Wohnungsgenossenschaften: Potenziale und Perspektiven. Bericht der Expertenkommission Wohnungsgenossenschaften. Hrsg. vom Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen / Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung [1 ed.] 9783428515813, 9783428115815

Anliegen des vorliegenden Bandes ist es, die heutige Situation der Wohnungsgenossenschaften in Deutschland zu analysiere

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Wohnungsgenossenschaften: Potenziale und Perspektiven. Bericht der Expertenkommission Wohnungsgenossenschaften. Hrsg. vom Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen / Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung [1 ed.]
 9783428515813, 9783428115815

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Wohnungsgenossenschaften- Potenziale und Perspektiven

Wohnungsgenossenschaften Potenziale und Perspektiven

Bericht der Expertenkommission Wohnungsgenossenschaften

Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten © 2004 Duncker & Humblot GmbH, Berlin ISBN 3-428-11581-3 Internet: http://www.duncker-humblot.de Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 Erwerben 50 ° von Mttgliedern genutzt werden und Betre•und ben (tm Zu· sammenhang • wenn stch kem anderer Betretber finm1t ob1ger det oder wenn em anderer Betre1ber Tattgkett) d1ese Objekte ntchtl nur unter erhebh · chen Schw1engke1ten nutzen kann

2.2.2.2 Ermittlung des Gewinns Der Gewinn oder Verlust einer Genossenschaft wird nach den gleichen Grundsätzen durch eine Bilanz ermittelt wie der Gewinn einer Kapitalgesellschaft. Abweichend werden jedoch die auf Geschäftsguthaben gezahlten Zinsen nicht als betrieblich veranlasste Aufwendungen abgezogen, während Rückvergütungen aus Mitgliedergeschäften als betrieblich veranlasste Aufwendungen abzuziehen sind.

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Durch das Flutopfersolidaritätsgesetz (BGBI. 2002 I S. 3651) wurde nicht nur die nächste Stufe der Steuerreform um ein Jahr auf 2004 verschoben. Es wurde auch die vorübergehende Erhöhung des Körperschaftsteuersatzes von 25 auf 26,5% beschlossen .

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Ermittlung des Steuerbilanzgewinns (wie bei Kapitalgesellschaften) ./. genossenschaftliche Rückvergütung aus Mitgliedergeschäften + Zinsen auf Geschäftsguthaben Einkommen (Gewinn/Verlust) der Genossenschaft Rückvergütungen an Genossen (vgl. § 22 KStG) können als betrieblich veranlasste Aufwendungen den Gewinn mindern, wenn sie zuvor in Mitgliedergeschäften erwirtschaftet wurden, an die Genossen ausgezahlt werden und auf einem satzungsmäßigen Anspruch beziehungsweise auf einem Beschluss der Generalversammlung beruhen. Die genossenschaftliche Rückvergütung muss dem Genossen tatsächlich ausgezahlt werden beziehungsweise muss ihm eine Gutschrift erteilt werden, über die er jederzeit nach eigenem Ermessen verfügen darf. Die Auszahlung beziehungsweise die Gutschrift muss grundsätzlich bis spätestens zwölf Monate nach Ende des Wirtschaftsjahres erfolgen. Die Frist kann vom Finanzamt verlängert werden. Wenn eine Auszahlung beziehungsweise Gutschrift nicht innerhalb der Frist erfolgt, kann die Rückvergütung nicht als betriebliche Aufwendung berücksichtigt werden. Die an Genossen ausgezahlte Rückvergütung ist nicht immer in voller Höhe eine betrieblich veranlasste Aufwendung. Um die Höhe des betrieblich veranlassten Anteils einer Rückvergütung zu ermitteln, muss in einem ersten Schritt der Anteil des Gewinns der Genossenschaft ermittelt werden, der überhaupt an die Mitglieder vergütet werden kann (rückvergütbarer Überschuss) . ln einem zweiten Schritt ist derTeil des rückvergütbaren Überschusses zu ermitteln, der in Geschäften mit Mitgliedern erwirtschaftet wurde.

2.2.2.3

Eingeschränkte Verlustverrechnung gemäߧ 13 Abs. 3 Sätze 2 bis 11 KStG Wohnungsgenossenschaften, die aufgrund der gesetzlichen Neuregelung die Steuerfreiheit nicht mehr in Anspruch nahmen, mussten nach § 13 KStG auf den ersten Tag des Wirtschaftsjahres, für das die Steuerfreiheit entfallen ist, eine steuerliche Anfangsbilanz aufstellen und darin die Wirtschaftsgüter (insbesondere Gebäude) mit den Teilwerten (entsprechen grundsätzlich den Verkehrswerten) ansetzen, damit die stillen Reserven aufgedeckt werden. Zweck der Regelung ist es, die während des Bestehens der Steuerfreiheit entstandenen stillen Reserven nach Eintritt der Steuerpflicht von der Besteuerung auszunehmen. Die so ermittelten Bilanzansätze in der Anfangsbilanz sind in den Folgejahren fortzuführen. Von den Teilwerten sind die gesetzlichen Abschreibungen vorzunehmen. Zu beachten ist hierbei jedoch, dass § 13 Abs. 3 Sätze 2 bis 8 KStG im Verlustfalle die AfA für Gebäude oder Gebäudeteile im Rahmen der steuerlichen Gewinnermittlung zunächst nur von den ursprünglichen Anschaffungskasten/Herstellungskosten und nicht von dem Teilwert zulässt. ln Höhe des Unterschiedsbetrages zwischen der AfA vom Ausgangswert und der AfA nach den bis zum Zeitpunkt des Beginns der Steuerpflicht entstandenen Anschaffungs- oder Herstellungskosten ist der Abschreibungsverlust nicht mit anderen Einkünften aus Gewerbebetrieb ausgleichsfähig und auch

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nicht nach § 10d EStG abziehbar. Nur der übersteigende Verlust kann zunächst mit den anderen Einkünften verrechnet werden. Der nicht ausgleichsfähige und nicht abzugsfähige Abschreibungsverlust kann durch Investitionen in einen ausgleichsfähigen und abzugsfähigen Verlust umgewandelt werden. Dabei beträgt das begünstigte Investitionsvolumen das Doppelte der im Wirtschaftsjahr anfallenden aktivierungspflichtigen Aufwendungen für die zum gesamten Anlagevermögen des Wohnungsunternehmens gehörenden abnutzbaren unbeweglichen Wirtschaftsgüter (vgl. § 13 Abs. 3 Satz 4 KStG). Ist das Investitionsvolumen größer als der nicht ausgleichsfähige und nicht abzugsfähige Abschreibungsverlust, so erhöht der übersteigende Teil zunächst das Investitionsvolumen des Vorjahres maximal in Höhe des dort nicht ausgleichsfähigen und nicht abzugsfähigen Abschreibungsverlusts. Ein danach noch nicht verbrauchtes Investitionsvolumen wird ohne zeitliche Begrenzung auf die Folgejahre vorgetragen (Vortragsvolumen) und erhöht somit das begünstigte Investitionsvolumen der späteren Wirtschaftsjahre (§ 13 Abs. 4 Satz 5 KStG). Ist der nicht ausgleichsfähige und nicht abzugsfähige Abschreibungsverlust durch das Investitionsvolumen noch nicht in voller Höhe in einen ausgleichsfähigen und abzugsfähigen Verlust umgewandelt, so mindert er nach § 13 Abs . 3 Satz 6 KStG den Gewinn aus Vermietung und Verpachtung von Gebäuden und Gebäudeteilen (Mietgewinn) im laufenden Wirtschaftsjahr und, soweit er hier nicht berücksichtigt werden kann, die Mietgewinne späterer Jahre. Der Mietgewinn ergibt sich als saldierter Betrag aus der gesamten Vermietungstätigkeit des Wohnungsunternehmens, korrigiert um den nicht ausgleichsfähigen und nicht abziehbaren Abschreibungsverlust des laufenden Wirtschaftsjahres. Da der Ansatz der Teilwerte in der steuerlichen Eröffnungsbilanz der ehemals steuerbefreiten Wohnungsunternehmen zu einer steuerlichen Mehrabschreibung führt, haben die Wohnungsunternehmen trotz guter Konjunkturlage in diesem Bereich für längere Zeit keine Ertragsteuerbelastung. Mit der ergänzenden Regelung des § 13 Abs . 3 Satz 9 KStG soll verhindert werden, dass Verluste aus der Wohnungsvermietung ehemals gemeinnütziger Wohnungsunternehmen, soweit sie auf Abschreibungen von den hohen Teilwerten beruhen, von anderen Unternehmen berücksichtigt werden, mit denen sie konzernrechtlich verbunden sind. Im Einzelnen stellt die Norm sicher, dass hohe Verluste aus der Teilwert-AfA im Rahmen einer Organschaft (Konzern) von der Organgesellschaft (Wohnungsunternehmen) nicht an den Organträger (Muttergesellschaft) weitergereicht werden können. Zur Vermeidung von Umgehungen wird die Geltendmachung von Verlusten auch in den Fällen der unentgeltlichen oder teilentgeltlichen Rechtsnachfolge und in den vergleichbaren Fällen der Vermögensübertragung nach dem UmwStG ausgeschlossen. Soweit Gebäude oder Gebäudeteile eines ehemals gemeinnützigen Wohnungsunternehmens oder eines diesem nach § 13 Abs. 3 Satz 9 KStG gleichgestellten Rechtsträgers, die in der Anfangsbilanz des Wohnungsunternehmens mit dem Teilwert angesetzt worden sind, entgeltlich und in besagten Fällen der Vermögensübertragung nicht zum Buchwert, sondern

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zu einem darüber liegenden Wert an andere ehemals gemeinnützige Wohnungsunternehmen oder Rechtsträger nach § 13 Abs. 3 Satz 9 KStG übertragen werden, gilt nach§ 13 Abs. 3 Satz 10 KStG als Veräußerungsgewinn der Unterschiedsbetrag zwischen dem Veräußerungspreis nach Abzug der Veräußerungskosten und dem Wert, der sich für das Gebäude oder den Gebäudeteil im Zeitpunkt der Veräußerung aus dem Ansatz mit den steuerlichen Anschaffungs- oder Herstellungskosten, vermindert um die AfA nach § 7 EStG, ergibt. Bei Veräußerung des Grundbesitzes an bestimmte Unternehmen innerhalb der Wohnungswirtschaft oder im Konzernverbund werden also die während der Steuerfreiheit begründeten und durch den Teilwertansatz steuerneutral aufgedeckten stillen Reserven einer Nachversteuerung unterzogen.

2.2.2.4 Substanzsteuern Nach§ 3 Abs. 1 Nr. 13 VStG wurden Wohnungsgenossenschaften im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 10 KStG von der Vermögensteuer befreit. Hingegen findet das Grundsteuergesetz ohne Einschränkung Anwendung auf Wohnungsgenossenschaften. 2.2.2.5 Umsatzsteuer Obwohl Wohnungsgenossenschaften als Unternehmen im Sinne des § 2 Abs. 1 UStG steuerbare Umsätze (§ 1 UStG) ausführen, sind ihre Umsätze gemäߧ 4 Nr. 12 UStG dann steuerbefreit, wenn und soweit es um die Vermietung und die Verpachtung von Grundstücken, von Berechtigungen, für welche die Vorschriften des bürgerlichen Rechts über Grundstücke gelten, und von staatlichen Hoheitsrechten, die Nutzungen von Grund und Boden betreffen, geht. Ferner ist die Überlassung von Grundstücken und Grundstücksteilen zur Nutzung aufgrund eines auf Übertragung des Eigentums gerichteten Vertrags oder Vorvertrags und die Bestellung, die Übertragung und die Überlassung der Ausübung von dinglichen Nutzungsrechten an Grundstücken umsatzsteuerbefreit Nicht befreit sind die Vermietung von Wohnund Schlafräumen, die ein Unternehmer zur kurzfristigen Seherbergung von Fremden bereithält, die Vermietung von Plätzen für das Abstellen von Fahrzeugen, die kurzfristige Vermietung auf Campingplätzen und die Vermietung und die Verpachtung von Maschinen und sonstigen Vorrichtungen aller Art, die zu einer Betriebsanlage gehören (Betriebsvorrichtungen) , auch wenn sie wesentliche Bestandteile eines Grundstücks sind. Zu beachten ist, dass Wohnungsgenossenschaften nach § 9 UStG unter bestimmten Voraussetzungen auf die Steuerbefreiung verzichten können . Dies wird etwa bei Vorsteuerüberhängen sinnvoll sein. 2.2.2.6 Grunderwerbsteuer § 1 Abs. 1 GrEStG erfasst Eigentumswechsel an Grundstücken sowohl durch Kaufvertrag als auch durch sonstige Erwerbsvorgänge (etwa Verschmelzung durch Aufnahme, §§ 4 bis 35 UmwG) . Das Grunderwerbsteuergesetz sieht außer in § 4 Nr. 7 GrEStG (Zuordnung nach Wohnungsgenossenschafts-Vermögensgesetz) keine weitreichenden Befreiungstatbestände für Erwerbs-

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vorgänge durch Wohnungsgenossenschaften vor. Bei einer Verschmelzung durch Aufnahme werden nur die auf den übernehmenden Rechtsträger übergehenden Grundstücke des übertragenden Rechtsträgers erfasst; hinsichtlich der Grundstücke des übernehmenden Rechtsträgers liegt hingegen kein grunderwerbsteuerbarer Vorgang vor. Anders liegt der Fall bei einer Verschmelzung durch Neugründung. Hier sind alle Grundstücke grunderwerbsteuerbar. Die Steuer schulden im Regelfall Veräußerer und Erwerber als Gesamtschuldner (§ 13 GrEStG) . Das Finanzamt hält sich zunächst an diejenige Person, die vertraglich die Steuer trägt, in der Regel somit an den Käufer. Die Steuer wird innerhalb eines Monats nach Zustellung des Bescheids fällig (§ 15 GrEStG) . Als Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer werden nach§ 8 Abs. 2 Nr. 2 GrEStG die Grundbesitzwerte im Sinne des§ 138 Abs. 2 oder 3 BewG herangezogen. Der Steuersatz beträgt 3,5%. Im Hinblick darauf, dass zahlreiche Wohnungsgenossenschaften aus betriebswirtschaftliehen Gründen fusionieren müssten, stellt die Grunderwerbsteuer wegen des umfangreichen Grundbesitzes bei Wohnungsgenossenschaften zum Teil ein unüberwindbares Kostenhindernis dar. Verfassungsrechtlich bedenklich ist daran, dass in den grunderwerbsteuerbaren Umwandlungen 24 keine besondere Leistungsfähigkeit zum Ausdruck kommt, da es an einem externen Liquiditätszufluss fehlt. Es ist aber nach Ansicht des BVerfG ein "grundsätzliches Gebot der Steuergerechtigkeit, dass die Besteuerung nach der (wirtschaftlichen) Leistungsfähigkeit ausgerichtet wird"25 • Wenn für ein Grundstück nichts aufgewendet worden ist, kann -so ließe sich argumentieren- auch keine Grunderwerbsteuer erhoben werden.26 Indem der Steuerträger unabhängig von seinen persönlichen wirtschaftlichen Verhältnissen allein nach "vermuteter Leistungsfähigkeit" erfasst wird, liegt -so könnte man weiter argumentieren -ein nicht zu rechtfertigender Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG vor.27 Verfassungsrechtlich bedenklich erscheint ferner die unterschiedliche grunderwerbsteuerliche Behandlung der formwechselnden und der übertragenden Umwandlungen. Während der Formwechsel im Sinne der §§ 190 ff. UmwG nach einhelliger Ansicht selbst dann nicht grunderwerbsteuerpflichtig ist, wenn eine Personengesellschaft in eine Kapitalgesellschaft und umgekehrt umgewandelt wird (so genannter heterogener Formwechsel), unterliegen die übertragenden Umwandlungen der Grunderwerbsteuer. Die unterschiedlichen Rechtstechniken, denen die formwechselnde und die übertragende Umwandlung folgen, rechtfertigen - gemessen am allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs . 1 GG)- schwerlich unterschiedliche steuerrechtliche Folgerungen, da auch der Formwechsel juristischer Personen als ein Rechtsträgerwechsel vorstellbar ist. 28• 29 24 25 26 27 28 29

Hierzu zählen die Verschmelzung(§§ 4 bis 122 UmwG), die Spaltungsvorgänge der §§ 123 ff. UmwG sowie die Vermögensübertragung (§§ 174 bis 189 UmwG) . Vgl. NJW 1977, 241 . Vgl. Reiß, in : Tipke/Lang, 2002, § 15 Rn . 39. Vgl. Kirchhof, S. 25 f. Vgl. So Zöllner, ZGR 1993, S. 334 (336 f.). Vgl. Fischer, in : Boruttau, GrEStG, § 1 Rn. 522.

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2.2.2.7 Förderung durch § 17 Eigenheimzulagengesetz Neben dem Bau, Erwerb, Ausbau oder der Erweiterung einer Wohnung wird nach dem Eigenheimzulagengesetz auch der Erwerb von Genossenschaftsanteilen gefördert(§ 17 EigZuiG) . Seit 1996 erhalten danach auch Mitglieder von neu gegründeten, eigentumsorientierten Wohnungsbaugenossenschaften für den Erwerb von Geschäftsanteilen eine Eigenheimzulage. Nach dem Gesetzeswortlaut muss es sich um eine Wohnungsbaugenossenschaft handeln, die nach dem 01.01 .1995 in das Genossenschaftsregister eingetragen worden ist und deren Satzung dem nach dem Eigenheimzulagengesetz geförderten Genossenschaftsmitglied ein unwiderrufliches und vererbliches Recht auf Erwerb des Eigentums an der von ihm bewohnten Genassenschaftswohnung einräumt. Es genügt, dass das Recht auf Eigentumserwerb ausgeübt werden kann , wenn die Mehrheit der in einem Gebäude wohnenden Genossenschaftsmitglieder der Bildung und Übertragung von Wohneigentum schriftlich zugestimmt hat. Das satzungsmäßige Erfordernis eines einstimmigen Beschlusses ist nicht zulässig. Die Begründung von Wohneigentum und die Veräußerung der Wohnungen darf auch nicht für eine bestimmte Zeit ausgeschlossen sein. Um Beteiligungen an Genossenschaften, deren Geschäftstätigkeit sich auf die Anlage des ihnen von den Mitgliedern überlassenen Kapitals beschränkt, von der Förderung auszuschließen, hat die Finanzverwaltung die Anforderungen an Satzung und Geschäftstätigkeit der Genossenschaft verschärft. 30 Sofern bei Gründung der Genossenschaft noch kein Wohnungsbestand vorhanden ist, muss ihr Handeln über den Wortlaut des§ 17 EigZuiG hinaus auf die Herstellung oder Anschaffung von Wohnungen ausgerichtet sein. Nach Auffassung der Finanzverwaltung ist das Handeln der Genossenschaft nur dann auf die Herstellung oder Anschaffung von Wohnungen ausgerichtet, wenn mehr als zwei Drittel des Geschäftsguthabens der Genossen zu wohnungswirtschaftlichen Zwecken verwandt werden. Die Genossenschaft muss zudem die später errichteten Wohnungen überwiegend Genossenschaftsmitgliedern überlassen. Der Anspruchsberechtigte kann die Eigenheimzulage beanspruchen, wenn er Geschäftsanteile an einer Genossenschaft in Höhe von mindestens 5.113,- € (bei einem Beitritt nach dem 31.12.2003: 5.000,- €) anschafft. Die Finanzverwaltung legt dieses Tatbestandsmerkmal im Sinne der Beteiligung mit Geschäftsanteilen aus. Der Anspruchsberechtigte beteiligt sich mit Geschäftsanteilen, indem er Gründungsmitglied der Genossenschaft wird , nach Gründung der Genossenschaft beitritt oder weitere Geschäftsanteile übernimmt. Der Beitritt erfolgt durch schriftliche Beitrittserklärung des künftigen Genossen und Zulassung durch die Genossenschaft(§ 15 GenG) . Die Beteiligung mit weiteren Geschäftsanteilen wird wie die erstmalige Beteiligung mit Zulassung durch die Genossenschaft wirksam(§ 15b GenG) . Lange Zeit war streitig, ob die Inanspruchnahme der Eigenheimzulage zur Voraussetzung hat, dass das Genossenschaftsmitglied eine Genassenschaftswohnung bewohnt. Nach Auffassung der Finanzverwaltung sollte 30

Vgl. BMF, Schreiben vom 10.02.1998, BStBI. 11998, S. 190.

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der Genosse die Zulage zwar zunächst auch dann erhalten, wenn ihm die Genossenschaft in den ersten Jahren des Förderzeitraums noch keine Wohnung überlässt beziehungsweise mangels Wohnungsbestandes überlassen kann . Bezog der Anspruchsberechtigte aber nicht spätestens im letzten Jahr des Förderzeitraums eine Genossenschaftswohnung, sollte das Finanzamt die Zulage zurückfordern dürfen. Weite Teile des Schrifttums und verschiedene Finanzgerichte hielten die Verwaltungsauffassung für nicht mit dem Gesetz vereinbar. Der BFH hat hierzu jüngsP1 entschieden, dass die Selbstnutzung einer Genossenschaftswohnung nicht Anspruchsvoraussetzung für § 17 EigZuiG ist. Die Finanzverwaltung 12 hat sich entschlossen, das Urteil über den entschiedenen Einzelfall hinaus anzuwenden. Hat das Finanzamt die Festsetzung der Eigenheimzulage bestandskräftig abgelehnt, kann der Anspruchsberechtigte einen Antrag auf Neufestlegung mit Wirkung ab 2002 stellen . Nach dem Haushaltsbegleitgesetz 2004 setzt die Inanspruchnahme der Eigenheimzulage bei einem nach dem 31 .12.2003 erfolgten Beitritt zur Genossenschaft nunmehr von Gesetzes wegen voraus, dass der Anspruchsberechtigte spätestens im letzten Jahr des Förderzeitraums mit der Nutzung einer Genossenschaftswohnung zu eigenen Wohnzwecken beginnt (§ 17 Satz 1 EigZuiG neue Fassung) . Das Genossenschaftsmitglied kann die Zulage nur für die Jahre des Förderzeitraums in Anspruch nehmen, in denen es die Genossenschaftsanteile innehat(§ 17 Satz 4 EigZuiG). Mit dieser Gesetzesformulierung soll zum Ausdruck gebracht werden , dass der Anspruchsberechtigte die Förderung nur für die Jahre beanspruchen kann , in denen seine Mitgliedschaft in der Genossenschaft besteht. Die Mitgliedschaft endet zum Beispiel durch Kündigung , Übertragung des Geschäftsguthabens auf ein anderes Genossenschaftsmitglied oder Ausschluss . Jeder Anspruchsberechtigte kann die Zulage nur einmal im Leben für die Anschaffung von Geschäftsanteilen an einer Genossenschaft in Anspruch nehmen. Auch Ehegatten können die Genossenschaftsförderung daher- anders als bei Herstellung oder Anschaffung einer Wohnung - nur erhalten, wenn sie beide Geschäftsanteile an einer Genossenschaft erwerben. Die Förderung des Erwerbs von Geschäftsanteilen an einer Genossenschaft wird unabhängig von der Eigenheimzulage für die Herstellung oder Anschaffung einer zu eigenen Wohnzwecken genutzten Wohnung oder für einen Ausbau oder eine Erweiterung gewährt. Sie ist also nicht auf die Objektbeschränkung nach § 6 EigZuiG anzurechnen. Da es sich um eine zusätzliche Vergünstigung handelt, kann sie auch beansprucht werden , wenn bereits Objektverbrauch nach§ 6 EigZuiG , § 7b EStG oder§ 10e EStG eingetreten ist. Selbst eine gleichzeitige Inanspruchnahme beider Förderungen ist nicht ausgeschlossen. Nach § 9 Abs. 2 Satz 4 (Satz 3 neue Fassung) und Abs. 5 Satz 6 EigZuiG wird allerdings die für den Erwerb der Geschäftsanteile gewährte Förderung (einschließlich Kinderzulage) betragsmäßig auf die Eigenheimzulage für die hergestellte oder angeschaffte Wohnung angerechnet. Nach Auffassung 31 32

BSIBI. II 2002 S. 274. Vgl. BMF·Schreiben vom 10.04.2002, BStBI. I 2002, S. 525.

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der Finanzverwaltung soll eine Anrechnung selbst dann erfolgen, wenn der Anspruchsberechtigte zuerst eine zulagenbegünstigte Wohnung hergestellt oder angeschafft hat und dann einer Genossenschaft beitritt. Von einer Anrechnung verschont bleiben nur anspruchsberechtigte Genossenschaftsmitglieder, die bereits die Steuervergünstigung nach§ 7b EStG oder§ 10e EStG ausgeschöpft haben. Die Anrechnung erfolgt jeweils nach den entsprechenden Jahren des Förderzeitraums. Das bedeutet: der für die zulagenbegünstigte Wohnung zu gewährende oder bereits gewährte Fördergrundbetrag für das erste Förderjahr ist um den Zulagenbetrag zu mindern, den der Anspruchsberechtigte für das erste Förderjahr für den Erwerb der Genossenschaftsanteile erhält oder erhalten hat. Für die Folgejahre ist entsprechend zu verfahren . Die Kinderzulage ist ebenfalls nach diesem Schema anzurechnen. Bei Ehegatten kann nur eine personenbezogene Anrechnung vorgenommen werden . Zusammenlebende Ehegatten, die Miteigentümer einer Wohnung sind, haben daher nur insoweit eine Kürzung der Eigenheimzulage für die Wohnung hinzunehmen, als sie auf den Ehegatten entfällt, der die Genossenschaftsförderung in Anspruch genommen hat. Der Förderzeitraum beträgt wie bei Herstellung oder Anschaffung einer Wohnung acht Jahre. Er beginnt mit dem Jahr der Beitrittszulassung und endet im siebten darauf folgenden Jahr. Dies gilt zum Beispiel auch, wenn der Anspruchsberechtigte im Jahr der Beitrittszulassung noch keine Zulage erhält, weil er noch keine Einzahlung auf seine Geschäftsanteile vorgenommen hat. Bemessungsgrundlage für den Fördergrundbetrag nach § 17 EigZuiG ist die tatsächlich auf die begünstigten Geschäftsanteile geleistete, nicht die geschuldete Einlage. Hat der Anspruchsberechtigte zunächst nur die von der Genossenschaftssatzung geforderte Pflichteinzahlung auf seine Geschäftsanteile erbracht, bildet daher auch nur diese die Bemessungsgrundlage. Leistet der Anspruchsberechtigte sukzessiv (bis zum Ende des Förderzeitraums) Einzahlungen auf die Einlage, erhöht sich die Bemessungsgrundlage vom Jahr der Leistung an. Zuschüsse aus öffentlichen oder privaten Mitteln für den Erwerb von Geschäftsanteilen an einer Genossenschaft mindern die Bemessungsgrundlage ab dem Jahr ihrer Bewilligung. Die Zulage für den Erwerb von Geschäftsanteilen an einer Genossenschaft umfasst wie die Eigenheimzulage für die Herstellung oder Anschaffung einer zu eigenen Wohnzwecken genutzten Wohnung den Fördergrundbetrag nach § 17 Satz 4 EigZuiG und die Kinderzulage nach § 17 Satz 5 EigZuiG. Der Fördergrundbetrag beträgt jährlich 3% der Bemessungsgrundlage, höchstens 1.227 € (bei einem Beitritt nach dem 31 .12.2003: 1.200 €) . Damit sind höchstens förderfähig die Kosten für den Erwerb von Geschäftsanteilen in Höhe von 40.900 (40.000) € (Höchstbemessungsgrenze) . Das anspruchsberechtigte Genossenschaftsmitglied kann wie ein Bauherr oder Erwerberauch eine Kinderzulage erhalten. Sie beträgt jedoch nicht wie bei Herstellung oder Anschaffung einer Wohnung 767 € beziehungsweise 800 €, sondern lediglich 256 € (bei einem Beitritt nach dem 31 .12.2003: 250)

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für jedes Kind, für das der Anspruchsberechtigte Kindergeld oder einen Kinderfreibetrag erhält und das zu seinem Haushalt gehört. Elternteile, die bis zum 31 .12.1998 einer Genossenschaft beigetreten sind, konnten jeweils die volle Kinderzulage für ein gemeinsames Kind beanspruchen. Mit dem Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 hat der Gesetzgeber diese Überförderung abgestellt. Verheiratete oder nicht verheiratete Elternteile, die einer Genossenschaft seit dem 01 .01.1999 beigetreten sind, erhalten entsprechend der Regelung bei der Eigenheimförderung Kinderzulage für ein gemeinsames Kind jeweils nur zur Hälfte. Zur Vermeidung einer Überförderung darf auch bei der Genossenschaftsförderung die Summe der gezahlten Fördergrundbeträge und Kinderzulagen die Bemessungsgrundlage nach § 17 Satz 3 EigZuiG nicht überschreiten.

2.2.2.8

Ebene der Mitglieder

Das Hauptrecht des Mitglieds aus seiner Zugehörigkeit zu einer Genossenschaft besteht in der Beteiligung an den geschäftlichen Einrichtungen der Genossenschaft, bei einem Wohnungsgenossen in seinem Dauernutzungsrecht. Gewinnanteile (Zinsen oder Dividenden) aus einer Genossenschaft sind, soweit die Beteiligung nicht zu einem Betriebsvermögen gehört, Einkünfte aus Kapitalvermögen (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG) . Bei Auszahlung oder Gutschrift des Gewinnanteils hat die Genossenschaft gemäß § 43 Abs. 1 Nr. 1 EStG den Steuerabzug vom Kapitalertrag vorzunehmen, der nach § 43a EStG 20% des Gewinnanteils beträgt. Nach § 36 Abs. 2 EStG wird jedoch die von der Genossenschaft einbehaltene und an das Finanzamt abgeführte Kapitalertragsteuer auf die Einkommensteuer des Mitglieds angerechnet. Mit Ausschüttung erzielt der Anteilseigner einkommensteuerpflichtige Einkünfte, die das Problem der Doppelbelastung dieser Gewinne mit Ertragsteuern hervorrufen. Bis Ende 2000 wurde die Doppelbesteuerung dadurch vermieden, dass Gewinnausschüttungen auf der Ebene der Gesellschafter unter Anrechnung der von der Kapitalgesellschaft auf diese Gewinnausschüttungen erhobenen Körperschaftsteuer besteuert wurden . Die endgültige Steuerbelastung hing damit von der persönlichen Steuerbelastung des einzelnen Mitglieds im Zeitpunkt der Gewinnausschüttung ab. Seit dem 01 .01 .2001 werden Gewinne von Kapitalgesellschaften nunmehr einmalig einer Definitivsteuer von 25% unterworfen. Der nach Abzug der Definitivsteuer und des darauf entfallenden Solidaritätszuschlags zur Verfügung stehende Gewinn wird im Ausschüttungsfall auf der Ebene des Genossen nochmals besteuert, allerdings unter pauschaler Berücksichtigung der Definitivsteuer (so genanntes Halbeinkünfteverfahren). Dies geschieht in der Weise, dass die von der Kapitalgesellschaft bezogenen Gewinnausschüttungen und welche diesen gleichzusetzenden Vermögensmehrungen künftig nur in Höhe von 50% der Einnahmen besteuert werden (§ 3 Nr. 40 EStG) . Die mit den Einnahmen im Zusammenhang stehenden Ausgaben können korrespondierend nur zur Hälfte abgezogen werden (§ 3c Abs. 2 EStG) . Der steuerfreie Teil der Gewinnausschüttungen und Vermögensmehrungen unterliegt nicht dem Progressionsvorbehalt

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Für Genossenschaften gilt schließlich ein vereinfachtes Vergütungsverfahren für all die Fälle, in denen die Gewinnausschüttung (Dividende) je Mitglied im Geschäftsjahr 51 € nicht übersteigt. Gegebenenfalls kann die Genossenschaft in Vertretung Sammalanträge auf Vergütung der anrechenbaren Kapitalertragsteuer stellen , ohne dass es der Vorlage einer Nichtveranlagungs-Bescheinigung bedarf und ohne Rücksicht darauf, ob das einzelne Mitglied veranlagt wird oder nicht (vgl. §§ 45b Abs . 2, 45c EStG) .

2.2.3

Besteuerungsvergleich mit anderen Formen der Wohnraumversorgung

Ein Vergleich des genossenschaftlichen Wohnens mit den anderen Formen der Wohnraumversorgung (selbst genutztes Eigentum, Miete) muss von den dargestellten steuerlichen Privilegien für Wohnungsgenossenschaften ausgehen. Abgesehen von diesen Sonderregelungen finden auf alle drei Formen die gleichen allgemeinen steuerrechtliehen Rahmenbedingungen Anwendung. Das Wohnen zur Miete hat keine besonderen steuerlichen Auswirkungen. Aufwendungen für den Unterhalt einer Wohnung sind nicht abzugsfähige Lebensführungskosten, wenn die Wohnung den Mittelpunkt der Lebensführung darstellt (vgl. § 12 Nr. 1 EStG). Etwas anderes kann nur gelten, wenn aus Gründen der Einkunftserzielung Aufwendungen für das Wohnen an einem anderen Ort anfallen, der von dem Ort des Mittelpunkts der Lebensführung entfernt ist (zum Beispiel Dienstreise oder doppelte Haushaltsführung) . Das Wohnen im selbst genutzten Eigentum hat lediglich die steuerrechtliehe Förderung durch das Eigenheimzulagengesetz zur Folge. Weitere steuerliche Folgen können nur dann entstehen, wenn das Wohneigentum fremd vermietet wird . Insoweit erzielt der Vermieter Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, die der Einkommensteuer unterliegen (§ 21 EStG). Es handelt sich um eine Einkunftsart im Bereich des Privatvermögens, bei welcher der Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten erfasst wird . Zum Privatvermögen gehörende Mietwohngebäude, aber auch vermietete Eigentumswohnungen können im Rahmen der Werbungskosten (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 7 EStG) abgeschrieben werden, soweit sie vermietet oder dazu nachweislich bestimmt sind. Dabei werden die Anschaffungs- beziehungsweise Herstellungskosten des Gebäudes oder selbstständigen Gebäudeteils (§ 7 Abs. 5a EStG), nicht aber des Grund und Bodens, auf die Nutzungsdauer des Objekts verteilt. Es gibt verschiedene Arten der Abschreibung, außerdem erhöhte Abschreibungen und Sonderabschreibungen, unter Umständen auch nach dem Fördergebietsgesetz. Aus steuerrechtlicher Sicht sind daneben Förderungen durch das Wohnungsbau-Prämiengesetz und das Investitionszulagengesetz beachtlich. Im Bereich der gewerblichen Vermietung durch Kapitalgesellschaften liegt ein erheblicher Gegensatz zu Genossenschaften darin, dass genossenschaftliche Rückvergütungen als Betriebsausgaben steuerlich abziehbar sind, während bei vermietenden Kapitalgesellschaften Gewinnverwendungen

Internationale Entwicklungen

nach § 8 Abs. 3 Satz 1 KStG den Gewinn nicht mindern dürfen. Der BFH 33 sieht die unterschiedliche Behandlung aber dadurch als gerechtfertigt an , dass die Genossenschaften wirtschaftlich gesehen eine Hilfstunktion für die gewerbliche Betätigung ihrer Mitglieder ausüben und sich ihrer Struktur und ihrem Wesen nach wesentlich von Kapitalgesellschaften unterscheiden. Der Steuergesetzgeber will die Genossenschaften nicht wie Kapitalgesellschaften besteuern, weil die Genossenschaft auf bestimmte Zwecke ausgerichtet ist, während die Kapitalgesellschaften jeden Zweck verfolgen können, insbesondere aber, weil nicht die Förderung wirtschaftlicher Zwecke schlechthin, sondern die Förderung des Erwerbs oder der Wirtschaft der Mitglieder mittels gemeinschaftlichen Geschäftsbetriebs das Ziel der Genossenschaft ist. Der Geschäftsbetrieb ist nicht auf die Erzielung von Gewinnen, sondern auf die Vermittlung von Ersparnissen für die Mitglieder der Genossenschaft, die zugleich ihre Kunden sind, gerichtet. Die Überschüsse, die durch den gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb erzielt werden, sind deshalb dem Genossenschaftsgedanken gemäß nicht als Gewinne im kapitalistischen Sinne, sondern als Ersparnisse anzusehen.

2.3

Internationale Entwicklungen

2.3.1

Einleitung

Das Kapitel soll dazu dienen, aktuelle internationale Entwicklungen, insbesondere auf europäischer Ebene, im Genossenschaftsbereich zu erfassen . Dabei wird die Europäische Genossenschaft einen Schwerpunkt bilden. Ferner sind die Empfehlung der EU-Kommission zur Unabhängigkeit des Abschlussprüfers in der EU und die Auswirkungen des Deutschen Corporate Governance Kodex auf das Genossenschaftsrecht Kernpunkte der derzeitigen Diskussion. Schließlich sollen die Erfahrungen anderer europäischer Länder anhand ausgewählter Genossenschaftsmodelle dargestellt werden , um etwaige Verbesserungsmöglichkeiten für deutsche Genossenschaften aufzuzeigen.

2.3.2

Europäische Genossenschaft

Vor dem Hintergrund eines zusammenwachsenden Europa und der allgemeinen Globalisierung besteht auch für genossenschaftliche Kooperationsformen das Bedürfnis nach grenzüberschreitender Zusammenarbeit. Einer solchen Zusammenarbeit begegnen aber aufgrund der Vielfältigkeit einzelstaatlicher Regelungen oft Hemmnisse, die einer freien Entfaltung der grenzüberschreitenden Tätigkeit entgegenstehen. Der Abbau dieser Hemmnisse durch Schaffung einer ganz neuen Gesellschaftsform - der Europäischen Genossenschaft34 - ist bereits seit Jahren im Gespräch. Am 22.07.2003 33 34

BSIBI. 1111966 S. 321 . Die Europäische Genossenschaft wird mit EuGen oder SCE (Societas Cooperativa Europaea) abgekürzt.

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wurde die Verordnung über das Statut der Europäischen Genossenschaft 35 endgültig verabschiedet. Es soll den Genossenschaften ein angemessenes Rechtsinstrument zur Erleichterung ihrer grenzüberschreitenden und transnationalen Betätigung an die Hand geben und ihnen die gleichen Wettbewerbschancen einräumen wie der Europäischen Gesellschaft 36 , deren Statut durch Verordnung des Rates vom 08.10.20011 7 verabschiedet wurde.

2.3.2.1 Historische Entwicklung Die ersten Entwürfe der verschiedenen europäischen Genossenschaftsverbände zur Europäischen Genossenschaft datieren bereits auf den Beginn der 1970er Jahre. Zunächst hatten sich die deutschen Genossenschaftsverbände vehement gegen ein derartiges Gesetzesvorhaben ausgesprochen, da sie befürchteten, dass hierdurch ein Einfallstor für Harmonisierungsbestrebungen hinsichtlich der nationalen Genossenschaftsgesetze geöffnet würde. Später gaben sie jedoch ihren Widerstand gegen die Maßnahmen auf europäischer Ebene auf und brachten Anfang des Jahres 1990 unter Federführung des Deutschen Genossenschafts- und Raiffeisenverbandes e.V. (DGRV) einen vollständigen Gesetzentwurf in die Beratungen der europäischen Genossenschaftsverbände ein. Die Europäische Kommission erarbeitete dann ihrerseits einen offiziellen Kommissionsentwurf, dem unter anderem der Vorschlag der deutschen Genossenschaftsverbände als Vorlage diente. Die Beratungen über die Europäische Genossenschaft dauerten vor allem deshalb so lange, weil man in den Mitgliedstaaten ganz unterschiedliche Vorstellungen von einer Genossenschaft hat. Damit war die Lösung einer Reihe von schwierigen Fragen verbunden. Man musste sich zum Beispiel darüber einigen, wie detailliert der europäische Gesetzgeber diese neu zu schaffende genossenschaftliche Rechtsform regeln sollte. Entschieden haben sich die Vertreter der nationalen Genossenschaftsverbände bei den fachlichen Beratungen schließlich für ein europäisches Rahmengesetz, das mit dem Recht der Mitgliedstaaten aufgefüllt wird. Der Grund hierfür ist, dass die formellen und materiellen Grundlagen für Genossenschaften in den einzelnen Mitgliedstaaten so extrem unterschiedlich sind, dass eine starre, einheitliche Regelung den Vorstellungen der Mitgliedstaaten nicht gerecht geworden wäre. Das Statut der Europäischen Genossenschaft stellt also einen umfänglichen Kompromiss dar, der es den Mitgliedstaaten ermöglicht, die Europäische Genossenschaft mit dem jeweiligen nationalen Genossenschaftsrecht kompatibel zu gestalten . Teilweise wurden Zweifel an der praktischen Notwendigkeit eines Statuts der Europäischen Genossenschaft geäußert, die damit begründet wurden, dass die Genossenschaften das Statut ohnehin selten nutzen würden und diejenigen von ihnen, die Niederlassungen in mehr als einem Mitgliedstaat 35 36 37

Verordnung (EG) Nr. 1435/2003 des Rates über das Statut der Europäischen Genossenschaft (SCE), ABI. EU 2003 Nr. L 207, S. 1 ff. Die Europäische Gesellschaft wird auch Europäische Aktiengesellschaft genannt und mit SE (Societas Europaea) abgekürzt. Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE), ABI. EG 2001 Nr. L 294, S. 1 II.

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haben, bereits im Rahmen der geltenden einzelstaatlichen Gesetze durchaus erfolgreich tätig seien. Dies mag vor einiger Zeit noch so gewesen sein, mittlerweile tritt der Bedarf genossenschaftlicher Unternehmen an einem solchen Instrument aber immer deutlicher zutage. ln den vergangenen Jahren kam es zu einem merklichen Anstieg grenzübergreifender Tätigkeiten, die durch ein geeignetes Rechtsinstrument zur Vereinheitlichung von Bestimmungen, Strukturen und Registrierungsvorschriften erleichtert werden könnten . Außerdem ist damit zu rechnen, dass das Statut Anreize zur Ausschöpfung des Potenzials für genossenschaftliche Aktivitäten in Grenzgebieten bietet und von Personen oder Unternehmen genutzt wird, welche die genossenschaftliche Rechtsform bisher gar nicht in Erwägung gezogen haben.

2.3.2.2 Gang des europäischen Gesetzgebungsverfahrens Wie im Falle der Europäischen Gesellschaft ist auch das Statut der Europäischen Genossenschaft Gegenstand einer Verordnung, die durch eine Richtlinie hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer38 ergäzt wird. Die Kommission hat ihre ursprünglichen Vorschläge am 05.03.1992 und ihre geänderten Vorschläge am 06.07.1993 vorgelegt. Dazu hat das Europäische Parlament am 20.01 .1993 seine ersten Stellungnahmen abgegeben, die es am 02.12.1993 und am 27.10.1999 bestätigt hat. Die Prüfung dieser Vorschläge im Rahmen des Rates war lange Zeit in der Schwebe, weil man die Ergebnisse der Beratungen über die für die Europäische Gesellschaft vorgeschlagenen Rechtsakte abwarten wollte. ln Anbetracht der im Dezember 2000 erzielten politischen Einigung über das Statut der Europäischen Gesellschaft wurden im April 2001 überarbeitete Fassungen der vorgeschlagenen Rechtsakte bezüglich der Europäischen Genossenschaft vorgelegt. Die Kommissionsvorschläge für die Verordnung und die Richtlinie beruhten ursprünglich auf Art. 100a (jetzt Art. 95) beziehungsweise Art. 54 (jetzt Art. 44) des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) . Diese Artikel regelten seinerzeit das Verfahren der Zusammenarbeit. Seit dem ln-Kraft-Treten des Vertrages von Maastricht sind die auf sie gestützten Vorschläge Gegenstand des Mitentscheidungsverfahrens nach Art. 251 EGV. Entsprechend dem für die Europäische Gesellschaft angewandten Verfahren hat der Rat am 06.06.2002 einstimmig beschlossen, die Rechtsgrundlage für beide Rechtsetzungsakte zu ändern und die Rechtsakte auf Art. 308 EGV zu stützen, wonach das Europäische Parlament lediglich anzuhören ist. Wegen dieser und anderer Änderungen gegenüber dem Kommissionsvorschlag hat der Rat gleichzeitig entschieden, das Europäische Parlament vor der endgültigen Annahme der Rechtsakte erneut anzuhören. Sowohl die Kommission als auch das Europäische Parlament sind der Auffassung, dass nur Art. 95 EGV als richtige Rechtsgrundlage in Betracht kommt. Nach der Rechtsprechung des EuGH könne auf Art. 308 EGV als Rechtsgrundlage für einen Rechtsakt nämlich nur dann zurückgegriffen werden, wenn keine andere Vertragsbestimmung den Gemeinschaftsorganen 38

Richtlinie 2003/72/EG des Rates zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Genossenschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer, ABI. EU 2003 Nr. L 207, S. 25 ff.

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die Befugnis erteilt, die fragliche Maßnahme zu erlassen. Mit Art. 95 EGV bestehe aber eine einschlägige Vorschrift, die Iex specialis gegenüber Art. 308 EGV ist, sodass sich die vorgeschlagenen Rechtsakte nicht auf Art. 308 EGV stützen ließen. Ob das Europäische Parlament diese Einschränkung seiner Rechte hinnehmen oder die Frage dem EuGH vorlegen würde, war zunächst offen. Jedenfalls wollte es die Annahme dieser beiden wichtigen Rechtsakte nicht verhindern, zumal inhaltlich weitestgehend Übereinstimmung mit den Entwürfen des Rates bestand. So hat das Europäische Parlament dann auch am 14.05.2003 seine Stellungnahme abgegeben und den Entwurf des Rates gebilligt, wobei 20 Änderungen des Verordnungsentwurfs und 24 Änderungen des Richtlinienentwurfs vorgeschlagen wurden. Zwischenzeitlich hat das Parlament Klage vor dem EuGH erhoben, um die Rechtsgrundlage für die Verordnung einer gerichtlichen Klärung zuzuführen . Der Text der Verordnung und der Richtlinie wurde dann auf der Grundlage der Stellungnahme des Europäischen Parlaments abschließend überarbeitet. Der Rat der Europäischen Union hat auf seiner Tagung am 02./03.06.2003 eine politische Einigung über beide Entwürfe erzielt und die beiden Rechtsetzungsakte auf seiner Tagung am 22.07.2003 förmlich angenommen. Die Verordnung und die Richtlinie sind inzwischen nach Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft getreten. Die Verordnung gilt allerdings erst ab dem 18.08.2006, was auf die Umsetzungsfrist der Richtlinie bis zum gleichen Datum zurückzuführen ist. Damit besteht ab 2006 die Möglichkeit, Europäische Genossenschaften zu gründen.

2.3.2.3

Gründungsvoraussetzungen Bei der Verordnung über das Statut der Europäischen Genossenschaft handelt es sich nicht um Vorschriften, die für nationale Genossenschaften gelten, also gegebenenfalls an die Stelle des deutschen Genossenschaftsgesetzes treten. Sie stellt vielmehr einen Rechtsakt dar, durch den eine ganz neue Gesellschaftsform - die Europäische Genossenschaft - geschaffen wird, die unabhängig von den nationalen Genossenschaften existieren soll. Diese neue Gesellschaftsform steht für grenzüberschreitende Kooperationen zur Verfügung. Die Europäische Genossenschaft ist (wie alle Genossenschaften) eine Unternehmensform, die es den Unternehmen ermöglicht, bestimmte Tätigkeiten gemeinsam auszuüben und zugleich ihre Eigenständigkeil zu bewahren. Der Hauptzweck der Europäischen Genossenschaft besteht in der Befriedigung der Bedürfnisse beziehungsweise der Förderung der wirtschaftlichen und/oder sozialen Tätigkeiten ihrer Mitglieder und nicht in der Gewinnerzielung. Sie kann grundsätzlich alle Unternehmensgegenstände haben. Mitglied können natürliche Personen, juristische Personen und Personengesellschaften sein. Eine Europäische Genossenschaft kann neu gegründet werden von mindestens fünf natürlichen Personen, von insgesamt mindestens fünf natürlichen Personen und Personengesellschaften beziehungsweise juristischen Personen oder mindestens zwei Personengesellschaften oder juristischen Personen. Eine Gründung im Wege der Verschmelzung von mindestens zwei bestehenden nationalen Genossenschaften ist ebenso vorge-

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sehen wie die Umwandlung einer bestehenden nationalen Genossenschaft, die seit mindestens zwei Jahren eine Niederlassung oder Tochtergesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat hat. Die Mitglieder müssen sich aus mindestens zwei Mitgliedstaaten der EU rekrutieren. Eine bloß grenzüberschreitende Tätigkeit, die sich etwa darin erschöpft, dass eine Genossenschaft in einen anderen EU-Staat liefert, genügt also noch nicht, um das Statut zum Einsatz zu bringen. Erst wenn die Genossenschaft zum Beispiel zusammen mit Landwirten oder Genossenschaften anderer EU-Staaten eine neue Genossenschaft gründen will, kann auf dieses zurückgegriffen und eine Europäische Genossenschaft gegründet werden. Die Inanspruchnahme des Statuts ist aber wahlfrei, sodass in dem geschilderten Fall keine Europäische Genossenschaft gegründet werden muss, sondern weiterhin die Möglichkeit besteht, ausländische Mitglieder in eine nach nationalem Genossenschaftsrecht gegründete Genossenschaft zu integrieren. Die Europäische Genossenschaft muss in dem Staat eingetragen sein, in dem sich ihre Hauptverwaltung befindet. Der Sitz der Europäischen Genossenschaft kann in einen anderen Mitgliedstaat verlegt werden, ohne dass dies zu ihrer Auflösung oder zur Gründung einer neuen juristischen Person führen würde.

2.3.2.4 Gestaltungsmöglichkeiten Der Vielfalt und Unterschiedlichkeil der Ausgestaltung des Genossenschaftswesans in den einzelnen Mitgliedstaaten wurde dadurch Rechnung getragen, dass das Statut als Rahmengesetz geschaffen wurde, das vom nationalen Gesetzgeber des Staates, in dem die Europäische Genossenschaft ihren Sitz hat, ausgefüllt wird. Dazu sieht die Verordnung über das Statut fakultative und zwingende nationale Ausführungsbestimmungen vor beziehungsweise nimmt Bezug auf das nationale Genossenschaftsgesetz oder andere nationale Rechtsgrundlagen. Es wird also europaweit keine einheitliche Europäische Genossenschaft geben, da die in den verschiedenen Mitgliedstaaten registrierten Europäischen Genossenschaften auf unterschiedlicher Rechtsgrundlage tätig sein werden, je nachdem, in welchem Mitgliedstaat sie ihren Sitz haben. Die grenzüberschreitende Kooperation wird also stark in das gesellschaftsrechtliche Umfeld des Staates eingebettet sein, in dem sie ihren Sitz und ihren Unternehmerischen Schwerpunkt hat. Damit kann eine Europäische Genossenschaft, die in Deutschland gegründet wird, eine Verfassung erhalten, die den nationalen Genossenschaften weitgehend ähnlich ist. Darüber hinaus lässt die Verordnung eine weitgehende Ausgestaltung der einzelnen Europäischen Genossenschaft im Wege der Satzungsautonomie zu. Hinsichtlich der Befriedigung des Kapitalbedarfs geht die Verordnung von einem variablen Kapital aus, wie dies auch dem deutschen Genossenschaftsrecht eigen ist. Hier liegt der wesentliche Unterschied zu den Kapitalgesellschaften, die ein festes Grund- beziehungsweise Stammkapital aufweisen. Im Unterschied zum deutschen Recht ist jedoch ein Mindestka-

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pital von 30.000 € vorgesehen. Die einzelne Europäische Genossenschaft muss in ihrer Satzung den Betrag festsetzen, unter den das Grundkapital bei Rückzahlung der Geschäftsguthaben aus der Genossenschaft ausscheidender Mitglieder nicht herabsinken darf. Dieser Betrag darf 30.000 € nicht unterschreiten. Sofern in der Satzung der Europäischen Genossenschaft nichts anderes vorgesehen ist, haftet ein Mitglied der Genossenschaft nur bis zur Höhe seines eingezahlten Geschäftsanteils. Die Geschäftsanteile können unter den in der Satzung festgelegten Bedingungen an ein Mitglied oder jede andere Person, welche die Mitgliedschaft erwirbt, abgetreten oder veräußert werden . Damit ist die Übertragbarkeit der einzelnen Geschäftsanteile beziehungsweise der Mitgliedschaft als solcher und nicht nur des Geschäftsguthabens gewährleistet, was teilweise aus Praktikabilitätsgründen auch für das deutsche Genossenschaftsrecht gefordert wird. Die Europäische Genossenschaft verfügt über eine Generalversammlung und entweder ein Aufsichtsorgan und ein Leitungsorgan (dualistisches System) oder ein Verwaltungsorgan (monistisches System), entsprechend der in der Satzung gewählten Form. Grundsätzlich hat jedes Mitglied der Europäischen Genossenschaft unabhängig von der Zahl seiner Anteile eine Stimme. Sofern das Recht des Sitzstaates dies zulässt, kann die Satzung einem Mitglied eine bestimmte Anzahl von Stimmen zuteilen, die sich nach seiner Beteiligung an der genossenschaftlichen Tätigkeit in anderer Form als einer Kapitalbeteiligung richtet. Wenn der deutsche Gesetzgeber also Europäischen Genossenschaften, die in Deutschland eingetragen sind, die Möglichkeit von Mehrstimmrechten einräumen will, muss er diese in einem Ausführungsgesetz zulassen. Es dürfen allerdings höchstens fünf Stimmen je Mitglied und 30% der gesamten Stimmrechte auf diese Weise zugeteilt werden. Auch nach deutschem Genossenschaftsrecht wird grundsätzlich unabhängig von der Kapitalbeteiligung nach Köpfen abgestimmt. Das Statut kann aber die Gewährung von Mehrstimmrechten vorsehen, sofern sie für Genossen begründet werden , die den Geschäftsbetrieb der Genossenschaft besonders fördern . Allerdings können keinem Genossen mehr als drei Stimmen gewährt werden. Sofern das Recht des Sitzstaates der Europäischen Genossenschaft dies zulässt, kann die Satzung vorsehen, dass Personen, die für die Nutzung oder Produktion der Güter und die Nutzung oder Erbringung der Dienste der Europäischen Genossenschaft nicht in Frage kommen, als investierende (nicht nutzende) Mitglieder zugelassen werden können . Die Zulässigkeil investierender Mitglieder bei Europäischen Genossenschaften müsste wiederum in einem deutschen Ausführungsgesetz geregelt werden. Den nicht nutzenden Mitgliedern dürfen aber nicht mehr als 25% der gesamten Stimmrechte zustehen. Im deutschen Genossenschaftsrecht ist die Zulässigkeil nicht nutzender Mitglieder umstritten. Bedenken ergeben sich vor allem daraus, dass das Genossenschaftsrecht seiner Grundidee nach darauf ausgerichtet ist, dass alle Gesellschafter einen gemeinsamen Zweck verfolgen, und zwar mit gleich gerichteten und nicht mit entgegengesetzten Interessen. Wenn man aber nicht nutzende und nutzende Mitglieder aufeinander treffen lässt, dann kommt es zu lnteressenkonflikten, denn die Kapitalrendite der nicht nutzenden Mitglie-

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der geht auf Kosten der Mitgliederkunden. Die Satzung der Europäischen Genossenschaft kann ferner die Ausgabe von Wertpapieren, die keine Geschäftsanteile sind, und von Schuldverschreibungen vorsehen, deren Inhaber kein Stimmrecht haben. Diese können von Mitgliedern oder außen stehenden Dritten gezeichnet werden . Ihr Erwerb verleiht nicht die Mitgliedschaft. Den Inhabern der Wertpapiere und Schuldverschreibungen können nach Maßgabe der Satzung besondere Vorteile gewährt werden. Der Gesamtnennbetrag der Wertpapiere und Schuldverschreibungen darf den in der Satzung festgelegten Betrag nicht überschreiten. Die Zulassung von Kapitalbeteiligungen Dritter ist in Deutschland durch Genussrechte realisierbar und wird insbesondere von Genossenschaftsbanken problemlos praktiziert. Schreibt das Recht eines Mitgliedstaates allen oder einem bestimmten Typ dem Recht dieses Staates unterliegender Genossenschaften den Beitritt zu einer externen, gesetzlich dazu befugten Einrichtung vor, die eine besondere Prüfung und Kontrolle durchführt, so gelten die Bestimmungen automatisch für die Europäische Genossenschaft, deren Sitz sich in diesem Mitgliedstaat befindet. Eine Europäische Genossenschaft mit Sitz in Deutschland muss sich also einer Gründungsprüfung unterziehen und unterliegt ebenso wie nationale Genossenschaften der Pflichtmitgliedschaft in einem Prüfungsverband sowie der Pflichtprüfung.

2.3.2.5 Auswirkungen auf das deutsche Genossenschaftsrecht Die Bezugnahme auf das Recht der Mitgliedstaaten wird zur Folge haben, dass die in unterschiedlichen Mitgliedstaaten registrierten Europäischen Genossenschaften auf unterschiedlicher Rechtsgrundlage tätig werden. Außerdem wird der Rückgriff auf einzelstaatliche Gesetze die Europäischen Genossenschaften veranlassen, sich dort eintragen zu lassen, wo die günstigsten nationalen Rahmenbedingungen bestehen ("forum shopping") . Auf längere Sicht könnte dieses Verhalten bewirken, dass bestimmte genossenschaftsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten eine Angleichung erfahren. Jeder Staat wird nämlich bemüht sein, Europäische Genossenschaften zur Registrierung in seinem Hoheitsgebiet zu bewegen. in Deutschland könnte diesbezüglich über eine Ausweitung der Mehrstimmrechte nachgedacht werden. Umgekehrt sieht die Verordnung über das Statut der Europäischen Genossenschaft teilweise Regelungen vor, die aus Sicht der Gründer beziehungsweise Mitglieder offener sind als die für deutsche Genossenschaften . Diesbezüglich stellt sich die Frage, ob nicht auch für deutsche Genossenschaften vergleichbare Möglichkeiten geschaffen werden sollten . Ansonsten wäre unter Umständen ein Anreiz für deutsche Genossenschaften gegeben, sich in eine Europäische Genossenschaft umzuwandeln und sich darüber hinaus in einem Land mit freizügigeren beziehungsweise flexibleren Regelungen registrieren zu lassen. Dies betrifft vor allem folgende Problempunkte: die Mindestgründerzahl, die Übertragbarkeit der Geschäftsanteile beziehungsweise der Mitgliedschaft als solcher, die Pflichtmitgliedschaft in einem Prüfungsverband, die Pflichtprüfung sowie den obligatorischen Aufsichtsrat.

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2.3.3

Aufgabe der Sitztheorie zugunsten der Gründungstheorie

Nach der bisherigen Rechtsprechung zum deutschen internationalen Gesell· schaftsrecht beurteilte sich die Rechtsfähigkeit einer Gesellschaft nach dem Recht am Ort ihres tatsächlichen Verwaltungssitzes (Sitztheorie) . Dies galt auch dann, wenn eine Gesellschaft in einem anderen Staat wirksam gegrün· det worden war und anschließend ihren Verwaltungssitz nach Deutschland verlegt hatte. Eine in einem anderen Staat wirksam gegründete Gesellschaft konnte also nach Verlegung ihres Verwaltungssitzes nach Deutschland ihre Rechte vor deutschen Gerichten unter Umständen nicht durchsetzen, solange sie sich nicht nach den Regeln des deutschen Gesellschaftsrechts neu gegründet hatte. Der EuGH 39 hat jedoch entschieden, dass dieses Ergeb· nis mit der in Art. 43 und 48 EGV garantierten Niederlassungsfreiheit nicht vereinbar ist. An diese Entscheidung sind nationale Gerichte gebunden. Der BGH 40 hat daher geurteilt, dass eine Gesellschaft, die unter dem Schutz der im EG·Vertrag garantierten Niederlassungsfreiheit steht, berechtigt ist, ihre vertraglichen Rechte in jedem Mitgliedstaat geltend zu machen, wenn sie nach der Rechtsordnung des Staates, in dem sie gegründet worden ist, hinsichtlich der geltend gemachten Rechte rechtsfähig ist. Die Rechtsfähigkeit einer Gesellschaft beurteilt sich daher zumindest in Zuzugsfällen nach dem Recht des Staates, in dem die Gesellschaft gegründet worden ist (Gründungstheorie) . Ob sich die Gründungstheorie nunmehr generell (also nicht nur hinsichtlich der Rechts· und Parteifähigkeit in Zuzugsfällen) gegenüber der Sitztheorie durchsetzen wird und inwieweit dann zwingende Gründe des Gemeinwohls die Maßgeblichkeil des Rechts des Gründungsstaates durch· brechende Sonderanknüpfungen gebieten, bleibt abzuwarten.

2.3.4

Empfehlung der EU-Kommission zur Unabhängigkeit des Abschlussprüfers in der EU

Die Unabhängigkeit der Abschlussprüfung ist von entscheidender Bedeutung dafür, dass Abschlüsse glaubhaft sind und somit nicht nur Anleger, sondern auch andere Interessengruppen wie Gläubiger und Mitarbeiter Vertrauen in die EU-Kapitalmärkte haben können. Nach der Achten EU-Gesellschafts· rechtsrichtlinie vom 10.04.1984 4 1, welche die Zulassung von gesetzlichen Abschlussprüfern durch die Mitgliedstaaten regelt, dürfen gesetzliche Ab· Schlussprüfungen grundsätzlich nur von unabhängigen Abschlussprüfern durchgeführt werden. Allerdings wird der Begriff "Unabhängigkeit" in der Richtlinie nicht definiert. Auch wenn die Unabhängigkeit der Abschlussprüfer heute in allen Mitgliedstaaten geregelt ist, sind Ansatz, Anwendungsbereich, Terminologie und Inhalt der entsprechenden Regelungen doch sehr unter· schiedlich. 39 GmbHR 2002, 1137 II. 40 GmbHR 2003, 527 II. 41 Achte Richtlinie 84/253/ EWG des Rates über die Zulassung der mit der Pflichtprüfung der Rechnungslegungsunterlagen beauftragten Personen , ABI. EG 1984 Nr. L 126, S. 20 II.

Internationale Entwicklungen

Am 16.05.2002 hat die EU-Kommission daher eine Empfehlung zur Unabhängigkeit des Abschlussprüfers in der EU 41 verabschiedet. Damit soll die Harmonisierung der Abschlussprüferunabhängigkeit auf möglichst hohem Niveau drastisch verbessert und so der Grundstein für ein künftiges gemeinsames Vorgehen gelegt werden. Die Empfehlung ist ein Beispiel für eine Mindestharmonisierung. Sie soll dafür sorgen, dass Gefahren oder Risiken für die Unabhängigkeit der Abschlussprüfer künftig EU-weit einheitlich interpretiert und behandelt werden. Dies dürfte auch dazu beitragen, gleiche Wettbewerbsbedingungen für Abschlussprüfer im Binnenmarkt zu schaffen. Eine Empfehlung ist nach Art. 249 EGV nicht verbindlich, sodass sich die Frage stellt, wieso keine verbindliche EU-Rechtsvorschrift erlassen wurde. Nach Auffassung der Kommission ist eine Empfehlung das schnellste und wirksamste Mittel, um die heutigen mitgliedstaatliehen Regelungen über die Unabhängigkeit der Abschlussprüfer zu verbessern. Sie entschied sich daher für eine Regulierung durch den Berufsstand und vertraute darauf, dass dieser seine Aufgabe ernst nehmen und auf Dauer eine Abschlussprüfung mit hohen Qualitätsstandards gewährleisten wird. Es liegt nun also am Berufsstand der Abschlussprüfer, der Empfehlung Folge zu leisten. Drei Jahre nach Verabschiedung der Empfehlung wird die Kommission prüfen, wie die Empfehlung umgesetzt wurde. Wenn die Überprüfung der Lage keine allgemeine Akzeptanz der Empfehlung erkennen lässt, besteht die Möglichkeit, die Unabhängigkeit der Abschlussprüfer doch in einer Verordnung oder Richtlinie verbindlich zu regeln . Inzwischen hat die Kommission auch vorgeschlagen, die Grundsätze zur Unabhängigkeit des Abschlussprüfers in die modernisierte Achte EU-Gesellschaftsrechtsrichtlinie einzubeziehen, und das Bundesjustizministerium hat den Entwurf eines der Empfehlung Rechnung tragenden Bilanzrechtsreformgesetzes vorgelegt.

2.3.4.1 Kernpunkte der Empfehlung Die Empfehlung stützt sich auf einen innovativen, auf Prinzipien basierenden Ansatz. Danach muss der Abschlussprüfer bei jedem Auftrag überprüfen, ob Gefahren oder Risiken für seine Unabhängigkeit bestehen und wie ihnen entgegengewirkt werden kann. Um Risiken für die Unabhängigkeit des Abschlussprüfers abzuschwächen oder auszuräumen, sollten unterschiedliche Schutzmaßnahmen eingeführt werden. Die letzte Schutzmaßnahme (Verbot) besteht darin, bestimmte Beziehungen nicht einzugehen oder bestimmte prüfungsfremde Leistungen nicht zu erbringen. Faktoren, die ein Risiko für die Unabhängigkeit darstellen können, sind unter anderem Eigeninteresse, die Überprüfung eigener Leistungen, lnteressenvertretung, Vertrautheit oder Vertrauen sowie Einschüchterung. Die Empfehlung nennt auch Beispiele dafür, wie die Grundprinzipien in den Fällen anzuwenden sind, die am häufigsten ein Risiko für die Unabhängigkeit des Abschlussprüfers mit sich bringen. Für folgende Fälle wird beschrieben, welche Schutzmaßnahmen der Abschlussprüfer im Einzelfall zur Risikobegrenzung treffen sollte : finanzielle Beteiligungen, geschäftliche Be42

Unabhängigkeit des Abschlussprüfers in der EU - Grundprinzipien, ABI. EG 2002 Nr. L 191, S . 22 II.

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ziehungen, Beschäftigung beim Mandanten oder einer Prüfungsgesellschaft, Übernahme einer Führungs- oder Kontrollfunktion beim Mandanten und verwandtschaftliche oder sonstige persönliche Beziehungen. Es werden auch einige Fälle genannt, in denen der Abschlussprüfer nicht als unabhängig betrachtet werden kann . Dazu gehören: eine direkte finanzielle Beteiligung, eine erhebliche indirekte finanzielle Beteiligung, geschäftliche Beziehungen, die nicht Teil des normalen Geschäftsverkehrs sind, und eine gehobene Führungsposition eines nahen Familienangehörigen beim Mandanten . Soweit es um prüfungsfremde Leistungen (wie zum Beispiel Beratung) geht, die für den Mandanten oder ein mit ihm verbundenes Unternehmen erbracht werden, sind sie nach der Empfehlung zulässig, sofern bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind, insbesondere der Prüfer nicht an Entscheidungsprozessen beteiligt ist und er bei Unternehmen des öffentlichen Interesses das Kontrollorgan schriftlich über die für die zusätzlichen Leistungen bezogenen Honorare und über Einzelheiten der bestehenden Beziehung unterrichtet. Bei bestimmten prüfungsfremden Leistungen sollte der Abschlussprüfer aber die letzte Schutzmaßnahme, das heißt das Verbot anwenden und sie nicht erbringen. Somit ist nicht die Erbringung jeder zusätzlichen Leistung beim Mandanten untersagt, sondern nur die Erbringung solcher prüfungsfremden Leistungen, welche die Unabhängigkeit des Abschlussprüfers beeinträchtigen können .

2.3.4.2

Auswirkungen der Empfehlung auf das deutsche Prüfungsverbandswesen Im Vordergrund der aktuellen Diskussion zur Unabhängigkeit des Abschlussprüfers steht die Frage nach der Vereinbarkeil von Prüfung und Beratung beim selben Unternehmen. Die dagegen vorgetragenen Bedenken verweisen vor allem auf das Risiko der so genannten Selbstprüfung, wenn der Prüfer im Rahmen von prüfungsfremden Dienstleistungen am Zustandekommen des nachfolgend zu prüfenden Prüfungsgegenstandes derart beteiligt ist, dass ihm die gebotene kritische Distanz zum Prüfungsgegenstand fehlen könnte. Die Empfehlung stellt diesbezüglich auf die eine Unabhängigkeit gefährdenden Risiken der Selbstprüfung und des möglichen Eigeninteresses ab, denen durch geeignete Sicherungsvorkehrungen zu begegnen ist. Sie geht also nicht von einer generellen Unvereinbarkeit von Prüfung und Beratung durch den Abschlussprüfer aus. Dies ist vor allem für die genossenschaftlichen Prüfungsverbände von großer Bedeutung, weil sie regelmäßig auf der Grundlage von § 63b Abs. 4 GenG und ihrer Satzung neben der Prüfung auch die Betreuung und Beratung ihrer Mitgliedsgenossenschaften wahrzunehmen haben. Darüber hinaus wird in der Empfehlung klargestellt, dass ein Abschlussprüfer, der nicht gewählt, sondern vom Gesetz bestimmt wird (wie zum Beispiel ein genossenschaftlicher Prüfungsverband) , diesen Umstand als besonderen Schutzfaktor für seine Unabhängigkeit werten kann . Wie Erfahrungen zeigen, bewirkt das auf Dauer angelegte genossenschaftliche Prüfungssystem, das in der Praxis durch eine intensive Betreuung und prüfungsnahe Beratung der geprüften Genossenschaften ergänzt wird , eine höhere Qualität und Effizienz der Prüfung. Die genossenschaftliche

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Pflichtprüfung, die nicht nur als schlichte Jahresabschlussprüfung konzipiert ist, hat eine über die vergangenheitsbezogene Kontrollfunktion hinausgehende zukunftsgerichtete Beratungsfunktion, sodass man insgesamt von einer umfassenden genossenschaftlichen Betreuungsprüfung spricht. Zum Inhalt der Betreuungsprüfung gehört also auch, die Genossenschaften bei den der Prüfung unterliegenden Vorgängen vor und nach der Prüfung zu beraten, sodass es ohnehin oft schwer ist, eine Beratungs- und Betreuungstätigkeit des Prüfungsverbandes von der eigentlichen Prüfungstätigkeit abzugrenzen . Eine Verknüpfung von Prüfung und Beratung ist daher sinnvoll, weil die genossenschaftlichen Prüfungsverbände über einen umfassenden Sachverstand verfügen und sich deshalb besonders gut für eine genossenschaftliche Betreuungsprüfung eignen. Insofern lassen sich die Empfehlungen der EU nicht vollständig auf Genossenschaften übertragen, da man für Prüfungsverbände nicht dieselben Maßstäbe und Anforderungen wählen kann wie für Wirtschaftsprüfer. Die Empfehlung hat nur unmittelbare Auswirkungen auf Kreditgenossenschaften, für die bereits jetzt spezielle Regelungen für die Unabhängigkeit des Abschlussprüfers gelten(§ 340k Abs . 2 HGB) . ln Bezug auf sonstige Genossenschaften könnten aber gegebenenfalls Änderungen im Genossenschaftsgesetz angezeigt sein, um klarzustellen , welche Regelungen des HGB auf ihre Prüfung konkret Anwendung findenY Dabei ist es denkbar, noch stärker zwischen der Abschlussprüfung von Kreditgenossenschaften und der sonstiger Genossenschaften zu differenzieren oder allgemein differenzierte Regelungen für große und kleine Genossenschaften zu treffen. Insbesondere für kleinere Genossenschaften ist die Buchführung ohne Hilfestellung kaum möglich und externe Hilfen, zum Beispiel durch Steuerberater, sind sehr teuer und kaum so gut wie die Beratung durch die Prüfungsverbände. Der GdW geht in seiner "Stellungnahme zu den Auswirkungen der Entwicklungen im Bereich Corporate Governance und Abschlussprüfung auf das Genossenschaftsrecht" vom 29.04.2003 davon aus, dass die Empfehlung die Besonderheiten des genossenschaftlichen Prüfungswesens in Deutschland nicht berücksichtigt. Aus den Grundsätzen und Besonderheiten der genossenschaftlichen Pflichtprüfung und der Pflichtmitgliedschaft in einem Prüfungsverband ergebe sich, dass die Regelungen, wie sie für Wirtschaftsprüfungsgesellschaften bei der Prüfung von Kapitalgesellschaften angewandt werden , auf genossenschaftliche Prüfungsverbände nicht übertragbar sind, ohne dass dabei das bestehende System Schaden nehmen würde. Daher regt der GdW an, bei allen Überlegungen zur Fortentwicklung der Unabhängigkeit auf die Besonderheiten des Genossenschaftsgesetzes Rücksicht zu nehmen.

43

Derartige Änderungen könnten sich vor allem auch im Zusammenhang mit dem Maßnahmenkatalogder Bundesregierung zur Stärkung der Unternehmensintegrität und des Anlegerschutzes ergeben, der sich im Punkt 5 mit der Stärkung der Rolle des Abschlussprüfers beschäftigt. Die angekündigten Maßnahmen zur Sicherung der Unabhängigkeit des Abschlussprüfers sind im Kern in dem jetzt vorgelegten Referentenentwurf eines Bilanzrechtsreformgesetzes umgesetzt.

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ln seiner Stellungnahme vom 29.10.2002 zur Empfehlung hält der DGRV den gewählten prinzipienorientierten Ansatz mit dem Verbot der Selbstprüfung als einem allgemein gültigen und justiziablen Grundsatz als Schutzregelung für ausreichend. Eine solche Regelung ermögliche die eindeutige Abgrenzung einer zulässigen von einer unzulässigen Beratungsleistung. Sie sei in der Praxis handhabbar und trage insbesondere den Bedürfnissen kleinerer und mittlerer Unternehmen in angemessener Weise Rechnung. Insbesondere wurde begrüßt, dass die Empfehlung keine starren Ge- und Verbotsregelungen, sondern ein flexibles Konzept von Grundsätzen und möglichen Schutzmaßnahmen enthält, mit denen den speziellen Gegebenheiten der verschiedenen Prüfungsmandate im Einzelfall hinreichend Rechnung getragen werden könne. Diese Flexibilität der Empfehlung sollte nach Auffassung des DGRV auch bei deren Umsetzung in nationales Recht erhalten bleiben.

2.3.5

Auswirkungen des Deutschen Corporate Governance Kodex auf das Genossenschaftsrecht

Die vom Bundesjustizministerium im September 2001 hierfür eingesetzte Regierungskommission hat am 26.02.2002 den Deutschen Corporate Governance Kodex verabschiedet. Er markiert einen wichtigen Schritt zur Effizienzverbesserung der Leitung und Überwachung von Unternehmen. Seit Sommer 2002 sind alle börsennotierten deutschen Gesellschaften aufgrund des neu eingefügten§ 161 AktG verpflichtet, in einer so genannten Entsprechenserklärung darzulegen, ob sie die Kodexempfehlungen befolgen beziehungsweise von welchen Empfehlungen sie abweichen. Der Kodex soll die Zusammenarbeit von Vorstand und Aufsichtsrat verbessern und die Transparenz für die Anteilseigner erhöhen . Die im Kodex niedergelegten Grundsätze sind im Wesentlichen für die Steuerung von Groß- beziehungsweise kapitalmarktorientierten Unternehmen geeignet. Die Struktur der Genossenschaften ist aber zumindest im Bereich der Wohnungsgenossenschaften eine andere. Insgesamt nur 3% der Wohnungsgenossenschaften sind große Unternehmen 44 , auf welche die Grundsätze des Kodex vergleichbar angewendet werden könnten. Darüber hinaus sind für die Genossenschaften im Genossenschaftsgesetz, in den Mustersatzungen und in den Mustergeschäftsordnungen für den Vorstand und Aufsichtsrat wesentliche Elemente des Kodex enthalten . So besteht der Vorstand einer Genossenschaft, der diese unter eigener Verantwortung leitet, nach § 24 Abs. 2 GenG aus mindestens zwei Mitgliedern. Gemäß § 38 Abs. 1 Satz 2 GenG kann der Aufsichtsrat jederzeit über alle Angelegenheiten der Genossenschaft Berichterstattung vom Vorstand verlangen und die Bücher und Schriften der Genossenschaft einsehen. Ferner wird die Unabhängigkeit des Abschlussprüfers, also der genossenschaftlichen Prüfungsverbände, durch die Pflichtmitgliedschaft und § 56 GenG sichergestellt. Zudem wenden die Prüfungsverbände bei der Auswahl des Prüfers§ 319 HGB entsprechend an. 44

Im Sinne der Größenklassen des§ 267 HGB.

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Der GdW hält daher in seiner Stellungnahme vom 29.04.2003 eine generelle gesetzliche Verpflichtung zur Errichtung eines Gorparate Governance Kodex für (Wohnungs-)Genossenschaften nicht für erforderlich. Zu erwägen sei allenfalls, ob ein einheitlicher Kodex im Sinne einer Empfehlung der Verbände für große Genossenschaften entwickelt werden sollte. Dabei gelte es aber, die Besonderheiten der Rechtsform der Genossenschaft zu beachten. Die normativen Vorgaben im Genossenschaftsgesetz zur Ausgestaltung und Kompetenzzuordnung zugunsten der Leitungs- und Überwachungsorgane stimmten nicht in jedem Fall mit den Regelungen des Aktienrechts überein, da sie aufgrund der Struktur der Genossenschaft als Selbsthilfeeinrichtung ein anderes Verständnis des Miteinanders von Vorstand, Aufsichtsrat und Mitgliederversammlung berücksichtigten .

2.3.6

Betrachtung ausgewählter Genossenschaftsmodelle europäischer Länder

Abschließend sollen Genossenschaftsmodelle anderer europäischer Länder in den Blickpunkt gerückt werden, um festzustellen, ob und inwieweit dort praktizierte Lösungsansätze auf deutsche Wohnungsgenossenschaften übertragbar sind .

2.3.6.1 Norwegen Norwegen unterscheidet sich im Hinblick auf die Wohnsituation beträchtlich von den meisten anderen europäischen Staaten. Selbst genutztes Eigentum war schon immer der Normalfall für Norweger. Circa 60% des Wohnraums wird von seinen Eigentümern genutzt, nur circa 20% der Wohnobjekte sind vermietet und 14% des zur Verfügung stehenden Wohnraums befindet sich im Eigentum von Wohnungsgenossenschaften . Es herrscht ein sehr hoher Wohnungsstandard. Entwicklung der norwegischen Wohnungsgenossenschaften Die Wohnungsgenossenschaftssysteme in Norwegen und Deutschland haben eine sehr unterschiedliche traditionelle Entwicklung durchlaufen. Anders als in Deutschland gab es in Norwegen Anfang des 20. Jahrhunderts noch keine organisierten kooperativen Wohnungsbauformen auf kollektiver Basis. Die erste norwegische Wohnungsgenossenschaft, die später zum Vorbild aller Wohnungsgenossenschaften in Norwegen wurde, ist 1929 nach schwedischem Muster gegründet worden. ln der Nachkriegszeit, insbesondere in den 1950er Jahren, führte der dramatisch ansteigende Wohnraummangel zur Gründung zahlreicher Wohnungsgenossenschaften. 1946 wurde die Föderation der genossenschaftlichen Wohnungsverbände (NBBL) zur Förderung des genossenschaftlichen Bauwesens, des Austauschs von Gedanken und Erfahrungen und zur Durchführung von Informationsveranstaltungen gegründet. Mitglieder der NBBL sind 103 genossenschaftliche Wohnungsverbände, die von Nord- bis Südnorwegen praktisch alle Stadtgebiete versorgen. Die Verbände haben heute circa 650.000 Mitglieder und verwalten 250.000 Wohneinheiten. 15% der

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Rahmenbedingungen und internationale Entwicklungen

norwegischen Bevölkerung wohnen in genossenschaftlichen Wohnungen, in den großen Städten wie Oslo und Bergen sind es sogar 30 bis 40% . ln Norwegen gibt es kein allgemeines Genossenschaftsgesetz; als gesetzlicher Rahmen dienen das Gesetz für genossenschaftliche Wohnungsverbände und das Gesetz zum genossenschaftlichen Wohnungswesen , die 1960 in Kraft getreten sind. Struktur des norwegischen Wohnungsgenossenschaftswesens Das norwegische System der Wohnungsgenossenschaften ist zweigeteilt aufgebaut. Auf der ersten Ebene befinden sich die Wohnungsgenossenschaften, in denen sich alle künftigen Wohnungsinhaber organisieren. Die Hauptaufgabe der Wohnungsgenossenschaften besteht zunächst in der Planung und Errichtung neuer Wohnobjekte. Die Wohnungsgenossenschaft (Muttergesellschaft) gründet auf der zweiten Ebene für jedes einzelne Wohnprojekt eine rechtlich selbstständige Tochtergesellschaft. Die Tochtergesellschaft (Bewohnergenossenschaft) wird nach FertigstellungEigentümerindes Wohnobjekts. Ihre Aufgabe ist die Bereitstellung und Vermietung von Wohnraum an ihre Mitglieder. Sobald die Planung und Erstellung des betreffenden Wohnobjekts fortgeschritten ist, wählt die Wohnungsgenossenschaft für dieses aus dem Kreis ihrer Mitglieder die künftigen Wohnungsmieter aus, wobei sie sich an der Mitgliedschaftsdauer orientiert. Die künftigen Nutzer der Wohnung müssen zusätzlich der Bewohnergenossenschaft beitreten. ln der Wohnungsgenossenschaft sind somit all die Personen Mitglied, die bereits in einer der ihr über die Bewohnergenossenschaften zugeordneten Wohnung wohnen oder in Zukunft dort zu wohnen wünschen, während in der Bewohnergenossenschaft nur die aktuellen Wohnungsinhaber Mitglied sind. Die Verbindung zwischen Wohnungsgenossenschaft und Bewohnergenossenschaft wird nicht nur durch diese Doppelmitgliedschaft aufrechterhalten. Die Wohnungsgenossenschaften führen über einen langfristigen Geschäftsbesorgungsvertrag alle operativen Geschäfte für die Bewohnergenossenschaften durch, die nach der Errichtung der Wohngebäude anfallen. Dies ist die zw~ite Hauptaufgabe der Wohnungsgenossenschaften. Für die Verwaltung hat die Bewohnergenossenschaft der Wohnungsgenossenschaft eine nach der Zahl der Wohnungen zu berechnende Gebühr zu entrichten.45 Die Kosten der Wohnungserstellung werden unter den Mitgliedern und der Genossenschaft aufgeteilt. ln der Regel übernehmen die wohnenden Mitglieder bei der Erstellung einer Neubauwohnung einen Geschäftsanteil in Höhe von circa 30% der Herstellungskosten. Die verbleibenden 70% werden als Kredit von der Wohnungsgenossenschaft namens und in Vollmacht der jeweiligen Bewohnergenossenschaft meist bei der staatlichen Wohnungsbaubank (Husbanken) aufgenommen. Die Mitglieder der Bewohnergenossenschaft zahlen ihren Anteil des Kredits über eine "Miete" ab und erhalten dafür im Zeitablauf ein sich stetig entschuldendes Dauerwohnrecht, das frei verkäuflich ist. 46 45 46

Vgl. Beuthien/Hergarten, S. 13 ff. Krause, ZfgG 1999, 285 (290).

Internationale Entwicklungen

Mit der Mitgliedschaft in einer Wohnungsgenossenschaft sind eine Reihe von Vorteilen verbunden , in denen sich nach deutschem Verständnis die Mitgliederförderung ausdrückt. ln der Regel besteht für das Mitglied ein Vorkaufsrecht bezüglich der fertig gestellten Wohnung, das heißt, das Mitglied kann in einen unterzeichnungsfertigen Vertrag eintreten. Ausschlaggebend hierfür ist meist die Dauer der Mitgliedschaft, woraus sich auch die hohe Zahl an Mitgliedern erklärt. Außerdem wurden landesweite Vergünstigungen über die NBBL mit zahlreichen Unternehmen ausgehandelt, so zum Beispiel günstigere Telefon-, Internet- und Stromtarife, reduzierte Zinssätze bei Krediten zur Finanzierung des Eigenanteils und Rabatte bei Baumärkten . Die einzelnen Wohnungsgenossenschaften ergänzen dieses Angebot meist um weitere lokale Vergünstigungen. Staatliche Förderung des Wohnungsbaus in Norwegen Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es viele Veränderungen in der Politik und die Regierung übernahm weitere soziale Verantwortung. Erstes Anzeichen einer neuen Wohnungspolitik war die Gründung der staatlichen Wohnungsbaubank (Husbanken) im Jahre 1946. Damit wollte man in erster Linie den Wohnungsbau nach Kriegsende ankurbeln. Die Bank spielte in der ganzen Nachkriegszeit eine wichtige Rolle bei der Wohnungsfinanzierung und gilt auch weiterhin als das wichtigste Instrument des Staates in der Wohnungspolitik. Die staatliche Wohnungsbaubank ist das größte Kreditinstitut für den Wohnbereich in Norwegen und hat bis heute rund 950.000 Wohnungen, das sind gut 50% aller Wohnungen des Landes, finanziert. Es gilt in Norwegen als wichtigstes wohnungspolitisches Ziel, möglichst vielen Bürgern eigenes Wohneigentum zu ermöglichen. Die staatliche Wohnungsbaubank finanziert alle Arten von Wohnungen. Die Förderung in Form von Darlehen und Zuschüssen wird nicht von der gewählten Eigentumsform abhängig gemacht. Es muss eine gewisse Mindestnorm eingehalten werden, um ein Basisdarlehen zu bekommen. Damit soll sichergestellt werden , dass die grundlegenden Ansprüche an eine Wohnung erfüllt werden. Bei Erfüllung weiterer qualitativer Voraussetzungen, zum Beispiel behindertengerechter Ausbau, umweltfreundliche Baustoffe, Energieeffizienz, Freiflächen und Bepflanzung, werden außerdem Zusatzdarlehen gewährt. Übertragbarkeit der norwegischen Praxis auf die deutschen Wohnungsgenossenschaften? Die Zweistufigkeil des norwegischen Wohnungsgenossenschaftssystems hat erhebliche wohnungspolitische Vorteile. Diese liegen darin, dass die Wohnungsgenossenschaft ihre wesentliche Aufgabe im fortwährenden Wohnungsbau sieht und das Eigentum an den erstellten Bauten sogleich den Bewohnergenossenschaften überlässt, sodass ihr Förderzweck durch die fortdauernde Bautätigkeit für die noch unversorgten Mitglieder gewährleistet bleibt. Durch ein Netz von Geschäftsbesorgungsverträgen sichern sich die Wohnungsgenossenschaften zudem die Verwaltung der den Bewohnergenossenschaften übertragenen Wohnanlagen und damit eine umfassende,

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Rahmenbedingungen und internationale Entwicklungen

durch sonstige Serviceleistungen ergänzbare Betreuungsaufgabe. Für die Tilgung der Baukredite sind hingegen die Bewohnergenossenschaften mit ihren wohnenden Mitgliedern zuständig, die für ihr Dauerwohnrecht finanzielle Verantwortung übernehmen müssen. Dies stärkt das innergenossenschaftliche Engagement. Die fortbestehende Mitgliedschaft der Bewohnergenossen in der Wohnungsgenossenschaft erhält die Solidarität zwischen unversorgten und versorgten Wohnungsgenossen . Die deutschen Wohnungsgenossenschaften könnten sich die zweistufige Genossenschaftsgliederung bei möglichst weitgehender Ausgabe von dinglichen Dauerwohnrechten im Sinne des § 31 WEG nutzbar machen. Die kleine Gemeinschaft der Bewohner einzelner Wohnanlagen erreicht durch die Nähe und Verbundenheit dieser Nutzer ein Zusammengehörigkeitsgefühl. Es entspricht auch dem Gedanken der Kooperation, Leistungen aufgrund der Nähe zum Objekt oder zum Menschen auf der jeweils niedrigsten Stufe zu erbringen und hierfür bestehende technische Lösungen von größeren Einheiten zu nutzen. Mit etwa 30% bringen die norwegischen Genossenschaftsmitglieder wesentlich mehr Eigenkapital für die genossenschaftliche Wohnungsbildung auf als die Mitglieder deutscher Wohnungsgenossenschaften, deren niedriger Geschäftsanteil außer Verhältnis zu den hohen Baukosten steht. Eine höhere Eigenkapitalbeteiligung der Nutzer von Genossenschaftswohnungen fördert das Verantwortungsgefühl und damit das Engagement der Mitglieder für die Genossenschaft, ihre Belange und Immobilien. Auch hier zeigt das Beispiel Norwegen gangbare Lösungen auf.47

2.3.6.2 Schweden 48 Auch in Schweden ist der Anteil selbst genutzten Eigentums mit 61% höher als in den meisten anderen europäischen Staaten. Allein Einfamilienhäuser machen einen Anteil von 59% am gesamten Wohnraum aus. Circa 16% des zur Verfügung stehenden Wohnraums befindet sich im Eigentum von Wohnungsgenossenschaften. Damit spielen Genossenschaften traditionell eine große Rolle bei der Wohnraumversorgung. Entwicklung der schwedischen Wohnungsgenossenschaften Das genossenschaftliche Wohnen in Schweden wird vor allem durch die beiden großen Genossenschaftsorganisationen HSB (Hyresgästernas Sparkasse- och Byggnadsforening) und Svenska Riksbyggen ermöglicht. HSB wurde im Jahre 1923 vom Stockholmer Mieterverein ins Leben gerufen und versteht sich als reine Konsumentenorganisation. Dagegen wurde Riksbyggen 1940 von verschiedenen Baugewerkschaften gegründet. Ursächlich dafür waren die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise auf die Baukonjunktur und die sich unter den Bauarbeitern ausbreitende Massenarbeitslosigkeit Diese Entwicklung wurde durch den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs noch verstärkt. Die schwedischen Baugewerkschaften versuchten durch die Gründung von 47 Vgl. Honold-Reichert, 2002, S. 25 (33). 48 Zum genossenschaftlichen Wohnungsbau in Schweden vgl. Beuthien/Hergarten, S. 30 II.

Internationale Entwicklungen

Riksbyggen qualitativ guten Wohnungsbau mit der Arbeitsbeschaffung für arbeitslose Bauarbeiter zu verknüpfen. Seit ihrem Bestehen haben die beiden großen schwedischen Genassenschaftsorganisationen bis Mitte der 1980er Jahre circa 660.000 Wohnungen in Mehrfamilienhäusern zur Verfügung gestellt, was im Jahre 1985 etwa 30% des Gesamtbestandes dieses Wohnungstyps in Schweden entsprach. Dabei ist HSB deutlich stärker verbreitet als Riksbyggen. Struktur des schwedischen Wohnungsgenossenschaftswesens Sowohl HSB als auch Riksbyggen sind jeweils unter einem Dachverband, der für die allgemeine wohnungsgenossenschaftliche Interessenvertretung zuständig ist, zweistufig organisiert. Für jedes neue Wohnprojekt werden eigene Gesellschaften gegründet, deren Mitglieder diejenigen sind, die in den Wohnungen leben (Bewohnergenossenschaften). Abgesehen von ihrem zweistufigen Aufbau sind die beiden Genossenschaftsorganisationen aber unterschiedlich geordnet und haben zum Teil auch verschiedene Aufgaben. Dies zeigt sich sowohl auf der Ebene der regionalen Organisationen (Wohnungsgenossenschaften) als auch auf der Ebene der nationalen Organisationen (Dachverbände). HSB ermöglicht seinen Mitgliedern das Wohnsparen innerhalb der eigenen Organisation, während Riksbyggen dieses in Zusammenarbeit mit der Sparbewegung in besonderen Hausspargesellschaften organisiert. Der organisatorische Unterschied wird auf der nationalen Ebene besonders deutlich. Während die Mitglieder des HSB-Dachverbands ausschließlich aus den HSB-Vereinen bestehen, setzen sich die Mitglieder des RiksbyggenDachverbands aus einer Vielzahl von Gewerkschaften, Konsumenten- und Versicherungsgenossenschaften sowie Bewohnergenossenschaften zusammen. Riksbyggen stellt daher anders als HSB eine nicht ausschließlich auf genossenschaftlicher Basis aufbauende Organisation dar, sondern ist von der Nähe zur gewerkschaftlichen Organisation geprägt. Ansonsten fußen beide genossenschaftlichen Organisationen jedoch auf den gleichen Prinzipien, vor allem aber auf dem Grundsatz der genossenschaftlichen Selbsthilfe. Ebenso wie in Norwegen besteht also auch in Schweden ein zweistufiger Aufbau der wohnungsgenossenschaftlichen Organisation, nämlich die Gliederung in Wohnungsgenossenschaften und in Bewohnergenossenschaften. Anders als in Norwegen gehören in Schweden aber jeder Bewohnergenossenschaft nicht nur die Inhaber der Wohnungen, sondern auch die zuständige Wohnungsgenossenschaft und ein Teil ihrer Vorstandsmitglieder an. Damit ist der laufende Einfluss der Wohnungsgenossenschaft auf die einzelne Bewohnergenossenschaft institutionell verfestigt. Außerdem sind die einzelnen Bewohnergenossenschaften Mitglieder derjenigen Wohnungsgenossenschaft, die sie gegründet hat, sodass auch in der Wohnungsgenossenschaft die Vorstände der zugeordneten Bewohnergenossenschaften zu Wort kommen . Das stärkt den Basisbezug und führt dazu, dass Verbundspitze und Verbundbasis in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen.

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Rahmenbedingungen und internationale Entwicklungen

Auch hinsichtlich der Verwaltung der Wohnobjekte gibt es erhebliche Unterschiede. Während diese in Norwegen kraft Geschäftsführungsvertrages von der Wohnungsgenossenschaft verwaltet werden, geschieht dies in Schweden durch die Bewohnergenossenschaft selbst, obschon mit Unterstützung der für sie zuständigen Wohnungsgenossenschaft Auch die Höhe der Eigenkapitalbeteiligung durch die Mitglieder weicht in beiden Ländern erheblich voneinander ab. ln Norwegen beträgt sie 30% der Erstellungskosten, während sie in Schweden nur 1% ausmacht. Den Mitgliedern der Bewohnergenossenschaften steht, ähnlich wie in Norwegen, ein schuldrechtsähnliches, zeitlich unbegrenztes Nutzungsrecht zu, das nicht gekündigt werden kann, solange das Mitglied seinen Verpflichtungen gegenüber der Bewohnergenossenschaft nachkommt. Für den Erwerb des Dauerwohnrechts muss jeder künftige Wohnungsinhaber eine einmalige Grundabgabe entrichten . Die Summe der Grundabgaben aller Wohnungsinhaber entspricht 1% der Erstellungskosten des Wohnobjekts. Darüber hinaus muss jeder Wohnungsinhaber eine laufende Jahresabgabe leisten, die monatlich zu zahlen ist und in etwa den Mietzinsen in einem Mietshaus entspricht. Die Jahresabgaben sollen die Kapitalkosten, Betriebskosten und Rücklagen zu den satzungsmäßigen Fonds der Bewohnergenossenschaft decken. Der bedeutendste Unterschied zwischen dem norwegischen und dem schwedischen Wohnungsgenossenschaftswesen besteht in der Möglichkeit des genossenschaftlichen Wohnsparens, die grundsätzlich nur in Schweden existiert. Das Wohnsparen ist einer der Ecksteine der HSB-Bewegung und wird als wesentlicher Teil der Mitgliedschaft angesehen. Wohnsparen bedeutet, dass ein gewisser Mindestbetrag einschließlich Zinsen auf dem Mitgliedskonto angespart werden soll. Wird dieser Mindestbetrag überschritten , so wird der Überschuss dem nächsten Sparjahr zugerechnet. Wird der Mindestbetrag dagegen unterschritten, so führt das in der Regel zu einem Zurückrücken auf der Wohnungszuteilungsliste. Das Wohnsparen ist sowohl für die Mitglieder als auch für Wohnungsgenossenschaften von Vorteil. Den Mitgliedern sichert es eine attraktive Möglichkeit, ihren Grundbeitrag für den Erwerb des Dauerwohnrechts anzusparen, denn sie erhalten zusätzlich zu dem üblichen Sparzins eine Sparprämie in Höhe von 1%, wenn sie ihre angesparten Mittel zur Grundabgabe für eine Dauerrechtswohnung verwenden. Den Wohnungsgenossenschaften sichert das Wohnsparen die zur ununterbrochenen Bautätigkeit erforderliche Kapitalbildung. Staatliche Förderung des Wohnungsbaus in Schweden Ziel der öffentlichen Wohnungsbauförderung in Schweden ist es, Wohnungen durch niedrige Gestehungskosten allgemein preiswert zu machen. Daher gibt es keine Kriterien für besonders zu fördernde Bevölkerungsgruppen ; vielmehr können grundsätzlich alle Bauherren und sämtliche Wohnungen öffentlich gefördert werden. Einziges Unterscheidungskriterium ist die Bauträgerorganisation, von der die Höhe der Subvention abhängt. lnfolge dieser weit gestreuten Förderung wurden seit 1945 circa 90% der fertig gestellten Wohnungen unmittelbar öffentlich gefördert.

Internationale Entwicklungen

Die öffentliche Förderung besteht darin, dass staatliche Kredite vergeben und die Zinsen der Kapitalmarktdarlehen subventioniert werden. ln Höhe von 70% der Herstellungskosten müssen Hypothekendarlehen auf dem Kapitalmarkt aufgenommen werden. Von den restlichen Erstellungskosten werden je nach Bauherr unterschiedliche Darlehenshöhen durch ein staatliches Wohnungsbaudarlehen gedeckt. 49 Der Staat übernimmt dabei eine Zinsgarantie. Soweit die Summe der Zinsen aus dem öffentlichen Wohnungs- und dem Hypothekendarlehen einen gewissen Betrag übersteigt, bezahlt die öffentliche Hand den Differenzbetrag und subventioniert somit die vonseiten des wohnungsgenossenschaftlichen Bauträgers dafür zu zahlenden Zinsen weit unter das Marktniveau herunter.

Übertragbarkeit der schwedischen Praxis auf die deutschen Wohnungsgenossenschaften? Hinsichtlich der Übertragbarkeit der schwedischen Praxis sei auf die Ausführungen zur Übertragbarkeit der norwegischen Praxis verwiesen, da sich insofern keine neuen Erkenntnisse ergeben. Insbesondere der auch in Schweden bestehende zweistufige Aufbau des Wohnungsgenossenschaftswesens hat die beschriebenen wohnungspolitischen Vorteile. 2.3.6.3 Dänemark Dänemark hat im Verhältnis zur Bevölkerungsgröße ebenfalls eine sehr gute Wohnungsversorgung. Circa 60% der Bevölkerung wohnen in Einfamilienhäusern. Der Anteil der Bevölkerung, der zur Miete wohnt, ist auf unter 30% gesunken. Nur wenige Wohnungen sind im Besitz der öffentlichen Hand. Der Anteil gemeinnütziger Wohnungen und Eigentumswohnungen ist seit dem Zweiten Weltkrieg deutlich gestiegen, wobei hauptsächlich neu gebaut wurde beziehungsweise private Mietwohnungen in Eigentumswohnungen umgewandelt wurden. Seit etwa 1980 bilden Reihen- und Gruppenhäuser als genossenschaftliche oder gemeinnützige Wohnungen einen großen Anteil am Wohnungsbau , während der Neubau von Einfamilienhäusern zurückgegangen ist. Wohnungsstandard und Wohnfläche sind kontinuierlich gestiegen und zählen zu den höchsten weltweit. Im Rahmen einer umfassenden Wohlfahrtspolitik wurde der Ausbau des von den Gemeinden kontrollierten gemeinnützigen Wohnungssektors in Dänemark forciert. Gemeinnützige Mietwohnungen stehen allen Einkommensschichten offen. Ein wesentliches Merkmal dieser Wohnungsbestände ist die weit reichende Mitbestimmung der Mieter.

49

Private Bauherren bekommen beispielsweise ein Baudarlehen in Höhe von 25 % der Erstellungskosten. Genossenschaften erhalten darlehensweise 29 % der Erstellungskosten. Als Anfangskapital muss eine Wohnungsgenossenschaft daher nur noch 1 % der Erstellungskosten aufbringen. Kommunale Wohnungsbauträger erhalten sogar die gesamten verbleibenden 30 % der Erstellungskosten als staatliches Wohnungsbaudarlehen, sodass keinerlei Eigenkapital zur Baufinanzierung aufgebracht werden muss.

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Rahmenbedingungen und internationale Entwicklungen

Staatliche Förderung des gemeinnützigen Wohnungsbaus in Dänemark Sozialer Wohnungsbau darf in Dänemark nur von gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften betrieben werden. Hiervon sind circa 40% als gemeinnützige Baugenossenschaften organisiert. so Kommunale Darlehen tragen in Höhe von 7% der Erstellungskosten zum Bau öffentlich geförderter Wohnungen bei. Die Mieter müssen 2% der Kosten aufbringen, die aber durch gemeindliche Darlehen oder Wohngeld subventioniert werden können . Die restlichen Erstellungskosten (circa 91%) werden durch indexierte, an die Lohn- und Preisentwicklung gebundene Hypothekendarlehen finanziert. Für diese kommen teils die Mieter, teils der Staat auf.51 Während der Bauphase wird der gemeinnützige Wohnungsbau durch Überbrückungskredite von Geschäftsbanken finanziert, die nach Fertigstellung durch generell einsetzbare langfristige Hypothekendarlehen von staatlichen Banken ersetzt werden. Diese Hypothekendarlehen sind eine dänische Besonderheit, die in der Regel mit festverzinslichen Pfandbriefen langer Laufzeit refinanziert werden. Angesichts der allgemein hohen Steuersätze spielen Steuervergünstigungen für Darlehenszinsen bei der Ausweitung des Wohnungseigentumssektors eine wesentliche Rolle. Anstelle der früheren Absetzbarkeil zum individuellen Grenzsteuersatz kommen in den letzten Jahren fallende feste Steuersätze zur Anwendung . Struktur des privaten Wohnungsgenossenschaftswesens in Dänemark Wohnungen privater Wohnungsgenossenschaften gibt es in Dänemark in zwei Varianten. Die erste Variante entsteht bei der Veräußerung privater Mietwohnungen. Hier haben Mieter, die sich zu Genossenschaften zusammenschließen, ein gesetzliches Ankaufsrecht 20% des Kaufpreises werden durch die Einlagen der Bewohner aufgebracht, während die restlichen 80% durch staatlich subventionierte Indexdarlehen finanziert werden. Die meisten bisherigen Mieter zahlen drei Monatsmieten im Voraus und haben noch eine weitere Monatsmiete als Kaution hinterlegt. Weiterhin verfügen sie beim Vermieter über ein Instandhaltungskonto für die innere Instandhaltung. Nach der Umwandlung des Mietshauses in eine Wohnungsgenossenschaft werden diese Beträge auf die Einlage der Bewohner angerechnet, sodass den meisten Mietern kaum zusätzliche Kosten entstehen , was dieses Verfahren unter den Dänen sehr beliebt macht. Die zweite Variante entsteht durch Neubau einer Wohnanlage durch eine Wohnungsgenossenschaft Hier müssen die Bewohner auch eine Einlage in Höhe von 20% der Erstellungskosten aufbringen. Die übrigen Erstellungskosten werden ebenfalls durch staatlich subventionierte Indexdarlehen finanziert. ln den Genossenschaftswohnungen sind die Bewohner bezüglich Betrieb und Instandhaltung mehr eingebunden als in den gemeinnützigen Wohnungen. Die Wohnungsgenossenschaften brauchen auch nicht so hohe Rücklagen für Instandhaltung und Erneuerung zu bilden wie die Träger 50 51

Vgl. Steinberg 1996, S. 41 . Vgl. Steinberg 1996, S. 22.

Internationale Entwicklungen

der gemeinnützigen Wohnungen. Dadurch entstehen große Unterschiede hinsichtlich der Miethöhe, da die Betriebskosten bei den Wohnungsgenossenschaften erheblich geringer sind. Dies macht einen weiteren Vorteil der Genossenschaftswohnungen aus. Übertragbarkeit der dänischen Praxis auf die deutschen Wohnungsgenossenschaften? Ähnlich wie in Schweden und Norwegen ist die Eigenkapitalbeteiligung der Mitglieder an den Wohnungsgenossenschaften höher als in Deutschland. Ferner besteht eine weit reichende Mitbestimmung der Mieter. Allerdings existieren hinsichtlich der Besteuerung und Subventionierung erhebliche Unterschiede, sodass die dänische Praxis nur bedingt auf deutsche Wohnungsgenossenschaften übertragbar ist.

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3

Situation und Marktperspektiven

ln Deutschland gibt es etwa 2.000 Wohnungsgenossenschaften mit rund drei Millionen Mitgliedern . Von den Genossenschaften werden rund zwei Millionen Wohnungen bewirtschaftet. Dies entspricht zehn Prozent des Mietwohnungsmarktes. Wohnungsgenossenschaften sind seit ihrer Entstehung sowohl im Eigentums- als auch im Mietwohnungssektor tätig. So wurden beispielsweise in den alten Bundesländern zwischen 1950 und 1990 rund 900.000 Mietwohnungen und 500.000 Wohneinheiten an Eigentumswohnungen beziehungsweise Eigenheimen erstellt. Diese Zahlen veranschaulichen die erhebliche Bedeutung der Wohnungsgenossenschaften in Deutschland. Mit den demographischen, sozialen und ökonomischen Veränderungen und dem damit verbundenen gesellschaftlichen Strukturwandel stehen die Wohnungsgenossenschaften vor neuen Anforderungen und auch Herausforderungen . Denn ihre Situation stellt sich ebenso wie bei vielen anderen Wohnungseigentümern heute erheblich anders dar als Mitte der 1990er Jahre . Damals war der Wohnungsmarkt bundesweit noch durch Nachfrageüberhänge und damit einhergehend von steigenden Mietpreisen gekennzeichnet. Wartelisten und längere Wartezeiten, insbesondere in vielen westdeutschen Wohnungsgenossenschaften waren an der Tagesordnung. Die Genassenschaftswohnung - preiswert und sicher- war eine attraktive Alternative. Die Unternehmen in den neuen Ländern kämpften zu diesem Zeitpunkt noch mit großen wendebedingten Veränderungen, sowohl in Bezug auf die Sanierung und Modernisierung des Bestandes als auch auf die organisatorischen Rahmenbedingungen. Der Transformationsprozess vor dem Hintergrund des Altschuldenhilfe-Gesetzes war in vollem Gange, zugleich war der große Modernisierungs- und Instandsetzungsnachholbedarf noch lange nicht gedeckt. Das große Angebot an genossenschaftlichen Wohnungen in Ostdeutschland, insbesondere in Plattenbaubeständen, die sich im Besitz großer Arbeiterwohnungsgenossenschaften, befanden, ließ sich mangels Alternativen zunächst noch gut vermieten. ln den vergangenen Jahren haben sich die Mietwohnungsmärkte im Westen in vielen Regionen merklich entspannt, bis hin zu Vermietungsproblemen und Leerständen bei den Wohnungsanbietern. Auf fast allen ostdeutschen Wohnungsmärkten hat ein weitgehender Nachfragerückgang bei gleichzeitiger Zunahme des Wohnungsangebotes zu einem extremen Angebotsüberhang geführt. Innerhalb weniger Jahre entstanden Wohnungsleerstände in dramatischem Ausmaß. Diese Leerstände konzentrierten sich

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Situation und Marktperspektiven

zunächst auf den unsanierten Altbau . Inzwischen sind jedoch insbesondere in den großen ostdeutschen Plattenbaugebieten die Leerstände stetig angewachsen und haben dramatische Ausmaße angenommen. Ein Ende der Entwicklung ist derzeit noch nicht absehbar. Zahlreiche große Unternehmen in den neuen Ländern sind deshalb in eine wirtschaftliche Schietlage geraten. Wohnungsgenossenschaften als Teil des Wohnungsmarktes sind von den dargestellten Entwicklungen unmittelbar betroffen . Die Prognosen über die Entwicklung der Wohnflächennachtrage in Ost und West deuten auf eine weitere Verschärfung der Marktbedingungen vor allem in den neuen Ländern hin, da diese von einer weiterhin zurückgehenden Nachtrage geprägt sein werden. Im Gegensatz dazu wird für die meisten Regionen in den alten Ländern zunächst noch eine wachsende Wohnflächennachtrage prognostiziert. Die wachsende Wohnflächennachtrage ist im Wesentlichen auf eine weitere Verkleinerung der Haushalte zurückzuführen, die im Westen den Bevölkerungsrückgang in seiner negativen Auswirkung auf den Wohnungsmarkt kompensiert. Inwieweit diese Prognosen realistisch sein werden, hängt aber nicht zuletzt von der ökonomischen Lage der nachfragenden Haushalte ab. Allgemein wächst auf die Wohnungsgenossenschaften der Druck, sich den Anforderungen der Wohnungsmärkte zu stellen . Aufgrund der verschärften Rahmenbedingungen kommt den ökonomischen Aspekten in der Betrachtung ein wachsendes Gewicht zu. Diesem Umstand wurde in der nachfolgenden Untersuchung besonders Rechnung getragen (Kapitel3.1). Allgemein gültige Aussagen sind für Wohnungsgenossenschatten dabei schwierig zu treffen, da sich ihre Struktur in Deutschland ausgeprägt heterogen darstellt. Das Spektrum reicht von kleinsten westdeutschen Genossenschaften mit einem Bestand von 20 bis 30 Wohnungen im Altbau bis hin zu großen ostdeutschen Unternehmen mit weit über 10.000 Einheiten in mehrgeschossigen Plattenbaubeständen. Das breite Spektrum der Genossenschatten und der Wohnungsbestände in ihrer Charakteristik herauszuarbeiten, ist ein besonderes Anliegen der vorliegenden Untersuchung. Die Wohnungsgenossenschatten stehen heute im Spannungsfeld zwischen einer modernen, marktorientierten, wettbewerbsfähigen und an wirtschaftlichen Notwendigkeiten ausgerichteten Unternehmensführung einerseits und der Wahrung, Förderung und Nutzung ihrer genossenschaftsspezifischen Eigenschatten (vgl. Kapitel 1) andererseits. Das Selbstverständnis variiert dabei von Wohnungsgenossenschaft zu Wohnungsgenossenschaft stark. Das Spektrum reicht von dem eines reinen Wohnraumanbietars (Marktorientierung) bis hin zur streng auf den förderwirtschaftlichen Zweck ausgerichteten Wohnungsgenossenschaft im ursprünglichen Sinn (Nutzerorientierung) . Gerade die Herausstellung der spezifischen Merkmale von Genossenschaften und ihre Kommunikation nach außen ist notwendig, soll das Wohnungsangebot der Genossenschatten nicht zunehmend der Austauschbarkeif mit anderen Wohnungsangeboten anheim fallen . ln den nachfolgenden Abschnitten wird zunächst die derzeitige Situation der Wohnungsgenossenschatten in Deutschland aufgezeigt. Als Grundlage

109

dienen dazu unter anderem die von ANALYSE & KONZEPTE durchgeführten Wohnungsgenossenschaftsbefragungen (Kapitel 3.1). ln Kapitel 3.2 erfolgt eine Analyse der allgemeinen Entwicklung des Wohnungsmarktes. Damit werden die Rahmenbedingungen aufgezeigt, innerhalb derer sich die Wohnungsgenossenschaften in Zukunft bewegen. Seide Teile werden in einem weiteren Schritt zusammen geführt, indem vor dem Hintergrund der allgemeinen Entwicklungen und der spezifischen genossenschaftlichen Situation die Marktperspektiven für Wohnungsgenossenschaften heraus gearbeitet werden (Kapitel 3.3) . ln einem Exkurs werden die Rahmenbedingungen der Wohnungsgenossenschaften in den neuen Ländern noch einmal gesondert dargestellt und deren spezifische Problemlagen deutlich gemacht (Kapitel 3.4). Die Schlussfolgerungen geben einen Überblick über die Ergebnisse dieses dritten Kapitels und zeigen erste Perspektiven auf (Kapitel 3.5) .

3.1

Aktuelle Situation der Wohnungsgenossenschaften in Ost- und Westdeutschland - Ergebnisse der repräsentativen Befragung

3.1.1

Einleitung

ln diesem Kapitel wird die Situation der Wohnungsgenossenschaften in Deutschland dargestellt. Dazu werden die genossenschaftlichen Wohnungsbestände in umfassender Weise charakterisiert, die wirtschaftliche Situation der Wohnungsgenossenschaften in den alten und neuen Bundesländern beleuchtet und die Grundzüge der wohnungsgenossenschaftlichen Geschäftspolitik dargestellt. Ergänzt wird dies durch eine Analyse der Bewohnerstrukturen und der Wohnsituation der Mitglieder sowie deren Engagement innerhalb der Wohnungsgenossenschaft Der Darstellung ist ein Exkurs zur Geschichte der Wohnungsbaugenossenschaften vorangestellt.

3.1.1.1 Methoden und Quellen Die aktuelle Situation der Wohnungsgenossenschaften wird auf der Basis mehrerer von ANALYSE & KONZEPTE in den Jahren 1997 und 2003 durchgeführter Untersuchungen dargestellt. Außerdem hat der GdW Bundesverband deutscher Wohnungsunternehmen e.V. statistisches Material in großem Umfang zur Verfügung gestellt. Im Auftrag der Expertenkommission hat ANALYSE & KONZEPTE in Zusammenarbeit und enger Abstimmung mit dem GdW Bundesverband deutscher Wohnungsunternehmen e.V. in 2003 eine umfangreiche und detaillierte Wohnungsgenossenschaftsbefragung bei den im GdW organisierten Wohnungsgenossenschaften durchgeführt. Für diese schriftliche Befragung wurde von ANALYSE & KONZEPTE ein standardisierter Fragebogen ausgearbeitet. Der Versand an alle im Bundesverband verbundenen Wohnungsgenossenschaften erfolgte zentral durch den GdW beziehungsweise über die in ihm organisierten Regionalverbände (Mai 2003) . Insgesamt wurden 1960 Fragebögen versandt. Bis Ende Juli 2003 wurden von 850 Wohnungsgenossenschaften verwertbar ausgefüllte Erhebungsbögen zurückgeschickt. Dies entspricht einer für derartige Erhebungen beachtlich hohen Rücklaufquote von 43% . Diese 850 Wohnungsgenossenschaften repräsentieren 60% des genossenschaftlichen Wohnungsbestandes und 55% der Mitglieder in Deutschland (vgl. Tab. 3.1).

112

Situation und Marktperspektiven

Sowohl nach Genossenschaftsgrößen als auch regional betrachtet, entspricht die Struktur der Wohnungsgenossenschaften, die sich an der Befragung beteiligt haben, weitgehend der Struktur der Wohnungsgenossenschaften in ihrer Grundgesamtheit, sodass die erwünschte Repräsentativität erzielt werden konnte (vgl. Tab. 3.2). Tab. 3.1

Stichprobe Wohnungsgenossenschaftsbefragung 2003

Genossenschalten Wohnungsbestand Mitglieder

Stichprobe

VVohnung gfnossenschaft n l.n Deutschland

850

ca. 1960

ca. 43%

100%

1.270.000

ca . 2.150.000

ca. 60%

100%

1.640.000

ca. 2.950.000

ca. 55%

100%



Quelle der VergleiChszahlen (Deutschland): GdW

-

'--

Tab. 3.2

Verteilung des Rücklaufs Wohnungsgenossenschaftsbefragung 2003

Genossenschaftsgroßenklassen (An, aben ln •.) bls 2501.000249 VVE 999 VVE 2.499 VVE GV StV GV SIV GV SIV Nord 7 4 7 8 9 6 Ost 12 17 11 13 12 8 14 14 SOd 8 10 4 5 Summe 34 29 34 29 20 24 Nord

HB, HH, SH, N, NRW

Ost

BE, BB, LSA, MV, SN, TH

Süd

BW, BY, HE, RP, SL

Quelle A&K-Wohnungsgenossenschaltsbefragung 2003

-

JY KO "Wfi'TI

S.OOOVVE 2.500Insgesamt 4.999 VVE und~ rößer GV SIV GV GV SIV SIV 3 4 1 2 28 23 4 5 3 6 38 54 1 1 0 34 23 0 8 10 5 8 100 100 Verteilung in der GrundgeGV samthetl SIV

Verteilung in der Stichprobe

:>;AU I KO /I"P"ll

Aktuelle Daten, insbesondere zur Charakterisierung der genossenschaftlichen Wohnungsbestände und deren Entwicklung sowie zu betriebswirtschaftlichen Kennzahlen basieren außerdem auf der Jahresstatistik des GdW Bundesverband deutscher Wohnungsunternehmen e.V., die jährlich auf Basis

Situation der Wohnungsgenossenschaften , Befragungsergebnisse

der Befragungen aller Mitgliedsunternehmen (einschließlich der Wohnungsgenossenschaften) gewonnen wird. Diese Daten wurden freundlicherweise vom GdW zur Verfügung gestellt. Um die spezifischen Merkmale von Wohnungsgenossenschaften und ihren Beständen profilieren zu können , wurden die Daten denen anderer Wohnungsunternehmen ·gegenübergestellt. Dabei handelt es sich um anonymisierte Daten von ehemals gemeinnützigen (einschließlich kirchlichen) Wohnungsunternehmen, die freundlicherweise ebenfalls vom GdW zur Verfügung gestellt wurden. Diese Zahlen ermöglichen eine vergleichende Darstellung mit dem Ziel, die Besonderheiten der Wohnungsgenossenschaften und ihrer Bestände im Vergleich zu den anderen Unternehmen herauszuarbeiten. Die Daten wurden dafür in der vorliegenden Darstellung herausgestellt, sofern signifikante Unterschiede festgestellt wurden. ln manchen Bereichen ähnelten sich die Verhältnisse dagegen stark. Auf diesen Umstand wird an den entsprechenden Stellen kurz hingewiesen . Die Situationsbeschreibung baut auf einer 1997 von ANALYSE & KONZEPTE im Auftrag des Ministeriums für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau erstellten Untersuchung mit dem Titel "Aktuelle Situation und Perspektiven der Wohnungsgenossenschaften in Deutschland" auf. Der Text der Studie wurde vollständig überarbeitet und unter Einbezug neuerar Quellen und Untersuchungen thematisch erweitert und weitgehend aktualisiert. Die 1997er Untersuchung basierte auf quantitativen und qualitativen Erhebungen, welche die Unternehmensperspektive und die Mitgliederperspektive gleichermaßen beleuchteten . Auf eine Fortschreibung der Mitgliederbefragung musste aus Kostengründen leider verzichtet werden. Um auf die wichtigen Ergebnisse dieser Untersuchungsteile nicht verzichten zu müssen, wurde vor dem Hintergrund der Erfahrungen von A&K geprüft!, inwieweit diese Ergebnisse weiterhin ihre Gültigkeit behalten beziehungsweise durch aktuellere Studien gestützt werden können. Auf Ergebnisse, die nach Auffassung von A&K nicht mehr oder nur noch teilweise vertretbar sind, wurde verzichtet.

3.1.1.2 Aufbau der Darstellung Die Situationsbeschreibung beginnt mit einem Exkurs zur wechselvollen Geschichte der Wohnungsbaugenossenschaften bis zur Wiedervereinigung , die ihren Anfang in den 1860er Jahren nimmt, angestoßen von den sozialreformerischen Kräften und deren Vordenker Victor Aime Huber. Der zweite Abschnitt (3.1.2) enthält eine umfassende Bestandsaufnahme der Wohnungsgenossenschaften, ihrer Bestände und der Entwicklung der Mitgliederzahlen. Nach einer Darstellung, wie die Wohnungsgenossenschaften und ihre Bestände auf die verschiedenen Genossenschaftsgrößen verteilt sind, wird der Bestand unter verschiedenen Gesichtspunkten wie Gebäudestruktur, Förderung, Neubau und Modernisierung , Wohnungsgrößen und -ausstattung untersucht. Ein besonderes Augenmerk liegt zudem auf A&K führt laufend Mitgliederbefragungen und Marktuntersuchungen im Rahmen der Auftragsforschung durch.

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Situation und Marktperspektiven

den Leerstandsproblemen insbesondere in den neuen Bundesländern sowie auf der insgesamt rückläufigen Mitgliederentwicklung. Ein Exkurs widmet sich der prekären wirtschaftlichen Situation der TLG-Genossenschaften, jenen Wohnungsgenossenschaften, die von der Treuhand Liegenschaftsgesellschaft (TLG) gegründet wurden, um DDRWerkswohnungen größerer industrieller Komplexe sozialverträglich zu privatisieren. Die Strukturen der Mitglieder unter soziodemographischen Gesichtspunkten ist Gegenstand des Kapitels 3.1.3. Die Zahlen wurden bei der A&KMitgliederbefragung 1997 gewonnen. Aufgrund der bisher relativ hohen Kontinuität der Mitgliedschaften, insbesondere in den alten Bundesländern, kann aber davon ausgegangen werden, dass die Daten die heutigen Verhältnisse noch weitestgehend abbilden . Begründet durch einen stärkeren Wettbewerb auf entspannteren Wohnungsmärkten verschärfen sich die ökonomischen Rahmenbedingungen für Wohnungsgenossenschaften. Die wirtschaftliche Situation ist im Kapitel3.1.4 dargestellt. Neben betriebswirtschaftliehen Kennzahlen werden Zusammensetzung und Entwicklung der Mitgliederbeiträge als der Wesentlichen Eigenkapitalquelle der Wohnungsgenossenschaften behandelt. Dem Themenkomplex der wohnungsgenossenschaftlichen Geschäftspolitik ist ein umfassendes Kapitel3.1.5 gewidmet, das insbesondere auf den Ergebnissen der A&K-Wohnungsgenossenschaftsbefragung 2003 basiert. Neben grundlegenden Sachverhalten zu Aufgaben und Organisation von Wohnungsgenossenschaften wurde die Wirtschaftsplanung (im Zusammenhang mit Basel II), das Verhalten der Wohnungsgenossenschaften als Marktteilnehmer und ihr Angebot an besonderen Dienstleistungen für die Mitglieder untersucht. Zum Dienst am Mitglied gehört auch die lnformationspolitik, der in der demokratischen Unternehmensform der Genossenschaft große Bedeu tung zukommt. Mit der Praxis wohnungsgenossenschaftlicher Kooperation schließt die Betrachtung der Unternehmenspolitik ab. Erkenntnisse zur Wohnsituation der Genossenschaftsmitglieder wurden in der A&K-Mitgliederbefragung 1997 gewonnen und sind im Kapitel 3.1.6 wiedergegeben. Es sind sowohl objektive Größen wie Mitgliedschafts- und Wohndauer, als auch subjektive Größen, wie die Bewertung der Miethöhe durch die Genossen und deren Wohnzufriedenheit erhoben worden. Zuletzt werden die Umzugsneigungen und -motive dargestellt. Die Situationsbeschreibung schließt mit einem Kapitel (3.1.7) über Engagement und Partizipation, das ebenfalls überwiegend auf der A&K-Mitgliederbefragung 1997 basiert. Angefangen von der Motivation, Mitglied zu werden und eine Genossenschaftswohnung zu beziehen, über ehrenamtliches Engagement, die Bereitschaft zur Zeichnung zusätzlicher Geschäftsanteile bis hin zur Wahrnehmung von Wahlrechten und der alltäglichen Teilhabe der Mitglieder am (wohnungs-)genossenschaftlichen Leben werden letztlich die Besonderheiten des Genossenschaftlichen beleuchtet.

Situation der Wohnungsgenossenschaften, Befragungsergebnisse

Exkurs: Zur Geschichte der Wohnungsbaugenossenschaften 2 1862- 1918: Von den Anfängen bis zum Ersten Weltkrieg Als Vordenker der Baugenossenschaftsbewegung beziehungsweise allgemein als Vater der Ideen zur Wohnungsreform Mit1e des 19. Jahrhunderts gilt Victor Aime Huber (1800- 1869). Hintergrund seiner Ideen war d1e enorme Wohnungsnot dieser Zeit. Der Mietwohnungsbau war ein hoch lukratives Geschäft, in den überbelegten Wohnquartieren herrschten untragbare Zustände bis hin zu grassierenden Epidemien. Die Wohnungsreformer erkannten die soziale Frage des Wohnens als brennendes Problem. Wohnungsgenossenschaften entwickelten sich als e1ner von dre1 Zweigen der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft neben den Baugesellschaften (in der Regel in Form von Aktiengesellschaften) und Wohnungsfürsorgegesellschaften ("Heimstätten"). Nachdem von dem sozialreformerisch gesinnten Wirtschaftsbürgertum - Begründer der ersten Baugesellschaften- das Prinzip der GemeinnützigkeiP formuliert wurde , basiert die Baugenossenschaft auf dem Grundsatz der Selbsthilfe. 4 Die Baugenossenschaftsbewegung erhielt Auftrieb durch das preußische Genossenschaftsgesetz von 1867, welches eine erste Gründungswelle zu Beginn der 1870er Jahre auslöste. Die erste deutsche Wohnungsbaugenossenschaft entstand allerdings bereits 1862 in Hamburg-Steinwärder. Die ersten Baugenossenschaften waren auf die finanzielle Starthilfe privater Mäzene angewiesen, die Kapitalbeschaffung blieb ein ständiges Problem. Am Anfang der Baugenossenschaftsbewegung stand der Wunsch des Erwerbs von Einfamilienhäusern. Bereits in den 1860er Jahren herrschte aber unter den Wohnungsgenossenschaften ein heftiger Prinzipienstreit zwischen den Vertretern des baugenossenschaftliehen Wohneigentumsgedankens und der neu entstandenen Fraktion des genossenschaftlichen Mietwohnungsbaus. Hermann Schulze-Delitzsch 5 schlug vor, das ..kleine Erwerbshaus" zwar als das anzustrebende Ideal anzusehen, den Mietshausbau aber nicht gänzlich abzulehnen. Auch Huber war von dem Konzept des Einfamilienhauses abgerückt und trat für die Errichtung von Mehrfamilienhäusern ein, nachdem er die ökonomische Wirkung der hohen Bodenpreise auf den Hausbau in den Städten erkannt hatte.

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Vgl. Adam 1999/Schulte 1997/Verband Norddeutscher Wohnungsunternehmen e.V. (Hrsg.) 2000. Gemeinnützigkeit allgemein bedeutet privates oder öffentliches Handeln, welches nicht auf Gewinnerzielung ausgerichtet ist. Als gemeinnützig anerkannte Unternehmen genießen Steuervorteile. Bei der Wohnungsgemeinnützigkeit (Gemeinnützigkeitsverordnung von 1930, Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz von 1940) ist die Zuerkennung der Gemeinnützigkeit von bestimmten Zweck-, Vermögens- und Verhaltensbindungen der Unternehmen abhängig. Vgl. Kapitel1 .1, genossenschaftliche Prinzipien . Hermann Schulze-Delitzsch (1808- 1883) gilt als wichtigster deutscher Genossenschaftspionier und entwarf das Genossenschaftsgesetz von 1867.

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Situation und Marktperspektiven

Letztlich musste der ideologische Streit der pragmatischen Erkennt· nis weichen, dass die Bodenpreise das wirtschaftlich Machbare vorgeben. Auf dem preiswerten Land konnte sich das Erwerbshaus entfalten, in den Ballungsräumen der Städte entstand der genossenschaftliche Mietwohnungsbau. Ab Mitte der 1880er Jahre beschränkten sich viele Wohnungsgenossenschaften ganz auf den Bau von Mietwohnungen, als erste der ,.Hannoveraner Spar- und Bauverein" (1885) . Dessen Idee, wonach die Wohnungen für alle Zukunft Eigentum der Genossenschaften bleiben sollen und somit der Immobilienspekulation entzogen werden, wurde richtungsweisend. Insgesamt entwickelten sich die Baugenossenschaftenaufgrund recht· licher und finanzieller Probleme zunächst nur allmählich. Hauptgründe waren die Probleme bei der Kapitalbeschaffung, sow1e die unbeschränkte Haftpflicht (Genossenschaftsgesetz von 1867). Mit der 1873 beg1nnenden Weltwirtschaftskrise nahm die Zahl der Baugenossenschatten bereits wieder ab, nachdem sie auf circa 50 angestiegen war. Doch ab 1889/90 erlebte das Baugenossenschaftswesen einen erheb· 1lichen Aufschwung und es setzte eine rege Neubautätigkeit ein. Maßgeblich dafür war zum einen die Novaliierung des Genossenschaftsgesetzes von 1889 (welche die beschränkte Haftpflicht einführte} , zum anderen aber das Invaliditäts- und Alterssicherungsgesetz aus dem selben Jahr· Die Landesversicherungsanstalten als Sozialversicherungsträger wurden vom Staat dazu angehalten, einen Teil ihrer Mittel zu günstigem Zinssatz gemeinnützig anzulegen. Ihre Prinzipien Selbsthilfe, Gewinnbeschränkung und Vermögensbindung machten die Baugenossenschaften zu idealen Beziehern dieser Gelder. Darüber hinaus gewährte zumindest der preußische Staat bereits in den 1890er Jahren unter bestimmten Bedingungen (Zweck-, Vermögens- und Überschussbindung) gewisse Steuerbefre1ungen. Zunehmende Bedeutung gewann nun auch die Revis1on. Das Prüfungswesen nach dem Genossenschaftsgesetz von 1889 erwies sich als gute Basis, den meist ehrenamtlich verwalteten Wohnungsgenossenschaften hoch qualifizierte Hilfestellung zu geben. Die Prüfer halfen beispielsweise bei der Aufstellung der Bilanzen oder empfahlen Methoden für die zweckmäßigste Handhabung des Geschäftsbetriebes. Das Prüfungswesen rückte in den Mittelpunkt der Arbeit der noch jungen Verbände. Die Verbandsentwicklung verlief zunächst uneinheitlich. Die erste Verbandsgründung erfolgte 1896; bis 1925 entstanden insgesamt 17 Verbände, von denen 11 regional und 6 im gesamten Reichsgebiet tätig waren. Das regionale Prinzip sollte sich erst 1934 vollständig durchsetzen. Von 1890 bis 1910 verzwanzigfachte sich die Zahl der Baugenossenschaften nahezu von 50 auf 964. Die Dynamik entwickelte sich aus der Kombination der geschilderten verbesserten gesetzlichen und politischen Rahmenbedingungen und der Verbreitung des erfolgreichen Prinzips des Gemeinschaftseigentums nach dem Vorbild des Hannoveraner Spar- und Bauvereins. Außerdem wurde Neumitgliedern durch Ratenzahlung der Eintritt erleichtert und durch die Annahme und Verwaltung von Spargeldern die

Situation der Wohnungsgenossenschaften, Befragungsergebnisse

Finanzkraft der neu gegründeten Spar- und Bauvereine gestärkt. Weiterhin wurden die zahlreichen Gründungen durch professionelle Gründungsberatung und -hilfen von neu entstandenen .,Propagandagesellschaften", Fördervereinen und Wohnungsgenossenschaftsverbänden befördert. ln den 1880er Jahren stand die organisierte Arbeiterschaft der Genossenschaftsbewegung noch ablehnend gegenüber, die Organisationserfolge der Wohnungsgenossenschaften einerseits und das Faktum der Wohnungsnot andererseits bewegten die Gewerkschaften allerdings allmählich zum Umdenken ; 1910 wurde die Genossenschaftsbewegung schließlich auch von der SPD auf dem Magdeburger Parteitag offiziell anerkannt. Wichtige Voraussetzungen hierfür waren das Konzept des Gemeinschaftseigentums und die demokratischen Satzungen . Bis zum Ersten Weltkrieg wurden die meisten Wohnungsgenossenschaften vom Bürgertum beziehungsweise der christlich geprägten Unternehmerschaft gegründet, die quantitativ überwiegend auf den Bau von Arbeiterwohnungen (aber auch auf Mittelstandsprojekte) ausgerichtet waren. Vier verschiedene Entstehungsformen von Wohnungsgenossenschaften sind für diese Zeit weiterhin kennzeichnend : Reformbürgerliche Gründungen wurden von Arbeitern umgewandelt, die Honoratioren mithilfe der demokratischen Satzungen abgewählt ; o Bestehende Arbeiterorganisationen (zum Beispiel Produktivgenossenschaften, Kleingarten- und Turnvereine} erweiterten ihre Zielsetzung um den Wohnungsbau : • Große Selbsthilfeorganisationen der Arbeiterschaft (zum Beispiel Allgemeine Ortskrankenkassen, große Konsumvereine) wurden im Wohnungsbau tätig: • Schutzorganisationen der Arbeiterschaft (Mieterschutzvereine, in der Weimarer Republik dann Gewerkschaften) begannen mit dem Wohnungsbau. o

Als erste rein sozialdemokratische Gründung in Deutschland gilt hingegen die "Arbeiter-Bau-Genossenschaft Paradies" in Berlin (1902). Die Bautätigkeit der gegen Ende des Deutschen Kaiserreichs bestehenden rund 1.400 Baugenossenschaften kann die Produktionsziffern des privaten Wohnungsbaus nicht annähernd erreichen. Gebaut wird meist in randstädtischen Lagen. Zwischen 1914 und 1918 kommt der Wohnungsbau im deutschen Reich kriegsbedingt praktisch zum Erliegen.

1918-1933: Wiederaufbau und zweite Gründungsphase Vor dem Hintergrund der erneuten, besonders schweren Wohnungsnot nach dem Ersten Weltkrieg- 1919 fehlten m Deutschland fast zwei Millionen Wohnungen -entschließen sich Staat, Länder und Gemeinden erstmals in der deutschen Geschichte zur direkten Intervention auf dem Wohnungsmarkt. ln Artikel 155 benennt die Weimarer Verfassung den Wohnungsbau

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Situation und Marktperspektiven

ausdrücklich als staatliche Aufgabe. Das Engagement der öffentlichen Hände wurde notwendig, da die private Bautätigkeit aufgrund mangelnden Baumaterials, inflationärer Baukosten und Kapitalknappheit darnieder lag. Zunächst wurden verlorene Baukostenzuschüsse gezahlt, man rückte von dieser zu kostspieligen Fördervariante aber schnell zugunsten vergünstigter Darlehen und zusätzlicher Sonderbauprogramme für spezielle Bevölkerungs- und Berufsgruppen ab. Zwischen 1919 und 1932 werden etwa 80% aller Wohnungsneubauten durch die öffentlichen Hände mitfinanziert Entscheidende Bedeutung erlangte nach der Inflation und der Einführung der Reichsmark (1924} die so genannte "Hauszinssteuer" (Steuernotverordnung 1924}, mit deren Hilfe der während der Inflation schuldenfrei gewordene Hausbesitz über die Besteuerung der Mieten zur Finanzierung des Wohnungsneubaus herangezogen wurde. Nutznießer der (ebenfalls massiven) Unterstützung durch die Kommunen waren sowohl die Erwerbshausgenossenschaften als auch die Wohnungsgenossenschaften mit dem Prinzip des Gemeinschaftseigentums. Die Hilfen bestanden in direkten Zuschüssen, Bürgschaften für Hypotheken und der kostengünstigen Bereitstellung von Bauland. Aus der großen Not nach dem Ersten Weltkrieg geboren, entstand mit den Wohnungsfürsorgegesellschaften (,.Heimstätten") ein neuer Zweig der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft in Deutschland. Rechtsgrundlagen waren das Reichssiedlungsgesetz von 1919 und das Reichsheimstättengesetz von 1920, das die ,.Heimstätte" als eigene Wohnform definierte (Siedlung mit Selbstversorgungskomponente) . Anfang der 20er Jahre entstanden zahlreiche Heimstätten-Siedlungen zunächst in Selbsthilfe und auf genossenschaftlicher Basis. Allgemein lebte der Selbsthilfegedanke wieder stärker auf. Um gegenüber dem zunehmend intervenierenden Staat die Unabhängigkeit und das Prinzip der Selbstverantwortung zu verteidigen , wuchs für die Baugenossenschaften die Notwendigkeit einer wirksamen lnteressenvertretung. 1924 entstand in Erfurt der "Hauptverband Deutscher Baugenossenschaften" mit Sitz in Berlin , als erstem "Verband der Verbände", dem 14 regionale Prüfungsverbände mit insgesamt weit über 2.000 Wohnungsgenossenschaften angehörten. Die Gründung des Hauptverbandes ist ein wichtiger Markstein in der Entwicklung des Verbandswesens, deren entscheidende Grundlage die Einführung der Revisionspflicht war (bereits 1889). Denn diese Novaliierung des Genossenschaftsgesetzes (1889) billigte das Recht, den Revisor zu bestellen, den Verbänden zu. Die zwanziger Jahre bilden den absoluten Höhepunkt in der Entwicklungsgeschichte des Genossenschaftswesens und die Wohnungsbaugenossenschaften werden zu entscheidenden Trägern des Wohnungsbaus. Fehlendes Kapital wird in den Wohnungsgenossenschatten häufig durch Arbeitseinsatz der Mitglieder ersetzt. Kennzeichnend für die Zeit ist neben der verstärkten gemeinwirtschaftliehen Verbundbildung die zunehmende Bedeutung der freigewerkschaftlich-sozialdemokratischen Wohnungsge-

Situation der Wohnungsgenossenschaften, Befragungsergebnisse

nossenschaften. 1928 existieren in Deutschland über 4.000 Wohnungsbaugenossenschaften. Die jetzt entstehenden Wohnungsgenossenschaften sind homogener als die in der Kaiserzeit entstandenen , das heißt die Genossenschaftler sind meist durch berufliche, soziokulturelle oder politische Gemeinsamkeiten verbunden. So gründen in dieser Zeit auch alle Richtungsgewerkschaften eigene Wohnungsgenossenschaften und bilden große Betreuungsgesellschaflen, nachdem 1919 endgültig feststeht , dass eine Sozialisierung der Wohnungswirtschaft nicht erfolgen wird. Die Betreuungsgesellschaften sind Dienstleistungsunternehmen der Genossenschaften und übernehmen Boden-, Kapital- , Baustoffbeschaffung und Baubetreuung. ln der Konsequenz werden die Wohnungsgenossenschaften zu reinen Vermietungsgenossenschaften . Je nach Hintergrund verstehen sich die Betreuungsgesellschaften allerdings nicht als neutral sondern als richtungspolitisch gebunden. Die Mehrzahl der Altgenossenschaften schließt sich allerdings nicht den Betreuungsgesellschaften an, da sie eigenständig bleiben und nicht auf die eigene Bautätigkeit verzichten wollen. Die Vielfältigkeit der Genossenschafts- und Verbundformen in den 20er Jahren spiegelt sich in der Vielfältigkeit der Architektur und Lebensformen wider. Die Architektur reicht von romantisierenden Reihenhaussiedlungen (Gartenstadt) bis zum "Bauhaus", letzterer favorisiert vom genossenschaftlich-freigewerkschaftlichen Wohnungsbau als sichtbarem Ausdruck verwirklichter Sozialreformen. Die von der Arbeiterbewegung getragenen Wohnungsgenossenschaften setzen in ihren Siedlungen darüber hinaus die Idee der Lebensgemeinschaft der Mitglieder beziehungsweise Bewohner um ; Gemeinschaftshäuser und -einrichtungen werden zum sozialen und gesellschaftlichen Mittelpunkt. Die Wohnungsgenossenschaften beginnen , ihre Mitglieder gegen Lebensrisiken abzusichern. Die innergenossenschaftliche Demokratie wird ausgebaut, ist teilweise aber auch durch das schnelle Wachstum vieler Wohnungsgenossenschaften gefährdet. ln der Gemeinnützigkeitsverordnung von 1930 (Nachfolgeregelungen im Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz von 1940) werden erstmals die gemeinnützigen Zweck-, Vermögens- und Verhaltensbindungen rechtlich normiert, die der Staat von den Wohnungsgenossenschatten im Gegenzug für Steuerbefreiungen , sonstige Vergünstigungen und die Zuteilung von öffentlichen Mitteln verlangt. Die Regelungen schränken den Tätigkeitsbereich der Wohnungsgenossenschaften weitgehend auf die Aufgaben der Wohnungserstellung und Verwaltung ein , die Möglichkeiten zur sozialen oder kulturellen Förderung der Mitglieder werden bedeutend eingeengt. Die Weltwirtschaftskrise (1929) bedeutet für den gemeinnützigen Wohnungsbau das Ende der großzüg1gen Förderung durch die öffentlichen Hände, die Einnahmen aus der Hauszinssteuer dienen zunehmend dem Stopfen von Haushaltslöchern. Statt großer Reformsiedlungen können nunmehr nur noch Erwerbslosensiedlungen beziehungsweise Kleinsiedlungen (Notverordnung von Oktober 1931} einfachsten Standards realisiert

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Situation und Marktperspektiven

werden. ln den Wohnungsgenossenschaften wird Solidarität gegenüber arbeitslos gewordenen Mitgliedern geübt (Mietsenkungen, Mietstundungen, Spendensammlungen} , Mietausfälle und ausbleibende Einzahlungen auf die Geschäftsanteile bringen aber auch d1e Wohnungsgenossenschaften selbst in wirtschaftliche Schwierigkeiten.

1933 -1949:

Gleichschaltung, Siedlerideologie, Kriegsfolgen Das NS-Regime betreibt bereits ab 1933 die Gleichschaltung der Genossenschaften, respektive Wohnungsgenossenschaften . Gewählte Organmitglieder werden durch gesinnungstreue Vorstände und Aufsichtsräte ersetzt. An die Stelle der innergenossenschaftlichen Demokratie tritt das ,.Führerprinzip". Ein wichtiges Ziel der nationalsozialistischen Politik gegenüber den Wohnungsgenossenschatten ist die Beseitigung ihrer engen Verbindungen zu bestimmten soziokulturellen Milieus. Die Baupolitik des ,. Dritten Reiches" ist geleitet von der .,Siedlerideologie" als Teil der NS-Weltanschauung. Die Deutschen sollen von der Stadt aufs Land zurückverpflanzt werden . Propagiert und realisiert wird überwiegend die "Siedlerstelle", Häuser in ländlicher Umgebung mit bis zu 1.000 m2 großen Grundstücken für die Selbstversorgung der Bewohner ("Blut und Boden"}. Die Architektur wird auf einen einheitlich schlichten ,.Heimatstil" reduziert. Die Baupolitik forciert über das Heimstättenamt der ,.Deutschen Arbeitsfront" (DAF}, welche an die Stelle der Gewerkschaften gesetzt worden war, außerdem den Bau von Werkssiedlungen für Rüstungsunternehmen im Zuge der "Wehrhaftmachung". Städtischer Mietwohnungsbau wird nur noch als notwendige Restgröße betrieben. Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges kommt die Bautätigkeit in Deutschland dann fast vollständig zum Erliegen. Weit über den Zusammenbruch des "Dritten Reiches" hinaus wirkt das Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz von 1940 (WGG}, das als gemeinnützig anerkannten Unternehmen (beziehungsweise Genossenschaften} Steuervorteile gewährt. Im WGG werden dafür .,gemeinnützige Wohnungsunternehmen" erstmalig rechtlich definiert. Am Ende des Zweiten Weltkrieges herrscht erneut eine enorme Wohnungsnot, da insgesamt circa 5 Millionen Wohnungen in Deutschland völlig oder stark zerstört waren und gleichzeitig über 8 Millionen Flüchtlinge und Vertriebene in die westlichen Besatzungszonen strömen . 1946 wird, um zumindest eine geordnete Mangelbewirtschaftung zu erreichen, die .,Wohnungszwangswirtschaft" eingeführt (Kontrollratsgesetz Nr. 18). Für den dringend notwendigen Wiederaufbau bestehen aber erst ab der Währungsreform 1948 hinreichend geordnete Rahmenbedingungen . ln der neu gegründeten Bundesrepublik stehen 1949 für fast 13 Millionen Haushalte nur 8 Millionen Wohnungen zur Verfügung. Auch die Baugenossenschaften müssen jetzt vorrangig ihren zerstörten Bestand wieder aufbauen. lnfolge der von den Nationalsozialisten betriebenen Zwangsverschmelzungen bestehen 1949 in Westdeutschland trotz zahlreicher Nachkriegsneugründungen (zum Beispiel alleine 60 im Bereich des Verbandes norddeutscher Wohnungsunternehmen} nur noch

Situation der Wohnungsgenossenschaften , Befragungsergebnisse

rund 1.600 Wohnungsgenossenschaften mit erheblich geschrumpften Mitgliederbeständen. ln den ersten Nachkriegsjahren stehen den Wohnungsgenossenschaften kaum öffentliche M1ttel zur Verfügung, doch gelingt es, mit eigenen Mitteln und in umfangreicher Selbsthilfe zumindest einen Teil der Zerstörungen zu beheben.

BAD: Wiederaufbau unter dem Einfluss der Politik des "sozialen Wohnungsbaus" Die weitere Entwicklung des Baugenossenschaftswesens in der BRD ist · geprägt durch die staatliche Wohnungsbaupolitik und ihre Förderstrukturen. ln den 50er und 60er Jahren setzt der Staat angesichts der herrschenden Wohnungsnot auf den "sozialen Wohnungsbau". Die "Wohnungszwangswirtschaft" muss noch bis zum Beginn der 60er Jahre beibehalten werden. Das Erste Wohnungsbaugesetz, Rechtsgrundlage des .,sozialen Wohnungsbaus", unterscheidet den ,.frei finanzierten". den "steuerbegünstigten" und den "öffentlich geförderten" oder .,sozialen Wohnungsbau". Diese ..Objektförderung", auch als "erste Säule" der bundesrepublikanischen Wohnungspolitik bezeichnet, beruht auf der Gewährung zinsloser beziehungsweise zinsreduzierter Darlehen durch den Staat mit langen Laufzeiten, für die sich im Gegenzug das beziehende Wohnungsbauunternehmen verpflichtet, den Wohnraum bis zur Ablösung der Mittel nur an Bevölkerungsgruppen mit begrenztem Einkommen zu vermieten ("Belegungsbindung"). Da die Wohnungsbaugenossenschaften für die meisten Projekte auf öffentliche Gelder nicht verzichtet haben, werden sie zu Partnern des Staates im sozialen Wohnungsbau. Doch stellen die Bedingungen der Mittelvergabe die Wohnungsgenossenschaften auch vor neue Probleme. Zum einen können sie den gewohnten hohen Standard nicht halten, da einfachste Wohnungen und Bauweisen vorgeschrieben sind. Zum anderen werden ihnen viele Nichtmitglieder zugewiesen, die zwar zu späterer Mitgliedschaft verpflichtet werden, sich aber zunächst in der Regel kaum mit der Wohnungsgenossenschaft identifizieren. Diese Mieter/Mitglieder galt es, zu integrieren und das Bewusstsein für die besondere Organisationsform der Genossenschaft wach zu halten. Die Wohnungsbaugenossenschaften nehmen in den 50er Jahren an dem Aufschwung der Wohnungsbauwirtschaft teil Zugleich kommt es zu einem zunehmenden Konzentrationsprozess, da durch steigende Baukosten bedingter Kapitalmangel und wachsende Erfordernisse einer immer professionelleren Geschäftsführung viele kleinere Wohnungsgenossenschaften zur Fusion zwingen. Während die Zahl der Wohnungsgenossenschaften von 1952 bis 1978 um über 400 auf 1.235 sinkt. verdoppelt sich gleichzeitig der Mitgliederbestand auf über 1,5 Millionen und verdreifacht sich der Wohnungsbestand auf fast eine Million. 1960 wird durch das so genannte "Abbaugesetz'& die Wohnraumbewirtschaftung in der Bundesrepublik abgeschafft. Es schreibt die schrittweise Freigabe der Altbaumieten bis 1966 vor, in deren Folge es zu emem

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Situation und Marktperspektiven

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Istarken Mietpreisanstieg kommt. Der Staat sieht sich gezwungen, durch I die Gewährung von .,Wohngeld" sozial schwächere Mieter zu unterstützen (.. Subjektförderung", die .. zweite Säule" der bundesrepublikanischen Wohnungsbaupolitik). Ende der sechz1ger Jahre werden über den .,zweiten Förderweg" auch Bezieher mittlerer Einkommen in den sozialen Wohnungsbau mit einbezogen, gefördert wird aber erstrangig die Eigentumsb1ldung. in den 70er Jahren kommt es unter der sozialliberalen Koalition zu einer Schwerpunktverlagerung der Wohnungspolitik. Die Rechte der Mieter werden gestärkt und es wird in die Entwicklung der Mietpreise eingegriffen. Mitte der 70er Jahre, der Wohnungsmarkt gilt inzwischen als weitestgehend gesättigt. beginnt die Regierung mit der Förderung des Altwohnungsbestandes (unter anderem Wohnungsmodernisierungsgesetz von 1976). Die Modernisierungsförderung (auch als .,dritte Säule" der bundesdeutschen Wohnungspolitik bezeichnet) wurde sowohl über Steuererleichterungen als auch durch direkte staatliche Finanzhilfen betrieben. Während der 70er Jahre und bis Mitte der 80er Jahre rückt für viele Wohnungsbaugenossenschaften die Modernisierung und Instandsetzung des Wohnungsbestandes entsprechend in den Mittelpunkt ihrer Geschäftstätigkeit. Schon unter der sozialliberalen Koalition, insbesondere aber ab 1982 unter Bundeskanzler Kohl, betreibt die Regierung den Rückzug aus dem sozialen Wohnungsbau. Von 1986 bis 1988 gibt es keinerlei Förderung, lediglich Länder und Gemeinden engagieren sich noch in sehr begrenztem Umfang. Dem staatlichen Rückzug liegt die Annahme zugrunde, der Wohnungsmarkt sei gesättigt: tatsächlich entwickelt sich aber bereits Ende der 80er Jahre ein erneuter Wohnungsmangel, bedingt durch geburtenstarke Jahrgänge sowie die Zuwanderung von Aus- und Übersiedlern, die auf den Wohnungsmarkt drängen. Für die Wohnungsbaugenossenschaften bieten d1e 80er Jahre aufgrund der fehlenden Fördergelder entsprechend ungünstige Rahmenbedingungen. lnfolge der ausbleibenden Förderung erreichte die jährliche Fertigstellungsrate der Bundesrepublik 1988 mit etwas mehr als 200 000 Wohnungen ihren bisherigen absoluten Tiefststand (vgl. 50er und 60er Jahre~ 560.000 bis 570.000 WE, 70er Jahre: 500.000 WE jährlich) Öffentlich gefördert wurden von Ländern und Gemeinden nur noch 6% der Wohnungen (vgl. 53% Ende der 50er, 39% Ende der 60er und noch 27% Ende der 70er Jahre).

DDR: Politik pro "Arbeiterwohnungsgenossenschaften" Die Wohnungsgenossenschaften in der sowjetisch besetzten Zone beziehungsweise in der DDR konnten anfänglich noch wie gewohnt arbeiten, sie standen aber zunehmend hinsichtlich ihrer Struktur und Zielstellung - trotz ihrer traditionellen Nähe zur Arbeiterbewegung - den Zentralisierungsbestrebungen des Staates entgegen. Als politischer Ausweg wurde darum 1953 ein Gesetz zur Gründung und Förderung von .,Arbeiterwohnungsgenossenschaften" (AWG) erlas6

"Gesetz zum Abbau der Wohnungszwangswirtschaft und über ein soziales Miet- und Wohnungsrecht"

Situation der Wohnungsgenossenschaften , Befragungsergebnisse

sen. Die AWGen traten dam1t neben die vor 1945 gegründeten und als "gemeinnützige Wohnungsgenossenschaften" (GWG) bezeichneten Genossenschaften . Ihre Gründung wurde von den entstehenden Großbetrieben (später Kombinaten) betrieben, die damit einen Trägerbetrieb für die Wohnungsgenossenschaften mit quasi werkswohnungsartigen Beständen darstellten. Als Besonderheit mussten anfänglich die Mitglieder bei der Errichtung von Neubauten einen zeitlich festgelegten Umfang an Eigenleistungen erbringen . Dieser Prozess wurde erheblich finanziell gefördert und die AWGen wurden in die staatliche Wohnungspolitik und Wohnungsbaunormen eingebunden, wodurch sie auch eme bedeutende Rolle beim komplexen Wohnungsbau übernahmen. Anfang der 80er Jahre kam es im Zuge weiterer Zentralisierungen auch zu Zusammenschlüssen von AWGen. sodass es im Ergebnis dieser Prozesse heute in Ostdeutschland eine hohe Zahl großer Wohnungsgenossenschaften gibt, die im Wesentlichen über industriell gefertigte Wohnungen verfügen. Die Entwicklung der GWGen wurde staatlicherseits hingegen nur geringfügig unterstützt, es sei denn, sie transformierten sich in AWGen beziehungsweise schlossen sich AWGen an . Tatsächlich verringerte sich die Zahl der GWGen deutlich. Die verbliebenen Wohnungsgenossenschaften verfügten über keine Entscheidungsfreiheit mehr hinsichtlich der Bauleistungen, die Spareinrichtungen wurden geschlossen. lm Ergebnis dieser Prozesse hat sich in den neuen Bundesländern nur eine geringe Zahl sehr kleiner Wohnungsgenossenschalten erhalten, die ganz überwiegend über einen vergleichsweise alten Bestand verfügen. Damit ergaben sich ganz unterschiedliche Voraussetzungen und Handlungsmöglichkeiten der Wohnungsgenossenschaften bei der Wiedervereinigung. Die duale Struktur aus DDR-Zeiten ist bis heute - ergänzt um die "AHG-Genossenschaften"1 - ein wesentliches Charakteristikum der ostdeutschen Wohnungsgenossenschaften. Das Ende der Wohnungsgemeinnützigkeit {1990) Mit der Aufhebung des Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetzes (Steuerreform zum 01.01.1990) entfallen für die Baugenossenschaften die ihnen bislang für eine weitgehende Steuerbefreiung auferlegten Vermögens- und Verhaltensbindungen (Westdeutsch land). Eine teilweise Steuerbefreiung wird jetzt nur noch dann gewährt, wenn sie mindestens 90% ihrer Gesamteinnahmen aus der Vermietung eigener Bestände erwirtschaften (,.Vermietungsgenossenschaften"). Die Wohnungsgenossenschaften erhielten die Wahlfreiheit zwischen der vollen Steuerpflichtigkeil und der beschriebenen Option der Teilsteuerbefreiung.

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Vgl. Kapitel 3.4, Exkurs: Spezifische Problemlagen ostdeutscher Wohnungsgenossenschaften.

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Situation und Marktperspektiven

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3.1.2

Wohnungsgenossenschaften im Überblick

Die Situationsbeschreibung beginnt mit einer materiellen Bestandsaufnah· me. Aufgeschlüsselt nach alten und neuen Bundesländern und nach Ge· nossenschaftsgrößenklassen werden die Wohnungsgenossenschafts· und Bestandsstruktur, der Wohnungsneubau und die Modernisierungstätigkeit sowie der Wohnungsleerstand quantifiziert und veranschaulicht. Die Darstellung schließt mit einer Statistik über die wichtigste "Ressource" der Wohnungsgenossenschaften: ihre Mitglieder. Die Zahlen stammen teils aus der A&K-Wohnungsgenossenschaftsbefragung 2003 und teils aus der Jahresstatistik 2001 des GdW, ältere Vergleichszahlen sind zumeist den vorangegangenen Jahresstatistiken des GdW entnommen. Einige Erkenntnisse meist qualitativer Natur stammen noch aus der A&K·Wohnungsgenossenschaftsbefragung von 1997. Der GdW Bundesverband deutscher Wohnungsunternehmen e. V. Der Bundesverband ist das Spitzenorgan der genossenschaftlichen Pflicht· prüfung auf Grundlage des Genossenschaftsgesetzes. Er ist Dachverband von 14 Landes- beziehungsweise Regionalverbänden, in denen 3.200 deutsche Unternehmen der Wohnungswirtschaft mit einem bewirtschafteten Bestand von rund 6,5 Millionen Wohnungen organisiert sind 8 . 43% des Bestandes sind den kommunalen Wohnungsgesellschaften zuzurechnen (rund 740 Unternehmen), 34% den Wohnungsgenossenschaften (rund 2.000). Der restliche Bestand verteilt sich auf die öffentlichen Wohnungsge· sellschaften des Bundes und der Länder, Wohnungsgesellschaften der ge· werblichen Wirtschaft und kirchliche Unternehmen im GdW. Der Hauptsitz des GdW ist Berlin.

Am 31.12.2001 waren in der GdW-Jahresstatistik 1.799 Wohnungsgenossenschaften mit einem Gesamtbestand von 2.144.000 Wohnungen erfassV Am deutschen Mietwohnungsbestand (circa 20 Millionen WE) haben die Wohnungsgenossenschaften einen Anteil von rund 10%. Von den Wohnungsgenossenschaften befinden sich rund 1.100 (61%) in den alten und 700 (39%) in den neuen Ländern. Die Bestände sind dagegen fast genau hälftig auf Ost und West verteilt. ln Relation zu den Flächen- und Bevölkerungsverhältnissen zwischen neuen und alten Ländern wird somit die relativ größere Bedeutung des genossenschaftlichen Wohnens für die neuen Länder deutlich.

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Davon sind 5,8 Millionen Wohnungen im eigenen Bestand und 700.000 Wohnungen fremdverwaltet. Im GdW sind insgesamt 1.990 Unternehmen organisiert, wovon derzeit allerdings rund 10% nicht für die Jahresstatistik berichten. Bei diesen Genossenschaften handelt es sich weit überwiegend um kleine und kleinste Unternehmen mit einem vernachlässigbaren Bestand . Alle GdW-Daten in der vorliegenden Untersuchung sind auf die berichtenden Genossenschaften bezogen.

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Situation der Wohnungsgenossenschaften , Befragungsergebnisse

Karte 1:

Anzahl der Wohnungsgenossenschaften nach Raumordnungsregionen

Anzahl der Wohnungs· genossenschalten

2001, !.l.>nd )I 12 2001 l'EPT(

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ln den neuen Ländern spielen die in der Regel über den ersten Förderweg geförderten Sozialwohnungen in den genossenschaftlichen Beständen praktisch keine Rolle. Der Anteil der Wohnungen mit sonstiger Förderung ist aber auch dort etwas gestiegen. ln 2003 gaben bundesweit 16% der Wohnungsgenossenschaften an , für 2003 bis 2007 die vorzeitige Ablösung von Bindungen geplant zu habenY Neben dieser vorzeitigen Ablösung wird der Rückgang des Sozialwohnungsbestandes aber auch zu einem erheblichen Teil aus dem regulären Auslaufen von Bindungen herrühren. So werden von 2003 bis 2007 in den alten Bundesländern etwa 28% der bestehenden Bindungen im genossenschaftlichen Wohnungsbestand auslaufen.18 Weniger stark betroffen sind davon allerdings die Wohnungsgenossenschaften mit unter 500 Wohnungen (19% der Bindungen laufen aus) . Die meisten Bindungen laufen dagegen bei den Genes16

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Bei den Beständen, die unter "sonstiger Förderung" gefasst sind, handelt es sich um den Wohnungsbestand mit Mietpreis- und/oder Belegungsbindung, der im Wesentlichen entweder über den zweiten oder dritten Förderweg oder über Modernisierungsförderung gefördert wurde (Stichtag jeweils 31 .12.). A&K-Wohnungsgenossenschaftsbefragung 2003. A&K-Wohnungsgenossenschaftsbefragung 2003.

Situation der Wohnungsgenossenschaften , Befragungsergebnisse

sensehaften mit 2.500 bis unter 5.000 Wohnungen aus (35%). Vor dem Hintergrund deutlich reduzierter Fördermittel und einer sich seit Jahren entspannenden Situation auf vielen regionalen Wohnungsmärkten sind die Wohnungsgenossenschaften zunehmend mit der Aufgabe konfrontiert, den Neubau unter stärker marktbestimmten Rahmenbedingungen zu realisieren und ihre Bestände am Markt zu platzieren . Dazu gehört neben einer Umorientierung im Neubaubereich , zum Beispiel in Richtung eines Kosten sparenden frei finanzierten Wohnungsbaus oder der Erstellung von Eigentumsobjekten, auch die Intensivierung einer nachfrageorientierten Wohnungsgestaltung und -vermarktung. Einige Wohnungsgenossenschaften ziehen sich aber auch weitestgehend aus der Neubautätigkeit zurück und konzentrieren sich auf die weitere Modernisierung ihrer Bestände. Bei den anderen Wohnungsunternehmen im GdW waren von 1997 bis 2001 überwiegend parallele Entwicklungen festzustellen. Wie bei den Wohnungsgenossenschaften sank der Anteil der Sozialwohnungen deutlich, wenngleich von einem höheren Niveau ausgehend (West : von 47% 1997 auf 37% in 2001 ; Ost: von 5% in 1997 auf 1% in 2001) . Gleichzeitig stieg auch bei den anderen Wohnungsunternehmen in den alten Bundesländern der Anteil des Wohnungsbestandes mit sonstiger Förderung deutlich an (von 2% in 1997 auf 9% in 2001) ; in den neuen Bundesländern blieb er dagegen nahezu konstant (von 25% in 1997 auf 24% in 2001) und war in 2001 doppelt so hoch wie bei den Wohnungsgenossenschaften (12%) . Bestandserweiterung Seit Mitte der 90er Jahre hat die Zahl der neu erstellten Genossenschaftswohnungen nahezu kontinuierlich abgenommen und erreichte mit rund 5.700 Einheiten im Jahr 2001 nur noch 47% des Niveaus von 1995 (12.000 Einheiten). ln Abb. 3.12 wird deutlich, dass die meisten Wohnungen in den alten Ländern entstanden sind; 2001 fand über 80% des genossenschaftlichen Wohnungsbaus in den alten Bundesländern statt. ln den neuen Ländern spielt der genossenschaftliche Wohnungsneubau nur eine geringe Rolle. Seit 1999 werden dort jährlich weniger als 1.000 Einheiten fertig gestellt.

139

140

Situation und Marktperspektiven

Abb. 3.12 Fertiggestellte Genossenschaftswohnungen 1997- 2001 (Eigene Bauherrschaft)

ln Tau!.end

52

•997

4 1

2000

2001

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2001

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57

Zwischen der Service- und Mitgliederorientierung und der Größe der Wohnungsgenossenschaften besteht ein deutlicher Zusammenhang, das heißt sie sinkt mit abnehmender Genossenschaftsgröße kontinuierlich und erheb-

218

Situation und Marktperspektiven

lieh. Von den großen Wohnungsgenossenschaften (5.000 Wohnungen und mehr) hielten drei Viertel (74%) die Service- und Mitgliederorientierung für sehr wichtig, von den kleineren Wohnungsgenossenschaften (500 bis unter 1.000 Wohnungen) jede zweite (50%) und von den kleinsten mit unter 100 Wohnungen nur jede Dritte (33%). Von letzteren war mehr als jede zweite Wohnungsgenossenschaft davon überzeugt, dass es in erster Linie auf Produkt und Preis ankommt. SozialmanagemenF0 Als "Sozialmanagement" werden hier alle Angebote einer Wohnungsgenossenschaft bezeichnet, die über die reine Wohnraumversorgung der Mitglieder hinausgehen und die Verbesserung der Qualität des Zusammenlebens sowie des Wohlergehens des Einzelnen zum Ziel haben. Im Rahmen der A&K-Wohnungsgenossenschaftsbefragung 2003 wurde deshalb erhoben, ob die Wohnungsgenossenschaften das Zusammenleben in den Wohngebieten durch besondere Maßnahmen fördern . Eine Minderheit der Wohnungsgenossenschaften (39%) macht entsprechende Angebote. Der Anteilliegt in den neuen Bundesländern (44%) höher als in den alten Bundesländern (35%) . Außerdem besteht erwartungsgemäß ein starker Zusammenhang mit der Genossenschaftsgröße. Insgesamt gilt: je größer die Wohnungsgenossenschaften, desto höher der Anteil derer, die entsprechende Angebote machen. Bei den Wohnungsgenossenschaften mit unter 1.000 Wohnungen ist es nur jede Vierte (25%), bei den größeren weit mehr als die Hälfte (60%) . Die Wohnungsgenossenschaften, die angaben, das Zusammenleben besonders zu fördern, wurden nach der Art dieser Angebote gefragt (vgl. Abb. 3.66) . Am häufigsten werden Bewohnertreffs und Freizeitveranstaltungen organisiert: Bewohnertreffs bestehen bei über zwei Drittel dieser Wohnungsgenossenschaften (West: 75%; Ost: 67%), Freizeitveranstaltungen bei etwa jeder zweiten (West: 45%; Ost: 57%). Am dritthäufigsten wurden Feste genannt (West: 14%; Ost: 20%).

70

Vgl. Kapitel 4.3.2.

219

Situation der Wohnungsgenossenschaften , Befragungsergebnisse

Abb. 3.66 Förderung des Zusammenlebens bei Wohnungsgenossenschaften

Bestehende Angebote I Maßnahmen Bewohnertreff

Feste Berettslcftung von

Geme•nsch;

E.nbondung 111

aumen

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• M •

Bundest.'Jndct' (n

= 14 1)

eue Bundcsl.indct' (n " 162)

10

Nennungen •n % der Wohnungsgenossenschaften Ouolle Al. ·Wollnungsgonossenschllltsbafr 2003 Expet\8nkommiss101' WOhnu~ften

Alle an der Befragung teilnehmenden Wohnungsgenossenschaften wurden außerdem gefragt, ob es zusätzliche soziale Maßnahmen gibt. Diese Frage zielte weniger auf die Förderung des Zusammenlebens sondern mehr auf Beratung beziehungsweise Betreuung des einzelnen Mitglieds, insbesondere in Beschwerde-, Konflikt- und Notfällen und auf zielgruppenscharfe Angebote ab (vgl. Abb. 3.67) .

220

Situation und Marktperspektiven

Abb. 3.67 Zusätzliche soziale Maßnahmen bei Wohnungsgenossenschaften

Bestehende Angebote I Maßnahmen Hule bet Nachbatscha

konft•kten

Ber ttung lur spcZJI•scho Gruppen Hilf bet Schuldon Zusammenartlet mtl SOZialen VerfliOOO

MteteBjl(ochstunden

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• Alle Sundcsl.indcf (n

= 24ti)

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8

Nennungen •n % der Wohnungsgenossenschaft n A&K·Wohnung~lt

E•pcrt

lragung 2003

komt111 """ Wonnungsqonossansc

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"" 1 1 ~11

Bei der Mehrzahl der Wohnungsgenossenschaften (63%) bestehen solche zusätzlichen Maßnahmen beziehungsweise Angebote. Auch hier sind wieder die größeren Wohnungsgenossenschaften deutlich aktiver. Von 41% bei den kleinsten Wohnungsgenossenschaften (unter 100 Wohnungen) steigt der Anteil derer, die entsprechende Betreuungs- und Beratungsangebote machen, auf 94% bei den größten Wohnungsgenossenschaften (5.000 Wohnungen und mehr) . Am häufigsten, etwa bei vier Fünftel dieser Wohnungsgenossenschaften, wird Hilfe bei Nachbarschaftskonflikten angeboten (West: 84%; Ost: 78%) . Ebenfalls häufig betreiben die Wohnungsgenossenschaften ein Beschwerdemanagement (West: 65%; Ost: 57%) . Beratungsangebote für spezielle Gruppen bieten noch etwa 40% der Wohnungsgenossenschaften an (West: 41%; Ost: 38%) .

Informationspolitik 71 Der Vergleich der Ergebnisse aus den A&K-Wohnungsgenossenschaftsbefragungen 1997 und 2003 offenbart hinsichtlich der Informationspolitik der Wohnungsgenossenschaften zwei wesentliche Entwicklungen. Zum einen hat sich das Angebot an Informationsmedien für die Genossenschaftsmitglieder insgesamt - zumindest quantitativ - verbessert. Zum anderen spiegeln die Ergebnisse der aktuellen Untersuchung deutlich die heutige große Bedeutung des Informationsmediums Internet wider, dessen Entwicklung zum Massenmedium zum Zeitpunkt der 1997er Wohnungsgenossenschaftsbefra71

Vgl. Kapitel5.2.1.2.

Situation der Wohnungsgenossenschaften, Befragungsergebnisse

gung gerade erst an Fahrt gewonnen hatte. Von einem sehr geringen Anteil abgesehen (4%) informieren die Wohnungsgenossenschaften ihre Mitglieder/Mieter72 auf mindestens einem Weg über die Belange der Wohnungsgenossenschaft, die aufgrund der besonderen Unternehmensform Wohnungsgenossenschaft zugleich immer auch die Belange aller Mitglieder sind. Auf Grund der demokratischen Organisationsform ist eine möglichst umfassende Information aller Genossen geboten. Über die Informationsangebote der Wohnungsgenossenschaften können hier nur quantitative Aussagen gemacht werden. ln Abb. 3.68 sind die wichtigsten Wege, über die versucht wird, die Mitglieder/Mieter mit Informationen zu erreichen, dargestellt. Es handelt sich um drei Medien im gewohnten Sinn (Internet, Zeitungen, Rundbrief) und um Veranstaltungen, welche aber ebenfalls als "Medium" der Mitglieder-/Mieterinformation gelten können. Das Internet nimmt als ständig verfügbares Medium gegenüber den periodisch erscheinenden Printformen eine Sonderstellung ein. Es kommt nicht "ins Haus" des Mitglieds/Mieters, sondern muss von diesem aktiv und wiederholt genutzt werden. Voraussetzung für eine regelmäßige Nutzung ist die ständige Aktualisierung der Inhalte. Je größer die Wohnungsgenossenschaften sind, desto häufiger bieten sie mehrere Medien zugleich an. Zum einen sind die Wohnungsgenossenschaften mit steigender Größe zunehmend auf die Informationsübermittlung durch Medien angewiesen, da die umfassende Information der Mitglieder auf informellem Wege nur bei den kleineren Wohnungsgenossenschaften möglich ist. Andererseits ist der deutlich geringere Medieneinsatz der kleineren Wohnungsgenossenschaften (unter 1.000 Wohnungen) somit nicht zwingend ein Hinweis auf schlechtere Information der Mitglieder. Entscheidend ist dann, ob die informelle Information tatsächlich praktiziert wird. Außerdem sind die kleinen Wohnungsgenossenschaften weder personell noch materiell in der Lage, in dem Umfang Ressourcen für den Medieneinsatz abzustellen, wie die großen. 5% der Unternehmen mit unter 1.000 Wohnungen bieten sogar keinerlei Informationen über Medien an.

72

Potenziell gibt es drei Adressaten für Informationen in der Wohnungsgenossenschaft: Mitglieder, Vertreter (bei größeren Wohnungsgenossenschaften) und Mieter (vgl. nachfolgendes Kapitel) . Da zum einen alle Wohnungsgenossenschaften über Mitglieder, aber nicht alle über Vertreter verfügen und zum anderen jeder Vertreter immer selbst Mitglied ist, werden die Vertreter hier mit dem Ausd ruck "Mitglieder/Mieter" mit angesprochen. Als Multiplikatoren kommt den Vertretern für die Information der Mitglieder aber zusätzlich eine Schnittstellentunktion zu (gesonderte Betrachtung ebenda).

221

222

Situation und Marktperspektiven

Abb. 3.68 Informationspolitik der Wohnungsgenossenschaften

Wohnungsgenossenschaften tn %

95

90

• Internet • vemns~•ltungon

Z tungon • Rundbncl KernMedtHm

0 Unter

1000

1000 bts unter

2 500

2 500 btS unter 5000

5000 und mehr

Großenklassen der Wohnungsgenossenschaften (WE) OueU

A&K-WohnungsgenosseMCildhsbefragung 2003

ExpcnunkommtSSIOil Wohoungsgeno-.enstha«< n

"'"'I

101 Ml /11'11

Ein relativ aufwendiges Medium sind Zeitungen, entsprechend steigt der Anteil der Wohnungsgenossenschaften, die eine Genossenschaftszeitung anbieten, mit der Größe kontinuierlich: Von den Wohnungsgenossenschaften mit unter 1.000 Wohnungen bietet nur jede fünfte eine Zeitung an (19%), von denen mit 5.000 und mehr Wohnungen umgekehrt knapp jedes fünfte nicht (17%) . Auch Veranstaltungen werden mit wachsender Genossenschaftsgröße häufiger angeboten, spielen aber auch bei den kleineren Wohnungsgenossenschaften bereits eine größere Rolle (41%). Das Internet ist bei allen Wohnungsgenossenschaften mit 1.000 und mehr Wohnungen bereits das deutlich am weitesten verbreitete Medium. Da diese Wohnungsgenossenschaften in Deutschland 78% aller Mitglieder von Wohnungsgenossenschaften auf sich vereinen, hat das Internet insgesamt sogar die weiteste Verbreitung. Diese Aussage ist allerdings insofern zu relativieren , als dass für den hohen Anteil älterer Genossenschaftsmitglieder von einer noch unterdurchschnittlichen Teilhabe an dem neuen Medium ausgegangen werden muss. Der Rundbrief, dass einfachste der vier wichtigsten Medien, ist die erste Wahl der kleineren Wohnungsgenossenschaften (bis 1.000 Wohnungen) . Er hat in dieser Größenklasse die größte Verbreitung (45%) und ist für sie zugleich das wichtigste Medium. Bei den größeren Wohnungsgenossenschaften spielt er insgesamt betrachtet eine untergeordnete Rolle. Als weitere Medien beziehungsweise Wege der Mitgliederinformation wurden im Wesentlichen der Geschäftsbericht, das Info-Blatt und der Newsletter genannt. Weitaus am häufigsten wurde der Geschäftsbericht als

223

Situation der Wohnungsgenossenschaften, Befragungsergebnisse

grundsätzliches Medium der Mitgliederinformation angegeben (68%), wobei allerdings offen bleibt, ob dieser im Einzelfall nur zur Einsicht bereit gehalten, über das Internet zugänglich gemacht oder sogar, wie zumindest bei größeren Wohnungsgenossenschaften oft der Fall, an alle Mitglieder in gedruckter Form verschickt wird. Jede vierte Wohnungsgenossenschaft nannte außerdem das Infoblatt (25%) und etwa jede siebte dessen elektronisches Pendant (Newsletter; 15%). Die drei grundsätzlich denkbaren Adressaten für Informationen in Wohnungsgenossenschaften sind : Mitglieder, Mitgliedervertreter und Mieter. ln den meisten Fällen sind die Mitglieder zugleich Mieter/Nutzer (nutzende Mitglieder) ; es gibt aber auch, in größerem Umfang insbesondere in den alten Bundesländern, nicht nutzende Mitglieder/1 Umgekehrt ist ein geringer Teil des genossenschaftlichen Wohnungsbestandes an Nichtmitglieder74 vermietet. Für diese Mieter ist die Wohnungsgenossenschaft ein herkömmlicher Vermieter, ihr Informationsanspruch entsprechend geringer. Tab. 3.15

Verbreitung von Informationsmedien bei Wohnungsgenossenschaften Anteil an Genossenschaften Vertreter•

Mitglieder

Mieter

Geschäftsbericht

83%

46%

25%

Internetauftritt

77%

42%

36%

Zeitung

47%

31 %

26%

Rundbrief

20%

26%

30%

Veranstaltungen

60%

25%

35%

Infoblatt

23%

18%

18%

Mailing I Newsletter

7%

2%

2%

Förderberichl

3%

2%

1%

Medium

Quelle: A& K-Wohnungsgenossenschaftsbelragung 2003. ')bezogen auf alle Wohnungsgenossenschaften mit Vertreterversammlung

A:\ LYSE !l!J KO"lZEPTr

ln Tabelle 3.15 ist der Verbreitungsgrad der verschiedenen Medien aufgeführt. Die Prozentzahlen geben an, wie viele der befragten Wohnungsgenossenschaften das jeweilige Medium einsetzen, um den jeweiligen Adressaten (Mitglied, Vertreter, Mieter) anzusprechen. Für die Vertreter beziehen sich die Quoten nur auf die Wohnungsgenossenschaften, bei denen eine Vertreter73 74

Vgl. Kapitel 3.1.2.3, Mitgliederentwicklung. Vgl. Kapitel3.1.5.3, Fremdvermietung, S. 216.

Situation und Marktperspektiven

224

versammlung existiert. 83% der Wohnungsgenossenschaften mit Vertreterversammlung gaben an, ihre Vertreter mithilfe des Geschäftsberichtes zu informieren. 77% davon versuchen, ihre Vertreter über das Internet mit Informationen zu versorgen. Ebenfalls wichtig für die Information der Vertreter sind Veranstaltungen (60%) und Zeitungen (47%) . Die vergleichsweise gute Versorgung der Vertreter mit Informationsmedien unterstreicht deren Funktion als Informationsvermittler zwischen Vorstand und Mitgliedern. Die genannten Medien "Geschäftsbericht" und "Internet" spielen auch für die Information der Mitglieder eine große Rolle (Verbreitungsgrad : 46% beziehungsweise 42%) , ebenso wie Zeitung (31%) , Rundbrief (26%) und Veranstaltungen (25%). Die Information der Mieter erfolgt ebenfalls überwiegend über das Internet (36%) , Veranstaltungen (35%) und den Rundbrief (30%) beziehungsweise Genossenschaftszeitungen (26%) . Das Medium, das für alle drei Adressatengruppen insgesamt die größte Bedeutung hat, ist das Internet. Hier kommen die Vorteile dieses ständig und ortsunabhängig zur Verfügung stehenden Mediums zum Tragen. Informationen, welche nur Genossenschaftsmitgliedern beziehungsweise Vertretern zugänglich sein sollen, können durch einen kennwortgeschützten Log-in-Bereich gesichert werden. Das elektronische Pendant zum Rundbrief, der Newsletter, ist noch vergleichsweise wenig verbreitet. Häufiger wird das gedruckte Infoblatt eingesetzt, welches immerhin von jeweils etwa jeder fünften Wohnungsgenossenschaft an Mitglieder, Vertreter beziehungsweise Mieter verschickt wird. Bei 60% der Wohnungsgenossenschaften, die Infoblätter verschicken , erfolgt der Versand ein- bis zweimal jährlich, bei einem Drittel (32%) drei bis vier Mal jährlich. Ähnlich sind die Erscheinungsperioden bei den Zeitungen verteilt. Etwa jede zweite der Wohnungsgenossenschaften mit eigener Zeitung realisiert ein bis zwei Ausgaben pro Jahr (52%) , 41% drei bis vier und die verbleibenden Unternehmen mehr als vier. ln der A&K-Untersuchung bei Hamburger Wohnungsgenossenschaften 2003 hat eine ausgesprochen hohe Lesehäufigkeit der Mitgliederzeitschrift (in Harnburg handelt es sich dabei um eine gemeinsame Veröffentlichung mit dem Titel "Bei uns", die aus einem "Mantelteil" und einem jeweils genossenschaftsbezogenen Teil besteht) festgestellt: 74% der befragten Mitglieder gaben an, jede Ausgabe zu lesen, 17% lesen "fast jede" Ausgabe. Die Untersuchung der Nichtleserschaft ergab allerdings, dass diese zu fast zwei Dritteln von den Jungen, der Altersgruppe der 18 bis 39-jährigen, gebildet wird.'5

75

Befragt wurden Mitglieder ab 18 Jahren.

Situation der Wohnungsgenossenschaften, Befragungsergebnisse

Nutzung des lnternets 76 Es sind inzwischen eine ganze Reihe von Wohnungsgenossenschaften im Internet vertreten. Die überwiegende Zahl der Wohnungsgenossenschaften nutzt dieses Medium allerdings noch nicht. Rund 500 der für die Jahresstatistik (2001) des GdW berichtenden 1.798 Wohnungsgenossenschaften haben eine eigene Hornepage angegeben. Damit nutzt erst gut jede vierte Wohnungsgenossenschaft das Internet als Informationsplattform beziehungsweise arbeitet an einer lnternetpräsenz. Stichproben haben ergeben , dass sich etwa jede zehnte angegebene Site derzeit im Aufbau befindet und somit noch nicht nutzbar ist. Qualität und Gestaltung der Präsenzen sind sehr unterschiedlich. Das Spektrum reicht von der einzelnen ins Netz gestellten Seite, welche lediglich Adresse und Telefonnummer anzeigt und keine weiteren Informationen oder Möglichkeiten bietet, bis hin zur professionell gestalteten Web-Präsenz mit mehreren lnformationsebenen, Wohnungsrecherche sowie differenzierten EMaii-Kontaktmöglichkeiten. Zwar besteht natürlich ein Zusammenhang zwischen Genossenschaftsgröße und Professionalität der Homepage, doch nutzen auch viele kleinere Wohnungsgenossenschaften das Medium sehr geschickt zur Steigerung ihrer Publizität. Einige dieser Sites wirken etwas weniger professionell, was aber auch Sympathie erzeugen kann und bei Wohnungsgenossenschaften mit .,alternativer" Ausrichtung durchaus beabsichtigt ist. Entscheidender ist jedoch die inhaltliche Qualität der Darstellung und insbesondere der informative Nutzwert für die Genossenschaftsmitglieder sowie für Wohnungs- beziehungsweise Mitgliedschaftsinteressenten . Bei Wohnungsangeboten über das Internet beschreiten die Wohnungsgenossenschaften zwei verschiedene Wege. Die einen stellen nur grundsätzlich die Vorzüge genossenschaftlichen Wohnens dar und beschreiben kurz allgemein ihren Wohnungsbestand. Die Interessenten werden dann zur EMail oder telefonischen Kontaktaufnahme aufgefordert. Viele andere - vornehmlich größere - Wohnungsgenossenschaften bieten freie Wohnungen unmittelbar im Netz an . Erstaunlich viele Wohnungsgenossenschaften verzichten in Ihrer lnternetdarstellung darauf, explizit um Mitgliedschatten zu werben. Ob dies unbeabsichtigt geschieht oder ob die Werbung neuer Mitglieder tatsächlich nicht forciert werden soll, kann im Einzelfall nicht beantwortet werden. Insgesamt muss festgestellt werden, dass sich die Wohnungsgenossenschaften das Internet erst allmählich erschließen. ln vielen traditionsreichen Wohnungsgenossenschaften, insbesondere in den alten Ländern , steht in den kommenden Jahren aufgrund des Ausscheidans erheblicher Anteile älterer Nutzer ein Generationswechsel bevor. Für jüngere Menschen spielt das Internet aber als Informationsmedium eine ungleich größere Rolle als für den Bevölkerungsdurchschnitt Insbesondere den ersten Eindruck eines Unternehmens gewinnen viele junge Menschen über das Internet beziehungsweise sie suchen den ersten Kontakt über EMail. Außerdem stellt die

76

Vgl. Kapite15.2.1.3.

225

226

Situation und Marktperspektiven

Internetpräsenz für Jüngere einen wichtigen Imagefaktor zur Bewertung eines Unternehmens dar. Aufgrund der im Berufsleben gestiegenen Mobilitätsanforderungen werden die derzeit noch bestehenden Verhältn isse in den Wohnungsgenossenschaften im Hinblick auf jahrzehntelange Mitgliedschatten und Wohndauer zunehmend der Vergangenheit angehören. Sollen Genossenschaftsmitglieder zukünftig auch über mehrere Wohnungswechsel hinweg dem genossenschaftlichen Wohnen treu bleiben, so kann hier der Information über das Internet, besser noch der vernetzten Information, eine wichtige Bedeutung zukommen.77 Das Internet hat seit Anfang der 1990er Jahre zwar nicht immer die prognostizierte boomartige Entwicklung genommen, aber gerade in den letzten Jahren haben sich breite Bevölkerungsschichten auch in Deutschland das Medium erschlossen und nutzen es inzwischen selbstverständlich . Vor diesem Hintergrund besteht für jene über 70% der Wohnungsgenossenschaften ohne Hornepage ein dringender Nachholbedarf, das Internet zumindest zur informativen Selbstdarstellung zu nutzen. Von den Wohnungsgenossenschaften ohne Internetpräsenz verfügen aber immerhin rund 300 zumindest über eine EMail-Adresse. Im November 2003 schuf der GdW unter www.wohn-eg.de eine bundesweit einheitliche Startseite für Wohnungsgenossenschaften in Deutschland. Dieses Portal beinhaltet neben Informationen zu den Wohnungsgenossenschaften in Deutschland im Allgemeinen und zu innovativen wohnungsgenossenschaftlichen Projekten im Speziellen zwei Suchfunktionen : es kann zum einen nach den Wohnungsgenossenschaften und zum anderen direkt nach freien Genossenschaftswohnungen gesucht werden. Von allen Wohnungsgenossenschaften im GdW sind dort Anschrift und Kontaktdaten abrufbar. Soweit vorhanden sind die eigenen Homepages der Wohnungsgenossenschaften verlinkt Die Adresse http://www.wohnungsbaugenossenschaften.de führt auf eine Bammelseite mit dem Titel "Die Wohnungsbaugenossenschaften", auf der bislang Wohnungsgenossenschaften in folgenden Bundesländern verlinkt sind : Schleswig-Holstein, Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Hessen, Thüringen, Sachsen-Anhalt und Berlin. Hierbei handelt es sich um eine eigenständige Marketinginitiative von circa 200 Wohnungsgenossenschaften , die schon seit längerer Zeit besteht. Die A&K-Untersuchung bei Hamburger Wohnungsgenossenschaften hat ergeben, dass immerhin rund jeder Zehnte (8%) der sonstigen Hamburger Mieter den gemeinsamen Internetauftritt der Wohnungsgenossenschaften der Hansestadt kennt. Unter den 18 bis 29-jährigen Befragten kannten bereits 16% diese lnternetseite, unter den 60-jährigen und Älteren dagegen nur 2,5% .

77 Vgl. auch Kapitel3.1 .5.5, Kooperationen.

Situation der Wohnungsgenossenschaften , Befragungsergebnisse

3.1.5.5

Kooperationen 78

Ring der Wohnungsbaugenossenschaften 79 Zurzeit gehören rund 350 Wohnungsgenossenschaften mit circa 750.000 Wohnungen in Deutschland dem Ring der Wohnungsbaugenossenschaften an. Somit wird etwa jede dritte Genossenschaftswohnung von einer Ringgenossenschaft bewirtschaftet. Der bereits 1969 gegründete Ring der Wohnungsbaugenossenschaften ist ein überregionaler genossenschaftlicher Wohnungsservice, der von Genossenschaftsmitgliedern im Umzugsfall in Anspruch genommen werden kann . Im Normalfall ist das Bemühen einer Wohnungsgenossenschaft um das einzelne Mitglied immer dann beendet, wenn es einen Ortswechsel vornimmt. Wegen der Beschränkung des Geschäftskreises der Wohnungsgenossenschaft auf einen abgegrenzten regionalen Teilmarkt kann das wegziehende Mitglied nicht mehr alle durch die Mitgliedschaft erworbenen Rechte - insbesondere das Dauernutzungsrecht an der Genossenschaftswohnung- wahrnehmen. Durch den Ring wird das regional begrenzte Dauernutzungsrecht auf alle Orte und Städte ausgedehnt, in denen Ringgenossenschaften vertreten sind. Der Service kann also immer dann greifen, wenn ein Genossenschaftsmitglied die Wohnung zwischen zwei dem Ring angeschlossenen Wohnungsgenossenschaften wechselt. Es bleiben dann alle erworbenen Mitgliedsrechte erhalten. Das neue Mitglied soll von der aufnehmenden Wohnungsgenossenschaft wie ein langjähriges Mitglied behandelt werden. ln der Praxis funktioniert der Wechsel zwischen den Ringgenossenschaften allerdings oft nicht reibungslos, da die Regularien bezüglich der Aufnahme der Mitglieder bei den einzelnen Wohnungsgenossenschaften oft sehr unterschiedlich sind und eine entsprechende Vereinheitlichung bisher nicht gelungen ist. Als Problemfelder sind hier insbesondere die Übertragung der Mitgliedereinlagen zu nennen sowie die sich zwischen den Genossenschaften erheblich unterscheidenden Wohnungsvergabekriterien. Der Ring greift nur dann, wenn das betreffende Mitglied mit seiner Wohnungssuche den Bereich seiner alten Wohnungsgenossenschaft verlässt. Gibt es am neuen Wohnort mehrere Ringgenossenschaften, so ist die Auswahl dem umziehenden Mitglied überlassen. Auf regionalen Teilmärkten, auf denen Wohnungsengpässe auftreten (etwa in gefragten Ballungsräumen), kann auch der Ring der Wohnungsbaugenossenschaften einem umziehenden Mitglied keine Wohnung garantieren, wenn bei den zugehörigen Wohnungsgenossenschaften vor Ort keine Wohnungen frei sind, beziehungsweise noch eigene Mitglieder auf der Warteliste stehen. ln Zeiten entspannter Wohnungsmärkte und beginnender Leerstandsprobleme auch in den alten Ländern wird der Service des Ringes jedoch als zusätzliches Argument für die Mitgliedschaft in Wohnungsbaugenossen78 79

Vgl. Kapitel 5.3. Vgl. Kapitel 5.2.3.4, Umsetzungsmöglichkeiten für ein Markenkonzept.

227

228

Situation und Marktperspektiven

schatten zu einem wichtigen Marketinginstrument Mit dem Service passen sich die teilnehmenden Wohnungsgenossenschaften der wachsenden Wohnmobilität ihrer Mitglieder an ; der Service soll dabei über die rein wohnungsbezogenen Belange hinausgehen und dem umziehenden Mitglied allgemein helfen, sich schneller am neuen Wohnort zurechtzufinden . Im Internet sind die Ring-Wohnungsgenossenschatten gemeinsam mit allen anderen Wohnungsgenossenschaften im GdW über das neue Wohnungsgenossenschaftsportal des GdW www.wohn-eg.de abrufbar. 80 Diese Hornepage wird dort insgesamt unter der Kopfzeile "Ring der Wohnungsgenossenschaften" geführt. Kooperationsverträge nach Wohnraumförderungsgesetz Etwa 1,5% der Wohnungsgenossenschaften haben bislang einen Kooperationsvertrag nach dem Wohnraumförderungsgesetz 81 abgeschlossen. 82 Es handelt sich dabei um Verträge zwischen öffentlichen Stellen und Eigentümern beziehungsweise sonstigen Verfügungsberechtigten von Wohnraum über "Angelegenheiten der örtlichen Wohnraumversorgung", die der "Unterstützung von Maßnahmen der sozialen Wohnraumversorgung einschließlich der Verbesserung der Wohnverhältnisse sowie der Schaffung oder Erhaltung sozial stabiler Bewohnerstrukturen" dienen. ln die Vereinbarung können auch Dritte, insbesondere öffentliche und private Träger sozialer Aufgaben, einbezogen werden. Hochgerechnet auf alle Wohnungsgenossenschaften in Deutschland dürften rund 30 Verträge existieren. Die meisten Verträge wurden bislang in Brandenburg und Niedersachsen geschlossen, dort von jeweils circa 10% der Wohnungsgenossenschaften . Zukünftige Kooperationen ln der A&K-Wohnungsgenossenschaftsbefragung 2003 wurden die Genossenschaften gefragt, ob sie für die nächsten Jahre die Notwendigkeit zu verstärkter Kooperation der Wohnungsgenossenschaften untereinander sehen. Die Ergebnisse sind in Abb. 3.69 dargestellt.

80 81

82

Vgl. Kapitel3.1 .5.4, Dienstleistungen für Mitglieder. Gesetz über die soziale Wohnraumförderung (Wohnraumförderungsgesetz- WoFG) vom 13.09.2001 (BGBI. I S. 2376) geändert durch Artikel 53a des Gesetzes vom 27.04.2002 (BGBI. I S. 1467). A&K-Wohnungsgenossenschaftsbefragung 2003.

229

Situation der Wohnungsgenossenschaften , Befragungsergebnisse

Abb. 3.69 Notwendigkeit zu verstärkter Kooperation MSehen S e für die nachsten Jahre die Notw ndlgke 1 zu ver~tärlltsSinn unto • d n M otern WOhnunq wurd ZU!J

esen

Kt .nc bcsond re Grunde

Nennungen on % der Belragten - - - - · J6 • Me Bundcsl.1ncJcr • "'JC BundeSLindef Quelle MK M•tglo Jertlelragung 1997

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""'II r11

Insbesondere bei den jüngeren Mitgliedern waren die Eigenschaften der Wohnung ausschlaggebend. Ein Vergleich von älteren und jüngeren Mitgliedern belegt, dass bei den unter 40-jährigen überdurchschnittlich viele nur wegen der Wohnung Mitglied geworden sind (40%), wogegen dies bei nur 29% der älteren Mitglieder der Fall ist (vgl. Abb. 3.74). Auch sonst unterscheidet sich die jüngere Mitgliedergeneration in vielerlei Hinsicht von den älteren Mitgliedern. Der Sicherheitsaspekt hat für sie weitaus geringere Bedeutung, und auch an der Mitwirkung in der Wohnungsgenossenschaft und am Gemeinschaftssinn unter den Mietern liegt ihnen vergleichsweise wenig. Das preiswerte Wohnen steht für sie im Vordergrund.

242

Situation und Marktperspektiven

Abb. 3.74 Gründe für die Wahl einer Genossenschaftswohnung nach Alter der Mitglieder

Grunde Sichct

I vor Kundogung

Pr o

rles Wohnen

SICher • WOhnen audl om Alter Artr • trv

WOllnungon

Wohnrecht t'J(.'ht auf dr Kinder ubt!r

Gemclnschartss.nn unt~'f den Mo tom

Wohnung wurde

zugewocsen

Kerne bosonde siehe Mobilität Wohnprojekt 36, 98, 101 , 317 f., 354, 388, 440 f., 567, 593, 654, 664, 678, 692, 712 Wohnraumförderungsgesetz 31, 67, 144, 228,386,398, 451 , 683 Wohnraumversorgung 28, 69, 84, 100, 216, 218, 228, 230 f., 325, 378 , 386, 398 f. , 409, 515, 544, 562, 706 Wohnungsausstattung 37, 135, 293 f., 297 f. , 307, 381, 530 Wohnungsbau- Prämiengesetz 84, 651 Wohnungsbedarf232,270, 436 Wohnungsbelegung 231, 378 Wohnungsgemeinnützigkeit ----> siehe Gemeinnützigkeit Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz 119 f. , 123, 454, 562, 602, 618, 649,651 Wohnungsgenossenschaftliche Finanzierungs-. Haftungs- und Sicherungseinrichtung 27, 511 Wohnungsgenossenschaftliche Spareinrichtung 27, 504 Wohnungsgenossenschaftsbefragung 2003 112, 114, 124, 137, 145, 148 f., 155, 159, 186, 189, 196, 199 f., 206, 208, 211 f., 214, 216 ff., 228, 232, 239 f., 244, 249, 344, 350, 519 ff. Wohnungsgrößenstruktur 659 Wohnungsleerstand ----> siehe Leerstand Wohnungsnaher Bereich 581, 583 Wohnungsneubautätigkeit ----> siehe Neubautätigkeit Wohnungsnot 23, 40, 115 ff., 120 f., 348,359

Index

Wohnungszwangswirtschaft 120 f. Wohnzufriedenheit 114, 235 ff., 293 f., 300, 406 World-Wide-Web 520

z

Zertifizierung von Altersvorsorgeverträgen 612 Zukauf 145 f. Zukunftspotenziale durch Kooperationen 551, 556, 564 Zuwanderung 122, 273, 286 f., 316, 334, 353, 413,560 Zuwanderungsrate 260 Zweckgesellschaft 513, 621 f., 625 Zweites Konsultationspapier 471

751