar. 121 Vgl. OLG Karlsruhe NJW 1976, 1417 f.; LR-Böttcher, § 23 EGGVG Rn. 106 ff.; Meyer-Goßner, § 23 EGGVG Rn. 9; ferner Heinrich, NStZ 1996, 110 ff. 122 Vgl. Bachmann, S. 118; Köster, StV 1993, 512 (513).

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6. Kap.: Prozessuale Absicherung der Verteidigerbestellung

verfahrensrechtliches System, welches infolge seiner in ihm vorgesehenen Rechtsmittel eine Beschränkung der Rechtsschutzmöglichkeiten des Beschuldigten gebieten könnte123, in Frage gestellt, wenn dem qualifiziert Verletzten ein Anspruch auf einen anwaltlichen Beistand nach § 397 a I oder auf die Beiordnung eines Rechtsanwalts im Wege der Prozeßkostenhilfe nach § 397 a II auch im Vorverfahren nach § 406 g III, IV gesetzlich zugebilligt wird124, dem Beschuldigten ein solches Recht jedoch nicht in vergleichbarem Umfang zusteht. Damit ist auch dem Beschuldigten Rechtsschutz zu gewähren. Ferner weist § 23 III EGGVG gerade darauf hin, daß es Rechtsschutzlücken geben kann, die geschlossen werden müssen125. Daneben ist auch Art. 19 IV GG zu beachten, den der Gesetzgeber mit seinem u. U. auch bewußt lückenhaften Rechtsschutzsystem nicht unterlaufen darf. Angesichts der oben beschriebenen Vorprägung des Hauptverfahrens durch das Ermittlungsverfahren ist dem Beschuldigten ein sein Antragsrecht auf Verteidigerbestellung und sein Anspruch auf Antragstellung durch die Staatsanwaltschaft nach § 141 III 2 flankierender Rechtsschutz in diesem Verfahrensstadium zu gewähren. Nur damit126 erfolgt er entgegen dem LG Cottbus127 auch zur angemessenen Zeit. 2. Rechtsschutz nach § 98 II 2 analog gegen das Vorgehen der Staatsanwaltschaft Köster spricht sich für einen Rechtsschutz nach § 98 II 2 analog aus. Danach entscheide über die Rechtmäßigkeit einer von der Staatsanwaltschaft angeordneten Zwangsmaßnahme der für die Anordnung der Zwangsmaßnahme eigentlich zuständige Richter. Dadurch sei die Sachnähe gewahrt. Dieser Gedanke sei auf die Ablehnung einer Antragstellung durch die Staatsanwaltschaft nach § 141 III 2 zu übertragen. Dadurch werde effektiver Rechtsschutz gewährt. Der nach § 141 IV i. V. m. § 98 II 2 analog zuständige Richter habe über die Ablehnung der Antragstellung nach § 141 III 2128 zu entscheiden. Desweiteren führt er die Kostenfreiheit eines Rechtsschutzes nach § 98 II 2 analog an. 123

So OLG Hamm NStZ 1984, 280. Weider, StV 1987, 317 (319 f.); Beckemper, NStZ 1999, 221 (223). 125 Hiebl, S. 175 f. 126 Beckemper, NStZ 1999, 221 (223); siehe auch Hiebl, S. 175, 181 zur gerichtlichen Überprüfbarkeit der Versagung von Akteneinsicht durch die Staatsanwaltschaft. 127 LG Cottbus StV 2002, 414. 128 Köster, StV 1993, 512 (513); vgl. ferner: Burhoff, Rn. 1336; Neuhaus, ZAP F 22, 147 (157); Klemke, StV 2002, 414 (415). Daraus gewinnt Köster ein weiteres Argument gegen ein Antragsmonopol der Staatsanwaltschaft: Das nach § 141 IV i. V. m. § 98 II 2 analog zuständige Gericht müsste nach Anfechtung der Ablehnung ohnehin über die Bestellung entscheiden. 124

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Eine analoge Anwendung von § 98 II 2 ist für die Fälle anerkannt, in welchen die Staatsanwaltschaft eine grundrechtsbeeinträchtigende Ermittlungsmaßnahme (Zwangsmaßnahme) angeordnet hat, sie also aktiv tätig geworden ist129. Die Weigerung (Unterlassung) der Staatsanwaltschaft, einen Antrag zu stellen oder einen solchen weiterzuleiten, unterliegt somit jedenfalls nicht ohne systematische Bedenken einem Rechtsschutz nach § 98 II 2 analog. 3. Rechtsschutz nach § 161 a III 2 bis S. 4 analog130 gegen das Vorgehen der Staatsanwaltschaft § 161 a III erstreckt sich vergleichbar § 98 II 2 ebenfalls auf eine Anordnung der Staatsanwaltschaft, ist insofern den nämlichen Bedenken ausgesetzt wie eine analoge Anwendung des § 98 II 2. § 161 a III erfaßt ferner Maßnahmen gegenüber Zeugen und Sachverständigen im Rahmen deren Vernehmung. Insofern ist überhaupt schon fraglich, ob diese Vorschrift nicht eine abschließende Regelung darstellt, oder ob sie in analoger Anwendung bzw. weiter Auslegung auf sonstige Maßnahmen bei der staatsanwaltlichen Vernehmung angewendet werden müßte, falls Art. 19 IV 1 GG dies geböte131. Zwar ist auch anerkannt, daß der Beschuldigte einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 161 a III stellen kann. Er muß jedoch durch das Unterlassen oder durch die Aufhebung der Auferlegung der Kosten nach § 51 I 1 beschwert sein132. Eine vergleichbare Sachlage, die neben einer planwidrigen Regelungslücke für eine analoge Anwendung vorliegen müßte, bestünde lediglich dann, wenn eine drittgerichtete Maßnahme auch den Beschuldigten beschwerte. Die Struktur des § 161 a III spricht damit gegen ihre analoge Anwendung auf die Verweigerung der Antragstellung. Auch die Möglichkeit des Beschuldigten, im Rahmen der staatsanwaltlichen Vernehmung nach § 163 a III 3 i. V. m. § 161 a III 2 bis 4 eine gerichtliche Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Vorführung133 zu beantragen, bezieht sich auf eine Anordnung der Staatsanwaltschaft im Rahmen einer Beschuldig-

129 Vgl. Hellmann, 3/103; Roxin, 29/8; Beulke, Strafprozeßrecht, Rn. 328: für andere als „klassische Zwangsmaßnahmen“ käme § 98 II 2 analog nicht in Betracht; Beckemper, NStZ 1999, 221 (224); ferner: Jorzig/Kunze, Jura 1990, 294 (297). 130 So, wenn ein Rechtsschutz nach § 98 II 2 analog nicht von der Rechtsprechung anerkannt werden sollte: Neuhaus, ZAP F 22, 147 (157), ohne nähere Begründung. 131 So LR-Rieß, § 161 a Rn. 48; a. A.: LR-Meyer-Goßner (23. Auflage), § 161 a Rn. 72; Feiter, S. 53. 132 Meyer-Goßner, § 161 a Rn. 19 i. V. m. § 51 Rn. 28. 133 Möglich ist nach h. M. auch die gerichtliche Entscheidung über die Androhung der Vorführung, vgl. BGHSt 39, 96 (99); Meyer-Goßner, § 163 a Rn. 21; vgl. zum Rechtsschutz gegen erledigte Vorführungsanordnungen oder gegen die Art und Weise des Vollzugs nach § 161 a: LR-Böttcher, § 23 EGGVG Rn. 95 f. m. w. N.

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tenvernehmung. Zwar legt Rieß die Vorschrift erweiternd dahin aus, daß der Rechtsschutz auf alle sonstigen bei der staatsanwaltlichen Vernehmung erforderlichen Maßnahmen zu erstrecken ist, gegen die wegen ihres Eingriffscharakters nach Art. 19 IV GG Rechtsschutz zu gewähren ist134. Hierfür ist, würde man Rieß in dieser weiten Auslegung überhaupt zustimmen, jedoch ein Zusammenhang mit einer Vernehmung erforderlich. Ein Antrag auf Verteidigerbestellung und dessen Ablehnung muß nicht zwangsweise im Rahmen einer Vernehmung erfolgen. Eine analoge Anwendung wäre damit von vornherein nicht für jede Weigerung der Staatsanwaltschaft gewährleistet. Ein Vergleich mit § 147 V 2, der eine unterbliebene Handlung der Staatsanwaltschaft (hier die Gewährung von Akteneinsicht an den Beschuldigten135) richterlicher Überprüfung nach § 161 a III 2 bis 4 unterstellt, kann eine analoge Anwendung des § 161 a III ebenfalls nicht begründen. Die Vorschrift des § 147 V 2 gewährt über § 161 a III 2 bis 4 ihrerseits nur einen Rechtsschutz in bestimmten Fällen, ist damit nach ihrer Fassung und nach den Vorstellungen des Gesetzgebers als Ausnahmevorschrift konzipiert136. Der Gesetzgeber wollte den Rechtsschutz bei verweigerter Akteneinsicht durch die Staatsanwaltschaft nach § 161 a III 2 bis 4 auf die in § 147 V 2 aufgelisteten Fälle beschränken137. § 111 l VI 1 ermöglicht eine Anwendung von § 161 a III 2 bis 4 gegen die Anordnung einer Notveräußerung eines Gegenstandes im vorbereitenden Verfahren. Eine analoge Anwendung scheint schon deshalb bedenklich, als eine Anordnung einer Maßnahme der Staatsanwaltschaft betroffen ist. Als antragsberechtigt wird ferner der Eigentümer bzw. jeder andere, dem ein Recht an der Sache zusteht138, angesehen. Auf die Situation des Beschuldigten stellt der Rechtsbehelf damit nicht unbedingt ab.

134 Vgl. LR-Rieß, § 161 a Rn. 48 i. V. m. § 163 a Rn. 67; vgl. ferner: LR-Böttcher, § 23 EGGVG Rn. 93. 135 Nach § 406 e IV 2 i. V. m. § 161 a III 2 bis 4 kann der Verletzte bei Versagung von Akteneinsicht durch die Staatsanwaltschaft gerichtliche Entscheidung beantragen; dieser Rechtsbehelf soll analog angewendet werden können, wenn der Beschuldigte oder Dritte durch die Gewährung von Akteneinsicht an den Verletzten beschwert sind, vgl. LR-Hilger, § 406 e Rn. 17 m. w. N.; für eine direkte Anwendung: Meyer-Goßner, § 406 e Rn. 11; diese Anwendung bezieht sich ebenfalls lediglich auf drittgerichtete Maßnahmen. Nach § 478 III kann eine Entscheidung nach § 161 a III 2 bis 4 beantragt werden. Zum Teil wird eine analoge Anwendung für den beschwerten Beschuldigten vorgenommen (vgl. KK-Franke, § 478 Rn. 5) oder nach §§ 23 ff. EGGVG vorgegangen, vgl. Meyer-Goßner, § 478 Rn. 4. Auch hier ist eine drittgerichtete Maßnahme betroffen. 136 Vgl. BT-Drucks. 14/1484, S. 22; Meyer-Goßner, § 147 Rn. 39; Schlothauer, StV 2001, 192 (193, 196). 137 Vgl. zur Gewichtung der gesetzgeberischen Absicht für die Annahme einer Ausnahmevorschrift: Larenz, Methodenlehre (1991), S. 355 f. 138 Vgl. Meyer-Goßner, § 111 l Rn. 11; SK-Rudolphi, § 111 l Rn. 14.

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4. Ergebnis Der Rechtsweg nach §§ 23 ff. EGGVG ist nicht schon aufgrund eines ausgewogenen Rechtsschutzsystems der Strafprozeßordnung ausgeschlossen. Eine analoge Anwendung von § 161 a III 2 bis S. 4 als Sonderrechtsbehelf kommt nicht in Betracht. Dagegen spricht schon die Verfahrenssituation, auf welche die Vorschrift zugeschnitten ist. Hingegen ist die analoge Anwendung von § 98 II 2 insofern erwägenswert, als sie die praktikabelste Möglichkeit der Überprüfung einer Weigerung der Staatsanwaltschaft darstellt. Der Beschuldigte müßte sich nicht an das Oberlandesgericht wenden, sondern könnte das insoweit sachnächste Gericht um Rechtsschutz ersuchen. Angesichts der weitreichenden Konsequenzen einer möglichst baldigen Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren ist der „einfache und schnelle“ Rechtsschutz der angemessenste. Insofern ist ihm gemäß § 23 III EGGVG der Vorzug zu geben139. Zuständig für die Entscheidung ist der Ermittlungsrichter140. Insofern treten Bedenken, die sich allein auf die Einordnung staatsanwaltlicher Handlungsformen beziehen (hier die Unterlassung einer Antragstellung) zurück. V. Rechtsschutzbedürfnis Der Beschuldigte muß ein Rechtsschutzbedürfnis haben. Nach dem OLG Karlsruhe141 entfällt ein Rechtsschutzbedürfnis im Hinblick auf die mögliche Antragstellung durch die Staatsanwaltschaft nach dem Abschluß der Ermittlungen (§§ 141 III 3, 169 a) sowie der zwingend vorgeschriebenen Bestellung eines Verteidigers nach Anklageerhebung gemäß §§ 141 I, 201 I142. Bei ablehnender Entscheidung des Vorsitzenden sei schließlich Rechtsschutz über § 304 I gegeben. Darauf weist auch das OLG Oldenburg hin143.

139 Insofern ist von einem Vorrang auch der analogen Sonderrechtsbehelfe auszugehen, vgl.: OLG Oldenburg NStZ 1990, 504; OLG Stuttgart StV 1988, 424; nach teilweise vertretener Auffassung verdrängen die §§ 23 ff. EGGVG die analoge Anwendung von Sonderrechtsbehelfen, vgl. Feiter, S. 70; Schenke, NJW 1976, 1816 (1821); umfassend dazu: Bachmann, S. 173 ff., der ebenfalls von einem Vorrang analog anwendbarer Vorschriften ausgeht. 140 Vgl. Klemke, StV 2002, 414 (416); für eine Zuständigkeit des Gerichts nach §§ 98 II 2 i. V. m. 141 IV analog wohl: Köster, StV 1993, 512 (513). 141 OLG Karlsruhe NStZ 1998, 315. 142 OLG Oldenburg StV 1993, 511; Katholnigg, § 23 EGGVG Rn. 14. 143 OLG Oldenburg StV 1993, 511. Es hebt ferner auf die eigene Antragsmöglichkeit des Verteidigers nach Anklageerhebung ab.

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Gegen die Ablehnung des Rechtsschutzbedürfnisses sprechen mögliche Einstellungen schon während des Ermittlungsverfahrens. Auch entscheidet der Vorsitzende über die Beiordnung zu einem späteren Zeitpunkt; die Umstände einer ablehnenden Haltung der Staatsanwaltschaft werden nicht überprüft. Der Vorsitzende entscheidet über einen neuen Antrag144. Erkennt man ein eigenes Antragsrecht des Beschuldigten an, so wird angenommen, es fehle die Rechtsschutzbedürftigkeit gegen die Unterlassung der Antragsstellung durch die Staatsanwaltschaft145. Sein Ziel, die richterliche Prüfung der Bestellung eines Verteidigers, könne der Beschuldigte durch seinen eigenen Antrag herbeiführen. Dagegen wird dem Beschuldigten teilweise auch bei Annahme eines eigenen Antragsrechts Rechtsschutz gegen die Weigerung der Staatsanwaltschaft nach §§ 23 ff. EGGVG zuerkannt146. Dies ist abzulehnen. Zwar besteht die Gefahr einer „blinden“ Zurückweisung eines Antrags des Beschuldigten durch den Vorsitzenden. Ob sie jedoch eine gänzlich fehlende inhaltliche Auseinandersetzung mit demselben nach sich zieht, erscheint fraglich. Erkennt man (in der Praxis) ein eigenes Antragsrecht des Beschuldigten an, so wird man auch einen entsprechenden Umgang mit diesem erwarten können. Angesichts der Frage von Zuständigkeiten im Rahmen der Bestellung während des Ermittlungsverfahrens ist durch die Weiterleitungspflicht der Staatsanwaltschaft147 sicherzustellen, daß entsprechende Unsicherheiten des Beschuldigten sein eigenes Antragsrecht nicht untergraben. Damit ist das Rechtsschutzbedürfnis des Beschuldigten aufgrund eines eigenen Antragsrechts zu verneinen. Mit Klemke ist jedoch ein erfolgter Antrag nicht als unzulässig zu verwerfen, sondern das Rechtsschutzbegehren des Beschuldigten in einen eigenen Antrag auf Verteidigerbestellung umzudeuten. Der Antrag ist an den für die Bestellung nach § 141 IV zuständigen Vorsitzenden weiterzuleiten148. Damit würde der (abstrakten) Gefahr einer Nicht-Weiterleitung des Antrags durch die Staatsanwaltschaft vorgebeugt.

144 Beckemper, NStZ 1999, 221 (222 f.); vgl. Hiebl (S. 167 f.) zur richterlichen Überprüfung einer Versagung der Akteneinsicht durch die Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren. 145 LR-Böttcher, § 23 EGGVG Rn. 124; Dedy, S. 178; Köster, StV 1993, 512 f. und Klemke, StV 2002, 414 (415) zum Rechtsschutz nach § 98 II 2 analog; Beckemper, NStZ 1999, 221 (225); bei offengelassener Bejahung eines eigenen Antragsrechts des Beschuldigten im Ermittlungsverfahren auch OLG Karlsruhe NStZ 1998, 315. 146 AK-Stern, § 141 Rn. 32. 147 Vgl. oben: Kap. 6, § 1 B. I. 3. 148 Vgl. Klemke, StV 2002, 414 (415 f.) für einen Rechtsschutz nach § 98 II 2 analog; ferner: Burhoff, Rn. 1336 – bei willkürlicher Verweigerung sei der Rechtsweg nach §§ 23 ff. EGGVG gegeben.

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Das gefundende Ergebnis wird ferner durch die Überlegung gestützt, daß die ungleich gewichtigere staatsanwaltliche Antragsstellung aus eigenem Antrieb aufgrund eines ausgesprochenen Zwangs zur Antragstellung (sowieso) an Gewicht verlieren könnte149.

C. Ergebnis Rechtsschutz gegenüber der Entscheidung des nach § 141 IV zuständigen Vorsitzenden ergibt sich nach § 304 I. Dabei kann das Beschwerdegericht eigene Ermessenserwägungen für eine Verteidigerbestellung nach § 141 III 1 anstellen150. Die Entscheidung der Staatsanwaltschaft, den Antrag nach § 141 III 2 zu verwehren, ist nicht anfechtbar. Insoweit steht dem Beschuldigten ein eigenes Antragsrecht zu. Ein entsprechendes Rechtsschutzverlangen gegenüber dem Ermittlungsrichter nach § 98 II 2 analog ist als Antrag des Beschuldigten an den für die Bestellung zuständigen Vorsitzenden nach § 141 IV weiterzuleiten. Die entsprechende Pflicht des Ermittlungsrichters, der – wie ausgeführt151 – nicht auf die Verteidigerbestellung hinzuwirken hat, wenn die Staatsanwaltschaft eine Untersuchungshandlung beantragt, ergibt sich aus folgenden Überlegungen: Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind Rechtsschutzbegehren des Beschuldigten so auszulegen, daß sie die eingelegten Rechtsmittel und Rechtsbehelfe nicht ineffektiv machen152. Auch ist auf den Rechtsgedanken des § 17 a II 1 GVG zurückzugreifen.

§ 4 Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen die gebotene Pflichtverteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren Als Folge einer unterlassenen Pflichtverteidigerbestellung könnte ein Beweisverwertungsverbot begründet sein. In Betracht kommt aber auch – als minderschwere Sanktion – eine Problemlösung über eine gesteigerte Anforderung an die Beweiswürdigung. Der 1. Senat favorisiert in seiner Ausgangsentscheidung eine Beweiswürdigungslösung. Ein Beweisverwertungsverbot wird von ihm zwar thematisiert, jedoch „rasch“, ohne eine Abwägung im Einzelfall anzustellen, verworfen. In seiner zweiten und dritten Entscheidung geht er auf ein Beweisverwertungsverbot 149 150 151 152

Köster, StV 1993, 512 f. Vgl. Krause, Rn. 11. Vgl. oben: Kap. 6, § 1 B. I. 2. BVerfGE 78, 88 (99); 96, 27 (39); vgl. Klemke, StV 2002, 414 (416).

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ein, lehnt dieses aber nach einer Abwägung ab. Der 5. Senat nimmt zur Frage der Beweisverwertung nicht ausdrücklich Stellung153. Zunächst werden die Entscheidungen des 1. Senats hinsichtlich der Rechtsfolgen einer rechtsfehlerhaft unterlassenen Pflichtverteidigerbestellung gewürdigt und einer intrasystematischen Kritik unterzogen. Im Anschluß daran erfolgt eine Diskussion auf der Grundlage der allgemein von Rechtsprechung und Schrifttum vertretenen Auffassungen zu den Beweisverwertungsverboten. Dabei ist zu differenzieren: Die Frage eines Beweisverwertungsverbots stellt sich zunächst für den Instanzrichter, der im Rahmen des Hauptverfahrens, insbesondere der Hauptverhandlung, zur Annahme gelangt, eine Pflichtverteidigerbestellung hätte erfolgen müssen. Sodann sind in einem gesonderten Abschnitt revisionsrechtliche Konsequenzen zu prüfen.

A. Würdigung der Entscheidungen des 1. Senats zur Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren I. BGHSt 46, 93 ff. In diesem Fall mindert der Senat den Beweiswert der Angaben des Ermittlungsrichters und vertritt eine von ihm selbst proklamierte „Beweiswürdigungslösung“154. Er führt aus: „Auf die Angaben des Vernehmungsrichters kann eine Feststellung regelmäßig nur dann gestützt werden, wenn diese Bekundungen durch andere gewichtige Gesichtspunkte außerhalb der Aussage bestätigt werden“155. Dieser Lösung durch den 1. Senat wurde nur teilweise zugestimmt156, überwiegend jedoch widersprochen157. Zunächst sind die verletzten Verfahrensnormen herauszustellen. Der Senat konzentriert sich auf die Verletzung von Art. 6 III lit. d) EMRK. Dabei hätte er 153 A. A. Widmaier, Sonderheft-Schäfer, S. 76 (78 mit Fn. 24): Nach Widmaier geht der 5. Senat in NJW 2002, 1279 ebenfalls von einem Verwertungsverbot aus, wenn dem Beschuldigten ein zu bestellender Pflichtverteidiger nicht nach § 141 III 1, 2 beigeordnet worden wäre, dies jedenfalls dann, wenn der Beschuldigte ausdrücklich einen Pflichtverteidiger erbeten hätte. 154 Inwiefern der 1. Senat dies als generelle Beweisregel anerkennen könnte, ist zweifelhaft. Besorgt äußert sich Gleß, NJW 2001, 3606 (3607). 155 BGHSt 46, 93 (106). 156 Vgl. Pfeiffer, § 140 Rn. 9, § 141 Rn. 2; Widmaier, Sonderheft-Schäfer, S. 76 ff.; Egon Müller, NStZ-RR 2001, 161 (162); Schwaben, NStZ 2002, 288 (292 f.) – dagegen: Ambos, NStZ 2003, 14 (17 mit Fn. 176). 157 LR-Lüderssen, § 141 Rn. 24 a, Fn. 89; Swoboda, S. 352; Endriss, FS-Rieß, S. 65 (74 f.); Satzger, Gutachten, C 91 f.; Fezer, JZ 2001, 363 ff.; Kunert, NStZ 2001, 217 f.; Pauly, StV 2002, 290 (292); Walther, GA 2003, 204 (218 f.); Meyer-Mews, JuS 2004, 39 (41 f.).

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ebenfalls eine Verletzung von § 168 c II, V, § 141 III 1 und S. 2 i. V. m. § 140 I Nr. 2 anprangern müssen158, genauso wie eine solche nach Art. 6 III lit. c) EMRK. Schlothauer weist auf die Notwendigkeit einer sauberen Herausarbeitung der Verletzung von Art. 6 III lit. d) EMRK und der des nationalen Verfahrensrechts hin159. Er unterscheidet hinsichtlich eines möglichen Beweisverwertungsverbots bzw. einer Beweiswürdigungslösung zwei Fallkonstellationen. 1. Verletzung von Art. 6 III lit. d) EMRK In der ersten Konstellation ist ausschließlich die Mindestgarantie des Art. 6 III lit. d) EMRK verletzt. Eine Verletzung von Vorschriften der StPO liegt nicht vor160. In diesem Fall könne die Beweiswürdigungslösung des 1. Senats anzuwenden sein, wonach andere wichtige Gesichtspunkte außerhalb der Aussage vorliegen müssen, die das Tatgeschehen bestätigen161. Damit entspreche der BGH der Rechtsprechung des EGMR162. Wenn der Senat schon auf die EMRK zurückgreift, so hätte er darauf eingehen müssen, ob der verfahrensrechtliche Anspruch des Beschuldigten auf Ver158 Vgl. ferner: Schlothauer, StV 2001, 127 (128 f.) der im Hinblick auf die von ihm angenommene Verpflichtung des Ermittlungsrichters daneben auf § 162 III verweist. 159 Kritisch zu einer solchen Trennung der Verfahrensordnungen: Fezer, FS-Gössel, S. 627 (637 mit Fn. 47) 160 Schlothauer bildet folgende Beispiele: Der Zeuge ist am Erscheinen in der Hauptverhandlung wegen Todes oder Unerreichbarkeit gehindert, wurde im Ermittlungsverfahren lediglich von Polizei und Staatsanwaltschaft – und damit in zulässiger Abwesenheit des Beschuldigten – vernommen. Eine Benachrichtigung von dem Vernehmungstermin durfte nach § 168 c V unterbleiben. Die Verwertung durch Verlesung der Vernehmungsniederschrift ist nach § 251 II a. F. (§ 251 I n. F.) zulässig. Die polizeiliche oder staatsanwaltschaftliche Verhörsperson darf als Zeuge vom Hörensagen vernommen werden. Der Zeuge wurde im Vorverfahren von einem beauftragten Richter vernommen. Eine Benachrichtigung unterblieb gemäß §§ 168 c V, 224 I 2 StPO. Auch hier darf nach § 251 I a. F. (vgl. § 251 I, II n. F.) die Vernehmungsniederschrift verlesen werden; auch eine Vernehmung der richterlichen Verhörsperson als Zeuge vom Hörensagen ist zulässig. 161 Schlothauer StV 2001, 127 (129). 162 Danach ist zu fragen, ob trotz der Verletzung des Fragerechts in Art. 6 III lit. d) EMRK das Recht auf Verteidigung insgesamt beeinträchtigt wurde und somit der Anspruch des Beschuldigten auf ein faires Verfahren nach Art. 6 I EMRK verletzt ist. Eine Verletzung des Rechts auf Verteidigung und damit des Gebots eines fairen Verfahrens liegt nur vor, wenn sich die Verurteilung allgemein oder in erheblichem Maße auf die Ausführungen eines Zeugen stützt, den der Angeklagte in keinem Stadium des Verfahrens selbst befragen oder befragen lassen konnte, vgl. EuGRZ 1987, 147 (150) – Unterpertinger gegen Österreich; StraFo 2000, 374 (375) – A.M. gegen Italien; EuGRZ 1992, 474, (475) – Asch gegen Österreich.

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teidigung (Art. 6 III lit. c) EMRK) verletzt wurde – dies über eine Verletzung des Fragerechts nach Art. 6 III lit. d) EMRK hinaus163. Dadurch, daß der Senat „nur“ auf die Verletzung des Fragerechts abstellte, berücksichtigte er nicht mehr das fundamentale Recht auf Verteidigung nach Art. 6 III lit. c) EMRK164. 2. Verletzung des nationalen Verfahrensrechts Die vorstehend beschriebene Verletzung der EMRK ist zur Verletzung des nationalen Verfahrensrechts abzugrenzen. a) Verletzung der Benachrichtigungspflicht des zu bestellenden Verteidigers nach § 168 c II, V In Abgrenzung zur einfachen Verletzung der EMRK ist eine Verletzung ledigllich des nationalen Verfahrensrechts zu würdigen, welche keine Konventionsveretzung nach sich zieht. Trotz Verletzung der nationalen Verfahrensvorschriften kann eine Befragung i. S. v. Art. 6 III lit. d) EMRK zwar zu Unrecht verweigert, jedoch zu einem anderen Zeitpunkt im Verfahren gewährleistet sein165. aa) Annahme eines umfassenden Beweisverwertungsverbots Nach einer Auffassung in der Literatur ist bei unrechtmäßiger Verletzung von Benachrichtigungspflichten nach § 168 c II, V ein umfassendes Beweisverwertungsverbot bezüglich der richterlichen Vernehmungsniederschrift und einer Aussage des Ermittlungsrichters als Zeuge vom Hörensagen anzunehmen166. 163 Vgl. Pauly, StV 2002, 290 (292); die Beschränkung der Revision auf die Verletzung von Art. 6 III lit. d) EMRK und § 141 III ist unschädlich. Eine Verletzung des Rechts auf Verteidigung ergibt sich aus den vorgetragenen Tatsachen der Revisionsbegründung ebenfalls (vgl. § 344 II 1, 2); Fezer, JZ 2001, 363 (364); ferner Neuhaus JuS 2002, 18 (21). 164 Ein Rückgriff auf dieses Recht hätte den Senat dazu veranlassen müssen, ein Beweisverwertungsverbot anzunehmen, vgl. Fezer, JZ 2001, 364; Fezer akzeptiert die Beweiswürdigungslösung in Fällen des allein verletzten Fragerechts nach Art. 6 III lit. d) EMRK (z. B. bei anonymen Zeugenaussagen), vgl. Widmaier, Sonderheft-Schäfer, S. 76 (78). 165 Als Beispiel führt Schlothauer an: Im Ermittlungsverfahren wird ein Belastungszeuge in Abwesenheit des Beschuldigten und seines möglichen Verteidigers richterlich vernommen, obwohl § 168 c V StPO nicht einschlägig war, oder (wie in dem vom BGH zu entscheidenden Fall) die Bestellung eines Pflichtverteidigers im Hinblick auf die Teilhaberechte des unverteidigten Beschuldigten unterblieb, aber der Zeuge nunmehr in Anwesenheit des Beschuldigten (nochmals) vernommen wird. Das Fragerecht aus Art. 6 III lit. d) EMRK ist im vorliegenden Fall gewährleistet durch den späteren Ausgleich in Form der zweiten Vernehmung, vgl. EGMR StV 1990, 481 (482) – Kostovski gegen Niederlande.

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bb) Bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs167 Widerspricht der Beschuldigte, so konnte nach bisheriger Auffassung des Bundesgerichtshofs bei einem Verstoß gegen § 168 c III, V StPO in der Hauptverhandlung weder eine Verlesung der richterlichen Vernehmungsniederschrift nach § 251 I a. F. (vgl. § 251 II n. F.), noch eine Vernehmung des Ermittlungsrichters selbst erfolgen. Diesbezüglich wurde ein Beweisverwertungsverbot angenommen168. Jedoch sei es zulässig, bei einer Vernehmung des Zeugen in der Hauptverhandlung Vorhalte aus dem ermittlungsrichterlichen Protokoll, welches unter Verletzung der Teilhaberechte zustande gekommen ist, zu machen169. Ferner dürfe die richterliche Vernehmungsniederschrift als anderes Protokoll verlesen werden unter den Voraussetzungen von § 251 II a. F. (vgl. § 251 I n. F.)170. Befürworter einer solchen Umdeutungsmöglichkeit nach § 251 II a. F. (§ 251 I n. F.) führen an, eine polizeiliche oder staatsanwaltschaftliche Vernehmungsniederschrift dürfe unter den Voraussetzungen des § 251 II 2 a. F. (vgl. § 251 I Nr. 2 n. F.) verlesen werden, obwohl sowohl der Beschuldigte als auch dessen Verteidiger kein Anwesenheitsrecht bei diesen Vernehmungen hätten171. Gegen eine solche Vorgehensweise spricht neben dem Ausnahmecharakter von § 251 insbesondere die unterschiedliche Art der Vernehmungen172. Eine richterliche Vernehmungsniederschrift behält trotz Verletzung der Teilhaberechte des Beschuldigten ihren rechtlichen Charakter und wird dadurch nicht zu einer polizeilichen oder staatsanwaltschaftlichen Vernehmungsniederschrift. Der geäußerte hypothetische Gedanke einer generellen Gleichsetzung von nicht-richterlichen und richterlichen Vernehmungen ist abzulehnen. Vor einer richterlichen Vernehmung wurden i. d. R. schon nicht-richterliche durchgeführt. Auch sind die Verfahrensrechte in § 168 c je nach Vernehmung verschieden ausgestaltet. Ferner 166 AK-Achenbach, § 168 c Rn. 18; Schlothauer, StV 2001, 127 (130); Fezer, StV 1987, 234 (235); Peters, JR 1977, 475 f.; Krause, StV 1984, 169 (173); Temming, StV 1983, 52; vgl. zum Streitstand: LR-Rieß, § 168 c Rn. 58 ff. 167 BGHSt 9, 24 ff.; 26, 332 ff.; 29, 1 (3 f.); 34, 231 (234); 42, 391 ff.; BGH NStZ 1998, 312. 168 BGHSt 26, 332 ff.; 29, 1 (3 f.); 31, 140 (141); BGH NStZ 1998, 312; vgl. ferner: HK-Krehl, § 168 c Rn. 6; Meyer-Goßner § 168 c Rn. 6; Janicki, S. 94 f. 169 BGHSt 34, 231 (234) – anders noch in BGHSt 31, 140 (144 f.); a. A.: AKAchenbach, § 168 c Rn. 18; KMR-Plöd, § 168 c Rn. 11; Fezer, StV 1987, 234 f. 170 BGH StV 1987, 233; BGH NStZ 1998, 312 mit zustimmender Anm. Wönne; ferner: Meyer-Goßner, § 251 Rn. 31, § 168 c Rn. 6; KMR-Plöd, § 168 c Rn. 11; Park, StV 2000, 218 (219); das Gericht muß die Verlesung ausdrücklich auf diese Vorschrift stützen, worauf die Beteiligten nach § 265 I analog hinzuweisen sind. Der Richter muß sich des minderen Beweiswerts bewußt sein. 171 Park StV 2000, 218 (219 f.); zustimmend Lossen, Streit 2001, 29 (80); Widmaier, Sonderheft-Schäfer, S. 76 (79). 172 Vgl. Schlothauer StV 2001, 127 (130); Gleß NJW 2001, 3606; Fezer StV 1987, 234 (235); Peters JR 1977, 475 f.; als „sophistischer Trick“ bezeichnet von AKAchenbach, § 168 c Rn. 18.

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6. Kap.: Prozessuale Absicherung der Verteidigerbestellung

wird die Wahrheitspflicht bei richterlichen Vernehmungen durch §§ 153, 154 StGB geschützt. Dagegen kann angeführt werden, daß die Wahrheitspflicht bei der konkret erfolgten richterlichen Vernehmung eben doch strafbewehrt ist173. Diese konkrete Betrachtung kann jedoch nicht für eine generelle Gleichsetzung der Vernehmungen sprechen. Peters führt zutreffend an174, daß der Niederschrift trotz der Umdeutung nach § 251 II a. F. (vgl. § 251 I n. F.) ein „Glanz“ richterlicher Vernehmung anhafte. Wenn dagegen angeführt wird, daß der Richter im Rahmen der Beweiswürdigung Beweise aufgrund eines Verwertungsverbots ausblenden müsse, dann aber erst Recht auch den Glanz einer richterlichen Vernehmung verwischen könne175, so ist zu bemerken, daß ein solcher richterlicher Glanz eben um ein Vielfaches subtiler wirkt als eine einfache Ausblendung176. Letztlich ist es nicht möglich, die tatsächlichen Folgen einer Verfahrensverletzung nach § 168 c V im Wege des Freibeweises aufzuklären und bei der Beweiswürdigung zu berücksichtigen177, wie dies etwa für die Hinzuziehung eines nicht zuständigen Protokollführers oder unvereidigten Dolmetschers178 als Formfrage gelten könnte179. Die Befürworter einer Umdeutungsmöglichkeit weisen ferner auf § 168 c V 2 hin. Wenn danach auch eine Zeugenvernehmung ohne Benachrichtigung vollständig verwertbar bleibe, auch wenn eine fehlende Konfrontation des Zeugen auf Gründen beruhe, die dem Beschuldigten nicht zuzurechnen seien180, so könne bei Verstößen gegen § 168 c V kein umfassendes Verwertungsverbot eingreifen181. Dieser Einwand begegnet schon systematischen Bedenken. Als ein Erst-Recht Schluß von einer Ausnahmevorschrift (§ 168 c V 2)182 auf eine weitere zu begründende Ausnahme von der Grundregel nach § 168 c II und V 1 ist ihm nur bedingt Aussagekraft zuzusprechen. Zumindest kann er die oben angeführten Argumente nicht entkräften. Auch das rechtliche Gehör gebietet ein Verwertungsverbot. Sofern dagegen183 angeführt wird, dieses könne nachgeholt werden, vgl. § 33 a StPO, ist darauf 173

„Lediglich“ eine Konfrontation sei nicht erfolgt, vgl. Wönne, NStZ 1998, 313

(314). 174

JR 1977, 475 (476); Krause, StV 1984, 169 (173). Vgl. Wönne, NStZ 1998, 313 (315 mit Fn. 10). 176 Vgl. Gleß, NJW 2001, 3606 mit Fn. 9. 177 Fezer, StV 1987, 234 (235); Ambos, NStZ 2003, 14 (17). 178 Vgl. BGHSt 22, 118 ff., wo explizit auf einen „Formverstoß“ abgestellt wird. 179 Schlothauer, StV 2001, 128 (130); Temming, StV 1983, 52; dementsprechend kann auf diese Fallgestaltung auch nicht die Zulässigkeit der Verlesung nach § 251 II 2 a. F. (vgl. § 251 I Nr. 2 n. F.) gestützt werden, so jedoch: Park, StV 2000, 218 (220). 180 Gefährdung des Untersuchungszwecks infolge zeitlicher Momente, vgl. BGHSt 42, 86 ff. 181 Vgl. Wönne, NStZ 1998, 313 (314). 182 Vgl. BT-Drucks. 7/551, S. 144. 183 Wönne, NStZ 1998, 313 (314). 175

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hinzuweisen, daß die Gewährung rechtlichen Gehörs durch § 168 c II, V nicht ausschließlich durch Stellungnahme zum Beweisergebnis in der Hauptverhandlung erfolgen soll, sondern schon durch mögliche Einflußnahme auf sein Zustandekommen184. Damit ist bei Verletzung der Benachrichtigungspflicht nach § 168 c II und V ein Beweisverwertungsverbot anzunehmen. Eine rein hypothetische richterliche Würdigung der Folgen der Verletzung von § 168 c II, V genügt dem nicht. Allein die Neugestaltung des § 251 I und II vermag das gefundene Ergebnis nicht zu ändern. Auch wenn § 251 I n. F. sowohl richterliche als auch nichtrichterliche Protokolle erfaßt, so kann ein nicht ordnungsgemäß zustande gekommenes richterliches Protokoll nicht als ein solches nach § 251 I, II n. F. verlesen werden. Die Frage einer Umdeutung in ein nicht-richterliches Protokoll nach § 251 I bleibt insofern unberührt185. cc) Änderung der Rechtsprechung durch BGHSt 46, 93 ff. Im Gegensatz zu seinen früheren Entscheidungen bezüglich der ausgeschlossenen Vernehmung des Ermittlungsrichters als Zeuge vom Hörensagen, geht der 1. Senat nun von deren Verwertungsmöglichkeit aus. Für seine Auffassung führt er die Rechtsprechung bezüglich der möglichen Umdeutung eines richterlichen in ein nicht-richterliches Protokoll an. Er setzt sich jedoch nicht mit der bisher stets abgelehnten Vernehmung des Ermittlungsrichters als Zeugen vom Hörensagen auseinander. Der 1. Senat hätte sich von der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs abgrenzen müssen und bestehende Unterschiede nicht durch vage Formulierungen („In seiner neueren Rechtsprechung hat der Bundesgerichtshof aber mehr auf die Beeinträchtigung des Beweiswerts abgestellt . . .“) kaschieren dürfen186. Angesichts des Schreibfehlers in der Entscheidung des 1. Senats („§ 252 II 2“) bemerkt Schlothauer süffisant, es wäre nach der Rechtsprechung des 184

Vgl. BGHSt 26, 332 (hier praktiziert der BGH zum ersten Mal die sogenannte „Widerspruchslösung“, indem er für die Annahme eines Verwertungsverbots zusätzlich den rechtzeitigen Widerspruch des vom Verstoß betroffenen Verfahrensbeteiligten gegen die Verwertung fordert); ferner BGHSt 31, 140 (144 f.); nach den Entscheidungen besteht der Schutzbereich von § 168 c zumindest (auch) darin, die Mitwirkung als solche zu sichern und der Verteidigung Einflußmöglichkeiten auf den Aussageinhalt zu verschaffen. Aufgrund des alleinigen Sicherungszwecks bezüglich der Einflußnahme durch die Verteidigung auf den Aussageinhalt nimmt Jäger im Rahmen der von ihm entwickelten gegenständlichen Schutzzwecklehre (S. 139 ff.) ein Verwertungsverbot an, S. 196. 185 Der Gesetzgeber bezweckte mit der Neugestaltung lediglich eine bessere Übersichtlichkeit der Vorschrift, vgl. BT-Drucks. 15/1508, S. 13, 25 f. 186 Vgl. auch Gössel, GS-Meurer, S. 381 (386 f., 393).

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BGH konsequent, die Vernehmung eines Richters in der Hauptverhandlung als eine Vernehmung eines Staatsanwalts oder Polizisten anzusehen, sie damit – vergleichbar einem Vernehmungsprotokoll – im Beweiswert herabzustufen187. b) Verletzung des Rechts auf Antragstellung und Verteidigerbestellung nach § 141 III 2 und § 141 III 1 i. V. m. § 140 I Nr. 2 und der Belehrungspflicht (Rechtsgedanke aus § 34 a VI EGGVG, §§ 136 I 3, 117 IV 2, 350 III 2 i. V. m. § 406 h) Neben der Verletzung der Benachrichtigungspflicht wird gleichfalls das Recht des Beschuldigten auf Antragstellung durch die Staatsanwaltschaft gemäß § 141 III 2 sowie sein Recht auf Bestellung eines Verteidigers nach § 141 III 1 verletzt. Gleiches gilt für die entsprechende Belehrungspflicht (Rechtsgedanke aus § 34 a VI EGGVG, §§ 136 I 3, 117 IV 2, 350 III 2 i. V. m. § 406 h). 3. Vorliegen eines „Doppelfehlers“ in BGHSt 46, 93 ff. In dem vom BGH zu entscheidenden Fall lag also ein „Doppelfehler“ vor188. Sowohl Art. 6 III lit. d) EMRK als auch das nationale Verfahrensrecht waren verletzt. Infolge dessen hätte der BGH müßte nach seiner eigenen Rechtsprechung wie folgt vorgehen müssen: Er hätte zunächst den besonderen Beweiswürdigungsanforderungen bezüglich der Verletzung von Art. 6 III lit. d) EMRK Rechnung tragen müssen; sodann den Anforderungen, welche für die Verwertung einer richterlichen Vernehmungsniederschrift als nicht richterliche Vernehmungsniederschrift gelten. Diese Anforderungen umzusetzen, ist wohl kaum möglich, stößt eine solche Beweiswürdigungslösung angesichts der notwendigen Abschichtung der einzelnen besonderen Beweiswürdigungsstufen an ihre Grenzen. Letztlich würde damit eine „Beweiswürdigung2“ geschaffen, die aus bloßen Worthülsen bestünde („ganz besondere Beweiswürdigungsanforderungen“)189. So kann schon gegen die etablierten Fälle einer Behandlung der Verletzung von Verfahrensvorschriften auf der Ebene der Beweiswürdigung geltend gemacht werden, daß sie kaum mehr als „verbale Hürden“ für den Tatrichter aufstellen190. Damit ist die Beweiswürdigungslösung des 1. Senats abzulehnen. 187

Schlothauer, StV 2001, 127 (131). Vgl. Schlothauer, StV 2001, 127 (130); Ambos, NStZ 2003, 14 (17). 189 Schlothauer, StV 2001, 127 (131); zustimmend: Klemke, StV 2003, 413 (415); vgl. ferner: KMR-Eschelbach, § 224 Rn. 58 f. 188

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4. Argumente des 1. Senats für seine „Beweiswürdigungslösung“ Gleß weist auf die erforderliche Unterscheidung zwischen Beweiserhebung und -verwertung auf der einen sowie Beweiswürdigung auf der anderen Seite hin. Die Frage der Verwertbarkeit eines Beweismittels sei einer Beweiswürdigung vorgeschaltet. Der BGH unterlaufe diese Systematik191. Gössel bemerkt hingegen, gerade durch seine Würdigung werde ein Beweis verwertet192. Unabhängig von dieser methodologischen Kritik überzeugen die Argumente des 1. Senats für seine Beweiswürdigungslösung nicht193. a) Verletzung von Benachrichtigungspflichten nach § 168 c V und mögliche Verlesung des richterlichen Protokolls nach § 251 II 2 a. F. (vgl. § 251 I Nr. 2 n. F.) sowie die Verwertung bei rechtmäßiger Versagung von Beteiligungsrechten Der Senat verweist zur Begründung der Beweiswürdigungslösung auf die nach seiner Rechtsprechung eingeführte mögliche Verlesung eines richterlichen Protokolls nach § 251 II 2 a. F. (vgl. § 251 I Nr. 2 n. F.) bei pflichtwidrig versagten Beteiligungsrechten. Ferner sei bei rechtmäßig versagter Ausübung von Beteiligungsrechten eine Verwertung möglich194. Die Verletzung von § 168 c II, V zieht aber nach richtiger Ansicht ein Beweisverwertungsverbot auch für die richterliche Vernehmungsniederschrift nach sich. Damit ist das Argument des Senats nicht überzeugend. Ferner ist – wie Fezer herausgearbeitet hat195 – der zur Unterstützung der Beweiswürdigungs190 Vgl. oben zur Verletzung von § 168 c III, V 2: Kap. 6, § 4 A. I. 2. a) bb); vgl. ferner Weigend, Gutachten C 39 f. und Schünemann, FS-Meyer-Goßner, S. 385 (399) zur Einführung der Angaben eines V-Manns durch einen Zeugen vom Hörensagen und zu den diesbezüglich vom BGH aufgestellten besonderen Beweiswürdigungsanforderungen. 191 Es gelte, zwischen der gebundenen Beweiserhebung und -verwertung sowie der freien Beweiswürdigung (vgl. § 261) zu unterscheiden. Diese Begriffe stellten zwei getrennte Ebenen dar, vgl. Gleß NJW 3606 (3607 m. w. N.); zustimmend: Nack, Sonderheft-Schäfer, S. 46 (51); Klemke, StV 2003, 413 (415). Die erste Ebene sei geprägt von förmlichen Regeln, die es einzuhalten gelte. Sie sei damit gebunden. Auf der zweiten Ebene sei die Beweiswürdigung zu veranschlagen, welche frei sei. Hier fehlten formalisierte Regeln. Beweise, die den Regeln der ersten Ebene zuwiderlaufen, sollten eben nicht in die Entscheidungsfindung einfließen. Sonst könne nicht ausgeschlossen werden, daß sie angesichts der „freien“ zweiten Ebene die Urteilsgründe mitbestimmen. Zur Frage, ob die fehlerhafte Beweiswürdigung mit einer Sachrüge oder mit der (wohl zu bevorzugenden) Verfahrensrüge angegriffen werden müßte: Eisele, JR 2004, 12 (18 f.). 192 Gössel, GS-Meurer, S. 381 (383 f.). 193 Vgl. zu folgendem auch: Fezer, FS-Gössel, 627 ff. 194 BGHSt 46, 93 (104).

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lösung angeführte Hinweis auf die früheren Entscheidungen des BGH, die zur Verlesung eines richterlichen Protokolls nach § 251 II 2 a. F. (vgl. § 251 I Nr. 2 n. F.) ergingen, nicht korrekt. Dort hatte der BGH eben keine Lösung auf der Ebene der Beweiswürdigung gesucht. Er hatte vielmehr über § 251 II 2 a. F. (vgl. § 251 I Nr. 2 n. F.) eine andere rechtliche Grundlage für die Verlesung des fehlerbehafteten richterlichen Protokolls gefunden, bei der zwar der generelle geringere Beweiswert einer solchen Vernehmung berücksichtigt werden mußte; in diesen Entscheidungen fehlte jedoch eine Bezugnahme auf die Herabstufung des Beweiswerts infolge eines Verfahrensfehlers. Auch der Hinweis auf rechtmäßig versagte Beteiligungsrechte verfängt nicht. In diesen Fällen wurde eben nicht die Benachrichtigungspflicht nach nationalem Verfahrensrecht gemäß § 168 c II, V verletzt, sodaß die Beweiswürdigungslösung aufgrund der Verletzung von Art. 6 III lit. d) EMRK einschlägig war. b) „Beweiswürdigungslösung“ in anderen Bereichen Der 1. Senat weist außerdem auf die Beweiswürdigung im Rahmen der Rechtsprechung zu anonymen Zeugenaussagen196 hin. Werde sie dort angewendet, so könne sie auch für den vorliegenden Fall gelten197. Das Argument ist aber nicht stichhaltig. Im Fall anonymer Zeugen sperrt die Exekutive den Zeugen; die Judikative kann die Exekutive nicht zur Freigabe verpflichten. Im Fall des anonymen Zeugen ist die Einschränkung des Fragerechts damit nicht der Justiz (aufgrund eines pflichtwidrigen Verhaltens), sondern der Exekutive (aufgrund einer bewußten Entscheidung) zuzurechnen198. Die im Rahmen dieser Fälle angestellte Beweiswürdigung erging ferner nicht aufgrund eines Verfahrensfehlers; eine solche Würdigung wurde vorgenommen, wenn das Gericht an die Sperrerklärung gebunden war. Damit wurde der mittelbaren (rechtmäßigen) Beweisführung Rechnung getragen. War die Sperrerklärung für das Gericht nicht bindend, so lag ein Verfahrensfehler vor, der dann auch zu einem Verwertungsverbot führte199. Auch der Hinweis des 1. Senats200 auf das im Bereich der Tatprovokation ebenfalls abgelehnte Beweisverwertungsverbot201 überzeugt nicht. Dieser Vergleich ist insofern unstimmig, als dort ein staatliches Fehlverhalten im Zeitpunkt der Tatbegehung betroffen ist, wohingegen es vorliegend um eine nach195 196 197 198 199 200 201

Vgl. Fezer, FS-Gössel, S. 627 (629 f.). BGHSt 17, 382 (385 ff.); 33, 83 (88 f.); 33, 178 (181 ff.); NStZ 2000, 265 ff. BGHSt 46, 93 (105). Endriss, FS-Rieß, S. 65 (75). Fezer, FS-Gössel, S. 627 (632 ff. m. w. N.). BGHSt 46, 93 (105). Vgl. BGHSt 45, 321 ff.; zur Kritik vgl. Ambos, NStZ 2002, 628 (632).

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trägliche Einschränkung der Verteidigungsrechte bezüglich einer aus eigenem Entschluß begangenen Tat geht202. c) Gesamtbetrachtungslehre im nationalen Verfahrensrecht Der Senat rekurriert im Rahmen seiner Beweiswürdigung ferner auf die vom EGMR entwickelte „Gesamtbetrachtung des Verfahrens“. Eine Übertragung dieser Betrachtung auf das nationale Verfahrensrecht ist jedoch abzulehnen. Der EGMR will durch diese Betrachtung den unterschiedlichen Verfahrensordnungen der Mitgliedstaaten gerecht werden203. Diese können spezifische Kompensationsmöglichkeiten für Verfahrensfehler bereithalten. Ein Verfahrensfehler kann zwar isoliert betrachtet gegen die EMRK verstoßen, jedoch insgesamt Teil eines noch konventionskonformen Verfahrens sein. Damit wird nach dieser Vorgehensweise des EGMR ein Verstoß gegen ein in Art. 6 III EMRK niedergelegtes Einzelrecht nur dann in eine Konventionsverletzung münden, wenn dadurch das Verfahren im Einzelfall insgesamt als unfair zu betrachten ist204. Der 1. Senat führt ohne jeden zwingenden Anlaß die Gesamtbetrachtung ins nationale Verfahrensrecht ein. Damit werden die Gewährleistungen des deutschen Strafverfahrensrechts, die über Art. 6 III lit. d) EMRK hinausgehen, nicht hinreichend gewürdigt205. d) Beweiswürdigungslösung als unzulässige Beweisregel im Rahmen von § 261 Auch Gössel kritisiert die Beweiswürdigungslösung des BGH, aber in eine andere Richtung. Sie sei eine Beweisregel; als solche müsse sie sich innerhalb der Grenzen der freien Beweiswürdigung durch den Tatrichter nach § 261 halten206. Dies sei jedoch nicht der Fall207. Nach seiner Ansicht solle der Tatrichter selbst entscheiden dürfen, ob die fehlerhaften Tatsachenfeststellungen zu einer Verurteilung ausreichten. So könne er annehmen, daß die Ausübung des 202

Ambos, NStZ 2003, 14 (17 mit Fn. 182); ders., NStZ 2002, 628 (631). Gleß NJW 2001, 3606 (3607); Kühne, StV 2001, 73 (77); ferner: Sommer, StraFo 2002, 309 (312); Eisele, JR 2004, 12 (16); kritisch zur Gesamtbetrachtung durch den EGMR: Esser, S. 860 ff. m. w. N.; Ambos, ZSW 115 (2003), 583 (613) 204 Vgl. zu den Kriterien des EGMR bei der Beschränkung des Konfrontationsrechts nach Art. 6 III d) EMRK: Schleiminger, S. 9 ff. mit umfangreichen Nachweisen (Die Kriterien lauten: Gute Gründe für eine Beschränkung des Rechts/Wahrung der Verteidigungsrechte des Angeklagten/Existenz von zusätzlichem Beweismaterial). 205 Eisele, JR 2004, 12 (17). 206 Gössel, GS-Meurer, S. 381 (390 ff.); vgl. ferner: Widmaier, Sonderheft-Schäfer, S. 76 (78: „eine dem Prinzip der freien Beweiswürdigung nach § 261 an sich fremde Beweisregel“). 207 Auch wenn diese Beweisregel nach dem BGH nur „regelmäßig“ anzuwenden sei. 203

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Fragerechts „in derartigen Fällen“208 (hypothetisch) zu einer Abwertung der Bekundungen der Zeugen führen könnte209, welche sie (womöglich) ohne das Fragerecht nicht erlitten hätten210. Damit könnten sie nicht als sichere Grundlage für eine Verurteilung dienen. Dem Tatrichter müsse es überlassen bleiben, sich durch die Einbeziehung aller Geschehensabläufe in der Hauptverhandlung einen Gesamteindruck zu verschaffen. Diese Argumentationsweise ist insofern gefährlich, als damit gerade ein kontradiktorisches Verfahren zur Wahrheitsfindung unterlaufen werden kann. Widmaier weist darauf hin, daß Art. 6 III lit. d) EMRK die Einführung einer solchen Beweisregel gebietet. Auch habe der BGH eine solche Beweisregel als Teil einer rationalen Beweiswürdigung anerkannt211. Gegen eine solche Verallgemeinerung dieser Erwägungen spricht jedoch, daß sich die vom BGH entwikkelte Regel nicht auf eigenes Fehlverhalten der Justiz, sondern auf eine anonyme Zeugenaussage infolge der Sperrung durch die Exekutive bezog. „Deshalb“, so der BGH212, seien die Aussagen des Zeugen besonders kritisch zu würdigen. Letztlich erscheint damit die Annahme eines Beweisverwertungsverbots konsequenter. e) Die Unzulänglichkeit des Kriteriums der „besonders“ strengen Beweiswürdigungs- und Begründungsanforderungen Mit diesen Anforderungen kann nicht die Glaubwürdigkeitsbeurteilung vernommenen Person ersetzt werden. Endriss weist zutreffend darauf hin, das Auffinden weiterer Indizien213 nicht immer das Kerngeschehen erfaßt damit keine unmittelbare Grundlage für die Glaubwürdigkeitsbeurteilung Zeugen bietet.

der daß und des

Ferner ist nie auszuschließen, daß nicht doch noch weitere Umstände in einer neuen Verhandlung aufgedeckt werden könnten214. Damit würden Verfahrens208 Gössel stellt wohl auf die Bekundungen von Opferzeugen bei sexuellem Mißbrauch ab. 209 Wodurch sie für eine Verurteilung unzureichend sein könnten. 210 Dies ist nach Gössel ein weiterer Grund (vgl. GS-Meurer, S. 380, 393), auch eine solche fehlerhafte Tatsachenfeststellung zur Verurteilung ausreichen zu lassen. 211 Widmaier, Sonderheft-Schäfer, S. 76 (78). 212 BGHSt 33, 178 (181). 213 Endriss, FS-Rieß, S. 65 (75). „Häufig genug“ beträfen solche Indizien nur den Rand des Kerngeschehens. 214 Dem 1. Senat jedoch zustimmend Widmaier (Sonderheft-Schäfer, S. 76, 78 mit Fn. 21): Die „Leistungsfähigkeit“ dieser Beweiswürdigungslösung belege das weitere Verfahren in dem vom 1. Senat in BGHSt 46, 93 ff. entschiedenen Fall – die anderen außerhalb der Aussagen liegenden Umstände wurden lediglich für einen Teilvorwurf

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verletzungen für die Staatsanwaltschaft kalkulierbar215. Ferner ist die Gefahr sich gegenseitig verstärkender unsicherer Erkenntnisquellen nicht zu übersehen216. 5. Ergebnis Der 1. Senat hätte ein Beweisverwertungsverbot bezüglich der Aussage des Ermittlungsrichters annehmen müssen. Nur dadurch ergibt sich eine klare Handlungsanweisung für Ermittlungsrichter und Staatsanwaltschaft217. Auch kann auf das Verwertungsverbot für den Haftrichter bezüglich der dem inhaftierten Beschuldigten verweigerten Aktenteile hingewiesen werden. Dort wird ebenfalls das Recht auf Verteidigung im Vorverfahren eingeschränkt218. Eine Rügepflicht bzw. ein Widerspruch des Angeklagten219 oder seines Verteidigers hinsichtlich des Verfahrensfehlers ist angesichts der Verantwortung der „Justiz“, in den entsprechenden Fällen eine Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren nach § 141 III 1 i. V. m. § 141 IV auch umzusetzen, abzulehnen220. Der Beschuldigte kann ferner im Fall notwendiger Verteidigung nicht auf den Verteidiger verzichten, weshalb eine größere „Eigenverantwortung“ im späteren Verfahren ebenfalls ausscheidet.

bestätigt: Der Angeklagte hatte sich dazu eingelassen. Er wurde zu acht Monaten Frreiheitsstrafe verurteilt, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. 215 Vgl. Meyer-Lohkamp, StV 2004, 13; nach Kunert (NStZ 2001, 217) läßt der BGH „die Katze aus dem Sack“, indem er auf die Möglichkeit hinweist, daß sich in einer neuen Hauptverhandlung noch Tatsachen feststellen lassen könnten, die für eine Verurteilung tragfähig wären. 216 Vgl. Gleß, NJW 2001, 3606 mit Fn. 10; siehe dazu den vom BGH in StV 2000, 649 entschiedenen Fall, in welchem sich die Angaben „anonymer Zeugen“ gegenseitig zur geforderten Beweisstärke verdichteten – kritisch dazu: Wattenberg, StV 2000, 688 (692 ff.). Der Sachverhalt kommt dem von Grünwald in der Festschrift für Dünnebier (S. 347) entworfenen Fall „im Lande X“ und dem dort angeprangerten Niedergang der unmittelbaren Zeugenvernehmung beträchtlich nahe. 217 Kunert, NStZ 2001, 217 (218). 218 Ambos, NStZ 2003, 14 (17). 219 Wohl angenommen von KK-Laufhütte, § 141 Rn. 7 i. V. m. Vor § 137 Rn. 6. 220 Kritisch auch Eisele (JA 2001, 100, 103; JR 2004, 12, 20) unter Hinweis auf die unterschiedlich praktizierte Widerspruchslösung des BGH in BGHSt 10, 77 (78) und BGHSt 31, 140 (145). Zur Widerspruchslösung im Rahmen der Verletzung von § 168 c V vgl. KMR-Plöd, § 168 c Rn. 11 ff. einerseits sowie KMR-Eschelbach, § 224 Rn. 63 f. andererseits.

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II. BGH NJW 2002, 975; BGHR StPO § 141 Bestellung 9 In seiner zweiten und dritten Entscheidung wird vom 1. Senat ein Beweisverwertungsverbot in Betracht gezogen, jedoch aufgrund der besonderen Umstände im Rahmen einer Abwägung verneint. Der 1. Senat verweist in seiner zweiten Entscheidung auf die Erwägungen des 5. Senats zur fehlenden Belehrung über das Schweigerecht (§§ 136 I 2, 163 a IV 2) mit sich anschließendem Beweisverwertungsverbot221. Er überträgt obiter dictu die dort angenommenen Grundsätze auf die Belehrung über die Hinzuziehung eines Verteidigers222. Angesichts dieser Stärkung der Rechte der Verteidigung befremdet die Ablehnung eines Beweisverwertungsverbots nach der erfolgten Abwägung. Aufgrund der oben angeführten Erwägungen ist – wie zu zeigen sein wird – auch in diesem Fall infolge der Verletzung von § 141 III 1 ein Verwertungsverbot bezüglich des Geständnisses anzunehmen. Obwohl der 1. Senat ausdrücklich auf die Antragstellung (§ 141 III 2) Bezug nimmt, sind seine Ausführungen nicht auf eine Verletzung eben dieser Vorschrift beschränkt. Sie gelten für eine gleichfalls vorliegende Verletzung von § 141 III 1, auch wenn er diese Vorschrift nicht explizit aufführt. Also kann nicht angenommen werden, daß der 1. Senat in BGH NJW 2002, 975 ff. lediglich einen Verstoß gegen § 141 III 2223 (und nicht auch gegen § 141 III 1) würdigt224. Damit sind nicht lediglich die Folgen einer unterbliebenen Antragstellung durch die Staatsanwaltschaft, sondern auch die einer unterbliebenen Verteidigerbestellung zu würdigen. Gleiches gilt für seine Entscheidung in BGHR StPO § 141 Bestellung 9. III. Unterscheidung zwischen Äußerungen und sonstigen Verhaltensweisen des Beschuldigten und der Verletzung seiner Mitwirkungsrechte infolge unterlassener Verteidigerbestellung Indem der 1. Senat lediglich in seiner zweiten Entscheidung, welche Äußerungen und Verhaltensweisen des Beschuldigten betraf, das Vorliegen eines Verwertungsverbotes aufgrund einer Abwägung in Betracht zieht, ist anzunehmen, daß er Ermittlungsergebnisse, die durch eine Verletzung von Mitwirkungsrechten (wie in seiner ersten Entscheidung geschehen) getrübt werden, lediglich einer Beweiswürdigungslösung zuführt225. 221

Vgl. BGHSt 38, 214 ff. BGH NJW 2002, 975 (976); die überwiegende Ansicht in der Literatur nimmt ein Verwertungsverbot bei fehlender Belehrung über das Verteidigerkonsultationsrecht an, vgl. Meyer-Goßner, § 136 Rn. 21; KK-Boujong, § 136 Rn. 26 f.; Beulke, Strafprozeßrecht, Rn. 468; vgl. ferner: SK-Rogall, § 136 Rn. 55. 223 So wohl jedoch: Eisele, JR 2004, 12 (17). 224 In diesem Sinne: KK-Laufhütte, § 141 Rn. 7. 222

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Auch Widmaier unterscheidet bei rechtswidrig unterlassener Pflichtverteidigerbestellung danach, ob der Beschuldigte Äußerungen oder Verhaltensweisen getätigt hat oder (lediglich) seine Mitwirkungsrechte bei Beweiserhebungen infolge der „Verteidigungslosigkeit“ nicht hat wahrnehmen können. Ein Verwertungsverbot gelte nur für Äußerungen oder Verhaltensweisen des Beschuldigten, welchem rechtswidrig die Bestellung eines Pflichtverteidigers verweigert wurde226. Würden Mitwirkungsrechte des Beschuldigten wegen der rechtswidrig unterlassenen Pflichtverteidigerbestellung verletzt, so sei lediglich der Beweiswert der Aussage der Beweisperson zu reduzieren227. Sie sei ergänzend heranzuziehen. Widmaier verweist neben der fehlenden Benachrichtigungspflicht für nicht-richterliche Vernehmungen nach § 168 c auf die Vorschrift des § 251 II 2 a. F. (vgl. § 251 I Nr. 2 n. F.). Diese zeige, daß nicht-richterliche Aussagen in solchen Fällen nicht „gänzlich“ unverwertbar seien. Dann könne bei einer richterlichen Vernehmung kein Verwertungsverbot entstehen, selbst wenn das Recht auf Bestellung eines Verteidigers und damit zugleich Art. 6 III lit. d) EMRK verletzt wurde228. Ebenso wie die polizeiliche Vernehmung könne sie lediglich im Beweiswert herabgestuft werden229. Angesichts der im Fall BGHSt 46, 93 ff. vorliegenden Verletzung von § 168 c V mit der Folge eines Verwertungsverbots kann Widmaier aber nicht gefolgt werden. Zusätzlich ergeben sich folgende Bedenken hinsichtlich seiner Differenzierung. Er ordnet die Nichtbestellung des Verteidigers der Unterscheidung zwischen Mitwirkungsrechten auf der einen und Äußerungen bzw. Verhaltensweisen des Beschuldigten auf der anderen Seite unter, indem er lediglich für letztere die Subjekteigenschaft des Beschuldigten hervorhebt, die unberücksichtigt bliebe, wenn ihm kein Verteidiger beigeordnet würde. Dagegen spricht, daß Verteidigung nicht lediglich bei Äußerungen oder Verhaltensweisen des Beschuldigten besteht, sondern auch im Rahmen von Mitwirkungsrechten. Auch hier ist seine Stellung als Prozeßsubjekt zu wahren, welches auf das Verfahren Einfluß nehmen kann230. Ferner wird die Verletzung von § 141 III 1 nicht hinreichend gewürdigt.

225

Vgl. KK-Laufhütte, § 141 Rn. 7. Ansonsten werde er zum Objekt des Verfahrens degradiert, vgl. Widmaier, Sonderheft-Schäfer, S. 76 (79). 227 Widmaier, Sonderheft-Schäfer, S. 76 (79). 228 Widmaier, Sonderheft-Schäfer, S. 76 (79). 229 Mit dem Senat in BGHSt 46, 93 ff. geht er davon aus, daß die Aussage durch andere außerhalb ihrer selbst stehende Gesichtspunkte bestätigt werden müsse. Stehe Aussage gegen Aussage, so könne der Angeklagte nicht verurteilt werden, vgl. Widmaier, Sonderheft-Schäfer, S. 76 (79). 230 Vgl. Wolf, 394, der die Prozeßsubjekteigenschaft gerade durch die Mitwirkungsrechte begründet sieht. 226

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6. Kap.: Prozessuale Absicherung der Verteidigerbestellung

B. Urteil des AG Hamburg vom 02.10.2003231 Zu einem Verwertungsverbot bei ähnlich gelagerter Sachverhaltskonstellation, der sich der 1. Senat in BGHSt 46, 93 ff. gegenübersah, gelangt hingegen das Amtsgericht Hamburg. Das AG Hamburg nimmt in seinem Leitsatz ein Verwertungsverbot der ermittlungsrichterlichen Vernehmung an, wenn ein Angeklagter in keinem Stadium des Verfahrens Gelegenheit hatte, den wesentlichen Belastungszeugen selbst zu befragen, und ein Verteidiger vor der ermittlungsrichterlichen Vernehmung desselben Zeugen nicht bestellt worden ist, obwohl die Voraussetzungen einer notwendigen Verteidigung vorlagen und mit der Möglichkeit des Rückgriffs auf den vernehmenden Ermittlungsrichter als Zeugen zu rechnen war. Der Sachverhalt der Entscheidung verhält sich über einen schweren sexuellen Mißbrauch an einem dreijährigen Kind. Die Mutter stellte Strafantrag; daraufhin wurde das Kind nach einem Antrag der Staatsanwaltschaft vom 10.12.1999 von einer Ermittlungsrichterin zwecks Beweissicherung am 18.11.2000 vernommen. Diese Vernehmung wurde auf Video aufgezeichnet. Eine Diplompsychologin verfolgte die Vernehmung. Der Beschuldigte war in dem Beschluß der Ermittlungsrichterin vom 03.01.2000 über die Anberaumung der Vernehmung von der Anwesenheit nach § 168 c III ausgeschlossen worden. In der Hauptverhandlung verweigerte die Mutter eine Vernehmung des Mädchens. Das Amtsgericht hörte die Ermittlungsrichterin als Zeugin vom Hörensagen und stellte die Frage über die Verwertbarkeit der Vernehmung zurück. Unabhängig davon, ob der Angeklagte unrechtmäßig von der Vernehmung nach § 168 c III ausgeschlossen worden war und dadurch schon sein Anwesenheitsrecht verletzt wurde, stellt das Amtsgericht darauf ab, daß „jedenfalls in Kombination“ mit der fehlenden Bestellung eines Verteidigers eine wesentliche Verletzung von Vorschriften vorliege, die die Grundlagen der verfahrensrechtlichen Stellung des Angeklagten oder des Beschuldigten zum Ziel haben232. Art. 6 III lit. d) EMRK sei als Auslegungshilfe bei der Auslegung nationalen Rechts zu berücksichtigen233. Dies führe zur Verteidigerbestellung nach den vom 1. Senat in BGHSt 46, 93 ff. aufgestellten Vorgaben. Das Amtsgericht schließt sich den Ausführungen des 1. Senats zur Reduzierung des Ermessens nach § 141 III 1 auf Null bei bevorstehender ermittlungsrichterlicher Vernehmung eines zentralen Belastungszeugen zwecks Beweissicherung an. Im zu entscheidenden Fall war wegen der Schwere des Tatvorwurfs die Notwendigkeit einer Verteidigung im gerichtlichen Verfahren vorherzusehen. Ange231 232 233

AG Hamburg StV 2004, 11. AG Hamburg StV 2004, 11. AG Hamburg StV 2004, 11 (12).

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sichts des Beweissicherungszwecks der Vernehmung war ohne den Beistand eines Verteidigers auch eine Gefährdung des Fragerechts zu besorgen. Die Staatsanwaltschaft hätte so vor der Vernehmung der Belastungszeugin auf Verteidigerbestellung antragen sollen234. Das Amtsgericht stellt auf die Verletzung der Rechte des Angeklagten nach Art. 6 III lit. d) EMRK i. V. m. §§ 141 III, 168 c II ab. Weder der Beschuldigte noch ein bevollmächtigter oder bestellter Verteidiger hätten der Belastungszeugin Fragen stellen können. Ein Rückgriff auf die Vernehmungsrichterin scheide danach aus235. Das Gericht hebt die Zielsetzung der notwendigen Verteidigung nach §§ 140 ff. und die des Beteiligungsrechts nach § 168 c II hervor: Es solle ein rechtsstaatliches, faires Strafverfahren durchgeführt werden (Art. 2 GG i. V. m. Art. 20 III GG). Der Beschuldigte müsse als Verfahrenssubjekt auf das Verfahren einwirken können. In den Fällen notwendiger Verteidigung genüge die Objektivitätsverpflichtung des Gerichts und der Staatsanwaltschaft (§§ 160 II, 244 II) nicht; es habe ein Verteidiger für den Beschuldigten tätig zu werden. Der Beschuldigte könne von der Anwesenheit bei der Vernehmung ausgeschlossen werden. Jedoch griffen dann ergänzend die §§ 140 ff. ein236. Wenn der Verteidiger von der Benachrichtigung nicht auszuschließen sei (vgl. § 168 c V 2), so werde § 168 c V 1 verletzt. Die Vernehmung des Ermittlungsrichters und die Verlesung der Niederschrift als richterliches Protokoll scheide aus, wenn der Angeklagte nicht zustimme237. Gleiches habe zu gelten, wenn ein Verteidiger trotz dessen notwendiger Bestellung nicht eingeschaltet wurde und infolgedessen der Verteidiger nicht hat benachrichtigt werden können238. Beide Fälle seien vergleichbar: Der Beschuldigte könne nicht den originären Belastungszeugen konfrontieren. Da die Gelegenheit zur Mitwirkung nicht bestand und die Verteidigung deren Verwendung nicht zustimmte, ist nach dem Amtsgericht auch eine Verwertung der aufgezeichneten (nicht ordnungsgemäßen) Vernehmung nach § 255 a II abzulehnen239. Das Gericht beschäftigt sich nicht mit einer Umdeutungsmöglichkeit der richterlichen Videovernehmung nach § 255 a I i. V. m. § 251 II 2 a. F. (vgl. § 251 I Nr. 2 n. F.)240, denn die Zeugin verweigerte die Aussage. Damit ist (wie in BGHSt 46, 93 ff.) nach der Ausnahmerechtsprechung des BGH zu § 252 lediglich die Vernehmung der Ermittlungsrichterin als Zeugin vom Hörensagen mög234

AG AG 236 AG 237 AG 140 ff. 238 AG 239 AG 235

Hamburg StV 2004, 11 (12). Hamburg StV 2004, 11 (12). Hamburg StV 2004, 11 (12). Hamburg StV 2004, 11 (12) unter Hinweis auf BGHSt 26, 332 (335); 31, Hamburg StV 2004, 11 (12). Hamburg StV 2004, 11 (12 f.); Meyer-Goßner, § 255 a Rn. 8.

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lich. Im Gegensatz zum 1. Senat241, der seine bisherige Rechtsprechung gleichsam leugnet, rekurriert das AG Hamburg auf dessen Entscheidung in BGHSt 26, 332 ff. und nimmt zutreffend ein Beweisverwertungsverbot an242. Insoweit fehlt jedoch eine Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des 1. Senats in BGHSt 46, 93 ff.

C. Subsumtion der von den Senaten entschiedenen Fälle unter die allgemeinen Lehren von den Beweisverwertungsverboten Für die vorliegende Arbeit soll auf die herrschende Auffassung in Rechtsprechung und Literatur abgestellt werden, um die Frage nach einem Beweisverwertungsverbot wegen unterlassener Bestellung nach § 141 III 1 beantworten zu können. I. Unterbleiben der erforderlichen Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren nach § 141 III 1 Zunächst ist die Fallgruppe zu untersuchen, in der die Verteidigerbestellung zu Unrecht unterbleibt, sei es infolge einer Entscheidung des Gerichts oder eines fehlenden Antrags der Staatsanwaltschaft bzw. einer unterlassenen Weiterleitung eines Antrags des Beschuldigten. Eine Bestellungspflicht war in allen den vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fällen anzunehmen243. Nun gilt es, diese Konstellation unter die herrschenden Ansichten in Rechtsprechung und Literatur zu subsumieren. 1. Rechtskreistheorie Der Große Senat für Strafsachen entwickelte im Jahr 1958 die „Rechtskreistheorie“244. Danach ist entscheidend, ob die verletzte Vorschrift den Rechtskreis des Beschuldigten wesentlich berührt. Erst dann entsteht ein Beweisverwertungsverbot. Diese Theorie hat jedoch keine allgemeine Anwendung durch die Rechtsprechung erfahren245. 240 Was nach h. M. möglich wäre bei der Verletzung von Benachrichtigungspflichten; vgl. zur Videovernehmung: Meyer-Goßner, § 255 a Rn. 2 und Rn. 8, § 251 Rn. 18 und Rn. 31, § 168 c Rn. 6 m. w. N. 241 BGHSt 46, 93 (104). 242 Vgl. ebenfalls die zustimmende Anmerkung von Meyer-Lohkamp, StV 2004, 13. 243 Vgl. oben: Kap. 5, § 3 C. 244 BGHSt (GrS) 11, 213 (215) – vgl. schon BGHSt 1, 39 (40); siehe ferner: BGHSt 17, 245 (247); BGH StV 1995, 231 mit Anm. Dencker, StV 1995, 232.

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Die Rechtskreistheorie erwähnt der 1. Senat in seinen Entscheidungen zur Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren nicht. Nach ihr hätte er in BGHSt 46, 93 ff. ein Beweisverwertungsverbot annehmen müssen. Angesichts der bisherigen Rechtsprechung wäre eine Verletzung von § 252 anzunehmen gewesen246; auch bei Zugrundlegung der Argumentation des 1. Senats ist schon durch die Einschränkung des Fragerechts infolge unterbliebener Benachrichtigung nach § 168 c II, V der Rechtskreis des Angeklagten wesentlich beeinträchtigt. Die Beeinträchtigung des Rechts auf Verteidigung (in allen Entscheidungen des 1. und 5. Senats), welches nach § 141 III 1 und S. 2 von der Staatsanwaltschaft und dem Vorsitzenden nach § 141 IV sicherzustellen gewesen wäre, ist ebenfalls zu berücksichtigen247. Danach wäre nach der Rechtskreistheorie ein Verwertungsverbot anzunehmen. 2. Abwägungslehre Der 5. Senat248 formulierte in seinem Beschluß vom 27.02.1992 das „Abwägungsmodell“, welches nun überwiegend in der Rechtsprechung angewendet wird249. Bei einer Normverletzung wird eine umfassende Abwägung im Einzelfall angestellt, um ein Verwertungsverbot zu begründen. Dem Staat obliegt es, eine funktionstüchtige Strafrechtspflege gerade bei schweren Straftaten zu gewährleisten; Verwertungsverbote hinderten jedoch die Wahrheitserforschung. Auf der anderen Seite sei der Schwere der Normverletzung und der Bedeutung der Norm für die rechtlich geschützte Sphäre des Be245 Vgl. Jäger, S. 14 ff.; Gössel weist darauf hin, daß der BGH Verwertungsverbote aufgrund einer Rechtskreisbeeinträchtigung gewonnen hat, wenn Belehrungen unterlassen wurden. Aber auch in diesem Bereich seien andere Begründungen anzutreffen, sodaß es fraglich erscheine, inwieweit der BGH die Rechtskreisbestimmung noch als ausschlaggebend für ein Verwertungsverbot ansehe, Gössel, GS-Meurer, S. 381 (387); ferner: Wolter, FS-BGH IV, S. 963 (984). 246 Gössel, GS-Meurer, S. 381 (386). 247 Vgl. Endriss, FS-Rieß, S. 65 (74 f.); Fezer, JZ 2001, 364; Schlothauer, StV 2001, 127 (130); Pauly, StV 2002, 290 (292); vgl. ferner Kunert NStZ 2001, 216 (217); Neuhaus, JuS 2001, 18 (21). 248 BGHSt 38, 214 (219 ff.); vgl. schon BGHSt 19, 325 ff.; 24; 125 ff.; 26, 298 ff.; OLG Köln NJW 1966, 416 f.; OLG Celle NJW 1969, 567 f. 249 BGHSt 38, 372, (373 f.); 42, 15 (21 f.); 42, 170 (172); BGH (Großer Senat) NStZ 1996, 502 (504 f. mit krit. Anm. Rieß). Mit seiner Begründung, das mit Verfassungsrang ausgestattete Institut einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege entspringe dem Rechtsstaatsprinzip (BVerfGE 33, 367, 383; 51, 324, 343; 74, 257, 262), also aus demselben Prinzip, das auch die Abwehrrechte des Beschuldigten trägt (BVerfGE 45, 187, 228), hat das Bundesverfassungsgericht dieser Abwägungslehre den Boden bereitet.

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troffenen Rechnung zu tragen. Wahrheit dürfe eben „nicht um jeden Preis“ erlangt werden. Sichert die Norm die Grundlagen der verfahrensrechtlichen Stellung des Beschuldigten, so wird ein Verwertungsverbot in der Regel angenommen. Tut sie dies nicht, oder sichert sie die Stellung des Beschuldigten erst in zweiter Linie, so wird in der Regel ein Verwertungsverbot abgelehnt. Eine Einzelfallprüfung erfolgt danach nicht. Das Schutzzweckkriterium ist entscheidend. Die h. L.250 vertritt ebenfalls ein Abwägungsmodell251, wenngleich unterschiedliche Abwägungskriterien herangezogen werden und das Tatunrecht als Kriterium überwiegend abgelehnt wird252. Auf den konkreten Einzelfall stellt sie nicht ab. Die Abwägungslehre müßte ebenfalls ein Verwertungsverbot in dem vom 1. Senat in BGHSt 46, 93 ff. entschiedenen Fall annehmen253. Der 1. Senat hebt hervor, daß die Garantie des Fragerechts eine besondere Ausformung eines fairen Verfahrens sei254. Eben dieser Grundsatz soll nach allgemeiner Auffassung die verfahrensrechtliche Subjektstellung des Beschuldigten sichern und eine Waffengleichheit bei der Erhebung des Personalbeweises sicherstellen255. Durch seine Verletzung wird die verfahrensrechtliche Grundstellung des Beschuldigten betroffen. In BGHSt 46, 93 ff. sowie in den anderen dargestellten Entscheidungen wurde (ferner) das Recht des Beschuldigten auf Verteidigerkonsultation verletzt. 250 Vgl. Meyer-Goßner, Einl. Rn. 55; KK-Senge, Vor § 48 Rn. 27; Roxin, 24/23; Dalakouras, S. 122, 131 ff.; Rogall, FS-Hanack, S. 293 (300 ff.); ders., ZStW 91 (1979), 1 (29 ff.); Hauf, NStZ 1993, 457 (458 ff.); ferner: SK-Wolter, Vor § 151 Rn. 196 f.; Sternberg-Lieben, JZ 1995, 844 (848); einschränkend: Beulke, Strafprozeßrecht, Rn. 458, sowie ders, ZStW 103 (1991), 657 (671 f., 678 f.) und Fezer, Strafprozeßrecht, 16/26 ff.: nur für aus der Verfassung ableitbare Verwertungsverbote, ansonsten sei auf den Schutzzweck abzustellen, um die Erwägungen des Gesetzgebers nicht zu unterlaufen – danach nimmt auch Beulke ein Verwertungsverbot an, vgl. Beulke, Strafprozeßrecht, Rn. 171 sowie ders., FS-Rieß, S. 1 (18). 251 Vgl. zu weiteren Konzeptionen eines Verwertungsverbotes nach den Funktionslehren, die auf die generelle Funktion der Verwertungsverbote abstellen, um dadurch deren Voraussetzungen zu gewinnen: Jäger, S. 69 ff.; zur Konzeption eines informationellen Folgenbeseitigungsanpsruchs (Amelung, S. 30 ff., 64 ff.; ders., NJW 1991, 2533, 2534) sowie eines öffentlich rechtlichen Unterlassungsanspruchs (Störmer, S. 223 ff.; ders., Jura 1994, 621, 627). 252 Beckemper, S. 59 f.; Fezer, StV 1989, 290 (294); vgl. zur Ablehnung der Berücksichtigung der Tatschwere durch den BGH ferner Dencker, S. 97 (der selbst einen generalpräventiven Ansatz wählt und das Verwertungsverbot als Selbstreinigung der Justiz versteht, den bereits eingetretenen Autonomieverlust zu neutralisieren und nicht auf das Urteil fortwirken zu lassen, S. 65, 72). 253 Gössel, GS-Meurer, S. 381 (387 f.). 254 BGHSt 46, 93 (95). 255 Vgl. LR-Gollwitzer (24. Auflage), Art. 6 EMRK Rn. 210; Int. Komm.-Vogler, Art. 6 EMRK Rn. 548; Fezer, FS-Gössel, S. 627 (629); Peukert, EuGRZ 1980, 247 (255).

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Es gehört zu seinen elementaren Rechten. Der Verteidiger verhilft dem Beschuldigten insbesondere in den Fällen der notwendigen Verteidigung zur Prozeßsubjektstellung. Die unterlassene Bestellung des Verteidigers zur Sicherung des Rechts auf Verteidigung ist wertungsmäßig der Verwehrung einer Verteidigerkonsultation gleichzuachten 256, muß doch die „Justiz“ zumindest im Bereich notwendiger Verteidigung für die Bestellung eines Verteidigers sorgen. So ist auch bei Verwehrung einer (Wahl-)Verteidigerkonsultation nach der Rechtsprechung des BGH257 ein Verwertungsverbot anzunehmen. Dabei ist nach dem 4. Senat des BGH258 auch keine Differenzierung möglich, wie stark das Recht auf Verteidigerkonsultation beeinträchtigt wird. Wenn der Zugang zum Verteidiger unterlaufen werde, so könne nicht abgewogen werden. Dies ergebe sich aus der Bedeutung des Rechts auf Verteidigerkonsultation für ein faires Verfahren sowie aus Gründen der Rechtssicherheit. Soweit der 1. Senat dem schon in einer früheren Entscheidung entgegentritt259 und eine Abwägung im konkreten Fall doch anstellen möchte, sind seine Äußerungen auf die Wahlverteidigung zu beziehen. Ob sie schon diesbezüglich abzulehnen sind260, braucht nicht entschieden zu werden. Jedenfalls im Bereich der Pflichtverteidigung muß bei unterlassener Bestellung des Verteidigers ein Verwertungsverbot Platz greifen, welches allein aus der Stellung der Verteidigung für das Recht des Beschuldigten auf ein faires Verfahren zu gewinnen ist, ohne eine Abwägung im Einzelfall anzustellen. Seine Schutzbedürftigkeit gerade in diesen Fällen verbietet eine Abwägung. Der 1. Senat verweist jedoch lediglich auf seine eigene Entscheidung, in der er eine solche Abwägung für den Bereich der Wahlverteidigung angenommen hatte, ohne die im vorliegenden Fall gegebene notwendige Verteidigung zu berücksichtigen261. Die Tatschwere als Abwägungskriterium262 verfängt insbesondere in den vom BGH entschiedenen Fällen nicht. Hier wird mit § 140 I Nr. 2263 i. V. m. § 141

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Vgl. Klemke, StV 2003, 413 (415). BGHSt 38, 372 (374); 42, 15 (21 f.); einschränkend: BGHSt 42, 170 (174 f.); vgl. dazu: Janicki, S. 90 ff. 258 BGHSt 42, 15 (21 f.). 259 BGHSt 42, 170 (174 f.). 260 Vgl. Beckemper, S. 59 ff. m. w. N. 261 Vgl. BGH NJW 2002, 975 (977 f.). Die Entscheidung des 4. Senats aus BGHSt 42, 15 ff. läßt er unerwähnt; siehe ferner schon AK-Achenbach, § 163 a Rn. 31, der ein Verwertungsverbot für die Unterlassung des Hinweises auf die Pflichtverteidigung in Konstellationen nach § 140 II als Verwehrung der Verteidigerkonsultation annimmt. 262 BGHSt 42, 170 (174); vgl. ferner die Ausgangsüberlegungen des 1. Senats in NJW 2002, 975 (977 f.). 263 In allen entschiedenen Fällen der Senate war die Verteidigung (auch) wegen des Verbrechensvorwurfs eine notwendige. 257

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III 1 und S. 2 eine Verfahrensvorschrift verletzt, die gerade bei schwerwiegenden Delikten eingreift. Die Deliktsschwere ist bei einer Abwägung zumindest auch dann zu vernachlässigen, wenn die Notwendigkeit einer Verteidigung im gerichtlichen Verfahren auf § 140 I Nr. 1, Nr. 3 oder § 140 II 1 1. Alt. fußt. Hier soll ja gerade wegen der drohenden Sanktion ein besonderer Schutz in Gestalt eines Pflichtverteidigers gewährt werden. Ansonsten wird im Rahmen notwendiger Verteidigung nach § 140 der strafrechtliche Unrechtsvorwurf für eine Beiordnung außer Betracht gelassen (§ 140 I Nr. 6, Nr. 7, Nr. 8 sowie § 140 II 1 2. und 3) oder nach § 140 I Nr. 5 lediglich indirekt einbezogen, indem für eine Anstaltsunterbringung infolge Haftbefehls das Verhältnismäßigkeitsprinzip, welches sich auch auf das angebliche Tatunrecht als Faktor der Bedeutung der Sache264 stützt (vgl. § 113), berücksichtigt wird. Gegen eine Einbeziehung des Tatunrechts in eine Abwägung bei Verletzung des Rechts nach § 141 III 1 und S. 2 sprechen ferner generelle Überlegungen. Wohlers ist darin zuzustimmen, daß eine Abwägung, die auf den konkreten Einzelfall abzielt, die gesetzgeberische Wertung konterkariert, welche gerade hinter dem Institut der notwendigen Verteidigung steht. Eine ohne Konsultation des Verteidigers gefällte Entscheidung ist eben keine Entscheidung eines „verantwortlichen“ Beschuldigten. Es liegt damit keine Entscheidung „eines verantwortlich handelnden Prozeßsubjekts“ vor265. Der Senat hätte sich ferner an den Grundgedanken auch seiner eigenen Abwägungslehre halten müssen, wonach der Verstoß gegen Vorschriften, die die verfahrensrechtliche Stellung des Beschuldigten sichern sollen, grundsätzlich zu einem Verwertungsverbot führt. Roxin hebt insofern das „Fundamentalrecht“ auf effektive Verteidigung hervor, welches nicht beeinträchtigt werden darf, soll es doch verhindern, daß der Beschuldigte zum Objekt des Verfahrens ohne Einflußmöglichkeiten degradiert wird266. Auch oder gerade im prägenden Abschnitt des Ermittlungsverfahrens wahrt der Pflichtverteidiger die Rechte des Beschuldigten, gibt ihm die Möglichkeit, als Prozeßsubjekt am Verfahren teilzunehmen. 3. Schutzzwecklehren Die sog. Schutzzwecklehren stellen auf die Verletzung des Schutzzwecks einer jeden Beweiserhebungsnorm ab, um ein Verwertungsverbot zu begründen267. Es wird u. a. zwischen Beweis- und Formvorschriften268 unterschieden. 264 265 266

Vgl. Meyer-Goßner, § 112 Rn. 11. Wohlers, JR 2002, 294 (295). Roxin, JZ 2002, 898 (900) unter Hinweis auf BGHSt 38, 372.

§ 4 Rechtsfolgen eines Verstoßes

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Auch wird darauf abgestellt, ob der Gesetzgeber mit der Norm beabsichtigte, Urteile, die auf deren Verletzung beruhen, zu verhindern269. Angesichts der Wichtigkeit der Verteidigerkonsultation, für welche die Staatsanwaltschaft und der Vorsitzende in Fällen notwendiger Verteidigung nach § 141 III 1 und S. 2 auch noch Sorge zu tragen haben, ist aufgrund der schon erfolgten (alleinigen) Gewichtung des Schutzzwecks im Rahmen der Abwägungslehre270 ein Verwertungsverbot anzunehmen271. II. Fehlende Bestellungspflicht nach § 141 III 1 Lehnt die Staatsanwaltschaft die Antragstellung auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers (trotz Vorlage der Voraussetzungen nach § 141 III 2) ab oder erfolgt keine entsprechende Weiterleitung eines Beiordnungsantrags des Beschuldigten bzw. wird der Beschuldigte nicht über das ihm zustehende Antragsrecht ordnungsgemäß belehrt, ohne daß ein Verteidiger nach § 141 III 1 hätte bestellt werden müssen, so ist ein Verwertungsverbot abzulehnen. Hier wurden lediglich die Antrags-, Weiterleitungs- oder Belehrungspflicht durch die Strafverfolgungsbehörden verletzt. Die eigentlich zu berücksichtigende Pflicht ergibt sich aus § 141 III 1. Nur ihre Verletzung vermag ein Verwertungsverbot zu rechtfertigen. Dies zeigt ein Vergleich mit der Belehrungspflicht über die Wahlverteidigerkonsultation. Die Belehrungspflicht nach § 136 I 2 über die Verteidigerkonsultation soll die verfahrensrechtliche Grundstellung des Beschuldigten schützen; ihre Verletzung soll (nun auch) nach dem Bundesgerichtshof272 (obiter dictum) ein Verwertungsverbot begründen können. Dies kann indes für die Belehrungspflicht über das Antragsrecht auf Verteidigerbestellung nicht gelten273. Die Möglichkeit der freien Verteidigerwahl hängt von der Entscheidung des Beschuldigten ab, er 267 Vgl. KMR-Paulus, § 244 Rn. 516 ff. (auf Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkte zurückgreifend); Grünwald, S. 141 ff.; ders., JZ 1966, 489 (492 ff.); Rudolphi, MDR 1970, 93 ff.; zu den Schutzzwecklehren: Jäger, S. 82 ff.; Janicki, S. 65 f.; Dalakouras, S. 128 f. 268 Kleinknecht, NJW 1966, 1537 (1538 f.). 269 Rudolphi, MDR 1970, 93 (97 ff.). 270 Vgl. Bockemühl, S. 110. 271 Gössel, GS-Meurer, S. 381 (388 mit Fn. 36). 272 Vgl. BGH NJW 2002, 975 f. 273 Vgl. zu §§ 141 III, 136 I 4 des Diskussionsentwurfs für eine Reform des Strafverfahrens durch die Bundesregierung (Februar 2004): Schlothauer/Weider, StV 2004, 504 (515); zur Übertragbarkeit der Grundsätze von BGHSt 38, 214 ff. (Verletzung der Belehrungspflicht nach § 136 I 2) auf die notwendige Verteidigung siehe jedoch den Hinweis bei Kiehl, NJW 1993, 501 (504). AK-Achenbach (§ 163 a Rn. 31) nimmt ein Verwertungsverbot bei Unterlassen eines Hinweises auf die Pflichtverteidigung in den Konstellationen nach § 140 II an.

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6. Kap.: Prozessuale Absicherung der Verteidigerbestellung

soll ihn hinzuziehen dürfen. Der Erfolg der Belehrung besteht hier in der Information des Beschuldigten über die Hinzuziehungsmöglichkeit. Zugleich erschöpft sich die staatliche Verantwortung in der Belehrung. Die Belehrung über das eigene Antragsrecht und die Bestellungsmöglichkeit eines Verteidigers im Vorverfahren ist jedoch lediglich eine Vorbereitung für die eigentliche Entscheidung über die Verteidigerhinzuziehung durch den Vorsitzenden nach § 141 III 1 i. V. m. § 141 IV. Die Verletzung einer dieser Pflicht untergeordneten (allgemeinen) Belehrungspflicht über die Möglichkeit einer Antragstellung ist für sich allein genommen insoweit nicht geeignet, ein Verwertungsverbot begründen zu können. Damit scheiden (abzulehnende) hypothetische Überlegungen im Hinblick auf das Aussageverhalten des Beschuldigten274 bei erfolgter Belehrung von vornherein aus. Auch Roxin stellt für die Begründung eines Verwertungsverbots auf die Hinweispflicht ab, die sich ergebe, wenn ein Verteidiger zu bestellen sei275, sich also nach hier vertretener Auffassung das Ermessen nach § 141 III 1 auf Null reduziert hat. Damit folgt jedoch das Verwertungsverbot schon aus der fehlenden Bestellung nach § 141 III 1. Eines Rückgriffs auf die daraus folgende Hinweispflicht ist nicht mehr erforderlich. Nämliche Überlegungen haben für die eigene Antragsverpflichtung und die Weiterleitung eines Antrags des Beschuldigten zu gelten.

D. Ergebnis Wird die erforderliche Verteidigerbestellung unterlassen, so sind Äußerungen und Verhaltensweisen des Beschuldigten, die in Abwesenheit des zu bestellenden Verteidigers erfolgen, unverwertbar. Gleiches gilt für die nicht im Beisein des (für diese Zwecke zu bestellenden) Verteidigers erhobenen Beweise. Wie kontrovers ein solches Ergebnis in der Praxis beurteilt wird, zeigen die Abstimmungsergebnisse des 65. Deutschen Juristentages in Bonn. Der Beschluß unter C. IV. 4. („Unterbleibt eine gebotene Verteidigerbestellung, so besteht jedenfalls hinsichtlich einer Vernehmung des Beschuldigten, an der ein Verteidiger deshalb nicht mitwirken konnte, ein Verwertungsverbot.“) wurde lediglich mit einer Stimme Mehrheit angenommen276.

274 Vgl. Kelnhofer, S. 141 ff., 195 ff.; allgemein zur Berücksichtigung hypothetischer Kausalverläufe im Rahmen der Gewinnung von Beweisverwertungsverboten: Beulke, ZStW 103 (1991), 657 ff. 275 Roxin, JZ 2002, 898 (900), vgl. auch Klemke, StV 2003, 413 (415). 276 Der Beschluß wurde mit 62 zu 61 Stimmen bei 10 Enthaltungen angenommen. Die Beschlüsse sind im Internet abrufbar unter: http://www.djt.de/files/djt/65/be schluesse.pdf.

§ 5 Revision unterbliebener Verteidigerbestellung

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§ 5 Revision unterbliebener Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren Bereits an anderer Stelle ist die Frage der Folgen des (erkannten) Verstoßes gegen eine erforderliche Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren für den Instanzrichter erörtert worden277. Unterbleibt die erforderliche Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren so ist die Revision nach § 337 begründet278, sofern das Urteil auf diesem Verfahrensverstoß beruht. Eine bloße Verletzung der Belehrungs-, Weiterleitungsoder der eigenen Antragspflicht der Staatsanwaltschaft nach § 141 III 2 genügt dabei jedoch nicht. Dies läßt sich aus einem Vergleich mit dem Rechtsgedanken des § 338 I Nr. 3 gewinnen, wonach eine Revision lediglich bei Verwerfung sachlich unbegründeter Ablehnungsgesuche Erfolg hat279. Gemäß § 336 S. 1 unterliegen der Beurteilung des Revisionsgerichts auch die Entscheidungen, die dem Urteil vorausgegangen sind, sofern es auf ihnen beruht. Entscheidungen, welche vor Erlaß des Eröffnungsbeschlusses getroffen wurden, fallen nicht darunter, es sei denn, es besteht die Möglichkeit, daß sie bis zum Urteil fortwirken. Dies ist für eine unterlassene Pflichtverteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren anerkannt280. Die Möglichkeit der Fortwirkung ist ausgeschlossen, wenn die Bestellung noch vor der Hauptverhandlung nachgeholt wird, sodaß der Verteidiger ausreichend Gelegenheit hatte, die Hauptverhandlung vorzubereiten281 und kein Beweisverwertungsverbot vorliegt282. Werden Beweismittel in der Hauptverhandlung nach § 261 herangezogen, zu deren Erhebung ein Verteidiger hätte hinzugezogen werden müssen, so ist ein entsprechender Verfahrensverstoß begründet. § 336 S. 1 ist sodann nicht einschlägig. So wurde in BGHSt 46, 93 ff. der Ermittlungsrichter als Zeuge vom Hörensagen gehört, obwohl diesbezüglich ein Beweisverwertungsverbot vorlag. In NJW 2002, 975 ff. sowie BGHR StPO § 141 Bestellung 9 wurde die geständige Einlassung des Beschuldigten vom Richter in der Hauptverhandlung verwertet, obwohl dies unzulässig war. In NJW 2002, 1279 wurden die Verneh277

Vgl. oben: Kap. 6, § 4. Vogelsang, S. 160 f.; Hartmann-Hilter, S. 194; Beulke, BMJ-Vert, S. 170 (188). 279 Vgl. LR-Hanack, § 338 Rn. 65; Meyer-Goßner, § 338 Rn. 28. 280 Vgl. BGHSt 46, 93 (103); HK-Temming, § 336 Rn. 3; KK-Kuckein, § 336 Rn. 5, § 337 Rn. 34; LR-Hanack, § 336 Rn. 6; Meyer-Goßner, § 336 Rn. 2 f.; SKFrisch, § 336 Rn. 7. 281 H. Schmidt, S. 248; Hahn, S. 43. 282 Vgl. oben: Kap. 6, § 4 D. 278

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6. Kap.: Prozessuale Absicherung der Verteidigerbestellung

mungen der Beschuldigten durch den Haftrichter ebenfalls unzulässigerweise eingeführt; gleiches gilt für die Entscheidung in NStZ 2004, 390. In allen Fällen war ein Beweisverwertungsverbot anzunehmen, weil ein Verteidiger nach § 141 III 1 hätte bestellt werden müssen. Es stellt sich die Frage nach einer Überprüfbarkeit der im pflichtgemäßen Ermessen des Richters stehenden Entscheidung nach § 141 III 1. Bezüglich eines Ermessens kann das Revisionsgericht grds. lediglich dessen Berücksichtigung und die Einhaltung seiner Grenzen überprüfen. Eine rechtsfehlerhafte Ermessensausübung liegt vor, wenn der Tatrichter die anzuwendenden Rechtsbegriffe verkannt, wesentliche Umstände nicht beachtet oder die Grenzen seiner Ermessensfreiheit sonst durch unzulässige Erwägungen überschritten hat. Dies ist insbesondere bei Verkennung der Grundsätze oder Wertmaßstäbe des Gesetzes der Fall283. Eine Ermessensunterschreitung ist anzunehmen, wenn der Vorsitzende die mögliche Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren nach § 141 III 1 überhaupt nicht in Betracht gezogen bzw. nicht alle Gesichtspunkte für eine Ermessensentscheidung berücksichtigt hat. Zu dieser Feststellung sind die Akten hinzuziehen. Das Ermessen wird ferner unterschritten, wenn kategorisch darauf verwiesen wird, daß die Notwendigkeit der Verteidigung im gerichtlichen Verfahren eine Ablehnung der Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren nicht hindere284. Gleiches gilt für sachfremde Erwägungen285. Als äußerste Grenze fakultativer Entscheidungen ist das Willkürverbot anzusehen286. Dies betrifft Entscheidungen, die schlechterdings nicht nachvollzogen werden können. Wenn das Ermessen im Einzelfall auf Null reduziert ist, kann das Revisionsgericht seine Überlegungen an die des erkennenden Gerichts setzen287. Stellt das Revisionsgericht jedoch lediglich eine fehlerhafte Begründung der Ermessensausübung fest, so hat es zu prüfen, ob die angefochtene Entscheidung auch mit sachgerechten Ermessenserwägungen hätte getroffen werden können. In einem solchen Fall ist die Revision nur begründet, wenn dies nicht möglich ist, m. a. W., wenn ein Verteidiger zu bestellen gewesen wäre. Auch wenn dem Vorsitzenden eine mögliche Bestellung von vornherein nicht unterbreitet wird, kommt es im Rahmen der Begründung der Revision auf eine Ermessensreduzierung an.

283 284 285 286 287

LR-Hanack, § 337 Rn. 87 f.; Krause, Rn. 11. Vgl. Eisenberg, NJW 1991, 1257 (1262 mit Fn. 64). Vgl. Molketin, S. 129 (zu § 140 II). Vgl. LR-Lüderssen, § 141 Rn. 24 a. Vgl. BGHSt 42, 86 (93); 46, 93 (101).

§ 5 Revision unterbliebener Verteidigerbestellung

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Unterbleibt die erforderliche Verteidigerbestellung im Vorverfahren, wird jedoch der ohne den Verteidiger erfolgte Beweisakt in seinem Beisein wiederholt, so ist der Verfahrensfehler geheilt, eine Revision unbegründet. Allein die Nachholung der Bestellung noch vor der Hauptverhandlung, sodaß der Verteidiger ausreichend Gelegenheit hatte, die Hauptverhandlung vorzubereiten, genügt in diesem Fall nicht, es sei denn, es kommt nicht auf einen im Beisein des Verteidigers zu erhebenden Beweis an.

Siebentes Kapitel

Überlegungen zur Verteidigerbestellung de lege ferenda § 1 Zeitpunkt der Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren de lege ferenda Zur Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren werden verschiedene Reformvorschläge unterbreitet. So soll eine Bestellung vor der ersten Vernehmung des Beschuldigten erfolgen1, oder es wird auf den Beginn des Ermittlungsverfahrens selbst abgestellt2. Nach Auffassung der Bundesrechtsanwaltskammer ist dem Beschuldigten im Rahmen einer Verteidigerbestellung, die sich auf eine Prognose hinsichtlich eines gerichtlichen Verfahrens stützt, lediglich in den Fällen notwendiger Verteidigung nach § 140 I Nr. 1 und Nr. 2 schon im Ermittlungsverfahren ein Verteidiger zu bestellen3. Eine zwingende frühe Bestellung in anderen Fällen notwendiger Verteidigung, die sich auf das gerichtliche Verfahren beziehen, sei aus finanziellen Gründen „unrealistisch“4. In seinem Gutachten zum 65. Deutschen Juristentag nimmt Satzger eine Verteidigerbestellung für alle partizipatorisch durchzuführenden Beweisaufnahmen an5. 1 Schneider, S. 69, 138; Stade, S. 350; Beulke, Der Verteidiger, S. 256; Vogtherr, S. 204. Der AK-Strafprozeßreform (1979) schlug in § 4 I eine Verteidigerbestellung für die erste Vernehmung des Beschuldigten vor, jedoch lediglich für bestimmte Fälle: Wenn der Beschuldigte blind, taub, stumm, der deutschen Sprache nicht mächtig oder in ähnlicher Weise behindert ist sowie wenn er sich nicht auf freiem Fuß befindet; ferner wenn Gegenstand der Untersuchung ein Verbrechen ist. 2 Hahn, S. 120 f.; Bringewat, ZRP 1979, 248 (251); DAV-Strafrechtsausschuß, AnwBl. 1986, 55: These II 8; vgl. schon Schell, S. 86: sobald sich die Ermittlungen gegen eine bestimmte Person richten und die Akten an die Staatsanwaltschaft abgegeben werden. 3 BRAK Reform, These 10, S. 42 f. – zur Verteidigerbestellung im Rahmen drohenden Freiheitsenzuges vgl. These 11, S. 44 f., zur Verteidigerbestellung im Rahmen der Auswahl eines Sachverständigen vgl. These 51 (S. 83 f.) und These 53 (S. 85). 4 Ein Kostenargument steht jedoch m. E. auf tönernen Füßen. Es wird ohne gesicherte empirische Erfahrungen behauptet, daß mehr Kosten entstünden. Letztlich könnte auch die Dauer der Hauptverhandlung – und damit entsprechende Kosten – durch die frühzeitige Hinzuziehung eines Verteidigers verkürzt werden, wenn nicht gar eine Hauptverhandlung aufgrund der Einbindung des Verteidigers schon im Ermittlungsverfahren überhaupt entfällt.

§ 1 Zeitpunkt der Verteidigerbestellung

349

Den Beginn für die Pflichtverteidigerbestellung siedelt auch Wolf bei der Wahrnehmung von Mitwirkungsrechten durch den Beschuldigten an6. Um seine Stellung als Prozeßsubjekt durch Ausübung der ihm zustehenden Rechte wahrnehmen zu können, bedürfe er des Beistands eines Verteidigers. Eine solche frühe Beteiligung könnte letztlich nur mit einer Begründung abgelehnt werden, die sich gegen die Mitwirkungsrechte als solche richtet7. Wenn der Beschuldigte eigene prozessuale Rechte in diesem Verfahrensabschnitt habe, könnten diese sonst irreparabel übergangen werden8. Auch sei eine Bestellung erforderlich, wenn der Verteidiger im Ermittlungsverfahren Rechte zur Vornahme von Prozeßhandlungen habe9. Ein Verteidiger sei auf jeden Fall im Zeitpunkt der ersten Vernehmung zu bestellen10. Letztlich komme es entscheidend auf die Staatsanwaltschaft an, die nach dem ihr eingeräumten Ermessen im Ermittlungsverfahren Prozeßhandlungen vornehme, die Mitwirkungsrechte des Beschuldigten oder eines Verteidigers entstehen ließen. Die praktische Durchführung seiner Vorschläge sei über einen Verteidigernotdienst zu gewährleisten. Im Rahmen einer Untersuchungshaft oder vorläufigen Unterbringung wird für eine Verteidigerbestellung auf die erste Vorführung vor den Richter (vgl. §§ 115, 128 f., 131 V)11 oder deren Anordnung12 hingewiesen.

A. Diskussionsentwurf für eine Reform des Strafverfahrens durch die Bundesregierung (Februar 2004)13 Nach diesem Diskussionsentwurf sollen Teilhaberechte im Ermittlungsverfahren gestärkt werden14. Im Zuge dieser Neugestaltung soll auch das Institut der notwendigen Verteidigung im Ermittlungsverfahren eine Aufwertung erfahren. Die Gelegenheit zur Mitwirkung des Verteidigers ist nach dem Diskussionsentwurf in § 161 a II/§ 168 c II EStPO für staatsanwaltschaftliche/richterliche 5

Satzger, Gutachten, C 87 f. Wolf, S. 394 ff., ferner S. 430. 7 Wolf, S. 397. 8 Wolf, S. 395. 9 Wolf, S. 396. 10 Wolf, S. 395 f. 11 DAV Diskussionsthesen, AnwBl. 1986, 55 (These 9); BRAK Reform, These 11, S. 44 f.; AE-EV, 2001, S. 47 ff. (§ 115 b EStPO); Dedy, S. 90; Wolter, Aspekte, S. 45 f. m. w. N.; zurückhaltend: Jabel, S. 223 f., 242 – dies sei eine normative Entscheidung, eine Vorverlegung des Bestellungszeitpunktes sei nicht zwingend nötig. 12 Vogelsang, S. 239 f. 13 Abrufbar unter: http://www.stpo-reform.de/entwurf.php; abgedruckt in StV 2004, 228. 14 Vgl. ferner das dem Diskussionsentwurf vorangegangene Eckpunktepapier, StV 2001, 314 ff. 6

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7. Kap.: Überlegungen zur Verteidigerbestellung

Zeugen-, Sachverständigen- und Mitbeschuldigtenvernehmungen niedergeschrieben15. In § 163 a IV EStPO ist eine Mitwirkungsbefugnis des Verteidigers für polizeiliche Beschuldigtenvernehmungen vorgesehen16. Gemäß § 144 EStPO soll dem Verteidiger Gelegenheit zur Mitwirkung auch bei der Vernehmung von ihm benannter Zeugen gegeben werden. § 147 I 2 EStPO weist auf die Akteneinsicht insbesondere zur Vorbereitung der Vernehmungen, bei denen dem Verteidiger eine solche Mitwirkungsbefugnis eingeräumt wird, explizit hin. Nach Schlothauer/Weider soll dies zur Folge haben, daß die Mitwirkungsbefugnis eine Versagung der Akteneinsicht nach § 147 II verbietet17. Nach § 73 III EStPO des Diskussionsentwurfs ist dem Verteidiger vor der Auswahl eines Sachverständigen Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Auch nach dem Alternativ-Entwurf zur Reform des Ermittlungsverfahrens sollen die Anwesenheitsrechte von Beschuldigtem und Verteidiger bei nichtrichterlichen Vernehmungen ausgebaut werden, vgl. den vorgeschlagenen § 168 f18. Satzger will in seinem Gutachten zum Deutschen Juristentag die Teilhaberechte des Beschuldigten und des Verteidigers hingegen als Obliegenheit der Strafverfolgungsorgane ausgestalten19. Danach sollen grds. lediglich solche Beweisergebnisse verwertbar sein, deren Erhebung den Anwesenheitsberechtigten rechtzeitig mitgeteilt war. Eine Ausnahme soll lediglich für Eilfälle gelten. I. § 141 III EStPO Im Hinblick auf eine Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren schlägt der Diskussionsentwurf folgenden § 141 III EStPO vor: „Die Staatsanwaltschaft beantragt bereits während des Vorverfahrens die Bestellung eines Verteidigers, wenn abzusehen ist, daß seine Mitwirkung nach § 140 Abs. 1 oder 2 notwendig sein wird. Das Antragsrecht steht auch dem Beschuldigten und seinem gesetzlichen Vertreter zu. Das Gericht bestellt einen 15 Zum Mitwirkungsrecht des Beschuldigten bei richterlichen Zeugen-, Sachverständigen- und Mitbeschuldigtenvernehmungen vgl. § 168 c III EStPO. 16 Nach Freyschmidt/Ignor (NStZ 2004, 465, 467 f. m. N.) bleibt der Entwurf hinter dem geltenden Recht insofern zurück, als er auch bei richterlichen Vernehmungen eine Ausschließung des Verteidigers ermögliche, wenn eine Gefährdung des Untersuchungszwecks zu besorgen sei. Dies im Vergleich zur Nichtbenachrichtigung bei Gefährdung des Untersuchungserfolgs nach geltendem Recht, vgl. § 168 c V 2. 17 Schlothauer/Weider, StV 2004, 504 (506, 511 f.). Erst dann könne ein Beweistransfer in die Hauptverhandlung durch Verlesen des Protokolls über die Vernehmungen nach §§ 161 a II, 168 c II EStPO nach § 251 I Nr. 2 EStPO stattfinden. 18 Vgl. AE-EV, S. 132 ff. 19 Vgl. Satzger, Gutachten, C 42, 51 ff., These 4; zustimmend: Meier, GA 2004, 441 (449 f.).

§ 1 Zeitpunkt der Verteidigerbestellung

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Verteidiger auf Antrag der Staatsanwaltschaft. Bis zur Erhebung der öffentlichen Klage kann die Staatsanwaltschaft einen vom Beschuldigten bezeichneten Verteidiger mit dessen Einverständnis bestellen.“ Über dieses Antragsrecht ist der Beschuldigte nach dem Entwurf gemäß § 136 I 3 EStPO wie folgt zu belehren: „Er ist über das Antragsrecht nach § 141 III 2 zu belehren, wenn abzusehen ist, daß die Mitwirkung eines Verteidigers nach § 140 Abs. 1 oder 2 notwendig sein wird.“ 1. Entwurf zu einem zweiten Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege (strafrechtlicher Bereich) 20 und Entwurf eines ersten Justizbeschleunigungsgesetzes21 Eine Neugestaltung der Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren findet sich auch in dem vom Bundesrat am 1. März 1996 beschlossenen Entwurf zu einem zweiten Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege (strafrechtlicher Bereich)22. Danach sollte jedoch lediglich § 141 III 3 neugefaßt werden: „Das Gericht ist an den Antrag der Staatsanwaltschaft gebunden“. In § 141 IV sollte ein Satz 2 eingefügt werden: „Bis zur Erhebung der öffentlichen Klage kann der Staatsanwalt einen vom Beschuldigten bezeichneten Verteidiger selbst bestellen.“ Diese Vorschläge finden sich ferner in dem Entwurf eines Gesetzes zur Beschleunigung von Strafverfahren vom 15.10.199923, eines ersten Justizbeschleunigungsgesetzes vom 20.05.200324 und in dem vom Bundesrat am 11.07.2003 beschlossenen Entwurf25. In den Begründungen zu den Entwürfen 1996 und 2003 wird die Verfahrensvereinfachung aufgrund einer Verteidigerbestellung durch die Staatsanwaltschaft hervorgehoben. Akten müßten nicht mehr hin- und herversendet werden26. Die Anlegung einer Zweitakte entfalle. Ferner ist nach den Entwürfen Einigkeit über die Person des zu bestellenden Verteidigers erforderlich. Die „Kann“-Regelung nach § 141 IV 2 i. V. m. § 141 III 3 EStPO stellt nach den Begründungen klar, daß eine Bestellung durch die Staatsanwaltschaft lediglich möglich sein 20

BT-Drucks. 13/4541, Anlage 1. BT-Drucks. 15/999 (vgl. Begründung auf S. 22 f.). 22 BT-Drucks. 13/4541, Anlage 1. 23 BT-Drucks. 14/1714 (Begründung auf S. 13). 24 BT-Drucks. 15/999 (vgl. Begründung auf S. 22 f.). 25 BT-Drucks. 15/1491 (Begründung auf S. 20). 26 BT-Drucks. 13/4541, S. 17; BT-Drucks. 15/999 (Begründung, S. 22 f.); BTDrucks. 15/1491 (Begründung auf S. 20); ferner: Satzger, Gutachten, C 90. Die Bundesregierung erwartete in ihrer Stellungnahme zum Entwurf 1996 jedoch keine „nennenswerte Verfahrensbeschleunigung“, BT-Drucks. 13/4541, S. 33. 21

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7. Kap.: Überlegungen zur Verteidigerbestellung

sollte, wenn eine Einigkeit hinsichtlich der Person des zu bestellenden Verteidigers besteht. Ein Ermessen wird der Staatsanwaltschaft bezüglich der eigenen Bestellung nach § 141 IV 2 nicht eingeräumt. Gleiches gilt für ihre Antragspflicht nach § 141 III 2 (bei Absehbarkeit notwendiger Verteidigung im gerichtlichen Verfahren). 2. Begründung des Diskussionsentwurfs (Februar 2004) zu § 141 III EStPO In der Begründung zum Entwurf 2004 wird nicht aufgeführt, ob der Fortfall der Wendung „nach ihrer Auffassung“, wie sie noch im heutigen § 141 III 2 enthalten ist und in den früheren Entwürfen enthalten war, zu einer Verobjektivierung der Absehbarkeit notwendiger Verteidigung führen soll, um einen möglichen Beurteilungsspielraum der Staatsanwaltschaft von vornherein auszuschließen. Sicherlich soll durch die Formulierung dem von der h. M. angenommenen Ermessen der Staatsanwaltschaft27, ob bzw. wann ein Antrag zu erfolgen hat, entgegen getreten werden. Daß ein Beurteilungsspielraum auch für die Annahme notwendiger Verteidigung im gerichtlichen Verfahren verneint werden soll, ist anzuzweifeln. So hatte auch der Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Untersuchungshaft der Fraktion Die Grünen, der explizit einen Beurteilungsspielraum ablehnte, in § 141 IV 2 EStPO folgende Fassung vorgeschlagen28: „Die Staatsanwaltschaft beantragt dies, wenn die Mitwirkung eines Verteidigers nach § 140 I notwendig sein wird oder wenn die Voraussetzungen des § 140 II vorliegen“. Dieser Entwurf enthielt nicht die Formulierung „wenn abzusehen ist“29. Damit wird sich das Vorliegen eines Beurteilungsspielraums nach den zugrunde liegenden Fällen notwendiger Verteidigung zu richten haben30. Indem der Entwurf die „Kann“-Regelung des § 141 III 1 geltender Fassung nicht aufführt, werden Anknüpfungspunkte für ein Ermessen des Vorsitzenden von vornherein ausgeschlossen; insofern stellt er – über die Entwürfe von 1996 und 2003 hinausgehend – klar, daß ein Ermessen des Vorsitzenden nicht vorliegt31. Ein solches Ermessen hätte u. U. dann noch anzunehmen sein können, 27 Diskussionsentwurf für eine Reform des Strafverfahrens durch die Bundesregierung (Februar 2004), S. 29. 28 BT-Drucks. 11/2181, S. 16. 29 Einen Beurteilungsspielraum lehnen ab: Schlothauer/Weider, StV 2004, 504 (513). 30 Vgl. oben: Kap. 5, § 3 II. 31 § 141 III 1 geltender Fassung sollte nach diesen Entwürfen bestehen bleiben; vgl. ferner den Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Untersuchungshaft der Fraktion Die Grünen, BT-Drucks. 11/2181, der in § 141 IV 1 EStPO gleichfalls lediglich eine fakultative Bestellungsmöglichkeit vorsah.

§ 1 Zeitpunkt der Verteidigerbestellung

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wenn man einen eigenen Antrag des Beschuldigten anerkannt und der Vorsitzende diesen zu bescheiden hätte. Durch die Neuregelung wird eine Einschränkung des Ermessens, so wie es der heutige § 141 III 1 statuiert, überflüssig. Der Vorsitzende hat den Verteidiger zu bestellen, wenn der Beschuldigte oder sein gesetzlicher Vertreter eine Bestellung beantragt und der Vorsitzende deren Auffassung von einer Notwendigkeit teilt32. Beantragt die Staatsanwaltschaft die Bestellung eines Verteidigers, so ist der Vorsitzende auch an die Beurteilung hinsichtlich der Notwendigkeit des Verteidigers im gerichtlichen Verfahren gebunden; an deren Vorstellungen hinsichtlich der Person eines Verteidigers jedoch nicht33. Das Antragsrecht Beschuldigten auf Verteidigerbestellung nach § 141 III 2 EStPO ist schon nach geltendem Recht aus § 141 III zu gewinnen34, jedoch ist die gesetzgeberische Klarstellung zu begrüßen. Von Bedeutung ist das eigene Antragsrecht, wenn die Staatsanwaltschaft ihrer Verpflichtung nach § 141 III 1, S. 4 EStPO nicht nachkommt bzw. wenn die Absehbarkeit notwendiger Verteidigung unterschiedlich beurteilt wird. Stellt die Staatsanwaltschaft oder der Beschuldigte einen Antrag auf Verteidigerbestellung so könnte de lege ferenda auch eine Zuständigkeit des Ermittlungsrichters für die Verteidigerbestellung etabliert werden. Verzögerungen würden vermieden35. Jedenfalls sollte die Zuständigkeit nicht dem Gericht (vgl. § 141 III 3 EStPO), sondern – wie in § 141 IV vorgesehen – dem Vorsitzenden übertragen werden36. Bis zur Erhebung der öffentlichen Klage kann die Staatsanwaltschaft nach § 141 III 4 EStPO den Verteidiger selbst bestellen, wenn Einigkeit hinsichtlich der Person besteht und der Verteidiger einverstanden ist37. Für die Auswahl gilt § 142. Dabei handelt es sich nach der Begründung auch dann um einen „vom Beschuldigten bezeichneten Verteidiger“, wenn der Beschuldigte keinen Verteidiger kennt, jedoch mit dem Vorschlag der Staatsanwaltschaft einverstanden ist38. Die Bestellung soll in den Akten festgehalten werden; einer besonderen 32 Dies wird aus der Begründung zum Diskussionsentwurf m. E. hinreichend deutlich, vgl. dort S. 30; für ein Entscheidungsprogramm vergleichbar dem des § 141 III 3 EStPO tritt ein: Stellungnahme Strafverteidigervereinigungen zum Diskussionsentwurf (2004) unter V. 2. (abrufbar im Internet unter: http://www.strafverteidigervereinigun gen.org/Material/andere/StellDiskPapier.pdf). 33 Diskussionsentwurf für eine Reform des Strafverfahrens durch die Bundesregierung (Februar 2004), S. 30. 34 Vgl. oben: Kap. 6, § 1 VI. 35 Schlothauer/Weider, StV 2004, 504 (515). 36 Vgl. Stellungnahme Strafverteidigervereinigungen zum Diskussionsentwurf (2004) unter V. 2. 37 Diskussionsentwurf für eine Reform des Strafverfahrens durch die Bundesregierung (Februar 2004), S. 30.

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7. Kap.: Überlegungen zur Verteidigerbestellung

Form bedarf sie nicht. Eigenständige Bedeutung erlangen § 141 III 1 und S. 3 EStPO (Bestellung auf Antrag der Staatsanwaltschaft) lediglich, wenn keine Einigkeit über die Person des Verteidigers für eine eigene Bestellung nach § 141 III 4 EStPO besteht. Neu eingeführt wurde das erforderliche Einverständnis des Verteidigers für eine solche Bestellung. Dadurch werden unnötige Komplikationen vermieden, indem der Verteidiger sich um eine Entpflichtung nach §§ 48 II i. V. m. § 49 II BRAO bemühen könnte. Möglichen Bedenken gegenüber der „informellen“ Bestellung nach § 141 III 4 EStPO wird somit Rechnung getragen. Ob die im Entwurf vorgesehene Verteidigerbestellung durch die Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren jedoch eine verfahrensvereinfachende Wirkung hat, ohne die Rechte des Beschuldigten zu beschneiden39, erscheint fraglich. Kritisch äußern sich insofern die Strafverteidigervereinigungen40 unter Hinweis auf die Konstellation, daß der Beschuldigte mangels Personenkenntnis keinen Verteidiger benennt und den von der Staatsanwaltschaft vorgeschlagenen akzeptiert41. Insofern könnte die Zuständigkeit des Ermittlungsrichters zu bevorzugen sein. Angesichts der vom Bundesverfassungsgericht geforderten Erreichbarkeit des Ermittlungsrichters (jedenfalls zur Tageszeit) in seiner Entscheidung vom 15.05.200242 erscheint dies auch sachgerecht43. Eine – zu bevorzugende – „salomonische“ Lösung bestünde darin, eine Bestellung durch die Staatsanwaltschaft nur ausreichen zu lassen, „wenn sie einem Vorschlag des Beschuldigten folgt“. Ansonsten ist der Ermittlungsrichter für die Bestellung zuständig. Damit wäre der Ermittlungsrichter sowohl zuständig in den Fällen, in denen die Staatsanwaltschaft nicht den vom Beschuldigten bezeichneten Verteidiger bestellt, als auch in denjenigen, in welchen der Beschul-

38 Diskussionsentwurf für eine Reform des Strafverfahrens durch die Bundesregierung (Februar 2004), S. 30. 39 Satzger, Gutachten, C 90; zustimmend ferner: Freyschmidt/Ignor, NStZ 2004, 465 (467). Der 65. Deutsche Juristentag hat einer solchen Bestellungsmöglichkeit in seinem Beschluß unter C. IV. 3. mit überragender Mehrheit (106 zu 9 Stimmen bei 10 Enthaltungen) zugestimmt – abrufbar im Internet unter: http://www.djt.de/files/djt/65/ beschluesse.pdf. 40 Stellungnahme Strafverteidigervereinigungen zum Diskussionsentwurf (2004) unter V. 2. 41 Insbesonders die mögliche Verlesbarkeit eines entsprechenden Protokolls nach § 251 I Nr. 2 EStPO, wonach eine Niederschrift über eine Vernehmung verlesen werden kann, wenn ein Verteidiger an der Vernehmung nach § 161 a II EStPO, § 168 c II EStPO mitgewirkt hat (vgl. dazu die Begründung des Diskussionsentwurfs auf S. 38 ff.), spräche dagegen. 42 BVerfGE 105, 239 ff. 43 Vgl. die Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins durch den Strafrechtsausschuß vom September 2004 unter „Notwendige Verteidigung“, 3. (abrufbar im Internet unter: http://www.anwaltverein.de/03/05/2004/43-04.rtf).

§ 1 Zeitpunkt der Verteidigerbestellung

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digte keinen Verteidiger nennt, sondern den von der Staatsanwaltschaft vorgeschlagenen akzeptiert44. Fraglich erscheint das Zusammenspiel zwischen der eigenen Antrags- und Bestellungspflicht der Staatsanwaltschaft nach § 141 III 1, S. 4 EStPO sowie der Belehrungspflicht nach § 136 I 4 EStPO, die beide dann erfolgen sollen, wenn abzusehen ist, daß eine notwendige Verteidigung vorliegen wird. Lediglich bei einer polizeilichen Belehrung würde eine eigenständige Bedeutung eintreten. Jedoch wird anzunehmen sein, daß die Polizei auch die Staatsanwaltschaft auf die Absehbarkeit notwendiger Verteidigung hinzuweisen hätte, damit diese ihrer Antrags- bzw. Bestellungsverpflichtung nach § 141 III EStPO nachkommen kann. Eine Belehrung über das Antragsrecht durch die Polizeibeamten, Staatsanwälte oder Richter sollte vielmehr unabhängig von deren Beurteilung über die Notwendigkeit der Verteidigung im gerichtlichen Verfahren erfolgen45. Der Beschuldigte muß sich in diesen Fällen an den zuständigen Richter wenden können, damit dieser über seinen Antrag befindet. II. § 117 IV EStPO Nach § 117 IV 1 EStPO soll eine Verteidigerbestellung für die Untersuchungshaft (oder einstweilige Unterbringung, vgl. § 126 a II 1) erfolgen, unabhängig von deren Dauer. Ein Antrag des Beschuldigten, des gesetzlichen Vertreters oder der Staatsanwaltschaft ist danach weiterhin erforderlich. Eine antragsabhängige Bestellung diene dem Interesse des Beschuldigten daran, selbst zu entscheiden, ob bzw. wann er einen Verteidiger hinzuziehen wolle. Dafür spräche, daß ihm u. U. die Kosten überbürdet würden, auch könne er sich erst nach einem geeigneten Verteidiger erkundigen wollen46. Der Entwurf folgt insofern der in der Praxis festgestellten Vorzüge einer baldigen Verteidigerbestellung in Fällen von Untersuchungshaft. In Frankfurt a. M. wurde vom 01.10.1991 bis 30.09.1994 das Projekt der „Rechtsberatung von Untersuchungsgefangenen“ durchgeführt47. Unverteidigten Untersuchungsgefangenen wurde auf Staatskosten ein Wahlverteidiger unmittel44 Vgl. auch BRAK Reform, These 13 (S. 46 f.). In der Begründung wird jedoch nicht ersichtlich, ob die Zuständigkeit des Ermittlungsrichters auch in dem Fall begründet ist, in dem der Beschuldigte den von der Staatsanwaltschaft vorgeschlagenen Verteidiger akzeptiert. 45 Vgl. oben: Kap. 6, § 2 II.; so auch die Ergebnisse der AG 7 des 28. Strafverteidigertages 2004 unter V. (abrufbar im Internet unter: http://www.strafverteidigerver einigungen.org/Material/andere/Reform%20des%20Strafprozesses.pdf); Schlothauer/ Weider, StV 2004, 504 (514); anders wohl die Stellungnahme Strafverteidigervereinigungen zum Diskussionsentwurf (2004) unter V. 2.: eine unbedingte Belehrungspflicht könne sich nur auf die Beiordnungsvoraussetzungen des § 141 III 1 EStPO erstrecken. 46 Begründung zum Diskussionsentwurf, S. 28.

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7. Kap.: Überlegungen zur Verteidigerbestellung

bar nach Aufnahme in die Anstalt zur Verfügung gestellt. Untersuchungshaft sollte dadurch vermieden oder verkürzt werden. Sozial schlechter gestellten Untersuchungsgefangenen sollte geholfen werden. Gebauer kommt in seiner Begleituntersuchung, welche sich auf das erste Halbjahr 1992 bezieht, zu dem Ergebnis, daß (zumindest im Bereich der nicht besonders geringfügigen Strafsachen) eine Haftverkürzung erreicht werde48. In einer Untersuchung aus dem Jahr 1987 konnte derselbe Autor feststellen, daß eine frühzeitige Mitwirkung eines Wahlverteidigers eine frühere Haftbeendigung nach sich zog49. Er kommt zu dem Ergebnis, daß die Pflichtverteidiger zwar weniger Aktivitäten unternähmen, dies führt er jedoch auf die geringeren Erfolgsaussichten in den Fällen der Pflichtverteidigung zurück50. Auch der von ihm festgestellte Bestellungszeitpunkt nach 73 Tagen andauernder Haft in Fällen ohne vorherige Wahlverteidigung51 deutet auf die zeitbedingt geringen Einflußmöglickeiten eines Pflichtverteidigers hin. Die für die Wahlverteidigung gefundenen Ergebnisse redeten seiner Ansicht nach einer Ausweitung der notwendigen Verteidigung das Wort52. Schöch kommt in seiner umfassenden Analyse des Frankfurter Projekts zu dem Ergebnis, daß die Verteidigeraktivitäten (auch in einfachen Strafsachen) „sicher“ nicht zu einer Verfahrensverzögerung geführt hatten53. Die Bestellung in Fällen der Untersuchungshaft sollte nicht wie in § 117 IV EStPO vorgesehen antragsbedingt sein, sondern zwingend. Das Kostenargument 47 Das Pilotprojekt aus den Jahren 1984 bis 1987 wurde nicht von einer Forschung begleitet, vgl. dazu Schäfer/Rühl, StV 1986, 456 ff. (die darauf hinweisen, daß ein Hessen-weites Projekt dieser Art pro Jahr ca. drei Millionen Mark gekostet hätte). Damit konnten Einflüsse auf das Strafverfahren nicht herausgearbeitet werden, vgl. Schöch, S. 24 f. 48 Gebauer, StV 1994, 622 (627). 49 Gebauer, S. 313 ff., 321 ff. Die Relevanz der Pflichtverteidigung konnte nicht abschließend geklärt werden, vgl. S. 261, 290, 308 f., 317. 50 Gebauer, S. 320, 323, 326; ferner: Jabel, S. 201 f. 51 Gebauer, S. 314 – in Fällen mit vorheriger Wahlverteidigung wurde der Verteidiger erst nach 97 Tagen andauernder Haft bestellt (vgl. § 140 I Nr. 5); siehe ferner die von Jabel angefertigte empirische Untersuchung der Praxis des Haftverfahrens in den Landgerichtsbezirken Göttingen, Hannover und Lüneburg, S. 201 (Bestellung erst nach 95 Tagen vollzogener Untersuchungshaft). 52 Gebauer, S. 321 ff. Eine Empfehlung für eine Bestellung zum Beginn der Haftsachen könne er nicht abgeben, S. 401; so auch Jabel, S. 223 f., 242; vgl. ferner Weinknecht (S. 245), der darauf abstellt, daß die von einem aktiven Verteidiger ausgehenden positiven Einflußmöglichkeiten schon vor dem Vorführungstermin genutzt werden sollten. In der Begründung zum Diskussionsentwurf zur Reform des Ermittlungsverfahrens (Februar 2004, S. 30) wird von einem Beitrag zur Haftverkürzung gesprochen. 53 Schöch, S. 62 f., 68. Er spricht sich bei gegebener gesetzlicher Lage für ein Projekt aus, welches eine Wahlverteidigung auf Kosten des Staates nach einmonatigem Untersuchungshaftvollzug vorsieht, Schöch, S. 73.

§ 1 Zeitpunkt der Verteidigerbestellung

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sollte nicht mitbestimmend sein. Ihm kann durch die Einführung einer Prozeßkostenhilferegelung begegnet werden. Bei drohender Untersuchungshaft54 ist jedoch schon die Verteidigerbestellung nach § 141 III EStPO zu beachten. In diesen Fällen verdichtet sich die Absehbarkeit notwendiger Verteidigung zur Gewißheit. Stellt damit die Staatsanwaltschaft einen Haftbefehlsantrag wegen eines Verbrechens oder eines anderen schwerwiegenden Delikts, so bejaht sie einen entsprechenden dringenden Tatverdacht und hat den Verteidiger zu bestellen bzw. einen hierauf gerichteten Antrag zu stellen55. Dem Beschuldigten muß nach der erfolgten Festnahme aufgrund des Haftbefehls schon vor einer ersten polizeilichen Vernehmung ein Verteidiger beigeordnet werden. Damit steht dem Beschuldigten ein Verteidiger noch vor der Vorführungsverhandlung zur Seite. Mit einer Bestellung noch vor der ersten Vorführung vor den Richter kann der Beschuldigte seine Verteidigungsrechte schon zu dieser Zeit effektiv wahrnehmen. Die Überlegungen zu einem Verteidiger kraft Verfassungsrecht aufgrund der erforderlichen Akteneinsicht würden dadurch obsolet. In Fällen nicht (absehbarer) notwendiger Verteidigung wäre der Beschuldigte über die eigene Antragsmöglichkeit nach § 117 IV 1 EStPO zu belehren – und zwar schon im Zeitpunkt der Festnahme aufgrund des Haftbefehls, denn schon ab diesem Zeitpunkt befindet er sich in Untersuchungshaft56. Einem vorläufig Festgenommenen steht das Antragsrecht erst ab der Anordnung der Untersuchungshaft zu, also am Ende der richterlichen Vorführungsverhandlung. Schlothauer/Weider wollen daher § 117 IV EStPO dahingehend fassen, daß dem Beschuldigten ein Recht auf Verteidigerbestellung bereits mit dem staatsanwaltschaftlichen Antrag auf Erlaß eines Haftbefehls zustehen soll, wenn kein Fall des § 141 III EStPO vorliegt57. Der Entwurf begrenzt die Pflichtverteidigung auf Fälle der Untersuchungshaft und der einstweiligen Unterbringung. Angesichts der Folgen für die Verteidigungsmöglichkeit des Beschuldigten in Fällen der Freiheitsentziehung sollte eine Bestellung bei jedwedem staatlich angeordneten Freiheitsentzug erfolgen58.

54 Die folgenden Erwägungen gelten auch für eine vorläufige Festnahme, erfordert diese doch die Voraussetzungen eines Haftbefehls. 55 Gleiches gilt, wenn der Haftgrund der Fluchtgefahr auf die hohe Straferwartung gestützt wird, vgl. Schlothauer/Weider, StV 2004, 504 (513 f.). 56 Schlothauer/Weider, StV 2004, 504 (514 f.). 57 Schlothauer/Weider, StV 2004, 504 (516). 58 Schlothauer/Weider, StV 2004, 504 (515); Gössel, JR 2004, 313 (321).

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7. Kap.: Überlegungen zur Verteidigerbestellung

B. Die Überlegungen von Herrmann In seinen Überlegungen zur Reform notwendiger Verteidigung setzt sich auch Herrmann mit dem Zeitpunkt einer Verteidigerbestellung auseinander. In den Fällen der §§ 168 c I, II, 168 d I, 163 a III 2 sowie bei der Gegenüberstellung sollte de lege ferenda die Verteidigung absolut notwendig sein, wenn die Voraussetzungen von § 140 I Nr. 1 im gerichtlichen Verfahren vorliegen. Ist das Amtsgericht zuständig, soll die Bestellung nur auf Antrag des Beschuldigten erfolgen59. Sobald der Beschuldigte dem Richter vorgeführt werde, der über die Anordnung der Untersuchungshaft oder der einstweiligen Unterbringung entscheide60, sollte eine Verteidigerbestellung grundsätzlich auf Antrag des Beschuldigten erfolgen. Die Schwere der Tat spiele für die Verteidigerbestellung keine Rolle. Absolut notwendig (also ohne Antrag) sollte die Verteidigerbestellung in Fällen dreimonatiger Untersuchungshaft oder Unterbringung sein61. Angesichts der Taktiken bei polizeilichen Vernehmungen führt er aus, daß der Verteidiger schon bei der ersten mitwirken müsse, wenn der Beschuldigte dies beantrage. Die polizeiliche Vernehmung sei so wichtig wie die in der Hauptverhandlung62. Eine solche Verteidigerbestellung sei jedoch in Fällen weniger schwerer Straftaten nicht erforderlich63.

§ 2 Bestellung eines Verteidigers wegen Mittellosigkeit des Beschuldigten Zu prüfen bleibt, inwieweit neben der gesetzlich geregelten notwendigen Verteidigung eine Verteidigerbestellung für einen mittellosen Beschuldigten de lege ferenda umzusetzen wäre. Zuvorderst ist jedoch zu untersuchen, ob sich eine solche Bestellung schon nach der gegebenen Gesetzeslage umsetzen ließe.

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Herrmann, StV 1996, 396 (401 ff.). Herrmann, StV 1996, 396 (402). 61 Herrmann, StV 1996, 396 (404). 62 Herrmann, StV 1996, 396 (401 f.). 63 Vgl. zu den Fallgruppen: Herrmann, StV 1996, 396 (402 ff.: bei weniger schweren Verkehrs-, Eigentums- oder Vermögensdelikten). Eine Bestellung auf Antrag erfolge jedoch nur dann, wenn der Beschuldigte aus finanziellen Gründen nicht in der Lage sei, für die Kosten aufzukommen. Die Vorschriften über die Prozeßkostenhilfe seien anzuwenden, §§ 114 ff. ZPO analog. Über das Antragsrecht sei der Beschuldigte zu belehren. Könne der Beschuldigte wegen geistiger oder körperlicher Gründe das Antragsrecht nicht wahrnehmen, so sei die Verteidigung absolut notwendig. 60

§ 2 Bestellung eines Verteidigers

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A. Gegenwärtige Rechtslage in Deutschland Das Beratungshilfegesetz64 hilft insofern nicht weiter. Die vorgesehene Beratungshilfe in Strafsachen für sozial Schwache besteht ausschließlich in der Beratung außerhalb des gerichtlichen Verfahrens, vgl. § 1 I und § 2 I, II 2 BerHG. Eine Vertretung des Betroffenen nach außen ist in diesen Fällen nicht vorgesehen, im Gegensatz zu zivil-, verwaltungs-, verfassungs- und sozialrechtlichen Angelegenheiten, vgl. § 2 I, II 1 BerHG. In der Begründung zum Regierungsentwurf des BerHG wird darauf verwiesen, „daß in gravierenden Fällen von Amts wegen ein Pflichtverteidiger zu bestellen ist“. Deshalb werde in Straf- und Bußgeldsachen Hilfe nur für die Beratung, nicht jedoch für die Verteidigung gewährt65. I. Rückgriff auf das Sozialstaatsprinzip Um eine Verteidigerbestellung allein wegen Mittellosigkeit zu bewerkstelligen, könnte auf das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 I GG) als solches rekurriert werden. Auch der Anspruch auf ein faires Verfahren66 läßt Raum für sozialstaatliche Überlegungen. Anknüpfungspunkt könnte die Schwierigkeit der Rechtslage nach § 140 II 1 2. Alt.67 bzw. § 140 II 1 3. Alt. sein. So berücksichtigen Schomburg/Lagodny68 und Vogler69 im Rahmen der Beistandsbeiordnung nach § 40 IRG II Nr. 2 die finanziellen Mittel des Betroffenen, sich eines gewählten Beistands zu bedienen. Um eine Verteidigerbestellung für mittellose Beschuldigte nach der gegenwärtigen Gesetzeslage zu ermöglichen, könnte auf § 140 II 1 2. Alt. insofern zurückgegriffen werden, als die Schwierigkeit der Rechtslage nicht auf Zweifel über die Verfassungsmäßigkeit einer anderen Vorschrift, sondern auf verfas64 Vom 18.06.1980 (BGBl. I, S. 689); zur Vergleichbarkeit mit dem Bundessozialhilfegesetz: Vallender, S. 38 ff. 65 BT-Drucks. 8/3311, S. 12; dazu: L/T-H, § 2 BerHG Rn. 24, § 10 BerHG Rn. 15. 66 Vgl. BVerfGE 26, 66 (71); 38, 105 (111); 66, 313 (318) sowie oben: Kap. 4, § 3 B. I. 67 Vgl. auch Schünemann, ZStW 2001, 1 (50: in Bezug auf Art. 6 III lit. c) EMRK, bei welchem das Interesse der Rechtspflege angesichts der faktischen Bedeutung des Ermittlungsverfahrens und der erforderlichen kontradiktorischen Strukturen für eine materielle Wahrheitsfindung im Sinne eines umfassenden Armenrechts auszulegen sei. Auch könne nationalstaatlich ein weiterer Umfang an Rechten gewährt werden, als dies Art. 6 III lit. c) EMRK gebiete; auf S. 62 mit Fn. 181 weist er darauf hin, daß die EMRK nur unterstützend herangezogen werden müßte, die Ergebnisse ließen sich schon aus Überlegungen der nationalstaatlichen Rechtsordnung gewinnen.). 68 § 40 IRG Rn. 18. 69 § 40 IRG Rn. 22.

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7. Kap.: Überlegungen zur Verteidigerbestellung

sungsrechtliche Erwägungen über das Institut der notwendigen Verteidigung zurückzuführen wäre. Gegen einen solchen Rückgriff sprechen jedoch schon grundsätzliche Erwägungen. Hinzuweisen ist insofern auf mögliche fiskalische Bedenken auf Seiten des Staates und auf den dem Gesetzgeber zustehenden generellen Gestaltungsspielraum zur Umsetzung des Sozialstaatsprinzips70. Aus dem Sozialstaatsprinzip sind damit lediglich selten direkte Ansprüche zu gewinnen71. So hat auch das Bundesverfassungsgericht in einem (unveröffentlichten) Nichtannahmebeschluß entschieden, daß eine Nichtgewährung von Beratungshilfe nach Anklageerhebung (vgl. § 1 I BerHG) mit Art. 3 I GG i. V. m. dem Sozialstaatsprinzip vereinbar ist. Im Strafverfahren sei nach Anklageerhebung angesichts der Möglichkeit der Bestellung eines Pflichtverteidigers und der besonderen rechtsstaatlichen Garantien ein hinreichender Rechtsschutz für den Unbemittelten gewährleistet72. Auch Dethlefsen erwägt, dem mittellosen Beschuldigten einen Verteidiger zu bestellen, allerdings durch Rückgriff auf das Rechtsstaatsprinzip und das aus ihm hervorgehende Recht auf Verteidigung. Er verwirft diese Idee jedoch zutreffend wegen des Charakters des Strafverfahrens. Dieses beziehe sich auf den Schutz von Rechten und nicht die Mittel zu deren Verwirklichung. Damit sei der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers zu achten, welchen er verfassungsgemäß ausgefüllt habe73. Um eine Bestellung eines Verteidigers außerhalb der gesetzlichen Regelungen zu erreichen, stellt auch Spaniol auf die Unfähigkeit des (mittellosen) Beschuldigten zur Selbstverteidigung ab74 und nicht auf die Mittellosigkeit als solche. 1. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Pflichtverteidigerbestellung über §§ 140 ff. hinaus Unter Hinweis auf den Anspruch des Beschuldigten auf ein faires Verfahren nimmt das Bundesverfassungsgericht eine Pflichtverteidigerbestellung über §§ 140 ff. hinaus an75. Das Gericht dehnt damit den Anspruch des Beschuldigten auf Beiordnung eines Verteidigers aus, verselbständigt und ergänzt ihn76. So

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Dethlefsen, S. 35 f. Vgl. Barton, S. 74 f.; Rzepka, S. 298; Müller-Dietz, FS-Dünnebier, S. 75 (82). 72 Beschluß vom 30.01.1989, BVerfG Az: 1 BvR 1290/87. 73 Dethlefsen, S. 35 ff. Die geforderte Angleichung sieht er in Konkretisierung der §§ 140 ff. als Ausprägung des Sozialstaatsprinzips gewahrt. 74 Spaniol, S. 318 ff. 75 Vgl. BVerfG NJW 1975, 1015; NJW 1978, 151; NJW 1981, 1034; NJW 1983, 1599; BVerfGE 64, 135 (150); 70, 297 (333); BVerfG JZ 2004, 670 (675). 76 Vgl. zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts: Spaniol, S. 20 ff. 71

§ 2 Bestellung eines Verteidigers

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ist „die Bestellung eines Verteidigers . . . auch dann erforderlich (über § 140 II hinaus), wenn die Ablehnung der Beiordnung . . . den Angeklagten in seinem Anspruch auf ein faires Verfahren verletzen würde“. Insbesondere in „schwerwiegenden“ Fällen77 sei dem Beschuldigten, der die Kosten des Verfahrens nicht aufbringen könne, von Amts wegen und auf Kosten des Staates ein Pflichtverteidiger zu bestellen78. Im Rahmen einer verfassungsrechtlich gebotenen Bestellung eines Verteidigers betont das Bundesverfassungsgericht ferner, daß das Institut der Pflichtverteidigung dem mittellosen Beschuldigten den gleichen Rechtsschutz gewähren will, welchen der Beschuldigte hat, der sich auf eigene Kosten einen Verteidiger wählt79. Dies beruhe auf dem Gleichheitsgebot aus Art. 3 I GG (i. V. m. dem Sozialstaatsprinzip) und auf Art. 6 III lit. c) EMRK. Es solle jedoch lediglich eine Angleichung herbeigeführt, der Rechtsschutz des Mittellosen nicht unverhältnismäßig erschwert werden80. Das Bundesverfassungsgericht siedelt diesen Anspruch in einer verfahrensrechtlichen Gesamtlage an. So könnten Fürsorgepflicht nach § 160 II und weitere rechtsstaatliche Einrichtungen wie die Unschuldsvermutung eine Eigenverteidigung genügen lassen81. Damit halten kompensatorische Erwägungen Einzug. Die Ableitung einer Verteidigerbestellung aus dem Sozialstaatsprinzip dürfte damit nicht über die Ableitung aus einem fairen Verfahren hinausgehen82. Mit dieser Rechtsprechung hat das Bundesverfassungsgericht implizit Anleitungen für eine verfassungskonforme Auslegung von § 140 II gegeben83. Die Bestellung erfolgt nach § 141 analog. Neben sich auf die Revisionsverhandlung beziehenden schwierigen Rechtsfragen kommt ein solcher Anspruch bei möglicher Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe84 in Betracht. Auch eine mögliche Verurteilung bis zu einer 77 Dies sei maßgeblich aus der Beschuldigtenperspektive zu beurteilen; vgl. BVerfG NJW 1978, 151. 78 In JZ 2004, 670 (675) stellt das Bundesverfassungsgericht auf einen Anspruch auf Verteidigerbeiordnung ab, wenn der vermögenslose Beschuldigte nicht in der Lage sei, seine Mitwirkungsrechte selbstständig und eigenverantwortlich wahrzunehmen; vgl. ferner: BVerfGE 46, 202 (210). 79 BVerfGE 9, 36 (38); BVerfG NJW 1983, 1599 f.; BVerfG StV 2001, 601 (602); ferner: OLG Düsseldorf NJW 1990, 527; Knell-Saller, S. 116; Hahn, S. 88; Eisenberg, NJW 1991, 1257 (1260). 80 BVerfG NJW 1965, 147. 81 BVerfG NJW 1983, 1599 f. 82 Vgl. Spaniol, S. 21 f. 83 Nach Rzepka (S. 220, 223 ff.) operiert das Bundesverfassungsgericht wohl an der Grenze (un)zulässiger richterlicher Rechtsfortbildung. Nach Heubel (S. 100 ff.) ist eine Beiordnung schon aus § 140 II zu gewinnen; dagegen: Tettinger, S. 24 f. – Das Bundesverfassungsgericht mußte auf einen Anspruch aus der Verfassung zurückgreifen, weil der Bundesgerichtshof die Revision schon abgelehnt hatte.

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7. Kap.: Überlegungen zur Verteidigerbestellung

Freiheitsstrafe von über einem Jahr soll ihn begründen können85. Ferner kann eine erforderliche Akteneinsicht bzw. eine schwierige Beweisaufnahme die Bestellung bedingen86. Einen Anspruch auf Bestellung für den Fall eines anwaltlich vertretenen Privatklägers hat die Rechtsprechung jedoch verneint87. Diese Rechtsprechung hat Zustimmung erfahren88, wobei jedoch auf die Mittellosigkeit als notwendige Voraussetzung für eine Beiordnung auch verzichtet wird89. Die Grundsätze des Bundesverfassungsgerichts wurden von Ernst auf das beschleunigte Verfahren90, von Jäger auf das Rechtsbeschwerdeverfahren in das Ordnungswidrigkeitenrecht übertragen91. 2. Beurteilung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zur Verteidigerbestellung überzeugen insofern nicht, als auf den mittellosen Beschuldigten abgestellt wird. Die durch diese Rechtsprechung hervorgerufene „Aufspaltung“ der Reichweite notwendiger Verteidigung bezogen auf vermögende einerseits sowie mittellose Beschuldigte andererseits laufen den gesetzgeberischen Tendenzen im Bereich der notwendigen Verteidigung zuwider. Wie festgestellt92 gewinnt die Mittellosigkeit nach den gesetzgeberischen Vorstellungen lediglich insofern eine eigenständige Bedeutung, als sie maßgeblich für eine Verteidigerbestellung nach Eintritt der Rechtskraft einer Entscheidung ist, vgl. § 364 b I 1 Nr. 2. Ferner erkennt der Gesetzgeber die Mittellosigkeit in diesem Fall als einschränkende Voraussetzung an und nicht als hinreichende Bedingung für eine Bestellung. Keinesfalls zieht er die Mittellosigkeit heran, um die Fallgruppen notwendiger Verteidigung auszudehnen. Die Notwendigkeit der Verteidigung ergibt sich unabhängig von den wirtschaftlichen Verhältnissen des Beschuldigten. 84

Vgl. BVerfG NJW 1978, 151 f. OLG Düsseldorf NStZ 1984, 43 (44); zu weiteren Fallgruppen vgl. HK-Julius, § 350 Rn. 16; KK-Laufhütte, § 140 Rn. 25 m. w. N. 86 BVerfG NJW 1978, 151 f.; NJW 1983, 1599 f. 87 BVerfG NJW 1981, 1034 (vgl. jedoch Sondervotum Hirsch); NJW 1983, 1599; vgl. ferner: OLG Düsseldorf NStZ 1989, 92; kritisch unter Hinweis auf § 140 II 2 3. Alt.: KMR-Müller, § 140 Rn. 24; LR-Lüderssen, § 140 Rn. 131. 88 OLG Düsseldorf StV 2000, 164; HK-Temming, § 350 Rn. 15 f.; Barton, S. 59. 89 KK-Laufhütte, § 140 Rn. 25; Meyer-Goßner, § 140 Rn. 32, § 350 Rn. 8; vgl. ferner: SK-Wohlers, § 350 Rn. 17 ff.; Vogelsang, S. 68; vgl. auch Beulke, Der Verteidiger, der auf S. 47 meint, man müsse den „Mut aufbringen“ einen Verteidigerschutz aus dem Rechtsstaatsprinzip in allen Fällen jenseits der Bagatellgrenze zu entnehmen, für alle Instanzen. 90 Vgl. Ernst, S. 106 f. 91 Jäger, S. 126 f. 92 Vgl. oben: Kap. 4, § 4 C. 85

§ 2 Bestellung eines Verteidigers

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Der Rechtsprechung ist lediglich insofern zuzustimmen, als eine finanzielle Leistungsfähigkeit für die verfassungsrechtlich gebotene Ergänzung von §§ 140 ff. nicht zu berücksichtigen ist. Eine auf mittellose Beschuldigte „zugeschnittene“ Bestellung aufgrund verfassungsrechtlicher Erwägungen ist abzulehnen. II. Rückgriff auf Art. 6 III lit. c) EMRK J. T. Müller leitet einen Anspruch auf Verteidigerbestellung für den mittellosen Beschuldigten (auch) schon für das Ermittlungsverfahren aus Art. 6 III lit. c) EMRK ab. Der Begriff „im Interesse der Rechtspflege“ sei unter Rückgriff auf den französischen und englischen Vertragstext abzulehnen. Dieser spreche in seiner Ausgestaltung93 für ein Gerechtigkeitspostulat. Diese Gerechtigkeit führe dazu, im inquisitorischen deutschen Strafverfahren dem mittellosen Beschuldigten (auch) schon im Ermittlungsverfahren einen Verteidiger zu bestellen. Dieser Ansatz ist abzulehnen. Seine Überlegungen fußen auf reinen Wertungsgesichtspunkten, was unter Gerechtigkeit zu verstehen ist. Es bietet sich jedoch eher an, bestehende nationale Normen und Normengefüge als Ausgangspunkt anzuerkennen. Auch könnte geltend gemacht werden, daß die §§ 140 und 141 insoweit die Interessen der Rechtspflege hinreichend konkretisieren, sodaß für weiterführende Überlegungen im nationalen Prozeßrecht kein Raum verbleibt. Ferner ist die oben erwähnte Strukturierung des nationalen Verfahrensgefüges zu berücksichtigen. Dieses bezieht sich auf den Schutz von Rechten und nicht die Mittel zu deren Verwirklichung. Damit gilt es, diesen Schutz dem (mittellosen) Beschuldigten im Ermittlungsverfahren durch eine entsprechende Einschränkung der Vorschrift § 141 III 1 angedeihen zu lassen. III. Ergebnis Nach der gegenwärtigen Gesetzeslage besteht kein Anspruch des Beschuldigten auf Verteidigerbestellung allein wegen seiner Mittellosigkeit. Die vom Gesetzgeber vorgenommene Gleichbewertung von Eigeninteressen des Beschuldigten an seiner (Fremd)Verteidigung mit der Gewährleistung eines 93 Vgl. den französischen Text von Art. 6 III lit. c) EMRK: „. . . se défendre luimême ou avoir l’assistance d’un défenseur de son choix et, s’il n’a pas les moyens de rémunérer un défenseur, pouvoir être assisté gratuitement par un avocat d’office, lorsque les intérêts de la justice l’exigent“ (Hervorhebungen durch Verfasser), siehe ferner den englischen Text: „. . . to defend himself in person or through legal assistance of his own choosing or, if he has not sufficient means to pay for legal assistance, to be given it free when the interests of justice so require“ (Hervorhebungen durch Verfasser).

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7. Kap.: Überlegungen zur Verteidigerbestellung

fairen Verfahrens durch die Vorschriften der notwendigen Verteidigung erscheint insofern zweifelhaft, als jene durchaus letztere übersteigen kann. So hat der Beschuldigte aufgrund seiner prozessualen Eigenverantwortlichkeit als Subjekt des Verfahrens sämtliche Nachteile einer Eigenverteidigung zu tragen. Der finanziell gerüstete Beschuldigte wird diese Rolle durch die Hinzuziehung rechtlichen Beistands besser ausfüllen können94. Der Mittellose hingegen nur eingeschränkt, bleibt ihm professioneller Rat doch vorenthalten. Augenscheinlich wird dies im Rahmen von prozessualen Zwangsmaßnahmen So im Fall der Untersuchungshaft. Hier ist eine Verteidigerbestellung nach § 117 IV 1 erst ab einer Untersuchungshaftdauer von drei Monaten auf Antrag zwingend. Der Verteidiger kann auf eine frühzeitige Beendigung der Haft hinwirken, indem er entsprechende Haftgründe gezielt zu widerlegen sucht, Haftprüfungsanträge und Haftbeschwerden sinnvoll koordiniert. Eine Remedur der Lage mittelloser Beschuldigter ist angesichts des Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers (insbesondere hinsichtlich der Umsetzung eines Ausgleichs sozialer Ungleichheiten95) durch die Einführung eines weiteren Verfahrensinstituts neben der notwendigen Verteidigung zu erreichen. Mögliche Anhaltspunkte für eine gesetzliche Regelung können dabei ausländische Rechtsordnungen bieten.

B. Verteidigerbestellung wegen Mittellosigkeit in den Vereinigten Staaten von Amerika In den Vereinigten Staaten von Amerika existieren in den unterschiedlichen Gerichtsbezirken verschiedene Modelle, die eine Verteidigerbestellung für mittellose Beschuldigte vorsehen. So können einzelne Anwälte direkt aus dem Kreis der örtlich tätigen Rechtsanwälte bestellt werden (sog. Court-Appointed-Counsel Modell96). Gerade in städtischen Gegenden sind public defender offices (öffentlichrechtlich organisierte Strafverteidigerbüros) tätig97. Daneben existieren „private defender systems“, die privatrechtlich organisiert sind (sog. „legal-aid“ Vereinigungen oder „defender corporations“)98.

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Vogelsang, S. 212 f. Vgl. zur außergerichtlichen Rechtshilfe durch Einführung des Beratungshilfegesetzes: Vallender, S. 30 ff. 96 Irmer-Tiedt, S. 61 f. Dieses Modell wird in ländlichen Gebieten angewendet, J. T. Müller, S. 51 f. 97 Irmer-Tiedt, S. 59 f.; J. T. Müller, S. 58 ff.; zu „part time public defenders“, die neben ihrer Tätigkeit als public defender auch frei praktizieren: J. T. Müller, S. 54. 95

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Auch „contract-defender“ können eine Pflichtverteidigung übernehmen99. Hiernach verpflichten sich frei praktizierende Anwälte zur Übernahme der Verteidigung mittelloser Beschuldigter für eine bestimmte Vergütung. Im Rahmen der Ausschreibung werden die „billigsten“ Anbieter genommen. Gegen die Modelle werden verschiedene Bedenken vorgetragen. So wird gegen die „contract defender“ vorgebracht, sie könnten aufgrund der wirtschaftlichen Kalkulation ihren Pflichten nicht nachkommen100. Auch wenn ein „public defender“ im Gegensatz zu dem „Court-Appointed-Counsel“ in geringerer finanzieller Abhängigkeit zum Gericht stehe, laufe er Gefahr, in das Gerichtssystem integriert zu werden, die Verteidigung könnte darunter leiden101. „Legal aid“Vereinigungen könnten nicht von vornherein mit einem festen Budget kalkulieren. Konjunkturabhängige Einsparungen wären zu befürchten.

C. Verfahrenshilfe-, Amts- und Pflichtverteidigung in Österreich In Österreich wird die Verteidigerbestellung nach geltendem Recht auf unterschiedliche Weise gewährleistet, indem Verfahrenshilfe-, Amts- und Pflichtverteidiger bestellt werden102. I. Arten der Verteidigung Verfahrenshilfe (§§ 41 II, IV ÖStPO103) ergeht unabhängig von der Frage, ob die Verteidigung notwendig ist104. Amtsverteidigung bezieht sich auf die Fälle notwendiger Verteidigung105. Die Beigabe eines Verfahrenshilfe-Verteidigers erfolgt, wenn der Beschuldigte sich in einer wirtschaftlich eingeschränkten Situation befindet106 und das Interesse der Rechtspflege (vor allem eine zweckentsprechende Verteidigung) 98 Sie werden durch private Spenden und/oder öffentliche Mittel finanziert. Auch sie sind nicht gewinnorientiert, vgl. Irmer-Tiedt, S. 60; J. T. Müller, S. 52, 57 f. 99 Irmer-Tiedt, S. 63; J. T. Müller, S. 56 f. 100 Vgl. Irmer-Tiedt, S. 63. 101 Beulke, Der Verteidiger, S. 255 f.; Bortner, S. 137 f. 102 Am 23.03.2004 wurde in Österreich ein Strafprozeßreformgesetz beschlossen, welches am 01.01.2008 in Kraft tritt und das Ermittlungsverfahren neu gestaltet. Dabei wurden die Grundsätze der Verfahrenshilfe sowie der Amtsverteidigung beibehalten, vgl. §§ 49, 61, 62 ÖStPO n. F. 103 Österreichische Strafprozeßordnung von 1975 (BGBl. Nr. 631/1975 – i. d. F. BGBl. I Nr. 15/2004). Österreichische Normen sind abrufbar unter http://www.ris. bka.gv.at/bundesrecht/. 104 Vgl. zur Geschichte der Verfahrenshilfe: Maxones-Kurkowski, S. 42 ff. 105 Dazu: Maxones-Kurkowski, S. 80 ff.; ferner: Tipold, S. 2, 15 ff.

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7. Kap.: Überlegungen zur Verteidigerbestellung

die Beigabe gebietet, vgl. die konkretisierende Aufzählung in § 41 II 2 ÖStPO107. Der Beschuldigte muß die Beigabe grds. beantragen108. Wenn der Beschuldigte in einem Fall notwendiger Verteidigung109 nicht für seine Verteidigung sorgt110 oder ihm keine Verfahrenshilfe von Amts wegen gewährt wird, so wird ein Amtsverteidiger von Amts wegen beigegeben, § 41 III ÖStPO111. Ein Amtsverteidiger wird für bestimmte Verfahrensabschnitte beigegeben, vgl. § 41 I ÖStPO112. Die Beigebung eines Verfahrenshilfe-Verteidigers gilt nach § 41 V ÖStPO grds. für das gesamte weitere Verfahren. Nach § 41 VI ÖStPO erlischt die Bestellung des Verfahrenshilfe- oder Amtsverteidigers, wenn für den Betroffenen ein gewählter Verteidiger einschreitet. Ein Pflichtverteidiger wird dem unverteidigten Beschuldigten bei verhängter Untersuchungshaft im Hinblick auf eine Haftverhandlung nach § 181 II Nr. 1 ÖStPO beigegeben, § 42 II ÖStPO113. Nach § 42 III ÖStPO hat ihn der Pflichtverteidiger für die Zeit der Haft zu vertreten. Danach hat der nach § 41 II oder 106 § 41 II ÖStPO gewährt die Verfahrenshilfe-Verteidigung nur, wenn der Betroffene außerstande ist, ohne Beeinträchtigung des für ihn und seine Familie, für deren Unterhalt er zu sorgen hat, zu einer einfachen Lebensführung notwendigen Unterhaltes die gesamten Kosten der Verteidigung zu tragen. Ihm wird ein Verteidiger beigegeben, dessen Kosten er nicht oder nur zum Teil zu tragen hat. Bei Jugendlichen ist die finanziell eingeschränkte Situation schon früher gegeben (§ 39 I ÖJGG – Österreichisches Jugendgerichtsgesetz von 1988, BGBl. Nr. 599/1988; i. d. F. BGBl. I Nr. 116/ 2003): „. . . wenn . . . die Verpflichtung zur Zahlung der Verteidigungskosten sein Fortkommen erschweren würde . . .“), vgl. Tipold, S. 151; zu den materiellen Anspruchsvoraussetzungen der Verfahrenshilfe vgl. Maxones-Kurkowski, S. 56 ff. 107 So u. a. wenn eine schwierige Sach- und Rechtslage vorliegt, vgl. § 41 II 2 Nr. 2 ÖStPO; die notwendige Verteidigung nach § 41 I OStPO fällt stets unter das Interesse der Rechtspflege, vgl. § 41 II 2 Nr. 1 ÖStPO. 108 Im Falle notwendiger Verteidigung kann unter den Voraussetzungen des § 41 IV ÖStPO von Amts wegen ein Verfahrenshilfe-Verteidiger beigegeben werden. Nach umstr. Ansicht findet sich eine weitere Ausnahme für jugendliche Beschuldigte in § 39 ÖJGG, vgl. Tipold, S. 151 ff. m. w. N. 109 Vgl. u. a. § 41 I Nr. 1 bis 7 ÖStPO (z. B. Nr. 3: wenn und solange sich der Beschuldigte in Untersuchungshaft befindet) – dazu: Maxones-Kurkowski, S. 80 ff.; § 39 ÖJGG. 110 Indem er weder einen Wahlverteidiger mandatiert, noch einen Antrag auf Beigabe eines Verfahrenshilfe-Verteidigers stellt. 111 Zur Möglichkeit der Beigebung eines Verfahrenshilfe-Verteidigers auch in Fällen notwendiger Verteidigung siehe § 41 IV ÖStPO. 112 Tipold, S. 15; vgl. u. a. § 41 I Nr. 1 ÖStPO, wonach die Verteidigung „in der Hauptverhandlung vor dem Geschworenen- oder dem Schöffengericht“ eine notwendige ist. 113 Er sichert die notwendige Verteidigung ab, vgl. Maxones-Kurkowski, S. 89; vgl. ferner § 29 IV ARHG (Auslieferungs- und Rechtshilfegesetz von 1980, BGBl. Nr. 529/ 1979 – i. d. F. BGBl. I Nr. 15/2004). Zur notwendigen Verteidigung im Rahmen der Haftverhandlung durch das Strafprozeßreformgesetz vom 23.03.2004 vgl. § 176 III 2 ÖStPO n. F.

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III ÖStPO bestellte Verteidiger ohne Verzug einzuschreiten; bis zu diesem Zeitpunkt bleibt die Bestellung aufrecht. Schreitet ein gewählter Verteidiger nach erfolgter Bestellung ein, so erlischt diese. In „dringenden Fällen“ der Verfahrenshilfe-, Amts-, oder Pflichtverteidigung ist ein Dringlichkeitsverteidiger114 nach § 42 IV ÖStPO zu bestellen. Die Besonderheit dieser Verteidigungsart äußert sich in der Person des Bestellungsadressaten115 und der Bestellungsform. II. Beigebungs- und Bestellungsverfahren Das Beigebungsverfahren stellt den ersten Teil des Verfahrens auf Zuordnung eines Verteidigers an den Beschuldigten dar. Dieses gerichtliche Verfahren ergibt sich aus dem Antrag auf Verfahrenshilfe oder der Notwendigkeit eines Amtsverteidigers. In letzterem Fall wird geprüft, ob der Beschuldigte bereits einen Verteidiger mandatiert hat; ist dem nicht so, wird er grds. über die Möglichkeit der Beigebung eines Verfahrenshilfe-Verteidigers belehrt. Wenn kein Antrag erfolgt, so beschließt das Gericht116 die Beigebung eines Amtsverteidigers117. Auch für die Beigebung des Dringlichkeitsverteidigers ist das Gericht zuständig. Nach dem gerichtlichen Beigebungsverfahren folgt grds. das verwaltungsbehördliche Bestellungsverfahren118 nach §§ 42 I, 42 II 2 ÖStPO. Zuständig sind Ausschüsse der jeweiligen Rechtsanwaltskammern. Diese bestellen Rechtsanwälte119 zu Verfahrenshilfe-Verteidigern (§ 41 II, IV ÖStPO), Amtsverteidigern (§ 41 III ÖStPO) oder Pflichtverteidigern (§ 42 II ÖStPO). Das Bestellungsver114

Dazu Tipold, S. 129 ff. Ein Dringlichkeitsverteidiger ist eine bei Gericht tätige, zum Richteramt befähigte Person, § 42 IV ÖStPO. 116 Im Vorverfahren entscheidet der Untersuchungsrichter nach § 11 II ÖStPO, im Zwischenverfahren und außerhalb der Hauptverhandlung der Vorsitzende, vgl. Vogelsang, S. 178 m. w. N.; Tipold, S. 25. 117 Ein Verfahrenshilfe-Verteidiger wird von Amts wegen beigegeben, wenn neben den Voraussetzungen nach § 41 I ÖStPO die des § 41 II ÖStPO vorliegen, vgl. § 41 IV ÖStPO. 118 Dazu: Tipold, S. 39 ff. 119 Nach § 46 I RAO haben die Ausschüsse der Rechtsanwaltskammern für eine gleichmäßige Heranziehung der Verteidiger zu sorgen. Der Pflichtverteidiger soll nach § 42 II 2 ÖStPO möglichst aus einer Liste von Rechtsanwälten gewählt werden, die sich zu solchen Verteidigungen bereit erklärt haben. Für Jugendliche können unter bestimmten Umständen nach § 39 ÖJGG auch andere geeignete Personen zur Verteidigung berufen werden, wenn sie dazu bereit sind. Fraglich ist, ob der Gerichtsvorsteher nach § 42 IV ÖStPO analog in diesen Fällen für die Bestellung zuständig ist, vgl. Tipold, S. 156 ff. 115

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7. Kap.: Überlegungen zur Verteidigerbestellung

fahren ist in den §§ 45 ff. RAO120 (Rechtsanwaltsordnung) und den Geschäftsordnungen der Rechtsanwaltskammern121 (vgl. § 46 II RAO) geregelt. Die Bestellung des Dringlichkeitsverteidigers nimmt hingegen der Gerichtsvorsteher vor, vgl. § 42 IV ÖStPO. Sie ergeht nur, wenn die ausgewählte Person zustimmt. III. Kosten der Verteidigung Die Kosten des Verfahrenshilfe-Verteidigers werden nicht oder (bei finanzieller Leistungsfähigkeit und erfolgter Kostenverurteilung) nur teilweise durch einen Pauschalbeitrag, dessen Höhe sich nach § 393 a I ÖStPO bestimmt, von dem Beschuldigten übernommen (§ 41 II i. V. m. § 393 I a ÖStPO). Die Leistung122 des Verfahrenshilfe-Verteidigers wird grds. durch eine Pauschalvergütung des Staates an die Rechtsanwaltskammern abgegolten, vgl. § 47 RAO. Jene ist zweckgebunden von den Rechtsanwaltskammern zu verwenden: § 48 II RAO schreibt vor, sie zur Finanzierung der Alters-, Berufsunfähigkeitsund Hinterbliebenenversorgung der Rechtsanwälte einzusetzen123. Nach § 16 III RAO haben die in der Liste einer österreichischen Rechtsanwaltskammer eingetragenen Rechtsanwälte gegenüber dieser Rechtsanwaltskammer einen Anspruch darauf, daß sie jedem von ihnen aus dem ihr zugewiesenen Betrag der Pauschalvergütung einen gleichen Anteil auf seinen Beitrag zur Alters-, Berufsunfähigkeits- und Hinterbliebenenversorgung anrechnet, soweit nicht ein Anspruch nach § 16 IV RAO besteht. Nach dieser Vorschrift hat der Verfahrenshilfe-Verteidiger einen Anspruch auf angemessene Vergütung gegenüber seiner Rechtsanwaltskammer. Er erhält eine Geldleistung, wenn die Vertretung mehr als zehn Verhandlungstage (oder mehr als 50 Verhandlungsstunden) dauert. Der Amtsverteidiger wird gleich einem Wahlverteidiger entlohnt, § 393 I ÖStPO, d.h. der Beschuldigte hat die Kosten der Verteidigung grds. vollständig zu tragen. Wird der Beschuldigte freigesprochen, so wird lediglich ein Teil der Vergütung durch den Staat übernommen, § 393 a I ÖStPO124.

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Rechtsanwaltsordnung von 1868, RGBl. Nr. 96 – i. d. F. BGBl. I Nr. 93/2003. Vgl. dazu: Tipold, S. 52 ff. 122 Seine Barauslagen erhält der Verfahrenshilfe-Verteidiger vom Staat nach Maßgabe des § 393 II ÖStPO. 123 Tipold, S. 185 f. 124 Die Höchstgrenze für diesen Pauschalbeitrag ist gestaffelt. Sie reicht von 364 Euro für Verfahren vor den Bezirksgerichten bis zu 4361 Euro für Verfahren vor den Geschworenengerichten. Als Kriterien zur Bemessung des Pauschalbeitrages werden u. a. der Umfang und die Schwierigkeit der Verteidigung herangezogen. 121

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Die Kosten des Pflichtverteidigers nach § 42 II ÖStPO belaufen sich gemäß § 393 III ÖStPO grds. auf 182 Euro. Schreitet ein anderer Verteidiger bei der Haftverhandlung für den Beschuldigten ein, so ist die Gebühr um die Hälfte reduziert. Wird der Beschuldigte (zur Kostentragung) verurteilt, vgl. § 389 ÖStPO, so hat er auch für die Kosten des Pflichtverteidigers aufzukommen, es sei denn, es liegen die Voraussetzungen für einen Verfahrenshilfe-Verteidiger nach § 41 II ÖStPO vor.

D. Bestellung eines Verteidigers für den mittellosen Beschuldigten während des Ermittlungs-, Zwischen- und Hauptverfahrens de lege ferenda I. Gewährung von Prozeßkostenhilfe Nach Herrmann soll die notwendige Verteidigung in eine antragsabhängige und in eine antragsunabhängige (absolut) notwendige Verteidigung unterteilt werden125. Jene sollte in Fällen des § 140 I Nr. 1, Nr. 8 und des § 140 II 1 3. Alt. sowie nach §§ 138 c III 4, 231 a IV gewährleistet sein, diese in den Fällen der § 140 I Nr. 2, Nr. 3 und den sonstigen Fällen des § 140 II sowie nach §§ 408 b und 418 IV126. Eine Bestellung auf Antrag erfolge nur dann, wenn der Beschuldigte aus finanziellen Gründen nicht in der Lage sei, für die Kosten aufzukommen. Die Vorschriften über die Prozeßkostenhilfe seien anzuwenden, §§ 114 ff. ZPO analog. Über das Antragsrecht sei der Beschuldigte zu belehren. Könne der Beschuldigte wegen geistiger oder körperlicher Gründe das Antragsrecht nicht wahrnehmen, so sei die Verteidigung absolut notwendig. Nach der Bundesrechtsanwaltskammer ist dem Beschuldigten außerhalb der Fälle notwendiger Verteidigung ein Verteidiger zu bestellen, wenn er die entsprechenden Kosten nicht aufzubringen vermag und eine Bestellung beantragt. Die Hinzuziehung wird dem Beschuldigten zu dem Zeitpunkt ermöglicht, zu welchem ihm die Einleitung des Ermittlungsverfahrens mitgeteilt oder sonst bekannt wird127.

125 Jedoch stellt er auch Überlegungen bezüglich der Einführung eines Eventualverteidigers an, wenn der Beschuldigte keinen Antrag stellt, Herrmann, StV 1996, 396 (400). 126 Herrmann, StV 1996, 396 (399 f.); eine Erweiterung antragsabhängiger Verteidigerbestellung fordert er u. a. bei voraussichtlicher Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehender Maßregel oder in Fällen von Untersuchungshaft und einstweiliger Unterbringung, StV 1996, 396 (404 f.). 127 Vgl. BRAK Reform, These 12, S. 45 f. sowie These 4 (S. 33 f.) zur Mitteilung der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens, die unterbleibt, wenn der Untersuchungszweck gefährdet würde oder anzunehmen ist, daß der Beschuldigte an der Mitteilung kein Interesse hat.

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7. Kap.: Überlegungen zur Verteidigerbestellung

Der AK-Strafprozeßreform (1979) tritt in § 3 I für eine generelle Kostenübernahme der Verteidigung ein, ohne auf die Bedürftigkeit des Betroffenen abzustellen128. Nach § 3 II soll dieses Recht spätestens mit Erhebung der öffentlichen Klage entstehen. Ein früherer Zeitpunkt richtet sich nach der Sachdienlichkeit der Verteidigung (§ 3 II), es sei denn, die Verteidigung ist eine notwendige. Dann steht dem Beschuldigten das Recht schon für die erste Vernehmung zu (§ 3 III i. V. m. § 4 I). § 4 lautet: „(1) Der Beistand eines Verteidigers ist von der ersten Vernehmung des Beschuldigten an notwendig, 1. wenn dieser blind, taub, stumm, der deutschen Sprache nicht mächtig oder in ähnlicher Weise behindert ist, 2. wenn er sich nicht auf freiem Fuß befindet, 3. wenn Gegenstand der Untersuchung ein Verbrechen ist. (2) Im übrigen ist, sobald die Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens bevorsteht, der Beistand eines Verteidigers notwendig, . . .“ Fezer129 schlägt vor, die notwendige Verteidigung für alle Verfahrensabschnitte als zwingend anzuerkennen, wobei dies lediglich (vergleichbar den Ausführungen des AK-Strafprozeßreform, 1979, in § 4 I) für einen gegenüber § 140 I und II reduzierten Kernbereich gelten solle. Außerhalb dieses Kernbereichs habe eine Unterstützung durch die Übernahme der Kosten eines gewählten Verteidigers zu erfolgen, wenn der Beschuldigte bedürftig sei. Eine generelle Kostenübernahme lehnt er angesichts der finanziellen Umsetzungsschwierigkeiten – berechtigterweise – ab. Dabei könnten nach Fezer neben den finanziellen Verhältnissen des Beschuldigten auch verfahrensrechtliche Umstände als Kriterien zur Übernahme der Kosten heranzuziehen sowie die einzelnen Verfahrensstadien unterschiedlich zu gewichten sein. Das Recht auf Verteidigerwahl sei mit den staatlichen Kosteninteressen in Einklang zu bringen; sämtliche finanziellen Unterschiede und die daraus resultierenden Verteidigungsmöglichkeiten könne das Strafverfahrensrecht nicht ausgleichen. Danach formuliert er ein Erforderlichkeitskriterium für die Kostenübernahme: Spätestens mit Abschluß der Ermittlungen oder mit Anklageerhebung seien die Kosten zu übernehmen, es sei denn, es handele sich um einen Bagatellfall. Im Ermittlungsverfahren sei grds.130 auf eine sachdienliche Verteidigermitwirkung für eine Kostenübernahme abzustellen131. Sie erfasse Beweisaufnahmen, die typischerweise reproduziert würden oder die für das wei128

Vgl. die Erwägungen auf S. 49 ff. Vgl. Fezer, FS-Marszal, S. 74 (81 ff.). 130 Ein generelles Wahlrecht mit der Folge einer Kostenübernahme solle für die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage gelten, wenn diese nicht mehr im Katalog notwendiger Verteidigung enthalten sei, vgl. Fezer, FS-Marszal, S. 74 (84). 129

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tere Verfahren von erheblicher Bedeutung seien (so u. a. polizeiliche Vernehmungen) sowie die Anordnung von Untersuchungshaft oder andere Grundrechtseingriffe. Auch Situationen, in denen eine Einstellung nach § 153 a in Frage komme, seien einzubeziehen. Nach Schünemann soll der mittellose Beschuldigten ab der Eröffnung der Beschuldigung einen Anspruch auf Prozeßkostenhilfe haben132. Nach ihm ist ferner die notwendige Verteidigung als gebotenes Element einer gerechten Wahrheitsfindung auf ein das „Verfahrensendergebnis prägendes, modernes Ermittlungsverfahren“ zu erstrecken, wobei ihr genauer Umfang noch zu präzisieren sei133. II. Die Überlegungen von Vogelsang Im Rahmen einer Verteidigerbestellung greift Vogelsang134 auf das Institut des Verfahrenshelfers nach der österreichischen Strafprozeßordnung zurück. Dem vermögenslosen Beschuldigten sei ein Antragsrecht auf Verteidigerbestellung zuzugestehen. Über dieses sei er schon zu Beginn des Ermittlungsverfahrens zu belehren; auf die erste Vernehmung dürfe damit nicht zugewartet werden; ansonsten könnte die Staatsanwaltschaft ihn erst vor dem Tag der nach § 163 a I 1 erforderlichen Vernehmung von dem Ermittlungsverfahren unterrichten. Dann hätte womöglich auch der Verletzte schon genügend Einflußmöglichkeiten auf das Ermittlungsverfahren ausüben können. Somit sei der Beschuldigte schon über die Einleitung des Ermittlungsverfahrens zu informieren, was infolge einer verfassungskonformen Auslegung von § 137 I 1 erforderlich sei. Lediglich wenn konkrete Zwangsmaßnahmen zu erwarten seien, dürfe dies unterbleiben135. Wegen der Schwierigkeiten für den antragsberechtigten Beschuldigten, das für die Bestellung des Verteidigers zuständige Gericht ausfindig zu machen, sei während des Ermittlungsverfahrens der Ermittlungsrichter zuständig, in dessen Bezirk die zuständige Staatsanwaltschaft ihren Sitz habe. 131 Er knüpft hierbei an Überlegungen des AK-Strafprozeßreform (1979) an, vgl. § 3 II. 132 Schünemann, ZStW 114 (2002), 1 (50). 133 Schünemann, ZStW 114 (2002), 1 (50). 134 S. 236 ff. 135 Ferner: Dahs, NJW 1985, 1113 (1114); Müller, FG-Koch, S. 191 (197). In einer solchen Situation könnte auf die Überlegungen von Lammer zurückgegriffen werden, der vorschlägt, einen „Notverteidiger“ im Ermittlungsverfahren einzuführen, der bei verdeckten Ermittlungen die Interessen des Beschuldigten wahrnehmen solle und das Verfahren begleitend kontrollieren könne, vgl. Lammer, S. 203 (ferner: Bandisch, AnwBl. 1986, 70; Wolter, Aspekte, S. 84 mit Fn. 293 a). Der Verteidiger dürfe jedoch während der verdeckten Ermittlungen keinen Kontakt zu dem Beschuldigten aufnehmen.

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7. Kap.: Überlegungen zur Verteidigerbestellung

Eine notwendige Verteidigung sei auf schwerwiegende Fälle zu beschränken136. Im Rahmen der einstweiligen Unterbringung oder der Untersuchungshaft sei im Ermittlungsverfahren ein Fall notwendiger Verteidigung anzunehmen; die Bestellung solle schon im Rahmen von deren Anordnung erfolgen137. Im Gegensatz zur Festlegung der Kostentragungspflicht hinsichtlich des Verfahrenshilfe-Verteidigers am Ende des Verfahrens sollte nach Vogelsang schon beim Antrag des Beschuldigten verbindlich festgestellt werden, ob der Staat die Kosten für den Verfahrenshilfe-Verteidiger übernimmt138. Damit das Schweigerecht des Beschuldigten hinsichtlich der Vermögensverhältnisse nicht umgangen werde, sollte die Bedürftigkeit vom Sozialamt überprüft werden. Dieses habe die Ergebnisse dem Gericht zu übermitteln. Damit die vertrauliche Offenlegung der Vermögensverhältnisse gewahrt bleibe, sei der Katalog der nach § 53 I zeugnisverweigerungsberechtigten Personen um den Bearbeiter des Sozialamts zu erweitern139. Das Gericht stelle fest, ob die Beigebung im Interesse der Rechtspflege (bzw. im Interesse einer zweckentsprechenden Verteidigung) erforderlich sei. Sein Ermessen solle durch einen Katalog der Erforderlichkeit verbindlich konkretisiert werden140.

E. Eigene Überlegungen de lege ferenda Gegen eine Prozeßkostenhilferegelung wird geltend gemacht, damit werde auf das Antragserfordernis zurückgegriffen, was sich in der Strafprozeßordnung im Rahmen notwendiger Verteidigung als „prozessual ungeschickt“ herausgestellt hätte141. Dagegen kann angeführt werden, daß dem Recht des Beschuldigten auf Eigenverteidigung außerhalb der Fälle bestehender notwendiger Verteidigung der Vorrang einzuräumen ist. Insofern wird ein Ausgleich zum Zwang zur Fremdverteidigung geschaffen. Das Antragserfordernis ist damit als notwendiger Interessenausgleich hinzunehmen.

136 Vogelsang, S. 220 ff. – wo der Beschuldigte die Bedeutung der Verteidigung verkenne oder gar keine Verteidigungsaktivitäten entfalte. 137 Vogelsang, S. 239. 138 Vogelsang, S. 223. 139 Vogelsang, S. 225. 140 Vogelsang, S. 225: Ermittlungsverfahren gegenüber einem Jugendlichen oder Heranwachsenden; Antrag auf Erlaß eines Haft- oder Unterbringungsbefehls; Vertretung des Verletzten durch einen Rechtsanwalt im Ermittlungsverfahren; Durchführung der Hauptverhandlung in erster Instanz; Rechtsmitteleinlegung gegen erstinstanzliches Urteil mit erforderlicher Begründung; Durchführung einer Hauptverhandlung vor dem Rechtsmittelgericht. 141 Vgl. zum Armenrecht: LR-Dünnebier (23. Auflage), § 140 Rn. 4; ferner: Bohlander, S. 201 ff.

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Für die Grundzüge der Prozeßkostenhilfe spricht, daß in einem Strafverfahren, in dem der Staat ein überwiegendes Interesse an dem Verfahren (bei notwendiger Verteidigung einer Mitwirkung eines Pflichtverteidigers) hat, die Prozeßkostenhilfe erst recht gelten müßte, ist sie doch im Zivilprozeß anzuwenden, an welchem hauptsächlich die Parteien interessiert sind; auch die Resozialisierung des Beschuldigten würde gefördert142. Ferner ist auf die mögliche Gewährung von Prozeßkostenhilfe nach den §§ 397 a II, 406 g III 1 Nr. 2, IV hinzuweisen143. M. E. sind die Grundzüge der Prozeßkostenhilfe mit dem von Vogelsang vorgeschlagenen Modell zu verbinden, um eine Verteidigerbestellung auf Antrag des bedürftigen Beschuldigten zu gewährleisten. Die Beschränkung einer Verfahrenshilfe für den mittellosen Beschuldigten auf Erfordernisse der Rechtspflege bzw. einer zweckentsprechenden Verteidigung (Vogelsang) führt zu Wertungsproblemen, selbst wenn Konkretisierungen erfolgen. Damit wäre eine Finanzierung über ein Prozeßkostenhilfe-Modell, welches Prozeßkostenhilfe für jeden Beschuldigten unabhängig von Interessen der Rechtspflege vorsieht, vorzuziehen. Schon vor der Bestellung eines Verteidigers müßte über die Bedürftigkeit des Beschuldigten entschieden werden, sodaß dieser sich nicht von möglichen Kostenerwägungen im Hinblick auf einen eigenen Antrag auf Bestellung leiten ließe144. Einer Überprüfung der finanziellen Voraussetzungen (§§ 114, 115 ZPO analog) durch eine unabhängige Stelle – so der Vorschlag von Vogelsang – ist zuzustimmen. Insofern könnte auf das zuständige Sozialamt – zurückgegriffen werden. Die Vorschriften der § 117 II, III, IV ZPO sowie § 118 II 1, S. 2, S. 4 ZPO sind analog heranzuziehen, um die Bedürftigkeit des Beschuldigten zu überprüfen. Um das Schweigerecht des Beschuldigten nicht zu unterlaufen, ist § 53 I entsprechend auf den Bearbeiter des Sozialamts zu erweitern. Das bedeutet zugleich, daß dieser einer Schweigepflicht unterliegt, deren Verletzung durch § 203 StGB sanktioniert ist.

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C. Ahrens, S. 265 f. Vgl. Schünemann, ZStW 114 (2002), 1 (50): Der mittellose Beschuldigten solle ab der Eröffnung der Beschuldigung einen Anspruch auf Prozeßkostenhilfe (vergleichbar dem eines Nebenklägers oder nebenklageberechtigten Verletzten) haben. Die für eine Gewährung von Prozeßkostenhilfe nach §§ 397 a II, 406 g II geforderte Unzumutbarkeit sei angesichts der erforderlichen kontradiktorischen Struktur des prägenden Ermittlungsverfahrens generell für den Beschuldigten erfüllt. 144 Vgl. die Erwägungen von Vogelsang, S. 223; Beulke (Der Verteidiger, S. 256) will dieser Gefahr entgegentreten, indem alle ortsansässigen Rechtsanwälte im Rotationsverfahren für erste Beschuldigtenvernehmungen verpflichtet werden können. Der Staat müßte die Kosten tragen. 143

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7. Kap.: Überlegungen zur Verteidigerbestellung

Auch könnte erwägenswert sein, die Aufgaben des Rechtspflegers beim Amtsgericht auf die Überprüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschuldigten zu erweitern. Insofern kann auf die bestehende funktionelle Zuständigkeit zur Überprüfung der finanziellen Voraussetzungen im Rahmen der Beratungshilfe hingewiesen werden, vgl. § 4 I BerHG i. V. m. § 24 a I Nr. 1 RPflG. Der Verteidiger würde gerichtlich bestellt, vgl. § 141 IV. Eine Wahlmöglichkeit des Beschuldigten wäre nach Vorbild des § 142 zu gewährleisten. Die Dauer und Beendigung der Bestellung richtete sich nach den zur Pflichtverteidigerbestellung entwickelten Grundsätzen145. Im Ermittlungsverfahren sollte angesichts der vorstehenden Ausführungen zu § 141 III 4 EStPO146 grds. die Staatsanwaltschaft nach Übermittlung des Ergebnisses der Prüfung der finanziellen Voraussetzungen für die Bestellung zuständig sein. Folgt sie einem Vorschlag des Beschuldigten nicht, so ist der Ermittlungsrichter für den Bestellungsakt zuständig. Die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit des Ermittlungsrichters sollte sich nach der im Zeitpunkt der Antragstellung zuständigen Staatsanwaltschaft richten (vgl. den Vorschlag von Vogelsang). In Anlehnung an § 406 g IV wäre auch eine Eilbeiordnung im Ermittlungsverfahren zu gewährleisten. Gemäß § 406 g IV 1 Nr. 3 wäre erforderlich, daß die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe möglich, d.h. zumindest nicht ausgeschlossen erscheint147. Daneben müßte eine Eilbedürftigkeit vorliegen, die aus der Beschuldigtenperspektive zu bestimmen wäre. Im Rahmen der Eilbeiordnung nach § 406 g IV 1 wird darauf abgestellt, ob den Betroffenen das Abwarten der Gewährung von Prozeßkostenhilfe nach §§ 397 a II, 406 g III Nr. 2 nicht zuzumuten ist. Dies sei z. B. der Fall, wenn zu Beginn eines Ermittlungsverfahrens aus Gründen der Beweissicherung Vernehmungen oder Augenscheinseinnahmen stattfinden und die Mitwirkung eines Rechtsanwalts für den Betroffenen sachdienlich erscheint148. Für den Beschuldigten ergäbe sich eine solche Eilbedürftigkeit insbesondere im Hinblick auf seine Vernehmungen, Identifizierungsgegenüberstellungen oder die Vernehmungen von Zeugen, bei denen dem Verteidiger ein Anwesenheitsrecht zusteht.

145 Vgl. oben: Kap. 3, § 1 C. IV.; eine Ausnahme sollte für die Revisionshauptverhandlung angenommen werden. Nach h. M. gilt dafür § 350 III. Für die Dauer der Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers sollte dies unbeachtlich sein. Dessen Bestellung sollte bis zum rechtskräftigen Abschluß des Verfahrens gelten, vgl. § 42 V ÖStPO. 146 Vgl. oben: Kap. 7, § 1 A. I. 2. 147 Vgl. zu § 406 g IV: BT-Drucks. 10/6124, S. 15; LR-Hilger, § 406 g Rn. 25. 148 LR-Hilger, § 406 g Rn. 23; KK-Engelhardt, § 406 g Rn. 5.

§ 2 Bestellung eines Verteidigers

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Die Einschaltung des Sozialamts kann im Ermittlungsverfahren zu zeitaufwendig sein, auch wenn die eigentliche Entscheidung über das Vorliegen der Bedürftigkeit rasch getroffen werden könnte, indem diese Feststellung vorbehaltlich erfolgt149. Auch erscheint die ständige Verfügbarkeit eines Rechtspflegers fraglich. Die Eilbeiordnung im Ermittlungsverfahren, im Rahmen welcher auch die Möglichkeit der Gewährung von Prozeßkostenhilfe zu überprüfen wäre, sollte nicht die Staatsanwaltschaft, sondern vielmehr der Ermittlungsrichter treffen (vgl. auch § 406 g IV 2 i. V. m. § 162). Damit würde der Eile der Entscheidung entsprochen. Auch kollidierte eine Offenlegung der Vermögensverhältnisse bei Beurteilung der Möglichkeit einer Gewährung von Prozeßkostenhilfe nicht mit dem Schweigerecht des Beschuldigten, insofern wäre § 53 I auf den Ermittlungsrichter auszudehnen. Die „Eilbestellung“ endete, wenn kein entsprechender Antrag auf Prozeßkostenhilfe gestellt, oder die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe abgelehnt würde, vgl. § 406 g IV 3. Über die Möglichkeit der Gewährung von Prozeßkostenhilfe in einem Strafverfahren ist der Beschuldigte nach Eröffnung der Beschuldigung zu belehren. Dies sollte in § 136 I verankert werden. Im Anschluß an den Hinweis auf die Möglichkeit der Antragstellung zur Bestellung eines notwendigen Verteidigers, sollte auf die antragsbedingte Gewährung von Prozeßkostenhilfe im Strafverfahren hingewiesen werden. Dabei wäre ihm die für die Bestellung zuständige Stelle mitzuteilen. Mit den vorgeschlagenen Grundzügen einer Verfahrens-/Prozeßkostenhilfe ist den Zweifeln von Rieß Genüge getan, die sich auf Verteidigerwechsel, die Beauftragung mehrerer Verteidiger und die Offenlegung der Vermögensverhältnisse beziehen150. In Fällen notwendiger Verteidigung müßte die Bestellung selbstverständlich unabhängig von der Gewährung von Prozeßkostenhilfe erfolgen. Auch im Rahmen notwendiger Verteidigung sollte unabhängig vom Ausgang des Verfahrens eine Übernahme der Kosten bei fehlender finanzieller Leistungsfähigkeit nach den Grundsätzen der Prozeßkostenhilfe erfolgen. Zwar wird die finanzielle Lage der Betroffenen in diesen Fällen schon über §§ 140 ff. verbessert. Jedoch sind die Grundsätze einer Verteidigerbestellung wegen Mittellosigkeit zu berücksichtigen. Wenn im Rahmen notwendiger Verteidigung ein Verteidiger bestellt wird, wird den Beschuldigten die Entscheidung über die eigene Hinzuziehung eines Verteidigers „abgenommen“. Ein Ausgleich ist auf der

149 150

Vgl. Vogelsang, S. 224. Vgl. Rieß, StV 1981, 460 (461).

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7. Kap.: Überlegungen zur Verteidigerbestellung

Kostenebene zu schaffen, indem der Beschuldigte die Übernahme der Kosten der Verteidigung beantragen kann. Unabhängig von der Frage einer generellen Übernahme der Verfahrenskosten durch den Staat151 sind damit die Grundsätze der Prozeßkostenhilfe auf das Strafverfahren im Hinblick auf eine Übernahme der Verteidigerkosten zu übertragen152. Danach hat im Fall der Mittellosigkeit des Beschuldigten die Staatskasse die Verteidigerkosten zu tragen. Die Notwendigkeit der Verteidigung ist insofern unbeachtlich153.

§ 3 Europäisierung der Verteidigung Infolge der Europäisierung strafrechtlicher Verfolgung stellt sich ferner die Frage nach der Regelung über den Rechtsbeistand für einen Beschuldigten in europaweiten Strafverfahren. Das Corpus Juris schenkt dem Verteidiger wenig Aufmerksamkeit154. Auch das Grünbuch über die Europäische Staatsanwaltschaft sparte – bis auf allgemeine, auf Art. 6 EMRK rekurrierende – Überlegungen zur Verteidigung aus155. Die Follow-up-Mitteilung zu diesem Grünbuch von März 2003156 verweist insofern auch lediglich auf den allgemeinen Schutz der Verteidigungsrechte des Beschuldigten. Jedoch sind auch auf europäischer Ebene Bestrebungen im Gange, gemeinsame Standards für die Gewährleistung einer Verteidigung zu setzen.

151 Roxin, 57/5; Haffke, StV 1981, 471 (478); Hassemer, ZStW 85 (1973), 651 (667 ff.). 152 Vgl. C. Ahrens, S. 263 ff.; BRAK Stellungnahme zum AK-Strafprozeßreform (1979), S. 7 f.; BRAK Reform, These 12, S. 45 f.; Beulke, Der Verteidiger, S. 256; B. Schneider, S. 128; Spaniol, S. 320 mit Fn. 16; Jörke, S. 137, 140; Rieß, StV 1981, 460 (461, 464); Haffke, StV 1981, 471 (478). Siehe ferner: Welp, ZStW 90 (1978), 101 (110, 114) – dieser Vorschlag widerspricht seinem Prinzip, dem Beschuldigten umfassende Entscheidungsfreiheit bei der Wahl eines Verteidigers einzuräumen. Sein Autonomieprinzip würde durch die von Kosten bestimmte Entscheidung der autonomen Individuen unterlaufen, die in den Augen des Gesetzes reich genug sind, um für die Kosten eines Pflichtverteidigers aufzukommen. Sie könnten sich aufgrund der Kosten gegen eine Vertretung durch einen Verteidiger entscheiden, C. Ahrens, S. 259. 153 Auch wird lediglich für Fälle notwendiger Verteidigung (Hahn, S. 125) oder außerhalb von Bagatellsachen (Fezer, FS-Marszal, S. 74, 83 f. unter Hinweis auf § 121 II ZPO; Weigend, ZStW 113 (2001), 271, 296) eine solche Prozeßkostenhilfe gewährt. 154 Art. 29 II CJF verweist auf die Europäische Menschenrechtskonvention und den Internationalen Pakt der UNO über die politischen und bürgerlichen Rechte; kritisch: Braum, JZ 2000, 493 (497). 155 Vgl. die Kritik der Stellungnahme der Strafverteidigervereinigungen zum Grünbuch (2003), unter II. 1. 156 KOM (2003) 128 endg., S. 16, 18 ff., 24.

§ 3 Europäisierung der Verteidigung

377

A. Grünbuch der Kommission157 über Verfahrensgarantien in Strafverfahren innerhalb der Europäischen Union Das Grünbuch der Kommission der Europäischen Gemeinschaften über Verfahrensgarantien in Strafverfahren innerhalb der Europäischen Union befaßt sich ausdrücklich mit dem Recht auf rechtlichen Beistand, wenn auch die Teilhabe- und Gestaltungsrechte der Verteidigung unerörtert bleiben158. Das Grünbuch ist Teil159 der Entwicklung gemeinsamer Mindestverfahrensgarantien für Personen, die einer Straftat verdächtigt, beschuldigt oder die wegen einer Straftat angeklagt oder verurteilt werden. Als Aufgabe des Grünbuchs wird die Verpflichtung angesehen, dafür zu sorgen, daß die Rechte in der EU nicht theoretisch oder illusorisch, sondern konkret und wirksam sind160. Es soll eine „europäische Benchmark“ erreicht werden161; eine wesentliche Änderung des nationalen Strafprozeßrechts soll dadurch „nicht unbedingt“ hervorgerufen werden. Es sollen bestehende Rechte benannt und sichtbar gemacht werden162. Es wird das Vertrauen hervorgehoben, welches die Mitgliedstaaten in die einzelnen Rechtssysteme untereinander gewähren163. Eben dieses Vertrauen soll 157

Vom 19.02.2003, KOM (2003) 75. Vgl. Stellungnahme der Strafverteidigervereinigungen zum Grünbuch (2003), unter II. 1. 159 Vorausgegangen war dem Grünbuch eine Initiative der Kommission: Sie erfaßte die in den Mitgliedstaaten gegebenen Verfahrensgarantien. Es wurde ein Konsultationspapier gefertigt, welches im Internet auf der Website der Generaldirektion Justiz und Inneres veröffentlicht wurde und alle Rechte bezeichnete, die in einem Grünbuch berücksichtigt werden könnten. Zu diesem Konsultationspapier konnten Stellungnahmen und Antworten eingereicht werden. So konnten die Rechte herausgearbeitet werden, welche auf europäischer Ebene zu berücksichtigen sind. Auch wurden die Mitgliedstaaten Anfang 2002 zu verschiedenen Bereichen des nationalen Strafprozeßrechts um Auskunft ersucht, vgl. S. 5 des Grünbuchs. Von einer Studie wurde aus Effektivitätsgesichtspunkten abgesehen, S. 13 f: Die Kommission wollte möglichst „rasch“ tätig werden. Eine von einem unabhängigen Forschungsinstitut durchgeführte Studie könne eine geraume Zeit in Anspruch nehmen. Das Ergebnis bliebe zuweilen hintern den Erwartungen zurück. Zum „Verfahrensgang“ vgl. die Ausführungen auf S. 13 ff. Besonders hervorgehoben und als einzelne Maßnahmen sind das Recht auf Freilassung gegen Kaution und die Angleichung, Anerkennung und Vollstreckung von Strafen in der EU vorgesehen. Auch sei dem Recht auf Fairneß bei der Beweiserhebung und -verwertung sowie dem Grundsatz „ne bis in idem“ mehr Zeit zu widmen. Die bezeichneten Felder sollen anhand einer Studie erörtert werden, vgl. S. 17 f. 160 Angesichts des vorangegangenen Rahmenbeschlusses zum Europäischen Haftbefehl und der dort propagierten gegenseitigen Anerkennung kommen die Erörterungen des Grünbuchs reichlich spät. 161 Das Grünbuch spricht insofern von einem nachweisbar hohen Grad an Übereinstimmung, S. 43. 162 Grünbuch, S. 17. 163 Auf dieses Vertrauen stützt sich der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung. Das Vertrauen kann laut Grünbuch nicht von heute auf morgen erreicht werden, vgl. 158

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7. Kap.: Überlegungen zur Verteidigerbestellung

durch gemeinsame Mindestgarantien gestärkt werden, welche in den nationalen Rechtsordnungen auf unterschiedliche Weise umgesetzt werden können164. Die nach Art. 6 II EUV von der EU zu achtenden Grundrechte der EMRK dienen als Grundlage für die Ausarbeitung gemeinsamer Mindeststandards165. Das Grünbuch nimmt die Mitgliedstaaten in die Pflicht, eigenständig Verfahrensgarantien zu gewährleisten. Der EGMR sei kein „Sicherheitsnetz“166. Unterschiede in der praktischen Umsetzung der Menschenrechte in den nationalen Strafverfahrensordnungen zögen ein unterschiedliches nationales Schutzniveau nach sich167. Diese Unterschiede seien geeignet, das Vertrauen zu gefährden. Eben dieses Vertrauen sei jedoch Grundlage für die gegenseitige Anerkennung. Gemeinsame Mindeststandards für dieses Vertrauen könnten nur auf EUEbene festgelegt werden. Der Subsidiaritätsgrundsatz (Art. 5 EGV) sei danach gewahrt. Die EU sei nach Art. 31 lit. c) EUV legitimiert, tätig zu werden168. Dabei würden nationale Besonderheiten von der Kommission berücksichtigt. Das Grünbuch unterscheidet zwischen dem Recht, sich selbst zu verteidigen, einen Verteidiger seiner Wahl zu beauftragen und dem Recht auf unentgeltlichen Rechtsbeistand169. Im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten in Zivilsachen ist für die Prozeßkostenhilfe eine Richtlinie erlassen worden, wonach jede Person unter bestimmten Voraussetzungen „angemessene Prozeßkostenhilfe“ erhält170. Diese Prozeßkostenhilferegelung kann nach dem Grünbuch als Vorbild für die Harmonisierung der geltenden Mindestvorschriften im strafprozeßrechtlichen Bereich dienen171. S. 44. Nicht nur die Regierungen müßten dieses Vertrauen aufbringen, sondern auch die Praxis. Die gegenseitige Anerkennung wurde jedoch rasch erreicht – auch mit dem vielbeschworenen (vgl. die Nachweise bei Schünemann, StraFo 2003, 344, 351 mit Fn. 62) Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit der Rechtsordnungen. Insofern erscheint die Skepsis unangebracht. 164 Grünbuch, S. 5. 165 Der Grundrechtscharta sind alle Mitgliedstaaten der EU beigetreten. Auch in diesem Zusammenhang will das Grünbuch nicht die Mitgliedstaaten zur Einhaltung der EMRK ermahnen. Vielmehr soll dadurch eine konsequentere und einheitlichere Anwendung der entsprechenden Rechte gewährleistet werden, vgl. S. 18. 166 Grünbuch, S. 43. Dabei sollen die Mitgliedstaaten selbst Verstößen gegen die EMRK abhelfen. 167 Grünbuch, S. 17. Diese Unterschiede deuteten jedoch nicht auf einen Verstoß gegen die EMRK hin, vgl. Grünbuch S. 5. 168 Insofern erscheinen die Ausführungen auf S. 10 f. denen auf S. 5 zu widersprechen, wenn dort aufgeführt wird, daß unterschiedliche Umsetzungen der Menschenrechte in den nationalen Strafverfahrensordnungen nicht einen Verstoß gegen die EMRK indizieren, jedoch das Vertrauen gefährden, auf welchem auch die gegenseitige Anerkennung basiert. 169 Grünbuch, S. 26. 170 Vom 31.01.2003, ABl. L 26/41.

§ 3 Europäisierung der Verteidigung

379

Aus „offenkundigen Gründen“ gehe die Kommission auf die Situation desjenigen, der sich selbst verteidigen will, nicht ein; sie erkennt jedoch sein entsprechendes Recht an. Vielmehr widmet sich die Kommission dem Beschuldigten, der die Vertretung durch einen Rechtsbeistand wünscht, aber den Verteidiger nicht zu bezahlen vermag. Das Recht auf freie Wahl des Verteidigers entfaltet sich jedoch nur dann, wenn der Betroffene den Verteidiger aus eigenen Mitteln bezahlen kann172. Das Grünbuch geht auf die Bestellung eines Rechtsbeistandes und die Unentgeltlichkeit nicht als getrennte Aspekte ein, sondern rekurriert auf die Formulierungen in Art. 55 Römisches Statut, Art. 6 III lit. c) und Art. 14 IPBPR173. Dabei sei die Bedürftigkeit für die Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes nicht mit „letzter Gewissheit“ nachzuweisen174. Die Frage, ob überhaupt und in welchem Umfang eine solche Bedürftigkeitsprüfung durchzuführen sei, sei im Hinblick auf Kosteneffizienzgesichtspunkte einer nationalen Regelung vorbehalten175. Ein unentgeltlicher Rechtsbeistand sei jedoch nur zu bestellen, wenn dies im Interesse der Rechtspflege erforderlich sei. Diese Erforderlichkeit sei schwierig zu bestimmen. Anhaltspunkte gäben die vom EGMR aufgestellten Kriterien. Maßgebend seien danach: die Schwere der Straftat und die Höhe des Strafmaßes, die Kompliziertheit des Falls und die persönliche Situation des Beschuldigten. Diese Kriterien seien jedoch zu allgemein176.

171

Grünbuch, S. 25 Grünbuch, S. 26. 173 Grünbuch, S. 26; Art. 55 II lit. c) Römisches Statut (vom 17.07.1998): „das Recht, sich durch einen Verteidiger ihrer Wahl verteidigen zu lassen oder, falls sie keinen Verteidiger hat, auf Bestellung eines Verteidigers, wenn dies im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist; fehlen ihr die Mittel zur Bezahlung eines Verteidigers, so ist ihr in einem solchen Fall eine Verteidiger unentgeltlich zu bestellen.“; Art. 14 III IPBPR (Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19.12.1966, BGBl. 1973 II, 1533; BGBl. 1976 II, S. 1068): Jeder wegen einer strafbaren Handlung Angeklagte hat in gleicher Weise im Verfahren Anspruch auf folgende Mindestgarantien: „. . . d) er hat das Recht, bei der Verhandlung anwesend zu sein und sich selbst zu verteidigen oder durch einen Verteidiger seiner Wahl verteidigen zu lassen; falls er keinen Verteidiger hat, ist er über das Recht, einen Verteidiger in Anspruch zu nehmen, zu unterrichten; fehlen im die Mittel zur Bezahlung eines Verteidigers, so ist ihm ein Verteidiger unentgeltlich zu bestellen, wenn dies im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist“. 174 Das Grünbuch verweist insofern auf die in den Mitgliedstaaten unterschiedlichen Praktiken der Bedürftigkeitsprüfung. Zum Teil werde darauf gänzlich verzichtet und jedem ein Rechtsbeistand an die Seite gestellt. Als Begründung wird u. a. die Kostenträchtigkeit einer solchen Bedürftigkeitsprüfung angeführt, vgl. S. 28 – siehe dazu Frage 5, S. 29. 175 Grünbuch, S. 26. 176 Prozeßkostenhilfe würde vielleicht nicht durchgängig gewährt, auch wenn diese Kriterien erfüllt seien. 172

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7. Kap.: Überlegungen zur Verteidigerbestellung

Das Grünbuch weist auf die Bestellung eines Verteidigers bei drohendem Freiheitsentzug hin. Auch andere drohende Folgen wie der Verlust des Arbeitsplatzes ließen einige Mitgliedstaaten genügen177. Manche Mitgliedstaaten ließen die Bestellung bei allen Straftaten zu, wobei geringfügige Vergehen ausgenommen seien178. Das Grünbuch verweist auf die Verpflichtung des Staates, die für den Verteidiger zur Verteidigung notwendigen Informationen offenzulegen, um auch eine effektive Verteidigung179 zu gewährleisten. Das Recht auf unentgeltlichen Beistand bedinge keine freie Wahl des Verteidigers. Der Anwalt müsse jedoch auf jeden Fall effektiven Beistand leisten. Das Grünbuch widmet sich der Frage, wann dem Betroffenen das Recht auf rechtlichen Beistand zusteht. Dabei stellt es einerseits auf den Zeitpunkt der Festnahme ab, unter Einbeziehung des Vorverfahrens180. Auch weist es darauf hin, ein Tatverdächtiger habe bei einer Befragung oder Vernehmung Anspruch auf einen Verteidiger. Falls er einen Verteidiger in diesem Stadium ablehne, so sollte er bei Erhebung der Anklage auf dieses Recht (wohl erneut) hingewiesen werden. Wünsche er einen solchen, so sollte ihm sobald wie möglich ein Verteidiger gestellt werden. Die Vorschläge des Grünbuchs erstrecken sich auf eine Erhöhung der Vergütungen sowie auf die Einführung eines Qualitätssicherungssystems. Die Kommission sei sich der Kostenlast bewußt; fraglich erschiene, wieweit sich die Pflicht zur Bereitstellung rechtlichen Beistands erstrecke. So könnten Personen, die zumindest einen Teil der Rechtskosten zu tragen imstande sind, ausgeklammert werden. Auch wenn ein geringfügiges Vergehen Gegenstand der Tatverdächtigung bildet, könne eine Kostentragung ausgeschlossen sein. Ferner weist das Grünbuch auf besonders schutzbedürftige Personen hin181; für sie müsse ein angemessenes Schutzniveau gefunden werden. Zu diesen Personen zählten ausländische Staatsangehörige, Kinder, sowie Personen die aufgrund ihrer mentalen, emotionalen oder physischen Verfassung schutzbedürftig seien. Auch Mütter oder Väter von Kleinkindern sowie Personen, die des Lesens oder Schreibens unkundig sind, fielen in diese Kategorie. Auch Alkoholiker oder Drogenabhängige sind davon erfaßt. Bereits im Polizeigewahrsam hät-

177 Die Kommission stellt die Frage, ob eine einheitliche Regelung einzuführen ist, welche die Bereitstellung rechtlichen Beistandes (also wenn gewünscht, vgl.: S. 26 und Frage 2, S. 29) von der Schwere der Straftat abhängig macht und ob geringfügige Vergehen auszunehmen seien, S. 28 f. – vgl. Frage 6, S. 29. 178 Vgl. die Nachweise auf S. 27, Fn. 45: Schweden. 179 Eine solche Verteidigung stehe allen Personen im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates zu – unabhängig von ihrer Nationalität und der Rechtmäßigkeit ihres Aufenthaltes, vgl. Art. 6 I EMRK, Art. 14 I PBPR – S. 27 f. 180 Grünbuch, S. 25. 181 Grünbuch, S. 36 ff.

§ 3 Europäisierung der Verteidigung

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ten die Polizeibeamten diese Schutzbedürftigkeit zu überprüfen und aktenkundig zu machen. Im Rahmen der Vertretung ausländischer Beschuldigter verweist das Grünbuch auf den konsularischen Beistand nach Art. 36 I des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen182, welches konsequent umgesetzt werden müsse183. Dafür bedürfe es der Bereitstellung eines „engagierten“ Beamten, der sich mit dem Rechtssystem des Staates auskenne184. Über diesen Beamten könnten sodann weitere Kontakte zu einem Rechtsanwalt hergestellt werden. Wenn eine Kontaktaufnahme seitens der Betroffenen zwar generell, nicht jedoch mit dem Vertreter ihres Staates gewünscht sei, könnten sie auf andere Kontaktmöglichkeiten rekurrieren185.

B. Vorschlag für einen Rahmenbeschluß des Rates über bestimmte Verfahrensrechte in Strafverfahren innerhalb der Europäischen Union186 In dem Vorschlag für einen Rahmenbeschluß über bestimmte Verfahrensrechte in Strafverfahren innerhalb der Europäischen Union finden sich Mindestnormen, die ein einheitliches Schutzniveau für Verdächtige und Angeklagte gewährleisten sollen187, vgl. ferner Art. 17 EGV. Insbesondere sollen ausländische Beschuldigte188 geschützt werden. Der Vorschlag anerkennt, daß ein gegenseitiges Vertrauen nicht immer gegeben ist. Dies liege auch an der unterschiedlichen Handhabung der Garantien des Art. 6 EMRK in den nationalen Staaten, welche den EGMR in einer Vielzahl von Fällen beschäftigte. Nach dem Vorschlag dürfte keine übermäßige Belastung für die Mitgliedstaaten entstehen, weil die Bestimmungen inhaltlich vor allem bestehende Rechte 182

Vom 24.04.1963, BGBl. II 1969, 1587. Grünbuch, S. 40. 184 Hier verweist das Grünbuch nicht nur auf die strafrechtlich Verfolgten, sondern auch auf den Schutz der Opfer von Straftaten, S. 41. 185 Sie könnten Vertreter eines anderen Staates, welche der Vertretung der Interessen solcher Personen zugestimmt hat, kontaktieren (vgl. Vorschrift 38 der Vorschriften über Mindestgrundätze für die Behandlung der Gefangenen, 1955). Ferner käme für die Kontaktaufnahme eine (nicht-)staatliche Organisation in Betracht (vgl. Grundsatz 16 der Grundsätze für den Schutz von festgenommenen oder inhaftierten Personen). Weitere Nachweise: Grünbuch, S. 40 f. mit Fn. 62 und 63. 186 KOM/2004/0328 endg. vom 28.04.2004; im folgenden VR. 187 Vgl. die Einführung zum Vorschlag, S. 1 ff. 188 Ausländische Verdächtige und Angeklagte sind nach dem Vorschlag jene Personen, die nicht Staatsangehörige des Staates sind, in dem sie verhaftet wurden. Einige Ausländer sind Unionsbürger aus einem anderen Mitgliedstaat, andere Drittstaatsangehörige. Sofern nichts Gegenteiliges angegeben sei, sei es für die Zwecke dieses Vorschlags irrelevant, in welche Kategorie diese Personen fielen. 183

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7. Kap.: Überlegungen zur Verteidigerbestellung

nach Maßgabe der EMRK und der einschlägigen Rechtsprechung bekräftigten. Die ordnungsgemäße Umsetzung des Beschlusses solle überwacht werden (vgl. Art. 15 VR). I. Regelungen Der Vorschlag sieht folgende Regelungen in Bezug auf die Gewährung rechtlichen Beistands vor189: Artikel 2 VR – Das Recht auf Rechtsbeistand 1. Eine verdächtige Person hat so rasch wie möglich und während des gesamten Strafverfahrens das Recht auf Rechtsbeistand, wenn sie diesen erhalten möchte. 2. Eine verdächtige Person hat das Recht auf Rechtsbeistand, bevor sie Fragen in Bezug auf die Anklage beantwortet. Artikel 3 VR – Pflicht zur Bereitstellung von Rechtsbeistand Ungeachtet des Rechts einer verdächtigen Person, Rechtsbeistand zu verweigern oder sich selbst in einem Verfahren zu verteidigen, muß bestimmten verdächtigen Personen Rechtsbeistand angeboten werden, damit die Fairneß des Verfahrens gewahrt wird. Die Mitgliedstaaten stellen daher sicher, daß Rechtsbeistand verfügbar ist für jede verdächtige Person, die: – vor der Verhandlung in Untersuchungshaft genommen wird oder – förmlich angeklagt wird, eine Straftat begangen zu haben, die einen komplexen Sachverhalt oder rechtlichen Tatbestand betrifft oder die mit einer schweren Strafe bedroht ist, insbesondere, wenn in einem Mitgliedstaat ein zwingendes Strafmaß von mehr als einem Jahr Haft für die Straftat besteht, oder – gegen die ein Europäischer Haftbefehl ausgestellt wurde oder die Gegenstand eines Auslieferungsverfahrens oder eines anderen Übergabeverfahrens ist, oder – die minderjährig ist oder – die aufgrund ihres Alters, ihrer mentalen, physischen oder emotionalen Verfassung nicht in der Lage scheint, den Inhalt oder die Bedeutung des Verfahrens zu verstehen oder diesem zu folgen190. 189 Der Vorschlag verweist ferner auf den konsularischen Beistand (S. 7, 12, 18 ff., 27 – Art. 12 VR) und schließt sich damit den Erwägungen des Grünbuchs an. 190 Personen, die das Verfahren nicht verstehen oder ihm nicht folgen könnten, sei besondere Aufmerksamkeit zu widmen. In welcher Form die Hilfe erfolge, hänge von der Situation ab. Kinder sollten während der Befragung von einem Elternteil oder

§ 3 Europäisierung der Verteidigung

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Artikel 5 VR – Das Recht auf unentgeltlichen Rechtsbeistand 1. Wenn Artikel 3 zur Anwendung kommt, werden die Kosten des Rechtsbeistands ganz oder teilweise von den Mitgliedstaaten getragen, sofern die Tragung dieser Kosten für die verdächtige Person oder die Personen, gegenüber denen sie unterhaltspflichtig ist, eine übermäßige finanzielle Belastung darstellen würde. 2. Die Mitgliedstaaten können daraufhin im Hinblick auf einen vollständigen oder teilweisen Kostenersatz überprüfen, ob die Mittel der verdächtigen Person es ihr erlauben, einen Beitrag zu den Kosten des Rechtsbeistands zu leisten. II. Begründung zum Vorschlag Nach der Begründung zu den Vorschriften191 soll die Möglichkeit der Hinzuziehung eines Rechtsbeistandes in allen Stadien eines Strafverfahrens192 gewährleistet sein. Dies habe so rasch wie möglich zu erfolgen. In einigen Fällen verlange ein faires Verfahren, daß der Angeklagte unbeschadet des Rechts, sich selbst zu verteidigen, Rechtsbeistand erhalte. Zwar verweise Artikel 6 III lit. c) EMRK auf das Recht zur Selbstverteidigung. Dies bedeute, daß sie die Vertretung durch einen Rechtsanwalt ablehnen kann. Trotz dieses Rechts sei es in bestimmten Situationen besonders „wünschenswert“, daß die verdächtige Person Rechtsbeistand erhält. In bestimmten Fällen müsse aufgrund der Verfahrensfairneß verdächtigen Personen Rechtsbeistand angeboten werden. Die Mitgliedstaaten müßten ein Verfahren einrichten, um zu bewerten, ob die verdächtige Person über die Mittel zur Bezahlung eines Verteidigers nach den Vorgaben von Art. 5 VR verfügt. Dabei verlange die EMRK nicht, daß der Angeklagte mit letzter Gewissheit nachweist, daß er einen Verteidiger nicht bezahlen kann. In ihrem Vorschlag stellt die Kommission auf die Bereitstellung eines Rechtsbeistandes in bestimmten Fällen ab, und zwar auch schon während des Vorverfahrens. Damit lehnt der Vorschlag eine notwendige Verteidigung in den aufgeführten Fällen wohl ab. Auch aufgrund der Freistellung von den Kosten für einem anderen geeigneten Erwachsenen begleitet werden; Personen, die medizinische Hilfe benötigen, sollten Zugang zu einem Arzt erhalten, vgl. Vorschlag, S. 11. 191 Vgl. Vorschlag, S. 14 f. 192 Unter Strafverfahren versteht der Vorschlag dabei alle Verfahren innerhalb der Europäischen Union, in denen die Schuld oder Unschuld einer Person, die der Begehung einer Straftat verdächtigt wird, festgestellt werden oder in denen über den Ausgang des Verfahrens entschieden werden soll, nachdem die Person sich der Anklage für schuldig bekannt hat. Rechtsmittel gegen diese Verfahren sind ebenfalls erfaßt, vgl. Art. 1 des Vorschlages.

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7. Kap.: Überlegungen zur Verteidigerbestellung

einen Rechtsbeistand in Gemäßheit von Art. 5 VR sollte der Vorschlag m. E. für diese Fälle eine notwendige Verteidigung annehmen. Der Vorschlag geht davon aus, daß die Bereitstellung so rasch wie möglich erfolgen solle, beschränkt sie jedoch auf bestimmte Situationen. Die Untersuchungshaft, die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls oder ein Übergabeverfahren bezieht sich (auch) auf Situationen im Vorverfahren eines Strafverfahrens. Hinsichtlich des Schutzes bestimmter Personen (Minderjährige oder Personen, die das Verfahren nicht verstehen oder ihm folgen können) bezieht der Vorschlag diesen Schutz wohl auf das gesamte Ermittlungsverfahren, unabhängig von einem situativen Hilfsbedürfnis. Dies sollte im Wortlaut noch stärker hervorgehoben werden. Bezüglich der Kostentragung in den Fällen der Bereitstellung von Rechtsbeistand nach Art. 3 VR stellt die Kommission auf eine endgültige Befreiung von den Kosten und damit wohl auf eine Prozeßkostenhilferegelung ab (vgl. Art. 5 VR)193. Vorbild für die Einführung eines solchen Prozeßkostenhilfesystems könnten die Regelungen über den Verfahrenshilfe-Verteidiger in Österreich sein, der in bestimmten Fällen eintritt194. Damit ginge die Kommission über das in Art. 6 III lit. c) EMRK aufgeführte Recht auf unentgeltlichen Beistand insofern hinaus, als diese Vorschrift nach h. M. in Deutschland einen Kostenansatz eben nicht ausschließt195. Danach dürften allein die Schutzvorschriften im Rahmen der Kostenbeitreibung nicht den Anforderungen von Art. 5 VR genügen.

C. Vorschlag des Alternativ-Entwurfs zum EU Verfassungsentwurf „Europäische Strafverfolgung“ – Einführung von „Eurodefensor“196 Nach dem Alternativ-Entwurf zum EU Verfassungsentwurf197 soll eine zentrale Einrichtung auf EU-Ebene („Eurodefensor“) im Rahmen (schwerer) grenzüberschreitender Strafverfolgungen tätig werden. Sie soll die Verteidigung un193 Auch das dem Vorschlag vorangehende Grünbuch weist auf die Gewährung von Prozeßkostenhilfe für Zivilverfahren hin, welche als Leitüberlegung auch für das Strafverfahren herangezogen werden könnte, vgl. Grünbuch, S. 25. 194 Vgl. oben: Kap. 7, § 2 C. I. 195 Vgl. Meyer-Goßner, Art. 6 EMRK, Rn. 20 f. m. w. N.; Neuhaus, ZAP F 22, 147 (168). 196 Vgl. AE-Europäische Strafverfolgung, S. 9 ff. 197 Entwurf einer Verfassung für Europa Vom Europäischen Konvent im Konsensverfahren angenommen am 13. Juni und 10. Juli 2003; am 18.07.2003 dem Präsidenten des Europäischen Rats überreicht, abrufbar unter: http://europa.eu.int/futurum/ documents/offtext/doc180703_de.pdf; inzwischen liegt eine vorläufige konsolidierte Fassung des Vertrags über eine Verfassung für Europa vor (CIG 86/04) – abrufbar unter: http://europa.eu.int/futurum/index_de.htm.

§ 4 Notwendige Verteidigung in allen Verfahren

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terstützen. Diese Einrichtung würde durch die EU finanziert und in Deutschland durch die Bundesrechtsanwaltskammer beaufsichtigt198. „Eurodefensor“ versteht sich als Serviceeinrichtung für Rechtsanwälte in europaweiten Strafverfahren und als Schutzinstanz für Beschuldigte. Der Vorteil gegenüber einem europäischen Netzwerk der Strafverteidigung199 besteht in einem dadurch gebildeten Gegengewicht zur zuständigen Staatsanwaltschaft200. Die Einrichtung soll die Einhaltung der Rechte zum Schutz von Beschuldigten und Dritten gewährleisten, vgl. Art. III – 174 a Abs. 1 AE zum Verfassungsentwurf201. Die Aufgaben von „Eurodefensor“ werden in Art. III – 174 a Abs. 2 AE-VE näher beschrieben. Dazu gehören u. a. die Vermittlung von Kontakten der Verteidigung, deren Koordnination oder die Bereitstellung von Informationen/Dokumenten für die Verteidigung. Eurojust informiert „Eurodefensor“ gemäß Abs. 3, sobald eine Beteiligung am Strafverfahren „geboten sein kann“. Nach Art. III – 174 a Abs. 4 AE-VE hat Eurojust „Eurodefensor“ zu informieren, wenn seit der Einleitung des Ermittlungsverfahrens drei Monate vergangen sind oder wenn eine prozessuale Zwangsmaßnahme in einem anderen Staat als dem Staat, dessen Staatsanwaltschaft das Verfahren führt, beantragt wird. Am Strafverfahren kann „Eurodefensor“ durch einen Ombudsmann teilnehmen (Abs. 5). Dieser ist Protoverteidiger für den Beschuldigten. Bei Eintritt eines Vertrauensverteidigers entfällt die Zuständigkeit von „Eurodefensor“. In der Begründung202 wird angeführt, auf nationaler Ebene sei jedenfalls dann eine notwendige Verteidigung anzuerkennen, wenn die Zuständigkeit von Eurojust gegeben sei. Durch Gesetz müsse geregelt werden, inwiefern grenzüberschreitende Ermittlungen der Staatsanwaltschaft eine Notwendigkeit der Verteidigung neben der schon bestehenden geböten.

§ 4 Exkurs: Notwendige Verteidigung in allen Verfahren203 Für eine allgemein notwendige Verteidigung schon im geltenden Strafverfahrensrecht können die Ermittlungsdefizite von Staatsanwaltschaft und Richter 198

Vgl. Schünemann, GA 2004, 193 (209); ders., ZStW 116 (2004), 377 (388 ff.). Vgl. den Vorschlag von Vogel, ZStW 116 (2004), 400 (415 f.). 200 Vgl. Schünemann, ZStW 116 (2004), 377 (398). 201 Im folgenden AE-VE. 202 Vgl. AE-Europäische Strafverfolgung, S. 9 ff. 203 Wolf, S. 384 ff.; H. Schmidt, S. 15 ff.; B. Schneider, S. 56, 59 ff. m. w. N.; Schmidt-Leichner, NJW 1965, 1309 (1310 – bei Mitwirkung eines Staatanwalts); v. Stackelberg, AnwBl. 1959, 190 (198); Gössel, ZStW 94 (1982), 5 (34 f.: lediglich wenn der Beschuldigte nachweisbar seine Rechte selbst wahrnehmen könne sei kein Verteidiger zu bestellen – dabei sollen nach Gössel die Kosten durch eine allgemeine Rechtsschutzversicherung gedeckt werden). 199

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7. Kap.: Überlegungen zur Verteidigerbestellung

aufgrund der psychologischen Betrachtung204 sowie die erforderliche kontradiktorische Struktur zur Ermittlung des wahren Sachverhalts205 angeführt werden. Den für das kontradiktorische Verfahren erforderlichen Widerpart kann der Beschuldigte allein nicht aufbringen. Zur Begründung einer generell notwendigen Verteidigung wird auf die sachgerechte Durchführung des Prozesses hingewiesen206 sowie an § 140 II 1 3. Alt. angeknüpft. Der Beschuldigte könne ohne den (notwendige) Verteidiger seinen Status als Prozeßsubjekt nicht wahrnehmen, die sachgerechte Ausübung seiner Rechte bleibe ihm verborgen. Die Notwendigkeit der Verteidigung liegt damit nach Wolf im System des Strafverfahrens selbst207. Der Beschuldigte sei regelmäßig juristischer Laie. Hinzukämen die psychischen Belastungen durch den Strafprozeß. Eine Ausnahme für Bagatellsachen oder rechtlich bzw. tatsächlich einfach gelagerte Sachverhalte solle nicht gelten208. Gegen eine allgemein notwendige Verteidigung wurde in den Materialien die geringe Zahl an Verteidigern aufgeführt209. Auch finanzielle Erwägungen sprächen dagegen. Die Zweifel an der tatsächlichen Umsetzung dürften jedoch (nun) entfallen sein210. Allein Kostengesichtspunkte könnten nicht gegen eine sachgerechte Durchführung des Strafverfahrens angeführt werden211. Außerdem seien mögliche Einsparungen durch vermiedene Rechtsmittel sowie prozessuale Erörterungen zu den Rechten des Beschuldigten zu berücksichtigen. Ferner Vgl. zum jugendgerichtlichen Verfahren: Bessler, S. 88 f., S. 92 ff. (unter Rückgriff auf den Grundsatz des fair trial, gerichtliche Fürsorgepflicht) und S. 95 ff. (unter Rückgriff auf den Grundsatz des fair trial, Waffengleichheit), S. 145. Ferner aufgrund eines Erst-Recht-Schlusses gegenüber dem erforderlichen Beistand eines Verteidigers im Erwachsenenstrafverfahren, vgl. S. 16 f. 204 Wolf, S. 385 f. 205 Wolf, S. 387. 206 Wolf, S. 388, 394. 207 Vgl. Wolf, S. 388, 391; wenn die Teilhaberechte im Vorverfahren stärker ausgebaut und im Zuge dessen Präklusionswirkungen oder andere Folgen im Falle deren Nichtausübung eingeführt würden, so kann ein unverteidigter Beschuldigter die Folgen seines Verhaltens für das weitere Verfahren nicht überblicken. Dies spricht nach Satzger (Gutachten, C 87) gegen die Einführung einer Präklusionswirkung, weil eine (dadurch eigentlich zu fordernde) stets erforderliche notwendige Verteidigung angesichts der Kosten wohl nicht umzusetzen sei. 208 Wolf, S. 389 ff.; lediglich ein Strafbefehl soll auch ohne die Mitwirkung eines Verteidigers ergehen können (es sei denn, daß der Beschuldigte vernommen wird und bereits deshalb ein Verteidiger erforderlich ist). 209 Vgl. Hahn I, S. 955 f. (Kommission, erste Lesung); nach dem heutigen Stand ergibt sich nach der Großen Mitgliederstatistik der Rechtsanwaltskammern zum 01.01.2004 (abrufbar unter: http://www.brak.de/seiten/pdf/Statistiken/MGgross04.pdf) folgendes Bild: Die Bundesrechtsanwaltskammer zählt 127333 Mitglieder. Insgesamt sind 126793 Rechtsanwälte zugelassen, davon 1456 als Fachanwälte für Strafrecht. 210 Wolf, S. 384; Barton, S. 93 mit Fn. 29. 211 Wolf, S. 391 f.; H. Schmidt, S. 15.

§ 5 Abschließende Betrachtung zu den Reformbestrebungen

387

dürften die Kosten des Verfahrens durch die Pflichtverteidigung nicht übermäßig hoch sein212. Auch gewährleiste das Kostenrecht einen Rückgriff auf den Verurteilten213. Jedoch dürfte in der überwiegenden Anzahl der Fälle der Pflichtverteidigerbestellung, welche i. d. R. auf Armut in den Fällen notwendiger Verteidigung zurückzuführen ist214, der Staat die Kosten nicht eintreiben können. Insofern erscheint es m. E. angemessener, eine Prozeßkostenhilferegelung im Strafverfahren einzuführen. Auch wenn in Fällen notwendiger Verteidigung de lege lata dem Beschuldigten durch den Verteidiger ein prozessualer Autonomiespielraum erst eröffnet wird, so ist die Pflichtverteidigung doch als Eingriff in das Recht des Beschuldigten, sich selbst verteidigen zu wollen, zu werten. Insofern sollten der Zwang, sich in bestimmten Fällen verteidigen lassen zu müssen, und das Recht auf Eigenverteidigung weitestgehend in Einklang gebracht werden. Damit scheint eine die (nicht generell) notwendige Verteidigung ergänzende Prozeßkostenhilferegelung vorzugswürdiger.

§ 5 Abschließende Betrachtung zu den Reformbestrebungen Zuzustimmen ist den Reformforderungen, wonach ein zweigleisiges Verteidigerbestellungssystem einzuführen ist. Elemente notwendiger Verteidigung wie auch solche der Prozeßkostenhilfe sind mit einander zu verbinden. Die Grundzüge der Prozeßkostenhilfe sollten auch für das Strafverfahren umgesetzt werden. Dabei ist sie nicht auf eine Bereitstellung im Interesse der Rechtspflege zu beschränken. Insofern sollte nicht der Verfahrenshilfe-Verteidiger nach österreichischem Recht übernommen, sondern eine der polnischen StPO (Art. 78 § 1, § 2) vergleichbare Regelung eingeführt werden215. Ebenfalls wäre die Ausklammerung von Bagatellsachen abzulehnen. Eine solche Verfah212 Vgl. unten: Kap. 8, § 4 C.; siehe ferner: Wolf, S. 391 f.; eine (auch nach dem Erlaß des RVG zu fordernde) Angleichung an die Mittelgebühr des Wahlverteidigers würde insofern eine Steigerung der Kosten um 20% bewirken. Auch dies führte nicht zu einem unverhältnismäßig hohen finanziellen Aufwand. 213 Wolf, S. 392. 214 LR-Lüderssen, § 140 Rn. 6 mit Fn. 10; Dethlefsen, S. 109. 215 Art. 78 polnische StPO (bei Fezer, FS-Marszal, S. 74, 75): „§ 1 Ein Angeklagter, der keinen Wahlverteidiger hat, kann verlangen, daß ihm von Amts wegen ein Verteidiger bestellt wird, wenn er einen ausreichenden Nachweis darüber erbringt, daß er nicht in der Lage ist, die Kosten der Verteidigung zu tragen, ohne daß der notwendige Unterhalt für ihn selbst und für seine Familie dadurch beeinträchtigt würde. § 2 Das Gericht kann die Bestellung des Verteidigers zurücknehmen/aufheben, falls sich herausstellt, daß die Voraussetzungen, wegen denen/aufgrund derer die Bestellung erfolgte, nicht vorlagen.“

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7. Kap.: Überlegungen zur Verteidigerbestellung

renshilfe ist auch schon im Ermittlungsverfahren zu gewähren, unabhängig von einer Beschränkung auf verfahrensrechtliche Aspekte oder Stadien (vgl. für den nebenklageberechtigten Verletzten die Vorschrift des § 406 g III 1 Nr. 2 i. V. m. § 397 a II). Insofern ist den Ausführungen von Schünemann zu folgen, der auf den Zeitpunkt der Eröffnung der Beschuldigung abstellt216. Über die Möglichkeit der Prozeßkostenhilfe ist der Beschuldigte entsprechend zu belehren. Für die Auswahlkriterien gilt § 142. Die Notwendigkeit der Verteidigung sollte auf bestimmte Fälle beschränkt bleiben. Eine umfassende Notwendigkeit würde durch die Prozeßkostenhilferegelung für finanziell schlechter Gestellte aufgefangen, die notwendige Verteidigung von einer „Armenrechtsersatzfunktion“ dadurch befreit. In den Fällen der notwendigen Verteidigung sollte gleichfalls der Staat die Kosten unabhängig vom Prozeßausgang übernehmen, wenn der Beschuldigte aufgrund seiner finanziellen Lage dazu nicht imstande ist. Ein Verzicht auf die Beitreibung der Kosten, so wie er in der heutigen Praxis erfolgt217, genügt nicht. Schon der Ansatz dieser Kosten sollte unterbleiben. Die vom Diskussionsentwurf vorgesehene Regelung zu einem Antragsrecht auf Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren durch den Beschuldigten ist im Sinne einer Klarstellung zu begrüßen. Auch die beschleunigte Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren durch die Staatsanwaltschaft sollte übernommen werden, wenn sie einem Vorschlag des Beschuldigten folgt. Die Aufhebung des § 141 III 1 ist angesichts einer möglichen – aber mitunter schwer zu bestimmenden – Eingrenzung des richterlichen Ermessens zu bevorzugen. Die neue Regelung sorgt insofern für eine strukturierte Handlungsvorgabe für die Justiz. Erforderlich ist eine Verteidigerbestellung jedoch schon für die erste polizeiliche Vernehmung des Beschuldigten. Dabei können die Vorschläge des AKStrafprozeßreform (1979) in § 4 I lediglich als ein Minimum an Verfahrensrechten anerkannt werden. Die Bestellung hat vielmehr für sämtliche Fälle notwendiger Verteidigung nach § 140 I und II zu erfolgen, wenn deren Voraussetzungen im gerichtlichen Verfahren abzusehen sind. Eine Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren lediglich bei Vorliegen des Kriteriums „Verbrechen“ (vgl. § 140 I Nr. 2) mag zwar Schwierigkeiten bei der Bestimmung der Voraussetzungen notwendiger Verteidigung ausschließen 216

Schünemann, ZStW 114 (2002), 1 (50). Vgl. Meyer-Goßner, Art. 6 EMRK, Rn. 20 f. m. w. N.; in diesem Zusammenhang kann auf die Schutzvorschrift des § 6 Justizbeitreibungsordnung i. V. m. § 850 c ZPO (und Anlage) sowie auf § 10 Kostenverfügung (kein Kostenansatz bei offensichtlichem dauernden Unvermögen) hingewiesen werden; kritisch: Spaniol, S. 90 mit Fn. 150 – Pfändungsschutzgesetze seien nicht auf mittellose Angeklagten zugeschnitten. 217

§ 5 Abschließende Betrachtung zu den Reformbestrebungen

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helfen218, greift aber insofern zu kurz, als der Beschuldigte (jedenfalls) in allen Fällen späterer notwendiger Verteidigung einer frühen Mitwirkung eines Verteidigers bedarf. Auch wenn die Prognose u. U. schwierig ist, sind damit alle Fälle notwendiger Verteidigung für eine Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren einzubeziehen219. Eine Verteidigerbestellung im Rahmen der Untersuchungshaft sollte nicht eines Antrags bedürfen220. Dadurch bliebe u. U. die erforderliche Verteidigerbestellung aus. Die Bestellung ist schon für den ersten Vorführungstermin zu gewährleisten. Wenn die notwendige Verteidigung im Ermittlungsverfahren ausgebaut und eine Verfahrenshilfe eingeführt wird, so hat sich die Anwaltschaft darauf einzustellen221. Verteidigernotdienste müssen aus- bzw. aufgebaut werden222. Auch scheint eine Übernahme ausländischer Modelle möglich, so insbesondere die oben dargestellten223 public defender offices. Gleiches gilt für die Einführung einer europäischen Anlaufstelle für Verteidiger nach dem Modell des „Eurodefensor“224. Allein die Bestellung des Verteidigers zu einem möglichst frühen Zeitpunkt wird nicht sämtliche Entwicklungen, die sich im Ermittlungsverfahren zugetragen haben, kompensieren können. Der Vorprägung der Hauptverhandlung ist vielmehr durch eine Ausweitung der kontradiktorischen Elemente in diesem Verfahrensstadium zu begegnen, um eine kommunikative Kontrolle der Erkenntnisquellen zu ermöglichen225. Insofern sind die weiteren Reformbestrebungen des Gesetzgebers zu begrüßen, als dem Verteidiger mehr Mitwirkungsbefugnisse im Ermittlungsverfahren gewährt werden sollen226. Lediglich ein Aus218

Vgl. Meier, GA 2004, 441 (454). So stehen zumindest bestimmte Fälle notwendiger Verteidigung im späteren gerichtlichen Verfahren bereits vor der Abschlußverfügung fest, vgl. Schlothauer/Weider, StV 2004, 504 (513); zur Absehbarkeit der Voraussetzungen von § 140 II vgl. oben: Kap. 5, § 3 II. 2. 220 Vgl. AE-EV (2001), S. 52; Meier, GA 2004, 441 (453). 221 Satzger, Gutachten, C 92 f.; Köllner, StraFo 1998, 116 ff. 222 Die aktuellen Rufnummern und Ansprechpartner der Notdienste für Strafsachen (in 41 Städten) befinden sich auf der Homepage der Arbeitsgemeinschaft Strafrecht des DAV – abrufbar unter: http://www.ag-strafrecht.de/ (dort: Bürger- und Anwaltsservice, Strafverteidigernotdienst). 223 Vgl. oben: Kap. 7, § 2 B. 224 Vgl. oben: Kap. 7, § 3 C. 225 Vgl. zu dieser seit langem erhobenen Forderung: Müller, AnwBl. 1986, 50 (52); Schünemann, StV 1989, 391 (397); ders., ZStW 114 (2002), 1 (38 ff.); ders., StraFo 2004, 293 ff. 226 Zur Kritik an den erweiterten Mitwirkungsrechten des Diskussionsentwurfs vgl.: Stellungnahme des Deutschen Richterbundes (September 2004 – abrufbar im Internet unter: http://www.drb.de, Stellungnahmen 2004) unter 2. a); ferner: Vogel, JZ 2004, 827 (834 f.); Haller, DRiZ 2004, 184 ff.; Gössel, JR 2004, 313 (317 f.); eine Ausdeh219

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7. Kap.: Überlegungen zur Verteidigerbestellung

bau der kommunikativen Kontrolle schon im Ermittlungsverfahren kann im Verbund mit einer weiteren Ausgestaltung der Verteidigerbestellung den beschriebenen Entwicklungen in diesem Verfahrensabschnitt gerecht werden. Es bleibt abzuwarten, inwiefern sich die Reformbestrebungen duchzusetzen vermögen. Schon de lege lata ist der Verteidigerbestellung nach § 141 III zur Geltung zu verhelfen.

nung der Mitwirkungsbefugnisse grds. befürwortend: Stellungnahme Strafverteidigervereinigungen zum Diskussionsentwurf (2004) unter II.; Schlothauer/Weider, StV 2004, 504 ff.; Meier, GA 2004, 441 (448 ff.); zu den Reformforderungen nach dem Ausbau der Teilhaberechte im Ermittlungsverfahren vgl. insbesondere die umfassenden Darstellungen bei Krehl (S. 53 ff.), Dedy (S. 111 ff.), Stade (S. 356 ff.); siehe ferner: Schünemann, ZStW 114 (2002), 1 (38 ff.).

Achtes Kapitel

Die Vergütung des Pflichtverteidigers Im folgenden soll die Pflichtverteidigervergütung dargestellt werden, um einen Einblick in die finanzielle Tragweite einer notwendigen Verteidigung zu geben.

§ 1 Bisherige Regelungen der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung Im Hinblick auf eine eigene Umfrage über die Höhe der dem Staat entstandenen Kosten der Pflichtverteidigung in den Jahren bis 2003 soll zunächst eine kurze Übersicht über die bisherigen Gebührenregelungen gegeben werden. Die Vergütung eines zum Pflichtverteidiger bestellten Rechtsanwalts1 war vor dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, welches am 01.07.2004 in Kraft trat2, in den §§ 97 ff. BRAGO geregelt3.

A. Die Ansprüche gegen die Staatskasse I. Der Anspruch aus § 97 BRAGO auf Gebühren und Auslagen4 § 97 I BRAGO verwies für die Gebührenregelung auf §§ 83–86, 90–92 und 95 BRAGO5. Nach § 97 I 3 BRAGO erhielt der Verteidiger für das Vorverfah1 Auf Hochschullehrer, welche als Pflichtverteidiger bestellt werden, finden die Vorschriften entsprechende Anwendung, vgl. Schröter, S. 259 ff.; Referendare haben keinen Anspruch nach § 97 I BRAGO, vgl. Schneider/Gebauer, § 97 BRAGO Rn. 8. 2 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz vom 5.5.2004, BGBl. I S. 717, 788; vgl. die Übergangsvorschriften nach § 60 f. RVG 3 Als verfassungsgemäß angesehen von BVerfG AnwBl. 1987, 194; wird der Rechtsanwalt nicht persönlich tätig, so erhält er die Gebühren für die in § 4 BRAGO genannten Vertreter lediglich dann, wenn deren Tätigkeit von der Bestellung nach § 141 IV, 142 umfaßt ist, vgl. Riedel/Sußbauer/Fraunholz, § 97 BRAGO Rn. 15 m. w. N.; Schneider/Gebauer, § 97 Rn. 8. 4 Seine Fälligkeit bestimmt sich nach § 16 BRAGO, vgl. Schneider/Gebauer, § 97 BRAGO Rn. 84. 5 Zu den einzelnen gebührenrechtlichen Tatbeständen vgl. die Darstellung bei Schneider/Gebauer, § 97 Rn. 40 ff.

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8. Kap.: Die Vergütung des Pflichtverteidigers

ren (§ 84 I BRAGO), den ersten Hauptverhandlungstag, den ersten Hauptverhandlungstag in der Berufung und in der Revision das Fünffache anstelle des Vierfachen6 der gesetzlichen Mindestgebühr, wenn der Beschuldigte sich nicht auf freiem Fuß befand7. Maximal erhielt der Pflichtverteidiger die Hälfte des Höchstbetrages der Wahlverteidigergebühren, § 97 I 1 BRAGO. Der Ersatz von Auslagen bestimmte sich nach § 97 II (III) i. V. m. § 126 I 1, II BRAGO. Die Beschaffung von Beweismaterial fiel nach h. M.8 grundsätzlich von vornherein nicht unter die Auslagenerstattung nach § 97 II i. V. m. § 126 I 1, II BRAGO; sie wurden als Auslagen des Beschuldigten angesehen, die ggf. nach § 467 zu erstatten seien. Dieser Auffassung wurde bereits entgegengetreten9. Die Notwendigkeit der Auslagenerstattung nach § 126 I 1 BRAGO ist ex ante zu beurteilen; fördernd für eine zugunsten des Angeklagten erfolgte Entscheidung des Gerichts muß die Ermittlungshandlung nicht sein10. II. Pauschvergütung des Pflichtverteidigers nach § 99 BRAGO § 99 BRAGO gewährte dem Pflichtverteidiger eine Pauschvergütung in „besonders umfangreichen“ oder „besonders schwierigen“ Verfahren. Diese konnte nach § 99 I 1, 1. Alt. BRAGO für das ganze Verfahren oder nach § 99 I 1, 2. Alt. BRAGO für einzelne Teile des Verfahrens bewilligt werden. Dieser Anspruch stand dem Pflichtverteidiger nur gegenüber dem Staat zu. Die Pauschvergütung ersetzt die gesetzlichen Gebühren nach §§ 97, 83 ff. BRAGO11. Das Gesetz schränkte die Pauschvergütung nach § 99 BRAGO der Höhe nach nicht ein12. In der Praxis lag die Grenze der Pauschvergütung nach

6

Die grds. für den Pflichtverteidiger vorgesehene Gebühr. Kritisch: Schlothauer/Weider, Rn. 62: Dadurch werde dem Mehraufwand in Haftsachen „auch nicht annähernd Rechnung getragen“. Übrig bleibe allein die Möglichkeit eines Antrages nach § 99 BRAGO. 8 Vgl. OLG Hamm NJW 1965, 2123 f.; OLG Schleswig NStZ 1996, 443 (444); OLG Karlsruhe JurBüro 1975, 486 f.; OLG Hamburg MDR 1975, 74; OLG Düsseldorf MDR 1986, 873; OLG Düsseldorf StV 1991, 480; OLG Düsseldorf NStZ 1997, 511; KK-Schickora, § 464 a Rn. 7 m. w. N.; Schneider/Gebauer, § 97 BRAGO Rn. 80; G-S-E/Madert, § 126 BRAGO Rn. 12. Kritisch Baumann, S. 178 ff.; Krekeler, in: Pflichtverteidigung und Rechtsstaat, S. 52 (54 ff.) unter Hinweis auf die in § 364 b I Nr. 1 aufgeführten Nachforschungen. 9 Vgl. dazu oben: Kap. 2, § 5 E. 10 So jedoch LG Marburg StV 1990, 362 mit abl. Anm. Nix, StV 1990, 363; dagegen ferner: LR-Hilger, § 464 a Rn. 49; Baumann, S. 185 f. 11 KG Rpfleger 1962, 41; Riedel/Sußbauer/Fraunholz, § 99 BRAGO Rn. 2, 15: keine Zusatzgebühr; Burhoff, StraFo 2001, 119 (120 f.). 12 Also konnte eine über den Höchstsätzen der Wahlverteidigung liegende Vergütung festgesetzt werden, vgl. Riedel/Sußbauer/Fraunholz, § 99 BRAGO Rn. 3, 18; C. Ahrens, S. 45. 7

§ 1 Bisherige Regelungen

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§ 99 BRAGO grundsätzlich bei der gesetzlichen Höchstgebühr für einen Wahlverteidiger13. Auch die Pauschvergütung nach § 99 BRAGO mußte nach der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte nicht kostendeckend sein14. Einheitliche Regelungen für die Bewilligung einer Pauschvergütung nach § 99 BRAGO wurden nicht erlassen. Die Behandlung der Anträge war innerhalb der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte uneinheitlich. Als Argument gegen eine Einführung von bindenden Richtlinien wurde die von § 99 BRAGO geforderte Einzelfallentscheidung angeführt15. Jedoch wurden vereinzelt Richtlinien von verschiedenen Oberlandesgerichten entwickelt und teilweise veröffentlicht16. Soweit in diesem Zusammenhang auf einen „sachfördernden Zeitaufwand“ abgestellt wurde und damit eigene Ermittlungen des Verteidigers von einer Berücksichtigung nach § 99 BRAGO ausgegrenzt wurden17, ist dies äußerst bedenklich18. Auch wenn der Zeitaufwand für umfangreiche Verfahrens- oder Beweisanträge unter Hinweis auf deren Unnötigkeit oder (aus der Sicht des Gerichts) verfahrensverzögernden Charakter unberücksichtigt blieb19, wurde unter Umständen keine effektive – weil aus Verteidigersicht kostenungünstige – Verteidigungsstrategie gewählt20. Der Verteidiger kann damit nicht mehr effizient die Beweisaufnahme als häufig entscheidenden Teil des Verfahrens auch im Vorverfahren beeinflussen. Es halten gebührenNach der Begründung des Gesetzgebers zur BRAGO wird dies jedoch in der Praxis „kaum“ in Betracht kommen, vgl. BT-Drucks. 2/545, S. 262. 13 Vgl. OLG Düsseldorf AnwBl. 1982, 265; OLG Hamm JurBüro 1999, 134; Riedel/Sußbauer/Fraunholz, § 99 BRAGO Rn. 18; zur Praxis der Gerichte vgl. ferner: Marberth, StraFo 1997, 225 (228); die Pauschvergütung wird errechnet, indem einzelne Tätigkeiten bewertet werden, vgl.: Madert, Anwaltsgebühren, Rn. 94. 14 Das dem Verteidiger auferlegte Opfer solle durch die Gebühr nach § 99 BRAGO gemindert, aber nicht aufgehoben werden: OLG Bremen StraFo 2000, 323; OLG Hamburg MDR 1987, 607 f. 15 Vgl. OLG Hamburg MDR 1987, 607; OLG Koblenz StV 1993, 145. 16 Vgl. die Aufzählung bei Schneider/Gebauer, § 99 BRAGO Rn. 22 mit Fn. 16; Thomas, in: Pflichtverteidigung und Rechtsstaat, S. 65 (75 ff.); Marberth, StraFo 1997, 225 (227 f.); so u. a. vom OLG Köln (NJW 1966, 1281 f. – für Großverfahren) und vom OLG Celle StraFo 1995, 28. 17 Vgl. OLG Schleswig NStZ 1996, 443; das OLG Frankfurt hat für Wiederaufnahmeverfahren hingegen entschieden, daß eigene Ermittlungen des Verteidigers eine Pauschvergütung nach § 99 BRAGO rechtfertigen können, vgl. AnwBl. 1974, 357. 18 Nach Marberth (StraFo 1997, 225, 230) wird der Pflichtverteidiger damit zum einem Verteidiger „zweiter Klasse“ degradiert; ferner kann angeführt werden, daß ein dem § 126 BRAGO entliehenes Kriterium systemwidrig in § 99 BRAGO („sachgemäß“) hineininterpretiert wird; kritisch auch Brüssow, FS-Rieß, S. 47 (54): Der Verteidiger sei also verpflichtet, die Rechte des Beschuldigten kostenlos wahrzunehmen. 19 Vgl. OLG Hamburg MDR 1987, 607; MDR 1988, 254. 20 G-S-E/Madert, § 99 Rn. 3; Schneider/Gebauer, § 99 Rn. 39; Eisenberg/Classen, NJW 1990, 1021 ff.; Zazcyk, StV 1991, 123.

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8. Kap.: Die Vergütung des Pflichtverteidigers

rechtliche Spannungselemente in das Verhältnis zwischen Verteidiger und Beschuldigtem Einzug, obwohl das Gebührenrecht dies sonst so tunlich vermeiden will. Insoweit erscheint auch fraglich, inwiefern die Berechtigung von Besuchen der Pflichtverteidiger in Justizvollzugsanstalten überprüft werden darf21. Die Schwierigkeit nach § 99 BRAGO bezog sich auf tatsächliche und/oder rechtliche Aspekte des Verfahrens22. Die Bedeutung der Straftat war für sich genommen nicht ausschlaggebend für die Pauschvergütung nach § 99 BRAGO23; es wurde ein Vergleich zum Normalfall bemüht. Bezüglich der Feststellung einer besonders umfangreichen Strafsache war auf deren zeitlichen Umfang abzustellen24. Der Zeitaufwand mußte im Vergleich zu anderen gleichgelagerten Fällen erheblich erhöht sein. Anhaltspunkte lieferten die Hauptverhandlungsdauer25, die gesamte Dauer des Verfahrens26, der Umfang von Akten27, die Anzahl von Zeugen und Sachverständigen, umfangreiche Vorbereitungen, die Anfertigung von Schriftsätzen oder die Inhaftierung des Mandanten28. Nach einigen Oberlandesgerichten konnte die aufgewendete Zeit kompensiert werden. Danach wurden im Verhältnis zu langen Verhandlungstagen kurze Termine berücksichtigt29. Auch wurde der Umfang der Akte herangezogen oder auf Mittagspausen abgestellt30. Selbst wenn die Strafsache weder besonders umfangreich noch besonders schwierig war, konnte sich aus dem Zusammenspiel der Alternativen eine Pauschvergütung nach § 99 BRAGO ergeben31. 21

Vgl. dazu: Burhoff, StraFo 2001, 230 (231 f.). Riedel/Sußbauer/Fraunholz, § 99 BRAGO Rn. 2; zu Rechtsprechungsnachweisen: Schneider/Gebauer, § 99 Rn. 50 ff.; Burhoff, StraFo 1999, 261 ff.; ders., StraFo 2001, 119 (120). 23 Riedel/Sußbauer/Fraunholz, § 99 Rn. 11 f.; Madert, Anwaltsgebühren, Rn. 93. 24 Schneider/Gebauer, § 99 Rn. 23 ff.; Madert, Anwaltsgebühren, Rn. 93; Marberth, StraFo 1997, 225 (228); kritisch zu der teilweise praktizierten Abrechnung im „Stundentakt“: Riedel/Sußbauer/Fraunholz, § 99 BRAGO Rn. 13: Der Rechtsanwalt stelle weder einen „Tagelöhner“ noch einen „Stundenlöhner“ dar. 25 Umstritten ist, ob allein deren Zahl entscheidend war; allein die Anklage vor der Strafkammer führte nicht zu einem besonderen Umfang i. S. v. § 99 BRAGO, vgl. Riedel/Sußbauer/Fraunholz, § 99 BRAGO Rn. 6. 26 G-S-E/Madert, § 99 BRAGO Rn. 3. 27 OLG Stuttgart AnwBl. 1968, 290. 28 Hier entsteht die Frage, inwiefern der Mehraufwand schon durch die (erhöhten) gesetzlichen Gebühren nach § 97 I 3 BRAGO abgegolten ist, vgl. dazu die Rechtsprechung des OLG Hamm, StV 1998, 619: Würden besondere – über den üblichen Aufwand hinausgehende – Tätigkeiten von einem Verteidiger im Zusammenhang mit der Inhaftierung an den Tag gelegt, so seien diese nach § 99 BRAGO zu berücksichtigen. Zur Definition des „üblichen Aufwandes“, vgl. OLG Hamm AnwBl. 2000, 378; StV 2000, 439; dazu: Burhoff, StraFo 2001, 230 (231). 29 OLG Brandenburg StraFo 1995, 89. 30 Vgl. Marberth, StraFo 1997, 225 (228). 31 OLG München JurBüro 1976, 638; G-S-E/Madert, § 99 BRAGO Rn. 2. 22

§ 2 Regelungen des RVG

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B. Der gesetzliche Anspruch gegen den Beschuldigten nach § 100 BRAGO Der Anspruch aus § 100 BRAGO war gerichtet auf Zahlung der Wahlverteidigergebühren unter Berücksichtigung von § 12 BRAGO32. Der Anspruch gegen den Beschuldigten entfiel insoweit, als die Staatskasse die Gebühren und die Auslagen an den Verteidiger nach §§ 97 und 99 BRAGO gezahlt hatte, § 100 I 2 BRAGO. Damit war der Anspruch gerichtet auf die Zahlung des Differenzbetrages zwischen den gesetzlichen Gebühren eines Wahlverteidigers und denen eines Pflichtverteidigers. Für die Durchsetzung eines Anspruchs gegen den Beschuldigten nach § 100 BRAGO33 mußte der Beschuldigte einen Erstattungsanspruch gegenüber der Staatskasse haben, § 100 II 1, 1. Alt. BRAGO34, oder das Gericht des ersten Rechtszuges mußte auf Antrag die Leistungsfähigkeit des Beschuldigten feststellen, § 100 II 1, 2. Alt. BRAGO35.

§ 2 Regelungen des RVG36 Das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz enthält einheitliche Gebührentatbestände37 für Wahlverteidiger und gerichtlich bestellte oder beigeordnete Rechtsanwälte, vgl. Teil 4 bis 6 des Vergütungsverzeichnisses (Anlage 1 zu § 2 II RVG), wobei letztere jedoch der Höhe nach niedriger sind. Sie sind – wie bisher38 – Festgebühren und betragen 80% der Mittelgebühr des Wahlverteidigers39. Die Höhe der Vergütung ist in einem Vergütungsverzeichnis geregelt. Nach dem Vergütungsverzeichnis erhält der Verteidiger u. a. eine Grundgebühr für die Einarbeitung in den Fall, Nr. 4100 f. VV. Eine Terminsgebühr ist in Nr. 4102 f. VV aufgeführt, in Nr. 4104 f. VV wurden die Gebühren für das Ermittlungsverfahren niedergelegt. Die Gebühren für das gerichtliche Verfahren finden sich in Nr. 4106 ff. VV, zusätzliche Gebühren in Nr. 4141 ff. VV.

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G-S-E/Madert, § 100 BRAGO Rn. 2 f. Eine Geltendmachung i. S. v. § 100 BRAGO bezieht auch eine außergerichtliche mit ein, vgl. Riedel/Sußbauer/Fraunholz, § 100 BRAGO Rn. 13 m. w. N. 34 Zur Frage, ob alleine der Erstattungsanspruch ausreicht, oder ob dem Beschuldigten das Geld ausgezahlt worden sein muß: Schneider/Gebauer, § 100 Rn. 27. 35 Das Gericht hatte die Verhältnisse des Beschuldigten von Amts wegen zu ermitteln, vgl. G-S-E/Madert, § 100 BRAGO Rn. 7 mit Hinweis auf die Darlegungen von Anhaltspunkten im Antrag des Verteidigers. 36 Vom 5.5.2004 (BGBl. I S. 717, 788). 37 Vgl. zu möglichen Honorarvereinbarungen im Rahmen der Pflichtverteidigung: Leipold, Anwaltsvergütung, Rn. 90 m. w. N. 38 Riedel/Sußbauer/Fraunholz, § 97 BRAGO Rn. 6. 39 Vgl. BT-Drucks. 15/1971, S. 220. 33

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8. Kap.: Die Vergütung des Pflichtverteidigers

Grundlage für einen Anspruch des zum Pflichtverteidiger bestellten Rechtsanwalts gegenüber dem Staat ist § 45 III 1 RVG. Die Auslagenerstattung richtet sich nach § 46 RVG, der § 126 I 1 BRAGO nachgebildet wurde, vgl. dazu Nr. 7000 ff. VV. Eine gerichtliche Entscheidung über die Auslagenerstattung kann über § 46 II RVG herbeigeführt werden. Eine Vorschußmöglichkeit für die Pflichtverteidigervergütung besteht nach §§ 47 I 1 RVG. Eine Pauschgebühr wird unter den Voraussetzungen von § 51 RVG gewährt. Auch sie stellt wie § 99 BRAGO auf eine besonders schwierige oder umfangreiche Strafsache ab. Erforderlich ist jedoch, daß dem Pflichtverteidiger die ihm zustehenden Gebühren nicht zumutbar sind. Angesichts der aufgeführten Vergütungstatbestände im Vergütungsverzeichnis dürfte die Vorschrift jedoch seltener als ihre Vorgängerin angewandt werden. Insbesondere das Zeitmoment für eine Pauschgebühr nach § 99 BRAGO wird zurückgedrängt40. Anwendung erfährt die Vorschrift hingegen wohl noch für eine besonders umfangreiche Tätigkeit im Ermittlungsverfahren. Nach § 51 I 5 RVG ist nun schon nach dem Gesetz41 die Gewährung eines angemessenen Vorschusses auf Antrag vorgesehen. Ein Anspruch gegenüber dem Beschuldigten besteht nach § 52 RVG. Auch diesbezüglich steht dem Pflichtverteidiger lediglich ein Anspruch auf den Differenzbetrag im Verhältnis zu den Gebühren eines Wahlverteidigers zu, § 52 I 2 RVG. Eine Vorschußmöglichkeit besteht nicht. Der Streit bezüglich des Beurteilungszeitpunktes der Leistungsfähigkeit nach § 100 I BRAGO bleibt bestehen42.

§ 3 Pflichtverteidigervergütung als Bestandteil der Kosten des Verfahrens bzw. der notwendigen Auslagen, § 464 a Das Gerichtskostengesetz regelt nach der Feststellung der prozessualen Kostenpflicht gemäß §§ 464 ff. den Umfang der an die Staatskasse zu erstattenden Kosten des Verfahrens (Gebühren und Auslagen der Staatskasse, vgl. § 1 GKG)43, welche im Kostenansatzverfahren nach §§ 19 ff. GKG bestimmt werden. Die Pflichtverteidigervergütung (Gebühren und Auslagen des Verteidigers gemäß §§ 97, 99, 126 BRAGO; §§ 45, 51, 46 RVG) sind als Auslagen der Staatskasse (vgl. Nr. 9007 KVGKG: die an den Rechtsanwalt zu zahlenden Beträge) 40

Hartung/Römermann, (Hartung) § 51 RVG Rn. 7. Vgl. zur alten Rechtslage, wonach dem Gesetz ein solcher Vorschuß fremd war: OLG Hamm AnwBl. 1998, 613; Riedel/Sußbauer/Fraunholz, § 99 Rn. 15 m. w. N.; Schneider/Gebauer, § 99 BRAGO Rn. 92 m. w. N. 42 Vgl. Leipold, Anwaltsvergütung, Rn. 322 ff. 43 Vgl. Oestreich/Winter/Hellstab, Vor § 40 Rn. 2. 41

§ 4 Höhe der Pflichtverteidigervergütung

397

Bestandteil der Kosten des Verfahrens44 nach § 464 a I 1. Die Gebühren eines gewählten Verteidigers, welche der Beschuldigte dem Pflichtverteidiger nach § 100 BRAGO/§ 52 RVG zu zahlen verpflichtet ist45, sind stets notwendige Auslagen eines Beteiligten nach §§ 464 a II Nr. 2 i. V. m. 91 II ZPO. Liegt ein Freispruch vor oder wird die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen den Beschuldigten abgelehnt, so trägt nach § 467 grds.46 die Staatskasse die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten. Bei einer Einstellung ist für eine solche Kostentragung gemäß § 467 a I erforderlich, daß das Verfahren bei Gericht anhängig gewesen ist47. Hier wird gebührenrechtlich die Verteidigung im Ermittlungsverfahren verkannt48. So schlägt auch Satzger49 in seinem Gutachten zum 65. Deutschen Juristentag vor, die Kostentragung im Rahmen der Einstellungen neu zu gestalten. Dabei sollen in nach § 170 II 1 eingestellten Verfahren die Kosten der Staatskasse zur Last fallen, in denen nach § 153 a dem Beschuldigten.

§ 4 Höhe der Pflichtverteidigervergütung Bevor auf die Pflichtverteidigervergütung in der Praxis eigegangen wird, soll der Ursprung der unterschiedlichen Gebührenhöhe von Wahl- und Pflichtverteidigern dargestellt werden.

44

BGH Rpfleger 1979, 412 f.; Meyer-Goßner, § 464 a Rn. 1. Madert, Anwaltsgebühren Rn. 184. 46 Vgl. zu den Ausnahmen: Madert, Anwaltsgebühren Rn. 123 ff. 47 Eine analoge Anwendung auf Fälle, in denen das Verfahren ohne vorherige Anklageerhebung eingestellt wurde, wird nach ganz überwiegender Auffassung abgelehnt, vgl. Baumann, S. 194; Hamm, FS-Lüderssen, S. 717 (723). Nach §§ 74, 104 I Nr. 13 und §§ 109 II 1, 112 JGG kann das Jugendgericht davon absehen, dem Jugendlichen oder Heranwachsenden Kosten und Auslagen aufzuerlegen, unabhängig von den Freistellungsvoraussetzungen nach §§ 467, 467 a. Dies schließt Pflichtverteidigerkosten der Staatskasse nach § 464 a I mit ein, vgl. Ostendorf, § 68 JGG Rn. 18 m. w. N.; Hartmann-Hilter, S. 182; Walter, NJW 1989, 1022 (1024); strittig ist, ob unter § 74 JGG auch die Kosten für einen Wahlverteidiger fallen, dagegen: BGHSt 36, 27 (29); für eine analoge Anwendung von § 74 JGG: Bottke, BMJ-Vert, S. 46 (88 f.); Ostendorf, StV 1986, 308 (311). Während der Beratungen zu den Kölner Richtlinien wurde darauf hingewiesen, daß die notwendige Verteidigung nicht zu einer unzumutbaren Kostenbelastung gerade des Jugendlichen oder Heranwachsenden führen dürfe. Erst wenn der Jugendliche die Kosten eigenständig begleichen könne, sei in Erwägung zu ziehen, sie ihm aufzuerlegen, vgl. die Erwägungen zu den Kölner Richtlinien, NJW 1989, 1024 (1025). 48 LR-Hilger, § 476 a Rn. 25; Baumann, S. 194; BRAK Reform, These 74, S. 118 f. 49 Satzger, Gutachten, C 93 f. 45

398

8. Kap.: Die Vergütung des Pflichtverteidigers

A. Einführung einer unterschiedlichen Gebührenhöhe für Wahl- und Pflichtverteidiger Eine solche unterschiedliche Gebührenhöhe war der Gebührenordnung für Rechtsanwälte vom 07.07.187950 fremd. Diese sah sowohl für gewählte als auch für bestellte Pflichtverteidiger eine feste Gebühr vor, vgl. §§ 63 ff. Rechtsanwaltsgebührenordnung (RAGebO). Nach § 93 RAGebO war es dem bestellten Verteidiger jedoch verwehrt, Honorarvereinbarungen zu treffen51. Diese Gebühr in Gestalt eines festen Betrags führte zu einer auch für damalige Zeiten niedrigen Vergütung52. Durch die Verordnung vom 21.04.194453 wurde ein generelles Verbot der Gebührenvereinbarung in Strafsachen eingeführt, vgl. § 93 I 2 RAGebO. Dies wurde mit der Stellung des Rechtsanwalts als verantwortungsbewußtem Organ der Rechtspflege begründet. Dem widerspreche es, daß er mit dem Beschuldigten einen Dienstvertrag abschließe und mit ihm über Honorarvereinbarungen verhandele54. Ferner sei angesichts der Überlastung der Rechtsanwälte infolge des Krieges eine Steigerung des Arbeitsentgelts abzusehen. Dies insbesondere in Strafsachen, in denen der Beschuldigte versuche, durch Vereinbarung eines für ihn unerschwinglichen Honorars einen bestimmten Verteidiger zu verpflichten. An die Stelle der Honorarvereinbarung sollten feste Normen treten, die eine Rahmengebühr anstelle der bisher festen Gebühren vorsahen55. Die Beziehung der Gebühren eines bestellten Verteidigers zu den Mindestsätzen eines gewählten Verteidigers wurde durch die Verordnung in Gestalt des § 65 RAGebO eingeführt. Die Vorschrift sah vor, daß der vom Amts wegen zum Verteidiger bestellte Rechtsanwalt die in den §§ 63, 64 RAGebO vorgesehenen Mindestsätze aus der Staatskasse erhielt. Diese wurden um die Hälfte erhöht, wenn er schon vor der Hauptverhandlung als Verteidiger tätig war, sie wurden um die Hälfte reduziert, wenn er lediglich im Verfahren bis zur Anordnung der Hauptverhandlung tätig war. Die bisher vorgesehenen festen Gebühren für die Rechtsanwälte wurden als „außerordentlich niedrig“ angesehen. In der Mehrzahl der Fälle reichten sie nicht aus, deshalb wurden Honorarvereinbarungen getroffen. Mancherorts fanden die gesetzlichen Gebühren lediglich für den von Amts wegen bestellten Verteidiger Anwendung56. Infolgedessen war schon 50

RGBl. I, S. 176. Teilweise wurde daraus lediglich gefolgert, der Rechtsanwalt dürfe die Übernahme oder Fortführung der Verteidigung nicht von einer Honorarvereinbarung abhängig machen, vgl. dazu: Mayer, AnwBl. 1958, 43. 52 Brangsch, AnwBl. 1969, 377 (381). 53 RGBl. I, S. 104. 54 Vgl. Hornig, Deutsche Justiz 1944, 145; kritisch zur Verordnung unter formellen sowie materiellen Gesichtspunkten: Werthauer, JR 1949, 8 ff. 55 Hornig, Deutsche Justiz 1944, 145 f. 51

§ 4 Höhe der Pflichtverteidigervergütung

399

durch die Verordnung vom 06.11.194057 dem bestellten Verteidiger nach § 72 a RAGebO eine Pauschvergütung zuerkannt worden. Eine solche war nun nach dem § 66 RAGebO auch für gewählte Rechtsanwälte vorgesehen. Nach den vom Reichsjustizminister vorgegebenen Kriterien vom 24.05.1944 sollte diese insbesondere Verfahren mit „besonders weitläufigem Vorverfahren“ erfassen58. Da die (niedrigen) Mindestsätze der Rahmengebühren gewählter Verteidiger dem bisherigen Rechtszustand entnommen wurden, konnte lapidar festgestellt werden, daß die Gebühren des von Amts wegen bestellten Verteidigers im „wesentlichen unverändert“ geblieben seien59. Auch nach der Einführung der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte (BRAGO), die an die Stelle der Gebührenordnung für Rechtsanwälte in der Fassung der Bekanntmachung vom 05.07.1927 (RAGebO) trat60, sollte die unterschiedliche Vergütung durch die Bindung an die Mindestsätze der Wahlverteidigergebühren bestehen bleiben (vgl. § 97 BRAGO). In der Begründung zum Regierungsentwurf wird die Beschränkung auf die Mindestsätze nicht in Frage gestellt61. Das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz schaffte einheitliche Gebührentatbestände für Wahl- und Pflichtverteidiger, vgl. Teil 4 bis 6 des Vergütungsverzeichnisses (Anlage 1 zu § 2 II RVG) und nimmt keinen Bezug auf die Mindestsätze eines Wahlverteidigers. Nach der Begründung zum Gesetzentwurf soll die Pflichtverteidigervergütung verbessert werden. Ferner sollen die im RVG ausgewiesenen Beträge der Pflichtverteidiger die Rechtsanwendung im Vergleich zum alten Recht (§ 97 BRAGO) erleichtern62. Verteidiger können nach der Begründung zum Entwurf mit einem Anstieg um 30% der Vergütung rechnen63. Die Anhebung der Pflichtverteidigervergütung, indem diese an die Mittelgebühr des Wahlverteidigers gekoppelt wird, führt nach Leipold lediglich zu einer Kostendeckung für Pflichtverteidiger64. Festzuhalten bleibt, daß das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz an der unterschiedlichen Höhe der Gebühren der Verteidiger festhält. Dies erfolgt „in Tradition“ mit der genannten Verordnung von 1944.

56

Hornig, Deutsche Justiz 1944, 145. RGBl. I, S. 1473. 58 Deutsche Justiz 1944, S. 159. 59 Hornig, Deutsche Justiz 1944, 145 (147). 60 BGBl. I (1957), S. 907. Die Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte trat am 01.10.1957 in Kraft. 61 Vgl. BT-Drucks. 2/2545, S. 261 ff. 62 BT-Drucks. 15/1971, S. 145 f. 63 Vgl. BT-Drucks. 15/1971, S. 147, 220. 64 Leipold, Anwaltsvergütung, Rn. 258. 57

400

8. Kap.: Die Vergütung des Pflichtverteidigers

B. Die Untersuchungen von Vogtherr aus dem Jahr 199165 Die durchschnittlichen Gebühren für eine Pflichtverteidigung betrugen nach den Untersuchungen Vogtherrs 980 DM. Dabei lagen die Einzelgebühren nach §§ 83, 90, 91, 92, 94, 95, 97 BRAGO (Verfahren im ersten Rechtszug), nach §§ 84, 97 BRAGO (Verfahren außerhalb der Hauptverhandlung), nach §§ 85 I, II, III, 97 BRAGO (Berufungsverfahren), nach §§ 86 I, II, III, 97 BRAGO (Revisionsverfahren) und sonstige Gebühren (insbesondere für weitere Verhandlungstage) im unteren Drittel der vorgesehenen Gebührenrahmen.

C. Eigene Umfrage bei den Justizministerien und Staatskassen der Länder sowie des Bundes Die Frage nach der finanziellen Belastung des Staates in Fällen notwendiger Verteidigung wurde schon im Rahmen der Beratungen zur Reichsstrafprozeßordnung virulent. Während der Erörterungen zur Kostentragung in Fällen notwendiger Verteidigung berichtet der Abgeordnete Eysoldt über die Verhältnisse in Württemberg, welches eine notwendige Verteidigung in den Fällen anordnete, die denen von der Kommission beschlossenen Bestimmungen ähnelten. Dort, so führt er aus, übernehme der Staat vorschußweise die Kosten der Verteidigung. Die Summe der Kostenübernahme belaufe sich im „neuesten Etat“ auf weniger als 8000 Thaler66. Schließlich mahnt er an: „Bedenken wegen der Belastung der Staatskasse könnten hier, wo es sich um die Sicherung wichtiger Rechte des Staatsbürgers handle, nicht maßgebend sein, wenn man dagegen berücksichtige, daß der Staat zum Schutze materieller Interessen noch viel größere Opfer bringe, so z. B. das Reichskanzleramt alljährlich für das in der Hauptsache zum Schutze der Interessen unseres Handels dienende Konsulatswesen die Summe von circa 6 Millionen Mark verausgabe.“ Nach dem AK-Strafprozeßreform entstanden im Jahr 1977 für das Land Hessen Pflichtverteidigergebühren in Höhe von 2.125.000 DM67. Im Rahmen einer eigenen Umfrage konnte ein Überblick über die dem Staat durch die Pflichtverteidigung entstehenden Kosten gewonnen werden68. Die Justizministerien bzw. die Staatskassen der Länder wurden darum gebeten, die 65

Vgl. Vogtherr, S. 236 f. (Aktenanalyse, vgl. S. 471, 496). Abg. Eysoldt, Hahn I, S. 979 (Kommission, erste Lesung). 67 Dabei wurden nicht diejenigen Beträge berücksichtigt, die durch einen Regreß beim Verurteilten zurückgewonnen wurden, S. 55. Es handele sich dabei lediglich um eine geringe Summe. 68 An dieser Stelle möchte der Verfasser den Justizministerien und Staatskassen für ihre freundliche Unterstützung danken. 66

§ 4 Höhe der Pflichtverteidigervergütung

401

Kosten der Pflichtverteidigung nach §§ 97, 98, 99, 103 BRAGO, welche den Landeshaushalten in den letzten fünf Geschäftsjahren entstanden, aufzulisten. Die eingegangenen Antwortschreiben mit entsprechendem Zahlenmaterial wurden eingearbeitet. Dabei erfaßten die Landeshaushalte überwiegend die Kosten der gerichtlich bestellten Verteidiger und der in Strafsachen beigeordneten Rechtsanwälte nach §§ 97 ff. BRAGO. Eine gesonderte Auflistung der Pflichtverteidigervergütung nach § 97, 98, 99, 103 BRAGO war danach nur in bestimmten Fällen möglich. Eine nach Verfahrensstadien getrennte Aufschlüsselung der Kosten war den Haushalten der Länder nicht zu entnehmen. Die genaue Umschreibung der Ausgabeposten durch die einzelnen Landeskassen wurde der Auflistung der einzelnen Landeshaushalte beigefügt. Die Kosten der Landeshaushalte, welche die Prozeßkostenhilfe mit in ihre Berechnung einbezogen haben, wurden nicht aufgelistet. Nach alledem ergibt sich lediglich eine eingeschränkte Vergleichbarkeit der gewonnen Daten. Sie ermöglichen jedoch einen ersten Überblick über mögliche Kosten notwendiger Verteidigung. Das Bundesministerium der Justiz erteilte folgende Auskunft69: Im Jahr 1999 betrugen die Gesamtaufwendungen für Pflichtverteidiger und in Strafverfahren beigeordnete Rechtsanwälte ca. 80 Millionen Euro, im Jahr 2002 ca. 88 Millionen Euro. Nach einem Bericht des Handelsblatts im Jahr 2003 belaufen sich die Kosten für Pflichtverteidigung, Beratungs- und Prozeßkostenhilfe auf 390 Millionen Euro pro Jahr. Dies entspricht 3,9 Prozent der Ausgaben der Justizhaushalte70.

69 Lediglich für diese Jahrgänge verfügt das Bundesjustizministerium über aussagekräftige Daten für die Gesamtaufwendungen der Länder für Pflichtverteidiger und in Strafsachen beigeordnete Rechtsanwälte. Nicht sämtliche Länder hatten diesbezügliche Ausgaben mitgeteilt, sodaß die Angaben auf den Erhebungen einzelner Länder basieren, welche auf das Bundesgebiet hochgerechnet wurden. 70 Creutz, Handelsblatt vom 17.09.2003 – Nr. 179, S. 2/Artikel „Gebührenreform macht Anwälten Sorgen“. Auf welchen Anteil sich die Pflichtverteidigervergütung beläuft, geht aus dem Bericht nicht hervor.

Anteil der Kosten am Gesamtetat

Justizausgaben

Freistaat Sachsen (Entschädigungen der gerichtlich bestellten Verteidiger und der in Strafsachen beigeordneten Rechtsanwälte)

Nordrhein-Westfalen (Pflichtverteidigervergütung – Gebühren und Auslagen)

Bremen (Gebühren und Auslagen für Pflichtverteidiger)

Gesamthaushalt

MecklenburgVorpommern (Gebühren und Auslagen der Verteidiger, §§ 97 bis 103, 105 BRAGO)

Freistaat Bayern (Kosten der Pflichtverteidigung nach §§ 97, 98, 99, 103 BRAGO)

0,9%

381.776.856,21 0,9%

400.746.652,08

3.726.262,30

1,0%

427.393.433,51

4.329.427,58

18.292.961

18.185.749

3.564.384,94

982.475,11

998.292,32

1.090.570,81

Ca. 7.163.700.000

Ca. 7.274.200.000

Ca. 3.102.400

6.674.572

6.947.757

Ca. 2.623.300

2000

1999

Ca. 7.361.500.000

Ca. 2.688.500

1998

1,0%

445.287.118,65

4.589.636,49

18.564.802

1.136.732,04

Ca. 7.099.600.000

Ca. 2.968.200

6.913.366

2001

1,0%

450.837.901,50

4.626.658,00

19.251.768

1.028.050,78

Ca. 7.294.400.000

Ca. 2.985.200

7.361.210

2002 3.912.598 (bis 30.06.2003)

2003

402 8. Kap.: Die Vergütung des Pflichtverteidigers

Baden-Württemberg (Gebühren und Auslagen der beigeordneten Verteidiger)

Rheinland-Pfalz (Kosten der Pflichtverteidigung nach §§ 97 ff. BRAGO)

Schleswig-Holstein (Ausgaben in Strafsachen beigeordneter Verteidigerinnen und Verteidiger sowie für beigeordnete Nebenklagevertreterinnen und -vertreter, § 397 a I – ohne PKH)

Berlin (Gesamtkosten der Pflichtverteidigung, §§ 97 ff. BRAGO)

Hamburg (Gebühren und Auslagen für Verteidiger)

2.790.128

Ca. 8.100.000

2.927.383

Ca. 7.300.000

Ca. 8.500.000

3.170.175

Ca. 2.693.100

Ca. 6.543.564,62

Ca. 6.392.835,77

Ca. 2.576.500

4.151.232,11

2000

4.017.488,25

1999

Ca. 2.783.200

4.049.645,00

1998

Ca. 7.700.000

3.214.871

Ca. 2.740.200

Ca. 5.780.200

3.861.628,25

2001

Ca. 8.000.000

3.559.951

Ca. 2.940.700

Ca. 5.720.600

3.937.142,46

2002 3.942.887,83

2003

§ 4 Höhe der Pflichtverteidigervergütung 403

404

8. Kap.: Die Vergütung des Pflichtverteidigers

§ 5 Verfassungsrechtliche Probleme der Pflichtverteidigervergütung A. Verletzung von Art. 12 I GG Die geringeren Gebühren für Pflichtverteidiger könnten die Rechtsanwälte in ihrem Recht auf freie Berufsausübung verletzen. I. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Nach dem Bundesverfassungsgericht hat der Gesetzgeber (angesichts der umfassenden Inanspruchnahme des Pflichtverteidigers für im öffentlichen Interesse liegende Aufgaben71) die Pflichtverteidigung nicht als „vergütungsfrei zu erbringende Ehrenpflicht“ angesehen. Die Vergütung der Pflichtverteidigung liege erheblich unter den als angemessen geltenden Rahmengebühren des Wahlverteidigers. Jedoch habe der Gesetzgeber unter Berücksichtigung des Gemeinwohls an einer Einschränkung des Kostenrisikos einen interessengerechten Ausgleich vorgenommen. Voraussetzung dafür ist die Einhaltung einer für den Anwaltstand zumutbaren Grenze72. Für besondere Fallgestaltungen, durch welche die Arbeitskraft des Pflichtverteidigers „fast ausschließlich“ beansprucht werde, gebiete Art. 12 I GG, ihn nach einer Vorschrift wie § 99 BRAGO entsprechend zu vergüten73. In einem Beschluß vom 24.11.200074 entschied das Bundesverfassungsgericht, daß die festgesetzte Vergütung gegen Art. 12 I GG verstieß. Dort zehrten die zur sachgerechten Verteidigung zählenden Reisen des auswärtigen Verteidigers zur Hauptverhandlung seine Gebühren nach § 97 I BRAGO nicht nur vollständig auf, sie überstiegen sogar die Vergütung. Die Pflichtverteidigung war damit erwiesenes Verlustgeschäft für den Rechtsanwalt. Eine Kürzung der Gebühren oder eine Versagung von Auslagen, die für eine sachgerechte Verteidigung erforderlich sind, könnten zur Unzumutbarkeit führen. Ein gesetzlicher Grund für eine Auslagenkürzung finde sich nicht; insbesondere gelte § 126 I 2 71 Das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 68, 237, 254 f.; NJW 2001, 1269) führt dazu aus: Der Pflichtverteidiger müsse die Verteidigung – unter Hintanstellung anderer beruflicher Interessen – sachgerecht führen. Er habe an der Hauptverhandlung teilzunehmen und könne keine Untervollmacht erteilen. Er habe dieselben Aufgaben wie ein Wahlverteidiger. 72 BVerfG AnwBl. 1987, 194; BVerfGE 68, 237 (254 f.); BVerfG NJW 2003, 1443; vgl. ferner: BVerfGE 47, 297 (321); 54, 251 (271). 73 BVerfG AnwBl. 1987, 194. Im Rahmen seiner Entscheidungsgründe führt das Bundesverfassungsgericht ebenfalls Art. 14 I GG an, den das Oberlandesgericht hinreichend gewürdigt habe. 74 BVerfG NJW 2001, 1269 f.

§ 5 Verfassungsrechtliche Probleme der Vergütung

405

über § 97 II BRAGO nicht75. Der Vorsitzende befinde nach § 142 schon über die Hinzuziehung des auswärtigen Verteidigers. II. Unzumutbarkeit der Gebühren Am 01/02.10.197176 sah die Bundesrechtsanwaltskammer die Vergütung der zum Pflichtverteidiger bestellten Rechtsanwälte als unzumutbar an und beschloß in ihrer 30. Vollversammlung: „Es entspricht der einhelligen Auffassung der in der Bundesrechtsanwaltskammer zusammengefaßten Rechtsanwaltskammern, daß die Ablehnung von Pflichtverteidigungen solange nicht als standeswidrig anzusehen ist, als die derzeit völlig unzulängliche Vergütung nicht auf ein angemessenes Maß erhöht ist, wobei der bereits vorliegende Vorschlag der Bundesregierung als untere Grenze anzusehen ist.“ Das OLG Bremen entschied, daß die Übernahme von Pflichtverteidigungen jedenfalls bis zur Sommerpause zumutbar sei77. Der Auffassung der Bundesrechtsanwaltskammer könnte im Rahmen der heutigen Entwicklung zuzustimmen sein. So wird angenommen, veränderte tatsächliche Bedingungen führten dazu, daß die von Art. 12 I GG geschützte Berufsausübung durch das dem Pflichtverteidiger auferlegte Opfer verletzt werde78. Die Überlegungen des Bundesverfassungsgerichts basierten auf einer „Mischkalkulation“: Pflichtverteidigungen würden nicht regelmäßig übernommen. Andere Mandate (auch auf strafrechtlichem Gebiet) sollten dieses Opfer ausgleichen. Letztlich könnten zwei Überlegungen zu einer veränderten Betrachtung der Zumutbarkeitsgrenze des Bundesverfassungsgerichts führen. Es liegt ein Anstieg der Pflichtverteidigungen vor, und es sind einzelne Rechtsanwälte besonders betroffen79. Ein Anstieg der Pflichtverteidigungen könnte infolge der Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Geldwäsche80 anzunehmen sein, indem sie die im Kata75

BVerfG NJW 2001, 1269. AnwBl. 1971, 304. 77 OLG Bremen AnwBl. 1972, 229. 78 Brüssow, FS-Rieß, S f.. 47 (58 f.); zum Rechtszustand 1972: Dahs, AnwBl. 1972, 297 (298) – auch unter Hinweis auf Art. 12 II GG; im Jahr 1951 befand Willenbücher (zu § 66 RAGebO, S. 412) zum damaligen § 66 RAGebO (Pauschvergütung für Strafsachen „außergewöhnlichen“ Umfangs): „Es muß erwartet werden, daß bei den gestellten Anträgen sehr weitherzig verfahren wird, da andernfalls die an sich nicht sehr hoch erscheinenden Gebühren in Strafsachen niemals eine gerechte Entschädigung der Tätigkeit“ darstellen würden. 79 Vgl. auch BVerfGE 47, 285 (321 ff.) zu Gebührenermäßgigungsregelungen für Notare. Hier stellt das Bundesverfassungsgericht im Rahmen seiner verfassungsrechtlichen Würdigung auch darauf ab, daß einzelne Notare „besonders stark“ betroffen seien. 76

406

8. Kap.: Die Vergütung des Pflichtverteidigers

log von § 261 I 2 StGB enthaltenen Straftaten einer Pflichtverteidigung unterwirft. Jedoch dürfte dieses Argument nur noch eingeschränkt gelten. Das Bundesverfassungsgericht ist dem Bundesgerichtshof entgegengetreten und erkennt infolge verfassungskonformer Auslegung des § 261 II Nr. 1 StGB eine Strafbarkeit lediglich bei direktem Vorsatz des Verteidigers an81. Somit gibt die Gefahr einer Strafverfolgung auch erst bei direktem Vorsatz zu einem Beiordnungsantrag Anlaß. Ferner wird zur Begründung der Unzumutbarkeit auf den Beruf des Fachanwalts für Strafrecht abgestellt. Dadurch, daß diese Bezeichnung in einer eigenen Fachanwaltsordnung berücksichtigt wird, ist er als eigenes Berufsbild anzuerkennen82. Es wird eine besondere Qualifikation vorausgesetzt, die regelmäßig nachgewiesen werden muß83. Der auf Verteidigungen spezialisierte Anwalt wird zu Pflichtverteidigungen vom Vorsitzenden wohl häufiger hinzugezogen werden als anderweitig spezialisierte Rechtsanwälte. Jedoch ist fraglich, ob der „Fachanwalt für Strafrecht“ geradezu prädestiniert ist84, zum Pflichtverteidiger bestellt zu werden. 80

BGH StV 2001, 506 ff. Der Senat führt aus (JZ 2004, 670, 673 ff.): Zum Mandantenkreis eines Verteidigers zählten typischerweise Personen, die einer Katalogtat nach der Geldwäsche verdächtigt würden. Aufgrund der möglichen Informationen, die dem Verteidiger im Rahmen seiner Mandantenbeziehung vermittelt würden, steige das Risiko, selber Beschuldigter eines Ermittlungsverfahrens zu sein. Übernehme der Verteidiger solche Mandate, so veranlasse ihn der Tatbestand der Geldwäsche, vermehrt eigene Belange zu berücksichtigen, um nicht strafrechtlich verfolgt zu werden. Damit würde seine „professionelle Distanz zur Tat und zum Tatverdacht“ des Beschuldigten reduziert. Eine Verteidigung könne nicht wie herkömmlich adäquat und regelgerecht geführt werden. Der Mandant könne sich infolge der Geldwäsche nicht wie bisher (vor der Einfügung des Tatbestands der Geldwäsche, § 261 StGB) auf die Verschwiegenheit des Verteidigers verlassen. Eine offene Kommunikation mit dem Verteidiger als Grundlage effektiver Strafverteidigung sei dadurch nicht mehr möglich. Eine tiefgreifendere Störung des Vertrauensverhältnisses träte bei staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsmaßnahmen gegen den Verteidiger ein. Der Beschuldigte könne sich nicht sicher sein, zu welchen dem Verteidiger mitgeteilten Informationen sich die Staatsanwaltschaft Zugang verschaffe. Der Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit der Strafverteidiger und das Institut der Wahlverteidigung erforderten eine verfassungsrechtliche Einschränkung des § 261 II Nr. 1: Eine Strafbarkeit sei nur anzunehmen, wenn der Verteidiger bei Entgegennahme des Honorars oder einem entsprechenden Vorschuß sicher wisse, daß es aus einer Katalogtat stamme. Bei Annahme eines Anfangsverdachts und der Feststellung sicheren Wissens müßten Gerichte und Strafverfolgungsbehörden die besondere „Rolle der Strafverteidiger“ berücksichtigen. 82 Vgl. zum Losemilchverkäufer: BVerfGE 9, 39 (48). 83 Vgl. § 15 FAO. 84 So wird vertreten, der Vorsitzende habe nach § 142 I einen Fachanwalt zu bestellen, wenn dies möglich sei, vgl. Brüssow, FS-Rieß, S. 47 (60). Sein Ermessen reduziere sich in diesen Fällen auf Null; zwar ist C. Ahrens, S. 272 f., der Ansicht, „. . . die Schaffung eines Fachanwalts für Strafrecht würde . . . dem auswählenden Kollegialorgan die Entscheidung erleichtern“, jedoch nimmt er auf S. 273 keine entsprechende 81

§ 5 Verfassungsrechtliche Probleme der Vergütung

407

Insofern lassen die Rahmenbedingungen nicht ohne weiteres eine Verletzung von Art. 12 I GG erkennen85. Auch angesichts der Erhöhung der (Pflicht)Verteidigervergütung durch das RVG ist eine unzumutbare Belastung zumindest für die Zukunft abgewendet worden.

B. Verletzung von Art. 3 I GG Infolge der unterschiedlichen Gebührenhöhe für Wahl- und Pflichtverteidiger könnte Art. 3 I GG verletzt sein. Es finden sich keine ausdrücklichen Stellungnahmen in der Literatur zur Höhe der Pflichtverteidigergebühren und deren Bestand vor Art. 3 I GG im Vergleich zur Wahlverteidigervergütung. Es wird insofern lediglich auf verfassungsrechtliche Bedenken hingewiesen86, wobei auf die Gefahr einer Verteidigung „zweiter Klasse“ abgestellt wird87. Nach dem Bundesverfassungsgericht ist die Begrenzung der Pflichtverteidigergebühren verfassungsgemäß88. Insofern scheidet auch eine Verletzung von Art. 3 I GG aus, auch wenn sich das Gericht nicht ausdrücklich mit dem allgemeinen Gleichheitssatz auseinandergesetzt hat. Für mit dem Gleichheitssatz unvereinbar hielt das Bundesverfassungsgericht in einer neueren Entscheidung den Gebührenabschlag Ost für Rechtsanwälte89. Danach konnten die Rechtsanwälte in den neuen Bundesländern (für die nach der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung anfallende Vergütung ihrer Tätigkeit) nur Gebühren verlangen, die um 10% geringer waren als diejenigen, welche die Rechtsanwälte aus den alten Bundesländern verlangen konnten. Das Bundesverfassungsgericht stellte fest, daß diese Ungleichbehandlung aufgrund veränderter Rahmenbedingungen sachlich nicht mehr gerechtfertigt war. Verpflichtung zur Bestellung an; Wolf (S. 400 ff.) pflichtet den Ausführungen Brüssows wohl der Grundidee nach bei, wenn er meint, es liege „zwar nahe“, nur solche Fachanwälte zu bestellen. Jedoch entstehe generell eine Gefahr, wenn versucht werde, den am besten geeigneten Verteidiger zu bestellen; hier könnten sachfremde Erwägungen angestellt werden. Auch könne durch die Fachanwälte für Strafrecht der Bedarf nicht gedeckt werden (zur Zeit seiner Habilschrift – 01.01.2000: 702 Fachanwälte für Strafrecht, heutzutage die doppelte Anzahl: 1456! (vgl. die Große Mitgliederstatistik der Rechtsanwaltskammern zum 01.01.2004 – abrufbar unter: http://www.brak.de/ seiten/pdf/Statistiken/MGgross04.pdf.). Somit sei nach seiner Ansicht nicht der Idealverteidiger zu bestellen, sondern ein Rechtsanwalt aus einer dafür vorgesehenen Liste. 85 Kritisch Wolf, S. 408 f.: „verfassungsrechtlich kaum haltbar“. 86 Nicht ausdrücklich eine Verletzung von Art. 3 I GG monierend, jedoch kritisch bezüglich einer Rechtfertigung einer unterschiedlichen Gebührenhöhe: Wolf, S. 408 f. mit Fn. 105: „verfassungsrechtlich kaum haltbar“; Ahrens, S. 261. 87 Vgl. AK-Strafprozeßreform (1979), S. 55; Barton, S. 254 ff.; Haffke, StV 1981, 471 (478). 88 BVerfG AnwBl. 1987, 194. 89 BVerfG NJW 2003, 737 ff.

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8. Kap.: Die Vergütung des Pflichtverteidigers

Nach dem Bundesverfassungsgericht verbietet der Gleichheitssatz aus Art. 3 I GG dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches willkürlich ungleich zu behandeln90; auch liege eine Verletzung vor, wenn keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestünden, daß sie die Ungleichbehandlung rechtfertigten91. Der Gebührenanspruch, den ein Pflichtverteidiger gegenüber der Staatskasse geltend machen kann, liegt unter dem, dem ein Wahlverteidiger gegenüber dem Beschuldigten zusteht. Zwar kann sich der Pflichtverteidiger gemäß § 52 RVG an den Beschuldigten halten, jedoch nur unter den dort aufgeführten Voraussetzungen92. Eine Ungleichbehandlung liegt somit vor. Wie dargestellt hat sich der Gesetzgeber zur Rechtfertigung der unterschiedlichen Gebührenhöhe nicht geäußert, weder bei Einführung der BRAGO noch des RVG. Als zulässiges Ziel der Differenzierung eines Anspruches des Pflichtverteidigers gegenüber dem Staat kann das öffentliche Kosteninteresse veranschlagt werden. Fraglich ist, welche Differenzierungskriterien zur Erreichung des Ziels herangezogen werden können. Unterschiedliche (standesrechtliche) Pflichten scheiden insofern aus. Sie sind für Pflichtverteidiger und Wahlverteidiger gleich, beide Verteidiger müssen die gleiche Arbeit leisten93. Die Mittellosigkeit des Beschuldigten, auf die in Fällen der Prozeßkostenhilfe nach §§ 114 ff. ZPO und die damit einhergehende geringere Vergütung abgestellt wird94, wird als Differenzierungskriterium für einen Anspruch des Verteidigers gegen den Staat (vgl. § 45 III 1 RVG) wohl ebenfalls nicht herangezogen werden können. Dagegen spricht die gesetzgeberische Wertentscheidung über die Anordnung notwendiger Verteidigung95, auch wenn eine Mittellosigkeit in der Praxis für die Mehrzahl einer Verteidigerbestellung in Fällen notwendiger Verteidigung ausschlaggebend sein mag96. Die Mittellosigkeit als zulässiges Differenzierungskriterium ist insofern schon hinreichend im Rahmen eines Anspruches des Rechtsanwalts gegenüber dem Beschuldigten nach § 52 RVG berücksichtigt. Auch stellt die Gesetzesbegründung zur Einführung eines Anspruchs des Pflichtverteidigers gegen den Beschuldigten unter den Vorausset90

Vgl. BVerfGE 1, 14 (16). BVerfGE 55, 72 (88); 85, 238 (244); BVerfG NJW 2003, 737 (zur Verfassungswidrigkeit des Gebührenabschlags Ost für Rechtsanwälte). 92 Insofern wird das Beitreibungsrisiko vom Staat auf den Verteidiger abgewälzt, vgl. Wolf, S. 408. 93 C. Ahrens, S. 49; Rieß, StV 1981, 460 (462). 94 Vgl. zu dieser sachlichen Rechtfertigung niedrigerer Gebührensätze: BVerfG NJW 2003, 737 (738 f.). 95 Vgl. oben: Kap. 4, § 4 C. 96 Vgl. Dethlefsen, S. 109. 91

§ 5 Verfassungsrechtliche Probleme der Vergütung

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zungen des § 100 BRAGO a. F. darauf ab, daß im Rahmen der Unterstützung im Zivilprozeß vornehmlich den sozial schwächer gestellten Parteien selbst gedient wird, der Offizialverteidiger hingegen im Strafverfahren in erster Linie eine öffentlich-rechtliche Aufgabe erfülle. Die bisherige Regelung für die Pflichtverteidigervergütung sei jedoch „unbefriedigend“, wenn der Beschuldigte zahlungsfähig sei97. Als Differenzierungskriterien kommen hingegen die Begründung der Verfahrensbeteiligung (Bestellung des Pflichtverteidigers durch den Vorsitzenden nach § 141 IV i. V. m. § 142), das ihr zugrunde liegende Rechtsverhältnis98 und die „Sicherheit“ einer Entlohnung durch den Staat in Betracht. Es erscheint zumindest bedenklich, warum allein der Bestellungsakt eine unterschiedliche Honorierung nach sich ziehen soll. Eine mögliche stärkere Anbindung an öffentliche Interessen durch den Bestellungsakt kann insofern lediglich eingeschränkt überzeugen. Richter und Staatsanwälte (als staatliche Rechtspflegeorgane) werden nicht verpflichtet99, an Verfahren, in welchen die Mitwirkung eines Verteidigers von Gesetzes wegen vorgeschrieben ist, (teil-) unentgeltlich mitzuwirken. Das der Pflichtverteidigung zugrundeliegende Rechtsverhältnis als gesetzliches Schuldverhältnis zwischen Pflichtverteidiger und Staat mag eine Differenzierung insofern rechtfertigen, als der Verpflichtung zur Verteidigung und der mit dieser Verpflichtung einhergehenden unterschiedlichen Gebührenhöhe ein Rückgriff auf einen solventen Schuldner (den Staat) gegenübersteht. Generell ist zu berücksichtigen, daß dem als Verteidiger tätigen Rechtsanwalt aufgrund der rechtlichen Regelung seines Berufs (vgl. §§ 1, 2 I, 3 I, 4 BRAO) ein Nutzen zugute kommt. So vermittelt das Rechtsberatungsgesetz100 (vgl. Art. 1 §§ 1, 8 ReBerG) über den Schutz der Rechtssuchenden und der Rechtspflege zugleich einen solchen für die berufliche Stellung der Rechtsanwälte101. Im Rahmen von 97 Vgl. BT-Drucks. 2/2545, S. 262. Daß die Vergütungsregelung auch unbefriedigend ist, wenn der Beschuldigte mittellos ist, der Pflichtverteidiger lediglich seinen Anspruch nach § 52 RVG (§ 97 BRAGO) gegenüber der Staatskasse geltend macht, erwähnt die Gesetzesbegründung nicht. 98 Wolf, S. 408. 99 Rechtsanwälte, Richter und Staatsanwälte haben eine gleiche Ausbildung erfahren; insofern erscheint ein Vergleich der Einkommen „nicht willkürlich“, vgl. Barton, S. 255 f. mit Fn. 118 in Bezug auf das richterliche Einkommen. 100 Vgl. zur geplanten Novellierung des Rechtsberatungsgesetzes den Diskussionsentwurf des Bundesministeriums der Justiz – abrufbar im Internet unter: http:// www.bmj.de/media/archive/746.pdf; siehe ferner den Vorschlag des Deutschen Anwaltvereins in AnwBl. 2004, 269 ff.; dazu: Koch/Hamacher, AnwBl. 2004, 385 ff. Der 65. Deutsche Juristentag hat sich ebenfalls mit diesem Thema beschäftigt, vgl. die Beschlüsse unter F. 101 Vgl. BVerfG NJW 1998, 3481 (3483); Prütting, Gutachten G 17 ff.; Koch, ZRP 2004, 158 ff.

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8. Kap.: Die Vergütung des Pflichtverteidigers

Verteidigungen nimmt der Rechtsanwalt darüber hinaus eine quasi monopolartige Stellung ein, auch wenn gemäß § 138 I und II andere Personen hinzugezogen werden können. Letztlich wird man damit eine unangemessene Beziehung zwischen Differenzierungsziel und Differenzierungskriterium verneinen müssen. Eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung liegt nicht vor.

§ 6 Ergebnis Wie dargestellt sind die Grundzüge der Verfahrens-/Prozeßkostenhilfe in abgewandelter Form für das Strafverfahren zu übernehmen. Damit wird der bedürftige Beschuldigte auf Dauer von den Kosten einer Pflichtverteidigung befreit. Angesichts der – wenn auch gerechtfertigten – „bedenklichen“ Unterscheidung zwischen Pflicht- und Wahlverteidigergebühren vor dem Gleichheitssatz aus Art. 3 I GG und der Grenze zur Unzumutbarkeit nach Art. 12 I GG ist eine Angleichung an die Wahlverteidigergebühren (zumindest) dahingehend zu fordern, daß sie der Mittelgebühr eines Wahlverteidigers entsprechen102. Im Rahmen einer Neuordnung der Vergütungsregelungen für Pflichtverteidiger wird ferner vorgeschlagen, die Finanzierungsregelungen des Verfahrenshilfe-Verteidigers aus dem österreichischen Recht zu übertragen103. Die durch eine Finanzierung dem Anschein nach mögliche staatliche Einflußnahme könnte nach Vogelsang durch eine Orientierung an das in Österreich geltende Modell der Rechtsanwaltsvergütung gemindert werden104. Angesichts der Kritik, wonach die Qualität der Verteidigung leiden könnte, weil auch nicht tätig gewordene Rechtsanwälte davon profitierten und keine inidividuellen Anreize für den Verfahrenshilfe-Verteidiger bestünden, seien folgende Anpassungen vorzunehmen105: Nur die Beiträge derjenigen, die auch als VerfahrenshilfeVerteidiger tätig waren, sollten reduziert werden. Auch sollte neben der Grundentlohnung eine „Einzelentlohnung“ der tätigen Verteidiger erfolgen. Diese sollte ab einer Verhandlungsdauer von zwei Verhandlungstagen einsetzen106. 102 So schon Hahn, S. 118; für eine Gleichstellung: Ahrens, S. 260 f.; Rieß, StV 1981, 460 (462). Dies gilt nicht für eine frei vereinbarte Vergütung, vgl. Haffke, StV 1981, 471 (478). 103 Vogelsang, S. 221 ff.; vgl. auch Schell, S. 86 f.; vgl. dazu oben: Kap. 7, § 2 C. III. 104 Vogelsang, S. 227. 105 Vogelsang, S. 228 ff. 106 Der heutige § 16 IV i. V. m. III RAO sieht einen eigenen Anspruch des nach §§ 45, 45 a RAO bestellten Rechtsanwalts auf angemessene Vergütung gegen die Rechtsanwaltskammer bei mehr als zehn Verhandlungstagen (oder mehr als 50 Verhandlungsstunden) vor.

§ 6 Ergebnis

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Der Verteidiger soll die Gebühren im Rahmen einer Wahlverteidigergebühr festsetzen können. Um einer mißbräuchlichen Einflußnahme auf die Verhandlungsdauer durch den Verteidiger vorzubeugen, sollte in streitigen Fällen auf Antrag der Vorstand der Rechtsanwaltskammer verbindlich entscheiden. Zwar mindert eine mittelbare Finanzierung möglicherweise den Anschein einer Einflußnahme auf die Verteidiger durch den Staat, jedoch wird dadurch m. E. das Verfahren verkompliziert, ohne daß auf eine staatliche Finanzierung insgesamt verzichtet werden könnte. Insofern ist einer Neuordnung der Vergütungsregelung zur Finanzierung von Pflichtverteidigern zu widersprechen.

Neuntes Kapitel

Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse – Auslegung von § 141 III 1 und S. 2 Nach geltendem Recht liegt die Bestellung eines Verteidigers im Ermittlungsverfahren gemäß § 141 III 1 im Ermessen des nach § 141 IV zuständigen Vorsitzenden. Dieses Ermessen ist in bestimmten Fällen auf Null reduziert, so insbesondere bei Mitwirkungshandlungen des Beschuldigten im Ermittlungsverfahren. Die Staatsanwaltschaft hat kein Ermessen bezüglich einer Antragstellung nach § 141 III 2. Sieht sie die Voraussetzungen notwendiger Verteidigung im gerichtlichen Verfahren ab, so hat sie den Antrag zu stellen. Für die Absehbarkeit bestimmter Fälle notwendiger Verteidigung kann ihr ein gewisser rechtlicher Beurteilungsspielraum zustehen.

– Antragsrecht des Beschuldigten und eigene Verteidigerbestellung durch den Vorsitzenden nach § 141 III 1, § 141 IV Der Beschuldigte hat ein eigenes Antragsrecht auf Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren. Darüber ist er zu belehren. Der Vorsitzende (§ 141 IV) kann auch ohne jedweden Antrag einen Verteidiger im Ermittlungsverfahren nach § 141 III 1 bestellen.

– Rechtsschutzmöglichkeiten des Beschuldigten Gegen ablehnende oder unterbliebene Entscheidungen über die Verteidigerbestellung des Richters im Ermittlungsverfahren steht dem Beschuldigten die Beschwerde nach § 304 offen. Gegen die Ablehnung der Antragstellung durch die Staatsanwaltschaft nach § 141 III 2 kann der Beschuldigte aufgrund mangelnden Rechtsschutzbedürfnisses nicht nach § 98 II 2 analog vorgehen. Entsprechende Begehren sind als Antrag des Beschuldigten auf Verteidigerbestellung auszulegen und an den zuständigen Vorsitzenden (vgl. § 141 IV) weiterzuleiten.

9. Kap.: Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse

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– Beweisverwertung Wird ein Beweis in Abwesenheit des zu der Beweiserhebung nach § 141 III 1 zu bestellenden Verteidigers erhoben, so darf er nicht verwertet werden. – Überlegungen zur Verteidigerbestellung (im Ermittlungsverfahren) de lege ferenda Einer Bestellungspflicht, die schon einsetzt, wenn die Voraussetzungen notwendiger Verteidigung abzusehen sind, ist zuzustimmen. Die Bestellung muß schon für die erste Vernehmung erfolgen. Das Antragsrecht des Beschuldigten sollte – wie durch den Diskussionsentwurf 2004 vorgesehen – gesetzlich verankert werden. Die Belehrung über das Antragsrecht sollte jedoch unabhängig davon erfolgen, ob die Voraussetzungen notwendiger Verteidigung im gerichtlichen Verfahren abzusehen sind. Es sollte eine Prozeßkostenhilferegelung für das Strafverfahrensrecht außerhalb der (beizubehaltenden) notwendigen Verteidigung eingeführt werden. Diese Verfahrenshilfe sollte frei sein von Beschränkungen auf bestimmte Verfahrensstadien. Abzulehnen ist das Zusatzerfordernis eines besonderen Interesses der Rechtspflege. Der Beschuldigte ist entsprechend zu belehren. – Pflichtverteidigervergütung Die Pflichtverteidigergebühren sind denen der Wahlverteidigung (zumindest in Gestalt der Mittelgebühr) anzugleichen.

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Sachwortverzeichnis Absprachen 69 ff., 118 Abwägungslehre 217 f., 334, 339 ff. Adhäsionsverfahren 176 Akteneinsicht 90 ff., 94 ff. – Verteidigerbestellung wegen 121 ff., 304 Aktenkenntnis 118 ff., 279 Alternativ-Entwurf zum EU-Verfassungsentwurf 384 f. Amtsverteidigung 365 ff. Anerkennung, gegenseitige 84 ff. Anfangsverdacht, abgeklärter 215, 269 ff., 272 ff., 280, 284 Anhörung des Verteidigers 105, 112, 145, 255 f. Anstaltsunterbringung 110 ff. Antrag – des Beschuldigten, s. Antragsrecht – der Staatsanwaltschaft, s. Antragspflicht – Zuständigkeit für Entgegennahme, s. Zuständigkeit Antragspflicht – der Staatsanwaltschaft 229 ff., 252, 265 ff. – Dokumentationspflicht 284 – Hinweispflicht auf die 303 f. – gerichtliche Überprüfbarkeit der 282 ff. – Prüfungspflicht hinsichtlich der 280 Antragsrecht – und Belehrungspflicht 212 f., 219 f., 303 ff. – des Beschuldigten 128, 292 ff., 350 ff., 369, 371 – der Staatsanwaltschaft, s. Antragspflicht Anwesenheitsrecht 101 ff., 146 f., 194, 206, 256, 288 ff., 325, 336, 350, 374

Armenrecht 199 f., s. auch Mittellosigkeit Augenscheinseinnahme 101 f., 104, 254, 257, 374 Auslagen – des Pflichtverteidigers 106 ff., 391 ff., 395 f., 404 – notwendige 396 f. Auslieferung 158 ff. Aussageverhalten 261 ff. Ausschließungsverfahren 145 f., 278 Ausweisung 260, 266 Autonomiedefizit 132, 179, 181, 183 ff. Begutachtung, ambulante 256 Beigebungsverfahren 367 f. Beistand 141, 168, 171 ff., 175 f., 194, 261, 381 Belehrungspflicht, s. Antragsrecht – Folgen der Verletzung, s. Verwertungsverbot Benachrichtigungspflicht 101, 324 ff., 329 f., s. auch Verwertungsverbot Beratungshilfe 359 Berufsfreiheit 404 ff. Berufsverbot 110, 258, 275 f., 283 Beschleunigtes Verfahren 68 f., 150 f., 254 f., 257, 280 Beschuldigte, ausländische 117, 126 f., 260, 380 f. Beschwerde 136 ff., 141, 288, s. auch Untätigkeitsbeschwerde Bestellung – Anfechtbarkeit der 136 ff. – Aufhebung der 138 ff. – Auswahl des Pflichtverteidigers 129 ff., 180, 196

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Sachwortverzeichnis

– Dauer der 135 f. – Verfahren der 128 ff. – von Amts wegen 302 f. – Widerruf der 139 – Wirkung der 131 ff. – Zuständigkeit 128 f. Bestellungspflicht – allein bei prognostizierter notwendiger Verteidigung 251 f., 264 – de lege ferenda 348 ff. – im Ermittlungsverfahren 248 ff., 252 ff., 263 ff., 265 ff. – kraft Verfassungsrechts 251, 255, 257 f., 279, 357 – Verletzung der, s. Verwertungsverbot Beurteilungsspielraum – der Staatsanwaltschaft 214 ff., 220 f., 352 f. – revisionsrechtliche Überprüfbarkeit des 271 ff. Beweisantragsrecht 28, 44, 104 Beweisführungsmöglichkeiten, mittelbare 53 ff. Beweisregel 331 f. Beweisverwertungsverbot, s. Verwertungsverbot Beweiswürdigungslösung 210 ff., 321 ff., 328 ff. Commitment 46 Contract defender 365 Court-Appointed-Counsel 364 f. Defender corporations 364 f. Definitionsmacht, staatsanwaltschaftliche 124 f., 266 Dialektik 187 ff. Difensore di ufficio 185 Diskussionsentwurf für eine Reform des Strafverfahrens 349 ff. Disziplinarverfahren 71, 116, 146, 169 f. Doppelfehler 328 ff. Dringlichkeitsverteidiger 367 Durchsuchung 41, 74, 103, 259, 266

Eigenverantwortlichkeit 186 f., 195 Eilbeiordnung – für Beschuldigte 374 f. – für Nebenkläger 174 f. Einstellung im Ermittlungsverfahren 67 f. Einziehungsbeteiligter 152 f. Ergänzungsverteidiger 36 f. Ermessensentscheidung – Überprüfung durch das Revisionsgericht 346 f. – Verteidigerbestellung 223 ff., 226 ff., 228 ff., 233 ff., 240 ff., 248 ff., 265 ff., 345 ff. Ermittlungen – eigene 106 ff. – Unterbrechung der 217, 220 f., 303 f. Ermittlungsrichter – Verteidigerbestellung durch den, s. Zuständigkeit Ermittlungsverfahren – Bestellungspflicht im, s. dort – Eilbeiordnung im, s. dort – Europäisierung des, s. dort – Fehlerquellen im, s. dort – Verpolizeilichung des, s. dort – Verteidigerbestellung, s. Ermessensentscheidung – Weichenstellung im, s. dort – Zweck des 38 ff. Ersatzverteidiger 36 f. Ersatzvornahme 133 Eurodefensor 384 f., 389 Eurojust 87, 385 Europäischer Haftbefehl 85 f. Europäisierung – des Ermittlungsverfahrens 84 ff. – der Verteidigung 376 ff., 381 ff. European Criminal Bar Association 88 Europol 86 Fahrerlaubnis 116, 259, 277 Fahrverbot 116, 259 Faires Verfahren 191 f., 263 ff., 360

Sachwortverzeichnis Fehlerquellen im Ermittlungsverfahren 77 f. Fragerecht 204 ff., 210, 256, 268, 285 f., 289 ff., 304, 337, 340 Fremdgefährdung 186 f. Fürsorge 195 ff. Gebühren, s. Vergütung Gefahr im Verzug 216, 281 ff. Gegenüberstellung 102 f., 254 Geldwäsche 405 f. Gerichtliche Voruntersuchung 78 f. Gesamtbetrachtungslehre 331 Gesetzgebungsgeschichte 233 ff. Geständnis 61, 98, 211, 217, 259, 261 f., 334 Gleichheitssatz 198 ff. Grünbuch 377 ff. Grundrechtsschutz 182 f. Gutachten – psychiatrisches 145, 169, s. auch Begutachtung – Stellungnahme zu einem 260 f. Haftbefehl – europäischer, s. dort – Verteidigerbestellung 143, 211 ff., 218 f., 266, 269, 276 Haftprüfung 89, 95 ff., 144, 188 Haftrichter 219, 276, 287 f., 299 ff., 333 Heimunterbringung 167 Heranwachsende – Verteidigerbestellung für 162 ff. Hochschullehrer 132 Inertia-Effekt 46 f. Interesse der Rechtspflege 170 f., 263 ff., 363, 365 f., 379 Internationale Rechtshilfe in Strafsachen 158 f. Internationaler Strafgerichtshof 161 Italien – notwendige Verteidigung in 185 f.

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Jugendliche – Verteidigerbestellung für 162 ff., 259 f. Justizförmigkeit 191 ff. Justizverwaltungsakt 309 ff. Klageerzwingungsverfahren 175, 261 Kognitive Dissonanz 45 ff. Kölner Richtlinien 165 Kontaktsperre 156 ff. Kontrahierungszwang 132 Kosten der Pflichterteidigung – Deutschland 391 ff., 397 ff. – Österreich 368 ff., 410 f. – Umfrage 400 ff. Kosten des Verfahrens 396 f. Legal aid 364 f. Maßregeln, vorläufige 110, 258 f., 275 ff., 349 Mitbeschuldigter 289 Mittellosigkeit des Beschuldigten 170, 186, 198 ff., 358 ff., 369 ff., 371 ff. Mitwirkungsrechte 63 ff., 202, 263, 304 f., 334 f., 349 f. Nebenklageberechtigter 127, 167, 173 ff., 194, 388 Nebenkläger 127, 167, 173 ff. Notwendigkeit der Verteidigung – Beginn 32 f. – Definition 31 f. – Umfang 35 f. Offizialverteidiger 34, 409 OLAF 87 Ordnungswidrigkeitenverfahren, – Bestellung im 153 ff. Österreich, – Verteidigerbestellung in 365 ff. Paternalismus 186 f. Pauschvergütung 392 ff. Perseveranzeffekt 44

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Sachwortverzeichnis

Persönlichkeitserforschung 259 Pflichtverteidiger, – Abberufung des 138 ff., 180, 196, 198, s. auch Bestellung – Auswahl des, s. Bestellung Pflichtverteidigung – Ablaßfunktion 203 – Armenrechtsersatzfunktion der 202, 380 – Gründe für eine 177 ff. – Umfang der 35 f. Präjudizierung 42 ff., 53 ff., 62 ff., 252 ff. Private defender systems 364 Prognose – notwendiger Verteidigung 251 ff., 268 ff., 308 f. – Revidierbarkeit der 280 f. Protokollverlesung 53 f., 329 f. Prozeßhandlungen 310 ff. Prozeßkostenhilfe – für eine Beistandsbestellung 173 ff. – de lege ferenda 369 ff., 379, 384, 387 f. – in der polnischen StPO 387 Prozeßsubjekt 182 ff., 261, 340 ff. Public defender 389 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz 395 ff. Rechtsberatungsgesetz 409 f. Rechtsbeschwerdeverfahren 155, 362 Rechtskreistheorie 338 f. Rechtsschutz – gegen die gerichtliche Entscheidung 136 ff., 307 f. – gegen die staatsanwaltschaftliche Entschließung 308 ff. – Untätigkeitsbeschwerde, s. dort Redundanzeffekt 47 Reform der Verteidigerbestellung 348 ff., 387 f. Reichsstrafprozeßordnung 234 ff., 240 ff.

Revision 137 f., 140, 147, 211, 271 f., 280, 322, 345 ff. Sachverständiger 118, 120, 126, 253 ff., 256, 259, 275, 287 – Auswahl des 28, 41 f., 105 f., 255, 266, 350 Schlußanhörung 80 f. Schlußgehör 80 f. Schulterschlußeffekt 44 Schutzzwecklehren 342 f. Schwere der Tat 112 ff., 278 ff. Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage 112 ff., 117, 125, 278 ff. Selbstgefährdung 186 f. Sicherstellung 55 f., 88 Sicherungsverfahren 112, 145, 273, 275, 277 Sicherungsverteidiger 36 f. Sicherungsverwahrung 274 Soziale Vergleichsprozesse 50 f. Sozialstaatsprinzip 191, 198 ff., 359 ff. Staatsanwaltschaft – Antragspflicht, s. dort – europäische 88, 376 – Beurteilungsspielraum, s. dort – Hinweispflicht, s. Antragspflicht – Prüfungspflicht, s. Antragspflicht Strafbefehlsverfahren 68, 70, 149 f., 164, 182, 196, 200, 280 Strafverteidigernotdienst 389 Strafvollstreckung 140, 168 Strafvollzug 141, 175 Tatrekonstruktion 211 ff., 254, 263 U.S.A. – Pflichtverteidigung in den 364 f. Unschuldsvermutung 177, 361 Untätigkeitsbeschwerde 307 f. Unterbringung – einstweilige 145, 258, 372 – im Heim der Jugendhilfe 167, 250 f.

Sachwortverzeichnis – in Entziehungsanstalt 277 – zur Beobachtung 258, 277 Untersuchungshaft 89, 110 ff., 143 f., 257, 259 f., 349, 355 ff., 372, 389 Verfahrenshilfe 365 ff., 371 ff., 410 ff. Verfahrenssicherung 197 f. Verfahrensziele 180, 187 ff. Vergütung 391 ff. – des Pflichtverteidigers 391 ff. – des Wahlverteidigers 397 ff. – geschichtliche Entwicklung 397 ff. – Gleichbehandlung im Rahmen der 407 ff. – Umfrage 400 ff. – Unzumutbarkeit der 396, 404 ff. Verhörspersonen – Vernehmung von 54 ff., 210, 327 f., 336 ff. Verletzter 127 f. Vernehmung 60 ff., 101 – außerhalb des Haftortes 126, 253, 256 – von Beschuldigten 261 ff., 266 f., 317 f. – von Verhörspersonen, s. dort – von Zeugen 253, 256, 285 f., 288 ff. Vernehmungsbeistand 172 f. Verpolizeilichung 74 ff., 108 Verteidigerbestellung – in der Besatzungszeit 243 f. – Ermessen für eine, s. Ermessensentscheidung – nach der europäischen Menschenrechtskonvention 170 f. – bei Mittellosigkeit, s. dort – Reform der, s. dort Verteidigung – doppelt notwendige 160 – Fragerecht, s. dort

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– Europäisierung, s. dort Verteidigungsunfähigkeit 125 ff., 279 f. Vertragsmodell 132 ff. Verwaltungsakt, begünstigender 134 f. Verwertungsverbot 210 f., 214, 217 f., 321 ff., 336 ff., 338 ff. – durch die Verletzung der Belehrungspflicht 328, 343 f. – durch die Verletzung der Benachrichtigungspflicht 324 ff. – durch die Verletzung der Bestellungspflicht 328, 338 ff. – durch die Verletzung der Hinweispflicht 343 f. – Widerspruch für ein 333 Videovernehmung 62 ff., 253, 336 Vollstreckungsverfahren, s. Strafvollstrekkung Vollzug, s. Strafvollzug Waffengleichheit 192 ff., 261, 305, 340 Wahrheitsfindung 87 ff. Wehrdisziplinaranwalt 169 Weichenstellung 40 ff. Wiederaufnahmeverfahren 147 ff. Willkür 314 f. Zeugenbeistand, s. Vernehmungsbeistand Zeugnisverweigerungsrecht 55 ff., 208, 253, 289 f. Ziele des Strafverfahrens, s. Verfahrensziele Zuständigkeit – für eine Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren 128 f., 287 f., 298 ff. Zwangsmaßnahmen 72 ff. Zwangsverteidiger 36 f. Zwischenverfahren 82 ff.