Wort und Antwort: Geschichte und Gestaltung der Konfirmation am Beispiel der Ev.-Luth. Landeskirche Hannovers [Reprint 2019 ed.] 9783110846126, 9783110132588

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Wort und Antwort: Geschichte und Gestaltung der Konfirmation am Beispiel der Ev.-Luth. Landeskirche Hannovers [Reprint 2019 ed.]
 9783110846126, 9783110132588

Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Sigla und Abkürzungen
Einleitung: Die Frage nach einem integrierenden Konfirmationsverständnis
Erster Teil: Wahrnehmung der Gegenwart: individuelle und soziale Realität im Umfeld der Konfirmation
Zweiter Teil: Erfahrungen aus der Vergangenheit Die Konfirmation in der hannoverschen Landeskirche von 1852-1945
Dritter Teil: Die Konfirmation der Zukunft als lebensbegleitende Erschließung von Wort und Antwort
Anhang 1: Tabellarische Übersicht zu den Ergebnissen der Kreiskirchentage 1927
Anhang 2: Biographischer Anhang
Quellen- und Literaturverzeichnis
Namensregister

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Michael Meyer-Blanck Wort und Antwort

w DE

G

Arbeiten zur Praktischen Theologie Herausgegeben von Karl-Heinrich Bieritz und Christian Grethlein

Band 2

Walter de Gruyter • Berlin • New York

1992

Michael Meyer-Blanck

Wort und Antwort Geschichte und Gestaltung der Konfirmation am Beispiel der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers

Walter de Gruyter • Berlin • New York 1992

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Die Deutsche Bibliothek



ClP-Einheitsaufnahme

Meyer-Blanck, Michael: Wort und Antwort : Geschichte und Gestaltung der Konfirmation am Beispiel der Ev.-Luth. Landeskirche Hannovers / Michael Meyer-Blanck. — Berlin ; New York : de Gruyter, 1992 (Arbeiten zur praktischen Theologie ; Bd. 2) Zugl.: Münster (Westfalen), Univ., Diss., 1990 ISBN 3-11-013258-3 NE: GT

© Copyright 1992 by Walter de Gruyter & Co., Berlin 30 Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Druck: Werner Hildebrand, Berlin 65 Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz und Bauer, Berlin 61

Vorwort Die vorliegende Arbeit stellt die Druckfassung meiner Dissertation dar, welche im Sommersemester 1991 von der evangelisch-theologischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster im Fach Praktische Theologie angenommen wurde. An erster Stelle habe ich Herrn Prof. Dr. Heinz Schmidt zu danken, der die Arbeit in allen ihren Phasen ermutigend und kritisch begleitet hat. Herrn Prof. Dr. Friedemann Merkel danke ich für wichtige Hinweise und für die Übernahme des Zweitgutachtens. Diese Arbeit hätte ohne die bereitwillige Unterstützung der Archive nicht entstehen können. In gleicher Weise sind hier zu nennen Dr. Ernst Berneburg als Archivar des Klosters Loccum sowie Dr. Hans Otte und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im landeskirchlichen Archiv Hannover. Der ev.-luth. Landeskirche Hannovers und der Vereinigten ev.-luth. Kirche Deutschlands (VELKD) danke ich für die Bereitstellung von Zuschüssen, welche die Drucklegung der Arbeit ermöglichten, Herrn Dr. sc. Karl-Heinrich Bieritz und Herrn Dr. habil. Christian Grethlein für die Aufnahme in die Reihe "Arbeiten zur Praktischen Theologie". Mein besonderer Dank gilt Frau Waltraud Kehrbach, die das Manuskript in eine setzbare Fassung gebracht hat, sowie Frau Dr. Doris Lemmermeier und Frau Birgitt Sippel M.A., welche die Druckvorlage mit dem Satzsystem IATgK bei der Gesellschaft für wissenschaftliche Datenverarbeitung mbH (Göttingen) erstellt haben. Schließlich ist die freundliche Unterstützung zu erwähnen, mit der Dr. Jörg Ohlemacher, der Rektor des Religionspädagogischen Instituts Loccum, mir die Abfassung dieser Arbeit neben meiner Institutstätigkeit ermöglicht hat.

Loccum, im September 1991

Michael Meyer-Blanck

Inhaltsverzeichnis

Sigla und Abkürzungen Einleitung: Die Frage nach einem integrierenden Konfirmationsverständnis Erster Teil: Wahrnehmung der Gegenwart: individuelle und soziale Realität im Umfeld der Konfirmation 1. Zur Bedeutung der "nichttheologischen Faktoren" der Konfirmation 2. Die Äußerungen zur Konfirmation in der Umfrage "Was wird aus der Kirche?" (1984) 3. Die Konfirmandinnen und Konfirmanden und die Konfirmation 4. Die Eltern und die Konfirmation 5. Die Ortsgemeinde und die Konfirmation 6. Zusammenfassung: die gegenwärtigen Hauptfragen zum Verständnis und zur Gestaltung der Konfirmation Zweiter Teil: Erfahrungen aus der Vergangenheit Die Konfirmation in der hannoverschen Landeskirche von 1852-1945 1. Die Vorgeschichte 1.1. Das Werden der hannoverschen Landeskirche 1.2. Die maßgeblichen reformatorischen Kirchenordnungen Die Kasseler Kirchenordnung 1539 Die Brandenburger Kirchenordnung 1540 Die Kirchenordnung für Calenberg-Göttingen 1542 Die "Calenberger" Kirchenordnung aus Braunschweig-Wolfenbüttel 1569 Die Kirchenordnung für die Grafschaft Hoya 1581 Die Lauenburger Kirchenordnung 1585 Die Lüneburger Kirchenordnung 1643 1.3. Die Diskussion um die Konfirmation bis 1918 außerhalb Hannovers

XI 1

3 3 5 8 16 20 22

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VIII 2. 2.1.

Inhaltsverzeichnis

Die Konfirmationsdebatte in Hannover bis 1918 Der Landeskatechismus von 1792 und das Konsistorialausschreiben vom 18.1.1800 2.2. Petris Agende von 1852 2.3. Uhlhorns Agende von 1889 2.4. Die Synode von 1893 Die Vorlage Die Verhandlungen über die Konfirmationsordnung Die von der Synode verabschiedete Ordnung 2.5. "Die Bereitung zur Konfirmation" von R. Steinmetz (1910) 2.6. Die Konfirmation in der preußischen Agende von 1880 zum Vergleich 2.7. Die Konfirmation im "Kirchenbuch" von Julius Smend (1908) 3. Die Bemühungen um eine Reform der Konfirmation von 1918-1945 3.1. Die Verfassung der Landeskirche von 1922 3.2. Die besondere Bedeutung von Paul Fleisch - Lebenslauf, Theologie, Stellung in der Konfirmationsfrage Lebenslauf Fleischs theologisches Denken Stellungnahmen in der Konfirmationsfrage 3.3. Die Bemühungen um eine Reform der Konfirmationsordnung zwischen 1925 und 1928 3.3.1 Der erste Landeskirchentag 1925 3.3.2 Das Entstehen der Vorlage an die Kirchenkreise 3.3.3 Die Beratungen der Kreiskirchentage im Sommer 1927 Die Ablehnung der Reform wegen drohender "Zersplitterung" Die Ablehnung der Vorlage als Kompromiß und "Verschleierung" Die Ablehnung in den Großstädten und Ostfriesland Bewertung der Diskussion in den Kirchenkreisen a) Historische Begründungen b) Neue Frageformulierungen c) Versäumte Gelegenheiten 3.3.4. Der zweite Landeskirchentag 1928 3.4. Seitenblick: Die Konfirmationsordnungen der bayrischen Landeskirche von 1920 und des altpreußischen Entwurfs von 1931/32

61 61 63 69 73 79 80 87 90 92 94 96 96 98 98 109 113 120 121 126 134 135 137 139 153 153 156 158 162 169

Inhaltsverzeichnis

3.5. 3.5.1.

3.5.2. 3.5.3.

3.5.4.

Konfirmation und Konfirmandenunterricht während des Kirchenkampfes 1933-1945 Zum Kirchenkampf in Hannover Zu Barmen und dem Streit um das Bekenntnis Zu Dahlem und dem Streit um das Kirchenverständnis Exkurs: Zu Landesbischof August Maxahrens Die Ausweitung des Konfirmandenunterrichts 1936 und die weitere Entwicklung im KU bis 1945 Die Unterrichtsblätter ab 1936 und die Handreichung 1937 Die Handreichung Die Unterrichtsblätter Die Konfirmationsdebatte nach 1928 und das Parallelformular von 1940 Die neuen Gesichtspunkte nach 1933 Die intensive Arbeit an der Konfirmation von 1936 - 1941 .. Die Einführung des Parallelformulars in Hannover 1940 Ausblick: Die Einführung des VELKD-Formulars 1952/53 ..

D r i t t e r Teil: Die Konfirmation der Zukunft als lebensbegleitende Erschließung von W o r t und Antwort 1. Maximen für die Zukunft aufgrund der dargestellten historischen Entwicklung 1.1. Die Unhaltbarkeit des Gelübdes 1.2. Die bleibende Wichtigkeit des Konfirmationsbekenntnisses .. 1.3. Gegen eine Zweiteilung, aber für eine Entflechtung der Konfirmation 1.4. Für eine liturgische Beteiligung der Gemeinde an der Konfirmation 1.5. Die unumstrittene Beibehaltung der Einsegnung 2. Systematisch-theologische Grundüberlegungen zur Konfirmation 2.1. Konfirmation als "Befestigung in dem Leben, das mit der Taufe begonnen hat" 2.2. Konfirmation als Feier der im Abendmahl sichtbaren Kirche 2.3. Didaktik und Liturgie - "catechesis" und "confirmatio" 2.3.1. catechesis est confirmatio - die "konfirmierende" Funktion des Unterrichts 2.3.2. confirmatio est catechesis - die "katechetische" Funktion des Festes

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X 2.4. 3.

3.1. 3.2. 3.3. 3.3.1. 3.3.2. 3.3.3. 3.3.4. 3.4.

Inhaltsverzeichnis

Die integrierende Perspektive: die Konfirmation als Feier von Wort und Antwort Praktisch-theologische Folgerungen: das konfirmierende Handeln der Gemeinde als lebensbegleitende Erschließung von Wort und Antwort Von der Konfirmation zum konfirmierenden Handeln Vom Pfarramt zur Gemeinde Vom "kirchenzuchtlichen" zum lebensbegleitenden konfirmierenden Handeln Das erste konfirmierende Handeln im Kindergarten Das konfirmierende Handeln als Stationssegen bei der Einschulung Die Abendmahlszulassung am Ende des vorgezogenen Vorkonfirmandenjahres (4. Schuljahr) Die Konfirmation als vierter Schritt konfirmierenden Handelns Ausblick: "Gemeindefest Konfirmation" oder "Gemeindefest der Konfirmierten"

Anhang 1: Tabellarische Übersicht zu den Ergebnissen der Kreiskirchentage 1927 Anhang 2: Biographischer Anhang Quellen- und Literaturverzeichnis Namensregister

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Sigla und Abkürzungen AELKZ BSLK BThZ DC EKD EKU ELKZ EvTh EW JET JGNKG JK JRP KAB1 KJ K0(0) KU KZG LKA LM LWB PTh rb RGG ThPr TRE VELKD WPKG ZPK

Allgemeine Ev.-Luth. Kirchenzeitung Die Bekenntnisschriften der ev.-luth. Kirche (s. Lit.-Verz.) Berliner Theologische Zeitschrift Deutsche Christen Evangelische Kirche in Deutschland Evangelische Kirche der Union Ev.-Luth. Kirchenzeitung Evangelische Theologie Evangelische Wahrheit1 Journal of Empirical Theology Jahrbuch der Gesellschaft für niedersächsische Kirchengeschichte Junge Kirche Jahrbuch für Religionspädagogik Kirchliches Amtsblatt der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers (bis 1918: für den Bezirk des Königlichen Landeskonsistoriums Hannover) Kirchliches Jahrbuch Kirchenordnung(en) Konfirmandenunterricht Kirchliche Zeitgeschichte Landeskirchenamt Lutherische Monatshefte Lutherischer Weltbund Pastoraltheologie rundblick, niedersächsischer Pressedienst, Hannover Die Religion in Geschichte und Gegenwart Theologia Practica Theologische Realenzyklopädie Vereinigte Evangelisch-lutherische Kirche Deutschlands Wissenschaft und Praxis in Kirche und Gesellschaft Zeitschrift für Protestantismus und Kirche

(die Abkürzungen der Organisationen im "3. Reich" werden als bekannt vorausgesetzt: HJ, NSDAP, SA, SS) Zitierweise: In der Regel werden nur Autorenname und Seite genannt, bei mehreren Autoren mit gleichem Namen (z.B. Meyer) auch der vollständige Vorname. Bei mehreren Veröffentlichungen eines Autors wird ein Kurztitel mitzitiert, der aus dem Literaturverzeichnis hervorgeht. 1

Die Zeitschrift stellte die Zählung ihrer Jahrgänge 1934 auf Kalenderjahre um. So endete die EW 25, 1933/34 im September 1934, die EW 26/1935 begann im Januar 1935. Das Heft Okt.-Dez. 1934 ist ohne Jahrgang.

Einleitung: Die Frage nach einem integrierenden Konfirmationsverständnis Die Frage nach dem grundlegenden Verständnis und nach der sachgemäßen Gestaltung der Konfirmation ist auch gegenwärtig ungeklärt. In der KUReform der letzten zwanzig Jahre im Zuge der "empirischen Wende" der Religionspädagogik trat zwar der Unterricht (seit etwa 10 Jahren: die "Konfirmandenarbeit") in den Vordergrund, aber gegenwärtig wird der Klärungsbedarf wieder deutlich. 1 Die Diskrepanz zwischen der Einschätzung der Konfirmation durch Theologen einerseits und andere Gemeindeglieder andererseits ist sehr groß. Uberspitzt läßt sich sagen: Konfirmanden und Eltern wollen die Konfirmation, aber nicht unbedingt den Unterricht, Pastorinnen und Pastoren konfirmieren mit Unbehagen, ihnen liegt aber an der großen volkskirchlichen Chance der Konfirmandenarbeit. Praktisch-theologisch gibt es drei Grundmöglichkeiten, mit dieser Schwierigkeit umzugehen: Entweder wird die theologische Präge zurückgestellt und aus der Konfirmation wird der "Abschluß der Konfirmandenarbeit" bzw. ein Kasualgottesdienst beim Übergang in das Jugendalter, 2 oder man nimmt einfach additiv die geschichtlich gewordenen Aspekte der Konfirmation (Abendmahlszulassung, Taufbezug, Bekenntnis, Fürbitte, Einsegnung, Mündigkeitserklärung) zur Kenntnis, 3 oder man definiert die Konfirmation weiterhin als die individuelle "Bestätigung der Taufe" durch die Konfirmanden 4 (oft unter Absehen von der sozialen Realität). Diese drei Möglichkeiten sind sämtlich unbefriedigend, obwohl sie jeweils Wahrheitsmomente enthalten. Ein Kasualgottesdienst droht zur Jugendweihe zu verflachen, die bloße Addition von Elementen wird mehr verwirren als den Glauben stärken, die "Bestätigung" der Taufe ist theologisch unhaltbar und gerade mit 14 Jahren problematisch. 1

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S. dazu die Beiträge u.a. von Lindner, Koppe und Starck in KU-Praxis 21 (1986) sowie die Bezugnahme Bodes auf die Konvergenzerklärungen von Lima (1986). Auch Wegenast hat den Konfirmandenunterricht 1987 wieder ausdrücklich auf die Konfirmation bezogen wie schon Schröer in seinem wichtigen Artikel im Handbuch für die Konfirmandenarbeit (1984). In seinem neuen großen Buch (1990) hat sich Nipkow sogar für die "Erneuerung der Praxis des Konfirmandenunterrichts von Taufe und Konfirmation her" ausgesprochen (vollständige Angaben s. Lit.-Verz.). Für diese Sicht stehen besonders die Beiträge von Neidkart, der seit 1964 die nichttheologischen Faktoren der Konfirmation betont (zuletzt 1988, Zur Theologie und Praxis der Konfirmation). Eine Nebeneinanderstellung der Motive findet sich z.B. in Abschnitt 12 der Rahmenrichtlinien für die Konfirmandenarbeit der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers (KAB1 1988, S. 136). - Neidhart, Zur Theologie und Praxis der Konfirmation, S. 19 hat eine freie Auswahl und Kombination der Motive empfohlen und selbst weiterhin den lebenszyklischen Schwerpunkt betont. Die Auffassung geht auf Schleiermacher zurück, s.u. S. 50.

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Einleitung

Damit ist die Frage an die Praktische Theologie gestellt, ob es einen Weg gibt, über die Vielzahl der Aspekte hinauszukommen und eine integrierende Perspektive zu entwickeln, welche die geschichtlich gewordenen Elemente der Konfirmation bewahrt, die theologischen Grunddaten der Reformation aufnimmt und die konkret beteiligten Menschen der Gegenwart angemessen berücksichtigt. Dieser Präge soll in der vorliegenden Untersuchung nachgegangen werden. Dazu ist wegen der geschichtlichen Entwicklung der Konfirmation eine historische Darstellung sinnvoll. Diese soll möglichst konkret sein, um die verschiedenen Motive von Theologen und Nichttheologen in den Blick zu bekommen. Darum soll hier die Geschichte der Konfirmation in der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers bis 1945 herangezogen werden. Hier liegt einiges an Material vor, in welchem auch Nichttheologen vernehmbar sind. Die auch heute umstrittenen Fragen nach Bekenntnis und Gelübde der Konfirmanden sowie nach dem zugrundeliegenden Kirchenbegriff wurden hier eingehend thematisiert. Die Geschichte der Konfirmation in Hannover soll exemplarisch für die allgemeine Entwicklung dargestellt werden, wobei die Diskussion in anderen Landeskirchen nur vereinzelt herangezogen werden kann. Vor diesen Rückfragen an die Vergangenheit (Zweiter Teil) soll die Fragestellung der Gegenwart im Hinblick auf die individuelle und soziale Wirklichkeit der beteiligten Menschen präzisiert werden (Erster Teil). Schließlich können dann im Dritten Teil die gewonnenen Einsichten ausgewertet werden, um eine integrierende Perspektive zu entwickeln. Diese soll im 3. Abschnitt des Dritten Teiles unter der Überschrift "Das konfirmierende Handeln der Gemeinde als lebensbegleitende Erschließung von Wort und Antwort" 5 beschrieben werden.

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Zu meiner Verwendung des Begriffes "konfirmierendes Handeln" s.u. S. 252 f. und 262 ff.

Erster Teil Wahrnehmung der Gegenwart: individuelle und soziale Realität im Umfeld der Konfirmation 1. Zur B e d e u t u n g der "nichttheologischen Faktoren" der Konfirmation Erst in den letzten 20 Jahren ist es in der Konfirmandenarbeit zu einer "empirischen Realitätskontrolle" 1 gekommen. Noch 1966 war allein die theologische Sicht der Konfirmation bestimmend und Neidhaxt schrieb bissig in seinem inzwischen klassisch gewordenen Aufsatz über die nichttheologischen Faktoren der Konfirmation: "Die naheliegendste Lösung des Problems ist, die nichttheologischen Faktoren einfach als nichtexistent zu behandeln... Solche Überlegungen verwechseln jedoch den Glauben mit einer Illusion... Das ist die Wirkung einer theologischen Deutung der Konfirmation, welche die nichttheologischen Faktoren nicht zur Kenntnis nimmt: sie hat ideologischen Charakter." 2 In den siebziger Jahren wurde es zumindest in der praktisch-theologischen Diskussion selbstverständlich, für eine "zeitgemäße Form der Konfirmation" auch "die Erkenntnisse der empirischen Handlungswissenschaften (zu) berücksichtigen" . 3 Dies bedeutete vor allem eine realistische Wahrnehmung des Phänomens Volkskirche und des volkskirchlichen Teilnahmeverhaltens der oft abfällig als "Kasualchristen" bezeichneten Gemeindeglieder. War noch Neidharts Buch "Konfirmandenunterricht in der Volkskirche" von 1964 deutlich geprägt von der Auseinandersetzung mit einer breiten Ablehnung der Volkskirche in der Pfarrerschaft, 4 so stieg die Wertschätzung der Volkskirche parallel mit ihrem faktischen Abbröckeln. Die "eigentliche" 1 2

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Wegenast, S. 326. Neidhart, Nichttheologische Faktoren, S. 436 f. Der Kampf Neidharts für eine bessere Realitätswahrnehmung war nötig, die Beilegung des schillernden Begriffes "Ideologie" jedoch bringt keinen Erkenntnisfortschritt. RPI Loccum, Konfirmation, S. 5 (2. These, formuliert von Weert Flemmig). Neidhart beschrieb 4 verschiedene Pfarrereinstellungen zur Volkskirche: einmal die Bejahung der Volkskirche, unterteilt in Betonung und Distanz zur Ekklesiologie, dann die Ablehnung der Volkskirche, ebenfalls in Betonung und Distanz zur Ekklesiologie unterteilt. Er selbst betonte die Ekklesiologie und wehrte sich gegen die Gleichsetzung nur einer Kirchengestalt mit der Kirche Christi: "Ich kann weder die Volkskirche als ganze oder die gottesdienstliche Gemeinde, noch eine sich in ihr bildende Kerngemeinde geradlinig mit der Kirche Christi identifizieren". (Neidhart, Konfirmandenunterricht in der Volkskirche, S. 72). Lück sah das 14 Jahre

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Erster Teil: Wahrnehmung der Gegenwart

K i r c h e w u r d e nicht m e h r unreflektiert mit der K e r n g e m e i n d e identifiziert, der Blick auf die K o n f i r m a t i o n weitete sich von der W o r t - u n d Sakram e n t s g e m e i n s c h a f t zur Lebensgemeinschaft, von der K e r n g e m e i n d e zur Kasualgemeinde. H a t t e schon N e i d h a r t s B u c h von 1964 "Signalwirkung" 5 g e h a b t , so w u r d e ein J a h r z e h n t s p ä t e r "Der K a s u s u n d das R i t u a l " (so der A u f s a t z von Jetter 1976) i m m e r wichtiger. Dabei sollte es keinesfalls u m eine P r e i s g a b e theologischer Inhalte gehen, sondern vielmehr u m deren angemessenes zur - Sprache - Bringen: " E n t s c h e i d e n d wird i m m e r sein, wie weit es gelingt, die in der kasuellen S i t u a t i o n aufgebrochenen großen L e b e n s t h e m e n als z e n t r a l e theologische T h e m e n des christlichen G l a u b e n d e u t lich zu m a c h e n u n d von daher zu ihrer lebensmäßigen Bewältigung zu helfen". 6 So w u r d e a u c h die K o n f i r m a t i o n als Kasualie e n t d e c k t . Die von N e i d h a r t im Laufe der J a h r e i m m e r wieder vorgetragene Sicht 7 b e g a n n sich durchzusetzen. Die R e d e von der K o n f i r m a t i o n als "rite de p a s s a g e " 8 ist h e u t e Allgemeingut geworden u n d fehlt in keiner Diskussion ü b e r die Konfirm a t i o n . Es ist z u n ä c h s t einmal ein großer F o r t s c h r i t t , das volkskirchliche (Kasual-) T e i l n a h m e v e r h a l t e n ungeschminkt w a h r z u n e h m e n u n d "nicht naheliegende W e r t u n g e n zu praktizieren, n a c h d e n e n eine a b n e h m e n d e T e i l n a h m e an den Interessen des P f a r r e r s als Skala absteigender Christlichkeit v o m G u t e n z u m Schlimmeren hin denunziert w i r d . " 9 In der Folge dieser Überlegungen wird die K o n f i r m a t i o n theologisch wesentlich als Segen u n d F ü r b i t t e v e r s t a n d e n . 1 0 Tauf-, A b e n d m a h l s - u n d Kirchenbezug ( B e k e n n t n i s ) sollen demgegenüber z u r ü c k t r e t e n , weil die später genauso unter dem neuen Begriff "Konziliantät". Schon 1959 hatte Köster die "Gruppe der Kirchentreuen" innerhalb der volkskirchlichen Gemeinde besonders in den Blick genommen. Gegenwärtig ist der Begriff der "Kerngemeinde" jedoch nur noch begrenzt verwendbar. 5 Wegenast, S. 326. 6 Jetter, Der Kasus und das Ritual, S. 214. 7 S. die sieben Titel im Literaturverzeichnis (1964, 1966, 1968, 1970, 1986, 1988, 1990). 8 v.d. Leeuw, S. 214 (Erstauflage: 1933). Nach Bloth, S. 173 f. wurde der Begriff schon von A. v. Gennep im Jahre 1909 geprägt. Virkkunen, S. 14, 21, 24 weist auf die große Bedeutung der Konfirmation als Passageritus in Indien, Tansania und Südafrika hin: die Konfirmation müsse "je nach den örtlichen Verhältnissen 'kontextualisiert'" werden (S. 21). 9 Jetter, Ortsgemeinde, S. 16. 10 Neben den Arbeiten von Neidhart etwa in dem Aufsatz von Grosse und neuerdings von Starck, Theologisch-homiletische Einführung.

2. Die Äusserungen zur Konfirmation

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"Mehrzahl der Betroffenen Konfirmation als Kasualie anläßlich des Übergangs in eine andere Lebensphase" deutet und "der kirchlichen Sinngebung dieser Handlung gleichgültig bis ablehnend gegenüberstehen" . n Diese Formulierung Siegels aus dem Handbuch für die Konfirmandenarbeit zeigt jedoch neue Einseitigkeiten ein. Die Neuentdeckung des Passageritus in der Praktischen Theologie führt zu vorschnellen Aussagen über "die Mehrzahl der Betroffenen". Wie neuerdings Nipkow formuliert hat, bewegt man sich hier im Bereich von "Behauptungen, die strenggenommen Vermutungen sind" , 12 Etwas festeren Boden betritt man bei den großen EKD-Umfragen von 1974 und 1984. 2. D i e Äußerungen zur Konfirmation in der U m f r a g e "Was wird aus der Kirche?" (1984) Das Ergebnis der Umfrage steht im Widerspruch zu dem Versuch, die Konfirmation nur als Ubergangsritus zu deuten. Die Befragten äußerten sich wesentlich "kirchlicher", als man es von der pfairamtlichen Erfahrung her vermuten würde: "Die Interpretation dieser Amtshandlungen durch die Mitglieder ist weitgehend identisch mit der von der Kirche formulierten und gelehrten Sinndeutung. Das gilt sowohl für die Taufe als auch für die Konfirmation". 13 Die verschiedenen Bedeutungen der Konfirmation werden so beurteilt: Abendmahl (60 %), Kirchenzugehörigkeit (59 bzw. 52 % Zustimmung zu 2 verschiedenen Formulierungen), Taufe (54 %) stehen in der Beurteilung 1984 an der Spitze, erst dann folgt (53 %) der "rite de passage", ganz am Schluß stehen die Deutungen Familienfeier (30 %) und öffentliche Feier (27 %). 14 Allerdings dürfen diese Daten nun auch nicht überbewertet werden. Die Antworten bei einer kirchlichen Umfrage müssen nicht identisch sein mit den Empfindungen als unmittelbar Beteiligter an der Konfirmation. Außerdem liegt der Schwerpunkt in den formulierten Vorgaben ganz auf dem rechtlich-institutionellen Aspekt. Die Kirche und die Konfirmation 11 Siegel, S. 238. 12 Nipkow, Bildung als Lebensbegleitung, S. 421. 13 Was wird aus der Kirche?, S. 99, Hervorhebung im Original. 14 Ebd., S. 103. Die Frage hatte gelautet: "Denken Sie jetzt bitte einmal an die Konfirmation. Wir haben verschiedene Meinungen über die Bedeutung der Konfirmation gehört und auf dieser Liste aufgeführt. Worin sehen Sie die Bedeutung der Konfirmation?" (S. 237, - als erste der 11 Vorgaben wurde dann der Passageritus genannt).

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Erster Teil: Wahrnehmung der Gegenwart

erscheinen vorwiegend als Körperschaft des Rechts ("Berechtigung, am Abendmahl teilzunehmen", "Man bestimmt jetzt selbst über Kirche und Glauben" 15 ). In der Formulierung der Vorgaben wie in den Ergebnissen zeigt sich der lange Einfluß der rechtlichen Konfirmationsauffassung, die von Fror schon 1959 entschieden kritisiert worden war. 16 Diese Auffassung ist griffiger und eindeutiger formulierbar als eine am Geschehensprozeß des Wortes Gottes orientierte Auffassung. Uber die Kirche als Institution läßt sich leichter reden als über die Kirche als "creatura verbi", der Bereich des Gesetzes ist leichter faßbar als der des Evangeliums. Von daher kommen die Umfragevorgaben den Befragten entgegen. Daraus läßt sich aber nicht ableiten, die Interpretation der Konfirmation "durch die Mitglieder" sei "weitgehend identisch mit der von der Kirche formulierten".17 Die vorgelegten Fragen haben die Tendenz zur Affirmation bestehender kirchlicher Verhältnisse. Andererseits jedoch läßt sich auch nicht behaupten, für die "Mehrzahl der Betroffenen" sei die Konfirmation wesentlich Ubergangskasualie. Der kirchliche Bezug steht sogar im Vordergrund, wenngleich dieser vorwiegend rechtlich-institutionell gesehen wird. Gerade für die Gemeindeglieder mit distanzierter Kirchlichkeit ist der institutionelle Aspekt wichtig. Dafür spricht übrigens auch das Ergebnis auf die Frage "Was gehört zum

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Ebd. Fror, Confirmatio, S. 90 - 108 und 197. Was wird aus der Kirche?, S. 99. In dieser Formulierung erscheint infolge der organisationssoziologischen Perspektive ein Amtsverständnis, welches unter "der Kirche" den Klerus subsumiert und die Laien als "die Mitglieder" gegenüberstellt. An dieser Stelle wird deutlich, wie sich der soziologische und der theologische KirchenbegrifF unterscheiden. In CA 7 steht zwar etwas von der congregatio, aber nichts von der Organisation Kirche, sie wird vielmehr von ihrem Wort - Ereignis - Charakter her verstanden. Der Untertitel von "Was wird aus der Kirche" lautet dagegen: "Ergebnisse der zweiten EKD-Umfrage über Kirchenmitgliedschaft". Hier ist nicht nur die Terminologie organisationssoziologisch. Das Denken in "Organisation" und "Mitgliedern" impliziert auch eine ganz spezifische theologische Deutung. In der Umfrage 1984 wird der systemtheoretische Ansatz gar nicht mehr kritisiert, was 1974 (Wie stabil ist die Kirche, S. 35 - 42) noch geschehen war. Dort hieß es immerhin: "Von diesem Aspekt (i. e. dem organisationssoziologischen) bleibt es jedoch unbeschadet, die Kirche als Schöpfung des Wortes Gottes oder als Leib Christi zu betrachten... Jede Begrenzung auf einen Gesichtspunkt stellt eine Reduktion dar" (S. 38, Anm. 48). Vgl. dazu Matthes, S. 86 f.: die systemtheoretische Betrachtung reproduziere die "asymmetrische Perspektivität" der Wahrnehmung von "Kirche" durch Mitglieder auf der einen und Funktionsträger auf der anderen Seite. Grethlein, Rezension, S. 198 hat kritisiert, "daß die EKD-Umfragen in ihrer systemtheoretischen Grundlage . . . nichts zur Frage beitragen, welche Bedeutung die Kirchenmitgliedschaft für die Kirchenmitglieder im Ganzen ihrer sonstigen sozialen Bezüge hat."

2. Die Äusserungen zur Konfirmation

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Evangelisch-Sein?": 18 Getauftsein (85 %) und Konfirmiertsein (80 %) stehen bei den Meinungen obenan, dann folgen mit 79, 76, 65 und 55 Prozent ethische Beschreibungen, kirchengemeindliche Aspekte (Bibellese, Kirchgang) stehen am Schluß. Man könnte dies zusammenfassen als ein Kirchenverständnis unter dem Vorzeichen des Gesetzes (Ordnung und Moral), während die Kirche des Wortes (Gemeindeleben, Kirchgang, Bibellesen) weniger hoch im Kurs steht. 1 9 Der institutionelle Bezug verbindet sich mit der ethischen Sicht des Evangelischseins. Auch für das KonfirmationsVerständnis darf man diese beiden Punkte bei einem Großteil der Gemeindeglieder annehmen. Diesem Verständnis entsprechen am deutlichsten die Elemente Bekenntnis und Versprechen, während der in der neueren Praktischen Theologie betonte Segen beim Ubergang in eine neue Lebensphase am stärksten den Empfindungen der Konfirmandeneltern entsprechen dürfte. Auf jeden Fall jedoch hat die Konfirmation der Umfrage zufolge eine zentrale Bedeutung im Lebenslauf als Christ. Kurz: sie ist für fast alle nicht nur "rite de passage" von einem Lebensabschnitt zum anderen, sondern auch "rite de passage" zum erwachsenen Christsein.20 Das Problem für den Pfarrer bzw. den Pastoraltheologen besteht nur darin, daß ein Großteil der Gemeindeglieder unter dem "erwachsenen Christsein" nicht die Beteiligung am Leben der Kerngemeinde versteht, sondern Kasualbegleitung und die Bemühung um zuverlässiges Menschsein. 21 Diese "Theologie des Gesetzes" darf nicht einfach bestätigt werden, aber sie darf auch nicht als Unglaube denunziert werden, indem man Gemeindegliedern eine diffuse Religiosität im Bereich des Ubergangsritus unterstellt und behauptet, sie seien an theologischen Deutungen gar nicht interessiert. Die Konfirmation markiert die "Entlassung" ins Leben, 2 2 aber in diesem Leben 18 19

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Was wird aus der Kirche, S. 91. In dieses Schema paßt nicht die Kirchensteuer (nur 35 % Zustimmung): Die Entgegensetzung von Geld und Glauben scheint auch besonders zum Evangelischsein zu gehören. Gegen Schildmann/Wolf, S. 30: "Die Konfirmation wird von den Erwachsenen als rite de passage... verstanden... sie wird jedoch kaum als Bestandteil der religiösen Sozialisation gesehen." (Hervorhebung im Original) Ebenso einseitig Neidhart, Motivation, S. 36: "Alles andere, was wir als Sinngebung für die Konfirmation vorschlagen, was die Theologie in langen Jahrhunderten über die Konfirmation herausgefunden hat, das trifft j a eben das nicht, was die Mehrheit der zahlenden Mitglieder eigentlich wünscht." Bei den gar nicht kirchlich Verbundenen findet die Formulierung "daß man sich bemüht, ein anständiger und zuverlässiger Mensch zu sein" sogar die höchste Zustimmung (67 %) für die Beschreibung des Evangelischseins, sonst rangiert sie hinter Taufe und Konfirmation (Was wird aus der Kirche, S. 93). Vgl. Was wird aus der Kirche, S. 92: "In der Tradition eines sich als spezifisch protestantisch verstehenden Bewußtseins gilt die Kirche - natürlich insbesondere

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Erster Teil: Wahrnehmung der Gegenwart

verstellt man sich durchaus als evangelischer Christ bzw. als christlich lebender Mensch. Die Theologen sind also gefordert, auch im Umfeld von Konfirmandenarbeit und Konfirmation den Vorrang des Evangeliums vor dem Gesetz herauszustellen, um die Identifikation von Moral und Religion 23 zu überwinden. Die Theologie der Gemeindeglieder enthält immerhin einen zentralen Punkt der Predigt Jesu, die Liebe zum Nächsten - nur fehlt ihr oft die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium. Und das ist der Punkt, an dem die Theologen von Berufs wegen vor allem gefordert sind (nicht nur beim immer tieferen Verstehen des "rite de passage"!). Das Wort des Evangeliums, welches in Konfirmandenunterricht und Konfirmation zu Gehör gebracht wird, muß die konkreten Menschen ansprechen, in ihren familiären, persönlichen Empfindungen - aber auch in ihrer spezifischen Art, sich als Glaubende und als Kirche zu verstehen. 3. D i e K o n f i r m a n d i n n e n u n d K o n f i r m a n d e n u n d d i e K o n f i r m a tion Bei diesem Abschnitt steht mein besonders in der Gefahr, Einzelerfahrungen zu verallgemeinern und damit subjektive Vorurteile zu begründen. 2 4 Nur unter diesem Vorbehalt können hier Konfirmandenäußerungen und Einsichten aus der Entwicklungspsychologie herangezogen werden. Die Konfirmation markiert heute nicht mehr Abschluß und Neubeginn einer Lebensphase. Die gesellschaftlichen Veränderungen haben zu einer Akzeleration der psychophysischen Entwicklung Jugendlicher geführt, und der Zeitraum des Jugendalters hat sich ausgedehnt. Es gibt nicht mehr den festen Zeitpunkt des Ubertritts in das Berufsleben, welcher bis 1962 durch Schulentlassung und Konfirmation markiert war. 25 der kirchliche Unterricht - sozusagen als Schule des Christentums,... Hier werden die unabdingbaren Grundsätze, christliche Moral und Sitte vermittelt. Die Konfirmation markiert dann die Entlassung, den Ubergang von der Schule ins Leben." 23 Vgl. dazu auch die Untersuchung von Schmidtchen, S. 62: "anderen Menschen helfen, liebevoll zu anderen sein, Krankenbesuche machen, für wohltätige Zwecke spenden; hier decken sich die Vorstellungen von Religiosität und Alltagsethik". Allerdings wird die Feststellung wie folgt relativiert: "Die Diskrepanz zwischen Alltagsethik und religiöser Orientierung ist um so größer, je größer die Entfernung von der Kirche" (S. 63). - Mit diesen Bemerkungen soll die Notwendigkeit der Vermittlung von Normen und Werten freilich nicht in Abrede gestellt werden. Diese gehört jedoch in die Konfirmandenarbeit und sollte keinen Schwerpunkt der Konfirmation darstellen. 24 Sachgemäß vorsichtig formuliert Nipkow, Bildung als Lebensbegleitung, S. 421: "Was tatsächlich der Fall ist, müssen wir offenlassen..." 25 1962 wurde in Niedersachsen allgemein das 9. Schuljahr eingeführt, s. dazu die Rundverfügung des Landeskirchenamts Nr. G 6/1962, die auf die Situation zu

3. Die Konfirmandinnen und Konfilmanden und die Konfirmation

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Für die Konfirmanden bedeutet ihre Konfirmation in dieser Sicht den "Ubergang in die Übergangszeit". Diese ist bestimmt durch eine immer größer werdende Freiheit einerseits, durch eine immer mehr verlängerte faktische Abhängigkeit andererseits. Aufgrund allgemein gesellschaftlich gestiegener Konsummöglichkeiten gibt es so etwas wie eine eigene "Jugendkultur"; in Kleidung, Frisur, Musikhören etc. können Jugendliche einen äußeren Lebensstil pflegen, der sie von Erwachsenen (und natürlich auch Kindern) unterscheidet. Hier entstehen verschiedene Kulturen, die in den letzten Jahren z.B. mit den Schlagwörtern "Popper" oder "Punker" bezeichnet wurden; diese Kulturen haben selbstverständlich unterschiedliche Verbreitung auch in unterschiedlichen Gesellschaftsschichten. Parallel zu den äußeren vermehrten Möglichkeiten entwickelte sich eine starke faktische Abhängigkeit. Am Ende der achtziger Jahre sah das so aus: Die Schulzeit wurde immer länger, der Beginn der Ausbildung war fraglich, und die eigene Berufstätigkeit und damit wirkliche Unabhängigkeit rückten in immer größere Ferne. Den Extremfall stellt der arbeitslose Studienabsolvent dar, der mit fast 30 Jahren - ohne Anspruch auf Unterstützung - weiter von den Eltern abhängig ist. Freiheit und Unfreiheit gehen also eine seltsame Mischung ein 26 und machen die Paradoxie der Phase "Jugend" aus. Die gegenwärtige gesellschaftliche Entwicklung verschärft das, was die Psychologen die "Identitätskrise" genannt haben. Diese ist von Erikson klassisch beschrieben worden als die Durchsetzung von "Identität gegen Identitätsdiffusion" . 27 Das verstärkte Körperwachstum, das sich nur dem der frühen Kindheit vergleichen läßt, und die hormonellen Umstellungen bringen den Zwang reagieren suchte. - 1964 war bei Neidhart (Konfirmandenunterricht in der Volkskirche, S. 191) noch die Rede vom "Eintritt... in die Welt der Erwachsenen". In meiner ehemaligen Gemeinde war es bis etwa 1960 üblich, daß die männlichen Konfirmanden am Konfirmationstag "Hut und Zigarre" bekamen und in die Dorfwirtschaft gingen. Neuerdings hat Neidhart seine Position auch modifiziert: die Analogie zu den Kasualien sei "heute freilich nur begrenzt und modifiziert brauchbar", weil die Konfirmation die nichtkirchliche Funktion fast verloren habe (Zur Theologie und Praxis der Konfirmation, S. 18). 26 Vgl. Bopp, S. 25: "So erleben die Jugendlichen die Gesellschaft als freigebig und geizig zugleich: freigebig im Warenangebot.., geizig im Gewähren von Chancen..." 27 Erikson, S. 106 und öfter. Aus der Krise ergeben sich "die Mühen all jener, die nicht einfach 'nette' Jungen und Mädchen sein können, sondern die verzweifelt nach einem sie befriedigenden Gefühl der Zugehörigkeit suchen, sei es zu Cliquen und Banden in Amerika oder zu begeisternden Massenbewegungen in anderen Ländern.... Es ist schwer, tolerant zu sein, wenn man im tiefsten Innern noch nicht ganz sicher ist, ob mein ein richtiger Mann (eine richtige Frau) ist, ob man jemals einen Zusammenhang in sich finden und liebenswert erscheinen wird, ob man imstande sein wird, seine Triebe zu beherrschen, ob man einmal wirklich weiß, wer man ist". (Erikson, S. 108 und 111 f.).

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Erster Teil: Wahrnehmung der Gegenwart

zur Neuorientierung mit sich: statt an den Eltern orientiert man sich jetzt an den Gleichaltrigen, statt nur am eigenen Geschlecht auch am anderen. Alles Bisherige steht damit radikal in Frage. Was der Jugendliche in 12 14 Jahren gelernt hat an Einstellungen und Verhaltensweisen, muß nun im Ubergang von der Familien- zur Gesellschaftsorientierung neu konzipiert werden. Der Beginn dieser Neuorientierung hegt (individuell verschieden, bei den Mädchen ca. 1 - 2 Jahre früher als bei den Jungen 2 8 ) oft etwa in der Mitte der Konfirmandenzeit. (Viele Unterrichtende kennen die Erfahrung, daß man die Konfirmanden nach der Sommerpause nach dem 1. Unterrichtsjahr "nicht wiedererkennt"). Das bedeutet: zum Zeitpunkt der Konfirmation hat die Umorientierung bei fast allen begonnen und ist - weil sich Jugendliche und Eltern gleichermaßen in Anfangsschwierigkeiten befinden - auf einen ersten Höhepunkt angelangt. Jedenfalls markiert die Konfirmation den "Eintritt in eine eigenständige Phase im Lebenszyklus". 29 Bereits 1974 wurde bei der Auswertung der ersten EKD-Umfrage festgestellt: "Wird die Adoleszenz mehr und mehr zur entscheidenden Identitätskrise des Menschen - und dafür spricht manches - , dann ist der Konfirmationsprozeß eine Schlüsselstellung der Kirche..." 30 Diese hohe Bedeutung der Konfirmation hat im Bewußtsein der Jugendlichen ihre Entsprechung: ihnen ist die Konfirmation wichtig. Sie drücken das aus mit dem Wunsch nach Geschenken - spüren aber wohl instinktiv: bei der Konfirmation geht es um etwas, das der Religionsphänomenologe v.d. Leeuw "Machtzufuhr"genannt hat, 3 1 um eine Machtzufuhr, mit der eine Krise bestanden werden soll. Dazu paßt es, daß Jugendliche lieber Geld als anderes geschenkt bekommen zur Konfirmation - was ist das Geld anders, wenn nicht eine bei uns gesellschaftlich gängige Form von "Machtzufuhr"? 28 29

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Zur neueren Diskussion um die Pubertät vgl. den Band zur "Lebensbewältigung im Jugendalter", hg. von Rolf Oerter 1985 (s. Lit.-Verz.). So deutet Matthes, S. 94 die Konfirmation und beschreibt sie "im kirchlichen Rahmen - als Eintritt in eine diese Phase begleitende kirchliche Jugendarbeit, die ausdrücklich auf die Konfirmation zu beziehen ist" (!). - Matthes unterscheidet den allgemeingesellschaftlichen "Lebenszyklus" von der individuellen Verarbeitung in der "Lebensgeschichte", S. 87 - 90. - Den Ubergang vom Kind zum Erwachsenen in unserer Gesellschaft bezeichnet er als "Übergangsperiode" (S. 90). Wie stabil ist die Kirche?, S. 258. v.d. Leeuw, S. 214: "der eigentliche Zweck ist Lebenserneuerung, Machtzufuhr, ebenso wie bei uns die kirchliche Konfirmation trotz aller reformierter Betonung des Lehrhaften und pietistischen Hervorhebungen des Innerlichen ein echter Rite de passage blieb".

3. Die Konfirmandinnen und Konfirmanden und die Konfirmation

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Die Jugendlichen nehmen den Unterricht in Kauf, sie kommen, "weil sie die Konfirmation (K) wollen, weil das der Preis ist, den sie bereit sind zu bezahlen. Aber nun würde ich denken, es ist schon einfach vom Geschäftsprinzip her ein unanständiges Geschäft, wenn ich die K so teuer verkaufe, daß sie mit 60 oder 80 Stunden dafür bezahlen müssen", stellte Neidhart 1967 fest. 32 Es ist nicht zu bestreiten: auch Konfirmandenarbeit und Konfirmation unterliegen in unserer Gesellschaft der Kosten-Nutzen-Relation und nehmen zum Teil Warencharakter an. Diese Einbeziehung in den gesellschaftlichen Grundkonsens muß davor warnen, den Jugendlichen vorschnell "Äußerlichkeit", "Unreife" oder gar Unglauben bei der Konfirmation zu attestieren. Auch sie haben teil an der gegenseitigen Uberlagerung des Wunsches nach gesellschaftlicher Selbstbehauptung durch Macht und Geld und des Wunsches nach Getragensein durch Gott. 3 3 Gerade Geld ist ein nicht nur für Jugendliche höchst ambivalentes Phänomen und wird in der Kirche zumeist tabuisiert. (Die Alternativfrage, ob er "für das Geld" oder "für den Glauben" arbeite, müßte zumindest den Pfarrer in der Bundesrepublik genauso in Bedrängnis bringen wie die Konfirmandinnen und Konfirmanden. 34 ) Man sollte vorsichtig mit der Behauptung sein, Jugendliche ließen sich "nur wegen des Geldes konfirmieren". Das Verhältnis zu Geld, Geschenken und Macht ist eine Grundfrage für die Existenz in dieser Gesellschaft. Es ist nicht abzuwerten oder zu tabuisieren, sondern theologisch zu deuten in der Dialektik von Gottes guter Gabe und Mammon bzw. von Beziehungsstiftung und Selbstisolation. Das Aushalten dieser Spannung ist eine wichtige Aufgabe für Konfirmandenarbeit und Konfirmation. Im Umgang mit Geld üben sich Konfirmanden ein in die Welt der Erwachsenen, vielleicht kann man auch hier von "systematischem RollenExperimentieren" 35 sprechen. Der Prozeß des Mündigwerdens vollzieht 32 33

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Neidhart, Motivation, S. 31. Gräb, S. 329 über die Konfirmanden bei der Konfirmation: sie scheinen "von der Ahnung der Unverfügbarkeit ihres Lebens in diesem Moment nicht ganz frei zu sein." Ebd. unterläuft Gräb ein grober Fehler: Bucers Einleitung der Konfirmationsformel "Nimm hin den heiligen Geist..." ist keinesfalls die Formel der lutherischen Agende III, gerade um diese Formel ging ja der jahrhundertelange Streit. Bekanntlich heißt es in Agende III: "Gott Vater, Sohn und heiliger Geist gebe dir seine Gnade...". Josuttis, Der Pfarrer ist sinders, S. 168 wählt im Abschnitt über das Geld für den Pfarrer das Stichwort "unbewußte Gebrochenheit": der Pfarrer könne sich weder zur Jagd nach Geld noch zur Distanz vom Geld entscheiden. Erikson, S. 184.

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Erster Teil: Wahrnehmung der Gegenwart

sich unter konkreten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und entsprechenden Ausprägungen. Auch persönlich wie religiös reife Jugendliche können sich dem Sog des Kaufens und der geltenden Werte kaum entziehen. Dies entwertet aber nicht ihr Wachsen im Glauben. Eine eigene konsumkritische Position (womöglich noch christlich motiviert) überfordert die meisten Jugendlichen. Der Rekurs auf Geld verheißt allgemeine Akzeptanz und damit Sicherheit. Wo Jugendliche diesen Referenzrahmen verlassen und in der Familie stattdessen nach dem persönlichen Glaubensstand von Eltern und Paten fragen, ergibt sich große Unsicherheit. Das Geld ist zu einem verbindenden, quasi-religiösen Symbol geworden, wie weit sich Erwachsene auch immer bemüßigt fühlen, dagegen zu reden (feist nie: selbst beispielhaft zu handeln). Einen guten Weg entkrampften Umgangs mit dieser Frage weist das Konfirmandenbuch "Leben entdecken": "In einer der letzten Unterrichtsstunden haben wir dann auch über die Konfirmation gesprochen... Und einer hat geschrieben: 'Eigentlich interessiert mich das alles nicht besonders, was wir hier machen. Ich laß mich aber konfirmieren, weil ich Geschenke und viel Geld bekommen werde.' Als er das vorgelesen hat, habe ich gedacht, den schmeißt der Pastor 'raus. Ich war ganz froh, als er es nicht getan hat. Denn an das Geld hatte ich auch gedacht, und zwar gar nicht so wenig. Ich hatte mich bloß nicht getraut, davon zu schreiben. Der Pastor fand das zwar nicht gut mit dem Geld, aber er hatte Verständnis dafür, daß einer an Geld und Geschenke denkt, wenn er weiß, er kriegt soviel." 36 Die Mehrdeutigkeit der Konfirmation für die Jugendlichen kommt auch in zwei hier "ungeschönt" zitierten Äußerungen eines Konfirmanden und einer Konfirmandin zum Ausdruck. Ein Junge begründet seinen Entschluß, sich konfirmieren zu lassen, so: "...muß ich sagen, daß ich es nur mache, weil es alle machen, ich näher zu Gott kommen will und mir endlich was leisten will", ein Mädchen so: "Ich lasse mich konfirmieren... weil ... ja so genau weiß ich das auch nicht. Aber ich finde es schön, dann als 'erwachsen' 36

Leben entdecken, S. 14. Es handelt sich um das 1. Kapitel "Entdecke das Leben!" mit den Untertiteln "Ich glaube".../ "Unterwegs zur Konfirmation".

3. Die Konfirmandinnen und Konfirmanden und die Konfirmation

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in die Kirche aufgenommen zu werden. Man bekommt viele Geschenke und alle gratulieren einem. Man wird fein gemacht (so mit Rock, Bluse und so)..." 37 Bei allen solchen Äußerungen ist jedoch immer zu berücksichtigen, daß Konfirmandinnen und Konfirmanden hier nur zum Teil als Individuen sprechen, sondern die Anschauungen der Freundinnen und Freunde, der ganzen Gruppe zum Ausdruck bringen. Die Gruppe Gleichaltriger bietet Jugendlichen im Konfirmandenalter verstärkt Orientierung und löst diejenige an den Eltern ab. Auch dieses Phänomen hat Erikson klassisch beschrieben als den "Hang zur Uniformität":

"die noch schwache Selbstsicherheit versteckt sich eine Zeitlang hinter einer überbetonten Gruppensicherheit, wie sie sowohl durch Abzeichen wie durch das Opfererlebnis von Aufnahmeweihen und Konfirmation geliefert wird... Uniformitäten werden durch die Einrichtung der grausamen jugendlichen Kritikund Spottlust unterstützt. Ihr in peinvoller (aber gelegentlich schöpferischer) Isolierung zu entgehen, gelingt wenigen." 38 Der Einfluß der Gruppe auf den einzelnen Konfirmanden (schon im äußerlich-Disziplinarischen!) ist immens. Je mehr die Konfirmandengruppe einen positiven Prozeß durchmacht, "zusammenwächst", desto mehr eigene Freiheiten, desto mehr individuelle Entscheidungsmöglichkeiten räumen die Konfirmanden sich gegenseitig ein. (Und je schlechter das Gruppenklima, desto größer wird andererseits der Gruppenzwang und der Spott über jegliche Form von Individualismus). Nicht altersgemäß ist darum ein Konfirmationsverständnis, welches sich nur an der individuellen Glaubwürdigkeit, der individuellen Mündigkeit, Gläubigkeit (oder gar "Bekehrung") orientiert. Ein solch individuelles Verständnis liegt jedoch zwei häufigen Formen von Kritik an der Konfirmation der 14jährigen zugrunde. Einmal wird gesagt: beim Jugendlichen 37

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Schriftliche Antworten aus Stolzenau/Weser vom Mai 1990 auf die Frage "Warum läßt jemand wie Du sich konfirmieren?" Die Punkte in der Äußerung des Mädchens stehen so im Original (keine Auslassungen). Richtig urteilt Wie stabil ist die Kirche?, S. 238: "Die kirchliche Konfirmation ist mehr als die religiöse Qualifizierung des Initiationsvorgangs. Aber sie hat diese Doppelwertigkeit immer gehabt... Die Erhebung gibt Anlaß zu der Vermutung, daß dieses besondere Gewicht mit der Mehrwertigkeit des Vorgangs zusammenhängt." Erikson, S. 183. Trotz dieses negativ klingenden Zitats ist gerade Eriksons Entwicklungskonzept offen für Religion. Schweitzer, S. 71 - 91 stellt besonders die Notwendigkeit von "Ideologie" und "Ritualisierung" im Jugendalter bei Erikson heraus.

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Erster Teil: Wahrnehmung der Gegenwart

in der Entwicklung ist eine ausreichend begründete Entscheidung für oder gegen den Glauben nicht möglich. Er orientiert sich im wesentlichen an anderen und an der Sitte - er ist noch unfertig und unreif. Schlußfolgerung: die Konfirmation muß verlegt werden auf ein späteres Alter, da eine eigene Entscheidung möglich wird. Die zahlreichen Entwürfe dieser Art enthalten mehrheitlich die Tendenz zur Aufteilung in "Normalchristen" und "ordinierte Laien" bzw. zur Freiwilligkeitskirche. 39 Die zweite Form von Kritik: das Verhältnis von Konfirmanden und Konfirmation wird ähnlich gesehen. Der Ausweg wird jedoch nicht in der Altersverschiebung gesehen, sondern in der Reduktion der theologischen Inhalte der Konfirmation: Die Konfirmanden brauchen nicht kirchliche Vereinnahmung durch die Konfirmation, sondern verständnisvolle Begleitung in der Zeit der Selbstfindung. 40 Für die Konfirmation heißt das: sie sollte "einschrumpfen": 4 1 "Fortfallen muß alles, was falschen Schein und Zwang beinhaltet, also Massengelübde, Massenbekenntnis, Massenadmissio" , 42 Beide Schlußfolgerungen sind unbefriedigend, weil sie letztlich beide wenn auch in entgegengesetzter Form - die Bedeutung der Konfirmandinnen und Konfirmanden herabsetzen. Es muß hingegen nach einer Form von Konfirmation gesucht werden, welche die Jugendlichen in ihren begrenzten, jedoch vorhandenen Möglichkeiten ernstnimmt und sie trotz edlem als junge Christen akzeptiert, nicht nur als Pubertierende. Eine solche Form von Konfirmation müßte Ernst mit der Tatsache machen, daß die Konfirmandengruppe bereits Gemeinde ist, wenn auch gewiß als corpus permixtum. Das Gruppengeschehen wäre von daher nicht als "Zwang", sondern eher als Stütze für die noch unsicheren Versuche im Glauben zu interpretieren. Die Jugendlichen haben noch einen weiten Weg vor sich, die Symbole des Glaubens mehrschichtig zu verstehen oder gar rationale Kritik und Bedeutung für den Glauben nebeneinander bestehen zu lassen. 4 3 39

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Näheres dazu im zweiten, historischen Teil dieser Arbeit. - Nach Virkkunen, S. 8 liegt das Konfirmationsalter in den LWB-Mitglieds-Kirchen gegenwärtig zwischen 12 und 25 Jahren. Programmatisch 1973 von Stoodt beschrieben, aber nicht auf die Konfirmation bezogen. Neidhart, Konfirmandenunterricht in der Volkskirche, S. 204. Neidhart ist bis heute der engagierteste Verfechter der geringeren Bedeutung der Konfirmation (passim). Am radikalsten (daher auch in der Praxis nicht umgesetzt) war Ottos Aufsatz. Wekel, S. 278. Dieses Ergebnis wird allerdings nur theologisch begründet. Die abwertende Rede ist unnötig, man spricht bekanntlich auch nicht von "Massenabsolution" im Beichtgottesdienst oder vom "Massenabendmahl". Gemeint sind die Stufen 3 - 5 bei Fowler, am einfachsten zugänglich bei Heinz Schmidt, Religionsdidaktik II, S. 38 f. und Schweitzer, S. 142 f., ausführlicher

3. Die Konfirmandinnen und Konfirmanden und die Konfirmation

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Theologisch, das sei hier vorweggenommen, besteht für die Antwort des Menschen auf seine Taufe kein Unterschied zwischen einem Konfirmanden und einem 25jährigen Engagierten aus der Jugendarbeit. Glauben und Bekennen des Christen geschehen alle Mal in der Gebrochenheit des "simul iustus et peccator". Von der Situation und den Denk- und Verhaltensweisen gegenwärtiger Konfirmandinnen und Konfirmanden sind für Verständnis und Gestaltung der Konfirmation demnach die folgenden Gesichtspunkte zu berücksichtigen: a) Der Glaube der Jugendlichen kann nicht thematisiert werden im Sinne eines Versprechens für die Zukunft, denn damit müßten diese über sich Aussagen machen als solche, die sie noch gar nicht sind. In Anlehnung an die Formulierung von Erikson läßt sich sagen: m a n kann nicht christlichen Glauben und christliches Verhalten geloben, wenn m a n im tiefsten Innern noch nicht ganz sicher ist, ob m a n ein richtiger Christ ist, ob man jemals Glauben in sich finden und wirklich von Gott geliebt sein wird. 44 Dies ist der entscheidende entwicklungspsychologische Einwand gegen das Konfirmationsgelübde. b) Andererseits muß - zunächst ebenfalls aus entwicklungspsychologischen Gründen - der Glaube der Jugendlichen einschließlich der Kritik ernstgenommen werden. In der Gestaltung der Konfirmation müßte deutlich werden, daß hier junge Christen sind, deren Leben und Glauben von Bedeutung ist für die Gemeinde und für die ganze Kirche. Dabei müßten ihre kritischen Anregungen aufgenommen werden, 4 5 aber auch ihr ausdrückliches J a zum Glauben, auf den sie getauft sind, müßte vorkommen und vorbehaltlos anerkannt werden als Beitrag zum Aufbau der Gemeinde. 4 6 Dies ist ein wichtiger Grund für das Konfirmationsbekenntnis 4 7 aus entwicklungspsychologischer Sicht. Die Gemeinde müßte sich offen zeigen f ü r die Fragen 44

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Fowler, Glaubensentwicklung, S. 91 - 107. Nach Erikson, S. 111 formuliert. Da sich unsere Gesellschaft immer weiter ausdifferenziert und die sozialen Rollen immer mehr in Flufi geraten, dürfte Eriksons Beschreibung der Identitätskrise inzwischen auch auf weite Strecken des Erwachsenenalters zutreffen. Schröer, S. 230 - 233 stellt wie viele neuere Entwürfe den Zusammenhang von Unterricht und Konfirmationsgottesdienst heraus. Eine Wiederholung des Vorstellungsgottesdienstes sollte dabei aber vermieden werden, vor allem wegen der am Konfirmationstag vorhandenen Aufregung und der Schwierigkeit, in einer übervollen Kirche zu sprechen (vgl. die Vorschläge von Grosse, S. 237 f.). Erikson, S. 107 betont, die Jugendlichen müßten merken, daß sie von Bedeutung "für die bestehende Kultur" sind. Einleuchtend ist die Beschreibung in "Leben entdecken", S. 14, indem die Wichtigkeit des Bekenntnisses (gerade für die Konfirmanden selbst: ich hatte "das Gefühl,

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Erster Teil: Wahrnehmung der Gegenwart

der Jugendlichen und für ihre Antworten auf Lebens- und Glaubensfragen. So könnte bei den Jugendlichen Offenheit für die Anfragen des Evangeliums und die Antwort des Glaubens möglich werden. 4. D i e Eltern und die Konfirmation Auch im Bewußtsein der Eltern hat die Konfirmation sehr hohe Bedeutung. Schröer berichtet, befragte Konfirmandeneltern würden auf den Unterricht eventuell verzichten zugunsten einer kurzen Hinführung zur Konfirmation. 48 Die Eltern erleben die Konfirmation bewußter als Übergang, weil sie selbst nicht Hauptbeteiligte sind, sondern den Wandel beobachtend erleben. Sie tun das staunend und dankbar: "sie staunen, daß aus dem Kind ein kleiner Mann oder ein reifendes Mädchen geworden ist ... Sie sind innerlich bewegt, weil sie im Vergleich von zwei feierlichen Tagen, dem Tauftag und dem Konfirmationstag des Kindes, auf das Geheimnis des menschlichen Werdens gestoßen sind." 49 Außerdem bekommt die Einteilung des Lebens in Phasen mit Ubergängen mit zunehmendem Alter kontinuierlich größere Bedeutung. Dies zeigt wieder das Ergebnis der Befragung "Was wird aus der Kirche": nur 27 Prozent der 14 - 24jährigen definierte die Konfirmation als "feierlichen Abschluß der Kindheit und Beginn eines neuen Lebensabschnittes", bei den 65jährigen waren es dagegen 67 Prozent, die Ergebnisse der drei übrigen Altersgruppen hegen nahezu linear dazwischen. 50 An einem Punkt ist die Einstellung von Jugendlichen und Eltern zur Konfirmation sehr unterschiedlich - trotz beidseitiger prinzipieller Hochschätzung der Konfirmation als solcher: dies ist der eigentlich rituelle Aspekt. Was für die Konfirmanden eher peinlich ist und daher ins Lächerliche gezogen wird, ist für die Erwachsenen von tiefer Bedeutung. Die sich auf einmal bei den Eltern tatsächlich auftuende religiöse Dimension verdächtigen Konfirmanden leicht als äußerlich und verlogen. 51

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ich sei wichtig") betont wird. Andererseits wird die entscheidende Frage bewußt in der Schwebe gehalten in den (fiktiven?) Konfirmandenworten: "Als wir in die Kirche kamen und all die Menschen uns erwartungsvoll ansahen, da merkte ich, daß dies nichts anderes als ein Bekenntnis sein konnte: Wir waren da und ließen uns konfirmieren...". Schröer, S. 221 (ohne Quellenangabe). Neidhart, Nichttheologische Faktoren, S. 443. Was wird aus der Kirche?, S. 104. Vgl. Cornehl, Lebenszyklus, S. 400; Siegel, S. 237; Neidhart, Nichttheologische Faktoren, S. 441.

4. Die Eltern und die Konfirmation

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Die von den Eltern als zentral erlebte Einsegnung kommentierte z.B. ein - durchaus der Gemeinde aufgeschlossenes - Mädchen aus der Jugendgruppe knapp zwei Jahre nach der Konfirmation so: "Angrabbeln des Kopfes verboten!" 52 Demgegenüber verdichten sich für die Eltern gerade im Ritus der "Einsegnung" ihre widersprüchlichen Empfindungen von Stolz und Dankbarkeit, von gemeistertem, bestandenem und unverfügbarem Leben. Jetzt, da sie mit ihren Kindern feist ans Ziel gelangt sind, spüren sie auch die eigenen Grenzen, was das Sorgenkönnen für die Kinder in Zukunft anbetrifft - sie spüren nicht zuletzt wie an jedem Höhepunkt im Leben: das Leben neigt sich dem Ende zu. Die Kinder übernehmen nicht nur ihr eigenes Leben, sondern zum Teil auch das Leben der Eltern. Die Empfindungen der Konfirmandeneltern sind widersprüchlich auch betreffs der Kirchenbeziehung: die jetzt wirklich zentral werdenden kirchlichen Inhalte führen ihnen gleichzeitig die sonst gelebte Distanz dazu vor Augen. Nach meinen Erfahrungen realisieren die Konfirmandeneltern anläßlich der Konfirmation die eigene volkskirchliche Christlichkeit in ihren Widersprüchen. Die jetzt tatsächlich angenommene Wichtigkeit des Glaubens entspricht nicht der eigenen Beteiligung am kirchlichen Leben. Eine Tendenz zum schlechten Gewissen und der ehrlich gemeinte Vorsatz, es künftig anders zu machen, sind wie auch sonst in Krisenerfahrungen häufig. Solche Äußerungen sind wohl kaum nur Freundlichkeiten gegenüber den Unterrichtenden. Sie werden verstärkt durch das sensible Bewußtsein der eigenen Kinder für Echtheit einerseits und falschen Schein andererseits. Dem entsprechen die Ergebnisse53 einer Befragung von Konfirmandeneltern, welche Ingrid Lukatis in KU-Praxis 12/13 vorgestellt hat. Taufund Abendmahlsbezug werden von den Eltern sehr wichtig genommen; es folgen der Rechts- und Gelöbnischarakter, erst dann der "feierliche Abschluß der Konfirmandenzeit", am Schluß die "Aufnahme in den Kreis der Erwachsenen". Am meisten Zustimmung fand aber deutlich die Bestimmung der Konfirmation als "Segnung der Konfirmanden". (Die entsprechende Deutung "Segen und Zuspruch für den weiteren Lebensweg" hatte bei der Befragung "Was wird aus der Kirche?" nur im Mittelfeld gelegen).54 Das mag neben anderen Umständen - die Lukatis-Umfrage befragte speziell Konfirmandeneltern - an der emotionalen Formulierung liegen: "Segnung" ist bedeutungsvoller als "Segen und Zuspruch", hier ist der Vorgang direkt als "sakramental" an den Konfirmanden geschehend ausgedrückt. 52 53 54

1987 in meiner ehemaligen Gemeinde. Lukatis, S. 54. Was wird aus der Kirche, S. 103.

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Ansonsten ist das Ergebnis in etwa dem von "Was wird aus der Kirche" vergleichbar: "die 'kirchlichen' Bedeutungsgehalte (werden) mit höchsten Bewertungen versehen. Aber auch 'eher säkulare' Interpretationen stuft man in der Regel nicht als irrelevant ein." 5 5 Entsprechen der Rekurs auf Taufe, Abendmahl und Kirchenrecht der geläufigen rechtlich-institutionellen Sicht, 5 6 so ist doch auffällig die Höchstbewertung der "Segnung", die biographische und theologische Inhalte in untrennbarer Einheit enthält. Sie dürfte am ehesten die komplexen Empfindungen von Konfirmandeneltern in sich schließen. 57 Das bestätigen zwei in der Literatur vorhandene Erfahrungsberichte von praktischen Theologen (zumindest punktuell): die "richtige" Theologie wird positiv gehört, intensiv erlebt aber wird "die Kraft des Segens". 5 8 Von den Einstellungen und Empfindungen gegenwärtiger Konfirmandeneltern sind demnach die folgenden Gesichtspunkte für das Verständnis und die Gestaltung der Konfirmation zu berücksichtigen: a) die intensiven Empfindungen gegenüber der Segnung müssen ernst genommen werden, wie dies im Zuge des Verständnisses der Konfirmation als Kasualie auch weitgehend geschieht; b) die widersprüchliche Kirchlichkeit und die Beziehung zum Glauben muß akzeptiert und berücksichtigt werden: hier stellt sich die Frage, ob Hauptamtliche und Gemeinde bereit und in der Lage sind, Eltern mit volkskirchlichem Teilnahmeverhalten als Christen zu akzeptieren und anzusprechen (und nicht nur als "Pubertätsbetroffene"). Vor einer "Abrechnung" mit der Unkirchlichkeit kann nur gewarnt werden. Die Konfirmation ist neben Weihnachten das bedeutungsvollste volkskirchliche Pest, - und das Fest ist "seinem Wesen nach unkritisch". 59 55 56 57

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Lukatis, S. 47. S.o. S. 5 f. dieser Arbeit und Fror, Confirmatio. Es geht nicht an, wenn Lukatis, S. 53 die Bedeutung der "kirchlichen" Faktoren abschwächt mit der Bemerkung, hier werde eine "offizielle Definition" wiedergegeben. Dies würde heißen, die Befragten sagten etwas anderes als sie meinen. Eine solche Hypothese müßte bei allen Antworten kritisch zum Tragen kommen. Cornehl, Lebenszyklus, S. 399; ähnlich Josuttis, Persönliche Notizen, S. 95. Dem entspricht die von Nipkow, Bildung als Lebensbegleitung, S. 420 zitierte Stellungnahme einer Mutter. Grosse, S. 237, W. Haury zitierend.

4. Die Eltern und die Konfirmation

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Es müßte nach Möglichkeiten gesucht werden, die Eltern auch anders als in Predigt 6 0 und Gebeten, also aktiv zu beteiligen. Hier sind die bisherigen Agenden und Vorschläge von Praktischen Theologen weiterzuentwickeln. Gemeindepädagogisch führt dies sofort zu dem Einwand, daß dies bei einer einmaligen Begegnung der Eltern mit der Kirche schwierig ist, erst recht während der Auseinandersetzung mit ihren Kindern in der Adoleszenzkrise. Hier müßten Möglichkeiten erschlossen werden, Eltern nicht dauernd, aber doch mehrmals während des Heranwachsens ihrer Kinder anzusprechen bzw. zu beteiligen. Diese Möglichkeiten von Begleitung und Beteiligung der Eltern dürften neben dem ekklesiologischen (Verengung auf die "Freiwilligkeit" und damit auf die in der Gemeinde Engagierten) der entscheidende Einwand gegen eine Heraufsetzung des Konfirmationsalters sein. 61 Nur Erkennen, Akzeptieren und Nutzen der volkskirchlich gegebenen Möglichkeiten kann die praktisch-theologische Verlegenheit gegenüber der Konfirmation überwinden. Hier liegt auch der Schlüssel für die realistische Erwartung an die Konfirmandengruppe nach der Konfirmation. Die kirchliche Sozialisation ist damit im Bewußtsein der Gemeindeglieder abgeschlossen. Diese ist nicht einfach "mißlungen", wie so viele Pfarrer meinen, aber: die Konfirmanden leben jetzt dieselbe volkskirchliche Christlichkeit wie die Eltern bzw., wie sie in der jeweiligen Gemeinde üblich ist. Das ist für den Pfarrer und die in der Gemeinde Mitarbeitenden manchmal frustrierend (gerade nach einem "tollen" Konfirmandenjahrgang) - aber ein in sich schlüssiges Teilnahmeverhalten der Gesamtgemeinde. Das Reden vom "Hinauskonfirmieren" der Jugendlichen ist von daher unsinnig, sie werden "hineinkonfirmiert" in das Teilnahmeverhalten der Ortsgemeinde.

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Die Berücksichtigung in der Predigt wird allgemein gefordert, so z.B. von Siegel, S. 238 ("Denn wir haben ja vom Evangelium her sehr viel zu der Pubertätskrise zu sagen, die der Jugendliche durchmacht und unter der auch seine Familie leidet"), Grosse, S. 236 f. und Jetter, Der Kasus und das Ritual, S. 214. So richtig Schildmann/Wolf, S. 67. Adam, S. 114 - 117 beschreibt den im wesentlichen negativen Versuch mit einer Erwachsenen - Konfirmation in Stuttgart-Rot. Auch die Problematik Bekenntnis - Gelübde konnte nicht durch eine Altersverschiebung bewältigt werden, wie man früher gemeint hatte, so das wichtigste Ergebnis. - Auch Matthes, S. 96 f. beurteilt eine Heraufsetzung des Alters negativ, weil damit "jene gesellschaftlichen Unbestimmtheiten in der Struktur des Lebenszyklus nicht aufzuheben wären, an denen sich die Problematik entzündet".

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Erster Teil: Wahrnehmung der Gegenwart

5. Die O r t s g e m e i n d e und die Konfirmation Nach den Konfirmanden und Eltern als "Hauptbeteiligte" bleiben als wesentliche Gruppen noch die Paten und Angehörigen, vor allem aber die Gruppen der Gemeinde sowie die regelmäßigen Kirchgänger und Mitarbeiter, vertreten durch Kirchenvorstand und Pastor(in). Die Bedeutung der Konfirmation für die Gesamtgemeinde und damit die Zusammensetzung der Konfirmationsgemeinde ist örtlich verschieden. In der Stadt besteht die Gottesdienstgemeinde aus Familien und Gästen der Konfirmanden - "Konfirmation ist... vor allem eine Familienfeier". 62 Auf dem Lande nimmt oft noch wirklich die Gemeinde teil (im Sinne von "Gemeinwesen"), also auch sonst seltene Kirchgänger, Nachbarn etc., man spürt "Die Kraft der Kollektivität... wo die kirchliche Handlung noch in einem sichtbaren sozialen Kontext eingebettet ist, zeigt sich an einem solchen Tag, wie sehr das Gefühl, in einer gemeinsamen Lebenswelt verbunden zu sein, den einzelnen trägt" , 63 Die Gottesdienstteilnehmer aus dörflichem Interesse sind die einzigen, welche nicht schon durch eine bestimmte Rollenzuweisung festgelegt sind. Von daher sind sie ein wichtiger Teil der Gemeinde auch im theologischen Sinn als tragende und fürbittende Gemeinschaft. Sie betonen ferner die Wichtigkeit der Konfirmanden als Person und die Bedeutung ihres Statusübergangs. Für die Paten gilt im wesentlichen das für die Eltern Gesagte (s.o.), ihre innere und äußere Beteiligung ist sehr unterschiedlich (und hängt neben dem Alter wesentlich vom Wohnort der Paten ab). Es wäre gut, wenn auch für sie eine Möglichkeit aktiver Beteiligung bei der Konfirmation gefunden werden könnte, die ebenfalls über den Konfirmationstag hinaus auszuweiten wäre in die Konfirmandenarbeit der vorausgehenden Jahre. Von besonderer Bedeutung sind schließlich die Mitarbeiter, der Kirchenvorstand und die Hauptamtlichen. Sie realisieren anläßlich des volkskirchlichen Kasus Konfirmation besonders ihre Verantwortung für Lehre und Verkündigung64 der Kirche und wollen beides in der Konfirmation ernsthaft zum Ausdruck gebracht wissen. Sie erhoffen - ob geäußert oder nicht - von Konfirmandenunterricht und Konfirmation Nachwuchs für die 62 63 64

Grosse, S. 236. Cornehl, Lebenszyklus, S. 399, Hervorhebung im Original. Adams Unterscheidung von Lehre und Verkündigung (passim, z.B. S. 60 in Auseinandersetzung mit Wekel) darf nicht überzogen werden: Unterricht wie Konfirmation enthalten beides. Gerade ein guter Unterricht kann bessere Verkündigung sein als manche Predigt.

5. Die Ortsgemeinde und die Konfirmation

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aktive Gemeinde 65 und wissen gleichzeitig aus vorangegangenen Jahren, wie wenig realistisch diese Hoffnung ist. Dies kann zu Unmut oder versteckten Aggressionen im Umfeld der Konfirmation führen (etwa bei Einladungen). Diesen Gruppen ist die kirchliche Bedeutung der Konfirmation als Befestigung in Wort und Sakrament am meisten vertraut und mit ihren Konsequenzen wichtig. Die agendarischen Formulierungen 66 kommen ihren Empfindungen und Einstellungen am meisten entgegen. Die Bedeutung des engagierten Eintretens für die kirchliche Deutung der Konfirmation darf nicht unterschätzt werden. Gerade für die beteiligten Eltern und Paten gilt: nur einer "wahrhaft gläubigen" Kirche wird die Kraft zur Segnung zugeschrieben, nur eine Kirche, die sich selbst ernstnimmt in den sie gründenden Gehalten, kann Krisenbegleiterin sein. Aber: dabei sind Unehrlichkeiten zu vermeiden, so als habe man tatsächlich eine Gemeinde von vorwiegend regelmäßigen Kirchgängern vor sich. Indem man den Finger in die Wunde des schlechten Gewissens (aufgrund mangelnder Teilnahme) legt, weckt man nur Unmut und Aggressionen. Auch hier kommt es darauf an, ob die verschiedenen Mitarbeiter die Spannung zwischen dem Wunsch nach "Glaube, Gemeinschaft und Dienst" 6 7 und dem volkskirchlichen Teilnahmeverhalten der Mehrheit der Konfirmationsgemeinde positiv fruchtbar machen wollen oder resigniert einen Gegensatz von "Kirche" und "Ekklesia" 68 konstatieren. Es dürfte weder helfen, im Zuge volkskirchlichen Denkens die Gestalt der Kirche und christlichen Verhaltens für beliebig zu erklären, noch in Uberschätzung der "Ekklesia" das Verhalten bestimmter Gemeindegruppen mit dem Willen Gottes zu identifizieren. Es müßte eine Möglichkeit gefunden werden, mit der anläßlich der Konfirmation versammelten Gemeinde 69 die Konfirma65

66 67 68

69

Klassisch von Rosenboom 1962 formuliert: er fordert, daß "die Konfirmation wieder als Eingliederung eines getauften jungen Christen in die Gemeinde der mitarbeitenden mündigen Gemeindeglieder verstanden wird und dieses Konfirmationsverständnis die Gestaltung des Unterrichts bestimmt" (Rosenboom, S. 7). Etwa in Agende III der VELKD, S. 89 - 93. Fritz Schwarz /Christian A. Schwarz, passim, besonders S. 117 - 148; Zitat S. 27 (Übernahme der Formel aus der "Apostolatstheologie" von J.C. Hoekendijk). Fritz Schwarz/Christian A. Schwarz, passim, besonders S. 27, 52, 75 ff. und 180 - 199. Konsequent durchgeführt würde die Unterscheidung gegen reformatorische Grundeinsichten (CA 8!) verstoßen. Dies ist der Schwachpunkt des Entwurfs. Wenn die versammelte Gemeinde nicht als solche im Vollsinn ernstgenommen würde, wäre auch die häufige Beschreibung der Konfirmation als "Fürbitte der Gemeinde" (Etwa: Wekel, S. 278 f.; Adam, S. 196; neuere Entwürfe aus der DDR bei Bäumler/Luther, S. 323 - 342; Nipkow, Bildung als Lebensbegleitung, S. 421) hinfällig. - Die hilfreiche Unterscheidung von vier verschiedenen Ekklesiologien, die Neidhart macht (Konfirmandenunterricht in der Volkskirche), hat ihre Grenzen darin, daß sich wohl die überwiegende Mehrzahl der Pfarrer so vermittelnd

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Erster Teil: Wahrnehmung der Gegenwart

tion zu feiern, ohne sich einseitig an Vorstellungen des Kirchenvorstandes und der Mitarbeiter oder der Eltern, Paten und Konfirmandinnen und Konfirmanden zu orientieren. Dazu müßte eine Form gemeinsamen Hörens, Betens, Feierns und Arbeitens 70 entwickelt werden, wobei der Festcharakter das Schwergewicht haben könnte. 6. Zusammenfassung: die gegenwärtigen Hauptfragen z u m Verständnis und zur Gestaltung der Konfirmation Die Beschreibung der individuellen und sozialen Realität im Umfeld der Konfirmation hat die ganz verschiedenen psychologischen und religiöstheologischen Motive der beteiligten Personen zumindest ansatzweise deutlich werden lassen. Schon aus diesem ersten Teil der Untersuchung geht hervor, daß es eine einfache Lösung des Problems nicht geben kann. Das Verständnis der Konfirmation als "Kasualie" ist ebensowenig eine Lösung wie das nur ein Wort und Sakrament orientierte. Die Alternative zwischen anthropologisch und theologisch orientiertem Verständnis muß überwunden werden, indem die Theologie der beteiligten Menschen ernstgenommen und die anthropologischen Elemente von Wort und Sakrament wahrgenommen werden. Doch damit haben wir schon weit vorgegriffen. Die Beschäftigung mit der Theologie der Konfirmation 71 fehlt bisher in dieser Untersuchung. Sie

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71

verstehen wie Neidhart selbst (ebd., S. 71): die Ekklesiologie ist ihnen wichtig, sie stehen zwischen Bejahung und Ablehnung der Volkskirche. Neidharts vier Typen sind Idealtypen. Noch einmal in Anlehnung an Fritz Schwarz/Christian A. Schwarz passim, besonders S. 128 - 135. Neuerdings hat Nipkow, Bildung als Lebensbegleitung, S. 100 - 105 den Entwurf trotz aller nötigen Kritik differenziert-wohlwollend dargestellt. Die These Wekels, es gäbe keine Theologie der Konfirmation (S. 157), ist unhaltbar. Wekel setzt das Wort "Konfirmation" stets in Anführungsstriche. Für die Konfirmation bleibe wenig theologischer Inhalt, "umso mehr aber für die bisher kaum erwähnte christliche Unterweisung" (ebd.). In den Kapiteln 3 - 8 (S. 55 - 157) schließt sich Wekel im wesentlichen der Negativbilanz Frörs (Zusammenfassung in Confirmatio, S. 197) an: die Konfirmation kann nicht als Bekenntnis/Gelübde, nicht als Abschluß der Unterweisung, nicht als admissio und nicht als Taufergänzung verstanden werden. Dies entspricht Nr. 1 - 3 u. 6 in Frörs Punkten (welche auch Adam, S. 61 zitiert). Frörs Punkten 4 u. 5 (Ablehnung der kirchenrechtlichen Definition der Konfirmation) entspricht bei Wekel ein Teil des Kapitels 1 (§6, S. 37 - 40: Bedenken gegen die Definition der Konfirmation als "Bestätigung der Kirchgliedschaft"). In seiner Zusammenfassung widerspricht Wekel jedoch der eigenen These, es gebe keine Theologie der Konfirmation, wenn er nun schreibt: "Eine Fürbitt- und Segenshandlung ein einem bestimmten Lebensabschnitt, ohne Sprechchor, allein unter dem Zuspruch und Anspruch des Evangeliums, ist möglich, wenn das Mißverständnis einer Pseudo-Firmung ausgeschaltet ist" (S. 278). Ist das etwa keine Theologie der Konfirmation? Wekel sieht also

6. Zusammenfassung

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soll erst nach der geschichtlichen Darstellung erfolgen, weil die verschiedenen theologischen Aspekte im Laufe der Zeit verschieden stark betont wurden. Aber auch die Folgen einer bestimmten theologischen Akzentuierung für die beteiligten Menschen werden erst deutlich, nachdem man einen ganzen Zeitraum überblickt. Sonst steht man in der Gefahr, die eigenen Lösungen gegenwärtiger Fragen überzubewerten. Dieser einleitende erste Teil diente jedoch dazu, ein Wahrnehmungsraster für die Erfahrungen der Vergangenheit zur Verfügung zu stellen. Der Blick auf die beteiligten Menschen hat die folgenden Hauptprobleme ergeben: 1. In Bezug auf die Konfirmandinnen und Konfirmanden ist zu fragen, wie sie in ihrer Lebens- und Glaubensentwicklung ernstgenommen werden können ohne eine naheliegende Überforderung, aber auch ohne Unterforderung. Hier ist besonders die Sicht des Hauptstreitpunktes Bekenntnis und Gelöbnis in der Vergangenheit wichtig, um in der Gegenwart zu einer angemessenen Gestaltung zu kommen. 2. Weiter ist zu untersuchen, ob die Eltern nicht nur als Predigthörer und passiv Beteiligte gesehen wurden, sondern ob es schon in der Geschichte Ansätze gab, sie aktiv in die Konfirmation einzubeziehen. 3. Das Stichwort von den Chancen der Ortsgemeinde72 führt auf die Frage, ob diese schon in der Vergangenheit wahrgenommen wurden und ob praktische Umsetzungsmöglichkeiten entwickelt worden sind. Der Umgang mit der konkreten Kirchengemeinde führt schließlich auf die zentrale Frage nach dem Kirchenverständnis, welches dem jeweiligen Konfirmationsverständnis zugrundeliegt. Aus diesem Grund wird im folgenden historischen Teil auf die Geschichte der Konfirmation in einer Landeskirche zurückgegriffen. Die Geschichte der Diskussion in der Praktischen Theologie begleitet dabei die Darstellung und beleuchtet sie aus weiterer Perspektive, steht aber nicht im Vordergrund. Exemplarisch wird die evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers als eine der größeren deutschen Landeskirchen mit unterschiedlichen Landschaften und Frömmigkeitstypen 73 herangezogen, auf analoge Entwicklungen in anderen Landeskirchen wird am Rande hingewiesen. Die Geschichte

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die Konfirmation als Fürbitt- und Segenshandlung an und will den Schwerpunkt des Nachdenkens von der Theologie der Konfirmation auf die Jugendunterweisung als ganze verlegt sehen. Dies entsprach der Diskussion in der DDR, wo sich der Begriff des "Konfirmierenden Handelns der Gemeinde" herausgebildet hat, vgl. Bäumler/Luther, S. 323 - 342. In Anlehnung an den Aufsatz von Jetter (s. Lit.-Verz.). Auch heute noch gibt die Kirchenkunde von Rolffs eine gute Einführung.

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Erster Teil: Wahrnehmung der Gegenwart

der Konfirmation soll dabei vom Zeitpunkt des Entstehens der hannoverschen Landeskirche 1866 bis zur Gründung der VELKD 1948 dargestellt werden, die bedeutende Konfirmationsagende von L. A. Petri jedoch wird bis 1852 zurückführen und einen Blick auf die Kirchenordnungen der Reformationszeit erforderlich machen, die Diskussion nach dem Zweiten Weltkrieg wird in den praktisch-theologischen Teilen der Untersuchung berücksichtigt.

Zweiter Teil: Erfahrungen aus der Vergangenheit Die Konfirmation in der Hannoverschen Landeskirche von 1852 - 1945 1. Die Vorgeschichte Für die zu beschreibende Diskussion sind mehrere Umstände von Bedeutung, die hier zunächst kurz zu skizzieren sind. Zum einen begann in der Mitte des 19. Jahrhunderts1 eine verstärkte Arbeit ein den Fragen des Konfirmationsverständnisses-, bedeutende Theologen beschäftigten sich wissenschaftlich mit der Konfirmation und bezogen dazu öffentlich Stellung. Verschiedene neue Konfirmationsformulare waren in Gebrauch, bis die Synode von 1893 Einheitlichkeit anstrebte und in diesem Zusammenhang die Diskussion in der hannoverschen Landeskirche einen vorläufigen Abschluß fand. Zum zweiten spielten im Gemeindeleben und damit auch in den Argumentationen die Kirchenordnungen der Reformationszeit für die jeweiligen Teile der Landeskirche eine Rolle, zumal die liturgischen Ordnungen erst seit der Jahrhundertwende einheitlicher wurden. Die relative Eigenständigkeit der einzelnen Teile der Landeskirche verstärkte die Bedeutung der jeweils geltenden Kirchenordnung aus der Reformationszeit. Noch bis in den 2. Weltkrieg hinein werden die Ordnungen im Nachdenken über die sachgemäße Konfirmation herangezogen. So war drittens die hannoversche Landeskirche im 19. Jahrhundert erst im Entstehen begriffen. Dieser dritte Aspekt soll zunächst aufgezeigt werden, es folgt eine kurze Beschreibung der reformatorischen Kirchenordnungen, so daß dann die Diskussion bis 1918 darstellbar wird. 1.1. Das Werden der Hannoverschen Landeskirche Zwei Ereignisse schufen erst eine einheitliche Landeskirche: das Zusammentreten der ersten Landessynode 1869 und die Errichtung des Landeskonsistoriums 1866. "Der letzte Tag der Selbständigkeit des Königreichs Hannover wax nach Gottes Fügung zugleich der Geburtstag einer einheitlichen hannoverschen

1

S. dazu den Beitrag von Hauschildt 1959, in Fror, Confirmatio, S. 43 - 73. Die unzähligen Verbesserungsvorschläge sind von Hauschildt auf den S. 51 - 54 kurz und bündig zusammengestellt.

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Zweiter Teil: Erfahrungen aus der Vergangenheit

Landeskirche" 2 , schreibt Gerhard Uhlhorn in seiner hannoverschen Kirchengeschichte. Gemeint ist die Entstehung des hannoverschen Landeskonsistoriums als integrierende Verwaltungseinheit am 16. Juni 1866 - am 17. Juni 1866 hörte das Königreich Hannover durch den Einmarsch preußischer Truppen auf zu existieren. Bis dahin hatte es 5 verschiedene Konsistorialbezirke gegeben - und damit faktisch 5 verschiedene Landeskirchen3, nämlich die Konsistorien in Hannover, Stade, Aurich, Otterndorf und Osnabrück. Konsistoriale Rechte hatten ferner der Magistrat der Stadt Osnabrück und der Stiftsbezirk Loccum.4 Die Konsistorialbezirke nahmen selbständig die Prüfungen der Kandidaten ab, so daß der Ubergang in einen anderen Bezirk dem heutigen Wechsel in eine andere Landeskirche gleichkam.5 Erst als die Prüfungen 1868 dem Landeskonsistorium zugewiesen wurden, konnte eine einheitliche Kandidatur für die Landeskirche entstehen und damit ein gewisses Zusammengehörigkeitsbewußtsein unter den Pastoren. Hannover war nun Sitz eines Provinzial-Konsistoriums - des für Hannover-Calenberg - und Sitz des neuen Landeskonsistoriums.6 Damit gewann die Tradition Calenbergs und seiner Kirchenordnungen eine besondere Bedeutung beim Einheitlichwerden der Landeskirche. Diese Entwicklung verstärkte sich, als seit 1885 nur noch die Provinzialkonsistorien in Hannover, Stade und Aurich bestanden. 7 Gleichwohl hielten sich in einzelnen Gebieten die eigenen Traditionen, am deutlichsten ausgeprägt in Ostfriesland, welches erst 1815 durch den Wiener Kongreß widerstrebend - zum Königreich Hannover gekommen war. 8 2 3 4 5 6

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Gerhard Uhlhorn, S. 151. Jürgen Uhlhorn, S. 19 und Gerhard Uhlhorn, Hannoversche Kirchengeschichte, S. 130. Ebd. und Gerhard Uhlhorn, Hannoversche Kirchengeschichte, S. 159. Rolffs, S. 38, Jürgen Uhlhorn, S. 29 und Gerhard Uhlhorn, Hannoversche Kirchengeschichte, S. 153. Wie Fleisch, Erlebte Kirchengeschichte 1952, S. 111 mitteilt, arbeiteten die Juristen im neu geschaffenen Landeskirchenamt nach 1922 noch viel mit den Spezialakten des ehemaligen Provinzialkonsistoriums Hannover, welches "viel Kleinkram unter dem Landeskonsistorium behandelt hatte." (ebd.) Die Bezirke der Osnabrücker und des Loccumer Konsistoriums fielen an Hannover, die des Otterndorfer an Stade, s. Gerhard Uhlhorn, Hannoversche Kirchengeschichte, S. 160. 1815 kamen auch die Niedergrafschaft Münster, die Grafschaften Lingen und Bentheim sowie die Stadt Goslar zu Hannover, während Lauenburg abgetreten wurde (Gerhard Uhlhorn, Hannoversche Kirchengeschichte, S. 130), bereits 1814 war das Bistum Hildesheim hannoversch geworden. Davor lagen Anschlüsse von Bremen-Verden (1719) und Osnabrück (1803). Begonnen hatte die Entstehung des Hannoverlandes mit der Vereinigung der Fürstentümer Calenberg und Lüneburg 1705.

1. Die Vorgeschichte

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Die lutherische Landeskirche Hannovers gehörte seit 1866 zum Königreich Preußen. Sie lag nun "wie ein Fremdkörper inmitten der Unionskirchen von Preußen, Westfalen und Hessen".9 Nicht zuletzt dieser Umstand wird die Ausbildung des konfessionell-lutherischen Bewußtseins der Landeskirche gefördert haben. Damit setzt sich die Linie durch, welche Ende der dreißiger Jahre 1 0 die hannoversche Ausprägung der Erweckungsbewegung gekennzeichnet hatte. Der Name Ludwig Adolf Petri (1803 - 1873) und die von ihm 1842 gegründete Pfingstkonferenz 11 waren - auch für die Konfirmationsfrage - bis weit ins 20. Jahrhundert hinein bedeutsam und werden uns weiter unten noch beschäftigen: "Der erweckliche Konfessionalismus hat das Leben unserer Landeskirche in den Jahrzehnten von 1840 bis zum Ausgang des Jahrhunderts entscheidend bestimmt. Seine Spuren sind bis zum heutigen Tage tief in das Wesen unserer Landeskirche eingeprägt", resümierte Jürgen Uhlhorn 1966.12 Sowohl die historisch bedingte Vielgestaltigkeit gemeindlich-kirchlichen Lebens in der Landeskirche als auch die konfessionell-lutherische Linie wirkten sich aus bei der Behandlung der Konfirmationsfrage im Laufe der Jahrzehnte. Von großer Bedeutung dürften aber auch die Erfahrungen aus dem spektakulärsten Ereignis hannoverscher Kirchengeschichte im 19. Jahrhundert gewesen sein - dem Katechismusstreit von 1862.13 Eine Kommission, der unter anderen Petri angehörte, hatte einen Katechismus ausgearbeitet, der den alten, rationalistisch geprägten Landeskatechismus von 1790 ablösen sollte. Bei dem neuen handelte es sich um Luthers Kleinen Katechismus mit einer hinzugefügten Erklärung, - er wurde am 14. April durch Königliche Verordnungen "obrigkeitlich" eingeführt. Daraufhin brach ein Proteststurm los, der bis zu Straßenschlachten in Hannover ging. Dem neuen Katechismus warfen die Gegner vor, er enthalte einen anderen, katholisierenden Glauben, - im Katechismus von 1790 hatte nichts mehr gestanden von der Beichte und vom Amt der Schlüssel. Doch noch wichtiger als der Streit um Inhalte war wohl der Streit um Äußerlichkeiten: "der schlimmste Fehler war die Art der Einführung", schreibt Gerhard Uhlhorn im Rückblick 14 , - ein Großteil der Wirren wäre vermieden worden, hätte man den Katechismus "gleich 9 10 11 12 13 14

Jürgen Uhlhorn, S. 26. Gerhard Uhlhorn, Hannoversche Kirchengeschichte, S. 127 ff. Ebd., S. 130. Die hannoversche Pfingstkonferenz bestand von 1842 - 1974. S. 21. S. dazu das ganze Kapitel 9 bei Gerhard Uhlhorn, Hannoversche Kirchengeschichte, S. 141 - 151 und Bünger, S. 340 - 367. Hannoversche Kirchengeschichte, S. 143.

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Zweiter Teil: Erfahrungen aus der Vergangenheit

anfangs fakultativ eingeführt". 15 Nimmt man diese Sicht als richtig an, so steht ein wesentlicher Grund dafür fest, daß die Konfirmationsfrage künftig immer als Frage nach einem Parallelformular verhandelt wurde. Beim Einführen neuer Ordnungen war man künftig vorsichtig! Eine weitere, unmittelbare Folge hatte der Katechismusstreit im Entstehen synodaler Organe: die Katechismusgegner drangen auf die Berufung einer Synode. Die Vorsynode tagte von Oktober bis Dezember 1863 und verabschiedete schließlich eine Kirchenvorstands- und Synodalordnung. 16 Von nun an gibt es Kirchenvorstände und eine Landessynode, welche zum ersten Mal am 3. November 1869 zusammenkam. Als Wahlgremien für die Bildung der Landessynode fungierten die Bezirkssynoden, welche man wegen der fehlenden finanziellen Befugnisse die "organisierte Bedeutungslosigkeit" genannt hat 1 7 . Aber den Bezirkssynoden kam nun die Aufgabe zu, sich zu den Gesetzesvorlagen zu äußern, soweit diese das gottesdienstliche Leben der Gemeinden berührten. Diese Konsequenz aus dem Katechismusstreit führte so auch zu einer breiten Diskussion der Konfirmationsfrage, an welcher die Laien stark beteiligt waren. Bevor aber die Diskussion bis 1918 dargestellt werden kann, sollen die reformatorischen Kirchenordnungen im Bereich der hannoverschen Landeskirche kurz beschrieben werden. 1.2. D i e m a ß g e b l i c h e n r e f o r m a t o r i s c h e n K i r c h e n o r d n u n g e n Die Einführung, Vorbereitung und Gestaltung der Konfirmation durch die Kirchenordnungen der Reformation ist ein umfangreiches, zum Teil kontrovers diskutiertes Forschungsgebiet. Dies ist deutlich ablesbar an den beiden von Kurt Fror herausgegebenen Sammelbänden "Confirmatio" (1959) und "Zur Geschichte und Ordnung der Konfirmation in den lutherischen Kirchen" (1962). Die bis dahin (die beiden Bände eingeschlossen) meist recht geraffte Darstellung führte stets zu einer besonderen Betonung der Sicht des Autors und damit oft zu einer Verzeichnung 18 . Insbesondere in der Forschung zu Anfang unseres Jahrhunderts 1 9 hatte man die "katechetische" Konfirmation als die eigentliche lutherische Konfirmation nachzuweisen gesucht. Hier sind die Bücher von Kliefoth (1856) und Hansen (1911) von großem Einfluß gewesen. Kliefoth hatte in den Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts den "katechetischen", den "sakramentalen" und 15 16 17 18 19

Ebd., S. 144. Ebd., S. 149 f. Vgl. Rolffs, S. 42 - 49 und Cord Cordes, S. 27. Die Texte bei Ebhardt 4, S. 120 - 164. Rolffs, S. 47. S. die Forschungsgeschichte bei Hareide 1971, S. 9 - 14. In die Forscherreihe bei Hareide 1971, S. 12 (Fr. Rendtorff, E. Hansen, H. Rendtorff, P.G. Lindhardt) gehört auch P. Fleisch!

1. Die Vorgeschichte

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den "kirchenregimentlichen" Konfirmationstypus unterschieden 2 0 . Diese Einteilung findet sich von da an immer wieder bis in die Mitte unseres Jahrhunderts. Nachdem durch die Geschichte der Konfirmation von Caspari (1890) allgemein bekannt geworden war, daß die Konfirmation ihre Wurzeln in der Reformation und nicht im Pietismus hat, betonte Hansen sehr stark den Einfluß Bucers und charakterisierte seine Konfirmation als "anabaptistisch-pietistisch". 2 1 Die Kategorien Kliefoths, aber auch seine und Hansens Wertungen bestimmen weitgehend die Diskussion in der hannoverschen Landeskirche bis zum 2. Weltkrieg, insbesondere auch die Sicht von Paul Fleisch. Inzwischen hegt in Hareides Untersuchung (1966) 22 eine Auswertung der lutherischen Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts vor, welche an umfassender und differenzierter Sicht der Probleme kaum mehr zu übertreffen sein dürfte. Hareide stellt sein Ergebnis schon in der Einleitung so vor:

"Wenn die lutherische Konfirmation entweder zu reiner Katechese oder zu einem sakramentalen Akt gemacht wird, hat m a n der Vielfalt und Eigenaxt des Materials wenig Respekt erwiesen. Die Nuancen treten nicht deutlich genug hervor. Auch in diesem Falle zeigt sich, daß die Wahrheit nicht einschichtig, sondern differenziert ist". 2 3

Unter Zuhilfenahme der geleisteten umfangreichen Forschungsarbeiten können die für die hannoversche Landeskirche wichtigsten Kirchenordnungen gut beschrieben werden.

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Kliefoth, S. 10, 65, 86 (eine Angabe bei Hareide 1971, S. 11, Anm. 21 ist fehlerhaft). Hansens umfangreiches Buch (über 400 S.ü) hatte weit über Schleswig-Holstein hinaus Bedeutung - besonders durch seine negative Beurteilung Bucers. Hansen setzt sich ausführlich (S. 67 - 122) mit Bucer auseinander - aber ihm ist von vornherein "so gut wie gewiß", daß Bucers Konfirmation "eine Konzession gegen Schwenckfeldt und die Wiedertäufer ist" (S. 68). Hansen überschreibt einen Abschnitt (S. 67 - 82) mit "Der anabaptistisch-pietistische Charakter des Butzerschen Konfirmationstypus" und zieht mit dieser Verbindung die Negativbeurteilung des Pietismus weiter aus bis in die Reformationszeit. Auch die reformierte Kirche wird äußerst scharf beurteilt: "Die Stellung zur Taufe ist der Punkt, an dem reformierte Kirche und Sekte sich berühren" (S. 72). Auf Deutsch erschien Hareides Buch erst 1971 - als man sich allgemein von der Konfirmationsfrage abwandte zugunsten der Reform des Unterrichts. Hareide 1971, S. 14.

30

Zweiter Teil: Erfahrungen aus der Vergangenheit

9 Kirchenordnungen stehen (1985) 24 in Geltung: die Calenberger Kirchenordnung von 1569, die Lüneburger Kirchenordnung von 1643, die Schaumburger Kirchenordnung von 1614, die Waldecker Kirchenordnung von 1731, die Braunschweig-Wolfenbütteler Kirchenordnung von 1709, die Lauenburger Kirchenordnung von 1585, die Hadeler Kirchenordnung von 1542, die Osnabrücker Kirchenordnung von 1652 und die Ostfriesische Kirchenordnung von 1716. Von besonderer Bedeutung waren die Calenberger (1569), die Lüneburger (1648) und die Lauenburger (1585).25 In der Argumentation spielt aber auch die nicht mehr (seit 1588) geltende Kirchenordnung von Calenberg - Göttingen von 1542, die erste niedersächsische Kirchenordnung mit einem Abschnitt über die Konfirmation, eine große Rolle. Sie hängt ihrerseits eng zusammen mit der Brandenburger Kirchenordnung von 1540. Diese ist daher in die Übersicht miteinzubeziehen (s. die Tabelle S. 45). Die Kirchenordnungen, im Auftrage des Landesherrn als summepiscopus 26 abgefaßt und von diesem erlassen, sollten die Reformation überall im Lande gleichmäßig durchführen und sichern. Sie standen darum in der Regel im Zusammenhang mit einer Visitation (in Braunschweig-Wolfenbüttel ging 1568 die Visitation der Kirchenordnung von 1569 voraus, Corvin dagegen hatte seine Ordnung für Calenberg-Göttingen schon 1540 fertig, aus politischen Gründen konnte sie erst 1542 erscheinen, die Visitation erfolgte im Winter 1542/43). Da das Ergebnis stets das gleiche war wie bei Luthers Visitation in Kursachsen und Meißen ("der gemeine Mann doch so gar nichts weiß von der christlichen Lehre, sonderlich auf den Dörfern") 27 , war eine der wichtigsten Aufgaben, daß "die Jugend, knaben und megdelein gewenet werden, den catechismum mit einer kurzen außlegung auswendig zu lernen und zu

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Rechtssammlung 30-2, S. 1 - 4 (GültKO). Die praktische Gültigkeit im kirchlichgemeindlichen Leben ist freilich heute äußerst beschränkt (s. dazu die Rundverfügung K 9/1974 des Landeskirchenamtes Hannover vom 25.6.1974: die Kirchenordnungen sind zwar noch gültig, aber sie entfalten "nur noch geringe unmittelbare Wirkung"). Rolffs, S. 34 gibt an, daß 16 verschiedene Kirchenordnungen im Gebiet der Landeskirche zeitweise gültig waren und stellt dann fest: "größeren Einfluß haben nur drei gewonnen: die sog. Calenberger von 1569, die Lüneburger von 1643 und die Lauenburger von 1585". Auch Ebhardt 1, S. 1 - 532 druckt diese 3 Ordnungen ab als "Abtheilung I Allgemeine Kirchen-Gesetze". Bekanntlich nahm Luther seit 1525, nach dem Bauernkrieg, die Landesherren zur Durchführung der Reformation in Anspruch. Was Luther als "Notrecht" gedacht hatte, entwickelte sich zum festen landesherrlichen Kirchenregiment, s. Krumwiede, Landesherrl. Kirchenregiment, bes. S. 146 - 260. Martin Luther, Kleiner Katechismus, Vorrede, BSLK, S. 501.

1. Die Vorgeschichte

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recitieren", wie es in der Braunschweigisch-Wolfenbütteischen Ordnung von 1569 heißt. 28 Diese Entwicklung von 1569 ist allerdings schon ein späteres Stadium. Am Anfang stand die Abendmahlsprüfung, welche seit "Formula Missae" (1523) immer mehr die Beichte verdrängte. Von ihrer Herkunft aus der Beichte her enthielt die Prüfung aber stets konfessorische wie katechetische Elemente, so daß man mit Recht von der "Spannung zwischen Confessio- und Katechesemotiv in der Admissio" 29 sprechen kann. Die Katechese nahm dann allerdings immer mehr Raum ein - sicher auch aufgrund der Visitationsergebnisse. Sie löste sich vom Abendmahlsgang und wurde "in allen Kirchen ... auf den Sontag vor der vesper" 3 0 gehalten, heißt es in der Ordnung von 1569. Die Katechese der ganzen Gemeinde war aber nicht durchzuhalten und wurde immer mehr zur "Kinderlehre", zur Unterweisung der Jugend. Darum mußte alles auf einen Abschluß der Unterweisung hinauslaufen, wobei sich von selbst die Firmung aufdrängte, jene "alte, im Volke fest verankerte Tradition, die sich nicht durch einen Federstrich auslöschen ließ" . 31 Wenn die Bedeutung der Katechese für die Reformation so sehr betont wird, so ist dies also zweifellos richtig. Sie ist die unmittelbare Folge der Entdeckung des frei machenden Evangeliums. Sie wird aber auch - qua Kirchenordnung - durchgesetzt und damit tritt der "kirchenregimentliche" neben den "katechetischen" Aspekt. Dies wiederum läuft zwangsläufig auf einen Abschluß hinaus und damit ergibt sich der "sakramentale" Aspekt. Macht man sich dies klar, dann tritt die Grenze der seit Kliefoth eingeführten Unterscheidung vor Augen. "Die lutherische Konfirmation" hat alle drei Elemente, wenn auch der sakramentale Aspekt in Abgrenzung gegen alte Mißbräuche zunächst am stärksten zurücktritt. Damit sollen nicht alle Unterschiede verwischt werden. Es ist unumstritten, daß Bucer ein ganz spezifisches Verständnis von Kirchenzucht hat, das sich in manchem dem Calvins 32 annähert. Es ist ferner unbestritten, daß durch Bucer das Moment der Handauflegung völlig neu in die Konfirmation hineinkam. 33 Aber darum kann man Bucer nicht einfach das "Lutherische" absprechen, ja, man wird urteilen müssen, daß Bucer mit der Handauflegung den sakramentalen Aspekt gleichermaßen 28 29 30 31 32 33

Sehling VI, 1, S. 150. Hareide 1971, S. 95 - 105. Sehling VI, 1, S. 150. Hareide 1971, S. 151. Ebd., S. 130: "Calvin ist in vieler Hinsicht ein Schüler Bucers". Ebd., S. 140. - Hareide vermutet, Bucer habe die sakramentale Seite der Konfirmation entweder selbst geschaffen oder von den Böhmischen Brüdern oder den Waldensern übernommen (S. 115).

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Zweiter Teil: Erfahrungen aus der Vergangenheit

"nachgeliefert" hat, welchen die lutherische Konfirmation noch benötigte, um volkstümlich zu sein, zu "überleben" und damit die Einwurzelung der Katechese letzlich zu unterstützen,34 Das Herausfallende in Bucers Ordnungen, der Kasseler von 1539 und der Ziegenhainer Zuchtordnung von 1539, ist nicht das "Kirchenregimentliche" an sich, sondern dessen Fassung im Versprechen, im Gelübde. Und hier tritt der eigentliche Streitpunkt bis zum heutigen Tage in die Geschichte ein. Denn daß die admissio von jeher Bekenntnis-Ghaxaktei hatte, schon durch ihren Vollzug - dies dürfte unbestreitbar sein. Erst recht aber durch die Herkunft aus der Beichte kann die admissio gar nicht anders als auch persönlich, individuell - bekennend sein. Bei Bucer allerdings geht es weniger um das individuelle Bekenntnis als vielmehr um das Ja zur Kirche, zu ihrem Bekenntnis und zur Zucht der Gemeinde. Gerade durch die Auseinandersetzung mit Schwenckfeld und den Wiedertäufern 35 schätzt Bucer das Subjektive des Versprechens und Bekennens weniger hoch als das Objektive der Kirchenzucht. Sieht man die Konfirmationsagende der Kasseler Kirchenordnung von 15S9 an 36 , so ist deutlich, wie das "Kirchenregimentliche" das "Katechetische" und das "Sakramentale" umgreift und bestimmt. Ein subjektives, "pietistisches" Element ist dagegen kaum auszumachen. Der sakramentale Aspekt ("I. Vom Händeauflegen") gibt zwar den Titel an, tritt dann aber gleich zurück, wenn es in der Definition heißt:

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So hat Bugenhagens Braunschweiger Ordnung von 1528 noch keine Konfirmation trotz starker lehrhafter Züge (Sehling VI, 1, S. 377 f.), ebenso die Hannoversche Ordnung des Urbanus Rhegius von 1536, welche nur die admissio kennt ("Das hochwirdige sacrament,... lassen wir niemans mitteilen, er habe denn zuvor gebeichtet und sei durch die Schlüsselgewalt absolviert, examiniert und verhört," Sehling VI, 2, S. 1004.). In den Ordnungen Bremen-Verdens, Osnabrücks und Ostfrieslands,welche seit 1963 in Sehling VII,1 zugänglich sind, findet sich das katechetisch-admissive Element, aber keine eigentliche Konfirmationsordnung. Die geschichtliche Bedeutung der mitgeteilten Ordnungen ist freilich sehr begrenzt. So steht fast im ganzen Sprengel Stade keine Kirchenordnung in Geltung; in Ostfriesland hat sich die späte von 1716 durchgesetzt. - Durch die umfangreiche Arbeit von A. Sprengler-Ruppenthal sind in Sehling VI, 1 bis VII, 2,1 bisher (1955 - 1980) 91 Kirchenordnungen Niedersachsens neu zugänglich geworden (insgesamt sind in den 5 Bänden bis jetzt 130 Ordnungen veröffentlicht). Leider fehlt noch jegliches Register, so daß die Arbeit mit dem wertvollen Material sehr erschwert wird. Dies hat Hareide 1971, S. 120 - 127 überzeugend dargelegt. Sehling VIII, I, S. 124 ff. Da der VIII. Band der Sehlingschen Ordnungen in Niedersachsen wenig verbreitet ist, zitiere ich auch den von Rott, S. 52 - 56 mitgeteilten Text.

1. Die Vorgeschichte

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"handauflegen, damit man die kindere, nach dem sie im christlichen glauben so weit gelert, auf ihr selbst bekentnus und ergeben an Christum zu der christlichen gemeine bestetigt" , 37 Die Konfirmation, das Händeauflegen, ist kirchliches Bestätigungs-Handeln, worin Katechese und ein gewissermaßen "objektives" Versprechen sich verbinden. Denn das Versprechen wächst heraus aus dem Bekenntnis der Kirche und zielt auf die Gemeinschaft der Kirche, wenn der Konfirmand gefragt wird: "Gleubst und bekennestu, wiltu dich auch in die gemeinschaft und gehorsam der kirchen Christi begeben ...?" 38 Das Bekennen in der Kasseler Kirchenordnung ist nicht "'pietistisch" oder etwas ähnliches, sondern katechetisch. Es ist also problematisch, "Bucersches" und "lutherisches" Konfirmationsverständnis gegeneinander auszuspielen, wie das Hansen getan hat. Der erste Teil der Konfirmation nach der Kasseler Ordnung nämlich besteht aus 18 katechetischen Fragen, welche stellvertretend an einen der Konfirmanden gestellt werden. Von diesen 18 Fragen beziehen sich 8 auf das Verständnis der 3 Glaubensartikel, 8 auf das Verständnis von Kirche und Gemeinde (13 davon sind katechetische "Was-", "Wie-" etc. Prägen). Die Fragen 12 und 18 dieser Katechese beinhalten dann die Versprechen gegenüber der Kirchengemeinde: (12) "Wiltu in der gemeinschaft erharren? Antwort: Ja, durch die hülf des Herren in ewigkeit". (17) "Was erfordert diese gemeinschaft weiter? Antwort: Daß ich mich auch zum gemeinen gebet in der kirchen verfüg, und da mein opfer und almusen für die armen mit brenge und mich in allem halt und beweis als ein mitglied in Christo mit allen gleubigen, und die, so der Herr in seiner kirchen zu hirten, seelsorgern und eltesten vorgesetzt hat, höer, heb und vor äugen hab, wie ihn selbst. Frag: Wiltu aber dieses alles also tun und halten, wie du es bekennet hast? Ant.: Durch die hülf unsers Herren Jhesu Christi, Ja." 3 9

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Ebd., S. 124 = Rott, S. 52. Ebd., S. 125 = Rott, S. 55. Ebd., S. 125 = Rott, S. 54 f.

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Zweiter Teil: Erfahrungen aus der Vergangenheit

Auf der am Schluß stehenden, bedeutungsvollen Formel "Nimm hin den heiligen geist, schütz und schirm vor allem argen, sterk und hülf zu allem gutem, von der gnedigen hand Gottes des Vater, Sohns und heiligen Geistes, Amen." 4 0 und der Handauflegung liegt damit nur ein Teil des Gewichts dieser Ordnung. In Bucers Kasseler Kirchenordnung ist also der katechetische Aspekt mindestens so bedeutend wie der sakramentale. Im Vordergrund steht die Kirchenzucht, wobei die massiven Gelübde - Unterordnung unter die verschiedenen kirchlichen Amtsträger z.B. - in der Tat auffällig sind. Die Streitfrage u m Bekenntnis und Gelübde bei der Konfirmation ist nun für die Zukunft gestellt. Die Kasseler Ordnung ist für Niedersachsen unmittelbar von Bedeutung gewesen, da Corvin, der Verfasser der Calenberg-Göttinger Ordnung von 1542, Pfarrer in Hessen gewesen war (1529 - 1541 in Witzenhausen) und als geistlicher Rat des Landgrafen Philipp mit Bucer zusammengearbeitet hatte. Ebenfalls wichtig für die Calenberg-Göttinger Ordnung war die Kirchenordnung der Mark Brandenburg von 1540. Sie diente Corvin als unmittelbare Vorlage, weil die Herzogin von Calenberg-Göttingen, Elisabeth, die Schwester Herzog Joachims II. von Brandenburg war. 4 1 Diese Ordnung steht darum in der Tabelle auf S. 45 mit verzeichnet. Die Brandenburger Ordnung von 1540 (Sehling III, S. 39 - 90) enthält unter der Uberschrift "Von der confirmation oder firmung" 4 2 eine recht knappe Konfirmationsagende: nicht einmal das Abendmahl ist ausdrücklich erwähnt, es findet sich kein Gebet und keine Einsegnungsformel, auch nicht Bekenntnis oder Gelübde (nur der Hinweis: "wenn die getauften zu iren jaren kommen, das sie wissen, was sie glauben und beten, auch nach Inhalt des Catechismi wissen, wie sie christlich leben und ein erlichen wandel füren sollen ..."). Kurfürst Joachim II. suchte (nicht zuletzt aus biographisch-familiären Gründen 4 3 ) nach einer Reformation ohne Verletzung der Katholiken. Das ist in der Ordnung deutlich spürbar. In der Taufe sind noch die datio salis, 40 41

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Ebd., S. 126 = Rott, S. 56. Auf die Problematik dieser Formel gehe ich bei der Calenberg-Göttinger Ordnung ein. Die Herzogin Elisabeth schreibt in der Vorrede (Sehling VI, 2, S. 709): "wir haben... das hochlöbliche exempel des... margraven zu Brandenburg, ... unsers freuntlichen, lieben bruders,... angesehen..." Sehling III, S. 59. Die Konfirmationsordnung umfaßt nur diese 1 Seite, alle Zitate aus der Ordnung beziehen sich also darauf. S. dazu Hareide 1971, Anm. 25 auf S. 176: Joachims Vater verstieß als überzeugter Katholik seine Frau, die evangelisch wurde, Joachim vermittelte erfolglos zwischen den Eltern.

1. Die Vorgeschichte

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die Salbung zwischen den Schultern vor und die Chrismasalbung nach der Taufe sowie Westerhemd und Taufkerze 44 üblich. Bei der darauffolgenden Konfirmationsagende fehlt dann aber das Chrisma, und das Kreuzeszeichen wird nur historisch erwähnt ("anfenglich die einsetzung gewesen") 45 . Die Konfirmation selbst besteht nur aus Gebet mit Handauflegung nach vorausgehendem Katechismusverhör, wobei das Schwergewicht auf dem Gebet liegt: "sol ... der bischof mit auflegung der hende, gott den allmechtigen bitten, das sie darin bestendig bleiben, erhalten und noch mehr gesterkt werden, ..." Konfirmator ist nun allerdings der Bischof, falls er nicht selbst kommen kann, soll ein "Gelehrter" des Bischofs die Pfarrer überwachen, "damit sie ... nicht wiederum ein misbrauch ... daraus machten". Bischöflich ist d a r u m also gerade nicht mehr die Konfirmation selbst, sondern ihre Reform (die Bischöfe sollen die Mißbräuche abstellen). Man muß hierbei in Rechnung stellen, wie vieles in den Kirchenordnungen (damals wie heute!) nur auf dem Papier stand 4 6 und, wie Sehling 1909 schrieb, "die wirklichen Zustände nicht immer völlig aus den landesherrlichen Ordnungen erhellen". 4 7 Negativ ist der episkopale Zug der Brandenburger Ordnung nur insofern zu werten, als auch die Hauptsache bei der Konfirmation, das Gebet, lediglich als Gebet des Bischofs verstanden ist! In der Hauptsache jedoch ist die Konfirmation reformatorisch - sie ist Zeremonie, nicht Sakrament. Die gesamte Brandenburger Ordnung fand die begeisterte Zustimmung Luthers. 4 8 44

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Sehling III, S. 56 - 59. Man erinnere sich daran, daß auch Luther in seiner ersten Auflage des Taufbüchleins noch das Blasen unter die Augen, Salzgabe, Speichel ans Ohr des Täuflings, Salbung vor und Chrisma nach der Taufe, Kerze und Westerhemd vorgesehen hatte (WA 12,S. 40 - 48 = BoA 3, S. 310 - 316). Erst in der Bearbeitung von 1526 entfernte er etile Äußerlichkeiten bis auf das Westerhemd. Bekanntlich hat sich aber nicht dieses gehalten, sondern die von Luther gestrichene Taufkerze hat sich durchzusetzen begonnen. Man wird dies als gute Freiheit in Zeremonien zu deuten haben. Hareide 1971, S. 177 macht auf Casparis und Maurers Mißverständnis aufmerksam: sie zählten den historischen Rückblick zur Agende und fanden so in der Brandenburger Ordnung Kreuzeszeichen und Chrisma. So urteilt auch Hansen, S. 15. Sehling III, S. 8. Nach Hareide 1971, S. 178 f. Bekanntlich hat Luther selbst nie eine Kirchenordnung geschrieben. Hareide 1971, S. 237 vermutet, Luther habe sich zurückgehalten, weil er die normative Wirkung einer Ordnung von seiner Hand fürchtete und damit den Verlust der Freiheit in Außerlichkeiten. Unterschrieben hat Luther aber die "Reformatio Wittenbergensis" (1545), wie auch u.a. Bugenhagen und Melanchthon (s. Hareide 1971, S. 192 ff. und S. 244). Die dort enthaltene Ord-

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Zweiter Teil: Erfahrungen aus der Vergangenheit

Die Konfirmation in der Kirchenordnung für Calenberg-Göttingen 1542 steht in deutlichem Zusammenhang mit der Kasseler und mit der Brandenburger Ordnung. Auch diese Ordnung wurde von den Wittenbergern anerkannt. 49 Wie in der Brandenburger Ordnung hegt der Schwerpunkt auf dem Katechismusexamen und auf der Handauflegung mit Gebet (die Hinführung zum Abendmahl ist hier ausdrücklich erwähnt). Andererseits steht die Konfirmation auch (wie in der Kasseler Ordnung) im Zusammenhang mit der Geistverleihung, gänzlich fehlen der starke kirchenzuchtliche Aspekt der Kasseler Ordnung und die geschilderten Gelübde. Das Urteil Hareides, die Bucersche Formel "Nimm hin den heiligen Geist..." sei wie das erste von Bucer übernommene Gebet nur ein "isoliertes Bruchstück", 50 ist überzogen. Corvin hat das Element der Geistverleihung nicht als einen disparaten Baustein übernommen (warum hätte er das tun sollen?), er hat es vielmehr überlegt eingefügt und so erklärt, daß ein katholisches, sakramentales Mißverständnis ausgeschlossen ist. Die Formel impliziert für sich betrachtet in der Tat eine einmalige Geistverleihung "ex opere operato" und ist darum mit Recht mit der katholischen Ordinationsformel ("Accipite Spiritum Sanctum!" 51 ) verglichen worden. Corvin setzt sich aber gegen solch ein Verständnis bewußt ab, wenn er schreibt: "Doch müsset ihr, meine geliebten, es nicht dafür halten, wenn wir nach geschehenem verhör den kindern die hende auflegen, das eben umb solcher eusserlichen ceremonien willen des auflegens ihnen der heilige Geist gegeben werde, sonder vielmehr umb des worts und gebets willen der kirchen." 52 Die negative Abgrenzung gegen das katholische Verständnis - und auch gegen das immerhin mögliche Mißverständnis von Bucers Kasseler Ordnung - ist deutlich. Aber nun muß doch auch positiv festgestellt werden: bei der Konfirmation nach Corvins Ordnung geht es doch um Geistverleihung. Die Konfirmation fällt mit der Geistverleihung nicht zusammen.

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nung der Konfirmation umfaßt Katechismus, öffentliches Bekenntnis, Versprechen und Gebet mit Handauflegung. Der Akzent hegt auch hier wie in der Brandenburger Ordnung von 1540 auf dem Gebet, die Handauflegung kann hinzutreten, "es handelt sich also nicht um Handauflegung mit Gebet, sondern um Gebet mit Handauflegung", urteilt Hareide 1971, S. 192. Hareide 1971, S. 194, vgl. skeptisch dazu Caspari, S. 27, Anm. 31. Hareide 1971, S. 185, Anm. 85. Ebd., S. 148, Anm. 79. Hareide verweist u.a. auf Hansen (S. 98 f.) und auf Rendtorff, S. 26. Sehling VI, 2, S. 841.

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Aber die konfirmierende Gemeinde bittet um den Geist und rechnet auch mit dem Geist "von der gnedigen Hand Gottes des Vaters, des Sohns und des heiligen Geists". 53 Corvin geht aus von der Geistverleihung, wie sie in Lukas 11,13 den Betenden zugesagt ist, und schreibt daher: "Ist nicht dis ein herrliche zusagung, die Sendung des heiligen Geists belangend?" 64 Corvin hat demnach Bucers kirchenzuchtliche Elemente ganz bewußt gestrichen und ebenso den "sakramentalen" Aspekt übernommen und eindeutig evangelisch - vom Gebet her - qualifiziert. Jedenfalls ist die Konfirmation in der Calenberg-Göttinger Ordnung mehr als die Katechese oder das Katechismusexamen 55 , sie ist feierliches Gebet der Kirche um den heiligen Geist. Denn in der Ermahnung ans Volk wird deutlich gesagt, "das diese ceremonia der firmung zweyerlei dinge begreifet, nehmlich catechesin,... so vorhingehen mus, zum andern impositionem manuum, das ist auflegung der hende ... 56 Corvins Konfirmation ist auch, aber nicht nur Katechese - es wird deutlich unterschieden, wie etwas später in der Ermahnung ans Volk noch einmal (im historischen Rückblick) verdeutlicht wird: "so begreifet diese confirmation nicht allein die Unterweisung und lahr, so zum ersten getrieben sein uns, sonder auch darnach auflegung der hende, ... 57 Aus zwei weiteren Einzelheiten wird die Bedeutung der Konfirmation für Corvin deutlich. Zum einen hat die Konfirmation auch Ordinationscharakter, - denn über die Bestellung der Diakone wird in der Visitationsinstruktion von 1542 gesagt, sie sollen "bald durch den Superintendenten Corvinum durch auflegung der hende bestetigt und confirmiert werden." 58 53 54 55

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Ebd., S. 843 (Schluß der berühmten Bucerschen Formel). Ebd., S. 841. Kliefoth, S. 67 urteilte sicher überzogen - und letztlich falsch! - , wenn er über die Calenberg-Göttinger Ordnung schrieb: "Diese Confirmationsordnung,... repräsentirt uns die sacramentale Auffassung der Confirmation, sofern dieselbe aus den Versuchen einer Union mit den Römischen entsprang", aber er hat durchaus etwas Richtiges gesehen, nämlich die Eigenständigkeit der Konfirmationshandlung in Corvins Ordnung. Das Gegenüber zur Kasseler Ordnung Bucers ist aber nicht berücksichtigt. Hier zeigt sich noch einmal die Grenze von Kliefoths Typeneinteilung, denn "Im großen und ganzen fallen der sakramentale und der KirchenzuchtTypus zusammen", stellt Hareide 1971, S. 12 richtig fest. Sehling VI, 2, S. 839, Hervorhebung von mir. Ebd., S. 841. Ebd., S. 857.

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Zweiter Teil: Erfahrungen aus der Vergangenheit

Aus der Verwendung der gleichen Zeremonie (Handauflegung) und der gleichen Bezeichnung ("confirmieren") wird man zu schließen haben, daß Corvin die Handauflegung sehr positiv einschätzt, ohne sie zu einem Sakrament zu machen, und die Konfirmation nicht unterschätzt sehen will. Dies nämlich wird zweitens deutlich in den Synodalkonstitutionen von 1544/45, welche einschärften, "so soll allen pastoribus ernstlich befohlen sein, solche confirmation, wie man dieselbige in der ordnunge findet, mit höhestem fleisse in den schwang zu bringen und keinen lengeren aufzug darin zu thun". 59 Die Calenberg-Göttinger Ordnung von 1542 ist also mit der Bezeichnung "katechetisch" nur unzureichend charakterisiert, wenn auch das Katechismusexamen eine erhebliche Bedeutung hat. Anders als in der Kasseler Ordnung fehlen Gelübde und Kirchenzucht. Das Bekenntnis der Kinder ist nichts anderes als ihr Antworten im Examen. So heißt es am Schluß der "Ermanung zum volk" 60 : "das euer kinder hie für der ganzen gemein stehen und ihren glauben fein tapfer darthun und bekennen können." Hervorzuheben bleibt noch die besondere Bedeutung der Gemeinde. Sie tut "ein ernstlich gebet" 61 , sie wird hauptsächlich angesprochen, ermahnt und ermutigt: gut 3 1/2 der insgesamt 6 Seiten dieser Ordnung bestehen aus der "Ermahnung zum volk". Hiermit stellt die Ordnung einen wesentlichen Fortschritt dar gegenüber der Brandenburger, ohne in den engen Begriff von Kirchenzucht der Kasseler Ordnung zu geraten. 62 Corvins Ordnung ist katechetisch, rituell und gemeindlich und ist damit zukunftsweisend. Die Braunschweigisch-Wolfenbüttelsche Ordnung von 1569, später in Hannover "Calenberger Kirchenordnung" genannt, stellt in bezug auf die Konfirmationsdebatte den Abschluß und den Ertrag jahrzehntelanger Ar-

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Ebd., S. 867. Ebd., S. 842, Hervorhebung von mir. Ebd., S. 804. Wie verschieden hier allerdings die Wertungen sind, zeigt das Urteil von Maurer 1940, S. 92, welcher Bucer für den besseren Lutheraner als Corvin hält: Corvins Verzicht auf die Sittenzucht sei eine Verkürzung des lutherischen Erbes! Die positive Einschätzung Bucers findet sich auch schon bei Caspari, S. 24 ff.: die Einsegnungsformel Bucers sei "Segens- und Gebetswunsch" (S. 26). Diesem Urteil Casparis wird zugestimmt werden müssen: man sehe nur auf die Deutung der Handauflegung als "Vertröstung" in Bucers Gebet.

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beit im Reformationsjahr hundert dar. Es ist schon bemerkenswert, daß die reifste Konfirmationsordnung 63 in der Kirchenordnung steht, die für die hannoversche Landeskirche einmal die wichtigste werden sollte. In der Ordnung ist die katechetische, besonders aber die gemeindliche Linie weiter ausgezogen, die episkopale ist beibehalten, die rituelle ist noch vorsichtiger und differenzierter gezeichnet als bei Corvin 1542. Zwischen den beiden Calenberger Ordnungen 6 4 hegen das Augsburger und Leipziger Interim von 1548 und die in ihrem Zuge folgenden interimistischen und adiaphoristischen Streitigkeiten 65 , was deutlich zu merken ist. Nach der Überschrift ist die Konfirmation wesentlich Katechismusverhör vor dem ersten Abendmahlsgang, die "firmung, das ist, wie die kinder, zuvor und ehe sie erstmals zum heiligen abendmal zugelassen, verhöret werden sollen" , 66 Die Ordnung ist aber reicher und vielschichtiger, als es diese knappe Überschrift aussagt. Hervorstechendes Merkmal ist, wie Eltern, Paten und Gemeinde berücksichtigt sind - noch viel stärker als bei Corvin 1542: der Sinn der "alten, christlichen firmung" hegt darin, daß "die eitern erinnert, ... das sie ihre kinder... woll unterweisen, deßgleichen die gevattern auch aufgemündert, ... deßgleichen die kinder... des bundes erinnert, den Gott mit ihnen und sie mit Gott aufgericht, ... auch die ganz kirch durch diese handlung zu liebe und freud der wahren gottseligkeit bewegt ... werden solle". 67 63

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"Chemnitz ... wollte in eine lutherische Konfirmationsordnung die echten lutherischen Gedanken aufnehmen, die sich in der theologischen Debatte und der praktisch-kirchlichen Gestaltung im Laufe der Jahrzehnte ihr Daseinsrecht erworben hatten," urteilt Hareide 1971, S. 281 über Chemnitz' Konfirmationsvorschlag im Examen Concilii Tridentini. Erich II. von Calenberg-Göttingen übernahm 1546 die Regierung von seiner Mutter Elisabeth und trat auf die Seite des Kaisers und ging zurück in die römische Kirche. Mit Gewalt ließ er das Interim durchsetzen und verschuldete den Tod Corvins durch lange Festungshaft (1549 - 1552). Erst als Erich 1584 starb (nachdem er 1553 zur Reformation hatte zurückkehren müssen!), beruhigte sich die Lage. 1584 übernahm Julius von Wolfenbüttel die Regierung in Calenberg-Göttingen, damit wurde hier auch seine Ordnung wirksam (1588), die darum die "Calenberger" genannt wird. Vgl. Gerhard Uhlhorn, Hannoversche Kirchengeschichte, S. 61 f., 86 f., ferner Hareide 1971, S. 255 f. (zu Corvin). Durch das Interim Kaiser Karls am 15.5.1548 wurde die Konfirmation als Sakrament erneut vorgeschrieben und dem Chrisma entscheidende Wirkung beigelegt, s. zum ganzen Hareide 1971, S. 250 - 273 (auch zum adiaphoristischen Streit zwischen der Flacius- und der Melanchthon-Partei). Sehling VI, 1, S. 164. Ebd., S. 164 f.

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Zweiter Teil: Erfahrungen aus der Vergangenheit

Diese in der Vorbemerkung geäußerte Absicht wirkt sich in der Handlung so aus, daß der Superintendent als Konfirmator die ganze Gemeinde ermahnt. Weil die Konfirmanden nun zur seligmachenden Erkenntnis Christi gekommen sind (Bekenntnis und JA der Konfirmanden gehen voraus), darum sollen "nicht allein die eitern, sonder auch die ganze versamblete gemein vor diesen kindern unschuldig und unergerlich wandeln" 68 , damit diese nicht veräxgert werden. Weiterhin soll die Gemeinde auf die Bedeutung des nun folgenden Gebets hingewiesen werden, und die Eltern und Paten sollen mit den Konfirmanden zum Abendmahl gehen, um diese "in ihrem gottseligen fürnehmen"69 zu stärken. Der episkopale Zug der Brandenburger und Calenberg-Göttinger Ordnung ist nicht nur beibehalten, sondern verstärkt. Eine Alternative zum Superintendenten als Konfirmator wird gar nicht erwähnt. Dies ist auffällig, da doch die Partei der Flacianer im adiaphoristischen Streit gerade am Bischof als Konfirmator größten Anstoß genommen hatte. 70 Man wird diesen Tatbestand so interpretieren müssen, daß Chemnitz und Andreae daran lag, die Konfirmation mit besonderem Gewicht zu versehen. Wie der von Hareide71 wiedergegebene Abschnitt aus Chemnitz' Examen Concilii Tridentini zeigt, sah Chemnitz in der Konfirmation eine Vielzahl von Bedeutungen, welche vorwiegend katechetisch zu werten sind. Aber die katechetische Funktion wird von Chemnitz eben nicht (wie von Flacius) gegen den Ritus ausgespielt, sondern mit ihm verbunden.72 Das Wesentliche am Ritus aber ist nicht das äußerlich-zeremonielle Handeln, sondern dessen Gebrauch zur Erbauung der Gemeinde, zum "Gemeindeaufbau", wie mau heute sagen würde. Die Handauflegung beim Gebet dagegen ist nicht obligatorisch, sie ist "als eine freye mittelceremonie"73 freigestellt; an die Stelle der problematischen Formel "Nimm hin den heiligen Geist..." tritt der aaronitische Segen. Das Konfirmationsgebet, welches sich schon in der Kasseler Ordnung fand, ebenso in der Calenberg-Göttinger (und sicher von dort als im Lande eingebürgerte Tra68 69 70 71

Ebd., S. 166. Ebd. Hareide 1971, S. 263. Ebd., S. 279, Anm. 26: für Chemnitz ist dort die Konfirmation Tauferinnerung (commonefactio), Bekenntnis (professio), Befragung (interrogatio), Ermahnung (admonitio), Zuspruch (exhortatio) und Gebet (precatio). 72 Ebd., S. 278: "Er interessierte sich nicht nur für das katechetische Moment, sondern ebensosehr auch für den 'ritus confirmationis', dem er eine theologische Begründung gab." 73 Sehling VI, 1, S. 166.

1. Die Vorgeschichte

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dition übernommen wurde 74 ), - dieses Gebet bricht folgerichtig da ab, wo der Verweis auf die Handauflegung folgt. Der eigentliche Streitpunkt in der Interpretation der Ordnung besteht bei der Frage und dem Ja der Konfirmanden, beim Bekenntnis- und Gelübdeelement. Man kann auf jeden Fall weder von einem subjektiv gefärbten Bekenntnis noch von einem eigentlichen Gelübde sprechen. Frage und Antwort nämlich lauten so75: "Ob sie aber in solcher erkantnuß, glauben und bekantnuß zu verharren und wie sie dem teufel, edlen seinen werken und Wesen in der taufe einmahl abgesaget, also auch in solchem gottseligen fürnehmen zu bleiben, ihnen bestendiglich fürgenommen, biß an ihr ende. Und sie antworten: Ja, durch die gnad des allmechtigen..." Das Bekenntnis ist - wie in der Calenberg-Göttinger Ordnung - das durch das Examen abgelegte. Ein eigentliches Gelübde - wie in der Kasseler Ordnung - hegt nicht vor, denn hier wird nach dem gegenwärtigen Vorsatz gefragt, kein Versprechen für die Zukunft abverlangt. Es geht auch nicht um einen bestimmten kirchlichen oder sittlichen Wandel, sondern um eine wirksame Tauferinnerung. Gänzlich verfehlt wäre es, hier gar eine Erneuerung des Taufbundes zu finden - der wurde ein für allemal in der Taufe selbst aufgerichtet, wie die oben zitierte Stelle zeigt. 76 74 75 76

So auch Hareide 1971, S. 283 f. Sehling VI, 1, S. 166. Maurers Wertung der Ordnung als "er as misch" (Maurer 1940, S. 99 f.) übersieht den starken gemeindlichen Aspekt der Wolfenbütteler Ordnung und geht von der falschen Voraussetzung aus, hier werde der Taufbund erneuert. Wie anders klingt das alles bei Erasmus, wenn es z.B. heißt "Quam vero magnificum esset hoc spectaculum, audire vocem tot juvenum, sese Jesu Christo dedicantium, ... abrenuntiantium huic mundo" (Paraphrase 28 über das Matthäusevangelium von 1522, zitiert nach Hareide 1971, S. 64, Anm. 12). Offensichtlich überschätzt Maurer den Einfluß von Erasmus, wenn er diesen noch 1569 "indirekt und unbewußt" (Maurer 1940, S. 99) am Werke sieht (bekanntlich hatte sich Erasmus schon 1529 endgültig von der Reformation zurückgezogen und war 1536 gestorben). Maurers Sicht mag auf seiner Hypothese ruhen, Erasmus sei der Schöpfer der ersten neuen Konfirmation (Maurer 1940, S. 43 - 54 und ders. in Fror, Confirmatio, S. 19 22). Die Hypothese ist von Hareide 1971, S. 68 - 71, stark erschüttert worden. Bedeutungsvoll aber ist auf jeden Fall das starke Eintreten des Erasmus für die Erneuerung der Katechese. Wahrscheinlich ist eine gegenseitige Beeinflussung von Erasmus und der feierlichen Gemeindeaufhahme unter den böhmischen Brüdern (Hareide 1971, S. 73, Anm. 56). Man wird auch davon auszugehen haben, daß Chemnitz als umfassend gebildeter Theologe seiner Zeit die Praxis der böhmischen Brüder und die Vorschläge des Erasmus kannte (s. dazu auch Caspari, S. 21 f.). Dies reicht aber nicht aus, um der Wolfenbütteler Ordnung von 1569 eine Taufbunderneuerung zu unterstellen und diese von Erasmus abzuleiten. Richtig urteilt

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Zweiter Teil: Erfahrungen aus der Vergangenheit

Die Konfirmanden werden gefragt, ob sie die in Examen und Vermahnung geschehene Tauferinnerung realisiert haben und dies weiter tun wollen. Ihr J a zum Bekenntnis der Kirche ist damit weder subjektivindividuell gemeint, noch soll damit gar die Taufe bestätigt werden. Das Bekenntnis und Ja der Konfirmanden in der Form der Ordnung von 1569 ist damit als folgerichtiges Element der gemeindlichen Konzeption zu werten. Die Kirchenordnung für die Grafschaft Hoya von 1581 ist, was den Abschnitt über die Konfirmation angeht, eine fast wörtliche Wiedergabe der Wolfenbütteler Ordnung (im ganzen waren neben dieser für Hoya noch die Lüneburger Ordnung von 1564 und die Oldenburger von 1573 Vorlagen, Verfasser war Friedrich Rusch, seit 1566 Superintendent in Nienburg und mit der Ordnung der kirchlichen Verhältnisse von Graf Otto beauftragt 7 7 ). Zweierlei ist jedoch auffällig: zum einen fehlt die 1569 freigestellte Handauflegung nun tatsächlich ganz, die Ermahnung der Gemeinde geht gleich in die Aufforderung zum Gebet über. 7 8 Zum anderen ist die Frage an die Konfirmanden noch unmißverständlicher formuliert als in der Wolfenbütteler Ordnung. Wenn gefragt wird, "ob sie in solcher erkentnis, glauben und bekentnis, wie sie dem Herrn Christo in der taufe angelobet und nu mit ihrem munde bekannt..." 7 9 bleiben wollen (die Fortsetzung ist dieselbe wie in der Wolfenbütteler), dann ist klar: hier geht es um die Realisierung der Tauferinnerung, nicht um ein neues Taufgelübde. Das "Angeloben" ist in der Taufe geschehen - was nun erkannt, geglaubt und bekannt werden kann. Die Lauenburger Ordnung von 1585 fällt auf durch die Vielzahl der in ihr aufgenommenen Elemente und Aspekte. Besonderes Merkmal ist der Handschlag. Es ist nicht zu verkennen, daß die ganze Ordnung dadurch einen starken individuell-gelöbnishaften Zug erhält. Zwar wird das Gelöbnis stellvertretend vom Konfirmator gesprochen und enthält nur den Vorsatz, am bekannten Glauben künftig festzuhalten (und nicht, wie in der Kasseler Ordnung, das Versprechen bestimmten kirchlich-sittlichen Verhaltens);

77 78 79

hingegen Rauls, S. 148: "Es wird kein Gelübde abgelegt, sondern eine Willensentscheidung gefordert." - Die Gewichte sind 1569 übrigens auch richtig verteilt: über die Taufe wird gut 4 Seiten gehandelt (Sehling VI, 1, S. 122 - 126, wobei wieder besonderes Gewicht auf der Tauferinnerung der Gemeinde liegt), über das Abendmahl 6 Seiten (ebd., S. 128 - 134, mit ausdrücklicher Ablehnung der "Calvinisten" und "aller sakramentschwermer", S. 131, unter Rückgriff auf die Ubiquitätslehre), über die Konfirmation gut 2 Seiten. Sehling VI, 2, S. 1122 ff. Ebd., S. 1163. Ebd., Hervorhebung von mir. - Hareide 1971, S. 286 f. verweist nur auf das Fehlen der Handauflegung, nicht auf die unterschiedlichen Fragen in beiden Ordnungen.

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aber das Versprechen ist doch sehr umfangreich und eindrücklich formuliert: "wir versprechen und geloben auch gotte mit ernstem fursatze an, dass wir mit göttlicher hülfe in diesem waren christlichen glauben, den wir itzt bekant haben allzeit bis in unser gruben verharren wollen" 80 , und vollends der Handschlag läßt die Konfirmation einem zweiten Kircheneintritt nahekommen: "darnach sol ordentlich einer nach dem andern J a sagen, und zu Zeugnisse dem prediger die hand darauf geben." 8 1 Zwar wird in der Überschrift nur die Zeremonie anläßlich des Unterrichtsendes und ersten Abendmahlsganges erwähnt, aber die Vermahnung an die Gemeinde hat doch ganz anderen Charakter: "sind sie bereit, durch sich selbst bekentnus ihres glaubens zu thun, und sich Christo dem herrn und seiner kirchen zu ergeben, und dem teufel zu entsagen, welches sie in der heiligen taufe nicht haben weiter thun können."82 Die Formulierung "und seiner kirchen zu ergeben" erinnert stark an die Frage aus der Kasseler Ordnung "...wiltu dich auch in die gemeinschaft und gehorsam der kirchen Christi begeben,...?" 8 3 Die Fortsetzung kommt der Ergänzung der Taufe bedenklich nahe. Wie anders war d a die Hoyaer Frage (s.o.) gewesen, welche das Gelöbnis der Konfirmanden als in der Taufe bereits geschehen ansah! Insofern kann man nicht sagen, hier werde der Akzent allein auf Katechismus und Admissio gelegt. Die kirchenzuchtlichen Elemente und damit der hessische Einfluß sind doch unverkennbar. 8 4 Die in der hannoverschen Landeskirche so einflußreiche Lüneburger Kirchenordnung von 1643as schließlich enthält keine Konfirmationsordnung. Erst 1693 wurde in Lüneburg durch ein Ausschreiben der Celler Regierung die Konfirmation eingeführt. 80 81 82 83 84 85

Sehling V, S. 459. Ebd. Ebd., Hervorhebung von mir. Sehling VIII, I, S. 125 = Rott, S. 55. Gegen Hareide 1971, S. 287 f. Sie gilt in etwa einem Drittel des Sprengeis Calenberg-Hoya, in einigen Gegenden der Sprengel Hildesheim, Göttingen, Stade und Osnabrück sowie im Sprengel Lüneburg selbst (s. Rechtssammlung der Hannoverschen Leindeskirche, 30 - 2, S. 1 - 4). Im Lüneburgischen hatte von 1530 - 1541 Urbanus Rhegius als Pfarrer, später als Landessuperintendent gearbeitet. Wie Gerhard Uhlhorn, Hanno-

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Zweiter Teil: Erfahrungen aus der Vergangenheit

Die Konfirmationsordnung des Ausschreibens entspricht in fast allen Einzelheiten der Wolfenbütteler Ordnung von 1569. Der Anlaß und damit wesentliche Akzent liegt auf der Abendmahlszulassung. (Bisher hatte man in Lüneburg die Kinder schon mit 12 oder 13 Jahren zum Abendmahl zugelassen, seit einer Verfügung von 1658 dann erst mit 15 Jahren die Mädchen, mit 16 Jahren die Jungen 86 ). Aber auch Bekenntnis und Versprechen sind von einiger Bedeutung. Die Konfirmation bedeutet, "daß der Kinder ihre Glaubens-Bekenntniß und Versprechen, welche in ihrem Nahmen bey der heiligen Tauffe durch die Gevattern geschehen, vor der ganzen Christlichen Gemeinde wiederholet, durch das Gebet der Christlichen Kirchen bestätiget, und sie darauf zum heiligen Abendmahl nebst andern Christen zugelassen werden, ,.." 87 . Die Taufe wird also nicht ergänzt, sondern erinnernd angeeignet. Das "wiederholet" meint nichts Neues, sondern eine Vergegenwärtigung des in der Taufe aufgerichteten Bundes, wie zweimal deutlich wird: "Letztlich soll der Superintendens die ... Kinder ... der von ihren TaufFpaten bey ihrer Tauffe für sie gethanen Bekenntniß ... und Angelöbniß dem Teuffei, ... abzusagen und also mit GOtt errichteten Bundes erinnern, und ... befragen, ..." 88 , heißt es bei der Frage an die Konfirmanden. Das Gebet - vielleicht wegen der umständlichen Satzkonstruktion nur als Gebet des Superintendenten erscheinend - bittet Gott um den heiligen Geist für die Kinder, "damit sie den Bund, welchen sie in der heiligen Tauffe mit seiner heiligen Majestät gemachet, getreulich halten, ..." 89 . Die Einmaligkeit der Taufe wird also hier - ähnlich wie in der Hoyaer Ordnung - noch stärker akzentuiert als in der Wolfenbütteler Ordnung. Übernommen sind die deutliche Vermahnung an die Gemeinde, die Formel des Bleibens "in solcher Erkenntnis, Glauben und Bekenntnis," die Handauflegung sowie das Gebet (in wörtlicher Ubereinstimmung!).

86 87 88 89

versehe Kirchengeschichte, S. 58 ff. mitteilt, hat die klare und doch milde Art seines Luthertums (insbesondere die Schrift "formulae caute loquendi", "Wie man fürsichtiglich reden soll") nicht nur Lüneburg, sondern die ganze hannoversche Landeskirche geprägt. Gerhard Uhlhorn, Hannoversche Kirchengeschichte, S. 95 f. Ebhardt 2, S. 148 f. Ebhardt 2, S. 149, Hervorhebung von mir. Ebd., Hervorhebung von mir.

4.

3.

2.

1.

Kirchenordnung | Elemente der Konfirmation | Konflrmator i Zeitpunkt der K. | Sonstiges | Mark Brandenburg - Verhör Ostern und Bischof; Anknüpfung an Abendmahl nicht Kurfürst Joachim - Gebet mit HandaufPfingsten Pfarrer in erwähnt bisherige II. 1540 legung dessen Auftrag Firmung (Sehling III, S. 39-90) Verfasser: Buchholzer, Mattias, Stratner, Witzel - Examen (als Bekenntnis) Ostern, Pfingsten Pfarrer, mit Geist Verleihung gilt nur bis 1588, dann Calenberg-Göttingen "umb des worts gilt Ordnung 3. Einsegnung Herzogin Elisabeth - Handauflegung Superintendent u. Weihnachten mit Bucers Formel "Nimm hin und gebets willen 1542 (Sehling VI, - Gebet u. Kollegen den heiligen Geist..." der Kirchen" 2, S. 708-743) - Abendmahlszulassung Verfasser: Corvin - Verhör 1 Mal pro Jahr Superintendent Eltern, Paten gilt seit 1588 auch in CalenbergBraunschweiganläßlich der u. Gemeinde Göttingen, darum "Calenberger" Wolfenbüttel - Abendmahlszulassung Visitation Kirchenordnung genannt. besonders Herzog Julius 1569 - Bekenntnis mit "JA" Einsegnung mit aaronitischem berücksichtigt (Sehling VI, 1, (-Handauflegung) Segen S. 83-280) Verfasser: - Gebet Chemnitz, Andreae - Examen 2 Mal pro Jahr: Pastor oder 1. Abendmahlsgang getrennt: Vielfalt Lauenburg Herzog - Bekenntnis Quasimodogeniti Superintendent 1 Woche später Franz II. 1585 Gelübde mit und Sonntag vor (Sehling V, S. 379-460) persönl. "JA" und Michaelis Verfasser: Handschlag Pouchenius - Gebet - Abendmahlszulassung - Examen als Bekenntis Lüneburg: Superintendent, 1 Mal alle 3 Jahre die Lüneburger Kirchenordnung Bekenntnis u. Ausschreiben der - Versprechen anläßlich der notfalls Pastor Versprechen von 1643 sieht die fürstl. Regierung Visitation zu Ostern Konfirmation nicht vor. in dessen Auftrag - Gebet m. Handauflegung Celle 1693 od. Pfingsten unter - Abendmahlszulassung Heranziehung d. (Abendmahlsgang (Ebhard 2, S. 147-150) Nachbargemeinden. 1 Woche später) Konf. sollen 15 J. od. älter sein

1. Die Vorgeschichte

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